Einführung in die Philosophie 9783111587158, 9783111213606


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German Pages 145 [148] Year 1951

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Inhalt
Einleitung
I. Das Wesen der Philosophie
II. Die Disziplinen der reinen Philosophie
III. Die Disziplinen der angewandten Philosophie
IV. Die Geschichte der Philosophie
V. Anleitung zum Studium der Philosophie
VI. Die in diesem Buche gebrauchten Fremdwörter und ihre Bedeutung
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Einführung in die Philosophie
 9783111587158, 9783111213606

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SAMMLUNG G Ö S C H E N B A N D 281

Einführung in die

Philosophie Von

H A N S LEISEGANG ord. Professor an der Freien Universität Berlin

WALTER

DE

GRUYTER

&

CO.

vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung . Georg Reimer • Karl J . T r ü b n e r . Veit & Comp.

Berlin

1951

Alle

Rechte, von

der

insbesondere

das

Verlagshandlung

Übersetzungsrecht, vorbehalten

Archiv-Nr. 1102 81 Druck von Thormann & Goetsch, Berlin SW 61 Printed in Germany

Inhalt Einleitung I. Das Wesen der Philosophie 1. Die Aufgaben der Philosophie. 2. Philosophie und Religion 3. Philosophie und Wissenschaft 4. Philosophie und Leben II. Die Disziplinen der r e i n e n P h i l o s o p h i e 1. Psychologie 2. Erkenntnistheorie ! 3. Logik und Dialektik 4. Ontologie und Metaphysik 5. Ethik 6. Ästhetik III. Die Disziplinen der a n g e w a n d t e n P h i l o s o p h i e . . 1. Philosophie der Mathematik 2. Naturphilosophie 3. Kulturphilosophie 4. Geschichtsphilosophie 5. Rechtsphilosophie 6. Religionsphilosophie 7. Philosophische Anthropologie und Existenzphilosophie.... 8. Soziologie 9. Sprachphilosophie IV. Die Geschichte der P h i l o s o p h i e 1. Philosophiegeschichte als philosophisches Problem 2. Weltanschauungslehre und die Typologie der Weltanschauungen 3. Zur philosophischen Terminologie V . A n l e i t u n g zum S t u d i u m der P h i l o s o p h i e 1. Der Weg in die Philosophie 2. Lehrbücher 3. Wörterbücher 4. Zeitschriften VI. Die in diesem Buche g e b r a u c h t e n F r e m d w ö r t e r u n d ihre B e d e u t u n g

3 4 5 5 7 9 11 13 14 22 38 67 78 87 90 91 93 94 97 100 103 107 113 115 118 120 121 125 126 127 129 136 137 138

Einleitung Dieses Buch ist nicht für Philosophen und philosophisch geschulte Gelehrte geschrieben, sondern für alle, die von Philosophie nichts verstehen, aber wissen möchten, was Philosophie eigentlich ist und warum man sich mit ihr befaßt. Es ist auch nicht dazu geschrieben, das Philosophieren zu lehren, sondern Wissen zu vermitteln, Verständnis zu erwecken und auf alles das hinzuweisen, was gebraucht wird, um philosophische Werke zu lesen und Philosophie zu studieren. Die verwirrende Fülle der philosophischen Probleme, der Systeme und Weltanschauungen, die vielen philosophischen Begriffe, die meist durch Fremdwörter bezeichnet werden, deren Bedeutung nur bei guten Sprachkenntnissen voll erfaßt werden kann, fordern eine übersichtliche Gliederung des ganzen Gebiets und eine Erklärung der einzelnen Bestandteile, aus denen es sich zusammensetzt. Dabei kann nicht wie bei einer Fachwissenschaft vom Einfachen zum Schwierigeren fortgeschritten werden, weil jedes Teilgebiet der Philosophie leicht zu Verstehendes und schwer zu Begreifendes in sich enthält, und man kann sich auch nicht dieses oder jenes auswählen, da alles miteinander in Verbindung steht und seinen Sinn aus dem Ganzen heraus erhält. Der Leser soll daher aus dem Ganzen ins Einzelne und aus diesem wieder ins Ganze zurückgeführt werden, lind er wird darum gebeten, sich auch führen zu lassen, nicht in dem Buche herumzublättern, sondern es vom Anfang bis zum Ende zu lesen; denn der Verfasser möchte einführen, unterrichten und das Rüstzeug liefern, das man zu einem selbständigen Studium der Philosophie braucht, nicht aber in eine bestimmte Richtung lenken, sondern zum eigenen Urteilen und Nachdenken auf Grund eines erarbeiteten Wissens anregen.

I. Das Wesen der Philosophie Das aus dem Griechischen stammende Wort Philosophie bedeutet in wörtlicher Übersetzung Weisheits- oder Wissensliebe. Diesem Sinne des Wortes entsprechend ist Philosophie das Streben nach Erkenntnis des Wesens und des Zusammenhangs aller Dinge und zugleich die Selbstbesinnung des Menschen auf sein eigenes Wesen, seine Stellung in dieser Welt und zu seinen Mitmenschen, um aus ihr seine Bestimmung, den Sinn und Zweck seines Daseins zu erschließen. 1. Die Aufgaben der Philosophie Aus dem Streben nach Erkenntnis erwächst dem Philosophen zunächst die Aufgabe, die Organe der Erkenntnis, die Sinne, den Verstand und die Vernunft, daraufhin zu prüfen, ob und inwieweit sie eine wahre Erkenntnis der Welt außer uns und der Vorgänge in uns zu vermitteln imstande sind und wo die Grenzen der menschlichen Erkenntnis liegen. Um etwas über das Wesen und den Zusammenhang aller Dinge zu erfahren, wird der Philosophierende sich um die Ergebnisse der Wissenschaften bemühen und ihre Methoden studieren. Die Selbstbesinnung auf das eigene Wesen wird ihn dazu führen, nach Richtlinien und Maßstäben zu suchen, die das Denken, Handeln und Schaffen des Menschen bestimmen. Der Bewältigung dieser Aufgaben dienen die einzelnen Teilgebiete oder Disziplinen der Philosophie. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie ist es, die Ursprünge der Erkenntnis und die Erkenntnismittel, den Vorgang des Erkennens und den Gegenstand der Erkenntnis zu untersuchen, die der Erkenntniskritik, die Möglichkeit, die Gültigkeit und die Grenzen der Erkenntnis festzustellen. Die Psychologie ist die Wissenschaft vom gesamten Seelenleben von den Instinkten und Trieben bis zu den höchsten Leistungen des Denkens, während die Logik es allein mit dem richtigen Denken und den die Richtigkeit des Denkens verbürgenden Regeln zu tun hat. Gegenstand der Ethik ist der handelnde, sein Leben und das seiner Mitmenschen gestaltende und dabei festen Grundsätzen folgende Mensch, die

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Das Wesen der Philosophie

Ästhetik aber sucht den schaffenden, den schöpferischen Menschen, den Künstler und die Werke der Kunst in ihrem Wesen zu verstehen. In der Metaphysik handelt es sich schließlich um das, was hinter der Natur, der Physis, als deren eigentliches Wesen steht, um das über alle Natur Hinausgehende, sie Überschreitende, das Transzendente. Alle diese Disziplinen hängen miteinander zusammen, sie bilden ein Ganzes, ein System, so daß jeder Philosoph sich mit allen zu befassen und sie zusammenzudenken hat, woraus sich dann seine Weltanschauung als die Gesamtansicht vom Wesen der Welt und der Stellung des Menschen in ihr ergibt. Was jede Philosophie als solche kennzeichnet, das sind die in ihr auftretenden Fragestellungen. Die Fragen, die der Philosoph zuerst zu stellen hat, sind die nach der Wahrheit. So wird in der Erkenntnistheorie danach gefragt, ob die Eindrücke, die uns die Sinne vermitteln, und der Verstand, der mit diesen Eindrücken arbeitet, zu wahren Erkenntnissen führen. In der Logik wird danach gefragt, wie logische Schlüsse beschaffen sein müssen, damit aus wahren Voraussetzungen auch wieder Wahres folgt. In der Ethik wird danach gefragt, welches das einzig wahre und allgemeingültige Sittengesetz ist, nach dem wir unsere Handlungen zu richten haben. Die Weltanschauungen werden auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. Die Wissenschaften werden nach den Voraussetzungen durchforscht, von denen sie ausgehen; sie werden daraufhin untersucht, ob sie wahr sind oder grundlegende Irrtümer enthalten. Und auch vor den Religionen macht die Philosophie nicht halt; sie stellt auch an sie die Frage nach ihrer Wahrheit. Die zweite Art von Fragen, die in der Philosophie gestellt werden, sind die Fragen nach dem Wesen aller Dinge. Es wird gefragt nach dem Wesen der Materie ebenso wie nach dem Wesen Gottes, nach dem Wesen der Kunst ebenso wie nach dem Wesen der Religion. Der dritte Kreis von Fragen besteht aus den Fragen nach dem Sinn. Was ist der Sinn der Welt? Was ist der Sinn unseres Lebens? Was ist der Sinn der Geschichte ? Hat die Welt überhaupt einen für uns verstehbaren Sinn ? Ist nicht unser ganzes Leben eine Kette von Sinnlosigkeiten und Zufällen ?

Philosophie und Religion

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So wird in der Philosophie alles und jedes in Frage gestellt. Aber es wird auch nach Antworten auf diese Fragen gesucht, nach dem, was unbezweifelbar feststeht und wahr ist, nach dem, was absolut gilt. Und wenn der Schatz solcher Wahrheiten und Erkenntnisse auch noch so klein sein sollte, so bedeutet er doch eine Annäherung an das Absolute, das Ewige, das Unbedingte, das standhält und an das man sich halten kann. 2. Philosophie und Religion Philosophie und Religion entspringen beide dem Suchen des Menschen nach der Wahrheit, nach der Erkenntnis des Wesens der Dinge und des Sinns unseres Daseins in einer sinnvollen Welt. Während aber der philosophierende Mensch sich immer auf dem Wege befindet, der durch alles Fragen hindurch zu einem Absoluten, Unbedingten und Ewigen hinführt, ist der religiöse Mensch von diesem Absoluten, das er Gott nennt, erfüllt und im Innersten ergriffen. Während der philosophische Forscher das Weltgeheimnis zu entschleiern versucht und bis an die Grenzen alles Wissens und Wißbaren heranführt, besteht das Wesen der Religion darin, daß sie da beginnt, wo keine Wissenschaft hinführt, das Geheimnis, das Mysterium sich als solches offenbart, wo das Unerforschliche und Unbegreifliche in unser Leben einbricht. Hier beginnt ihr Reich. Während die Philosophie das Schöne und das Erhabene, das Staunen und die Erfurcht vor allem, was über uns, um uns, in uns und unter uns ist, ebenso kennt wie die Religion, so fehlen ihr doch das Heilige, die Scheu vor den himmlischen und dämonischen Mächten und ihrer Offenbarung, die Gottesfurcht und die Todesangst, die Gottesliebe und die Gottseligkeit, der Glaube, das Wunder, die Magie, das Gebet und der Kultus. Zu jeder Religion gehört der Mythos und ist mit ihr aufs engste verbunden. Der Mythos aber berichtet vom Anfang und vom Ende der Welt, vom Wesen der Welt und der in ihr waltenden geheimnisvollen göttlichen und dämonischenKräfte, von der Schöpfung des Menschen, seinem Verhältnis zu Göttern und Geistern, vom Urzustand der Menschheit und von der Geschichte und dem Schicksal, zu dem die Götter den Men-

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Das Wesen der Philosophie

sehen bestimmt haben. Er behandelt also dieselben Gegenstände, mit denen es auch die Philosophie zu tun hat. Das gilt für alle Religionen, in denen alle diese Motive in mehr oder weniger primitiver oder in hoch kultivierter Form auftreten. Wenn wir aber heute etwas über das Verhältnis der Philosophie zur Religion wissen wollen, so denken wir dabei nicht an alle die vielen Religionen, die es auf unserer Erde gibt und gegeben hat, die im Laufe der Weltgeschichte aufgetreten sind und auf ihren Verlauf keinen geringen Einfluß gehabt haben, sondern wir denken dabei an eine bestimmte Religion, die wir kennen oder doch kennen sollten, an das Christentum, ohne das die abendländische Kultur nicht das geworden wärö, was sie ist. Von den christlichen Theologen aber ist das Verhältnis der Philosophie zur Religion eingeschränkt worden auf das Verhältnis des Wissens zum Glauben, und aus ihm ergibt sich die Stellung des christlich gläubigen Menschen zur Philosophie. Sie ist in den beiden Konfessionen, der katholischen und der protestantischen, eine sehr verschiedene. Nach orthodoxer katholischer Lehre widersprechen die Erkenntnisse der natürlichen Vernunft, mit der Gott den Menschen ausgestattet hat, nicht den Einsichten, zu denen er durch die zu glaubende Offenbarung Gottes gelangt. Was dem menschlichen Erkennen und Wissen nicht zugänglich ist, das ist nicht widervernünftig, sondern übervernünftig. In der Philosophie wird die Welt und alles in ihr betrachtet und erforscht nach ihrer natürlichen Eigenart, der Glaube aber bringt sie in Beziehung zu Gott, der diese Welt geschaffen hat, so daß sein Wirken aus seinem Werke heraus zu erkennen ist. Die durch die menschliche Vernunft erworbenen Erkenntnisse und die durch die Gnade Gottes dem Menschen geschenkte Offenbarung stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich so, daß das, was die Natur begann, durch die Gnade vollendet wird. Die Aufgabe einer christlichen Religionsphilosophie ist es, dies zu zeigen und den Glauben mit dem Wissen zu versöhnen. In der orthodoxen protestantischen Theologie aber wird dieses Verhältnis der Religion zur Philosophie, des Glaubens

Philosophie und Wissenschaft

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zum Wissen nicht als das dem Evangelium entsprechende anerkannt. Beide werden vielmehr zueinander in einen unausgleichbaren Gegensatz gestellt. Die menschliche Vernunft ist die durch den Sündenfall verdunkelte, verdorbene und verkehrte Vernunft. Alles, was diese Vernunft dem Menschen zu sagen hat, steht im Widerspruch zu dem, was Gott ihm durch seine Offenbarung sagt. Die Selbstherrlichkeit, mit der ein Mensch im Vertrauen auf seine Vernunft eine Philosophie, eine Ethik und eine Weltanschauung begründet und nach ihr lebt, ist das vollendetste Werk seiner Sündhaftigkeit, die in der Überheblichkeit besteht, durch die der Mensch sich dem Gehorsam im Glauben und der Unterwerfung unter Gottes Willen und seine Gnade entzieht. 3. Philosophie und Wissenschaft Die Philosophie und die einzelnen Wissenschaften haben die gemeinsame Aufgabe, zu einer wahren Erkenntnis der Wirklichkeit zu gelangen. Dabei ist zu unterscheiden die philosophische Erkenntnis, die aller Wissenschaft vorausgeht, von der philosophischen Forschung, die den Erkenntnissen der Wissenschaften nachgeht, ihre Grundbegriffe und Methoden untersucht und ihre Ergebnisse in einen systematischen Zusammenhang bringt. Aus den Fragen, die der Philosoph an die Natur, an das Menschenleben und an sich selbst stellt, ergeben sich die Grundbegriffe, die ersten Voraussetzungen und die Prinzipien, die aller wissenschaftlichen Forschung zugrunde liegen. So entspringen aus der alle wissenschaftliche Forschung begründenden Voraussetzung, daß die wirkliche Welt kein unentwirrbares und in sich sinnleeres Chaos ist, sondern in ihr eine Ordnung waltet und Zusammenhänge zwischen allen Dingen bestehen, die Fragen nach der Beschaffenheit der Ordnungen und nach den Gesetzlichkeiten, die in den sich der Betrachtung unmittelbar darbietenden Gebieten der nicht lebendigen Gegenstände, der lebendigen Organismen, der beseelten Wesen und der Schöpfungen des menschlichen Geistes zu entdecken sind. Aus der Philosophie stammen die das ganze Reich des Wirklichen gliedernden Grundbegriffe Welt und Mensch, Na-

