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German Pages 556 Year 2017
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL) · Tobias Nicklas (Regensburg) J. Ross Wagner (Durham, NC)
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Elisabeth Lorenz
Ein Jesusbild im Horizont des Nationalsozialismus Studien zum Neuen Testament des ‚Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben‘
Mohr Siebeck
Elisabeth Lorenz, geboren 1988; 2007–12 Studium der Kath.Theologie/Latein für das Lehramt Gymnasium in Regensburg und Innsbruck; 2012–15 Promotion, gefördert durch ein Promotionsstipendium der Stiftung der deutschen Wirtschaft (sdw).
Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 2015
e-ISBN PDF 978-3-16-154602-0 ISBN 978-3-16-154569-6 ISSN 0340-9570 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Vorwort Der vorliegende Band wurde im März 2015 als Dissertation bei Professor Tobias Nicklas in Regensburg eingereicht. Meinem Doktorvater gilt ein besonderer Dank für die vielen konstruktiven Anregungen und die große Geduld gerade in der Endphase der Arbeit. Bedanken möchte ich mich auch bei meinen fleißigen Korrekturlesern, vor allem bei Mathis und Bernd, und bei der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, deren Stipendium meine Dissertation ermöglicht hat. Elisabeth Lorenz
Regensburg, 14.06.2017
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1: Zum Hintergrund: Zielsetzung, Aufbau und historischer Rahmen der BG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.1 Der thematische Hintergrund – Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1.2 „Die Botschaft Gottes“ (BG) – „Volkstestament“ und „Feldbibel“ . .
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1.2.1 Entstehung und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Die Methode: „Entjudung“ des Neuen Testaments . . . . . . . . . . 1.2.3 Der Gedankenkontext: In der Nachfolge Luthers (sic?). Antijüdisches Denken in der Kirchengeschichte . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Der Hintergrund: „Entjudung“ und der „arische“ Jesus . . . . . . . 1.2.5 Die „Begründung“ der Redaktoren der BG: Warum „Entjudung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5.1 Suche nach dem „ewigen Wahrheitsgehalt“ . . . . . . . . . 1.2.5.2 „Dienst“ am deutschen Volke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.6 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Über die Kritik an der BG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Die zeitgenössische Kritik an der BG durch Karl Fischer (Bekennende Kirche) – die BG als in „Ehrfurchtslosigkeit“ „gereinigtes“ Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 „Den Teufel durch den Beelzebub austreiben“. Hans von Sodens (unterdrückte) Kritik von 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Erste Reaktionen auf die (zu erwartende) Kritik an der BG: Walter Grundmann und Erich Fromm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 „Dem Volk aufs Maul schauen oder nach dem Mund reden?“ Kritik an der BG aus der Distanz von mehreren Jahrzehnten . . 1.4 Zur vorliegenden Arbeit: Zielsetzung und Methodik . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Die Ausgangsfrage: Welche Redaktionstendenzen lassen sich bei der Redaktion der „Botschaft Gottes“ beschreiben? . . . . . . 1.4.2 Konkretisierungen: Welche Texte sind von besonderer Relevanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8 19 24 34 38 38 41 45 46
46 47 52 53 56 56 61
VIII
Inhaltsverzeichnis
1.4.3 Konkretisierungen: Die Vorgehensweise – Methodik der Textanalyse in dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
1.5 Warum dieses Projekt? Die Frage nach dem Fortleben von Ideen der Redakteure nach 1945 am Beispiel der Biographie Grundmanns . . . .
68
1.6 Geschichtliches in aller Kürze: Die deutschchristliche Bewegung, das „Institut“ und der NS-Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 2: Jesus und das Judentum – der Messias-Begriff in der BG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG . . . . .
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2.2.1 BG 74f., Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken! (Mark. 8,27–31a; Luk. 17,25; Matth. 16,22; Mark. 8,33), Mk 8,29: ‚Messias‘ als Fehlaussage des Petrus . . 2.2.2 BG 79, Die Frage nach dem Davidssohn (Mark. 12,35–37)), Mk 12,35: ‚Messias‘ als falsche Behauptung der Schriftgelehrten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 BG 91f., Golgatha (Mark. 15,22–32a; Luk. 23,39–43; Mark. 15,33–36; Luk. 23,46), Mk 15,32:‚Der Messias, der König von Israel‘, als Spott über den Gekreuzigten und Lk 23,39: Die Lästerung am Kreuz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 BG 89f., Aufforderung zum Justizmord (Mark. 15,1; Luk. 23,2), Lk 23,2: Die Anklage vor Pilatus – Jesus als Messiasprätendent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EXKURS: Jesus ist nicht der „König der Juden“ und nicht der „König Israels“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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99 101 102
2.3 Alternativen zum Messiasbegriff – ein erster Einblick in die ‚positive‘ Christologie des ersten Teils der BG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2.3.1 BG 88, Das Verhör vorm Hohenpriester (Mark. 14,53–61; Luk. 22,67b–70; Mark. 14,63–65; Luk. 22,64c), Mk 14,61 und Lk 22,67: Das Verhör vor dem Hohenpriester: ‚Sohn Gottes‘ statt ‚Messias‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 BG 3, Die Heilige Nacht (Luk. 2,1–20.21b), Luk. 2,8–11), Lk 2,11: ‚Christus der Herr‘: Die Davidssohnschaft Jesu wird verschwiegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114 117
Inhaltsverzeichnis
IX
2.4 Jesus der Gottessohn. Das Evangelium des Johannes‘ – die Übersetzung von ‚ὁ χριστός‘ in den von der BG ausgewählten Passagen aus dem Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2.4.1 Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8.19–27.31.33– 34.28–30), Joh. 1,6–8.19–20: Die Aussage des Johannes: ‚Ich bin nicht der Offenbarer.‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Jesus ist „der Verheißene“. Eine positive Titulatur, die ‚Messias‘ (gr.: ὁ χριστός oder ὁ Μεσσίας) ersetzt, aber die (noch) unzulänglichen Vorstellungen im Volk charakterisiert . . 2.4.2.1 BG 103, Erste Gefolgschaft: Durch Glauben zum Schauen (Joh. 1,35–51), Joh 1,41f.: . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.2 BG 110, Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (Joh. 4,1.3–9a.10–21.23–37.39– 42), Joh 4,25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.3 BG 124f., Die Erregung im Volk (Joh 7,40–43.31–36. 45–52) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.4 BG 129, Die Heilung des Blindgeborenen: Das Zeichen vom Licht der Welt (Joh. 9,1–34), Joh 9,22 und BG 132, Die Bildrede vom rechten Hirten (Joh. 10,22–26.12.13.17–18. 1–5.8.10–11.14–15a.27– 34a.37–39), Joh 10,24f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Der „Verheißene“ ist „Gottessohn“ und „Menschensohn“ – eine Zusammenfassung der Beobachtungen zu den BG-Bearbeitungen im Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . .
119 127 127 129 136
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2.5 Abrundung: Der Messiasbegriff in der Apostelgeschichte . . . . . . . . . . 156 2.6 Vergewisserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2.7 Die Bearbeitung der BG und die heutige Theologie zum Messiasbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2.7.1 Heutige Theologie gegen BG und Grundmann . . . . . . . . . . . . . 2.7.2 Der christologische Kontext – Ausblick auf die Christologie der BG vom Ausgangspunkt der Ablehnung des Messiasbegriffs her . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.3 Innerjüdische Auseinandersetzung oder antijüdische Polemik? Die Frage nach der Messianität Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.4 Fazit: Wider die „messianische Blendung“ der Christen . . . . . .
166 167 169 172
X
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Kapitel 3: Jesus und das Judentum – Zum Begriff des Opfers in der BG . . . . . . . . . . . . . . . . . .
176
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen in der BG (und die Frage nach dem Umgang mit dem jüdischen Gesetz) . . . . . . 176 3.1.1 BG 4f., Das Kind – das Heil der Erde (Luk. 2,25ab.26.27b–35), v.a. Lk 2,22–24: Tempel, Tempelopfer und Beschneidung werden vermieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EXKURS: Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 BG 11f., Aussätzige werden rein (Mark. 1,40–42a.44): Ein Opfer findet statt, dient aber nicht dem Beweis der Gesetzestreue Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 BG 5, Das Kind – das Licht der Welt (Luk. 1,76–79), Lk 1,76 (u.a.): Fehlende Erwähnung des Priesters Zacharias . . . . . . . . . 3.1.4 BG 272f., Paulus in Jerusalem (Apg. 21,17–36), Apg 21,23– 26: Trotz seines Opfers im Tempel wird ein gezielt verschärfter Konflikt zwischen Paulus und der Gemeinde von Jerusalem gezeichnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Die Frage nach dem Götzenopferfleisch: Die BG konstruiert eine bewusste Ablösung der ersten Gemeinden vom jüdischen Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5.1 BG 252f., Der Jerusalemer Erlaß an die Gemeinde von Antiochia (Apg. 15,23b–25a.27–29), Apg 15,29. „Erlaß“ oder „Apostelkonzil“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5.2 BG 272–274, Paulus in Jerusalem (Apg. 21,17–36), Apg 21,25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5.3 BG 251f., Paulus über die Apostelzusammenkunft (Gal. 2,1–6.9–10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.6 Vergewisserung: BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab) . . . . . . . . . 3.1.7 Conclusio: Laut BG sagt sich Jesus mit der Feststellung des Endes von Opfer, Gesetz und Schriftgelehrsamkeit vollständig vom Judentum los . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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195 205 205 213 214 226 239
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“ . . . . . . . . . . . . . . . 243 3.2.1 Überblick über die Verwendung kultisch konnotierter christologischer Hoheitstitel in der BG: „Hoherpriester“ und „Lamm“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3.2.2 BG 102, Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8. 19–27.31.33–34.28–30), Joh 1,34.28–30: „Der Erkorene Gottes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 EXKURS: Der Begriff „Heiland“ in der BG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
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3.2.3 BG 201, Hoffnung bewährt sich im reinen Leben (1. Petr. 1,13b–21), 1 Petr 1,19: „tapferer Lebenseinsatz“ Christi . . . . . 3.2.4 BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12), Offb 12,11: „Herzog ihres Lebens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 BG 213f., Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers (Offb. 7,9–10.14b–17; 14,13), Offb 7,9.10.14.17: Christus als Vorbild im Leid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 BG 215, Lobgesang (Offb. 4,8b.11; 5,9b–10.12; 11,15b.17– 18), Offb 5,12: „Heiland“ statt „Lamm“, Deutung der Schlachtung als „Gabe des Lebens“ . . . . . . . . . . . 3.2.7 Der Umgang mit dem Begriff „Blut“ an den fünf „Lamm“-Stellen im Vergleich mit den Abendmahlstexten und dem Bericht vom „Blutzeugen“ Stephanus . . . . . . . . . . . . . 3.2.8 Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI 260 263 268 272 275 293
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 3.3.1 BG 25, Alte und neue Frömmigkeit (Matth. 6,1–6.16–18), Mt 6,16–18: „Opfer“ statt „Fasten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Das aktive Opfer: BG 186, Gottesdienst der Tat (Röm. 12,1–2): Gegenmodell zum (jüdischen) kultischen Opfer. „Weihe“ zum Opfer ist „fordernder Wille Gottes“. Dies ist Teil vom neuen „Gottesdienst“ und die Forderung der „Opferbereitschaft“ (BG 254) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Das (Todes-)Opfer als heroisches und kämpferisches Geschehen – „Weihe“, „Einsatz“, „Spende“ . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.1 BG 74, Sendung und Opfer (Luk. 12,49–50): Das „Opfer“ ist die „Todesweihe“ . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.2 BG 209, Das Hohelied der Liebe (1. Kor. 13,1–14,1a), 1 Kor 13,3: Ein dramatisches „Opfer“ in den Flammen als ideale Christusnachfolge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.3 BG 75, ‚Mitleiden ist Voraussetzung der Herrlichkeit‘ (Mark. 10,35–40). Leid und „Todesweihe“ werden verknüpft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.4 BG 116, Die Botschaft vom Lebensbrot (Joh. 6,26–27.30ac–35.37–39a.40ab.41– 44ab.45b–47.49–53.58–59), Joh 6,49–53: Christus „opfert“ seinen Leib, statt ihn zu „geben“ (δώσω) . . . . 3.3.3.5 BG 132–134: Die Bildrede vom rechten Hirten (Joh. 10,22–26.12.13.17–18.1–5.8.10–11.14–15a.27– 34a.37–39), Joh 10,17–18): der Sohn opfert sein Leben/setzt sein Leben aus eigenem Entschluss ein . . .
295
305 311 314 314 315
322
325
XII
Inhaltsverzeichnis
3.3.4 Die gloriose Seite des Opfers: der Weg zu „Sieg“ und „Leben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4.1 BG 62, Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben (Mark. 8,34–37; Matth. 10,32–33; 12,30). „Einsatz“ und „Treue“ werden als „Opfer“ gedeutet . . 3.3.4.2 BG 140f., Dem Opfer entkeimt das Leben (Joh. 12,24b– 32.37a), Joh 12,24b–28). Lebenseinsatz ist Opfer . . . . . 3.3.4.3 BG 276, Bereitschaft zum Tod (2. Tim. 4,6–8). Auch Paulus wird „hingeopfert“ (2 Tim 4,6) . . . . . . . .
327 327 333 339
3.4 Der neue Opferbegriff: Die Übertragung des Opferbegriffs auf die Schlachtfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“ im Verständnis der BG-Redaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
348
4.1 Jesus ist nicht der Messias, sondern der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 4.1.1 Einführung und Stand der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 BG 229, Die Emmausjünger (Luk. 24,13–35), Lk 24,25–27 . . . 4.1.3 BG 81, Leidensnachfolge (Mark. 13,1–2; Joh. 2,19; Mark. 13,3–6.9–11a; Luk. 21,17–18; Mark. 13,13c; Matth. 10,24–25; Luk. 9,27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 BG 168f., Durch Leiden vollendet (Hebr. 5,7–10a) . . . . . . . . . . 4.1.5 BG 202f., In Jesu Spur wird Leiden zum Quell des Lebens (1. Petr. 2,19–25; 3,9.15–16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 BG 203, Freude im Leid (1. Petr. 4,12–13; 5,6–11) . . . . . . . . . . 4.1.7 BG 209, Gottes Hand im Leid (2. Kor 1,3–10; 7,10) . . . . . . . . . 4.1.8 Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
350 352 361 365 373 376 381 387
4.2 Jesus ist ein „Kämpfer“ gegen das Judentum, daher werden seine Nachfolger zu (Mit-) kämpfern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 4.2.1 Einführung und Stand der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Jesus als Kämpfer: BG 68–70, Die entscheidende Kampfansage (Luk. 11,39–42ab; Matth. 23,24; Luk. 11,43; Mark. 12,40; Luk. 11,44–46; Matth. 23,13; Luk. 11,47–50.51c; 13,34–35a; 1,53–12,1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Jesu Nachfolger als (Mit-)Kämpfer: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.1 BG 196f., Die Gemeinde als Kampfgemeinschaft in Jesu Christi Art (Phil. 1,27ac–29) . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.2 BG 198f., Legt die Waffenrüstung Gottes an zum Kampf gegen den Satan (Eph. 6,10–18a) . . . . . . .
394
399 409 409 415
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4.2.3.3 BG 199f., Wettkämpfer um ewigen Preis (1. Kor. 9,24–27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.4 Abrundung: BG 199, Der gute Kampf des Glaubens (1. Tim. 6,11b–12) und BG 199, Der volle Einsatz (2. Tim. 2,3–5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Conclusio und Einordnung in die Zeitgeschichte: Der Kampfgedanke bei Hitler und seine starke Verbindung zum Begriff des „Opfers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIII 423 428 433
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“ . . . . . . 437 4.3.1 Einführung und Stand der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 BG 139, Der König des Lebens kommt in die Stadt seines Todes (Joh. 12,12–13.17–24a). Leben und Tod werden polarisiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Vergewisserung: Eine weitere Bearbeitung: „Der die Suchenden zum Leben führt“ statt der „König von Israel“ (BG 103, Erste Gefolgschaft: Durch Glauben zum Schauen (Joh. 1,35–51), Joh 1,49) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 BG 76, Einzug in Jerusalem (Mark. 10,32a; 11,1–10ac; Matth. 21,10–11; Luk.19,39–40). Die synopt. Berichte über den Einzug in Jerusalem im Vergleich zum Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 BG 5f., Die Weisen vom Morgenland (Matth. 2,1ac.2b.9b–11) . 4.3.6 Die Nachfolger Christi als „Könige des Lebens“: BG 181f., Aus Knechten des Todes werden Könige des Lebens (1. Kor. 15,45.47–49; Röm. 5,12.15.17.19.20b–21) . . . . . . . . . 4.3.7 Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
437 439
443
445 451 453 457
4.4 Jesus ist nicht das Lamm, sondern der tapfere „Lebensspender“, der sich opfert, und zur Tapferkeit ruft: Das Verständnis vom Opfertod Christi wird heroisiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 4.4.1 Einführung und Stand der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 BG 121, Allein der Sohn – Spender des Lebens! (Joh. 5,37b–39a.40.24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 BG 135–138, Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (10,40–11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44), Joh 11,1.3–12.14–21.23–41.43–44) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 BG 138f., Der Todesbeschluß aus Anlaß der Lebensspende (Joh. 11,45–51a.53–57) und BG 139: Die Todessalbung: Dank für die Lebensspende (Joh. 12,1–5.7.9–11) . . . . . . . . . . . 4.4.5 Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
460 463 466 473 476
XIV
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 5: Schlussgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
480
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
495
6.1 Zeitdokumente (bis 1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 6.1.1 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
495 496
6.2 Literatur nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 6.3 Bibelausgaben, Quellen und Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
529
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
530
Anhang: Verzeichnis der in der BG aufgenommenen Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
533
Zitation und Abkürzungen Soweit Passagen aus der ‚Botschaft Gottes‘ (BG) zitiert werden, werden (1) die Seitenzahl, an der sich die Passage in der BG befindet (2) die Überschrift der Passage (3) die in der Passage aufgenommen Stellen, die im der BG angehängten Stellenverzeichnis aufgeführt werden (4) die in dieser Arbeit aus dieser Passage analysierten Verse angeführt werden. Dementsprechend bedeutet z.B. Er aber sprach: ‚Ja, auch euch Schriftgelehrten wehe! Denn ihr bürdet den Menschen mit euren Gesetzesbestimmungen unerträgliche Lasten auf und macht nicht den geringsten Versuch, sie tragen zu helfen.‘ (BG 68–70, Die entscheidende Kampfansage (Luk. 11,39–42ab; Matth. 23,24; Luk. 11,43; Mark. 12,40; Luk. 11,44–46; Matth. 23,13; Luk. 11,47–50.51c; 13,34–35a; 11,53–12,1), Lk 11,39)
hier wurde (1) aus der Passage auf Seite 68 der BG (2) mit der Überschrift „Die entscheidende Kampfansage“ (3) in der, nach Angaben der Redaktoren, die Verse Lk 11,39–42ab, Mt 23,24, Lk 11,43; Mk 12,40; Lk 11,44–46; Mk 23,13; Lk 11,47–50.51c; 13,34–35a; 11,53–12,1 in dieser Reihenfolge aufgenommen sind, (4) der Vers Lk 11,46 zitiert. Beibehalten die von der BG-Redaktion verwendeten Abkürzungen der biblischen Bücher, soweit die eigenen Angaben der Redaktoren genannt werden. In den Analysen der Texte im Vergleich zu den anderen Übersetzungen werden dagegen der Einheitlichkeit wegen alle Textausgaben nach den Loccumer Richtlinien zitiert werden. Verwendet wurden neben „BG“ für die ‚Botschaft Gottes‘ die Abkürzungen „EÜ“ für die Einheitsübersetzung, „Luther“ für die Lutherübersetzung von 1912 und „NA“ für den griechischen Text nach Nestlé-Aland 28. Die Hervorhebungen in Fettdruck in den Texten der BG sowie in Zitaten sind, soweit nicht anders gekennzeichnet, von mir vorgenommen worden.
Die christologische Glaubensformel des Konzils von Chalzedon: Jesus Christus ‚vere deus – vere homo‘ ist im Hinblick auf den Juden Jesus und sein Jude-Sein ergänzungsbedürftig, nämlich so: Jesus Christus ‚vere deus – vere homo judaeus‘!“ Franz Mußner 1971 in seinem Aufsatz „Der ‚Jude‘ Jesus“ (Mußner (1971), 97)
1.1 Der thematische Hintergrund – Problemaufriss
3
Kapitel 1
Zum Hintergrund: Zielsetzung, Aufbau und historischer Rahmen der BG 1.1 Der thematische Hintergrund – Problemaufriss Jede Bibellektüre wird zweifellos zu jeder Zeit maßgeblich von dem politischen, kulturellen, sozialen und persönlichen Kontext mitbestimmt, in dem sie stattfindet. Doch nicht nur das, auch die geschichtlichen Entwicklungen spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle in unserem heutigen Bibelverständnis – sei es, dass wir an bestimmte Traditionen anknüpfen oder dass wir uns bewusst oder instinktiv von ihnen absetzen. Um diese Traditionen, in denen unser Textverständnis verwurzelt ist, verstehen zu können, ist daher auch eine Aufarbeitung der Auslegungs- bzw. Wirkungsgeschichte biblischer Texte nötig, die die Interpretation biblischer Texte mit den jeweiligen historischen Kontexten, in denen sie standen und auf die sie wirkten, in Verbindung setzt.1 Ulrich Luz weist auf die Wichtigkeit der Berücksichtigung von Auslegung und Wirkung der Texte in der Geschichte2 hin, da hier die „unserem Auslegen vorangehende Kraft der Texte“ erkannt werden könne.3 Der Blick 1
Vgl. Nicklas (2008), 1894. Luz unterscheidet dabei „Auslegungsgeschichte“ („Auslegung eines Textes vor allem in Kommentaren“) und „Wirkungsgeschichte im engeren Sinn“ („Rezeption und Aktualisierung eines Textes in anderen Medien als in Kommentaren, z.B. in Predigten, kirchenrechtlichen Dokumenten, Kirchenliedern). Der Begriff „Wirkungsgeschichte“ könne als Oberbegriff für „Auslegungsgeschichte“ und „Wirkungsgeschichte im engeren Sinn“ fungieren (vgl. Luz, I (2002), 107). Im Vergleich zum Begriff der „Rezeptionsgeschichte“, bei dem der rezipierende Mensch im Vordergrund zu stehen scheine, bevorzugt Luz die Rede von „Wirkungsgeschichte“, die die Wirkkraft der Texte selbst in den Fokus stellt (ebd. 108). Eine so verstandene Wirkungsgeschichte „will den eigenen Ort des Verstehens erhellen helfen und so zu einem eigenen, heutigen Verstehen eben an diesem Ort beitragen. Ein solches Verstehen ist immer kontextuell und immer ein Stück weit neu und anders, obwohl – und besser: gerade weil – es um ein Verstehen der alten, uns bleibend vorgegebenen biblischen Texte geht.“ (ebd. 114). Auch Kovacs/Rowland lehnen sich an Luz an mit dem Gedanken, dass neben der ursprünglichen Bedeutung eines Bibeltextes die Frage, wie die Texte rezipiert und interpretiert worden sind, interessant und wichtig sei (Kovacs/Rowland (2004), XIII). In ihrer gesamten Kommentarreihe (Blackwell Bible Commentaries) wird daher dem Einfluss der Bibel auf Literatur, Kunst, Musik und Film ebenso wie auf politische, soziale und religiöse Entwicklungen nachgegangen (vgl. ebd. XI). 3 Vgl. Luz, I (2002), 110. 2
4
Kapitel 1: Zum Hintergrund
auf die Wirkungsgeschichte enthalte auch „kritisches Potential“: Er könne „auf offene Stellen und ungelöste Probleme aufmerksam machen“ durch die „Frage nach den Folgen biblischer Texte und ihren Auslegungen.“ Hierbei werde deutlich, „daß es keine Wahrheit ohne geschichtliche Folgen gibt und daß sich jede theologische Wahrheit und ihre Bibelinterpretation mit ihren Folgen konfrontieren lassen muß.“4 Von besonderem Interesse und besonderer Wirkung für Deutschland ist in allen Bereichen die Zeit des „Dritten Reiches“ sowie schon dessen Vorgeschichte. In dieser dunklen Phase der Geschichte, auch für die Auslegung des Neuen Testaments, wurde auf antisemitischem und zugleich rassischnationalem Hintergrund eine eigene Exegese entwickelt.5 Zunehmend in den 4
Vgl. Luz, I (2002), 113. Diese Exegese der deutschchristlichen Gruppierungen zur Zeit des Dritten Reichs konnte dabei auf bereits auf vorhandene Denktraditionen zurückgreifen. Dass es das Phänomen eines ‚Deutschen Christentums‘ schon seit langem gab, das den Namen Gottes für den deutschen Nationalismus missbrauchte, zeigt das ‚christliche‘ Schrifttum schon lange vor dem 1. Weltkrieg. „Paul de Lagarde und Houston Stewart Chamberlain mit ihren von vielen gelesenen und bewunderten Büchern die namentlich die ‚gebildete‘ Welt in Bann schlugen, sind geistige Väter dieses Deutschen Christentums“ (vgl. Stegmann (1984), 35). Chamberlain und Lagarde gelten als „Klassiker des völkischen Denkens“ (Greive (1983), 72). Gerade Chamberlain (1855–1927), der vor allem mit dem Buch ‚Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts‘ große Popularität erreichte, kann als „graue Eminenz im Hintergrund der Deutschnationalen“ bezeichnet werden, der zudem Bedeutung erlangte „im Zusammenhang des ersten Weltkrieges durch seine Kriegsaufsätze, die den Krieg als Kampf gegen antigermanische jüdische Mächte (nach außen und innen) legitimierten und ideologisch untermauerten. Nach der Niederlage konzentrierte sich der Blick auf diese ‚Mächte‘ im Inneren und dem, der Deutschland von diesen ‚Mächten‘ befreien sollte: Hitler wurde gefördert“ (vgl. Fenske (2005), 109). Fenske belegt die Unterstützung Hitlers durch Chamberlain mit einem Brief Chamberlains an Hitler am 1.1.1924 (zitiert bei Köhler (1997), 240f.). Auch Köhler wertet das so: Er berichtet, Chamberlain verfüge „über die Vollmacht, den redseligen Chef einer Splitterpartei zum Erlöser der germanischen Rasse auszurufen“ (241)). Und so berufen sich die Deutschen Christen, auch Walter Grundmann, mehrfach auf diese Männer: Grundmann nennt Chamberlain den, „der mit Scharfblick 1923 die Führerpersönlichkeit Hitlers erkannte“(Grundmann, Chamberlain (1940), 210), an anderer Stelle den „völkischen Seher“ (Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 5) oder den „Seher des Dritten Reiches“ (Grundmann, Völkische Theologie (1937), 20). Leffler stellt ein Chamberlainzitat an den Anfang seiner Monographie über die Deutschen Christen (vgl. Leffler, Christus im Dritten Reich (1935), 13), Schenke unterscheidet mit Chamberlain (Chamberlain (1921), 137) den „Inhalt der Verkündigung Jesu und das ihr gemäße innere Verhalten“, was er ‚Christusglauben‘ nennt, und die Ausprägung und Gestaltung des so geweckten Glaubens (das ‚Christentum‘) (vgl. Schenke, F. (1940), 10f.) und Thieme parallelisiert die Gesellschaftsanalyse Lagardes von 1870 mit den heutigen Zuständen, in denen äußerlich um die Kirchen, innerlich aber um „die Erscheinung Christi“ gekämpft werde (vgl. Thieme (1939), 11f.). Bei Chamberlain „sind die beiden Konstitutiven des völkischen Denkens, wie er es auslegt, Rassengedanke und Religiosität“, „ausgeprägter und gleichgewichtiger als noch bei Lagarde“ (vgl. Greive (1983), 78). Er formuliert bereits die These von Jesus als Arier: „Es 5
1.1 Der thematische Hintergrund – Problemaufriss
5
Blick der Exegese des Neuen Testaments ist nun seit einigen Jahren die Aufarbeitung der Geschichte der Auslegung des Neuen Testaments im nationalsozialistisch geprägten Kontext gekommen. Bisher lag der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Forschung in diesem Bereich v.a. auf der Untersuchung einzelner einflussreicher Personen (z.B. W. Grundmann6) und des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ in Eisenach.7 Mit die größte Breitenwirkung hatte dabei sicherlich ‚Die Botschaft Gottes‘ (im Folgenden auch: BG), eine Publikation des „Entjudungsinstituts“, die bereits in ihrer ersten Teilausgabe in großer Zahl, „ein halbes Jahr nach seinem Erscheinen in 200 000 Exemplaren im deutschen Volk verbreitet“ worliegt […] nicht die geringste Veranlassung zu der Annahme vor, die Eltern Jesu Christi seien, der Rasse nach, Juden gewesen.“ (Chamberlain, Grundlagen, S. 274f., 382 und 251, zitiert nach Greive (1983), 80). „Man kann nicht genug betonen, dass rassisches Denken nicht als pures Rassenkredo, sondern in dieser oder ähnlicher Form, im Kontext der völkischen Ideologie rezipiert und geschichtlich wirksam geworden ist. Völkische Ideologie ist also nicht nur, auch nicht an erster Stelle, Berufung auf bio-physische Vorgaben, sie ist vielmehr das geschilderte emotional-intellektuelle Bekenntnis zur Einheit von Rasse und Religion, Blut und Geist: genauer zum deutschen oder germanischen Blut und christlichen Geist.“ (Greive (1983), 81). Auch Friedländer nennt Chamberlain und den „Bayreuther Kreis“ als maßgebliche gedankliche Vorbilder (Friedländer (1998), 102–105). „Chamberlain war mit Adolf Harnack bekannt und ab 1888 mit Cosima Wagner, mit der er bis zur Heirat Evas (der jüngsten Tochter Wagners) und seiner Übersiedlung nach Villa Wahnfried korrespondierte. Diese beiden biographischen Daten geben zugleich zwei Einflußrichtungen seines Denkens an. Die Atmosphäre Bayreuths ist durch die dargestellte Geistigkeit zutiefst geprägt. […] Der ‚Kulturantisemitismus‘ Chamberlains und im Bayreuther Kreis entsprach der intellektuellemotionalen Gestimmtheit vor allem im gebildeten Bürgertum der Jahrhundertwende.“ (Greive (1983), 81). 6 Grundmann war u.a. seit 1938 (ohne Habilitation, fachliche Leistungsnachweise und Zustimmung des Dekans der Theologischen Fakultät) Professor für ‚Neues Testament und Völkische Theologie‘ an der Universität Jena. Seine Ernennungsurkunde war von Adolf Hitler eigenhändig unterzeichnet. Durch gezielte Besetzung der Lehrstühle sollte die Universität Jena zur „vorbildlichen nationalsozialistischen Hochschule des Reiches“ werden (vgl. Schmitt (2006), 537. Zur Rolle der anderen Fakultäten in Jena, v.a. der „medizinischen, bio- und naturwissenschaftlichen Ordinarien“, die gemeinsam „einen fachmethodischen Kompetenztransfer in die Kernbereiche der nationalsozialistischen ‚Volksgesundheit‘, Kriegswirtschaft und Rüstungsforschung“ gewährleistete, vgl. Hoßfeld (2005), 126) und 1939–1943 „Wissenschaftlicher Leiter und stellvertretender Institutsleiter“ (Prolingheuer, Schuld (1987), 150) des neu gegründeten ‚Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben‘ in Eisenach, einem „antisemitischen Propaganda-Institut“, das auch „Die Botschaft Gottes‘ herausgab (vgl. Heschel (2001), 373). 7 In chronologischer Reihenfolge sei an dieser Stelle bereits auf einige dieser Publikationen verwiesen: (1) Prolingheuer, ‚Entjudungsinstitut‘ (1987). (2) Jerke (1994). (3) Prolingheuer (1997), 57–92. (4) Heschel (1999), 147–167. (5) Osten-Sacken (2002), 280–312. (6) Fenske (2005). (7) Deines (2007), 43–131. (8) Böhm (2008). (9) Arnhold II (2010). Besonders die Arbeit von Arnhold ist durch ihre Material- und Detailfülle maßgeblich.
6
Kapitel 1: Zum Hintergrund
den sei.8 Dieses sogenannte „Volkstestament“, wie es in der zugehörigen Begleitschrift9 von Erich Fromm10 bezeichnet wird, wurde in seiner Hermeneutik, der Frage nach Textgestaltung, Textauswahl und Basistexten, wie auch den Auswirkungen auf christliche Theologien bis jetzt noch nicht monographisch untersucht. Die vorliegende Arbeit soll hier eine Lücke (zu) füllen (beginnen), um einen Beitrag dazu zu leisten, dunkle Aspekte der Geschichte des Christentums und seines Verständnisses biblischer Texte sowie seines Verhältnisses zum Judentum in der Mitte des 20. Jahrhunderts zu beleuchten. Bereits 1940, im Jahr der Herausgabe, wird allerdings das Erscheinen der BG kritisch kommentiert: Karl Fischer11, Mitglied der ‚Bekennenden Kirche‘, der pointiertesten Gegenbewegung der ‚Deutschen Christen‘, nennt die Bibelausgabe eine „Einpressung der Evangelien in einen zuvor festgelegten Rahmen“ und umschreibt dieses Phänomen folgendermaßen: „Es sind alles alte Bekannte, es sind die Geschichten, die man alle von Kindesbeinen an kennt, aber man kennt sie nicht recht wieder, sie sind in ein fremdes Gewand gekleidet, und man fühlt instinktiv, dass ihnen mit dieser Maske etwas angetan worden ist. Mir war beim Lesen zumute, als ob ich die wohl vertrauten Quadern eines Domes eingegriffen und als Bausteine zu einem ganz neuen Gebäude verwendet sähe.“12
Fischer stellt beim Bau diese neuen Gebäudes eine „Ehrfurchtslosigkeit“ fest, die sich auch und vor allem im Umgang mit dem konkreten Wortlaut zeigt: Hinter dem Ersetzen unverständlich gewordener Worte durch verständlichere stecke folgender Gedanke:
8 Vgl. Grundmann: Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 5. Auch Prolingheuer erwähnt diese Zahl „von sage und schreibe 200.000 Exemplaren“ (Prolingheuer, ‚Entjudungsinstitut‘ (1987)), die historische Richtigkeit dieser Zahl ist aber dadurch noch nicht belegt. Jerke verweist zudem auf die Autorität, die der BG dadurch verliehen worden sei, dass es umfangreiche Werbemaßnahmen, darunter auch Vorankündigungen „in kirchlichen Gesetzund Verordnungsblättern, z.B. in denen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirchen Sachsens und Thüringens“ gegeben habe und somit auf einer Ebene, „die den inhaltlichen Aussagen einen offiziell anerkannten und amtlichen Status verlieh“ (vgl. Jerke (1994)). 9 Fromm, Erich: Das Volkstestament der Deutschen. Ein Geleitwort zu der vom Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben herausgegebenen Botschaft Gottes, Weimar, Verl. Deutsche Christen, 1940. 10 Erich Fromm war Altenburger Oberpfarrer, vgl. Prolingheuer (1997), 73 und Mitherausgeber der BG (BG VIII), geboren 1892 in Posen, vermisst seit 1945 (vgl. Jerke (1994), 230). 11 Karl (Carl) Wilhelm Fischer (22.3.1889–5.9.1941) war Pfarrer in Sachsen und engagiertes Mitglied der Bekennenden Kirche (vgl. Klemm (1986)). Die Bekennende Kirche entstand aus dem am 21. September 1933 gegründeten Pfarrernotbund, der sich gegen die Aufnahme des „Arierparagraphen“ in das Kirchengesetz wandte (vgl. Wilhelm (2004), 77). Fischer war theologischer Kopf des sächsischen Pfarrernotbundes (ebd. 78). 12 Fischer (1940), 6.
1.1 Der thematische Hintergrund – Problemaufriss
7
„In Wirklichkeit wagen die Herausgeber Grundwahrheiten der Bibel ihren Lesern nicht mehr zuzumuten und biegen durch eine andere Übersetzung den ursprünglich Sinn um.“13
Wie dieses ‚Umbiegen‘, das bereits Fischer konstatiert, stattfand, soll in dieser Arbeit exemplarisch aufgezeigt werden. In der damaligen Auseinandersetzung um die BG versuchten die BG-Redaktoren Kritik an ihrer Arbeit durch den Gegenvorwurf, man hätte die wahren Gründe für das Vorgehen der Herausgeber nicht verstanden und sich zu wenig auf die Suche danach gemacht. Auch Fromm wirft das seinem dem Kritiker Fischer vor: „Sie selbst haben sich auch nirgends nur darum gemüht, sich einmal zu fragen, welche ernsten Gründe hinter der Auswahl stehen. Nein! Sie wissen ja von vornherein, daß wir im Unrecht sind. Und nun bringen Sie Beispiele, an denen bewiesen werden soll, daß es so ist – und der Leser, der ja ahnungslos ist, folgt Ihnen mit Gruseln über soviel Bosheit.“14
Auch wenn es aus dem Munde Fromms wie der Versuch einer billigen Exkulpation klingt, Fischer der Effekthascherei auf Kosten ahnungsloser Leser zu bezichtigen, ist doch der Kern seiner Forderung wahr: Tatsächlich ist es für jede Forschung – zusätzlich zur unbestritten berechtigten Kritik – unerlässlich, nach den Hintergründen zu fragen, die zu bestimmten Handlungen oder Aussagen geführt haben. Am Ende dieser Arbeit soll nicht der Vorwurf stehen, dass lediglich die Unrechtmäßigkeit der Ausgabe festgestellt worden sei, nicht aber die Intentionen der Redaktoren in den Blick gekommen seien. Die Frage dieser Arbeit ist also nicht nur, an welchen Stellen die Bibeltexte bearbeitet wurden, sondern auch, auf welchem Hintergrund dies geschah. In diesem ersten Teil, vor dem Blick in einzelne Passagen der BG, soll daher zunächst nach der Zielsetzung der Redaktoren gefragt werden, ein kurzer Überblick über den geschichtlichen Hintergrund gegeben werden und auch die bisher bereits vorgenommene kritische Auseinandersetzung mit der BG nachgezeichnet werden.
13 14
Fischer (1940), 12. Im Anhang zu Fromm (1940), 55.
8
Kapitel 1: Zum Hintergrund
1.2 „Die Botschaft Gottes“ (BG) – „Volkstestament“ und „Feldbibel“ 1.2.1 Entstehung und Aufbau 1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
Bei der ‚Botschaft Gottes‘ handelt es sich um eine Veröffentlichung des „Instituts zur Erforschung (und Beseitigung) des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“15. Dieses Institut war am 4. April 1939 in Eisenach gegründet und am 9. Mai eröffnet worden. Die Institutsveröffentlichung „Botschaft Gottes“ bzw. das „Volkstestament“ kann als „eine der ersten Früchte“ bezeichnet werden.16 Als Beteiligte an der Gesamtausgabe werden Walter Grundmann, Erich Fromm17, Heinz Hunger18, Wilhelm Büchner19 und Heinrich Weinmann20 genannt (BG VIII), allesamt deutschchristlich geprägte Institutsmitglieder. So kann eine Analyse der Texte auch einen guten Einblick in das Denken der „Deutschen Christen“ und vor allem des Hauptherausgebers21 Grundmann geben. 15
Das Stichwort „Beseitigung“ wurde wohl nur zu Beginn der Tätigkeit im Titel geführt. So heißt es zwar in der Publikation der Eröffnungsrede: Grundmann, Entjudung (1939): „Vortrag von Prof. Dr. W.G., Jena, gehalten bei der feierlichen Eröffnungssitzung des ‚Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben‘ in Eisenach“, in der Bibelausgabe selbst wird als Herausgeber allerdings das „Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ genannt (BG IV) und auch Fromm (1940) schreibt „Ein Geleitwort zu der vom Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben herausgegebenen Botschaft Gottes“. In der vorliegenden Arbeit soll der volle Titel genannt werden oder schlicht vom „Institut“ die Rede sein. Bergen vermutet, der Institutsname sei abgekürzt worden, da sich das Ziel der „Beseitigung“ von selber verstand: „Over time, however, the term elemination of (Beseitigung) tended to disappear, apparently eliminated as self-evident.“ (Bergen (1996), 150). 16 Stegmann (1984), 70. Mehr Informationen zum „Institut“ in 1.6 Geschichtliches in aller Kürze. 17 Vgl. oben FN 10. 18 „Dr. Kurt Fritz Heinz Hunger (190–995), evang. Theologe und Sexualpädagoge; 1933 Hilfspfarrer, von 1938 an Pfarrer in Friedebach/Thüringen, von 1939 an beurlaubt und am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben tätig; Mitglied der DC; 195–973 Schriftleiter der Zeitung Der evangelische Religionslehrer an der Berufsschule; 195–955 Religionslehrer in Westfalen, 195–973 Pfarrer an Berufsschulen in Frankfurt a.M. und Münster.“ (Heim (2009), 792, FN 4). Hunger wird auch als Geschäftsführer des Instituts genannt (Schmidt (1939), IX). 19 Büchner war seit 1929 Pfarrer in Jena, ab 1943 Oberpfarrer in Eisenach, gest. 1987 in Eisenach (Jerke (1994), 230). 20 Weinmann, geb. 1898 in Pfaffendorft (Jerke (1994), 230) war Pfarrer in KoblenzPfaffendorf (Prolingheuer (1997), 73). 21 Grundmann wird von Stegmann auch als Verfasser der BG (Stegmann (1984), 70) und der der „führende Kopf dieses Unternehmens“ (ebd. 78) bezeichnet. Auch von Eber wird er als der „prominenteste Hochschullehrer und mit Abstand eifrigste Publizist des Instituts“
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
9
Herausgegeben wurde sowohl eine22 Teilausgabe („I. Jesus der Heiland“. Inhalt war eine Auswahl aus den synoptischen Evangelien)) als auch die vierteilige Gesamtausgabe im Jahre 1940, nur kurze Zeit nach der Institutsgründung. „Der Arbeitskreis ‚Volkstestament‘ hatte schon bald nach der Eröffnung des Instituts seine Arbeit aufgenommen und konnte als einer der ersten Arbeitskreise bereits zu Beginn des Jahres 1940 eine Veröffentlichung präsentieren. Am 19. Februar 1940 erschien als Teilausgabe zunächst eine aus den synoptischen Evangelien zusammengefasste, 110 Seiten starke ‚Evangelienharmonie‘ unter dem Titel ‚Jesus der Heiland‘ zum Preis von 30 Pfennigen.“23
Oliver Arnhold verweist außerdem auf eine Auflistung von Institutsschriften vom November 1940, in der der stellvertretende Geschäftsführer und Leiter des Institutswerbekreises, Hugo Pich, die Schriften nennt, die bis zu diesem Zeitpunkt bereits erschienen waren oder deren Veröffentlichung kurz bevorbezeichnet (Eber (2009), 30) und Prolingheuer schreibt Grundmann die Leitung zu, indem er ihn als den „Federführer“ des Arbeitskreises ‚Volkstestament‘ bezeichnet (Prolingheuer (1997), 73). Schon Fischer wusste, Grundmann habe „die Hauptarbeit“ geleistet und trete „in seinem Nachwort sowie in anderen Veröffentlichungen als Wortführer für das geplante Unternehmen“ auf (vgl. Fischer (1940), 2). Auch von Soden weist auf Grundmanns große Rolle bei der Herausgabe der BG hin: „wir dürfen […] in ihm den verantwortlichen Leiter der Arbeit sehen, vor allem nach der wissenschaftlichen Seite hin“ (Soden, Urchristentum (1956), 159). Ebenfalls lässt seine rhetorische Frage durchblicken, welch großen Einfluss er Grundmann bei der Bearbeitung der Texte zuschreibt: „Und wenn nun Grundmann z.B. seine Anschauungen ändert, was ihm so gut wie jedem, der an den Evangelien durch Jahre und Jahrzehnte hin arbeitet, begegnen kann und wird, soll dann das VT. in immer erneuerten und veränderten Bearbeitungen erscheinen?“ (Soden, Synoptische Frage (1951), 209). Der oft fast identische Wortlaut zwischen Grundmanns Aussagen und den BG-Vor- und Nachworten lässt es für die gesamte Arbeit sinnvoll erscheinen, Grundmanns Aussagen in seinen kommentierenden Schriften gleichsam als Deutungshilfe zu den Textbearbeitungen der BG zu verstehen. In der BG-Gesamtausgabe werden als Beteiligte neben Grundmann auch Erich Fromm, Heinz Hunger, Wilhelm Büchner und Heinrich Weinmann genannt (BG VIII). 22 Laut Jerke erschien auch der zweite Teil der BG zunächst als Teilausgabe, für 25 Pfennige zu erwerben (Jerke (1994), 228). Grundmann habe sein Erscheinen in einem Schreiben vom 25. Mai 1940 für ca. vier Wochen später angekündigt. Jerke schreibt aber weiter, dass „zur Zeit nicht zu klären“ sei, „ob, wann und in welcher Auflagehöhe“ der Teil tatsächlich erschienen sei (vgl. Jerke (1994), 204). 23 Aus: Leutheuser, 8/1940, 50. Allein aufgrund der ersten Ankündigung lagen 15 000 Vorbestellungen allein für diese Evangelienharmonie vor (Leutheuser, NK 21/1941, zitiert nach: Arnhold (2010), 650). Die Schnelligkeit der Herausgabe hat auch zu manchen Nachlässigkeiten geführt, z.B. in BG 23, Wie das Herz, so die Tat (Luk. 6,4–5). Hier findet sich: ‚Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber reißende Wölfe sind! An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!‘ Mt 7,15f wurde also den im Stellenverzeichnis aufgeführten Versen Lk 6,4–5 vorangestellt. Dies wird im Stellenverzeichnis aber nicht aufgeführt (vgl. Stellenverzeichnis im Anhang).
10
Kapitel 1: Zum Hintergrund
stehen sollte, u.a. die BG.24 Arnhold stellt daher fest: „Die Gesamtausgabe unter dem Titel ‚Die Botschaft Gottes‘ erschien ebenfalls bereits im Jahre 1940.“25 Laut Grundmann selbst könnte die Teilausgabe auch bereits Ende 1939 erschienen sein: „Im Winter 1939/40 erschien der erste Teil, der am 1. März 1940 in der Lutherstube zu Wittenberg bei der Eröffnung der ersten Arbeitstagung übergeben werden konnte. Mittlerweile ist die Gesamtarbeit vollendet.“26
Hans Prolingheuer nennt diese Übergabe die „Spitzenveranstaltung“ der ersten Institutstagung27 und liegt hierbei sicher richtig, da sowohl die hohe Erstauflage als auch die Thematik – es wurde schließlich schon seit längerer Zeit28 um eine zeitgemäße Übersetzung der Bibel29 und speziell um den Um24
Arnhold II (2010), 644f. Arnhold zitiert hier LKAE, DC III 2a. Arnhold II (2010), 651. 26 Grundmann, Arbeitsbericht (1940), 34. 27 Prolingheuer (1997), 73. 28 Beispielsweise spricht Schlatter schon 1926 von „Bibelnot“ (Schlatter, Adolf: Hülfe in Bibelnot. Gesammelte Arbeiten zur Schriftfrage, Verlbert im Rheinland, Freizeiten-Verlag, 1926). 29 So wurde an einer Revision der Lutherübersetzung gearbeitet, dem sogenannten Probetestament, das „im Frühjahr 1938 von den Deutschen Evangelischen Bibelgesellschaften herausgebracht“ wurde und das „eine durchgreifend revidierte Ausgabe der Lutherischen Übersetzung des Neuen Testaments“ darstellt. (Strahtmann (1940), 3). Ziel war dabei, die Lutherbibel als „Einheitsband“ für die „ganze deutschen evangelische Christenheit“ zu bewahren. Daher solle bei der Revision „nicht bloß an diejenigen Menschen […] denen der alte Wortlaut der alten Luthersprüche noch lebendig und lieb ist und denen jede Änderung wehe tut; aber auch nicht nur an die moderne Schulklasse oder an die modernen Fabrikarbeiter, die zu diesem Wortlaut keinerlei Verhältnis mehr haben, sondern an beide“ gedacht werden (vgl. Kittel (1939), 18). Man nahm aber auch schon vor der Herausgabe der BG „Übertragungen“ vor, die der geschichtlichen Situation gerecht werden sollten, so z.B. in deutschchristlichen Kreisen Reichsbischof Ludwig Müller das für die Bergpredigt versuchte (Müller (1936)), ähnlich Richard Barth für das Vaterunser (Barth, Vaterunser-Evangelium (1934)). Auch Friedrich Andersen versuchte sich mit Berufung auf Chamberlain und Rosenberg (vgl. Vorwort) an einer an die Evangelien angelehnten romanhaften Darstellung des Lebens Jesu (Andersen (1938)). Hier ein Beispiel aus dem Text: Joseph erklärt Jesus den Unterschied zwischen Galiläern und Juden: „Ja, schon äußerlich zeigt sich der Unterschied. Wir Galiläer sind ein Berg- und Bauernvolk, daher kräftig und hochgewachsen, während die Juden am liebsten in großen Städten ihr Wesen treiben. Und wenn du eben richtig gesehen hast, daß sie besonders dunkel und schwarz aussehen, so brauchst du ja nur an deine und deiner Geschwister Haare zu denken, um zu wissen, daß wir anderen Stammes sind. Ebenso blond und hellfarben war auch ich einmal, ehe ich grau wurde.“ (ebd. 31). Eine Analyse dieser romanhaften Erzählung wäre sicher lohnend im Blick auf die dahinterliegenden Denkschemata. Die Dimensionen der Transformationsbestrebungen werden annähernd deutlich, wenn man den Blick weitet: Leutzsch nennt knapp 40 Publikationen zwischen 1901 und 1941 von Chamberlain bis zur BG, die als „völkische Übersetzungen der Bibel“ gelten können (vgl. 25
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
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gang mit dem Alten Testament30 gerungen – auf das große Interesse an der BG hindeuten. Auf den hintersten Seiten von „Grundmann, Walter: Aufnahme und Deutung der Botschaft Jesu im Urchristentum (Studien zu deutscher Theologie und Frömmigkeit, Band 3), Weimar, Verlag Deutsche Christen, 1941“ findet sich noch 1941 die Werbung für die Gesamtausgabe (Kostenpunkt: RM. 1,40), die bald erscheinen werde, in folgendem Wortlaut:
Leutzsch (2009), 13–37) und bereits Lubinetzki unterscheidet die verschiedenen wissenschaftlich orientierten, volkstümlichen und völkisch-deutschen Bibelübertragungen in diesem Zeitraum (vgl. Lubinetzki (2000), 29–08). 30 Dass eine intensive Auseinandersetzung um die Rolle des Alten Testaments in der Kirche tobte, lässt sich an einem Kommentar Grundmann zu einem weiteren Versuch, eine neue Bibelausgabe herauszubringen (Das ewige Wort (1941)), festmachen. In dieser Bibelausgabe sind die aufgenommenen Teile aus AT und NT fast paritätisch verteilt (AT: S.7–264, NT: S.265–504). Grundmann kritisiert diese angebliche „starke Betonung des Alten Testaments, das auch in der Auswahl die größere Hälfte noch einnimmt“ (Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 259) scharf, da sie die Deutschen zu dem „schlechterdings ungangbaren Umweg über die israelitische Geschichte“ zwinge (ebd. 260). Selbst das Plädoyer der Herausgeber der Auswahlbibel „Das ewige Wort“, zumindest die „Substanz“ des Alten Testaments ausreichend kennen zu müssen, um das Neue Testament verstehen zu können, verreißt Grundmann: „Wir sagen dazu ein rundes Nein und erheben die Forderung, daß die Wirklichkeit Gottes als des Schöpfers und des Herren, der das Recht setzt, an der Besinnung auf die eigene Volksgeschichte, auf die Geschichte der deutschen Nation, aufzuzeigen ist!“ (ebd. 260). Das Problem der Haltung zum AT liegt aber tiefer. Nicolaisen weist darauf hin, dass die deutsch-christliche Auffassung des AT „in einer Konsequenz liegt, zu der die atl. Wissenschaft verführen konnte: nämlich zu einer starken Reduzierung von Wert und Autorität des AT. Die atl. Wissenschaft vermochte nur durch Hilfskonstruktionen das AT als ein ‚christliches Buch‘ zu retten. Insofern wäre es nur folgerichtig, diese Hilfskonstruktion fallenzulassen und dann das AT preiszugeben“ (Nicolaisen (1966), 96). Allerdings blieben die deutschchristlichen Gruppierungen meist „bei der agitatorischen Polemik stehen“, die das AT als „Judenbuch“ abwertet, bei Grundmann finde sich aber zudem theologische Bemühung (ebd. 90). Die „radikal ideologische Ablehnung des AT“ traf also im Kirchenkampf auf eine „in der Frage nach dem AT theologisch wenig entschiedenen Kirche und Wissenschaft; ein stark gepanzerter Gegner stieß auf einen wenig gerüsteten.“ (ebd. 198). Auch Stegmann verdeutlicht den damaligen schweren Stand des ATs am Beispiel der Theologischen Fakultät in Jena. Dort war 1934 – in Ermangelung eines deutschchristlichen Bewerbers – Gerhard von Rad, der sich bald der Bekennenden Kirche anschloss und sich am Predigtdienst im illegalen Kirchsaal der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Jena beteiligte, Professor für Altes Testament geworden. Sowohl bei den damaligen Professoren in Jena als auch der Mehrheit der damaligen Studentenschaft, „die vom Rassewahn angesteckt und von der Wertlosigkeit des Alten Testaments durchdrungen war“, hatte er einen schweren Stand (vgl. Stegmann (1984), 41f.). Auch in den knapp 40 von Leutzsch genannten „völkischen Übersetzungen“ sind nur in fünfen davon überhaupt Teile (!) des Alten Testaments aufgegriffen (vgl. Leutzsch (2009), 140).
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
„Nun wird neben dem 1. Teil, der auch weiterhin einzeln erhältlich ist und die Darstellung des Lebens und Wollens Jesu (nach den drei ersten Evangelien) enthält, die Gesamtausgabe erscheinen. Sie enthält die noch fehlenden Teile des neuen Testamentes (JohannesEvangelium – Briefe – Apostelgeschichte) in neuer Verdeutschung.“31
Dieser Vermerk dürfte aber nicht auf ein späteres Erscheinen der BGGesamtausgabe hinweisen, sondern vielmehr auf die immer noch bestehende Nachfrage, die den Abdruck der Werbeanzeige weiterhin sinnvoll erscheinen ließ. Im Einzelnen gliedert sich die BG in vier Teile: I. Jesus der Heiland. Die Jesus-Überlieferung der ersten drei Evangelien.32 II. Jesus der Gottessohn. Das Evangelium des Johannes.33 III. Jesus der Herr. Die Christusbotschaft der Apostel34 IV. Das Werden der Christusgemeinde. Berichte und Zeugnisse aus den ersten Jahren der Gemeinde35 31
Aus der Buchankündigung am Ende der Schrift Grundmanns (Grundmann, Botschaft Jesu im Urchristentum (1941), 196). 32 Enthalten ist hier eine Auswahl v.a. aus Mt, Mk, Lk mit Schwerpunkt auf Mk. Die BG selbst beschreibt im Vorwort: „Der erste Teil erhält die Botschaft und die Geschichte Jesu von Nazareth, wie sie in den ersten drei Evangelien dargeboten sind.“ (BG VII). Grundmann selbst nennt diesen Teil „die wesentlichen Evangelientexte, die ein zusammenhängendes Bild Jesu geben“ (Grundmann: Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 5). 33 Hier findet sich Großteil des Johannesevangeliums. Die BG selbst beschreibt im Vorwort: „Den zweiten Teil bildet das vierte Evangelium, das den Namen des Johannes trägt und eine in sich geschlossene eigene Christusschau enthält.“ (BG VII). 34 Dieser Teil enthält eine Auswahl aus Paulusbriefen, Deuteropaulinen, Pastoralbriefen und 1 Joh.Die BG selbst beschreibt im Vorwort: „Der dritte Teil vermittelt die Deutung und Bezeugung der in Jesus Christus erschienen Gotteswahrheit, wie sie, durch die Apostel geweckt, aus der Erfahrung der ersten christlichen Gemeinde herauswächst.“ (BG VII). 35 Hier ist eine Auswahl v.a. aus Apg (und etwas Briefliteratur), mit von den Redaktoren verfassten Zwischentexten aufgenommen. Die BG selbst beschreibt im Vorwort: „Der letzte Teil endlich gibt, mit verbindendem Text versehen, einen Einblick in den Gang der christlichen Bewegung in den ersten Jahrzehnten und stellt einen Anhang dar zur eigentlichen Arbeit, die der ‚Botschaft Gottes‘ gewidmet ist.“ (BG VII) bzw. Fromm lässt verlauten, es handle sich um „einen geschichtlichen Abriss über die Entwicklung der urchristlichen Gemeinde bis zum Tode des Paulus mit Stücken der Apostelgeschichte und der Apostelbriefe, um den Hintergrund aufzuzeigen, auf dem die Verkündigung Jesu Christi laut geworden ist“ (vgl. Fromm (1940), 20). Dieses Verständnis als „Anhang“ hat auch dazu geführt, dass in diesem Teil die geringsten Veränderungen am Text zu finden sind. Als Grundtendenz lässt sich aber eine verstärkte Gegenüberstellung von „Christentums“ und „Judentum“ ausmachen. Schon Stegmann stellt fest, dass vor allem die „Berichte von der Verfolgung der christlichen Gemeinden durch die Juden in der Apostelgeschichte“ hier aufgeführt werden (vgl. Stegmann (1984), 78). In der vorliegenden Arbeit sollen Passagen aus diesem vierten Teil zur Sprache kommen, insoweit die von den Redaktoren verfassten Zwischentexte auffällig sind. Grundmann bezeichnet das Geschichtsbild der Apostelgeschichte an anderer Stelle als „judenchristliches Dogma“. Es müsse einer „kritischen Analyse“ unterworfen worden, „wenn wir der Frage nach dem ewigen Gehalt des Evangeliums und den irdenen Gefäßen nachgehen wollen.“ (Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 243).
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
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Nach eigenem Bekunden wurden in allen Teilen lediglich die Erzählungen „die deutlich Legenden sind“36 und „an einigen Stellen offensichtliche Doppelüberlieferungen, die denselben Gedanken ohne Fortschritt bringen, beiseitegelassen.“37 Auch im Nachwort zur Teilausgabe mit dem synoptischen Teil wird davon gesprochen, dass „durch sorgfältigen Vergleich der verschiedenen Überlieferungsformen“ lediglich „Doppelüberlieferungen, augenscheinliche Weiterbildungen und Legenden“ weggelassen worden seien.38 Der bereits sensibilisierte Leser findet aber durchaus bereits in der Beschreibung der Zielsetzung, nicht erst bei genaueren Textanalysen, Hinweise darauf, dass die Texte stärker bearbeitet wurden, als lediglich Doppelungen zu tilgen: Grundmann spricht davon, dass „kleine Verdeutlichungen“ dort vorgenommen wurden, wo die erzählten Berichte Verhältnisse voraussetzen, „die unseren Zeitgenossen nicht mehr bekannt sind“, die aber für das Verständnis nötig seien.39 Im Folgenden wird deutlich werden, dass die Weglassung von angeblichen „Legenden“ eng mit dem Gedanken der Suche nach dem „ewigen Wahrheitsgehalt“40 zusammenhängt. Bei einer genauen Betrachtung der Textauswahl41 wird schnell klar, dass es sich keineswegs um eine Reduktion der Textmenge oder eine „neue Übersetzung“42 handelt, bei der „das Fortgelassene nichts Neues und nichts Wesentliches bringt“43, sondern vielmehr um eine gezielte eklektische Auswahl der Stellen mit vielfachen Streichungen und Neukombinationen.44, deren gedanklichem Hintergrund in dieser Arbeit nachgegangen werden soll. Erich Stegmanns Urteil, dass die Textauswahl der BG eine „Verkürzung des Evangeli36
Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 13. Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 15. 38 Vgl. BG-Teilausgabe (1940), XI. 39 Vgl. Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 16. 40 Vgl. unten 1.2.5.1 Suche nach dem „ewigen Wahrheitsgehalt“. 41 Zur genauen Textauswahl vgl. das Stellenverzeichnis im Anhang. 42 Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 5. 43 Im Anhang zu Fromm (1940), 58f. (Fromm schreibt an Fischer, der den 1. Teil der BG kommentiert hat). Ähnlich auch schon vorher im eigentlichen Geleitwort zur BG: Man habe nur „Stücke ähnlichen Inhalts“, die „zur Sache nichts wesentlich Neues“ beitragen können, weggelassen zu haben, unter anderem „einzelne Jesusgeschichten und Jesusworte“ (Vgl. Fromm (1940), 22). 44 Signifikanteste Streichung ist wohl das Fehlen von Joh 4,22 (‚Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden.‘) im Gespräch Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen (vgl. BG 109f., Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (Joh. 4,1.3–9a.10–21.23–37.39–42): Der entscheidende Vers Joh 4,22 wurde aus dem Text herausgeschnitten. Ebenso fehlen die beiden Stammbäumen im Matthäus- bzw. Lukasevangelium, stattdessen genügt es den Herausgebern, mit einem verklärende Kurzfassung der Kindheitsgeschichten bei Lukas und einem kurzen ‚gereinigten‘ Einschub zu den „Weisen vom Morgenland“ (Matth. 2,1a.c. 2b. 9b–11) den Beginn des irdischen Lebens Christi abzuhandeln (vgl. BG 3–6, sein Ursprung). 37
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
ums“ und somit „eine Verfälschung der biblischen Botschaft“ zur Folge habe und den Versuche der Deutschen Christen, „die Kirche in ihrem Sinne zu reformieren“, zuzuordnen sei,45 trifft dementsprechend zu. Obwohl sich die BG als legitime Bibelausgabe präsentiert, besteht sie durch Auswahl, Neukombination und Bearbeitungen aus stark ideologisch geprägten Texten. Martin Leutzsch ordnet die BG zudem in die vielfältigen „völkischen Übersetzungen“ ein und stellt fest, dass die Form der „Evangelienharmonie“46 daher besonders geeignet gewesen sei, „weil sie durch Ausblendung den eigenen Zielen Widerstrebendes unsichtbar machen konnte.“47 Besonders signifikant ist auch die Form, in der das ‚Volkstestament‘ sich präsentiert. Das handliche Format, nicht viel größer als DIN A6, Grundmann spricht von einem „Bändchen“48, weist darauf hin, dass die BG dem täglichen Gebrauch dienen sollte. Auch wird den Lesern die Verwendung durch die kleinschrittige Einteilung erleichtert, selten nur reicht eine Passage über mehrere Seiten, häufig sind es weniger als fünf Verse, die zu einem Abschnitt zusammengefasst werden. Der Leser bekommt im Text keinen Aufschluss darüber, welche biblischen Verse eine Passage enthält, erst am Ende der Ausgabe findet sich ein Stellenverzeichnis, das (allerdings nicht immer ganz korrekt49) die zitierten Verse auflistet.50 Statt der üblichen biblischen Verszählung hat die BG eine neue Zählung eingeführt, die die Anzahl der Zeilen der einzelnen Großkapitel51 angibt. Prägender als die Zeilenzählung waren für die Leser sicherlich diese Kapitelüberschriften und dann die Titel, mit denen die Einzelpassagen versehen wurden. Bereits Grundmann weist auf die besondere Funktion dieser Gliederungselemente hin: „Die Überschriften und Seitenschriften wollen zugleich den Gesamtaufbau durchleuchten.“52 Die Bedeutung der durch die Überschriften vorgenommenen Gliederung und Themengewichtung kann daher gar nicht überschätzt werden. So lässt ein exemplarischer Blick in das vierte Kapitel des 1. Teils („Seine Gefolgschaft“) schon erahnen, auf welche The45
Stegmann (1984), 78. Teil I der BG: Jesus der Heiland. Die Jesus-Überlieferung der ersten drei Evangelien. 47 Vgl. Leutzsch (2009). 48 Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 5. 49 Bereits im ersten Teil der BG findet sich eine Verwechslung: BG 89, Die Verleugnung des Petrus (Matth. 14,66–68b.69–71, Matth. 26,73c.74c–75) müsste eigentlich Mk 14,66– 68b.69–71 lauten. In der BG-Teilausgabe finden sich dagegen noch die richtigen Angaben. Zudem stimmen an einigen Stellen die Angaben der (Teil-) Verse nicht mit den tatsächlich aufgeführten Versen überein. Soweit diese Stellen in dieser Arbeit analysiert werden, wird an entsprechender Stelle darauf hingewiesen werden. 50 Stellenverzeichnis im Anhang. 51 Diese Kapitel lauten im ersten Teil der BG „Sein Ursprung“, „Sein Aufbruch“, „Seine Botschaft“, „Seine Gefolgschaft“, „Sein Kampf“, „Sein Kreuz“, „Sein Sieg“. 52 Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 21. 46
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
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men die BG sich fokussieren möchte. Hier finden sich unter z.B. folgende Teilüberschriften: BG
Hart und entschlossen (Mark. 9,43–47.50b) Einsatzbereit (Luk. 9,57–62; 14,28–33) bzw. Nüchterne Entscheidung (BG-Teilausgabe) Der Einsatz (Matth. 13,45–46) Alle Ehre liegt im Dienst (Luk. 22,24– 25; Mark. 10,43–45; Matth. 20,28 Cod. D und Cod. Syr.) Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben (Mark. 8,34–37; Matth. 10,32–33; 12,30)
EÜ
Warnung vor der Verführung (Mk 9,42–48) Von der Nachfolge (Lk 9,57–63) Vom Ernst der Nachfolge (Lk 14,25–35) Die Gleichnisse vom Schatz und von der Perle (Mt 13,44–46) Vom Herrschen und vom Dienen (Lk 22,24–30) Vom Herrschen und vom Dienen (Mk 10,35–45) Von Nachfolge und Selbstverleugnung (Mk 8,34–38) Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis (Mt 10,16–39)
Erkennbar wird bereits aus den Überschriften, dass die Schlagworte „Einsatz“, „Dienst“ und „Opfer“ häufig vorkommen und als Ideal hervorgehoben werden zu scheinen, das zur „Ehre“ führt. Nicht nur die Versauswahl, sondern auch die bereits auf den ersten Blick als stark wertend erkennbare Überschriftenwahl liegt bei dieser Vorgehensweise in den Händen der Redaktoren und lässt eine deutliche Vorprägung der Lesererwartung erkennen. Der hohe Interpretationsgrad der Überschriften zeigt sich gerade der Vergleich mit den EÜ-Überschriften, die an manchen Stellen ebenfalls die Leser lenken, wie das jede Texteinteilung und Titulierung automatisch tut, aber doch versuchen, eine kurze Inhaltsangabe als Orientierungshilfe zu bieten statt einer Deutung. Deutlich wird, dass die EÜ versucht, sich bei der Wahl ihrer Überschriften an der biblischen Sprache zu orientieren und statt einer Deutung primär eine Inhaltsangabe zu erstellen.53 Der Rahmen, in dem sich die Texte der BG finden, spielt also eine wichtige Rolle bei der Suche nach einer adäquaten Deutung dieses Verdeutschungsversuches der BG-Redaktoren. Der Blick auf Aufbau und Konzeption der BG, mit ihren von den Herausgebern eingezogenen Kapitelüberschriften, Teilkapitelüberschriften und den Überschriften des Absatzes bzw. der Passage (Perikopen lassen sich die kurzen Textabschnitte häufig nicht nennen, da sie keinen zusammenhängenden Bibeltext enthalten, sondern eine Zusammenstellung einzelner Verse), die sich am Seitenrand befinden muss folglich 53
Offensichtlich wird das an der Überschriftenwahl für Mt 13,44–46: Während die EÜ diese Stelle mit „Die Gleichnisse vom Schatz und von der Perle“ überschreibt, ist die Deutung der BG auf den Begriff „Einsatz“ fokussiert (vgl. oben).
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
in die Interpretation ausgewählter Texte einbezogen werden. Eine Buchseite findet sich im Anhang als Beispiel. Diese Konzeption gibt bereits Hinweise auf den angezielten Adressatenkreis: Das Buch wurde sowohl in den „Gottesfeiern“ der Deutschen Christen gebraucht54 als auch ganz gezielt an Soldaten und Konfirmanden verteilt.55 Außerdem habe Grundmann am 19.7.1961 mündlich erwähnt, die BG sei von ihm als „Feldbibel“ gedacht gewesen.56 Sogar die SS-Geheimdienstakten kommentierten das Erscheinen der BG und nennen die Taschenausgabe des ersten Teils als „Gegenstück“ zu Feldpostausgabe von Hitlers „Mein Kampf“: „Bereits wird dieses in Taschenausgabe herausgegebene billige Buch in immer steigendem Maße in das Feld gesandt. Diese Schrift werde, so wird berichtet, gerade als das Gegenstück zu der Feldpostausgabe des Führers ‚Mein Kampf‘ angepriesen.“57
Die Verteilung an der Front, ein Hinweis auf den Anspruch der direkten Nutzbarkeit der Bibelausgabe und auch auf das Zielpublikum, dem die Schrift seinen ‚Dienst‘ erweisen (vgl. BG VII) solle, erwähnt auch Prolingheuer: Die Teilausgabe bezeichnet er als „handliche Taschenbuchausgabe für die Soldaten an der Front. Ganzleinen. 30 Pfennig. […] ‚Die Botschaft Gottes‘ vom arischen ‚Heiland der Deutschen‘“.58 In der Frage dagegen, ob die BG im Verlag Deutsche Christen, der seit seiner Gründung 1932 an die Thüringer Nationalkirchliche Bewegung (Deutsche Christen) angehängt war,59 veröffentlicht werden sollte, sei man zunächst uneins gewesen und wählte schließlich den Georg Wigand Verlag. Hieraus lasse sich „deutlich“ ablesen, „dass das Institut eine Gruppen übergreifend orientierte Verbreitung des Volkstestaments und einen Einsatz nicht nur in deutsch-christlichen Gemeinden“ angestrebt habe.60
54
Klemm (1986), 388. Klemm hat in den Akten des Landeskirchenamtes (LKA) Dresden und beim LBR (Deponat des Landesbruderrats Dresden im Kirchenkampfarchiv des Landeskirchenamts) in Erfahrung gebracht, dass der Verlag es allen Soldaten zuschickte (Martin Beier an alle Mitarbeiter, A 2/40 vom 20.2.1940 in: LKA Dresden, 110) und es auch an die Konfirmanden verteilt wurde (Prater an Marahrens vom 11.4.1940 ebd., LBR 101414), vgl. Klemm (1986), 388, FN 403. 56 Vgl. Klemm (1986), 388, FN 403. Klemm zitiert hier aus LKA Dresden, 710. 57 Boberach (1984), 2635. 58 Prolingheuer, ‚Entjudungsinstitut‘ (1987), 15. 59 Der Verlag befand sich „im Besitz von Siegfried Leffler, Julius Leutheuser und des Leitenden Geschäftsführers der Bewegung, Arthur Schneider, mit Sitz in Weimar. Zeitweise gehörte dieser Verlag der Bewegung, dann wieder war er als „Der neue Dom“ Privatbesitz der o.H.G. Leffler, Leutheuser und Schneider. Bis im Februar 1945 ein Bombenangriff seine Einrichtungen in Weimar zerstörte, konnte er sich eines für die Kriegsjahre bemerkenswert freien und materiell gut versorgten Daseins erfreuen“ (vgl. Weitenhagen (2006), 345). 60 Arnhold II (2010), 651. 55
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
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Und tatsächlich wurde die BG-Gesamtausgabe von 1940 sowohl im Verlag Deutsche Christen in Weimar, allerdings mit dem Verweis auf Seite IV, dass das Buch von der Otto Wigand’schen Buchdruckerei in Leipzig 1940 gedruckt worden sei, als auch im Verlag Georg Wigand in Leipzig (Kommissionsverlag) veröffentlicht. Optisch und inhaltlich ist ansonsten kein Unterschied erkennbar. Die (zeitlich frühere) Teilausgabe dagegen habe ich ausschließlich im Wigand’schen Kommissionsverlag finden können. Vgl. im Literaturverzeichnis: Gesamtausgabe: Die Botschaft Gottes (Hrsg: Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben), Weimar, Verlag Deutsche Christen 1940. Bzw. Die Botschaft Gottes (Hrsg: Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben), Leipzig, Georg Wigand (Kommissionsverlag) 1940. Teilausgabe: Die Botschaft Gottes. Jesus der Heiland. Die Jesus-Überlieferungen der ersten drei Evangelien (Hrsg.: Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben), Leipzig, Georg Wigand (Kommissionsverlag) 1940.
Strittig war also im Eisenacher „Institut“ die Frage nach dem Einfluss der deutsch-christlichen Gemeinden. Auch wenn man sich schließlich zur Publikation im „Verlag Deutsche Christen“ entschied, gab es doch die Bestrebungen, eine gewisse Eigenständigkeit des Instituts zu demonstrieren und so eine gruppenübergreifende Verbreitung des ‚Volkstestament‘, das ja seinem Namen gerecht werden sollte, zu ermöglichen. In der vorliegenden Arbeit soll daher nicht der Versuch unternommen werden, die deutsch-christliche Bewegung in ihren vielschichtigen Ausprägungen in den Blick zu nehmen,61 auch wenn das deutsch-christliche Denken zweifellos im Hintergrund der Arbeit der BG-Redaktoren stand. Auch die Entscheidung des Verlagskonflikts zu Gunsten des ‚Verlags Deutsche Christen‘ zeigt die enge Verflechtung. Daher sollen an einigen Stellen weitere institutsnahe, für einen breiten Leserkreis bestimmte, Veröffentlichungen als Zeitzeugen herangezogen werden, sooft notwendig, nämlich der ebenfalls vom Institut bearbeitete und herausgegebene Katechismus „Deutsche mit Gott“ (1941)62, das Gesangbuch „Großer Gott wir loben dich“ (1941)63, ebenso wie das „Gesangbuch der kommen61
Vgl. unten 1.6 Geschichtliches in aller Kürze. Grundmann war auch hieran beteiligt, neben Wilhelm Büchner, Paul Gimpel, Hans Pribnow, Kurt Thieme, Max-Adolf Wagenführer, Heinrich Weinmann und Herbert Werdermann. 63 Hierbei handelt es sich im Gegensatz zum Katechismus und zur „Botschaft Gottes“ allerdings nicht um eine explizite Institutsveröffentlichung: „Das Gesangbuch entstand „in einer Arbeitsgemeinschaft zwischen der ‚Nationalkirchlichen Einigung‘ und mit ihr verbün62
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
den Kirche“64, da Grundmann bereits bei der Institutseröffnung die Schaffung von Evangelien, Katechismus und Gesangbuch als „vordringliche Aufgabe“ ankündigte.65 Auch können andere Schriften von Grundmann, der als Kopf des „Arbeitskreises Volkstestament“ und einziger Hochschulprofessor66 großen Einfluss hatte und sichtbar macht, dass die „Herausgeber keine Dilettanten waren“.67 Die Übersetzung der BG fand nach dem aktuellen Forschungsstand mit Hilfe der Dichterin Lulu von Strauß und Torney statt: Prolingheuer bezeichnet die Sprache des Volkstestaments als „lobenswert“ und erwähnt zudem: „Haben doch heimlich deutsche Dichterinnen mitgewirkt – zum Beispiel Lulu von Strauß und Torney.“68 In einer Anmerkung hierzu erklärt er, er habe deter Landeskirchen. Die Entstehung fand unter der Leitung des Eisenachter ‚Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben‘ […] statt, welches zwar nicht explizit, aber faktisch der Herausgeber war.“ (Biermann (2011), 168, vgl. Kück (2003), 205–211 und vgl. Böhm (2008), 151–170 (über Entstehung des Gesangbuchs und zeitgenössische Reaktionen darauf) und vgl. Prolingheuer, Kirchenmusik (1995), 54, FN 22: „Das Gesangbuch ist ein Werk der Thüringer DC, das sich das Institut lediglich zu eigen gemacht hat.“). Heschel ist hier ungenau und spricht alle drei Publikationen dem Eisenacher Institut zu (vgl. Heschel (1999), 147–153). Die Nähe zum Institut kann dennoch nicht zu groß eingeschätzt werden, denn es „bestanden enge personelle Verflechtungen zwischen Nationalkirchlicher Einung, dem Institut sowie der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Kirchenführer, welche sowohl für die Gründung des Eisenacher Instituts 1939 wie auch für die Herausgabe des Gesangbuches verantwortlich zeichneten.“ (vgl. Gregor, (1998), 139). 64 Ein anderes deutsch-christliches Gesangbuch war das ‚Gesangbuch der kommenden Kirche‘ (Gesangbuch der Kommenden Kirche (1934)), ein Projekt in der Evangelischen Landeskirche Bremen (s. dazu: Kück (2003), v.a. 194–204). Kück stellt im Vergleich beider Gesangbücher fest, dass sich „unter den Aspekten von ‚Entjudung‘ und Anpassung an nationalsozialistische Ideologie zahlreiche Parallelen finden“ ließen, aber das „Maß an ‚Entchristlichung‘“ im thüringischen Gesangbuch ‚Großer Gott wir loben dich‘ „weitaus höher“ war als im bremischen (vgl. Kück 211). Die Gesangbücher sind im Zusammenhang mehrere deutsch-christlicher Gesangbücher, Hefte und Liedsammlungen seit 1933 zu sehen, die der veränderten kirchenpolitischen Situation zu entsprechen suchten (vgl. Gregor (1998), 125). 65 Bereits in der Institutseröffnungsrede nennt Grundmann als „Aufgaben praktischer Art“ a) als „vordringliche Aufgabe die Schaffung einer Ausgabe der vier Evangelien, die die ältesten Traditionen ablöst von ihren Umformungen und Zusätzen von zweiter Hand und so den Weg zum frischen Quell freimacht“ (die spätere BG) und die Herausgabe eines „Lebensgeleitbuch[es]“, das neben Zeugnissen aus dem NT auch „Worte und Stimmen aus deutsche, christlicher Frömmigkeit enthält“ (der spätere Katechismus ‚Deutsche mit Gott‘) und b) ein „neues Gottliederbuch“, da „aus Liturgie und Liedgut die Zionismen verschwinden müssen“ (S. 17f.). 66 Stegmann (1984), 78, vgl. oben FN 21. 67 Stegmann (1984), 78. 68 Prolingheuer (1997), 74. Auch Arnhold II (2010), 756 erwähnt die Mitarbeit von Lulu von Strauß und Torney. Luise von Strauß und Torney (1873–1956) war von 1916 bis zu dessen Tod 1930 mit dem „Verleger u.a. deutschvölkischer Literatur“ Eugen Diederichs
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diese Informationen vom ehemaligen Institutsmitarbeiter Herbert von Hintzenstern, Weimar, „während mehrerer Gespräche seit 1988 und einem ausführlichen Briefwechsel“ erhalten“.69 Von Strauß und Torney hatte am 26. Oktober 1933 das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ an Adolf Hitler unterzeichnet70 und sich dann in den „Gratulations-Prachtband zu Hitlers 50. Geburtstag“ mit Gedichten, „d.h. mehr oder minder poetischen Huldigungen“, eingetragen habe.71 1.2.2 Die Methode: „Entjudung“ des Neuen Testaments Grundsätzlich lässt sich das Bearbeitungsprinzip, das die Redaktoren für ihr Volkstestament im Speziellen und das ‚Institut‘ für seine Arbeit im Gesamten nennt, unter dem Schlagwort der „Entjudung“ fassen. In Anlehnung an das Vorhaben einer „Entjudung“, das z.B. Grundmann formuliert72 und das nichts anderes bedeutet als die „Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses“, die sich das Institut auf die Fahnen geschrieben hat, lässt sich bei der ‚Botschaft Gottes‘ von einer „entjudeten“73 Bibelausgabe sprechen. Es wurde der Versuch unternommen, eine von Hinweisen auf die jüdischen Wurzeln verheiratet (ebd. 792). Sie war Mitglied im AK Volkstestament (ebd. 890), die Mitarbeit an der BG habe sich darauf belaufen, dass sie ‚für dessen dichterische Wortfassung‘‘ zuständig gewesen sei (ebd. 833). 69 Prolingheuer (1997), 90, FN 35. Zu finden in Sammlung Prolingheuer J/2. 70 Neben 87 anderen deutschen Schriftstellern hatte Lulu von Strauß und Torney die Treuebekundung „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ am 26. Oktober 1933 unterzeichnet. (Text im Wortlaut s. Vossische Zeitung (26.10.1933), 2). 71 Vgl. Diederichs (2005), 36. 72 Vgl. Grundmann, Walter: Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe deutscher Theologie und Kirche: Vortrag von Prof. Dr. W.G., Jena, gehalten bei der feierlichen Eröffnungssitzung des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ in Eisenach, Schriften zur Nationalkirche 11, Weimar, Verl. Deutsche Christen, 1939. 73 Weigel verweist darauf, dass der Begriff ‚Entjudung‘ in der nationalsozialistischen Ideologie „seine radikalste Komponente“ erhalten habe: Er stand hier „nicht nur für die Verdrängung von Juden aus dem gesamten öffentlichen Leben und die Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit […], sondern später auch für ihre Deportation und Ermordung“ (vgl. Weigel (2010), 332). Schmitz-Berning zeigt ein breites Bedeutungsspektrum von ‚Entjudung‘ auf: „a) Schrittweise, schließlich vollständige Verdrängung der Juden aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. b) Beseitigung des jüdischen Einflusses. d) Zwangsverkauf jüdischer Gewerbebetriebe und Einziehung jüdischen Vermögens. d) Deportation und Ermordung der Juden“ (Schmitz-Berning (1998), 189). Das Gegenstück dazu ist der Ausdruck ‚Verjudung‘, ein „zu hoher Prozentsatz von Juden in der Bevölkerung, in Berufen, Parteien usw.“ und die daraus resultierende „Beeinflussung, Beherrschung, Infiltration“ (vgl. ebd. 630) bzw. das zugehörige Adjektiv ‚verjuden‘: „Der Ausdruck verjuden ist eine Prägung der Antisemiten des neunzehnten Jahrhunderts. Paul de Lagarde verwendet verjuden in seinem ‚Programm für die konservative Partei Preußens‘ 1844 bereits geläufig.“ (ebd. 629).
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
Jesu und des Urchristentums bewusst gereinigte Version des Neuen Testaments zu schaffen. Konkret handelt es sich um eine Auswahlbibel (vgl. die Gliederung der BG, s.o.), für die eine sehr freie Auswahl an Textstellen getroffen wurde, die der Zielsetzung eines ‚entjudeten‘ Neuen Testaments entspricht. In einem „gesunden Volk“ hält Grundmann die Ablehnung und sogar den „Kampf gegen das Judentum“ für angemessen und berechtigt. Zusammen mit Karl Friedrich Euler schreibt er im Vorwort zu ‚Das religiöse Gesicht des Judentums. Entstehung und Art‘74: „Ein gesundes Volk muß und wird das Judentum in jeder Form ablehnen. Diese Tatsache ist vor der Geschichte und durch die Geschichte gerechtfertigt. Möge man sich auch über Deutschlands Haltung gegen das Judentum ereifern, Deutschland hat dennoch die geschichtliche Rechtfertigung und die geschichtliche Berechtigung zum Kampf gegen das Judentum auf seiner Seite!“75
Im Zuge der „Entjudung“ wurde auch die Rolle des Alten Testaments stark diskutiert. Die pauschale Abwertung der Heiligen Schriften Israels als Text, in dem sich ein dunkles Gottesbild offenbare, das mit dem wahren Gott des Neuen Testaments nichts zu tun habe, beschäftigt das Christentum im Grunde seit Marcion.76 Im frühen 20. Jahrhundert griffen aber nicht nur bekennende Antisemiten, wie einer der Chefideologen des Nationalsozialismus, Alfred Rosenberg,77 sondern auch z.B. der bekannte Kirchenhistoriker Adolf von Harnack auf diese Gedanken zurück.78 74
Euler/Grundmann (1942). Euler/Grundmann (1942), Vorwort. 76 Marcion von Sinope konstruierte Mitte des 2. Jhdts. n.Chr. „unter dem Titel ‚Antithesen‘ einen grundlegenden Gegensatz zwischen dem Gott, den Jesus verkündigt hat, und dem Gott, von dem die heiligen Schriften der Juden reden“ (vgl. Wohlmuth (2004), 246f. und Nicklas, Ansprüche (2013), 349). Von großkirchlicher Seite entschied man sich für eine „zweigeteilte Einheit der christlichen Bibel“ (Dohmen (2010), 368) aus Altem und Neuen Testament. Gegen eine „Enthistorisierung“ (vgl. Kampling (2010), 11) des christlichen Glaubens durch den fehlenden Bezug zum AT und somit gegen eine Preisgabe der eigenen Identität als Christen (vgl. Dohmen (2010), 373), wie sie durch den fehlenden Bezug zur Überlieferung des Judentums bei Marcion eingetreten wäre, wählte man also ein klares Bekenntnis zur Einheit und Einzigkeit des Gottes Israels. (ebd. 368). Der Unterschied Marcions zum Denken seiner Zeitgenossen lag aber wohl eher in der Verwerfung der Allegorese (vgl. auch May (2002), 6), nicht aber im antijüdischen Denken an sich (vgl. Nicklas (2014), 98). 77 Rosenberg (1893–1946) trat bereits 1919/20 der späteren NSDAP bei, wurde zum Hauptschriftleiter des „Völkischen Beobachters“ und saß ab 1930 als Abgeordneter der NSDAP im deutschen Reichstag, ab 1933 war er Reichsleiter im außenpolitischen Amt der NSDAP, ab 1941 Minister für die besetzten Ostgebiete; 1946 wurde er wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zum Tode verurteilt und hingerichtet. Weiterführend Poliakov & Wulf (1959) sowie Head (2004:68–70). (zitiert nach Nicklas (2008), 1900, FN 14). Rosenberg fordert in seinem in über einer Million Exemplaren verkauften Werk „der Mythus des 20. Jahrhunderts“, das Alte Testament abzuschaffen, damit endlich „der mißlungene Versuch der letzten anderthalb Jahrtausende, uns geistig zu Juden zu machen“, entfalle. An die Stelle 75
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
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1800 Jahre nach Marcion stellt sich das Problem in anderer Weise dar und in Verbindung mit dem modernen Antisemitismus, angelehnt an Lagarde, Rosenberg und Chamberlain. Die BG-Redaktoren versuchen sich, von praktisch-nationalistischen Überlegungen geleitet, an einer „entjudeten“ Bibelausgabe. Man wählt aus den Texten aus, wird also buchstäblich häretisch, wie Grundmanns Ausführungen zur Wahl des Titels „Die Botschaft Gottes“ zeigen: In diesem Titel komme „eine doppelte theologische Überzeugung zum Ausdruck“: Zwar gebe es „eine Fülle von Werken Gottes“, Natur, Geschichte, unser Volk und unser Leben, es gebe aber „nur eine ‚Botschaft‘ dieses Gottes, ein Evangelium“: „der alttestamentlichen Zuhälter- und Viehhändlergeschichten“ sollten „die nordischen Sagen und Märchen treten, anfangs schlicht erzählt, später als Symbole begriffen.“ Rosenberg ([1930] 1941, 603, 614), zitiert nach Nicklas (2008), 1900. 78 Vgl. Nicklas (2008), 1899. Harnacks schreibt in seiner einflussreichen Monographie über Marcion (Harnack (1924)), dessen Bibel gründe u.a. auf den Grundsätzen, dass Jesus das „Gesetz nicht erfüllt, sondern aufgelöst, den entscheidenden Gegensatz von Gesetz und Evangelium aufgedeckt und seine Erlösung allein auf den Glauben gestellt“ habe und dass „der Weltschöpfer und Gott des AT nicht als Vater Jesu Christi erscheinen“ dürfen, sondern gerecht und bösartig sei und lediglich dem jüdischen Volk irdische Verheißungen gegeben habe (vgl. ebd. 64). Daher habe er der Gemeinde Christi eine neue Bibel schaffen wollen (vgl. ebd. 71), in der „das AT durch eine neue Sammlung“ abgelöst sei (vgl. ebd. 72). Ähnlich Nicklas, Gott (2014), 75f. Mehr zu Marcion im Licht der Harnack-Monographie auch bei Räisänen (2005), 100–124. Diese Monographie Harnacks habe nun den modernen Blick auf Marcion stark beeinflusst, da Marcions eigene Werke verloren sind und sein Denken nur aus den zeitgenössischen Auseinandersetzungen mit seinen Kritikern fragmentarisch rekonstruiert werden kann (vgl. Nicklas (2014), 98). Inwieweit Harnacks Marcion-Interpretation aber zutreffend ist, ist umstritten: Löhr weist darauf hin, Marcion nicht die simple Unterscheidung zwischen dem „gerechten“ Gott des AT und dem „guten“ Gott des NT getroffen hätte (Löhr (2002), 144), sondern seine Antithesen eher folgende Struktur hatten: The antitheses „compared – in this order – the ingenia, the leges and the virtutes of the two gods. […] Marcion’s defamatory comments on the god tof the Old Testament can be read as an attempt at character assassination. […] Marcions’s theology owes its polemical thrust and effectiveness to this direct appeal to Christian ethics. Thus Marcion is by no means opposed to the moralizing tendency of much of 2nd century Christianity; he is, rather, its most radical protagonist who brings out its aggressive, even arrogant features.“ (ebd. 145). Kinzig weist allerdings auch darauf hin, dass Harnack selber die Gefahr der Fehlinterpretation seines Werkes durch völkische Gruppen, die das AT aus antisemitischen Gründen verwarfen, erkannt habe und daher schon in der zweiten Auflage des ‚Marcion‘ eine Fußnote eingefügt habe, mit der er sich von der völkischrassischen Weltanschauung implizit absetzte (Kinzing (2004), 121). Chamberlain, Rosenberg und andere konnte das allerdings nicht von einer Vereinnahmung des ‚Marcions‘ von Harnack abhalten (vgl. ebd. 122–127). Diese „liberale lutherische Abwertung“ des Alten Testaments, die eben bei Harnack symptomatisch zu finden sei, traf mit der „völkischen Polemik gegen das Alte Testament“ zusammen: „beide konnten Koalitionen eingehen“, Auswirkungen waren dabei auch die Editionen von Auswahlbibeln (Leutzsch (2013), 91).
