Rosalie: Eine Sammlung von Briefen [Reprint 2022 ed.] 9783112637067


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Rosalie: Eine Sammlung von Briefen [Reprint 2022 ed.]
 9783112637067

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Rosalie. Eine

Sammlung von Briefen HrrauSgegrb en von

w. « l i

m.

Berlin. Gedruckt und verlegt bei G. Reimer.

1834.

Carl und Wilhelm!

$ür Euch ist dieses Werkchen, was es für keinen Andern sein wird; Ihr kanntet, kennt

zum Theil noch die hier handelnden Perso­ nen ; vor Euch lege ich es darum auch nie­

der auf dem Altare der Freundschaft und

Liebe. —

Und Euch, Ihr edeln, weiblichen See­ len, die Ihr hier auftretet unter der Dich-

----

IV



tung zartem Schleier, die Ihr kanntet und

liebtet den Unglücklichen, auch Euch widmet sich dieses Merkchen, das durch Euch und

für Euch entstanden.

Januar, 1834.| D. H.

C5ie ist mein, Rosalie ist mein!

der Unschuld und Tugend. —

Den 10. Oktober. Rosalie der Engel

Carl, welch ein Ge­

fühl ist das, wie zittert es im heiligen Erbeben durch

unsere Seele, wenn sie nun endlich die Vergötterte unseres Herzens

mit

bebender Zunge lispelt: auf

ewig die Deinige!

Ihr«

Mutter

war abgerufen

worden;

kranke Freundinn hatte nach ihr verlangt.

eine

Wir sa­

ßen lange schweigend da: sie war ungewöhnlich still, wahrend sich in mir die heitere Freude des Wieder­

sehens zu einem unnennbar zarten Sehnen veredelte. Wir schauten beide in den Himmel, aus dem all»

mählig leise der Abend auf den Flügeln der Däm­ merung niederwehte.

Ich ergriff ihre Hand;

o da

bedurfte es nur noch weniger Worte, weniger Thrä­ nen : — der Himmel und die Dämmerung waren

die Zeugen unseres Bundes. Als ihre Mutter wiederkehrte,

ihren Segen.

baten wir um

Die Gute, sie gab ihn uns; helle

A

Thränen standen ihr im sanften Auge. Sie bat mich, nur mein Ziel mir fest vor zu halten, und mit den mir zu Gebote stehenden Kräften einer ru­ higen und sichern Bestimmung entgegen zu streben. Ich gelobte ihr das; sie nahm meine Hand darauf. Was hat diese Frau für ein großes, herrlichs Ge­ müth! Sie kannte doch von früher her das oft so wilde Streben meines Geistes; und jetzt legt sie das Schicksal ihres einzigen Kindes in meine Hand. Das nenne ich zart zum ewigen Schuldner machen. Meine Freude ist seitdem nicht mehr taut; ich taumle, schwelge nicht im Vorgefühle ahnungsreicher Selig­ keiten der Zukunft entgegen; ich bin still, verschlossen in mir selbst, und so geworden, als müsse ich, um solchen Himmels ferner theilhaft zu sein, ihn ja dem Auge der argen Welt verhüllen, tief in mir die sü­ ßen Freuden verbergen. Jetzt werde ich nicht mehr nachlassen in mei­ nem Streben; ich habe ja ein schönes, herrliches Ziel, ihr Glück. Aber, Carl, wie ist es auch nur unser einem zuzumuthen, in ängstlicher, kummervoller Be­ sorgn iß dahin zu rudern, in dem Hafen der bürger­ lichen Existenz einzulaufen, wenn es um keines als um unsrer selbst willen geschieht? Nun ist es ein Anderes, es gilt das Wohl des holdesten Geschöpfe-. Wenn ich ihr in das blaue Auge sehe, in den tiefen Himmel ihrer Seele, die nur fühlt, nicht spricht; wenn

3 sie nicht begreift welch eine Wonne es mir nur ge­ wahren könne, ihr Haar zu lösen und eS in loser Unordnung um ihr liebes Antlitz herabwallen zu se­ hen — nicht weiß, daß sie so dem liebenden Auge in einem neuen, reizenden Umrisse erscheine; daß diese Theile, die so entschieden auf das Ganze über­ wirken, wenn sie in «in ungewöhnliches Verhältniß zu einander gebracht werden, auch einen neuen, un­ beschreiblichen Reiz über da- lieblich« Wesen verbrei­ ten; und wenn sie es sich dann gefallen laßt, sich meinen Launen fügt, meinen ungestümen Bitten nachgibt: dann bin ich so selig, so glücklich; dann bete ich: jetzt Vater! — oder laß sie noch mal ganz glücklich durch mich werden. Bevor ich je Jam­ mer über diese- harmlose Geschöpf brächte, laß mich lieber verschmachten, dürstend nach Seligkeit. Wenn ich je dieser Liebe, dieser Hingebung vergessen könnte; je eine Thräne um meiner willen ihre Wangen netzte, je «inen Seufzer um und über mich ihre 6t« preßte Brust ausstieße — — Doch was soll das! müssen immer unheimliche, dunkle Bilder, gleich Wolken zwischen die Sonne und den Tag, sich zwi­ schen mich und meine Zukunft drängen? — Ich muß hinaus in die dampfende Schöpfung; es neigt sich der Abend. Grüße mir di« Freund«; leb« wohl!

A 2

4 Den 4. November.

Schon bin ich fern von ihr.

Nichts als die

seligen Schatten der Tage,

die ich an ihrer Seile

verlebte, sind mir geblieben.

Sie beleben mein ein­

sames Denken, und steigen vor dem Todtenbefchwörer, Erinnerung, mit süßem Lächeln aus ihren Grä­ Und doch —• bleibt mir nicht ihre Liebe, sitzt

bern.

sie nicht in einsamer Kammer

und denkt an den

fernen Geliebten, und tust sein — mein Bildl vor ihre Seele?

selbst reicher um meine

Bin nicht ich

Liebe, nicht an Liebe überhaupt; ist diese Brust nicht

weiter geworden durch sie, so daß ich sie ausströmen

möchte über die

ganze Schöpfung,

auf jedes Geschöpf?

wie seelenvoll, ja,

sie übertragen

Mir fällt eben bei, wie sinn-

wie

voller Herrlichkeit ist das

nicht, wenn der Weise oom Jordan Gott die ewige

Liebe nennt.

Wie schwer wurde uns der Abschied.

Was ist

das für ein Gefühl sich aus den Armen des We­ sens toszureißen, das uns ganz mit Seligkeit und

Glück erfüllte, und das hinwider durch uns so glück­ lich war.

Das Bittere liegt wohl in dem Allein, al­

lein! denn diese Liebe treffen wir ja sonst nirgends

wieder

an.

Wir

waren

zusammen

zwei Uhr, wo die Post abfuhr. los, ihre Hand ruhte in

der

bis

Morgens

Wir saßen da, sprach­

meinen;

die trüben

Blicke suchten und mieden sich dann wieder,

nicht

5 den Schmerz des geliebten Gegenstandes zu erhöhen. Ihre Mutter wollte uns trösten; da brachen ihr selbst

die Thränen aus den Augen.

Dann schlugS zwölf

Uhr Mitternacht; unter ängstlichem Erwarten Eins:

nun näherte bang und stets bänger der Augenblick

der Trennung. — Sie begleiteten mich bis zum Post­ hause^ obgleich ich Anfangs dawider war.

Es war

eine mondhelle Nacht; kalt zuckte ihr Wehen nie­

der vom Himmel zur Erde.

Ach, um ihre Locken

auch flüsterte der Hauch der Nacht, legte sich an ihre

Wangen; eilte weiterl Als sie mir den letzten, bangen Kuß gereicht,

stand sie noch einen Augenblick in derselben Stellung, wie leblos, einer Statüe gleich, umflossen vom Sil­

berlichte der Mondnacht.

Dann wankte sie zurück

am Arme ihrer Mutter; ich sah ihr nach bis zum

Verschwinden. Als der Wagen endlich durch die schlummern­

den Straßen und an den schlafenden Häusern vor­

überrollte, hier eins,

dort ein anderes mich froher

Stunden gemahnte; als das Alles nun vorüberzog, endlich die letzten Ringmauern uns ausschlossen, alwir über die lange Brücke dahinfuhren, und ich dem

Strome nachsah, der mir — wie uns denn überhaupt Alles in Stunden banger Beklemmung eine Trauer­

farbe annimmt — wie eine lange, blasse Leiche, ein­ gesargt in seine engen Ufer erschien: wie fühlte ich

6 da «ine innere Leer», rin Unbehagen im Dasein;

wie wallte da bang und kalt der Strom meines Lebens mir durch die Adern.

len hatte ich noch nie

Mit solchen Gefüh­

den Morgen

begrüßt, der

in kalten Schauern sein Herannahen verkündete. An ihn heftete sich mein Auge: ich sah ihn aufblühen, seine Rosen schwellen über den

dunkeln Kelch der

Nacht, und ihre Blatter vom Morgenwinde gelöst, dahin geweht über die Rosenflur des Ostens.

Aber

das Auge meines Geistes hing sich sehnend an die Zukunft, und fragte nach ihrer Gestaltung. — Ach, und mußte ich mir da nicht sagen: keine Spanne

vermagst du hinaus über die Gegenwart. Da meine Reisegesellschaft obendrein die gleich­

gültigste von der Welt war, und mir auch auf der ganjen Reis« keine bessere wurde: hing ich meinen Gedanken nach, und war froh, mich endlich am Ziele

meiner Reise zu wissen.

Den 20. November.

WaS sind wir für Menschen, und wie wenig

Herr über unsere Gefühle und über die Richtung, welche unser Gemüth

für diesen

nimmt! Gestern war Sonntag.

schönen Herbstmorgen geweckt. Rosalie.

oder jenen Tag

Früh ward ich vom Ich schrieb an meine

Meine ganze Vergangenheit lebte wieder

7 auf. Um die Zeil der Kirche, als die Glocken mit ihren Morgentönen die C chaar der Gläubigen zusammenrief: da sah ich sie wieder so lebhaft zum Tem­ pel ihres Gottes wallen, wo ich sie ehemals so oft in ihrer frommen Andacht belauscht halte; und ich fühlte wieder alle die bündige Herrlichkeit der Reli­ gion und des Glaubens. Aber mein Glaube hielt sich an die Natur; da stehe auch dir die Stelle, die ich an sie schrieb. Wenn ich in der Frühe desMorgens aus meinem Fenster nach dem Osten blicke, wo der Allliebende dann mit seinen ewigen Armen die Sonne über den Erdball emporhebt, blasser die Sterne der Nacht werden, und nun allmählig ganz verschwinden; wenn dann mit dem dunkeln Blau der Wolken sich der werdende Tag mischt, und in Morgenroth zer­ fließt: dann wehen auch mich vom Gewölbe des ho­ hen Gottesdoms, von der gekräuselten Wasserfläche des nahen Stromes die Schauer der Anbetung, der Allmacht Gottes an; dann bete ich zum Ewigen, bete zum Ewigen auch für dich, und die, die dir lieb sind. Aber, Carl, ich weiß nicht, meinem Gebete fehlt Etwas, ich glaube es ist eben das, was das Gebet erst zum Gebete macht: die Zuversicht in dasselbe, da­ gläubige Vertrauen, daß es erhört werde, jenes Geho­ ben- und Getragen-werden von den Flügeln der ei­ genen Andacht. Ich besaß das Alles einst, aber alö Knabe; jetzt schmachte ich so vergebens darnach.

8 Je weiter der Tag

vorrückte, je mißmuthiger

wurde ich; der Abend fand mich in der drückendsten Schwermuth.

