Ein Verleumder: Glossen zur Vorgeschichte des Weltkrieges [Reprint 2018 ed.] 9783111486581, 9783111119953


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German Pages 68 Year 1915

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Ein Verleumder Glossen zur Vorgeschichte des Weltkrieges
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Ein Verleumder: Glossen zur Vorgeschichte des Weltkrieges [Reprint 2018 ed.]
 9783111486581, 9783111119953

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Ein Verleumder Glossen zur Vorgeschichte des Weltkrieges

von

Professor Dr. Th. Zchiemcmn

Berlin 1915 Druck und Verlag von Georg Reimer

Alle Rechte, insbesondere das der Über, setzung in fremde Sprachen, vorbehalten.

CYY7it dem französischen Titelwort „J’accuse“ ist in deutscher Sprache auf dem Boden der ftanzösischen Schweiz „von einem Deutschen" ein Pamphlet veröffentlicht worden, das ohne Zweifel in Frankreich, England, Rußland, und wo sonst die Feinde Deutschlands ihre Ränke schmieden, als hoch erfteuliches Ereignis begrüßt werden wird. Dem russischen Reichswappen hat der anonyme Verfasser die Titelvignette entnommen: den Helligen Georg, der dem Drachen seine Lanze in den Schlund stößt. Darüber aber setzt er als Motto den Vers: Wer die Wahrheit kennt und saget sie nicht. Der ist fürwahr ein erbärmlicher Wicht! Als Schwurzeuge hat der „Ankläger" einen in Lausanne lebenden Schweizer, Dr. Anton Suter, gewählt, der die Keckheit hat, die Verantwortung für die Veröffentlichung dieser Schmäh­ schrift auf sich zu nehmen und sie als eine „Tat, die dem deutschen Volke und der Menschheit nur zum Segen gereichen" könne, zu empfehlen. Offenbar ist dieser Herr Suter unfähig gewesen, die Entstellungen und direkten Unwahrheiten zu durchschauen, die der „Ankläger" urtellslosen oder in üblem Willen verstockten Lesern aufzudrängen bemüht ist. Nein, der Verfasser von „J’accuse“ ist keineswegs „ein deut­ scher Patriot", sondern ein bewußter Verleumder, der offenbar aus erlebter Erfahrung weiß, daß von allen Masken, hinter denen die Verleumdung ihr Antlitz verbirgt, die des schmerzerfüllten Patrioten die wirkungsvollste ist. Er weiß sehr wohl, daß, was

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er als angebliche „Wahrheit seinen Lesern vorführt, das durch eigene Zutat giftiger Dialektik vervollständigte Programm der Anschuldigungen bringt, mit denen unsere Feinde die öffentliche Meinung der Welt für sich zu gewinnen suchen. Mit der Wahrheit, die nicht verschwiegen werden darf, hat der Inhalt von „J’accuse“ nichts gemein. Eine Kette von Behauptungen wird uns vorgeführt, die ebensowenig mit der Wirklichkeit zu tun haben, wie die Prognose dieses „Deutschen", die uns wirtschaftlichen, mllitärischen und moralischenNiedergang ankündigt. An diesen Ausgang glaubt heute selbst niemand im Lager unserer Feinde, auch die Auguren nicht, die in Hoffnung auf solchen Ausgang den Weltkrieg angezettelt haben: die Poincars, Asquith, Goremykin, die ihre Namen hergaben, um die heimliche Arbeit der Delcasft, Grey, Jswolski und Ssassonow zu decken. Sie alle sehen bereits mit Grauen dem Augenblick entgegen, da der Bau, den sie errichten wollten, zusammenbricht, und sie unter seinen Trümmern begräbt. Zugleich mit ihnen aber wird jener „Ankläger" unter der Last seiner Schande zu­ sammenbrechen, wenn das siegreiche deutsche Volk mit Abscheu sich von denen abwenden wird, die ihre Rechnung dabei zu finden hofften, das eigene Vaterland mit Schmutz zu bewerfen. „J’accuse" hebt an mit dem Kapitel „Deutschland wach auf!" Es will dem Deutschen ein Licht aufstecken, damit ihm die folgenden „Wahrheiten" des Anklägers einleuchten: 1. daß dieser Krieg von Deutschland längst geplant und vor­ bereitet worden ist, nicht bloß militärisch, sondern auch politisch; 2. daß man seit lange entschlossen war, diesen Angriffs­ krieg dem deutschen Volke als einen Besteiungskrieg darzustellen, weil man wußte, daß man nur so die nötige Begeisterung er­ warten konnte; 3. daß das Ziel dieses Krieges die Erlangung der Hege-