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
„Diesen besonderen Charakter des Ereignisses Jesu Christi will der Titel zum Ausdruck bringen. Er will uns aber nun ebenso deutlich machen, daß diese Botschaft alle angeht und alle erreichen will, erreichen ohne den Umweg über die israelitische Geschichte, ohne ein heilsnotwendiges Altes Testament79, womit allerdings, wie der Arbeitsaufriß des Instituts erweist, die Frage des Alten Testaments noch nicht abgeschlossen ist. Diese Botschaft Gottes ist es, wovon die Kirche lebt und die sie allein zu künden hat. Zu ihr aus der erwähnten dreifachen Verantwortung unserem Volk einen Weg zu bahnen, ist das Anliegen unserer Arbeit.“80
Das Alte Testament wird hier als „Umweg“ betrachtet, der – zumindest aus deutscher Sicht – nicht „heilsnotwendig“ sei. Grundmann begründet seine Sicht, letztlich mit einem anderen historischen Verständnis: Er stört sich daran, dass eine Akzeptanz des Alten Testaments die Anerkennung dessen impliziere, dass Gott ausschließlich in der Geschichte Israels, also in einem „heilsgeschichtlichen Zusammenhang von Abraham auf Christus“ hin die Geschichte gewirkt habe. Dies sei eine „dogmatische Konstruktion der ersten Christenheit“, die auch zur Vorstellung der kirchlichen Gemeinschaft als das wahre Israel, dem die Verheißungen des Alten Testaments gelten, geführt habe.81 Noch deutlicher äußert sich Grundmann bereits 1936, dass er unter der „Botschaft Gottes“ einen Gegenbegriff zur „jüdischen Botschaft“ verstehe.“82 Die Frage nach der Ablehnung des Judentums hängt ja eng mit der Frage der Akzeptanz der Bibel in ihren beiden Teilen, Altem und Neuen Testament zusammen. 1939 formuliert Grundmann dieses Problem, welche Haltung gegenüber der Heiligen Schrift, obwohl sie „in weiten Partien jüdischen Geist atmen, ebenso wie sie leidenschaftlichen Kampf gegen ihn erkennen lassen“ einzunehmen sei, als rhetorische Frage: „Gehört dieses unleugbare Moment zu Wesen und Wahrheit christlichen Glaubens oder ist es mit ihm zusammen auf uns gekommen, uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden, an der die Kirchen bisher keinen Anstoß nahmen, weil ihnen jener unserem Geschlecht schicksalhaft gewordene Gegensatz gegen das Judentum noch verborgen war?“ 83
Die Antwort Grundmanns lautet dann, es habe eine „Wiedergewinnung der grundlegenden Wahrheit“ und die „Ablösung bisheriger Selbstverständlichkeiten“ stattzufinden. 84 Dies sei nötig, weil man „mit voller Wucht der Erkenntnis des Jüdischen im Alten Testament und auch in bestimmten Partien des Neuen Testaments“ ein „Element“ habe, „das für unzählige deutsche Menschen den Zugang zur Bibel versperrt.“85 Die „Entjudung“ nun wird als 79
Grundmann verweist hier auf sich selbst: Grundmann, Entjudung (1939), 14–17. Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 22. 81 Grundmann, Entjudung (1939), 15f. 82 Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 9f. 83 Grundmann, Entjudung als Aufgabe (1939), 10. 84 Vgl. Grundmann, Entjudung als Aufgabe (1939), 10. 85 Grundmann, Entjudung als Aufgabe (1939), 11. 80
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
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das Mittel propagiert, das zumindest zum Neuen Testament den Zugang wieder eröffnen könne. An anderen Stellen äußert sich Grundmann differenzierter zum Alten Testament und nennt den Umgang Jesu mit dem Alten Testament „auch positiv“.86 Letztlich kommt Grundmann aber nach der Analyse einiger Passagen, in der Jesus das AT verwendet, zu dem Schluss, dass Jesu „ihm eigene Erkenntnis Gottes“ ihn zu einer „neuen Position“ führte: „Jesus kennt das Alte Testament von Jugend auf. Es ist die Heilige Schrift der Welt, in der er aufwuchs, und damit auch seine Heilige Schrift. Aber ihm begegnet Gott in einer völlig neuen Weise. Damit gewinnt er eine neue Position, die er im Alten Testament nicht fand, wir aus dem Wort: ‚Keiner hat erkannt, wer der Vater ist‘, hervorgeht. Von seiner Position aus benutzt er das Alte Testament, indem er aufnimmt, was diese Position klärt und stärkt, und verwirft, was ihr entgegen ist.“87
Aus der grundsätzlichen Position Grundmanns heraus, die davon ausgeht, es könne kein „heilsgeschichtliches Monopol für das Alte Testament“ geben88 und entsprechend diesen Denkschemata, die die deutsche Geschichte mit Gott zum entscheidenden Kriterium erheben und zugleich Jesu Botschaft als „neue Position“ herausstellen, die zugleich von der jüdischen Geschichte wie auch dem Alten Testament abgehoben wird, verwundert es wenig, dass das Alte Testament in der Bibelausgabe des Instituts völlig fehlt und sich auch in den BG-Bearbeitungen der neutestamentlichen Texte immer wieder die Tilgung oder Verfremdung alttestamentlicher Zitate beobachten lässt. Grundmann und die BG-Redaktion im Gefolge begeben sich folglich, ob bewusst oder unbewusst, in eine Linie mit Harnacks Marcion-Interpretation89, indem sie sich in die Position erhebt, über den (Un-)Wert des Alten Testaments zu entscheiden, zumindest de facto für alle Deutschen, denen seine Interpretationen und die ‚Botschaft Gottes‘ zugedacht waren.
86
Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 141. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 142. 88 Vgl. Grundmann, Entjudung als Aufgabe (1939), 16. 89 Harnack stellt fest: „Die große Masse der Korrekturen besteht aus Streichungen, von der Streichung eines Wortes oder Wörtchens an bis zu der großer Abschnitte. […] M. [=Marcion] hat also angenommen, daß die judaistischen Fälscher die Texte durch Zusätze aller Art aufs schlimmste beschwert haben.“ (Harnack (1924), 61). Ähnliches lässt sich auch über die BG aussagen. 87
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
1.2.3 Der Gedankenkontext: In der Nachfolge Luthers (sic?). Antijüdisches Denken in der Kirchengeschichte Ist nun bei dieser Vorgehensweise der BG-Redaktoren, die Texte „entjuden“ zu wollen, noch von Antijudaismus90 oder bereits von Antisemitismus91 zu sprechen? An dieser Stelle beginnen die Grenzen zu fließen. Einerseits bleibt die BG auf dem religiösen Gebiet stehen, möchte den Deutschen in ihrer „Glaubensnot“ helfen, überschreitet aber zugleich mit der starken Betonung des Gedankens der Lebensdienlichkeit sowie dem Bestreben, eine „kämpferische deutsche Theologie“, die den Kampf Jesu gegen das Judentum zum Hauptthema macht, zu entwickeln, die Grenzen dessen, was eine Bibelübersetzung leisten soll und kann. In der Frage, ob sich bereits im Neuen Testament antijüdische Aussagen in diesem Sinne finden, sei hier lediglich kurz darauf verwiesen, dass Jesus als Teil der damaligen innerjüdischen Auseinandersetzung zu verstehen ist und eine Verabsolutierung vermeintlich antijüdischer Aussagen Jesu somit unhaltbar ist, wie beispielsweise Fenske be-
90 Nach einer Definition von Languir kann Antijudaismus als „eine gänzliche oder teilweise Opposition gegen das Judentum – und gegen Juden als dessen Anhänger – von Menschen, die ein konkurrierendes System von Glaubensinhalten und Praktiken haben und (daher) bestimmte genuine jüdische Glaubensinhalte und Praktiken als minderwertig erachten“ beschrieben werden: „Anti-Judaism I take to be a total or partial opposition to Judaism – and to Jews as adherents to fit – by people who accept a competing system of beliefs and practices and consider certain genuine Judaic beliefs and practices as inferior. […] Of all forms of antiJudaism, the Christian has been the most intense because of the intimate dependence of Christianity on Judaism“ (Langmuir (1990), 57). 91 Greive liefert eine prägnante Darstellung des modernen Antisemitismus samt seiner Vorgeschichte ab der Aufklärung (Greive (1983)). In der Forschung bestehe weitgehend Einigkeit darüber, „daß die neuzeitliche, nachaufklärerische Entwicklung in der Geschichte der Judenfeindschaft etwas Neues hervorgebracht hat“, der moderne Antisemitismus also als eigenständiges, von den älteren Formen des Judenhasses zu unterscheidendes Phänomen betrachtet werden könne, das im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts voll zu Entfaltung gekommen sei (vgl. Greive (1983), 1). Die Religion bzw. die „christlich-jüdische Differenz“ stelle im Zusammenwirken „religiöser, wirtschaftlicher und politischer Momente zur Hervorbringung des Antisemitismus“ die „langfristige, strukturgeschichtliche Komponente“ dar (vgl. ebd. 8). Eine weitere „mittelfristige Komponente“ stellen die konjunkturellen Schwankungen der Wirtschaftsentwicklung, und die daraus resultierenden „Unsicherheiten und Ängste vor zukünftigen Bedrohungen“ dar, die „im Krisenfalle“ die Bereitschaft zur Artikulation von Gegensätze steigern, „durch die die wirklichen oder vermeintlichen Bedrohungen nicht bedingt sind“, also den „‚Fremden‘-Haß“ fördern (vgl. ebd. 9) „Erst mit dem politische Moment entweder der spontanen Sammlung oder – auf einer höheren Stufe – der gezielten Agitation und Manipulation […] erhält der Antisemitismus seine letzte tödliche Brisanz; in sozusagen vollendeter Form, wenn und wo er, wie infolge der ‚Machtergreifung‘ der Nationalsozialisten, an den Staat delegiert und mit staatlichen Mitteln ‚durchgeführt‘ wird“ (ebd. 10).
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
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tont.92 Die Widerlegung einzelner Thesen, mit denen die BG-Redaktoren versuchen, Jesu „Kampf“ gegen das Judentum zu betonen, würde sich somit erübrigen. Die Herausforderung ist vielmehr eine „Exegese im Dienst der theologischen Aufklärung“, die die „Problemsituation, in der der ein Text entstanden ist und in die er hineinwirken will“, in den Blick nimmt und die ursprünglichen „Gegner“ identifiziert, um Klarheit darüber zu gewinnen, „ob es sich um interne Auseinandersetzungen handelt oder ob hier nicht zur Gemeinde Gehörende gekennzeichnet werden.“93 Das ab dem 19. Jahrhundert in der neutestamentlichen Wissenschaft verstärkt vertretene Jesusbild, das einseitig die Besonderheit und Einzigartigkeit Jesu im Unterschied zu seiner jüdischen Herkunft und Umwelt betonte und so das Judentum als dunkle Folie benutzte, verwendet die häufig polemische Darstellung der jüdischen Gegner Jesu in den Evangelien dann allerdings als Argumentationsbasis für ein verzerrtes Bild vom Judentum zur Zeit Jesu.94 Auf diesem Nährboden
92
„Wenn Jesus etwas gegen damalige Theologie sagt, dann vertritt er eine Meinung, sei sie auch noch so hart, so ist das Teil der Auseinandersetzung und nichts anderes, geschweige denn eine Gesamtablehnung seines Volkes. Von hier aus erübrigt sich im Grunde eine Widerlegung der jeweiligen Thesen, die dies und das heranziehen, um Jesu Gegnerschaft gegen Juden zu betonen“ (Fenske (2005), 246f). Ähnlich schreibt Wengst in Bezug auf das Matthäusevangelium, dass auch Matthäus im Glauben an Jesus als Messias nicht aufgehört habe, seinem eigenen Selbstverständnis nach als Jude im Rahmen des Judentums zu stehen (vgl. Wengst, Regierungsprogramm (2010), 20) In der polemischen Darstellung von Schriftgelehrten und Pharisäern im Evangelium fänden sich vielmehr Spuren der teils auch scharfen Auseinandersetzung zwischen matthäischer Gemeinde und dem pharisäisch-rabbinischen Judentum, die aber unbedingt als inner-, nicht aber als antijüdische Konflikte zu deuten seien (ebd. 21). Vollenweider spricht von „Familienkonflikten“, die „aus Schmerz und Tränen geboren“ seien (Vollenweider (1999), 49), da keine Fremdbeurteilung über Juden vorliege (ebd. 46). Schöttler (Röm 11,25–27 (2013), 160) meint, wer sich mit seiner antijüdischen Polemik auf Mt oder Joh und deren Polemik bezieht, liege hermeneutisch daneben, „geht es dort doch um innerjüdische Polemik, die der Herausbildung von Identitäten dient.“ Vgl. auch Blum (2010), 242: „Die historisch-kritische Exegese vermeintlich antijüdischer Texte und Verse des Neuen Testaments zeigt, dass das Neue Testament keinesfalls in einem absoluten Sinn antijüdisch zu verstehen ist, sondern dass antijüdisch verstehbare Texte vor dem Hintergrund ihrer kontextuellen und situativen Polemik zu interpretieren sind.“ Ähnlich Kampling (2002), 196: „Ohne diese Polemik schönzureden, ist es doch wichtig zu sehen, daß sie auf paradoxe Weise den Schmerz der Loslösung und Selbstwerdung dokumentiert. Nimmt man diese historische Einschätzung ernst, dann ist zu folgern, daß die antijudaistische Polemik nicht in das Evangelium von Jesus Christus gehört, sondern nur ein begleitender Umstand der Verkündigung des Evangeliums ist.“ 93 Vgl. Kampling (2002), 93: Neutestamentliche antijudaistische Äußerungen begegnen ja oft in einem „polemischen Kontext“. 94 Vgl. Niebuhr (2014), 39: Auch die im Talmud überlieferten Quellen des rabbinischen Judentums seien als Referenzen herangezogen worden und so hätten sich das polemische Bild der Evangelien und die Zeugnisses des Talmud gegenseitig verstärkt.
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
konnte Anfang des 20. Jahrhunderts auch die Idee eines „arischen Jesus“ wachsen.95 Die große Besonderheit des (deutsch-)christlichen Antijudaismus im Dritten Reich liegt nun darin, dass es sich nicht ausschließlich um eine religiöse Auseinandersetzung handelte, sondern die reale Verfolgung der Juden in Deutschland damit einherging, die auch den Redaktoren der „Botschaft Gottes“ nicht entgangen sein kann.96 1940, im Erscheinungsjahr der BG, waren die staatlichen Maßnahmen gegen Juden bereits so weit fortgeschritten, dass die Verfolgung offensichtlich geworden und nicht mehr zu leugnen war. Mit dem Bekenntnis zum Nationalsozialismus auch die (zumindest implizite) Zustimmung der BG-Redaktoren zum Umgang mit den Juden in Deutschland gegeben. Schon seit 1933 „gab es […] diverse Ausschreitungen gegen Juden und einzelne gesetzliche Verordnungen, die sie diskriminierten.“97 Im großen Geschichtswerk Friedländers über die Geschichte der Juden im Dritten Reich98 sind als Maßnahmen, die fast unmittelbar auf Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 folgten, unter vielen anderen der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 193399 und das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums genannt, laut dem alle Beamten, die „nicht arischer Abstammung sind“, in den Ruhestand zu versetzen seien.100 „In der zweiten Phase 1935–1938 wurde, beginnend mit den Nürnberger Rassegesetzen, ein 95
Jesus. 96
Vgl. den folgenden Abschnitt 1.2.4 Der Hintergrund: „Entjudung“ und der „arische“
Dies dürfte unwahrscheinlich sein. Friedländer verweist auf „jüngste Forschungen“, die „zeigen, daß die alltägliche antijüdische Gewalt unter den Deutschen verbreiteter war, als lange angenommen. Sie zeigen auch, daß später womöglich etwa ein Drittel der Bevölkerung Kenntnisse vom Massenmord an den Juden im Osten hatte, wenngleich das Ausmaß und die Details der ‚Endlösung‘ den meisten deutschen nicht bekannt waren. Die Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegenüber der Judenverfolgung der dreißiger Jahre setzte sich in der Kriegszeit mit Blick auf den Massenmord fort.“ (Friedländer (2007), 49). Die „weiterverbreite Indifferenz der deutschen Bevölkerung“ ging dabei wohl Hand in Hand mit der Bereitschaft „einen grundsätzlichen Unterschied zwischen denen zu machen, die zur ‚Volksgemeinschaft‘ gehören, und denen, die man als die ‚anderen‘ definiert.“ (ebd. 68). Wahrscheinlicher ist, dass auch im Umfeld der Redaktion die Judenpolitik akzeptiert wurde, wie es SiegeleWenschkewitz auf Leiphold bezogen feststellt: Eben seine antijudaistische Position führte dazu, dass er „von der Situation der verfolgten jüdischen Menschen absah, die nationalsozialistische Judenpolitik akzeptierte und seine wissenschaftliche Arbeit auf diese Verfolgungspolitik ausrichtete“, allerdings dadurch das integrative Christentum, das er zu vermitteln versuchte, gerade nicht lebte: „Im Modell eines eleminatorischen Antisemitismus wurden die Juden ausgeschlossen“ (Siegele-Wenschkewitz (2000), 134). 97 Jung (2008), 216. 98 Friedländer/Kenan (2011). 99 Friedländer/Kenan (2011), 27. 100 Dieses Gesetz gehört zu den Gesetzen von April 1933. Paragraph 3, später „Arierparagraph“ genannt, schließt die nicht-arischen Beamten aus (vgl. Friedländer/Kenan (2011), 31).
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Netz von Vorschriften geschaffen, die Juden aus dem öffentlichen Leben verdrängten. Die dritte Phase begann mit dem Pogrom im November des Jahres 1938 und erstreckte sich bis 1941. Die Diskriminierung der Juden schlug um in eine offene, systematische und gewaltsame Verfolgung.“101 Katalysator für die erneute Verschärfung war die Flüchtlingskonferenz in Evian, die zeigte, dass die Annexion Österreichs durch Hitler auf keinen echten Widerstand stieß. Die Großmächte waren „nicht willens“, „sich umfassend für die verfolgten Juden einzusetzen“.102 Zwar war die vierte und letzte Phase, der Plan, alle elf Millionen Juden, die in Europa lebten, zu deportieren und ermorden, der „im Herbst 1941 mit dem Beschluss zur ‚Endlösung der Judenfrage‘ eröffnet“ und dann „auf der Wannseekonferenz im Januar 1942 konkretisiert wurde“103, den Redaktoren zum Zeitpunkt der Herausgabe der BG noch nicht bekannt, aber doch ist in ihrer Vorgehensweise mehr als eine rein religiöse Absetzungsbewegung vom Judentum erkennbar. Der rassentheoretisch begründete Antisemitismus der Nationalsozialisten, der sich in den vielfältigen politischen antisemitischen Maßnahmen manifestierte, ist vielmehr deutlich in die deutschchristlichen Bewegungen eingedrungen und zeigt sich auch in den Textbearbeitungen der BG. Saul Friedländer bezeichnet die Verbindung von rassentheoretisch begründete Antisemitismus und Religion als „Erlösungsantisemitismus“104. Diese Verbindung kam in Deutschland 101
Jung (2008), 216. Ettinger (2007), 1253. 103 Jung (2008), 216. 104 Friedmann nennt den „Erlösungsantisemitismus“ die „die radikalste Form des Judenhasses“. „Gemeint ist damit die Verschmelzung des Rassenantisemitismus mit einer religiösen beziehungsweise pseudoreligiösen Erlösungs- und Untergangsideologie. Während der Rassenantisemitismus im allgemeinen lediglich ein Bestandteil einer weitergefaßten rassenideologischen Weltanschauung war, bildete der Erlösungsantisemitismus ein allumfassendes Glaubenssystem, in dem ‚Rasse‘ den Kampf gegen die Juden zwar bestimmte, aber nicht dessen einziger Grundpfeiler war. Vielmehr nahm der Kampf gegen die Juden im Erlösungsantisemitismus eine apokalyptische Dimension an. Die Erlösung des Volkes, der ‚Rasse‘ und der ‚arischen‘ Menschheit war nur durch die Ausmerzung der Juden zu erlangen. Ein Sieg der Juden blieb denkbar – und konnte das Ende von Volk, ‚Rasse‘ und ‚arischer‘ Menschheit bedeuten.“ (Friedländer (2007), 29). Friedländer schreibt diesen „Erlösungsantisemitismus“ Hitler zu und vermutet, dass „der innere Zirkel der NSDAP“ diesen teilte (ebd. 47). Er nimmt allerdings keine Einordnung der religiösen Strömungen in die Formen des Antisemitismus vor, sondern denkt vielmehr von der anderen Richtung her den Nationalsozialismus und auch den Kommunismus als „politische Religionen“ (ebd. 30)., die „nach christlicher Tradition die tiefsten Ängste und Hoffnungen der Menschen“ mobilisierten, „und dies in einem apokalyptischen Ausmaß: Die dämonische Macht, die es zu bekämpfen galt, war im Nationalsozialismus ‚der Jude‘“ (vgl. ebd. 31). Die speziell in Deutschland ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts voranschreitende Institutionalisierung und systematische Ideologisierung der antijüdischen Feindseligkeiten führte in der Verschmelzung „mit einer religiösen Vision, der eines deutschen (oder arischen) Christentums“ […] zu einer Ideologie, die man als ‚Erlösungsantisemitismus‘ bezeichnen kann“. Der Kampf gegen die Juden sei hier der beherr102
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Ende des 19., vor allem aber Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Entstehung eines „arischen Christentums“ zustande.105 Kampling hält ebenfalls die Verschmelzung von christlichem Antijudaismus und Antisemitismus fest, da erstere „Elemente für eine Ideologie […], die im Antisemitismus übernommen werden konnten“, bereitstellte.106 Die BG lässt sich aus heutiger Sicht in diese „erlösungsantisemitischen“ Strömungen einordnen, auch wenn die Frage, inwieweit den Redaktoren bewusst war, dass die BG einen konkreten Beitrag zum nationalsozialistischen Antisemitismus leistete, indem sie ihren Lesern die problemlose Vereinbarkeit von Christentum und einer Zustimmung oder doch zumindest der Erleichterung des Gewissens in Bezug auf die nationalsozialistische Judenpolitik ermöglichte, nicht eindeutig beantwortet werden kann. In ihrem Vorgehen verweist die BG-Redaktion mehrfach darauf, dass sie sich als legitime deutsche Bibelausgabe in der Nachfolge Luthers stehend verstehe. Die BG-Redaktion bestimmt ihre Aufgebe im Nachwort zur Teilausgabe als „Fortsetzung des Werkes, das Luther einst begonnen“,107 ebenso wird im Vorwort der Gesamtausgabe auf „eine innere Verbindung mit Luthers Werk“ (BG VIII) verwiesen. Fromm spricht in seinem „Geleitwort“ zur BG davon, dass die BG vollende, was Martin Luther und all die anderen großen deutschen Seher und Künder begannen“.108 Auch wird als „Leitwort“ zur Gesamtausgabe der BG109 und ebenso in Erich Fromms „Geleitwort“110, ein Zitat von Martin Luther angeführt: schende Aspekt, während der „gewöhnliche rassische Antisemitismus nur ein Element im Zusammenhang einer umfassenderen rassistischen Weltanschauung darstellt“. Gedankliche Grundlagen sind die „Furcht vor rassischer Entartung“ in Kombination mit dem „religiösen Glauben an Erlösung“ (Friedländer (1998), 101). 105 Friedländer (1998), 101 und. Nicklas (2008), 1897. 106 Kampling (2010), 13. 107 BG-Teilausgabe, Nachwort XI. Eine Seite vorher wurden aber auch Zweifel geäußert, ob die BG in direkter Nachfolge Luthers stehen könne, da „gerade die innere Bindung an das Werk Luthers fromme treue Menschen blind für die vielerlei Einwände, die der deutsche Mensch von heute berechtigterweise gegen das durch die Lutherübersetzung vermittelte Heilandsbild erheben muß“, mache (vgl. BG-Teilausgabe, Nachwort X). Die Redaktoren nennen es die „falsche Fragestellung“, sich nur über die Rolle Luthers Gedanken zu machen. Stattdessen müsse der Weg geebnet werden„zu einem gemeinsamen Ringen um jene Schau des Heilands, die auch heute wieder das Herzstück deutschen frommen Glaubens sein kann“ (ebd. Nachwort X). Die großen Unterschiede zwischen Luther und der BG waren hier noch im Blick. 108 Fromm (1940), 49f. 109 BG VII. 110 Fast wörtlich lehnt sich Fromm zu Ende seines „Geleitwortes“ an diesen Ausspruch Luthers an: „Es wird niemand gezwungen sein, alles anzuerkennen und hinzunehmen. Über gar manches kann man verschiedener Meinung sein. Aber auch dort, wo man meint, uns nicht zustimmen zu können, wird man zugeben müssen, daß wir ernstlich mit den Fragen gerungen
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„Ich habe das Neue Testament verdeutscht auf mein bestes Vermögen und auf mein Gewissen. Ich habe damit niemand gezwungen, dass er es lese, sondern ich habe es frei gelassen und allein zu Dienst getan denen, die es nicht besser machen können. Es ist niemand verboten, ein besseres zu machen.“ (Sendbrief vom Dolmetschen, WA XXX, 2)
Eine sehr enge Verbindung zwischen deutschchristlichem Denken und Luthers Wollen, eine „Gemeinde deutscher Christen“ zu werden, versucht Siegfried Leffler111, der spätere Institutsleiter, herauszuarbeiten und scheut dabei nicht davor zurück, Luther und Hitler in einen direkten Kausalzusammenhang zu bringen: Hitler könne „nicht ohne Martin Luther“ gedacht werden und „umgekehrt hätte Luthers Tat ohne die Erscheinung Adolf Hitlers 400 Jahre später nie ihren vollen Sinn für Deutschland erlangt“.112 Diese Aussage erneuert er 1936 emphatisch: Luther hätte Gott „inbrünstig“ für Hitler gedankt, weil „wusste, dass das zartfeine Evangelium nur dort wachsen kann, wo auch ein starker weltlicher Gottesarm darüber schützend und schirmend ruht.“113 Grundmann sieht die Deutschen Christen 1936 gar im Kampf „um Sinn und Erfüllung von Luthers deutscher christlicher Sache in der deutschen Nation.“114 Man ging sogar so weit, Luther nicht nur als Vorbild, sondern als den Prototypen des Deutschen Christen zu stilisieren, wie die 20. These der „Deutschen Christen“ zeigt: „Dieses deutsche Christentum finden wir in Martin Luther verkörpert. Wir erblicken in Luthers Reformation den Durchbruch des deutschen Christusglaubens. Deutsches Christentum heißt Luthertum. Als deutsche Lutheraner sind wir ganz Deutsche und ganz Christen.“115
Grundmann nennt Luther in seinem Kommentar zu dieser These Luther zudem „der deutsche Christ“ und der „deutsche Prophet“ zu.116 haben. Wir werden uns freuen, wenn aus einer sachlichen Aussprache ein Besseres wird, das unserem Volke dient.“ (Fromm (1940), 50). 111 Siegfried Leffler war mit Grundmann Leiter des „Instituts“ (vgl. Meier (1992), 143f. und Stegmann (1984), 70). Damals war er bereits seit Jahren Regierungsrat im Thüringer Volksbildungsministerium (vgl. Meier (1992), 143f.), seit 1929 auch NSDAP-Mitglied, hatte im Wieratal mit Leutheuser die Gründung des „Lehrer- und Pfarrerkreises, aus dem später die kirchenpolitische Bewegung der Thüringer Deutschen Christen hervorgeht“ gegründet (vgl. StA Ludwigsburg, EL 902/20Bü37/40663, 201. Zitiert nach Rinnen (1995), 71). 112 Vgl. Leffler, Christus im Dritten Reich (1935) 75. 113 Leffler, Kirche, Christentum, Bolschewismus (1936), 12. 114 Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 14. 115 These 20, zitiert nach: Grundmann, 28 Thesen (1935), 46. 116 Vgl. Grundmann, 28 Thesen (1935), 46: „Martin Luther ist der deutsche Christ. Wir wissen genau, daß die entscheidende Tat Martin Luthers darin bestand, daß er das reine, unverfälschte Christusevangelium aus aller römisch-katholischen Ueberfremdung heraus wieder entdeckt hat. Die Reformation bedeutet zuerst Wiederherstellung des reinen, unverfälschten Evangeliums. Aber wir wissen zugleich, daß Martin Luther mit diesem reinen
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Nahe liegt, dass eine derartige Vereinnahmung Luthers von Seiten der „Deutschen Christen“ für ihre Zwecke der „Bekennenden Evangelisch-luth. Kirche“, der pointiertesten Gegenbewegung der „Deutschen Christen“ widerstrebte. Daher arbeitet Fischer in seiner kritischen Reaktion auf die BG heraus, dass sich Grundmanns und Luthers „Dienst“ an den Deutschen darin unterscheiden, dass Grundmann im Gegensatz zu Luther nicht vor der Frage stehe, wie er den Deutschen das Wort Gottes „rein und lauter“ predigen, sondern vor der „ganz anderen Frage“, wie viel er ihn vom Wort der Bibel „noch zumuten“ könne. Dadurch verschiebe sich der Maßstab völlig, es werde nicht mehr „von der Bibel aus das Lot an unsere Zeit gelegt“, sondern im Gegenteil lege nun die Zeit das Lot an die Bibel: „Die Grundsätze der Arbeit werden nicht dem Neuen Testament entnommen, sondern von außen herangetragen.“117 Fischer kritisiert sowohl die gezielte Auswahl von Textstellen als auch die Bearbeitung dieser Text nach den Bedürfnissen der Zeit ohne Rücksicht auf die Textbedeutung scharf und macht auch den Unterschied zu Luther deutlich: „Hier wird sonnenklar, dass zwischen Luther und den Deutschen Christen ein unüberbrückbarer Abgrund klafft. Luther stand unter dem Wort, und all sein Tun ging darauf aus, die Kirche und die Welt wieder ganz an die Autorität dieses Wortes zu binden. Er hatte gerade in dieser Bindung die große Freiheit seines Lebens gewonnen.“118
Die Deutschen Christen stünden „nicht unter dem Wort, sondern über dem Wort. Sie dekretieren, was von der Bibel noch gelten darf und was nicht. Darum fehlt ihnen jegliche Ehrfurcht und Demut gegenüber der Heiligen Schrift. Sie stellen sich bewusst außerhalb der Gemeinde, für die ein solcher Umgang mit der Bibel einfach unerträglich ist.“119 Fromm begegnet diesen Vorwürfen an die BG mit dem Hinweis darauf, dass auch Luther nach den Sinn der Texte, nicht bloß nach einzelnen Wortübersetzungen gesucht habe, da er „zum Ausdruck bringen wollte, was der Text meint, und nicht die Worte übersetzen, die in dem fremden Text stehen.“120 Und auch Grundmanns Definition von „Reformation“ lässt durchbliwiederentdeckten Evangelium die deutsche Art verband. [...] Darum erblicken wir in Luther den deutschen Propheten, der dem deutschen Volk seinen Glauben schenkt. Lutherisches Christentum ist deutsches Christentum. […] Als deutsche Lutheraner sind wir deutsche Christen.“ Grundmann stellt also die Reformation Luthers in seinen „28 Thesen“ als Ereignis dar, das zur deutschen Identität gehöre und Luther selbst als den, der das ‚Deutsche Christentum‘ verkörpere, den „deutschen Propheten, der dem deutschen Volk den Glauben schenkt“ (vgl. Adam (1994), 175). 117 Fischer (1940), 3. 118 Fischer (1940), 11. 119 Fischer (1940), 12. 120 Im Anhang zu Fromm (1940), 55. Ähnlich weist auch Grundmann in seinen Kommentaren zu den 28 Thesen der DC darauf hin, dass die DC ebenso wie Luther die Absicht haben,
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cken, wie er Luther und das Vorgehen der BG-Redaktoren in Einklang zu bringen versuchte: Nicht nur die sprachliche Aktualisierung, nein, auch die „Ablösung bisheriger Selbstverständlichkeiten“ und die „Neuerkenntnis“ gehöre zum Wesen der Reformation.121 Und so verwundert es nicht, dass auch Fromm nicht nur die sprachliche Gestaltung, sondern auch die subjektive Textauswahl der BG mit Verweis auf eine Parallele zu Luther zu rechtfertigen versucht. Man habe „in Übereinstimmung mit Luthers Grundhaltung“ den Bibeltext „von den Stoffen entlastet, in denen wir eine reine und lautere Ausprägung ihres Inhaltes für unser Volk nicht sehen können“, da es „richtiger“ erscheine, den Lesern „zu einer klaren Erkenntnis des Wesentlichen in dieser Botschaft Gottes zu verhelfen, als eine Wiedergabe alles Überlieferten zu bieten, die nur dazu dienen kann, die klaren Linien zu verwischen.“122 Von einer „Entlastung“ der Bibel ist allerdings bei der Lutherübersetzung nicht zu sprechen. Luther als Begründung für eine eklektische Ausgabe des Neuen Testaments Luthers Übersetzungsarbeit als Vorbild und Zeuge heranzuziehen, ist daher unhaltbar. Luther übersetzte beide Teile der Bibel im Ganzen ins Deutsche, zuerst das Neue Testament (das sogenannte „Septembertestament“ von 1522), danach beginnt seine Arbeit an der Übersetzung des Alten Testaments. Die vollständige deutsche Bibelausgabe erschien dann 1534.123 Von einer Ablösung des Alten vom Neuen Testament oder der Verkürzung einzelner Texte kann hier eindeutig nicht gesprochen werden. Bei ihrer Bezugnahme auf Luther habe die BG-Redaktion Luthers wichtigste Anliegen, ‚solus Christus, sola scriptura‘, übersehen.124 Diese kleinen Einblicke zeigen, dass BG-Redakteure und Institutsmitarbeiter zur Untermauerung ihres Unternehmens vehement auf Luthers Autorität pochten. eine Übersetzung, die „das, was das Neue Testament sagt, in einer Sprache zu sagen, die die Leute verstehen und die die Leute sprechen“, also eine verständliche Übersetzung, anzufertigen: „Wir haben heute dieselbe Aufgabe. Wir müssen von neuem übersetzen.“ (Grundmann, 28 Thesen (1935), zur These 11, S. 31). 121 Vgl. Grundmann, Entjudung (1939), 5f. Hier erläutert Grundmann dieses Doppelschema von Ablösung und Neuentdeckung an Beispiel Luthers. „Das Wesen einer Reformation hat zwei Seiten: Einmal ist Reformation die Ablösung bisheriger Selbstverständlichkeiten des Lebens, die sich als brüchig, schadhaft und überholt erwiesen. Andererseits ist sie wiedergewonnene Erkenntnis grundlegender Wahrheiten, die dem Leben gegeben sind, daß es bestehe und sich entfalte. Reformation ist also nie nur eine negative Ablösung, sie ist vielmehr Neuerkenntnis, Wiedergewinnung ewiger Wahrheit […]. Erst die Wiedergewinnung der Wahrheit gibt das Recht, legt aber auch die Pflicht auf zur Ablösung dieser Selbstverständlichkeiten.“ 122 Fromm (1940), 14. 123 Vgl. Blanke (2005), 260. 124 Vgl. Nicolaisen (1966), 97. Siehe hierzu Leutzsch (2013): Leutzsch liefert hier u.a. einen Vergleich der Struktur der Luther-Bibel mit der hebräischen Bibel (ebd. 67f.), sowie einen Einblick in die Arbeitsweise Luther. Obwohl Luther kein biblisches Buch gänzlich oder teilweise tilgt, ließe sich bei ihm eine Unterscheidung „zwischen wichtigen, weniger wichtigen und abzulehnenden Schriften“ feststellen, ein „Ranking“ der Schriften (vgl. ebd. 73).
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Zweifellos findet sich bereits von Anfang an antijüdisches Denken bzw. Formen des Judenhasses in der gesamten Kirchengeschichte, und das quer durch alle Konfessionen. Prolingheuer kann somit mit Recht bedauernd von der Kirchengeschichte als einer „Geschichte des Antijudaismus“ sprechen.125 Dieses „böse Erbgut“, der „schwere Geburtsfehler“ der alten Kirche, sei mit der Reformation wieder durchgebrochen, „als Martin Luther seine menschenverachtenden antijüdischen Hetzschriften verfaßt: die Pamphlete ‚Von den Jüden und ihren Lügen‘ und ‚Vom Schem Hamphoras‘. Dieses den Glauben an den Juden Jesus von Nazareth, den Christus, in seinem Kern zerstörende Virus des Antijudaismus frißt sich seither auch126 durch die Geschichte der evangelischen Kirche. Der Antisemit Hitler kann sich also 1933 auf den Antijudaismus in der evangelischen Kirche und Kirchenmusik verlassen. Da herrscht völlige Übereinstimmung zwischen den ‚Deutschen Christen‘ und der ‚Bekennenden Kirche‘.“127 Auch Prolingheuer beschreibt die Reformation und ihr „detailliertes ‚Entjudungs‘-Programm“ von 1543 als einen Katalysator des Antijudaismus, des alten „Erbstreites“ „um das Testament des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs, der auch der Vater des Juden Jesus von Nazareth ist“. Dieser Streit wurde im Laufe der Kirchengeschichte einmal mehr, einmal weniger systematisch auch praktisch ausgetragen.128 Zusätzlich zur Feststellung, dass antijüdisches Denken zu allen Zeiten in der Kirchenge125
Vgl. Prolingheuer (1997), 57. Aber natürlich ebenso durch die Geschichte der katholischen Kirche, hier allerdings etwas deutlicher gelöst vom „Deutsch-Sein“, da sich eine mit der Gruppierung der Deutschen Christen vergleichbare Gruppierung in der katholischen Kirche aufgrund der anderen Kirchenstruktur nicht bilden konnte: „Kirchenparlamente, wie zum Beispiel Landessynoden oder Landeskirchentage, wie sie auf protestantischer Seite existierten – und auf denen es gelegentlich zu heftigen Auseinandersetzungen kam –, fehlten in ihr, schon wegen ihrer hierarchischen Struktur völlig. Insofern gab es auch keine Gegensätze innerhalb der katholischen Kirche, die jenen vergleichbar gewesen wären, die die evangelischen Landeskirchen zerrissen.“ (Meier (1992), 210). Greive verweist beispielsweise auf die Virulenz der „alten Judenfeindschaft“ in der katholischen Bevölkerung, die sich zur Jahrhundertwende in einer „Flut von judenfeindlichen Broschüren und zahlreichen Artikeln und Textstellen der religiöstheologischen und sozial engagierten oder wirtschaftstheoretischen Literatur“ ausgewiesen habe (vgl. Greive (1983), 85). „Obwohl es auf katholischer Seite eine vergleichbar bedeutsame ausdrücklich pronationalsozialistische Gruppierung wie die Deutschen Christen nicht gab, war doch die Stimmung und Haltung gegenüber Juden in den Grundzügen nicht unähnlich“ (ebd. 137). 127 Prolingheuer, Kirchenmusik (1995), 42. 128 Vgl. Prolingheuer (1997), 57. Nicht nur an Extrembeispielen wie Marcion und der BG lassen sich also die Abgründe festmachen, sondern „auch in den entstehenden Mehrheitskirchen, die weithin das Alte Testament als Heilige Schrift Israels verstanden, kam es sehr früh zu heftigen Auseinandersetzungen um das rechte Verständnis der Schriften Israels. Die Wurzeln dieser Auseinandersetzungen lassen sich bereits im Neuen Testament erkennen“ (Nicklas, Ansprüche (2013), 350). 126
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schichte anzutreffen ist und auch die Schriften Luthers stark beeinflusste, ist hervorzuheben, dass auch Luther selbst in seiner Position schwankte, wie Wien und Kaufmann aufzeigen: „Der früher Luther hatte noch gefordert, die Juden ‚unter den Christen leben zu lassen, ihnen mit Freundlichkeit zu begegnen, sie das Christuszeugnis des Alten Testaments zu lehren und so durch Liebe für den christlichen Glauben zu werben.‘ Mit diesen Äußerungen hatte er sich von vorreformatorischen, spätmittelalterlichen judenfeindlichen Positionen abgewandt und wurde von Gegnern als ‚Judenfreund‘ denunziert. Seine Trendwende hat Luther nicht durchgehalten. Seine sogenannten späten ‚Judenschriften‘ stellen eine ‚scharfe Absage‘ der einst propagierten Duldungspolitik dar. In Anknüpfung an die spätmittelalterlichen Autoren stellte er sich ‚gegen Ende seines Lebens bewußt in jenen breiten Strom des Antijudaismus der lateineuropäischen christianitas, von dem er sich einstmals distanziert hatte.‘“129
Das „Institut“ beruft sich allerdings, wie eine große Zahl anderer judenfeindlicher Publikationen in der NS-Zeit,130 dezidiert nur auf späte, eindeutig judenfeindliche Aussagen Luthers, wie die Aufnahme eines Zitats des „späten“ Luther in den Katechismus zeigt, in dem Luther die Juden als die „die da nichts anderes bei euch tun, als dass sie unsern lieben Herrn Jesu Christus greulich lästern, stehen uns nach Leib, Leben, Ehre und Gut“ bezeichnete.131 129
Wien (2013), 88, Wien zitiert hier aus Kaufmann (2009), 645–648. Die Zahl der judenfeindlichen Publikationen, die sich auf Luther beriefen, stieg in der NS-Zeit beträchtlich (vgl. Kirn (2005), 224). 131 Deutsche mit Gott (1941), 46. Das Zitat stammt aus Luthers letzter Kanzelabkündigung vom 15. Februar 1546 (vgl. die Quellenausgabe von Bienert: Luther (1982), 174) und somit aus seiner radikalisierten ‚späten Phase‘. Luther wandte sich in der ‚späten Phase‘ mit den ‚Judenschriften‘ deshalb so massiv gegen die Juden, weil diese sich entgegen seiner Erwartung trotz Reformation nicht missionieren ließen (vgl. Fenske (2005), 74). Kirn (2005), 219, spricht von derartig verschärften Aussagen, dass von „demonstrativ-kategorischer Gesprächsverweigerung“ und „polemisch zugespitzter Häretisierung und Dämonisierung“ gesprochen werden könne. Wie stark die Rezeption Luthers in Bezug auf das Judentum aber von der jeweiligen Interessenlage abhängig war, zeigt sich daran, dass im frühen 17. Jhdt. lutherische Fakultäten sich unter Berufung auf Luthers Schrift ,Daß Jesus ein geborenen Jude sei‘ von 1523 für eine tolerantere Haltung gegenüber den Juden aussprachen (vgl. Kirn (2005), 223): Hier äußert sich Luther noch ganz klar, dass er daran glaube „dass Christus ein Jude sei von einer Jungfrau geboren“ (Luther (1936), 1) und schiebt auch jeglicher gefühlten Vorrangstellung der Christen vor den Juden einen Riegel vor: „Und wenn wir gleich hoch uns rühmen, so sind wir dennoch Heiden und die Juden von dem Geblüt Christi, wir sind Schwäger und Fremdlinge, sie sind Blutsfreunde, Vettern und Brüder unseres Herrn“ (ebd. 2), also „gehören ja die Juden Christo näher zu als wir“ und eben dies habe Gott selbst bewiesen, „denn solche große Ehre hat er nie einem Volk unter den Heiden getan wie den Juden“ (ebd. 3). In welchem Maße Luther antijüdisch vereinnahmt wurde, zeigt Grundmanns Erklärung: „Wenn wir dabei Luther in stärkerem Maße heranziehen, so geschieht das deshalb, weil sein Denken einem gesunden Rasseinstinkt entspringt, er zugleich aber wie kein zweiter die grundlegende Wahrheit des christlichen Gottesgedankens (…) aufgenommen hat“ (Grundmann, Apokalyptisches Geschichtsbild (1942), 99). 130
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Der Unterschied zwischen „Bekennender Kirche“ und „Deutschen Christen“ liegt daher nicht einmal so sehr im antijudaistischen Denken. Auch Greive hält fest, dass „auch die Gegenseite, die dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstand, die Kreise also, aus denen sich später die Bekennende Kirche rekrutierte, nicht für die Juden als Juden eintrat, sich nur allgemein (und im Eigeninteresse) gegen das Rassendogma und den germanischen Christus wandte“.132 Die Darstellung Jesu im Gegensatz zum Judentum seiner Zeit kann sogar als „Durchschnittsmeinung der deutschen akademischen Theologie“ bezeichnet werden, „in seinen Grundzügen noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg, im Grunde bis in die 1970er-Jahre.“133 Der Unterschied liegt vielmehr in der Umsetzung des Denkens. Während die „Bekennende Kirche“ davor zurückschreckte, zeitgenössische Deutungen direkt in den Bibeltext einzutragen, also nicht nur interpretierend, sondern redaktionell tätig zu werden, unternimmt das „Institut“ in der BG eben dies. Dadurch stellt sich die BG in die Nachfolge des späten Luthers, ohne Beachtung seiner schwankenden Position zum Jüdischen. Luther diente somit als Leitbild, das die eigene Bibelbearbeitung legitimieren sollte. 1.2.4 Der Hintergrund: „Entjudung“ und der „arische“ Jesus Ausgangspunkt für das Vorhaben der „Entjudung“ ist das Bestreben, Nationalsozialismus und Christentum zu verbinden. Auch die religiöse Komponente der Gesellschaft wurde damals als maßgeblich vom Gedanken des Volkstums bzw. der „völkischen Wirklichkeit“, wie es Grundmann umschreibt, umschlossen und geprägt empfunden, wie eine Aussage Grundmanns deutlich zeigt: „Unser neues Denken in der Sache der Religion und des Christentums geht von der Einsicht aus, dass die völkische Wirklichkeit, die unser ganzes Sein und Denken umfasst, auch die religiöse und christliche Fragestellung entscheidend bestimmt und vor neue Einsichten stellt.“134
Aus diesem Denken heraus konnte ein Begründungsschema erwachsen, das bereits bei der nichtjüdischen Herkunft Jesu und nicht erst bei einer Gegnerschaft Jesu zum Judentum in Sachfragen ansetzt. Grundmann geht dementsprechend davon aus, dass Jesus „mit größter Wahrscheinlichkeit kein Jude“ gewesen sei135 und konkretisiert einige Seiten später, „dass aller Wahrscheinlichkeit nach Jesus, da er auf Grund seiner seelischen Artung kein Jude gewesen sein kann, es auch blutsmäßig nicht war […] Wohl gehörte er, wie die meisten Bewohner Galiläas, zur jüdischen Konfession, aber eben diese Kon132
Vgl. Greive (1983), 137. Niebuhr (2014), 43. 134 Grundmann, Paulus und Luther (1939), 182. 135 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 175. 133
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fession hat er von seiner Position aus durchstoßen, und sein Kreuz ist die allen sichtbare Ausstoßung Jesu aus dem Judentum.“136 Der Gedanke eines nicht jüdischen oder sogar explizit „arischen“137 Jesus war im Denken zumindest der deutschen evangelischen Theologie bereits spätestens seit 1918 präsent. Leutzsch zeichnet die Entwicklung der Idee eines „arischen Jesus“ in seinem Artikel „Karrieren des arischen Jesus zwischen 1918 und 1945“138 nach und verweist auch auf Hitlers eigenes Sprechen von Christus als „unsere[m] größte[n] arische[n] Führer“.139 Ziel dieses „Ideologems nichtjüdischer Jesus“ sei durchgehend die „Legitimation des politischen Kampfes gegen das Judentum“ gewesen: „Der arische Jesus ist Vorläufer, Protagonist und Identifikationsfigur für die, die von ihm reden.“140 Von Hitler, der sich vor 1929 selbst stark mit Jesus identifiziert habe,141 sind drei Äußerungen im Führerhauptquartier bekannt, in denen er die nichtjüdische Herkunft Jesu betont.142 Zumindest zu Beginn seiner Karriere dachte Hitler in 136
Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 205. Die Anführungszeichen markieren hier wie in der gesamten Arbeit den Konstruktcharakter der jeweiligen Größe, in Anlehnung an Leutzsch (2009). 138 Leutzsch (2012), 195–217. Ähnlich auch schon Leutzsch (2008). Hier unterscheidet er zwischen (1) dem Aufkommen der Idee bis ca. 1870, (2) der Organisation des Diskurses (ca. 1870–1918), (3) der organisierten Verbreitung des Mythos (1917–1933) und (4) den Konflikten an der Basis (1933–1945), die aus der Verbreitung der These auch durch Grundmann, Hirsch und das „Institut“ resultierten (ebd. 181). Schließlich erwähnt er auch noch (5) das Weiterleben des Mythos „in rassistisch grundierten Subkulturen“ nach 1945 (ebd. 183). 139 Zitiert nach Leutzsch (2012), 198. 140 Leutzsch (2012), 196. 141 Hanfstaengl ((Hanfstaengl (1970), 109) berichtet von einem Diktum Hitlers: ‚Wenn ich nach Berlin komme, dann wird es so sein wie damals, als Christus in den Tempel kam und die Wechsler davonjagte.‘ und Langer (Langer (1972), 35) schreibt, Hitler „was thinking of himself as the Messiah and that it was he who was destined to lead Germany to glory. His references to the Bible became more frequent, and the movement began to take on a religious atmosphere. Comparisons between Christ and himself became more numerous and found their way into his conversation and speeches.“ 142 Vgl. Leutzsch (2012), 209. Allerdings finde sich nach 1929 keine öffentliche Äußerung Hitlers zu Jesus mehr. Leutzsch verweist für diese drei Äußerungen auf Picker und Heims: (1) 21.10.1941: Heims berichtet, Hitler sei der Meinung gewesen, Jesus sei eigentlich „ein Volksführer, der gegen das Judentum Stellung nahm“ gewesen. „Galiläa war sicher eine Kolonie, in welcher die Römer gallische Legionäre angesiedelt haben, und Jesus war bestimmt kein Jude. Die Juden nannten ihn ja auch einen Hurensohn, den Sohn einer Hure und eines römischen Soldaten.“ (Hitler (1980), 96). (2) 13.12.1941:„Christus war ein Arier. Aber Paulus hat seine Lehre benutzt, die Unterwelt zu mobilisieren und einen Vor-Bolschewismus zu organisieren.“ (Picker (1997), 109). Picker schreibt hier nach den Originalstenogrammen von Heinrich Heim. (3) 30.11.1944: „Beim Tee-Gespräch am gestrigen Abend äußerte u.a. der Führer: Jesus war sicher kein Jude, denn einen der ihren hätten die Juden nicht den Römern und dem römischen Gericht ausgeliefert, sondern selbst verurteilt. Vermutlich wohnten in Galiläa sehr viele 137
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rassischen Kategorien und hoffte, das Christentum auf diese Weise in den Staat integrieren zu können. Eine Parallelisierung zwischen Hitler und Jesus wird von den BGRedaktoren in den Text nicht explizit eingefügt, in verschiedenen anderen Publikationen der Redaktoren finden sich aber eindeutig religiöse Anklänge durch die Beschreibung Hitlers als „Prophet und Führer“, der den „Geist des Reiches Gottes“ verspüren lässt.143 Gegen den biologisch zu verstehenden rassisch begründeten Antisemitismus Hitlers hat sich Grundmann immer abgesetzt und daher auch nie ausdrücklich behauptet, Jesus sei Arier gewesen.144 Die Redaktoren waren sich wohl zumindest der Erwartungen bewusst, die in die Rede vom „arischen Jesus“ gesetzt wurden. Die Aussage Grundmanns, Jesus sei „mit größter Wahrscheinlichkeit kein Jude“145 gewesen, deutet diese Richtung an und legt nahe, dass auch die BG-Redaktoren dem Gedanken des „arischen Jesus“ nicht fern standen, der im deutsch-christlichen Kontext stark präsent war und Jesus „nicht nur als ‚Arier‘, sondern zugleich als großen Feind alles Jüdischen identifizierte, dessen Mission die Zerstörung des Judentums gewesen sei.“146 Grundmann betont aber zugleich dass Jesu Ursprung als Gottessohn „jenseits aller rassischer Zusammenhänge“ und er daher als „Wunderneuschöpfung“ bezeichnet werden könne.147 Die Frage nach der „völkischen Wirklichkeit“ bzw. danach, „ob Jesus Jude oder Arier sei“, reiche daher „an die WirkNachkommen römischer Legionäre (Gallier), und zu ihnen gehörte Jesus. Möglich, daß seine Mutter Jüdin war.“ (Hitler (1980), 412). 143 Grundmann nennt Hitler mehrfach den „Prophet und Führer des deutschen Volkes“ „An ihm [Adolf Hitler, A.d.A.] gewann das Deutsche Gestalt, und einen neue deutsche Heimat wurde ihm Gottesauftrag. Und er glaubt, glaubte an Deutschland, weil ihm dieser Glaube zum Auftrag geworden war. Er hörten den Ruf und gab ihn weiter: Deutschland, erwache. Und an seinem Rufen und an seinem Glauben entzündete sich das deutsche Volk, wurde zum Volk, fand sich heim zu seiner deutschen Erde und zu seiner deutschen Art, fing an aus den Kräften und Gesetze zu leben, die darin eingeboren sind vom Schöpfer des Lebens. So wurde Adolf Hitler Prophet und Führer des deutschen Volkes.“ (Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 45). „In einer Zeit nun, in der Weltgeschichte geschieht, in der ein Prophet und Führer Entscheidungen über Leben und Zukunft seines Volkes und durch sein Volk Entscheidungen des Abendlandes gestaltet und entscheidet […], wird der deutsche Mensch in den Rhythmus des geschichtlichen Geschehens hineingeworfen und spürt darin Gottes Ringen und Gestalten.“ (Grundmann, Völkische Theologie (1937), 15f.) Leutheuser spricht gar vom „Geist des Reiches Gottes“ in der nationalsozialistischen Bewegung: „Wenn irgendwo, so konnte der wahrhaft jesusgläubige Deutsche in der Bewegung Adolf Hitlers den Geist des Reiches Gottes wieder verspüren.“ (Leutheuser, Christusgemeinde der Deutschen (1938), 14). 144 Vgl. Niebuhr (2014), 39. 145 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 175. 146 Vgl. Heschel (2001), 41. Dass die Arier-These höchst ideologisch ist, ist offensichtlich: „Kein Mensch käme aus dem Quellenstudium auf die Idee, Jesus eine arische Herkunft zuzuschreiben.“ (Fenske (2005), 236). 147 Grundmann, Totale Kirche (1934), 28f.
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lichkeit Jesu Christi überhaupt nicht heran. Wer so fragt, hat überhaupt noch nicht verstanden, was Jesus Christus eigentlich ist.“148 Einerseits hielt es Grundmann also für unvermeidlich, die „Rassefrage“ auszuklammern, die sich schon dadurch stelle, dass Jesus wahrer Mensch war,149 andererseits liegt der Schwerpunkt des Denkens auf der Frage, wie dem „Suchen und Ahnen germanischer Religion“150 begegnet werden könne. In der Frage danach, wo sich ein adäquates Bild von Christus finde, verweist Grundmann dann auf die BG.151 Auch hier wird die enge Verflechtung zwischen dem Denken Grundmanns und dem der gesamten BG-Redaktion sichtbar. Die Grenze des Denkens Grundmanns (und anderer Deutscher Christen) lässt sich eindeutig feststellen: Richtig daran ist, dass die volle Menschheit Jesu Christi nicht ohne seine historischen und gesellschaftlichen Bindungen in der Welt ausgesagt werden kann. Die Annahme dagegen, dass Jesus bei Anerkennung seines Wirkens im „jüdischen Zusammenhange“ zum Stifter einer „rassefremden“ Religion werde,152 ist falsch und dient der Konstruktion einer Rechtfertigung der „Entjudungs“-Bestrebungen: Der Jude Jesus muss nur dann zu einem „rasselosen“, ja gleichsam im „luftleeren“ Raum verstandenen Jesus gemacht werden, wenn man das jüdische Denken pauschal abwertet. Das Grundproblem ist die scheinbare Unmöglichkeit eine Rezeption des Wirkens Jesu im NS-Deutschland, wenn man Jesus als „Jude“ verstand. Daher suchte man nach neuen Begründungsansätzen und neuer Terminologie, wie das obige Zitat Grundmanns zeigt, in dem er eine neue, „rasselose“ Bezeichnung für Jesus wählt – die „Wunderneuschöpfung“. Die Vorstellung von Jesus als „Arier“ stand also nicht im Zentrum des Denkens; Grundmann beantwortet auch in anderen Publikationen die Frage, ob Jesus selbst Jude war, stets theologisch und religionsgeschichtlich, nicht rassebiologisch.153 Stattdessen wurde ein subtileres Vorgehen gewählt. Man spricht vom (höchst-
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Grundmann, Totale Kirche (1934), 28. „Wie einer immer zu dem Geheimnis, das in den Worten vom Sohne Gottes sich Ausdruck verschafft, stehen mag, Jesus Christus war Mensch. Das vierte Evangelium, das am eindrücklichsten von der Gottessohnschaft Jesu redet, sagt einleitend: ‚Und der Logos ward Fleisch…‘ damit ist die Frage nach der Rasse und Art gestellt und kann nicht abgestritten werden. Die Kirchen aller Konfessionen bekennen sich zur vollen Menschlichkeit des Gottessohns und können deshalb der Rassefrage nicht ausweichen“ (Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 4. 150 Grundmann, Totale Kirche (1934), 29. 151 Vgl. Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 5. 152 „Wenn Jesus Christus nichts anderes ist, können wir Jesus in seinem jüdischen Zusammenhange lassen. Dann brauchen wir uns nicht um ihn zu kümmern. Dann bedeutet eine auf ihn aufgebaute Religion eine rassenfremde, unserer Art nicht gemäße Religion.“ (Grundmann, Totale Kirche (1934), 29). 153 Vgl. Niebuhr (2014), 41. 149
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
wahrscheinlich) „nichtjüdischen“ Jesus und versucht, dessen „wahres Wesen“ freizulegen. 1.2.5 Die „Begründung“ der Redaktoren der BG: Warum „Entjudung“? 1.2.5.1 Suche nach dem „ewigen Wahrheitsgehalt“ Angedeutet in der Rede von Jesus als „Wunderneuschöpfung“154 bzw. an anderer Stelle als „Christuswunder“155 und die Betonung dessen, dass er „jenseits aller rassischen Zusammenhänge“156 stehe, zeigt, dass die BG mit ihren Bearbeitungen (vgl. vorher: man habe auch „Legenden“ ausgeschieden157) einen Wahrheitsanspruch erhebt. Auch war bereits aufgefallen, dass Grundmann in der Reformation eine Parallele zur eigenen Arbeit sah, da auch hier zusätzlich zur „negativen Ablösung“ die „Wiedergewinnung ewiger Wahrheit“ betrieben worden sei158. Die Redaktion schien also der Vorstellung anzuhängen, dass die „ewige Wahrheit“ freigelegt werden könne, wenn alle Verfremdungen, die dieser Wahrheit in der Geschichte zugefügt worden seien, aufgehoben würden. Man wollte „hinter die älteste erreichbare Überlieferung zurückgehen, die einst die Evangelisten vorgefunden hätten“159: „Immer lauter ist im Zusammenhang mit dem völkischen Erwachen die Frage gestellt, ob Jesus Jude war, immer deutlicher ist das Bewusstsein geworden, daß Jesus sich in einem unüberbrückbaren Gegensatz zum Judentum befindet, immer mehr setzte sich die Erkenntnis durch, daß das Bild Jesu jüdisch übermalt worden ist.“160
Die historische Faktizität der Herausbildung der biblischen Texte und der Gedanke der Inspiration der Schriften werden bei diesem Modell, das Grundmann als „Erkenntnis“ bezeichnet, nicht mitgedacht, sondern man scheint selber den Wahrheitsanspruch definieren zu wollen. Die „Wahrheit“, die in der biblischen Christologie zu finden sei, wird als das wahre „Wesen“ Jesu bestimmt. Dazu benutzt zwar auch die Vorstellung vom „arischen“ Jesus, doch geht es den Redaktoren nicht in erster Linie darum, in einem „unfruchtbaren Streit“, Jesus als „Arier“ zu beweisen. Vielmehr sollte dadurch aber andererseits und vorrangig das „Wesen Jesu“ offengelegt werden:
154
Grundmann, 28 Thesen (1935), 44. Grundmann, 28 Thesen (1935), 44. 156 Grundmann, Totale Kirche (1934), 28. 157 Vgl. Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 13 und BG-Teilausgabe (1940), XI. 158 Vgl. 1.2.3 Der Gedankenkontext: In der Nachfolge Luthers (sic?). Antijüdisches Denken in der Kirchengeschichte. 159 Vgl. Jerke (1994), 204. 160 Grundmann, Arbeitsbericht (1940), 35. 155
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
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„Der Streit, ob Jesus Jude oder Arier war, erreicht das Wesen Jesu überhaupt nicht. Jesus ist nicht Träger menschlicher Art, sondern enthüllt uns in seiner Person Gottes Art.“161 „Wir Christen wissen nun davon, daß das Christuswunder, das Wunder der Person Jesu Christi, darin besteht, daß in seiner Person Gott sichtbar und hörbar wird. […] Aber das Entscheidende an ihm ist ja nun nicht, daß er im jüdischen Raum auftritt, sondern das Entscheidende ist, daß er als Träger von Gottes Art auftritt. Darum ist der Streit, ob Jesus Jude oder Arier war, ein unfruchtbarer Streit, weil er sich nur um die menschliche Art Jesu bemüht und dabei das Entscheidende und Wichtige übersieht, nämlich daß Jesus in seiner menschlichen Art der Träger von Gottes Art ist. Das ist er als Bild und Wort des lebendigen Gottes.“162
Zentral ist also das Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu. Die Frage nach der Herkunft Jesu wird in diesen Aussagen Grundmanns als Randfrage dargestellt, die einen kleinen Teil der tatsächlich maßgeblichen „Grundfrage“ ausmache, nämlich der Frage nach Ewigkeitsgehalt und Zeitgebundenheit des Neuen Testaments: „Die Grundfrage, die diese ‚Botschaft Gottes‘ leitet, ist die nach dem ewigen Gehalt des Evangeliums und seiner Zeitgebundenheit. Es handelt sich also nicht darum, eine historische Frage zu stellen- die Urteile über die historischen Einzelheiten werden stets schwankend bleiben – oder ein ‚judenfreies‘ Neues Testament zu schaffen, sondern es handelt sich um die viel tiefere Frage nach Ewigkeitsgehalt und Zeitgebundenheit des Evangeliums.“163
Auch Fromms Geleitwort zur BG nennt als wesentliches Problem, die bei der neuen Redaktion der Texte zu lösen war, dass sich Jesu Wirken „im Rahmen jüdischen Volkstums und innerhalb der jüdischen Religionsgemeinschaft“ vollzog und damit die Herausgeber vor die Frage stellte, ob „dieser geschichtliche Zusammenhang auch einen Wesenszusammenhang zwischen Christentum und Judentum, zwischen Jesus und der jüdischen Art“ bedinge.164 Fromm verneint hier eindeutig, wenn er sagt, es sei „ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen der Verkündigung Jesu und der der ersten Christenheit einerseits und jüdischer Gottesanschauung und Frömmigkeit andererseits als von vornherein wesensmäßig gegeben festzustellen. Jesus ist Galiläer.“165 Diese Aussagen lassen erkennen, dass sich die Redaktoren, trotz anfänglicher Fokussierung auf die (abstraktere) gedankliche Herauslösung Jesu aus „rassischen“ Zusammenhängen,166 in der konkreten Umsetzung, also der praktischen Bearbeitung der biblischen Texte für die BG, doch wieder der Frage nach seiner jüdischen Herkunft stellen müssen. Die „Entjudung“ wird 161
These 18, zitiert nach: Grundmann, 28 Thesen (1935), 43. Grundmann, 28 Thesen (1935), 44. 163 Grundmann, Arbeitsbericht (1940), 36. 164 Fromm (1940), 23. 165 Fromm (1940), 23. 166 Vgl. oben: vor allem die frühen Aussagen Grundmanns propagieren diese Herauslösung mit Verweis auf die Göttlichkeit Jesu. 162
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
zur Notwendigkeit, wenn die „rasselose“ Identität Jesu hergestellt werden soll. So entwickeln sich Begründungsstränge, die beides, das Leben Jesu im jüdischen Umfeld und dennoch seine „rasselose“ Besonderheit herausstellen sollten: Jesus sei „zwar aufgewachsen als Glied der jüdischen Religionsgemeinschaft, in die die Galiläer am Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts hineingezwungen worden waren“, sei aber „in allen entscheidenden Fragen seinen eigenen Weg“ gegangen.167 Gerade die Gottesauffassung Jesu wird in einen scheinbaren Gegensatz zur „jüdischen“ gebracht: Jesu „Vatergott, dessen Liebe die Menschen sucht und heimführt, steht dem eifersüchtigen Vergeltergott der jüdischen Frömmigkeit stracks entgegen.“168 Es gehöre also „zur geschichtlichen Wirklichkeit“ des „Glaubenszeugnisses“ des Neuen Testaments, „daß es im Gegensatz zur jüdischen Gottesanschauung und Religionsform steht.“169 Aus der Frage nach der rassischen Zugehörigkeit Jesu entwickelt sich also die Frage nach der religiösen Zugehörigkeit Jesu, da man nach dem „ewige Christus“ suchte. Nicht das historische Leben und nach den „rassischen Merkmalen“ Jesu steht im Mittelpunkt, stattdessen stellt man „Überlegungen zum religiösen Verhältnis zwischen Jesus und dem Judentum“ an, die „zunächst nur sporadisch, seit Mitte der dreißiger Jahre aber deutlicher geäußert werden und deutschkirchliche Züge annehmen“.170 Für eine derartige Bestimmung des religiösen Verhältnisses zwischen Jesus und dem Judentum gibt Grundmann als Richtlinie vor, man müsse das erfassen, was Jesus „über seine Zeitgenossen hinausführt, denn darin liegt jene Kraft, die die Herzen der Menschen weit über Palästina hinaus gewann, die Erfüllung dem religiösen Suchen wurde, die das eigentlich Christliche ist.“ Dieses neue „Bild“ von Jesus solle methodisch in „härtester und ernstester wissenschaftlicher Arbeit, die Textkritik und Literargeschichte, Formgeschichte und Religionsgeschichte heranzieht, gewonnen werden und darf nicht auf Grund vorgefaßter Ideen gezeichnet werden“.171 Durch wissenschaftliche Erforschung sollte es also möglich werden, das „Bild“ Jesu entsprechend seinem „ewigen Wahrheitsgehalt“ zeichnen zu können, um eine „rasselose“ und somit universal verständliche Darstellung zu gewinnen. 167
Vgl. Fromm (1940), 24. Ähnlich Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 175. Fromm (1940), 24. Ähnlich Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 175. 169 Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 204. 170 Sonne (1982), 63. 171 Vgl. Grundmann, Um die Wirklichkeit des Bildes Jesu (1940), 2. Grundmann scheint hier in in eine ähnliche Richtung zu denken wie später Käsemann mit seinem „Differenzkriterium“: Dieser hält für authentisch, was „weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann“. (Käsemann (1954), 144). Problematisch ist an beiden Ansätzen, dass Jesus völlig vom Judentum (und bei Käsemann auch vom Urchristentum) isoliert wird und zudem fehlende Kohärenzen ja auch auf einen Mangel an Kenntnissen über die Zeitgeschichte zurückgehen können (vgl. Nicklas, Jesus von Nazareth (2009), 21). 168
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
41
Durch ein solches Vorhaben wird Jesus aber letztlich in einen schroffen Gegensatz zu seinem jüdischen Wirkkontext gebracht. Darüber hinaus bleibt unberücksichtigt, dass die von den Autoren angestrebte Objektivität niemals möglich ist, da jeder Denker und Schreiber stets aus seinem Kontext und seinen Vorerfahrungen heraus arbeitet. Der Sinn der „Entjudung“ wird also nicht kommuniziert als Lösung für das Problem mit der Vermittlung des Juden Jesu im Dritten Reich, sondern als Konsequenz aus der historischen „Wahrheit“, dass Jesus selbst im Gegensatz zum Judentum gestanden sei. Dies sei eine in der Verkündigung Jesu selbst enthaltene „Wesensfrage“, nicht bloß eine zeitbedingte Frage.172 Die ‚Entjudung‘ der BG wird von Grundmann also als legitimes Vorgehen beschrieben, um die „ewige Wahrheit“ des Evangeliums freizulegen. Damit äußert er die Vorstellung eines unveränderlichen Kerns der Schrift, der die „ewige Wahrheit“ enthalte, die nur freigelegt werden müsse. Die historische Faktizität wird von dieser „Wahrheit“ offenbar losgelöst betrachtet. Zwar erscheint Jesus im jüdischen Umfeld – und diese historischen Fakten werden nicht einmal im Umfeld der BG-Redaktion bestritten, wenn auch nicht immer ernst genommen,173 doch sei sein „eigener Weg“174, den er als Gottessohn gehe, von diesem Umfeld losgelöst. Die „ewige Wahrheit“ bzw. das „Wesen“ Jesu zeige sich also genau dann, wenn man ihn aus dem historischen Kontext löse. Luz beschreibt die „Auswege“ einer Loslösung der Texte von ihrer geschichtlichen Dimension, „wie etwa ein Rückzug aus der Geschichte in die erzählte oder strukturierte Welt des Texts oder eine fundamentalistische Eliminierung der Geschichte durch eine Hypostasierung des Texts als übergeschichtliches Wort Gottes“ als „Alarmsignale“.175 1.2.5.2 „Dienst“ am deutschen Volke In ihrem Vorwort bzw. „Geleitwort“ konstatieren bzw. behaupten die Herausgeber eine Sehnsucht der Deutschen nach einer „Erneuerung des religiösen Lebens“ (BG V). Das Neue Testament mit seiner „Gotteswahrheit“ könne 172
Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 205. Wie die BG-Bearbeitungen vielfach zeigen durch die fehlende Kontextualisierung Jesu, seiner Jünger, des Zacharias usw. (vgl. 3.2.3 BG 5, Das Kind – das Licht der Welt (Luk. 1,76–79), Lk 1,76 (u.a.): Fehlende Erwähnung des Priesters Zacharias). 174 Vgl. Fromm (1940), 24. 175 Vgl. Luz, I (2002), 110. Aktuelle exegetische Studien zum Verhältnis von Wahrheit und Geschichte finden sich auch im von Eva Ebel und Samel Vollenweider herausgegebenen Sammelband (Ebel/Vollenweider (2012)). Bereits in der Einleitung verweist Vollenweider hier auf den vollzogenen Perspektivwechsel: „Traumatisiert von den weitreichenden Experimenten des 19. und 20. Jahrhunderts, die Geschichte zur Schöpferin der Wahrheit zu machen, ist die späte moderne zur nüchternen Diastase von Wahrheit und Geschichte zurückgekehrt (Vollenweider (2012), 7). 173
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
in dieser Lage „auch an unseren Herzen ihre befreiende und beseligende Kraft erweisen“ (BG VI), heißt es weiter und zweifellos richtig, auch wenn wir diese Formulierung nicht mehr benutzen würden. Die Bibelausgabe der BG solle nun als „ein religiöser Beitrag zur Klärung der deutschen religiösen Fragen“ (BG VI) diese „Gotteswahrheit“ zeigen: „Diese Arbeit, entstanden in der Zeit des deutschen Entscheidungskampfes, will ein Dienst an der Seele des deutschen Volkes sein.“ (BG VII)
Das Verständnis der eigenen redaktionellen Arbeit als „Dienst“ steht auch in den Arbeitsbestimmungen des „Instituts“ im Vordergrund: „In allem will die Arbeit [des Instituts, A.d.A.] nur eines: Dienst an der Erneuerung des frommen deutschen Lebens im Großdeutschen Reich des siegreichen Führers.“176 „Unsere Arbeit gilt keiner Konfession, sie dient dem Reiche und dem Volke, das der Träger des Reiches ist, der deutschen Nation.“177
Ähnlich spricht Grundmann im Vorwort zu „Der Gott Jesu Christi“178 von der Intention, den „suchenden“ Deutschen einen „Dienst“ zu leisten.179 Die Absicht der fragmentierten Bibelausgabe lässt sich also mit Eber als eine „volksmissionarische“180 beschreiben, die sich ganz in den „Dienst“ des deutschen Volkes stellen will. Dieser Dienst bestehe darin, einen religiösen „Beitrag zur Klärung der deutschen religiösen Fragen“ zu leisten, „der erweisen soll, inwiefern auch uns die Gotteswahrheiten des Neuen Testaments, die in ihm erhaltene Botschaft Gottes ‚Kraft und Weisheit Gottes‘ sein will und sein kann“ (BG VI). Da man die deutsche religiöse Frage, wie trotz des politischen Kampfes gegen das Judentum ein auf jüdischen Grundlagen stehendes Christentum
176
Grundmann: Arbeitsbericht (1940), 37. Grundmann, Entscheidungsstunden (1941), 83. 178 Wie stark die christologische Sichtweise trotz identischer und theologisch korrekter Titelwahl differieren kann, zeigen die beiden aktuellen Monographien von Kaper und Ratzinger, die der deutsch-christliche Theologie nicht ferner stehen könnten: (1) Kasper, Walter. Der Gott Jesu Christi (Walter Kasper, Gesammelte Schriften 4), Freiburg [u.a.], Herder 2008. (2) Ratzinger, Joseph (Papst Benedikt XIV): Der Gott Jesu Christi. Betrachtungen über den Dreieinigen Gott, München, Kösel, Neuausgabe 2006. 179 „Die Schrift will sich an alle religiös bewegten und fragenden deutschen Menschen wenden und zugleich etwas aufleuchten lassen von dem Geheimnis des Christentums. Sie will der Sache des deutschen Christentums dienen. […] Ich entlasse diese Schrift mit dem Wunsche, daß sie ein Dienst sei am suchenden deutschen Menschen“ (Grundmann, Gott Jesu Christi (1936). 5). 180 Vgl. Eber (2009), 29. 177
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
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vermittelt werden kann,181 klären wollte, wurde die „Synthese zwischen Christentum und Nationalsozialismus angestrebt, die von einer Ablehnung alles Jüdischen, einschließlich des Alten Testaments, und jeder positiven Verbindung zwischen Jesus und dem Judentum ausging“182, wie es Heschel zusammenfasst. Das Vorhaben der „Entjudung“ der Bibel scheint in diese Richtung zu gehen, dem deutschen Volk den „Dienst“ zu erweisen, auch weiterhin an Christus glauben zu können. Dabei wird der Anspruch erhoben,183 die „ewige Wahrheit“ aus dem jüdischen Mantel befreien zu können, der sich im Laufe der Kirchengeschichte um die Texte gelegt habe; heute dagegen bemüht man sich im Gegenteil genau darum, den antijüdischen Mantel abzulegen. Grundmanns Beschreibung der Redaktionsarbeit aus dreifacher, nämlich „wissenschaftlicher“, „christlicher“ und „deutscher“ Verantwortung heraus, zeigt, wie ernst es den Redaktoren mit ihren Zielen war: „In den schweren Entscheidungsstunden des völkischen Gesamtlebens fällt auch die Entscheidung über die zukünftige Gestalt christlichen Glaubens im deutschen Volke. Infolgedessen müssen alle Wege zu dem Zentrum christlichen Glaubens, zu Jesus Christus selbst, freigelegt werden […], denn unser deutsches Volk braucht die letzten tragfähigen religiösen Kräfte und soll sie erlangen in einer positiven Verbindung mit dem Glauben seiner Väter.“184
Sinngemäß nennt auch das Nachwort zur BG-Teilausgabe als ehrgeizige Ziele der BG-Bearbeitung den „Herzensfrieden“ und die „Einung“ des Volkes.185 Auch ist der Wunsch einer „Klärung“ der Lage, in dem Sinne, dass das Christentum in den Nationalsozialismus einbezogen werde, für Grundmann bestimmend.186 Ähnliche Äußerungen, seine Schriften ganz der (Neu-)Orien-
181
Das Problem umreißen Lotz und Leffler: „Der seiner selbst bewußt gewordene Deutsche kann einfach nicht begreifen, warum die Gott- und Geschichtsschau des Erzfeindes [= des Judens, A.d.A.] deutschen Wesens die „unaufgebbare“ Grundlage seiner seelischen Erziehung und Betreuung sein soll.“ (Lotz (1941), 43). „Es ist aber begreiflich, daß ernste völkisch und deutsch bewußte Menschen das Alte Testament ablehnen. Sie sagen, politisch bekämpfen wir das Judentum, religiös lassen wir seine Einflüsse in unserem Volk durch das Alte Testament wirksam werden. Wir halten auch dafür, daß für den Unterricht und die Erziehung der deutschen Kinderseele die deutsche Geschichte, der fromme deutsche Mensch und Seher wichtiger sind als die fromme jüdische Geschichte.“ (Leffler (1935), 119). 182 Heschel (2001), 373. 183 Vgl. oben. 184 Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 22. 185 Vgl. das gesamte Zitat: „Uns leitet dabei die Überzeugung, daß unser deutsches Volk dadurch seinem Herzensfrieden und seiner Einung auch auf dem Gebiete des frommen Lebens nähergebracht wird, wenn man ihm eine neue echte Begegnung mit Jesus von Nazareth und der in seinem Wort und seiner Person liegenden Kunde von Gott ermöglicht.“ (BG-Teilausgabe, Nachwort IX). 186 „Ich entlasse dieses Buch aus meinen Händen in einer für unser Volk entscheidungsreichen und ernsten Zeit mit dem Wunsche, daß es an einer für das deutsche Geistes- und See-
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tierung der „Volksgenossen“ widmen zu wollen, finden sich auch schon in früheren Werken.187 Grundmann geht von der Suche nach Beheimatung aus, die das deutsche Volk durch die deutsche Kirche in Verbindung mit dem Nationalsozialismus erhalten könne: „Heimat der Seele – das kann die Kirche nur dann sein, wenn wir unsere deutsche Art uns vom Heiland heiligen lassen dürfen und mitnehmen dürfen in unser innerstes Erleben. Und wir dürfen – denn diese Art ist Gottesgabe“.188
In der konkreten Beschreibung, wie diese Arbeit in der „Nachfolge Christi“ aussehen könne, schreibt Grundmann 1935, sie unterscheide sich „je nach der Gemeinde“. In einer Gemeinde, in der „die Beziehung zwischen Kirche und nationalsozialistischer Bewegung gestört“ sei, „sind die Deutschen Christen der Kerntrupp der kirchlichen Erneuerung, der Zähigkeit, Werbekraft, Glaubensgewissheit und Sendungsbewußtsein besitzen muß“, in einer lebendigen Gemeinde „mag die Schar der Deutschen Christen verlängerter Arm des Pfarrers, seine Helferschaft sein, die werbend und bauend das Gemeindeleben trägt und hinauswirkt ins Weite, vor allem in die nationalsozialistische Bewegung, […] als eine geschulte Kampfschar“. In jedem Falle werde den Deutschen Christen „das Schlagen der Brücken zwischen nationalsozialistischer Bewegung und der notwendigen Erneuerung der Kirche“ aufgetragen.189 „Als eine Kampfschar, von Gott gerufen“, gelte es „im Ringen Mann um Mann, Frau um Frau, Deutscher um Deutscher zu kämpfen um die Christuskirche deutscher Menschen. Wenn unser Volk nicht sterben soll im Heidentum, […] braucht es die Sendung nationalsozialistischer Menschen!“190 So muss die Forderung, „Brücke“ zwischen Kirche und Nationalsozialismus sein zu wollen, wohl als Forderung verstanden werden, die auch mit kämpferischen Mitteln durchgesetzt werden sollte. Auch die Gedanken des „Opfers“ und des „letzten Einsatzes“ werden von Grundmann mit dem Nationalsozialismus verknüpft: Nachdem die Deutschen durch die Machtergreifung Hitlers zur „Gemeinschaft, die durch Blut und Schicksal bestimmt ist“, also zum „Volk“, geworden seien, „in dem der einzelne seine Aufgabe hat und ohne das er nichts ist“, sei es nun nötig, dass sich „diese neue Lehre“, die den Menschen verwandeln solle, „in einer lebendigen Existenz sich verkörpern und ihre Wahrheit unter Opfer und letztem Einsatz aufdecken, um ihre die Menschen wandelnde Kraft zu entfalten. Das ist eine der entscheidenden
lenleben wesentlichen Stelle mit zu jener Klärung helfen möge, die sich auf allen Gebieten des deutschen Lebens vollzieht.“ (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), Vorwort). 187 Seine Schrift solle „mitten im geistigen Ringen und im kirchlichen Umbruch […] Rechenschaft und Wegweisung zu geben suchen.“ (vgl. Grundmann, Die Losung. (1935), 2). 188 Grundmann, Die Losung (1935), 8. 189 Vgl. Grundmann, Die Losung (1935), 27f. 190 Grundmann, Sendung der Deutschen Christen (1934), 7f.
1.2 Die BG – „Volkstestament“ und „Feldbibel“
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Einsichten der neuen deutschen Wirklichkeit.“191 Die Begriffe „Kampf“ „Opfer“ und „Einsatz“ scheinen also verwendet zu werden, um Nationalsozialismus und (Tat-)Christentum zu verbinden. Die Frage dagegen danach, wer bestimmt, was die „Wahrheit“ der neuen Lehre sei und ob sie auch tatsächlich diesem Anspruch gerecht werde, wird nicht gestellt. Zuletzt noch ein Blick zurück auf den oben bereits zitierten Satz aus dem „Geleitwort“ der BG: „Diese Arbeit, entstanden in der Zeit des deutschen Entscheidungskampfes, will ein Dienst an der Seele des deutschen Volkes sein“. (BG VII)
Bereits hier, auf den ersten, dem bearbeiteten Bibeltext vorgeschalteten Seiten, lässt sich die enge gedankliche Verbindung zwischen der für die Redaktoren so wichtigen Idee des „Dienstes am Volk“ und der Deutung des geschichtlichen Geschehens als „Entscheidungskampf“ erkennen. Hinter dem „Dienst“ kann daher die Hilfestellung im „Glaubenskampf“ der „Kampfschar“ vermutet werden. Zudem steht am Ende des gut dreiseitigen Vorwortes unter den Unterschriften der Redaktoren erneut der Hinweis: „Im Jahr des deutschen Entscheidungskampfes 1940“ (BG VIII). „Lebensdienlich“ in der Zeit des „Entscheidungskampfes“ zu sein, wie es die deutschchristlichen Schriften im Allgemeinen und besonders die BG anstreben, wird eng mit dem Gedanken der tätigen (opfer- und einsatzbereiten, kämpferischen) Nachfolge der Deutschen bzw. der Leser verknüpft. Auch 1941 schreibt Grundmann ganz offen, dass der Kampf des Reiches „in göttlichem Auftrag“ von den Deutschen geführt werde und die Institutsarbeit „durch diesen Kampf auf das tiefste berührt“ werde. Einmal mehr hebt er zudem die konfessionelle Ungebundenheit des Instituts beim „Dienst“ am deutschen Volk hervor: „Unsere Arbeit gilt keiner Konfession, sie dient dem Reiche und dem Volke, das der Träger des Reiches ist, der deutschen Nation.“192
Ob und wie sich diese sehr deutlichen Zielbestimmungen in den Texten der BG spiegeln, soll im Folgenden erforscht werden. 1.2.6 Zwischenfazit Als eine vorläufige Antwort auf die Frage, warum es überhaupt ein Anliegen war, das Projekt der ‚Botschaft Gottes‘ durchzuführen, lassen sich vorerst die folgenden Punkte festhalten: (1) Den Herausgeber schien es ein ernstes Bedürfnis zu sein, den christlichen Glauben in der damaligen geschichtlichen Situation sinnvoll verkünden zu können. (2) In der Frage, was diese sinnvolle Verkündigung für die Herausgeber bedeutet, was also mit dem „Dienst an der 191 192
Grundmann, Gotteskindschaft (1938), 8 (Vorwort). Grundmann, Entscheidungsstunden (1941), 83.
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Seele des deutschen Volkes“ gemeint sei, kann man davon ausgehen, dass die BG zunächst den Glauben der Deutschen stärken sollte. (3) Die BG sollte dies vor allem durch die Ermutigung zur Handlungsbereitschaft, zur Lebenspraxis tun.193 Auch Grundmann schreckt in seiner Standortbestimmung der BG auch vor drastischer Wortwahl nicht zurück. Praxisorientierung und starke Konzentration auf das Diesseits gehen dabei Hand in Hand. (4) Als Mittel zum Zweck wählen die Redaktoren die „Entjudung“ der Bibeltexte, die der Freilegung des „ewigen Wahrheitsgehalts“ der Texte dienen sollte. Ziel ist dabei, dass „lebensmäßig jene Einheit errungen werden zwischen der ewigen ‚Botschaft Gottes‘ in Christus Jesus und der in unserem Blut liegenden Wirklichkeit deutschen Wesens, auf die unsre geschichtliche Führung hinzielt.“194 Auch Fromm versucht hier, die Suche nach der „ewigen Wahrheit“ mit der geschichtlichen Wirklichkeit in Deutschland zusammenzudenken. Die BG sei dazu „nicht das abschließende Wort“, aber eine „gute Grundlage“.195
1.3 Über die Kritik an der BG 1.3 Über die Kritik ander BG
1.3.1 Die zeitgenössische Kritik an der BG durch Karl Fischer (Bekennende Kirche) – die BG als in „Ehrfurchtslosigkeit“ „gereinigtes“ Evangelium Wohl der erste Kritiker der BG, Karl Fischer, Mitglied der „Bekennenden Kirche“, meldete sich bereits 1940 in Reaktion auf das Erscheinen der BGTeilausgabe zu Wort. In Anschluss an die Redaktoren nennt er diesen ersten Teil des „Volkstestaments“ zunächst eine „Übersetzung“ der ersten drei Evangelien „in Gestalt einer sogenannten „Evangelienharmonie, also eine fortlaufende Zusammenstellung der Jesusgeschichten, die im einzelnen nicht erkennen läßt, woher der Text stammt, sondern sich die am geeignetsten erscheinende Form aus dem einen der Evangelien auswählt.“196 Doch sei eben dieses Vorgehen bei den Deutschen Christen „viel mehr, bzw. viel weniger als eine Evangelienharmonie“, sondern ein „für die Gegenwart ‚gereinigtes‘, nach modernen Grundsätzen ‚in Ordnung gebrachtes‘ Evangelium,197 bei dem die Evangelien „als Bausteine zu ganz neuen Gebäude verwendet“ wurden.198 193
Meyer-Erlach beispielsweise schreibt vom „Diesseitsernst“ der Thüringer Deutschen Christen und vom „leidenschaftlichen Einsatz für die Aufgaben unseres Volkes“ und vom Streben „ganz bewußt über alle Glaubenstheorien hinaus zu der Glaubenskraft“ (MeyerErlach, Verrat an Luther (1936), 68f.), ähnlich findet es sich bei anderen DC-Autoren. 194 Vgl. Fromm (1940), 50. 195 Vgl. Fromm (1940), 50. 196 Fischer (1940), 1. 197 Vgl. Fischer (1940), 2. 198 Vgl. Fischer (1940), 6.
1.3 Über die Kritik ander BG
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Die „Ehrfurchtslosigkeit“, eine andere Übersetzung zu wählen, habe zudem den „ursprünglichen Sinn“ der Texte umgebogen.199 Eben hierin liegt die besondere Relevanz der BG, wie Fischer klar analysiert: Durch die Subjektivität der Auswahl und Bearbeitung der Textstellen bringt die BG ein „maßgebliches Bekenntnis“ der „Deutschen Christen“ zur Sprache und beantwortet so ganz klar, „was die Deutschen Christen von der Heiligen Schrift eigentlich gelten lassen“.200 Entgegen der verklärenden Zielangaben der Redaktoren und v.a. Grundmanns, Jesus aus den Zeitgebundenheit befreien zu wollen und nach dem „Ewigkeitsgehalt“ des Evangeliums zu suchen, stellt Fischer zudem nüchtern und richtig fest, dass die Herausgeber „ganz offenkundig“ ihre Aufgabe vor allem darin gesehen hätten, „den antisemitischen Einwänden gegen die Bibel und insbesondere gegen die Evangelien zu begegnen.“201 1.3.2 „Den Teufel durch den Beelzebub austreiben“202. Hans von Sodens (unterdrückte) Kritik von 1940 Hans von Soden war – mit Unterbrechung wegen seiner unerwünschten Aktivität für die ‚Bekennende Kirche‘203 – 1924–1940 Professor für Kirchenge199
Vgl. Fischer (1940), 12. Vgl. Fischer (1940), 2. 201 Fischer (1940), 6. 202 Soden, Synoptische Frage (1951), 188f. 203 Von Soden wurde wegen seinen Aktivitäten in der Bekennenden Kirche (BK) am 4. August 1934 in den zeitweiligen Ruhestand versetzt. In seiner autobiographischen Skizze von 1945 schreibt er, er sei ohne Angabe von Gründen oder eine Anhörung „aufgrund von § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den Ruhestand versetzt“ worden und halte selbst für „zweifellos“, dass sein Verhalten „in den nach Berufung des Reichsbischof Ludwig Müller ausgebrochenen kirchlichen Kämpfen, insbesondere meine Tätigkeit als theologischer Gutachter und als Vertreter der Fakultät in der kurhessischen Synode zu der Maßnahme geführt haben.“ (Dinkler/Dinkler-von Schubert, Hans von Soden (1984), 381). Am 24. Oktober wurde diese Verfügung zurückgenommen, von Soden in das Beamtenverhältnis zurückberufen. Er wird wieder aktiv in der BK, da er sich „in der unabweislichen Verpflichtung“ sah, seine „theologische und kirchengeschichtliche Erkenntnis in den Dienst des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Arbeit zu stellen“ (ebd. 380). Als Vorsitzender des Landesbruderrates der Bekennenden Kirchen von Kurhessen-Waldeck fand er u.a. in einem Brief an die BK-Pfarrer (26.10.1934) klare Worte: „Unser Gehorsam gegen unseren geistlichen Auftrag steht keinem Fortschritt in der kirchlichen Verfassungsbildung entgegen, aber er verlangt entschlossenen Bruch mit einem Regiment der Kirche, das die biblische Botschaft und ihre Forderung, die uns die Reformation neu erschlossen hat, immer wieder preisgibt und der ‚völkischen Idee den Vorrang vor der christlichen‘ einräumen will, und das auf Rechtsbruch, Gewalttat, Lüge eine unevangelische Herrschaft über das Gewissen errichtet, um ein unechtes ‚Einigungswerk‘ durchzuführen. Es liegt am Tage, daß die Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland dadurch nicht gesichert, sondern zerstört worden ist.“ (Soden, Urchristentum (1956), 294f.). Durch ein Herzleiden gezwungen beschränkte Soden 200
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schichte und Neues Testament in Marburg.204 Bereits 1940 verfasste er ein kritisches Gutachten zur BG-Teilausgabe, in das auch Grundmanns Monographie „Jesus der Galiläer und das Judentum“205 einbezogen war. Die Veröffentlichung fiel aber wohl „einem politischen Verbot und einer zögernden Haltung der Fakultätsmehrheit zum Opfer“.206 In seinem Gutachten liefert er hellsichtige Analysen: An Grundmanns Jesus-Monographie kritisiert er deren „vergröbernde Einseitigkeit der Darstellung und die gewalttätige Willkür, mit der alles beseitigt oder umgedeutet wird, was irgendwie eine positive Berührung Jesu mit dem Judentum ist.“ Dadurch komme „in keiner Weise zur Geltung, daß es im Judentum selbst einen Konflikt auch um Jesus gegeben hat, obwohl doch die einfache geschichtliche Tatsache, daß Jesus unter den Juden nicht nur Gegner, sondern auch Jünger gefunden hat, darauf hinweist.“207 Und auch die Charakteristika der BG arbeitet von Soden klar heraus: Einerseits deckt er Schwachstellen der BG-Teilausgabe auf, andererseits aber versucht er auch, gut Gelungenes hervorzuheben, wohl um einen Dialog nicht von vornherein unmöglich zu machen. So findet sich u.a. die allgemein gehaltene, aber doch sehr positive Würdigung der Sprache der BG, die er als „vielfach ungewöhnlich glücklich und kräftig“, „so gut wie durchweg unmittelbar verständlich“ und „öfter“ durch „vortreffliche einprägsame Gestaltungen“ ausgezeichnet, umschreibt.208 Und auch in der Frage nach der Wirkung des Volkstestaments beginnt von Soden mit einem Lob auf die Ernsthaftigkeit der Vorgehensweise, ordnet diese Aussagen dann aber in den gesamten Befund seiner Analyse ein: „Die eingehende Besprechung, die im Vorstehendem dem VT. gewidmet wurde, soll zeigen, wie ernst dieser Versuch, den Menschen unserer Zeit einen Zugang zum Evangelium von Jesus Christus zu eröffnen, genommen wird. Es ist zu hoffen, daß auch das VT. an seinem Teil manchen Menschen den von seinen Bearbeitern beabsichtigen Dienst tut. Denn in großem Umfange kommt auch das Evangelium selbst zu Worte. Es ist aber zu fürchten, daß es nicht wenige Menschen enttäuschen und vielleicht einige irreführen wird, weil es, wie gezeigt werden konnte, das Evangelium an nicht wenigen Punkten verkürzt und veränsich ab 1940 auf die Lehre an der Universität (vgl. Dinkler/Dinkler-von Schubert, Hans von Soden (1984), 380), nachdem er den Vorsitz im Landesbruderrat niedergelegt hatte. (ebd. 29). 204 Hans Freiherr von Soden (1881–1945) war 1924–1934 Professor der ev. Theologie (Lehrstuhl Kirchengeschichte und Neues Testament) und 1927 auch Rektor an der PhilippsUniversität in Marburg. 205 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940). 206 Vgl. Dinkler/Dinkler-von Schubert, Hans von Soden (1984), 29f. Dieses Gutachten verfasste von Soden in der Zeit „zwischen Kriegsbeginn und Rücktritt 1940“ (ebd. 29). Dinkler schreibt außerdem, in der ihm „aus dem Nachlaß vorliegenden Erstschrift des dem Dekan der Theologischen Fakultät Marburg unter dem 7. Januar 1940 vorgelegten Gutachtens“ sei von einem ausdrücklich von der Fakultät an von Soden ergangenen Auftrag dazu die Rede (ebd. 30). 207 Soden, Jesus der Galiläer (1951), 156. 208 Vgl. Soden, Synoptische Frage (1951), 162.
