Stilkritische Interpretationen als Wege zur Attribuierung anonymer deutscher Prosatexte: (Eine Sammlung von Textinterpretationen) [Reprint 2021 ed.] 9783112483145, 9783112483138


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German Pages 110 [113] Year 1955

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Stilkritische Interpretationen als Wege zur Attribuierung anonymer deutscher Prosatexte: (Eine Sammlung von Textinterpretationen) [Reprint 2021 ed.]
 9783112483145, 9783112483138

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BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU L E I P Z I G Philo logisch-historische Band

FERDINAND

101 • Heft

JOSEF

Klasse 2

SCHNEIDER

S T I L K R I T I S C H E INTERPRETATIONEN ALS WEGE ZUR A T T R I B U I E R U N G ANONYMER DEUTSCHER PROSATEXTE (Eine Sammlung von Textinterpretationen)

1954

AKADEMIE-VERLAG•BERLIN

V o r g e l e g t i n der S i t z u n g v o m 4. Mai 1953 u n d v o r g e t r a g e n i n der S i t z u n g v o m 14. D e z e m b e r 1953 M a n u s k r i p t eingeliefert a m 6. J u n i 1953 D r u c k f e r t i g erklärt a m 11. D e z e m b e r 1 9 5 3

E r s c h i e n e n im Akademie-Verlag G m b H . , Berlin W 8 , M o h r e n s t r a ß e 39 V e r ö f f e n t l i c h t u n t e r d e r L i z e n z n u m m e r 1217 des A m t e s f ü r L i t e r a t u r u. Verlagswesen der D e u t s c h e n D e m o k r a t i s c h e n R e p u b l i k S a t z u n d D r u c k der B u c h d r u c k e r e i F . Mitzlaff, R u d o l s t a d t V / 1 4 / 7 Bestell- u n d V e r l a g s n u m m e r 2026/101/2 P r e i s : DM 4,50 P r i n t e d In G e r m a n y

V O R W O R T

Als ich 1935 „Deutsche Textproben für literaturwissenschaftliche Übungen" veröffentlicht hatte, wurde ich wiederholt gefragt, warum ich mich mit den im Vorwort zu meiner Sammlung gegebenen methodischen Hinweisen begnügt und nicht wenigstens an e i n e m Beispiel gezeigt hätte, wie ich mir eigentlich die Verwirklichung des empfohlenen Verfahrens denke. Diesem Verlangen komme ich — wenn auch sehr spät — mit vorliegender Arbeit oder, richtiger gesagt, neuen Sammlung nach. Eine der von mir dargebotenen versifizierten Textproben selbst auszulegen, versuchte ich allerdings schon in dem 1942 erschienenen Sammelwerk „Gedicht und Gedanke" 1 , worin sich mein kleiner Beitrag unter den übrigen ganz anders gearteten recht vereinsamt ausnahm. Im Titel nenne ich meine Interpretationen „stilkritisch" und nicht „stilistisch". Ich will sie dadurch von denen unterscheiden, die W I L H E L M SCHNEIDER in seinem ebenso anregenden wie fördernden Buch „Ausdruckswerte der deutschen Sprache" 2 vorgelegt hat. Er setzt darin drei Stufen für die Stilforschung an und betont, daß sein Buch nicht die höchste und letzte davon anstrebe, sondern auf der zweiten stehen bleibe. Als dritte Stufe bezeichnet er nämlich die, auf welcher die Ermittlungen über den Personalstil eines Schriftstellers in Zusammenhang gebracht werden sollen mit der Gattung des Werkes, mit seinem literarischen Zeitraum, mit dem Menschenund Künstlertyp und dem Stande des Dichters. Dieser Stilstufe kommt das, was ich unter „Stilkritik" verstehe, wohl 1 2

Gedicht und Gedanke, hg. v. H. O. BUKGEB, Halle a. S. [1942], S. 267—273. Leipzig u. Berlin 1931. 1*

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am nächsten; doch handelt es sich mir nicht wie W I L H E L M S C H N E I D E R um die Gewinnung sprachstilistischer Oberbegriffe, denen die auf der ersten und zweiten Stilstufe gewonnenen Erkenntnisse nun subsumiert werden sollten. Denn ich verstehe unter „Stil" von vornherein nicht nur den Stil in engerem Sinne, den Sprachstil, sondern auch den Kunststil oder das F o r m g e p r ä g e . Um mich noch deutlicher auszudrücken: meinem Verfahren leistet die nhd. Grammatik, die nhd. Stilistik, kurz, das Sprachstilistische genau so nur hilfswissenschaftliche Dienste wie die Geistesgeschichte, die Kultur- und Kunstgeschichte, die Stoff- und Motivgeschichte, die Wortgeschichte und die Ästhetik. Liefern mir alle diese Disziplinen, deren Zahl sich noch beliebig vermehren läßt, Stilkriterien zur Attribuierung anonymer Prosa, so werden sie mir höchst willkommen sein. Zu einem stufenweisen Vorgehen, das in der Stilforschung nach Art eines Chemikers zunächst einmal die formalen von den inhaltlichen Elementen sonderte, um nachher auf synthetischem Wege sozusagen künstliche Edelsteine zu gewinnen, konnte ich mich nicht entschließen. Denn ich bezweifle sogar, daß selbst auf der niedersten Stufe der Stilforschung ein untrügliches Stilbild zu erzielen ist, wenn man sich nur auf eine streng isolierende Behandlung der rein sprachstilistischen Elemente des Textes beschränkt. Natürlich läßt mein Standpunkt weder eine Unterscheidung zu zwischen den einzelnen von Stiltheoretikern stipulierten Stilarten und Stilbegriffen, noch auch eine scharfe Trennung von Gegenstands- und Stilanalyse, wie sie K A R L S C H U L T Z E JAHDE in seinem Buch „Ausdruckswerk und Stilbegriff" 1 befürwortete. Aber bei der von diesem Verfasser selbst zugegebenen engen Verbindung von Gegenstand und „Ausdrucksverfahren", wie er es nennt, dürfte sich eine solche Unterscheidung wohl auch gar nicht streng durchführen lassen; es sei denn, man wolle sich in die Klippen einer reinen Stilscholastik 1

Berlin 1930.

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verirren. Ähnlich liegt es wohl in Anbetracht der organischen Strukturiertheit des Stilphänomens auch mit einer durchgreifenden Sonderung des Personalstils vom Werkstil, und da mir in meiner Auslegungspraxis nun einmal das Probieren übers Studieren geht, lasse ich mich auch nicht durch theoretische Erwägungen über die zwischen Stil und Technik, Stil und Manier zu ziehenden Grenzen von meinem Vorstoß durch ästhetisches Urwaldgestrüpp abhalten. Ich rede besinnlicher Planung bei wissenschaftlichen Vorhaben gewiß gern das Wort; aber die neu einsetzende Stilforschung scheint sich mir durch ihr heißes Bemühen um Grundbegrifflichkeiten selbst Fußangeln zu legen, die sie am Fortkommen hindern. Meine Sammlung von 1935 entsprang einer Überzeugung, die sich in mir bald nach der Jahrhundertwende gefestigt hatte, und zwar mitten in dem wilden Rätselraten, das damals über den Verfasser der „Nachtwachen von Bonaventura" begonnen hatte. Es war die Überzeugung von der Rückständigkeit, die die Literaturwissenschaft auch in ihren besten Vertretern gegenüber einem Kunsthistoriker wie W Ö L F F L I N immer a n den Tag legte, sobald die Entwicklung des Fingerspitzengefühls f ü r feine und feinste Form- und Stilunterschiede in Frage kam. Nachher h a t sich in dieser Beziehung, besonders durch W A L Z E L S Bemühungen, gewiß manches gebessert; es ist uns heute wohl schon leichter, den Verfasser an seiner stilistischen Eigenart zu erkennen, wenn in dieser Hinsicht auch, wie J U L I U S P E T E R S E N gestehen muß 1 , der Literarhistoriker dem Kunst- und Musikhistoriker an Treffsicherheit immer noch nachsteht. Ich habe daher auch die vorliegende Sammlung von Textinterpretationen, analysierenden Stilcharakteristiken oder Stilkritiken, wiederum meinem einstigen Ziel der Attribuierung unterstellt. Die interpretierten Prosastücke sind alle anonym und meiner früheren Textsammlung entnommen; nur in zwei Fällen habe ich durch Auflösung einer Kontamination, durch 1

J. PETERSEN, Die Wissenschaft von der Dichtung, Berlin 1944, S. 204.

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Erweiterung und Kürzung an den Texten geändert. Daß ich meine Auslegungsversuche an Prosa von unterschiedlichem Kunstwert vornehme, erklärt sich daraus, daß nach meiner Meinung das „eigentliche Ziel aller Literaturwissenschaft" doch noch weiter gesteckt sein muß, als daß wir nur „begreifen, was uns ergreift"1. Obwohl ich im Vorwort zu meiner Textprobensammlung ausdrücklich gesagt hatte, daß die Ermittlung des Autors immer als Idealfall zu gelten hat und daß man sich häufig schon damit wird begnügen müssen, der literarischen Richtung nahegekommen zu sein, der der betreffende Schriftsteller angehört, wurde mir von gewisser Seite die Absicht unterschoben, ich wolle die Benützer meiner Sammlung auf die „Jagd nach dem Autor" dressieren. Das war verpönt genug zu einer Zeit, da man sich, angeregt durch W Ö L F F L I N S „Grundbegriffe", schon der Hoffnung hingab, eine „Literaturgeschichte ohne Namen" schaffen zu können. Eine gute Übersicht über die damals zu diesem Zweck bereits unternommenen Versuche findet man in P E T E E S E N S Buch „Die Wissenschaft von der Dichtung"2. Vorarbeiten für eine „Literaturgeschichte ohne Namen" wollen meine Auslegungsversuche, wie schon der ihnen zugedachte Titel besagt, gewiß nicht sein; aber wenn durch sie neben aufgedeckten Zügen individueller Kunstgestaltung auch solche typischer, neben Merkmalen des Personal- auch solche des Zeit- und Generationsstils erkennbar werden, so widerspricht dies meiner im Titel festgelegten Zielsetzung keineswegs, weil sich Attribuierung eben nicht gerade auf einen Verfasser zu erstrecken braucht, sondern auch auf Epochen und literarische Richtungen erstrecken kann, und Stilcharakteristik, die ich für das Element meines Verfahrens ansehe, auch andern Zwecken als denen der bloßen Attribuierung dienstbar zu machen ist. 1 E. STAIGER, Die Zeit als Einbildungskraft des Dichters, Zürich u. Leipzig [1939], S. 13. 2 S. 212 ff.

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Ich verkenne keineswegs die Grenzen, die heute noch meiner Interpretationsweise gesteckt sind, und die Schwierigkeiten, vor denen wir heute noch stehen, wenn wir, um mit P E T E R S E N ZU sprechen, den Schriftsteller aus seinem Stil heraus überführen wollen wie einen Verbrecher durch seinen Fingerabdruck1. Eine Ursache für unsere Rückständigkeit in dieser Beziehung sehe ich darin, daß man sich bei stilkritischen Untersuchungen bisher immer noch zu wenig an die deutsche P r o s a heranwagte. Die Einschränkung auf Lyrik mag für den Stilforscher bequem sein, für die Stilforschung ist sie entschieden nachteilig. Ich selbst will auch in den Fällen, in denen es mir nicht einmal gelingen sollte, einen ungefähren zeitlichen Ansatzpunkt für eine Textprobe zu gewinnen, den Zweck meiner Deutung schon erfüllt sehen, wenn durch sie eben die Kunst der S t i l C h a r a k t e r i s t i k etwas gefördert werden könnte. Freilich strebe ich eine Stilcharakteristik an, die bei der Analyse nicht in nüchternste Sachlichkeit verfällt, um sich gleich darauf wieder bis zu dichterischer Berauschtheit aufzuschwingen, die nicht in breit ausgesponnenen Reflexionen und grundsätzlichen Erwägungen versandet, die aber auch, unbeschadet ihres tieferen Eindringens in die Vorlage, eine allzu mikroskopische Sehweise vermeidet und sich so Plastik genug bewahrt, um die Ganzheit des Textes nicht völlig zu zerstören. Die Deutung eines dichterischen Gebildes wird, ob es sich dabei nun um ein Ganzes oder nur um dessen Teile handelt, ja immer zur leidigen Trennung von Geist und Form, von Inhaltlichem und Gestalthaftem zwingen; die Ungeschiedenheit von beiden wiederherzustellen, wird mehr oder weniger der Phantasiekraft und dem Einfühlungsvermögen des Lesers vorbehalten bleiben. Aber dessen Aufgabe in diesem Punkte nach Möglichkeit zu erleichtern, wird Sache der analysierenden Darstellung sein. Der Interpret eines Formgepräges wird daher weder bei der Zergliederung des rein Sprachstilistischen 1

Die Wissenschaft von der Dichtung, S. 203.

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verharren, noch bei der Ergründung von Gedanklichem den im Irrgarten einer modernen Philosophie herumtaumelnden Kavalier spielen dürfen! Sollte ich aber auch in dieser Hinsicht versagt haben, so will ich schon zufrieden sein, wenn durch meine Auslegungsversuche vielleicht auf einige in unserer Wissenschaft immer noch vorhandene offene Wunden der Finger gelegt wurde. Ich denke dabei gar nicht einmal an die nhd. Stilistik, deren Abhängigkeit von der antiken Rhetorik man nicht mit Unrecht, aber doch wohl auch etwas über Gebühr beklagt, auch nicht an die immer noch ausstehende Stilgescbichte: ganz im argen liegt doch noch die Wortgeschichte sowie die Geschichte der poetischen Vorstellungen. Fast überall, wo ich hier nach einer Stütze suchte, griff ich ins Leere. Ähnlich erging es mir mit den Wörterbüchern, und wenig Hilfe war auch bei der modernen Ästhetik zu finden. Was S C H U L T Z E - J A H D E an den auch ihn stark beeindruckenden Bildanalysen W Ö L F E L J N S ausstellen zu müssen glaubte, hätte ihn doch selbst davon überzeugen können, wie überflüssig sich theoretisch unleugbar berechtigte Subtilitäten erweisen, wenn sie für die Praxis der Stilkritik fruchtbar gemacht werden sollen. Und flüchtet man vom psychologisch fundierten Ästhetiker zum phänomenologisch orientierten, ergeht es einem nicht viel besser. So wußte ich, wenigstens für die vorliegenden Textproben, auch mit den an sich beherzigenswerten Fingerzeigen, die R O M A N I N G A R D E N S Buch „Das literarische Kunstwerk" 1 , vor allem hinsichtlich der jetzt stärker beachteten Perzeptionsformen, gibt, kaum etwas anzufangen. Die Stilcharakteristik wird immer die Grundlage des Attribuierungsverfahrens bilden; aber dort, wo eine anonyme Prosadichtung einer literarischen Epoche oder Zeitströmung zugeschrieben werden soll, wird, wie es auch in vorliegender Arbeit geschieht, mit der bloßen, aus rein systematischer Absicht geübten Stilcharakteristik, ein h i s t o r i s c h e r Gesichtspunkt zu 1

Halle a. S. 1931.

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verbinden sein und zugleich ein wertendes Verhalten des Charakterisierenden, das der Ausdruck S t i l k r i t i k kennzeichnet und mit dem die Stilcharakteristik a n sich nicht belastet zu sein braucht. Daß übrigens auch für diese eine historische Einstellung von Nutzen sein kann und daß für eine attribuierende Stilforschung die von E M I L S T A I G E R als veraltet und irreführend ausgegebenen methodischen Begriffe des „Erlebten" und „Erlernten" immer noch ihren hohen heuristischen Wert haben, steht für mich außer Zweifel. Auf die Frage, die der Züricher Literaturwissenschaftler im Zusammenhang mit seiner Abweisung der von S C H E E E R geprägten Begriffe und unter Berufung auf N I C O L A I H A R T M A N N S Anschauung vom Wesen des Geistes aufgeworfen hat, ob nämlich Interpretationen von Dichtungen nicht nur b e s c h r e i b e n , sondern auch e r k l ä r e n können, gehe ich nicht ein. Ich halte es aber keineswegs für ganz ausgeschlossen, daß die eine oder andere meiner Auslegungen auch etwas e r k l ä r t . Denn bei aller Würdigung der zwischen geistes- und naturwissenschaftlicher Begriffsbildung zu ziehenden Grenzen vermag ich mir, da nun einmal der Geist nicht an einen Astralleib gebunden ist, gerade künstlerisches Schaffen nicht außerhalb jeder kausalen Bedingtheit vorzustellen. Ich weiß, daß die Verschmelzung von systematischen und historischen Gesichtspunkten in meinen Interpretationen Anstoß erregen wird. Aber eben mit dem synkretistischen Charakter meines Verfahrens glaube ich eine Brücke zu der uns so nötigen S t i l g e s c h i c h t e zu schlagen. Eine reine Stilphänomenologie wird zu dieser jedenfalls ebensowenig führen können wie, nach J O S E F K Ö R N E R S 1 und auch meiner Ansicht, eine reine Literaturphänomenologie zur Literatur g e s c h i c h t e . Wenn daher E M I L STAIGER mit Geringschätzung aller geschichtlichen Betrachtung und Einordnung in seinem Buch „Die Zeit als Einbildungskraft des Dichters" über den Einwand, 1

DLZ 70. Jhg., Sp. 547 ff.

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er biete ja gar keine Literaturgeschichte mehr, sondern bestenfalls eine Phänomenologie der Literatur, mit der Bemerkung hinweggeht, ihn kümmere nicht so sehr der Name des Kindes, sondern er werde zufrieden sein, wenn es gesund ist1, so wäre hier doch wohl daran zu erinnern, daß der Name des Kindes auch besagt, ob es ein Knabe oder ein Mädchen ist. Die Auswahl der Textproben von 1935 war von mir mit weit weniger Sorgfalt vorgenommen worden, als man geglaubt hat. Ich wollte ja nicht Prosastücke und Versdichtung mit ganz unverkennbaren Stilmerkmalen bringen, sondern selbst erproben und von anderen erproben lassen, wie weit man auch bei einem ziemlich wahllos aus einem Ganzen herausgegriffenen Text, und noch dazu bei einem von geringem Umfange, auf dem von mir aufgezeigten Wege doch zu einer Attribuierung gelangen kann. Daß dies in einem immerhin beachtenswerten Ausmaße möglich ist, auch ohne daß man ein so kompliziertes „Filtersystem" anzuwenden braucht, wie es P E T E R S E N empfiehlt2, hoffe ich durch meine Interpretationen zu beweisen. Denn ich gehe in meinen Zweifeln an der Möglichkeit, auf stilkritischem Wege einen Autor zu ermitteln, doch auch keineswegs so weit wie W O L F G A I T G K A Y S E R , der den bloßen Indizienbeweis in der Stilkritik für noch mißlicher hält als in der Justiz und geradezu meint: „Wären alle Werke zwischen 1770 und 1832 anonym überliefert, so würde jeder Versuch scheitern, aus dem Chaos der Überlieferung die dem Individuum Goethe gehörigen herauszufinden"3. Freilich weiß ich, daß die von mir getroffenen Feststellungen zunächst eben nur auf das Formgepräge des analysierten Textausschnittes beziehbar sind; ob sie auch für die nicht wiedergegebenen Teile des Werkes oder gar für andere Werke desselben Autors gelten, wäre nur durch eine auf gleichem Wege vorzunehmende und weit über den E-ahmen der Textprobe hinausgreifende 1 2 3

S. 19. Die Wissenschaft von der Dichtung, S. 202. Das sprachliche Kunstwerk, Bern 1951, S. 287 f.

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Untersuchung zu ergründen. Selbstverständlich werden sich auch die an eine Stilcharakterisfcik oder Stilkritik zu stellenden Anforderungen verschieben müssen, sowie durch die Interpretation nicht nur das Formgepräge eines Textes einsichtig gemacht und dieser einer literarischen Zeitströmung, sondern darüber hinaus auch einer bestimmten Persönlichkeit zugewiesen werden soll. Man wird dann unter den ermittelten Stilkriterien gewiß nicht jene künstlerische Ausgewogenheit herzustellen brauchen, die ich dort, wo es nur u m die Veranschaulichung eines Formgepräges geht, für geboten halte. Einer so weit gespannten Attribuierungsabsicht wird dann auch eine mikroskopische Sehweise dienlich sein und ein energisches Herausarbeiten gerade d e r Stilmerkmale, mit deren Hilfe man am sichersten ans Ziel zu gelangen glaubt. Man kann mir natürlich einwenden, daß ich ja die Herkunft der zu analysierenden Prosastücke kenne und daß mir die Interpretation daher viel leichter sein müsse als einem, der über Werk und Autor nicht Bescheid weiß. Der Einwand ist berechtigt. Hier droht für die Einschätzung der Reichweite meines Verfahrens tatsächlich eine Fehlerquelle. Diesen subjektiven Faktor auszuschalten, war ich aber nach K r ä f t e n bemüht. Immer machte ich es mir zur Aufgabe, aus dem Text nur das herauszulesen, worauf bei vorauszusetzender Sorgfalt und literarhistorischer Orientierung eben auch ein anderer kommen konnte. Selbstredend wird ein anderer für die Attribuierung auch noch weitere Stilkriterien beibringen können. Wer sich für seine Interpretation andere Stützpunkte wählt als ich, wird möglicherweise sogar zu anderen Ergebnissen gelangen oder die meinigen wenigstens durch seine von einem andern Gesichtspunkt aus gewonnenen ergänzen können. So habe ich mich, wo ich auf die von W A L Z E L wieder zum Schlachtruf erhobene „wechselseitige Erhellung der K ü n s t e " zurückgriff, auf die bildende Kunst, vor allem auf die Malerei, gestützt. Wenn W O L F G A N G K A Y S E E eine Beeinflussung der

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Stilforschung durch die Kunstwissenschaft für nachteilig hält 1 , so kann ich ihm nur dann recht geben, wenn er bei dieser kunstwissenschaftlichen Orientierung an die überstürzte Ermittlung von „Grundbegriffen" und an W Ö L F F L I N S doch allzu formalistische Einstellung denkt. Wer über musikgeschichtliche und musiktheoretische Kenntnisse verfügt, wird vielleicht von dieser Seite her manches ausfindig machen können, was mir entgangen ist. Man wird mir vor allem vorhalten, daß ich keinen ausgiebigeren Gebrauch von der schallanalytischen Methode gemacht habe, wo doch gerade sie schon Jahrzehnte vorher von E D U A R D S I E V E R S ZU Attribuierungszwecken eifrigst gepflegt wurde. Glück und Ende dieser S i E V E R S S c h e n Bemühungen sind bekannt. Wie weit die Schallanalyse heute schon zu einem zuverlässigen Instrument der Stilkritik und Attribuierung gediehen ist, wage ich nicht zu entscheiden. Aber daß auch sie ein Hilfsmittel bei meinem Verfahren sein kann, steht außer Frage. Nur ist es nicht jedem gegeben, sich in der Schallanalyse zu versuchen. Durch die dazu erforderlichen Experimente wächst diese Methode schon über den Rahmen geisteswissenschaftlicher Forschung hinaus.

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Das sprachliche Kunstwerk, S. 28].

1. Inzwischen neigte sich die Sonne, als sie beim E i n t r i t t in einen kleinen Wald von Myrten- und Zitronenbäumen von einem versteckten Konzert, welches alle Arten der Singvögel nachahmte, empfangen wurden. Aus jedem Zweig, aus jedem 5 Blatte schien eine besondere Stimme hervorzudringen, so volltönig war diese Musik, die durch Nachahmung der kunstlosen N a t u r in der scheinbaren Unregelmäßigkeit phantasierender Töne die lieblichste Harmonie hervorbrachte, die m a n jemals gehört h a t t e . Die Dämmerung des heitersten Abends und die 10 eigne A n m u t des Orts vereinigten sich damit, diesem Lusthaine die Gestalt der Bezauberung zu geben. Danae, welche seit wenigen Wochen eine ganz neue Empfindlichkeit f ü r das Schöne der N a t u r und die Vergnügungen der Einbildungskraft bekommen h a t t e , sah ihren sich ganz unwissend stellenden Liebling mit 15 Augen an, welche ihm sagten, daß nur die Gegenwart des Hippias sie verhindere, ihre schönen Arme um seinen Hals zu werfen.

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Indem h ü p f t e unversehens eine Anzahl von kleinen Liebesgöttern und Faunen aus dem Hain hervor, jene von flatterndem, mit nachgeahmten Rosen durchwehtem Silberflor leicht bedeckt, diese nackend, außer daß ein Epheukranz, mit gelben Rosen durchflochten, ihre milchweißen H ü f t e n schürzte und um die kleinen vergoldeten Hörner sich wand, die aus ihren schwarzen, kurzlockigen Haaren hervorstachen. Alle diese kleinen Geniusse streuten aus zierlichen Körbchen von Silberd r a h t die schönsten Blumen vor Danae her u n d f ü h r t e n sie tanzend in die Mitte des Wäldchens, wo Gebüsche von Jasmin, Rosen und Akazien eine A r t von halbzirkelndem Amphitheater bildeten, unter welchem ein zierlicher Thron von Laubwerk u n d Blumenkränzen f ü r die schöne Danae bereitet stand. Nachdem sie sich hier gesetzt h a t t e , breiteten die Liebesgötter einen persischen Teppich vor ihr aus, indem von den kleinen F a u n e n einige beschäftigt waren, den Boden mit goldnen und kristallenen Trinkschalen von den schönsten Formen zu besetzen, andere unter der Last voller Schläuche mit possierlichen Gebärden herbeigekrochen kamen und im Vorbeigehen den weisen Hippias durch hundert mutwillige Spiele neckten. Auf einmal schlüpften die Grazien hinter einer Myrtenhecke hervor, drei jugendliche Schwestern, deren halb aufgeblühte

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Schönheit ein leichtes Gewölk von seidnem Flor mehr zu ent40 wickeln als zu verhüllen eifersüchtig schien. Sie umgaben ihre Gebieterin, und indem die erste einen frischen Blumenkranz um ihre schöne Stirn wand, reichten ihr die beiden andern kniend in goldnen Schalen die auserlesensten Früchte und Erfrischungen dar, während daß die Faunen den Hippias mit 45 Epheu kränzten und wohlriechende Salben über seine Glatze und seinen halbgrauen Bart heruntergossen. Beide bezeigten ihr Vergnügen über dieses kleine Schauspiel, welches das lachendste Gemälde von der Welt machte, als eine zärtliche Symphonie von Flöten, aus der Luft, wie es schien, 50 herabtönend, die Augen zu einer neuen Erscheinung aufmerksam machte. Die Liebesgötter, die Faunen und die Grazien waren verschwunden, und es öffnete sich, der Danae gegenüber, die waldige Szene, um auf einem goldnen Gewölke, welches über den Rosenbüschen von Zephyrn emporgehalten wurde, den 55 Liebesgott darzustellen. Ein schalkhaftes Lächeln, das sein liebliches Gesicht umscherzte, schien die Herzen zu warnen, sich von der tändelnden Unschuld dieses schönen Götterknaben nicht berücken zu lassen. Er sang mit der lieblichsten Stimme, und der Inhalt seines Gesangs drückte seine Freude aus, daß 60 er endlich Gelegenheit gefunden habe, sich an der schönen Danae zu rächen.

Die Textprobe enthält die Schilderung eines Gartenfestes, das die Griechin Danae ihrem ungenannten Liebling und dem wohl mit ihr befreundeten Hippias zu Ehren gibt. Im Mittelpunkt der Lustbarkeiten steht die unter Musik und Gesangbegleitung sich abspielende und auf eine Huldigung der Herrin hinauslaufende Pantomime. Alles ist hier auf Berückung oder „Bezauberung" der Sinne angelegt. Man verläßt sich dabei aber zum wenigsten auf stimmungweckende Mittel, die uns die Natur selbst an die Hand gibt —in diesem Falle die „Dämmerung des heitersten Abends" und die „eigne Anmut des Orts" —, sondern greift zu Mitteln von ausgesuchtestem Raffinement. Sehr bezeichnend dafür ist es schon, daß die die Gäste gleich bei ihrem Eintritt begrüßende Musik wohl den Gesang der Vögel nachahmt, ihn aber doch erst dadurch zu voller Wirkung bringt, daß sie eben der „kunstlosen Natur" nachhilft, indem sie in der „scheinbaren Unregelmäßigkeit phantasierender Töne die lieblichste Harmonie" gestaltet.

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Es ist, als wolle uns der Dichter schon durch die wiederholte Anwendung des Verbums „scheinen" immer wieder fühlbar machen, daß wir uns in einem Irrgarten von Illusionen befinden, in einer Welt des bloßen Scheins, aus der kein Weg in die des wirklichen Seins zurückführt. Die Unregelmäßigkeit der von der Musik intonierten Töne ist nur scheinbar, der seidne Flor scheint eifersüchtig zu sein, das schalkhafte Lächeln des Amor scheint nur zu warnen, aus jedem Blatt scheint eine besondere Stimme hervorzudringen und die Flötensymphonie scheint aus der L u f t herabzutönen. Daß man in diesem Falle die Herkunft des Sinnesreizes ebensowenig zu ergründen vermag wie den Ursprung des aus dem Blätterwerk hervordringenden imitierten Vogelkonzerts, zeigt, wie in dieser Schilderung eben alles durch Verborgen- und Versteckt-Sein so weit den Schleier des Geheimnisses annehmen soll, als es dazu dienen kann, Zuhörer und Zuschauer in einen wahren Märchenzauber zu versenken. Selbst Erscheinungen, die dem Auge sichtbar werden, tauchen zumeist derart unerwartet und plötzlich aus ihren Verstecken auf und ziehen sich dahin wohl auch wieder ebenso überraschend und behende zurück, daß auch sie wie die Gehörseindrücke den Gästen am Ende rätselh a f t werden können. So „hüpfen" die Amoretten und Faune „unversehens" aus dem Hain hervor, so „schlüpfen" die Grazien — gleich Eidechsen — hinter einer Myrtenhecke hervor, und beim Ertönen der scheinbar überirdischen Flötensymphonie sind alle diese Fabelwesen auch schon wieder ,,verschwunden". Der Grundton, auf den der Dichter seine Erzählung abgestimmt hat, ist maßvolle Heiterkeit, Vergnügen und Freude. Diese Stimmungselemente werden schon durch die von ihm gewählten Substantive und Epitheta unterstrichen. Da ist von der Dämmerung des „heitersten" Abends die Rede, von der „eignen A n m u t " des Ortes, vom „Lusthain", von „Vergnügungen der Einbildungskraft" und vom „Vergnügen" über ein kleines Schauspiel, das noch dazu das „lachendste Gemälde

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von der Welt" genannt wird, und der Gesang des Götterknaben drückt seine „Freude" darüber aus, sich an Danae rächen gekonnt zu haben. Der südlichen Landschaft entspricht die in ihr gedeihende Flora. Wir hören von Myrten- und Zitronenbäumen, stoßen auf Gebüsche von Jasmin, Rosen und Akazien, alles typische Rokokopflanzen, die mit ihrem Duft ebenso wie die von den Faunen ausgegossenen „wohlriechenden Salben", die durch landschaftliche Anmut, milde Abendstimmung, Musik, Gesang und das Schaugepränge der Pantomime erzeugten Sinnesreize durch neue erhöhen sollen. Was uns die Schilderung von dem Gefühl des Dichters für Dimension und Proportion, Form und stoffliche Qualität ahnen läßt, ist so eindeutig, daß sich daraus der Epochencharakter der Textprobe schon von selbst ergibt. Die Blickweite des Erzählers bleibt infolge seiner wohl stark sensualistischen Veranlagung auf die unmittelbaren Eindrücke beschränkt, und die seelischen Schwingungen, die sich daran knüpfen, sind, soweit sie im Texte überhaupt bemerkbar werden, augenscheinlich doch zu schwach, um sich von den Objekten, durch die sie hervorgerufen wurden, auf größere Entfernungen, geschweige denn über Raum und Zeit hinaus loslösen zu können. Freilich ließe sich dergleichen auch nur von einer Gefühlshaltung erwarten, die der unseres Dichters diametral entgegengesetzt wäre. Denn für das Große, Weiträumige, Wuchtige, Robuste fehlt ihm anscheinend jede Empfänglichkeit, wie schon die von ihm für seine Schilderung verwendete Attribuierungsskala beweist. Sie läßt nur den Schluß zu auf eine allerdings fast leidenschaftlich zu nennende e m p f i n d s a m e Neigung für das Anmutige, Kleine, Filigrane, Graziöse, Sanfte und Weiche: kurz auf einen Geschmack, wie er der „Empfindlichkeit für das Schöne" entspricht, die auch der Gastgeberin eigen sein soll. Klein ist der Wald, klein sind die Geniusse, die Amoretten und Faune, klein die Hörner der letzteren, klein auch das vor Danae sich entfaltende Schauspiel; außerdem deuten

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zwei Diminutive an, daß wir es auch bei den von ihnen bezeichneten Gegenständen mit Miniaturgebilden zu tun haben. Zierlich sind die Körbchen der Faune, zierlich ist auch der Thron der Danae. Zärtlich ist die aus den Lüften herabtönende Flötensymphonie, lieblich die Harmonie des imitierten Vogelkonzerts, lieblich das Gesicht des Amor, lieblich seine Stimme. Dazu scheint alles, was an mythischen Gestalten und Requisiten dieser Welt der Illusionen angehört, der Schwere beraubt zu sein, wenn nicht gar in Duft sich auflösen zu wollen. Die Liebesgötter sind von einem flatternden, mit nachgeahmten Rosen durchwebten Silber/Zo/ leicht bedeckt, die Grazien umgibt ein,,,leichtes Gewölk von seidnem Flor'', und den Amor trägt ein vonZephyren über Rosengebüschen emporgehaltenes „Gewölke". Besonders bezeichnend für das Formgefühl dieses Dichters ist seine Flucht in die gebogene, halbkreis- oder kreisförmige Linie. Wo immer er nur kann, prägt er sie den von ihm beschriebenen Natur- und Kunstgebilden ein. Nicht zuletzt ist es wohl auch auf diesen für den Menschen der Rokokozeit so charakteristischen Formsinn zurückzuführen, wenn der in unserem Text geschilderte Dekor zum giößten Teil aus Blumengewinden besteht. So schürzt ein EpheuÄrimz die Hüften der Faune und windet sich um ihre Hörner. Der Thron der Danae ist aus Laubwerk und Blumenkränzen errichtet, die eine Grazie windet um die Stirne ihrer Gebieterin einen Blumenkranz, und die Faune bekränzen wieder den Hippias. Ihre Haare aber sind nicht glatt oder struppig, sondern kurz lockig, also geringelt, und die Gebüsche bilden in rokokohafter Zustutzung eine Art von halbzirkelndem Amphitheater. Selbst wenn der Erzähler, um die Auswirkung des Lächelns auf einem menschlichen Antlitz zu veranschaulichen, zu einem Verbalkompositum greift, unter dem sich wieder eine Verbalmetapher verbirgt, schreibt der erste Kompositionsbestandteil — eine richtungweisende Präposition — der vom Zeitwort ausgedrückten Tätigkeit die kreisförmige Bahn vor: „Ein schalkhaftes Lächeln, das sein liebliches Gesicht «»¿scherzte". Schneider

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Daß die Hingabe an rokokohafte Verniedlichimg und Verzärtlichung 1 , besonders wenn mit ihnen gleichzeitig Heiterkeit verbunden sein soll, leicht den Eindruck des Spielerischen und Tändelnden zum vorherrschenden machen kann, dafür bietet unsere Textprobe auch Belege. Die kleinen Geniusse hüpfen und führen tanzend Danae in die Mitte des Wäldchens, und das Gebaren des Amor gibt der Dichter mit süffisantem Lächeln als ,,tändelnde Unschuld" aus. Aber das Spielerische ist in dem Texte nicht bloß an den Wortgebrauch gebunden, sondern wird gleichzeitig von einer erfrischenden Situationskomik unterstützt. Denn auch auf diese und nicht nur auf sinnbetörende Augenweide hat es die Schilderung des Gartenfestes abgesehen. So mischt sich unter den Aufführungspomp ein niedliches Genrebild: die kleinen Faune, die mit „possierlichen Gebärden" unter der Last der zu ihrer Körpergröße in keinem Verhältnis stehenden vollen Schläuche herbeigekrochen kommen, im Vorbeigehen Hippias durch „hundert mutwillige Spiele" necken und ihm sogar Salben über die Glatze und den Bart gießen: eine Szene, deren humorvolle Wirkung noch dadurch erhöht wird, daß die kleinen Übeltäter den Alten ja auch bekränzen, ihm demnach eine Huldigung erweisen, die eine Parodie auf die gleichzeitig der Danae dargebrachte ist. Man kann die in der Textprobe enthaltene Schilderung eigentlich nicht farbig nennen. Jedenfalls zeigt sie von der in der Romantik aufkommenden Freude an koloristischer Nuancierung noch keine Spur; dagegen sticht an ihr die für das Rokoko wiederum typische Empfänglichkeit für zartes und glänzendes Kolorit hervor. So sind die Hüften der Faune milchweiß, gelbe Rosen durchflechten den Epheukranz, und 1 W I L H E L M S C H N E I D E R spricht in seinem Buche: Ausdruckswerte der deutschen Sprache, Leipzig u. Berlin 1931, S. 113 ff. vom „mindernden Stil". Ich wähle die Bezeichnungen „Verniedlichung" und „Verzärtlichung", weil es mir auf den Epochencharakter und nicht auf die Kategorie des Stiles ankommt.