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movie auf dem Festlands und tat wetteren Verlauf die Er­ oberung der Weltmachtstellung Englands sein sollte, nach dem Grundsatz: öte-toi de lä, que je m’y mette! Hat man je schamlosere Verkehrung der Wahrheit aus deut­ schem Munde zur Schädigung des eigenen Vaterlandes gehört? Wir stellen dem die folgenden Sätze entgegen: 1. daß dieser Krieg zunächst von Frankreich gewollt, durch das russtsch-französtsche Bündnis der Verwirklichung näher­ gebracht und durch Anschluß Englands an diese Verschworenen, unter englischer Leitung zur unabwendbaren Notwendigkeit ge­ worden ist; 2. daß diese drei Mächte seit langem entschlossen waren, die Machtstellung Deutschlands in Zentraleuropa zu brechen und systematisch die Welt für die Vorstellung zu erziehen bemüht waren, daß diese Operation eine sittliche Notwendigkeit sei; 3. daß das Ziel dieses uns aufgezwungenen Krieges die dauernde Sicherung unserer Grenzen und die Befreiung der Meere von englischer Tyrannei sein soll. Im Grunde wäre damit bereits der wesentliche Inhalt der „Anklage" und unser gegensätzlicher Standpunkt deutlich gekenn­ zeichnet. Aber der anonyme Ankläger sucht durch vier weitere Abschnitte seines Buches seine Thesen, die nicht, wie er glaub­ haft machen will, für das deutsche Volk, sondern für die Feinde unseres Volkes von ihm formuliert sind, und, wie wir hören, in 25 000 Exemplaren im Auslande verbreitet worden sind, zu belegen. Er nennt sie: II. Vorgeschichte des Verbrechens (NB. unseres Ver­ brechens). in. Das Verbrechen. IV. Folgen der Tat. V. Die Zukunft und Epilog.

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Wir wollen, so unerquicklich die Aufgabe ist, ihm hart an den Fersen bleiben. Die „Vorgeschichte des Verbrechens" umfaßt S. 25—113. und beginnt mit einem Abschnitt über: Unsere Imperialisten: Bernhardt «. Cie. Die erste große Fälschung des Verfassers liegt nun darin, daß ihm der „Imperialismus" ein deutscher Weltbeherrschungs­ gedanke ist, während, wie allbekannt ist, Wort und Begriff eng­ lischen Ursprungs sind und im Zusammenhang mit den britischen Kolonialkonferenzen, in Anlaß der Jublläen der Königin Viktoria in Umlauf gesetzt worden sind. Erst böswillige Verkehrung hat dann beides auf die Tendenzen der deutschen Politik und die Strömungen m. der deutschen Volksseele übertragen. Die vom Verfasser angefeindeten Schriften des Generals von Bernhardt aber sind, was natürlich auch verschwiegen wird, im Jahre 1912 erschienen, als die aggressive Politik der Mächte des Dreiver­ bandes keinen Zweifel darüber ließ, daß wir über kurz oder lang mit einer Koalition von England, Rußland und Frankreich zu rechnen haben würden, deren Ziel mindestens die politische De­ mütigung sein sollte, auf welche dann als logische Folgeerschei­ nung die Zertrümmerung der deutschen Machtstellung folgen sollte. Es war das alte Rezept: avilir, puis demolir. Die tapferen Bücher von Bernhardt haben in richtiger Voraussicht der sich vorbereitenden Dinge auf die Notwendigkeit hingewiesen, zum Schwert zu greifen, ehe die Verschwörung, die Deutschland be­ drohte, zur Tat überging. Das war um so mehr sein gutes Recht, als, wie wir noch sehen werden, die Kriegsdrohungen speziell von englischer und russischer Seite seit Jahren nicht ab­ brechen wollten. Aber es ist eine direkte Fälschung, wenn die Rat­ schläge Bernhardts mit den geheimen Zielen unserer Regierung identifiziert werden. Der Regierung waren seine Schriften —