Da raffte ich mich auf.

Eine halb«

Stunde Wegs von hier liegt ein Kloster und Kirche

auf einem Berge, wo man eine erfreulich reiche Aus­ sicht über di« ganze Gegend hat.

Dahin machte ich

mich auf; und die Natur sprach mich harmonisch an mit ihren feuchten Herbstwindeo, mit ihrem Laubge­

raffel und ihrer tiefen Wolkendunkelheit, die der Mond

selten mit einigen Strahlen überwand. In einem Grübkeller unter der Kirche schlafen als ziemlich wohl­ erhaltene Leichen ungefähr einige zwanzig Mönche ihren Todesschlummer- bis zum Erwachen. — Ich hatte da­

von gehört, — der Glaube sieht etwas Wunderbares darin, obgleich sie wohl einzig der hohen Lage dieses

Gewölbes und der reiner» Luft der Höhe das mor­ sche Zusammenhalten ihrer Leiber verdanken, — und

so ließ ich mir das Gewölbe vom Küster aufschließen.

Mit einer Laterne stiegen wir hinab, und in ihrer

dämmrrnden Erhellung sah ich die Schlummernden. Lagst du auch da, dachte ich, und wäre dir die schwere,

unersprießliche Wanderung durch di« Grab- und Schicksals-Gewölbe deS Lebens erlassen. Doch die Todten scheinen Frieden zu geben: ich stieg heiterer

empor aus dem Gewölbe, als ich hinabgestiegen war. Ich kam wunderbar neu belebt in meiner Wohnung

an, genoß mein Abendbrod, arbeitete noch Einiges, legte

9 mich dann ruhig im Innersten nieder; und fühl« noch heute die Stärkung dieser Pilgerfahrt nach»

Sieh Freund , so gebe ich mich dir;

und so

denke ich wird dir ein besseres Bild vom Leben dei­ nes Freundes, zu dem er dir Skize und Farben reicht,

daß deine liebende Hand, die mich dessen nun ein­

mal werth hält, daraus für sich ein Gemälde fertige: als führte ich es selbst ganz, aus.

Und so liebe mich

ferner

Den 6. Januar.

Wie mir das Leben auf unsern Hochschulen ge­

falle?

Liebster, laß mich davon schweigen»

Es ist

hier, wie überall im Leben: mit einem großen Auf­

wande von Mitteln wird oft nur ein gar kleines Ziel

erreicht.

Ich sehe Manches, was anders sein könnte,

sein sollte: aber, du lieber Himmel, sch« ich das denn nicht an mir selbst; und

sollte ich darum billiger

Weise nicht mit mir selbst anfangen, und sollte das

nicht Jeder thun; und wenn wir daS Alle thäten,

welch einen Himmel würde dann die Erde bieten. Mich kümmert überhaupt

wenig das Treiben der

Welt, wenig das meiner großen Umgebung: haben wir denn nicht genug mit uns selbst zu thun? nicht genug mit unsern kleinen Leidenschaften und Begier­

den? Erst, denk« ich, bring« man ein« solch« Harmo-

10 nie in sein eigenes Leben , daß jedes Wort und jede That davon Zeuge sei, und dann sehe man, waS denn wohl außerhalb unseres Ichs Nützliches und Gutes zu thun sei. Carl, wie lieb' ich meine Brü­ der, wie bedaure ich sie in innigster Theilnahme, wenn ich sehe, wie sie durch eigene Schuld, durch Wahn geblendet, sich und Andere um das wenige Gute, das wir allenfalls noch genießen können, bringen; ja, wenn sie unaufhaltsam in ihr Verderben hinabstürzen und Andere in wirbelndem Falle mit sich in den Abgrund reißen. Sieh, eine Thräne füllt mein Auge; ach, und bin ich vielleicht nicht selbst einer der Hinab­ stürzenden^ nur in einem andern Sinne, aus eine an­ dere Art? — Alle Wissenschaften befriedigen mich nicht; da­ bei habe ich auch oft nicht den rechten Fleiß, die Ausdauer, die ein gründliches und wahres Studium erheischm. Oft mache ich die dümmsten Streiche von der Welt. Bald bin ich mal ausgelassen mun­ ter; ein andermal versinke ich wieder in die tiefste Schwermuth. Heute fühl' ich ein Drängen, ein Sehnen hinaus, in das All; Morgen bin ich die ruhigste Genügsamkeit in mir selber, doch dies fetten länger als auf einige Stunden, dann brausi's wie­ der auf. Das Schöne, wie lieb' ich das! Der Anblick eines holden Kindes, eines schönen Knaben, einer

11 in allem Liebreiz aufblühenden Jungfrau kann mein ganzes Wesen oft stundenlang mit einer tiefen, in­ nern Heiterkeit ausfüllen. Was wäre ich nicht dar­ um den Göttern schuldig, wenn ich nur den Abguß einer Mediceischen Venus den ganzen Tag in mei­ ner Stube vor mir hatte, oder stets einen frischen Blumenstrauß, oder ein schönes an der Erde spielen­ des Kind. Daß ich dich auch mit meinen Albern­ heiten unterhalte! ich weiß heute nichts Besseres; drum lebe wohl!

Den 10» März.

Meine Schmerzen, Meine Trauer ist es, die mich so lange gegen dich verstummen machte» Jetzt vernimm es auch, jetzt da ich es dir zu melden ver­ mag: Rosaliens Mutter ist nicht mehr. Wie hat mich dieser Schlag getroffen! Nun steht es ganz ver­ lassen da das arme Geschöpf, hülflos, ohne die an­ genehmen Mittel, durch die das Leben noch Etwaist. Einstweilen hat eine Freundinn ihrer Mutter sie zu sich genommen. DaS wird aber wohl nicht von langer Dauer sein können. Sie sucht mir daSchreckliche ihrer Lage zu verbergen, nnd doch — ich weiß es ja sehr wohl, Alles hat die Selige mit sich ins Grab genommen.

>2 Sie lebten so anständig, behaupteten so wahr ihre Ehre, ihren Stand — so Etwas ist, selbst wenn «S mit einiger Aengstlichkeit geschehen sollte, Frauen nicht übel zu nehmen — und daS Alle- von dem wenigen Jahrgehalte, was man der Gattinn, mit Rücksicht der Verdienste ihres Mannes, gelassen. Wie oft hatte ich nicht das schon bemerkt, und mit welcher Theilnahme und Rührung; ich mußte oft meine Thränen darüber verbergen. Sie will unter fremd« Leute; und doch ist kein Wesen weniger dafür geschaffen al- sie. Sie sucht mir das Alles in ihren Briefen so leicht darzustellcn, und doch verräth sie unwillkührlich ihre Seelenangst, ihren Seelenschmerz. Wie sorgfältig sucht sie die Reinheit ihrer Liebe zu wahren: ich sehe sie bebm, zusammenfahren bei dem Gedanken, ja der leisesten, entfernsten Ahnung, als ob es für ihre Liebe ein« andere Triebfeder geben könne, als die reinste Liebe selbst. Wie rührend ist. ihre Klage um dir Todte, die sie ganz gegen mich ergießt, da sie weiß, wie sehr ich die in Gott Entschlafene, die gute, fromme Frau liebte. Nichts soll mich fortan mehr in dem ange­ strengtesten Laufe nach meinem Ziele hin irre machm. Ich habe alles Andere bei Seite geworfen; all das Dichten und Träumen muß aufhören. Wie reut mich jetzt jede Minute, die ich nicht meiner Pflicht geweiht: ich sehe sie all als verloren an.

13 Wie dringend gemahnt sie mich jetzt;

Alles waS ich

in ihr thue, jeder Schritt vorwärts, ist für ihre Ruhe, ihr Glück gechan, bringt uns näher

dem schönen

Ziele des häuslichen Glückes. Und doch — wie schau­ der« ich oft unwillkührlich zusammen, wenn ich denke, daß dies Alles auf mir, dem geistig Unflaten, dem ewig Begehrenden, Wünschenden, dem hinausstredenden Ungenügsamen lastet; wie wenig darf ich dann

mir selbst zutrauen, und wie mit Recht mißtraue ich

meinen

schwachen Kräften.

Ruhige Besonnenheit,

Ausdauer, Festhalten an dem einmal als wahr Er­

kannten : alle diese herrlichen Eigenschaften, Tugenden für die Beglückung eines Weibes, gehen di« mir nicht

alle ab? Wäre mit einer raschen, kühnen That, mit irgend einem großen Opfer, wie wenig käme es da»

bei aufs Leben an, Alles gethan: da wäre ich der

Mann.

Aber nun erheischt es ein Größeres.

Und

unter uns,, im Bertrauen gesagt, Carl, wie fängt

schon jetzt mein Beruf an mir zu widerstehn.

Ich

bin nicht zum Arzte geboten; ich habe keinen eigent­ lichen Beruf dazu, da« fühl' ich.

Und wozu denn?

Das mag der Himmel wissen, aber zu allen andern

Studien eben so wenig. Ich plaudere mir dann Eins vor von Beruf für die Wissenschaft, für ein rein wis­

senschaftliches Leben, dem ich leben und sterben wolle;

schmeichele meinem Geiste, indem ich ihn auf die Hu­ maniora, als das wahre Gebiet für seine Thätigkeit,

14 Hinweise, und sofort bis zur Resignation. Ist das aber recht? Muß ich denn nicht, meinen beschränkten Ver­ hältnissen und der jetzigen Lage der Dinge nach, durch die Erlangung eines gewissen Grades in dem positiven Wissen mir meine ganze Zukunft sichern? — Muß? Der Galeeren-Sclave und ich, wir Alle müssen; aber damit ist's nicht gethan. Kannst du auch? sollte man billiger fragen: aber der Galeeren-Sclave er­ liegt unter der Knute seines Henkers, noch im Tode angeschmiedet an sein Joch; wir erliegen den Schlägen des Schicksals; der Tod bricht beide Ketten zugleich, die uns an die harte Pflicht, die uns an das Leben schmiedeten. Sag', was ist es nun noch mit des Menschen göttlicher Freiheit, mit seiner gerühmten Selbstbestimmung? Laß mich schweigen. Ich sage mir oft, ich will meine eigenen Bahnen wandern: und würde das nicht vielleicht sie und mich am glück­ lichsten machen? Oft nehme ich mir vor, mich von neuem an irgend eine große litterarische Arbeit zu machen, und mir kühn eine neue Bahn zu brechen. Sehe ich dann aber meine früheren Arbeiten an, die ich nach ihrer Vollendung entmuthigt bei Seite ge­ legt; gedencke ich der Hindernisse, die sich so gern zwischen Unternehmen und Erfolg drängen, derSchwierigkeiten, die daS in unsern Tagen, und vor allen bei unserer Teutschen Nation auf sich hat: da resignire ich auch hier wieder. Und so schwanke ich fort

15

zwischen Morgen und Abend, zwischen Mittag und Mitternacht, erweitere ohne Gränzen mein Leben in Sehnsucht, Hoffnung und Liebe; träume oft süß, aber halte fern die rauhe Wirklichkeit; denn ihr geht's gleich Bergen, in der Nahe sind sie rauh, wild, un­ eben, in der Ferne lieblich, duftig, zerflossen, ja lockend fürs Herz. Jetzt rufe ich mir ihr Bild, das Bild meiner Rosalie im holdesten Lächeln herauf. — Ich kann nun mit der Feder nicht weiter; alle Schauer der Liebe, der Erinnerung umspielen mich. Wo soll daS hinaus! Gott empfohlen.

Den 4. Mai.