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halbgrau ist der Bart des Hippias. Damit ist aber das Kolorit der Textprobe auch schon im -wesentlichen erschöpft. Sattere und dunklere Farben fehlen. Die Vorstellung davon wird in uns höchstens assoziativ wachgerufen durch eine andere Vorstellung, die sich an einen im Text erwähnten Gegenstand knüpft. So haben wir uns die Blüten der Rosengebüsche wohl als rot oder rosa, vielleicht aber auch nur wieder als gelb zu denken, und der Epheukranz mit seinem Graugrün oder Blaugrün wird von unserer Phantasie unwillkürlich in Kontrast gebracht zu den gelben Rosen, mit denen er durchflochten ist. Und wenn die Haare der Faune als „schwarz" bezeichnet werden, diesmal also der dunkelste Farbton genannt wird, so soll sich zwischen ihnen und den milchweißen Hüften und vergoldeten Hörnern der Fabelwesen eben wieder ein Kontrast ergeben. Dagegen schwelgt der Dichter geradezu im Schimmer und Flitter metallischen Glanzes. Seine Empfänglichkeit f ü r Gold und Silber ist für sein Farbenempfinden nicht minder typisch, als es seine Vorliebe für die gewundene, kreis- oder halbkreisförmige Linie für sein Formgefühl war. Mit einem Silberflor sind die Amoretten bedeckt und aus SilberAsaht die Körbchen der Geniusse gefertigt; vergoldet sind die Hörner der Faune s welch letztere auch damit beschäftigt sind, den Boden mit goldnen und kristallenen Trinkschalen zu besetzen. I n goldnen Schalen reichen die Grazien ihrer Gebieterin die Früchte dar, und auf einem goldnen Gewölke präsentiert sich der Liebesgott. Daß mit diesem Aufgebot edelmetallischer Substanz natürlich zugleich der Eindruck einer prunkhaften Lebenshaltung erzeugt werden soll, dafür spricht auch die Ausbreitung des „persischen Teppichs" vor dem Thron der Danae. Vielleicht ließe sich noch das eine oder andere innere und äußere Merkmal entdecken, auf Grund dessen man unsere Textprobe wiederum der Stilepoche des Rokoko zuweisen könnte. So muß man an B A T T E U X denken, der noch nicht Nachahmung der Natur schlechthin, sondern Nachahmung der „schönen" 9*

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Natur empfahl, aber auch an S H A F T E S B U R Y , für den Einheit in der Mannigfaltigkeit metaphysischer Grundsatz war, wenn erst die lieblichste Harmonie in die Unregelmäßigkeit phantasierender Töne gebracht werden muß, damit die Musik des imitierten Vogelkonzerts bezaubert. Auch fehlt in der Textprobe natürlich der mit dem Reiz des Halbverhüllten spekulierende erotische Einschlag nicht, der in stilechten Dichtungen der Rokokozeit zur Hervorbringung des Graziösen für unerläßlich galt. In leiser Andeutung und mit einer stilistischen Geschraubtheit, der man das bewußte Ausbiegen vor unverhohlener Benennung anmerkt, bedient sich der Erzähler dieses Moments, wenn er die drei jugendlichen Schwestern einführt, „deren halb aufgeblühte Schönheit ein leichtes Gewölk von seidnem Flor mehr zu entwickeln als zu verhüllen eifersüchtig schien". Hingewiesen sei auch auf die scheinbar aus überirdischen Sphären kommende Flötensymphonie. Einem Zeitalter, wie dem Rokoko, das sich in der Dichtung, vor allem in der Lyrik, noch immer nicht von den leidigen Schäfereien emanzipiert hatte, für die die Hirtenflöte und die Syrinx des Fauns nahezu symbolhafte Attribute waren, mußte natürlich die Flöte ebenso zum Lieblingsinstrument werden, wie später das Waldhorn der vom Waldeszauber bestrickten Romantik. Bei den Beziehungen, die wir bereits zwischen unserem Text und der bildenden Kunst des Rokoko herstellen konnten, fällt es gewiß nicht auf, wenn sich der Dichter dort, wo sich seine Schilderung zu einem ruhenden Gruppenbild verdichtet, auch wieder an die Skulptur und Malerei seiner Zeit anlehnt. So zeigt die Huldigungsszene der Danae den für den klassizistischen Stil seit der Renaissance typischen pyramidalen Aufbau: die Gebieterin auf dem Throne sitzend, hinter ihr eine Grazie, die der schönen Frau den Kranz um die Stirne legt, und zu den Füßen Danaes, wohl rechts und links zu denken, die beiden anderen Grazien, knieend ihr die Schalen reichend. Und die Apparition des Amor auf einem von Zephyren über Rosengebüschen emporgehaltenen Gewölk könnte

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dem Decken- oder Wandgemälde oder auch der verkleidung eines Rokokosaals abgesehen sein.

21 Gobelin-

Es lag einem Dichter, der doch sicher ein Anhänger S H A F T E S und des von diesem wiedererweckten KalokagathieIdeals war, natürlich nahe, in allem, was er schilderte, Schönheit zum Ausdruck zu bringen. Nimmt man den schon dem Greisenalter sich nähernden Hippias aus, so ist Danae, die nicht nur selbst das Prädikat „schön" erhält, sondern deren Arme und Stirn auch „schön" genannt werden, nur von strahlender Jugend umgeben. Selbst die Faune sind jung, und so, wie sie sich in dieser pseudoantiken Welt zeigen, gleichen sie mehr Putten auf Barock- und Rokokogemälden als ziegenfüßigen Waldbewohnern. Mit dem Attribut „schön" hat der Erzähler freilich kein Merkmal von besonders individualisierender Schärfe aufgegriffen. Und dieser Mangel wird dem Beiwort auch nicht ersetzt, wenn es, wie es hier zweimal geschieht, im Superlativ gebraucht wird. Auch d e m fehlt dann eben die fühlbar steigernde Kraft. Vor Danae werden die „schönsten" Blumen hingestreut, und vor ihr werden Trinkschalen von den „schönsten" Formen hingesetzt. Dieser Wunsch, Epitheten, die man vielleicht schon selbst als etwas abgegriffen empfand oder deren schwachen Differenzierungswert man verspürte, durch Superlative Steigerung aufzuhelfen, ist charakteristisch für den Stil unseres Erzählers und vielleicht den seiner Zeit überhaupt. So ist in unserem Text ja auch vom „heitersten" Abend, von der „lieblichsten" Harmonie und von der „lieblichsten" Stimme die Rede, von den „auserlesensten" Früchten und vom „lachendsten" Gemälde von der Welt. BUP.YS

Die Textprobe ist, was schon die Eigennamen „Agathon" entnommen.

WIELAXDS

verraten,

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2. Er mußte über sich selber lachen, da er am Ende nicht wußte, wem er das Ständchen brachte. Denn die reizende Kleine mit dem Blumenkranze war es lange nicht mehr, die er eigentlich meinte. Die Musik bei den Zelten, der Traum auf seinem Zimmer 5 und sein die Klänge und den Traum und die zierliche Erscheinung des Mädchens nachträumendes Herz h a t t e ihr Bild unmerklich und wundersam verwandelt in ein viel schöneres, größeres und herrlicheres, wie er es noch nirgend gesehen. So in Gedanken schritt er noch lange fort, als er unerwartet 10 bei einem großen, von hohen Bäumen rings umgebenen Weiher anlangte. Der Mond, der eben über die Wipfel t r a t , beleuchtete scharf ein marmornes Venusbild, das dort dicht am Ufer auf einem Steine stand, als wäre die Göttin soeben erst aus den Wellen aufgetaucht und betrachte nun, selber verzaubert, das 15 Bild der eigenen Schönheit, das der trunkene Wasserspiegel zwischen den leise aus dem Grunde aufblühenden Sternen widerstrahlte. Einige Schwäne beschrieben still ihre einförmigen Kreise um das Bild, ein leises Rauschen ging durch die Bäume ringsumher. 20 Florio stand wie eingewurzelt im Schauen, denn ihm kam jenes Bild wie eine lang gesuchte, nun plötzlich erkannte Geliebte vor, wie eine Wunderblume, aus der Frühlingsdämmerung und träumerischen Stille seiner frühesten Jugend heraufgewachsen. J e länger er hinsah, je mehr schien es ihm, als schlüge es 25 die seelenvollen Augen langsam auf, als wollten sich die Lippen bewegen zum Gruße, als blühe Leben wie ein lieblicher Gesang erwärmend durch die schönen Glieder herauf. E r hielt die Augen lange geschlossen vor Blendung, W e h m u t und Entzücken. — Als er wieder aufblickte, schien auf einmal alles wie ver30 wandelt. Der Mond sah seltsam zwischen Wolken hervor, ein stärkerer Wind kräuselte den Weiher in t r ü b e Wellen, das Venusbild, so fürchterlich weiß und regungslos, sah ihn f a s t schreckhaft mit den steinernen Augenhöhlen aus der grenzenlosen Stille an. E i n nie gefühltes Grausen überfiel da den 35 Jüngling. E r verließ schnell den Ort, und immer schneller und ohne auszuruhen eilte er durch die Gärten und Weinberge wieder fort, der ruhigen S t a d t zu; denn auch das Rauschen der Bäume kam ihm nun wie ein verständiges, vernehmliches Geflüster vor, und die langen gespenstischen Pappeln schienen mit ihren weit10 gestreckten Schatten hinter ihm drein zu langen.

Die Textprobe gliedert sich in vier Abschnitte. Von ihnen erzählt der erste, wie der junge Florio. der sich offenbar auf einer nächtlichen Wanderung befindet, durch die bei einem

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Feste gehörte Musik, durch einen Traum, den er im Schlafe auf seinem Zimmer hatte, und durch die Erinnerung an die Musik wie auch an den Traum in eine geistige Verfassung versetzt wurde, die ihn ein zierliches Mädchen, dem er begegnet war, schon bis zu einem jenseits aller Wirklichkeit liegenden Grade von Vollkommenheit verklären läßt. Der Dichter motiviert damit, wie sein Held in den folgenden zwei Abschnitten nun auch der Verzauberung durch ein anderes weibliches Wesen rasch erliegt. Aus seiner Berückung wird er erst im Schlußabschnitt der Textprobe jäh gerissen. Florio wird vom Erzähler aber nicht etwa in ein Märchenland entführt. Was er auf seiner Wanderung erblickt, ist ein Bild, wie es sich auch jedem anderen Besucher einer gepflegten Parklandschaft darbieten kann. Von einem sternklaren Himmel überwölbt, liegt vor dem Jüngling ein stiller, von hohen Bäumen umsäumter Weiher mit schwimmenden Schwänen, und dicht an seinem Ufer steht auf einem Steine eine marmorne Venusstatue, die, von dem eben über die Wipfel steigenden Mond beleuchtet, hell erglänzt. Die uns vom Dichter vor Augen gestellte Vedute ist, da in ihr der Weiher dominiert, von ausgesprochener Flächen- und Horizontalwirkung. Zugleich wird der Blick des Beobachters in die Runde geführt.: von der Form des Weihers, von der kreisenden Bewegung der schwimmenden Schwäne und auch von den „hohen" Bäumen, die, einzeln vorgestellt, ebenso wie die Venusstatue gewiß eine Vertikale in das Ganze legen könnten, die aber in ihrer Totalität doch die Umsäumung des Weihers bilden und daher die Betonung der runden Linie nicht stören. Nur die Art, wie sich dieser an sich nicht ungewöhnliche Landschaftsausschnitt der Schau des schwärmerischen Florio aufdrängt, erweckt den Anschein, als stünde hier alles im unentrinnbaren Banne einer dämonischen Magie. Selbst das Venusbild, das man für die Quelle der zauberischen Wirkung ansehen könnte, betrachtet sich „selber verzaubert" im Wasser, wie es ja nachher auch den nächtlichen Wanderer im Stadium von dessen Entzauberung

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nicht etwa „erschreckend", sondern „fast schreckhaft", also im passiven Zustand anstarrt wie ein von der Entzauberung selbst mit ergriffenes Wesen. Und was sonst in diesem umfriedeten Bezirk als Lebendiges seelischen Impulsen gehorcht, scheint seinen Willen eingebüßt zu haben. Der Wasserspiegel wird vom Dichter personifiziert, wenn er als „trunken" vom Anblick der weiblichen Schönheit ausgegeben wird; aber in seinem besinnungs- und regungslosen Zustand ist das Naturobjekt auch schon wieder entpersönlicht. Florio steht „wie eingewurzelt", und die Schwäne ziehen um das Bild ihre „einförmigen" Kreise, so wie kleinere Himmelskörper die ihrigen um die größeren ziehen. Was hier anscheinend einer magischen K r a f t untersteht, ist jeder Einwirkung von außen entrückt. Es vollzieht sich in o r g a n i s c h e r Entfaltung wie das Wachstum der Pflanze von u n t e n , aus geheimnisvoller Tiefe her. Die Göttin scheint aus den Wellen emporgetaucht zu sein; die Sterne spiegeln sich nicht etwa im Wasser, sondern „blühen" aus „dem Grunde" auf; auch das Venusbild selbst kommt dem Beschauer wie eine „Wunderblume" vor, aus der Frühlingsdämmerung seiner frühesten Jugend „heraufgewachsen", und durch die schönen Glieder der Statue scheint Leben „herauf" zu blühen. Die vom Dichter gebrauchten Epitheta machen uns bewußt, wie in dieser von Magie beherrschten Welt alles Geräuschvolle und J ä h e ausgeschaltet bleiben muß. Die Sterne blühen „leise" auf, die Schwäne beschreiben „still" ihre Kreise, ein „leises" Rauschen geht durch die Bäume, die Wunderblume, der das Bild der Göttin gleicht, wächst aus der „träumerischen Stille" von Florios Jugend herauf; „langsam" nur scheint das Marmorbild die Augen aufzuschlagen, wobei den Dichter das sich entfaltende Leben in den Gliedern der Göttin wie ein „lieblicher Gesang" dünkt. Nicht unwesentlich für die Erzeugung des Stimmungsgehaltes der Textprobe ist es, daß auch in ihrer grammatischen Struktur die Gipfelpunkte pathetischer Stilansehwellung mit den Höhe-

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punkten von Florios Berückung zusammenfallen. So wird die träumerische Schilderung des in einer an sich magischen Beleuchtung stehenden Venusbildes und seiner nächsten Umgebung in einer Periode wiedergegeben und das fiktive Erwachen der Statue zum Leben in drei vergleichenden Bedingungssätzen, die parallel zueinander angeordnet und von der Partikel „als" eingeleitet sind, und die Prosa der beiden ersten Abschnitte, vor allem aber die des dritten, ist auch auf kürzere oder längere Strecken hinaus rhythmisch in zwei- und dreisilbige Takte gegliedert. Einer besonderen Untersuchung bedürfte es, um festzustellen, wie das Vokalkolorit und ein alliterierender Konsonantismus, der nachher im vierten Abschnitt die Wörter Wolken, Wind, Weiher und Wellen miteinander verbindet, auch in den bisherigen Teilen des Textes schon die Sprachmelodie mitbestimmt, welche Funktion in dieser Hinsicht etwa in dem Satze: „Einige Schwäne beschrieben still ihre einförmigen Kreise um das Bild, ein leises Rauschen ging durch die Bäume ringsumher" die aufschnellenden i-Laute haben inmitten der durch den a-Umlaut und die ins Ohr fallenden Diphthonge ei und äu erzielten flächigen Breite. Nachzuprüfen wäre auch, wie oft in der Textprobe ein tieferer Einklang zwischen Gedanklichkeit und Schallform hergestellt ist. So sinkt die Sprachmelodie von ihrer in den Worten „das Bild der eigenen Schönheit" erreichten Gipfelbreite mit den Worten „das der trunkene" doch rasch ab, um freilich auch schon mit der Vokalfolge in dem Wort „Wasserspiegel" wieder zu einem Wellenberg anzusteigen, der sich in den unmittelbar daran anschließenden Worten „zwischen den leise" noch auf ungefähr gleicher Kammhöhe erhält. Aber im Satzende beobachten wir bei den Worten „aus dem Grunde" abermals das Abgleiten der Sprachmelodie zu einem Wellental; doch staut sie sich in den Schlußworten „aufblühenden Sternen widerstrahlte" neuerlich zur Höhe an, um eben dem Gedanken des Emporwachsens aus der Tiefe herauf auch lautsymbolisch Ausdruck zu geben. Oder es wird

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innerhalb des ersten jener Parallelsätze, die uns auf den Höhepunkt von Florios Sinnestäuschung führen: „ J e länger er hinsah, je mehr schien es ihm, als schlüge es die seelenvollen Augen langsam a u i " , durch die Aneinanderreihung der hellen e- und i-Laute auch ein kräftiger Anstieg der Satzmelodie bewirkt, dem dann schon mit dem Worte „seelenvollen" ein merkliches Absinken folgt. Festzustellen wäre endlich, welche Klangwirkung dem in anderen Teilen des Textes wieder hörbaren Wechsel von offenen und geschlossenen u- und ü-Lauten zukommt. Wie der Eintritt des Verzauberungsvorganges mit dem Adverb „unerwartet" eingeleitet wurde, hebt auch die Entzauberung „auf einmal" an. Entzauberung freilich nicht in dem Sinne, daß nun Florio völlig der Erde wiedergegeben wäre. Er bewegt sich geistig immer noch in einer Welt der Unwirklichkeit. Darauf deutet schon das „schien" am Eingang des Schlußabschnittes und das „schienen" in seinem letzten Satze hin, desgleichen die Wendung: „kam ihm nun . . . vor", gar nicht zu gedenken der seelischen Verfassung, in die jetzt der aus seiner Kontemplation Aufgestörte gerät und die ihn die Pappeln als „gespenstisch" empfinden und in ihren Schatten haschende Verfolger sehen läßt. Von Entzauberung kann hier nur insofern die Rede sein, als der Jüngling vom Nu ruinösen oder Mysteriösen nicht mehr das „Fascinans", sondern das „Tremendum" zu spüren bekommt. Der organische Zusammenhang, in dem sich die voraufgehende Vision entfaltete, ist nun völlig zerrissen wie auch die in ihr herrschende Stimmung. Fühlten wir uns eben noch selbst durch einen Satzrhythmus, der mit den Wendungen: „als schlüge es die seelenvollen Augen langsam auf", „als blühe Leben wie ein lieblicher Gesang erwärmend durch die schönen Glieder" ausgesprochen jambischen Tonfall annimmt, wie in Träumen gewiegt; betonte der Schlußsatz der vorletzten Textpartie mit der durch Inversion an sein Ende gerückten und wiederum jambisch getönten Wortfolge „vor Blendung, Wehmut und Entzücken"

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den rauschhaften Zustand des von dämonischer Magie umsponnenen Florio, so erhält nun die weitere Schilderung schon durch die asyndetisch verbundenen Hauptsätze ein ganz anderes Tempo. Alles schien „wie verwandelt", sagt der Text, alles ist geradezu in sein Gegenteil verkehrt, sagen w i r . Der Mond sieht zwischen Wolken „seltsam" hervor. Man beachte den klangphonetischen und rhythmischen Unterschied zwischen dem zweisilbigen „se/feam" und dem dreisilbigen „wundersam", mit dem zu Anfang der Textprobe der seinen Traum nachträumende Florio das verwandelte Bild des zierlichen Mädchens bezeichnete! Der Weiher, der früher einen „trunkenen" Wasserspiegel h a t t e und die auf seiner Oberfläche ruhenden Sterne zeigte, wird nun durch einen stärkeren Wind „in trübe Wellen" gekräuselt, und das Venusbild, das bei aufsteigendem Mond in seiner vollen Anadyomene-Schönheit erschaut wurde und hierauf Lebenswärme anzunehmen und die Lippen zum Gruße zu bewegen schien, kommt jetzt Florio „so fürchterlich weiß und regungslos" vor. Es blickt ihn seinerseits „fast schreckhaft" mit „den steinernen Augenhöhlen" an. Die träumerische Stille ist zu einer „grenzenlosen" geworden, wird also nicht mehr berückend, sondern bedrückend empfunden. Und wie das „auf einmal" zu Eingang des Schlußabschnittes die Plötzlichkeit der sich nun vollziehenden Vorgänge ankündigte, so b e s c h l e i c h t jetzt den Jüngling auch nicht, sondern „ü b e r f ä l l t " ihn „ein nie gefühltes Grausen". Das in den nächsten Sätzen sich einstellende Polysyndeton unterstützt die Schilderung der fliegenden Hast des von panischem Schrecken ergriffenen Florio. Er eilt „schnell" und „immer schneller und ohne auszuruhen" der Stadt zu, die er ehedem „in Gedanken" dahinschreitend verlassen hatte und die er jetzt „ruhig" nennt, nachdem er vorher Ruhe außerhalb ihrer Mauern gefunden hatte. Selbst das Rauschen der Bäume hat nun nichts mehr von der einschläfernden Wirkung des früheren „leisen Rauschens" an sich, sondern etwas Rationales. Es ist ein „verständiges,

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vernehmliches Geflüster", so etwa wie das im Dunkeln wahrgenommene von Verschwörerstimmen, und mit den „langen" Pappeln und ihren „weitgestreckten", dem Fliehenden nachgreifenden Schatten wird eine Vorstellung von stärkster Vertikal- und Längswirkung geweckt, die in uns das von magischer Ruhe erfüllte und auf Horizontal- und Flächenwirkung angelegte Bild des nächtlichen Weihers ganz auszulöschen vermag. Die nach ihrem Stimmungsgehalt und ihrem Stil lyrisch zu nennende Textprobe gehört ohne Frage einer Zeit an, da die deutsche Dichtersprache in ihrer Entwicklung bereits eine hohe Geschmeidigkeit erreicht h a t t e und schon ein Instrument zur Schilderung seelischer Dämmerungen und visionären Traumlebens geworden war. Man darf wohl annehmen, daß eine melodiöse Wendung wie die: „aus der Frühlingsdämmerung und träumerischen Stille seiner frühesten Jugend heraufgewachsen" in der deutschen Prosa v o r dem Erscheinen der großen Romane J K A X P A U L S nicht möglich war. Es muß sich ferner um eine Epoche handeln, in der man das Dämonisch-Grausige nicht mehr nur roh-sinnlich, sozusagen popanzartig, in der Dichtung verwertete, wie noch in den Geisterromanen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, sondern da man es schon mit dem seelischen Erleben in tiefen Einklang zu bringen wußte, da man bereits wie G O E T H E in den „Wahlverwandtschaften" es schon wagen konnte, seelische Verhältnisse mit Naturvorgängen in Proportion zu setzen, da man schon über ganz neue „Ansichten von der Nachtseite der N a t u r " verfügte, wie der bezeichnende Titel eines 1808 erschienenen Werkes des romantischen Naturphilosophen G O T T H I L F H E I X R I C H S C H U B E R T lautet. Auf romantische Geisteswelt deutet ja auch schon der Traum hin, der gleich anfangs der Textprobe den Helden auf seine spätere Traumverlorenheit vorbereiten hilft und der von diesem, da er ihn auch im wachen Zustand noch nachträumt, doppelt genossen wird, als „Traum des Traums", um mich eines der den Romantikern so geläufigen potenzierenden Genitive zu

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bedienen 1 . Auch können uns schon Wörter wie „wundersam", „seltsam", „verzaubert", „Wunderblume" Wegweiser zur zeitlichen Bestimmung des Textes sein; denn gerade in ihnen, die direkte Bezeichnungen des Wunderbaren sind, glaubte man charakteristische Merkmale für die „Mystik" des romantischen Stils gefunden zu haben 2 . Bei dem Vergleich der langgesuchten und plötzlich erkannten Geliebten mit der „Wunderblume" denkt man natürlich zunächst an die blaue Blume in N O V A L I S ' „Heinrich von Ofterdingen"; doch scheint hier auch das Motiv der prädestinierten Liebe anzuklingen. Diese letztlich auf P L A T O zurückgehende Vorstellung war auch in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts schon heimisch, wofür hier nur als Beispiel S C H I L L E R S Anthologiegedicht „Das Geheimnis der Reminiszenz" erwähnt sei. Aber gerade dieses Motiv gewann in der Romantik neue Bedeutung, da es jetzt auch Z A C H A R I A S W E R N E R aufgriff und als „Hälftenliebe" propagandistisch verwertete. Bei dieser nahen Berührung der Textprobe mit romantischer Geistigkeit ist man fast versucht, auch in ihrem Eingang: „Er mußte über sich selbst lachen" schon einen leisen Zug von romantischer Selbstironie zu suchen. Weit weniger gewagt als diese Annahme ist wohl die, es könnte in der Konsequenz, mit der sich hier ein Dichter alles, selbst das Anorganische von u n t e n h e r a u f zum Leben und Bewußtsein erwachend denkt, eine Inspiration durch S C H E L L I N G S Naturphilosophie vorliegen; denn nach dieser bildet die Natur ja eine Stufenleiter, auf der sich der Geist von unten herauf, nämlich aus dem Stadium einer unbewußten Intelligenz in fortschreitendem Lebensdrange emporentwickelt bis zur höchsten Stufe, auf der der Mensch als Träger des sich seiner nun selbst bewußt gewordenen Geistes steht. Nachdem wir auf Grund äußerer und innerer Kriterien die Erzählung, von der hier ein Ausschnitt gegeben wurde, in die 1

HERMANN PETEICH, Drei Kapitel vom romantischen Stil, Leipzig 1 8 7 8 ,

S. 1 2 1 ff. 2 Ebd., S. 102 ff.

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Epoche der deutschen Romantik, vermutlich der deutschen Hochromantik, verlegen konnten, ist es uns diesmal auch möglich, von der Stoffgeschichte her nicht nur die Dichtung, sondern auch den Dichter ausfindig zu machen. So viel aus der Textprobe zu erkennen ist, handelt es sich darin um eine zum Leben erwachende Venusstatue, die Florio, einen Jüngling der neueren, also christlichen Zeit, in ihren Bann schlägt. Wir haben es hier mit einer bis zum Jahre 1100 zurückzuverfolgenden mittelalterlichen Sage zu tun, deren Ausbildung ich mit der Kluniazenserbewegung in Verbindung bringen möchte, und deren Wanderung durch die europäischen Literaturen 1 P A U L L F R A N K L I N BAUM verfolgt hat. I n unserer Version der Sage fehlt der ihr sonst eigentümliche Zug, daß die heidnische Liebesgöttin über den christlichen Menschen dämonische Macht gewinnt, weil dieser ihrer Statue einen Ring an den Finger steckte, wodurch sich die inzwischen zur Teufelinne degradierte Venus ihm verlobt fühlte. Im Zeitraum von der Früh- bis zur Spätromantik wurde die Sage unter den eigentlichen Romantikern nur von J O S E F VON E I C H E N D O R F F zu seiner Erzählung „Das Marmorbild" (entst. 1817, veröffentl. 1819) verwertet und nachher mit Aufnahme des Ringmotivs zu seiner Romanze „Julian" (1852). I n den zwischen diesen beiden Dichtungen liegenden Jahren h a t auch W I L L I B A L D A L E X I S in einer Erzählung auf die alte Sage zurückgegriffen, dann der Freiherr V O N G A U D Y und zuletzt H E I N R I C H H E I N E in den „Elementargeistern". F ü r uns kommt nur E I C H E N D O R F F in Betracht, dessen seine Künstlerindividualität sprachlich symbolisierendes Lieblingswort „still" 2 sich in unserer Textprobe einmal in Adjektivform und zweimal als Substantiv „Stille" vorfindet. Der Text ist auch E I C H E N D O R F F S schöner Novelle „Das Marmorbild" entnommen.

1 The young man betrothed to a statue (Publications of the Modern Language Association of America X X X I V , 523—579; X X X V , GO—62). 2 PAÜI. BEYER: Festschr. f. Berthold Litzmann, Bonn 1920, S. 166.

Stilkritische Interpretationen 3. Jener Mühlknecht hatte mich schon durch seine Erzählung auf die Gegend der Hallwälder begierig gemacht. Der Tag war gekommen, die Wälder lagen vor uns, und ich verließ den Postwagen, nachdem ich dem lustigen Koch meinen wunder5 liehen Traum erzählt, um zu Fuß durch diese schöne Wildnis zu gehen. Hohe Felsenmassen lagen bald vor mir, die sich den weiten Berg entlang erstreckten und deren hohe Zacken bald wie alte zerfallene Türme, Schlösser und Mauern, bald wie kolossale 10 Menschengestalten dastanden. Bald aber öffnete sich wieder ein liebliches Tal; darin weideten Herden und standen einzelne Bauernhütten zerstreut, dann aber erblickte ich wieder stundenlang nichts als wilde Felsenmassen, mit Tannen bewachsen, tief in der Schlucht eine 15 Köhlerhütte oder eine Waldmühle oder Gemäuer einer vom Felsen gestürzten Burg. Kein Mensch war zu erschauen; schauerliche Stille herrschte; die schlanken Tannen, vom Winde hin und her getrieben, unterbrachen nur durch wehmütige Töne, oft fast wie die einer Äols20 harfe, diese Stille. Weiter aber begegnete mir wohl ein altes Weib, welches einen Butten auf dem Rücken trug und an einem langen Stocke einherging. Solche glich ganz den Berg- oder Waldfrauen und war recht wundersamen Aussehens. 25 Ich ging abwegs, beschauend, was mich anzog; bestieg bald die hohen Felsen, bald ließ ich mich in die engen Schluchten nieder und horchte auf den Gesang der unterirdischen Quellen. Da ersah ich einstmals in einer so engen Schlucht, über der himmelhoch die Felsen mit ihren schwarzen Tannen ragten, 30 eine Hütte, die war gestaltet recht wie das Nest eines Greifs oder eines andern unmenschlichen Wesens. Ich ging auf sie zu. Da ersah ich ein Männlein vor ihr, das hatte weder Füße noch Hände, sondern seine Gliedmaßen waren bloß kurze Stumpen. Sein Gesicht war lang, alt und voll Runzeln, und sein langer 35 weißer Bart reichte tief in das Waldgras. Das Männlein aber grüßte mich bald freundlich und erzählte mir wohlgemut sein Schicksal: wie es nämlich so ohne Hände und Füße geboren, einst durch die halbe Welt in einem Kasten zur Schau getragen worden, wie es dann dieser Lebensart über40 drüssig, von Menschen abgesondert, in Wäldern sein Leben zu beschließen sich vorgenommen. Ich verwunderte mich, wie es möglich, daß es so, ohne Hände und Füße, sich Nahrung verschaffen könne?

