Eine Ehrenrettung [Reprint 2021 ed.] 9783112457849, 9783112457832


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German Pages 36 [42] Year 1886

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Eine Ehrenrettung [Reprint 2021 ed.]
 9783112457849, 9783112457832

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Eine Ehrenrettuu g. I 8Se

Vortrag gehalten im Züricher Rathaus

von

Prof. I). A E. Biedermann»

(Abgedrnckt aus der Protestantischen Kirchenzeitung 1884, Nr. 50.)

Berti n.

Druck von Georg Reimer in Berlin. 1885.

W !*) K

Eine Ehrenrettung. Vortrag gehalten im Züricher Rathaus

von

Prof. D. A E. Biedermann.

(Abgedruckt aus der Protestantischen Kirchenzeitung 1884, Nr. 50.)

Berlin.

Druck von Georg Reimer in Berlin.

1885.

Ich weiß nicht — geehrte Anwesende —, wie weit das Wort unsers großen Dichters auch Ihren Glauben ausdrückt:

„Die Weltgeschichte ist das Weltgericht."

aber werden Sie wol alle mit mir einig sein, dem Maße doch nur unvollständig gelte,

Darüber daß es in

als die Welt­

geschichte in die äußere Erfahrung fällt, und darum die Wissenschaft der Geschichte ihr Urteil

protocolliren kann.

Diese teilt die Natur alles Menschlichen, sie kommt nie zum vollen Abschluß und sieht sich

daher oft veranlaßt, ihre

Urteile, und hätten sie auch die längste Zeit gegolten, doch

wieder zu revidiren

Hier muß eine Größe, die von einem

Glorienschein umgeben oder mit Lorbeer bekränzt Jahrhunderte

lang auf hohem Piedestal gestanden,

durch das nüchteme

Urteil einer spätern Geschichtsforschung ihres falschen Ruhmes entkleidet, herunter auf das Niveau gewöhnlicher Menschen­

kinder, wo nicht ganz und gar hinab in den Staub.

Oder

umgekehrt, eine Persönlichkeit, die bisher durch Geschlechter

herab nur mit Abscheu genannt worden ist, wird durch eine

spätere, unparteiische Kritik von ihrem Fluche gereinigt, oder

doch wenigstens teilweise entlastet.

Das sind die Ehren-

1*

4 rettungen.



Es ist natürlich, daß eine humanere Zeit gerade

solche sich angelegen sein läßt, und sich ihrer freut, wenn sie

sich wirklich als das gerechtere Urteil erweisen. Wolverstanden, das sind noch keine Ehrenrettungen zu nennen, wenn Persönlichkeiten gerade um dessentwillen,

warum bisher das allgemeine Urteil sie verdammt hatte, nun auf einmal erhoben und gepriesen werden, nicht durch

eine Berichtigung,

sondern durch eine einfache Umkehr

des sittlichen Maßstabes.

Wenn ein Torquemada gerade

um seiner Ketzergerichte willen zum Heiligen erhoben werden

wollte, wenn die großen Blutpolitiker der französischen Revolu­

tion, ein Danton, ein Robespierre, selbst ein Marat, gerade weil sie das waren, von einem nachgeborenen Affen­

geschlecht als die wahren Helden der Völkerbefreiung gepriesen werden, — das wären keine Ehrenrettungen.

Von Ehren­

rettungen darf man nur da reden, wo eine unparteiische Geschichtsforschung sich veranlaßt sieht, eine Gestalt in ein

anderes Licht zu rücken, durch welches die dunkeln Schatten, die sie bisher ganz bedeckt, wenigstens gemildert, wo nicht

völlig gehoben werden; wo es heißt: ja, wenn sie wirklich das, und nur das gewesen wäre,

als was sie bisher ge­

golten, dann müßte auch das bisherige verdammende Urteil als ein gerechtes auf ihr bleiben; allein nur die Ungunst der

Verhältniffe, oder die Unkenntnis der nähern Umstände, oder die Leidenschaft haben der Geschichte das Bild entstellt

überliefert.

Rur da kann man von Ehrenrettung reden; von

partieller wenigstens; selten dürfte der Fall einer vollständigen

5 eintreten. — Schon von der Schule her stand uns der Kaiser Tiberius nur als eine finstere, unheimliche Gestalt vor der Seele,

als ein herzloser, von Argwohn und Menschenhaß,

von geheimer Lust verzehrter Tyrann, dessen letzte Jahre in der Einsamkeit auf Capri ein grauendes Dunkel umhüllte. Eine neuere Geschichtsforschung hat ihn zwar nicht ganz aus

diesem Schatten gerückt,

aber doch seine kraftvolle, weise

Regierung, seine energische Sorge für Ordnung und Sparsam­ keit im Staatshaushalte des großen Weltreiches mehr in den

Vordergrund und in's Licht gestellt, und dem großen Geschichts­

schreiber Tacitus, der das Bild des Kaisers mit kohlschwarzem Stifte gezeichnet, nachgewiesen, daß er denn doch oft dem verhaßten Tiberius ohne geschichtlichen Anhalt je die schwärzesten

Absichten und Motive pessimistisch insinuirt habe.

Das war

eine partielle Ehrenrettung. Als eine der schmachbeladensten weiblichen Gestalten in

der Geschichte hatte bisher Lucretia Borgia gegolten, als die würdige Tochter des scheußlichsten aller Päpste und die

ebenbürtige Schwester des furchtbaren Cesare, beiden mehr als nur Tochter und Schwester, die „Heldin von Gift und Dolch."

Wenn eine genauere Forschung sie wenigstens vom

Aergsten entlastet, sie zwar nichts weniger als zum tugend­

haften Weibe erhoben hat,

aber doch als fügsames Spiel­

zeug einer ruchlosen Umgebung mehr bemitleidens- als ver­ dammenswert erscheinen läßt, so daß das authentische Bild­ nis, das wir aus ihrer späteren Zeit besitzen,

ein Gesicht

von liebenswürdiger Anmut, nicht mehr entweder als

ein

6 Hohn auf alle Physiognomik,

oder denn als Zeugnis der

Bekehrung eines Teufels in einen Engel gelten muß, — so war das eine partielle Ehrenrettung.

So oft in der neuern

Zeit — auch in diesem Sale — Muhamed, den die frühere Christenheit in ihrem Schrecken vor dem Halbmond nur als

den Lügenpropheten des Tieres aus dem Abgrund verab­

scheut, die spätere Aufllärungszeit aber mit ihrem Mangel an

Geschichtssinn nur als abgefeimten Betrüger verhöhnt hatte, in's Licht einer unbefangenem Geschichtsbetrachtung gestellt worden ist, so wurde das für ihn zu einer partiellen Ehren­

rettung. — Gerechte Veranlaflung zu solchen Ehrenrettungen wird namentlich

da vorhanden sein, wo nationaler Haß,

politische Leidenschaft, religiöser Fanatismus das erste Bild gezeichnet und der Nachwelt überliefert hatte.

Doch Sie werden nachgerade ungeduldig sein: wessen

Ehrenrettung ich denn in dieser Stunde vorhabe? — G. A.

Es ist gar keine Persönlichkeit,

weder Mann

noch

Weib, aus der Geschichte. — Was denn? — Bevor ich es

sage, noch einmal:

einfach

das wäre keine Ehrenrettung, wenn

der Maßstab des

bisher

verdammenden Urteiles

nicht anerkannt, und ein entgegengesetzter wollte geltend ge­ macht werden, wonach als recht und gut und löblich sollte ver­ teidigt werden, was bisher als verwerflich gegolten.

Nur

das kann eine Ehrenrettung heißen, wenn mit voller An­

erkennung, daß das Verwerfungsurteil Recht hätte, wenn es mit seinem Gegenstände sich wirklich so verhielte, wie es voraussetzt, der Nachweis geleistet wird, daß das eben nicht

7 der Fall sei, daß der Gegenstand der bisherigen Verdammnis, in sein wahres Licht gestellt, ganz anders zum Vorschein komme,

und nach dem gleichen sittlichen

Maßstabe

statt

Verwerfung vielmehr Anerkennung verdiene. Nur das

kann eine Ehrenrettung heißen, und nur eine solche möchte

ich unternehmen.