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Das Wesen der Philosophie

tur, Leben, Seele, Geist, und nach ihnen ordnen sich die Wissenschaften in die Kosmologie und die Anthropologie, in die Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften, in die Wissenschaft vom Leben, die Biologie, und die Wissenschaft von der Seele, die Psychologie. Dadurch daß in der Philosophie solche Grundbegriffe, dazu die Einteilung und der Aufbau der Wissenschaften, ihre den verschiedenen Gegenständen angepaßten Methoden und ihre Ergebnisse zum Gegenstand der Forschung gemacht werden, entsteht die Wissenschaftstheorie, und mit ihr entstehen die von den Einzelwissenschaften ausgehenden philosophischen Disziplinen der Geschichts- und Kulturphilosophie, der Sprachphilosophie, der Philosophie der Mathematik, der Rechtsphilosophie, der Religionsphilosophie und aller übrigen Wissenschaften. Es sind die Disziplinen der auf die Wissenschaften angewandten Philosophie im Unterschied von denen der reinen Philosophie, die sich in Psychologie, Erkenntnistheorie, Logik, Ethik, Ästhetik und Metaphysik gliedert. Jede dieser Disziplinen der reinen Philosophie kann in der angewandten Philosophie ihre besondere Aufgabe erhalten, so daß es zum Beispiel eine Erkenntnistheorie und eine Logik der Geschichtswissenschaften gibt, eine ethische und eine ästhetische Wertung der Geschichte und eine Geschiehtsmetaphysik. Wenn von der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaften gesprochen wird, so sind damit nicht die Voraussetzungen, Prinzipien und Axiome gemeint, die als solche philosophischen Ursprungs sind und angesetzt werden müssen, um wissenschaftliche Forschung und die Herstellung eines aus Grundsätzen ableitbaren Begründungszusammenhangs möglich zu machen, sondern es handelt sich um solche Voraussetzungen, die sich aus den Lehren einer Kirche oder den Forderungen einer politischen. Ideologie ergeben und durch die dem Wissenschaftler und auch dem Philosophen vorgeschrieben wird, daß ihre Forschungen nur zu solchen Ergebnissen führen dürfen, die mit den Glaubenslehren oder den politischen Dogmen übereinstimmen oder ihnen wenigstens nicht widersprechen. In diesem Sinne wurde der Ausdruck „Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft" von Theodor Mommsen

Philosophie und Leben

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im Streit um die Errichtung von Weltanschauungsprofessuren an der Reichsuniversität Straßburg eingeführt und später vielfach mißverstanden. 4. Philosophie und Leben Was den philosophierenden Menschen vom unphilosophischen oder jede philosophische Besinnung ablehnenden Menschen unterscheidet, ist seine Haltung gegenüber dem Leben. Hierbei wird unter dem „Leben" das menschliche Leben verstanden, zu dem alles gehört, was der Mensch in seinem Erdendasein „erlebt", an sich selbst erfährt und erleidet und um sich her andere Menschen erleben, erfahren und erleiden sieht. Es war zu allen Zeiten in unserer Kultur das wesentliche Kennzeichen des Philosophen, daß er zugleich ein Weiser war, der es vermochte, sich über dieses Leben zu erheben, von ihm Abstand zu nehmen, aus dem Lebensstrom herauszutreten und ihn zum Gegenstand seiner Betrachtungen zu machen. Hierdurch erreichte er die Erlösung vom Ich, von allem ichbezogenen, zweckbestimmten Wollen und Handeln, die Seelenruhe und die Fähigkeit zur objektiven Erkenntnis und Bewertung der Dinge und der Menschen. Diese Haltung gegenüber dem Leben aber ist nur die besondere Ausbildung eines Wesenszuges, der jedem Menschen zukommt, der zum geistigen Leben erwacht ist. Menschlicher Geist offenbart sich in dem Bestreben und in der Fähigkeit, die Welt, die ihn umgibt, und auch das eigene Ich, als das er sich in dieser Welt vorfindet, zu objektivieren. Der ungeistige Mensch ist solcher Objektivierung nicht fähig. Alles wird von ihm in die Vitalsphäre, in sein eigenes Erleben, Bedürfen und Begehren einbezogen; aber es kümmert ihn nicht, wie die Dinge an sich beschaffen und was sie ihrem Wesen nach sind. Wenn der Mensch in diesem Leben handeln muß und zu den Ereignissen und den Mitmenschen Stellung zu nehmen hat, so unterscheidet sich der geistige Mensch vom ungeistigen dadurch, daß er dabei die Distanz zu den Dingen und zu seinem Leben nicht aufgibt und sich .bemüht, sie objektiv zu sehen, wie sie sind, um danach seine Entscheidungen zu treffen. Und er ist um so mehr eine Persönlichkeit, als er sich nicht willenlos

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Das Wesen der Philosophie

treiben läßt oder sich fremdem Willen unterwirft, sondern diese Distanz von den Dingen, von den Menschen und von seinem eigenen Schicksal aufrecht erhält. Gerade hierdurch wird die Verbindung zwischen den Menschen und der sie umgebenden Welt als etwas sie alle Übergreifendes immer wieder hergestellt, während sie durch alles Subjektive, nur den eigenen Interessen Dienende und auf das eigene Ich Bezogene immer wieder zerrissen und zerstört wird. Hierauf beruht auch die Überlegenheit der großen Persönlichkeit, die alle in ihren Bann zieht, weil jeder spürt, daß sie ihre Wurzeln im Geistigen, im Objektiven hat und um das Wirkliche und immer Bleibende weiß. Denn gerade dadurch, daß der Mensch sich selbst aufgibt, sich hingibt an die Sache und an seine Mitmenschen, gewinnt er den Abstand vom Leben, was ihn schließlich dahin führt, daß er sich selbst nicht mehr für so sehr wichtig hält. Und das äußert sich in dem weltüberlegenen Humor, den nur der besitzt, der sich über das Leben erheben und es von einem höheren Standpunkte aus betrachten kann. Der zuerst von Kierkegaard unternommene Versuch, den Menschen in seine reine Subjektivität zurückzustoßen und in ihr das wesentlich Menschliche zu sehen, ist durchaus unphilosophisch und bedeutet eine Abkehr von allem, was bisher unter Philosophie verstanden wurde. Anders steht es mit der sogenannten Lebensphilosophie. Im weiteren Sinne dieses Wortes umfaßt sie alle philosophischen Bestrebungen, die den nicht rational erfaßbaren Mächten und Kräften, dem unmittelbaren Erleben zu ihrem Recht im gesamten Kulturleben verhelfen wollen, ein Bestreben, gegen das kein Philosoph, dem es um die Erkenntnis der ganzen Wirklichkeit einschließlich des nicht verstandesmäßig Erfaßbaren zu tun ist, etwas einzuwenden hat. Im engeren Sinne versteht man unter Lebensphilosophie die Theorie, nach der das Leben als solches der höchste Wert ist, das Gut aller Güter, zu dessen Erhaltung und Steigerung alles zu dienen hat. Aufsteigendes Leben gilt dabei als wertvoll, absinkendes nicht. Aus diesem Ansatz werden die Normen sowohl für die Erkenntnis wie auch für die Sittlichkeit gewonnen. Wahr ist, was dem Leben nützt, Was die Vitalität des einzelnen und des

Die Disziplinen der reinen Philosophie

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Volkes erhöht. Gut und recht ist, was das Leben reicher und lebenswerter macht. Gut ist daher auch die Vernichtung schwächlicher und kranker Menschen und die Höherzüchtung der gesunden. Der Einseitigkeit solcher Lebensphilosophie, ist entgegenzusetzen, daß das menschliche Leben als solches für den Menschen kein höchster Wert ist; denn er kann es um anderer Werte willen verneinen, er kann sein Leben zum Opfer bringen für Werte, die ihm höher stehen als sein eigenes Dasein. „Das Leben ist der Güter höchstes nicht", und „wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren", das sind Worte, die in jeder kultivierten Menschengemeinschaft gelten, während sich mit Hilfe der Lebensphilosophie jede Barbarei begründen und rechtfertigen läßt und auch tatsächlich begründet und gerechtfertigt wurde.

II. Die Disziplinen der reinen Philosophie Das Streben nach Erkenntnis und Wissen des noch nicht zur philosophischen Besinnung erweckten Menschen ist zunächst auf die Außenwelt, auf seine Mitmenschen und auf das ganze ihn umgebende Leben gerichtet. Erst der sich regende Zweifel daran, ob die Dinge und die Menschen, die er sieht und mit denen er es zu tun hat, auch so sind, wie sie sich ihm darbieten, zerstört dieses naive Vertrauen auf die Erkenntnisorgane und ihre Leistungen. Dann tritt an die Stelle des Strebens nach der Erkenntnis der Außenwelt die Rückwendung, die Reflexion, auf das erkennende Ich oder das Subjekt der Erkenntnis, um es daraufhin zu untersuchen, ob es zu einer wahren Erkenntnis überhaupt fähig ist. Das Erkennen ist jedenfalls ein Vorgang, der sich im menschlichen Bewußtsein abspielt, und so ergibt sich als erste Aufgabe philosophischer Forschung die Untersuchung aller Bewußtseinsvorgänge. Das ist die Aufgabe der Psychologie. Aus den Bewußtseinsvorgängen wird durch die Erkenntnistheorie der Erkenntnisakt als solcher herausgehoben, wobei sich herausstellt, daß unser Erkennen nicht nur ein passives Aufnehmen von Eindrücken durch die Sinnesorgane ist, sondern erst mit Hilfe des Denkens, das sich aktiv der Eindrücke bemächtigt, zustande

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Die Disziplinen der reinen Philosophie

kommt. Von der Erkenntnistheorie muß daher zur Logik fortgeschritten werden, deren Aufgabe es ist, das Denken auf seine Richtigkeit zu prüfen und Kriterien aufzustellen, durch die richtiges Denken von falschem unterschieden werden kann. Ist so eine Einsicht in das Wesen und die Fähigkeiten der Erkenntnismittel gewonnen, die dem Menschen zur Verfügung stehen, kann die Erforschung der wirklichen Welt, des Seienden, aufgenommen werden. Es sind die Ontologie, die Lehre vom Sein des Seienden, und da, wo es sich um die allem Seienden zugrunde liegenden letzten oder höchsten Prinzipien handelt, die Metaphysik, die diese Aufgabe zu lösen haben. Der Mensch ist aber nicht nur ein erkennendes, sondern auch ein handelndes und ein schaffendes Wesen, wodurch er in die ihn umgebende Welt eingreift und sie verändert. Mit seinen Handlungen befaßt sich die Ethik, mit seinen Schöpfungen, den Werken seiner Kunst, die Ästhetik. Hieraus ergibt sich der Zusammenhang, in dem die einzelnen Disziplinen der Philosophie stehen und aus dem heraus sie zu verstehen sind. 1. Psychologie Die Psychologie, die seit ihrer Begründung durch Aristoteles, der das erste psychologische Werk mit dem Titel De anima, Über die Seele, schrieb, nur von Philosophen betrieben wurde, ist heute zu einer selbständigen Wissenschaft geworden. Die Fragen nach der Existenz einer Seele, ihrem Verhältnis zum Leibe und ihrer Unsterblichkeit oder Vergänglichkeit wurden in die Metaphysik und in die Religionsphilosophie verwiesen. War die Beantwortung dieser Fragen von den Weltanschauungen abhängig, die von den Philosophen vertreten wurden, oder von dem religiösen Glauben, so wird die moderne psychologische Forschung bestimmt durch die Wissenschaften und ihre Methoden, und es gibt daher nicht eine Psychologie, sondern den verschiedenen Wissenschaften entsprechend mehrere Arten von Psychologien, die sich durch ihre Methoden unterscheiden. Zunächst stehen sich gegenüber die naturwissenschaftliche und die geisteswissenschaftliche Psychologie.

Psychologie

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Die mit naturwissenschaftlichen Methoden arbeitende Psychologie, die in ihren Anfängen von Wilhelm Wundt physiologische und dann experimentelle und empirische Psychologie genannt wurde, ist dadurch gekennzeichnet, daß die komplizierten Bewußtseinsvorgänge der naturwissenschaftlichen Analyse entsprechend in ihre einfachen Elemente, in die Reaktionen auf künstlich durch Experimente hervorgerufene und kontrollierbare Reize, in die ihnen entsprechenden Empfindungen, in die Wahrnehmungen der einzelnen Sinnesorgane, die Willenshandlungen, die Gefühle, die Denkprozesse zerlegt werden. Dazu müssen die einzelnen Vorgänge aus dem ganzen Erlebniszusammenhang herausgelöst, künstlich isoliert und so dem Experiment und der unmittelbaren Beobachtung zugänglich gemacht werden. Durch diese von der Physik und von der Physiologie übernommene Arbeitsweise werden gesicherte und nachprüfbare Ergebnisse gewonnen über alle seelischen Vorgänge, die sich in dieser Weise isolieren und untersuchen lassen, ohne daß sie hierdurch ihre Eigenart verlieren. Um alles Subjektive auszuschalten und jede Deutung experimenteller oder durch Beobachtung gewonnener Ergebnisse nach Analogie eigener Erlebnisse zu vermeiden, die zur Bildung von Begriffen wie Bewußtsein, Wahrnehmung, Wille, Gefühl geführt haben, entstand in Amerika der Behaviorismus und in Rußland die Psychoreflexologie. Das Wort behavior heißt „Verhalten", und die psychologische Forschung soll sich darauf beschränken, das Verhalten von Menschen und Tieren in bestimmten Situationen zu studieren, um dadurch allgemeine Regeln und Gesetze zu finden, denen das Verhalten folgt, so daß sich bei gegebenen Situationen voraussagen läßt, wie die Menschen oder Tiere sich in ihnen benehmen und was sie tun werden. Die Psychoreflexologie als die Lehre von den Widerspiegelungen äußerer Einflüsse im Organismus und seinen Handlungen beschränkt sich auf die objektive Feststellung der Zusammenhänge zwischen bestimmten äußeren Anregungen und den physiologischen Funktionen einzelner Organe, die durch sie verändert werden, und zwar auch durch Prozesse, die unbewußt bleiben und auf erblicher Erfahrung der Gattung beruhen.