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Siehe! da sprang das Männlein mit einem Sprunge, ganz 43 leicht wie ein Grashüpfer über seine H ü t t e hin und her, nahm einen Stein mit dem Munde auf, brachte ihn durch eine geschickte Wendung unter den Stumpen der rechten Seite und schleuderte ihn so weit in die Höhe, daß erst nach einigen Sekunden sein Fall wieder vernommen wurde. 50 Es versicherte mich, seine H ü t t e selbst gebaut und die Kartoffeln und das Wurzelwerk, welches ich u m sie aufsprossen sah, selbst gepflanzt zu haben, überhaupt zu keiner Verrichtung irgendeiner menschlichen Hilfe zu bedürfen. J a , m a n erzählte mir nachher, wie es öfters von den Fuhrleuten zu Hilfe geholt werde, 55 wenn ein Wagen in den Sümpfen stecken bleibe: denn da springe es mit einem Sprunge auf eines der Pferde und klemme sich fest wie eine Beißzange mit seinen Stumpen in dasselbe ein, daß das Tier, wie vom Alp gedrückt, voll Beängstigung ausreiße. Das Männlein zählte achtzig Jahre, und schon über fünfzig 60 hielt es sich hier zwischen diesen Felsen auf. Das Männlein nahm, von mir kein Geschenk an, so arm es auch schien, sondern schenkte mir noch einige seltene, alte Münzen von Kupfer, die es in den Felsen gefunden, auch gab es mir eine Wurzel, welche m a n Alraun, Mandragora, nennt (¡5 und die fast die Gestalt eines Männleins h a t .

Der Wanderer verfolgt mehr oder weniger zielgelassen einen Weg, der durch hochansteigende, mit düsteren Tannen bewachsene Felsen f ü h r t und zeitweise Ausblicke in liebliche Täler gewährt oder in tiefer gelegene Schluchten. Abgesehen von den weidenden Herden und den einzelnen zerstreuten Bauernhütten hat die Staffage der Landschaft keine bukolischidyllischen Züge. Die Szenerie kann zuweilen fast an die Wolfsschlucht des „Freischütz" erinnern. Eine „schauerliche Stille", in der nur das Geräusch des durch die Tannen streichenden Windes und das Gemurmel unterirdischer Quellen hörbar wird, herrscht in dieser „schönen" — soll wohl heißen „romantisch-schönen" —, von Menschen fast unbewohnten „Wildnis". Zu ihrer Schilderung wird typisch-romantisches Requisit aufgeboten. Der Erzähler vergleicht die hohen Felsenmassen mit zerfallenen Türmen, Schlössern und Mauern und lenkt den Blick seines Wanderers auf das „Gemäuer einer vom Felsen gestürzten Burg", auf eine Köhlerhütte oder Waldmühle. Neben der 'Ruinenromantik klingt hier die Mühlenromantik

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an. Hat doch auch ein „Mühlknecht" durch seine Erzählung den Reisenden auf diese Gegend der ' „ H a l l w ä l d e r " begierig gemacht! Es scheint — wir können dies aus dem Eingang unseres Prosastückes freilich nur vermuten —, als sei, ebenso wie in dem jungen Florio des EicHENDORFFSchen „Marmorbildes", auch in diesem Wanderer durch einen Traum, den er noch im Postwagen dem lustigen Koch zum besten gab, die seelische Disposition geschaffen worden, aus der heraus er nun das ihm in dieser Wildnis begegnende spärliche Menschentum erlebt. Wir gleiten auch hier aus der Wirklichkeit in die Unwirklichkeit hinüber, nur, ohne daß uns der Dichter mit sprachlichen Wendungen irgendwie die Wahrnehmungen seines Reisenden als Illusion kennzeichnete, ohne daß er uns etwas von der Wirkung einer Magie verspüren ließe. Auch das Seltsamste wird uns hier nicht als Schein, sondern als Sein aufgetischt; höchstens, daß es einmal durch einen Vergleich, der aus der Bildsphäre des Sagenhaften schöpft, den Anflug des Mysteriösen erhält. Alles spielt sich am Tage ab; die Phänomene werden nicht wie bei E i c h e n d o r f f durch das Licht des über die Wipfel aufsteigenden Mondes in ein geheimnisvolles Helldunkel getaucht, das mit seinem Zauber die Phantasie des Beschauers erregt. Die Welt des Realen ist hier völlig klar gesehen und mit handfesten Strichen wiedergegeben, während sich bei Eichexdorff auch in ihr schon durch eine von lyrischer Traumverlorenheit gelenkte Pinselführung alle festere Grenzziehung in zerfließende Weichheit verflüchtigen zu wollen schien. Damit sei aber nicht gesagt, daß in vorliegendem Text der Reisende in die Sphäre des Unwirklichen so ohne alle künstlerische Überleitung eingeführt würde. Nachdem sich der Dichter in seiner Schilderung der landschaftlichen Umwelt ein stimmungsvolles Proömium geschaffen hat, läßt er schon hinter der Gestalt des ersten Menschen, dem der Reisende in der Wildnis begegnet, die Welt des Märchen- und Sagenhaften aufscheinen. Das alte Weib, das, eine Bütte auf dem Rücken, Schneider

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a n einem langen Stock einher schreitet, erinnert mit seinem „wundersamen" Aussehen den Wanderer an „Berg- oder Waldfrauen", also an weibliche Berg- oder Waldgeister. Tiefer in den Bereich des Alltags dringt dann das Märchenhaft-Phantastische mit der grotesken Figur des „Männleins" ein, das in einer von Felsen „himmelhoch" überragten engen Schlucht wohl mehr wie ein Tier, als ein Mensch haust. Es ist eine Mißgeburt, die, ehe sie sich in diese Einsamkeit zurückzog, jahrelang ihr Leben damit fristete, daß sie sich in einem Kasten einem auf Abnormitäten erpichten Publikum als Schauobjekt zeigen ließ. Das Äußere dieses „Männleins" und sein Gebaren wird uns vom Dichter recht sinnfällig beschrieben. Wir haben es mit einem Krüppel ohne Hände und Füße zu t u n ; denn seine Beine und Arme sind bis zu bloßen Stümpfen verkümmert. Er h a t ein langes runzeliges Gesicht und einen tief in das Waldgras herabreichenden weißen Bart, was ihn einem Gnomen zum Verwechseln ähnlich machen muß. Die Genauigkeit, mit der die Kniffe geschildert werden, durch die dieser Wicht Handlungen verrichtet, die dem normalgebauten Menschen nur der volle Gebrauch seiner Gliedmaßen ermöglicht, legt die Vermutung nahe, daß der Verfasser des Prosastückes derlei Beobachtungen als Arzt, Pfleger oder Leiter eines Siechenhauses gemacht haben könnte. Die erstaunliche Geschicklichkeit, mit der der Krüppel einen Stein mit dem Munde aufhebt, ihn durch eine Wendung unter den rechten Armstumpf praktiziert, um ihn dann in die Höhe zu schleudern, macht es uns zur Not noch glaubhaft, daß sich der Wicht seine H ü t t e selbst erbaute und die rings um sie aufsprießenden Kartoffeln und Wurzeln selbst pflanzte, ja, daß er ein Pferd, worauf er sitzt und dem er seine Beinstümpfe in die Seiten preßt, wie ein peinigender Bremsenschwarm bis zu höchsten Zugleistungen anzutreiben verniag. Aber kaum glaubliche K r ä f t e werden doch dem Krüppel angedichtet, wenn der von ihm hochgeworfene Stein erst „nach einigen Sekunden" wieder zur Erde zurückfällt, oder wenn das Männlein, das doch der Fußgelenke

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und der Fußmuskulatur entbehrt, mit einem Satz sich auf den Rücken von Pferden schwingt, wenn es „ganz leicht wie ein Grashüpfer" über seine Hütte ,,hin und her" springt und alle diese Kunststücke im Alter von achtzig Jahren vollführt! Noch weiter ins Zwielicht des Mysteriösen wird der Krüppel gerückt, wenn wir lesen, daß seine Hütte „recht wie das Nest eines Greifs oder eines andern unmenschlichen Wesens" aussieht, oder wenn er trotz seiner anscheinenden Dürftigkeit von dem Reisenden beim Abschied kein Geschenk annimmt, diesem vielmehr alte, in den Felsen aufgefundene Kupfermünzen gibt und, wie eine Miniatur oder Silhouette von sich, eine Alraunen wurzel, jene Pflanzenwurzel also, die es mit ihrer Wunderkraft schon einem dem Volksaberglauben noch ganz ergebenen Dichter wie G R I M M E L S H A U S E N angetan hatte, um die noch 1810 der Romantiker F O Ü Q U E ein Märchen schrieb und an die sich auch noch ein gut Teil des Zauberspuks in A R N I M S Erzählung „Isabella von Ägypten" knüpft. Zu den vom Verfasser der Textprobe seinem Krüppel angesonnenen wunderlichen Eigenschaften gesellt sich hier die Andeutung eines zwischen Schatzgräberei und Zauberei schwankenden Metiers. Der Romantik dieser Lebens- und Stimmungsbilder entspricht auch der Stil der Erzählung. Er ist sachlich-schlicht, nicht ohne einen gewissen Grad von Härte und eine nicht zuletzt durch die Einschaltung verkürzter Nebensätze hervorgerufene Unebenheit. Von einer Neigung des Autors zu lyrischer Glättung und Abtönung seiner Prosa kann keine Rede sein. Wenn schon einmal eine durch Vorwegnahme des Prädikats erzeugte Inversion wie die: „war gestaltet recht wie das Nest eines Greifs oder eines andern unmenschlichen Wesens" gewisse Satzteile leicht rhythmisiert, so liegt dieser syntaktischen Anordnung kein künstlerisches Gestaltungsprinzip zugrunde. In seiner Stilgebung verfährt der Dichter vielmehr recht sorglos. Er verwendet Lieblingswörter wie „bald" und „aber" satzverbindend, auch wenn sie durch ihre Wiederholung fast 3*

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störend, wirken, oder beginnt in knappster Aufeinanderfolge anaphorisch die Schilderung zweier Gesichtswahrnehmungen mit der Wendung: „Da ersah ich". Dabei ist ein Wille zu stilistischer Gedrungenheit an seiner Prosa nicht zu verkennen. Auffallend und möglicherweise auch als Stilkriterium zur zeitlichen Bestimmung des Textes verwendbar ist neben dem häufigen Gebrauch zwischengeschalteter Sätze die gewohnheitsmäßige Unterdrückung der Hilfszeitwörter „haben" und „sein", besonders nach einem Participium praeteriti. Dagegen pflegt der Verfasser nach dem Verbum dicendi „erzählen" den Inhalt des Berichtes nicht mit „daß", sondern mit „wie" einzuleiten, ihn demnach nicht in der Form eines Aussage-, sondern Modalsatzes zu geben, womit offenbar der Umständlichkeit volkstümlicher Erzählweise Rechnung getragen werden soll. Und volkstümlichem Erzählerton p a ß t sich unser Autor auch an, wenn er, um einem Relativsatz auszuweichen, den auf das Substantiv eines Hauptsatzes bezogenen Attributsatz nicht als Nebensatz, sondern auch als Hauptsatz anfügt, ohne jedoch beide Sätze durch ein Punktzeichen voneinander zu trennen: „Da ersah ich . . . eine Hütte, die war gestaltet", „Da ersah ich ein Männlein vor ihr, das hatte . . . " Es kommt uns gerade bei dieser Textprobe weit mehr darauf an, ihr Formgepräge zu erfassen, als sie einer bestimmten Zeit, literarischen Richtung oder gar dichterischen Persönlichkeit zuzuweisen. Doch können gewisse Merkmale den Text auch nach dieser Richtung hin bestimmen. Er gehört zweifellos noch der Romantik an, auf die außer den schon erwähnten motivgeschichtlichen Kennzeichen auch der Vergleich des Windgesäuseis mit den Tönen einer Äolsharfe hindeutet. Denn dieses Instrument erfreute sich um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert besonderer Beliebtheit, weil seine harfenartigen Klänge Saiten entlockt zu sein schienen, die nicht von Menschen-, sondern Geisterhand berührt wurden. Eine zwitterhafte Romantik, die, wie die des Prosastückes, mit der Alltagswirklichkeit Züge der Märchen- und Mythenwelt

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verflicht, ist jedoch nicht die Romantik E I C H E N D O R F F S . Sie verzichtet im Ausdruck auf lyrische Klanglichkeit, geht nicht in Naturschwärmerei, Sehnsucht und Traumversunkenheit auf, legt auf gegenständliche, sinnkräftige Darstellung Gewicht und bedient sich in ihrer Kunstgestaltung auch des Grotesken. All das könnte uns dazu verführen, als Verfasser des Textes F O U Q U E ZU vermuten, in dessen Erzählung „Sintram und seine Gefährten" eine häßliche Zwerggestalt, der „Kleinmeister", eine Rolle spielt, oder E. T. A. H O F F M A N N , an dessen Knirps „Klein Zaches" unser etwas mysteriöses, aber doch recht anschaulich geschildertes ,,Männlein" von ferne erinnert. Allerdings nur von ferne. Denn der Krüppel unserer Textprobe, der sich nach trüben Lebenserfahrungen ohne Haß vor der Welt verschloß, ist keiner solch komisch-satirischen Beleuchtung ausgesetzt wie der mit rätselhafter Anziehungskraft und gesellschaftlichen Ansprüchen ausgestattete Wechselbalg in H O F F MANNS Märchen. Das ,,Männlein" wird uns in einer keineswegs anheimelnden, ja sogar Schauer erweckenden öden Örtlichkeit einfach als Kuriosum präsentiert. Der komischen Zersetzung, von der auch diese Zwerggestalt gestreift wird, wenn sie sich Leistungen unterzieht, die mit ihrer körperlichen Beschaffenheit und ihrem Alter schroff kontrastieren, wirkt hier doch der tragische Zug einer von Geburt an datierenden und von menschlicher Gewinnsucht schnöde ausgenützten Krüppelhaftigkeit entgegen. Dazu scheint unser Dichter viel tiefer im Volkstum zu wurzeln als H O F F M A N N und deutschen Märchenund Sagenstoffen viel näher zu stehen als dieser. Er spricht von „Berg- oder Waldfrauen", bringt einen Vergleich mit dem Vogel Greif und läßt seinen Wicht mit dem Galgenmännlein, dem Alraun, hantieren. Freilich ist dieser Dichter wohl auch eine weit weniger dämonische Natur als H O F F M A N N ; denn, was uns an der Figur seines „Männleins" mysteriös dünkt, ist eben doch nur als Lasur aufgetragen, läßt sich mehr erfühlen als wahrnehmen.

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Noch vermögen wir nicht auf dem Wege der Stilbestimmung die Anfänge jener vornehmlich durch E. T . A. H O F F M A N N vertretenen, zwischen Realistik und Phantastik schillernden, mit Schauer erfüllten und mit grotesken Gestalten operierenden romantischen Erzählungskunst zeitlich festzulegen. Wir kennen nur die Linie, die in der Entwicklung zwerghafter Spukgestalten von dem Gnomen in F R I E D R I C H G O T T L O B W E T Z E L S „Prolog zum großen Magen" bis zu H O F F M A N N S „Klein Zaches" führt 1 . Allem Anschein nach kommen hier Anregungen in Frage, die der deutschen Romantik aus der Unterhaltungsliteratur des ausgehenden 18. Jahrhunderts zugeflossen sind. K a u m förderlicher als die Erwägung literaturgeschichtlicher Stilzusammenhänge erweist sich zur chronologischen Einordnung unseres Textes auch die Berücksichtigung seiner gattungsmäßigen Form. Wir haben es mit einer jener Reisebeschreibungen zu tun, die nach der Barockzeit in unserer Literatur unter englischem Einfluß abermals Mode wurden, in der wanderlustigen Romantik dann weiter gepflegt wurden und in der Epoche des „Jungen Deutschland" eine Spätblüte erreichten. F ü r die Entstehung unserer Erzählung käme demnach immer noch ein umfassender Zeitraum von mehreren Jahrzehnten in Betracht. Auch das im Text auftauchende, heut veraltete „einsmals" ist zu einer engeren chronologischen Begrenzung nicht zu verwerten, da diese Form von G R I M M S Wörterbuch noch aus N I E B U H R 2 und von P A U L - E U L I N G noch aus U H L A N D belegt wird 3 . Einen zuverlässigeren Anhaltspunkt, wenigstens für die Gewinnung eines terminus a quo für unsere Textprobe, scheint mir nur e i n e s ihrer Merkmale zu bieten, nämlich die Erwähnung, daß die Gebrechen des „Männleins" a n g e b o r e n sind, dieses sonach eine M i ß g e b u r t ist. Ein seltsames Interesse für Mißgeburten wurde in unserer Erzäblungsliteratur 1

E . VON SCHENCK, E . T . A . H o f f m a n n , B e r l i n 1 9 3 9 , S. 9 0 f f .

2

GRIMMS Deutsches Wörterbuch, 3. Bd., Sp. 299. PAUL-EULING, D e u t s c h e s W ö r t e r b u c h , H a l l e 1 9 3 5 , S . 1 3 0 .

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durch den kauzigen Helden von J E A N P A U L S Humoreske ,,Dr. Katzenbergers Badereise" (Ostern 1809) entfacht. Der Enthusiasmus dieses schrulligen Arztes für Mißgeburten erregte sogar in medizinischen Kreisen Aufsehen, und uns drängte sich schon einmal die Vermutung auf, daß der Verfasser unseres Prosastückes möglicherweise in diesen Standesbezirken zu suchen ist. Bekanntlich widmete der berühmte Anatom JOH. F E . MECKEL seinen Kommentar 'De duplicitate monstrosa' J E A N P A U L aus Achtung vor der Kennerschaft in Mißgeburten und Monstren, die Dr. Katzenberger an den Tag legt 1 . Man wird also kaum fehlgehen, die Entstehung unserer Erzählung nicht vor 1809 anzusetzen. Die Textprobe ist ein Ausschnitt aus den 1811 erschienenen „Reiseschatten" des schwäbischen Dichters und Arztes J U S T I N U S K E E N E E , der den „Katzenberger" kurz nach dessen Erscheinen las 2 . Eine Beeinflussung unserer Textprobe durch J E A N P A U L S Humoreske steht daher wohl außer Zweifel3. Dagegen war für die „Reiseschatten" weder F O U Q U E 4 noch H O F F M A N N vorbildlich. H O F F MANN war als Zeichner Karikaturist, und es ist wohl schwer festzustellen, in welcher Wechselwirkung diese Schwesterkunst mit seiner Dichtung stand. Wie K E B N E R S zwitterhafte Romantik mit ihrer Einbettung in ein schaurig getöntes Lokalkolorit und mit ihrer sinnfälligen Herausarbeitung einer grotesken Zwergnatur vielleicht auch aus der Anlehnung des Dichters an die Kunst chinesischer Schattenspiele zu erklären ist, bedürfte einer besonderen Untersuchung.

1

JOH. ALT, Jean Paul, München 1925, S. 351.

2

JEAN PAULS s ä m t l . W e r k e , H i s t o r i s c h - k r i t i s c h e A u s g . , 1. A b t . , 13. B d . ,

S. LXV (K. Schreinert). 3 Über andere Einwirkungen JEAN PAULS vgl. Jos. GAISMAIER: Zschr. f. vgl. Litgesch., N. F. 14, 146. 4 Nach FEZ. HEINZMANN, J . Kerner als Romantiker, Tübingen 1 9 0 8 , S. 20 f., lernte der Dichter Fouques „Galgenmännlein" erst nach Vollendung der „Reiseschatten" kennen.

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Indem er so auf dem Bergrücken auf beiden Seiten dahin wandelte, flutete der Nordost ihm immer voller entgegen — ohne Wind war ihm eine Landschaft eine steife, festgenagelte Wandtapete — und wühlte das feste Land zum flüssigen um. Die nahen Bäume schüttelten sich wie Tauben süß-schauernd in seinem Bade, aber in der Ferne standen die Wälder wie gerüstete Heere fest und ihre Gipfel wie Lanzen. — Majestätisch schwammen durch das Blau die silbernen Inseln, die Wolken, und auf der Erde schritten Schatten riesenhaft über Ströme und über Berge — im Tale blitzte die Rosana und rollte in den Eichenhain. — E r t r a t ins warme Tal hinab, die Weiden schäumten, und ihr Same spielte in seiner Wolken-Flocke, eh' ihn die Erde befestigte — der Schwan dehnte wollüstig den langen Flügel, gepaarte Tauben ätzten sich vor Liebe, und überall lagen die Beete und Zweige voll heißer Mutterbrüste und Eier. — Wie ein herrlicher blauer Blumenstrauß schillerte in hohen Gräsern der Hals des ruhenden Pfaues. — E r t r a t unter die Eichen, die mit knotigen Armen den Himmel anfaßten und mit knotigen Wurzeln die Erde. — Die Rosana sprach allein mit dem brausenden Wald und fraß schäumend an Felsenstücken und am morschen Ufer — Nacht und Abend und Tag verfolgten einander im mystischen Hain.

E r t r a t in den Fluß und ging mit ihm hinaus vor eine rege warme Ebene voll Dörfer, und aus ihnen klang der Sonntag, 25 und aus den Ahrenfeldern fuhren Lerchen, und an den Bergen krochen Menschensteige hinauf, die Bäume regten sich als Lebendige, und die fernen Menschen schienen festzuwurzeln und wurden nur Schößlinge an der tiefen Rinde des Ungeheuern Lebensbaumes.

Die Frühlingswanderung eines Naturfreundes über Berghöhen nach einem wohl als Park- und Gartenlandschaft anzusprechenden Wanderziel und von da weiter durch ein in Wälder eingebettetes Flußtal, das in eine besiedelte Ebene ausmündet. Von welcher Dynamik das Landschaftsempfinden dieses Dichters beherrscht ist, der sich hier mit seinem Wanderer so weit identifiziert, als dies eine in Berichtform gehaltene Erzählung überhaupt zuläßt, bezeugt der lapidare Satz: „ohne Wind war ihm eine Landschaft eine steife, festgenagelte Wandtapete." Es überrascht uns daher auch nicht, wenn im Stil eines großen Teiles der stark subjektiv gefärbten, pathetischen

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Naturstimmungen das Verbum die Führung übernimmt. Der Erzähler gebraucht Zeitwörter von intensiver Dynamik wie ..umwühlen", „schütteln", „rollen", „schäumen" (zweimal), „anfassen", „brausen", „fressen", „verfolgen"; auch solche, die wie „blitzen" und „herausfahren" eine unerwartet einsetzende Tätigkeit bezeichnen. Mit dem ihr innewohnenden Bewegungsdrang verbindet die Schilderung auch Kraftgeladenheit, die sich wieder im Epitheton ausdrückt, wenn von den „knotigen Armen" und „knotigen Wurzeln" der Eichen die Rede ist. Aber nicht nur Dynamik und Kraftgeladenheit strömt der Stil der Textprobe aus; dieser sucht auch Fülle und Wärme zu suggerieren. Der Wanderer, dem der Nordost „immer voller" entgegenweht, tritt ins „wanne" Tal, gelangt vor eine „rege warme Ebene voll Dörfer", und mit einer zu hoher Temperatur anschwellenden Sinnlichkeit veranschaulicht uns der Dichter die zur Zeugung treibende Frühlingsmacht, wenn er seine Aufmerksamkeit nicht nur den sich vor Liebe ätzenden Taubenpaaren schenkt und dem seinen Flügel wollüstig dehnenden Schwan, sondern auch der Beete und Zweige gedenkt, die „voll heißer Mutterbrüste und Eier" liegen. Ferner spricht aus der Textprobe Empfänglichkeit für die Majestät, Wucht und Pracht der Erscheinung. „Majestätisch" sieht der Dichter die Wolken durch das Blau schwimmen; Wucht und Majestät zeigen ihm die fernen Wälder, die wie gerüstete Heere fest dastehen, ihre Gipfel wie Lanzen in die Lüfte streckend; Majestät und Pracht endlich zeigt dem Wanderer auch der ruhende Pfau, dessen Hals in hohem Grase wie ein „herrlicher, blauer Blumenstrauß" schillert. Wenn wir im Vorausgehenden von Naturstimmungen sprachen und nicht von Naturschilderungen oder gar Naturbeschreibungen, geschah dies nicht ohne Bedacht. Wohl ist die Naturschau des Wanderers nach seiner jeweiligen Blickrichtung gegliedert. Er sieht vor sich die vom Winde bewegten Bäume und die in der Ferne sich türmenden Wälder, über sich die im Blau segelnden Wolken, unter sich die auf der Erde schreitenden

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Schatten und den im Tale dahinrollenden Fluß. Auch der Weg, der den Wanderer von den Bergen ins Kulturland, in den vom Fluß durchschnittenen Wald und schließlich hart am Ufer in die besiedelte Ebene hinausführt, läßt sich in der vom Dichter gegebenen Darstellung gut verfolgen, wenn auch nicht in allen seinen Zügen wie auf einer Spezialkarte. Denn alles ist in dieser Schilderung doch groß gesehen und in Fresko entworfen. Das landschaftliche Milieu ist mehr in strichsicheren Umrissen festgehalten, als in Einzelheiten liebevoll ausgemalt. Es sind auch nur wenige, für eine Kulturlandschaft noch dazu ganz typische Sehdinge, die den Blick des Wanderers auf sich ziehen: Der Schwan, die Tauben, der Pfau, Beete, Dörfer, Ährenfelder, Lerchen, bergan steigende Menschen, und diese Sehdinge sind nicht etwa bloßer Dekor oder Staffage der geschilderten Kulturlandschaft, sondern die ihre Darstellung konstituierenden Elemente. Auch nicht Sichtbares, nur Gedachtes oder, besser gesagt, nur Erfühltes, wie die heißen Mutterbrüste und Eier in den Beeten und auf den Zweigen, wird, dem tatsächlich Erschauten völlig gleichgestellt, vom Erzähler in die Schilderung einbezogen. Ein dem Wanderer selbst innewohnender Frühlingssturm ist hier auf die Natur übertragen. Das Wesen des Frühlings in seinen alles belebenden, keimenden und sprossenden Kräften, in seiner Brünstigkeit und Trächtigkeit wird hier durch das Naturbild weit mehr symbolisiert als dieses selbst in seiner jungen Pracht vor uns entfaltet. Diese nichts weniger als „impressionistisch" zu nennende Schau des Dichters bringt es dann auch mit sich, daß die Farbigkeit seiner der Wärme doch nicht entbehrenden, ja zum Teil sogar von brünstiger Wärme durchstrahlten Schilderung nur auf „blau" und „silbern" abgestimmt ist, also eigentlich auf kalte Farbtöne; es fehlt das fröhliche Grün, das leuchtende Gelb und das die Sinne reizende Rot. Bezeichnend für das den Dichter beherrschende Lebensgefühl ist es auch, daß an dem uns vorgeführten Landschaftsbild nur das Majestätisch-

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Erhabene, das die Phantasie in die Perne Lockende und das Wildromantische betont ist, bestenfalls wird einmal ein „mystischer Hain" erwähnt. Aber selbst das, was in den Veduten einen idyllischen Anflug hat, wird durch bewegte Requisiten, wie die schäumenden Weiden oder die wirbelnde Samenwolke, gleichsam wieder aus seiner Ruhelage gebracht, oder seine idyllische Behaglichkeit und Anspruchslosigkeit wird durch die Verbreitung einer hochtemperaturigen Atmosphäre und durch Züge aufgehoben, die auf eine gewisse Prachtentfaltung abzielen, wie das herrliche, in seinem Farbenglanz schimmernde Halsgefieder des ruhenden Pfaues. Und im Schlußabschnitt der Textprobe sprengt gar die in der Naturschau des Dichters vorwaltende Dynamik und sein kosmisches Empfinden, das sich übrigens auch schon zu Anfang des Textes in der Vorstellung der riesenhaft über Ströme und Berge schreitenden Wolkenschatten Ausdruck verschaffte, völlig den Rahmen einer idyllischen Landschaftsschilderung. Eben hier, wo eine zusammenraffende Vergegenwärtigungskraft ihren Gipfel erreicht und sich alles im Weltenraum als vital Empfundene zum Gesamtbild des ,,ungeheuern Lebensbaumes" zusammenschließt, an dessen tiefer Rinde die Menschen nur Schößlinge sind, eben da wird vom Dichter das Bewegungslose als bewegt und das Bewegte als bewegungslos gesehen: ,,an den Bergen krochen Menschensteige hinauf, die Bäume regten sich als Lebendige, und die fernen Menschen schienen festzuwurzeln. . . ." Nur das den illusionären Charakter der Wahrnehmung unterstreichende „schienen" trennt hier den Erzähler noch von der Gepflogenheit expressionistischer Dichter, in der ekstatischen Dynamik ihrer Visionen bis zu einer völligen Verkehrung der realen Verhältnisse vorzustoßen. Einer Schilderungskunst, die ihrem Phantasiebereich die Grenzen so weit steckt, daß sie Totes zu Lebendigem werden läßt, entspricht das häufige Auftreten von Personifikationen im Text. Der Nordost wühlt, Bäume schütteln und regen sich, Schatten schreiten, Weiden schäumen, ihr Same spielt, die

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Erde befestigt ihn. Eichen fassen Himmel und Erde an, der Fluß spricht mit dem Wald und frißt am Ufer, Tageszeiten verfolgen einander, und Menschensteige kriechen an Bergen hinauf. Dafür, daß der Erzähler trotz seiner anti-impressionistischen Gesamthaltung aber doch die von seinem Wanderer aufgenommenen Eindrücke durch sinnliche Veranschaulichung möglichst lebendig machen will, sprechen die in der Textprobe enthaltenen Vergleiche und Metaphern. Freilich sind unter den letzteren wieder einige, die den Vergleichscharakter noch nicht ganz abgestreift haben. Das die Dörfer überhallende sonntägliche Geläute wird in dem hübschen Bilde zusammengefaßt : „aus ihnen klang der Sonntag". Eine reine Metapher ist das vom Nordost den Tauben zubereitete und von ihnen ,,süßschauernd" genossene „Bad", desgleichen die „Wolkenflocke" des Weidensamens, auch die den Wechsel in der Belichtung des Waldwegs andeutende rasche Aufeinanderfolge von Nacht, Abend und Tag. Wendungen hingegen wie: „ohne Wind war ihm eine Landschaft eine steife, festgenagelte Wandtapete" oder „die fernen Menschen . . . wurden nur Schößlinge" sind keine reinen Metaphern, weil in ihnen der bildliche Ausdruck als Prädikatsnomen fungiert. Und dasselbe gilt von dem Satz: „Majestätisch schwammen . . . die silbernen Inseln, die Wolken", da hier der Metapherncharakter wieder durch die dem bildlichen Ausdruck erklärend beigefügte Apposition „die Wolken" zerstört wird. Durch das Pathos, das den Schilderungen des Erzählers innewohnt, wird auch seine Sprache auf ein höheres Niveau gehoben und stellenweise ganz rhythmisch getönt. Das zeigt sich vor allem in Satzenden, an die einzelne Wortgruppen durch Inversion oder ohne sie hinausgerückt werden. Diese bilden dann unter sich recht eindrucksvolle rhythmische Satzschlüsse : wie gerüstete Heere fest und ihre Gipfel wie Lanzen durch das Blau die silbernen Inseln, die Wolken

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die Beete und Zweige voll heißer Mutterbrüste und Eier der Hals des ruhenden Pfaues und mit knotigen Wurzeln die Erde sprach allein mit dem brausenden Wald verfolgten einander im mystischen Hain. Solch rhythmische Satzschlüsse sind in ihrer Bedeutung für die Führung der Sprachmelodie unserer Textprobe viel höher anzuschlagen als die klangphonetischen Ausdruckswerte der Alliterationen: „schritten Schatten", „die Rosana und rollte", „in hohen Gräsern der Hals". Eine schallanalytische Untersuchung könnte hier vermutlich sogar gewisse, die „Personalk u r v e " des Dichters konstituierende Elemente zutage fördern. Wohl alle diese Satzausgänge haben Tief Schluß, der kaum durch den am Ende von Aussagesätzen sich immer einstellenden Fallton allein bewirkt wird 1 , auch nicht durch die von dem doch recht unterschiedlichen Vokalismus der Wörter erzeugte Tonlage. I n allen diesen Satzenden geht einer klingenden, nämlich trochäischen, oder stumpfen, weil von einsilbigen Wörtern gebildeten, „Kadenz" zummindesten immer e i n Daktylus voran, so daß mir schon mit der plötzlich einsetzenden rhythmischen Zügelung der Tiefschluß vorbereitet zu sein scheint, ganz abgesehen davon, daß die sprachmelodische Senkung natürlich durch helltönende i-Laute in den Daktylen noch kräftiger herausgearbeitet werden kann. I m Schlußteil der Textprobe, in dem fühlbarer als anderwärts zweisilbige mit dreisilbiger Rhythmisierung im Wettstreit steht, behauptet zuletzt gleichfalls die zweisilbige das Feld mit dem wuchtigen, von einem Daktylus mit darauffolgendem trochäischen Viertakter gebildeten Satzschluß: „Rinde des ungeheuern Lebensbaumes" 2 . 1 Vgl. hierzu: EMIL WINKLEE, Grundlegung der Stilistik, Bielefeld und Leipzig 1929, S. 91 f. 2

Meine B e o b a c h t u n g

widerspricht

der v o n EMIL WINKLEB, S. 91 ge-

äußerten Ansicht: „die Stimme steigt, wenn der Gedanke in die Unbegrenztheit hinausblickt."