Es hat sich eine entfernte Berwandte meiner Rosalie erboten, sie in ihr Haus, in ihre Familie auf­ zunehmen, und so viel an ihr sei, Rosalien zugleich eine Mutter zu werden. Da ihr unser Verhältniß bekannt ist, hat sie sich auch in einem Schreiben an mich gewandt; doch ist dieser Brief nicht ohne Eigennutz. Aber zu entschuldigen ist es. Sie ist Mutter vieler noch unversorgte» Kinder, und sind ihre Vermögensumstände, wie ich ersehe, keineswegs glänzend. Auch ist ihre Forderung billig. Aber ihre platte Schmeichelei, ihr Lob, mit dem sie sich über die Uneigennützigkeit meiner Liebe und so weiter ver-

16

breitet, daS ist mir in der Seele zuwider. Da ihr Wohnort vom jetzigen Aufenthaltsorte meiner Ro­ salie nicht sehr entfernt ist, und überhaupt uichts wei­ ter im Wege steht: sind wir Alle überein gekommen, daß Rosalie in wenigen Wochen dahin abreisen soll. Es ist mir ein trostloser Gedanke, daß die arme Waise nun so hülfloS, so verlassen in dem Leben umirren muß; denn wer weiß, wie eS ihr dort ergehen wird; und würde mir keine Ruhe sein, wenn ich nicht die Hoffnung hatte, in den nächsten Ferien diese Verhälmisse selbst einzusehen, und ihre Umgebung naher kennen zu lernen. Sie ist noch so jung, ihre Seele noch so ganz jede- Eindrucks fähig, und wie leicht könnte nicht dieser oder jener die Harmonie ihres zarten, jugendlichen Daseins auf ewig zerstören. Sonst ist es ruhiger in mir, und ich bin mehr Pflichtmensch geworden, und das zwar nach den hef­ tigen Aeußerungen meines letzten Briefes; oder soll ich sagen, nach deiner sanften, liebreichen Widerlegung. Das Ungestüm meines Geistes ist wenigstens auf einige Zeit wieder beschwichtigt. Gottlob, nun kann ich auch wieder hinaus in dir Natur; Alles ist wieder grünende Pracht und Herr­ lichkeit. Der ehrwürdig« Strom spiegelt die liebliche Landschaft wieder in seinem hellen Gewässer ab, di« Landhäuser, die Pappeln und Ulmen der Ufer, und die majestätischen Berge, an deren Fuß seine Woge

17 Die aufgehende Sonne be­

brausend vorüberzürnt.

lebt wieder die Bewohner der Wälder und der Haine, und küßt wieder aus taufend und abermals tausend

Blumenaugen Vie Thaukhran« der Nachts und von der Felsrnstirne der Gebirge weg die wallenden Mor­

gennebel.

In ihrem Untergange darf ich wieder ge­

wohnter Entzückung weilen, bis die bleiche Mond­ nacht am Gewölbe und mir um Stirn und Brust

weht.

Wie einsam tönt ihr Hauch, wie flüstern die

Wipfel der Bäume, wie klangvoll wallen dann die

kühlen Wellen vorüber.

Drücke auch du, mein Carl,

den Liebling der Natur, den holden Frühling, recht innig an dein Herz, und fühle auch dich durchwirkt von seiner heiligen Kraft.

Den 18. Ium'. Müssen mich denn selbst kn der blühende» Na­

tur di« Schreckensbilder des Lebens verfolgen?



bedarf weiter nichts als die Erinnerung an meine unumschützte Jugend, an die Leiden meiner Kindheit

an den Kampf, den ich schon früh in de« unssligsten Verhältnissen mit dem Leben rang, um alle Heiter­

keit meiner Seele spurlos zu vertilgen.

Gestern fiel

mir mein Tagebuch, das ich ehemals führte, in die Hände.

Ha, welch eine traurige Vergangenheit wurde

da in mir lebendig!

Warum bestrebte ich mich auch

18 damals meinen Leiden, indem ich sie aufzeichnete, ein bleibenderes Dasein zu geben, als sie in meinem Gedächtnisse »vürden gefunden haben. Ich bin nun­ mehr, dem Himmel sei Dank, von diesem irrigen Strebe» zurückgekommen. Unser ganzes flüchtigeDasein geht unter im Strome der Zeit, und wir vermögen es nicht zu retten; und doch — den Ge­ halt einzelner Minuten wollen wir, gleich Schiffbrü­ chigen, die in der gewissen Gefahr des Strandens noch theure Kleinigkeiten zu sich nehmen, bis auf den ge­ waltigen Untergang des Ganzen mit uns ausbewahren; Gefühlen und Empfindungen, die die rasche Höre gebiert, ein dauernderes Dasein geben, als ih­ nen der Ordnung der Dinge nach zukommt. Welch ein kindisches Bestreben ist nicht das! Was helfen dir die kalte» Buchstaben, die dir eine aufgezeichnete Freude vorhalten? — Auch der Strom der Zeit ist ein Letheifcher Strom. Die heiligen Empfindungen beim ersten Flammenkusse der Geliebten, wenn un­ ter uns die Erde bebt, und über uns dem trunkenen Blicke der ruhende Himmel schwankt; die hocherha­ benen Gefühle der Jugendandacht bei der Einseg­ nung am Altare des Herrn; die Entzückung in der Umarmung eines heißgeliebten Freundes; der mäch­ tige Eindruck eines begeisterten Aufschwungs in einer stillen Sternennacht: Alles dieses bleibt nicht in unmit der Gewalt des ersten Augenblicks; wenn nicht

19

weg, spült fte koch ad diese Eindrücke der Strom der uns umrauschenden Zeit. Als ich diesen Brief anfing, wollte ich dir, denn du fühlst für so Etwas, die berührten Stellen aus meinem ehemals geführten Tagebuch«, mittbeilen; ich habe mich nun eines Andern besonnen. Wozu sollte das dienen; bin ich denn nicht derselbe, der ich da­ mals war, der Leidende, und warum sollte ich dessen Abdruck noch durch einen aus der Vergangenheit vere vielfältigen; hat nicht dein liebendes Herz mehr als zu viel für sich an diesem? Aber Eins noch muß ich dir doch mittheilen, wer weiß, «S kann etwas Ersprießliches, «ine Freundschaft für mich daraus erwachsen. Ein junger Mensch von kleiner Statur, krausen Haaren, hoher vorgewölbter Stirn, mit dunkeln, rollenden Augen, einem Blick alS ob er die ganze Welt in die Schranken fordere, aß mit mir seit einiger Zeit an derselben Tafel; auch sahen wir uns sonst öfter. Er hatte durch sein gan­ zes Wesen, durch die kühne vorlaute Sprache, die er oft führt, schon längst mein« Aufmerksamkeit auf sich gezogen; und jetzt sind wir schon so nahe in Berüh­ rung gekommen, daß er mir dagegen gestanden, wie ich ihm trotz meiner Stille und Angehaltenheit keines­ wegs gleichgültig geblieben sei, ja ihn mächtig ange­ zogen habe. Er ist darüber hinaus zu schmeicheln, sonst schrieb ich dir nicht über ihn; und würde er

20

mir dann auch keinesweges so lieb sein, wie er mir jetzt schon nach so kurzer Bekanntschaft geworden. So viel ich ihn bis jetzt, seinem Innern nach, zu beurcheilen vermag, scheint er mir mit glänzenden Anla­ gen und seltenem Feuer des Geistes ausgerüstet. Er ist dabei so unstät, so beweglich, so rasch, und die Scharfe des Verstandes, die sich mir oft auf daS Bestimmteste zu erkennen gibt, und in der er zugleich, eine große Ueberlegenheit über mich zeigt, läßt mich fast glauben, daß sein Gemüth in seinem Leben eine bei weitem untergeordnetere Rolle, als bei mit spiele. Sein Vorname ist auch Wilhelm. So viel über ihn. Daß meinem Herzen seine Erwähnung Bedürfniß werden möge! Werde aber nicht eifersüchtig in der Freundschaft; ich hätte dann einen Freund mehr, du, noch Einziger! Den 6. August. Mein« Rosalie ist jetzt schon seit mehrer» Mo­ naten in SB... bei ihrer Verwandten> ich bin nur begierig sie in ihren neuen Verhältnissen und in der neuen Umgebung zu sehen. Wie verlangt mein Herz ihr wieder nahe zu sein. Die Tag« bis zu diesem glücklichen Augenblicke habe ich schon gezählt; freue mich des Abends, wenn ich wieder um einen dem ersehnten Zeitpunkte näher gerückt bin. Ich träume

21 jetzt auch öfter vn ihr. Geht es dir auch so? mich umwaltet noch den ganzen Morgen nach einem schö­ nen Traume eine süße Lieblichkeit/ und bis in den zartesten Ntrv hinab zittert ein weiche-, sehnsuchts­ volles Verlangen nach; eS ist einem dann Alles noch so dämmernd, so ahnungsvoll, so erinnerungsfchön, bis der laute Tag, wie um manches Andere, uns auch um dieses Seelengut bringt. Du kennst diese Gegend nicht, in der jetzt dein Freund lebt: laß mich drum dir eine kleine Wande­ rung schildern, die ich vor einigen Tagen, mit jenem erwähnten Wilhelme und noch einem Dritten machte vielleicht erhälst du dadurch einige Anschauung von derselben. Die Sonne war noch nicht über die Berge, als wir unsere Musenstadt schon hinter uns hatten. Um die Höhen wallten noch die Nebel, und im Thale noch die grauen Nachtschatten. Dann warf sich in die Umarmung des erwartenden Morgenroths, über die Berge herüber, die Sonne. Uns war so heiter, so wohl. In Gräsern, Blüthen und Bäumen, vom Rebenhügel zu uns her, vom verklärten Himmels­ blau zu uns hernieder flüsterte die Liebe. Wir wan­ derten der Landstraße entlang. Links vor uns in der Morgenverklärung das Gebirge, naher den wallenden Strom; rechts Rebengelände an den Bergabhängen, Dörfchen versenkt in das wallende Grün der sie über-

22 schattenden Baumgruppen. Und die Straße hatte ihre Schatten von den Obstbäumen zur Seite, und ihre Wanderer im Sonntagspuhe und heiterer Miene. Von Zeit zu Zeit vernahmen wir das Geläute der Dorfkirchlein von Höhen und aus Thälern. Wir bestiegen dann einen der Berge. — Auf dem Gipfel welche Aussicht! Leicht übersehbar, zusammengedrängt liegt, was in den Ebenen unübersehbare Fernen bil­ det. Welch einen Wechsel von Fluren, Wiesen, Saat­ feldern, Hügeln mit Reben, Landstraßen, Dörfchen und Städten bietet da die Landschaft. Ein ande­ rer Berg, den wir ebenfalls und auf weit anmuthsvollern Pfaden, im Dunkel der sie überschattenden Wälder, und geführt von niederrieselnden Bächen, erstiegen, bot eine noch bei weitem mannigfaltigere Aussicht. Seinen waldigen Gipfel krönte eine Ruine. Wie bedeutsam mahnend traten da zu mir in die blühende Gegenwart die wehmüthigen Schauer einer entschlafenen Vergangenheit, in der — wie ja fast jeder Roman meldet, jede Romanze singt, Ritter ge° wattig hausten, und Ritterfrauen häuslich schafften; und in die uns, als eine Zeit, wo rohe Kraft gepaart mit Biedersinn sich selbst die Straße brach, und in hohem, verwegenem Muthe Gesetzes Schranken nie* derschmetterte, würdig versetzt jener Meister, dessen unvergänglicher Lorbeer eben jetzt an Glanz mit dem Silber seiner Locken buhlt.

