Einführung in die Philosophie 9783110830149, 9783110046267


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German Pages 146 [148] Year 1973

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Inhalt
Einleitung
I. Das Wesen der Philosophie
1. Die Aufgaben der Philosophie
2. Philosophie und Religion
3. Philosophie und Wissenschaft
4. Philosophie und Leben
II. Die Disziplinen der reinen Philosophie
1. Psychologie
2. Erkenntnistheorie
3. Logik und Dialektik
4. Ontologie und Metaphysik
5. Ethik
6. Ästhetik
III. Die Disziplinen der angewandten Philosophie
1. Philosophie der Mathematik
2. Naturphilosophie
3. Kulturphilosophie
4. Geschichtsphilosophie
5. Rechtsphilosophie
6. Religionsphilosophie
7. Philosophische Anthropologie und Existenzphilosophie
8. Soziologie
9. Sprachphilosophie
IV. Die Geschichte der Philosophie
1. Philosophiegeschichte als philosophisches Problem
2. Weltanschauungslehre und die Typologie der Weltanschauungen
3. Zur philosophischen Terminologie
V. Anleitung zum Studium der Philosophie
1. Der Weg in die Philosophie
2. Handbücher und Lexika
3. Literatur zu speziellen Forschungsbereichen
4. Zeitschriften
VI. Die in diesem Buche gebrauchten Fremdwörter und ihre Bedeutung
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Einführung in die Philosophie
 9783110830149, 9783110046267

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Einführung in die Philosophie von

Hans Leisegang 8. Auflage

w DE

Sammlung Göschcn Band 4281

Walter de Gruyter Berlin · New York · 1973

Die Durchsicht der siebenten Auflage und die Neubearbeitung des Literaturverzeichnisses für die siebente Auflage besorgte Dr. J o h a n n e s M ü l l e r

1. Auflage 2. Auflage 3. Auflage 4. Auflage 5. Auflage 6. Auflage 7. Auflage 8. Auflage

1951 1953 1956 1960 1963 1966 1969 1973

ISBN 3 11 004626 1 © Copyright 1973 by Walter de Gruyter & Co., vormals G . J . Göschen'sche V e r l a g s h a n d l u n g , J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., 1 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung s o w i e der Ubersetzung, vorbehalten. Kein T e i l des W e r k e s darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, M i k r o film oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche G e n e h m i g u n g des Verlages reproduziert oder unter V e r w e n d u n g elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Reproduktion und D r u c k : Mercedes-Druck, 1 Berlin 61

Inhalt

Seite 3

Inhalt Einleitung

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I. D a s W e s e n d e r P h i l o s o p h i e 1. Die Aufgaben der Philosophie 2. Philosophie und Religion 3. Philosophie und Wissenschaft 4. Philosophie und Leben

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II. Die D i s z i p l i n e n d e r r e i n e n P h i l o s o p h i e 1. Psychologie 2. Erkenntnistheorie 3. Logik und Dialektik 4. Ontologie und Metaphysik Ö.Ethik G.Ästhetik

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III. D i e D i s z i p l i n e n d e r a n g e w a n d t e n P h i l o s o p h i e . . 1. Philosophie der Mathematik 2. Naturphilosophie 3. Kulturphilosophie 4. Geschichtsphilosophie 5. Rechtsphilosophie 6. Religionsphilosophie 7. Philosophische Anthropologie und Existenzphilosophie.... 8. Soziologie 9. Sprachphilosophie

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IV. Die G e s c h i c h t e d e r P h i l o s o p h i e 1. Philosophiegeschichte als philosophisches Problem 2. WTeltanschauungslehre und die Typologie der Weltanschauungen 3. Zur philosophischen Terminologie

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V.Anleitung 1. Der Wog in 2. Handbücher 3. Literatur zu

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zum S t u d i u m der P h i l o s o p h i e die Philosophie und Lexika speziellen Forschungsbereichei)

4. Zeitschriften

VI. Die in diesem B u c h e g e b r a u c h t e n und ihre Bedeutung

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Fremdwörter 139

Einleitung Dieses Buch ist nicht für Philosophen und philosophisch geschulte Gelehrte geschrieben, sondern für alle, die von Philosophie nichts verstehen, aber wissen möchten, was Philosophie eigentlich ist und warum man sich mit ihr befaßt. Es ist auch nicht dazu geschrieben, das Philosophieren zu lehren, sondern Wissen zu vermitteln, Verständnis zu erwecken und auf alles das hinzuweisen, was gebraucht wird, um philosophische Werke zu lesen und Philosophie zu studieren. Die verwirrende Fülle der philosophischen Probleme, der Systeme und Weltanschauungen, die vielen philosophischen Begriffe, die meist durch Fremdwörter bezeichnet werden, deren Bedeutung nur bei guten Sprachkenntnissen voll erfaßt werden kann, fordern eine übersichtliche Gliederung des ganzen Gebiets und eine Erklärung der einzelnen Bestandteile, aus denen es sich zusammensetzt. Dabei kann nicht wie bei einer Fachwissenschaft vom Einfachen zum Schwierigeren fortgeschritten werden, weil jedes Teilgebiet der Philosophie leicht zu Verstehendes und schwer zu Begreifendes in sich enthält, und man kann sich auch nicht dieses oder jenes auswählen, da alles miteinander in Verbindung steht und seinen Sinn aus dem Ganzen heraus erhält. Der Leser soll daher aus dem Ganzen ins Einzelne und aus diesem wieder ins Ganze zurückgeführt werden, und er wird darum gebeten, sich auch führen zu lassen, nicht in dem Buche herumzublättern, sondern es vom Anfang bis zum Ende zu lesen; denn der Verfasser möchte einführen, unterrichten und das Rüstzeug liefern, das man zu einem selbständigen Studium der Philosophie braucht, nicht aber in eine bestimmte Richtung lenken, sondern zum eigenen Urteilen und Nachdenken auf Grund eines erarbeiteten Wissens anregen.

I. Das Wesen der Philosophie Das aus dem Griechischen stammende Wort Philosophie bedeutet in wörtlicher Übersetzung Weisheits- oder Wissensliebe. Diesem Sinne des Wortes entsprechend ist Philosophie das Streben nach Erkenntnis des Wesens und des Zusammenhangs aller Dinge und zugleich die Selbstbesinnung des Menschen auf sein eigenes Wesen, seine Stellung in dieser Welt und zu seinen Mitmenschen, um aus ihr seine Bestimmung, den Sinn und Zweck seines Daseins zu erschließen. 1. Die Aufgaben der Philosophie Aus dem Streben nach Erkenntnis erwächst dem Philosophen zunächst die Aufgabe, die Organe der Erkenntnis, die Sinne, den Verstand und die Vernunft, daraufhin zu prüfen, ob und inwieweit sie eine wahre Erkenntnis der Welt außer uns und der Vorgänge in uns zu vermitteln imstande sind und wo die Grenzen der menschlichen Erkenntnis liegen. Um etwas über das Wesen und den Zusammenhang aller Dinge zu erfahren, wird der Philosophierende sich um die Ergebnisse der Wissenschaften bemühen und ihre Methoden studieren. Die Selbstbesinnung auf das eigene Wesen wird ihn dazu führen, nach Richtlinien und Maßstäben zu suchen, die das Denken, Handeln und Schaffen des Menschen bestimmen. Der Bewältigung dieser Aufgaben dienen die einzelnen Teilgebiete oder Disziplinen der Philosophie. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie ist es, die Ursprünge der Erkenntnis und die Erkenntnismittel, den Vorgang des Erkennens und den Gegenstand der Erkenntnis zu untersuchen, die der Erkenntniskritik, die Möglichkeit, die Gültigkeit und die Grenzen der Erkenntnis festzustellen. Die Psychologie ist die Wissenschaft vom gesamten Seelenleben von den Instinkten und Trieben bis zu den höchsten Leistungen des Denkens, während die Logik es allein mit dem richtigen Denken und den die Richtigkeit des Denkens verbürgenden Regeln zu tun hat. Gegenstand der Ethik ist der handelnde, sein Leben und das seiner Mitmenschen gestaltende und dabei festen Grundsätzen folgende Mensch, die

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Das Wesen der Philosophie

Ästhetik aber sucht den schaffenden, den schöpferischen Menschen, den Künstler und die Werke der Kunst in ihrem Wesen zu verstehen. In der Metaphysik handelt es sich schließlich um das, was hinter der Natur, der Physis, als deren eigentliches Wesen steht, um das über alle Natur Hinausgehende, sie Überschreitende, das Transzendente. Alle diese Disziplinen hängen miteinander zusammen, sie bilden ein Ganzes, ein System, so daß jeder Philosoph sich mit allen zu befassen und sie zusammenzudenken hat, woraus sich dann seine Weltanschauung als die Gesamtansicht vom Wesen der Welt und der Stellung des Menschen in ihr ergibt. Was jede Philosophie als solche kennzeichnet, das sind die in ihr auftretenden Fragestellungen. Die Fragen, die der Philosoph zuerst zu stellen hat, sind die nach der Wahrheit. So wird in der Erkenntnistheorie danach gefragt, ob die Eindrücke, die uns die Sinne vermitteln, und der Verstand, der mit diesen Eindrücken arbeitet, zu wahren Erkenntnissen führen. In der Logik wird danach gefragt, wie logische Schlüsse beschaffen sein müssen, damit aus wahren Voraussetzungen auch wieder Wahres folgt. In der Ethik wird danach gefragt, welches das einzig wahre und allgemeingültige Sittengesetz ist, nach dem wir unsere Handlungen zu richten haben. Die Weltanschauungen werden auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. Die Wissenschaften werden nach den Voraussetzungen durchforscht, von denen sie ausgehen; sie werden daraufhin untersucht, ob sie wahr sind oder grundlegende Irrtümer enthalten. Und auch vor den Religionen macht die Philosophie nicht halt; sie stellt auch an sie die Frage nach ihrer Wahrheit. Die zweite Art von Fragen, die in der Philosophie gestellt werden, sind die Fragen nach dem Wesen aller Dinge. E s wird gefragt nach dem Wesen der Materie ebenso wie nach dem Wesen Gottes, nach dem Wesen der Kunst ebenso wie nach dem Wesen der Religion. Der dritte Kreis von Fragen besteht aus den Fragen nach dem Sinn. Was ist der Sinn der Welt? Was ist der Sinn unseres Lebens? Was ist der Sinn der Geschichte ? Hat die Welt überhaupt einen für uns verstehbaren Sinn ? Ist nicht unser ganzes Leben eine Kette von Sinnlosigkeiten und Zufällen ?

Philosophie und Religion

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So wird in der Philosophie alles und jedes in Frage gestellt. Aber es wird auch nach Antworten auf diese Fragen gesucht, nach dem, was unbezweifelbar feststeht und wahr ist, nach dem, was absolut gilt. Und wenn der Schatz solcher Wahrheiten und Erkenntnisse auch noch so klein sein sollte, so bedeutet er doch eine Annäherung an das Absolute, das Ewige, das Unbedingte, das standhält und an das man sich halten kann. 2. Philosophie und Religion Philosophie und Religion entspringen beide dem Suchen des Menschen nach der Wahrheit, nach der Erkenntnis des Wesens der Dinge und des Sinns unseres Daseins in einer sinnvollen Welt. Während aber der philosophierende Mensch sich immer auf dem Wege befindet, der durch alles Fragen hindurch zu einem Absoluten, Unbedingten und Ewigen hinführt, ist der religiöse Mensch von diesem Absoluten, das er Gott nennt, erfüllt und im Innersten ergriffen. Während der philosophische Forscher das Weltgeheimnis zu entschleiern versucht und bis an die Grenzen alles Wissens und Wißbaren heranführt, besteht das Wesen der Religion darin, daß sie da beginnt, wo keine Wissenschaft hinführt, das Geheimnis, das Mysterium sich als solches offenbart, wo das Unerforschliche und Unbegreifliche in unser Leben einbricht. Hier beginnt ihr Reich. Während die Philosophie das Schöne und das Erhabene, das Staunen und die E r f u r c h t vor allem, was über uns, um uns, in uns und unter uns ist, ebenso kennt wie die Religion, so fehlen ihr doch das Heilige, die Scheu vor den himmlischen und dämonischen Mächten und ihrer Offenbarung, die Gottesfurcht und die Todesangst, die Gottesliebe und die Gottseligkeit, der Glaube, das Wunder, die Magie, das Gebet und der Kultus. Zu jeder Religion gehört der Mythos und ist mit ihr aufs engste verbunden. Der Mythos aber berichtet vom Anfang und vom Ende der Welt, vom Wesen der Welt und der in ihr waltenden geheimnisvollen göttlichen und dämonischenKräfte, von der Schöpfung des Menschen, seinem Verhältnis zu Göttern und Geistern, vom Urzustand der Menschheit und von der Geschichte und dem Schicksal, zu dem die Götter den Men-

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Das Wesen der Philosophie

sehen bestimmt haben. E r behandelt also dieselben Gegenstände, mit denen es auch die Philosophie zu tun hat. Das gilt für alle Religionen, in denen alle diese Motive in mehr oder weniger primitiver oder in hoch kultivierter Form auftreten. Wenn wir aber heute etwas über das Verhältnis der Philosophie zur Religion wissen wollen, so denken wir dabei nicht an alle die vielen Religionen, die es auf unserer Erde gibt und gegeben hat, die im Laufe der Weltgeschichte aufgetreten sind und auf ihren Verlauf keinen geringen Einfluß gehabt haben, sondern wir denken dabei an eine bestimmte Religion, die wir kennen oder doch kennen sollten, an das Christentum, ohne das die abendländische Kultur nicht das geworden wäre, was sie ist. Von den christlichen Theologen aber ist das Verhältnis der Philosophie zur Religion eingeschränkt worden auf das Verhältnis des Wissens zum Glauben, und aus ihm ergibt sich die Stellung des christlich gläubigen Menschen zur Philosophie. Sie ist in den beiden Konfessionen, der katholischen und der protestantischen, eine sehr verschiedene. Nach orthodoxer katholischer Lehre widersprechen die Bekenntnisse der natürlichen Vernunft, mit der Gott den Menschen ausgestattet hat, nicht den Einsichten, zu denen er durch die zu glaubende Offenbarung Gottes gelangt. Was dem menschlichen Erkennen und Wissen nicht zugänglich ist, das ist nicht widervernünftig, sondern übervernünftig. In der Philosophie wird die Welt und alles in ihr betrachtet und erforscht nach ihrer natürlichen Eigenart, der Glaube aber bringt sie in Beziehung zu Gott, der diese Welt geschaffen hat, so daß sein Wirken aus seinem Werke heraus zu erkennen ist. Die durch die menschliche Vernunft erworbenen Erkenntnisse und die durch die Gnade Gottes dem Menschen geschenkte Offenbarung stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich so, daß das, was die Natur begann, durch die Gnade vollendet wird. Die Aufgabe einer christlichen Religionsphilosophie ist es, dies zu zeigen und den Glauben mit dem Wissen zu versöhnen. In der orthodoxen protestantischen Theologie aber wird dieses Verhältnis der Religion zur Philosophie, des Glaubens

Philosophie und Wissenschaft

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zum Wissen nicht als das dem Evangelium entsprechende anerkannt. Beide werden vielmehr zueinander in einen unausgleichbaren Gegensatz gestellt. Die menschliche Vernunft ist die durch den Sündenfall verdunkelte, verdorbene und verkehrte Vernunft. Alles» was diese Vernunft dem Menschen zu sagen hat, steht im Widerspruch zu dem, was Gott ihm durch seine Offenbarung sagt. Die Selbstherrlichkeit, mit der ein Mensch im Vertrauen auf seine Vernunft eine Philosophie, eine Ethik und eine Weltanschauung begründet und nach ihr lebt, ist das vollendetste Werk seiner Sündhaftigkeit, die in der Überheblichkeit besteht, durch die der Mensch sich dem Gehorsam im Glauben und der Unterwerfung unter Gottes Willen und seine Gnade entzieht. 3. Philosophie und Wissenschaft Die Philosophie und die einzelnen Wissenschaften haben die gemeinsame Aufgabe, zu einer wahren Erkenntnis der Wirklichkeit zu gelangen. Dabei ist zu unterscheiden die philosophische Erkenntnis, die aller Wissenschaft vorausgeht, von der philosophischen Forschung, die den Erkenntnissen der Wissenschaften nachgeht, ihre Grundbegriffe und Methoden untersucht und ihre Ergebnisse in einen systematischen Zusammenhang bringt. Aus den Fragen, die der Philosoph an die Natur, an das Menschenleben und an sich selbst stellt, ergeben sich die Grundbegriffe, die ersten Voraussetzungen und die Prinzipien, die aller wissenschaftlichen Forschung zugrunde liegen. So entspringen aus der alle wissenschaftliche Forschung begründenden Voraussetzung, daß die wirkliche Welt kein unentwirrbares und in sich sinnleeres Chaos ist, sondern in ihr eine Ordnung waltet und Zusammenhänge zwischen allen Dingen bestehen, die Fragen nach der Beschaffenheit der Ordnungen und nach den Gesetzlichkeiten, die in den sich der Betrachtung unmittelbar darbietenden Gebieten der nicht lebendigen Gegenstände, der lebendigen Organismen, der beseelten Wesen und der Schöpfungen des menschlichen Geistes zu entdecken sind. Aus der Philosophie stammen die das ganze Reich des Wirklichen gliedernden Grundbegriffe Welt und Mensch, Na-

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Das Wesen der Philosophie

tur, Leben, Seele, Geist, und nach ihnen ordnen sich die Wissenschaften in die Kosmologie und die Anthropologie, in die Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften, in die Wissenschaft vom Leben, die Biologie, und die Wissenschaft von der Seele, die Psychologie. Dadurch daß in der Philosophie solche Grundbegriffe, dazu die Einteilung und der Aufbau der Wissenschaften, ihre den verschiedenen Gegenständen angepaßten Methoden und ihre Ergebnisse zum Gegenstand der Forschung gemacht werden, entsteht die Wissenschaftstheorie, und mit ihr entstehen die von den Einzelwissenschaften ausgehenden philosophischen Disziplinen der Geschichts- und Kulturphilosophie, der Sprachphilosophie, der Philosophie der Mathematik, der Rechtsphilosophie, der Religionsphilosophie und aller übrigen Wissenschaften. Es sind die Disziplinen der auf die Wissenschaften angewandten Philosophie im Unterschied von denen der reinen Philosophie, die sich in Psychologie, Erkenntnistheorie, Logik, Ethik, Ästhetik und Metaphysik gliedert. Jede dieser Disziplinen der reinen Philosophie kann in der angewandten Philosophie ihre besondere Aufgabe erhalten, so daß es zum Beispiel eine Erkenntnistheorie und eine Logik der Geschichtswissenschaften gibt, eine ethische und eine ästhetische Wertung der Geschichte und eine Geschichtsmetaphysik. Wenn von der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaften gesprochen wird, so sind damit nicht die Voraussetzungen. Prinzipien und Axiome gemeint, die als solche philosophischen Ursprungs sind und angesetzt werden müssen, um wissenschaftliche Forschung und die Herstellung eines aus Grundsätzen ableitbaren Begründungszusammenhangs möglich zu machen, sondern es handelt sich um solche Voraussetzungen, die sich aus den Lehren einer Kirche oder den Forderungen einer politischen Ideologie ergeben und durch die dem Wissenschaftler und auch dem Philosophen vorgeschrieben wird, daß ihre Forschungen nur zu solchen Ergebnissen führen dürfen, die mit den Glaubenslehren oder den politischen Dogmen übereinstimmen oder ihnen wenigstens nicht widersprechen. In diesem Sinne wurde der Ausdruck „Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft" von Theodor Mommsen

Philosophie und Leben

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im Streit um die Errichtung von Weltanschauungsprofessuren an der Reichsuniversität Straßburg eingeführt und später vielfach mißverstanden. 4. Philosophie und Leben Was den philosophierenden Menschen vom unphilosophischen oder jede philosophische Besinnung ablehnenden Menschen unterscheidet, ist seine Haltung gegenüber dem Leben. Hierbei wird unter dem „Leben" das menschliche Leben verstanden, zu dem alles gehört, was der Mensch in seinem Erdendasein „erlebt", an sich selbst erfährt und erleidet und um sich her andere Menschen erleben, erfahren und erleiden sieht. Es war zu allen Zeiten in unserer Kultur das wesentliche Kennzeichen des Philosophen, daß er zugleich ein Weiser war, der es vermochte, sich über dieses Leben zu erheben, von ihm Abstand zu nehmen, aus dem Lebensstrom herauszutreten und ihn zum Gegenstand seiner Betrachtungen zu machen. Hierdurch erreichte er die Erlösung vom Ich, von allem ichbezogenen, zweckbestimmten Wollen und Handeln, die Seelenruhe und die Fähigkeit zur objektiven Erkenntnis und Bewertung der Dinge und der Menschen. Diese Haltung gegenüber dem Leben aber ist nur die besondere Ausbildung eines Wesenszuges, der jedem Menschen zukommt, der zum geistigen Leben erwacht ist. Menschlicher Geist offenbart sich in dem Bestreben und in der Fähigkeit, die Welt, die ihn umgibt, und auch das eigene Ich, als das er sich in dieser Welt vorfindet, zu objektivieren. Der ungeistige Mensch ist solcher Objektivierung nicht fähig. Alles wird von ihm in die Vitalsphäre, in sein eigenes Erleben, Bedürfen und Begehren einbezogen; aber es kümmert ihn nicht, wie die Dinge an sich beschaffen und was sie ihrem Wesen nach sind. Wenn der Mensch in diesem Leben handeln muß und zu den Ereignissen und den Mitmenschen Stellung zu nehmen hat, so unterscheidet sich der geistige Mensch vom ungeistigen dadurch, daß er dabei die Distanz zu den Dingen und zu seinem Leben nicht aufgibt und sich bemüht, sie objektiv zu sehen, wie sie sind, um danach seine Entscheidungen zu treffen. Und er ist um so mehr eine Persönlichkeit, als er sich nicht willenlos

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Das Wesen der Philosophie

treiben läßt oder sich fremdem Willen unterwirft, sondern diese Distanz von den Dingen, von den Menschen und von seinem eigenen Schicksal aufrecht erhält. Gerade hierdurch wird die Verbindung zwischen den Menschen und der sie umgebenden Welt als etwas sie alle Übergreifendes immer wieder hergestellt, während sie durch alles Subjektive, nur den eigenen Interessen Dienende und auf das eigene Ich Bezogene immer wieder zerrissen und zerstört wird. Hierauf beruht auch die Überlegenheit der großen Persönlichkeit, die alle in ihren Bann zieht, weil jeder spürt, daß sie ihre Wurzeln im Geistigen, im Objektiven hat und um das Wirkliche und immer Bleibende weiß. Denn gerade dadurch, daß der Mensch sich selbst aufgibt, sich hingibt an die Sache und an seine Mitmenschen, gewinnt er den Abstand vom Leben, was ihn schließlich dahin führt, daß er sich selbst nicht mehr für so sehr wichtig hält. Und das äußert sich in dem weltüberlegenen Humor, den nur der besitzt, der sich über das Leben erheben und es von einem höheren Standpunkte aus betrachten kann. Der zuerst von Kierkegaard unternommene Versuch, den Menschen in seine reine Subjektivität zurückzustoßen und in ihr das wesentlich Menschliche zu sehen, ist durchaus unphilosophisch und bedeutet eine Abkehr von allem, was bisher unter Philosophie verstanden wurde. Anders steht es mit der sogenannten Lebensphilosophie. Im weiteren Sinne dieses Wortes umfaßt sie alle philosophischen Bestrebungen, die den nicht rational erfaßbaren Mächten und Kräften, dem unmittelbaren Erleben zu ihrem Recht im gesamten Kulturleben verhelfen wollen, ein Bestreben, gegen das kein Philosoph, dem es um die Erkenntnis der ganzen Wirklichkeit einschließlich des nicht verstandesmäßig Erfaßbaren zu tun ist, etwas einzuwenden hat. Im engeren Sinne versteht man unter Lebensphilosophie die Theorie, nach der das Leben als solches der höchste Wert ist, das Gut aller Güter, zu dessen Erhaltung und Steigerung alles zu dienen hat. Aufsteigendes Leben gilt dabei als wertvoll, absinkendes nicht. Aus diesem Ansatz werden die Normen sowohl für die Erkenntnis wie auch für die Sittlichkeit gewonnen. Wahr ist, was dem Leben nützt, was die Vitalität des einzelnen und des

Die Disziplinen der reinen Philosophie

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Volkes erhöht. Gut und recht ist, was das Leben reicher und lebenswerter macht. Gut ist daher auch die Vernichtung schwächlicher und kranker Menschen und die Höherzüchtung der gesunden. Der Einseitigkeit solcher Lebensphilosophie ist entgegenzusetzen, daß das menschliche Leben als solches für den Menschen kein höchster Wert ist; denn er kann es um anderer Werte willen verneinen, er kann sein Leben zum Opfer bringen für Werte, die ihm höher stehen als sein eigenes Dasein. „Das Leben ist der Güter höchstes nicht", und „wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren", das sind Worte, die in jeder kultivierten Menschengemeinschaft gelten, während sich mit Hilfe der Lebensphilosophie jede Barbarei begründen und rechtfertigen läßt und auch tatsächlich begründet und gerechtfertigt wurde.

II. Die Disziplinen der reinen Philosophie Das Streben nach Erkenntnis und Wissen des noch nicht zur philosophischen Besinnung erweckten Menschen ist zunächst auf die Außenwelt, auf seine Mitmenschen und auf das ganze ihn umgebende Leben gerichtet. Erst der sich regende Zweifel daran, ob die Dinge und die Menschen, die er sieht und mit denen er es zu tun hat, auch so sind, wie sie sich ihm darbieten, zerstört dieses naive Vertrauen auf die Erkenntnisorgane und ihre Leistungen. Dann tritt an die Stelle des Strebens nach der Erkenntnis der Außenwelt die Rückwendung, die Reflexion, auf das erkennende Ich oder das Subjekt der Erkenntnis, um es daraufhin zu untersuchen, ob es zu einer wahren Erkenntnis überhaupt fähig ist. Das Erkennen ist jedenfalls ein Vorgang, der sich im menschlichen Bewußtsein abspielt, und so ergibt sich als erste Aufgabe philosophischer Forschung die Untersuchung aller Bewußtseinsvorgänge. Das ist die Aufgabe der Psychologie. Aus den Bewußtseinsvorgängen wird durch die Erkenntnistheorie der Erkenntnisakt als solcher herausgehoben, wobei sich herausstellt, daß unser Erkennen nicht nur ein passives Aufnehmen von Eindrücken durch die Sinnesorgane ist, sondern erst mit Hilfe des Denkens, das sich aktiv der Eindrücke bemächtigt, zustande

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Die Disziplinen der reinen Philosophie

kommt. Von der Erkenntnistheorie muß daher zur Logik fortgeschritten werden, deren Aufgabe es ist, das Denken auf seine Richtigkeit zu prüfen und Kriterien aufzustellen, durch die richtiges Denken von falschem unterschieden werden kann. Ist so eine Einsicht in das Wesen und die Fähigkeiten der Erkenntnismittel gewonnen, die dem Menschen zur Verfügung stehen, kann die Erforschung der wirklichen Welt, des Seienden, aufgenommen werden. Es sind die Ontologie, die Lehre vom Sein des Seienden, und da, wo es sich um die allem Seienden zugrunde liegenden letzten oder höchsten Prinzipien handelt, die Metaphysik, die diese Aufgabe zu lösen haben. Der Mensch ist aber nicht nur ein erkennendes, sondern auch ein handelndes und ein schaffendes Wesen, wodurch er in die ihn umgebende Welt eingreift und sie verändert. Mit seinen Handlungen befaßt sich die Ethik, mit seinen Schöpfungen, den Werken seiner Kunst, die Ästhetik. Hieraus ergibt sich der Zusammenhang, in dem die einzelnen Disziplinen der Philosophie stehen und aus dem heraus sie zu verstehen sind. 1. Psychologie Die Psychologie, die seit ihrer Begründung durch Aristoteles, der das erste psychologische Werk mit dem Titel De anima, Über die Seele, schrieb, nur von Philosophen betrieben wurde, ist heute zu einer selbständigen Wissenschaft geworden. Die Fragen nach der Existenz einer Seele, ihrem Verhältnis zum Leibe und ihrer Unsterblichkeit oder Vergänglichkeit wurden in die Metaphysik und in die Religionsphilosophie verwiesen. War die Beantwortung dieser Fragen von den Weltanschauungen abhängig, die von den Philosophen vertreten wurden, oder von dem religiösen Glauben, so wird die moderne psychologische Forschung bestimmt durch die Wissenschaften und ihre Methoden, und es gibt daher nicht eine Psychologie, sondern den verschiedenen Wissenschaften entsprechend mehrere Arten von Psychologien, die sich durch ihre Methoden unterscheiden. Zunächst stehen sich gegenüber die naturwissenschaftliche und die geisteswissenschaftliche Psychologie.

Psychologie

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Die mit naturwissenschaftlichen Methoden arbeitende Psychologie, die in ihren Anfängen von Wilhelm Wundt physiologische und dann experimentelle und empirische Psychologie genannt wurde, ist dadurch gekennzeichnet, daß die komplizierten Bewußtseinsvorgänge der naturwissenschaftlichen Analyse entsprechend in ihre einfachen Elemente, in die Reaktionen auf künstlich durch Experimente hervorgerufene und kontrollierbare Reize, in die ihnen entsprechenden Empfindungen, in die Wahrnehmungen der einzelnen Sinnesorgane, die Willenshandlungen, die Gefühle, die Denkprozesse zerlegt werden. Dazu müssen die einzelnen Vorgänge aus dem ganzen Erlebniszusammenhang herausgelöst, künstlich isoliert und so dem Experiment und der unmittelbaren Beobachtung zugänglich gemacht werden. Durch diese von der Physik und von der Physiologie übernommene Arbeitsweise werden gesicherte und nachprüfbare Ergebnisse gewonnen über alle seelischen Vorgänge, die sich in dieser Weise isolieren und untersuchen lassen, ohne daß sie hierdurch ihre Eigenart verlieren. Um alles Subjektive auszuschalten und jede Deutung experimenteller oder durch Beobachtung gewonnener Ergebnisse nach Analogie eigener Erlebnisse zu vermeiden, die zur Bildung von Begriffen wie Bewußtsein, Wahrnehmung, Wille, Gefühl geführt haben, entstand in Amerika der Behaviorismus und in Rußland die Psychoreflexologie. Das Wort behavior heißt „Verhalten", und die psychologische Forschung soll sich darauf beschränken, das Verhalten von Menschen und Tieren in bestimmten Situationen zu studieren, um dadurch allgemeine Regeln und Gesetze zu finden, denen das Verhalten folgt, so daß sich bei gegebenen Situationen voraussagen läßt, wie die Menschen oder Tiere sich in ihnen benehmen und was sie tun werden. Die Psychoreflexologie als die Lehre von den Widerspiegelungen äußerer Einflüsse im Organismus und seinen Handlungen beschränken sich auf die objektive Feststellung der Zusammenhänge zwischen bestimmten äußeren Anregungen und den physiologischen Funktionen einzelner Organe, die durch sie verändert werden, und zwar auch durch Prozesse, die unbewußt bleiben und auf erblicher Erfahrung der Gattung beruhen.

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Die Disziplinen der reinen Philosophie

Hatte schon die experimentelle psychologische Forschung zu dem Ergebnis geführt, daß jeder Bewußtseinsvorgang sich nicht aus den einzelnen Elementen zusammensetzen läßt, in die man ihn zerlegen kann, sondern eine schöpferische Synthese hinzutritt, die sie zu einer Einheit verbindet, so wird jetzt allgemein anerkannt, daß alles Psychische die Struktur von Ganzheiten zeigt, die mehr sind als nur eine Summe ihrer Teile, so wie eine Melodie mehr ist als nur eine Folge von einzelnen Tönen. Dies führte zur Ganzheitspsychologie, Gestaltpsychologie und Strukturpsychologie, deren Aufgabe die Erforschung der ganzheitlichen Gebilde ist, die sich als Gestalten im Unterschied von allem Formlosën, von Reihen, Summen und Aggregaten darstellen, und die Feststellung von Zusammenhängen zwischen physischen, physiologischen und psychischen Gestalten, die auch noch durch experimentelle Methoden erreicht werden kann. Für die geisteswissenschaftliche Psychologie dagegen kommen solche Methoden nicht in Betracht, weil man durch sie nicht gefördert wird, wenn es sich um das Verstehen des Seelenlebens der Menschen handelt, von der im Alltag benötigten Menschenkenntnis bis zum Verstehen der großen Persönlichkeiten der Geschichte, der Dichter, der Künstler, der Propheten, von denen die Kultur geschaffen wird und die das Geistesleben der Menschheit bestimmen. Hier handelt es sich nicht um eine Zerlegung des Seelenlebens in Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gefühle, sondern um die ganze und mächtige Wirklichkeit der einzelnen Seele von ihren niedrigsten bis zu ihren höchsten Möglichkeiten. Die psychologische Forschung geht von dem entwickelten Kulturmenschen aus, um dessen Seelenleben nicht zu zerlegen, sondern zu verstehen. Die geisteswissenschaftliche Psychologie ist daher nicht wie die naturwissenschaftliche eine erklärende, sondern eine verstehende Seelenforschung. Aus dem lebendig gegebenen Ganzen der Persönlichkeit sind ihre einzelnen Äußerungen von den ausgesprochenen Gedanken bis zu ihren Handlungen zu verstehen. Dazu ist die Struktur des Ganzen zu erfassen, und das Seelenleben ist als ein Zusammenhang von Funktionen zu begreifen, von denen jede einzelne nicht iso-

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liert werden darf, sondern immer auf den ganzen Zusammenhang zu beziehen und aus ihm heraus zu verstehen ist. D a aber ein Mensch mit allen seinen Seelenregungen als Ganzes nicht unmittelbar f a ß b a r ist, m u ß das menschliche Seelenleben in seinen einzelnen Äußerungen studiert werden. Hierzu dienen die Schöpfungen des Menschen, in denen sich seine Seele und sein Geist niedergeschlagen und objektiviert haben. Sprache, Mythos, religiöser Brauch, Sitte und Recht lassen sich auf ihren seelischen Gehalt untersuchen. Die ganze Geschichte der Menschheit lehrt, was dem Menschen möglich ist, und so erklärte Wilhelm Dilthey, der Begründer der geisteswissenschaftlichen Psychologie, was der Mensch sei, das erf ä h r t er nicht durch Grübelei über sich, auch nicht durch psychologische Experimente, sondern durch die Geschichte. Aus ihr lassen sich die Einzelformen des Seelenlebens, die großen Typen und Charaktere erkennen, die uns dann in kleinerem F o r m a t auch im Alltagsleben entgegentreten. Während die mit naturwissenschaftlichen Methoden arbeitenden Psychologen nach den allgemeinen f ü r jeden Menschen geltenden Gesetzen forschen, nach denen die seelischcn Prozesse ablaufen, die geistes\vissenschaftliche Psychologie dagegen die typischen Grundformen des Seelenlebens, die Lebensformen des in einer Kultur lebenden und durch sie gebildeten Menschen zu ihrem Gegenstand hat, ist es die Aufgabe der Charakterologie, die individuellen Besonderheiten der einzelnen Menschen, ihren Charakter zu bestimmen, um dadurch zu einer praktischen Menschenkenntnis zu kommen. Was den Charakter eines Menschen offenbart, ist der Ausdruck seiner Persönlichkeit in seinen Werken, seiner Schrift, seinen Gesten, Mienen und Taten. So wird die Charakterkunde zur Ausdruckskunde, wie sie besonders von Ludwig Klages entwickelt wurde. Das Verhältnis des Leibes zur Seele wird dabei nicht so aufgefaßt, daß die Vorgänge im Leibe die Ursachen der seelischen Prozesse sind, sondern der Leib dient der Seele, die sich durch ihn ausdrückt. Wie das Wort der Ausdruck des Gedankens ist, der in ihm erscheint, so ist der Leib die Erscheinung der Seele. Erscheinungslose Seelen gibt es nicht. Das Mittel aber, dessen sich die Seele zu ihrem Erscheinen Γ,ritegang, Philosophie

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Die Disziplinen der reinen Philosophie

bedient, ist der Ausdruck, der als Ausdruck der Seele zu deuten und zu beschreiben ist. Physiognomik und Graphologie werden zu Hilfswissenschaften der Charakterologie. Neben diesen von den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften ausgehenden Anregungen wurden für die Psychologie neue Erkenntnisse gewonnen durch die Aufgaben, die der Medizin auf dem Gebiete der Psychiatrie gestellt wurden durch das Bestreben, Psychopathen und Geisteskranke aller Art durch die Erforschung ihres Seelenlebens zu heilen. Sigmund Freud schuf die Theorie und die Methode der Psychoanalyse. Die Leistungen der empirischen Psychologie waren da, wo es sich um die Heilung von Psychopathen handelte, von geringer Bedeutung. Man kann experimentell an Geisteskranken, soweit sich mit ihnen überhaupt experimentieren läßt, den Grad der Aufmerksamkeit, die Gedächtnisschwäche, die Ablenkbarkeit, die Merkfähigkeitsstörungen und dergleichen feststellen. Aber bei gleichen Symptomen gibt es doch meist sehr verschiedene Krankheitsbilder. Nicht auf den Querschnitt, auf den Längsschnitt durch das Seelenleben des Erkrankten kommt es an, auf seine Entwicklung, auf die Geschichte des einzelnen. Hier versagt jedes Experiment. Was im Erleben um Jahre und Jahrzehnte vorauslag, kann man durch das am gegenwärtigen Zustand vollzogene Experiment niemals feststellen; aber gerade hierauf kommt alles an. Der Grundgedanke der Psychoanalyse und jeder Tiefenpsychologie beruht auf der Unterscheidung zweier großer Reiche des Seelenlebens, der Welt des Bewußten und der des Unbewußten oder Unterbewußten. Zwischen beiden besteht eine lebhafte Wechselwirkung. Aus dem Bewußtsein werden ständig unangenehme, peinliche Erlebnisse, Eindrücke, Gefühle, Triebe ins Unbewußte verdrängt. Sie sind damit aber nur aus dem Bewußtsein verschwunden, im Unbewußten leben sie weiter. Ist die Verdrängung zu stark, betrifft sie allzu Lebenswichtiges, so wird der Mensch seelisch krank; er beginnt an Neurosen zu leiden, die sich bis zum Irrsinn steigern können. Er kann geheilt werden, wenn man das Verdrängte ins Bewußtsein zurückhebt durch ein besonderes Verfahren, und dies ist die Psychoanalyse, die Erforschung der Seele, die

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bis zum Unbewußten vordringt, dort das Verdrängte aufspürt und es dem Kranken zum Bewußtsein bringt. Hier wird es geklärt, verstandesmäßig erfaßbar und verliert seine dämonische Macht. Der Komplex des Kranken zerfällt. Wie aber kann der Forscher in das Unterbewußte eindringen? Durch die Deutung von ihm erzählter Träume; denn Träume sollen nur die verkleidete Erfüllung unterdrückter, verdrängter Wünsche sein. Durch die Beobachtung auffallender Fehlleistungen, des Vergessens und Verlegens von Gegenständen oder der alltäglichsten Handlungen. E r kann sich allgemeine Kenntnisse unterbewußter Vorgänge verschaffen durch das Studium von hierzu geeigneter Literatur, besonders der Mythologie, der religiösen Schriften, der Leistungen genialer Menschen; denn sie alle enthalten in ihren irrationalen, anormalen Zügen den Niederschlag aus dem Unbewußten aufsteigender Vorstellungen. Die Hauptmasse verdrängter Erlebnisse bilden dabei die sexuellen Erfahrungen, die schon in der Kindheit beginnen, ständig in das Unterbewußtsein gestoßen werden, aus dem sie dann wieder in mannigfachen Verkleidungen an die Oberfläche treten. Dem Unbewußten wird dabei eine Leistung von solcher Folgerichtigkeit und Gesetzlichkeit zugemutet, ein mechanisches Assoziieren über den Willen der Persönlichkeit hinweg, daß es sich zu einer abenteuerlichen Maschinerie entwickelt, deren Leistungen in keiner Beziehung zu allen sonstigen Kenntnissen und Erkenntnissen der Psychologie und der praktischen Menschenkenntnis stehen. Daher steht die Psychoanalyse heute noch unter einer scharfen Kritik, besonders auch deshalb, weil ihre Heilerfolge in keinem Verhältnis zu dem von ihr gemachten Aufheben stehen. Ihr stellte Alfred Adler eine andere Tiefenpsychologie gegenüber, die er Individualpsychologie nannte. Die Neurosen werden von ihm nicht aus der Sexualität und verdrängten Trieben erklärt, sondern aus den schon im Kinde meist durch falsche Erziehung hervorgerufenen Minderwertigkeitsgefühlen, die mit dem Geltungstrieb in ständigem Kampfe liegen. Es ist der Gegensatz von Ichhaftigkeit und Sachlichkeit, der hieraus entspringt und der nur durch einen Klärungsprozeß ausgeglichen werden kann, durch den die Hinwendung zur 2*

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Sachlichkeit vollzogen wird und die überbetonte lchhaftigkeit zusammenbricht. Aus dei" medizinischen und psychiatrischen Forschung ergeben sich auch für die Charakterkunde neue Einsichten, da die Grenze zwischen normal veranlagten Menschen und den Psychopathen eine fließende ist, so daß am Psychopathen Charakterzüge deutlicher hervortreten, die auch normale Menschen besitzen und in ihrer ganzen körperlich-seelischen Konstitution begründet sind. So gibt es die von Natur Nervösen, immer Unruhigen und Unsteten, die pedantisch Ängstlichen, die Lebhaften und Geschäftigen, die Trübsinnigen, die Gemütsarmen, die Willensschwachen, die Phantasten, die Verbohrten und Verschrobenen bis zu den Hysterikern und den sexuell Perversen, die bestimmte Menschentypen und nach diesen Charakterzügen zusammengehörige Gruppen darstellen, so wie schon die griechischen Mediziner die vier Temperamente des Sanguinikers, des Phlegmatikers, des Cholerikers und des Melancholikers unterschieden. Carl Gustav Jung teilte die Charaktere zunächst in zwei Haltungstypen, die er den introvertierten, nach innen gerichteten, und den extravertierten, nach außen gewendeten Typus nannte. Der Introvertierte paßt die Wirklichkeit seinen subjektiven Bedürfnissen an, der Extravertierte ist an der Wirklichkeit um ihrer selbst willen interessiert und sucht sich ihr anzupassen. Wer bewußt extravertiert ist, neigt dazu, unbewußt introvertiert zu sein und umgekehrt. Dazu kommen vier Funktionstypen: der Denktypus, der Gefühlstypus, der Empfindungstypus und der Intuitionstypus. Die beiden ersten werden auch die rationalen, die beiden letzten die irrationalen Typen genannt. Jeder dieser vier Typen kann introvertiert oder extravertiert sein. So gehört zum Beispiel Kant zu dem introvertierten Denktypus, Darwin zu dem extravertierten. Die Charakteranlage ist meist schon in der körperlichen Konstitution begründet. Von den mannigfachen Konstitutionstypen, die von verschiedenen Forschern aufgestellt wurden, sind am bekanntesten die von Ernst Kretschmer beschriebenen. Zum asthenischen oder leptosomen Typus gehören die mageren hoch aufgeschossenen Menschen mit blutarmer Haut,, schma-

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leu Schultern, dünnen Armen, knochig schlanken Händen, kleinem niedrigem Schädel, zum athletischen Typus die mittelgroßen und großen Gestalten mit breiten ausladenden Schultern, starker Brust, derbem hohem Kopf, plastisch hervortretenden Muskeln, grobem Knochenbau und starken Händen, zum pyknischen Typus die mittelgroßen gedrungenen Figuren mit Neigung zum Fettansatz, mit weichen, rundlichen, oft zierlichen Gliedmaßen, kurzen breiten und weichen Händen, nach vorn gesenktem Kopf und einem breiten Gesicht auf kurzem Hals. Über alle diese Ergebnisse und über die Forschungsmethoden der Psychologen muß jeder, der Philosophie studiert, unterrichtet sein, da sie zum Wissen über das Wesen des Menschen gehören. Dazu kommt noch die Parapsychologie, die man auch Metapsychologie oder Metapsychik genannt hat, um dadurch auszudrücken, daß es sich um seelische Leistungen handelt, die durch die normale Psychologie nicht erklärt werden können und die nur von besonders hierzu veranlagten Menschen, den Medien, vollbracht werden, um das Hellsehen, das Gedankenlesen, die Hervorbringung von Klopflauten ohne physikalisch feststellbare Ursachen, das Tischrücken, die Materialisationen und alles das, was von den Spiritisten und Okkultisten für die Betätigung von Geistern verstorbener Menschen gehalten wird. Wenn auch einige „Forscher" auf diesem Gebiete ohne die Geisterhypothese auszukommen versuchen und aus der Parapsychologie eine experimentelle Wissenschaft machen möchten, so steht doch das Interesse am Übersinnlichen hinter allen diesen Bemühungen, das sich auf ein recht kleines, hierfür aufnahmefähiges Publikum beschränkt, das man gesehen und mit dem Blick des Psychologen beobachtet haben muß, um dieses Treiben zu verstehen. Unter den im wissenschaftlichen und philosophischen Denken Geschulten gibt es nur wenige, die sich mit den Leistungen der Medien befassen, die von jedem mittelmäßigen Zauberkünstler nachgeahmt werden können und in den meisten Fällen als Schwindel entlarvt wurden. Mit dem, was man in der Philosophie unter Psychologie versteht, hat die Parapsychologie nur das Wort gemeinsam.