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5. Die Gruppe von Bäumen, unter welchen er stand, war eine der malerischsten. Mitten eine große uralte Eiche, die wohl schon dem grauen Altertum Obdach und Schatten gegeben h a t t e , m i t knotiger aufgerissener Schale und weißem ehrwürdigem 5 Moos umgeben; um die Eiche herum einige schöne Hain- und Rotbuchen und eine Menge junger Birkenschößlinge. Aus den alten rotgelben Herbstkapseln am Buchengestrüpp flammte das junge Laub wie ein grüner Lichtbüschel hervor. Die Birken h a t t e n schon ganze Blättchen und flüsterten süß in der Abend10 luft, und selbst an den schwärzlichen Sprossen jenes alten Baumes trieben schon die grünen P u n k t e bedächtlich hervor. Alles strebte mit K r a f t heraus ins Leben. Gegen Mitternacht hin endigte sich der Hügel in einem schönen großen Waldkopfe, in welchem das erste Grün trieb. 15 Der Wald in seinem ersten Schmucke beim Untergang der Sonne war f ü r Willibalden ein sehr merkwürdiger Naturgegenstand. Die gelben sonnigen Birkenwellen im Abstich gegen das Blaugrün eines jungen Dickigst; zwischen ihnen die blätterlosen braunen Eichenäste und hier und da saftgrüne Frühbuchen20 partien; die rötlichen Knospenheere im d i c h t e m Walde hinauf; die dunkeln und wieder blendendweißen Stammlinien; die gelben und roten Herbstblätter, die vom Boden noch durchschimmerten, und die Abendsonne, die in diesem allen so freundlich lebte, d a ß das Ganze in einem rosigen Meere zu schwimmen schien, d a ß 25 der weite Waldberg zum Aufenthalt zahlloser spielender Sonnenstäubchen und vielfarbiger Flämmchen ward, bezauberten den Jüngling bis zur Schwärmerei. „ 0 " , rief er aus, „dieser rosige Zauber, in dem alles das herumfließt, dieses rötliche Heiligtum des Waldes, worin m a n liebliche Zauberwesen anzutreffen w ä h n t ! 30 H a t denn wohl die N a t u r etwas Milderes als einen solchen Anblick? Und das Spielen der Myriaden Luftinsekten, die vielen zirpenden Vogelstimmchen machen das ganze Bild noch lebendiger. Ich erwarte den Augenblick, wo die große Feenwelt ins volle Leben heraustritt und mich in artikulierten Tönen, in 35 Chören ansingt!" — E r ging bis an den Wald, so daß zwischen ihn und die Sonne einige schon völlig grüne Trauerbirken zu stehen kamen. „Die junge Birke", rief er wieder, „ h a t gar keine B l ä t t e r ! Sie schimmert dort wie ein Funkennebel, aus grünem Golde gewebt. 40 Welcher himmlische Glanz! O, wie schmückst du dich so bräutlich, N a t u r ! Wie springen alle schwellende Knospen deines Reichtums so triumphierend a u f ! "

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Abermals eine Wanderung mitten im Frühlingserwachen, jedoch nicht in den Vormittagsstunden, wenn aus den Dörfern sonntägliches Geläute erschallt, sondern in den Abendstunden, nicht lange vor Sonnenuntergang. Auch bleiben diesmal die Wahrnehmungen des Wanderers auf den Wald allein beschränkt. Der Gesamteindruck von der Natur, der hier schließlich zu dem Bilde eines „rosigen" Meeres und des Aufenthaltes „vielfarbiger Flämmchen" zusammengefaßt wird, ist im "vorausgehenden Textteil in zahlreiche optische Einzelzüge zerlegt. Dieser Wanderer hat nicht die seelische Spannkraft des früheren, und auch seine Aufnahmefähigkeit für Naturreize ist von anderer Art. Jenem erschloß sich der Reichtum und das quellende Leben der Landschaft mit einer Bewegtheit und Großzügigkeit, die dem Frühlingssturm seines Innern glich. Der Dichter griff daher von Einzelheiten des Landschaftsbildes auch nur auf, was ihm die in den Erscheinungen wirksamen Frühlingskräfts gewissermaßen symbolisch verkörperte; an eine Verwertung der festgehaltenen Einzeleindrücke zu objektiver Landschaftsdarstellung dachte er nicht. Aber in jeder Zeile der von ihm entworfenen Naturstimmungen verspürten wir zugleich das Gepacktsein, ja die Hingerissenheit seines Wanderers. Aber sie blieb bei aller Gefühlsintensität latent, äußerte sich nicht in lauten Kundgebungen. Willibald, der Wanderer der vorliegenden Textprobe, bricht hingegen in helle Verzückung aus, und der Erzähler macht uns den überschwänglichen Enthusiasmus seines Naturfreundes mit der Bemerkung verständlicher, daß ihn die Schönheiten des Waldes „bezauberten", und zwar „bis zur Schwärmerei". Es ist, als hätte der Autor hier selbst die Notwendigkeit empfunden, eine derartige emotionale Steigerung in der seelischen Aufnahmefähigkeit. Willibalds seit dessen Eintritt in die Waldparzelle näher zu begründen. Denn anfangs hieß es von ihm nur: „Der Wald in seinem ersten Schmucke beim Untergang der Sonne war für Willibalden ein sehr merkwürdiger Naturgegenstand", was wohl auf ein reges intellektuelles Interesse, aber doch

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kaum auf eine besondere Begeisterungsfälligkeit für Natureindrücke schließen läßt. Es wird uns auch schwer, an die Gewalt dieser „Bezauberung" zu glauben, wenn sich Willibald aus den Hochgraden seiner Verzückung durch die Frage: „Hat denn wohl die Natur etwas Milderes als einen solchen Anblick?" so rasch in reflektierende Erwägungen zurückfindet und dabei noch mit dem Blick des Kunstkritikers feststellt, daß das Spiel der 'Myriaden Luftinsekten und die vielen zirpenden Vogelstimmen „das ganze Bild noch lebendiger" machen. Der Autor dieser Schilderung sucht sich jedenfalls des im Grunde gleichen Problems von einer ganz andern seelischen Haltung aus zu bemächtigen als der der Textprobe 4. Die Beobachtungsschärfe, mit der er bald den einzelnen Gegenstand in seiner individuellen Beschaffenheit erfaßt, wie etwa die große uralte, von weißem ehrwürdigen Moos umgebene Eiche mit ihrer knotigen aufgerissenen Rinde und ihren „schwärzlichen" Sprossen, bald den partienweise gegliederten Baumbestand im Walde; die Freude, mit der er hier das sich ihm darbietende Farbenspiel verfolgt; die Sorgfalt, mit der er die Nuancen im Kolorit und die Beleuchtungseffekte auff ä n g t : all das gibt uns das Recht, ihn einen „Impressionisten" zu nennen. Er durchpirscht die Natur nahezu mit dem Auge eines nach Motiven ausschauenden Malers, und es kann daher auch wie nach einer von ihm bereits vollzogenen Prüfung eine bestimmte Baumgruppe als „eine der malerischsten" bezeichnet werden. Die Charakteristik optischer Wahrnehmungen liegt dem Dichter offenbar näher als die seelischer Vorgänge, und sie glückt ihm zweifellos auch besser als jene. An Stelle der dem immanenten Pathos der Naturschau in Textprobe 4 entsprechenden großen Sicht tritt hier eine aufmerksame, vorwiegend von Farbe und Licht angeregte und auf Farben- und Lichtwirkungen gerichtete Beobachtung. Sie macht auch vor dem Einzelzuge nicht Halt, selbst wenn er wegen seiner Geringfügigkeit sonst dem Auge des Beschauers entgeht. Mit Försterkenntnis, möchte man sagen, werden Wald-

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Stilkritische Interpretationen

bäume nach ihren Arten unterschieden (Hain-, Rot- und Frühbuche, Trauerbirken). Am Buchengestrüpp werden die alten Herbstkapseln, an den Birken j,schon ganze Blättchen" bemerkt und an den Sprossen der alten Eiche sogar die „grünen Punkte". Hatte in der dynamischen Naturdarstellung der Textprobe 4 das Verbum die Führung, so in der malerischen d i e s e r Textprobe entschieden das Epitheton. Es hat hier vor allem der Wiedergabe des Kolorits zu dienen. Denn wie auf einer Musterkarte wird jetzt die Buntheit des im Walde über altem Herbstlaub erwachten Frühlings entfaltet. Nahezu alle Farben sind vertreten: Grau, Weiß, Grün, Gelb, Braun R o t ; letzteres auch vom Vollton zu einem Rötlich und Rosig, wie „Schwarz" zu einem „Schwärzlich" abgeschwächt. Bei „Grün", das der Erzähler auf seiner Palette am reichsten vertreten hat, wird mit Hilfe zusammengesetzter Adjektiva die Nuance „Saftgrün" und „Blaugrün", von Gelb die Nuance „Rotgelb" erzielt, und das „Weiß" wird zu „Blendendweiß" erhöht. Kontrastwirkungen von Farben werden beobachtet. Die gelben Birkenwellen stehen im „Abstich" gegen das Blaugrün des Dickichts und gegen die zwischen ihnen aufragenden blätterlosen braunen Eichenäste, die dunklen Baumstämme des Waldes gegen die blendend weißen, und die hervorbrechenden „grünen Punkte" gegen die „schwärzlichen" Sprossen der alten Eiche. Ein atmosphärischer Beleuchtungseffekt wie das bei Sonnenuntergang sich ausbreitende „rosige Meer" scheint die Buntheit des Waldbildes etwas abdämpfen zu wollen, während ein anderer, die spielenden Sonnenstäubchen und die „vielfarbigen Flämmchen", eher wieder neue Valeurs hineintragen. Diese Schilderung kennt eben auch schon jenen Übergang des die Sehdinge verbindenden Zwischenmediums in G l a n z , einen Übergang, der den Gemälden der späteren Pointillisten ihren besonderen Reiz verlieh 1 . Dabei sei auch eine gewisse Vorliebe 1 E . R . J A E N S C H , Über impressionistisches Sehen und impressionistische Weltansicht: Zschr. f. Sinnesphysiologie 54 (1923), S. 245.

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des Erzählers für unruhige Lichtwirkungen und seine Neigung zu einem synästhetischen Empfinden von Farbe und Licht nicht übersehen. Das junge Laub am Buchengestrüpp „flammt" wie ein „grüner Lichtbüschel", und die junge blätterlose Birke „schimmert" in der untergehenden Sonne „wie ein Funkennebel, aus grünem Golde gewebt". Dieser Erzähler, der die Charakteristik seiner optischen Eindrücke gern durch Doppelattribuierung zu verfeinern sucht, verdient das ihm zugedachte Prädikat „Impressionist" aber auch noch aus einem anderen Grunde. Im grammatischen Aufbau seiner Schilderung übernehmen Ellipsen eine Funktion, die der in der impressionistischen Malerei des 19. Jahrhunderts geübten Technik der Farbflecke nicht unähnlich ist. Ein Beispiel dafür der Satz: „Mitten eine große uralte Eiche, die wohl schon dem grauen Altertum Obdach und Schatten gegeben hatte, mit knotiger, aufgerissener Schale und weißem ehrwürdigem Moos umgeben; um die Eiche herum einige schöne Hain- und Rotbuchen und eine Menge junger Birkenschößlinge". Die pathetisch anschwellende und die eigentliche Farbenpracht des Waldes abschildernde Textpartie weist wohl, grammatisch gesehen, keine Ellipsen auf, sondern nur einen zusammengezogenen Satz, zu dessen zahlreichen Subjekten der Passus: „bezauberten den Jüngling bis zur Schwärmerei" endlich die gemeinsame Satzaussage bringt; aber eben, weil hier die einzelnen asyndetisch aneinandergeordneten, mit schmückenden Beiwörtern und sonstigen Bestimmungen ausgestatteten Subjekte Träger der farbigen Sinneseindrücke sind, demnach durch sie allein Farbeneindruck an Farbeneindruck gereiht wird, läßt auch die hier entstandene Stilknappheit durchaus einen Vergleich mit der Farbflecktechnik zu. Unser Erzähler umreißt jedenfalls nicht mit scharfen und harten Konturen, sondern läßt diese vielmehr in Weichheit und duftige Zartheit zerfließen. Das Bild des abendlich durchsonnten Waldes scheint ihm in einem „rosigen Meere" zu „schwimmen", und er spricht vom „rosigen" Zauber, in dem

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Stilkritische Interpretationen

alles „herumfließt". Und wie das Zarte hat es ihm auch das Sachte, Freundliche und Milde angetan. Er hört das junge Laub der Birken in der Abendluft „süß" flüstern, sieht die grünen Punkte an den Sprossen der Eiche „bedächtlich" hervortreiben, was dann allerdings zu dem gleich daran anschließenden Satz: „Alles strebte mit K r a f t heraus ins Leben" herzlich schlecht paßt. Die Wirkung der Abendsonne im „rötlichen Heiligtum" des Waldes empfindet er als „so freundlich", daß er erwartet, auf „liebliche Zauberwesen" zu stoßen — vermutlich denkt er hier an Dryaden — und er kann sich nichts „Milderes" vorstellen als den genossenen Anblick. Er gebraucht Diminutive wie „'Blättchen", „Sonnenstäubchen", „Flämmchen", „Vogelstimmchen" und läßt durch die „spielenden" Sonnenstäubchen und das „Spielen" der Myriaden Luftinsekten seine Schilderung zugleich leise ins Tändelnde abgleiten. Solche verzärtelnden, verniedlichenden und spielerischen Tendenzen der Stilgebung, zusammengenommen mit der letztere erfüllenden schwärmerischen Gefühlsseligkeit, verweisen die Textprobe in das sentimentale Rokoko. Und in diese Richtung, deren Lebensdauer sich bislang nicht eingrenzen läßt, f ü g t sich auch noch der märchenartig anmutende Schluß des Textes ein mit den erwarteten Feen, die da aus dem Wald heraustreten sollen, aber nicht schweigend und auf einem Fabeltier reitend wie die symbolische Gestalt auf B Ö C K L I N S Bild „Das Schweigen im Walde", sondern als Mädchenreigen, der Willibald „in artikulierten Tönen, in Chören" ansingt. I n der Phantasie des Erzählers scheinen sich hier Reminiszenzen an die antike Götterlehre mit solchen an französische und deutsche Feerien zu vermischen. Mit der Feststellung von Rokokosentimentalität und Feenmärchenkenntnis erhalten wir ein Merkmal für einen ungefähren Ansatz der Textprobe. Aber wir müssen dabei in Betracht ziehen, daß diese auch unbedingt über die Wertherstufe hinausweist; denn v o r G O E T H E S Roman war in deutscher Prosa doch für eine so liebevolle Betrachtung der Natur und 4*

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für ein so schwärmerisches Sichversenken in ihre individuellen Reize kein Raum. Ganz wesentlich für die Zuordnung des Erzählers zu einer näher bestimmbaren literarischen Richtung ist seine von uns als „impressionistisch" bezeichnete Erzählertechnik. An einen Verfasser aus der impressionistischen Kulturepoche zu denken, verbieten uns nicht nur die schon erwähnten Nachklänge von Rokokosentimentalität, sondern auch veraltete Wort formen wie „Dickigst" 1 , „bedächtlich", „Willibalden", „ward" und wohl auch die Interjektion „ 0 " , mit der der Wanderer seine schwärmerische Bewunderung des abendlichen Waldzaubers einzuleiten pflegt. Es wäre einmal zu untersuchen, wie lange sich eigentlich diese Interjektion in der deutschen Prosa — an epigonalen Odenstil sei hier natürlich nicht gedacht — über das J a h r 1844 hinaus behauptet hat. Bei den Romantikern war dieses „ 0 " , wie der Stil L U D W I G T I E C K S beweist 2 , noch sehr im Schwange. I m Jahre 1844 richtete aber H E I N E I C H H E I N E in den „Deutsch-französischen Jahrbüchern" gegen König Ludwig I. von Bayern die bitterbösen Verse: Herr Ludwig ist ein großer Poet, Und singt er, so stürzt Apollo Vor ihm auf die Kniee und bittet und fleht: Halt ein! ich werde sonst toll, o !

So etwas, sollte man meinen, müßte doch nicht allein dem Bayernkönig, sondern auch dem „ 0 " geschadet haben. G R I M M S Deutsches Wörterbuch VII, Sp. 1046 bringt auch noch einen Beleg aus G U T Z K O W S „Rittern vom Geist"; doch bildet hier die Interjektion nicht den Einsatz eines Begeisterungsausbruchs. Es ist mir auf alle Fälle unwahrscheinlich, daß sich zu einem solchen Zweck auch noch ein literaturfähiger Prosaschriftsteller 1 Den Wörterbüchern ist die Form unbekannt. Nach WEIGAND, Deutsches Wörterbuch, 5 I, Sp. 353 ist Dickicht „eig. substantivierte Form eines Adjektivs 'dickicht'". Danach hätten wir es in unserm Fall mit einem substantivierten Superlativ dieses Adjektivs zu tun, das wie alle Adjektive auf -icht durch die auf -ig verdrängt wurde. 2 HOBST LINDIG, Der Prosastil Ludwig Tiecks, Diss. Leipzig 1937, S . 40 ff.

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um die letzte Jahrhundertwende dieser in langer Tradition bereits abgegriffenen Interjektionspartikel bedient haben sollte. Auch die in der Textprobe auftauchende, noch dem Biedermeier ganz geläufige 1 Vorstellung, daß sich die Natur im Frühling „bräutlich" schmückt, war um 1900 doch wohl schon als altmodische Sentimentalität außer Gebrauch geraten. Sie ist letzter Ausklang einer mit der Mikrokosmus- und Makrokosmus-Idee der Renaissance zusammenhängenden Anschauung, daß sich die Erde wie der Mensch dem Gesetz des „Omnia vincit amor" zu beugen hat und daher im Frühling nach dem Himmelsfreier ausblickt, um mit ihm neues Leben zu zeugen 2 . Mit der Bemerkung, daß die „uralte" Eiche „wohl schon dem grauen Altertum Obdach und Schatten gegeben" hätte, versetzt sich der Autor selbst in eine Zeit zurück, die es, wie die Aufklärung und Frühromantik, mit der historischen Terminologie nicht so genau nahm 3 und schon mit nicht allzu weit zurückliegenden Jahrhunderten das „graue Altertum" beginnen ließ. Und die Bezeichnung „Mitternacht" für „Norden" d ü r f t e uns wohl auch davon abhalten, mit der zeitlichen Ansetzung der Textprobe allzu weit ins 19. Jahrhundert vorzurücken. I m Bestreben, dem Horazwort „Ut pictura poesis" gerecht zu werden, suchte man ja seit den Pegnitzschäfern immer wieder Licht- und Farbenwirkungen auch durch die Wortkunst hervorzubringen. Allerdings blieben diese Kunsttendenzen zunächst auf die Lyrik beschränkt. I m 18. Jahrhundert verharrten auch über B B O C K E S und H A L L E R hinaus deutsche Dichter in diesem Bemühen trotz der von L E S S I N G dagegen erhobenen Einwände. Aber keine Stilgeschichte belehrt uns darüber, wann und durch wen diese Bestrebungen auch auf 1 Vgl. meinen Aufsatz „Anonym" in „Gedicht und Gedanke", Halle [1942], S. 267—273. 2 HANS ABMEIEK, Der Frühling in der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts, Diss. Greifswald 1912, S. 88 ff.; HANS PYRITZ, Paul Flemings deutsche Liebeslyrik, Leipzig 1932 (Palaestra 180), S. 136 ff. 3 Vgl. hierzu H. A. KORFF, Geist der Goethezeit IV (Leipzig 1953), S. 359 ff.

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die deutsche Prosa übertragen wurden. Vielleicht wies hier 2 S A L O M O G E S S N E R 1 den Weg. J E A N PAUL und die Romantik bilden jedenfalls eine entscheidende Etappe in dieser literarischen Kunstentwicklung. T I E C K „schwelgt" auch als Prosaerzähler „in einer ausgesprochenen Licht- und Farbenseligkeit" 3 , und an der Lyrik des Grafen V O N L O E B E N wie auch an seinem Roman „Guido" ist gleichfalls diese vorimpressionistische Licht- und Farbenfreude wahrzunehmen4. Damit stehen wir bereits an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert. Unser Text ist „Willibalds Ansichten", einem von dem Jean Paul- und Goetheschüler E R N S T W A G N E R 1804 verfaßten Roman, entlehnt. Die Erzählung trat 1805 ans Licht, nachdem zwei Jahre zuvor J E A N P A U L S „Titan", dem die Textprobe 4 entnommen ist, seinen Abschluß gefunden hatte.

6. W i r w a r e n am R a n d e des Zedern- u n d Tannenwaldes angekommen, d a , wo der Berggipfel sich z u m Bergsattel herabsenkte. U n t e r u n s lag ein weites Bergtal, ganz wie ein ungeheurer Sattel, d a r ü b e r hinaus als Knopf die riesigen Cordilleren 5 u n d noch weiter hinaus der himmelhohe Orizava, u n t e r d e m soeben der Mond in seiner ganzen tropischen P r a c h t u n d H e r r lichkeit h e r a u f s c h w a m m , nicht unser amerikanische, noch weniger euer europäische Mond — nein, der tropische Mond, gleichend einer ungeheuern Leuchtkugel des s t ä r k s t e n bengalischen Feuers, 10 g r ü n u n d golden u n d hellflammend u n d f u n k e l n d ! U n d wie n u n die golden u n d wieder g r ü n u n d r o t u n d blau f l a m m e n d e Feuerkugel neben der Riesenkuppe herauf s c h w a m m , erglühten 1 Vgl. W A L T E R S T E I N E R T , D a s F a r b e n e m p f i n d e n Ludwig Tiecks, Diss. B o n n 1907, S. 14. 2 R U D O L F H E N Z , Die Landschaftsdarstellung bei J e a n Paul, W i e n 1924, S. 182: „ S o erreicht bei i h m die Wiedergabe v o n F a r b e , L i c h t u n d Bewegung eine I n t e n s i t ä t u n d Mannigfaltigkeit, wie sie erst die m o d e r n s t e K u n s t wiedergewonnen h a t . . . . " 3

H.

LINDIG, S. 87.

O t t o Heinrich Graf von Loeben, Berlin 1905, S. 1 1 9 f . ; Der R o m a n t i k e r O t t o Heinrich Graf von Loeben u n d die Antike, Halle 1929, S. 36. 4

RAIMUND PISSIN,

HERBERT KUMMER,

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die deutsche Prosa übertragen wurden. Vielleicht wies hier 2 S A L O M O G E S S N E R 1 den Weg. J E A N PAUL und die Romantik bilden jedenfalls eine entscheidende Etappe in dieser literarischen Kunstentwicklung. T I E C K „schwelgt" auch als Prosaerzähler „in einer ausgesprochenen Licht- und Farbenseligkeit" 3 , und an der Lyrik des Grafen V O N L O E B E N wie auch an seinem Roman „Guido" ist gleichfalls diese vorimpressionistische Licht- und Farbenfreude wahrzunehmen4. Damit stehen wir bereits an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert. Unser Text ist „Willibalds Ansichten", einem von dem Jean Paul- und Goetheschüler E R N S T W A G N E R 1804 verfaßten Roman, entlehnt. Die Erzählung trat 1805 ans Licht, nachdem zwei Jahre zuvor J E A N P A U L S „Titan", dem die Textprobe 4 entnommen ist, seinen Abschluß gefunden hatte.

6. W i r w a r e n am R a n d e des Zedern- u n d Tannenwaldes angekommen, d a , wo der Berggipfel sich z u m Bergsattel herabsenkte. U n t e r u n s lag ein weites Bergtal, ganz wie ein ungeheurer Sattel, d a r ü b e r hinaus als Knopf die riesigen Cordilleren 5 u n d noch weiter hinaus der himmelhohe Orizava, u n t e r d e m soeben der Mond in seiner ganzen tropischen P r a c h t u n d H e r r lichkeit h e r a u f s c h w a m m , nicht unser amerikanische, noch weniger euer europäische Mond — nein, der tropische Mond, gleichend einer ungeheuern Leuchtkugel des s t ä r k s t e n bengalischen Feuers, 10 g r ü n u n d golden u n d hellflammend u n d f u n k e l n d ! U n d wie n u n die golden u n d wieder g r ü n u n d r o t u n d blau f l a m m e n d e Feuerkugel neben der Riesenkuppe herauf s c h w a m m , erglühten 1 Vgl. W A L T E R S T E I N E R T , D a s F a r b e n e m p f i n d e n Ludwig Tiecks, Diss. B o n n 1907, S. 14. 2 R U D O L F H E N Z , Die Landschaftsdarstellung bei J e a n Paul, W i e n 1924, S. 182: „ S o erreicht bei i h m die Wiedergabe v o n F a r b e , L i c h t u n d Bewegung eine I n t e n s i t ä t u n d Mannigfaltigkeit, wie sie erst die m o d e r n s t e K u n s t wiedergewonnen h a t . . . . " 3

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LINDIG, S. 87.

O t t o Heinrich Graf von Loeben, Berlin 1905, S. 1 1 9 f . ; Der R o m a n t i k e r O t t o Heinrich Graf von Loeben u n d die Antike, Halle 1929, S. 36. 4

RAIMUND PISSIN,

HERBERT KUMMER,

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auch Schneefelder und Felsenberge und Zacken und Terrassen und Wälder und Auen so wunderbar! Was eine Minute zuvor 15 noch in Dunkelheit und Nacht begraben lag, das schwamm jetzt in einem Ozean bengalischen Lichtes, Berge und Klippen, Felsen und Wälder stiegen und sanken, von hunderttausend silbergrünen Schleiern gefächelt, auf und nieder; die silbernen und goldenen Flüsse und Bäche strömten nicht mehr abwärts, 2U sondern aufwärts gegen Himmel, schienen sich in den dunkeln, beinahe schwarzen Luftozean zu ergießen. Die ganze Erde schien in kreiselnder Bewegung aus ihren Angeln zu treten, die Berge, die Täler dem Himmel zuzuziehen, dieser wieder der Erde sich entgegen zu neigen. Unten in den tiefern Tälern 25 wogten dieselben silbergrauen Schleier, nur dichter und wie aus Sommerfäden gewoben, und darunter schillerten und schimmerten Bäume und Pflanzen und Fluren und Auen wie aus hellem Seegrunde hervor, und dazwischen flackerten wieder grellrote Streifen wie aus Purpur gewoben, Hütten und Bäume, Blumen 30 und Felsen grellrot aufleuchtend. Das wunderbarste Nachtstück! Dasselbe Brechen der Strahlen im durchsichtig klaren Äther — dieselbe Fata Morgana wie bei Tage, nur unendlich zauberhafter! Die ganze Sierra madre mit ihren tausenden von Schnee35 feldern und Felsenbergen zitternd und wogend wie der Ozean, der seine Wellen gegen Himmel sendet, die Flüsse, die Bäche nicht mehr niederwärts, sondern himmelwärts strömend, so täuschend strömend, daß ihr geschworen haben würdet, sie flössen dem Monde zu, und tief unten wieder die Täler mit 40 ihren grauen Silberschleiern, und unter diesen die Bananen, die Orangen, die Agaven, die Palmen so deutlich hervorschillernd, daß ihr jeden Baum zu unterscheiden vermochtet, Orangen und Agaven erkanntet, wie sie sich zum Reigen mit Palmen und Zitronen reihten, ihren nächtlichen Zaubertanz zu beginnen. iä Uns wurde schwindlich, wir hielten uns an Äste und Stämme, es war uns in dem Augenblicke, als ob wir, gehoben von unsichtbaren Händen, gleichfalls gegen Himmel mitgezogen würden. — Eine geraume Weile dauerte dieser unbeschreiblich bangfreudige Taumel.

Die Textprobe schildert ein Naturerlebnis von Reisenden in der grandiosen Gebirgswelt Mexikos. E s versetzte sie mit seiner faszinierenden und erschütternden Gewalt in eine körperliche und geistige Verfassung, die der Schlußsatz des Berichtes einen „bangfreudigen Taumel" nennt. Damit wird schon eines jener zusammengesetzten Adjektiva aufgegriffen, die

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eigentlich ein Oxymoron bilden und gerade in der Sprache der Impressionisten oder Eindruckskünstler sehr beliebt sind 1 . Der eine der Reisenden, der Erzähler, scheint ein passionierter Reiter zu sein; denn unwillkürlich greift er zum Vergleich mit Sattel und Sattelkopf, wenn er uns die geologischen Formationen eines Bergtals vergegenwärtigt, das sich bis an die Kordilleren erstreckt und in weiterer Ferne von dem „himmelhohen" Orizaba überragt wird. Eine Doppelaussage negativ und positiv gewendet und in ihrem ersten, negativen Teil sogar zur Antiklimax geformt, lenkt gleich anfangs des Berichtes unsere Aufmerksamkeit auf den tropischen Mond als den Erwecker dieser Zauberwelt von Farben und phantastischen Phänomenen 2 . An diesem kosmischen Beleuchtungskörper erhält die Schilderung einen festen Mittelpunkt, mit dem die einzelnen landschaftlichen Objekte in Verbindung gebracht sind oder auf den sie durch die Vorstellungstätigkeit des Lesers irgendwie bezogen werden 3 . Die in steigender Emphase sich erhitzende Reiseschilderung gipfelt zuletzt darin, daß der Erzähler und seine Weggenossen wie in einer ekstatischen Vision die von ihnen wahrgenommenen Naturgegenstände sich zu einem tollen Hexentanz gruppieren sehen. Von allen Natur Schilderungen, die uns bisher begegneten, steht diese der in Textprobe 4 am nächsten; ja, die hier zu beobachtende Verwandtschaft geht so weit, daß man versucht ist, J E A N P A U L S phantasieglühende, großzügige und stimmungsmächtige Naturbilder als Voraussetzung für die Darstellungskunst unseres Erzählers, anzusehen, was uns einen Anhaltspunkt für die zeitliche Ansetzung der Textprobe bieten könnte. Auch diese Schilderung ist in ihrem ganzen Verlauf von einem 1 L U I S E THON, Die Sprache des deutsehen Impressionismus, München 1928 (Wortkunst, N. F., 1. H.), S. 128 ff. * W I L H . SCHNEIDER, Ausdruckswerte, S . 5 6 : „Ein vorzügliches Mittel des Indielängeziehens ist die Doppelaussage eines Gedankens, erst in negativer und gleich danach in positiver Fassung." 3 Vgl. hierzu: KÜRT BRÖSEL, Veranschaulichung im Realismus und Frühexpressionismus, München 1928 (Wortkunst, N. F., H. 2), S. 21 f.