Nun also, endlich heraus damit! — So sei's denn; es

ist nichts geringeres als der Ihnen allen wolbekannte, aber übelberüchtigte Grundsatz: Der Zweck heiligt die Mittel.

Sie werden gestehen, wenn dieser zu Ehren kommen soll, so hat er eine Ehrenrettung sehr nötig, und es ist fast

gewagt, eine solche zu unternehmen.

Ist doch dieser Satz

kurzweg als ein jesuitischer Grundsatz bekannt, und wir

alle wissen, was man damit sagen will.

Ja, die Jesuiten

selbst, mit deren Namen man ihn von vornherein für gebrandmarkt genug hält, waschen ihre Hände in Unschuld und

lehnen die Urheberschaft und alle Mitschuld von sich ab. Ein ultramontanes Blatt, „Der Pilger aus der Pfalz",

hat 1866 diesen Grundsatz für „infam"

und

„verrucht",

aber zugleich das, daß man ihn den Jesuiten aufbürden wolle, für „eine höllische Erfindung" erklärt. — freilich

mit einer vorsichtigen Hintertür in den

dingungen — den

Ja er setzte

Be­

einen Preis von 1000 st. aus für den, der

Nachweis zu

leisten imstande sei,

daß die „Gesell­

schaft Jesu" diesen Grundsatz jemals approbirt habe. muß er wol verdammlich genug sein.

Da

Wenn ich gleichwol

eine Ehrenrettung für denselben unternehme, so kann sie nur

8 darin bestehen, daß ich erstens zeige, wie der Satz in dem Sinne verstanden, den man gemeinhin mit dem jesuiti­ das allgemeine Urteil der Verdammnis, in

schen meint, das

also zu unsrer Ueberraschung sogar die Jesuiten mit

einstimmen, allerdings vollständig verdiene; zweitens aber,

daß dies gar nicht der wahre Sinn des Satzes sei und sein könne,

sondern nur eine — sagen wir jesuitische —

Verdrehung deffelben; und drittens endlich,

daß er in

seinem tiefsten Grunde vielmehr sich gerade als ein Ausdruck des höchsten sittlichen Werturteiles heraüsstelle.

I. Ja,

heillos

ist der Satz in dem Sinn,

als jesuitisch bezeichnet.

den man

Die Jesuiten selbst haben die Ur­

heberschaft, ja alle Mitschuld daran — wie wir gehört —

mit den stärksten Ausdrücken der Entrüstung abgelehnt. wollen sehen.

Wir

Auf jene Herausforderung hin wurde sofort

nachgewiesen, daß in dem vom Orden approbirten Lehrbuch der Moral deü

altberühmten Jesuitenpater Busenbaum

doch schwarz auf weiß der Satz zu lesen sei — ich muß ihn erst im Originaltext des Jesuitenlateins wiedergeben — si

finis est licitns, etiam licita sunt media.

wird dies einfach übersetzen: ist, so

sind

wenn der Zweck erlaubt

auch die Mittel erlaubt.

gerade das, was man unter dem Satz,

die Mittel",

versteht.

Jeder

Und das ist

„der Zweck heiligt

O nein, erwidert der Jesuit, so ist

8 darin bestehen, daß ich erstens zeige, wie der Satz in dem Sinne verstanden, den man gemeinhin mit dem jesuiti­ das allgemeine Urteil der Verdammnis, in

schen meint, das

also zu unsrer Ueberraschung sogar die Jesuiten mit

einstimmen, allerdings vollständig verdiene; zweitens aber,

daß dies gar nicht der wahre Sinn des Satzes sei und sein könne,

sondern nur eine — sagen wir jesuitische —

Verdrehung deffelben; und drittens endlich,

daß er in

seinem tiefsten Grunde vielmehr sich gerade als ein Ausdruck des höchsten sittlichen Werturteiles heraüsstelle.

I. Ja,

heillos

ist der Satz in dem Sinn,

als jesuitisch bezeichnet.

den man

Die Jesuiten selbst haben die Ur­

heberschaft, ja alle Mitschuld daran — wie wir gehört —

mit den stärksten Ausdrücken der Entrüstung abgelehnt. wollen sehen.

Wir

Auf jene Herausforderung hin wurde sofort

nachgewiesen, daß in dem vom Orden approbirten Lehrbuch der Moral deü

altberühmten Jesuitenpater Busenbaum

doch schwarz auf weiß der Satz zu lesen sei — ich muß ihn erst im Originaltext des Jesuitenlateins wiedergeben — si

finis est licitns, etiam licita sunt media.

wird dies einfach übersetzen: ist, so

sind

wenn der Zweck erlaubt

auch die Mittel erlaubt.

gerade das, was man unter dem Satz,

die Mittel",

versteht.

Jeder

Und das ist

„der Zweck heiligt

O nein, erwidert der Jesuit, so ist

- ' 9 nicht zu übersetzen, sondern nur: „wenn ein Zweck er­

laubt ist, so gibt es auch erlaubte Mittel dazu. Daß aber damit auch schlechte Mittel als allfällig erlaubt

erklärt werden,

das ist pure Verleumdung.

Natürlich sind

nur gute und an sich erlaubte Mittel gemeint, und der Satz

sagt nur,

wo

ein erlaubter Zweck ist, da muß es auch er­

laubte Mittel dazu geben." — Gut; lassen wir uns vor der Hand diese jesuitische Aus­

legung gefallen, und erbitten uns von dem Jesuiten zunächst die Belehrung darüber, wie zu dem erlaubten Zweck erlaubte

Mittel zu suchen seien.

Diese Belehrung wird uns denn

auch mit der wünschenswertesten Offenherzigkeit erteilt durch die. in der jesuitischen Moral berühmte und in ihren appro-

birten Lehrbüchern mit unzweideutigen Beispielen erläuterte

„Methode, die Absicht zu leiten" (methodus dirigendae intentionis). Wenn ich mir bei einer Handlung

nur einen erlaubten Zweck als meine specielle Absicht dabei vorsetze, so wird die Handlung um dieser guten Absicht willen

erlaubt, auch wenn sie ohne dieselbe allerdings vielleicht uner­

laubt wäre.-

Z. B.:

(es sind jesuitische Beispiele) ein Be­

dienter, der von seiner Herrschaft weniger Lohn erhält, als

er zu verdienen überzeugt ist, darf seiner Herrschaft schon das Fehlende entwenden, wenn er es nur in der Absicht tut, —

ja nicht etwa seine Herrschaft zu betrügen; sondern lediglich, um zu dem Seinen zu kommen. — Wer von einem Andern

eine Beleidigung erfahren, darf denselben fordern, nötigen­ falls auch sonst niederstechen, wenn er dabei nur die Absicht

-lOtiat, seine Ehre zu wahren, nicht aber, seinem Feind ein Leid

anzutun.

Da ist nun freilich

das Verhältnis von Mittel und

Zweck eigentlich auf den Kopf gestellt: zum Mittel wird ein Zweck gesucht, statt umgekehrt.

Doch lasten wir uns vor der

Hand auch das gefallen. Wir bekommen also für's erste die Anweisung, für unser

Handeln einen guten Zweck zur Deckung zu suchen.

Wir

bitten uns nun nur noch vom Jesuiten auch die weitere

Belehrung aus, wie wir uns besten zu versichem haben, daß

ein Zweck wirklich gut und dämm die Handlung, die als Mittel dazu dienen soll, erlaubt sei.

Auch darüber gibt uns

die jesuitische Moral in ihren approbirten Lehrbüchern die

gewünschte Auskunft durch einen zweiten, nicht minder be­ rühmten

und für die Beichtväter sorgfältig ausgeführten

Grundsatz, durch den Grundsatz des sogenannten Prob ab i-

lismus.

