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German Pages 144 [224] Year 2010
Analytische Religionsphilosophie Neue Wege der Forschung Herausgegeben von Bernd Irlenborn und Andreas Koritensky
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ISBN 978-3-534-24912-1 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72706-3 eBook (epub): 978-3-534-72709-4
Inhalt Vorwort ....................................................................................................
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Einleitung .................................................................................................
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Einführung ............................................................................................. 17 William Hasker Analytische Religionsphilosophie ....................................................... 19 Richard Swinburne Der Wert und die christlichen Wurzeln der analytischen Religionsphilosophie ........................................................................... 48 Attribute Gottes ..................................................................................... 65 Joshua Hoffman/Gary Rosenkrantz Allmacht .............................................................................................. 67 Linda Zagzebski Allwissenheit ....................................................................................... 78 Gottes Existenz ....................................................................................... Graham Oppy Das ontologische Argument ................................................................ William L. Craig Das kosmologische Argument ............................................................ Robin Collins Das teleologische Argument ............................................................... Paul Copan Das moralische Argument ................................................................... Das Problem des Übels .......................................................................... William L. Rowe Das Problem des Übels und einige Formen des Atheismus ................ Paul Draper Das Argument des Übels ..................................................................... Peter van Inwagen Das Argument aus dem Übel ..............................................................
91 93 108 125 144 157 159 172 188
Zu den Autoren ........................................................................................ 209 Literaturverzeichnis ................................................................................. 210 Namensregister ........................................................................................ 222
Vorwort Seit ihren Anfängen ringt die Philosophie mit dem Gottesbegriff. Diese Auseinandersetzung kennt intensivere und schwächere Phasen. Die Philosophie hat dabei immer wieder neue Impulse von der Religion in ihren vielfältigen Formen aufgenommen und ihrerseits religiöse Diskurse mitgeformt. Nach einer Periode, in der es um religiöse Themen in Philosophie und Gesellschaft recht still geworden war, sind sie heute wieder zu einem wichtigen Feld der öffentlichen Debatte geworden. Insbesondere die Frage, ob und wie theistische Überzeugungen rational verantwortet werden können, gehört zum genuinen Aufgabengebiet der Philosophie. Gerade die analytische Philosophie hat sich dieser Herausforderung angenommen. Sie nimmt dabei die angelsächsischen religionsphilosophischen Diskurse der Aufklärungszeit auf und entwickelt sie mit dem begrifflich-technischen Apparat moderner Philosophie und Logik in zeitgemäßer Weise. Die in diesem Band versammelten Aufsätze legen wir hiermit erstmals in deutscher Übersetzung vor. Auf diese Weise möchten wir insbesondere Studierenden einen leichteren Zugang zu den verästelten Debatten der analytischen Religionsphilosophie zu geben. Die Texte repräsentieren im Rahmen des Möglichen die wichtigsten Fragestellungen der gegenwärtigen Diskussionen. Theologinnen und Theologen, Philosophinnen und Philosophen soll dieser Band als Einführung und Überblick über den neuesten Stand und die zu erwartenden Entwicklungen dieses neuen Zweiges der Religionsphilosophie dienen. Unser Dank gilt dem Lektorat in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für die Unterstützung bei der Texterstellung. Weiterhin Herrn Daniel Wäschenbach und vor allem Frau Margareta Klahold für ihre Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage und den Korrekturen. Die Übersetzung der Texte wurde von den Herausgebern angefertigt. Paderborn, im August 2012 Bernd Irlenborn, Andreas Koritensky
Einleitung Analytische Religionsphilosophie – eine Einordnung Die Religionsphilosophie hat in den letzten Jahrzehnten eine erstaunliche Renaissance erlebt. Diese Entwicklung verdankt sich nicht zuletzt der Prominenz, die dem Thema „Religion“ in der analytischen Philosophie eingeräumt wird. Analytisches Denken ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr zum universalen Medium des philosophischen Diskurses geworden. Dabei hat sich im Rahmen der analytischen Philosophie eine sehr lebendige, weit verzweigte religionsphilosophische Szene in der angelsächsischen Welt herausgebildet. Die analytische Religionsphilosophie nimmt mittlerweile sogar Einfluss auf die Selbstreflexion des christlichen Glaubens, so dass sich weitgehend unabhängig von konfessionellen Grenzen eine analytische Theologie herauszubilden beginnt. Angesichts der Forschungsschwerpunkte der letzten Jahre und der international vernetzten Diskussionen ist davon auszugehen, dass die Bedeutung der analytischen Philosophie für die rationale Deutung von Religion in den nächsten Jahrzehnten auch im deutschsprachigen Raum noch zunehmen wird. Dass die analytische Tradition zum Medium der Religionsphilosophie werden würde, war eigentlich nicht vorauszusehen und ist in Anbetracht des weltanschaulichen Unterstroms, der diese philosophische Richtung bis heute prägt, nach wie vor überraschend. Denn die analytische Philosophie war von Anfang an um eine enge Anbindung an die empirischen Wissenschaften bemüht. Religion galt daher den meisten ihrer Vertreter als Paradigma für das „unsinnige“ metaphysische Denken (Carnap 1999, 187f.). Religion wurde in dieser frühen Phase der analytischen Philosophie, wenn überhaupt, in der Regel kritisch thematisiert. Auch die Rückkehr zum metaphysischen Realismus, die das analytische Denken seit den 1960er und 1970er Jahren vollzogen hat, änderte zunächst wenig an seiner weltanschaulichen Ausrichtung. Hilary Putnam, der die metaphysische Wende maßgeblich mit vorangetrieben hat, erklärt rückblickend, sein Weltverständnis habe sich damals an einem naturwissenschaftlichen Materialismus ausgerichtet, mit dem die Hoffnung einherging, es ließe sich so etwas wie eine einheitliche, auf der Physik beruhende Erklärung der Welt generieren. Diese Vorstellungen und Ziele sind Putnam zufolge nach wie vor für viele in der analytischen Tradition maßgeblich. Prima facie ist in einem solchen Ansatz für Religion kein Platz (Putnam 1992, 1f.; 2008, 3-6). Für die Etablierung einer starken Religionsphilosophie bedurfte es daher erheblicher Anstrengungen.
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Das Aufblühen der analytischen Religionsphilosophie vollzieht sich wohl nicht zufällig zeitgleich mit den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, die die amerikanische Gesellschaft in den 1980er Jahren durchlaufen hat. Sie verdankt sich bewussten Bemühungen, die Religion im Bildungssystem wieder präsent zu machen (Plantinga 1984; Moreland/Craig 2003, 1-7). Warum wurde nun aber gerade die analytische Philosophie zum neuen Medium der religiösen Reflexion? Zwei Faktoren haben hier auf sehr unterschiedliche Weise eine Rolle gespielt: (1) Ein erster Faktor, der diese Wahl gefördert hat, ist ein gemeinsames Anliegen, das analytische Philosophie und ihre religionsphilosophischen Rezipienten teilen. Die metaphysische Wende der analytischen Philosophie war eine Gegenbewegung zur starken Orientierung der frühen analytischen Philosophie an der Sprache. Die Sprachzentrierung schien mehr und mehr eine idealistische Weltsicht zu forcieren, bei der die Wirklichkeit hinter der Sprache zu versinken drohte. Mit dieser idealistischen Ausrichtung verband sich ein starker Zug zum Relativismus. Die Kausaltheorien der Referenz, die Saul Kripke und Hilary Putnam entwickelten, richteten sich gegen diese Entwicklung, die beide Denker, insbesondere was die physische Wirklichkeit betrifft, als kontraintuitiv empfanden. Eine klare Abgrenzung gegen relativistische Theorien, oft als „kontinentale Philosophie“ bezeichnet, gehört bis heute zum Common Sense der großen Mehrheit analytischer Philosophinnen und Philosophen. Eine ähnliche Schwierigkeit hatten offenbar manche Christen mit den theologischen Entwürfen des 20. Jahrhunderts, die sich um eine kontextualisierte Lesart der traditionellen religiösen Erzählungen der Religion bemühten. Sie zielte darauf ab, zum Beispiel durch eine formgeschichtliche Einordnung biblischer Texte neue Interpretationsspielräume zu eröffnen. Auf diese Weise sollten Spannungen zwischen dem wörtlichen Verständnis der biblischen Texte und der modernen Weltauffassung vermieden werden. Die Texte wurden dann oft auf eine „theologische“ Aussage zurückgeführt, wobei der Begriff des „Theologischen“ sehr vage blieb und insbesondere der ontologische Status dieses „theologischen“ Gehaltes nicht immer klar wurde. Gegen diese Interpretationsansätze wurde der Einwand erhoben, die Inhalte der christlichen Tradition würden in einer unzulässigen Weise abstrahiert und relativiert (Inwagen 1995, 125-190). Religionsphilosophisch drückt sich diese Kritik in einer robusten Objektivierung des Gottesbegriffs aus. Gott kann dann als eine „Konstituente dieser Welt“ neben physischen Objekten zu stehen kommen (Alston 1996, 148). Auch sonst lässt sich innerhalb der analytischen Religionsphilosophie eine gewisse Neigung zur Betonung des Literalsinns religiöser Texte beobachten (vgl. Dummett 1993; Rea 2009, 127-317).
Einleitung
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(2) Der zweite Faktor, der die Reflexion des Themas „Religion“ in der analytischen Philosophie in den letzten Jahrzehnten stark vorangetrieben hat, ist deren intensive Auseinandersetzung mit der naturalistischen (materialistischen, physikalistischen) Deutung der Wirklichkeit. Damit folgt die analytische Philosophie einem Grundzug moderner westlicher Weltauffassung. Die analytische Religionsphilosophie möchte für die Religion nicht einfach eine Nische neben der „harten“ physischen Wirklichkeit freihalten, sondern fordert selbstbewusst die Integration der religiösen Inhalte in das moderne Weltbild und damit zugleich einen festen Platz für die Religion im öffentlichen akademischen Raum. Dies führt zu einer gewissen Ambivalenz im Umgang mit der naturalistischen Grundausrichtung des analytischen Denkens. Einerseits muss die analytische Religionsphilosophie die Gleichsetzung des Wirklichen mit dem Physischen überwinden. Andererseits muss sie die religiöse Ontologie so gestalten, dass sie Anschluss an das naturwissenschaftlich geprägte philosophische Weltbild findet. Positiv gewendet heißt das aber auch, dass sich die Religionsphilosophie um einen Anschluss an die besten uns zur Verfügung stehenden Erklärungsmodelle der materiellen Welt bemüht (Swinburne, in diesem Band, S. 48). Aus dieser Motivlage heraus erklärt sich auch das breite Themenfeld, das die analytische Religionsphilosophie heute prägt (Hasker, in diesem Band, S. 35). Zum einen arbeitet sie nach wie vor an jenen Fragestellungen, die traditionell unter der Bezeichnung der natürlichen Theologie zusammengefasst werden. Sie fragt nach rationalen Gründen für die Annahme der Existenz Gottes und bemüht sich um die Rekonstruktion der wesentlichen Eigenschaften, die dem Gottesbegriff zukommen müssen. Die Interpretation der göttlichen Attribute bestimmt maßgeblich den Lösungshorizont für die heftig umstrittene Frage einer Theodizee. Daneben hat sich ein weites Feld verschiedener Fragestellungen herausgebildet. So eröffnen die intensiven analytischen Debatten zur Körper-Geist-Problematik und zur Deutung des Begriffs von Personalität neue Möglichkeiten zur Interpretation der Vorstellung einer Auferstehung der Toten. Die christologische Zwei-Naturen-Lehre oder die Trinitätstheologie werden im Lichte neuer ontologischer Terminologien rekonstruiert. Weniger rezipiert werden hierzulande bislang zwei weitere Gebiete der analytischen Debatte, die Deutung der Pluralität der Religion und die Frage der religiösen Begründung von Ethik. Das Spektrum hat sich damit von der Religionsphilosophie hin zur analytischen Theologie erweitert. Bei dem Ausgriff auf die traditionell der Theologie vorbehaltenen Fragen macht sich nicht selten die erwähnte Tendenz zu einer stärkeren wörtlichen Interpretation traditioneller christlicher Glaubensaussagen bemerkbar. Eine theologische Rezeption hierzulande wird manche Überlegung und Voraus-
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Einleitung
setzung kritisch abwägen müssen. Bei den Fragestellungen, die an die philosophische Disziplin einer natürlichen Theologie anknüpfen, kommt hingegen ein eher vage gehaltener Gottesbegriff zum Zuge. Es wird sogar darüber diskutiert, ob die analytische Religionsphilosophie nicht in unzulässigem Maß theistische Positionen bevorzugt und damit die Vielfalt des Religiösen und auch der Gottesvorstellungen vernachlässigt (Hasker, in diesem Band, S. 25f.). Diese Kritik ist ein Hinweis darauf, dass die analytische Religionsphilosophie den Gottesbegriff nicht selbst durch philosophische Reflexion wie die klassische natürliche Theologie entwickelt, sondern auf einen Vorbegriff zurückgreift, von dem man aber zugleich hofft, dass er in einem interkonfessionellen und zum Teil auch interreligiösen Kontext anwendbar ist. Dieser Vorbegriff lässt sich dann vielleicht am ehesten als Äquivalent der Gottesrede deuten, wie sie die amerikanische Zivilreligion prägt. Wenn sich die Themen zumindest auf den ersten Blick sehr traditionell ausnehmen, stellt sich die Frage, worin das grundlegend Neue besteht, das die analytische Tradition in die Religionsphilosophie einbringt. Hier lassen sich insbesondere drei Aspekte hervorheben: (1) Vermutlich würden die meisten ihrer Vertreterinnen und Vertreter auf das neue argumentative Instrumentarium verweisen, das sie der modernen Logik und Wissenschaftstheorie entnehmen (Swinburne in diesem Band, S. 54). Das Formale der Darstellung mag in Bezug auf religiöse Aussagen abstrakt anmuten, ermöglicht aber ein hohes Maß an Klarheit und Präzision der Argumentation. Die formale Rekonstruktion religiöser Aussagen zielt darauf ab, den allgemeinen wissenschaftstheoretischen Standards der Rationalität zu genügen. In diesen Bemühungen wirkt wohl auch der Schock des alten empiristischen Sinnlosigkeitsvorwurfs gegenüber der religiösen Sprache nach. (2) Hinter der neuen Darstellungsform steht aber auch eine neue geistesgeschichtliche Verortung der alten religionsphilosophischen Fragestellungen. Vielleicht besteht hierin sogar das eigentlich Innovative der analytischen Religionsphilosophie. Über Jahrhunderte wurde die philosophische Auseinandersetzung mit der Religion durch die Vorgaben der antiken Ontologien und ihrer christlichen Adaptionen geprägt. Die kontinentale Religionsphilosophie und Theologie des zwanzigsten Jahrhunderts hat dieses Projekt neu formuliert, indem sie die kritischen Impulse aufgriff, die insbesondere von der deutschen Philosophie von Kant bis Heidegger ausgingen. Diese Einflüsse haben ein Klima entstehen lassen, das der Metaphysik enge Grenzen auferlegt. Die analytische Tradition betrachtet diese Selbstbeschränkungen der Religionsphilosophie als zu dogmatisch und die Argumente, die für die Grenzziehung verantwortlich sind, als nicht zwingend.
Einleitung
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Neben den wissenschaftsaffinen Tendenzen, die aus der frühen Phase des analytischen Denkens stammen, knüpft die analytische Religionsphilosophie an die reiche Tradition jener religionsphilosophischen Diskurse an, die in der angelsächsischen Welt des 18. Jahrhunderts blühten. Die religiösen Voreinstellungen, die dieser Philosophie unterlegt sind, lassen sich am leichtesten von den Spielarten des angelsächsischen Christentums jener Zeit erklären. Man bemüht sich in dieser Zeit, die dogmatischen Streitfragen, die die konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts provoziert hatten, auszuklammern und religiöse Aussagen stattdessen rational zu rekonstruieren. John Locke steigt in diesem Zeitraum zum anglikanischen Kirchenvater auf. Design-Argumente haben ihre Wurzeln in dieser Zeit ebenso wie die Methode der Wahrscheinlichkeitsabwägung. Die analytische Religionsphilosophie erschließt daher zum einen die Schätze einer Tradition, die aus kontinentaler Perspektive oft nur als Vorläufer für den kantischen Kritizismus wahrgenommen wurde. Zum anderen kündigt sich damit aber auch an, dass nicht nur die Philosophie, sondern auch die Theologie in Zukunft wohl ein stärker angelsächsisches Gepräge erhalten wird. (3) Ein dritter innovativer Aspekt ist das Verständnis dessen, was eine rationale Begründung von religiösen Aussagen leisten können muss. Analytische Begründungsdiskurse bestehen im Wesentlichen aus dem Abwägen von evidences. Das Wort hat im Deutschen kein eindeutiges Äquivalent. Es werden damit in der Regel alle Informationen bezeichnet, die für die Beurteilung der Wahrheit einer Aussage von Bedeutung sind. Insofern entsprechen die evidences am ehesten unseren Gründen. Formuliert werden diese Gründe in Argumenten. Diese Gründe haben in den seltensten Fällen den Charakter demonstrativer Beweise. Statt einer Religionsbegründung more geometrico spielen in der angelsächsischen Tradition schon lange Wahrscheinlichkeitsargumente eine große Rolle. Ein klassisches Beispiel für diese Methode ist bereits Joseph Butlers Analogy of Religion von 1736. Dieses Vorgehen hat den Vorzug, dass es dem modernen wissenschaftstheoretischen Verständnis von Theorien und der Möglichkeit ihrer Weiterentwicklung entspricht. Die Bewertung der Wahrscheinlichkeit einzelner religiöser Weltdeutungskomponenten und ihr Abwägen gegenüber nichtreligiösen Alternativen nehmen einen breiten Raum in der gegenwärtigen Debatte ein.
Die Texte dieser Anthologie Eine Anthologie zu den aktuellen Entwicklungen in der analytischen Religionsphilosophie muss sich auf eine Auswahl aus einem überreichen Angebot beschränken. Zum einen konzentriert sie sich auf die klassischen
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Kernthemen der philosophischen Auseinandersetzung mit der Religion, also die Fragen der natürlichen Theologie. Zum anderen enthält diese Anthologie mit einer Ausnahme nur Texte aus dem 21. Jahrhundert. Sie soll zugleich eine Auswahl namhafter Akteure der aktuellen analytischen Debatten versammeln, die richtungsweisende Überlegungen auf ihren jeweiligen Gebieten beigesteuert haben. Der erste Teil der Anthologie hat den Charakter einer Einführung. Er soll in Querschnitten einen Überblick zur Entwicklung und Einordnung der analytischen Religionsphilosophie bieten. Der Band beginnt daher mit William Haskers umfassenden und konzisen Abriss der Geschichte der analytischen Philosophie. Dieser Text verdeutlicht den Reichtum und die Vielfalt der Diskussionen, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben. Richard Swinburne gehört zu den Pionieren, die nach der metaphysischen Wende entscheidende Beiträge zum Aufbau der analytischen Religionsphilosophie geleistet haben. In dem ausgewählten Beitrag plädiert er für die Notwendigkeit einer rationalen Rechtfertigung und Durchdringung religiöser Aussagen. Wenn Christen dabei auf die besten verfügbaren säkularen Kriterien zurückgreifen, führen sie keine fremden Prinzipien in ihre Religion ein, sondern setzen ein Projekt fort, das die Kirchengeschichte durchzieht. Der zweite Teil dieser Anthologie widmet sich anhand zweier Beispiele den neuen Interpretationen, die die göttlichen Attribute in der analytischen Religionsphilosophie gefunden haben. Der Umgang mit diesem Untersuchungsgebiet zeichnet sich durch eine gewisse Ambivalenz aus. Auf der einen Seite ist die Behandlung dieser Themenstellung und ihre Platzierung vor der Frage nach der rationalen Begründbarkeit der Annahme der Existenz Gottes folgerichtig. Der analytische Theismus knüpft in der Regel nicht an konkrete religiöse Traditionen an und kann daher nicht einfach überlieferte religiöse Gottesvorstellungen voraussetzen. Im Gegensatz zur christlichen Apologetik muss die Philosophie daher zunächst einmal klären, wovon sie spricht, wenn sie das Wort „Gott“ verwendet. Dieser Gottesbegriff müsste mit rein philosophischen Mitteln entwickelt werden. Auffällig ist allerdings, wie dieses nachvollziehbare Programm durchgeführt wird. Die analytische Philosophie arbeitet nicht an der systematischen Entfaltung einer Gotteslehre, sondern begnügt sich im Wesentlichen damit, einzelne Attribute, die im Rahmen der klassischen Metaphysik entfaltet wurden, herauszugreifen und auf ihre Kohärenz zu überprüfen. Dieser Eklektizismus zeigt, dass die Attribute aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang als Schema der Kategorisierung der Wirklichkeit (und deren Anwendbarkeit auf Gott) herausgenommen sind, so dass ihre Auswahl letztlich doch von den religiösen Intuitionen der Philosophinnen und Philosophen abhängig zu
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sein scheint. Hasker kennzeichnet in seinem Beitrag Allmacht, Allwissenheit und Güte als Kernattribute für den Gottesbegriff des analytischen Theismus, bedauert aber, dass die (vollkommene) Güte bisher noch nicht die ihr gebührende Beachtung gefunden hat. Wie das Attribut der Allmacht unter den methodischen Bedingungen des analytischen Denkens rekonstruiert werden kann, zeigen Joshua Hoffman und Gary Rosenkrantz. Sie fragen nach den notwendigen Beschränkungen, denen der Begriff unterworfen sein muss, um nicht selbstwidersprüchlich zu sein und bieten so eine Lösung für das klassische „Paradox des Steins“ an. Mit dem Attribut der Allwissenheit befasst sich der Beitrag von Linda Zagzebski. Das Grundproblem dieses Konzepts ist seine Vereinbarkeit mit der Annahme menschlicher Freiheit. Wie das Attribut der vollkommenen Güte auszubuchstabieren ist, zeigen die Texte zur Theodizeefrage und zum moralischen Argument. Das Grundproblem einer theistischen Religionsphilosophie ist die Frage nach der rationalen Begründbarkeit der Annahme, dass Gott existiert. Der dritte Teil dieser Anthologie stellt vier der wichtigsten Argumente vor. Das ontologische Argument zählt zu den intellektuell faszinierendsten, zugleich aber auch zu den umstrittensten Argumenten für die Existenz Gottes. Ursprünglich im Kontext einer platonisch geprägten Philosophie entwickelt, erlebt das Argument durch die Möglichkeiten einer Neuformulierung im Medium der modernen Logik eine breite Renaissance. Graham Oppy nimmt eine kritische Bewertung dieser Ansätze vor. Die Frage, warum etwas und nicht vielmehr nichts sei, ist traditioneller Ausgangspunkt für Überlegungen, die Gott als Schöpfer der Welt nachweisen. William Craig zeigt, wie eine Auseinandersetzung mit aktuellen Theorien der Mathematik und Astronomie für die Plausibilisierung des kosmologischen Arguments fruchtbar gemacht werden können. Den Dialog mit den Naturwissenschaften sucht auch Robin Collins, der die Möglichkeiten des teleologischen Arguments ausleuchtet. Er knüpft dabei an die Formulierungen dieses Argumentationstypus’ aus der Aufklärungszeit an, der von der Ordnung der Welt (design) auf die Existenz eines Schöpfers schloss. Collins transformiert diese Überlegungen zu einem Argument ausgehend von der Feinabstimmung des Kosmos. Das moralische oder axiologische Argument blickt ebenfalls auf eine lange Geschichte zurück. In Paul Copans Überlegungen zum moralischen Argument hat die Existenz objektiver moralischer Werte unter der Prämisse der Existenz eines guten Gottes einen höheren Grad an Wahrscheinlichkeit als in einem naturalistischen Kosmos. Wer objektive moralische Werte für gegeben ansieht, kommt an der Existenz Gottes nur schwer vorbei. Im vierten Teil dieser Anthologie sind drei Aufsätze versammelt, die eines der schwierigsten Probleme für den philosophischen Theismus themati-
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sieren. Seine klassische Formulierung hat das Theodizeeproblem in der analytischen Philosophie durch William Rowe gefunden. Sein Aufsatz, der hier erstmals in deutscher Sprache vorliegt, hat einen neuen Argumentationstyp in der Debatte um die Theodizeefrage begründet (das sogenannte evidential argument) und damit eine breite Diskussion um die Wahrscheinlichkeit der Existenz eines guten Gottes angesichts der Existenz von scheinbar sinnlosem Übel ausgelöst. Dass nicht jede Theismuskritik, die sich auf das Theodizeeproblem stützt, zielführend sein muss, zeigt Paul Draper in seiner Untersuchung verschiedener Formulierungen der Theodizeefrage. Mit Rowe verbindet Draper allerdings das Ergebnis, dass das Theodizeeproblem die Richtigkeit der theistischen These unwahrscheinlich macht. Wer dennoch am Theismus festhalten wolle, müsse – und könne – weitere Gründe ins Feld führen. Als klassischer Lösungsansatz hat sich in der analytischen Religionsphilosophie die sogenannte Verteidigung aus dem freien Willen herauskristallisiert. Sie ist nicht als Theodizee im strengen Sinn konzipiert, sondern als Verteidigung (defense), die nicht die wahren Gründe für das Zulassen von Leiden zu wissen behauptet, sondern nur „reale Möglichkeiten“ beschreiben will. Die hier versammelten Texte sind als Einführung in aktuelle Diskussionsfelder der analytischen Religionsphilosophie gedacht. Sie sollen einen ersten Überblick über die ausgewählten Themenbereiche vermitteln und dabei auch Methoden und Argumentationsformen des analytischen Denkens deutlich machen. Die einzelnen Beiträge in dieser Anthologie werfen Fragen auf, die zu einem weiteren Studium der jeweiligen Debatten anregen können. Gerade die philosophische Präzision und die argumentative Lebendigkeit, mit der in der analytischen Religionsphilosophie um Fragen der Bedeutung und Tragweite von religiösen Überzeugungen und Praktiken gerungen wird, eröffnet anderen Strömungen der Philosophie und besonders auch der christlichen Theologie wertvolle Impulse für eine affirmative und doch auch kritisch-rationale Auseinandersetzung mit der Religion.
Einführung
William Hasker: Analytic Philosophy of Religion, in: William Wainwright (Hg.): The Oxford Handbook of Philosophy of Religion, Oxford 2005, 421-446. © Oxford University Press, Oxford
WILLIAM HASKER
Analytische Religionsphilosophie Die analytische Religionsphilosophie wurde in den 1940er Jahren ausgetragen und kam in den frühen 1950ern zur Welt. Sie verbrachte ihre Kindheit in den 1960er Jahren und durchlief ihre Jugend von den 1970ern bis in die frühen 1980er Jahre. Seither ist sie erwachsen geworden und erreichte ihre volle Reife zur Jahrtausendwende, ohne dass Niedergang und Alterungserscheinungen sichtbar wären. Wie alle Metaphern hat auch diese ihre Grenzen. Man kann die philosophischen Arbeiten der früheren Stadien kaum als kindisch oder gar als infantil beschreiben. Allerdings waren die Diskussionen damals erkennbar noch nicht zur Reife gelangt. Seither lässt sich ein bemerkenswerter Fortschritt bei den Themenfeldern und der Weise, wie sie bearbeitet werden, beobachten. Die Geschichte der analytischen Religionsphilosophie wird in diesem Essay in drei Phasen unterteilt, die jeweils von einem anderen Themengebiet geprägt waren. In der ersten Phase, die bis etwa 1965 reicht, befasste man sich fast ausschließlich mit der religiösen Sprache, insbesondere mit deren kognitivem Sinn. In der zweiten Phase, die sich durch die 1980er Jahre erstreckte, hat sich ein großer Teil der Aufmerksamkeit auf ein Gebiet gerichtet, das als „Philosophie des Theismus“ bezeichnet werden könnte. In der gegenwärtigen Periode lässt sich eine Diversifikation feststellen, so dass das Arbeitsfeld nun eine größere Anzahl von Fragestellungen umfasst als je zuvor.
Die frühen Jahre: Religiöse Sprache Während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts kam der Religionsphilosophie in der analytischen Philosophie bestenfalls eine marginale Rolle zu. G.E. Moore, der eine streng evangelikale Kindheit hinter sich hatte,
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begnügte sich in A Defense of Common Sense mit der Bemerkung, dass er nicht mit jenen Philosophen übereinstimme, „die annehmen, es gäbe gute Gründe für die Annahme, dass es einen Gott gibt […] [oder] dass wir Menschen nach dem Tod unserer Köper weiter existieren und mit Bewusstsein ausgestattet sein werden“ (Moore 1993 , 127). Bertrand Russells schwere Angriffe auf die Religion hatten deutlich mehr Schlagkraft, standen aber abseits von seinen ernsthaften philosophischen Arbeiten. Auch Wittgensteins Ausgreifen nach dem Mystischen im Schlussabschnitt des Tractatus bleibt, so beeindruckend und provokativ es auch sein mag, hinter jeder systematischen Auseinandersetzung der Philosophie mit der Religion zurück. Die religiöse Gedankenwelt bewegte sich in diesen Jahren in anderen Bahnen. Wenn sie sich philosophisch betätigte, dann wählte sie in der Regel die Form des nach-hegelschen Idealismus. Die Lage änderte sich durch das Auftreten des logischen Positivismus, besonders nach seiner Einführung in die englischsprachige Welt durch A.J. Ayers Language, Truth, and Logic (Ayer 1936). Ayers Werk zeichnete sich zwar nicht durch ein besonderes Maß an Originalität gegenüber den kontinentalen Positivisten aus, forderte aber die Grundlagen des religiösen Denkens auf eine Weise heraus, die nicht ignoriert werden konnte. Nicht nur die Wahrheit religiöser Behauptungen wurde in Frage gestellt, sondern auch ihre Sinnhaftigkeit: Es wurde in Abrede gestellt, dass diese Äußerungen über hinreichend kognitiven Sinn verfügen, um sie als wahr oder falsch bewerten zu können. Außerdem erstreckte sich die Kritik in gleicher Weise auf eine Reihe philosophischer Ansätze, die in der Vergangenheit zum Ausdruck religiöser Überzeugungen gedient hatten, so dass sie der Religion nun keinen wirkungsvollen Schutz mehr bieten konnten. In den 1940er Jahren begannen die religiösen Denker, diese Herausforderung in den Griff zu bekommen. Die Kontroverse wurde in der Debatte um Theologie und Falsifikation zugespitzt, die in den Jahren 1950 und 1951 stattfand, und deren Beiträge zumindest teilweise 1955 in dem Band New Essays in Philosophical Theology (Flew/MacIntyre 1955) abgedruckt wurden. Die Bühne war von Antony Flew bereitet worden, der eine ursprünglich von John Wisdom erzählte Parabel adaptierte: Einst kamen zwei Forscher auf eine Lichtung im Dschungel. In der Lichtung wuchsen viele Blumen, aber auch eine Menge Unkraut. Der eine Forscher meint: „Ein Gärtner kümmert sich um diesen Ort“. Sein Kollege widerspricht: „Es gibt keinen Gärtner“. Sie stellen ihr Zelt auf und halten Wache. Kein Gärtner wird jemals gesehen. „Vielleicht ist es ein unsichtbarer Gärtner“. Sie stellen einen Stacheldrahtzaun auf. Sie stellen ihn unter Strom. Sie patrouillieren mit Bluthunden. […] Aber kein Schrei zeigt an, dass ein Ein-
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dringling einen Stromschlag erhalten hat. Keine Bewegung des Drahtes verrät den unsichtbaren Kletterer. Die Bluthunde schlagen niemals an. Trotzdem ist der Glaubende nicht überzeugt: „Es gibt doch einen Gärtner, unsichtbar, unberührbar, unempfindlich für Stromschläge, ein geruchloser und geräuschloser Gärtner, der heimlich zu seinem Garten kommt, den er liebt“. Schließlich verzweifelt der Skeptiker: „Was bleibt eigentlich von deiner ursprünglichen Behauptung übrig? Wie unterscheidet sich denn ein unsichtbarer, unberührbarer, ewig sich verbergender Gärtner von einem imaginären Gärtner oder gar keinem Gärtner?“ (Flew 1955, 96)
Flew fasst seine Position folgendermaßen zusammen: „In dieser Parabel können wir sehen, wie etwas, das als Behauptung der Existenz eines Objektes oder als Analogie bestimmter Phänomenkomplexe seinen Anfang nimmt, Schritt für Schritt zu etwas vollkommen anderem reduziert werden kann, nämlich zum Ausdruck von so etwas wie einer bloßen ‚Bildpräferenz‘“. Nach Flew geschieht dies typischerweise mit theologischen Behauptungen: Diese beginnen als (scheinbare) „große kosmologische Behauptungen“ und werden angesichts von Einwänden schrittweise qualifiziert, bis nichts mehr übrig ist; sie sterben den „Tod der tausend Qualifikationen“ (Flew 1955, 97). Sie können nicht falsifiziert werden und sind aus diesem Grund sinnlos. Die Weise, in der Flew seine Herausforderung präsentiert, beinhaltet zwar logische Probleme, die Grundidee erschien vielen Lesern aber als zwingend: „Irgendwer erzählt uns, Gott liebe uns wie ein Vater seine Kinder. Man versichert es uns. Aber dann sehen wir ein Kind an unheilbarem Kehlkopfkrebs sterben. Sein irdischer Vater macht sich verrückt, um zu helfen, aber sein himmlischer Vater zeigt kein Zeichen der Sorge“ (Flew, 1955, 98f.). Es stellt sich die Frage, ob die Behauptung der Liebe Gottes wirklich etwas zum Ausdruck bringt oder sich auf eine vage emotionale Tröstung beschränkt. Flew fordert seine Diskussionspartner mit der Frage heraus, „welche Tatsachen als Gegenbeweis für die Liebe oder Existenz Gottes zählen können“ (Flew 1955, 99). In seiner Entgegnung gesteht R.M. Hare zu, dass „Flew auf dem von ihm umgrenzten Feld einen vollständigen Sieg errungen habe“. Daher antwortet er mit einer eigenen Parabel von einem „Verrückten, der davon überzeugt ist, alle Professoren wollten ihn ermorden“ (Flew 1955, 99). Obwohl er von Freunden einer Anzahl von Professoren vorgestellt wird, die ihm gegenüber alle Freundlichkeit, guten Willen und nicht die geringsten Intentionen, ihn zu töten, an den Tag legen, bleibt der Mann davon überzeugt, dass sie sich heimlich gegen sein Leben verschworen hätten. Hare beschreibt die Situation mit den Worten, der Mann habe „einen ungesunden blik auf die Profes-
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soren“ (Flew 1955, 100), während wir hingegen den gesunden blik auf sie haben. Ein blik ist eine Art Einstellung, eine Betrachtungsweise der Welt, die nicht begründet ist (der Verrückte hat alle Gründe, wie wir Übrigen, für die Annahme, alle Professoren seien harmlos), sondern in gewissen Situationen auf eine tiefgreifende Weise unsere Gefühle und Reaktionen bestimmt. Religiöser Glaube sollte nicht so aufgefasst werden – wie das von Flew geschieht –, als ob diese Gefühle und Reaktionen eine Art von erklärenden Hypothesen seien. Religiöse Aussagen drücken vielmehr einen blik aus, eine grundlegende Einstellung, durch die sich der Glaubende vom Ungläubigen unterscheidet. Flews Antwort ist knapp: „Wenn Hares Religion wirklich ein blik ist, die keine kosmologischen Behauptungen über die Natur und Handlungen eines angenommenen personalen Schöpfers enthält, ist er dann noch ein Christ?“ (Flew 1955, 108). Hares Theorie der bliks ist repräsentativ für eine Reihe ähnlicher Vorschläge, zum Beispiel für den Ansatz R.B. Braithwaites (Braithwaite 1955), bei dem der kognitive Gehalt religiöser Überzeugungen aufgegeben wird, um stattdessen deren persönliche und ethische Bedeutsamkeit im Leben des Gläubigen herauszuarbeiten. Auch Basil Mitchell hat seinen Beitrag zum Wettbewerb der sich duellierenden Parabeln geliefert: In Kriegszeiten in einem besetzten Land trifft ein Mitglied des Widerstands eines Nachts auf einen Fremden, der einen tiefen Eindruck auf ihn macht. Sie verbringen die Nacht im Gespräch. Der Fremde erzählt dem Partisanen, dass er selbst auf der Seite des Widerstands steht – dass er sogar das Kommando führt. Er drängt den Partisanen, ihm zu vertrauen, was immer geschehen mag. Der Partisan ist bei diesem Treffen vollkommen überzeugt von der Aufrichtigkeit und Beständigkeit des Fremden und lässt sich darauf ein, ihm zu vertrauen. (Flew 1955, 103)
Im Laufe der Zeit sieht man den Fremden manchmal den Widerstand unterstützen, in anderen Fällen verweigert er aber die Hilfe, um die er gebeten wird, und manchmal scheint er sogar den Feind zu unterstützen. Der Partisan besteht jedoch darauf, dass er „auf unserer Seite steht“. Wenn ihn Freunde fragen: „Was müsste er tun, damit du zugibst, dass du dich irrst und er nicht auf unserer Seite steht?“, verweigert der Partisan die Antwort: „Er wird nicht zulassen, dass der Fremde auf die Probe gestellt wird“ (Flew 1955, 104). In seinem Kommentar zu dieser Parabel hebt Mitchell drei Aspekte des religiösen Glaubens hervor. Erstens zählt unerklärtes Übel als Grund gegen die Existenz und Güte Gottes; genauso wie das mehrdeutige Verhalten des Fremden dagegen spricht, dass er ein Unterstützer des Widerstands ist.
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Zweitens sind sowohl der Partisan als auch der Glaubende gegenüber den Gegenständen ihres Glaubens verpflichtet. Daher gesteht keiner zu, dass negative Gründe entscheidend gegen diesen Glauben sprechen. Es gibt aber drittens einen Punkt, an dem es für den Partisanen oder Gläubigen „einfach verrückt“ wäre, den Glauben angesichts der Gegenbeweise aufrecht zu erhalten. Es ist jedoch unmöglich, im Voraus zu sagen, wann dieser Punkt erreicht ist. (Ein vierter Punkt liegt unter der Oberfläche der Parabel: Die Quelle des Glaubens entspringt einer wirklichen Begegnung; für Mitchell ist diese Begegnung sicherlich die, die in der christlichen Geschichte erzählt wird.) In seiner Erwiderung räumt Flew ein, dass Mitchells Entgegnung tatsächlich eher der Einstellung von Theologen entspricht als die, die er ihnen in seinem ersten Beitrag unterstellt hatte. Aber trotzdem, so behauptet er, könne Mitchells Entgegnung angesichts der gegenwärtigen Gründe nicht aufrechterhalten werden. Der Fremde sei nur ein Mensch, so dass sich plausible Entschuldigungen für sein mehrdeutiges Verhalten finden ließen. Mitchell habe jedoch „Gott Attribute gegeben, die alle rettenden Erklärungen ausschließen. […] Wir können nicht sagen, dass er gerne helfen würde, aber nicht könne; denn Gott ist allmächtig. Wir können nicht sagen, dass er helfen würde, wenn er nur alles wüsste; denn Gott ist allwissend. Wir können nicht sagen, dass er nicht verantwortlich für die Schlechtigkeit der anderen ist; denn Gott schafft diese anderen“ (Flew 1955, 107). Es darf nicht übersehen werden, dass Flew in seiner Erwiderung die Bedingungen der Debatte verschoben hat – und zwar in eine sehr traditionelle Richtung. Es wird seitdem nicht mehr behauptet, theologische Aussagen seien sinnlos, weil sie nicht falsifizierbar sind, sondern, dass sie im Licht der Gründe als falsch zu beurteilen seien. Der Grund für diese Behauptung ist zudem sehr traditionell, nämlich das Problem des Übels. Wenn diese Verschiebung in der Debatte damals klar erkannt worden wäre, wäre uns viel von der folgenden, langwierigen Diskussion über das „Problem der religiösen Sprache“ erspart geblieben. I.M. Crombie entwickelte in seinem Beitrag zur Falsifikationsdebatte Argumente, die im Großen und Ganzen mit denen Mitchells übereinstimmen (Crombie 1955). In seiner Rechtfertigung der religiösen Sprache entwarf er sogar eine Analogielehre, auch wenn diese metaphysisch nicht so überfrachtet war wie im traditionellen Thomismus. Wie Mitchell gibt er zu, es gebe Gründe, die gegen den Glauben sprechen, aber als Glaubender erkenne er diese Gründe nicht als ausschlaggebend an, da der Glaube tatsächlich wahr sei. Aber was würde den Glauben entscheidend widerlegen? Crombie meint, dass der Christ
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Einführung seine vorbereiteten Positionen hat, auf die er sich zurückziehen kann; und er weiß, dass er aufgeben muss, wenn diese Positionen genommen werden. […] Es gibt hauptsächlich drei Festungen, in denen er sich verschanzt: Erstens erwartet er die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt; er glaubt, dass wir nicht alles vom Gesamtbild sehen können und dass die Teile, die wir nicht sehen, genau diejenigen sind, die die Gestalt des Ganzen bestimmen. […] Zweitens beansprucht er, dass er in Christus die Verifikation und in gewissem Maße auch das Spezifikum der göttlichen Liebe sieht. […] Drittens beansprucht er, dass die göttliche Liebe im religiösen Leben anderer, wenn nicht sogar in seinem eigenen, erfasst werden kann, und dass die Verheißung, „ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“, richtig verstanden, darin bestätigt wird“ (Crombie 1955, 129).
Crombies Verweis auf die „Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt“ wurde von John Hick (Hick 1957) in seiner Theorie der „eschatologischen Verifikation“ ausgearbeitet. Sie beruht auf der Idee, dass der christliche Glaube zwar nicht falsifizierbar, aber doch verifizierbar ist: Alles, was wir zu tun haben, ist sterben! Es ist wenig überraschend, dass Hicks Vorschlag auf Einwände stieß. Einige fragten, ob die Lehre von einem Leben nach dem Tod selbst sinnvoll ist. Es stellt sich auch die Frage, ob das, was auch immer nach dem Tod kommen und die Wahrheit des Christentums definitiv bestimmen soll, nicht schon prinzipiell in diesem Leben den gleichen Zweck erfüllen könnte. Zudem wirft der Begriff der eschatologischen Verifikation kein Licht auf die Weise, wie Sprache gebraucht werden kann, um eine transzendente Realität wie Gott zu beschreiben. Dennoch unterstreicht Hicks Vorschlag die Tatsache, dass religiöse Glaubende in gewisser Weise sehr konkrete Erwartungen haben, die sich von den Erwartungen der Ungläubigen unterscheiden. Hier hören wir ein Nachhall von Hares blik und Flews „Bildpräferenz“. Jede Darstellung des Problems der religiösen Sprache wäre unvollständig, wenn sie nicht auf die späte Philosophie Wittgensteins einginge. Der bemerkenswerteste Aspekt seiner Philosophie bestand zum Zeitpunkt, als die Philosophischen Untersuchungen erstmals erschienen, in dem Vorschlag, die vielfältigen Diskursformen – die verschiedenen „Sprachspiele“ – in ihrem eigenen Recht zu betrachten. Statt dem Zwang ausgesetzt zu sein, in das passen zu müssen, was viele als Zwangsjacke des Verifikationismus wahrnahmen, ließ sich die religiöse Sprache (wie jede andere Sprachform) so verstehen, wie sie tatsächlich von den religiösen Menschen benutzt wird. Glaubenden darf darüber hinaus keine Rechtfertigung für den Gebrauch dieser Sprache abverlangt werden: Die Forderung nach einer Rechtfertigung findet ihren „festen Grund“ in der „Lebensform“, deren Teil die Sprache ist.
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Allein innerhalb des Sprachspiels und innerhalb der Lebensform gibt es die Forderungen nach Rechtfertigung und die Standards, was als Rechtfertigung zählt. Aber wenn das Sprachspiel und die Lebensform von außen in Frage gestellt werden, besteht die einzig mögliche Antwort in der Aussage: „Dieses Sprachspiel wird gespielt“. Dieser Zugang zur Sprache verspricht, die religiöse Sprache von den lastenden Anforderungen des Verifikationismus zu befreien, und ermöglicht es, sie auf eine Weise zu untersuchen, die den tatsächlichen Intentionen der Sprachbenutzer näher kommt. Die Befreiung hat allerdings ihren Preis. „Dieses Sprachspiel wird gespielt“ – das stimmt zwar, aber das gilt auch von anderen, konkurrierenden religiösen Sprachspielen, ebenso wie von säkularen Sprachspielen, die die Gottesrede gänzlich verwerfen. Wenn das Projekt der Rechtfertigung seinen festen Grund in der Lebensform findet, dann scheint es so, als ob wir bestenfalls bei einer Form des Pluralismus oder Relativismus ankommen. Aber das ist, unbeschadet aller möglichen Verdienste, weit von den Intentionen vieler tatsächlicher Teilnehmer in religiösen Sprachspielen entfernt. Intern, das heißt innerhalb von religiösem Sprachspiel und Lebensform, können noch universelle Ansprüche erhoben werden. Aber der Philosoph, für den die Rechtfertigung an der Lebensform endet, kann die Gültigkeit solcher Ansprüche und Verlautbarungen außerhalb des Sprachspiels, aus dem sie stammen, nicht anerkennen. Hier lässt sich eine Verbindung zu einem weiteren Merkmal von Wittgensteins Philosophie herstellen. Im Gegensatz zum Tractatus gibt sein späteres Werk die Suche nach Wahrheitsbedingungen von Propositionen zugunsten von Behauptbarkeitsbedingungen auf. Er fragt nicht mehr, was eine Äußerung wahr machen würde, sondern unter welchen Umständen es angemessen wäre, etwas zu sagen. Während Wahrheitsbedingungen – zum Beispiel für Aussagen über einen transzendenten Gott – so weit wie möglich von der Erfahrung entfernt sein können, müssen Behauptbarkeitsbedingungen für die Sprachnutzer zugänglich sein. Daher ist die Metaphysik für ihn genauso ausgeschlossen, wie sie es für die Positivisten war. Und religiöse Behauptungen, obwohl sie sich offensichtlich auf ein transzendentes Wesen jenseits der Welt richten, müssen als korrekt oder inkorrekt ausschließlich in Begriffen der Lebensbedingungen und Lebenseinstellungen der Glaubenden beurteilt werden. Letztlich erlaubt die Wittgenstein’sche Religionsphilosophie nicht, dass der religiösen Sprache die Bedeutung zukommt, die sie nach dem Dafürhalten ihrer normalen Nutzer hat. Es ist daher verständlich, dass sich die Wittgensteinianer und der Mainstream der analytischen Religionsphilosophie mehr und mehr getrennt haben, je deutlicher letzterer eine Wende zum metaphysischen Realismus vollzogen hat.
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Im Überblick über die Konturen dieser Debatte drängen sich einige Folgerungen auf. Erstens hat sich die Behauptung, die Sprache, die sich auf Gott bezieht, sei sinnlos, faktisch totgelaufen. Keines der ins Spiel gebrachten Sinnkriterien hat sich bewährt, so dass der Einwand schlichtweg seine Einschüchterungskraft verloren hat. Das heißt jedoch nicht, dass der Gebrauch der Sprache, mit der wir über Gott reden, unproblematisch ist. In Anbetracht der Transzendenz und Unendlichkeit, die Gott traditionell zugeschrieben werden, ist es offensichtlich, dass viele Attribute Gott nicht in genau der gleichen Weise zugeschrieben werden können wie Menschen oder anderen Geschöpfen. Eine Theorie der analogen Prädikation scheint unvermeidlich. (Eine besonders sorgfältige Theorie hat James Ross [Ross 1969] entwickelt.) Auf der anderen Seite spricht vieles dafür, dass es einen univoken Bedeutungskern geben muss, eine Hinsicht, in der wir die gleichen Dinge über Gott wie über andere Dinge aussagen können. Andernfalls würde unser Sprechen über Gott Gefahr laufen, in eine bloße Äquivokation zurückzufallen. Für einen Grad von Literalismus [literalism] unserer Gottesrede hat William Alston (Alston 1989) argumentiert. Alstons Literalismus ist allerdings keineswegs naiv. Zum Beispiel wendet er eine funktionalistische Analyse psychologischer Begriffe an, um zu einer begrenzten univoken Bedeutung zu gelangen, so dass diese Begriffe sowohl auf Menschen als auch auf Gott angewandt werden können.
Die mittlere Phase: Angriff und Verteidigung des Theismus Irgendwann in den späten 1960er Jahren starb die Behauptung, dass die Gottesrede ohne kognitiven Gehalt sei, eines stillen Todes. Es gab keine schnelle, entscheidende Widerlegung dieser Behauptung. Aber viele ihrer Argumente waren beantwortet, so dass sie an Überzeugungskraft verlor. Das philosophische Establishment nahm den wiedergewonnenen kognitiven Anspruch der Theologie mit wenig Enthusiasmus auf. Viele Kritiker wechselten, ohne erkennbares Unbehagen, von ihrer ursprünglichen Kritik, die religiösen Behauptungen über Gott seien sinnlos, zu der damit logisch unvereinbaren Behauptung, solche Behauptungen seien falsch. (Die Leichtigkeit, mit der dieser Übergang vollzogen wurde, könnte die Frage aufwerfen, ob die früheren Behauptungen der Unverständlichkeit wirklich ganz aufrichtig waren.) Die gegen den Theismus erhobenen Einwände brachten eine Menge von Problemen auf die Tagesordnung, die in den folgenden Jahrzehnten abgearbeitet wurden. Die Theisten mussten die wichtigsten Gottesattribute so streng wie möglich definieren und diese Definitionen als logisch
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kohärent verteidigen. Das Problem des Übels stellte sich als der bei weitem wichtigste Einwand gegen den Gottesglauben heraus und hat intensive Untersuchungen erforderlich gemacht. Die Argumente für die Existenz Gottes, die zu Beginn dieser Phase als abgeschrieben galten, sind wieder auf ein anhaltendes Interesse gestoßen und haben nicht wenige Verteidiger gefunden. Dahinter verbargen sich erkenntnistheoretische Fragen nach der angemessenen Form der Rechtfertigung und ob sie für religiöse Überzeugungen möglich sei – also das traditionelle Problem von Glaube und Vernunft. Allmacht, Allwissenheit und vollkommene Güte sind die Attribute Gottes, die in der Regel als unverzichtbar für den Theismus betrachtet werden. Allmacht und Allwissenheit werden seitdem intensiv diskutiert. Auch wenn bislang noch kein vollkommener Konsens erreicht worden ist, scheinen dennoch keine unüberwindbaren Schwierigkeiten in Bezug auf beide Attribute zu bestehen. Allmacht scheint Gottes Fähigkeit zu implizieren, auf übernatürliche Weise in der Welt zu „intervenieren“, indem er Wunder wirkt. Analytische Theisten haben diese Möglichkeit gegen Hume und seine modernen Nachfolger verteidigt. Hinsichtlich der Allwissenheit besteht allgemeine Anerkennung, dass dieses Attribute beinhaltet, dass Gott alles weiß, was für ein vollkommenes Wesen zu wissen möglich ist. Es bleibt aber ein tiefgreifender Dissens, ob es logisch möglich ist, dass Gott die Handlungen der Geschöpfe, die im libertarischen (inkompatibilistischen) Sinn frei sind, im Voraus kennt. Eine Weiterführung dieser Kontroverse betrifft das göttliche „mittlere Wissen“: Kennt Gott die (libertarisch) freien Wahlmöglichkeiten wirklicher und möglicher freier Geschöpfe in Situationen, die tatsächlich nie realisiert werden? Die göttliche Güte hingegen wurde vergleichsweise vernachlässigt – eine unglückliche Auslassung, weil (unter anderen Gründen) die Konzeption der göttlichen Güte eine zentrale Rolle beim Problem des Übels spielt. Die vorherrschende Sicht scheint jedoch zu sein, dass göttliche Güte auch ohne genaue Untersuchung verstanden werden könne. Andere traditionelle Attribute bleiben umstritten. Der Trend geht gegen die traditionelle Konzeption einer göttlich-zeitlosen Ewigkeit, wie sie Augustinus und Boethius vorgegeben haben. Analytische Philosophen tendieren zur Forderung, „dass Unergründlichkeiten [mysteries] nicht über das notwendige Maß hinaus vervielfältigt werden sollten“, und göttliche Zeitlosigkeit scheint vielen ein Geheimnis zu viel gewesen zu sein. Dennoch hat die Lehre einige kräftige Verteidiger gefunden, allen voran in Eleonore Stump und Norman Kretzmann (Stump/Kretzmann 1981; 1992) und gegenwärtig in Brian Leftow (Leftow 1989). Die Lehre von der Einfachheit Gottes [divine simplicity] ist sogar noch stärker umstritten, und viele (wenn auch nicht alle) analytische Theisten würden die These unterstützen, dass
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diese Lehre noch nicht die hinreichend klare Formulierung gefunden hat, um sie zustimmungsfähig zu machen. Schließlich gibt es noch die Lehre von der Notwendigkeit der Existenz Gottes – dass Gott ein notwendiges Wesen sei. Zu Anfang dominierte die Auffassung, Kant habe schlüssig bewiesen, dass Existenz kein Prädikat sei und folglich die Existenz von keinem Wesen notwendig sein könne. Die meisten analytischen Theisten verwerfen diese Position mittlerweile und gehen davon aus, dass Gottes Existenz in der Tat logisch notwendig ist, obwohl in dieser Hinsicht keineswegs Einstimmigkeit herrscht. Im Großen und Ganzen hat es einen beträchtlichen Fortschritt bei der philosophischen Rechenschaftslegung hinsichtlich der göttlichen Attribute und der göttlichen Natur gegeben. Aber auch nachdem das positivistische Embargo aufgehoben war, litten die theistischen Argumente unter großen Schwierigkeiten, die historisch von Hume und Kant herrührten. Ein Bann lag auf der notwendigen Existenz, der sofort das ontologische Argument entwertete und (insofern man Kant folgte) auch das kosmologische. Wohl noch wichtiger war die Lehre, die Hume und Kant gemeinsam ist, dass Verursachung beobachtbare Relationen zwischen Phänomenen erfordert. Das schließt nicht nur die Möglichkeit eines kausalen Arguments für die göttliche Existenz aus, sondern verbietet jede Möglichkeit einer kausalen Beziehung zwischen Gott und Welt, wie sie etwa in der Schöpfungslehre impliziert ist. Schließt gab es die Annahme, ein erfolgreiches theistisches Argument (für gewöhnlich „Beweis“ [proof] genannt) müsse für jede rationale Person, die es erwäge, zwingend sein. Es müsse von Prämissen, die alle kennen (oder kennen können), ausgehen und allein durch Schlüsse voranschreiten, deren Gültigkeit allen evident ist. Da so starke Argumente in philosophisch interessanten Fragen selten erreichbar sind, machte diese Annahme das Leben für die Kritiker theistischer Argumente recht leicht. Alle diese Annahmen wurden in den vergangenen Jahren mit Nachdruck in Frage gestellt. Nachdem er zu Beginn seiner Karriere noch eine Widerlegung des Arguments aus Anselms Proslogion, Kap. II, vorgelegt hatte, entdeckte Alvin Plantinga (Plantinga 1974b) zu seinem eigenen Erstaunen ein ontologisches Argument in Anlehnung an Proslogion, Kap. III, das unzweifelhaft gültig ist. (Ähnliche Argumente wurden von Norman Malcolm [Malcolm 1960], einem Wittgensteinianer, und dem Prozessphilosophen Charles Hartshorne [Hartshorne 1962] vorgetragen.) Plantinga gesteht jedoch selbst ein, dass dieses Argument „kein erfolgreicher Beitrag zur natürlichen Theologie“ ist (Plantinga 1974b, 219), insofern seine Prämisse – dass göttliche notwendige Existenz logisch möglich ist – selbst zur Debatte steht und nicht von zwingenden Argumenten gestützt wird. Dennoch ist das
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ontologische Argument wieder im Spiel, was im Blick auf die Lage vor einigen Jahrzehnten eine höchst unerwartete Entwicklung ist. Der Bann, den Hume und Kant auf Verursachung durch Unbeobachtbares gelegt hatten, schränkt den theologischen Diskurs nicht nur sehr ein, er schließt auch die Postulierung von unbeobachtbaren Ursachen in den Naturwissenschaften aus und wirft seinen Schatten (wie bereits Hume und Kant selbst bemerkt haben) auch auf den Realismus hinsichtlich physischer Objekte. Sobald Humes und Kants Argumente überwunden waren (was hier nicht dargestellt werden kann), wurde eine Neubewertung des kosmologischen Arguments möglich. Ein beeindruckender Beitrag dazu kam von William Rowe in The Cosmological Argument (Rowe 1998, erstmals erschienen 1975), einer Studie zu Samuel Clarkes Version des Arguments, die auf dem Satz vom zureichenden Grund aufbaut. Rowe ist kein Theist und übernimmt das Argument nicht ganz für sich. Aber er geht davon aus, dass „dieses alte Argument für die Existenz Gottes besser sei, als die meisten modernen Philosophen glauben“ (Rowe 1998, xi). Eine Version des Arguments, das sich nicht auf den Satz vom zureichenden Grund beruft, findet sich bei Richard Swinburne in The Existence of God (Swinburne 1979). Swinburnes These lautet, die Existenz eines komplexen physikalischen Universums könne eher begriffen werden, wenn angenommen wird, dass es von Gott geschaffen wurde, als wenn man davon ausgeht, dass es eine unerklärte bloße Tatsache [brute fact] ist. William Lane Craig (Craig 1979) macht sich für das kalam-kosmologische Argument stark, das sowohl aus logischen als auch wissenschaftlichen Gründen behauptet, das Universum könne nicht ewig existiert haben, sondern verweise auf einen intelligenten personalen Grund als Quelle für seine Entstehung. Das Design-Argument stand lange Zeit im Hintergrund, nicht nur wegen der rhetorisch meisterhaften Kritik Humes, sondern auch weil Darwins Evolutionstheorie die populärste Version des Arguments, die sich auf die Angepasstheit der Lebewesen stützt, untergaben hatte. Humes Einwände wurden immer wieder herausgefordert; aber die Aufgabe, Darwin zu widerlegen als Voraussetzung für die Konstruktion eines Argument aus dem Design der Welt, fand zunächst wenig Anklang bei Philosophen. Richard Swinburne (Swinburne 1979) hat dennoch eine Version vorgetragen, die sich auf die Existenz natürlicher Regelmäßigkeiten stützt, weil diese leichter durch die Operation einer intelligenten Ursache erklärt werden können, als wenn sie als bloße Tatsache akzeptiert werden. John Leslie (Leslie 1989) hat in neuerer Zeit zusammen mit anderen ein Design-Argument ausgearbeitet, das von der Feinabstimmung der fundamentalen physikalischen Konstanten im Universum ausgeht. Die Werte dieser Konstanten werden als erklärungsbedürftig aufgefasst, weil in unserem Kosmos Leben unmöglich
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wäre, wenn sie auch nur leicht anders wären – was sie durchaus sein könnten. Welche Standards sollten diese Argumente erfüllen? Traditionell wurde die Forderung erhoben, dass sie für jede vernünftige Person überzeugend sein sollen: Die Prämissen sind Propositionen, die für jeden evident sein müssen, der den Sachverhalt untersucht, und die Folgerungen ergeben sich aus den Prämissen durch Vernunftgebrauch, dessen Gültigkeit sich für jedes kompetente, vernunftbegabte Wesen erschließt. Unglücklicherweise lässt dieser Standard faktisch kaum noch erfolgreiche Argumente im Gesamtbereich der Philosophie zu (zumindest keine, die philosophisch interessante Folgerungen aufzeigen; einige Widerlegungen mögen diesen Test bestehen). George Mavrodes (Mavrodes 1970) hat gezeigt, dass der Erfolg von Argumenten in vielen Fällen „personenrelativ“ ist: Das heißt, es gibt Argumente, die für eine Person überzeugend sind und diese Person in die Lage versetzen, die Wahrheit über einen Sachverhalt zu erkennen, aber dennoch bei anderen, ebenfalls intelligenten Personen, versagen. Das kann geschehen, weil es Unterschiede im Hintergrundwissen, in der Übung und der Erfahrung gibt, oder weil persönliche Erfahrungen jemandem nicht vollständig mitgeteilt werden können, der nicht über sie verfügt. Dazu kommt, dass Prädispositionen und Wertorientierungen für Personen die Plausibilität von Überzeugungen und Argumenten beeinflussen (Wainwright 1995), und solche Faktoren können nicht einfach durch vernünftiges Folgern verändert werden. Dieses Ergebnis wird eine Enttäuschung für all jene sein, die noch immer an der Aufklärungsidee einer einzigen, neutralen philosophischen Vernunft hängen, die uns einen sicheren Zugang zur Wahrheit in allen wichtigen Fragen gewährt. Aber es ist vollkommen klar, dass dieses Ideal im menschlichen Leben unerreichbar ist. Durch die Anerkennung dieser Tatsache wird es möglich, philosophische Argumente, zum Beispiel für die Existenz Gottes, in Betracht zu ziehen, ohne unerreichbar hohe Erfolgsstandards zu setzen. Ein in dieser Hinsicht interessanter Standpunkt wurde von Richard Swinburne verteidigt. Swinburne akzeptiert im Prinzip die Idee einer neutralen philosophischen Vernunft. Er denkt aber nicht, dass diese Art des Vernunftgebrauchs rationale Gewissheit hervorbringt, sondern nur einen gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit für diese oder jene Proposition. Die intrinsische Wahrscheinlichkeit einer Proposition ist eine a priori Angelegenheit, die in erster Linie von der Einfachheit abhängt. Diese Wahrscheinlichkeit wird dann im Licht der Gründe und nach den Prinzipien des Wahrscheinlichkeitskalküls modifiziert. In The Existence of God (Swinburne 1979) benutzt Swinburne diesen Rahmen, um ein kumulatives Argument zu konstruieren. Er kommt zu dem Ergebnis, dass auf der Grundlage der von
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ihm herangezogenen Belege (die er aus zusammengefassten Versionen aller traditionellen theistischen Argumente gewinnt) die Existenz Gottes wahrscheinlicher ist als seine Nichtexistenz. Von diesem Ansatz setzt sich deutlich die Position der „Reformierten Erkenntnistheorie“ ab, die von Alvin Plantinga und Nicholas Wolterstorff (Plantinga/Wolterstorff 1983) in den 1980er Jahren entwickelt wurde. 1 Die zentrale These der Reformierten Erkenntnistheorie besteht in der Annahme, dass die Überzeugung der Existenz Gottes (wohl zusammen mit einigen anderen grundlegenden religiösen Überzeugungen) „berechtigterweise basal“ [properly basic] ist. Es handelt sich dabei um eine Überzeugung, deren Akzeptanz auch dann gerechtfertigt ist, wenn man sie nicht auf andere Überzeugungen stützen kann. Diese Forderung ist natürlich höchst kontrovers. Bei ihrer Verteidigung durch die Reformierten Erkenntnistheoretiker lassen sich zwei Phasen unterscheiden, eine „externe“ Phase, bei der andere Philosophen unabhängig von ihren eigenen Überzeugungen angesprochen werden, und eine „interne“ Phase, die sich besonders an andere christliche Denker richtet. Die externe Verteidigung befasst sich vor allem mit dem von Wolterstorff so genannten „perspektivischen Partikularismus“ 2 (Wolterstorff 1996, 19; 2000, 154f.). Der Grundgedanke des perspektivischen Partikularismus besteht in der Anerkennung der irreduziblen Vielfalt grundlegender Perspektiven auf die Wirklichkeit, wobei jede einzelne Person eine solche Perspektive unter dem Einfluss von ihren vorphilosophischen Überzeugungen und Festlegungen akzeptiert. Außerdem ist es allgemein nicht möglich, durch neutrale philosophische Argumente zu zeigen, dass eine von diesen Perspektiven richtig ist und alle anderen irrig sind. Wird dies beachtet, ist es vollkommen angemessen und in keiner Wiese irrational für eine Person, auf der Basis ihrer eigenen Perspektive zu philosophieren, selbst wenn sie die Richtigkeit dieser Perspektive nicht auf eine Weise demonstrieren kann, die andere überzeugt. Im Besonderen ist die christliche Philosophin zu ihrer Perspektive und ihrer „Menge an Beispielen“ (in Plantingas Terminologie) berechtigt, durch die sie die Kriterien für Überzeugungen festlegt, die berechtigterweise basal sind. Soweit zur externen Verteidigung der Forderung, dass der Glaube an Gott berechtigterweise basal sein kann. Die interne Verteidigung geht darüber hinaus, insofern sie eine Erklärung für die Frage bietet, warum jemand in seinem Glauben an Gott gerechtfertigt sein kann, selbst wenn Gründe für 1
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Ihren Namen erhielt sie von ihrer Verbindung mit dem reformierten, calvinistischen Zweig des Protestantismus. Man muss allerdings kein Calvinist sein, um die Reformierte Erkenntnistheorie zu vertreten. Die Verwendung dieses Begriffs ist ziemlich neu, wenn auch die Idee die Reformierte Erkenntnistheorie von Anfang an begleitet hat.