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Von der Psychologie und der psychologischen Forschung zu unterscheiden ist schließlich der Psychologismus. Man versteht daxunter die Verwendung psychologischer Erklärungen und Deutungen ζ ut Relativierung des objektiv Gültigen und von Bewußtseinsvorgängen Unabhängigen, zur Entschuldigung des Unentschuldbaren, zur Entwertung des Wertvollen und zur Verdächtigung des den eigenen Absichten Entgegenstehenden. Man kann ja so gut wie alles menschliche Verhalten, Tun und Schaffen psychologisch erklären, von den mangelhaften Leistungen wenig begabter Schüler bis zu den Handlungen der Verbrecher. Man kann die genialen Leistungen zurückführen auf ein abnormes an Irrsinn grenzendes Seelenleben, die schönsten Dichtungen auffassen als die Produkte, die durch das Abreagieren verdrängter Komplexe entstehen. Man kann die Religionen und die Weltanschauungen mit den Mitteln der Tiefenpsychologie verdächtigen als die Verschleierungen der wirtschaftlichen und politischen Interessen derer, die sie predigen und propagieren. Man muß dann aber auch konsequent sein und weiter danach fragen, wie es in diesen Menschen aussieht und welche Komplexe und Minderwertigkeitsgefühle sie zu der \ r erkleinerungssucht treiben, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen. 2. Erkenntnistheorie Die Theorie der Erkenntnis enthält die Antworten auf die Fragen, wie wir zu einer wahren Erkenntnis der Außenwelt und unseres eigenen Selbst gelangen können, wie weit eine solche Erkenntnis möglich ist, wo ihre Grenzen liegen und das für uns Unerkennbare beginnt. Zu unterscheiden ist zunächst die Fremderkenntnis von der Selbsterkenntnis. Bei der Fremderkenntnis stehen sich ein Erkennendes'und ein zu Erkennendes, ein Subjekt und ein Objekt gegenüber. Beide sind voneinander getrennt, so daß das Subjekt nicht in das Objekt und dieses nicht in das Subjekt gelangen kann. Das Subjekt richtet sich auf das Objekt, um es zu erfassen, und das Objekt muß erfaßbar sein. Die Erfassung geschieht durch die Erkenntnisorgane und die Erkenntnismittel: die Sinnesorgane, die Empfindungen, die Anschauungen, die Vor-

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Stellungen, die Begriffe und ihre Verbindung miteinander. Dabei sind die Objekte oder die Gegenstände der Erkenntnis von sehr verschiedener Beschaffenheit und fordern deshalb verschiedene Erkenntnisorgane und Erkenntnismittel. Gegenstand der Erkenntnis kann alles werden, was in irgend einer Weise „ist", was. ein „Sein" hat. Dabei wird das Wort „Sein" in einem sehr weiten Sinne verstanden, und die verschiedenen Arten des Seins alles Seienden werden als Seinsweisen oder Seinsmodi bezeichnet. Auch ein Gedanke hat ein Sein, er existiert, taucht auf, besteht eine Zeit lang, verschwindet, um dann wieder zu einer anderen Zeit ins Gedächtnis zurückzukehren und wieder da zu sein. Aber er hat eine andere Seinsweise, einen anderen Seinsmodus als etwa eine Pflanze. Auch sie ist da, wächst, verwelkt, entsteht wieder aus dem Samen. Aber sie hat eine räumlich-zeitliche Ausdehnung, während ein Gedanke nichts Räumliches ist, wohl aber auch eine zeitliche Dauer hat. Darum und noch aus vielen anderen Gründen ist sein Sein von anderer Art als das der Pflanze. Neben der Seinsweise ist noch zu unterscheiden das Dasein eines Gegenstandes von seinem Sosein, seiner Beschaffenheit oder seinem Wesen. Die verschiedenen Gegenstände der Erkenntnis lassen sich nun nach ihrem Sosein und ihrer Seinsweise iii eine systematische Ordnung bringen. Sie werden zunächst in zwei Gruppen getrennt: die Objekte und die Sachverhalte. Objekte sind die einzelnen Gegenstände selbst im engeren Sinne des Wortes „Gegenstand". Sachverhalte sind die an ihnen auftretenden Eigenschaften und die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen. Die Objekte der Erkenntnis zerfallen in reale Gegenstände und in ideale. Reale oder wirkliche Gegenstände sind solche, denen ein Wirken auf uns oder auf andere ihnen nebengeordnete Gegenstände zugeschrieben wird und die zugleich von uns oder anderen Gegenständen eine Einwirkung erfahren können, die in einer Wechselwirkung miteinander stehen. So ist das an die Wandtafel gezeichnete und aus Kreidestäubchen be-

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stehende Dreieck ein wirkliches, reales Ding, das mit allen es berührenden Dingen in einer Wechselwirkung steht und darum allmählich verwischt wird oder zerfällt. Dagegen ist das Dreieck als solches, als Gegenstand der Mathematik ein idealer Gegenstand, der mit der Kreide nichts zu tun hat, von der auch in der Mathematik nicht die Rede ist. Ideale Gegenstände sind solche, die entweder überhaupt nur als Denkinhalte existieren oder die ihre besondere Form nur als Denkinhalte haben. So existiert zum Beispiel der Begriff „Größe" nur als Denkinhalt. Die realen Gegenstände sind groß, sie haben eine Größe. Aber die Größe als solche ist nichts Wirkliches. Wohl aber hat sie eine Existenz als Gedankending, und darin besteht ihre Seinsweise. Zu den idealen Gegenständen gehören die Allgemeinbegriffe, die der logischen Ordnung dienen, die Art- und Gattungsbegriffe wie die zweikeimblättrige Blütenpflanze oder das Säugetier. Sie stehen in Beziehung zu Gegenständen, die durcli sie geordnet werden, und heißen auch Klassenbegriffe, weil sie der Klassifikation dienen. Es gehören dazu die idealen Gebilde der Mathematik, die Zahlen aller Art, die geometrischen Figuren, die Funktionen und alle durch Gleichungen oder Ungleichungen ausdrückbaren Größenverhältnisse. Ideale Gegenstände sind auch die Wertbegriffe der Ethik und die ethischen Ideale selbst als die Normen, nach denen beurteilt und gewertet werden soll, Begriffe wie das Gute und das Böse, die Tugend, das Wahre, die Gerechtigkeit. Sie haben ein beschreibbares Sosein, das sich von dem der logischen und der mathematischen Begriffe wesentlich unterscheidet. Die Gegenständ»; der Erkenntnis lassen sich auch nach den Gesichtspunkten ihres Verhältnisses zur Erfahrung und zum Bewußtsein einteilen: Nach ihrem Verhältnis zur Erfahrung sind uns die Gegenstände entweder in der Erfahrung selbst als wirkliche gegeben oder nur als wirkliche gedacht. Als wirklich gegeben sind uns die Gegenstände durch die Wahrnehmung der Sinne als farbige, tönende, harte, undurchdringliche, durchsichtige. Oder sie sind uns gegeben durch die innere Selbstwahrnehmung und Selbstbeobachtung als unser Wille, unser Gedächtnis, als

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unsere Gefühle. Als wirklich gedacht werden Gegenstände, die als zur wirklichen Welt gehörend hinzugedacht werden, obwohl wir von ihnen keine Erfahrung gehabt haben oder haben können. Der Nordpol ist auch für den Menschen wirklich, der nie dort gewesen ist. Das Atom ist für den Chemiker und den Physiker etwas Wirkliches, obwohl bisher nie ein Mensch ein Atom gesehen h a t ; es wird als wirklich gedacht. Nach ihrem Verhältnis zum Bewußtsein sind die Gegenstände entweder phänomenale oder transsubjektive. Ein Phänomen wird das genannt, was im Bewußtsein erscheint. In ihm erscheinen Bilder der Außenwelt; aber auch Phantasiegebilde, auch Gedanken, Gefühle, Willensregungen, die nicht durch die Sinne wahrgenommen werden, sind Bewußtseinsphänomene. Transsubjektive Gegenstände sind solche, die über unsere subjektiven Erkenntnisniöglichkeiten hinausgehen, die nicht vorstellbar, nicht empfindbar, nicht fühlbar, wohl aber denkbar sind. Solche transsubjektiven Gegenstände sind zum Beispiel mehr als dreidimensionale Räume in der Mathematik, das Ding an sich, das als Träger der Eigenschaften eines Dinges übrig bleibt, wenn ich alle diese Eigenschaften wegdenke, der Gottesbegriff, der dadurch zustande kommt, daß Gott die Eigenschaften des Ewigen, des Allmächtigen, des Allgegenwärtigen zugelegt werden, die alle menschliche Erfahrung übersteigen. Zu diesen Gegenständen gehört auch die mathematische Null, das absolute Nichts, das Unendliche. Man sollte solche Gegenstände nicht irrationale nennen, da sie gerade durch bestimmte Denkoperationen der ratio zustande kommen. Oer Mathematiker kommt zum Begriff der Null beim Übergang von den positiven zu den negativen Zahlen; er stößt auf das Unendliche bei der Weiterverfolgung der Reihe der natürlichen Zahlen; er wird zu mehr als dreidimensionalen Räumen geführt durch die Verallgemeinerung der für den dreidimensionalen Raum angesetzten Formeln. Dasselbe gilt für den Begriff des Dinges an sich urid den Gottesbegriff. Auch lassen sich die transsubjektiven Gegenstände sehr wohl definieren, und wenn sie Gegenstände der Mathematik sind, so kann mit ihnen auch gerechnet werden.

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Die Sachverhalte werden von den Objekten, unter denen die Sachen oder die Gegenstände selbst zu verstehen sind, unterschieden. Es handelt sich bei ihnen darum, wie die Sachen sich zu sich selbst und zu anderen verhalten. Durch den Satz : Die Sonne leuchtet, wird ein Sachverhalt ausgedrückt, der an dem Gegenstand Sonne selbst haftet. Durch den Satz: Die Erde bewegt sich um die Sonne, wird eine Beziehung, eine Relation, ausgedrückt, in der die beiden Gegenstände Sonne und Erde zueinander stehen. Deshalb werden die Sachverhalte geteilt in solche, die an einem Objekt haften, und in Relationen, die zwischen mehreren Objekten bestehen. Diese Relationen sind von großer Mannigfaltigkeit, da alles in irgend einer Beziehung zu allem steht. Man unterscheidet die Grundrelationen von den gemischten Relationen. Die Grundrelationen zerfallen in die umkehrbaren und die nicht umkehrbaren. Die Umkehrbarkeit wird bedingt durch die Eigenschaften, die die Gegenstände besitzen, und durch die Verbindungen, die zwischen ihnen bestehen. Wenn A der Bruder von Β ist, dann ist Β auch der Bruder von A. Wenn aber A der Vater von Β ist, dann ist Β nicht der Vater von A. Zu den nicht umkehrbaren Relationen gehören die Ordnungen im Raum und in der Zeit, das Verhältnis des Grundes zur Folge, der Ursache zur Wirkung, des Mittels zum Zweck. Die gemischten Relationen entstehen aus den unübersehbar vielen Kombinationen der Grundrelationen. Die Erkenntnis aller dieser Gegenstände und Sachverhalte vollzieht sich im menschlichen Bewußtsein und ist an die Erkenntnismöglichkeiten und an die Struktur unseres ganzen Erkenntnisapparates gebunden, dessen Erforschung eine Aufgabe der Psychologie ist. Die Berücksichtigung dieser Tatsache darf aber nicht dazu führen, die Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis von Gegenständen, die außerhalb dieses Bewußtseins liegen, überhaupt zu leugnen. Zwar kann der Gegenstand, von dem wir durch unsere Empfindungen etwas erfahren oder den wir uns vorstellen, nur erkannt werden, wenn er uns als solcher bewußt wird ; denn sonst wäre er für uns kein Gegenstand der Erkenntnis, sondern etwas außer uns, von dem wir nichts wissen, weil es niemals in unser Bewußtsein eingetreten

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ist. Aber es sind zu unterscheiden der Erkenntnisprozeß selbst, der unmittelbar erlebt wird, von den durch ihn bewußt werdenden Eigenschaften der außerhalb des Bewußtseins existierenden Gegenstände. Sie dringen als solche nicht in das Bewußtsein ein, sondern sind und bleiben immer dort, wo die zu ihnen gehörenden Gegenstände sind. Die Bewußtseinsvorgänge, die Empfindungen und Vorstellungen sind nicht blau, rot, hart oder weich, groß oder klein, sondern das sind immer nur die Gegenstände, die wir meinen, wenn wir ihnen solche Eigenschaften beilegen. Sie erscheinen im Bewußtsein nicht so, wie sie an sich sind, sondern so, wie sie gesehen, erfaßt und vorgestellt werden. Dabei können wir uns täuschen und dann einsehen, daß uns etwas anders zu sein scheint, als es in der Tat ist. Zwischen Subjekt und Objekt schiebt sich das Bild des Objekts, die Vorstellung die das Subjekt sich von ihm macht. Dabei wird dieses im Subjekt entstehende Bild sehr wohl von dem draußen stehen bleibenden Objekt unterschieden. Wir wissen, daß beide nicht zusammenfallen, und wir wissen auch, daß sich das Erkenntnisbild auf das Objekt bezieht, das unabhängig davon ist, ob es ein solches Bild in uns hervorbringt und mit seiner Hilfe erkannt wird oder nicht. Das gilt nicht nur für die realen, sondern auch für die idealen Gegenstände. Die Zahlen, die mathematischen Funktionen, die ethischen Werte stehen uns als Gegenstände der Erkenntnis gegenüber, sind bewußtseinsunabhängig und bestehen ohne Rücksicht darauf, ob sie von uns erkannt werden oder nicht. An der Tatsache, daß zweimal zwei vier ist, daß die Summe der Winkel im Dreieck zwei rechte beträgt, daß die Wahrheit ein Wert und die Lüge ein Unwert ist, kann kein Mensch etwas ändern, ebensowenig wie er etwas daran ändern kann, daß in der Außenwelt eine Kugel den Berg hinab und nicht hinauf rollt. Wenn Kant für die Erkenntnis der idealen und der realen Gegenstände zwei Erkenntnisweisen einführte und die erste die Erkenntnis a priori, die zweite die Erkenntnis a posteriori nannte, so besteht der Unterschied zwischen beiden nur darin, daß sie uns auf verschiedene Weise gegeben sind. Die realen

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Gegenstände sind uns als konkrete Individuen, als Einzelfälle zu bestimmter Zeit und an bestimmtem Ort gegeben, so daß sie erst erkannt werden können, nachdem (a posteriori) sie ein Erkenntnisbild oder eine Vorstellung im Bewußtsein hervorgebracht haben. Die idealen Gegenstände aber sind keine einzelnen Individuen, sondern allgemeine Wesenheiten, von denen wir im voraus (a priori) sagen können, wie sie beschaffen sind und beschaffen sein müssen, ohne daß wir darauf zu warten brauchen, ob wir ihnen in der Erfahrung begegnen. Wir wissen, was ein Dreieck ist, ehe wir es an die Wandtafel gezeichnet haben und unabhängig davon, ob wir es jemals zeichnen werden. Wir können aber nicht wissen, wieviel Äpfel der Baum in unserm Garten im nächsten Jahre tragen wird, ehe wir es nicht erfahren haben. Das eine ist eine Erkenntnis a priori, das andere eine a posteriori. Zwischen beiden aber besteht ein merkwürdiger Zusammenhang. Es gibt eine Anzahl von Erkenntnissen a priori, die auf reale und nur a posteriori erkennbare Gegenstände zutreffen. Wenn ich a priori erkannt habe, daß zwei und zwei immer vier ergibt, so weiß ich auch, daß stets, wenn zwei reale Gegenstände da sind und sich noch zwei weitere hinzufinden, es vier reale Gegenstände sein müssen. Wenn ich die Geschwindigkeit eines Flugzeugs durch die Beobachtung a posteriori festgestellt habe, so ist es durch die Rechnung mit idealen Größen möglich zu bestimmen, an welchem Ort es sich nach einer gegebenen. Zeit befinden wird. So folgen physikalische Vorgänge in der realen Welt einer Gesetzlichkeit, die für ideale Gegenstände, mathematische Formeln, Gleichungen und Funktionen gilt, so daß die a priori erkennbaren Beziehungen zwischen idealen Gegenständen auf die zwischen realen Gegenständen bestehenden zutreffen und sich infolgedessen ihr a posteriori erfahrbares Verhalten a priori vorausberechnen läßt. Ein großer Teil der Naturforschung und der sich auf ihr aufbauenden Technik beruht auf dieser merkwürdigen zwischen idealen und realen Gegenständen bestehenden Beziehung. Wann aber ist eine Erkenntnis wahr ? Die klassische, auch von Kant angeführte Definition der Wahrheit heißt: Wahrheit

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besteht in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande. In ihr soll das Wort Erkenntnis offenbar das Ergebnis eines Erkenntnisprozesses bedeuten. Dieses Ergebnis aber wild ausgesprochen in der Form eines Urteils, eines Aussagesatzes : Die Sonne bewegt sich ; der Hund ist ein Säugetier ; die Wurzel aus vier ist zwei. Während der Erkenntnisprozeß ein Bewußtseinsvorgang, ein Erkenntnisakt ist, sind diese Ergebnisse etwas vom Bewußtsein völlig Unabhängiges. Sie sind an sich wahr, auch wenn sie nicht als solche bewußt werden und zum Beispiel in einem Buche stehen, das von niemandem gelesen und dessen Inhalt in kein Bewußtsein aufgenommen wird. Was ich auch auf Grund eines Erkenntnisaktes urteilen mag, so tritt doch das durch das Urteil Gemeinte mit dem Anspruch auf, unabhängig von dem sich im Bewußtsein vollziehenden Erkenntnisakt zu sein und an sich zu gelten. Ebenso bestehen die mit dem Urteil gemeinten Gegenstände und Sachverhalte unabhängig von unserem Bewußtsein. Sie sind einfach da, und sie sind als solche weder wahr noch falsch. Während das im Urteil Gemeinte mit dem Anspruch auftritt, unabhängig vom Erkenntnisakt zu gelten, sind die Gegenstände der Erkenntnis als solche tatsächlich unabhängig von jedem Bewußtsein und werden durch einen Erkenntnisakt, da sie außerhalb des Bewußtseins stehen bleiben, nicht berührt. Die Wahrheit einer durch ein Urteil ausgesprochenen Erkenntnis besteht nun darin, daß dieser im Urteil als unabhängig vom Bewußtsein bestehend gemeinte Sachverhalt auch tatsächlich und unabhängig auch von dieser Meinung an sich besteht. Oder: Ein Urteil ist wahr, wenn der mit ihm gemeinte Sachverhalt auch an sich vorhanden ist. Dabei darf die Vieldeutigkeit des im Urteil auftretenden Wörtchens „ i s t " nicht irre führen. In dem Urteil: Der Hund ist ein Säugetier, bedeutet das Wort „ i s t " wie bei allen Urteilen, die eine Art oder ein Individuum einer Gattung unterordnen: fällt unter die Gattung. Und dieses Urteil ist wahr, wenn dieser Sachverhalt tatsächlich besteht und der Hund alle Merkmale des Säugetiers hat. In dem Urteil: A ist A , bedeutet das „ i s t " die Identität, und mit diesem Urteil wird nur gesagt, daß A sich selbst gleich ist. In dem Urteil: ( a - f b ) 2 ist gleich a*-f b 2 + 2 a b ,

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bedeutet das „ist" die Gleichwertigkeit in dem Sinne, daß der eine Ausdruck für den anderen eingesetzt werden darf, weil er denselben Zahlenwert hat, wovon man sich durch Einsetzen von zwei beliebigen Zahlen für a und b überzeugt, wenn man dann die rechte und die linke Seite ausrechnet. Zur Erkenntnistheorie gehört nicht nur die Beantwortung der Frage nach der Wahrheit unserer Erkenntnis, sondern auch die der Frage nach dem Sinn und dem Wesen der Dinge. Auch der Sinn und das Wesen wollen erkannt sein, und solches Erkennen wird Verstehen genannt. Unter dem Worte „Sinn" kann sehr Verschiedenes verstanden werden; aber die verschiedenen Bedeutungen erklären sich dadurch, daß jede von ihnen eine Seite des gesamten Gehalts der Bedeutung dieses Wortes hervorhebt. Wollen wir den Sinn irgend eines Gebildes verstehen, so haben wir es als ein Ganzes zu betrachten, in das jeder Teil „sinnvoll" eingefügt ist. Die Silbe erhält ihren Sinn aus dem Wort, das Wort aus dem Satz, der Satz aus der ganzen Rede, in der er steht und mit anderen Sätzen zusammen einen Sinnzusammenhang bildet. Aber nicht jedes Ganze hat einen Sinn, sondern nur solche Ganzheiten, die ein bestimmtes Bildungsgesetz erkennen lassen wie etwa eine Melodie oder wie ein Uhrwerk, dessen Teile „sinnreich" ineinander gefügt sind. Etwas ist sinnlos, wenn sich ein solches Bildungsgesetz nicht finden läßt. So sprechen wir in der Musik von einem sinnlosen Geklimper. Der Sinn geht nicht verloren, wenn dem Ganzen ein Teil fehlt. Ein Torso ist nicht sinnlos. Die fehlenden Teile werden hier zum Ganzen hinzugedacht. Dagegen entsteht „Unsinn", wenn man einen Teil zum Ganzen macht oder als ein Ganzes behandelt wie zum Beispiel in den absichtlich mit Sinnlosigkeiten durchsetzten Gedichten Morgensterns: „Ein Knie geht einsam durch die Welt; es ist ein Knie, sonst nichts." Sinn ist ferner überall da vorhanden, wo es sich um einen einheitlichen Lebenszusammenhang handelt, den wir selbst an uns und anderen erleben. In solchem Zusammenhang stehen alle organischen Prozesse, und es hat einen aus diesem Lebenszusammenhang folgenden Sinn, daß auf Anstrengung Ermüdung, auf den Schlaf das Erwachen folgt.

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Wir legen den Gegenständen und Vorgängen vor allem dann einen Sinn bei, wenn sie für uns etwas bedeuten, wenn sie einen Wert haben. Danach beurteilen wir unsere Erlebnisse. Wenn uns jemand berührt oder schlägt, so kann das einen verschiedenen Sinn haben. Es kann eine Warnung, eine Unachtsamkeit, eine Rücksichtslosigkeit, eine Beleidigung, eine Rohheit bedeuten. Alle diese Wörter aber drücken eine Wertung aus, und aus ihr ergibt sich, welchen Sinn eine Tat oder eine Handlung hat. Wir erfassen den Sinn von Mienen und Gebärden, gesprochener und geschriebener Rede und aller Ausdrucksformen dadurch, daß wir uns in das fremde Seelenleben hineinversetzen, etwas in uns nachfühlen und nacherleben, und hierin besteht das eigentliche Verstehen. Hinter jedem Wort und jedem Satz, jeder Handlung und jeder Tat, hinter jedem Kunstwerk und jeder Schrift steht ein Mensch, und der Sinn der Reden, der Taten, der Werke besteht darin, daß wir von ihnen auf den Urheber schließen und sie als Ausdruck seines Seelenlebens zu verstehen versuchen. Dabei besteht der Sinn einer menschlichen Schöpfung, eines Buches, eines Kunstwerks in ihrem geistigen Gehalt. Wir bezeichnen einen Satz als sinnvoll, wenn er wenigstens logisch richtig ist. Die mathematischen Formeln haben ihren Sinn in dem geistigen Gehalt, den sie ausdrücken. Das Geistige ist immer ein Allgemeines, und der Sinn besteht in der Unterordnung einer einzelnen Erscheinung unter ein allgemeines Prinzip. Sinn hat daher alles, was man auf diese Weise erklären kann. Erklären heißt Zurückführen von Unbekanntem auf Bekanntes, Unterordnen eines einzelnen Vorgangs unter ein allgemeines und bekanntes Gesetz. Von Sinn sprechen wir auch da, wo irgend ein Zeichen etwas bedeutet, wo es als „Sinnbild" für etwas anderes auftritt, als Symbol eines geistigen Gebildes oder Zusammenhangs. Sinn ist auch überall da vorhanden, wo wir erkennen, daß etwas einen bestimmten Zweck hat, zu etwas da ist, daß es als Mittel zu einem Zweck dient. H a t man den Zweck begriffen, dem eine Sache dient, so hat man ein Stück ihres Sinns erf&ßt.

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Sinn hat schließlich alles das, dem wir selbst einen Sinn geben, bei dem wir uns irgend etwas denken. Aber solcher Sinn, den wir einer Sache geben, ist durch diese selbst bestimmt, kann nie ganz subjektiv und willkürlich sein. "Wird einer Sache ein Sinn beigelegt, der ihr nicht zukommt, so entsteht Unsinn. Wie diese verschiedenen Bedeutungen des Wortes „Sinn" zusammenwirken, tritt deutlich hervor, wenn wir nach dem Sinn der Welt und dem Sinn unseres Lebens fragen. Was ist dann mit solcher Frage gemeint? Man meint mit ihr: Sind Welt und Leben einheitliche Ganzheiten, so daß sich der Zusammenhang ihrer Teile überblicken läßt und sie ein einheitliches Bildungsgesetz zeigen ? Stellt die Welt, stellt das Leben einen einheitlichen Lebenszusammenhang dar, der sich als solcher erkennen läßt ? Hat die Welt für mich einen Wert, und hat das Leben in ihr einen Wert, so daß es sich lohnt gelebt zu werden? Denn dann hätte es auch einen Sinn. Sind Welt und Leben Ausdruck eines mir fremden Seelenlebens, eines Weltgeistes, der sich in der Welt und in mir offenbart, so daß sich der Sinn der Welt und meines Lebens aus den Absichten verstehen läßt, die dieser Geist mit der Welt und meinem Leben verfolgt? Haben Welt und Leben einen geistigen Gehalt? Liegt ihnen eine Idee zugrunde? Lassen sich Welt und Leben erklären? Sind sie unter einen allgemeineren Begriff zu bringen, auf ein allgemeines Gesetz zurückzuführen, aus dem sich die Entwicklung der Welt und des Lebens ergibt und beide dadurch verständlich werden ? Sind Welt und Leben Zeichen, Symbole für etwas anderes, das sich in ihnen ausdrückt, Sinnbilder für Höheres, als sie es selbst sind ? Haben Welt und Leben einen Zweck? Denn wo Zweck ist, da ist auch Sinn, und wenn wir wissen, wozu die Welt und wir da sind, dann haben wir den Sinn unseres Lebens begriffen. Läßt sich unter „Welt" und „Leben" überhaupt etwas denken? Lassen sie sich irgendwie verstehen? Dann wären sie jedenfalls nicht völlig sinnleer. Ohne Sinn wären sie nur dann, wenn sich unter ihnen gar nichts denken läßt. So besteht der Inhalt des Sinnbegriffs in diesen verschiedenen Auffassungen einer Sache oder eines Sachverhalts als

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eines Ganzen, eines Lebendigen, eines Wertvollen, eines Ausdrucks der Seele, eines Geistigen, eines Zeichens oder Sinnbilds, eines Zweckmäßigen, eines irgendwie Deutbaren. Wo wir Sinn finden oder Sinn in etwas hineinlegen, handelt es sich um die eine oder die andere oder auch um mehrere dieser Arten der Sinnerfassung, die je nach den Gegenständen und ihrer Beschaffenheit oder je nach unseren Absichten und Bedürfnissen vollzogen wird. Wenn etwas zu einem Ganzen gehört, Teil oder Glied eines Ganzen ist, so kann sein Sinn nur aus dem Ganzen heraus erfaßt werden. Die Frage nach dem Sinn führt demnach hinüber zur Frage nach dem Wesen eines Ganzen oder einer Ganzheit. Ein Ganzes besteht aus Einheiten, die in ihm zu einer neuen Einheit so zusammengefaßt sind, daß sie ein Gefüge bilden, das in sich abgeschlossen ist und die Hinzufügung weiterer Einheiten ausschließt. Nennt man die Einheiten Teile oder Glieder, so bilden sie nur als solche und in ihrer gegenseitigen Beziehung zueinander und zum Ganzen eine Ganzheit. Von summenhaften Gebilden und Aggregaten unterscheiden sich die Ganzheiten dadurch, daß ihre Einheiten, Teile oder Glieder nicht miteinander vertauschbar sind, sondern jede Einheit, jeder Teil, jedes Glied an der Stelle bleiben muß, an der es in das Ganze eingefügt ist, damit seine Struktur erhalten bleibt. Soll das Ganze als solches erkannt und sein Sinn erfaßt werden, so ist die Voraussetzung hierfür, daß ich das Ganze zu Gesicht bekomme, daß ich es mit den leiblichen Augen vor mir sehe oder, wenn es sich um nicht sichtbare Dinge, sondern nur hörbare, etwa eine Melodie, handelt, daß ich das Ganze höre, und schließlich, wenn das Ganze ein nicht sinnlich wahrnehmbarer Zusammenhang ist, daß ich, wie die Platoniker sagten, es mit dem Auge der Seele als intellektuelle Anschauung mir vergegenwärtige. Diese Erkenntnis weise, durch die das Ganze als solches erfaßt wird, nennt man die Intuition oder auch mit einem weniger gebräuchlichen Worte die Synopse oder Synopsis, die Zusammenschau. Sie ist vor allem dem Künstler vertraut, der aus einer Landschaft, einem Gesicht die Wesenszüge herausschaut, der ein Gemälde L e i e e g a n g , Philosophie

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aus dem Ganzen heraus komponiert, das er in einer Skizze festlegt, um dann die einzelnen Teile so zu gestalten, daß sie immer in einer sinnvollen Beziehung zum Ganzen stehen. Dasselbe geschieht, wenn der Musiker ein Tongebilde formt. Die Melodie, der Rhythmus, das Gefüge des Ganzen sind da, ehe es in den einzelnen Teilen ausgearbeitet wird, die ihren Sinn aus dem Ganzen erhalten, so daß eine Melodie sich nicht aus einzelnen Tönen aufbaut, sondern jeder Ton erhält durch das Ganze der Melodie seine Gestaltqualität, seinen Sinn im Ganzen und aus dem Ganzen. Die intellektuelle Anschauung dagegen entspringt dem reinen abstrakten Denken, in dem sich plötzlich Zusammenhänge und Einsichten auftun, die dann erst im einzelnen denkend verarbeitet werden, so daß man das intuitive Denken von dem diskursiven zu unterscheiden hat. Die Intuition gilt als eine Gabe des Genies. Nicht jeder besitzt sie, sie stellt sich nicht zu jeder Stunde ein. Sie gilt als Eingebung, als Inspiration. Auch darf sie nicht mit der Phantasie, auch nicht mit der schöpferischen Phantasie verwechselt werden. Die Phantasie unterliegt der Willkür, sie ist schweifend, ungezügelt, läßt sich gehen, nimmt die Einfälle, wie sie kommen, und baut auf ihnen und mit ihnen weiter. Die Intuition aber ist streng an die Gegenstände gebunden. So charakterisiert Goethe sein eigenes ganzheitliches Denken als gegenständliches Denken. In jeder echten Intuition sind Wesenszüge des Gegenstandes enthalten, und in ihr offenbart sich der Sinn eines Ganzen. Mit dem Begriff des Ganzen sind aufs engste verbunden die beiden Begriffe Idee und Typus. Die Idee ist ihrer Wortbedeutung nach etwas Geschautes, ein Urbild, das als solches keine Wirklichkeit hat, an dem aber Wirkliches teilhat. Sie ist ein Allgemeines, das sich im Besonderen ausprägt. So lebt die Idee einer Pflanze in allen einzelnen Exemplaren ihrer Gattung, die an dieser Idee teilhaben. Die einzelnen Exemplare vergehen, die Gattung und mit ihr die Idee aber bleibt. Das veranlaßte Piaton, der diesen Begriff in die Philosophie eingeführt hat, dazu, die Ideen als das eigentlich Seiende und ewig Bleibende zu betrachten und ihnen die Dinge dieser

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sichtbaren Welt als das Vergängliche, sich dauernd im Zustand des Werdens und Vergehens Befindliche gegenüberzustellen. Bei Aristoteles wurden die Ideen zu den Formen, besonders den Formen der Lebewesen, die ihr eigenes Forrnprinzip in sich tragen als das Ziel, das Telos, dessen Verwirklichung sie zustreben, als die Entelechie. Goethe faßte dementsprechend das Wesen der Idee in den schönen Ausdruck zusammen: „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt." In enger Beziehung zur Idee steht der Typus. Das Wort heißt „Gepräge". Man versteht darunter die mehreren Gegenständen, Lebewesen oder Personen gemeinsame Grundform oder Gestalt, in der die wesentlichen Merkmale enthalten sind, die dieses Individuum mit anderen gemeinsam hat, wodurch eine Gruppe entsteht, deren einzelne Exemplare zum selben Typus gehören. Das Wort Typus bedeutet daher zunächst die einfachste Form, in der ein Gebilde irgend welcher Art auftritt oder die man erhält, wenn man alle Variationen beiseite läßt, um ein einfaches Schema zu bekommen. Wo fließende Übergänge sind, greift man besonders ausgeprägte Formen heraus, von denen man in der Abstufung der Eigenschaften nach der einen oder der anderen Seite fortschreiten kann. Unter dem Typus versteht man dann auch die Form, durch die eine Reihe verwandter Formen am vollkommensten dargestellt wird, den idealen Fall, das eine Gattung am vollkommensten repräsentierende Exemplar, das als Muster für alle anderen, als Vorbild, Urbild oder Archetypus gilt, dem gegenüber die wirklich existierenden Dinge als unvollkommene Kopien des Musters erscheinen. Schließlich bezeichnet das Wort Typus auch die Durchschnittsform. Um sie zu erhalten, richtet man sich nicht nach den schönsten und reinsten Fällen, sondern nach den am häufigsten auftretenden, aus denen ein Durchschnittswert gewonnen wird. Die nach verschiedenen Seiten von dieser mittleren Form abweichenden Formen werden dann als Variationen des Durchschnittstypus betrachtet, der als das Normale gilt, von dem die anderen Formen abweichen bis zur vollen Abnormität. Um nun aber von den verschiedenen realen und idealen Gegenständen zur Erfassung ihres Wesen vorzudringen, wurde 3*

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eine besondere Methode ausgebildet. Es ist die Methode der Phänomenologie, der Lehre von den Erscheinungen, die von Edmund Husserl begründet wurde. Hatte Kant erklärt, daß wir die Dinge nur so erkennen können, wie sie uns erscheinen, aber nicht so, wie sie an sich sind, so lenken die Phänomenologen die Aufmerksamkeit darauf, daß diese Erscheinungen, diese Phänomene die Brücke darstellen, die uns mit der wirklichen Welt verbindet. Sie sind Erscheinungen von etwas, das sein Wesen in ihnen und durch sie offenbart. Diese Wesenheiten aber lassen sich durch einen Erkenntnisakt besonderer Art erfassen, durch eine reine, nicht sinnliche Anschauung, die Wesensschau genannt wird. Worum es sich dabei handelt, sei an einem Beispiel erklärt : Das Wesen der Uhr soll erkannt werden. Dazu ist es nicht nötig, daß eine Uhr vor uns steht, daß sie da ist, daß sie existiert. Es genügt, wenn wir sie uns vorstellen. Die Existenz der Uhr kann also „eingeklammert" werden als nicht zu ihrem Wesen gehörig. Unwesentlich ist auch die bestimmte Gestalt der Uhr. Sie kann eine Taschenuhr sein, eine Standuhr oder Turmuhr, die durch Gewichte getrieben wird; sie kann eine Sanduhr oder eine Sonnenuhr sein. Zum Wesen der Uhr gehört allein, daß eine beobachtbare gleichförmige, nicht beschleunigte, sondern mit konstant bleibender Geschwindigkeit verlaufende Bewegung eines Körpers da ist — des Zeigers, des Sandes, der Sonne, die den Schatten wirft —, der an einer Skala vorbeiläuft, die so eingeteilt ist, daß der vom Körper zurückgelegte Weg der verflossenen Zeit proportional ist. Im Unterschied vom Dasein nennt man dies das Sosein der Uhr, ihr Wesen, das vom Dasein unabhängig ist,das aber erfaßbar sein muß, da es die Vorbedingung für alle bisher erfundenen und noch in Zukunft zu konstruierenden Uhren ist. Die Einsicht in diesen Sachverhalt, das Durchschauen dieses Zusammenhangs ist die Wesensschau, die Erkenntnis dessen, was an einer Uhr wesentlich ist und worin ihr Wesen besteht. Zu ihr gelangt man nicht durch Abstraktion, sondern durch eine Ideation, die Heraushebung der Idee aus der Erscheinung, dem Phänomen. Braucht man zur Abstraktion eine Fülle von Gegenständen, die nach den ihnen gemeinsamen Merkmalen zu ordnen sind, so kann die

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Ideation an einem einzigen Gegenstand vollzogen werden und gilt dann für alle Gegenstände gleichen Wesens. Sie liaben dieselbe Wesenheit. Solehe Wesenheiten sind etwas rein Geistiges, von der Erfahrung Unabhängiges, obwohl sie aus der Erfahrung herausgearbeitet werden. Aber alle Erfahrung muß sich nach ihnen richten. So bilden sie ein Reich für sich, das Reich des objektiv und allgemein Gültigen, das allem Subjektiven entzogen ist. An dem Wesen der Dinge kann der Mensch nichts ändern, und in der Phänomenologie handelt es sich um die Erkenntnis des Wesens der Dinge im Räume und in der Zeit, aber auch um die Erkenntnis der räum- und zeitlosen Wesenheiten der idealen Gebilde der Mathematik ebenso wie der geistigen und der ethischen Werte. Alle Erkenntnis aber ist begrenzt und beschränkt. Sie reicht nur so weit, wie das Seiende selbst und sein Wesen sich der Erkenntnis erschließen. Wo die Erkenntnismittel versagen, wo das Seiende sich nicht offenbaren mag, stellen sich dem Erkennenden das Transintelligible und das Irrationale entgegen, worunter aber nichts Verschwommenes oder Unklares verstanden zu werden braucht, sondern die mit rationalen Mitteln exakt aufweisbare Grenze der Erkennbarkeit. Von der Fremderkenntnis ist die Selbsterkenntnis zu unterscheiden. Zu den griechischen Sprüchen der sieben Weisen gehörte die am Tempel in Delphi angeschriebene Mahnung: Erkenne dich selbst! Sie galt im Altertum als die erste Aufgabe, die dem Philosophen gestellt wird. Jeder Erkenntnisakt setzt ein Subjekt voraus, das erkennt, und ein Objekt, das erkannt werden soll. Dieses Objekt ist hier das eigene Ich, das Selbst. Soll aber etwas erkannt werden, so muß der Gegenstand der Erkenntnis wenigstens während des Erkenntnisaktes fest bleiben, und wenn er sich dauernd verändert, so muß in dieser Veränderung eine Ordnung oder ein Gesetz herrschen, das bleibt und als solches erkannt werden kann. Wir wissen aber, daß wir uns selbst ständig wandeln; aber wir glauben auch zu wissen, daß in. diesem Wandel der Kern unseres Selbst erhalten bleibt als unser Ich, als unser Charakter. Dem aber steht die Erfahrung gegenüber, daß auch dieses Ich, dieser Charakter sich ändern kann. Wir erleben Überraschungen an

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uns selbst. Ein anderes uns völlig unbekanntes Selbst scheint von uns Besitz ergriffen zu haben. Wir verstehen uns plötzlich selbst nicht mehr und stehen einer Tat, einem Gedanken, einem Wort gegenüber, die wir uns selbst nie zugetraut hätlen. Hiermit aber hat schon die Selbstbesinnung begonnen. Sie unterscheidet sich von der Fremderkenntnis dadurch, daß das Subjekt und das Objekt, das Ich, das sich erkennt, und das Ich, das erkannt wird, identisch sind, und jedes Nachdenken über sich selbst ist von diesem Selbst nicht unabhängig, und die Besinnung auf sich selbst kann das ganze Selbst des Menschen verändern. Der Mensch, der ernsthaft mit der Selbsterkenntnis begonnen hat, wird schon hierdurch anders und führt nicht mehr dasselbe Leben. Aus dieser ganzen merkwürdigen Situation heraus ist die Frage nach der Wahrheit solcher Selbsterkenntnis zu stellen. Wann habe ich mich selbst richtig erkannt, wann habe ich mich selbst verkannt, mich über mich selbst getäuscht und, da es ja mein eigenes Ich ist, das mich getäuscht hat, so muß ich fragen: Wann habe ich mich selbst unwahrhaftig verhalten ? Wann habe ich mir selbst etwas vorgetäuscht und bin dadurch zu einer falschen Selbsterkenntnis gekommen? Das zuverlässigste Kriterium, das über die Richtigkeit der Selbsterkenntnis entscheidet, sind die Leistungen und Taten, die ein Mensch vollbracht hat, die sich als sein Werk von ihm ablösen und objektiv betrachten lassen. Hier ist die Erkenntnissituation wider die normale, bei der sich ein Subjekt und ein Objekt gegenüberstehen. Nur wer sich selbst in seinen Taten zu erkennen vermag und sie als Richter über sich selbst anerkennt, wird auch durch die Selbsterkenntnis gefördert werden, wenn er dem Rate eines Weisen folgt, am Ende eines jeden Tages einige Minuten dem Nachdenken über sich selbst und über das, was man an diesem Tage getan hat, zu widmen. 3. Logik und Dialektik Daß das Studium der Philosophie und aller Wissenschaften überhaupt mit der Logik beginnen sollte, das forderte einst Mephisto in Goethes Faust, der dem Anfänger den Rat gab:

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„Mein teurer Freund, ich rat' Euch drum zuerst Collegium logicum." Und dann wird eine Schilderung der Wirkung einer solchen Einführung in die wissenschaftliche Arbeit gegeben, so daß sich mit dem Studium der Logik die Vorstellungen von Langweiligkeit und Trockenheit, von Sophisterei und Wortklauberei verbinden, von allem, was lebensfern und lebensfremd ist. Und das ist richtig, wenn man an das Studium der Logik zurückdenkt, so wie es zu der Zeit betrieben wurde, in der Goethes Faust spielt. Dazwischen aber liegen die Jahrhunderte, in denen der menschliche Geist die ganze Erde umgestaltet hat durch seine Erfindungen und Entdeckungen, durch die Wissenschaften und durch die Technik. Dabei hat das menschliche Denken Leistungen vollbracht, die unmöglich gewesen wären, wenn es nicht eine Schulung durchgemacht hätte, die es hierzu befähigte und die eine andere war als die von Goethe gemeinte. Die Beurteilung der Logik, die aus seinen Versen spricht, war berechtigt zu einer Zeit, in der man die Logik als Organon betrachtete, als das Werkzeug, das man kennen und dessen Gebrauch man gelernt haben muß, um mit ihm die Stoffe aller einzelnen Wissensgebiete zu bearbeiten. Die Logik galt als die Universalmethode, die sich auf jede Wissenschaft anwenden läßt. Das Verhältnis der Logik zu den Einzelwissenschaften stellt sich uns heute anders dar. Es gibt keine auf alle Wissenschaften anwendbare Universalmethode. Und es hat sie auch tatsächlich niemals gegeben, wenn auch immer wieder danach gestrebt wurde, das, was sich als Methode auf einem Gebiete der Wissenschaft oder der Philosophie bewährt hatte, auf alle zu übertragen. Überblickt man die Geschichte der Logik, so sieht man sich einer kaum übersehbaren Fülle verschiedener Auffassungen des Wesens des Logischen und der Aufgaben, die der Logik gestellt werden, gegenüber, die um so größer wird, je mehr man sich der Gegenwart nähert. Und diese Aufgaben sind der Logik nicht aus ihr selbst erwachsen, sie wurden ihr von den Wissenschaften und ihren Gegenständen gestellt. Die ersten Ansätze zum Aufbau einer Logik finden sich in den Dialogen Piatons. Hier handelt es sich zunächst nicht

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um etwas Logisches, sondern um Fragen der Ethik. Es wird gefragt nach dem Wesen der Tugenden, der Gerechtigkeit, der Tapferkeit, der Frömmigkeit. Um solche Fragen exakt beantworten zu können, müßte man jede Tugend eindeutig definieren. Damit aber wird eine Forderung der Logik gestellt, die erst dann erfüllt werden kann, wenn der systematische Zusammenhang der Begriffe durchschaut ist, die man definieren soll. Piaton versucht dies mit anderen nicht in das Gebiet der Ethik gehörenden Begriffen. Wenn der Mensch definiert wird als ein vernunftbegabtes Lebewesen, so setzt diese Definition voraus, daß die Wesen eingeteilt werden in leblose und lebendige, die Lebewesen in vernunftlose und vernünftige, wobei dann die vernunftlosen in Pflanzen und Tiere zerfallen und zu den mit Vernunft begabten der Mensch gehört. Es ist Piatons große Entdeckung, daß sich die Begriffe in Gattungen und Arten zerlegen lassen und dadurch ein Begriffssystem entsteht. Aber dasselbe für die Tugenden zu leisten, die nach der modernen Terminologie Wertbegrifl'e sind, ist ihm nicht gelungen, da sich Wertbegriffe nicht in Gattungen und Arten zerlegen lassen, sondern auf eine ganz andere Weise zusammenhängen. So wurde bei dem Bemühen um ein Problem der Ethik nebenbei ein Kernstück aller Logik entdeckt. Zu der platonischen Entdeckung fügte Aristoteles die Lehre vorn logischen Schluß, dem Syllogismus, hinzu. Sie entsprang unmittelbar aus der Praxis der Beweiskunst der Sophisten, die mit falschen Schlüssen arbeiteten, so daß hieraus die Aufgabe erwuchs festzustellen, was ein richtiger Schluß ist und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um seine Richtigkeit verbürgen und nachprüfen zu können. Aristoteles löste sie durch seine Analytik, in der er den Schluß in Sätze, die Sätze in Begriffe zerlegte. Sie bilden die letzten Elemente des logischen Schlusses, und aus ihrem Verhältnis zueinander ergibt sich die Richtigkeit des Schlusses. Dabei wurden zugleich die Grundsätze oder Prinzipien dieser Begriffslogik und jeder Logik überhaupt gefunden. Die unter dem Titel „Organon" zusammengefaßten Schriften in denen Aristoteles seine Forschungen über die Schlüsse, die Sätze und die Begriffe niedergelegt hatte, wurden

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den Scholastikern des Mittelalters überliefert, und von ihnen wurde diese Logik zu einem System ausgebaut, das einen besonderen Typus der Logik darstellt, der als die aristotelischscholastische, die traditionelle oder auch die klassische Logik bezeichnet wird. Sie soll im folgenden die Begriffslogik genannt werden, da die letzten Bestandteile, aus denen sich ihre Gedankengebilde zusammensetzen, Begriffe sind, im Unterschied von der Satzlogik, die mit Sätzen als den Elementen des logischen Denkens arbeitet. Denn neben dieser Begriffslogik trat fast gleichzeitig und ebenfalls aus der Schule Piatons hervorgehend eine Form logischen Denkens und wissenschaftlicher Systematik auf, die von vornherein mit einer Wissenschaft verbunden war, sich aber von ihr ablösen und verallgemeinern läßt. Es war die Wissenschaft der Mathematik, speziell der Geometrie, die von Euklid zu einem System ausgebaut wurde. Eine Menge geometrischer Lehrsätze war zu seiner Zeit bereits gefunden. Sie hingen miteinander irgendwie zusammen; denn um einen Lehrsatz zu beweisen, konnte man andere bereits bewiesene heranziehen. Sie waren offenbar aus der Kombination einzelner weniger Grundsätze entstanden. Diese galt es zu finden, und zwar nicht mehr und nicht weniger als zum Aufbau des Ganzen nötig waren. Sie sind die letzten nicht mehr zerlegbaren Elemente des ganzen Systems und werden Axiome genannt. Aus einer endlichen Zahl solcher Axiome soll sich die unendliche Zahl von Lehrsätzen herleiten lassen. Da die letzten Elemente dieser Logik aus solchen Sätzen bestehen, wird sie eine Satzlogik genannt. Dieses System von Sätzen, von denen mit Ausnahme der keines Beweises bedürftigen und auch keines Beweises fähigen Axiome jeder bewiesen ist und die alle zusammenhängen, so daß sich jeder aus dem anderen in strenger logischer Folge ergibt, wird nun zum Ideal eines wissenschaftlichen Systems erhoben und gefordert, daß eine Wissenschaft in strengem Sinne nur als solche gelten und anerkannt werden soll, die aus beweisbaren Sätzen besteht, die sich auf wenige Axiome zurückführen lassen. Das Verfahren, durch das die einzelnen Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in einen solchen Zusammenhang gebracht werden, nennt man Axio-

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matik, und wenn man von der Axiomatisierung einer Wissenschaft redet, so versteht man darunter die Herstellung eines solchen Begründungszusammenhangs. Im allgemeinen wird unter einem Begründungszusammenhang eine Folge von Sätzen verstanden, die so beschaffen ist, daß aus vorausgehenden wahren Sätzen andere wahre Sätze denknotwendig folgen. Da der größte Teil der Terminologie der Logik aus der von Aristoteles geschaffenen Begriffslogik übernommen wurde, soll hier mit ihr begonnen und eine Einführung in diese Disziplin gegeben werden. Die Begriffslogik enthält die Darstellung der Beziehungen, die zwischen Begriffen von verschieden großen Umfängen bestehen. Unter dem Umfang eines Begriffs ist dabei die mehr oder weniger große Zahl von anderen Begriffen zu verstehen, die in ihm zusammengefaßt werden. So enthält zum Beispiel der Umfang des Begriffs Realwissenschaften unter anderen die Wissenschaften der Physik und der Biologie, während die Philologie, die Geschichte und andere ihnen gleichgeordnete Begriffe in den Umfang der Geisteswissenschaften fallen. Die Begriffe sind dabei so geordnet, daß einem Begriff von größerem Umfang die von nächst kleinerem, diesen wieder die von nächst kleinerem Umfang und so fort eingeordnet sind, wodurch ein System entsteht, das ein Art-Gattungsschema oder eine Begriffspyramide heißen soll. Außer der Darstellung dieser Beziehungen enthält die Begriffslogik auch die Beschreibung der Beziehungen, die zwischen Sätzen, den logischen Urteilen, und Satzkombinationen, den logischen Schlüssen, bestehen, die aus solchen zu demselben System gehörenden Begriffen gebildet werden können und einen sich aus diesem System ergebenden Begründungszusammenhang darstellen. Als klassische Muster solcher Systeme können die Pflanzen- und Tiersysteme betrachtet werden, die Linné ausgearbeitet hat. Es ist nun zunächst danach zu fragen, was in dieser Logik unter einem Begriff verstanden werden soll. Die ersten Wesenszüge des Begriffs treten hervor, wenn man von der Wahrnehmung oder der Anschauung zur Vorstellung und von dieser zum Begriff fortschreitet.