7 so weit sie nicht rein militärischen Inhalts waren — unbequem und unerwünscht, well sie den Mißbrauch voraussah, den böser Wille mit ihnen treiben konnte. Heute wird schwerlich jemand bestreiten, daß Bernhard! die Zusammenhänge richtig gesehen und erkannt hat. Der vortreffliche Amerikaner Thomas C. Hall, Professor der christlichen Echik in New Kork und jetzt in Göttingev als Austauschprofessor tätig, hat schon im Januar 1915 die heuchlerische Entrüstung über die Schriften von Bernhardt und Treitschke sehr nachdrücklich zurückgewiesen. „Wie viele von denen, die mit Abscheu von Bernhardt oder Treitschke sprechen, habe» diese beiden wirklich gelesen und wissen, was sie eigentlich bedeuten? Zwar sind sie nicht von der bei uns eingewurzelten Huldigung durchdrungen, „welche unsere Lasier der Tugend dar­ bringen", aber jede von ihnen ausgesprochene Ansicht über Macht und Krieg kann durch hundert Zitate aus englischen und ameri­ kanischen Quellen belegt werden, einschließlich solcher Friedens­ apostel wie Roosevelt, Dr. Lyma» Abbott und Lord Roberts. Beide Männer aber wußten genau, was sie wollten, und sie machen keinen Versuch, die heidnische Welt, welche uns um­ gibt, für eine von christlichen Grundsätzen regierte auszugeben." Es ist auch eine historisch unhaltbare Vorstellung, daß ein Präventivkrieg nicht seinem Wesen nach ein Defensivkrieg sein kann. Was war denn der Krieg, den Friedrich der Große siebe» lange Jahre hindurch um die Erhaltung des preußischen Staates führte, wenn nicht ein Defensivkrieg, in dem er verloren gewesen wäre, hätte er nicht das prevenire gespielt. Das im 17. Jahr­ hundert oft gebrauchte Wort „Melius est praevenire quam praeveniri“ bezeichnet ganz treffend die Entscheidung, vor der Friedrich gestanden hat, und entspricht den Verhältnissen, mit denen wir im August 1914 rechnen mußten. Der „Ankläger" zieht fteilich schon die deutsch-österreichische

Allianz in die Reihe der Tatsachen, die er unter dem Schlagwort „Vorgeschichte des Verbrechens" zusammenfaßt, ohne sich durch die Tatsache irremachen zu lasse», daß diese Kombination, und die spätere Heranziehung Italiens, Europa 44 Jahre lang den Frieden erhalten hat. In diese „Vorgeschichte" fällt ihm unsere „unsinnige" Kolonialpolitik, unser Streben nach einem „Platz an der Sonne", was unter seiner Feder dahin führt, daß wir den ausschließlichen Platz an der Sonne und die Weltherr­ schaft erstreben, denn, so formuliert er es, der Platz an der Sonne für uns, der Platz im Schatten für die anderen. Gleich oberflächlich und tendenziös sind die nachfolgenden Abschnitte S. 55—68. Sie verdienen keine Wiedergabe, zumal in späteren Abschnitten stets dieselben Fragen aufgenommen werden. Aber sehr entschieden ist dagegen zu protestieren, wenn der Verfasser sein Urtell mit „Wir" einführt und sich dadurch in Gemeinschaft mit uns setzen will. Mt den Gesinnungen dieses „Deutschen" haben wir ebensowenig gemein, wie mit dem, was er als „Wahrheit" vorträgt, was in Wirklichkeit aber ei» Gewebe von Unwissenheit und bewußter Fälschung der Tatsachen ist. In drastischer Weise tritt dieses in den Abschnitten „Die Einkreisungspolitik" und „Die erste Haager Konferenz" zutage. Die „Einkreisungspolitik" sucht der „Ankläger" dadurch aus der Welt zu schaffen, daß er sie für einen geographischen Begriff erklärt und schlankweg behauptet, daß es keinen Nachweis für aggressive Absichten Englands gegen uns gäbe. Da wir im weiteren Verlauf dieser Ausführungen die Tat­ sachen aufführen werden, welche die aggressiven Absichten Englands über jeden Zweifel feststellen, gehen wir zunächst aufden Abschnitt „Erste Haager Konferenz" ein, der eingehendere Kritik verlangt. An die erste Haager Konferenz knüpft nämlich der „An­ kläger" den Versuch, zu beweisen, daß damals englische Friedens­ liebe und deutsche Rabulistik in stetem Gegensatz standen, und