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diese Überzeugung fehlen. Die Antwort darauf ergibt sich durch die Behauptung, dass Gott in jedes menschliche Wesen eine natürliche Neigung eingepflanzt habe, einen solchen Glauben unter angemessenen Umständen zu formen (Calvin bezeichnete diese Neigung als sensus divinitatis). Solche Umstände können sein, dass man vom Wunder der Natur beeindruckt ist und sie unmittelbar als Gottes Schöpfung erkennt, oder dass man in der Bibel liest und sich durch den Text von Gott angesprochen fühlt. Im Hinblick auf diese von Gott eingepflanzte Disposition ist man unter den angemessenen Umständen gerechtfertigt in seinem Glauben an Gott, ähnlich wie ein Mensch, der ein Pferd sieht, gerechtfertigt ist zu glauben, dass ein Pferd in der Nähe ist. Sicherlich kann man nicht von Nicht-Theisten erwarten, dass sie diese Annahme, Gott habe uns einen sensus divinitatis eingepflanzt, akzeptieren. Sie können jedoch zur Anerkennung gelangen, dass der Glaube an diesen sensus ein berechtigter, integraler Teil des christlichen Weltbilds (oder zumindest von einigen christlichen Weltbildern) ist. Und indem sie dies anerkennen, können sie auch zu dem Zugeständnis gebracht werden, dass die an Gott glaubende Person in grundlegender Weise keine epistemischen Pflichten verletzt, wenn sie dies tut. Das Problem des Übels ist nicht der einzige Einwand gegen den Theismus in der gegenwärtigen Philosophie, aber er hat sich als der bei weitem bedeutendste erwiesen. Die Diskussion zu diesem Problem hat zwei unterschiedliche Phasen durchlaufen: In der früheren Periode, für die John Leslie Mackies Evil and Omnipotence (Mackie 1955) steht, war die Behauptung üblich, dass die Existenz des Übels logisch unvereinbar sei mit der Existenz Gottes. Daher rührt die Bezeichnung logisches Problem des Übels. Mackie zufolge erzeugen folgende Propositionen einen logischen Widerspruch: (1) Gott ist allmächtig. (2) Gott ist vollkommen gut. (3) Es gibt Übel. Für Mackie zeigt dieser Widerspruch, „dass religiösen Überzeugungen nicht [bloß] rationale Untermauerung fehlt, sondern auch, dass sie ohne Zweifel irrational sind, insofern einige der zentralen theologischen Lehrsätze logisch unvereinbar mit anderen sind“ (Mackie 1955, 200). Die klassische Entgegnung auf Mackies Argumentation lieferte dann Alvin Plantingas „Verteidigung des freien Willens“ [free will defense] (Plantinga 1974b). Plantingas Strategie zeigt, dass die Propositionen (1) bis (3) logisch miteinander vereinbar sind, indem er eine vierte Proposition hinzufügt, die vereinbar ist mit (1) und (2) und die, wenn sie mit ihnen verbunden wird, (3) als logische Folgerung hat. (Plantinga bezieht sich dabei auf ein
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Theorem der Modallogik: {◊(pq) [(pq) o r]} o sition, die Plantinga dabei entwickelt hat, sieht so aus:3
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◊(pr).) Die Propo-
(4) Gott verwirklicht eine Welt, in der es moralisches Gutes gibt, und es lag nicht in Gottes Macht, eine Welt zu verwirklichen, in der es moralisches Gutes, aber kein moralisches Übel gibt. Davon ausgehend, ergibt sich in der Tat zusammen mit (1) und (2): (3) Es gibt Übel. Die entscheidende Behauptung dabei lautet, es sei möglich, dass es nicht in Gottes Macht gelegen hat, eine Welt mit moralischem Guten, aber ohne moralisches Übel zu verwirklichen. Die Idee dahinter ist, dass moralisch Gutes (was als eine besonders wertvolle und wichtige Art des Guten aufgefasst werden muss) nur für Geschöpfe mit einem libertarisch freien Willen möglich ist. Und wenn Gott solche Geschöpfe schafft, ist es das Geschöpf selbst und nicht Gott, das bestimmt, ob es Böses oder Gutes tut. Von daher ist möglich – gleich, welche Geschöpfe dieser Art Gott zu schaffen sich entschieden hat –, dass zumindest einiges moralische Übel dabei entstehen würde. Ein allmächtiger Gott kann Macht ausüben über all das, worüber er sich entschieden hat, Macht auszuüben; aber selbst er kann nicht gleichzeitig Macht ausüben und es unterlassen, Macht auszuüben. Wie man erwarten kann, hat Plantingas Argument zu einer langen und intensiven Debatte geführt. Als Fazit dieser Debatte kann man festhalten, dass es nun weithin sowohl von Atheisten als auch Theisten anerkannt wird, dass Plantingas Entgegnung erfolgreich ist und die Existenz von Übel als solchem nicht logisch unvereinbar ist mit dem Theismus. Trotzdem ist es wichtig, die Grenzen von Plantingas Erfolg zu erkennen. In keiner Weise hat er durch sein Argument gezeigt (er hat allerdings auch nicht behauptet, es gezeigt zu haben), dass das Übel in der Welt einen Einwand gegen den Gottesglauben nicht unterstützen kann. Auch behauptet er nicht, mit seinem Argument die Existenz des Übels, das wir in der Welt sehen, erklärt zu haben. Sein Argument ist eine reine Verteidigung [defense], die zeigt, dass eine bestimmte Deutung des Problems des Übels nicht erfolgreich ist; es ist keine Theodizee [theodicy], die Gott rechtfertigen würde, indem sie zeigte, 3
Ich habe Plantingas Argument sehr vereinfacht. Insbesondere habe ich die Einbettung in das Argument vom mittleren Wissen Gottes ausgelassen, das Gott erlaubt, vor seiner eigenen Entscheidung, welche Art von Welt er schaffen will, genau zu wissen, was jedes mögliche freie Geschöpf in jeder Situation, in die es versetzt würde, aus freien Stücken tun würde.
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dass er tatsächlich gute Gründe gehabt habe, das Übel zuzulassen. Es ist besonders wichtig festzuhalten, dass Plantingas Verteidigung nicht davon abhängt, dass wir annehmen, (4) sei wahr, oder etwa, dass dies etwas ist, was wir auf der Grundlage unserer Gründe vernünftigerweise glauben sollten. Alles, was Plantinga braucht, ist zu zeigen, dass (4) logisch möglich ist, und dass es vereinbar mit (1) und (2) ist. Wenn das zutrifft, hat Mackies logisches Problem des Übels keinen Erfolg. Nach dem Scheitern des logischen Problems hat die Diskussion um das Problem des Übels eine neue Wendung genommen. Zumeist ist es nicht das Übel als solches, sondern grundloses Übel – also Übel, das keinen Anlass bietet für ein größeres, es ausgleichendes [outweighing] Gut –, das als unvereinbar mit dem Theismus gilt. Es wird argumentiert, dass unsere Erfahrung klare Anzeichen für die Existenz eines solchen grundlosen Übels liefere und dass deshalb Gott nicht existiere. Eine klassische Formulierung dieses „evidentiellen Problems des Übels“ [evidential problem of evil] stammt von William Rowe: (1) Es gibt Fälle von starkem Leiden, die ein allmächtiges und allwissendes Wesen hätte verhindern können, ohne dabei ein (dem gegenüber) größeres Gut eingebüßt oder ein gleich großes oder schlimmeres Übel zugelassen zu haben. (2) Ein allwissendes, vollkommen gutes Wesen würde das Vorkommen jedes starken Leidens verhindern, das es verhindern kann, es sei denn, es kann dies nicht, ohne ein größeres Gut einzubüßen oder ein gleich großes oder schlimmeres Übel zuzulassen. Deshalb: (3) Es gibt kein allmächtiges, allwissendes und vollkommen gutes Wesen (Howard-Snyder 1996, 2). Das Argument ist zweifellos gültig. Die zu bedenkende Frage ist deshalb, ob wir gute Gründe haben, die Prämissen zu akzeptieren. Der größte Teil der Diskussion richtete sich auf Prämisse (1). Der Theist dürfte diese Prämisse vermutlich zurückweisen; aber welche Möglichkeiten hat er, dies vernünftigerweise zu tun? Eine Möglichkeit ist, (1) mit der Begründung zurückzuweisen, dass Gott tatsächlich existiert und dass, da er existiert, (1) nicht wahr sein kann. Jemand, der dieser Auffassung ist, würde behaupten, selbst wenn Erfahrung darauf hinweist, dass (1) wahr ist, so bedeutet doch die Tatsache, dass Gott existiert, dass uns unsere Erfahrung in dieser Hinsicht in die Irre führt und dass es tatsächlich ein größeres Gut gibt, das aus jedem von Gott zugelassenen Vorfall von Übel resultiert. Diese Erwiderung hat freilich ihren Preis. Wenn man dieser Auffassung folgt, zählt das Gewicht unserer Erfahrung, die auf die Existenz von grund-
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losem Übel hinweist, gegen die Existenz Gottes und muss abgezogen werden von dem Grad an rationaler Bekräftigung, die man für seinen Glauben an Gott aus anderen Quellen bezieht. Falls diese Bekräftigung stark genug ist, dürfte sie die entgegengesetzte Evidenz des Übels nicht ernsthaft in Gefahr bringen. Aber falls die Bekräftigung für den Glauben an Gott schwächer ist, dürfte sie überwältigt werden durch die Evidenz des Übels. Das führte zu einem Glauben, der, wenn überhaupt dauerhaft, so doch nicht länger vernünftig ist. Die Erwiderung der traditionellen Theodizee lautet, (1) sei falsch, da es sehr wahrscheinlich wirklich ausgleichende Güter für all das existierende Übel gebe. Selbstverständlich könne niemand vernünftigerweise die Fähigkeit reklamieren, das ausgleichende Gut in jedem Fall genau zu bestimmen. Aber wir könnten genügend Arten des allgemeinen Guten sehen, das sich aus Gottes Zulassung verschiedener Formen des Übels ergibt. Daraus werde ersichtlich, dass unsere Unfähigkeit zur Erkenntnis dieser guten Folgen in einigen bestimmten Fällen bloß das Ergebnis unseres begrenzten Wissens ist. Es ist kaum überraschend, dass sich diese Art von Theodizee nicht zu einer gefragten Betätigung im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Angesichts der beiden Weltkriege, zahlloser kleinerer Kriege und anderer Katastrophen, und – nicht weniger bedeutsam – unseres deutlich größeren Bewusstseins von Unglück und menschlichem Leiden auf der ganzen Erde, ist der Optimismus von einem Leibniz’schen Typ der Theodizee weder glaubhaft noch besonders anziehend. Die vielleicht bekannteste Erwiderung in den letzten beiden Jahrzehnten kann man als die skeptische Lösung des Problems des Übels bezeichnen. Diese Lösung, die von Stephen Wykstra (Wykstra 1984) vorangebracht worden ist, räumt ein, dass wir unfähig seien, eine glaubhafte Theodizee, wie sie oben diskutiert wurde, zu entwickeln. Trotzdem bestreitet diese Lösung, dass die uns begegnenden Übel, für die wir keine rechtfertigenden Gründe erkennen können, einen unmittelbaren Nachweis dafür vermitteln, dass es sich wirklich um grundloses Übel handelt. Der Grund dafür, dass sie das nicht tun, liege darin, dass wir in Bezug auf unsere Erkenntnis einfach nicht in der Lage seien, solche ausgleichenden Güter zu entdecken, wenn sie existieren. Deshalb könne man aus unserem Scheitern, sie zu entdecken, keinen Grund für die Annahme ableiten, dass diese Güter gar nicht existieren. Unser Eindruck, es gebe ungerechtfertigtes Übel, komme daher, dass wir daran scheitern, unsere deutlichen Erkenntnisgrenzen in dieser Angelegenheit anzuerkennen. Diese Verteidigungslinie wurde wirkmächtig von Richard Swinburne kritisiert (Swinburne 1998, 25-29). Swinburne bestreitet nicht, dass wir Erkenntnisgrenzen erfahren, die sowohl unsere Fähigkeit betreffen, kausale
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Zusammenhänge zwischen verschiedenen Situationen und Sachverhalten ausfindig zu machen, als auch unsere Fähigkeit, Güter und Übel, die geschehen, zu erkennen und angemessen abzuwägen. Jedoch macht die skeptische Lösung (für Swinburne) eine weitere, völlig unberechtigte Annahme. Sie nimmt an, dass diese Erkenntnisgrenzen unser Urteilen in nur einer Richtung beeinflussen: dass wir darin scheitern, die Güter, die sich aus bestimmten Übeln ergeben, genau erkennen und angemessen abwägen zu können. Aber warum sollte man dies annehmen? Warum könnte es nicht sein, dass unsere Erkenntnisgrenzen uns dahin führen, einige der Übel in der Welt zu übersehen oder für gering zu erachten, und die Wahrscheinlichkeit, dass Gutes aus Übel resultiert, zu überschätzen? (Einige traditionelle Entwürfe der Theodizee haben sich wohl genau dieser Fehleinschätzung schuldig gemacht.) Es gibt keine Grundlage in der Vernunft oder Erfahrung für die Annahme, dass unsere Erkenntnisgrenzen sich in nur einer Richtung auswirken – aber ohne diese Annahme bricht die skeptische Lösung in sich zusammen.4 Es bleibt aber noch eine andere Strategie, Rowes Argument zu begegnen, und zwar indem man die erste Prämisse des Arguments akzeptiert, aber die zweite verwirft (Peterson 1982; Hasker 1992). Sie schließt die Zustimmung dazu ein, dass die Güte Gottes vereinbar ist mit der Existenz grundlosen Übels – Übel, das Gott verhindern könnte, ohne ein größeres Gut zu verlieren oder ein gleich großes oder schlimmeres Übel zuzulassen. Ein möglicher Ansatz, um dies verständlich zu machen, wäre zu fragen, welche Konsequenzen sich ergeben, wenn Gott tatsächlich jedes grundlose Übel verhinderte. Wenn wir wüssten, dass dies der Fall ist, würden wir auch wissen, dass jedes Übel, das wir selbst nicht verhindern können, als Vorkommnis von Gott nur dann zugelassen wird, wenn es die notwendige Bedingung für ein größeres Gut ist, das nicht hätte verwirklicht werden können, ohne das in Frage stehende Übel zuzulassen. Dies zu wissen, würde jedoch wohl unsere eigene Motivation und Verantwortungsbereitschaft, schlimmes Übel zu verhindern, ernsthaft untergraben. Insofern kann man stattdessen vernünftigerweise davon ausgehen, dass Gott eine Welt schafft, die eine große Anzahl verschiedener Formen sowohl des Guten als auch des Übels möglich macht und die es zu einem sehr großen Maße uns überlässt, verantwortlich zu sein, bestimmte Fälle von Übel zu verhindern oder zu mildern. Das 4
Swinburnes Argument setzt das Prinzip der Verlässlichkeit voraus, das besagt, „wenn alle anderen Dinge gleich bleiben, ist der Glaube angemessen und rational, dass alle Dinge so sind, wie sie scheinen (und je stärker diese Neigung ist, desto vernünftiger ist dieser Glaube)“ (Swinburne 1998, 20). Falls Wykstra das ablehnen sollte – was ich nicht annehme –, könnte er dadurch Rowes Argument aushebeln, würde aber dann in einen skeptischen Sumpf geraten, aus dem es kein Entrinnen gibt.
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„größere Gut“, aufgrund dessen Übel zugelassen wird, würde man dann nicht (oder nicht immer) in bestimmten Gütern als Folge bestimmter Fälle von Übel finden, sondern vielmehr in der „übergreifenden Struktur der Weltordnung und der Werte, die allgemein daraus hervorgehen können“ (Peterson u.a. 1998, 141). Dies wiederum eröffnet den Weg zu einem bescheideneren Typ von Theodizee. Eine solche Theodizee behauptet nicht, dass „jedes Übel zu einem größeren Gut führt“, sondern vielmehr, dass die Beschaffenheit und Struktur der Welt als ganze viele und große Güter möglich macht, und dass das Übel in der Welt, wie tragisch es auch immer sein mag, die Güte von Gottes Schöpfung als ganzer nicht widerlegt. Das bekannteste Beispiel für einen solchen Ansatz ist John Hicks „Theodizee der Seelenbildung“ [soul-making theodicy] (Hick 1978), aber es gibt auch andere Beispiele. In dieser Hinsicht bleibt noch einige Arbeit zu tun. 5
In Richtung Reifestadium: Vielfältige Herausforderungen Alle im vorigen Abschnitt angeführten Themen werden weiterhin intensiv diskutiert. Allerdings hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten eine beachtliche Erweiterung des Diskussionsfeldes der analytischen Religionsphilosophie ergeben, in der zahlreiche neue oder vorher kaum untersuchte Themen als wichtige Forschungsgegenstände entdeckt wurden. Diese Themen umfassen die philosophische Erforschung bestimmter religiöser Lehren (vor allem des Christentums), Theorien über göttliche Gebote in der Ethik [divine command theories of ethics], das Verhältnis zwischen Religion und Wissenschaft, die philosophische Analyse nicht-westlicher Religionen, das Problem des religiösen Pluralismus, religiöser Realismus und Antirealismus, die Bedeutung des religiösen Glaubens für die Erkenntnistheorie, und andere. Es ist hier nicht möglich, alle diese Themen auch nur kurz zu diskutieren, und so beschränkt sich dieser Abschnitt auf zwei Hauptthemen. Zuerst werden wir uns einen Überblick verschaffen über jüngste Arbeiten zur Lehre von der göttlichen Vorsehung. Danach werde ich ein Thema vorstellen, das bislang noch kein vorrangiger Gegenstand der Untersuchungen gewesen ist, aber meines Erachtens in näherer Zukunft werden müsste: die Bestimmung der notwendigen Wahrheit. Dass Gott durch die fürsorgliche Macht der Vorsehung das irdische Geschehen beeinflusst und leitet, ist ein allgemein bekannter Lehrsatz der 5
Hick erklärt explizit, dass seine Theodizee zu diesem Typ gehört (Hick 1991, 127131). Andere Beispiele für diese Art von Theodizee finden sich bei folgenden Autoren: Farrer 1962; Peterson 1982; Reichenbach 1982.
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monotheistischen Religionen. Nach dem Talmud zum Beispiel „pflegt und nährt der Heilige sowohl die Hörner der wilden Ochsen als auch die Eizellen der Läuse“ (Shabbat 107b), und „er ist damit beschäftigt, Rangfolgen zu entwerfen, indem er den einen niederwirft und den anderen emporhebt“ (Genesis Rabbah 68,4). Die aktuellen philosophischen Diskussionen über die Lehre der Vorsehung werden im christlichen Kontext ausgetragen, sind aber prinzipiell auch übertragbar auf das Judentum und den Islam. Von einem philosophischen Standpunkt aus sind die göttliche Macht, das Wissen Gottes und der menschliche freie Wille die entscheidenden Bezugsgrößen für die Lehre der Vorsehung. Unter den vorrangigen Auffassungen zu diesem Thema ist jedoch nicht das Wesen und Ausmaß der göttlichen Macht fraglich: diese Auffassungen kommen darin überein, dass die Ausübung von Gottes Macht nur durch das eingeschränkt wird, was für ihn logisch möglich und was für ihn, angesichts seiner wesenhaften moralischen Vollkommenheit, „moralisch“ möglich ist. Die einzige Ausnahme zu dieser Sichtweise bietet die Prozesstheologie, die auf das Denken von A.N. Whitehead zurückgeht (Griffin 1976). Sie geht davon aus, dass Gottes Macht „immer überredend, niemals zwingend“ ist. Demnach „lockt“ Gott endliche Wesen in diejenige Richtung, in der sie am besten ihre Vermögen verwirklichen. Aber nachdem er dies getan hat, hat Gott keinerlei Macht mehr über die von den Geschöpfen gemachten Entscheidungen. Man hat oft betont, dass dieser Ansatz weniger mit dem Problem des Übels belastet sei als der traditionelle Theismus; diese Ansicht wurde jedoch jüngst angefochten (Hasker 2000). Klar ist jedoch, dass in der Prozesstheologie der Grad an göttlicher Macht bei weitem geringer ist, als er von monotheistischen Glaubenssystemen vorausgesetzt zu werden scheint, zumindest in deren traditionellen Varianten. Mit wenigen Ausnahmen neigen analytische Religionsphilosophen dazu, die Prozesstheologie zu meiden. Selbst die Atheisten darunter glauben üblicherweise eher nicht an den Gott des traditionellen Theismus als an die prozesstheologische Gottheit! Der vielleicht wichtigste Unterschied innerhalb der Theorien über die Vorsehung ergibt sich dadurch, ob ein in libertarischem Sinne freier Wille bei den Menschen vorausgesetzt wird oder nicht. Theisten, die für einen Kompatibilismus plädieren (also für die Auffassung, dass freier Wille und moralische Verantwortlichkeit mit kausaler Determination vereinbar sind), werden theologische Deterministen genannt. Diese Auffassung wird historisch mit Augustinus, Calvin, Luther und möglicherweise Thomas von Aquin in Verbindung gebracht (vgl. dazu die neuere Darlegung in Helm 1994). Dieser Sichtweise zufolge bestimmt [determines] Gott allein in uneingeschränkter Weise jedes einzelne Ereignis, das geschieht. In Bezug auf sein unfehlbares Vorauswissen ist Gott fähig, mit Gewissheit alles genau zu
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wissen, was geschehen wird. Dieser Ansatz hat jedoch beträchtliche Schwierigkeiten mit dem Problem des Übels; in der Tat sieht es demnach so aus, als ob keine rational verstehbare Erklärung für das Übel, besonders für das moralische Übel, möglich ist. (Calvinisten selbst betonen häufig, dass das Verhältnis zwischen Gott und dem Übel ein unzugängliches Geheimnis sei.) Wie soll man verstehen, dass Gott zunächst die Existenz moralischen Übels angeordnet hat, und es hinsichtlich seiner freien Entscheidung dann übernommen hat, [unter den Menschen] eine Haltung äußerster, unerbittlicher Feindseligkeit herbeizuführen? Falls Theisten einen libertarisch-freien Willen annehmen, entsteht die Frage, ob und wie es für Gott möglich ist, nicht determinierte Ereignisse wirklich zu kennen, bevor sie stattfinden (vgl. Hasker 1989; Fischer 1989). Besonders wichtig ist die Lehre von Gottes „mittlerem Wissen“, die wegen des im 17. Jahrhundert lebenden jesuitischen Theologen Luis de Molina als „Molinismus“ bezeichnet wird (Molina 1988). Demnach kennt Gott nicht nur die realen [actual] freien Entscheidungen der Geschöpfe, sondern auch die Entscheidungen, die reale und mögliche freie Geschöpfe unter Umständen, die nie eintreten, treffen würden. (Diese Wahrheiten werden gewöhnlich als „kontrafaktische Konditionale der Freiheit“ [counterfactuals of freedom] bezeichnet.) Gegner des Molinismus behaupten, dass es solche Wahrheiten nicht gibt, da man sie nicht kennen kann. Wahrheiten über zukünftige Entscheidungen beziehen sich auf den realen Akt solcher Entscheidungen; aber im Falle von Entscheidungen, die nie gemacht werden, gibt es nichts in der Wirklichkeit, was die Wahrheit von Behauptungen über freie Entscheidungen, die getroffen werden könnten, „erden“ [ground] würde. Die Diskussionen darüber werden inzwischen intensiv geführt und sind auch überaus technisch geworden (Flint 1998; Hasker u.a. 2000). Wenn Gottes mittleres Wissen vorausgesetzt wird, ermöglicht es eine äußerst starke Konzeption von Vorsehung – vielleicht die stärkste Konzeption, die außer einem völligen theologischen Determinismus verfügbar ist. Indem er sein mittleres Wissen konsultiert, kennt Gott genau die Auswirkungen, die sich durch jede seiner Entscheidungen bezüglich seines schöpferischen Handelns ergeben würden. Insofern ist Gott fähig, die beste aller verfügbaren Optionen auszuwählen und die Auswirkung davon mit absoluter Gewissheit zu kennen; jede Not einer göttlichen Risiko-Entscheidung wäre damit ausgeschaltet. Allerdings dürften diese konzeptionellen Vorteile einen Preis haben: Es wurde argumentiert, dass Gott in einem solchen Szenario eher ein Manipulator der Menschen wäre als jemand, der sich aufrichtig um ein persönliches Verhältnis mit ihnen bemühte. Hinzu kommt, dass diesem Konzept zufolge Gott wohl jeden einzelnen Fall von Übel, das geschieht, plant und beabsichtigt, was zu einem Problem in Bezug auf das
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Übel führt, das nur noch von dem des theologischen Determinismus übertroffen wird. Übrig bleibt eine Konzeption der Vorsehung, die unterschiedlich „Theismus des freien Willens“ [free will theism], „Offener Theismus“ [open theism] oder die „Offenheit von Gott“ [openness of God] genannt wird (vgl. Sanders 1998). Eine maßgebliche und äußerst umstrittene These dieser Konzeption lautet, es sei für Gott logisch nicht möglich, die zukünftigen Entscheidungen, die freie Lebewesen machen werden, mit Gewissheit zu kennen. Das sollte nicht als eine Bestreitung von Allwissenheit gesehen werden; genauso wenig wie man Gottes Allmacht bestreitet, wenn man sagt, Gott könne nichts tun, was logisch unmöglich ist. Es ist einigermaßen überraschend, aber die Behauptung, dass Gott kein umfassendes Wissen über die Zukunft besitzt, hat keinerlei Auswirkungen darauf, wie wir Gottes lenkende Vorsehung der Welt verstehen. Das hat seinen Grund darin, dass – ohne die Voraussetzung von mittlerem Wissen – Gottes Wissen der realen zukünftigen Welt überhaupt nichts zu Gottes Fähigkeit, die Welt zu lenken, über das hinaus hinzufügen würde, was Gott nicht schon mit einem umfassenden Wissen über Vergangenheit und Gegenwart bewerkstelligen könnte (zu diesem Argument vgl. Hasker 1989, 53-63; Sanders 1998, 200-206). Dies gilt zudem auch für das Wissen über die Zukunft, das ein zeitloser Gott besitzen könnte. Die zwei kennzeichnendsten Motive für den Offenen Theismus sind erstens die Behauptung, dass Gott wirklich und persönlich in einer Wechselbeziehung mit freien Menschen steht, und zweitens die Annahme, dass Gott, indem er die Welt lenkt, ein Wagnis eingeht. Indem er sich entscheidet, freie menschliche Wesen zu schaffen und ihre Freiheit zu respektieren, muss Gott für jede reale Möglichkeit in Betracht ziehen, dass diese Wesen ihre eigenen Entscheidungen in Widerspruch gegen seinen liebenden und gnadenvollen Willen treffen. Da Gott über keine vollständige Blaupause der Zukunft verfügt, kann man die göttliche Lenkung der Welt in Teilen eher in der Weise eines allgemeinen Programms oder einer Strategie [general policies or strategies] sehen als in einer göttlichen Anweisung für jedes einzelne Ereignis, das geschieht. (Insofern stimmt der Offene Theismus in hohem Maße mit der letzten oben angeführten Erwiderung auf das Problem des grundlosen Übels überein.) Gottes Allmacht wird nicht dadurch erkennbar, dass er einseitig bestimmt, wie die Dinge sein sollen, sondern indem er mit seinen Geschöpfen zusammenwirkt, um die beste mögliche Zukunft herbeizuführen. Molinisten und Calvinisten dagegen behaupten, dass der Offene Theismus Gottes souveräne Macht über die Ereignisse in der Welt in unannehmbarer Weise gefährdet.
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Das Thema der notwendigen Wahrheit ist nicht unberücksichtigt geblieben in der analytischen Religionsphilosophie. Die Entwicklungen in der Modallogik in den 1970er Jahren wurden von analytischen Theisten aufgegriffen und in Diskussionen etwa über die zur Natur gehörenden Attribute und die Notwendigkeit seiner Existenz fruchtbar gemacht. Alvin Plantingas The Nature of Necessity (Plantinga 1974b) entwickelte einen Ansatz der Modalität und verteidigte ihn gegen den modalen Nihilismus von W.V. Quine, der erst notwendige Wahrheit auf analytische Wahrheit reduziert und dann die Idee von Analytizität untergraben hatte. In seinem Buch hat Plantinga eine Struktur modaler Begriffe – wie Essenzen ([essences], essentielle und akzidentellen Eigenschaften, mögliche Welten – entworfen, die seitdem von vielen Philosophen verwendet worden ist. Ironischerweise sagt uns Plantinga an keiner Stelle, worin das Wesen der Notwendigkeit [the nature of necessity] nun wirklich liegt; statt dessen behauptet er: „Die Unterscheidung zwischen notwendiger und kontingenter Wahrheit ist genauso leicht zu erkennen wie es schwierig ist, sie bis zur Zufriedenheit eines Skeptikers zu erklären. […] Wir müssen Beispiele geben und das Beste hoffen“ (Plantinga 1974b, 1). Aber was, wenn wir doch wissen wollen, worin das Wesen der Notwendigkeit besteht? Richard Swinburne hat hier zwei Optionen aufgezeigt: Logische Notwendigkeiten, so fordert der Platonist, machen es unvermeidlich, dass die Welt eher eine bestimmte Art von Ort ist, als eine andere – durch eine harte, unerbittliche Notwendigkeit, über die hinaus es keine härtere gibt. Der Gegner des Platonisten ist der logische Nominalist, der glaubt, dass die einzigen Wahrheiten, um die es geht, nomina, Namen betreffen. Es gibt, so fordert der Nominalist, kein zeitloses Reich von Aussagen und logischer Notwendigkeit; es gibt nur Tatsachen darüber, wie Menschen die Sprache gebrauchen. […] Ich argumentiere dafür, dass der Nominalist Recht hat. (Swinburne 1994, 105-106)
Auch wenn Plantinga nicht ganz deutlich ist, so ist doch erkennbar, dass er sich in seiner Argumentation zu Gunsten des Platonisten ausspricht. Eine stärkere Bekräftigung des Platonismus kommt von Robert Adams: Viele Philosophen glauben, dass absolute Notwendigkeit „logisch“ oder „begrifflich“ sei, und zwar in der Weise, dass sie auf ein mentales oder abstraktes Reich beschränkt sei und von diesem Spielplatz der Logiker nicht entkommen könne, um die reale Welt in irgendeiner Weise zu bestimmen. […] Wenn es dagegen eine notwendige Wahrheit ist, dass Gott existiert, dann ist dies eine notwendige Wahrheit, die eine reale Existenz (nämlich die Gottes)
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Einführung erklärt; damit liefert sie eine höchste Erklärung jeder realen Existenz. […] Insofern also Gottes Existenz aus seiner Essenz in notwendiger Weise folgt, ist seine Essenz kein bloßes Spielzeug für Logiker, sondern eine in höchstem Maße machtvolle Ursache (Adams 1987, 213-214).
Wie Swinburne erachte ich den Platonismus (oder modalen Realismus) als unbefriedigend. Der wichtigste Grund dafür ist, dass er uns über das Wesen der Notwendigkeit im Dunkeln lässt; wir haben auf seiner Grundlage einfach keine Vorstellung davon, was eine Proposition notwendig macht oder warum die Notwendigkeit einer Proposition die Bedeutung hat, die sie allem Anschein nach haben sollte. Dass eine Essenz eine „in höchstem Maße machtvolle Ursache“ sein soll, ist zweifellos ein anregender Gedanke, aber diese Mischung von Anregendem und Unklarem ist eine fragwürdige Empfehlung für eine philosophische Theorie. Diese Unklarheit eröffnet Raum für ein ungezügeltes Vertrauen in die „modale Intuition“ [modal intuition] und für einen übertriebenen Bezug auf Gedankenexperimente, der grundsätzlich anti-empirisch ausgerichtet ist. Die Unklarheit wird nicht dadurch beseitigt, dass man mögliche Welten als einfach [primitive] bezeichnet; dies zu tun heißt bloß, die Frage zu vermeiden, was denn mögliche Welten möglich macht. Andererseits scheint auch Swinburnes Nominalismus keine befriedigende Alternative zu sein. Wenn er sagt, dass die Gesetze der Logik „bloß Verallgemeinerungen im Bereich der Sprache“ sind (Swinburne 1994, 108), dürfte er wohl außer Stande sein, Notwendigkeit als ein Merkmal von logischer Wahrheit auszuweisen. Als dritte Option schlage ich einen modalen Konzeptualismus [modal conceptualism] vor, eine Auffassung, die, wie der Nominalismus, bestreitet, dass logische Notwendigkeit und Möglichkeit zu einer denkunabhängigen [mind-independent] Welt gehören, die sie aber auch nicht, wie der Nominalismus, zu bloßen Eigenschaften sprachlicher Ausdrücke macht. Stattdessen gehören Notwendigkeit und Möglichkeit zu Begriffen [concepts], die es dem Denken ermöglichen, die Welt und ihre Inhalte zu erfassen und zu klassifizieren. In dieser Weise als mögliche Gegenstände, als Possibilia [possibilia] verstanden, sind Begriffe notwendige Entitäten, die selbst in Welten vorkommen, in denen es keine denkenden Wesen gibt, die sie denken könnten. Logische Unmöglichkeit ist dann eine Sache des Widerspruchs in Begriffen und Propositionen; ausgehend von logischer Unmöglichkeit kann in der üblichen Weise Möglichkeit und Notwendigkeit definiert werden. Eine mögliche Welt ist eine Welt ohne Widersprüche; eine notwendige Welt ist eine Welt, deren Bestreitung implizit oder explizit selbstwidersprüchlich ist.
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Die anspruchsvollste Herausforderung für den Konzeptualismus findet sich in den „synthetischen notwendigen Wahrheiten“, für die Saul Kripke eingetreten ist (Kripke 1980). Kripke überzeugte viele Philosophen, dass „Hesperus Phosphorus“ und „Wasser ist H2O“ notwendige Wahrheiten sind, obwohl die Negation dieser Propositionen nicht widersprüchlich zu sein scheint. Die angemessene Art, mit diesen Propositionen umzugehen, hat Alan Sidelle aufgezeigt. Sidelle zufolge (Sidelle 1989, 34) liegt der Lösungsansatz für solche Situationen in „analytischen allgemeinen Prinzipien der Individuation“ [analytic general principles of individuation] in der Form: (x) (Wenn x zur Art K gehört, und wenn p die P-Eigenschaft von x ist, dann ist es notwendig, dass x p ist). Das Prinzip, auf chemische Arten wie Wasser angewandt, heißt: (x) (Wenn x eine chemische Art ist, und wenn p die chemische Formel von x ist, dann ist es notwendig, dass x p ist). Dies ist eine analytische oder begriffliche Wahrheit, weil es Teil unseres Begriffs einer chemischen Art ist, dass die chemische Formel einer Substanz bestimmend [definitive] für ihre chemische Art ist. Wenn man dies umsetzt, ergibt sich: Wenn Wasser eine chemische Art ist, und wenn die chemische Formel von Wasser H2O ist, dann ist es notwendig, dass Wasser H2O ist. In Verbindung mit der empirischen Kenntnis, dass die Formel für Wasser tatsächlich H2O ist, führt dies zu der erwünschten modalen Folgerung: Wasser ist notwendig H2O. Natürlich muss hier noch einige Arbeit aufgewendet werden, um diesen Ansatz eines modalen Konzeptualismus weiter zu entwickeln und seine Berechtigung zu verteidigen. Ich gehe jedoch davon aus, dass dieser Ansatz eine Erklärung für alle eindeutigen Fälle von notwendiger Wahrheit bietet, ohne dass er Rekurs nehmen müsste auf die tiefe Unklarheit und den zweifelhaften Rationalismus des modalen Realismus. Wenn man den Ansatz des modalen Konzeptualismus akzeptiert, worin besteht dann seine Auswirkung auf die Religionsphilosophie? Es ist für jedes Feld der Philosophie stets ein Gewinn, wenn grundlegende Begriffe, die klar und gut verständlich sind, andere Begriffe, die unklar und verworren sind, ersetzen. Im Hinblick auf die Vorherrschaft von modalem und essentialistischem Argumentieren in der Religionsphilosophie, werden die
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Auswirkungen der vorgeschlagenen Ersetzung ganz sicher weitreichend sein. Nahezu sicher wird das ontologische Argument als nicht stichhaltig [unsound] und nicht nur als dialektisch unwirksam erkannt werden. Bei allem Respekt gegenüber Anselm: Niemandem ist bislang auch annähernd der Nachweis gelungen, dass sich mögliche Welten, in denen es keinen Gott gibt, dadurch als selbstwidersprüchlich erweisen. Einige werden die Bestreitung von logisch notwendiger Existenz sicherlich als eine Minderung der göttlichen Erhabenheit ansehen. Aber dass Gott notwendig existiert, heißt lediglich, dass Welten (unverwirklichte Sachverhalte) ohne Gott einen Widerspruch enthalten; und es ist kaum zu verstehen, wieso die Größe des Schöpfers von allen Dingen vom Vorkommen oder Fehlen eines solchen Widerspruchs abhängig sein sollte. Der Verzicht auf die Vorstellung der logisch notwendigen Existenz Gottes sollte eine gründlichere Erforschung alternativer (nicht-logischen) Bedeutungen anregen, in denen Gottes Existenz als notwendig aufgefasst werden kann. Er sollte auch die Untersuchung von Versionen des kosmologischen Arguments vorantreiben, die nicht von der Idee einer logisch notwendigen Existenz Gottes abhängen. Die Lehre von der Einfachheit Gottes, die ohnedies auf schwankendem Grund steht, wird nicht fähig sein, den Verzicht auf die logisch notwendige göttliche Existenz zu überleben; denn was Gott ist und dass Gott ist wird sich schließlich als je eigenständige Tatsache herausstellen. Und das Verschwinden der Vorstellung der Einfachheit Gottes wird das abschaffen, was in den Augen der meisten Befürworter als Bollwerk für die Zeitlosigkeit Gottes fungiert. Im Ganzen dürfte sich die Anerkennung, dass Gottes Existenz logisch kontingent ist, als sehr vorteilhaft für die Vorstellung von Gott im Rahmen des – oben diskutierten – Offenen Theismus bzw. Theismus des freien Willens erweisen. Der Einsatz, den man in dieser Frage nach dem Wesen der Notwendigkeit wagen muss, ist nicht gering.
Der Analytiker unter den Religionsphilosophen Was kann man über die analytische Philosophie im weiten Kontext philosophischer Untersuchungen der Religion sagen? Ein guter Ausgangspunkt dafür liegt darin, den analytischen Ansatz mit anderen Ansätzen zu vergleichen. Einige der Unterschiede zwischen den Ansätzen ergeben sich bloß durch verschiedenartige Interessen, so dass die Ergebnisse des einen Ansatzes von anderen durchaus akzeptiert oder übernommen werden können. Aber es gibt auch grundsätzliche Unterschiede, die nicht einfach in Einklang gebracht werden können.
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Es gibt keinen Grund, warum analytische Philosophie nicht offen für die Anliegen und Schwerpunkte des Feminismus sein sollte, betrachten sich doch eine Reihe von analytischen Philosophinnen als Feministinnen oder als Anhänger des Feminismus. Jedoch werden analytische Philosophen zur Bestreitung der Idee neigen, dass die gesamte philosophische Arbeit einer Person von einer bestimmten ideologischen Agenda wie dem Feminismus bestimmt sein soll. Die Postmoderne ist ein weites und vielfältiges Thema, weswegen die Stellungnahmen analytischer Philosophen dazu sich entsprechend unterscheiden. In dem Maße, indem die Postmoderne antirealistisch ausgerichtet ist und die Bedeutung von Texten in systematischer Hinsicht als unbestimmt erachtet, wird sie von analytischen Philosophen, darunter auch von Religionsphilosophen, abgelehnt. Andererseits kann das Verstehen der sozialen Verortung bestimmter Philosophien und Denkbewegungen äußerst wertvoll sein, und es gibt zeitweise Bedarf für eine „Hermeneutik des Verdachts“. Aber der Hermeneutik des Verdachts muss eine Hermeneutik des Vertrauens vorangehen, die Schriften und Äußerungen von anderen erst einmal hinnimmt und einschätzt im Hinblick auf ihre Vorzüge. Kaum etwas ist so destruktiv für den Dialog, als den Äußerungen eines möglichen Gesprächspartners von vornherein eine ernsthafte Betrachtung ihrer Verdienste zu versagen. Man könnte denken, dass Wittgenstein und analytische Religionsphilosophien eine Menge gemeinsam haben. Dies ist auch zu einem Teil richtig. Insofern jedoch prominente Wittgensteinianer einen metaphysischen Realismus ablehnen, dürften analytische Philosophen Einwände erheben. Wittgensteinianer denken zwar nicht, dass der metaphysische Realismus falsch, sondern dass er hoffnungslos verworren ist und ihm jede genaue Bedeutung fehlt. Diese Frage sollte im Prinzip offen für eine argumentative Auseinandersetzung sein, auch wenn Hoffnungen auf eine baldige Einigung zu früh sind. Nichts hindert analytische Philosophen jedoch, sich Einsichten und Methoden Wittgensteins anzueignen. William Alstons Buch Perceiving God (Alston 1991a), um ein Beispiel zu nennen, macht einen ausgiebigen Gebrauch von Wittgenstein, um die These zu verteidigen, dass Gott in religiöser Erfahrung wahrgenommen werde. Der Vergleich von analytischer Religionsphilosophie mit dem Thomismus ist besonders interessant. Offensichtlich gibt es große Überschneidungen zwischen beiden, sowohl im Hinblick auf die Themen als auch auf die grundsätzliche Art der Betrachtung. Der Bezug analytischer Philosophen zum Thomismus hängt allerdings davon ab, was unter Thomismus verstanden wird. Die Hauptströmung des modernen Thomismus, der auf die 1879 von Papst Leo XIII. verlautbarte Enzyklika Aeterni Patris zurückgeht, neigte dazu, die Errungenschaften von Thomas von Aquin als Fundament aller
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philosophischen Reflexion zu sehen. Von Thomas entwickelte Kategorien wurden bezogen und angewandt auf moderne Fragestellungen, wobei jedoch sowohl die grundlegenden Voraussetzungen als auch der technischphilosophische Apparat erkennbar mittelalterlich geblieben waren. Neuere philosophische Bestrebungen wurden größtenteils als eine Fehlentwicklung angesehen, die außer Acht gelassen oder bestritten werden sollten, um die Vernünftigkeit, Ausgewogenheit und Weisheit des Doctor Angelicus wiederzuerlangen. Soweit diese Einstellung andauert, empfinden analytische Philosophen Diskussionen mit Thomisten als enttäuschend und unergiebig. Aber es gibt einen anderen Weg, den Thomismus zu verstehen, bei dem es problemlos möglich ist, sowohl ein analytischer Philosoph als auch ein Thomist zu sein. Thomisten dieser Art gehen davon aus, dass Thomas größtenteils Recht hatte in Bezug auf viele Dinge, wobei sie jedoch bereit sind, seine Einsichten in eine mehr zeitgenössische Ausdrucksweise zu übersetzen. Dabei kritisieren und modifizieren sie auch thomistische Ansichten, ja gelegentlich lehnen sie diese sogar in einer Weise ab, die eher traditionelle Thomisten nicht übernehmen würden. Indem sie das tun, machen sie sich die Konzepte von Thomas und anderen mittelalterlichen Philosophen zunutze, um die gegenwärtige Philosophische Theologie herauszufordern und zu bereichern. Wie andere erfolgreiche philosophische Unterfangen ist auch die analytische Religionsphilosophie der Kritik unterzogen worden. Nur einige wenige Kritikpunkte können hier angesprochen werden. Es gibt die Kritik, dass analytische Religionsphilosophie dazu tendiere, ahistorisch zu sein, was ohne Zweifel auch teilweise zutreffend war. Allerdings ist dies heutzutage weit weniger der Fall als früher, denn analytische Religionsphilosophen setzen sich nun ernsthaft mit einer Bandbreite historischer Positionen in Philosophie und Theologie auseinander. Eine andere Kritik bezieht sich auf die Überbetonung formalisierter Argumente, was als Nachahmung der Mathematik und Naturwissenschaft gilt, wobei letzterer, so die Kritik, eine unverdiente und schädliche Vormachtstellung eingeräumt werde. Natürlich kann Formalisierung übertrieben sein und eher zur Vernebelung als zur Klarheit führen. Gleichwohl gibt es eine alte Tradition in der Philosophie (die dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaft lange vorausgeht), die die Notwendigkeit für technische Exaktheit anerkennt, und damit eben auch die unnachgiebige philosophische Bemühung, Klarheit in Bezug auf wesentliche Fragestellungen zu erzielen. (Man denke hier an Aristoteles oder die späten Dialoge von Platon.) Es gibt zudem eine lange Tradition von zumindest teilweise erfolgreichen Versuchen, die philosophische und wissenschaftliche Untersuchung der Natur einzubinden in eine umfassendere Konzeption der Wirklichkeit der Dinge [the way things are]. Es sind eher
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die Postmodernisten mit ihrer Verachtung der Wissenschaft und ihrem Hohn für übergreifende Weltbilder, die heute als Schrittmacher auftreten. Ob aus deren Neuerungen Gutes entstehen kann, bleibt abzuwarten. Die vielleicht interessanteste Kritik an der analytischen Religionsphilosophie behauptet, diese mache sich einer übermäßigen Voreingenommenheit für den Theismus schuldig. Diese Kritik ist vielschichtig und kann verschieden interpretiert werden. Wenn sie verstanden wird als Erinnerung, dass auch andere, nicht-theistische religiöse Traditionen einer philosophischen Untersuchung wert sind, dann ist die Kritik sehr wohl berechtigt – die Arbeit daran hat bereits begonnen, auch wenn sie sich erst im Anfangsstadium befindet. Dazu gehört hier zudem die Unterstellung, der von den Philosophen diskutierte Theismus sei nichts anderes als eine bleiche, skelettartige Abstraktion, weit entfernt von den vielfältigen Verbindungen zwischen Glaubensvorstellungen und -praktiken in einer lebenden Religion. Diese Kritik trifft ebenfalls zu, auch wenn sie alles andere als umwerfend ist. Die Wahrheit des Theismus ist sicherlich keine hinreichende, wohl aber eine notwendige Bedingung für die allgemeine Wahrhaftigkeit [truthfulness] entweder des Christentums, Judentums, Islams oder theistischer Formen des Hinduismus. Außerdem hat sich das Untersuchungsfeld ausgeweitet und eine viel größere Bandbreite an religiösen Lehren und Sachverhalten wird (heutzutage) thematisiert; die Untersuchungen sind keinesfalls mehr beschränkt auf einen „reinen Theismus“. Andere Formen der Kritik sind schwerer einzuordnen. Wenn behauptet wird, mit dem Wort Gott „wird etwas von unbeschreiblicher Bedeutung angezielt, weshalb jede buchstäbliche und unvermittelte Bezugnahme auf Gott konzeptuell nichtssagend ist“ (Crites 1996, 44), was sollen wir dazu sagen? Falls Argumente für eine solche Folgerung aufgeboten würden, könnte man sie diskutieren. Aber was wir tatsächlich erhalten, sind meist nicht mehr als einige parolenhafte Hinweise auf Kant, ohne jegliche Kenntnisse der Einwände gegen den Kantianismus durch die neuere analytische Philosophie. Einige dieser postmodernen Kritiken machen den Eindruck, als seien sie etwa seit einem Vierteljahrhundert überholt. Die Verdienste der analytischen Religionsphilosophie kann man in einfacher Weise so festhalten: Dieser Ansatz des Philosophierens bietet gegenwärtig die besten Möglichkeiten, die Bedeutung religiöser Behauptungen zu klären und die Gründe für oder gegen die Wahrheit dieser Behauptungen zu prüfen. Diejenigen, die in Bezug auf religiöse Aussagen an Klarheit und Wahrheit nicht interessiert sind, werden diesen Stil des Philosophierens gewiss als unangenehm [uncongenial] empfinden. Doch diejenigen, denen etwas an solchen Dingen liegt, dürften ihn als unverzichtbar empfinden.
Richard Swinburne: The Value and Christian Roots of Analytic Philosophy, in: Harriett A. Harris / Christopher J. Insole (Hg.): Faith and Philosophical Analysis, Burlington 2005, 33-45. © Ashgate, Burlington
RICHARD SWINBURNE
Der Wert und die christlichen Wurzeln der analytischen Religionsphilosophie Die Wichtigkeit der Religionsphilosophie ergibt sich aus der intrinsischen Wichtigkeit der Frage, ob unsere Überzeugungen über unseren Ursprung, unser Wesen und unser Schicksal wahr sind. Außerdem brauchen wir wahre Überzeugungen in diesen Fragen, um wahre Überzeugungen zum Problem des guten Lebens entwickeln zu können. Die analytische Religionsphilosophie ist ein Werkzeug, das es Menschen ermöglichen kann, gut zu sein und ein gutes Leben zu führen.
I In der modernen Welt stehen viele verschiedene religiöse Überzeugungssysteme im Angebot, die unterschiedliche Verhaltensweisen empfehlen. Wir halten es für wichtig zu wissen, wer unsere Vorfahren waren, was sie taten, wie sie uns zu dem machten, was wir sind, warum wir uns so verhalten, wie wir es tun, was mit uns geschehen wird und in welchem Verhältnis wir zu den anderen Bewohnern der Welt stehen. Dieses theoretische Wissen eröffnet uns die richtige Perspektive auf die Dinge. Daher ist es von noch größerer Bedeutung, dass wir wissen, ob Gott oder ein vernunftloser Zufall uns geschaffen hat, und ob Gott, wenn es ihn gibt, mit uns interagiert und Pläne für unsere Zukunft hat; oder ob wir in neue Leben eintreten müssen, bis wir schließlich das Nirwana erreichen. Die Antwort auf die Frage, welches religiöse oder nicht-religiöse System wahr ist, macht einen großen Unterschied hinsichtlich dessen, worin ein gutes Leben besteht. Es gibt natürlich viele Handlungen, die unabhängig davon, welches religiöse System wahr ist, gut oder schlecht sind. Es ist gut, den Hungernden zu Essen zu geben und die Traurigen zu trösten, schlecht hingegen, zu vergewaltigen und zu plündern – unabhängig davon, ob es einen Gott gibt oder nicht.
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Wenn es aber einen Gott gibt, der die Quelle unseres Lebens ist, verdient er unsere Anbetung, weil er der letzte Grund [ultimacy] und gut ist, sowie unsere Dankbarkeit dafür, dass er uns gemacht hat. Wenn wir das Leben, das er uns gegeben hat, falsch nutzen, müssen wir uns entschuldigen und um seine Vergebung bitten. Wenn wir nicht wissen, wie wir leben sollen, wäre es möglich, dass er es uns bereits mitgeteilt hat. Es ist dann unsere Aufgabe herauszufinden, ob dies der Fall ist. Wenn er möchte, dass wir sehr gute Menschen sind und uns für immer bei sich behalten will, dann müssen wir versuchen herauszufinden, wie wir solche Menschen werden können. Wenn es aber keinen solchen Gott gibt, dann ist es, selbst wenn wir das nicht merken, objektiv sinnlos, zu ihm zu beten und bei ihm im Himmel sein zu wollen. Sollte der Islam und nicht das Christentum Gottes abschließende Offenbarung an die Menschen sein, dann besteht das gute Leben in dem, was der Koran und nicht in dem, was die christliche Kirche lehrt. Unterschiedliche Folgen dafür, welche Handlungen Pflichten und welche Werke der Übergebühr sind, ergeben sich aus den eher theoretischen Ansprüchen der verschiedenen Religionen und nicht-religiösen Systeme. Daher ist es von großer Wichtigkeit, richtige Überzeugungen hinsichtlich der Wahrheit der religiösen und nicht-religiösen Systeme zu haben. Unter Berücksichtigung der zeitlichen Beschränkung, müssen wir die angebotenen Systeme bewerten und feststellen, ob eines von ihnen sicher oder wahrscheinlich wahr ist. Aus Platzgründen werde ich in diesem Kapitel nur den Prozess der Bewertung der Wahrheit des religiösen Systems des Christentums betrachten. Die gleichen Erwägungen sind relevant für die Bewertung der Wahrheit der rivalisierenden religiösen und nicht-religiösen Systeme. Es gilt allerdings, dass die Gründe, die die Wahrheit eines Systems unterstützen, zugleich auch für die Falschheit der anderen Systeme hinsichtlich derjenigen Aspekte sprechen, in denen sie nicht übereinstimmen. Bevor ich jedoch zur Untersuchung des Bewertungsprozesses für die Wahrheit religiöser Systeme komme, muss ich erwähnen, dass es unter Umständen auch dann gut sein kann, einem religiösen Weg zu folgen, wenn das religiöse System, das die Lebensweise stützt, nach dem gegenwärtigen Begründungsstand wahrscheinlich falsch ist. Es könnte nämlich sein, dass unser Zugang zum Himmel der höchste Wert im Leben ist, der alles andere übertrifft. In diesem Fall wäre es gut, den besten zugänglichen Weg dorthin einzuschlagen. Angenommen, unsere Untersuchungen kämen zu dem Ergebnis, dass die christliche Religion wahrscheinlicher wahr ist als jede andere Religion, die den Weg zu einem dem christlichen vergleichbaren Himmel anbietet, aber dass auch die christliche Religion wahrscheinlich falsch ist. Trotzdem wird es immer noch vernünftig sein, den christlichen Weg einzuschlagen, wenn wir den Himmel mehr als alles andere erreichen wollen. In seiner Betonung der unendlichen „Leidenschaft“ kann uns Kierkegaard lehren, dass die christlichen Ziele, Gott auf Erden zu dienen und danach zu streben, ihm auch im Himmel zu dienen, so wertvoll sind, dass
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wir die Handlungen, die die notwendigen Voraussetzungen für den Dienst für Gott sind, ausführen sollten, selbst wenn es keinen Gott gibt. 1 Bis zu diesem Punkt mag das richtig sein. Die Ziele, die die christliche (oder eine andere) Religion anbietet, sind in hohem Maße wertvoll. Aber auch andere Handlungen, die wir ausführen könnten, anstatt Gott zu verehren, sind wertvoll. Daher ist es nur dann vernünftig, Gott zu verehren, wenn eine signifikante Wahrscheinlichkeit besteht, dass es einen Gott gibt. Zudem sind Menschen keine geborenen Heiligen. Sie müssen dazu motiviert werden, Heilige zu werden. Genau das kann durch die Überzeugung geleistet werden, dass die Handlungen, die sie ausführen, mit signifikanter Wahrscheinlichkeit gottgefällig sind und dass diese sie gemeinsam mit ihren Glaubensgenossen in den Himmel bringen. Folglich müssen wir untersuchen, wie wahrscheinlich die Wahrheit unseres religiösen Systems ist. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir damit beginnen, dieses System in einer einsichtigen Weise ohne innere Widersprüche auszulegen, dann so viele relevante Gründe wie möglich finden, die für das System sprechen, und schließlich überlegen, wie wahrscheinlich diese Gründe das System machen. Wie kann uns nun die analytische Philosophie bei dieser Aufgabe helfen? „Analytische Philosophie“ ist der etwas irreführende Name für die Art von Philosophie, die heute an den meisten Universitäten in der angloamerikanischen Welt praktiziert wird. Dieser Zweig der Philosophie nahm seinen Ausgang im Oxford der 1950er Jahre. Die Aufgabe der Philosophie wurde als Analyse bestimmt, durch die die Bedeutung wichtiger Wörter geklärt werden sollte und wie sie zu dieser Bedeutung gekommen sind. Das wurde durch das Studium der Umstände geleistet, in denen es in der normalen Sprache angemessen ist, diese Wörter zu gebrauchen. Der Philosoph untersuchte, wann es richtig ist zu sagen, dass etwas von etwas anderem „verursacht“ wurde, oder wann jemand etwas „wisse“. Metaphysik galt als sinnlose Betätigung. Aber das metaphysische Bedürfnis, das die westliche Philosophie so lange beherrscht hatte, kehrte in den 1970er Jahren schnell wieder in die anglo-amerikanischen philosophischen Fakultäten zurück, so dass die meisten Philosophen dort sich der alten Aufgabe wieder zuwandten, nach der wahren metaphysischen Beschreibung der Welt zu suchen. Die anglo-amerikanische Tradition behielt aus der Periode der Beschäftigung mit der normalen Sprache eine hohe Wertschätzung für Klarheit und Kohärenz bei. Sie besann sich aber auch in Anlehnung an die frühere britische empiristische Tradition von Locke, Berkeley und Hume auf die Notwendigkeit, den empirischen Entdeckungen der modernen Wissenschaften, insbesondere der Neurophysiologie, der Quanten- und der Relativitätstheorie, ernsthaft Rechnung zu tragen. Das Ziel ist nun aber metaphysisch: Es 1
Zum Beispiel: „Glaube ist die objektive Ungewissheit mit dem Abgestoßenwerden durch das Absurde, in der Leidenschaft der Innerlichkeit festgehalten, die gerade das auf das Höchste potenzierte Verhältnis der Innerlichkeit ist“ (Kierkegaard 2005, 824).
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soll eine richtige Darstellung der letzten Konstituenten der Welt gegeben werden und davon, wie diese interagieren. Die Bezeichnung „analytisch“ ist für diese Art von Philosophie nur noch ein ererbter Name. Die wenigen Religionsphilosophen an den anglo-amerikanischen Universitäten in den 1950er Jahren waren mit der Bedeutung religiöser Äußerungen befasst: Ob sie überhaupt eine Bedeutung haben und wenn ja, wie sich diese von den normaleren Äußerungen unterscheidet, ohne dabei in den Bannkreis der ungeliebten Metaphysik zu geraten. Aber Religion, insbesondere die christliche, ist um eine metaphysische Weltsicht zentriert. Die „metaphysische Wende“ der 1970er Jahre gab der Religionsphilosophie die näherliegende Aufgabe, die religiösen Ansprüche auszulegen, und zwar klar und kohärent, aber in ihrem natürlichen metaphysischen Sinn. Sie untersucht, ob die religiösen Ansprüche wahr sind und/oder ob wir darin gerechtfertigt sind, diese Überzeugungen zu besitzen. Andere Zweige der analytischen Philosophie haben nützliche Werkzeuge entwickelt, die bei dieser Aufgabe helfen. Zuerst ist hier die Sprachphilosophie zu nennen, die sich nicht mehr allein mit der Bedeutung einzelner Äußerungen befasst, dafür aber eine allgemeine Bedeutungstheorie entwickelt hat: wann Sätze Bedeutung haben und wodurch diese festgelegt wird; außerdem Theorien über Analogie und Metapher, die zeigen, wie metaphysische Ausdrücke funktionieren und wodurch sie bestimmt werden, wenn bzw. falls sie Bedeutung haben. Da das Christentum immer darauf bestanden hat, dass viele seiner Sätze in einem analogen oder metaphorischen Sinn aufzufassen seien, ist die Nützlichkeit der Sprachphilosophie für das Verständnis dieser Sätze offenkundig. In diesem Zusammenhang ist auch die Ethik zu nennen, die sich damit befasst, was Handlungen gut und verpflichtend macht. Das Christentum hat viel über das Gute und über Verpflichtungen zu sagen – dass Gott gut ist und wir ihm gehorchen sollen. Die Ethik soll uns bei der Festlegung helfen, was die Wahrheit solcher Behauptungen bestimmt. Das Christentum ist mit Substanzen (zum Beispiel Gott oder den Personen der Dreifaltigkeit) und ihren Eigenschaften (zum Beispiel entsprechend ihrem Wesen: göttlich oder menschlich) befasst. „Metaphysik“ als Unterdisziplin der jetzt metaphysisch gewendeten analytischen Philosophie untersucht, was Substanzen und Eigenschaften sind; sie untersucht das Wesen von Identität, Zeit und Kausalität, die alle eine wichtige Rolle im christlichen Glaubensbekenntnis spielen. Die Erkenntnistheorie fragt, was eine Überzeugung „gerechtfertigt“, „vernünftig“ oder „begründet vertretbar“ macht. Außerdem untersucht sie gemeinsam mit der Wissenschaftstheorie, welche Begründungen eine Behauptung wahrscheinlich machen. Die Religionsphilosophie kann von den Ergebnissen aller dieser anderen Gebiete der Philosophie Gebrauch machen, ja sie ist sogar auf sie angewiesen. Wenn überhaupt, gibt es in wenigen dieser Gebiete allgemein akzeptierte Resultate. Es finden sich aber in allen diesen Gebieten zahlreiche in Konkurrenz zueinander stehende plausible Theorien, so dass der Religionsphi-
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losoph abwägen kann, ob und welche Theorie korrekt und verwendbar ist. Der Philosoph muss natürlich sorgfältig darauf achten, eine solche Theorie nicht einfach unkritisch zu übernehmen, denn nicht-religiöse Philosophen, die auf dem gleichen Gebiet arbeiten, könnten Möglichkeiten übersehen haben, auf die ihre Kollegen, die sich mit der Religion beschäftigen (ob sie nun selbst gläubig sind oder nicht), aufmerksam wurden. Mit diesen Werkzeugen ausgestattet, hat die analytische Religionsphilosophie den Theismus (die Behauptung, dass es einen Gott gibt) untersucht und schreitet nun zur Untersuchung der Lehren der einzelnen Religionen weiter, insbesondere, wenn auch nicht ausschließlich, der des Christentums. Philosophen haben sich damit befasst, was es heißt, dass ein Gott der traditionellen Art existiert, was es für ein solches Wesen bedeutet, allmächtig und allwissend zu sein, und wie die Behauptung, es gäbe einen Gott, kohärent entfaltet werden kann. Das Gleiche gilt für Behauptungen wie zum Beispiel, dass Gott in Christus die Vergebung der Sünden der Welt erwirkt hat. Schließlich haben Philosophen untersucht, ob jemand darin gerechtfertigt ist, solche Behauptungen zu glauben. „Rechtfertigung“ und ähnliche Termini wie „begründete Vertretbarkeit“ [warrant] lassen sich auf verschiedene Weisen entfalten. Analytische Philosophen haben daher verschiedene Deutungsmöglichkeiten der Rechtfertigung oder Vertretbarkeit in ihre Untersuchung einbezogen. 2 Es gibt aber eine Gruppe von Deutungen, die sich mit der Frage der Wahrscheinlichkeit von Begründungen befasst, die, wie meine früheren Argumente zeigen, von entscheidender Bedeutung sind. Bei dieser Gruppe müssen wir zwischen synchroner und diachroner sowie zwischen objektiver und subjektiver Rechtfertigung unterscheiden.3 Die Überzeugung eines Subjekts ist synchron subjektiv zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechtfertigt, wenn sie für dieses Subjekt durch Begründungsgänge [evidences], die sich auf objektiv richtige Kriterien stützen, wahrscheinlich ist. Die Gründe eines Subjekts setzen sich zusammen aus seinen Grundüberzeugungen [basic beliefs], also jenen Überzeugungen, von denen das Subjekt glaubt, dass die Welt sie ihm aufzwinge. Meine Grundüberzeugungen schließen das ein, was mir Sinne und Vernunft unmittelbar liefern; dass ich gerade ein lautes Geräusch höre, dass ich einen Tisch sehe und dass 2+2=4 ist. Ebenso gehört dazu meine Erinnerung, das, was andere mir sagen, und allgemeine Überzeugungen darüber, wie die Welt ist, die ich, so glaube ich, von anderen gelernt habe (auch wenn ich mich nicht daran erinnern kann, von wem) und von denen ich annehme, dass jeder von ihnen überzeugt ist (das, was man „allgemeines Wissen“ nennen könnte). Anderes glaube ich, weil ich davon ausgehe, 2
3
Vgl. dazu die durchdachte und einflussreiche Erörterung, ob christliche Überzeugungen in einem Sinne „vertretbar“ sind, der sich grundlegend von dem unterscheidet, was ich unter „Rechtfertigung“ verstehe, bei Plantinga 2000. Für eine vollständige Darstellung dieser Begriffe vgl. Swinburne 2001.