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Unter einer Wahrnehmung soll das Bewußtwerden der Gegenwart eines realen individuellen Gegenstandes verstanden werden, das durch die Sinne und die von ihnen hervorgerufenen Empfindungen verursacht wird. Die Wahrnehmung ist dabei ein psychischer Vorgang, bei dem die Empfindungen mit einem Akt der Auffassung zusammenwirken, durch den unter den Empfindungen eine Auswahl getroffen wird, diese Empfindungen ergänzt, bereichert, gegliedert werden, wodurch ein Erkenntnisbild des Gegenstandes entsteht, das keine einfache Abbildung ist. Die durch den Gesichtssinn vermittelte Wahrnehmung ist eine Anschauung. Eine Vorstellung ist die im Gedächtnis reproduzierte Wahrnehmung oder Anschauung, die dadurch entsteht, daß man sich an einen wahrgenommenen oder angeschauten Gegenstand erinnert. Die Vorstellung trägt dabei die individuellen Züge des wahrgenommenen Gegenstandes, wobei meist einzelne verloren gehen und vergessen werden. Es ist auch möglich, nicht real existierende Gegenstände vorzustellen wie etwa ein geflügeltes Pferd. Nur in diesem Sinne soll das Wort Vorstellung hier gebraucht werden, da alle anderen Arten von Vorstellungen, die sonst noch in der Psychologie und in der Erkenntnistheorie unterschieden werden, für die Beziehungen, in denen ein Begriff in der Begriffslogik zu den Vorstellungen steht, nicht in Betracht kommen. Die Vorstellungen und die ihnen zugrunde liegenden Anschauungen und Wahrnehmungen sind zwar das Material, das zur Begriffsbildung dient, aber die Begriffe selbst — der Mensch überhaupt, die Pflanze als solche — sind nichts Vorstellbares, sondern etwas Gedachtes. Der Begriff ist etwas Unsinnliches, nicht mit den Sinnen Wahrnehmbares; er läßt sich nicht empfinden, nicht sehen, nicht fühlen. Er kann nur gedacht, nicht angeschaut und nicht vorgestellt werden. Der Begriff ist etwas Unwirkliches, wenn wir unter dem Wirklichen das Dasein von Dingen und Vorgängen in der realen Außen- und Innenwelt verstehen. Aber als Unwirkliches hat er doch ein Sosein. Wir finden ihn vor als Denkinhalt mit bestimmten Eigenschaften oder Merkmalen, und hierin besteht seine eigentümliche S eins weise. Der Begriff ist das Allgemeine im Gegensatz zum Beson-

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deren, das aber das Besondere beherrscht, ordnet und bestimmt. Er ist das Universelle im Gegensatz zum Individuellen. Der Begriff ist das Gemeinsame, das vielen Dingen zukommt und in ihm zusammengefaßt wird. Er ist scharf zu fassen, begrenzbar durch eine Definition und die Angabe sämtlicher Merkmale, die ihn bestimmen. Daher hat er einen eindeutig feststellbaren Erkenntnisgehalt. Die Begriffe sind voneinander geschieden; sie sind diskrete ideale Gegenstände, die kein Kontinuum bilden, nicht ineinander übergehen können. Kontinuierliche Vorgänge lassen sich daher nicht in Begriffe fassen. Der Begriff ist das Abstrakte im Gegensatz zum Konkreten, das von der Fülle der Erscheinungen Abgezogene, Abstrahierte. Zum Begriff gehören die Merkmale der Klarheit und der Deutlichkeit. Klar ist ein Begriff, wenn eindeutig feststeht, was mit ihm gemeint ist. Setzt sich ein Begriff aus mehreren Bestandteilen zusammen wie zum Beispiel die Begriffe des Säugetiers, des rechtwinkligen Parallelogramms, des Strafgerichtsprozesses, so sind sie klar, wenn die Bestandteile und ihre Beziehungen zueinander bekannt und bestimmt sind und sich nicht widersprechen. Als Schulbeispiel für einen in sich widerspruchsvollen Begriff wird das „hölzerne Eisen" angeführt. Deutlich ist ein Begriff, wenn er von anderen, besonders von den mit ihm verwandten, genau unterschieden und von ihnen trennbar ist. Die wichtigste Eigenschaft, die den Begriff zum logischen Begriff macht, ist sein Zusammenhang mit anderen Begriffen. Jeder logische Begriff gehört zu einem Begriffssystem und erhält erst aus der Struktur dieses Systems seine eigentlich logische Bedeutung. Diese Systeme können verschiedene Strukturen haben. So hat das periodische System der Elemente, in dem jedes Element seinen logischen Ort im ganzen System hat und durch die Angabe dieses Ortes definiert werden kann, eine andere Struktur als das in Gattungen und Arten gegliederte Pflanzensystem und dieses wieder eine andere als etwa ein Stammbaum, in den die einzelnen Personen nach ihren Verwandtschaftsbeziehungen eingeordnet sind.

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Gegenstand der klassischen Begriffslogik waren zunächst nur solche Begriffssysteme, deren Struktur sich wie die des Pflanzensystems in einem Art-Gattungsschema graphisch darstellen läßt. Aus dem System, das die Art- und Gattungsbegriffe bilden, ergibt sich, daß ein jeder Begriff einen Komplex von Merkmalen darstellt, durch die er bestimmt ist und sich zugleich von anderen Begriffen desselben Systems unterscheidet. Der Begriff darf dabei nicht, wie dies die Begründer einer algebraischen mathematisierten Logik wollten, als die Summe seiner Merkmale aufgefaßt werden. Aus der Zahl der vielen Eigenschaften eines Gegenstandes werden nur die herausgegriffen, die sich für die Begriffsbildung und die Ordnung der Begriffe eignen. Sie werden nicht summiert, sondern dienen dazu, jedem Begriff im System einen mehr oder weniger hohen Grad der Abstraktion zu verleihen. Wenn dem Begriff einer Pflanze die Merkmale „getrenntblumenblättrig, zweikeimblättrig, bedecktsamig, sich offen fortzeugend" zuerteilt werden, so bilden diese Merkmale keine Summe, sondern eine aufsteigende Skala der Abstraktion. Der Sinn dieser Merkmalzusammenstellung ist: Die Pflanze, die unter diesen Begriff fällt, gehört zur Reihe der Getrenntblumenblättrigen, diese zur Unterklasse der Zweikeimblättrigen, diese zur Klasse der Bedecktsamigen und diese zur Abteilung der Plianerogamen oder sich offen Fortzeugenden, und hierin besteht der Inhalt des in sich gegliederten Begriffs, der, wenn man jedes Merkmal für sich nimmt, sich nicht als eine Surpme der einzelnen Merkmale darstellt, sondern als ein Begriff, der andere Begriffe in sich enthält, und zwar so, daß der um ein Merkmal reichere jeweils in dem um ein Merkmal ärmeren enthalten ist. Werden gleiche Merkmale verschiedener Begriffe zu einem neuen Begriff' zusammengefaßt, so entsteht die Gattung. Werden zum Beispiel die gleichschenklig-rechtwinkligen, die gleichschenklig-spitzwinkligen und die gleichschenklig-stumpfwinkligen Dreiecke in dem Begriff „gleichschenkliges Dreieck" zusammengefaßt, so ist dieser die Gattung, die in drei Arten zerfällt, von denen jede je ein bestimmtes Merkmal mehr aufweist als die Gattung. Handelt es sich um ein mehr als zweistufiges System., so werden zur Bezeichnung der Stufen neue

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Begriffe eingeführt: Abteilungen, Klassen, Unterarten, Familien. Das Merkmal, das den Begriff einer Stufe von dem der nächst höheren unterscheidet, bezeichnet man als das artbildende Merkmal oder die spezifische Differenz, da im Lateinischen das Wort species zur Bezeichnung der Art gebraucht wird, während genus die Gattung bedeutet. Bei der Aufstellung eines Art-Gattungsscheinas oder einer Klassifikation können zwei Wege eingeschlagen werden: die Rationalisierung von oben und die Rationalisierung von unten. Die Rationalisierung von oben geschieht dadurch, daß ein weiter Begriff von großem Umfang gewählt wird, zum Beispiel der Begriff „Gegenstand". Dieser Begriff wird in seine weitesten Gattungen — wirkliche und ideale Gegenstände — zerlegt, diese wieder in Arten und so weiter. Man nennt dies eine Einteilung oder eine divisio. Die Rationalisierung von unten wird dadurch vollzogen, daß man eine Anzahl von Gegenständen betrachtet, die verschiedene Merkmale gemeinsam haben. Sie werden nach den übereinstimmenden Merkmalen in Gruppen geordnet, die sich durch je ein Merkmal voneinander unterscheiden. Aus den dadurch erhaltenen Begriffen werden wieder die übereinstimmenden Merkmale herausgenommen und zu weiteren Begriffen zusammengefaßt. So wird fortgefahren, bis man beim umfassendsten Begriff, dem Spitzenbegriff des Systems, angelangt ist. Dabei entsteht beim Aufsteigen von einer Stufe zur anderen die Gattung aus den Arten analytisch, das heißt durch Zerlegung des Inhalts des Artbegriffs in seine Merkmale und die Weglassung der spezifischen Differenz. Beim Herabsteigen entstehen die Arten aus der Gattung synthetisch, das heißt durch Hinzufügung der spezifischen Differenzen. Beide Verfahren gehören zur Technik der in jeder Wissenschaft gebrauchten Klassifikation. Die Begriffe, die in einem solchen System auftreten, stehen in dem Verhältnis der Über- und Unterordnung oder der Subordination zueinander. Die Begriffe, die auf gleicher Stufe des Schemas stehen, sind nebengeordnet oder koordiniert. Begriffe, die anderen übergeordnet sind, haben einen größeren Umfang, aber einen geringeren Inhalt als die ihnen subordinierten. Diese haben den kleineren Umfang, aber einen reicheren In-

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halt. So hat. der Begriff „Realwissenschaft" einen größeren Umfang als der Begriff „Physik", da zu den Realwissenschaften außer der Physik noch viele andere Wissenschaften gehören, die von realen Gegenständen handeln, aber die Zahl der Merkmale, die ihn kennzeichnen und seinen Inhalt darstellen, ist kleiner als die Zahl der Merkmale, die angegeben werden müssen, um den Begriff „Physik" zu bestimmen. Der allgemeinste Begriff, das Seiende als solches, der alles umfaßt, was in irgend einem Sinne „ist", hat daher den größten Umfang, aber den geringsten Inhalt. Man kann sich darunter nichts irgendwie Bestimmtes mehr denken. Ein Begriff ist erst dann ein logischer Begriff, wenn er definiert ist. Die Definition setzt ein System von Begriffen voraus, das die Form eines Art-Gattungsschemas hat. Es gilt die alte scholastische Regel: Definitio fit per genus proximum et differentiam specificarti. Das heißt: Der zu definierende Begriff wird dem nächst übergeordneten Gattungsbegriff (genus proximum) untergeordnet und von den ihm koordinierten Arten durch die Angabe des artbildenden Merkmals (differentia specifica) unterschieden. Wird das Parallelogramm definiert als ein regelmäßiges Viereck mit zwei parallelen Seitenpaaren, so setzt diese Definition voraus, daß die Vierecke in unregelmäßige und regelmäßige und diese wieder in solche mit einem parallelen Seitenpaar (Trapeze) und mit zwei parallelen Seitenpaaren geteilt wurden. Oder ein anderes Beispiel: Die Demokratie ist die Staatsform, in der verfassungsgemäß die Staatsgewalt der Gesamtheit der Staatsbürger zusteht. Zugrunde liegt die Einteilung der Staatsformen in solche, bei denen die Staatsgewalt von einem ausgeht (die Monarchien), von einer Gruppe (die Aristokratie) und von der Gesamtheit der Staatsbürger. Das genus proximum ist die Staatsform, in der verfassungsgemäß die Staatsgewalt den Mitgliedern des Staates zusteht. Die differentia specifica ist die Gesamtheit der Staatsbürger im Unterschied von einer Gruppe und einem einzelnen. Beim Definieren können Fehler gemacht werden. Man erhält dann eine Definition, die zu weit oder die zu eng ist. So ist zum Beispiel die Definition : Der Staat ist eine organisierte

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menschliche Gemeinschaft auf einem bestimmten Territorium, zu weit; denn es ist in ihr nicht die spezifische Differenz angegeben, die den Staat von jeder anderen organisierten menschlichen Gemeinschaft, etwa einem Verein, unterscheidet. Fügt man die Bestimmung hinzu, daß diese menschliche Gemeinschaft zum Zwecke der Rechtssicherung organisiert ist, so genügt auch das noch nicht, da der Staat sich auch von solchen Gemeinschaften unterscheiden muß, die nur zur Sicherung ihrer Rechte gegründet werden, aber deshalb noch keine Staaten zu sein brauchen. Die Definition ist zu eng, wenn der Umfang des Begriffs durch die Definition zu klein angegeben wird. Wenn man definiert: Die Demokratie ist die Staatsform, in der verfassungsmäßig die Staatsgewalt unmittelbar von der Gesamtheit der Staatsbürger ausgeübt wird, so hat man damit nicht die Demokratie als solche, sondern eine ganz bestimmte Art von Demokratie definiert; denn es gibt Demokratien, in denen die Staatsgewalt nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar von der Gesamtheit der Staatsbürger vollzogen wird. Hierdurch werden die Unterarten der Demokratie aus ihrem Begriff ungerechtfertigter Weise dadurch ausgeschlossen, daß nur eine Unterart als Demokratie bezeichnet wird, die anderen aber nicht in den Begriff mit aufgenommen werden. Wie die Klassifikationen, so treten auch die Definitionen in jeder Wissenschaft auf; denn jeder Wissenschaftler ist verpflichtet, nicht nur sein Material zu ordnen, sondern auch die Begriffe zu definieren, mit denen er arbeitet. Die Definitionen sind nach den Regeln der Logik gebaute Sätze, sie gehören deshalb zu den logischen Sätzen, die in der Wissenschaft der Logik Urteile genannt werden. Das logische Urteil hat die Form eines Satzes. Es ist aber kein Satz im sprachlichen und im psychologischen Sinne. Der Satz als sprachliches, psychologisch verstandenes Gebilde ist der Ausdruck eines inneren Vorgangs im Bewußtsein, der kein Gedanke zu sein braucht, und nur um Gedanken handelt es sich in der Logik. Der gesprochene lebendige Satz enthält immer mehr als nur die Feststellung eines objektiv bestehenden Sachverhalts. Auch wenn ein Satz einen Gedanken ausdrückt, hat er nicht nur einen gedanklichen Gehalt, sondern auch einen

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Ton, und der Ton ist mitbestimmend für seinen Sinn. Der Gedanke und der Ton können zusammenfallen und sich decken, aber sie müssen es nicht. Der Gedanke, den ein Satz ausdrückt, muß auch nicht immer mit dem Sinn der Wörter und der zwischen ihnen bestehenden grammatischen Verbindung zusammentreffen. Der Ton, mit dem ein Satz ausgesprochen wird, die Betonung, durch die das eine oder andere Wort des Satzes hervorgehoben wird, die Gefühle, die dadurch erregt werden, der tiefere Sinn, der Nebensinn, der Hintersinn, der sich hinter den Wörtern verbirgt, der ganze Zauber, die Magie der beseelten Sprache, das alles kommt in der Logik nicht vor. In der Grammatik werden vier Arten von Sätzen unterschieden, von denen jede durch die Wortfolge und die Formen des Verbums gekennzeichnet ist: der Aussage- oder Behauptungssatz, der Fragesatz, der Wunschsatz und der Befehlssatz. In der Begriñ'slogik gibt es nur Aussagen oder Behauptungen. Von allem Psychologischen, was durch einen schlichten Aussagesatz ausgedrückt wird, bleibt nur das Bewußtsein übrig, durch das logische Urteil eine Wahrheit ausgesprochen zu haben. Man hat bei jedem logischen Satz mitzudenken und mitzuerleben: Es ist wahr, daß dies so ist oder sich so verhält, wie es das logische Urteil behauptet, oder da, wo es sich um Hypothesen und Annahmen handelt: Es soll als wahr angenommen werden, daß dies so ist oder sich so verhält, wie es durch dieses Urteil ausgedrückt wird. In der Begriffslogik wird durch ein logisches Urteil etwas ausgesagt über die Beziehung, in der ein Begriff zu einem anderen innerhalb eines Begriffssystems steht oder nicht steht, oder über die Beziehung, in der ein Gegenstand zu einem Begriff steht oder nicht steht. Die Formen, in denen das logische' Urteil auftritt, sind : S ist P. S ist nicht P. Alle S sind P. Alle S sind nicht P. Einige S sind P. Einige S sind nicht P. Hierin bedeuten S das Subjekt des Satzes, Ρ das Prädikat, „ist" oder „sind" die Kopula, durch die das Subjekt zu dem Prädikat in eine Beziehung gebracht wird. Lei«egaug, Philosophie 4

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Das Subjekt ist dabei ein Substantivum, das einen Begriff oder einen konkreten Gegenstand, ein Individuum, bezeichnet. Das Prädikat kann ein dem Subjektsbegriff übergeordneter oder nebengeordneter oder zu ihm in keiner Beziehung stehender durch ein Substantivum ausgedrückter Art- oder Gattungsbegriff sein oder auch ein Adjektivuni, das ein für die logische Ordnung wesentliches Merkmal bezeichnet. Danach soll ein Satz von der Form : Der Baum ist grün, nur dann als logisches Urteil gelten, wenn dieses Urteil sich auf ein System bezieht, in dem die Pflanzen nach ihren Farben eingeteilt werden, so daß das Wort „grün" auf den logischen Ort hindeutet, den der Begriff „grüner Baum" im System einnimmt, so wie das Adjektiv „zweikeimblättrig" im Pflanzensystem den logischen Ort angibt, an den der Begriff „zweikeimblättrige Pflanze" gehört. Alle Sätze, in denen einem Gegenstand oder einem Begriff Merkmale beigelegt werden, die für eine logische Ordnung nicht in Betracht kommen, haben in der Begriffslogik keine logische Bedeutung. Die Wörter „ist" oder „sind" bedeuten, wenn das Prädikat ein Substantiv ist: „fällt" oder „fallen" unter den Prädikatsbegriff, unter die Art, die Gattung, die Klasse. Ist das Prädikat ein Adjektivum, so bedeuten sie: „hat" oder „haben das für die logische Ordnung wesentliche Merkmal". Aus dem Begriffssystem ergibt sich nun auch unmittelbar der Sinn des logischen Schlusses, des Syllogismus. Das alte Schulbeispiel heißt hier : Alle Menschen sind sterblich. Gajus ist ein Mensch. Folglich ist Gajus sterblich. Um auszudrücken, daß ein solcher Schluß für alle Begriffe gilt, die in einem solchen Begründungszusammenhang stehen, wird er in der allgemeinen Form geschrieben : Alle M sind P. S ist M. S ist P. Der erste und der zweite Satz heißen die Prämissen, der

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dritte der Schlußsatz oder die Conclusio. M ist der Mittelbegriff, der zweimal vorkommt, S das Subjekt, Ρ das Prädikat. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß es sich hier nicht um eine Formel handelt, die mit einem beliebigen Inhalt gefüllt werden darf. Sie gilt nur, wenn unter M ein Begriff verstanden wird, der in den Umfang des Begriffs Ρ fällt, und das kann er nur, wenn es in einer Seinsordnung gleichartige Gegenstände gibt, die in einen Begriff derart zusammengefaßt werdfen können, daß sie mit anderen Gegenständen einer anderen Art wenigstens eine Eigenschaft, die mit Ρ bezeichnet wird, gemeinsam haben. Und sie gilt ferner nur, wenn unter dem Buchstaben S ein Begriff oder ein Individuum verstanden wird, dessen Wesen so beschaffen ist, daß es als zur Gattung M gehörend bezeichnet werden darf. P, S und M sind also durchaus kein beliebiges Ausgangsmaterial für die mit ihnen vorzunehmende logische Operation, sondern Zeichen für Gegenstände, deren Verhältnis zueinander diese eine festgelegte logische Struktur hat, aus der sich der logische Schluß ergibt, der als eine Selbstverständlichkeit erscheint, wenn man den Einblick in diese logische Struktur der Begriffsverhältnisse gewonnen hat. Wenn die beiden ersten Urteile des Syllogismus nicht wie in diesem Beispiel die Formen haben : Alle M sind P, S ist M, sondern das eine oder das andere oder beide die Formen annehmen : Alle S sind nicht M, S ist nicht M, einige S sind M; einige S sind nicht M, so ergeben sich aus der Kombination dieser Urteile die verschiedenen Schlußweisen oder Schlußmodi und Schlußfiguren, die daraufhin untersucht werden, welche von ihnen richtige Schlüsse ergeben. Hierüber wird in den wissenschaftlichen Werken über die Logik ausführlich gehandelt. Die klassische Begriffslogik bezieht sich nur auf solche Schlüsse und Urteile, in denen Begriffe miteinander verbunden werden, die zu einem Begriffssystem gehören, das die Form eines Art-Gattungsschemas hat, in dem ein das Ganze umfassender Begriff in Gattungen und diese in Arten und so fort geteilt werden. Es gibt aber noch viele andere Begriffssysteme 4*

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von anderer Struktur. So werden zum Beispiel die Begriffe, die eine Verwandschaft bezeichnen wie Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Onkel, Tante, Großvater, Urgroßvater, Enkel und so weiter in ihren Beziehungen zueinander durch einen Stammbaum dargestellt, dessen logische Struktur sich von der eines Klassifikationsschemas, das den Zusammenhang der Gattungen mit den Arten graphisch veranschaulicht, unterscheidet. Durch die Verbindung dieser Begriffe miteinander erhält man Urteile und Schlüsse von ganz anderer Form. So folgt aus den beiden Sätzen : A ist Vater von Β, Β ist Vater von C, der Satz : Folglich ist A Großvater von C. Aus dem Satz : A ist Vetter von D folgt, daß der Vater von A und die Mutter von D Kinder derselben Eltern sind. Und so kann man noch zahlreiche andere Beziehungen aus dem Schema eines Stammbaums ablesen und aus einer Beziehung auf andere schließen, die bestehen müssen, wenn diese besteht. Bestehen Beziehungen zwischen Begriffen, unter denen Größen zu verstehen sind, die einander gleich sind, so daß man eine für die andere einsetzen darf, so erhält man aus den beiden Gleichungen A = Β und Β = C die dritte als Schluß : A = C. Bilden die Begriffe einen Zyklus oder Kreis wie die Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Frühling und so fort, oder die Himmelsrichtungen, die durch eine Windrose dargestellt werden, oder die Farben des Farbenkreises, so folgt aus dem Satz: Auf jeden Sommer folgt ein Winter, sofort der andere : Auf jeden Winter folgt ein Sommer. Daher ist das Begriffssystem der klassischen Begriffslogik nur ein Spezialfall. Neben ihm gibt es eine Fülle von Begriffssystemen anderer Struktur. Das Logische besteht bei allen darin, daß aus Sätzen, in denen Begriffe desselben Systems miteinander sinnvoll verbunden werden, andere Sätze folgen, die sich aus der Einsicht in die logische Struktur des Systems ergeben. Dabei gelten für jede logische Arbeit bestimmte Grundsätze und Prinzipien, die erst in der neueren Philosophie Denkgesetze genannt wurden, obwohl sie nicht vom Denken, sondern von Gegenständen und Sachverhalten handeln. Zu ihnen gehören :

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1. Der Satz der Identität: Jeder Gegenstand ist sich selbst gleich. Da die Begriffe Gegenstände des logischen Denkens sind, muß jeder Begriff, mit dem gearbeitet wird, während dieser Arbeit sich selbst gleich bleiben. Er darf also seine Bedeutung nicht ändern, die von vornherein durch eine Definition dessen, was unter ihm verstanden werden soll, festgelegt werden kann. 2. Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch. Er wurde zuerst von Aristoteles formuliert: Es ist unmöglich, daß dasselbe demselben in derselben Beziehung zugleich zukommt und nicht zukommt. Neuere Formulierungen sind: Ein Sachverhalt kann nicht bestehen und nicht bestehen. Kontradiktorisch entgegengesetzte Urteile können nicht beide wahr sein, sondern wenn das eine wahr ist, so muß das andere falsch sein und umgekehrt. Unter einem kontradiktorischen Gegensatz wird dabei die Entgegensetzung verstanden, die durch die Verneinung entsteht, wie zum Beispiel in den Sätzen: Das Dreieck ist rechtwinklig; das Dreieck ist nicht rechtwinklig. Von diesen beiden Sätzen kann nur einer wahr sein. 3. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, der unmittelbar aus dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch folgt : Es kann dasselbe demselben in derselben Beziehung nur zukommen oder nicht zukommen; eine dritte Möglichkeit ist ausgeschlossen: tertium non datur. Oder: Entweder besteht ein Sachverhalt oder er bestellt nicht; von zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzten Urteilen ist entweder das eine oder das andere wahr, eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. 4. Der Satz vom zureichenden Grunde, der erst von Leibniz in die Logik eingeführt wurde. Er erklärte: Es geschieht nichts, ohne daß es eine Ursache oder wenigstens einen bestimmenden Grund hat, daß heißt etwas, das dazu dienen kann, a priori zu begründen, weshalb etwas gerade so und in keiner anderen Weise existiert. Statt des Ausdrucks „bestimmender Grund" brauchte er an einer anderen Stelle die Bezeichnung „zureichender Grund". Zureichend ist der Grund, wenn er allein dazu genügt, die Wahrheit des Urteils zu verbürgen, unzureichend ist er, wenn er für sich allein nicht ausreicht, sondern

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durch andere ergänzt werden niuß, um das Urteil zu einem wahren zu machen. So kann das Urteil: Es wird morgen regnen, begründet sein durch die Tatsache, daß sich der Luftdruck ändert und das Barometer fällt. Aber dieser Grund ist nicht zureichend, da das Auftreten von Regen nicht allein vom Luftdruck, sondern noch von anderen Ursachen abhängig ist. Von den neueren Logikern wurde an diesen Grundsätzen besonders dann, wenn sie als Denkgesetze verstanden wurden, eine scharfe Kritik geübt. Von einigen wurden sie mit Ausnahme des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten aus der Logik in die Ontologie verwiesen, der sie ursprünglich angehörten. Von Mathematikern wurde die Allgemeingültigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten angezweifelt. Der Satz vom Widerspruch erfuhr in der Dialektik eine besondere Behandlung und Mißhandlung. Die klassische Begriffslogik mit ihrer Technik der Klassifikation und des Schließens in Syllogismen genügte nicht den Ansprüchen, die besonders von den Mathematikern an die Logik gestellt wurden. So entstand neben ihr zunächst eine mathematische Logik. Die weitere Entwicklung führte dann dazu, die Logik überhaupt neu zu begründen und eine neue Logik zu schaffen, die dazu dienen sollte, die logischen Grundlagen der Mathematik und jeder axiomatisierbaren Wissenschaft sicher zu stellen und zugleich eine Technik der Ableitung logischer Sätze aus vorausgesetzten Sätzen zu entwickeln, die der Rechentechnik der Mathematiker vergleichbar ist und mit derselben Präzision durchgeführt werden kann. Man nennt diese neue Logik deshalb auch die Logistik, da die Griechen unter der logistischen Technik die Rechenkunst verstanden. Von der Begriffslogik unterscheidet sie sich zunächst dadurch daß die letzten Elemente, aus denen sich die logischen Gebilde zusammensetzen, Sätze sind, die auch atomare Sätze genannt werden. Sie wird deshalb auch als Satzlogik aufgefaßt und bezeichnet. Ihre erste systematische Ausbildung erfuhr sie durch die englischen Mathematiker Whitehead und Russell im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts.

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Ihnen folgten in Deutschland der Mathematiker David Hilbert und der Philosoph Heinrich Scholz. p, q, r, s . . . seien Sätze oder Aussagen. Vom Inhalt der Sätze, das heißt von allem, was sie bedeuten und was mit ihnen gemeint ist, ist abzusehen bis auf eine Eigenschaft des ganzen Satzes, nämlich die, ob er wahr oder falsch ist. Wenn allein diese Eigenschaft der Sätze in Frage kommt, so ist zwischen den Sätzen nur eine geringe Anzahl von Beziehungen möglich. Man beschränkt sich zunächst auf die Beziehungen, die zwischen zwei solchen Sätzen bestehen. Wenn diese gefunden sind, so können die zwischen drei, vier und mehr Sätzen ohne weiteres gefunden werden. Es bestehe nun zwischen zwei Sätzen die logische Beziehung, die in der deutschen Sprache ausgedrückt wird durch die Wörter: „schließt ein", „bedingt", „wenn . . . so", „aus . . . folgt". Zum Beispiel: Die Geltung des Satzes: Iüe Summe der Dreieckswinkel ist gleich zwei rechten Winkeln, schließt ein die Geltung des Satzes : Ein Winkel im Dreieck ist kleiner als zwei rechte Winkel. Die Tatsache, daß es regnet, bedingt die andere, daß es draußen naß ist. Wenn ich eine Sechs werfe, so gewinne ich das Spiel, falls das so ausgemacht ist. Aus dem Werfen der Sechs folgt, daß ich das Spiel gewinne. Die hier mit den verschiedenen sprachlichen Ausdrücken gemeinte Beziehung heißt die Implikation. Ein Satz impliziert den anderen heißt: Wenn dieser Satz gilt, so gilt zugleich der andere mit. Die Implikation wird durch das Zeichen -»· ausgedrückt. ρ q heißt also : Die Wahrheit des Satzes ρ impliziert die Wahrheit des Satzes q, oder : Aus der Wahrheit des Satzes γ folgt die Wahrheit des Satzes q. Wenn zum Beispiel ein Dreieck rechtwinklig ist, so ist die Summe der Winkel an der Hypotenuse gleich einem rechten Winkel. Die Falschheit, die Unwahrheit oder die Negation eines wahren Satzes wird durch einen Strich über dem Buchstaben bezeichnet. Die Verknüpfung durch das Implikationszeichen darf nicht als die Beziehung aufgefaßt werden, die zwischen Grund und Folge besteht, sondern sie bedeutet: Wenn der Vordersatz

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wahr ist, so ist die ganze Aussage nur dann wahr, wenn auch der Nachsatz wahr ist. Ist aber der Vordersatz falsch, so kann daraus Wahres und Falsches geschlossen werden; aber die ganze verknüpfte Aussage ist dann in beiden Fällen wahr. Bezeichnet man mit W die Wahrheit der ganzen aus den beiden Sätzen ρ und q bestehenden Aussage, und mit F ihre Falschheit, so gilt: l.p-g W, 2. p-ï 3. 4. ρ

F , w i W.

Als Beispiel mögen die beiden Sätze dienen ρ: Eine ganze Zahl ist durch 4 teilbar, q\ Dieselbe Zahl ist durch 2 teilbar. Dann erhält man folgende Verknüpfungen: 1. Aus dem Satz: Eine ganze Zahl ist durch 4 teilbar, folgt der Satz: Dann ist dieselbe Zahl auch durch 2 teilbar. Die ganze Aussage ist wahr. 2. Aus dem Satz : Eine ganze Zahl ist durch 4 teilbar, folgt der Satz : Dann ist sie nicht durch 2 teilbar. Die ganze Aussage ist falsch. Nun soll der Satz: Eine ganze Zahl ist durch 4 teilbar, falsch sein. Man kann also dafür schreiben : Eine ganze Zahl ist nicht durch 4 teilbar. 3. Aus dem Satz : Eine ganze Zahl ist nicht durch 4 teilbar, folgt der Satz : Dann ist sie durch 2 teilbar. Die ganze Aussage ist wahr; denn 6 ist zum Beispiel nicht durch 4, wohl aber durch 2 teilbar. 4. Aus dem Satz : Eine ganze Zahl ist nicht durch 4 teilbar, folgt der Satz: Dann ist sie auch nicht durch 2 teilbar. Die ganze Aussage ist wahr; denn 7 ist zum Beispiel durch 4 und durch 2 nicht teilbar. Hieraus ergibt sich die Regel : Aus Wahrem kann nur Wahres geschlossen werden; aus Falschem kann sowohl Wahres wie auch Falsches geschlossen werden. Haben zwei verschiedene Ausdrücke den Wahrheitswert, so dürfen sie einander gleich und füreinander eingesetzt werden, so wie man in der Mathematik zwei Größen gleichsetzt, die denselben Zahlenwert haben. Auch die Gleichsetzung

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zweier falscher Ausdrücke ist erlaubt. Statt „gleich" sagen die Logistiker „äquivalent". Die Äquivalenz wird durch das Zeichen ~ ausgedrückt. Für zwei Sätze ρ und q gilt dann: Ist ρ wahr und q wahr, so ist ρ ~ q W. Der ganze Ausdruck ist wahr. Ist ρ wahr und q falsch, so besteht keine Äquivalenz. Es ist ρ ~ q F. Der ganze Ausdruck ist falsch. Ist ρ falsch und q wahr, so gibt es ebenfalls keine Äquivalenz. Es ist ρ ~ q F. Ist pfalsch und q falsch, so sind beide gleichwertig. Es gilt also ρ ~ q W. Ferner wird das Unverträglichkeitszeichen gebraucht, ein senkrechter Strich | . Sind die beiden Aussagen wahr, so ist ρ mit q verträglich, dagegen ist ρ \ q falsch. Eine wahre Aussage ist mit einer falschen immer unverträglich und ebenso eine falsche mit einer falschen. Das Gesetz heißt hier: Der Satz: Eine Aussage ist mit einer anderen unverträglich, ist hur dann falsch, wenn beide Aussagen wahr sind. Werden zwei Sätze durch das Zeichen & miteinander verbunden, so heißt dieser Ausdruck eine Konjunktion oder ein logisches Produkt, ρ & q, gelesen ρ und q, ist nur dann wahr, wenn ρ wahr ist und q wahr ist. Werden zwei Sätze durch das Zeichen v, das den Sinn des lateinischen vel, deutsch „oder", hat, miteinander verbunden, so heißt dieser Ausdruck eine Disjunktion oder eine logische Summe, pv q, gelesen ρ oder q, ist wahr, wenn mindestens eine der beiden Aussagen wahr ist. Sämtliche Zeichen, ihre Verknüpfungen und die Wahrheits- oder Falschheitswerte der Verknüpfungen lassen sich in folgendem Schema zusammenstellen: ρ -* q W ρ ~ q_W ρ |q F p&q_W ρ ν q_W p_-+q F p~qF p\qW p_&q F pvqW p-yq^W P_~ q_F p\q_W p&q^F Pvq_W ρ W p~ q W ρ \q W p&q F ρ ν q F Das sind die Kombinationen, die mit zwei Sätzen durchgeführt werden können. Dabei gelten die sechs Zeichen der Implikation, der Negation, der Äquivalenz, der Unverträglichkeit, der Konjunktion und der Disjunktion als die Konstanten, die Satzzeichen p, q, für die verschiedene Sätze einge-

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setzt werden können, als die Variablen. Diese logistischen Formeln werden nun analog den mathematischen Gleichungen behandelt. Man kann die äquivalenten Ausdrücke füreinander einsetzen. Sie gelten für alle Einzelsätze, die von derselben Form sind. Sowie in der Mathematik der binomische Lehrsatz für alle endlichen natürlichen Zahlen gilt und sich auf jedes Zahlenpaar anwenden läßt, das in die Gleichung ( a + b)n eingesetzt wird, ohne daß man ihn für jede Zahl noch einmal abzuleiten braucht, da man weiß, daß er aus rein formalen Gründen gelten muß, so braucht man in der Logistik die einzelnen Ausdrücke nicht mehr inhaltlich zu durchdenken, sondern kann mit ihnen nach dem formalen Schema rechnen. Nun ist es für den Logistiker wichtig, solche Sätze allgemeinster Art aufzustellen, die immer richtig oder immer falsch sind. So ist zum Beispiel nach dem aufgestellten Schema die Aussage φ & q immer falsch, die Aussage pàq immer richtig. Aussagen, von denen feststeht, daß sie immer richtig sind, dienen als Axiome, und das Bestreben des Logistikers geht darauf aus, schwierigere Aussagen und Aussagenkomplexe, deren Wahrheitswert nicht ohne weiteres einsichtig oder feststellbar ist, zu zergliedern und sie auf die Formen zurückzuführen, die die Axiome haben. Gelingt das, so läßt sich ganz ohne Rücksicht auf den Inhalt und die Bedeutung der Sätze und Satzkomplexe auch in schwierigeren Fällen feststellen, ob das ganze Satzgefüge wahr oder falsch ist. Dabei gelten zwei Grundregeln oder Operationsvorschriften. Die erste ist die Substitutionsregel oder Einsetzungsregel: In jeder Formel, in der eine Aussagenvariable, zum Beispiel •p, vorkommt, darf sie durch irgend eine andere ersetzt werden, also etwa durch r oder dem Ausdruck s ν ί, sofern man nur an jeder Stelle, wo ρ in der Formel vorkommt, dieselbe Substitution vornimmt. Die zweite ist die Schlußregel: Wenn A wahr ist und wenn A -*• Β wahr ist, so ist auch Β wahr. Für A und Β können die Formeln eingesetzt werden, die diese Bedingung erfüllen. Die bisher dargestellten Grundzüge der Logistik beziehen sich auf logische Zusammenhänge, in denen mit Sätzen gearbeitet wird ohne Rücksicht auf deren logische Struktur.