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unverkennbaren Pathos getragen. Es kündigt sich schon nach außen hin in der syntaktischen Struktur des Reiseberichtes an: in den mehr oder minder langatmigen Perioden, von denen zwei auch wieder den Nebensatz in Kopfstellung bringen, was Spannung verursacht und auf ausladende Breite abzielt. In einigen eingestreuten Ausrufungssätzen macht sich die Begeisterung und Hingerissenheit des Reisenden Luft, und wo seine Schilderung, wie in dem vorletzten Abschnitt, nahezu ekstatische Gewalt annimmt, zerreißen mehrere aneinandergereihte und momentane Eindrücke festhaltende Satzellipsen, in denen, wie häufig in impressionistischen Satzgebilden, das Partieipium praesentis an Stelle des Verbum finitum tritt 1 , den Zusammenhang eines ruhigen epischen Ganges. So äußert sich in diesem Pathos zum guten Teil auch nur wieder eine der Textprobe immanente Dynamik, für die ein weiteres Symptom die ausgiebige Verwendung von Personifikationen ist. Unter ihnen empfinden wir manche wohl gar nicht mehr als solche; aber wenn wir lesen, daß der Mond, daß eine Feuerkugel „heraufschwamm", daß Naturobjekte von Nebelschleiern „gefächelt" wurden wie eine orientalische Herrin von ihren Sklaven, daß Berge und Klippen, Felsen und Wälder aufstiegen und niedersanken, daß die Erde Berge, Täler, ja die Reisenden selbst zum Himmel emporzuziehen und dieser sich wieder der Erde entgegenzuneigen schien, daß ein schneebedeckter Gebirgszug nicht nur wogte, sondern auch zitterte und Bäume zu einem Tanze sich reihten: so verspüren wir wohl die dem Texte innewohnende mächtige Bewegungsfülle. Sie brauchte sich für unser Gefühl dann gar nicht erst — wie das auch hier wieder geschieht — in Vorgängen zu äußern, die wohl vom Verfasser noch als bloße Sinnestäuschungen und nicht nach Expressionistenart als Tatsächlichkeiten ausgegeben werden, die aber auch schon alle Naturgesetz]ichkeit auf den Kopf stellen. Da tritt die Erde in kreiselnder Bewegung aus 1

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den Angeln, Flüsse und Bäche strömen „nicht mehr niederwärts, sondern himmelwärts" und fließen dem Monde zu! Verschwistert mit dieser Dynamik im Naturempfinden des Erzählers ist die Raumgewalt seines Sehens, die sich nun wieder in übersteigernden Attributen wie „riesig", „himmelhoch", „ungeheuer", „unendlich" Ausdruck zu verschaffen sucht oder in dem vergleichsweise oder metaphorisch verwendeten Bilde vom Ozean, durch das uns im Texte nicht nur die grenzenlose Licht- und Luftausdehnung veranschaulicht wird, sondern auch das wilde Auf und Nieder in der weitgestreckten Horizontlinie der Sierra madre. Außer dieser ins Kosmische übergreifenden Dynamik, die uns abermals an die Textprobe 4 erinnert, scheint in unserer Schilderung aber auch eine Art Magie vorzuwalten, durch die der ganze Reisebericht wieder Ähnlichkeit mit der romantischen Textprobe 2 gewinnt. Deutet uns der Erzähler doch auch schon durch die Wörter „zauberh a f t " und „Zaubertanz" an, daß er sich der Wirklichkeit entrückt f ü h l t ! Zwei Gesichtsfelder des Beschauers verweben sich da ineinander. Das erste wird von all dem gebildet, was er von seinem hochgelegenen Standpunkt aus in ungefähr gleicher Ebene wahrnimmt, und das zweite von dem, was in der Tiefe vor ihm ausgebreitet liegt, eingehüllt in Nebelschleier, die jedoch reflektiertes Licht nicht abdämpfen können, so daß sich das landschaftliche Requisit vom Talboden wie von einem hellen Seegrunde abhebt, auf den der Reisende durch den Wasserspiegel hinabblickt. Doch sind, wie gesagt, beide Gesichtsfelder nicht scharf voneinander geschieden. Dünnere Nebelschleier als die im Talgrund wallen auch an die den Beschauer rings umgebenden näheren oder ferneren Sehdinge heran, aber die durch den tropischen Mond mit einemmal in „bengalische" Beleuchtung gerückte Landschaft erweckt im nunmehr entstehenden Kontrast zu dem fast „dunkeln, beinahe schwarzen Luftozean" den Eindruck, als strömten die hell aufleuchtenden Flüsse und Bäche plötzlich aus der Erde

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dem Himmel und dem Monde zu als der einzigen Lichtquelle in dieser Finsternis: kurz, es kommt zu jener Illusion von einer in kreiselnder Bewegung befindlichen Erde, die Berge und Täler aufwärts zieht. In dieser einer Halluzination gleichenden Schau verwirren sich dem Erzähler zwangsläufig die trennenden Linien. Wir möchten gewiß bei leidenschaftlich weniger erregter Sehweise die himmelan strömenden Flüsse und Bäche in keine so enge Nachbarschaft zum gipfeligen Höhensaum der Sierra madre bringen, sondern sie dem zweiten Gesichtsfeld des Beschauers, dem Bereich seines Tiefenblicks zuweisen; aber das verbietet uns in der Schilderung der scharf abgrenzende Einleitungssatz: „Und tief unten wieder die Täler". Von welchem Blickpunkte aus aber der Reisende die Landschaft auch ins Auge faßt, in seinem Bericht drängt sich, in Worten ausgedrückt oder nicht, immer wieder die Vorstellung eines Ozeans als Dominante hervor. Sie wird gleich anfangs im Erzähler durch atmosphärische Eindrücke ausgelöst. Der tropische Mond geht bei ihm nicht auf wie eine Blüte und steigt auch nicht empor wie ein Hochtourist, sondern „schwimmt'' herauf, den zu passierenden Dunstkreis wie ein Schwimmer das Wasser zerteilend. Die Ozeanvorstellung bleibt auch weiterhin die Bildsphäre, aus der sich der Erzähler seine Gleichnisse und Metaphern herholt. Wir übergehen hier seinen Vergleich des von Nebelschleiern überzogenen Talbodens mit einem hellen Seegrunde. Sind doch auch schon die vom Verfasser so gern verwendeten mehr oder minder dynamischen Verben: „heraufschwimmen", „schwimmen", „auf und nieder steigen" und „sinken", „strömen", „wogen", „sicher gießen"^ „zufließen" alle dem flüssigen Elemente entnommen und daher geeignet, in uns die Empfindung des Gleitens und Gewiegt-Werdens wachzurufen, was auch dem schon erwähnten traumhaftmagischen Charakter der Textprobe zugute kommt! Das „Wogen" hat sich der Autor beim Vergleich des Gebirgsgrates mit dem seine Wellen gegen den Himme1 sendenden Ozean

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sicher als hohen Seegang gedacht, in einem §ndern Falle aber, wo er auch das Fluten der Nebelschleier „wogen" nennt, wohl nur als Meeresbewegung bei mäßiger Windstärke. Es kann dabei ihm sogar zu einer merkwürdigen Simultanempfindung kommen, wenn er nämlich das Glitzern der Schneefelder der Sierra madre und die durch die ansteigenden und abfallenden Felsenberge in der Horizontallinie des Gebirges hervorgerufene Auf- und Nieder-Bewegung als Totaleindruck unter dem e i n e n Bilde des Ozeans zusammenfaßt und sich dabei notgedrungen gleichzeitig mit dem glatten oder doch nur sanft bewegten, flimmernden Ozean den sturmgepeitschten schäumenden vor Augen halten muß. Das f ü h r t dann zu dem beinahe disparate Vorstellungen miteinander verkoppelnden Vergleich: „zitternd und wogend wie der Ozean, der seine Wellen gegen Himmel sendet". Eine seltsame Verbindung von impressiver und expressiver Schau dürfte der charakteristischste und, von der Entwicklung unserer Prosa aus gesehen, auch bedeutsamste Zug dieser Textprobe sein. Vielleicht kann man seinen Ausdruck schon im Stil der Erzählung finden, in der häufigen Verwendung des Participium praesentis: „gleichend", „hellflammend", „funkelnd", „aufleuchtend", „zitternd", „wogend", „strömend", „hervorschillernd". Hier wird doch der Verbalbegriff überall auf die Mittellinie visiert, die zwischen Tätigkeits- und Zustandsschilderung verläuft. In einer ganz ähnlichen zwitterhaften Empfindungsweise ist vielleicht auch die Ursache für die Bevorzugung ungewisser und unruhiger Lichtwirkungen zu suchen: „funkeln", „flammen", „flackern", „aufleuchten", „schillern und schimmern", in welchem Falle sogar die beiden Verba zur Verstärkung ihres Ausdruckswertes durch Alliteration verbunden werden. U n d f ü r eine trunkene,halbimpressionistische, halb expressionistische Farbenfreude spricht in der Schilderung das vielsaitige Farbenklavier, das alle Tonstufen einer durch die Strahlenwirkung des tropischen Mondes erzeugten „bengalischen" Beleuchtung wiedergeben will. Da erscheinen neben

Stilkri tische Interpretationen

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den Buntfarben Grün, Rot, Blau und Purpur auch die unbunten Farben Grau und Schwarz; da wird zweimal ein Rot zu Grellrot erhöht; da wird reichlicher Gebrauch von Gold und Silber gemacht, um den Glanz der Mondscheibe oder die Farbintensität der lichtreflektierenden Naturrequisiten zu kennzeichnen, oder um einem Grau den Schimmer eines Silbergrau und einem Grün den eines Silbergrün zu geben. Und doch wirkt dieses Kolorit, aufgefangen in einer vom Farben- und Lichtzauber ausgelösten Berauschtheit, eigentlich nicht kolorierend. Der Erzähler pinselt die Farben hier nicht etwa in die Umrisse einer Zeichenvorlage hinein, er trägt sie aber auch nicht in Farbflecken auf wie die Pleinairisten und Impressionisten und nicht in Farbtupfen wie die Pointillisten. E r erlebt im wahrsten Sinne des Wortes die Farben, immer bereit, aus innerem Reichtum zuzusetzen, was dem optischen Eindruck fehlt. Dieser Reisende hat doch auch ein Auge für die große Kontur und läßt die vom Mond erleuchteten und durch den Nebel sichtbaren Landschaftsrequisiten nicht etwa zu einem Lichtkonglomerat zusammenfließen, sondern vermag unter der Schleierhülle des Talnebels die einzelnen Baumarten, die Bananen, Orangen, Agaven, Palmen und Zitronen an ihrem Hervorschillern deutlich zix erkennen. Mit den in unserer Interpretation bereits gegebenen Hinweisen auf die syntaktische Struktur der Reiseschilderung sind natürlich noch lange nicht die Hilfsmittel erschöpft, die mit ihren Ausdruckswerten darin emotionale Wirkungen auslösen oder die Schallform klangphonetisch mit bestimmen können. Wie zumeist in lyrisch-pathetisch anschwellender Prosa ist auch hier stellenweise Rhythmisierung eingetreten, besonders wenn kopulativ verbundene einzelne Nomina oder kopulativ verbundene Nomina und Verba zu Wortgruppen zusammengefaßt werden. Ganz deutlich fühlbar wird der rhythmische Gang in Wendungen wie „Berge und Klippen, Felsen und Wälder stiegen und sanken" oder „Hütten und Bäume, Blumen und Felsen"; nur auf die verbale Wortgruppe beschränkt ist

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SCHNEIDER

dagegen die Rhythmisierung in „Schneefeldern und Felsen bergen, zitternd und wogend". Man könnte bei solchen Verbindungen geradezu von antithetischen Parallelismen reden, wobei sich im ersterwähnten Beispiel sogar ein Chiasmus feststellen ließe, da hier die beiden äußern Glieder „Hütten und Felsen" Anorganisches, Abgestorbenes bezeichnen, die inneren dagegen, „Bäume" und „Blumen", Organisches, Keim- und Wachstumfähiges. Solche Antithesen, die den Gedanken- und Gefühlsgehalt der Schilderung wie im Wogen erhalten, finden sich auch sonst: „Flüsse und Bäche strömten nicht mehr abwärts, sondern aufwärts", „die Berge, die Täler dem Himmel zuzuziehen, dieser wieder der Erde sich entgegen zu neigen", „die Bäche nicht mehr niederwärts, sondern himmelwärts strömend". Beachtung verdient auch der Ausdruckswert der polysyndetischen und asyndetischen Wort- und Satzverbindung in unserer Textprobe. Das Polysyndeton kann rasche, mit dem Auge kaum zu verfolgende Abwechslung, ein Changieren in Färbphänomenen bezeichnen: „grün und golden und hellflammend und funkelnd" und: „die golden und wieder grün und rot und blau flammende Feuerkugel", oder aber es kann eine verwirrende Fülle in Formgestaltung und Gattung des landschaftlichen Requisits ausdrücken: „Schneefelder und Felsenberge und Zacken und Terrassen und Wälder und Auen", „Bäume und Pflanzen und Fluren und Auen". Das Asyndeton hingegen stellt sich ein, wenn die Schnelligkeit oder Gleichzeitigkeit im Vollzug der kosmischen Dynamik hervorgehoben werden soll: „Die ganze Erde schien in kreiselnder Bewegung aus ihren Angeln zu treten, die Berge, die Täler dem Himmel zuzuziehen, dieser wieder der Erde sich entgegen zu neigen", oder wenn in der amplifizierenden Aufzählung wahrgenommener Gegenstände deren scharfe Unterscheidbarkeit betont werden soll: „und unter diesen die Bananen, die Orangen, die Agaven, die Palmen so deutlich hervorschillernd". Diesmal ist es nicht schwer, die literarische Richtung wie auch den Verfasser der Textprobe festzustellen. Daß der

Stilkritische Interpretationen

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Erzähler der Romantik noch nahesteht und eine gewisse Verwandtschaft mit J E A X P A U L hat, ergab bereits unsere Analyse. Den deutschen exotischen Roman, der uns auch mit der Gebirgswelt Mexikos bekannt macht, begründete C H A R L E S S E A L S 1 F I E L D (Karl Postel) , in dessen Buch „Süden und Norden" (1842) der Text zu finden ist.

7. D o r t , weit am Horizont verschimmern die graugrünen, wogenden Felderflächen in den Mondglast. Die Sterne tropfen darüber hin. U n z ä h l i g ! U n z ä h l i g ! —• Schwarz kraust sich die W a l d u n g drüben die Berge hinan mit breiten, langen, mattsilbernen 5 Lichtflecken drüber und silbernem Gekräusel. U n d der B a c h rauscht den Hang hinunter; rätselhaft, wie raunend. Verschwimmende ungewisse Töne. Wie Stimmengewirr. Bänglich. — Unruhig bleibt m a n stehen und lauscht, als könnte m a n W o r t e hören, irgend welche Worte. A b e r aus den dichten Gärten 10 schluchzt eine Nachtigall, weithin, lang, süß. Beruhigend. Traulich. — Lächelndes Sinnen überkommt einen. H u s c h ! H u s c h ! — Eine Eule. Weich, samten über den mondlichten, staubigen Grasweg hin. Zwischen den Gärten kreischen K a t z e n . V o n Zeit zu Zeit ein flinkes, zierliches, sich 15 entfernendes Rascheln i n den Zäunen hin, wie in Windungen. Blumen leuchten v o n den hellen Beeten her. U n d hier stehen sie den W e g entlang; wild, in breiten bunten Flecken; regungslos . . . W e i t e r ! Immer hier an den Zäunen entlang. Hier der Kirchberg. W e i ß , schneeweiß die K a l k w ä n d e . U n d der T u r m , m i t den schwarzen schmalen Luken. D a s Glockengebälk. Die Glocken und die Balken silbern beleuchtet nach dem Monde z u , an der anderen Seite tiefschwarz. I n dem einen Fenster f ä n g t sich 25 das Mondlicht. E s sieht aus, als wären drin, i n dem kahlen stillen Kirchenraum Lichter angezündet zu irgendeinem mystischen, gespenstischen Gottesdienst. E i n steiler H a n g m i t Kalkgeröll. Drüber, einsäumend, Gras und schwarze Lebensbäume und mondbeschienene K r e u z e und 30 weiße Leichensteine dazwischen. Alles so still, so still . . .

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1 R . RIEM ANN, Die Entwicklung des politischen u n d exotischen R o m a n s in Deutschland (Beilage zum Jahresbericht der Oberrealschule und I. Realschule z u Leipzig, Ostern 1911), S. 26 ff., und WALTHER REHM, Geschichte des deutschen Romans, Berlin u. Leipzig 1927, I, S. 159 f.

Stilkritische Interpretationen

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Erzähler der Romantik noch nahesteht und eine gewisse Verwandtschaft mit J E A X P A U L hat, ergab bereits unsere Analyse. Den deutschen exotischen Roman, der uns auch mit der Gebirgswelt Mexikos bekannt macht, begründete C H A R L E S S E A L S 1 F I E L D (Karl Postel) , in dessen Buch „Süden und Norden" (1842) der Text zu finden ist.

7. D o r t , weit am Horizont verschimmern die graugrünen, wogenden Felderflächen in den Mondglast. Die Sterne tropfen darüber hin. U n z ä h l i g ! U n z ä h l i g ! —• Schwarz kraust sich die W a l d u n g drüben die Berge hinan mit breiten, langen, mattsilbernen 5 Lichtflecken drüber und silbernem Gekräusel. U n d der B a c h rauscht den Hang hinunter; rätselhaft, wie raunend. Verschwimmende ungewisse Töne. Wie Stimmengewirr. Bänglich. — Unruhig bleibt m a n stehen und lauscht, als könnte m a n W o r t e hören, irgend welche Worte. A b e r aus den dichten Gärten 10 schluchzt eine Nachtigall, weithin, lang, süß. Beruhigend. Traulich. — Lächelndes Sinnen überkommt einen. H u s c h ! H u s c h ! — Eine Eule. Weich, samten über den mondlichten, staubigen Grasweg hin. Zwischen den Gärten kreischen K a t z e n . V o n Zeit zu Zeit ein flinkes, zierliches, sich 15 entfernendes Rascheln i n den Zäunen hin, wie in Windungen. Blumen leuchten v o n den hellen Beeten her. U n d hier stehen sie den W e g entlang; wild, in breiten bunten Flecken; regungslos . . . W e i t e r ! Immer hier an den Zäunen entlang. Hier der Kirchberg. W e i ß , schneeweiß die K a l k w ä n d e . U n d der T u r m , m i t den schwarzen schmalen Luken. D a s Glockengebälk. Die Glocken und die Balken silbern beleuchtet nach dem Monde z u , an der anderen Seite tiefschwarz. I n dem einen Fenster f ä n g t sich 25 das Mondlicht. E s sieht aus, als wären drin, i n dem kahlen stillen Kirchenraum Lichter angezündet zu irgendeinem mystischen, gespenstischen Gottesdienst. E i n steiler H a n g m i t Kalkgeröll. Drüber, einsäumend, Gras und schwarze Lebensbäume und mondbeschienene K r e u z e und 30 weiße Leichensteine dazwischen. Alles so still, so still . . .

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1 R . RIEM ANN, Die Entwicklung des politischen u n d exotischen R o m a n s in Deutschland (Beilage zum Jahresbericht der Oberrealschule und I. Realschule z u Leipzig, Ostern 1911), S. 26 ff., und WALTHER REHM, Geschichte des deutschen Romans, Berlin u. Leipzig 1927, I, S. 159 f.

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SCHNEIDER

Wiederholt deuteten wir auf Nachahmungen hin. die die Kunst der Maler-Impressionisten auch in unserer Dichtung gefunden hat. Daß wir es hier mit einer solchen Nachahmung zu t u n haben, zeigt uns schon der Eingang vorliegender Landschaftsschilderung, der, jede schärfere Konturierung vermeidend, die graugrünen, wogenden Felder am fernen Horizont in den Mondglast ,,verschimmern" läßt. Und daß wir die Anwendung von Satzellipsen für ein der impressionistischen Farbflecktechnik analoges Verfahren ausgeben durften, beweist wiederum diese typisch impressionistische Naturdarstellung; denn es wimmelt in ihr von Ellipsen, und die in ihnen aufgebotene Zahl von Satzgliedern sinkt zuweilen von fünf über vier, drei und zwei bis zu einem einzigen a b : „Ein steiler Hang mit Kalkgeröll", „Weiß, schneeweiß die Kalkwände", „Verschwimmende, ungewisse Töne", „Hier der Kirchberg", „Wie Stimmengewirr", „Eine Eule", „Das Glockengebälk", „Bänglich", „Beruhigend", „Traulich". Wo sich die Stilgebung, um Gegenstände, Empfindungen oder seelische Lagen kenntlich zu machen, bis auf drei und zwei Wörter, ja sogar bis auf ein einziges beschränkt, ist der Vergleich mit der Farbflecktechnik kaum mehr statthaft; man kann eine so radikale Restriktion des sprachlichen Ausdrucks wohl nur noch mit der Farbtupfenmanier der Pointillisten in Parallele setzen 1 . Es liegt nahe, ein solches Verfahren „skizzieren" zu nennen, wenn man in ihm die Tendenz zu knappster Stilisierung vermutet. Aber eine bloße Skizze mit seinem nächtlichen Stimmungsbild zu geben, lag diesem Erzähler sicher ganz fern 2 . Er ist vielmehr bemüht, bis ins Detail gewissenhaft auszumalen.

S.

1 Vgl. hierzu: 772.

WILH. SCHNEIDER:

Zschr. für Deutschkunde, Jhg. 1925,

W I I J I . SCHNEIDER, Ausdruckswerte, S . 4 9 sagt sehr richtig: „Knappheit ist von vornherein nicht Sache des Impressionisten"; auch R . H A M A N N , der die Bedeutung der Skizze für die impressionistische Kunst hervorhebt, muß gestehen: „Im Grunde ist die eigentliche Stimmung, die die Skizze auslösen sollte, eine dem Impressionismus entgegengesetzte" (Der Impressionismus in Leben und Kunst, 2 Marburg 1923, S. 29). 2

Stilkvitische Interpretationen

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Das zeigt schon der ungemein reiche Gebrauch, den er von der adjektivischen und adverbiellen Bestimmung macht. Er verrät damit eine förmliche Scheu, uns irgend etwas ohne nähere, ja ohne möglichst sinnfällige Kennzeichnung zu vergegenwärtigen. Für ihn macht es auch kaum einen Unterschied aus, ob es sich dabei um die Wiedergabe eines optischen oder akustischen Eindrucks oder um die eines seelischen Zustandes handelt. So wird ja auch das Sinnen, das den von Nachtigallengesang umschmeichelten Wanderer überkommt, „lächelnd" genannt. Das für den Impressionisten typische Bestreben, Wahrnehmungen dieser Art durch ein reiches Aufgebot charakterisierender und ausschmückender Attribuierungen zu unterscheiden und abzustufen, ist hier unverkennbar. Der Erzähler will durch gehäufte Beiwörter bewirken, was andere aus gleicher Kunstabsicht durch zusammengesetzte Adjektive zu erreichen suchten; doch fehlt es natürlich auch an letzteren in unserer Textprobe nicht: „graugrün", „mattsilbern", „mondlicht", „schneeweiß", „tiefschwarz", „mondbeschienen". Auf je drei Attribuierungen mit e i n e m Attribuierungsmittel entfallen in der Schilderung zwei mit einem doppelten und eine mit einem dreifachen. Dabei wird in der Wendung: „wild, in breiten bunten Flecken; regungslos" zwischen eine doppelte adverbielle Kennzeichnung auch noch eine mit zwei schmückenden Beiwörtern ausgestattete örtliche Bestimmung eingeschoben, oder es wird in dem Satz : „Aber aus den dichten Gärten schluchzt eine Nachtigall, weithin, lang, süß. Beruhigend. Traulich" die dreifache Charakteristik des Nachtigallengesanges in zwei darauf folgenden einwörtigen Satzellipsen noch fortgesetzt und so eigentlich zu einer fünffachen erweitert, oder es folgt in der Ellipse: „Von Zeit zu Zeit ein flinkes, zierliches, sich entfernendes Rascheln" auf die wiederum dreifache Kennzeichnung des akustischen Phänomens noch die lokalisierende Bestimmung „in den Zäunen hin", und obendrein wird der Gehörseindruck auch noch durch die modale Schneider

5

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FERDINAND

JOSEF

SCHNEIDER

Bestimmung „wie in Windungen" differenziert. Nur drei vollständige Sätze bleiben ohne charakterisierende und ausschmückende Bekleidungen: „Die Sterne tropfen darüber hin", „Zwischen den Gärten kreischen Katzen", „In dem einen Fenster fängt sieh das Mondlicht". Über die Absicht des Verfassers, seine Wahrnehmungen möglichst impressiv auszudrücken, kann daher kein Zweifel bestehen. Daraus ergibt sich, daß in der Textprobe auch nicht etwa das Verbum, sondern das Nomen regiert, und die in den Schlußworten: „Alles so still, so still . . ." zusammengefaßte Stimmung der Schilderung macht es begreiflich, daß im Text Verba activa von einer stärkeren Bewegungsintensität so gut wie ganz fehlen. Nur der mit „Husch! H u s c h ! " angedeutete eilige Nachtvogelflug, das flinke Rascheln eines Reptils und das Kreischen der Katzen unterbrechen die Friedhofsruhe der nächtlichen Landschaft. Wieder tragen syntaktische Momente dazu bei, dem Satzverlauf ein Ritardando und Decrescendo aufzuprägen, ihm einen Nachklang zu geben, durch den er wie ein Geräusch durch das Echo gestreckt und zum Ausdruck einer müden, sehnsuchtsvollen Stimmung wird. Gelegentlich äußert der Autor durch ein typographisches Drei-Punkte-Zeichen sogar den Wunsch, der Leser möge den durch die dichterische Darstellung angeschlagenen Stimmungsakkord auch noch weiter in sich ausschwingen lassen. Die nachgestellten Ergänzungen und Attribute folgen in dem Texte ihrem Beziehungsworte wie die angehängten Wagen eines Lastzugs seiner Lokomotive. Schwarz kraust sich die Waldung berghinan „mit breiten, langen, mattsilbernen Lichtflecken drüber und silbernem Gekräusel". Der Bach rauscht den Hang hinunter, „rätselhaft, wie raunend". Die Nachtigall schluchzt, „weithin, lang, süß". Blumen stehen den Weg entlang, „wild, in breiten bunten Flecken; regungslos ..." „Die Glocken und die Balken silbern beleuchtet nach dem Monde zu, an der anderen Seite tiefschwarz". „Lichter angezündet zu irgendeinem mystischen, gespenstischen Gottesdienst". Diesem

Stilkritische Interpretationen

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schon im stilistischen B a u der Textprobe sich äußernden Zug in die Länge u n d Ferne schließen sich n u n auch so ziemlich alle in der Schilderung überhaupt verspürbaren Bewegungen an. Das Adverb „hin", isoliert gebraucht oder zusammengesetzt mit Präpositionen oder Adjektiven, gibt da der durch das Zeitwort ausgedrückten Bewegung die Richtung an. „Sterne tropfen darüber hin", „drüben die Berge hin&n", „den H a n g Ai'wunter", „weitfc'w, lang, süß", „über den Grasweg hin". Selbst das sich entfernende Rascheln „in den Zäunen hin" folgt der dominierenden Bewegung, die n u r in dem Satze „von den hellen Beeten her" eine Gegenbewegung erhält. Da in der Schilderung alles im „Mondglast" gebadet erscheint, treten natürlich die B u n t f a r b e n zurück. D a f ü r aber werden die Lichteffekte stärker betont. N u r einmal ist von „breiten, b u n t e n Flecken" die Rede. Der grünen F a r b e bedient sich der Erzähler, soweit er nicht die Vorstellung davon in uns bereits durch die Erwähnung des den H a n g einsäumenden Grases weckt, bloß in ihrer Abdämpfung zu „ G r a u g r ü n " ; sonst erscheinen im Kolorit der Textprobe nur die u n b u n t e n F a r b e n „Weiß" u n d „Schwarz", von denen die erstere auch zu „Schneeweiß" u n d die letztere zu „Tiefschwarz" intensiviert ist. Ziemlich ausgiebig wird hingegen zur malerischen Darstellung des Mondscheins vom metallischen „Silbern" Gebrauch gemacht, wobei in den Valeurs, die mit den „breiten, langen Lichtflecken" über den dunklen Walduntergrund aufgetragen werden, der metallische F a r b t o n optisch getreu zu „Mattsilbern" abgeschwächt wird. Auch andere Merkmale, die feine Beobachtungsgabe als typisch f ü r die impressionistische Stilgebung ausfindig machte, sind in unserer Textprobe vertreten. So begegnen wir in dem Satz: „Unruhig bleibt m a n stehen u n d lauscht, als könnte m a n Worte hören" zweimal dem Pronomen indefinitum „ m a n " , ganz charakteristisch f ü r eine wortkünstlerische Darstellungsweise, die klare Bestimmtheit im Ausdruck ebenso vermeidet wie die Freilichtmalerei in der Pinselführung die scharf 5*

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FERDINAND JOSEF

SCHNEIDER

abgrenzende Kontur 1 . Und für die dem Impressionisten zugeschriebene Passivität ließe sich als Beleg der Satz anführen: „Lächelndes Sinnen überkommt einen"; denn durch ihn wird das Oktroi eines Seelenzustandes gekennzeichnet wie andererseits durch die polysyndetische Herzählung der Kirchhofsrequisiten „Gras und schwarze Lebensbäume und mondbeschienene Kreuze und weiße Leichensteine dazwischen" die müde, mechanische Gelassenheit des aufnehmenden Beschauers 2 . Soviel Stileigentümlichkeiten diesen Erzähler aber auch zu einem Impressionisten stempeln mögen, er beschränkt sich doch nicht etwa wie ein Malerimpressionist strengster Observanz nur darauf, wiederzugeben, „was er sieht", und zwar ohne alle rationalen und emotionalen Zusätze 3 . Ein solcher Doktrinarismus konnte sich in der Malerei wohl auch leichter behaupten als in der Dichtung. Dem optischen und tonalen Impressionismus tritt hier ein psychologischer zur Seite. Die Dichter fühlen sich von den feinsten Vibrationen des Seelenlebens nicht weniger angezogen als vom oszillierenden Licht- und Farbenspiel und vom klangphonetischen Saitenspiel. Diesem psychologischen Impressionismus steht auch unser Erzähler nicht fern. Er verrät eine feine seelische Reaktion, besonders auf akustische Eindrücke, wenn ihn das Rauschen des Baches „bänglich" anmutet und „unruhig" macht, der Nachtigallengesang ihn hingegen beruhigt und anheimelt. In der Schilderung der Naturerlebnisse schwingt daher auch immer ein Gefühlston mit, der sich uns freilich nicht überall in der gleichen Stärke aufdrängt wie in den beiden, fast enthusiastisch zu nennenden und den Empfindungsgehalt nachdrücklichst unterstreichenden „so" im elliptischen S c h l u ß s a t z „ A l l e s so still, so s t i l l . . . " . 1

L U I S E THON, S . 1 4 7 f .

2

V g l . L U I S E THON, S . 4 1 u .

149.

Der Impressionismus, S . 2 4 : „Der konsequente Impressionismus aber läßt alles beiseite, was nicht Eindruck, Gesehenes, Optik ist, alles Psychische, nur durch Interpretation Gewonnene scheidet aus." Vgl. auch: Derselbe, Die deutsche Malerei im 19. Jahrhundert, Leipzig u. Berlin 1914, S. 295. 3

EICH. HAMANN,

Stilkritische Interpretationen

69

Schon die mit der Partikel „wie" eingeleiteten Gleichnisse unseres Textes und die Wendungen: „als könnte m a n " und „Es sieht aus, als wären" zeigen das Bestreben an, äußere Wahrnehmungsbilder durch Zuhilfenahme innerer, aus subjektiver Sphäre geschöpfter zu verdeutlichen. Aber in sein nächtliches Stimmungsbild verwebt der Erzähler auch mysteriöse Züge. „Rätselhaft, wie raunend" und „wie Stimmengewirr" kommen ihm „verschwimmende ungewisse Töne" vor, die er aus dem Rauschen des Baches vernimmt. Unwillkürlich erinnern wir uns der echt romantischen Erzählung E I C H E N D O R F F S , in der Florio, erfaßt vom „Tremendum" des Mysteriösen, im Rauschen der Bäume auch „vernehmliches Geflüster" hörte. Und gar zu „irgendeinem mystischen, gespenstischen Gottesdienst" im „kahlen stillen Kirchenraum" scheint das Fenster einzuladen, das den Mondschein reflektiert. Solche Stimmungen, ausgelöst von einem nächtlichen Milieu, das schwarze Lebensbäume, mondbeschienene Kreuze und gleißende Leichensteine aufzuweisen hat, würde man um 1800 „romantisch" genannt haben. Etwa hundert Jahre später taufte man derlei Stimmungen „neuromantisch". Und in die Zeit um die Jahrhundertwende, die bekanntlich für die K u n s t zugleich die Epoche der „vertauschten Sinne" war 1 , verweist uns in der Textprobe doch auch schon eine so feinnervige Synästhesie wie die Qualifizierung des Eulenfluges als „weich, samten". Auch das zweimal vom Erzähler angewandte, alle Bestimmtheit verwischende Pronomen indefinitum ,,irgendwelche" T „irgendeinem" ist kennzeichnend f ü r den Sprachstil impressionistischer bzw. neuromantischer Poesie, wie ein Blick in die Lyrik des jungen R I L K E lehren kann 2 . Die Schilderung findet man in J O H A N N E S S C H L A F S Stimmungsbildern „In Dingsda". 1

a

L U I S E THON, S . 1 4 4 f f .

Vgl. LUISE THON, S. 43, wo auch sehr treffend auf die Verwandtschaft des jungen Rilke m i t dem Impressionismus hingewiesen wird. D a ß sieh hier Parallelen zu Mallarmé ergeben, erwähnt KAYSEE, Das sprachliche K u n s t werk, S. 315.

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FERDINAND J O S E F

SCHNEIDER

8. Der Mond flog, ein Vogel, durch den A p f e l b a u m . D i e Syringen hingen schwer und rot über den K i e s .

Ü b e r den

strudelte die L u f t in einer Kupfersäule.

Zwischen den Zweigen

des

Gebüschs

fing

das

Dunkel

erst

an und

Hyazinthen

bebte.

Bienen

5 stürzten in die Höhe, und v o n ihren übervollen Poren schaukelten hochgetragene B l ü t e n langsam und taumelnd in das Wasser z u rück.

Die

tiefgesenkten

Gartenfenster

brachen

mit

runden

Quecksilberbogen aus den Säulen heraus.

D i e magische T i e f e

des

den

Glases

blätterte

sich

nach

innen

in

schimmernden

10 Kreisen und zog den K i e s w e g m i t den T u l p e n in einer Spirale hoch in sich auf. stand

mit

A u s der

unheimlichem

G a r t e n h ü t t e taumelte ein

Schütteln,

schlug

wild

Gegen-

gegen

den

A p f e l b a u m , k a m in den Mondschein, torkelte in ihm über die Wiese nach einer Maus. 15 schrie „ D o . . . g o

D a n n hielt er, verdrehte die A u g e n , go.

D o g o . . . " , schnurrte und steckte

den Schnabel zwischen die Flügel. bar geschlagenes

Der Mond, wie ein unsicht-

Schild, war weiß v o n Metall, zitterte

durch

den Himmel.