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Die Disziplinen der reinen Philosophie

Hatte schon die experimentelle psychologische Forschung zu dem Ergebnis geführt, daß jeder Bewußtseinsvorgang sich nicht aus den einzelnen Elementen zusammensetzen läßt, in die man ihn zerlegen kann, sondern eine schöpferische Synthese hinzutritt, die sie zu einer Einheit verbindet, so wird jetzt allgemein anerkannt, daß alles Psychische die Struktur von Ganzheiten zeigt, die mehr sind als nur eine Summe ihrer Teile, so wie eine Melodie mehr ist als nur eine Folge von einzelnen Tönen. Dies führte zur Ganzheitspsychologie, Gestaltpsychologie und Strukturpsychologie, deren Aufgabe die Erforschung der ganzheitlichen Gebilde ist, die sich als Gestalten im Unterschied von allem Formlosen, von Reihen, Summen und Aggregaten darstellen, und die Feststellung von Zusammenhängen zwischen physischen, physiologischen und psychischen Gestalten, die auch noch durch experimentelle Methoden erreicht werden kann. Für die geisteswissenschaftliche Psychologie dagegen kommen solche Methoden nicht in Betracht, weil man durch sie nicht gefördert wird, wenn es sich um das Verstehen des Seelenlebens der Menschen handelt, von der im Alltag benötigten Menschenkenntnis bis zum Verstehen der großen Persönlichkeiten der Geschichte, der Dichter, der Künstler, der Propheten, von denen die Kultur geschaffen wird und die das Geistesleben der Menschheit bestimmen. Hier handelt es sich nicht um eine Zerlegung des Seelenlebens in Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gefühle, sondern um die ganze und mächtige Wirklichkeit der einzelnen Seele von ihren niedrigsten bis zu ihren höchsten Möglichkeiten. Die psychologische Forschung geht von dem entwickelten Kulturmenschen aus, um dessen Seelenleben nicht zu zerlegen, sondern zu verstehen. Die geisteswissenschaftliche Psychologie ist daher nicht wie die naturwissenschaftliche eine erklärende, sondern eine verstehende Seelenforschung. Aus dem lebendig gegebenen Ganzen der Persönlichkeit sind ihre einzelnen Äußerungen von den ausgesprochenen Gedanken bis zu ihren Handlungen zu verstehen. Dazu ist die Struktur des Ganzen zu erfassen, und das Seelenleben ist als ein Zusammenhang von Funktionen zu begreifen, von denen jede einzelne nicht iso-

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liert werden darf, sondern immer auf den ganzen Zusammenhang zu beziehen und aus ihm heraus zu verstehen ist. Da aber ein Mensch mit allen seinen Seelenregungen als Ganzes nicht unmittelbar faßbar ist, muß das menschliche Seelenleben in seinen einzelnen Äußerungen studiert werden. Hierzu dienen die Schöpfungen des Menschen, in denen sich seine Seele und sein Geist niedergeschlagen und objektiviert haben. Sprache, Mythos, religiöser Brauch, Sitte und Recht lassen sich auf ihren seelischen Gehalt untersuchen. Die ganze Geschichte der Menschheit lehrt, was dem Menschen möglich ist, und so erklärte Wilhelm Dilthey, der Begründer der geisteswissenschaftlichen Psychologie, was der Mensch sei, das erfährt er nicht durch Grübelei über sich, auch nicht durch psychologische Experimente, sondern durch die Geschichte. Aus ihr lassen sich die Einzelformen des Seelenlebens, die großen Typen und Charaktere erkennen, die uns dann in kleinerem Format auch im Alltagsleben entgegentreten. Während die mit naturwissenschaftlichen Methoden arbeitenden Psychologen nach den allgemeinen für jeden Menschen geltenden Gesetzen forschen, nach denen die seelischen Prozesse ablaufen, die geisteswissenschaftliche Psychologie dagegen die typischen Grundformen des Seelenlebens, die Lebensformen des in einer Kultur lebenden und durch sie gebildeten Menschen zu ihrem Gegenstand hat, ist es die Aufgabe der Charakterologie, die individuellen Besonderheiten der einzelnen Menschen, ihren Charakter zu bestimmen, um dadurch zu einer praktischen Menschenkenntnis zu kommen. Was den Charakter eines Menschen offenbart, ist der Ausdruck seiner Persönlichkeit in seinen Werken, seiner Schrift, seinen Gesten, Mienen und Taten. So wird die Charakterkunde zur Ausdruckskunde, wie sie besonders von Ludwig Klages entwickelt wurde. Das Verhältnis des Leibes zur Seele wird dabei nicht so aufgefaßt, daß die Vorgänge im Leibe die Ursachen der seelischen Prozesse sind, sondern der Leib dient der Seele, die sich durch ihn ausdrückt. Wie das Wort der Ausdruck des Gedankens ist, der in ihm erscheint, so ist der Leib die Erscheinung der Seele. Erscheinungslose Seelen gibt es nicht. Das Mittel aber, dessen sich die Seele zu ihrem Erscheinen L e i s e ' g a n g , Philosophie

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bedient, ist der Ausdruck, der als Ausdruck der Seele zu deuten und zu beschreiben ist. Physiognomik und Graphologie werden zu Hilfswissenschaften der Charakterologie. Neben diesen von den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften ausgehenden Anregungen wurden f ü r die Psychologie neue Erkenntnisse gewonnen durch die Aufgaben, die der Medizin auf dem Gebiete der Psychiatrie gestellt wurden durch das Bestreben, Psychopathen und Geisteskranke aller Art durch die Erforschung ihres Seelenlebens zu heilen. Sigmund Freud schuf die Theorie und die Methode der Psychoanalyse. Die Leistungen der empirischen Psychologie waren da, wo es sich um die Heilung von Psychopathen handelte, von geringer Bedeutung. Man kann experimentell an Geisteskranken, soweit sich mit ihnen überhaupt experimentieren läßt, den Grad der Aufmerksamkeit, die Gedächtnisschwäche, die Ablenkbarkeit, die Merkfähigkeitsstörungen und dergleichen feststellen. Aber bei gleichen Symptomen gibt es doch meist sehr verschiedene Krankheitsbilder. Nicht auf den Querschnitt, auf den Längsschnitt durch das Seelenleben des Erkrankten kommt es an, auf seine Entwicklung, auf die Geschichte des einzelnen. Hier versagt jedes Experiment. Was im Erleben um Jahre und Jahrzehnte vorauslag, kann man durch das am gegenwärtigen Zustand vollzogene Experiment niemals feststellen; aber gerade hierauf kommt alles an. Der Grundgedanke der Psychoanalyse und jeder Tiefenpsychologie beruht auf der Unterscheidung zweier großer Reiche des Seelenlebens, der Welt des Bewußten und der des Unbewußten oder Unterbewußten. Zwischen beiden besteht eine lebhafte Wechselwirkung. Aus dem Bewußtsein werden ständig unangenehme, peinliche Erlebnisse, Eindrücke, Gefühle, Triebe ins Unbewußte verdrängt. Sie sind damit aber nur aus dem Bewußtsein verschwunden, im Unbewußten leben sie weiter. Ist die Verdrängung zu stark, betrifft sie allzu Lebenswichtiges, so wird der Mensch seelisch krank; er beginnt an Neurosen zu leiden, die sich bis zum Irrsinn steigern können. E r kann geheilt werden, wenn man das Verdrängte ins Bewußtsein zurückhebt durch ein besonderes Verfahren, und dies ist die Psychoanalyse, die Erforschung der Seele, die

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bis zum Unbewußten vordringt, dort das Verdrängte aufspürt und es dem Kranken zum Bewußtsein bringt. Hier wird es geklärt, verstandesmäßig erfaßbar und verliert seine dämonische Macht. Der Komplex des Kranken zerfällt. Wie aber kann der Forscher in das Unterbewußte eindringen? Durch die Deutung von ihm erzählter Träume; denn Träume sollen nur die verkleidete Erfüllung unterdrückter, verdrängter Wünsche sein. Durch die Beobachtung auffallender Fehlleistungen, des Vergessens und Verlegens von Gegenständen oder der alltäglichsten Handlungen. Er kann sich allgemeine Kenntnisse unterbewußter Vorgänge verschaffen durch das Studium von hierzu geeigneter Literatur, besonders der Mythologie, der religiösen Schriften, der Leistungen genialer Menschen ; denn sie alle enthalten in ihren irrationalen, anormalen Zügen den Niederschlag aus dem Unbewußten aufsteigender Vorstellungen. Die Hauptmasse verdrängter Erlebnisse bilden dabei die sexuellen Erfahrungen, die schon in der Kindheitbeginnen, ständig in das Unterbewußtsein gestoßen werden, aus dem sie dann wieder in mannigfachen Verkleidungen an die Oberfläche treten. Dem Unbewußten wird dabei eine Leistung von solcher Folgerichtigkeit und Gesetzlichkeit zugemutet, ein mechanisches Assoziieren über den Willen der Persönlichkeit hinweg, daß es sich zu einer abenteuerlichen Maschinerie entwickelt, deren Leistungen in keiner Beziehung zu allen sonstigen Kenntnissen und Erkenntnissen der Psychologie und der praktischen Menschenkenntnis stehen. Daher steht die Psychoanalyse heute noch unter einer scharfen Kritik, besonders auch deshalb, weil ihre Heilerfolge in keinem Verhältnis zu dem von ihr gemachten Aufheben stehen. Ihr stellte Alfred Adler eine andere Tiefenpsychologie gegenüber, die er Individualpsychologie nannte. Die Neurosen werden von ihm nicht aus der Sexualität und verdrängten Trieben erklärt, sondern aus den schon im Kinde meist durch falsche Erziehung hervorgerufenen Minderwertigkeitsgefühlen, die mit dem Geltungstrieb in ständigem Kampfe liegen. Es ist der Gegensatz von Ichhaftigkeit und Sachlichkeit, der hieraus entspringt und der nur durch einen Klärungsprozeß ausgeglichen werden kann, durch den die Hinwendung zur 2*

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Sachlichkeit vollzogen wird und die überbetonte Ichhaftigkeit zusammenbricht. Aus der medizinischen und psychiatrischen Forschung ergeben sich auch für die Charakterkunde neue Einsichten, da die Grenze zwischen normal veranlagten Menschen und den Psychopathen eine fließende ist, so daß am Psychopathen Charakterzüge deutlicher hervortreten, die auch normale Menschen besitzen und in ihrer ganzen körperlich-seelischen Konstitution begründet sind. So gibt es die von Natur Nervösen, immer Unruhigen und Unsteten, die pedantisch Ängstlichen, die Lebhaften und Geschäftigen, die Trübsinnigen, die Gemütsarmen, die Willensschwachen, die Phantasten, die Verbohrten und Verschrobenen bis zu den Hysterikern und den sexuell Perversen, die bestimmte Menschentypen und nach diesen Charakterzügen zusammengehörige Gruppen darstellen, so wie schon die griechischen Mediziner die vier Temperamente des Sanguinikers, des Phlegmatikers, des Cholerikers und des Melancholikers unterschieden. Carl Gustav Jung teilte die Charaktere zunächst in zwei Haltungstypen, die er den introvertierten, nach innen gerichteten, und den extravertierten, nach außen gewendeten Typus nannte. Der Introvertierte paßt die Wirklichkeit seinen subjektiven Bedürfnissen an, der Extravertierte ist an der Wirklichkeit um ihrer selbst willen interessiert und sucht sich ihr anzupassen. Wer bewußt extravertiert ist, neigt dazu, unbewußt introvertiert zu sein und umgekehrt. Dazu kommen vier Funktionstypen: der Denktypus, der Gefühlstypus, der Empfindüngstypus und der Intuitionstypus. Die beiden ersten werden auch die rationalen, die beiden letzten die irrationalen Typen genannt. Jeder dieser vier Typen kann introvertiert oder extravertiert sein. So gehört zum Beispiel Kant zu dem introvertierten Denktypus, Darwin zu dem extravertierten. Die Charakteranlage ist meist schon in der körperlichen Konstitution begründet. Von den mannigfachen Konstitutionstypen, die von verschiedenen Forschern aufgestellt wurden, sind am bekanntesten die von Ernst Kretschmer beschriebenen. Zum asthenischen oder leptosomen Typus gehören die mageren hoch aufgeschossenen Menschen mit blutarmer Haut, schma-

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len Schultern, dünnen Armen, knochig schlanken Händen, kleinem niedrigem Schädel, zum athletischen Typus die mittelgroßen und großen Gestalten mit breiten ausladenden Schultern, starker Brust, derbem hohem Kopf, plastisch hervortretenden Muskeln, grobem Knochenbau und starken Händen, zum pyknischen Typus die mittelgroßen gedrungenen Figuren mit Neigung zum Fettansatz, mit weichen, rundlichen, oft zierlichen Gliedmaßen, kurzen breiten und weichen Händen, nach vorn gesenktem Kopf und einem breiten Gesicht auf kurzem Hals. Über alle diese Ergebnisse und über die Forschungsmethoden der Psychologen muß jeder, der Philosophie studiert, unterrichtet sein, da sie zum Wissen über das Wesen des Menschen gehören. Dazu kommt noch die Parapsychologie, die man auch Metapsychologie oder Metapsychik genannt hat, um dadurch auszudrücken, daß es sich um seelische Leistungen handelt, die durch die normale Psychologie nicht erklärt werden können und die nur von besonders hierzu veranlagten Menschen, den Medien, vollbracht werden, um das Hellsehen, das Gedankenlesen, die Hervorbringung von Klopflauten ohne physikalisch feststellbare Ursachen, das Tischrücken, die Materialisationen und alles das, was von den Spiritisten und Okkultisten für die Betätigung von Geistern verstorbener Menschen gehalten wird. Wenn auch einige „Forscher" auf diesem Gebiete ohne die Geisterhypothese auszukommen versuchen und aus der Parapsychologie eine experimentelle Wissenschaft machen möchten, so steht doch das Interesse am Übersinnlichen hinter allen diesen Bemühungen, das sich auf ein recht kleines, hierfür aufnahmefähiges Publikum beschränkt, das man gesehen und mit dem Blick des Psychologen beobachtet haben muß, um dieses Treiben zu verstehen. Unter den im wissenschaftlichen und philosophischen Denken Geschulten gibt es nur wenige, die sich mit den Leistungen der Medien befassen, die von jedem mittelmäßigen Zauberkünstler nachgeahmt werden können und in den meisten Fällen als Schwindel entlarvt wurden. Mit dem, was man in der Philosophie unter Psychologieversteht, hat die Parapsychologie nur das Wort gemeinsam.

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Von der Psychologie und der psychologischen Forschung zu unterscheiden ist schließlich der Psychologismus. Man versteht darunter die Verwendung psychologischer Erklärungen und Deutungen zur Relativierung des objektiv Gültigen und von Bewußtseinsvorgängen Unabhängigen, zur Entschuldigung des Unentschuldbaren, zur Entwertung des Wertvollen und zur Verdächtigung des den eigenen Absichten Entgegenstehenden. Man kann ja so gut wie alles menschliche Verhalten, Tun und Schaffen psychologisch erklären, von den mangelhaften Leistungen wenig begabter Schüler bis zu den Handlungen der Verbrecher. Man kann die genialen Leistungen zurückführen auf ein abnormes an Irrsinn grenzendes Seelenleben, die schönsten Dichtungen auffassen als die Produkte, die durch das Abreagieren verdrängter Komplexe entstehen. Man kann die Religionen und die Weltanschauungen mit den Mitteln der Tiefenpsychologie verdächtigen als die Verschleierungen der wirtschaftlichen und politischen Interessen derer, die sie predigen und propagieren. Man muß dann aber auch konsequent sein und weiter danach fragen, wie es in diesen Menschen aussieht und welche Komplexe und Minderwertigkeitsgefühle sie zu der Verkleinerungssucht treiben, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen. 2. Erkenntnistheorie Die Theorie der Erkenntnis enthält die Antworten auf die Fragen, wie wir zu einer wahren Erkenntnis der Außenwelt und unseres eigenen Selbst gelangen können, wie weit eine solche Erkenntnis möglich ist, wo ihre Grenzen liegen und das für uns Unerkennbare beginnt. Zu unterscheiden ist zunächst die Fremderkenntnis von der Selbsterkenntnis. Bei der Fremderkenntnis stehen sich ein Erkennendes und ein zu Erkennendes, ein Subjekt und ein Objekt gegenüber. Beide sind voneinander getrennt, so daß das Subjekt nicht in das Objekt und dieses nicht in das Subjekt gelangen kann. Das Subjekt richtet sich auf das Objekt, um es zu erfassen, und das Objekt muß erfaßbar sein. Die Erfassung geschieht durch die Erkenntnisorgane und die Erkenntnismittel: die Sinnesorgane, die Empfindungen, die Anschauungen, die Vor-

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Stellungen, die Begriffe und ihre Verbindung miteinander. Dabei sind die Objekte oder die Gegenstände der Erkenntnis von sehr verschiedener Beschaffenheit und fordern deshalb verschiedene Erkenntnisorgane und Erkenntnismittel. Gegenstand der Erkenntnis kann alles werden, was in irgend einer Weise „ist", was ein „Sein" hat. Dabei wird das Wort „Sein" in einem sehr weiten Sinne verstanden, und die verschiedenen Arten des Seins alles Seienden werden als Seinsweisen oder Seinsmodi bezeichnet. Auch ein Gedanke hat ein Sein, er existiert, taucht auf, besteht eine Zeit lang, verschwindet, um dann wieder zu einer anderen Zeit ins Gedächtnis zurückzukehren und wieder da zu sein. Aber er hat eine andere Seinsweise, einen anderen Seinsmodus als etwa eine Pflanze. Auch sie ist da, wächst, verwelkt, entsteht wieder aus dem Samen. Aber sie hat eine räumlich-zeitliche Ausdehnung, während ein Gedanke nichts Räumliches ist, wohl aber auch eine zeitliche Dauer hat. Darum und noch aus vielen anderen Gründen ist sein Sein von anderer Art als das der Pflanze. Neben der Seinsweise ist noch zu unterscheiden das Dasein eines Gegenstandes von seinem Sosein, seiner Beschaffenheit oder seinem Wesen. Die verschiedenen Gegenstände der Erkenntnis lassen sich nun nach ihrem Sosein und ihrer Seinsweise in eine systematische Ordnung bringen. Sie werden zunächst in zwei Gruppen getrennt: die Objekte und die Sachverhalte. Objekte sind die einzelnen Gegenstände selbst im engeren Sinne des Wortes „Gegenstand". Sachverhalte sind die an ihnen auftretenden Eigenschaften und die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen. Die Objekte der Erkenntnis zerfallen in reale Gegenstände und in ideale. Reale oder wirkliche Gegenstände sind solche, denen ein Wirken auf uns oder auf andere ihnen nebengeordnete Gegenstände zugeschrieben wird und die zugleich von uns oder anderen Gegenständen eine Einwirkung erfahren können, die in einer Wechselwirkung miteinander stehen. So ist das an die Wandtafel gezeichnete und aus Kreidestäubchen be-