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Gerade auf diese aber kam es in der Begriffslogik an, da hier der logische Zusammenhang von Sätzen, besonders der Sätze, die einen logischen Schluß in der Form des Syllogismus bilden, davon abhängt, wie sich die Umfänge der Begriffe, die in einem Satz auftreten, zueinander verhalten. Um diese Begriffslogik, die in der Logistik Klassenlogik oder Prädikatenlogik, Klassenkalkül oder Prädikatenkalkül genannt wird, mit der Satzlogik zu verbinden, wird der Begriff der Satzfunktion gebraucht, den zuerst der Mathematiker Gottlob Frege einführte. Dabei werden sowohl der logische Sinn des Begriffs wie auch der mathematische Sinn einer Funktion auf eine spezielle Bedeutung beschränkt. Von allen Merkmalen und Eigenschaften, die einem Begriff zukommen, bleibt nur übrig, daß der Begriff das Eine ist, das in vielen enthalten ist. So haben zum Beispiel die vielen Schuster, Schneider, Maurer das Eine gemeinsam, daß sie alle Handwerker sind. Sie sind hierin einander gleich in Bezug auf den Begriff Handwerker, der das Eine sein soll, das sie alle enthalten. Wird nun ein Satz gebildet von der Form : Der Schuster ist ein Handwerker, so kann man sich diesen Satz zerlegt denken in die beiden Teile „Der Schuster" und „ist ein Handwerker". In diesem Satz können für „Schuster" auch Maurer, Schneider und andere ein bestimmtes Handwerk Ausübende eingesetzt werden. Man bezeichnet nun das, was eingesetzt werden kann, als Variable und „ist ein Handwerker" als die Satzfunktion. Schreibt man nun: „( ) ist ein Handwerker", so bezeichnet die leer gelassene Klammer eine Leerstelle in der Satzfunktion, die durch verschiedene Variablen ausgefüllt werden kann. Der Ausdruck heißt eine ungesättigte Funktion. Die Variablen, durch die die Funktion gesättigt wird, heißen die Argumente der Funktion. Durch die Argumente „Schneider, Schuster" wird die Leerstelle richtig ausgefüllt, durch das Argument „Lehrer" falsch. Es gibt daher richtige und falsche Werte für die Variablen. Bezeichnet man nun die Satzfunktionen mit den griechischen Buchstaben φ, χ, ψ. '.., die Variablen wie in der Mathematik mit . . . χ, y, z, so bedeutet φΧ eine Satzfunktion mit einer Variablen von der Form : χ ist ein Handwerker. Das ein-

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fachste begriffslogische Satzgefüge ist dann φ χ - * χ χ . Bedeutet darin φ die Funktion „ist ein Mensch" und χ die Funktion „ist ein sterbliches Wesen", so bedeutet φΧ-*χΧ: Wenn ein beliebiges Etwas (ein x) ein Mensch ist, so folgt daraus, daß es ein sterbliches Wesen ist. Mit diesen Satzfunktionen kann nun in derselben Weise gearbeitet werden wie mit den Sätzen p, q, r . . . ; denn sie sind selbst Sätze, aber solche, deren innere logische Struktur bestimmt ist, während bei p , q , r . . . hiervon abgesehen wurde. Handelt es sich nicht um Sätze dieser einfachen Form, sondern um kompliziertere wie etwa: Er schenkt ihm ein Buch, so übt in einem solchen Satz das „schenken" drei Funktionen aus: Wer schenkt, wem schenkt er, was schenkt er. Man nennt dann eine solche Funktion einen Relator und die drei Beziehungen, in denen die Begriffe zu ihm stehen, die Relata. Das ganze Gebilde heißt eine dreigliedrige Relation. Es gibt zwei-, drei, vier- und mehrgliedrige Relationen. Sie werden mit den Buchstaben R, S, T . . . bezeichnet, die Relata mit . . . x, y, 2. So stellt zum Beispiel das Verbum „töten" eine zweigliedrige Relation dar: Wer tötet wen? Es ist eine Satzfunktion mit zwei Leerstellen : ( ) tötet ( ), in die Variablen eingesetzt werden können: Der Fleischer tötet den Ochsen. Der Henker tötet den Verbrecher, x tötet y. Hierfür schreibt man Rx, y . Das Verbum „geben" fordert eine dreigliedrige Relation: Wer gibt was wem, geschrieben SXi y< z, „schulden" eine viergliedrige: Wer was wem wofür, geschrieben TWt XtV,z • Die Relationen brauchen nicht in der Sprache durch Verben ausgedrückt zu werden. So wird die mathematische Ungleichung a > 6 als Relation geschrieben β 0 ι b , die Relation : m ist Bruder von n, Tm< „ oder, da sie umkehrbar ist, T„, ,„ . Hierdurch lassen sich alle denkbaren oder in der Erfahrung auffindbaren Beziehungen in solchen Symbolen ausdrücken, die dann in derselben Weise miteinander durch die Zeichen der Implikation, der Konjunktion und der Disjunktion verbunden werden können wie die Sätze p, q, r . . . in der Satzlogik. Nun kann die Logik selbst als ein System von Axiomen und aus ihnen nach bestimmten Operationsvorschriften abzuleitenden Sätzen aufgebaut werden.

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Aus dem Ausdruck ρ -* q ergibt sich das erste Axiom, wenn ρ identisch gleich q gesetzt wird. Dann gilt ρ —• p. In dieser Form wird in der Logistik der Satz der Identität geschrieben. Der Satz vom zu_ vermeidenden Widerspruch läßt sich ausdrücken durch ρ I p . Das heißt : Die Wahrheit des Satzes ρ ist unverträglich mit seiner Falschheit. Der Satz ρ kann nicht zugleich ein wahrer und ein falscher Satz sein. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten wird geschrieben: pv q~ Ρ I q. Entweder ρ oder q ist wahr, eine dritte Möglichkeit ist ausgeschlossen, oder: Die Verneinung von ρ ist unverträglich mit der Verneinung von q; von ρ und q muß ein Satz wahr, der andere falsch sein, wenn pv q gilt. Dazu kommt als viertes Axiom der Satz von der Transitivität der Implikation. Er ist das dictum de omni et nullo, die alte Schlußregel: Quidquid de omnibus valet, valet etiam de quibusdam et singulis. Was von allem gilt, gilt auch von einigem und einzelnem. Was von allen gilt, wenn es sich um alle Menschen handelt, nämlich daß sie sterbliche Wesen sind, gilt auch von einigen, nämlich von einigen Menschen wie den Deutschen, den Franzosen und von einem einzelnen wie von Sokrates oder Piaton. Und das dictum de nullo: Quidquid de nullo valet, nec de quibusdam vel singulis valet. Was von keinem gilt, gilt auch nicht von einigem und einzelnem, wofür man sich ein Beispiel leicht selbst bilden kann. Dieser Grundsatz lautet in der Satzlogik: [(P — 3) & (î — Ό] — (Ρ — Ό · Zu lesen : Wenn die Wahrheit eines Satzes die eines anderen impliziert und die Wahrheit dieses anderen Satzes wieder die eines dritten, so impliziert die Wahrheit des ersten Satzes die des dritten. Dies wird die Transitivität, die Übertragbarkeit, der Implikation genannt. Als weiteres Axiom gilt die Schlußregel : Ist der Ausdruck ρ -*• q als ganzer wahr und ist der Satz ρ wahr, so ist auch der Satz q als wahr anzuerkennen. Hierzu kommt die Operationsvorschrift: Man darf das Zeichen für einen Satz ρ oder q oder r ersetzen durch das Zeichen für einen anderen Satz oder das Zeichen für eine

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Satzfunktion, wenn man es konsequent durchführt. Es ist die schon erwähnte Substitutionsregel. Aus den Axiomen lassen sich mit Hilfe der Operationsvorschrift alle gültigen Sätze der Satzlogik, der Begriffslogik und der Relationslogik ableiten in derselben Weise wie in der Mathematik aus den Axiomen die Lehrsätze abgeleitet werden. Dabei sind die ersten Axiome die gleichsam statischen Gebilde, die am Anfang stehen und aus denen deduziert wird, während die Schlußregel und die Substitutionsvorschrift die dynamischen, das ganze Verfahren in Gang bringenden Vorschriften für das Umsetzen und Umformen der in den gegebenen Ausdrücken enthaltenen Elemente und Beziehungen sind. Diese kurze Einführung in das Wesen und die Technik der modernen Logik, die heute eine weit ausgebaute Wissenschaft geworden ist, soll nur dazu dienen, dem Philosophie Studierenden eine Vorstellung davon zu geben, welche Anforderungen an exaktes Denken heute gestellt werden. Sie kann zugleich zur Selbstprüfung dienen; denn wer nicht imstande ist, diesen nur in die Anfangsgründe einführenden Gedanken zu folgen, ist für exakte wissenschaftliche Arbeit untauglich. Neben der klassischen und dieser neuen Logik gibt es noch die von Kant begründete transzendentale Logik, die er von der allgemeinen Logik, worunter er die klassische Begriffslogik verstand, unterschied. Diese galt ihm als die formale Logik, die es nur mit den Formen zu tun hat, in denen das Denken verläuft. Die Aufgabe der transzendentalen Logik aber ist es, von den bloßen Formen hinüberzuschreiten (transcendere) zu den Gegenständen der Erkenntnis, so wie sie uns in der realen Welt, vermittelt durch die Sinneseindrücke, entgegentreten. Schon Aristoteles hatte es unternommen, unter die Aussagen, die von realen Gegenständen gemacht werden können, eine Ordnung zu bringen, dadurch daß er verschiedene Arten von solchen Aussagen unterschied. Er nannte diese allgemeinen Aussagen Kategorien, und nur in dieser Bedeutung sollte das Wort gebraucht werden, mit. dem man fälschlich oft auch eine bestimmte Klasse von Gegenständen bezeichnet.

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Er zählte zehn Kategorien auf. Von einem beliebigen Gegenstande läßt sich zunächst aussagen, was er seinem Wesen nach ist : Das ist ein Mensch ; das ist eine Eiche. Diese Aussage nannte er die Kategorie der Substanz. Jeder reale Gegenstand hat eine Größe. Die Aussage, durch die die Größe eines Gegenstandes festgestellt wird, ist die Kategorie der Quantität. Die Kategorie der Qualität gibt die Eigenschaften des Gegenstandes an, seine Farbe, seine Gestalt, seine Härte, seinen Geruch, seinen Geschmack, die der Relation die Beziehungen, in denen er zu anderen Gegenständen steht. Ferner unterschied er die Kategorien des Ortes, der Zeit, des Tuns, des Erleidens, der Lage und des Anhabens oder des Habitus. Aus solchen Kategorien, die Aussagen über Seiendes sind und in die Ontologie gehören, wurden bei Kant Erkenntniskategorien, die der menschliche Verstand von vornherein, a priori, enthält. So nannte er alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt. Es gibt nun Urteile, zu denen der Verstand, ohne die Erfahrung zu brauchen, von sich selbst aus kommt, die er von vornherein denkt und die doch für reale Gegenstände Gültigkeit haben. Ich kann mir keinen realen Gegenstand auch nur denken, der nicht ausgedehnt wäre und eine Größe hat, der nicht bestimmte Eigenschaften oder Qualitäten besitzt, der nicht in irgend einer Beziehung, einer Relation, zu anderen Gegenständen steht und der nicht entweder wirklich vorhanden oder nur möglich oder notwendig so ist, wie er ist, das heißt, der nicht eine dieser drei Seinsweisen, einen Seinsmodus hat. Hieraus ergaben sich die vier Erkenntniskategorien der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität, von denen Kant behauptete, daß sie aller Erfahrung vorausgehen und diese erst möglich machen. Mit ihrer Hilfe werden a priori allein durch den Verstand Urteile gebildet, die auf Erfahrung zutreffen und denen keine Erfahrung widersprechen kann. Dazu gehören die mathematischen Urteile, daß zum Beispiel zwei Gegenstände und zwei weitere immer vier ergeben, daß eine bestimmte Größe immer gleich der Summe ihrer Teile ist. Dazu gehören die

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physikalischen Urteile: Jede Wirkung muß eine Ursache haben. Aus nichts wird nichts, und etwas kann nicht zu nichts werden, woraus sich der Satz von der Erhaltung des Stoffs und der Kraft ergibt. So kommt es, daß der Verstand Naturgesetze a priori findet, die er selbst der Natur vorschreibt. Gesetze wie das Kausalgesetz gelten allgemein und notwendig und können durch die Erfahrung nicht widerlegt werden, und wenn Erfahrung möglich sein soll, müssen diese allgemeinen Gesetze zunächst als gültig zugegeben werden. Die Aufgabe der transzendentalen Logik ist es nun, das ganze Gebiet des a priori Gültigen, aber auf Erfahrung Zutreffenden zu erforschen und als ein System der Erkenntniskategorien und der sich aus ihnen ergebenden Grundsätze des reinen Verstandes darzustellen. Sie hat ferner die Aufgabe, die Fehlschlüsse oder Paralogismen, die Widersprüche oder Antinomien herauszuarbeiten, die entstehen, wenn die Kategorien auf die nicht erfahrbaren Gegenstände der Metaphysik, auf die Welt als Ganzes, auf die Seele und auf Gott, angewendet werden. Dann wird aus der transzendentalen Logik die transzendentale Dialektik als eine Logik des Scheins. Das Wort „Dialektik" tritt in der Geschichte der Philosophie in mehrfacher Bedeutung auf. Zunächst heißt Dialektik dem Sinn des griechischen Wortes entsprechend die Kunst der Unterredung, die in Rede und Gegenrede, Spruch und Widerspruch verläuft, mag das Gespräch nun als eigentlicher Dialog von verschiedenen Personen geführt werden oder ein Gespräch dès denkenden Menschen mit sich selbst sein. Die Gespräche, die Sokrates führte, wurden von Piaton als die philosophische Dialektik der eristischen Dialektik der Sophisten gegenübergestellt, die bewußt mit Trugschlüssen arbeiteten, um hierdurch den Schein einer logischen Beweisführung zu erwecken. Bei den Stoikern war die Dialektik der die Grammatik und die Logik umfassende Begriff. Die Scholastiker brauchten das Wort zur Bezeichnung der Begrill'slogik und des syllogistischen Beweisverfahrens. Eine neue Bedeutung erhielt die Dialektik durch Hegel, der mit ihr eine metaphysische Logik begründete und aufbaute. Die Logik wird von Hegel aufgefaßt als die Entfaltung des göttlichen Logos,

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der sich in der Natur, im Menschen und in der Menschheitsgeschichte offenbart als der sich entwickelnde lebendige Weltgeist, der im Menschen zu seinem Bewußtsein kommt. Das Denken des Menschen soll daher in denselben Formen verlaufen wie die Entwicklung des Weltgeistes selbst, die wie der Lebensprozeß eines Organismus gedacht wird, der aus einem Samen erwächst, sich entfaltet, dann sein Leben wieder in einem Samen zusammenfaßt, so daß ein Kreislauf entsteht, ein Prozeß, wie Hegel sagt, des Herausgehens, Sichauseinanderlegens und Wiederzusichkommens. Wie in diesem Entwicklungsprozeß das Leben sich entfaltet und wieder zusammenschließt, so der Geist im Denkprozeß der Dialektik. Von jedem uns in der Natur oder der Geschichte entgegentretenden Gegenstand muß erst eine Eigenschaft betrachtet und erkannt werden. Diese notwendige Isolierung einer Eigenschaft, dieses Herausreißen einer Einzelheit aus dem Ganzen, die nun dem Ganzen gegenübergestellt wird, ist es, was Hegel unter dem „Gegensatz" versteht. Hier wird ein Merkmal allen anderen „entgegengesetzt", mit denen es in Wahrheit eine untrennbare Einheit bildet. Dadurch wird im Denkeil das Ganze zerrissen, und man erhält zunächst ein „unwahres" Ergebnis, das im „Widerspruch" zum Ganzen steht. Es ist die Erkenntnis nur eines „Moments". Dieses aber weist wieder auf das Ganze zurück, aus dem nun das nächstliegende Moment herausgenommen und mit dem ersten verbunden wird, und so fort, bis schließlich das Denken alle Momente beisammen hat und so irgendwie bei seinem Ausgangspunkt, dem Ganzen, angekommen ist. Jetzt hat es die Wahrheit erreicht. „Die Wahrheit ist das Ganze". Dieser Prozeß muß mit innerer Notwendigkeit ein Kreis werden, der, wie Hegel sagt, seine Momente hält, die in ihm aufgehoben, aufbewahrt sind, und der nur als dieser ganze Kreis die Wahrheit ist. Aber auch dieses Ganze wird wieder unwahr, sobald weiter gedacht und erkannt wird, daß kein Ganzes in dieser Welt isoliert dasteht und daß es in seinem Wesen nicht begriffen werden kann, wenn nicht seine Beziehungen zum nächst höheren Ganzen, von dem es selbst nur ein Glied ist, erforscht werden. So geht das Denken in den umfassenderen nächsten Kreis hinein und so immer L e i a e g a n g , Philosophie

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weiter. Der dialektische Prozeß kommt erst zur Ruhe, wenn er zum allumfassenden Ganzen, zu Gott selbst, dem absoluten Geist gekommen ist, der in allem wirkt als die Weltvernunft, weshalb auch alles Wirkliche in dieser Welt vernünftig ist. Hegel sucht nun überall diesen dialektischen Prozeß zu entdecken. In den Bewegungen der Materie ebenso wie in den organischen Gebilden und den geistigen Schöpfungen, in der Entwicklung der Pflanze, im tierischen und menschlichen Organismus, in den Wissenschaften, im Recht, in der Sitte, im Staat, in der Weltgeschichte, in Kunst, Religion und Philosophie findet er die Zusammenhänge heraus, die ein solches kreisförmiges Zusammengehen au einer Kette von drei Gliedern érkennen lassen, die von ihm als Ansich, Fürsich und Anundfürsich, als Thesis, Antithesis und Synthesis, als Satz, Gegensatz und Aufhebung des Gegensatzes, als Spruch, Widerspruch und Versöhnung, als Position, Negatión und Negation der Negation bezeichnet werden. Die oft gewaltsamen Konstruktionen, durch die er das erreichte, wurden von der philosophischen und wissenschaftlichen Forschung alsbald abgelehnt, und die Zeit, in der Hegels Methode als eine wissenschaftliche galt, war nur sehr kurz. Seine „Wissenschaft der Logik" wird heute weder als Wissenschaft noch als Logik anerkannt. War bei Hegel der dialektische Prozeß die Entfaltung des Geistes und der Weltvernunft, so suchte Karl Marx den dialektischen Prozeß in der Wirklichkeit der Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse nachzuweisen, die nicht durch den Geist, sondern durch die materiellen Produktivmittel und Produktionskräfte bestimmt werden. Aus der dreitaktigen Dialektik Hegels wird bei ihm eine zweitaktige, bei der die als Widersprüche bezeichneten konträren Gegensätze unmittelbar ineinander umschlagen, ohna daß es eine Synthese oder eine Versöhnung der Gegensätze gibt. Das ließ schon die revolutionäre Absicht, in der das Ganze unternommen wurde, nicht zu. So werden Bourgeoisie und Proletariat, kapitalistische und sozialistische Gesellschaftsordnung als Gegensätze aufgefaßt. Die sich bis zur reinsten Ausprägung entwickelnde Bourgeoisie bringt aus sich selbst heraus das Proletariat hervor, das

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schließlich die Bourgeoisie vernichtet und die sozialistische Gesellschaftsordnung an die Stelle der kapitalistischen setzt. Dieser Prozeß soll sich mit einer naturgesetzlichen Notwendigkeit vollziehen. Die Erkenntnis dieser Gesetzlichkeit wird als eine wissenschaftliche, die dialektische Methode als wissenschaftliche Methode und der durch sie neu begründete Sozialismus als wissenschaftlicher Sozialismus ausgegeben. Marx selbst bezeichnete seine Lehre als materialistische Geschichtsauffassung oder historischen Materialismus, Engels nannte die Methode materialistische Dialektik, Joseph Dietzgen führte den Ausdruck dialektischer Materialismus ein, der von Lenin übernommen wurde. Er stellte das Programm der bolschewistischen Philosophie und Wissenschaft auf, nach dem als einzige Philosophie der dialektische Materialismus zugelassen und auf allen Gebieten der Wissenschaft mit der dialektischmatérialistischen Methode gerabeitet werden soll. Außerhalb Rußlands und der vom Bolschewismus befallenen Länder gilt die Dialektik in keiner Form mehr als wissenschaftliche Methode. Sie tritt nur noch auf einigen Gebieten der Philosophie und der Theologie auf, die eine dialektische Gedankenführung erlauben. 4. Ontologie und Metaphysik Die Ontologie ist nach der Definition des Aristoteles die Lehre vom Sein des Seienden. Unter dem Seienden wird dabei alles verstanden, was unabhängig von unserem Bewußtsein an sich existiert, was allen Erscheinungen oder Phänomenen, die in unserem Bewußtsein auftauchen, als das an sich Seiende zugrunde liegt. Unter dem Sein des Seienden aber wird die Art und Weise verstanden, wie dieses Seiende ist, seine Seinsweise. Denn das, was unabhängig von unserem Bewußtsein besteht, hat nicht alles dieselbe Seinsweise. Unabhängig von unserem Bewußtsein besteht die Tatsache, daß die Dinge der Außenwelt dem Naturgesetz gehorchen und nicht unseren Wünschen. Unabhängig von unserem Bewußtsein aber besteht auch die ganz anders geartete Tatsache, daß die natürlichen Zahlen eine ins Unendliche fortsetzbare Reihe bilden, daß die Lehrsätze der Mathematik von zeitloser Gültigkeit sind, daß 5*

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logische Begriffe ein System bilden. Es läßt sich an ihnen ebenso wenig etwas ändern wie an den Naturgesetzen. Aber sie haben eine andere Seinsweise. Sie sind Ordnungen und Beziehungen und Gesetze, die zwischen idealen Größen gelten. In der Ontologie handelt es sich nun darum, festzustellen, was für Aussagen sich über alles verschiedene Seiende und seine Seinsweisen machen lassen. Eine Ordnung wird in die große Mannigfaltigkeit der Gegenstände dadurch gebracht, daß die reale Welt als ein Stufenbau aufgefaßt wird, in dem sich Stufen oder Schichten unterscheiden lassen. Mit diesem nicht das Wesen der Sache treffenden bildlichen Ausdruck einer Schichtung oder Abstufung ist der Unterschied der anorganischen Natur von der organischen, vom Seelischen und vom Geistigen gemeint. Jedes dieser Gebiete fordert zu seiner Beschreibung andere Kategorien. Dabei werden unter Kategorien nicht mehr die Gedankenformen oder Erkenntniskategorien im Sinne der Transzendentalphilosophie Kants verstanden, sondern Fundamentalaussagen über das Seiende und seine Seinsweisen. Die Aussagen gehen nur auf das Konkrete, aus dem sie das Allgemeine herausheben, und die Kategorien sind das, was sie sind, nur für das Konkrete und bilden kein besonderes Gebiet idealer Gegenstände. Sie sind weder Ideen noch Begriffe, an denen die konkreten Dinge irgendwie teilhaben, keine Abstraktionen, keine Gedankenschemata, sondern die Prinzipien der Dinge selbst. Daher ist die neue Ontologie, wie sie von Nicolai Hartmann ausgebildet wurde, ihrem Wesen nach Kategorialanalyse, das heißt: sie untersucht, analysiert die Strukturen der realen und der idealen Gegenstände darauf hin, was für Fundamentalaussagen sich über sie aufstellen lassen. Dabei stellt sich heraus, daß es Kategorien gibt, die sämtliche Seinsschichten umfassen und für alle gelten. Daneben aber treten in jeder Schicht neue Kategorien auf, die sich nicht zu einem System vereinigen lassen ; sie bilden nicht nur für unsere Erkenntnis, sondern an sich kein Kontinuum. Es treten vielmehr Lücken auf. Die Kette der Seinsformen reißt beim Übergang vom Anorganischen zum Organischen, vom Seelischen zum Geistigen plötzlich ab, um dann wieder nach

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einem Sprung auf einer gewissen Höhenlage von neuem zu beginnen. Damit ist aber die Einheit der Welt nicht aufgegeben, nur sieht diese Einheit anders aus, als sie bisher gedacht wurde. Sie ist nicht eine Einheit der Gleichförmigkeit, sondern eine der Überlagerung und der Überhöhung sehr verschiedener Mannigfaltigkeiten. Durch diese Forschungen wird den Weltanschauungen der Boden entzogen, wenn durch sie das Wesen der Welt aus einem Prinzip von „unten" her aus der Materie oder von „oben" her aus dem Geiste oder sonstwie erklärt werden soll. Materialismus, Idealismus, Realismus, Monismus, Dualismus und alle anderen Weltanschauungen erscheinen als einseitige Perspektiven und unzulässige Verallgemeinerungen der auf nur einen Gegenstandsbereich oder wenige von bestimmter Struktur zutreffenden Aussagen. Handelt die Ontologie von den realen und idealen Gegenständen der wirklichen Welt, dem materiellen, dem lebendigen, dem seelischen und dem geistigen Sein, so wird in der Metaphysik gesucht nach dem, was hinter (meta) der Physis, der Natur, als deren eigentliches Wesen und Prinzip steht, nach dem über alle Natur Hinausgehenden, dem Transzendenten, weshalb die Scholastiker auch neben metaphysica das Wort transphysica gebrauchten. Ursprünglich wurden mit dem Worte Metaphysik nur die Bücher des Aristoteles bezeichnet, die hinter den Büchern über die Physik standen, den tieferen Sinn erhielt es erst durch den Neuplatoniker Simplikios im fünften Jahrhundert; denn diese Bücher enthielten das, was Aristoteles die „erste Philosophie" nannte, deren Gegenstand die Prinzipien waren, die allem Seienden zugrunde liegen. Sie war eine Ontologie, die in Metaphysik überging. Das Wort Ontologie wurde erst im siebzehnten Jahrhundert eingeführt. Die Metaphysik aber geht in der Ontologie nicht auf, sondern weit über sie hinaus. Sie ist kein bloßes Wissen, keine Lehre, die man sich aneignen oder auf die man yerzichten kann, das Metaphysische entspringt vielmehr aus dem innersten Wesen des Menschen, und es gehört zum Wesen des Menschen, daß er ein unausrottbares metaphysisches Bedürfnis besitzt, das sich nicht nur

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in der Philosophie, sondern noch viel stärker in der Religion und in der Kunst äußert. Das Metaphysische wird unmittelbar erlebt. Zunächst beim Blick in die Natur, in die Welt, die uns umgibt. Wir blicken in der Nacht zum Sternenhimmel auf. Aus der Wissenschaft der Astronomie und der Astrophysik wissen wir, was die Sterne sind und was im Weltenraum vor sich geht. Aber dieser Sternenhimmel wird nicht nur mit den Augen des Physikers gesehen. Hinter den Gegenständen der Physik liegt noch etwas anderes, und dieses ganz Andere bricht plötzlich hervor, offenbart sich als das Ewige und Unendliche, so wie es in den Versen gemeint ist: Eh' vor des Denkers Geist der kühne Begriff des ew'gen Raumes stand, Wer sah hinauf zur Sternenbühne, Der ihn nicht ahnend schon empfand. Und ein solches Erlebnis wird zunächst nicht gedanklich und philosophisch gefaßt, sondern religiös gedeutet als die Offenbarung eines ewigen Geistes, der als Macht, als Schöpfer und Urgrund aus dem erhabenen Bilde seiner Welt zum Menschen spricht, der nicht nur erkannt, sondern verehrt sein will, so wie es die Worte ausdrücken: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. Ein Tag sagt's dem andern, und eine Nacht tut's kund der andern. Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre." So ist das metaphysische Erlebnis zugleich ein religiöses Erleben. Die Merkmale, die es kennzeichnen, lassen sich nur schwer in Worten ausdrücken. Es ist, wie wenn ein Schleier von den Dingen weggezogen wird, die uns täglich umgeben, und sich der Blick auf die eigentliche Wirklichkeit öffnete. Eine Ergriffenheit überfällt uns, ein inneres Angerührtsein von etwas, das nicht in unserer Macht steht, das uns heilig ist und das Anlockende, Faszinierende an sich hat, das dazu drängt, solche Erlebnisse zu suchen, weil sie uns anziehen. Sie erfüllen zugleich mit dem Eindruck des Erhabenen, des Aufwühlenden bis zum Unheimlichen. Es ist das Mysterium, an das hier gerührt wird. Aus der Verschlossenheit, in die der Mensch im

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alltäglichen Leben g e b a n n t ist, wird eine Offenheit f ü r das Andere, das hinter oder über diesem Leben steht und sich offenbart als sein Sinn, als die eigentliche Wirklichkeit. Der Drang, einen Schimmer dieser Wirklichkeit zu erfassen, ist das metaphysische Bedürfnis, das die Religion, die K u n s t und die philosophische Metaphysik hervorgebracht hat. Das Wesen der Kunst besteht gerade darin, daß es dem Künstler möglich ist, den Menschen durch das Kunstwerk in ein solches ergreifendes, erschütterndes und zugleich erhebendes Erleben hineinzuzwingen. Die Landschaft, mit den Augen des Künstlers gesehen, h a t eine Seele; über ihr liegt eine Stimmung, die den Menschen ergreift, ihn in ihren B a n n zieht, so daß er nicht nur Bäume, Wiesen, Berge und Felder sieht, sondern der Geist der Erde zu ihm spricht und sich ihm offenbart. Aus dem Menschenbild, das der Künstler formt, spricht uns die Seele des Menschen an als seine eigentliche Wirklichkeit. Dasselbe gilt von der Musik, die nicht aus Tönen besteht, sondern aus etwas ganz anderem, das durch die Töne hindurchklingt, und es gilt vor allem von der Tragödie, in der die Menschen von den Mächten geführt werden, die das dunkle Schicksal flechten und sich in dem Stück Leben offenbaren, das sich vor unseren Augen abspielt. D a r u m kann sich auch die Kunst in den Dienst der Religion stellen. Der Mensch wird in den Tempel, den Dom, die Kirche geführt, und der R a u m weckt, in ihm die Feierlichkeit, die Andacht, den Schauer des heiligen und geheiligten Ortes. Das Bild des Gottes sieht ihn an. Die Musik umrauscht ihn. E r ist in eine Welt versetzt, die als das Mysterium, das Geheimnisvolle durch die Formen, Farben, Gestalten und Klänge hindurchscheint als die andere Welt, in die er aus der Alltagswelt hineintritt. Aber das Heilige ebenso wie das wesentlich Ästhetische und mit ihnen das Metaphysische sind vor keiner Profanierung geschützt. Man braucht das alles nicht zu sehen, zu hören, sich von ihm anrühren zu lassen. Man k a n n darüber hinwegsehen und nicht hinhören. Man kann es auch als unwillkommene Störung des inneren Gleichgewichts, wenn es irgendwo a u f t r i t t , zerstören durch ein profanes oder frivoles

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Wort, und man kann den wissenschaftlichen Beweis dafür erbringen, daß es dies alles gar nicht gibt, daß es nur die eine Wirklichkeit gibt, die unmittelbar erfahrbar ist und aller wissenschaftlichen Forschung zugrunde liegt, die noch in keiner Landschaft eine Seele und in der Musik nur Schwingungen von Saiten der Instrumente, aber keine Freude und keine Trauer und keine Ergriffenheit gefunden hat. Daher sind nun auch die Gegenstände der Metaphysik alle transsubjektive Gegenstände in dem Sinne des Wortes „transsubjektiv", der in dem Abschnitt dargelegt wurde, der über die Erkenntnistheorie und die Gegenstände der Erkenntnis handelt. Sie sind als solche unerfahrbar, wenn unter erfahrbar alles das verstanden wird, was sich durch die Sinneswahrnehmung als Gegenstand der Außenwelt darbietet. Seit den ältesten Zeiten sind die drei großen Gegenstände der Metaphysik die Welt oder der Kosmos oder die Natur als die universale Substanz, das Leben oder die Seele oder das Ich als die individuelle Substanz und Gott als das allumfassende Sein. Diese Gegenstände sind in der Metaphysik keine Begriffe, sie werden vielmehr verstanden als Wesenheiten, die wie Personen gedacht und behandelt werden. So ist die ganze Welt, der Kosmos, die Natur etwas, das sich jeder Erfahrung entzieht. Wir sehen und erleben nur immer dieses oder jenes in der Welt, dieses oder jenes, was die Natur hervorgebracht hat, aber nie die Welt, die Natur als solche und als Ganzes. Der Kosmos wird in der griechischen Philosophie vorgestellt als ein Mensch im Großen, als Meganthropos, ausgestattet mit einer Weltseele und einem Weltgeist, so wie der Mensch der Mikrokosmos ist und eine Seele und einen Geist besitzt. Im Christentum wird dieser Kosmos entwertet, er wird zum Reich der Sünde, beherrscht von dem Fürsten dieser Welt. Und im Mittelalter wird er dargestellt als die Frau Welt, von vorn äußerlich herrlich und verführerisch anzusehen, auf der Rückseite aber bedeckt mit Aussatz und Geschwüren als Zeichen der in dieser Welt hinter aller ihrer Pracht herrschenden Verwesung. Jetzt gibt es die Kinder dieser Welt und die Kinder Gottes, die nicht von dieser Welt sind. Dieselbe Nei-

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gung zur Personifikation zeigt die N a t u r . Physis u n d N a t u r a sind schon in der Antike zu Göttinnen geworden und auch der Philosoph Aristoteles redet von der Natur wie von einer Person. Sie schafft alles, sie geht dauernd über vom Leblosen zum Lebendigen, sie ist die schöpferische K r a f t in allen Lebewesen, sie bewegt sich im Kreise und kehrt immer wieder zum Anfang zurück, sie strebt nach dem Entgegengesetzten, flieht das Grenzenlose, erstrebt immer das Vollkommenere, und Gott u n d die N a t u r t u n nichts vergebens. Unter allen den vielen Zeugnissen, die dasselbe sagen, ist das schönste das unter Goethes Werken stehende F r a g m e n t über die Natur, in dem es heißt: " N a t u r ! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen — unvermögend aus ihr herauszutreten, und unvermögend, tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen. Sie schafft ewig neue Gestalten; was da ist, warnocli nie; was war, k o m m t nicht wieder — alles ist neu und doch immer das Alte. \Vir leben mitten in ihr und sind ihr fremde. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie. Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben und macht sich nichts aus den Individuen. Sie baut immer und zerstört immer, und ihre W e r k s t ä t t e ist unzugänglich. — Sie h a t keine Sprache noch Rede; aber sie schafft Zungen und Herzen, durch die sie fühlt und spricht. Ihre Krone ist die Liebe. Nur durch sie k o m m t m a n ihr nahe. Sie macht Klüfte zwischen allen Wesen, und alles will sich verschlingen. Sie hat alles isoliert, um alles zusammenzuziehen. Durch ein paar Züge aus dem Becher der Liebe hält sie für ein Leben voll Mühe schadlos. Sie ist alles. Sic belohnt sich selbst und bestraft sich selbst, erfreut und quält sich selbst. Sie ist rauh und gelinde, lieblich und schrecklich, kraftlos und gewaltig·. Alles ist immer da in ihr. Vergangenheit und Z u k u n f t kennt sie nicht. Gegenwart ist ihr Ewigkeit. Sie ist gütig. Ich preise sie mit allen ihren W e r k e n . " Und doch ist die N a t u r als solche unerfahrbar. Was wir erfahren, sind nur ihre Erscheinungen; aber sie ist das, was

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hinter allen diesen Erscheinungen steht als ihr metaphysischer Grund. Sie ist die Substanz, wenn man unter einer Substanz den Träger aller der Eigenschaften und Vorgänge versteht, die als Werke und Wirkungen der Natur erfahren werden ; sie ist die allen ihren Wirkungen zugrunde liegende Ursache, die selbst keine Ursache hat, sondern Ursache ihrer selbst, causa sui ist. Und so wird sie von dem Metaphysiker Spinoza definiert: Per substantiam intelligo id quod in se est et per se concipitur, unter der Substanz verstehe ich, was in sich ist und durch sich begriffen wird. Und er sagt von ihr: „Sie ist das ewige Wesen, das wir Gott oder die Natur — Deum sive Naturam — nennen." Dasselbe gilt von dem Leben und von der Seele. Beide werden im Griechischen durch dasselbe Wort „Psyche" bezeichnet. Dann aber wird das rein vitale, triebhafte Leben als vita geschieden von dem bewußten Leben, der eigentlichen Seele und ihrem Geist. Das Leben als vita, das den pflanzlichen, tierischen und menschlichen Organismus erhält, ist für den Menschen unerkennbar, unerfahrbar und dringt nicht in sein Bewußtsein ein. Wir wissen nichts und erfahren nichts von allem, was sich als Lebensprozeß in uns abspielt, von den Zellen, die sich teilen und vermehren, von unserem Herzschlag, unserem Blutkreislauf und unserem Atem. Das alles kündigt sich nur an, wenn es gestört wird durch den Schmerz und das Unbehagen. Dann aber wird es nur in seiner Wirkung als Schmerz bewußt, als Müdigkeit und Abspannung, aber nicht als der Prozeß selbst, der sich weiterhin als solcher unbewußt vollzieht und den jeder so wenig kennt, daß er nicht sagen kann, in welchem Stadium er sich jetzt befindet, wann er aufhören und der Tod eintreten wird. Wir nennen das alles, was in uns wirkt und schafft, das Leben und betrachten es als eine tätige Substanz, als den Träger aller Eigenschaften und Vorgänge, durch die wir uns als etwas Lebendiges von allem Toten und Unlebendigen unterscheiden. Dagegen kommt uns zum Bewußtsein unser Denken, Fühlen und Wollen. Auch ihm legen wir eine Substanz als Träger unserer Gefühle, unserer Gedanken, unserer Wünsche und Bestrebungen unter: unser bewußtes Ich, unsere Seele.

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Und diese Seele als individuelle Substanz verfällt ebenso wie die Welt, die Natur der Personifikation. Sie wird zur unsterblichen Seele, zu einem Wesen, das den Tod überdauert. So zeigen die drei großen Gegenstände der Metaphysik dieselben Eigenschaften. Und wie verhalten sie sich zur Wissenschaft ? Es ist nicht so, daß die Wissenschaften zu ihnen hinführen, wenn die wissenschaftliche Forschung die Grenzen des Erfahrbaren erreicht hat. Sie gehen vielmehr aller Wissenschaft und aller wissenschaftlichen Begriffsbildung voraus. Die Weltweisheit setzt voraus, daß es eine Welt als Ganzes gibt. Die Naturwissenschaften setzen voraus, daß es eine Natur gibt, von der etwas erfahrbar wird, für das sich Naturgesetze aufstellen lassen. Die Physik und die Physiologie setzen voraus, daß es eine Physis gibt als Gegenstand physikalischer und physiologischer Forschung. Die Biologie ist die Wissenschaft von demselben Leben, das in der Metaphysik auftritt. Dasselbe gilt von der Psychologie, der Wissenschaft von der Seele, von den Geisteswissenschaften, den Wissenschaften vom Geist. Und der Gegenstand der Theologie im engeren Sinne ist der Gott der Metaphysik als Urgrund alles Seienden. Auch in den Wissenschaften gibt es das Erfahrbare und das Unerfahrbare. Es handelt sich dabei nicht etwa um Restbestände eines Zustande, der überwunden werden soll und überwunden werden kann, auch nicht nur um Voraussetzungen, unter denen allein Wissenschaft möglich ist, sondern um Wesenszüge, die aller Wissenschaft eignen und zu ihr gehören, und es ist eine sehr schwere, kaum lösbare Aufgabe, eine Wissenschaft metaphysikfrei zu machen. Das kann am Beispiel der Physik als einer exakten Naturwissenschaft gezeigt werden. Damit Körper sich im Räume bewegen können, werden Kräfte eingeführt, die diese Wirkung hervorbringen. Eine Kraft aber ist nichts sinnlich Wahrnehmbares; wir erkennen sie nicht als solche, sondern nur ihre Wirkung auf uns, den Druck, den Stoß, den wir empfinden und als Wirkung einer Kraft zuschreiben. Wirken aber die Kräfte nicht auf uns, sondern zwischen Gegenständen außer uns, etwa zwischen den Sternen am Himmel, so sehen wir keine Kraft, sondern nur bewegt» Körper, und wir deuten ihre

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Bewegung als die Wirkung von Kräften. So wirkt hier etwas, was nicht sinnlich wahrnehmbar ist, was unerfahrbar ist und nur an den Wirkungen erkannt werden kann. Die Kraft teilt das Merkmal der Unerfahrbarkeit mit den Gegenständen der Metaphysik. Diese Kräfte wirken unter denselben Bedingungen stets in gleicher Weise. Sie folgen einem Gesetz, und sie sind die Ursachen der Naturgesetze, der im Naturgeschehen herrschenden Kausalität. Die im Räume und in der Zeit vom Physiker beobachteten,_ erfahrbaren und durch das Experiment reproduzierbaren Änderungen der Stellungen der Körper 'zueinander werden nun durch Aussagen über die Regelmäßigkeit dieser einzelnen Vorgänge beschrieben. In einer metaphysikfreien Physik dürften die Kräfte in diesen Aussagen nicht auftreten, und es ist möglich, die Beziehungen der Körper und ihrer Bewegungen zueinander in Sätzen darzustellen von der Form: Wenn A ist. so auch B. Dadurch entstünde ein Gleichungssystem, in dem jede Gleichung ein physikalisches Gesetz ausdrückt und das ganze System den Zusammenhang dieser Gesetze. Welchen Sinn aber das Gleichungssystem hat, diese Frage dürfte in einer metaphysikfreien Wissenschaft nicht aufgeworfen werden. Die Wissenschaft selbst aber verlöre jeden Sinn, wenn die Frage nach dem Sinn eines solchen Systems von Relationen nicht gestellt werden dürfte. Die Gegenstände der wirklichen Welt offenbaren in diesen Formeln jedenfalls eine Seite ihres Wesens, eben die, die sich in solchen Gleichungen erfassen und darstellen läßt. Der Physiker kann und darf sich damit begnügen, diese Gleichungen aufzustellen und in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Er kann auch erklären, daß ihn alles übrige nichts angehe; aber er überschreitet seine Zuständigkeit, wenn er erklären würde, daß es einen Zusammenhang seiner Feststellungen mit allem, was er durch seine Methoden nicht feststellen kann, nicht gebe. Damit würde sein eigenes Forschen den Sinn verlieren. Die Wissenschaft aber steht von vornherein in einem solchen sie alle umgreifenden Zusammenhang, und er ist das Metaphysische, aus dem sie hervorgehen und in das ihre Forschungsergebnisse wieder einmünden, wenn sie einen Sinn haben sollen. Wo die Gegenstände der

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Metaphysik, die Kraft, das Leben, die Seele, der Geist, die Unendlichkeit, die Ewigkeit, die Welt, die Weltseele, der Weltgeist und noch viele andere auftreten, werden sie gebraucht, um mit ihnen dem Wirklichen und Erfahrbaren einen Sinn zu geben. Die Sinngebungen, die die ganze Welt und den Menschen in ihr umfassen, sind die Weltanschauungen, von denen in dem Kapitel über die Weltanschauungslehre zu handeln ist. Sie gehen alle aus einer Metaphysik hervor, auch der Materialismus. Denn die Materie ist ebenfalls ein metaphysischer Gegenstand. Man versteht darunter zunächst den Stoff, aus dem die Körper bestehen. Diese Stoffe sind sehr verschiedene. Die Materie eines Steins ist eine andere als die des Holzes, die Materie des Eisens eine andere als die des Aluminiums, und so bei allen realen Gegenständen, die es in der Welt gibt. Dabei wird beobachtet, daß diese Stoffe sich ändern. Das Eisen oxydiert, der Stein verwittert, das Holz verfault. Nun tritt der rein philosophische, sich zunächst auf keine Beobachtung und kein Experiment stützende Gedanke gleich am Anfang der Geschichte der Philosophie auf, daß alle diese vielen und sich wandelnden Materien nur die Wandlungen und die Modifikationen einer einzigen Materie, eines Urstoffs sind, aus dem alles wird und in den sich alles wieder auflösen läßt. Aus der Materie ist eine Substanz geworden, der Träger aller materiellen Vorgänge in der Welt. Diese Materie als solche ist unerfahrbar, erfahren werden immer nur die einzelnen geformten Stoffe bestimmter Körper. Es lassen sich aber Aussagen darüber machen, wie die Materie gedacht werden muß. Sie muß jedenfalls räumlich ausgedehnt sein und einen Raum erfüllen. Die Ausdehnung ist das wesentliche Merkmal alles körperlich Seienden, während dem Seelischen und dem Geistigen dieses Merkmal fehlt. Ein Gefühl, ein Gedanke haben keine räumliche Ausdehnung, und deshalb sind sie nichts Materielles. Die Materie muß ferner raumerfüllend sein und eine Dichte haben. Es läßt sich weiter von der so gedachten Materie sagen, daß sie entweder einKontinuum bilden muß, so daß sie sich bis ins Unendliche in immer kleiner werdende Teilchen zerlegen läßt, oder daß sie aus letzten, nicht mehr zerlegbaren Teilen besteht. Es muß ferner angenommen werden,

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daß in beiden Fällen die Materieteile mit Kräften ausgestattet sind, durch die sie sich bewegen, sich miteinander verbinden oder voneinander trennen können. Diese wenigen Gedanken bilden die Grundlagen und enthalten die Grundbegriffe, mit denen die Naturforschung arbeitet, soweit sie Materieforschung ist, und das ist besonders die Chemie und die Physik. Wenn der Chemiker findet, daß die spezifischen Gewichte der Elemente sich in Zahlen darstellen, zwischen denen das Gesetz der multiplen Proportionen gilt, so greift er auf die vor aller Chemie vorhandene Theorie zurück, nach der sich die Materie aus nicht mehr zerlegbaren Teilchen, den Atomtin, aufbaut, und erklärt diese Erscheinung dadurch, daß die Atomgewichte in diesen bestimmten Zahlenverhältnissen zueinander stehen; und wenn die Ausbreitung der Elektrizität im Räume untersucht wird, die sich so vollzieht, wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft und dadurch Wellen entstehen, so legt diese Erscheinung den Gedanken nahe, daß es etwas gibt, was sich wie eine Flüssigkeit bei Erregung verhält, und der Physiker greift zu der längst ausgedachten Theorie, nach der die Weltmaterie ein Kontinuum so wie eine Flüssigkeit ist. Diesen einfachen in Gedanken konstruierten Annahmen entsprechen die Denkmodelle, mit denen gearbeitet wird. So geht überall die Metaphysik der Wissenschaft voran, und in ihr werden die prinzipiellen Fragen gestellt, auf die die Wissenschaften eine Antwort suchen. Der Mensch aber will nicht nur erkennen, was die Welt ihrem Wesen nach ist und was in der Natur geschieht, er lebt auch in einer Menschengemeinschaft, in der er nicht nur zu denken und zu forschen, sondern mit anderen Menschen zusammen zu leben und zu handeln hat. Und hierzu braucht er die 5.