Eine Meinung, was im einzelnen Fall erlaubt

sei, ist probabel, d. h. zu billigen und darum zu befolgen,

subjectiv nach dem Gewissen, objectiv nach der besseren

Autorität.

Wo zwei probable Meinungen einander gegen­

überstehen, folge man der probableren.

strengere Fassung.

Und das ist noch die

Die laxere erlaubt auch der minder

probabel» zu folgen, wenn sie nur wenigstens etwas Pro­

bables für sich habe.

Ueber die innere Probabilität aber

können nur die gelehrtesten Männer der Kirche sicher urteilen. In alle Wege probabel ist eine Meinung, die von der Kirche

dafür anerkannt wird.

Der Laie also, der für sich doch

11 nie sicher zu entscheiden imstande ist, folge der für ihn auf

alle Fälle probableren Meinung seines Beichtvaters, der im Namen der Kirche zu ihm spricht.

Nun, da hätten wir beisammen was wir brauchen; ja mehr als wir brauchen: erst sieht der Mensch sich nach einem

probablerweise erlaubten Zweck um; den gibt ihm allein

sicher, auch der Stimme seines Gewiffens gegenüber, die Kirche an; dann nimmt er sich für sein Handeln diesen als

seine leitende Absicht vor, und seine Handlung ist dadurch

gerechtfertigt.

Der erlaubte Zweck macht auch die sonst uner­

Darauf kommt der Jesuit,

laubten Mittel dazu erlaubt.

obgleich er es hat leugnen wollen, mit seiner „Methode, die An das aber gerade denkt

Absicht zu leiten", doch hinaus.

man bei dem Satz: „der Zweck heiligt die Mittel" und schreibt

ihn daher in diesem Sinn mit allen: Rechte den Jesuiten

zu. — Doch es ist in unserm Satze ja von einem Heiligen, nicht blos Erlauben der Mittel die Rede: da muß auch

etwas Heiliges im Zwecke liegen; was aber heilig, also auch

wol unbedingt probabel sei,

dafür erklären,

das kann nur eine Autorität

die selbst heilig ist,

und das ist für den

Jesuiten nur sein Orden, die Kirche und ihr Oberhaupt.

Wenn daher der profaner lautende Satz des Jesuiten: „erlaubte Zwecke machen auch die Mittel dazu erlaubt", populär kurz so formulirt wird:

Mittel",

so spricht sich

gewiß

ganz

Lehre

wol

„der Zweck heiligt die

gerade

durch

diese

Fassung

richtiger Instinkt

aus,

daß

jene saubere

einen

heuchlerisch

geistlichen

ein

Ursprung habe

12 und

zu

vornehmlich

heuchlerisch geistlichem

Gebrauch

er­

funden sei.

Was nun dieser unzweifelhaft und unbestreitbar jesuitische Sinn des Satzes:

„der Zweck heiligt die Mittel", zur sitt­

lichen Maxime erhoben, in der Welt für Früchte getragen

hat, noch trägt und immer und überall tragen muß, und zwar gar nicht etwa blos in den Kreisen, wo der Einfluß

der Jesuiten direct hinreicht, sondern auch da, wo die Jesuiten

zwar aufs höchste desavouirt, — ihre Grundsätze aber befolgt

werden, weil diese Grundsätze eben nicht blos von den Je­ suiten

erfunden

sind,

sondern

im

dunkeln

der menschlichen Natur überhaupt wurzeln, von nein.

diesen

Früchten

noch

viele

Beispiele?

Untergründe

— braucht's

Ich denke:

Aus verschiedenen Lebensgebieten nur je eins mag

genügen. Wir wißen freilich nicht, ob es gerade ein jesuitischer

Beichtvater war, der in einer schwarzen Nacht vor dem 14. Mai 1610 Franz Ravaillac ins Ohr flüsterte, König

Heinrich IV., wenn schon äußerlich in den Schos der Kirche

zurückgekehrt, im Herzen aber doch immer noch den huguenotischen Ketzern zugetan, sei der gefährlichste Feind des Papstes und seiner h. Kirche; Frankreich von ihm zu befreien, wäre

darum ein h. Werk, dem der himmlische Lohn sicher in Aussicht stehe.

Wir wißen das allerdings nicht; aber soviel ist sicher,

daß die Lehre „der Zweck heiligt die Mittel" in ihrer echte­

sten

jesuitischen Nutzanwendung es gewesen ist,

fanatischen

Papisten den

die dem

Mordstahl in die Hand gedrückt

13 hat, und den Verbrecher die grauenhaften Todesqualen, mit denen er seine Tat büßen mußte, mit dem Mut eines Mär­ tyrers erdulden ließ, — wie schon 26 Jahre früher, gerade

jetzt

vor

300 Jahren,

den

Jesuitenzögling

Balthasar

Gerard, nachdem er den großen Wilhelm v. Oranien

gemeuchelt hatte. Es genüge an diesen zwei Beispielen aus dem direkten

Bereiche der Jesuiten. — Wo alle Bürger zur activen Teilnahme am Staats­

leben berufen sind, da gibt es notwendig politische Parteien. Jeder gute Bürger muß doch glauben, seine Partei meine es

mit dem Vaterlande am besten und unter ihrer Herrschaft

gedeihe sein Wol am sichersten; des Vaterlandes

Wol zu

fördem soll aber des Bürgers höchster Zweck sein: darum muß ja wol jedes Mittel, sie zur Herrschaft zu bringen und darin zu erhalten, eine patriotische Tat sein: hier eine künst­

liche Wahlkreisgeometrie, dort

die moralische Vernichtung

gegnerischer Wahlcandidaten, dort ein alles mögliche Schöne

lockend

versprechendes

utopisches

Parteiprogramm.

„Der

Zweck heiligt die Mittel." — Auch aus diesem — doch sehr

reichhaltigen — Gebiete kein weiteres Beispiel. —

Der Handelsmann

kann für den Betrieb seines Ge­

schäftes des Credites nicht entbehren; das ist eine Lebens­

bedingung für ihn.

Ist er nun durch unglückliche Specula-

tionen an den Rand geraten, sollte es ihm da nicht erlaubt,

ja geboten sein, selbst durch die unprobabelsten Mittel — und

wenn er auch das anvertraute Gut von Wittwen und Waisen

14 damit auf's Spiel setzte — sich solange über Wasier zu er­ halten, bis er — vielleicht — wieder festen Boden unter die

Füße gewonnen hat und dann ja alles wieder gut machen kann: „der Zweck heiligt die Mittel."

Die Beispiele sind so alltäglich, daß man selbst in an­ ständiger Gesellschaft kaum davon reden darf. — Ueberhaupt, wenn der nüchterne Verstand lehrt:

Geld

ist der unentbehrliche Schlüssel zu allen Gütern und.Genüssen des Lebens: sollte da nicht Geld zu gewinnen auf jedem

Weg, der am schnellsten dazu führen kann, das probabelste

Mittel sein, zum erlaubten Genuffe des Lebens zu kommen? „der Zweck heiligt die Mittel." — Ist das nicht die Signa­

tur der Moral eines



wie großen!

— Bruchteils aller

Klassen der heutigen Gesellschaft? Kurz, der Grundsatz „der Zweck heiligt die Mittel" in

seinem mit „jesuitisch" bezeichneten Sinn ist die Maxime des nackten, gewissenlosen Egoismus, die mit der zwei-

deutigen Phrase von

einem „Heiligen"

der Mittel die

Stimme des sittlichen Bemußtseins, die es ersticken will, erst

heuchlerisch übertönt.