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stehende Dreieck ein wirkliches, reales Ding, das mit allen es berührenden Dingen in einer Wechselwirkung steht und darum allmählich verwischt wird oder zerfällt. Dagegen ist das Dreieck als solches, als Gegenstand der Mathematik ein idealer Gegenstand, der mit der Kreide nichts zu tun hat, von der auch in der Mathematik nicht die Rede ist. Ideale Gegenstände sind solche, die entweder überhaupt nur als Denkinhalte existieren oder die ihre besondere Form nur als Denkinhalte haben. So existiert zum Beispiel der Begriff „Größe" nur als Denkinhalt. Die realen Gegenstände sind groß, sie haben eine Größe. Aber die Größe als solche ist nichts Wirkliches. Wohl aber hat sie eine Existenz als Gedankendmg, und darin besteht ihre Seinsweise. Zu den idealen Gegenständen gehören die Allgemeinbegriffe, die der logischen Ordnung dienen, die Art- und Gattungsbegriffe wie die zweikeimblättrige Blütenpflanze oder das Säugetier. Sie stehen in Beziehung zu Gegenständen, die durch sie geordnet werden, und heißen auch Klassenbegriffe, weil sie der Klassifikation dienen. Es gehören dazu die idealen Gebilde der Mathematik, die Zahlen aller Art, die geometrischen Figuren, die Funktionen und alle durch Gleichungen oder Ungleichungen ausdrückbaren Größenverhältnisse. Ideale Gegenstände sind auch die Wertbegriffe der Ethik und die ethischen Ideale selbst als die Normen, nach denen beurteilt und gewertet werden soll, Begriffe wie das Gute und das Böse, die Tugend, das Wahre, die Gerechtigkeit. Sie haben ein beschreibbares Sosein, das sich von dem der logischen und der mathematischen Begriffe wesentlich unterscheidet. ' Die Gegenstände der Erkenntnis lassen sich auch nach den Gesichtspunkten ihres Verhältnisses zur Erfahrung und zum Bewußtsein einteilen: Nach ihrem Verhältnis zur Erfahrung sind uns die Gegenstände entweder in der Erfahrung selbst als wirkliche gegeben oder nur als wirkliche gedacht. Als wirklich gegeben sind uns die Gegenstände durch die Wahrnehmung der Sinne als farbige, tönende, harte, undurchdringliche, durchsichtige. Oder sie sind uns gegeben durch die innere Selbstwahrnehmung und Selbstbeobachtung als unser Wille, unser Gedächtnis, als

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unsere Gefühle. Als wirklich gedacht werden Gegenstände, die als zur wirklichen Welt gehörend hinzugedacht werden, obwohl wir von ihnen keine Erfahrung gehabt haben oder haben können. Der Nordpol ist auch für den Menschen wirklich, der nie dort gewesen ist. Das Atom ist für den Chemiker und den Physiker etwas Wirkliches, obwohl bisher nie ein Mensch ein Atom gesehen hat; es wird als wirklich gedacht. Nach ihrem Verhältnis zum Bewußtsein sind die Gegenstände entweder phänomenale oder transsubjektive. Ein Phänomen wird das genannt, was im Bewußtsein erscheint. In ihm erscheinen Bilder der Außenwelt; aber auch Phantasiegebilde, auch Gedanken, Gefühle, Willensregungen, die nicht durch die Sinne wahrgenommen werden, sind Bewußtseinsphänomene. Transsubjektive Gegenstände sind solche, die über unsere subjektiven Erlcenntnismöglichkeiten hinausgehen, die nicht vorstellbar, nicht empfindbar, nicht fühlbar, wohl aber denkbar sind. Solche transsubjektiven Gegenstände sind zum Beispiel mehr als dreidimensionale Räume in der Mathematik, das Ding an sich, das als Träger der Eigenschaften eines Dinges übrig bleibt, wenn ich alle diese Eigenschaften wegdenke, der Gottesbegriff, der dadurch zustande kommt, daß Gott die Eigenschaften des Ewigen, des Allmächtigen, des Allgegenwärtigen zugelegt werden, die alle menschliche Erfahrung übersteigen. Zu diesen Gegenständen gehört auch die mathematische Null, das absolute Nichts, das Unendliche. Man sollte solche Gegenstände nicht irrationale nennen, da sie gerade durch bestimmte Denkoperationen der ratio zustande kommen. Der Mathematiker kommt zum Begriff der Null beim Übergang von den positiven zu den negativen Zahlen; er stößt auf das Unendliche bei der Weiterverfolgung der Reihe der natürlichen Zahlen; er wird zu mehr als dreidimensionalen Räumen geführt durch die Verallgemeinerung der für den dreidimensionalen Raum angesetzten Formeln. Dasselbe gilt für den Begriff des Dinges an sich und den Gottesbegriff. Auch lassen sich die transsubjektiven Gegenstände sehr wohl definieren, und wenn sie Gegenstände der Mathematik sind, so kann mit ihnen auch gerechnet werden.

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Die Sachverhalte werden von den Objekten, unter denen die Sachen oder die Gegenstände selbst zu verstehen sind, unterschieden. Es handelt sich bei ihnen darum, wie die Sachen sich zu sich selbst und zu anderen verhalten. Durch den Satz: Die Sonne leuchtet, wird ein Sachverhalt ausgedrückt, der an dem Gegenstand Sonne selbst haftet. Durch den Satz: Die Erde bewegt sich um die Sonne, wird eine Beziehung, eine Relation, ausgedrückt, in der die beiden Gegenstände Sonne und Erde zueinander stehen. Deshalb werden die Sachverhalte geteilt in solche, die an einem Objekt haften, und in Relationen, die zwischen mehreren Objekten bestehen. Diese Relationen sind von großer Mannigfaltigkeit, da alles in irgend einer Beziehung zu allem steht. Man unterscheidet die Grundrelationen von den gemischten Relationen. Die Grundrelationen zerfallen in die umkehrbaren und die nicht umkehrbaren. Die Umkehrbarkeit wird bedingt durch die Eigenschaften, die die Gegenstände besitzen, und durch die Verbindungen, die zwischen ihnen bestehen. Wenn A der Bruder von B ist, dann ist B auch der Bruder von A. Wenn aber A der Vater von B ist, dann ist B nicht der Vater von A. Zu den nicht umkehrbaren Relationen gehören die Ordnungen im Raum und in der Zeit, das Verhältnis des Grundes zur Folge, der Ursache zur Wirkung, des Mittels zum Zweck. Die gemischten Relationen entstehen aus den unübersehbar vielen Kombinationen der Grundrelationen. Die Erkenntnis aller dieser Gegenstände und Sachverhalte vollzieht sich im menschlichen Bewußtsein und ist an die Erkenntnismöglichkeiten und an die Struktur unseres ganzen Erkenntnisapparates gebunden, dessen Erforschung eine Aufgabe der Psychologie ist. Die Berücksichtigung dieser Tatsache darf aber nicht dazu führen, die Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis von Gegenständen, die außerhalb dieses Bewußtseins liegen, überhaupt zu leugnen. Zwar kann der Gegenstand, von dem wir durch unsere Empfindungen etwas erfahren oder den wir uns vorstellen, nur erkannt werden, wenn er uns als solcher bewußt wird; denn sonst wäre er für uns kein Gegenstand der Erkenntnis, sondern etwas außer uns, von dem wir nichts wissen, weil es niemals in unser Bewußtsein eingetreten

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ist. Aber es sind zu unterscheiden der Erkenntnisprozeß selbst, der unmittelbar erlebt wird, von den durch ihn bewußt werdenden Eigenschaften der außerhalb des Bewußtseins existierenden Gegenstände. Sie dringen als solche nicht in das Bewußtsein ein, sondern sind und bleiben immer dort, wo die zu ihnen gehörenden Gegenstände sind. Die Bewußtseinsvorgänge, die Empfindungen und Vorstellungen sind nicht blau, rot, hart oder weich, groß oder klein, sondern das sind immer nur die Gegenstände, die wir meinen, wenn wir ihnen solche Eigenschaften beilegen. Sie erscheinen im Bewußtsein nicht so, wie sie an sich sind, sondern so, wie sie gesehen, erfaßt und vorgestellt werden. Dabei können wir uns täuschen und dann einsehen, daß uns etwas anders zu sein scheint, als es in der Tat ist. Zwischen Subjekt und Objekt schiebt sich das Bild des Objekts, die Vorstellung die das Subjekt sich von ihm macht. Dabei wird dieses im Subjekt entstehende Bild sehr wohl von dem draußen stehen bleibenden Objekt unterschieden. Wir wissen, daß beide nicht zusammenfallen, und wir wissen auch, daß sich das Erkenntnisbild auf das Objekt bezieht, das unabhängig davon ist, ob es ein solches Bild in uns hervorbringt und mit seiner Hilfe erkannt wird oder nicht. Das gilt nicht nur für die realen, sondern auch für die idealen Gegenstände. Die Zahlen, die mathematischen Funktionen, die ethischen Werte stehen uns als Gegenstände der Erkenntnis gegenüber, sind bewußtseinsunabhängig und bestehen ohne Rücksicht darauf, ob sie von uns erkannt werden oder nicht. An der Tatsache, daß zweimal zwei vier ist, daß die Summe der Winkel im Dreieck zwei rechte beträgt, daß die Wahrheit ein Wert und die Lüge ein Unwert ist, kann kein Mensch etwas ändern, ebensowenig wie er etwas daran ändern kann, daß in der Außenwelt eine Kugel den Berg hinab und nicht hinauf rollt. Wenn Kant für die Erkenntnis der idealen und der realen Gegenstände zwei Erkenntnisweisen einführte und die erste die Erkenntnis a priori, die zweite die Erkenntnis a posteriori nannte, so besteht der Unterschied zwischen beiden nur darin, daß sie uns auf verschiedene Weise gegeben sind. Die realen

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Gegenstände sind uns als konkrete Individuen, als Einzelfälle zu bestimmter Zeit und an bestimmtem Ort gegeben, so daß sie erst erkannt werden können, nachdem (a posteriori) sie ein Erkenntnisbild oder eine Vorstellung im Bewußtsein hervorgebracht haben. Die idealen Gegenstände aber sind keine einzelnen Individuen, sondern allgemeine Wesenheiten, von denen wir im voraus (a priori) sagen können, wie sie beschaffen sind und beschaffen sein müssen, ohne daß wir darauf zu warten brauchen, ob wir ihnen in der Erfahrung begegnen. Wir wissen, was ein Dreieck ist, ehe wir es an die Wandtafel gezeichnet haben und unabhängig davon, ob wir es jemals zeichnen werden. Wir können aber nicht wissen, wieviel Äpfel der Baum in unserm Garten im nächsten Jahre tragen wird, ehe wir es nicht erfahren haben. Das eine ist eine Erkenntnis a priori, das andere eine a posteriori. Zwischen beiden aber besteht ein merkwürdiger Zusammenhang. Es gibt eine Anzahl von Erkenntnissen a priori, die auf reale und nur a posteriori erkennbare Gegenstände zutreffen. Wenn ich a priori erkannt habe, daß zwei und zwei immer vier ergibt, so weiß ich auch, daß stets, wenn zwei reale Gegenstände da sind und sich noch zwei weitere hinzufinden, es vier reale Gegenstände sein müssen. Wenn ich die Geschwindigkeit eines Flugzeugs durch die Beobachtung a posteriori festgestellt habe, so ist es durch die Rechnung mit idealen Größen möglich zu bestimmen, an welchem Ort es sich nach einer gegebenen Zeit befinden wird. So folgen physikalische Vorgänge in der realen Welt einer Gesetzlichkeit, die für ideale Gegenstände, mathematische Formeln, Gleichungen und Funktionen gilt, so daß die a priori erkennbaren Beziehungen zwischen idealen Gegenständen auf die zwischen realen Gegenständen bestehenden zutreffen und sich infolgedessen ihr a posteriori erfahrbares Verhalten a priori vorausberechnen läßt. Ein großer Teil der Naturforschung und der sich auf ihr aufbauenden Technik beruht auf dieser merkwürdigen zwischen idealen und realen Gegenständen bestehenden Beziehung. Wann aber ist eine Erkenntnis wahr ? Die klassische, auch von Kant angeführte Definition der Wahrheit heißt: Wahrheit

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besteht in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande. In ihr soll das Wort Erkenntnis offenbar das Ergebnis eines Erkenntnisprozesses bedeuten. Dieses Ergebnis aber wird ausgesprochen in der Form eines Urteils, eines Aussagesatzes : Die Sonne bewegt sich; der Hund ist ein Säugetier; die Wurzel aus vier ist zwei. Während der Erkenntnisprozeß ein Bewußtseinsvorgang, ein Erkenntnisakt ist, sind diese Ergebnisse etwas vom Bewußtsein völlig Unabhängiges. Sie sind an sich wahr, auch wenn sie nicht als solche bewußt werden und zum Beispiel in einem Buche stehen, das von niemandem gelesen und dessen Inhalt in kein Bewußtsein aufgenommen wird. Was ich auch auf Grund eines Erkenntnisaktes urteilen mag, so tritt doch das durch das Urteil Gemeinte mit dem Anspruch auf, unabhängig von dem sich im Bewußtsein vollziehenden Erkenntnisakt zu sein und an sich zu gelten. Ebenso bestehen die mit dem Urteil gemeinten Gegenstände und Sachverhalte unabhängig von unserem Bewußtsein. Sie sind einfach da, und sie sind als solche weder wahr noch falsch. Während das im Urteil Gemeinte mit dem Anspruch auftritt, unabhängig vom Erkenntnisakt zu gelten, sind die Gegenstände der Erkenntnis als solche tatsächlich unabhängig von jedem Bewußtsein und werden durch einen Erkenntnisakt, da sie außerhalb des Bewußtseins stehen bleiben, nicht berührt. Die Wahrheit einer durch ein Urteil ausgesprochenen Erkenntnis besteht nun darin, daß dieser im Urteil als unabhängig vom Bewußtsein bestehend gemeinte Sachverhalt auch tatsächlich und unabhängig auch von dieser Meinung an sich besteht. Oder: Ein Urteil ist wahr, wenn der mit ihm gemeinte Sachverhalt auch an sich vorhanden ist. Dabei darf die Vieldeutigkeit des im Urteil auftretenden Wörtchens „ist" nicht irre führen. In dem Urteil: Der Hund ist ein Säugetier, bedeutet das Wort „ist" wie bei allen Urteilen, die eine Art oder ein Individuum einer Gattung unterordnen: fällt unter die Gattung. Und dieses Urteil ist wahr, wenn dieser Sachverhalt tatsächlich besteht und der Hund alle Merkmale des Säugetiers hat. In dem Urteil: A ist A, bedeutet das „ist" die Identität, und mit diesem Urteil wird nur gesagt, daß A sich selbst gleich ist. In dem Urteil: (a-f b)2 ist gleich a 2 -f-b 2 -f 2ab,

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bedeutet das „ist" die Gleichwertigkeit in dem Sinne, daß der eine Ausdruck für den anderen eingesetzt werden darf, weil er denselben Zahlenwert hat, wovon man sich durch Einsetzen von zwei beliebigen Zahlen für a und b überzeugt, wenn man dann die rechte und die linke Seite ausrechnet. {Zur Erkenntnistheorie gehört nicht nur die Beantwortung der Frage nach der Wahrheit unserer Erkenntnis, sondern auch die der Frage nach dem Sinn und dem Wesen der Dinge. Auch der Sinn und das Wesen wollen erkannt sein, und solches Erkennen wird Verstehen genannt. Unter dem Worte „Sinn" kann sehr Verschiedenes verstanden werden; aber die verschiedenen Bedeutungen erklären sich dadurch, daß jede von ihnen eine Seite des gesamten Gehalts der Bedeutung dieses Wortes hervorhebt. Wollen wir den Sinn irgend eines Gebildes verstehen, so haben wir es als ein Ganzes zu betrachten, in das jeder Teil „sinnvoll" eingefügt ist. Die Silbe erhält ihren Sinn aus dem Wort, das Wort aus dem Satz, der Satz aus der ganzen Rede, in der er steht und mit anderen Sätzen zusammen einen Sinnzusammenhang bildet. Aber nicht jedes Ganze hat einen Sinn, sondern nur solche Ganzheiten, die ein bestimmtes Bildungsgesetz erkennen lassen wie etwa eine Melodie oder wie ein Uhrwerk, dessen Teile „sinnreich" ineinander gefügt sind. Etwas ist sinnlos, wenn sich ein solches Bildungsgesetz nicht finden läßt. So sprechen wir in der Musik von einem sinnlosen Geklimper. Der Sinn geht nicht verloren, wenn dem Ganzen ein Teil fehlt. Ein Torso ist nicht sinnlos. Die fehlenden Teile werden hier zum Ganzen hinzugedacht. Dagegen entsteht „Unsinn", wenn man einen Teil zum Ganzen macht oder als ein Ganzes behandelt wie zum Beispiel in den absichtlich mit Sinnlosigkeiten durchsetzten Gedichten Morgensterns: „Ein Knie geht einsam durch die Welt; es ist ein Knie, sonst nichts." Sinn ist ferner überall da vorhanden, wo es sich um einen einheitlichen Lebenszusammenhang handelt, den wir selbst an uns und anderen erleben. In solchem Zusammenhang stehen alle organischen Prozesse, und es hat einen aus diesem Lebenszusammenhang folgenden Sinn, daß auf Anstrengung Ermüdung, auf den Schlaf das Erwachen folgt.