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Das griechische Wort „Ethos", von dem die Ethik als eine philosophische Disziplin ihren Namen hat, bedeutet zunächst Gewohnheit, Herkommen, Sitte, dann im weiteren Sinne die Art des Menschen zu handeln und zu reden, sich zu geben, seine geistige Haltung, seinen Charakter, seine Gesinnung. Die Ethik hat es mit den Handlungen des Menschen zu tun,

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die durch seine Gesinnung, seinen Charakter bestimmt werden. Unter den philosophischen Wissenschaften ist sie die lebensnächste, die praktische Philosophie. Erkenntnistheoretische logische, psychologische Studien kann man treiben, kann es aber auch lassen, wenn kein Interesse und keine Nötigung dazu da sind. Nichts aber entbindet uns von der Notwendigkeit, von Stunde zu Stunde und von Tag zu Tag zu handeln und darüber zu entscheiden, ob wir dieses oder jenes tun oder lassen sollen. Nicht unser guter Wille, sondern nur unsere Taten und Handlungen entscheiden über unseren Wert. Erst die Tat zeigt, wie wir uns entschieden haben; sie offenbart unseren Charakter als der unerbittliche Richter über uns selbst. Die Tat ist unwiderrufbar. Mit ihr ist etwas Wirklichkeit geworden, was seine Folgen h a t . Unsere Tat löst sich von uns ab und wirkt ohne uns weiter. Damit wird uns eine Verantwortung auferlegt, die der Mensch nur tragen kann, wenn er einen Einblick in das Wesen des Sittlichen besitzt, wenn er das Gute und das Böse, das Rechte und das Unrechte klar und sicher voneinander scheiden und sich bei seinen Entscheidungen danach richten kann. Sittlich bedeutsam aber sind nicht nur unsere Taten, sondern oft noch viel mehr alles, was wir nicht getan haben, woran wir achtlos vorüber gingen, was wir nicht gesehen, nicht mitgefühlt, worum wir uns nicht gekümmert haben. Die erste Einführung in die Ethik erhält der Mensch durch die Erziehung. Eltern und Lehrer sagen ihm, was verboten und was geboten, was erlaubt und nicht erlaubt ist, und sie erzwingen die Befolgung der Verbote und Gebote durch Strafen, Lob und Tadel. Das sittliche Verhalten wird dadurch zunächst von außen durch andere bestimmt, und daher heißt eine solche Ethik eine heteronome, „das Gesetz von anderen erhaltende" Ethik. Auch da, wo die Ethik religiös begründet und auf die Gebote Gottes und seinen geoffenbarten Willen zurückgeführt wird, um ihr die Unabhängigkeit von allem Menschlichen zu sichern, wenn der ungehorsame Mensch mit Höllenstrafen bedroht, dem gehorsamen die ewige Seligkeit verheißen wird, haben wir es mit einer heteronomen Ethik zu tun. Ihr wird die philosophische E t h i k als eine autonome, „das

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Sittengesetz auf sich selbst gründende" gegenübergestellt. Das Sittengesetz soll den Menschen nicht von anderen gegeben, seine Achtung und seine Befolgung sollen nicht von Macht. Willkür, von Drohungen und Strafen, von Verheißungen und Belohnungen, vom Glauben an einen Gott und seine Offenbarung abhängig gemacht werden, sondern sich allein aus der vernünftigen Einsicht in das Wesen des Sittlichen und das Wesen des Menschen selbst ergeben und aus dem freien Entschluß, dieser selbsterworbenen Einsicht zu folgen. Zu ihrem Erwerb soll die philosophische Ethik dienen. Man könnte mit einigem Recht darauf hinweisen, daß es weder einer religiösen noch einer philosophischen Ethik bedarf, da wir die Ethik selbst in uns tragen als unser Gewissen, das uns sagt, was gut und böse ist, was wir zu tun und was wir zu lassen haben. Unter dem Wort Gewissen wird vieles und recht Verschiedenes verstanden. Wir sprechen von dem schlechten, dem bösen und dem guten Gewissen, dem anklagenden und dem richtenden Gewissen, dem Gewissensbiß und der Gewissensangst, die sich bis zum Leiden unter der Sündhaftigkeit und der Verworfenheit steigert, das zum dauernden Zustand wird. In allen diesen Bedeutungen ist das Gewissen ein Wissen um etwas Vergangenes, um eine Tat, die vollbracht wurde und den Täter mit einer Schuld belastet, deren Entdeckung er fürchtet oder die er bereut. Es gibt aber auch das warnende Gewissen, das gedeutet wird als die Stimme Gottes im Menschen, die ihn das Rechte erkennen läßt, als das moralische Gesetz in uns. Wir tun etwas nach bestem Wissen und Gewissen. Wir appellieren an das Gewissen unserer Mitmenschen, an das öffentliche Gewissen, ja an das Weltgewissen, das die Völker der Erde von zukünftigen bösen Taten zurückhalten soll. Es gibt einen Gewissenszwang und eine Forderung der Gewissensfreiheit. Dabei aber scheint das Gewissen nicht zuverlässig zu sein. Es gibt Gewissenskonflikte. Es gibt den gewissenhaften und den gewissenlosen Menschen. Auch scheint das Gewissen nur relativen Wert zu haben. Sein Auftreten und sein Inhalt hängen von zufälligen Gegebenheiten, herrschenden Sitten, bestimmten Geboten und Verboten ab, die heute in einer bestimmten Gesellschaft gelten

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und vielleicht morgen nicht mehr. Vielleicht ist es nichts anderes als die Furcht vor Strafe, wie sie auch der Jagdhund zeigt, der, wenn er gewildert hat, mit allen Anzeichen des schlechten Gewissens sich seinem Herrn wieder nähert. Der Inhalt des Gewissens kann ein verschiedener und dem, was als recht und gut in einer Gesellschaft gilt, entgegengesetzter sein. Es gibt den Rechtsbrecher aus Überzeugung, den Revolutionär, der verurteilt wird, wenn seine Tat mißlingt, den man aber verherrlicht, wenn sie Erfolg hatte. Es ist schwer, dies alles zu klären und einen befriedigenden Sinn in diese verschiedenen Aussagen über das Gewissen zu bringen. Aus ihnen geht zunächst hervor, daß der Mensch die Fähigkeit hat, sich von seinen Handlungen und Taten, wenn sie vollbracht sind, zu distanzieren. Der Mörder, der seine Tat vollbracht hat, sieht sich ihr plötzlich gegenüber, sieht sie als seine Tat, die sich von ihm abgelöst hat, die ihm nun als eine Tatsache gegenübersteht, vor der ihm graut. Er sieht sie jetzt mit anderen Augen an, und er erschrickt darüber, daß er hierzu fähig war. Nach diesen Tatsachen urteilen die Mitmenschen über uns und müssen wir schließlich erdrückt von der Wucht der Tatsachen uns selbst beurteilen und verurteilen. Wir werden schuldig gesprochen und müssen uns selbst schuldig sprechen. Hieraus erwächst das Schuldbewußtsein. Der Mensch kann es abstumpfen, sich dagegen wehren, aber ganz entziehen kann er sich ihm nicht, weil es nicht von ihm allein abhängt. Denn schuldig sein heißt Urheber einer verderblichen, verwerflichen Tat oder auch einer Unterlassung sein, für die wir von anderen oder von uns selbst zur Verantwortung gezogen werden, die uns zur Last gelegt wird, nicht nur weil wir einmal entgleist sind, einmal aus der Bahn geworfen wurden, einmal vom rechten Wege abwichen — das alles ist schon Entschuldigung —, sondern weil sie unseren Charakter, unser ganzes inneres Wesen offenbart, vor dem man sich nun hüten muß, an dem fortan ein Makel haftet. Der Schuldspruch trifft den Wert unserer Persönlichkeit von außen, auch wenn wir ihn selbst fällen; denn dann stellen wir uns als Richter uns selbst gegenüber; wir beurteilen unsere Tat als eine Tatsache, die von uns abgelöst und nun ein Teil L e i s e g a n g , Philosophie

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der objektiven Wirklichkeit geworden ist, an dem sich nichts mehr ändern laßt. Durch die innere Stimme des Gewissens wehren sich die ethischen Werte gegen ihre Verletzung und Nichtachtung und kündigen sich an als eine reale Macht, die tief in die Wirklichkeit des Menschenlebens eingreift. Die moderne Ethik ist daher Wertethik ; in ihr werden die sittlichen Werte untersucht auf ihr Wesen und ihre Seinsweise, ihren Zusammenhang oder ihre Rangordnung. Sie unterscheidet sich von der formalen Prinzipienethik, durch die nicht das sittliche Leben als solches erforscht, sondern dem Menschen ein einziges Prinzip in der Gestalt einer Formel an die Hand gegeben wird, das es ihm ermöglichen soll, sich in jeder konkreten Situation diesem Prinzip entsprechend zu entscheiden. Ein solches Universalprinzip ist die sogenannte goldene Regel : Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem andern zu, die sich fast bei allen Völkern als allgemeine Forderung nachweisen läßt, vor allem aber der kategorische Imperativ Kants: Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. Als ein solches allgemein gültiges Prinzip stellte Kant auch den Satz auf: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst. Neben dieser formalen Ethik, die in ihrer Geltung nicht angetastet wird, steht heute die materiale Wertethik, die von Max Scheler begründet und von Nicolai Hartmann ausgebaut wurde. Ihre Aufgabe ist zunächst die Analyse der sittlichen Werte, die mit der Methode der Phänomenologie durchgeführt wird. Wenn in dieser Ethik von einem Reich der sittlichen Werte gehandelt wird, so darf mit diesem bildlichen Ausdruck nicht die Vorstellung verbunden werden, als ob die Werte losgelöst von aller Wirklichkeit ein Reich für sich bilden. Wir können sie uns wohl so denken, aber in der Wirklichkeit gibt es nur Objekte, Dinge, Personen, Gedanken, Gefühle, die Wert haben, weil Menschen sie als wertvoll erleben und diesem Erleben entsprechend ein Werturteil über sie aussprechen.

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Der Wert selbst wird überhaupt nur erkennbar in einer von Menschen wirklich vollzogenen Wertung. Nur in dieser ist er da, mag sie nun unbewußt, instinktiv, gefühlsmäßig vollzogen werden oder mit vollem Bewußtsein als klar gedachtes und formuliertes Werturteil. Damit könnte es so scheinen, als wären die Werte selbst etwas nur Subjektives; denn einzelne Dinge, Gegenstände, moralische oder sonstige Qualitäten haben immer nur Wert für einen wertenden Menschen. Wo der Mensch nicht da ist und seine Wertmaßstäbe anlegt, bleiben sie wertfrei. In der Natur ist das Wasser nicht mehr wert als der Stein. Für den Menschen, der durstig ist, wird in diesem Augenblick das Wasser wertvoller als der Stein. Für den Menschen, der Hunger hat und einen Stein braucht, um nach einem Tier zu werfen, das er erjagen will, ist jetzt der Stein wertvoller als das Wasser. Der König, der in der Schlacht in Gefahr ist, bietet ein Königreich für ein Pferd. Es hat in diesem Augenblick für ihn mehr Wert als sein ganzes Königreich. So wären denn Werte relativ und richteten sich nach dein jeweiligen Stand und Zustand der Menschen. Das ist aber nur Schein. In den erwähnten subjektiven Wertungen wird etwas Objektives, Allgemeingiiltiges als feststehend vorausgesetzt, das sofort hervortritt, wenn von der durch die augenblickliche Lage hervorgerufenen subjektiven Wertung abgesehen wird. Selbstverständlich hat an sich ein Königreich mehr Wert als ein Pferd. An sich hat das Wasser denselben Wert wie der Stein, da alle Gegenstände der Natur gleichen Wert haben oder vielmehr wertfrei sind, so daß es keinen Sinn hat, darüber zu streiten, ob eine Rose als solche mehr Wert hat als eine Lilie, der Fels mehr als der Fluß. Ebenso steht es mit den ethischen Wertungen. In Lebensgefahr kann eine Notlüge den größten Wert für die Erhaltung des Lebens haben. An sich aber ist die Wahrheit immer ein Wert, die Lüge ein Unwert. Es ist also für die objektive Geltung eines Wertes ganz gleichgültig, wie der einzelne Mensch in seinen verschiedenen Lebenslagen sich zu ihm stellt. Es liegt im Wesen eines Wertes, daß er selbst den Anspruch auf objektive und allgemeine Gültigkeit erhebt. Es liegt im Wesen der Wahrheit, daß Wahrheit gelten soll ohne Rücksicht 6*

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darauf, ob jemand diesen Anspruch für sich selbst anerkennt oder nicht. Ist der Gegenstand der Wertung ein Ding, ein Gut, das sichtbar da ist und einen bestimmten Wert hat, der gleichsam an ihm haftet, so nennt man solche Werte die Güterwerte. Die moralischen Werte dagegen, die Liebe, die Treue, die Aufrichtigkeit, die Wahrhaftigkeit, sind nicht mit realen Gegenständen verbunden, sondern mit Personen, mit ihrem nicht sichtbaren ganzen Wesen, mit ihrem Charakter, ihrer Gesinnung, die sich in ihren Handlungen ausdrücken. Ein tapferer Mensch ist an sich wertvoller als ein feiger. Damit kann diese Person ein Gut für andere werden, und der Wert, den sie dann für andere hat, ist von ähnlicher Art wie ein Güterwert. Die Tapferkeit als ethischer Wert aber hat noch einen anderen Sinn. Es kommt bei ihr, wenn sie ethisch verstanden wird, nicht darauf an, daß andere Menschen tapfer sind, mir mutig helfen und dadurch zu einem Gut, zu etwas für mich Wertvollem werden. Sie erhebt als sittlicher Wert vielmehr den Anspruch, daß ich selbst tapfer sein soll ohne jede Rücksicht darauf, ob auch andere Menschen tapfer sind und was sie mir dann nützen. Die sittlichen Werte sind daher ideale Gebilde, die an sich bestehen in ähnlicher Weise wie die idealen Gegenstände der Mathematik, die zwar kein reales Dasein, aber ein bestimmtes Sosein haben, an dem der Mensch nichts ändern kann. Und so wie es die Aufgabe des Mathematikers ist, diese Zusammenhänge der mathematischen Größen zu erforschen und in Lehrsätzen darzustellen, die miteinander ein System bilden, so ist es die Aufgabe einer wissenschaftlichen Ethik, das Reich der sittlichen Werte auf seine Struktur hin zu untersuchen. Zunächst lassen sich die Werte teilen in zwei Gruppen, die man für gewöhnlich als die der höheren und die der niederen Werte bezeichnet. Damit darf aber keine räumliche Vorstellung verbunden werden. Niedere Werte sind zum Beispiel die Achtung des Lebens, der persönlichen Freiheit, die Achtung des Eigentums der Mitmenschen. Höhere Werte sind Liebe, Freundschaft, Vertrauen. Die Erfüllung der niederen Werte, der bloßen Achtung des anderen, der Respektierung seiner

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Freiheit und seines Eigentums ist f ü r den sittlichen Menschen eine Selbstverständlichkeit und die erste Voraussetzung dafür, daß ethisches Leben sich überhaupt entfalten kann. Sie gehören zu den allgemeinen Menschenrechten, auf die jeder Anspruch hat. Die höheren Werte dagegen wie Liebe, Freundschaft, Vertrauen heben den Menschen in die Sphäre des eigentlichen sittlichen und werterfüllten Lebens empor, geben ihm die geistige Haltung, die Hingabe an den anderen Menschen. Die Werthöhe aber entspricht nicht der Wertstärke. Die niederen Werte sind die stärkeren, in ihrem Bestand festeren, während die höheren Werte etwas Zartes, Feines, Zerbrechliches an sich haben. Das t r i t t deutlich hervor, wenn es sich um die Verletzung handelt. Die Versündigung an einem niederen Wert wird als sittlich schwerwiegender empfunden. Die Vernichtung fremden Lebens, Mord und Totschlag sind die schwersten Verbrechen. Die Verletzung des Eigentums, der Diebstahl wird schwer bestraft. Die Nichtachtung der niederen Werte gilt als empörend, ehrwidrig, entehrend. Wer dagegen nicht genug Liebe aufbringen kann, keiner echten Freundschaft fähig ist, von Mißtrauen gegen alle geplagt wird, verfällt deshalb noch nicht der völligen Verurteilung durch die Gesellschaft, wenn er sich sonst anständig benimmt. Das beste Kriterium f ü r die Unterscheidung der niederen von den höheren Werten ist die Tatsache, daß die Erfüllung oder wenigstens Nichtverletzung niederer Werte geboten werden kann, während sich die höheren Werte einem solchen Zwang entziehen. Der zweite Maßstab ist die Tiefe der inneren Befriedigung, die das Wertleben mit sich bringt. Die Achtung vor den ge'botenen Rücksichtnahmen auf den anderen erfüllt die Persönlichkeit nicht mit dem tiefen Glück, das uns Liebe, Vertrauen und das ganze Leben der Hingabe an höhere Werte bringen. Die dritte Möglichkeit der Unterscheidung ist die, daß wir bei einer Verletzung niederer Werte das Bewußtsein eines Aktes der Wahl, der Entscheidung haben, ob wir das Gebot übertreten sollen oder nicht. Bei höheren Werten fällt dieses Bewußtsein fort, oder es t r i t t an seine Stelle sogar das Bewußtwerden einer uns überfallenden Macht, der gegenüber wir keine Wahl haben. Liebe, Vertrauen, Mut, Tapferkeit sind einfach da

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und wirken in uns, ohne daß wir uns zu irgend etwas zu entscheiden hätten. Einen weiteren Einblick in die Struktur des Wertreichs gibt der Vergleich der Werte mit den zu ihnen gehörenden Unwerten. Zunächst scheint jedem Wert ein Unwert gegenüber zu stehen, der Wahrheit die Lüge, der Gerechtigkeit die Ungerechtigkeit, der Tapferkeit die Feigheit, der Liebe der Haß. Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Jeder Wert ist vielmehr eingehüllt in eine ganze Wolke von Unwerten. So ist die Wahrheit immer nur eine: So war es, so ist es und nicht anders. Die eine Wahrheit aber kann in tausendfacher Weise entstellt, falsch dargestellt, geleugnet und umgelogen werden. Der auf die Wahrheit gerichtete sittliche Wille zur Wahrhaftigkeit hat die Tendenz, cías eine und einzig Wahre in jedem Falle richtig zu treffen und auszusprechen. Die ihm entgegengesetzte Verlogenheit aber hat unendlich viele Möglichkeiten ; sie reicht itv zahllosen Abstufungen von der hohlen unechten Phrase, der Unsachlichkeit, dem unehrlichen Drumherumreden, dem leichtsinnigen Schwindeln bis zur Heuchelei, zum raffinierten Betrug und zu jener tiefinnerlichen Verlogenheit, die zum natürlichen Zustand, zum Charakter des niedrig gesinnten Menschen geworden ist. Der echte Stolz ist umgeben von Hochmut, Eitelkeit, Pharisäertum, unwürdiger Selbstbespiegelung. Der echten Demut steht die falsche gegenüber: der sklavische Sinn, die Unterwürfigkeit, die Selbsterniedrigung, der Kleinmut, die Verängstigung, die falsche Scham, die Würdelosigkeit. Die Sprache ist viel reicher an Wörtern zur Bezeichnung der Unwerte und ihrer vielen Nuancen. Das Moralische versteht sich durchaus nicht von selbst, es will vielmehr in jedem einzelnen Falle richtig getroffen werden, und das ist nur möglich durch eine sittliche Bildung der ganzen Persönlichkeit. Die philosophische Ethik liefert hierzu das Wissen um das Ethische, sie kann das ganze Gebiet des Ethischen durchforschen und vor uns ausbreiten, den Blick auf das Reich der Werte hinrichten, sehen muß es jeder selbst, und ob er sich danach richtet oder nicht, ist in sein eigenes freies Ermessen gestellt. Diese Ethik ruht in sich selbst. Sie geht von keiner Weltanschauung und von keinem Glauben aus, sondern allein von

Ästhetik

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den ethischen Phänomenen und Tatsachen, um sie in ihrem Wesen zu verstehen und einen Bereich objektiver und allgemeingültiger Erkenntnisse gegen jede Relativierung und Subjektivierung sicher zu stellen. 6. Ästhetik Die Ästhetik hat ihren Namen von einem griechischen Worte erhalten, das „Wahrnehmung" durch die Sinne bedeutet. Aber nicht alle Wahrnehmungen gehören in das Gebiet der Ästhetik, sondern nur solche, die in uns ein Wohlgefallen hervorrufen, so daß wir die Gegenstände, die wahrgenommen werden, als schöne bezeichnen und durch dieses Werturteil aus allen anderen herausheben und zu einem Gegenstandsgebiet besonderer Art zusammenfassen, das alles Schöne enthält, was uns in der Natur, im Menschenleben und in den Werken der Kunst entgegentritt. Während in der Ontologie von der Wirklichkeit gehandelt wird, in der Metaphysik von dem, was hinter allem Wirklichen als die Macht und Kraft steht, die es hervorbringt, kommt es in der Ästhetik nicht darauf an, was der schöne Gegenstand wirklich ist, sondern es soll erforscht werden, warum er uns schön erscheint und worin das Wesen der Schönheit besteht. Zunächst ist das Naturschöne vom Kunstschönen zu unterscheiden. Nicht alles, was die Natur unseren Augen und Ohren darbietet, ist schön. Vieles wird als häßlich empfunden, erregt kein Wohlgefallen, sondern Abscheu und Ekel. Es ist die Aufgabe der Ästhetik, nach den Gründen zu suchen, warum wir eine Landschaft, eine Blume, einen Menschen, eine Folge von Tönen schön nennen und andere nicht. Während wir nicht wissen, wie die Natur arbeitet, um das uns schön Erscheinende hervorzubringen, ist es bei den von Menschen geschaffenen Kunstwerken möglich, uns in die Seele des Künstlers zu versetzen, die aus dem Kunstwerk zu uns spricht. Zur Ästhetik gesellt sich daher die Kunstwissenschaft, in der auch die Entstehung des Schönen erforscht wird und die Mittel untersucht werden, die der Architekt, der Bildhauer, der Maler, der Dichter, der Musiker anwenden, um die Wirkung des Schönen zu erreichen. Dazu kommt die Kunstgeschichte, deren

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Die Disziplinen der reinen Philosophie

Aufgabe es ist, die Entwicklung der Kunst an den Kunstwerken und an den Künstlern, die sie geschaffen haben, den sich ändernden Stilformen und Schönheitsidealen darzustellen. Das Auge des Künstlers schaut ein Stück Welt und drückt seine Anschauungsweise in einem Kunstwerk aus. Diese Anschauungsweisen aber sind verschieden, und was diese Verschiedenheit ausmacht, ist nicht nur die psychologisch bedingte Eigenart, nicht die persönliche Willkür, nicht nur die sich frei auslebende individuelle Genialität des Schauens, des Erfassens, des Bildens und des Könnens — dann zerfiele die ganze Kunstgeschichte in die Darstellungen einzelner unvergleichlicher Individuen ohne jeden Zusammenhang zwischen ihnen —, sondern die einzelnen Kunstwerke lassen sich in Gruppen zusammenordnen, -die in sich zusammengehalten werden durch eine tiefe Wesensverwandtschaft, die in große sachliche Zusammenhänge hineinweist. Was diese Gruppen zusammenschließt, ist ein ihnen gemeinsamer Geist, der- sich in den Kunstwerken offenbart. Daher lassen sich Kunstzeitalter, Kunststile und Kunstrichtungen unterscheiden wie die Klassik, die Gotik, das Zeitalter des Barock, des Rokoko, die Romantik, der Realismus, der Naturalismus, der Impressionismus, der Expressionismus. In ihnen allen handelt es sich um das Schöne in seinen mannigfachen Ausdrucksformen. Um das Wesen des Schönen zu erfassen, wurden einzelne Theorien ausgebildet, von denen jede das Problem von einer anderen Seite aus zu lösen versucht. Die idealistische Ästhetik richtet die Aufmerksamkeit auf die Ideen, die den einzelnen Kunstwerken zugrunde liegen. In der von Kant begründeten Transzendentalphilosophie wird nach den allgemeingültigen, den Menschen a priori gegebenen Prinzipien gesucht, die den Werturteilen zugrunde liegen, durch die wir darüber entscheiden, was als schön gelten soll und was nicht. Ihr wurde die psychologische Ästhetik an die Seite gestellt, in der die seelischen Vorgänge untersucht und dargestellt werden, die das Erlebnis des Schönen hervorbringen, die seelischen Akte, die der schaffende Künstler ebenso wie der ein Kunstwerk Betrachtende in sich vollzieht. Schließlich wurde die phänomenologische Ästhetik ausgebildet. Neben

Ästhetik

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den seelischen Akten und Erlebnissen werden hier die Erscheinungen von Gegenständen untersucht, die sich von allen anderen dadurch unterscheiden, daß sie den Anspruch erheben, Kunstwerke zu sein. Denn was einen Gegenstand zum Kunstwerk macht, das liegt nicht in uns, sondern im Gegenstand selbst. Nicht die Kunst ist schön, auch nicht unser Kunsterlebnis, sondern das Kunstwerk selbst. Es ist objektivierter Geist. Er besteht als Geist nicht aus den Dingen selbst. Er ist nur da und existiert, wenn ein Mensch die Werke der Kunst betrachtet, wenn er die Töne der Musik hört. Damit der objektivierte Geist lebendig wird, müssen mehrere Schichten zusammenwirken, die man an jedem Kunstwerk unterscheiden kann. Die erste Schicht ist eine rein materielle und reale: in den Bauten und Statuen der Stein, das Erz, das Holz, in der Malerei die über eine Fläche verteilte Farbe, in der Musik die realen Töne, die durch das Instrument oder die menschliche Stimme^hervorgebracht werden, in der Dichtung das geschriebene und gesprochene Wort, wozu bei der dramatischen Dichtung noch das ganze sichtbare und hörbare Spiel auf der Bühne kommt. Alle diese materiellen Stoffe aber sind so geformt und angeordnet, daß hinter ihnen eine zweite Schicht zutage tritt, etwas durchaus Immaterielles und Irreales. Greifen wir als Beispiel ein Gemälde heraus, das jedem bekannt ist und er sich jederzeit vorstellen kann: Böcklins Toteninsel. Die erste Schicht ist hier die auf die Leinwand gestrichene Farbe. In den Farben aber wird schon etwas sichtbar, was nicht mehr in dieser bemalten Fläche liegt: die perspektivisch plastische Gestalt der Felsen, der Zypressen, des sich in weite Fernen dehnenden Meeres, der sich ballenden Wolken, des Nachens, der durch das Tor gleitet. Was da erscheint, ist nicht mehr zwei-, sondern dreidimensional und reißt den Betrachter dadurch in das Bild hinein. Dazu kommt das Licht. Es ist nicht das reale Licht, das von außen auf das Bild fällt, sondern die Beleuchtung, in die diese Landschaft getaucht ist, das Dämmerlicht bei eben untergehender Sonne. So sieht der Betrachter etwas, was real gar nicht da ist. Und nur wenn er das sieht, sieht er das Bild mit dem Bück des

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Die Disziplinen der angewandten Philosophie

Kunstverstehenden. Und daxin besteht die Kunst des Künstlers, daß er dieses Sehen urld Verstehen durch die Gestaltung der Materie erweckt und den Betrachter dazu zwingt. Zu dem Schauen kommt noch das Hören. Die Wipfel der Zypressen, die leicht an den Spitzen gebeugt sind, rauschen leise im Winde, der über die Felsen weht. In den Felsen aber ist es totenstill. Nur von außen klatschen die Wellen an die Felswände, und leise plätschernd tauchen die Ruder ins Wasser. Auch die Bewegungen der sich biegenden Bäume, der flutenden Wellen, des dahingleitenden Schiffes müssen mit erlebt werden. Und dann wird hinter dem allen noch eine weitere Schicht sichtbar, und jetzt nicht mehr für das körperliche Auge, und es wird etwas vernehmbar nicht für das körperliche Ohr. Es ist der stille Friede, die Ruhe des Grabes, in dem der Tote den ewigen Schlaf finden wird. Wenn der Sarg in eine dieser Felsenkammern eingeschlossen sein wird, dann ist alles zu Ende, alles gewesen, alles vorbei. Und da steigt das Letzte vor uns auf, was dieses Kunstwerk zu offenbaren hat, die Idee des Todes. Und so läßt sich in jedem Kunstwerk, in jedem Gemälde, jeder Plastik, jeder Dichtung und jeder Musik diese mehrschichtige Wirklichkeit erfassen, die durch das Kunstwerk erschlossen wird, an den irdischen Stoff gebunden ist, aber durch ihn hindurchscheint, wenn dieser Stoff zu einem Werke der Kunst geformt wurde und von einem Menschen betrachtet oder gehört wird, der dieses Werk versteht. Was durch die Erscheinung im Kunstwerk erfaßt wird, ist kein bloßer Schein, sondern eine Wirklichkeit, die nicht die banale Wirklichkeit des Alltags, auch nicht die Wirklichkeit der Wissenschaft ist, sondern eine höhere, gesteigerte Wirklichkeit, die sich in dem Kunstwerk und durch das Werk offenbart und dadurch in das Leben der Menschen hineinleuchtet, dieses Leben selbst wesentlich macht und aus ihm den seelischen und geistigen Gehalt heraushebt, der ihm einen immer neuen Sinn gibt.

III. Die Disziplinen der angewandten Philosophie Für die philosophischen Disziplinen, die dadurch entstehen, daß die philosophische Fragestellung und Forschungsweise auf einzelne Wissensgebiete und Wissenschaften an-

Philosophie der Mathematik

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gewandt werden, lassen sich keine allgemeinen Prinzipien aufstellen, da die Verschiedenheit der Gegenstände, auf die sie zutreffen sollen, auch sehr verschiedene Problemstellungen und die ihnen entsprechenden Methoden zur Klärung und Lösung der Probleme fordert. 1. Philosophie der Mathematik Der Mensch ist ein Wesen, das in mathematischen Begriffen denken, das zählen und rechnen kann, mathematische Formen und Gestalten konstruiert und Stoffe nach ihnen formt, die er bearbeiten und zu seinen Zwecken verwenden will. Er formt das Holz, den Stein, das Eisen zur zylindrischen Säule, zum vierkantigen Balken. Er baut Maschinen, deren Teile mathematische Formen haben, und die ganze Technik ist zum größten Teile auf das Material angewandteMathematik. Aber auch die Sterne am Himmel bewegen sich in mathematisch konstruierbaren und berechenbaren Kurven. Der Kristall zeigt mathematische Formen. Die Naturgesetze, die der Physiker aufstellt, lassen sich in mathematischen Formeln darstellen, so daß Galilei erklären konnte: „Das Buch der Natur ist in mathematischer Sprache geschrieben, und die Schriftzüge sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne deren Hilfe es unmöglich ist, auch nur ein Wort zu verstehen", und Kant behauptete, „daß in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffeu werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist". Das Mathematische beherrscht weithin das Denken und Schaffen der Menschen wie auch die Vorgänge in der von diesem Denken unabhängigen Natur. Daher haben zu allen Zeiten die Philosophen der Wissenschaft der Mathematik ihre besondere Aufmerksamkeit geschenkt und es versucht, den merkwürdigen Zusammenhang der Mathematik als einer Wissenschaft von Gedankendingen mit den nach mathematischen Gesetzen verlaufenden und berechenbaren Vorgängen in der Natur zu verstehen und zu erklären. Das philosophisch wichtigste Problem, das in einer Philosophie der Mathematik gestellt wird, ist die Frage nach der Existenz und der Seins weise der Gegenstände der Mathematik.

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Die Disziplinen der angewandten Philosophie

Die Zahlen, die geometrischen und stereometrischenFiguren, die Vektoren, die Funktionen, die Mengen erscheinen zunächst als Gedankendinge, die sich zum Teil auf real existierende Stoffe und Vorgänge so anwenden lassen, daß diese ihre Gestalt annehmen, ohne aber die ideale Form, so wie sie gedacht ist, vollkommen zu erreichen. Man könnte daher annehmen, daß die Gegenstände der Mathematik ihr Sein allein in der Denktätigkeit des Mathematikers haben, daß sie nur als Bewußtseinsvorgänge existieren. Aber der Mathematiker behandelt seine Gegenstände nicht als Bewußtseinsvorgän^e. Er handelt und redet von ihnen wie von Dingen, die völlig unabhängig von den Vorgängen in seinem Bewußtsein und von seinem eigenen Denken sind, so wie der Physiker von Gegenständen und Vorgängen handelt, die außerhalb seines Bewußtseins an sich existieren. Die Reihe der natürlichen Zahlen kann nicht anders gedacht werden, als sie an sich ist. Die Zahlen entspringen nicht unserem Denken, sondern unser Denken hat sich nach den Zahlen und der zwischen ihnen bestehenden Gesetzlichkeit zu richten, sonst wird falsch gedacht, und das Kriterium für die Richtigkeit und Falschheit unseres Denkens liegt nicht im Denken, sondern in den Zahlen und den zwischen ihnen bestehenden Beziehungen selbst. Unser Denken kann uns zu dem Versuch verführen, ein aus einem gleichseitigen Dreieck, aus zwei, drei, vier, fünf, sechs solchen Dreiecken bestehendes Gebilde auszudenken. Das Studium der Mathematik aber lehrt uns, daß ein Tetraeder, das sich aus vier gleichschenkligen kongruenten Dreiecken zusammensetzt, als geschlossener Körper existiert, daß dagegen Dueder, Trieder, Pentaeder, Hexaeder nichtexistent sind, weil sich aus zwei, drei, fünf, sechs solchen Dreiecken kein geschlossener Körper aufbauen läßt. Das liegt im Wesen dieser Gedankendinge. Es ist wesensunmöglich, und unser Denken kann hieran nichts ändern. Wir können uns wohl ein geflügeltes Pferd „ausdenken", aber keinen Würfel, der aus sieben Quadraten besteht. Es gibt oder es existiert keine Zahl, die mit sich selbst multipliziert — 1 ergibt, und deshalb ist ]/ — 1 ein imaginäres mathematisches Gebilde, das aber die sonderbare Eigenschaft hat, daß ]/—1· V — 1 = + 1 isi, also eine „reelle" Zahl

Naturphilosophie

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ergibt. Das sind die Tatsachen, die zu der Frage nach der Existenz und der Seinsweise mathematischer Gegenstände hinführen. Bilden sie eine geistige Welt, die an sich besteht und in der sich ebenso immer neue Entdeckungen machen lassen wie in der realen Welt ? Sind sie nur Schöpfungen des menschlichen Geistes, der sich selbst an bestimmte Voraussetzungen bindet und aus ihnen die logischen Konsequenzen zieht ? Beruhen sie auf Fiktionen, die an die Struktur unseres Bewußtseins gebunden sind, so daß sie frei von uns gesetzt und so behandelt werden, als ob die mit ihnen gemeinten Gegenstände an sich und unabhängig von unserem Bewußtsein bestehen ? Auf alle diese Fragen gibt es sehr verschiedene Antworten, und die Aufgabe einer Philosophie der Mathematik ist es, diese Antworten zu prüfen und selbst eine den Sachverhalten gerecht werdende Antwort zu finden. Zu ihren Aufgaben gehören ferner die Untersuchungen über das Verhältnis der Mathematik zur Logik, über die mathematische Begriffsbildung, die mathematischen Methoden, das Definitions- und Beweisverfahren, die Widerspruchsfreiheit und über die Anwendbarkeit der Mathematik auf die Erkenntnis der realen Welt. 2. Naturphilosophie Unter dem Worte „ N a t u r " wird in der Philosophie das ganze Gebiet der realen körperlichen Dinge verstanden, deren Existenz und Beschaffenheit von unserem Wollen und Tun unabhängig sind, während mit dem Worte „ K u l t u r " alles das gemeint ist, was durch Menschengeist und Menschenhand auf der Erde hervorgebracht wurde. Das Reich der Natur gliedert sich in die nicht lebendigen Stoffe und die aus ihnen zusammengefaßten Aggregate und in die lebendigen Naturwesen, die Pflanzen, die Tiere, die Menschen. Daher zerfällt die Naturphilosophie in die Philosophie des Anorganischen und die Philosophie des Organischen. Da die Natur zugleich die gesamte Außenwelt darstellt, ist die Naturphilosophie aufs engste mit der Erkenntnistheorie verbunden, soweit es deren Aufgabe ist festzustellen, wie eine wahre Erkenntnis der Gegenstände und Vorgänge in

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Die Disziplinen der angewandten Philosophie

der Außenwelt möglich ist und wo ihre Grenzen liegen. Deshalb wirken sich alle erkenntnistheoretischen Eichtungen wie der Sensualismus, der Realismus, der Kritizismus, der Positivismus in der Naturphilosophie aus. Wenn die Fragen nach den letzten Ursachen der Naturvorgänge, nach der Entstehung der Welt, der Entstehung des Lebens, nach dem Wesen der Materie und dem Wesen des Lebens sowie nach dem Sinn des Naturgeschehens aufgeworfen werden, geht die Naturphilosophie in die Metaphysik über, und die Weltanschauungen des Materialismus, des Realismus, des Idealismus und der Mystik enthalten alle eine Naturphilosophie, deren Eigenart von der Gesamtauffassung der Wirklichkeit bestimmt ist. Eine andere Aufgabe aber hat die Naturphilosophie, wenn sie als Philosophie der Naturwissenschaften aufgefaßt wird. Jhr Arbeitsgebiet ist dann die Untersuchung der Methoden der Naturforschung, der Voraussetzungen, von denen sie ausgeht, ihrer Begriffsbildung, besonders die Untersuchung der Grundbegriffe des Raumes, der Zeit, der Substanz, der Kausalität, des Naturgesetzes, der organischen Ganzheit, des Lebens und der Lebensprozesse, der Entwicklung der Individuen und der Arten. Alle diese Begriffe deuten auf Probleme hin, die durch die Naturwissenschaften gestellt werden oder ihnen von vornherein zugrunde liegen, die aber mit naturwissenschaftlichen Mitteln allein nicht gelöst werden können, sondern in das Gebiet der philosophischen Forschung gehören. Diese Probleme sind durch die Ergebnisse der moderneil physikalischen und biologischen Forschung neu gestellt worden und erfordern zu ihrem Verständnis ein intensives Studium der Physik und der Biologie. 3. Kulturphilosophie Der Ausdruck „Kulturphilosophie" wurde von Heinrich Rickert eingeführt, um die siefh mit den Kulturwerten befassende Philosophie von der Naturphilosophie zu unterscheiden. Das Wort „Kultur" bedeutet zunächst Pflege, Bearbeitung, Kultivierung und wurde ursprünglich vom Ackerbau gebraucht. Der von der Natur gelieferte Boden wurde für einen bestimmten Zweck hergerichtet und gepflegt; die von

Kulturphilosophie

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der Natur gelieferten Pflanzen wurden auf ihm angebaut, gezogen und veredelt. Von hier aus wurde das Wort übertragen auf Leib und Seele des Menschen. Der Kulturmensch unterscheidet sich vom Naturmenschen durch seinen gepflegten Körper und seine gebildete Seele. Die Veredlung und Bearbeitung der Natur aber erfolgt durch den Menschen nach Ideen, die er entweder aus der Natur selbst durch Idealisierung und Stilisierung der in ihr gegebenen Anlagen und Formen entnimmt oder aus einem nirgends in der Natur zu entdeckenden Reiche des Geistes gewinnt und von da aus an die Natur heranträgt, um sie ihnen zu unterwerfen. So kann vorläufig der Begriff der Kultur definiert werden : Kultur ist Bearbeitung, Pflege, Veredelung oder auch gänzliche Umformung der Natur nach Ideen. Dabei entsteht ein Gegensatz zwischen Natur und Kultur, oder genauer gesagt : zwischen natürlichem und kultiviertem Leben, der zu einem immer schärfer werdenden Antagonismus zwischen beiden führt. Der Mensch kann zunächst als reines Naturwesen betrachtet werden, für das der höchste Wert das Leben selbst ist, und alles, was der Erhaltung, der Steigerung und Fortpflanzung des bloßen natürlichen Lebens und der Vitalität dient, wird, ohne besonderen Anstoß von außen, triebhaft vollzogen. Der Mensch stellt auch die Kräfte seines Geistes in den Dienst des bloßen Lebens und seiner Steigerung; er erfindet, was der Erhaltung und Steigerung des Lebens nützt. Solange der Mensch Geräte, Gefäße, Waffen herstellt, die er zum Leben braucht, ist er noch Naturmensch. In dem Augenblicke aber, wo er Zeit und Kraft, mit denen er etwas dem Leben Nützliches hätte schaffen können, darauf verwendet, das Gerät mit Ornamenten zu verzieren, die dem Leben gar nichts nützen, sondern allein ästhetischen Wert haben, hat er den ersten Schritt zur Kultur getan und die Kunst als Ausdruck menschlichen Lebens hervorgebracht. Solange der Mensch Dämonen opfert und Götter anbetet, weil er sie zum Schutze seines Lebens und seines Besitzes, zur Unterstützung seiner Absichten und Wünsche braucht, solange er sie in seinen Dienst stellt, ist seine Religion eine primitive oder Naturreligion. Sobald sich aber das Verhältnis zur Gottheit umkehrt, sobald der Mensch die Götter nicht

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Die Disziplinen der angewandten Philosophie

in seinen Dienst, sondern sich selbst in den Dienst der Götter stellt, wenn er gewaltige Tempel wölbt, sie mit Kunstwerken schmückt, nicht um dem Leben zu dienen, sondern um sich in ihnen von diesem Leben fort in stiller Versenkung einer anderen Welt zuzuwenden, hat sich seine Religion aus dem Naturzustande in den der Kultur erhoben. Solange ein Mensch alle seine Triebe nach allen Richtungen auslebt und darin nur äußerer Gewalt weicht, ist er Naturmensch. Sobald er unter den natürlichen Trieben eine Auswahl trifft, die einen als gut, die anderen als böse bezeichnet, die einen erzieht, die anderen unterdrückt nach festen Prinzipien, ist er ein sittlicher Mensch geworden und in das Reich der Kultur eingetreten. Solange der Mensch nach Erkenntnis strebt, um diese sofort in Technik umzusetzen, die dem Leben nützt, ist auch die Wissenschaft, so hoch sie entwickelt sein mag, noch Natur und wirkt in der Richtung der natürlichen Kräfte. Erst da, wo Erkenntnis um ihrer selbst willen gepflegt wird, beginnt Kultur. Oder anders gewendet : Der Gelehrte forscht nicht nur, um zu leben, sondern er lebt seiner Forschung. Der sittliche Mensch tut nicht das Gute um des Lebensinteresses und des Nutzens willen ; er stellt vielmehr das Leben in den Dienst des sittlichen Ideals und der sittlichen Pflicht, oft bis zur Askese des Leibes um der höheren Werte der Seele willen. Der Künstler schafft nicht nur, um zu leben, sondern er lebt seinem Werke. Der religiöse Mensch in seiner reinsten Ausprägung verzichtet überhaupt auf alles dem persönlichen Interesse dienende Leben, um allein den Willen Gottes zu tun. So besteht das innerste Wesen der Kulturgebiete der Wissenschaft, Kunst, Sittlichkeit und Religion darin, daß sie das Leben der Idee unterwerfen. Die Ideen aber, die eine Kultur auf allen ihren Gebieten beherrschen, bilden zusammen ein System der Werte, das als geistiges Gerüst die Kultur von innen her trägt und in ihrem Wesen bestimmt. Dementsprechend ist es die Aufgabe der Kulturphilosophie, dieses Wesen der Kultur als solches darzustellen, das Kulturleben als Geistesleben, das sich als objektivierter Geist in den Werken der Wissenschaft, in Kunstwerken aller Art und einer Literatur verfestigt, in seinem Verhältnis zu den materiellen Be-

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Geschichtsphilosophie

dingungen einer K u l t u r zu untersuchen, die E n t s t e h u n g , die Entwicklung, den W a n d e l u n d das Absterben von primitiven und H o c h k u l t u r e n zu beschreiben u n d zu erklären. Innerhalb jeder K u l t u r ändern sich im L a u f e der Zeit nicht die W e r t e selbst, wohl aber ihr Bewußtwerden u n d ihre R a n g o r d n u n g . Neue W e r t e werden entdeckt, meist von P r o p h e t e n , Religionsstiftern, Dichtern, die das rechte Wort f ü r sie finden, um das auszudrücken, wofür die Zeit reif ist und was als dunkle Ahnung im Wertgefühl der Menschen lebt. Aus der Kritik am Alten erwächst das Neue. Eine in sich r u h e n d e u n d in sich beruhigte K u l t u r gibt es nicht und h a t es nie gegeben. Jede K u l t u r h a t ihre Kulturkrisis. Auch die konservativsten Kulturen wie die Ägyptens, Chinas, Indiens zeigen bei tieferem S t u d i u m keine unerschütterliche Stabilität, sondern ein von Entwicklungslinien kreuz u n d quer durchzogenes Leben. Zunächst wehrt sich in jeder K u l t u r das eingeengte Leben, besonders in der heranwachsenden jungen Generation, gegen die unbedingte Anerkennung der die jeweilige Gegenwart beherrschenden K u l t u r w e r t e . Eine K u l t u r k r i t i k aber k a n n nur geübt werden, wenn sie aus einem neuen W e r t g e f ü h l heraus erfolgt, das sich allmählich klärt u n d zur b e w u ß t e n E n t deckung neuer W e r t e f ü h r e n m u ß , deren Verwirklichung nun gefordert wird. Es sind oft gerade die reifsten Persönlichkeiten, die am tiefsten in den idealen K u l t u r g e h a l t eingedrungen sind und am klarsten neben den K u l t u r w e r t e n die in ihrem Gefolge immer a u f t r e t e n d e n U n w e r t e sehen u n d infolgedessen an der Umformung, an der Reformation u n d Revolution oder auch an der Vernichtung der ganzen K u l t u r arbeiten, um eine andere an ihre Stelle zu setzen, deren zukünftiger geistiger Gehalt bereits in ihnen lebt. Sie finden bei der J u g e n d , die noch nicht fest in die geltende Wertwelt hineingewachsen ist, das meiste Verständnis. So entsteht die E n t w i c k l u n g der Kulturen, deren Darstellung die Aufgabe der Kulturgeschichte ist. 4.