Auch der Jesuit — wie wir vernom­

men — kann, wenn er ihn aus ftemdem Munde hört, nicht

umhin,

ihn

zu nennen.

einen

„infamen",

also mit allem Recht und

bleiben. —

einen

„verruchten"

Satz

Das Verdammungsurteil der Geschichte soll

mit vollem Gewicht auf ihm

15 II. Allein, ist das auch wirklich der wahre Sinn des Satzes? kann er es sein?

Ist nicht vielmehr damit eine

sittliche Grundwahrheit nur heillos in ihr Gegenteil verdreht und gerade dadurch znm Fallstrick des Gewiffens geworden, weil dieses sich nicht verhehlen kann, daß aller­

dings etwas Wahres daran sei?

Sollte nicht gerade das

das Jesuitische an der ganzen Sache sein, dem Gewissen

einen derartigen Fallstrick zu drehen, und hinterdrein zu leug­

nen, daß man es getan?

Die Jesuiten sind ja nie plump

gradaus auf ihre Ziele losgegangen; sie. haben immer kluge

Umwege geliebt, die sich nötigenfalls nachher wieder ver­ wischen ließen. In der Prüfung dieser Frage und in ihrer Bejahung soll meine Ehrenrettung bestehen. Wir müssen dabei vorab zwei

Punkte in's Auge fasten. „Der Zweck heiligt die Mittel", —

Für's erste:

so lautet der Grundsatz. wirklich heilig ist, nicht etwas • Anderes

Nun kann aber, was nicht selbst

von vornherein doch ganz gewiß auch

heiligen.

Ein Zweck also, der seine

Mittel soll heiligen können, muß durchaus selbst ein heiliger Zweck sein.

Was ist aber in Wahrheit heilig?

Was dürfen ,

wir, ohne mit einem Betrug anzufangen, allein heilig nennen? Nur etwas, das

einen unbedingten, unantastbaren

Wert für uns hat, und zwar nicht etwa darum, weil wir

ihm diesen willkürlich beilegen, sondern weil er Eins ist mit.

16 dem Urgrund unsers Wesens, der hinter und über unsrer Willkür unserm Leben auch seine Bestimmung mit auf den Weg gegeben hat, als heiliges Gesetz für unsere Selbst­

bestimmung, als Gesetz der Freiheit, d. h. eben der Be­

stimmungserfüllung aus dem tiefsten Grund unsers eigenen

Inneren heraus. Das war also die erste heillose Verdrehung,

daß

eine andere, willkürliche Autorität, mit dem Anspruch unbedingter höchster Gültigkeit, unserm Handeln, auch ent­ gegen der Stimme des eigenen Gewiffens, einen Zweck als

heilig solle vorschreiben, oder auch nur probabel machen

dürfen.

Von dieser Verdrehung kann die jesuitische Moral

sich auf keine Weise rein waschen. Sie macht ihre h. Kirche zum obersten Gesetzgeber über die Gewisien und gibt ihr

mit der Lehre des Probabilismus, als Anweisung für die Beichtväter, vollends alle Macht in die Hand, die Gewisien

nach ihrer Willkür zu lenken. Es ist aber die gleiche Verdrehung, nur vom entgegen­

gesetzten Pol aus, wenn der Naturalist damit, daß er die

sinnliche Natur für den letzten Grund unsers Wesens er­

klärt, uns einreden will, ihre Stimme sei unser oberstes Ge­ setz, und ein im Gewiffen sich ankündigendes heiliges Gesetz darüber sei bloser Aberglaube.

Beidemal hat unser innerstes Ich keine Selbstgewiß­ heit eines wirklich heiligen Lebenszweckes, dessen Nichterfül­

lung ein Preisgeben unsrer Bestimmung, ein Preisgeben des

Wertes

unsers

Daseins

wäre.

Damit

aber soll

gelten

17 können:

„der Zweck heiligt seine Mittel," muß der Zweck

selbst ein heiliger sein.

Unser Satz kann nur von einem

heiligen Zweck aus seine wahre Anwendung finden. Dies

ist das Erste. —

Dazu kommt ein Zweites.

Eine-Handlung,

die als

Mittel zur Erreichung eines Zweckes dienen soll, fällt durch­ aus unter einen doppelten Gesichtspunkt ihrer Beurtei­ lung:

1) als Handlung für sich, nach ihrer eigenen mo­

ralischen Beschaffenheit,

und 2) als

Mittel zum

Zweck nach ihrer Zweckmäßigkeit. Ihre moralische Beschaffenheit erhält sie nicht erst

von außen durch einen Zweck, zu dem sie als Mittel nur in äußere Beziehung gesetzt wird.

Der Maßstab dafür liegt in

dem, worin sie selbst besteht.

Das ist die zweite heillose

Verdrehung im jesuitischen Sinn unseres Satzes, daß sie gerade dies überspringt und das Urteil über die moralische Beschaffenheit einer Handlung erst von einer nachträglich mit

ihr verbundenen Absicht abhängig macht.

Auch

von dieser

Verdrehung kann die jesuitische Moral sich nicht rein waschen: ihre Lehre von der „Leitung der Absicht" ist ja der scham­

loseste Ausdruck davon. Neben ihrer Beschaffenheit für sich kommt bei einer Handlung als Mittel zu einem Zweck zweitens

Zweckmäßigkeit in Betracht.

auch ihre

Nun kann aber der Zweck

eine Handlung doch gewiß nur so weit decken, als fle das ihm wirklich

entsprechende Mittel ist.

Ein heiliger

Zweck, der in der unveräußerlichen Grundbestimmung unsers 2

18 Wesens wurzelt, kann seine Heiligkeit doch nur solchen Hand­

lungen mitteilen, die aus dem gleichen Grunde stammen und eben darum und nur darum die geeigneten Mittel für ihn

sind.

die in ihrer eigenen Beschaffenheit

Eine Handlung,

der Heiligkeit unsrer Bestimmung widerspricht, kann doch nicht ein zweckentsprechendes Mittel für ihre Erfüllung sein; sie

wird,

dennoch angewendet,

bundenen

Zwecke

geheiligt,

kehrt diesen Zweck.

nicht von dem mit ihr ver­

sondern

sie entheiligt umge­

Nur beides zusammen ist wahr:

ein

heiliger Zweck heiligt auch das ihm entsprechende Mittel; einen

ein

unheiliges

Mittel

entheiligt

an sich guten Zweck, zu dem

gesetzt wird.

es

auch

in's Werk

Das stellt uns die Erfahrung alltäglich vor

Augen.

Ein unlauteres Manöver, zu dem einer vielleicht nur

im Uebereifer, um einer wirklich guten Sache ganz sicher

zum Siege zu helfen, sich verleiten läßt, kann gerade die beste Sache verderben.

Eine politische Partei wird am aller­

meisten durch Gewiffenlosigkeiten, zu denen ihre Heißsporne aus lauter Parteieifer sich verleiten lassen, discreditirt.

Der

Religion hat von jeher ein fanatischer Eifer ihrer Verteidiger am meisten geschadet.

mokraten,

Manchem der heutigen Socialde­

oder Socialisten, oder

nennen mögen, schweben

wie sie sich sonst

gewiß ganz ehrlich und aufrichtig

die schönsten Zukunftsideale für die menschliche Gesellschaft

vor: aber die läppischen oder geradezu frevelhaften Mittel, die er etwa für die Verwirklichung seiner schönen Theorien in

19 Vorschlag bringt, verderben auch das wirklich Gute, das er

dabei

als

letztes

Ziel

im

Auge

hat

und

für das

er

schwärmt. Noch ein Beispiel von der denkbar höchsten tragischen

Natur gerade aus der Gegenwart. Die grauenhaften Mord­ anschläge, die wir in erschreckender Häufigkeit im Namen und

zu den Zwecken des Nihilismus mit fürchterlicher Kaltblütig­ keit in's Werk setzen sehen, — haben fie wirklich alle ihren

Grund nur in einer völligen Vertierung ihrer Urheber und Vollstrecker? Gewiß nicht; oft ist vielmehr in letzter Instanz die Geburtsstätte solcher Bluttaten nur im Fanatismus der

Verzweiflung an einer andern Heilung durch und durch, von oben bis unten verdorbener socialer Zustände zu suchen, wie ein solcher Fanatismus der Verzweiflung (etwa in russischen Verhältnißen) auch an sich edlere Gemüter erfassen und sie zu den verzweifeltsten Mitteln treiben kann.