Umstürzlerischen Kunstrichtungen, die, von einer reklaniesüchtigen Kunsttheorie begleitet, im Gefolge philosophischer Systeme auftreten, pflegt man gewöhnlich vorzuwerfen, daß sie nur ein verstandesmäßiges Gemächt sind und zu den neuen Theorien eben die illustrierenden Beispiele liefern wollen. Der Vorwurf dürfte bis zu einem gewissen Grade natürlich berechtigt sein. Aber fast immer entdeckte man in solchen Fällen nachher, daß auch auf diese vorgeblich epochalen Neuerungen im Kunstleben der Weisheitsspruch B E N A K I B A S zutrifft: „Und alles ist schon einmal dagewesen" und daß sich in den revolutionären Strömungen eben nur Gesetzlichkeiten auswirken, die auch die künstlerische Entwicklung früherer Zeiten schon bestimmten. Die Kunstgeschichte stellte fest, daß die Pinselführung eines F K A N S H A L S schon manches der impressionistischen Technik vorweggenommen hat 1 und daß sich eine Dynamik, wie sie sich an den Naturdarstellungen der Expressionisten beobachten ließ, auch in den Landschaftsbildern eines R U B E N S schon vorfindet. So konnten ja auch 1

RICH. HAMANN, Der Impressionismus, S. 3 0 .

Stilkritisolie Interpretationen

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wir bereits darauf hinweisen, daß der literarische Impressionismus — mag er sich auch erst unter ausländischen Einflüssen völlig ausgebildet haben und eine Parallelerscheinung zu der Lehre M A C H S geworden sein wie der Expressionismus eine zu» H U S S E R L S Phänomenologie und B E R G S O N S Intuitionismus —• stilistisch doch schon vor mehr als drei Jahrhunderten in unserer Dichtung vorbereitet wurde. Und aus unseren Interpretationen der Textproben ging hervor, daß sich im deutschen Schrifttum auch schon lange vor dem Auftreten des Expressionismus ein aus inneren Impulsen erwachsenes Naturempfinden bemerkbar machte, das auf jene erst in der viel späteren Epoche so beliebt gewordene Aufhebung aller Naturgesetzlichkeit, ja auf deren Umkehrung in ihr striktes Gegenteil abzielte. E M I L S T A I G E R 1 hält zwar derartige retrospektive Feststellungen für unangebracht und irreführend, weil man dabei die Blüte nach dem Samen, nicht aber diesen nach der Blüte abschätzt. Aber ein von Geschichtsscheu noch nicht befallener Literaturwissenschaftler stellt sich die Entwicklung des Schrifttums auch gar nicht vor wie das kerzengerade Emporschießen eines pflanzlichen Gebildes vom Samen bis zur Blüte, sondern veranschaulicht sich den literarischen Fortschritt als „Zeitwürfel" oder als Spirale, auf der die Wiederkehr vertikal übereinander gelagerter Phänomene eine vergleichende Forschung doch dazu anreizen sollte, den kulturellen Bedingtheiten solcher Erscheinungen nachzugehen. Vorliegender Text, der wieder ganz der Vorherrschaft des Verbums unterstellt ist, aus lauter einfachen Sätzen und Satzverbindungen besteht, ein einziges Satzgefüge mit verkürztem Nebensatz aufweist und gegen das Ende zu Asyndeton an Asyndeton reiht, enthält das wie in einem Haschischrausch wahrgenommene Bild einer spätabendlichen Gartenlandschaft2. Fremdländische Die Zeit als Einbildungskraft, S. 12. HERMANN PONGS, Das Bild in der Dichtung, 1. Bd., Marburg 1927, S. 381 nennt diese Visionen der Expressionisten „unwirkliche Wirklichkeiten, in einen unwirklichen Raum hineingesehen, doch mit heftiger anschaulicher Gegenständlichkeit gemalt". 1

2

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FERDINAND JOSEF

SCHNEIDER

Pflanzennanien wie Syringen und Hyazinthen versprengen Tropfen exotischen Parfüms in die Schilderung, und man fühlt sich fast beklommen bei der Vorstellung von Syringen, die „schwer und rot über den Kies" hängen, von hochgetragenen Blüten, die vom Gewicht übervoller Poren langsam ins Wasser zurücktaumeln, und von „tiefgesenkten" Gartenfenstern. Aber die Textprobe gehört doch offenbar auch dem letzten und äußersten Stadium jener von uns angedeuteten Kunstentwicklung an, die auf die Entfaltung von entfesselten Bewegungsenergien ausgeht, die scheinbar dem Zwange der Naturgesetzlichkeiten entrückt sind. Da Ansätze zu einem derartigen Ausdruckswillen auch schon in früheren Zeiten unsers Schrifttums nachweisbar sind, h a t es wohl nur nebensächliche Bedeutung, wenn sich der Expressionist zu dieser unserer Erfahrung widersprechenden Naturschau lediglich deshalb bekennt, weil er programmgemäß gegenüber allen Richtungen der Eindruckskunst weitgehende Unabhängigkeit von der Alltagserfahrung, von den zwischen den Dingen bestehenden „Relationen" anstrebt und das Kunstziel des bloßen „Treffens" ablehnt. Eine sich seit langem anbahnende Kunstentwicklung wird hier eben von einer alleinseligmachenden Kunsttheorie gekreuzt. Freilich besteht zwischen den von uns angeführten Beispielen aus dem Stadium des Vorläufertums und der in dieser Textprobe bereits ganz bewußt angewandten Darstellungsweise ein nicht zu übersehender Unterschied. In jenen Fällen war alles, was unserm alltäglichen Erleben schnurstracks zuwiderlief, nicht als wirkliches Sein, sondern als bloßer Schein gegeben und als solcher auch schon sprachlich gekennzeichnet. I n vorliegendem Text aber „fliegt" der Mond nicht „wie ein Vogel" oder „als ob er ein Vogel wäre", sondern hier ist er, was ja schon die Apposition besagt, in seiner jäh durchstreifenden Bewegung als Vogel empfunden. Alles ist in dieser spätabendlichen Gartenlandschaft wie durch ein Erdbeben aus seinen Fugen und Nieten gehoben und von einer uns jedenfalls ganz

Stilkritische Interpretationen

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befremdlich anmutenden Dynamik beseelt. Zum mindesten haben wir das Gefühl, daß hier jeder Keim eines natürlichen Bewegungsvorganges bis zum Zerspringen aufgeschwellt ist. Der Mond „fliegt" ja nicht nur, er „zittert" auch durch den Himmel, die Luft „.strudelt", und das anhebende Dunkel „bebt". Bienen „stürzen" in die Höhe, Glasfenster „brechen" aus den Säulen aus. Die Tiefe ihres offenbar konkav gedachten oder erschauten Glases „blättert" sich nach innen und übt dabei auf den Kiesweg und die Tulpen eine Saugwirkung aus, so daß alles spiralenförmig der tiefliegenden Mitte des Glases zustrebt. Was hier nur als „ein Gegenstand" bezeichnet und uns zum Erraten überlassen wird, nannte der Impressionist J O H A N N E S S C H L A F eine Eule und den Flug des Nachtvogels, der hier in ekstatischer Dynamik „wild" gegen den Apfelbaum schlägt, bezeichnete er als „weich, samten". Zu den Bewegungen von rein triebhafter und daher sinnloser Heftigkeit, die hier dem lebenden und leblosen Requisit beigelegt werden, gesellen sich, um den Eindruck des Grotesken zu verstärken, Bewegungen, die wie im Schwindel, Rausch, Krampf, oder doch ohne rationale Leitung ausgeführt werden. So schaukeln ja nicht nur die hochgetragenen Blüten „taumelnd" ins Wasser zurück, auch die Eule „taumelt" und „torkelt" und „verdreht" die Augen. Überall verspüren wir die Absicht des Dichters, uns nicht nur in die Stimmung der Nachtnatur, sondern zugleich auch in die eines völligen Entrücktseins aus aller Wirklichkeit zu versetzen. Die wie durch Sog entstandene Spiegelung des vom Monde beleuchteten Kiesweges und der Tulpen im Fensterglas wird dessen „magischer" Tiefe zugeschrieben und das „Schütteln" der Eule „unheimlich" genannt. Wenn der Mond mit einem „unsichtbar" geschlagenen Schild verglichen und als „weiß von Metall" bezeichnet wird, weicht der Erzähler ganz bewußt von der traditionellen Kennzeichnung der Mondscheibe als „silbern" ab und regt in uns nur mit dem ihr noch zugeschriebenen „Zittern" so etwas wie eine Vorstellung von

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metallischem Schimmer an. Trifft es wirklich zu, daß seit etwa 1800 in deutschen Dichtungen der Glanz des Mondes allmählich nicht mehr wie im Rokoko ganz konventionell als „silbern", sondern auch schon als „golden" bezeichnet, demnach in seinem Helligkeitsgrad etwas verdüstert und der Farbqualität „ R o t " angenähert empfunden wird 1 —ein Beispiel dafür bot uns S E A L S F I E L D S Reisebericht, ein Beispiel dagegen jedoch das impressionistische nächtliche Stimmungsbild S C H L A F S —, so läge die expressionistische Farbenempfindung 2 unserer Textprobe auf einem Wege, der auch über den dem Mondschein im Rokoko und auch im Impressionismus noch zuerkannten Helligkeitsgrad hinausführt, aber in gerade entgegengesetzter Richtung, nämlich nicht auf die Farbqualität „ R o t " , sondern „Weiß" zu. Ganz antirealistisch ist auch das Bild der über den Hyazinthen in einer „Kupfersäule" strudelnden Luft. Ob diese Empfindung einer metallisch gefärbten und. bewegten Atmosphäre aus rein geistigem Bezirke hergeholt 3 oder eine SYNästhesie von Mondesglanz, Blütenfarbe und ausströmendem Blütenduft ist, bleibe dahingestellt. Und ein gleicher Unterschied wie zwischen impressionistischer und expressionistischer Farbengebung ist in der Lautmalerei zu beobachten, wenn man diese Textprobe neben die vorausgehende stellt. Dem klangmalenden „Husch! Husch!", womit J O H A N N E S S C H L A F das Geräusch des eiligen, weichen, samtenen Fluges der Eule wiedergab, steht hier das schnurrende, papageiartige Gestammel „ D o . . . go g o . Dogo . . . " gegenüber, das K A S I M I R E D S C H M I D , dessen „Achatnen Kugeln" unser Text entnommen ist, aus dem Nachtvogel schrei heraushört. 1 P . B E Y E R : Festschr. f. Berthold Litzmann, S . 1 4 8 . Daß TIECK in bezug auf den Mond Gold und Silber nicht nur „promiacue" gebraucht, sondern ihn schon rot sieht, belegt STEINERT, S . 5 9 , 6 5 . 2 „Weiß" hat den Mond auch schon J E A N P A U L gesehen, auf dessen Verwandtschaft mit den Pointillisten wie Expressionisten übrigens H E N Z , S . 1 4 1 , 185 hinweist. 3

LUISE THON, S . 3 6 .

Stilkritische Interpretationen 9. J e t z t floh ich waldeinwärts. Ich wußte, daß das Holz sich vier deutsche Meilen nordwärts erstreckte und dort an die Grenzen des Landes stieß. Bis zum hohen Mittage lief ich atemlos. Die Eilfertigkeit meiner Flucht hatte meine Ge5 wissensangst zerstreut, aber sie kam schrecklicher zurück, wie meine Kräfte mehr und mehr ermatteten. Tausend gräßliche Gestalten gingen an mir vorüber und schlugen wie schneidende Messer in meine Brust. Zwischen einem Leben voll rastloser Todesfurcht und einer gewaltsamen Entleibung war mir jetzt 10 eine schreckliche Wahl gelassen, und ich m u ß t e wählen. Ich hatte das Herz nicht, durch Selbstmord aus der Welt zu gehen, und entsetzte mich vor der Aussicht, darin zu bleiben. Geklemmt zwischen die gewissen Qualen des Lebens und die ungewissen Schrecken der Ewigkeit, gleich unfähig, zu leben 15 und zu sterben, brachte ich die sechste Stunde meiner Flucht dahin, eine Stunde, voll gepreßt von Qualen, wovon noch kein lebendiger Mensch zu erzählen weiß. I n mich gekehrt und langsam, ohne mein Wissen den Hut tief ins Gesicht gedrückt, als ob mich dies vor dem Auge der 20 leblosen Natur hätte unkenntlich machen können, hatte ich unvermerkt einen schmalen Fußsteig verfolgt, der mich durch das dunkelste Dickicht führte — als plötzlich eine rauhe befehlende Stimme vor mir her „ H a l t ! " rufte. Die Stimme war ganz nahe, meine Zerstreuung und der heruntergedrückte Hut hatten mich 25 verhindert, um mich herum zu schauen. Ich schlug die Augen auf und sah einen wilden Mann auf mich zukommen, der eine große knotigte Keule trug. Seine Figur ging ins Riesenmäßige — meine erste Bestürzung wenigstens hatte mich dies glauben gemacht — und die Farbe 30 seiner Haut war von einer gelben Mulattenschwärze, woraus das Weiße eines schielenden Auges bis zum Grassen hervortrat. E r hatte statt eines Gurts ein dickes Seil zwiefach um einen grünen wollenen Rock geschlagen, worin ein breites Schlachtmesser bei einer Pistole stak. Der Ruf wurde wiederholt, und 35 ein kräftiger Arm hielt mich fest. Der Laut eines Menschen hatte mich in Schrecken gejagt, aber der Anblick eines Bösewichts gab mir Herz. I n der Lage, worin ich jetzt war, hatte ich Ursache, vor jedem redlichen Mann, aber keine mehr, vor einem Räuber zu zittern. 40 „Wer d a ? " sagte diese Erscheinung. „Deinesgleichen", war meine Antwort, „wenn du der wirklich bist, dem du gleich siehst!" „Dahinaus geht der Weg nicht. Was hast du hier zu suchen?" „Was hast du hier zu fragen?" versetzte ich trotzig. Der 45 Mann betrachtete mich zweimal vom Fuß bis zum Wirbel. Es

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schien, als ob er meine Figur gegen die seinige und meine Antwort gegen meine Figur halten wollte — „Du sprichst brutal wie ein Bettler", sagte er endlich. „Das mag sein. Ich bin's noch gestern gewesen." 30 Der Mann lachte. „Man sollte drauf schwören", rief er, „du wolltest auch noch jetzt für nichts Bessers gelten." „Für etwas Schlechteres also" — Ich wollte weiter. „Sachte Freund! Was jagt dich denn so? Was hast du für Zeit zu verlieren?" 55 Ich besann mich einen Augenblick. Ich weiß nicht, wie mir das Wort auf die Zunge kam: „Das Leben ist kurz", sagte ich langsam, „und die Hölle währt ewig." Er sah mich stier an. „Ich will verdammt sein", sagte er endlich, „oder du bist irgend an einem Galgen hart vorbei60 gestreift." „Das mag wohl noch kommen. Also auf W i e d e r s e h e n , Kamerade!"

Die Textprobe ist der in Ichform gehaltene Bericht eines Menschen, der offenbar ein schweres Verbrechen begangen hat und deswegen von Gewissensangst gepeinigt wird. Er flieht aus Furcht vor dem Tode, dem er vielleicht nur mit knapper Not entgangen ist und der ihn noch immer bedroht. I n einem Walde gerät er mit einem Räuber, der ihn anhalten will, in einen kurzen Wortwechsel, aber der Räuber glaubt nach den trotzigen und unerschrockenen Antworten, die er auf seine Fragen von dem Fremdling erhält, einen Seinesgleichen vor sich zu haben, und läßt ihn anscheinend laufen. Wir haben es hier nicht wie in den früheren Textproben mit einem Wanderer zu tun, der den Wald durchstreift, um dessen Frühlingsschönheit zu genießen, sondern mit einem Gehetzten, der, wie von Furien gejagt, über Stock und Stein dahinstürmt. Das Augenmerk des Erzählers ist bis zum Waldabenteuer seines Helden so ausschließlich auf dessen Innenleben gerichtet, daß er die Möglichkeit, der Seelenzustand des Flüchtlings könnte durch die Außenwelt irgendwie beeinflußt werden, gar nicht erwägt, sondern vielmehr den von seinen inneren Stürmen Durchtobten die Natur als „leblos" empfinden läßt. Diese Gehetztheit und vom Bewußtsein der Ausweglosigkeit geschürte innere Aufgewühltheit, die der Stilprobe ihren Impuls gibt,

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spiegelt sich deutlich auch in ihrer syntaktischen Struktur wider. Nirgends läßt der Dichter diese in die Breite gehen. Seine Neigung zur Stilverknappung wird selbst an den zwei Stellen offenbar, die uns die seelische Beklemmung des von seinem Gewissen gefolterten Flüchtlings veranschaulichen. Zwar verschafft sich hier der dichterische Ausdruckswille in zwei Satzperioden größere stilistische Bewegungsfreiheit. In ihnen wird auch schon auf die übliche Weise, nämlich mit Nebensätzen, die dem Hauptsatz vorgelagert sind, Spannung erzeugt; aber bezeichnenderweise sind diese Nebensätze mit Ausnahme eines ,,als ob"-Satzes alle verkürzt, so daß man sie auch als adverbielle Bestimmungen auffassen könnte oder, wie den verkürzten Relativsatz „voll gepreßt von Qualen", als ein dem nachdrucksvoll wiederholten Wort „Stunde" angehängtes Attribut. So wäre also die objektive Situation des Flüchtlings, dann der äußere Umstand, daß sich dieser, wie um sich seiner Umgebung unkenntlich zu machen, den Hut tief ins Gesicht drückt, vor allem aber die nicht zu verkennende psychologische Interessiertheit des Dichters Grund genug dafür, daß er einer Umweltschilderung so gut wie ganz aus dem Wege geht; denn was wir davon erhalten, beschränkt sich auf die detaillierte Beschreibung des Räubers, demnach nur auf eine Personendarstellung. Wir erfahren daher auch von dem Weg, den der Verfolgte oder sich verfolgt Glaubende einschlug, nicht mehr, als daß er auf ihm zu einem tiefen, bis a n die Grenzen des Landes sich ausdehnenden Wald gelangte, daß er bei seiner Eilfertigkeit dann weiter auf einen schmalen P f a d geriet, der sich in das dunkelste Dickicht verlor, wo dann die Begegnung mit dem Räuber stattfindet. Aber wenn wir der Textprobe auf den Grund gehen und besonders ihren Schlußteil ins Auge fassen, kommen uns doch wohl Zweifel an, ob den Verfasser das Thema seiner Erzählung, sein eigenes psychologisches Interesse und das drängende Tempo seines Berichtes allein von einer Umweltschilderung

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abhielten oder ob diesem Dichter nicht überhaupt die für einen Epiker unerläßliche Ruhe zur Beobachtung und gegenständlichen Gestaltung fehlt. Denn der Schluß der Textprobe läuft in der dramatisch bewegten Auseinandersetzung des Flüchtigen mit dem Räuber auf einen Dialog hinaus, den man formal als rein bezeichnen könnte, wenn sich in Rede und Gegenrede nicht doch noch einige referierende Sätze mit kurzen Hinweisen auf die Sprecher mengten, wodurch auch dieser Textpartie der strukturelle Zusammenhang mit den früheren, nicht dialogisierten Teilen der Erzählung gewahrt wird. Das sich hier anbahnende Zwiegespräch ist ein geistiges Florettfechten. Frage und Antwort folgen aufeinander wie Stoß und Parade. Sie schließen sich zu einer ausgesprochen stichomythischen Wechselrede zusammen, die von größter Knappheit ist und schärfste Pointierung durch Parallelismen erhält, in die wieder Antithesen eingekapselt sind: „Was hast du hier zu suchen?" — ,,Was hast du hier zu f r a g e n ? " — „Du sprichst brutal wie ein Bettler". — „Ich bin's noch gestern gewesen". — „Man sollte drauf schwören, . . . du wolltest auch noch jetzt für nichts Bessers gelten". — „Für etwas Schlechteres also". In einem Falle wird sogar die Antithetik der Begriffe von „Sein" und „Schein" bis zum Übergleiten in Wortspielerei ausgemünzt: „Wer d a ? " — „Deinesgleichen, . . . wenn du der wirklich bist, dem du gleich siehst!" Der Antithese bediente sich der Dichter auch schon in den voraufgehenden Teilen der Textprobe: „Leben voll rastloser Todesfurcht und einer gewaltsamen Entleibung"; „aus der Welt zu gehen . . . darin zu bleiben"; „die gewissen Qualen des Lebens" und „die ungewissen Schrecken der Ewigkeit". Aber es ist doch zu beachten, wie gerade in den Sätzen, die unmittelbar vor dem Beginn der dialogisierten und pointierten Textpartie stehen, demnach den Übergang zu ihr bilden, die Antithesen sogar verdoppelt auftreten. „Der Laut eines Menschen h a t t e mich in Schrecken gejagt, aber der Anblick eines Bösewichts gab mir Herz." „In der Lage, worin ich jetzt war, h a t t e ich Ursache vor jedem redlichen Mann, aber keine

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mehr, vor einem Räuber zu zittern." Allem Anschein nach bildet die Begegnung des Flüchtigen mit dem Wegelagerer d e n oder wenigstens e i n e n Höhepunkt in der Handlung, und auf diesen bereitet der Dichter schon durch schärfste stilistische Zuspitzung in seiner Darstellung vor. Die Freude an der Antithese ist für unser Prosastück jedenfalls nicht weniger charakteristisch als für ein Barockdrama, worin doch schon die Zweischenkligkeit des Alexandrinerverses zu derart zugespitzten gedanklichen und stilistischen Gegenüberstellungen einlud. Die atemraubende Hast in Anlage und Durchführung des Zwiegesprächs zwischen Flüchtling und Räuber und der hier vornehmlich durch die Anwendung von Antithesen hineingetragene r a t i o n a l e Zug ist auch schon ein Merkmal desjenigen Teiles der Textprobe, in dem uns das psychologische Interesse des Dichters auffiel. Wir erhalten auch da —• bezeichnend für das expressive Temperament des zu dramatischer Gestaltung offenbar weit mehr als zu epischer befähigten Autors — nicht die Schilderung einer mit psychologischer Einfühlung verfolgten seelischen Krise, sondern nur das reflektierend konstruierte und in Umrissen gehaltene Bild eines inneren Ringens, das sich zwischen Alternativen bewegt und durch kein Aufund Abwogen schattiert ist. Es bedeutet doch sicher auch keinen Fortschritt in der seelenkundlichen Vergegenwärtigung innerer Vorgänge, wenn uns die peinvollen und von den schwersten Selbstvorwürfen begleiteten Erinnerungen, die den Flüchtling bei Eintritt der Ermüdung befallen, noch ganz bildlich, mit Zuhilfenahme einer „barock" zu nennenden Allegorie veranschaulicht werden, nämlich als „tausend gräßliche", an ihm vorüberziehende Gestalten, die gleichsam „schneidende Messer" in seine Brust schlagen. Unwillkürlich denkt man an figurale Darstellungen von Eumeniden, die ihr Opfer zerfleischen. Und wenn der Erzähler die Leiden des auf der Folter seiner Gewissensbisse liegenden Helden in einer kühnen Hyperbel „Qualen" nennt, „wovon noch kein lebendiger Mensch zu erzählen weiß", ließe

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sich dies sogar als eine Bankerotterklärung auffassen, zu der sich die Fähigkeit des Autors, komplizierte seelische Vorgänge darzustellen, bequemen muß. Die Verbalform „rufte" bietet uns einen, wenn auch nur dürftigen Anhaltspunkt für die zeitliche Ajisetzung der Textprobe; denn die schwache Biegung des Zeitworts „rufen" war im 18. und auch frühen 19. Jahrhundert noch üblich, kam dann aber aus der Mode. Noch länger als die schwache Flexion von „rufen" erhielt sich wohl „zwiefach" neben „zweifach" im Gebrauch. Auf das 18. Jahrhundert, da in Adjektiven das Suffix -icht (igt) noch nicht durch das jüngere -ig verdrängt war, deutet das Epitheton „knotigt" hin 1 . Ungewöhnlich dünkt uns heute schon die Bezeichnung „Bösewicht" für einen Kriminellen 2 . Weiter fallen in dem Fluchtbericht die ethisch-religiösen Reflexionen des Helden auf. Er ist durchdrungen vom Bewußtsein seiner Verworfenheit; er glaubt Ursache zu haben, vor jedem redlichen Menschen, nicht aber vor einem Räuber zu zittern; denn mit einem solchen meint er auf einer Stufe zu stehen. Er lebt in beständiger Furcht vor dem Tode und der Vergeltung im Jenseits; er denkt, um seinen innern Aufruhr loszuwerden, auch an Selbstmord. Da der Text nur einen Ausschnitt aus einer Erzählung gibt, ist nicht zu entscheiden, ob sie zu den im 18. Jahrhundert so beliebten contes moraux gehört oder nicht. Sie ist jedenfalls die Schilderung des Seelenzustandes eines vom Tode bedrohten und vor der strafenden Gerechtigkeit zitternden Verbrechers, nicht unähnlich dem Bilde, das uns Franz Moor am Schluß von S C H I L L E R S „Räubern" bietet. Und an dieses Drama erinnert auch das Auftreten des Räubers. Man kann wohl sagen, daß Räuber bei uns erst durch S C H I L L E R S Jugenddrama Deutsche Wortbildung, Halle 1947, S. 141 u. 202. Das Deutsche Rechtswörterbuch II, Sp. 419 bringt für die Anwendung des Wortes auf Räuber schon einen Beleg aus der 'Sächsischen Weltchronik' bei. In T I E C K S „Abdallah" ( 1 7 9 2 ) heißt es: „Mörder und Diebe nennen wir Bösewichter" ( L . T I E C K S Schriften, Berlin 1 8 2 8 , VIII, 1 8 4 ) . 1

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WALTER HENZEN,

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literaturfähig geworden sind. Damit h ä t t e n wir für die E n t stehung des Textes das J a h r 1782 als terminus a quo gewonnen. Der Verfasser der Erzählung dürfte dann noch einen Zusammenhang mit der Geniezeit haben. Da m a n dieser Epoche mit Recht die Neigung zu wirklichkeitsnaher Gestaltung nachr ü h m t , h ä t t e n wir uns zu fragen, ob auch die Erzählweise unseres Dichters „realistisch" zu nennen ist. Die Frage ist ganz a m Platze, weil m a n gerade dieser Schilderung eine beachtliche Realistik nachzurühmen pflegt. Gegen eine solche nur mit Vorbehalt anzuerkennende Stilbezeichnung spricht meines Erachtens schon die schauerromantische Beleuchtung, in die der Räuber gerückt ist. So, wie er dem Flüchtling, mag Polyphem dem Odysseus erschienen sein: eine wilde, riesenhafte Gestalt, das Gesicht wie das eines Mulatten schwärzlichgelb, aus ihm „bis zum Grassen" hervortretend das Weiße eines Auges, das noch dazu schielend ist. S t a t t des Leibgurtes trägt der Unhold ein dickes, zweifach u m seinen Rock geschlagenes Seil, worin eine Pistole u n d ein breites Schlachtmesser stecken; in der H a n d hält er eine „große, knotigte Keule". Dieser Mensch, der auch in einer blutrünstigen H a u p t - und Staatsaktion keine üble Figur abgäbe, spricht aber genau so wie der Flüchtling das Deutsch der Gebildeten; m a n m ü ß t e denn aus seiner fluchartigen Beteuerung: „ich will verdammt sein" etwas von seiner brutalen Wildheit heraushören. F ü r die Rede des Räubers die Munda r t zu wählen, wie dies der Malep, M ü l l e r , ein realistischer Dichter der Geniezeit, t u t , wenn er in seinem Drama „Genov e v a " zwei Mordgesellen über die Abschlachtung ihres Opfers debattieren läßt, liegt unserm Dichter fern. E r h a t , selbst auf die Gefahr hin, in Hyperbeln zu verfallen, die unverkennbare Absicht, alles möglichst stark aufzutragen, schon durch das einzelne W o r t suggestiv auf den Leser einzuwirken. F ü r diese Absicht zeugt auch sein Vokabelschatz. Zweimal wird das Substantiv „Schrecken", ebensooft das Adjektiv „schrecklich" Schneider

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verwendet; einmal begegnen wir dem substantivierten Adjektiv „Graß" und dem Eigenschaftswort „gräßlich". Auch „gewaltsame Entleibung" als Bezeichnung für Freitod dürfen wir in diesem Zusammenhang neben die Attribute mit Grauen und Abscheu erweckendem Bedeutungsinhalt stellen. Seelisch einschnürende Partizipia wie „geklemmt" und „voll gepreßt" werden auf das zweimal im Text vorkommende Substantiv „Qualen" bezogen, und um die Ununterbrochenheit des Angstzustandes zu kennzeichnen, aus dem sich der Flüchtling nicht zu retten weiß, wird seine Todesfurcht „rastlos" genannt. Hinzu treten noch, den Grundton verstärkend, auf den der Bericht abgestimmt ist, die Verben „sich entsetzen" und „zittern". Kaum zeigt sich hier die Bereitschaft, die Grenzen einer realistischen Darstellungsweise streng einzuhalten. Dieser Dichter ist vielmehr ein Pathetiker, und wollen wir ihn der Geniezeit zuordnen, so haben wir ihn vermutlich unter denen zu suchen, die im affektgeladenen Ausdruck nicht selten schon einen an die Übertreibungen und Übersteigerungen des alten Barockstils gemahnenden Höchstgrad erreichten. Im Drama des „Sturm und Drang" waren der junge K L I N G E R und der junge SCHILLER solche Pathetiker. Doch hatte K L I N G E R um die Zeit, da SCHILLER mit seinen „Räubern" hervortrat, seinen seelischen Wirrwarr bereits überwunden. Er hatte sich noch dazu vor seinem 1777 begonnenen „Orpheus", der ihn aber bereits als Schüler WIELANDS auf seiner Rokokostufe zeigt, als Erzähler nicht betätigt. Dagegen veröffentlichte SCHILLER im Zeitraum von 1786 bis 1789 zwei Novellen. Auf SCHILLER, aus dessen Erzählung „Der Verbrecher aus verlorener Ehre" unsere Textprobe stammt, weist neben andern Merkmalen schon der überreiche Gebrauch von Antithesen hin1.

1 WILH. SCHNEIDER, Ausdruckswerte, S. 71 nennt die Antithese „außerordentlich kennzeichnend für die Sprache Schillers überhaupt".

Stilkritische Interpretationen 10. Endlich gelangten wir mit Not und Anstrengung nachmittags um drei Uhr in den Hafen, wo uns ein höchst erfreulicher Anblick entgegentrat. Völlig hergestellt wie ich war, empfand ich das größte Vergnügen. Die Stadt gegen Norden gekehrt, am 5 Fuße hoher Berge liegend; über ihr, der Tageszeit gemäß, die Sonne herüberscheinend. Die klaren Schattenseiten aller Gebäude sahen uns an, vom Widerschein erleuchtet. Monte Pellegrino rechts, seine zierlichen Formen im vollkommensten Lichte, links das weit hingestreckte Ufer mit Buchten, Landzungen und 10 Vorgebirgen. Was ferner eine allerliebste Wirkung hervorbrachte, war das junge Grün zierlicher Bäume, deren Gipfel, von hinten erleuchtet, wie große Massen vegetabilischer Johanneswürmer vor den dunkeln Gebäuden hin und wider wogten. Ein klarer Duft blaute alle Schatten. 15 Anstatt ungeduldig ans Ufer zu eilen, blieben wir auf dem Verdeck, bis man uns wegtrieb; wo hätten wir einen gleichen Standpunkt, einen so glücklichen Augenblick so bald wieder hoffen können! Durch die wunderbare, aus zwei ungeheuern Pfeilern be20 stehende Pforte, die oben nicht geschlossen sein darf, damit der turmhohe Wagen der heiligen Rosalia an dem berühmten Feste durchfahren könne, führte man uns in die Stadt und sogleich links in einen großen Gasthof. Der Wirt, ein alter behaglicher Mann, von jeher Fremde aller Nationen zu sehen gewohnt, 25 führte uns in ein großes Zimmer, von dessen Balkon wir das Meer und die Reede, den Rosalienberg und das Ufer überschauten, auch unser Schiff erblickten und unsern ersten Standpunkt beurteilen konnten. Über die Lage unseres Zimmers höchst vergnügt, bemerkten wir kaum, daß im Grunde desselben ein 30 erhöhter Alkoven hinter Vorhängen versteckt sei, wo sich das weitläufigste Bett ausbreitete, das, mit einem seidenen Thronhimmel prangend, mit den übrigen veralteten stattlichen Mobilien völlig übereinstimmte. Ein solches Prunkgemach setzte uns gewissermaßen in Verlegenheit, wir verlangten herkömmlicherweise 35 Bedingungen abzuschließen. Der Alte sagte dagegen, es bedürfe keiner Bedingung; er wünsche, daß es uns bei ihm wohl gefalle; wir sollten uns auch des Vorsaals bedienen, welcher, kühl und luftig, durch mehrere Balkone lustig, gleich an unser Zimmer stieß. Wir vergnügten uns an der unendlich mannigfaltigen Aus40 sieht und suchten sie im einzelnen zeichnerisch und malerisch zu entwickeln, denn hier konnte man grenzenlos eine Ernte für den Künstler überschauen. Der helle Mondschein lockte uns des Abends noch auf die Reede und hielt nach der Rückkehr uns noch eine lange Zeit auf dem iö Altan. Die Beleuchtung war sonderbar, Ruhe und Anmut groß. 6*

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Der Verfasser dieser Reisebeschreibung, den wir wohl mit dem erzählenden Reisenden zu identifizieren haben, ist kein Schriftsteller von der dynamischen Veranlagung eines jungen Stürmers und Drängers oder von der schwärmerischen oder träumerischen eines Romantikers. Eine emotionale Regung greift bei ihm nicht in tiefere seelische Schichten hinab; ein fesselnder Anblick bereitet ihm bestenfalls „größtes Vergnügen". Packende landschaftliche Eindrücke nimmt er mit abgeklärter Mäßigung in sich auf oder steht ihnen mit geradezu fachlicher Interessiertheit gegenüber. Will er die Überraschung ausdrücken, die das unerwartete Bild der Stadt in den Ankömmlingen auslöste, bedient er sich der an Temperamentslosigkeit und steifer Abgemessenheit kaum zu überbietenden NominalstilWendung 1 : „wo uns ein höchst erfreulicher Anblick entgegentrat". Wenn er vom Altan seines Gasthofs die vom Mondlicht überflutete schöne Gegend übersieht, weiß er von dem sich ihm darbietenden Genuß nur zu sagen: „Die Beleuchtung war sonderbar, Ruhe und Anmut groß". Man kann in dieser mehr rationalen als emotionalen Anteilnahme, die den Beschauer zu seinen Eindrücken stets in einer gewissen Distanz hält, das Interesse eines Zeichners und Malers entdecken: „Wir vergnügten uns an der unendlich mannigfaltigen Ansicht und suchten sie im einzelnen zeichnerisch und malerisch zu entwickeln, denn hier konnte man grenzenlos eine Ernte für den Künstler überschauen". Der Reisende bleibt vom Reichtum und der Fülle des Landschaftsbildes gewiß nicht unberührt; er versteigt sich in seinem Bericht sogar bis zu den Attributen „unendlich mannigfaltig" und „grenzenlos". Aber er schätzt doch Vielfalt und Gehalt der landschaftlichen Reize nur danach ein, was sie an Motiven für einen Zeichner oder Maler abwerfen. Wir verstehen es, daß dieser Reisende bei seiner Ankunft auf dem Verdeck des Schiffes bleiben wollte, weil er hier eben den „glücklichsten" Augenblick und Standpunkt für seine Beobachtungen gefunden 1

W . Schneider, Ausdruckswerte, S. 1 7 1 f.