Geschichtsphilosophie

Das W o r t „ G e s c h i c h t e " hat zwei Bedeutungen. Es bezeichnet das tatsächliche Geschehen als einen Vorgang, der sich zu einer b e s t i m m t e n Zeit an einem bestimmten Orte abL e i e e g a n g , Philosophie

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gespielt hat, und es bezeichnet die Erforschung und die Darstellung eines solchen Geschehens. So versteht man unter der Geschichte des Mittelalters die auf wissenschaftlicher Forschung beruhende Darstellung alles dessen, was sich in diesem Zeitalter zugetragen hat. Es gibt aber auch eine Naturgeschichte, eine Geschichte der Erde, eine Geschichte der Tierund der Pflanzenwelt, und so kann alles eine Geschichte haben, die erforscht und dargestellt werden kann. Wer aber Geschichte als Wissenschaft treibt, wer ein Historiker genannt wird, der befaßt sich nicht mit der Naturgeschichte oder der Geschichte im allgemeinen Sinn, sondern mit der Menschheitsgeschichte, die er unter den verschiedenen Gesichtspunkten als politische Geschichte, Kulturgeschichte, als Universalgeschichte oder auch als Geschichte einzelner Persönlichkeiten durch eine Biographie darstellt. Diese Menschheitsgeschichte ist zugleich Gegenstand der Geschichtsphilosophie, und zwar in der doppelten Bedeutung als das tatsächliche Geschehen und als Geschichtswissenschaft. Das Philosophische ergibt sich dabei aus der Fragestellung, mit der an die Geschichte herangetreten wird. In der Philosophie wird gefragt nach der Wahrheit unserer Erkenntnis, also auch nach der Wahrheit der historischen Erkenntnis. Es wird gefragt nach dem Wesen und dem Zusammenhang alles Seienden und Gedachten, also auch nach dem Wesen des Historischen und dem Zusammenhang der historischen Tatsachen und Ereignisse. Es wird gefragt nach dem Sinn alles Geschehens, also auch nach dem Sinn der Geschichte. Nach der Wahrheit des Geschehens als solchem zu fragen, hat keinen Sinn. Das, was geschieht und was geschehen ist, ist etwas im Räume und in der Zeit Vorhandenes oder vorhanden Gewesenes, ein schlichtes Faktum, das da ist oder da war, auch wenn es von uns nicht beachtet und nicht erkannt wird. Etwas anderes ist es, wenn das Geschehene Gegenstand der Geschichtswissenschaft wird, wenn der tatsächliche Ablauf des Geschehens erst ermittelt, als solcher erkannt und womöglich erst rekonstruiert werden muß. Dann erhebt sich die Frage nach der Richtigkeit der Feststellungen und des erkannten Zusammenhangs der Ereignisse, und damit nach der

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Wahrheit historischer Erkenntnis. Es wird eine Erkenntnistheorie der Geschichtswissenschaft gefordert, u n d sie zu liefern ist eine Aufgabe der Geschichtsphilosophie. Während in den Naturwissenschaften ein Gegenstand oder ein Vorgang als erkannt gilt, wenn der allgemeine Begriff gefunden ist. unter den er einzuordnen ist, oder das allgemeine Naturgesetz, dem er gehorcht, h a t es die Geschichtswissenschaft nicht mit dem Allgemeinen, sondern mit dem Besonderen, Einmaligen, so nie Wiederkehrenden zu t u n . Die Naturwissenschaften werden deshalb die generalisierenden, die Geschichtswissenschaften die individualisierenden genannt. Die Naturwissenschaft ist nomothetisch, das heißt Gesetze feststellend, die Geschichtswissenschaft idiographisch, das heißt das Einzigartige beschreibend, und nach Gesetzen in der Geschichte suchen heißt naturwissenschaftliche Methoden auf ein ihnen nicht entsprechendes Gebiet übertragen. Das f ü h r t hinüber zu der Frage nach dem Wesen des Historischen. Nicht alles, was geschieht, ist historisch, ist wert, aufgezeichnet und zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft gemacht zu werden. AVas der Chronist für sein Volk und für die Menschheit aufzeichnet, ist nicht das Alltägliche, sondern das Interessante, das, was nicht vergessen werden soll, was für die Menschen, die es in der Erinnerung behalten sollen, irgend einen Wert h a t . An die Stelle des logischen Urteils tritt daher in der Geschichte die Beurteilung, das Werturteil. Das aber setzt Maßstäbe voraus, nach denen beurteilt und gewertet wird. Diese dürfen nicht von außen an die Gegenstände der Geschichte herangetragen, sondern müssen aus dem Material selbst gewonnen werden. Ein Historiker ist sehr wohl imstande, objektiv Geschichte zu schreiben, wenn er nicht seinen Glauben, seine Überzeugungen und Ansichten an ein vergangenes Zeitalter heranträgt, sondern das ihm immanente Wertsystem entdeckt und die Charaktere, die Handlungen und die Werke der Persönlichkeiten und den ganzen Geist der Zeit aus ihm zu verstehen sucht. Jedes historische Individuum, jedes Volk und jede Gesellschaft haben ihren bestimmten Standort im großen Lebensstrom der historischen Entwicklung und wollen von ihm aus verstanden 7*

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sein. So wird es auch zur Aufgabe des Historikers, dem gegenwärtigen Zeitalter seinen Standort zu erhellen, dadurch daß er zeigt, welcher Schritte es bedurfte, um zu ihm zu gelangen. Von hier aus gesehen ist das Historische das Geschehen in der Vergangenheit, dessen Nachwirkungen noch in die Gegenwart hineinreichen. Dazu kommt die Frage nach dem Sinn der Geschichte, sowohl der wissenschaftlich erforschten Geschichte wie auch des von uns erlebten Geschehens, das noch nicht Gegenstand rückblickender und Zusammenhänge herstellender Forschung geworden ist. Die Sinngebung der Geschichte ist bei beiden Bedeutungen des Wortes Geschichte die Aufgabe der Geschichtsmetaphysik. Sie ist immer- Bestandteil einer Weltanschauung, einer religiösen, einer idealistischen oder einer materialistischen, aus der sich die Auffassungen des Verlaufs der Weltgeschichte ergeben, der sich nach einem Heilsplan Gottes vollzieht, als Fortschritt in der geistigen und sittlichen Entwicklung der Menschheit gedeutet wird oder bedingt erscheint durch die wirtschaftlichen Verhältnisse und die sich aus ihnen ergebender; Klassenkämpfe innerhalb der Gesellschaft. 5. Rechtsphilosophie Weltgeschichte aber ist vor allem Geschichte der Völker und Staaten, die zusammengehalten werden durch eiiie Rechtsordnung, und diese kann einer besonderen philosophischen Betrachtung unterworfen werden. Gegenstand der Rechtsphilosophie ist aber nicht nur das in einem Staate jeweils geltende positive Recht, das auf seinen Ursprung und seine Begründung untersucht wird, sondern das Recht als solches, das sich aus der Idee der Gerechtigkeit ergibt, nach der das geltende Recht beurteilt und darüber entschieden werden kann, ob es gerechtes Recht ist. Es handelt sich also nicht nur um das Recht, das gilt, sondern um das Recht, das gelten sollte, um den Sinn, den Wert und den Zweck des Rechts. Die Entscheidung darüber, was recht und unrecht, gerecht und ungerecht ist, setzt ein Wissen um eine Ordnung voraus, die nicht verletzt werden darf. Da aber die staatlichen Ordnungen dem Wandel und der Willkür der Mächtigen unter-

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worfen sind, wurden in der abendländischen Religion und Philosophie die letzten Quellen alles Rechts in einer zeitlosen, aller Willkür entzogenen Ordnung gesucht. Bei den Griechen war diese Ordnung zunächst die Weltordnung selbst, der Kosmos. In dieser durch die Weltvernunft, den Logos, errichteten Ordnung ist der Mensch unter allen Wesen das von Natur mit Vernunft begabte, so daß alle Menschen an der Weltvernunft teilhaben, die in ihnen spricht als die Stimme des Gewissens und ihnen das ungeschriebene Recht, das Naturrecht, verkündet. Danach sind alle Menschen kraft der in ihnen wohnenden Vernunft Brüder und gleichberechtigte Bürger des Kosmos, Kosmopoliten, ob sie Sklaven oder Freie, Barbaren oder Hellenen, Männer oder Frauen sind. Das Gebot der Vernunft ist für alle vernünftigen Wesen in gleicher Weise verpflichtend. Die lex naturae, das Gesetz der Natur, ist über alle menschliche Willkür und allen Wandel der historischen Entwicklung der Völker und Staaten erhaben. Aus ihm ergeben sich nicht nur die Gebote der Sittlichkeit, sondern das in jeder menschlichen Gemeinschaft zur Geltung zu bringende jus naturale, das Naturrecht. Die Gesetze des positiven Rechts sind nach den zeitlos geltenden Bestimmungen des Naturrechts zu bewerten und durch die Gesetzgebung diesem Ideale anzunähern. An die Stelle der aus der Weltvernunft abgeleiteten natürlichen Rechtsordnung trat im Christentum die Schöpfungsordnung Gottes, der seinen Willen in seinem Gesetz offenbart hat. Das Gesetz der Natur und das der Offenbarung bestehen nebeneinander, so wie es der Apostel Paulus ausgesprochen hat: „Denn so die Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun des Gesetzes Werk, sind dieselben, dieweil sie das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz, als die da beweisen, des Gesetzes Werk sei geschrieben in ihrem Herzen, sintemal ihr Gewissen ihnen zeuget, dazu auch die Gedanken, die sich untereinander verklagen oder entschuldigen." Hierauf gründet sich das christliche Naturrecht, das von den Scholastikern in einer Theologia naturalis behandelt wurde. Das Recht ist als ewiges Gesetz, lex aeterna, in der Seinsordnung, dem ordo rerum, gegeben, und seine Erfüllung ist als natür-

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liches Gesetz, lex naturalis, den Menschen aufgegeben. Das ewige Gesetz wurde mit einem Siegel verglichen, das natürliche Gesetz mit seinem Abdruck in der vernünftigen Menschennatur. Das neuzeitliche Naturrecht, das, zuerst von Hugo Grotius gelehrt, sich in der englisch-französischen Aufklärung durchsetzte und von Kant und den Philosophen des deutschen Idealismus tiefer begründet wurde, unterscheidet sich von dem antiken und dem christlichen dadurch, daß ihm die Zurückbeziehung auf jede philosophische und religiöse Metaphysik fehlt. Es entspringt allein aus der sich selbst das moralische Gesetz gebenden menschlichen Vernunft. Aus den Forderungen dieser Vernunft wurden die Menschenrechte abgeleitet, die in der französischen Revolution den Bürgerrechten vorangestellt wurden. Das Gemeinsame an diesen drei Auffassungen und Begründungen eines natürlichen, aus der Natur des Menschen als eines vernünftigen Wesens sich ergebenden Rechts, ist die Lehre, daß es ein an sich Gerechtes gibt, das unabänderlich und dem historischen Wandel der Gesetzgebungen entzogen ist und als Norm für jede gesetzliche Ordnung zu gelten hat. Die Gegner des Naturrechts aber erklären, daß es einen solchen unwandelbaren Maßstab nicht gibt und daß man das jeweils geltende Recht keiner ethischen Wertung zu unterwerfen habe. Es ist vielmehr historisch zu verstehen, und das jeweils in einem Staate geltende wirkliche Recht ist als das Produkt der Machtverteilung im Staate und der gesellschaftlichen Verhältnisse zu begreifen, bedingt auch durch die Sitten, das Gewohnheitsrecht, die Umwelt und den Zeitgeist. Bei dieser positivistischen und relativistischen Rechtsauffassung blieb der Rechtsphilosophie nur die Aufgabe übrig, die verschiedenen in der Geschichte auftretenden Rechtsordnungen miteinander zu vergleichen, ihre Beziehungen zu den anderen Kulturgebieten und den sozialen Verhältnissen zu untersuchen und aus ihnen die allgemeinsten juristischen Grundbegriffe herauszuheben. Die Gründung der totalen Staaten nach dem ersten Weltkriege, in denen der Staat mit seinem Allmachtsanspruch zum

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einzigen Ursprung alles Rechts erhoben wurde, und die sich hieraus ergebenden Unmenschlichkeiten und Ungerechtigkeiten lenkten den Blick wieder auf das Naturrecht und die aus ihm abgeleiteten allgemeinen Menschenrechte zurück, und die Rechtsphilosophen sahen sich wieder vor die Aufgabe gestellt, das Wesen der Gerechtigkeit und eine alles positive Recht übergreifende und bindende internationale Rechtsordnung von neuem und wesentlich tiefer zu begründen. Das ist die Lage, in der sich gegenwärtig die Rechtsphilosophie befindet. 6. Religicmsphilosophie Von allen bisher behandelten Disziplinen der auf einzelne Gegenstände und Wissenschaften angewandten Philosophie unterscheidet sich die Religionsphilosophie dadurch, daß die Religion nicht in derselben Weise Gegenstand philosophischer Forschung werden kann wie die Mathematik, die Natur, die Kultur, die Geschichte oder das Recht mit Einbeziehung der einzelnen Wissenschaften, die von ihnen handeln, und ihrer Methoden. Es gibt eine Religionsgeschichte, eine die Religionen miteinander vergleichende Religionswissenschaft, eine Phänomenologie der Religion, durch die das Wesen aller zur Religion gehörenden Phänomene wie der Glaube, die Offenbarung, das Gebet, der Kultus, das Dogma geklärt und herausgearbeitet wird, eine Religionspsychologie und eine Religionssoziologie. In diesen Wissenschaften werden die Religionen als Bestandteile der Kulturen betrachtet, in denen sie auftreten und die durch sie in ihrer Gestaltung und Entwicklung weithin bestimmt wurden. Werden aber darüber hinaus die philosophischen Fragen nach dem Wesen, dem Sinn und der Wahrheit der Religion gestellt, die in einer Religionsphilosophie zu beantworten sind, so stößt die philosophische Forschung dabei auf einen Widerstand, der im Wesen der Religion selbst liegt. Der religiöse Mensch wehrt sich kraft der Ergriffenheit durch seine Religion gegen die philosophische Analyse der ihm zuteil gewordenen Offenbarung, gegen die Profanierung des Heiligen durch die Weisheit dieser Welt, gegen die Unterwerfung der geoffenbarten Religion und ihrer über-

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natürlichen Wahrheit unter die Kritik der natürlichen Vernunft. Dies gilt besonders von der christlichen Religion, und von ihren Theologen wird erklärt, daß der christliche Glaube etwas grundsätzlich anderes ist als jede Philosophie. Während der Philosoph den Zusammenhang aller Dinge und Vorgänge in dieser Welt durch seine Vernunft und die wissenschaftliche Forschung zu finden und zu ergründen versucht, besteht christlicher Glaube in der Erkenntnis der Durchbrechung dieses Zusammenhangs durch die Offenbarung. Beachtet der Philosoph den Offenbarungsanspruch nicht, so sieht er an dem Wesen der Religion vorbei und verfehlt den Gegenstand, von dem der Religionsphilosoph handeln soll. Erkennt er aber die Offenbarung als Voraussetzung alles religiösen Glaubens und Denkens an, so ist er nicht mehr Philosoph, sondern er wird zum Theologen, der alle seine Aussagen über die Wahrheit des Glaubensinhalts, das Wesen Gottes und des Menschen und den Sinn der Welt- und Menschheitsgeschichte von der Weltschöpfung bis zum Weltuntergang von dieser Voraussetzung herleitet. Aus diesem merkwürdigen Sachverhalt ergeben sich folgende Möglichkeiten, die Philosophie zur Religion, besonders zur christlichen Religion, in eine Beziehung zu bringen, aus der eine Religionsphilosophie hervorgehen k a n n : Der Offenbaru ngsans prueh der Religion wird anerkannt. Dann t r i t t das Problem der doppelten Wahrheit auf, einer Wahrheit, zu der die menschliche Vernunft von sich aus gelangt, und einer Wahrheit, die der keiner menschlichen Vernunft zugänglichen göttlichen Offenbarung zukommt. Beide können sich widersprechen. Das Problem wird durch die katholischen Religionsphilosophen im Anschluß an die Lehren des Thomas von Aquin dadurch gelöst, daß eine doppelte Wahrheit hinsichtlich ihres Ursprungs anerkannt wird, aber nicht in Hinsicht auf ihren Inhalt. Denn eine Wahrheit kann dem Menschen auf zweifache Weise mitgeteilt werden, durch die natürliche Vernunfterkenntnis oder durch die göttliche Offenbarung. Der Inhalt aller Wahrheit aber ist nur einer; denn er geht aus Gott selbst hervor, der die Quelle aller Wahrheiten, der natürlichen wie der geoffenbarten ist. Beide können

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sich nicht widersprechen, wenn die menschliche Vernunft richtig denkt. Es ist ihr möglich, ohne Mithilfe der Offenbarung bis zur Erkenntnis des Daseins Gottes, zum Beweise dieses Daseins und zur Deduktion der Eigenschaften Gottes vorzudringen. Darüber hinaus aber gibt es die eigentlichen Offenbarungswahrheiten, die der menschlichen Vernunft aus ihren eigenen Prinzipien heraus nicht zugänglich sind. Sie sind übervernünftig, aber nicht widervernünftig, und die Vernunft k a n n sie nur dann begreifen, wenn sie das Prinzip der Offenbarung als solches durch den Glauben anerkannt h a t . Der Offenbarungsanspruch einer Religion h a t aber nur dann für den Menschen eine Bedeutung, wenn der Inhalt der Offenbarung und alles, was auf Grund der Offenbarung als wahr anzuerkennendes Dogma, als Mythos, als Ritus und Kultus in einer positiven Religion in die Wirklichkeit tritt, verstanden, erlebt und innerlich angeeignet werden kann, und wo es sich um den Glauben handelt, muß das, was geglaubt werden soll, auch glaubwürdig sein. Ist diese Bedingung nicht oder nur zum Teil erfüllt, so erwächst der Religionsphilosophie die Aufgabe, in der gegenwärtigen noch vorhandenen Religion mit allen ihren überlieferten heiligen Schriften. Dogmen, Mythen und Riten das Erstorbene, offensichtlich Unglaubwürdige und nicht mehr Erlebbare als solches zu kennzeichen und aus ihr das herauszuheben, was in der zeitgebundenen Hülle als geoffenbarte zeitlos gültige Wahrheit erlebt und verstanden werden kann. Dies wird erreicht durch die Auslegung der heiligen Texte mit Hilfe der Unterscheidung eines mehrfachen Schriftsinns, des buchstäblichen, des moralischen, des mystischen, symbolischen oder allegorischen und heute auch des tiefenpsychologischen und existenziellen. Wird der Offenbarungsanspruch der Religion nicht anerkannt und hält der Philosoph daran fest, daß in dieser Welt alles natürlich zugeht und zugegangen ist und daß der natürliche Zusammenhang aller Dinge durch keine übernatürliche Macht durchbrochen werden kann, so ist eine Religionsphilosophie nur mit den Kräften der natürlichen Vernunft als natürliche Religion zu begründen. Dieser Weg wurde schon von den griechischen Philosophen und dann im Zeitalter der

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Aufklärung von neuem beschritten, und die Begründung einer natürlichen Religion wurde in Kants klassischem Werk über „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen V e r n u n f t " auf die strengste und radikalste Weise durchgeführt. Es handelt sich dabei nicht mehr um eine positive Religion, sondern um die Konstruktion einer idealen Religion aus den Prinzipien des philosophischen Systems. Damit treffen wir auf die Religionsphilosophie, wie sie von den meisten Philosophen von der Antike bis in die Gegenwart hinein verstanden wurde. Nicht eine geschichtlich gegebene Religion, sondern die Religion als solche wird aus dem philosophischen System und der ganzen Weltanschauung des Philosophen heraus entwickelt, soweit es ein solches System überhaupt zuläßt, so daß die verschiedenen philosophischen Systeme und Weltanschauungen auch zu verschiedenen typischen philosophisch begründbaren Lehren führen, die durch die in ihnen auftretenden Gottesbegriffe als Theismus, Deismus, Pantheismus, Panentheismus und spekulative Mystik gekennzeichnet werden. Unter Theismus wird dabei eine Religionsphilosophie verstanden, in der Gott als Persönlichkeit gedacht wird, als Schöpfer und Erhalter der Welt, unter Deismus die Lehre, nach der Gott die Welt zwar geschaffen hat, sie aber nach der Schöpfung den von ihm und mit ihr geschaffenen Naturgesetzen überläßt, so daß in ihr keine Wunder geschehen können, die ein Durchbrechen des Naturzusammenhangs bedeuten. Mit dem Worte Pantheismus wird die Weltanschauung bezeichnet, nach der die Welt selbst die sich in ihr und durch sie entwickelnde Gottheit ist, die in ihrem höchstorganisierten Geschöpf, dem Menschen, sich ihrer selbst bewußt wird, während mit dem Worte Panentheismus ausgedrückt werden soll, daß das All in Gott r u h t und in ihm lebt. Unter spekulativer Mystik ist im Unterschied von der ekstatischen die vernünftig begründete Mystik zu verstehen, die überall da auftritt, wo der Mensch nicht nur als das Subjekt der Welt als dem Objekt gegenübersteht, sondern diese Spaltung in ein Subjekt und ein Objekt dadurch aufgehoben wird, daß der Mensch sich selbst als einen Teil der Welt begreift, so daß der Gott, der in allen Kreaturen als

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das Leben und die Seele der Welt lebt und ständig schafft, sich auch im Menschen als sein besseres Ich, als die Stimme seines Gewissens, als das Ewige im Menschen offenbart. In der neuesten Religionsphilosophie wird im Anschluß an Kierkegaard der Versuch unternommen, das Religiöse aus dem Wesen des Menschen, aus seiner „Existenz" hervorgehen zu lassen, was nur aus der Existenzphilosophie heraus und der mit ihr verbundenen philosophischen Anthropologie verstanden werden kann. 7. Philosophische Anthropologie und Existenzphilosophie Unter den Gegenständen, mit denen sich die Philosophen und die Wissenschaftler zugleich befassen, nimmt der Mensch eine besondere Stellung ein. Er kann zunächst Gegenstand der Naturwissenschaften sein wie die Pflanzen in der Botanik, die Tiere in der Zoologie. Dann heißt die Lehre vom Menschen die wissenschaftliche Anthropologie. Sie war in ihren Anfängen auf die Erforschung der physischen Eigenschaften des Menschen gerichtet, auf seinen Körperbau, das Skelett, den Schädel, auf den Vergleich mit den ihm nahe stehenden Tieren, auf die verschiedenen Menschenrassen und ihre Verteilung über die Erde, und auf die Naturgeschichte der Menschheit. Dann kamen die Anthropobiologie, die Anthropopsychologie und die Anthroposoziologie hinzu, und schließlich erstreckt sich die moderne Anthropologie noch dazu auf alle Lebensäußerungen des Kultur schaffenden Menschen, um die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse in einer angewandten Anthropologie für die Erhaltung und Förderung des Menschengeschlechts auszuwerten. Die philosophische Anthropologie, zu der sich die ersten Ansätze schon in Kants Vorlesungen über Anthropologie finden, die sich aber erst in unserem Jahrhundert zu einer besonderen philosophischen Disziplin entwickelt hat. unterscheidet sich von der wissenschaftlichen dadurch, daß in ihr nicht nach den objektiv festzustellenden Eigenschaften des Menschen als Naturwesen gefragt wird, sondern danach, wie der Mensch sich selbst und sein eigenes Wesen jeweils aufgefaßt und verstanden hat auf einer bestimmten Stufe seiner Entwicklung in der Kultur, in der er lebte. Sie ist zu-

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gleich auch der Versuch, aus diesem Selbstverständnis heraus die Bedeutung, den Sinn und den Wert seines Lebens, seine Bestimmung zu erkennen und ihm den Weg zu ihrer Erfüllung zu zeigen. Bernhard Groethuysen hat zuerst in seiner Philosophischen Anthropologie die Bilder des Menschen beschrieben, die im Laufe der Entwicklung der abendländischen Kultur von der Antike bis zur Renaissance entstanden, in der er alle Ansätze zu finden glaubte, die zur Bildung des neuzeitlichen Menschen und seines Selbstverständnisses hinführen. Dann versuchte es Max Scheler, das Wesen des Menschen und seine Stellung im Kosmos durch die phänomenologische Methode zu bestimmen. Dieses Forschen nach dem Selbstverständnis des Menschen führte dazu, nach diesem „Selbst" zu suchen als dem innersten Kern, aus dem menschliches Denken, menschliches Erleben und Handeln erwächst und für den Kierkegaard vor hundert Jahren das Wort „Existenz" eingeführt hatte. Alles, was der Mensch in diesem Leben sein eigen nennt, über das er verfügt, seine Fähigkeiten, sein Wissen, sein Besitz, seine Mitmenschen, alles, was sein alltägliches Leben ausmacht, alles, woran er sich verliert, kann ihm in bestimmten Augenblicken seines Lebens und auf Grund seiner Lebenserfahrungen als nicht wesentlich zu ihm gehörend erscheinen. Es könnte ihm das alles auch genommen werden, ohne daß dadurch sein eigentliches „Selbst", seine „Existenz" hiervon berührt würde, die hierin nicht aufgeht und von der die Existenzphilosophen sagen, daß sie die „Substanz" des Menschen ist, sein Selbstsein, das hinter allen Rollen, die der Mensch spielt, das diese Rollen Tragende,in dem er mit sich selbst identisch ist. Durch das Zurückgreifen auf Kierkegaard und andere ihm verwandte religiöse Denker entstanden in Deutschland die von Karl Barth und Friedrich Gogarten begründete dialektische Theologie, in Frankreich ein christlicher Existentialismus, vertreten durch Gabriel Marcel, Maurice Blondel und andere. Von der Phänomenologie ausgehend entwarf Martin Heidegger in seinem grundlegenden Werke „Sein und Zeit" eine Fundamentalo.ntologie des menschlichen Daseins, und der Psychiater Karl Jaspers bemühte sich um die Existenzerhellung, aus der er eine ganze Philosophie herleitete.

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Während des zweiten Weltkrieges erschien in Frankreich das von Jean Paul Sartre verfaßte Buch L ' Ê t r e et le Néant, Das Sein und das Nichts, das die theoretische Begründung des französischen Existentialismus enthält, der von Sartre, von Dichtern und Schriftstellern in Romanen, Novellen und Tragödien durch die in ihnen auftretenden und handelnden Menschen plastisch dargestellt und zu einer Literaturgattung erhoben wurde. Die grundlegende Feststellung, von der Heidegger und die ihm folgenden Existenzphilosophen ausgehen, ist die, daß unser Leben in dieser Welt, unser Verhalten zu ihr, nicht dadurch bestimmt sind, daß wir die Dinge erkennen, sie in ihrem Wesen zu erfassen versuchen und dann durch diese Erkenntnisse unser Handeln bestimmen lassen und unser Verhalten der Erkenntnis entsprechend einrichten. Mensch und Welt, Subjekt und Objekt stehen sich nicht als Erkennendes und Erkanntes gegenüber, sondern sie stehen von vornherein in einem unmittelbaren Kontakt, der in gegenseitiger Beeinflussung das Sein und das Sosein des Menschen und der Welt, in der jeder lebt, bestimmt. Nicht das theoretische Erkennen, sondern das praktische Können, der Umgang mit den Dingen, das „Sichauskennen", das „Sich-auf-etwas-Verstehen" bestimmen das Sosein des Menschen. Jeder Mensch ist geöffnet für die Welt, die ihn etwas angeht. Was ihn nichts angeht, ist für ihn nicht da. Jeder lebt in einer Welt, die er „entworfen" hat, und zu der er sich selbst „entworfen" hat. Das unterscheidet den Menschen vom Tier, das so lebt, wie es leben muß, während der Mensch so lebt, wie er es will, und in einer Welt, wie er sie will, in der ihm alles und jedes als „Zuhandenes" begegnet, nicht wie dem in Subjekt und Objekt gespaltenen nur als „Vorhandenes". Es begegnet ihm im lebendigen Umgang mit den Gebrauchsdingen, im Besorgen der alltäglichen Verrichtungen. In diesem Besorgen erkennen wir das „Wozu" der Dinge, das „Woraus" sie hergestellt sind, das „Umwillen" des Menschen, dessen Existenz sie ermöglichen, das „Wozuetwas-wert-ist" als das unmittelbare Werterlebnis. So erschließt sich diese Welt unseres alltäglichen Daseins als ein Sinngefiige von lauter ..Zuhandenheiten". Das lebendige Da-

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sein besteht nicht in einem bloßen Anschauen der Dinge, der Welt, sondern im Leben in ihr, dem Leben des ganzen fühlenden, wollenden, handelnden Menschen. Die Welt, in der einer lebt, ist „festgemacht" durch das, was ein Mensch in seinem Dasein und von seinem Dasein will. Je nach dem, was er will, begegnen ihm die Dinge als andere Zuhandenheiten. Dem Bauern ist der Wald ein Gehölz, dem Förster der Forst, dem Jäger ein Jagdgebiet, dem Wanderer in der Sonnenhitze ein kühlender Schatten, dem Dichter bietet er das Erlebnis des Waldwebens und des Schweigens im Walde ebenso wie dem Maler, für den er eine Waldlandschaft ist. Damit ist die Welt, in der ein Mensch lebt, als etwas erkannt, das im Wesen des Menschen selbst seinen Grund hat. Sie geht aus ihm selbst hervor. Mensch und Welt bedingen sich in ihrem Sosein gegenseitig. Der Mensch ist in seiner Welt, und die Welt „weitet" im Menschen. Auch die allgemeinen Eigenschaften der Welt sind durch den Menschen bedingt, der in ihr lebt. So ist der Raum nicht etwas, worin Welt und Mensch vorhanden wären. Sondern der Raum entsteht erst in der Art und Weise, wie der Mensch bei seinen Besorgungen das Zuhandene an seinem Platz entdeckt, das da steht, wo es hingehört. Das menschliche Da-sein ist schon räumlich, so daß der Mensch, wenn er angerufen wird, antwortet „Hier bin ich" und dadurch sein Hier-sein, sein Da-sein bekundet. Das „Aus-sich-Heraustreten", das „Umsich-greifen", das „Hingelangen" schaffen erst den Raum durch die Raumüberwindung. Einen Raum objektiv an sich gibt es nicht, sondern Raum konstituiert sich erst in der „Weltlichkeit" des Daseins. Neben dem Räume aber hat die Zeit eine neue Bedeutung bekommen. Das Dasein ist in der Zeit, und da Dasein bei Heidegger den Menschen bedeutet, so heißt das, der Mensch lebt in der Zeit als geschichtliches Wesen, das eine Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft hat. Das aber sind Weisen des „Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens". Die Vergangenheit eines Menschen liegt nicht als etwas Abgeschlossenes und von ihm Losgelöstes hinter ihm, der Mensch existiert als gewesener. Auch die Zukunft ist nicht etwas, das jenseits und

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außerhalb seiner selbst liegt, und das in der Zukunft liegende Ende des Daseins, der Tod, ist nicht etwas, was nur das Ende des Daseins bestimmt, sondern der Tod ist ein zur menschlichen Existenz gehörendes Moment. Der Mensch ist „Sein zum Tode". Er ist das einzige Wesen, das weiß, daß es sterben rnuß. Der Tod bezeichnet den «äußersten Umfang der Möglichkeiten des Daseins, und alles, was innerhalb dieses Umfangs besteht, gehört zu diesen Möglichkeiten. Das Dasein nimmt diese äußerste Grenze vorweg, indem es vorlaufend schon dort ist, wo das Dasein endet. Es ist zum Tode entschlossen, und diese Entschlossenheit ist die eigentliche Weise seiner Existenz. Der Tod ist etwas, das in jedem Dasein schon mit da ist und das Unheimliche unseres Lebens ausmacht. Das führt zu der Unterscheidung des durchschnittlichen alltäglichen Menschen von dem Menschen, der hinter dieser Alltäglichkeit den tieferen Grund seines Lebens erkannt hat. Im Alltag flieht der Mensch vor seinen eigentlichen und letzten Möglichkeiten in die Welt, und zwar in die Welt der Menschen, in die öffentliche vulgäre Welt des Alltags, die Welt, in der „man" eben lebt und die ihren Sinn von diesem unpersönlichen „Man" erhält, von dem „Gerede" der Leute. In dieser allen gemeinsamen Welt fühlt sich der Mensch zu Hause, in ihr ist er heimisch, in ihren Geschäften und alltäglichen Sorgen geht er auf. Das verdeckt ihm die Endlichkeit seines Daseins, seines „Geworfenseins in den Tod". Aber es ist etwas in ihm, das ihn hierauf immer wieder hinweist und ihn mitten im betriebsamen Leben oder in Stunden der Einsamkeit überfällt: eine unerklärliche Angst. In ihr kündigt sich der tiefere Grund seines Daseins an; sie ist seine „Grundbefindlichkeit". In dieser Angst verliert die Welt ihre Heimlichkeit und den vertrauten Sinn des alltäglichen Daseins. Und wenn der Mensch diesen Sinn einmal verloren hat, wird ihm diese ganze Welt zu „Nichts", und an ihre Stelle tritt die unheimliche Welt, in der er ganz allein und isoliert steht, die er in diesen Augenblicken mit keinem anderen teilt. Dann ist die Angst die Angst vor dem „In-dieser-Welt-Sein". Der Mensch ist an die Schranken seines Daseins gestoßen, und diese Schranken gehören mit dazu. Außer dieser Angst gibt es noch etwas

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Die Disziplinen der angewandten Philosophie

anderes, das die Welt unheimlich macht. Es ist das sonderbare Phänomen des Gewissens, der Stimme, die zu uns spricht als ein Ruf, der an uns ergeht, besonders das böse Gewissen, daß der Tat auf dem Fuße folgt. Dazu kommen die besonders von Jaspers herausgearbeiteten Grenzsituationen. Während die einzelnen Situationen, in die uns das Leben stellt, wechseln, während sie von uns gemeistert werden oder wir in ihnen scheitern, stellen die Grenzsituationen Schranken dar, an die jeder stoßen muß, Schranken, die grundsätzlich unüberwindlich sind, die uns auch nicht von außen entgegen gestellt werden, sondern in uns selbst liegen. Sie treten in den Augenblicken auf, in denen der Mensch plötzlich den Halt verliert, wenn er an dem Sinn seines Daseins verzweifelt. Dann tut sich der dunkle Grund unserer Existenz auf mit den Gedanken daran, daß alles Leben dem Tode verfallen ist, daß wir es nicht leben können, ohne schuldig zu werden, daß das ganze Leben ein Kampf ist, in dem es keinen Frieden und keine Ruhe gibt, ein ewiges Zerstören, dem nichts entrinnen kann, daß alles Leben Leiden ist, daß der Mensch gefesselt ist an Zufälle, die nicht in seiner Macht stehen, an Glück, Schicksal und Verhängnis, die das Leben sinnlos erscheinen lassen und es ständig als dunkle, im Grunde der Welt und des menschlichen Daseins selbst liegende Gewalten bedrohen. Diese Wesenszüge des Daseins, die Grundbefindlichkeit der Angst, das Geworfensein in den Tod, das Gewissen, das Schuldgefühl, die in den Grenzsituationen auftauchenden Bedrohungen durch die unheimlichen Mächte, werden als Existentiale bezeichnet. Ein Existential ist ein Wesenszug des menschlichen Daseins. Die Welt, wie wir sie uns zurecht machen, ist immer nur ein Ausschnitt aus der wirklichen Welt, eine von uns gedeutete. Er legt sich wie ein Schleier zwischen uns und die wirkliche Fremdheit der Dinge, ein Schleier, der in jedem Augenblick zerreißen und die wirkliche Welt hervorbrechen lassen kann in ihrer Unheimlichkeit und Rätselhaftigkeit. Von Sartre wird besonders der Zwang betont, den jede Entscheidung in einer konkreten Lebenssituation mit sich bringt. Immer von neuem steht der Mensch einsam und allein vor der ungeheuren Aufgabe, einen Entschluß aus dem Nichts

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Soziologie

zu fassen, und selbst die Folterzangen eines Scharfrichters könnten ihn nicht von der Freiheit der Wahl erlösen. Der Mensch trägt, zur Freiheit verdammt, die ganze Last der Verantwortung für seine Taten. Er sucht dabei ständig sich selbst zu entfliehen durch die Selbsttäuschung, die Sartre die mauvaise foi, den schlechten Glauben, nennt. Er sucht sich selbst zu begründen, zu seiner eignen Ursache, zur causa sui, zu machen, sein eigner Gott zu werden. Aber er erlebt dabei immer wieder das Scheitern einer solchen Selbstvergöttlichung und stößt auf das Sinnlose, das Absurde seiner Existenz. Den höchsten Grad der Absurdität erreicht das menschliche Dasein im Tode. Der Tod ist die offene Pforte ins Nichts, das absolute Ende, der endgültige Sieg der Materie über die Existenz, der Sturz des Menschen aus der Welt hinaus. Er ist kein Schlußakkord unseres Lebens, sondern ein greller Mißton wie beim Zerspringen einer Saite. Absurd ist unser Geborenwerden und absurd das Sterbenmüssen. Der Mensch des Alltags täuscht sich darüber hinweg und macht sich sein Dasein in derselben Weise erträglich wie die Wespe, die von der Marmelade nascht und dabei in ihr umkommt und ertrinkt. Während die Existenzphilosophen darin übereinstimmen, daß sie diese Hintergründe des menschlichen Daseins als zum Wesen des Menschen gehörend herausarbeiten, so sind doch die Folgerungen, die von den christlichen Existentialisten auf der einen, von Heidegger, Sartre und Jaspers auf der anderen Seite hieraus für die geistige Haltung des Menschen, seine Lebensführung und seine Ethik gezogen werden, sehr verschiedene. Sie führen bei den christlichen Denkern zu einer neuen Begründung des christlichen Glaubens, bei Heidegger und Jaspers zu einer Methaphysik, bei Sartre zu einem auf alles Religiöse und Metaphysische verzichtenden Humanismus. 8. Soziologie Handelt es sich in der philosophischen Anthropologie im wesentlichen um den Menschen als Einzelwesen und seine Stellung im Reiche der Natur, so macht der Soziologe den vergesellschafteten Menschen zum Gegenstand einer besonderen L e i s e g a n g , Philosophie

g

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Die Disziplinen der angewandten Philosophie

Forschung. Das Wort Soziologie, das Gesellschaftslehre bedeutet, wurde von Auguste Comte eingeführt. Die Aufgaben der Soziologie ergaben sich ihm aus der Philosophie, die er die positive Philosophie nannte. Muster dieser Philosophie sind die exakten Wissenschaften der Mathematik, der Physik, der Mechanik, der Astronomie, in denen nicht gefragt wird nach den Ursachen, die die Erscheinungen hervorbringen, und nach den Zwecken, denen sie dienen, sondern nur die Umstände untersucht werden, unter denen sie entstehen, und ihre Beziehungen zueinander. Der Positivismus ist der Versuch, eine metaphysikfreie Wissenschaft zu schaffen. Nach der Lehre Comtes haben sich die Wissenschaften im Laufe der Entwicklung der Kultur von der theologischen und religiösen Erklärung der Naturerscheinungen und in einem weiteren Stadium auch von den metaphysischen Begründungen befreit und sind in das dritte, das positive Stadium, eingetreten. Nur die Lehren von den gesellschaftlichen Vorgängen sind bisher noch nicht in den Bereich der positiven Forschung einbezogen worden. Unter diesen Vorgängen verstand er die ganze geschichtliche Aufeinanderfolge der sozialen Zustände der Menschheit, die zu den gegenwärtigen sozialen Verhältnissen geführt hat. Von den neueren Soziologen ist dieses weit gefaßte Programm durch die Abgrenzung der Soziologie gegen die Kulturund Geschichtsphilosophie auf der einen und die Geschichtswissenschaft und Kulturgeschichte auf der anderen Seite begrenzt worden. Der Gegenstand der Soziologie ist jetzt das sich zwischen Menschen abspielende Geschehen, das dadurch entsteht, daß Menschen aufeinander einwirken und sich miteinander verbinden in Prozessen, die beobachtbar und nachprüfbar sind und sich unter gleichen Bedingungen immer wiederholen. Die Aufgabe der Soziologie ist es, diese sozialen Prozesse zunächst als solche zu untersuchen, sie in eine systematische Ordnung zu bringen, um dadurch zu einer Übersicht über das gesamte soziale Leben und seine Gesetze zu gelangen. Dazu kommt die Erforschung der sozialen Gebilde der Familie, des Volkes, der Klasse, des Standes, der Gruppe, der Masse, der Körperschaft, des Vereins, der Gesellschaft,

Sprachphilosophie

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der Partei, der wirtschaftlichen Organisationen, des Staats, der Kirche, in denen Menschen auf die verschiedenste Weise miteinander verbunden sind, aufeinander einwirken und Kollektivkräfte entwickeln. Aus diesen Kenntnissen läßt sich dann eine Lehre von der Organisation und der Kunst zu organisieren ableiten, bei der es nicht nur auf die Beziehungen der Menschen zu den durch die Organisation zu bewältigenden Arbeiten und Aufgaben, sondern auch auf die dabei auftretenden Beziehungen zwischen den organisierten Menschen ankommt. Die Probleme, die in der Soziologie gestellt werden, lassen sich durch folgende Fragen kennzeichnen: Welches sind die Motive, die zur Vereinigung von Menschen in einer bestimmten Form gesellschaftlichen Lebens führen, und welche Zwecke sollen hierdurch erreicht werden ? Wie sind die Strukturen der einzelnen sozialen Gebilde beschaffen? Mit welchen Mitteln werden sie aufgebaut? Läßt sich dabei eine Gesetzmäßigkeit entdecken, nach der ein solcher Aufbau erfolgt ? Durch welche Normen und Ordnungen werden die einzelnen an das Ganze gebunden und welche Einwirkungen übt es auf jeden zugehörigen Einzelmenschen aus ? Wie verhalten sich die sozialen Gebilde zueinander, zu ihnen ähnlichen oder zu solchen entgegengesetzter A r t ? Läßt sich in diesem Verhalten ein stets wiederkehrender Ablauf entdecken? Wie wird eine Form menschlichen Zusammenlebens durch die gleichzeitig mit ihr bestehenden anderen Formen beeinflußt, da berücksichtigt werden muß, daß jeder Mensch mehreren Gemeinschaften oder Gesellschaften zugleich angehört? Die allgemeine Soziologie umfaßt die Lehre von den Grundformen der zwischen den Menschen bestehenden Beziehungen, die spezielle gliedert sich in die politische Soziologie, die Wirtschaftssoziologie, die Kultursoziologie mit ihren Unterabteilungen der Wissens-, Religions-, Kunst- und Rechtssoziologie. 9.