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daß unsere Politik den Erfolg einer großgedachten Versöhnungs­ und Friedensaktion Englands jum Scheitern gebracht habe. Zum Ausgangspunkt dient das sogenannte Friedensmanifest Nikolaus II. vom 12./24. August 1898*2), das, wie bekannt ist, eine Minderung der Kriegsrüstungen und Berufimg einer Kon­ ferenz zur Beratung von Maßregeln beantragte, die dem all­ gemeinen Frieden dienen sollten. Von der politischen Vorgeschichte dieses russischen Antrages scheint der Ankläger nichts zu wissen. Er begnügt sich, auf das bekannte Buch von Bloch2) und auf Salisburys elegische Klage über die Rüstungskosten im Jahre 1896 zu verweisen. Die naive Vorstellung, daß der Zar diese Materialien gelesen habe, verdient nicht widerlegt zu werden. Dagegen ist es nicht unwichtig, die wahren Zusammenhänge kennen zu lernen, welche zur Berufung dieser ersten sogenannten Friedenskonferenz führten. Am 27. März 1898 war der Vertrag unterzeichnet worden, der die Abtretung der Halbinsel Liao-tung und Port Arthurs an Ruß­ land, zu bitterem Ärger Japans, festsetzte. Bald danach, am 20. Mai, mußte Japan auch Wei-hai-wei räumen, das dann sofort von den Engländern besetzt wurde. In Rußland hatte man mit steigendem Unwillen die englische Konkurrenz in de» ostasiatischen Gewässern verfolgt, und schon am8.Aprll i898 hatte die„Nowoje Wremja", die damals, wie so häufig vorher und in der Folgezeit, die Absichten des russischen Auswärtigen Amtes vertrat, mit einem russisch-japanischen Bündnis für dev Fall gedroht, daß England seine gefährlichen Unternehmungen im Golf von Pesschili fortführen sollte. Wenn England sich in Weihai-wei festsetze, werde Rußland Gebietserweiterungen in Zentralx) Vom Ankläger fälschlich auf den 28. August gesetzt. 2) Iwan Stanislawowitsch: „Der künftige Krieg", 6 Bände. Peters­ burg 1898 (russisch).

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Affen verlangen. Am 7. April aber ging die „N. W." so wett, jn erklären, daß der englisch-russische Vertrag vom 11. Mär; 1895 nicht mehr als gültig zu betrachten sei. Das aber bedeutete, daß der mühsam beigelegte englisch-russische Konflikt über Zentralasien wieder ansbrechen könne, nnd war bestimmt, England jn schrecken, während tatsächlich die Sorge ans rnsstscher Seite lag. In dieser Kombination, nm einem Kriege jn entgehen, für den Rnßland sich nicht vorbereitet wußte, wurde jener Abrüstnngsantrag in der richtigen Berechnung gestellt, daß das stets mit seiner humanen Gesinnung paradierende England ihn nicht werde ablehnen können. Man glaubte um so mehr darauf rechnen zu dürfen, als England eben damals (am 10. Juli) in Fashoda Frankreich tödlich beleidigt hatte und gleichjeitig die Vorbereitungen zum Krieg gegen Transvaal traf. Rußland und Frankreich machten gleich nach dem russischen Abrüstungsantrag fieberhafte Anstrengungen, ihre Marine zu vergrößern. Der Zar, der schon im März 1898 die Summe von 90 Millionen Rubel für den Ausbau seiner Flotte angewiesen hatte, ließ die Voll­ endung der Bauten nach Möglichkeit beschleunigen, und in Frank­ reich fand eine Sammlung zum Bau von Unterseebooten statt, obgleich der Puntt 4 des für die Friedenskonferenz von dem russischen Minister des Auswärtigen, Murawjew, vorgeschlagenen Programms dieses Kampfmittel ausdrücklich verpönte. Die Thronrede bei Eröffnung des englischen Parlaments im Fe­ bruar 1899 sprach sich skeptisch über den russischen Vorschlag aus. „Wir müssen", sagte Lord Salisbury im Oberhause, „die Ge­ fahren und Unvollkommenheiten der Verhältnisse, in denen wtt leben, im Ange behalten, und entschlossen sein, den Frieden nicht der Rücksicht oder der Friedensliebe anderer zu danken, das wäre verbrecherisch!" Als dann am 18. Mai 1899 die Haager Konferenz eröffnet