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dass es durch diese Grundüberzeugungen wahrscheinlich gemacht wird. Ich glaube, dass Fußspuren von Passanten verursacht wurden, weil ich Leute gesehen zu haben glaube, die auf Sand gingen und dabei Fußspuren hinterließen und zudem auch glaube, dass Fußspuren auf keine andere Weise entstehen können. Erklärende Theorien halten wir für wahr, weil wir glauben, dass sie durch die Grundüberzeugungen gedeckt sind. Allerdings glauben wir auch, dass es richtige und falsche Wege der Überprüfung von Begründungen gibt und dass nicht jeder die Beweiskraft seiner Begründungen erkennt. Weiterhin glauben wir, dass nicht alle Grundüberzeugungen korrekt als solche klassifiziert werden, nämlich als Ausgangspunkte, von denen wir zu Recht ausgehen, entweder weil sie a priori wahrscheinlich wahr sind oder zumindest dann, wenn wir sie haben. Auf diese Weise haben wir einen Begriff davon, wann die Überzeugungen eines Subjekts objektiv – im Sinne von (durch richtige Kriterien) wahrscheinlich gemacht – durch richtige Grundüberzeugungen gerechtfertigt sind. Meiner Meinung nach gelten im Allgemeinen alle Grundüberzeugungen zu Recht als grundlegend, außer denen, die notwendig falsch sind (zum Beispiel 2+2=5). Plausiblerweise sind sie alle nur dadurch wahrscheinlich wahr, dass wir sie haben (mit einer Wahrscheinlichkeit, die davon abhängt, wie stark wir an ihnen festhalten). Eine richtige Grundüberzeugung, dass man uns dies und jenes erzählt hat, macht es (wenn alles andere gleich bleibt) wahrscheinlich, dass dies und jenes wahr ist. Wenn wir das alles nicht annehmen würden, wäre keine andere Überzeugung über die Welt wahrscheinlich. Denn alle unsere Überzeugungen leiten ihre Wahrscheinlichkeit von diesen Grundlagen ab. Überzeugungen werden durch solche Überzeugungen wahrscheinlich gemacht, und zwar durch richtige Kriterien für Begründungen dafür, was als synchron objektiv gerechtfertigt gelten kann. Grundüberzeugungen, die zu Recht aus sich heraus für grundlegend gehalten werden, können durch andere Grundüberzeugungen unwahrscheinlich gemacht werden und dadurch ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Ich habe die zu Recht grundlegende Überzeugung, dass ich einen Tisch sehe. Wenn ich aber andere zu Recht grundlegende Überzeugungen gewinne, zum Beispiel dass ich meine Hand durch die Stelle bewegen kann, wo der Tisch zu sein scheint, und andere mir sagen, dass da kein Tisch ist, verliert die Ausgangsüberzeugung ihre Glaubwürdigkeit. Überzeugungen sind synchron zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechtfertigt, wenn wir sie zu diesem Zeitpunkt zu Recht haben. Und die meisten Überzeugungen sind subjektiv gerechtfertigt, denn sie werden aufgrund der Grundüberzeugungen des Subjekts und aufgrund von dessen eigenen Kriterien wahrscheinlich sein. Aber wir müssen für unsere Überzeugungen, die wichtige Fragen betreffen, das mögliche Höchstmaß an Wahrscheinlichkeit für ihre Wahrheit erlangen. Daher müssen wir die betreffenden Fragen weiter untersuchen, wenn uns die Zeit für diese Untersuchung zur Verfügung steht und wenn unsere Überzeugungen (nach unseren eigenen Krite-
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rien) nicht nahezu gewiss sind. Wir bemühen uns um Überzeugungen, die (synchron) aufgrund von Grundüberzeugungen objektiv gerechtfertigt sind, die diesen Status in dem uns möglichen Maße zu Recht innehaben. Dazu müssen wir unsere eigenen Standards überprüfen, feststellen, ob unsere Grundüberzeugen wirklich grundlegend sind und nach weiteren Begründungen suchen. In dem Maße, in dem wir die Untersuchung unserer eigenen Standards angemessen vorangetrieben haben, sind unsere Überzeugungen, wenn sie synchron gerechtfertigt sind, auch subjektiv diachron gerechtfertigt; und insofern unsere Standards wahr sind, ist auch die diachrone Rechtfertigung objektiv. Wenn wir tatsächlich keine Zeit haben, die Sache weiter zu untersuchen (in dem Sinn, dass uns unsere Verpflichtungen keine Zeit lassen), dann ist jede objektiv synchron gerechtfertigte Überzeugung auch diachron gerechtfertigt. Der Verkünder des Evangeliums will uns dabei helfen, neue Überzeugungen zu erwerben, indem er versucht, uns dazu zu überreden, unsere Begründungen auf die Weise zu bewerten, die er für die richtige hält, und indem er uns mit weiteren Begründungen versorgt. Einige Leute haben die Grundüberzeugung, dass es einen Gott gibt: Sie scheinen eine religiöse Erfahrung von Gott gehabt zu haben, oder in ihrer kleinen Gemeinschaft wird die Existenz Gottes als gegeben angenommen. Wie jede andere Überzeugung hinsichtlich offenbarer Erfahrung und allgemeinen Wissens ist eine solche Grundüberzeugung zu Recht grundlegend mit einer Stärke, die proportional zu ihrer tatsächlichen Stärke ist. Oder eine offenkundig weise und gute Person kann uns von ihrem Kontakt mit Gott erzählen. Wenn alles andere gleich bleibt, macht es diese zu Recht als grundlegend verstandene Überzeugung wahrscheinlich, dass Gott existiert. Aber auch wenn sie übermächtig stark ist, so stellt die Grundüberzeugung, dass man der Gegenwart Gottes gewahr ist, nur eine Teilbegründung dar, die vor hinreichend starken Gegengründen weichen muss, die dafür sprechen, dass es keinen Gott gibt. Und die durch Zeugnis übernommene Überzeugung, dass einen Gott gibt, muss in beinahe allen Gemeinschaften heutzutage gegen das widersprechende Zeugnis anderer abgewogen werden. Wenn wir uns nicht in der unwahrscheinlichen Situation befinden, dass es mehr oder weniger sicher ist, ob es einen Gott gibt oder nicht, sollten wir in Anbetracht der Wichtigkeit dieser Frage unter Berücksichtigung der Zeit, die uns zur Verfügung steht, die Sache weiter untersuchen, um wenn möglich eine objektiv diachron gerechtfertigte Überzeugung zu erhalten. Das schließt in den meisten Gegenden dieser Welt heutzutage Arbeit an einer natürlichen Theologie ein: Diese muss überlegen, ob die Existenz der Welt, die Tatsache, dass die Welt von wissenschaftlichen Gesetzen regiert wird, dass die Grenzbedingungen des Universums dergestalt sind, dass sie zur Evolution menschlicher Organismen führen, dass Menschen aus Leib und Seele bestehen und ähnliche Sachverhalte mehr es zusammengenommen wahrscheinlich machen, dass Gott existiert. Weiterhin ist zu überlegen, ob das Auftreten von Leiden diese Wahrscheinlichkeit stark beeinträchtigt.
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Eine theoretische Möglichkeit besteht darin, dass es ein gültiges deduktives a priori Argument wie den traditionellen ontologischen Beweis gibt, oder dass einige der gerade beschriebenen Phänomene deduktiv die Existenz Gottes implizieren. Diese Behauptungen sind mir nie sehr plausibel erschienen, denn wenn es einen deduktiv gültigen Beweis aus einer unserem Wissen zugänglichen notwendigen Wahrheit für die Existenz Gottes gäbe, dann würde der Satz „Es gibt keinen Gott“ einen impliziten Widerspruch in sich tragen. Und wenn es einen Beweis aus einer unserem Wissen zugänglichen kontingenten Wahrheit gäbe, wie zum Beispiel die Existenz des Universums, dann trüge eine Aussage wie „Es gibt ein Universum, aber keinen Gott“ einen inneren Widerspruch in sich. Diese Aussagen wären wie „Es gibt ein rundes Viereck“. Aber es ist ziemlich offensichtlich, dass „Es gibt keinen Gott“ und „Es gibt ein Universum, aber keinen Gott“ nicht inkohärent sind, wenn auch Letzteres vielleicht falsch und der Glaube daran in gewissem Sinne unvernünftig ist. Aber es besteht kein innerer Widerspruch in den beiden Aussagen. Es gibt auch die etwas plausiblere Behauptung, dass das Auftreten von Leiden die Nichtexistenz Gottes impliziert. Aber wenn auch solche Behauptungen nicht überzeugen, bleiben uns nur Wahrscheinlichkeiten, die kleiner als 1 (gewiss wahr) und größer als 0 (gewiss falsch) sind. Die Aufgabe der natürlichen Theologie besteht in der Bewertung, wie wahrscheinlich die verschiedenen evidenten Phänomene die Existenz Gottes machen. Die Antwort ist natürlich keine präzise Zahl. Man kann keine präzise Zahl für die Wahrscheinlichkeit angeben, dass Jakob den Safe ausgeraubt hat, oder dass die Quantentheorie wahr ist. Aber es gibt meiner Meinung nach ziemlich klare Kriterien, durch die wir die Wahrscheinlichkeit einer Erklärungshypothese als hoch, sehr hoch, mäßig oder niedrig bewerten können. Meine Theorie über diese Kriterien kann so zusammengefasst werden: Eine Hypothese ist in dem Maße wahrscheinlich, in dem sie einfach ist und sie dazu anleitet, Begründungen dort zu erwarten, wo man ohne sie keinen Grund gehabt hätte, sie zu erwarten. Ich habe dafür argumentiert, dass nach diesen Kriterien die Hypothese des Theismus durch die Begründungsgänge der natürlichen Theologie in einem gewissem Maße wahrscheinlich gemacht wird.4 Aber das Christentum (genauso wie das Judentum und der Islam) besteht nicht nur aus der Behauptung, dass es einen Gott gibt. Das Christentum stellt auch wichtige Behauptungen über Gottes Wesen und Wirken auf, die einen Einfluss darauf haben, wie man ein gutes Leben zu führen hat. Der Philosophie kommt daher die Aufgabe zu festzustellen, ob solche Lehren (über Gott als Dreifaltigkeit, über Jesus Christus als Gott und Mensch und darüber, dass Jesus die Sünden der Welt gesühnt hat) kohärent zum Ausdruck gebracht werden können. Weiterhin hat die Philosophie die Aufgabe zu untersuchen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass Gott, 4
Vgl. Swinburne 1991 und erneut in Swinburne 1996.
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wenn er existiert, das Wesen und die Wirkweisen hat, die ihm zugeschrieben werden. Die Ausgangswahrscheinlichkeit solcher Lehren ist Gegenstand dieser Untersuchung. Darüber hinaus gilt für die meisten Lehrinhalte, dass sie auch eine historische Aufgabenstellung einschließen. Selbst wenn es dem Religionsphilosophen möglich ist festzustellen, dass eine Person die Sühne für die Sünden anderer gewährleisten kann, muss auch noch gezeigt werden, dass das Leben und Sterben Jesu von Nazareth diese Sühne tatsächlich bewirkt hat, dass sein Leben und Sterben Eigenschaften hatte, die sich im Leben und Sterben der meisten anderen nicht finden. Nur eine historische Untersuchung kann das zeigen. Obwohl das eher die Arbeit für einen Neutestamentler als für einen Philosophen ist, muss doch Ersterer wissen, nach welcher Art von Gründen er zu suchen hat und wie viele er davon braucht, um es wahrscheinlich zu machen, dass Jesus unsere Sünden gesühnt hat. Dafür ist die Hilfe des Philosophen notwendig. Die Fragen nach der Bedeutung und der Rechtfertigung, die beantwortet sein müssen, wenn jemand darin gerechtfertigt sein soll, einem religiösen Weg zu folgen, sind sehr alt. Die moderne analytische Philosophie hat, wie ich betont habe, Instrumente und Argumente entwickelt, die sich durch ein hohes Maß an Klarheit und Strenge auszeichnen, so dass sie uns helfen, diese Fragen zu beantworten. Aber warum leistet das gerade eine „analytische Philosophie“? Wieso gilt dies nicht für eine andere Form der modernen Philosophie? Hier ist nur eine knappe Antwort möglich, die aber meines Erachtens durchaus angemessen ist. Unter den Merkmalen der analytischen Philosophie stechen ihre Klarheit und Strenge hervor, die zugleich die Merkmale guter Argumente sind. Zudem zeichnet die analytische Philosophie ihr Bewusstsein für die Entwicklungen in den modernen Naturwissenschaften aus. Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Naturwissenschaften das Paradigma für Wissen vorgeben. (Die überwältigende Mehrheit der Zeitgenossen denkt modern und nicht postmodern.) Keine Philosophie kann Überzeugungskraft entwickeln, wenn sie nicht die aktuellen Ergebnisse der Neurophysiologie oder Quantentheorie ernst nimmt. Andere Philosophien der westlichen Welt, von denen viele oft unter der Bezeichnung „kontinentale Philosophie“ zusammengefasst werden, folgen Kants Behauptung, dass die Untersuchung des Wesens der Welt nur die Muster in den Erscheinungen entdecken kann, nicht jedoch ihre Ursachen, die sich der Beobachtung entziehen, so dass „letzte Fragen“ keiner theoretischen Lösung zugeführt werden können. Kant lebte vor dem Einzug der Atomtheorie in die Chemie, der ersten wissenschaftlichen Theorie, die präzise Details von Ursachen von Phänomenen vorlegt, die sich der Beobachtung entziehen – den Atomen, deren Verbindungen beobachtbare chemische Phänomene verursachen. Niemand im 21. Jahrhundert kann ernsthaft bezweifeln, dass das, was die Chemie zu zeigen behauptet, auf diese Weise wirklich gezeigt wird und dass wir eine Menge über Ursachen wissen, die sich der Beobachtung entziehen, die für einzelne Dinge und den Rahmen des gesamten Universums
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verantwortlich sind, die weit über das hinausreichen, was sich mit dem bloßen Auge erkennen lässt. Die kantische Doktrin über die Grenzen der menschlichen Erkenntnis war ein großer Fehler. Die analytische Philosophie hat sich im Gegensatz zur kontinentalen Philosophie von dieser Doktrin befreit. Atheisten haben die Notwendigkeit immer anerkannt, dass wir uns mit den grundlegenden Fragen nach der Bedeutung und Rechtfertigung religiöser Behauptungen beschäftigen müssen und sie einer Lösung mittels der besten säkularen Kriterien zuführen müssen, die uns zur Verfügung stehen. Zeitgenössische Theologen vertreten jedoch oft die These, dass dieses Unterfangen der christlichen theologischen Tradition fremd ist. Auf den verbleibenden Seiten möchte ich zeigen, dass die christliche theologische Tradition bestens damit vertraut ist, von den besten zur Verfügung stehenden säkularen Kriterien Gebrauch zu machen, um ihre religiösen Behauptungen zu klären und zu rechtfertigen. Analytische Religionsphilosophie kann aufgrund ihrer verbesserten Mittel diese Aufgabe ein wenig besser bewältigen.
II Es ist unbestritten, dass christliche Theologien große Mühe auf den Versuch verwendet haben, die christliche Lehre zu klären und ihre Kohärenz aufzuzeigen. Jesus Christus galt in gewissem Sinn als Mensch und Gott. Bestand hier nicht ein Widerspruch? Die Theologen des vierten und fünften Jahrhunderts versuchten zu zeigen, was in dieser Behauptung impliziert war, um so ihre Kohärenz deutlich zu machen. Dazu verwendeten sie die Fachbegriffe der griechischen Philosophie, die wir als „Substanz“, „Individuum“, „Wesen“ und „Person“ übersetzen. Die Denker des Mittelalters widmeten sich (wieder mit großer Hilfe der griechischen Philosophie) intensiv der Entfaltung der göttlichen Prädikate („allmächtig“, „allwissend“ usw.) und versuchten zu zeigen, wie ein Wesen alle diese Eigenschaften haben könne. Haben aber auch die Theologen in noch früherer Zeit sich darum bemüht, die Wahrscheinlichkeit des christlichen Systems zu zeigen? In der Tat gibt es diese Bemühungen. Im frühen dritten Jahrhundert beklagte sich der heidnische Kritiker Celsus, dass die christlichen Verkündiger den zu Bekehrenden sagten: „Verzichtet auf eine kritische Untersuchung und glaubt“ und: „Dein Glaube wird dich retten“. In seiner Antwort darauf gesteht Origenes Folgendes zu: Wenn es möglich wäre, dass sich alle von den Aufgaben des Lebens freimachten und Zeit zum Philosophieren hätten, so dürfte niemand einen anderen Weg einschlagen als diesen allein [R.S.: nämlich der Vernunft und einem vernünftigen Führer zu folgen]. Im Christentum wird sich nämlich,
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Einführung um nicht vermessen zu reden, keine geringere Prüfung der Glaubensinhalte […] finden lassen [R.S.: als in anderen Systemen] (Origenes 2011, 1, 9). [Wir] räumen ein, auch ein unreflektiertes Glauben diejenigen zu lehren, die nicht alles aufgeben und sich nicht der Prüfung der Lehre widmen können. Jene hingegen räumen dieses zwar nicht ein, tun jedoch praktisch dasselbe. (Origenes 2011, 1, 10)
Origenes erklärt weiter, dass jemand, wenn er das Evangelium hört und glaubt, aber nicht die Zeit hat, eine kritische Überprüfung vorzunehmen, vernünftig handelt, wenn er glaubt. Ich habe selbst einmal behauptet, dass wir das glauben sollten, was man uns erzählt, wenn keine Gründe dagegen sprechen; und wenn keine Zeit für eine kritische Überprüfung zur Verfügung steht, dann ist eine Überzeugung objektiv diachron gerechtfertigt. Origenes ging gewiss davon aus, dass Menschen, denen genügend Zeit zur Verfügung steht, über Argumente nachdenken sollten. In meiner Terminologie ist das immer dann notwendig, wenn ihre Überzeugungen diachron gerechtfertigt sein sollen. In Contra Celsum trägt Origenes Argumente von beträchtlicher Länge vor, die für und gegen einzelne Einwände sprechen, die gegenüber einzelnen Aussagen des Christentums erhoben werden. Das Gleiche haben viele Kirchenväter für den Theismus und für Details des christlichen Glaubensbekenntnisses getan. Gregor von Nyssa hebt hervor, dass Argumente bei dem ansetzen müssen, was die Zuhörer glauben: Vielmehr muß man, wie gesagt, auf die Meinungen der einzelnen Rücksicht nehmen und die Belehrung jedesmal im Hinblick auf die besonderen Irrtümer des betreffenden Gegners einrichten; dazu gehört ferner, daß man bei jedem Unterricht gewisse Grundwahrheiten und wohlbegründete Prämissen im voraus feststellt, so daß man von dem von beiden Teilen Zugestandenen ausgehend in Form und Folgerungen die ganze Wahrheit entwickelt. […] Leugnet er nun etwa die Existenz eines göttlichen Wesens, so wird er auf Grund der weisen und kunstvollen Weltordnung überzeugt, daß er annimmt, es gebe eine hierin sich offenbarende und über dem Universum stehende Macht. Zweifelt er aber nicht an der Existenz dieser höheren Macht, schweift er jedoch in seinen Gedanken zu einer Vielheit von Göttern aus, so werden wir an ihn die Frage stellen, ob er die göttliche Natur für vollkommen oder mangelhaft halte. […] (Gregor von Nyssa 1927, 1f.)
Wenn die Zuhörerschaft aus Juden besteht, werden andere Argumente benötigt. Das ist offensichtlich. Denn Leute wechseln ihre Überzeugungen nur, wenn man ihnen neue Begründungsgänge vorträgt oder wenn man ihnen auf der Basis des bereits Akzeptierten zeigt, dass sie die alten Begründungen falsch eingeschätzt haben.
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Dass es gute Argumente für die Existenz Gottes aus den Erwägungen der reinen Vernunft oder aus Gegebenheiten gab, die Theisten und Atheisten gleichermaßen anerkennen, wie zum Beispiel die Existenz des Universums und evidente allgemeine Tatsachen hinsichtlich ihres Wesen und ihrer Konstitution, wurde von beinahe allen Christen vor Kant festgestellt und anerkannt. Die natürliche Theologie besteht aus der Präsentation dieser Argumente. Manchmal ist es nicht unmittelbar offensichtlich, dass ein biblisches oder patristisches Argument Teil der natürlichen Theologie ist, weil es die Existenz irgendeines „Gottes“ voraussetzt und nur für seine Güte oder seine Weisheit argumentiert. Aber es handelt sich um natürliche Theologie, wenn dafür argumentiert wird, dass die Macht, die für das Universum verantwortlich ist, nicht einfach irgendein „Gott“, sondern GOTT – der allmächtige, allwissende und vollkommen gute – ist. Unter dieser Voraussetzung gibt es viele kurze Passagen der kanonischen (nicht-apokryphen) Schriften des Alten und Neuen Testaments, die Stücke natürlicher Theologie sind, wie James Barr vor kurzem deutlich gemacht hat (Barr 1993). Der einzige Teil der Bibel, der eine entfaltete natürliche Theologie enthält, ist das Buch der Weisheit. Barr verweist jedoch darauf, dass das Buch, das zu den Apokryphen gehört, nur für Katholiken und Orthodoxe, nicht jedoch für Protestanten Autorität hat. Daher konnten Protestanten während der letzten zweihundert Jahre und vor allem Karl Barth behaupten, es finde sich nicht viel zur natürlichen Theologie in der Bibel. Trotzdem gehört sie zur jüdischen Tradition. Viele der Kirchenväter des ersten Jahrtausends folgen dem Buch der Weisheit mit ihren wenigen kurzen Abschnitten zur natürlichen Theologie, indem sie vor allem herausarbeiteten, dass das normale Verhalten der natürlichen Welt auf einen allmächtigen und allwissenden Gott als ihren Schöpfer verweist. Um einige wenige Beispiele zu nennen: Irenäus, Gegen die Häresien (Irenäus 1995 II, 1-9); Gregor von Nyssa, Über die Seele und die Auferstehung Kap. 1 (Gregor von Nyssa 1927, 243); Augustinus, Über den freien Willen (Augustinus 2006, II, 12.33); Maximus Confessor, Aporien (Maximus Confessor 1857, 10.35); Johannes von Damaskus, Auslegung des orthodoxen Glaubens (Johannes von Damaskus 1973, 1.3). Die kurzen Abschnitte bei den Vätern des ersten Jahrtausends verwandelten sich in die langen Abhandlungen des abendländischen Mittelalters. Anselm, Bonaventura, Thomas von Aquin und Duns Scotus haben die natürliche Theologie breit entfaltet. Diese Tradition wird von Leibniz, Clarke, Butler und Paley fortgesetzt. Selbst Calvin erkennt an, dass „aus der Erschaffung und fortdauernden Regierung der Welt […] uns eine Kunde von Gott entgegen[strahlt]“ (Calvin 1986, 1.5). Allerdings behauptet er auch, dass wir dumm und frevelhaft wären, wenn wir dies klar und ohne die Hilfe der Heiligen Schrift anerkennen würden. Aber in Folge von Überlegungen, die mir ziemlich schlechte Argumente zu sein scheinen (der vereinigte
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Einfluss von Hume, Kant und Darwin), verlor die natürliche Theologie die Gunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Vertreter der natürlichen Theologie sind nun keineswegs der Ansicht, dass Glauben das Resultat von Argumenten sein müsse. Die Existenz Gottes kann auch aufgrund von Autorität und in Folge von religiöser Erfahrung angenommen werden. Unsere Ausgangsbehauptung lautete aber, dass die Gründe für die Existenz Gottes öffentlich zugänglich sind, so dass Atheisten und Heiden in ihrem Unglauben nicht (objektiv) gerechtfertigt sind. Das zu zeigen, wäre eine Leistung der natürlichen Theologie. Wie steht es aber mit den speziell christlichen Lehren? In welchem Maße greifen wir hier auf das rationale Argumentieren zurück? Die patristische Theologie der ersten fünf Jahrhunderte bestand zu einem großen Teil aus Argumenten für Fragestellungen, die in das christliche Glaubensbekenntnis Eingang gefunden haben. Einige dieser Argumente versuchen, die Ausgangswahrscheinlichkeit dieser Lehren zu zeigen. Damit ist gemeint, dass sie zeigen wollen, dass Gott, wenn es ihn gibt, dreieinig sein muss, Mensch werden und die Sühne für die Menschheit bringen musste. Um nur ein berühmtes Beispiel für ein solches Argument zu nennen, sei hier Athanasius zitiert. Er erläuterte, dass es für Gott falsch gewesen wäre, den Menschen, den er geschaffen hatte, der Vernichtung durch die Sünde anheimzustellen. Aber nur Gott das Wort war „allein nur imstande, alles zu erneuern und für alle zu leiden, und fähig, für alle beim Vater Vermittler zu sein. Deshalb also kommt der körperlose, unverwesliche und immaterielle Logos Gott in unsere Heimat […]“ (Athanasius 1917, 91). Aber wie ich oben gesagt habe, reicht das Aufzeigen einer Ausgangswahrscheinlichkeit für Gottes Handeln nicht aus, um zu beweisen, dass er es in einem konkreten Fall auch umgesetzt hat. Die Kirchenväter mussten zeigen, dass dies alles in Jesus Christus verwirklicht wurde. Der Aufweis dessen, was Gott in Christus getan hat, wird vor allem durch die Ableitung der christlichen Lehre aus den Texten des Neuen Testaments geführt. Damit hängt ihre Argumentation von der Annahme ab, dass das Neue Testament eine im Wesentlichen korrekte Darstellung von Leben, Lehre, Tod und Auferstehung Jesu Christi bietet. Inwiefern kann diese Annahme argumentativ verteidigt werden? Das Neue Testament setzt hier seine eigenen Standards, denn es enthält, besonders in den urchristlichen Predigten der Apostelgeschichte, immer wieder die Formulierungen „wir sahen“, „wir sind Zeugen“ der historischen Ereignisse, auf denen das christliche Bekenntnis basiert, insbesondere des Todes und der Auferstehung Jesu. Der hl. Lukas teilt uns in seinem Evangelium mit, dass er einer von vielen ist, die das schriftlich wiedergeben, was ihnen von denen erzählt wurde, die „von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren“. Seinem Adressaten Theophilus schreibt Lukas daher: „So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest“ (Lk 1,1-4). Der Herausgeber des letzten Kapitels des Johannesevangeliums sagt uns, dass
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die Quelle dieses Evangeliums der „Jünger ist, den Jesus liebte“, „der sich bei jenem Mahl an die Brust Jesu gelehnt“ hatte: Dieser Jünger ist es, der all das bezeugt und der es aufgeschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist“ (Joh 21,20-24). Mir geht es hier nicht darum, dass wir dem Neuen Testament glauben sollten, weil es solche Behauptungen enthält (obwohl ich das tatsächlich glaube), sondern vielmehr, dass die frühen christlichen Schriften um Glauben an die zentralen christlichen Ereignisse mit der Begründung werben, dass die Schriftsteller diese Ereignisse gesehen haben oder über sie durch Augenzeugen unterrichtet wurden. Sie werben auch dadurch um den Glauben in manchen Fragen mit der Begründung, dass Jesus sie so gelehrt habe. Jesus kommt nämlich eine einzigartige Autorität zu. Das zeigt sich, so die stillschweigende oder explizite Annahme der neutestamentlichen Autoren, an seinen Wundern und seiner Auferstehung. Von ihm wird gesagt, dass er „eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht durch die Auferstehung von den Toten“ (Röm 1,4). Die frühesten Schriften des zweiten Jahrhunderts beriefen sich auf das Neue Testament nicht als autoritatives Buch, sondern als historische Quelle. Klemens spricht davon, dass die Apostel „durch die Auferstehung unseres Herrn mit Gewissheit erfüllt wurden“ (Klemens 1986, 43,3). Ignatius (Ignatius 1986, 3,2f.) und Justin – oder der Autor von Über die Auferstehung (Justin 1865, Kap. 9), die Justin zugeschrieben wird – legen großen Wert darauf, dass die Jünger den auferstandenen Christus berührten. Justin schreibt zudem, dass sie durch jede Art von Beweis überzeugt wurden, dass er es selbst war. Irenäus beruft sich als Beweis der Wahrheit seiner Lehre darauf, dass sie in allen Kirchen, in denen es eine apostolische Sukzession der Bischöfe gibt, vorgetragen werde. So wie ich Irenäus verstehe, besteht der Hauptpunkt seiner Argumentation darin, dass er auf die beste zur Verfügung stehende historische Quelle zurückgreift: Es ist „das einzig Richtige, auf die ältesten Kirchen zurückzugreifen, in denen die Apostel gelebt haben“ (Irenäus, 1995, III, 4,1). Er beruft sich auf Polykarp, der „von den Aposteln […] unterrichtet [wurde] und […] mit vielen Umgang [hatte], die den Herrn noch gesehen hatten“ (Irenäus 1995, III, 3,4). Mit dem dritten Jahrhundert traten andere Aspekte der Apologie in den Vordergrund, die jedoch nie ganz fehlten. Der Erfolg der Kirche, den sie nicht durch Gewalt, sondern durch das Blut der Märtyrer erreichte, und die damit verbundenen Wunder, die von noch offensichtlicherer Art waren, gaben der Kirche und ihren Lehren Authentizität. Origenes spricht davon in Peri Archon (Origenes 1992, IV, 1,5). Die gleiche Art von Argumenten finden wir auch im Mittelalter wieder. Es wurde darauf verwiesen, dass der Islam als die wichtigste konkurrierende Religion im Mittelmeerraum nach dem siebten Jahrhundert sich kaum auf Wunder stützen konnte. Mohammed hat nicht für sich in Anspruch genommen, Wunder gewirkt zu haben, außer der Niederschrift des Korans. Das aber war kaum ein starkes Argument für
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ein Ereignis, das hervorzubringen jenseits der Fähigkeit „der ganzen geschaffenen Welt“ liegen soll. Diese Argumentation kann so weiter entfaltet werden, dass sie folgenden Aspekt einschließt: Das Faktum, dass Christus der Kirche die Autorität verliehen hat, beinhaltet, dass wir die Einzelheiten ihrer Lehre glauben sollen, nicht allein aus dem geschichtlichen Grund, dass das Zeugnis von Christus ausgehend weitergegeben wurde, sondern weil Christus die Kirche mit einer geistigen Gabe ausgestattet hat. Das sagt bereits Irenäus: „Darum muss man auf die Presbyter hören, die es in der Kirche gibt und die sukzessiv in der Nachfolge der Apostel stehen, wie ich gezeigt habe; zusammen mit der Sukzession im Bischofsamt haben sie das zuverlässige Charisma der Wahrheit bekommen, wie es Gott gefiel“ (Irenäus 1995, IV, 26,2). Diese Art von Argumentation, die sich später in der Lehre der Unfehlbarkeit von Konzilien oder Päpsten ausformte, funktioniert natürlich nur, wenn sich nachweisen lässt, dass Christus die Verlässlichkeit der späteren Kirche aufgrund seiner göttlichen Autorität garantiert. Sie muss also von Argumenten der weiter oben beschriebenen Art gestützt werden. Sie kann aber dennoch die Authentizität von einzelnen Lehren begründen, selbst wenn sich nur wenige historische Belege dafür finden lassen, dass sie auf Jesus zurückgehen. Die systematische Auflistung von Begründungstypen für die Wahrheit der christlichen Lehre, wie sie Duns Scotus zu Beginn seiner systematischen Theologie, der Ordinatio (Duns Scotus 1950, 100-119), vornimmt, mag für einen mittelalterlichen Denker ungewöhnlich sein. Aber alle Begründungstypen, die er erwähnt, erscheinen in unsystematischer Weise auch bei anderen Autoren, auf die Duns Scotus selbst Bezug nimmt, insbesondere bei Augustinus. Er listet zehn verschiedene Begründungstypen für die Glaubwürdigkeit der hl. Schrift und damit auch für die Lehren auf, die aus ihr entwickelt werden können: (1) Praenuntiatio prophetica (die Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen im Neuen Testament), (2) Scripturarum concordia (Die Bücher der Bibel haben eine gemeinsame Botschaft, die auch das allgemeine Zeugnis der neutestamentlichen Autoren zu Lehre und Taten Jesu einschließt), (3) Auctoritas Scribentium (die Überzeugung der Autoren, dass sie mit der Autorität Gottes sprechen), (4) Diligentia recipientium (die sorgfältige Weise, in der die Kirche den Kanon der hl. Schrift geformt hat), (5) Rationalibilitas contentarum (die Ausgangswahrscheinlichkeit ihrer Lehren), (6) Irrationalibilitas errorum (die Unangemessenheit der Einwände), (7) Ecclesiae stabilitas (das lange und beständige Zeugnis der Kirche), (8) Miraculorum limpiditas (Wunder in der Bibel und in der Kirchengeschichte, einschließlich der Bekehrung der westlichen Welt), (9) Testimonia non fidelium (angenommene Prophetien der heidnischen Schriftsteller), (10) Promissorum efficacia (die heiligmachende Kraft der Kirchenlehre im Leben der Gläubigen). (1), (2), (3), (4) und (8) zählen zum historischen Beweisgang für die wunderbaren Gründungsbegebenheiten des Christentums; (7), (8) und (10)
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schließen die Treue der Kirche zu der ihr anvertrauten Lehre ein, die durch Wunder bekräftigt wird, und ihre heilmachende Wirksamkeit; (5), (6) und (9) beinhalten die Ausgangswahrscheinlichkeit für die Inhalte der Lehre. In der Zeit nach Origenes betont die Tradition manchmal einfach, dass die Wahrheit der Schrift „evident zu sein scheint“. Das kann vielleicht eine offenkundige Vernunftwahrheit sein oder das Ergebnis einer religiösen Erfahrung (die dem Gläubigen mitzuteilen scheint, dass die Schrift wahr ist). Wie ich gesagt habe, ist das in Ordnung, wenn es wirklich so zu sein scheint und es keine Gegengründe gibt oder die Zeit mangelt, in eine weitere Untersuchung einzutreten. Mangels Verfügbarkeit detaillierter geschichtlicher Argumente und aufgrund der Weigerung, sich auf die Geschichte und Autorität der Kirche zu berufen, hat die protestantische Tradition ihre Gründe für den Glauben an die Schrift auf diese Weise zum Ausdruck gebracht. „[Die Schrift] trägt ihre Beglaubigung in sich selbst; daher ist es unangebracht, sie einer Beweisführung und Vernunftgründen zu unterwerfen.“ (Calvin 1986, I, 7,5). Dennoch zögerte Calvin nicht, eine Reihe von Gründen vorzulegen, die in gewisser Weise denen von Duns Scotus ähnlich sind, die er als nützliche Hilfen bezeichnet, und die die Selbstauthentifizierung der Schrift ergänzen. Der Nachdruck, der auf das „innere Zeugnis des Geistes“ und/oder auf die lange einhellige Tradition der Kirche gelegt wurde, ist in einem Kontext verständlich, in dem es keine ausgearbeiteten, detaillierten Einwände gegen die Wahrheit des christlichen Ansatzes gibt. Trotz dieser Verständlichkeit scheint mir der Aufruf Calvins an alle Menschen im Europa des 16. Jahrhunderts, an die Schrift zu glauben, allein weil sie ihnen wahr erscheint, irrational. Vor dem Hintergrund der vielen differierenden Interpretationen, die damals im Schwange waren und in Anbetracht der zahlreichen Einwände, die viele gegen den christlichen Ansatz im Ganzen hatten, bräuchte man eine äußerst starke religiöse Erfahrung, um deutlich zu machen, auf welche Weise man die Schrift lesen muss. Und das wäre die Voraussetzung, um den Glauben an die christliche Lehre objektiv zu rechtfertigen. Selbst damals hätte es Argumente gegeben, die für die Wahrheit der christlichen Lehre gesprochen hätten – und Calvin hat sie ja auch selbst vorgetragen. Es lassen sich wenige Belege für diese Berufung auf die Evidenz der Schrift vor dem 5. Jahrhundert finden. Merkwürdigerweise sind wir heute, da das Christentum von allen Seiten herausgefordert wird, in einer besseren Position als die Menschen, die zeitlich viel näher an den Ereignissen im Palästina des ersten Jahrhunderts waren, wenn es darum geht, festzustellen, was damals geschah. Die leichte Zugänglichkeit von vielen Dokumenten, ausgefeilten historischen Arbeitsverfahren und die Kommunikation der Historiker in Lichtgeschwindigkeit machen die Erörterung historischer Fakten leichter, als sie es zur Zeit von Irenäus war.
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Dieser kurze Überblick über die zwei Jahrtausende christlicher Apologetik macht deutlich, dass man sehr oft auf die natürliche Theologie zurückgegriffen hat, um die Existenz Gottes zu beweisen. Auch hat man sich auf ausgearbeitete historische Argumente berufen, die von Argumenten aus der Ausgangswahrscheinlichkeit unterstützt wurden, um die Wahrheit einzelner christlicher Dogmen zu belegen. Ohne alle ausgefeilten Argumente noch einmal aufzulisten, die ich hier erwähnt habe, geschweige denn alle, die jemals vorgetragen wurden, möchte ich dafür plädieren, dass der rationale Ansatz in diesen Fragen der richtige ist. Eine moderne philosophische Tradition, die die für diese Aufgabe geeigneten Hilfsmittel zur Verfügung stellen kann, sollte willkommen geheißen werden.
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Joshua Hoffman / Gary Rosenkrantz: Omnipotence, in: Chad Meister / Paul Copan (Hg.): The Routledge Companion to Philosophy of Religion, New York 2010, 271-280. © Autoren
JOSHUA HOFFMAN / GARY ROSENKRANTZ
Allmacht Allmacht, rationale Theologie und Gott Nach Ansicht des traditionellen westlichen Theismus, dem Anselm und andere seinen klassischen Ausdruck gegeben haben, ist Gott das größtmögliche Wesen. Unter seinen Attributen findet sich auch die Allmacht oder höchste Macht. Mit anderen Worten, Gott wird als das Wesen verstanden, das so mächtig ist, als irgendein Wesen es nur sein kann. Unser Zugang zum Verständnis der Allmacht setzt die Richtlinien der rationalen Theologie voraus, das heißt, einer Theologie, die sich an den Prinzipien der Vernünftigkeit ausrichtet. Letztere umfasst die deduktiven und nicht-deduktiven Gesetze der Logik sowie die Prinzipien, die den Gebrauch von Gründen regeln, die sich auf Sinneswahrnehmung, Introspektion und Erinnerung stützen. Daher würden wir keine Darstellung der Allmacht akzeptieren, die beispielsweise einen Widerspruch enthält. Dieser rationale Zugang zu Gottes Allmacht sieht sich mehreren Anfragen ausgesetzt, wie die nach der Kohärenz der Allmacht, die damit verbundene Frage nach den Grenzen, wenn es welche gibt, die sich für die Macht eines allmächtigen Akteurs auftun, sowie die Problematik der Kompatibilität der Allmacht mit Gottes übrigen Attributen. Da ist erstens das berühmte „Paradox“ des Steins, das die Kohärenz der Allmacht in Frage stellt: Könnte ein allmächtiges Wesen einen Stein erschaffen, der so massiv ist, dass selbst ein solches Wesen ihn nicht bewegen kann? Weil diese Frage nicht kohärent beantwortet werden kann, haben einige angenommen, dass der Begriff der Allmacht selbstwidersprüchlich sei. Zweitens haben manche angenommen, ein allmächtiger Akteur könne das, was notwendig wahr ist, ändern. Ist ein solches Verständnis von Allmacht kohärent? Drittens könnte man denken, dass ein allmächtiges Wesen kontingente vergangene Ereignisse im Nachhinein ändern könne. Diese Sicht ist höchst kontrovers, weil viele Philosophen annehmen, dass die Vergangenheit feststehe und rück-
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wärtige Verursachung unmöglich sei. Eine kohärente Darstellung der Allmacht muss sich dieser Frage widmen. Viertens gibt es die Problematik, ob der Begriff eines allmächtigen Wesens neben Gott kohärent ist. Kann es beispielsweise einen einzelnen, nicht-göttlichen allmächtigen Akteur geben? Kann es zwei oder mehr allmächtige Wesen zur gleichen Zeit geben? Schließlich fragt sich, ob zwei der Eigenschaften, die zur Definition Gottes gehören, nämlich Allmacht und moralische Vollkommenheit, miteinander kompatibel sind. Genauer gefragt, wenn es nicht in Gottes Macht steht, Böses zu tun, wie kann er dann allmächtig sein?
Die Bedeutung von „Allmacht“ Man könnte meinen, Allmacht sei als die Macht zu verstehen, die es ermöglicht, eine bestimmte Art von Aufgaben erledigen zu können. Solche Aufgaben wären etwa die Erschaffung eines Steins, den man selbst nicht heben kann, Böses zu tun oder sich selbst die Allmacht zu nehmen. In der letzten Zeit haben jedoch einige Philosophen damit begonnen, Allmacht als Macht zu bestimmen, eine angemessen definierte Menge von Sachverhalten hervorzubringen, wobei ein Sachverhalt entweder bestehen oder nicht bestehen muss (Rosenkrantz/Hoffman 1980b; Flint/Freddoso 1983; Wierenga 1989, 12-35). Vier verschiedene Bedeutungen des Wortes „Allmacht“ erfordern eine besondere Betrachtung. Erstens gibt es die Auffassung, es handle sich um die Macht, das Bestehen jedes Sachverhalts hervorrufen zu können. Man könnte in diesem Fall sagen, dass Allmacht im buchstäblichen Sinn universale Macht bedeutet. Daher werden wir der Einfachheit halber „das Bestehen jedes Sachverhalts hervorrufen“ durch „einen Sachverhalt hervorbringen“ abkürzen. Unter „Macht“ verstehen wir die Fähigkeit [ability] zusammen mit der Gelegenheit [opportunity], also Macht in einem alles umfassenden Sinn, die gegen Macht als bloße Fähigkeit abgegrenzt ist. Natürlich kann ein Wesen, das allmächtig ist, nicht durch irgendwelche Umstände von der Ausübung seiner Fähigkeiten abgehalten werden: Nichts kann ein allmächtiges Wesen davon abhalten, seine Macht einzusetzen. Nach der ersten Konzeption von Allmacht kann ein allmächtiger Akteur notwendige, unmögliche und kontingente Sachverhalte hervorbringen. Descartes scheint eine solche Konzeption vertreten zu haben (Frankfurt 1977; Curley 1984; Descartes 2008). Es gilt notwendig, dass, wenn ein Akteur die Macht hat, einen Sachverhalt hervorzubringen, es ihm auch möglich ist, diesen Sachverhalt hervorzubringen. Daher kann nach dieser Konzeption ein allmächtiger Akteur unmögliche Sachverhalte, wie zum Beispiel ein Pferd, das kein Lebewesen ist, oder ein rundes Viereck, hervorbringen. Das würde die Gesetze der deduktiven Logik verletzen, insbesondere das Gesetz des ausgeschlossenen Widerspruchs. Wenn ein Akteur
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einen notwendigen Sachverhalt wie 1+1=2 hervorbringen könnte, wäre es sogar möglich, dass der betreffende notwendige Sachverhalt nicht bestünde, falls der Akteur nicht gehandelt hätte, was absurd wäre. Aus diesen beiden Gründen ist die erste Konzeption von Allmacht inkohärent. Daraus folgern wir, dass es keinen Akteur geben kann, der die Macht hat, alle Sachverhalte hervorzubringen (Maimonides 1904; Thomas von Aquin 1988). Nach einer zweiten Konzeption besteht Allmacht darin, jeden Sachverhalt hervorbringen zu können, der möglicherweise irgendwann besteht. Da nun auch notwendige Sachverhalte mögliche Sachverhalte sind, aber nicht möglicherweise hervorgerufen werden, ist auch diese Konzeption inkohärent. Nach einer dritten Konzeption besteht Allmacht darin, jeden kontingenten Sachverhalt hervorbringen zu können. Die bisherige Kritik trifft diese Konzeption nicht. Aber kontingente Sachverhalte, wie Alle Kugeln rollen zum Zeitpunkt t, wobei t in der Vergangenheit liegt, machen die Schwierigkeiten deutlich, mit denen diese Konzeption zu kämpfen hat. Intuitiv würden wir sagen, dass es, wenn die Kugel bei t schon gerollt ist, nicht mehr in der Macht eines Akteurs steht, das Rollen der Kugel bei t noch hervorzubringen. Eine solche Handlung schlösse rückwärtige Verursachung ein, deren Kohärenz höchst zweifelhaft ist. Wir würden außerdem intuitiv sagen, dass es, wenn die Kugel nicht bei t gerollt ist, nicht in der Macht eines Akteurs steht, das Rollen der Kugel bei t noch hervorzubringen. Dies schlösse eine Veränderung in der Vergangenheit ein, was unmöglich zu sein scheint. Nach der vierten und letzten Konzeption besteht Allmacht in maximaler Macht: Macht im Ganzen, die kein Wesen überbieten kann. Wie wir gesehen haben, kann eine solche Macht weder unmögliche oder notwendige Sachverhalte hervorbringen, auch nicht alle kontingenten Sachverhalte. Außerdem müsste ein Wesen mit maximaler Macht nicht die Macht haben zu bewerkstelligen, was in der Macht jedes anderen Akteurs steht. Wenn ein Wesen a einen bestimmten Sachverhalt hervorbringen kann, und ein anderes Wesen b dies nicht vermag, kann es dennoch wahr sein, dass b im Ganzen mächtiger ist als a. Denn möglicherweise hat b mehr Sachverhalte unter seiner Kontrolle als a. Daher ist es möglich, dass für jeden Akteur, der von b verschieden ist, gilt, dass b mächtiger ist als dieser andere Akteur, selbst wenn ein solcher Akteur die Macht hat, Sachverhalte hervorzubringen, die b nicht hervorbringen kann. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Argumente scheint diese vierte und schwächste Konzeption der Allmacht die zu sein, die die größte Chance auf Kohärenz bietet. Wenn wir von dieser Konzeption ausgehen, müssen wir zuerst fragen, ob es zwei oder mehr allmächtige Akteure zur gleichen Zeit geben kann. (Wir setzen dabei voraus, dass die zwei Akteure in der Zeit existieren. Da viele Theologen glauben, dass Gott außerhalb der Zeit steht, ist zudem festzuhalten, dass sich das Argument, wenn einer oder beide der gesetzten allmächti-
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gen Akteure außerhalb der Zeit wären, so umformulieren lässt, dass das Problem in den gegensätzlichen Sachverhalten besteht, die sie zur gleichen Zeit hervorbringen wollen.) Wenn dieser Fall zuträfe, dann scheint es möglich, dass der allmächtige Akteur 1 einen Grashalm zum Zeitpunkt t zu bewegen versucht (wenn Akteur 1 bei t existiert), während der allmächtige Akteur 2 sich darum bemüht, den Grashalm bei t ruhig zu halten (wenn Akteur 2 bei t existiert). Intuitiv nehmen wir an, dass dann keiner der Akteure den Grashalm affiziert. Daher wäre der allmächtige Akteur 1 machtlos, den Grashalm zu bewegen, und der allmächtige Akteur 2 machtlos, ihn still zu halten. Ihre Bemühungen würden sich gegenseitig aufheben, so dass Bewegung oder Ruhe des Grashalms von anderen Faktoren bestimmt würde. Die Annahme ist jedoch absurd, dass ein allmächtiger Akteur nicht die Macht hätte, einen Grashalm zu bewegen oder in Ruhe zu halten. Folglich sind weder Akteur 1 noch Akteur 2 allmächtig. Eine erste Antwort auf dieses Problem könnte folgendermaßen lauten: Zwar erreicht keiner der beiden Akteure, was er erreichen will, aber jeder von ihnen kann es tun, denn jeder besitzt die Fähigkeit, es zu tun. Es ist zuzugestehen, dass keiner die Gelegenheit hat, es auszuführen. Um darauf zu antworten, müssen wir uns daran erinnern, dass der Sinn von „kann“ durch den der Begriff der Allmacht bestimmt wird und sowohl die Fähigkeit als auch die Gelegenheit umfasst. In diesem Sinne kann weder Akteur 1 noch Akteur 2 tun, was er vorhat. Es könnte nun auch eingewandt werden, dass es zwei allmächtige Akteure geben könnte, solange notwendigerweise keiner etwas zu tun versucht, was die Pläne des anderen durchkreuzt. Einmal abgesehen davon, dass die Möglichkeit höchst zweifelhaft ist, dass es zwei solche allmächtige Akteure gibt, die ihrem Wesen nach auf diese Weise zusammenarbeiten, scheint es sogar, dass die Existenz zweier solcher allmächtiger Akteure unmöglich ist. Kann es unter der Voraussetzung dieser vierten Konzeption von Allmacht einen auf kontingente Weise allmächtigen Akteur geben? Im ersten Moment möchte man dies bejahen; man muss aber folgendes Argument in Rechnung stellen. Angenommen, Gott existiert, existiert sogar notwendig, dann existiert Gott notwendig zu allen Zeiten, oder er existiert notwendig außerhalb der Zeit, und Gott ist notwendig allmächtig. Wir haben aber gesehen, dass es keine zwei allmächtigen Akteure gleichzeitig geben kann oder einen in und einen außerhalb der Zeit oder zwei außerhalb der Zeit. Wenn Gott existiert, dann muss ein in kontingenter Weise allmächtiger Akteur von Gott unterschieden sein. Wenn Gott existiert, ist es folglich nicht möglich, dass es einen in kontingenter Weise allmächtigen Akteur gibt. Wenn andererseits weder Gott noch ein anderer notwendig existierender, notwendig allmächtiger Akteur existiert, dann scheint es möglich zu sein, dass es einen kontingent allmächtigen Akteur gibt.
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Das angebliche Paradox des Steines Eine bekannte Herausforderung für die Kohärenz der Allmacht ist das sogenannte Paradox des Steins. Sie beginnt mit einer Frage: Kann ein allmächtiger Akteur a einen Stein s erschaffen, der zu schwer ist, um von a gehoben werden zu können? Wenn man darauf antwortet, a könne das, gibt es etwas, das a nicht tun kann, nämlich hervorzubringen, dass a s hebt. Wenn man antwortet, dass a diesen Stein s nicht erschaffen kann, der zu schwer zum Heben ist, gibt es wieder etwas, das a nicht tun kann, nämlich hervorzubringen, dass s ein Stein ist, den a nicht heben kann. Allmacht erscheint als paradox, denn sie scheint die Folgerung nahezulegen, dass ein allmächtiger Akteur etwas nicht ausführen kann, das in seiner Macht stehen sollte. Die Verteidigung der Allmacht gegen den Vorwurf der Inkohärenz erfolgt in zwei Schritten. Der erste Schritt geht von der Annahme aus, dass a notwendig allmächtig ist. Da es für a unter dieser Annahme unmöglich ist, nicht allmächtig zu sein, kann a es nicht zustande bringen, nicht allmächtig zu sein. Weil notwendig gilt, dass ein allmächtiger Akteur jeden Stein bewegen kann, ist der Sachverhalt, dass es einen Stein gibt, der sich von a nicht heben lässt, unmöglich. Da ein allmächtiger Akteur nicht die Macht haben muss, unmögliche Zustände hervorzubringen (und er kann eine solche Macht auch nicht haben), ist die Allmacht von a kompatibel mit dem Fehlen der Macht, einen Stein zu schaffen, der zu schwer zum Heben ist. Der zweite Schritt geht von der Annahme aus, dass a kontingent allmächtig ist. Unter dieser Voraussetzung ist es für a möglich, einen Stein s zu erschaffen, der zu schwer zum Heben ist. Dies könnte er dadurch bewerkstelligen, dass er es sowohl so einrichtet, dass a aufhört, allmächtig zu sein, und dass es einen solchen Stein s gibt. Dabei ist die zeitliche Reihenfolge zu beachten. Sobald a aufhört, allmächtig zu sein, kann es auch einen Stein geben, der für a zu schwer zum Heben ist. Daher ist es unter der Bedingung, dass a ein kontingent allmächtiges Wesen ist, für a möglich, zu bewerkstelligen, dass es einen Stein gibt, der für a zu schwer ist, um ihn zu heben, wenn der Zeitabschnitt, in dem der Stein für a zu schwer ist, sich von dem Zeitabschnitt unterscheidet, in dem a allmächtig ist. Der Anschein eines Paradoxes verschwindet, sobald man einsieht, dass der Fall eines notwendig allmächtigen Akteurs und der Fall eines kontingent allmächtigen Akteurs unterschiedlich zu bewerten sind (Rosenkrantz/Hoffman1980a).
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Kontingente Sachverhalte, die ein allmächtiger Akteur nicht hervorbringen kann Wir haben bereits Gründe dafür dargelegt, warum es keinen allmächtigen Akteur geben kann, in dessen Macht das Bestehen eines unmöglichen oder notwendigen Sachverhalts stünde. Außerdem haben wir festgestellt, dass es sogar einige kontingente Sachverhalte gibt, die nicht in der Macht eines allmächtigen Akteurs stehen können. Dies ist eine Liste für die Sachverhalte dieser Art: (a) Eine Wolke bewegte sich. (b) Eine Wolke bewegt sich zum Zeitpunkt t, wobei t in der Vergangenheit liegt. (c) Aristoteles schreibt zum ersten Mal. (d) Die Erde dreht sich x-mal um ihre Achse, wobei x ein ungerade Zahl kleiner als sechs ist. (e) Eine Wolke bewegt sich und niemals gibt es einen allmächtigen Akteur. (f) Schmidt trifft die freie Entscheidung, loszulaufen. (a) und (b) sind Sachverhalte der Vergangenheit. Wie wir oben begründet haben, gilt notwendig, dass kein Akteur einen vergangenen Sachverhalt hervorrufen kann. Wenn es daher zum Beispiel wahr ist, dass sich eine Wolke bewegt hat, steht es nicht in der Macht irgendeines Akteurs zum gegenwärtigen Zeitpunkt, die Bewegung der Wolke zu bewerkstelligen oder es zu erreichen, dass sie sich nicht bewegt hat. Man nennt dies die „Notwendigkeit der Vergangenheit“. (c) schließt ebenfalls die Notwendigkeit der Vergangenheit zumindest indirekt ein. Es gibt Zeitpunkte, zu denen ein allmächtiger Akteur (c) bewerkstelligen kann. Diese Zeitpunkte müssen aber dem Zeitpunkt, an dem Aristoteles zum ersten Mal schrieb, vorausliegen. Sobald Aristoteles schreibt, kann (c) aufgrund der Notwendigkeit der Vergangenheit nicht mehr durch einen allmächtigen Akteur bewerkstelligt werden. Genauso kann (d) bis zur fünften Rotation der Erde um ihre Achse bewerkstelligt werden. Nach der fünften Rotation kann ein allmächtiger Akteur (d) nicht mehr ins Werk setzen. Dass (e) von einem allmächtigen Akteur nicht hervorgebracht werden kann, ist klar. Es können aber plausible Gründe dafür angeführt werden, dass ein nicht-allmächtiger Akteur (e) hervorbringen kann, indem er die Bewegung einer Wolke verursacht, wenn es niemals einen allmächtigen Akteur gibt. Die erste Prämisse eines solchen Arguments ist eine plausible Form des Prinzips der Diffusion der Macht. Nach diesem Prinzip gilt für jeden Akteur A und für jeden Sachverhalt p&q: Wenn A p bewerkstelligt, besteht q, und q liegt außerhalb der Macht jedes
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Akteurs außer A, dann bringt A p&q hervor. Die zweite Prämisse besteht in der Möglichkeit des folgenden konjunktiven Sachverhalts: Ein nicht-allmächtiger Akteur bewerkstelligt, dass eine Wolke sich bewegt und kein allmächtiger Akteur existiert jemals und es steht außerhalb der Macht eines jeden Akteurs, zu bewerkstelligen, dass ein allmächtiger Akteur niemals existiert. Es scheint so, als ob diese Konjunktion zwar nicht kompatibel mit der Existenz Gottes ist, wohl aber mit der Existenz eines kontingenten allmächtigen Akteurs (Hoffman/Rosenkrantz 1988). Wenn schließlich die libertarische Deutung von freier Handlung und Entscheidung richtig ist, steht es nicht in der Macht eines allmächtigen Akteurs, der von Schmidt verschieden ist, (f) zu bewerkstelligen. Es steht hingegen in der Macht eines nicht-allmächtigen Akteurs, nämlich Schmidts, (f) zu realisieren. Wir haben oben Gründe dafür genannt, dass ein allmächtiger Akteur nicht notwendig die Macht haben muss, jeden Sachverhalt hervorzubringen, den ein anderer Akteur ins Werk setzen kann. (e) und (f) veranschaulichen diese allgemeine Tatsache. Beispiele wie die von (a) bis (e) zeigen, dass eine angemessene Analyse von Allmacht nicht voraussetzt, dass ein allmächtiger Akteur in der Lage sein muss, Sachverhalte wie die von (a) bis (e) zu bewerkstelligen. Auch muss ein solcher Akteur nicht in der Lage sein, Sachverhalte wie (f) ins Werk zu setzen, wenn man voraussetzt, dass die libertarische Position richtig ist. Es ist wünschenswert, dass eine Analyse der Allmacht gegenüber einer solchen Annahme neutral bleibt, insbesondere weil Diskussionen über Allmacht oft im Kontext des Theismus geführt werden und Theisten oft annehmen, dass Gott und einige seiner Geschöpfe über einen libertarischen freien Willen verfügen. Vor dem Hintergrund der disparaten Natur der Sachverhalte (a) bis (f) ist es keineswegs offensichtlich, wie man die Macht eines allmächtigen Akteurs in einer Analyse von Allmacht angemessen beschränken kann. Eine solche Analyse soll im Folgenden versucht werden.
Die Analyse von Allmacht Unsere Analyse von Allmacht beruht auf einer Konzeption von Sachverhalten, die unbegrenzt wiederholbar sind. Bei der Bestimmung der Züge, die die Sachverhalte (a) bis (f) ausmachen, fällt auf, dass keiner der Sachverhalte unbegrenzt wiederholbar ist. Dieser Zug dient in diesem Ansatz als Ausgangspunkt der Analyse von Allmacht (Hoffman/Rosenkrantz 2002). Nur wenn es erstens für irgendeinen Akteur möglich ist, einen Sachverhalt hervorzubringen, sollte von einem allmächtigen Akteur gefordert werden, diesen Sachverhalt ins Werk zu setzen. Nun lässt sich (a) von keinem Akteur ins Werk setzen. Insofern keine Möglichkeit besteht, dass (a) von irgendjemandem bewerkstelligt wird, muss auch kein allmächtiger Akteur
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dazu in der Lage sein, (a) zu realisieren. Aus dem gleichen Grund muss ein solcher Akteur nicht dazu in der Lage sein, unmögliche oder notwendige Sachverhalte hervorzubringen. Zweitens ist es zwar möglich, dass (b) und (c) von einem Akteur realisiert werden. Sie sind aber nicht wiederholbar: Das heißt, es ist nicht möglich, dass eines davon besteht, aufhört zu bestehen und dann wieder besteht. Drittens ist (d) zwar wiederholbar, aber nicht unbegrenzt: Das heißt, es kann nicht bestehen, dann aufhören zu bestehen, dann wieder zu bestehen und so immer weiter. Viertens ist (e) zwar unbegrenzt wiederholbar; es handelt sich jedoch um einen logisch komplexen, nämlich konjunktiven Sachverhalt, dessen zweiter Teil unwiederholbar ist. Diese Beispiele führen uns zu einer Theorie, wie Macht und Wiederholbarkeit miteinander in Verbindung stehen: Kein möglicher Akteur muss ohne Berücksichtigung der Umstände dazu in der Lage sein, entweder einen Sachverhalt hervorzubringen, der nicht unbegrenzt wiederholbar ist, oder einen konjunktiven Sachverhalt, zu dem ein Element gehört, das nicht unbegrenzt wiederholbar ist. Selbst wenn schließlich (f) unbegrenzt wiederholbar ist, handelt es sich bei (f) doch um einen anderen Typus von komplexem Sachverhalt. Genauer gesagt, er ist identifizierbar mit oder analysierbar als konjunktiver Sachverhalt. Der Sachverhalt hier besteht aus drei Konjunkten, wobei es niemandem möglich ist, den zweiten hervorzubringen. Dieser konjunktive Sachverhalt kann als Konjunktion der folgenden drei Sachverhalte ausgedrückt werden: (1) Schmidt entscheidet sich zu laufen; (2) es besteht keine vorausgehende hinreichende ursächliche Bedingung für Schmidts Laufen; (3) es gibt keine begleitende hinreichende ursächliche Bedingung für Schmidts Entscheidung zu laufen. Es ist zu beachten, dass notwendig gilt: Wenn (2) wahr ist, kann niemand anderes als Schmidt (1) ins Werk setzen, denn das Realisieren von (1) durch jemand anderes als Schmidt impliziert, dass es eine hinreichende ursächliche Bedingung für (1) gibt. Wenn es für einen Akteur unmöglich ist, Macht über die Vergangenheit zu besitzen, ist es folglich nicht möglich, dass (2) von jemandem ins Werk gesetzt wird. Daher darf von einem allmächtigen Akteur nicht gefordert werden, dass er dazu in der Lage ist, einen Sachverhalt hervorzubringen, der mit einem konjunktiven Sachverhalt identifiziert werden oder in einen solchen analysiert werden kann, der ein Konjunkt enthält, das zu realisieren niemandem möglich ist. Auf der Grundlage dieser Ideen lässt sich Allmacht durch die folgenden drei Definitionen analysieren: (D1) Der Zeitabschnitt t ist ein hinreichendes Intervall für s =df s ist ein Sachverhalt, für den gilt: Es ist möglich, dass s während eines Zeitabschnitts besteht, der die Dauer von t hat. Zum Beispiel ist jeder Zeitabschnitt mit der Dauer einer Minute ein hinreichendes Intervall für den Sachverhalt, dass ein Kreisel sich für eine Minute dreht.
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(D2) Ein Sachverhalt s ist unbegrenzt wiederholbar = df s ist möglicherweise so, dass gilt: (n)(t1)(t2)(t3)… (tn)[(t1m ist. Das folgt aus (1), (2) und (3). (Chamber 2000) Millican: (1) Die Phrase „ein-Wesen-von-dem-gilt-dass-kein-größeres-Wesengedacht-werden-kann“ wird vom Tor klar verstanden und ist offenbar sinnvoll. (2) Wenn eine Phrase „A“ klar verstanden wird und offenbar sinnvoll ist, können wir davon ausgehen, dass sie erfolgreich auf ein spezifisches Wesen referiert. (3) Ein Wesen, das in der Wirklichkeit instanziiert ist, ist größer als eines, das nicht in der Wirklichkeit instanziiert ist. (4) Es ist offenkundig unmöglich, sich ein Wesen zu denken, das größer ist als „ein-Wesen-von-dem-gilt-dass-kein-größeres-Wesen-gedachtwerden-kann“. (5) Folglich „ein-Wesen-von-dem-gilt-dass-kein-größeres-Wesen-gedacht-werden-kann“ muss tatsächlich in der Wirklichkeit instanziiert sein. Das folgt aus (1), (2), (3) und (4). (Millican 2004) Sobel: (1) Es existiert mindestens ein Ding, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, im Geist. (2) Im Geist und in der Wirklichkeit zu existieren, ist größer als nur im Geist zu existieren. (3) Folglich gibt es mindestens ein Ding, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, im Geist und in der Wirklichkeit. Das folgt aus (1) und (2). (Sobel 2004) Everitt: (1) Wenn der Tor das Wort „ein Wesen-über-das-hinaus-Größeresnicht-gedacht-werden-kann“ hört, versteht er es. (2) Was verstanden ist, ist im Geist. (3) Wenn ein Wesen-über-das-hinaus-Größeres-nicht-gedacht-werden-kann nur im Geist des Toren existierte, könnte man es sich auch als in der Wirklichkeit existierend vorstellen, und das ist größer.