Sprachphilosophie

Das wichtigste Mittel, durch das menschliches Zusammenleben in einer Gemeinschaft als ein geistiger Zusammenhang 8*

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Die Disziplinen der angewandten Philosophie

begründet und erhalten wird, ist die Sprache. Sie ist daher ein besonderer Gegenstand nicht nur der wissenschaftlichen, sondern auch der philosophischen Forschung. Unter Sprache im allgemeinen Sinne des Wortes wird dabei jede Kundgebung des eigenen Erlebens verstanden, die in der Absicht geschieht, anderen etwas von diesem Erleben mitzuteilen und dadurch zugleich das Seelenleben des Angesprochenen zu beeinflussen. Dies kann geschehen durch Ausdrucksbewegungen in Gebärden und Mienen, durch Laute und durch Zeichen. Im engeren Sinne ist Sprache eine solche Mitteilung durch artikulierte Laute, Wörter und Wortverbindungen, die eine Bedeutung haben. Das Festhalten an diesen Bedeutungen, so daß sie mit den Wörtern und Wortverbindungen reproduziert und von allen anderen, die die gleiche Sprache sprechen, unmittelbar verstanden werden können, macht das eigentliche Wesen einer Kultursprache aus, die dadurch zugleich zu einer Kunst wird, zu einem Werkzeug, das dem Ausdruck des Schönen, des Bedeutungsvollen, des ganzen Reichtums seelischen Lebens ebenso dient wie der Darstellung von Gedanken, von Erkenntnissen und gedanklichen und sachlichen Zusammenhängen. Dabei wächst der einzelne in die Sprache der Gemeinschaft hinein, die ihm überliefert wird, und übernimmt damit eine Fülle von vorgeformten Begriffen, Gedanken und an die Sprache gebundenen Vorstellungen mit dem vorhandenen Sprachschatz, den sich jeder selbst zu erarbeiten hat und den er durch die Schöpfung neuer Ausdrücke für Neuartiges oder neu Erlebtes bereichern kann, wobei es nicht von ihm allein abhängt, ob die Gemeinschaft seine Neubildungen in ihren Sprachschatz oder in die sich für jedes Gebiet ausbildende Fachsprache aufnimmt oder nicht. Sprachschöpfer sind nicht nur Dichter, sondern auch die Propheten, die Denker, die Erfinder, die Techniker. Die Aufgabe der Sprachwissenschaft oder der Linguistik ist die Erforschung der Lautbildung oder die Phonetik, der Grammatik, des Aufbaus und des Zusammenhangs der Sprachen durch den Vergleich der vorhandenen Sprachen miteinander, wodurch sich Gesetzmäßigkeiten in der Bildung und Entwicklung der Sprachen feststellen lassen. Ihr dient die Sprachgeschichte, die Sprach-

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physiologie als die Wissenschaft von den körperlichen Vorgängen beim Sprechen, und die Sprachpsychologie, in der die seelischen Vorgänge untersucht werden, die sich im Zusammenleben von Menschen abspielen und zur Ausbildung von Sprachen führen. Die Sprachphilosophie dagegen, die durch Wilhelm von Humboldt begründet wurde, untersucht das Wesen der Sprache als Ausdrucksmittel des menschlichen Seelen- und Geisteslebens. Sie ist die Wissenschaft von dem, was man überhaupt anter einer Sprache versteht. Es handelt sich dabei nicht darum, nach dem Ursprung der Sprache zu fragen, nach den naturgesetzlichen Vorgängen, die ein Sprechen ermöglichen, nach dem ersten Auftreten der Sprache in der Entwicklung der Menschheit oder bei jedem Kinde. Hierdurch erhält man keinen Einblick in das Wesen der Sprache selbst. Zum Wesen der Sprache gehört zunächst, daß durch sie Gegenstände bestimmt werden. Durch die Sprache bemächtigt sich der Mensch der Gegenstände im weitesten Sinne dieses Wortes, gestaltet sie, indem er sich selbst durch das von ihm geprägte Wort mit dem Gegenstande verbindet. Aber die Sprache stellt nicht nur eine Beziehung zu den Gegenständen her, sondern sie dient zugleich zur. Verständigung. Der Gegenstand muß durch die ihn darstellende Sprache nicht nur dem Sprechenden, sondern allen, zu denen er spricht, eindeutig kenntlich gemacht werden. Das Urteil: Dieser Gegenstand ist so oder so beschaffen, muß von allen, die diese Sprache verstehen, vollzogen werden können. Und das ist nur möglich, wenn die Menschen, die sich verständigen sollen, über ein ihnen überliefertes System von Begriffen und Vorstellungen verfügen, das mit der Kultur gegeben ist, in der sie leben. Wie sich aber nun das sprachliche Urteil zum logischen Urteil verhält, die Logik der Sprache zur Logik der Philosophie, ob die Gegenstände durch die oft mit Bildern und Metaphern arbeitende Sprache in ihrer wahren Beschaffenheit dargestellt werden, wie sich die Sprache zur Logik und zur Erkenntnistheorie verhält, das Wort zu dem, was es bezeichnet, und zu dem, was es bedeutet, das sind die Fragen, mit denen sich die Sprachphilosophie zu befassen hat. Dazu kommt die

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Die Geschichte der Philosophie

Untersuchung der dichterischen und der religiösen Sprache, die von ihren Schöpfern aufgefaßt wird als eine Offenbarung, ein Sprechen der Natur, der Welt und Gottes zu den Menschen. Die Besinnung auf das Wesen der Sprache führt dann zu der Forderung ihrer Pflege, wie sie sich in den Versen des Sprachforschers Karl Martius ausdruckt : Pflege, o Mensch, die Sprache als göttliches Erbteil des Himmels. Halte sie rein wie die Luft, halte sie klar wie das Licht.

IV. Die Geschichte der Philosophie Unter der Geschichte der Philosophie ist zu verstehen die auf dem Studium der Schriften, in denen uns Nachrichten über das Leben und Denken der Philosophen überliefert wurden, und auf der Kenntnis ihrer Werke beruhende Darstellung der Entwicklung der Philosophie von den Griechen, die zuerst als Philosophen auftraten, das Wort Philosophie und die Sache geschaffen haben, bis in die Gegenwart. Berücksichtigt man die philosophischen Gedanken, die in den Religionen und Wissenschaften der alten orientalischen Kulturvölker, der Babylonier, der Inder, der Chinesen, der Ägypter enthalten sind, so kann man in übertragenem Sinne auch von einer orientalischen Philosophie sprechen, wobei aber zu bedenken ist, daß diese Gedanken nicht in philosophischer Absicht gedacht wurden, sondern zu einer Heils- und Erlösungslehre und zu einer auf sie gegründeten Erkenntnis und Lebensweisheit gehörten. Die Philosophiegeschichte ist ein Teil der allgemeinen Geistes- und Kulturgeschichte des Abendlandes, aber sie geht in ihr nicht auf und ist auch aus ihr allein nicht zu verstehen. Gewiß ist jeder Philosoph ein Kind seiner Zeit und seines Volkes und sieht die Welt und die Menschen von einem bestimmten ihm im großen Strome des dahinfließenden Lebens angewiesenen Standorte aus. Aber niemals ist der Philosoph allein aus seiner Umwelt heraus zu verstehen. Seine Aufgabe ist es, sich über diesen Lebensstrom zu erheben, und so ist er zumeist ein Einsamer, oft ein Kämpfer gegen seine Zeit und den Zeitgeist, ein bewußt Unzeitgemäßer. Aber zwischen den

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Philosophen besteht über die Jahrhunderte hinweg eine geistige Gemeinschaft, und so ist es möglich, daß zum Beispiel ein Aristoteles nicht zu seiner Zeit, sondern im Mittelalter das philosophische Denken von Bagdad bis nach Paris beherrscht. Es sind dieselben Probleme, zu denen jeder von seinem Standort aus hingeführt wird. Und diese Probleme hängen zusammen, da sich jeder Philosoph demselben Universum gegenübersieht, das er unter seiner Perspektive betrachtet und durchforscht. Und so ist es möglich, diese Probleme als solche aus dem Gesamtzusammenhang der Geschichte herauszulösen, sie für sich zu betrachten und festzustellen, was die Philosophen der verschiedenen Zeitalter und Völker zu ihrer Lösung beigetragen haben und welche Problemstellungen bisher überhaupt aufgetreten sind. Beschränkt man aber die Philosophiegeschichte auf eine solche Geschichte der Probleme, so verschwinden dabei die Philosophen mit ihren individuellen Eigenschaften, es verschwinden die Eigentümlichkeiten ihres Stils, ihrer Sprache und ihrer Denkweise und der hierdurch mitbestimmten Ansichten vom menschlichen Leben und der Welt. Gerade diese aber sind das Einmalige, Unwiederholbare, das für den Historiker Interessante. Und so ließe sich die Geschichte der Philosophie auch auflösen in eine Reihe von Monographien oder Biographien, und die erste Philosophiegeschichte, die von dem Griechen Diogenes Laertius geschrieben wurde, war eine solche Sammlung von Einzeldarstellungen, der er den Titel gab „Leben und Meinungen berühmter Philosophen". Während eine Problemgeschichte ein totes Skelett ohne lebendiges Fleisch ist, das aber einen Zusammenhang seiner Glieder zeigt, so stellt eine Biographiensammlung lebendige Menschen dar mit ihren unmittelbar aus ihrem Leben entspringenden Gedanken, aber diesen fehlt der die einzelnen miteinander verbindende und ihnen gemeinsame Geist, der den Entwicklungsprozeß der ganzen Philosophie hervorbringt und beherrscht. Eine Philosophiegeschichte wird daher beides, das Individuelle und das Generelle, miteinander zu vereinen haben und fordert eine hohe Kunst der Darstellung, zu der man Philosoph und Historiker zugleich sein muß.

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1. Die Philosophiegeschichte als philosophisches Problem Die Philosophiegeschichte ist aber nicht nur ein Sondergebiet der Geschichtsforschung und Geschichtschreibung, das an den Historiker besondere Anforderungen stellt, sie ist vielmehr selbst als solche ein philosophisches Problem, das in seiner ganzen Schwere erkennbar wird, wenn man die mit guten Gründen beweisbare Behauptung aufstellt: Die ärgste Feindin aller Philosophie ist ihre eigene Geschichte. Es ist die traurige Geschichte der zahllosen sich widersprechenden Lehrmeinungen, der unschlichtbaren und fruchtlosen, aber doch seltsamerweise die ganze Weltgeschichte bewegenden und immer neue Opfer fordernden Weltanschauungskämpfe. Die Schöpfer dieser Weltanschauungen aber waren keine Phantasten, keine Blindgläubigen, keine Fanatiker, keine unverantwortlichen Schwärmer und auch keine Bösewichte, denen es nur darauf angekommen wäre, durch ihre Lehren die Menschen zu verwirren, um sie um so leichter zu beherrschen. Sie waren vielmehr logisch geschulte, oft auch selbst eine Logik begründende, sie lehrende und darstellende, in den Wissenschaften und ihren Methoden erfahrene Denker von schärfstem Verstände, ausgestattet mit der Fähigkeit zur kältesten Kritik, besonders zur Selbstkritik, und gerade hierin lag ihre Stärke. Wie kommt es, daß gerade sie zu derart verschiedenen Ergebnissen kamen und sich untereinander nicht einigen konnten und es heute noch nicht können ? Das ist das Problem, von dem alle Philosophie auszugehen hat; es ist vor allem das Problem der Spätphilosophie, die auf eine Geschichte von mehr als zwei Jahrtausenden zurückblickt und, wenn sie sich ihrer Verantwortung bewußt ist, nicht anfangen kann, ehe sie nicht mit dieser ihrer eigenen Geschichte fertig geworden ist. Kant, der Begründer der neueren Philosophie, ist von diesem Problem ausgegangen und hat, um es zu lösen, seine Kritik der reinen Vernunft geschrieben, die in dem Kapitel über die weltanschaulichen Antinomien gipfelt, in dem er zeigt, daß sich die menschliche Vernunft in Widersprüche verwickelt. wenn sie Aussagen über die großen Gegenstände der

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Metaphysik, über Gott, die Welt und die Seele des Menschen macht. Tatsächlich aber ist es nicht die Vernunft ein und desselben Philosophen, die hier mit sich selbst in Widerstreit gerät, es sind vielmehr die Lehren verschiedener in der Geschichte der Philosophie auftretender Denker, die sich in dieser Weise widersprechen. Dagegen brachte Hegel eine großartige Lösung des Problems aus dem Geiste seiner eigenen Philosophie. Die Geschichte der Philosophie ist das System der Philosophie selbst, das sich in der Zeit entwickelt. Es ist der Weltgeist, der sich durch die Philosophen in ihren Systemen selbst denkt und entfaltet. Dieses Denken aber ist ein dialektisches, das sich in Widersprüchen und Gegensätzen und ihrer Versöhnung bewegt, so daß jedes philosophische System in dieser Entwicklung seine Stelle hat und eine Entwicklungsstufe darstellt, über die das philosophische Denken hinwegschreiten mußte, um im großen System Hegels selbst zu seiner Vollendung zu kommen. Hiermit aber verträgt sich die Tatsache nicht, daß die einander in vielen Motiven widersprechenden Weltanschauungen des Materialismus und Atheismus, der Mystik und des Pantheismus, des Idealismus und Theismus immer wiederkehren und stets dieselbe Struktur zeigen. Nach Hegels Auffassung der Entwicklung dürfte jede von ihnen nur einmal auftreten, um dann in einem höheren Entwicklungszustand des Geisteslebens überwunden und aufgehoben zu sein. Das aber entspricht nicht den historisch überlieferten und noch gegenwärtig zu beobachtenden Vorgängen. Diese zeigen vielmehr, daß sich die Weltanschauungen durch die Jahrhunderte hindurch erhalten in mannigfachen Variationen einiger weniger Themen. Und das führt dazu, diese Weltanschauungen selbst zum Gegenstand der Erforschung ihres Aufbaus und ihres Wesens zu machen und eine Wcltanschauungslehre auszuführen. 2. Weltanschauungslehre und die Typologie der Weltanschauungen. Das Wort Weltanschauung wurde zuerst im Kreise der Romantiker gebraucht, und seine Bedeutung wurde von

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Schleiermacher in seinen Vorlesungen über die Pädagogik mit folgenden Worten dargelegt: „Es ist die Weltanschauung eines jeden, worin die Totalität aller Eindrücke zu einem vollständigen Ganzen des Bewußtseins bis auf den höchsten Punkt gesteigert, mit eingeschlossen die Totalität des Bewußtseins der menschlichen Zustände, ohne welche doch die Weltanschauung nichts sein würde, gedacht wird. Wenn wir dieses vom ersten Anfangspunkt bis zum Endpunkt konstruierend bloß auf den Endpunkt sehen: dann werden wir freilich nicht mehr sagen können, daß die Empfänglichkeit dominiert. Die Weltanschauung ist das Resultat der spekulativen Naturwissenschaft und der wissenschaftlichen Betrachtung der Geschichte, sie setzt die höchste Selbsttätigkeit des menschlichen Geistes voraus. Aber es ist doch in dem Entwicklungsgang vom ersten Anfangspunkt, auf dem die Sinne uns einzelnes darbieten, bis zu diesem Punkt, wo die Weltanschauung sich herausgebildet hat, ein zusammenhängendes Ganzes, und ihm liegen immer neue Eindrücke zugrunde. Die Weltanschauung selbst ist erst dann auf diesem höchsten Punkt, wenn die Ideen von der Welt an der Weltanschauung selbst und mit derselben realisiert werden." Die Philosophie der Gegenwart unterscheidet sich nun dadurch von aller vorausgehenden, daß sie sich über die einzelnen Weltanschauungen erhebt und diese selbst zum Gegenstand philosophischer Forschung gemacht hat. Zu einer philosophisch begründeten Weltanschauung gehört zunächst eine Lehre von der Entstehung und dem Wesen der Welt, eine Kosmologie und ein Weltbild. Die Weltcntstehung heißt dabei eine Kosmogonie. Da in ihr die Frage beantwortet werden muß, ob die Welt die Schöpfung eines Gottes ist, ob dieser Gott außerhalb der Welt bleibt oder in ihr als Weltgeist oder Weltseele enthalten ist, oder ob die Welt seit Ewigkeit besteht und keines Schöpfers bedarf, ist mit der Kosmogonie zugleich eine Theologie verbunden. Aus dem Weltbild, das durch die Darstellung der Entstehung der Welt entworfen wird, ergibt sich die Stellung des Menschen in dieser Welt und die AuSassung seines Wesens. In der einen Weltanschauung ist der Mensch das Ebenbild Gottes, in der anderen

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ein höher organisiertes Tier, in der dritten das lebendige Wesen, in dem die Weltvernunft zu ihrem eigenen Bewußtsein erwacht. Hierüber handelt die philosophische Anthropologie. Aus ihr ergibt sich auch die Bestimmung des Menschen und damit eine Ethik, die, wenn sie auf die ganze Menschheit übertragen wird, zu einer Deutung des Sinnes und Zieles der Menschheitsgeschichte und so zu einer Metaphysik der Geschichte hinausführt. Alle Bestandteile einer solchen Weltanschauung bilden ein Ganzes, ein System, aus dem hervorgeht, daß zu jeder Weltanschauung ein bestimmter Typus Mensch gehört, der durch sie geprägt wird und nun ein Materialist, ein Idealist, ein Mystiker oder sonstwie genannt wird. DieWeltanschauungsforschung begann mitWilhelm Dilthey s Arbeiten zur Geistesgeschichte und seiner Begründung einer geisteswissenschaftlichen Psychologie. Er ging von demWiderspruch aus, der zwischen der aus der Geschichte gewonnenen Erkenntnis des stetigen Wandels und der Entwicklung der Menschen und ihrer Kulturen, ihrer Religionen, ihrer Kunst, ihrer Wissenschaft und der philosophischen Systeme auf der einen Seite und dem Anspruch der philosophischen Erkenntnis auf objektive, absolute, zeitlose Gültigkeit auf der anderen Seite besteht. Dieser Widerspruch ist nur dadurch aufzulösen, daß die verschiedenen Philosophien selbst zum Objekt der philosophischen Untersuchung gemacht werden. In der Mannigfaltigkeit der verschiedenen Systeme lassen sich dann Hauptformen oder Typen entdecken, und ihre Analyse ergibt, daß sie Ansichten der einen Welt von verschiedenen Seiten aus darstellen. Sie zeigen alle dieselbe Struktur. Es wird zunächst ein Weltbild entworfen. Aus ihm ergibt sich die Beantwortung der Fragen nach der Bedeutung und dem Sinn der Welt, und aus ihr werden die Grundsätze der Lebensführung abgeleitet. Diese Weltanschauungen sind für Dilthey nicht die Ergebnisse der Erforschung der Wirklichkeit; sie gehen vielmehr aus dem Lebensgefühl, der Lebensstimmung, der Lebenserfahrung hervor, und die Weltbilder sind nur Symbole einer

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inneren Lebendigkeit und bedingt durch die „Struktur unserer psychischen Totalität". Dementsprechend hat dann Karl Jaspers eine Psychologie der Weltanschauungen geschrieben, in der von den verschiedenen Einstellungen der Menschen auf die Wirklichkeit ausgegangen wird. Ihm sind die Weltanschauungen nur noch seelische Wirklichkeiten, die auf typische Weise wiederkehren, ein Ausdruck der Bedürfnisse von Menschenseelen, und statt nach der objektiven oder metaphysischen Richtigkeit fragt er nach der seelischen Wirklichkeit ihrer Wirkung. Fragt man aber nicht nur nach dieser seelischen Wirklichkeit, sondern nach der durch Denken und Forschen für die Erkenntnis der Wirklichkeit geleisteten Arbeit, so muß dieses Denken selbst auf seine Leistungsfähigkeit und seine tatsächlichen Leistungen untersucht werden. Man erhält dann eine Lehre von den verschiedenen Typen logischen Denkens, die mit den Weltanschauungen zusammenhängen. Die mit der von Piaton und Aristoteles ausgearbeiteten Begriffslogik denkenden Scholastiker bauen ihre die ganze logisch gegliederte Schöpfungsordnung umfassenden Systeme in der Form von Begriffspyramiden auf, während die anderen, die so denken wie Heraklit, die Gnostiker und Mystiker, wie Hegel und Goethe, alles in Kreisen anordnen vom Biozyklus der Entwicklung der Organismen bis zum kreisförmigen Verlauf der Geschichte von einem goldenen Zeitalter, von dem die Entwicklung herabstürzt, bis ins Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit, um sich dann wieder umzukehren einer neuen goldenen Zeit entgegen. Die von dem mathematisch-axiomatischen Denken Euklids ausgehenden Philosophen, wie Descartes, Leibniz, Spinoza, leiten aus wenigen Grundsätzen das ganze System der Philosophie ab. So läßt sich durch die Erforschung der Denkformen ein Einblick in die Struktur der Systeme gewinnen und das Wahre vom Falschen scheiden, das dadurch entsteht, daß ein an einem bestimmten Gegenstandsbereich ausgebildetes Denken, auf dessen logische Struktur es zutrifft, auf Gegenstände und Sachverhalte übertragen wird, die eine andere logische Struktur zeigen, die mit diesen Denkmitteln nicht zu erfassen ist.

Zur philosophischen Terminologie

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3. Zur philosophischen Terminologie Wer keine Kenntnis der Geschichte der Philosophie hat und sich nicht um das Verständnis der verschiedenen philosophischen Systeme und Weltanschauungen bemühte, dem wird die philosophische Terminologie Schwierigkeiten bereiten. Denn ein philosophischer Begriff ist meist in seiner vollen Bedeutung nur aus dem Ganzen des Systems heraus zu verstehen, in dem er auftritt. Wenn die Philosophen sich der Begriffe bedienen, die ihre Vorgänger eingeführt haben, so wird von ihnen doch häufig ihr Bedeutungsgehalt erweitert, verengt oder ganz geändert durch den andersartigen Zusammenhang der Gedanken, zu deren. Ausdruck sie dienen sollen. Die Bedeutungen werden dann durch Definitionen festgelegt. Zum Bedeutungswandel der Begriffe kommt noch die Übersetzung der griechischen Wörter ins Lateinische und in die modernen Sprachen, die nicht genau das wiedergibt, was mit dem Worte 111 der Ursprache gemeint war. Um den durch die Übersetzung in die neueren Sprachen unvermeidlichen Verlust an Bedeutungsgehalt auszugleichen, werden daher in der Philosophensprache die Grundbegriffe in ihrer ursprünglichen Form beibehalten und treten in den Sprachen als Fremdwörter auf. Da es diese Begriffe als Fremdwörter in allen neueren Sprachen gibt, wird hierdurch eine internationale Verständigung erreicht. Dazu kommt noch, daß in den wissenschaftlichen Fachsprachen aus griechischen und lateinischen Wortstämmen neue Wörter gebildet werden, und auch die Philosophensprache enthält viele solche Neubildungen, die dem Fachgelehrten, von dem man annimmt, daß er die griechische und die lateinische Sprache beherrscht, ohne weiteres verständlich sind. Die Grundbegriffe der Philosophensprache wurden von den griechischen Philosophen geschaffen. Als Cicero damit begann, die Römer für die Philosophie zu gewinnen, übersetzte er in seinen diesem Zwecke dienenden Schriften die griechischen Wörter ins Lateinische oder übernahm sie alsFremdwörter,deren Sinn er erklärte. Dadurch entstand die lateinische Terminologie, die sich durch das ganze Mittelalter erhielt, in dem alle

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philosophischen Werke lateinisch geschrieben wurden. Eine Ausnahme bilden nur die Schriften der deutschen Mystiker in denen eine Fülle lateinischer Begriffe ins Deutsche übertragen wurde. In der Zeit der Renaissance, der Reformation und Gegenreformation beginnen einige Philosophen damit, die Werke, auf deren Verbreitung sie Wert legten, in den Landessprachen abzufassen, während an den Universitäten weiterhin die Philosophie in der lateinischen Sprache gelehrt wurde. So schreibt Giordano Bruno sein großes philosophisches Gedicht in italienischer Sprache, Descartes verfaßt französische tond lateinische Schriften, Leibniz bedient sich des Deutschen, des Französischen und des Lateinischen je nach dem Publikum, an das er sich wendet. Erst in der Zeit der Aufklärung beginnt man auch an den Universitäten in den Landessprachen zu lehren, und die philosophischen Werke werden nicht mehr lateinisch geschrieben. In Deutschland war es vor allem der führende Philosoph der Aufklärung Christian Wolff, der den größten Teil der deutschen philosophischen Terminologie geschaffen hat, die dann besonders durch Kant und Hegel weiter ausgebaut wurde und sich ständig durch neue deutsche Wortbildungen weiter entwickelt hat. Über die ganze Geschichte der philosophischen Terminologie von den Griechen bis zur Gegenwart geben die Wörterbücher der philosophischen Begriffe Auskunft, die zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel des philosophischen Studiums geworden sind.

V. Anleitung zum Studium der Philosophie In einer Ankündigung seiner philosophischen Vorlesungen hat Kant erklärt, daß man die Philosophie nicht wie eine andere Wissenschaft lernen könne, daß man aber philosophieren lernen solle. Er fährt dann fort: „Um Philosophie zu lernen, müßte allererst eine wirklich vorhanden sein. Man miißte ein Buch vorzeigen und sagen können: sehet, hier ist Weisheit und zuverlässige Einsicht; lernet es verstehen und fassen, bauet künftighin darauf, so seid ihr Philosophen." Die vorhandenen philosophischen Bücher sind keine Lehrund Lernbücher, und Kant sagt von ihren Verfassern, daß „der philosophische Verfasser, den man etwa bei der Unter-

Der Weg in die Philosophie

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Weisung zugrunde legt, nicht wie das Urbild des Urteils, sondern nur als eine Veranlassung, selbst über ihn, ja sogar wider ihn zu urteilen, angesehen werden soll, und die Methode, selbst nachzudenken und zu schließen ist es, deren Fertigkeit der Lehrling eigentlich sucht, die ihm auch nur allein nützlich sein kann und wovon die etwa zugleich erworbenen entschiedenen Einsichten als zufällige Folgen angesehen werden müssen, zu deren reichem Überflusse er nur die fruchtbare Wurzel in sich zu pflanzen h a t " . Hieraus aber darf nicht geschlossen werden, daß es außer dieser Methode auf dem Gebiete der Philosophie nichts zu lernen gebe. 1. Der Weg in die Philosophie Der Zugang zur Philosophie ist von allen Wissens-, Kulturund Lebensgebieten aus zu finden, und er wird am besten von dem Gebiete aus zu suchen sein, in dem man schon bewandert ist und einiges Wissen mitbringt. Die tiefere Einarbeitung in die Philosophie wie in jede Wissenschaft läßt sich mit der Anlage eines Bergwerks vergleichen. So wie es zwecklos ist, an vielen Stellen der Erdoberfläche zugleich herumzuschürfen und hier und da etwas Erz zu gewinnen, so h a t es auch keinen Sinn und bringt keinen Gewinn, wenn man in der Philosophie überall herumnascht und bald in dieses, bald in jenes Werk je nach Laune, Geschmack und Zufall hineinsieht. Man bohre an einer Stelle in die Tiefe, lege von diesem Schacht aus nach allen Richtungen, wo der Stoff dazu drängt, Seitenstollen an, und so wird sich die Arbeit immer um ein Zentrum gruppieren, und alles wird miteinander in Verbindung stehen und immer ein Ganzes bleiben. Man beginne also mit einem Text, und zwar möglichst mit einem Werke der großen klassischen Philosophen Aristoteles, Descaites, Leibniz, Kant, die ihre Gedanken noch sprachlich und logisch exakt und sauber ausdrücken, während bei vielen modernen die Sprachverwilderung und die Sucht, das Einfache in möglichst komplizierter Form und in einem künstlich hoch geschraubten Stil darzustellen, so weit um sich gegriffen haben, daß das Ansehen der Philosophie bei denen, die noch Wert auf klares Denken, Sprechen und Schreiben legen, aufs

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tiefste gesunken ist. Man gehe an einen solchen Text nicht kritisch, sondern mit dem guten Willen heran, ihn und seinen Verfasser zu verstehen, gebe sich bei jedem fremden Begriff Rechenschaft darüber, welchen Sinn er überhaupt und welchen er besonders an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang hat.. Das wird dem, der die griechische und die lateinische Sprache einigermaßen beherrscht, nicht schwer fallen. Ohne diese Kenntnis bleibt das Studium der Philosophie ebenso wie das jeder anderen Wissenschaft immer etwas Unvollkommenes, weil immer unkontrollierbare Restbestände an in ihrem letzten Sinn nicht verstandenen Begriffen übrig bleiben. Die fehlenden Sprachkenntnisse müssen dann durch das Ersatzmittel der Wörterbücher der philosophischen Begriffe ausgeglichen werden, von denen es, dem wachsenden Bedürfnis entsprechend, jetzt eine größere Anzahl von verschiedenem Wert gibt. In ihnen wird man die nötige Auskunft über den Sinn der Begriffe finden. Werden andere philosophische Forschungen erwähnt, treten Namen anderer Philosophen auf, so schlage man in einer Pliilosophiegeschichte nach und orientiere sich über das Wissen, das hier vorausgesetzt wird oder worauf Bezug genommen wird. Unter keinen Umständen lasse man einen Satz unverstanden durchgehen. Man kann diese Abschweifungen nicht weit genug treiben, wenn sie nur immer in Verbindung mit der Hauptsache, dem Eindringen in das Verständnis dieses einen Textes bleiben. Die Arbeit wird zuerst sehr langsam vorwärts gehen, dann aber immer rascher fortschreiten. 1st der eine Text bewältigt, so gehe man weiter und ziehe das heran, was sich aus dieser Arbeit von selbst als das Nächste und Notwendigste ergeben hat. Bei jedem großen Denker soll man, wenn volles Verständnis erstrebt wird, vor allem einen Einblick in das Gefüge des ( ίanzen seiner Gedankenwelt zu bekommen versuchen. Es handelt sich bei jedem echten Philosophen nicht um eine Reihe einzelner Untersuchungen und Lehrmeinungen, sondern um ein systematisches Ganzes, in dem eins das andere bedingt und alles aus einem ersten Ansatz hervorwächst, der bei jedem ein anderer ist. Man wird sich dann nicht mehr herumquälen mit einzelnen Lehren und Sätzen, die aus dem Zu-

Handbücherund Lexika

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sammenhang herausgerissen sind, so daß man mit ihnen leicht beweisen kann, daß alle Philosophen sich selbst widersprechen. Hat man so einen Blick für die großen Ganzheiten und eine Vorstellung davon bekommen, was eigentlich ein philosophisches System und was eine philosophische Weltanschauung sind, so wird man bald einen Maßstab gewinnen für die Weite oder die Enge des Horizonts, in dem sich die Weltanschauungskämpfe abspielen, für die allzu bequemen Vereinfachungen und für die bösartigen Radikalismen. Aus dem allen wird sich das Echte für einen philosophisch veranlagten Geist alsbald klar und eindringlich herausheben, so daß man weiß, woran und an wen man sich zu halten hat und was die Mühe nicht lohnt, sich damit abzugeben; denn inzwischen wird in jedem, der solches Studium betreibt, etwas Eigenes gewachsen sein, das er immer klarer als das Echte und dem Wesen der Sache Entsprechende erkennt und in dem er den Halt findet, nach dem er bei seinem Bemühen um philosophische Erkenntnis gesucht hat. 2. Handbücher und Lexika N e b e n d e m unerläüliclien S t u d i u m der einzelnen Werke unserer bedeut e n d e n D e n k e r a u s Vergangenheit u n d G e g e n w a r t ist f ü r j e d e n eine Eina r b e i t u n g in den großen philosophiegeschichtlichen Z u s a m m e n h a n g erforderlich, u m ein gründliches Verstehen u n d eine sichere K e n n t n i s d e r gegenwärtigen S i t u a t i o n in der Philosophie zu gewinnen. Die hier g e n a n n t e n B ü c h e r sollen n i c h t n u r einer ersten Orientierung dienen, s o n d e r n i m m e r wieder zur H a n d g e n o m m e n werden, w e n n sich b e i m S t u d i u n i U n s i c h e r h e i t e n u n d terminologische Schwierigkeiten einstellen. Ueberweg, F r i e d r i c h : G r u n d r i ß der Geschichte d e r Philosophie. I. B a n d : Die Philosophie des A l t e r t u m s . 12. Aufl., b e a r b . v o n K a r l P r a e e h t e r . Berlin 1926. — I I . B a n d : Die patristische u n d scholastische Philosophie. 11. Aufl., b e a r b . v o n B e r n h a r d Geyer. Berlin 1928. — I I I . B a n d : Die Philosophie der Neuzeit bis z u m E n d e des X V I I I . J a h r h u n d e r t s . 12. Aufl., bearb. von Max Frischeisen-Köhler u n d Willy Moog. Berlin 1924. — IV. B a n d : Die d e u t s c h e Philosophie des X I X . J a h r h u n d e r t s u n d d e r Gegenwart. 12. Aufl., b e a r b . v o n T r a u g o t t K o n s t a n t i n Oesterreich. Berlin 1923. — V. B a n d : Die Philosophie des Auslandes v o m Beginn des X I X . J a h r h u n d e r t s bis auf die G e g e n w a r t . 12. Aufl., b e a r b . v o n T r a u g o t t K o n s t a n t i n Oesterreich. Berlin 1928. Dieses u m f a n g r e i c h e W e r k s a m m e l t alle auf uns g e k o m m e n e n Einzelheiten ü b e r L e b e n , S c h r i f t e n u n d L e h r e n der b e t r . D e n k e r : es u n t e r r i c h t e t über die Genesis der e r h a l t e n e n A u s g a b e n u n d referiert ausführlich den I n h a l t d e r W e r k e u n d F r a g m e n t e . Besonders wertvoll ist der Nachweis der sog. S e k u n d ä r l i t e r a t u r a m E n d e eines jeden B a n d e s , d. h. es wird ein VerLeisegang,

Philosophie

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Anleitung zum Studium der Philosophie zeichnie der Schriften neuerer Autoren gegeben, die Uber einzelne Philosophen oder geistesgeschichtliche Zusammenhänge gearbeitet haben. Bei der 1951/53 durchgeführten Neuauflage des „Ueberweg" handelt es sich um einen unveränderten Abdruck der angeführten Bände. Die Neubearbeitung des Gesamtwerks soll in 8 Bänden erscheinen. Da dieses Werk in den letzten Jahrzehnten nicht neu bearbeitet und auf den gegenwärtigen Stand der Forschung gebracht wurde, sind für die Zeit bie 1934 die einzelnen Hefte der „Philosophischen Forschungsberichte" heranzuziehen. Seit 1937 sammelt das Institut International de Philosophie in Paris die philosophische Literatur von 43 Ländern und veröffentlicht sie in der „Bibliographie de la philosophie".

Bocheneki, J . M. (Hrsg.): Bibliographische Einführung in das Studium der Philosophie. Bern 1948ff. — Bisher sind 23 Hefte erschienen, die speziellen Disziplinen, phllos.-gesch. Perioden, best, philos. Richtungen, der Philos, eines Landes oder großen Denkern gewidmet sind. Die Monographien geben praktische Hinweise, wie und in welcher Folge die betr. Werke studiert werden sollten. Bëer, A. u. U. Schröter (Hrsg.): Handbuch der Philosophie. München u. Berlin 1927/34. I. Abt.: Die Grunddisziplinen (Fr. Brunstädt, Logik. — Fr. Kuntze, Erkenntnistheorie. — A. Baeumler, Ästhetik. — J . Stenzel, Metaphysik d. Altertums. — A. Dempf, Metaphysik d. Mittelaltere. — H. Heimsoeth, Metaphysik d. Neuzeit). — I I . Abt.: Natur-Geist-Gott (H.Weyl, Philosophie der Mathematik u. Naturwissenschaft. — H.Driesch, Metaphysik der Natur. — E.Kothacker,Logik und Systematik der Geisteswissenschaften. — E. Wolff, Philosophie des Geistes. — E. Brunner, Religionsphilosophie evangelischer Theologie. — E. Przywara, ReligionsphilOBophie katholischer Theologie). — I I I . Abt. : Mensch und Charakter (B. Groethuysen, Philosophische Anthropologie. — E. Howald, Ethik des Altertums. — A. Dempf, Ethik des Mittelalters. — Th. Litt, Ethik der Neuzeit. — Fr. Seifert, Psychologie. Metaphysik der Seele. — Fr. Seifert, Charakterologie). — IV. Abt. : Staat und Geschichte (J.Stenzel,Philosophie der Sprache. — O. Spann, Gesellschafts- und Wirtschaftsphilosophie. — A. Baumgarten, Rechtsphilosophie. — G. Holstein u. K. Larenz, Staatsphilosophie. — E. Rothacker, Geschichtsphilosophie. — A. Dempf, Kulturphilosophie. — M. Schröter, Philosophie der Technik). — V. Abt. : Die Gedankenwelt Asiens (H.Schaeder, Der vorderasiatische Kulturkreis. — H. Zimmer, Der indische Kulturkreis.— A. Forke, Der chinesische Kulturkreis.) Dessoir, Max (Hrsg.): Lehrbuch der Philosophie. Berlin 1925. 1. Band: Die Geschichte der Philosophie (E. Cassirer u. E. Hoffmann, Die Geschichte d. antiken Philos. — J . Geyser, Die mittelalterliche Philosophie. — E. v. Aster, Geschichte der neueren Philosophie. — M. Frischeisen-Köhler, Die Philosophie der Gegenwart). — 2. Band : Die Philosophie in ihren Einzelgebieten (J. B. Rieffert, Logik. Eine Kritik an d. Geschichte ihrer Idee. — E. Becher, Erkenntnistheorie und Metaphysik. — M. Schlick, Naturphilosophie. — K. Koffka, Psychologie. — E. Utitz, Ästhetik und Philosophie der Kunst. — P. Menzer, Ethik. — P. Tillich, Religionsphilosophie. — A. Vierkandt, Gesellschafts- und Geschichtsphilosophie). Rothacker, Erich (Hrsg.): Archiv für Begriffsgeschichte. Bausteine zu einem historischen Wörterbuch der Philosophie. Bonn 1955ff. Hoffmeister, Johannee (Hrsg.): Wörterbuch der philosophischen Begriffe. 2. Aufl. Hamburg 1955. — Bestes gegenwärtig nachweisbares Wörterbuch dieser Art, das sich um möglichst genaue etymologische Angaben bemüht und überall die Nachbar- und Gegenbegriffe brücksichtigt.

Literatur zu speziellen Forschungsbereichen

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Eisler, R u d o l f : Wörterbuch der philosophischen Begriffe. 4. Aufl., völlig neu bearb. von K . Roretz. Berlin 1027/30. — Dieses dreibändige Nachschlagewerk erfaßt die philos. Termini im Wortlaut der Erörterungen bei einzelnen Denkern. Dabei wird deutlich, welchen Inhalt der betr. Begriff oder Ausdruck bei versch. Philosophen zu versch. Zeiten besitzt. Ziegenfuß, Werner: Philosophen-Lexikon. Handwörterbuch der Philosophie nach Personen. 2. Bände. Berlin 1949/50. — Dieses unter Mitwirkung von O. Jung verfaßte Lexikon berücksichtigt besondere Leben und Werk von Denkern des 19. und 20. Jahrhunderts. Zahlreiche Beitrfige wurden von den betr. Philosophen selbst gegeben. Ausführliches Schriftenverzeichnis. Apel, M. u. P. Ludz: Philosophisches Wörterbuch. (Sammlung Oöschen Bd. 1031/1031a) 5. Aufl. Berlin 1958. Brugger, Walter S. J. ( H r s g . ) : Philosophisches Wörterbuch. 11. Aufl. Freiburg 1964. — Ein unter Mitwirkung namhafter kath. Theologen verfaßtea Begriffewörterbuch, das durch einen Abriß der Philosophiegeschichte ergänzt wird. Diemer, A. u. I. Frenzel (Hrsg.): Philosophie. (Das Fischer Lexikon) Frankfurt/M. 1958. Schmidt, Heinrich: Philosophisches Wörterbuch. (Sammlung Kröner) 1β. Aufl., neu bearbeitet von O. Schischkoff. Stuttgart 1961. Totok, Wilhelm: Bibliographischer Wegweiser der philosophischen Literatur. Frankfurt/M. 1959.

} . Literatur zu speziellen Forschungsbereichen Neben dem Handbuch der Philosophie, dessen Beiträge auch in Einzelausgaben erschienen sind, wird auf folgende Spezlalllteratur verwiesen: Psychologie: Rohracher, Hubert: Einführung in die Psychologie. 7. Aufl. Wien I960. Flügel, J. C.: Probleme und Ergebnisse der Psychologie. Hundert Jahre psychologischer Forschung. Stuttgart 1950. Übersetzung aus dem Englischen. Anschütz, Georg: Psychologie. Grundlagen, Ergebnisse und Probleme der Forschung. Hamburg 1953. Metzger, W o l f g a n g : Psychologie. Die Entwicklung ihrer Grundannahmen seit der Einführung des Experiments. 2. Aufl. Darmstadt 1954. K a t z , D. u. R . (Hrsg.): Handbuch der Psychologie. 2. Aufl. Basel 1959. Kranefeldt, W . M. : Therapeutische Psychologie. Ihr Weg durch die Psycho analyse. (Sammlung Göschen Bd. 1034) 3. Aufl. Berlin 1956. Pongratz, Ludwig J.: Problemgeschichte der Psychologie. München 1967. Wellek, A l b e r t : Psychologie. (Dalp T b . ) Bern und München 1963. Erkenntnistheorie: Adorno, Theodor W . : Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Studien über Husserl und die phänomenologischen Kategorien. Stuttgart 1956. — Kritische Auseinandersetzung mit Husserl, Scheler und Heidegger. Cassirer, Ernst: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zelt. 3 Bände. Berlin 1906—1920. Band 4, Stuttgart 1957. Hönigswald, Richard: Geschichte der Erkenntnistheorie. Berlin 1933. Hartmann, Nicolai: Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis. 5. Aufl., Berlin 1966. Litt, Theodor: Denken und Sein. Stuttgart 1948.

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Anleitung zum Studium der Philosophie

Kropp, Gerhard: Erkenntnistheorie. 1. TeU: Allgemeine Grundlegung. (Sammlung Göschen Bd. 807) Berlin 1960. Kraft, Victor: Erkenntnielehre. Wien 19S0. Liebert, Arthur : Erkenntnistheorie. Berlin 1932. — Klar gegliederte Einführung in die erkenntnistheoretischen Probleme, die in zwei Bänden historisch und systematisch dargestellt werden. Schlick, Moritz : Allgemeine Erkenntnielehre. 2. Aufl. Berlin 1925. Logik und D i a l e k t i k : Burkamp, Wilhelm: Logik. Berlin 1932. — Berücksichtigt die Logistik und ist als Einführung sehr zu empfehlen. von Freytag-Löringhoff. Bruno: Logik. Ihr System und ihr Verhältnis zur Logistik. (Urban-Bücher) 3. verb. Aufl. Stuttgart 1961. Logik II. Definitionstheorie und Methodologie des Kalkülwechsels. Stuttgart 1967. — Klare Darstellung mit zahlreichen Literaturhinweisen. Lipps, Hans : Untersuchungen zu einer hermeneutischen Logik. 3. unver. Aufl. Frankfurt/M. 1968. Jacoby, Günther: Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichtschreibung. Stuttgart 1962. Wittgenstein, Ludwig: Schriften. (Teilsammlung. U. a. Tractatus logico-philosophicus). Frankfurt/M. I960. Pfänder, Alexander: Logik. 2. Aufl. Halle 1928 (Auch in: Jahrb. f. Philos, u. phänomenoi. Forschung, Bd. IV). — Beste Darstellung der klassischen Logik. Prantl, Carl: Geschichte der Logik im Abendlande. Ein originalgetreuer Neudruck der 1. Auflage von 1855—1861 erschien 1955. Bochenski, J. M. : Formale Logik. 2. erw. Auflage. Freiburg u. München 1962. — Eine Geschichte der Logik mit prägnanten und eingehend erläuterten Dokumenten. Bochenski, J. M. u. A. Menne: Grundriß der Logistik. Paderborn 1954. Carnap, Rudolf: Abriß der Logistik. Wien 1929. — Tritt für die angebliche Überlegenheit der Logistik über die klassische Logik ein. Carnap, Rudolf : Einführung in die symbolische Logik mit besonderer Berücksichtigung ihrer Anwendungen. 2. neubearb. u. erw. Aufl. Wien 1960. Carnap, Rudolf: Der logische Aufbau der Welt. Scheinprobleme in der Philosophie. 2. Aufl. Hamburg 1961. Essler, Wilhelm K.: Einführung in die Logik (Sammlung Kröner). Stuttgart 1966. Hilbert, D. u. W. Ackermann: Grundzüge der theoretischen Logik. 5. Aufl. Berlin 1967. Scholz, Heinrich: Vorlesungen über Grundzüge der mathematischen Logik. 2. Aufl. Münster 1950. Leisegang, Hans: Denkformen. 2. Aufl. Berlin 1951. — Enthält eine ausführliche Untersuchung der Dialektik Hegels. Bochenski, J. M.: Der sowjetrussische dialektische Materialismus (Diamat). 4. erw. Aufl. Bern u. München 1962. Wetter, Gustav A. : Der dialektische Materialismus. Seine Geschichte und sein System in der Sowjetunion. 5. Aufl. Wien I960. Heise, Robert: Wesen und Formen der Dialektik. Köln u. Berlin 1959. Heiss, Robert: Die großen Dialektiker des 19. Jahrhunderts. Hegel, Kierkegaard, Marx. Köln und Berlin 1963. Ontologie und Metaphysik: Jacoby, Günther: Allgemeine Ontologie der Wirklichkeit. 2 Bände. Halle 1925/55.