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dert; weil es im Gegensatz zu seinem Vorhaben ein ungeschichtliches Bild von Jesus gibt.“209
Laut Prolingheuer wurde er auf Grund dieser durchaus lobenden Passagen trotz seiner detaillierten Kritik von den ‚Deutschen Christen‘ auch als Werbender für die BG benutzt: „Der Marburger Neutestamentler Hans Freiherr von Soden kreidet den Eisenacher Autoren in einer Broschüre von 51 Seiten zwar ein Sündenregister theologisch-fachlicher Fehler an. Doch selbst dieser bekannte Führer der kurhessischen ‚Bekennenden Kirche‘ kann in seiner Bilanz dem ‚judenreinen‘ theologischen Machwerk seine Anerkennung nicht rundweg versagen. Und nur zu gern nutzen die Eisenacher Judenverfolger das Lob des ‚Bekenners‘ für die Eigenwerbung.“210
Sicherlich war es für von Soden noch viel notwendiger als für eine Analyse aus heutiger Perspektive, auch durch verschiedenartige captationes benevolentiae die Leser für die Problematik zu sensibilisieren, ohne von vornherein den Text der BG abzuwerten, da er direkt in der zeitgeschichtlichen Auseinandersetzung um den Wert der Bibel stand. Die BG-Teilausgabe führt denn auch die sprachliche Übertragung „des Inhaltes des Neuen Testaments in die Sprache unserer Tage“ als eines ihrer Ziele an, „um so dem deutschen Volke ‚Gottes Botschaft‘ neu vernehmlich zu machen.“211 Konkret solle diese Übertragung sich „in einer schlichten, verständlichen und auch im Gottesdienst lesbaren Textgestaltung“ niederschlagen.212 Das Lob von Sodens für die sprachliche Gestaltung geht allerdings mit unüberhörbarer und scharfer grundsätzlicher Kritik einher. Von Soden demontiert die Angabe der Redaktoren, nur „judenchristliche213 Erweiterungen“ getilgt zu haben. Gerade dieser Kritikpunkt von Sodens ist interessant, denn
209 Soden, Synoptische Frage (1951), 204. Die BG wird von Soden stelts mit VT („Volkstestament“) abgekürzt. 210 Prolingheuer, ‚Entjudungsinstitut‘ (1987), 16. 211 BG-Teilausgabe, Nachwort IXf. 212 Vgl. BG-Teilausgabe, Nachwort XI. 213 Von Soden übernimmt hier den sehr negativen Begrauch des Begriffs in der BGRedaktion, der auch in der vorliegenden Arbeit mehrfach begegnen wird. Von der BGRedaktion werden die „Judenchristen“ negativ als eine Gruppe dargestellt, die ihre Theorien unrechtmäßig mit dem Christentum verbunden hätten (vgl. dazu die Abgrenzung von Judenund Heidenchristen in den BG-Texten, v.a. im Zwischentext BG 237, analysiert in 3.2.7 Der Umgang mit dem Begriff „Blut“ an den fünf ὁ ἀμνός-Stellen im Vergleich mit den Abendmahlstexten und dem Bericht vom „Blutzeugen“ Stephanus). Daher müsse die „judenchristlich-theologische Umklammerung“ (vgl. Lotz (1941), 49) gelöst werden, die die Christusüberlieferung entstellt habe (ebd. 48, ähnlich: Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 259).
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die heutige Forschung ist sensibilisiert für pauschale Begrifflichkeiten wie „Judenchristen“ und weiß um den Anachronismus des Begriffs.214 Von Soden kritisiert zudem scharfzüngig die Arbeit der Redaktoren, die durch ihre Streichungen, Hinzufügungen und Änderungen den Text verschlimmbessert hätten: „Rein wissenschaftlich geurteilt: Es kann keine Rede davon sein, daß die Streichungen im VT. auch nur überwiegend ‚judenchristliche Erweiterungen‘ betreffen. Im übrigen christianisiert man einen Text nicht mit dem Rotstift; die Methode aber, ihm durch eigenen Zusätze und Änderungen den vermeintlich ursprünglichen Charakter zu geben, erinnert aufs bedenklichste an das Verfahren, dessen angebliche Wirkungen man ausmerzen will, und treibt wirklich den Teufel durch den Beelzebub aus. Sie kann weder vom wissenschaftlichen noch vom christlichen Standpunkt her gebilligt werden.“215
Von Soden kommt zum Schluss, es sei „höchst anfechtbar“ und „völlig unzulässig“, einen „gestalteten Text […], der überhaupt nicht überliefert ist und niemals überliefert war“, als „Volkstestament vorzulegen, da diese den Eindruck erwecke, „als ob die geschichtlichen Anschauungen Grundmanns und seiner Mitarbeiter im Text des NT. einwandfrei begründet seien, und als ob die Anschauungen anderer dem wissenschaftlich ermittelten Text des NT. nicht entsprächen, sondern auf kirchlichen Vorurteilen beruhen.“216 Wissenschaftlich sei es nicht möglich, „durch ein Filtrierverfahren“ aus dem Überlieferungsbestand der synoptischen Evangelien die Botschaft und Geschichte Jesu authentisch wiederzugewinnen, als wäre dieser der nur überarbeitete „Bestand von echten und verläßlichen Erinnerungen“, zu dessen „unterster Schicht“ man vordringen könne, „wenn man die darüber gelagerten vorsichtig abgräbt“. Die Evangelien seien bereits „selbst Zeugnis und Botschaft von ihrem Glauben“ und daher „ausgestaltet“, also zugleich „überliefernde Erinnerung“ und „formendes Bekenntnis“, Stadien der Glaubensgeschichte.217 Die Bearbeitungen der BG-Redaktoren haben daher nie ein authentisches Jesusbild herstellen können, sondern vielmehr ein (noch stärkeres) Gemeindeprodukt geschaffen, im Grunde ein „neues Evangelium“.218 Auch wenn die BGRedakteure „von der inneren Einheit und Richtigkeit des Bildes, das sie sich 214 Z.B. von Petri Luomanen (2012), 10. Frederick Stanley Jones definiert (1) das Bekenntnis zu Christus, (2) die (mehr oder weniger strikte) Einhaltung jüdischer Gebote (z.B. Sabbat, Beschneidung) und (3) die genetische Verwandtschaft mit dem frühesten jüdischen Christenheit („Earliest Jewish Christianity“) als Charakteristika jüdisch-christlicher Gruppierungen, die als Teil eines dynamischen Entwicklungsprozesses zu verstehen sind (vgl. Jones (2000), 453). Die Vielfalt jüdisch-christlicher Gruppierungen und Texte stellt auch Luomanen (2012) dar. 215 Soden, Synoptische Frage (1951), 188f. Die BG kürzt von Soden stets mit VT („Volkstestament“) ab. 216 Soden, Synoptische Frage (1951), 192. 217 Vgl. Soden, Synoptische Frage (1951), 207. 218 Soden, Synoptische Frage (1951), 209.
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von der Geschichte Jesu gemacht haben, noch so überzeugt sein“ mögen, hätten sie „nicht das Recht, es als Überlieferung, die ‚die Wissenschaft‘ aus mannigfaltiger Überschichtung freigelegt hätte, darzustellen.219 Zudem werde durch die BG eine Glaubensgewissheit vorgetäuscht, „die wir nicht haben“,220 da der geschichtlich einmalige Vorgang der Kanonisierung nicht rückgängig gemacht oder wiederholt werden könne.221 Zwar haben Interpreten durch den „Geist des Herrn“ durchaus „mit der Anerkennung dieses Kanons auch die Freiheit ihm gegenüber“, diese berechtige aber nicht dazu, „aus irgendwelchen Bruchstücken dieses Kanons und eigenen Zutaten einen neuen aufzurichten.“ Die „Sichtung und Auslegung der Bibel“ könne „nur in einem immer neuen Akt des Glaubens vollzogen und nicht in einer neuen Schrift fixiert werden.“222 Dieser berechtigte und sachlich vorgebrachte Vorwurf, der auf die Ausgestaltung der Texte zielt, scheint die BG-Redaktoren allerdings nicht zu treffen, spricht doch das Nachwort zur Teilausgabe selbst von „Gestaltung“ und stellt es wie eine Kunst dar, die die BG-Redaktoren beherrschten: „Um das Bild von der Person und der Botschaft Jesu zu gestalten, haben wir die Einzelberichte und Einzelworte, die wie allgemein zugestanden wird, das Urgestein der Überlieferung von Jesus bilden, gesichtet und wie die ersten Evangelisten selbstständig geordnet. Die Gliederung ergab sich ungezwungen. Größere Überlieferungszusammenhänge, wie die Bergrede, blieben auch hier erhalten, und zwar in ihren ältesten Gestaltungen.“223
Ob es der BG gelungen ist, mit ihrer „Gestaltung“ den Deutschen tatsächlich einen „Dienst“ zu erweisen, bezweifelt von Soden allerdings zu Recht und verweist auf die Verarmung des Neuen Testaments durch die vielen Streichungen: „Die Herausgeber des Volkstestaments betonen doch besonders, daß sie in einer deutschen Verantwortung ihr Werk tun. Sollte diese eine andere sein können als die, daß das deutsche Volk kein anderes und ärmeres Neues Testament hat als die christliche Welt?“
Obwohl er die „unverkennbare Sachkunde, mit der das VT. bearbeitet ist“, feststellt, kommt auch von Soden zu der Frage bzw. „geradezu zu einem Rätsel, wie sich die Herausgeber eigentlich seine Wirkung denken. Sie können doch unmöglich meinen und wollen, daß der von ihnen hergestellte Text von den Benutzern für eine wissenschaftliche Entdeckung gehalten wird, die unter ‚jüdischem Einfluß‘ bisher von der Kirche dem Volke vorenthalten wurde“.224 Klar stellt von Soden stattdessen heraus, dass der Grund für die Bibelferne 219
Soden, Synoptische Frage (1951), 208. Vgl. Soden, Synoptische Frage (1951), 210. 221 Soden, Synoptische Frage (1951), 212. 222 Vgl. Soden, Synoptische Frage (1951), 213. 223 BG-Teilausgabe, Nachwort XI. 224 Soden, Synoptische Frage (1951), 204. 220
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vieler Menschen nicht einfach „veraltete Züge und Begriffe in Luthers Übersetzung“ oder „diejenigen Anstöße im Text der Evangelisten sind, welche die Herausgeber durch ihre Weglassungen und Änderungen beseitigt zu haben meinen“, sondern „die Zumutungen und Forderungen […], die das Evangelium an die Menschen stellt, die es zum Glauben an sein Wort aufruft.“225 Die Forschungen von Sodens kommen also zum Ergebnis, dass niemandem ein wirklicher „Dienst“ durch unzulässige Textvereinfachungen erwiesen werden könne. Der grundlegende Kritikpunkt ist dabei, dass von Soden mit der „Bekennenden Kirche“ Treue zum Bibeltext zeigt, obwohl er die Ungläubigkeit des Volkes bedauert, während die deutschchristlich geprägten BG-Redakteure dieser Ungläubigkeit durch ein griffiges, dem Zeitgeist entsprechendes „Volkstestament“ zu begegnen versuchen. 1.3.3 Erste Reaktionen auf die (zu erwartende) Kritik an der BG: Walter Grundmann und Erich Fromm Wohlwissend um die Kritik, auf die Arbeitsweise und Zielsetzung der BG stoßen werden, betont Grundmann mehrfach die Wissenschaftlichkeit der Unternehmung:226 Man sei bei Textauswahl und -bearbeitung der BG nach den neuesten wissenschaftlichen Methoden vorgegangen, die Entscheidungen beruhten „auf Ergebnissen einer mehr als hundertjährigen Forschung am Text und an der Überlieferung des Evangeliums“.227 Einen tieferen Blick in das Wissen um die Subjektivität der Vorgehensweise gewährt allerdings folgende Aussage einige Seiten später: „Wir sind entschlossen, keine Kritik anzunehmen, die nicht durch einen positiven Vorschlag sich ausweist als Beitrag zur Mitarbeit an der von aller Theologie erkannten und dringlich gewordenen Aufgabe.“228
Mit der Rede von einer dringlichen „Aufgabe“, die sich der Theologie stelle und an der mitgearbeitet werden müsse, lässt sich bereits ein Rückschluss darauf ziehen, dass die Redaktoren sich durchaus nicht nur einfach in einer wissenschaftlichen Aufgabe sahen, die versucht, das Evangelium möglichst textgetreu in aktualisierter Sprache wiederzugeben, sondern dass eine Konstruktion stattfinden sollte, die logischerweise auch Kritik auslösen werde. Der Anspruch an Kritiker wie auch an die eigene Arbeit ist demnach, eine „positive“ Lösung für die Fragen der Zeit zu liefern, also nicht unbedingt eine Lösung, die dem vorliegenden Text am nächsten kommt, sondern eine, die dem Zeitgeist am dienlichsten erscheint. Hier genau liegt der Knackpunkt, an 225
Vgl. Soden, Synoptische Frage (1951), 205. Vgl. oben: Grundmann sieht sich auch in „wissenschaftlicher Verantwortung“. 227 Vgl. Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 18. 228 Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 22. 226
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dem sich jede theologische Deutung zu jeder Zeit abarbeiten muss. Wie viel Anpassung oder, weniger scharf formuliert, ein wie starkes Eingehen auf den Zeitgeist und die aktuellen Bedürfnisse der Christen ist legitim? Wann wird Theologie so subjektiv, so sehr interpretatoren- oder gar (bibel-)redaktorenabhängig, dass nach unserem Verständnis das biblische Fundament, das jeder Theologie zugrunde liegen muss, verlassen ist? Auch Fromm äußert sich in den Schlussbetrachtungen seines „Geleitwortes“ zur BG über den Umgang mit kritischen Vorwürfen: Die gewählten Formulierungen seien Resultat einer ernsthaften Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Kritik sei nur dann berechtigt, als sie ebenfalls praktischen Nutzen bringe.229 Dieser praktische Nutzen, die Funktionalität der Religion, dem auch die BG dienen solle, müsse sich im Leben der Deutschen zeigen: „Denn das ist das Wichtigste, daß alle Wahrheiten, die aus der ‚Botschaft Gottes‘ den Weg zum Herzen deutscher Menschen finden, auch hineingetragen werden in unser deutsches Leben.“230
Kritik wird von den Redaktoren nur insoweit für berechtigt und annehmbar gehalten, als sie sich ebenfalls diesem Denken in Kategorien der „Lebensdienlichkeit“ bzw. des „Dienstes“ bemessen lässt, ohne Rücksicht darauf, für welches Leben bzw. welche (juden-/menschenverachtende) Lebensweise sie dienlich sein soll. Ein weiterer Vorwurf Fromms an seine Kritiker lautet, dass ein einheitliches ‚Bekenntnis‘ vorausgesetzt und dessen geschichtliche Gewachsenheit ignoriert werde. Zudem halte man sich zu sehr am Buchstaben fest.231 Die Norm sei nämlich „nicht der Buchstabe der Heiligen Schrift […], sondern allein das, was in ihr Wort Gottes ist, nämlich das Leben weckende Zeugnis von Christus, das ‚was Christum treibet‘“.232 1.3.4 „Dem Volk aufs Maul schauen oder nach dem Mund reden?“233 Kritik an der BG aus der Distanz von mehreren Jahrzehnten Aus weit größerer zeitlicher Distanz zum Entstehungskontext der BG und somit auf einem ganz anderen Hintergrund – nach 1945 – schreibt Volker Lubinetzki.234 Er bezeichnet die BG im Jahr 2000 als „Gesellenstück deutsch229
Vgl. Fromm (1940), 50. Vgl. Fromm (1940), 49. 231 Fromm (1940), 57. 232 Fromm zitiert hier das lutherische Kriterium für die Heiligkeit biblischer Schriften, dass sie das enthalten müssen „was Christum treibet“. Im Anhang zu Fromm (1940), 58. 233 Lubinetzki (2000), 292. 234 Seine Arbeit bietet erstmals auch einen guten Überblick über die verschiedenen Themen der antijüdisch-ideologischen neutestamentlichen Wissenschaft, die er auch mit Textbeispielen aus der BG und aus Grundmanns Schriften belegt (v.a.309–394). Ansonsten wurde 230
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christlicher Bibelverdeutschungen‘“235 und bringt mit seiner plakativen Frage „Dem Volk aufs Maul schauen oder nach dem Mund reden?“236 die dahinterstehende Problematik auf den Punkt. Auch Jochen Eber nennt gerade das zweischneidige Anliegen, die religiösen Fragen der Deutschen zu klären und es auch „den völkisch orientierten Zeitgenossen“ zu ermöglichen, nationalsozialistische Weltanschauung und die christliche Religion (wieder) zu vereinbaren als Grundlage der BG, dieser verfälschenden Bibelausgabe,237 die die Herausgeber selbst als „neue Übertragung ausgewählter wesentlicher Stücke des Neuen Testaments“ (BG V) beschreiben und damit verschweigen, nach welchen Kriterien die Passagen ausgewählt oder übergangen werden. De facto wurde also nicht nur ein ZurSprache-Bringen der Evangelien in die jeweilige Gegenwart hinein vorgenommen, sondern eine grundlegende Umdeutung der Texte. Nichts anderes sagt Fromm in seiner Begleitschrift aus, wenn er bemerkt, der „köstliche Schatz des Evangeliums“ sei, da er immer nur „in seiner geschichtlichen Gestalt wie in irdenen Gefäßen“ zu haben sei, „aus der Bindung an vergangene zeitgeschichtliche Vorstellungen und Denkformen zu lösen, um sie so als Antwort auf die besonderen Fragen und Anliegen unsrer Gegenwart wesentlich und lebensmächtig in heute verständlicher Sprache darzubieten.“238 Die hier angekündigte völlige Loslösung aus der Tradition durch die alleinige Bindung an die „zeitgeschichtlichen Vorstellungen und Denkformen“ lässt Grundmann auch problemlos unterscheiden zwischen „judenchristlicher Theorie“ und „Botschaft Christi“: „Botschafter an Christi Statt wollen wir sein, aber wir können nicht Zeugen einer judenchristlichen Theorie sein, die mit der Botschaft Christi verbunden worden ist.“239
Auch Grundmann wählt das Bild von den „irdenen Gefäßen“ (vgl. 2 Kor 4,7)240, um die Zeitgebundenheit des Evangeliums hervorzuheben und eine „Heraushebung dieses Evangeliums aus seinen irdenen Gefäßen, in die es gelegt wurde“, zu rechtfertigen und verweist darauf, man müsse ob der Gefahr, mit der „Ablösung der irdenen Gefäße auch an den Schatz zu rühren“ „demütigen Glaubens sein, daß der lebendige Christus einen in der Gewalt
zwar breit über die Geschichte der deutsch-christlichen Bewegung(en) und das Institut geforscht, nicht aber über die BG im Besonderen. 235 Lubinetzki (2000), 306. 236 Lubinetzki (2000), 292. 237 Vgl. Eber (2009), 29. 238 Fromm (1940), 12. 239 Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 259. 240 „Diesen Schatz [die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi, vgl. 2 Kor 4,6] tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.“ (EÜ, 2 Kor 4,7).
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hat und die rechte Unterscheidung schenkt“.241 Grundmann scheint also ehrlich davon überzeugt gewesen zu sein, mit den redaktionellen Eingriffen im Sinne Christi gehandelt zu haben. Aktuelle geschichtstheoretische Entwürfe dagegen nehmen weder ausschließlich die Rekonstruktion einer abstrakten vergangenen Wirklichkeit, sondern mindestens ebenso deutlich die Bedeutung theologischer Deutungen der Vergangenheit in den Blick und können so deutschchristliche Engführung, die sich in Grundmanns Aussagen wie im Vorwort der BG242 selbst andeutet, vermeiden.243
241
Grundmann, ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 194. Ähnlich einige Seiten später: „Weil der Kampf, der von den ersten Tagen des jungen Christentums an ihr entbrannte, in unserer religiösen Lage neu aufgelebt ist, müssen wir mit den gewonnen Unterscheidungen zwischen ewiger Gottesbotschaft und irdenen Gefäßen völligen Ernst machen. Wir müssen es tun um der Wahrheit willen, die uns im Gewissen bindet; wir müssen es tun um unseres Volkes willen, das um Klarheit in seinen religiösen Fragen ringt und aus seinem Schicksal heraus gerade in der jüdischen Frage volle Klarheit haben will.“ (258f). „Wenn wir […] nun aber gezwungen sind, den ‚wahren Schatz‘ von den irdenen Gefäßen zu unterscheiden und ihn aus diesen herauszulösen, so tun wir das deshalb, weil für das Leben und Denken unseres Geschlechtes die irdenen Gefäße den ewigen Schatz der Botschaft Gottes verdecken.“ (ebd. 201). 242 Hier begründen die Redaktoren ihr Vorgehen auf eben diese Weise: „Weil wir der Überzeugung sind, daß in den irdenen Gefäßen des Neuen Testaments ein ewiger Schatz geborgen ist, legen wir diese Arbeit vor. […] Diese Gotteswahrheit ist herausgelöst aus den irdenen Gefäßen einer Weltanschauung und eines Lebensgefühls, die nicht mehr die unseren sind, weil uns Gott in eine andere Geschichte gestellt und durch sie gestaltet hat.“ (BG Vf.). 243 Vgl. z.B. Schröter: „Die Evangelien sind Zeugnisse, die die Ereignisse von Jesu Wirken und Geschick narrativ verarbeiten und theologisch deuten. […] Die Wirklichkeitskonstruktionen des Urchristentums stellen dabei den Ausgangspunkt eines gegenwärtigen Bezugs auf die Anfänge des Christentums dar. Diese Deutungen sind nicht einfach zu wiederholen, sondern kritisch auf die Differenz von Wirklichkeit und deren Repräsentation hin zu befragen. Das Ziel eines derartigen Bedenkens der frühchristlichen Text ist eine Theologie des Neuen Testaments, die die frühchristlichen Entwürfe nicht einfach nebeneinanderstellt, sondern sie in ihrer Zusammenstellung zu einem ‚Kanon‘ verbindlicher Glaubenszeugnisse als Ausdruck eines spezifischen Wirklichkeits- und Gottesverständnisses begreift. Das Resultat eines solchen Weges kann also nicht die Rekonstruktion einer vergangenen Wirklichkeit hinter den Texten sein. Anzustreben ist vielmehr der Entwurf einer urchristlichen Geschichte und Theologie, der die Bedeutung der neutestamentlichen Zeugnisse für christliche Theologie und christlichen Glauben in der Gegenwart deutlich werden lässt.“ (Schröter (2007), 20). „Kann einerseits gar nicht zweifelhaft sein, dass das historische Material einer Kritik zu unterziehen ist, so darf diese Kritik andererseits nicht mit der Wiederherstellung der vergangenen Wirklichkeit gleichgesetzt werden. Die spezifische Situation der exegetischhistorischen Theologie, die ihre Eigenständigkeit einer Befreiung von der dogmatischen Theologie verdankt, darf deshalb nicht zu einer unreflektierten Sicht auf die Bedingungen der Konstruktion von Geschichte führen.“ (ebd. 34).
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Dieses Vorgehen ist sicherlich kein angemessener Umgang mit den Texten, sodass Peter von der Osten-Sacken mit Recht von einem „Missbrauch des Evangeliums“244 spricht. Der Blick auf die Texte der BG aus der Distanz von gut 70 Jahren kann die Chance bergen, den zeitgeschichtlichen Kontext der Entstehung der BG klarer wahrzunehmen und die BG in die vielfältigen Bestrebungen einzuordnen, die Bibel je nach Zielpublikum anzupassen und auch zu verkürzen. Allerdings ist ebenso die Gefahr gegeben, dass der zeitliche Abstand sowie die Forschungsfortschritte den Zugang zu den Texten und den Denkmustern, die im Hintergrund der BG-Redaktion standen, erschweren. Im Bewusstsein darum, dass Übersetzungen stets auch Deutungen sind, die von Zeiteinflüssen nicht frei sein können, soll sich den Texten der BG genähert werden, um die dahinterstehende Gedankenwelt zu ergründen. Aus der Zielangabe der Herausgeber der ‚Botschaft Gottes‘, „in der Zeit des deutschen Entscheidungskampfes“ mit ihrer Bibel einen „Dienst an der Seele des deutschen Volkes“ zu leisten (vgl. BG VII), lässt sich dabei entnehmen, dass der Anspruch der Redaktion über den einer reinen Übersetzung deutlich hinausging. In dieser Arbeit soll nun analysiert werden, mit welcher Hintergrundhermeneutik das ‚Institut‘ die biblischen Texte bearbeitet, gekürzt und neu kombiniert hat.
1.4 Zur vorliegenden Arbeit: Zielsetzung und Methodik
1.4 Zur vorliegenden Arbeit: Zielsetzung und Methodik
1.4.1 Die Ausgangsfrage: Welche Redaktionstendenzen lassen sich bei der Redaktion der „Botschaft Gottes“ beschreiben? Ausgangspunkt des Projekts ist die Frage danach, welche Hermeneutik hinter den biblischen Texten der ‚Botschaft Gottes‘ steht. Dazu ist es notwendig, der Frage nach der Arbeitsweise bei der Zusammenstellung der „Botschaft Gottes“ nachzugehen. Bereits festgestellt wurde, dass unter ideologisch-religiösen Vorzeichen der Text des Neuen Testaments völlig umorganisiert wurde. Viele Passagen wurden umgestaltet, gekürzt und neu übersetzt oder komplett gestrichen; kurz gesagt wurde eine ‚entjudete‘ Auswahlbibel geschaffen. Nach einem ersten Blick in die Zielsetzung des Instituts, in die Arbeitsauffassung einzelner Redakteure (v.a. Grundmann) und die gegen die BG bereits vorgebrachten Kritikpunkte ergeben sich folgenden Forschungsfragen: Jesus scheint in der BG selbst als Kämpfer gegen das Judentum dargestellt zu werden. Die Vermutung ist, dass sich die dementsprechende subjektive 244
Vgl. den Buchtitel: Osten-Sacken: Das mißbrauchte Evangelium (2002).
1.4 Zur vorliegenden Arbeit: Zielsetzung und Methodik
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Auswahl der Bibelstellen ganz an der gegenwärtigen geschichtlichen Situation orientiert, wie schon die Tatsache vermuten lässt, dass die BG „nicht davor zurückschreckt, die zitierten Ausschnitte aus den synoptischen Streitgesprächen mit dem Titel ‚Sein Kampf‘245 zu versehen“.246 Dies weist auf eine Orientierung der Textbearbeitungen an der gegenwärtigen geschichtlichen Situation hin. Es wurde bereits deutlich, dass es den Herausgebern nicht nur um eine harmonische Zusammenstellung an Texten für das deutsche Volk geht, die scheinbare Doppelungen herausstreicht, sondern der Anspruch, eine „deutsche“ Bibel zu schaffen, weit darüber hinaus geht und auf der Basis antisemitischen und nationalsozialistischen Denkens stark in den Text eingreift. Beim Beispiel der fehlenden Genealogien liegt die Vermutung nahe, dass keine durch Auslassung leicht vermeidbaren Nachfragen nach der Herkunft Jesu provoziert werden sollten, die in beiden Evangelien eindeutig im jüdischen Gottesvolk Israel verortet wird. Wie weit diese Eingriffe gingen und an welchen Stellen in Bearbeitungen, Kürzungen und Streichungen die ideologischen Ziele der Herausgeber erkennbar sind, soll Forschungsgegenstand werden. Als Hintergrund jeder der Textbearbeitungen kann folgende antijüdische Denkweise Grundmanns247 zugrunde gelegt werden, die man einen „Antijüdischen Dreischritt“ bezeichnen könnte: (1) Das Judentum ist ganz anders als andere Religionen. (2) Das Judentum hat sich fremde Geschichten und Ideen nur angeeignet. (3) Dieses angeeignete Gute wurde durch die spezifisch jüdischen Grundhaltungen248 „zersetzt“.249 Grundmann hebt Jesus, diesen antijüdischen Prolegomena entsprechend, dann auch aus allen Religionen, vor allem aber aus dem Judentum, klar heraus und entwickelt aus dieser Negativabgrenzung heraus seine Theologie. Entsprechend der leitenden Funktion Grundmanns bei der Herausgabe des ‚entjudeten‘ Neuen Testaments kann seine als „antijüdischer Dreischritt“ charakterisierte Theologie die Basis der folgenden Textanalysen bilden. Das „angeeignete Gute“ wird von ihm als das spezifisch Jesuanische definiert, das in den neutestamentlichen Texten durchaus zu finden sei. Der „ursprüngliche Sinn“ müsse allerdings oftmals von der jüdischen Überfremdung befreit wer245
BG 63. Vgl. Nicklas, Apokalypse (2012), 356. 247 Vgl. den gedanklichen Aufbau von Grundmanns Aufsatz: Grundmann, Art des Judentums (1942), 51–162. 248 Grundmann unterstellt dem Judentum (1) den „rechnerischen Vergeltungsgedanken“, der „das Handeln Gottes abhängig von der Tat des Menschen, die er zu belohnen oder zu bestrafen hat“ mache (Grundmann, Art des Judentums (1942), 71), (2) „mechanistischformalistisches Denken“, (3) „materialistische Gesinnung“, (4) „jüdisches Weltherrschaftsstreben“ (ebd. 90). 249 Vgl. Grundmann, Art des Judentums (1942), 90. 246
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den. Grundmann hat somit ein weiches Kriterium, das eine scheinbare Legitimation einerseits für die „antijüdische“ Bearbeitung der Texte, andererseits aber auch für die Herausarbeitung bzw. „Freilegung“ des ursprünglichen Inhalts, der ja das bloß „angeeignete Gute“ sei, liefert. Die erste Frage soll nun sein, wie das „Jüdische“ durch die BG-Redaktion aus den Texten zu tilgen versucht wird. Die zweite Frage soll dann besonders im letzten Teil der Arbeit zur „positiven“ Christologie beantwortet werden: Was sind die in der BG zu beobachtenden Spezifika der Christologie, die identisch sind mit dem, was die BG-Redaktoren für den ursprünglichen Inhalt, also das eigentlich spezifisch Jesuanische halten? Da allerdings diese beiden Fragen eng miteinander zusammenhängen, wird schon in den Analysen zur ersten Frage stets die positive Christologie durchscheinen, die dann im letzten Teil der Arbeit noch systematisiert werden soll für die besonders signifikanten Spezifika der Christologie der BG. Den Forschungsrahmen für die Entwicklung einer Charakteristik der Christologie der BG können die vier christologischen Merkmale bilden, die Grundmann selbst wählt250. Diese Vorgehensweise legt die wichtige Stellung Grundmanns bei der Herausgabe der BG, ebenso wie die Veröffentlichung beider Werke im Jahre 1940 nahe. Grundmann baut seine Vorstellung von Christologie folgendermaßen auf: (1) Jesus und die jüdische Religion: Grundmann hebt Jesus aus allen Religionen, vor allem aber aus dem Judentum, klar heraus: er habe etwas ganz Neues geschaffen. Als Kriterien dafür nennt er die Stellung Jesu zum Gesetz, zu Tempel und Opfer, und zur jüdischen Messiaserwartung. (2) Der geschichtliche Ort des Auftretens Jesu und das Problem der „völkischen Zugehörigkeit“. Das Thema der „völkischen“ Einordnung Jesu ist wohl der am besten aufgearbeitete Bereich innerhalb der deutsch-christlichen Denkströmungen. Maßgeblich ist hier Fenskes Monographie „Wie Jesus zum ‚Arier‘ wurde“251, die den Bogen von den gedanklichen Wurzeln im 19. Jhdt bis ins 20. Jhdt hinein spannt. Da die BGRedaktion selbst diese Frage nicht in den Vordergrund stellt, wird die vorliegende Arbeit nur am Rande auf diese Thematik eingehen. (3) Die Eigenart Jesu – Die positive Bestimmung der Christologie in der BG: Aus der „Eigenart“ Jesu, die sich in seinem Gottesverhältnis und seinem charismatischen Charakter zeige, sei eine neue Art des Umgangs Jesu mit den Menschen resultiert. Grundmann betont hierbei die christologischen Hoheitstitel: Sohn Gottes, Bringer des Gottesreiches (‚Freudenbote‘), Charismatiker, der dennoch in seiner Zeit steht, und Heiland. Im dritten Teil dieser Analyse wird die „Eigenart“ Christi zur Sprache kommen und die Frage wird zu stellen sein, ob und wie die BG die „Eigenart“ an vielen Stellen selbst in den Text einträgt. (4) Die Auseinandersetzung Jesu mit dem Judentum: Die Stellung Jesu zum
250 251
Vgl. die Gliederung von Grundmann, Jesus der Galiläer und das Judentum (1940). Fenske (2005).
1.4 Zur vorliegenden Arbeit: Zielsetzung und Methodik
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Alten Testament, sein „Kampf“ mit dem Judentum und seine Passion werden von Grundmann als Kriterien für die Auseinandersetzung genannt. An der Abgrenzung gegenüber dem Judentum macht Grundmann also das „Neue“ fest, das Jesus geschaffen habe. Aus dieser ablehnenden Haltung dem „Jüdischen“ gegenüber lasse sich die neue Art des Umgangs Jesu mit den Menschen ableiten. Als Aufbau dieser Arbeit ergibt sich somit, dass zunächst die Frage gestellt werden soll, wie sich die BG vom Jüdischen absetzt. Wegen ihrer auffälligen Rolle in der BG sollen zur Analyse zwei Themenblöcke herausgegriffen werden, die sich in Grundmanns Jesus-Buch (vgl. oben (1)) finden lassen: Die Frage nach der Messianität Jesu und der Themenkomplex „Opfer und Tempel“. Am Rande soll auch auf die Einarbeitung anderer oben genannten Abgrenzungspunkte zwischen Jesus und dem Judentum, wie Grundmann sie fasst, in den folgenden Textanalysen verwiesen werden. Für den ersten Teil zum Messiasbegriff wird der Schwerpunkt auf den synoptischen Evangelien liegen. Diese scheinen wegen ihres jüdischen Adressatenkreises von den Herausgebern als besonders „problematisch“ empfunden worden zu sein, denn bei diesen Texten lassen sich die stärksten Eingriffe in den Text finden und somit lässt sich hier das Bestreben nach der Konstruktion eines ‚unjüdischen‘ Jesusbildes besonders deutlich feststellen. Der zweite Teil, der sich mit der Verwendung kultischer Termini (Opfer, Tempel, Beschneidung) in der BG beschäftigt, wird vor allem Texte aus dem Johannesevangelium und paulinischen Briefen zu Rate ziehen. Im zweiten Teil der BG252, der eine Textauswahl aus dem Johannesevangelium enthält, wurde deutlich weniger gekürzt und sinnentstellt, da dieses vierte Evangelium von vornherein als geeigneter für das deutsche Volk empfunden wurde: Das antijüdische Potential dieses Evangelium wurden von den BG-Redaktoren für besonders signifikant gehalten,253 auch wenn diese Sicht natürlich nicht halt252
„Jesus der Gottessohn“ (BG 99–164). Grundmann hebt das Johannesevangelium als „eigenständige Bezeugung“ und „grandiose Dichtung“ aus den Evangelien heraus: „[…] die ersten drei Evangelien […] wollen […] das Bild des geschichtlichen Jesus von Nazareth dem Glauben verkünden […]. Der vierte Evangelist hingegen will nicht die geschichtliche Einzelwirklichkeit geben, sondern die aller Einzelwirklichkeit zugrunde liegende Herrlichkeit und Vollmacht des ewigen Logos erweisen. Seine Arbeit ist eine von einem Grundgedanken ausgehende theologische Konzeption. […].Wir haben im vierten Evangelium eine eigenständige Bezeugung der Botschaft Jesu vor uns. […] Diese Botschaft führt über die Voraussetzungen des alttestamentlich-jüdischen Denkens und die des griechischen Denkens in gleicher Weise hinaus“ (Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 215). Es sei „in seiner Urform eine grandiose Dichtung, die man nicht zerstückeln kann. […] Wir haben uns deshalb in der Gestaltung der ‚Botschaft Gottes‘ gewehrt, das Johannesevangelium in seiner Urform in die Gestaltung der Jesusgeschichte auf Grund der ersten drei Evangelien einzubeziehen“ (Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 261). Noch deutlicher hebt Grundmann bereits 1940 253
60
Kapitel 1: Zum Hintergrund
bar ist.254 Die Bearbeitung des Johannesevangeliums soll daher als wichtiger Vergleichsmaßstab für die Analyse der Redaktionstendenzen bei der Bearbeitung der Evangelienharmonie dienen. Der dritte Teil der Arbeit nun soll die Beobachtungen dieser beiden Teile als Grundlage für eine Skizze der „positiven“ Christologie verwenden. Es soll also eine kurze, thesenartige Darstellung dessen versucht werden, was die BG-Redaktoren in Bezug auf die Christologie, die ja als den Anspruch erhebt, das „wahre Wesen“ Jesu abzubilden, in die Texte hineinlesen und eintragen als das vermeintlich „Neue“ und „Unjüdische“. Durch den Leitgedanken der Redaktion, dem deutschen Volk einen „Dienst“ erweisen zu wollen, werden diese christologischen Beobachtungen jeweils mit der Frage konfrontiert werden, ob und wie sie auch den Nachfolgegedanke beeinflussen: Es stellt sich die Frage, wie sich die Erwartungen, die an einen BG-Leser, einen Christen in Nazi-Deutschland, einen „deutschen Christ“ also, gestellt werden, ebenfalls verändern im Vergleich zu den biblischen Texten und in Parallele zur Bearbeitung der Christologie. Vor allem der dritte, aber auch der vierte Teil der BG255 wird hier, ergänzt von den ersten beiden Teilen der BG, wichtige Hinweise liefern, da besonders die redaktionellen Eingriffe in die Texte, die Informationen über und Anweisungen an die werdenden Gemeinden enthalten, einen Blick in die Vorstellung der Redaktoren vom idealen „christlichen“ Leben gewähren. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Christologie. Hier kann man an die Vorarbeiten zum historischen und „arischen“ Jesus anschließen256 und der Frage nachgehen, ob und inwiefern dieses Jesusbild in der BG in subtilerer Weise wieder begegnet. Nach Meinung der Redaktoren ist aber die Frage nach der „rassischen“ Herkunft Jesu nicht der Hauptpunkt der Bearbeitungen, man wollte vielmehr den „ewigen Wahrheitsgehalt“, das „Wesen“ Jesu freilegen. Im dritten Teil der Arbeit soll daher, entsprechend den Redaktionszielen, der Schwerpunkt auf der Suche nach den Facetten
das Joh-Ev vom Mt-Ev ab: „Wenn ich recht sehe, ist die Arbeit des vierten Evangelisten der entscheidende Widerspruch, der gegen das Jesusbild des ersten erfolgt ist“ (Grundmann, Die Arbeit des ersten Evangelisten (1940), 77; vgl. Fromm (1940), 21). 254 Auch bei Johannes sind die Juden „nicht einfach als solche massa damnata. Jesus ist Jude (Joh 4,9), und das Heil kommt von den Juden (Joh 4,22). Nikodemus (Joh 3,1ff; 7,50; 19,39) und Joseph von Arimathäa (Joh 19,38) sind Sympathisanten Jesu, und viele Juden glauben an Jesus (vgl. Joh 8,30f; 11,45; 12,11).“ Dennoch sei bezeichnend, dass fast die Hälfte der Belege des Gebrauchs von Ἰουδαῖος bei Johannes auf den Konflikt Jesu mit den Gegnern entfällt (vgl. Schnelle (2007), 512). 255 „III. Jesus der Herr“ (BG 165–224) mit einer Auswahl v.a. aus Paulus und Deuteropaulinen und „IV. Das Werden der Christusgemeinde“ (BG 225–276) mit einer Auswahl v.a. aus der Apg. 256 V.a. Fenske (2005).
1.4 Zur vorliegenden Arbeit: Zielsetzung und Methodik
61
Jesu, die den „ewigen Wahrheitsgehalt“ für die Deutschen zum Ausdruck bringen, liegen. 1.4.2 Konkretisierungen: Welche Texte sind von besonderer Relevanz? Um die Hermeneutik hinter der ‚Botschaft Gottes‘ analysieren zu können, sollen in den ersten beiden Teilen der vorliegenden Arbeit zunächst Texte untersucht werden, an denen sich die „Entjudung“, die die Redaktoren angekündigt hatten, deutlich aufzeigen lässt. Vor allem die Frage nach dem Umgang mit dem Messias-Begriff, ebenso aber der Umgang mit den Texten, in denen das Neue Testament vom kultischen Opfer im Tempel von Jerusalem berichtet, sind von zentralem Interesse, da an diesen beiden Themenkomplexen exemplarisch aufgezeigt werden kann, auf welche Weise die Redaktoren ihr Vorhaben der „Entjudung“ vorgenommen haben.257 Fischer und von Soden hatten bereits viele einzelne Feststellungen zur sprachlichen Gestaltung, zur Vermeidung oder Abänderung verschiedener Begrifflichkeiten gemacht, allerdings noch nicht den Versuch einer Zusammenschau verschiedener Stellen zu einem großen Thema unternommen. In der vorliegenden Arbeit soll zunächst am Beispiel des Messiasbegriffs und des Opferbegriffs, die beide in der BG eine ganz andere Füllung bekommen, versucht werden, Denkstrukturen der Herausgeber aufzudecken. Dabei ist ohne Zweifel zu beachten, dass diese Denkstrukturen sich häufig nicht auf die BG beschränken, sondern oftmals im Denken der Zeit so tief verwurzelt waren, dass sogar in den „Gegenschriften“ (von Soden/Fischer), obwohl diese sehr hellsichtig waren, sich (logischerweise) nicht ganz davon freimachen konnten. Jetzt aus größerer Distanz kann daher vielleicht an manchen Punkten noch klarer, sicher aber auch an einigen Punkten mit größeren Schwierigkeiten des Verstehens der damaligen Denkweise, auf die Texte geblickt werden. Die kritischen Beobachtungen von damals und heute werden von den Ausführungen der Herausgeber, besonders von Walter Grundmann, ergänzt und erhellt – ein größtmöglicher Einblick in die Denk- und Arbeitsweise des „Instituts“ soll somit versucht werden zu geben. 257 Neben der Fülle an einschlägigen Fundstellen bei der Sichtung des gesamten BGTextbestandes fällt auch eine Häufung der Nennung dieser Themenbereiche bei BG-nahen Autoren auf. Z.B. meint Lotz, der sich klar für die Vorgehensweise der Redaktoren positioniert und davon spricht, die BG-Teilausgabe könne „nicht hoch genug“ in Hinblick darauf, die Worte Christi „aus der judenchristlich-theologischen Umklammerung zu befreien“ bewertet werden (vgl. Lotz (1941), 49), das Vorgehen der BG-Redaktoren sei deshalb nötig, weil in den ersten Jahrhunderten die Christusüberlieferung „judenchristlich“ überschichtet und entstellt worden sei (ebd. 48), besonders in Bezug auf das jüdische Messias- und Opferverständnis, da die „Abgrenzung und Verteidigung des neuen Glaubens gegen die feindliche Haltung der jüdischen Synagoge […] die christliche Umdeutung des jüdischen Messiasbildes sowie die christliche Interpretation alttestamentlicher Opfer- und Kultideen“ verlangt habe (ebd. 49).
62
Kapitel 1: Zum Hintergrund
Im Anschluss sollen die Beobachtungen in einen größeren Kontext gestellt werden, denn durch die vorgenommenen Bearbeitungen und Streichungen wird notwendigerweise auch der noch bestehende Textbestand verändert. Es stellen sich also die Fragen, welche Christologie durch die Bearbeitungen in die Texte eingetragen wird und welche Züge des Menschen Jesus verstärkt, welche abgeschwächt oder gar nicht mehr erwähnt werden. Dieser Teil der Arbeit kann als Darstellung der „positiven Christologie“ der BG bezeichnet werden, da hier diejenigen christologischen Charakteristika aufgezeigt werden sollen, die sich in den biblischen Texten nicht oder nicht in dieser Intensität finden lassen, sondern von den BG-Redaktoren in die Texte eingetragen wurden, teils durch Neuschöpfungen, teils durch Streichungen oder Umarbeitungen, die durch die Negativabgrenzungen im Zug der „Entjudung“ bedingt sind. Eine erschöpfende Analyse aller einschlägigen Passagen ist aufgrund der Textmenge nicht möglich. Vielmehr sollen, wie auch in den beiden Teilen zur Verwendung des Messiasbegriffs und der Frage nach dem Kultopfer (vgl. oben), eben jene Passagen ausgewählt und qualitativ analysiert werden, die eben die christologischen Charakteristika bestmöglich skizzieren, die sich bei der Sichtung des gesamten Textbestandes als die relevantesten erwiesen haben. Aus den gewonnenen Erkenntnissen zur Christologie lassen sich zudem jeweils Veränderungen in den Anforderungen ableiten, die an den Christen selbst, konkret also an den Leser dieses „Volkstestaments“, gestellt werden, da Christsein als Nachfolge Christi stets eng mit dem Bild verbunden wird, das von Christus vermittelt wird. Bei der Darstellung der Veränderungen im Jesusbild soll dementsprechend auch danach gefragt werden, ob und wie sich diese Veränderungen auch in den Passagen, die direkt von der Nachfolge handeln, widerspiegeln (v.a. in den Bearbeitungen der paulinischen Briefe). 1.4.3 Konkretisierungen: Die Vorgehensweise – Methodik der Textanalyse in dieser Arbeit Die Absicht dieser Arbeit ist also, zu einem tieferen Verständnis der Bearbeitungsintentionen vorzudringen. Methodisch soll dazu eine Analyse vorgenommen werden, die die Texte der BG zunächst als Textganzes in den Blick nimmt und ihn in Hinblick auf ihre innere Struktur und die gedanklichen Zusammenhänge untersucht. Dazu wurde eine dem Text angemessene analytisch-hermeneutische Methode ausgewählt: Die Texte sollen nun zunächst sowohl nach sprachlichen Besonderheiten als auch nach ihren Leerstellen untersucht werden, die die Systematik des Vorgehens der Redaktion erkennen lassen und verdeutlichen. Durch den Vergleich des Textes der ‚Botschaft Gottes‘ mit dem griechischen
1.4 Zur vorliegenden Arbeit: Zielsetzung und Methodik
63
Originaltext (im Folgenden: NA)258 und ausgewählten deutschen Übersetzungen wird hierbei nach philologischen Gesichtspunkten gearbeitet werden. Exemplarisch wurde hierfür die Einheitsübersetzung (im Folgenden: EÜ) als eine aktuelle Übersetzung ausgewählt und die Luther-Bibel in der Übersetzung von 1912 (im Folgenden: Luther), da diese der BG als Vorlage diente, wie sich an der Übernahme identischer Formulierungen zeigt, z.B. in Joh 11,35: „Jesus gingen die Augen über.“ (BG 137259, ebenso Luther) für ἐδάκρυσεν ὁ Ἰησοῦς (vgl. EÜ: „Da weinte Jesus.“), 1 Petr 5,2: „nicht gezwungen, sondern willig“ (BG 222260, identisch Luther) für μὴ ἀναγκαστῶς ἀλλ’ ἑκουσίως κατὰ θεόν (vgl. EÜ: „nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will“) und 2 Tim 4,8: „allen, die seine Erscheinung liebhaben“ (BG 276261, identisch Luther) für τοῖς ἠγαπηκόσιν τὴν ἐπιφάνειαν αὐτοῦ (vgl. EÜ: „allen, die sehnsüchtig auf sein Erscheinen warten“). Auch berufen sich, wie bereits festgestellt, die Herausgeber bereits im Vorwort auf Luther.262 Einerseits kann auf diese Weise der zum großen Teil sehr freie Umgang der BG mit dem griechischen Original sichtbar gemacht werden, andererseits soll das Vorgehen für die Problematik jeder Übersetzung als Balanceakt zwischen wörtlicher und sinngemäßer Übersetzung und der zugleich immer unvermeidbaren Interpretation sensibilisieren. Um Bearbeitungsspezifika der BG adäquat charakterisieren zu können und daraus Rückschlüsse auf die Bearbeitungsintention ziehen zu können, ist also zunächst ein textimmanentes Vorgehen nötig: Die BG wird mit dem neutestamentlichen Volltext verglichen. Daraus ergibt sich dann notwendigerweise die Anschlussfrage nach den einzelnen Versen oder ganzen Perikopen, die keinerlei Erwähnung in der BG finden. Auch diese ‚Leerstellen‘ sind zu konstatieren, zu systematisieren, soweit möglich, und zu interpretieren.
258
Als Basis wird in dieser Arbeit immer die Ausgabe NA 28 verwendet, auch wenn außer Frage steht, dass die BG sich auf die damals aktuelle wissenschaftliche Textausgabe stützte, wie von Soden weiß: „Im allgemeinen ruht die Übersetzung des VT. [= Volkstestament = ‚Die Botschaft Gottes‘ (BG), A.d.A.] auf dem heute in der gesamten wissenschaftlichen Welt benutzten Text von Nestles Novum Testamentum Graece, der bekanntlich im wesentlichen der Text des Vaticanus und des Sinaiticus ist.“ (Soden, Synoptische Frage (1951), 178). Gemeint muss hier die 13. Auflage des Novum Testamentum Graece von 1927 sein, die an den Zweifelsfällen in dieser Arbeit ebenfalls zum Vergleich herangezogen wurde. 259 BG 137, Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (10,40–11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44), Joh 11,35. 260 BG 222, 7. Rufe in die Gemeinde (2. Kor. 13,8; Jak. 4,7b–8a; 1. Kor. 6,19–20; 2. Tim. 1,7; 1. Kor. 4,20; 10,12–13; 16,13; 14,33.40; Hebr.13,16; 2. Kor. 13,11.13; 1. Joh. 2,17b; 1. Petr. 3,4; 4,10; 5,2–3), 1 Petr 5,2. 261 BG 276, Bereitschaft zum Tod (2. Tim. 4,6–8), 2 Tim 4,8. 262 „Eine innere Verbindung mit Luthers Werk, der Zeit seines Lebens an seiner Bibelübersetzung gefeilt und gearbeitet hat, hat uns zu unserer Arbeit veranlaßt.“ (BG VIII).
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
Schematisch lassen sich folgende sechs Bearbeitungstypen ausmachen: (1) Die Tilgung unerwünschter Inhalte, z.B. Lk 2,4: BG
Auch Joseph aus Galiläa von der Stadt Nazaret
EÜ
So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids,
wanderte nach Bethlehem.
die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids.
(2) Hinzufügung erwünschter Inhalte, z.B. Apg 17,4: Einige Juden
BG
Einige von ihnen
EÜ
ließen sich überzeugen und schlossen sich Paulus und Silas an. Dazu kam
ließen sich überzeugen und schlossen sich Paulus und Silas an, außerdem
eine große Zahl von Griechen,
eine große Schar gottesfürchtiger Griechen,
unter ihnen viele vornehme Frauen,
darunter nicht wenige Frauen aus vornehmen Kreisen.
die alle das Verlangen nach dem einen und höchsten Gott in sich trugen und ihn bei den Juden gesucht hatten.
65
1.4 Zur vorliegenden Arbeit: Zielsetzung und Methodik
(3) Bewusst deutende263 Übersetzung, die den Leser lenkt, z.B. 1 Kor 13,3: BG
NA
EÜ
Luther
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe
κἂν ψωμίσω πάντα τὰ ὑπάρχοντά μου
Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte /
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe
und meinen Leib im Flammentod opferte,
καὶ ἐὰν παραδῶ τὸ σῶμά μου ἵνα καυχήσωμαι,
und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, /
und ließe meinen Leib brennen,
und hätte der Liebe nicht, so wäre mir᾽s nichts nütze.
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, οὐδὲν ὠφελοῦμαι.
hätte aber die Liebe nicht, / nützte es mir nichts.
und hätte der Liebe nicht, so wäre mir᾽s nichts nütze.
(4) (Unjüdisches) Setting, z.B. Lk 2,41: BG
NA
EÜ
Luther
Jesu Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem
41 Καὶ ἐπορεύοντο οἱ γονεῖς αὐτοῦ κατ’ ἔτος εἰς Ἰερουσαλὴμ
41 Die Eltern Jesu gingen jedes Jahr
41 Und seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem
zum Osterfest.
τῇ ἑορτῇ τοῦ πάσχα.
zum Paschafest
auf das Osterfest.
nach Jerusalem.
Hier wird noch ein zweites Spezifikum der folgenden Textanalysen der BGTexte deutlich: An einigen Stellen werden Übersetzungen, die den Text stark deuten, verwendet. Das erfolgt zum Teil in Übereinstimmung mit der Lutherausgabe von 1912. (5) Überschriften (und Seitenschriften), die die Erwartung der Leser lenken, z.B. zu den synoptischen Streitgesprächen: „Sein Kampf“ (BG 63), zum Ge-
263
Im Einzelnen ist die Frage, ob eine Übersetzung bewusst (unstrittig ist dagegen, dass jede Übersetzung bereits eine Deutung enthält) deutend ist, nur durch einen Vergleich mit mehreren inhaltlich verwandten Stellen möglich. Das gehäufte Auftreten von Motiven an Stellen, an denen sie im griechischen Text nicht gebräuchlich sind, ist dann eine derart bewusste Deutung.
66
Kapitel 1: Zum Hintergrund
danken der Nachfolge: „Hart und entschlossen“ (BG 51), „Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben“ (BG 62) (6) Neukombinationen (z.B. Stellen aus verschiedenen Paulusbriefen oder synoptischen Evangelien). Z.B. werden verschiedene Verse mit Worten, die aus Jesu Diskussionen mit Pharisäern und Schriftgelehrten in den Evangelien überliefert sind, bearbeitet und zum Thema „Kampf“ zusammengefasst unter: BG 68, Die entscheidende Kampfansage (Luk. 11,39–42ab; Matth. 23,24; Luk. 11,43; Mark. 12,40; Luk. 11,44–46; Matth. 23,13; Luk. 11,47–50.51c; 13,34–35a; 11,53–12,1)
Durch den Vergleich mit den neutestamentlichen Originaltexten sollen Redaktionstendenzen in entscheidenden Passagen der BG herausgearbeitet werden. Diese Tendenzen sollen dann, in Verbindung gebracht zu erläuternden Texten der Redaktoren, auf die ihnen zugrunde liegenden redaktionellen und hermeneutischen Linien im Kontext nationalsozialistischer Ideologien untersucht werden. Methodisch wurde zunächst der gesamten Text der „Botschaft Gottes“ gesichtet und auf Unterschiede, Unebenheiten und Besonderheiten untersucht. Diese Arbeit kann aber keine umfassende Analyse aller Texte bieten, dazu wäre die Form eines Textkommentars notwendig. Zur Sprache kommen sollen in den einzelnen Kapiteln daher jeweils wichtige Stellen, an denen die mehrfach beobachteten Phänomene gehäuft auftreten oder ein Aspekt besonders gut hervortritt. Dass eine solche Auswahl immer hinterfragt und ergänzt werden kann, liegt in der Natur der Sache. An einigen Stellen wurde auch die erste Teilausgabe der BG264 zu Rate gezogen, soweit es Abweichungen von der Gesamtausgabe (deren Herausgabe etwas später lag als die der Teilausgabe) gab. So konnte ein Einblick in die Redaktion der BG gewonnen werden, denn teilweise lassen sich an den Texten deutliche Spuren der Bearbeitungsschritte ausmachen, die entweder eine Abschwächung der vormals aktuellen Deutung oder aber (in den meisten Fällen) eine weitere Radikalisierung der Abgrenzung vom Judentum bedeuten. Eingebettet werden sollen und müssen die Textanalysen dann in den gedanklichen und zeitgeschichtlichen Kontext. Dazu wurden weitere Publikationen, sowohl der Redaktionsmitglieder (hier v.a. Walter Grundmann als der am intensivsten publizistisch tätige Mitherausgeber) als auch gedanklich nahestehender „Deutscher Christen“ (u.a. Siegfried Leffler und Julius Leutheuser265), in den Blick genommen. Die Texte wurden also erneut in 264
Zitiert als BG-Teilausgabe. Leffler, Leutheuser (und Arthur Schneider) waren Besitzer des ‚Verlags Deutsche Christen‘ (vgl. Weitenhagen (2006), 345). Die beiden initiierten zudem im Wieratal die Gründung des „Lehrer- und Pfarrerkreises, aus dem später die kirchenpolitische Bewegung 265
1.4 Zur vorliegenden Arbeit: Zielsetzung und Methodik
67
ihrem Zusammenhang gelesen und nach ihrem Sinn befragt. Zehnpfennig verweist in ihrem Kommentar zu Hitlers „Mein Kampf“ darauf, dass bei einem solchen Vorgehen nach dem Sinnverstehen immer zwischen subjektivem und objektivem Sinn unterschieden werden müsse: „Der subjektive Sinn ist das vom Autor Gemeinte, soweit es sich dem Interpreten erschließt. Was meint Hitler z.B., wenn er von Rasse spricht? Die Bedeutung, die dieser Begriff für Hitler hat, wird, sofern Hitler nicht selbst eine Definition gibt, an der Weise erkennbar, wie er den Begriff gebraucht. Dieser Gebrauch mag sich ganz und gar von der geläufigen Verwendung des Begriffs unterscheiden. Aber genau darum geht es: den Inhalt zu ermitteln, den es für Hitler hat. Das ist der entscheidende Schritt zum Fremdverstehen.“266
Ähnlich wurde auch in dieser Arbeit zunächst zwei Schlagworten („Messias“ und „Opfer“) und ihrer Verwendung an verschiedenen Stellen der BG nachgegangen, wobei das Hauptinteresse ihrer Bedeutung in eben diesen Kontexten galt. Schnell stellt sich dabei heraus, dass es im Umfeld dieser beiden Begriffe zur Verwendung neuer Begrifflichkeiten kam, die die die biblische Terminologie ergänzen oder ersetzen sollten, aber auch im dezidiert nationalsozialistischen Sprachgebrauch häufig auftraten. Methodisch ist es daher vielfach nötig, nicht nur nach der ursprünglichen Verwendung der Schlüsselbegriffe im biblischen Kontext zu fragen, sondern auch nach ihrer neuen Verwendung in der BG und ebenfalls nach ihrer speziellen Bedeutung im Dritten Reich. Unstrittig ist ja, dass sich die nationalsozialistische und die sakrale Sprache gegenseitig durchdrungen haben: Es fand auch eine „sprachliche Überhöhung des Politischen durch eine sakral geprägte Ausdrucksweise“ statt, die zum Appell werden konnte, „der durch transzendentale Kategorien legitimiert bzw. begründet werde. Sichtbar werde das am „inflationären Gebrauch religiöser Vokabeln und Ausdrücke, wie beispielsweise ewig, heilig, Glaube, Vorsehung, Mission, Opfer, Treue oder unsterblich.“267 Der Nationalsozialismus inszenierte sich dadurch als „politische Religion“, „die von Hitler ausging, von seiner Entourage aktiv mitgestaltet wurde und darauf hinauslief, den Führer der NSDAP in der Öffentlichkeit als Messias, die Partei als Glaubensgemeinschaft und ihr Programm als Glaubensbekenntnis darzustellen“. Dies sei wesentlichstes Mittel der Integration der nationalsozialistischen Bewegung gewesen.268 Aufschlussreich war es
der Thüringer Deutschen Christen hervorgeht (vgl. StA Ludwigsburg, EL 902/20Bü37/40663, 201. Zitiert nach Rinnen (1995), 71, vgl. Arnhold (2014), 49). Oberregierungsrat Leffler war außerdem Leiter des „Instituts“ gemeinsam mit Grundmann als dem wissenschaftlichen Leiter (vgl. Stegmann (1984), 70). 266 Zehnpfennig (2011), 12. 267 Braun, C. (2007), 256. 268 Herbst (2010), 196.
68
Kapitel 1: Zum Hintergrund
daher auch, einen Blick in Reden von Hitler zu werfen, um eine Ahnung vom Denken und Reden der Zeit zu bekommen.
1.5 Warum dieses Projekt? Die Frage nach dem Fortleben von Ideen der Redakteure nach 1945 am Beispiel der Biographie Grundmanns 1.5 Die Frage nach dem Fortleben von Ideen der Redakteure nach 1945
Die vorliegende Arbeit will durch den Blick auf die Textbearbeitungen der BG und zugrundeliegende Bearbeitungsintentionen der Redaktoren einen kleinen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der Exegese leisten und den äußeren Einflüssen nachspüren, von denen keine Auslegung frei sein kann. So soll für die Gratwanderung zwischen Aktualisierung und Verfälschung sensibilisiert werden. Die BG ist schließlich auch Teil der vielfältigen Bestrebungen, die Bibel je nach Zielpublikum anzupassen und auch zu verkürzen. Die Kriterien, nach denen Bibeltexte ausgewählt und bearbeitet werden, sind nie ganz frei von Zeiteinflüssen. Jedoch stellt sich stets die Frage, welche Kriterien für legitim gehalten werden, welche es aber zu vermeiden gilt. Vielen Auslegern heute ist gar nicht bewusst, dass noch immer Denkvoraussetzungen, Vorstellungen und Auslegungsmodelle, die wenigstens indirekt mit Interpretationen der Bibel unter antisemitischen Vorzeichen zu tun haben, unter der Oberfläche mancher Homilie oder gar wissenschaftlicher Auslegung verborgen sind. Eine Frage ist also, in welcher Form welches antijüdische Gedankengut auch in die neutestamentliche Wissenschaft mehr oder weniger latent bis in unsere Zeit hinein eingedrungen ist. Diese Gedanken, Vorstellungen und Modelle kritisch bewusst zu machen, kann nicht nur helfen, dem Fach Exegese wichtige Impulse zu verschaffen, sondern ist auch von Bedeutung für den jüdisch-christlichen Dialog. Die Herausgeber der BG selbst setzten ihre theologischen und publizistischen Tätigkeiten nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches vielfach fort.269 So haben auch die Analysen der späteren Werke Walter Grundmanns (1906–1976270) Karl-Wilhelm Niebuhr begründetermaßen zur These geführt, dass „eine deutliche Kontinuität“ sowohl in der Darstellung des Gottesverständnisses Jesu, der Eschatologie und des Verhältnisses zwischen Jesus und „dem Judentum“ erkennbar sei.271 Diese Kontinuität allerdings wurde gezielt 269 Nicht nur Grundmann, sondern auch die meisten anderen Institutsangehörigen „konnten nach dem Krieg ihre Laufbahn ungehindert fortsetzen“ (vgl. Heschel (1999), 160). Weitere biographische Beispiele bei Krondorfer (2006), 23–170. 270 Klee (2005), 207. Eien detallierte biographische Darstellung Grundmanns auch bei Arnhold I (2010), 126–146. 271 Vgl. Niebuhr, (2007), 259; ähnlich Schmitt: Grundmann habe seine höchst ideologische Arbeit der Zeit vor 1945 nicht revidiert, sondern bloß modifiziert und verdeckt weiterge-
1.5 Die Frage nach dem Fortleben von Ideen der Redakteure nach 1945
69
verschleiert, wie beispielsweise daran erkennbar wird, dass Grundmann 1938 den Lehrstuhl für „Völkische Theologie und Neues Testament“ in Jena besetzte272, in späteren Biographien, so in der seiner Monographie „Jesus von Nazareth. Bürge zwischen Gott und Menschen“ von 1975273 vorangestellten Kurzbiographie, aber nebulös als „Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament“ an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena bezeichnet wird. Die leitende Mitarbeit im „Institut“ wird dagegen völlig übergangen.274 Grundmann gelang es also trotz seiner Vorgeschichte, in der DDR wieder als renommierter275 Neutestamentler Fuß zu fassen. Trotz seiner Mitautorenschaft bei der BG sowie beim ebenfalls „entjudeten“‘ Katechismus „Deutsche Mit Gott“ wird er 1957 bis 1975 Rektor und Dozent für Bibel am Eisenacher Katechetenseminar. Prolingheuer weist auf die Ironie des Schicksals hin, dass Grundmann eben am Sitz des verflossenen ‚Entjudungsinstituts‘ zum Ausbildungsleiter der thüringischen Religionspädagogen wird.276 1974 bekommt er zudem den Titel ‚Kirchenrat‘ verliehen, was für das hohe Ansehen seiner theologischen Leistung in der Deutschen Demokratischen Republik spricht.277 Von der evangelischen Kirche wurde Grundmann außerdem in den 1960erJahren zum Berater und „Star-Exegeten“ in die Evangelische Verlagsanstalt in Berlin berufen, wo auch seine Evangelienkommentare erschienen,278 die bis heute in ihrer Überarbeitung durch Wolfgang Wiefel als „vielbeachtete“279 und „durchaus anerkannte“280 Standardwerke der Bibelwissenschaften geführt
führt (vgl. Schmitt (2006), 276), auch wenn es Grundmann gelingt, in seinen späteren Werken insgesamt viel subtiler vorzugehen bzw. „weniger drastisch zu formulieren“ wie es Deines umschreibt (vgl. Deines (2007), 59). 272 Vgl. Klee (2005), 207: „1936 Lehrauftrag Völkische Theologie und Neues Testament, 1938 Lehrstuhl in Jena“. Klee weist hier zudem auf die damalige Wohnanschrift Grundmanns in der „Adolf-Hitler-Str. 12a“ hin. Grundmanns konnte seine Tätigkeit in Jena auf die Vermittlung Lefflers hin, aufnehmen, zunächst einen Lehrauftrag (1936), dann seine Professur (1938). Grundmann nutzte seine Mitgliedschaft bei den Thüringer DC also auch als „Sprungbrett für seinen wissenschaftlichen Aufstieg“ und es gelang ihm schnell zum „führenden theologischen Kopf der Thüringer DC“ zu werden (vgl. Arnhold I (2010), 125). 273 Grundmann, Jesus von Nazareth (1975). 274 Vgl. Grundmann, Jesus von Nazareth (1975), 4. 275 Das lässt sich auch daran erkennen, dass seine ‚späten Werke‘ allesamt in namhaften Verlagen erschienen sind, v.a. in der Evangelischen Verlagsanstalt, in der er ja als Berater tätig war, aber auch im Calwer-Verlag und bei Töpelmann. 276 Prolingheuer, ‚Entjudungsinstitut‘ (1987), 21. 277 Vgl. Schmitt (2006), 538. 278 Vgl. Prolingheuer (1997), 84. 279 Fenske (2005), 214. 280 Heschel (1999), 161.
70
Kapitel 1: Zum Hintergrund
werden. Auf Grund des Bruches in seiner Biographie281 und der daraus resultierenden erzwungenen Publikationspause kann eine Entwicklung seiner Positionen in dieser Zeit nicht rekonstruiert werden, wohl aber können seine Werke vor und nach der Schreibpause verglichen282 und dabei eine „deutliche Kontinuität“ im Denken festgestellt werden.283 Tatsächlich ist die zwar breite ausdifferenzierte Argumentation Grundmanns nicht zu einer mehrschichtigen, tiefergehenden geworden, wie ein Blick in seine Publikationen zeigt.284 Auch von der Osten-Sacken schreibt, dass selbst die Passagen, die den Eindruck erwecken, dass Grundmann in seiner Abwertung des Judentums eine Kehrtwende gemacht habe, nur bei flüchtiger Lektüre überdecken könnten, „dass sie ausgesprochen flach obenauf liegen“, Grundmann aber „ständig selbst wieder verdunkelt“ habe, was er „für einen Moment als Stärke traditionstreuen jüdischen Lebens erfaßt […], sei es durch die seine Darstellung beherr281
1943 geriet Grundmann in Kriegsgefangenschaft, kehrte im Herbst 1945 zurück. 1947 wurde er dann zunächst als Mitarbeiter des Evangelischen Hilfswerks in Waltershausen beschäftigt, dann dort als Pfarrer rehabilitiert, ab 1954 Leiter des Katechetenseminars. Spätestens ab 1954 war Grundmann also wieder vollständig wiederhergestellt (Stegmann (1984), 104). 282 Vgl. Niebuhr (2007), 246. 283 Vgl. oben: Niebuhr (2007), 259. 284 Beispielsweise mildert Grundmann seine früheren Aussagen über die jüdische Vorstellung von einem harten Richtergott, die der besonderen Gottesbeziehung Jesu, die sich in der Abba-Anrede manifestiere, widerspreche, in seinen späteren Schriften ab. 1936 nennt Grundmann es – zunächst noch ohne die aramäische Abba-Anrede explizit zu erwähnen – eine „Ungeheuerlichkeit“, dass Jesus Gott mit einem Namen, und zwar „in abschreckender Weise“ mit dem Namen ‚Vater‘ und nicht dem „jüdischen Gottesnamen Jahwe“ anspricht, noch dazu „mitten im Alltag“. Der Gottesname sei bei den Juden nämlich üblicherweise „nur im Gottesdienst“ verwendet worden, „aus Furcht, das Gebot, das sich gegen den unnützen und falschen Gebrauch des Namens Gottes richtet, zu übertreten.“ Im Alltag dagegen „hatten sie allerhand Umschreibungen, wie ‚der Himmel‘, ‚der Ort‘ (wo Gott wohnt)“ usw. (vgl. Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 15). Er lässt aber keinen Zweifel am Kern seiner Meinung, dass die Abba-Anrede wesentliches Unterscheidungsmerkmal zum jüdischen Gebet war, indem er 1961 schreibt: „Wie es Jesus tut, so hat bisher noch kein Jude gebetet. Jesus nimmt darüber hinaus für sich in Anspruch, was im Judentum nur einzelnen Frommen vorbehalten war, für sich persönlich Gott Vater zu nennen, während es dem ganzen Volk erst in der kommenden Heilszeit gegeben wird (Jer. 3,19).“ (Grundmann, Lukas (1961), 230). Das Fazit dieser Befunde lautet also fast wie vor 1945: Abba ist auch für den späten Grundmann spezieller Ausdruck der Gottesbeziehung Jesu „ohne Analogie“ und steht im Unterschied zum jüdischen Gebet. Eine grundlegende gedankliche Änderung und Erkenntnis der Unhaltbarkeit seiner Aussagen kann also nicht festgestellt werden. Grundmanns Autobiographie bestätigt dies: „An diesem Jesusbild (…) habe ich mein Leben lang in immer neuen Ansätzen gearbeitet, überprüft, korrigiert, verbessert, aber sie haben mich zuletzt doch bestätigt.“ (Grundmann, Erkenntnis und Wahrheit (1969), 77ff; zitiert nach: Arnhold II (2010), 656, Anm. 671). Seine Grundpositionen hält Grundmann also „offenbar auch 1969 nicht für grundsätzlich verfehlt“ (Niebuhr (2014), 34).
1.5 Die Frage nach dem Fortleben von Ideen der Redakteure nach 1945
71
schende, zuvor zitierte Gesamteinschätzung jüdischen Lebens zur Zeit Jesu […], sei es durch eine Fülle von fragwürdige Einzelaussagen.“285 Aufschlussreich ist auch, wie Grundmann selbst über das „Institut“ und seine Rolle bei der „Entjudung“ dachte. Bereits im Spätsommer 1945 meldete er sich „mit einer 23seitigen Denkschrift“ aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück,286 die sich liest, „als ob da ein Verfolgter des Naziregimes um gefällige Anerkennung bittet“.287 Dabei wählte Grundmann die einfache Methode der Pauschalisierung: Aus der „von Hitler und der positiv-christlichen Mehrheit der NSDAP so nachdrücklich verhöhnten und bekämpften religiösen Dreimillionensekte der ‚Gottgläubigen‘ wurde flugs der Nationalsozialismus, die NSDAP, das ‚Nationalsozialistische System‘ bzw. die ‚nationalsozialistische Gewaltherrschaft‘.“288 Grundmann „bat die Kirchenoberen dringend, das Institut zu erhalten“289 und begründet dies damit, dass auch „nichtdeutsche Wissenschaftler zu den gleichen Schlüssen gekommen“ seien und die Institutsarbeit daher „nicht nur als Ausdruck von ‚Zeittendenzen‘“ betrachtet werden könne: Vielmehr sei die „Erkenntnis“, „daß Jesus vom Alten Testament unabhängig sei und zum Judentum seiner Zeit im Gegensatz gestanden habe“, das „Ergebnis ernsthafter Wissenschaft, die fortgeführt werden müsse“.290 In seinem zweiten Begründungsansatz stellt Grundmann die Arbeit des Instituts als „Verteidigung des Christentums gegen den Nationalsozialismus“ dar und „verkehrt die kirchenhistorische Wahrheit“ auf diese Weise noch zusätzlich:291 „Das nationalsozialistische System führte den Kampf gegen das Christentum mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln unter zwei Schlagworten und erstrebte die völlige Ausschaltung der Kirchen aus dem öffentlichen Leben. Diese beiden Schlagwortreihen besagten: (1.) Das Christentum ist jüdischen Ursprungs, ist also Judentum für Arier und muß deshalb ausgerottet werden... (2.) Alle großen Deutschen verharrten im Charakterprotest gegen das Christentum und die Kirchen... Nicht aus dem Christentum, sondern aus der nordischen Rasse kommen die großen Leistungen abendländischer Kultur.“292
285
Osten-Sacken (2002), 307. Prolingheuer (1997), 82. 287 Prolingheuer (1997), 82. 288 Prolingheuer (Prolingheuer, ‚Entjudungsinstitut‘ (1987), 21) zitiert hier Grundmann in seiner ‚Denkschrift‘, 21. 289 Heschel (1999), 159, vgl. Schmitt (2006), 538. 290 Vgl. Heschel (1999), 159f.; Heschel zitiert hier aus DC III 2a, 12.12.1945, LKA Thüringen. 291 Prolingheuer (Prolingheuer, ‚Entjudungsinstitut‘ (1987), 21). 292 Grundmann in seiner ‚Denkschrift‘, zitiet nach Prolingheuer (Prolingheuer, ‚Entjudungsinstitut‘ (1987), 21). Vgl. Heschel (1999), 159f.; Heschel zitiert hier aus DC III 2a, 12.12.1945, LKA Thüringen. 286
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
Aber Grundmanns Argumentation zeigte keine Wirkung, und sein Vorschlag, das Institut zu erhalten, wurde im Januar 1946 abgelehnt.“293 Doch die Einsicht in sein Tun scheint damit nicht gewachsen zu sein. Noch in seiner unveröffentlichten Lebenserinnerung „Erkenntnis und Wahrheit“ (1969) gab er sich als Opfer des Nationalsozialismus aus und rechtfertigt sich mit dem Satz: „Die Liebe zu Jesus hat uns bestimmt“294. Selbstkritik, Schuldbewusstsein oder Reue finden sich bei Grundmann tatsächlich kaum; vielmehr wollte er wohl zeigen, „dass er trotz aller äußeren Umbrüche der Zeiten und Verhältnisse in seinem Leben einem im Großen und Ganzen geraden Weg gegangen ist, der ihn bei seiner Wahrheitssuche zu mancherlei Erkenntnissen geführt hat.“295 Die Biographie Grundmanns kann somit erstens durch die baldige Fortsetzung seiner Karriere, zweitens durch die an vielen Stellen nachweisbare Kontinuität des Denkens in seiner schriftstellerischen Tätigkeit, also einen „wenig verhüllten theologischen Antijudaismus“296 und drittens durch seine mangelnde Einsicht sein Tun vor 1945 als typisches Beispiel für das versteckte Fortleben des im Nationalsozialismus lebendigen Antijudaismus gelten. Prolingheuer stellt ernüchternd, aber treffend fest: „Die Warnung Bert Brechts
293
Vgl. Heschel (1999), 159f. Aus der unveröffentlichten Autobiographie Grunmanns (Grundmann, Walter: Erkenntnis und Wahrheit (1969)), zitiert nach Wagener (2002), 35–69, vgl. Prolingheuer (1997), 85. Der Text im Zusammenhang lautet: „…Die Liebe zu Jesus hat uns bestimmt, ihn den Deutschen, die … Christentum als Judentum für Nichtjuden verstehen sollten, in seiner das Judentum überschreitenden Intention darzustellen … Daß diese zu einer Vereinseitigung führte, bestreite ich nicht, aber sie mußte aus der sehr komplizierten Situation, in der wir uns befanden, als eine Notwendigkeit des Zeugnisses in Kauf genommen werden. Ich weiß von viele Menschen, denen diese Arbeit geholfen hat, in einer Zeit des großen Abfalls sich zu Christus zu bekennen und bei ihm zu bleiben. … Wenn man uns, die wir die notvolle Situation der Christenheit in Deutschland nach der Kristallnacht 1938 [!] zum Ausgangspunkt unserer Arbeit nahmen, wie Bilderstürmer ansieht und als Konformisten beurteilt, so wird uns Unrecht getan…“ (vgl. Wagener (2002), 68). Seine Begeisterung für den Nationalsozialismus erklärt Grundmann so: „Jedenfalls glaubte und hoffte ich, der Nationalsozialismus werde die Lösung der deutschen Frage herbeiführen, die er in seinem Namen und Programm sprach. Daß dies nicht geschah, […] ist für mich eine menschliche und deutsche Tragödie aus Hybris und Verblendung. […] Keiner von uns, die wir ehrlich begeistert waren für den Nationalsozialismus, hatte im Traum daran gedacht, daß hinter solchen Worten sich Verbrechter tarnten und das Vertrauen der Vielen zu Verbrechern mißbrauchten.“ (Grundmann (1969), 43; zitiert nach Niebuhr (2014), 34). Grundmann sieht sich einem tragischen Irrtum, einer „bewussten Täuschung durch die nationalsozialistischen Machthaber ausgeliefert, die sich Vertrauen und sein Engagement für das deutsche Volk und seine Kirche missbraucht hätten“ (vgl. Niebuhr (2014), 34). Ähnlich Schüfer (2014), 75: „Walter Grundmann war nicht in der Lage, sich mit seiner Mitschuld auseinanderzusetzen.“ 295 Vgl. Niebuhr (2014), 31. 296 Vgl. Lattki (2014), 78. 294
1.6 Die deutschchristliche Bewegung, das „Institut“ und der NS-Staat
73
trifft also auch die Kirchen: ‚Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!‘“297
1.6 Geschichtliches in aller Kürze: Die deutschchristliche Bewegung, das „Institut“ und der NS-Staat 1.6 Die deutschchristliche Bewegung, das „Institut“ und der NS-Staat
Außerdem ist es für die Arbeit an den Texten der ‚Botschaft Gottes‘ unerlässlich, den geschichtlichen Hintergrund zumindest in aller Kürze streiflichtartig zu beleuchten. Während kurze Informationen zu Walter Grundmann, zu den anderen BG-Redakteuren ebenso wie zu weiteren deutschchristlichen Autoren sich jeweils direkt im Text bzw. in erläuternden Fußnoten finden, sollen hier noch einige Fakten zu der (zugegebenermaßen vielschichtigen, aber dennoch für den gedanklichen Hintergrund der BG maßgeblichen) Gruppierung der „Deutschen Christen“ und natürlich dem herausgebenden „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ 298 erwähnt werden. Im Blick auf Grundmanns Selbstrechtfertigung, man hätte im „Institut“ das Christentum gegen den Nationalsozialismus verteidigen wollen, sei zudem ein Wort über das Verhältnis des NS-Staats zu den Deutschen Christen angefügt. Das „Institut“, das als Herausgeber der BG sowie weiterer Schriften fungierte, war eindeutig deutschchristlich geprägt. Laut Tagungsbericht fand die Eröffnung am 6. Mai 1939, also noch vor Kriegsbeginn, in Eisenach auf der Wartburg mit einem Festakt statt.299 Der Teilnehmerkreis von elf Gründerund Trägerkirchen war erstaunlich groß angesichts der Zersplitterung der deutsch-christlichen Bewegungen in Deutschland.300 Auch waren die Vertreter durchaus hochkarätig: Mehr als 50 Theologieprofessoren, Dutzende Nachwuchswissenschaftler, rund 100 Pastoren und Bischöfen sowie zahlrei297
Prolingheuer (1997), 84. Für einen tiefergehenden Einblick sind hier die stark historisch ausgerichteten Publikationen interessant, v.a. (1) Prolingheuer, ‚Entjudungsinstitut‘ (1987) (2) Prolingheuer (1997), und auf dem aktuellen Forschungsstand (3) Arnhold II (2010). 299 Heim (2009), 792, FN 3. Hier findet sich der Tagungsbericht im Original. S. ebenso Siegele-Wenschkewitz (2000), 118. Die Willenserklärung der elf evangelischen Kirchenleitungen war bereits am 4. April 1939 abgegeben worden (vgl. Arnhold (2014), 54). In der durch ihren Bezug zu Luther symbolträchtigen Wartburg (ebd. 49) feierte man im historischen Wappensaal des Wartburghotels (ebd. 55), wie selbstverständlich war der Saal auch mit einer Hakenkreuzfahne ausgestattet (ebd. 58). 300 Prolingheuer nennt „Altpreußen, Sachsen, Nassau-Hessen, Schleswig-Holstein, Thüringen, Mecklenburg, Pfalz, Anhalt, Oldenburg, Lübeck und die neudeutsche Evangelische Kirche in Österreich. Keineswegs also nur Repräsentanten des ‚nationalkirchlichen‘ Restes jener ‚Deutschen Christen‘, die in Thüringen, Bremen, Lübeck und Mecklenburg das kirchenamtliche Sagen haben“ (Prolingheuer (1997), 67). 298
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
chen Laien zählten bald zu den Mitgliedern.301 Grundmann wurde zum akademischen Direktor dieses neu gegründeten „antisemitischen PropagandaInstituts“ ernannt, das den Bemühungen der ‚Deutschen Christen‘ institutionelle Gestalt verlieh. Im Dienste des nationalsozialistischen Staates wurde hier die „Entjudung“ des Christentums betrieben: so gab es „eine ‚entjudete‘ Fassung des Gesangbuchs, des Neuen Testaments, des Katechismus und weiterer religiöser Schriften.302 Neben weiteren wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen gab es auch „Konferenzen und Tagungen, die regelmäßig zwischen 1939 und 1945 stattfanden“.303 Zusätzlich zu diesen Aufgaben als Forschungsinstitut und Bibelgesellschaft sollte das Institut auch als Schule zur Aus- und Fortbildung für Pfarrer, Lehrer und Kirchenvertreter dienen; diese waren es schließlich, die für eine flächendeckende Weitergabe der Erkenntnisse des Instituts sorgen sollten. Faktisch fungierte das „Institut“ aber mehr zugunsten antisemitischer Propaganda als zu wissenschaftlichen Forschungen.304 Hintergrund der Institutsgründung war außerdem auch die Positionierung gegen neuheidnische Gruppierungen, die der christlichen Kirche ihre jüdischen Wurzeln vorwarfen und die Abkehr vom Christentum propagierten.305 Die Breitenwirkung des Instituts kann dabei kaum unterschätzt werden, wie die Tatsache zeigt, dass es auch in Siebenbürgen einen Ableger gab. Im November 1941 trat die Evangelische Landeskirche A.B.306 in Rumänien zunächst dem Förderkreis des Eisenacher Instituts bei, fünf Monate später initiierte man in Hermannstadt eine eigene Arbeitsgemeinschaft,307 deren erste Tagung ebendort von 4. bis 5. März 1942 stattfand.308 Man orientierte sich stark an Grundmann und dem Eisenacher Institut und hatte die identische Zielsetzung,309 verrichtete also auch hier „wissenschaftliche Arbeit für einen
301
Vgl. Heim (2009), 792, FN 3. Eber schreibt zur Größenordnung: „Ein Kreis von etwa 190 Freunden unterstützte die Forschungstätigkeit; an Tagungen nahmen einige hundert Personen Teil“ (Eber (2009), 29). 302 Heschel (2001) 373. Vgl. Prolingheuer, Schuld (1987), 134. 303 Vgl. Siegele-Wenschkewitz (2000), 119. 304 Vgl. Schmitt (2006) 538. 305 Vgl. Arnhold (2014), 52. Arnhold weist hier auf diesen apologetischen Aspekt der Institutsgründung hin: Man habe sich gegen deren seit 1938 akute christentumsfeindliche Propaganda richten wollen, die auch die deutschchristliche Synthese von Christentum und Nationalsozialismus ablehnte mit dem Argument, Christentum sei nichts anderes als Judentum für Nichtjuden. 306 A.B. = nach dem Augsburger Bekenntnis (= die lutherische Kirche). 307 Schuster (2013), 68. 308 Schuster (2013), 70. 309 „In der Arbeitsgemeinschaft gehe es nicht um den Beweis eines Gegensatzes von Christentum und Judentum, ein solcher wurde ohnehin vorausgesetzt. Die bevorstehenden Forschungen sollten den jüdischen Einfluss auf das Christentum aufzeigen, um in einem
1.6 Die deutschchristliche Bewegung, das „Institut“ und der NS-Staat
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praktischen Zweck“.310 Konkret war dabei die BG als obligatorisches Unterrichtsmaterial vorgeschrieben.311 Dabei bestand bei der Hermannstädter Arbeitsgemeinschaft ein stärkeres Interesse an der direkten Umsetzung der bereits vorhandenen Ergebnisse, in Eisenach dagegen an der wissenschaftlichen Erforschung des jüdischen Einflusses. Das langfristige Ziel, „die Etablierung eines ‚entjudeten‘, arteigenen Christentums innerhalb einer nationalsozialistischen deutschen Volksgemeinschaft“ war beiden gemeinsam.312 Über eine dritte Tagung hinaus, die von 6. bis 7. Juli 1943 stattfand und u.a. die „Zusammenstellung von Führerworten über den Glauben“ präsentierte313, ist bisher nichts weiter über das Institut bekannt.314 Vermutet werden kann, dass die BG im Umfeld der Arbeitsgemeinschaf im täglichen Gebrauch und bei den Gottesdiensten verwendet wurde.315 Interessant für die Einordnung der Arbeit des Weimarer Instituts ist seine Stellung innerhalb der deutschchristlichen Strömungen. Es kann, trotz einiger Schwierigkeiten, als ein „Gemeinschaftsprojekt“ bezeichnet werden, bei dem es den „Nationalkirchlern“ 316 „gelang, auch eine Reihe von Universitätstheologen für die Gemeinschaftsarbeit und Publikationstätigkeit in diesem Institut zu gewinnen. Kirchenpolitisch hatten die nationalkirchlich orientierten Thüringer Deutschen Christen als Kirchenbewegung DC317 schon seit 1935 verzweiten, praktischen Arbeitsschritt die Kirche von jenen jüdischen Einflüssen bereinigen zu können“ (vgl. Schuster (2013), 71). 310 Schuster (2013), 72. 311 Schuster (2013), 73. Außerdem wurde schon bei der ersten Tagung in Hermannstadt die Schlussnote aus der BG verlesen (vgl. Bergen (1996), 162. Bergen zitiert hier aus dem zeitgenössischen Bericht über die Gründungstagung vom Scheiner (1942), 7. 312 Vgl. Schuster (2013), 83. 313 Schuster (2013), 77 berichtet, Dr. Walter Scheiner vom Forschungsinstitut der Deutschen Volksgruppe in Rumänien habe diese Zusammenstellung auf der Grundlage gedruckter Schriften Hitlers vorgenommen. 314 Hier ist noch weitere Archivarbeit nötig. Schuster geht davon aus, dass man bisher über einen kleinen Ausschnitt der eigentlichen Arbeit der Arbeitsgemeinschaft informiert ist. 315 Schuster (2013), 80. 316 Ziel dieser Gruppierung war eine gemeinsame Kirche für alle Deutschen, die „deutsche christliche Nationalkirche“ die „aus dem gemeinsamen Urgrund allen kirchlichen Lebens“ wieder wachsen müsse und werde, eine Kirche „im besten Sinne des Wortes“ (Thieme (1939), 13). Zu den Thüringer DC als Nationalkirchlern vgl. Arnhold I (2010), 152–156. 317 „Die ‚Thüringer Nationalkirchliche Bewegung (Deutsche Christen)‘ von 1927 war die älteste der bestehenden D.C.-Gruppierungen […] Die erste Satzung der damaligen „Kirchenbewegung ‚Deutsche Christen‘ (Nationalkirchliche Bewegung)“ vom Dezember 1933 gliederte die Bewegung NS-konform in die Reichsgemeinde mit Sitz in Weimar und die Landesgemeinden. Die Richtlinien endeten mit der Losung ‚Ein Führer! – Ein Volk! – Ein Gott! – Ein Reich! – Eine Kirche!‘, womit durchaus eine inhaltliche Reihenfolge gemeint war“ (Satzungen vom 9.12.1933). Im Februar 1938 wurde per Reichsgesetz die Benutzung des ‚Parteibegriffes‘ ‚Bewegung‘ untersagt und die Zwangs-Umbenennung zu „Nationalkirchliche Einung“ erfolgte (vgl. Weitenhagen (2006), 344). Buchheim weist darauf hin, dass sie „unter
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
sucht, die Zersplitterung der Deutschen Christen zu überwinden.“318 Die oben erwähnten Landeskirchen hatten sich „im Zusammenhang mit Einigungsbestrebungen der während der NS-Zeit entstandenen kirchenpolitischen Gruppierung der NS-freundlichen Deutschen Christen“ auf ein „Grundsatzdokument“, „die sogenannte Godesberger Erklärung“ verständigt.319 Mit dieser Erklärung, die die „gemeinsame Grundlage“ bilden sollte, wurde die Gründung des Instituts angekündigt.320 Die Institutsgründung erfolgte relativ spät. Vorher hatten z.B. bereits Eingriffe in die Fakultät in Jena stattgefunden321 und es hatte eine „durchgreifende Reform“ und „Umstrukturierung“ der theologischen Fakultäten und des theologischen Studiums gegeben, u.a. wurde der Fachbereich Altes Testament zum „Lehrstuhl für Religionsgeschichte des vorderen Orients“ und Einzelauslegungen alttestamentlicher Bücher fielen „zugunsten umfassender religionsgeschichtlicher Vorlesungen weg.“322 den deutsch-christlichen Gruppen bei weitem am meisten Substanz und echte Probleme und die gefährlichsten Irrtümer aufzuweisen“ hatte und „das Werk der beiden Pastoren Julius Leutheuser und Siegfired Leffler, die bis zuletzt von Hitlers Sendung überzeugt waren, ohne je aufzuhören, an Christus zu glauben“ war (vgl. Buchheim (1953), 48). Zu den Thüringer Deutschen Christen siehe die Darstellung bei Arnhold I (2010), 77–89, 149–177. 318 Vgl. Meier (1992). 143f. Mit dem Ziel, eine „judenfreie Nationalkirche“ zu schaffen, waren sie bereit, „allen traditionellen Ballast“ und vor allem „das AT als ‚Judenbuch‘“ über Bord zu werfen (vgl. Nicolaisen (1966), 90). Zur Geschichte der Deutschen Christen siehe die detaillierte Darstellung bei Arnhold I (2010) von der Gründung 1928 durch Leffler und Leutheuser im Wieratal bis zur Godesberger Erklärung 1939. 319 Vgl. Siegele-Wenschkewitz (2000), 118. Genaue Informationen zur Godesberger Erklärung und zur Vorgeschichte bei Arnhold I (2010), 432–454: Am 15. März 1939 kamen auf Anregung Lefflers in Berlin die DC-Kirchenleiter von Lübeck, Sachsen, Mecklenburg, Anhalt, Thüringen sowie der Altpreußischen Union zusammen und gründeten einen Arbeitskreis für eine enge Zusammenarbeit ihrer Landeskirchen mit dem Leitbild, sich an die nationalsozialistische Weltanschauung und die nationalsozialistische Volksordnung zu binden und dem Anspruch, die Mehrheit im deutschen Protestantismus zu vertreten (ebd. 433). Dieser Arbeitskres traf sich am 25. und 26. März 1939 mit „Nationalkirchlern“ und unterzeichnete eine ganz ähnliche Erklärung, die „Godesberger Erklärung“, die ebenfalls den Dienst für Hitler festschreibt und den „unüberbrückbaren Gegensatz zum Judentum“ proklamiert. Eine weitere Erklärung, in Anlehnung an die Godesberger Erkärung, wurde dann am 4. April 1939 sogar von 11 Landeskirchenregierungen unterzeichnet (ebd. 435–440). Unübersehbar ist, dass sich die Grundsätze der Godesberger Erklärung vollständig mit den Zielen der ‚Nationalkirchler‘ deckten, es den Thüringer DC also gelungen war, ihre Vorstellungen zur Grundlage der Leitlinien für elf evangelische Landeskirchen zu machen (ebd. 441). 320 Vgl. Siegele-Wenschkewitz (2000), 119. 321 Das Volksbildungsministerium in Weimar erwirkte, daß der Professor für Praktische Theologie, Macholz, seinen Lehrstuhl aufgeben musste, da Siegfried Leffler (1900–1983) für seinen alten Freund Wolf Meyer-Erlach (1891–1982) eine Wirkungsmöglichkeit in Thüringen schaffen wollte (vgl. Schüfer (1998), 95). 322 Vgl. Schüfer (1998), 99., alle Zitate aus ThHStAW, ThVBM, 3425, 128–138.