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(4) Folglich existiert ein Wesen-über-das-hinaus-Größeres-nicht-gedachtwerden-kann sowohl im Geist als auch in der Wirklichkeit. Das folgt aus (1), (2) und (3). (Everitt 2003) Leftow: (1) Jemand denkt einen möglichen Gegenstand, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. (2) Wenn ein mögliches Etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, als nicht realisiert gedacht wird, könnte s größer sein, als es tatsächlich ist. (3) Folglich gibt es ein tatsächlich existierendes Etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Das Folgt aus (1) und (2). (Leftow 2005) Es gibt mehrere Gründe, warum Autoren zu so verschiedenen Darstellungen von Anselms Argument aus Proslogion, Kap. II, gelangen. Der Text lässt sich ziemlich schwer fassen. Daher ist es eine große Versuchung für Kommentatoren, ihre eigenen Annahmen in den Text hineinzulegen, um zu einer für sie befriedigenden Interpretation zu gelangen. Trotz der Schwierigkeiten, die bei der Interpretation von Proslogion, Kap. II, auftreten, erscheint es mir möglich zu beweisen, dass das Argument, das im Text vorgetragen wird, nicht erfolgreich ist. Lassen Sie uns Anselms Behauptung betrachten, dass sogar der Tor davon überzeugt ist, dass etwas, über das hinaus man sich nichts Größeres vorstellen kann, im Verstand existiert. Auf welche Weise lässt sich der Inhalt dieser Überzeugung am besten darstellen, die hier dem Toren zugeschrieben wird? Ich vermute, es ist etwas Derartiges: [Im Verstand] [Es existiert dort ein x] [Es ist nicht der Fall, dass] [Es ist vorstellbar, dass] [Es existiert da ein y] [y>x]. Hier ist „[Im Verstand]“ ein Satzoperator, dessen Reichweite das restliche Material – Quantoren, Operatoren usw. – bestimmt, das im Satz vorkommt. Außerdem fungiert „[Im Verstand]“ auf die gleiche Weise als Operator wie „[Gemäß der Fiktion]“, indem sie Schutz gegen eindringende ontologische Verpflichtungen gewährleistet, die über die in ihrem Anwendungsbereich auftretenden Quantoren entstehen. (Vgl.: [Im Verstand] [Es gibt ein x] [x lebt am Nordpol, trägt rote Kleidung und liefert Geschenke an Kinder zu Weihnachten aus] Es folgt sicher nicht aus dieser Behauptung: [Es gibt ein x] [Im Verstand] [x lebt am Nordpol, trägt rote Kleidung und liefert Geschenke an Kinder zu Weihnachten aus]. Wer die erste Behauptung äußert, ist nicht auf die zweite verpflichtet.) Wenn Anselms ursprüngliche Behauptung so zu verstehen ist, scheint es mir ziemlich klar, dass dieses Argument nicht erfolgreich ist. Anselms reductio-Argument erfordert die Annahme [Es existiert ein x] [Im Verstand] [Es ist nicht der Fall, dass] [Es ist vorstellbar, dass] [Es existiert da ein y]
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[y>x]. Erstens geben uns Anselms Ausgangsüberlegungen keinen Grund zur Annahme, dass diese Behauptung wahr ist, selbst wenn wir zugestehen, dass der Tor zugeben muss [Im Verstand] [Es existiert dort ein x] [Es ist nicht der Fall, dass] [Es ist vorstellbar, dass] [Es existiert da ein y] [y>x]. Zweitens gibt es gute Gründe für den Toren, die Behauptung, die Anselm über ihn aufstellt, zurückzuweisen: Der Tor akzeptiert nicht – und muss dies auch nicht –, dass es etwas gibt, von dem er einsieht, dass man sich nichts Größeres als es vorstellen kann. Sein bloßes Verstehen des Ausdrucks „etwas, über das hinaus nichts Größeres vorstellbar ist“ erfordert nicht seine Verpflichtung auf die Existenz von Wesen dieser Art. Es könnte vielleicht eingewandt werden: Wir können Anselm seine (stillschweigende) Annahme zugestehen, dass es Dinge gibt, die nur im Verstand existieren. Aber wenn wir dieses Zugeständnis machen, stehen wir vor ernsten Problemen. Angenommen wir gestehen Folgendes zu: [Es gibt ein x] [Im Verstand] [x lebt am Nordpol, trägt rote Kleidung und liefert Geschenke an Kinder zu Weihnachten aus]. Wie ist dieses Zugeständnis mit der offenkundigen Wahrheit vereinbar, dass der Weihnachtsmann nicht existiert? Welche Eigenschaften würde ein x dieser Art besitzen, das heißt welche Eigenschaften hat es wirklich (vorausgesetzt, dass es niemanden gibt, der am Nordpol lebt und zu Weihnachten Geschenke an Kinder verteilt)? Man könnte überlegen, ob eine Version von Meinongs Objekttheorie dazu dienen könnte, um folgende Fragen zu beantworten: Es gibt nichtexistierende Gegenstände; folglich gibt es insbesondere ein nichtexistierendes x, zu dessen Eigenschaften es gehört, am Nordpol zu leben, rote Kleidung zu tragen und Weihnachtsgeschenke an Kinder auszuliefern. Wenn es auch konsistente Theorien dieser Art gibt, muss als Preis für diese Konsistenz die Annahme von Einschränkungen entrichtet werden, die die Möglichkeit eines erfolgreichen ontologischen Argumentes ausschließen. Dass wir einige Einschränkungen brauchen, ist offensichtlich. Vor dem Hintergrund der Beschreibung „der wirklich existierende Weihnachtsmann“ können wir nicht zulassen, dass der Meinongsche Weihnachtsmann, auf den diese Beschreibung sich bezieht, wirklich existiert, ohne den offensichtlichen Common Sense zu verlassen. Daher beziehen konsistente Meinongsche Theorien den einen oder anderen Schutzmechanismus ein. So berufen sich einige Meinongianer auf die Unterscheidung zwischen charakteristischen und nicht-charakteristischen Eigenschaften. Charakteristische Eigenschaften sind jene, deren Auftreten in einer Beschreibung durch die Theorie als wahr hinsichtlich des Meinongschen Gegenstand garantiert werden, der durch die Beschreibung herausgegriffen wird. Nichtcharakteristische Eigenschaften sind jene, deren Auftreten in einer Beschreibung durch die Theorie nicht als wahr hinsichtlich des Meinongschen Gegenstand garantiert werden, der durch die Beschreibung herausgegriffen wird. Besonders alle „wirkliche Existenz“ beinhaltenden Eigenschaften sind
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natürlich nicht-charakteristisch; daher kann unser Meinongianer sagen, dass, wenn es einen Meinongschen Gegenstand gibt, der durch die Beschreibung „der wirklich existierende Weihnachtsmann“ herausgegriffen wird, der Meinongsche Gegenstand, der so herausgegriffen wird, nicht über die Eigenschaft verfügt, wirklich zu existieren. Damit hat aber der Tor eine fertige Antwort auf Anselms ontologisches Argument: Wenn die Eigenschaft „das zu sein, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann“ die Existenz impliziert, dann ist auch sie nicht-charakteristisch, so dass die Prinzipien der Meinongschen Objekttheorie keine Garantie dafür geben können, dass der Meinongsche Gegenstand, der durch die Beschreibung „das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ wirklich existiert. (Andere Theoretiker der Meinongschen Schule bedienen sich anderer Schutzmechanismen, aber die Konsequenz ist immer die gleiche: Die Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die sich aus dem „wirklich existierenden Weihnachtsmann“ ergeben, werfen die relevanten Versionen von Anselms Argument aus der Spur.) Selbst wenn die Annahme plausibel ist, dass Anselms Text ein tatsächlich erfolgloses Argument vorträgt, folgt daraus natürlich nicht, dass die verschiedenen Argumente, die die anderen Philosophen in den Text hineingelesen haben, ebenfalls zum Scheitern verurteilt sind. Eine angemessene Diskussion der ontologischen Argumente erfordert gerade, sich mit jeder verfügbaren Formulierung eigens sorgfältig auseinanderzusetzen. Ich kann zwar nicht alle oben zitierten Beispiele des Arguments, die aus Anselms Text abgeleitet werden, erörtern – ich beschränke mich hier auf den Hinweis auf die Untersuchung dieser und vieler anderer Formulierungen (Oppy 1995; 2006) –, möchte aber diesen Abschnitt mit einem Kommentar zu Leftows Formulierung schließen. Leftow behauptet, dass sein Argument die „Einwände überlebt“ (Leftow 2005, 111). Allerdings gesteht er zu, dass er keinen Versuch des Nachweises unternimmt, dass seine erste Prämisse – im Wesentlichen die Behauptung, es sei möglich, dass es etwas gibt, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann – von vernünftigen Leuten akzeptiert werden muss, einfach aufgrund der Tatsache, dass sie vernünftig-kognitive Akteure sind. Auf den Einwand, dass sein Bestehen auf der ersten Prämisse nicht einfach das zu Beweisende voraussetzt gegenüber denjenigen, die sich der Annahme verweigern, dass es ein Wesen geben könne, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden könne – und folglich nicht akzeptieren, dass es möglich ist, dass es ein Wesen gibt, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann – antwortet Leftow folgendermaßen: Jedes Argument behauptet seine eigenen Prämissen, statt sie zu rechtfertigen. Wenn wir Gründe für die Überzeugung brauchen [dass es möglich ist, dass es etwas gibt, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann] […] beweist das nicht, dass [unser] Argument das zu Beweisende bereits vo-
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raussetzt, sondern nur, dass ein weiteres Argument für die Prämissen nötig ist. (Leftow 2005, 91)
Aber das läuft auf nicht mehr hinaus als die Behauptung, dass es ein erfolgreiches ontologisches Argument geben könnte, das seiner Entdeckung harrt. Selbst Leftow gesteht unterschwellig ein, es gebe keinen Grund für den Tor, sich durch das Argument bis hierher überzeugen zu lassen.
Descartes In der fünften Meditation schreibt Descartes: Wenn nun aber allein daraus, daß ich die Idee irgendeines Dinges aus meinem Denken hervorholen kann, folgt, daß tatsächlich alles das dem Ding zukommt, von dem ich klar und deutlich erfasse, daß es ihm zukommt – kann daraus etwa auch ein Argument gewonnen werden, durch das die Existenz Gottes nachgewiesen würde? Sicherlich finde ich die Idee Gottes, nämlich die eines höchst vollkommenen Seienden, nicht weniger in mir vor als die Idee irgendeiner beliebigen Figur oder Zahl. Auch sehe ich nicht weniger klar und deutlich ein, daß es zu seiner Natur gehört, immer zu existieren, als ich klar und deutlich einsehe, daß das, was ich in Bezug auf irgendeine Figur oder Zahl beweise, auch zur Natur dieser Figur oder Zahl gehört. […] Demnach ist es ebenso widersprüchlich, einen Gott (also ein höchstvollkommenes Seiendes) zu denken, dem die Existenz fehlt (dem also eine Vollkommenheit fehlt), als einen Berg zu denken, dem das Tal fehlt. (Descartes 2008, 133/135)
Wie bei Anselms Argument in Proslogion, Kap. II, wird Descartes Argument aus der fünften Meditation in der neueren Literatur sehr unterschiedlich dargestellt. Der Text lässt sich wieder schwer fassen. Daher ist es erneut eine Versuchung für die Interpreten, ihre eigenen Annahmen in den Text hineinzulesen, um zu einer befriedigenden Interpretation zu gelangen. Hier folgen einige neuere Darstellungen des Arguments: Dore: (1) Der Begriff eines höchst vollkommenen Wesens ist teilweise der Begriff einer Person, die alle Eigenschaften hat, die alle zu besitzen für eine Person besser ist, als sie nicht zu besitzen. (2) Der Begriff der Existenz ist der Begriff einer Eigenschaft dieser Art. (3) Folglich existiert ein höchst vollkommenes Wesen. Das folgt aus (1) und (2). (Dore 1997)
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Everitt: (1) Gott ist per definitionem ein Wesen mit allen Vollkommenheiten. (2) Existenz ist eine Vollkommenheit. (3) Daher hat Gott die Vollkommenheit der Existenz, das heißt Gott existiert. Das folgt aus (1) und (2). (Everitt 2003) Sobel: (1) Ein höchst vollkommenes Wesen hat alle Vollkommenheiten. (2) Existenz ist eine Vollkommenheit. (3) Daher existiert ein vollkommenes Wesen. Das folgt aus (1) und (2). (Sobel 2004) Leftow: (1) Wenn Gott nicht existiert, fehlt einem Wesen mit allen Vollkommenheiten eine Vollkommenheit. (2) „Einem Wesen mit allen Vollkommenheiten fehlt eine Vollkommenheit“ enthält einen Widerspruch. (3) Daher existiert Gott. Das folgt aus (1) und (2). (1) Für alle x gilt: Wenn F Teil des Begriffs von x ist, dann gilt Fx. (2) Es gehört zum Begriff Gottes, dass Gott existiert, wenn sein Wesen das ist, was es ist. Das folgt aus (1). (3) Gottes Wesen ist, was es ist. (4) Daher existiert Gott. Das folgt aus (2) und (3). (1) Wenn das „wahre und unwandelbare Wesen“ von x F einschließt, dann gilt Fx. (2) Das „wahre und unwandelbare Wesen“ Gottes schließt die Existenz ein. (3) Daher existiert Gott. Das folgt aus (1) und (2). (Leftow 2005) Mir scheint, diese Argumente lassen sich weniger mit Descartes’ Text vereinbaren, als die Darstellung von Anselms Proslogion, Kap. II, mit Anselms Text. Trotz der interpretatorischen Probleme, glaube ich, lässt es sich nachweisen, dass das eigentliche Argument Descartes’ nicht überzeugen kann. Angenommen, ein Nicht-Theist gesteht Descartes zu, dass wir die Idee Gottes erfassen können. Nehmen wir weiter an, unser Nicht-Theist gestehe Descartes zu, dass es „zu unserer Idee Gottes gehört“, dass Gott ein höchst vollkommenes Wesen ist. Und schließlich nehmen wir an, dass unser NichtTheist Descartes zugesteht, dass alles, was ein höchst vollkommenes Wesen ist, tatsächlich, ewig – und sogar notwendig – existiert. Folgt daraus, unser Nicht-Theist sei gezwungen, Descartes zuzugestehen, dass es ein höchst vollkommenes Wesen gibt? Keineswegs. Was unser Nicht-Theist eingangs
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zugesteht ist Folgendes: [Gemäß der relevanten Idee] [Gott ist ein tatsächlich, ewig – und sogar notwendig – existierendes Wesen]. Aber es folgt natürlich nicht aus [Gemäß der relevanten Idee] [Gott ist ein tatsächlich, ewig – und sogar notwendig – existierendes Wesen], dass Gott existiert. Denn ganz offenkundig folgt genauso wenig aus [Gemäß der relevanten Idee] [der Weihnachtsmann ist ein existierender Bewohner des Nordpols, der rote Kleidung trägt und Geschenke an Kinder zu Weihnachten ausliefert] folgt, dass der Weihnachtsmann existiert. (Und es ist unbestreitbar, dass zur „Idee des Weihnachtsmanns“ gehört“, dass der Weihnachtsmann existiert. Die Geschichte besteht nicht darin, dass ein metaphysisch bizarrer, nicht existierender Mann am Nordpol lebt usw.! Es würde keinen Unterschied machen, wenn wir die Geschichte so umformulierten, dass der Weihnachtsmann ewig und/oder notwendig existierte: Kein noch so angestrengtes metaphysisches Glätten des Inhalts der Idee wird legitimerweise die Behauptung der Existenz des Weihnachtsmannes aus der Reichweite des Operators [Gemäß der relevanten Idee] transportieren können.) Selbst diejenigen, die dazu neigen, dem Argument Anselms in Proslogion, Kap. II, einen gewissen Wert zuzugestehen, können einen solchen in Descartes’ fünfter Meditation nicht erkennen. Leftow ist ein gutes zeitgenössisches Beispiel für diejenigen, die glauben, Descartes’ Argument scheitere, was von Anselms Argument aber noch nicht bewiesen sei (Leftow 2005). Sobel erkennt Anselms Argument einen größeren Wert zu als dem Descartes’, obwohl er davon ausgeht, dass beide Argumente scheitern (Sobel 2004). Dore ist einer der wenigen, die glauben, Descartes’ Argument aus der fünften Meditation sei zwingend (Dore 1997).
Plantinga Plantingas „erfolgreiches“ modales ontologisches Argument lässt sich knapp darstellen. Sagen wir, eine Entität sei maximal exzellent, wenn sie allmächtig, allwissend und moralisch vollkommen ist. Sagen wir außerdem, dass eine Entität maximal groß sei, genau dann, wenn sie in jeder möglichen Welt notwendig maximal exzellent ist, das heißt genau dann, wenn sie notwendig existiert und notwendig maximal exzellent ist. Plantingas Argument sieht dann folgendermaßen aus: (1) Es ist möglich, dass es eine maximal große Entität gibt. (2) Daher gibt es eine maximal exzellente Entität. Das folgt aus (1). Mit den passenden modallogischen Voraussetzungen handelt es sich um ein gültiges Argument. Wenn es Theisten geben kann, die vernünftigerweise davon überzeugt sind, es gäbe eine maximal große Entität, dann ist klar, dass es gewiss Theisten geben kann, die vernünftigerweise davon überzeugt
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sind, es sei möglich, dass es eine maximal große Entität gibt. Trotzdem scheint es auch klar, dass das Argument nicht bis zu seiner Folgerung reicht. Denn wie Plantinga selbst erkennt, sollte es nur in Verbindung mit folgendem gültigen Argument vorgetragen werden: (1) Es ist möglich, dass es keine maximal große Entität gibt. (2) Daher gibt es keine maximal exzellente Entität. Das folgt aus (1). Wenn es vernünftige Nicht-Theisten geben kann, die vernünftigerweise überzeugt sind, dass es keine maximal große Entität gibt, dann kann es gewiss vernünftige Nicht-Theisten geben, die vernünftigerweise glauben, es sei möglich, dass es keine maximal große Entität gibt. Keines der Argumente kann daher vernünftigerweise als überzeugend gelten. Vielmehr zeigt, gegen Plantingas Behauptung, keines dieser Argumente etwas über die Vernünftigkeit der Akzeptanz der Folgerung dieser Argumente. Plantingas „erfolgreiches“ modales ontologisches Argument ähnelt einem Argument, das Charles Hartshorne entwickelt hat, und das von einigen mit einem Argument in Verbindung gebracht wird, das Anselm in Proslogion, Kap. III, vorträgt. Es gibt eine ausgedehnte Literatur zur Grundstruktur von Anselms Proslogion, insbesondere zum Verhältnis zwischen den Argumenten in Proslogion, Kap. II, und III. Zudem arbeitet Anselm auch an anderen Stellen an den Argumenten aus Proslogion, Kap. II, und an ihrer Verteidigung. Anselms „ontologischen Beweisen“ wirklich gerecht zu werden, ist eine enorme Aufgabe, die noch nicht ernsthaft in Angriff genommen wurde.
A priori Einwände Wie ich bereits gesagt habe, gibt es viele Philosophen, die allein aufgrund von a priori Überlegungen den Nachweis zu erbringen versuchen, dass es kein erfolgreiches ontologisches Argument geben kann. Am berühmtesten ist Kants oft zitierter a priori Einwand gegen die Möglichkeit eines erfolgreichen ontologischen Arguments. Viele Philosophen haben insbesondere Kants Idee rezipiert, dass entweder etwas mit der Vorstellung der Existenz als Eigenschaft, mit einer definierenden Eigenschaft, mit einer Eigenschaft, die sich in Ideen inkorporieren lässt, oder mit den individuellen Begriffen nicht stimmt. Kant schreibt: Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d.i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. […] Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädikate ich will (selbst in der durchgängigen Bestimmung), denke, so kommt dadurch, daß ich noch hinzusetze, dieses Ding ist, nicht das mindeste zu dem Dinge hinzu. Denn sonst würde
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nicht eben dasselbe, sondern mehr existieren, als ich im Begriffe gedacht hatte, und ich könnte nicht sagen, daß gerade der Gegenstand meines Begriffs existiere. (Kant 1983, B 626-628)
Trotz der offenkundigen interpretativen Probleme, können wir meines Erachtens. ziemlich sicher sein, dass sich kein erfolgreicher a priori Einwand gegen die Möglichkeit eines erfolgreichen ontologischen Argumentes aus dem Kanttext ziehen lässt. Schauen wir uns einmal Sätze der Form „a ist F“ genauer an, wobei „a“ ein singulärer referierender Terminus und „F“ ein Prädikat ist. Wenn wir annehmen, dass singuläre referierende Termini und Prädikate „Begriffe“ ausdrücken, wird klar, dass wir Folgendes zugestehen müssen: In vielen normalen Fällen, in denen wir Urteile der Form „a ist F“ akzeptieren, trifft nicht zu, dass der Begriff, der mit „a“ in Verbindung steht, den Begriff, der durch „F“ ausgedrückt“ wird, enthält. (Anders ausgedrückt, in vielen normalen Fällen, in denen wir ein Urteil der Form „a ist F“ akzeptieren, trifft nicht zu, dass unsere Akzeptanz des Urteils auf a priori Überlegungen gegründet ist.) Aber in normalen Fällen, die unproblematische „Prädikate“ enthalten, zeigt dieser Mangel des Einschlusses nicht, dass diese Prädikate keine wirklichen Eigenschaften ausdrücken oder dass „die genauen Gegenstände unserer Begriffe“ nicht existieren. Bertrand Russell ist der genaue Gegenstand meines Begriffs „Bertrand Russell“, selbst wenn es viele Behauptungen der Form „Bertrand Russell ist F“ gibt, die ich nur aus a posteriori Gründen akzeptiere. Es gibt also keinen Grund für die Annahme, dass „existieren“ kein wirkliches Prädikat sein kann. Vielleicht wird jemand einwenden, dass wir bei anderen Prädikaten, die Teil unserer Begriffe sind, sichere a priori Schlüsse ziehen können: Wenn „F“ in meinem Begriff von Bertrand Russell eingeschlossen ist, weiß ich a priori, dass Bertrand Russell F ist. Und es ist hinzuzufügen, dass das Zugeständnis, die Existenz könne Teil von Begriffen sein, ein offenkundiges Problem darstellt: Aus dem Begriff „existierender Bewohner des Nordpols, der rote Kleidung trägt und zu Weihnachten Geschenke an Kinder verteilt“ kann ich nicht mit Sicherheit die Folgerung ziehen, dass der Weihnachtsmann existiert. Wie wir aber bereits festgestellt haben, scheinen uns hier nur zwei Optionen zur Verfügung zu stehen. Wir können zum einen darauf bestehen, dass es nicht wahr ist, dass der Weihnachtsmann am Nordpol lebt, weil es keine permanenten Bewohner des Nordpols gibt. Gestehen wir zu, dass in der Geschichte der Weihnachtsmann am Nordpol lebt, folgt aus dieser unbestrittenen Behauptung aber nicht, dass jemand wirklich am Nordpol wohnt. Wenn wir zum anderen Meinong durch das Zugeständnis folgen wollen, dass es wahr ist, dass der Weihnachtsmann am Nordpol lebt, obwohl der Weihnachtsmann ein nicht-existierendes Objekt ist, dann müssen wir eine der verfügbaren Schutzstrategien anwenden, um sicherzustellen, dass wir nicht zur Behauptung verpflichtet sind, wir wüssten a priori, dass a F ist, sobald der Begriff „F“ im Begriff „a“ enthalten ist. (Niemand
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möchte zugestehen, wir wüssten a priori, dass der wirklich existierende Weihnachtsmann wirklich existiert; in Wahrheit gibt es keinen wirklich existierenden Weihnachtsmann.) Diese Strategien verbieten es uns natürlich nicht, die „Existenz“ in unsere Begriffe einzuschließen: Vom Standpunkt dieser Meinongschen Theorien besteht keine Schwierigkeit in einem Begriff des „wirklich existierenden George W. Bush“, der wirkliche Existenz einschließt. Was diese Strategien vielmehr leisten, ist eine Einschränkung der a priori Schlüsse, die von den Begriffen gezogen werden können, so dass Meinongsche Theorien mit offensichtlichen Behauptungen darüber in Einklang stehen, was in Wirklichkeit nicht existiert. (Während wir nicht a priori wissen, dass der wirklich existierende George W. Bush wirklich existiert, wissen wir doch – aufgrund von a posteriori Gründen –, dass der wirklich existierende George W. Bush wirklich existiert!) Es wurden auch andere a priori Einwände gegen die Möglichkeit eines erfolgreichen ontologischen Arguments erhoben. Meines Erachtens sind sie nicht erfolgreicher als der eben erörterte Einwand Kants. Viele subtile Fragen können hinsichtlich des Wesens der Existenz, intentionaler Gegenstände, des Geist-Welt-Verhältnisses, des Voraussetzens des zu Beweisenden und Ähnliches mehr gestellt werden. Aber die Untersuchung dieser Fragen hat bisher keinen erfolgreichen Beweis erbracht, dass man a priori wissen kann, es gäbe kein erfolgreiches ontologisches Argument. (Wenn ich das sage, bestreite ich nicht, dass man von einigen bestimmten ontologischen Argumenten a priori zeigen kann, dass sie nicht erfolgreich sind. Ich habe mich in anderem Zusammenhang dafür ausgesprochen, dass dies für das Argument Maydoles gilt (Maydole 2003). Die Einwände gegen die Argumente Anselms und Descartes, die ich oben skizziert habe, fallen auch in diese Kategorie.)
Abgesang Sieht man von Kants Einwand ab, folgen die meistdiskutierten Einwände gegen ontologische Argumente dem Schema, das der Antwort des Mönchs Gaunilo auf Anselms ontologisches Argument zugrunde liegt. Obwohl Gaunilo seinen Einwand nicht ganz mit den folgenden Worten formuliert, können wir uns doch vorstellen, dass er ihn so ausgedrückt haben könnte: Selbst der Tor ist davon überzeugt, dass eine Insel, über die hinaus keine größere Insel gedacht werden kann, im Verstand ist. Denn wenn er das hört, versteht er es; und was auch immer verstanden wird, ist im Verstand. Und gewiss kann die Insel, über die hinaus eine größere Insel nicht gedacht werden kann, nicht allein im Verstande sein. Denn wenn sie nur im Verstande allein ist, kann man sie auch als wirklich existierend auffassen, was größer ist. Wenn daher die Insel, über die hinaus keine größere Insel gedacht wer-
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den kann, allein im Verstand wäre, dann ist die Insel, über die hinaus keine größere Insel gedacht werden kann, selbst eine Insel, über die hinaus eine größere Insel gedacht werden kann. Das aber kann mit Sicherheit nicht der Fall sein. Es existiert also ohne Zweifel eine Insel, über die hinaus eine größere Insel nicht gedacht werden kann, sowohl im Verstande als auch in der Wirklichkeit.
Wenn Anselms Argument erfolgreich beweist, dass es ein Wesen gibt, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, dann würde ein sehr ähnliches Argument beweisen, dass es eine Insel gibt, über die hinaus eine größere Insel nicht gedacht werden kann. Aber die Annahme ist absurd, dass ein sehr ähnliches Argument erfolgreich beweist, dass es eine Insel gibt, über die hinaus eine größere Insel nicht gedacht werden kann. Woraus folgt, dass Anselms Argument nicht erfolgreich beweist, dass es ein Wesen gibt, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann. Antworten auf Gaunilos Einwand folgen in der Regel einem von zwei Schemata. Einige Philosophen haben behauptet, dass der Tor zwar den Ausdruck „Wesen, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ wirklich versteht, nicht jedoch den Ausdruck „Insel, über die hinaus eine größere Insel nicht gedacht werden kann“. So behauptet etwa Plantinga (Oppy 1995, 163f.), die Idee einer größtmöglichen Insel sei inkohärent: „Egal wie groß eine Insel ist, wie viele nubische Jungfrauen und tanzende Mädchen sie schmücken, es gibt immer eine größere – eine mit doppelt so vielen Bewohnerinnen zum Beispiel.“ Plantingas Vorstoß ist verdächtig: Die größtmögliche Insel ist immer noch eine Insel und daher von Meer umgeben und folglich von endlicher Größe. Eine mit was auch immer ihre Größe ausmachende überbevölkerte Insel ist nicht die größte vorstellbare Insel. Die Grundstrategie, die Plantingas Antwort zugrunde liegt, ist zudem gefährlich: Wenn wir zum Beispiel annehmen, dass ein Wesen in Proportion zur Zahl der Universen, die es erschafft, größer ist, dann würde das gleiche Argument zeigen, dass der Tor nicht wirklich den Ausdruck „Wesen, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann“ versteht. Andere Philosophen haben behauptet, dass wirkliche Existenz zwar für Wesen im Allgemeinen ein Großmachen [great-making] ist, aber nicht für Inseln im Speziellen. Selbst wenn der Tor das zugestehen müsste, es wäre damit bestenfalls erreicht, dass wir unsere Aufmerksamkeit anderen Fällen zuwenden müssten – zum Beispiel auf Wesen, über die hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, außer dass sie nichts über unzugängliche Kardinalzahlen wissen. Der Tor bestünde zu Recht darauf, dass wirkliche Existenz in diesem Fall Größe ausmacht, so dass klar wäre, dass sich allein durch diese Strategie keine erfolgreiche Antwort auf Gaunilos Einwand finden lässt. Diese Anmerkungen streifen natürlich nur die Oberfläche der aktuellen Debatte zu den Einwänden, die im Stile Gaunilos gegen die ontologische
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Argumentation erhoben werden. Es besteht Dissens unter den Philosophen hinsichtlich der Wirksamkeit dieses Einwandes: Leftow trägt zum Beispiel eine interessante – obwohl meines Erachtens letztlich nicht erfolgreiche – Verteidigung Anselms gegen Gaunilo vor (Leftow 2005, 92-97). Auch besteht Dissens hinsichtlich der Anwendbarkeit: Gibt es nicht andere ontologische Argumente, die, selbst wenn Gaunilos Einwand Anselms Argument überwände, von diesem Einwand nicht betroffen wären? Schließlich gibt es einen Dissens hinsichtlich des Wertes von Einwänden dieser Art: Selbst wenn Einwände nach Art dessen, den Gaunilo vorträgt, beweisen, dass etwas mit den ontologischen Argumenten nicht stimmt, befriedigen sie jedoch nicht unser Bedürfnis nach einer Erklärung dafür, warum das ontologische Argument scheitert.
Abschließende Bemerkungen In der Blütezeit des logischen Positivismus und der Philosophie der normalen Sprache gab es viele Philosophen, die froh waren, alle Debatten um ontologische Argumente hinter sich gelassen zu haben. Walter T. Stace äußerte sich zum Beispiel 1959 folgendermaßen: „Ich kann es einfach nicht ertragen, lange trockene Logomachien zum ontologischen Argument auszutragen. Wahrscheinlich hat [C.D.] Broad das Argument vollständig vernichtet. Aber ich bringe es nicht über mich zu glauben, dass es eine Vernichtung nötig hatte“ (zitiert in Oppy 1995, 202). Heute ist die Lage anders. Obwohl die ontologischen Argumente nach wie vor nur wenige Verteidiger finden, erkennt man nun öfter an, dass eine Reihe interessanter, lebendiger Fragen mit ihnen verbunden sind. Und obwohl die meisten zeitgenössischen Erörterungen von ontologischen Argumenten sich in Kompendien, Handbüchern, Enzyklopädien usw. finden (zum Beispiel Dore 1997, Everitt 2003, Sobel 2004, Leftow 2005, Matthews 2005, Oppy 2006), gibt es doch auch einige interessante Beiträge in Zeitschriften (zum Beispiel Chambers 2000, Maydole 2003, Millican 2004). Ich glaube, man kann in der kommenden Dekade mehr zum ontologischen Argument erwarten.
William L. Craig: Cosmological Argument, in: Chad Meister / Paul Copan (Hg.): Philosophy of Religion. Classic and Contemporary Issue, Malden 2008, 83-97. © Blackwell Publishing, Malden
WILLIAM L. CRAIG
Das kosmologische Argument Einleitung In seiner Biographie über Ludwig Wittgensteins schreibt Norman Malcolm: Er sagte, er hätte manchmal eine bestimmte Erfahrung, die man am besten so beschreiben könne: „Wenn ich sie habe, dann staune ich, dass es die Welt gibt. Ich bin dann geneigt, solche Sätze zu gebrauchen wie ‚Wie außergewöhnlich, dass überhaupt etwas existiert!‘ oder ‚Wie außergewöhnlich, dass die Welt überhaupt existiert!‘“ (Malcolm 1958, 70).
Das Rätsel der Existenz des Universums, das nach Aristoteles der Ursprung aller Philosophie ist, können selbst nachdenkliche Naturalisten nicht außer Acht lassen. Derek Parfit etwa räumt ein: „Keine Frage ist erhabener als die, warum es ein Universum gibt, warum es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts“ (Parfit 1998, 24). Diese Frage führte G.W. Leibniz dazu, die Existenz eines notwendigen Wesens zu postulieren, das den hinreichenden Grund seiner eigenen Existenz in sich trägt und das auch den hinreichenden Grund für die Existenz aller anderen Dinge in der Welt bildet (Leibniz 1951, 415, 237-239). Leibniz setzte dieses Wesen mit Gott gleich. Dagegen haben Leibniz’ Kritiker üblicherweise behauptet, dass das raumzeitliche Universum höchstens in faktischer Hinsicht notwendig sei (Hick 1960, 733-734) – also ewig, unverursacht, unvergänglich und unzerstörbar –, während sie die Forderung nach einem logisch notwendigen Wesen ablehnten. So fragte David Hume: „Warum sollte nicht das materielle Universum das notwendig existierende Wesen [Being] sein }?“ (Hume 1947, 190, Kap. 9). In der Tat: „Wie kann etwas, das von Ewigkeit her existiert, eine Ursache haben, wenn doch dieses Verhältnis ein zeitliches Vorher und einen Anfang der Existenz einschließt?“ Es gebe keine Berechtigung, über das Universum hinauszugehen, um einen übernatürlichen Grund für dessen Existenz zu postulieren. „Das
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Universum gibt es einfach, und das ist alles“, wie es Bertrand Russell kurz und bündig in seiner BBC-Radiodebatte mit Frederic Copleston formuliert hat (Russell/Copleston 1964, 175). Ein Leibniz’sches Argument Aber ist das wirklich alles? Aus der Sicht von Hume und Russell ist das Universum bloß kontingent, ewig existierend, ohne Ursache oder Grund. Es gebe für uns einfach keine Erklärung, warum das Universum existiere. Leibniz würde diese Auffassung in Rekurs auf sein Prinzip vom zureichenden Grund zurückgewiesen haben. Dieses Prinzip besagt, dass „keine Tatsache als wirklich oder existierend, und keine Aussage als wahr gelten kann, wenn es nicht einen zureichenden Grund dafür gibt, warum sie so ist und nicht anders.“ Obwohl Leibniz’ Prinzip, wie es in der Monadologie behauptet wird, intuitiv durchaus berechtigt ist, haben Kritiker es zurückgewiesen mit der Begründung, dass nicht jede Tatsache eine Erklärung haben könne. So könne es etwa keine Erklärung dafür geben, was man als die „große kontingente konjunktive Tatsache“ (gkkT)1 bezeichnet hat, also die Konjunktion aller kontingenten Tatsachen, die es gibt. Denn wenn eine solche Erklärung eine kontingente Tatsache anführt, müsse sie wiederum eine weitere Erklärung haben; dies sei aber nicht möglich, da ja die gkkT alle kontingenten Tatsachen einschließe, die es gibt. Wenn aber eine solche Erklärung eine notwendige Tatsache begründe, dann müsse die durch sie erklärte Tatsache selbst notwendig sein; auch dies sei wiederum nicht möglich, da ja die gkkT kontingent sei. Insofern gelte: Nicht jede Tatsache könne eine Erklärung haben. In Bezug auf diesen Einwand haben einige theistische Philosophen zugegeben, dass man bei Erklärungen letztlich an einen Punkt komme, an dem das Erklären nicht mehr weiter gehe, einen Punkt, der einfach eine bloße Tatsache [brute fact] sei, etwas, dessen Existenz unerklärt bleibe. Beispielsweise behauptet Richard Swinburne, dass wir als Antwort auf die Frage „Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ zuletzt zu der bloßen Existenz eines kontingenten Wesens kommen müssten (Swinburne 1991, 127f.). Dieses Wesen könne nicht dazu herangezogen werden, seine eigene Existenz zu erklären (und demzufolge bleibe die Frage unbeantwortet), aber es könne die Existenz von allem anderen erklären. Swinburne argumentiert, dass Gott die beste Erklärung dafür sei, warum alles – mit Ausnahme des unerklärbaren Letzten [brute Ultimate] – existiere; denn als ein einziges und unendliches Wesen sei Gott einfacher als das vielgestaltige und endliche Universum. Hume und Russell hätten darin 1
Anm. des Übersetzers: Der im Original verwendete Begriff „the Big Contingent Conjunctive Fact (BCCF)“ wurde entwickelt in GALE/PRUSS 1999.
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Recht, dass es so etwas wie ein bloßes, unerklärbares Letztes gebe; sie irrten aber darin, dieses unerklärbar Gegebene mit dem physischen Universum gleichzusetzen. Andere Theisten haben versucht, das Prinzip von Leibniz zu verteidigen, ohne Zuflucht zu der fragwürdigen Position zu nehmen, dass Gott ein kontingentes Wesen sei. Sie haben entweder die Annahme in Frage gestellt, dass es eine gkkT gibt, oder versucht, eine annehmbare Erklärung dafür anzubieten. So hat beispielsweise Alexander Pruss eingeräumt, dass die Existenz einer gkkT aus sich heraus durchaus paradox erscheinen könne (vgl. die Reihe aller kontingenten Wahrheiten) und insofern nicht einfach vorauszusetzen sei (Pruss 2006). Aber wenn es eine solche gkkT tatsächlich gebe, so argumentiert er, dann könne ihre Erklärung in der notwendigen Wahrheit gefunden werden, dass Gott die Gründe für die Erschaffung jeder Welt erwogen und sich dann frei entschlossen habe, welche er davon verwirklicht. Die Behauptung, dass die gkkT nicht durch kontingente Wahrheiten erklärt werden könne, setze weiterhin voraus, dass sich keine kontingente Wahrheit selbst erklärt. William Vallicella (Vallicella 1997) geht davon aus, dass der Grund, warum die gkkT wahr ist, einfach darin liegt, dass jedes einzelne seiner Konjunkte wahr ist; um zu erklären, warum die gkkT wahr sei, sei nicht mehr erforderlich als die Wahrheit ihrer einzelnen Bestandteile, von denen jedes eine Erklärung für seine Wahrheit habe, aufzuzeigen. Insofern könne man Leibniz’ Formulierung des Prinzips vom zureichenden Grund durchaus verteidigen. Am Ende ist diese Debatte jedoch eher theoretisch, da das kosmologische Argument, um erfolgreich zu sein, nicht von einer so starken Version des Prinzips vom zureichenden Grund abhängt, wie sie Leibniz formuliert hat. Zum Beispiel könnte der Anhänger eines kosmologischen Arguments im Sinne von Leibniz sein Argument so entwickeln, dass er behauptet, für jedes kontingent existierende Ding gebe es eine Erklärung, warum dieses Ding existiert. Oder er könnte wiederum geltend machen, dass alles Existierende eine Erklärung für seine Existenz habe, entweder in der Notwendigkeit seiner eigenen Natur oder in einer äußeren Ursache. Oder er könnte – etwas weiter gefasst – behaupten, dass es im Falle eines jeden kontingenten Sachverhalts entweder eine Erklärung dafür gebe, warum dieser Sachverhalt besteht, oder aber, warum keine Erklärung erforderlich ist. Dies alles sind bescheidenere, nicht-widersinnige und plausibler erscheinende Versionen des Prinzips vom zureichenden Grund. So können wir eine einfachere Version eines Leibniz’schen kosmologischen Arguments wie folgt formulieren: (1) Jedes Ding, das existiert, hat eine Erklärung für seine Existenz, entweder in der Notwendigkeit seiner eigenen Natur oder in einer äußeren Ursache.
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(2) Wenn das Universum eine Erklärung für seine Existenz hat, ist diese Erklärung Gott. (3) Das Universum existiert. (4) Deshalb ist die Erklärung für die Existenz des Universums Gott. Prämisse (1) ist eine schwächere Version des Prinzips vom zureichenden Grund, die die typischen Einwände gegen stärkere Versionen dieses Prinzips umgehen kann. Denn (1) erfordert lediglich, dass jedes existierende Ding eine Erklärung für seine Existenz haben muss. Diese Prämisse ist vereinbar damit, dass es reine, unerklärbare Tatsachen über die Welt gibt. Was sie ausschließt, ist, dass es Dinge geben könnte, die auf unerklärliche Weise einfach existieren. Gemäß (1) gibt es zwei Arten von Seiendem: notwendig Seiendes, das durch seine Natur existiert und insofern keine äußere Ursache für die eigene Existenz hat, und kontingentes Seiendes, dessen Existenz durch äußere kausale Faktoren bedingt ist. Zahlen mögen die Hauptkandidaten für die erste Art von Seiendem sein, während vertraute physikalische Objekte unter die zweite Art von Seiendem fallen. Dieses Prinzip scheint recht plausibel zu sein, wenigstens mehr als sein kontradiktorischer Gegensatz. Dies kann ein Gedankenexperiment von Richard Taylor illustrieren: Während eines Spaziergangs im Wald trifft man unerwartet auf einen durchsichtigen Ball (Taylor 1991, 100-101). Man würde die Behauptung, der Ball existiere auf unerklärliche Weise, als ziemlich abwegig empfinden; und wenn man den Umfang des Balls vergrößerte, selbst bis dahin, dass er genauso groß wäre wie das Universum, würde es nichts an dem Bedürfnis nach einer Erklärung für seine Existenz ändern. Crispin Wright und Bob Hale haben anerkannt, dass die Erklärbarkeit die Standardposition beschreibt und dass Ausnahmen von der Forderung nach einer Erklärung deshalb einer Rechtfertigung bedürfen (Wright/Hale 1992, 28). Allerdings behaupten sie, dass eine Ausnahme im Falle des kontingenten Universums gerechtfertigt sei; denn die Forderung nach einer Erklärung für das kontingente Universum sei ausgeschlossen durch das einschränkende Prinzip, dass die Erklärung eines bestehenden (physikalischen) Sachverhalts sich auf einen kausal vorausgehenden Sachverhalt beziehen muss, in dem ersterer nicht besteht. Dieses Prinzip würde es erforderlich machen, dass jede Erklärung der Existenz des Universums sich auf einen kausal vorausgehenden Sachverhalt beziehen müsste, in dem das Universum noch nicht existiert. Aber da eine physikalisch leere Welt nichts verursachen könnte, würde die Forderung nach einer Erklärung für das Universum widersinnig werden und die Forderung nach einer Erklärung ausgeschlossen. Dieser Gedankengang beruht jedoch auf einem Fehlschluss zugunsten des Atheismus. Denn unabhängig von dieser Annahme gibt es keinen Grund anzunehmen, dass ein kausal vorausgehender Sachverhalt ein physikalischer Sachverhalt sein muss. Der Theist wird das Prinzip von Wright und Hales überhaupt nicht in dieser einschränkenden Weise verste-
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hen, da die Erklärung, warum das physikalische Universum existiert, durch einen kausal vorausgehenden nicht-physikalischen Sachverhalt, der Gottes Existenz und Willen einschließt, geleistet werden kann und sollte. Prämisse (2) ist in der Tat der Umkehrschluss [contrapositive] der üblichen atheistischen Erwiderung im Gefolge von Hume und Russell, dass auf der Grundlage der atheistischen Weltsicht das Universum einfach als reines, unerklärbares Etwas existiere. Atheisten versichern üblicherweise, wenn es keinen Gott gebe, dann existiere das Universum einfach auf unerklärbare Weise. Indem Atheisten bekräftigen, dass das Universum keine Erklärung für seine Existenz habe, wenn der Atheismus wahr sei, bekräftigen sie ebenfalls die logisch äquivalente Behauptung, dass der Atheismus nicht wahr wäre, also Gott existierte, wenn das Universum eine Erklärung für seine Existenz hätte. Insofern sind die meisten Atheisten implizit verpflichtet, Prämisse (2) anzunehmen. Zudem scheint Prämisse (2) auch in sich selbst überzeugend zu sein. Denn wenn das Universum gemäß seiner Definition die ganze physikalische Wirklichkeit einschließt, dann muss die Ursache des Universums (mindestens kausal vorausgehend zur Existenz des Universums) Raum und Zeit überschreiten und kann deshalb nicht zeitlich oder materiell sein. Aber es gibt nur zwei Arten von Dingen, die unter eine solche Beschreibung fallen könnten: entweder ein abstraktes Objekt oder ein Geist [mind]. Abstrakte Objekte stehen allerdings nicht in kausalen Beziehungen. Gleich, ob wir von mathematischen Objekten, Universalien, Propositionen oder allen weiteren der vielen abstrakten Objekte sprechen, die Philosophen als existierend erachten, es gehört zum Begriff solcher Objekte, dass sie kausal wirkungslos sind und insofern nichts verursachen können. Im Gegensatz dazu sind geistige Ursachen diejenigen, mit denen wir am besten vertraut sind, weil wir die kausale Wirksamkeit unseres Willens erfahren. Daraus folgt, dass die Erklärung der Existenz des Universums in einer äußeren, transzendenten und personalen Ursache liegt – was eine Bedeutung ist von „Gott“. Schließlich behauptet Prämisse (3) den offensichtlichen Sachverhalt, dass es ein Universum gibt. Daraus folgt, dass Gott existiert (4). Der Atheist könnte nun auf dieses Leibniz’sche Argument folgendermaßen antworten: Auch wenn das Universum eine Erklärung für seine Existenz habe, liege diese Erklärung nicht in einer äußeren Ursache, sondern in der Notwendigkeit seiner eigenen Natur; mit anderen Worten, (2) sei falsch. Dies ist jedoch eine extrem kühne Annahme, die Atheisten bislang noch nicht gerne gemacht haben. Wir besitzen – so kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen – ein starkes, unmittelbares Gespür für die Kontingenz des Universums. So scheint eine mögliche Welt, in der es keine eigentlichen Objekte gibt, durchaus vorstellbar. Wir verlassen uns im Allgemeinen in Angelegenheiten, mit denen wir vertraut sind, auf unseren Möglichkeitssinn [modal intuitions]; wenn wir es in Bezug auf das Universum anders halten
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sollen, muss der Nicht-Theist gute Gründe für einen solchen Skeptizismus vorbringen, und nicht bloß seinen Wunsch, den Theismus zu unterlaufen. Außerdem haben wir berechtigten Anlass für die Annahme, dass das Universum nicht aufgrund der Notwendigkeit seiner eigenen Natur existiert. Man kann sich leicht vorstellen, dass alle makroskopischen Objekte, die wir in der Welt beobachten, nicht existieren; in der Tat, vor einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit existierte keines von ihnen. Was die fundamentalen Partikel oder Bausteine der Materie angeht, seien es Quarks oder Strings, kann man sich leicht eine Welt vorstellen, in der alle gegenwärtigen mikroskopischen Bestandteile der makroskopischen Objekte ersetzt würden durch andere Quarks oder Strings. Ein Universum, das aus einer völlig verschiedenen Ansammlung von, sagen wir, Quarks bestehen würde, scheint durchaus möglich zu sein. Wenn das der Fall ist, dann existiert das Universum nicht aufgrund einer Notwendigkeit seiner eigenen Natur; denn ein Universum, das aus einer völlig verschiedenen Ansammlung von Quarks zusammengesetzt ist, wäre nicht dasselbe Universum wie das unsere. Dies gilt, gleich ob wir uns das Universum als ein eigenständiges Objekt denken – wie ein Block aus Marmor nicht identisch ist mit einem anderen Block, der zwar dieselbe Gestalt hat, aber aus einem anderen Marmor ist –, oder als eine Ansammlung bzw. Formation – wie ein Schwarm Vögel nicht identisch ist mit einem anderen Schwarm, der aus verschiedenen Vögeln besteht –, oder eben als überhaupt nichts anderes außer den Quarks selbst. Da Quarks die fundamentalen Bausteine der materiellen Objekte sind, kann man von ihnen nicht, wie von makroskopischen Objekten, sagen, auch wenn sie kontingent seien, sei doch der Stoff, aus dem sie bestehen, notwendig; denn es gibt ja keinen weiteren Stoff außer ihnen. Ich denke, kein Atheist wird so verwegen sein anzunehmen, einige bestimmte Quarks, obwohl sie ähnlich seien wie gewöhnliche Quarks, besäßen die geheimnisvolle Eigenschaft, metaphysisch notwendig zu sein. Entweder alle oder keine. Niemand geht jedoch davon aus, dass jedes Quark aufgrund einer Notwendigkeit seiner eigenen Natur existiert. Daraus folgt, dass auch ein Universum, das aus solchen Quarks besteht, nicht aufgrund einer Notwendigkeit seiner eigenen Natur existiert. Man kann an dieser Stelle vielleicht anmerken, wie Bede Rundle dies auch tatsächlich getan hat (Rundle 2004), auch wenn nichts aufgrund einer Notwendigkeit seiner eigenen Natur existiere, sei es trotzdem notwendig, dass irgendetwas existiere. Rundle geht mit dem Theisten davon aus (wenn auch aus anderen Gründen), in weitem Sinne sei es logisch unmöglich, dass nichts existiere; aber die richtige Schlussfolgerung, die man aus dieser Tatsache ableiten könne, sei nicht, dass ein notwendiges Seiendes existiere, sondern dass, notwendigerweise, manches kontingente Seiendes existiere. Kurzum, Prämisse (1) ist demnach, aus Rundles Sicht, falsch. Alexander Pruss (Pruss 2005, 210) hat gezeigt, dass Rundles Auffassung eine äußerst unliebsame Konsequenz nach sich zieht. Es sei einleuchtend,
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dass keine Konjunktion von Behauptungen über die Nicht-Existenz verschiedener Dinge einschließe, dass etwa ein Einhorn existiert. Aber wie könne dann die Tatsache, dass einige Dinge nicht existieren, einschließen, dass einige andere Dinge doch tatsächlich existieren? Rundles Sicht zufolge schließe jedoch die Konjunktion „Es gibt keine Berge, es gibt keine Menschen, es gibt keine Planeten, es gibt keine Felsen, } [einschließlich alles, was kein Einhorn ist]“ ein, dass es ein Einhorn gebe! Denn wenn es notwendig sei, dass kontingentes Seiendes existiere, und wenn keines der anderen aufgezählten kontingenten Dinge existiere, dann sei das einzig übrig bleibende Ding ein Einhorn. Deshalb schließe eine Konjunktion über die Nicht-Existenz von bestimmten Dingen ein, dass ein Einhorn existiere – eine völlig unplausible Konsequenz. Darüber hinaus gibt es Rundles Auffassung zufolge nichts, was dafür sprechen würde, warum es kontingentes Seiendes in jeder möglichen Welt gibt. Da ja (für ihn) kein metaphysisch notwendiges Seiendes existiert, gibt es auch nichts, dass die Existenz von kontingentem Seienden in jeder möglichen Welt verursachen könnte, und es gibt auch keine Erklärung dafür, warum jede Welt kontingentes Seiendes enthält. Es gibt keinen strengen logischen Widerspruch im Begriff einer Welt ohne kontingentes Seiendes. Was spricht für die Tatsache, dass es in jeder möglichen Welt kontingentes Seiendes gibt? In Anbetracht der unzähligen logisch möglichen Welten sind die Chancen, dass in jeder von ihnen kontingentes Seiendes auf unerklärliche Weise zufällig vorkommt, unendlich klein. Daraus folgt, dass die Wahrscheinlichkeit von Rundles Hypothese faktisch gegen Null geht. Rundle kann diese Schwierigkeit auch nicht umgehen, indem er versichert, dass der Grund, warum kontingentes Seiendes existiere, darin liege, dass Materie notwendig existiert; denn keiner der fundamentalen Bausteine der Materie scheint aufgrund der Notwendigkeit seiner eigenen Natur zu existieren, so dass auch Materie selbst kontingent ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass Materie auf unerklärliche Weise rein zufällig in jeder möglichen Welt vorkommt, ist verschwindend gering. Die Prämissen dieses Leibniz’schen Arguments scheinen insofern plausibler zu sein als ihr Gegenteil. Daraus folgt logisch, dass die Erklärung, warum das Universum existiert, in Gott gefunden werden muss. Ein ‚kalam‘-Argument In Wirklichkeit ist die Auffassung von Hume und Russell noch unplausibler, als die bisherigen Ausführungen angedeutet haben. Denn indem Hume und Russell behaupten, das Universum existiere ohne Erklärung oder Ursache, setzen sie voraus, dass das Universum – in Humes Worten – „von Ewigkeit her“ existiert; das hieße, das Universum hat nie angefangen zu existieren. Wir werden es dem Naturalisten nicht leicht machen, wenn er
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unter der Voraussetzung einer anfangslosen und unaufhörlichen Existenz des Universums behauptet, es sei unerklärbar und kontingent. Wenn das Universum dagegen einen Anfang hat, dann scheint es undenkbar, dass es ohne Ursache aus dem Nichts entstanden ist. Auch kann man seine Existenz nicht als metaphysisch notwendig ansetzen; denn sonst würde es immer existiert haben. Wenn das Universum also einen Anfang hat, ist man genötigt, eine Erklärung für seine Existenz in einem überweltlichen Grund, der es erschaffen hat, zu finden. Diese Version des kosmologischen Arguments war der Kern einer intellektuellen Bewegung in der mittelalterlichen islamischen Theologie mit Namen kalam (was so viel wie „Wort“ bedeutet und im weiteren Sinne die Aussagen einiger theologischer Positionen bezeichnet). Das Interesse für diese Version des kosmologischen Arguments wurde in unserer Zeit wieder erweckt durch astronomische Entdeckungen, die im Mittelalter noch unbekannte empirische Belege für die zentrale Prämisse des Arguments liefern. Eine einfache Version des kosmologischen kalam-Arguments könnte so aussehen: (1) Alles, was zu existieren beginnt, hat eine Ursache. (2) Das Universum begann, zu existieren. (3) Deshalb hat das Universum eine Ursache. Die begriffliche Analyse dessen, was es bedeutet, eine Ursache für das Universum zu sein, kann helfen, einige der theologisch bedeutsamen Eigenschaften dieses (Ursache-)Seins festzuhalten. Prämisse (1) scheint offenkundig wahr zu sein – zumindest eher als ihre Verneinung. In unserer metaphysischen Intuition ist es tief verwurzelt, dass etwas nicht aus dem Nichts entstehen kann. Anzunehmen, dass Dinge einfach so aus dem Nichts in ihre unverursachte Existenz hineinplatzen, heißt, ernsthafte Metaphysik aufzugeben und Zuflucht zur Magie zu nehmen. Wenn außerdem Dinge wirklich unverursacht aus dem Nichts entstehen könnten, wird unerklärbar, warum einfach alles und jedes unverursacht aus dem Nichts entsteht. Und schließlich ist festzuhalten, dass die erste Prämisse fortwährend durch unsere Erfahrung bestätigt wird. Atheisten, die naturwissenschaftliche Naturalisten sind, sollten deshalb die stärksten Beweggründe haben, sie zu akzeptieren. Oft wird gesagt, dass die Quantenphysik eine Ausnahme für die Geltung von Prämisse (1) darstellt, insofern Ereignisse im subatomaren Bereich unverursacht sein sollen. Dieser Einwand beruht jedoch auf Missverständnissen. Zunächst einmal nehmen nicht alle Naturwissenschaftler an, dass subatomare Ereignisse unverursacht sind. Eine große Zahl der gegenwärtigen Physiker ist recht unzufrieden mit dieser Sichtweise der Quantenphysik (der so genannten Kopenhagener Deutung) und erforscht deterministische Theorien (wie die von David Bohm). Insofern stellt die Quantenphysik
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keine bewiesene Ausnahme zu Prämisse (1) dar. Zweitens, selbst in der traditionellen, indeterministischen Interpretation entstehen Teilchen nicht aus dem Nichts. Sie entstehen aus spontanen Fluktuationen der im Quantenvakuum enthaltenen Energie, wodurch eine indeterministische Ursache für ihre Entstehung aufgezeigt wird. Deshalb gibt es keine Grundlage für die Behauptung, die Quantenphysik weise nach, dass Dinge ohne eine Ursache entstehen könnten; ganz zu schweigen von der Behauptung, das Universum könnte ohne Ursache buchstäblich aus Nichts entstanden sein. Prämisse (2), die eher umstritten ist, kann sowohl durch deduktive philosophische Argumente als auch durch induktive wissenschaftliche Argumente bekräftigt werden. Erstes deduktives Argument Das erste Argument, das wir für Prämisse (2) betrachten werden, ist Argument (2.1), das auf der Unmöglichkeit der Existenz eines aktual Unendlichen beruht. Wir können das Argument wie folgt formulieren: (2.11) Ein aktual Unendliches kann es nicht geben. (2.12) Ein unendlicher zeitlicher Regress von Ereignissen ist ein aktual Unendliches. (2.13) Deshalb kann es keinen unendlichen zeitlichen Regress von Ereignissen geben. Da das Universum nicht verschieden ist von der zeitlichen Reihe vergangener Ereignisse, folgt, dass das Universum einen Beginn seiner Existenz haben muss. Betrachten wir Prämisse (2.11). Unter einem aktual Unendlichen versteht man jede Menge, die zu einem Zeitpunkt t eine Anzahl von bestimmten und diskreten Gliedern enthält, die größer ist als jede natürliche Zahl 0, 1, 2, 3, … Gewöhnlich wird der Einwand erhoben, dass (2.11) durch Georg Cantors Werk zum aktual Unendlichen und durch spätere Entwicklungen in der Mengenlehre widerlegt worden sei. Aber der ontologische Finitist [finitist] kann mit Recht antworten, dass dieser Einwand auf einem Fehlschluss beruht. Der Einwand geht nicht nur fehl, weil er die Bestreitung der Existenz eines aktual Unendlichen durch den mathematischen Intuitionismus nicht berücksichtigt; er richtet sich auch – und dies ist schwerwiegender – gegen nicht-platonische Auffassungen bezüglich der Ontologie von mathematischen Objekten. Beides sind getrennte Fragen. Die meisten NichtPlatoniker würden zwar nicht bis zum extremen Standpunkt des Intuitionismus gehen, der die mathematische Rechtmäßigkeit der Annahme eines aktual Unendlichen bestreitet; sie würden einfach darauf beharren, das Zugeständnis, dass bestimmten Entitäten eine mathematische Existenz
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zukommt, schließe nicht die ontologische Verpflichtung ein, dass diesen Objekten auch eine metaphysische Realität zukomme. Cantors System und die Mengenlehre könne man einfach als einen spezifischen Diskursbereich verstehen, ein mathematisches System, das auf der Annahme bestimmter Axiome und Grundsätze beruht. Für antirealistische Auffassungen über mathematische Objekte, wie etwa Balaguers Fiktionalismus (Balaguer 1998; 2001; 2004) oder Chiharas Konstruktivismus (Chihara 1990; 2004), gibt es überhaupt keine mathematischen Objekte, und schon gar nicht eine unendliche Anzahl von ihnen. Man kann also folgerichtig behaupten, dass das aktual Unendliche, auch wenn es innerhalb des angenommenen Diskursbereichs eine nützliche und konsistente Vorstellung sein mag, nicht auf die raumzeitliche Welt übertragen werden kann, da dies widersinnige Konsequenzen einschließen würde. Vielleicht ist der beste Weg, Prämisse (2.11) zu stützen, der Weg über Gedankenexperimente, wie das berühmte „Hilbert-Hotel“, eine Idee des großen deutschen Mathematikers David Hilbert. Es zeigt die verschiedenen Widersinnigkeiten [absurdities] auf, die entstünden, wenn ein aktual Unendliches wirklich vorkäme in der realen Welt (Gamow 1946, 17). Die Widersinnigkeit in diesem Fall ist nicht allein praktisch oder physikalisch; es scheint ontologisch widersinnig zu sein, dass es ein Hotel gibt, das völlig belegt ist und trotzdem unermessliche Unendlichkeiten von Gästen unterbringen kann, nur indem Menschen in den Hotelzimmern verschoben werden. Verschärfend kommt hinzu: Wenn ein solches Hotel wirklich existierte, dann führte dies zu Situationen, in denen die transfinite Arithmetik nicht länger gelten würde und insofern logische Widersprüche entstünden. Während in der transfiniten Arithmetik die Umkehroperationen der Subtraktion und der Division unendlicher Mengen von unendlichen bzw. durch unendliche Mengen nicht erlaubt sind, könnten sie bei einem wirklichen Hotel, das mit wirklichen Gästen belegt ist, auftreten. In diesen Fällen endet man in logisch unmöglichen Situationen, indem man etwa identische Mengen von identischen Mengen subtrahiert und nichtidentische Differenzwerte dabei erhält. Howard Sobel (Sobel 2004, 186f.) bemerkt, dass in diesen Fällen zwei „scheinbar unbedenkliche“ Prinzipien in Konflikt geraten, und zwar: (i) In einer Menge M sind nicht mehr Objekte als in einer Menge M’, wenn es eine eindeutige Abbildung ihrer Glieder gibt. (ii) In einer Menge M sind mehr Objekte als in M’, wenn M’ eine Teilmenge von M ist. Beide Prinzipien zusammen sind nicht vereinbar mit: (iii) Eine aktual unendliche Menge existiert.
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Für Sobel ist die zu treffende Entscheidung klar: „Die Entscheidung, die wir von Cantor her getroffen haben, heißt, an (i) festzuhalten und die Bedingung der echten Teilmenge [submultiplicitiy] für endliche Mengen [multiplicity] zu beschränken. Auf diese Weise kann es vergleichbare unendliche Mengen ‚geben‘.“ Aber die von Cantor her getroffene Entscheidung, die Sobel anführt, ist eine Entscheidung auf der Seite der mathematischen Gemeinschaft, die den Intuitionismus ablehnt und die unendliche Mengenlehre vorzieht. Der mathematische Intuitionismus (der allein das potenziell Unendliche zulässt) würde die Mathematik allzu sehr einschränken, um für die meisten Mathematiker akzeptabel zu sein. Aber diese Entscheidung macht, wie angedeutet, keine metaphysischen Folgerungen gültig. Um die Unvereinbarkeit zwischen (i), (ii) und (iii) zu beseitigen, will der Metaphysiker wissen, warum gerade (ii) aufgegeben (oder eingeschränkt) werden soll. Warum nicht stattdessen Prämisse (i), eine bloße mengentheoretische Übereinkunft, zurückweisen, oder zumindest auf endliche Mengen einschränken? Aber wichtiger noch, warum nicht (iii) zurückweisen anstelle der anscheinend unbedenklichen (i) und (ii)? Es fehlt (iii) in der Tat die Unbedenklichkeit der beiden ersten Prinzipien. Wenn wir (iii) aufgäben, würde uns dies ermöglichen, (i) und (ii) zu bejahen. Es kann vergleichbare unendliche Mengen innerhalb der Mathematik ‚geben‘, ohne dass wir sie auch in unserer Ontologie anerkennen müssten. In Bezug auf die widersinnigen Konsequenzen, die sich ontologisch durch die Existenz von aktual unendlichen Mengen ergäben, ist es besser, darauf ganz zu verzichten. Sobel braucht insofern irgendein Argument für die Falschheit von (ii). Es reicht nicht aus, allein herauszustellen, dass, wenn (i) und (iii) wahr sind, (ii) falsch ist; denn das heißt einfach nur, zu wiederholen, dass die drei Prinzipien unvereinbar sind. Der Gegner von (iii) kann einwenden: Wenn (iii) wahr wäre, dann wäre auch (i) wahr in Bezug auf eine solche Menge, wie Sobel annimmt; und wenn (i) und (iii) wahr wären, dann würden sich die verschiedenen logisch widersinnigen Situationen ergeben. Deshalb gilt: Wenn (iii) wahr wäre, würden sich diese verschiedenen logisch widersinnigen Situationen ergeben. Aber weil diese widersinnigen Situationen tatsächlich ausgeschlossen sind, folgt, dass (iii) möglicherweise nicht wahr ist. Um diese Argumentation zu widerlegen, muss man mehr tun, als bloß darauf hinzuweisen, dass (ii) falsch ist, wenn (i) und (iii) wahr wären; denn das heißt nicht mehr als bloß zu wiederholen, dass, wenn ein aktual Unendliches existierte und das Prinzip der eindeutigen Abbildung [vgl. (i)] gültig wäre in Bezug auf es, die entsprechenden Umstände entstehen würden – denn das ist nicht strittig. Die Wahrheit von (2.12) scheint offenkundig. Daraus folgt, dass die Reihe von vergangenen Ereignissen endlich sein und einen Anfang haben muss.
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Zweites deduktives Argument Das zweite philosophische Argument, das wir zur Unterstützung von Prämisse (2) betrachten können, ist das Argument (2.2). Es gründet auf der Unmöglichkeit der Bildung eines aktual Unendlichen durch sukzessive Addition.2 Wir können das Argument wie folgt formulieren: (2.21) Die zeitliche Reihe von Ereignissen ist eine Ansammlung, die durch sukzessive Addition gebildet wird. (2.22) Eine durch sukzessive Addition gebildete Ansammlung kann kein aktual Unendliches sein. (2.23) Deshalb kann die zeitliche Reihe von Ereignissen kein aktual Unendliches sein. Da die zeitliche Reihe von Ereignissen nicht verschieden vom Universum ist, folgt, dass das Universum einen Anfang hat. Es mag den Anschein haben, dass (2.21) völlig offensichtlich ist; jedoch setzt es die Wahrheit einer temporalen Theorie der Zeit [tensed theory of time] voraus.3 Aber indem Verteidiger einer nicht-temporalen Theorie der Zeit [tenseless theory of time] die Wirklichkeit eines zeitlichen Werdens bestreiten, bestreiten sie auch, dass die vergangene Reihe von Ereignissen durch sukzessive Addition gebildet wurde. Allerdings gibt es gute Gründe für die Annahme, dass die nicht-temporale Theorie der Zeit falsch ist und dass es zeitliches Werden wirklich gibt (Craig 2000a; 2000b; 2001). Die zentrale Prämisse ist dann (2.22). Manchmal wird ihre These als Unmöglichkeit, das Unendliche zu durchlaufen, bezeichnet. Damit wir im Heute „ankommen“, muss die zeitliche Existenz sozusagen eine unendliche Zahl von früheren Ereignissen durchlaufen haben. Aber bevor das gegenwärtige Ereignis geschehen konnte, musste das ihm unmittelbar vorausgehende Ereignis geschehen sein; und bevor dieses Ereignis geschehen 2
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Anm. des Übersetzers: Unter „successive addition“ versteht Craig „das Hinzukommen eines (neuen) Elements zu einem späteren Zeitpunkt. Die Zeitlichkeit des Prozesses des Hinzukommens ist hier entscheidend“ (Craig 2011b, 34). Anm. des Übersetzers: Die Begriffe „tensed theory of time“ und „tenseless theory of time“ können nicht wörtlich übersetzt werden. Das Adjektiv „tensed“ bezieht sich – über den Begriff tense (Tempus, Zeitform) – auf die drei grammatischen Zeitstufen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. „Tenseless“ ist eine Theorie der Zeit, die diesen Bezug auf die Zeitstufen nicht einschließt und sich allein auf die Unterscheidung earlier than, simultaneous with, later than bezieht (vgl. zu dieser Unterscheidung auch CRAIG 2011b, 40-46). Craig bezieht sich mit dieser Unterscheidung auf eine klassische Differenzierung in der Philosophie der Zeit von John M. E. McTaggart, der in seinem Aufsatz The Unreality of Time (MCTAGGART 1908) zwischen zwei Auffassungen der Zeit unterscheidet: der „A-Series“ („A-Reihe“) und der „B-Series“ („B-Reihe“), wobei die A-Reihe bei Craig der „tensed theory of time“ und die B-Reihe der „tenseless theory of time“ entspricht (vgl. Craig 2000a, 3-4).