23 Die Nacht brachten wir auf dieser Berghohe zu. Wir hatten uns mit allem Nöthigen vorgesehen. Da wurde, als die Sonne aus Westen unsern Berg mit ihren letzten Strahlen gegrüßt, die Dämmerung ihren weiten Mantel um seine riesigen Glieder schlang, ein recht Helles Feuer angezündet, und die ganze Nacht hindurch unterhalten. Es war herrlich zu sehen, wie die von der Gluth aufgewälzte Flamme gegen das nächtige Gewölbe anfuhr, eine zitternde, unsichere Er» hellung in dasselbe warf, und dann von der Dunkel­ heit verschlungen ward; wie die Ruine bald in grel­ ler Beleuchtung hervor und dann wieder auf Augen­ blicke in den Schooß der Dunkelheit zurücktrat; wie unsere Schatten an ihrem Gemäuer wankten, wie klagende Geister, und wie das Feuer seine Streiflich­ ter auf die vom Nachtwinde erregten Wipfel der Baume warf. — Wir brachten auf der Höhe un­ sere Toaste den fernen Geliebten. Dann überließ sich jeder seiner stillen Betrachtung. Ich erhob mich von den Bergen der Erde, schwebte im Geiste über die stillen Lande; mir entlang gleitete die Nacht, und in meiner Brust fühlte ich alle Lieblichkeit einer Liebe, die unsterblich sein muß. An ihrem Lager ließ ich mich nieder, küßte die Schlafende — ha, wie mich daö durchzukte! Meine aufgeregte Phantasie ließ sie erwachen, mich anlacheln, zu sich niederziehen — Zch sündige Carl. Bergieb du reiner heiliger Engel den

24

die Liebe für meine Liebe schuf, kergieb mir, meine Rosalie. Siehe, das heilige Auge des Tages blickt schon über die Berge, es scheucht weg die üppigen Bilder der Nacht. In einer Bauerhütte, etwas abwärts Dom Gi­ pfel gelegen, frühstückten wir in aller Heiterkeit. Am Fuße des Berges bestiegen wir einen Kahn, und ru­ derten auf dem glanzenden Strome wieder unserm Wohnsitze zu. Dies beiliegende Vergißmeinnicht fand ich auf dem Gebirge im feuchten Schatten der Waldnacht. Mich befremdete die liebliche Blume hier oben noch anzutreffen. Auch meiner Rosalie habe ich eins über­ sandt, und ebenfalls dieses Sonnett. Der Nebel sank, aus goldner Lebensschale Lot Phöbus hold den lichten Frühling-tag, Als ich gelehnt an graue Felsen lag, Mild angehaucht vom lichten Himmel-strahle. Ich dachte eurer in dem Heimathsthale; Und als die Wehmuth ernst zum Herzen sprach, Ich der Erinnrung zarte Blume brach, Auf Berge-Höhn int Schatten grauer Male:

Fragt' ich, ob wohl ihr Lieben nicht vergessen Den, dessen Herz euch fern in Treue schlägt, Für euch der Freundschaft reinste Blüthen trägt, Bis, überrauscht von wehenden Cppressen, Vergißmeinnicht mein Hügel trägt und Rosen, Des Herzens Leben in Metamorphosen.,

Den 28. August. Morgen reise ich ab, zu ihr, zu meiner Rosalie. Ich bin so unstat, so flüchtig; fühle, denke nichts als die Freuden des Wiedersehns. In dieser Vor­ stellung gehn alle andern unter. Hier der Gesang, den diese Freude hervorlockte. Nun sind sie hin der Trennung bange Horen, Die Gegenwart erglänzt, wie klare Fluth; Und Sehnsucht wird und Liebe neu geboren. Und was in tiefsten Tiefen lang geruht, Tritt an das Licht, wie zauberisch beschworen: Das Herz schlägt froher, kühner wallt der Muth; Denn jene Zeiten sind im Flug vergangen, Die uns erfüllt mit schmerzlich ernstem Bangen. Wie war die Welt so öde, war so enge, Die reiche Schöpfung alles Zaubers leer; Und in des Lebens rauschendem Gedränge War doppelt erst das Herz im Busen schwer. Der Erdenblüthen, Himmelsblüthen Menge, Erglänzend nächtlich in dem Sternenheer, Sah nur mein Aug' im Thau vergoßner Thränen, Uns reger stets erwachte dann mein Sehnen.

Und jetzt? — von hellen Fluthen rings umspület, Da keine Wog' in wilder Orandung schäumt; Von HoffnungSwehn die heiße Brust gekühlet, In der das Herz vom Glück der Zukunft träumt: — Wie glücklich jetzt sich's holde Dasein fühlet, Wenn Morgen, Abend den Olymp umsäumt. O nimm die- Lied in Freude hingegossen; Vor Frctde sind Gedanken jetzt zerflossen! B

2Ü Wenn ich an ihrer Seite sitze, sie mir in den

Brief lächelt, dann horst du ein Näheres von deinem glücklichen Freunde.

Den 26. September.

Siehst du, Carl, so gehts allemal, vor Allen aber geht mir's so:

nie wird unsere Erwartung be­

friedigt, nie genießen wir eine Freude so rein, als wir sie uns dachten.

Hier kannst du nun doch mal

nicht wieder sagen, daß an mir die Schuld liege, daß meine Phantasie stets die Wirklichkeit überbiete, daß ich ungenügsam und unzufrieden

sei;

daß ich die

Gegenwart übersehe, und mit unersättlicher Begierde

der Zukunft und ihren wesenlosen Gestalten mich zu­

sehne.

Nein, hier ist es ein ganz anderer Fall; ja

mir wäre lieb, du hättest diesmal Recht.

unseligen Verhältnisse sind das hier!

Welche

Die ersten paar

Tage ging das noch wohl, so lange die Leute cä.bet

Mühe werth hielten, um mich herum die künstliche Täuschung zu unterhalten.

Aber jetzt — v Gott!

Rosalie, sie sonst das a frichtigste wahrste Wesen der Sonne, vermogte es über sich, Wahrheit

ihrer Verhältnisse

selbst mich über die

zu täuschen;

weil sie

vorauSsah, wie mich das ergreifen, vernichten würde.

Nun hat sie mir unter Thränen Alles gestanden,

und auch das, denke dir, wie mir's durch die Seele

27 fuhr, daß sie in bett wenigen Monaten, die sie hier zubrachte, sich oftmals schon auf ihre Kammer zu­

rückgezogen, heiße Thränen geweint und sich nach mir, ihrem Beschützer, der ihr nun unter dem Bilde eines

liebenden Vaters erschienen, hingesehnt habe.

Und

das hatte sie mir verheimlicht! Alles ist hier Schein,

Alles und Jedes ist grundunwahr und grundfalsch;

Alles so verzerrt, so verdreht; ich glaube nicht daß an den ganzen Menschen, noch etwas Gerades ist.

Ich komme mit einem offenen Herzen, das vol­ ler Liebe ist, hierher; aber den Fremden beobachtet

man mit prüfenden,

fragenden Blicken.

Sie, die

Person, in deren Hände ich das Glück meiner Zu­

kunft niedergelegt, der ich mein Theuerstes anvertraut

hatte, heucheltReligion, Frömmigkeit, hält auf Kirchen­ besuch, Abendmahl und Beichte, und hat dabei keinen

Funken wahrer Menschen-, geschweige denn Christlicher

Liebe.

Als ich ihr das mal so offen hin zu verste­

hen gab, und ihr sagte, daß alles Beten, Fasten und

Kirchengchen unmöglich einen Maaßstab für die sittliche

Güte eines Menschen abgeben könne, sondern daß diese vielmehr aus seinen Handlungen strahlen müsse; daß die gute und schöne That das allein und ent­

schieden Geltende sei; und als ich das Alles mit ei­

nem gewissen Nachdruck vorbrachte: da sah sie mich groß an, und meinte, daß sie hingegen auf solch« Menschen nichts halten könne, die sich über kirchlich«

B 2

28 Einrichtungen und Gebrauche wegsetzten, die sich mehr als andere dünkten, und ihrem Gotte auf ihre ei­

gene Weise dienen zu können glaubten. ich denn gemeint.

Damit war

Nun spricht aber Alles gegen sie:

die listige Heuchelei ihres ganzen Wesens, die Ver­ schmitztheit in ihrem Betragen, die Ungezogenheit bö­ ser, halsstarriger Kinder, und ihr eheliches Verhält­

niß spricht nun mal gar nicht zu ihren Gunsten. Zu diesem Allen kommt noch, daß es Ehemänner

gibt, die, trotz aller Dürftigkeit ihrer ehelichen Liebe,

immer noch etwas Zärtlichkeit auf den Fall aufge­ spart haben, wo--------------- Laß mich schweigen; sieh, ich könnte außer mir kommen! Nicht wahr, ich ver­

stehe es denn doch zuletzt noch, die Gegenwart richtig zu ersassen; und sind nun wohl meine Anforderun­

gen zu groß, spanne ich nun wohl meine Wünsche

zu hoch, wenn ich nur dieses anders wünsche? Schon

steht mir ein Zufluchtsort für meine Rosalie offen,

dahin soll sie.

Ich befürchte nur, es wird noch zu

heftigen Auftritten kommen.

Grüße von Rosalien.

Den 18. Oktober.

Schon ist's anders. •— Aber ehe ich es bis da­

hin bringen konnte, hat's noch böse Auftritte gege­ ben.

Ich sah sie vorher.

Welche gemeine Tücke des

Herzens verrieth zuletzt die Frau, aus deren Hande

29

meine Rosalie gerettet zu haben, ich mich nunmehr glücklich preise. Als sie sah, daß aller Schein, alle Verstellungskunst ihr nichts mehr frommen werd«; da gab sie sich und ihrer Moral die lächerlichsten, ost aber auch empörendsten Blößen.' Was hätte ihr jetzt auch noch alles Anstchhalten genützt; es war zu spät, es brachte ihr keinen Vortheil mehr. Es setzte böses Blut, und meine ohnehin nicht starke Gesund­ heit hat viel dabei gelitten. Rosalie zog sich ganz ihrer Art zu sein gemäß zurück, verschloß sich in ihrer Kammer und weinte den ganzen Tag. Auch sie hat viel ausgestanden. Aber wie ist uns auch jetzt wieder wohl. Wir sitzen hier auf ihrem traulichen Stüb­ chen zusammen; sie ist mit einer kleinen Handarbeit beschäftigt. Von Zeit zu Zeit reich' ich ihr die Hand hin; sie hält sie dann, neigt das liebe Haupt zu mir, und ihre niederringelnden Locken berühre» meine Wangen, wallen auf meine Schultern nieder, und ich küsse das holde Wesen wieder im seligsten Ent­ zücken. — Wie traulich aber ist's hier, wie friedlich, wie ruhig. Da werden wir nicht von lärmende», schreien­ den Buben umtobt, die bald dies, bald jenes for­ dern, und die ungezogensten Streiche machen; die mir in der Seele zuwider waren, wiewohl ich doch sonst Kinder so gerne leiden mag. Ueberall waltet hier der Geist der Ordnung, der Ruhr und deS Frie-

30

den-. Die Linden des Hofraums, durch deren Wi­ pfel eben der Strom des Morgenwindes rauschend entwallt, und schon einzelne gelb gewordene Blätter mit sich nimmt, wehren das zu helle Licht deS Tages ab, und unterhalten in diesem traulichen Gemache die süß« Lieblichkeit eines dämmernden Halbtag». Don den Tennen der Nachbarhäuser hören wir die Schläge des Dreschers und das klappernde Geräusch der Wannmühle: es ist das so dörflich, so vertraut, so eng. I« diesem Landstädtchen wird nunmehr meine Liebe wohnen. Die Dame bei der sie eine Zuflucht gefunden, und von nun an bleiben wird, ist die Wittwe eines Subalternen unter Rosaliens Vater; und da ihr entschlafener Gatte diesem bis zu seinem Tod« di« größt« Dankbarkeit zugetragen, da er be­ kannte, ihm das ganze Glück seines Lebens schuldig zu sein: so freut sie sich, ja preißt sich glücklich, nunmehr auf dessen einzige Hinterbliebene Tochter ihre Dankbarkeit übertragen zu können. Sie hatte sich auch schon früher erboten, doch war da nicht die Familie zurückzuweisen. Und in der That, alle ihre Handlungen beurkunden eine Frau von dem besten Herzen und den trefflichsten Gesinnungen. So dürfte ich denn nunmehr unbesorgt um di« Zukunft meiner lieben Rosalie sein.