Allein die ver­

ruchten Mittel heften den Fluch der Verruchtheit auch

an

ihren Zweck, einer beßern Zukunft Raum zu schaffen.

Kurz: „der heilige Zweck heiligt seine Mittel" hat seinen. wahren Sinn nur zusammen mit seiner Kehr­

seite: „das unheilige Mittel entheiligt auch seinen

Zweck."

Nur beides zusammen gibt uns das wahre Ver­

hältnis von Zweck und Mittel. nichts

geringeres

So aber drückt unser Satz

aus als das Grundgesetz der sittlichen

Freiheit, während seine jesuitische Verdrehung frivole Willkür sanctionirt.

nur die

Freiheit — und Will­

kür; sittlicher Ernst — und Frivolität, — daS ist

2*



20

genau das Verhältnis zwischen dem wahren und dem je­

suitischen Sinn unsers Satzes. Wir müssen ihn aber nach zwei Seiten hin betonen, um in ihm in der Tat nichts geringeres als das Gesetz

der sittlichen Freiheit zu erkennen.

Das Eine ist: der

Zweck ist's, der erst seine Mittel heiligt; das Andere: er

heiligt sie auch wirklich.

Der

Zweck

ist's,

der

seine

Zweck ist die Seele der Handlung;

Mittel

heiligt.

Der

denn er ist die Hand­

lung so, wie sic noch als Absicht in der Seele wohnt und

erst aus

ihr sich in die äußere Tat übersetzt.

In seinem

Zwecke gehört unser Handeln uns an; denn den setzen wir in unserm eigenen Innern: das ist unsre Freiheit.

Mit der

Uebersetzung in die Tat dagegen tritt unsre Abhängigkeit von den Bedingungen der Außenwelt ein: da hat unsre Freiheit ihre Schranken. Der Zweck liegt in unsrer Hand; die Mittel

nicht.

Gerade aber in dem, was in unsre Hand gelegt ist,

beruht der Wert unsers Tuns für uns selbst. Es liegt un­

verlierbar in unsrer Macht, gerade den heiligen Zweck unsers Daseins zu unserm persönlichen Zwecke zu machen; denn hei­

lig ist er dadurch, daß er als die uns innewohnende Bestim­

mung eins ist mit dem Inbegriff aller Grundbedingungen

unsers Daseins, eins mit der Schöpferkraft, die uns im Da­ sein erhält. Darin liegt die Grundvoraussetzung unsrer

Freiheit, unser Beruf zur Freiheit.

Dir selbst ist einge­

pflanzt, und du kannst es persönlich dein eigen machen, was

deinem Dasein einen heiligen Wert gibt.

Es ist dies nichts

21

anderes, als was unser großer Dichterphilosoph in das kühne und doch einfach wahre Wort gefaßt hat: „Der Mensch ist freigeboren, ist frei, Und wär' er in Ketten geboren." Der Zweck ist's, der seine Mittel heiligt: das sichert uns unsern Beruf zur Freiheit. Allein was sichert uns die Möglichkeit ihrer Verwirklichung, unsrer Bestimmungs­ erfüllung aus unserm eigenen Innern heraus? Das An­ dere: daß der Zweck auch seine Mittel wirklich heiligt, ihnen einen heiligen höchsten Wert gibt, den sie für sich nicht hätten, sondern erst von ihm aus erhalten. Des heiligen Zweckes sind wir sicher, daß wir ihn zu unserm persönlichen Zweck machen können, und auch dessen sind wir sicher, daß es für seine ErMung stets auch die ihm entsprechenden Mittel gibt, die er heiligt. Hier gilt nämlich ein wesentlicher Unterschied zwischen heiligen und blos erlaubten Zwecken. Sie erinnern sich der Ausrede des Jesuiten: er lehre nicht, wenn der Zweck er­ laubt sei, seien auch alle Mittel dazu erlaubt; sondern nur, dann gebe es auch sicher erlaubte Mittel dazu. Aber gerade das ist nicht wahr. Das Erlaubte gehört in's Gebiet des Bedingten, des von den besondern Umständen Abhän­ gigen: da gibt's keine unbedingte, im Zweck gebotene Not­ wendigkeit. Der Jesuit wird auch bald auf einem sachten Umweg auf das, was er erst geleugnet hat, hinauszukommen wissen: wo es kein anderes Mittel gibt, — in Gottes Na­ men diesmal auch ein unerlaubtes für erlaubt zu erklären.

22 Ein Ertrinkender hat gewiß ganz natürlich und darum höchst

erlaubt die lebhafteste Absicht, sein Leben zu retten.

Allein

wenn nichts in seinen Bereich kommt, an das seine sinkende

Kraft sich anklammern kann? oder wenn nur ein anderer mit ihm in den Wellen Ringender, ein Freund, sein Bmder, sein

Weib, sein Vater vielleicht? — wenn's zum erlaubten Zweck

ein erlaubtes Mittel geben muß, — in Gottes Namen, so stößt er eben diesen vom rettenden Brette. Im physischen Kampf um’S Dasein sind alle Mittel erlaubt, d. h.

physisch

nicht

verwehrt.

Aber

das

ist

eben

ebensowenig

eins mit sittlich erlaubt, als der physische Kampf um’S sinnliche Dasein eins ist mit unsrer sittlichen Bestimmung,

dem Lebenszweck unsers inwendigen Menschen.

Daß hier

schwere Collisionen von Pflichten eintreten können, weiß ich wol;

allein dies schwierige Kapitel liegt jetzt seitab von unserm

Wege. Was aber für blos erlaubte Zwecke nicht wahr ist, das gilt dagegen unbedingt für heilige Zwecke: für die

gibt es immer das ihnen entsprechende Mittel. Denn heilig

ist ein Zweck ja dadurch und nur dadurch,

daß er unab­

trennbar im Urgrund unsers Wesens wurzelt, und darum ist

auch in jedem Lebensmoment ein aus dem Bewußtsein dieses Grundes entspringendes, im Gewißen sich bezeugendes Han­ deln das uns an die Hand gegebene entsprechende Mittel, ihn zu erfüllen. Und dieses Mittel erhält durch seinen heiligen Zweck

selbst auch seinen heiligen unbedingten Wert.

In sich

23 selber hätte es diesen Wert nicht, als ein einzelnes, immer zugleich auch äußerlich bedingtes und damit beschränktes und unvollkommenes Tun.

Die Gesinnung erst,

stammt, gibt unserm Handeln seinen

aus der es

wahren Wert.

Der

heilige Zweck unsers Lebens — um es expreß ganz nüchtern

und trocken auszudrücken — ein rechter Mensch zu sein, ist für uns Alle der gleiche, gleichwertige, und zwar gerade der allein unbedingt wertvolle. Die Lebens­

verhältnisse dagegen, welche für uns die Mittel bedingen, durch die wir ihn zu erfüllen haben, sind unendlich verschie­

den.

Der am reichsten ausgestattet ist an Leib und Seele

und an allen Gütem des Lebens, — auch ihm gibt erst das

seinen Vollwert als Mensch, wie er das alles auch wirklich anwendet als Mittel für den heiligen Zweck seines Daseins,

ein rechter Mensch zu sein nach der Bestimmung dessen, von

dem er sein Dasein hat.

Und der Geringste und Aermste,

von der Natur am stiefmütterlichsten Bedachte, vom Schick­

sal

am schwersten Heimgesuchte, deffen äußeres Lebenslos

nur Niedrigkeit, Leiden und Entbehrung ist, — auch seinem

armseligen Leben gibt das einen unbedingten Wert, wenn er die äußerlich geringen und armen Mittel,

die ihm gelassen

sind, Pflichttreue im Kleinsten, Geduld, Entsagung, Ergebung, anwendet zum allein heiligen Zweck seines Lebens, den er unveräußerlich in sich trägt.