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konnte, musste das ihm unmittelbar vorausgehende Ereignis geschehen sein; und so weiter ad infinitum. Kein Ereignis könnte jemals geschehen, wenn nicht vor ihm immer ein weiteres Ereignis verstreichen konnte, das zuerst geschehen sein musste. Wenn also die Reihe vergangener Ereignisse ohne Anfang wäre, könnte das gegenwärtige Ereignis nicht geschehen sein, was widersinnig wäre. Es wird häufig der Einwand erhoben, dass diese Art von Argumentation unerlaubterweise einen unendlich weit entfernten Anfangspunkt in der Vergangenheit voraussetze und anschließend als unmöglich ausgebe, dass man von diesem Punkt ins Heute fortschreiten könne; tatsächlich gebe es jedoch von jedem beliebigen Punkt in der Vergangenheit nur eine endliche Distanz zur Gegenwart, die leicht durchschritten werden könne (Mackie 1982, 93; Sobel 2004, 182). Allerdings haben Verteidiger der oben aufgezeigten Argumentation in Wirklichkeit gar nicht angenommen, dass es einen unendlichen entfernten Anfangspunkt in der Vergangenheit gibt. Eine Distanz zu durchlaufen bedeutet, jeden einzelnen Teil von ihr zu durchlaufen. Von daher schließt das Durchlaufen nicht ein, dass die durchlaufene Distanz einen Anfangs- oder Endpunkt oder einen ersten oder letzten Teil hat. Der Sachverhalt, dass es überhaupt keinen Anfang geben soll, nicht einmal einen unendlich entfernten, scheint das Problem jedoch nur zu verschärfen, nicht zu verbessern. Zu behaupten, dass die unendliche Vergangenheit durch sukzessive Addition entstanden sein könnte, ist, als ob man sagen würde, dass jemand es gerade geschafft habe, alle negativen Zahlen (kleiner als Null) aufzuschreiben und bei -1 zu enden. Und Verteidiger der (oben aufgezeigten) Argumentation können fragen, inwiefern der Einwand, dass es von jedem gegebenen Punkt in der Vergangenheit nur eine endliche Distanz zur Gegenwart gebe, überhaupt von Bedeutung für das Problem ist. Denn die eigentliche Frage lautet, wie die ganze Reihe gebildet werden kann, und nicht nur ein endlicher Teil von ihr. Es hieße einen Trugschluss der Komposition [fallacy of composition] zu begehen, wenn man annähme, weil jeder endliche Abschnitt der Reihe durch sukzessive Addition gebildet sein kann, müsse das auch für die ganze unendliche Reihe gelten. Setzt man die Wahrheit der Prämissen voraus, folgt, dass die zeitliche Reihe vergangener physikalischer Ereignisse nicht unendlich ist und das Universum einen Anfang hat. Erstes induktives Argument Ein drittes Argument für (2) ist induktiv und beruht auf Nachweisen [evidence] für die Expansion des Universums. Das Big-Bang Modell beschreibt nicht die Expansion der materiellen Bestandteile des Universums in einen schon vorher bestehenden leeren Raum, sondern die Expansion des Raumes selbst. Wenn man die Zeit zurückverfolgt, wird die Krümmung der Raum-
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zeit zunehmend größer, bis man zu einer Anfangssingularität kommt, an der diese Krümmung unendlich groß wird. Sie bildet deshalb so etwas wie einen Rand oder eine Grenze der Raumzeit. Die Kosmologie des 20. Jahrhunderts hat eine lange Folge von fehlgeschlagenen Versuchen erlebt, überzeugende Modelle für das expandierende Universum zu entwickeln, die ohne den von der Standardtheorie berechneten absoluten Anfang auskommen. Auch wenn solche Theorien zwar möglich sind, so ist es das weit überwiegende Urteil der scientific community, dass keine von ihnen wahrscheinlicher ist als die Big Bang Theorie (Craig 2011a). Es gibt kein mathematisch konsistentes Modell, das in seiner Voraussagekraft oder aufgrund seiner Bekräftigung durch wissenschaftliche Nachweise so überzeugend ist wie die traditionelle Big-Bang Theorie. Andere Theorien, wie zum Beispiel die des oszillierenden Universums oder der chaotischen Inflation des Universums, zeigen zwar eine möglicherweise unendliche Zukunft, aber nur eine endliche Vergangenheit auf. Theorien der Entstehung des Universums aus Vakuumfluktuation können nicht erklären, warum wir, wenn das Vakuum ewig ist, kein unendlich altes Universum beobachten. Dieselbe Schwierigkeit kommt so genannten PreBig Bang Theorien zu. Das „No-Boundary Universe Proposal“ von James Hartle und Stephen Hawking geht noch von einem absoluten Anfang des Universums in der endlichen Vergangenheit aus, wenn auch das Universum nicht in einer Anfangssingularität beginnt, wie in der herkömmlichen BigBang Theorie. Die in letzter Zeit vorgeschlagenen Vorstellungen eines ekpyrotischen Universums auf der Grundlage der Stringtheorie oder der MTheorie, die mit zahlreichen Problemen behaftet sind, haben auf einen echten Anfang des Universums, den die Befürworter dieser Theorie gerade zu vermeiden suchten, schließen lassen. Es steht außer Zweifel, dass sich derjenige, der die Wahrheit von Prämisse (2) behauptet, in einer komfortablen Position im wissenschaftlichen Mainstream befindet. Zweites induktives Argument Ein viertes Argument für (2) ist auch induktiv und greift zurück auf die thermodynamischen Eigenschaften des Universums. Gemäß dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik tendieren Prozesse, die in abgeschlossenen Systemen stattfinden, zu einem Zustand höherer Entropie, wenn ihre Energie verbraucht ist. Schon im neunzehnten Jahrhundert erkannten Naturwissenschaftler, dass die Anwendung dieses Satzes auf das Universum als Ganzes eine düstere eschatologische Folgerung einschließt: Nach einer bestimmten Zeit würde das Universum schließlich zu dem Zustand eines thermischen Gleichgewichts kommen und einen Wärmetod erleiden. Aber diese Voraussage hat eine tiefere Frage aufgeworfen: Wenn das Universum nach einer bestimmten Zeitspanne einen Wärmetod erleidet, warum ist es
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dann, wenn es denn ewig existiert, nicht bereits jetzt in einem Zustand des Wärmetods? Das Aufkommen der Relativitätstheorie änderte zwar die Konturen dieses eschatologischen Szenarios, beeinflusste jedoch nicht wesentlich diese grundlegende Frage. Astrophysische Nachweise zeigen eindeutig, dass das Universum unaufhörlich expandiert. Und indem dies geschieht, wird es zunehmend kalt, dunkel, verdünnt und leblos. Zuletzt wird die gesamte Masse des Universums nichts anderes sein als ein kaltes, dünnes Gas aus Elementarpartikelchen und Strahlung, das sich immer weiter verdünnt, indem es in eine endlose Dunkelheit expandiert – ein Universum aus Überresten. Neueste Beobachtungen liefern überzeugende Nachweise, dass es tatsächlich eine positive kosmologische Konstante gibt, die bewirkt, dass die kosmische Expansion sich eher beschleunigt als verlangsamt. Paradox dabei ist: Solange das Raumzeitvolumen exponentiell steigt und dabei immer weitere Produktion von Entropie ermöglicht, entwickelt sich das Universum mit der Zeit immer weiter fort von einem thermodynamischen Gleichgewicht. Aber diese Beschleunigung treibt nur den Zerfall des Universums in zunehmend isolierte Felder [patches] fort, die nicht länger kausal verbunden sind mit den zurückgebliebenen Überresten des expandierenden Universums. Diese jüngsten Beobachtungen haben das traditionelle Problem sogar noch verschärft. Dyson, Kleban und Susskind (Dyson u.a. 2002) haben den Fokus ihrer Forschung auf das kausal zusammenhängende Feld unseres Universums beschränkt und gehen von Henri Poincarés „Wiederkehrsatz“ aus, dass in einem geschlossenen Behältnis mit willkürlich sich bewegenden Teilchen jede Konfiguration dieser Teilchen – ganz gleich, wie unwahrscheinlich das anmutet – nach einer bestimmten Zeit wiederkehrt. Vor diesem Hintergrund argumentieren Dyson, Kleban und Susskind für die Unvermeidbarkeit der poincaréschen Wiederkehr in der Kosmologie, die es möglich macht, dass der kosmogonische Prozess im Feld unserer Kausalordnung [causal patch] erneut beginnt. „Die Frage ist dann, ob das Universum eine von sich her auftretende Fluktuation ist, oder ob es aufgrund einer von außen wirkenden Kraft [external agent] existiert, die das System in einem besonderen Zustand geringer Entropie von Anfang an in Gang bringt“ (Dyson u.a. 2002, 3). Dyson, Kleban und Susskind sehen den zentralen Schwachpunkt der Fluktuations-Hypothese darin, dass es „viel wahrscheinlichere Wege gibt, Leben ermöglichende (für das menschliche Leben geeignete) Umweltbedingungen zu schaffen“ als solche, die in einem Zustand geringer Entropie beginnen. Deshalb ist die Fluktuations-Hypothese unwahrscheinlich und nicht akzeptierbar. Dyson, Kleban und Susskind räumen ein: „Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass eine unbekannte Kraft in die Evolution eingegriffen hat und, aus uns nicht zugänglichen Gründen, die das Universum kennzeichnende kosmologische Inflation in
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einem Stadium geringer Entropie wieder in Gang gebracht hat. Wie auch immer, selbst diese Möglichkeit befreit die Theorie nicht von der lästigen poincaréschen Wiederkehr. Allein das erste Ereignis [des Universums als einer natürlich auftretenden Fluktuation] würde in einer Weise entstehen, die mit den herkömmlichen Erwartungen vereinbar wäre“ (Dyson u.a. 2002, 20f.). Aber mit dieser Interpretation haben Dyson, Kleban und Susskind die Hypothese missverstanden. Die Hypothese drehte sich nicht um eine von außen wirkende Kraft, die das Universum „erneut in Gang gebracht hat“, sondern um „eine von außen wirkende Kraft, die das System in einem besonderen Zustand geringer Entropie von Anfang an in Gang bringt.“ Auf der Grundlage dieser Hypothese „hat irgendeine unbekannte Kraft am Anfang die kosmologische Inflation so hoch wie möglich in Gang gebracht, und der Rest ist Geschichte“ (Dyson u.a. 2002, 1). Mit der so verstandenen Hypothese würden die Probleme der poincaré’schen Wiederkehr gar nicht erst entstehen. Dem entgegen tendieren Dyson, Kleban und Susskind am Ende zur Vermutung: „Vielleicht ist die einzig vernünftige Folgerung, dass wir nicht in einer Welt mit einer wahrheitsgemäßen [true] kosmologischen Konstante leben“ (Dyson u.a. 2002, 21), eine extreme Hypothese, die den wissenschaftlichen Befunden völlig widerspricht. Folglich bleibt die zugespitzte Frage, die von der klassischen Physik aufgeworfen wird: Wenn das Universum in einer endlichen Zeitspanne einen kalten, dunklen, verdünnten und leblosen Zustand erreicht haben wird, warum ist es dann, wenn es seit einer unendlichen Zeitspanne existiert, nicht schon jetzt in einem solchen Zustand? Wenn man die Folgerung vermeiden will, dass das Universum in Wirklichkeit nicht ewig existiert, dann muss man eine naturwissenschaftlich überzeugende Strategie finden, die Befunde der physikalischen Kosmologie aufzuheben, um es denkmöglich zu machen, dass das Universum zu seinem frühen Zustand zurückkehrt. Aber es ist kein realistisches und überzeugendes Szenario dafür zu erwarten (Craig 2011a). Die meisten Kosmologen gehen mit dem Physiker Paul Davies davon aus, dass wir – ob wir es mögen oder nicht – zur Folgerung genötigt zu sein scheinen, dass die Bedingung der geringen Entropie für das Universum einfach „eingegeben“ worden ist als eine Anfangsbedingung zum Zeitpunkt der Schöpfung (Davies 1974, 104; Penrose 1981, 249; 1982, 4f.). Insofern haben wir gute philosophische und wissenschaftliche Gründe, um die zweite Prämisse des kalam-kosmologischen Arguments zu bejahen. Daraus folgt logisch, dass das Universum eine Ursache hat. Eine begriffliche Analyse darüber, welche Eigenschaften eine solche überweltliche Ursache haben muss, macht es möglich, eine bemerkenswerte Anzahl der traditionellen göttlichen Attribute wiederzufinden. Wenn das Universum
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also eine Ursache hat, dann zeigt dies, dass es einen unverursachten, personalen Schöpfer des Universums gibt, der ohne das Universum anfangslos, unveränderlich, immateriell, zeitlos, ohne Raum und ungeheuer mächtig ist (Craig 2006).
Fazit Das Leibniz’sche und das kalam-Argument sind überzeugende, sich gegenseitig ergänzende Argumente, die die Annahme verständlich machen, dass die Antwort auf das Geheimnis des Universums in einem unverursachten, metaphysisch notwendigen, personalen Schöpfer des Universums zu finden ist, der ohne das Universum anfangslos, unveränderlich, immateriell, zeitlos, ohne Raum und ungeheuer mächtig ist, und das Universum vor einer endlichen Zeitspanne geschaffen hat.
Robin Collins: Teleological Argument, in: Paul Copan / Paul K. Moser (Hg.): The Rationality of Theism, New York 2003, 132-148. © Routledge, New York
ROBIN COLLINS
Das teleologische Argument Einführung und geschichtlicher Hintergrund In diesem Aufsatz1 will ich für die These plädieren, dass die Entdeckungen in der Physik und in der Kosmologie im Zusammenspiel mit den Entwicklungen in der Philosophie, insbesondere in der Logik des Schließens, das traditionelle teleologische Argument, auch Design-Argument genannt, in entscheidender Weise gestärkt hat. Die Erkenntnisse aus Physik und Kosmologie bieten uns gewichtige, gut formulierte Gründe für den Glauben an den Theismus. Das Design-Argument hat eine lange Geschichte. Es dürfte das meistgebrauchte Argument für den Glauben an eine Gottheit sein. Vor dem achtzehnten Jahrhundert beriefen sich Design-Argumente auf die Idee eines geordneten oder zielgerichteten Universums. Im alten Indien zum Beispiel näherte sich die logisch-atomistische sogenannte Nyāya-Schule (100-1000 n.Chr.) dem Design-Argument, indem sie auf die Existenz der Gottheit aus der Ordnung der Welt schlossen, die sie mit menschlichen Artefakten und dem menschlichen Körper verglichen. 2 Im Westen lässt sich das DesignArgument bis zu Heraklit zurückverfolgen, der die Ordnung im Universum durch die Hypothese erklären wollte, dass das Universum von einem intelligenten Prinzip oder einer Vernunft gesteuert wird. Ähnliche Argumente trugen Platon, Aristoteles und die Stoiker vor. Diese Art von Argument wurde durch Thomas von Aquin in seinem berühmten Fünften Weg weiter 1
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Eine vollständige Ausarbeitung des Arguments aus der Feinabstimmung soll zusammen mit dem verwandten Design-Argument in einem Buch mit dem Titel The WellTempered Universe: God, Fine-tuning, and the Laws of Nature erscheinen. Einige Teile dieses Essays lehnen sich an frühere Artikel und Bücher an: Collins 1999; Collins 2001; Collins 2002; Collins 2003. Die Arbeit an diesem Thema wurde durch ein Jahresstipendium der Pew Foundation und ein Stipendium des Messiah College ermöglicht. Smart 1964, 153f.
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ausgebaut. Nach Thomas scheint die Natur auf einen Zweck ausgerichtet zu sein, ohne über das Wissen der Selbststeuerung zu verfügen. „Es muss also“, so der Aquinate, „ein geistig erkennendes Wesen geben, von dem alle Naturdinge auf ihr Ziel hingeordnet werden: und dieses Wesen nennen alle Gott“ (Thomas von Aquin 1988, I 2,3). Aus der Perspektive unseres modernen wissenschaftlichen Verständnisses der Welt besteht ein wesentliches Problem des thomistischen Arguments in der Unklarheit, auf welche Weise die Natur auf ein „Ziel hingeordnet“ ist – außer dass sie einfach geordnet erscheint. Ganz allgemein haben diese Versionen des teleologischen Arguments, die sich einfach auf die Ordnung des Universums berufen, seit dem Beginn der naturwissenschaftlichen Revolution an Kraft eingebüßt, je mehr sich Philosophen und Wissenschaftler damit begnügten, die Naturgesetze als hinreichende Erklärung der geordneten Abläufe des Universums zu verstehen – selbst dann, wenn sie sich für die Erklärung der Existenz dieser Gesetze immer noch auf Gott beriefen. Die Version des Design-Arguments, die einspringen sollte, beruhte auf der verschachtelten Ordnung der vielen natürlichen Systeme, die auf ein Ziel hinweisen, nicht mehr nur auf der bloßen Regelmäßigkeit einiger Aspekte der Welt. In William Paleys berühmter Darstellung des Design-Arguments wird die verschachtelte Organisation der Organe des Körpers – wie zum Beispiel der des Auges – mit der verschachtelten Ordnung der Bestandteile einer Uhr verglichen, die den offensichtlichen Zweck der Zeitansage hat. Wenn man einen solchen Gegenstand in einer Heide oder irgendwo anders fände, so argumentiert Paley, würde man ihm einem intelligenten Hersteller zuordnen. Das gleiche gelte für die verschachtelte Struktur von Pflanzen und Lebewesen. Skeptische Philosophen wie David Hume haben darauf verwiesen, dass eine bedeutende Disanalogie zwischen dem Universum der Pflanzen und Lebewesen auf der einen Seite und dem Fall der Uhr auf der anderen Seite besteht, die das Argument unterminiert: Dass Uhren von denkenden Wesen hergestellt werden, wissen wir aus Erfahrung. Wir haben aber nicht die Erfahrung gemacht, dass Lebewesen oder Universen von denkenden Wesen geschaffen werden. Viele sind jedoch der Ansicht, dass der entscheidende Schlag gegen Paleys Argument aus einer anderen Richtung kam, nämlich von Darwins Evolutionstheorie. Vor Darwin standen Atheisten vor dem Problem, eine alternative Erklärung für die außerordentlich komplexen und wohlgeordneten biologischen Systeme im Pflanzen- und Tierreich anbieten zu müssen. Es war möglich, philosophische Zweifel an der Gültigkeit des Schlusses auf ein Design zu säen, wie es Hume vorgemacht hatte. Aber ohne eine alternative Erklärung drängte sich der Eindruck eines Designs immer wieder unvermeidlich auf. Seit Darwin brauchte sich niemand mehr auf eine transzendente Intelligenz berufen, die für das scheinbare Design der Pflanzen und Tiere verantwortlich war. Man konnte sich nun einfach an den „blinden
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Uhrmacher“ der Evolution halten – um einen Ausdruck Richard Dawkins zu gebrauchen –, der mit Zufall und natürlicher Auslese arbeitete. In seiner Natural Theology (Paley 1852) trug Paley jedoch noch eine andere Version des Design-Arguments vor, die nicht vom Einwand der Evolutionstheorie betroffen ist. Dieses Argument beruft sich darauf, dass Leben nur dann existieren kann, wenn die Naturgesetze und die physische Umwelt der Erde ebenfalls eines besonderen Designs bedürfen. Dieser Teil von Paleys Argument galt niemals als besonders stark, was zum Teil daran lag, dass ihm detaillierte physikalische und astrophysikalische Kenntnisse nicht zur Verfügung standen. In der Gegenwart wurde diese Version des Arguments immer überzeugender. Die Wissenschaftler erkennen immer mehr, dass die Ausgangsbedingungen des Universums und die Grundkonstanten der Physik haarscharf ausbalanciert werden müssen, damit intelligentes Leben entstehen kann. Diese Tatsache wird in der Literatur als „Feinabstimmung“ [fine-tuning] des Kosmos als Voraussetzung für (intelligentes) Leben bezeichnet. Berechnungen zeigen, dass die Evolution von komplexen körperlichen Lebensformen, die sich durch eine mit der unseren vergleichbaren Intelligenz auszeichnen, äußerst erschwert, wenn nicht unmöglich würde, wenn die Konstanten der Physik, wie etwa jene, die die Gravitation regelt, etwas anders wären. Diese Berechnungen brachten ein wichtiges quantitatives Element in das Design-Argument ein: Statt sich einfach auf einen qualitativen Eindruck einer verschachtelten Hinordnung der Natur auf einen Zweck zu berufen, wie im Fünften Weg bei Thomas von Aquin, lässt sich diesen qualitativen Eindrücken nun ein harter numerischer Inhalt zuordnen. Wegen dieser neuen quantitativen Daten und den Entwicklungen in der Logik des Schließens im zwanzigsten Jahrhundert kann das Design-Argument in eine viel strengere Form gebracht werden als in der Vergangenheit, wie ich im Folgenden zeigen werde. Wir werden mit einem Blick auf die Gründe beginnen, die für die Feinabstimmung des Kosmos’ sprechen, die intelligentes Leben ermöglicht.
Die Argumente für die Feinabstimmung Es lassen sich viele Beispiele für die Feinabstimmung geben, die intelligentes Leben möglich macht. Einige will ich hier kurz nennen. 3 Eine besonders wichtige Kategorie der Feinabstimmung ergibt sich aus den Konstanten der 3
Für eine aktuelle Analyse der Gründe für die Feinabstimmung einschließlich einer genauen physikalischen Analyse der m.E. sechs stärksten Fälle vgl. meinen Artikel Collins 2003. Eine detaillierte Abhandlung der unten erwähnten Fälle von Feinabstimmung findet sich in diesem Kapitel zusammen mit weiteren Literaturangaben. Nützliche Literatur zum Thema ist zudem: Barrow/Tipler 1986; Davies 1982; Leslie 1989; Carr/Rees 1979; Rees 2000.
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Physik. Die Konstanten der Physik sind eine Menge fundamentaler Zahlen, die die Grundstrukturen des Universums bestimmen, wenn man sie in die physikalischen Gesetze einbringt. Ein Beispiel für eine solche Konstante ist die Gravitationskonstante G, die Teil von Newtons Gravitationsgesetz ist: F = GM1 M 2/r 2 . G bestimmt die Stärke der Gravitation zwischen zwei Massen. Wenn man den Wert von G zum Beispiel verdoppelt, dann würde auch die Gravitationskraft zwischen zwei Massen verdoppelt. Bisher haben die Physiker vier Kräfte in der Natur entdeckt: die Gravitation, die schwache Wechselwirkung, der Elektromagnetismus und die starke Wechselwirkung, die Protonen und Neutronen im Atom zusammenbindet. Wie Messungen in einer bestimmten Menge von dimensionslosen Standardeinheiten zeigen (Barrow/Tipler 1986, 292-295), ist die Gravitation die schwächste dieser Kräfte und die starke Wechselwirkung die stärkste. Sie überragt die Gravitation um einen Faktor von 1040 – oder Zehntausend Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden. Verschiedene Berechnungen zeigen, dass die Stärke jeder Naturkraft in einen sehr eng bemessenen Bereich fallen muss, um Leben und Intelligenz zuzulassen. Das sei hier am Beispiel der Gravitation erläutert. Verglichen mit dem Gesamtbereich der Kräfte muss die Stärke der Gravitation in einem sehr begrenzten Bereich liegen, um komplexes Leben zu ermöglichen. Wenn wir die Gravitationsstärke um das Milliardenfache erhöhten, würde die Gravitationskraft auf einem Planten mit der Masse und Größe der Erde alle Organismen von der Größe eines Menschen, egal ob an Land oder im Wasser, zerdrücken. (Die Stärke von Materialien hängt von der elektromagnetischen Kraft über die Feinstrukturkonstante ab, die nicht von einer Veränderung der Gravitationsstärke betroffen wäre.) Selbst ein viel kleinerer Planet mit 12m Durchmesser, der nicht groß genug wäre, um Organismen unserer Größe zu beherbergen, würde eine Anziehungskraft ausüben, die tausendmal größer als die der Erde ist. Sie wäre damit immer noch zu stark, um einem Organismus mit einem Gehirn unserer Größe und damit von unserer Intelligenz die Existenz zu ermöglichen. Der Astrophysiker Martin Rees stellt fest: „In einer imaginären Welt mit großer Gravitationskraft würden sogar Insekten dickere Beine benötigen und kein Lebewesen könnte größer als sie werden“ (Rees 200, 30). Andere Berechnungen machen deutlich, dass eine Vergrößerung der Gravitationskraft um den Faktor 3000 die Begrenzung der Lebenszeit eines Sterns auf eine Milliarde Jahre zur Folge hätte. Damit wäre die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung intelligenter Lebewesen massiv reduziert. 4 Natürlich ist eine dreitausendfache Erhöhung der Gravitation beträchtlich. Vergleicht man sie aber mit dem Gesamtbereich der Stärke der Naturkräfte, die wie erwähnt einen Bereich von 1040 umspannt, handelt es sich doch um einen kleinen Teil von einer Millarde Milliarde Milliarde Milliarde. 4
Für die genaue Berechnung vgl. Collins 2003.
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Auch wenn die starke Wechselwirkung sich leicht nach oben oder unten bewegte, wäre die Existenz von komplexem Leben ernsthaft behindert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht. Heinz Oberhummer zeigt zum Beispiel anhand der neuesten Gleichungen und Modelle für die Evolution der Sterne und der Nukleosynthese, dass ein kleiner Anstieg oder Abstieg der starken Wechselwirkung schon bei 1% die Menge des Kohlen- und Sauerstoffs, die sich in den Sternen bildet, um das dreißig- bis hundertfache abnehmen lässt (Oberhummer u.a. 2000, 88). Da der Kohlen- und Sauerstoff auf den Planeten entweder von früheren Sternen stammt, die explodiert sind, oder von der Sternenoberfläche ins Weltall geschleudert wurde, hätte das zur Folge, dass nur wenig Sauerstoff für die Existenz von Lebewesen auf Kohlenstoffbasis zur Verfügung stünde. Das hätte zumindest einen das Leben behindernden Effekt gehabt, wenn wir uns die wichtigen und unersetzlichen Funktionen vor Augen halten, die Kohlen- und Sauerstoff im Prozess des Lebens spielen (Denton 1998, 19-47, 117-140). Es lassen sich noch andere Fälle der Feinabstimmung der physikalischen Konstanten neben der Gravitation und der starken Wechselwirkung beobachten. Unter Physikern und Kosmologen wird am intensivsten – und esoterischsten – die Feinabstimmung der sogenannten kosmologischen Konstante diskutiert, die die Ausdehnung des Universums beeinflusst. Wenn die kosmologische Konstante nicht auf einen 1053 oder 10120 Teil ihres natürlichen Werteumfangs beschränkt wäre, würde das Universum so schnell expandieren, dass sich die ganze Materie schnell verteilte und sich Galaxien, Sterne und selbst kleine Aggregate nicht bilden könnten. 5 Nicht nur bei den physikalischen Konstanten gibt es eine Feinabstimmung, sondern auch bei den Naturgesetzen. Gäbe es keine passgenauen Gesetze, wäre Leben wahrscheinlich unmöglich. Das zeigt ein weiterer Blick auf die vier Naturkräfte. Wenn die Gravitation nicht existierte, würden die Massen nicht zusammenklumpen, die die Sterne und Planeten bilden; wenn die elektromagnetische Kraft nicht existierte, gäbe es keine Chemie; wenn die starke Wechselwirkung nicht aufträte, könnten sich Protonen und Neutronen nicht miteinander verbinden, so dass keine Atome mit Ordnungszahlen existierten, die größer als die von Sauerstoff sind; wenn schließlich die starke Wechselwirkung über große Strecken wie die Gravitation oder der Elektromagnetismus wirken könnte und nicht auf die Interaktion zwischen Protonen und Neutronen im Atomkern beschränkt wäre, würde die gesamte Materie beinahe augenblicklich eine Kernfusion vollziehen und explodieren oder zu einem schwarzen Loch zusammengezogen werden. Jeder dieser Folgen würde die Existenz von komplexem, intelligentem Leben schwerwiegend beeinträchtigen, wenn nicht gar unmöglich machen. 5
Die Feinabstimmung der kosmologischen Konstante wird in der Literatur intensiv diskutiert: Davies 1982, 105-109; Rees 2000, 95-102, 154f. Eine leicht zugängliche Darstellung findet sich bei Collins 2003.
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Außerdem wären andere Gesetze und Prinzipien für komplexes Leben notwendig. Wie der prominente Physiker Freeman Dyson aus Princeton zeigt (Dyson 1979, 251), würden alle Elektronen die unterste Kreisbahn um den Atomkern belegen und damit die komplexe Chemie eliminieren, wenn das Pauli-Prinzip nicht wäre, das ausschließt, dass zwei Fermionen im gleichen Quantenzustand sein können. Wenn es kein Quantisierungsprinzip gäbe, das festlegt, dass Teilchen nur in einem unterscheidbaren Quantenzustand sein können, gäbe es keine Umlaufbahnen um den Atomkern und folglich keine Chemie, denn alle Elektronen würden in den Kern gesogen. Schließlich diskutiert der Biochemiker Michael Denton ausführlich in seinem Buch Nature’s Destiny eine Reihe von Aspekten höherer Ordnung in der Welt wie die vielen einzigartigen Eigenschaften von Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasser sowie das elektromagnetische Spektrum, das zur Existenz von komplexen biochemischen Systemen beiträgt. Eines von vielen Beispielen, das sich bei Denton findet, ist die Tatsache, dass Atmosphäre und Wasser transparent für elektromagnetische Strahlung auf einem dünnen Band im Bereich des Sichtbaren sind, aber sonst nirgendwo, sieht man einmal davon ab, dass sie von Radiowellen durchdrungen werden können. Würden jedoch Wasser oder Atmosphäre elektromagnetische Strahlung im Bereich des Sichtbaren absorbieren, wäre die Existenz von Leben an Land ernsthaft eingeschränkt, wenn nicht sogar unmöglich gemacht (Denton 1998, 56f.). Diese Koinzidenzen höherer Ordnung zeigen eine Feinabstimmung tieferer Ordnung bei den grundlegenden Gesetzen und physikalischen Konstanten. Wie die oben beschriebenen Beispiele zeigen, sind die Gründe für die Feinabstimmung zahlreich, selbst wenn man an Einzelfällen zweifeln mag. Wie der Philosoph John Leslie hervorgehoben hat, „können angehäufte Hinweise eine starke Begründung trotz der Zweifel an den einzelnen Elementen konstituieren“ (Leslie 1988, 300). Zumindest zeigt der Fall der Feinabstimmung die Richtigkeit der Beobachtung Freeman Dysons, dass es „viele glückliche Zufälle in der Physik“ (Dyson 1979, 251) gibt, ohne die unsere Existenz als intelligente körperliche Wesen nicht möglich wäre.
Die Formulierung des Arguments Es wird Zeit uns der Frage zuzuwenden, wie die Feinabstimmung den Theismus stützt. In diesem Abschnitt will ich begründen, warum die Feinabstimmung uns einen Grund gibt, den Theismus der sogenannten atheistischen Ein-Universum-Hypothese vorzuziehen. Diese besagt, dass es nur ein Universum gibt, das als Factum brutum existiert. Wir werden dann im nächsten Abschnitt die Viele-Welten-Hypothese als typische Alternativerklärung für die Feinabstimmung untersuchen, die uns viele Atheisten anbieten.
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Obwohl das Feinabstimmungsargument gegen die atheistische EineWelt-Hypothese auf verschiedene Weisen formuliert werden kann – zum Beispiel als Schluss auf die beste Erklärung –, glaube ich doch, dass das Argument am stringentesten durch das „Hauptprinzip der Bestätigung“ (HPB), wie ich es nennen möchte, erreicht werden kann. Carnap hat hier vom Prinzip der zunehmenden Festigkeit gesprochen und andere einfach vom Wahrscheinlichkeitsprinzip.6 Das HPB ist ein allgemeines Prinzip der Vernunft, das uns sagt, wann eine Beobachtung als Begründung für eine Hypothese im Gegensatz zu einer anderen zählen kann. Einfach lässt sich das Prinzip so darstellen: Immer wenn wir zwei konkurrierende Hypothesen betrachten, zählt eine Beobachtung dann als Grund für die Bevorzugung einer Hypothese, wenn die Beobachtung unter dieser Hypothese die größte Wahrscheinlichkeit hat (oder am wenigsten unwahrscheinlich ist). (Etwas anders formuliert ließe sich auch sagen: Immer wenn wir zwei konkurrierende Hypothesen H1 und H2 betrachten, zählt eine Beobachtung B als Grund für die Bevorzugung von H1 gegenüber H2, wenn B wahrscheinlicher unter H1 als unter H2 ist.) Der Grad, in dem eine Begründung für eine Hypothese im Vergleich zu einer anderen spricht, ist proportional zum Grad, in dem die Beobachtung unter der einen Hypothese im Gegensatz zur anderen wahrscheinlicher ist.7 Das lässt sich an dem Fall illustrieren, bei dem die Fingerabdrücke eines Angeklagten auf der Mordwaffe gefunden werden. Normalerweise würden wir das als einen starken Grund für die Schuld des Angeklagten betrachten. Es wäre nämlich ziemlich unwahrscheinlich, dass sich diese Fingerabdrücke auf der Mordwaffe befänden, wenn der Angeklagte unschuldig ist. Nicht unwahrscheinlich wäre das Auffinden der Fingerabdrücke hingegen, wenn der Angeklagte schuldig ist. Das Hauptprinzip der Bestätigung lässt uns schließen, dass die Fingerabdrücke ein wichtiges Indiz für die Schuld des Angeklagten sind. Mit Hilfe dieses Prinzips können wir das Feinabstimmungsargument in zwei Schritten auf folgende Weise entwickeln: (1) Die Existenz der Feinabstimmung ist unter der Hypothese des Theismus nicht höchst unwahrscheinlich.
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Vgl. Carnap 1962. Eine etwas ältere, aber grundlegende Einführung in die Bestätigungstheorie findet sich bei Swinburne 1973. Zur Literatur, die sich mit DesignArgumenten unter der Perspektive des Wahrscheinlichkeitsvergleichs befasst, vgl. Edwards 1992. Für diejenigen, die mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen vertraut sind, lässt sich die präzise Aussage des Grades, in dem eine Begründung für eine Hypothese im Gegensatz zu einer anderen spricht, mit den Mitteln des Bayes’schen Theorems formulieren: P(H1/E)/P(H2/E)=[P(H1/P(H2)]x[P(E/H1)/P(E/H2)]. Die allgemeine Version des Prinzips, wie es hier angewendet wird, ist jedoch nicht auf die Anwendbarkeit oder Wahrheit des Bayes’schen Theorems angewiesen.
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(2) Die Existenz der Feinabstimmung ist unter der atheistischen EinUniversum-Hypothese sehr unwahrscheinlich.8 Aus den Prämissen 1 und 2 sowie aus dem Hauptprinzip der Bestätigung können wir folgern, dass die Feinabstimmungsdaten einen signifikanten Grund zugunsten der Design-Hypothese gegenüber der atheistischen EinUniversum-Hypothese bieten. Hier sollten wir kurz innehalten und zwei Züge in diesem Argument näher in Augenschein nehmen. Erstens sagt das Argument nicht, dass die Gründe aus der Feinabstimmung beweisen, dass das Universum geschaffen [designed] wurde, ja nicht einmal, dass dies wahrscheinlich sei. Es zeigt nicht einmal, dass wir erkenntnistheoretisch zu glauben berechtigt sind, dass wir den Theismus der atheistischen Ein-Universum-Hypothese vorziehen sollten. Um solche Behauptungen zu rechtfertigen, müssten wir die volle Bandbreite der Gründe für und gegen die theistische Hypothese einbeziehen, wozu in diesem Aufsatz kein Raum ist. Das Argument beschränkt sich auf den Schluss, dass die Feinabstimmung den Theismus gegenüber der atheistischen Ein-Universum-Hypothese signifikant stützt. Ich spreche von einer „signifikanten Stütze“, weil das Verhältnis von Wahrscheinlichkeiten für die Feinabstimmung unter den Bedingungen des Theismus im Gegensatz zur atheistischen Ein-Universum-Hypothese ziemlich groß ist.9 Auf diese Weise sind die Gründe des Feinabstimmungsarguments den Fingerabdrücken auf der Pistole vergleichbar: Obwohl sie ein starkes Indiz gegen den Angeklagten darstellen, lässt sich aus ihnen allein noch nicht auf die Schuld des Angeklagten schließen. Man muss auch alle anderen Indizien einbeziehen. Es könnte zum Beispiel sein, dass zehn vertrauenswürdige Zeugen den Angeklagten auf einer Party zum Zeitpunkt der Tat gesehen haben. In diesem Fall wären die Fingerabdrücke zwar weiterhin ein signifikantes Indiz für die Schuld, die Aussagen der Zeugen würden aber ein starkes Gegengewicht darstellen. Genauso bietet die Feinabstimmung eine signifikante Stütze für den Theismus gegenüber der atheistischen EinUniversum-Hypothese, beweist aber selbst nicht, solange nicht alle relevanten Aspekte einbezogen sind, dass der Theismus die plausibelste Erklärung für die Feinabstimmung der Welt ist. Folgenden zweiten Zug des Arguments sollten wir beachten: Wenn die Wahrheit des Hauptprinzips der Bestätigung gegeben ist, folgt die Konklusion des Arguments aus den Prämissen. Wenn die Prämissen des Arguments wahr sind, haben wir eine Garantie dafür, dass auch die Folgerung 8
9
Das Feinabstimmungsargument bezieht sich, um genau zu sein, auf die verbundenen Tatsachen, dass die Werte der physikalischen Konstanten, die Leben zulassen, im Vergleich mit dem, was „theoretisch möglich“ ist, klein sind und dass Werte tatsächlich in diesen Bereich fallen. Nur diese zweite Tatsache ist höchst unwahrscheinlich unter der atheistischen Ein-Universum-Hypothese. Vgl. Fußnote 7.
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wahr ist: Das Argument darf als gültig angesehen werden. Wenn wir also die Wahrheit der Prämissen bewiesen haben, dann haben wir auch gezeigt, dass die Konklusion wahr ist. Daher besteht unsere nächste Aufgabe in dem Nachweis, dass die Prämissen wahr sind oder wir zumindest gute Gründe für ihre Annahme haben.
Gründe für die Prämissen Gründe für Prämisse 1 Prämisse 1 lässt sich sehr leicht absichern, zumal sie weniger kontrovers als Prämisse 2 ist. Es lässt sich folgendermaßen für sie argumentieren: Insofern Gott ein vollkommen gutes Wesen ist und es für intelligente Wesen mit Bewusstsein gut ist, zu existieren, ist es auch nicht besonders überraschend oder unwahrscheinlich, das Gott eine Welt schafft, die intelligentes Leben unterstützt. Daher ist die Feinabstimmung nicht hochgradig unwahrscheinlicher unter der Hypothese des Theismus. Gründe für Prämisse 2 Vielen Menschen erscheint in Anbetracht der gegebenen Tatsachen ganz offensichtlich, dass die Feinabstimmung höchst unwahrscheinlich ist, wenn wir die atheistische Ein-Universum-Hypothese zugrunde legen. Man kann den Grund dafür leicht erkennen, wenn wir die Feinabstimmung unter der Perspektive verschiedener Analogien betrachten. In der DartscheibenAnalogie zum Beispiel lassen sich die theoretisch möglichen Werte für die physikalischen Grundkonstanten als Dartscheibe darstellen, die die ganze Galaxie ausfüllt, und die für die Existenz von Leben notwendigen Bedingungen als kleines Ziel im Zentimeterbereich. Die Analogie – das zufällige Treffen des Ziels – legt es entsprechend nahe, dass das Auftreten der Feinabstimmung im Rahmen der atheistischen Ein-Universum-Hypothese höchst unwahrscheinlich wäre. Einige Philosophen widersprechen der Behauptung, dass die Feinabstimmung im Rahmen der atheistischen Ein-Universum-Hypothese sehr unwahrscheinlich ist, indem sie darauf verweisen, dass vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es nur ein Universum gibt, die Konzeption einer Wahrscheinlichkeit für die Feinabstimmung des Universums sinnlos ist. Ian Hacking behauptet zum Beispiel, dass Wahrscheinlichkeit sinnvollerweise nur dann von der Feinabstimmung ausgesagt werden kann, wenn wir über ein Modell der Entstehung von Universen verfügen, zu dem gehört, dass ein bestimmter Prozentsatz an Universen sich nicht als fein abgestimmt heraus-
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stellt (Hacking 1987, 128-130). Erst wenn ein solches Modell gegeben und ein Ein-Universum entstanden wäre, könnten wir dem Universum eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für Feinabstimmung zuweisen. Ähnliche Einwände erhebt Keith Parsons (Parsons 1990, 182). Da ich hier keine umfassende Antwort auf diese Einwände ausbreiten kann, will ich mich auf einige Bemerkungen beschränken. Erstens ist der relevante Typus der Wahrscheinlichkeit, der im Feinabstimmungsargument auftritt, allgemein gebräuchlich. Es handelt sich um die epistemische Wahrscheinlichkeit.10 Die epistemische Wahrscheinlichkeit eines Satzes kann als Grad des Vertrauens oder der Überzeugung verstanden werden, das wir vernünftigerweise einem Satz entgegenbringen sollten. Die konditionale epistemische Wahrscheinlichkeit P eines Satzes R für einen anderen Satz S – geschrieben als P(R/S) – kann als der Grad bestimmt werden, in dem der Satz S uns durch sich selbst dazu bewegt, die Wahrheit von R zu erwarten. Vor dem Hintergrund dieser Konzeption von Wahrscheinlichkeit muss die Aussage, dass die Feinabstimmung des Kosmos sehr unwahrscheinlich unter der Voraussetzung der atheistischen Ein-Universum-Hypothese sei, als Aussage über den Grad verstanden werden, in dem die atheistische EinUniversum-Hypothese uns durch sich selbst vernünftigerweise dazu brächte, die kosmische Feinabstimmung zu erwarten. Die Phrase „durch sich selbst“ ist hier wichtig. Der vernünftige Grad der Erwartung sollte nicht mit dem Grad verwechselt werden, mit dem man erwarten sollte, dass die physikalischen Konstanten in den lebensermöglichenden Bereich fallen, wenn man die atheistische Ein-UniversumHypothese glaubt. Denn selbst jene, die diese atheistische Hypothese glauben, sollten erwarten, dass die Werte der physikalischen Konstanten lebensermöglichend sind. Das folgt zumindest aus der Tatsache, dass wir leben. Die konditionale epistemische Wahrscheinlichkeit ist in unserem Fall der Grad, in dem die atheistische Ein-Universum-Hypothese uns durch sich selbst dazu bewegt, die Werte bei den physikalischen Konstanten zu erwarten, die Leben zulassen. Beim Bewerten der konditionalen epistemischen Wahrscheinlichkeit in diesem und ähnlichen Fällen muss man alle Beiträge zu unseren Erwartungen ausschließen, die von anderen Informationen ausgehen, wie die Tatsache, dass wir leben. In unserem Fall könnte man das zum Beispiel durch folgendes Gedankenexperiment erreichen. Stellen Sie sich ein körperloses Wesen vor, das über geistige Fähigkeiten und über ein Wissen über die Natur verfügt, das dem unserer intelligentesten Physiker heute entspricht mit der Ausnahme, dass das Wesen nicht weiß, ob die Werte der physikalischen Konstanten es erlauben, dass körperliches intelligentes Leben entsteht. Nehmen Sie weiterhin an, dass dieses körperlose Wesen an die atheistische Ein-Universum-Hypothese glaubt. Der Grad, mit 10
Für eine ausführliche Diskussion der epistemischen Wahrscheinlichkeit vgl. Swinburne 1973, Hacking 1975 und Plantinga 1993, Kap. 8 und 9.
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dem das Wesen nun vernünftigerweise erwarten sollte, dass die Werte der physikalischen Konstanten so sind, dass sie Leben zulassen, wäre unserer konditionalen epistemischen Wahrscheinlichkeit gleich. Denn die Erwartung ist allein das Ergebnis des Glaubens an die atheistische EinUniversum-Hypothese, ohne dass andere Faktoren wie das Bewusstsein der eigenen Existenz, eine Rolle spielten. Wenn wir dieses Verständnis von konditionalen epistemischen Wahrscheinlichkeiten voraussetzen, ist es nicht schwer einzusehen, dass die konditionale epistemische Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine physikalische Konstante einen Wert hat, der Leben zulässt, unter der Voraussetzung der atheistischen Ein-Universum-Hypothese viel geringer ist als unter der Voraussetzung des Theismus. Der Grund dafür ist einfach, wenn wir an unser imaginäres körperloses Wesen denken. Wenn ein solches Wesen ein Theist ist, dann würde es Gründe für den Glauben haben, dass die Werte der Konstanten in den lebensermöglichenden Bereich fallen. (Siehe dazu das Argument für Prämisse 1 oben.) Wenn das Wesen zu den Anhängern der atheistischen Ein-Universum-Hypothese zählt, hätte es dagegen keinen Grund für die Annahme, dass Werte in die lebensermöglichende Region fallen anstatt in einen anderen Teil des „theoretisch möglichen“ Wertebereichs. Daher hat das Wesen mehr Grund zur Annahme, dass die Konstanten in die lebensermöglichende Zone fallen unter der Voraussetzung des Theismus als unter der Voraussetzung der atheistischen Ein-Universum-Hypothese. Das heißt, die epistemische Wahrscheinlichkeit ist in Verbindung mit dem Theismus größer als mit der atheistischen Ein-Universum-Hypothese. Aber um wie viel? Das hängt vom Grad der Feinabstimmung ab. Hier will ich mich mit der Feststellung begnügen, dass es offensichtlich zu sein scheint, dass im Allgemeinen gilt, je höhere Grad der Feinabstimmung ist – das heißt, je kleiner der lebensermöglichende Bereich im Vergleich zum „theoretisch möglichen“ ist –, desto größer ist die Überraschung bei Voraussetzung der atheistischen Ein-Universum-Hypothese und folglich ist auch die Differenz der beiden Wahrscheinlichkeiten größer. Wenn man über diese Aussagen hinausgehen und die tatsächlichen Wahrscheinlichkeiten bei Voraussetzung der atheistischen Ein-Universum-Hypothese einsetzen will – oder diese Behauptungen der Unwahrscheinlichkeit weiter rechtfertigen will – dann müsste man das Wahrscheinlichkeitsprinzip der Indifferenz anwenden, das aber nicht Gegenstand meines Aufsatzes ist.
Einwände Auch wenn das Feinabstimmungsargument sehr stark gegenüber der atheistischen Ein-Universum-Hypothese ist, so wurden doch mehrere wichtige Einwände von Atheisten und Theisten erhoben. In diesem Abschnitt werden wir diese Einwände erörtern.
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Einwand 1: Das grundlegendere Gesetz Ein Einwand gegen das Feinabstimmungsargument besteht darin, dass es, soweit wir wissen, ein grundlegenderes Gesetz geben könnte, durch das die physikalischen Konstanten die Werte haben müssen, die sie tatsächlich haben. Wenn ein solches Gesetz existiert, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die bekannten physikalischen Konstanten in den lebensermöglichenden Bereich fallen. Einmal davon abgesehen, dass die These völlig spekulativ ist, ist sie nicht unproblematisch. Denn es verschiebt die Unwahrscheinlichkeit der Feinabstimmung um eine Ebene nach oben, zum postulierten physikalischen Gesetz selbst. Die Astrophysiker Bernard Carr und Martin Rees haben festgestellt, dass „selbst wenn alle anthropischen Koinzidenzen [in den Begriffen einer großen alles vereinigenden Theorie] erklärt werden könnten, wäre immer noch sehr bemerkenswert, dass die Beziehungen, die die physikalische Theorie vorschreibt, zufällig dem Leben zuträglich sind“ (Carr/Rees 1979, 612). Eine ähnliche Antwort kann der Behauptung entgegengestellt werden, dass die Feinabstimmung nicht unwahrscheinlich ist, weil es logisch notwendig sein könnte, dass die physikalischen Konstanten lebensermöglichende Werte haben. Nach dieser Behauptung müssen die physikalischen Konstanten lebensermöglichende Werte auf die gleiche Weise haben, wie 2+2=4 ist oder die Innenwinkel eines Dreiecks in der Euklidischen Geometrie 180 Grad haben müssen. Wie der Vorschlag eines „grundlegenderen Gesetzes“ verschiebt dieses Postulat einfach die Unwahrscheinlichkeit eine Ebene nach oben: Es scheint höchst unwahrscheinlich, dass von allen Gesetzen und physikalischen Konstanten, deren logische Notwendigkeit vorstellbar ist, genau die verwirklicht sein sollten, die Leben ermöglichen.11
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Diejenigen, die mit der Wahrscheinlichkeitstheorie vertraut sind, werden sich wohl dafür interessieren, dass es sich hier um die sogenannte epistemische Wahrscheinlichkeit handelt, die, wie oben bereits festgestellt wurde, das Maß für den vernünftigen Grad der Überzeugung hinsichtlich eines Satzes ist. Da die vernünftigen Grade der Überzeugung hinsichtlich einer notwendigen Wahrheit kleiner als 1 sein können, lässt sich auch in sinnvoller Weise von der Unwahrscheinlichkeit sprechen, dass ein bestimmtes Naturgesetz notwendig existiert. Wir können zum Beispiel von einer unbewiesenen mathematischen Hypothese wie Goldbachs Vermutung, dass jede gerade Zahl größer als 6 die Summe zweier ungeraden Primzahlen ist, sagen, dass sie vor dem Hintergrund unserer gegenwärtigen Erkenntnisse wahrscheinlich wahr oder wahrscheinlich ist, obwohl alle mathematischen Hypothesen notwendig wahr oder notwendig falsch sein müssen.
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Einwand 2: Andere Lebensformen Gegen das Feinabstimmungsargument wird oft der Einwand erhoben, dass unseres Wissens andere Arten von Lebensformen existieren könnten, wenn die physikalischen Konstanten andere wären. Daher wird behauptet, das Feinabstimmungsargument lebe von der Voraussetzung, dass alle intelligenten Lebensformen uns ähnlich sein müssten. Nun kann darauf zunächst geantwortet werden, dass viele Fälle der Feinabstimmung ohne diese Voraussetzung auskommen. Wenn die kosmologische Konstante beispielsweise viel größer wäre als sie es tatsächlich ist, würde die Materie so schnell verschwinden, dass keine Planeten und Sterne existieren könnten. Ohne Sterne würde es aber keine stabilen Energiequellen geben, die das Entstehen von komplexen materiellen Systemen erlauben. Daher setzt das Feinabstimmungsargument in diesem Fall nur voraus, dass die Entstehung von intelligentem Leben einer stabilen Energiequelle bedarf. Das ist sicherlich eine sehr vernünftige Annahme. Wenn man natürlich die Gesetze und Konstanten der Natur stark genug änderte, könnten natürliche andere Formen körperlichen intelligenten Lebens existieren, die wir uns nicht einmal vorstellen können. Für das Feinabstimmungsargument ist das aber irrelevant, da das Urteil über die Unwahrscheinlichkeit der Feinabstimmung vor dem Hintergrund der atheistischen Ein-Universum-Hypothese nur erfordert, dass unter der Voraussetzung der aktuellen Naturgesetze der Leben zulassende Wertebereich für die physikalischen Konstanten (wie die Gravitation) im Vergleich mit dem sie umgebenden Wertebereich, der Leben nicht zulässt, klein ist. Einwand 3: Das anthropische Prinzip Nach der schwachen Variante des sogenannten anthropischen Prinzips wären wir, wenn die Naturgesetze nicht fein abgestimmt wären, nicht hier, um diese Tatsache zu kommentieren. Einige haben daraus gefolgert, dass die Feinabstimmung vor dem Hintergrund des Atheismus nicht im Geringsten unwahrscheinlich oder überraschend ist, sondern sich einfach aus der Tatsache unserer Existenz ergibt. Um darauf zu antworten, müssen wir einfach das Argument unter Einbezug unserer Existenz umformulieren: Unsere Existenz als körperliche, intelligente Wesen ist sehr unwahrscheinlich vor dem Hintergrund der atheistischen Ein-Universum-Hypothese (insofern unsere Existenz die Feinabstimmung voraussetzt), aber sie ist nicht unwahrscheinlich vor dem Hintergrund des Theismus. Dann wenden wir einfach das Hauptprinzip der Bestätigung an, um daraus die Folgerung zu ziehen, dass unsere Existenz den Theismus auf signifikante Weise gegenüber der atheistischen Ein-Universum-Hypothese bestätigt.
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Um diese Antwort noch weiter zu erläutern, müssen wir die Schützeneinheit-Analogie betrachten. Wenn, wie John Leslie zeigt, fünfzig Scharfschützen mich verfehlen, ist die Antwort „Wenn sie mich nicht verfehlt hätten, wäre ich nicht hier, um über diese Tatsache nachzudenken“ nicht angemessen. Stattdessen würde ich natürlicherweise folgern, dass es einen Grund gab, warum sie mich verfehlten, zum Beispiel weil sie gar nicht die Absicht hatten, mich zu treffen. Warum würde ich das folgern? Weil meine fortdauernde Existenz sehr unwahrscheinlich vor dem Hintergrund der Hypothese wäre, dass sie mich zufällig verfehlt haben, es aber nicht unwahrscheinlich ist, vor dem Hintergrund der Hypothese, dass es einen Grund gegeben hat, warum sie mich verfehlten (Leslie 1998, 304). Daher bekräftigt meine fortdauernde Existenz durch das Hauptprinzip der Bestätigung die zweite These. Einwand 4: Wer schuf Gott? Der vielleicht am weitesten verbreitete Einwand der Atheisten gegen Design-Argumente, zu denen auch das Feinabstimmungsargument zählt, lautet folgendermaßen: Die Probleme mit der Konzeption des Designs können nicht durch das Postulat der Existenz Gottes gelöst werden. Sie werden nur auf die nächste Ebene verschoben, zur Frage, wer Gott geschaffen [designed] habe. Der Philosoph J.J.C. Smart behauptet, dass die hypothetische Annahme eines Gottes als Erklärung für die Ordnung und Komplexität des Universums uns explanatorisch in eine noch schwierigere Lage bringe: Wenn wir Gott zusätzlich zu einem geschaffenen Universum postulieren, verkomplizieren wir unsere Hypothese. Wir haben die ganze Komplexität des Universums und wir haben zusätzlich die gleich große Komplexität Gottes. (Der Hersteller eines Artefaktes muss mindestens genauso komplex sein wie das hergestellte Artefakt.) […] Wenn der Theist dem Atheisten beweist, dass ein postulierter Gott wirklich die Komplexität der gesamten Weltsicht verringert, dann sollte der Atheist zum Theisten werden. (Smart 1981, 275f.)
Um darauf zu antworten, können wir zuerst feststellen, dass sogar dann, wenn Smart mit der Behauptung Recht hat, Gott stelle eine enorme Komplexität in sich selbst dar, die Feinabstimmung immer noch einen Grund für den Theismus gegenüber der atheistischen Ein-Universum-Hypothese ist. Denn das oben genannte Argument beruft sich nur auf den Vergleich der Wahrscheinlichkeit der Feinabstimmung hinsichtlich zweier unterschiedlicher Hypothesen. Es geht nicht darum, ob die neue Hypothese die Gesamtsicht der Welt verändert. Das ist analog zu folgendem Fall: Wenn komplexe verschachtelte Strukturen wie Aquädukte und Gebäude auf dem Mars existierten, dann kann man schließen, dass sie die Hypothese stützen, dass intel-
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ligente außerirdische Wesen einst auf dem Mars existierten – selbst dann, wenn diese Wesen viel komplexer wären als die zu erklärenden Strukturen. Zweitens gilt Gott unabhängig vom Design-Argument als ein Wesen, das wenig oder gar keine interne Komplexität aufweist. Mittelalterliche Philosophen und Theologen gingen sogar oft so weit, die Lehre von der göttlichen Einfachheit zu vertreten, nach der Gott als absolutes Einfaches ohne innere Komplexität gedacht wird. Atheisten haben also einiges zu tun, damit dieser Einwand ziehen kann.
Die Viele-Welten-Hypothese Als Antwort auf die theistische Erklärung der Feinabstimmung tragen viele Atheisten eine Alternativerklärung vor, die ich die Viele-UniversenHypothese nennen möchte. In der Literatur findet sie sich unter verschiedenen Bezeichnungen wie Viele-Welten-Hypothese, Viele-Domänen-Hypothese, Weltensemble-Hypothese, Multiuniversum-Hypothese usw. Nach dieser Hypothese gibt es eine sehr große, vielleicht unendliche Anzahl von Universen, in denen sich die physikalischen Konstanten unterscheiden. 12 Natürlich würden in den meisten Universen die physikalischen Konstanten keine Leben ermöglichenden Werte annehmen. Dennoch würde das in einer kleinen Menge von Universen der Fall sein, so dass die Existenz von Universen nicht mehr unwahrscheinlich ist, in denen wie in unserem die Konstanten Leben ermöglichende Werte aufwiesen. Es wird gemeinhin angenommen, dass diese Universen durch eine Art physikalischen Mechanismus entstehen, den ich den Viele-UniversenGenerator nennen will. Der Universen-Generator lässt sich in Analogie zu einem Lotterielos-Generator verstehen. Wie es keine Überraschung wäre, dass irgendwann eine Gewinnzahl entsteht, wenn genug Lose produziert werden, wäre es auch keine Überraschung, dass ein Universum auftritt, das für die Entstehung von Leben fein abgestimmt ist, wenn nur genug Universen produziert werden.13 12
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Ich definiere ein „Universum“ als die Regionen der Raum-Zeit, die nicht miteinander in Verbindung stehen, so dass die physikalischen Konstanten in jeder Region signifikant unterschiedlich sein können. Eine weitergehende Erörterung der Viele-UniversenHypothese findet sich in meinem Aufsatz Collins 2001. Einige haben etwas vorgeschlagen, das ich eine metaphysische Viele-UniversenHypothese nennen möchte, nach der Universen aus sich selbst heraus existieren, ohne aus einem physikalischen Prozess hervorgegangen zu sein. Typische Vertreter dieser These wie der ehemalige Professor für Philosophie in Princeton, David Lewis (Lewis 1986), und der Astrophysiker der Universität von Pennsylvania, Max Tegmark (Tegmark 1998), behaupten, dass jede mögliche Welt existiert. Nach Lewis gibt es zum Beispiel eine Parallelwirklichkeit zu unserer eigenen, in der mein Duplikat Präsident der Vereinigten Staaten ist, und eine Wirklichkeit, in der sich Objekte schneller als mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen können. Jedes erträumte Szenario existiert nach
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Die meisten der Viele-Universen-Modelle sind gänzlich spekulativ und verfügen nur über geringen Rückhalt in der gegenwärtigen Physik. Trotzdem haben viele Physiker wie Steven Weinberg ein Modell vorgeschlagen, dass eine vernünftige Grundlage in der gegenwärtigen Physik hat, nämlich die inflationäre Kosmologie. Die inflationäre Kosmologie ist eine momentan intensiv diskutierte kosmologische Theorie, die den Ursprung des Universums zu erklären versucht und vor kurzem auch einige erste Versuche bestanden hat. Sie behauptet im Wesentlichen, dass das Universum aus einem kleinen Bereich von Vor-Raum, der von einem hypothetischen Inflationsfeld auf die gleiche Weise aufgeblasen wurde, wie eine Riesenblase sich in einem Seifenwasserozean bilden würde. In Modellen der chaotischen Inflation, die im Allgemeinen als die plausibelsten gelten, werden verschiedene zufällig gewählte Punkte des Vor-Raums aufgeblasen, so dass sich eine gewaltige Zahl von Blasenuniversen bilden. 14 Um eine Variation der Ausgangsbedingungen und physikalischen Konstanten in den verschiedenen Universen zu erhalten – was notwendig ist, wenn dieses Szenario die Feinabstimmung erklären soll –, muss es einen weiteren physikalischen Mechanismus geben, der die Variation verursacht. Einen solchen Mechanismus könnte die Superstringtheorie liefern, die zu den am intensivsten diskutierten Hypothesen über die Grundstruktur der Materie gehört. Es ist aber noch zu früh, um sagen zu können, ob sie diese Hoffnung erfüllt. Einflussreiche Alternativen zur Stringtheorie, die von Physikern erforscht werden, wie die zurzeit vorgeschlagenen Modelle der Großen Vereinheitlichten Theorie [Grand Unified Theory] scheinen nicht
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Lewis in einer Parallelwirklichkeit. Einmal abgesehen davon, dass die Idee völlig spekulativ (und in den Augen mancher auch sehr merkwürdig) ist, besteht ein Hauptproblem dieses Szenarios darin, dass die große Mehrheit der möglichen Universen äußerst chaotisch ist. Genauso wie die große Mehrheit der möglichen Anordnungen von Briefen mit 1000 Buchstaben kein sinnvolles Muster ergäbe. Daher können diese metaphysischen Hypothesen die Regelmäßigkeit und die Vorhersagbarkeit des Universums und die Tatsache, dass es mit ein paar einfachen Gesetzen beschreibbar ist, nur dann erklären, wenn ein Effekt der „Auswahl durch einen Beobachter“ eingeführt wird. Lewis und Tegmark müssen behaupten, dass nur Universen, die dem unseren in dieser Hinsicht ähneln, intelligentes Leben hervorbringen können und dadurch Objekt der Beobachtung werden. Das Problematische an dieser Erklärung besteht in der Tatsache, dass es viel wahrscheinlicher ist, dass es einzelne lokale „Inseln“ gibt, in der die Art von Ordnung besteht, die für intelligentes Leben notwendig ist, als dass ein ganzes Universum auf diese Weise angeordnet ist. Daher können ihre Hypothesen nicht erklären, warum wir uns, die exemplarische Beobachter sind, in einem Universum befinden, dass in hohem Maße einer durchgehenden Ordnung unterworfen ist. Dieser Einwand gegen Lewis’ These wurde unter anderem von George Schlesinger entwickelt (Schlesinger 1984). Dieser Einwand wurde bereits gegen eine ähnliche Erklärung für den hohen Grad an Ordnung in unserem Universum, die der berühmte Physiker Ludwig Boltzmann entwickelte, erhoben und gilt im Allgemeinen als stichhaltig (Davies 1974, 103). Eine leicht verständliche Einführung in die Superstringtheorie siehe Guth 1997.
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genug Raum für die Variation zu lassen. Sie geben zum Beispiel nur etwa ein Dutzend verschiedener Werte für die Konstanten, nicht die gewaltige Zahl, die für eine Deutung der Feinabstimmung nötig ist (Linde 1990b, 3; Linde 1990a, 6). Obwohl diese Theorien zurzeit noch ziemlich spekulativ sind – die Superstringtheorien haben im Moment beispielsweise noch keine empirische Bestätigung (Kaku 1999, 17) –, glaube ich nicht, dass es keine angemessene Antwort ist, die Viele-Universen-Generator-Hypothese einfach zurückzuweisen. Das Szenario der Inflation bzw. der Superstrings verfügt nicht nur über ein gewisses Maß an Plausibilität. Es ist auch möglich, dass Gott unser Universum mittels eines Viele-Universen-Generators genauso geschaffen hat, wie er unseren Planeten mittels eines Urknalls entstehen ließ, der dann so etwas wie ein Viele-Planeten-Generator wäre. Eine bessere Antwort ergibt sich aus der Feststellung, der Viele-Universen-Generator selbst, unabhängig davon, ob er durch Modelle einer chaotischen Inflation gedeutet wird oder nicht, den Eindruck eines guten Designs erweckt, das er braucht, um Leben erhaltende Universen hervorzubringen. Selbst ein so irdisches Ding wie ein Brotbackautomat, der nicht Universen, sondern nur Brote hervorbringt, muss zweckdienlich konstruiert [designed] sein, um diese Aufgabe vernünftig erfüllen zu können. Wenn das stimmt, dann verschiebt die Idee eines Viele-Universen-Generators als Erklärung der Feinabstimmung das Problem des Designs nur auf eine andere Ebene. Denn dann muss gefragt werden, wer diesen Viele-Universen-Generator geschaffen hat. Das oben diskutierte Inflationsszenario funktioniert als Produzent von Universen nur, weil davor ein Inflationsfeld existierte und die eigentümlichen Eigenschaften der Hauptgleichung der allgemeinen Relativitätstheorie, der Einstein-Gleichung (Peacock 1999, 24-26). Ohne diese beiden Faktoren würde es weder Raumregionen geben, die aufgeblasen werden, noch würden diese Regionen die Massenenergie haben, die für die Existenz eines Universum notwendig ist. Wenn das Universum zum Beispiel Newtons und nicht Einsteins Gravitationstheorie unterworfen wäre, würde das Inflationsfeld bestenfalls eine Anziehung der Gravitation erzeugen, die den Raum zusammenzöge, aber nicht ausdehnte. Außerdem braucht man, wie oben erwähnt, eine besondere grundlegende physikalische Theorie, wie die Superstringtheorie, die genug Variationen bei den physikalischen Konstanten zwischen den einzelnen Universen zulässt. Der inflationäre Viele-Universen-Generator kann nur dann Leben ermöglichende Universen hervorbringen, wenn die richtigen Hintergrundgesetze in Kraft sind. Ohne das Pauli-Prinzip würden beispielsweise Elektronen die unterste Kreisbahn um den Atomkern einnehmen, so dass komplexe und verschiedenartige Atome nicht möglich wären. Ohne eine universale Anziehungskraft zwischen Massen, wie die Gravitation, würde die Materie keine hinreichend großen materiellen Körper (wie Planeten) bilden können, auf denen sich Leben entwickeln könnte. Auch würden keine langlebigen
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Energiequellen entstehen, die die Voraussetzung für die Existenz von Sternen sind. Die Universum-Generator-Hypothese erklärt diese Hintergrundgesetze jedoch nicht. Schließlich kann die Viele-Universen-Generator-Hypothese im Gegensatz zum Theismus auch andere Züge des Universums nicht erklären, die ein offensichtliches Design aufweisen. Viele Physiker, unter ihnen Albert Einstein, haben festgestellt, dass die Grundgesetze der Physik eine außergewöhnliche Schönheit, Eleganz, Harmonie und Raffinesse aufweisen. Der Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg zum Beispiel widmet ein ganzes Kapitel seines Buches Dreams of a Final Theory (Kapitel 6 Beautiful Theories) der Erklärung, wie die Kriterien von Schönheit und Eleganz Physiker landläufig bei der Formulierung der richtigen Gesetze anleiten (Weinberg 1992). Tatsächlich geht einer der prominentesten theoretischen Physiker des 20. Jahrhunderts, Paul Dirac, so weit zu sagen, dass „Schönheit in den Gleichungen wichtiger sei als deren Einpassung in die Experimente“ (Dirac 1963, 43). Diese Schönheit, Eleganz und Raffinesse macht Sinn, wenn das Universum von Gott geschaffen wurde; ich wäre aber auch damit zufrieden, dass es jenseits von Design-Hypothesen keine Gründe für die Erwartung gäbe, dass die grundlegenden Gesetze elegant und schön sind. Daher gibt der Theismus eine sinnvollere Deutung dieses Aspekts der Welt als der Atheismus, ob er sich nun auf die Ein- oder die VieleUniversen-Hypothese stützt. 15
Ergebnisse In diesem Aufsatz habe ich dafür argumentiert, dass die Feinabstimmung des Kosmos’ eine starke Begründung dafür bietet, den Theismus gegenüber der atheistischen Ein-Universum-Hypothese vorzuziehen. Auch wenn es möglich ist, die Feinabstimmung der physikalischen Konstanten teilweise durch den Rückgriff auf eine Art von Viele-Universen-Generator zu erklären, habe ich dann dennoch dafür plädiert, dass wir gute Gründe für die Annahme haben, dass der Viele-Universen-Generator selbst ein gutes Design braucht, so dass die hypothetische Einführung eines solchen Generators die Frage nach dem Design nur eine Ebene weiterreicht. Dieses Argument soll nicht die Wahrheit des Theismus beweisen, auch nicht, dass der Theismus epistemisch verlässlich [warranted] ist oder dass er die plausibelste Position für uns ist. Um das zu beweisen, müssten die gesamten Gründe, die für und gegen den Theismus sprechen, zusammen mit allen Alternativen untersucht werden. Die Argumente dieses Aufsatzes sollen nur zeigen, dass die Feinabstimmung im Kosmos uns einen signifikanten Grund 15
Eine detaillierte Entfaltung des Design-Arguments aus der Einfachheit und Schönheit der Naturgesetze findet sich im zweiten Teil von Collins 2001.