31 Innerhalb acht Tagen reise ich wieder von hier weg; und habe ich beschlossen die Universität N., die

eben sehr ausgezeichnete Männer unseres Faches auf­ Allgemein habe ich die

zuweisen hat, zu besuchen.

schöne Lage dieser Universitätsstadt, di« Herrlichkeit

ihrer Umgebung, die Pracht- der reichen Natur, und

vor allen

dortigen

die gutmüthige Herzlichkeit des

Volkes rühmen hören.

Dazu kommt noch, daß mich

nichts an den Ort, wo ich bisher meiner Studien wegen war, fesselt.

Mit der größten Gleichgültigkeit

der Welt verlasse ich ihn.

Meine Umgebung war,

mit Ausnahme eines Einzigen, eine höchst gleichgül­

tige, ja manche Personen waren mir zuwider.

Ge­

sellige Verhältnisse kannte ich hier gar nicht; und

jener junge Mann, der mir ausnahmsweise lieb war,

dessen ich auch schon in einem früheren Briefe an dich

erwähnte, und durch den ich mich

allenfalls

zum fernern Bleiben hätte bestimmen lassen; wird

auch

einen

andern Aufenthaltsort wählen.

Nur

schlimm ist es für uns, daß gewisse äußere sowohl

als innere Verhältnisse es unmöglich machen, ferner

bei einander sein zu können.

wechsel und

Ein thätiger Brief­

ununterbrochener Geistesverkehr bleibt

da unser einziger Trost.

Ich habe die besten Vorsätze von der Welt für «in emsiges Fortstudieren in dem einmal erwählten Fache gefaßt; ich werde daran gehen leichtern Herzens.

32 Den 15. November.

Nun bin ich fern, in neuen Landen, in einer

neuen Umgebung. Schon hab ich mich hier etwas in der Natur umgesehen. Es ist auch kein Wört­ chen von dem Allen übertrieben, was man mir frü­

her über dieselbe gesagt hat; im Gegentheil: Alles,

was ich bisher gehört, reicht nicht bis an sie hinan. Wie entzückt, wie begeistert sie mich nicht schon jetzt, obgleich es rings in ihr so herbstlich geworden. Heute

kn der Frühe war noch Alles

ein

Nebel;

dichte

Schichten lagen über dem Strom; nichts war von

sehen.

den nahen Bergen zu

Das dauerte eine

Weile; — dann schlug die Sonne ihr Feuerauge

über das Gebirge auf.

Der Bergwald dampfte; die

Nebel zertheilten sich; und nur hier und da flatter­ ten noch an den Berggipfeln Nebelwölkchen,

als

Siegesfahnen des überwindenden Tages. Sei noch so arm, mein Lieber, im Schooße einer solchen Natur fühlst du dich reich und beglückt. Wie

wird mir's erst wohl werden, wenn der Frühling in dies anmuthige Thal einzieht, wenn er den Schnee der Gebirge wegküstt, und neu

ihre Häupter mit

den frischen Kränzen des Waldgrüns schmückt. Ich habe eine recht angenehme und freundliche Wohnung und dabei eine freie Aussicht auf die Ge­ birge.

Allenthalben sind

hier die Leute zuvorkom­

mend und freundlich; meine Hausdame scheint eine

33 biedere und treffliche Frau zu sein.

Sie und eine

Dienerinn sind das ganze Hauspersonale. Wie wohl hat mir die Liebe gethan, mit der ich

von einem Professor, einem Manne von großem

Rufe und Wirken, empfangen wurde.

Gleich nach

der ersten Begrüßung faßte mein Herz das vollste

Zutrauen zu ihm; und wie mit Recht! denn um es

dir kurz zu sagen: ich schied von ihm mit dem herr­

lichen Gefühle, sowohl einen großen, als auch edel« Mann kennen gelernt zu haben.

Zch bin in meinem Fache thätig und dabei heitert Gestern erhielt ich einen Brief von ihr; du weißt

ja auf wen ich so deute; und wie könnt' ich ander­

besser das einzige Wesen bezeichnen.

Sir sagt mir,

daß sie wohl, und sehr zufrieden mit ihrer neuen Lage sei; und ist daS nicht genug.

Den 24. December.

Wie ist mir seit kurzem so ganz anders gewor­ den; mein Frohsinn, meine Heiterkeit sind dahin.

Es ist öde um mich, und in schweigsamer Bedeut­ samkeit liegt mir das Leben da; ich vergleiche mich

dem Wanderer, der auf stummer Heide nächtlich

einherirrt.

Die Quelle,

die sonst so ergiebig au-

34 de» Innersten Tiefen meines Daseins emporquoll, ist erstarrt, oder vielmehr schon versiegt.

Die Vergan­

genheit erquickt mich nicht mehr, in der Gegenwart

ist keine Freude, und in der Zukunft sehe ich kein

Heil.

Carl, mein Lieber!

wie dumpf ist mir; ich

bin erkaltet zum Einsargen.

Ich gestehe es

dir,

meine Pflicht lastet auf meinem Herzen, wie eine

schwere Bürde; ich habe keine Lust,

keine Freude

mehr an ihr, wiewohl ich sie sonst aller Freudigkeit

erfüllte.

Ueberall leidende Menschheit, überall Bilder

des Todt- und deS Schreckens!

Wir sollen helfen,

das leidende Auge blickt zu uns, wie zu einem hel­ fenden Gotte, auf; ach, und müssen wir uns dabei nicht zu wiederholten malen die Unzulänglichkeit un­

serer Kunst und unser eigenes Unvermögen gestehen? Daß ich

der eisernen Nothwendigkeit der Naturge­

setze nicht belehrt wäre; daß ich beten könnte mit je­

nem Vertrauen auf die ewige Liebe, das Berge ver­ setzt; wenn

uns unser Wissen

den gewissen

Tod

eines hülflosen Geschöpfes vorhersagt, aber keine Mit­

tel mehr aufzüweisen hat, ihn abzuwenden. Siehe, da liegt die Kreatur dürstend nach Lebe» und Lebensodem, lächelnd bald

in Hoffnung, er­

starrend bald in Verzweiflung des Todes.

Wie un­

gern tauscht sie die Wahrheit eines flüchtigen Da­ seins um Hoffnung auf Ewigkeit.

Daß

ich das

Alles so tief Mitempfinden muß, sieh, das vernichtet

35 mich,

da- untergräbt mein eigenes Dasein.

wenn sie nun

Und

oftmals selbst den frühen Tod ver­

schuldet; wenn Verlangen und Begierde und die im Znnern noch nicht erstickte Lebenslust ihr den Ab­

schied erschwert; wenn sie im furchtbaren, entsetzlichen Todeskampfe auf ihrem Lager sich wälzt, und mit

gekrampften Organen an die Lebendigen sich hält, das

Lebe» umfassend,

und zurückbebend vor dem star­

ren, eisigen Bilde des Todes; wenn dazu noch die Marter des Gewissens kommen, und die Religion

selbst, indem sie dem leidenden Geschöpfe das grause Bild eines jüngsten Gerichtes vorhält, noch all diese

Qualen vermehrt, Erde und Himmel keinen Trost, keine Hülfe mehr bieten; wen» die vergossenen Thrä­

nen der umstehende» Lieben nur wie zischendes Oel in

das Feuer fallen,

das es

im Innersten

ver­

zehrt: — o dann, dann stürze auch ich mich weg; ich ertrage es nicht mehr; aber hinaus, in die Na­ tur, wohin ich mich flüchte, verfolgen mich die ent­

setzlichen Bilder de» Todes und deS Schreckens; und

ich sehe diese große Alles erschaffende Werkstätte nur

thätig — um wieder zu zerstören. Carl, verzieh mir, daß ich deine von der Natur zum Frohsinn und zur Freude gestimmte Seel« mit

diesen Schreckensbildern fülle; aber gegen wen soll ich mich sonst aussprechen, vor wem anders dies« ent­ setzlichen Lasten auf Augenblicke niederlegen — tief

36 und tief aufathmen, um nach einigen erquickenden Zügen sie wieder aufzunehmen, und schwankend unter der Last fortzuwallen.

Nun weißt du auch, wenn

ich mal erliege, warum ich erlegen.

Du kannst noch

beten, meine Rosalie kann das auch noch, darum bitte ich dich, wie sie, schließt mich in euer kindlich

frommes Gebet.

Die Arme, warum mußt ich ihr Schicksal auch an das meinige knüpfm; warum ich sie, sie mich

wählen.

Wußte ich es

denn nicht schon damals,

daß mich die Götter hassen, daß sie mich verfolgen,

nachstellen: ist es denn nicht wahr, mein Pylades?

Wie schmerzt mich jetzt die Arme, wie thut es mir um deiner willen weh, daß du mich, gerade mich, zu deinem Freunde wählen mußtest.

Bergieb: mö­

gen dir die Himmlischen rin so reiches Maaß an

reinen Freuden spenden, wie sie mir ein überfließen­ des in Leiden bereiten.

Ueber dich ihr lächelndes

Antlitz!

Den 15. Februar.

Ich danke dir für deine tröstlichen Briefe.

Du

hast in ihnen meiner Seele eine stärkender« Arznei

bereitet, als der Arzt meinem Körper zu geben ver­ mochte.

Welch ein göttliches Ding ist es um die

37 Freundschaft.

So war es denn in meinem letzten

Schreiben an dich Ahnung und Vorempsinden, daß das, um defsentwillen ich Andere bedauert und be­ klagt hatte, nun auch über mich kommen würde.

Ich hatte mit zu großem Eifer, trotz des Widerwil­ lens gegen sie, meine Studien betriebe»; und un­ verkennbar war auch die zu große Reizbarkeit mei­

nes Gemüths Schuld an meiner Krankheit. ja ich kann sagen Unsägliches

aber bei

dem Allen war

Vieles,

habe ich gelitten;

am bedauernswerthestm

mein Seelenzustand. Ich klagte mich nun selbst an,

einen Beruf gewählt zu habe», für den ich nicht bestimmt sei; und ich sah eine doppelte Ursache der

Selbstanklage, weil ich die Verantwortlichkeit für Las Wohl und Weh eines zweiten Wesens auf mich

genommen hatte.

Ich zieh mich des unerhörtesten

Leichtsinns, quälte und folterte mich Tag und Nacht. Mit den wechselnden Bildern des Todes war ich ver­ traut; und wie sehr meine Seele nach Auflösung

schmachtete: ich durfte diesem Verlangen nicht nach­ geben.