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Wir legen den Gegenständen und Vorgängen vor allem dann einen Sinn bei, wenn sie für uns etwas bedeuten, wenn sie einen Wert haben. Danach beurteilen wir unsere Erlebnisse. Wenn uns jemand berührt oder schlägt, so kann das einen verschiedenen Sinn haben. Es kann eine Warnung, eine Unachtsamkeit, eine Rücksichtslosigkeit, eine Beleidigung, eine Roheit bedeuten. Alle diese Wörter aber drücken eine Wertung aus, und aus ihr ergibt sich, welchen Sinn eine Tat oder eine Handlung hat. Wir erfassen den Sinn von Mienen und Gebärden, gesprochener und geschriebener Rede und aller Aus drucksformen dadurch, daß wir uns in das fremde Seelenleben hineinversetzen, etwas in uns nachfühlen und nacherleben, und hierin besteht das eigentliche Verstehen. Hinter jedem Wort und jedem Satz, jeder Handlung und jeder Tat, hinter jedem Kunstwerk und jeder Schrift steht ein Mensch, und der Sinn der Reden, der Taten, der Werke besteht darin, daß wir von ihnen auf den Urheber schließen und sie als Ausdruck seines Seelenlebens zu verstehen versuchen. Dabei besteht der Sinn einer menschlichen Schöpfung, feines Buches, eines Kunstwerks in ihrem geistigen Gehalt. Wir bezeichnen einen Satz als sinnvoll, wenn er wenigstens logisch richtig ist. Die mathematischen Formeln haben ihren Sinn in dem geistigen Gehalt, den sie ausdrücken. Das Geistige ist immer ein Allgemeines, und der Sinn besteht in der Unterordnung einer einzelnen Erscheinung unter ein allgemeines Prinzip. Sinn hat daher alles, was man auf diese Weise erklären kann. Erklären heißt Zurückführen von Unbekanntem auf Bekanntes, Unterordnen eines einzelnen Vorgangs unter ein allgemeines und bekanntes Gesetz. Von Sinn sprechen wir auch da, wo irgend ein Zeichen etwas bedeutet, wo es als „Sinnbild" für etwas anderes auftritt, als Symbol eines geistigen Gebildes oder Zusammenhangs Sinn ist auch überall da vorhanden, wo wir erkennen, daß etwas einen bestimmten Zweck hat, Zu etwas da ist, das es als Mittel zu einem Zweck dient. Hat man den Zweck begriffen, dem eine Sache dient, so hat man ein Stück ihres Sinns erfaßt.

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Sinn hat schließlich alles das, dem wir selbst einen Sinn geben, bei dem wir uns irgend etwas denken. Aber solcher Sinn, den wir einer Sache geben, ist durch diese selbst bestimmt, kann nie ganz subjektiv und willkürlich sein. Wird einer Sache ein Sinn beigelegt, der ihr nicht zukommt, so entsteht Unsinn. Wie diese verschiedenen Bedeutungen des Wortes „Sinn" zusammenwirken, tritt deutlich hervor, wenn wir nach dem Sinn der Welt und dem Sinn unseres Lebens fragen. Was ist dann mit solcher Frage gemeint? Man meint mit ihr: Sind Welt und Leben einheitliche Ganzheiten, so daß sich der Zusammenhang ihrer Teñe überblicken läßt und sie ein einheitliches Bildungsgesetz zeigen ? Stellt die Welt, stellt das Leben einen einheitlichen Lebenszusammenhang dar, der sich als solcher erkennen läßt ? Hat die Welt für mich einen Wert, und hat das Leben in ihr einen Wert, so daß es sich lohnt gelebt zu werden? Denn dann hätte es auch einen Sinn. Sind Welt und Leben Ausdruck eines mir fremden Seelenlebens, eines Weltgeistes, der sich in der Welt und in mir offenbart, so daß sich der Sinn der Welt und meines Lebens aus den Absichten verstehen läßt, die dieser Geist mit der Welt und meinem Leben verfolgt? Haben Welt und Leben einen geistigen Gehalt ? Liegt ihnen eine Idee zugrunde ? Lassen sich Welt und Leben erklären? Sind sie unter einen allgemeineren Begriff zu bringen, auf ein allgemeines Gesetz zurückzuführen, aus dem sich die Entwicklung der Welt und des Lebens ergibt und beide dadurch verständlich werden ? Sind Welt und Leben Zeichen, Symbole für etwas anderes, das sich in ihnen ausdrückt, Sinnbilder für Höheres, als sie es selbst sind ? Haben Welt und Leben einen Zweck ? Denn wo Zweck ist, da ist auch Sinn, und wenn wir wissen, wozu die Welt und wir da sind, dann haben wir den Sinn unseres Lebens begriffen. Läßt sich unter „Welt" und „Leben" überhaupt etwas denken? Lassen sie sich irgendwie verstehen? Dann wären sie jedenfalls nicht völlig sinnleer. Ohne Sinn wären sie nur dann, wenn sich unter ihnen gar nichts denken läßt. So besteht der Inhalt des Sinnbegriffs in diesen verschiedenen Auffassungen einer Sache oder eines Sachverhalts als

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eines Ganzen, eines Lebendigen, eines Wertvollen, eines Ausdrucks der Seele, eines Geistigen, eines Zeichens oder Sinnbilds, eines Zweckmäßigen, eines irgendwie Deutbaren. Wo wir Sinn finden oder Sinn in etwas hineinlegen, handelt es sich um die eine oder die andere oder auch um mehrere dieser Arten der Sinnerfassung, die je nach den Gegenständen und ihrer Beschaffenheit oder je nach unseren Absichten und Bedürfnissen vollzogen wird. Wenn etwas zu einem Ganzen gehört, Teil oder Glied eines Ganzen ist, so kann sein Sinn nur aus dem Ganzen heraus erfaßt werden. Die Frage nach dem Sinn führt demnach hinüber zur Frage nach dem Wesen eines Ganzen oder einer Ganzheit. Ein Ganzes besteht aus Einheiten, die in ihm zu einer neuen Einheit so zusammengefaßt sind, daß sie ein Gefüge bilden, das in sich abgeschlossen ist und die Hinzufügung weiterer Einheiten ausschließt. Nennt man die Einheiten Teile oder Glieder, so bilden sie nur als solche und in ihrer gegenseitigen Beziehung zueinander und zum Ganzen eine Ganzheit. Von summenhaften Gebilden und Aggregaten unterscheiden sich die Ganzheiten dadurch, daß ihre Einheiten, Teile oder Glieder nicht miteinander vertauschbar sind, sondern jede Einheit, jeder Teil, jedes Glied an der Stelle bleiben muß, an der es in das Ganze eingefügt ist, damit seine Struktur erhalten bleibt. Soll das Ganze als solches erkannt und sein Sinn erfaßt werden, so ist die Voraussetzung hierfür, daß ich das Ganze zu Gesicht bekomme, daß ich es mit den leiblichen Augen vor mir sehe oder, wenn es sich um nicht sichtbare Dinge, sondern nur hörbare, etwa eine Melodie, handelt, daß ich das Ganze höre, und schließlich, wenn das Ganze ein nicht sinnlich wahrnehmbarer Zusammenhang ist, daß ich, wie die Platoniker sagten, es mit dem Auge der Seele als intellektuelle Anschauung mir vergegenwärtige. Diese Erkenntnisweise, durch die das Ganze als solches erfaßt wird, nennt man die Intuition oder auch mit einem weniger gebräuchlichen Worte die Synopse oder Synopsis, die Zusammenschau. Sie ist vor allem dem Künstler vertraut, der aus einer Landschaft, einem Gesicht die Wesenszüge herausschaut, der ein Gemälde L e i s e g a n g , Philosophie

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aus dem Ganzen heraus komponiert, das er in einer Skizze festlegt, um dann die einzelnen Teile so zu gestalten, daß sie immer in einer sinnvollen Beziehung zum Ganzen stehen. Dasselbe geschieht, wenn der Musiker ein Tongebilde formt. Die Melodie, der Rhythmus, das Gefüge des Ganzen sind da, ehe es in den einzelnen Teilen ausgearbeitet wird, die ihren Sinn aus dem Ganzen erhalten, so daß eine Melodie sich nicht aus einzelnen Tönen aufbaut, sondern jeder Ton erhält durch das Ganze der Melodie seine Gestaltqualität, seinen Sinn im Ganzen und aus dem Ganzen. Die intellektuelle Anschauung dagegen entspringt dem reinen abstrakten Denken, in dem sich plötzlich Zusammenhänge und Einsichten auftun, die dann erst im einzelnen denkend verarbeitet werden, so daß man das intuitive Denken von dem diskursiven zu unterscheiden hat. Die Intuition gilt als eine Gabe des Genies. Nicht jeder besitzt sie, sie stellt sich nicht zu jeder Stunde ein. Sie gilt als Eingebung, als Inspiration. Auch darf sie nicht mit der Phantasie, auch nicht mit der schöpferischen Phantasie verwechselt werden. Die Phantasie unterliegt der Willkür, sie ist schweifend, ungezügelt, läßt sich gehen, nimmt die Einfälle, wie sie kommen, und baut auf ihnen und mit ihnen weiter. Die Intuition aber ist streng an die Gegenstände gebunden. So charakterisiert Goethe sein eigenes ganzheitliches Denken als gegenständliches Denken. In jeder echten Intuition sind Wesenszüge des Gegenstandes enthalten, und in ihr offenbart sich der Sinn eines Ganzen. Mit dem Begriff des Ganzen sind aufs engste verbunden die beiden Begriffe Idee und Typus. Die Idee ist ihrer Wortbedeutung nach etwas Geschautes, ein Urbild, das als solches keine Wirklichkeit hat, an dem aber Wirkliches teilhat. Sie ist ein Allgemeines, das sich im Besonderen ausprägt. So lebt die Idee einer Pflanze in allen einzelnen Exemplaren ihrer Gattung, die an dieser Idee teilhaben. Die einzelnen Exemplare vergehen, die Gattung und mit ihr die Idee aber bleibt. Das veranlaßte Piaton, der diesen Begriff in die Philosophie eingeführt hat, dazu, die Ideen als das eigentlich Seiende und ewig Bleibende zu betrachten und ihnen die Dinge dieser

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sichtbaren Welt als das Vergängliche, sich dauernd im Zustand des Werdens und Vergehens Befindliche gegenüberzustellen. Bei Aristoteles wurden die Ideen zu den Formen, besonders den Formen der Lebewesen, die ihr eigenes Formprinzip in sich tragen als das Ziel, das Telos, dessen Verwirklichung sie zustreben, als die Entelechie. Goethe faßte dementsprechend das Wesen der Idee in den schönen Ausdruck zusammen: „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt." In enger Beziehung zur Idee steht der Typus. Das Wort heißt „Gepräge". Man versteht darunter die mehreren Gegenständen, Lebewesen oder Personen gemeinsame Grundform oder Gestalt, in der die wesentlichen Merkmale enthalten sind, die dieses Individuum mit anderen gemeinsam hat, wodurch eine Gruppe entsteht, deren einzelne Exemplare zum selben Typus gehören. Das Wort Typus bedeutet daher zunächst die einfachste Form, in der ein Gebilde irgend welcher Art auftritt oder die man erhält, wenn man alle Variationen beiseite läßt, um ein einfaches Schema zu bekommen. Wo fließende Übergänge sind, greift man besonders ausgeprägte Formen heraus, von denen man in der Abstufung der Eigenschaften nach der einen oder der anderen Seite fortschreiten kann. Unter dem Typus versteht man dann auch die Form, durch die eine Reihe verwandter Formen am vollkommensten dargestellt wird, den idealen Fall, das eine Gattung am vollkommensten repräsentierende Exemplar, das als Muster für alle anderen, als Vorbild, Urbild oder Archetypus gilt, dem gegenüber die wirklich existierenden Dinge als unvollkommene Kopien des Musters erscheinen. Schließlich bezeichnet das Wort Typus auch die Durchschnittsform. Um sie zu erhalten, richtet man sich nicht nach den schönsten und reinsten Fällen, sondern nach den am häufigsten auftretenden, aus denen ein Durchschnittswert gewonnen wird. Die nach verschiedenen Seiten von dieser mittleren Form abweichenden Formen werden dann als Variationen des Durchschnittstypus betrachtet, der als das Normale gilt, von dem die anderen Formen abweichen bis zur vollen Abnormität. Um nun aber von den verschiedenen realen und idealen Gegenständen zur Erfassung ihres Wesen vorzudringen, wurde 3*

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eine besondere Methode ausgebildet. Es ist die Methode der Phänomenologie, der Lehre von den Erscheinungen, die von Edmund Husserl begründet wurde. Hatte Kant erklärt, daß wir die Dinge nur so erkennen können, wie sie uns erscheinen, aber nicht so, wie sie an sich sind, so lenken die Phänomenologen die Aufmerksamkeit darauf, daß diese Erscheinungen, diese Phänomene die Brücke darstellen, die uns mit der wirklichen Welt verbindet. Sie sind Erscheinungen von etwas, das sein Wesen in ihnen und durch sie offenbart. Diese Wesenheiten aber lassen sich durch einen Erkenntnisakt besonderer Art erfassen, durch eine reine, nicht sinnliche Anschauung, die Wesensschau genannt wird. Worum es sich dabei handelt, sei an einem Beispiel erklärt: Das Wesen der Uhr soll erkannt werden. Dazu ist es nicht nötig, daß eine Uhr vor uns steht, daß sie da ist, daß sie existiert. Es genügt, wenn wir sie uns vorstellen. Die Existenz der Uhr kann also „eingeklammert" werden als nicht zu ihrem Wesen gehörig. Unwesentlich ist auch die bestimmte Gestalt der Uhr. Sie kann eine Taschenuhr sein, eine Standuhr oder Turmuhr, die durch Gewichte getrieben wird; sie kann eine Sanduhr oder eine Sonnenuhr sein. Zum Wesen der Uhr gehört allein, daß eine beobachtbare gleichförmige, nicht beschleunigte, sondern mit konstant bleibender Geschwindigkeit verlaufende Bewegung eines Körpers da ist — des Zeigers, des Sandes, der Sonne, die den Schatten wirft —, der an einer Skala vorbeiläuft, die so eingeteilt ist, daß der vom Körper zurückgelegte Weg der verflossenen Zeit proportional ist. Im Unterschied vom Dasein nennt man dies das Sosein der Uhr, ihr Wesen, das vom Dasein unabhängig ist, das aber erfaßbar sein muß, da es die Vorbedingung für alle bisher erfundenen und noch in Zukunft zu konstruierenden Uhren ist. Die Einsicht in diesen Sachverhalt, das Durchschauen dieses Zusammenhangs ist die Wesensschau, die Erkenntnis dessen, was an einer Uhr wesentlich ist und worin ihr Wesen besteht. Zu ihr gelangt man nicht durch Abstraktion, sondern durch eine Ideation, die Heraushebung der Idee aus der Erscheinung, dem Phänomen. Braucht man zur Abstraktion eine Fülle von Gegenständen, die nach den ihnen gemeinsamen Merkmalen zu ordnen sind, so kann die