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wurde, begegnete ihr das äußerste Mißtrauen in allen Organen der regierenden Partei der englischen Unionisten. Der „Standard" vom 2i. Juni 1899 erklärte, daß die Konsequenz der in der Konferenz beantragten Sicherung des Privateigentums zur See, den Verfall der englischen Seemacht bedeuten würde. Konven­ tionen kämen im Ernstfall überhaupt nicht in Betracht (when it comes to serious business conventions count for

unser „vitalstes Interesse, unser Handel verlangt, daß wir uns das Recht des Angriffs wahren, dem wir unsere Souve­ ränität zur See danken". Bekanntlich ist dann auch die Sicherung des Privateigentums zur See an England gescheitert, und ebenso ist es England gewesen, das sich den Gebrauch der Dum-DumGeschosse vorbehalten hat. Noch im Januar 1900 entrüstete sich der „Standard" über den Gedanken, daß neutrale Ware in neu­ tralen Häfen nicht Konterbande sein sollte. Er nannte es ein „extravagant proposai“ und erklärte: „Unsere Seeoffiziere wer­ den fortfahren, verdächtige Schiffe in afrikanischen Gewässern zu untersuchen, gleichviel welcher Nationalität sie angehören. Nötigenfalls werde man Schadenersatz zahlen." Auf die An­ wendung stinkender Gase aber erklärten England und die Vereinigten Staaten nicht verzichten zu können. Diesen Tatsachen steht die schamlose Behauptung des „An­ klägers" gegenüber: „Im ganzen Verlauf der Konferenz stets dasselbe Blld: „England an der Spitze aller Bestrebungen, welche die unerträglichen Rüstungslasten vermindern und die Streitigkeiten zwischen zivllisierten Völkern in immer weiterem Umfange auf eine Rechtsbasis stellen sollten. An der Seite Eng­ lands Frankreich, Rußland, Amerika und selbstverständlich die kleineren Staaten. Auf der Gegenseite aber stets Deutschland gefolgt von Österreich-Ungarn." Wir wollen dieser Verherrlichung Englands ein ftanzöfilittle),

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sches Urteil *) entgegenhalten, das am ig. Juli 1899 erschien, dem Tage, an dem die erste Haager Konferenj geschlossen wurde, und das in treffender Weise die Haltung Englands auf der Konferenj folgendermaßen ironisierte: „Es gibt Leute, die England nicht lieben; sie habe» sicher unrecht. England ist ein großes liberales Land, dessen Diplomatie den höchsten Respekt vor internationalen Verträgen und bindenden Versprechungen hat. England ist vor allem bemüht, von einem Pol jum andern die ewigen Gesetze der Humanität zur Anerkennung ju bringen. England hat das Humanitätsgefühl zum Exportartikel gemacht, wie Alkohol oder Baumwolle, und wenn es mitunter scheint, daß England selbst die Vorschriften nicht erfüllt, die es anderen aufnötigt, so geschieht es nur aus christlicher Demut. England haßt die blutigen Lorbeeren, die auf dem Schlacht­ felds gepflückt werden; die Engländer arbeiten mehr als jedes andere Volk daran, den Traum des ewigen Friedens zu ver­ wirklichen, und niemals wird man sehen, daß England einen Krieg vom Zaune bricht, ausgenommen natürlich, wenn es für England vorteilhaft ist. England wünscht mindestens, daß die künftigen Kriege sich unter den denkbar humansten Bedingungen abspielen, und würde gern seinen Nachbarn den Gebrauch gefährlicher Waffen unter­ sagen, die über so zahlreiche Familien, denen England sein Interesse schenkt, Trauer bringen können. Wenn einst der Tag kommt, da die europäischen Staaten ihre Armeen zu entlassen, und namentlich ihre Kriegsflotten als altes Eisen zu verwenden wünschen, so wird sich England dem nicht widersetzen. Auch würde es der englischen Freiheitsliebe widersprechen, sich in solche Angelegenheiten einzumischen: wenn man nur ihnen *) „Journal des D-bats" mit der Überschrift „Old England".