Denn sah ich nicht im Geiste sie, meine

Rosalie, der Engel meiner frühern Seligkeit, bei der

Nachricht meines Todes dahinwelken, wie eine Rose im Frühlinge, deren Stamm der Blitz ertödtend ge­ troffen?

Sah ich sie nicht händeringend, klagend,

nein verstummend im «»begriffenen Jammer und Seelenschmerze bis zum ewigen Verstummen im Tode?

38 Zch mußte, und darum suchte ich meine Seele em-

porzuarbeiten.

Ich hatte Zeit und Muße genug

mein vergangenes Leben zu überdenken, und prüfend in dir Tiefen meines Innern zu schauen.

In einer

nie geahnten noch gefühlten Schöne tauchten da von

Zeit zu Zeit in innerster Seele glanzende Bilder, Kinder einer in mir verborgenen Schöpfungskraft auf, ja, reihten sich oft zusammen und boten eine liebliche Welt.

Zch sagte mir zu, nur in dieser zu

leben, damit sich nur meinem Geiste eine neue Aus­

sicht böte;-da er in Verdrossenheit am Alten selbst

erkrankte. Dann gewährte ich diesem wieder das ihm lang vorenthaltene Vergnügen, sich speculativ über sich, seine Bestimmung, seine höchsten Güter, über

Welt und Ewigkeit zu verbreiten. Da wurde es mir erst klar, daß ich nunmehr alle Dinge mit ganz an­

dern Augen ansehe, dann früher; daß diese Selbstan­ schauung wohl meinem Geiste ein Bedürfniß sein

könne, was ich ihm nicht entziehen solle.

Zn ganz

netten, eigenthümlichen Farben erschien mir, das will

sage», meinem geistigen Auge, meiner hohem Zntelli-

grnz, die Welt.

Ich hatte Vieles von einer eigenen

Weltanschauung gehört, nie recht verstanden, was man darunter denn wohl eigentlich meine; und nun fühlte ich mich selbst mit einem male im Besitze

dieses wunderbar herrlichen Gutes. von, genug davon!

Doch genug da­

ich will fortan meinen Geist

39 seine eigene Bahn gehen lassen; und du sollst sehen,

ob ich nicht ein Recht dazu hatte.

Rosalie hat von meiner Krankheit nichts erfah­ ren; ich habe ihr so heiter« Briefe als nur immer

möglich vom Krankenlager herunter geschrieben. Wozu

hätte denn auch am Ende die Mittheilung gedient? — Ihr ist jetzt alle unnöthige Sorge, ist Kummer und

Gram, und dabei

die schreckliche Angst der Unge­

wißheit um mein Schicksal gespart.

Wäre der Tod

über mich verhängt gewesen, so wäre es auch hier­

durch nicht schlimmer geworden.

An Liebe und inniger, warmer Theilnahme hat eS mir in meiner Krankheit nicht gefehlt.

Zwei mei­

ner hiesigen, neu erworbenen Bekannten haben mir, ganz im Sinne der reinsten und wärmsten Freund­

schaft, ihre liebevolle Gesinnung und ihre rege Theil­

nahme an den Tag gelegt; und selbst junge Män­ ner, mit denen ich in keiner nähern Beziehung stand,

als zu der uns ein gemeinschaftliches Studium und

die damit verbundenen täglichen Berührungen führ­ ten, suchten durch «ine freundliche und erheiternde Persönlichkeit mir eine drückende Gegenwart so ««

träglich als möglich zu machen.

Und dabei kam

mir eine Pflege, «ine Aufmerksamkeit und Zartheit der Behandlung von Seiten meiner Hausdame und

deren treuen Dienerinn zu Gute, daß mir schwerlich eine bessere, selbst unter den Handen liebender und

40 durch natürliche Bande naher an mich gestellten Per­ sonen, hatte zu Theil werden können. Nun ist auch meine Lust am Leben wieder er­ wacht; Heiterkeit und Frohsinn gesellen sich hinzu, und ich sehne mich nach dem Augenblicke, wo ich wieder in das Lebende All hinaustreten, und die umengenden Mauern verlassen darf. Ich habe mich auch in einem Gedichte ausgesprochen, und schreibe ich es hier nieder, mit dem Wunsche, daß du das Glück einer ununterbrochenen Gesundheit genießen mögest. Nach der Genesung. Und so erhielt aus deiner Hand ich wieder, Das Kleinod, das vor allen hoch beglückt: — An deines Thrones Stufen sink' ich nieder Natur! die da dem Tode mich entrückt. Wie möcht' ich jetzt mit wehendem Gefieder, Wo mich das Freudenbeben noch durchzückt, Hin durch die aufgeriß'nen Hallen eilen, Ermüdet dann am Abendrothe weilen! Nur der, den die Gesundheit einst verlassen, Der auf dem Lager ohne Hoffnung lag, Deß Wangen schon dem Tode zu erblassen, Dem dunkelte des Lebens holder Tag, Der schon gefühlt das eisige Umfassen Des Todes, dem des Orkus Nacht anbrach: Dem hat das Dasein höhern Reiz gewonnen; Froh, wie ein Kind, begrüßt er neu die Sonnen.

41 O seht irn All des Lebens Göttinn prangen, Den Rosenkranz des Morgenroths im Haar! Ein holdes Lächeln spielt um ihre Wangen, Die Freude glänzt im Aether, Augenpaar. Wie reich läßt sie den Tag herniederhangen, Den sie im Traum der Mitternacht gebar. Sn Westen glühn des Kleides reiche Falten, Wenn ihre Zauber dort um Abend walten. Den Frühling weckt sie, bettet unter Rosen Den holden Träumer, daß er sinnvoll weile, Daß sanfte Lüfte seinen Traum umkosen, Daß er zu rasch nicht von der Erde eile. Den Hellen Gießbach läßt sie niedertosen Entlang der Marmorfelsen steile Zeile. Den See kränzt sie mit blumigen Guirlanden, Den still geschäftig ihre Hände wanden.

Doch an den lebenßwarmen Busen heftig Preßt sie den Sommer, daß er heiß erglüht, Daß ihre Feuerkraft unsichtbar, mächtig Und allgewaltig die Natur durchsprüht. Durch Felsenadern schleichet sie geschäftig, Theilt sich der Traube mit, dann dem Gemüth; Gibt den Erschöpften neueö Leben wieder, Der Dichterbrust den süßen Klang der Lieder.

Dann scheint sie rasch von hinnen zu entfliehen, Natur, ihr Kind, entsinkt der Mutterbrust; Doch was in reicher Fülle sie verliehen, Läßt sie zurück, wohl unsrer Noth bewußt.

42 Die Sonne selbst eilt, ihre Dahn zu ziehen, Ihr nach, und theilet ihre Schöpfungslust. Der Winter übt ein fruchtloses Bestreben, Ersatz für solche Fülle uns zu geben. Der Jugend ist vor allen sie gewogen; Sie liebet sich das zarte Lockenhaupt, Sie führt es im Triumph durch Freudenbogen, Von Maien und vom jungen Grün umlaubt; Hält schützend es im Kampf mit wilden Wogen, Wenn gern der Tod die schöne Beute raubt; Sie trägt sie liebend auf den kühnen Schwingen, Läßt um sie her noch Berg und Thäler klingen. Doch auch entfalt'ne Blumen liebt sie innig: Den Mann in seines Daseins vollster Pracht, Das edle Weib, bedächtig, gut und sinnig, Aus deren Zügen Mutterliebe lacht. Ja, Alle- drückt sie liebend, drückt sie minnig An ihren Busen, daß von Gluth durchfacht Es Liebe sehnt, in Liebe sich zerleget, Und wandelnd in Metamorphosen reget. Quillt so nicht Leben in manch stiller Pflanze, Daß wir darauf Genesungstrank bereiten? Vom matten Blicke strahlt's im neuen Glanze, Der Zukunft Fernen sehn wir lieblich weiten. Wie wir's nie liebten, lieben wir das Ganze, Noch inniger in seinen Einzelnheiten. Was uns das Leben durch Natur gegeben, Wir nrhmen es erneut, eS ist das Leben.

43 Den 6. März. Liß mich, mein Lieber, meine Seele ist voll des herrlichsten Gefühls, laß mich schwärmen und träu­ men. Wie, solche Schätze trägt unsre Erde, und ich mußte bisher in Dürftigkeit schmachten; wußte nicht mal'um sie? Nun habe ich erst einen Begriff, eine Vorstellung von häuslichem Glücke und seinem stillen Frieden; nun erst sehe ich, was ich von Jugend auf vermißte. Und doch hatte ich diese Worte schon so oft nennen, schon so oft davon reden gehört; aber selten hatte ich dabei etwas Klare- gedacht und mehr als ein unbestimmtes Verlangen darnach em­ pfunden. Dabei blieb's denn auch; der Eindruck verschwand, wir es überhaupt von Dingen zu ge­ schehen pflegt, um die wir kein eigentliches erfahrungs­ mäßiges Wissen, oder für die wir, ich möchte sagen, keine Seele haben. Wie hät? ich aber auch nur ein« solche Seligkeit ahnen können, ich, der von Jugend auf, durch den frühen Tod beider Eltern, kein wah­ res Familienleben kannte, dem keine zärtliche Schwe­ ster, kein theurer Bruder war. Wie unumschützt stand ich da, wie früh verlassen, wie verwaist! Doch laß dir erzähle»; keine trüben Rückerinnerungen! Vielleicht gibt der Himmel mir noch mal für Alles das Ersatz. Er scheint es jetzt wenigstens besser mit mir zu meinen. Wie erweitert fühl' ich seitdem mein Dasein! Carl, ich habe in einen Himmel ge-

44

schaut, ja was mehr sagen will, zwei Tage darin ver­ lebt. Ewig, ewig unvergeßlich werden mir diese Tage sein. Wie wohl eine liebende Hand die Bildnisse theurer Abgeschiedenen von Zeit zu Zeit mit frischen Blumenkränzen zu schmücken pflegt: so will ich stets im Geiste der Erinnerung schönste Kranze um das holde Bild jener Tage legen, das in meiner Seele ruht. Nie, nie wird aus ihr der tiefe, lebhafte Ein­ druck schwinden, den sie darin zurückgelassen. Welche himmlische Wesen waren das. nicht! Gewiß, irgend eine liebende Gottheit hat es sich mal vorbehalten, in ihnen die Gebilde ihres Göttertraums zu realisiren, und das für diese Erde, und um uns einen Spiegel höhrer Gestalten vorzuhaltcn. Aber ich erzähle dir ja nichts; und obgleich ich schon fast zwei Seiten niedergeschrieben, weißt du noch nicht mehr, als was du im Anfänge des Briefes auch schon wissen konntest: daß meine Seele voll von der Borstellung eines Glückes ist, das sie bisher nicht kannte, daß dieses sie so ganz und durch und durch erfüllt, und daß ich hoffen darf, fortan mit in die­ sem Himmel der Freundschaft und Liebe zu leben. Aber noch immer halte ich dich hin; vergib, und höre denn, mein Lieber. Bon den zwei schon erwähnten Bekannten,—Gün­ ther und Lothar heißen sie — die sich in meiner Krank­ heit meine Pflege am meisten angelegen sein ließen,

45 und mir die herzlichste Theilnahme an den Tag leg­ ren, wohnen Günthers Eltern in dem einige Stun­

den nur von hier entfernten W....

Als ich so weit

wieder hergcstellt war, daß ich Stube und Hau§ ver­

lassen, vom reinen Himmel mich wieder umweht füh­ len, und die süßen Lüfte wieder trinken durfte: lud Günther mich ein, mit ihm hinüber zu fahren, um

der Feier eines kleinen Familienfestes beizuwohnen. Auch Lothar fuhr mit.