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Ideation an einem einzigen Gegenstand vollzogen werden und gilt dann für alle Gegenstände gleichen Wesens. Sie haben dieselbe Wesenheit. Solche Wesenheiten sind etwas rein Geistiges, von der Erfahrung Unabhängiges, obwohl sie aus der Erfahrung herausgearbeitet werden. Aber alle Erfahrung muß sich nach ihnen richten. So bilden sie ein Reich für sich, das Reich des objektiv und allgemein Gültigen, das allem Subjektiven entzogen ist. An dem Wesen der Dinge kann der Mensch nichts ändern, und in der Phänomenologie handelt es sich um die Erkenntnis des Wesens der Dinge im Räume und in der Zeit, aber auch um die Erkenntnis der räum- und zeitlosen Wesenheiten der idealen Gebilde der Mathematik ebenso wie der geistigen und der ethischen Werte. Alle Erkenntnis aber ist begrenzt und beschränkt. Sie reicht nur so weit, wie das Seiende selbst und sein Wesen sich der Erkenntnis erschließen. Wo die Erkenntnismittel versagen, wo das Seiende sich nicht offenbaren mag, stellen sich dem Erkennenden das Transintelligible und das Irrationale entgegen, worunter aber nichts Verschwommenes oder Unklares vertanden zu werden braucht, sondern die mit rationalen Mitteln exakt aufweisbare Grenze der Erkennbarkeit. Von der Fremderkenntnis ist die Selbsterkenntnis zu unterscheiden. Zu den griechischen Sprüchen der sieben Weisen gehörte die am Tempel in Delphi angeschriebene Mahnung: Erkenne dich selbst! Sie galt im Altertum als die erste Aufgabe, die dem Philosophen gestellt wird. Jeder Erkenntnisakt setzt ein Subjekt voraus, das erkennt, und ein Objekt, das erkannt werden soll. Dieses Objekt ist hier das eigene Ich, das Selbst. Soll aber etwas erkannt werden, so muß der Gegenstand der Erkenntnis wenigstens während des Erkenntnisaktes fest bleiben, und wenn er sich dauernd verändert, so muß in dieser Veränderung eine Ordnung oder ein Gesetz herrschen, das bleibt und als solches erkannt werden kann. Wir wissen aber, daß wir uns selbst ständig wandeln; aber wir glauben auch zu wissen, daß in diesem Wandel der Kern unseres Selbst erhalten bleibt als unser Ich, als unser Charakter. Dem aber steht die Erfahrung gegenüber, daß auch dieses Ich, dieser Charakter sich ändern kann. Wir erleben Überraschungen an

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uns selbst. Ein anderes uns völlig unbekanntes Selbst scheint von uns Besitz ergriffen zu haben. Wir verstehen uns plötzlich selbst nicht mehr und stehen einer Tat, einem Gedanken, einem Wort gegenüber, die wir uns selbst nie zugetraut hätten. Hiermit aber hat schon die Selbstbesinnung begonnen. Sie unterscheidet sich von der Fremderkenntnis dadurch, daß das Subjekt und das Objekt, das Ich, das sich erkennt, und das Ich, das erkannt wird, identisch sind, und jedes Nachdenken über sich selbst ist von diesem Selbst nicht unabhängig, und die Besinnung auf sich selbst kann das ganze Selbst des Menschen verändern. Der Mensch, der ernsthaft mit der Selbsterkenntnis begonnen hat, wird schon hierdurch anders und führt nicht mehr dasselbe Leben. Aus dieser ganzen merkwürdigen Situation heraus ist die Frage nach der Wahrheit solcher Selbsterkenntnis zu stellen. Wann habe ich mich selbst richtig erkannt, wann habe ich mich selbst verkannt, mich über mich selbst getäuscht und, da es ja mein eigenes Ich ist, das mich getäuscht hat, so muß ich fragen: Wann habe ich mich selbst unwahrhaftig verhalten ? Wann habe ich mir selbst etwas vorgetäuscht und bin dadurch zu einer falschen Selbsterkenntnis gekommen? Das zuverlässigste Kriterium, das über die Richtigkeit der Selbsterkenntnis entscheidet, sind die Leistungen und Taten, die ein Mensch vollbracht hat, die sich als sein Werk von ihm ablösen und objektiv betrachten lassen. Hier ist die Erkenntnissituation wider die normale, bei der sich ein Subjekt und ein Objekt gegenüberstehen. Nur wer sich selbst in seinen Taten zu erkennen vermag und sie als Richter über sich selbst anerkennt, wird auch durch die Selbsterkenntnis gefördert werden, wenn er dem Rate eines Weisen folgt, am Ende eines jeden Tages einige Minuten dem Nachdenken über sich selbst und über das, was man an diesem Tage getan hat., zu widmen. 3. Logik und Dialektik Daß das Studium der Philosophie und aller Wissenschaften überhaupt mit der Logik beginnen sollte, das forderte einst Mephisto in Goethes Faust, der dem Anfänger den Rat gab;

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„Mein teurer Freund, ich rat' Euch drum zuerst Collegium logicum." Und dann wird eine Schilderung der Wirkung einer solchen Einführung in die wissenschaftliche Arbeit gegeben, so daß sich mit dem Studium der Logik die Vorstellungen von Langweiligkeit und Trockenheit, von Sophisterei und Wortklauberei verbinden, von allem, was lebensfern und lebensfremd ist. Und das ist richtig, wenn man an das Studium der Logik zurückdenkt, so wie es zu der Zeit betrieben wurde, in der Goethes Faust spielt. Dazwischen aber liegen die Jahrhunderte, in denen der menschliche Geist die ganze Erde umgestaltet hat durch seine Erfindungen und Entdeckungen, durch die Wissenschaften und durch die Technik. Dabei hat das menschliche Denken Leistungen vollbracht, die unmöglich gewesen wären, wenn es nicht eine Schulung durchgemacht hätte, die es hierzu befähigte und die eine andere war als die von Goethe gemeinte. Die Beurteilung der Logik, die aus seinen Versen spricht, war berechtigt zu einer Zeit, in der man die Logik als Organon betrachtete, als das Werkzeug, das man kennen und dessen Gebrauch man gelernt haben muß, um mit ihm die Stoffe aller einzelnen Wissensgebiete zu bearbeiten. Die Logik galt als die Universalmethode, die sich auf jede Wissenschaft anwenden läßt. Das Verhältnis der Logik zu den Einzelwissenschaften stellt sich uns heute anders dar. Es gibt keine auf alle Wissenschaften anwendbare Universalmethode. Und es hat sie auch tatsächlich niemals gegeben, wenn auch immer wieder danach gestrebt wurde, das, was sich als Methode auf einem Gebiete der Wissenschaft oder der Philosophie bewährt hatte, auf alle zu übertragen. Überblickt man die Geschichte der Logik, so sieht man sich einer kaum übersehbaren Fülle verschiedener Auffassungen des Wesens des Logischen und der Aufgaben, die der Logik gestellt werden, gegenüber, die um so größer wird, je mehr man sich der Gegenwart nähert. Und diese Aufgaben sind der Logik nicht aus ihr selbst erwachsen, sie wurden ihr von den Wissenschaften und ihren Gegenständen gestellt. Die ersten Ansätze zum Aufbau einer Logik finden sich in den Dialogen Piatons. Hier handelt es sich zunächst nicht

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um etwas Logisches, sondern um Fragen der Ethik. Es wird gefragt nach dem Wesen der Tugenden, der Gerechtigkeit, der Tapferkeit, der Frömmigkeit. Um solche Fragen exakt beantworten zu können, müßte man jede Tugend eindeutig definieren. Damit aber wird eine Forderung der Logik gestellt, die erst dann erfüllt werden kann, wenn der systematische Zusammenhang der Begriffe durchschaut ist, die man definieren soll. Piaton versucht dies mit anderen nicht in das Gebiet der Ethik gehörenden Begriffen. Wenn der Mensch definiert wird als ein vernunftbegabtes Lebewesen, so setzt diese Definition voraus, daß die Wesen eingeteilt werden in leblose und lebendige, die Lebewesen in vernunftlose und vernünftige, wobei dann die vernunftlosen in Pflanzen und Tiere zerfallen und zu den mit Vernunft begabten der Mensch gehört. Es ist Piatons große Entdeckung, daß sich die Begriffe in Gattungen und Arten zerlegen lassen und dadurch ein Begriffssystem entsteht. Aber dasselbe für die Tugenden zu leisten, die nach der modernen Terminologie Wertbegriffe sind, ist ihm nicht gelungen, da sich Wertbegriffe nicht in Gattungen und Arten zerlegen lassen, sondern auf eine ganz andere Weise zusammenhängen. So wurde bei dem Bemühen um ein Problem der Ethik nebenbei ein Kernstück aller Logik entdeckt. Zu der platonischen Entdeckung fügte Aristoteles die Lehre vom logischen Schluß, dem Syllogismus, hinzu. Sie entsprang unmittelbar aus der Praxis der Beweiskunst der Sophisten, die mit falschen Schlüssen arbeiteten, so daß hieraus die Aufgabe erwuchs festzustellen, was ein richtiger Schluß ist und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um seine Richtigkeit verbürgen und nachprüfen zu können. Aristoteles löste sie durch seine Analytik, in der er den Schluß in Sätze, die Sätze in Begriffe zerlegte. Sie bilden die letzten Elemente des logischen Schlusses, und aus ihrem Verhältnis zueinander ergibt sich die Richtigkeit des Schlusses. Dabei wurden zugleich die Grundsätze oder Prinzipien dieser Begriffslogik und jeder Logik überhaupt gefunden. Die unter dem Titel „Organon" zusammengefaßten Schriften, in denen Aristoteles seine Forschungen über die Schlüsse, die Sätze und die Begriffe niedergelegt hatte, wurden

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den Scholastikern des Mittelalters überliefert, und von ihnen wurde diese Logik zu einem System ausgebaut, das einen besonderen Typus der Logik darstellt, der als die aristotelischscholastische, die traditionelle oder auch die klassische Logik bezeichnet wird. Sie soll im folgenden die Begriffslogik genannt werden, da die letzten Bestandteile, aus denen sich ihre Gedankengebilde zusammensetzen, Begriffe sind, im Unterschied von der Satzlogik, die mit Sätzen als den Elementen des logischen Denkens arbeitet. Denn neben dieser Begriffslogik trat fast gleichzeitig und ebenfalls aus der Schule Piatons hervorgehend eine Form logischen Denkens und wissenschaftlicher Systematik auf, die von vornherein mit einer Wissenschaft verbunden war, sich aber von ihr ablösen und verallgemeinern läßt. Es war die Wissenschaft der Mathematik, speziell der Geometrie, die von Euklid zu einem System ausgebaut wurde. Eine Menge geometrischer Lehrsätze war zu seiner Zeit bereits gefunden. Sie hingen miteinander irgendwie zusammen; denn um einen Lehrsatz zu beweisen, konnte man andere bereits bewiesene heranziehen. Sie waren offenbar aus der Kombination einzelner weniger Grundsätze entstanden. Diese galt es zu finden, und zwar nicht mehr und nicht weniger als zum Aufbau des Ganzen nötig waren. Sie sind die letzten nicht mehr zerlegbaren Elemente des ganzen Systems und werden Axiome genannt. Aus einer endlichen Zahl solcher Axiome soll sich die unendliche Zahl von Lehrsätzen herleiten lassen. Da die letzten Elemente dieser Logik aus solchen Sätzen bestehen, wird sie eine Satzlogik genannt. Dieses System von Sätzen, von denen mit Ausnahme der keines Beweises bedürftigen und auch keines Beweises fähigen Axiome jeder bewiesen ist und die alle zusammenhängen, so daß sich jeder aus dem anderen in strenger logischer Folge ergibt, wird nun zum Ideal eines wissenschaftlichen Systems erhoben und gefordert, daß eine Wissenschaft in strengem Sinne nur als solche gelten und anerkannt werden soll, die aus beweisbaren Sätzen besteht, die sich auf wenige Axiome zurückführen lassen. Das Verfahren, durch das die einzelnen Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in einen solchen Zusammenhang gebracht werden, nennt man Axio-

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matik, und wenn man von der Axiomatisierung einer Wissenschaft redet, so versteht man darunter die Herstellung eines solchen Begründungszusammenhangs. Im allgemeinen wird unter einem Begründungszusammenhang eine Folge von Sätzen verstanden, die so beschaffen ist, daß aus vorausgehenden wahren Sätzen andere wahre Sätze denknotwendig folgen. Da der größte Teil der Terminologie der Logik aus der von Aristoteles geschaffenen Begriffslogik übernommen wurde, soll hier mit ihr begonnen und eine Einführung in diese Disziplin gegeben werden. Die Begriffslogik enthält die Darstellung der Beziehungen, die zwischen Begriffen von verschieden großen Umfangen bestehen. Unter dem Umfang eines Begriffs ist dabei die mehr oder weniger große Zahl von anderen Begriffen zu verstehen, die in ihm zusammengefaßt werden. So enthält zum Beispiel der Umfang des Begriffs Realwissenschaften unter anderen die Wissenschaften der Physik und der Biologie, während die Philologie, die Geschichte und andere ihnen gleichgeordnete Begriffe in den Umfang der Geisteswissenschaften fallen. Die Begriffe sind dabei so geordnet, daß einem Begriff von größerem Umfang die von nächst kleinerem, diesen wieder die von nächst kleinerem Umfang und so fort eingeordnet sind, wodurch ein System entsteht, das ein Art-Gattungsschema oder eine Begriffspyramide heißen soll. Außer der Darstellung dieser Beziehungen enthält die Begriffslogik auch die Beschreibung der Beziehungen, die zwischen Sätzen, den logischen Urteilen, und Satzkombinationen, den logischen Schlüssen, bestehen, die aus solchen zu demselben System gehörenden Begriffen gebildet werden können und einen sich aus diesem System ergebenden Begründungszusammenhang darstellen. Als klassische Muster solcher Systeme können die Pflanzen- und Tiersysteme betrachtet werden, die Linné ausgearbeitet hat. Es ist nun zunächst danach zu fragen, was in dieser Logik unter einem Begriff verstanden werden soll. Die ersten Wesenszüge des Begriffs treten hervor, wenn man von der Wahrnehmung oder der Anschauung zur Vorstellung und von dieser zum Begriff fortschreitet.