Literatur zu speziellen Forschungsbereichen

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Hartmann, Nicolai: Bd. 1: Zur Grundlegung der Ontologie. 4. Aufl. Berlin 1065. Bd. 2: Möglichkeit und Wirklichkeit. 3. Aufl. BerUn Ιβββ. Bd. 3: Der Aufbau der realen Welt. 3. Aufl. Berlin 1904. Hartmann, Nicolai: Neue Wege der Ontotogie. 4. Aufl. Stuttgart 1965. — Darf ale eine von Hartmann eelbet gegebene Einführung in sein Werk gekennzeichnet werden. Heidegger, Martin: Sein und Zeit. 1. Hälfte. 10. Aufl. Tübingen 1963. (Erstmals 1927 im Jahrb. f. Philos, u. phänomenologische Forschung.) Heidegger, Martin: Was ist Metaphysik? 8. Aufl. Frankfurt/M. I960. Heidegger, Martin: Einführung in die Metaphysik. 2. Aufl. Tübingen 1958. He'imsoeth, Heinz: Die sechs großen Themen der abendländischen Metaphysik und der Ausgang des Mittelalters. 2. Aufl. Berlin 1934. Martin, Gottfried: Allgemeine Metaphysik. Ihre Probleme und ihre Methode. Berlin 1965. Moser, Simon: Metaphysik einst und jetzt. Berlin 1958. Kanthack, K a t h a r i n a : Nicolai Hartmann und das Ende der Ontologie. Berlin 1962. Sartre, J e a n - P a u l : L'être et le néant. 23. Ausg. Paris 1949. — Erste vollständige deutsche Ausgabe: Das Sein und das Nichts. Hamburg 19Θ2. Ethik: Bauch, Bruno: Grundzüge der Ethik. Stuttgart. 1935. Eine formale Prinzipienethik im Sinne des Neukantianismus. Scheler, Max: Der Formalismus in der Ethik u n d die materiale Wertethik. 5. Aufl. Bern 1965. Hartmann, Nicolai: Ethik. 4. Aufl. Berlin 1962. — Dieses umfangreiche Werk geht von den theoretischen Grundlagen aus, wie sie Max Scheler in seiner Ethik gegeben hat. Nohl, Herman: Die sittlichen Grunderfahrungen. Eine Einführung in die Ethik. Frankfurt/M. 1947. Reiner, Hans: Die philosophische Ethik. Heidelberg 1964. Dittrich, O t t m a r : Geschichte der Ethik. 4 Bände. Leipzig 1920/32. — Das Werk blieb unvollendet und reicht nur bis in die Reformationszeit hinein. Ästhetik: Hartmann, Nicolai: Ästhetik. 2. Aufl. Berlin 1966. Kainz, Friedrich: Vorlesungen über Ästhetik. Wien 1948. — Einführung mit zahlreichen Literaturhinweisen. Lotze, Hermann: Geschichte der Ästhetik in Deutschland. München 1868. Originalgetreuer Neudruck Leipzig 1913. Nohl, Herman: Die ästhetische Wirklichkeit. 3. Aufl. Frankfurt/M. 1961. P h i l o s o p h i e der M a t h e h a m t i k : Courant R. u. H. Robbins: Was ist Mathematik? 2. Aufl. Berlin-Heidelberg 1967. Dubislav, Walter: Die Philosophie der Mathematik in der Gegenwart. Berlin 1932. — Ein Forschungsbericht. Körner, Stephan: Philosophie der Mathematik. Eine Einführung. Übersetzung aus dem Englischen. Mit Bibliographie. München 1968. Russell, Bertrand : Einführung in die mathematische Philosophie. 2. Aufl. München 1930 (Übersetzung aus dem Englischen). Whitehead, Alfred: Philosophie und Mathematik. (Sammlung: Die Universität Bd. 9.) Wien 1949.

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Anleitung zum Studium der Philosophie Naturphilosophie:

Bavink, Bernhard: Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften. Eine Einführung in die heutige Naturphilosophie. 10. Aufl. Leipzig 1954. Dijksterhuis, E. J . : Die Mechanisierung des Weltbildes. Heidelberg 1955 (Übersetzung aus dem Holländischen). Hartmann, Max: Die philosophischen Grundlagen der Naturwissenschaften. Erkenntnistheorie und Methodologie. Jena 1948. H a r t m a n n , Nicolai: Die Philosophie der Natur. Abriß der speziellen Kategorienlehre. Berlin 1950. May, E d u a r d : Kleiner Grundriß der Naturphilosophie. Meisenheim 1949. von Weizsäcker, C. F.: Die Geschichte der Natur. (Kleine Vandenhoeck-Reihe) Göttingen 1954. Ballauff, Theodor: Das Problem des Lebendigen. Eine Übersicht über den Stand der Forschung. Bonn 1949. Frey, Gerhard: Erkenntnis der Wirklichkeit. Philosophische Folgerungen der modernen Naturwissenschaften. Stuttgart 1965. Wenzl, Aloys: Die philosophischen Grenzfragen der modernen Naturwissenschaften. (Urban-Bücher) Stuttgart 1954. Kulturphilosophie: Sickert, Heinrich: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft. 4. verb. Aufl. Tübingen 1921. Rothacker, Erich: Logik und Systematik der Geisteswissenschaften. Bonn 1947. (Auch im Handb. d. Philos.). Geschichtsphilosophie: Mehlis, Georg: Lehrbuch der Geschichtsphilosophie. Berlin 1915. — Umfangreiche Darstellung der Probleme aus der Grundlage der neueren idealistischen Geschichtsphilosophie, wie sie besonders durch H. Rickert ausgearbeitet wurde. Troeltsch, E r n s t : Der Historismus und seine Probleme. Tübingen 1922. — Besonders aufschlußreich ist der Abschnitt über die marxistische Geschichtsauffassung. Heussi, Karl: Die Krisis des Historismus. Tübingen 1932. Heimsoeth, Heinz: Geschichtsphilosophie. Bonn 1948. — Erstmals Im Sammelband: Systematische Philosophie, der 1942 von N. H a r t m a n n herausgegeben wurde. Hartmann, Nicolai: Das Problem des geistigen Seins. 3. Aufl. Berlin 1962. Litt, Theodor: Wege und Irrwege geschichtlichen Denkens. München 1948. Jaspers, Karl: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte. 2. Aufl. München 1950. Bauer, Gerhard: Geschichtlichkeit. Wege und Irrwege eines Begriffs, Berlin 1963. Lßwith, Karl: Weltgeschichte und Hellegeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Gesohichtsphllosophie. (Urban-Bücher) Stuttgart 1953. Collingwood, R. G.: Philosophie der Geschichte. Stuttgart 1955 (Übersetzung aus dem Englischen). Reinisch, Leonhard (Hrsg.): Der Sinn der Geschichte. 2. Aufl. München 1961. Roesmann, K u r t : Deutsche Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers. (Sammlung Dieterich) 2. Aufl. Bremen 1961. W i t t r a m , Reinhard: Das Interesse an der Geschichte. (Kleine VandenhoeckReihe) Göttingen 1958. Über die Bedeutung der Geschichtsphilosophie innerhalb des dialektischen Materialismus unterrichten die beiden angeführten Werke von Bochenski und Wetter. . T1 Rechtsphilosophie: Bloch, E r n s t : Naturrecht und menschliche Würde. Frankfurt/M.1961.

Literatur zu speziellen Forschungsbereichen

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Coing, H e l m u t : Grundzüge der Rechtsphilosophie. Berlin 1950. (Neuauflage in Vorbereitung). Radbruch, Gustav: Rechtsphilosophie. 5. Aufl. Stuttgart 1956. Fechner, Erich: Rechtsphilosophie. Soziologie und Metaphysik des Rechts. Tübingen 1956. £mge, C. Α.: Einführung in die Rechtsphilosophie. Frankfurt/M. 1955. Brunner, Emil: Gerechtigkeit. Eine Lehre von den Grundgesetzen der Gesellschaftsordnung. Zürich 1943. — Bemüht sich besonders um den Zusammenhang von Ethik, christlicher Religion und Recht. Friedrich, Carl, J . : Die Philosophie des Rechts in historischer Perspektive. Berlin 1955. Legaz y Lacambra, Luis: Rechtsphilosophie. Neuwied und Berlin 1965. Übersetzung der spanischen Ausgabe von 1961. Verdross, Alfred : Abendländische Rechtsphilosophie. 2. erw. u. neubearb. Aufl. Wien 1963. Wolf, Erik: Große Rechtedenker der deutschen Geistesgeschichte. 3. Aufl. Tübingen 1951. Religionsphilosophie: Leese, K u r t : Die Religion des protestantischen Menschen. 2. erw. Aufl. München 1948. Tillich, Paul: Der Protestantismus. Prinzip und Wirklichkeit. Stuttgart 1950. Hessen, Johannes: Religionsphilosophie. Essen und Freiburg 1948. — Im 1. Bd. werden Methoden und Gestalten, im 2. Bd. das System der Religionsphilos. nach kathol. Auffassung behandelt. Fries, Heinrich: Die katholische Religionsphilosophie der Gegenwart. Heidelberg 1949. Galling, Kurt (Hrsg.): Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 3., völlig neu bearb. Aufl., 6 Bände, Tübingen 1957/65. Philosophische Anthropologie: Cassirer, Ernst: Was ist der Mensch? Versuch einer Philosophie der menschlichen Kultur. Stuttgart 1960. Scheler, Max: Die Stellung des Menschen im Kosmos. Darmstadt 1928 6. Aufl. München 1962. Landsberg, P. L. : Einführung in die philosophische Anthropologie. 2. Aufl. Frankfurt/M. 1949. Landmann, Michael: Philosophische Anthropologie. Menschliche Selbstdeutung in Geschichte und Gegenwart. (Sammlung Göschen Bd. 156'156a) 2. Aufl. Berlin 1964. Landmann, Michael u. Mitarbeiter: De Homine. Der Mensch im Spiegel seines Gedankens. Freiburg-München 1962. Lipps, Hans: Die Wirklichkeit des Menschen. Frankfurt/M. 1954. Marcel, Gabriel: Der Mensch als Problem. Mit einer Einführung von Max Müller. 2. Aufl. Frankfurt/M. 1960. Pleßner, H e l m u t h : Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. 2. Aufl. Berlin 1965. Gehlen, Arnold: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 5. Aufl. Bonn. 1955. Hengstenberg, H. E.: Philosophische Anthropologie. Stuttgart 1957. Rothacker, Erich: Philosophische Anthropologie. Bonn 1964. Schoeps, Hans-Joachim: Was ist der Mensch? Philos. Anthropologie als Geistesgesch. der neuesten Zeit. Göttingen 1960. Existenzphilosophie: Bollnow, Friedrich: Existenzphilosophie. 6. Aufl. S t u t t g a r t 1965.

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Anleitung zum Studium der Philosophie

Bollnow, Friedrich: Französischer Existentialismus. Stuttgart 1965. Jaspers, Karl: Existenzphilosophie. Drei Torlesungen. Leipzig u. Berlin 1938. з. Aufl. 1964. Gabriel, Leo: Existenzphilosophie. Von Kierkegaard bis Sartre. Wien 1951. Mounier, Emmanuel: Einführung in die Existenzphilosophien. Bad Salzig und Boppard 1949 (Übersetzung aus dem Französischen). Müller, Max: Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart. 3. erw. и. verb. Aufl. Heidelberg 1964. Beding, Marcel: Die Existenzphilosophie. Düsseldorf 194Θ. Heinemann, Fritz: Existenzphilosophie, lebendig oder t o t ? (Urban-Bücher) Stuttgart 1954. Knitternmeyer, Hinrich: Die Philosophie der Existenz. Von der Renaissance bis zur Gegenwart. (Sammlung: Die Universität Bd. 29) Wien und Stuttgart 1962. Soziologie: Vierkandt, Alfred (Hrsg.): Handwörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1931. — Klassische Darstellung großer Themengruppen, die in der Weise eines Handbuches bearbeitet wurden. Unveränderter Neudr. Stuttgart 1959. Bernsdorf, W. (Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1969. — Umfangreiches Nachschlagewerk mit Beiträgen zahlreicher Mitarbeiter, ausführliche Literaturhinweise. Bernsdorf, W. (Hrsg.) in Verbindung mit H. Knospe: Internationales Soziologen Lexikon. Stuttgart 1959. Durkheim, Emile : Soziologie und Philosophie. Übersetzung aus dem Französischen. F r a n k f u r t / M . 1967. Gehlen, A. u. H. Schelsky (Hrsg.): Soziologie. Ein Lehr- und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde. Düsseldorf und Köln 1955. Jonas, Friedrich: Geschichte der Soziologie I — I I I . rde. Reinbek bei Hamburg 1968/69. — Mit Quellentexten und nützlichen Literaturhinweisen. Ziegenfuß, Werner (Hrsg.): Handbuch der Soziologie. Stuttgart 1955/56. — Der 1. Teil u m f a ß t Grundlagen und Methoden der Soziologie. Der 2. Teil ist den Daseinsformen und Gestaltungsweisen der Gesellschaft gewidmet. Aron, R a y m o n d : Die deutsche Soziologie der Gegenwart. (Kröners Taschenausgabe Bd. 214) Stuttgart 1953 (Ubersetzung aus dem Französischen). Schoeck, H e l m u t : Die Soziologie und die Gesellschaften. Freiburg und München 1964. Weber, Alfred (Hrsg.): Einführung in die Soziologie. München 1955. von Wiese, Leopold: Soziologie, Geschichte und Hauptprobleme. (Sammlung Göschen Bd. 101) 7. Aufl. Berlin 1964. Sprachphilosophie: Herder, J . G. : Sprachphilosophische Schriften. Hrsg. v. E. Heintel. Hamburg 1960. Hönigswald, Richard: Philosophie der Sprache. Problemkritik und System. Basel 1937. Cassirer, E r n s t : Philosophie der symbolischen Formen. 1. Teil: Die Sprache. Berlin 1923. Klages, Ludwig: Die Sprache als Quell der Seelenkunde. Zürich 1948. Porzig, Walter: Das Wunder der Sprache. Probleme, Methoden und Ergebnisse der modernen Sprachwissenschaft. (Sammlung Dalp Bd. 71) 3. Aufl. Bern und München 1962. Lipps, H a n s : Die Verbindlichkeit der Sprache. Arbeiten zur Sprachphilosophie und Logik. 2. Aufl., Frankfurt/M. 1958. Wein, Hermann : Sprachphilosophie der Gegenwart. Den Haag 1963.

Literatur zu speziellen Forschungsbereichen

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G e s c h i c h t e der P h i l o s o p h i e : Neben dem bereits erwähnten Grundriß der Geschichte der Philosophie von Friedrich Ueberweg, wird auf folgende Werke verwiesen: Totok, Wilhelm: Handbuch der Geschichte der Philosophie. 1. Bd.: Altertum — Indische, chinesische, griechisch-römische Philosophie. Frankfurt/M. 1863. Windelband, Wilhelm: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Mit einem Schlußkapitel : Die Philosophie im 20. Jahrhundert und einer Übersicht über den Stand der philosophischen Forschung. Hrsg. von Heinz Heimsoeth. 15. Aufl. Tübingen 1957. Vorländer, Karl: Geschichte der Philosophie. 1. Bd:. Altertum und Mittelalter. Neu bearb. von Erwin Metzke. 9. Aufl. Hamburg 1949. — 2. Bd.: Die Philosophie der Neuzeit bis Kant. Neu bearb. von Hinrich Knittermeyer. 9. Aufl. Hamburg 1955. — 3. Bd.: Neukantianer bis zur Gegenwart. In Vorbereitung. Vorländer, Karl: Philosophie des Altertums, Philosophie des Mittelalters, Philosophie der Renaissance, Philosophie der Neuzeit ( = Geschichte der Philosophie I—V, gekürzte Ausgabe für rde). Reinbek bei Hamburg 1963/ 67. — Mit Quellentexten und nützlichen Literaturhinweisen. Meyer, Hans: Abendländische Weltanschauung. Bd. 1—3. 2. Aufl. Paderborn 1953; Bd. 4. 1950; Bd. 5. 1949. Schilling, K u r t : Geschichte der Philosophie. 1. Bd.: Die alte Welt — das christl. germ. Mittelalter. 2. Aufl. München 1951. — 2. Bd.: Die Neuzeit. 2. Aufl. München 1953. Hirschberger, Johannes: Geschichte der Philosophie. 1. Bd.: Altertum und Mittelalter, 7. Aufl.; 2. Bd.: Neuzeit und Gegenwart, 6. Aufl. Freiburgl963. Russell, Bertrand: Philosophie des Abendlandes. Ihr Zusammenhang mit der politischen und sozialen Entwicklung. Frankfurt/M. 1950 (Übersetzung aus dem Englischen). Kafka, Gustav (Hrsg.): Geschichte der Philosophie in Einzeldarstellungen. München 1921/33. — Bisher sind 37 Bände erschienen. von Aster, Ernst: Geschichte der Philosophie. (Sammlung Kröner) 14. Aufl., ergänzt von F. J. Brecht. Stuttgart 1963. Bochenski, J. M.: Europäische Philosophie der Gegenwart. 2. umgearb. Aufl. (Sammlung Dalp Bd. 50) Bern und München 1951. Heinemann, Fritz: Die Philosophie im XX. Jahrhundert. Eine enzyklopädische Darstellung ihrer Disziplinen, Geschichte und Aufgaben. Stuttgart 1959. Noack, Hermann: Die Philosophie Westeuropas Im XX. Jahrhundert. Basel 1962. Glockner, Hermann: Die europäische Philosophie von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1958. Jaspers, Karl: Die Großen Philosophen. Bd. I mit Vorwort und Einleitung in das dreibändige Gesamtwerk. München 1957. — Die Bde. II und I I I sind in Vorbereitung. Schmidt, R. (Hrsg.): Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. 7 Bde. Leipzig 1921/30. Stegmüller, Wolfgang: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. (Sammlung: Die Universität) Wien 1952. Duméry, Henry: Die Ungeteiltheit des Geistes. Philosophische Strömungen der Gegenwart. Freiburg und München 1959. Rehmke, Johannes: Grundriß der Geschichte der Philosophie. Neu hrsg. und fortgeführt von Fr. Schneider. Bonn 1959. Geschichte der Philosophie innerhalb der Sammlung Göschen. Von elf geplanten Bändchen liegen bisher neun vor:

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Anleitung zum Studium der Philosophie

Capelle, Wilhelm: Die griechische Philosophie. Bd. 1—4. (Sammlung Göschen Bd. 857—859, 893) 2. und 3. Aufl. Berlin 1054/66. Schilling, K u r t : Von der Renaissance bis Kant. (Sammlung Göschen Bd. 394/ 394a) Berlin 1954. Lehmann, Gerhard: Die Philosophie des 19. Jahrhunderts. Teil 1—2. (Sammlung Göschen Bd. 571, 709) Berlin 1953. Lehmann, Gerhard: Die Philosophie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderte. Teil 1—2. (Sammlung Göschen Bd. 845, 850). Berlin 1957 und I960. Weltanschauungslehre: Dilthey, Wilhelm: Weltanschauungslehre (Ges. Schriften. Bd. 8). Leipzig und Berlin 1931. Scheler, Max: Philosophische Weltanschauung. Bonn 1929. — Auch als Taschenbuch der Sammlung Dalp erschienen. Jaspers, Karl: Psychologie der Weltanschauungen. 5. Aufl. Berlin 1960. Lelsegang, Hans: Denkformen. 2. Aufl. Berlin 1951. Litt, Theodor: Wissenschaft, Bildung, Weltanschauung. Leipzig 1928.

4. Zeitschriften In Deutschland erscheinen zur Zelt folgende philosophische Zeitschriften : Zeitschrift für philosophische Forschung. Hrsg. von Georgi Schischkoff. Meisenheim 1946ff. Archiv für Philosophie. Hrsg. von Jürgen v. Kempski. S t u t t g a r t 1948ff. Archiv für Geschichte der Philosophie. Begründet von Ludwig Stein, neu hrsg. von Paul Wilpert. Berlin 1960ff. Kant-Studien: Hrsg. von Paul Menzer und Gottfried Martin. — Erscheint mit Band 45 wieder seit 1953/54 in Köln. Diese Ztschr. wurde 1896 von Hans Vaihinger gegründet und seit 1904 im Auftrage der Kantgesellschaft herausgegeben. Bis 1936 erschienen 41 Jahrgänge, die folgenden drei (1942/43/44) konnten nur noch teilweise ausgeliefert werden. Philosophia Naturalis. Archiv für Naturphilosophie und die philos. Grenzgebiete der exakten Wissenschaften und Wissenschaftsgeschichte. — Gegründet 1950 von Eduard May, seit 1956 hrsg. von Joseph Meurers in Zusammenarbeit mit zahlreichen Fachgelehrten. Philosophische Rundschau. Eine Vierteljahresschrift für philosophische Kritik. Hrsg. von Hans-Georg Gadamer und Helmut Kuhn. Tübingen 1953ff. Philosophischer Literaturanzeiger. Hrsg. von Georgi Schischkoff. Schlehdorf 1949, Bd. VI—X in München und Basel, seit Bd. XI (1958) in S t u t t g a r t . Philosophisches Jahrbuch (der Görresgesellschaft). Hrsg. Georg Siegmund. Bernards b. Fulda 1880ff. Scholastik. Vierteljahresschrift für Theologie und Philosophie. Hauptschriftl. Heinrich Weisweiler S. J. Freiburg 1926ff. Von den älteren, jetzt nicht mehr weitergeführten Zeitschriften seien genannt : Logos. Tübingen 19X0/33. Fortgesetzt unter dem Titel: Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie. Tübingen 1934—44. J a h r b u c h für Philosophie und phänomenologische Forschung. Halle 1913—38. BiAtter für deutsche Philosophie. Berlin 1927—44. Erkenntnis. Leipzig 1930—38. Philosophische Studien. Berlin 1949—51.

VI. Die in diesem Buche gebrauchten Fremdwörter und ihre Bedeutung A b n o r m i t ä t , Regelwidrigkeit, allegorisch, etwas anderes sagend, nämlich als das, was geschrieben s t e h t ; einen anderen Sinn in den T e x t legend, analytisch, auflösend d u r c h Zerlegung in Bestandteile, absolut, losgelöst, a n sich bes t e h e n d ; das Absolute, das aus allen Beziehungen Losgelöste, an sich Bestehende, a b s t r a k t , abgezogen, v o n den Gegenständen losgelöst; begrifflich. Abstraktion, Absonderung, das Absehen vom Besonderen, u m das Allgemeine zu erhalten. A d j e k t i v u m , das Beiwort, das eine Eigenschaft bezeichnet. Aggregat, A n h ä u f u n g , Gemenge. Algebra, die Lehre von den allgemeinen durch B u c h s t a b e n bezeichneten Zahlen, algebraisch, dem Verfahren, m i t allgemeinen Zahlen zu rechnen entsprechend. Analogie, E n t s p r e c h u n g . I Analyse, Auflösung, Zerlegung in 1 Bestandteile. Antagonismus, Widerstreit. Anthropobiologie, Lehre von den Lebensprozessen, die sich im Menschen abspielen. Anthropologie, Lehre v o m M e n - . sehen. : Anthropopsychologie, die Lehre von den seelischen Eigen- ! Schäften der Menschen. !

Anthroposoziologie, die Lehre von der Gesellschaftung der Menschen. Antinomien, zwischen Gesetzen oder als bewiesen angenommenen Sätzen bestehender Widerspruch a posteriori, vom Späteren h e r ; das, was aus der E r f a h r u n g s t a m m t u n d erst auf Grund einer E r f a h r u n g e r k a n n t werden kann, a priori, von vornherein; das, was der E r f a h r u n g vorausgeht u n d u n a b h ä n g i g von ihr ged a c h t wird, äquivalent, gleichwertig. Äquivalenz, Gleichwertigkeit. Archetypus, Urgepräge, Urform, Urbild. A r g u m e n t , Beweisgrund; Argum e n t einer F u n k t i o n heißt das, was in einer F u n k t i o n für die veränderliche Variable eingesetzt werden k a n n , artikuliert, gegliedert; bei der Sprache durch deutliches Aussprechen der einzelnen L a u t e u n d Silben. Askese, Ü b u n g in der E n t h a l t samkeit u n d Selbstüberwindung. Assoziation, Zugesellung; regelmäßig eintretende Verbindung von Vorstellungen, assoziieren, Vorstellungen miteinander verbinden so, wie sie sich von selbst einstellen.

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Fremdwörter

asthenisch, kraftlos, schwächlich. Ästhetik, Lehre v. sinnlich Wahrnehmbaren; Lehre v. Schönen und vom Wesen der Kunst. Astronomie, Sternkunde. Astrophysik, Lehre von der physischen, physikalischen und chemischen Beschaffenheit der Sterne. athletisch, zum Wettkampf geeignet; kräftig, stark. atomar, nicht mehr zerlegbar. autonom, selbstgesetzlich, aus sich selbst das Gesetz entnehmend. Axiom, Grundsatz, der als Voraussetzung einer Anzahl aus ihm abgeleiteter Sätze zugrunde liegt und durch diese nicht bewiesen werden kann. Axiomatik, Die Lehre von den Grundsätzen und dem Aufbau eines aus ihnen abgeleiteten Begründungszusammenhangs, in dem aus wahren Sätzen andere wahre Sätze folgen. Bibliographie, Bücherbeschreibung, Bücherverzeichnis. binomisch, aus zwei Gliedern bestehend. Biographie, Lebensbeschreibung. Biologie, Lehre vom Leben und vom Lebendigen.

durch Spruch und Widerspruch. Dialog, Gespräch. Disjunktion, Trennung, so daß eins das andere ausschließt, diskursiv, durchlaufend; von einem logischen Schluß zum andern denkend fortschreitend. Distanz, Abstand. Disziplin, Schulung; Schulfach, divisio, Teilung, Einteilung, dynamisch, von Kräften bewegt, empirisch, auf Erfahrung, Beobachtung, Experiment beruhend. Entelechie, das, was das Ziel, dem es zustrebt, in sich trägt. Ethik, Lehre vom Sittlichen. Ethos, die geistige Haltung, der Charakter, die Gesinnung, exakt, genau. Existential, Wesenszug des menschlichen Daseing. Existenz, das Dasein im Gegensatz zur Essenz, dem Sosein oder dem Wesen; in der Existenzphilosophie das eigentliche Selbst des Menschen, existentiell, die Existenz als das innerste Selbst des Menschen betreffend, extravertiert, nach außen gerichtet.

Chaos, das Ungestaltete, Ord- Faktum, das Getane; die Tatsache. nungslose. Charakterologie,Charakterkunde. Fiktion, Erdichtung; eine bewußt falsche Annahme zur ErreiCholeriker, ein mit Galle erfüllter, chung eines praktischen jähzorniger, reizbarer Mensch. Zwecks. Definition, Begriffsbestimmung. formal, durch die Form ohne Dialektik, Kunst der UnterreRücksicht auf den Inhalt bedung, der Gedankenführung stimmt.

Fremdwörter

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Funktion, Betätigung, Wirkungs- Identität, volle Übereinstimweise eines Organs; in der mung in allen Eigenschaften, Mathematik die Veränderung idiographisch, das Eigenartige einer Größe, derenWert von der beschreibend, Veränderung einer anderen ab- imaginär, nur in der Einbildung hängig ist. bestehend; unwirklich, immanent, darin bleibend, generalisierend, immateriell,stofflos,unkörperlich. verallgemeinernd. Imperativ, Befehlsform; ein GeGeometrie, Erdausmessung; die setz in der Form eines Bemathematische Disziplin, defehls. ren Gegenstand die räumli- Implikation, das Darin-enthalchen Gebilde, die ebenen Fitensein; das Mitgemeinte, guren und die Körper, sind. implizieren, darin enthalten sein ; Sie zerfällt in Planimetrie und dem Sinne nach mitgemeint Stereometrie. sein. genus, Gattung. individualisierend, das Einzigargraphisch, zeichnerisch, mit Hilfe tige und Einmalige herausareiner Zeichnung. beitend. Graphologie, Lehre von der Individualität, Eigenartigkeit, Schrift; Deutung der Schrift Einzigartigkeit, als Ausdruck des Charakters. individuell, eigentümlich, nur einem Einzelwesen zukomHabitus, das, was einer anhat mend. oder an sich hat; das sich nicht Individuum, das nicht Teilbare, ändernde Verhalten. das Einzelwesen in seiner heteronom, fremdgesetzlich; von Eigenart. einem anderen das Gesetz erInspiration, Einhauchung, Einhaltend. gebung. Hypothese, Unterstellung; eine Annahme zur Erklärung des Intellekt, Verstand, Zusammenhangs von Gegen- intellektuell, verstandesmäßig, introvertiert, nach innen geständen und Vorgängen. richtet. ideal, als Idee, als Gedanke Intuition, Einsicht; unmittelbare Anschauung, durch die ein existierend; vorbildlich, der Ganzes in seinem Aufbau mit Idee entsprechend. einem Blick erfaßt wird, Ideation, das Herausschauen der Idee, des Wesens aus den Er- intuitiv, durch Anschauung erfaßt; unmittelbar einsichtig, scheinungen. Idee, das Geschaute; die Gestalt, irrational, durch die Vernunft nicht erfaßbar, nicht erkenndie Form; das nicht sinnlich bar, unberechenbar, wahrnehmbare Urbild, die Wesenheit; der Vernunftbegriff. irreal, unwirklich.

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Fremdwörter

Kalkül, Rechnung. Kategorien, Aussagen, Aussageweisen; die Grundarten von Aussagen, die von Gegenständen oder Sachverhalten gemacht werden können, kategorial, die Kategorien betreffend, kategorisch, schlicht aussagend im Gegensatz zur hypothetischen, an Bedingungen gebundenen Aussage. Kausalität, Ursächlichkeit; Verhältnis der Wirkung zur Ursache. Klassifikation, Einteilung und Ordnung von Gegenständen in Klassen nach bestimmt. Merkmalen und Gesichtspunkten. Kollektiv, Ansammlung; eine beliebige Gruppe von Menschen. Kombination, Vereinigung; Ordnung und Zusammenfassung in Gruppen einer gegebenen Anzahl von Gegenständen auf alle möglichen Arten. Komplex, ein Zusammengeflochtenes; ein durch Verknüpfung von einzelnem entstandenes Ganzes. Konjunktion, Verbindung, konkret, durch Wahrnehmung als wirklich gegeben im Gegensatz zu abstrakt, konsequent, folgerichtig. Konstante, die feststehende, die unveränderl. bleibende Größe. Konstitution,Zusammensetzung; der Körperbau und die ihm entsprechende seelische Verfassung eines Menschen, kontinuierlich, in sich zusammenhängend, stetig.

Kontinuum, das in sich stetig und ohne Unterbrechung Zusam menhängende. Koordination, Zusammenordnung, Beiordnung. koordinieren, zusammenordnen, beiordnen. Kopula, Band ; das Wort, das im Satze Subjekt und Prädikat miteinander verbindet. Kosmogonie, Weltzeugung; Lehre von der Weltentstehung. Kosmologie, Lehre von der Welt. Kosmopolit, Bürger der Welt. Kosmos, Weltordnung. Kriterium, Mittel der Unterscheidung; der Unterscheidungsgrund. Kritizismus, die von Kant begründete Erkenntnistheorie, deren Aufgabe es ist, das Erkenntnisvermögen auf seine Leistung für die Erkenntnis und seine Grenzen zu prüfen. leptosom, von zartem Leib. Logik, die Lehre von den Begriffen und den zwischen ihnen bestehenden Zusammenhängen, von den Sätzen oder Urteilen, aus denen denknotwendig andere Sätze oder Urteile als Schlüsse folgen. Logistik, Rechenkunst; das Verfahren, Sätze und ihre Beziehungen zueinander durch Zeichen auszudrücken, mit denen wie in der Mathematik nach bestimmten Regeln so gerechnet werden kann, daß sich aus vorgegebenen Satzbeziehungen alle möglichen anderen ableiten lassen.

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Logos, gesprochenes und ge- Moral, Sittlichkeit. dachtes Wort ; Vernunft, Welt- moralisch, sittlich. v e r n u n f t ; Wort Gottes. multiple Proportionen, vielfach auftretende Verhältnisse. Makrokosmos, große Welt. Mysterium, Geheimnis; Geheimmaterial, inhaltlich im Gegensatz kult, der nur Eingeweihten zu formal. zugänglich und verständlich Materialismus, die Lehre, daß die ist. ganze Wirklichkeit, auch das Mythologie, Lehre von den MySeelische und Geistige, aus dem then, ihrer Überlieferung, ihStofflich-Körperlichen, aus der rem Ursprung und ihrer DeuMaterie, herzuleiten ist. tung. materiell, stofflich, körperlich. Mythos, Erzählung von Göttern Medium, Mitte; das vermittelnde und Menschen der Urzeit, von Wesen. der Weltentstehung und dem Meganthropos, Mensch im großen. Weltuntergang. Melancholiker, Schwarzgalliger; Negation, Verneinung. schwermütiger Mensch. Metapher, Übertragung; bild- Neurose, Nervenkrankheit. nomothetisch, Gesetze feststellicher Ausdruck. lend. Metaphysik, Lehre von dem, was hinter der Physis, der Natur, Norm, Richtschnur, Maßstab, Regel. als deren eigentl. Wesen steht. Metapsychik, die über das Seelische hinausgehende Forschung. Metapsychologie, die Seelenforschung, die über die übliche hinausgeht. Methode, der zu verfolgende Weg; das planmäßige wissenschaftliche Verfahren. Mikrokosmos, kleine Welt; der Mensch als kleine Welt. Modalität, die verschiedene Art und Weise, auf die etwas ist. Modifikation, Änderung der Art und Weise; Abwandlung. Modus, die Art und Weise. Moment, der Moment, der Augenblick; das Moment, der wesentliche Bestandteil eines Ganzen oder eines Vorgangs.

Objekt, Gegenstand, insbesondere Gegenstand der Erkenntnis. objektiv, das Objekt betreffend, gegenständlich ; sachlich. objektivieren, vergegenständlichen, verwirklichen. Objektivität, Sachlichkeit. Ontologie, Lehre vom Seienden als solchen, von seinen Seinsweisen, dem Sein des Seienden. Operation, Handlung, Verfahren. Operationsvorschriften, Regeln, nach denen verfahren werden soll. Organ, Organon, Werkzeug, das zur Erreichung eines bestimmt e n Zweckes dient. Organismus, Lebewesen; ein aus Gliedern, die bestimmten

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Zwecken dienen, bestehendes Ganzes, orthodox, rechtgläubig.

schränken nnd die Philosophie sich nach dem Vorbild der exakten Wissenschaften zu richten habe. Prädikat, das Ausgesagte. Prämissen, die vorangestellten Sätze, aus denen etwas geschlossen werden soll. Präzision, scharf und eindeutig gefaßte Bestimmung. primitiv, anfänglich, noch unentwickelt. Prinzip, das Erste, woraus anderes abgeleitet oder wodurch anderes bestimmt wird. Problem, zu lösende Aufgabe. proportional, in gleichem Verhältnis stehend. Prozeß, Fortgang, gesetzmäßiger Ablauf. Psyche, Leben, Seele. Psychiatrie, Seelenheilkunst. psychisch, zur Seele gehörend, seelisch. Psychoanalyse, Zerlegung, Zergliederung seelischer Erlebnisse. Psychologie, Lehre von derSeele. Psychopath, an der Seele Leidender; an krankhaften Zuständen und Störungen des Seelenlebens leidend. pyknisch, dick, fett.

Paralogismns, Fchlschluß. Parapsychologie, die Seelenforschung, die neben der üblichen betrieben wird, periodisch, regelmäßig wiederkehrend, pervers, verkehrt, der normalen i Veranlagung entgegengesetzt. Phänomen, Erscheinung, das Erscheinende. Phänomenologie, Lehre von den Erscheinungen; von den unmittelbar einzusehenden Wesenheiten und Wesenszusammenhängen. Phlegmatiker, von phlegma, einem zähflüssigen Saft; träger, behäbiger Mensch. Physik, Wissenschaft von der nicht lebendigen Natur. Physiognomik, die Kunst, die seelische Eigenart, den Charakter eines Menschen aus seiner körperlichen Beschaffenheit, besonders dem Gesicht, zu erkennen. Physiologie, Lehre von der Natur ; von den Vorgängen in lebendigen Wesen. Physis, die Natur, physisch, zur Natur gehörend, Qualität, Beschaffenheit, Eigenschaft. zur leiblichen Beschaffenheit Quantität, die Größe als Ausgehörend, dehnung und als Menge oder positiv, bejahend im Gegensatz zu Anzahl. negativ; tatsächlich gegeben. Positivismus, die philosophische Radikalismus, rücksichtslose Verfechtung und Durchsetzung Lehre, daß sich die Philosophie einer Sache oder einer Idee bis und die Wissenschaft auf die in die letzten Konsequenzen. Feststellung von Tatsachen be-

Fremdwörter ratio, Vernunft. rational, ans der Vernunft entspringend, durch die Vernunft erfaßbar; berechenbar. Rationalisierung, Herstellung einer vernunftgemäßen Ordnung. real, dinglich, wirklich; unabhängig vom Bewußtsein existierend. Realismus, die Lehre, daß es eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig vom Bewußtsein besteht und als solche erkennbar ist. Reflexion, Zurückwendung; die Riickwendung der Aufmerksamkeit auf sich selbst; das auf sich selbst angewandte Denken; das Denken über das Denken. Relation, Beziehung. relativ, nur in Beziehung auf anderes geltend im Gegensatz zu absolut. Relativierung, die Auflösung des an sich Geltenden und Absoluten in nur beziehungsweise Geltendes. relativistisch, alles in Beziehungen auflösend. Relator, der eine Beziehung Herstellende oder Ausdrükkende. Sanguiniker, Leichtblütiger; ein leicht erregbarer Mensch. Schema, anschauliche Darstellung eines Zusammenhangs von Gegenständen oder Begriffen. Scholastik, schulmäßig betriebene Wissenschaft. Seinsmodus, die Art und Weise, auf die etwas ist.

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Sensualismus, die alle Erkenntnis auf Sinneswahrnehmungen zurückführende Lehre. sexuell, geschlechtlich; das Geschlechtliche betreffend. Situation, die Lage, in der sich ein Mensch jeweils befindet. Skala, Stufenleiter, Einteilung nach Graden. Sophist, griechischer Weisheitslehrer; der mit Wortverdrehungen und Trugschlüssen arbeitende Redner. Soziologie, Gesellschaftslehre. Spekulation, Erkenntnis durch einen Spiegel (speculum); die Erkenntnis Gottes aus seiner Schöpfung; die über das verstandesmäßige Denken hinausgehende Erkenntnis der reinen Vernunft. spekulativ, durch reine Vernunft erkennend. Spezies, Art. spezifisch, der Art zukommend, artbildend. Stabilität, Festigkeit, Beständigkeit. statisch, stehen bleibend, ruhend. Stereometrie, die Geometrie des Raumes im Unterschied von der Planimetrie, der Geometrie der Ebene. Struktur, Gefüge, Aufbau, innerer und gegliederter Zusammenhang der Teile eines Ganzen. Subjekt, der Träger von Zuständen, Eigenschaften, Wirkungen, insbesondere der Träger der seelischen Eigenschaften, das Ich.

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subjektiv, zum Subjekt gehörend; unsachlich. Subjektivierung, die Herstellung von Beziehungen zum Subjekt, zum eigenen Ich. Subjektivität, Abhängigkeit vom Subjekt; Unsachlichkeit. Subordination, Unterordnung. Substantivum, das Hauptwort, das eine Person oder eine Sache bezeichnet. Substanz, das darunter Stehende, Zugrundeliegende; der beharrende Träger einer Gesamtheit von sich ändernden Eigenschaften. Substitution, Einsetzung, Ersetzung einer Größe durch eine andere. Syllogismus, logischer Schluß, der aus drei Sätzen besteht, von denen die beiden ersten die Voraussetzungen oder Prämissen sind, der dritte der sich aus ihnen ergebende Schluß ist. Synopse, Synopsis, Zusammenschau. Synthese, Zusammenstellung; Vereinigung, Verknüpfung. synthetisch, zusammensetzend. System, ein aus Teilen zusammengesetztes in sich abgeschlossenes und geordnetes Ganzes.

ihre Beziehungen zueinander erklärt. Totalität, Ganzheit. transintelligibel, jenseits der durch den Verstand zu gewinnenden Erkenntnis liegend. Transitivität, Übertragbarkeit. transphysica, das über die Natur hinaus Liegende. transsubjektiv, über das subjektive Erkenntnisvermögen hinausgehend. transzendent, überschreitend, darüber hinausgehend. transzendental, überschreitend ; bei Kant heißen die a priori gegebenen Anschauungen und Begriffe transzendentale, die auf Erfahrung anwendbar sind und sie erst möglich machen. Typologie, Lehre von der Ordnung einer Mannigfaltigkeit von Gegenständen nach Typen. Typus, Gepräge; Grundform, Vorbild, Muster; das eine Gattung am vollkommensten darstellende Exemplar. universal, universell, allumfassend, allgemein. Universum, das um Eines sich Drehende: das Weltall. Variable, veränderliche Größe. Variation, Abwandlung, Abänderung. Vitalität, Lebenskräftigkeit, Lebenstauglichkeit. Vitalsphäre, Bereich des subjektiven Lebens, der Triebe und der Instinkte.

Terminologie, Lehre von den zu einer Fachsprache gehörenden Begriffen (termini) mit festgesetzter Bedeutung. Theorie, die Einordnung von verschiedenen Erscheinungen oder Tatsachen in einen Begriindungszusammenhang, der Zyklus, Kreis, Kreislauf. L e i s e g a n g , Philosophie

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Hans Leisegang

Walter de Gruyter Berlin-Newark Meine Weltanschauung Aus dem Nachlaß als Abschiedsgruß Herausgegeben von der Freien Universität Berlin Oktav. 68 Seiten. 1952. Broschiert DM 8 , -

Akademie-

Kants Werke

Textausgabe

Unveränderter photomechanischer Abdruck des Textes der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1902 begonnenen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften. 9 Bände. Oktav. Paperback D M 1 4 0 , -

I. H. Fichte

Fichte Werke

(Hrsg.)

11 Bände. 1971. Paperback DM 1 3 2 , -

Heinz

Transzendentale Dialektik

Heimsoeth

g ¡ n Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft 4 Teile. Groß-Oktav. 1966/71. Kartoniert Teil 1 : Ideenlehre und Paralogismen. XII, 198 S. DM 28,— Teil 2: Vierfache Vernunftantinomie; Natur und Freiheit; intelligibler und empirischer Charakter. IV, Seiten 1 9 9 - 4 0 8 . DM 2 8 , Teil 3: Das Ideal der reinen Vernunft; die spekulativen Beweisarten vom Dasein Gottes; dialektischer Schein und Leitideen der Forschung. VI, Seiten 4 0 9 - 6 4 4 . D M 2 8 , Teil 4: Die Methodenlehre. Mit einem Nachwort und Register für alle vier Teile. VI, Seiten 6 4 5 - 8 4 7 . DM 2 8 , -

Karl Jaspers

Existenzphilosophie 3. Auflage. Oktav. VI, 90 S. 1964. Gebunden DM 1 2 , -

Karl Jaspers

Descartes und die Philosophie 4., unveränderte Auflage. Groß-Oktav. 104 Seiten. 1966. Gebunden DM12,80 ISBN 3 11 000864 5

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Walter de Gruyter Berlin-Newark Sammlung Göschen Klein-Oktav. Kartoniert

Karl Jaspers

Die geistige Situation der Zeit Siebenter Abdruck der im Sommer 1932 bearbeiteten 5. Auflage 194 Seiten. 1971. DM 5,80 ISBN 3 11 006471 5 (Band 3000)

Georg Simmel

Hauptprobleme der Philosophie 8., unveränderte Auflage. 177 Seiten. 1964. DM 4,80 ISBN 3 11 006137 6 (Band 500)

Paul Lorenzen

Formale Logik 4., verbesserte Auflage. 184 Seiten. 1970. DM 7,80 ISBN 311 002772 0 (Band 1176/1176a)

Apel/Ludz

Philosophisches Wörterbuch 5., völlig neu bearbeitete Auflage. 315 Seiten. 1958. DM 7,80 ISBN 311 006223 2 (Band 1031/1031a)

Michael

Philosophische Anthropologie

Landmann

Menschliche Selbstdeutung in Geschichte und Gegenwart. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. 222 Seiten. 1969. DM 7,80 ISBN 311 002739 9 (Band 156/156a)