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die Freiheit läßt, sich bis an die Zähne zu bewaffnen, haben sie nichts dagegen, daß man bei uns alle Waffen bis zum Stockdegen verbietet. Auch haben sie es auf der Haager Konferenz höchst geschmacklos gefunden, daß man ihnen den Gebrauch der Dum-Dum-Kugeln in ihren Unterhaltungen mit schwächeren Völkern untersagen wollte. Kennen Sie die Dum-Dum-Kugeln? (Folgt eine Beschreibung, die ich übergehe.) Die Engländer, welche die Wohltat dieser Er­ findung schon an ihren Untertanen, den Hindu, versucht haben, wollen in ihrem zivllisatorischen Eifer sie auch den Buren nicht vorenthalten. 30 Mitraillensen werden, wie eine Londoner Depesche mitteilt, für Dum-Dum-Geschosse eingerichtet, nach Kapstadt abgefertigt. Auch hieran läßt sich der humane Sinn unserer Freunde jenseits des Kanals erkennen. Mau darf in der Tat hoffen, daß dank dem Gebrauch dieser Instrumente, der Krieg gegen die Buren nicht von langer Dauer sein wird, und daß bald in Transvaal die allervollkommenste Stille herrschen wird. Da nun der Krieg eine Geißel der Menschheit ist, wird England unter Vermeidung langer blutiger Kämpfe, wieder einmal, dank seiner Herzensgüte und der Sanftmut seiner Sitten, die Führung der Völker übernommen haben." Die tiefe Erbitterung über England, die damals durch ganz Frankreich ging, hat im November des Jahres dahin geführt, daß Frankreich und Rußland uns über eine Allianz gegen Eng­ land sondierten, und bei den großen Sympathien, die unser Volk dem Kampf der Buren zuwandte, wäre eine entschlossene Wen­ dung gegen England damals in Deutschland mit Jubel auf­ genommen worden. Was uns davon abhielt, war Rücksicht auf England und das geringe Vertrauen, das schon damals weite Kreise der Kombination dieser Bundesgenossen schenkten, sowie die Tat-

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fache, daß kein direktes Interesse Deutschlands in Frage stand. Kaiser Wilhelm aber ist felsenfest in dem Entschluß geblieben, für andere Interessen als die deutschen, das Schwert nicht aus der Scheide zu ziehen. Was sollte man zudem von einem russischen Bundesgenossen erwarten, der durch seine Presse uns zurief, daß ein Anschluß Deutschlands an die rnssisch-ftanzösische Kombination de» Eindruck erwecke, „als wolle man in ein duftendes Bukett Asa foetida tun1), und von einem ftanzösischen, dessen Minister des Auswärtigen, Delcassd, nur wenige Monate nach Schluß der Haager Konferenz, am 24. November, eine Rede hielt, die sehr wenig verblümt den Franzosen die Hoffnung auf Revanche mit Hilfe Rußlands zu stärken bemüht war. Im Februar 1900 aber hielt Eduard Herve bei der Aufnahme Deschanels in die Akademie eine Rede, die leidenschaftlich für den Gedanken einer russisch-ftanzösischenglischen Allianz eintrat, deren Folge „le partage de l’Allemagne“ sein werde2). Das waren die vorausfallenden Schatten der von Delcasse vorbereiteten englisch-französischen Entente, die der Ausgangspunkt alles Übels werden sollte, das seither Europa getroffen hat. Von diesen Dingen weiß die Geschichtsklitterung des „An­ klägers" natürlich nichts. Wir halten es aber für nützlich, gerade bei diesen wichtigen ersten Stadien des sich vorbereitenden Weltkonflikts zu verwellen. Der Kampf der englischen Parteien bringt es ja mit sich, daß mitunter die Wahrheit über die Motive und Ziele der eng*) „Now. Wr." Nr. 8399. 2) 1. Februar 1900. Die sich daran schließende Rede Deschanels ist noch giftiger deutschfeindlich und stellt gleichfalls das Ideal einer gegen Deutschland gerichtete« englisch-ftanzöstsch-russischen Allianz auf.