Wie war mir zum ersten­

male wieder so recht im Innersten wohl.

Wir fuh­

ren in einem offenen Wagen durch die allmahlig aus

ihrem Winierschlafe

erwachende Natur.

stand, und ich denn nicht auch?

Sie er­

Aber auch ihr

Schlaf vermag sie nicht niederzuhalten die innere,

schöpferische Thätigkeit derselben.

Sie träumt von

Blumen, die wir auf unsern Gläsern sehen, wenn wir Morgens

erwachen; und

von der belebenden

Warme weniger unterstützt, genügt sie-sich in seltsa­

men, starren Eiscristallisationrn ihre bildende Kraft zu offenbarm, und uns die ewigen Gesetze ihrer Thä­

tigkeit und heiligm Ordnung selbst in diesen starren

und wieder zerfließenden Gebilden vorzuhaltm.

Das

Todte, oder vielmehr das Leblose gestaltend — nein! auch das Todte, denn ist sie in der Verwesung selbst

nicht geschäftig zum Leben? — ist sie thätig an den äußersten Polen, und die starre EiSwelt mit ihrm

gigantischen Pyramiden und Obelisken, älter als die

4G historischen Denkmale dieses NamenS, sprechen nicht weniger dafür, als die südliche, phantastische Blu­ menwelt ihrer geheimnißvollen Schöpfungskraft. Zch sehe dich lächeln über mein wissenschaftliches Raisonnement; es befremdet dich, da es wohl das erstemal in Briefen an dich ist. Aber, du mein Lieder, ich wollte dir ja beweisen, daß auch ich erstehe; wollte eine Parallele ziehen zwischen mir und der Natur. Wie sie, habe ich geschlafen und geträumt; aber wie sie nun bald mit der Hand des Frühlings ihren Träumen in sichtbarer Herrlichkeit ein keimendes, sprossendes und blühendes Dasein geben wird: so möchte auch ich es den meinen. — Zch komme nicht zu Ende — nun noch obendrein Störung: es klopft an — herein! nun so sei cs denn, ein andermal, und das bald.

Den 12. März. Ich wollte dir in meinem letzten Schreiben das wiedergebcn, was ich Neuerstandener empfunden, als ich wieder in dm heitern Schöpfungsraum hinaus­ trat, und dir das mitthcilen, was mich jetzt wieder so selig macht. Ich weiß noch, ich war darüber ganz ordentlich rhetorisch geworden. Nun, wie wir dahinfuhrrn, das wollt' ich dir «zählen, und wie di« himmlischen Ströme der schon milder werdenden

47 Lüfte so erquicklich an uns, gleich Frühlings;Vor» ahnungen, entlang zogen.

Mir war dabei nicht an­

ders zu Muthe, als sei mein ganzes Innere bisher

eine zusammengelegte Knospe gewesen, die nun auch in, und an sich die schöpferische Kraft der Natur

empfinde, von dieser sich in ihren Tiefen durchwirkt fühle, und nunmehr mit dem herannahenden Früh­ Ich weiß es nicht mein Lie­

linge aufbrechen werde.

der, ob dir auch schon so zu Muthe gewesen, und ob

du dieses ahnungSrciche Vorgefühl kennst, das, wie

zarte Gräser auf Wiesen, bei dem ersten Anhauche des Frühlings auf dem Boden unsere- Herzens auf-

zukeimen pflegt.

Schon

lag in den Ebenen kein

Schnee mehr, wohl aber an den Bergen, deren rie­

sige, wie von einem Schneemantel eingehüllte Ge­ stalten uns noch ein starres Bild des Winters vor­ hielten.

Was diese Gegend einmal sein wird, wenn

sie uns in aller Fülle und Herrlichkeit des Frühling« entgegentritt: davon habe ich keine Vorstellung.

Wir kamen

um Mittag

an.

Zur Ehre der

Mutter war diese kleine Feierlichkeit veranstaltet, da

man ihr Geburtsfest feierte.

Wir stattete» herkömm­

licher Weise unsere Glückswünsche ab.

Günther führte

uns vor seine Schwestern; nannte die ältere Sophie, die jüngere Friedrike, und gab uns ihnen als seine

besten Freunde.

Wie sprach der erste Eindruck für

diese beiden Mädchen.

In allem Liebreize einer schuld-

48

losen, unbefangenen und heitern Jugend dastehend, mußte schon ihre bloße Gegenwart einen unbeschreib­ lichen Reiz auf jedes empfängliche Gemüth üben. Bei fortgesetztem Gespräche glaubte ich in Sophie ein Wesen höchst geistiger Art zu erkennen, in der die Sphäre des Gemüths vom strengen Verstände controllirt werde. Ihre dunklen Augen und der den­ kende Ernst, der aus ihnen sprach, verrieth mir mehr Geist als Gemüth; wenigstens schien mir jener die Oberhand zu haben. Friedrik« war mehr Gutmüthigkeit und zarte Hinneigung; in ihr schien das Seelenleben mehr vorzuwalten. Als so mein Geist mehr unwillkührlich dann mit Bestimmung beschäftigt war, diese Wesen sich auf seine Weise zu erklären; da tritt plötzlich wieder Günther herein, der sich unterdessen unbemerkt ent­ fernt hatte, und führt am Arme ein Mädchen, deren erstes Auftreten, wie deren ganzes Wesen überhaupt, recht der Art war, die Seele mit einer geheimnißvol­ len Hochachtung und Theilnahme zu erfüllen. Ich muß dir dieses Wesen vor allen näher beschreiben. Recht systematisch, wie ein echter Historiograph es vielleicht thun würde, mache ich dich vorher mit ihren äußern Verhältnissen, und dann mit ihr selbst bekannt. Sie ist eine Nicht« Günthers; man nennt sie nur Schwe­ ster. Sie hat weder Mutter noch Vater gekannt. Dem herrlichsten Weibe, der zärtlichsten Gattinn ko-

49 stet« ihre Geburt daS Leben.

Der trostlose Gatte, den

Nichts in aller Welt aus der tiefen Schwermuth, in die er nach dem Tode seine- vielgeliebten WeibeS, sei­

ner Johanne, verfiel, emporzurichten vermochte, der, so oft er sein Kind, die treuste Wiederholung ihrer entschlafenen Mutter sah, in lauten Jammer und in die schmerzlichste Klage ausbrach;

folgte in einem

Zeitraume von ungefähr anderthalb Jahren der Ent­ schlafenen in die Gruft nach.

So wuchs denn Hann-

chen schwesterlich mit den drei Kindern dieser Fami­

lie auf; und erst spät, als sie dieses Alles erfuhr, be­ netzten ihre Thränen die Gruft ihrer Eltern, mehr als ein Tribut kindlicher Liebe, und zarter, tief ein­

gepflanzter, heiliger Naturgefühle, denn daß sie jene in der That vermißt hätte.

Wie mich das, alS ich

solches später von Günther erfuhr, an mein eigenes

Schicksal schmerzlich erinnerte; wie mich die Gleich­

heit desselben mit einer tiefen Theilnahme erfüllte — und auch meine Rosalie, steht sie nicht auf ähnliche

Weise da, nur noch einsamer, verlassener?

Und der

Unglücklichste von diesen dreien ich, der theilnahmloö unter fremden Händen aufwuchs.

Eine unendliche

Wehmuth kam über mich nach diesen Betrachtungen, Thränen traten mir in die Augen.

Meine Freunde

trösteten mich; es war auf unserer Rückreise des an­

dern Tages gegen Abend; denn so lange wurden wir zurückgehalten.

C

50 Nun will ich auch versuchen, dir das anmuthige Wesen selbst zu schildern.

Doch nein, ich will cs

lieber nicht; den» so behält deine Phantasie einen

um so größer» Spielraum.

Vielleicht erhälst du auch

noch ohnehin ein Bild desselben, wenn ich nehmlich

glücklich genug sein werde, Hannchens noch öfterer

erwähnen zu können. Aber dafür eine kleine Schilderung unserer ge­

selligen Freuden. Gäste gebeten.

Auf den Abend waren noch einige

Man berührte sich auf das mannig­

faltigst«: es wurde gescherzt und geneckt.-

Spater

dann gesellige Spiele vorgeschlagen, und bei dem re­ gen Interesse Aller ging es recht lustig und lebhaft zu.

Auch wurde getanzt nach dem Spiele eines Flü­

gels, worauf vor allen Sophie große Fertigkeit zeigte. Hannchen tanzte ungern, darum wenig.

ES stand

dem feierlichen Ernste ihres Wesens auch nicht gut an.

Du weist, ich bin ebenfalls kein Freund davon, weil ich es mir nicht gut genug mache.

Wir unterhielten

uns desto mehr, und eh' ich mir'S versah, waren wir, die etwas abseits in einem Bogen des Saalfensters

standen, auf eine Materie gekommen, die unS we­ nigstens auf einige glückliche Augenblicke die Pflicht

der allgemeinen Geselligkeit vergessen machte.

Von

der Schönheit der nahen landschaftlichen Umgebung

kamen wir auf di« Natur überhaupt.

ähnlich, wirst du sagen.

Das sieht dir

Du irrest aber sehr, swenn

Ü1

du glaubst, daß ich es absichtlich herbeigeführt habe. DaS Gespräch ging vielmehr von Hannchen aus. O wie hing sie an dieser ihrer Mutter! Ihr Auge strahlte selig. Sie stand vor mir da in der magi­ schen Halbhelle, die eine unbeschreiblich reizende Wir­ kung auf das holde Wesen ausübte; ich versenkt in das Meer der rauschenden Töne, kaum die vorüber­ wirbelnden Paare gewahr werdend , nur sie hörend, nur sie sehend. Ich glaubte vor einer Priesterin« der Natur zu stehen, die Heren geheiligte Orakel in der Sprache ihres Herzens erklärte. Die Musik ver­ stummte; und in die Gegenwart, aus der ich mich ganz verloren hatte, versetzte mich Günther freundlich zurück, indem er mich bat, uns der schon geordneten Reihe anzuschließen, und meine Dame zum Nachtessen in den Speisesaal hinüberzuführen. Ec flüsterte mir zu, daß ich an der Abendtafel auch neben Hannchen sitzen werde. Es wurde Platz genommen; die Heiter­ keit war allgemein; man trank aufs Wohl der theuern Hausfrau und ihres Gatte». Ein Prediger, der mit einer höchst liebenswürdigen Jovialität voranging, brachte mehrer« gereimte Toaste aus. Die Herren schonten vor allen de« edlen Weins nicht. Es ist in der That etwas so Herzliches, ja ich möchte sagen TeutschthümlicheS in dem Ausbringen des Toast's, und ist es zu sehr in der Gemüthlichkeit und dem wahren Gefühle für Freundschaft und Lebensfrohsinn der E 2