Darauf beruht und darin be­

steht die wahre Gleichheit aller Menschen. liche Gleichheit in der Lebensstellung

Eine äußer­

ist leerer Traum von

Träumern, oder hohle Vorspiegelung von Betrügern.

24 Ich habe das alles expreß in trockenen, nicht in den reli­ giösen Ausdrücken ausgesprochen, die es doch am einfach­ sten und zugleich tiefsten gesagt hätten.

Allein nun fasse ich

es in das Wort des Apostels zusammen,

welches das­

selbe, nur eben direct von seinem göttlichen Grund aus, sagt: „der

Mensch

wird

vor Gott

gerecht nicht durch

seine Werke, sondern allein durch den Glauben". Alle, die je den Sinn dieses großen Wortes verstanden, die

Reformatoren vorab,

die es

wieder zum Centrum ihres

Glaubens gemacht, die haben gewußt, daß diese Worte nichts geringeres ausdrücken als das Grundgesetz der Freiheit,

der Freiheit, die es für den creatürlichen Geist allein gibt,

die es aber auch wirklich für ihn gibt. anderes ist aber auch der

Dies und nichts

wahre Vollsinn unsers Satzes:

„der Zweck heiligt die Mittel". — Heilig, von unbeding­ tem Wert, ist nur der Zweck unsers Lebens, und den können wir gerade stets zu unserm persönlichen Lebenszwecke machen,

weil er eins ist mit unserm Wesensgrund.

Dieser heiligt

aber auch die Mittel, die uns im Leben, einem jeden, zu

seiner Erfüllung geboten sind; er gibt auch ihnen einen un­ bedingten Wert, den sie für sich, als dem äußern, endlichen

Bestand unsers Daseins angehörend, nicht haben und nicht ansprechen können.

So

ist der Vollsinn

unsers Satzes das Grundgesetz

unserer Freiheit; erst seine jesuitische Verdrehung hat ihn zur heuchlerischen Beschönigung der gewissenlosen Will­ kür gestempelt.

In diesem letztern Sinne soll und wird

25 er das ihm von der Geschichte aufgedrückte Brandmal be­

halten. Meine Ehrenrettung aber gilt seinem wahren Sinn. Insoweit könnte ich meine Aufgabe für erfüllt halten. —

III. Folgen Sie mir nun aber von hier aus noch kurz einen Schritt höher hinauf bis dahin, wo unser Satz nicht blos

eine Ehrenrettung erhält, sondern selbst zu einer solchen wird, — soweit das Wort in dieser Anwendung überhaupt

noch erlaubt ist. Ich frage: was ist der Zweck des Daseins der Welt überhaupt? und wie dient sie diesem Zweck als Mittel?

— Oder hat sie vielleicht gar keinen Zweck? keinen ver­ nünftigen Zweck, der als heiliger ihr auch erst einen heiligen Wert

gäbe? Wenn sie aber keinen hätte, so hätte sie auch keinen vernünftigen Grund; denn ein solcher schließt auch einen Zweck in sich für das, was er in's Werk setzt.

Dann aber

hätte auch die Gesetzmäßigkeit, die als Naturgesetz die Welt durchwaltet, keinen andern Grund, als daß sie eben

grundlos da wäre.

Dann aber wäre auch alles, was ihr

alldurchdringendes Walten

mit

Notwendigkeit

im 9latur=

laufe hervorbringt, weil es keinen zwecksetzenden Grund hätte, blos Zufall, blos durch das äußere Zusammentreffen von

einzeln

notwendig wirkenden Umständen

zuwege

gebracht.

Zufall wäre dann die doch tatsächlich vorhandne Zweck­

mäßigkeit, die wie den einfachen Beschauer, so, ja noch in

25 er das ihm von der Geschichte aufgedrückte Brandmal be­

halten. Meine Ehrenrettung aber gilt seinem wahren Sinn. Insoweit könnte ich meine Aufgabe für erfüllt halten. —

III. Folgen Sie mir nun aber von hier aus noch kurz einen Schritt höher hinauf bis dahin, wo unser Satz nicht blos

eine Ehrenrettung erhält, sondern selbst zu einer solchen wird, — soweit das Wort in dieser Anwendung überhaupt

noch erlaubt ist. Ich frage: was ist der Zweck des Daseins der Welt überhaupt? und wie dient sie diesem Zweck als Mittel?

— Oder hat sie vielleicht gar keinen Zweck? keinen ver­ nünftigen Zweck, der als heiliger ihr auch erst einen heiligen Wert

gäbe? Wenn sie aber keinen hätte, so hätte sie auch keinen vernünftigen Grund; denn ein solcher schließt auch einen Zweck in sich für das, was er in's Werk setzt.

Dann aber

hätte auch die Gesetzmäßigkeit, die als Naturgesetz die Welt durchwaltet, keinen andern Grund, als daß sie eben

grundlos da wäre.

Dann aber wäre auch alles, was ihr

alldurchdringendes Walten

mit

Notwendigkeit

im 9latur=

laufe hervorbringt, weil es keinen zwecksetzenden Grund hätte, blos Zufall, blos durch das äußere Zusammentreffen von

einzeln

notwendig wirkenden Umständen

zuwege

gebracht.

Zufall wäre dann die doch tatsächlich vorhandne Zweck­

mäßigkeit, die wie den einfachen Beschauer, so, ja noch in

26 viel höherm Maße, gerade den Forscher in allen Werken der

Natur mit Bewunderung erfüllt.

Zufall wäre es, daß im

Kampf um's Dasein, worin der ganze Naturproceß dann bestände, in seinem höchsten Erzeugnis — auf dieser Erde wenig­

stens — im Menschenleibe das herauskäme, was wir Geist und Geistesleben nennen.

Zufall endlich wäre es, was

diesen Menschengeist darauf stößt, nach einem Grunde der Welt und seiner selbst zu fragen und von einer Bestimmung zu träumen, die ihm in's Dasein mitgegeben sei, die von jenseits

der blosen Natur stamme und über die blose Natur Hinausweise.

Für all diese Fragen gäbe es keine Antwort: das

Träumen unsers Hirns

von einer Welt des Geistes und

der Freiheit hätte keinen Grund. Das alles folgte unweigerlich, wenn das Gesamt­

dasein der Welt keinen vernünftigen Grund und keinen in

diesem wurzelnden heiligen Zweck hätte, d. h. wenn nicht

zwecksetzender

Geist

schöpferischer

Urgrund

der

Welt, und das gesamte Weltdasein das Mittel wäre zu

seiner Erfüllung. G. A. gehen

Es kann mir nicht einfallen, nur so im Vorbei­

irgendwie erschöpfen zu wollen, was alles ich mit

diesen par Worten nur angestreift habe.

darum

wenigstens

angedeutet,

Ich habe es aber

um sortfahren zu dürfen,

daß ich es nicht blos als ein unbegründetes Glauben

kann gelten lasten, mit dem es ein jeder — nämlich un­ beschadet seiner Vernunft — halten möge, wie er wolle,

wenn wir glauben, daß das Dasein der Welt allerdings einen

27 vernünftigen geistigen Urgrund und damit einen Zweck

habe, und zwar den heiligen, unbedingten Zweck, den Geist, welcher der letzte Grund ihres Daseins ist, Gott, auch in seiner unbedingten Vollkommenheit, als nicht blos das höchste, sondern als das alleinige Gut, das rein und

schlechthin in sich selbst gut und darum für uns heilig ist —

wir Philosophen brauchen dafür das freilich oft unnütz misbrauchte Wort: das Absolute — zu offenbaren.

Geben Sie mir nun — und wäre es auch vorerst nur, um zu erfahren, wo ich denn eigentlich mit all dem schließlich

hinaus

wolle —

von hier

aus

zwei

weitere

Voraus­

setzungen zu.