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dafür liefert, dass wir den Theismus dem Atheismus vorziehen sollten (wobei Atheismus hier nicht einfach als die Verneinung des Theismus verstanden ist, sondern die Ablehnung jeder Art von Intelligenz hinter der Existenz und der Struktur des Universums einschließt). Das Feinabstimmungsargument führt uns wie alle Design-Argumente nicht bis zum Theismus. Andere Argumente und Erwägungen müssen hinzugezogen werden, um das Ziel zu erreichen. Daher bildet es nur einen, wenn auch sehr bedeutenden Teil des Argumentierens für den Theismus.
Paul Copan: The Moral Argument, in: Chad Meister / Paul Copan (Hg.): The Routledge Companion to Philosophy of Religion, New York 2010, 362-372. © Autor
PAUL COPAN
Das moralische Argument Einführung Während des Peloponnesischen Krieges (431-404 v.Chr., einschließlich eines sechsjährigen Waffenstillstands) versuchten sich die Bewohner der Insel Melos aus den Kämpfen zwischen Athenern und Spartanern herauszuhalten. Diese Strategie ließ sich unglücklicherweise nicht durchhalten. Athen forderte die Zahlung von Tribut für den Fortbestand des Friedens. Die Melier nahmen Verhandlungen auf, bei denen sie sich auf ihr Recht auf einen unabhängigen Staat beriefen. Die Athener wiesen jedoch die „gedrechselten Phrasen“ über Pflicht und Moral zurück und forderten die Melier auf „sich nicht einzubilden, dass ihr uns durch eure Worte beeinflusst, […] ihr habet uns keinen Schaden zugefügt […], denn wir wissen genauso gut wie ihr, dass, wenn diese Dinge von Männern der Tat verhandelt werden, der Maßstab der Gerechtigkeit von der Gleichheit der Macht zu zwingen abhängt und dass die Starken das tun, wozu sie die Macht haben, und die Schwachen akzeptieren, was sie akzeptieren müssen. (Thukydides 1901, § 85)
Die Melier konterten mit dem Hinweis, dass den Interessen der Athener durch die Respektierung der Prinzipien von Gerechtigkeit und Fairness am besten gedient sei. Denn auch sie könnten eines Tages Opfer eines Angriffs werden. Die Melier beriefen sich also auf eine transkulturelle Moral. Die athenische Antwort darauf lautete wie folgt: Es ist ein allgemeines und notwendiges Naturgesetz, dass man immer herrscht, wenn man es kann. Es ist kein Gesetz, das wir für uns selbst gemacht haben, noch sind wir die ersten, die danach handeln. Wir haben es be-
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reits vorgefunden und wir werden es zurücklassen, damit es für immer unter denen existiert, die nach uns kommen. Wir handeln nur in Übereinstimmung mit diesem Gesetz, und wir wissen, dass ihr oder alle anderen mit der gleichen Macht, wie wir sie besitzen, genauso handeln würden. (Thukydides 1901, § 105)
Die Melier verweigerten sich letztlich den Forderungen der Athener, die die Stadt daraufhin belagerten, die wehrfähige männliche Bevölkerung töteten und den Rest in die Sklaverei verkauften. In Platons Politeia vertritt Thrasymachos die gleichen Argumente wie die Athener. Er definiert Gerechtigkeit als den „Vorteil des Stärkeren“ (Platon 1990b, 338c, 339a, 340a, 341a, 344c). Die „gerechte“ Person, die Sokrates verteidigt, werde immer übervorteilt. Thrasymachos vertritt also eine Position, nach der Macht Recht schafft: Die starke Person herrscht richtig, wenn sie die Herrschaft für ihre Vorteile ausnützt; sie herrscht falsch, wenn ihr aus der Herrschaft Nachteile erwachsen (Platon 1990b, 339a). Hatten die Melier und Sokrates Recht oder die Athener und Thrasymachos? Gibt es objektive moralische Werte wie Gerechtigkeit und Güte? Wenn Ja, über welche Grundlagen verfügen sie: den Naturalismus, einen östlichen Monismus oder Pantheismus, eine Form von Platonismus, bei dem die Werte Teil der Ausstattung der Wirklichkeit sind, den Theismus? Viele theistische Denker sehen eine enge Verbindung zwischen dem personalen guten Gott und objektiven moralischen Werten: Wenn solche Werte existieren, ist es auch wahrscheinlich, dass es einen personalen, guten Gott gibt. Dieser Aufsatz befasst sich mit einigen Sachverhalten, die mit dem moralischen Argument für die Existenz Gottes in Beziehung stehen. Wenn objektive moralische Werte existieren, dann ist Gottes Existenz wahrscheinlich. Dieser Aufsatz thematisiert die berechtigte Basalität [proper basicality] objektiver moralischer Werte, das Sein-Sollen-Problem (den naturalistischen Fehlschluss), die größere explanatorische Stärke des Theismus in Bezug auf objektive Werte, die Unwahrscheinlichkeit moralischer Werte in einem gottlosen Universum und das Euthyphron-Dilemma. Auch wenn sich dieser Aufsatz vor allem gegen den Naturalismus wendet, lässt sich doch vieles auch auf andere nicht-theistische Perspektiven anwenden, seien sie „religiös“ oder nicht.
Die berechtigte Basalitätmoralischer Überzeugungen Es ist klug, anzunehmen, dass unsere Sinne, aber auch die Vernunft, richtig funktionieren, solange wir keine guten Gründe haben, an ihnen zu zweifeln, sie für unzuverlässig zu halten oder zu glauben, sie führten uns systematisch in die Irre. Selbst der radikalste Skeptiker verlässt sich auf das „Prin-
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zip der Vertrauenswürdigkeit“ [priniciple of credulity], wenn er die Verlässlichkeit seiner Vernunft voraussetzt, so dass er seine skeptischen Folgerungen mit Selbstvertrauen ziehen kann. Der Skeptiker wird sich ebenso wahrscheinlich eine Reihe von logischen Gesetzen aneignen, um nachzuweisen, dass wir uns seinen Folgerungen anschließen sollten, und zweifelsohne ist er der Überzeugung, dass wir uns irren, wenn wir seine Position kritisieren. Obwohl irrige Wahrnehmungen oder logische Fehler auftreten können, stellen sie doch nicht die grundsätzliche Verlässlichkeit unserer Sinne und unserer Vernunft in Frage. Genauso gibt es bestimmte moralische Wahrheiten, die uns nicht unbekannt sein können (Budziszewski 2003). Obwohl wir irrige moralische Urteile treffen, sollten wir diese Wahrheiten als gegeben ansehen, es sei denn, wir würden unser Gewissen unterdrücken oder in einer Selbsttäuschung befangen sein. Wir verfügen über einen eingebauten „Igitt-Faktor“: Grundlegende moralische Intuitionen, die uns sagen, dass es falsch ist, Kinder zum Spaß zu quälen, zu morden, Kinder zu missbrauchen. Darüber hinaus können wir leicht erkennen, dass Freundlichkeit eine Tugend und kein Laster ist, dass wir andere so behandeln sollen, wie wir selbst behandelt werden wollen, und dass ein moralischer Unterschied zwischen Mutter Theresa und Pol Pot oder Joseph Stalin besteht. Diejenigen, die die berechtigte Basalität [proper basicality] dieser Wahrheiten nicht anerkennen, sind schlichtweg im Irrtum; sie funktionieren nicht angemessen [properly functioning]. Früher als jeder Sozialkontrakt und unabhängig von ihm, können wir intuitiv erkennen, dass alle Menschen gewisse Rechte vor dem Gesetz haben oder dass Rassismus unmoralisch ist. Wenn die Mitglieder eines Stammes meinen, das Opfern der erstgeborenen Kinder sei akzeptabel, so merkt Nicholas Rescher einmal an, pendele deren „Erfassen der Konzeption von Moral irgendwo zwischen Unangemessenheit und Nichtexistenz“ (Rescher 1989, 43). Ein solches moralische Bewusstsein ist grundlegend oder eine Art von „Grundgestein“, wie Kai Nielsen es formuliert: Es ist vernünftiger, solche elementaren Dinge [wie das Verprügeln von Ehefrauen und der Missbrauch von Kindern] für schlecht zu halten, als einer skeptischen Theorie zu folgen, die uns weismacht, dass wir nicht wissen oder vernünftig glauben können, ob diese Dinge schlecht sind. […] Ich glaube fest daran, dass das Grundgestein ist und dass jeder, der das nicht glaubt, nicht tief genug in die Gründe seiner moralischen Überzeugungen vorgedrungen ist. (Nielsen 1990, 10f.)
Wir erwarten die Bestätigung von menschlichen Rechten und Werten – verbunden mit bestimmten Pflichten, die sich aus ihnen ergeben –, wenn Gott existiert (Porter 1999). Wie der hl. Paulus bestätigt, können alle Menschen Richtiges und Falsches unabhängig von einer besonderen Offenba-
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rung durch Gott unterscheiden; die Richtigkeit der grundlegenden moralischen Gesetze und die Falschheit ihrer Verletzung kann jeder erkennen, der sein Gewissen nicht unterdrückt oder sein Herz verhärtet (Lewis 1965): Wenn die Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab, ihre Gedanken klagen sich gegenseitig an und verteidigen sich. (Röm 2,14f.)
Bei Robert Audi findet sich eine Beschreibung des Funktionierens solcher moralischen Intuitionen. Sie sind (1) ungefolgert, also direkt erfasst; (2) fest (sie müssen als Propositionen geglaubt werden); (3) verstehbar (Intuitionen werden im Lichte eines adäquaten Verständnisses ihrer propositionalen Objekte gebildet); (4) vor-theoretisch (sie sind von keiner Theorie abhängig und auch nicht selbst theoretische Hypothesen). Dieses moralische Wissen entsteht nicht aus der Reflexion abstrakter Prinzipien, sondern durch das Nachdenken über konkrete Fälle (Partikularismus). Außerdem sind diese prima facie Intuitionen nicht unanfechtbar. Sie können im Lichte neuer Erwägungen und veränderter Umstände angepasst und verbessert werden. Zum Beispiel können Umstände eintreten, die mich davon abhalten, ein Versprechen zu halten. Allerdings habe ich dann immer noch die Verpflichtung, meinem Freund zu erklären, warum ich das Versprechen nicht einhalten konnte (Audi 1997, 32-65). Selbst wenn Menschen irrige moralische Urteile fällen und sich falsch verhalten können, so wäre es doch ein Fehler, deswegen das Streben nach dem Guten aufzugeben oder in einen moralischen Skeptizismus zu verfallen: „Wir können uns nicht permanent oder auch nur für gewöhnlich darin irren, was gut ist“ (Adams 1999, 20). Wir tun gut daran, unseren grundlegenden moralischen Intuitionen zu vertrauen, wie wir das auch bei den Sinneswahrnehmungen und der Vernunft tun, selbst wenn Modifikationen oder weiterführende Reflexionen notwendig sein sollten. Wir sollten unsere moralischen Intuitionen genauso ernst nehmen wie unsere Sinneswahrnehmungen und unsere Vernunft, wenn wir nicht gute Gründe für den Zweifel an ihnen haben.
Moral und naturalistischer Fehlschluss David Hume hat die These aufgestellt, dass man keinen logischen Schluss von der (wissenschaftlichen) Beschreibung des „ist“ (oder „ist nicht“) zur (moralischen) Vorschrift des „soll“ (oder „soll nicht“) ziehen kann, ohne eine verborgene Prämisse einzuschmuggeln (Hume 1888, 469). Ähnlich spricht sich G.E. Moore in seinen Principia Ethica dafür aus, dass wir
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ebenso wenig von „ist“ zu „sollen“ gelangen können – ein Übergang, der als naturalistischer Fehlschluss bezeichnet wird – als wir „sollen“ auf „sein“ reduzieren können. Naturalistische Definitionen wie „das Gute = das Ersehnte oder Angenehme“ oder „das Gute = die Maximierung des Nützlichen“ erfassen das Wesen des Guten nur unzureichend. Das Gute – das, was an sich und aus sich heraus wertvoll ist – lässt sich nicht auf natürliche Eigenschaften zurückführen. Wir erfassen durch die Intuition einfache oder irreduzible nicht-natürliche Eigenschaften, genauso wie wir im Sehen Farben als einfach und unanalysierbar wahrnehmen. Moral lässt sich nicht in natürlichen Begriffen definieren. Im Guten steckt etwas „NichtNatürliches“ (Moore 1903, 6). Einige Vertreter eines naturalistischen ethischen Realismus vertreten die Ansicht, dass die Entwicklung, die die Wissenschaftstheorie im 20. Jahrhundert genommen hat, gemeinsam mit der naturalistischen Ausrichtung von Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie die Artikulation und die Verteidigung eines moralischen Realismus unterstützen: „Der moralische Realismus erweist sich als attraktivere und plausiblere Position, wenn die neueren Entwicklungen in der realistischen Wissenschaftstheorie zu ihrer Verteidigung herangezogen werden (Boyd 1997, 106; vgl. Brink 1989; Martin 2002; Shafer-Landau 2005). Theisten seien angeblich nicht in der Lage, naturalistischen ethischen Realisten einen naturalistischen Fehlschluss vorzuwerfen, ohne damit schon das vorauszusetzen, was strittig ist (Frankena 1970; 1976; 1981). Objektive moralische Werte, die im Naturalismus verwurzelt sind und ein vermeintlich „wissenschaftliches“ Fundament haben, werden allerdings von der naturalistischen Weltsicht selbst untergraben. Zum einen neigen Naturalisten immer öfter dazu, ihre Weltsicht mit einem strengen Materialismus zu verbinden. Materielle oder physische Eigenschaften wie Ausdehnung, Farbe, Form oder Größe unterscheiden sich grundlegend von moralischen Werten, die nicht blau oder orange sowie zwei Meter lang, von länglicher Form, rau und ein wenig elastisch sind. In keinem Lehrbuch der Physik erscheinen „moralische Werte“ in der Beschreibung der Materie. Der Naturalist steht vor einem Problem des Hintergrunds bzw. Kontextes, wenn er an objektive Werte glaubt: Wie kommen wir von einem Universum, das aus keiner präexistenten Urmaterie [prior matter] hervorgegangen ist, zuerst zu einem Universum mit wertfreier Materie und Energie und schließlich zu menschlichen Werten, einschließlich der Menschenrechte, Menschenwürde und moralischen Pflichten? Man kann sich kaum vorstellen, wie ein Naturalist diesen Graben überspringen kann. Nehmen wir an, dass wertvolle, ethisch verantwortliche Menschen nach Milliarden von Jahren einer geistlosen planetarischen und biologischen Evolution entstanden sind und dass objektive moralische Werte als Bestandteile einer (platonischen) Ausstattung des Universums existieren. In diesem Fall müssten wir einen phantastischen kosmischen Zufall anneh-
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men: Eine Korrespondenz zwischen diesen präexistenten objektiven Werten und objektiv wertvollen Menschen. Der Theismus bietet im Gegensatz zum Naturalismus und anderen nichttheistischen Weltanschauungen sowohl einen angemessenen Kontext für die Behauptung objektiver moralischer Werte als auch für die Würde und den Wert des Menschen. Es klafft kein Abgrund zwischen der Existenz von Menschen, die Träger von Rechten sind, und der Existenz von objektiven moralischen Werten, auf die die Menschen verpflichtet sind. Ein passenderer Kontext für diese Werte als der Naturalismus (geschweige denn eine andere nicht-theistische Weltanschauung) ist der Charakter eines äußerst wertvollen, guten Gottes, nach dessen Bild und Gleichnis die Menschen geschaffen wurden. Diese imago Dei schließt den Besitz von moralischen Fähigkeiten, Werten und Verpflichtungen ein. George Mavrodes merkt zur Rolle von moralischen Werten in naturalistischen Weltanschauungen wie der Bertrand Russells an: „Werte und Verpflichtungen können in einer solchen Welt nicht sehr tief sitzen. Sie bewegen sich nur auf der Oberfläche der Phänomene, wahrscheinlich nur auf der von Menschen. Tief sind in einer Russell’schen Welt Dinge wie Materie und Energie oder aber vielleicht Naturgesetze, Zufall oder Chaos“ (Mavrodes 1986, 225). Dagegen lässt sich vom Theismus sagen, dass er „der Ethik eine tiefere Stellung in der Welt gibt als die Russell’sche Anschauung und ihr so ‚Sinn‘ verleiht“ (Mavrodes 1986, 226). Was auch immer die naturalistischen ethischen Realisten behaupten mögen, eine „wissenschaftliche Erklärung“ scheint die Ablehnung objektiver moralischer Werte geradezu einzufordern, um eine unnötige Erweiterung der Ontologie zu vermeiden. Genauer gesagt, warum sollten wir objektive moralische Werte einsetzen, wenn eine rein wissenschaftliche Beschreibung ausreicht? Warum sollten wir nicht moralfreie Begriffe und Erklärungen für Ereignisse verwenden, die naturalistische ethische Realisten gemeinhin mit einem ethischen Wert belegen? Warum sollten wir nicht die objektive Moral zugunsten der Einfachheit aufgeben? Naturalistische ethische Realisten antworten darauf mit dem Hinweis, dass moralische Fakten bestimmte Handlungen erklären können, wie zum Beispiel in der Aussage: Hitler tötete Millionen von Juden, weil er moralisch verkommen war. Aber es ist fraglich, ob der naturalistische ethische Relativist damit auch die explanatorische Notwendigkeit der moralischen Fakten angemessen erfasst hat. Eine „streng wissenschaftliche Antwort“ sähe wahrscheinlich so aus: Hitler war ein sehr verbitterter und wütender Mensch. Aufgrund vieler falscher Überzeugungen über die Juden (insbesondere die Ansicht, dass sie für Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich gewesen seien) wurde der Judenhass zu einem befriedigenden Ventil für aufgestaute Feindschaft und Wut. Seine moralischen Überzeugungen setzten dem Ausdruck dieses Hasses keine Grenzen. (Carson 2000, 194)
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Moralische Realisten mögen zwar nur zu dem Zugeständnis bereit sein, dass moralische Tatsachen vielleicht für die Erklärung von Hitlers Verhalten relevant sein können; im Allgemeinen haben sie aber keine Antwort auf die These, moralische Tatsachen seien für eine Erklärung von Hitlers Verhalten notwendig. „Moralische Eigenschaften scheinen für die Erklärung verzichtbar zu sein. Natürliche Eigenschaften scheinen die gesuchte Erklärung vollständig zu leisten“ (Carson 2000, 198). Nichts ist zudem durch die Annahme erklärt, dass moralische Eigenschaften durch natürliche Tatsachen konstituiert würden: „Die beste Erklärung für menschliches Verhalten, die uns im Moment zur Verfügung steht, beruft sich nicht auf die These, dass moralische durch natürliche Tatsachen konstituiert werden […], und es ist ein Rätsel, wie diese Eigenschaften die beobachtbaren Phänomene verursachen oder erklären können sollten“ (Carson 2000, 198f.). Die bloße Setzung der moralischen Eigenschaften als naturgegeben – die Annahme, dass sie durch Emergenz oder Supervenienz aus natürlichen Eigenschaften hervorgegangen sind – ist weit davon entfernt, eine Erklärung dafür sein, wie so etwas möglich ist. Es lässt sich schwer einsehen, warum der Naturalist gezwungen sein soll, zu moralischen Erklärungen Zuflucht zu nehmen, wenn die Sparsamkeit eine andere Lösung, nämlich eine „wissenschaftliche“, nahelegt. Warum müssen wir auf Präskriptives zurückgreifen, wenn wir uns auf dem Weg von Beschreibung und Wissenschaft befinden? Das Problem von Sein und Sollen bleibt für den Naturalisten weiterhin eine Herausforderung. Naturalisten stützen nun ihre wissenschaftliche Darstellung des moralischen Realismus auf eine erkenntnistheoretische Methode (vgl. Martin 2002; Shafer-Landauer 2005; dagegen Rea 2006), verfügen aber über keine angemessene ontologische Basis für die Moral. Es handelt sich um eine Verwechselung von Wissen und Sein. Der Anspruch, moralische Werte zu erkennen und moralische Urteile zu fällen oder zu präzisieren, scheint unangemessen; es fehlt die Grundlage für die Behauptung des Wertes, der Würde und der moralischen Verantwortung des Menschen und die Existenz moralischer Verpflichtungen. Vor einer unpersönlichen, materialistischen metaphysischen Kulisse bleibt es unklar, warum wertvolle, personale, verantwortliche, moralische Akteure überhaupt auf der Bühne erscheinen sollen. Wenn es aber einen personalen Gott gibt, der Menschen – Theisten genauso wie Nicht-Theisten – nach seinem Bild erschaffen hat, ist es keineswegs überraschend, dass der Atheist die gleichen objektiven moralischen Werte anerkennen kann wie der Theist. Wir funktionieren unserem Wesen [design] angemessen, wenn wir moralisch denken und handeln. Obwohl naturalistische moralische Realisten behaupten, dass die Notwendigkeit moralischer Wahrheiten Gottes Existenz irrelevant mache, würde ihre Notwendigkeit immer noch eine Grundlegung im Wesen eines guten, personalen Gottes erfordern: Er existiert notwendig in allen möglichen Welten, ist die Quelle aller notwendigen moralischen Wahrheiten und steht
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erklärungstechnisch vor den moralischen Werten, die in einer asymmetrischen Beziehung zu seiner Notwendigkeit stehen. Man könnte diese Situation mit einem Pendel vergleichen, dessen Periode (abgeschlossene Schwingung) von der Länge des Pendels abgeleitet werden kann, aber nicht umgekehrt. Die Länge des Pendels erklärt also die Periode, nicht die Periode die Länge (Mann 1997). Und selbst wenn moralische Standards unabhängig von Gott aufträten, bliebe immer noch die Frage, wie moralische Werte und moralisch verantwortliche Wesen aus den Prozessen von Ursache und Wirkung einer wertfreien Materie entstehen konnten. Dass eine geistlose materialistische Evolution dazu in der Lage gewesen sein sollte, Wesen hervorzubringen, die auf moralische Gesetze verpflichtet sind, die die Entstehung dieser Wesen offenbar schon „vorhergesehen“ haben, wäre nun wirklich ein enormer kosmischer Zufall! Die Existenz eines guten personalen Gottes, der die Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, bietet eine einfachere Verbindung, die nicht diesen ad hoc-Charakter hat. Um es mit den Worten von Thomas Carson zu sagen: „[Naturalistische] moralische Realisten haben es bisher versäumt, präzise Theorien zu entwickeln, die die relevanten (moralischen) Phänomene erklären oder voraussagen könnten“ (Carson 2000, 199). „Keine [naturalistische] moralischrealistische Theorie verfügt über so etwas wie die erklärende oder voraussagende Kraft einer Grundtheorie“ (Carson 2000, 199; Audi 1993, 111).
Die Verbindung zwischen Gott und objektiver Moral Wie oben bereits angeklungen, ist die kontextuelle Passung von Naturalismus und moralischem Realismus mangelhaft. Michael Martin behauptet, dass es „keinen Grund a priori gibt, warum objektive moralische Werte nicht durch die Materie konstituiert werden können“ (Martin 2002, 45). Um es aber noch einmal zu wiederholen, man wäre kaum in der Lage, ein Physiklehrbuch zu finden, das den Besitz von objektiven moralischen Werten in der Beschreibung oder der Definition von Materie verwendet. Egal ob man sie durch die Materie konstituiert oder sie als ein supervenientes Phänomen der Materie betrachtet, objektive moralische Werte, moralische Verpflichtungen und menschliche Würde bleiben in einem naturalistischen Rahmen Fremdkörper. Ein „natürlicherer“ Kontext für moralische Werte und menschliche Würde wäre der Theismus. Wir wurden durch einen personalen, sich seiner bewussten, Zwecke verfolgenden, guten Gott geschaffen, um ihm in bestimmten wichtigen Aspekten ähnlich zu sein. Wir sollten einen Kontext bevorzugen, in den sich die Behauptung von Menschenwürde und Menschenrechten sowie objektiver moralischer Werte besser einfügt. Der Theismus ist genau diese Passform. Ein äußerst wertvoller, personaler, guter Schöpfer bietet den Kontext für die Bestätigung, dass Men-
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schen Werte, Würde und moralische Verantwortung bzw. Verpflichtungen haben. Der Naturalismus erfordert dagegen, dass wir von wertfreien Prozessen zu wertvollen Wesen kommen können, von wissenschaftlichen Beschreibungen zu moralischen Vorschriften, vom Sein zum Sollen. Der Theismus stellt den überlegenen explanatorischen Kontext dar (Rea 2006). Zudem erscheint das Festhalten des Naturalismus an der Moral willkürlich und künstlich, wenn man die Verwurzelung dieser Weltanschauung in wertfreien, geistlosen Prozessen berücksichtigt. Der Theismus ist eine grundlegendere [basic] Erklärung, da er den Übergang zwischen einem guten Gott und den menschlichen Werten und Rechten problemloser überbrückt. Es sind dann keine Voraussetzungen nötig, die im Konflikt mit den Hintergrundannahmen stehen. Der personale Wert der Menschen lässt sich auf natürliche Weise aus dem Geschaffensein durch ein aufs Höchste wertvolles und göttliches personales Wesen ableiten. Das lässt sich durch einen Parallelfall erhellen: Es ist nicht erstaunlich, dass viele Naturalisten die Schwierigkeit anerkennen, die sie mit der Erklärung der Emergenz von Denken, Bewusstsein oder subjektiver Farberfahrung (aus der Perspektive der ersten Person) aus nicht-denkender Materie haben (McGinn 1990, 10f.). Auch hier bietet der Theismus einen problemloseren Übergang von einem äußerst bewussten Wesen zur Existenz von Bewusstsein im Universum. Ohne ein aufs Höchste bewusstes Wesen gäbe es kein Bewusstsein. Genauso gilt, ohne ein aufs Höchste gutes Wesen würden moralische Werte und Würde oder Rechte in dieser Welt nicht auftreten. Folglich gäbe es keine objektiven moralischen Werte. Genauso wie Bewusstsein sich in eine Welt mit einem Wesen, das sich seiner selbst in höchstem Maße bewusst ist, sinnvoll einfügt, so sind moralische Werte sinnvoller in einer Welt, in der ein äußerst gutes Wesen existiert. Die tiefere, grundlegendere [more basic], vereinigte und weniger ad hoc gegebene Erklärung ist vorzuziehen. Um die Verbindung von Moral und Theismus weiter zu vertiefen, haben viele Naturalisten anerkannt, dass die Existenz von bloß subjektiven moralischen Werten wahrscheinlich ist, wenn die Natur alles ist, was existiert. Einige erkennen sogar explizit an, dass wir gute Gründe für die Annahme der Existenz Gottes hätten, wenn es moralische Werte gäbe. Der Atheist J.L. Mackie äußerte sich einmal dahingehend, dass eine objektive Moral in einer naturalistischen Welt ein merkwürdiger Fremdkörper sei; in eine theistische Welt würde sie besser passen: Wenn objektive moralische Werte existieren, „[…] machen sie die Existenz eines Gottes wahrscheinlicher, als wenn es sie nicht gäbe. So ergibt sich schließlich doch noch ein verteidigenswertes induktives Argument aus der Moral für die Existenz Gottes“ (Mackie 1985, 184). Es macht keine Mühe, Naturalisten zu finden, die die Ethik für eine menschliche Erfindung oder eine biologische Anpassungsleistung für Überleben und Fortpflanzung halten. Russell betont, dass „die ganze Ethik aus
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dem Druck der Gemeinschaft auf das Individuum hervorgeht“ (Russell 1954, 124). Und ein anderer Naturalist bezeichnet Moral einfach als das „Nebenprodukt der evolutionären Prozesse, genauso wie andere Anpassungsleistungen“, zum Beispiel unsere Hände, Füße und Zähne (Ruse 1989, 268). Unser moralisches Bewusstsein hat einfach nur „biologischen Wert“ (Ruse 1989, 262). Im Licht der moralischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts und der folgenden moralischen Krise hat Jonathan Glover vorgeschlagen, Moral könne nur dann überleben, „wenn man sie als menschliche Schöpfung begreift“ (Glover 1999, 41). Er rät daher zu einer „Neuschaffung der Ethik durch den Menschen“ (Glover 1999, 42). Diese Art von subjektiver Konstruktion von Moral sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass die naturalistische Evolution nicht nur das Vertrauen in unsere moralischen Intuitionen und Grundüberzeugungen untergräbt, sondern auch in die Vernunft und die gedanklichen Prozesse selbst. Wenn wir einfach nur Organismen sind, die auf Überleben und Reproduktion eingestellt wurden, dann wir werden letztlich auch eine Menge von falschen Überzeugungen haben, die für das Überleben nützlich sind. Die naturalistische Evolution hat kein Interesse an Wahrheit, sondern am Kämpfen, Fliehen, Essen und Reproduzieren. Es ist denkbar, dass Menschen nur deshalb moralische Werte haben und wir nur deshalb an die Existenz von moralischen Verpflichtungen glauben, weil diese Überzeugungen unserer Gattung beim Überleben helfen, obwohl sie vollkommen falsch sind. Wir können unseren gedanklichen Prozessen nicht vertrauen. Wenn unsere Zweifel berechtigt sein sollten, dann nur aus Zufall, nicht aufgrund von Vernunftgründen. Wenn aber ein verlässlicher Gott unsere noetische Struktur geschaffen haben sollte, können wir auch unserem Vernunftvermögen und unseren moralischen Intuitionen trauen, anstatt ihre Verlässlichkeit zu bezweifeln. Wenn wir dazu geschaffen wurden, unseren Vermögen zu trauen, dann ist anhaltender Mangel an Vertrauen ein Zeichen für eine kognitive Fehlfunktion (Plantinga 2000, 185). Der Theist kann daran festhalten, dass menschliche Würde und objektive moralische Werte sich hier vorfinden, weil die Quelle des Kosmos in äußerster Weise personal und gut ist. Intrinsische Werte müssen von Anfang an gegeben sein, sonst ist es egal, wie viele nicht-personale und nichtwerthafte Komponenten angehäuft werden: Aus der Wertlosigkeit folgt nur Wertlosigkeit, Werte kommen von Werten. Ein personaler Schöpfer, der menschliche Personen nach seinem Abbild geschaffen hat, dient daher als ontologischer Ausgangspunkt für die Existenz von objektiven moralischen Werten und Verpflichtungen, von Menschenwürde und Menschenrechten. Ohne die Existenz eines personalen Gottes gäbe es überhaupt keine Personen; und wenn keine Personen existierten, träten auch keine moralischen Eigenschaften in unserer Welt auf. Gott ist der notwendige Grund für die Realisation von moralischen Eigen-
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schaften. Moralische Werte und Personalität sind eng miteinander verflochten. Der atheistische moralische Realist fordert, dass die Aussage, morden sei schlecht, sogar dann gelte, wenn es Gott nicht gibt. Darauf ist erstens zu antworten, dass, selbst wenn wir zugestehen, moralische Tatsachen seien einfache Gegebenheiten und (wie logische Gesetze) notwendig wahr, der gewaltige kosmische Zufall der Übereinstimmung von diesen moralischen Tatsachen und der tatsächlichen evolutionären Entstehung von selbstreflektierenden moralischen Wesen, die durch sie moralisch verpflichtet sind und das auch anerkennen, eine Erklärung fordert. Diese moralischen Tatsachen scheinen unser Auftreten antizipiert zu haben. Eine Erklärung, die weniger an den Haaren herbei gezogen wäre, bestünde in der Annahme, ein Gott habe werthafte menschliche Wesen nach seinem Abbild geschaffen. Zweitens brauchen die moralischen Wahrheiten auch dann eine Begründung durch den personalen Charakter Gottes, wenn sie notwendig sind. Gott existiert in allen möglichen Welten notwendigerweise und kann daher die Quelle von notwendigen moralischen Wahrheiten sein, die in einem asymmetrischen Verhältnis zu Gottes Notwendigkeit stehen. Gott stünde in der Erklärung immer vor diesen moralischen Werten.
Das Euthyphron-Dilemma Im Anschluss an Platons Dialog Euthyphron wurde vorgeschlagen, dass das Gute („das, was heilig ist“) entweder in dem besteht, was Gott gebietet – dann wäre es allerdings beliebig – oder in etwas, an dem sich auch Gott orientieren muss. In diesem Fall gäbe es einen unabhängigen Standard für Moral (Platon 1990a, 10a). So schreibt der Naturalist David Brink: „Wenn Gott existierte, würde sie [sic] ausschließlich alle moralisch korrekten Handlungen gebieten, weil diese Handlungen gut oder richtig sind, vorgängig und unabhängig von Gottes Willen und unabhängig davon, dass Gott selbst gut ist“ (Brink 1989, 158). Auf der anderen Seite „bestehen moralische Eigenschaften nicht aus Eigenschaften des göttlichen Willens“ (Brink, 1989, 158). Dieses Dilemma besteht mehr dem Schein nach als in Wirklichkeit. Es kann vollständig durch das Zurückführen der objektiven moralischen Werte auf den nicht-beliebigen, wesentlich guten Charakter Gottes aufgelöst werden, der uns als sein Bild geschaffen hat. Selbst wenn göttliche Gebote eine auf den Einzelfall gehende Unterweisung darstellen, spiegeln sie doch Gottes gutes Wesen wieder. Hier folgen einige weitere Überlegungen: (1) Wenn die naturalistische moralische Realistin selbst einem bestimmten moralischen Standard anhängt, können wir fragen: „Sind diese moralischen Werte einfach deshalb gut, weil sie gut sind, oder gibt es einen unabhängigen Maßstab der Güte,
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mit dem sie übereinstimmen?“ Das Argument aus dem Euthyphron gewährt ihr also keinen wirklichen Vorteil gegenüber der theistischen Perspektive. (2) Das Unterfangen des Naturalisten ist zwecklos, da wir letztlich bei einem sich selbst genügenden und sich selbst erklärenden Endpunkt anlangen müssen, über den hinaus die Diskussion ihren Sinn verliert. (3) Gott bedarf keines externen moralischen Maßstabs, da er wesentlich vollkommen ist. Gott handelt einfach, und es ist gut, da er natürlicherweise das tut, was gut ist. (4) Die Idee, Gott könnte böse sein oder Schlechtes gebieten, widerspricht der Definition Gottes. Andernfalls wäre ein solches Wesen nicht Gott und hätte keinen Anspruch auf Verehrung. (5) Die Annahme moralischer Werte impliziert eine Art von letztem Ziel oder kosmischem Plan für die Menschen, was keinen Sinn unter den Bedingungen des Naturalismus machte im Gegensatz zum Theismus, der einen solchen Plan annimmt (Copan 2003).
Ergebnis Menschliche Würde, moralische Verantwortung und moralische Verpflichtung sind berechtigt basal [properly basic]. Wir betrachten sie ständig in unserem persönlichen Leben und im öffentlichen Diskurs (zum Beispiel in unserem Gerichtssystem) als selbstverständlich. Alle Menschen, die richtig funktionieren, werden diese intuitiven moralischen Grundprinzipien akzeptieren. Wenn nun moralische Werte, menschliche Würde und persönliche Verantwortung existieren, scheint es, dass der Theismus über die ausreichenden Mittel verfügt, diese Tatsachen zu erklären – nämlich, dass wir als Abbilder des guten personalen Gottes geschaffen wurden. Ohne einen solchen personalen guten Gott gäbe es keine moralischen Werte, denn es gäbe keine Personen, in denen diese Werte wohnten (Copan 2003; 2004; 2007). Natürlich kann ein erfolgreiches moralisches Argument nicht die Existenz des Gottes Abrahams, Isaaks, Jakobs und Jesu vollständig offenlegen, so dass ein ausgewachsener, robuster Theismus konstituiert würde. Das moralische Argument kann zum Beispiel um andere erfolgreiche theistische Argumente ergänzt werden oder durch die Bezugnahme auf eine mögliche besondere Offenbarung, die die Identität dieses Gottes weiter verdeutlicht. Vielleicht hat dieser Gott Vorsorge getragen, um uns von unserer verzweifelten Pflicht in einer Welt des Übels und des Leidens zu erlösen. Dieses Argument spricht aber für die Existenz eines höchsten personalen moralischen Wesens, das der Verehrung würdig ist, das uns mit Würde und Wert geschaffen hat, dem gegenüber wir verantwortlich sind und das vernünftigerweise „Gott“ genannt werden kann.
Das Problem des Übels
William L. Rowe: The Problem of Evil and Some Varieties of Atheism, in: American Philosophical Quarterly 16 (1979) 335-341. © American Philosophical Quarterly, Pittsburgh
WILLIAM L. ROWE
Das Problem des Übels und einige Formen des Atheismus Dieser Aufsatz befasst sich mit drei verbundenen Fragen. Die erste lautet: Gibt es ein Argument für den Atheismus, das sich auf die Existenz von Übel stützt, dass jemand darin rational rechtfertigt, ein Atheist zu sein? Auf diese erste Frage antworte ich mit Ja und versuche, die Antwort durch ein starkes Argument für den Atheismus, das auf die Existenz des Übels gegründet ist, zu stützen.1 Die zweite Frage lautet: Wie kann der Theist am besten seine Position gegen das Argument für einen Atheismus verteidigen, der sich auf die Existenz des Übels gründet? In der Antwort auf diese Frage versuche ich zu beschreiben, was eine angemessene rationale Verteidigung gegen jede Art von Argument für den Atheismus sein könnte, die sich auf die Existenz des Übels gründet. Die letzte Frage lautet: Welche Einstellung sollte ein gebildeter Atheist gegenüber der Rationalität von theistischen Überzeugungen einnehmen? Die drei Antwortmöglichkeiten, die einem Atheist auf diese Frage zur Verfügung stehen, dienen dazu, drei Formen des Atheismus zu unterscheiden: den unfreundlichen, den indifferenten und den freundlichen Atheismus. Bevor wir das Argument aus dem Übel erörtern, müssen wir noch zwischen einem engen und einem weiten Sinn der Ausdrücke „Theist“, „Athe1
Einige Philosophen gestehen zu, dass die Existenz von Übel logisch inkonsistent mit der Existenz eines theistischen Gottes ist. Keiner, scheint mir, hat eine solche extravagante Behauptung erfolgreich etabliert. Wenn man den Kompatibilismus als gegeben setzt, gibt es ein hinreichend überzeugendes Argument für die Annahme, dass die Existenz des Übels logisch konsistent mit der Existenz des theistischen Gottes ist. (Eine luzide Formulierung dieses Arguments findet sich bei Plantinga 1974a, 29-59.) Es bleibt in Unterscheidung zur logischen Form die evidentielle Form des Problems des Übels: Die Vielfalt und Verbreitung des Übels in unserer Welt gibt uns, auch wenn sie vielleicht nicht logisch inkonsistent mit der Existenz des theistischen Gottes ist, vernünftige Gründe für den Atheismus. In diesem Aufsatz werde ich mich allein mit der evidentiellen Form des Problems befassen, die, wie ich denke, ein sehr ernstes Problem für den Theismus darstellt.
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ist“ und „Agnostiker“ unterscheiden. Unter einem Theisten im engen Sinne verstehe ich jemanden, der an die Existenz eines allmächtigen, allwissenden, ewigen, herausragend guten Wesens glaubt, das die Welt geschaffen hat. Unter einem Theisten im weiten Sinn verstehe ich jemanden, der an die Existenz irgendeiner Art von göttlichem Wesen oder göttlicher Realität glaubt. Der Theismus im engen Sinn schließt den Theismus im weiten Sinn ein, aber man kann ein Theist im weiten Sinn sein – wie Paul Tillich – ohne zu glauben, dass es ein herausragend gutes, allmächtiges, allwissendes, ewiges Wesen gibt, das die Welt geschaffen hat. Die gleichen Unterscheidungen müssen auch zwischen einem engen und weiten Sinn der Ausdrücke „Atheist“ und „Agnostiker“ gezogen werden. Um ein Atheist im weiten Sinn zu sein, muss man die Existenz von jeder Art von göttlichem Wesen oder göttlicher Realität verneinen. Tillich war kein Atheist im weiten Sinn. Aber er war es im engen Sinn, denn er verneinte, dass es ein göttliches Wesen gebe, das allwissend, allmächtig und vollkommen gut ist. In diesem Aufsatz werde ich die Ausdrücke „Theismus“, „Theist“, „Atheismus“, „Atheist“, „Agnostizismus“, „Agnostiker“ im engen und nicht im weiten Sinn verwenden.
I Um das Argument für den Atheismus aus der Existenz des Übels zu entwickeln, ist es nützlich, sich auf ein spezielles Übel zu konzentrieren, das es in der Welt in Fülle gibt. Starkes Leiden von Menschen und Tier zum Beispiel tritt täglich in großer Menge in unserer Welt auf. Dieses starke Leiden ist ein klarer Fall von Übel. Wenn wir natürlich durch das starke Leiden ein größeres Gut gewännen, das wir nicht erlangt hätten ohne eben dieses Leiden, könnten wir folgern, dass das Leiden gerechtfertigt ist. Trotzdem bleibt es ein Übel. Wir dürfen nämlich nicht das starke Leiden an sich mit den guten Dingen verwechseln, zu denen es manchmal führt oder deren notwendiger Teil es ist. Starkes Leiden von Menschen oder Tieren ist in sich selbst schlecht; es ist ein Übel, auch wenn es manchmal als Teil eines Gutes oder als Zugang zu ihm gerechtfertigt ist, weil dieses Gut ohne Leid nicht erlangt werden kann. Was in sich selbst ein Übel ist, kann als Mittel gut sein, weil es zu etwas in sich selbst Gutem führt. In diesem Fall ist das starke Leiden von Mensch und Tier, auch wenn es in sich selbst ein Übel ist, dennoch ein Übel, dessen Zulassung moralisch gerechtfertigt sein kann. Wenn wir das Leiden von Mensch und Tier als klaren Fall eines häufig in der Welt vorkommenden Übels nehmen, kann das Argument für den Atheismus aufgrund des Übels folgendermaßen formuliert werden:
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(1) Es gibt Fälle von starkem Leiden, die ein allmächtiges und allwissendes Wesen verhindert haben könnte, ohne dabei ein größeres Gut zu verlieren oder ein gleich großes oder schlimmeres Übel zuzulassen.2 (2) Ein allwissendes, vollkommen gutes Wesen würde das Vorkommen jedes starken Leidens verhindern, das es verhindern kann, es sei denn, es könnte das nicht, ohne ein größeres Gut zu verlieren oder ein gleich großes oder schlimmeres Übel zuzulassen. (3) Es gibt kein allmächtiges, allwissendes und vollkommen gutes Wesen. Was lässt sich zu diesem Argument für den Atheismus sagen, das sich auf Verbreitung einer Sorte von Übel in der Welt stützt? Das Argument ist gültig. Daher haben wir, wenn wir rationale Gründe für die Akzeptanz der Prämissen haben, im gleichen Maß rationale Gründe für die Akzeptanz des Atheismus. Haben wir aber rationale Gründe für die Prämissen des Arguments? Wir wollen mit der zweiten Prämisse beginnen. L1 sei ein Fall von immensem Leiden eines Menschen oder anderen Lebewesens, das von einem allwissenden, vollkommen guten Wesen verhindert werden könnte. Wir nehmen ferner an, dass L1 unvermeidlich auftreten wird, wenn es nicht von einem allwissenden, vollkommen guten Wesen (AG) verhindert wird. Wir könnten nun an der Feststellung dessen interessiert sein, was eine hinreichende Bedingung dafür sein könnte, dass AG L1 nicht verhindert. Aber für unseren Zweck reicht es aus, eine notwendige Bedingung dafür zu finden, dass AG L1 nicht verhindert. Mir scheint, diese Bedingung lässt sich folgendermaßen formulieren: Entweder (i) gibt es ein größeres Gut G, das von AG nur erlangt werden kann, wenn AG L1 zulässt,3 2
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Wenn es ein Gut G gibt, das größer als jedes Übel ist, dann ist (1) aus dem trivialen Grund falsch, weil unabhängig davon, welche Übel Ü wir auch wählen, für den konjunktiven guten Zustand aus G und Ü gilt, dass Ü aufgewogen wird. Zugleich wird dieser Zustand so sein, dass ein allmächtiges Wesen ihn nicht erreichen könnte, ohne Ü zuzulassen (vgl. Plantinga 1967, 167). Um diesem Einwand aus dem Weg zu gehen, müssen wir „unersetzbar“ in den Prämissen (1) und (2) vor „größeres Gut“ einfügen. Wenn Ü für G nicht erforderlich und G besser als G plus Ü ist, dann ließe sich der gute konjunktive Zustand aus G und Ü durch das größere Gut G allein ersetzen. Der Einfachheit halber will ich diesen komplizierten Fall für die Formulierung und Diskussion der Prämissen (1) und (2) ignorieren. Im Zusammenhang von (i) sind drei klärende Bemerkungen nötig: Erstens will ich mit „Gut“ nicht die Erfüllung moralischer Prinzipien ausschließen. Das Verhindern von L1 könnte es vielleicht unmöglich machen, bestimmte Handlungen zu vollziehen, die die Prinzipien der Gerechtigkeit fordern. Ich werde daher zugestehen, dass die Erfüllung gewisser Prinzipien der Gerechtigkeit ein Gut sein könnte, dass das Übel von L1 aufwiegt. Auch wenn durch (i) ein anderer Eindruck entstehen mag, so will ich doch zweitens das gemeinte Gut nicht auf die Fälle beschränken, in denen es in zeitlicher Folge zu L1 steht. Schließlich sollten wir AG vielleicht nicht dafür kritisieren, wenn das Gut, das mit der Verhinderung von L1 verloren wäre, nicht tatsächlich größer als L1 ist,
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oder (ii) es gibt ein größeres Gut G, das von AG nur erlangt werden kann, wenn AG L1 oder ein gleich großes oder größeres Übel zulässt, oder (iii) L1 ist dergestalt, dass es nur dann von AG verhindert werden kann, wenn es L1 oder ein gleich großes oder größeres Übel zulässt. Die Feststellung ist wichtig, dass (iii) nicht in (i) enthalten ist. Denn ein Gut zu verlieren, das größer als L1 ist, ist nicht das Gleiche, wie ein Übel zuzulassen, dass größer als L1 ist. Der Grund dafür liegt darin, dass die Abwesenheit einer guten Sachlage nicht notwendig eine üble Sachlage impliziert. Es ist zudem wichtig, zu beachten, dass L1 dergestalt sein kann, dass es von AG verhindert werden könnte, ohne dass G verloren ginge (so dass Bedingung (i) nicht erfüllt wäre). L1 könnte aber auch dergestalt sein, dass G verloren ginge, wenn AG L1 verhinderte, es sei denn, AG ließe ein gleich großes oder größeres Übel zu. Wenn dem so wäre, scheint die Forderung, dass AG L1 verhindern solle, nicht richtig zu sein. Daher berücksichtigt Bedingung (ii) eine wichtige Möglichkeit, die in Bedingung (i) nicht eingeschlossen ist. Ist es wahr, dass, wenn ein allwissendes, vollkommen gutes Wesen das Auftreten von starken Leiden, das es verhindern könnte, zulässt, entweder (i), (ii) oder (iii) zutrifft? Mir scheint das der Fall zu sein. Wenn das aber wahr ist, dann ist es auch die Prämisse (2) des Arguments für den Atheismus. Denn diese Prämisse behauptet nur in einer kompakteren Form, was nach unserem Vorschlag wahr sein muss, wenn ein allwissendes, vollkommen gutes Wesen ein starkes Leiden nicht verhindert, das es verhindern könnte. Prämisse (2) sagt, dass ein allwissendes, vollkommen gutes Wesen das Auftreten jedes starken Leidens verhindern würde, es sei denn, es könnte das nicht tun, ohne dadurch ein größeres Gut zu verlieren oder ein gleich großes oder größeres Übel zuzulassen. Diese Prämisse (oder eine ähnliche) wird meines Erachtens allgemein von vielen Atheisten und Nicht-Theisten vorausgesetzt. Es mag natürlich unterschiedliche Ansichten darüber geben, ob etwas als Gut bezeichnet werden kann und ob man, wenn es sich um ein Gut handelt, moralisch gerechtfertigt ist, ein starkes Leiden zuzulassen, um dieses Gut zu erreichen. Jemand könnte zum Beispiel annehmen, dass kein Gut groß genug sei, um zu rechtfertigen, dass ein unschuldiges Kind schrecklich leiden muss.4 Noch einmal: Jemand kann durchaus der Ansicht sein, dass die bloße Tatsache, dass ein Gut ein bestimmtes Leiden überwiegt und verloren wäre, wenn das Leiden verhindert würde, kein moralisch hinreichender Grund für das Zulassen dieses Leidens ist. Egal welche
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sondern nur derart, dass das Zulassen von L1 und G – im Gegensatz zum Verhindern von L1 bei gleichzeitigem Verlust von G – die Balance zwischen Gut und Übel nicht veränderte. Ich habe diesen Punkt in der Formulierung von (i) ausgelassen, so dass (i) etwas stärker ist, als es sein sollte. Siehe dazu die Rede Iwans im fünften Buch, Kapitel IV, der Brüder Karamasoff (Dostojewski 1999, 387-395).
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Ansicht man diesbezüglich vertritt, (2) wird in keinem Fall verneint. Denn (2) behauptet nur, dass, wenn ein allwissendes, vollkommen gutes Wesen starkes Leiden zulässt, entweder ein größeres Gut verloren ginge oder ein gleich großes oder ein größeres Übel einträte, wenn das starke Leiden verhindert worden wäre. (2) gibt nicht vor zu beschreiben, was eine hinreichende Bedingung für ein allmächtiges, vollkommen gutes Wesen wäre, um starkes Leiden zuzulassen, sondern nur eine notwendige Bedingung. So scheint (2) eine Überzeugung auszudrücken, die mit unseren grundlegenden moralischen Prinzipien übereinstimmt und die Theisten und Atheisten teilen. Wenn wir das Argument für den Atheismus widerlegen wollen, müssen wir einen Fehler in der ersten Prämisse finden. Angenommen, in einem abgelegenen Wald entzündet ein Blitz einen toten Baum und löst einen Waldbrand aus. Das Feuer wird für ein Rehkitz zur Falle, das fürchterlich verbrannt mehrere Tage in Agonie liegt, bevor der Tod es von seinen Leiden erlöst. Soweit wir sehen können, ist das Leiden des Rehkitzes sinnlos. Es scheint nämlich kein größeres Gut zu geben, so dass es die Vermeidung des Leidens des Rehkitzes erforderlich machen würde, entweder dieses Gut zu verlieren oder das Eintreten eines gleich großen oder größeren Übels zuzulassen. Auch scheint es kein gleich großes oder schlimmeres Übel zu geben, das so mit dem Leiden des Rehkitzes verbunden wäre, dass es eingetreten wäre, wenn das Leiden des Rehkitzes vermieden worden wäre. Könnte ein allmächtiges, allwissendes Wesen das offensichtlich zwecklose Leiden des Rehkitzes verhindern? Die Antwort ist offensichtlich, wie selbst der Theist zugeben würde. Ein allmächtiges, allwissendes Wesen würde es leicht verhindern können, dass das Rehkitz schrecklich verbrannt wird, oder es hätte, wenn die Verbrennung eingetreten wäre, dem Rehkitz die starken Schmerzen ersparen können, indem es sein Leben schnell beendet hätte, statt es mehrere Tage in schrecklicher Agonie liegen zu lassen. Da das starke Leiden des Rehkitzes vermeidbar und soweit wir feststellen können auch zwecklos war, scheint die Prämisse (1) des Arguments nicht wahr zu sein, dass es Fälle von starkem Leiden gibt, die ein allmächtiges, allwissendes Wesen verhindert hätte, ohne dadurch ein größeres Gut zu verlieren oder zuzulassen, dass ein gleich großes oder größeres Übel entstünde. Es ist zuzugestehen, dass der Fall des offenbar zwecklosen Leidens des Rehkitzes nicht beweist, dass (1) wahr ist. Denn auch wenn wir nicht erkennen können, wieso das Leiden des Kitzes erforderlich ist, um ein größeres Gut zu erlangen (oder um ein gleich großes oder größeres Übel zu vermeiden), folgt daraus nicht, dass es nicht erforderlich ist. Wir sind ja oft erstaunt, dass Dinge, die unverbunden erschienen, sich letztlich als eng verbunden herausstellen. Vielleicht gibt es ein vertrautes Gut, das schwerer als die Leiden des Rehkitzes wiegt und mit dem das Leiden des Rehkitzes auf eine Weise verbunden ist, die wir nicht erkennen. Außerdem könnte es uns nicht vertraute Güter geben, Güter, die wir uns nicht einmal im Traum vor-
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stellen können, mit denen das Leid des Rehkitzes untrennbar verbunden ist. Es scheint so etwas wie Allwissenheit unsererseits zu erfordern, bevor wir behaupten könnten, wir wüssten, dass es kein größeres Gut gibt, das mit dem Leiden des Rehkitzes so verbunden ist, dass ein allmächtiges, allwissendes Wesen dieses Gut nicht erlangt haben könnte, ohne dieses Leiden oder gleich großes oder größeres Übel zuzulassen. Daher erlaubt das Leiden des Rehkitzes sicher nicht, die Wahrheit von (1) definitiv festzustellen. In Wahrheit sind wir nicht in der Lage zu beweisen, dass (1) wahr ist. Wir können nicht mit Sicherheit wissen, dass Fälle von Leiden der Art, wie sie in (1) beschrieben werden, in unserer Welt vorkommen. Aber es ist eine Sache, zu wissen oder zu beweisen, dass (1) wahr ist, und etwas ganz anderes, vernünftige Gründe für die Annahme zu haben, dass (1) wahr ist. Wir sind oft in der Position, dass es im Licht unserer Erfahrung und unseres Wissens vernünftig ist zu glauben, dass eine bestimmte Aussage wahr ist, obwohl wir nicht in der Lage sind zu beweisen oder zu wissen, dass sie wahr ist. Im Licht unserer bisherigen Erfahrungen und unseres bisherigen Wissens ist es vernünftig zu glauben, dass weder Goldwater noch McGovern jemals die Präsidentschaftswahlen gewinnen werden. Aber wir werden nie in der Position sein, mit Sicherheit zu wissen, dass keiner der beiden zum Präsidenten gewählt werden wird. So ist es auch mit (1): Obwohl wir nicht mit Sicherheit wissen können, dass Prämisse (1) wahr ist, kann sie vielleicht auf Vernunftgründe gestützt werden und so als vernünftige Überzeugung ausgewiesen werden. Betrachten wir erneut das Leiden des Rehkitzes. Ist es vernünftig anzunehmen, dass es ein größeres Gut gibt, das so eng mit dem Leiden verbunden ist, dass sogar ein allmächtiges, allwissendes Wesen dieses Gut nicht hätte erreichen können, ohne dieses Leiden oder ein gleich großes Übel zuzulassen? Es scheint gewiss nicht vernünftig, das zu glauben. Noch erscheint es vernünftig zu glauben, dass es ein Übel gibt, das wenigstens genauso groß ist wie das Leiden des Rehkitzes, das ein allmächtiges Wesen nicht hätte verhindern können, wenn es das Leiden des Rehkitzes nicht zugelassen hätte. Aber selbst wenn es irgendwie vernünftig wäre, eine von diesen beiden Annahmen über das Leiden des Rehkitzes zu glauben, müssen wir fragen, ob es vernünftig ist, eine von diesen Annahmen für alle Fälle von scheinbar sinnlosem menschlichen und tierischen Leiden, die täglich in unserer Welt vorkommen, zu akzeptieren. Die Antwort auf diese allgemeinere Frage muss sicherlich Nein lauten. Es erscheint ziemlich unwahrscheinlich, dass alle Fälle von starkem Leiden, das täglich in unserer Welt vorkommt, mit dem Auftreten eines größeren Gutes oder der Vermeidung eines mindestens gleich großen Übels auf engste verbunden ist; und es ist sogar noch unwahrscheinlicher, wenn sie tatsächlich alle so verbunden sein sollten, dass ein allmächtiges, allwissendes Wesen nicht wenigstens einige dieser Güter erreicht oder einige dieser Übel vermieden haben könnte, ohne die Fälle von starkem Leiden zuzulassen, von denen angenommen
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wird, dass sie damit verbunden sind. Im Licht unserer Erfahrung und unseres Wissens der Vielfalt und des Grades von menschlichem und tierischem Leiden in unserer Welt erscheint die Idee ausgesprochen absurd, dass keines dieser Leiden von einem allmächtigen Wesen hätte vermieden werden können, ohne dadurch ein größeres Gut zu verlieren oder ein mindestens gleich großes Übel zuzulassen. Diese Idee ist einfach unglaubhaft. Es scheint also, dass es, obwohl wir nicht beweisen können, dass (1) wahr ist, trotzdem völlig vernünftig ist anzunehmen, dass (1) wahr ist, das heißt, dass (1) eine vernünftige Überzeugung ist.5 Bei unserem Argument für den Atheismus haben wir gesehen, dass die zweite Prämisse eine Grundüberzeugung ausdrückt, die Theisten und NichtTheisten teilen. Wir haben auch gesehen, dass unsere Erfahrung und unser Wissen von der Vielfalt und der Verbreitung von Leiden in unserer Welt eine vernünftige Absicherung für die erste Prämisse bereitstellt. Wir sehen, dass die Folgerung „Es gibt kein allmächtiges, allwissendes, vollkommen gutes Wesen“ aus diesen Prämissen folgt. Wir scheinen daher eine vernünftige Absicherung für den Atheismus zu haben. Das heißt, es ist für uns vernünftig zu glauben, dass es einen theistischen Gott nicht gibt.
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Man könnte einwenden, dass die Folgerung in diesem Paragraphen stärker als die Gründe sei, auf die sie sich stützt. Denn es ist zu unterscheiden zwischen dem Argument für die Unvernünftigkeit der Annahme, das (i) falsch ist, und der Folgerung, dass wir daher gerechtfertigt sind, (i) als wahr zu akzeptieren. Es gibt Aussagen, die zu glauben vernünftiger ist als sie nicht zu glauben, und von denen dennoch gilt, dass die Urteilsenthaltung wiederum vernünftiger als die Zustimmung ist. Um Chisholms Beispiel zu verwenden: Es ist vernünftiger anzunehmen, dass der Papst (zu einem zufällig gewählten Zeitpunkt) in Rom ist, als anzunehmen, er halte sich anderswo auf. Aber es ist vielleicht noch vernünftiger, sich eines Urteils über den gegenwärtigen Aufenthaltsort des Papstes zu enthalten, als anzunehmen, er sei in Rom. Daher könnte eingewandt werden, dass durch den Nachweis, dass (i) zu glauben vernünftiger als (i) nicht zu glauben sei, noch nicht gezeigt sei, dass (i) zu glauben auch vernünftiger als eine Urteilsenthaltung zu (i) ist. Darauf möchte ich folgendermaßen antworten: Wir wissen einige Dinge, die (i) in einem Maße wahrscheinlich machen, dass es vernünftiger ist, (i) zu glauben, als sich des Urteils über (i) zu enthalten. Worum handelt es sich? An erster Stelle steht die Tatsache der enormen Vielfalt und Verbreitung starken menschlichen und tierischen Leidens in unserer Welt. An zweiter Stelle kommt die Tatsache, dass vieles von diesem Leiden nicht mit größeren Gütern (oder der Abwesenheit eines gleich großen Übels) in Verbindung steht, durch die es gerechtfertigt werden könnte. Schließlich ist die Tatsache zu nennen, dass solches Leiden, selbst wenn mit größeren Gütern (oder der Abwesenheit eines gleich großen Übels) in Verbindung steht, in vielen Fällen nicht so strikt verbunden ist, dass es nur mit der Zulassung durch ein allmächtiges Wesen denkbar wäre, das diese Güter (oder die Abwesenheit dieser Übel) sicherstellen will. Diese Tatsachen, so behaupte ich, machen es vernünftiger, (i) zu akzeptieren, als sich des Urteils über (i) zu enthalten.
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II Kann der Theismus vernünftig gegen das Argument für den Atheismus, das wir gerade untersucht haben, verteidigt werden? Wenn ja, wie könnte der Theist am besten auf dieses Argument antworten? Insofern das Argument von (1) und (2) zu (3) gültig ist und insofern der Theist, genauso wie der Nicht-Theist, mehr als wahrscheinlich auf (2) verpflichtet ist, ist klar, dass der Theist das atheistische Argument nur zurückweisen kann, wenn er die erste Prämisse verwirft, die besagt, dass es Fälle von starkem Leiden gibt, die ein allmächtiges, allwissendes Wesen abgewendet haben könnte, ohne dabei ein größeres Gut zu verlieren oder ein gleich großes oder größeres Übel in Kauf zu nehmen. Wie kann der Theist auf diese Prämisse und die Erwägungen, die sie unterstützen, antworten? Es gibt grundsätzlich drei Antworten, die ein Theist entwickeln könnte. Erstens müsste er nicht dafür argumentieren, dass (1) falsch oder möglicherweise falsch ist, sondern nur dafür, dass die Gründe, die zur Absicherung von (1) angeführt werden, in gewisser Weise mangelhaft sind. Er kann dies tun, indem er entweder dafür argumentiert, dass die Gründe zur Stützung von (1) in sich unzureichend sind, um die Annahme von (1) zu rechtfertigen, oder dass uns anderes bekannt ist, das, wenn es mit diesen Gründen in Anschlag gebracht wird, es nicht gerechtfertigt erscheinen lässt, (1) anzunehmen. Ich nehme an, einige Theisten würden mit dieser ziemlich bescheidenen Antwort auf das Grundargument für den Atheismus zufrieden sein. Die Schlüssigkeit des Arguments und die wahrscheinliche Zustimmung des Theisten zu (2) vorausgesetzt, ist dieser aber auf die Ansicht verpflichtet, dass (1) falsch ist, und kann sich nicht damit begnügen, dass wir keine guten Gründe für die Annahme der Wahrheit von (1) haben. Die zweite Gruppe von Antworten zielt darauf zu zeigen, dass es vernünftig ist zu glauben, dass (1) falsch ist. Insofern der Theist auf die Ansicht verpflichtet ist, werde ich mich auf diese zwei Versuche konzentrieren, die sich als „direkter Angriff“ und als „indirekter Angriff“ unterscheiden lassen. Als direkten Angriff bezeichne ich den Versuch, (1) zum Beispiel durch das Aufzeigen von Gütern zurückzuweisen, die ein allmächtiges, allwissendes Wesen nicht ohne das Zulassen von Leiden erlangt haben würde. Es ist jedoch zweifelhaft, ob der direkte Angriff erfolgversprechend ist. Der Theist könnte darauf verweisen, dass einige Leiden eine moralische und spirituelle Entfaltung ermöglichen, die ohne sie nicht erreichbar gewesen wäre. Es ist jedoch kaum vernünftig bezweifelbar, dass Leiden oft in einem Maße auftreten, das die Erfordernisse für die Charakterbildung übersteigt. Der Theist könnte sagen, dass einige Leiden die Folge der Wahlfreiheit der Menschen sind und nur durch die Einschränkung der menschlichen Freiheit vermieden werden könnten. Aber auch hier ist klar, dass zahlreiche starke Leiden auftreten, ohne die Folge der menschlichen freien Wahl zu sein. Der
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direkte Angriff auf Prämisse (1) hat mit einer doppelten Schwierigkeit zu kämpfen. Erstens muss er erfolglos bleiben, weil der Theist nicht bei jedem starken menschlichen oder tierischen Leiden weiß, welchem größeren Gut es dient oder welche Übel es abwendet. Zweitens geht die religiöse Tradition des Theisten gewöhnlich davon aus, dass wir in diesem Leben Gottes Zweck nicht erkennen, die ihn dazu bewegen, dieses konkrete Leiden zuzulassen. Daher kann der direkte Angriff auf Prämisse (1) keinen Erfolg haben und verletzt zudem Grundüberzeugungen, die mit dem Theismus verbunden sind. Das beste Vorgehen für den Theisten bei der Kritik von Prämisse (1) ist der indirekte Angriff. Dieses Vorgehen möchte ich zu Ehren des großen Philosophen des 20. Jahrhunderts die „G.E. Moore Verschiebung“ nennen, da er das Verfahren mit großer Wirkung in der Auseinandersetzung mit den Argumenten der Skeptiker angewandt hat. Skeptische Philosophen wie David Hume haben geniale Argumente vorgetragen, um zu beweisen, dass niemand von der Existenz eines materiellen Gegenstands wissen kann. Die Prämissen ihrer Argumente wenden plausible Prinzipien an, die viele Philosophen direkt anzugreifen versuchten, wenn auch mit zweifelhaftem Erfolg. Moores Vorgehen war dagegen gänzlich anderer Art. Statt direkt gegen die Prämissen der Argumente des Skeptikers Einwände zu erheben, stellt Moore einfach fest, dass die Prämissen zum Beispiel implizieren, dass er (Moore) nicht von der Existenz eines Bleistifts wisse. Moore wendet sich dann indirekt gegen die Prämissen des Skeptikers: (1) Ich weiß, dass dieser Bleistift existiert. (2) Wenn die Prinzipien der Skeptiker richtig sind, dann kann ich nicht wissen, dass dieser Bleistift existiert. (3) Wenigstens eines der Prinzipien des Skeptikers muss falsch sein. Moore stellt dann fest, dass sein Argument genauso gültig ist, wie das des Skeptikers, und dass beide Argumente die Prämisse beinhalten „Wenn die Prinzipien des Skeptikers richtig sind, kann Moore nicht von der Existenz des Bleistiftes wissen“. Er folgert daraus, dass der einzige Weg, um zwischen den beiden Argumenten zu wählen, in der Entscheidung darüber besteht, welche von den ersten Prämissen vernünftigerweise geglaubt werden sollte: Moores Prämisse „Ich weiß, dass dieser Bleistift existiert“ oder die Prämisse des Skeptikers, der behauptet, dass seine skeptischen Prinzipien richtig sind. Moore kommt zu dem Ergebnis, dass seine erste Prämisse die vernünftigere der beiden sei.6 Bevor wir uns der Frage zuwenden, wie der Theist die „G.E. Moore Verschiebung“ auf das Grundargument für den Atheismus anwenden kann, müssen wir uns die allgemeine Strategie dieser Verschiebung genauer an6
Vgl. etwa die zwei Kapitel über Hume in Moore 1953.