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lischen Politik recht drastisch zum Ausdruck kommt.

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haben dabei meist die Rolle auf sich genommen, den Engländern das Gewissen zu schärfen, was zwar stets ohne politische Folgen bleibt, aber seinen Wert als Zeugnis der unterdrückten Wahrheit behält. Zu eben der Zeit, da Deschanel und Heros sich für den Gedanken einer Allianj mit England (trotz Fashoda und trotz Maskat) begeisterten, hielt der irische Nationalist Timothy Michael Healy im Unterhause eine Rede, in der er unter dem Eindruck der schmählichen Niederlagen Englands itt Transvaal, ausführte, die Engländer schienen zu glauben, daß der All­ mächtige ihnen einen Pachtschein auf das Weltall gegeben habe und betrachteten daher jeden Unfall, der ihnen zustoße, als einen Kontraktbruch. „Ich glaube aber nicht — so fuhr er fort — daß der liebe Gott alle Zeit englisch sein wird. Im Hinblick auf die Verträge, die England gebrochen hat, kann kein Volk auf das Ehrgefühl Englands bauen, solange die Politik der Stockbörse dauert. Sie wünschen die ganze Welt in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln, die 12 Apostel in ihre Gesellschaft mit beschränkter Haftung aufzu­ nehmen und wie die Pharisäer ihre Hände aufzuheben und die anderen Nationen aufzufordern, daß sie sich darüber freue» sollen*)." Das waren die Stimmungen, die den Burenkrieg be­ gleiteten, der unter falscher Flagge für die Befteiung der von den Buren angeblich geschädigten Uitlander, in Wirklichkeit aber zur Gewinnung der Goldfelder des Rand und der Diamanten­ felder der Orangerepublik geführt wurde, deren Reichtum die x) Dies zur Antwort für den „Ankläger", der sich zu der Behauptung versteigt, daß wir die altjüdische Vorstellung übernommen hätten, das aus­ erwählte Volk Gottes zu sein. Dieser Gedanke in seiner grotesken Einseitig­ keit ist vielmehr seit den Tagen Cromwells spezifisch englisch geblieben. Zu vergleichen sind dazu die höchst charakteristischen Ausführungen von Sir Roger Casement, Achillesferse Englands. Berlin 1915, S. 32 u. 33.

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Phantasie der englischen Börsenkönige in einen Zukunftsrausch versetzte, der jeden Widerstand, der sich der Erreichung dieses Zieles entgegenstemmte, wie ein Verbrechen an der Menschheit — denn England ist die Menschheit — betrachtete *). Don dieser psychologischen Atmosphäre aus ist es zu erklären, wenn im November 1900, als die Buren eine Widerstands­ kraft zeigten, die England für undenkbar gehalten hatte, der „Standard" schreiben konnte: „Das Verbrennen von Farmen und das Verwüsten des Landes der widerspenstigen Buren scheint nicht die nötige Wirkung gehabt zu haben. Es gibt noch andere Methoden, Auftührer und mitternächtige Mörder zur Unterwerfung zu bringen, und diese Methoden müssen ohne Aufschub angewendet werden. The likes of British soldiers are somewhat more valuable than those of Dutch Hebels."!!*2)

Die Zeit zwischen der ersten und zweiten Haager Konferenz, also zwischen Mai 1899 und Juli 1907, erledigt der „Ankläger" auf nicht vier Seiten. Er unterschlägt dabei drei Tatsachen, die neben der Marokkoftage die Geschicke der Welt bestimmt haben, während der Konflikt um Marokko eine Folgeerscheinung von nachhaltiger Wirkung auf die Weltpolitik und insbesondere auf die englisch-deutschen Beziehungen war. Gemeint ist natürlich damit der englisch-japanische Bündnis­ vertrag vom 30. Januar 1902, durch welchen England den durch den Abrüstungsantrag des Zaren 1898 vereitelten Angriffsplan auf Rußland wieder aufnahm; das Zusammenwirken der eng*) Beiläufig sei b