Erstens:

daß wir,

als creatürlicher Geist, die

Bestimmung in unser Dasein mitbekommen haben, daß jener

heilige Zweck der Welt überhaupt, Gott, ihren Grund, als die Vollkommenheit zu offenbaren,

in uns zur Erfüllung

komme, und daß unser ganzes Weltdasein uns als

das

Mittel zu diesem Zwecke geboten sei.

Diese Voraussetzung dürfen Sie mir um so eher ohne Anstand zugestehn, als ich Ihnen damit in keinerlei Weise

vorgreifen will, wie ein jedes diesen allgemeinen Gedanken unserer göttlichen Bestimmung in die ihm am besten ent­

sprechende Form bringen mag.

Geben Sie mir aber nun auch noch eine zweite Voraus­ setzung zu: daß die Welt nur dann das wirklich vollständig

zweckentsprechende Mittel für diesen ihren göttlichen Zweck sei, wenn zweierlei ganz und untrennbar zu-

28

sammelt ihr Wesen auSmacht, sowol ihre Lichtseite, daß sie mit ihrem ganzen Bestand, mit ihrer alles von unten bis oben durchwaltenden Ordnung, der Schauplatz der All­ weisheit und Gute, der Heiligkeit und Liebe Gottes, ihres ewigen Urgrundes sei, als auch die Kehrseite, daß ihr eigenes Wesen als Welt, als nicht Gott sondern Kreatur, durch und durch Vergänglichkeit sei, die im Naturproceß und in der Weltgeschichte an allem, aber auch gar allem, was ihrem Wesen angehört, als Uebel, als tatsächliche Erfahrung der Endlichkeit und Nichtgöttlichkeit, sich vollziehe, und vollends im Men sch eng eiste, der seinem Wesen nach göttlichen Berufes ist, aber auf dem Boden der Welt steht, sich als den Zug niederwärts, als den allgemeinen Hang zur Sünde kundgebe, und als das größte Uebel in der Welt die Sünde selbst Hervorrufe. Kurz, die Voraussetzung, die Sie mir zugeben sollen, ist also: daß beide nur mit­ einander, jene Licht- und diese Kehrseite, jede ganz und beide ungetrennt, das Wesen der Welt ausmachen, damit sie das ihrem Zweck entsprechende Mittel sein könne, die Vollkommenheit ihres schöpferischen Urgrundes allseitig tatsächlich zu offenbaren. Sie nehmen aber vielleicht Anstand, mir dies zuzugeben. Allein woran nehmen Sie eigentlich Anstoß? Daran, daß ich Ihnen zumuten wolle, die Welt in diesem Lichte zu betrachten? oder daran, daß, wenn Sie dies zugeben, dann ja eine Theodicee nicht möglich wäre, d. h. die Vereinigung des Glaubens an die Allweisheit, All-

29 macht und Güte Gottes mit einer so beschaffenen Welt, kurz die Rechtfertigung Gottes gegenüber dem Uebel in der Welt?

Daß aber eine solche Rechtfertigung, eine Theodicee, möglich

sein müffe, ist

ein Bedürfnis nicht blos für das gläubige

Herz, sondern ebensosehr auch für den nüchternen Verstand; denn darauf verzichten, ich sage nicht etwa blos auf die Ein­

sicht, sondern überhaupt auf den Glauben verzichten, daß das Uebel in der Welt im Urgründe der Welt gewiß auch seinen Grund und zwar seinen guten Grund haben werde, auf diesen Glauben verzichten, sieht doch eigentlich gar zu

sehr einem Anbellen des Mondes gleich, den man nicht

greifen kann. Also

noch

einmal, warum zaudern Sie, mir meine

zweite Voraussetzung zuzugeben, daß zum Wesen der Welt ihre Licht- und ihre Schattenseite auf allen Punkten zusam­

mengehören? und daß sie gerade so und nur so das ent­

sprechende Mittel sei für den Zweck ihres Urhebers? Warum

zaudern Sie vielleicht, mir das zuzugeben? Weil dem über­ haupt nicht so sei? oder:

weil dann eine Theodicee,

eine Rechtfertigung Gottes nicht möglich wäre?

ziele ich

Und doch

gerade auf eine solche hinaus, und zwar näher

darauf, daß der Satz, dessen Ehre zu retten ich unternommen, der Satz

„der Zweck heiligt die Mittel", uns allein den

Schlüssel einer wahren und stichhaltigen Theodicee in die Hand gebe, und darin, daß er uns dies leiste, selbst seine höchste Ehrenrettung finde.

Wahr ist eine Theodicee

doch nur, wenn sie Gott nicht blos notdürftig entschuldigt

30 für das Uebel in der Welt, sondern wenn sie ihn wirklich dafür zu rechtfertigen weiß; und stichhaltig ist eine Theodicee

doch nur, wenn sie die Tatsache des Uebels nüchtern in ihrem

ganzen Umfang anerkennt und nicht erst irgendwie vertuscht

oder abschwächt. Doch eben dies Letztere zaudern Sie wol mir zuzu­ gestehen , daß die Welt so beschaffen sei, wie ich das Zuge­ ständnis von Ihnen

verlangte, daß ihre Licht- und ihre

Schattenseite auf allen Punkten nur zusammen ihr Wesen

ausmachen.

Die Lichtseite lassen

sich

wol

die

meisten von Ihnen ohne Bedenken gefallen; aber die von ihr unabtrennbare Schattenseite? das

klingt ja ganz

pessimistisch.

Sie kennen ja wol alle nicht blos den Stimmungs­ pessimismus, jene bald mehr nur momentane, bald mehr habituelle, bald mehr ingrimmig verbitterte, bald mehr nur

erschlafft blasirte Stimmung, welche ohne Lebensfreudigkeit,

ohne Mut, Vertrauen und Hoffnung alles im Leben nur von der trüben Seite ansehen mag und am liebsten die ganze

Welt gleich in Stücke schlüge; — Sie haben alle wol auch schon

dem

von

principiellen

Pessimismus

gehört,

jener philosophischen Weltanschauung, mit der sich heutigen Tags

Viele

mismus

wunderwas

großdünken.

Dieser

erklärt das Uebel kurzweg für das

wesen der Welt.

Er sagt:

Pessi­ Grund­

die Welt ist zwar so, wie sie

ist, wol die bestmögliche Welt, indem unbewußte Vernunft sie

zweckmäßig durchwaltet; allein gar keine Welt wäre doch noch

31 besser; denn das Grundübel der Welt ist gerade ihr Dasein;

der vernünftige Zweck der sie unbewusst leitenden Vernunft kann daher nur der sein, sie am Ende mit Bewußtsein wie­ der ins bessere Nichts zurückzuführen.

Das kommt Ihnen widersinnig vor,

— und Sie

haben Recht. Es kommt Ihnen gottlos vor, — und Sie haben wieder Recht. Vertreter

Und wenn Sie von dem glänzendsten

dieses Pessimismus,

Ed. v. Hartmann, zur

Antwort bekommen: umgekehrt, nicht gottlos, sondern gott­

vollist diese Weltanschauung; denn Gott selbst ist das Grund­

wesen der Welt;

vernunftlos

war nur sein Wille zum

unseligen Dasein; allein seine Vernunft leitet ja dieses wie­

der zum guten Ende; das Ziel seiner vernünftigen Weltord­

nung ist, sich selbst wieder vom Uebel seines Daseins zu er­ lösen: — wenn Sie das hören, so haben Sie Recht, wenn Ihnen das vollends

gottlos

und widersinnig

vorkommt.