1.6 Die deutschchristliche Bewegung, das „Institut“ und der NS-Staat
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Ab 1938 wurde dann allerdings „immer stärker deutlich, daß die nationalsozialistische Führung an der Zukunft der Kirchen ebensowenig Interesse hatte wie an den theologischen Fakultäten.“323 In diese Zeit hinein fiel dann die Gründung des „Instituts“, das sich „als neues Betätigungsfeld für die deutsch-christlichen Professoren“ erwiesen habe.324 Auch zeigt sich in der Institutsgründung das zunehmende Selbstbewusstsein der nationalkirchlichen Bewegung gegenüber dem Reichskirchenministerium; man versuchte nun, die Impulse der „Godesberger Erklärung“ umzusetzen. Allerdings unterlag das „Institut“ genauso der nationalsozialistischen Kirchenpolitik wie alle anderen kirchlichen Organisationen.325 Obwohl die Deutschen Christen also „kirchliche Unterstützung für Hitler organisieren und in den Kirchen selbst nationalsozialistischer Propaganda zum Durchbruch verhelfen“ wollten, liegt der „Höhepunkt“ der „antijüdischen Agitation der Deutschen Christen“ bereits bei der SportpalastKundgebung im November 1933 in Berlin.326 Auch wenn der „Höhepunkt“ aus heutiger Perspektive so früh festgesetzt werden muss, waren doch die Institutsmitglieder bei der Gründung voller Euphorie. Grundmann schreibt, man sei der „Überzeugung“, „daß der jüdische Einfluß auf allen Gebieten des deutschen Lebens entlarvt und gebrochen werden muß, also auch auf dem religiös-kirchlichen“ und man sei nun „entschlossen, diese Aufgaben anzufassen. […] Die Werdegesetze deutschen religiösen Lebens und deutscher christlicher Erfahrung aufzuzeigen und die entartenden und gefährdenden fremden Einflüsse zu enthüllen, das ist die große und umfassende Aufgabe, die vor uns steht und deren Lösung uns im Blick auf die vor uns liegenden Zeiten unabdingbar erscheint.“327 Trotz der Bemühungen der „Deutschen Christen“ und später dann des „Instituts“, eine Synthese von Christentum und Nationalsozialismus zu schaffen, stand der nationalsozialistische Staat beiden schon bald merklich distanziert gegenüber. Stegmann spricht davon, dass Hitlers ablehnende Handlung „wohl spätestens 1935, vielleicht schon von Anfang seiner politischen Tätigkeit an“ bestanden habe, da er „das Christentum jeder Art, auch das sogenannte Deutsche Christentum, als eine der Erscheinungsformen des von ihm verhaßten Judentums ansah.“328 Buchheim sieht dagegen Hitlers funktionalen Religionsbegriff als Grund der Ablehnung. Er habe Religion nur als Mittel betrachtet, das „der Erreichung politischer Zwecke dienlich sei“ als „Energiequel323
Schüfer (1998), 99. Vgl. Schüfer (1998), 100. 325 Vgl. Böhm (2008), 216. 326 Jung (2008), 217. 327 Walter Grundmann informiert hier den damaligen Reichskirchenminister Kerrl am 8. September 1939 über die Arbeit des Instituts, vgl. die Quellensammlung von Löw (2012), 95. 328 Stegmann (1984), 36. 324
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le“329 und dem Volke „als ein Vorrat zur Erbauung“ dienen könne330. Dagegen habe Hitler völlig die Bereitschaft gefehlt, die Ereignisse und Entschlüsse seines Lebens auf eine andere, überlegene Sphäre zu beziehen und sich somit von anderen Faktoren als von sich selbst bestimmen zu lassen331 und ihm seien nicht nur die strenggläubigen Kirchen, sondern auch die Deutschen Christen rasch suspekt geworden, „sobald man gewahr wurde, dass sie im Ernst religiösen Prinzipien maßgeblichen Einfluß auf ihr Tun einräumen wollten.“332 Auch Hitler selbst schreibt der Religion vor allem die Funktion zu, einen „starken, heldenhaften Glauben“ zu vermitteln. Dazu sei aber ein deutsches Christentum nicht nötig, dies sei sogar „Krampf“: „Für unser Volk aber ist entscheidend, ob sie den jüdischen Christusglauben und seine weichliche Mitleidsmoral haben oder einen starken, heldenhaften Glauben an Gott in der Natur, an Gott im eigenen Volke, am Gott im einen Schicksal, im eigenen Blute. […]. Eine deutsche Kirche, ein deutsches Christentum ist Krampf. Man ist entweder Christ oder Deutscher. Beides kann man nicht sein. […] Wir werden den Weg zurückgehen: Ostern ist nicht mehr Auferstehung, sondern die ewige Erneuerung unseres Volkes, Weihnachten ist die Geburt unseres Heilandes: des Geistes der Heldenhaftigkeit und Freiheit unseres Volkes.“333
Doch obwohl die Zuneigung der NSDAP zu den Deutschen Christen bereits 1935 „reichlich abgekühlt“ war, bestanden viele Kooperationen, zum Beispiel in Thüringen zwischen dem „berüchtigten Gauleiter Fritz Sauckel“ und dem Leffler, der 1933 „als Kontaktperson zwischen dem Thüringer Staat und der Thüringer evangelischen Kirche oder, anders ausgedrückt, zwischen der NSDAP und den Deutschen Christen, ins Thüringer Volksbildungsministerum berufen worden war und bis 1945 darin verblieb.“334 Möglich ist, dass erst der Widerstand aus kirchlichen Kreisen den „braunen Führern“ die große Überraschung brachte, „dass sich geistliche Dinge nicht dirigieren lassen wie andere Organisationen, z.B. Parteien und Sportvereine“: Es sei den Deutschen Christen auf Dauer ja nicht gelungen, die evangelischen Christen, die ihre Zugehörigkeit zur Kirche ernst nahmen, für ihre Sache zu gewinnen. Und daher gab es schon bald „auf verschiedenen Parteischulungen Stimmen, die das Christentum insgesamt ablehnten“, obwohl die Deutschen Christen versuchten, durch Kundgebungen für Hitler und den Staat auf jede Weise den Machthabern gefällig zu sein. Allerdings:
329
Vgl Buchheim (1953), 19. Vgl. Buchheim (1953), 36. 331 Vgl. Buchheim (1953), 35. 332 Buchheim (1953), 37f. 333 Rauschnigg (1943), 50f. Rauschnigg datiert das Treffen nicht genau, berichtet aber chronologisch. Es dürfte demnach im Sommer 1932 stattgefunden haben. 334 Vgl. Stegmann (1984), 85. 330
1.6 Die deutschchristliche Bewegung, das „Institut“ und der NS-Staat
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„Man kam ja nicht daran vorbei, dass Jesus aus dem Judentum kam, dem man den Tod geschworen hatte. Alle kläglichen Versuche, Jesus zum Arier zu stempeln, fruchteten nichts.“335
Die Anpassungsbemühungen der Deutschen Christen wurden zunehmend kritisch gesehen, wie eine „Ohrfeige“ für die Deutschen Christen vom 11. August 1939 belegt, als auf Anordnung eines Stellvertreters des Führers die Hakenkreuze von den Kirchen entfernt werden mussten, die einige „eifrige deutsch-christliche Pfarrer“ „in einer Kombination mit dem Christuskreuz“ auf den Kirchtürmen angebracht hatten.336 Von deutschchristlicher Seite aus war dagegen gerade in den frühen Jahren der Wunsch nach einer Verbindung von Nationalsozialismus und Christentum sehr stark: Leutheuser plädiert 1935 für „volksaufbauendes“ Verhalten aus dem Geiste Christi,337 da der „totale“ Nationalsozialismus auch die Seele der Menschen verlange.“338 Die Auseinandersetzung der Kirchen mit dem nationalsozialistischen Staat wird von Leutheuser als unumgänglich dargestellt. Auch beschreibt Leffler wie elektrisiert Hitler als den „Fels in weiter Wüste“ und eine „Insel auf endlosem Meer“, da es eine „Tatsache“ sei, dass Hitler „in der stockdunklen Nacht christl.-kirchlicher Geschichte“ „das wunderbare Transparent, das Fenster wurde, durch das Licht auf die Geschichte des Christentums fiel. Durch ihn hindurch vermochten wir den Heiland in der Geschichte der Deutschen zu sehen. […] Er ist das Organ, durch den das Wörtchen ‚Deutsch‘ mit Leben, ja mit Ewigkeitswert gefüllt wurde.“339 Auch Richard Barth340 beschreibt „Adolf Hitler und seine Mitkämpfer“ als Vorreiter im Glauben und nennt die Zeit bis zur Machtergreifung „erbärmliche Jahre“,341 bis der Führer die „guten Geister“, nämlich „Treue, Tapferkeit, Ehre, Freiheit, Pflicht, Opferwille“, wieder erweckt hätte.342 Genau diese „guten Geister“ werden sich auch in der BG als betonte Begriffe zeigen. Die Deutschen Christen machten aus ihrer Verehrung für Hitler kein Hehl und drucken 335
Stegmann (1984), 85. In Thüringen waren die Kirchen von Gera-Pfordten, Holzthaleben, Westerengel und Hopfgarten von der Verfügung betroffen, vgl. Stegmann (1984), 86. 337 Leutheuser schätzt aber die damalige Lage in Deutschland so ein, dass gegenwärtig, „volkszersetzendes Verhalten mit Berufung auf Christus“, also „negatives Christentum […] mehr verbreitet ist als positives Christentum“, also „volksaufbauendes Verhalten aus dem Geiste Christi“ (vgl. Leutheuser/Fascher (1935), 8). 338 Leutheuser/Fascher (1935), 8. 339 Leffler, Christus im Dritten Reich (1935), 29. 340 Prof. Dr. Richard Barth, Jena, war ebenfalls Institutsmitglied (vgl. Prolingheuer, Schuld (1987), 150), außerdem 1928 Dozent /1930 Prof. am Pädagogischen Institut in Jena, 1937 NSDAP-Mitglied. 1945 vom Dienst beurlaubt, 1946 Volksschullehrer in Jena (vgl. Biogramme im Anhang zu Seidel (1998), 266). 341 Barth, Krisis im ev. Religions-Unterricht (1937), 107. 342 Barth, Krisis im ev. Religions-Unterricht (1937), 108. 336
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Kapitel 1: Zum Hintergrund
auch noch 1941 im Gesangbuch „Großer Gott wir loben dich“ neben Kirchenliedern auch Lieder ‚Für Familie und Hausgemeinde‘ ab. Im Kapitel ‚Von frommer deutscher Lebensart‘ findet sich hier auch das ‚Gebet für Führer und Volk‘: „Allmächtiger! Froh schwingt sich zu dir auf Des Herzens Dank und Preis. Halt über unsern Führer Deine Wacht Und segne seine Hand! Bleib du mit uns; Gibt Kraft dem Volke Schütze Reich und Land!“343
Die Deutschen Christen und das Institut wurden also gerade nicht auf politische Initiative tätig, wie die Zielangaben der Redaktion, Christentum und Nationalsozialismus verbinden zu wollen, vermuten lassen. Man war offensichtlich wirklich davon überzeugt, auf diese Weise einen Beitrag zur religiösen Erneuerung des Volkes leisten zu können. Dabei bestand „keine finanzielle oder organisatorische Verflechtung mit staatlichen Stellen, das Institut blieb bis zu seiner Auflösung 1945 ein von Landeskirchen getragenes Institut mit Sitz in Eisenach“344. Trotz mangelnder staatlicher Unterstützung schienen die deutschchristlichen Autoren und damit auch die BG-Redaktion nicht an ihrem Vorhaben zu zweifeln. Grundmann verbindet die angestrebte Eigenständigkeit des Instituts mit dem Gedanken, einen Beitrag zum Kampfesgeschehen leisten zu wollen: „Die Forschungs- und Gestaltungsarbeit des Instituts gehört keiner Konfession oder religiösen Gruppe, sondern allein dem frommen deutschen Leben. Im großdeutschen Schicksalskampf, der ein Kampf gegen das Weltjudentum und gegen alle zersetzenden und nihilistischen Kräfte ist, gibt die Arbeit des Instituts an ihrem Platze das Rüstzeug zur Überwindung aller religiösen Überfremdung im Innern des Reiches an die Hand und dient dem Glauben im Reich. So stellt sie ein Stück des Kriegseinsatzes der deutschen Religionswissenschaft dar. […] Das Motto aber unserer Arbeit lautet: Jetzt und allezeit dem Reich und seinem Führer! JENA, den 1. Oktober 1941, Walter Grundmann“345
Die einseitige Verehrung des „Führers“ macht es umso spannender, sich die Texte der BG nun im Detail anzusehen. Bisher ließen die Aussagen der Redaktoren ja eher vermuten, dass eben das, was Hitler als Funktion der Religion bestimmt, nämlich die Schaffung eines „starken, heldenhaften Glauben“, betont wurde. 343
Großer Gott wir loben dich (1941), 1941, 406. Schuster (2013), 64, vgl. schon Bergen (1996), 3. 345 Grundmann, Vorwort (1942), ohne Zeitenzahl. 344
1.6 Die deutschchristliche Bewegung, das „Institut“ und der NS-Staat
81
Im Hintergrund muss dabei stets behalten werden, dass das Tun der BGRedaktoren keineswegs in einem luftleeren Raum geschah. So können weder die antisemitische Gesetzgebung noch die antisemitische Propagandamaschinerie an den BG-Redaktoren vorbeigegangen sein. Eine dieser Propagandamaßnahmen mit großer Breitenwirkung war der „als Dokumentation ausgegebenen antisemitischen Hetzfilm ‚der Ewige Jude“346, der eben im Erscheinungsjahr der BG, im Herbst 1940 uraufgeführt wurde. Das Resultat der vernichtenden Einstellung den Juden gegenüber sind die unfassbaren und tragischen Opferzahlen von – Millionen Juden bis zum Kriegsende.347
346
Vogt (2003),10. Die Produktion diese Films wurde 1939/40 „von Goebbels initiiert und überwacht“ (vgl. Friedländer (1998), 116). 347 Vogt (2003), 10
82
2.1 Einführung
Kapitel 2
Jesus und das Judentum – der Messias-Begriff in der BG 2.1 Einführung 2.1 Einführung „Am Anfang des Christentums steht nicht ein Buch, sondern die Person des Juden Jesus von Nazaret. Aber auch er lässt das Christentum nicht als Religionsgründer entstehen, sondern der Glaube seiner Jünger, dass er der Messias (Christus) sei, legt den Grundstein für das spätere Christentum, das zu Anfang nur als Bekenntnis innerhalb des Judentums erscheint.“1
Eben diese christologische Basisaussage, die uns heute so selbstverständlich scheint, wäre für die ‚Deutschen Christen‘ unmöglich zu akzeptieren gewesen. Grundmann beschreibt die Frage nach der Messianität, von ihm als „Messiasproblem“ bezeichnet, sogar als die Kernfrage der Christologie seiner Zeit: „Das Messiasproblem hat eine weittragende Bedeutung. Denn wenn Jesus der Messias gewesen ist, dann hat die Kreuzesinschrift recht: ‚Jesus von Nazareth, der König der Juden.‘ Dann gibt aber unser Volk, das im Kampf gegen die satanischen Mächte des Weltjudentums um Ordnung und Leben dieser Welt überhaupt steht, ihm mit Recht den Abschied, denn er kann nicht gegen den Juden kämpfen und dem König der Juden sein Herz erschließen. Die geschichtliche Erforschung des Jesusbildes hat sich sehr rasch auf die Frage seiner Messianität zugespitzt.“2
Die Frage, ob Jesus nun der (jüdische) Messias war, wird für Grundmann zum Kristallisationspunkt, der über die Möglichkeit des Glaubens des deutschen Volkes an diesen Jesus entscheidet, da man nicht einerseits, in der deutschen politischen Realität, „gegen den Juden kämpfen“ und andererseits, in der deutschen religiösen Realität, „dem König der Juden sein Herz erschließen“ könne. Grundmann versucht nun dieses Problem zu lösen, indem er behauptet, in der Bibel könne man nur in dem Sinne eine Messianität Jesu behaupten, „daß 1
Dohmen (2010), 364. Grundmann, Messiasproblem (1942), 381. Vgl. zur Rede vom „satanischen“ Judentum die Ausdrucksweise Hitlers selbst (Hitler (1933)): Die Juden seien „Personifikation des Teufels als Sinnbild alles Bösen“ (ebd. 355) und „wahre Teufel“ (ebd. 68). Zitiert nach Bärsch (2002), 315, hier auch mehr zur Thematik, v.a. 312–319.329–338. 2
2.1 Einführung
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der Messiasbegriff eine grundsätzliche Umprägung erfahren hat. In eben den umprägenden Kräften aber müßte – und das ist eine wesentliche methodische Einsicht – das spezifische Ereignis der Geschichte Jesu zu greifen sein.“3 Doch daraus folgert er: „Wir müssen nun fragen: Hat es dann überhaupt noch Sinn, von Jesus als dem Messias zu reden, wenn der Messiasbegriff in einem total neuen Sinn gebraucht werden muß? Geht nicht vielmehr der Gebrauch des Begriffes auf die Gemeinde zurück, die ihn auf Grund der Geschichte Jesu gewandelt hat und damit in der äußersten Form auf ihn ihr Hoffnungsbild, eben den Messiasgedanken übertrug? Denn sollte Jesus diesen mißverständlichen Begriff gebraucht haben, wenn er seine Sendung in anderer Weise verstand als sie der Messiasbegriff ausdrückte? Läßt sich das, was der Messiasbegriff zum Ausdruck bringt, die abschließende und einzigartige Bedeutung der Sendung Jesu, nicht auch in anderer Weise ausdrücken, so daß das Fehlen des Messiasbegriffes noch keine Relativierung bedeuten muß?“4
Diese Fragen standen wohl auch im Hintergrund der Arbeit an der im Vorjahr entstandenen BG. Und tatsächlich ist die „andere Weise“, die die Bedeutung der Sendung Jesu zum Ausdruck bringen soll, deutlich in den Texten nachzuweisen: Hier wird alles daran gesetzt, Jesus aus dem jüdischen Kontext herauszuheben, unter anderem durch eine Vermeidung von spezifisch alttestamentlich-jüdisch verstandener Terminologie. Im Folgenden sollen die Stellen, an denen im griechischen Text (NA 28) ‚ὁ χριστός‘ oder das gräzisierte hebräische Fremdwort ‚ὁ Μεσσίας‘ zu finden ist und die in die BG überhaupt aufgenommen wurden, in den Blick genommen werden und auf die verschiedene Wiedergabe im Deutschen hin untersucht werden. Die Untersuchung der Frage nach dem Umgang mit dem Messiasbegriff kann als exemplarisch für die Christologie der BG gelten, da das „Messiasproblem“ die „Entjudungsmechanismen“ der Redaktoren auf den Plan rief, aber gleichzeitig klar war, dass „Christus“, die griechische Entsprechung von „Messias“ als Identitätsbegriff aller Christen, auch der Deutschen Christen, niemals aufgegeben werden konnte. Schon von Soden stellte fest, dass der Messiasbegriff „vielleicht der stärkste Ausdruck für die geschichtliche Verbindung der Gemeinde Jesu mit dem Judentum ist“, da es sich um einen „seinem geschichtlichen Ursprung nach jüdischen Titel“ handle, „der ins Griechische übersetzt zu Christus wurde und in dieser Form in allen Sprachen christlich (n.b. von Christus!) gewordener Völker beibehalten ist“. Und er stellt auch fest, dass die BG-Redaktoren durch diese Fakten „in die größten Schwierigkeiten verwickelt“ worden seien, da der Messiasbegriff so massiv gegen ihre Entjudungsbestrebungen stand. Die Frage nach dem Umgang mit dem Messiasbegriffs habe daher „für das Verständnis des ganzen Unternehmens entscheidende Bedeutung“ gewon-
3 4
Grundmann, Messiasproblem (1942), 383. Grundmann, Messiasproblem (1942), 385.
84
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
nen.5 Daher soll im Folgenden ein Blick auf die einschlägigen Stellen, an denen sich in der BG redaktionelle Spuren erkennen lassen könnten, geworfen werden. Bei der Suche nach einer christologischen Systematik in der BG fällt die zunächst scheinbar beliebige Wiedergabe des griechischen ‚ὁ χριστός‘ in der Textauswahl des ‚Volkstestaments‘ auf. Die Bandbreite reicht von ‚Messias‘ über ‚Christus‘ bis zu ‚der Verheißene‘ und ‚der erkorene Gottessohn‘. Mögliche Gründe hierfür sollen durch eine nähere Betrachtung der Textstellen der BG, in denen ‚ὁ χριστός‘ vorkommt, gefunden werden. Die BG wählt für die Übersetzung von ‚ὁ χριστός‘ im 1. Teil (‚Der Heiland‘) nur an einer einzigen Stelle (Lk 2,11) ‚Christus‘, an allen anderen Stellen schreibt sie „Messias“ oder die Stellen sind gar nicht in die BG aufgenommen.6 Interessant ist hier auch der Unterschied zwischen der Gesamtausgabe und der Teilausgabe der BG: Wie auch von Soden bemerkte, germanisiert die Teilausgabe selbst den Christustitel und schreibt an zwei Stellen (Lk 2,117 (Gesamtausgabe: „Christus“); Mk 10,478, (Gesamtausgabe: „Heiland“)) „Krist“, was von Soden mit Recht eine „seltsame Mittelbildung“ nennt. Er kritisiert, dass „in deutscher Schreibung das Wort aufgenommen wird, das sonst entweder ausgemerzt oder durch sein hebräisches Original stigmatisiert wird, daß also Jesus zwar nicht Christus, wohl aber Krist genannt werden darf“, und stellt zum Schluss die rhetorische Frage: „Ist dies wissenschaftlich und dient es der ‚Klarheit‘?“9 Auch Fischer störte sich an dieser Schreibung, die zudem mit signifikanten Auslassungen der BG-Redaktoren in den Kindheitsgeschichten einhergeht: „Natürlich schneiden auch hier [in den Kindheitsgeschichten, A.d.A.] die Scherer allerlei weg. Bethlehem soll verstanden werden als das sonst sehr wenig erwähnte galiläische Bethlehem. Das jüdische Land und die Stadt Davids dürfen nicht in Erscheinung treten, und in der Verkündigung des Engels darf es nicht mehr heißen: ‚Christus der Herr in der Stadt Davids‘, sondern nur in Anlehnung an frühmittelalterliche Schreibweise: ‚Krist der Herr‘.“10
Die BG beugte sich scheinbar dieser Kritik, in der Gesamtausgabe findet sich „Krist“ an keiner Stelle mehr. Spannend bleibt die Frage nach dem Umgang 5
Vgl. Soden, Urchristentum (1956), 189. So ist von den 12 Stellen im Mt-Ev, an denen ὁ χριστός im griechischen Text steht (Mt 1,16; 2,4; 16,16; 16,20; 22,42; 2 4,5; 24,23.24; 26,63; 26,68; 27,17;27,22) keine in der BG zu finden. Von den 6 Stellen bei Mk sind 2 nicht in der BG (Mk 13,21.22), von 12 Lk-Stellen fehlen 7 in der BG (Lk 3,15; 4,41; 9,20; 20,41; 23,35; 24,26; 24,46). 7 BG-Teilausgabe, 7, Die Heilige Nacht (Luk. 2,1–20; Luk. 2,21b), Lk 2,11. 8 Die BG-Teilausgabe übersetzt hier: ‚Krist Gottes, erbarme dich mein!‘ (BG-Teilausgabe 44, Glaube findet Erhörung (Mark. 10,46–52), Mk 10,47). 9 Vgl. Soden, Urchristentum (1956), 189f. 10 Fischer (1940), 5. 6
2.1 Einführung
85
der BG mit dem Griechischen ὁ χριστός dennoch. Die EÜ übersetzt an insgesamt 54 Stellen mit ‚Messias‘, in 326 Fällen findet sich ‚Christus‘. Letztlich liegt auch hier eine Abweichung der Übersetzung vom griechischen Text vor, allerdings wurde diese vermutlich aus historisch-kritischen Gründen vorgenommen.11 Luther vermeidet jegliche Gefahr einer subjektiven Deutung, indem er stets die griechische Form von Messias, also ‚Christus‘, wählt und sich somit sehr genau an den griechischen Text hält. Einzig an den beiden Stellen aus dem Johannesevangelium (Joh 1,41 und Joh 4,25), an denen die hebräisch-aramäische Benennung ‚ὁ Μεσσίας‘ als Fremdwort im griechischen Text in Verbindung mit ‚ὁ χριστός‘ überliefert ist, lässt Luther, wiederum in wörtlicher Wiedergabe, ‚Messias‘ auch im Deutschen stehen. Diese beiden Stellen werden aber interessanterweise von der BG gerade nicht mit ‚Messias‘ übersetzt, sondern hier wird die Übersetzung ‚der Verheißene‘ eingeführt. Das Redaktionsprinzip, nach dem diese Übersetzungsdifferenzen zustande kommen, soll in einer Stellenanalyse aufgezeigt werden. Zunächst soll hierzu ein Blick auf die Stellen im ersten Teil der BG geworfen werden, die BG und EÜ gleichermaßen mit ‚Messias‘ übersetzen. Das ist an sich schon bemerkenswert, da die BG insgesamt großen Wert auf die konsequente 11
‚Messias‘ als Übersetzung von ‚ὁ χριστός‘ findet sich in der EÜ 54x (nur in den Evangelien und der Apg und 1x in Hebr 11,26, allerdings hier nicht auf Jesus bezogen), während das griechische Fremdwort ‚Christus‘ 326x über das ganze Neue Testament verteilt zu finden ist. Hierbei dürfte das Bestreben zu Grunde liegen, mit der Übersetzung möglichst genau den Sinn des Textes zu treffen. Zu vermuten ist, dass nur an jenen Stellen ‚Messias‘ gewählt wird, die auf das Alte Testament Bezug nehmen und/oder direkt in der paulinischen Argumentation an Juden gerichtet sind, denen er den Christusglauben zu vermitteln versucht. Ein gutes Beispiel ist Apg 9,22: ‚Saulus aber trat umso kraftvoller auf und brachte die Juden in Damaskus in Verwirrung, weil er ihnen bewies, dass Jesus der Messias ist.‘ (EÜ, Apg 9,22). Luther schreibt: ‚der Christus‘, ebenso die BG. Im Griechischen steht ‚ὁ χριστός‘. Weitere Stellen, an denen die EÜ ‚Messias‘ wählt und somit die Kontinuität zum AT unterstreicht sind: (1) Apg 3,18: ‚Gott aber hat auf diese Weise erfüllt, was er durch den Mund aller Propheten im voraus verkündigt hat: dass sein Messias leiden werde.‘ (EÜ, vgl. NA 28: ‚ὁ δὲ θεός, ἃ προκατήγγειλεν διὰ στόματος πάντων τῶν προφητῶν παθεῖν τὸν χριστὸν αὐτοῦ, ἐπλήρωσεν οὕτως.‘) Hier werden in einem Satz alttestamentliche Prophetie, Messiaserwartung und Erfüllung in Christus verbunden – ein deutliches Beispiel für das paulinische Argumentationsmuster der Kontinuität. In der BG fehlt dieser Vers. (2) Ebenso ist es in Mt 2,4, wo die Frage des Herodes direkt an die jüdische Obrigkeit gerichtet ist: ‚Er [=Herodes] ließ alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle.‘ (EÜ, vgl. NA 28: […] ποῦ ὁ χριστὸς γεννᾶται). Die Gegenprobe bestätigt die Beobachtungen: ‚Christus‘ wird im Kontext der Heidenmission verwendet, z.B.: ‚Philippus aber kam in die Hauptstadt Samariens hinab und verkündigte dort Christus.‘ (EÜ, Apg 8,5), außerdem häufig in der Verbindung ‚Jesus Christus‘, z.B.: ‚Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes‘ (EÜ, Mk 1,1, vgl. NA: τοῦ εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ [υἱοῦ θεοῦ]). Hier wie auch im folgenden Beispiel erscheint ‚Jesus Christus‘ wie ein Eigenname: ‚Er hat das Wort den Israeliten gesandt, indem er den Frieden verkündete durch Jesus Christus; dieser ist der Herr aller. (EÜ, Apg 10,36).
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Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Verdeutschung aller Worte12 legt, weshalb die durchgehende Wahl der Übersetzung mit dem im Deutschen fast als Eigenname verwendeten griechischen Wort ‚Christus‘ nahe gelegen hätte13 oder der Versuch, deutsche Entsprechungen zu finden.14 Grundmann erwähnt auch, dass ‚Christus‘ ursprünglich der Messiastitel war, sich aber verselbstständigt habe und „als Titel nicht mehr verstanden wurde“15. Umso auffälliger ist es also, dass an einigen Stellen der BG bewusst nicht der von den Redaktoren als adäquat akzeptierte Titel ‚Christus‘, sondern ‚Messias‘ zu finden ist. Für den Moment kann festgehalten werden, dass die BG trotz ihrer grundsätzlichen Skepsis gegenüber hebräischen und häufig auch griechischen Wör12
Sowohl (1) griechische als auch (2) aramäische Begriffe sind in der BG vermieden: (1) Z.B. heißt es in der BG: ‚traut seiner Botschaft‘ (BG) statt ‚glaubt an das Evangelium‘ (EÜ, Mk 1,15, vgl. Mk 1,14). (2) Auch übersetzt die BG Mk 5,41 blass mit den bereits von Luther geprägten (die bei Luther aber das Aramäische nicht ersetzen!) Worten: ‚Mägdelein, ich sage dir, wach auf!‘(vgl. EÜ: Er fasste das Kind an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf!‘). An anderen Stellen wurden spezielle Erklärungen eingefügt (z.B. schreibt die BG für Mk 3,16: ‚Er legte dem Simon den Namen Petrus bei, das heißt Felsenmann.‘ Diese Erklärung findet sich weder im griechischen Text noch in der EÜ noch bei Luther). Auch lässt sich feststellen, dass allgemein bekannte antike Begrifflichkeiten, z.B. Maßeinheiten, in die aktuelle Sprache übertragen werden (so steht für Joh 6,19 in der BG ‚an die drei Meilen‘ statt ‚etwa fünfundzwanzig oder dreißig Stadien‘ (EÜ, Luther hat ‚fünfundzwanzig oder dreißig Feld Wegs‘ und die antike Stundenzählung wurde durch die deutsche ersetzt: ‚Mittagsstunde‘ (BG 92) statt ‚sechste Stunde‘ (EÜ und Luther, Mk 15,33), ‚dritte Stunde‘ (BG 92) statt ‚neunte Stunde‘ (EÜ und Luther, Mk 15,33.34) und ‚neun Uhr‘ (BG 92) statt ‚dritte Stunde‘ (EÜ und Luther, Mk 15,25). Einem besseren Verständnis durch eine größere ‚Verdeutschung‘ sollen wohl auch unspezifische Übersetzungen wie ‚Stab‘ für ‚ὑσσώπῳ‘ (Joh 19,29, die EÜ hat ‚Ysopzweig‘, Luther schreibt ‚Isop‘.) dienen. Ähnlich bei der Übersetzung von λεπτὰ δύο, ὅ ἐστιν κοδράντης (NA): ‚zwei kleine Münzen‘ (EÜ, Mk 12,42) bzw. ‚zwei Scherflein […], die machen einen Heller‘ (Luther), ‚zwei Groschen‘ (BG 80). Hier ist die Reminiszenz an Luther in der entsprechenden BG-Überschrift sichtbar: Das Scherflein der Witwe (Mark. 12,41–44). Bereits von Soden merkt aber an, dass die Übertragung der Maße und auch der Zeitangaben nicht immer einheitlich erfolge: „die 2 Denare des barmherzigen Samariters Lukas 10,35 werden ‚ein Goldstück‘, dagegen die 100 Denare, die Matthäus 18,28 dem Schalksknecht geschuldet werden, ‚ein paar Groschen‘. Die Umsetzung wird also ziemlich willkürlich aufgegriffen, je nachdem ob nach dem Zusammenhang der Eindruck einer großen oder geringen Summe geboten werden soll“ (Soden, Urchristentum (1956), 181f.). 13 So hält es auch Luther. 14 Die BG tut dies an anderen Stellen häufig, wie sich in den folgenden Teilen der Arbeit noch zeigen wird (z.B. wird der positiv bestimmte deutsche Christustitel ‚Heiland‘ häufig verwendet, vgl. Exkurs Heiland). 15 „Die Behauptung einer metaphysischen Gottessohnschaft und der gleichzeitigen Messianität Jesu innerhalb der Kirchenlehre sind im Grunde einander aufhebende Lehrformen, weshalb ja der Messiastitel ‚Der Christus‘ sehr rasch zu einem Teil des Namens geworden ist und als Titel nicht mehr verstanden wurde“ (Grundmann, Messiasproblem (1942), 382).
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
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tern an einigen Stellen trotzdem das hebräische/aramäische ‚Messias‘ in den Text aufnimmt. Hinter diesem Vorgehen kann eine redaktionelle Absicht vermutet werden. Im zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, welche Übersetzungen im zweiten Teil der BG für ‚ὁ χριστός‘ gewählt werden. Obwohl es nicht möglich ist, durch die Analyse einzelner christologischer Titel die gesamte christologische Aussagenbreite einzufangen,16 soll der Messiastitel den Ausgangspunkt für die folgenden Analysen bilden. Die Auffälligkeit besteht dabei gerade darin, dass eben der Messiastitel aus dem gesamten christologischen Geflecht an einigen Stellen entfernt, an anderen dagegen gezielt eingefügt wurde. Die Methode einer Begriffsanalyse stellt daher in diesem Falle eine gute Möglichkeit dar, um der Dekonstruktion der biblischen Christologie, die die BG teils auf subtile Weise vornahm, auf die Spur zu kommen.
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG 2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
Im Folgenden werden einige wichtige Passagen aus der BG in den Blick genommen, anhand derer die These überprüft wird, dass der Christustitel ‚ὁ χριστός‘ bewusst inkonsequent übersetzt wurde. Die Reihenfolge der analysierten Stellen richtet sich dabei nach der Reihenfolge ihres Vorkommens in der BG, die nicht immer mit dem griechischen Text übereinstimmt. 2.2.1 BG 74f., Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken! (Mark. 8,27–31a; Luk. 17,25; Matth. 16,22; Mark. 8,33), Mk 8,29: ‚Messias‘ als Fehlaussage des Petrus Weit nach Norden, ins heidnische Land, zog Jesus, in die Dörfer um Cäsarea Philippi; unterwegs fragte er seine Jünger: ‚Wofür halten mich die Leute?‘ Sie antworteten: ‚Die einen für Johannes den Täufer; andere für Elias, der wiederkommen soll, die dritten für einen Propheten.‘ Er fragte sie: ‚Und ihr? Wofür haltet ihr mich?‘ Da sprach es Petrus aus: ‚Du bist der Messias!‘ Da verbot er ihnen streng, diese Ansicht zu verbreiten, und belehrte sie: ‚Des Menschen Sohn muß viel leiden, und mit Schimpf und Schande ausgestoßen werden von seinen Zeitgenossen.‘ 16
Vgl. Schröter (2001), 197: „Die Möglichkeit, theologische Entwicklungen im Urchristentum über die Bedeutungen einzelner Ausdrücke, die Jesus beigelegt wurden, erheben zu können, ist mitunter zu optimistisch eingeschätzt worden. Die mit den jeweiligen Ausdrücken implizierten Inhalte stehen nicht nebeneinander, sondern lassen sich eher im Sinne eines Bedeutungsgeflechtes verstehen, innerhalb dessen sie bestimmte Akzente semantisch aktualisieren, insgesamt jedoch Teil eines umfassenderen Sprachvorganges sind, in dem sie mit anderen Bezeichnungen und Prädikationen Deutungen des Geschehens um die Person Jesus von Nazaret hervorbringen.“
88
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Aber Petrus zog ihn allein zu sich und fing an, ihm solche Rede zu verbieten, denn der Messias, wie er ihn erwartete, sollte keine Leiden kennen. Er sprach: ‚Behüte dich Gott! Schone dich, Meister!‘ Jesus aber fuhr herum, schaute seine Jünger ernst an und drohte dem Petrus: ‚Du Satan! Zurück in meine Nachfolge! Denn du meinst nicht Gottes, sondern der Menschen Gedanken.‘ (BG 74f., Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken! (Mark. 8,27–31a; Luk. 17,25; Matth. 16,22; Mark. 8,33))
Besonders die Passage Mk 8,27–31a wurde stark bearbeitet, wie der Vergleich mit den anderen Übersetzungen zeigen kann: BG ‚Er fragte sie: ‚Und
NA
EÜ
Luther
29 καὶ αὐτὸς ἐπηρώτα αὐτούς· ὑμεῖς δὲ τίνα με λέγετε εἶναι; ἀποκριθεὶς ὁ Πέτρος λέγει αὐτῷ· σὺ εἶ ὁ χριστός.
29 Da fragte er sie: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete ihm: Du bist der Messias!
29 ‚Und er sprach zu ihnen: Ihr aber, wer sagt ihr, daß ich sei? Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Du bist Christus!
Da verbot er ihnen streng, diese Ansicht zu verbreiten,
30 καὶ ἐπετίμησεν αὐτοῖς ἵνα μηδενὶ λέγωσιν περὶ αὐτοῦ.
30 Doch er verbot ihnen, mit jemand über ihn zu sprechen.
30 Und er bedrohte sie, daß sie niemand von ihm sagen sollten.
und belehrte sie: ‚Des Menschen Sohn muß viel leiden […]‘
31 Καὶ ἤρξατο διδάσκειν αὐτοὺς ὅτι δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου πολλὰ παθεῖν […]
31 Dann begann er, sie darüber zu belehren, der Menschensohn müsse vieles erleiden […]
31 Und er hob an sie zu lehren: Des Menschen Sohn muß viel leiden […]
ihr? Wofür haltet ihr mich?‘ Da sprach es Petrus aus: ‚Du bist der Messias!‘
Das Messiasbekenntnis des Petrus wird von der BG stark abgewertet und als Fehlaussage interpretiert. Das Schweigegebot dagegen wird von der BG als ein ‚strenges Verbot‘17 aufgewertet. Man solle „diese Ansicht nicht verbreiten“, was dem Leser nahelegt, dass es sich um eine falsche Ansicht handelte. 17
Im Griechischen findet sich hier dreimal eine Form von ‚ἐπετίμάω‘ (Mk 8,30.32.33, bzw. nach der Textauswahl der BG Mk 8,30, Mt 16,22; Mk 8,33), die BG übersetzt aber in allen Fälle unterschiedlich: Jesus verbietet streng den Jüngern (Mk 8,30), Petrus verbietet Jesus (Mt 16,22) und schließlich droht Jesus dem Petrus (Mk 8,33) (vgl. EÜ: verbietet, macht Vorwürfe, weist zurecht bzw. Luther: bedrohte sie, fuhr an, bedrohte). Dass es an dieser Stelle nicht einfach ist, eine gute deutsche Übersetzung zu finden, können alle drei Übersetzungsbemühungen von BG, EÜ und Luther 1912 zeigen. Dass aber zumindest das ‚strenge‘ Verbot für Mk 8,30 in Richtung einer Verschärfung weist, kann vermutet werden, wenn man auch die folgenden Beobachtungen einbezieht.
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
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Im griechischen Text steht aber, wie EÜ und Luther auch richtig übersetzen, dass die Jünger nicht περὶ αὐτοῦ, über ihn, sprechen sollen. Die EÜ deutet außerdem mit der Satzeinleitung „Doch“ das Bekenntnis Petri als korrekt und im Gegensatz zu der Schweigeaufforderung Jesu stehend: Trotz dieses richtigen Bekenntnisses des Petrus sollen die Jünger noch schweigen; der Rahmen des biblischen Textes, der das spezifisch markinische Messiasgeheimnis, das sich erst im Licht von Kreuz und Auferstehung lösen wird, nicht auflöst, bleibt in der EÜ gewahrt. Luther bleibt mit der wörtlichen Übersetzung von „καὶ“ mit „und“ noch weniger deutend und ebenfalls korrekt. Hinter dem Vorgehen der BG dagegen steckte wohl der redaktionelle Plan, den Messiasbegriff abzuwerten und zugleich das Leiden Jesu zu betonen, wie auch der Umgang der BG mit Mt 16,22 zeigt: BG
Aber Petrus zog ihn allein zu sich und fing an, ihm solche Rede zu verbieten,
NA
EÜ
Luther
καὶ προσλαβόμενος αὐτὸν ὁ Πέτρος ἤρξατο ἐπιτιμᾶν αὐτῷ
Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe;
Und Petrus nahm ihn zu sich, fuhr ihn an
λέγων· ἵλεώς σοι, κύριε· οὐ μὴ ἔσται σοι τοῦτο.
er sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!
und sprach: HERR, schone dein selbst; das widerfahre dir nur nicht!
denn der Messias, wie er ihn erwartete, sollte keine Leiden kennen. Er sprach: ‚Behüte dich Gott! Schone dich, Meister18!‘
Aus der kurzen Feststellung, dass Petrus Jesus Vorwürfe machte, konstruiert die BG eine stark pointierte Aussage über die Unmöglichkeit des Leidens Jesu: Der mittlere Versteil wurde von der BG komplett eingefügt, offenbar in Anlehnung an Mk 8,31a. Auch die Darstellung des Petrus bei Mt, der das Petrusbekenntnis „als einen Höhepunkt der Erkenntnis der Jünger“ versteht,19 18
Zur Anrede Jesu als „Meister“ vgl. den Exkurs „Jesus als Lernender und Lehrender“ in Jesus als Leidender (Analyse zu BG 135–138, Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (10,40–11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44), Joh 11,16: Thomas sagt zu den anderen Jüngern: ‚Auch wir wollen mitgehen, dass wir mit dem Meister sterben!‘ (BG) statt ‚mit ihm‘ (EÜ/Luther für μετ’ αὐτοῦ). 19 Vgl. Nicklas/Grünstäudl (2016), 404: „Dies zeigt sich nicht nur daran, dass das Bekenntnis selbst gegenüber Mk noch einmal deutlich ausgebaut ist – Petrus spricht Jesus als „Christus, den Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16) an – , sondern auch an der Reaktion Jesu.“
90
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
wird also von der BG-Redaktion in ihrem Sinne bearbeitet: Vorangestellt hatte die BG-Redaktion in ihrer freien Kombination der Passage die Leidensankündigung in Lk 17,25. Die gezielte Positionierung und vor allem die bewusste Einfügung eines Versteils, der die Messiasvorstellung des Petrus ausdeutet und negativ wertet, lässt auf eine Abwertung des Begriffs „Messias“ in der BG schließen. Die eingefügte Deutung des Messiasbegriffs, wie ihn Petrus gehabt haben soll, erklärt sich mit einem Blick in die Gedanken, die Grundmann dazu in einem Artikel über die Arbeitsweise, nach der bei der Herausgabe der BG vorgegangen wurde, äußert. Jesu habe durch die Ankündigung des kommenden Reiches Gottes auch im Jüngerkreis „Erwartungen und Hoffnungen“ auf den erwarteten Messias Israel geweckt: „Jedenfalls hat Petrus offen ausgesprochen: ‚Du bist der Messias.‘ Als Jesus dem die Notwendigkeit des Leidens gegenüberstellte und damit der Messiaserwartung widersprach, empört sich Petrus. Ein Messias, der leidet und stirbt, ist kein Messias, wie er in Palästina erwartet wird. Sein Messias soll siegen und herrschen. Die Empörung des Petrus aber weist Jesus mit den Worten zurück: ‚Du denkst nicht die Gedanken Gottes, sondern die Gedanken der Menschen‘ (Mark. 8,27–33). Die an ihn herangetragene messianische Erwartung sind ihm Menschengedanken, denen er seine Gottesgedanken gegenüberstellt, die sein Leiden einschließen.“20
Eine derart deutliche Ausdeutung findet sich in den Evangelientexten nicht; von „siegen und herrschen“, wie Grundmann erläutert, aber auch von „sollte keine Leiden kennen“, wie es die BG an dieser Stelle Petrus in den Mund legt, ist dort nicht die Rede. Für Grundmann und mit ihm für die BG ist also die „mythische Prädikation“ als Messias eindeutig von Jesus selbst abgelehnt, und zwar durch die „Ankündigung seines Leidens entgegen – in der heutigen Form zweifelsohne vaticinium ex eventu, in seiner ältesten Form Luk. 17,25 erkennbar –, die wiederum der Ablehnung des Petrus verfällt, da sie mit seinen Erwartungen unvereinbar ist.“21 Grundmann verknüpft also – wie das auch die BG vorgenommen hat – die Vorstellung vom leidenden Jesus mit der Vorstellung von Jesus als Messias und erklärt beide für unvereinbar. Schon 1942 findet sich in einer Rezension Friedrich Büchsels22 eine Widerlegung dieser Position: Grundmann könne „nicht zugestanden werden, daß ein 20
Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 8. Grundmann, Christologie (1940), Bd. 65, 69. Fast wörtlich auch in Grundmann, Messiasproblem (1942), 393: „Als Jesus dem Bekenntnis des Petrus, Jesus sei der Messias, die Notwendigkeit seines Leidens und Sterbens entgegenstellt, widerspricht dieser auf das schärfste, denn das ist mit seinem Bekenntnis unvereinbar.“ 22 Büchsel (1883–1945) war 1918–1945 ordentlicher Professor für Neues Testament und Leiter des Neutestamentlichen Seminars der Universität Rostock. 1920/21, 1924/25, 1930/31 und 1938–1945 Dekan der theologischen Fakultät,bis 1933 Mitgleid der Deutschnationalen Volkspartei, nach 1933 Mitglied der NS-Volkswohlfahrt und ab 1934 des NS-Lehrerbundes. 1943/44 Beteiligung an den vom Oberkommando der Wehrmacht organisierten Rednereinsäzzen von Wissenschaftlern zur Truppenbetreuung (vgl. (Buddrus/Fritzlar (2007), 96). 21
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
91
leidender Messias nicht im Bereich der palästinischen (besser: jüdischen) Möglichkeiten lag“, da „das messianische Verständnis von Jsj. 53, das im Targum23 vorliegt“ auch zur Zeit Jesu „schon ebenso wohl möglich gewesen“ sei, auch wenn Jesus einen „neuen Messiasbegriff“ gebildet habe, allerdings auf der Grundlage der alttestamentlichen Weissagung.24 In der neueren Forschung weist Schröter darauf hin, dass der Messiasgedanke auch in Betrachtung der Gesamtkomposition des Markusevangeliums keineswegs der ausschlaggebende Vorwurf war, sondern Jesus erst dann (außer in Mk 1,1, dort aber artikellos und überschriftartig) erstmalig als „Christus“ bezeichnet werde, als der Tötungsbeschluss längst gefasst sei.25 Der Christus- bzw. Messiasbegriff kann für den Erzähler des Mk-Evangeliums also nicht entscheidender Hinrichtungsgrund sein. In der BG ist die Lage hier anders, da der Messiasbegriff bereits früh eingeführt und negativ konnotiert wird.26 Außerdem spricht Schröter davon, im Petrusbekenntnis werde „erzählerisch zum Ausdruck gebracht“, dass das Bekenntnis des Petrus aus dem bisher über Jesus Berichteten resultiere und Jesus dem nicht widersprochen habe. Das Bekenntnis sei allerdings „in einen Zusammenhang, der die χριστός-Bezeichnung inhaltlich neu definiert“, gerückt worden, der gekennzeichnet sei „durch die Notwendigkeit (δεῖ) des Leidens, Getötetwerdens und Auferstehens des Menschensohnes, dem seine endzeitliche Wiederkunft zum Gericht korrespondiert (8,31/38)“. Damit sei die Ablehnung seitens Petrus‘ provoziert worden.27 Schröter deutet also die Stelle durchaus als eine Neudefinition des Messias-Begriffs und verweist auch auf die inhaltliche „Neuerung“, nämlich die Erwartung des Leidens. Für die BG war die Feststellung dieser „Neuerung“ dagegen eine willkommene Möglichkeit dafür, das „Leiden“, das für Petrus unmöglich mit dem Messiasbegriff verbunden sein könne, direkt in den Text einzutragen. Folglich wurde die Vorsicht Jesu, die Bezeichnung als χριστός ohne eine weitere Klärung anzunehmen, von der BGRedaktion als Vorwand dazu missbraucht, den Begriff als einseitige Negativfolie verwenden zu können. Bemerkenswert ist außerdem der Einfluss, den die Perikopeneinteilung auf die Deutung des Textes hat: Im Kontrast zur BG trennt die EÜ das Messias-
23
Büchsel spricht im Singular von ‚Targum‘…welchen der (palästinischen) Targumin genau er meint, bleibt offen. 24 Vgl. Büchsel (1942), 93. 25 Vgl. Schröter (2001), 165, Anm 353. 26 Neben der Verwendung des Christus-Titels in Passagen aus dem Lk-Ev wurde auch in Stellen aus dem Mk-Ev der Messias-Titel schon vor den Tötungsbeschluss eingefügt, z.B. in Mk 8,11 (siehe Analyse unter „Vergewisserung“ 1.4)) 27 Vgl. Schröter (2001), 202.
92
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
bekenntnis von der Leidensankündigung ab28 und deutet es allein durch diesen gedanklichen Abstand zur Leidensankündigung und zu den harten Worten Jesu an Petrus „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen!“ (EÜ, Mk 8,33) positiver. Einer solchen Perikopeneinteilung widerspricht aber der Verbindung der Verse im Griechischen durch das Verb ἐπιτιμάω29 und hängt wohl mit einem Textverständnis zusammen, das von der matthäischen Parallele ausgeht, die tatsächlich zwei voneinander unabhängige Szenen schafft.30 Die BG dagegen führt diese im Griechischen ja ebenfalls ungegliederten31 Verse zusammen unter der Überschrift „Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken“ und schafft durch bereits im Vorhinein durch die gedankliche Zusammenstellung von Messiasbekenntnis und schroffer Reaktion Jesu eine größere Distanz zum angeblichen Messiasbegriff Israels, die durch die Textbearbeitungen noch verstärkt wird. Dabei liegt die BGInterpretation auf einer Linie mit Grundmanns Vorstellung, der das Messiasbekenntnis des Petrus als Ausdruck des falschen Empfindens der Jünger von Jesus als „messianischem Propheten“ sieht, das dann durch die Verklärung ausgeräumt worden sei.32 Der Begriff „Messias“ erfährt an dieser Stelle durch die BG also eine deutliche Abwertung. Wohl gibt es eine Fülle von alttestamentlichen und frühjüdischen Texte über einen starken endzeitlichen Heilsbringer bzw. einen „zukünftigen Heilskönig Jahwes“33, die die jüdische, also auch die petrinische Messiasvorstel28
Die EÜ fasst die Mk 8,27–30 unter der Überschrift „Das Messiasbekenntnis des Petrus“ und überschreibt die folgenden Verse (Mk 8,31–33) wie ein neues Thema mit „Die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung“. 29 Das Verbum ἐπιτιμάω begegnet in der Szene insgesamt drei Mal begegnet (zwei Mal als Handlung Jesu: Mk 8,30.33, einmal als Handlung des Petrus: Mk 8,32). 30 Vgl. Nicklas/Grünstäudl (2016), 403. 31 NA 28 beginnt allerdings auch nach Vers 30 ebenso wie nach Vers 33 einen neuen Absatz, enthält sich aber der Überschriften. 32 Vgl. Grundmann, Messiasproblem (1942), 389. 33 Schreiber (2000), 149. Schreiber nennt als „altestamentliche Ermöglichungen“ der späteren messianischen Interpretationen alttestamentlicher Texte vor allem die Texte, die vom König als göttlich legitimierten ‚Gesalbten Jahwes‘ sprechen (2 Sam 19,33; 23,1; vgl. 1 Sam 12,3.5; Ps 18,51; 132,17) (vgl. ebd. 145) und spricht von vier Bedeutungsaspekten dieses Titels: „(1) Ein exklusives Verhältnis des Königs zu Jahwe, (2) Statusdefinition und Legitimation des Königs, (3) Integration des gesalbten Königs (mit außerordentlicher Rolle und Funktion) in das universale Königtum Gottes und (4) die Darstellungsmöglichkeit eines Typos des von Gott einzigartig auserwählen Menschen als Paradigma einer privilegierten Gottesbeziehung.“ (ebd. 147). Schreiber nennt „Kreuz und Erweckung Jesu als soteriologische Faktoren“, die neu zum Messias-Titel treten, aber ihm keineswegs widersprechen: „Im Einklang damit steht die für frühjüdische Verwendungen kennzeichnende Offenheit der Gesalbtenkonzeption, die jeweils gruppen- und situationsspezifisch eine eigene Interpretation fordert und diese christlich in Orientierung am geschichtlichen Jesus auch erfährt. Die traditionell angelegte Variabilität der Gesalbtenvorstellung wird im NT voll für die JesusInterpretation nutzbar gemacht“ (ebd. 491). „Nach Ostern suchen die neu motivierten Anhän-
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
93
lung prägten, eine bewusste Vershinzufügung ist aber dadurch nicht legitimiert. Auch wenn man soweit mitgeht, dass in der Darstellung bei Mk die Messiasvorstellung des Petrus zwar grundsätzlich richtig,34 aber (noch) nicht vollständig ist, sondern er vielmehr mit der Situation überfordert ist35 und man die Szene in der „kritischen Erzähllinie“, in der die Jünger als Jesus nicht verstehend, gezeichnet werden, stehend versteht,36 ist das Vorgehen der BG-Redaktoren als ein unerlaubter Eingriff in den Bibeltext zu werten, der auf eine gezielte Herausarbeitung und Verschärfung des Gegensatzes zwischen der petrinisch-jüdischen Messiasvorstellung und der tatsächlichen Messianität Jesu schließen lässt. An dieser Stelle ist auch ein Blick in die Teilausgabe der BG lohnend, da in dieser Passage an einigen Stellen die Bearbeitung variiert:
ger Jesu, Judenchristen aus Palästina, in ihrem kulturellen Horizont nach einer sachgerechten Deutung der Person Jesu. Dabei sind zwei Gedanken als Grundkonstanten wichtig: (1) Die Verbindung Jesu mit Gottes eschatologischer Herrschaft als bereits begonnener neuer Heilszeit; und (2) deren endgültige Verwirklichung in Jesus, was seine Gestalt in einzigartiger Gottesunmittelbarkeit erfasst und sein irdisches Wirken (nicht das einer himmlischen Figur) als das des bevollmächtigten Repräsentanten (der nicht bloß aussagt, sondern anfanghaft selbst darstellt) begreift. Die Verbindung der basileia Gottes mit einer Mittlergestalt wird frühjüdisch in ihren Möglichkeiten partiell ergriffen und speziell auch für einen Gesalbten bezeugt […]. Diese Grundkonstanten finden sich in der aus der Umwelt bekannten königlichen Gesalbtenerwartung, die so als auf Jesus passend erkannt wird.“ (ebd. 495). 34 Den Lesern ist ja bereits seit Mk 1,1 χριστός als richtige Bezeichnung für Jesus bekannt. Daher weist Jesus auch in Mk 8 die Aussage des Pertus nicht zurück (vgl. Nicklas, Jesus von Nazareth (2009), 41). 35 Vgl. Nicklas/Grünstäudl (2016), 400. Vgl. auch Nicklas, Crucified Christ (2010), 360: Petrus verwendet zwar die richtige Bezeichnung für Jesus, füllt sie aber nicht mit der angemessenen Bedeutung. 36 Nicklas/Grünstäudl (2016), 400.
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Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
BG-Gesamtausgabe
BG-Teilausgabe
Da sprach es Petrus aus: ‚Du bist der Messias!‘ Da verbot er ihnen streng, diese Ansicht zu verbreiten, und belehrte sie:
Da sprach es Petrus aus: ‚Du bist der Messias!‘ Da erbot er ihnen streng, diese Ansicht zu verbreiten, und belehrte sie:
‚Des Menschen Sohn muß viel leiden, und mit Schimpf und Schande ausgestoßen werden von seinen Zeitgenossen.‘
‚Des Menschen Sohn muß viel leiden, und mit Schimpf und Schande beiseitegetan werden von seinen Zeitgenossen.‘
Aber Petrus zog ihn allein zu sich und fing an, ihm solche Rede zu verbieten, denn der Messias, wie er ihn erwartete, sollte keine Leiden kennen.
Aber Petrus zog ihn allein zu sich und fing an, ihm solche Rede zu verbieten, denn der Messias, wie er ihn erwartete, sollte keine Leiden kennen.
Er sprach: ‚Behüte dich Gott! Schone dich, Meister!‘ Jesus aber fuhr herum, schaute seine Jünger ernst an und drohte dem Petrus: ‚Du Satan! Zurück in meine Nachfolge! Denn du meinst nicht Gottes, sondern der Menschen Gedanken.‘
Jesus aber fuhr herum, schaute seine Jünger ernst an und drohte dem Petrus: ‚Satan! Zurück in meine Nachfolge! Denn du meinst nicht Gottes, sondern der Menschen Gedanken.‘
Die BG-Gesamtausgabe zeichnet im Gegensatz zur früher herausgegebenen Teilausgabe ein etwas differenzierteres Petrus-Bild: Einerseits liegt der Petrus der BG mit seiner Meinung durchaus falsch und das wird im Text auch noch betont durch die harte Übersetzung ‚ausstoßen‘ und die direkte Anrede ‚Du Satan!‘, andererseits wird ihm aber auch der gute Wille Jesus gegenüber (‚Behüte dich Gott! Schone dich, Meister!‘ (BG-Gesamtausgabe, in Anlehnung an Mt 16,22) nicht vorenthalten, wie das die Teilausgabe noch tut. In den Stellenangaben am Ende der jeweiligen Ausgabe wird die Verswahl von den Redaktoren aber immerhin angegeben: BG-Gesamtausgabe: BG-Teilausgabe:
74f., Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken! (Mark. 8,27–31a; Luk. 17,25; Matth. 16,22; Mark. 8,33)) 76f., Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken! Mk 8,27–31a; Lk 17,25; Mk 8,32– 33)
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
95
2.2.2 BG 79, Die Frage nach dem Davidssohn (Mark. 12,35–37)), Mk 12,35: ‚Messias‘ als falsche Behauptung der Schriftgelehrten Hier ist ein Vergleich der gesamten BG-Passage Mk 12,35–3737 interessant: BG
NA
EÜ
Luther
‚Als Jesus im Tempel lehrte, stellte er die Frage: ‚Wie kommen die Schriftgelehrten dazu, zu behaupten: Der Messias muß Davids Sohn sein?
35 Καὶ ἀποκριθεὶς ὁ Ἰησοῦς ἔλεγεν διδάσκων ἐν τῷ ἱερῷ· πῶς λέγουσιν οἱ γραμματεῖς ὅτι ὁ χριστὸς υἱὸς Δαυίδ ἐστιν;
35 ‚Als Jesus im Tempel lehrte, sagte er: Wie können die Schriftgelehrten behaupten, der Messias sei der Sohn Davids?
35 Und Jesus antwortete und sprach, da er lehrte im Tempel: Wie sagen die Schriftgelehrten, Christus sei Davids Sohn
David sagt doch selbst: ‚Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich an meine Seite, bis ich dir deine Feinde besiegt zu Füßen lege!‘
36 αὐτὸς Δαυὶδ εἶπεν ἐν τῷ πνεύματι τῷ ἁγίῳ· εἶπεν κύριος τῷ κυρίῳ μου· κάθου ἐκ δεξιῶν μου, ἕως ἂν θῶ τοὺς ἐχθρούς σου ὑποκάτω τῶν ποδῶν σου.
36 Denn David hat, vom Heiligen Geist erfüllt, selbst gesagt: Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten und ich lege dir deine Feinde unter die Füße.
36 Er aber, David, spricht durch den heiligen Geist: „Der HERR hat gesagt zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße.“
David nennt den Messias also seinen Herrn. Inwiefern ist er dann sein Sohn?‘
37 αὐτὸς Δαυὶδ λέγει αὐτὸν κύριον, καὶ πόθεν αὐτοῦ ἐστιν υἱός;
37 David selbst also nennt ihn „Herr“. Wie kann er dann Davids Sohn sein?
37 Da heißt ihn ja David seinen Herrn; woher ist er denn sein Sohn?
Und das Volk hörte ihm gern zu,
Καὶ [ὁ] πολὺς ὄχλος ἤκουεν αὐτοῦ ἡδέως.
Es war eine große Menschenmenge versammelt und hörte ihm mit Freude zu.‘
Und viel Volks hörte ihn gern.
wie er die Schriftgelehrten mit ihren eigenen Waffen schlug.‘
37
BG 79, Die Frage nach dem Davidssohn (Mark. 12,35–37).
96
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Aufschlussreich ist zunächst ein Blick auf den letzten Versteil, der die Reaktion der Menschen auf Jesu Worte beschreibt. Dieser wurde von der BG völlig: Die Schriftgelehrten werden hier abgewertet als diejenigen, die Jesus ‚mit eigenen Waffen schlug‘. Somit ist auch die vorangehende Diskussion zwischen ihnen und Jesus eindeutig negativ konnotiert und zugleich wird die Freude des Volkes an den Worten Jesu als Schadenfreude über Jesu Überlegenheit gegenüber den Schriftgelehrten gedeutet. Eigentlich sagt der Vers aber aus, dass „zwischen David als Sprecher und dem von Gott angesprochenen Messias“ ein „Autoritätsgefälle, wie es zwischen Vater und Sohn nicht üblich ist“, bestehe. Somit dreht sich die Diskussion Jesu mit den Schriftgelehrten „entsprechend der haggadischen Antinomiefrage um die Vermittlung ihrer Anschauung mit einer ihr scheinbar widersprechenden Psalmenstelle.“38 Auch hier scheint die BG unzulässig zu vereinfachen. Außer diesem negativen Urteil über die Schriftgelehrten und ihre Ansichten fällt auf, dass Jesus hier mit einer Kampfmetapher beschrieben wird („wie er die Schriftgelehrten mit ihren eigenen Waffen schlug“), die, auch wenn es hier um verbale Waffen geht, doch, da sie jeglicher Textgrundlage entbehrt, in Richtung eines betont kämpferischen Jesus-Bildes der BG weisen könnte.39 Auch die vorangehenden Verse wurden stark bearbeitet, um in der Erzähllogik überhaupt zu so einem negativen Schlussvers kommen zu können. Bereits die Fragestellung in Mk 12,35b, die Jesus in den Mund gelegt wird, weist in diese Richtung: BG Wie kommen die Schriftgelehrten dazu, zu behaupten: Der Messias muß Davids Sohn sein?‘
38
NA πῶς λέγουσιν οἱ γραμματεῖς ὅτι ὁ χριστὸς υἱὸς Δαυίδ ἐστιν;
EÜ Wie können die Schriftgelehrten behaupten, der Messias sei der Sohn Davids?
Luther Wie sagen die Schriftgelehrten, Christus sei Davids Sohn?
Vgl. Dschulnigg (2007), 327. Zudem ist der Sinn der BG-Bearbeitung, also der Aussage eines Vorgehens Jesu mit denen der Schriftgelehrten entsprechenden Mitteln bzw. ‚Waffen‘, um sie durch diese zu widerlegen bzw. zu ‚schlagen‘ fraglich – was ist die gemeinte ‚Waffe‘ bzw. die gemeinten ‚Waffen‘? Vermutlich meint die BG hier die Rezeption des AT, aber gerade diese zeigt ja, dass Jesus im jüdischen Kontext steht und bewusst gerade in diesem Kontext argumentiert. Eine derartige Aussageabsicht der Redaktoren ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Die Einfügung der Kampfesmetapher scheint also ohne Rücksicht auf den Sinn, dafür mit dem Bestreben, ein kämpferisches Jesus-Bild zu entwerfen, vorgenommen worden zu sein. Mehr zur terminologischen Verstärkung des Kampfesgedanken in 4.2 Jesus ist ein „Kämpfer“ gegen das Judentum, daher werden seine Nachfolger zu (Mit-)kämpfern. 39
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
97
Die Übersetzung der BG modifiziert den griechischen Text zweifach: ‚Wie kommen sie dazu, zu behaupten?‘ kann sehr abschätzig gelesen werden (Woher nehmen sie sich überhaupt das Recht, so etwas zu behaupten?). Dies vermeiden wertneutralere Übersetzungen ‚wie können die Schriftgelehrten behaupten‘ (EÜ) oder ‘wie sagen die Schriftgelehrten‘ (Luther) und können so den griechischen Text adäquat wiedergeben, in dem das deutungsfreie ‚λέγουσιν‘ – sie sagen – zu finden ist. Die zweite Bedeutungsnuance ändert die Übersetzung des Inhalts der Anfrage: Die BG verschärft die Aussage, wenn sie die Schriftgelehrten behaupten lässt, dass der Messias der Sohn Davids sein muss, die griechische Vorlage spricht ganz selbstverständlich davon, wie es ja auch das Alte Testament belegt40, dass der Messias der Sohn Davids ist. Des weiteren wird Davids Sprechen im griechischen Text mit ‚ἐν τῷ πνεύματι τῷ ἁγίῳ‘ (erfüllt vom heiligen Geist, vgl. 2 Sam 23,2: Der Geist des Herrn sprach durch mich, / sein Wort war auf meiner Zunge.) in Mk 12,36 näher beschrieben: BG
NA
EÜ
Luther
David sagt doch selbst:
36αὐτὸς Δαυὶδ εἶπεν
36Denn David hat,
36 Er aber, David, spricht
fehlt
ἐν τῷ πνεύματι τῷ ἁγίῳ·
vom Heiligen Geist erfüllt,
durch den heiligen Geist:
selbst gesagt: ‚Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich an meine Seite,
εἶπεν κύριος τῷ κυρίῳ μου· κάθου ἐκ δεξιῶν μου,
Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten
„Der HERR hat gesagt zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten,
bis ich dir deine Feinde besiegt zu Füßen lege!‘
ἕως ἂν θῶ τοὺς ἐχθρούς σου ὑποκάτω τῶν ποδῶν σου.
und ich lege dir deine Feinde unter die Füße.
bis daß ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße.“
Der alttestamentlichen Aussage über David wird durch den Verweis auf sein geisterfülltes Sprechen (‚ἐν τῷ πνεύματι τῷ ἁγίῳ‘ NA, entsprechend EÜ/Luther) ein größeres Gewicht verliehen: sie wird als eine gleichsam göttlich legitimierte charakterisiert, was die wörtliche Aufnahme des ersten Ver-
40
Vgl. u.a. 2 Sam 7,14; Jes 9,5; Jer 23,5; Ps 89,36f.
98
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
ses des Davidpsalms Ps 110,1 noch unterstreicht.41 Die BG-Redaktion tilgt eben diese entscheidenden Worte – vom Juden David scheint kein geisterfülltes Sprechen ausgesagt werden zu sollen. Außerdem wird Ps 110,1 in der BG verfremdet: Aus ‚κάθου ἐκ δεξιῶν μου‘ (Setze dich mir zur Rechten) wird ‚Setze dich an meine Seite‘. Diese Verdeutschung ist vom Textbestand nicht gedeckt und wurde auch von Luther nicht vorgenommen. Nahe liegt deshalb auch hier die Vermutung eines gezielten Eingriffs, der zu der skizzierten veränderten Schrifthermeneutik führt. Gestützt wird das durch die Beobachtung, dass die Redaktoren die Rede vom „zur Rechten sitzen“ in der BG konsequent durch andere Ausdrücke ersetzen, die vermutlich weniger klar auf das Alte Testament verweisen sollten.42 Eine weitere Änderung haben die Redaktoren der BG am Psalmvers vorgenommen: „[…] bis ich dir deine Feinde besiegt zu Füßen lege“. Auch das ist durch den griechischen Text nicht gedeckt und zeigt erneut die positive Betonung des ‚Kämpferischen‘ in der BG, die bereits konstatiert wurde. In jedem Fall präsentiert die BG ein nach ihren Vorstellungen bearbeitetes Bild von David, das weniger stark am Alten Testament orientiert ist. Um ein Vielfaches stärker hat sich der Eingriff in die Darstellung Davids in der BG in der Vermeidung des Titels ‚Sohn Davids‘ für Jesus niedergeschlagen. Diese wird in der BG konsequent vorgenommen und spielt in der ‚Arierdebatte‘, also der Frage nach Jesu Herkunft, eine große Rolle.43 Eine komplette Auslassung der Figur Davids schien den Redaktoren aber wohl doch nicht möglich gewesen zu sein, sonst wäre das Bemühen um die Anpassung der Darstellung Davids an die angestrebte Auslegungsrichtung der BG nicht verständlich. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in dieser Textpassage sowohl der Messias-Begriff von der BG-Redaktion systematisch abgewertet wird, als auch, in Konsequenz dessen, eine negative Sicht auf die Schriftgelehrten zu 41
So spricht der Herr zu meinem Herrn: / Setze dich mir zur Rechten / und ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füße.“ (EÜ, Ps 110,1). Dieser Vers ist im Neuen Testament als eine der meistgebrauchten alttestamentlichen Schriftstellen in urchristlicher Tradition zur „maßgebende Aussage über Jesu himmlische Würde und Funktion“ geworden (vgl. Hahn (1995), 127 und umfassend zu Ps 110,1: ebd. 126–132). 42 Auch auf Jesus bezogen wird in der BG der Ausdruck „zur Rechten sitzen“ konsequent vermieden: ‚zur Seite Gottes‘ (BG 89) statt ‚zur Rechten des allmächtigen Gottes‘ (Lk 22,69; ἐκ δεξιῶν τῆς δυνάμεως τοῦ θεοῦ); ‚an Gottes Seite‘ (BG 238) statt ‚zur Rechten Gottes‘ (Apg 7,55.56; ἐκ δεξιῶν τοῦ θεοῦ), ‚Gott gleich geworden an Macht und Ehre’ (BG 168) statt ‘sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt’ (Hebr. 1,3; ἐκάθισεν ἐν δεξιᾷ τῆς μεγαλωσύνης ἐν ὑψηλοῖς), ‚gewann so göttliche Ehre und Macht‘ (BG 170) statt ‚sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt‘ (Hebr 12,2; ἐν δεξιᾷ τε τοῦ θρόνου τοῦ θεοῦ κεκάθικεν) und ‚der […] zur Seite Gottes steht‘ (BG 185) statt ‚der […] sitzt [hier eigentlich ‚ist‘, A.d.A.] zur Rechten Gottes‘ (Röm 8,34; ἐστιν ἐν δεξιᾷ τοῦ θεοῦ). 43 Vgl. dazu den Kommentar zu BG 124f., Die Erregung im Volk (Joh 7,40–43.31–36.45– 52), in diesem Teil S.35ff. und in eben dem Kapitel die Hinweise zu Lk 2,11 (BG 3: getilgte Verbindung Bethehem – Davidsstadt und die getilgte davidische Herkunft des Josef).
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
99
Tage tritt, obwohl eigentlich die Schriftgelehrten „als die Hauptgegner Jesu in Mk“ in dieser Passage „eher neutral gezeichnet (zuvor 12,28–34 sogar positiv)“44 sind. Nicht die Übersetzung von ‚ὁ χριστός‘ mit ‚der Messias‘ ist also das Spezifikum dieser BG-Passage, im Gegenteil, auch die EÜ wählt mit Blick auf die Muttersprache Jesu, das Aramäische, die Übersetzung ‚Messias‘, sondern die Verbindung aus der Übersetzung und der Bearbeitung der gesamten Passage ist es, die den Eindruck einer negativen Wertung des Begriffs ‚Messias‘ aus antijüdischen Bestrebungen heraus bestätigt. 2.2.3 BG 91f., Golgatha (Mark. 15,22–32a; Luk. 23,39–43; Mark. 15,33–36; Luk. 23,46), Mk 15,32:‚Der Messias, der König von Israel‘, als Spott über den Gekreuzigten und Lk 23,39: Die Lästerung am Kreuz (1) Mk 15,32 „Messias, dem König von Israel“ als Spott über den Gekreuzigten. BG
NA
EÜ
Luther
Gleicherweise spotteten die Hohenpriester samt den Schriftgelehrten untereinander: ‚Anderen hat er geholfen, sich selber kann er nicht helfen.
31 ὁμοίως καὶ οἱ ἀρχιερεῖς ἐμπαίζοντες πρὸς ἀλλήλους μετὰ τῶν γραμματέων ἔλεγον· ἄλλους ἔσωσεν, ἑαυτὸν οὐ δύναται σῶσαι·
31 Auch die Hohenpriester und die Schriftgelehrten verhöhnten ihn und sagten zueinander: Anderen hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen.
31 Desgleichen die Hohenpriester verspotteten ihn untereinander samt den Schriftgelehrten und sprachen: Er hat anderen geholfen, und kann sich selber nicht helfen.
Der Messias, der König von Israel, steige jetzt vom Kreuz herab, daß wir sehen und glauben.‘
32 ὁ χριστὸς ὁ βασιλεὺς Ἰσραὴλ καταβάτω νῦν ἀπὸ τοῦ σταυροῦ, ἵνα ἴδωμεν καὶ πιστεύσωμεν.
32 Der Messias, der König von Israel! Er soll doch jetzt vom Kreuz herabsteigen, damit wir sehen und glauben.‘
32 Ist er Christus und König in Israel, so steige er nun vom Kreuz, daß wir sehen und glauben.
Die Übersetzungen von Mk 15,32 sind analog zu den obigen Stellen vorgenommen worden: BG und EÜ wählen den hebräischen, Luther mit dem griechischen Text den griechischen Hoheitstitel. Auch in dieser Szene, als Jesus am Kreuz verspottet wird, wird ‚Messias‘ von der BG also nicht eingedeutscht und auch ansonsten wurde auffälligerweise kein signifikanter Ein44
Dschulnigg (2007), 327.
100
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
griff in den Text vorgenommen. Diese Verse scheinen also völlig mit dem Ansinnen der BG-Redaktion übereinzustimmen. Sogar die Bezeichnung „König von Israel“ wurde übernommen, wohl daher, da sie aus dem Munde der ‚Hohenpriester und Schriftgelehrten‘ kommt und somit durch den ganzen Erzählduktus der BG bereits als Falschaussage abqualifiziert wird. Das vermutete Redaktionsprinzip, den Messiasbegriff ausschließlich negativ zu verwenden, gleichsam als Spottbegriff gegen die wahre Identität Jesu, scheint durch diese Stelle bestätigt. (2) Die Bearbeitung von Lk 23,3945, in der BG direkt an Mk 15,32 angeschlossen, verstärkt den bisherigen Eindruck noch: Auch hier wird Jesus gelästert: EÜ
Luther
‚Auch einer von den Aufrührern, die mit ihm gehenkt waren, schmähte ihn:
BG
Εἷς δὲ τῶν κρεμασθέντων κακούργων ἐβλασφήμει αὐτὸν λέγων·
NA
‚Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn:
Aber der Übeltäter einer, die da gehenkt waren, lästerte ihn und sprach:
‚Du sollst doch der Messias sein! So rette dich und uns!‘
οὐχὶ σὺ εἶ ὁ χριστός; σῶσον σεαυτὸν καὶ ἡμᾶς.
Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns‘
Bist du Christus, so hilf dir selber und uns!
Ähnlich wie in den oben genannten Fällen ist auch hier die Rede vom „Messias“ negativ konnotiert. Da der Bibeltext hier davon schreibt, dass einer der Verbrecher Jesus am Kreuz verhöhnt (ἐβλασφήμει αὐτόν), verwundert es nicht, dass die BG nicht mehr stark in den Text eingreifen musste, um den Messiastitel negativ hervorzuheben. Allenfalls lässt die Umwandlung der rhetorischen Frage ‚οὐχὶ σὺ εἶ ὁ χριστός;‘, die durch die mit dem Pronomen ‚οὐχί‘ verstärkte Verneinung im Sinne eines ‚ist es nicht so, dass‘ die Antwort ‚Ja‘ von Jesus erwartet wird, zur etwas definitiveren und somit pointierteren spöttischen Aussage ‚Du sollst doch der Messias sein!‘ redaktionelle Absichten vermuten.
45 BG 92, Golgatha (Mark. 15,22–32a; Luk. 23,39–43; Mark. 15,33–36; Luk. 23,46), Luk. 23,39.
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
101
2.2.4 BG 89f., Aufforderung zum Justizmord (Mark. 15,1; Luk. 23,2), Lk 23,2: Die Anklage vor Pilatus – Jesus als Messiasprätendent Eindeutig negativ ist auch die Verwendung des Messiasbegriffs in der BG bei der Übersetzung von Lk 23,2: ‚Dort [=vor Pilatus, A.d.A.] verklagten sie [=der Hohe Rat, vgl. Lk 22,66 bzw. im Erzählduktus der BG vgl. Mk 15,1] ihn: ‚Diesen haben wir dabei ertappt, wie er das Volk aufwiegelt und davon abhält, dem Kaiser Steuern zu zahlen, indem er sich für den Messias ausgibt.‘ (BG 89f., Aufforderung zum Justizmord (Mark. 15,1; Luk. 23,2), Luk. 23,2)
Auffällig ist hier in Lk 23,2 die Übersetzung der Anklage Jesu als Messiasprätendenten mit einem modalen Adverbialsatz: BG ‚Diesen haben wir dabei ertappt, wie er das Volk aufwiegelt und davon abhält, dem Kaiser Steuern zu zahlen,
NA τοῦτον εὕραμεν διαστρέφοντα τὸ ἔθνος ἡμῶν καὶ κωλύοντα φόρους Καίσαρι διδόναι
EÜ Dort brachten sie ihre Anklage gegen ihn vor; sie sagten: Wir haben festgestellt, dass dieser Mensch unser Volk verführt, es davon abhält, dem Kaiser Steuer zu zahlen,
Luther und fingen an, ihn zu verklagen, und sprachen: Diesen finden wir, daß er das Volk abwendet und verbietet, den Schoß46 dem Kaiser zu geben,
indem er sich für den Messias ausgibt.‘
καὶ λέγοντα ἑαυτὸν χριστὸν βασιλέα εἶναι.
und behauptet, er sei der Messias und König.
und spricht, er sei ein König.‘
Statt der griechischen Gleichordnung ‚τοῦτον εὕραμεν διαστρέφοντα […] καὶ κωλύοντα […] καὶ λέγοντα […]‘, die die EÜ und Luther übernehmen (‚Wir haben festgestellt, dass dieser […] verführt und […] abhält und […] sagt‘), hebt die BG den dritten Anklagepunkt der Messiasprätendentschaft besonders hervor, indem sie ihn in einen Modalsatz stellt. So verknüpft die BG den Messias-Anspruch Jesu grammatikalisch direkt mit dem Aufwiegeln des Volkes und dem Abhalten von Steuerzahlungen, während sich im griechischen Text, wie auch Luther und EÜ korrekt übersetzen, drei separate Ankla46 Schoss, der; Wortart: Substantiv, maskulin; Gebrauch: veraltet; mittelhochdeutsch schoʒ, zu schießen in der Bedeutung „unterstützend hinzugeben, zuschießen“; Zoll, Steuer, Abgabe (Aus: Duden online: http://www.duden.de/rechtschreibung/Schoss_Abgabe_Steuer, [Stand: 15.08.2016]).
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Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
gepunkte finden, die jeweils mit ‚καί‘ verknüpft und so grammatikalisch gleichwertig sind. Dem Anklagepunkt, sich fälschlich als Messias auszugeben, wird durch diese Bearbeitung in der BG ein besonders großes Gewicht verliehen: Er wird durch den Modalsatz zur Bedingung für die beiden anderen Anklagepunkte gemacht. Obwohl bereits der lukanische Evangelientext stark plakativ von der Anklage des Hohen Rates berichtet, lässt sich hier in der BG eine Zuspitzung dieser Anklage auf die Messiasprätendentschaft beobachten, die so zum Hauptanklagepunkt gemacht wird. Zudem fällt auf, dass die Bezeichnung ‚König‘ zwar im vorangegangenen Beispiel (s.o.: Mk 15,32: ‚Der Messias, der König von Israel‘, als Spott über den Gekreuzigten) in der Verbindung mit dem für die BG negativ konnotierten ‚Israel‘ als Spottaussage auf Jesus bezogen wird, an anderen Stellen aber durchaus als richtige Aussage über Jesus qualifiziert oder sogar bewusst von der BG eingefügt, z.B. in der Überschrift BG 139: Der König des Lebens kommt in die Stadt seines Todes (Joh 12,12–13.17–24a). EXKURS: Jesus ist nicht der „König der Juden“ und nicht der „König Israels“ Bisher wurde festgestellt, dass Grundmann die Frage nach der Messianität, von ihm als „Messiasproblem“ 47 bezeichnet, eng mit dem Begriff „König der Juden“ verbindet: „wenn Jesus der Messias gewesen ist, dann hat die Kreuzesinschrift recht: ‚Jesus von Nazareth, der König der Juden.‘“48 Der „Messiasgedanke“ nähre sich ja „aus den alttestamentlichen Weissagungen vom kommenden König aus Davids Stamm, der Davids Reich herrlicher als es war erneuert.“49 Jesus habe die jüdische Messiasvorstellung eines „irdischen Königs der Juden“, also eines „Messiaskönigs“, als „satanische Versuchung“ abgelehnt.50 Grundmann spielt wohl mit dieser Formulierung auf die Versuchungsszene (Mt 4,1–11) an und deutet diese antijüdisch: Die Versuchung, alle Reiche der Welt zu beherrschen, sei von Jesus abgelehnt worden, in der jüdischen Vorstellung des „Messiaskönigs“ dagegen präsent.51 Diese Deutung ist allerdings nicht haltbar, kann diese dritte Versuchung doch im Gegenteil 47
Grundmann, Messiasproblem (1942), 381. Grundmann, Messiasproblem (1942), 381. 49 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 43. 50 Vgl. Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 39. 51 Das korrespondiert damit, dass Grundmann dem Judentum „Weltherrschaftsstreben“ unterstellt (Grundmann, Art des Judentums (1942), 90) und dem „Weltjudentum“ „satanische Mächte“ zuschreibt (vgl. Grundmann, Messiasproblem (1942), 381). Schon Lubinetzki stellte fest, dass diese Aussage Grundmanns dazu diente, Jesus radikal vom Judentum zu trennen und jegliche politische Konnotation der Botschaft Jesu zu entschärfen (vgl. Lubinetzki (2000), 375). 48
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
103
als „ein Traditionsstück der frühen palästinischen Gemeinde“ gesehen werden,52 in dem die Gemeinde, der Haltung Jesu entsprechend, die Vorstellung der messianischen Weltherrschaft im irdisch-politischen Sinne als geradezu widergöttliche Möglichkeit ablehnt.53 Plausibel ist auch, dass die Szene das römische Streben nach Weltherrschaft reflektiert, denn Jesus lehnt in Mt 4,10 nicht die Möglichkeit ab, Herrscher über alle Reiche der Welt werden zu können, sondern er verneint die Möglichkeit, mit Hilfe eines teuflischen Bundes die Herrschaft über die Welt zu erringen54. Nahe liegt daher die Vermutung, dass die Bearbeitungen des Titels βασιλεὺς Ἰσραήλ/βασιλεὺς τοῦ Ἰσραήλ bzw. ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων in der BG in ähnlicher Weise wie die des χριστός-Titels vorgenommen wurden. Da im Titel „König der Juden“ die Volkszugehörigkeit Jesu deutlich wird, ist die Frage nach dem Umgang mit dieser Bezeichnung in der BG sehr aussagekräftig auch in der Frage nach der antijüdischen Zielsetzung der BG. Tatsächlich sind die Bearbeitungen, die an einschlägigen Stellen vorgenommen wurden, auffällig und distanzieren den BG-Jesus sehr deutlich von einer solchen Bezeichnung. Bereits festgestellt wurde, dass im Spottvers Mk 15,32 die Bezeichnung „Der Messias, der König von Israel“, als abwertende Aussage analog zum Messiasbegriff in der BG stehenbleibt.55 Als falsche Benennung taucht die Rede vom „König der Juden“ bzw. „Judenkönig“ auch im Verhör vor Pilaus, dem römischen Statthalter (Mk 15,2–15 und Joh 18,28–19,16) auf:56 Da fragte ihn Pilatus: ‚Du bist der König der Juden?‘ Er aber gab ihm zur Antwort: ‚Das hat man dir gesagt.‘ Immer neue Anklagen erhoben die Hohenpriester gegen ihn. Pilatus fragte ihn abermals: ‚Antwortest du nicht darauf? Höre doch, was sie alles gegen dich vorbringen!‘ Jesus sagte kein Wort, Pilatus wunderte sich. […] Pilatus entgegnete ihnen: ‚Wollt ihr, daß ich euch den freigebe, den ihr mir als Judenkönig übergeben habt?‘ Denn ihm war klargeworden, daß ihn die Hohenpriester aus Bosheit ausgeliefert hatten. Die aber hetzten das Volk auf, er solle ihnen lieber den Barabbas freigeben. Da fragte Pilatus sie aufs neue: ‚Was soll ich denn mit dem anfangen, den ihr mir als Judenkönig bezeichnet?‘ Da schrien sie: ‚Ans Kreuz mit ihm!‘ Pilatus fragte sie: ‚Was hat er denn verbrochen?‘ Da schrien sie noch wilder: ‚Kreuzige, kreuzige ihn!‘ Pilatus wollte dem verhetzten Pöbel entgegenkommen. Er gab den Barabbas frei, Jesus aber ließ er auspeitschen und übergab ihn zur Kreuzigung. (BG 90, Pilatus (Mark. 15,2–15), Mk 15,2–5.9–15) 52
Hahn (1995), 175. Vgl. Hahn (1995), 176. 54 Vgl. Nicklas, Davidssohn (2014), 239f. 55 BG 91, Golgatha (Mark. 15,22–32a; Luk. 23,39–43; Mark. 15,33–36; Luk. 23,46), Mark. 15,31–32a. 56 BG 90, Pilatus (Mark. 15,2–15), Mk 15,2–5.9–15. Weniger signifikant sind die Eingriffe in die johanneische Version (vgl. BG 154f., Der Zeuge des Gottesreiches vor dem Vertreter des Römischen Reiches (18,28–31.33–19,16a), Joh 18,33–37). 53
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Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
BG Da fragte ihn Pilatus: ‚Du bist der König der Juden?‘ Er aber gab ihm zur Antwort: ‚Das hat man dir gesagt.‘
NA 2 Καὶ ἐπηρώτησεν αὐτὸν ὁ Πιλᾶτος· σὺ εἶ ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων; ὁ δὲ ἀποκριθεὶς αὐτῷ λέγει· σὺ λέγεις.
EÜ 2 Pilatus fragte ihn: Bist du der König der Juden? Er antwortete ihm: Du sagst es.
Luther 2 Und Pilatus fragte ihn: Bist du der König der Juden? Er antwortete aber und sprach zu ihm: Du sagst es.
Immer neue Anklagen erhoben die Hohenpriester gegen ihn. […] Jesus sagte kein Wort, Pilatus wunderte sich. […]
3 καὶ κατηγόρουν αὐτοῦ οἱ ἀρχιερεῖς πολλά. […] 5ὁ δὲ Ἰησοῦς οὐκέτι οὐδὲν ἀπεκρίθη, ὥστε θαυμάζειν τὸν Πιλᾶτον. […]
3 Die Hohenpriester brachten viele Anklagen gegen ihn vor. […] 5Jesus aber gab keine Antwort mehr, sodass Pilatus sich wunderte.[…]
3 Und die Hohenpriester beschuldigten ihn hart. […] 5 Jesus aber antwortete nichts mehr, also daß sich auch Pilatus verwunderte. […]
Pilatus entgegnete ihnen: ‚Wollt ihr, daß ich euch den freigebe, den ihr mir als Judenkönig übergeben habt?‘
9 ὁ δὲ Πιλᾶτος ἀπεκρίθη αὐτοῖς λέγων· θέλετε ἀπολύσω ὑμῖν τὸν βασιλέα τῶν Ἰουδαίων;
9 Pilatus fragte sie: Wollt ihr, dass ich den König der Juden freilasse?
9 Pilatus aber antwortete ihnen: Wollt ihr, daß ich euch den König der Juden losgebe?
Denn ihm war klargeworden, daß ihn die Hohenpriester aus Bosheit ausgeliefert hatten.
10 ἐγίνωσκεν γὰρ ὅτι διὰ φθόνον παραδεδώκεισαν αὐτὸν οἱ ἀρχιερεῖς.
10 Er merkte nämlich, dass die Hohenpriester nur aus Neid Jesus an ihn ausgeliefert hatten.
10 Denn er wußte, daß ihn die Hohenpriester aus Neid überantwortet hatten.
Die aber hetzten das Volk auf, er solle ihnen lieber den Barabbas freigeben.
11 οἱ δὲ ἀρχιερεῖς ἀνέσεισαν τὸν ὄχλον ἵνα μᾶλλον τὸν Βαραββᾶν ἀπολύσῃ αὐτοῖς.
11 Die Hohenpriester aber wiegelten die Menge auf, lieber die Freilassung des Barabbas zu fordern.
11 Aber die Hohenpriester reizten das Volk, das er ihnen viel lieber den Barabbas losgäbe.
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
BG
NA
EÜ
105
Luther
Da fragte Pilatus sie aufs neue:
12 ὁ δὲ Πιλᾶτος πάλιν ἀποκριθεὶς ἔλεγεν αὐτοῖς·
12 Pilatus wandte sich von neuem an sie und fragte:
12 Pilatus aber antwortete wiederum und sprach zu ihnen:
‚Was soll ich denn mit dem anfangen, den ihr mir als Judenkönig bezeichnet?‘
τί οὖν [θέλετε] ποιήσω [ὃν λέγετε] τὸν βασιλέα τῶν Ἰουδαίων;
Was soll ich dann mit dem tun, den ihr den König der Juden nennt?
Was wollt ihr denn, daß ich tue dem, den ihr beschuldigt, er sei der König der Juden?