52

Teutschen Charakters gegründet; als daß man, es ver­ meidend, der steifen Convenienz der Ausländer hul­ digen sollte. Mögen sie uns immerhin Bardaren schelten, es fällt auf sie zurück; da sie weder Sinn noch Gemüth genug haben, die Herzlichkeit der Teut­ schen Geselligkeit zu verstehen. Auf den Vorschlag des Prediger- ertönte zum Beschluß der Tafel ein passender Gesang in einer feierlich ernsten Melodie. Darauf entfernten sich die Damen; und auch wir gingen vergnüglicher Stim­ mung auf unsere Schlafstube, wünschend, daß da­ waltende Schicksal «ns ähnliche frohe und glückliche Tage, der Geselligkeit und Freundschaft geweiht, auch in Zukunft verleihen möge. Welch ein schöne- Erwachen am andern Mor­ gen ! Der gestrige Tag erstand mit in meiner Seele, lichtend das frühere Dunkel derselben, gleich der eben heraufschwebenden Sonne die Nacht ihrer Erde. Mit dem reinsten Gefühle der Freude und Dankbarkeit lächelte ich ihr entgegen, weil sie, die mir über einen so schönen Tag untergegangen, nun wieder über eine», dem mein Herz freudig entgegenwallte, heraufschwebte. Und so geschah es denn auch. Wir frühstück­ ten gemeinschaftlich. Jedes war in einer heitern Nach­ stimmung; und wurde nun im vertrauter» Kreise mit bestem Humor gewisser Situationen, tinzelner Personen und ihrer Eigenthümlichkeiten, kleinerer

53

Albernheiten, mißrathener Witze, verunglückter Scherze, Verlegenheiten, in die der Eine oder Andere von ei­ nem überlegenen Nachbar gesetzt, und ähnlicher Dinge gedacht. Da gab es denn recht was zu lachen. So­ phie hatte eine gewisse Meisterschaft hierin; am At­ tischen Salze fehlte es ihr nicht. Friedrike führte die Sache der Delinquenten, und protestirte mit ihrem guten Herzen, wenn wir sie in contumatiam verurtheilten. Auch Hannchen hatte ihr« rechte Freude an diesem Scherze, und man sah sehr wohl, daß sie, trotz unserer Umerhaltung, die Umgebung den ganzen Abend nicht auS den Augen gelassen, und ihrem Geist« Nichts vokt Bedeutung entgangen war; da ich mich dessen doch eben nicht rühmen konnte. Nach Tische fuhr unser Wagen vor, und wir mit dem Versprechen, bald wieder zu kommen, zurück. Des Rückwegs gedachte ich schon. Hierbei erhälst du denn auch noch die Abschrift eines Gedichtes, das ich wenige Tage darauf den lieben Mädchen übersandte. Ich suche mich darin wegen eines gewissen Betragens zu rechtfertigen; indem man mehreremale das Gespräch auf Gegen­ stände lenkte, für die man, namentlich bei jünger» Leuten, ein mehr als gemeines Interesse vorauSsetzen durfte. Ja man legte es' mir bald fragend, bald zweifelnd, Auskunft, oder gar Belehrung wünschend, nah« genug, mich auch mal darüber auszusprechrn.

54 Man zeigte sich seiner Seits auf das anmuthigste offen und gemüthlich. Da ich aber demohnerachter mit Halsstarrigkeit bei einer verkehrten Decenz be­ harrte, den leichten Ton der geselligen Unterhaltung nicht ablegte, dem Ernstesten selbst irgend eine lächer­ liche Seite abzugewinnen suchte, und stets im Scherze fortfuhr, wie unähnlich mir selbst ich für diesmal auch erscheinen mochte: so sah ich denn doch zuletzt wohl, daß man eine etwas ungünstigere Meinung von mir möchte gefaßt haben, als daß meine Eitelkeit sich dadei hatte beruhigen können; und in dksem Sinne entsprang denn das Gedicht. Das wär' Verbrechen, daß im Spiet des Lebens, Im schönen Augenblick, den es verleiht, Zch mich mit Lust, mit aller Kraft des Strebens Dem Scherz der Täuschung mit Bedacht geweiht? Sie suchten Wahrheit, suchten sie vergebens, Und so entschwand die köstlich schöne Zeit; Da war kein Sinn für Ernst, für höh're Güte, Ob Tiefe wohl im wankenden Gemüthe?

Wie konnte nur! das Beste ging verloren, Und nach Gedanken wurde nur gespäht; Dqs Schönste, was der Augenblick geboren, Würd' auch vom Flug des Augenblicks verweht. Die Nacht tritt auf, von ihren heilten Horen Wird still die Saat der Sterne ausgesät: Und noch ist Nichts für's liebe Herz gewonnen, Die Stunden sind verflüchtigt, sind zerronnen!

55 Nicht so! weiß nicht, wenn scherzend auch mit Blüthen Ein kühne- Spiel der Sohn der Lüfte wagt, Er darum doch den zarten Schmelz zu hüten, Wenn unbestimmter Lust die Blume zagt; Das stille Leben, das verborgenst glüthe Zn ernster Nacht, wenns am Olympus tagt; Durst er es nicht mit Liebeswehen kühlen, Und sich durchbebt vom reinen Hauche fühlen?

Und war es anders? Tiefster Brust entsprossen Bot ihre Huld des Herzens Blüthen dar, Die schöner stets, stets reicher, unverdrossen Der zarte Boden sich mit Lust gebar. Ein Blüthenmeer war ringsum ausgegossen — Der Düfte Hauch wallt zu des Himmels Klar *Das glaubten sie, das Alles sei verschwendet, DaS Köstlichste vergebens ausgefpendetr

Ja, wär' es nicht in treuer Brust empfangen, Der zarten Keime süßem Mutterland, Daß es vom regsten Leben heiß umfangen Erbilde sich zum heilig theuern Pfand Der Freundschaft, die so himmlisch aufgegangen, Der Sonne gleich, verklarend Meer und Land — Von ihrem Licht, wie strahlt es himmlisch wieder! Und tief bewegt sing' ich deS Herzens Lieder. Und dieses ihnen, da vom Strahl getroffen Ein Gegengruß der Harfe Gold enthebt. — Wie ist der Himmel hell, der Aether offen, Aurorens Rosen hat der Lag verweht!

56 Und Lag um Lag darf sich da« Herz erhoffen, Da stet« ein großer Lag am Himmel steht: In seine- Lichte» reinem Himmelscheinr verklärt sich Alle» höchster, ew'ger Reine.

Den 24. März. Ob meine Rosalie wohl und vergnügt sei? — 3ch danke, du Bester, für dein Andenken und deine brüderliche Theilnahme: ihre Briefe versichern mir beides. Sie muß allerdings in ihrer beschränkten Lage auf manches Vergnüge« und gesellige Glück verzichten, in denen Mädchen ihres Alters sonst ihre größte Freude mit zu finden pflegen. Doch hält sie das keinesweges für «in« Entbehrung. Sie schlägt im Gegentheil das Glück, schon früh den Freund für ihr Leben gefunden zu haben, höher denn alles An­ dere an. Du Biederer fürchtest, daß meine geringen Gelder nichts hinreichen möchten, Alles das für sie zu thun, waS mein Herz wünscht; daß weder sie, noch ich in der Art wie bisher würden fortbestehen können; daß mir die Entsagung gewohnter Genüsse hart fallen werde, da ich mir namentlich jetzt Manches, woran ich sonst gewöhnt, würde versagen müssen. Wenn dem wirklich so Ware, Lieber, sollte dann, in diesem Falle, Entbehrung nicht süßer sein, als Genuß? Opfer

57 der Siete fallen nie schwer.

Du machst mich auf

DaS ist recht, da ich von

die Zukunft aufmerksam.

meinen Zinsen nicht leben kann, muß «S vom Capi­

tal« geschehen: aber darf ich dafür auch nicht hoffe»/

daß, eh« dirseS aufgezehrt sein wird, ein andere-, daich jetzt erwerbe, mir wuchern werde? Oder gibt mir

«twa die Kraft meines Geistes keine sichere Bürgschaft für die Zukunft? „Sehet die Vögel unter dem Him­ mel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln

nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater nähret sie doch.

sie?" Und:

Seid ihr denn nicht vielmehr, denn

„Schauet die Lilien auf dem Felde, wie

sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht." Wie wir doch so gerne von Allem Gebrauch machen, was in unsern Kram paßt.

O des sophistischen Her­

zens! Aber es sind dir denn doch immer Worte voll tiefer Herrlichkeit und Weisheit.

Es ist wahr, ich stehe im Begriff die Medicin

aufzugeben;

da sie weder meinen Geist befriedigt,

noch meinem Herzen zusagt; und ich überhaupt nicht der Mann für sie bin.

Du findest da- billig und

angemessen, räthst mir selbst dazu.

gut, irgend

Aber es sei doch

ein anderes Fach zu wählen; denn —

weinst du--------- Ich verstehe dich; ich weiß, was du

sagen willst: gut, so will ich mit’S denn auch zu Her.

zen nehmen.

58 Rein mein lieber, theurer Freund, fetzt nicht; ich bedarf Nichts, mir fehlt Nichts. Dein edles, wohl­ wollendes Anerbieten ehrt dich, und auch mich; aber jetzt nicht, jetzt vor allen Dingen nicht, ich entbehre ja noch Nicht-. Wenn es mal aufs äußerste gekom­ men ist, dann sollst du mir helfen, dann nehme ich ein Opfer von dir an; du sollst der Erste sein, den ich anspreche, sorge nicht, ich werde nicht an dir vorübergehn. Hier, meine Hand darauf. Du lobst mein Gedicht; wie freut es mich, daß es deine» Beifall hat. Du bedauerst, daß es zu subjectiv sei, da eS zu sehr die specielle Begebenheit im Auge habe, um allgemein recht verstanden zu werden. Lieber, als ich «S niederschrieb, hatte ich nicht die leiseste Ahnung davon, daß es je irgend einem Dritten nur wünschenswerth erscheinen könne, daß ich, außer dem nächsten Zwecke gute Menschen damit zu erfreuen, und mich vor ihnen zu rechtfertigen — noch einen höher», allgemeiner» möchte vor Augen gehabt haben. Und doch werden solche Lieder nicht selten die besten sein. Eine rasche Geburt des Augenblicks ist eS, weiter nichts. Geboren auf der Welle der Zeit, war es nicht bestimmt, von ihr weiter getragen und der nächsten übergeben zu werden; die kommende Woge überschlage sie und ihre kleine Geburt. Wohl tauchte einst Anadyomene aus feuchten Wellen auf; und aus den we­ senloser» der Zeit erstehen auch noch heut zu Tage

59 Geburten, ihr an Schönheit gleich, und wie sie un­

sterblich.

Aber selten!

Es ist wahr, ein glücklicher

Moment, und die Aufforderung, die in seinem Schooß«

lag, gebiert oft Größeres: einen edlern Entschluß, ei­ nen unsterblichern Gedanken, ein schöneres Lied, eine herrlichere That, als alle an Zeit kostspieligen Borbe­

reitungen nicht vermögen.

Aber bedarf dagegen die

liebe Saat, die uns nährt und stärkt im Brode, nicht des Winter-, Frühlings und Sommers, ehe sie gol­

den reift, und vor des Schnitters Sichel fällt; und die edle Eiche biszu ihrer höchsten Entwickelung oft

nicht Jahrhunderte? Du fragst mich auch, ob ich mit jenem jungen Manne noch in Berührung stehe, dessen ich mal in einem Brief an dich Erwähnung gethan, und kn dem

ich einen Freund zu finden vorgehofft.

Allerdings

das; wir correspondiren fleißig, und außer den freund­

schaftlichen Mittheilungen sind unser« Briefe meist wissenschaftlichen, doch auch wohl, wenn der Name für di« Sache nicht ei» wenig zu hoch klingen sollte,

mitunter philosophischen Inhalts.

Auch

überschickt

er mir von Zeit zu Zeit Lieder, di« von den schönste»

Anlagen zeugen.

Dabei tteibt er mit allem Ernste

die Jurisprudenz, stellt historische Forschungen an, und wird Herbst in sein« Heimach zurückkehren, auf dieser Reife mich besuchen, und dann sein Examen

machen.

Ich an seiner Stelle würde nur den Wissen-

60 schäften und den Musen leben, was denn