Einem solchen Pessimismus gegenüber fühlen Sie sich aus dem innersten Grund der Seele heraus berechtigt und ge­

drungen, optimistisch zu rufen: nein, die Welt ist doch schön und gut und wert, darauf vergnügt zu sein, — es mag

mit dem Uebel in ihr sich verhalten, wie es will! Allein, wenn die beiden Weltanschauungen einander sich

ausschließend so gegenüberstellen, daß der Pessimismus sagt: der Kern der Welt ist vom Uebel, das Gute an ihr

kommt ftüher oder später doch npr als Illusion zum Vor­ schein; — der Optimismus dagegen: der Kern der Welt

ist gut, und alles Uebel in ihr doch nur ein Schatten, der,

32



ohne zu ihrem Wesen zu gehören, nur zeitweise über ihre Oberfläche dahingleitet, um am Ende wieder ganz von der­

selben

zu verschwinden:

so

haben beide ebensosehr Recht

und Unrecht, indem beide je nur die eine Seite für das ganze Wesen der Welt nehmen.

Der Pessimismus hat keine Theodicee; er will keine; er braucht ja keine, weil er 1) keinen Gott anerkennt, der für das Uebel in der Welt zu rechtfertigen wäre, und ihm 2) auch nicht einfallen kann, die Welt selbst rechtfertigen zu wollen, weil er sie ja für grundschlecht erklärt.

einfach den Mond an.

Er bellt

Wenn er aber Gott selbst für den

Kern der Welt erklärt und nur seinem vernunftlosen Willen

die Schuld für das Grundübel, für sein Dasein als Welt,

aufbürdet,

die seine

Vernunft am

Ende ja wieder quitt

mache: so ist eine solche Theodicee viel schlimmer als gar keine und eher ein Hohn auf alle Theodicee.

Und doch: in einem Hauptpunkte hat und behält der

Pessimismus doch Recht: daß er mit dem Uebel, wie es tatsächlich zum Wesen der Welt gehörend vorliegt,

Ernst macht,

vollen

daß er das Uebel, das Erlebnis der Ver­

gänglichkeit, dem nichts entgeht, was von der Welt ist, eben

darum mit zum Grund wesen der Welt selbst rechnet und nicht in weltseligem Optimismus als einen blosen Schatten

gelten läßt, der nur so über ihre Oberfläche dahingleite und nicht bis in ihre Wurzel hjnab reiche.

die Natur,

Er hat Recht, daß

die der Welt selbst eigene Ordnung, wie sie

durch und durch zweckmäßig waltend und verschwen-

33

derisch freigebig ist, so doch nicht minder erbarmungslos mit ihrem Räderwerk alles wieder zerreibt, was sie in's Da­ sein gerufen, daß der Totenwurm an allem nagt, was in der Welt zum Leben gekommen. Der Pessimismus hat damit Recht. Er vergißt nur das Eine: daß vielleicht gerade auch diese Grundeigenschast der Welt als Mittel zum heiligen Zweck ihres Urhebers gehört. Aber um diesen Zweck der Welt zu suchen und darin eine wirkliche Recht­ fertigung des Uebels in der Welt zu finden, darf man frei« lich nicht zum voraus diesen Urheber gestrichen, oder mit dem Wesen der Welt selbst vereinerleit haben. Der Optimismus aber hat Recht, daß er an einer Theodicee festhält, festhält an dem Glauben, daß der ver­ nünftige Urgrund der Welt seine volle Rechtfertigung für die Welt, gerade so, wie er sie begründet, mit allem Uebel, das er ihrem Dasein beigegeben, vollständig in sich selber tragen werde, in seiner Allweisheit, die es so geordnet, in seiner Allmacht, die es so durchführt, und in seiner Liebe, die einen seiner würdigen, heiligen Zweck dabei habe. Aber wie? Da reicht die Theodieee des Optimismus nicht aus, wenn sie das Uebel nicht in seinem ganzen Umfang und bis in seine Wurzeln hinab zum Grundwesen der Welt gehörend anerkennt; — wenn sie Gott doch nur entschuldigt für das Uebel, das er in der Welt zugelaffen, und nicht rechtfertigt dafür, daß er es unabtrenn­ bar zu ihrer Kehrseite gemacht. Diese Theodicee meint es ja gut, und es schwebt ihr auch wirklich meist die Wahrheit 3

34 vor (aber in einem irreleitenden Bilde), wenn sie mit ihrer Entschuldigung Gottes für das gegenwärtige Uebel in der Welt darauf hinauszielt, am En de werde auch der letzte

Schatten von Nebel von der Bildfläche der Welt wieder ver­ schwinden, und diese dann in der ihres Urhebers allein wür­ Da haben wir's: auf eine Vollkommenheit der Welt selbst hat es diese Theodicee in digen Vollkommenheit dastehen.

letzter Instanz abgesehen und nicht auf die einzige Voll­ kommenheit Gottes. Sie ist im Grunde weltseliger, nicht

g ottseliger Optimismus.

Allein nur die Theodicee eines

gottseligen Optimismus hält gegenüber der Tatsache der Endlichkeit und Vergänglichkeit, als der ganzen creatürlichen Kehrseite der Welt, Stich, nur die Theodicee, welche diese ganze Kehrseite der Welt, zusammen mit ihrer

ganzen Lichtseite zu ihrem Ausgangspunkte nimmt, und

die Welt gerade in dieser Doppeleigenschaft als das zweckentsprechende Mittel erkennt, um den heiligen Zweck Gottes mit ihr zu verwirklichen: im creatürlichen

Geiste, wenn dieser vom Boden der Welt aus zu wesenhaf­ ter — nicht blos sentimentaler — Liebegemeinschaft mit seinem schöpferischen Urgründe sich erhebt, oder vielmehr von diesem

selbst sich dazu erheben läßt, Gottes reines Geisteswe­

sen als die alleinige, aber auch absolute Vollkommen­ heit zu offenbaren und an sich selbst zu erfahren, indem

er selbst sein volles kindliches Teil daran erhält und damit in Gott der Sphäre enthoben ist, in welcher das Uebel das

letzte Wort hat. Es ist das die Theodicee, die kaum je einer

35 tiefer gedacht und energischer geltend gemacht hat, als nach dem'Apostel Paulus unser Z w i n g l i mit seinem unbestechlich

nüchternen Verstand und zugleich seinem unerschütterlichen Gottesglauben. Der Nerv

aber

einer solchen

allein

der

Tatsache

des Uebels gegenüber stichhaltigen Theodicee beruht einzig

und allein in der Wahrheit:

„der Zweck heiligt das

Mittel". Im Zweck allein liegt das Heilige, daS Unbedingte. Aber der Zweck heiligt auch das Mittel,

sich erfüllt.

durch das er

Ist Offenbarung des Geistes und Erweis des

Geistes als das A und O aller Dinge der heilige Zweck der Welt; ist es die göttliche Bestimmung des creatürlichen Geistes, daß dieser Zweck der Welt in ihm zur Erfüllung komme; gehört zum Mittel dazu notwendig, daß er die

Vergänglichkeit alles Weltdaseins dem allein ewigen Gott gegenüber an sich selber erfahre, aber auch den Sieg darüber

an sich

selber erfahre und bewähre in weltüberwindender

Liebegemeinschaft mit dem ewigen Urgründe der Welt: —

so ist für ihn alles Uebel und Leid in der Welt ge­ weiht als Mittel wie zur Erftillung seiner eigenen heiligen Bestimmung, Kind Gottes zu werden, so auch zur Verwirk­

lichung des heiligen Zweckes der Welt überhaupt, der sinnliche, zeitliche Boden für das ewige, geistige Reich Gottes

zu sein.

Aufs tiefste und erschöpfendste sagt dies alles kurz

der Ausspruch des Apostels: „denen die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Guten mitwirken", — wenn

3*

— wir jedes Wort

36



dieses Ausspruches

in

seinem

Vollsinn

verstehen, wie der Apostel es an sich selber bewährt hat:

denen, die Gott lieben: denen Gott ihr Bund O ist —; alle

Dinge: auch

alles

Uebel in der Welt;

— zum

Guten mitwirken: als Mittel zum heiligen Zweck ihres Lebens. Dies ist die höchste Anwendung des Satzes: „der Zweck

heiligt die Mittel".

Dies darf ich daher auch wol als das

Siegel seiner Ehrenrettung betrachten.

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