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Unter einer Wahrnehmung soll das Bewußtwerden der Gegenwart eines realen individuellen Gegenstandes verstanden werden, das durch die Sinne und die von ihnen hervorgerufenen Empfindungen verursacht wird. Die Wahrnehmung ist dabei ein psychischer Vorgang, bei dem die Empfindungen mit einem Akt der Auffassung zusammenwirken, durch den unter den Empfindungen eine Auswahl getroffen wird, diese Empfindungen ergänzt, bereichert, gegliedert werden, wodurch ein Erkenntnisbild des Gegenstandes entsteht, das keine einfache Abbildung ist. Die durch den Gesichtssinn vermittelte Wahrnehmung ist eine Anschauung. Eine Vorstellung ist die im Gedächtnis reproduzierte Wahrnehmung oder Anschauung, die dadurch entsteht, daß man sich an einen wahrgenommenen oder angeschauten Gegenstand erinnert. Die Vorstellung trägt dabei die individuellen Züge des wahrgenommenen Gegenstandes, wobei meist einzelne verloren gehen und vergessen werden. Es ist auch möglich, nicht real existierende Gegenstände vorzustellen wie etwa ein geflügeltes Pferd. Nur in diesem Sinne soll das Wort Vorstellung hier gebraucht werden, da alle anderen Arten von Vorstellungen, die sonst noch in der Psychologie und in der Erkenntnistheorie unterschieden werden, für die Beziehungen, in denen ein Begriff in der Begriffslogik zu den Vorstellungen steht, nicht in Betracht kommen. Die Vorstellungen und die ihnen zugrunde liegenden Anschauungen und Wahrnehmungen sind zwar das Material, das zur Begriffsbildung dient, aber die Begriffe selbst — der Mensch überhaupt, die Pflanze als solche — sind nichts Vorstellbares, sondern etwas Gedachtes. Der Begriff ist etwas Unsinnliches, nicht mit den Sinnen Wahrnehmbares; er läßt sich nicht empfinden, nicht sehen, nicht fühlen. Er kann nur gedacht, nicht angeschaut und nicht vorgestellt werden. Der Begriff ist etwas Unwirkliches, wenn wir unter dem Wirklichen das Dasein von Dingen und Vorgängen in der realen Außen- und Innenwelt verstehen. Aber als Unwirkliches hat er doch ein Sosein. Wir finden ihn vor als Denkinhalt mit bestimmten Eigenschaften oder Merkmalen, und hierin besteht seine eigentümliche Seinsweise. Der Begriff ist das Allgemeine im Gegensatz zum Beson-

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deren, das aber das Besondere beherrscht, ordnet und bestimmt. Er ist das Universelle im Gegensatz zum Individuellen. Der Begriff ist das Gemeinsame, das vielen Dingen zukommt und in ihm zusammengefaßt wird. Er ist scharf zu fassen, begrenzbar durch eine Definition und die Angabe sämtlicher Merkmale, die ihn bestimmen. Daher hat er einen eindeutig feststellbaren Erkenntnisgehalt. Die Begriffe sind voneinander geschieden; sie sind diskrete ideale Gegenstände, die kein Kontinuum bilden, nicht ineinander übergehen können. Kontinuierliche Vorgänge lassen sich daher nicht in Begriffe fassen. Der Begriff ist das Abstrakte im Gegensatz zum Konkreten, das von der Fülle der Erscheinungen Abgezogene, Abstrahierte. Zum Begriff gehören die Merkmale der Klarheit und der Deutlichkeit. Klar ist ein Begriff, wenn eindeutig feststeht, was mit ihm gemeint ist. Setzt sich ein Begriff aus mehreren Bestandteilen zusammen wie zum Beispiel die Begriffe des Säugetiers, des rechtwinkligen Parallelogramms, des Strafgerichtsprozesses, so sind sie klar, wenn die Bestandteile und ihre Beziehungen zueinander bekannt und bestimmt sind und sich nicht widersprechen. Als Schulbeispiel für einen in sich widerspruchsvollen Begriff wird das „hölzerne Eisen" angeführt. Deutlich ist ein Begriff, wenn er von anderen, besonders von den mit ihm verwandten, genau unterschieden und von ihnen trennbar ist. Die wichtigste Eigenschaft, die den Begriff zum logischen Begriff macht, ist sein Zusammenhang mit anderen Begriffen. Jeder logische Begriff gehört zu einem Begriffssystem und erhält erst aus der Struktur dieses Systems seine eigentlich logische Bedeutung. Diese Systeme können verschiedene Strukturen haben. So hat das periodische System der Elemente, in dem jedes Element seinen logischen Ort im ganzen System hat und durch die Angabe dieses Ortes definiert werden kann, eine andere Struktur als das in Gattungen und Arten gegliederte Pflanzensystem und dieses wieder eine andere als etwa ein Stammbaum, in den die einzelnen Personen nach ihren Verwandtschaftsbeziehungen eingeordnet sind.

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Gegenstand der klassischen Begriffslogik waren zunächst nur solche Begriffssysteme, deren Struktur sich wie die des Pflanzensystems in einem Art-Gattungsschema graphisch darstellen läßt. Aus dem System, das die Art- und Gattungsbegriffe bilden, ergibt sich, daß ein jeder Begriff einen Komplex von Merkmalen darstellt, durch die er bestimmt ist und sich zugleich von anderen Begriffen desselben Systems unterscheidet. Der Begriff darf dabei nicht, wie dies die Begründer einer algebraischen mathematisierten Logik wollten, als die Summe seiner Merkmale aufgefaßt werden. Aus der Zahl der vielen Eigenschaften eines Gegenstandes werden nur die herausgegriffen, die sich für die Begriffsbildung und die Ordnung der Begriffe eignen. Sie werden nicht summiert, sondern dienen dazu, jedem Begriff im System einen mehr oder weniger hohen Grad der Abstraktion zu verleihen. Wenn dem Begriff einer Pflanze die Merkmale „getrenntblumenblättrig, zweikeimblättrig, bedecktsamig, sich offen fortzeugend" zuerteilt werden, so bilden diese Merkmale keine Summe, sondern eine aufsteigende Skala der Abstraktion. Der Sinn dieser Merkmalzusammenstellung ist: Die Pflanze, die unter diesen Begriff fällt, gehört zur Keihe der Getrenntblumenblättrigen, diese zur Unterklasse der Zweikeimblättrigen, diese zur Klasse der Bedecktsamigen und diese zur Abteilung der Phanerogamen oder sich offen Fortzeugenden, und hierin besteht der Inhalt des in sich gegliederten Begriffs, der, wenn man jedes Merkmal für sich nimmt, sich nicht als eine Summe der einzelnen Merkmale darstellt, sondern als ein Begriff, der andere Begriffe in sich enthält, und zwar so, daß der um ein Merkmal reichere jeweils in dem um ein Merkmal ärmeren enthalten ist. Werden gleiche Merkmale verschiedener Begriffe zu einem neuen Begriff zusammengefaßt, so entsteht die Gattung. Werden zum Beispiel die gleichschenklig-rechtwinkligen, die gleichschenklig-spitzwinkligen und die gleichschenklig-stumpfwinkligen Dreiecke in dem Begriff „gleichschenkliges Dreieck" zusammengefaßt, so ist dieser die Gattung, die in drei Arten zerfällt, von denen jede je ein bestimmtes Merkmal mehr aufweist als die Gattung. Handelt es sich um ein mehr als zweistufiges System, so werden zur Bezeichnung der Stufen neue

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Begriffe eingeführt: Abteilungen, Klassen, Unterarten, Familien. Das Merkmal, das den Begriff einer Stufe von dem der nächst höheren unterscheidet, bezeichnet man als das artbildende Merkmal oder die spezifische Differenz, da im Lateinischen das Wort species zur Bezeichnung der Art gebraucht wird, während genus die Gattung bedeutet. Bei der Aufstellung eines Art-Gattungsschemas oder einer Klassifikation können zwei Wege eingeschlagen werden: die Rationalisierung von oben und die Rationalisierung von unten. Die Rationalisierung von oben geschieht dadurch, daß ein weiter Begriff von großem Umfang gewählt wird, zum Beispiel der Begriff „Gegenstand". Dieser Begriff wird in seine weitesten Gattungen — wirkliche und ideale Gegenstände — zerlegt, diese wieder in Arten und so weiter. Man nennt dies eine Einteilung oder eine divisio. Die Rationalisierung von unten wird dadurch vollzogen, daß man eine Anzahl von Gegenständen betrachtet, die verschiedene Merkmale gemeinsam haben. Sie werden nach den übereinstimmenden Merkmalen in Gruppen geordnet, die sieh durch je ein Merkmal voneinander unterscheiden. Aus den dadurch erhaltenen Begriffen werden wieder die übereinstimmenden Merkmale herausgenommen und zu weiteren Begriffen zusammengefaßt. So wird fortgefahren, bis man beim umfassendsten Begriff, dem Spitzenbegriff des Systems, angelangt ist. Dabei entsteht beim Aufsteigen von einer Stufe zur anderen die Gattung aus denArten analytisch, das heißt durch Zerlegung des Inhalts des Artbegriffs in seine Merkmale und die Weglassung der spezifischen Differenz. Beim Herabsteigen entstehen die Arten aus der Gattung synthetisch, das heißt durch Hinzufügung der spezifischen Differenzen. Beide Verfahren gehören zur Technik der in jeder Wissenschaft gebrauchten Klassifikation. Die Begriffe, die in einem solchen System auftreten, stehen in dem Verhältnis der Über- und Unterordnung oder der Subordination zueinander. Die Begriffe, die auf gleicher Stufe des Schemas stehen, sind nebengeordnet oder koordiniert. Begriffe, die anderen übergeordnet sind, haben einen größeren Umfang, aber einen geringeren Inhalt als die ihnen subordinierten. Diese haben den kleineren Umfang, aber einen reicheren In-

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halt. So hat der Begriff „Realwissenschaft" einen größeren Umfang als der Begriff „Physik", da zu den Realwissenschaften außer der Physik noch viele andere Wissenschaften gehören, die von realen Gegenständen handeln, aber die Zahl der Merkmale, die ihn kennzeichnen und seinen Inhalt darstellen, ist kleiner als die Zahl der Merkmale, die angegeben werden müssen, um den Begriff „Physik" zu bestimmen. Der allgemeinste Begriff, das Seiende als solches, der alles umfaßt, was in irgend einem Sinne „ist", hat daher den größten Umfang, aber den geringsten Inhalt. Man kann sich darunter nichts irgendwie Bestimmtes mehr denken. Ein Begriff ist erst dann ein logischer Begriff, wenn er definiert ist. Die Definition setzt ein System von Begriffen voraus, das die Form eines Art-Gattungsschemas hat. Es gilt die alte scholastische Regel: Definitio fit per genus proximum et differentiam specificam. Das heißt: Der zu definierende Begriff wird dem nächst übergeordneten Gattungsbegriff (genus proximum) untergeordnet und von den ihm koordinierten Arten durch die Angabe des artbildenden Merkmals (differentia specifica) unterschieden. Wird das Parallelogramm definiert als ein regelmäßiges Viereck mit zwei parallelen Seitenpaaren, so setzt diese Definition voraus, daß die Vierecke in unregelmäßige und regelmäßige und diese wieder in solche mit einem parallelen Seitenpaar (Trapeze) und mit zwei parallelen Seitenpaaren geteilt wurden. Oder ein anderes Beispiel: Die Demokratie ist die Staatsform, in der verfassungsgemäß die Staatsgewalt der Gesamtheit der Staatsbürger zusteht. Zugrunde liegt die Einteilung der Staatsformen in solche, bei denen die Staatsgewalt von einem ausgeht (die Monarchien), von einer Gruppe (die Aristokratie) und von der Gesamtheit der Staatsbürger. Das genus proximum ist die Staatsform, in der verfassungsgemäß die Staatsgewalt den Mitgliedern des Staates zusteht. Die differentia specifica ist die' Gesamtheit der Staatsbürger im Unterschied von einer Gruppe und einem einzelnen. Beim Definieren können Fehler gemacht werden. Man erhält dann eine Definition, die zu weit oder die zu eng ist. So ist zum Beispiel die Definition: Der Staat ist eine organisierte

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menschliche Gemeinschaft auf einem bestimmten Territorium, zu weit; denn es ist in ihr nicht die spezifische Differenz angegeben, die den Staat von jeder anderen organisierten menschlichen Gemeinschaft, etwa einem Verein, unterscheidet. Fügt man die Bestimmung hinzu, daß diese menschliche Gemeinschaft zum Zwecke der Rechtssicherung organisiert ist, so genügt auch das noch nicht, da der Staat sich auch von solchen Gemeinschaften unterscheiden muß, die nur zur Sicherung ihrer Rechte gegründet werden, aber deshalb noch keine Staaten zu sein brauchen. Die Definition ist zu eng, wenn der Umfang des Begriffs durch die Definition zu klein angegeben wird. Wenn man definiert: Die Demokratie ist die Staatsform, in der verfassungsmäßig die Staatsgewalt unmittelbar von der Gesamtheit der Staatsbürger ausgeübt wird, so hat man damit nicht die Demokratie als solche, sondern eine ganz bestimmte Art von Demokratie definiert; denn es gibt Demokratien, in denen die Staatsgewalt nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar von der Gesamtheit der Staatsbürger vollzogen wird. Hierdurch werden die Unterarten der Demokratie aus ihrem Begriff ungerechtfertigter Weise dadurch ausgeschlossen, daß nur eine Unterart als Demokratie bezeichnet wird, die anderen aber nicht in den Begriff mit aufgenommen werden. Wie die Klassifikationen, so treten auch die Definitionen in jeder Wissenschaft auf; denn jeder Wissenschaftler ist verpflichtet, nicht nur sein Material zu ordnen, sondern auch die Begriffe zu definieren, mit denen er arbeitet. Die Definitionen sind nach den Regeln der Logik gebaute Sätze, sie gehören deshalb zu den logischen Sätzen, die in der Wissenschaft der Logik Urteile genannt werden. Das logische Urteil hat die Form eines Satzes. Es ist aber kein Satz im sprachlichen und im psychologischen Sinne. Der Satz als sprachliches psychologisch verstandenes Gebilde ist der Ausdruck eines inneren Vorgangs im Bewußtsein, der kein Gedanke zu sein braucht, und nur um Gedanken handelt es sich in der Logik. Der gesprochene lebendige Satz enthält immer mehr als nur die Feststellung eines objektiv bestehenden Sachverhalts. Auch wenn ein Satz einen Gedanken ausdrückt, hat er nicht nur einen gedanklichen Gehalt, sondern auch einen

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Ton, und der Ton ist mitbestimmend für seinen Sinn. Der Gedanke und der Ton können zusammenfallen und sich decken, aber sie müssen es nicht. Der Gedanke, den ein Satz ausdrückt, muß auch nicht immer mit dem Sinn der Wörter und der zwischen ihnen bestehenden grammatischen Verbindung zusammentreffen. Der Ton, mit dem ein Satz ausgesprochen wird, die Betonung, durch die das eine oder andere Wort des Satzes hervorgehoben wird, die Gefühle, die dadurch erregt werden, der tiefere Sinn, der Nebensinn, der Hintersinn, der sich hinter den Wörtern verbirgt, der ganze Zauber, die Magie der beseelten Sprache, das alles kommt in der Logik nicht vor. In der Grammatik werden vier Arten von Sätzen unterschieden, von denen jede durch die Wortfolge und die Formen des Verbums gekennzeichnet ist: der Aussage- oder Behauptungssatz, der Fragesatz, der Wunschsatz und der Befehlssatz. In der Begriffslogik gibt es nur Aussagen oder Behauptungen. Von allem Psychologischen, was durch einen schlichten Aussagesatz ausgedrückt wird, bleibt nur das Bewußtsein übrig, durch das logische Urteil eine Wahrheit ausgesprochen zu haben. Man hat bei jedem logischen Satz mitzudenken und mitzuerleben: Es ist wahr, daß dies so ist oder sich so verhält, wie es das logische Urteil behauptet, oder da, wo es sich um Hypothesen und Annahmen handelt: Es soll als wahr angenommen werden, daß dies so ist oder sich so verhält, wie es durch dieses Urteil ausgedrückt wird. In der Begriffslogik wird durch ein logisches Urteil etwas ausgesagt über die Beziehung, in der ein Begriff zu einem anderen innerhalb eines Begriffssystems steht oder nicht steht, oder über die Beziehung, in der ein Gegenstand zu einem Begriff steht oder nicht steht. Die Formen, in denen das logische Urteil auftritt, sind: S ist P. S ist nicht P. Alle S sind P. Alle S sind nicht P. Einige S sind P. Einige S sind nicht P. Hierin bedeuten S das Subjekt des Satzes, P das Prädikat, „ist" oder „sind" die Kopula, durch die das Subjekt zu dem Prädikat in eine Beziehung gebracht wird. L e i s e g a u g , Philosophie

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Das Subjekt ist dabei ein Substantivum, das einen Begriff oder einen konkreten Gegenstand, ein Individuum, bezeichnet. Das Prädikat kann ein dem Subjektsbegriff übergeordneter oder nebengeordneter oder zu ihm in keiner Beziehung stehender durch ein Substantivum ausgedrückter Art- oder Gattungsbegriff sein oder auch ein Adjektivum, das ein für die logische Ordnung wesentliches Merkmal bezeichnet. Danach soll ein Satz von der Form: Der Baum ist grün, nur dann als logisches Urteil gelten, wenn dieses Urteil sich auf ein System bezieht, in dem die Pflanzen nach ihren Farben eingeteilt werden, so daß das Wort „grün" auf den logischen Ort hindeutet, den der Begriff „grüner Baum" im System einnimmt, so wie das Adjektiv „zweikeimblättrig" im Pflanzensystem den logischen Ort angibt, an den der Begriff „zweikeimblättrige Pflanze" gehört. Alle Sätze, in denen einem Gegenstand oder einem Begriff Merkmale beigelegt werden, die für eine logische Ordnung nicht in Betracht kommen, haben in der Begriffslogik keine logische Bedeutung. Die Wörter „ist" oder „sind" bedeuten, wenn das Prädikat ein Substantiv ist: „fällt" oder „fallen" unter den Prädikatsbegriii, unter die Art, die Gattung, die Klasse. Ist das Prädikat ein Adjektivum, so bedeuten sie: „hat" oder „haben das für die logische Ordnung wesentliche Merkmal". Aus dem Begriffssystem ergibt sich nun auch unmittelbar der Sinn des logischen Schlusses, des Syllogismus. Das alte Schulbeispiel heißt hier: Alle Menschen sind sterblich. Gajus ist ein Mensch. Folglich ist Gajus sterblich. Um auszudrücken, daß ein solcher Schluß für alle Begriffe gilt, die in einem solchen Begründungszusammenhang stehen, wird er in der allgemeinen Form geschrieben: Alle M sind P. S ist M. S ist P. Der erste und der zweite Satz heißen die Prämissen, der