Da schrien sie: ‚Ans Kreuz mit ihm!‘ Pilatus fragte sie: ‚Was hat er denn verbrochen?‘ Da schrien sie noch wilder: ‚Kreuzige, kreuzige ihn!‘
13 οἱ δὲ πάλιν ἔκραξαν· σταύρωσον αὐτόν. 14ὁ δὲ Πιλᾶτος ἔλεγεν αὐτοῖς· τί γὰρ ἐποίησεν κακόν; οἱ δὲ περισσῶς ἔκραξαν· σταύρωσον αὐτόν.
13 Da schrien sie: Kreuzige ihn! 14Pilatus entgegnete: Was hat er denn für ein Verbrechen begangen? Sie schrien noch lauter: Kreuzige ihn!
13 Sie schrieen abermals: Kreuzige ihn! 14 Pilatus aber sprach zu ihnen: Was hat er Übles getan? Aber sie schrieen noch viel mehr: Kreuzige ihn!
Pilatus wollte dem verhetzten Pöbel entgegenkommen.
15 Ὁ δὲ Πιλᾶτος βουλόμενος τῷ ὄχλῳ τὸ ἱκανὸν ποιῆσαι
15 Darauf ließ Pilatus, um die Menge zufrieden zu stellen,
15 Pilatus aber gedachte, dem Volk genugzutun,
Er gab den Barabbas frei, Jesus aber ließ er auspeitschen und übergab ihn zur Kreuzigung.
ἀπέλυσεν αὐτοῖς τὸν Βαραββᾶν, καὶ παρέδωκεν τὸν Ἰησοῦν φραγελλώσας ἵνα σταυρωθῇ.
Barabbas frei und gab den Befehl, Jesus zu geißeln und zu kreuzigen.
und gab ihnen Barabbas los, und geißelte Jesum und überantwortete ihn, daß er gekreuzigt würde.
Die Antwort Jesu auf die Frage des Pilatus, ob er der König der Juden sei, wird in Mk 15,2 zur passiven Formulierung „Das hat man dir gesagt“ umgeschrieben, anstelle des „Du sagst es‘ (σὺ λέγεις, Mk 15,2). Die Aussage Jesu erscheint dadurch in der BG als klare Ablehnung. Das stellte bereits Hans von Soden fest: „Das ‚du sagst es‘ wird hier also verstanden: das sagst du, nicht ich, und in seiner verneinenden Bedeutung fixiert durch die freigeschaffenen
106
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Worte: das hat man dir erzählt“.57 Die Antwort Jesu wird also in der BG, auf den Titel „König der Juden“ bezogen, zu einem eindeutigen Nein modelliert. Die parallele Verwendung von σὺ λέγεις als Antwort aus dem Munde Jesu in Mt 26,25 (Da fragte Judas, der ihn verriet: Bin ich es etwa, Rabbi? Jesus sagte zu ihm: Du sagst es. (EÜ, Mt 26,25)58) legt allerdings nahe, dass es sich im Griechischen um eine Zustimmung handelt, allerdings um keine „glatte Bejahung wie ‚ich bin es‘“ es wäre, sondern die Antwort Jesu berücksichtigt die Ambivalenz des Titels „König der Juden“.59 Außerdem scheint die BG-Redaktion herausarbeiten zu wollen, dass auch Pilatus nicht glaubte, dass Jesus der „König der Juden“ sei: In den in der BGVersion ins Passive gesetzten Worten Jesu ist es nicht mehr Pilatus, auf den die Initiative zur Frage zurückgeht, ob Jesus der „König der Juden“ sei, sondern es sind die Ankläger, die Jesus missverstehen: „Das hat man dir gesagt.“ Auch wird Pilatus in seinen Fragen durch die BG-Redaktion in eine größere Distanz zum „Judenkönig“ gesetzt: Ein bewusster redaktioneller Eingriff scheint auch bei der zweimaligen Übersetzung von „ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων“ mit „Judenkönig“ vorzuliegen: Dieses zusammengesetzte Substantiv wirkt im Vergleich zum Genitivattribut „König der Juden“ abwertend und findet sich in dieser Verwendung auch im zeitgenössischen Gebrauch.60 Zudem lautet in der BG seine Frage an die Hohenpriester, ob er den freigeben solle, „den ihr mir als Judenkönig übergeben habt“ (NA: τὸν βασιλέα τῶν Ἰουδαίων, Mk 15,9); der explizite Hinweis, dass die Hohenpriester Jesus ausgeliefert hätten, wird von der BG-Redaktion also hinzugefügt (Mk 12,9):
57 58
lich.
59
ous.“
Soden, Urchristentum (1956), 190f. In der BG ist Mt 26,25 nicht aufgenommen, ein direkter Vergleich ist also nicht mögVgl. Gnilka (2010), 300. Ähnlich Collins (2007), 713: „Jesus‘ answer […] is ambigu-
60 Z.B. ist von Kurt Julius Goldstein (1914–2007) bekannt, dass er von der SS höhnisch als „Judenkönig“ bezeichnet wurde, weil er bei der Zwangsarbeit in den Kohlengruben von Jawischowitz weiter Widerstand leistete. Der deutsche jüdische Journalist, der 1930 der KPD beitrat, floh nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst nach Luxemburg, dann nach Frankreich und kämpfte von 1936 bis 1939 in den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg. Danach wurde er zunächst in Internierungslagern in Frankreich gefangen gehalten, dann im Juli 1942 an Deutschland ausgeliefert und nach Auschwitz deportiert (vgl. Schuder/Hirsch (2004), v.a. 249 zur Bezeichnung „Judenkönig“). Außerdem berichtet DIE ZEIT davon, dass Kinderarzt Dr. Werner Scheu, der 1941 mit seinem SS-Reitersturm bei den Massentötungen in Neustadt beteiligt war und selektiert arbeitsfähige Juden für den Einsatz im Kreis Heydekrug selektierte, „Judenkönig“ genannt wurde, weil er mehreren Zwangsarbeitslagern vorstand (Lachauer (1989), 7). Und Leslie Epstein beschreibt in seinem Roman „Judenkönig“ Chaim Trumpelman, den Vorsitzenden eines Judenrates im besetzen Polen als dem „Judenkönig“, der zugleich umjubelt und gehaßt wurde (Epstein (1980)).
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
BG
NA EÜ Pilatus an die Hohenpriester:
107
Luther
‚Wollt ihr, daß ich euch den freigebe,
θέλετε ἀπολύσω ὑμῖν
Wollt ihr, dass ich
Wollt ihr, daß ich euch
den ihr mir als Judenkönig übergeben habt?‘
τὸν βασιλέα τῶν Ἰουδαίων;
den König der Juden
den König der Juden
freilasse?
losgebe?
Die zweifelnde Nachfrage des Pilatus wird von der BG missbraucht, um Pilatus von der Aussage zu distanzieren. Auch die Rolle des Volkes wird von der BG noch drastischer beurteilt: Pilatus wendet sich an: BG …den verhetzten Pöbel
NA …τῷ ὄχλῳ
EÜ …die Menge
Luther …das Volk
Bereits Karl Fischer kritisierte in seiner Reaktion auf die Herausgabe des ersten Teils der BG diese beiden Texteingriffe, die er der „Sorge vor ‚Judaismen‘“ zuschreibt. Es handle sich nicht mehr um „Übersetzungen“, sondern um „Eingriffe“ „über die jeder selbst das notwendige Urteil fällen mag“, bei denen aber die BG-Redaktoren nicht versucht hätten, „die Zeitgenossen zu einem besseren Verständnis zu führen“, sondern lieber „die umkämpften Geschichten“ preisgaben.61 Fromm verteidigt sich gegen diesen Einwand, indem er von einer „Suggestion“ spricht, die Fischer erwecken wolle: Tatsächlich trüge ja auch die wörtliche Übersetzung „Du sagst es“, die Pilatus beim Verhör als Antwort Jesu empfängt, „den Ton auf dem ersten Wort ‚Du‘“ und bedeute daher „in der aramäischen Umgangssprache eine ‚Verneinung‘“. Die „ironisierende“ Aufnahme der „Anklage der Juden“ könne also „in deutscher Sprache in einem gedruckten Text (der dann vorgelesen werden soll)“ gar nicht anders ausgedrückt werden, als es die BG tut.62 Fromm hält außerdem fest, dass es die „Überzeugung“ der Redaktion sei, „daß Jesus niemals der Juden König hat sein wollen, und daß, wie es aus unsrer Darstellung hervorgeht, die Anklage, er sei ein Messias, bewußter jüdischer Betrug und Anlaß zum Justizmord ist.“63 Zuletzt wird Fischers Einwand von Fromm dadurch abgeschmettert, dass die Kritik an der Tilgung von „Judaismen“ nur verrate, „daß Ihnen die Judenfrage, die heute das Schicksal des deutschen 61
Vgl. Fischer (1940), 10. Vgl. Im Anhang zu Fromm (1940), 59. 63 Im Anhang zu Fromm (1940), 60. 62
108
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Volkes bestimmt, niemals eine ernste Frage gewesen ist.“64 Fromm bestätigt hier erneut, dass er die „Judenfrage“ als Triebfeder der Herausgeber für derlei Eingriffe in die Christologie sieht. Weder die pauschale65 Ablehnung der Bezeichnung als „König der Juden“ durch Jesus, noch durch Pilatus ist allerdings eine adäquate Deutung der Stelle, wie es die BG-Redaktion durch die Texteingriffe suggeriert, die zu dieser Deutung führen. Nahe liegt vielmehr, dass Mk vor allem betont, „daß Pilatus kein eigenes Interesse daran hatte, Jesus hinzurichten“, sondern „von Jesu Unschuld überzeugt“ war, „weil er die innerjüdischen Rivalitäten durchschaut, die Anklagen der Hohenpriester als aus ‚Neid‘, φθόνος, entstanden erkennt“66, aber die „Spannung zwischen Identifikation und Distanzierung, zwischen Akzeptierung und Ablehnung des Königstitels, die für Johannes charakteristisch ist“67 auch bereits bei Mk erkennbar ist. Die Verspottung Jesu durch die Soldaten68, wiederum unter Verwendung der Bezeichnung als „Judenkönig“, wird im Text der BG dementsprechend nicht verändert, da hier der Begriff eindeutig abwertend verwendet wird. Der negative Gebrauch wird aber durch die Einfügung, die Soldaten hätten „zum Spott“ gehandelt (ohne gr. Basis) und „höhnten ihn“ (statt ἀσπάζεσθαι/grüßen) noch unterstrichen:
64
Im Anhang zu Fromm (1940), 60. Gnilka spricht vielmehr von einer „Ambivalenz des Titels“, die auch die Antwort Jesu berücksichtige. Wenn seine Antwort offenbleibt, „muß im weiteren Verlauf geklärt werden, in welchem Sinn er König der Juden ist“ (Gnilka (2010), 300). Gnilka stellt fest, dass Jesus die Benennung „König der Juden“ in Mk nur von Nichtjuden erhält (Pilatus, den Magiern), mit denen sie „die nichtjüdische Messiaserwartung auf die ihm gemäße und verständliche Formel“ bringen (ebd. 299). Wie Stegemann/Stegemann für die entsprechenden Stellen in Joh feststellen, kann auch hier gesagt werden, dass Jesus „einerseits eine bestimmt Auffassung seines Königtums ablehnt, andererseits aber eine andere durchaus eingesteht. Was er ablehnt, ist offenbar der Titel ‚König der Juden‘ oder jedenfalls eine bestimmt Lesart dieses Titels, die in ihm das politische Delikt eines revolutionären Gegenkönigtums sieht. Denn im Munde eines römischen Statthalters dürfte dies die nächstliegende Bedeutung des Syntagmas sein“ (Stegemann/Stegemann (1993), 4). 66 Schwemer, Passion (2001), 156. 67 Stegemann/Stegemann (1993), 41. 68 BG 90f., Die Verspottung Jesu (Mark. 15,16–20a), Mk 15,16–18. 65
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
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BG
NA
EÜ
Luther
Die Soldaten führten Jesus ab in den Innenhof des Amtsgebäudes, riefen die ganze Leibwache zusammen, zogen ihm zum Spott ein Purpurgewand an, umflochten seine Stirn mit einem Dornenkranz
16 Οἱ δὲ στρατιῶται ἀπήγαγον αὐτὸν ἔσω τῆς αὐλῆς, ὅ ἐστιν πραιτώριον, καὶ συγκαλοῦσιν ὅλην τὴν σπεῖραν. 17 καὶ ἐνδιδύσκουσιν αὐτὸν πορφύραν καὶ περιτιθέασιν αὐτῷ πλέξαντες ἀκάνθινον στέφανον·
16 Die Soldaten führten ihn in den Palast hinein, das heißt in das Prätorium, und riefen die ganze Kohorte zusammen. 17 Dann legten sie ihm einen Purpurmantel um und flochten einen Dornenkranz; den setzten sie ihm auf
16 Die Kriegsknechte aber führten ihn hinein in das Richthaus und riefen zusammen die ganze Schar 17 und zogen ihm einen Purpur an und flochten eine dornene Krone und setzten sie ihm auf,
und höhnten ihn. ‚Sei gegrüßt, Judenkönig!‘
18 καὶ ἤρξαντο ἀσπάζεσθαι αὐτόν· χαῖρε, βασιλεῦ τῶν Ἰουδαίων·
18 und grüßten ihn: Heil dir, König der Juden!
18 und fingen an, ihn zu grüßen: Gegrüßet seist du, der Juden König!
Ebenso in der BG-Bearbeitung der entsprechenden Passage bei Johannes69, v.a. Joh 19,3: Auch hier wird unterstrichen, dass die Rede vom „Judenkönig“ (BG) zum Spott geschehe. Die Soldaten „huldigten ihm zum Spott“ (BG) statt „sie stellten sich vor ihn hin und sagen“ (EÜ) καὶ ἤρχοντο πρὸς αὐτὸν καὶ ἔλεγον (NA). Schwemer weist dagegen darauf hin, dass die Verspottung Jesu als „König der Juden“ vor Augen stelle, „daß Jesus als der ‚Messias Israels‘ auch den paganen Judenhaß ertrug. Jesus erweist sich solidarisch mit seinem Volk – er wird ja als Juden-König verspottet – und zugleich als Vorbild für die Gläubigen, die ‚bei allen verhaßt sein werden, um (seines) Namens willen‘ (Mk 13,13)“.70 Die Ablehnung Jesu durch „die Juden“ lässt sich also keineswegs aus dem Spott herauslesen, vielmehr sei eine Solidarität zwischen ihm und dem jüdischen Volk erkennbar. Ähnlich negativ ist der Titel „König der Juden“ bei der Aufschrift am Kreuz gebraucht, weshalb auch hier kein großer Eingriff nötig war, schließlich ist sie im Markusevangelium als Angabe der Schuld (ἡ αἰτία) beschrieben (BG 91f., Golgatha (Mark. 15,22–32a; Luk. 23,39–43; Mark. 15,33–36; Luk. 23,46), Mk 15,26): 69
BG 155, Der Zeuge des Gottesreiches vor dem Vertreter des Römischen Reiches (18,28–31.33–19,16a), Joh 19,2–3. 70 Schwemer, Passion (2001), 161.
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Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
BG Als seine Schuld gab die Aufschrift am Kreuz an:
NA καὶ ἦν ἡ ἐπιγραφὴ τῆς αἰτίας αὐτοῦ ἐπιγεγραμμένη·
EÜ Und eine Aufschrift (auf einer Tafel) gab seine Schuld an:
Luther Und es war oben über ihm geschrieben was man ihm schuld gab,
‚Der König der Juden‘.
ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων.
Der König der Juden.
nämlich: Der König der Juden.
Die BG gleicht die entsprechende Stelle im Johannesevangelium71 den Synoptikern an, um den Titel „König der Juden“ klar als „Schuld“ kenntlich zu machen. Dies schien ihnen wohl zusätzlich dadurch nötig zu sein, dass Pilatus in Joh 19,2272 den Titulus auch gegen den Willen der Hohenpriester verteidigt. Die BG-Version von Joh 19,19 lautet dementsprechend: BG Pilatus aber ließ die Schuld aufschreiben
NA ἔγραψεν δὲ καὶ τίτλον ὁ Πιλᾶτος
EÜ Pilatus ließ auch ein Schild anfertigen
Luther Pilatus aber schrieb eine Überschrift
und am Kreuz anheften. Die lautete: Jesus aus Nazareth, der König der Juden.
καὶ ἔθηκεν ἐπὶ τοῦ σταυροῦ· ἦν δὲ γεγραμμένον· Ἰησοῦς ὁ Ναζωραῖος ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων.
und oben am Kreuz befestigen; die Inschrift lautete: Jesus von Nazaret, der König der Juden.
und setzte sie auf das Kreuz; und war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König.
Mit dieser Übersetzung übereinstimmend erläutert Grundmann an anderer Stelle, es handele sich bei der Kreuzesüberschrift um „Hohn“, „da die politische Bezeichnung ‚König von Judäa‘, die religiös-messianische ‚König von Israel‘ lautete.“73 Er zieht daraus den Schluss, dass die Inschrift einerseits die „einen Justizmord heraufführende Lüge der Juden“, andererseits den „Hohn der Römer über die Juden“ ausdrücke: „Man wollte vor aller Augen deutlich machen, daß Jesus in jeder Hinsicht vom Judentum getrennt und geschieden sei uns als Gekreuzigter auch von Gott eindeutig verworfen sei.
BG 157f., Die Kreuzigung (19,16b–22), Joh 19,16b–22. Die BG nimmt diesen Vers allerdings unverändert auf. 73 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 161.
71
72
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
111
[…] So zeigt der Passionsbericht mit voller Deutlichkeit, bis zu welcher Schärfe der Gegensatz zwischen Jesus und dem Judentum gediehen war.“74
Die Juden seien außerdem nicht nach ihrer Blutgerichtsbarkeit, die zur Steinigung, nicht zur Kreuzigung, geführt hätte, vorgegangen, um damit deutlich zu machen, „daß Jesus in jeder Hinsicht vom Judentum getrennt und geschieden sei und als Gekreuzigter auch von Gott eindeutig verworfen sei […]. So zeigt der Passionsbericht mit voller Deutlichkeit, bis zu welcher Schärfe der Gegensatz zwischen Jesus und dem Judentum gediehen war.“75 Während Grundmann den scharfen Gegensatz zwischen Jesus und dem Judentum an Passion, Kreuzigung und im Speziellen dem Titel „König der Juden“ festmacht, weist Schreiber in einer aktuellen Deutung nach, dass es sich keineswegs um die eindimensionale Verwerfung Jesu durch das Judentum handelte: Die königliche Gesalbtenerwartung stelle nicht nur ein „Grundmuster von Repräsentanz und Legitimation und den Christus-Titel als Deutekategorie zur Verfügung, sondern erklärt auch die causa mortis Jesu sinnvoll, die als Titulus crucis überliefert wurde: ‚König‘ ist Jesus als Gesalbter tatsächlich, wobei sein Tod aus der mangelnden Bereitschaft der Obrigkeit zur Akzeptanz seines Anspruchs einerseits, aus der schriftgemäßen Heilsabsicht Gottes andererseits resultiert. So erweist sich die Aufnahme des Titels durchaus an der konzeptionell verbundenen Sache orientiert.“76 Wolfgang und Ekkehard Stegemann ziehen in Erwägung, ob beim Beharren des Pilatus auf die Beibehaltung des Titulus eine Affirmation des Titels „König der Juden“ anklinge, kommen dann aber zum Schluss, dies sei „dann allerdings höchst ironisch“ zu verstehen. In Verbindung mit der Verleugnung des Ewigen im Himmel durch die „Ἰουδαῖοι“ (vgl. Joh 19,1577) werde den Lesern aber deutlich gemacht, „daß für Johannes sehr viel mehr auf dem Spiel steht, nämlich daß Gott als König verleugnet wird, der König aller Könige und Herr aller Herren.“78 Im Unterscheid zu diesen differenzierten Deutungen lässt sich an den Texten der BG und den entsprechenden Interpretationen Grundmanns festhalten, dass, dass Jesus weder als „König Israels“ noch als „König der Juden“ verstanden wurde, sondern hier beide Begriffe ausschließlich im negativen Sinne als Fehlaussagen verwendet werden. *
* *
74
Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 162. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 162. 76 Schreiber (2000), 496. 77 Von der BG (156) wörtlich in der direkt voranstehenden Passage ‚Der Zeuge des Gottesreiches vor dem Vertreter des Römischen Reiches (18,28–31.33–19,16a)‘ aufgenommen. 78 Stegemann/Stegemann (1993), 43f. 75
112
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Für den Moment sei festgehalten, dass der Messiasbegriff in Lk 23,2 von der BG verschärft negativ besetzt wird. Wenn im zweiten Schritt der Blick auf die gesamte Szene gerichtet wird, in die die BG den Vers Lk 23,2 einbettet, bestätigt sich dieser Eindruck noch: Die Geschehnisse von der Sitzung des Hohen Rats bis zur Auslieferung an Pilatus werden in der BG nicht nach Lk, sondern nach Mk geschildert: BG 89f., Aufforderung zum Justizmord (Mark. 15,1; Luk. 23,2). Der parallele Satz bei Lk erschien den Redaktoren wohl zu schwach: BG
Mk 15,1
EÜ
Lk 23,1
In der Frühe hielten die Hohenpreister mit den Ältesten und Schriftgelehrten, der ganze Hohe Rat, dem Gesetz entsprechend, eine zweite Gerichtssitzung
Gleich in der Frühe fassten die Hohenpriester, die Ältesten und die Schriftgelehrten, also der ganze Hohe Rat, über Jesus einen Beschluss:
Daraufhin erhob sich die ganze Versammlung
und führten danach Jesus in Fesseln ab und übergaben ihn dem römischen Landvogt Pilatus,
Sie ließen ihn fesseln und abführen und lieferten ihn Pilatus aus.
und man führte Jesus zu Pilatus.
weil sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. Im Markusevangelium findet sich also eine genauere Beschreibung des Hergangs, Jesus wird gefesselt, abgeführt und dem Pilatus ausgeliefert, statt einfach nur zu ihm geführt (Lk). Die BG wählt nun Mk 15,1 als Basis für ihre Bearbeitung „[…] führten danach Jesus in Fesseln ab und übergaben ihn dem römischen Landvogt Pilatus, weil sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten“ (BG 89) und fügt einen neuen Versteil eigenmächtig hinzu („weil sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten“), der die Deutung der BGRedaktoren in den Text einträgt: Der Hohe Rat als das höchste jüdische Gremium, das Jesus an Pilatus ausliefert, wird in größere Distanz zu Jesus gesetzt. Auch wird durch die Zufügung der Beschreibung des Pilatus als „römischer Landvogt“ eine eindeutigere Abgrenzung zwischen Juden79 und Römern80 vorgenommen. Dass es sich um einen bewussten Eingriff handelt, lässt sich auch daran erkennen, dass sich in der BG-Teilausgabe noch schlicht
79 80
Vertreten durch den Hohen Rat. Vertreten durch ihren römischen Statthalter.
2.2 Negativer Gebrauch des Messiasbegriffs im ersten Teil der BG
113
„Pilatus“ findet81. Die zunächst als reine Erläuterung anmutende Beschreibung des Pilatus könnte auf dem Hintergrund eingefügt worden sein, dass die BG-Redaktion die Römer gezielt als Gegenbild zu den Juden, die die Kreuzigung Jesu zu verantworten hätten, präsentiert wollte. Laut Schwemer werde Pilatus im Markusevangelium allerdings nicht als unschuldig beschrieben, ebenso wie die Juden als solche nicht angeklagt werden: Die Auslieferung Jesu durch Hohepriester und Synhedristen finde statt, „weil sie in ihrer Verstockung aus der Sicht des Evangelisten […] Jesu messianischen Anspruch verwerfen. Aus derselben apologetischen Tendenz heraus betont Markus, daß Pilatus erkannte, daß Jesus unschuldig des Aufruhrs bezichtigt wurde, aber er entschuldigt das Verhalten des Pilatus keineswegs. Im Gegenteil: daß Pilatus – anders als die Hierarchen – wider besseres Wissen Jesus verurteilt, erhöht seine Schuld. Er erweist sich als charakterloser und ungerechter Richter. Dagegen klagt Markus nicht ‚die Juden‘ als solche an. Der Jerusalemer ὄχλος, der Barabbas erbittet und ‚kreuzige‘ ruft, bleibt unbestimmt und wird von der Hierarchen aufgehetzt.“82 Bestätigt werde das dadurch, dass keine direkte Nennung „der Juden“ in der Passionserzählung des Markus nie erfolge, sondern sie „nur im antijüdischen Titel ‚König der Juden‘“ erscheinen. „Der Jude Jesus stirbt aufgrund der Anklage ihr ‚König‘, d.h. der Messias Israels (15,22) zu sein.“83 Die BG geht also in ihre Textbearbeitung zu weit, indem sie eine Polarisierung forciert, die so in den Texten nicht zu finden ist. Zudem ist die Überschrift, die die BG für den aus Mk 15,1 und Lk 23,2 kombinierten Absatz wählt, interessant: „Aufforderung zum Justizmord 84“ ist ein klares Bekenntnis zu dem Standpunkt, dass die jüdische Obrigkeit es war, von der die Initiative zum ‚Mord‘ an Jesus ausgegangen sei. Die Justiz dagegen erscheint lediglich als ausführende Gewalt, die im Zuge dieser Aufforderung einem Irrtum aufgesessen sei. Grundmanns Interpretation des Verhörs vor Pilaus im Johannesevangelium klingt noch etwas schärfer, wenn er hier Pilatus den Vertreter des „Imperium Romanum“, Jesus den „Logos“, also Idee und Träger der zeitlosen Wahrheit, und die Juden das „widergöttliche“ oder „satanisches Prinzip“ nennt.85
81
BG-Teilausgabe 91, Aufforderung zum Justizmord (Mark. 15,1; Luk. 23,2), Mk 15,1. Schwemer, Passion (2001), 161f. 83 Schwemer, Passion (2001), 163. 84 Justizmord wird definiert als „Hinrichtung einer aufgrund eines Justizirrtums oder eines Rechtsmissbrauchs verurteilten, in Wirklichkeit aber unschuldigen Person“ [aus: Duden online: http://www.duden.de/rechtschreibung/Justizmord [Stand: 15.08.2016]. 85 Vgl. Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 218. 82
114
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
2.3 Alternativen zum Messiasbegriff – ein erster Einblick in die ‚positive‘ Christologie des ersten Teils der BG 2.3 „Alternativen“ zum Messiasbegriff
2.3.1 BG 88, Das Verhör vorm Hohenpriester (Mark. 14,53–61; Luk. 22,67b–70; Mark. 14,63–65; Luk. 22,64c), Mk 14,61 und Lk 22,67: Das Verhör vor dem Hohenpriester: ‚Sohn Gottes‘ statt ‚Messias‘ Ein weiteres Beispiel für die systematische Abwertung des Messiasbegriffs ist auch der Vers Lk 22,67, der von der BG in die Versfolge ‚Mark. 14,60–61; Luk 22,67b–70‘ eingeflochten wurde: Da trat der Hohenpriester in die Mitte und fragte Jesus: ‚Antwortest du nichts auf diese Anklagen wider dich? Er schwieg und antwortete nicht ein Wort. Abermals fragte ihn der Hohepreister: ‚Bist du der Messias, so sage es uns!‘ Er aber sprach zu ihnen: ‚Würde ich euch sagen, wer ich wirklich bin, so würdet ihr mir keinen Glauben schenken. Würde ich euch danach fragen, so könntet ihr mir keine Antwort geben. Von nun an wird sein der Menschensohn zur Seite Gottes.‘ Da sprachen sie alle: ‚So bist du Gottes Sohn?‘ Er sprach zu ihnen: ‚Ich bin es.‘ (BG 88, Das Verhör vorm Hohenpriester (Mark. 14,53–61; Luk. 22,67b–70; Mark. 14,63– 65; Luk. 22,64c), Mk 14,60–61; Lk 22,67b–70)
Auffällig ist hier zunächst der abrupte Sprung vom Markus- ins Lukasevangelium, genau vor dem Bekenntnis Jesu, der Messias zu sein (Mk 14,62 (EÜ): Jesus sagte: Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen). Anstelle dieses Verses Mk 14,62 fügt die BG Lk 22,67b–70 ein, wo sich statt des Bekenntnisses zur Messianität das Bekenntnis zur Gottessohnschaft findet. Hier ein Vergleich beider Stellen in ihrem eigentlichen Kontext im Mk- bzw. LkEvangelium: EÜ, Mk 14,61–62
EÜ, Lk 22,70
[…] Da wandte sich der Hohepriester nochmals an ihn und fragte: Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten? Jesus sagte: Ich bin es. […]
Da sagten alle [= der Hohe Rat, vgl. Lk 22,66]: Du bist also der Sohn Gottes. Er antwortete ihnen: Ihr sagt es – ich bin es.
‚Ich bin es [=der Messias]‘ (EÜ, ‚Ihr sagt es – ich bin es [=der Mk 14,62) Sohn Gottes]‘ (EÜ, Lk 22,70) BG, Lk 22,70 Da sprachen sie alle: ‚So bist du Gottes Sohn?‘ Er sprach zu ihnen: ‚Ich bin es.‘ (BG 88, Lk 22,70) Die Versauswahlauswahl lässt vermuten, dass der theologischen Intention der BG das Bekenntnis Jesu zur Gottessohnschaft im Lukasevangelium näher liegt als das Bekenntnis zur Messianität im Markusevangelium. Die BG hebt dann auch mit Nachdruck die Frage und Antwort zum Thema der Gottessohn-
115
2.3 „Alternativen“ zum Messiasbegriff
schaft optisch hervor: Im Original sind die Buchstaben gesperrt gedruckt, wie nur an wenigen Stellen in der BG. Weiterhin lässt sich ein starker Eingriff an der ‚Nahtstelle‘ zwischen beiden Evangelien feststellen, da auch die lukanische Antwort auf die Frage nach des Messianität Jesu keineswegs eindeutig negativ ist (Lk 22,67b–70): BG
NA
EÜ
Luther
(67 λέγοντες· εἰ σὺ εἶ ὁ χριστός, εἰπὸν ἡμῖν.)
(67 Sie sagten zu ihm: Wenn du der Messias bist, dann sag es uns!)
(67 und sprachen: Bist du Christus, sage es uns!)
Er aber sprach zu ihnen: ‚Würde ich euch sagen, wer ich wirklich bin, so würdet ihr mir keinen Glauben schenken.
εἶπεν δὲ αὐτοῖς· ἐὰν ὑμῖν εἴπω, οὐ μὴ πιστεύσητε·
Er antwortete ihnen: Auch wenn ich es euch sage – ihr glaubt mir ja doch nicht;
Er aber sprach zu ihnen: Sage ich's euch, so glaubt ihr's nicht;
Würde ich euch danach fragen, so könntet ihr mir keine Antwort geben. Von nun an wird sein der Menschensohn zur Seite Gottes.‘
68 ἐὰν δὲ ἐρωτήσω, οὐ μὴ ἀποκριθῆτε. 69 ἀπὸ τοῦ νῦν δὲ ἔσται ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου καθήμενος ἐκ δεξιῶν τῆς δυνάμεως τοῦ θεοῦ.
68 und wenn ich euch etwas frage, antwortet ihr nicht. 69 Von nun an wird der Menschensohn zur Rechten des allmächtigen Gottes sitzen.
68 frage ich aber, so antwortet ihr nicht und laßt mich doch nicht los. 69 Darum von nun an wird des Menschen Sohn sitzen zur rechten Hand der Kraft Gottes.
Da sprachen sie alle: ‚So bist du Gottes Sohn?‘ Er sprach zu ihnen: ‚Ich bin es.‘
70 εἶπαν δὲ πάντες· σὺ οὖν εἶ ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ; ὁ δὲ πρὸς αὐτοὺς ἔφη· ὑμεῖς λέγετε ὅτι ἐγώ εἰμι.
70 Da sagten alle: Du bist also der Sohn Gottes. Er antwortete ihnen: Ihr sagt es – ich bin es.
70 Da sprachen sie alle: Bist du denn Gottes Sohn? Er aber sprach zu ihnen: Ihr sagt es, denn ich binʼs.
Die BG greift hier in die Antwort Jesu stark ein. Durch die Hinzufügung, „wer ich wirklich bin“ statt „es“ wird Jesu Antwort auf die Frage, ob er der Messias sei, zu einem ‚Nein, ihr könnt mich gar nicht erfassen‘ statt eines ‚Nein, ihr versteht nicht, was ein Messias wirklich ist‘. Die Intention der BGBearbeitung scheint in erster Linie zu sein, die Gottessohnschaft Jesu hervor-
116
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
zuheben. Das hat sowohl die optische Heraushebung der beiden Sätze als auch die gezielte Auswahl der (Halb-)Verse aus dem Markus- und Lukasevangelium nahegelegt. Gleichzeitig wird aber das Bekenntnis zur Gottessohnschaft von der BG in einen starken Gegensatz zur Messiasvorstellung gebracht, da diese durch die Bearbeitung und daraus resultierende negative Umdeutung der lukanischen Antwort abgelehnt wird. Die Vermutung, dass hier ein derartiger bewusster Eingriff vorliegt, bestätigt Grundmann selbst in seiner Erklärung, warum er an dieser Stelle das Lukasevangelium präferiert anstelle des Markusevangeliums. Im Markusevangelium sei die Frage des Hohepriesters86 nach dem „urchristlichen Bekenntnis: ‚Jesus, der Messias und Sohn Gottes“ gestaltet worden. Eben diese Frage hätte der Hohepriester aber gar nicht stellen können, „da der Messias nach jüdischer Dogmatik nicht als Sohn Gottes gilt“87. Der Evangelist frage so, „wie an sich nur ein Christ fragen kann“.88 Laut Grundmann bestätige nun der Bericht im Lukasevangelium diese Beobachtung, da hier Jesus Antwort auf die Frage nach seiner Messianität „nur verneinend verstanden werden“ könnte: „Sein Geheimnis ist so, daß er bei ihnen keinen Glauben findet und sie kein Verständnis dafür haben, so daß er sie nicht fragen kann. Als der Hohepriester ihn nach der Gottessohnschaft fragt, bekennt er sich dazu. Auf die Frage nach der Messianität hat Jesus verneinend, auf die nach der Gottessohnschaft bejahend geantwortet.“89
Somit ist diese Stelle bisher die erste im ersten Teil der BG (‚Der Heiland‘), in der der Negativbezeichnung ‚Messias‘ auch eine positive Bestimmung der Sendung Jesu an die Seite gestellt wird: Die Gottessohnschaft. Das Verständnis von „Gottessohnschaft“ allerdings ist bemerkenswert: Grundmann erwähnt hier durchaus die Verbindung zwischen Messias und Gottessohn in Mk 14,61, die in der BG völlig fehlt, erklärt sie aber für obsolet, da diese Verbindung anachronistisch sei. Gegen die Behauptung einer fehlenden Verbindung von Messias und Sohn Gottes im jüdischen Denken steht aber ganz deutlich Ps 290 und seine Rezeption. Schon 1942 widerlegt Büchsel mit diesem Verweis auf das Alte Testament in seiner Rezension ebendiese Aussage Grundmanns: 86
Vgl. Mk 14,60. Grundmann verweist hier auf sein Buch Grundmann, Gotteskindschaft (1938), 48–50. Hier schreibt er, das Judentum kenne eine Bezeichnung des Kommenden als Sohn Gottes nicht. Sie sei daher aus dem zeitgenössischen Judentum unerklärbar und unableitbar (vgl. Grundmann, Gotteskindschaft (1938), 50). 88 Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 160. 89 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 160. 90 Vgl. v.a. Ps 2,6–7: ‚Ich selber habe meinen König eingesetzt /auf Zion, meinem heiligen Berg.‘ Den Beschluss des Herrn will ich kundtun. /Er sprach zu mir: ‚Mein Sohn bist du. / Heute habe ich dich gezeugt.‘ 87
2.3 „Alternativen“ zum Messiasbegriff
117
„Aber der Mk.-Bericht über die Verurteilung Jesu im Synedrion läßt sich nicht dadurch entkräften, daß G. [Grundmann, A.d.A.] behauptet: so wie bei Mk. 14,61 kann der Hohepriester nicht fragen, da der Messias nach jüdischer Dogmatik nicht als Gottes Sohn gilt (160). Denn in Ps. 2, dessen v. 9 schon ps.Sal.17,23 auf den Messias bezogen ist, wird v. 7 der König ‚mein Sohn‘ von Gott genannt.“91
Der Blick in Grundmanns einschlägige Publikationen und die zeitgenössische Reaktion darauf kann zeigen, dass der Messiasbegriff auch der BG-Redaktion große Probleme in der Bibelübersetzung bereitete. Grundmann und, mit ihm als wissenschaftlichem Direktor92, auch die BG, heben den Messiasbegriff aus ihren antijüdischen Bestreben heraus negativ von der Bezeichnung Jesu als ‚Sohn Gottes‘ ab und deuten ersteren als jüdisch, zweiteren aber als typisch jesuanisch. Diesen Versuch Grundmanns, die Titel „Sohn Gottes“ und „Messias“ voneinander strikt zu trennen, registriert bereits Hans von Soden und verurteilt dieses Vorgehen als den „Gipfel ungeschichtlicher Willkür“ und „schlechthin modernisierende Umdeutung der Überlieferung“: Zwar könne man „durchaus darüber streiten, ob oder wie weit der Glaube an die Messianität und die Gottessohnschaft Jesu schon in seinem geschichtlichen Leben entwickelt war; aber es ist eine schlechthin modernisierende Umdeutung der Überlieferung und eine Umkehrung ihrer Folge, wenn man in sie einen Gegensatz von Messianität und Menschen- bzw. Gottessohnschaft einträgt und Zeugnisse schafft, die jene vermeinen, aber diese bejahen.“93 Ebenso kritisiert er das daraus resultierende Vorgehen bei der BGBearbeitung, da die Unterscheidung „der Zeit Jesu völlig fremd“ sei. „In der Geschichte des Christentums ist der Sohn Gottes die Auslegung und zugleich die Überbiegung des Titels Messias, aber nicht der Gegensatz dazu.“ Es sei hierbei nicht von Bedeutung, ob diese Steigerung schon auf jüdischen Boden erfolgen konnte oder erst auf hellenistischem.94 2.3.2 BG 3, Die Heilige Nacht (Luk. 2,1–20.21b), Luk. 2,8–11), Lk 2,11: ‚Christus der Herr‘: Die Davidssohnschaft Jesu wird verschwiegen Die einzige Stelle, an der im ersten Teil der ‚Botschaft Gottes‘ tatsächlich ‚Christus‘ findet,95 findet sich in der Botschaft der Engel von der Geburt Jesu an die Hirten:
91
Büchsel (1942), 92f. Vgl. Prolingheuer, Schuld (1987), 134. 93 Soden, Urchristentum (1956), 156. 94 Soden, Urchristentum (1956), 193. 95 Zum Vergleich: Auch in BG Teil 2 findet sich nur 2x Christus (allerdings auch in der EÜ nur 4x Christus (Joh 1,17.41; 4,25; 17,3), 2x davon in Klammern (der Gesalbte (Christus) in Joh 1,41 und Joh 4,25). Bei den Synoptikern sind 5 Stellen zu finden: 3x bei Mt (Mt 1,16.17; 23,10), 2x bei Mk (Mk 1,1; 9,41), nicht bei Lk. 92
118
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Es waren aber Hirten in dieser Gegend auf dem Felde bei den Hürden; die hüteten des Nachts ihre Herde. Da trat ein Engel Gottes zu ihnen, und hell umstrahlte sie himmlisches Licht, und sie fürchteten sich sehr. Doch der Engel sprach zu ihnen: ‚Fürchtete euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren soll. Denn euch ist heute der Heiland geboren: Christus der Herr. (BG 3, Die Heilige Nacht (Luk. 2,1–20.21b), Luk. 2,8–11)
Besonders die Bearbeitung von Lk 2,11 ist interessant: BG Denn euch ist heute
NA ὅτι ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον
EÜ Heute ist euch
Luther denn euch ist heute
in der Stadt Davids der Heiland
σωτὴρ
der Retter
der Heiland
geboren:
ὅς ἐστιν
geboren; er ist
geboren, welcher ist
Christus der Herr
χριστὸς κύριος
der Messias, der Herr.
Christus, der HERR,
fehlt
ἐν πόλει Δαυίδ.
in der Stadt Davids.
In diesen Vers wurde sehr stark eingegriffen. Erstmals findet sich die Übersetzung von ‚ὁ χριστός‘ mit ‚Christus‘. Jede Verbindung zum Jüdischen, die die BG-Redaktoren sehr stark mit dem Begriff „Messias“ verbanden, sollte also hier vermieden werde, denn der „Christus“-Titel wird in der BG durch die Tilgung des Geburtsortes (‚in der Stadt Davids‘) in keinerlei Verbindung mit dem (alttestamentlich-jüdischen, in der BG verstärkt negativ dargestellten) „Messias“ gebracht. Diese Kürzung und somit diese Dekontextualisierung der gesamten Szene gibt auch der Anrede ‚euch ist heute der Heiland geboren‘ einen anderen Sinn. Zwar sind es die Hirten in der Nähe von Betlehem, die direkt vom Engel angesprochen werden, aber ihre jüdische Herkunft aus Judäa wird nicht erwähnt und somit wird auch die Zusage, dass die Geburt des Retters eine Frohbotschaft für das ganze Volk ist (Lk 2,10), nicht klar auf das jüdische Volk bezogen. Auf den Unterschied zwischen Gesamtausgabe und Teilausgabe der BG, die „Krist“ als Verdeutschung des Christus-
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
119
titels wählt, wurde bereits oben96 hingewiesen. Diese Titulatur schien aber auf zu viel Widerspruch gestoßen zu sein, denn die Redaktoren übernahmen ihre Neuschöpfung nicht in die Gesamtaufgabe. Außerdem wird, in Anlehnung an die Luther-Übersetzung, ‚Heiland‘ statt ‚Retter‘ übersetzt, was den Vers sicherlich trotz der starken redaktionellen Bearbeitung den Lesern ein gewisses Vertrautheitsgefühl geben konnte.97 An dieser Stelle soll der Hinweis darauf genügen, dass die BG die Bezeichnung Jesu als ‚Christus‘ bewusst an Stellen wählt, an denen keine Hinweise mehr auf eine jüdische Herkunft oder gar ‚jüdische Art‘ Jesu zu finden ist.
2.4 ‚Jesus der Gottessohn. Das Evangelium des Johannes‘ – die Übersetzung von ‚ὁ χριστός‘ in den von der BG ausgewählten Passagen aus dem Johannesevangelium 2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
Im Unterschied zum ersten Teil der BG findet sich im zweiten Teil an keiner einzigen Stelle die Bezeichnung „Messias“. Stattdessen werden verschiedene, oft durch den griechischen Textbefund nicht gedeckte, neue Begrifflichkeiten eingeführt. Betrachtet werden sollen in diesem Rahmen die Stellen, an denen die EÜ das griechische ‚ὁ χριστός‘ oder ‚ὁ Μεσσίας‘ mit ‚Messias‘ übersetzt, Luther dagegen ‚Christus‘ schreibt. Dem sollen die neugeschaffenen Begriffe der BG gegenübergestellt werden. 2.4.1 Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8.19–27.31.33–34. 28–30), Joh. 1,6–8.19–20: Die Aussage des Johannes: ‚Ich bin nicht der Offenbarer.‘ Auch in Bezug auf die Selbstaussagen Johannes des Täufers wurde der Begriff Messias vermieden (vgl. Joh 3,28: ‚sein Herold‘ (BG 109) bzw. ἀπεσταλμένος (‚ein Gesandter‘ (EÜ)), wohl weil Johannes auch in der BG als auf Jesus Hinweisender dargestellt wird. Es kam ein Mensch, gesandt von Gott, der hieß Johannes. Als Zeuge kam er, um vom Licht zu künden, damit alle am Licht zum Glauben kämen. Er war nicht das Licht; er war gesandt, vom Licht zu zeugen. Und so lautet das Zeugnis des Johannes: Die Juden aus Jerusalem hatten eine Gesandtschaft aus Priestern und Tempelbeamten zu ihm gesandt. Sie sollten ihn befragen: ‚Wer bist du?‘ Ohne Zögern gestand er ihnen: ‚Ich bin nicht der Offenbarer.‘ Und sie fragten ihn: ‚Was dann? Bist du Elias, der wiederkommen soll, um Israel wiederherzustellen?‘ Und er sagte: ‚Nein.‘ Da fragten sie ihn wieder: ‚Bist du der verheißene Prophet, der dem Mose gleich ist?‘ Und er antwortet: ‚Nein.‘ Da drangen sie in ihn: ‚Wer bist du? Wir müssen Antwort bringen denen, die uns gesandt haben. Welchen Anspruch erhebst du?‘ Er sprach: 96 97
Vgl. oben 2.1 Einführung. Mehr zum Titel „Heiland“ in der BG im Exkurs: Der Begriff „Heiland“ in der BG.
120
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
‚Wie der Prophet Jesaja gesagt hat, rufe ich als Herold in der Einöde: Bereitet den Weg für den Herrn!‘ Da fragten sie ihn: ‚Wie kommst du dann dazu zu taufen, wenn du nicht der Offenbarer bist und nicht Elias und nicht der Prophet?‘ Johannes antwortete ihnen: ‚Ich taufe mit Wasser, aber mitten unter euch steht unerkannt mein Nachfolger. Ich bin nicht wert, ihm die Schuhriemen zu lösen. Aber dazu bin ich gekommen und taufe mit Wasser, dass er denen, die seiner harren, bekannt werde. Ich kannte ihn nicht. Aber der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, hat mir gesagt: Der wird mit heiligem Geiste taufen, auf den du den Geist herabkommen siehst, um ihn zu erfüllen. Das habe ich gesehen und ich lege Zeugnis ab: Er ist der Erkorene Gottes.‘ (BG 101f., Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8.19–27.31.33–34.28–30), Joh. 1,6–8.19–27.31.33–34)
Vor allem Joh 1,19–20 lohnt sich, genau zu betrachten: BG
NA
EÜ
Luther
Und so lautet das Zeugnis des Johannes:
19 Καὶ αὕτη ἐστὶν ἡ μαρτυρία τοῦ Ἰωάννου,
19 Dies ist das Zeugnis des Johannes:
19 Und dies ist das Zeugnis des Johannes,
Die Juden aus Jerusalem hatten eine Gesandtschaft aus Priestern und Tempelbeamten zu ihm gesandt. Sie sollten ihn befragen: ‚Wer bist du?‘
ὅτε ἀπέστειλαν [πρὸς αὐτὸν] οἱ Ἰουδαῖοι ἐξ Ἱεροσολύμων ἱερεῖς καὶ Λευίτας ἵνα ἐρωτήσωσιν αὐτόν· σὺ τίς εἶ;
Als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?,
da die Juden sandten von Jerusalem Priester und Leviten, daß sie ihn fragten: Wer bist du?
Ohne Zögern gestand er ihnen: ‚Ich bin nicht der Offenbarer.‘
20 καὶ ὡμολόγησεν καὶ οὐκ ἠρνήσατο, καὶ ὡμολόγησεν ὅτι ἐγὼ οὐκ εἰμὶ ὁ χριστός.
20 bekannte er und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Messias.‘
20 Und er bekannte und leugnete nicht; und er bekannte: Ich bin nicht Christus.
Johannes gibt in der BG an, nicht der „Offenbarer“ zu sein (Joh 1,20). Diese „Übersetzung“ von ‚ὁ χριστός‘ geht an der griechischen Wortbedeutung (Gesalbter = Christus = Messias) klar vorbei und lehnt sich stattdessen daran an, dass das Johannesevangelium Christus an anderer Stelle als den „Offenbarer“ versteht (vgl. Joh 1,18).
121
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
Die EÜ wählt „Messias“, Luther schreibt ‚Christus‘: BG Ich bin nicht der Offenbarer.
NA ἐγὼ οὐκ εἰμὶ ὁ χριστός.
EÜ Ich bin nicht der Messias.
Luther Ich bin nicht Christus.
Da die BG bereits durch die Überschrift des Absatzes ‚Johannes: der Zeuge des Offenbarers‘ (BG 100) eine eindeutige Verbindung zwischen Johannes und Jesus herstellt, der als Offenbarer bezeichnet wird, legt sich in Anlehnung an den textlichen Befund im ersten Teil der BG nahe, dass auch hier die, in den bereits analysierten Stellen negativ konnotierte, Bezeichnung Jesu als „Messias“ vermieden werden sollte, und daher nach einer neuen Übersetzungsmöglichkeit gesucht wurde, die zwar nicht der Wortbedeutung von ‚ὁ χριστός‘ entspricht, wohl aber der Intention der Redaktoren. Interessant ist auch die Auswahl der Textstelle: Die BG nimmt drei Verse aus dem Johannesprolog (Joh 1,6–8) und schaltet diese direkt vor die Aussage des Johannes, nicht der χριστός zu sein. Die Verflechtung des poetischen Prologs mit der Erzählung über Johannes wird in der BG dadurch aufgelöst, die Redaktoren fassen die für sie relevanten Verse aus dem Prolog in einem separaten Kapitel.98 Die Szene mit Johannes wird somit noch pointierter. Auch die BG-Variante von Joh 1,21 zeigt das Bestreben, Johannes explizit von jüdischen Vorstellungen abzugrenzen: BG
EÜ
Und sie fragten ihn: ‚Was dann? Bist du
Sie fragten ihn: Was bist du dann? Bist du
Elias, der wiederkommen soll, um Israel wiederherzustellen?‘
Elija?
Und er sagte: ‚Nein.‘ Da fragten sie ihn wieder: ‚Bist du
Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du
der verheißene Prophet, der dem Mose gleich ist?‘
der Prophet (ὁ προφήτης)?
Und er antwortet: ‚Nein.‘
Er antwortete: Nein.
Sowohl die Frage nach Elija als auch die Frage, ob er der Prophet sei, wird von der BG ausgestaltet und konkretisiert. So soll wohl kein Zweifel daran gelassen werden, dass Johannes nichts mit den eindeutig als ‚jüdisch‘ dekla-
98
BG 99f., Die Offenbarung des Weltgeheimnisses (Joh. 1,1–5.9–14.16–18).
122
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
rierten Vorstellungen zu tun hat – sowohl zu Mose als auch zum Hause Israel wird die an Johannes herangetragene Verbindungslinie vehement verneint.99 Der eigentliche Sinn der Szene, der darin liegt, dass das dreifache negative ‚Bekenntnis‘ „freilich zugleich als positives Zeugnis für den verstanden sein [will], der immer wieder das ἐγώ εἰμι sagen wird, und in dem alle mit dem Messias, mit dem wiederkehrenden Elia und mit dem endzeitlichen ‚Propheten wie Mose‘ verbundenen messianischen Verheißungen mehr als erfüllt sein sollen“100, wird von der BG zunächst verdunkelt. Dann, in der Bearbeitung von Joh 1,31, wird offensichtlich, dass die Sendung des Johannes im Gegenteil nicht mit Israel in Verbindung gebracht werden soll. Stattdessen wird, in Fortsetzung der von der BG eingefügten Verneinung, Israel wiederherzustellen zu kommen und somit der Verwendung Israels als Negativfolie, nun in Joh 1,31 mit dem Mittel einer verallgemeinernden Übersetzung die positive Nennung Israels vermieden:
99
Diese Beobachtungen stützen auch folgende Stellen in der BG: (1) Die genealogische Verbindung zwischen Johannes und Jesus wird von der BG verschwiegen, indem Johannes‘ Vater Zacharias nicht mit Namen und ohne den Tempelkontext genannt wird. Die BG schreibt: „ein anderer Seher“ (BG 5, Das Kind – das Licht der Welt (Luk. 1,76–79), Lk 1,76) und übergeht mit der Auswahl von nur drei Versen seine Funkton als Priester im Tempel von Jerusalem (vgl. Lk 1,5–10) vollständig. (2) Zwischen Johannes und Jesus wird eine sehr enge Verbindung hergestellt, wie die BG-Bearbeitung von Joh 3,22–30 (Die Frage nach dem Verhältnis vom Täufer zum Messias) zeigt. Auch hier wird der jüdische Kontext komplett eleminiert, obwohl in Joh 3,25 von einem „Streit über die Frage der Reinigung“ „zwischen den Jüngern des Johanens und einem Juden“ (EÜ) berichtet wird. Stattdessen wird die Erzählung als „Ende der Taufbewegung“ (BG-Überschrift), gedeutet, welches Johannes durch seine Antwort auf den „Streit zwischen den Anhängern des Johannes und Jesus über die Taufe“ (BG 108, Das Zeugnis des Täufers: Ende der Taufbewegung (3,22–23.25–30), Joh 3,25) bezeugt habe. Obwohl hier zunächst der Konflikt zwischen Jesus und Johannes verschärft zu werden scheint, handelt es sich tatsächlich um die gegenteilige Bearbeitungsrichtung: das Element der Reinigung, das die Taufe ebenso wie verschiedene jüdische Riten beinhaltet, wird ebenso wie die jüdische Beteiligung an der Diskussion verschwiegen und stattdessen die Unterordnung des Johannes unter Jesus betont (vgl. BG-Überschrift: Ende der Taufbewegung). 100 Thyen (2005), 112. Einen Hinweis darauf gibt auch Joh 1,19, wo die Szene als ἡ μαρτυρία τοῦ Ἰωάννου angekündigt wird: Johannes gibt bereits mit seiner (negativen) Selbstbeschreibung (ich bin nicht…nicht…nicht) Zeugnis für den, der nach ihm kommt (Joh 1,26f), nimmt sich also ganz zurück, um den, der nach ihm kommt, bereits in den negativen Antworten positiv zu charakterisieren.
123
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
BG fehlt
NA Κἀγὼ οὐκ ᾔδειν αὐτόν,
EÜ Auch ich kannte ihn nicht;
sondern auf daß er offenbar würde in Israel,
ἀλλ’ ἵνα φανερωθῇ τῷ Ἰσραὴλ Aber dazu bin ich gekommen und taufe mit Wasser,
dass er denen, die seiner harren, bekannt werde.‘
διὰ τοῦτο ἦλθον ἐγὼ ἐν ὕδατι βαπτίζων.
Luther 31 Und ich kannte ihn nicht;
aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser,
darum bin ich gekommen, zu taufen mit Wasser.
um Israel mit ihm bekanntzumachen.
Auch in diesen Vers greift die BG stark ein und weitet die Sendung des Johannes selbstständig auf alle, „die seiner harren‘ aus, statt mit dem griechischen Text die Sendung zu Israel zu berichten. Die in den Beispielen augenfällig gewordene Heraushebung des Johannes aus dem jüdischen Kontext scheint also auf einer Ebene mit den Bestrebungen der BG, eine Christologie ohne den Messiasbegriff zu konstruieren, zu liegen. Das Ziel der BG, als ‚jüdisch‘ eingestufte Vorstellungen von der Person Jesu fernzuhalten, setzt sich also auch bei der Darstellung des Johannes fort bzw. spiegelt sich darin. Zwei ähnliche Stellen, die des Johannes Worte überliefern, zeigen den identischen Befund: Auch in Joh 1,23 und Joh 3,28 sagt Johannes, er sei nicht ‚der Offenbarer‘. Im griechischen Text steht hier wieder ‚ὁ χριστός‘ (EÜ: Messias; Luther: Christus). Darüber hinaus bezeichnet sich Johannes positiv als „Herold“ – ein Wort, das an dieser Stelle überraschend wirkt und auch von Luther nicht verwendet wird.
124
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
BG
Joh 1,23
EÜ
Wie der Prophet Jesaja gesagt hat,
rufe ich als Herold in der Einöde:
Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: (ἐγὼ φωνὴ βοῶντος ἐν τῇ ἐρήμῳ)
Bereitet den Weg für den Herrn!
Ebnet den Weg für den Herrn!,
BG
EÜ Joh 3,28 Ich bin nicht der Ich bin nicht der Offenbarer, Messias, (οὐκ εἰμὶ ἐγὼ ὁ χριστός)
sondern sein Herold.
sondern nur ein Gesandter, der ihm vorausgeht. (ἀλλ᾽ ὅτι ἀπεσταλμένος εἰμὶ ἔμπροσθεν ἐκείνου)
wie der Prophet Jesaja gesagt hat.
Die BG überträgt sowohl ‚ἀπεσταλμένος‘ (‚ein Gesandter‘ (EÜ, Joh 3,28) bzw. ‚gesandt‘ (Luther, Joh 3,28)) als auch ‚φωνὴ βοῶντος ἐν τῇ ἐρήμῳ‘ (‚die Stimme, die in der Wüste ruft‘ (EÜ, Joh 1,23) bzw. ‚eine Stimme eines Predigers in der Wüste‘ (Luther, Joh 1,23)) mit „Herold“ ins Deutsche. Hier fällt einerseits die Wortwahl auf: Der Herold (lat. heroldus; frz. héraut; engl. herald 101) bezeichnete früher einen Ausrufer und Boten eines Fürsten.102 Die 101
Bedeutung und Herkunft des Begriffs ‚Herold‘ sind nicht geklärt: „Die Ableitung von ahd. hariwalt oder heriwalto, ‚der des Heeres waltete‘, und ein Reimport über frz. hirau, herault ins Deutsche ist sprachgeschichtlich möglich, aber histor. insofern unbefriedigend, als dann der Begriff zumindest bei der Wiederverwendung im SpätMA nicht verstanden worden wäre.“ 102 Vgl. Kruse (2005), 311–316. Im ausgehenden 12. Jhdt wurden Herolde erstmals erwähnt (311), im späten MA dann nahmen sie zahlreiche Aufgaben wahr: „Ihre Tätigkeiten im Krieg, bei Festen, Turnieren und Trauerfeiern sind eingebunden in den adeligen Ehrenkodex. Loben und Schelten galten ihnen als wichtige Pflichten, auch wenn es ihnen aufgrund ihrer ständ. Herkunftt nur selten gelang, selbst als Richter anerkannt zu werden: In ihrem Wappenrock allerdings repräsentierten sie ihren Herrn oder waren zumindest dessen Sprachrohr.“ Im Krieg wurden sie als Verbindungsmänner zu den Gegnern eingesetzt: „Sie übermittelten den Wunsch nach Verhandlungen und holten Geleitbriefe für die eigene Delegation ab. Sie erschienen mit Aufforderungen zu Zweikämpfen oder zur Kapitulation. Im eigenen Heer hielten sie den Kontakt zw. getrennten Truppenteilen.“ (315). „Im 16./17. Jh. begannen sich die Welten des Adels und der Herolde zu entflechten. Auch manche Städte hatten jetzt Herolde. Gleichzeitig setzt der Niedergang des Heroldswesens ein. […] Die Figur des Herolds hielt sich im wesentl. an den europ. Königshöfen, in Preußen und Österreich bis zum Ende des 1. Weltkrieges, in England und anderen Monarchien bis heute.“ (316).
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
125
Wahl dieses Wortes mit lateinischer Wurzel könnte vielleicht ein weiterer Hinweis auf die bewusste Abhebung von der jüdisch-semitischen Welt sein. Zumindest aber wird in der BG Wert auf typisch deutsche Begriffe gelegt, weshalb die oben gemachte Beobachtung der Übernahme des hebräischen Wortes ‚Messias‘ ins Deutsche umso auffälliger ist und ein weiteres Argument für eine bewusst negative Verwendung liefert. Außerdem wird die Stellung des Johannes herausgehoben: Er ist nicht nur irgendeine Stimme oder ein einfacher Gesandte, nein, er ist der Herold, also der Gesandte eines Fürsten. Auch der, von dem Johannes gesandt ist, wird durch diese Übersetzung in der BG gleichsam geadelt. Bemerkenswert ist zudem, dass in Joh 1,23 der Verweis auf Jesaja von der BG nicht getilgt, sondern durch Voranstellung sogar noch verstärkt wird. Auch Luther stellt das „wie der Prophet Jesaja gesagt hat“ dem griechischen Text gemäß an das Ende des Satzes. Die Frontstellung der BG lässt also höchstwahrscheinlich die Intention einer Betonung erkennen.103 Die Rolle des Johannes wird aber dabei stärker ausgedeutet: In der BG tritt er als ‚Herold‘ auf, ist also nicht ‚nur‘ die ‚Stimme‘, also nicht bloßes Sprachrohr der Worte Jesajas104, sondern bekommt eine etwas aktivere Rolle als „Herold“ zugeschrieben. Auch an der zweiten Stelle, Joh 3,28, schreibt die EÜ wesentlich zurückhaltender, Johannes sei ‚nur ein Gesandter, der ihm vorausgeht‘ während die BG auch hier selbstbewusster von ‚sein Herold‘ spricht. Im griechischen Text findet sich ‚ἀπεσταλμένος […] ἔμπροσθεν ἐκείνου‘, also weder ein Personalpronomen (‚sein‘), noch ein ‚nur‘. Zusammenfassend lässt sich also in Bezug auf Johannes eine selbstbewusste positive Benennung des Johannes als ‚Herold‘ des ‚Offenbarers‘ erkennen. Dabei vermeidet es die BG, Johannes mit dem „Messias“ in Verbindung zu bringen. Die BG führt also die Wiedergabe von ‚ ὁ χριστός‘ mit ‚der Offenbarer‘ ein und bestimmt zugleich den Inhalt ‚Offenbarer‘ positiv, indem sie 103
Allerdings sei am Rande erwähnt, dass auch die Lutherübersetzung ‚Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste‘ zwar alle Worte im Gegensatz zur BG richtig übersetzt, die Verbindung mit dem alttestamentlichen Text aber durch die Wahl von unbestimmten Artikeln (eine Stimme eines Predigers, wörtlich eigentlich: ‚eine Stimme eines Rufenden‘, von Luther wird dieser Rufende/Rufer als Prediger gedeutet) ebenfalls weniger offensichtlich werden lässt als die EÜ. Interessant für den Lesehintergrund ist hier auch, dass Johannes offensichtlich Mk 1,2–11 bekannt war und er gleichsam mit dem Text spielt. Zudem wählt er das Verb εὐθύνατε statt des in der LXX belegten ἑτοιμάσατε, obwohl er ansonsten aus der LXX zitiert (vgl. Thyen (2005), 114). Dieser johanneischen Eingriff in den Jesaja-Text hat Menken in seiner Untersuchung als bewusstes Vorgehen nachgewiesen: Im Gegensatz zu ἑτοιμάσατε ist in εὐθύνατε die Notwendigkeit des Auftretens des Johannes für das Künftige, also für Jesu Auftreten, nicht ausgesagt und deshalb könnte das Verb dem Johannes besser geeignet erschienen sein (vgl. Menken (1985), 200f.). 104 Vgl. Jes 40,3: Eine Stimme ruft: /Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße / für unseren Gott! (EÜ).
126
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
auch die Rolle des ‚Herolds des Offenbarers‘, also den Johannes, positiv hervorhebt. Erwähnt werden soll darüber hinaus bereits an dieser Stelle die Übersetzung von Joh 1,34 in der BG: BG
NA
EÜ
Luther
Das habe ich gesehen und ich lege Zeugnis ab:
κἀγὼ ἑώρακα καὶ μεμαρτύρηκα
Das habe ich gesehen und ich bezeuge:
Und ich sah es und zeugte,
Er ist der Erkorene Gottes.‘
ὅτι οὗτός ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ.
Er ist der Sohn Gottes.
daß dieser ist Gottes Sohn.
Die BG wählt hier eine andere Lesart als Luther und NA das tun (bzw. es auch der Nestle von 1928 tat) und spricht vom „Erkorenen“ (ἐκλεκτός) Gottes. Die gewählte Lesart ist an dieser Stelle durchaus in einigen alten Zeugen nachweisbar und wird als ursprünglich diskutiert.105 In der BG wird die Bezeichnung „Erkorener“ noch an weiteren Stellen verwendet und dadurch mitgrößerer Bedeutung versehen, wie in den folgenden Kapiteln noch mehrfach auffallen wird.
105
Eine Diskussion der verschiedenen Lesarten findet sich bei Nicklas (2001), 129–133.
127
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
2.4.2 Jesus ist „der Verheißene“. Eine positive Titulatur, die ‚Messias‘ (gr.: ὁ χριστός oder ὁ Μεσσίας) ersetzt, aber die (noch) unzulänglichen Vorstellungen im Volk charakterisiert Eine zweiter Begriff, mit dem die BG ‚ὁ χριστός‘ und auch ‚ὁ Μεσσίας‘ übersetzt, ist ‚der Verheißene‘. Einige dieser Stellen, an denen die BG bewusst diese neue Titulatur einführt, seien im Folgenden aufgeführt: 2.4.2.1 BG 103, Erste Gefolgschaft: Durch Glauben zum Schauen (Joh. 1,35–51), Joh 1,41f.: EÜ
Luther
Dieser [=Andreas] fand am Morgen darauf seinen Bruder Simon und sprach zu ihm:
BG
41 εὑρίσκει οὗτος πρῶτον τὸν ἀδελφὸν τὸν ἴδιον Σίμωνα καὶ λέγει αὐτῷ·
NA
41 Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm:
41 Der findet am ersten seinen Bruder Simon und spricht zu ihm:
‚Wir haben den Verheißenen gefunden‘,
εὑρήκαμεν τὸν Μεσσίαν,
Wir haben den Messias gefunden.
Wir haben den Messias gefunden
ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενο ν χριστός.
Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus).
(welches ist verdolmetscht: der Gesalbte),
und brachte ihn zu Jesus. Jesus sah ihn an und sprach: ‚[…]
42 ἤγαγεν αὐτὸν πρὸς τὸν Ἰησοῦν. ἐμβλέψας αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς εἶπεν· […],
42 Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: […],
42 und führte ihn zu Jesu. Da ihn Jesus sah, sprach er: […]
Du sollst den Namen Petrus tragen. Das heißt Felsenmann.‘
σὺ κληθήσῃ Κηφᾶς, ὃ ἑρμηνεύεται Πέτρος.
du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus).
du sollst Kephas (Fels) heißen.
Die BG schreibt hier, Andreas berichte davon, er habe „den Verheißenen“ anstelle des „Messias“ (EÜ/Luther) gefunden. Wieder wird die Bezeichnung Jesu als Messias vermieden, korrespondierend mit den oben bereits gewonnenen Erkenntnissen, da es sich auch hier um eine positive Aussage über Jesus aus dem Munde des Andreas, des Bruders des Simons handelt. Dieser wird im folgenden Vers von Jesus mit dem Namen Κηφᾶς bedacht; die Vermei-
128
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
dung dieses aramäischen Begriffs Kephas106 in der BG zeigt, dass auch hier jegliche Verbindung Jesu zur seiner Sprache und jüdischen Lebenswelt im Allgemeinen sowie zum Messiasbegriffs im Besonderen getilgt werden sollte. Aus der Bezeichnung als ‚Verheißener‘ könnte man zwar den Hinweis auf die alttestamentliche Verheißung eines Messias ebenfalls herauslesen, die Deutlichkeit, in der der griechische Text aber den Titel ‚Messias‘ auf Jesus bezieht, wird von der BG vermieden. Im griechischen Text findet sich in beiden Versen jeweils der aramäische bzw. hebräische und der griechische Begriff: Messias und Christos bzw. Kephas und Petros: BG der Verheißene
NA ὁ Μεσσίας = ὁ χριστός
Petrus = Felsenmann
Κηφᾶς = Πέτρος
EÜ Messias = der Gesalbte (Christus) Kephas = Petrus (Fels)
Luther Messias = der Gesalbte Kephas (Fels)
Auffälligerweise lässt die BG lässt in beiden Fällen die hebräische Bezeichnung gänzlich aus und im ersten Fall auch die griechische. Die Lutherbibel folgt hier107 wie auch die EÜ streng dem griechischen Text und lässt ‚Messias‘ stehen. Der griechische Text selbst gibt an dieser Stelle, wie EÜ und Luther korrekt aufgegriffen haben, als Deuteschlüssel vor, dass ‚Christus‘ und ‚Messias‘ ein und denselben meinen und identisch verwendet werden können. Das nimmt die BG als Konsequenz aus ihrer Ablehnung der Messianität Jesu nicht auf und führt stattdessen mit ‚der Verheißene‘ einen neuen Christustitel ein, der wohl bewusst den alttestamentlichen Bezug verschleiern sollte.
106
Beim Beinamen Kephas handelt es sich um die gräzisierte Form des aramäischen כיפא (kefa) (vgl. LThK³, Bd. 8, 90). Die BG vermeidet also nicht die Bedeutung des Wortes (schließlich schreibt sie: ‚Petrus, das heißt Felsenmann‘), sondern gezielt die gräzisierte aramäische Form des Wortes. Dass es eine bewusste Entscheidung der Redaktoren war, ‚Kephas‘ nicht zu erwähnen zeigt auch die Übersetzung ‚Petrus‘ (BG 254, Gal 2,11 und Gal 2,14) statt ‚Κηφᾶς‘ (die EÜ bliebt hier jeweils am griechischen Text und schreibt ‚Kephas‘, Luther allerdings hat hier mit der BG im Gegensatz zu der oben aufgeführten Stelle ‚Petrus‘ stehen). 107 Wie sonst nur noch in Joh 4,25 (siehe unten), streng nach dem griechischen Text.
129
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
2.4.2.2 BG 110, Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (Joh. 4,1.3–9a.10–21.23–37.39–42), Joh 4,25 Die Frau erwiderte ihm: ‚Herr, ich sehe: du bist ein Prophet. Sage mir darum noch eins: Unsere Väter haben auf diesem Berge Gott verehrt; und ihr sagt, zur rechten Anbetung müsse man nach Jerusalem wallfahrten.‘ Da sprach Jesus zu ihr: ‚Glaube mir, Frau, es kommt die Stunde, da werdet ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem anbeten. Und jetzt ist die Stunde da, wo alle, die Gott wahrhaft anbeten, ihn anrufen werden als Vater, geboren aus seinem Geist, mit offenen Augen für seine Wahrheit; denn der Vater sucht, die ihn so anrufen. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.‘ Die Frau sagte zu ihm: ‚Ich weiß: der Verheißene kommt, und wenn er kommt, wird er uns alles offenbaren.‘ Da sprach Jesus zu ihr: ‚Ich bin es, der ich mit dir rede.‘ (BG 110, Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (Joh. 4,1.3–9a.10– 21.23–37.39–42), Joh 4,19–21.23–26)
Vor allem Joh 4,25 ist für die Frage nach dem Messiasbegriff entscheidend: BG Die Frau sagte zu ihm: ‚Ich weiß:
NA λέγει αὐτῷ ἡ γυνή· οἶδα ὅτι
EÜ Die Frau sagte zu ihm: Ich weiß, dass
Luther Spricht das Weib zu ihm: Ich weiß, daß
der Verheißene kommt,
Μεσσίας ἔρχεται
der Messias kommt,
der Messias kommt,
fehlt […]
ὁ λεγόμενος χριστός· […]
das ist: der Gesalbte (Christus). […]
der da Christus heißt. […]
Auch im Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen, der zweiten Stelle im Johannesevangelium, an der das hebräische Wort ‚Μεσσίας‘ im griechischen Text überliefert ist, umgeht die BG den Begriff, indem sie den ganzen einschlägigen Versteil streicht. Parallel zu Joh 1,14 ergibt sich also folgendes Bild beim Vergleich der Übersetzungen zu Joh 4,25: BG der Verheißene
NA Μεσσίας = ὁ χριστός
EÜ der Messias = der Gesalbte (Christus)
Luther der Messias = der Gesalbte
Auch hier vermeidet die BG eine Verbindung der Aussage der Samaritanerin über Jesus mit dem Begriff ‚Messias‘, stattdessen bleibt in der BG-Version nur die Kurzfassung des Verses Joh 4,25 stehen: Während Luther und die Einheitsübersetzung sich um eine Übersetzung bemühen, die dem Text ge-
130
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
recht wird (Luther bleibt dabei wie oben in Joh 1,41 direkt am griechischen Text und lässt ‚Messias‘ und ‚Christus‘ stehen, die EÜ entscheidet sich für das wörtliche Verständnis von Christus als ‚der Gesalbte‘ und gibt ‚Christus‘ noch zusätzlich in Klammern an), kürzt die BG den Vers in ihrem Sinne und beschränkt die Aussage der Frau am Jakobsbrunnen auf den Begriff des ‚Verheißenen‘ und verschleiert somit den direkten Bezug auf den erwarteten alttestamentlichen Gesalbten. Durch die Vermeidung des Messiastitels, der im Vorangegangenen bereits deutlich als Falschaussage qualifiziert wurde, legt sich im Umkehrschluss die Vermutung nahe, dass die BG an dieser Stelle ein positives, richtiges Verständnis von Jesus kennzeichnen will. Die Benennung ‚Messias‘ dürfte hier daher nicht verwendet worden sein, da die Aussage der Frau am Jakobsbrunnen, wohlgemerkt keiner Jüdin, sondern einer Samaritanerin,108 von der BG positiv bewertet wird. Gerade in Joh 4,25 und Joh 1,41 wird der Messiasbegriff im griechischen Text allerdings besonders herausgehoben durch die Wahl der griechische Transkription ‚Μεσσίας‘ für das hebräische bzw. aramäische Verbaladjektiv משׁיח. Stegemann arbeitet heraus, dass es dem Evangelisten bei dieser Transliteration besonders in Joh 4,25 darauf ankomme, „daß Jesus Jude und im Horizont der biblisch-jüdischen Verheißungs- und Heilsgeschichte zu interpretieren und eben auch als der ‚Messias‘ zu definieren ist“.109 Grundmann deutete die Stelle im starken Gegensatz zu Stegemann als eine deutliche Heraushebung Jesu „aus jeder jüdischen Beschränkung“. Ebenso wie die BG wählt er dementsprechend in seiner Interpretation zum „Samaritanerbekenntnis von 1940 nicht den Begriff „Messias“, sondern schreibt: „Das Gespräch läuft hinaus auf das Samaritanerbekenntnis, das zugleich das Bekenntnis jener Christenheit ist, die aus dem Evangelium wächst: ‚Wir haben selbst gehört und wissen es, daß dieser wahrhaftig ist der Retter der Welt.‘ Der Ausdruck ‚Retter der Welt‘, der hellenistischer Herkunft ist, nimmt Jesus aus jeder jüdischen Beschränkung und zeigt seine wahre Bedeutung auf. Heiland und Retter der Welt – also universal ist seine Bedeutung.“110
Die obige Tabelle lässt sich also ergänzen: BG der Verheißene
108
NA Μεσσίας = ὁ χριστός
EÜ der Messias = der Gesalbte (Christus)
Luther der Messias = der Gesalbte
Grundmann der Retter der Welt
Zum geschichtlichen Hintergrund der politisch-kultischen Abspaltung der Samaritaner vgl. Frankemölle (2006), 53–55. 109 Stegemann (1993), 84. 110 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 224. Wörtlich auch schon 1938: Grundmann, Heil (1938), 1.
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
131
Das Bestreben sowohl von Grundmann selbst als auch von der BG, durch ihre Übersetzungen die „jüdische Beschränkung“ Jesu aufzuheben, zeigt sich hier deutlich. Nach ähnlichem Muster lässt die BG die Samaritanerin auch in Joh 4,29111 Christus den ‚Verheißenen‘(gr. ὁ χριστός) nennen: BG […] Ist das etwa der Verheißene?‘
NA […] μήτι οὗτός ἐστιν ὁ χριστός;
EÜ […] Ist er vielleicht der Messias?
Luther […] ob er nicht Christus sei!‘
Hier steht im griechischen Text ‚ὁ χριστός‘, die EÜ übersetzt dennoch in Analogie zur obigen Stelle „der Messias“, die BG verwendet auch hier die von ihr kreierte Übersetzung „der Verheißene“. Einerseits verwendet die BG den hebräische Messiasbegriff also an Stellen, an denen er bereits von den Evangelientexten als Falschaussage dargestellt wird bzw. die Bearbeitung der Texte durch die Redaktoren der BG eine negative Deutung nahelegen. Andererseits aber wurde in Texten, die ein vom der BG positiv gewertetes Christusbild enthalten, die Bezeichnung „Messias“ konsequent vermieden und stattdessen durch deutsche, wenn auch nicht nur institutsspezifische,112 Neuschöpfungen ersetzt, z.B. „der Offenbarer“; „der Verheißene“. Die Absicht der Redaktoren, den Messiasbegriff gezielt aus- und umzudeuten, wird aus dieser Doppelbewegung ersichtlich. Eine kurze Notiz in einer Fußnote Grundmanns weist ebenfalls auf das Bestreben hin, den Messiasbegriff umzudeuten: Entgegen dem BG-Text rechtfertigt Grundmann zwar die Verwendung des Messiasbegriffs in der Szene am Jakobsbrunnen, deutet ihn aber positiv um: Die Samaritanerin verwende den Messiasbegriff richtig, nämlich „im Sinne des eschatologischen Retters“ und „nicht in dem jüdischen Verständnis des israelitischen Weltherrschers“. Jesus bestätige mit dem Selbstzeugnis ‚Ich bin es, der mit dir redet‘, daß er „die“ eschatologische Erwartung erfülle. Grundmann rechtfertigt somit die 111 BG 111, Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (Joh. 4,1.3– 9a.10–21.23–37.39–42), Joh 4,29. 112 Dass ‚der Offenbarer‘ wie auch die anderen Begriffe nicht nur ein von den Deutschen Christen gebrauchter Begriff ist, sondern auch anderweitig Verwendung fand und sicherlich auch eine richtig christologische Aussage treffen kann, soll nicht bestritten werden. Beispielsweise verwendet Bultmann in seinen Kommentaren zum Johannesevangelium häufig ‚der Offenbarer‘, wie schon die Überschriften zu seinem Johanneskommentar zeigen, der mir in der 19. Auflage von 1968 vorlag (die 10. Auflage und zugleich die 1. Auflage nach Bultmann stammt aus dem Jahre 1941, zeitnah zur BG): Joh 2,23–3,36 sind mit „Die Begegnung mit dem Offenbarer“ (91–148) überschrieben, Joh 10,40–12,33 werden „Der geheime Sieg des Offenbarers über die Welt“ (298–347) genannt und Joh 13,1–17,26 tragen den Titel „Der Abschied des Offenbarers“ (348–488) (Bultmann (1968)).
132
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Verwendung des Messiasbegriffs an dieser Stelle, den er ansonsten als jüdisch ablehnt, durch einer bereits erfolgten christlichen Umdeutung: „Der Begriff ist aus der Umprägung, die er in der christlichen Gemeinde erhalten hat, zu verstehen.“113 Die BG dagegen passt, wohl um erst gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, eben an den von Grundmann besagten Stellen, an denen der Messiasbegriff positiv besetzt verwendet wird, die Übersetzung an und verwendet „der Verheißene“. Wohl am deutlichsten bestätigen sich diese Beobachtungen im Fehlen des Schlüsselverses Joh 4,22 (‚Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden‘), den die BG in ihrer Textauswahl114 nicht aufnimmt. Selbst Gerhard Kittel, Grundmanns Doktorvater und ebenfalls aktiver Antisemit,115 hält diese Stelle noch für unaufgeb113
Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 229, FN 10. BG 109–111, Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (Joh. 4,1.3– 9a.10–21.23–37.39–42). Hier fällt ebenso (1) die Verkürzung der Aussage der Samaritanerin durch die Tilgung von Joh 4,9b (‚Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.‘), der Jesus eindeutig als Juden gekennzeichnet hätte, und (2) die Tilgung von Joh 4,38 (‚Ich habe euch gesandt zu ernten, wofür ihr nicht gearbeitet habt; andere haben gearbeitet und ihr erntet die Frucht ihrer Arbeit.‘), der durchblicken hätte lassen, dass Jesus die eigentliche ‚Leistung‘ bzw. Arbeit an der Frucht, die jetzt reif ist, den Juden zuschreibt. 115 Kittel (1888–1948) war 1926 Professor für Neues Testament in Tübingen, ab Mai 1933 NSDAP-Mitglied, und vor allem bekannt für sein Buch „Die Judenfrage“ von 1933 und seine Herausgeber- und Autorenschaft beim Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament. Ab 1936 Mitarbeiter der Münchner Zweigstelle des Instituts zur Erforschung der Judenfrage (Klee (2005), 311, vgl. Fenske (2005), 156f.). Kittel „eroberte sich einen wichtigen Platz in der nationalsozialistischen Wissenschaft auf dem Gebiet der ‚Judenforschung‘. Und obwohl er damit eine theologische Basis für die Unterdrückung der Juden geschaffen hatte, war es ihm gelungen, diesen Arbeitsbereich mit seinen christlichen und akademischen Werten in Einklang zu bringen“ (Ericksen (1986), 269). Während der Herrschaft der Nationalsozialisten stellte er sich gegen Juden und Judenchristen, „ohne – soweit ich weiß – sein Bild von Jesus restlos zu klären“ (vgl. Fenske (2005), 162) und sucht nach einer „Synthese von Nationalsozialismus und Christentum“ (SiegeleWenschkewitz (1980), 22), auch wenn er während der Weimarer Republik eher auf der Seite der Juden stand (ebd. 23). Jetzt aber hält es Kittel für nötig, dass Christentum und Judentum getrennte Wege gehen müssen, um „das Judentum zu seiner wahren Religiosität zurückzuführen“ und die aus den politischen Verhältnissen entstandene Emanzipation und daraus folgende Assimilation rückgängig zu machen (ebd. 8). Konkret schlägt Kittel eine „Wiederherstellung des Gastzustandes“ (Kittel (1933), 40) vor, d.h. eine „radikale Ausrottung des […] dem ‚Deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens‘“, da es nur den ‚in Deutschland lebenden Juden‘ geben könne (ebd. 41). Einziges Zugeständnis Kittels: „Soweit das Verhalten des Juden dem eines anständigen Gastes entspricht, ist grundsätzlich gegen seine Anwesenheit nichts einzuwenden (ebd. 42). Letztlich hält Kittel also nur unauffällige Jude für in Deutschland erwünscht und äußert sich auch gegen die „Jüdische Überflutung der Berufe“ (ebd. 53) und fordert ein „Mischehenverbot“ (ebd. 63). 114
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
133
bar: Joh 4,22 „wird keine deutsche Christenheit, solange sie Christenheit bleibt, aus ihrer Bibel ausradieren“, denn niemals „darf und kann die Christenheit vergessen, dass dieses Volk einmal ‚Volk Gottes‘ war; niemals, daß der, welcher Heiland der Welt und auch Heiland der Deutschen wurde, aus diesem Volke kam.“116 Die BG macht genau das, was Gerhard Kittel noch ausschließt, obwohl auch an Kittels Aussage auffällt, dass er nur im Imperfekt davon spricht, dass das Judentum einst „Volk Gottes war“: Joh 4,22 fehlt in der BG, wie bereits Stegmann feststellte.117 Heschel dagegen stellt fälschlich fest, die BG hätte den Vers zu „Die Juden sind unser Unglück“ abgeändert.118 Tatsächlich scheint der Vers ganz gezielt aus der Mitte der Passage119 herausgetilgt worden zu sein. Die Auslassung stimmt mit Grundmanns Erläuterungen, dass Joh 4,22 der – von ihm konstruierten – Textintention grundsätzlich widerspreche, überein: „Diese entscheidende Offenbarung des Geheimnisses Jesu […] vollzieht sich nicht vor den Juden, dem angeblich auserwählten Volk, sondern vollzieht sich vor Samaritern, dem ‚schon längt verfluchten‘ Volk. Offenbarungsort und Offenbarungsart stehen in einer inneren Entsprechung und entfernen beide gleich weit Jesus vom Judentum. Wer sie einmal verstanden hat, dem erscheint freilich das Wort ‚Das Heil kommt von den Juden‘ wie eine Selbstaufhebung der durchdachten Komposition.“120
Diese Argumentation Grundmanns ist mit einem Blick auf Joh 4,9 klar zu widerlegen, wo es heißt: „Die samaritische Frau sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.“ (EÜ, Joh 4,9) Jesus wird schon hier von der Samaritanerin selbst eindeutig als Jude ausgewiesen und somit ist Jesu Aussage Joh 4,22 ‚Das Heil kommt von den Juden‘ eben keine „SelbstaufheEricksen spricht in der Frage nach einer Beurteilung seines Handelns vom „Problem Kittel“ (Ericksen (1986), 51): Trotz fehlenden Talents zum „Schurken“, war Kittel 1945 angeklagt und verurteilt worden (ebd., 48), da er eine „böse Idee“ vertreten habe: „Kittel hatte sich zu seinem eigenen Unglück und Schaden mit Hitler verbündet. Zu allem Überfluß hatte er auch noch mit dem übelsten Einzelaspekt des Hitlerregimes, mit der Judenpolitik, zu tun. Kittel zeigte eine unglückselige Hand in der Wahl seiner Weggenossen und irrte sich völlig in seiner Beurteilung der Nachwelt.“ (ebd. 51). 116 Kittel (1933), 81. 117 Vgl. Stegmann (1984), 78: „Auch suchte man das Jesuswort: ‚Das Heil kommt von den Juden‘ (Joh 4,22) vergeblich“. 118 Mit ihrer Aussage „John 4:22, ‚Salvation comes from the Jews‘, was changed to the famous anticsemitic slogan, ‚The Jews are our Misfortune‘“ (Heschel (1994), 595) scheint Heschel ihre eigene Meinung, wie der Text von der BG-Redaktion hätte verändert werden können irrtümlich in den Text der BG zu projizieren. Van Belle (Belle (2001), 395) greift ihre Fehlinformation auf. 119 BG 111, Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (4,1.3–9a.10– 21.23–37.39–42). 120 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 225. Wörtlich bereits 1938: Grundmann, Heil (1938), 2.
134
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
bung der durchdachten Komposition“, wie sie Grundmann zu erkennen meint, sondern im Gegenteil steht beides in logischem Zusammenhang: Der Jude Jesus ist es, der das Heil bringt.121 In der BG dagegen ist diese Erzähllogik freilich nicht vorhanden, da bereits Joh 4,9 stark bearbeitet wurde und Jesus hier nicht direkt als ‚Jude‘ bezeichnet wird: ‚Da sagte die Samaritanerin zu ihm: ‚Wie kannst du, der du aus Judäa kommst, mich, eine Samaritanerin, um Wasser bitten?‘122 Selbst wenn nun das Johannesevangelium freilich nicht davon spricht, dass die samaritanische Frau Jesus vollständig erkennen konnte, da Jesus als Sohn des Vaters auch „mehr als der Messias der samaritanischen Erwartungstradition“ sei,123 handelt es sich um eine positive Aussage: Bereits Franz Mußner stellt dies fest und verweist auf die ursprüngliche Funktion im Text, den heilsgeschichtlichen Vorrang der Juden, mit denen sich Jesus auch ausdrücklich identifiziert124, zu begründen:125 „Aus den Juden ist das Heil, und nicht aus einem anderen Volk! Die Präposition ‚aus‘ (ἐκ) gibt die Herkunft des ‚Heils‘ an.“126
Durch die positive Rezeption von Joh 4,22 habe sich der Johannesevangelist „zur Wurzel der Kirche bekannt“, auch wenn er im Übrigen auch in Distanz zu den Juden leben und schreiben mochte.127 Grundmann jedoch stellt schon 1938 in einem Aufsatz zu eben jenem Vers Joh 4,22 diesen als einen Stolperstein bzw. wörtlich als eine „Schicksalsfrage“ für die Deutschen im „Existenzkampf gegen das Judentum“ dar. Der Vers genüge, um „die Religion, in dessen Heiliger Schrift dieser Satz steht, fragwürdig zu machen“, da ja bekannt sei, „dass das Judentum die Vernichtung
121 Vgl. Belle (2001), 400: „The positive appreciation of the Jews in the verse is an accordance with the progressive christological revelation of Jesus in the chapter which culminates in the confessions of the Samaritans that this ‚unknown‘ Jew (4:9) is ‚the saviour of the word‘ (4:42).“ Gilbert van Belle liefert in diesem Aufsatz auch einen Überblick über die Wirkungsgeschichte von Joh 4,22. 122 BG 109, Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (4,1.3–9a.10– 21.23–37.39–42), Joh 4,9. 123 „Gott ist Gott als der Vater des Sohnes. In diesem Sinn ist Jesus nicht nur mehr als ein Prophet (V. 19), sondern auch mehr als der Messias der samaritanischen Erwartungstradition (V. 25). Dieser Unterschied bleibt freilich der Frau auch jetzt noch verborgen“ (Thyen (2005), 268). 124 Mußner macht das daran fest, dass sich Jesus selbst in der Frage nach der Gottesverehrung in dem „wir“ mit den Juden identifiziere (‚ihr betet an, was ihr nicht kennt‘–‚wir beten an, was wir kennen‘) und auch die Samariterin sein Judesein ausdrücklich in 4,9 anspricht (σὺ Ἰουδαῖος ὢν). 125 Vgl. Mußner (1979), 50. 126 Mußner (1979), 49. 127 Vgl. Mußner (1979), 51.