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schauen. Wir stehen vor einem Argument: p, q, daher r. Anstatt direkt gegen p zu argumentieren, wird ein anderes Argument konstruiert – nicht-r, q, daher nicht nicht-p –, das mit der Verneinung der Folgerung aus dem ersten Argument beginnt, seine zweite Prämisse beibehält und mit der Verneinung der ersten Prämisse als neuer Folgerung endet. Vergleichen wir zum Beispiel diese zwei Syllogismen: I.
p q r
II.
nicht-r q nicht-p
Es ist eine logische Wahrheit, dass wenn I gültig ist, auch II gültig sein muss. Insofern die Argumente hinsichtlich der zweiten Prämisse gleich sind, muss jede Wahl zwischen ihnen ihre ersten Prämissen betreffen. Um mit dem Gegenargument II gegen die erste Prämisse zu argumentieren, muss die „G.E. Moore Verschiebung“ zur Anwendung kommen. Wenn der Theist die „G.E. Moore Verschiebung“ gegen die erste Prämisse des Grundarguments für den Atheismus anwendet, kann er auf folgende Weise argumentieren: (nicht-3) Es gibt ein allmächtiges, allwissendes und gänzlich gutes Wesen. (2) Ein allwissendes, gänzlich gutes Wesen würde das Auftreten von jedem starkem Leiden verhindern. Es sei denn, es könnte dies nicht, ohne dadurch ein größeres Gut zu verlieren oder ein gleich großes oder schlimmeres Übel zuzulassen. Daher (nicht-1) Es trifft nicht zu, dass es Fälle von starkem Leiden gibt, die ein allmächtiges, allwissendes Wesen verhindern könnte, ohne dadurch ein größeres Gut zu verlieren oder ein gleich großes oder schlimmeres Übel zuzulassen. Wir haben nun zwei Argumente: Das Grundargument für den Atheismus von (1) und (2) zu (3) und die Antwort des Theisten von (nicht-3) und (2) zu (nicht-1). Der Theist sagt über (1), dass er vernünftige Gründe für den Glauben an die Existenz des theistischen Gottes hat (nicht-3), dass er (2) als wahr akzeptiert, und dass er erkennt, dass (nicht-1) aus (nicht-3) und (2) folgt. Er folgert daher, dass er rationale Gründe für die Zurückweisung von (1) hat. Wenn er nun vernünftige Gründe für die Zurückweisung von (1) hat, kann der Theist folgern, dass das Grundargument für den Atheismus falsch ist.
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III Wir hatten ein starkes Argument zugunsten des Atheismus in den Blick genommen und das, was die beste Antwort des Theisten darauf zu sein scheint. Wie betrachtet man die Position des Theisten, wenn jemand, wie ich selbst, von dem Argument für den Atheismus überzeugt ist? Natürlich wird er davon ausgehen, dass der Theist eine falsche Überzeugung hat, genauso wie der Theist annimmt, dass der Atheist eine falsche Überzeugung vertritt. Aber welche Position sollte der Atheist bezüglich der Vernünftigkeit der theistischen Überzeugung einnehmen? Es gibt drei grundsätzliche Einstellungen, die ein Atheist einnehmen kann, die zugleich als drei Varianten des Atheismus betrachtet werden können. Erstens kann der Atheist glauben, dass niemand rational gerechtfertigt ist, der glaubt, es gäbe einen theistischen Gott. Wir wollen diese Position den „unfreundlichen Atheismus“ nennen. Zweitens könnte der Atheist keine Meinung darüber haben, ob der Theist in seiner Überzeugung, dass Gott existiert, rational gerechtfertigt ist. Diese Ansicht können wir „indifferenten Atheismus“ nennen. Schließlich könnte der Atheist glauben, dass manche Theisten in ihrer Überzeugung, dass Gott existiert, rational gerechtfertigt sind. Diese Ansicht lässt sich als „freundlicher Atheismus“ bezeichnen. In diesem letzten Teil des Aufsatzes soll die Position des freundlichen Atheismus verteidigt werden. Wenn niemand rational gerechtfertigt sein kann, der eine falsche Aussage glaubt, dann ist der freundliche Atheismus eine paradoxe, wenn nicht sogar inkohärente Position. Nun ist die Wahrheit einer Überzeugung sicherlich nicht eine notwendige Bedingung für die rationale Rechtfertigung dessen, der diese Überzeugung hat. Daher ist der freundliche Atheist, wenn er zugesteht, dass man in dem Glauben, dass Gott existiere, rational gerechtfertigt sein kann, nicht verpflichtet anzunehmen, dass die Überzeugung des Theisten wahr ist. Er ist allerdings dazu verpflichtet anzunehmen, dass der Theist vernünftige Gründe für seine Überzeugung hat, obwohl der Atheist diese Überzeugung ablehnt und davon überzeugt ist, dass er in dieser Ablehnung rational gerechtfertigt ist. Ist das aber möglich? Kann jemand wie unser freundlicher Atheist eine bestimmte Überzeugung haben und auch davon überzeugt sein, darin rational gerechtfertigt zu sein, und dennoch glauben, dass jemand anderes genauso rational darin gerechtfertigt ist, das Gegenteil zu glauben? Das ist sicher möglich. Nehmen Sie an, Ihr Freund bringt Sie zu Ihrem Flug nach Hawaii. Stunden nach dem Start hört er, dass das Flugzeug ins Meer gestürzt sei. Nach 24 Stunden der Suche wurden keine Überlebenden gefunden. Unter diesen Umständen ist er in der Überzeugung rational gerechtfertigt, dass Sie ums Leben gekommen sind. Aber es ist für Sie kaum vernünftig, das auch zu glauben, wenn Sie in ihrer Schwimmweste auf dem Meer treiben und darüber nachdenken, ob das
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Rettungsflugzeug Sie übersehen hat. Ja, Sie könnten, um sich etwas Unterhaltung zu verschaffen, während Sie Ihr Schicksal erwarten, darüber reflektieren, dass Ihre Freunde rational in dem Glauben gerechtfertigt sind, dass Sie nun tot seien. Obwohl Sie diese Aussage nicht glauben und darin auch rational gerechtfertigt sind. So könnte vielleicht auch ein Atheist in seinen atheistischen Überzeugungen rational gerechtfertigt sein, und gleichzeitig annehmen, dass einige Theisten darin rational gerechtfertigt sind, das Gegenteil zu glauben. Was für Gründe kann ein Theist für seinen Glauben an die Existenz Gottes haben? Er könnte sich um eine Rechtfertigung bemühen, indem er sich auf eines oder mehrere der traditionellen Argumente beruft, auf das ontologische, kosmologische, teleologische, moralische oder ein ähnliches Argument. Zweitens könnte er sich auf gewisse Aspekte der religiösen Erfahrung berufen, möglicherweise sogar auf seine eigenen religiösen Erfahrungen. Drittens könnte er versuchen, den Theismus als plausible Theorie zu rechtfertigen, durch die wir eine Reihe von Phänomenen erklären können. Kann ein Atheist, obwohl er daran festhalten muss, dass es den theistischen Gott nicht gibt, nicht dennoch auch glauben und sogar in diesem Glauben gerechtfertigt sein, dass einige dieser „Rechtfertigungen des Theismus“ tatsächlich einige Theisten in ihrem Glauben, dass es ein äußerst gutes, allmächtiges und allwissendes Wesen gibt, rational rechtfertigen? Es scheint so, als ob das dem Atheisten möglich wäre. Wenn wir an die lange Geschichte theistischer Überzeugungen denken und die besondere Situation, in die Leute manchmal gestellt sind, berücksichtigen, ist es vielleicht genauso absurd anzunehmen, dass niemand jemals im Glauben an die Existenz des theistischen Gottes rational gerechtfertigt war, wie zu denken, dass niemand jemals rational gerechtfertigt war zu glauben, Menschen könnten niemals auf dem Mond herumspazieren. Aber mit dem Vorschlag, dass der freundliche dem unfreundlichen Atheismus vorzuziehen sei, will ich mich nicht darauf beschränken, was einige Menschen im 11. oder 13. Jahrhundert vernünftigerweise geglaubt haben. Interessanter ist die Frage, ob einige Leute in der modernen Gesellschaft, die sich der gewöhnlichen Gründe für Überzeugungen bewusst sind und in einem gewissen Maß mit der modernen Wissenschaft vertraut sind, immer noch rational in ihrer Annahme des Theismus gerechtfertigt sind. Der freundliche Atheismus ist nur dann von Bedeutung, wenn er diese Frage bejaht. Es ist für einen Atheisten nicht schwer, freundlich zu sein, wenn er Grund zur Annahme hat, dass man vom Theisten vernünftigerweise gar nicht erwarten kann, mit den Gründen für den Unglauben vertraut zu sein, die dem Atheisten zur Verfügung stehen. Dann würde der Atheist die Ansicht vertreten, dass die Theisten zwar in ihrer Annahme des Theismus rational gerechtfertigt seien, dass diese Rechtfertigung aber fortfiele, sobald sie mit den Gründen für den Unglauben vertraut gemacht würden. Diese
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Gründe wären nämlich ausreichend, um die Waage zugunsten des Atheismus ausschlagen zu lassen gegenüber den Gründen, die den Theisten in seinem Glauben unterstützen. Der freundliche Atheismus wird paradox, wenn der Atheist die Lage so betrachtet, dass der Theist alle Gründe für den Atheismus hat, über die auch der Atheist verfügt und dennoch im Ausharren in seinem theistischen Glauben rational gerechtfertigt wäre. Aber auch eine so äußerst freundliche Betrachtungsweise kann vielleicht noch vom Atheisten eingenommen werden, wenn er Grund zur Annahme hat, dass die Gründe für den Theismus nicht so stark sind, wie sie der Theist gerechtfertigterweise einschätzt. 7 In diesem Aufsatz habe ich ein Argument für den Atheismus vorgestellt, das ich für sehr stark halte. Ich habe aufgezeigt, was ich für die bestmögliche Antwort des Theisten halte, und drei Positionen unterschieden, die ein Atheist gegenüber der Vernünftigkeit des theistischen Glaubens einnehmen kann. Geschlossen habe ich mit einigen Anmerkungen hinsichtlich der Verteidigung der Position dessen, was man als „freundlichen Atheismus“ bezeichnen kann. Ich bin mir bewusst, dass die zentralen Punkte dieses Aufsatzes wahrscheinlich bei manchen Philosophen nicht begeistert aufgenommen werden. Philosophen, die Atheisten sind, neigen dazu, sehr streng zu sein. Sie gehen davon aus, dass es keine guten Gründe für die Annahme gibt, dass der Theismus wahr sei. Theisten dagegen neigen dazu, die Ansicht zurückzuweisen, dass die Existenz von Übeln vernünftige Gründe für den Atheismus bereitstellen, oder sie glauben, dass religiöse Überzeugung nichts mit Vernunft und Beweisen zu tun hat. Aber so geht es in der Philosophie zu.8
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Angenommen, ich führe eine lange Reihe von Additionen dreimal durch und erhalte jedes Mal das Ergebnis x. Ich teile es Ihnen mit, so dass Sie genau die gleichen Gründe wie ich für die Behauptung haben, dass die Summe x betrage. Sie benutzen dann Ihren Taschenrechner und kommen zweimal zu dem Ergebnis y. Sie sind dann in der Überzeugung gerechtfertigt, dass die Summe nicht x ist. Da ich aber weiß, dass Ihr Taschenrechner beschädigt wurde und daher unzuverlässig ist und Sie zudem keine Gründe zur Annahme haben, dass der Rechner beschädigt ist, kann ich vernünftig nicht nur glauben, dass die Summe x ist, sondern auch, dass Sie in dem Glauben gerechtfertigt sind, dass die Summe nicht x ist. Hier haben wir es also mit einem Fall zu tun, in dem Sie alle meine Gründe für p haben und ich dennoch vernünftig annehmen kann, dass Sie gerechtfertigterweise nicht-p glauben – ich habe nämlich Gründe zu der Annahme, dass Ihre Gründe für nicht-p nicht so schlagkräftig sind, wie Sie gerechtfertigterweise annehmen. Ich danke meinen Kollegen an der Purdue Universität, besonders Ted Ulrich und Lilly Russow, und den Philosophen an der Universität von Nebraska, an der Indiana State Universität sowie an der Universität von Wisconsin in Milwaukee für ihre hilfreiche Kritik an früheren Versionen dieses Textes.
Paul Draper: Argument from Evil, in: Paul Copan / Chad Meister (Hg.): Philosophy of Religion. Classic and Contemporary Issue, Malden 2008, 142-155. © Blackwell Publishing, Malden
PAUL DRAPER
Das Argument des Übels Betrachten Sie die Situation der fühlenden Wesen auf der Erde. Viele, vielleicht sogar die meisten von ihnen erreichen niemals ihre Blüte oder doch nur kurz; viele psychologisch komplexe Lebewesen einschließlich vieler Menschen leiden wenigstens einmal im Leben fürchterlich. Hunger, Krankheiten, genetische Defekte, Raubtiere, Unfälle und natürliche Katastrophen und, nicht zu vergessen, die Bosheit einiger Menschen sind gemeinsam dafür verantwortlich. In einigen Fällen wird das fürchterliche Leiden vergrößert, wenn beispielsweise ein kleines Mädchen gelähmt aus einem Autounfall hervorgeht, der beiden Eltern das Leben geraubt hat. Vom Bauchgefühl her scheint es beinahe unvorstellbar, dass ein mächtiger und weiser Schöpfer, der seine Geschöpfe vollkommener liebt als Eltern ihre Kinder, eine Welt wie diese hervorgebracht hat. Aber genau das glauben orthodoxe Monotheisten. Genauer gesagt, das muss wahr sein, wenn der orthodoxe Monotheismus wahr ist. Der orthodoxe Monotheismus (kurz „Theismus“ genannt) besteht in der Annahme, dass die natürliche Welt hinsichtlich ihrer Existenz von der Existenz eines „Gottes“ abhängig ist – einer liebenden übernatürlichen Person, die über vollkommene Macht („Allmacht“), vollkommenes Wissen („Allwissenheit“) und vollkommene moralische Gutheit („moralische Vollkommenheit“) verfügt. Es scheint so, als ob der Theismus nicht einmal anfanghaft der „Tatsache des Übels“ Sinn geben kann, und das ist ein sehr starker, wenn nicht sogar zwingender Grund, ihn zu verwerfen. Ist dies mehr als nur Anschein? Können wir unserem Bauchgefühl trauen? Lässt sich der Theismus wirklich auf diese Weise testen und fällt er dabei durch? Philosophen, die diese Frage bejahen, formulieren sogenannte „Argumente aus dem Übel“ gegen den Theismus. Philosophen, die diese Fragen mit Nein beantworten, entwickeln „Theodizeen“ – Erklärungsversuche, warum ein Gott sich dazu veranlasst sehen könnte, eine Welt wie die unsere zu erschaffen, trotz der Übel, die sie enthält – oder sie greifen eine der Annahmen an, auf denen das Argument
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aus dem Übel beruht. In diesem Aufsatz will ich versuchen, ein starkes, herausforderndes Argument aus dem Übel gegen den Theismus zu formulieren. Ich werde aber nicht einen direkten Weg einschlagen, um das Ziel zu erreichen. Stattdessen will ich, um die Motivation hinter meinem Argument zu verdeutlichen, erklären, warum mich andere Argumente aus dem Übel nicht überzeugen. Wenn ich mein Argument formuliert habe, werde ich einige Gründe für die Überzeugung skizzieren, dass seine Prämissen wahr sind und die Folgerungen aus ihnen wirklich gezogen werden können. Ich werde aber nicht zu beweisen versuchen, dass das Argument stichhaltig ist.
MT-Argumente Auf den ersten Blick scheint es leicht zu sein, ein überzeugendes Argument aus dem Übel gegen den Theismus zu entwickeln. Eine naheliegende Strategie für die Formulierung des Arguments ist von einfacher Art: (1) Wenn Gott existiert, dann besteht Ü nicht. (2) Ü besteht. (3) Folglich existiert Gott nicht. Wir stellen fest, dass jedes Argument dieser Art aufgrund seiner gültigen Form, dem Modus tollens, deduktiv gültig ist. Aus diesem Grund werde ich Argumente dieser Art als „MT-Argumente“ bezeichnen. Weiter ist festzustellen, dass, sobald die Variable „Ü“ durch die Tatsache eines Übels ersetzt wird, von der wir wissen, dass sie beseht, ein Argument aus dem Übel dieser Art stichhaltig ist, wenn seine erste Prämisse wahr ist. Das Argument wird überzeugend sein, wenn wir gute Gründe dafür haben, dass die erste Prämisse wahr ist. Da „Übel“ in Diskussionen zum Argument aus dem Übel alles bezeichnet, was schlecht ist, einschließlich der Dinge, die nur deshalb schlecht sind, weil sie die Abwesenheit von etwas Gutem implizieren, gibt es zahllose Kandidaten für Ü. Ü könnte zum Beispiel ersetzt werden durch die Tatsache, dass Übel existieren, dass Leid existiert, dass unverdientes Leid existiert, dass fürchterliches Leid existiert, dass fürchterliches unverdientes Leid existiert, dass Immoralität existiert, dass abscheuliche Immoralität existiert, dass einige unschuldige Kinder gefoltert werden, dass nicht jedes fühlende Lebewesen zu seiner Blüte gelangt oder dass einige fühlende Lebewesen zur Blüte gelangen, während den meisten anderen das versagt bleibt. Die Wahl für die Einsetzung in Ü beeinflusst die Aussichten für den Nachweis, dass die erste Prämisse des Arguments wahr ist. Die entscheidende Frage lautet daher, ob der Nachweis möglich ist, dass die Prämisse in wenigstens einem Fall der Einsetzung für Ü wahr ist. Es ist keineswegs offensichtlich, dass die richtige Antwort Ja lauten muss. Die erste Prämisse ist ein Bedingungssatz. Daher ist sie nur dann
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wahr, wenn ihr Antezendens wahr und ihr Konsequens gleichzeitig falsch ist. Mit anderen Worten, die Prämisse ist nur wahr, wenn es falsch ist, dass Gott existiert und gleichzeitig Ü besteht. Wie kann aber die Falschheit des Satzes „Gott existiert und Ü besteht“ festgestellt werden? Eine Möglichkeit ist das Argument, dass die Falschheit dieses Satzes in der Definition der Bezeichnung „Gott“ enthalten sei. Mit anderen Worten, man kann zu zeigen versuchen, dass die Existenz eines Wesens, auf das die Bezeichnung „Gott“ anwendbar ist, – das heißt, einer liebenden übernatürlichen Person, die allmächtig, allwissend und moralisch vollkommen ist, logisch inkompatibel mit dem Bestehen von Ü ist. Diese Art von Überlegung wird von den Philosophen als logisches Argument aus dem Übel gegen den Theismus bezeichnet. Alle anderen Argumente aus dem Übel nennt man „evidentielle Argumente aus dem Übel“.
Logische Argumente aus dem Übel Obwohl logische Argumente aus dem Übel einer Reihe von Philosophen in den 1950er und 1960er Jahren sehr vielversprechend erschienen (zum Beispiel Mackie 1955), werden sie von den meisten zeitgenössischen Religionsphilosophen aus zwei Gründen verworfen. Erstens wurden einige ernstzunehmende Versuche unternommen nachzuweisen, dass die Existenz von Übel und einige besondere Tatsachen hinsichtlich der Übel logisch mit Gottes Existenz kompatibel sind. Zum Beispiel überzeugte Alvin Plantingas berühmte Verteidigung aus dem freien Willen (Plantinga 1974a) viele, dass es logisch möglich ist, dass Gott existiert, dass er Menschen mit moralisch signifikantem freiem Willen geschaffen hat und dass einige dieser Menschen moralisch schlechte Entscheidungen treffen. Wenn Plantinga Recht hat, dass dies logisch möglich ist, dann ist Gottes Existenz logisch kompatibel mit der Existenz von Übel und insbesondere mit der Existenz von Immoralität. Plantinga versuchte die Verteidigung aus dem freien Willen auf andere Tatsachen bezüglich des Übels auszudehnen. Zum Beispiel versuchte er zu zeigen, dass der Theismus mit einem gewissen Maß an moralischem Übel in der Welt kompatibel ist, und er berief sich sogar auf die Möglichkeit von nicht-menschlichen Personen mit freiem Willen (zum Beispiel Dämonen) um zu zeigen, dass der Theismus kompatibel mit der Existenz von „natürlichem“ Übel ist (das heißt Übel, das nicht aus menschlicher Immoralität resultiert). Die Berufung auf Dämonen mag phantasievoll oder verzweifelt erscheinen, aber wir müssen im Auge behalten, dass Plantinga auf das logische Argument aus dem Übel antwortet. Wenn es nur darum geht, logische Kompatibilität zu beweisen, dann ist jede Berufung auf jeden möglichen Sachverhalt unabhängig von seiner Wahrscheinlichkeit legitim.
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Die mangelnde Popularität von logischen Argumenten aus dem Übel lässt sich nicht allein aus dem Erfolg der Verteidigung aus dem freien Willen oder anderer Verteidigungen erklären. Es gibt nämlich viele Einsetzungen in Ü, für die keine Verteidigung ihre Kompatibilität mit dem Theismus gezeigt hat. Daher besteht ein fundamentalerer und wichtigerer Grund für die mangelnde Popularität von logischen Argumenten aus dem Übel in der Einsicht, dass, selbst wenn es möglich ist, die Inkompatibilität einiger Tatsachen hinsichtlich der Übel mit dem Theismus aufzuzeigen, die Etablierung einer Inkompatibilität dennoch jenseits unserer Möglichkeiten liegt (Pike 1963). Wenn man einen allmächtigen und moralisch vollkommenen Gott annimmt, der alle Übel beseitigen könnte, von denen er das wollte, und der alle Übel auch beseitigte, für deren Zulassung er keinen moralisch guten Grund hätte, würde daraus nur folgen, dass ein Gott jedes Übel beseitigte, für dessen Zulassen er keinen moralisch guten Grund hätte. Damit ein logisches Argument aus dem Übel erfolgreich sein kann, muss für einige Tatsachen hinsichtlich der Übel nachgewiesen werden, dass es für Gott logisch unmöglich ist, einen guten moralischen Grund für das Zulassen dieser Tatsche zu haben. Das ist allerdings genau das, was nach Ansicht der meisten heutigen Philosophen nicht gezeigt werden kann. Aber warum glauben wir das? Wenn man die „Entschuldigungen“ betrachtet, die Menschen für die Unterlassung anführen können, Übel nicht zu beseitigen, scheinen sie sich auf die unvollkommene Macht oder das unvollkommene Wissen zu berufen. Zum Beispiel nehmen Menschen nicht die Verantwortung für zerstörerische Tornados auf sich, weil sie sie nicht verhindern können. Sie nehmen nicht Verantwortung für die Rettung von Menschen in Seenot auf sich, weil sie nicht wissen, wo sie sich befinden. Unter bestimmten Umständen nehmen sie auch nicht die Verantwortung für solche Übel auf sich, die sie kennen und die sie beseitigen könnten, wie etwa Zahnarztbesuche, solange diese Übel zu einem größeren Gut führen oder ihm entspringen, wie gesunde Zähne. Diese Arten von Entschuldigung lassen sich nicht auf ein allmächtiges und allwissendes Wesen übertragen. Bei den ersten zwei Fällen ist das offensichtlich, da sie den Mangel an Macht bzw. Wissen explizit beinhalten. Es gilt aber auch für den dritten Fall, weil „führen zu“ und „entspringen“ Kausalbegriffe sind und ein allmächtiges Wesen nicht durch Kausalgesetze eingeschränkt wäre. Ein allmächtiges Wesen würde zum Beispiel niemals die unangenehme Zahnbehandlung als ursächliches Mittel einsetzen müssen, um für jemand die Gesundheit der Zähne zu gewährleisten. Sein Wollen wäre vollkommen ausreichend, um die Gesundheit der Zähne dieser Person sicherzustellen. Es wäre aber doch ein Fehler, wenn wir daraus die Folgerung zögen, dass alle guten Gründe für das Nichtbeseitigen von Übeln einen Mangel an Macht oder Wissen einschließen. Um zu verstehen, warum das ein Fehler wäre, müssen wir verstehen, dass die Unfähigkeit, Dinge hervorzubringen, die hervorzubringen logisch unmöglich ist, oder Dinge zu wissen, die zu
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wissen logisch unmöglich ist, nicht als Mangel an Macht oder Mangel an Wissen zählt. Mit anderen Worten: Nicht einmal ein allmächtiges und allwissendes Wesen hätte mehr Macht und Wissen, als es für ein Wesen logisch möglich ist. Nehmen wir außerdem an, dass ein Gut, das mein Leiden wert ist (vielleicht sogar ein Gut, das für mich von Vorteil ist), logisch mein Leiden (oder die objektive Chance, dass mein Leiden nicht Null ist) impliziert. Nach allem, was wir wissen und beweisen können, könnte es ein solches Gut geben, selbst wenn es uns unbekannt wäre. Schließlich implizieren auch einige Güter, die uns bekannt sind, logisch das Auftreten von Übeln. Meine Tapferkeit gegenüber Schmerzen impliziert logisch, dass ich Schmerz fühle, und daher könnte nicht einmal ein allmächtiges Wesen meine Ausübung von Tapferkeit hervorbringen, ohne das Übel zulassen, dass ich Schmerz erleide. Natürlich ist meine Ausübung der Tapferkeit angesichts von Schmerzen wahrscheinlich das Erleiden der Schmerzen nicht wert. Aber nach allem, was wir wissen, implizieren andere Güter nicht nur logisch mein Leiden, sondern sind auch mein Leiden wert. Solche Güter wären einem allwissenden Wesen bekannt, selbst wenn sie sich unserer Kenntnis entziehen. Wenn es solche Güter gibt, könnte nicht einmal ein allmächtiges und allwissendes Wesen sie hervorbringen, ohne mein Leiden zuzulassen, so dass selbst ein allmächtiges und allwissendes Wesen einen guten moralischen Grund haben könnte, mein Leiden zuzulassen. Man könnte hier einwenden, dass kein Gut, wie groß es auch immer sein mag, solche fürchterlichen Übel wie das Foltern von Kindern rechtfertigen kann. (Die Figur des Iwan in Fjodor Dostojewskis Die Brüder Karamasoff wird oft als Vertreter dieser These verstanden.) Einige Philosophen (zum Beispiel Phillips 2004) scheinen grundsätzliche Einwände gegen den Begriff eines „schwerer wiegenden Gutes“ zu haben. Es ist klar, dass dieser Begriff abzulehnen ist, wenn er impliziert, dass alle Werte anhand eines numerischen Maßstabs gemessen werden können, oder wenn er ein primitives konsequentialistisches Verständnis von Moral voraussetzt. Er muss aber nicht so gedeutet werden. Er ist sogar mit der Position kompatibel, dass kein Gut, wie groß es auch immer sein mag, schwerer wiegt als der Schaden, den ein Individuum erleidet, es sei denn, das Individuum profitiert davon. Dieser letzte Punkt ist wichtig, weil nach allem, was wir wissen, (1) es Güter geben könnte, die wertvoller sind, als wir es uns vorstellen können, (2) diese Güter logisch die Existenz oder das Risiko von fürchterlichen Übeln implizieren und (3) möglicherweise die Opfer, wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, von ihnen profitieren könnten. Wenn diese Möglichkeit ernst genommen wird – es ist zuzugeben, dass nicht alle Philosophen sie als ernst zu nehmen oder auch nur als möglich einstufen –, ist es schwierig, darauf zu vertrauen, dass der Begriff eines „schwerer wiegenden Gutes“ angesichts fürchterlichen Übels zusammenbricht, besonders wenn man bedenkt, wie unpräzise und fehleranfällig unsere moralischen Intuitionen sind. Da ich glaube, dass diese Möglichkeit ernst zu nehmen ist, sehe ich
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nicht, wie es möglich sein sollte, ein überzeugendes logisches Argument aus dem Übel gegen den Theismus zu entwickeln. Aus diesem Grund werden wir uns im Rest dieses Aufsatzes evidentiellen Argumenten widmen.
Evidentielle MT-Argumente Ein MT-Argument muss nicht ein logisches Argument aus dem Übel sein. Einige Philosophen haben versucht, die konditionale Prämisse eines MTArguments zu verteidigen, ohne nachzuweisen, dass das Antezedens dieses Konditionals die logisch hinreichende Bedingung des Konsequens ist. Betrachten wir zum Beispiel folgendes Argument: (1) Wenn Gott existiert, dann existieren nicht alle Elemente von S. (2) Alle Elemente von S existieren. (3) Gott existiert nicht. In diesem Argument steht „S“ für eine Menge, die alle uns bekannten Übel enthält, für die bisher keine adäquate Theodizee entwickelt wurde. Man könnte die Wahrheit der ersten Prämisse durch das Argument etablieren, dass insofern kein bekanntes Gut rechtfertigt, dass Gott auch nur ein Element von S zulässt – und S hat viele Elemente – induktiv folgt, dass kein Gut, bekannt oder unbekannt, es rechtfertigt, dass Gott alle Elemente von S zulässt. Da Gottes Existenz impliziert, dass entweder einige Güter die Zulassung von allen Elementen von S rechtfertigen oder nicht alle Elemente von S existieren, folgt deduktiv, dass, wenn Gott existiert, nicht alle Elemente von S existieren (Rowe 1979; 1986). Der zweite deduktive Schluss ist solide, aber der erste induktive Schluss ist fragwürdig. Er beinhaltet das Schließen von einem Beispiel bekannter Güter zu einer Folgerung über bekannte und unbekannte Güter. Offensichtlich ist zwar im Prinzip nichts an diesem Schließen von Einzelbeispielen auf ganze Gruppen auszusetzen, aber solche Schlüsse sind nur dann korrekt, wenn man einen guten Grund für die Überzeugung hat, dass die Einzelbeispiele repräsentativ für die Gruppe sind. Problematisch ist dabei, dass wir so wenig über die Gruppe aller Güter wissen, so dass es schwierig ist, darauf zu vertrauen, dass unsere Beispiele von bekannten Gütern wirklich repräsentativ sind (Alston 1991b). Ein zweites Problem besteht darin, dass alle Gründe, die wir zur Unterstützung des Theismus haben, ipso facto auch Gründe für die Annahme sind, dass unsere Beispiele voreingenommen gewählt wurden und sie so den Schluss schwächen. Eine scheinbar direktere Verteidigung der konditionalen Prämisse in einem MT-Argument bestünde darin, Gründe zu nennen, warum es unwahrscheinlich ist, dass Gott einige Tatsachen von übler Art bestehen lässt. Wenn zum Beispiel die fragliche Tatsache darin besteht, dass fürchterliches
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Leiden besteht, dann könnte man darauf verweisen, dass fürchterliches Leiden entsetzlich schlecht ist, und die Wahrscheinlichkeit, dass Gott es zulassen würde, umso geringer ausfällt, je schlimmer es ist. Man könnte sich darauf berufen, dass bestimmte Güter, von denen ein Gott prima facie möchte, dass sie existieren, inkompatibel mit fürchterlichem Leiden sind. Man kann zum Beispiel nicht prosperieren und bestimmte moralische Ziele verfolgen oder in liebendem Verhältnis zu anderen stehen, wenn man fürchterlich leidet (Schellenberg 2000). Sind das gute Gründe für die Annahme, dass es, wenn Gott existiert, kein fürchterliches Leiden gibt? Sie sind nicht so gut, wie sie vielleicht erscheinen mögen. Es gibt da zunächst einmal die Möglichkeit starker Gründe für die Existenz Gottes. Jeder dieser Gründe wäre vor dem Hintergrund der Realität von fürchterlichem Leid ein starker Grund für die Falschheit der Aussage, dass es, wenn Gott existiert, kein fürchterliches Leiden gibt. Aber selbst wenn es keine solchen Begründungen gibt: Mit dem Geben von Gründen in der oben beschriebenen Weise für die Überzeugung, dass Gott gegen fürchterliches Leiden wäre, wird nicht bewiesen, dass die Aussage „Wenn Gott existiert, gibt es kein fürchterliches Leiden“ wahrscheinlich wahr ist. Stattdessen zeigen solche Gründe bestenfalls nur, dass das Konsequens dieser konditionalen Aussage von vorneherein sehr wahrscheinlich ist, wenn das Antezedens wahr ist. Kurz gesagt, statt die Wahrscheinlichkeit des Konditionals zu etablieren, etablieren sie nur eine bedingte vorausgehende Wahrscheinlichkeit [antecedent probability]. Ersteres folgt nicht aus Letzterem: Aus der Tatsache, dass Q unter der Voraussetzung P vorausgehend wahrscheinlich ist, folgt nicht, dass „Wenn P dann Q“ wahrscheinlich ist. Da dieser Denkfehler oft von denen gemacht wird, die die konditionale Prämisse von MT-Argumenten verteidigen, sollte man ihm einen Namen geben. Ich werde ihn „Bogus tollens“-Fehlschluss nennen. Diesen Fehler macht man leicht. Angenommen, Detektivin Garcia versucht, ein Auto zu lokalisieren, und ist sicher, dass es entweder Schmidt oder Schulze gehört. Bei ihren Bemühungen herauszufinden, wem das Auto gehört, stellt sie fest, dass es vor kurzem grün lackiert wurde. Sie stellt folgende Überlegung an: (1) Wenn Schmidt Besitzer des Autos ist, dann war es vor kurzem nicht grün lackiert. (2) Es wurde vor kurzem grün lackiert. (3) Schmidt ist nicht der Besitzer des Autos. Um die erste Prämisse dieses MT-Arguments zu stützen, stellt Garcia fest, es sei allgemein bekannt, dass Schmidt rote Autos mag. Daher wäre das Auto wahrscheinlich, wenn er der Besitzer ist, rot und nicht grün lackiert. Das mag überzeugend klingen, aber Garcia hat tatsächlich den „Bogus tollens“-Fehlschluss gezogen. Sie hat gezeigt, dass es vorausgehend wahr-
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scheinlich ist, dass das Auto unter der Voraussetzung, dass Schmidt sein Besitzer ist, nicht grün lackiert worden wäre. Aber das gibt ihr nicht das Recht, zu folgern, dass die konditionale Aussage „Wenn Schmidt das Auto besitzt, dann wurde es nicht grün lackiert“ wahrscheinlich wahr ist. Um zu verstehen, warum das so ist, nehmen wir an, dass Garcia nicht nur weiß, dass Schulze in Wirklichkeit gelbe Autos mag, sondern auch, dass er einmal von einem grünen Auto angefahren wurde, so dass er seither eine starke Aversion gegen grüne Autos hat. Selbst wenn es von vorneherein wahrscheinlich ist, dass das Auto unter der Voraussetzung, dass Schmidt der Besitzer ist, nicht grün lackiert worden wäre, wäre es noch wahrscheinlicher, unter der Voraussetzung, dass Schmidt nicht der Besitzer ist, dass das Auto nicht grün lackiert worden wäre. Das bedeutet, die Tatsache, dass das Auto vor kurzem grün lackiert wurde, ist tatsächlich ein Grund dafür, dass es Schmidt gehört! Was ein Grund für die Wahrheit der konditionalen Prämisse in Garcias MT-Argument schien, gibt uns in Wirklichkeit überhaupt keinen guten Grund für die Überzeugung, die Prämisse sei wahr. Genauso wenig folgt – nicht einmal induktiv – „Wenn Gott existiert, gibt es kein fürchterliches Leiden“ aus der Tatsache, dass unter der Voraussetzung des Theismus die Nichtexistenz von fürchterlichem Leiden von Vorneherein wahrscheinlich ist. Um diese Folgerung ziehen zu können, müsste man unter anderem zeigen, dass die Nichtexistenz von fürchterlichem Leiden weniger wahrscheinlich ist unter der Annahme, dass Gott nicht existiert, als unter der Annahme, dass er existiert. Das zu zeigen ist schwer, da, wie ich noch detaillierter darlegen möchte, es alles andere als klar ist, was genau als wahr angenommen werden muss, wenn man annimmt, die Aussage „Gott existiert“ sei falsch.
Bayes’sche Argumente aus dem Übel Probleme wie diese lassen mich an der Gangbarkeit von MT-Argumenten zweifeln. Optimistischer bin ich hinsichtlich dessen, was man Bayes’sche Argumente aus dem Übel nennen könnte. (Ich nenne sie so, weil die Struktur des Gedankengangs in diesen Argumenten analysiert, präzisiert und verteidigt werden kann durch ein Theorem zur mathematischen Wahrscheinlichkeit mit dem Namen „Bayes’ Theorem“.) Mein Optimismus hinsichtlich dieser Argumente hat wenigstens zwei Gründe. Sie folgern erstens, dass der Theismus, wenn die anderen Gründe sich ausgleichen, wahrscheinlich falsch ist, und setzen daher nicht unbegründet voraus, dass es keine ausgleichenden oder gar schwerer wiegenden Gründe für den Theismus gibt. Die Argumente vermeiden jede Art von Bogus tollensFehlschluss, indem sie ausdrücklich die Wahrscheinlichkeit von bestimmten Tatsachen hinsichtlich des Übels unter der Voraussetzung des Theismus mit der Wahrscheinlichkeit dieser Tatsachen unter der Voraussetzung einer
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relevanten alternativen Hypothese vergleichen. Bayes’sche Argumente aus dem Übel (zum Beispiel Draper 1989) weisen folgende Struktur auf: (1) Wir wissen, dass Ü besteht. (2) Ü ist von Vorneherein [antecedently] um ein Vielfaches wahrscheinlicher unter einer bestimmten, zum Theismus alternativen Hypothese H als unter der Voraussetzung des Theismus. (3) Folglich gibt uns Ü starke Gründe für die Bevorzugung von H gegenüber dem Theismus (das heißt, unser Wissen, dass Ü besteht, stärkt das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit von H gegenüber der Wahrscheinlichkeit des Theismus um ein Vielfaches). (4) H ist mindestens genauso plausibel wie der Theismus (das heißt H ist wenigstens so wahrscheinlich wie der Theismus, unabhängig von allen Gründen für und gegen den Theismus und H). (5) Folglich ist der Theismus, wenn alle übrigen Gründe sich ausgleichen, wahrscheinlich falsch. Wie MT-Argumente differieren die Bayes’sche Argumente aus dem Übel je nachdem, welche Tatsachen hinsichtlich des Übels wir für die Variable Ü einsetzen. Im Gegensatz zu den MT-Argumenten differieren die Bayes’schen Argumente aber auch je nachdem, welche Hypothesen für die Variable H eingesetzt werden. Eine naheliegende Wahl ist natürlich der Atheismus. William Rowe trifft beispielsweise diese Wahl in seinem neuesten Argument aus dem Übel (Rowe 1996), das sich explizit auf Bayes’ Theorem beruft. Betrachten wir nun das folgende Bayes’sche Argument aus dem Übel: (1) Wir wissen, dass fürchterliches Leiden existiert. (2) Die Existenz von fürchterlichem Leiden ist von Vorneherein vielmal wahrscheinlicher unter der Annahme, dass Gott nicht existiert (Atheismus) als unter der Annahme, das Gott existiert (Theismus). (3) Folglich ist die Existenz von starkem Leiden ein starker Grund, den Atheismus gegenüber dem Theismus vorzuziehen. (4) Atheismus ist mindestens genauso plausibel wie der Theismus. (5) Folglich ist der Theismus, wenn alle übrigen Gründe sich ausgleichen, sehr wahrscheinlich falsch. Dieses Argument hat mehrere Vorzüge. Seine logische Struktur ist fest und zwei seiner drei Prämissen scheinen zweifelsfrei wahr zu sein. Eine bedeutende Schwachstelle hat es jedoch. Seine zweite Prämisse ist nicht offensichtlich wahr und es lässt sich nur schwer sagen, wie man ihre Wahrheit erfolgreich argumentativ belegen kann. Es lassen sich meiner Meinung nach gute Gründe für die Überzeugung anführen, dass fürchterliches Leiden unter der Voraussetzung des Theismus unwahrscheinlich ist, aber es ist
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jedoch schwer, den Nachweis zu führen, dass fürchterliches Leiden unter der Voraussetzung des Atheismus weniger unwahrscheinlich ist. Dieser Nachweis fällt so schwer, weil die Wahrscheinlichkeit von fürchterlichem Leiden unter der Voraussetzung des Atheismus davon abhängt, was wahrscheinlich ist, wenn man annimmt, der Theismus sei falsch. Wenn der Theismus falsch ist, könnte stattdessen der Polytheismus, der Pantheismus oder Naturalismus wahr sein. Wenn der Theismus falsch ist, dann könnte eine Art des nicht-theistischen Supernaturalismus wahr sein, die von Menschen aufgrund ihrer kognitiven Beschränkung nicht verstanden werden kann. Selbst wenn wir uns auf eine Liste von ernsthaften Möglichkeiten einigen könnten und unsere Aufmerksamkeit auf diese beschränkten (wir schätzen dann die Wahrscheinlichkeit von fürchterlichem Leiden unter der Voraussetzung des Atheismus ab, indem wir die Durchschnittswahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit von fürchterlichem Leiden unter der Voraussetzung jeder dieser Möglichkeiten betrachten), wäre die Berechnung der Wahrscheinlichkeit von fürchterlichem Leiden unter der Voraussetzung des Atheismus zu kompliziert. Rowe (Rowe 1996) versucht dieses Problem geschickt zu umgehen, indem er eine Begründungsaussage („kein Gut, das wir kennen, rechtfertigt Gott in der Zulassung [von fürchterlichem Übel]“) benutzt, die im Atheismus bereits implizit steckt (und daher die Wahrscheinlichkeit von 1 unter der Voraussetzung des Atheismus hat). Otte hat aber überzeugend gezeigt, dass diese Strategie die Anforderung einer vollständigen Begründung verletzt (Otte 2003). (Wenn man weiß, dass der Atheismus wahr ist, dann muss es eine spezifischere Begründungsaussage als die von Rowe geben, von der wir auch wissen, dass sie wahr ist und die unter der Anforderung einer vollständigen Begründung anstelle von Rowes Begründungsaussage genutzt werden sollte.) Ich schlage daher als beste Formulierung des Bayes’schen Argumentes aus dem Übel vor, anstelle der allgemeinen Hypothese, dass der Theismus falsch ist, eine spezifische alternative Hypothese zum Theismus zu wählen. Dadurch wird die zweite Prämisse handhabbarer, obwohl die dritte Prämisse – Schritt (4) – ein Ergebnis annehmen wird, das sich schwerer verteidigen lässt. Das letzte Argument aus dem Übel, das ich in diesem Aufsatz formulieren möchte und das ich zu Beginn als „mein Argument“ angekündigt habe, wird den (metaphysischen) Naturalismus als alternative Hypothese nutzen, mit der der Theismus verglichen werden soll. Naturalismus ist die Hypothese, dass natürliche Entitäten ausschließlich natürliche Ursachen haben. Er negiert nicht die Existenz nicht-natürlicher Entitäten, wohl aber die von „übernatürlichen“ Entitäten (zum Beispiel die Gottes) – das heißt, er negiert die Existenz von nicht-natürlichen Entitäten, die natürliche Entitäten affizieren. Unter „natürlichen“ Entitäten verstehe ich physikalische Entitäten und solche, die entweder ontologisch auf physikalische Entitäten zurückgeführt werden können oder durch physikalische Entitäten verursacht werden. Unter „physikalischen“ Entitäten verstehe ich die Entitäten, die
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durch die physikalischen Wissenschaften erforscht werden (zum Beispiel Atome), und jene unentdeckten Entitäten, deren Verhalten von den grundlegenden Gesetzen der Physik gesteuert wird. Die Begründungsaussage (B), auf die ich mich in meinem Argument aus dem Übel stützen werde, das einige bekannte Tatsachen zum Aufblühen, Vergehen und Leiden irdischer Organismen ausdrückt, lautet folgendermaßen: B: Eine Vielzahl von biologischen und ökologischen Gründen sind dafür verantwortlich, dass Organismen in einem Wettbewerb um das Überleben stehen, wobei einige einen Vorteil gegenüber anderen im Kampf ums Überleben haben; infolge dieser Tatsache gelingt es vielen Organismen einschließlich vieler fühlender Lebewesen nicht, zur Blüte zu gelangen, weil sie vor ihrer Reife sterben, viele andere retten zwar ihr Leben, aber vegetieren die meiste Zeit bis zum hohen Alter nur dahin: Im Fall des Menschen und wahrscheinlich einiger nicht-menschlicher Lebewesen schließt dieses Dahinvegetieren oft starke und langes Leiden ein.
Das gibt uns die Möglichkeit, folgendes Bayes’sche Argument aus dem Übel zu formulieren: (1) Wir wissen, dass B wahr ist. (2) Die Wahrheit von B ist von Vorneherein um ein Vielfaches wahrscheinlicher vor dem Hintergrund des Naturalismus als vor dem des Theismus. (3) Folglich drückt B eine starke Begründung für die Bevorzugung des Naturalismus gegenüber dem Theismus aus. (4) Naturalismus ist mindestens genauso plausibel wie Theismus. (5) Folglich ist der Theismus, wenn alle übrigen Gründe sich ausgleichen, sehr wahrscheinlich falsch. (Draper 2007) Die erste Prämisse dieses Arguments ist ohne Zweifel wahr, aber die beiden anderen Prämissen – die Schritte (2) und (4) – bedürfen der Unterstützung durch zusätzliche Argumente.
Die Plausibilität von Naturalismus und Theismus Lassen Sie mich mit der Prämisse beginnen, dass der Naturalismus mindestens genauso plausibel wie der Theismus ist. Die Philosophen streiten darüber, wie sich eine derartige Prämisse im Kontext eines Bayes’schen Arguments interpretieren lässt. Einige sind der Überzeugung, dass Plausibilitätsurteile vollkommen subjektiv sind. Wir können uns dabei beobachten, wie wir einige Hypothesen ernst nehmen, andere dagegen verwerfen. Die ersteren halten wir einer Überprüfung wert, die anderen ignorieren wir.
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Wenn das zutrifft, dann wäre mein Argument aus dem Übel relativ zur epistemischen Situation derjenigen stichhaltig, die den Naturalismus ernst nehmen (das schließt die meisten zeitgenössischen Philosophen ein, auch viele von denen, die Theisten sind), während es relativ zur epistemischen Situation derjenigen nicht stichhaltig ist, für die der Naturalismus keine lebendige Option darstellt. Andere Philosophen dagegen sind der Überzeugung, dass Plausibilitätsurteile objektiv sind. Meiner Meinung nach sollte die Plausibilität einer Hypothese mit der ihrer intrinsischen (epistemischen) Wahrscheinlichkeit gleichgesetzt werden – also der Wahrscheinlichkeit, die ihre Kraft allein daraus zieht, was sie aussagt und was wir über die Welt durch vernünftige Anschauung wissen. Die intrinsische Wahrscheinlichkeit einer Hypothese hängt in erster Linie von ihrer Reichweite und Einfachheit ab (Swinburne 2001). Die Reichweite ist der Maßstab dafür, wie viel eine Hypothese uns über die Welt mitteilen kann, was wir nicht schon durch vernünftige Anschauung wissen. In Bezug auf bestimmte praktische Ziele gilt, je größer die Reichweite einer Hypothese, desto besser; aber in Bezug auf die Wahrheit als Ziel ist eine große Reichweite eher ein Hindernis als ein Vorteil. Denn je mehr eine Hypothese sagt, dass etwas (nach allem was wir durch vernünftige Anschauung wissen) falsch sein könnte, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie auch etwas sagt, dass tatsächlich falsch ist, und desto weniger wahrscheinlich ist sie wahr. Eine Hypothese kann auf mehr als eine Weise einfach sein, und Einfachheit kann eine Hypothese schlicht dadurch besser machen, dass sie einfacher in der Handhabung und leichter zu verstehen wird. In diesem Zusammenhang sollte die Einfachheit einer Hypothese aber als der Grad der objektiven Einförmigkeit verstanden werden, den die Hypothese der Welt zuschreibt. In diesem Sinne handelt es sich mehr als nur um einen pragmatischen theoretischen Vorzug. Einfachheit ist ein Zeichen für Wahrheit. Wenn Plausibilität eine Funktion von Reichweite und Einfachheit ist, dann würde der Naturalismus wenigstens genauso plausibel erscheinen wie der Theismus, da die Reichweite des Naturalismus wenigstens genauso klein ist wie der Anwendungsbereich des Theismus, und der Naturalismus in einer wichtigen Hinsicht eine einfachere Hypothese als der Theismus darstellt. Hinsichtlich der Reichweite ist festzuhalten, dass der Naturalismus nur behauptet, dass alle natürlichen Entitäten keine übernatürlichen Ursachen haben. Der Theismus hingegen behauptet nicht nur, dass alle natürlichen Entitäten (unmittelbare oder indirekte) übernatürliche Ursachen besitzen, sondern zudem, dass sie auch eine einzige, letzte übernatürliche Ursache haben (eine notwendige, wenn nicht sogar hinreichende Ursache) und schließlich, dass diese übernatürliche Ursache allmächtig, allwissend und moralisch vollkommen ist. Da diese Behauptungen sehr spezifisch sind, lässt sich ohne Probleme schließen, dass der Naturalismus keine größere Reichweite als der Theismus hat. Einige (wenn auch nicht alle Theisten)
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sind natürlich der Ansicht, dass Gott notwendig existiert. Aber das würde die Reichweite des Theismus nicht verkleinern und folglich auch nicht die intrinsische Wahrscheinlichkeit des Theismus erhöhen, weil wir durch vernünftige Anschauung nicht wissen, dass Gottes Existenz notwendig ist. Hinsichtlich der Einfachheit spricht der Naturalismus der Welt eine Einförmigkeit dergestalt zu, dass die Ursachen aller natürlichen Entitäten selbst wieder natürlich sind. Der Theismus dagegen postuliert eine übernatürliche Welt, genauso wie Aristoteles eine aus der Quintessenz zusammengesetzte Welt der Himmelssphären postulierte, die zu einer irdischen Welt aus Erde, Wasser, Luft und Feuer hinzukommt. Die Physik des Aristoteles wurde dadurch komplizierter und außerdem weniger wahrscheinlich wahr als jede Physik, die die Tatsachen genauso gut erklären kann, ohne die Realität in zwei grundsätzlich verschiedene Wirklichkeiten aufzuspalten. Da er über das einfachere Bild der Realität verfügt, startet der Naturalismus schon mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als der Theismus, bevor überhaupt die Gründe für oder gegen sie in Betracht gezogen werden. Natürlich geht diese Folgerung über das hinaus, was mein Bayes’sches Argument braucht. Für das Argument ist die ziemlich bescheidene Forderung ausreichend, dass, wenn Reichweite und Einfachheit die korrekten Kriterien für die Bewertung von Plausibilität sind, der Theismus nicht plausibler als der Naturalismus ist.
Die vorausgehende Wahrscheinlichkeit des Übels Wir müssen uns nun der zweiten Prämisse meines Bayes’schen Arguments aus dem Übel zuwenden, die besagt, dass B sich von Vorneherein [antecendent] unter der Annahme als wahrscheinlicher erweist, dass der Naturalismus wahr ist, als unter der Annahme, dass der Theismus wahr ist. Das Wort „vorausgehend“ [antecedent] ist hier entscheidend. Es bedeutet, dass die verglichenen Wahrscheinlichkeiten nicht zu dem Typus gehören, bei dem alle Dinge in Betracht gezogen werden. Stattdessen wird eine Abstraktion vorgenommen. Prämisse (2) fordert, dass unabhängig von den Beobachtungen und Zeugnissen, auf denen unser Wissen insbesondere von B beruht, B unter der Voraussetzung des Naturalismus wahrscheinlicher als unter der Voraussetzung des Theismus ist. Bei der Bewertung der Wahrscheinlichkeiten in Prämisse (2) sollte man aber das meiste von dem, was wir wissen, in Rechnung stellen einschließlich der Tatsache, dass wir in einem komplexen Universum leben, das lebendige Gegenstände enthält, von denen einige über Bewusstsein und andere sogar über Selbstbewusstsein verfügen. Einige Philosophen sind der Überzeugung, dass solche Tatsachen Gründe für den Theismus und gegen den Naturalismus sind. Selbst wenn es so wäre, wäre es doch nicht für die Bewertung der Prämisse (2) des Argumentes relevant, da ihr die Klausel „wenn alle übrigen Gründe sich ausgleichen“ in der Schlussfolgerung des Arguments Rechnung trägt.
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Unter der Voraussetzung des richtigen Verständnisses der Aussage der zweiten Prämisse scheint intuitiv offenkundig zu sein, dass sie wahr ist. Ich fürchte aber, dass einige wenige Philosophen daran festhalten, dass plausible theistische Erklärungen (Theodizeen) für die Tatsachen gegeben werden können, von denen B spricht, Erklärungen, die die Wahrscheinlichkeit von B unter der Voraussetzung des Theismus in ausreichendem Maße stärken, um diese Prämisse zu unterminieren. Eine größere Zahl von Philosophen würde die zweite Prämisse aus dem Grund zurückweisen, dass wir nicht dazu in der Lage sind, die Wahrscheinlichkeit von B unter der Voraussetzung des Theismus mit der Wahrscheinlichkeit von B unter der Voraussetzung des Naturalismus vergleichen zu können. Diese Position wird in der Regel als „skeptischer Theismus“ bezeichnet. In Anbetracht der Popularität des skeptischen Theismus ist es nicht ausreichend, sich darauf zu berufen, Prämisse (2) sei „intuitiv offenkundig“. Es bedarf unterstützender Argumente, von denen ich eines hier entwickeln möchte. (Ein zweites auf Grundlage der Evolutionsbiologie, ergänzt um die Antwort auf eine Reihe von Einwänden, findet sich in Draper 2007.) Man kann plausibel behaupten, dass Leiden, wenn es in biologisch angemessener Weise zur Blüte eines Menschen oder Lebewesens beiträgt, gar nicht so überraschend ist aus einer theistischen Perspektive. Aus dieser Perspektive ist es sinnvoll zu sagen, dass man von uns Leiden erwartet. Wir sind genau diese Art von Organismen. Aus einer theistischen Perspektive ist vollkommen sinnvoll zu sagen, dass man von fühlenden Lebewesen erwartet, dass sie florieren. (Zumindest wäre es sinnvoll, wenn wir nicht schon wüssten, dass zahllose fühlende Lebewesen nicht zu ihrer Blüte gelangten.) Das Argument dafür ruht auf drei Prämissen. Erstens sind fast alle fühlenden Organismen in biologisch realistischen Umständen dazu fähig, zu ihrer Blüte zu gelangen. Bewiesen wird das durch die Tatsache, dass viele tatsächlich zur Blüte gelangen, und die Zahl derjenigen, die dieses Ziel verfehlen, relativ klein ist. Zweitens haben fühlende Organismen ein Gut – man kann sie voranbringen oder ihnen schaden –, und nicht zu florieren ist inkompatibel mit dem Erreichen dieses Gutes. Drittens wäre ein Gott, insofern er vollkommen an moralischer Güte ist, von dem Wunsch beseelt, dass die fühlenden Wesen ihr Gut erlangen, und er wäre, insofern er vollkommen an Macht und Wissen ist, auch wie kein anderer dazu in der Lage, sicherzustellen, dass die fühlenden Wesen ihr Gut erreichen. Daher ist die Tatsache, von der B spricht, dass zahllose lebendige Organismen, darunter fühlende Lebewesen, niemals zur Blüte gelangen und viele andere dieses Ziel nur kurz erreichen, unter der Voraussetzung des Theismus sehr erstaunlich. Man würde es nicht erwarten, in einer lebendigen Welt, die von einem Wesen geschaffen wurde, das für die Bezeichnung „Gott“ in Frage kommt.
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Dieses Argument beruht auf zwei Schlüsselannahmen. Erstens nimmt es an, dass, wenn alle übrigen moralischen Erwägungen sich ausgleichen, ein weiser und moralisch vollkommener Schöpfer es vorzöge, dass jedes fühlende Lebewesen für eine bedeutende Zeitspanne seines Lebens zur Blüte gelangt. Zweitens nimmt es an, dass die Wahrheit der ersten Annahme die vorausgehende Wahrscheinlichkeit B vor dem Hintergrund des Theismus schwächt. Die sogenannten „skeptischen Theisten“ mögen geneigt sein, diese Annahmen aus dem Grund zu kritisieren, dass es möglich ist, dass ein Gott uns unbekannte moralische Gründe hat, um das Dahinvegetieren von fühlenden Organismen zuzulassen. Aber diese Möglichkeit beweist nur, dass die Behauptung darüber, was ein Gott vorzöge, mit einem „wenn alle übrigen moralischen Erwägungen sich ausgleichen“ zu versehen ist. Es ist auch möglich, und nicht weniger wahrscheinlich, dass Gott gute moralische, uns unbekannte Gründe haben könnte, zu verhindern, dass fühlende Organismus dahinvegetieren – Gründe, die zu bekannten Gründen hinzukämen. Im Gegensatz zu dem, was viele „skeptische Theisten“ zu glauben scheinen, hängt die Wahrscheinlichkeit von B unter der Voraussetzung des Theismus stark von den moralischen Gründen bezüglich B ab, die uns bekannt sind, nicht von denen, die wir nicht kennen. Die Gründe, die wir kennen, reduzieren die Wahrscheinlichkeit von B unter der Voraussetzung des Theismus, und zwar deutlich. Da keine Parallelgründe die Wahrscheinlichkeit von B unter der Voraussetzung des Naturalismus reduzieren, folgt, dass B viel wahrscheinlicher unter der Voraussetzung des Naturalismus als unter der des Theismus ist.
Fazit Wir haben zwar kurz die Prämissen meines Bayes’schen Arguments aus dem Übel untersucht, uns aber noch nicht den zwei Folgerungen des Arguments gewidmet. Bayes’ Theorem unterstützt die Folgerung von (1) und (2) nach (3), solange man die Behauptung, dass B starke Gründe für den Naturalismus gegenüber dem Theismus beinhaltet, in dem Sinn versteht, dass unser Wissen von B das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit des Naturalismus gegenüber der Wahrscheinlichkeit des Theismus um ein Vielfaches vergrößert. Wenn der Theismus unabhängig von allen Gründen wahrscheinlicher als der Naturalismus wäre, dann würde die Folgerung – Schritt (5) – meines Arguments sich nicht aus der Zwischenfolgerung – Schritt (3) – ergeben. Aber Schritt (4) meines Arguments stellt fest, dass dies nicht der Fall ist, dass der Naturalismus tatsächlich wenigstens genauso plausibel wie der Theismus ist. Daher folgt Schritt (5) aus Schritt (3) und (4). In Abwesenheit von zusätzlichen Gründen neben B, die dem Theismus den Vorzug gegenüber dem Naturalismus geben, ist der Theismus sehr wahrscheinlich falsch. Wir stellen fest, dass in Abwesenheit von zusätzlichen Gründen
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neben B, die dem Theismus einen deutlichen Vorzug gegenüber dem Naturalismus einräumen, der Theismus wahrscheinlich falsch ist. Zum Schluss möchte ich noch feststellen, dass ich – nicht einmal implizit – behaupten will, dass es nicht doch ausgleichende oder sogar schwerer wiegende Gründe für den Theismus gibt. Ja, ich glaube tatsächlich, dass starke ausgleichende Gründe für den Theismus gegenüber dem Naturalismus existieren. Auch will ich nicht behaupten, dass diese anderen Gründe Ergebnis einer Folgerung sein müssen. Eine anscheinend direkte Erfahrung Gottes, wenn man das Glück hat, eine solche machen zu dürfen, könnte die ausgleichenden Gegengründe zur Verfügung stellen. Die Bewertung aller relevanten Gründe ist eine gewaltige und schwierige Aufgabe; aber diejenigen, die evidentielle Argumente aus dem Übel anstatt logischer Argumente verteidigen, können ihr nicht ausweichen – nicht wenn sie hoffen, eine kategorische Folgerung hinsichtlich der Existenz Gottes ziehen zu können.