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zu haben glaubte. Es behagt ihm ja auch später, da sich ihm vom Balkon seines Zimmers aus ein großartiges, auch das am Ufer liegende Schiff mit einschließendes Panorama eröffnet, von seinem neuen Standpunkt aus „seinen ersten Standpunkt" b e u r t e i l e n , demnach einen abwägenden Vergleich zwischen seiner neuen Sicht und der früheren ziehen zu können. Einen künstlerisch geschulten Blick verrät es auch, wenn der Erzähler feststellt, daß das prangende Himmelbett mit dem übrigen „veralteten, stattlichen" Mobiliar des Zimmers übereinstimmte. Wir haben es jedenfalls nicht mit einem Irregulären des Lebens, sondern mit einem sachlich denkenden Manne zu tun, der auf Geordnetheit, Genauigkeit und Übereinstimmung achtet, dazu auch Traditionen einzuhalten gewohnt ist; denn er will mit dem Wirt „herkömmlicherweise" Bedingungen abschließen, alles in einem förmlichen Mietkontrakt festlegen. Diese charakterologischen Züge des Verfassers prägen sich auch in seiner Reisebeschreibung aus. Sie verdient den Namen einer B e s c h r e i b u n g weit mehr als den einer Schilderung. Wie der Kunsthistoriker ein Gemälde, so analysiert uns der Reisende die vor ihm sich ausbreitende Stadt. Angegeben wird nicht nur ihre Lage am Fuß hoher Berge, sondern auch die Himmelsrichtung, nach der sie sich erstreckt. Mit ordnendem Blick wird auseinandergehalten, was rechts und links der Stadt zu sehen ist, wobei die vorgenommene Scheidung durch ihre Einkleidung in elliptische Sätze noch präziser wird. Rechts der Monte Pellegrino, links das Ufer mit Buchten, Landzungen und Vorgebirgen. Die Formationen des Gestades werden demnach in der Reihenfolge aufgezählt, in der sie das vom Flächigen zum Erhöhten weitergleitende Auge des Beschauers wirklich erfaßt. So bleibt auch bei der, Gewissenhaftigkeit des Erzählers nicht unerwähnt, daß der Gasthof den Reisenden gleich bei ihrem Eintritt in die Stadt zu linker Hand lag. An der „wunderbaren" Pforte fallen dem Beobachter die beiden „ungeheuern" Pfeiler auf, von denen sie gebildet wird, und der am Bauwerk oben ausgesparte Raum. Wir erfahren dann

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nicht nur einiges über das Mobiliar des den Reisenden angewiesenen Raumes, sondern auch bauplanmäßige Einzelheiten über seine Gliederung und Lage. Wir hören von dem im Hintergrund befindlichen erhöhten Alkoven, der zur Unterbringung der Schlafgelegenheit bestimmt und durch Vorhänge verhüllt ist, ferner von einem dem Zimmer vorgebauten Altan und von einem an das Zimmer unmittelbar anstoßenden und auch für Fremde benutzbaren Vorsaal, aus dem wieder mehrere Balkone ins Freie hinausragen. Hinter dem Zeichnerischen tritt in der Textprobe das Malerische entschieden zurück; denn die in der Reisebeschreibung auftauchenden Farben Grün und Blau werden eigentlich nur im Zusammenhang mit Beleuchtungseffekten gesehen. Für diese hat der Verfasser allerdings ein recht feines Auge. So erwähnt er nicht nur das Vollicht der Sonne, in das der Monte Pellegrino getaucht ist, sondern auch die von den hellerleuchteten Häusermauern sich „klar" abhebenden, aber durch einstrahlende Lichtreflexe doch auch wieder abgeschwächten Schlagschatten. Hübsch gesehen ist das Flimmerspiel in den vor den dunklen Häusern hin- und herwogenden Baumwipfeln, deren bewegtes, junges, von hinten durchsonntes Blättergrün auf den Beschauer den Eindruck umherjagender Glühwürmer macht, und schon an impressionistische Wahrnehmungsweise streift der alle Schatten blauende klare Duft 1 . Nur daß der gerade die feinste dieser Beobachtungen einleitende Satz: „Was ferner eine allerliebste Wirkung hervorbrachte" uns wieder zeigt, daß dieser kühlsinnige Reisende zu keinem unmittelbaren Naturgenuß gelangen kann, weil er in sich ein taxierendes Kunsturteil nicht zu unterdrücken vermag. Sein Blick und seine. Vorliebe fürs Detail macht seine Beschreibung gewiß gegenständlich. Doch ist diese Gegen1 Freilich eine damals nicht mehr neue Wahrnehmung. Über die Beobachtung farbiger Schatten im frühen 1 8 . Jahrhundert vgl. F E . K Ä M M E R E R , Zur Geschichte des Landschaftsgefühls im frühen 18. Jahrhundert, Berlin 1 9 0 9 , S. 1 3 5 ff.

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ständlichkeit nicht mit Realismus zu verwechseln. Der Textprobe fehlt vielmehr gerade die den Realismus kennzeichnende individualisierende Kunstgestaltung, und zwar in einem Ausmaße, daß wir diesen Mangel schon auf ein grundsätzliches Verhalten des Autors zurückführen möchten. Wir könnten die uns von ihm gezeigte Stadt und ihre Umgebung wahrhaftig nicht lokalisieren, würde nicht der Monte Pellegrino und das Fest der heiligen Rosalia erwähnt, was auf Sizilien und Palermo deutet. Wir haben es nach der Schilderung wohl mit einer an einem Meer oder a n einem großen See gelegenen Örtlichkeit zu tun, aber Buchten, Landzungen und Vorgebirge finden sich in einem norwegischen Fjord ebenso wie in einem Golf des Mittelmeeres. Und ein klarer Duft kann an einem heitern Tage im Norden ebenso alle Schatten blau tönen wie im Süden. Die Beschreibung der Stadt übergeht deren bedeutendere und schon wegen ihrer Größe und Höhe auch dem entfernt stehenden Beschauer doch in die Augen fallenden Bauwerke; a n den Häusern werden wohl Licht- und Schattenwirkungen beobachtet, aber des Baustils wird mit keinem Worte gedacht. Desgleichen fehlt jeder Hinweis auf südländisches Treiben im Hafengelände und auch jede Andeutung einer südlichen Vegetation; denn es bleibt doch unserm Belieben anheimgestellt, ob wir uns unter den „zierlichen" Bäumen mit ihrem durchsonnten ,,Grün" Weiden, Birken oder junge Edelkastanien vorstellen wollen. Daß es sich bei dem Gasthof um eine große, von internationalem Publikum besuchte Gaststätte handelt, besagt ja die Bezeichnung des Wirtes als eines Mannes, der „von jeher Fremde aller Nationen zu sehen gewohnt" sei; daß wir uns bei ihm aber in einem „Albergo" befinden, läßt sich bestenfalls nur aus den an der Front des Vorsaales angebrachten „mehreren" Baikonen erschließen. Natürlich können wir nach den vom Reisenden über die Zimmermöbel gemachten Angaben auch deren Stil ebensowenig bestimmen wie den der Häuser nach den an ihnen gemachten Beobachtungen. Nur aus der Erwähnung e i n e s Ausstattungsstücks dürfte sich ergeben, daß

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die Reise im 18. oder frühen 19. Jahrhundert unternommen wurde. Der das „weitläufigste" Bett überragende seidene Thronhimmel legt die Interieurschilderung doch wohl zeitlich fest, wenn auch immer noch in recht weitgesteckten Grenzen. Unzweifelhaft fällt diese Landung auf Sizilien in Jahre, da es dort keine „Hotels", sondern nur „Gasthöfe" gab und selbst in einem der „großen", von internationalem Reisepublikum besuchten, der „Wirt" noch höchstpersönlich seine Gäste in ihre Zimmer führte. Der gleiche Mangel an Willen zu individualisierender Gestaltung offenbart sich auch im Attribuierungsverfahren des Autors. Was er da von schildernden Beiwörtern anbringt, ist entweder abstrakt und in seiner signifikanten K r a f t durch herkömmlichen Gebrauch schon reichlich ausgelaugt, so daß es sich zu sinnfälliger Veranschaulichung oder gar individualisierender Heraushebung eines Gegenstandes nicht empfiehlt, oder es wirkt, wenn es zur Charakteristik eines Gefühlsgrades gebraucht wird, in seiner Ausdrucksblässe abschwächend und nivellierend. Wie sich dieser Reisende von äußern Eindrücken nicht überwältigen läßt, sondern sich mitten in ihrer Fülle durch sein distanzierendes Verhalten zu ihnen immer eine klar unterscheidende Sicht wahrt, gießt er auch Öl in die Wogen seines Lebensgefühls, um sie nicht zu hoch ansteigen zu lassen und um seine Beschreibung mit der Stimmung einer ausgewogenen Heiterkeit oder, vielleicht besser gesagt, gepflegten Behäbigkeit zu durchtränken. Und auch zur Erreichung dieses Ziels ist ihm das Eigenschaftswort, ob attributiv oder prädikativ verwendet, wertvollstes Hilfsmittel. Aber durch den Gebrauch recht ausdrucksblasser Adjektiva gelangt auch hier das Bemühen des Autors, Intensität auf Mittelstufe zu erhalten und stärkere Betontheit abzudämpfen, zu keiner sprachschöpferischen Leistung. Wenn es vom Monte Pellegrino heißt, daß er im „vollkommensten Lichte" steht, so ist zur Veranschaulichung des Beleuchtungsgrades ein abstraktes Eigenschaftswort gewählt, das durch

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seinen Verschleiß in der vom Perfektibilismus beherrschten Aufklärung gegen das Ende des 18. Jahrhunderts schon derart abgegriffen war, daß seinem Ausdruckswert auch durch die hier vorgenommene superlativische Steigerung nicht mehr aufgeholfen werden konnte. Ähnliches gilt von den Adjektiven „mannigfaltig", „erfreulich" und „vergnügt". Das Repertoire der sprachlichen Mittel des Verfassers scheint überhaupt nicht allzu reich zu sein, oder er schreckt eben auch hier vor einer Abwechslung zurück, die auf Individualisierung hinauslaufen könnte. Er wählt das Attribut „groß", um das Höchstmaß seines Vergnügens auszudrücken, die Menge der „vegetabilischen Johanneswürmer" zu veranschaulichen, die Dimensionen des Gasthofs und des Zimmers anzugeben und die über der Mondlandschaft liegende Ruhe und die in der Landschaft liegende Anmut uns nachempfinden zu lassen. Die Formen des Monte Pellegrino bezeichnet er ebenso wie die der vor den Häusern st ehenden Bäume als „zierlich", was uns im Verein mit der Wendung „allerliebste Wirkung" an das Rokoko mit seiner Neigung zum Graziösen und mit seiner Tendenz zur Verniedlichung erinnern kann. „Klar" werden vom Reisenden die Schattenseiten der Gebäude, aber auch der sie blau tönende Duft genannt. Außer dem Substantiv „Vergnügen" ist in der doch kurzen Textprobe auch noch das reflexive Verb „sich vergnügen" und das Adjektiv „vergnügt" vertreten. Eine Absicht, durch Zusammensetzung von Eigenschaftswörtern einen differenzierteren Bedeutungsinhalt zu gewinnen, ist im Texte nicht zu erkennen. Ein adjektivisches Kompositum wie „turmhoch" bleibt in dem Bericht vereinzelt; die zweimal vorkommende Aneinanderreihung von zwei Beiwörtern vor einem Hauptworte „alter behaglicher" und „veraltete stattliche" zählt hier nicht mit, weil es sich dabei nicht u m die bloße Abstufung eines charakteristischen Merkmals handelt. Andere vom Reisenden noch gebrauchten Attribute wie ,,glücklich", „hoch", „hell", „dunkel", „wunderbar", „sonderbar" sind kurrente Münze und jedenfalls unvermögend, seiner Darstellung Originalität zu verleihen.

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Wenn dessen ungeachtet der Stil unserer Textprobe doch soviel Eigenart hat, daß er den Autor sogar unter den Erzählern seiner Zeit merklich heraushebt, so liegt der Grund dafür nicht in dessen Attribuierungsvermögen; denn mit diesem kommt er, wenigstens in vorliegendem Texte, über die Prosa W I E L A N D S nicht hinaus. Der Grund ist vielmehr, wenn man von der geistigen Gesamthaltung des Verfassers absieht, in der recht eigenwilligen grammatischen Struktur seiner Reisebeschreibung zu suchen. Die Absicht des Autors, bei aller Peinlichkeit seines Etepetete-Stils doch möglichst knapp im Ausdruck zu sein und auf engstem Raum möglichst viel zu sagen, tritt hier deutlich zutage. Darauf, daß der Reisende, wenn er seine Beschreibung skizzenhaft hält, wie z. B. in seiner Analyse des sizilianischen Städtebildes, sogar zu Ellipsen greift, wurde schon hingewiesen. Auch läßt er, um einen ,,daß"-Satz nach einem Verbum dicendi zu vermeiden, den Wirt in indirekter Rede zu Worte kommen. Freilich wird dadurch gerade an dieser Übergangsstelle im Ablauf des Berichtes auch eine Stauung erzeugt, durch die die nun folgende Aussage hervorgehoben wird. Mit der knapperen Fassung ist hier zweifellos noch ein besonderer Ausdruckswert erzielt. Bezeichnender als die angeführten Beispiele und auch als die gelegentlich vorkommenden Asyndeta sind für das Bestreben des Autors, durch Stilverknappung ein möglichst reiches Anschauungs- und Aussagematerial auf engstem Räume unterzubringen, die auffallend vielen Restriktivsätze (verkürzten Nebensätze). Sie bewirken, wenn sie, dem Hauptsatz vorangestellt, ein Satzgefüge einleiten, was in vier Fällen zutrifft, gewiß die übliche Spannung im Vorstellungsablauf und beleben demnach auch die Stilgestaltung. Sie können sogar die Erwartung erwecken, daß nun eine breiter ausladende, pathetisch anschwellende Darstellung einsetzen werde, eine Erwartung, die in vorliegendem Falle allerdings immer enttäuscht würde. Tritt einmal ein solcher Restriktivsatz ans Ende des syntaktischen Gebildes, gibt er diesem einen gewichtigen Abschluß: „am Fuße

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hoheo Berge liegend", „vom Widerschein erleuchtet". Aber die meisten der in der Textprobe vorkommenden, nicht der Fortführung der Handlung, sondern nur der Beschreibung dienenden und daher eine bloß attribuierende Funktion ausübenden Restriktivsätze sind doch zwischengeschaltet, zerreißen das übergeordnete Satzganze und erheben die Schachtelmanier fast zum Prinzip des syntaktischen Baues. Fühlbar wird die Zwischenschaltung als Einschachtelüng besonders dann, wenn das Zeitwort des Restriktivsatzes, dessen Spannungsenergie gegenüber dem vollständigen Satz schon infolge der Verkürzung etwas erhöht ist 1 , auch noch im Participium praesentis steht. Denn dieses läßt in solchen Fällen seinen verbalen Charakter viel stärker durchscheinen als das Participium praeteriti, das sich wegen seines überwiegend nominalen Charakters überhaupt attribuierendem Gebrauch gefügiger zeigt2. Unsere Textprobe ist die vom 2. April [1787] datierte Schilderung Palermos in G O E T H E S „Italienischer Reise".

11. L. schauderte, wie er die kalten Glieder berührte und die halbgeöffneten gläsernen Augen sah. Das Kind kam ihm so verlassen vor, und er sich so allein und einsam. Er warf sich über die Leiche nieder. Der Tod erschreckte ihn, ein heftioer 3 Schmerz faßte ihn an: diese Züge, dieses stille Gesicht sollte verwesen — er warf sich nieder; er betete mit allem Jammer der Verzweiflung, daß Gott ein Zeichen an ihm tue und das Kind beleben möge, wie er schwach und unglücklich sei; dann sank er ganz in sich und wühlte all seinen Willen auf einen 10 Punkt. So saß er lange starr. Dann erhob er sich und faßte die Hände des Kindes und sprach laut und fest: „Stehe auf und wandle!" Aber die Wände hallten ihm nüchtern den Ton nach, daß es zu spotten schien, und die Leiche blieb kalt. Da stürzte er halb wahnsinnig nieder; dann jagte es ihn auf, hinaus 15 ins Gebirg. Wolken zogen rasch über den Mond; bald alles im 1 2

LUISE THON, S. 6 0 . WILH. SCHNEIDER, Ausdruckswerte, S. 1 4 6 .

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hoheo Berge liegend", „vom Widerschein erleuchtet". Aber die meisten der in der Textprobe vorkommenden, nicht der Fortführung der Handlung, sondern nur der Beschreibung dienenden und daher eine bloß attribuierende Funktion ausübenden Restriktivsätze sind doch zwischengeschaltet, zerreißen das übergeordnete Satzganze und erheben die Schachtelmanier fast zum Prinzip des syntaktischen Baues. Fühlbar wird die Zwischenschaltung als Einschachtelüng besonders dann, wenn das Zeitwort des Restriktivsatzes, dessen Spannungsenergie gegenüber dem vollständigen Satz schon infolge der Verkürzung etwas erhöht ist 1 , auch noch im Participium praesentis steht. Denn dieses läßt in solchen Fällen seinen verbalen Charakter viel stärker durchscheinen als das Participium praeteriti, das sich wegen seines überwiegend nominalen Charakters überhaupt attribuierendem Gebrauch gefügiger zeigt2. Unsere Textprobe ist die vom 2. April [1787] datierte Schilderung Palermos in G O E T H E S „Italienischer Reise".

11. L. schauderte, wie er die kalten Glieder berührte und die halbgeöffneten gläsernen Augen sah. Das Kind kam ihm so verlassen vor, und er sich so allein und einsam. Er warf sich über die Leiche nieder. Der Tod erschreckte ihn, ein heftioer 3 Schmerz faßte ihn an: diese Züge, dieses stille Gesicht sollte verwesen — er warf sich nieder; er betete mit allem Jammer der Verzweiflung, daß Gott ein Zeichen an ihm tue und das Kind beleben möge, wie er schwach und unglücklich sei; dann sank er ganz in sich und wühlte all seinen Willen auf einen 10 Punkt. So saß er lange starr. Dann erhob er sich und faßte die Hände des Kindes und sprach laut und fest: „Stehe auf und wandle!" Aber die Wände hallten ihm nüchtern den Ton nach, daß es zu spotten schien, und die Leiche blieb kalt. Da stürzte er halb wahnsinnig nieder; dann jagte es ihn auf, hinaus 15 ins Gebirg. Wolken zogen rasch über den Mond; bald alles im 1 2

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Finstern, bald zeigten sie die nebelhaft verschwindende Landschaft im Mondschein. E r rannte auf und ab. In seiner Brust war ein Triumphgesang der Hölle. Der Wind klang wie ein Titanenlied. Es war ihm, als könne er eine ungeheure Faust 20 hinauf in den Himmel ballen und Gott herbeireißen und zwischen seinen Wolken schleifen; als könnte er die Welt mit den Zähnen zermalmen und sie dem Schöpfer ins Gesicht speien; er schwur, er lästerte. So kam er auf die Höhe des Gebirges, und das ungewisse Licht dehnte sich hinunter, wo die weißen Steinmassen 25 lagen, und der Himmel war ein dummes blaues Aug, und der Mond stand ganz lächerlich drin, einfältig. L. mußte laut lachen, und mit dem Lachen griff der Atheismus in ihn und faßte ihn ganz sicher und ruhig und fest. E r wußte nicht mehr, was ihn vorhin so bewegt hatte, es fror ihn; er dachte, er wolle 30 jetzt zu Bette gehn, und er ging kalt und unerschütterlich durch das unheimliche Dunkel — es war ihm alles leer und hohl, er mußte laufen und ging zu Bette.

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Am folgenden Tag befiel ihn ein großes Grauen vor seinem gestrigen Zustand. E r stand nun am Abgrund, wo eine wahnsinnige Lust ihn trieb, immer wieder hineinzuschauen und sich diese Qual zu wiederholen: „Du wirst einsam durch die Welt wandeln, du, weder Mensch noch Tier, der einzige deiner Art! — Kein Freundeskuß, kein Freundeshandschlag wird dir entgegenkommen, du wirst dich in keiner andern Seele mit Wohlgefallen spiegeln, du bist der einzige deiner Art! — du wirst niemand lieben und von niemand geliebt werden, du hassest die Welt, und sie verabscheut dich, alle deine Wünsche werden nach dem Schatten eines Zieles laufen, alle deine Kräfte im unnützen Kampfe ringen. Du stehst vor einem breiten Strom, vor deinen Augen eine angenehme Insel; die Sonne geht hinter dir unter und streut Gold auf alle Blumen des Eilandes, du wünschest dich hinüber, aber nur dein verlängerter Schatten reicht über den Strom, du kommst nie hinüber. Ist die Sonne untergegangen, dann kommt die Nacht, die ewige Nacht! O ihr Götter! laßt mich ein Wesen meiner Art finden, das mich verstehe, mich liebe, und ich lache Eurer und Eurer Strafe, und ich bin unter Qualen, die euch vernichten könnten, noch glücklich." . . .

Der Verfasser dieses Textes schildert uns den seelischen Verfall eines anscheinend pathologisch Veranlagten, der sich durch den Tod eines ihm nahestehenden Kindes einsam und weltverloren fühlt. Man darf annehmen, daß er ein Anhänger LAVATERS ist; denn dieser meinte, auch heutige Menschen könnten mit einem neu erstarkten Glauben und mit dem ihm

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Ausdruck verleihenden Gebet Wunder vollbringen wie einst der Heiland selbst. Da ihm der Versuch, das Kind zum Leben zu erwecken, mißlingt, verliert L. nicht hur sein Vertrauen auf Gott, sondern auch seinen letzten seelischen Halt. E r eilt ins Freie bis auf den K a m m des Gebirges hinauf. Nach Ausbruch eines wilden Hasses gegen Gott versinkt er in eine an Seelentaubheit grenzende nihilistische Stimmung. Die ganze Natur wird für ihn etwas Sinnloses, scheint ihm der Gesetzlichkeit beraubt zu sein, durch die die Geordnetheit im Universum aufrecht erhalten wird. L.s weltironische Gefühlshaltung macht sich in einem lauten Bajazzolachen Luft. Seine anfängliche Gottgläubigkeit erstickt unter dem Zugriff des Atheismus, und in einem rein mechanischen Ablauf, der nur noch einmal von Selbstbesinnung, von einer mit „großem Grauen" verbundenen Rückerinnerung unterbrochen wird, vollziehen sich alle seine weiteren Lebensäußerungen. Die Natur, in die er mit seiner inneren Zerrissenheit flüchtet, spiegelt in ihrer kalten Düsterkeit seine seelische Verfassung wider. Eine stürmische Nacht. Wolken jagen am Monde vorbei und hüllen zuweilen alles in Finsternis; aber auch, wenn sie den Strahlen des Nachtgestirns den Weg freigeben, t r i t t das vom Nebel überzogene Landschaftsbild nicht klar hervor, sogar die weißen Steinmassen liegen dann nur in einem „ungewissen Lichte" da, bis am Ende das „unheimliche Dunkel" alles verschlingt. Es ist bezeichnend für die unpathetische Art dieses Erzählers, daß sich im Satzbau seiner Schilderung keine einzige längere Periode findet; nur einmal stoßen wir darin auf einen zusammengezogenen Nebensatz zweiten Grades. Selbst dort, wo der Dichter bei der Darstellung stark bewegter Handlungsund Seelenvorgänge zu einer komplizierteren syntaktischen Konstruktion greift, wo er uns L. in seinem heißen Flehen zu Gott oder in seiner blasphemischen Auflehnung gegen ihn zeigt, werden von dem Hauptsatz wohl zwei Nebensätze abhängig gemacht — zusammengezogene Sätze werden in solchen

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Fällen bevorzugt —, aber keiner von ihnen stellt im zweiten Grade. Jedenfalls kann es auch in dieser Textprobe die Hypotaxe mit der Parataxe nicht aufnehmen. Unter den vielen kurzen, einfachen Sätzen stechen besonders die nur zwei bis sechs Worte umfassenden hervor. Auffallend ist die häufige Wiederholung des Pronomens „er". Es prägt sich dem Gehör vor allem dann ein, wenn es, eine Anapher bildend, an die Spitze jener ganz kurzen und noch dazu unmittelbar aufeinanderfolgenden Sätze tritt: „er warf sich nieder; er betete", „er rannte auf und ab", „er schwur, er lästerte", „er dachte, er wolle . . . und er ging". Das gleichfalls mehrmals vorkommende impersonale „es" soll wohl den triebhaften Zwang, unter dem L. steht und handelt, beziehungsweise die Passivität fühlbar machen, zu der er nach dem Mißlingen seines überheblichen Versuchs verurteilt ist 1 . Im Verein mit den kurzen parataktisch angeordneten Sätzen trägt die gleichfalls wiederholt angewandte asyndetische Satzverbindung in die Erzählung eine Hast hinein, die sich in stilistischer Hinsicht skizzierend auswirkt. Sie drängt sogar einmal den zu veranschaulichenden Gehalt der Schilderung in eine Satzellipse zusammen: „bald alles im Finstern"; ein andermal löst sie wieder den korrekten syntaktischen Zusammenhang in ein Anakoluth auf: „er betete mit allem Jammer der Verzweiflung, daß Gott ein Zeichen an ihm tue und das Kind beleben möge, wie er schwach und unglücklich sei". Zum mindesten gleich häufig verwendet wie das Asyndeton ist im Text aber auch das Polysyndeton. Sein ästhetischer Ausdruckswert ist, wie überall, so auch hier verschieden. Es kann die nicht ohne Feierlichkeit sich vollziehende Aufeinanderfolge einzelner Handlungen markieren: „Dann erhob er sich und 1

Ich nenne hier nicht wie L E O SPITZER das „es" synthetisches oder symbolisches Neutralpronomen, stimme aber der in seinen „Stilstudien", München 1928, I, 187 ff., verfochtenen Ansicht bei, daß für das Impersonale mythischer Ursprung und weltanschaulicher, ja deterministischer Begriffsgehalt anzunehmen sei.

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faßte die Hände des Kindes und sprach laut und fest"; es kann aber auch eine schrittweise und bis zur völligen Erreichung ihres Zieles sich fortsetzende Handlung andeuten: „griff der Atheismus in ihn und faßte ihn ganz sicher und ruhig und fest"; oder das Polysyndeton kennzeichnet die Steigerung, die sich unter mehreren vom Affekt hervorgetriebenen Wunschbildern einstellt: „Es war ihm, als könne er eiile ungeheure Faust hinauf in den Himmel ballen und Gott herbeireißen und zwischen seinen Wolken schleifen". Eine ganz besondere Funktion scheint dem Polysyndeton an d e r Stelle des Textes zuzufallen, die uns L.s Naturanschauung bereits ganz von seiner nihilistischen Seelentaubheit überschattet zeigt: „So kam er auf die Höhe des Gebirges, und das ungewisse Licht dehnte sich hinunter, wo die weißen Steinmassen lagen, und der Himmel war ein dummes blaues Aug,und der Mond stand ganz lächerlich drin, einfältig". Dinge, die kosmosbildend zueinander in engster Beziehung stehen, machen sich hier gleichsam selbständig und erwecken in ihrer Vereinzelung den Eindruck von Dummheit, Lächerlichkeit und Einfältigkeit. Es wird logischem Vorstellungsvermögen schwer, den Mond im Himmel unterzubringen, wenn d e r als blödes blaues Auge gedacht ist. Dieser Vergleich hindert den Dichter wohl auch daran, den Satz mit dem Subjekt „Mond" als Relativsatz an den mit dem Subjekt „Himmel" anzuschließen etwa in der Form: „worin der Mond ganz lächerlich, einfältig stand". Auch hier wurde statt der syntaktischen Unterordnung, an der ohne jenen Vergleich selbst die strengste Denkfolge keinen Anstoß genommen hätte, die syntaktische Nebenordnung gewählt, genau so wie in dem vorangehenden zweigliedrigen bzw. dreigliedrigen Satz, mit dem unsere Satzverbindung kopulativ verknüpft ist. Dazu läßt der Dichter das adverbielle „einfältig" auch noch dem letzten, bereits abgeschlossenen Satz nachhinken. Das ganze Satzgebilde, in dem die Sinnhaftigkeit des Universums in Frage gestellt wird, erhält so durch die grammatische Konstruktion nahezu die

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Arhythmik eines Gestammels, wozu hier das Polysyndeton nicht wenig mit beiträgt; denn dieses ist auch nur wieder Ausdruck einer Müdigkeit, die in aufgenommene Eindrücke keine rationale Ordnung mehr zu bringen vermag. Der Grundton, auf den unser Erzählungsausschnitt vom Anfang bis zum Ende angelegt ist, wird einmal bestimmt durch L.s Bewußtsein, nach dem Tode des Kindes einsam und verlassen dazustehen, dann von der zunehmenden Erkaltung und Verödung seines Gefühlslebens und von der unerbittlichen Konsequenz, mit der sich sein Wesenswandel vollzieht. Um dem Ganzen die stimmungsmäßige Untermalung zu geben, bedient sich der Dichter auch hier wieder des stilistischen Hilfsmittels der adjektivischen und adverbiellen Bestimmung. Die Eigenschaftswörter „verlassen", „allein und einsam" werden durch ein nachdruckverleihendes „so" verstärkt; „nüchtern" hallen die Wände der Stube die Worte des Wundertäters nach; „leer und hohl" dünkt ihn zum Schluß alles, was ihn umgibt. „ K a l t " sind die Glieder des Kindes, „ k a l t " bleibt die Leiche, den Unglücklichen „friert", und „kalt" t r i t t er den Heimweg an. Der Atheismus erfaßt L. „ganz sicher und ruhig und fest", und nicht nur „kalt", sondern auch „unerschütterlich" legt dieser das letzte Wegstück zurück. Die Schilderung, wie sich ein von fanatischer Gottgläubigkeit Besessener nach einer bitteren Lebensenttäuschung in einen wütenden Gotteshaß verfängt und die ungeheuerlichsten Blasphemien ausstößt, kann uns vielleicht die zeitliche Ansetzung der Textprobe erleichtern. Auch die Stürmer und Dränger rafften sich schon von aufklärerischer Gelassenheit zum Kampf Tim die „metaphysische" Befreiung auf, aber sie brachten es dabei über heftige Äußerungen eines prometheischen Trotzes doch nicht bis zu einem Gotteshaß, der sich, wie hier, in wahrh a f t sadistischen Rachevorstellungen entlädt. Auch in L U D W I G TIECKS Jugendwerk „Abdallah", dieser der Unterhaltungsliteratur nahestehenden Kreuzung von Geheimbund-und Geisterroman, werden Gotteslästerungen und titanische Kampfansagen

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laut, im wesentlichen aber doch nur auf Seiten derer, die moralisch verwerflichen Mächten dienen, so daß wir hier eigentlich von der schon bei den Bremer Beiträgern üblichen Bewertung des „Freigeistes" noch nicht allzuweit entfernt sind. Da läßt ein faustisch Unbefriedigter seine Eache a n Menschen, den Geschöpfen Gottes, aus, weil diesen selbst sein Arm nicht erreichen kann, und der Titelheld Abdallah, den ein mysteriöser Greis anfangs noch „mit Gottesleugnungen von sich jagte" 1 , beteuert am Ende, vom Bewußtsein, Vatermörder zu sein, bis zu heller Verzweiflung getrieben: „Ich könnte frech den Ewigen zum Zweikampf fordern und fluchend niedersinken 2 ". Aber zu einem in hemmungslosen Blasphemien sich austobenden Gotteshaß wie dem von L. h a t man sich erst in den Tagen des Expressionismus wieder verstiegen 3 . Von deutschen Dichtern, die noch Zeitgenossen T I E C K S waren, h a t wohl nur G R A B B E ein ähnliches Bravourstück wie der Verfasser unserer Textprobe gewagt. I n seinem Erstlingsdrama „Herzog Theodor von Gothland" vollzieht sich an dem schwedischen Heerführer ein Seelensturz von gleicher Fallhöhe, und auch hier versinkt der Held in ein nihilistisches Weltgefühl, das kosmischen Vorgängen ebenfalls allen Sinn abspricht. Denn auch für den sein bisheriges Menschentum abschwörenden Herzog Theodor*sind nun „Der Jahreszeiten wechselnde Erscheinungen, die immer wiederkehrenden Verwandlungen an dem Gestirnten Firmament" nichts anderes als: „Ein ew'ges Fratzenschneiden der N a t u r " 4 . Eine GRABBE 1