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
135
Deutschlands will“.128 Auf diesem Hintergrund verwundert Grundmanns extreme Deutung der gesamten Passage nicht: Die Stelle sei eine Paradestelle für die Ablösung Jesu vom Judentum und es sein eine „Unmöglichkeit“, dass Joh 4,22 eine sinnvolle Aussage sein könnte, schließlich werde hier „die Ablösung des jüdischen Gottesdienstes durch den neuen, den Jesus bringt, veranschaulicht“.129 Die Deutung von Joh 4,22 als Betonung des heilsgeschichtlichen Vorrangs der Juden, war Grundmann bekannt, doch lehnt er sie explizit ab, denn dadurch werde „nicht nur der Aufbau des vierten Kapitels mit seiner grundsätzlichen Antwort gefährdet“, sondern „der Gesamtaufbau des vierten Evangeliums in Frage gestellt. Die Radikalität der Negation und der Position der Verse 21 und 23/24 wird eingeschränkt, ja aufgehoben. […] Der johanneische Christus spricht den Juden mit seltener Radikalität die richtige Gotteserkenntnis ab, ja bestreitet ihnen die Gotteserkenntnis überhaupt“.130.Solche Fehlinterpretationen, besonders zu Joh 4,22, blieben nicht ohne Wirkung. Mußner verweist auf die Folgen, die die fehlende Rezeption des Verses hatte: „Hätte ihn die Christenheit nie vergessen, wäre ein theologischer Antisemitismus mit seinen furchtbaren Folgen vielleicht nicht möglich gewesen. Sätze haben ihre Konsequenzen!“131
128
Vgl. Grundmann, Heil (1938), 1. Vgl. Grundmann, Heil (1938), 4. 130 Vgl. Grundmann, Heil (1938), 5. Grundmann nennt die gesamte Passage auch als Paradebeispiel gebracht für die Ablösung des jüdischen Gottesdienstes, der mit dem Gesetzesdienst gleichgesetzt wird, vom „Gottesdienst, den Jesus bringt, die Gotteskindschaft“. Diese beiden Dienste verhielten sich zueinander „wie Gottesdienst und Teufelsdienst“ (vgl. Grundmann, Gotteskindschaft (1938), 95. Ähnlich: Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 204f.: „Die Gotteskindschaft, die Jesus lebt und verkündet, ist etwas anderes als der Gesetzesdienst und steht im Gegensatz zum Gesetzesdienst. […] Der Aufriß des vierten Evangeliums zeigt deutlich die Ablösung des jüdischen Gottesdienstes durch die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit als die neue und endgültige Form des Gottesdienstes“ (Grundmann verweist hier auf sich selber: Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 224f.). 131 Mußner (1979), 49–51. 129
136
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
2.4.2.3 BG 124f., Die Erregung im Volk (Joh. 7,40–43.31–36.45–52) Gleich 3x findet sich der Begriff „der Verheißene“ dann auch in der Passage „Die Erregung im Volk“ (BG 124), einmal davon in – auf Grund des vorherigen Befundes – ungewöhnlicher Verwendung. Hier die gesamte Passage, bereits mit Verweisen auf die Versauswahl versehen: Joh 7,40–43: Da sprachen Leute aus dem Volk, die diese Worte vernommen hatten: ‚Er ist wirklich der Prophet.‘ Andere meinten: ‚Er ist der Verheißene.‘ Wieder andere sprachen dagegen: ‚Seit wann kommt der Verheißene aus Galiläa? Heißt es nicht in der Schrift: Aus Davids Blut und aus dem Bethlehem, das Davids Heimatdorf ist, kommt der Verheißene?‘ So kam es seinetwegen zu einer Spaltung im Volk. Joh 7,31–36: Aus dem Volk glaubten viele an ihn und sprachen: ‚Kann der Verheißene, wenn er kommt, größere Wunder vollbringen, als er sie tut?‘ Als die Pharisäer vernahmen, dass das Volk sich so über ihn erregte, entsandte der Hohe Rat auf ihr Betreiben bewaffnete Tempeldiener, um ihn zu verhaften. Da sprach Jesus: ‚Nur noch kurze Zeit bleibe ich bei euch. Dann gehe ich heim zu dem, der mich sandte. Da werdet ihr mich suchen und nicht finden; Denn wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen.‘ Nun besprachen sich die Juden untereinander: ‚Wohin will er denn gehen, dass wir ihn nicht finden sollen? Will er denn zu unseren Gemeinden unter den Griechen gehen und die Griechen belehren? Was soll das Wort heißen: Ihr werdet mich suchen und nicht finden, und wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen?‘ Joh 7,45–52: Da kehrte die Tempelwache zum Hohen Rat zurück. Sie wurde von ihm befragt: ‚Warum habt ihr ihn nicht hergebracht?‘ Die Tempeldiener antworteten: ‚So hat noch niemand gesprochen wie dieser Mensch.‘ Die Pharisäer fuhren sie an: ‚Seid auch ihr verführt? Glaubt denn einer von den Oberen oder den Pharisäern an ihn? Das tut nur der Pöbel, der das Gesetz nicht kennt! Der sei verflucht!‘ Nikodemus, einer aus ihrer Mitte, der früher Jesus aufgesucht hatte, sprach zu ihnen: ‚Verdammt denn unser Gesetz einen Menschen, bevor man ihn verhört hat und den Tatbestand kennt?‘ Sie fuhren ihn an: ‚Gehörst denn auch du zu den Galiläern? Forsche nach und überzeuge dich: Aus Galiläa steht kein Prophet auf!‘ (BG 124f., Die Erregung im Volk (Joh. 7,40–43.31–36.45–52))
Zunächst fällt in dieser Passage die Umstellung der Versreihenfolge durch die BG auf. Der Auftrag zur Festnahme Jesu ist in der BG gleichsam die letzte Konsequenz auf Jesu Reden und als die daraus resultierende Reaktion des Volkes dargestellt. Auch scheinen die Verse Joh 7,37–39 in der BG völlig zu fehlen, bei genauerer Untersuchung finden sie bzw. ein Teil davon (Joh 7,37–38a) sich aber bereits im vorangehenden Absatz ‚Der große Ruf‘, also einerseits hervorgehoben durch die eigene Kapitelüberschrift, andererseits stark gekürzt und bearbeitet. Hier das Aufbauschema in BG und EÜ im Vergleich:
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
BG fehlt Der große Ruf (Joh 7,37–38a) Am letzten, dem großen Tag des Festes trat Jesus hin, erhob seine Stimme und rief: ‚Wen da dürstet, der komme, und es trinke, wer an mich glaubt!‘
Joh 7,38b fehlt => AT-Verweis verschleiert Die Erregung im Volk (Joh. 7,40– 43.31–36.45–52) Joh 7,40–43: Die Spaltung der Menge (Prophet? Messias?) => vorangestellt Joh 7,31–36: 1. Viele glauben an ihn 2. Bewaffnete Tempeldiener werden zur Festnahme Jesu ausgesandt 3. Jesus kündigt Abschied an s.o. s.o. fehlt133
137
EÜ Mutmaßungen des Volkes über Jesus (Joh 7,25–36) Joh 7,28–29: Jesu Selbstzeugnis Joh 7,30132: Reaktion aus dem Volk s.u.
s.u. Joh 7,31–36: 1. Viele kommen zum Glauben 2. Gerichtsdiener werden zur Festnahme Jesu ausgesandt 3. Jesus kündigt Abschied an Der Streit im Hohen Rat um Jesus (Joh 37–53) Joh 7,31–39: Schriftzitat Jesu Joh 7,40–43: Nach diesen Worten: Spaltung der Menge (Prophet? Messias?) Joh 7,44: Einige von ihnen wollten ihn festnehmen; aber keiner wagte ihn anzufassen.
132 Von der BG erst einige Seiten später aufgenommen (vgl. die folgende FN): ‚Da suchten sie ihn zu ergreifen, aber niemand wagte Hand an ihn zu legen; denn seine Stunde war noch nicht gekommen‘ (BG 123, Die Vollmacht vom Vater (7,14–18.25–30), Joh 7,30). 133 Die BG nimmt allerdings an zwei andren Stellen ähnliche Verse auf, es kann also keine grundlegende Skepsis dieser Aussage gegenüber vorgelegen sein, sondern hier eher das Argument der Vermeidung von unnötigen Wiederholungen zu greifen: ‚Und keiner vergriff sich an ihm; denn seine Stunde war noch nicht gekommen.‘ (BG 122, Des Sohnes eigenes Zeugnis (8,13–19; 12,44–45; 8,20), Joh 8,20) ‚Da suchten sie ihn zu ergreifen, aber niemand wagte Hand an ihn zu legen; denn seine Stunde war noch nicht gekommen‘) (BG 123, Die Vollmacht vom Vater (7,14–18.25–30), Joh 7,30).
138
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
BG Joh 7,45–52: 1. Tempelwache kehrt unverrichteter Dinge zurück 2. Pharisäer verfluchen den Pöbel, der das Gesetz nicht kennt 3.
Nikodemus verweist auf Jesu Recht auf Anhörung vor Verurteilung, Pharisäer erwidern: ‚Aus Galiläa steht kein Prophet auf!‘
EÜ Joh 7,45–52: 1. Gerichtsdiener kehren unverrichteter Dinge zurück 2. Pharisäer verfluchen das Volk, das vom Gesetz nichts versteht 3.
Nikodemus verweist auf Jesu Recht auf Anhörung vor Verurteilung, Pharisäer erwidern: ‚Der Prophet kommt nicht aus Galiläa.‘
Durch die Umorganisation dieser Textpassage durch die BG und die Abtrennung von Joh 7,37–39 ergeben sich auch inhaltliche Schwerpunktverschiebungen: Im griechischen Text wird nach dem Selbstzeugnis Jesu über seine Sendung (Joh 7,28–29) und der spontanen Reaktion des Volkes, ihn festnehmen zu wollen (Joh 7,30), zunächst davon berichtet, dass viele Menschen zum Glauben kamen (Joh 7,31) und daher die Gerichtsdiener ausgesandt wurden zur Festnahme Jesu. Erst einige Zeit später (‚Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag‘ (EÜ, Joh 7,37)), nach erneutem Auftreten Jesu, ist die Rede davon, dass es im Volk dann tatsächlich zu einer Spaltung kommt (Joh 7,43). Die Reaktion auf diese Spaltung ist aber nicht, wie in der BG, die Aussendung von ‚bewaffneten Tempeldienern‘ (BG 124, hier liegt eine deutliche Verschärfung im Vergleich zu ‚Gerichtsdiener‘ (EÜ, Joh 7,32) vor), diese wurden bereits vorher ausgesandt (EÜ, Joh 7,32), sondern es findet sich lediglich ein weiterer Vers über die Reaktion des Volkes, den die BG an dieser Stelle gänzlich übergeht: ‚Einige von ihnen wollten ihn festnehmen; aber keiner wagte ihn anzufassen.‘ (EÜ, Joh 7,44). Dieser Hinweis auf den allseitigen Respekt, den Jesus im Volk trotz der Unstimmigkeiten über seine Autorität genießt, wurde von der BG nicht aufgenommen. Durch die Voranstellung von Joh 7,40–43 erscheint der Beschluss, Jesus zu verhaften, in der BG vielmehr als unmittelbare Konsequenz aus der vorangegangen Diskussion des Volkes über die Bedeutung Jesu. In diese Richtung einer Verschärfung des Gegensatzes zwischen dem Volk und der jüdischen Autorität weist sowohl bereits die Überschrift ‚Die Erregung im Volk‘, die die BG für diesen Absatz wählt, als auch weitere Übersetzungsunterschiede, die die Gegenüberstellung der Übersetzungen von Joh 7,32 aufzeigen kann:
139
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
EÜ
Luther
Als die Pharisäer vernahmen,
BG
ἤκουσαν οἱ Φαρισαῖοι
NA
Die Pharisäer hörten,
Und es kam vor die Pharisäer,
dass das Volk sich so über ihn erregte,
τοῦ ὄχλου γογγύζοντος περὶ αὐτοῦ ταῦτα,
was die Leute heimlich über ihn redeten.
daß das Volk solches von ihm murmelte.
entsandte
καὶ ἀπέστειλαν
Da schickten
Da sandten
der Hohe Rat auf ihr Betreiben
οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ Φαρισαῖοι
die Hohenpriester und die Pharisäer
die Pharisäer und Hohenpriester
bewaffnete Tempeldiener,
ὑπηρέτας
Gerichtsdiener
Knechte
um ihn zu verhaften.
ἵνα πιάσωσιν αὐτόν.
aus, um ihn festnehmen zu lassen.
aus, das sie ihn griffen.
Schon im ersten Satzteil lässt sich ein kleiner Unterschied feststellen: Die BG schreibt: ‚Als die Pharisäer vernahmen, dass das Volk sich so über ihn erregte‘ statt ‚Als die Pharisäer hörten, „was die Leute heimlich über ihn redeten‘ (EÜ, Joh 7,32) Luther hat ‚daß das Volk […] murmelte‘. Hier lässt sich festhalten, dass die Reaktion des Volkes in der BG deutlich heftiger ausfällt als in EÜ und Luther. Das griechische Verb γογγύζω (wörtlich: heimlich reden, tuscheln, murmeln134) für die Reaktion des Volkes wird in der BG verstärkend als ‚Erregung‘ interpretiert. Das dem ein planmäßiges Vorgehen der Redaktoren zugrunde liegt, verdeutlicht die ähnliche Bearbeitung von Joh 7,15: Hier wird ebenfalls die Reaktion der Juden verschärft, die Jesus im Tempel lehren hörten: „Erregt sprachen die Juden“135 für ἐθαύμαζον οὖν οἱ Ἰουδαῖοι λέγοντες (NA, „die Juden (ver-)wunderten sich und sagten“ (EÜ/Luther). Die BG-Übersetzung der ausgesandten ὑπηρέτας mit ‚bewaffnete Tempeldiener‘ und damit einerseits der klare Verweis auf deren jüdische Zugehörigkeit (Tempeldiener) und andererseits die Betonung ihre Macht (bewaffnete Tempeldiener) war bereits oben angesprochen worden. Und noch ein drittes Spezifikum fällt ins Auge bei Bearbeitung des Verses Joh 7,32 in der BG: Die Akteure, die die ὑπηρέται zur Verhaftung Jesu aus134 135
Bauer/Aland 327. BG 122, Die Vollmacht vom Vater (7,14–18.25–30), Joh 7,15.
140
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
senden, werden von der BG verändert: In der BG ist „der Hohe Rat auf ihr [=der Pharisäer] Betreiben“. Die Initiative zur Verhaftung wird also eindeutig den Pharisäern zugeschrieben, der gesamte Hohe Rat erscheint als Exekutive. Diese Übertragung ist historisch falsch, besteht doch der Hohe Rat nicht nur aus Hohepriestern und Pharisäern, die im griechischen Text zu finden sind (οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ Φαρισαῖοι), sondern auch aus Sadduzäern. Vermutet werden kann hier eine Betonung der negativen Rolle der Pharisäer; diese werden als Opponenten Jesu dargestellt und zugleich des Konflikts zwischen Volk und Hohem Rat, v.a. den Pharisäern. Auf diesem Hintergrund ist die Beobachtung interessant, dass im Verlauf des Textes im Griechischen dreimal „ὁ ὄχλος“ zu finden ist, die BG aber nur an den ersten beiden Stellen mit „Volk“ übersetzt, an der dritten Stelle dagegen das negativere Wort „Pöbel“ wählt: Joh 7,31 Joh 7,32 Joh 7,49
BG Volk Volk Pöbel
EÜ Menge Leute Volk
NA ὁ ὄχλος ὁ ὄχλος ὁ ὄχλος
Luther Volk Volk Volk
Obwohl auch ‚gemeines Volk‘ und ‚Pöbel‘ sprachlich gut mögliche Übersetzungsvarianten sind, ist es bemerkenswert, dass an genau einer Stelle von der BG diese abschätzigere Übersetzung mit „Pöbel“ gewählt wird. Luther 1912, an dem sich die BG orientierte, wählt zudem durchgängig die Übersetzung „Volk“. In der EÜ scheint das Bestreben nach einer größeren variatio im Text dazu geführt zu haben, an den drei Stellen je eine andere, allerdings stets nicht wertende, Übersetzung für ‚ὁ ὄχλος‘ zu finden. Joh 7,49 soll wegen seiner auffälligen Übersetzung in der BG nun in seinem Kontext (Joh 7,47– 49)136 separat betrachtet werden:
136
BG 124f., Die Erregung im Volk (Joh 7,40–43.31–36.45–52), Joh 7,47–49.
141
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
BG Die Pharisäer fuhren sie [die Tempeldiener] an:
NA ἀπεκρίθησαν οὖν αὐτοῖς οἱ Φαρισαῖοι·
EÜ Da entgegneten ihnen die Pharisäer:
Luther Da antworteten ihnen die Pharisäer:
‚Seid auch ihr verführt? Glaubt denn einer von den Oberen oder den Pharisäern an ihn?
μὴ καὶ ὑμεῖς πεπλάνησθε; μή τις ἐκ τῶν ἀρχόντων ἐπίστευσεν εἰς αὐτὸν ἢ ἐκ τῶν Φαρισαίων;
Habt auch ihr euch in die Irre führen lassen? Ist etwa einer vom Hohen Rat oder von den Pharisäern zum Glauben an ihn gekommen?
Seid ihr auch verführt? Glaubt auch irgendein Oberster oder Pharisäer an ihn?
Das tut nur der Pöbel, der das Gesetz nicht kennt! Der sei verflucht!‘
ἀλλ’ ὁ ὄχλος οὗτος ὁ μὴ γινώσκων τὸν νόμον ἐπάρατοί εἰσιν.
Dieses Volk jedoch, das vom Gesetz nichts versteht, verflucht ist es.
sondern das Volk, das nichts vom Gesetz weiß, ist verflucht.
Hier zeigt sich, dass den Pharisäern von den Redaktoren der BG das abschätzige Wort „Pöbel“ in den Mund gelegt wird. An den beiden anderen Stellen Joh 7,31.32 dagegen, an denen ‚ὁ ὄχλος‘ im Erzählerkommentar zu finden ist, wurde die wertungsfreie Übersetzung „Volk“ gewählt worden. Zusätzlich zur ohnehin schon sehr starken Aussage der Pharisäer, die das unverständige Volk verfluchen, kommt also in der BG noch die Abwertung des Volkes als „Pöbel“ und somit eine Verstärkung der Distanzierung, da die Pharisäer noch negativer dargestellt werden. Schon die Einleitung der Rede der Pharisäer wurde von der BG plakativ ausgestaltet: Die Pharisäer fahren die Tempeldiener an, statt ihnen, wie der griechische Text schreibt, zu antworten (ἀποκρίνω). Die Verschärfung des Gegensatzes zwischen jüdischer Obrigkeit, meist vertreten durch die Pharisäer, und dem Volk, das teilweise bereits den richtigen Glauben hat, scheint auch hier zu finden zu sein. Nach dieser Analyse des Rahmens, in dem in der BG der ‚Verheißene‘ zur Sprache kommt, sollen nun die Stellen, an denen Christus so betitelt wird, in den Blick kommen: Andere meinten: ‚Er ist der Verheißene.‘ Wieder andere sprachen dagegen: ‚Seit wann kommt der Verheißene aus Galiläa? Heißt es nicht in der Schrift: Aus Davids Blut und aus dem Bethlehem, das Davids Heimatdorf ist, kommt der Verheißene?‘ So kam es seinetwegen zu einer Spaltung im Volk. Aus dem Volk glaubten viele an ihn und sprachen: ‚Kann der Verheißene, wenn er kommt, größere Wunder vollbringen, als er sie tut?‘ (BG 124f., Die Erregung im Volk (Joh. 7,40–43.31–36.45–52), Joh 7,41–43.31)
142
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Die dreimalige Übersetzung mit „der Verheißene“ fällt hier ins Auge. Im griechischen Text steht jeweils ‚ὁ χριστός‘. An jeder dieser drei Stellen ist es das Volk, das vom ‚Verheißenen‘ spricht.137 Die oben bereits festgestellte positive Konnotation des Volkes durch die Hervorhebung des Gegensatzes zur jüdischen Obrigkeit wird hier nochmals deutlich: Das Volk verwendet in der BG bei seinen Überlegungen stets eine korrekte Christus-Titulatur. Auffällig ist dennoch, dass nicht nur für die nach Meinung der BG richtige Erwartung, also die eines Verheißenen aus Galiläa, sondern auch die Frage, ob der Verheißene nicht ein davidischer Verheißener sein müsse, mit eben dieser Terminologie wiedergegeben wird: Sowohl die Meinung eines Teils des Volkes, dass er „der Verheißene“ sei (Joh 7,41) als auch der Einwand eines anderen Teils des Volkes, ob es sich nicht um einen davidischen χριστός aus Betlehem handeln müsse (Joh 7,42), wird mit dem identischen Christustitel „der Verheißene“ übersetzt. Erstmals wird damit die gleiche Terminologie auf Jesus und den erwarteten alttestamentlich-jüdischen davidischen χριστός bezogen. Nach den bisherigen Beobachtungen am Text wäre eine klare begriffliche Unterscheidung innerhalb der Überlegungen des Volkes denkbar: Die BG hätte an den Stellen, an denen die Fragen des Volkes in eine von der BG als eindeutig falsch qualifizierte Richtung gehen, „Messias“ setzen können und nur an den beiden anderen Stellen „der Verheißene“. Der Text hätte also folgendermaßen lauten können: Andere meinten: ‚Er ist der Verheißene.‘ Wieder andere sprachen dagegen: ‚Seit wann kommt der Messias aus Galiläa? Heißt es nicht in der Schrift: Aus Davids Blut und aus dem Bethlehem, das Davids Heimatdorf ist, kommt der Messias?‘ So kam es seinetwegen zu einer Spaltung im Volk. Aus dem Volk glaubten viele an ihn und sprachen: ‚Kann der Verheißene, wenn er kommt, größere Wunder vollbringen, als er sie tut?‘ (nach BG 124f., Die Erregung im Volk (Joh 7,40–43.31–36.45–52), Joh 7,41–43.31)
Eine derartige Bearbeitung schien aber den Redaktoren der BG nicht notwendig zu sein. Die Wahl, eine Übersetzung mit „Messias“ an dieser Stelle zu vermeiden, obwohl es sich um zweifelnde Fragen des Volkes handelt, könnte hier durch die lokale Nähe der Frage, ob es sich nicht um einen davidischen
137
Das ist im gesamten zweiten Teil der BG der Fall, dass ‚der Verheißene‘ als Christustitel dem Volk in den Mund gelegt wird. Nur an einer Stelle (BG 129, Die Heilung des Blindgeborenen: Das Zeichen vom Licht der Welt (9,1–34), Joh 9,22b) findet es sich als ‚Bannkriterium‘, das die, die Jesus als den ‚Verheißenen‘ bekennen, von den Juden scheidet. Hier ergibt sich eine interessante Überschneidung mit der vorher aufgestellten Theorie, dass der Messiasbegriff als Falschaussage qualifiziert wird, während ‚der Verheißene‘ eine richtige Aussage ist, die von den Juden scheidet. In der EÜ steht nämlich eben an dieser Stelle die Übersetzung ‚Messias‘.
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
143
„Verheißenen“ handeln müsse, zum von der BG als einzig richtig dargestellten Verständnis von einem galiläischen „Verheißenen“ bedingt sein.138 Noch plausibler als diese These der Nähe beider Aussagen scheint mir aber die Beobachtung, dass die BG in ihren Texten konsequent in der Frage nach der Herkunft Jesu die positive Verbindung mit David oder der Davidsstadt Betlehem vermeidet und stattdessen seine galiläische Herkunft betont.139 138
Die absolut positive Sicht der BG auf Galiläa/den Galiläer Jesus hatte sich bereits in den vorangegangenen Texten verstärkt gezeigt: (1) Jesus tut ein Zeichen in Kana in Galiläa: ‚Zwei Tage danach war die Hochzeit zu Kana in Galiläa‘ (BG 104, Joh 2,1, ähnlich in NA, EÜ und Luther). (2) Stärker wird die Aufwertung Galiäas dann in der Überschriftensetzung der BG deutlich: Sein Wirken in Galiläa wird als ‚entscheidend‘ gewertet: ‚Die Entscheidung in Galiläa‘ (BG 112–117). (3) Zudem lautet die Überschrift eines Teilkapitels dieses Kapitels, Die Scheidung in Galiläa‘ (BG 116, Joh 6,60–64a.65–69). In Galiläa entscheidet sich nicht nur die Sendung Jesu, sondern zugleich scheiden sich hier die Glaubenden von den Nichtglaubenden, der Abschnitt ‚Die Scheidung in Galiläa‘ gipfelt schließlich im Bekenntnis des Petrus: ‚Und wir haben geglaubt und erkannt: du bist der Erkorene Gottes.‘ (BG 117, Joh 6,69; statt: ὁ ἅγιος τοῦ θεοῦ (der Heilige Gottes)). (4) Die Betonung der Positivität Galiläas wird durch die dualistische Gegenüberstellung Judäas noch deutlicher, hier kam es nicht zur Entscheidung, sondern zum ‚Kampf‘, wie die Überschrift des direkt folgenden Kapitels der BG nahelegt: ‚Der Kampf in Judäa‘ (BG 118–134). Auch Grundmann versucht im Abschnitt „Das galiläische Problem“ in seiner Jesusmonographie (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 166–175) die Abgrenzung Galiläas vom Judentum aufzuzeigen: „In Galiläa haben sich die Israeliten und ihr Kultus nicht durchsetzen können“ (ebd. 167). „Die Juden haben wohl immer nach Galiläa gestrebt, aber da Land nie fest in ihrer Hand gehabt“ (ebd. 168). „Die Unterwerfung der Galiläer unter die Juden erfolgte durch Zwangsbeschneidung und Zwangsannahme der jüdischen Religion“ (ebd. 169). Und er trifft die wohl deutlichste Aussage: „Wenn also die galiläische Herkunft Jesu unbezweifelbar ist, so folgt auf Grund der eben angestellten Erörterung daraus, daß er mit größter Wahrscheinlichkeit kein Jude gewesen ist, vielmehr völkisch einer der in Galiläa vorhandenen Strömungen angehört hat. Daß er wie die meisten Galiläer von seiner Familie her jüdischer Konfession gewesen ist, die er selbst aber restlos durchstoßen hat, hatten wir bereits festgestellt.“ (ebd. 175). An dieser Sicht findet sich bereits zeitgenössische Kritik (die Seitenzahlen beziehen sich auf Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940)): „Daß Galiläa um 150 v.Chr. frei von Juden im eigentlichen Sinne gewesen ist (169), läßt sich freilich aus 1. Makk. 5,21–21, wenn man Josephus ant. 12,332–332 vergleicht, nicht so einfach sicherstellen; und die Vermutung, die G. [Grundmann, A.d.A.] (85f.) aus den Henochbüchern über Galiläa schöpft, sind recht vage. Jedenfalls ist es in keiner Weise beweisbar, daß die galiläischen Juden zur Zeit Jesu im Wesentlichen Nachkommen von zwangsweise beschnittenen Heiden sind. Denn daß das fruchtbare Galiläa nach seiner Eroberung durch die Makkabäer Rück- und Zuwanderer jüdischer Herkunft angezogen hat, kann keine Frage sein. Ob sie nun viele oder wenige waren: niemand kann im Ernste bestreiten, daß Jesu Vorfahren jüdischer Abkunft gewesen sein können. Die Konstruktionen auf Grund der Stammbäume Jesu, die G. z.B. von Hirsch übernommen hat, sind jedenfalls gänzlich unhaltbar.“ (Büchsel (1942), 93f.). 139 Schon erwähnt wurde die Bearbeitung von Lk 2,11 (vgl. oben 2.3.2 BG 3, Die Heilige Nacht (Luk. 2,1–20.21b), Luk. 2,8–11), Lk 2,11: ‚Christus der Herr‘. Die Davidssohnschaft Jesu wird verschwiegen).
144
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Die BG setzt also in Joh 7,41f. eben aufgrund der Wertung dieser Verse als pro-galiläische, die die judäische Betlehemsgeburt anzweifeln, was von Grundmann übernommen sein dürfte, die positive Christusbezeichnung ‚der Verheißene‘. Zu diesen Erklärungen für die durchgängige Verwendung von ‚der Verheißene‘ kommt noch der Textbefund, der zeigt, dass die BG eine Übersetzung mit ‚Messias‘ ausschließlich im ersten Teil (‚Der Heiland‘ (BG 3–95)) vornimmt. Dem Johannesevangelium wird von der BG dadurch eine Sonderstellung eingeräumt. Auch in der BG-Auswahl aus den paulinischen Briefen taucht an keiner Stelle der Begriff „Messias“ auf. Im Gegensatz zum Johannesevangelium betont Grundmann (und mit ihm die BG) aber nicht nur die Gottessohnschaft Jesu, sondern bringt sie zugleich in einen Gegensatz zu Betlehems- und Jungfrauengeburt, also zu den alttestamentlichen Verheißungen: „Für diesen [=der Sohn] johanneischen Christustitel ist es bezeichnend, daß er offensichtlich jene Deutung der Sohnschaft des Christus ablehnt, die sich in der Geburt aus der Jungfrau und der damit zusammenhängenden Bethlehemlokalisierung, die ihrerseits von Micha 5,1 her im Zusammenhang mit der Daivdssohnschaft des Messias steht, ihren Ausdruck schafft.“140
Auch an der dritten Stelle, an der der Begriffs „der Verheißene“ in dieser BGPassage verwendet wird (Joh 7,31), handelt es in der BG um eine positive Verwendung: BG
NA
EÜ
Luther
Aus dem Volk glaubten viele an ihn und sprachen:
Ἐκ τοῦ ὄχλου δὲ πολλοὶ ἐπίστευσαν εἰς αὐτὸν καὶ ἔλεγον·
Aus der Menge kamen viele Leute zum Glauben an ihn; sie sagten:
Aber viele vom Volk glaubten an ihn und sprachen:
‚Kann der Verheißene, wenn er kommt, größere Wunder vollbringen, als er sie tut?‘
ὁ χριστὸς ὅταν ἔλθῃ μὴ πλείονα σημεῖα ποιήσει ὧν οὗτος ἐποίησεν;
Wird der Messias, wenn er kommt, mehr Zeichen tun, als dieser getan hat?
Wenn Christus kommen wird, wird er auch mehr Zeichen tun, denn dieser tut?
Da dieser Vers im Erzählduktus der BG (BG 124f., Die Erregung im Volk (Joh 7,40–43.31–36.45–52) nach dem Hinweis auf die Spaltung im Volk (Joh 7,43) aufgeführt ist, kann diese Spaltung nicht mehr auf den in Joh 7,31 berichteten Glauben des Volkes an den ‚Verheißenen‘ bezogen werden. Stattdessen kann wieder auf eine positiver besetzte Verwendung der Bezeichnung 140
Grundmann, Botschaft Jesu im Urchristentum (1941), 149.
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
145
‚Verheißener‘ geschlossen werden, denn der Verheißene wird explizit mit dem Glauben des Volkes und nicht nur dem unentschlossenen Sprechen der Menge in Verbindung gebracht. Das Eingreifen der BG-Redaktoren in die Versreihenfolge zeigt, dass man Interesse daran hatte, die theologische Aussage nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten und die Aussage des Volkes positiver erscheinen lassen. Zudem werden die Verben ‚ποιήσει‘ und ‚ἐποίησεν‘ nicht wörtlich (‚er wird tun‘ (Futur) und ‚er tat/ tut‘ (Aorist)141) übersetzt, sondern man scheint durch die Formulierung als Frage nach der bloßen Potentialität zusätzlich betonen zu wollen, dass der ‚Verheißene‘ in Jesus bereits erschienen sei: „Kann der Verheißene überhaupt größere Wunder vollbringen, als sie Jesus bereits tut?“ Erwartete Antwort auf diese Frage ist ein Nein. 142 Das Volk erkennt den ‚Verheißenen‘ an seinen „Wundern“ (σημεῖα: eigentlich „Zeichen“ (EÜ/Luther)). Diese Übersetzung von σημεῖα wird in der BG auch an anderer Stelle als positiver Begriff verwendet.143 Schenke dagegen hält sowohl Joh 7,42 wie auch 7,27f. für ironisch und meint, Jesu Herkunft aus dem Stamme Davids solle gar nicht geleugnet werden: „Manche aus der Volksmenge halten Jesus für den endzeitlichen Propheten, manche für den Messias (7,40f.; vgl. 1,20f.; 1,41). Ein Vorbehalten gegen solche Einschätzung Jesu wird nicht spürbar (vgl. 6,14f.), zumal andre erneut die Herkunft aus Nazaret in Galiläa gegen ihn ins Spiel bringen (7,41f.). Freilich widerspricht die jetzt vorgebrachte Messiasdogmatik derjenigen von 7,27; nach jener weiß niemand, woher der Messias stammt, nach der nun vorgetragenen geht er aus dem Stamm Davids und aus Bethlehem hervor. In 7,42 waltet die gleiche Ironie wie in 7,27f., denn die Leser wissen doch wohl, was den Leute
141 Die Aoristform gibt auch Luther wie die BG mit Präsens wieder, was möglich ist, wenn man sie als gnomischen Aorist, der etwas allgemein Gültiges beschreibt, auffasst. Ohnehin ist in einem kleinen Teil der griechischen Handschriften das Präsens ποίει bezeugt (vgl. Thyen (2005), 396). 142 Auch die Antwort auf die futurische Frage im Griechischen (entsprechend EÜ/Luther): ‚Wird der Messias mehr Zeichen tun?‘ lässt ein ‚Doch gewiß nicht!‘ erwarten, schließlich sind es die zum Glauben Gekommenen, die sich das fragen (vgl. Thyen (2005), 396), knüpft aber eindeutig an die alttestamentliche Erwartung an. 143 Auch im (äußerst frei ausgeschmückten und interpretierten!) Fazit der Hochzeit zu Kana findet sich die Übersetzung „Wunder“: ‚Solches wird erzählt als erster Erweis seiner göttlichen Sendung. Das Wandlungswunder bedeutet: Durch Jesus ist äußerlicher Gesetzesdienst zu Ende. Mit ihm bricht an der frohe Gottesdienst gewandelter Menschen, die schöpfen aus der Fülle des Geistes. Seine Jünger verstanden das und glaubten an ihn.‘ (BG 104, Das Weinwunder: Ende des Gesetzesdienstes (2,1–11), Jo. 2,11) statt ‚So tat Jesus sein erstes Zeichen in Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn‘ (EÜ, Joh 2,11) Ταύτην ἐποίησεν ἀρχὴν τῶν σημείων ὁ Ἰησοῦς ἐν Κανὰ τῆς Γαλιλαίας καὶ ἐφανέρωσεν τὴν δόξαν αὐτοῦ, καὶ ἐπί στευσαν εἰς αὐτὸν οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ. (NA, Joh 2,11).
146
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
nicht bewußt ist: Jesus stammt wirklich aus Davids Geschlecht und ist in Bethlehem geboren.“144
Dass das Volk also tatsächlich das von der BG-Redaktion als das „richtige“ eingestufte Verständnis vom „Verheißenen“ hatte – was nach Redaktionsmeinung bedeutet, dass es mit den jüdischen Messiasvorstellungen unvereinbar war –, lässt sich bezweifeln. Festhalten lässt sich aber, dass die BGRedaktion die Stelle in diesem Sinne bearbeitete. In starkem Gegensatz dazu wird die synoptische Zeichenforderung der Pharisäer, im Griechischen ebenfalls ‚σημεῖον‘ im Singular, in der BG als Abgrenzungskriterium gegen das Judentum gesehen: Das lässt sich daran erkennen, dass die BG-Redaktion die Zeichenforderung bewusst145 mit dem (negativ verstandenen) Messiasbegriff verbindet, z.B. in der Bearbeitung von Mk 8,11146: BG
NA
EÜ
Luther
Da kamen die Pharisäer heraus, begannen mit ihm zu streiten
Καὶ ἐξῆλθον οἱ Φαρισαῖοι καὶ ἤρξαντο συζητεῖν αὐτῷ,
Da kamen die Pharisäer und begannen ein Streitgespräch mit ihm;
Und die Pharisäer gingen heraus und fingen an, sich mit ihm zu befragen,
und forderten von ihm ein Zeichen, das ihn als Messias beglaubigen sollte.
ζητοῦντες παρ’ αὐτοῦ σημεῖον ἀπὸ τοῦ οὐρανοῦ, πειράζοντες αὐτόν.
sie forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel, um ihn auf die Probe zu stellen.
versuchten ihn und begehrten von ihm ein Zeichen vom Himmel.
Zwar wird auch im griechischen Text die Forderung nach einem Zeichen negativ dargestellt147, die Verbindung mit dem Messiasbegriff ist aber nur in der BG zu finden. Grundmanns Deutung steht hier wohl im Hintergrund: Er bewertet die „Zeichenforderung“, die vom Volk mit dem „messianischen Gedanken“ an Jesus herangebracht worden sei, als „Angriff“ und einen entscheidenden Punkt für die „Scheidung“ Jesu vom Judentum. Jesus habe diese 144
Schenke, L. (1998), 164. Durch Einfügung ohne griechische Basis. 146 BG 32, Jesus ist das Zeichen Gottes (Mark. 8,10–13; Luk. 11,29–30.32.31; 12,54–56), Mk 8,11. 147 Jesus lehnt Zeichenforderungen mehrfach ab (z.B. die Versuchungen in der Wüste (Mt 4,1–11, Mk 1,12–13, Lk 4,1–13)), weiß aber dennoch um das allzu menschliche Bedürfnis nach Zeichen und kommt dem auch nach, z.B. Joh 20,19–29: Thomas darf seine Hände in die Wundmale Jesu legen. Dennoch bleibt kein Zweifel daran, dass ein solchen Zeichen nicht notwendig für den Glauben ist: ‚Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.‘ (EÜ, Joh 20,29). 145
147
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
Forderung der „jüdischen Dogmatik“ abgelehnt148 und sei durch diesen „Angriff“ zum „Gegenangriff“ gezwungen worden.149 Der Einfluss Grundmanns auf die BG-Bearbeitungen wird in diesem Vergleich von Zitat und Textbearbeitung einmal mehr deutlich. An der Messiasfrage scheinen sowohl Grundmann als auch die BG einen großen Teil der Begründungen für den „Kampf“ Jesu gegen das Judentum abzuleiten. 2.4.2.4 BG 129, Die Heilung des Blindgeborenen: Das Zeichen vom Licht der Welt (Joh. 9,1–34), Joh 9,22 und BG 132, Die Bildrede vom rechten Hirten (Joh. 10,22–26.12.13.17–18.1–5.8.10–11.14–15a.27–34a.37–39), Joh 10,24f. Auch in diesen beiden Passagen wird über das richtige Verständnis des ‚Verheißenen‘ diskutiert, zunächst in Joh 9,22: NA
EÜ
Luther
So sprachen seine Eltern aus Furcht vor den Juden. Denn die Juden hatten bereits vereinbart:
BG
ταῦτα εἶπαν οἱ γονεῖς αὐτοῦ ὅτι ἐφοβοῦντο τοὺς Ἰουδαίους· ἤδη γὰρ συνετέθειντο οἱ Ἰουδαῖοι
Das sagten seine Eltern, weil sie sich vor den Juden fürchteten; denn die Juden hatten schon beschlossen,
Solches sagten seine Eltern; denn sie fürchteten sich vor den Juden. Denn die Juden hatten sich schon vereinigt,
Wer von ihm bekennt, er sei der Verheißene, wird mit dem Bann belegt.
ἵνα ἐάν τις αὐτὸν ὁμολογήσῃ χριστόν, ἀποσυνάγωγος γένηται.
jeden, der ihn als den Messias bekenne, aus der Synagoge auszustoßen.
so jemand ihn für Christus bekennte, daß er in den Bann getan würde.
Obwohl in Joh 9,22 eine direkte Aussage von Juden über diejenigen, die Jesus als den ‚χριστός‘ bekennen, referiert wird, also der Titel hier im Denken der BG negativ gebraucht ist, schreibt die BG an dieser Stelle nicht ‚Messias‘, wie man nach den Befunden bei der Bearbeitung der Synoptiker vermuten könnte, sondern wählt, ganz auf der Linie mit den vorherigen Beobachtungen bei der Bearbeitung des Johannesevangeliums, den Titel ‚der Verheißene‘. Der Begriff ‚χριστός‘ wird hier folglich von den Redaktoren der BG nicht als Negativfolie, die die falsche Vorstellung der Juden vom Messias aufdecken soll, verstanden, sondern im Gegenteil als abgrenzende Aussage 148
Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 147. Die „Streitgespräche“ mit Pharisäern und Schriftgelehrten seien Beispiele für diesen „Gegenangriff“ (vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 148). Mehr dazu in 4.2 Jesus ist ein „Kämpfer“ gegen das Judentum, daher werden seine Nachfolger zu (Mit-)kämpfern. 149
148
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
der Juden denen gegenüber, die Jesus als ‚den Verheißenen‘ verstehen, also ein – laut BG – richtiges Verständnis von Jesus haben, das, wie die vorher bereits angeführten Stellen gezeigt haben, vom Messiasbegriff der Juden verschieden gedacht werden muss. Der griechische Text macht deutlich, wie stark die BG-Redaktion in den Text eingegriffen hat: Es ist die Rede davon, dass die Juden kein in ihren Augen problematisches Verständnis vom Messias in der Synagoge dulden wollen, obwohl sich dieses Verständnis innerhalb ihrer Synagogengemeinschaft gebildet hat. Nicht aber spricht der biblische Text davon, dass diejenigen, die ein ganz neues (was der Begriff ‚der Verheißene‘, der in der BG vom Messiasbegriff verschieden gedacht wird, nahelegt) Bekenntnis äußern, mit „dem Bann“ belegt würden. Die BG fügt mit ihrer Wiedergabe von ‚ἀποσυνάγωγος‘ mit ‚der, der mit dem Bann belegt ist‘ spätere Quellen in den Text ein. Ἀποσυνάγωγος ist ein semantisch offenes Hapax legomenon, das die BG, in Anlehnung an die Lutherübersetzung von 1912,150 vereindeutigt. Die Synagoge erscheint somit in der BG als eine offizielle Bann-Instanz, die es zur Zeit Jesu aber nicht gab.151 Der BG-Text bekommt eine Sinnrichtung, die an der eigentlichen Textintention vorbeigeht. Zusätzlich zur Bezeichnung ‚der Verheißene‘, die auch hier als typisch unjüdisch erscheint, verschärft die anachronistische Androhung des ‚Bannes‘ den Gegensatzes, den die BG zwischen den Juden und Jesus konstruiert: Wer dem neuen Bekenntnis zum „Verheißenen“ anhängt, wird nicht nur ausgeschlossen, sondern mit dem Bann belegt. Hier zeigt sich, dass das Johannesevangelium noch stärker als die Synoptiker die Gefahr derartiger Fehlinterpretationen birgt, was exemplarisch durch den Gebrauch der pauschalen Bezeichnung οἱ Ἰουδαῖοι belegt werden kann: Dass auch die Eltern des geheilten Blindgeborenen Juden waren, macht der Text nicht explizit deutlich, die Juden können so nur allzu leicht als Feindbild gebraucht werden. Tatsächlich ist in der Frage nach der Verwendung der Bezeichnung οἱ Ἰουδαῖοι im Johannesevangelium aber differenzierter zu
150 Die Übersetzung ‚in den Bann tun‘ wählt aber auch bereits Luther 1912 für ‚ἀποσυνάγωγος‘. In Kombination mit der Verdeutschung ‚der Verheißene‘ kann die allgemeine Bann-Androhung aber dennoch als Argument für die tendenziöse Übersetzung der BG, die Jesus gezielt als nicht-jüdischen Verheißenen präsentiert, gesehen werden. 151 Vgl. dazu Nicklas (2001), 380–383 und seine kritische Auseinandersetzung v.a. mit dem Ansatz von James Louis Martyn (ebd. 30–92). Vgl. auch Frey, Juden (2013), v.a. 353– 365. Frey betont, dass nicht von einem temporären Synagogenbann die Rede sein könne, sondern von einem definitiven Bruch mit der Synagoge, dessen fixes Datum allerdings nicht festgestellt werden könne, da die Abspaltungsprozesse der christlichen Gemeinden von den Synagogen von Ort zu Ort anders verliefen und „zum Teil bis weit ins zweite Jahrhundert (und darüber hinaus“ dauerten. Es könnte daher mit dem ἀποσυνάγωγος ebenso gut eine lokal begrenzte Maßnahme gemeint sein (ebd. 364).
149
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
betrachten,152 schließlich besteht die Spannung zwischen Joh 8,44 einerseits, wo der johanneische Jesus an ihn glaubenden Juden unterstellt, sie seien „Söhne des Teufels“, und andererseits Joh 4,22, wo derselbe Jesus der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen entgegen hält, das Heil komme von den Juden.153 Ähnlich ist es auch an folgender Stelle Joh 10,24f.154: BG
NA
EÜ
Luther
Da umringten ihn die Juden mit der Frage: […]
24 ἐκύκλωσαν οὖν αὐτὸν οἱ Ἰουδαῖοι καὶ ἔλεγον αὐτῷ· […]
24 Da umringten ihn die Juden und fragten ihn: […]
24 Da umringten ihn die Juden und sprachen zu ihm: […]
Bist du der Verheißene, dann sage es uns frei heraus!‘
εἰ σὺ εἶ ὁ χριστός, εἰπὲ ἡμῖν παρρησίᾳ.
Wenn du der Messias bist, sag es uns offen.
Bist du Christus, so sage es uns frei heraus.
Jesus antwortete ihnen: ‚Ich habe es euch gesagt, aber ihr glaubt nicht. [...]
25 ἀπεκρίθη αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς· εἶπον ὑμῖν καὶ οὐ πιστεύετε·[…]
25 Jesus antwortete ihnen: Ich habe es euch gesagt, aber ihr glaubt nicht. [...]
25 Jesus antwortete ihnen: Ich habe es euch gesagt, und ihr glaubet nicht. […]
152
Zur Diskussion um den Begriff der „Ἰουδαῖοι“ im Johannesevangelium vgl. Nicklas, Grenzen (2016): Die Rede von den „Juden“ steht im Johannesevangelium in der Zeit des Kontinuitätsbruchs nach 70 n.Chr.: Man musste Lösungen finden, wie es weitergehen kann und diese sind christozentrisch geprägt und damit eindeutig anders als die der nicht an Christus glaubenden Teile Israels. Das Johannesevangelium will sich also nicht einfach von Israels Traditionen ablösen, sondern diese authentisch neu interpretieren. Die Erzählfigur „die Juden“ im Johannesevangelium steht also nicht in erster Linie für Grenzziehungen, Ausschlüsse von Christusanhängern oder gar Verfolgungen von Seiten der Synagoge, auf die die johanneische Gemeinde bzw. das Johannesevangelium reagiert habe, sondern für das Faktum, dass das Johannesevangelium sich bzw. seine Leser von „den Juden“ zu distanzieren sucht. Diese Grenze wird sehr eng und gleichzeitig mit großer Schärfe gezogen. Im Blick sind dabei aber nicht nur diejenigen Juden, die nicht zu Christusanhängern geworden sind, sondern auch diejenigen, die als Glaubende an Christus sich weiterhin als Teil der Synagoge verstehen wollen, aber nicht den letzten Schritt tun, dem absoluten Wahrheitsanspruch des johanneischen Christus zu folgen,von denen jedoch verlangt wird, sich von den „Juden“ zu distanzieren, da sie sonst auf Seite derer zu stehen kommen, von denen zwar das Heil kommt (Joh 4,22), die jedoch als „Söhne des Satans“ (Joh 8,44) bezeichnet werden (ebd. 128). Jörg Frey verweist auf die verschiedenen Konnotationen, die bei Joh mit dem Begriff Ἰουδαῖοι verbunden werden und spricht daher von einer „dramaturgischen Funktion“ der Aussagen (Frey, Juden (2013), 349–353). 153 Vgl. zum Umgang mit Joh 4,22 in der BG: (2) BG 110, Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (4,1.3–9a.10–21.23–37.39–42), Joh 4,25. 154 BG 132, Die Bildrede vom rechten Hirten (Joh. 10,22–26.12.13.17–18.1–5.8.10– 11.14–15a.27–34a.37–39), Joh 10,24f.
150
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Auch hier steht „der Verheißene“ statt „der Messias“ und diesmal wird die Antwort Jesu nicht bearbeitet im Sinne eines Nein, wie das oben bei der Frage nach der Messianität in der BG-Bearbeitung von Lk 22,67 der Fall war, sondern Jesus bejaht die Frage mit dem Verweis darauf, bereits gesagt zu haben, dass er der „Verheißene“ sei. Die positive Konnotation, die die BG diesem Christustitel beimisst, wird hierdurch bestätigt, wie ein Vergleich der diametral entgegengesetzten Vorgehensweise der Redaktoren an eben den genannten beiden Stellen verdeutlichen kann: BG
EÜ Joh 10,24f. Bist du der VerWenn du der heißene, dann Messias bist, sag sage es uns frei es uns offen. heraus!‘
BG
EÜ Lk 22,67 ‚Bist du der Sie sagten zu Messias, so sage ihm: Wenn du es uns!‘ der Messias bist, dann sag es uns!
Jesus antwortete ihnen: ‚Ich habe es euch gesagt, aber ihr glaubt nicht.
Jesus antwortete ihnen: Ich habe es euch gesagt, aber ihr glaubt nicht
‚Ich bin der Verheißene‘
‚Ich bin der Messias‘
Er aber sprach zu ihnen: ‚Würde ich euch sagen, wer ich wirklich bin, so würdet ihr mir keinen Glauben schenken. ‚Ich bin NICHT der Messias‘
Er antwortete ihnen: Auch wenn ich es euch sage – ihr glaubt mir ja doch nicht; ‚Ich bin der Messias‘
Während die EÜ also gemäß dem griechischen Text zweimal Jesus die Antwort geben lässt, dass er der Messias ist, bearbeitet die BG Lk 22,67 (das Verhör vor dem Hohenpriester) im Sinne einer Ablehnung der Messianität, Joh 10,24f. dagegen als Zustimmung zur Aussage, er sei der Verheißene. Grundmann nennt diese Verse gar „die Weigerung sich selbst Messias zu nennen und sich als solcher zu proklamieren“155. Das unterschiedliche Vorgehen bei der Bearbeitung dieser Bibelstellen liegt nicht im griechischen Text begründet, sondern vielmehr in der Intention der Herausgeber, Jesus in einen schroffen Gegensatz zur jüdischen Messiaserwartung zu bringen. Die Aussage der jüdischen Oberen, des Hohen Rates, in Lk 22,67 scheint also deshalb in der BG zu einer Negativaussage gebogen zu werden, da wichtigen jüdischen Autoritäten keine richtige Aussage über Jesus zugeschrieben werden sollte. Dem Volk dagegen, das in Joh 10,24f mit Jesus diskutiert, versucht Jesus ein richtiges Verständnis seiner Sendung zu vermitteln (‚Ich habe euch 155
Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 149.
151
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
gesagt‘), allerdings fehlt hier noch der Glaube. Der BG-Redaktion schien an dieser Stelle ein Hinweis auf die fehlende Erkenntnis des ‚Verheißenen‘, gleichzeitig aber die Betonung, Jesus sei ‚der Verheißene‘ am zweckmäßigsten. 2.4.3 Der „Verheißene“ ist „Gottessohn“ und „Menschensohn“ – eine Zusammenfassung der Beobachtungen zu den BG-Bearbeitungen im Johannesevangelium An weiteren Stellen zeigt sich, dass die BG-Redaktion, wie sich schon im ersten Teil (vgl. oben Lk 2,69–70) ankündigte, den Titel „Sohn Gottes“ als Gegenbild zum Messias aufzubauen sucht, so in der Bearbeitung von Joh 11,27156: BG
NA
EÜ
Luther
Sie [=Martha] sprach zu ihm [=Jesus]: ‚Ja, Herr, ich glaube: du bist
λέγει αὐτῷ· ναὶ κύριε, ἐγὼ πεπίστευκα ὅτι σὺ εἶ
Marta antwortete ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du
Sie spricht zu ihm: HERR, ja, ich glaube, daß du bist
der erkorene Gottessohn,
ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ
der Messias bist, der Sohn Gottes,
Christus, der Sohn Gottes,
der in die Welt gekommen ist.‘
ὁ εἰς τὸν κόσμον ἐρχόμενος.
der in die Welt kommen soll.
der in die Welt gekommen ist.
Während der griechische Text beide Titel in der Doppelbezeichnung ‚ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ‘ (der Messias/Christus, der Sohn Gottes) nebeneinander stehen lässt, spricht die BG in Joh 11,27 vom ‚erkorenen Gottessohn‘ und betont somit die Gottessohnschaft bei gleichzeitiger Vermeidung des Messiastitels. Hier scheint die Lesart von Joh 1,34, die Jesus als „Erkorenen“ (ἐκλεκτός) Gottes sieht,157 auf die BG-Bearbeitung von Joh 11,27 gewirkt zu haben. Obwohl der Gedanke der „Erwählung“ unbestritten auch der Bezeichnung ‚der Gesalbte/Christus/Messias‘ immanent ist, wird er in der BGVariante „der erkorenen Gottessohn“ weniger deutlich erkennbar. Im Blick auf die Vielzahl der bearbeiteten Passagen und die Intensität der Bearbeitungen in der BG liegt es einmal mehr nahe, dass die alttestamentlich-jüdischen Implikationen des Messiasbegriffs verwischt werden sollten. 156
BG 137, Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (10,40–11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44), Joh 11,27. 157 Vgl. oben zu Joh 1,34: 2.4.1 BG 101f., Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6– 8.19–27.31.33–34.28–30), Joh 1,6–8.19–20: Die Aussage des Johannes: ‚Ich bin nicht der Offenbarer.‘
152
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
In diesem Sinne kann Jesus von Grundmann auch als „Überwinder der jüdischen Lebensordnung“158 bezeichnet werden, der jede Verbindung der Titel „Messias“ und „Sohn Gottes“ abgelehnt habe, „da der Messias nach jüdischer Dogmatik nicht als Sohn Gottes gilt.“159 Dieser Meinung scheint sich die BG anzuschließen, wie auch die Bearbeitung von Joh 20,31160 und das ähnliche redaktionelle Vorgehen in Bezug auf Joh 12,34161 zeigt. Im zweiten Beispiel wird zwar die Bezeichnung „Menschensohn“, wie schon im ersten Teil der BG bei Mk 8,34 und Lk 22,69 (vgl. oben) zu beobachten war, als positiv rezipierter Begriff nicht verändert, „Messias“ wird aber durch „der Verheißene“ ersetzt: NA
EÜ
Da antwortete ihm die Volksmenge: ‚Wir haben im Gesetz gehört,
BG
Ἀπεκρίθη οὖν αὐτῷ ὁ ὄχλος· ἡμεῖς ἠκούσαμεν ἐκ τοῦ νόμου
Die Menge jedoch hielt ihm entgegen: Wir haben aus dem Gesetz gehört,
Da antwortete ihm das Volk: Wir haben gehört im Gesetz,
Luther
dass der Verheißene für immer bleibt.
ὅτι ὁ χριστὸς μένει εἰς τὸν αἰῶνα,
dass der Messias bis in Ewigkeit bleiben wird.
daß Christus ewiglich bleibe;
Wie kannst du da sagen, dass der Menschensohn erhöht werden soll? Wer ist dieser Menschensohn?‘
καὶ πῶς λέγεις σὺ ὅτι δεῖ ὑψωθῆναι τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου; τίς ἐστιν οὗτος ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου;
Wie kannst du sagen, der Menschensohn müsse erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?
und wie sagst du denn: ‚Des Menschen Sohn muß erhöht werden‘? Wer ist dieser Menschensohn?
Folgende Tabelle vermag die Betonung der Gottessohnschaft ebenso wie die Etablierung der Bezeichnung ‚der Verheißene‘ anstelle von Christus/ Messias nochmal zu verdeutlichen:
158
Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), Überschrift des 3. Kapitels, 25–35. Grundmann verweist hier auf sein Buch Gotteskindschaft (1938), 32f., 48–50. 160 BG 160, Beschluß (20,30–31), Joh 20,31: Auch hier wird aus ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ in der BG „Jesus ist der erkorene Gottessohn“ (vgl. EÜ: „Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes“/Luther: „Jesus sei Christus, der Sohn Gottes“. 161 BG 132, Die Erhöhung des Menschensohnes (8,21–23.24b–25a.28–29; 12,34–36; 10,19.21), Joh 12,34. 159
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
BG
EÜ/NA Joh 11,27 der erkorene der Messias, der Gottessohn Sohn Gottes (ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ)
153
BG
EÜ/NA Joh 12,34 der Verheißene der Messias (ὁ χριστός) der Menschensohn
der Menschensohn (ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου)
Während der Begriff „Messias“ auch an dieser Stelle in der BG nicht aufgenommen wird, wählt die BG mit dem Begriff „Menschensohn“ einen anderen Umgang: Er wird an vielen Stellen (z.B. Mk 8,31 und Lk 22,69 (vgl. oben), Lk 7,34162 und Lk 9,10163) ganz selbstverständlich aufgenommen. Der Grund dafür dürfte sein, dass die BG-Redaktion ihn, ebenso wenig wie die Rede vom „Sohn Gottes“, in die jüdische Vorstellungswelt eingeordnet hat. Grundmann schreibt zwar dem Begriff „Sohn Gottes“ eine noch größere Sonderstellung zu, hebt aber auch die Rede vom „Menschensohn“164 aus dem „offiziellen Judentum“ heraus durch seine Zuordnung zu den „galiläischen Henochkreisen“: „Das Judentum kennt eine Bezeichnung des Kommenden, sei er nun, wie im offiziellen Judentum als Messias, sei er, wie in den galiläischen Henochkreisen als Menschensohn bezeichnet worden, als Sohn Gottes nicht. Das christologische Symbol ‚Sohn Gottes‘ ist aus dem zeitgenössischen Judentum unerklärbar und unableitbar.“165
Der Menschensohnbegriff spielt in der BG also bei Weitem keine so große Rolle wie der Messias-Begriff als Negativfolie oder die Rede von Jesus als „Sohn Gottes“ als besonderes Unterscheidungsmerkmal von der jüdischen Erwartung. Dennoch wird er positiv rezipiert durch die Zuordnung zu den „galiläischen Henochkreisen“, die mit der positiven Hervorhebung Galiläas166 in der BG korreliert. Die einfache Übernahme des Begriffs in die BG dürfte auch daran liegen, dass die Herkunft des Begriffs (bis heute) nur unzureichend geklärt ist167 und man Fremdeinflüsse auf die Gestalt des Menschen162
Auch hier ist „Menschensohn“ positiv besetzt, wie schon die Überschrift zeigt: BG 15, Jesu eigener Weg: nicht Drohprediger, sondern Freudenbote (Matth. 11,2–3; Luk. 7,22– 26a.28–35; Matth. 14,3a.10b), Lk 7,34: „Menschensohn“). 163 Hier kommt „Menschensohn“ aus dem Munde Jesu: „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und heimzubringen, was verloren ist“ (BG 30, Gott befreit zu neuem Leben (Luk. 19,1–10), Lk 19,10). 164 Zum Begriff des „Menschensohn“ im Johannesevangelium in aller Kürze: Nicklas, Jesus von Nazareth (2009), 72f. 165 Grundmann, Gotteskindschaft (1938), 50. 166 Vgl. oben FN 138. 167 Hahn (1995), 20.
154
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
sohnes allgemein annimmt.168 Ebensowenig wie alle anderen christologischen Titel kann die Rede vom „Menschensohn“ aus dem jüdischen Denken herausgelöst werden: Besonders mit dem „Gesalbten“ wird die Menschensohnvorstellung verbunden, allerdings nicht verschmolzen.169 Festhalten lässt sich, dass, anders als bei den Synoptikern, in den Übersetzungen von „ὁ χριστός“ im Johannesevangelium neue Begriffe eingeführt wurden: Jesus wird als „der Offenbarer“ und „der Verheißene“ vorgestellt und somit wird der wissende Bibelleser, ähnlich zur Bezeichnung „Messias“, an das Alte Testament verwiesen, das Jesus offenbart hat bzw. in dem er verheißen wurde. Ob die BG mit solchen Assoziationen gerechnet hat, bleibt offen. Fest steht, dass im Sinne einer Vereinfachung und Verdeutlichung für das deutsche Volk, das ja als Lesepublikum anvisiert war, der – nach dem Verständnis der Redaktoren also eindeutig „jüdische“ – Begriff „Messias“ im Johannesevangelium gänzlich vermieden wurde, während er in den Bearbeitungen der synoptischen Evangelien als Kontrastfolie verwendet wurde, die die „falsche“ und „jüdische“ Messiaserwartung vom wahren Sein Jesu abgrenzen sollte. Diese Beobachtungen werden dadurch bestätigt, dass die Rede vom „Verheißenen“ zusätzlich zu den bereits betrachteten Passagen auch an einer Stelle in der BG zu finden ist, an der eigentlich keine Notwendigkeit bestanden hätte, eine Christustitulatur einzufügen: In Joh 10,41 170, als viele zu Jesus „auf die anderer Seite des Jordans an den Ort, wo Johannes zuerst getauft hatte“, kamen (vgl. Joh 10,40):
168
Hahn (1995), 21. Hahn bietet einen guten Überblick über den Begriff des Menschensohns und seine Verwendung, ebd. 13–53. 169 Vgl. Schreiber (2000), 387f. Als Beispiele nennt dieser: äthHen 48,10; 52,3; 4 Esr 13. Die Verbindung der Traditionslinien vom „Gesalbten“ und „Menschensohn“ führt dazu, dass der Gesalbte (als Menschensohn) den Charakter eines himmlischen Retter-Königs bekommt, was mit der Enttäuschung über die Fehlschläger irdischer Gesalbten-Prätendenten vor und während des ersten jüdischen Kriegs in Zusammenhang gebracht werden kann. 170 BG 135, Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (10,40–11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44), Joh 10,41.
155
2.4 ‚ὁ χριστός‘ im Johannesevangelium der BG
BG
NA
Und viele kamen zu ihm und sagten: ‚Johannes hat zwar kein Zeichen getan,
καὶ πολλοὶ ἦλθον πρὸς αὐτὸν καὶ ἔλεγον ὅτι Ἰωάννης μὲν σημεῖον ἐποίησεν οὐδέν,
Viele kamen zu ihm. Sie sagten: Johannes hat kein Zeichen getan;
EÜ
Und viele kamen zu ihm und sprachen: Johannes tat kein Zeichen;
Luther
aber alles, was er über den Verheißenen sagte, hat sich als wahr erwiesen.‘
πάντα δὲ ὅσα εἶπεν Ἰωάννης περὶ τούτου ἀληθῆ ἦν.
aber alles, was Johannes über diesen Mann gesagt hat, ist wahr.
aber alles, was Johannes von diesem gesagt hat, das ist wahr.
Neben dieser Einfügung des „Verheißenen“ werden auch die Begriffe „Menschensohn“, „Sohn Gottes“ und „erkorener Gottessohn“ positiv verstärkt und somit noch stärker als im griechischen Text als die Spezifika der Sendung Jesu hervorgehoben. Besonders der Gedanke der Sohnschaft wird von Grundmann exklusiv dem Johannesevangelium zugeschrieben und mit der Spekulation um die galiläische Abstammung Jesu verbunden: Zweifellos richtig171 stellt Grundmann fest, dass der Christustitel „der Sohn“ für das Johannesevangelium bezeichnend sei, allerdings unter Ablehnung einer Deutung „die sich in der Geburt aus der Jungfrau und der damit zusammenhängenden Betlehemlokalisierung, die ihrerseits von Micha 5,1 her im Zusammenhang mit der Davidssohnschaft des Messias steht, ihren Ausdruck schafft.“172 Stattdessen werde Jesus „in betonter Weise“ als Sohn des Joseph bezeichnet173 und so „sein galiläischer Ursprung gegen die dogmatischen Notwendigkeiten festgehalten“.174 Grundmann behauptet also eine Gottessohnschaft Jesu ohne Rückgriff auf die „Messiasdogmatik“ und „die Legende der Jungfrauengeburt“, letztlich ohne Rückbindung an das Judentum. Jesus als „Galiläer“ erfülle die „jüdischen“ Bedingungen nicht. Stattdessen habe seine Sohnschaft „ihren Grund in der Liebe Gottes, die zwischen dem Vater – das absolute ‚der Vater‘ als Gottesbezeichnung entspricht dem absoluten ‚der Sohn‘ als Christusbezeichnung und dem Sohn besteht. ‚Der Vater liebt den Sohn‘ (3,35; 5,20). Das ist der Grund der Sohnschaft des Christus.“175 Stattdessen versucht Grundmann 171
Der christologische Hoheitstitel „Sohn Gottes“ ist zweifellos wichtig im Johannesevangelium, wie sich schon daran zeigt, dass der Gedanke der Sohnschaft einen Rahmen des Evangeliums bildet (vgl. Joh 1,14 und Joh 20,31), vgl. dazu Nicklas, Jesus von Nazareth (2009), 65–73. 172 Grundmann, Botschaft Jesu im Urchristentum (1941), 149. 173 Joh 1,45; 6,42. 174 Vgl. Grundmann, Botschaft Jesu im Urchristentum (1941), 149. 175 Grundmann, Botschaft Jesu im Urchristentum (1941), 150.
156
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
jenseits dieser angeblichen „dogmatischen Notwendigkeiten“ die Sohnschaft Christi in der Liebe Jesu zum Vater begründen. Diese Alternative zu eröffnen, entweder die Messianität oder eine liebevolle Vater-Sohn-Beziehung zu denken, geht aber schlicht an den biblischen Texten vorbei. Grundmanns Vorgehen zeigt vielmehr, dass seine Ablehnung der Messianität Jesu in Verknüpfung mit dem Verweis auf seine Gottessohnschaft als Argument für seinen Eingriff in die biblische Christologie genutzt werden soll.
2.5 Abrundung: Der Messiasbegriff in der Apostelgeschichte 2.5 Der Messiasbegriff in der Apostelgeschichte
Im dritten Teil der BG, der Auswahl von Texten aus den paulinischen Briefen, ist ‚Messias‘ an keiner Stelle zu finden, sondern „Jesus Christus (der Herr)“176 ist die übliche Bezeichnung. Im vierten Teil der BG (Auszüge aus der Apostelgeschichte) ist wieder an einigen Stellen ‚Messias‘ zu finden. Diesmal liegt der Fokus der Darstellung vor allem auf einer Abgrenzung der Christen von den Juden. „Messias“ wird für die falsche Vorstellung der Juden gebraucht, als richtige Bezeichnung für Jesus findet sich dagegen „der Verheißene“, z.B. in der BG-Version von Apg 17,1–3177:
176 Vgl. schon den Titel dieses dritten Teils als Gradmesser für den Schwerpunkt der Christologie, der hier gesetzt wird: ‚III. Jesus der Herr. Die Christusbotschaft der Apostel‘ (BG 165–223). 177 BG 260f., Der Aufenthalt in Thessalonich (Apg.17,1b–10a), Apg 17,1–3.
157
2.5 Der Messiasbegriff in der Apostelgeschichte
BG
NA
Sie kamen nach Thessalonich, wo ebenfalls eine Versammlungsstätte der Juden war.
1 Διοδεύσαντες δὲ τὴν Ἀμφίπολιν καὶ τὴν Ἀπολλωνίαν ἦλθον εἰς Θεσσαλονίκην ὅπου ἦν συναγωγὴ τῶν Ἰουδαίων.
1 Auf dem Weg über Amphipolis und Apollonia kamen sie nach Thessalonich. Dort hatten die Juden eine Synagoge.
EÜ
1 Nachdem sie aber durch Amphipolis und Apollonia gereist waren, kamen sie gen Thessalonich; da war eine Judenschule.
Luther
Wie gewöhnlich ging Paulus an drei Feiertagen dorthin und legte ihnen aus den Schriften dar,
2 κατὰ δὲ τὸ εἰωθὸς τῷ Παύλῳ εἰσῆλθεν πρὸς αὐτοὺς καὶ ἐπὶ σάββατα τρία διελέξατο αὐτοῖς ἀπὸ τῶν γραφῶν, 3διανοίγων καὶ παρατιθέμενος
2 Nach seiner Gewohnheit ging Paulus zu ihnen und redete an drei Sabbaten zu ihnen, wobei er von den Schriften ausging. 3 Er legte sie ihnen aus und erklärte,
2 Wie nun Paulus gewohnt war, ging er zu ihnen hinein und redete mit ihnen an drei Sabbaten aus der Schrift, 3 tat sie ihnen auf und legte es ihnen vor,
dass der ihnen verheißene Messias leiden und von den Toten auferstehen müsse,
ὅτι τὸν χριστὸν ἔδει παθεῖν καὶ ἀναστῆναι ἐκ νεκρῶν
dass der Messias leiden und von den Toten auferstehen musste.
daß Christus mußte leiden und auferstehen von den Toten
und dass Jesus, den er künde, dieser Verheißene sei.
καὶ ὅτι οὗτός ἐστιν ὁ χριστὸς [ὁ] Ἰησοῦς ὃν ἐγὼ καταγγέλλω ὑμῖν.
Und er sagte: Jesus, den ich euch verkünde, ist dieser Messias.
und daß dieser Jesus, den ich (sprach er) euch verkündige, ist der Christus.
Die EÜ übersetzt an dieser Stelle zweimal „Messias“ für ‚ὁ χριστός‘. Auch dieser Satz spricht von der Argumentation des Paulus aus „den Schriften“, also der Heiligen Schrift Israels, unseres späteren Alten Testamentes. Eben in der Synagoge, in die Paulus ‚nach seiner Gewohnheit‘ (vgl. Apg 17,2) ging, verkündigt Paulus Jesus als den Messias. Schon ein Vergleich der ersten drei Verse (Apg 17,1–3) zwischen BG und EÜ zeigt einige Unterschiede auf, über die die Verwendung des MessiasTitels in beiden Übersetzungen bei flüchtigem Lesen leicht hinwegtäuschen könnte:
158 BG Versammlungsstätte drei Feiertage der ihnen verheißene Messias müsse leiden‘ Jesus […] ist dieser Verheißene
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
EÜ Synagoge
Luther Judenschule
NA συναγωγή
drei Sabbate der Messias musste leiden
drei Sabbate Christus mußte leiden
σάββατα τρία τὸν χριστὸν ἔδει παθεῖν
Jesus […] ist dieser Messias
Dieser Jesus […] ist der Christus.
οὗτός ἐστιν ὁ χριστὸς [ὁ] Ἰησοῦς
Während nun der Messiasbegriff in der EÜ konsequenterweise zweimal als Übersetzung von ‚ὁ χριστός‘ gewählt wird, weicht die BG an der zweiten Stelle davon ab und spricht vom ‚Verheißenen‘ – dieser Begriff wurde bereits im Johannesevangelium angetroffen und oben bereits analysiert: Er wird mit positiver Färbung häufig in der BG für Jesus verwendet. Immerhin wird hier Jesus indirekt dennoch als Messias bezeichnet, da das Demonstrativpronomen ‚dieser‘ auf den ‚ihnen [=den Juden] verheißenen Messias‘ zurückverweist. Es lässt sich also zunächst nur eine Vermeidung des direkten Sprechens von Jesus als Messias festmachen. Außerdem fällt erneut die Distanzierung der BG von den jüdischen Gepflogenheiten auf: Einerseits wird der jüdische und somit dem Juden (!) Paulus ja vertraute und selbstverständliche, ‚Sabbat‘ erwähnt, dessen fehlende positive Verwendung in der BG bereits von Soden kritisierte178, sondern es ist nur davon die Rede, dass Paulus, ganz allgemein und unspezifisch ausgedrückt, ‚an drei Feiertagen‘ in die ‚Versammlungsstätte der Juden‘ ging.179 Andererseits scheint Paulus durch die (korrekte, aber an 178 Auch von Soden kritisierte bereits den Umgang der BG mit dem Begriff ‚Sabbat‘ im 1. Teil der BG und stellt fest, er werde „als Feiertag bezeichnet, wenn er im Bericht der Evangelisten oder im Munde Jesu vorkommt, während die Juden Sabbat sagen“. Zu Recht weist er auf die Unsinnigkeit dieser Vorgehensweise hin: „Soll nun unser Volk glauben, daß Jesus und die Juden verschiedene Aussdrücke gehabt hätten? Daß beide denselben Tag meinen und halten, wird damit ja doch nicht aus der Welt geschafft! Entweder lasse man also den geschichtlichen Namen Sabbat durchweg stehen oder man ersetze ihn mit Luthers Katechismus durch Feiertag (vgl. Soden, Urchristentum (1956), 184). 179 Erwähnt sei aber, dass die BG an dieser Stelle bei weitem näher am Text bleibt als die Lutherbibel von 1912, die mit ‚Judenschule‘ keineswegs wörtlich am griechischen Text bleibt: ‚Schule‘ oder ‚Schul‘ ist der jiddische Ausdrück für Synagoge (Lehmann (2001), 11). Wengst verweist darauf, dass Luther Synagoge stets mit Schule übersetzt, allerdings dafür in den Evangelien nicht von Jesus als ‚Lehrer‘ und den Jüngern als ‚Schülern‘ spricht, sondern vom ‚Meister‘ und seinen ‚Jüngern‘ schreibt: „Diesen Begriff mit ‚Schüer‘ wiederzugeben, war Luther auch von einem anderen Grund verstellt. Er hat das griechische Wort synagogé nämlich nicht mit ‚Synagoge‘ wiedergegeben, sondern mit ‚Schule‘. Das jüdische Versammlungshaus war für ihn offenbar der Ort, an dem ‚schulisch‘ gelehrt und gelernt wurde. So konsequent wollte er hinsichtlich dessen, ‚dass Jesus Christus ein geborener Jude sei‘, denn
2.5 Der Messiasbegriff in der Apostelgeschichte
159
dieser Stelle in Kombination mit dem fehlenden „Sabbat“ wohl gezielt gewählte) wörtliche Übersetzung von ‚ἡ συναγωγή‘ mit „Versammlungsstätte“ zusätzlich von der jüdischen Gemeinde und ihrer spezifischen Versammlungsstätte, der dem Paulus wohlbekannten Synagoge, distanziert zu werden. Diese Beobachtung scheint zuzutreffen, da die Vermeidung der Rede von der „Synagoge“ auch an anderen Stellen der BG in ähnlicher Weise auftritt.180 Auch eine Betrachtung des Kontextes, in dem der Messiasbegriff hier verwendet wird, zeigt eine einseitige Abwertung der Juden, zu denen Paulus kommt: Es fällt auf, dass die BG ihre Darstellung in der Mitte von Vers 10 abbricht181. Die darauffolgenden Verse hätten aber Aufschluss gegeben über die tatsächliche Sicht des Paulus und seiner Begleiter auf die jüdischen Gemeinden: Diese bleiben weiterhin die ersten Ansprechpartner und Garanten für das Gelingen der Mission.182 Unmittelbar im Anschluss wird der Vorfall in Thessalonich (Apg 17,1–9) somit im griechischen Text in das Ganze der doch nicht sein, dass durch die Übersetzung mit ‚Lehrer‘ und ‚Schüler‘ für den lehrenden Jesus und die bei und von ihm Lernenden Assoziationen geweckt würden, die Jesus und die Seinen mit dem Luther gegenwärtigen Judentum verbunden hätten. Der Übergang von ‚Schule‘ zur ‚Synagoge‘ vollzog im Übrigen erst die Revision der Lutherbibel von 1956“ (Wengst, Regierungsprogramm (2010), 26). 180 In ähnlicher Weise fällt die Vermeidung der Rede von der „Synagoge“ auch an anderen Stellen auf, z.B wird in der Bearbeitung der synoptischen Evangelien durch die BG nur an einer einzigen Stelle und dort sehr negativ konnotiert („Habt acht auf euch selber! Ihr werdet den Gerichten übergeben und in den Synagogen ausgepeitscht (εἰς συναγωγὰς δαρήσεσθε) und vor Landvögte und Fürsten gestellt werden um meinetwillen.“ (BG 81, Leidensnachfolge (Mark. 13,1–2; Joh. 2,19; Mark. 13,3–6.9–11a; Luk. 21,17–18; Mark. 13,13c; Matth. 10,24– 25; Luk. 9,27), Mk 13,9)) der Begriff „Synagoge“ stehengelassen, während in Bezug auf Jesu Wirken stets ein deutsches Ersatzwort gesucht wird: (1) ‚Am Feiertag lehrte Jesus die versammelte Gemeinde.‘ (BG 9, Der Bringer des Gottesreiches (Mark. 1,21–27), Mk 1,21) für εἰς τὴν συναγωγὴν, (2) ‚Da kommt einer von den Vorstehern der Gemeinde mit Namen Jairus‘ (BG 14, Vom Tode Gezeichnete stehen auf (Mark. 5,21–42.43b), Mk 5,22) εἷς τῶν ἀρχισυναγώγων (ein Synagogenvorsteher), (3) ‚Jesus kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, ging nach seiner Gewohnheit am Feiertag in die Gemeindeversammlung […]‘ (BG 17, Undankbare Heimat (Luk. 4,16–30; Mark. 6,5a.6a), Lk 4,16) statt εἰς τὴν συναγωγὴν, (4)‚Jesus ging in die Versammlung der Gemeinde. […]‘ (BG 65, ‚Das Herz folgt seinem eigenen Gesetz‘ (Mark. 3,1; Hieronymus Komm. zu Matth. 12,13; Mark. 3,2–6), Mk 3,1) statt εἰς τὴν συναγωγήν. Auch im 2. Teil der BG wird „Synagoge“ an allen Stellen ersetzt, im 3. Teil finden sich keine Nennung und erst im vierten Teil dann wird die „Synagoge“ zu einem wichtigen Begriff, von dem sich Paulus stark abzugrenzen scheint. 181 Vgl. die Versauswahl der BG: BG 260f., Der Aufenthalt in Thessalonich (Apg.17,1b– 10a). 182 Vgl. Apg 17,10–12: ‚Die Brüder schickten noch in der Nacht Paulus und Silas weiter nach Beröa. Nach ihrer Ankunft gingen sie in die Synagoge der Juden. Diese waren freundlicher als die in Thessalonich; mit großer Bereitschaft nahmen sie das Wort auf und forschten Tag für Tag in den Schriften nach, ob sich dies wirklich so verhielte. Viele von ihnen wurden gläubig, und ebenso nicht wenige der vornehmen griechischen Frauen und Männer‘ (EÜ, Apg 17,10–12).
160
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Reisen des Apostels eingeordnet und dadurch relativiert. Auch im weiteren Fortgang der Stelle wird das Bestreben der BG, eine dualistische Gegenüberstellung von Juden und Christen zu vertiefen, sichtbar: Einige Juden ließen sich überzeugen und schlossen sich Paulus und Silas an. Dazu kam eine große Zahl von Griechen, unter ihnen viele vornehme Frauen, die alle das Verlangen nach dem einen und höchsten Gott in sich trugen und ihn bei den Juden gesucht hatten. Da gerieten die Juden in Eifersucht […] So regten sei das Volk und die Behörden auf. Erst als Jason und die übrigen reichlich Bürgschaft geleistet hatten, konnten sie gehen. Die Christen brachten bei Nacht Paulus und Silas nach Beröa. (BG 261, Der Aufenthalt in Thessalonisch (Apg.17,1b–10a), Apg 17,4–5a., 8–10a)
Die BG greift in Apg 17,4 noch einmal auf, dass ‚einige Juden‘ sind, die sich bekehren, während EÜ und Luther sich mit ‚einige von ihnen‘ bzw. ‚etliche unter ihnen‘ an den griechischen Text (τινες ἐξ αὐτῶν) halten, der die Akteure nicht nochmal nennt, da es sich selbstverständlich um die der Synagoge von Thessalonich zugehörigen Juden handelte, die sich, wie ja ebenso auch Paulus und Silas, zum Christusglauben wandten. Die Betonung liegt somit ursprünglich nicht auf der Tatsache, dass es Juden waren, die sich bekehrten, sondern, dass sich auch Thessalonicher bekehrten. Hier Apg 17,4 im Vergleich:
2.5 Der Messiasbegriff in der Apostelgeschichte
161
BG Einige Juden
NA καί τινες ἐξ αὐτῶν183
EÜ .Einige von ihnen
Luther Und etliche unter ihnen
ließen sich überzeugen und schlossen sich Paulus und Silas an. Dazu kam
ἐπείσθησαν καὶ προσεκληρώθησαν τῷ Παύλῳ καὶ τῷ Σιλᾷ,
ließen sich überzeugen und schlossen sich Paulus und Silas an, außerdem
fielen ihm zu und gesellten sich zu Paulus und Silas, auch
eine große Zahl von Griechen,
τῶν τε σεβομένων Ἑλλήνων πλῆθος πολύ,
eine große Schar gottesfürchtiger184 Griechen,
der gottesfürchtigen Griechen eine große Menge,
unter ihnen viele vornehme Frauen,
γυναικῶν τε τῶν πρώτων οὐκ ὀλίγαι.
darunter nicht wenige Frauen aus vornehmen Kreisen.
dazu der vornehmsten Weiber nicht wenige.
die alle das Verlangen nach dem einen und höchsten Gott in sich trugen und ihn bei den Juden gesucht hatten. Außerdem bearbeitet die BG die Beschreibung der zweiten Gruppe derer, die sich überzeugen ließen: Aus der „großen Schar gottesfürchtiger Griechen“ wird in der BG „eine große Zahl von Griechen […] die alle das Verlangen nach dem einen und höchsten Gott in sich trugen und ihn bei den Juden gesucht hatten“. Hier wird von der BG nicht mit der paulinischen Selbstverständlichkeit die Bezeichnung „Gottesfürchtige“ verwendet, die den Kreis derer bezeichnet, die sich der Synagoge angeschlossen, aber den Übertritt zum Judentum durch die Beschneidung (und damit die Verpflichtung auf die ganze Tora) nicht auf sich genommen hatten,185 sondern die Bezeichnung wird zum Erklärungssatz ausgeweitet, der ein dualistisches Element vermuten lässt: Die BG führt aus, sie haben den ‚einen und höchsten Gott‘ bei ‚den Juden‘ gesucht. Dieser Satz, der ja schließlich von der Konversion dieser 183
Gemeint sind einige Juden aus Thessalonich, zurückbezogen auf Apg 17,1. Diejenigen, die (noch) nicht offiziell zum Judentum übergetreten sind/beschnitten sind, aber in Zusammenhang mit der Synagoge leben. 185 Vgl. Pesch (2012), 336. 184
162
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
griechischen (!) Gottsucher186 handelt, muss im Kontext der BG als antijüdische Polemik aufgefasst werden, da den Juden hier gleichsam die Gotteserkenntnis abgesprochen werden zu scheint, im Sinne von: bei den Juden haben sie gesucht – aber nicht gefunden, deshalb sind sie jetzt bei uns Christen. Dass eine solche Gegenüberstellung von den BG-Redaktoren durchaus intendiert war, kann auch die Verwendung der Bezeichnung ‚Christen‘ an dieser Stelle zeigen, mit dem die BG ‚ἀδελφοί‘/Brüder in Apg 17,10a wiedergibt. Die Bezeichnung ‚Christen‘ oder wörtlich ‚Christianer‘ (‚Χριστιανοί‘) findet sich in der Apostelgeschichte aber nur an zwei Stellen (Apg 11,26; 26,28) und wird dort im Gegensatz zum obigen Gebrauch in der BG als Fremd- und nicht als Selbstbezeichnung verwendet, „da die ‚Christianer‘ von Außenstehenden als eigene Richtung innerhalb des Judentums wahrgenommen wurden im Sinne einer ‚Partei der Christianer‘.“187 Die Mitglieder der „neuen Bewegung“ verstanden sich „zumindest im 1. Jahrhundert (und viele auch noch deutlich später) sicherlich noch nicht (oder zumindest nicht überall) als eine eigenständige, vom „Judentum“ getrennte Religionsgemeinschaft – lange Zeit war und blieben die bzw. viele der verschiedenen ‚christlichen‘ Gruppen auch trotz der Heidenmission des Paulus mehr oder minder ein Teil des vielfältigen Judentums ihrer Zeit.“188 Von der BG wird auch hier ein Doppelschema Juden vs. Christen angelegt, auch wenn die BG im Gegensatz zu Luther am Beginn von Vers 5 dessen überdeutliche Polemik vermeidet („Aber die halsstarrigen Juden neideten […]“ (Luther, Apg 17,5a)) und stattdessen wie auch die EÜ „Ζηλώσαντες δὲ 186
Der Begriff ‚Gottsucher‘ wird in der BG zudem sehr positiv gefasst. Die vier Stellen, an denen er von den Redaktoren eingeführt und eingefügt wird – es gibt kein griechisches Pendant dazu, sollen der Vollständigkeit halber hier aufgeführt werden: ((1) Gottsuchern begegnet der Vater (Mark. 2,13–17; Luk. 15,3–7) (Überschrift in BG 14), (2) ‚Tote stehen auf und Gottsuchern begegnet der Vater.‘ (BG 14, Jesu eigener Weg: nicht Drohprediger, sondern Freudenbote (Matth. 11,2–3; Luk. 7,22–26a.28–35; Matth. 14,3a.10b), Lk 7,22). Auch hier muss es sich um eine gezielte Einfügung durch die BGRedaktoren handeln, denn im Griechischen steht hier sinngemäß: ‚den Armen wird das Evangelium verkündet‘ (EÜ, Lk 7,22). (3) ‚Denn er hat mich erkoren, Gottsuchern Heil zu künden‘ (BG 17, Undankbare Heimat (Luk. 4,16–30; Mark. 6,5a.6a), Lk 4,18) statt ‚Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe‘ (EÜ, Lk 4,18). (4) Heil den Gottsuchern! (Matth. 5,1–2; Luk. 6,20a–23a) (Überschrift in BG 21). 187 Blum (2010), 235, vgl. Balz/Schneider (1983), 1146. Blum verweist zudem auf die Umkehrung dieser Lage, die allerdings erst in 1 Petr 4,16, der 3. Neutestamentliche Stelle, an der von ‚Christianern‘ die Rede ist, gegeben ist: „Mit dem ersten Petrusbrief (4,16) wird dann deutlich, wie im martyrologischen Kontext gegen Ende des 1. Jahrhunderts eine Fremdbezeichnung zur Eigenbezeichnung wird. In den christusgläubigen Gemeinschaften lebten jedoch nicht nur Juden, die ihren Messias gefunden hatten, sondern es kamen Menschen aus den Völkern hinzu, die an den Gott Israels sowie seinen Messias Jesus glaubten.“ (235). 188 Nicklas, Ansprüche (2013), 348. Mehr dazu im Sammelband „The way thats never parted“ (Becker/Reed (2013)).
163
2.6 Vergewisserung
οἱ Ἰουδαῖοι“ nahe am Text mit ‚Da gerieten die Juden in Eifersucht‘ (BG) bzw. ‚Die Juden wurden eifersüchtig‘(EÜ) übersetzt.
2.6 Vergewisserung 2.6 Vergewisserung
Noch an einer dritten Stelle, in Mk 12,15 189, wurde von der BG eine Einfügung vorgenommen, die den Messiastitel einfügt und als Katalysator verwendet, der für die jüdischen Fehlvorstellungen von Jesus steht: BG ‚Er durchschaute ihre Hinterhältigkeit,
NA ὁ δὲ εἰδὼς αὐτῶν190 τὴν ὑπόκρισιν
EÜ Er aber durchschaute ihre Heuchelei
Luther Er aber merkte ihre Heuchelei
εἶπεν αὐτοῖς· τί με πειράζετε; φέρετέ μοι δηνάριον ἵνα ἴδω‘
und sagte zu ihnen: Warum stellt ihr mir eine Falle? Bringt mir einen Denar, ich will ihn sehen.‘
und sprach zu ihnen: Was versucht ihr mich? Bringet mir einen Groschen, daß ich ihn sehe.‘
denn sie wollten ihn zum Aufstand verlocken, wie sie es von ihrem Messias erwarteten, und sagte zu ihnen: ‚Was stellt ihr mir diese Frage? Zeigt mir die gesetzliche Steuermünze, ich will sie mir ansehen.‘
Hier wurde der Begriff „Messias“ in Verbindung mit einer Deutung als politischer Messias in einem Einschub in den Text eingetragen, der als Begründung für die „Hinterhältigkeit“ der Pharisäer dient. Auffällig ist auch die Übersetzung von ἡ ὑπόκρισις191 mit „Hinterhältigkeit“ statt dem etwas schwächeren Ausdruck „Heuchelei“ (Luther/EÜ). Im Gegensatz zur bloßen Verstellung nach außen, wohl mit dem Ziel, sich bei Jesus zunächst anzubiedern, um ihn dann austesten zu können, schwingt im deutschen Wort „Hinterhältigkeit“ noch List und Tücke mit. Auch von Soden weist darauf hin, dass die BG mit ihrer interpretierenden Übersetzung am eigentlichen Sinn des Gleichnisses vorbeigeht, der darin bestehe, „daß Jesus eine Frage gestellt 189 190
12,13. 191
BG 79, Die Zinsgroschenfrage (Mark. 12,13–17), Mk 12,15. Die Hinterhältigkeit einiger Pharisäer und einiger Anhänger des Herodes, vgl. Mk Bauer/Aland, 1684: Heuchelei, Verstellung.
164
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
wird, bei der ihn beide möglichen Antworten in Schwierigkeiten bringe, und daß Jesus das damit gestellte Netz zerreißt.“192 Zudem werden die Pharisäer durch ihr hinterhältiges Ziel, Jesus zu einem Aufstand zu verlocken, in der BG negativer gezeichnet als im Ursprungstext. Durch die Verknüpfung des Aufstandes mit dem Messiasbegriff lässt sich wie bei den beiden erstgenannten Stellen eine gezielte antijüdische Abwertung des Messiasbegriffs annehmen. Ähnlich hatten bereits die BG-Bearbeitungen von Mk 8,11 und Mk 16,22 den Messias-Begriff durch Hinzufügungen zum eigentlichen Text als Falschaussage abqualifiziert. Somit kann man sagen, dass die Einfügungen an diesen Stellen die bewusste Herausarbeitung einer nicht auf Jesus zutreffenden jüdischen Messiaserwartung bezwecken, wie eine Gegenüberstellung verdeutlichen kann: Mk 8,11 Mk 16,22
BG Luther Pharisäer fordern ein Zeichen das ihn als Messias beglaubi[und] versuchten ihn gen sollte. Jesus spricht von seinem Leiden Aber Petrus zog ihn allein zu sich und fing an, ihm solche Rede zu verbieten,
Und Petrus nahm ihn zu sich, fuhr ihn an und sprach:
denn der Messias, wie er ihn erwarte, sollte keine Leiden kennen.
Mk 12,15
192
Er sprach: ‚Behüte dich Gott! Schone dich, Meister!‘
HERR, schone dein selbst; das widerfahre dir nur nicht!
denn sie wollten ihn zum Aufstand verlocken, wie sie es von ihrem Messias erwarteten […].
[…]
Jesus redet zu den Pharisäern zur Frage nach der kaiserlichen Steuer Er durchschaute ihre HinterEr aber merkte ihre Heuchelei hältigkeit,
Soden, Urchristentum (1956), 202.
2.6 Vergewisserung
165
Von Soden hat als erster festgestellt, dass solche „eingesetzte oder hinzugefügte Glosseme“ an die Weise erinnern, „wie die jüdischen Targume die alttestamentlichen Texte glossierend interpolieren“ und fragt sich, nachdem er mehrere Beispiele angeführt hat, welche Hilfe „solch unbiblische Redeweise unserem Volk leisten“ solle. Zwar bleibe das Verständnis einiger Stellen zweifellos „unsicher oder mehrdeutig […], wenn die Übersetzung nicht eine bestimmte Erklärung festlegt; aber eben dazu ist die Übersetzung in solchen Fällen nicht berechtigt, weil sie dadurch eine andere und möglicherweise richtige Erklärung ausschließt. Will man den Leser nicht ohne Hilfe lassen, so muß man zur Anmerkung greifen.“193 Als Zusammenfassung der vorgenommenen Schritte der Beweisführung lässt sich sagen, dass die BG-Redaktion bei der Übersetzung von ‚ὁ χριστός‘ sehr frei vorgeht. An einigen Stellen werden Versteile hinzugefügt, an anderen neue Begriffe für die Übersetzung von ‚ὁ χριστός‘ eingeführt. An Stellen, die sie als Falschaussage verschiedener Juden über Jesus deutet, wird dagegen gezielt die Übersetzung ‚Messias‘ gewählt. Der Bezeichnung wird somit eine negative Bedeutung beigelegt, die eindeutig eine antijüdische Stoßrichtung aufweist. Dies konnte ein Blick auf die Passagen, denen die BG-Redaktion den Messiasbegriff hinzugefügt hat, bestätigen. An anderen Stellen aber, die als authentische Aussage über Jesus gewertet werden, werden neue Begriffe eingeführt: Johannes nennt Jesus ‚den Offenbarer‘, die (heidnische (!)) Samaritanerin spricht vom ‚Verheißenen‘. Interessant ist, dass hier die Erwartung eines aufständischen Messias abgelehnt zu werden scheint (vgl. Mk 12,15 (BG)), da dezidiert eingefügt wird, dass die Erwartung eines Aufstandes (ebenso wie die Freiheit vom Leiden und die Zeichenforderung) zur „jüdischen“ Messiasvorstellung gehöre und damit nicht zu dem von der BG als „Verheißener“ und „Offenbarer“ beschriebenen Jesus. Wie sich im Teil zu Jesus als Kämpfer zeigen wird, wird dagegen die Vorstellung vom gehorsamen und tapferen Kampf in der BG häufig bewusst eingefügt. Ein „Aufstand“ dagegen, der ja auch von Ungehorsam zeugt, schien von den Redaktoren abgelehnt werden zu wollen.
193
Soden, Urchristentum (1956), 203.