Peter van Inwagen: The Argument from Evil, in: Ders. (Hg.): Christian Faith and the Problem of Evil, Grand Rapids 2004, 55-74. © Eerdmans, Grand Rapids
PETER VAN INWAGEN
Das Argument aus dem Übel Unter dem Argument aus dem Übel verstehe ich folgendes Argument (oder jedes Argument, das eine hinreichende Ähnlichkeit aufweist, so dass die beiden Argumente zusammen bestehen oder fallen): Wir finden eine große Menge von wahrhaft schrecklichem Übel in der Welt vor; wenn es einen Gott gibt, sollten wir keine große Menge von schrecklichem Übel in der Welt finden; daher gibt es keinen Gott. Es ist anzunehmen, dass kein Argument jemals von kritischer Überprüfung ausgeschlossen war. Aber es wird oft mit großem Nachdruck behauptet, dass es besonders verwerflich sei, das Argument aus dem Übel kritisch zu beleuchten. Ein Beispiel findet sich in einer berühmten Passage der Three Essays on Religion von John Stuart Mill: Wir kommen nun zu den moralischen Attributen der Gottheit. […] Diese Frage hat eine andere Tragweite für uns als für jene Lehrer der natürlichen Theologie, die mit der Notwendigkeit belastet sind, die Allmacht des Schöpfers zuzugestehen. Wir haben nicht das Problem, das unendliche Wohlwollen und die Gerechtigkeit mit der unendlichen Macht des Schöpfers einer Welt, wie sie ist, versöhnen zu müssen. Jeder derartige Versuch schließt nicht nur absolute Widersprüche auf der intellektuellen Ebene ein, sondern bietet im Übermaß das abscheuliche Spektakel einer jesuitischen Verteidigung von moralischen Zumutungen. (Mill 1878, 179)
Hier folgt ein weiteres Beispiel. Das folgende Gedicht findet sich in Kingsley Amis’ Roman The Anti-Death League, wo es einer der Figuren in den Mund gelegt wird. Es bringt etwas Fleisch an die Knochen von Mills abstrakter viktorianischer Empörung. Es enthält mehrere Anspielungen auf genau die Argumente, die Mill als jesuitische Verteidigung moralischer Zumutungen beschreibt. Die literarische Wirkung beruht darauf, dass diese Argumente beziehungsweise ihre Andeutung Gott in den Mund gelegt werden:
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An ein Baby, das ohne Gliedmaßen geboren wurde Das soll Dir bloß zeigen, wer hier der Boss ist. Ich will, dass Du Dich auf die Hinterbeine stellst, sozusagen, Damit Du auf dem richtigen Fuß im Leben stehst, sozusagen. Du kannst es wie ein Mann ertragen. Oder wie ein Baby schniefen und heulen. Das ist Deine Sache. Mich geht das nichts an. Wenn Du es mit der Einstellung annimmst, Kannst Du ein wunderhübsches Leben haben. Und den großen Gewinn einfahren, den der Mut einbringt, Und die Schönheit, die in der Annahme Deines LOSES besteht. Und denk daran, wie gut es für Deine Mama und Deinen Papa ist, Und für Deine Omas und Opas und den ganzen Rest, Wenn ihre Selbstzufriedenheit aufgebrochen wird. Stell aber dennoch sicher, dass sie Dich taufen, Falls ein mörderischer Bastard Beschließt, Dich schnell zu beseitigen, Was Dich geradewegs in den LIMB-o führte, ha ha ha. Aber ein Wort in Dein Ohr, falls Du eins hast. Damit das klar ist: Nimm es mit der richtigen Einstellung auf, Und pass auf, was Du über mich sagst, Denn andernfalls, Habe ich noch ein paar Asse im Ärmel, Wie Leukämie und Polio (Die Du, nebenbei, jederzeit bekommen kannst, Wie auch immer Du Dich verhältst.) Ich habe Dir einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter gegeben. Du möchtest doch keinen anderen? Pass also auf, Jack. (Amis 1968, 132f.) Ich bin nicht gänzlich ohne Sympathie für Aussagen wie die von Mill oder dem fiktiven Autor des Gedichts in Amis’ Roman. Es gibt durchaus eine Einstellung zur Frage von Gott und Übel, der gegenüber Mills intellektuelle Verachtung (seine moralische Verachtung werde ich gleich erörtern) vollkommen angemessen ist. Ich denke dabei an die Idee, dass – im striktesten und wörtlichsten Sinn – das Übel nicht existiert. Nun mag es überraschend erscheinen, dass jemand so etwas sagen könnte. Betrachten wir die folgende Passage aus Dostojewskis Die Brüder Karamasoff: Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, was mir vor kurzem ein Bulgare in Moskau erzählte. […] Er schilderte, wie die Türken und Tscherkessen dort allerorten hausen, da sie einen allgemeinen Aufstand der Slawen befürchten,
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– das heißt, wie sie brandschatzen, morden, Frauen und kleine Mädchen vergewaltigen, wie sie den Gefangenen die Ohren an die Zäune nageln, damit sie sie bis zum nächsten Morgen, wo sie gehenkt werden sollen, nicht zu bewachen brauchen, […] Diese Türken haben übrigens mit besonderer Wollust Kinder gequält, haben sie mit Dolchen aus dem Mutterleibe herausgeschnitten, haben Säuglinge in der Gegenwart der Mütter in die Luft geworfen und mit den Bajonetten aufgefangen. (Dostojewski, 1999, 387)
Wie kann jemand eine solche Geschichte hören und sagen, dass es Übel nicht gibt? Wenn ich diese Leute recht verstehe, lassen sie sich von folgender Idee leiten: Ein Ereignis wie das türkische Massaker in Bulgarien wäre ein Übel, wenn es das ganze Universum konstituierte. Aber kein solches Ereignis ist dazu in der Lage. Das Universum als Ganzes hat keine Flecken oder eine Färbung des Übels. Es sieht nur für die Menschen so aus, weil wir eine beschränkte Perspektive haben. Eine ästhetische Analogie kann uns vielleicht helfen, diese ziemlich dunkle Idee zu verstehen. Ich verdanke diese Analogie Wallace Watson. Viele Musikstücke von äußerster Schönheit und Vollkommenheit enthalten kurze dissonante Passagen, die sehr hässlich klängen, wenn sie allein ohne den musikalischen Kontext gespielt würden, in dem sie auftreten. Bachs Wohltemperiertes Klavier ist ein Beispiel. Aber diese Passagen sind nicht hässlich in ihrem eigentlichen musikalischen Zusammenhang; sie sind nicht von der Art jener Passagen, auf die sich Rossini bezog, als er sagte „Wagner hat schöne Momente, aber furchtbare Viertelstunden“. Wenn man sie im Kontext des Ganzen sieht – oder vielmehr hört –, sind sie nicht nur nicht hässlich, sondern wesentliche Elemente der Schönheit und Vollkommenheit dieses Ganzen. Es ist die Idee, dass die Schrecken und Grausamkeiten unserer Welt analog zu diesen dissonanten Passagen seien, die ich ablehne. Die loci classici dieser Idee sind Leibniz’ Theodizee und die folgenden berühmten Zeilen aus Popes Essay on Man: Natur ist nichts als Kunst, die man nicht kennt; man unsichtbare Fügung „Zufall“ nennt. Dissonanz zugleich der Wohlklang ruht. Privates Übel: allgemeines Gut. Ist auch Vernunft des stolzen Irrtums Knecht, die Wahrheit bleibt: Was immer ist, ist recht. (Pope, 1993, 37) Ich verstehe nicht, wie das jemand glauben kann. Es scheint mir eine gänzlich phantastische These zu sein. Diese Aussage sollte nicht missverstanden werden. Ich will keineswegs in den verbreiteten Fehler verfallen, Pope moralische Gefühllosigkeit vorzuwerfen. Ich kritisiere ihn nur wegen eines intellektuellen Irrtums. Aber dieser intellektuelle Irrtum ist von enormer Größe im Vergleich zu einem intellektuellen Irrtum, beispielsweise zu dem
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des Astronomen Percival Lowell, der glaubte, dass der Mars von Kanälen durchzogen sei, oder zum Glauben Descartes’, dass Katzen und Hunde bewusstseinslose Automaten seien. Wenn wir an Soldaten denken, die Mütter zwingen zuzusehen, wie sie ihre Kinder in die Luft werfen und mit ihren Bajonetten auffangen, oder an die alte mesopotamische Praxis des Molochs – des Werfens von Kindern in einen Ofen, um sie dem Baal zu opfern – oder an das Kind, das ohne Gliedmaßen geboren wurde, können wir unmöglich sagen, dass das Übel nicht real sei. Schlechte Dinge geschehen wirklich, und jeder, der wie Pope sagt, dass wir bestimmte Dinge nur deshalb schlecht nennen, weil wir sie nicht sub specie aeternitatis sehen, begeht einen schweren Fehler. Man könnte genauso gut sagen, dass wir, wenn wir den Schmerz nur von Gottes Blickpunkt betrachten könnten, feststellen würden, dass er nicht wehtue. Wenn jemand tatsächlich Leibniz’ und Popes Ansicht zur Wirklichkeit des Übels teilt, scheint mir diese Person die Verachtung zu verdienen, die Mill und Amis so sprachgewandt zum Ausdruck bringen. Ich bestehe aber darauf, dass diese Verachtung intellektuell und nicht moralisch ist. Vor dem Hintergrund seiner Weltanschauung ist Pope keines moralischen Irrtums schuldig. Allerdings ist sein intellektueller Irrtum schwerwiegend und sollte nicht nachgeahmt werden. Nun richtet sich die Verachtung Mills und anderer Schriftsteller, auf die ich mich bezogen habe, keineswegs allein auf diejenigen, die die Realität des Übels verneinen. Die Verachtung erstreckt sich auf jeden, der nicht bereit ist, ohne weitere Begründung zuzugestehen, dass die Übel dieser Welt die Nichtexistenz eines guten und allmächtigen Gottes implizieren. Und wenn sie folgern, dass jeder, der vom Argument aus dem Übel nicht unmittelbar zum Atheismus bekehrt wird, moralisch defizitär ist, gehen sie zu weit – viel zu weit –, und ich muss sie der intellektuellen Unredlichkeit bezichtigen. Über Gott und das Übel klar nachzudenken ist schwierig. Klares Nachdenken über eine längere Zeitspanne ist bei jedem Thema schwierig. Es ist leichter, sich in Verachtung über diejenigen zu ergehen, die eine andere Meinung haben, als sich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen. Es war leichter für Voltaire, die Argumente Leibniz’ zu karikieren und die Karikatur zu verspotten, als ihnen etwas entgegenzusetzen. So entstand der Candide. Von allen Formen der Verachtung, die man über jemandes Meinung ausgießen kann, ist moralische Verachtung die sicherste und die angenehmste – angenehm für den, der sie ausgießt. Es ist die sicherste Form, denn moralische Verachtung anderer Meinungen gilt im Allgemeinen als unbeantwortbar. Man kann sicher sein, dass jeder, der die gleiche Einstellung hat, annehmen wird, dass es sich um eine unangreifbare Aussage handelt. Man kann ziemlich sicher sein, dass die Zuhörer jeden Versuch einer Antwort als „Rationalisierung“ ablehnen – das ist der große Beitrag der Tiefenpsychologie zur intellektuellen Bequemlichkeit und Faulheit. Morali-
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sche Verachtung ist so angenehm, weil Selbstgerechtigkeit – moralisches Getue – unter allen Umständen eine angenehme Handlung ist. Daher wird jeder Vorwand für sie gerne genutzt. Niemand soll mir erzählen, dass es Mill kein Vergnügen bereitete, die Worte niederzuschreiben: „sondern bietet im Übermaß das abscheuliche Spektakel einer jesuitischen Verteidigung von moralischen Zumutungen“. (Vielleicht war er so vergnügt, dass seine Aufmerksamkeit von der Frage abgelenkt war, worin wohl die Darbietung eines abscheulichen Spektakels in Mäßigung besteht.) Gegenüber Leuten, die eine Verteidigung des Arguments aus dem Übel durch moralisches Getue vermeiden wollen, kann man nur sagen: „Hört auf damit“. Diese Leute sind argumentativ in der gleichen Position wie jene Verteidiger von „Gesetz und Ordnung“, die auf die von Ihnen geäußerte Vermutung, eine Person, die wegen Entführung und Kindesmissbrauchs angeklagt wird, sei unschuldig, mit offener Abscheu antworten, dass Kindesmissbrauch ein schreckliches Verbrechen sei und Sie folglich einen Kinderschänder verteidigten. Nach der Verteidigung der moralischen Angemessenheit einer kritischen Untersuchung des Arguments aus dem Übel, soll diese Untersuchung nun durchgeführt werden. Das Argument setzt zu Recht voraus, dass zwei Eigenschaften, die Gott zugeschrieben werden, nicht zur Disposition stehen: Dass er allmächtig und dass er moralisch vollkommen ist. Allmacht bedeutet, dass er alles tun kann, was keine intrinsische Unmöglichkeit impliziert. Daher kann Gott, wenn er existiert, Wasser in Wein verwandeln, da es keine intrinsische Unmöglichkeit in den Elementarteilchen gibt, die das Wasser in einem Becher ausmachen, so umgeordnet zu werden, dass sie Wein konstituieren. Aber selbst Gott kann keine runden Vierecke zeichnen oder es zur gleichen Zeit am gleichen Ort regnen und nicht regnen lassen oder die Vergangenheit verändern, denn diese Dinge sind intrinsisch unmöglich. Moralische Vollkommenheit bedeutet, dass Gott niemals etwas moralisch Falsches tut – dass er nicht in der Lage ist, etwas moralisch Falsches zu tun. Daher gilt, dass Sie sich irren, wenn Sie annehmen, Gott existiere und tue etwas moralisch Falsches: Entweder hat Gott das Angenommene nicht getan, oder das Getane war nicht moralisch falsch. Allmacht und moralische Vollkommenheit sind, wie gesagt, nicht verhandelbare Komponenten der Idee Gottes. Wenn das Universum von einem intelligenten Wesen geschaffen wurde, und wenn dieses Wesen weniger als allmächtig ist (und kein anderes Wesen allmächtig ist), dann haben die Atheisten recht: Gott existiert nicht. Wenn das Universum von einem allmächtigen Wesen geschaffen wurde und dieses Wesen etwas getan hat, das moralisch falsch war (und kein anderes allmächtiges Wesen existiert, das niemals etwas moralisch Falsches tut), dann haben die Atheisten recht: Gott existiert nicht. Wenn dem Schöpfer des Universums entweder die Allmacht oder die moralische Vollkommenheit fehlt und er dennoch für sich in Anspruch nimmt, Gott zu sein, dann wäre er entweder ein Betrüger (wenn er in Anspruch
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nehmen würde, allmächtig und moralisch vollkommen zu sein) oder er wäre verwirrt (wenn er zugeben würde, nicht allmächtig und moralisch vollkommen zu sein und dennoch behauptete, Gott zu sein). Diese zwei „unverhandelbaren“ Eigenschaften des Gottesbegriffs müssen wir um eine weitere ergänzen, die kaum einer Kommentierung bedarf: Wenn Gott existiert, muss er eine Menge über die Welt wissen, die er geschaffen hat. Nun wird gewöhnlich gesagt, dass Gott allwissend sei – dass er alles weiß. Aber das Argument aus dem Übel erfordert nicht diese starke Annahme über Gottes Wissen – es setzt nur voraus, dass Gott genug weiß, um sich der Existenz einer großen Menge von Übeln in der Welt bewusst zu sein. Es ist ausreichend für das Argument, dass Gott auch nur das Wenige weiß, das wir über das Ausmaß des Übels wissen. Betrachten wir nun die Übel, die Gott kennt. Da er moralisch vollkommen ist, muss er wünschen, dass die Übel nicht existieren – er will ihre Nichtexistenz. Nun kann ein allmächtiges Wesen alles erreichen und ins Werk setzen, was es will. Wenn es also ein allmächtiges, moralisch vollkommenes Wesen gibt, das diese Übel kennt – nun, dann wären sie schon gar nicht entstanden, denn es hätte ihr Auftreten verhindert. Oder wenn es das aus irgendwelchen Gründen nicht getan hat, hätte es sie in dem Moment entfernt, in dem sie zu existieren begannen. Aber wir beobachten Übel – und zwar ziemlich anhaltende. Daher müssen wir folgern, dass Gott nicht existiert. Wie beweiskräftig ist dieses Argument? Angenommen, ich glaube an Gott und gestehe zu, dass die Welt eine große Anzahl von wirklich schrecklichen Übeln enthält. Was kann ich dagegen sagen? Ich denke, wir sollten mit einer Untersuchung des Wortes „wollen“ beginnen. Es ist zuzugestehen, dass das vollkommene Wesen die Nichtexistenz in einem gewissen Sinne wollen muss. Aber wir realisieren Sachverhalte oft nicht, die wir realisieren könnten und die wir wollen. Nehmen wir zum Beispiel an, dass Alices Mutter mit großen Schmerzen im Sterben liegt und dass Alice den Tod ihrer Mutter verzweifelt herbeisehnt – heute, nicht in einer Woche oder im nächsten Monat. Und angenommen, dass es für Alice ein Leichtes wäre, das zu arrangieren – sie ist vielleicht Ärztin oder Krankenschwester und verfügt über einen leichten Zugang zu Medikamenten, die es möglich machen, dieses Ziel zu erreichen. Folgt daraus, dass sie diesen Möglichkeiten entsprechend handeln wird? Das dem nicht so ist, ist offensichtlich, denn Alice könnte Gründe haben, das, was sie tun kann, nicht zu tun. Zwei naheliegende Kandidaten für solche Gründe lassen sich so formulieren: Sie hält diesen Akt für moralisch falsch; sie fürchtet, dass ihre Tat entdeckt und sie wegen Mordes angeklagt wird. Und jeder dieser Gründe könnte für sie ausreichend sein, ihren Wunsch nach einem schnellen Ende der Leiden ihrer Mutter nicht in die Tat umzusetzen. Es kann also sein, dass jemand den starken Wunsch nach etwas verspürt und dieses Ziel auch erreichen könnte, aber nicht dem Wunsch entsprechend handelt – weil er Gründe dagegen hat, die
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schwerer wiegen als die Wünschbarkeit dieses Sachverhalts. Die Folgerung, dass das Übel nicht existiert, ergibt sich daher nicht logisch aus den Prämissen, dass Gott die Nichtexistenz von Übeln will und dass er die Objekte seines Begehrens realisieren kann. Denn nach allem, was uns die Logik sagen kann, ist es möglich, dass Gott Gründe dafür hat, Übel existieren zu lassen, die für ihn schwerer zu wiegen scheinen als der Wunsch nach der Nichtexistenz von Übeln. Sind solche Gründe aber überhaupt vorstellbar? Welche könnten es sein? Angenommen, ich glaubte die Gründe zu kennen, die Gott dazu bewegen, die Existenz von Übeln zuzulassen, und teilte sie Ihnen mit. In diesem Fall hätte ich Ihnen eine sogenannte Theodizee [theodicy] präsentiert. Dieser Begriff leitet sich von den griechischen Wörtern „Gott“ und „Gerechtigkeit“ ab. Milton erklärt uns daher in Paradise Lost, dass der Zweck des Gedichts darin bestehe, „die Wege Gottes gegenüber dem Menschen zu rechtfertigen“ – das heißt als gerecht aufzuzeigen. Wenn ich eine Theodizee präsentieren könnte und meine Adressaten würden sie überzeugend finden, hätte ich eine Antwort auf das Argument aus dem Übel. Aber angenommen, dass ich, obwohl ich an Gott glaube, nicht behaupte, Gottes Gründe für sein Zulassen von Übeln zu kennen. Gibt es für jemanden in meiner Position eine Möglichkeit, auf das Argument aus dem Übel zu antworten? Es gibt sie. Betrachten wir folgende Analogie: Angenommen, Ihre Freundin Clarissa, eine alleinerziehende Mutter, hat ihre zwei sehr jungen Kinder gestern Abend für über eine Stunde allein in der Wohnung gelassen. Ihre Tante Harriet, eine alte Jungfer mit strengen Prinzipien, hört davon und erklärt, dass Clarissa ihrer Verantwortung für die Kinder nicht gewachsen sei. Sie verteidigen Ihre Freundin: „Tante Harriet, ziehe keine übereilten Folgerungen. Es gibt wahrscheinlich eine sehr gute Erklärung dafür. Vielleicht wurde Billy oder Annie krank, und sie beschloss, im Krankenhaus Hilfe zu holen. Du weißt, dass sie kein Telefon oder Auto hat, und niemand in der Nachbarschaft kommt um zwei Uhr nachts an die Tür.“ Wenn Sie Ihrer Tante Harriet eine solche Geschichte erzählen, behaupten Sie nicht, zu wissen, welche Gründe Clarissa wirklich hatte, ihre Kinder allein zu lassen. Sie beanspruchen auch nicht, damit gesagt zu haben, dass Clarissa wirklich eine gute Mutter ist. Sie beanspruchen nur, zu zeigen, dass die Tatsache, auf die Tante Harriet sich stützt, nicht beweist, dass Clarissa keine gute Mutter ist. Sie wollen nur feststellen, dass nach allem, was Sie und Tante Harriet wissen, Clarissa einen guten Grund für ihr Verhalten gehabt haben muss. Sie beschränken sich allerdings nicht bloß darauf, die Feststellung zu treffen, dass es eine entfernte Möglichkeit gibt, dass sie einen guten Grund hatte. Kein Strafverteidiger würde versuchen, Zweifel bei den Mitgliedern der Jury zu säen, indem er die Möglichkeit ins Spiel brächte, dass der Angeklagte einen Zwillingsbruder hat, von dem alle Unterlagen verloren sind, und der das Verbrechen beging, für das sein Mandant angeklagt ist. Das kann eine Möglichkeit sein – ich nehme an,
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es ist eine Möglichkeit –, aber sie ist zu abwegig, um bei irgendjemandem Zweifel zu wecken. Sie versuchen Tante Harriet zu überzeugen, dass es eine sehr reale Möglichkeit gibt, dass Clarissa einen guten Grund hatte, ihre Kinder allein zu lassen; und Ihr Versuch, sie davon zu überzeugen, besteht darin, dass Sie ihr ein Beispiel dafür geben, was ein guter Grund sein könnte. Kritische Antworten auf das Argument aus dem Übel – zumindest die von Philosophen – haben in der Regel diese Form. Ein Philosoph, der auf das Argument aus dem Übel antwortet, erzählt eine Geschichte, in der Gott Übel existieren lässt. Diese Geschichte wird natürlich Gott so darstellen, dass er Gründe dafür hat, warum er Übel existieren lässt. Diese Gründe würden gute sein, wenn der Rest der Geschichte wahr ist. Diese Art von Geschichte nennen Philosophen eine Verteidigung [defense]. Eine Verteidigung und eine Theodizee müssen sich nicht notwendig in ihrem Inhalt unterscheiden. Eine Verteidigung kann in ihren Worten tatsächlich identisch sein mit einer Theodizee. Der Unterschied zwischen einer Theodizee und einer Verteidigung besteht einfach darin, dass eine Theodizee als wahr vorgetragen wird, während für eine Verteidigung nicht mehr gefordert wird, als dass sie eine reale Möglichkeit darstellt – oder eine reale Möglichkeit unter der Bedingung, dass Gott existiert. Wenn ich eine Geschichte über Gott und das Übel als Verteidigung vortrage, dann erhoffe ich mir die folgende Reaktion von meiner Zuhörerschaft: „Vorausgesetzt dass Gott existiert, könnte der Rest der Geschichte wahr sein. Ich sehe keinen Grund, das auszuschließen.“ Eine Verteidigung kann nicht einfach durch eine Geschichte darüber erfolgen, wie Gott ein großes Gut aus den Übeln dieser Welt hervorbringt, ein Gut, das schwerer wiegt als die Übel. Zumindest muss eine Verteidigung den Satz einschließen, dass Gott nicht in der Lage war, das größere Gut hervorzubringen, ohne die Übel zuzulassen, die wir sehen (oder andere Übel, die genauso schlimm oder schlimmer sind). Eine solche Geschichte zu entwerfen, von der plausibel behauptet werden kann, sie erfülle diese Forderungen, ist keine triviale Aufgabe. Der Grund dafür ist Gottes Allmacht. Ein Mensch kann oft entschuldigt werden für das Zulassen oder sogar das Verursachen eines Übels, wenn das Übel ein notwendiges Mittel oder eine unvermeidliche Konsequenz für ein Gut ist, das schwerer als das Übel wiegt – oder wenn es ein notwendiges Mittel zur Vermeidung eines größeren Übels ist. Der Chirurg des 18. Jahrhunderts, der ohne Betäubungsmittel operierte, verursachte unvorstellbare Schmerzen bei seinen Patienten. Aber wir verurteilen ihn nicht, weil der Schmerz eine unvermeidliche Folge der Mittel war, um ein Gut zu erlangen, das schwerer als das Übel wog (vorausgesetzt er wusste, was er tat) – nämlich die Rettung des Lebens des Patienten. Aber wir sollten keinen heutigen Chirurgen entschuldigen, der über Betäubungsmittel verfügt und dennoch ohne sie operiert – selbst dann nicht, wenn seine Operation das Leben des Patienten rettet und
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damit ein Gut hervorbringt, das schwerer wiegt als die schrecklichen Schmerzen des Patienten. Viele Theodizeen und Verteidigungen beachten diesen Punkt nicht hinreichend. Zum Beispiel neigen viele Studienanfänger dazu, wenn sie gläubig sind, etwas folgender Art zu sagen: Gäbe es keine Übel, würde niemand die Güte der Dinge, die wirklich gut sind, schätzen oder vielleicht nicht einmal wahrnehmen. Das ist sicher eine vertraute Idee: Man schätzt die Gesundheit nicht, bevor man krank wird; man versteht nicht wirklich, wie großartig und schön die Freundschaft ist, bevor man nicht Feindschaft erlebt hat und erfahren durfte, dass Freunde durch dick und dünn zu einem halten – und so weiter. Das Problematische an dieser Verteidigung ist so offensichtlich, dass sie beinahe den Grund überdeckt, der mich dazu bewegt, sie vorzutragen. Der kritische Punkt, der sofort in die Augen fällt, besteht darin, dass diese Verteidigung vielleicht in der Lage ist, zum Beispiel ein bestimmtes Maß von physischen Schmerzen zu rechtfertigen, aber nicht den Grad und die Dauer des Schmerzes, den viele erdulden müssen. Ich habe aber die nicht gerade vielversprechende Verteidigung durch die „Wertschätzung“ ins Spiel gebracht, um einen anderen Aspekt deutlich zu machen. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass ein allmächtiger Schöpfer zulassen muss, dass die Menschen wirklich irgendwelche Schmerzen, Trauer, Sorgen, Widerwärtigkeiten oder Krankheiten zu erleiden haben, um in die Lage versetzt zu werden, die guten Dinge im Leben wertzuschätzen. Ein allmächtiges Wesen wäre sicher dazu fähig, auf eine andere Weise das Wissen um das Übel zur Verfügung zu stellen, das sich Menschen im wirklichen Leben durch schmerzliche Erfahrungen realer Ereignisse aneignen. Ein allmächtiges Wesen könnte zum Beispiel die Dinge so arrangieren, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben – etwa für einige Jahre in der Pubertät – eine Person besonders lebendige Albträume hat, in denen sie in einem Konzentrationslager gefangen ist, an einer schrecklichen Krankheit stirbt oder sieht, wie die nächsten Angehörigen von Soldaten bei einer ethnischen Säuberung vergewaltigt und ermordet werden. Mir erscheint es einleuchtend, dass das angenommene Gut (die Fähigkeit zur Wertschätzung von Gutem), von dem einige sagen, dass es Folge der Übel in der Welt sei, genauso gut auf diesem Weg erlangt werden könnte (wenn es existiert). Es ist unbestreitbar, dass eine Welt, in der schreckliche Dinge nur in Albträumen vorkommen, besser wäre als eine Welt, in der dieselben schrecklichen Dinge wirklich geschehen, und ebenso unbestreitbar, dass ein moralisch vollkommenes Wesen eine Welt bevorzugen sollte, in der schreckliche Dinge auf Träume beschränkt sind, gegenüber einer Welt, in der sie wirklich existieren. Was dieses Beispiel hauptsächlich zeigen soll, ist einfach Folgendes: Die Ressourcen eines allmächtigen Wesens sind unbegrenzt – oder nur durch das intrinsisch Unmögliche begrenzt –, und eine Verteidigung muss diese unbegrenzten Ressourcen in ihre Überlegungen einbeziehen.
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Mir scheint, nur bei einer einzigen Verteidigung besteht Hoffnung auf Erfolg, nämlich der sogenannten Verteidigung durch die Willensfreiheit. In ihrer einfachsten, abstraktesten Form sieht sie folgendermaßen aus: Gott hat die Welt geschaffen und sie war sehr gut. Ein unverzichtbarer Teil dieses Guten, das er ausgewählt hat, war die Existenz von vernünftigen Wesen: sich ihrer selbst bewusste Wesen, die zum abstrakten Denken und zur Liebe sowie zur freien Wahl zwischen durchdachten alternativen Handlungen fähig sind. Letztere Eigenschaft der vernunftbegabten Wesen, die freie Wahl oder der freie Wille, ist ein Gut. Aber sogar ein allmächtiges Wesen ist nicht dazu in der Lage, den Gebrauch der Fähigkeit des freien Willens zu kontrollieren. Denn eine kontrollierte Wahl wäre ipso facto nicht frei. Mit anderen Worten, wenn ich die freie Wahl habe zwischen x und y, kann nicht einmal Gott sicherstellen, dass ich x wähle. Gott darum zu bitten, mir eine freie Wahl zwischen x und y zu geben und zugleich, dass er zusehen möge, dass ich mich für x statt y entscheide, bedeutet, Gott um etwas intrinsisch Unmögliches zu bitten. Es wäre genauso, als würde Gott um die Schaffung eines runden Quadrats, eines materiellen Körpers ohne Form oder eines unsichtbaren Objekts, das Schatten wirft, gebeten. Da Menschen nun diese Fähigkeit des freien Wählens haben, missbrauchen einige sie und setzen ein gewisses Maß an Übel in die Welt. Aber der freie Wille ist ein hinreichend großes Gut, um seine Existenz schwerer wiegen zu lassen als die Übel, die sein Missbrauch hervorruft; und Gott hat das vorausgesehen.
Die Verteidigung durch den freien Willen ruft unmittelbar mehrere Einwände auf den Plan. Folgende zwei sind am stärksten: Wie kann jemand glauben, dass die Übel dieser Welt durch das Gut des freien Willens aufgewogen werden können? Vielleicht ist der freie Wille ein Gut und kann schwerer wiegen als ein gewisses Maß an Übel. Es scheint aber unmöglich, zu glauben, dass er schwerer wiegt als die Menge an physischem Leid (von anderen Arten des Übels ganz zu schweigen), das tatsächlich existiert. Nicht alle Übel sind das Resultat des freien Willens des Menschen. Man denke nur an das Erdbeben von Lissabon oder den beinahe unvorstellbaren Verlust von Menschenleben durch den Hurrikan, der 1997 in Honduras tobte. Diese Ereignisse sind nicht die Folge des willentlichen Handelns von Menschen, sei es frei oder unfrei.
Meines Erachtens ist diese einfache Form der Verteidigung durch den freien Willen, wie ich sie eben vorgestellt habe, nicht in der Lage, diese Einwände zu entkräften. Die einfache Form der Verteidigung durch den freien Willen kann bestenfalls die Existenz von einigen Übeln in den Griff
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bekommen – im Gegensatz zur großen Menge an Übel, das wir tatsächlich beobachten. Zudem ist das Übel, das sie in den Griff bekommt, auf das beschränkt, das durch menschliches Handeln entstanden ist. Ich glaube aber, dass weiterentwickelte Formen der Verteidigung durch den freien Willen etwas zur großen Menge an Übeln in der Welt und zu den nicht von Menschen verursachten Übeln zu sagen haben. Bevor ich mich diesen „weiterentwickelten“ Formen der Verteidigung durch den freien Willen widme, möchte ich zuerst einen Einwand gegen die Verteidigung durch den freien Willen untersuchen, der so grundlegend ist, dass er, wenn er zuträfe, jede Form der Verteidigung widerlegte, egal wie entwickelt sie ist. Dieser Einwand hat etwas mit der Natur des freien Willens zu tun. Es gibt eine Schule – Hobbes, Hume und Mill sind ihre berühmtesten Repräsentanten –, deren Anhänger annehmen, dass freier Wille und Determinismus vollkommen kompatibel seien: dass es eine Welt geben könnte, in der die Vergangenheit eine einzige Zukunft determiniert und deren Einwohner trotzdem freie Wesen sind. Wenn diese Philosophenschule Recht hat, scheitert die Verteidigung durch den freien Willen. Denn wenn freier Wille und Determinismus kompatibel sind, kann ein allmächtiges Wesen, im Widerspruch zu der zentralen Prämisse der Verteidigung durch den freien Willen, eine Person schaffen, die eine freie Wahl zwischen x und y hat und sicherstellen, dass diese Person x statt y wählt. Die Philosophen, die von einer Kompatibilität von freiem Willen und Determinismus ausgehen, verteidigen ihre These folgendermaßen: Frei sein heißt, frei sein zu tun, was man will; Gefängnisinsassen sind zum Beispiel unfrei, weil sie fortgehen wollen und es nicht können. Der Mann, der verzweifelt mit dem Rauchen aufhören will, es aber nicht kann, ist aus dem gleichen Grund unfrei – auch wenn keine buchstäbliche Barriere wie die Gitter eines Käfigs zwischen ihm und einem Leben ohne Nikotin stehen. Das Wort „freier Wille“ selbst belegt die Richtigkeit dieser Analyse, denn der Wille ist das, was jemand will, und freier Wille ist identisch mit einem ungehinderten Willen. Diese Bestimmung des freien Willens vorausgesetzt, muss ein Schöpfer, der mir eine freie Wahl zwischen x und y geben will, nur die Komponenten meines Körpers und meine Umgebung so ordnen, dass die folgenden zwei Bedingungssätze wahr sind: Wenn ich x wollte, wäre ich in der Lage, dieses Begehren hervorzurufen und wenn ich y wollte, wäre ich in der Lage, jenes Begehren hervorzurufen. Ein Schöpfer, der sicherstellen möchte, dass ich x statt y begehre, muss mir nur ein robustes Begehren nach x einpflanzen und zusehen, dass ich kein Begehren nach y entwickle. Diese zwei Dinge sind offenkundig kompatibel. Nehmen wir zum Beispiel an, dass es einen Schöpfer gab, der eine Frau in einen Garten setzte und ihr befahl, nicht von der Frucht eines bestimmten Baumes zu essen. Könnte er die Sache so einrichten, dass sie eine freie Wahl zwischen dem Essen und dem Nichtessen der Frucht dieses Baumes hätte, und zudem sicherstellen, dass sie davon nicht essen würde? Gewiss. Um ihr die Möglichkeit einer freien Wahl zwischen zwei Alternativen zu
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geben, muss er sicherstellen, dass zwei Dinge wahr sind: Erstens darf, wenn sie von der Frucht dieses Baumes essen will, keine Barriere (wie ein unüberwindlicher Zaun oder eine Lähmung) ihrem Handeln gemäß diesem Begehren im Wege stehen, und zweitens darf sie, wenn sie nicht von der Frucht essen will, nichts zwingen, gegen dieses Begehren zu handeln. Um sicherzustellen, dass sie nicht von der Frucht isst, muss er nur zusehen, dass es das Nichtessen der Frucht ist, das sie begehrt. Letzteres kann auf mehreren Wegen erreicht werden. Am einfachsten wäre es vermutlich, ein sehr starkes Begehren in ihrem psychologischen Grundgerüst zu verankern, immer das zu tun, was er gebietet, und eine Furcht vor Ungehorsam – eine Furcht, wie sie Menschen mit Höhenangst erleben, wenn sie der Kante eines Steilhangs nahe kommen –, und sie dann zu instruieren, von der Frucht nicht zu essen. Wenn das alles stimmt, könnte es scheinen, dass ein allmächtiges Wesen seinen Geschöpfen sowohl einen freien Willen gewähren als auch sicherstellen kann, dass sie durch dessen Missbrauch kein Übel in die Welt bringen können. Wenn das wahr wäre, wäre die Verteidigung durch den freien Willen natürlich zum Scheitern verurteilt. Aber wie plausibel ist diese Interpretation des freien Willens? Nicht so überwältigend, scheint mir. Sie lässt einige merkwürdige Folgerungen zu. Betrachten wir zum Beispiel die niedrigeren sozialen Schichten in Aldous Huxleys Brave New World, die „Deltas“ und „Epsilons“. Im Falle dieser unglücklichen Leute entscheiden andere über ihre tiefsten Wünsche – nämlich die „Alphas“, die die höchste soziale Schicht bilden. Die Deltas und Epsilons begehren hauptsächlich das zu tun, was die Alphas ihnen (zusammen mit den „Beta“- und „Gamma“-Aufsehern, die ihre Arbeit überwachen) befehlen. Es ist ihr grundlegendes Begehren, weil sie so prä- und postnatal konditioniert wurden. (Wenn Huxley heute schreiben würde, hätte er wohl gentechnische Manipulationen in das Arsenal der Mittel aufgenommen, durch die die Alphas das Begehren ihrer Sklaven bestimmen.) Man kann sich kaum eine bessere Spezies vorstellen, auf die die Beschreibung „ohne freien Willen“ passen würde, als die Deltas und Epsilons in Brave New World. Dennoch wären die Deltas und Epsilons Beispiele für Wesen mit freiem Willen, wenn die hier untersuchte Interpretation des freien Willens richtig ist. Jeder von ihnen tut immer genau das, was er will, und wer von uns könnte das von sich behaupten? Das, was er will, ist zwar auf die Befolgung der Befehle der Vorgesetzten beschränkt, aber die Interpretation des freien Willens, die wir hier untersuchen, sagt nichts über den Inhalt des Begehrens: Sie fordert nur, dass es keine Barrieren bei der Umsetzung gibt. Die Deltas und Epsilons sind nicht sehr intelligent und daher nicht in der Lage, über ihre Situation nachzudenken. Dennoch könnten die Techniken der Alphas leicht auch auf sehr intelligente Leute angewendet werden. Es wäre interessant zu wissen, zu welchen Ergebnissen solche Leute kämen, wenn sie über ihre Lage reflektierten. Wenn Sie zu einem dieser hochintelligenten Sklaven sagten: „Bemerken Sie denn nicht, dass
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Sie Ihren Herren nur gehorchen, weil Ihr Begehren, ihnen zu gehorchen, Ihnen durch pränatales Konditionieren und gentechnische Manipulation eingepflanzt wurde?“, würde er vermutlich auf folgende Weise antworten: „Ja, aber das ist ja gerade gut, weil sie so vorausschauend waren, mir auch das Begehren einzupflanzen, dass mein Begehren so geformt sein sollte. Ich habe wirklich Glück: Ich tue nicht nur genau das, was ich will, sondern ich will wollen, was ich will, und ich will, dass das, was ich will, durch pränatale Konditionierung und Gentechnik verursacht wird.“ Obwohl ich offen zugeben muss, selbst über keine philosophisch befriedigende Interpretation des freien Willens zu verfügen, kann ich doch feststellen, dass diese Person die gesuchte Interpretation nicht liefert. Es reicht mir daher festzustellen, dass der Versuch des Atheisten, nachzuweisen, dass die Geschichte, die der Verteidigung durch den freien Willen zugrunde liegt, falsch ist, auf einer falschen Theorie über das Wesen des freien Willens beruht. Mein Argument für die Falschheit dieser Theorie ist, wie ich zugebe, nicht zwingend. (Wenn es zwingend wäre, müsste es Hobbes, Hume, Mill und ihre kompatibilistischen Genossen überzeugen, dass ihre Interpretation des freien Willens falsch ist. Die Erfahrung zeigt aber, dass die meisten Kompatibilisten, die dieses Argument hören und verstehen, davon nicht sehr beeindruckt sind.) Wir müssen uns aber die dialektische Situation vergegenwärtigen, in der dieses nicht zwingende Argument auftritt. Das heißt, wir müssen uns daran erinnern, wer was beweisen will. Der Atheist hat die Diskussion damit eröffnet, dass er die Nicht-Existenz Gottes beweisen will; der mutmaßliche Beweis für diese Folgerung ist das Argument aus dem Übel. Der Theist antwortet mit der Verteidigung durch den freien Willen und begnügt sich damit, dass diese Verteidigung zeigt, dass das Übel die Nicht-Existenz Gottes nicht beweisen kann. Der Atheist antwortet darauf, dass die Geschichte namens Verteidigung durch den freien Willen falsch ist und diese Tatsache durch die Reflexion über das Wesen des freien Willens bewiesen werden kann. Der Theist hält dagegen, dass der Atheist sich hinsichtlich des Wesens des freien Willens irrt und trägt ein philosophisches Argument für diese Folgerung vor (das Brave New World-Argument). Dieses Argument mag zwar kein Beweis im strengen Sinn sein, erscheint aber vielen intelligenten Leuten ziemlich plausibel. Wenn wir alle Pros und Contras dieser Diskussion abwägen, scheint es so, als ob die Verteidigung durch den freien Willen in ihrem beschränkten Anwendungsfeld triumphiert. Wenn wir auf das zurückblicken, was der Atheist bisher vorgetragen hat, sehen wir, dass die Geschichte namens Verteidigung durch den freien Willen wahr sein könnte – zumindest, wenn es Gott gibt. Man kann nicht beweisen, dass eine Geschichte, in der Wesen mit freiem Willen auftreten, falsch oder wahrscheinlich falsch ist, indem man zeigt, dass diese Geschichte falsch wäre, wenn eine gewisse Theorie über den freien Willen wahr wäre. Um das zu beweisen, müsste man auch beweisen, dass die Theorie über den freien Willen, die man ins Spiel gebracht hat, wahr oder wahrscheinlich wahr ist.
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Aber der Atheist ist den Beweis schuldig geblieben, dass seine Theorie des freien Willens, die „Keine Barriere“-Theorie, wahr oder wahrscheinlich wahr ist. Denn die Einwände gegen die Theorie des Atheisten über den freien Willen, die ich vorgetragen habe, zeigen, dass die Theorie mit ernsten Problemen behaftet ist. Am vielversprechendsten scheint mir für den Atheisten folgendes weitere Vorgehen. Er gesteht zu, dass die Verteidigung durch den freien Willen zeigt, dass es, nach allem, was sich sagen lässt, ein gewisses Maß an Übel geben kann, ein gewissen Maß an Schmerz und Leid in einer Welt, die von einem allmächtigen und moralisch vollkommenen Wesen geschaffen wurde, betont aber dann die Menge und die Art der Übel, die wir in einer Welt, wie sie ist, finden. Die Welt, wie sie ist, enthält, wie ich gesagt habe, eine große Menge von wahrhaft schrecklichem Übel (das ist der Aspekt der Menge), und einige Arten von Übeln, die in der Welt auftreten, wie völlig unvorhersehbare Naturkatastrophen zum Beispiel, sind nicht von Menschen verursacht (das ist der Aspekt der Art). Kann eine Ausarbeitung der Verteidigung durch den freien Willen diesen beiden Aspekten in wirklich überzeugender Weise Rechnung tragen? Lassen Sie mich einige Schritte auf dieses Ziel hin unternehmen. Es liegt an den Lesern, ob sie sie plausibel finden. Die von mir vorgetragene Verteidigung durch den freien Willen impliziert zwar nicht, aber legt es doch nahe, dass Gott die Menschen mit freiem Willen geschaffen und sie dann ihrem Schicksal überlassen hat. Sie legt nahe, dass die Übel der Welt mehr oder weniger beziehungslose Konsequenzen unzählig vieler Millionen beziehungsloser Missbräuche des menschlichen freien Willens sind. Lassen Sie mich eine Art Plot zu der dürren und abstrakten Verteidigung durch den freien Willen, wie ich sie oben dargelegt habe, hinzufügen. Betrachten Sie die Geschichte der Schöpfung, des Sündenfalls und der Vertreibung aus dem Paradies, wie sie in den ersten drei Kapiteln der Genesis erzählt wird. Könnte diese Geschichte wahr sein – ich meine wörtlich wahr, in jedem Detail? Nun, nein. Sie widerspricht dem, was die Naturwissenschaften über die menschliche Evolution und die Geschichte des physischen Universums entdeckt haben. Das ist auch wenig überraschend in Anbetracht der Tatsache, dass sie lange vor diesen Entdeckungen entstanden ist. Die Geschichte ist eine unter Einbeziehung von ursprünglichem Material hebräischer Autoren (oder, wie ich glaube, von einem Autor) vorgenommene Überarbeitung von Motiven, die sich in vielen antiken nahöstlichen Mythologien finden. Wie bei der Aeneis wurde dazu Material umgestaltet, das von Legenden und Mythen stammte und daher einen stark mythologischen Zug beibehielt. Es ist aber möglich, dass die drei ersten Kapitel der Genesis dennoch die mythisch-literarische Darstellung von wirklichen Ereignissen der menschlichen Vorgeschichte sind. Unser gegenwärtiges Wissen von der menschlichen Evolution präsentiert uns keinen Grund für die Annahme, dass diese Geschichte falsch ist. (Hier und da wird der Leser in der Geschichte ver-
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schiedene philosophische obiter dicta entdecken, Randbemerkungen für den Leser, die der allwissende Erzähler – ich – fürsorglich eingefügt hat.) Für Millionen Jahre oder vielleicht Tausende von Millionen Jahren hat Gott den Lauf der Evolution so gesteuert, dass er schließlich eine besonders kluge Art von Primaten hervorbrachte, die unmittelbaren Vorgänger des Homo Sapiens. Zu einem Zeitpunkt in den letzten Hunderttausend Jahren bildete die ganze Population unserer vormenschlichen Vorfahren eine kleine Fortpflanzungsgemeinschaft – ein paar Hundert oder sogar nur ein paar Dutzend. Das heißt, zu einem Zeitpunkt war jeder Vorfahre der modernen Menschen, der damals lebte, Mitglied einer winzigen, geographisch eng verflochtenen Gruppe von Primaten. In der Fülle der Zeiten nahm Gott die Mitglieder dieser Fortpflanzungsgruppe und erhob sie zur Vernunftfähigkeit. Das bedeutet, dass er sie mit der Gabe der Sprache, des abstrakten Denkens, der interessenfreien Liebe – und natürlich des freien Willens ausstattete. Er gab ihnen die Gabe des freien Willens, weil der freie Wille notwendig für die Liebe ist. Liebe, nicht nur die erotische Liebe, impliziert Willensfreiheit. Die wesentliche Verbindung zwischen der Liebe und dem freien Willen wird durch Ruts Erklärung an ihre Schwiegermutter Noomi eindrücklich illustriert: Rut antwortete: Dränge mich nicht, dich zu verlassen und umzukehren. Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. Der Herr soll mir dies und das antun – nur der Tod wird mich von dir scheiden. (Rut 1,16f.)
Das Versprechen, das ich bei meiner Eheschließung abgab, macht das genauso deutlich: Ich, Peter, nehme Dich, Elisabeth, zu meiner angetrauten Frau, von diesem Tag an, im Guten wie im Schlechten, in Reichtum und Armut, in Gesundheit und Krankheit, zu lieben und zu hegen, bis der Tod uns scheidet, nach Gottes heiliger Ordnung. Das verspreche ich bei meiner Treue.
Gott hat diese Primaten nicht nur zur Vernunftfähigkeit erhoben – und sie damit zu dem gemacht, was wir Menschen nennen –, sondern hat sie zugleich in eine Art von mystischer Vereinigung mit ihm selbst aufgenommen. Christen erhoffen diese Vereinigung im Himmel und nennen sie selige Schau [Beatific Vision]. Durch diese Vereinigung mit Gott lebten diese Menschen, diese Primaten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens Menschen geworden waren, in der Harmonie vollkommener Liebe zusammen und besaßen, was Theologen die Natur überschreitende Fähigkeiten zu bezeichnen pflegen – etwas, das Leute, die heute daran glauben, paranormale Fähigkeiten nennen. Weil sie in der Harmonie vollkommener Liebe leb-
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ten, fügte keiner dem anderen einen Schaden zu. Wegen ihrer übernatürlichen Fähigkeiten waren sie in der Lage, sich irgendwie vor wilden Tieren (die sie mit einem Wort zähmen konnten), vor Krankheit (die sie mit einer Berührung heilen konnten) und vor zufälligen zerstörerischen Ereignissen (wie Erdbeben) zu schützen, die sie im Voraus erkennen und denen sie so ausweichen konnten. Daher gab es keine Übel in der Welt. Auch war es Gottes Intention, dass sie nie von Alter niedergebeugt sein oder sterben sollten, wie es bei ihren Primatenvorfahren der Fall war. Aber auf eine Weise, die uns rätselhaft bleiben muss, waren sie nicht zufrieden mit diesem paradiesischen Zustand. Sie missbrauchten die Gabe des freien Willens und lösten sich aus der Vereinigung mit Gott. Das Resultat war schrecklich: Sie verloren nicht nur die selige Schau, sondern sie waren zudem noch mit der Zerstörung durch die blinden Kräfte der Natur konfrontiert und Alter und natürlichem Tod unterworfen. Dennoch waren sie zu stolz, um ihre Rebellion zu beenden. Mit jeder Generation entfernten sie sich weiter und weiter von Gott – bis zur Verehrung falscher Götter (eine Verehrung, die manchmal Menschenopfer einschloss), zu Stammeskriegen (einschließlich der hämischen Folter von Kriegsgefangenen), Mord, Sklaverei und Vergewaltigung. In gewisser Weise erkannten sie, oder zumindest einige, dass etwas furchtbar verkehrt lief, ohne in der Lage zu sein, etwas daran zu ändern. Nachdem sie sich von Gott getrennt hatten, „funktionierten sie nicht mehr unter den Herstellungsbedingungen“, wie ein Ingenieur sagen würde. Eine gewisse Geisteshaltung wurde unter ihnen dominierend, die in den Genen latent vorhanden war, die sie von den Millionen Generationen ihrer Vorfahren geerbt hatten. Ich meine damit die Geisteshaltung, die die eigenen Wünsche und das, was als eigenes Wohlergehen wahrgenommen wird, über alles andere stellt. Dem Wohlergehen der unmittelbaren Verwandten wird noch ein untergeordneter privilegierter Status zugestanden, während die Wohlfahrt aller anderen nichts zählt. Diese Geisteshaltung war nun mit der Vernunft verheiratet, der Fähigkeit zu abstraktem Denken: Die Abkömmlinge dieser Ehe sind das andauernde Ressentiment gegen diejenigen, deren Handlungen der Erfüllung unser Wünsche im Wege stehen, der im Herzen gehegte Hass und die Rachegelüste. Die ererbten Gene, die diese unheilvollen Wirkungen hervorbrachten, waren so lange harmlos, wie die Menschen noch eine Vorstellung von der vollkommenen Liebe in der seligen Schau vor Augen hatten. Im Zustand der Trennung von Gott und in Verbindung mit der Vernunft bildeten sie die genetische Grundlage für das, was man Ursünde nennt. Es handelt sich um eine angeborene Neigung, Böses zu tun, gegen die alle menschliche Anstrengung versagt. Wir, oder zumindest die meisten von uns, haben eine Art von Wahrnehmung des Unterschieds von Gut und Böse. Aber so sehr wir uns auch anstrengen, am Ende geben wir nach und tun das Böse. In allen Kulturen gibt es moralische Regeln (die sehr viel mehr Ähnlichkeit untereinander aufweisen, als uns manche glauben machen wollen), und nicht nur
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fremde, sondern auch die eigenen moralischen Regeln klagen die Mitglieder jedes Stammes und jeder Nation an. Die einzigen Menschen, die in ihren eigenen Augen konsistent richtig handeln, sind jene, die sich wie die Nazis ganz dem Bösen verschrieben haben und in einer verdrehten Art von Selbstbetrug sagen, was Milton seinem Satan explizit und klar in den Mund legt: „Übel, sei du mein Gott.“ Nachdem die Menschen so geworden waren, schaute Gott über eine verwüstete Welt. Es wäre gerecht gewesen, wenn er die Menschen in dieser Zerstörung, die sie in sich und der Welt angerichtet hatten, ihrem Schicksal überlassen hätte. Aber Gott ist mehr als ein Gott der Gerechtigkeit. Er ist sehr viel mehr ein Gott der Barmherzigkeit – ein Gott, der nur barmherzig ist, hätte die Geschichte der Menschen an diesem Punkt einfach zu Ende gebracht, wie jemand, der einem Pferd mit gebrochenem Bein den Gnadenschuss versetzt. Aber Gott ist noch mehr als ein Gott der Barmherzigkeit: Er ist ein Gott der Liebe. Er überließ daher die Menschheit weder ihren eigenen Ratschlüssen noch vernichtete er sie aus Barmherzigkeit. Er setzte vielmehr eine Rettungsaktion in Gang. Er setzte einen Plan ins Werk, der die getrennte Menschheit wieder zur Einheit mit ihm zurückführen sollte. Diese Verteidigung kann das Wesen dieses Versöhnungsplanes nicht spezifizieren. Die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam erzählen drei unterschiedliche Geschichten über das Wesen dieses Plans, und ich werde nicht vorschlagen, eine gegenüber einer anderen zu favorisieren, indem ich eine Geschichte erzähle, die ich nicht für wahr halte. Soviel muss aber dennoch gesagt werden: der Plan umfasst die folgenden Aspekte – und jeder Plan, der die Wiederherstellung der Vereinigung der getrennten Menschheit mit Gott zum Ziel hat, muss diese Aspekte einschließen: Sein Ziel ist es, den Menschen wieder dahin zu bringen, dass er Gott liebt. Da zur Liebe wesentlich der freie Wille gehört, kann sie nicht von außen durch einen bloßen Akt der Macht auferlegt werden. Die Menschen müssen frei wählen, mit Gott vereinigt zu werden und ihn zu lieben. Aber das ist etwas, das sie nicht aus eigener Anstrengung leisten können. Sie müssen daher mit Gott kooperieren. Wie bei vielen Rettungsaktionen müssen die Helfer und die Geretteten zusammenarbeiten. Damit die Menschen mit Gott in dieser Rettungsaktion kooperieren können, müssen sie erkennen, dass sie eine Rettung nötig haben. Sie müssen wissen, was es bedeutet, von Gott getrennt zu sein. Und von Gott getrennt zu sein bedeutet, in einer Welt des Schreckens zu leben. Wenn Gott einfach alle Schrecken dieser Welt durch ein endloses Wunder aufheben würde, machte er seinen eigenen Versöhnungsplan zunichte. Wenn er das täte, wären wir mit unserem Los zufrieden und sähen keinen Grund, warum wir mit ihm zusammenarbeiten sollten. Das Gemeinte lässt sich in folgender Analogie beschreiben. Angenommen, Dorothea leidet unter Angina, so dass sie mit dem Rauchen aufhören und abnehmen müsste. Angenommen, ihr Doktor kennt ein Medikament, das die Schmerzen stillt, aber nichts am Gesundheitszu-
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stand ändert. Sollte der Doktor ihr dieses Medikament verschreiben, wohl wissend, dass sie, wenn der Schmerz gelindert ist, nicht mit dem Rauchen aufhören und abnehmen wird? Vielleicht ist die Antwort Ja. Dorothea ist genauso erwachsen und mündig wie ihr Doktor. Es wäre vielleicht unerträglich paternalistisch, Dorothea die Erleichterung zu verweigern, um ihre Motivation zu stärken, etwas zu ihrem eigenen Vorteil zu tun. Jemand mit einer sehr liberalen Weltanschauung könnte sogar sagen, dass wir Gott zu spielen versuchten. Es ist aber keineswegs klar, ob tatsächlich etwas falsch daran ist, wenn Gott so handelt, als ob er Gott wäre. Es ist zumindest sehr plausibel, anzunehmen, dass es für Gott moralisch möglich ist, menschliches Leiden zuzulassen, wenn die Unterdrückung des Leids zum Verlust eines sehr großen Gutes führte, das das Leiden überwiegt. Gott beschützt uns vor vielen Übeln, vor einem großen Teil der Leiden, die die natürliche Folge unserer Rebellion wären. Wenn er das nicht täte, wäre die ganze Menschheitsgeschichte mindestens so schlecht: Jede menschliche Gesellschaft hätte den moralischen Grad von Nazideutschland. Aber wie viel Übel Gott auch immer von uns fernhält, muss er doch eine große Menge von Übel zulassen, wenn er uns nicht darüber betrügen will, was die Trennung von ihm bedeutet. Die Menge, die er uns gelassen hat, ist so groß und schrecklich, dass wir sie nicht wirklich begreifen können, besonders dann, wenn wir der amerikanischen oder europäischen Mittelschicht angehören. Trotzdem hätte es schlimmer kommen können. Die Bewohner einer Welt, in der wir Menschen uns von Gott getrennt haben und die er dann ihren eigenen Plänen überlassen hat, würden unsere Welt im Vergleich dazu als Paradies betrachten. Alles Übel wird aber zu einem Ende kommen. Ab einem Zeitpunkt wird es für ewige Zeiten kein unverdientes Leiden mehr geben. Jedes Übel, das die Bösen an den Unschuldigen verübt haben, wird dann gerächt und jede Träne weggewischt sein. Wenn es noch Leiden gibt, wird es verdientermaßen sein: Das Leiden derer, die die Kooperation in Gottes großem Rettungswerk zurückgewiesen haben und denen Gott nun eine ewige Existenz im selbstgewählten Zustand der Zerstörung zugesteht – mit anderen Worten, in der Hölle. Ein Aspekt dieser Geschichte muss noch deutlicher herausgearbeitet werden. Wenn die Geschichte wahr ist, entspringen viele der Übel dem Zufall. Es gibt keine allgemeine Erklärung, warum dieses Übel jener Person widerfahren ist. Es gibt nur eine Erklärung, warum Menschen Übel ohne Grund widerfahren. Diese Erklärung lautet: Die Trennung von Gott bedeutet, zum Spielball des Zufalls zu werden. Es bedeutet, in einer Welt zu leben, in der unschuldige Kinder auf schreckliche Weise ohne jeden Grund sterben. Es bedeutet, in einer Welt zu leben, in denen es Bösen aus reinem Zufall gut geht. Jeder, der nicht in so einer Welt leben will, einer Welt, in der wir der Spielball des Zufalls sind, sollte Gottes Angebot eines Auswegs aus dieser Welt annehmen.
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Das ist also eine Verteidigung. Halte ich sie für wahr? Nun, Teile davon, und ich halte nichts davon für falsch. (Selbst die Teile, an die ich nicht glaube, gehören größtenteils zu meiner Religion; sie schließen nur einige meiner religiösen Anschauungen ein.) Ich bin mir zum Beispiel nicht sicher, ob es „übernatürliche Kräfte“ gibt, oder hinsichtlich der Aussagen, dass Gott uns vor vielen Übeln schütze und die Welt schlechter dran wäre, täte er das nicht. Die Geschichte, die ich erzählt habe, ist nur als Verteidigung gemeint. Sie wird nicht als Theodizee vorgetragen, als Feststellung der Wahrheit über diesen Sachverhalt, wie ich ihn sehe, über die gleichzeitige Gegenwart von Gott und dem Übel in der Welt. Ich beschränke mich darauf, dass die Geschichte – unter der Voraussetzung, dass Gott existiert – nach allem, was wir wissen, wahr ist. Und ich sehe keinen zwingenden Grund, sie abzulehnen. Besonders sehe ich keinen Grund, die Annahme zurückzuweisen, dass Gott eine kleine Population unserer Vorfahren durch einen besonderen Akt am, sagen wir, 13. Juni 116027 v.Chr. oder einem anderen Tag zur Vernunftfähigkeit erhoben haben sollte. Die Evolutionsbiologie kann durch keine Entdeckung beweisen, dass es keine wundersamen Ereignisse in der Evolutionsgeschichte gibt. Das ist auch gar nicht möglich. Genauso wenig wie eine meteorologische Entdeckung möglich ist, dass das Wetter in Dünkirchen an den schicksalshaften Tagen des Jahres 1940 nicht Gegenstand eines göttlichen Handelns war. Jeder, der glaubt, dass das Auftreten menschlicher Vernunftfähigkeit oder das Wetter in Dünkirchen rein natürliche Ursachen hat, muss sich auf philosophische, nicht naturwissenschaftliche Gründe stützen. Das gilt im Fall der Entstehung der Vernunft in höherem Maße. Denn wir wissen viel darüber, wie das Wetter zustande kommt und wir wissen, dass Regenwolken bei Dünkirchen zu den Dingen gehören, die auf natürliche Weise entstanden sein könnten. Wir wissen aber mit Sicherheit nicht, dass die Vernunftfähigkeit aus natürlichen Gründen entstanden ist – oder zumindest wissen wir es nicht, ohne dass es ein philosophisches Argument gibt, das beweist, dass alles rein natürliche Gründe hat. Denn jeder, der glaubt, dass die menschliche Vernunft aus rein natürlichen Gründen entstanden sein könnte, tut dies allein aufgrund des folgenden Arguments: Alles hat rein natürliche Ursachen; Menschen sind vernunftfähig; also kann die Vernunft rein natürliche Ursachen haben, denn sie hat tatsächlich natürliche Ursachen. Nehmen wir einmal um des Argumentes willen an, dass die Verteidigung, die ich vorgestellt habe, eine wahre Geschichte ist. Rechtfertigt sie die Übel in der Welt? Wir können die Frage auch so formulieren: Angenommen, es gab ein allmächtiges und allwissendes Wesen, das genauso gehandelt hat, wie Gott in der Geschichte. Können irgendwelche moralischen Klagen gegen dieses Wesen erhoben werden? Gibt es ein Hindernis zu behaupten, dass dieses Wesen nicht nur allmächtig und allwissend, sondern auch moralisch vollkommen ist? Meiner Meinung nach ist es nicht evident, dass es keinen Hinderungsgrund gibt – aber es ist auch nicht evi-
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dent, dass es einen Hinderungsgrund gibt. Die vorgetragene Verteidigung, die erzählte Geschichte, sollte als Anfang eines Gesprächs aufgefasst werden. Wenn es jemanden gibt, der behauptet, die erzählte Geschichte würde, selbst wenn sie wahr wäre, das Wesen, das so handelte, wie ich es von Gott annehme, nicht von ernsten moralischen Einwänden freisprechen, müsste erklären, warum er oder sie so denkt. Dann könnte ich oder ein anderer Verteidiger des Theismus versuchen, diese Einwände aufzulösen und der Kritiker könnte darauf erwidern und so fort… Aber so ist Philosophie nun einmal: Argumentieren ohne Ende. Wie J.L. Austin sagte, als er über das Thema der Entschuldigungen sprach. Hier höre ich auf und überlasse Ihnen das Feld.
Zu den Autoren ROBIN COLLINS ist seit 2005 Professor of Philosophy am Messiah College in Grantham, Pennsylvania. PAUL COPAN ist seit 2008 Professor and Pledger Family Chair for Philosophy and Ethics an der Palm Beach Atlantic University in West Palm Beach, Florida. WILLIAM L. CRAIG ist seit 1996 Research Professor of Philosophy an der Talbot School of Theology in La Mirada, California. PAUL DRAPER ist seit 2006 Professor of Philosophy an der Purdue University in West Lafayette, Indiana. WILLIAM HASKER ist Distinguished Professor Emeritus of Philosophy an der Huntington University in Indiana. JOSHUA HOFFMAN ist seit 1995 Professor of Philosophy an der University of North Carolina in Greensboro. PETER VAN INWAGEN ist John Cardinal O'Hara Professor of Philosophy an der University of Notre Dame, Indiana. GRAHAM OPPY ist seit 2005 Professor an der Monash University in Australien. GARY ROSENKRANTZ ist seit 1994 Professor of Philosophy an der University of North Carolina in Greensboro. WILLIAM ROWE ist Professor Emeritus of Philosophy an der Purdue University in West Lafayette, Indiana. RICHARD SWINBURNE ist Emeritus Nolloth Professor of the Philosophy of the Christian Religion an der University of Oxford (Oriel College), wo er von 1985 bis 2002 lehrte. LINDA ZAGZEBSKI ist George Lynn Cross Research Professor of Philosophy an der University of Oklahoma.
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Collins, R. 15, 125, 127-129, 139, 142 Copan, P. 15, 155 Copleston, F. 109 Craig, W.L. 10, 15, 29, 108, 119, 121, 123f. Crites, S. 47 Crombie, I.M. 23f. Curley, E.M. 68 Darwin, C.R 29, 60, 126 Davies, P. 123, 127, 129, 140 Dawkins, R. 127 Denton, M. 129f. Descartes, R. 68, 83, 94, 100-102, 105, 191 Dirac, P.A.M. 142 Dore, C. 100, 102, 107 Draper, P. 16, 180, 182, 185 Duns Scotus 59, 62f. Dyson, F. 122f., 130 Edwards, A.W.F. 131 Einstein, A. 141f. Everitt, N. 96f., 101, 107 Farrer, A. 37 Fischer, J.M. 39 Flew, A. 20-24 Flint, T.P. 39, 68, 89 Frankena, W.K. 148 Frankfurt, H. 68 Freddoso, A. 68 Gale, R.M. 109 Gamow, G. 117 Gaunilo 105-107 Glover, J. 153 Gödel, K. 94f. Gregor von Nyssa 58f. Griffin, D.R. 38 Guth, A. 140 Hacking, I. 133f. Hale, B. 111
Namensregister Hare, R.M. 21f., 24 Hartle, J. 121 Hartshorne, C. 28, 103 Hasker, W. 11f., 14f., 36, 38-40, 89 Hawking, S. 121 Helm, P. 38 Hick, J. 24, 37, 108 Hilbert, D. 117 Hobbes, T. 198, 200 Hoffman, J. 15, 68, 71, 73, 76 Howard-Snyder, D. 34 Hume, D. 27-29, 50, 60, 108f., 112, 114, 126, 147, 167, 198, 200 Hunt, D. 88 Huxley, A. 199 Ignatius von Antiochia 61 Inwagen, P. van 10, 86 Irenäus von Lyon 59, 61-63 Justin 61 Kaku, M. 141 Kant, I. 12f., 28f., 47, 56f., 59f., 103-105 Kierkegaard, S. 49f. Klemens von Rom 61 Kretzmann, N. 27 Kripke, S. 10, 43 Leftow, B. 27, 97, 99-102, 107 Leibniz, G.W. 35, 59, 94, 108-110, 112, 114, 124, 190f. Leo XIII. 45 Leslie, J. 29, 32, 127, 130, 138 Lewis, C.S. 147 Lewis, D. 139f. Linde, A. 141 Locke, J. 13, 50, 94 Lowell, P. 191 Luther, M. 38 MacIntyre, A. 20 Mackie, J.L. 32, 34, 120, 152, 174 Maimonides 69 Malcolm, N. 28, 108 Mann, W.E. 151
223
Martin, M. 148, 150f. Matthews, G. 107 Mavrodes, G. 30, 149 Maydole, R. 105, 107 McGinn, C. 152 Meinong, A. 98f., 104f. Millican, P. 96, 107 Milton, J. 194, 204 Mitchell, B. 22f. Molina, L. de 39 Moore, G.E. 19f., 147f., 167f. Nagel, T. 83 Newton, I. 128, 141 Nielsen, K. 146 Oberhummer, H. 129 Oppy, G. 15, 95, 99, 106f. Origenes 57f., 61, 63 Otte, R. 181 Paley, W. 59, 126f. Parfit, D. 108 Parsons, K. 134 Paulus (von Tarsus) 146 Peacock, J. 141 Penrose, R. 123 Peterson, M. 36f. Phillips, D.Z. 176 Pike, N. 76,175 Plantinga, A. 10, 28, 31-34, 41, 52, 77, 94f., 102f., 106, 134, 153, 159, 161, 174 Platon 15, 41f., 46, 116, 125, 145, 148, 154 Polykarp 61 Porter, J. 146 Prior, A. 82 Pruss, A.R. 109f., 113 Rea, M. 10, 150, 152 Rees, M.J. 127-129, 136 Reichenbach, B. 37 Rescher, N. 146 Rice, H. 86, 88 Rosenkrantz, G.S. 15, 68, 71, 73, 76 Ross, J. 26
224
Namensregister
Rowe, W. 16, 29, 34, 36, 177, 180f. Rundle, B. 113f. Ruse, M. 153 Russell, B. 20, 104, 109, 112, 114, 149, 152f. Sanders, J. 40 Schellenberg, J.L. 178 Schlesinger, G. 140 Shafer-Landau, R. 148, 150 Sidelle, A. 43 Smart, J.J.C. 138 Smart, N. 125 Sobel, J. 96, 101f., 107, 117f., 120 Sokrates 145 Stump, E. 27, 88 Swinburne, R. 11f., 14, 29f., 35f., 41f., 52, 55, 109, 131, 134, 183 Taylor, R. 111 Tegmark, M. 139f.
Thomas von Aquin 38, 45f., 59, 69, 80f., 86, 125-127 Thukydides 144f. Tipler, F. 127f. Tillich, P. 160 Vallicella, W. 110 Voltaire 191 Wainwright, W.J. 30 Watson, W. 190 Weinberg, S. 140, 142 Whitehead, A.N. 38 Wierenga, E. 68 William von Ockham 87 Wisdom, J. 20 Wittgenstein, L. 20, 24f., 28, 45, 108 Wolterstorff, N. 31 Wright, C. 111 Wykstra, S.J. 35f. Zagzebski, L.15, 86, 88