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dritte der Schlußsatz oder die Conclusio. M ist der Mittelbegriff, der zweimal vorkommt, S das Subjekt, P das Prädikat. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß es sich hier nicht um eine Formel handelt, die mit einem beliebigen Inhalt gefüllt werden darf. Sie gilt nur, wenn unter M ein Begriff verstanden wird, der in den Umfang des Begriffs P fällt, und das kann er nur, wenn es in einer Seinsordnung gleichartige Gegenstände gibt, die in einen Begriff derart zusammengefaßt werden können, daß sie mit anderen Gegenständen einer anderen Art wenigstens eine Eigenschaft, die mit P bezeichnet wird, gemeinsam haben. Und sie gilt ferner nur, wenn unter dem Buchstaben S ein Begriff oder ein Individuum verstanden wird, dessen Wesen so beschaffen ist, daß es als zur Gattung M gehörend bezeichnet werden darf. P, S und M sind also durchaus kein beliebiges Ausgangsmaterial für die mit ihnen vorzunehmende logische Operation, sondern Zeichen für Gegenstände, deren Verhältnis zueinander diese eine festgelegte logische Struktur hat, aus der sich der logische Schluß ergibt, der als eine Selbstverständlichkeit erscheint, wenn man den Einblick in diese logische Struktur der Begriffsverhältnisse gewonnen hat. Wenn die beiden ersten Urteile des Syllogismus nicht wie in diesem Beispiel die Formen haben: Alle M sind P, S ist M, sondern das eine oder das andere oder beide die Formen annehmen : Alle S sind nicht M, S ist nicht M, einige S sind M. einige S sind nicht M, so ergeben sich aus der Kombination dieser Urteile die verschiedenen Schlußweisen oder Schlußmodi und Schlußfiguren, die daraufhin untersucht werden, welche von ihnen richtige Schlüsse ergeben. Hierüber wird in den wissenschaftlichen Werken über die Logik ausführlich gehandelt. Die klassische Begriffslogik bezieht sich nur auf solche Schlüsse und Urteile, in denen Begriffe miteinander verbunden werden, die zu einem Begriffssystem gehören, das die Form eines Art-Gattungsschemas hat, in dem ein das Ganze umfassender Begriff in Gattungen und diese in Arten und so fort geteilt werden. Es gibt aber noch viele andere Begriffssysteme 4*

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von anderer Struktur. So werden zum Beispiel die Begriffe, die eine Verwandschaft bezeichnen wie Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Onkel, Tante, Großvater, Urgroßvater, Enkel und so weiter in ihren Beziehungen zueinander durch einen Stammbaum dargestellt, dessen logische Struktur sich von der eines Klassifikationsschemas, das den Zusammenhang der Gattungen mit den Arten graphisch veranschaulicht, unterscheidet. Durch die Verbindung dieser Begriffe miteinander erhält man Urteile und Schlüsse von ganz anderer Form. So folgt aus den beiden Sätzen: A ist Vater von B, B ist Vater von C, der Satz: Folglich ist A Großvater von C. Aus dem Satz: A ist Vetter von D folgt, daß der Vater von A und die Mutter von D Kinder derselben Eltern sind. Und so kann man noch zahlreiche andere Beziehungen aus dem Schema eines Stammbaums ablesen und aus einer Beziehung auf andere schließen, die bestehen müssen, wenn diese besteht. Bestehen Beziehungen zwischen Begriffen, unter denen Größen zu verstehen sind, die einander gleich sind, so daß man eine für die andere einsetzen darf, so erhält man aus den beiden Gleichungen A = B und B = C die dritte als Schluß: A = C. Bilden die Begriffe einen Zyklus oder Kreis wie die Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Frühling und so fort, oder die Himmelsrichtungen, die durch eine Windrose dargestellt werden, oder die Farben des Farbenkreises, so folgt aus dem Satz: Auf jeden Sommer folgt ein Winter, sofort der andere: Auf jeden Winter folgt ein Sommer. Daher ist das Begriffssystem der klassischen Begriffslogik nur ein Spezialfall. Neben ihm gibt es eine Fülle von Begriffssystemen anderer Struktur. Das Logische besteht bei allen darin, daß aus Sätzen, in denen Begriffe desselben Systems miteinander sinnvoll verbunden werden, andere Sätze folgen, die sich aus der Einsicht in die logische Struktur des Systems ergeben. Dabei gelten für jede logische Arbeit bestimmte Grundsätze und Prinzipien, die erst in der neueren Philosophie Denkgesetze genannt wurden, obwohl sie nicht vom Denken, sondern von Gegenständen und Sachverhalten handeln. Zu ihnen gehören:

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1. Der Satz der Identität: Jeder Gegenstand ist sich selbst gleich. Da die Begriffe Gegenstände des logischen Denkens sind, muß jeder Begriff, mit dem gearbeitet wird, während dieser Arbeit sich selbst gleich bleiben. Er darf also seine Bedeutung nicht ändern, die von vornherein durch eine Definition dessen, was unter ihm verstanden werden soll, festgelegt werden kann. 2. Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch. Er wurde zuerst von Aristoteles formuliert: Es ist unmöglich, daß dasselbe demselben in derselben Beziehung zugleich zukommt und nicht zukommt. Neuere Formulierungen sind: Ein Sachverhalt kann nicht bestehen und nicht bestehen. Kontradiktorisch entgegengesetzte Urteile können nicht beide wahr sein, sondern wenn das eine wahr ist, so muß das andere falsch sein und umgekehrt. Unter einem kontradiktorischen Gegensatz wird dabei die Entgegensetzung verstanden, die durch die Verneinung entsteht, wie zum Beispiel in den Sätzen: Das Dreieck ist rechtwinklig; das Dreieck ist nicht rechtwinklig. Von diesen beiden Sätzen kann nur einer wahr sein. 3. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, der unmittelbar aus dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch folgt: Es kann dasselbe demselben in derselben Beziehung nur zukommen oder nicht zukommen; eine dritte Möglichkeit ist ausgeschlossen: tertium non datur. Oder: Entweder besteht ein Sachverhalt oder er besteht nicht; von zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzten Urteilen ist entweder das eine oder das andere wahr, eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. 4. Der Satz vom zureichenden Grunde, der erst von Leibniz in die Logik eingeführt wurde. Er erklärte: Es geschieht nichts, ohne daß es eine Ursache oder wenigstens einen bestimmenden Grund hat, daß heißt etwas, das dazu dienen kann, a priori zu begründen, weshalb etwas gerade so und in keiner anderen Weise existiert. Statt des Ausdrucks „bestimmender Grund" brauchte er an einer anderen Stelle die Bezeichnung „zureichender Grund". Zureichend ist der Grund, wenn er allein dazu genügt, die Wahrheit des Urteils zu verbürgen, unzureichend ist er, wenn er für sich allein nicht ausreicht, sondern

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durch andere ergänzt werden muß, um das Urteil zu einem wahren zu machen. So kann das Urteil: Es wird morgen regnen, begründet sein durch die Tatsache, daß sich der Luftdruck ändert und das Barometer fällt. Aber dieser Grund ist nicht zureichend, da das Auftreten von Regen nicht allein vom Luftdruck, sondern noch von anderen Ursachen abhängig ist. Von den neueren Logikern wurde an diesen Grundsätzen besonders dann, wenn sie als Denkgesetze verstanden wurden, eine scharfe Kritik geübt. Von einigen wurden sie mit Ausnahme des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten aus der Logik in die Ontologie verwiesen, der sie ursprünglich angehörten. Von Mathematikern wurde die Allgemeingültigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten angezweifelt. Der Satz vom Widerspruch erfuhr in der Dialektik eine besondere Behandlung und Mißhandlung. Die klassische Begriffslogik mit ihrer Technik der Klassifikation und des Schließens in Syllogismen genügte nicht den Ansprüchen, die besonders von den Mathematikern an die Logik gestellt wurden. So entstand neben ihr zunächst eine mathematische Logik. Die weitere Entwicklung führte dann dazu, die Logik überhaupt neu zu begründen und eine neue Logik zu schaffen, die dazu dienen sollte, die logischen Grundlagen der Mathematik und jeder axiomatisierbaren Wissenschaft sicher zu stellen und zugleich eine Technik der Ableitung logischer Sätze aus vorausgesetzten Sätzen zu entwickeln, die der Rechentechnik der Mathematiker vergleichbar ist und mit derselben Präzision durchgeführt werden kann. Man nennt diese neue Logik deshalb auch die Logistik, da die Griechen unter der logistischen Technik die Rechenkunst verstanden. Von der Begriffslogik unterscheidet sie sich zunächst dadurch, daß die letzten Elemente, aus denen sich die logischen Gebilde zusammensetzen, Sätze sind, die auch atomare Sätze genannt werden. Sie wird deshalb auch als Satzlogik aufgefaßt und bezeichnet. Ihre erste systematische Ausbildung erfuhr sie durch die englischen Mathematiker Whitehead und Russell im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts.

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Ihnen folgten in Deutschland der Mathematiker David Hilbert und der Philosoph Heinrich Scholz. p, q, r, s . . . seien Sätze oder Aussagen. Vom Inhalt der Sätze, das heißt von allem, was sie bedeuten und was mit ihnen gemeint ist, ist abzusehen bis auf eine Eigenschaft des ganzen Satzes, nämlich die, ob er wahr oder falsch ist. Wenn allein diese Eigenschaft der Sätze in Frage kommt, so ist z\rischen den Sätzen nur eine geringe Anzahl von Beziehungen möglich. Man beschränkt sich zunächst auf die Beziehungen, die zwischen zwei solchen Sätzen bestehen. Wenn diese gefunden sind, so können die zwischen drei, vier und mehr Sätzen ohne weiteres gefunden werden. Es bestehe nun zwischen zwei Sätzen die logische Beziehung, die in der deutschen Sprache ausgedrückt wird durch die Wörter: „schließt ein", „bedingt", „wenn . . . so", „aus . . . folgt". Zum Beispiel: Die Geltung des Satzes: Die Summe der Dreieckswinkel ist gleich zwei rechten Winkeln, schließt ein die Geltung des Satzes: Ein Winkel im Dreieck ist kleiner als zwei rechte Winkel. Die Tatsache, daß es regnet, bedingt die andere, daß es draußen naß ist. Wenn ich eine Sechs werfe, so gewinne ich das Spiel, falls das so ausgemacht ist. Aus dem Werfen der Sechs folgt, daß ich das Spiel gewinne. Die hier mit den verschiedenen sprachlichen Ausdrücken gemeinte Beziehung heißt die Implikation. Ein Satz impliziert den anderen heißt: Wenn dieser Satz gilt, so gilt zugleich der andere mit. Die Implikation wird durch das Zeichen ausgedrückt. p ->• q heißt also: Die Wahrheit des Satzes p impliziert die Wahrheit des Satzes q, oder: Aus der Wahrheit des Satzes p folgt die Wahrheit des Satzes q. Wenn zum Beispiel ein Dreieck rechtwinklig ist, so ist die Summe der Winkel an der Hypotenuse gleich einem rechten Winkel. Die Falschheit, die Unwahrheit oder die Negation eines wahren Satzes wird durch einen Strich über dem Buchstaben bezeichnet. Die Verknüpfung durch das Implikationszeichen darf nicht als die Beziehung aufgefaßt werden, die zwischen Grund und Folge besteht, sondern sie bedeutet: Wenn der Vordersatz

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wahr ist, so ist die ganze Aussage nur dann wahr, wenn auch der Nachsatz wahr ist. Ist aber der Vordersatz falsch, so kann daraus Wahres und Falsches geschlossen werden'; aber die ganze verknüpfte Aussage ist dann in beiden Fällen wahr. Bezeichnet man mit W die Wahrheit der ganzen aus den beiden Sätzen p und q bestehenden Aussage, und mit F ihre Falschheit, so gilt: l.p^q W, 2- V —2 F , 3 .V->q_ W, 4. p ->• q W. Als Beispiel mögen die beiden Sätze dienen p: Eine ganze Zahl ist durch 4 teilbar, q: Dieselbe Zahl ist durch 2 teilbar. Dann erhält man folgende Verknüpfungen: 1. Aus dem Satz: Eine ganze Zahl ist durch 4 teilbar, folgt der Satz: Dann ist dieselbe Zahl auch durch 2 teilbar. Die ganze Aussage ist wahr. 2. Aus dem Satz: Eine ganze Zahl ist durch 4 teilbar, folgt der Satz: Dann ist sie nicht durch 2 teilbar. Die ganze Aussage ist falsch. Nun soll der Satz: Eine ganze Zahl ist durch 4 teilbar, falsch sein. Man kann also dafür schreiben: Eine ganze Zahl ist nicht durch 4 teilbar. 3. Aus dem Satz: Eine ganze Zahl ist nicht durch 4 teilbar, folgt der Satz: Dann ist sie durch 2 teilbar. Die ganze Aussage ist wahr; denn 6 ist zum Beispiel nicht durch 4, wohl aber durch 2 teilbar. 4. Aus dem Satz: Eine ganze Zahl ist nicht durch 4 teilbar, folgt der Satz: Dann ist sie auch nicht durch 2 teilbar. Die ganze Aussage ist wahr; denn 7 ist zum Beispiel durch 4 und durch 2 nicht teilbar. Hieraus ergibt sich die Regel: Aus Wahrem kann nur Wahres geschlossen werden; aus Falschem kann sowohl Wahres wie auch Falsches geschlossen werden. Haben zwei verschiedene Ausdrücke den Wahrheitswert, so dürfen sie einander gleich und füreinander eingesetzt werden, so wie man in der Mathematik zwei Größen gleichsetzt, die denselben Zahlenwert haben. Auch die Gleichsetzung

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zweier falscher Ausdrücke ist erlaubt. Statt „gleich" sagen die. Logistiker „äquivalent". Die Äquivalenz wird durch das Zeichen ~ ausgedrückt. Für zwei Sätze p und q gilt dann: Ist p wahr und q wahr, so ist p ~ q W. Der ganze Ausdruck ist wahr. Ist p wahr und q falsch, so besteht keine Äquivalenz. Es ist p F. Der ganze Ausdruck ist falsch. Ist p falsch und q wahr, so gibt es ebenfalls keine Äquivalenz. Es ist p ~ q F. Ist pfalsch und q falsch, so sind beide gleichwertig. Es gilt also p ~ q W. Ferner wird das Unverträglichkeitszeichen gebraucht, ein senkrechter Strich | . Sind die beiden Aussagen wahr, so ist p mit q verträglich, dagegen ist p \ q falsch. Eine wahre Aussage ist mit einer falschen immer unverträglich und ebenso eine falsche mit einer falschen. Das Gesetz heißt hier: Der Satz: Eine Aussage ist mit einer anderen unverträglich, ist nur dann falsch, wenn beide Aussagen wahr sind. Werden zwei Sätze durch das Zeichen & miteinander verbunden, so heißt dieser Ausdruck eine Konjunktion oder ein logisches Produkt, p & q, gelesen p und q, ist nur dann wahr, wenn p wahr ist und q wahr ist. Werden zwei Sätze durch das Zeichen v, das den Sinn des lateinischen vel, deutsch „oder", hat, miteinander verbunden, so heißt dieser Ausdruck eine Disjunktion oder eine logische Summe, p v q, gelesen p oder q, ist wahr, wenn mindestens eine der beiden Aussagen wahr ist. Sämtliche Zeichen, ihre Verknüpfungen und die Wahrheits- oder Falschheitswerte der Verknüpfungen lassen sich in folgendem Schema zusammenstellen: p q_W p ~ q_W p \ q_F p&q_W pv q_W p_^qF p_~ q F p |q W £&