166
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
2.7 Die Bearbeitung der BG und die heutige Theologie zum Messiasbegriff 2.7 Der Messiasbegriff heute und in der BG-Bearbeitung
2.7.1 Heutige Theologie gegen BG und Grundmann
Während die BG, wie oben aufgezeigt, versuchte, eben durch die Vermeidung des Messiastitels als richtige Bezeichnung für Jesus diese Verbindungslinien zum Judentum abzubrechen und Jesus als vollständig aus dem Judentum herausgehobenen „Erkorenen“ zu zeichnen, hat die heutige Theologie bereits eine vollkommen andere Auffassung entwickelt. Gegen die bereits seit der Aufklärung verstärkt auftretende Tendenz einer Trennung von AT und NT194, die sich im Dritten Reich kombiniert mit antisemitischen Gedanken zu ihrem traurigen Höhepunkt steigerte, wird in den letzten Jahren an einer neuen Theologie, die sich ohne Vorurteile an den historischen Fakten orientiert, gearbeitet. Nicklas spricht von einem „wachsenden Verständnis neutestamentlicher Schriften als genuiner Zeugnisse des lebendigen und vielfältigen Judentums ihrer Zeit“195 und Zenger stellt speziell zum Messiasbegriff fest, dass die mit dem Titel „Messias“ verbundenen Assoziationen der Juden zur Zeit Jesu, „nicht gegen die jüdische Überlieferung, sondern mit ihr gehört werden“ müssten, da sich darin die messianischen Erfahrungen der ersten christusgläubigen Juden spiegeln: „Wenn sie dabei den gekreuzigten und auferweckten Jesus als Messias Israels verstanden, haben sie nicht den Messiasbegriff ihrer Zeitgenossen, den es in dieser Fixierung gar nicht gab, umgeprägt, sondern sie haben damit ihre Hoffnungen für Israel und die Völkerwelt ausgedrückt, die auch nicht erstarben, als die Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. und die damit verbundenen katastrophischen Erfahrungen das Land und die Geschichte des Gottesvolks Israel erschütterten.“196
Die Übertragung des Titels ‚Messias‘ auf Jesus könne daher ein „Versuch, Jesus voll in die jüdische Tradition zu integrieren“ genannt werden, der darauf hinweise, dass Jesus nicht die Vielfalt der messianischen Texte der hebräischen Bibel und des frühen Judentums ersetze oder durch Transformation aufhebe zu einer „antithetischen“ oder „gar antijüdischen“ Messiasversion, sondern er „ein weiteres Element in dem komplexen messianischen Mosaik, dessen Realisierung unter dem eschatologischen Vorbehalt steht und bleiben muß“, sei.197
194
„Mit der Aufklärung veränderte sich die Debatte über die Messianität Jesu entscheidend. Denn die alte hermeneutica sacra, nach der Altes und Neues Testament eine Einheit bilden, zerbrach.“ (Stegemann (1993), 93). 195 Nicklas, Grenzen (2015), 1 [noch nicht publiziert]. 196 Vgl. Zenger (1993), 135. 197 Vgl. Zenger (1993), 144.
2.7 Der Messiasbegriff heute und in der BG-Bearbeitung
167
Grundmann und die BG-Redaktion streben in die entgegengesetzte Richtung, indem sie eine bewusste Gegenüberstellung von jüdischer Messiaserwartung und wahrem Wesen Jesu herausarbeiten. Festhalten lässt sich also, dass nicht nur der Messiasbegriff in der BG durchwegs negativ verwendet wird, sondern auch Grundmann den nötigen ideologischen Über- bzw. Unterbau zu diesen Eingriffen in die Texte des Neuen Testaments liefert. Es wurde zudem deutlich, dass eben die Bibelstellen, die ein negatives Bild von Juden oder von jüdischen Vorstellungen und Erwartungen zeichnen, oft noch verschärft wurden durch eine bewusste Abgrenzung des Juden (!) Jesus davon und dass eben an solchen Stellen die Bezeichnung ‚Messias‘ gewählt wird, während an anderen Stellen wie selbstverständlich ‚Christus‘ stehenbleibt oder andere christologische Titel eingeführt werden. Die heutige Theologie weiß diesen dualistischen Tendenzen, die Judentum und Christentum auseinanderzudividieren versuchen, ein um historische und theologische Wahrheit bemühtes Verständnis entgegenzusetzen, das um Jesu Judesein und sein Wirken in Israel auch und vor allem unter Juden, von denen einige zu den ersten Christusgläubigen wurden und ihn Messias nannten, weiß. 2.7.2 Der christologische Kontext – Ausblick auf die Christologie der BG vom Ausgangspunkt der Ablehnung des Messiasbegriffs her Die Ablehnung der Messianität Jesu wird von Grundmann stark mit der Ablehnung der Davidssohnschaft verknüpft. Die Tilgungen entsprechender Passagen ebenso wie die Abwertung des Messiastitels in der BG liegen auf dieser Linie. Auch in seinem Jesusbuch, das den Referenzrahmen für diese Untersuchung bildet, beschreibt er den Messiasgedanken als alttestamentlichen Gedanken, der sich in der „politisch-jüdischen Reichgottesidee“ manifestiere: „Der der politisch-jüdischen Reichgottesidee198 entsprechende Messiasgedanke nährt sich aus den alttestamentlichen Weissagungen vom kommenden König aus Davids Stamm, der Davids Reich herrlicher als es war erneuert. […] Es handelt sich um eine Zusammenfassung der alttestamentlichen Züge vom Idealkönig: ein politischer Herrscher aus Davids Stamm, der wunderbare Züge trägt und ein in paradiesischem Zustand lebendes, von den Feinden befreites, geeintes und die Welt beherrschendes Israel schafft.“199 „Messianische
198
Die sei „der Gedanke an die Wiederaufrichtung der Herrschaft Gottes in der messianischen Zeit, wobei der Gedanke der Herrschaft Gottes gleichgesetzt ist mit der Weltherrschaft Israels, die einen mythisch-paradiesischen Charakter tragen soll“ (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 35). 199 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 43f.
168
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Bewegungen, die immer wieder Palästina erfüllten, zeigen, wie lebendig diese Vorstellungen im Volke waren.“200
Und auch bereits 1936 schreibt Grundmann, dass Jesus die jüdische Messiasvorstellung eines „irdischen Königs der Juden“, also eines „Messiaskönigs“, als „satanische Versuchung“ abgelehnt habe.201 Außerdem sei „nirgends erkenntlich, daß Jesus sich aus Davids Stamm kommend gewußt hätte.“202 Ähnlich stellt Leutheuser das „messianische Diesseitsreich der Juden“ als Gegensatz zum ‚Reich Gottes‘, das Christus gebracht habe, dar.203 Emmanuel Hirsch204 geht sogar so weit, den „Messianismus“ als den „fremdesten Zug der jüdischen Religion, so wie sie bis heute geblieben ist“, und „das eigentliche Verhängnis jüdischer Art“ zu beschreiben. In der Versuchungsgeschichte habe Jesus im satanischen Versucher eben diesen jüdischen Messiasgedanken abgelehnt.205 Jesus habe diesem „nach Weltherrschaft strebenden Messiasbegriff“ der Juden „den Willen und die Entschlossenheit zum Dienst“ gegenübergestellt; er als Sohn Gottes habe die Sohnschaft „als Vertrauen und Gehorsam zu Gott und als Willen zum Gemeinschaft wirkenden Dienst aus der Liebe zu Gott, dem allein die Anbetung gehört“ verstanden.206 Grundmann unterscheidet also streng dualistisch zwischen einem richtigen Verständnis von Jesus als „Sohn Gottes“ und einem falschen Verständnis von ihm als „Messias“ bzw. als davidischer König, das mit dem jüdischen Fehlverständnis gleichgesetzt wird. 207 Auch die Texte der BG betonen neben der Rede vom „Verheißenen“ und dem „Erkorenen“ die Rede von der Sohnschaft Jesu, um die radikale Abgrenzung Jesu von den jüdischen Vorstellungen eines davidischen Messias hervorzuheben. Im Zuge dessen wird auch der Gedanke des Leidens betont. 200
Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 45. Vgl. oben: Exkurs: Jesus ist nicht der „König der Juden“ und nicht der „König Israels“. 202 Vgl. Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 39. 203 Vgl. Leutheuser, Christusgemeinde der Deutschen (1938), 25. 204 Hirsch (1888–1972) war ab 1921 am Lehrstuhl für Kirchengeschichte in Göttingen, ab 1936 Professor für Systematische Theologie und Dekan. 1937 trat er der NSDAP bei, wurde Fördermitglied der SS und Mitglied des NS-Lehrerbundes. Schon am 11.11.1939 hielt er auf der Veranstaltung „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hilter und dem nationalsozialistischen Staat“ in Leipzig eine Rede mit dem Wortlaut: „Wir sagen ‚Ja!‘ Wir folgen ihm. Heil Hitler!“ (vgl. Klee (2005), 258). 205 Vgl. Hirsch (1926), 27. 206 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 98. 207 Gegen diese Unterscheidung vgl. Hahn (1995), 284: Ferdinand Hahn bietet eine umfassende Analyse zur Bezeichnung Jesu als Gottessohn. Auch er weist darauf hin, dass sich die Gottessohnschaft als eigenständiges Motiv nicht hinreichend herleiten lasse, sondern man vielmehr von der königlichen Messianologie aus die Verwendung des Gottessohntitels in der urchristlichen Tradition erklären müsse (ebd. 280–333). 201
2.7 Der Messiasbegriff heute und in der BG-Bearbeitung
169
In diesem Teil wurde die holzschnittartige Zweiteilung in „Jesuanisches“ und „Jüdisches“ bei Grundmann und in seinem Gefolge in den Texten der BG sichtbar, und dies nicht nur in Bezug auf den Messias-Begriff, sondern auch auf den Reich-Gottes-Begriff und die Rede von der Davidssohnschaft. Die Problematik der Gegenüberstellung liege dabei darin, dass „die jüdische Sicht“ „in ihrer Vielfalt nicht gesehen oder nur mit einem Nebensatz abgetan“ werde. So werde „im Kontext des Reiches Gottes gesagt, dass sich im Judentum beide Ansichten zwar vermischen würden, aber Jesu Sicht sei dagegen rein gewesen. Rein kann eine solche Sicht nur sein, wenn ein Exeget sie als rein erklärt. Und in der Vorstellung der Antisemiten/-judaisten sind Mischungen welcher Art auch immer unrein, das heißt: Es wird Reinheit gesucht. Reinheit ist Rasse, Reinheit der Ansichten über dieses und jenes. Und was ‚Reinheit‘ ist, wird selbst definiert.“208 2.7.3 Innerjüdische Auseinandersetzung oder antijüdische Polemik? Die Frage nach der Messianität Jesu In der Frage, ob und wie die Messiasvorstellung sich entwickelt hat und ob eine derartige Abgrenzung Jesu von der jüdischen Messiasvorstellung legitim ist, ist zu beachten, dass bei jeder Auslegung neutestamentlicher Texte der Kontext der Textentstehung relevant ist. Die BG-Redaktoren gehen mit dieser Grundvoraussetzung allerdings sehr frei um und nehmen dementsprechend große Texteingriffe vor. In den neutestamentlichen Texten handelt es sich auch in den Passagen, in denen sich scharfe Polemik gegen Pharisäer und Schriftgelehrte findet, um innerjüdische Polemik.209 Der antijüdische Charakter der matthäischen Aussagen sei dagegen bedingt durch ihre Aufnahme und ihr Nachsprechen „in anderer Situation von nichtjüdischen Messiasgläubigen“, zumindest „ab der Zeit, da sich die auf Jesus bezogene Gemeinschaft als Christentum im Gegenüber und in Abgrenzung zum Judentum herausbildet.“210 Daher müssten heute gerade diejenigen Aussagen des Matthäusevangeliums, die eine antijüdische Wirkung hatten, in ihrer historischen Bedingtheit durchschaut werden und könnten nicht einfach nachgesprochen werden: „Es sind Konflikttexte; aber da die Konflikte in der Geschichte weitergegangen sind – allerdings mit umgekehrten Rollen, dass nämlich immer wieder Juden unter Christen zu leiden hatten –, dürfen wir nicht mehr selbstverständlich die Partei desjenigen Konfliktpartners ergreifen, der die eigene Tradition begründet hat.“211
208
Fenske (2005), 218. Ironischerweise ist der Reinheitsbegriff im Judentum selbst ja sehr gebräuchlich. 209 Vgl. dazu das Kapitel 1.2.3 Der Gedankenkontext: In der Nachfolge Luthers (sic?). Antijüdisches Denken in der Kirchengeschichte. 210 Vgl. Wengst, Regierungsprogramm (2010), 21. 211 Wengst, Regierungsprogramm (2010), 21.
170
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
Auch der ursprüngliche Adressatenkreis müsste für eine adäquate Textauslegung und noch vielmehr für eine Kürzung und Neuherausgabe des Neuen Testaments, wie die BG sie vornahm, beachtet werden. Die BG-Redaktoren übersehen aber, höchstwahrscheinlich bewusst, dass die Adressaten vieler neutestamentlicher Schriften judenchristliche und zugleich messsiasgläubige Gemeinden waren, also jüdisch-christliche Gemeinden bzw. jüdische Christusanhänger bzw. „christliche Juden“212. Matthäus schreibt „für eine messiasgläubige Gemeinschaft, für seine Gemeinde, die in bestimmter Situation lebt und in der sein Werk gelesen und vorgelesen werden soll.“213 In der Diskussion, ob sich Jesus selbst als „Messias“ bezeichnet hat, oder ob der Titel ihm erst später zugeschrieben wurde, lässt sich mit Josef Wohlmuth der Rahmen folgendermaßen abstecken: Selbst wenn man annehmen möchte, dass Jesus der Messiastitel erst „von der nachösterlichen Gemeinde zugesprochen wurde“, würde das immer noch nicht wiederlegen, dass diese nachösterliche messianische Jesusinterpretation nicht mehr aus dem zeitgenössischen jüdischen Kontext stamme. Wohlmuth nennt als weiteres Argument für die Hinfälligkeit jeglicher Isolierung des Messiastitels vom Judentum, dass der Glaube an die Messianität Jesu auch für Paulus nicht als Kriterium für die Heilszusage der Juden gewertet wurde: „Die Frage, ob sich Juden zum Bekenntnis der Messianität Jesu ‚bekehren‘ sollten, kann nach Röm 9–11 so beantwortet werden, dass Paulus selbst sich als zu Jesus bekennender Jude verstanden hat und sicher auch gern gesehen hätte, wenn sich weitere Juden zu Jesus bekannt hätten. Doch hat er trotz der Tatsache, dass sich die Mehrzahl der Juden nicht dazu bekannte, die entscheidende Überzeugung geäußert, dass den Juden deshalb nichts von den ergangenen Heilszusagen genommen wird. Ja, so lautet seine Überzeugung, am Ende der Tage werde ‚ganz Israel gerettet‘ (Röm 11,26).“214
Auch können die verschiedenen christologischen Hoheitstitel (v.a. Menschensohn, Messias/Gesalbter, Sohn Gottes) nicht nur als nachösterliche Interpretationskategorien verstanden werden, sondern explizit als aus Jesu Wirken heraus erwachsene Titel.215 Jens Schröter weist darauf hin, dass bei der Orientierung an diesen Hoheitstiteln allerdings zu beachten sei, dass es sich hierbei um Ausdrücke handle, die im Judentum auf unterschiedliche Weise verwandt wurden. Keine festgefügten Vorstellungen seien also lediglich auf Jesus übertragen worden, sondern im Spezialfall ihrer Anwendung auf Jesus seien „bestimmte semantische Merkmale aktualisiert und mit seinem Wirken und Ge-
212
Nicklas, Gott (2014), 75. Wengst, Regierungsprogramm (2010)., 22. 214 Wohlmuth (2004), 110. Vgl. auch den prägnanten Abriss bei Fiedler (1990), 75–81: Der Apostel erkennt, dass Erwählungshandeln Gottes an Israel gültig ist (ebd. 80). 215 Vgl. Schröter (2001), 223. Zu den Hoheitstiteln in vgl. den kurzen Überblick in Nicklas, Jesus von Nazareth (2009), v.a. 36–73 und umfassender Hahn (1995). 213
2.7 Der Messiasbegriff heute und in der BG-Bearbeitung
171
schick verbunden“ worden.216 Konsequenterweise seien dann die Titel als Metaphern zu verstehen und es sei nach den dahinterliegenden Vorstellungen zu suchen, um durch diese ‚metaphorische Christologie‘ den Sprachgewinn, den ihre Verwendung zur Interpretation des Geschehens um Jesus bedeutet, herausstellen zu können.217 Dann könne die Orientierung an den Hoheitstiteln „beleuchten, mit welchen eschatologischen Heilsbringern und Erlösungsvorstellungen die frühen Christen Jesus in Verbindung brachten.“218 Nach dieser Konzeption werden die christologischen Hoheitstitel einerseits als eng mit dem Wirken Jesu verknüpft betrachtet, andererseits wird die christologische Interpretation der Titel als eine Rezeptionsmöglichkeit gesehen, die allerdings ganz im Rahmen der im Judentum möglichen Interpretationen lag. Am Beispiel des paulinischen Gebrauchs von ὁ χριστός erläutert Schröter dann, dass auch innerhalb des metaphorischen Gebrauchs nochmal unterschieden werden kann zwischen „Metaphern, die Paulus aus der Tradition übernimmt, ohne sie weiter auszudeuten, und solchen, in denen sich seine eigenen christologischen Anschauungen kristallisieren.“219 Paulus habe ὁ χριστός bereits als christologische Metapher übernommen, die er nicht mehr weiter ausgebaut habe, sondern vielmehr als bereits feststehende Bezeichnung, also als Beinamen Jesu übernommen. Sie sei von Paulus also nicht verwendet worden, „um das damit verbundene Bildfeld vom Gesalbtsein oder vom königlichen Gesalbten mit weiteren metaphorischen Aussagen anzureichern.“220 Die Bezeichnung Jesu als Gesalbter bzw. Messias ist somit von Schröter als im irdischen Wirken Jesu verankerte Titulatur beschrieben, die der jüdischen Vorstellungswelt entstammt und sich zum Beinamen Jesu entwickelte. Eine Polarisierung von jüdischer und christlicher Begriffsverwendung, wie sie sich in den Texten der BG nachweisen lässt, wird auf diesem Hintergrund unmöglich. Von Soden äußerte sich zur Frage nach der Messianität Jesu bereits in den 1940er-Jahren und liefert eine Skizze des damaligen Forschungsstandes: „Als Ergebnis heutiger Wissenschaft kann nur gelten, daß der Text der Evangelisten auf unsere Fragen über die Geschichte der Messianität Jesu keine sichere Antwort geben zu vermag, weil diese Fragen für die Evangelisten Fragen überhaupt nicht gewesen sind. Sie verkündigen die Messianität des gekreuzigten und auferstandenen Jesus, sie sahen den Messias aber auch im predigenden und heilenden Jesus, und sie lassen diese Messianität 216
Vgl. Schröter (2007), 205. Vgl. Schröter (2007), 206. 218 Schröter (2007), 205. 219 Schröter (2007), 210. 220 Schröter (2007), 211, Schröter merkt hierzu an: „Paulus kennt freilich die Tradition der Herkunft Christi Jesu aus dem Geschlecht Davids (Röm 1,3) und betont, dass der Gesalbte κατὰ σάρκα aus Israel stammt (Röm 9,5; vgl. 11,26)“. 217
172
Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
ebenso von Jesus selbst wie von seinen Jüngern wie auch von den Dämonen, mittelbar auch von seinen Gegnern, bezeugt werden. Es kommt für sie weder in Frage, daß Jesus nicht der Messias hätte sein wollen, noch daß seine Jünger bei ihrem Bekenntnis oder seine Gegner bei ihrer Bekämpfung etwas anderes meinten als er selbst“.221
Auch wenn der Vergleich mit der Sichtweise Schröters zeigt, dass die neutestamentliche Exegese in den zwischen den beiden Aussagen liegenden Jahrzehnten eine Kehrtwende gemacht hat und auch berechtigterweise an manchen Stellen (z.B. beim Bekenntnis des Petrus) darauf hinweist, dass der biblische Text den Messiasbegriff durchaus problematisiert, so stimmen doch beide Autoren in der Aussage überein, dass der Begriff nicht als eine rein nachösterliche Zuschreibung, sondern vielmehr als eine an das irdische Leben Jesu stark rückgebundene Bezeichnung verstanden werden sollte. Im Gegensatz war es durch die Missachtung von Entstehungskontext und ursprünglichem Adressatenkreis, ebenso wie einer fehlenden Verknüpfung des Wirkens Jesu mit seinen späteren Titeln den BG-Redaktoren überhaupt möglich, das Neue Testament im Ganzen und den Messiastitel im Besonderen derart antijüdisch zu deuten und das in den Übersetzungen deutlich zu machen. Dass das Vorgehen der Mitarbeiter des Entjudungsinstituts aber keineswegs ein ganz neues Phänomen war, hat bereits der Blick in die Geschichte der „Entjudung“222 gezeigt. Erst im Verlauf der Geschichte bekam die zunächst innerjüdische Polemik also einen pauschal antijüdischen Charakter; in den Texten der BG findet sich ein großer Teil dieser antijüdischen Vorstellungen gespiegelt. 2.7.4 Fazit: Wider die „messianische Blendung“223 der Christen Mit der Feststellung, dass sich die Vorstellung von Jesus als dem Messias bereits im jüdischen Kontext und aus dem Wirken Jesu heraus entwickelt hat, bleibt noch die Frage, wie nun das heutige Verhältnis von jüdische und christlicher Messiashoffnung gedacht werden kann. In der BG war ausschließlich eine Abgrenzungsbewegung anzutreffen, dadurch dass nicht einmal terminologisch über den Begriff „Messias“ die Verbindung zwischen vor- und nachösterlichen Vorstellungen gewahrt worden war. Ervin Vályi Nagy224 bricht mit deutlichen Worten mit einer dualistischen Gegenüberstellung von jüdischer und christlicher Messiasvorstellung, wie sie 221
Soden, Urchristentum (1956), 192. Vgl. 1.2.3 Der Gedankenkontext: In der Nachfolge Luthers (sic?). Antijüdisches Denken in der Kirchengeschichte. 223 Zenger (1993), 131. 224 Ervin Vály Nagy (1924–1993), ein ungarischer Theologe und schließlich Professor für Systematische Theologie an der Reformierten Theologischen Akademie in Budapest, wirkte an der ungarischen Revolution aktiv mit, um die möglich gewordene demokratische Veränderung voranzutreiben (vgl. Vályi-Nagy (2000), 7). Er kämpfte mit „wuchtigen Schlägen […] 222
2.7 Der Messiasbegriff heute und in der BG-Bearbeitung
173
nur allzu häufig in der Geschichte zu finden war. Es sei eben nicht möglich, eine „Grunddifferenz zwischen Judentum und Christentum“ mit den Kategorien von „Noch-nicht-da“ und „Schon-jetzt“ zu unterscheiden „im Sinne von: Dort die erwartete Zukunft, hier die erfüllte Gegenwart. Juden warten nicht nur in ihrem Gottvertrauen, orientieren sich nicht ausschließlich an der Zukunft, sondern erleben auch die heilvolle, beglückende Nähe und Präsenz Gottes.“225 Erich Zenger führt solche Abgrenzungstendenzen von christlicher Seite auf eine „messianische Blendung“ zurück, durch den von Jesus ausgehenden „messianischen Lichtstrahl“: „Weil sie über diesen Lichtstrahl so glücklich sind, schließen sie die Augen – und sehen das Dunkel nicht mehr, für das Jesus aufstrahlt. Ob man nicht sogar sagen muß: Die Kirchen kranken an ihrer messianischen Sattheit, so daß sie den messianischen Hunger des Judentums nicht ertragen, geschweige denn teilen können.“226
Am Ende seines Artikels über die messianische Idee in Theologien des 20. Jahrhunderts resümiert Vályi Nagy dann, dass die messianische Idee des Judentums keineswegs Trennungsmerkmal vom Christentum sei, sondern eben hier die gemeinsame Erfahrung der nichterlösten Welt, in der dennoch durch den Glauben Gottes Heil als Vorgeschmack der Vollendung erfahren werden kann, zum Ausdruck gebracht werden könne.227 Zur Feststellung, dass schon die biblische Begriffsverwendung differenzierter zu lesen ist als eine reine „jüdische Überfremdung“, die den „ursprünglichen“ Texten übergestülpt worden sei und somit als die das Wirken Jesu interpretierende Glaubensaussage der judenchristlichen und sowohl messias- als auch christusgläubigen Gemeinde zu charakterisieren ist, treten nun die Überlegungen, ob und wie der unlösbar auf Israel bezogene Messiasbegriff angemessen in der Kirche von „Menschen aus den Völkern“ 228 verwendet werden kann, „ohne Jüdinnen und Juden Jesus als ihren Messias vorzuhalten“.229 Wengst versucht eine Antwort mit Orientierung am Römerbrief (Röm 15,8f.): Jesus als Messias aus dem Volk Israel für die Völker, habe die messianischen Verheißungen bestätigt:
gegen die Vergöttlichung der Geschichte im Sinn der politischen Indienstnahme des Namens Gottes in der ungarischen reformierten Kirche“ (Ritschel (2000), 207). Keine Geschichte sei mit dem Willen Gottes gleichzusetzen, kein historisch gewordenes Gebilde mit der Schöpfung (vgl. Vályi Nagy (1969), 79). 225 Vályi Nagy (1993), 124. 226 Zenger (1993), 131. 227 Vgl. Vályi Nagy (1993), 128. 228 Wengst (1999), 75. Wengst verweist hier auch auf den Bezug des Messias auf die Völker bereits in der hebräischen Bibel (z.B. Jes 11,10) und dessen breite Aufnahme im Neuen Testament. 229 Vgl. Wengst (1999), 74.
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Kapitel 2: Der Messias-Begriff in der BG
„Indem wir durch ihn zum Gott Israels gekommen sind, werden wir damit auch zum Volk Israel in Beziehung gesetzt. Paulus bringt das unter Aufnahme der griechischen Bibelübersetzung von 5 Mose 32,43 auf die schöne Formulierung: ‚Freut euch, ihr Völker, mit seinem Volk!‘ (Röm 15,10230)“
Im Gedanken der „Mitfreude mit Israel“ dann sei es möglich, ohne eine Aussage über die Heilsbedeutung dieses Messias Jesus für Israel zu machen, „Mitzeugen Gottes zu hören“ und sich so „bereichern“ zu lassen.231 Zur Frage nach der Messias-Hoffnung der Juden stellt auch die päpstliche Bibelkommission im Dokument „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“ von 2001 fest, dass diese jüdische Messiashoffnung nicht vergeblich bzw. wörtlich „nicht gegenstandlos“ sei. Der französische Originaltext wird sogar noch deutlicher: ‚L’attente juive messianique n’est pas vaine‘ (vaine: vergeblich, eitel, nichtig, grundlos)232: Henrix weist darauf hin, dass diese Aussage ein hohes theologisches Gewicht besitze, da in der negativen Formulierung der jüdischen Messiashoffnung „von offizieller kirchlicher Seite eine höchst positive Qualität zugesprochen“ werde: Sie habe einen „Gegenstand“ und somit einen Grund, eine Berechtigung, einen Sinn. Diese Aussage sei bisher „theologiegeschichtlich außerordentlich“.233 In der Frage, ob die jüdische Messiashoffnung und der christliche Christusglauben verbunden werden können, nennt Henrix dann, ähnlich wie Wengst mit seinem Verweis auf die Möglichkeit des „Mitfreuens mit Israel“, die Möglichkeit einer positiven Würdigung der jüdischen Messiashoffnung, wie sie auch das Dokument der päpstlichen Bibelkommission nennt. Die Spannung, die die gleichzeitige positive Anerkennung der Messianität Jesu Christi und die jüdischen Messiashoffnung erzeuge, könne nicht einfach aufgelöst werden in einen christlichjüdischen Konsens. Letztlich könne die „Christus-Messias-Frage“ nur „in das Geheimnis des Heilsplan Gottes“ gestellt werden, da es Fragen des Glaubens gebe, „die sich der bündigen, einfachen Antwort verweigern; sie führen bisweilen in eine Doppelheit von Antwortversuchen, deren Spannung und Gegenläufigkeit sich nicht vermitteln oder auflösen lässt.“234 Als Fazit aus diesen Beobachtungen zum Messiasbegriff lässt sich also festhalten, dass die Verwendung des Messiasbegriffs zwar durchaus innerjüdische Auseinandersetzungen um das richtige Verständnis Jesu widerspiegelt, eine Verwendung des Messiasbegriffs aber in jedem Falle, sowohl damals 230
Dieser Vers fehlt in der BG. Lediglich Röm 15,5–6.13 wurden aufgenommen (BG 188, Einig in Dank und Hoffnung! (Röm. 15,5–6.13)), während Röm 15,7–12, in denen Christus als „Diener der Beschnittenen“ (Röm 15,8) bezeichnet wird und sich das oben erwähnte Jesajazitat findet, herausgeschnitten wurden. 231 Vgl. Wengst (1999), 76. 232 Vgl. Henrix (2003), 51 zu Päpstl. Bibelkommission (2001), Kapitel 5: Die Einheit des göttlichen Heilsratschlusses und der Gedanke der Erfüllung, Absatz 21. 233 Vgl. Henrix (2003), 52. 234 Vgl. Henrix (2003), 61.
2.7 Der Messiasbegriff heute und in der BG-Bearbeitung
175
wie heute und von beiden Seiten, Juden wie Christen legitim ist und bleibt. Die „Eigenart“235 Jesu, die die BG zu konstruieren versucht, indem sie Jesus die Messianität abschreibt und stattdessen als eine jüdische Fehldeutung auslegt, ist also eigentlich gar nicht so eigenartig. Jesus war gläubiger Jude und Gottes Erwählung Israels war für ihn selbstverständlich. Eben deshalb wurde er von vielen als der im Judentum lange erwartete Messias angesehen: „Gläubige Jüdinnen und Juden entnehmen ihrer Bibel, wie sich der Gott, an den sie glauben, schon vor Urzeiten ihren Vorfahren offenbart hat. Es war dies nicht ein Gott unter vielen, sondern der einzige Gott Himmels und der Erden. Diesem aber gefiel es, sich unter vielen Völkern eines, das jüdische, auszuwählen, ihm seine Tora anzuvertrauen und mit ihm den Weg durch eine lange gemeinsame Geschichte anzutreten – um auf diese Weise allen Menschen zu zeigen, wie sie im Einklang mit ihm, mit der Schöpfung und mit sich selbst leben könnten. Der gläubige Jude Jesus von Nazaret akzeptierte all dies selbstverständlich. […] Schon zu seinen Lebzeiten, aber noch mehr nach seinem tragischen Tod sahen viele in ihm den im Judentum lange erwarteten Messias, den Christus.“236
235 236
Vgl. den Titel des III. Hauptkapitels in Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 91–138. Dietrich, Gott der Rache (1999), 9.
176
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
Kapitel 3
Jesus und das Judentum – Zum Begriff des Opfers in der BG 3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen in der BG (und die Frage nach dem Umgang mit dem jüdischen Gesetz) 3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
3.1.1 BG 4f., Das Kind – das Heil der Erde (Luk. 2,25ab.26.27b–35), v.a. Lk 2,22–24: Tempel, Tempelopfer und Beschneidung werden vermieden In der BG zeigt sich bereits am Beginn des Lebens Christi eine Vermeidung des Hinweises auf die Opferdarbringung der Eltern Jesu, als sie Jesus zur Beschneidung in den Tempel bringen. Die BG setzt eben erst nach dem Bericht über den Anlass für die Begegnung der Familie Jesu mit Simeon ein: „Es war ein Mensch mit Namen Simeon […]“ (BG 4, Das Kind – das Heil der Erde (Luk. 2,25ab.26.27b–35), Lk 2,25ab). Eine Gegenüberstellung von Lk 2,21–28 kann die fehlenden Elemente, die allesamt die Verwurzelung der Familie Jesu in den jüdischen Gesetzen zeigen, verdeutlichen: BG Lk 2,21–24 fehlt: Beschneidung fehlt.
Das Kind bekam den Namen Jesus. (bereits in BG 3f., Die Heilige Nacht (Luk. 2,1–20.21b); Lk 2,21b)
NA
EÜ
Luther
21 Καὶ ὅτε ἐπλήσθησαν ἡμέραι ὀκτὼ τοῦ περιτεμεῖν αὐτὸν
21 Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte,
21 Und da acht Tage um waren, daß das Kind beschnitten würde,
καὶ ἐκλήθη τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰησοῦς, τὸ κληθὲν ὑπὸ τοῦ ἀγγέλου πρὸ τοῦ συλλημφθῆναι αὐτὸν ἐν τῇ κοιλίᾳ.
gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, noch ehe das Kind im Schoß seiner Mutter empfangen wurde.
da ward sein Name genannt Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe denn er in Mutterleibe empfangen ward.
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3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
BG
NA
EÜ
Luther
22 Καὶ ὅτε ἐπλήσθησαν αἱ ἡμέραι τοῦ καθαρισμοῦ αὐτῶν κατὰ τὸν νόμον Μωϋσέως, ἀνήγαγον αὐτὸν εἰς Ἱεροσόλυμα παραστῆσαι τῷ κυρίῳ, 23 καθὼς γέγραπται ἐν νόμῳ κυρίου ὅτι πᾶν ἄρσεν διανοῖγον μήτραν ἅγιον τῷ κυρίῳ κληθήσεται,
22 Dann kam für sie der Tag der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung.
22 Und da die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz Mose's kamen,
Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen, 23 gemäß dem Gesetz des Herrn, in dem es heißt: Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein.
Opfer fehlt.
24 καὶ τοῦ δοῦναι θυσίαν κατὰ τὸ εἰρημένον ἐν τῷ νόμῳ κυρίου, ζεῦγος τρυγόνων ἢ δύο νοσσοὺς περιστερῶν.
24 Auch wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.
brachten sie ihn gen Jerusalem, auf daß sie ihn darstellten dem HERRN 23 (wie denn geschrieben steht in dem Gesetz des HERRN: „Allerlei männliches, das zum ersten die Mutter bricht, soll dem HERRN geheiligt heißen“) 24 und das sie gäben das Opfer, wie es gesagt ist im Gesetz des HERRN: ‚Ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.‘
Es war ein Mensch mit Namen Simeon, ein rechtschaffener und frommer Mann,
25 Καὶ ἰδοὺ ἄνθρωπος ἦν ἐν Ἰερουσαλὴμ ᾧ ὄνομα Συμεὼν καὶ ὁ ἄνθρωπος οὗτος δίκαιος
lebte damals ein Mann namens Simeon. Er war gerecht und fromm und
25 Und siehe, ein Mensch war zu Jerusalem, mit Namen Simeon; und derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig
der wartete auf das Reich Gottes.
καὶ εὐλαβὴς προσδεχόμενος παράκλησιν τοῦ Ἰσραήλ, καὶ πνεῦμα ἦν ἅγιον ἐπ’ αὐτόν·
wartete auf die Rettung Israels und der Heilige Geist ruhte auf ihm.
und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war in ihm.
Reinigung fehlt.
Darbringung fehlt.
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG Ihm war von Gott die Gewißheit geschenkt worden, er solle nicht sterben, bevor er den Heiland gesehen habe.
NA 26 καὶ ἦν αὐτῷ κεχρηματισμένον ὑπὸ τοῦ πνεύματος τοῦ ἁγίου μὴ ἰδεῖν θάνατον πρὶν [ἢ] ἂν ἴδῃ τὸν χριστὸν κυρίου.
EÜ 26 Vom Heiligen Geist war ihm offenbart worden, er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Messias des Herrn gesehen habe.
Luther 26 Und ihm war eine Antwort geworden von dem heiligen Geist, er sollte den Tod nicht sehen, er hätte denn zuvor den Christus des HERRN gesehen.
Und als die Eltern mit dem Jesuskind kamen,
27 καὶ ἦλθεν ἐν τῷ πνεύματι εἰς τὸ ἱερόν·καὶ ἐν τῷ εἰσαγαγεῖν τοὺς γονεῖς τὸ παιδίον Ἰησοῦν
27 Jetzt wurde er vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern Jesus hereinbrachten,
27 Und er kam aus Anregen des Geistes in den Tempel. Und da die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten,
um es vor Gott zu bringen,
τοῦ ποιῆσαι αὐτοὺς κατὰ τὸ εἰθισμένον τοῦ νόμου περὶ αὐτοῦ
um zu erfüllen, was nach dem Gesetz üblich war,
daß sie für ihn täten, wie man pflegt nach dem Gesetz,
da wurden ihm die Augen aufgetan; er nahm es auf seine Arme und dankte Gott […]
28 καὶ αὐτὸς ἐδέξατο αὐτὸ εἰς τὰς ἀγκάλας καὶ εὐλόγησεν τὸν θεὸν καὶ εἶπεν·[…]
28 nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott […].
28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: […]
Hier handelt es sich um einen sehr starken Eingriff durch die Redaktoren in den Bibeltext. Die gesamte Erzählung wird in der BG ohne die Erwähnung des Anlasses für den Gang der Eltern Jesu in den Jerusalemer Tempel unverständlich. Laut dem ungekürzten Bibeltext wollen Maria und Joseph Jesus dort beschneiden lassen, um ihn so Gott zu weihen, und ihr Opfer darbringen (Lk 2,22–24)‚ um zu erfüllen, „was nach dem Gesetz üblich war“ (Lk 2,27). Dort, im Tempel, begegnen sie Simeon, der „vom Geist in den Tempel geführt“ (Lk 2,27) worden war. Tempel und Gesetz als die beiden Leitbegriffe des Textes werden von der BG ausgespart, der ganze Text über die Darbringung Jesu im Tempel und das Opfer zweier Tauben wird zu einer blassen Erzählung über die Begegnung des Simeon mit dem „Heiland“ statt des
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3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
„Messias“. Auch Simeon wird zu einer ortslosen Figur, deren Auftreten nicht wie im Original „in Jerusalem“ lokalisiert wird (Lk 2,25). Zudem wird die Beschreibung seiner Erwartung von der Redaktion bearbeitet: Anstatt davon zu schreiben, dass er die „Rettung Israels“ erwarte (προσδεχόμενος παράκλησιν τοῦ Ἰσραήλ), erwartet Simeon in der BG das „Reich Gottes“. Auch im Folgenden dann ist zweimal die zweifellos positiv besetzte Rede vom „Volk Israel“ vermieden: BG
NA
EÜ Lk 2,32 32 ein Licht, das die Heiden erleuchtet, /
Luther
ein Licht, zu erleuchten die Völker,
32φῶς εἰς ἀποκάλυψιν ἐθνῶν
das Heil für alle, die seiner gewartet.’
καὶ δόξαν λαοῦ σου Ἰσραήλ.
Simeon aber segnete sie und sprach zu der Mutter Maria: ‘Dieser ist gesetzt
καὶ εὐλόγησεν αὐτοὺς Συμεὼν καὶ εἶπεν πρὸς Μαριὰμ τὴν μητέρα αὐτοῦ· ἰδοὺ οὗτος κεῖται εἰς πτῶσιν καὶ ἀνάστασιν πολλῶν
Und Simeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter Jesu: Dieser ist dazu bestimmt,
Und Simeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter Jesu: Dieser ist dazu bestimmt,
ἐν τῷ Ἰσραὴλ
dass in Israel
dass in Israel
καὶ εἰς σημεῖον ἀντιλεγόμενον–
viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.
viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.
zu Fall und Aufrichtung für viele und zu einem Zeichen, das Widerspruch findet,
und Herrlichkeit für dein Volk Israel. Lk 2,34
ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel
Der Bezug auf Israel fehlt also völlig, dafür wird Jesu universale Sendung stark betont. Desweiteren fehlt die Aussage, dass der Heilige Geist auf Simeon ruhte, in der BG. Dies dürfte hier aber vor allem der bereits festgestellten starken Kürzung und somit Vereinfachung dieser Stelle geschuldet sein; an
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
anderen Stellen der BG findet sich nämlich durchaus der Verweis auf den Heiligen Geist.1 1
Allerdings wird dieser stets „heiliger Geist“ geschrieben und nicht wie in der EÜ (und bei Luther) als Teil des Eigennamens groß („Heiliger Geist“), vgl. Joh 20,22 und Joh 14,26. (1) Danach hauchte er sie an und sprach zu ihnen: ‚Nehmet hin den heiligen Geist! (λάβετε πνεῦμα ἅγιον) Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben. Wem ihr sei behaltet, dem sind sie behalten.‘ (BG 260, Der Friedensgruß des Wiedersehens mit den Jüngern (20,19–23), Joh 20,22). (2) Der Beistand, der heilige Geist (ὁ δὲ παράκλητος, τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον), den mein Vater in meinem Namen senden wird, wird euch alles lehren und wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. (BG 162, In das Johannesevangelium eingefügte Sprüche und Berichte, Joh 14,26). (3) An Pfingsten ist die Zungenrede aus „Gottes Geist“ aufgenommen: „Und Gottes Geist kam auf sie, erfüllte sie (καὶ ἐπλήσθησαν πάντες πνεύματος ἁγίου), und sie begannen in neuen Zungen zu künden, wie es der Geist (τὸ πνεῦμα) ihnen eingab“ (BG 234, Die Ausgießung des Geistes (Apg. 4,31a; 2,2–4.6a.12– 17a.21–24.32–33.36b–38.41–42), Apg 2,4). (4) An anderen Stellen scheint die BG dagegen weniger Wert auf eine eindeutige Gleichordnung ([…] καὶ […] καὶ […]) der trinitarischen Personen zu legen als auf die Ausdeutung der jeweiligen Eigenschaften: „Nehmt sie durch die Taufe auf in die Gemeinschaft des Vaters, in die Gefolgschaft des Sohnes und in die Gnadenkraft des göttlichen Geistes. (BG 95, Die Gemeinde bezeugt ihre Sendung und glaubt an den Ewig-Gegenwärtigen (Joh. 21,15–17; Matth. 28,16–20), Mt 28,19) vgl. ‚[…] macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes (εἰς τὸ ὄνομα τοῦ πατρὸς καὶ τοῦ υἱοῦ καὶ τοῦ ἁγίου πνεύματος)‘ (EÜ/NA, Mt 28,19) Somit kann davon ausgegangen werden, dass die BG in ihrer Theologie dem Geist durchaus den gebührenden Platz einräumt, aber ein größeres Gewicht auf die Funktionen legt, die Gott zugeschrieben werden: Vor allem die Christologie scheint stark funktionalisiert zu sein. Er ist derjenige, der die Gefolgschaft des Vaters lebt (s.o. BG Mt 28,19) und der „neue Mensch“, dem der heilige Geist Gottes (hier von der BG komplett eingefügt) gegeben wurde (parallelisiert zur Geistsendung auf die Jünger an Pfingsten: ‚Gott gab hl. Geist‘ statt ‚er wurde Geist‘): „In Jesus Christus ist der neue Mensch erschienen. Ihm gab Gott seinen heiligen Geist, der das Leben schafft. (BG 181, Aus Knechten des Todes werden Könige des Lebens (1. Kor. 15,45.47–49; Röm. 5,12.15.17.19.20b–21), 1 Kor 15,45) vgl. ‚So steht es auch in der Schrift: Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der Letzte Adam wurde lebendig machender Geist.‘ (1 Kor 15,45). Zudem fällt auch hier auf, dass der Bezug zum Alten Testament (Gen 2,7) gestrichen wurde und mit ihm die Verbindung zwischen Adam und Jesus. Insgesamt lässt sich aber doch eine Skepsis oder Unsicherheit in der Verwendung des Geistbegriffs ausmachen, so fehlt z.B. in BG 101f., Johannes: der Zeuge des Offenbarers (1,6–8.19–27.31.33–34.28–30) ausgerechnet Joh 1,32 mit einer Beschreibung des Geistes (Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. (EÜ)). Und auch in Mk 12,36 vermeidet die BG die Rede vom geisterfüllten Sprechen Davids (BG 79, Die Frage nach dem Davidssohn (Mark. 12,35–37), Mk 12,36, was aber auch mit der generellen Skepsis David gegenüber zusamenhängen könnte. Auffälliger ist das Fehlen des Heiligen Geistes im Katechismus „Deutsche mit Gott“, der im vierten Teil („Unser Bekenntnis zu Gott“), Kapitel 41, eine Art Glaubensbekenntnis enthält, angelehnt an das apostolische Glaubensbekenntnis: „Wir glauben an Gott, von ihm kommt Jesus Christus, des Vaters Sohn, der Menschen Bruder, der Ueberwinder von Sünde, Leid und Tod, der
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
181
Stattdessen lenkt die BG gleichsam kontextfrei den Blick der Leser auf eine, von den Redaktoren formulierte, Quintessenz der Rede des Simeon, die bereits die Überschrift enthält: „Das Kind – das Heil der Erde“ (BG 4). Der Begriff des „Heils“ (bzw. im Text dann zweimal „Heiland“) wird von der BG dadurch deutlich akzentuiert.2 Auffällig ist hier, dass erst die Gesamtausgabe der BG diese Überschrift wählt, die Teilausgabe fasst, zwar mit identischem Text aber dennoch weniger lenkend, die beiden Abschnitte der Gesamtausgabe ‚Das Kind – das Heil der Erde‘ (BG 4, Luk. 2,25ab.26.27b–35) und ‚Das Kind – das Licht der Welt‘ (BG 5, Luk. 1,76–79) unter einer Überschrift: ‚Sehergruß‘ (BGTeilausgabe 8f., Luk. 2,25ab.26.27b–35; Luk. 1,76–79). Zu einer Perikope und ebenfalls ohne eine Vorwegnahme des Inhalts der Aussagen fasst auch die EÜ die Zeugnisse der beiden Seher zusammen: ‚Das Zeugnis des Simeon und der Hanna über Jesus‘ (EÜ, Lk 2,21–40). Dass die BG mit ihrer Überschrift den Inhalt der Rede des Simeon nach ähnlichen Kriterien verkürzt wie bereits bei der Situationsbeschreibung, kann eine genauere Analyse der entsprechenden Verse belegen:
Sieger am Kreuz, der uns das Herz füllt mit Freude zu Gott, der uns zu Kindern ruft in Gottes Reich, unser Heiland.“ (S. 90). Vermutet werden kann, dass die Haltung der BG-Redaktion nicht eindeutig war und man intuitiv an den einzelnen Stellen vorging. 2 Mehr zum Begriff des „Heiland“ im Exkurs „Der Begriff ‚Heiland‘ in der BG“ im Anschluss an 3.2.1 Überblick über die Verwendung kultisch konnotierter christologischer Hoheitstitel in der BG: „Hoherpriester“ und „Lamm“.
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG
NA
‚Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren wie du gesagt hast.
29 νῦν ἀπολύεις τὸν δοῦλόν σου, δέσποτα, κατὰ τὸ ῥῆμά σου ἐν εἰρήνῃ·
29 Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, / wie du gesagt hast, in Frieden scheiden.
EÜ
29 HERR, nun läßt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;
Luther
Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
30 ὅτι εἶδον οἱ ὀφθαλμοί μου τὸ σωτήριόν σου,
30 Denn meine Augen haben das Heil gesehen, /
30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
den du geschenkt hast der ganzen Welt,
31 ὃ ἡτοίμασας κατὰ πρόσωπον πάντων τῶν λαῶν,
31 das du vor allen Völkern bereitet hast,
31 welchen du bereitest hast vor allen Völkern,
ein Licht, zu erleuchten die Völker, das Heil für alle, die seiner gewartet.‘
32 φῶς εἰς ἀποκάλυψιν ἐθνῶν καὶ δόξαν λαοῦ σου Ἰσραήλ.
32 ein Licht, das die Heiden erleuchtet / und Herrlichkeit für dein Volk Israel.
32 ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel.
Auch hier wird die Einbettung der gesamten Szene in ihren jüdischen Kontext – der Jude Simeon spricht ja im Tempel von Jerusalem (vgl. Lk 2,27) über Jesus – völlig gestrichen. Stattdessen wird ein personalisierter „Heiland“ (vgl. oben: auch in Lk 2,26 wird ‚Heiland‘ übersetzt, der Titel wird also eindeutig favorisiert, allerdings hier in Übereinstimmung mit Luther) ohne Bezug auf Israel (vgl. oben: Israelbezug fehlt in Lk 2,25.32.24), dafür mit starker Betonung auf seiner universalen Sendung, beschrieben. Die EÜ dagegen übersetzt τὸ σωτήριον korrekt mit dem Abstraktum „Heil“ (Lk 2,30). Auch die Adressaten der Sendung werden von der BG bearbeitet: Vom ausdrücklichen Verweis, dass das Heil nicht ausschließlich zu den Juden, was für das Lukasevangelium ohnehin außer Frage steht, wie die Formulierung „dein“ Volk Israel (EÜ, Lk 2,32) sehr deutlich zeigt, sondern auch (!) zu den „Heiden“ (EÜ/Luther) gekommen ist, ist in der BG nichts mehr zu finden. Zwar wird τὰ ἔθνη in der BG mit „Völker“ gut und korrekt übersetzt, allerdings wird dann direkt im Anschluss der Hinweis auf die Sendung des Heils zu seinem (also Gottes) Volk Israel (Lk 2,32) und auf die Sendung Jesu nach Israel (Lk 2,43) getilgt. Der lukanische Inhalt der Rede Simeons, er habe den gesehen, der das Licht der „Völker“, also der nicht-jüdischen Völker, ebenso wie das Licht der Juden Israels sei, die Rede von Israel und den „Völkern“ als ebenbürtigen Adressaten des „Heils“ also, wird von der BG verkürzt und so die biblische
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
183
Spannung zwischen Kontinuität der Heilszusage an Israel und Universalität des Heils unzulässig aufgelöst. Diese und die bereits vorher beobachtete Tilgung der Hinweise auf die Beschneidung Jesu und somit auf seine offizielle Aufnahme ins Judentum, ebenso wie auf die Gesetzestreue seiner Eltern und ihr Opfer im Tempel, weist in dieselbe Richtung wie die bereits im zweiten Teil dieser Arbeit festgestellte negative Verwendung des Messiasbegriffs in der BG: Eine positive Verbindung der jüdischen Bräuche und Gesetze mit Jesus und sogar mit seinen Eltern und positiv dargestellten Gestalten wie dem Simeon3 wird ebenso wie die als ‚jüdisch‘ deklarierte Bezeichnung ‚Messias‘ von der BG vermieden. Letztlich besteht also auch in der Simeonerzählung in der BG keine positive Verbindung zwischen Jesus und dem Judentum. Ein ‚unjüdischer‘ Jesus wird präsentiert und die gesamte Situation der Darbringung wird aus dem Tempelkontext gehoben. EXKURS: Beschneidung Gerade die fehlende Beschneidung Jesu, anstelle derer das ‚Jesuskind‘, ganz allgemein gehalten formuliert, ‚vor Gott gebracht‘ wird, zeigt die Absicht der BG ganz deutlich, Jesu biblisch eindeutig belegte Zugehörigkeit zum Judentum verschweigen zu wollen.4 Weniger stark, aber dennoch deutlich sind auch die Eingriffe der Redaktoren der BG in die Texte der paulinischen Briefe und der Apostelgeschichte. Hier wird jeweils von ‚Bundeszeichen‘ statt von ‚Beschneidung‘ gesprochen.5 Vor allem die Übertragung von Gal 2,36 lässt aber 3 Die Figur des Simeon wird von der BG eindeutig positiv rezipiert, wie seine aus dem Griechischen übernommene Beschreibung als „rechtschaffener und frommer Mann“ (δίκαιος καὶ εὐλαβὴς) verdeutlicht. 4 Bedauerlich ist, dass, gerade mit dem Wissen um die Probleme, die jede Heraushebung Jesu aus dem Judentum mit sich bringt, das Fest der Beschneidung des Herrn mit der Liturgiereform nach dem Zweiten Vaticanum abgeschafft wurde. „Dabei könnte gerade ein Fest der Beschneidung des Herrn, im Licht von ‚Nostra aetate‘ (Kap. 4) von judenfeindlichen Deutungen befreit, die Kirche alljährlich an die ‚Erfüllung‘ der Tora erinnern, indem sie daran erinnert, dass Jesus wie jeder Jude gemäß des Bundes Gottes mit Abraham (vgl. Gen 17,10) beschnitten wurde und die Tora gehalten hat.“ (Schöttler, Tora (2013), 40). Auch Christoph Dohmen hebt die Bedeutung des abgeschafften Festes der Beschneidung hervor: „Damit bekam der Aspekt der konkreten Menschwerdung, nämlich als Jude, neben dem 6. Januar, dem Epiphanie-Tag, ein besonderes Gewicht und auch eine tiefere theologische Bedeutung“ (Dohmen, Beschneidung (2007), 277). „Lässt diese Verdrängung nicht auch vergessen, dass unsere christlichen Wurzeln im Judentum liegen und dass das Neue Testament selbst immer wieder daran erinnert, dass das Heil der Welt zutiefst mit dem Judentum zu tun hat?“ (ebd. 278). 5 Vgl. die Übersetzung von Phil 3,5: „Denn am achten Tage empfing ich das Bundeszeichen; ich gehöre zu Israel, bin aus dem Stamme Benjamin, vollgültiger Jude und in meiner Einstellung zum Gesetz Pharisäer.“ (BG 248, Er sucht allein Christus (Phil. 3,4b–14), Phil
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
ganz deutlich erkennen, dass Paulus in der Frage nach der Beschneidung in der BG eine dezidiert ablehnende Haltung zugeschrieben wird: BG Ich setzte durch, dass mein Begleiter Titus, der Grieche, nicht zur Annahme des Bundeszeichens gezwungen wurde
NA ἀλλ’ οὐδὲ Τίτος ὁ σὺν ἐμοί, Ἕλλην ὤν, ἠναγκάσθη περιτμηθῆναι
EÜ Doch nicht einmal mein Begleiter Titus, der Grieche ist, wurde gezwungen, sich beschneiden zu lassen
Luther Aber es ward auch Titus nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen, der mit mir war, obwohl er ein Grieche war
Ohne Textbasis betont die BG hier das Verdienst des Paulus („Ich setzte durch.“). So wird aus der Aussage, dass die „Judenchristen“ in Jerusalem den unbeschnittenen Titus problemlos akzeptierten, eine Leistung des Paulus konstruiert, der mit seiner Autorität erreichen konnte, dass Titus – impliziert ist hier, dass dies gegen die eigentliche Absicht der Judenchristen in Jerusalem geschah, sonst hätte Paulus es ja nicht durchsetzen müssen – nicht zur Beschneidung gezwungen wird. Ein Gegensatz zwischen Paulus und den „Judenchristen“ in Jerusalem wird so hervorgehoben.7 Außerdem wird mit dieser betonten Ablehnung des „Bundeszeichens“, wie die BG schreibt, zugleich das antijüdische Begründungsmuster von Schuld und Abkehr der Juden vom Bund gepflegt, das, wie Dohmen überzeugend schreibt, haltlos ist: „Das im Christentum leider lange gepflegte Deutungsmuster, jeden prophetischen Schuldaufweis des Alten Testaments und alle Mahnungen und Strafankündigungen auf das Judentum zu beziehen und den ‚Neuen Bund‘ demgegenüber als ‚rein und unschuldig‘ darzustellen, steht jeder biblischen Bundesvorstellung diametral entgegen. In den ewigen Bund
3,5) statt „Ich wurde am achten Tag beschnitten (περιτομῇ ὀκταήμερος), bin aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, lebte als Pharisäer nach dem Gesetz“ (EÜ, Phil 3,5). Ebenso Apg 15,5 (vgl. auch Apg 15,1): ‚[…] Sie müssen das Bundeszeichen empfangen und das Gesetz befolgen‘ (BG 250f., Die Apostelzusammenkunft in Jerusalem (Apg. 15,1–12), Apg 15,5) statt ‚[…] Man muss sie beschneiden und von ihnen fordern, am Gesetz des Mose fest zu halten‘ ([…] λέγοντες ὅτι δεῖ περιτέμνειν αὐτοὺς παραγγέλλειν τε τηρεῖν τὸν νόμον Μωϋσέως (EÜ/NA, Apg 15,5). 6 BG 251, Paulus über die Apostelzusammenkunft (Gal.2,1–6.9–10), Gal 2,3. 7 Der ganze Text über das Apostelkonzil in Jerusalem (BG 251f.: Paulus über die Apostelzusammenkunft (Gal.2,1–6.9–10)) stützt diese Vermutung. vgl. unten 3.1.5.2. Zum Begriff „Judenchristen“ vgl. oben in 1.3.2 ‚Den Teufel durch den Beelzebub austreiben‘. Hans von Sodens (unterdrückte) Kritik von 1940.
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
185
Gottes kann die Kirche nur zusammen mit Israel umkehren, da er in der vergebungsbereiten Treue Gottes gründet.“8
*
* *
Auch die Darbringung des Opfers durch Jesu Eltern wird von der BG weggelassen. Die Vermutung liegt also nahe, dass, ähnlich wie beim Messiasbegriff, das (jüdische) Opfer im Tempel nicht mit Jesus, ja nicht einmal mit seinen Eltern, in einen positiven Zusammenhang gebracht werden soll. Die BG geht hier, wohl auf dem Hintergrund, den Lesern das Textverständnis und somit letztlich den Glauben erleichtern zu wollen, indem die Abgrenzung zwischen Jesus und dem Judentum scharf gezogen wird, in eben die Richtung, in die Grundmann in seiner ebenfalls 1940 erschienenen Jesus-Monographie geht. Grundmann bringt hier die hinter der „Entjudung“ stehenden Gedanken auf den Punkt: „Jesus stammt aus einer galiläischen Familie, in der die jüdische Religion starke Wurzeln geschlagen hatte. […] Auf alle Fälle darf von vornherein behauptet werden, daß Jesu Kinder- und Jugendtage von dem Geist einer in jüdischer Religion lebenden Familie erfüllt waren. […] Um so mehr verdient die Tatsache Aufmerksamkeit, daß sich die Familie Jesu ihm und seiner Botschaft während seiner Lebenszeit nicht erschloß, vielmehr sich ablehnend verhielt. […] Jesus, der aus einer in der jüdischen Religion verwurzelten galiläischen Familie herauswächst, gerät durch seine Tätigkeit mit dieser Familie in Konflikte.“9
Zumindest in den Kindheitsgeschichten versucht die BG zwar noch nicht, eine Abgrenzung Jesu von seiner jüdischen Herkunft zu konstruieren, sondern wählt vielmehr den leichteren Weg und lässt die religiösen Gebräuche der Eltern im Dunklen (wie in der Simeon-Erzählung, wo sie das Jesuskind ‚vor Gott bringen‘). Der Effekt einer Ablösung Jesu vom Judentum ist dennoch unbestreitbar. Auch die Einbringung sprachlicher Anachronismen in die Texte unterstützt diesen Eindruck, auch wenn dies häufig allerdings in Anlehnung an die Lutherübersetzung von 191210 geschieht, wie ein Blick auf Lk 2,4111 zeigen kann:
8
Dohmen, Bund (2007), 48. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 6f. 10 Allerdings war Luther bei weitem nicht so konsequent wie die BG, da er schon einige Verse später (BG 6, Jesus ahnt des Vaters Nähe (Luk. 2,41–52), Lk 2,46) das Festgeschehen im Tempel verortet, die BG dagegen ganz allgemein ‚Heiligtum‘ (der Wortbedeutung von τὸ ἱερόν nach synonym zu ‚Tempel‘, aber im gesamten Kontext doch auffällig) schreibt und auch den Verweis auf die (alttestamentlichen) 3 Tage übergeht. Mit der Symbolzahl 3 verweist Jesus in Mt 12,40 selbst auf seine Auferstehung am 3. Tage hin: Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird auch der Menschensohn drei Tage 9
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG
NA
EÜ
Luther
Jesu Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem
Καὶ ἐπορεύοντο οἱ γονεῖς αὐτοῦ κατ’ ἔτος εἰς Ἰερουσαλὴμ
Die Eltern Jesu gingen jedes Jahr
Und seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem
zum Osterfest.
τῇ ἑορτῇ τοῦ πάσχα.
zum Paschafest
auf das Osterfest.
nach Jerusalem.
Obwohl hier Jerusalem als Ort des Geschehens erwähnt wird, fehlt doch der Verweis auf die gemeinsame Feier des jüdischen Pessachfestes. Die momentan neueste Lutherübersetzung von 1984 dagegen vermeidet diesen Anachronismus und schreibt – konform mit dem griechischen Text: „Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest.“12 Festzuhalten ist also, dass die Texte der BG verschiedene Verhaltensweisen und Ortsbeschreibungen in Bezug auf Jesus und seine Eltern verschweiund drei Nächte im Innern der Erde sein. (EÜ, Mt 12,40, vgl. Jona 2,1). Auch dieser Vers fehlt in der BG vollständig. Interessant ist hier zudem, dass auch die BG in der Teilausgabe noch nicht so konsequent vorgegangen ist: Während sich zwar das „Osterfest“ (BG-Teilausgabe 10, ‚Auf des Vaters Spur‘, (Luk. 2,41–51), Lk 2,41) ebenfalls findet, ist hier noch vom „Tempel“ (BGTeilausgabe, Lk 2,46) die Rede, in dem Jesus lehrt: BG-Gesamtausgabe BG-Teilausgabe Im Heiligtum saß er, mitten unter den Im Tempel saß er, mitten unter den LehLehrern, hörte ihnen zu und stellte ihnen rern, hörte ihnen zu und stellte ihnen Fragen, Fragen, so dass alle Zuhörer außer sich so daß alle Zuhörer staunten über sein Verwaren über sein Verständnis und seine ständnis und seine Antworten. Antworten. Als die Eltern ihn so entdeckten, waren Als die Eltern ihn entdeckten, waren sie sie erschrocken, […] Da antwortete er ihnen: betroffen […] Und er sprach zu ihnen: ‚Wie ‚Wie konntet ihr nach mir suchen? Wußtet konnte ihr nach mir suchen? Wußtet ihr ihr nicht, dass ich sein mußte, wo es um nicht, daß ich sein muß, wo mein Vater ist?‘ meinen Vater geht?‘ […] […] An dieser Passage lässt sich gut der Bearbeitungsvorgang erkennen: Im Schritt zwischen Teil- und Gesamtausgabe wurde am Text weiter gefeilt und einige Stellen verschärft bzw. abgeschwächt: Während die Reaktion der Eltern (‚erschrocken‘ statt ‚betroffen‘) ebenso wie die der Zuhörer (‚waren außer sich‘ statt ‚staunten‘) noch verstärkt wurde, wurde der jüdische Kontext noch weiter verschleiert (‚Heiligtum‘ statt ‚Tempel‘ ‚wo es um meinen Vater geht‘ statt ‚wo mein Vater ist‘). Mit solchen Veränderungen wurden die Originaltexte anscheinend schrittweise vom Originaltext auf die ‚entjudete‘ Version umgestellt. 11 BG 6, Jesus ahnt des Vaters Nähe (Luk. 2,41–52), Lk 2,41. 12 Luther 1984, Lk 2,41.
187
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
gen. Grund scheint die als negativ beurteilte Zuordnung dieses Verhaltens (Besuch beim Pessachfest, Beschneidung usw.) zum Judentum zu sein. Auch das Opfer im Tempel von Jerusalem gehört zu diesen Verhaltensweisen. Die Legitimität des biblischen Zeugnisses über Darbringung und Tempelopfer der Eltern Jesu wird von der BG missachtet. Der in dieser Passage von der Redaktion herausgestellte angebliche Gegensatz zwischen Jüdischem und Jesuanischem in der Frage nach Gesetz und Opfer deutet in die bekannte Richtung einer (antijüdischen) Polarisierung von Gesetz und Evangelium, die „in der vereinfachten Pauschalisierung“ bestehe, „Gesetz“ mit dem Alten und „Evangelium“ mit dem Neuen Testament gleichzusetzen ohne Berücksichtigung des jeweiligen Sinnzusammenhanges.13 Wie an weiteren Stellen der BG mit der Frage nach dem (kultischen) Opfer umgegangen wird, sollen die nun folgenden Betrachtungen zeigen. 3.1.2 BG 11f., Aussätzige werden rein (Mark. 1,40–42a.44): Ein Opfer findet statt, dient aber nicht dem Beweis der Gesetzestreue Jesu Ein mit Aussatz Befallener kommt zu Jesus und bittet ihn kniefällig: ‚Wenn du willst, kannst du mich rein machen.‘ Voll Erbarmen streckt er die Hand aus, rührt ihn an und spricht: ‚Ich will. Sei rein!‘ Alsbald schwindet der Aussatz an ihm. Und Jesus spricht zu ihm: ‚Geh hin, zeige dich dem Priester, daß er dich rein erkläre und du in die Gemeinschaft deines Dorfes wieder aufgenommen werdest und bringe für deine Reinigung das vorgeschriebene Dankopfer dar.‘ Und geheilt geht er hin. (BG 11f., Aussätzige werden rein (Mark. 1,40–42a.44))
Hier die wichtigen Verse Mk 1,42–44 in der Gegenüberstellung: BG
NA
Alsbald schwindet der Aussatz an ihm.
42 καὶ εὐθὺς ἀπῆλθεν ἀπ’ αὐτοῦ ἡ λέπρα,
42 Im gleichen Augenblick verschwand der Aussatz
42 Und als er so sprach, ging der Aussatz alsbald von ihm,
fehlt
καὶ ἐκαθαρίσθη
und der Mann war rein.
und er ward rein.
13
EÜ
Luther
Vgl. Dohmen (1996), 182. Dohmen verweist hier auf das große Spektrum diesbezüglicher Literatur und die verschiedensten Ansätze einer Differenzierung von Gesetz und Evangelium. Mehr zur Frage nach dem Judentum als „Gesetzesreligion“ dann in Kapitel 3, FN 61.
188
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
EÜ
Luther
Und Jesus spricht zu ihm:
BG
43 καὶ ἐμβριμησάμενος αὐτῷ εὐθὺς ἐξέβαλεν αὐτὸν 44 καὶ λέγει αὐτῷ·
NA
43 Jesus schickte ihn weg und schärfte ihm ein:
43 Und Jesus bedrohte ihn und trieb ihn alsbald von sich 44 und sprach zu ihm:
fehlt
ὅρα μηδενὶ μηδὲν εἴπῃς,
44 Nimm dich in Acht! Erzähl niemand etwas davon,
Siehe zu, daß du niemand davon sagest;
‚Geh hin, zeige dich dem Priester,
ἀλλ’ ὕπαγε σεαυτὸν δεῖξον τῷ ἱερεῖ
sondern geh, zeig dich dem Priester
sondern gehe hin und zeige dich dem Priester
und bringe für deine Reinigung das vorgeschriebene Dankopfer dar.
καὶ προσένεγκε περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου ἃ προσέταξεν Μωϋσῆς,
und bring das Reinigungsopfer dar, das Mose angeordnet hat.
und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat,
fehlt
εἰς μαρτύριον αὐτοῖς.
Das soll für sie ein Beweis (meiner Gesetzestreue) sein.
zum Zeugnis über sie.
Und geheilt geht er hin.
45 Ὁ δὲ ἐξελθὼν
45 Der Mann aber ging weg
45 Er aber, da er hinauskam,
ἤρξατο κηρύσσειν πολλὰ καὶ διαφημίζειν τὸν λόγον, […]
und erzählte bei jeder Gelegenheit, was geschehen war; […]
hob er an und sagte viel davon und machte die Geschichte ruchbar, […]
daß er dich rein erkläre und du in die Gemeinschaft deines Dorfes wieder aufgenommen werdest
189
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
Erstaunlich ist hier zunächst, dass die Stelle mit Jesu Aufforderung, sich den Priestern, die ja unbestritten Juden waren, zu zeigen und dann ein Dankopfer im Tempel darzubringen, überhaupt aufgenommen ist. In der Gegenüberstellung von NA und EÜ mit der Textversion der BG treten allerdings mehrere signifikante Unterschiede zu Tage. So wird bereits das Resultat der Heilung von der BG verkürzt, indem der Hinweis auf die durch das Schwinden des Aussatzes entstehende Reinheit entfällt. Die Erklärung der Reinheit wird von der BG ohne griechische Textbasis in einem in Mk 1,44 eingefügten interpretierenden Einschub 14 explizit dem Priester zugeschrieben, dem sich der Geheilte zeigen soll. Zudem wird der Sinn dessen, dass der Geheilte für rein erklärt wird, auf die Wiederaufnahme in die Dorfgemeinschaft reduziert. Mit dem Hinweis des griechischen Textes darauf, dass der Mann direkt nach der Heilung rein war (und nicht erst dazu erklärt werden musste), ist aber ein weiteres Verständnis von Reinheit gegeben, als nur ein rein funktionales, das der Rückführung in die Gemeinschaft dient. Es gehört vielmehr wesenhaft zur Heilung dazu, dass dadurch der ganze Mensch rein und heil ist. Die BG dividiert an dieser Stelle gegen den Textbestand Heilung und Reinheit gezielt auseinander: Der Mann wird nicht als von Jesus rein gemachter beschrieben (vgl. Mk 1,42), sondern als geheilt (von der BG in Mk 1,44 eingetragen). Diese Differenzierungstendenz findet sich dann auch in der Beschreibung des durch Jesus vom Geheilten geforderten Opfers wieder: In der BG ist ganz allgemein von einem vorgeschriebenen Opfer die Rede, das Original schreibt aber von einem von Mose angeordneten bzw. gebotenen Opfer (Mk 1,44): BG und bringe für deine Reinigung das
NA καὶ προσένεγκε περὶ τοῦ καθαρισμοῦ σου
EÜ und bring das Reinigungsopfer dar,
Luther Und opfere für deine Reinigung,
vorgeschriebene
ἃ προσέταξεν Μωϋσῆς,
das Mose angeordnet hat.
was Mose geboten hat,
εἰς μαρτύριον αὐτοῖς.
Das soll für sie ein Beweis (meiner Gesetzestreue) sein.
zum Zeugnis über sie.
Dankopfer dar.
14 ‚[…] daß er dich rein erkläre und du in die Gemeinschaft deines Dorfes wieder aufgenommen werdest‘ (BG, Mk 2,44).
190
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Hier scheint eine ähnliche Absicht der BG-Redaktion vorzuliegen wie bei der Frage nach der Reinheit und der Funktion des Priesters: Die jüdische Tradition wird entwertet, indem sie als bloße Vorschrift dargestellt wird („vorgeschriebenes Dankopfer“), ohne auf die dahinterstehende Autorität („Mose“) zu verweisen. Letztlich wird also nicht ernst genommen, dass der biblische Text Jesus an dieser Stelle ganz klar und selbstverständlich auf die Tradition Israels zurückverweisen lässt, eben auf die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel, symptomatisch durch die Figur des Mose dargestellt.15 So verwundert es dann auch nicht, dass die BG den letzten Versteil tilgt, in dem Jesus erklärt, warum er den Geheilten zum Priester schickt und ihn zum Opfern auffordert: εἰς μαρτύριον αὐτοῖς. Jesus bezeugt hier, dass er an den Traditionen Israels festhält und sie ernst nimmt. Er will sich nicht außerhalb dieser Traditionen stellen, sondern sein Handeln als Erfüllung des Weges Gottes mit dem Volk Israel zeigen.16 Die Übersetzung der EÜ weist durch die Einfügung, dass seine Gesetzestreue bezeugt werden solle, eben auf die gerade angesprochene Kongruenz seines Handelns mit den göttlichen Geboten an Israel hin. Die BG dagegen lässt einerseits die Reinheitsvorstellung der Juden und zugleich ihre Vorstellung vom Priestertum als Anhang zur eigentlichen Heilung erscheinen und stellt andererseits das Opfer als blinde Vorschrift dar. Die Aussage, dass Jesus selbst sich explizit in diese Tradition stellen möchte, ist restlos gestrichen. Die Aufnahme der Bibelstellen in die BG ist also nur in „entschärfter“ Form geschehen und bringt jüdische Institutionen (Priester) und Vorschriften (Reinigung, Opfer) in Kontrast zum Tun Jesu. Auch an anderen Stellen der BG lässt sich, je nach Kontext, entweder die Vermeidung oder sogar die Abwertung der Rede von „Reinigung“ konstatieren.17 15
Marcus sieht den Verweis auf das Erscheinen vor dem Priester als Zeugnis sowohl für Jesu wunderwirkend Kraft als auch für dessen Übereinstimmung mit dem Gesetz (vgl. Marcus (2005), 207). Gnilka sieht vor allem die Verbindung dieser Aufforderung mit dem vorausgehenden Schweigegebot (Mk 1,44a, fehlt in der BG): Auch der Priester soll nicht hören, wer den Mann vom Aussatz befreite. Seine offizielle Anerkennung der Reinigung wird dann, auch wenn sie nicht erzählt ist, zum Beleg dafür, daß die Heilung erfolgte (vgl. Gnilka (2010), 93). 16 Das formelhafte ‚ihnen zum Zeugnis‘ weitet auch den Horizont der Adressaten: Alle, die sich dem Gesetz verpflichtet fühlen, sind angesprochen. Sie sollen erkennen, daß die christliche Gemeinde, die sich hier auf Jesus beruft, das Gesetz nicht bricht (vgl. Gnilka (2010), 94). 17 Eine sichtliche Abwertung der biblischen Vorstellung von Reinheit findet sich zudem BG 69, Die entscheidende Kampfansage (Luk. 11,39–42ab; Matth. 23,24; Luk. 11,43; Mark. 12,40; Luk. 11,44–46; Matth. 23,13; Luk. 11,47–50.51c; 13,34–35a; 11,53–12,1), Lk 11,44: Die BG fügt hier in das „Wehe“ über die, die wie verdeckte Gräber sind, über die die Leute hinweglaufen, ohne es zu merken, den Teil ein: „und nach eurer Lehre verunreinigen sie sich
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
191
Grundmanns eigene Aussagen zu dieser Stelle zeigen eben diese Tendenz, „das Jüdische“ abzuwerten, besonders in der Frage nach der Rolle des Priesters: Dieser seit nur als gemeinschaftsstiftendes Moment gefragt (statt auch der nach außen sichtbare Garant für die Erfüllung des Gesetzes durch Jesus zu sein). Ein Jude müsse sich erst für rein erklären lassen, nur so sei ihm die Befreiung „von einem schweren Druck seines inneren Lebens“, möglich, da ihm so die Möglichkeit zur Wiederaufnahme in die Gemeinschaft, also „eine neue Lebensmöglichkeit“ geschenkt werde: „Indem er ihn zur Reinerklärung und zu dem Dankopfer zu den Priestern sendet, sorgt er dafür, daß auch sie, die durch ihre Reinerklärung die soziale Stellung des Geheilten wiederherstellen mußten, ihn aus der Isolierung befreien.“18
In dieser Aussage deutet sich bereits die Argumentationsrichtung an, die Grundmann einschlägt. Sicherlich ist es richtig, dass der Weg zum Priester für den Geheilten wichtig war, da sonst keine Instanz die Heilung hätte feststellen können. Interessant ist dann aber die Fortführung der Argumentation: „Hätte Jesus anders gehandelt, hätte der dem Geheilten den Weg in die Gemeinschaft nicht völlig geöffnet. […] Das alles erweist, daß er aus einem Land kommt, das der jüdischen Religionsgemeinschaft zugehört, und daß er einer Familie entstammt, in der er in ihr Leben und ihre Ordnungen eingeführt worden war.“19
Grundmann ist sich also durchaus dessen bewusst, dass Jesus in einem jüdischen Umfeld aufgewachsen ist, benennt Jesus selbst allerdings auch hier
dabei“. Hier wurde der Seitenhieb auf die scheinbar sinnlos übersteigerten Reinigungsvorstellungen von der BG-Redaktion ohne gr. Basis in den Text eingetragen. Grundmann interpretiert außerdem die Erzählung der Hochzeit zu Kana in ihrem Sinn als Erzählung, die die Reinigungsvorstellungen der Juden endgültig ad absurdum führe: „Nun öffnet sich der eingeborgene Sinn: der Reinigungsdienst der Juden wird abgelöst durch den vollendeten neuen Gottesdienst, den Jesus bringt […]. Der Christusglaube, den Johannes der Täufer bezeugt und den die Jünger erfahren (Kap. 1), ist neu und anders als der jüdische Gottesdienst.“ (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 226, ähnlich 124). Auch im Text der BG spiegelt sich diese Deutung Grundmanns, da am Ende der Erzählung in Grundmanns Sinne Joh 2,11 ausgeschmückt wird: ‚Solches wird erzählt als erster Erweis seiner göttlichen Sendung. Das Wandlungswunder bedeutet: Durch Jesus ist äußerlicher Gesetzesdienst zu Ende. Mit ihm bricht an der frohe Gottesdienst gewandelter Menschen, die schöpfen aus der Fülle des Geistes. Seine Jünger verstanden das und glaubten an ihn.‘ (BG 104, Das Weinwunder: Ende des Gesetzesdienstes (2,1–11), Joh 2,11 mit Ausschmückungen) statt des lapidaren: ‚So tat Jesus sein erstes Zeichen in Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn.‘ (EÜ, Joh 2,11). Interpretation und Text verschmelzen hier aufs Engste und so verweist der BG-Text gemeinsam mit Grundmann auf eine völlige Abgrenzung Jesu von jüdischen Reinigungs- und Opferdienst. 18 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 60. 19 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 7.
192
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
nicht als Juden20. In der BG wird nicht einmal dies kenntlich gemacht, wie die Textbearbeitung der Beschneidung Jesu im Tempel verdeutlicht hat. In seinen Monographien schreibt Grundmann offenbar mehr für ein Fachpublikum, dem er etwas mehr Unterscheidungsgabe zutraut: Er macht einerseits deutlich, dass Jesus dem jüdischen Kontext entstamme, kontrastiert aber zugleich seine Verhaltensweisen mit den „jüdischen“, indem er z.B. daraufhin hinweist, Jesus habe „im Gegensatz zu der sich von den Heiden abschließenden jüdischen Art“ „unbefangen mit den Heiden verkehrt“.21 Grundmanns Schlussfolgerung daraus lautet, dass Jesus eine „neue Lebensform“ gebracht habe. Er trete also „nicht als grundsätzlicher Reformer des palästinischen Lebens auf, sondern in einer überraschenden Selbstverständlichkeit erscheint mit ihm und in seinem Verhalten eine neue Lebensform, die überall erkennbar ist“.22 Auch an anderer Stelle polemisiert Grundmann gegen die Gesetzestreue Jesu, indem er nachzuweisen versucht, dass Jesus erst im Nachhinein durch die palästinische Urgemeinde zum „innerjüdischen Reformer“ abgemildert worden sei, „der die Position des Gesetzes grundsätzlich anerkennt, Hauptsachen und Nebensachen unterscheidet und gegenüber der bloßen Lehre auf das Tun drängt.“ In Wirklichkeit aber sei erkennbar, „daß das Wesen des Evangeliums in einem grundlegenden Gegensatz zur Gesetzesreligion des Judentums steht, daß in der Geschichte Jesu dieser Gegensatz wirklich geworden ist und daß aus dem Wirklichwerden dieses Gegensatzes für Jesus das Kreuz entstand.“23 Das Ziel seiner Monographien und der BG ist somit zwar das gleiche, nämlich die „Entjudung“ des Christentums, die Vorgehensweise ist in der BG aber anders, da hier keine Erklärungen (bis auf einige Einfügungen in den Bibeltext) möglich waren. Daher wurden wohl Passagen, die zu Missverständnissen führen konnten, lieber „eindeutig“ bearbeitet, als mögliche Zweifel an der unterstellten Intention Jesu, gegen das Judentum zu kämpfen, zu nähren. 3.1.3 BG 5, Das Kind – das Licht der Welt (Luk. 1,76–79), Lk 1,76 (u.a.): Fehlende Erwähnung des Priesters Zacharias Ein weiteres Beispiel für die Vermeidung einer positiven Erwähnung des Tempelopfers ist auch das Fehlen von Lk 1,8–11 in der BG, denn hier er20
Dies entspricht den redaktionellen Zielangaben, das Leben Jesu im jüdischen Umfeld verorten, aber dennoch seine „rasselose“ Besonderheit herausstellen zu wollen: Jesus als Galiläer sei zwar in die jüdische Religionsgemeinschaft hineingezwungen worden, aber in allen entscheidenden Fragen seinen eigenen Weg gegangen (vgl. 1.2.5.1 Suche nach dem „ewigen Wahrheitsgehalt“). 21 Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 10. 22 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 11. 23 Grundmann, Walter: Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 211.
193
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
scheint dem Zacharias ein Engel des Herrn rechts am Rauchopferaltar, also in eindeutiger Verbindung mit dem Tempelkult. Überhaupt fällt es auf, dass Zacharias an keiner Stelle namentlich erwähnt wird. In Lk 1,7624 wird von ihm nur vage als „ein anderer Seher“ gesprochen: BG Ein anderer Seher sagt:
NA 67 Καὶ Ζαχαρίας ὁ πατὴρ αὐτοῦ ἐπλήσθη πνεύματος ἁγίου καὶ ἐπροφήτευσεν λέγων· […]
EÜ 67 Sein [= Johannes‘] Vater Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt und begann prophetisch zu reden: […]
Luther 67 Und sein [= Johannes‘] Vater Zacharias ward des heiligen Geistes voll, weissagte und sprach: […]
Du, Kind, bist zum Sendling des Höchsten ersehen, […]
76 Καὶ σὺ δέ, παιδίον, προφήτης ὑψίστου κληθήσῃ·[…]
76 Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten heißen; […]
76 Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. […]
Und auch in Lk 11,51 wird Zacharias nicht genannt: BG
NA
EÜ
Luther
Wehe euch! […]
47 Οὐαὶ ὑμῖν, […]
47 Weh euch! […]
47 […]
fehlt
51 ἀπὸ αἵματος Ἅβελ ἕως αἵματος Ζαχαρίου τοῦ ἀπολομένου μεταξὺ τοῦ θυσιαστηρίου καὶ τοῦ οἴκου·
51 vom Blut Abels bis zum Blut des Zacharias, der im Vorhof zwischen Altar und Tempel umgebracht wurde.
51 von Abels Blut an bis auf das Blut des Zacharias, der umkam zwischen dem Altar und Tempel.
Wahrlich, ich sage euch, es wird an diesem Geschlechte vergolten werden.
ναὶ λέγω ὑμῖν, ἐκζητηθήσεται ἀπὸ τῆς γενεᾶς ταύτης.
Ja, das sage ich euch: An dieser Generation wird es gerächt werden.
Ja, ich sage euch: Es wird gefordert werden von diesem Geschlecht.
Die ersten beiden Teile von Lk 11,51 wurde aus dem Text der BG bewusst herausgeschnitten, wie ein Blick in die Stellenauswahl belegt: BG 69, Die 24
BG 5, Das Kind – das Licht der Welt (Luk. 1,76–79), Lk 1,76.
194
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
entscheidende Kampfansage (Luk. 11,39–42ab; Matth. 23,24; Luk. 11,43; Mark. 12,40; Luk. 11,44–46; Matth. 23,13; Luk. 11,47–50.51c; 13,34–35a; 11,53–12,11).25 Die Frage, warum ausgerechnet der Vater von Johannes dem Täufer in der BG nicht erwähnt wird, lässt sich wohl dann beantworten, wenn man in den Blick nimmt, dass Johannes in der BG als positive Figur rezipiert wird, was in der BG stets mit einer Heraushebung aus dem jüdischen Kontext verbunden ist. Deutlich wird das z.B. daran, dass Johannes der Täufer in Joh 3,2826 Jesus mit dem in der BG positiv besetzten Titel „Offenbarer“ bezeichnet: BG
NA
EÜ
Luther
Ihr selbst seid meine Zeugen, dass ich gesagt habe:
28 αὐτοὶ ὑμεῖς μοι μαρτυρεῖτε ὅτι εἶπον [ὅτι]
28 Ihr selbst könnt mir bezeugen, dass ich gesagt habe:
28 Ihr selbst seid meine Zeugen, daß ich gesagt habe,
Ich bin nicht der Offenbarer, sondern sein Herold.
οὐκ εἰμὶ ἐγὼ ὁ χριστός, ἀλλ’ ὅτι ἀπεσταλμένος εἰμὶ ἔμπροσθεν ἐκείνου.
Ich bin nicht der Messias, sondern nur ein Gesandter, der ihm vorausgeht.
ich sei nicht Christus, sondern vor ihm her gesandt.
Johannes wird als „Herold des Offenbarers“ und somit als Herold der richtigen Kunde über Jesus präsentiert, wie die Verwendung des Titels „Offenbarer“ nahelegt (Joh 3,28 hat eigentlich „ὁ χριστός“ (Christus (Luther) bzw. der Messias (EÜ)). Der „Offenbarer“ wird von der BG an einigen Stellen als Übersetzung eingesetzt, in denen von der „richtigen“ Christologie die Rede ist. Parallel dazu wurde auch sie Aussage des Johannes in Joh 1,23 bearbeitet, wie bereits festgestellt wurde.27 Im Griechischen steht in beiden Fällen ὁ χριστὸς (Christus (Luther), der Messias (EÜ)). Die positive Beschreibung des Johannes einerseits und die Tilgung der namentlichen Erwähnung des Zacharias, des offensichtlichen Vertreters des jüdischen Tempelkults andererseits, legt eine doppelte Bearbeitungsintention nahe: Einerseits sollten einmal mehr die engen Verbindungen Jesu zum Tempel geleugnet werden. Der jüdische Priester Zacharias als der Vater Johannes des Täufers, der von Lukas in eine verwandtschaftliche Beziehung zu Jesus 25
Mehr zu dieser wichtigen Stelle unten, 4.2.2 Jesus als Kämpfer: BG 68–70, Die entscheidende Kampfansage (Luk. 11,39–42ab; Matth. 23,24; Luk. 11,43; Mark. 12,40; Luk. 11,44–46; Matth. 23,13; Luk. 11,47–50.51c; 13,34–35a; 11,53–12,1). 26 BG 108f., Das Zeugnis des Täufers: Ende der Taufbewegung (3,22–23.25–30), Joh 3,28. 27 Vgl. 2.4.1 BG 101f., Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8.19–27.31.33– 34.28–30), Joh. 1,6–8.19–20: Die Aussage des Johannes: ‚Ich bin nicht der Offenbarer.‘ Auch hier ist „Offenbarer“ positiv konnotiert.
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
195
gesetzt wird28, scheint den BG-Redaktoren Jesus in zu große Nähe zum Tempel zu setzen, daher fehlt die einschlägige Stelle in der BG. Das Ziel, Johannes als positive Figur einzuführen, setzt für den Text der BG zudem voraus, dass auch dieser nicht in Verbindung mit dem jüdischen Tempelkult gesetzt wurde. Auch aus diesem Grunde musste also die Erwähnung des Zacharias ausfallen. Grundmann selbst nennt als Begründung dafür, dass die „Johanneslegende, deren Material in Lukas 1 steht, ausgeschaltet“ wurde, dass sie „ersichtlich alttestamentlichen Vorbildern nachgebildet“ worden sei.29 3.1.4 BG 272f., Paulus in Jerusalem (Apg. 21,17–36) Apg 21,23–26: Trotz seines Opfers im Tempel wird ein gezielt verschärfter Konflikt zwischen Paulus und der Gemeinde von Jerusalem gezeichnet So tue das, was wir dir raten: Wir haben vier Männer, die das Gelübde auf sich genommen haben, zu fasten und sich das Haar nicht scheren zu lassen. Diese nimm zu dir! Weihe dich mit ihnen! Löse ihr Gelübde durch die Zahlung in die Tempelkasse ab, damit sie sich das Haupt wieder scheren lassen können. So werden alle einsehen, daß nichts an dem Gerede über dich ist, sondern daß du selbst in deinem Wandel das Gesetz achtest. Über die gläubig gewordenen Heiden aber haben wir verfügt, daß sie den Genuß geopferter Tiere meiden und sich an die Speise- und Ehegebote des mosaischen Gesetzes halten müssen.‘ Da nahm Paulus die Männer zu sich, weihte sich am nächsten Tage mit ihnen, ging in den Tempel und meldete die Vollendung der Weihetage an, damit für jeden einzelnen von ihnen das Löseopfer dargebracht werde. (BG 272f., Paulus in Jerusalem (Apg. 21,17–36), Apg 21,23–26)
Die Ältesten von Jerusalem und namentlich Jakobus (Apg 21,18) fordern von Paulus in Apg 21,17–40 gleichsam einen Beweis dafür, dass ihm nichts daran liegt, die Juden von Beschneidung und Gesetzestreue abzuhalten. Diese Passage ist in der BG aufgenommen und auch nur mit kleinen Änderungen versehen, was zunächst verwundern mag, denn Paulus leistet den geforderten Beweis ganz selbstverständlich. Bei näherem Hinsehen werden allerdings Unterscheide in der Verdeutschung sichtbar, die es nahe legen, dass auch hier mit einem gezielten Vorverständnis des Textes übersetzt wurde. So wurde die gleiche Übersetzung für die Forderungen an die Heiden gewählt wie in der Passage über das Apostelkonzil in Jerusalem,30 und dieser Beschluss wird 28 Elisabeth, die Mutter des Johannes, wird in Lk 1,36 als „Verwandte“ (EÜ) bzw. altertümlich bei Luther: „Gefreunde“ (ἡ συγγενίς) der Maria bezeichnet, der Verwandschaftsgrad ist aber nicht näher definiert. Müler weist ohnehin darauf hin, das „Geflecht von legendarischer Erzählung, heilsgeschichtlichem Interesse, sprachlicher Orientierung an alttestamentlichen Vorbildern und möglicher Kenntnis“ in der lukanischen Darstellung nicht zu entwirren sei (Müller (2002), 17). 29 Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 15. 30 BG:‚den Genuß geopferter Tiere meiden und sich an die Speise- und Ehegebote des mosaischen Gesetzes halten müssen‘ (statt EÜ: ‚sich vor Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktem und Unzucht hüten‘).
196
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
wieder klar der Jerusalemer Autorität zugeschrieben (‚haben wir verfügt‘ (BG) statt ‚haben wir ja einen Beschluss gefasst und ihnen geschrieben‘ (EÜ)). Könnte es sein, dass die von Paulus geforderte Aktion, mit den anderen vier Juden gemeinsam im Tempel ihr Nasiräergelübde31 abzulegen, von der BG als Beispiel dafür missbraucht wird, wie kleinkrämerisch die Gemeinde von Jerusalem angeblich war? Das soll nun anhand der Betrachtung der kleinen, aber entscheidenden Änderungen verifiziert werden, die die BG am Text vorgenommen hat: (1) Die Bezeichnung der Jerusalemer als ‚Brüder (Apg 21,17:‘ἀδελφοί) fehlt in der BG. (2) Der BG-Text fasst das Verständnis von „Gesetz“ anders, indem er die Selbstbeschreibung der Jerusalemer Gemeinde verändert (Apg 21,20): BG ‚Bruder, du siehst die große Zahl der Juden, die gläubig geworden sind. Alle wachen eifrig über die Erfüllung des Gesetzes.
NA θεωρεῖς, ἀδελφέ, πόσαι μυριάδες εἰσὶν ἐν τοῖς Ἰουδαίοις τῶν πεπιστευκότων καὶ πάντες ζηλωταὶ τοῦ νόμου ὑπάρχουσιν·
EÜ Du siehst, Bruder, wie viele Tausende unter den Juden gläubig geworden sind, und sie alle sind Eiferer für das Gesetz.
Luther Bruder, du siehst, wieviel tausend Juden sind, die gläubig geworden sind, und alle sind Eiferer für das Gesetz;
Die BG beurteilt hier das Gesetz (wie auch Grundmann immer wieder betont32) nach der bloßen Erfüllung hin. Auch Apg 21,21 betont den Anspruch des Gesetzes:
31 Bestimmungen zum Nasiräergelübde finden sich in Num 6. Der Begriff Nasiräer (hebr. )נזירist von der Wurzel nzr ( )נזרmit der Grundbedeutung ‚dem üblichen Gebrauch entziehen/aussondern‘. Ein Nasiräer war auf Dauer oder für eine bestimmte Zeit Gott geweiht. Herkunft und Geschichte der Institution lassen sich im Einzelnen nicht mehr ermitteln, da sie im Alten Testament nur selten belegt ist (vgl. Schmidt (2009), hier: 1. Nasiräer im Alten Testament). 32 Grundmann charakterisiert das jüdische Gesetzesverständnis beispielsweise folgendermaßen: „Für den Juden ist das Gesetz Satzung, besser eine Summe von Satzungen, die ohne inneren Zusammenhang nebeneinander stehen und ihre Erfüllung verlangen. Weise ist, wer das Gesetz der Satzungen erfüllt, denn er tut Jahves Willen, der sich in den Satzungen ausdrückt. Weisheit ist hier Wissen, das die Satzungen kennt, und praktische Klugheit, die sich mit der Gottheit gut stellen will.“ (Grundmann, Art des Judentums (1942), 91f.).