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literarische Beeinflussung unsers Verfassers durch soll damit nicht angenommen werden; aber die Epoche

LUDWIG TIECKS S c h r i f t e n , B e r l i n 1 8 2 8 , V I I I ,

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Ebd. S. 209. 3 F. J. SCHNEIDEB, Der expressive Mensch und die deutsche Lyrik der Gegenwart, Stuttgart 1927, S. 103 f. 4 GRABBES Werke, hg. von Sp. Wukadinowic (Bong), I, 83. Schneider

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des Weltschmerzes, die eine Epoche der schwersten metaphysischen Desillusion war und, wie man an G R A B B E sieht, atheistischen und nihilistischen Stimmungen Vorschub leistete, könnte natürlich auch Entstehungszeit unseres Textes sein. Daß dieser wohl nicht v o r der jüngeren Romantik oder jüngeren Hochromantik anzusetzen, sondern wie E I C H E N D O R F F S „Marmorbild" jedenfalls einem Zeitraum zuzuweisen ist, da das Interesse für okkulte Phänomene schon sehr lebendig war, ließe sich vielleicht aus den Vorbereitungen schließen, die L. zur Vollbringung seiner Wundertat t r i f f t : „dann sank er ganz in sich und wühlte all seinen Willen auf einen Punkt. So saß er lange starr". Das ist nicht die Praxis eines Wundertäters, der wie L A V A T E R alles durch die Stärke seines Glaubens und seines Gebetes bewerkstelligen will, das ist die Praxis eines Magnetiseurs! Gegen die Jahre der Frührcmantik, aber auch der frühen Hochromantik, scheint mir die realistische Härte und Nüchternheit zu sprechen, die in der Erzählung besonders dort auffällt, wo sich diese der Romantik noch am meisten nähert. Denn daß gewisse Annäherungen an letztere auch hier vorhanden sind, ist nicht zu bestreiten. Es entspricht romantischer Ironie und Selbstironie, wenn der Widerhall, den die Worte des Wundertäters in der Stube finden, als Spott der Wände aufgefaßt wird, oder wenn sich L.s Verzweiflung in einem lauten Lachen kundtut. Auch bewegen wir uns im Geleise der literarischen Tradition, wenn die unwirtliche, stürmische Nachtnatur zum Akkompagnement der Aufgewühltheit des Verzweifelten wird: „Wolken zogen rasch über den Mond; bald alles im Finstern, bald zeigten sie die nebelhaft verschwindende Landschaft im Mondschein. . . . Der Wind klang wie ein Titanenlied". Aber man halte, um sich den zeitbestimmenden Stilunterschied zu vergegenwärtigen, neben diese Zeilen die mit spukhaften Momenten angefüllte „romantische" Naturstimmung, in die uns T I E C K S „Abdallah" versetzt, wenn hier den Helden ein ähnlicher innerer Aufruhr wie L. ins Freie treibt: „Wild lag die Nacht über der Natur ausgebreitet, und

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tausend schreckliche Phantome ruhten auf ihrem schwarzen Mantel, Irrlichter schweiften durch den Wald, und rote Strahlen kräuselten sich um die Krone der schlanken Fichten, Ungewitter zogen am Horizont mit fürchterlichem Schweigen a u f " 1 . Wir beschränkten uns bei der Deutung unserer Textprobe zunächst nur auf deren ersten Teil, weil wohl jeder Leser merkt, daß der nun folgende Abschnitt einen ganz anderen Charakter hat. Die bisher berichtende Form der Erzählung, bei der L. ein einziges Mal selbst zu Worte kam, nämlich mit seinem Wunderspruch: „Stehe auf und wandle!", weicht nun einem Reflexionsmonolog, der in den Text einen scharfen Einschnitt legt. Nicht als ob sich damit auch der psychologische Gehalt der Textprobe von Grund aus veränderte! Auch dieser Teil der Erzählung weist die tief pessimistische Stimmung eines am Leben gescheiterten und unverstanden gebliebenen Einsamen auf. Selbst die blasphemische Auflehnung gegen die göttliche Gewalt kehrt wieder, freilich bei aller Heftigkeit k l a s s i s c h gebändigt — so etwa wie in GOETHES Prometheusode —, wenn der Unglückliche der Himmlischen und ihrer Strafe lachen möchte und sich selbst unter Qualen, denen jene erliegen könnten, noch glücklich fühlen wollte, sobald er nur ein ihn verstehendes und liebendes Wesen seiner Art fände. Aber ganz stilwidrig ist es doch, wenn eben dieser L., der im ersten Textabschnitt unter der Wucht seiner herben Lebensenttäuschung aus einem eifrigen Anhänger des L A V A T E ü s c h e n Christentums bereits ein kalter, empfindungsloser Atheist geworden war, nun plötzlich wie der Held eines in die Antike verlegten Dramas die himmlischen Mächte mit ,,0 ihr Götter!" anruft. Sieht man von der schon zur Metapher gewordenen Bezeichnung „Titanenlied" ab, so fand sich im ersten Abschnitt auch nicht e i n e jener klassischen Reminiszenzen, die wir in deutschen Dichtungen des 18. Jahrhunderts anzutreffen gewohnt sind und für die wir hier in der Anrufung der Olympischen wieder ein typisches Beispiel haben. Dabei 1

TIECKS S c h r i f t e n , V I I I , 137. 7*

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klang uns doch auch schon der Ausdruck des prometheischen Trotzes k l a s s i s c h stilisiert! Noch andere Gründe scheinen dafür zu sprechen, den in Frage stehenden Textteil nicht wie den vorausgehenden einer Dichtung des 19., sondern 18. Jahrhunderts zuzuweisen. Da vergleicht der Held die Aussichtslosigkeit,' seine Hoffnungen verwirklichen zu können, mit der Unmöglichkeit, über einen Strom hinwegzusetzen, jenseits dessen er eine „angenehme Insel" sieht, über deren Blumenreichtum die untergehende Sonne ihr „Gold" streut. Wir wissen allerdings nicht, wie lange es in unserer Literatur eine Landschaft von idyllischem Charakter vertrug, mit dem Prädikat „angenehm" bedacht zu werden. Dieses war dem Landschaftsempfinden des Rokokomenschen gemäß, der für die sanfte, wellige Natur mit ihren Wiesen, Hainen und Bächen schwärmte, und das Epitheton „angenehm" war daher auch Dichtern, deren Jugend noch in diese Epoche deutschen Kulturlebens fiel, ganz geläufig. Das erträumte Landschaftsbild, das hier vor den Augen des Dichters auftaucht, paßte in eine sentimentale Idylle von G E S S N E R hinein. Dieses blumenreiche „Eiland" steht jedenfalls in krassestem Gegensatz zu der düstern, steinigen, als tot und seelenlos empfundenen nächtlichen Gebirgslandschaft in der Naturschilderung des ersten Textabschnittes. Und wenn vom „Freundeskuß" die Rede ist, glauben wir uns wieder in eine Zeit zurückversetzt, da die Empfindsamkeit seelische Disposition für einen enthusiastischen, nahezu homoerotischen Freundschaftskult geworden war. Mit dem unpathetisch-knappen, melodiöser Geschmeidigkeit entbehrenden Stil des ersten Teils der Erzählung kontrastiert ganz auffallend die Stilform des Schlußteils. Von prophetischem Ausdrucks willen gehoben, kann sie geradezu psalmodisch genannt werden. Die Prosa gliedert sich hier wiederholt in zweiund dreisilbige Takte, ja reguliert sich zu trochäischen oder jambischen Langzeilen: „du bist der einzige deiner A r t " , „in keiner andern Seele mit Wohlgefallen spiegeln", „alle deine

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K r ä f t e im unnützen Kampfe ringen", „du wünschest dich hinüber", „dann kommt die Nacht, die ewige Nacht", „die euch vernichten könnten, noch glücklich", „alle deine Wünsche werden nach dem Schatten eines Zieles laufen", „Du stehst vor einem breiten Strom, vor deinen Augen eine angenehme Insel". Durch die häufige Anwendung der Anaphora — besonders das Pronomen „ d u " dient diesem Zwecke — entstehen die in orientalischen Dichtungen so beliebten Parallelismen. Einen Parallelismus synonymer Art haben wir vor uns, wenn es im Texte heißt: „Alle deine Wünsche werden nach dem Schatten eines Zieles laufen, alle deine K r ä f t e im unnützen Kampfe ringen"; andere Parallelismen sind hingegen antithetisch: „du wirst niemand lieben und von niemand geliebt werden, du hassest die Welt, und sie verabscheut dich", „du wünschest dich hinüber, . . . du kommst nie hinüber". Einen besonderen Nachdruck verleiht den Abschlüssen der beiden ersten Sätze des zweiten Teils die Epiphora „der einzige deiner A r t " und dem Ende des Satzes, der dem Anruf an die Götter unmittelbar vorangeht, die durch das Beiwort „ewige" gesteigerte Wortwiederholung: „dann kommt die Nacht, die ewige Nacht!". Auch eine Antiklimax mit stufenweise abwertendem Sinngehalt entsteht, wenn sich in dem Helden mit wachsender Vereinsamung die Überzeugung festigt, künftighin weder auf eine enthusiastische, noch männlich-feste Freundschaft mit einem andern Wesen rechnen zu können, noch auch mit dessen bloßer Sympathie, ein Gedankengang, der sich in die Metonymien kleidet: „Kein Freundeskuß, kein Freundeshandschlag wird dir entgegenkommen, du wirst dich in keiner andern Seele mit Wohlgefallen spiegeln". Nimmt man noch hinzu, daß in diesem Textteil auch Alliterationen vorkommen („Welt wandeln", „Kein Freundeskuß, kein Freundeshandschlag", „alle deine Wünsche werden", „deine K r ä f t e im unnützen K a m p f e " ) und daß eine Untersuchung der die Schallform bildenden Elemente so manche ermittelte, die klangphonetisch an der Satzmelodie mitbeteiligt sind: dann kann man wohl von einem beträchtlichen

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Aufgebot an künstlerischen Stilmitteln sprechen, die diesem Reflexionsmonolog einen Schwung von erhabenem Lyrismus geben sollen. F ü r die zeitliche Ansetzung des Schlußteils der Textprobe gewinnen wir daraus einen wertvollen Anhaltspunkt. Der Verfasser gehört offenbai zu den deutschen Schriftstellern, die, inspiriert von der Lyrik KLOPSTOCKS, ihren Stil am Vorbild orientalischer, in diesem Falle biblischer, Poesie schulten. Zu ihnen zählte auch der junge GOETHE, der Verfasser des 'Werther' und der in diesen eingeschalteten Ossianübersetzung. Dafür, daß unser Erzähler auch von GOETHES Roman beeinflußt ist, spricht das Gefühl trostloser Vereinsamung, das seinen Helden beherrscht. Dieser zeigt sich aber nicht nur von den grüblerischen und passiven Stimmungen der Geniezeit berührt, sondern kehrt mit seiner Überzeugung, der einzige seiner Art zu sein, auch ein gewisses der Sturm- und Drangperiode eigentümliches Originalitätsbewußtsein hervor und verbindet mit dem allen noch Empfindungsweisen des sentimentalen Rokoko. Vielleicht handelt es sich um einen Dichter, der noch zwischen den Zeiten steht oder noch nicht die Bahnen gefunden hat, in denen sich später das Schaffen seiner Reifezeit bewegen sollte. Der letzte Teil der Textprobe ist ein Beitrag des jungen TIECK zu RAMBACHS (Ottokar Sturms) 1792 erschienenem Unterhaltungsroman „Die eiserne Maske". Der vorausgehende Teil der Erzählung bringt dagegen einen Ausschnitt aus GEORG BÜCHNERS Novelle „Lenz". Das kontaminierte Ganze stellt demnach ein Prosastück der ausklingenden Romantik einem der eben beginnenden gegenüber.

12. Bis spät am Abend saß ich in meiner kleinen Giebelstube eingeschlossen und duckte mich zusammen wie ein Vogel, der mausert. War denn nicht auch mein ganzer Adam schon wieder in einer politischen Mauserung begriffen? Ich fühlte zwar, wie 5 an der Stelle der abgefallenen neue Federn in meinen Flügeln wuchsen, aber ich hätte darüber Ach und Weh schreien mögen. Da fiel mir erst ein, daß draußen unter den ewigen Himmels-

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Aufgebot an künstlerischen Stilmitteln sprechen, die diesem Reflexionsmonolog einen Schwung von erhabenem Lyrismus geben sollen. F ü r die zeitliche Ansetzung des Schlußteils der Textprobe gewinnen wir daraus einen wertvollen Anhaltspunkt. Der Verfasser gehört offenbai zu den deutschen Schriftstellern, die, inspiriert von der Lyrik KLOPSTOCKS, ihren Stil am Vorbild orientalischer, in diesem Falle biblischer, Poesie schulten. Zu ihnen zählte auch der junge GOETHE, der Verfasser des 'Werther' und der in diesen eingeschalteten Ossianübersetzung. Dafür, daß unser Erzähler auch von GOETHES Roman beeinflußt ist, spricht das Gefühl trostloser Vereinsamung, das seinen Helden beherrscht. Dieser zeigt sich aber nicht nur von den grüblerischen und passiven Stimmungen der Geniezeit berührt, sondern kehrt mit seiner Überzeugung, der einzige seiner Art zu sein, auch ein gewisses der Sturm- und Drangperiode eigentümliches Originalitätsbewußtsein hervor und verbindet mit dem allen noch Empfindungsweisen des sentimentalen Rokoko. Vielleicht handelt es sich um einen Dichter, der noch zwischen den Zeiten steht oder noch nicht die Bahnen gefunden hat, in denen sich später das Schaffen seiner Reifezeit bewegen sollte. Der letzte Teil der Textprobe ist ein Beitrag des jungen TIECK zu RAMBACHS (Ottokar Sturms) 1792 erschienenem Unterhaltungsroman „Die eiserne Maske". Der vorausgehende Teil der Erzählung bringt dagegen einen Ausschnitt aus GEORG BÜCHNERS Novelle „Lenz". Das kontaminierte Ganze stellt demnach ein Prosastück der ausklingenden Romantik einem der eben beginnenden gegenüber.

12. Bis spät am Abend saß ich in meiner kleinen Giebelstube eingeschlossen und duckte mich zusammen wie ein Vogel, der mausert. War denn nicht auch mein ganzer Adam schon wieder in einer politischen Mauserung begriffen? Ich fühlte zwar, wie 5 an der Stelle der abgefallenen neue Federn in meinen Flügeln wuchsen, aber ich hätte darüber Ach und Weh schreien mögen. Da fiel mir erst ein, daß draußen unter den ewigen Himmels-

Stilkritische Interpretationen säulen die schönste Sommermondnacht unterdes angebrochen war. Ich öffnete mein Fenster und setzte mich auf das Fenster 10 brett. E s war alles still und mild und lau, der sanft gehende Atem der Nacht hatte sich mit den Wohlgerüchen der umliegenden Gärten gewürzt, der Mond warf herrliche Silberflocken in den wallenden Dämmerungsflor hinein und sah aus wie eine Vestalin, in deren Augen ein keusches Feuer brennt . . . Ich 15 kroch zum Fenster hinaus und setzte mich in den Apfelbaum, der dicht darunter stand und mir so oft schon mit seinen schwebenden Zweigen zum Balkon gedient hatte. Umweht von der frischen Apfelblüte, die sich zärtlich in die Nacht ausduftete, und hineinblickend in das große Weltall, das feierlich über mir 20 ruhte, über mir, dem einsamen Tintenklecks in der Kreisperipherie des Universums, ließ ich mich endlich folgendermaßen in meinen Betrachtungen los:

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Hier sitzt er wieder in seinen hängenden Gärten der Semirämis. Dies ist ein hübscher Baum. Wäre es doch der Baum der Erkenntnis! Ach, und diesmal hat er dir, lieber Apfelbaum, absolute Gedanken zu vertrauen. J a , absolute! Schrick nur nicht so zusammen mit deinen Ästen, damit er nicht herunterpurzelt, denn er hält sich nur so mit genauer Not. Gleicht diese erhabene Nacht, die in sterngestickten Schleiern majestätisch über der Schöpfung thront, nicht dem Bilde eines großen absoluten Staates? Heilige Ruhe, großartige Würde, gebietender Ernst und Feierlichkeit sind in beiden die waltenden Elemente. Auf uraltem Firmament (Fundament?) webt die Nacht, ist die absolute Monarchie gebaut. Der Mond ist das Licht der Gnade, das die Throne mild glänzend umschwebt. Die Sterne und die Lämmerchen in der Milchstraße sind die vielen Orden, mit denen ein absoluter Herrscher die Beamten seines Willens schmückt. Und dort die säuselnden Nachtgespenster, die durch die Schatten streichen, sind kleine despotische Ableger, die an der übrigen Blütenherrlichkeit der ganzen Fruchtkrone in frommer Scheu ignoriert werden.

Aber nein, im Ernst, das Absolute allein ist die Wahrheit! E s ist der in seiner höchsten Spitze gefaßte Begriff der Sache selbst, und so ist der zu seinem wirklichen Recht gekommene iö Begriff des Staates nur der absolute, indem er sich wie jeder echte Lebensorganismus in sein leitendes Agens,' das Oberhaupt, und in die geleiteten Bestandteile, die Untertanen, zerlegt, welche sich dann wieder in dem Oberhaupt, als in ihrer Einheit, zusammengefaßt und aufgehoben empfinden. Diese absolute 50 Staatseinheit ist die sicherste Freiheit. Ich behaupte nicht, daß das Absolute die Freiheit an sich sei. Frei sind die Dinge, wo sie sich noch in ihrer Unmittelbarkeit, und ohne von dem Begriff zusammengefaßt zu sein, herumtummeln und gewissermaßen nomadisieren. Indem aber ihr Begriff, also ihre Absolutheit,

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55 gefunden wird, sind sie zugleich in sich gebunden und an ihr eignes Wesen gefesselt; denn der Begriff hat alle kurz zuvor noch so munter umherschwärmenden Einzelheiten jetzt unter seine strenge Notwendigkeit gesammelt. Diese Notwendigkeit ist der absolute Herrscher, und ihr Gesetz ist die Freiheit der 60 absoluten Staaten. Diese Freiheit ist, wie ich gesagt, die sicherste, weil sie durch den Begriff angefesselt ist.

Wird m a n nicht a n ein Bild des Malers S P I T Z W E G (1808 bis 1885) erinnert, wenn m a n sich diesen Insassen einer kleinen Giebelstube vorstellt, wie er sich auf sein Fensterbrett setzt u n d auf einen dicht darunterstehenden Apfelbaum kriecht, u m sich die Illusion des Ruhens auf dem Balkon einer Etagenwohnung zu verschaffen u n d sich in kosmische Gefühle einzuspinnen, als säße er in den Zweigen der Weltesche Yggdrasil oder befände sich in den „hängenden Gärten der Semiramis"? Die von leiser Komik umspülte Idylle ist in noch echt r o m a n tische N a t u r s t i m m u n g g e t a u c h t : eine laue „Sommermondnacht", der in voller Blüte stehende Apfelbaum, die von den umliegenden Gärten ausgeströmte würzige L u f t , die herrlichen „Silberflocken", die der Mond „in den wallenden Dämmerungsflor" hineinwirft, u n d die säuselnden Nachtgespenster. Auf J E A N P A U L S A r t wird hier „geistiges Nestmachen" mit romantischem Unendlichkeitsdrang verquickt, u n d romantisch-ironisches Lebensgefühl, entsprungen dem Bewußtsein des Gegensatzes zwischen Weltallsweite u n d menschlicher Begrenztheit, drückt sich hier auch in der echt J E A N pAULschen Metapher aus vom „einsamen Tintenklecks in der Kreisperipherie des Universums". Aber der Verfasser des Textes geht weder in E I C H E N D O R F F scher Sommernachtsseligkeit auf, noch teilt er mit J E A N P A U L S Wuz u n d Quintus Fixlein das stille Glück der Zufriedenheit u n d Unterwürfigkeit. W e n n er den Mond mit einer Yestalin vergleicht, „in deren Augen ein keusches Feuer b r e n n t " , läßt er bereits eine leise erotisch gefärbte Spötterei als Dissonanz in die Harmonie romantischer Mondscheinschwärmerei hineinklingen, u n d alle vorgetäuschte Selbstbescheidung des Autors ist verflogen, wenn er sein geduldiges Sich-Fügen in die R a u m -

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enge der kleinen Giebelstube mit dem Sich-Ducken eines mausernden Vogels vergleicht, unter Mauserung jedoch eine abermalige ,politische" Mauserung versteht, der sein „ganzer A d a m " unterworfen ist und die ihm nicht wenig Schmerzen bereitet. Der Wechsel, der sich in der Textprobe mit dem Übergang vom situationsschildernden ersten Abschnitt zu dem von Betrachtungen ausgefüllten zweiten vollzieht, wird auch schon formal durch den Sprung unterstrichen, den jetzt der Erzähler in seinem Bericht von der ersten in die dritte Person macht. E r hält sich gleichsam seinen Doppelgänger vor Augen und vollzieht damit eine Objektivierung, die auch zur Steigerung jener Situationskomik ausgenützt wird, die uns zu einem Vergleich mit Spitzwegs Kunst reizte. Die im ersten Teil noch glimmende satirische Laune züngelt nun auch schon als munter flackernde Flamme empor. Die an den blühenden Apfelbaum gerichtete Mahnung, beim Anhören „absoluter Gedanken" nicht zu erschrecken, u m nicht den Betrachter von seinem ohnehin wenig sattelfesten Sitz „herunterpurzeln" zu lassen, benimmt uns wohl jeden Zweifel daran, daß eine im Text etwa weiterhin noch auftauchende romantische Stilfärbung etwas anders sein könne als bloße Verzuckerung der dem Leser dargebotenen spöttischen Bitterkeiten. Der Bericht gehört offenbar einer Zeit an, da sich der Deutsche überkommener alter Anschauungen zugunsten neuer zu entledigen hatte, da das „Absolute" im philosophischen Denken eine gleich wichtige Rolle spielte wie als Regierungsform im politischen Leben, da es freilich auch schon scharfer Kritik und übermütigem Spott ausgesetzt war und Äußerungen über das „Absolute" im politischen Sinne gefährlich seinkonnten. Der Begriff des „Absoluten" wird von unserem Verfasser im dritten und letzten Abschnitt seines Textes durch eine geistige Eskamotage ganz leicht aus der Logik und Metaphysik auf die Staatstheorie übertragen zum Zwecke einer für den Vormärz typischen Verhüllung politischer Satire. So etwa wie F I S C H A R T in seinem papstfeindlichen Bildergedicht „Gorgoneum c a p u t " einen Holzschnitt erläutert, der

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das aus lauter Heiltümern zusammengesetzte Brustbild des Papstes darstellt, deutet unser Verfasser zunächst alle Merkmale der über der Schöpfung thronenden Nacht als Einzelzüge im Bilde eines „großen absoluten Staates". Die Satire stützt sich jetzt auf die Komik, die ausgelöst wird von dem Gegensatz, der zwischen der Majestät des Kosmos und der des damaligen Polizeistaates besteht. Der Betrachter findet hier wie dort „heilige" Ruhe, großartige Würde, gebietenden Ernst und Feierlichkeit. Nacht wie Staat erheben sich über uraltem Firmament [Fundament?], der Mond ist das Licht der vom Herrscher geübten Gnade, die Sterne und die Lämmerchen in der Milchstraße sind die von dem absoluten Regenten an seine willigen Beamten verteilten Ordenszeichen; selbst die zu außenpolitischer Machtlosigkeit verurteilte deutsche Kleinstaaterei wird satirisch gestreift, wenn der Text die säuselnden Nachtgespenster „kleine despotische Ableger" nennt, die an der übrigen Blütenherrlichkeit der ganzen Fruchtkrone in „frommer Scheu" — ignoriert werden. Mit dem Ordnungsruf „Aber nein, im Ernst" setzt der Verfasser seine Reflexionen fort, wobei er ihnen mit seinem scheinbaren Entschluß, der Komik zu entsagen, den Anstrich von Ernsthaftigkeit gibt. Seine Ausführungen nehmen sich nun wie eine kleine philosophische Abhandlung aus. Es ist nicht unsere Aufgabe, in diese von satirischer Laune eingegebenen Gedankengänge Systematik zu bringen oder die Behauptungen des Verfassers auf ihre logische Zulänglichkeit hin zu prüfen. Uns genügt es, aus dem weltanschaulichen Gehalt auch dieses Textteils ein Kriterium für die zeitliche Unterbringung des Ganzen herauszuschälen. Zeigte sich unser Autor als Schriftsteller noch abhängig von romantischer Gefühlsweise und J E A N P A U L S c h e r oder Jeanpaulisierender Dichtungsart, so läßt sein ironisch gemeinter Beweis, daß der absolute Staat die sicherste, weil durch den 'Begriff' angefesselte, Freiheit sei und der absolute Herrscher die Verkörperung jener Notwendigkeit, unter der der „Begriff" die so munter „umherschwärmenden

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Einzelheiten" sammle, noch deutlich die Schule H E G E L S erkennen. Versteht er unter dem „Absoluten" den absoluten Geist, so kann der Verfasser sehr wohl im HEGELschen Sinne sagen: „Das Absolute allein ist die Wahrheit!". Er faßt den Staat als echten Lebensorganismus auf, wie ja auch H E G E L das organische Leben im Staate betonte und von dessen „inwendigem Organismus" sprach, nur daß er sich dabei seinen Staatsbegriff nicht wie unser Spötter in der absoluten, sondern konstitutionellen Monarchie verwirklicht dachte. Wenn H E G E L gegenüber der Lehre von der Trennung der gesetzgebenden und ausführenden Gewalt im Staate dessen Einheit und Ganzheit forderte und die fürstliche Gewalt über die beiden andern stellte1, so kommt ihm der Verfasser unserer Textprobe wenigstens denkmethodisch nahe, da er den staatlichen Organismus wohl in das Oberhaupt als das Agens und in die Untertanen als die geleiteten Bestandteile zerlegt, von letzteren aber behauptet, daß sie sich wieder in dem Oberhaupt als ihrer Einheit „zusammengefaßt und aufgehoben empfinden", wobei er mit dem Ausdruck „aufgehoben" einen bekannten Terminus der HEGELschen Dialektik aufgreift. Und wenn in der Textprobe die absolute Staatseinheit als „die sicherste Freiheit" hingestellt wird, glauben wir wieder H E G E L ZU hören, der im Staate „die Wirklichkeit der konkreten Freiheit" erblickte, und wenn unser Verfasser schließlich im „Begriff" die Absolutheit der Dinge findet und diese damit in sich gebunden und an ihr eigenes Wesen gefesselt zu haben glaubt, bewegt er sich wieder in den Gedankenbahnen HEGELS, der im „Begriff" das treibende Agens sah, durch dessen Tätigkeit die Dinge erst ihre Wirklichkeit erhielten, in dem sich das Wesentliche der Dinge manifestiere2. Als hervorstechende und für die geistige Eigenart und Zeitbedingtheit des Verfassers charakteristische Merkmale ergeben 1 NICOLAI HARTMANN, Die Philosophie des deutschen Idealismus (Berlin 1929), S. 347. 2 RUDOLF EISLER, Wörterbuch der philosophischen Begriffe 4 I, 179.

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sich aus unserer Textprobe einerseits noch. Zusammenhänge mit romantischer Gefühlsweise und Kunstgestaltung, wobei sich freilich auch schon gewisse auflösende Tendenzen bemerkbar machen, ferner Zusammenhänge mit der H E G E L schen Philosophie, andererseits aber politische Interessiertheit und polemische Einstellung zum absoluten Regime. Sie verbirgt sich hier unter der ironischen Glorifizierung, die ein Vergleich staatlicher Würde und Macht mit kosmischer Größe und Erhabenheit bedeutet, und unter dem pseudophilosophischen Erweis, der für die Berechtigung des absoluten Staates und der politischen Unfreiheit erbracht wird. All das weist auf einen Schriftsteller hin, der, aus romantischer Tradition hervorgegangen, schon Anschluß an die jungdeutsche Ideenbewegung gefunden h a t und vielleicht schon einer ihrer Vertreter ist. Die Textprobe ist den „Modernen Lebenswirren" von. T H E O D O R M Ü N D T entnommen, einem Altersgenossen des Malers S P I T Z W E G . Ein Beispiel für den Zusammenschluß von Personal-, Zeit- und Generationsstil! Quellen

der

Textproben.

Werke, Berlin (Hempel), I , 2 0 1 f. 2 . MICHENDORFS, JOSEPH Freiherr v., Werke, hg. -v. L . Krähe, Berlin (Bong), III, 101 f. 3. K E R N E R , J U S T I N U S , Sämtliche poetische Werke, hg. v. GAISMAIER, Leipzig (Hesse), III, 206—208. 4 . J E A N P A U L , Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe, Weimar, I. Abt., 8. Bd., S. 379 f. 5 . W A G N E R , E R N S T , Sämtliche Schriften, Leipzig 1 8 2 8 , I , 1 7 0 ff. 6 . SEALSFIELD, CHARLES, Süden und Norden, Stuttgart 1 8 4 2 , I , 8 9 ff. 7. SCHLAF, JOHANNES, I n Dingsda, Berlin 1892, S . 38 f. 8 . EDSCHMID, K A S I M I R , Die Achatnen Kugeln, Berlin 1 9 2 0 , S . 1 8 4 f. 9 . SCHILLER, FRIEDRICH V., Sämtliche Werke (Säkularausgabe), Stuttgart u. Berlin, II, 202 ff. 1 0 . GOETHE, JOH. WOLFGANG V., Sämtliche Werke (Jubiläumsausgabe), Stuttgart u. Berlin, X X V I , 268 f. 11. BÜCHNER, GEORG, Sämtliche Werke und Briefe, Leipzig 1922, S. 9 9 f . ; STURM, OTTOKAR [Rambach, Friedr. Eberhard], Die eiserne Maske. Eine schottische Geschichte, Frankfurt u. Leipzig 1792, S. 536 f. 1 2 . M Ü N D T , THEODOR, Moderne Lebenswirren, Leipzig 1 8 3 4 , S. 1 1 8 ff. 1. W I E L A N D , CHRISTOPH M A R T I N ,

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sich aus unserer Textprobe einerseits noch. Zusammenhänge mit romantischer Gefühlsweise und Kunstgestaltung, wobei sich freilich auch schon gewisse auflösende Tendenzen bemerkbar machen, ferner Zusammenhänge mit der H E G E L schen Philosophie, andererseits aber politische Interessiertheit und polemische Einstellung zum absoluten Regime. Sie verbirgt sich hier unter der ironischen Glorifizierung, die ein Vergleich staatlicher Würde und Macht mit kosmischer Größe und Erhabenheit bedeutet, und unter dem pseudophilosophischen Erweis, der für die Berechtigung des absoluten Staates und der politischen Unfreiheit erbracht wird. All das weist auf einen Schriftsteller hin, der, aus romantischer Tradition hervorgegangen, schon Anschluß an die jungdeutsche Ideenbewegung gefunden h a t und vielleicht schon einer ihrer Vertreter ist. Die Textprobe ist den „Modernen Lebenswirren" von. T H E O D O R M Ü N D T entnommen, einem Altersgenossen des Malers S P I T Z W E G . Ein Beispiel für den Zusammenschluß von Personal-, Zeit- und Generationsstil! Quellen

der

Textproben.

Werke, Berlin (Hempel), I , 2 0 1 f. 2 . MICHENDORFS, JOSEPH Freiherr v., Werke, hg. -v. L . Krähe, Berlin (Bong), III, 101 f. 3. K E R N E R , J U S T I N U S , Sämtliche poetische Werke, hg. v. GAISMAIER, Leipzig (Hesse), III, 206—208. 4 . J E A N P A U L , Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe, Weimar, I. Abt., 8. Bd., S. 379 f. 5 . W A G N E R , E R N S T , Sämtliche Schriften, Leipzig 1 8 2 8 , I , 1 7 0 ff. 6 . SEALSFIELD, CHARLES, Süden und Norden, Stuttgart 1 8 4 2 , I , 8 9 ff. 7. SCHLAF, JOHANNES, I n Dingsda, Berlin 1892, S . 38 f. 8 . EDSCHMID, K A S I M I R , Die Achatnen Kugeln, Berlin 1 9 2 0 , S . 1 8 4 f. 9 . SCHILLER, FRIEDRICH V., Sämtliche Werke (Säkularausgabe), Stuttgart u. Berlin, II, 202 ff. 1 0 . GOETHE, JOH. WOLFGANG V., Sämtliche Werke (Jubiläumsausgabe), Stuttgart u. Berlin, X X V I , 268 f. 11. BÜCHNER, GEORG, Sämtliche Werke und Briefe, Leipzig 1922, S. 9 9 f . ; STURM, OTTOKAR [Rambach, Friedr. Eberhard], Die eiserne Maske. Eine schottische Geschichte, Frankfurt u. Leipzig 1792, S. 536 f. 1 2 . M Ü N D T , THEODOR, Moderne Lebenswirren, Leipzig 1 8 3 4 , S. 1 1 8 ff. 1. W I E L A N D , CHRISTOPH M A R T I N ,