197
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
EÜ
Luther
Über dich sind Nachrichten eingetroffen, daß du alle Juden unter den Heiden den Abfall von Mose lehrst und sagst,
BG
κατηχήθησαν δὲ περὶ σοῦ ὅτι ἀποστασίαν διδάσκεις ἀπὸ Μωϋσέως τοὺς κατὰ τὰ ἔθνη πάντας Ἰουδαίους λέγων
NA
Nun hat man ihnen von dir erzählt: Du lehrst alle unter den Heiden lebenden Juden, von Mose abzufallen, und forderst sie auf,
sie sind aber berichtet worden wider dich, daß du lehrest von Moses abfallen alle Juden, die unter den Heiden sind, und sagest,
sie sollten ihre Kinder nicht mit dem Bundeszeichen versehen lassen und nicht mehr nach dem Gesetz leben.
μὴ περιτέμνειν αὐτοὺς τὰ τέκνα
ihre Kinder nicht zu beschneiden
sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden,
μηδὲ τοῖς ἔθεσιν περιπατεῖν.
und sich nicht an die Bräuche zu halten.
auch nicht nach derselben Weise wandeln.
Die BG spricht von Bundeszeichen statt Beschneidung33 und von „Gesetz“ statt „Bräuchen“ (τοῖς ἔθεσιν). Der Vorwurf der Gemeinde an Paulus wird also auch hier auf den Begriff des Gesetzes hin zugespitzt. Auch die Vorwürfe an Paulus in Apg 21,27–28 wurden verändert:
33 Vgl. oben 3.1.1 BG 4f., Das Kind – das Heil der Erde (Luk. 2,25ab.26.27b–35), v.a. Lk 2,22–24: Tempel, Tempelopfer und Beschneidung werden vermieden.
198
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG
NA
EÜ
Luther
Als die sieben Weihetage zu Ende gingen, erblickten ihn die Juden aus Kleinasien im Tempel und hetzten das ganze Volk auf, legten Hand an ihn und schrien:
27 Ὡς δὲ ἔμελλον αἱ ἑπτὰ ἡμέραι συντελεῖσθαι, οἱ ἀπὸ τῆς Ἀσίας Ἰουδαῖοι θεασάμενοι αὐτὸν ἐν τῷ ἱερῷ συνέχεον πάντα τὸν ὄχλον καὶ ἐπέβαλον ἐπ’ αὐτὸν τὰς χεῖρας
27 Als die sieben Tage zu Ende gingen, sahen ihn die Juden aus der Provinz Asien im Tempel. Sie brachten das ganze Volk in Aufruhr, ergriffen ihn
27 Als aber die sieben Tage sollten vollendet werden, sahen ihn die Juden aus Asien im Tempel und erregten das ganze Volk, legten die Hände an ihn und schrieen:
‚Ihr Israeliten, zu Hilfe!
28 κράζοντες· ἄνδρες Ἰσραηλῖται, βοηθεῖτε·
28 und schrien: Israeliten! Kommt zu Hilfe!
28 Ihr Männer von Israel, helft!
Das ist der Mann, der überall die Leute
οὗτός ἐστιν ὁ ἄνθρωπος ὁ
Das ist der Mensch, der in aller Welt
Dies ist der Mensch, der alle Menschen an allen Enden
Lehren verbreitet,
lehrt
die sich gegen das Volk und das Gesetz und gegen diesen Ort richten;
wider dies Volk, wider das Gesetz und wider diese Stätte;
er hat sogar Griechen in den Tempel mitgenommen und diesen heiligen Ort entweiht.
dazu hat er auch Griechen in den Tempel geführt und diese heilige Stätte gemein gemacht.
gegen das heilige Volk, gegen das Gesetz und gegen diese heilige Stätte
κατὰ τοῦ λαοῦ καὶ τοῦ νόμου καὶ τοῦ τόπου τούτου
durch seine Lehre einnimmt.
πάντας πανταχῇ διδάσκων,
Nun hat er noch Heiden mit in den Tempel gebracht und diese heilige Stätte entweiht.‘
ἔτι τε καὶ Ἕλληνας εἰσήγαγεν εἰς τὸ ἱερὸν καὶ κεκοίνωκεν τὸν ἅγιον τόπον τοῦτον.
Im Vorwurf der in Apg 21,27 genannten Juden aus der Provinz Asia an Paulus wird in der BG von „Heiden“ statt „Griechen“ gesprochen (Apg 21,28). Tatsächlich geht es an dieser Stelle aber um die Frage, ob ein Grieche, also ein unbeschnittener Christusgläubiger, in den Tempel mitgenommen werden darf. Dass Paulus dies getan habe, wurde als problematisch empfunden. In der
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
199
BG wird durch die philologisch falsche Wiedergabe von Ἕλληνές mit „Heiden“ der Vorwurf wohl in Richtung der BG-typischen dualistischen Unterscheidung zwischen Juden und Heiden zugespitzt. So könnte die BG versucht haben, die Heidenmission als Grund für die Loslösung des Paulus von der Jerusalemer Gemeinde zu etablieren. Auffällig ist auch, wie die Redaktoren der BG diese Passage enden lassen. Apg 21,37–40 ist nicht mehr aufgenommen, obwohl hier die Situation nochmal kippt und Paulus nach kurzem Gespräch mit dem Obersten auf Hebräisch zum Volk zu sprechen beginnt. Offenbar lag der Vorwurf gegen ihn vor, nicht nur „das Gesetz“, wie die BG bereits in Apg 21,21 für τό ἔθος schreibt, nicht zu beachten, sondern zugleich einen Aufstand von Sikariern zu verantworten zu haben: EÜ, Apg 21,37–40 Als man Paulus in die Kaserne bringen wollte, sagte er zum Obersten: Darf ich ein Wort mit dir reden? Der antwortete: Du verstehst Griechisch? Dann bist du also nicht der Ägypter, der vor einiger Zeit die viertausend Sikarier aufgewiegelt und in die Wüste hinausgeführt hat? Paulus antwortete: Ich bin ein Jude aus Tarsus in Zilizien, Bürger einer nicht unbedeutenden Stadt. Ich bitte dich, gestatte mir, zum Volk zu sprechen. Als der Oberst es erlaubte, stellte sich Paulus auf die Freitreppe und gab dem Volk mit der Hand ein Zeichen. Alles wurde still und er redete sie in Hebräischer Sprache an:
Und die BG? Apg 21,37–40 fehlt in der BG Das Ende gibt der Erzählung aber eine andere Richtung, da der die ganze Erzählung latente begleitende Vorwurf (der wohl auch die Reaktion des Volkes bedingte), Paulus hätte Sikarier aufgewiegelt, nun erst offensichtlich und zugleich entkräftet wird. Vor allem aber bekennt sich Paulus als Jude und spricht auf Hebräisch zu den Jerusalemern.
Die Apg legt großen Wert darauf, dass Paulus seine Rede in Jerusalem auf Hebräisch hält (das wird zweimal betont (Apg 21,40 (s.o.) und Apg 22,2) und sich eindeutig zum Judentum bekennt. Paulus sagt es zunächst zum Oberst (Apg 21,39 (s.o.)) und wiederholt es dann nochmal explizit in der Rede selbst, die er als direkte Reaktion auf die Vorwürfe im Tempelvorhof hält (Apg 22,1–22): 3 Ich bin ein Jude, geboren in Tarsus in Zilizien, hier in dieser Stadt erzogen, zu Füßen Gamaliëls genau nach dem Gesetz der Väter ausgebildet, ein Eiferer für Gott, wie ihr alle es heute seid. 4 Ich habe den (neuen) Weg bis auf den Tod verfolgt, habe Männer und Frauen gefesselt und in die Gefängnisse eingeliefert. (EÜ, Apg 22,3–4)
200
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Interessant ist hier, dass die BG zwar eben diese Bekenntnisverse aufnimmt, allerdings an einer anderen Stelle in der Geschehensabfolge: Sie finden sich hier keineswegs als Teil der Verteidigungsrede des Paulus, sondern wurden an den Anfang des Berichts über die Bekehrung des Paulus (Apg 9) gesetzt, noch vor die eigentliche Bekehrung. In der BG finden sie sich auf Seite 245, also 27 Seiten vor dem Bericht über sein Nasiräergelübde in Jerusalem.34 Dadurch bekommen sie in der BG eine andere Richtung, wie ein genauerer Blick in die Passage mit den neupositionierten Versen Apg 22,3–4 belegt: BG Saulus war ein Jude, geboren in Tarsus, der weltbekannten Stadt in Cilicien.
NA 3 ἐγώ εἰμι ἀνὴρ Ἰουδαῖος, γεγεννημένος ἐν Ταρσῷ τῆς Κιλικίας,
EÜ 3 Ich bin ein Jude, geboren in Tarsus in Zilizien,
Luther 3 Ich bin ein jüdischer Mann, geboren zu Tarsus in Zilizien
Er wuchs auf in Jerusalem und wurde als Schüler des Schriftgelehrten Gamaliel
ἀνατεθραμμένος δὲ ἐν τῇ πόλει ταύτῃ, παρὰ τοὺς πόδας Γαμαλιὴλ
hier in dieser Stadt erzogen, zu Füßen Gamaliëls
und erzogen in dieser Stadt zu den Füßen Gamaliels,
genau nach den Vorschriften des Gesetzes seiner Väter erzogen.
πεπαιδευμένος κατὰ ἀκρίβειαν τοῦ πατρῴου νόμου,
genau nach dem Gesetz der Väter ausgebildet,
gelehrt mit allem Fleiß im väterlichen Gesetz,
Als Eiferer um seinen Gott
ζηλωτὴς ὑπάρχων τοῦ θεοῦ
ein Eiferer für Gott,
und war ein Eiferer um Gott,
fehlt
αθὼς πάντες ὑμεῖς ἐστε σήμερον·
wie ihr alle es heute seid.
gleichwie ihr heute alle seid,
34
BG 245, Die Christuserscheinung vor Damaskus (Apg. 22,3.4; 9,1–11.13–24; 2.Kor. 11,32–33;Apg. 9,26), Apg 22,3.4. Dann erst BG 272f., Paulus in Jerusalem (Apg. 21,17–36), Apg 21,23–26.
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
201
BG wurde er zum Verfolger der Anhänger Jesu und war bemüht, die christliche Gemeinde völlig zu zerstören.
NA 4 ὃς ταύτην τὴν ὁδὸν ἐδίωξα ἄχρι θανάτου
EÜ 4 Ich habe den (neuen) Weg bis auf den Tod verfolgt,
Luther 4 und habe diesen Weg verfolgt bis an den Tod.
Er ließ Männer und Frauen mit Gewalt fortschleppen uns ins Gefängnis werfen.
δεσμεύων καὶ παραδιδοὺς εἰς φυλακὰς ἄνδρας τε καὶ γυναῖκας,
habe Männer und Frauen gefesselt und in die Gefängnisse eingeliefert.
Ich band sie und überantwortete sie ins Gefängnis, Männer und Weiber;
Die Verse werden hier vom Selbstzeugnis im Präsens (ich bin ein Jude) mitten in der Zeit des Wirkens des Apostels zu einer unpersönlichen Erzählung im Imperfekt (Saulus war ein Jude), die nicht nur die Verfolgung als ein längst vergangenes Ereignis erscheinen lässt, sondern auch sein Sein als Jude zu etwas Vergangenem erklärt. Unterstützt wird das durch die anachronistische Bezeichnung, er habe „die christliche Gemeinde“ zerstören wollen. Paulus spricht hier wörtlich davon, er habe „den Weg“ (τὴν ὁδὸν) bzw. „den (neuen) Weg“ (EÜ) oder „diesen Weg“ (Luther) verfolgt. Gemeint ist also der Weg derer, die sich zu Christus bekannten – unabhängig davon, ob sie Juden oder Heiden waren.35 Ähnlich schreibt Grundmann selbst, die Verfolgung „der Christengemeinde“ sei nach dem Verständnis des Paulus ein Teil der Gesetzeserfüllung gewesen.“36 35
Diese Bezeichnung verwendet die Apg an mehreren Stellen in Bezug auf den christlichen „Weg“, vgl. Apg 9,2; 19,9.23; 24.14.22 (vgl. Pesch (2012), 303). 36 Vgl. Grundmann, Paulus und Luther (1939), 191. Ähnlich Grundmann, Paulus (1933), 56: Ab dem Damaskusereignis habe für Paulus festgestanden: „Alle Gesetzesgerechtigkeit ist Sünde, weil sie Widerstreben gegen die Christusoffenbarung Gottes ist.“ Daher sei es auch „irrig, die Predigt des Apostels Paulus als jüdisch zu bezeichnen. So gewiß der Apostel Paulus von jüdischer Theologie herkommt, so gewiß wird gerade bei ihm durch den Glauben an Jesus Christus das Judentum innerlich überwunden. Das, worauf sich alles Judentum stützt, Abrahamskindschaft und Gesetzeserfüllung, wird bei Paulus zerstört“ (Grundmann, 28 Thesen (1935), 32). An anderem Ort bezeichnet Grundmann Paulus zunächst zwar als „Christ und Jude“ (vgl. Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 238), führt aber dann fort, in Anlehnung an Phil 3,7f., Paulus selbst habe seine „jüdischen Voraussetzungen und Vorzüge […] als Schaden und Kot geachtet, um allein Christus zu gewinnen“ (ebd. 225). Zur Stellung der BG und Grundmanns zu Paulus findet sich reichlich Material, das einmal einer genaueren Sichtung unterzogen werden müsste. Interessant scheint besonders die Interpretation seiner Eschatologie (z.B. Grundman, Paulus und Luther (1939), 209–216).
202
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Die schlichte Darstellung, dass der Jude Paulus zunächst auf das Schärfste Christen verfolgt, um dann selbst Christ zu werden, trifft den Kern der Aussagen also nicht. Weder gab es eine herausgebildete „christliche Gemeinde“ im heutigen Sinne, die sich klar von „dem“ Judentum abgrenzen ließe, noch legt Paulus sein Judesein nach der Bekehrung zu Christus ab, im Gegenteil, er bezeichnet sich mehrfach selbst als Juden, wie ja auch an dieser Stelle (Apg 22,3), die im griechischen Text zu Beginn seiner Rede in Jerusalem steht. Auch in der Rede selbst verweist er mehrfach auf seine Zugehörigkeit zum Judentum: Er wählt die Anrede „Brüder und Väter!“ (Apg 22,1), weist explizit darauf hin, dass Hananias, der ihn von der Blindheit befreite, die ihn seit seiner Berufung befallen hatte, ein „frommer und gesetzestreuer Mann, der bei allen Juden in gutem Ruf stand“ (Apg 22,12) war, und nennt Paulus „erwählt“ vom „Gott unserer Väter“(Apg 22,14). Allein die Tatsache seiner Rede vor dem jüdischen Volk in Jerusalem zeigt, wie wichtig es dem Autor der Apg war, die Zugehörigkeit des Paulus zum Judentum zu betonen. Paulus betet dann auch in Apg 22,17 im Tempel von Jerusalem und erhält gerade an diesem symbolträchtigen Ort von Gott den Auftrag, zu den Heiden zu gehen (vgl. Apg 22,18–21).37 Auf dem in der bisherigen Analyse umrissenen Hintergrund, dass Paulus sich der Gemeinde von Jerusalem gegenüber selbst als Juden bezeichnet und Zu einem gewissen Maße sind die BG-Redaktoren auch in der Frage nach der Sicht auf Paulus Kinder ihrer Zeit. Erst in den 1960ern änderte sich die Sicht auf Paulus grundlegend mit der zunächst „im angloamerikanischen Sprachraum einsetzenden und 1983 erstmals ausdrücklich so bezeichneten ‚New Perspective on Paul‘“: Die in der christlichen Theologie verbreiteten Stereotype von Judentum als Religion der Gesetzlichkeit und Werkgerechtigkeit“ werden dekonstruiert, man verweist auf die grundsätzlich positive Beurteilung der Thora im Frühjudentum im Sinne einer Lebensweise innerhalb der Gottesbeziehung. Auch sieht man nun klar, dass Paulus sein Selbstverständnis weiterhin innerhalb des Judentums auslotet (vgl. Blum (2010), 239). Eine prägnante Darstellung der „New Perspective on Paul“ bei Bachmann (2013), 30–38: Die Forschungsrichtung sei in sich durchaus differenziert, gemeinsam ist, dass man damit rechnet, dass die paulinische Polemik nicht mehr auf (nicht-christliche) jüdische Kreise bezogen wird und somit ein tendenziell positiveres Judentumsbild entstehe (ebd. 33). Paulus muss ja bei weitem nicht als Trennungssymbol vom Judentum gesehen werden: „Unter dem weiten Bogen der Heilsgeschichte werden beide – Juden und Christen – von dem einen Gott ihren je eigenen Weg zum Heil geführt. […] Ich gehe in meiner Pauluslektüre noch einen Schritt weiter: Gott führt Juden und Christen ihren je eigenen Weg, und zwar die Juden nicht ‚per Christum‘, und dieser Weg ist dem der Christen gegenüber nicht insuffizient, sondern voll-gültig.“ (Schöttler, Röm 11,25–27 (2013), 157), ähnlich Blum „Dass Paulus in seinen Briefen immer wieder jüdisches Selbstverständnis in Frage stellt, ist auf seine Berufung zum Apostel der Völker zurückzuführen und infolgedessen seiner Sorge um Israel geschuldet, das nicht wie gewünscht auf seine Botschaft sowie auf das Hinzukommen der Völker reagierte (vgl. Blum (2010), 240, vgl. Kraus (2013), 227–237: Paulus als „Apostel der Heiden aus Israel“ (ebd. 231)). 37 Zur pharisäisch-jüdischen Identität des Paulus vgl. Niebuhr (1992), v.a. 56.89–111. Niebuhr (2013), 72–75.
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
203
auf die Gemeinde eingeht durch die Wahl des Hebräischen für seine Rede, erstaunt es zunächst, dass die BG den Bericht darüber, dass Paulus auf den Vorschlag der Jerusalemer Ältesten eingeht, sich gemeinsam mit vier (ebenfalls) jüdischen Männern aus der Gemeinde im Tempel zu weihen, aufnimmt. Die Bearbeitungen legen aber nahe, dass die BG-Redaktoren dabei das Ziel verfolgten, die Juden in Jerusalem von den „Christen“ im Gefolge des Paulus abzugrenzen. Das Opfer, das auch für Paulus im Tempel dargebracht wird, bleibt an dieser Stelle zwar in der BG stehen, bekommt aber dann dadurch doch einen anderen Stellenwert, dass Paulus sich nicht explizit als Jude bezeichnet und einige Teile ausgelassen sind. Der Leser bekommt vielmehr den Eindruck, dass das Opfer im Tempel ein weiterer wertloser jüdischer Brauch sei. Unterstützt wird dieses Textverständnis noch durch die Zwischentexte, die die BG in ihrem vierten Teil (IV. Das Werden der Christusgemeinde. Berichte und Zeugnisse aus den ersten Jahren der Gemeinde (BG 225–276)) zusätzlich zu den Überschriften zwischen die einzelnen Textabschnitte stellt und die somit den Eindruck erwecken, biblischen Ursprungs zu sein. Tatsächlich handelt es sich um stark vereinfachende und deutende ‚Kurzzusammenfassungen‘ der folgenden Stelle und/oder des Geschehens, das zwischen zwei in die BG aufgenommenen Textpassagen stattgefunden habe. Im Fall der eben angeführten Passage lautete die Überschrift: ‚Paulus in Jerusalem‘ (Apg. 21,17–36). Direkt vorher findet sich der Zwischentext, der diese Stelle mit dem vorangegangene38 verbindet: Paulus muß Ephesus verlassen und besucht über Philippi die Gemeinden in Griechenland. Dann kehrt er über Mazedonien und Kleinasien zurück und begibt sich nach Jerusalem, wo es zu seiner Verhaftung kommt. (BG 272)
Und anstelle von Apg 21,37–40, deren Fehlen ja bereits kommentiert wurde, findet sich dann ein weiterer Zwischentext, der zum nächsten Textstück (BG 274, Eine jüdische Verschwörung gegen Paulus (Apg. 23,16–25a.33.35b)) überleitet: Da die Juden den ihnen verhaßten Paulus töten wollen, läßt ihn der römische Kommandant von Jerusalem in den Schutz des römischen Statthalters nach Cäsarea bringen. (BG 274)
Diese wenigen Beispiele können zeigen, wie es der BG gelingt, durch ihre Überschriften und Zwischentexte die Leser und deren Textverständnis gezielt auf gewünschte Inhalte hin zu fokussieren und so zu verengen: Aus der Passage ,Paulus in Jerusalem‘ (Apg. 21,17–36, BG 272–274) pickt die BG nur die ‚Verhaftung‘ für den Zwischentext heraus, während die EÜ eine Zweitei38
BG 270f., ‚Der Aufruhr des Silberschmiedes Demetrius in Ephesus‘ (Apg. 19,23–20,1).
204
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
lung vornimmt: (1) Paulus bei Jakobus und das Nasiräatsgelübde (Apg 21,18– 26), (2) Die Verhaftung des Paulus (Apg 21,27–40). Für die BG-Leser steht dagegen die Verhaftung bereits beim Lesen der Passage über das Gelübde im Hintergrund. Ähnlich lenkt auch der Zwischentext nach dieser Szene den Leser: Die Juden wollen den ‚ihnen verhaßten Paulus‘ töten: Da die Juden den ihnen verhaßten Paulus töten wollen, läßt ihn der römische Kommandant von Jerusalem in den Schutz des römischen Statthalters nach Cäsarea bringen. (BG 274)
Diese scharfe Formulierung findet sich in den griechischen Texten nicht39, wohl aber in ähnlicher Weise an anderen Stellen in der BG und bei Grundmann.40 39
Im NT finden sich ohnehin nur 24 Stellen, an denen von Hass oder hassen die Rede ist (vgl. http://www.bibleserver.com/search/EU/hass/1). Diese Stellen sind allerdings meist mit der Ermahnung verbunden, nicht zu hassen, sondern zu lieben bzw. gerecht zu handeln (z.B. Mt 5,43, Mt 6,24, Mt 24,10, Lk 6,27, Lk 16,13, Joh 3,20, Joh 15,23; Röm 1,30; Röm 7,15; Tit 3,3; Hebr 1,9; 1 Joh 2,9.11; 3,15; 4,20) oder sie sprechen vom Hass der Welt auf Jesus und/oder Jünger (Joh 7,7; 15,18.19.24) bzw. auf die ‚Brüder‘ (1 Joh 3,13) oder loben die Rettung aus dem Hass der Feinde (Lk 1,71) und preisen sogar die Jünger selig, wenn sie von den Menschen gehasst werden „um des Menschensohnes willen“ (Lk 6,22). Vom den Juden „verhaßten Paulus“ dagegen ist an keiner Stelle die Rede, ebensowenig wie vom ‚verhaßten Jerusalem‘ oder dem Hass der Juden auf Jesus ‚auf den Tod‘ (vgl. die Beispiele aus der BG in der vorangegangenen FN). 40 Das Motiv des Hasses als von der BG gern gebrauchter Ausdruck zur Verstärkung besonders wichtiger Passagen wird auch an anderen Stellen ohne Rückbindung an den griechischen Text eingefügt: (1) Die BG schreibt z.B., Jesus sei auf dem ‚Wege nach dem ihnen [=den Samaritanern, A.d.A.] verhaßten Jerusalem‘ (BG 45, Des Vaters Art muß aus den Kindern leuchten (Luk. 9,52–56), Lk 9,53) gewesen statt neutral auf dem ‚Weg nach Jerusalem‘ (ἦν πορευόμενον εἰς Ἰερουσαλήμ, Joh 9,53). (2) Auch die Reaktion der Juden Jesus gegenüber wird von der BG als „Hass“ beschrieben und so noch verstärkt: Die BG schreibt ‚Danach zog Jesus in Galiläa umher. Denn er vermied den Aufenthalt in Judäa, weil die Juden ihn bis auf den Tod haßten.‘ (BG 117, Jesu glaubenslose Brüder (7,1–13), Joh 7,1) statt am griechischen Text zu bleiben: ‚Danach zog Jesus in Galiläa umher; denn er wollte sich nicht in Judäa aufhalten, weil die Juden darauf aus waren, ihn zu töten (bzw. ihm ‚nach dem Leben stellten‘ (Luther) (ὅτι ἐζήτουν αὐτὸν οἱ Ἰουδαῖοι ἀποκτεῖναι) (Joh 7,1). (3) Auch Grundmann selbst spricht vom „haßentsprungenen Willen“ der Juden, Jesus zu töten – die diesem Diktum ähnelnden Formulierungen in der BG zeigen einmal mehr Grundmanns großen Einfluss auf die Textbearbeitungen. Grundmann spricht den Juden die Gotteskindschaft ab, indem er Joh 8,30–47 als „Erörterung, die den Juden die Kindschaft Gottes abspricht“ bezeichnet: „Hatten sie [die Juden, A.d.A.] zunächst unter Berufung auf Abraham ihre Freiheit behauptet, so war das ihnen durch den Hinweis auf die Sündenknechtschaft abgesprochen worden. Dieser Hinweis wird durch ihren haßentsprungenen Willen, Jesus zu
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
205
3.1.5 Die Frage nach dem Götzenopferfleisch: Die BG konstruiert eine bewusste Ablösung der ersten Gemeinden vom jüdischen Erbe Das Gesetzesverständnis im Allgemeinen und das Tempelopfer im Besonderen wurden im Vorangegangenen in der BG als Spezifika der jüdischen Gemeinde von Jerusalem nahegelegt und Paulus wurde von dieser Gemeinde klar abgehoben. Eine weitere Thematik hat bisher dagegen noch nicht die nötige Beachtung gefunden und zwar die Frage nach den Vereinbarungen, die in der Frage nach dem richtigen Verhalten von Heiden- und Judenchristen in gemischten Gemeinden getroffen wurden. In diesem Themenkomplex findet sich ein weiterer Beleg für die These, dass die BG gezielt die vollständige und bewusste Ablösung der jungen Gemeinden von ihrem jüdischen Erbe aussagen wollte. Besonders an drei Stellen wählt sie nämlich eine sehr ungewöhnliche Übersetzung, die ein derartiges Bearbeitungsmotiv dahinter vermuten lässt: 3.1.5.1 BG 252f., Der Jerusalemer Erlaß an die Gemeinde von Antiochia (Apg. 15,23b–25a.27–29), Apg 15,29. „Erlaß“ oder „Apostelkonzil“? Die Apostel und Ältesten, eure Brüder, entbieten den Brüdern in Antiochia, Syrien und Cilicien, die Heiden gewesen sind, ihren Gruß. Wir haben gehört, dass euch Leute von uns beunruhigt und verwirrt haben mit Reden, zu denen sie von uns keinen Auftrag besaßen. Darum haben wir bei einer Zusammenkunft beschlossen, Männer auszuwählen und zu euch zu schicken. Wir haben Judas und Silas gesandt, um euch dasselbe mündlich zu sagen. Es hat dem heiligen Geist und uns gefallen, euch keine weiteren Verpflichtungen aufzuerlegen. Ihr müßt allerdings den Genuß geopferter Tiere meiden und die Speise- und Ehegebote des mosaischen Gesetzes halten. Ihre Beobachtung wird euch zum Heil ausschlagen. Gehabt euch wohl! (BG 252f., Der Jerusalemer Erlaß an die Gemeinde von Antiochia (Apg. 15,23b–25a.27– 29))
Zunächst fällt bei dieser Passage in der BG das Fehlen von Apg 15,25b–26 auf. Hier wird aber berichtet, dass die Jerusalemer Gesandtschaft gemeinsam mit Paulus und Barnabas, die aus Antiochia gekommen waren, um in Jerusalem den Ältesten in Jerusalem ihr Problem vorzutragen.
töten, unterstrichen. Dieser Wille hebt ihre Abrahamskindschaft auf, obwohl sie leiblich von ihm abstammen (8,37–40)“ (Grundmann, Botschaft Jesu im Urchristentum (1941), 145).
206
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG
NA
Darum haben wir bei einer Zusammenkunft beschlossen, Männer auszuwählen
25 ἔδοξεν ἡμῖν γενομένοις ὁμοθυμαδὸν ἐκλεξαμένοις ἄνδρας
und zu euch zu schicken.
πέμψαι πρὸς ὑμᾶς
σὺν τοῖς ἀγαπητοῖς ἡμῶν Βαρναβᾷ καὶ Παύλῳ,
EÜ
Luther
25 Deshalb haben wir uns geeinigt und beschlossen, Männer auszuwählen
25 hat es uns gut gedeucht, einmütig versammelt, Männer zu erwählen
und zu euch zu senden und zusammen mit unseren lieben Brüdern Barnabas und Paulus
mit unsern liebsten Barnabas und Paulus,
zu euch zu schicken, 26 ἀνθρώποις παραδεδωκόσιν τὰς ψυχὰς αὐτῶν ὑπὲρ τοῦ ὀνόματος τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ.
26 die beide für den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, ihr Leben eingesetzt haben.
26 welche Menschen ihre Seele dargegeben haben für den Namen unsers HERRN Jesu Christi.
Es handelt sich also eigentlich nicht um ein Diktat von oben, also aus Jerusalem, wie die BG-Überschrift „Jerusalemer Erlaß“ suggeriert, sondern um eine Frucht der gemeinsamen Beratung (vgl. dementsprechend die EÜ-Überschrift „Die Beschlüsse der Versammlung“ (für Apg 15,22–29)). So werden dann auch Männer aus Jerusalem „zusammen mit unseren lieben Brüdern Barnabas und Paulus“ geschickt und die beiden werden noch lobend hervorgehoben und dadurch autorisiert, dass sie „beide für den Namen Jesu Christi unseres Herrn ihr Leben eingesetzt haben“ (Apg 15,26). Gerade an dieser Stelle zeigt sich im griechischen Text eigentlich die Verflechtung zwischen der Jerusalemer Gemeinde und den anderen, ‚heidenchristlichen‘ Gemeinden, v.a. der antiochenischen. Paulus war ja schließlich deshalb nach Jerusalem gegangen, um sich dort Rat zu holen, wie Apg 15,2 erzählt: „Nach großer Aufregung […] beschloss man, Paulus und Barnabas und einige andere von ihnen sollten wegen dieser Streitfrage [der Frage nach der Beschneidung, A.d.A.] zu den Aposteln und den Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen“ (EÜ). Auch in der BG ist Apg 15,2 zwar aufgenommen41, aller41
BG 250, Die Apostelzusammenkunft in Jerusalem (Apg. 15,1–12).
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
207
dings in verändertem Kontext: Zwischen die Diskussion um die Frage nach der Beschneidung in Jerusalem (Apg 15,1–21) und die Antwort, dass diese nicht notwendig sei, sondern nur gewisse Mindestbestimmungen einzuhalten seien (Apg 15,22–29), wurde die Passage ‚Paulus über die Apostelzusammenkunft‘ (Gal.2,1–6.9–10, BG 251) geschaltet, sowie ein stark deutender Zwischentext aus der Feder der BG-Redaktion. Der Erzählduktus wird in der BG also vollständig durchbrochen, unabhängig von der Frage, ob und wie dieses Apostelkonzil historisch tatsächlich stattgefunden hat.42 Dies kann ein Vergleich der Perikopeneinteilung in EÜ und BG verdeutlichen: BG: Die Auseinandersetzung des Paulus mit der Jerusalemer Gemeinde (BG 249–255) Die Apostelzusammenkunft in Jerusalem (Apg. 15,1–12) Paulus über die Apostelzusammenkunft (Gal.2,1–6.9–10) Der Jerusalemer Erlaß an die Gemeinde von Antiochia (Apg. 15,23b–25a.27–29) Die Auseinandersetzung des Paulus mit Petrus (Gal.2,11–21)
EÜ: Das Apostelkonzil in Jerusalem (Apg 15,1–35) Die Streitfrage (Apg 15,1–5) Die Versammlung der Apostel und der Ältesten mit der Gemeinde (Apg 15,6–21) Das Apostelkonzil in Jerusalem (Gal 2,1–10) Die Beschlüsse der Versammlung (Apg 15,22–29) Gesetzesgehorsam oder Glaube (Gal 2,11–21)
Schon die Überschriften zeigen die Bearbeitungsrichtung an. Die BG stellt fünf Passagen unter den Titel „Die Auseinandersetzung des Paulus mit der Jerusalemer Gemeinde“ und gibt somit die Gegenüberstellung von Paulus und der Jerusalemer Gemeinde von Anfang an als Leseschlüssel vor, wobei Paulus als die Identifikationsfigur (schließlich ist er es, der als der Akteur der „Auseinandersetzung“ genannt wird: die Auseinandersetzung des Paulus) 42 „Ob nun dieses ‚Aposteldekret‘ von Jakobus für die von ihm beabsichtigte Bereinigung der Situation in Antiochien geschaffen wurde oder ob es danach entstanden ist, wissen wir nicht. Auf alle Fälle beweist seine Platzierung an einem so hervorgehobenen Ort in der Apostelgeschichte, daß es im ersten Jahrhundert in christlichen Gemeinden bekannt war und auch praktiziert worden ist. Es war in der Lage, das Zusammenleben von Judenchristen und Heidenchristen zugleich als Zusammenhang mit Israel manifest werden zu lassen. Dieser Zusammenhang war nur so lange in der Kirche konkret erfahrbar, wie es Juden in ihr gab, die ihre jüdische Identität bewahren und leben konnten. Wäre auf Dauer der Lösungsrichtung des ‚Aposteldekrets‘ gefolgt worden, hätte es in der Kirche nicht zum Unverständnis gegenüber Israel und seiner Gebotspraxis kommen können.“ (Wengst (1999), 95). Auch Lindemann ordnet das Aposteldekret „vermutlich spät, jedenfalls nachpaulinisch“ ein (Lindemann (2000), 189).
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
eingeführt wird. Auch die Überschrift „Der Jerusalemer Erlaß an die Gemeinde von Antiochia“ vermittelt dem Leser ein autoritäreres Bild der Jerusalemer Gemeinde. Apg 15,13–22 fehlt hier vollständig.43 Die Beschlüsse der Versammlung, die im Fortgang des biblischen Textes auch eindeutig als solche erscheinen und von Jerusalemern gemeinsam mit Paulus und Barnabas (Apg 15,22) nach Antiochia übermittelt werden, erscheinen, gelenkt vor allem durch die Überschriften in der BG, als isolierte Jerusalemer Auflagen. Die Bezeichnung „Jerusalemer Erlaß“, mit der die BG die oben zitierte Passage überschreibt, soll also darauf hinweisen, dass die Forderungen eigenmächtig von Jerusalem an Antiochia gestellt worden seien. Der dieser Passage vorangestellte beschreibende Zwischentext bestätigt die Beobachtungen noch: Mit diesem sogenannten Apostelkonzil sind die Streitigkeiten nicht zu Ende. Die Gemeinde von Jerusalem versucht den Christen in Antiochia durch den sogenannten ‚Apostelerlaß‘ einige jüdische Grundbestimmungen aufzuerlegen. Er ist erst nach dem Apostelkonzil abgefasst. Paulus wird bei seinem letzten Aufenthalt in Jerusalem davon in Kenntnis gesetzt. Der Apostelerlaß hat folgenden Wortlaut […] (BG 252)
Mit dieser Vorinformation, die die Lesererwartung bereits in eine festgelegte Richtung lenkt, ist auch die BG-Umformulierung des „Apostelerlasses“, die von einer Einhaltung der (also aller!) mosaischen Speise- und Ehegebote spricht, zu interpretieren. Die „Auferlegung“ dieser Gebote wurde im vorgeschalteten Zwischentext als Versuch der Einflussnahme der Jerusalemer Gemeinde auf die Christen in Antiochia bewertet, Paulus dagegen wird als Unwissender dargestellt, der über die Bestimmungen erst im Nachhinein in Kenntnis gesetzt wird, obwohl nach biblischem Zeugnis Paulus und Barnabas ja anwesend sind, als die Entscheidungen in Jerusalem getroffen werden (vgl. 43
Hier hält auch Jakobus (nach Petrus (Apg 15,7–12) eine Rede, in der er die Heidenmission ganz aus dem Alten Testament heraus durch ein Prophetenzitat (vgl. Am 9,11–12) begründet: „15 Damit stimmen die Worte der Propheten überein, die geschrieben haben: 16 Danach werde ich mich umwenden / und die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten; […] 17 damit die übrigen Menschen den Herrn suchen, / auch alle Völker, / über denen mein Name ausgerufen ist – / spricht der Herr, der das ausführt, 18 was ihm seit Ewigkeit bekannt ist.“ (EÜ, Apg 15,15–18). Jakobus, neben Petrus die Autorität in Jerusalem, spricht sich also nicht nur für die Heidenmission aus, wie das auch Petrus direkt vorher tut, sondern verankert sie in der Verkündigung des Alten Testaments. Eben das nennt er dann auch als Begründung für die Minimalvorgaben, die den Heidenchristen gemacht werden: „19 Darum halte ich es für richtig, den Heiden, die sich zu Gott bekehren, keine Lasten aufzubürden; 20 man weise sie nur an, Verunreinigung durch Götzen(opferfleisch) und Unzucht zu meiden und weder Ersticktes noch Blut zu essen. 21 Denn Mose hat seit ältesten Zeiten in jeder Stadt seine Verkündiger, da er in den Synagogen an jedem Sabbat verlesen wird.“ (EÜ, Apg 15,19–21). Diese Rede lag wohl nicht auf einer Linie mit der Konzeption der BG und wurde so kurzerhand getilgt.
209
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
Apg 15,2–4.12). Hier nun Apg 15,29, die eigentlichen Beschlüsse, im Wortlaut der BG, die der BG-Leser im gerade skizzierten Kontext einer eigenmächtig agierenden Jerusalemer Gemeinde, die nun versucht „einige jüdische Grundbestimmungen aufzuerlegen“, gelesen hat: EÜ
Luther
Es hat dem heiligen Geist und uns gefallen, euch keine weiteren Verpflichtungen aufzuerlegen.
BG
28 ἔδοξεν γὰρ τῷ πνεύματι τῷ ἁγίῳ καὶ ἡμῖν μηδὲν πλέον ἐπιτίθεσθαι ὑμῖν βάρος
NA
28 Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen
28 Denn es gefällt dem heiligen Geiste und uns, euch keine Beschwerung mehr aufzulegen
fehlt
πλὴν τούτων τῶν ἐπάναγκες,
als diese notwendigen Dinge
als nur diese nötigen Stücke:
Ihr müßt allerdings den Genuß geopferter Tiere meiden
29 ἀπέχεσθαι εἰδωλοθύτων
29 Götzenopferfleisch,
29 daß ihr euch enthaltet vom Götzenopfer
und die Speiseund Ehegebote des mosaischen Gesetzes halten.
καὶ αἵματος καὶ πνικτῶν καὶ πορνείας,
Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden.
und vom Blut und vom Erstickten und von der Hurerei;
Ihre Beobachtung wird euch zum Heil ausschlagen. Gehabt euch wohl!
ἐξ ὧν διατηροῦντες ἑαυτοὺς εὖ πράξετε. Ἔρρωσθε.
Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig. Lebt wohl!
so ihr euch vor diesen bewahrt, tut ihr recht. Gehabt euch wohl!
In der BG findet sich als Inhalt des Beschlusses, die Gemeinde von Antiochien müsse „die Speise- und Ehegebote des mosaischen Gesetzes halten“. Eigentlich steht im Text aber, es seien nur „Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden“ (EÜ, Apg 15,29; ähnlich Luther).44 Die BG erhöht also selbstständig die Verpflichtung, die für Heidenchristen gelten soll, 44
Martin Meiser diskutiert verschiedene Textformen und den patristischen Befund zum Aposteldekret und stellt dar, dass das Dekret immer wieder angepasst wurde (vgl. Meister (2003), 373–398). Kurz zum Text der Apg mit der „westlichen“ und der „alexandrinischen“ Textform vgl. auch Schnelle (308f.). Für die Leseweise der BG lassen sich allerdings keine Anhaltspuntke finden.
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
von einem „Minimum“ an rituellen Forderungen45 zu einer Pflicht („ihr müsst“) mit höheren Auflagen. Hier lässt sich also eine Pauschalisierung der Auflagen und die erneute Fokussierung auf den Begriff des Gesetzes erkennen: die Gebote des „mosaischen Gesetzes“ seien zu halten (BG, ohne gr. Basis). Der eigentliche Sinn wird so verdunkelt, nämlich das Ziel der Bestimmungen, die Einheit zwischen Juden- und Heidenchristen in den Gemeinden (v.a. in Antiochien) zu wahren und ihnen eine Tischgemeinschaft in Liebe zu ermöglichen „ohne daß ihre jüdische Identität und Integrität verletzt wird“46. Hier kann auch ein Zusammenhang mit der Fremdengesetzgebung in Lev gesehen werden, wo die Bestimmungen an im Lande lebende Fremde ebenfalls dazu dienen, ein Zusammenleben möglich zu machen.47 Somit ist keine einfache Erneuerung der Speisegebote48 ausgesagt, sondern die Pflicht, sich einem Minimalkonsens zu stellen, der das rücksichtsvolle Zusammenleben erst möglich macht. Doch nicht nur die Pauschalisierung, dass die, also alle mosaischen Speiseund Ehegesetze eingehalten werden „müssen“, sondern auch die Übersetzung von εἰδωλόθυτος als „geopfertes Tier“ (BG) statt als „Götzenopferfleisch“ (EÜ), also ein explizit heidnischen Göttern geopfertes Tier, verändert den Sinn des Textes. Was das Problematische daran war, Götzenopferfleisch zu sich zu nehmen, erläutert 1 Kor 8, auch 1 Kor 10 (v.a. 1 Kor 10,18–33). Beide Passagen finden sich in der BG nicht.49 Der eigentliche Sinn des Verbotes, 45
Vgl. Wengst (1999), 95. Auch Pesch spricht von einer „Minimalforderung, mit der Jakobus allergrößte Kompromißbereitschaft beweist" (Pesch (2012), 81). Man entschied ja, dass die Heidenchristen, da sie sich im Status von Gottesfürchtigen befinden, die Reinheitstora nicht in vollem Umfang einzuhalten haben; unter den maßgebenden Leuten der Urkirche setzte sich also die Auffassung durch, die den Heidenchristen stärker entgegenkommt. Das Minimum an Vorschriften diente dazu, dass diese sich den jüdischen Christen zugeordnet sehen“ (vgl. Fiedler (2005), 157). 46 Wengst (1999), 95. Ohne die Einhaltung der vier Minimalforderungen wären gemeinsame Mahlzeiten zwischen Juden- und Heidenchristen nicht so leicht möglich gewesen, wegen der „scharf ablehnenden Haltung“, ja der „Abscheu der Juden und Judenchristen vor dem Götzenopferfleisch“, die dieses als verunreinigend ansahen (vgl. Schrage (1991), 217). 47 Vgl. Wengst (1999), 94. 48 Hierunter würden dann z.B. die detaillierten Speisegebote in Lev 11 und Dtn 14,3–21 fallen. Diese Regelungen wurden aber offenbar in den heidenchristlichen Gemeinden nicht befolgt, sonst wäre die gesamte Erzählung vom Apostelkonzil gegenstandslos. 49 Mit nur kleinen Änderungen nimmt die BG dagegen Röm 14 auf, die dritte Stelle, die vom Götzenopferfleisch handelt. Allerdings sind hier die Formulierungen auch schon im griechischen Text so allgemein gehalten, dass es die Redaktoren wohl für wichtiger hielten, den Gedanken der gegenseitigen Rücksichtnahme in der Gemeinschaft zu betonen, als die Stelle ganz wegzulassen (vgl. BG 217f., Freiheit und Rücksicht (Röm. 14,1–10.12–19.22b– 23; 15,1–3a). Der zweite Leitgedanke dieser Passage in der BG scheint auch mit den späteren Beobachtungen (vgl. 4.4 Jesus ist nicht das Lamm, sondern der tapfere „Lebensspender“, der sich opfert, und zur Tapferkeit ruft. Das Verständnis vom Opfertod Christi wird heroisiert.) übereinzustimmen, die die Lebenshingabe für die Gemeinschaft betonen, wie z.B. die Einfü-
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
211
Götzenopferfleisch zu essen, wird hier erläutert und eingeordnet: Es könnte sein, dass einer der Brüder daran Anstoß nimmt oder sein Gewissen davon befleckt wird. Die BG spart diese Argumentation aus und erschwert das Verständnis der Stelle, wenn sie vom pauschalen Verbot, „geopferte Tiere“ zu essen, spricht. Ursprünglich geht es, wie 1 Kor 8,1–10 zeigten, in der Feststellung, dass Götzenopferfleisch zu meiden sei, um die Frage nach dem heidnischen Götzenopfer. Eine Teilnahme an heidnischen Opferriten wird den Heidenchristen ebenso untersagt, wie es den Juden bereits untersagt ist. Schrage vermutet, dass das Verbot sogar noch dringlicher sein könnte, da viele der neugewonnenen Gemeindemitglieder mit derartigen Opfern groß geworden sind und daher die Gefahr eines „Rückfalls“ oder, wie Paulus es schreibt, die Gefahr, von den alten Götzen dann gar nicht loszukommen (1 Kor 8,7) noch viel größer ist.50 Die BG verweist dagegen nicht darauf, dass es um heidnische Opfer geht, sondern vermeidet den sprachlichen Verweis, indem sie allgemein von „geopferten Tieren“ schreibt. In Verbindung mit dem direkten Verweis auf das „mosaische Gesetz“ im sich direkt anschließenden Satzteil dürfte dem Leser so suggeriert werden, dass es gar nicht um einen problematischen Umgang mit heidnischen Opferkulten, sondern um die Frage nach dem jüdischen Opfer gehe. Das Verbot, geopfertes Fleisch zu essen, klingt dann wie eines der alttestamentlichen Opfergebote51, das regelt, wer vom Opferfleisch essen darf. Wenn diese Vermutung richtig ist und die BG die Assoziation mit dem jüdischen Opfer wenn nicht herbeiführen so doch zumindest nicht ausschließen will (dessen negative Darstellung sich ja bereits an den vorher behandelten Stellen zeigen ließ) kann der gesamte Vers als eine Abwertung des jüdischen Opferverhaltens gelesen werden, das für die Heidenchristen als sinnlos präsentiert wird.52 Ein gung eines Halbverses in Röm 14,7 zeigt: „Unsere Gemeinschaft steht unter diesem Gesetz: Keiner von uns lebt für uns selbst, und keiner von uns stirbt für sich selbst.‘ (BG) statt ‚Keiner von uns lebt sich selber und keiner stirbt sich selber:‘ (EÜ, Röm 14,7). 50 Vgl. Schrage (1991), 256. Mit den „Schwachen“, auf die die „Starken“ Rücksicht nehmen sollen, sind dementsprechend diejenigen gemeint, denen es nicht gelingt, definitiv von ihrer schon überholten Vergangenheit loszukommen (ebd.). 51 Im Alten Testament gibt es einige Stellen, die sich mit der Frage beschäftigen, wer wann welche Teile eines Opfertieres zu sich nehmen darf, so z.B. Lev 16,27: ‚Den Jungstier und den Bock, die man als Sündopfer dargebracht und deren Blut man in das Heiligtum zur Entsühnung gebracht hat, soll man aus dem Lager hinausschaffen und ihr Fell, ihr Fleisch und ihren Mageninhalt im Feuer verbrennen.‘ Lev 7,6: Jede männliche Person unter den Priestern darf davon essen; man soll es an einem heiligen Ort essen. Es ist etwas Hochheiliges. 52 Später, wohl Ende des 2. Jahrhunderts (Nicklas (2014), 95) findet sich im Diognetbrief die Unterscheidung zwischen der Anbetung der „Juden“, der „Heiden“ und der „Christen“, die als einzige die richtige Form der Anbetung wählen (ebd. 90f.). Zumindest ein Teil der Anhänger der christlichen Bewegung wollte wohl nicht mehr mit den Juden in Verbindung gebracht werden und wandte sich zugleich an eine „pagane Elite“, die auf der Suche nach
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
zusätzlicher Beleg für diese Deutung des Verses findet sich auch in der Auslassung des zweiten Teils von Apg 15,28, wo die Verpflichtungen als „notwendige Dinge“ (EÜ) bezeichnet werden, eben als ein Minimalkonsens, der ein gutes Zusammenleben möglich macht. Mindestens lässt sich feststellen, dass der eigentliche „Sitz im Leben“ der betrachteten Passage verwässert wird. Die BG schreibt also auch hier zu Unrecht dem jüdischen Gesetz und vermutlich auch dem jüdischen Opfer einen strikten Verbindlichkeitscharakter zu, von dem die Gemeinde in Jerusalem nicht einmal dann ablassen möchte, wenn es um den Fortbestand und das gute Zusammenleben von Juden- und Heidenchristen in Antiochien geht. Im griechischen Text dagegen werden die Verflechtungen zwischen beiden Gemeinden und die Anerkennung der Autorität Jerusalems sowie das daraus resultierende Bestreben, eine praktikable Lösung zu finden, nämlich „keine Lasten aufbürden“ (vgl. Apg 15,19), sondern die Heiden „nur“ anzuweisen, „Verunreinigung durch Götzen(opferfleisch) und Unzucht zu meiden und weder Ersticktes noch Blut zu essen“ (vgl. Apg 15,20),53 stark betont. Eigentlich geht es also um eine Einigung, die gerade von den Judenchristen (nämlich den Jerusalemern) maßgeblich mitgetragen wird und die den Menschen aus den Völkern, die sich dem Glauben anschließen wollen, entgegenkommt. Durch die Veränderung der Texte legt die BG dagegen eine jerusalem-, gesetzes- und opferkritische, also letztlich judenkritische Leseweise nahe. Eine letzte Beobachtung am Text kann das Gesagte nochmals unterstreichen: Auch die Reaktion der „Brüder“ in Antiochia (Apg 15,30–35) fehlt in der BG vollständig. Hier ist davon die Rede, dass sie sich über die ‚Ermunterung‘ (EÜ) bzw. den ‚Trost‘ (Luther) freuten (ἐχάρησαν ἐπὶ τῇ παρακλήσει, Apg 15,31) und dass Judas und Silas ihnen Mut zusprechen und sie stärken (Apg 15,32), bis sie ‚in Frieden‘ (Apg 15,33) wieder nach Jerusalem entlasneuen Formen der Anbetung und zugleich antijüdisch eingestellt war (ebd. 95f.). Vgl. dazu auch Nicklas, 1 Petr (2014), 98–108. 53 Wengst beschreibt den Apostelkonvent als Suche nach einer „Klärung“ mit theologischen Argumenten, bei der die Vertreter der Gemeinde in Antiochien, Paulus und Barnabas erreichen, „daß die Jerusalemer Autoritäten der beschneidungsfreien Völkermission zustimmen. Das aber schließt ein, daß es eine theologische Argumentation gegeben haben muß, die von dem allen Gemeinsamen her diese Position des Hinzukommens von Menschen aus den Völkern ohne Beschneidung auch in Jerusalem einsichtig machte und als geboten erscheinen ließ. Sie kann nur im Hinweis auf das Wirken des Geistes Gottes bestanden haben, der in der durch die Auferweckung Jesu heraufgeführten Endzeit gegeben wurde. Von diesem Geist wurden bei der messianischen Verkündigung in Synagogen außerhalb des Landes Israel auch anwesende Nichtjuden erfaßt. Wenn aber so Gott selbst schon Menschen aus den Völkern mit seinem Geist begabt und damit für sich beschlagnahmt hatte, durfte man ihm dann sozusagen in den Arm fallen und diese Menschen für bedürftig halten, erst noch mittels der Beschneidung durch Integration in Israel zu ihm in vollgültige Beziehung zu treten?“ (Wengst (1999), 65).
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3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
sen werden, während Paulus und Barnabas in Antiochia bleiben (Apg 15,35). Diese Verse kann die BG auf dem Hintergrund ihrer gezielten Abwertung der Entscheidungen der Versammlung nun gerade nicht aufgreifen. 3.1.5.2 BG 272–274, Paulus in Jerusalem (Apg. 21,17–36), Apg 21,25 Fast identisch zur gerade analysierten Stelle ist die zweite Formulierung der BG für die in Jerusalem getroffenen Beschlüsse in Apg 21,25, die daher nur kurz zur Sprache kommen soll: EÜ
Luther
Über die gläubig gewordenen Heiden aber
BG
περὶ δὲ τῶν πεπιστευκότων ἐθνῶν
NA
Über die gläubig gewordenen Heiden aber
Denn den Gläubigen aus den Heiden
haben wir verfügt,
ἡμεῖς ἐπεστείλαμεν κρίναντες
haben wir ja einen Beschluss gefasst und ihnen geschrieben,
haben wir geschrieben und beschlossen, daß sie der keines halten sollen,
daß sie den Genuß geopferter Tiere meiden
φυλάσσεσθαι αὐτοὺς τό τε εἰδωλόθυτον
sie sollten sich vor Götzenopferfleisch,
sondern nur sich bewahren vor Götzenopfer,
und sich an die Speise- und Ehegebote des mosaischen Gesetzes halten müssen.‘
καὶ αἷμα καὶ πνικτὸν καὶ πορνείαν.
Blut, Ersticktem und Unzucht hüten.
vor Blut, vor Ersticktem und vor Hurerei.
Hier sprechen Jakobus und die Ältesten von Jerusalem zu Paulus. Einerseits wurde oben bereits in der Einzelanalyse der gesamten Textstelle festgestellt, dass im Text der BG die Jerusalemer das, was Paulus tut, wenig dramatisch aufnehmen (die Vorwürfe an ihn seien nur „Gerede“ während er selbst in seinem „Wandel das Gesetz achte“ (vgl. BG 272–274, Paulus in Jerusalem (Apg. 21,17–36), Apg 21,24)) und somit Paulus zwar in eine größere Nähe zur Jerusalemer Gemeinde gebracht wird, an ihn aber auch höhere Forderungen als im griechischen Text gestellt werden. Damit einhergehend lässt sich hier wie auch schon in Apg 15,29 eine Verstärkung der Regelungen für die Heiden erkennen. Die Formulierung ist wieder wesentlich schärfer als im
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
griechischen Text; ähnlich wie bei der BG-Bearbeitung des Apostelkonzils werden die „Heiden“ auf noch viel mehr verpflichtet: Die gesamten Speiseund Ehegebote des mosaischen Gesetzes werden gefordert. Außerdem finden sich weit pointiertere Formulierungen: „müssen“ sich daran halten (vgl. EÜ: „sollten sich […] hüten“) und „wir haben verfügt“ statt „wir haben einen Beschluss gefasst und ihnen geschrieben“ (EÜ, ähnlich Luther). Dieser Verweis auf das doppelte Vorgehen, zunächst einen Beschluss zu fassen und diesen dann zu schreiben, ist aber ein Hinweis auf die Entscheidung in einer Versammlung gemeinsam mit Paulus und Barnabas und die sich daran anschließende Verschriftlichung des Beschlusses durch die Jerusalemer Oberen, die schließlich als Autoritäten angerufen worden waren. Bei Luther kann man sogar noch eine stärkere Beschränkung auf die drei genannten Vorschriften herauslesen: „keines halten sollen, […] nur“. Festhalten lässt sich in jedem Falle, dass die BG auch hier versucht, die „Vorschriften“ der Jerusalemer als zu strikte, autokratische Vorgaben darzustellen, die den heidenchristlichen Gemeinden eine Last waren („müssen“), während im Textzusammenhang der Fokus auf der kollegialen, aber durchaus wertschätzend-autoritativen Entscheidung der Jerusalemer Oberen liegt, die den heidenchristlichen Gemeinden eine Hilfestellung für das Zusammenleben in der Gemeinde leistet („sollten“). Die BG unterscheidet also mit ihren Texteingriffen zwischen dem, was Paulus tatsächlich tut, das sprachlich abgeschwächt wird, und dem, was Jerusalem will, das sprachlich verstärkt wird. 3.1.5.3 BG 251f., Paulus über die Apostelzusammenkunft (Gal. 2,1–6.9–10) Vierzehn Jahre nach meinem Aufenthalt bei Petrus zog ich mit Barnabas wieder nach Jerusalem hin und nahm Titus mit. Eine Weisung des Herrn hat diese Reise veranlaßt. Ich legte dort den Inhalt der Botschaft dar, die ich verkünde. Mit den Führern der Gemeinde pflegte ich besondere Aussprache, damit meine vergangene und künftige Arbeit nicht gefährdet würde. Ich setzte durch, dass mein Begleiter Titus, der Grieche, nicht zur Annahme des Bundeszeichens gezwungen wurde. Dabei mußte ich den falschen Brüdern widerstehen, die sich heimlich eingeschlichen hatten und unsere Freiheit, die uns Christus geschenkt hat, belauerten, um uns erneut in die jüdische Lebensweise zu zwingen. Ihrer Forderung gaben wir keinen Augenblick nach, denn euch sollte die wirkliche Freiheit der Gottesbotschaft erhalten bleiben. Die Maßgeblichen aber – was sie einmal galten, ist mir gleich; denn menschliches Ansehen ist vor Gott belanglos – haben mir keine Verpflichtung auferlegt. Als sie sahen, wie Gott durch mich wirkt, da gaben Jakobus, Petrus und Johannes, die als Säulen der Gemeinde gelten, mir und Barnabas die Bruderhand und vereinbarten mit uns, wir sollten zu den Heiden gehen, sie wollten bei den Juden bleiben. Nur sollten wir der Armen in Jerusalem gedenken. Dies habe ich auch eifrig getan. (BG 251f., Paulus über die Apostelzusammenkunft (Gal.2,1–6.9–10))
Eben diese Szene schien den Redaktoren der BG ein Dorn im Auge gewesen zu sein, weil sie die gesamte Argumentation, dass die Jerusalemer Gemeinde zu viele Forderungen gemacht hätte und zudem Paulus ihnen „verhaßt“ (s.o.:
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
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von der Redaktion eingefügt in BG 274) gewesen sei, ohne Zweifel aushebelt. Es lohnt sich also auch hier ein Blick in die Werkstatt der BG-Redaktoren, um die Unterschiede zwischen der gekürzten und bearbeiteten Fassung in der BG (BG 251f., Paulus über die Apostelzusammenkunft (Gal.2,1–6.9–10)) und dem kompletten überlieferten Text zu verdeutlichen: Hier soll nur auf drei Aspekte eingegangen werden: (1) Gal 2,2: In der BG hat Paulus Angst vor einer Gefährdung seiner Arbeit durch die Gemeinde in Jerusalem, in der EÜ will er sich und seine Verkündigung absichern: BG Eine Weisung des Herrn hat diese Reise veranlaßt.
NA 2ἀνέβην δὲ κατὰ ἀποκάλυψιν·
EÜ Ich ging hinauf aufgrund einer Offenbarung,
Luther Ich zog aber hinauf aus einer Offenbarung
Ich legte dort den Inhalt der Botschaft dar, die ich verkünde. Mit den Führern der Gemeinde pflegte ich besondere Aussprache,
καὶ ἀνεθέμην αὐτοῖς τὸ εὐαγγέλιον ὃ κηρύσσω ἐν τοῖς ἔθνεσιν, κατ’ ἰδίαν δὲ τοῖς δοκοῦσιν,
legte der Gemeinde und im besonderen den ‚Angesehenen‘ das Evangelium vor, das ich unter den Heiden verkündige;
und besprach mich mit ihnen über das Evangelium, das ich predige unter den Heiden, besonders aber mit denen, die das Ansehen hatten,
damit meine vergangene und künftige Arbeit nicht gefährdet würde.
μή πως εἰς κενὸν τρέχω ἢ ἔδραμον.
ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin.
auf daß ich nicht vergeblich liefe oder gelaufen wäre.
Die EÜ betont den Respekt des Paulus vor der Jerusalemer Autorität durch das hervorhebende „ich wollte sicher sein, dass […]“ noch zusätzlich, doch auch die wörtliche Übersetzung „damit ich nicht etwa vergeblich laufe oder laufen werde“ bringt die Wertschätzung, die Paulus den Oberen der Jerusalemer Gemeinde entgegenbringt, zum Ausdruck, während die Angst vor einer Gefährdung eher darauf zu hinzuweisen scheint, dass die Jerusalemer Autoritäten dem BG-Paulus wenig hilfreich waren, aber notwendigerweise besänftigt werden mussten. Auch die Bezeichnung „Führer der Gemeinde“ (BG) lässt eine größere Distanz erkennen im Vergleich zur wörtlichen Übersetzung „die Angesehenen“ (EÜ) bzw. „die, die Ansehen hatten“ (Luther). Das Fehlen des Verweises in der BG auf die Predigt unter den Heiden (ἐν τοῖς ἔθνεσιν) tut ihr Übriges zu einem schiefen Verständnis der Szene. Während Paulus
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
eigentlich gerade in seiner neuen und besonderen Aufgabe die Rückbindung an die Jerusalemer Autorität sucht und als Grund der Reise eine ἀποκάλυψις, also eine „von Gott gegebene Einsicht“54 nennt, entsteht in der BG mit der Übersetzung „Weisung“ eher der Eindruck, Paulus sei angewiesen worden, diese Reise zu tun, bloß um eine Gefährdung seiner Arbeit zu vermeiden, nicht aber aus innerer Einsicht (vgl. die Veränderung von Gal 2,2c: „damit meine vergangene und künftige Arbeit nicht gefährdet würde.“) (2) Gal 2,3–6: Die Begründung dafür, dass Titus nicht zur Beschneidung gezwungen wurde ist in der BG der Widerstand des Paulus (ich (!)) gegen „falsche Brüder“, die „in die jüdische Lebensweise zwingen“ wollen, in der EÜ dagegen die gemeinschaftliche Ablehnung der ‚falschen Brüder‘ durch Paulus, seine Begleiter und die Jerusalemer ‚Säulen‘: BG
NA
EÜ
Luther
Ich setzte durch, dass mein Begleiter Titus, der Grieche, nicht zur Annahme des Bundeszeichens gezwungen wurde.
3 ἀλλ’ οὐδὲ Τίτος ὁ σὺν ἐμοί, Ἕλλην ὤν, ἠναγκάσθη περιτμηθῆναι·
3 Doch nicht einmal mein Begleiter Titus, der Grieche ist, wurde gezwungen, sich beschneiden zu lassen.
3 Aber es ward auch Titus nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen, der mit mir war, obwohl er ein Grieche war.
Dabei mußte ich den falschen Brüdern widerstehen,
4 διὰ δὲ τοὺς παρεισάκτους ψευδαδέλφους,
4 Denn was die falschen Brüder betrifft,
4 Denn da etliche falsche Brüder
die sich heimlich eingeschlichen hatten und unsere Freiheit, die uns Christus geschenkt hat, belauerten,
οἵτινες παρεισῆλθον κατασκοπῆσαι τὴν ἐλευθερίαν ἡμῶν ἣν ἔχομεν ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ,
jene Eindringlinge, die sich eingeschlichen hatten, um die Freiheit, die wir in Christus Jesus haben, argwöhnisch zu beobachten
sich mit eingedrängt hatten und neben eingeschlichen waren, auszukundschaften unsre Freiheit, die wir haben in Christo Jesu,
um uns erneut in die jüdische Lebensweise zu zwingen.
ἵνα ἡμᾶς καταδουλώσουσιν,
und uns zu Sklaven zu machen,
daß sie uns gefangennähmen,
54
Vouga (1998), 43.
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
217
BG Ihrer Forderung gaben wir keinen Augenblick nach, denn euch sollte
NA 5 οἷς οὐδὲ πρὸς ὥραν εἴξαμεν τῇ ὑποταγῇ, ἵνα
EÜ 5 so haben wir uns keinen Augenblick unterworfen; wir haben ihnen nicht nachgegeben, damit euch
Luther 5 wichen wir denselben nicht eine Stunde, ihnen untertan zu sein, auf daß
die wirkliche Freiheit der Gottesbotschaft
ἡ ἀλήθεια τοῦ εὐαγγελίου
die Wahrheit des Evangeliums
die Wahrheit des Evangeliums
erhalten bleiben.
διαμείνῃ πρὸς ὑμᾶς.
erhalten bleibe.
bei euch bestünde.
Die Maßgeblichen aber
6 Ἀπὸ δὲ τῶν δοκούντων εἶναί τι,
6 Aber auch von denen, die Ansehen genießen
6 Von denen aber, die das Ansehen hatten,
– was sie einmal galten, ist mir gleich; denn menschliches Ansehen ist vor Gott belanglos –
– ὁποῖοί ποτε ἦσαν οὐδέν μοι διαφέρει· πρόσωπον [ὁ] θεὸς ἀνθρώπου οὐ λαμβάνει –
– was sie früher waren, kümmert mich nicht, Gott schaut nicht auf die Person –,
welcherlei sie weiland gewesen sind, daran liegt mir nichts; denn Gott achtet das Ansehen der Menschen nicht,
haben mir keine Verpflichtung auferlegt.
ἐμοὶ γὰρ οἱ δοκοῦντες οὐδὲν προσανέθεντο,
auch von den ‚Angesehenen‘ wurde mir nichts auferlegt.
mich haben die, so das Ansehen hatten, nichts anderes gelehrt;
Auch im zweiten Beispiel wird also der Gegensatz zwischen der Jerusalemer Gemeinde und Paulus hervorgearbeitet: Zunächst fällt ins Auge, dass auch hier wieder die Autoritäten von Jerusalem nicht als die „Angesehenen“ bezeichnet werden (vgl. oben Gal 2,2), obwohl das in Gal 2,5 im griechischen Text sogar emphatisch wiederholt wird (Ἀπὸ δὲ τῶν δοκούντων εἶναί τι […] ἐμοὶ γὰρ οἱ δοκοῦντες οὐδὲν προσανέθεντο). Stattdessen bringt die BG den Begriff des Ansehens in den mittleren Teil des Verses ein und erklärt ihn so für null und nichtig: „was sie einmal galten, ist mir gleich; denn menschliches Ansehen ist vor Gott belanglos“. Im Griechischen ist dieser Versteil dagegen so formuliert, dass „keine positive oder negative Wertung an sich, sondern eine theologisch-kritische Relativierung“
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
vorgenommen werde.55 Gott sehe nicht auf das „πρόσωπον ἀνθρώπου“, auf die menschliche Person also. Der Text rezipiert dabei sowohl in der Metaphorik als auch in ihrer theologischen Anwendung alttestamentlich-jüdische Motive (vgl. z.B. Dtn 10,17; andere Varianten in Röm 2,11; Mt 22,16; Eph 6,9).56 Der Eingriff der BG-Redaktoren in die Begründung für den fehlenden Zwang zur Beschneidung des Titus wurde bereits in der Einleitung zu diesem Teil erwähnt (vgl. oben). Nicht allein der Widerstand des Paulus ist es, sondern die gemeinschaftliche Ablehnung der „falschen Brüder“ durch Paulus, seine Begleiter, und die „Säulen“ von Jerusalem. Dies zeigt Gal 2,5 mit der zweimaligen Hervorhebung des Ansehens der Jerusalemer Oberen. Die von der BG konstruierte Gegenüberstellung „Zwang“ vs. „wirkliche Freiheit“ in Gal 2,4.5 kann nur als weitere Polemik der BG gegenüber der „jüdischen Lebensweise“ gelesen werden, da jede der beiden Aussagen der Textgrundlage entbehrt. Auch die Zuschreibung des Widerstandes zunächst allein an Paulus (‚ich‘) ist ohne Rückhalt: Die Rede ist ja eigentlich von Konflikten in der Gemeinde, für die Paulus und die Jerusalemer eine Lösung fanden. (3) Gal 2,7–8: fehlt, 2,9 spricht von ‚Juden‘. Die dualistische Trennung in (negativ konnotiert) Juden in Jerusalem und (positiv konnotiert) Heiden, zu denen Paulus geht, nimmt der griechische Text ebenfalls nicht vor, hier ist stets von ‚Beschnittenen‘ und ‚Heiden‘ die Rede (z.B. Gal 2,9: ἵνα ἡμεῖς εἰς τὰ ἔθνη, αὐτοὶ δὲ εἰς τὴν περιτομήν), schließlich handelt es sich ja um Judenchristen, die sich eben dadurch auszeichnen, beschnitten zu sein. Die strikte sprachliche Trennung wird hier aufgehoben, ohne den Unterschied zu verschweigen. Allerdings übersetzt hier auch Luther schon mit Juden und Heiden. Die Auslassung von Gal 2,7–8 zeigt aber darüber hinaus deutlich, dass der BG am Bericht über die Anerkennung der Beauftragung von Petrus und Paulus in Jerusalem als „gleichberechtigte und komplementäre Aufträge“57 nicht gelegen ist:
55
Vouga (1998), 46. Vgl. Vouga (1998), 47. 57 Im Text werde aber festgestellt, „daß Petrus und Pauls gleichberechtigte und komplementäre Aufträge erhalten hatten“ (Vouga (1998), 47). 56
219
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
NA
EÜ
Luther
fehlt
BG
7 ἀλλὰ τοὐναντίον ἰδόντες ὅτι πεπίστευμαι τὸ εὐαγγέλιον τῆς ἀκροβυστίας καθὼς Πέτρος τῆς περιτομῆς,
7 Im Gegenteil, sie sahen, dass mir das Evangelium für die Unbeschnittenen anvertraut ist wie dem Petrus für die Beschnittenen –
7 sondern dagegen, da sie sahen, daß mir vertraut war das Evangelium an die Heiden, gleichwie dem Petrus das Evangelium an die Juden
fehlt
8 ὁ γὰρ ἐνεργήσας Πέτρῳ εἰς ἀποστολὴν τῆς περιτομῆς ἐνήργησεν καὶ ἐμοὶ εἰς τὰ ἔθνη,
8 denn Gott, der Petrus die Kraft zum Aposteldienst unter den Beschnittenen gegeben hat, gab sie mir zum Dienst unter den Heiden –
8 (denn der mit Petrus kräftig gewesen ist zum Apostelamt unter den Juden, der ist mit mir auch kräftig gewesen unter den Heiden),
Als sie sahen, wie Gott durch mich wirkt, da gaben Jakobus, Petrus und Johannes, die als Säulen der Gemeinde gelten, mir und Barnabas die Bruderhand und vereinbarten mit uns,
9 καὶ γνόντες τὴν χάριν τὴν δοθεῖσάν μοι, Ἰάκωβος καὶ Κηφᾶς καὶ Ἰωάννης, οἱ δοκοῦντες στῦλοι εἶναι, δεξιὰς ἔδωκαν ἐμοὶ καὶ Βαρναβᾷ κοινωνίας,
9 und sie erkannten die Gnade, die mir verliehen ist. Deshalb gaben Jakobus, Kephas und Johannes, die als die „Säulen“ Ansehen genießen, mir und Barnabas die Hand zum Zeichen der Gemeinschaft:
9 und da sie erkannten die Gnade, die mir gegeben war, Jakobus und Kephas und Johannes, die für Säulen angesehen waren, gaben sie mir und Barnabas die rechte Hand und wurden mit uns eins,
wir sollten zu den Heiden gehen, sie wollten bei den Juden bleiben.
ἵνα ἡμεῖς εἰς τὰ ἔθνη, αὐτοὶ δὲ εἰς τὴν περιτομήν·
Wir sollten zu den Heiden gehen, sie zu den Beschnittenen.
daß wir unter die Heiden, sie aber unter die Juden gingen,
Paulus gibt also eigentlich nicht nur an, dass ihm von den Ältesten nichts auferlegt worden sei (vgl. Gal 2,6, in der BG noch aufgenommen), sondern berichtet in Gal 2,7–8 zudem darüber, dass die „Säulen“ eine starke Parallele zwischen Petrus und ihm selbst erkannt hätten. Die Anerkennung seiner Arbeit in Jerusalem wird hier auch an der sprachlichen Gleichstellung der Be-
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
auftragung von Petrus und Paulus (καθὼς (2,7) bzw. Πέτρῳ […] καὶ ἐμοί (2,8)) deutlich sichtbar. Als Fazit aus der Analyse dieser drei exemplarischen Texte lässt sich also festhalten, dass die judenchristliche Jerusalemer Gemeinde in der BG deutlich negativer dargestellt wird als in NA/EÜ/Luther. Die judenchristliche Gemeinde von Jerusalem wird als autoritäre Herrscherin über die Sitten der Heidenchristen dargestellt, die fast keine Kompromisse zugestehen will. Im Gegensatz zur differenzierten biblischen Darstellung einer positiven Aufnahme des in Jerusalem ausgearbeiteten Kompromisses in Bezug auf das angemessene Verhalten von Heidenchristen in Gemeinden, die juden- und heidenchristliche Mitglieder haben (z.B. Antiochien), soll in der BG durch die verschiedenen Eingriffe in die Texte wohl genau im Gegenteil die Radikalität der Jerusalemer Gemeinde unterstrichen werden. Die obigen Analysen konnten zeigen, dass die BG das Opfer- und Gesetzesverständnis der Jerusalemer Gemeinde von dem des Paulus und seiner Gemeinden scharf abgrenzt und den eigentlich ja in Jerusalem erzielten Kompromiss als für heidenchristliche Gemeinden nicht praktikables Jerusalemer Diktat erscheinen lässt. Besonders deutlich wird das daran sichtbar, dass Paulus gerade nicht als Autorität für die Bestimmungen an die Heiden genannt wird bzw. sogar gezielt davon berichtet, er sei davon nur „in Kenntnis gesetzt“ worden: Mit diesem sogenannten Apostelkonzil sind die Streitigkeiten nicht zu Ende. Die Gemeinde von Jerusalem versucht den Christen in Antiochia durch den sogenannten ‚Apostelerlaß‘ einige jüdische Grundbestimmungen aufzuerlegen. Er ist erst nach dem Apostelkonzil abgefasst. Paulus wird bei seinem letzten Aufenthalt in Jerusalem davon in Kenntnis gesetzt. […] (BG 252)
Die BG berichtet vom „Jerusalemer Erlaß“ in einem Zwischentext, dass er in keinem Zusammenhang mit dem Apostelkonzil stehe58, und legt durch die Formulierung des passiven In-Kenntnis-Gesetzt-Werdens des Paulus zudem nahe, dass dieser die Beschlüsse nicht mitgetragen habe. Wie ein Dogma der deutsch-christlichen Theologie fasst der letzte Zwischentext in diesem Kapitel „Die Auseinandersetzung des Paulus mit der Jerusalemer Gemeinde“ (BG 249–255) die Sicht der BG auf das Verhältnis zwischen juden- und heidenchristlichen Gemeinden und die Einstellung zum Gesetz zusammen. Auch ein Hinweis auf die Frage, wie der Begriff des ‚Opfers‘ verstanden wird, wenn damit jegliche kultische Komponente ausgeschlossen wird, findet sich in diesem Text: Paulus berichtet von einer Auseinandersetzung in Antiochia, die entstand, weil auch Petrus dem Druck der Judaisten in Antiochia nachgegeben hatte. Paulus selber muß sich auch 58 Vgl. oben 3.1.5.1 BG 252f., Der Jerusalemer Erlaß an die Gemeinde von Antiochia (Apg. 15,23b–25a.27–29), Apg 15,29. ‚Erlaß‘ oder ‚Apostelkonzil‘?
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
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sonst mit judaistischen Störungsversuchen in seinen Gemeinden in Galatien, Philippi und Korinth auseinandersetzen. In der Auseinandersetzung mit den Judaisten verkündet Paulus das Christentum als die Religion der Freiheit gegenüber der jüdischen Knechtschaft unter dem Gesetz. Das Judentum steht für ihn mit seiner Gesetzesreligion auf einer Stufe mit der Dämonenfurcht und der Schicksalsunterworfenheit innerhalb der Religionen der alten Welt. So löst Paulus das Christentum als die Religion der Freiheit von den Religionen der Knechtschaft los. Diese grundsätzliche Klärung erfolgt freilich mit Mitteln und Beweisen, wie sie Paulus in seiner rabbinischen Schule gelernt hat. Die grundsätzliche Klärung hat eine außerordentlich wichtige öffentlich-rechtliche Folge. Die Judaisten wiesen bei ihrer Werbung darauf hin, dass das junge Christentum, wenn es sich mit dem Judentum verband, sich unter den Schutz einer gesetzlich anerkannten und geschützten Religion begab. Durch die staatliche Anerkennung des Judentums als Religion war den Juden die Ausübung ihrer Religion und die Freiheit von Staats- und Kaiserkultus gewährleistet, und sie genossen für ihre Eigenarten rechtlichen Schutz. Als unter dem Einfluß des Paulus das junge Christentum sich grundsätzlich vom Judentum schied und auf das Werben der Judaisten nicht einging, wählte es den schwereren Weg einer Religion, die keine gesetzliche Anerkennung besitzt, gegenüber einer, die für ihre Eigenarten den staatlichen Schutz genießt. Das erforderte in der Folge eine größere Opferbereitschaft. (BG 253f.)
Beim Lesen dieser von den Redaktoren der BG frei gestalteten Passage bietet sich ein Vergleich der enthaltenen Gedanken mit den Gedanken Grundmanns an, wie er sie in seinen Monographien und Artikeln veröffentlicht:
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG 253f. Grundmann Thema: Freiheit vs. Knechtschaft „[…] Christentum als die Religion „‚Ich aber starb durch das Gesetz der Freiheit gegenüber der jüdischen dem Gesetz…‘ (Gal. 2,19) – so faßt Knechtschaft unter dem Gesetz.“ er seine Erfahrung zusammen. Damit ist die Unmöglichkeit des jüdischen Heilsweges aus seiner Lebenserfahrung erwiesen, denn in diesem Heilsweg ist das Heil an die Erfüllung des Gesetzes gebunden.“59 Thema: „Gesetzesreligion“ ist überwunden „So löst Paulus das Christentum als „Es ist irrig, die Predigt des Apostels die Religion der Freiheit von den Paulus als jüdisch zu bezeichnen. So Religionen der Knechtschaft los.“ gewiß der Apostel Paulus von jüdi„Das Judentum steht für ihn [Paulus, scher Theologie herkommt, so gewiß A.d.A.] mit seiner Gesetzesreligion wird gerade bei ihm durch den Glauauf einer Stufe mit der Dämonen- ben an Jesus Christus das Judentum furcht und der Schicksalsunterwor- innerlich überwunden. Das, worauf fenheit innerhalb der Religionen der sich alles Judentum stützt, Abrahamskindschaft und Gesetzeserfülalten Welt“ lung, wird bei Paulus zerstört. Die Abrahamskindschaft schafft kein Vorrecht, das Gesetz ebenfalls nicht. So wird bei ihm aus der Christusbotschaft heraus der religiöse Gehalt des Judentums innerlich überwunden.“60 Hier wird deutlich, dass es sich noch mehr als bei den bearbeiteten Bibelpassagen nicht einfach um die Verkündigung des Paulus handelt, wie die BG suggeriert („Paulus berichtet“, „verkündet Paulus“), sondern vielmehr um die theologische und damals weitverbreitete und erst lang nach dem Erscheinen der BG korrigierte61 Richtung, das Judentum als Gesetzesreligion abzuquali59
Grundmann, Paulus und Luther (1939), 192. Grundmann, 28 Thesen (1935), 32. 61 Unter vielen anderen arbeiten z.B. Schöttler, Tilly/Zwickel, Luz, Wengst und Nicklas gegen das weitverbreitete Missverständnis vom Judentum als Gesetzesreligion an: Schöttler erklärt dieses Missverständnis zunächst Schwierigkeiten bei der Übersetzung: „Das Missverständnis der Tora als ‚Gesetz‘ liegt zu einem nicht geringen Teil darin begründet, dass hebräisch ‚torah‘ im Deutschen mit ‚Gesetz‘ wiedergegeben wird. Das entspricht der Übersetzung in der Septuaginta mit griechisch ‚nómos‘, in der Vulgata mit ‚lex‘. Dabei bedeutet ‚Tora‘ von seiner Wortbedeutung her ‚Weisung‘“ (vgl. Schöttler, Tora (2013), 30) Im Gegenteil: „Tora ist Gnade. Dieses Verständnis kommt wohl am Besten in der jüdischen Liturgie als einer authentischen Stimme jüdischen Glaubens und Selbstverständnisses zum 60
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
223
fizieren, die von Jesus bereits überwunden worden sei. Paulus habe das dann endgültig durchgesetzt. Gegen das Gesetzesverständnis der Juden werden in Ausdruck.“ Beispielhaft nennt Schöttler den Lobspruch ‚Ahavat Olam‘ (‚Ewige Liebe‘), der im täglichen Abendgebet das ‚Schema Jisrael‘ begleitet, in dem die Liebe das erste und letzte Wort hat (vgl. ebd. 31): ‚Mit unendlicher Liebe [Jer 31,3] liebst du das Haus Israel, dein Volk. Lehre [Tora] und Gebote, Satzungen und Gesetze hast du uns gelehrt. Darum, Ewiger, unser Gott, sprechen wir von deinen Gesetzen, wenn wir uns niederlegen und wenn wir aufstehen und freuen uns an den Worten deiner Lehre [Tora] und an deinen Geboten immer und ewig. ‚Denn sie sind unser Leben und die Länge unserer Tage‘ [Dtn 30,20], und in ihnen wollen wir forschen bei Tag und bei Nacht [vgl. Jos 1,8; Ps 1,2]. Lass deine Liebe nicht von uns weichen in alle Ewigkeit. Gelobt seist du, Ewiger, der sein Volk Israel liebt.‘ „Dieses Tora-Verständnis zeigt, dass die beiden korrespondierenden Stichworte ‚Gesetzesreligion‘ und ‚Leistungsreligion‘, mit der das Judentum seit frühen christlichen Zeiten missverstanden und verunglimpft wird, ungerechtfertigte judenfeindliche Stereotype sind. Die Tora ist weder niederdrückende Bürde noch lästiges Joch“ (ebd. 31). Auch Tilly und Zwickel heben die jüdische Tora-Orientierung klar vom Gedanken der Werkgerechtigkeit ab: „Die Tora als der exklusive Ort der heilvollen Offenbarung Gottes in Gestalt seiner Selbstmitteilung und der Kundgebung seines Willens wurde gegeben, damit Israel im Bund bleiben kann. Sie ist Grundlage der positiven Beziehung Gottes zu Israel als seinem Volk und eröffnet ihm das Verständnis für die Welt als den Raum von Gottes Offenbarung. […] Die akzentuierte Toraorientierung, die Durchdringung des gesamten Lebens durch göttliche Gebote und das aktive Bemühen des jüdischen Frommen, stets gemäß diesen Geboten zu leben, sind deshalb nicht als Versuch zu beurteilen, Gottes Gunst durch Werkgerechtigkeit zu gewinnen und sich ihrer zu versichern, sondern stellen vielmehr eine glaubende Reaktion auf die vorangehende göttliche Aktion der Erwählung dar. Ihren Ausdruck fand dieses religiöse System in gegenständlicher Hinsicht in Tempel und Synagoge, in vollziehender Hinsicht in Opfer und Wortgottesdienst und in sprachlicher Hinsicht im religiösen Schrifttum des Judentums.“ (Tilly/Zwickel (2011), 128). Ähnlich schreibt Luz, die Tora sei nach jüdischem Verständnis „in erster Linie ein Unterpfand der Erwählung und des Bundes, das grösste Geschenk, das Gott dem Volk Israel machen konnte“ (Luz (1999), 62). „Natürlich steht Jesus auf dem Boden der Tora“(ebd. 63). Ebenso Wengst: „Was Gott will, ist niedergelegt in der Weisung Gottes an sein Volk, in der Tora, die es für neue Situationen neu zu verstehen und also auszulegen gilt. In 5,17 begegnet zum ersten Mal im Matthäusevangelium das Wort nómos, das von Luther mit ‚Gesetz‘ wiedergegeben wurde, wie es weithin auch heute noch geschieht. Das griechische Wort hat auch primär diese Bedeutung. Im Neuen Testament ist mit nómos aber meistens gemeint, was in der jüdischen Bibel und Tradition auf Hebräisch als toráh bezeichnet wird. Das entspricht der Übersetzung von toráh mit nómos in der griechischen jüdischen Bibel. Aber damit ist toráh nicht hinreichend wiedergegeben. toráh ist viel mehr als Gesetz. Der Wortbedeutung nach ist es ‚Weisung‘, Wegweisung. Als Bezeichnung der fünf Bücher Mose und der Bibel im Ganzen geht es aber noch weit darüber hinaus. Wird es im Deutschen mit ‚Gesetz‘ wiedergegeben, bedeutet das eine starke Verengung, noch einmal besonders in der protestantischen Tradition, weil hier unterschwellig ein Gegensatz zu ‚Evangelium‘ mitschwingt. toráh ist aber auch – das sei noch einmal betont – Evangelium“ (Wengst, Regierungsprogramm (2010), 65). Auch Nicklas verweist auf Mt 5,17–19 als deutlichstes Zeugnis dafür, dass die Ethik Jesu keineswegs Aufhebung, sondern Auslegung der Tora ist (vgl. Nicklas, Jesus von Nazareth (2009), 34).
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
der gesamten BG immer wieder verschiedene Bibeltexte gebraucht, deren Überschriften bereits zwischen altem und neuen „Wandel“62 bzw. alter und neuer „Frömmigkeit“63 polarisieren und eine Unvereinbarkeit zwischen Alt und Neu diagnostizieren64. Statt des „alten“ Weges des Gesetzes sei es nur durch Taten möglich, die „Gebote“ bzw. das „Gebot des Herzens“ zu erfüllen65. Sogar ein Zeitpunkt für das „Ende des Gesetzesdienstes“ wird von der BG festgemacht66 ebenso wie für das „Ende des Opferdienstes“.67 Hier lohnt sich noch einmal ein Blick in den gerade schon zitierten Zwischentext, der die Unterscheidung zwischen Gesetz und Freiheit bzw. zwischen Judentum und Christentum überdeutlich zu machen versucht hat. Am Ende dieses Textes finden sich die Sätze: „Durch die staatliche Anerkennung des Judentums als Religion war den Juden die Ausübung ihrer Religion und die Freiheit von Staats- und Kaiserkultus gewährleistet, und sie genossen für ihre Eigenarten rechtlichen Schutz Als unter dem Einfluß des Paulus das junge Christentum sich grundsätzlich vom Judentum schied und auf das Werben der Judaisten nicht einging, wählte es den schwereren Weg einer Religion, die keine gesetzliche Anerkennung besitzt, gegenüber einer, die für ihre Eigenarten den staatlichen Schutz genießt. Das erforderte in der Folge eine größere Opferbereitschaft.“ (BG 254)
Das Christentum wird dem Judentum mit seiner staatlichen geschützten Religionsausübung hier gegenübergestellt und die „grundsätzliche Scheidung“ des Christentums vom Judentum konstatiert. Durch die Benachteiligung des Christentums, ihren „schwereren Weg“, sei eine „größere Opferbereitschaft“ erforderlich gewesen. An dieser Stelle scheint der Begriff des „Opfers“ zum ersten Mal in den bisher betrachteten Stellen nicht im kultischen, sondern im übertragenen Sinne verwendet zu werden. Mit welchen Implikationen der Begriff in der BG stattdessen versehen wird, soll Teil des dritten Teils dieser Arbeit über die positive Füllung des Opferbegriffs sein. Für den Moment soll die Feststellung genügen, dass in den Texten der BG die Beziehung zwischen Paulus und „den Juden“ unzulässig polarisiert wird.
62
BG 23, Alter und neuer Wandel (Matth. 5,20–22a. 27–28. 33–34a. 37). Diese Polarisierung wurde von den Redaktoren noch verstärkt: In der Teilausgabe stand noch ‚Neuer Wandel‘ (BG-Teilausgabe 26, Neuer Wandel (Math. 5,20–22a.27–28.33–34a.37), Mt 5,28). 63 BG 24, Alte und neue Frömmigkeit (Matth. 6,1–6.16–18). 64 BG 63, Neu und alt verträgt sich nicht (Mark. 2,21–12). Zweifellos ist diese Interpretation unhaltbar, die Ethik Jesu ist keineswegs Aufhebung, sondern Auslegung der Tora (vgl. Nicklas, Jesus von Nazareth (2009), 34). 65 BG 65, Die helfende Tat erfüllt des Herzens Gebot (Luk. 13,10–17) und BG 186, Gottesdienst der Tat (Röm. 12,1–2). 66 Vgl. BG 104, Das Weinwunder: Ende des Gesetzesdienstes, (Joh. 2,1–11). 67 Vgl. BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab).
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
225
Statt der Gesetzestreue und Rücksichtnahme, die dieser an den Tag legte,68 wird von einer „grundsätzlichen Scheidung“ vom Judentum gesprochen, die auf den paulinischen Einfluss zurückgehe. Die aus dem geforderten Staatskult bzw. Kaiseropfer entstehenden Konflikte und Verfolgungen sind zwar historisch belegt,69 es kann aber keine „größere Opferbereitschaft“ der Christen direkt aus der „Scheidung“ vom Judentum abgeleitet werden. Die Vorstellung von einer damals bereits Existierenden klaren „Scheidung“ zwischen Judentum und Christentum, wie sie hier von der BG-Redaktion vorausgesetzt wird, ist so nicht haltbar. Die Rede von der „Opferbereitschaft“ ist somit ein Spezifikum der BGEinfügungen und scheint signifikante Bedeutung für die Redaktoren gehabt zu haben.70 Als Quintessenz der vorliegenden Betrachtung kann festgehalten werden, dass das Verhältnis des Paulus zur Gemeinde von Jerusalem, die an vielen Stellen noch unreflektiert mit dem Judentum gleichgesetzt wird, von der BG an vielen Stellen problematisiert wird. Vor allem in der Frage nach dem Gesetz und der Freiheit und in dem Ringen um das richtige Opferverständnis findet sich immer wieder ein Schwarz-Weiß-Schema, das die Jerusalemer Autoritäten abwertet und Paulus und seine Anhänger im selben Zuge aufwertet. In der Frage nach dem Umgang mit dem Opferbegriff in der BG lässt sich festhalten, dass das jüdische Tempelopfer abgewertet oder gleich ganz verschwiegen wird, dafür aber die „Opferbereitschaft“ als Leitbegriff für das spezifisch Christliche erscheint. Diese Tendenzen wurden durch Umschreibungen, durch Vermeidung bestimmter Passagen und durch die Neukontextualisierung von Passagen, die die Leser sonst in eine andere Richtung führen könnten, in die Texte eingetragen.
68
So weiß Apg 16 über die Rezeption der Beschlüsse des Apostelkonzils zu berichten: Als sie (Paulus und sein ‚mit Rücksicht auf die Juden‘ (Apg 16,3) beschnittener (!) Begleiter Timotheus) nun durch die Städte zogen, überbrachten sie ihnen die von den Aposteln und den Ältesten in Jerusalem gefassten Beschlüsse und trugen ihnen auf, sich daran zu halten‘ (Apg 16,4). Diese Verse sind in der BG nicht aufgenommen. 69 Vgl. zum Kaiserkult: Witulski (2007), der die Entwicklung des Kultes in den Blick nimmt, ferner Ameling (2011). Ob es auch Judenverfolgungen (unter Domitian) gab, kann nach Stemberger nicht bewiesen werden (Stemberger (1990), 16f.), man weiß allerdings, dass es neben den religiösen Privilegien der Juden, u.a. der Befreiung von der Verehrung der römischen Staatsgötter bzw. später vom Kaiserkult (ebd. 10) auch Konflikte gab, die zu jüdischen Aufständen führten (ebd. 13f.). Auch wurde nach der Zerstörung des Tempels ab dem Jahre 71/72 der fiscus Judaicus eingeführt (ebd. 15). 70 Vgl. die Analysen unten: 3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs.
226
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
3.1.6 Vergewisserung: BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab) Danach zog Jesus nach Kapernaum mit seiner Mutter, seinen Brüder und seinen Jünger, blieb aber nur wenige Tage dort. Das Passahfest, das die Juden zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten feiern, stand bevor, und Jesus ging nach Jerusalem hinaus. Im Tempel fand er Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und Geldwechsler an ihren Tischen. Da flocht er eine Peitsche aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern, verschüttete den Wechslern das Geld, stieß ihre Tische um und sprach zu den Taubenverkäufern: ‚Hinaus damit! Macht meines Vaters Haus nicht zum Kaufhaus!‘ Da traten ihm die Juden entgegen mit der Frage: ‚Mit welchem Zeichen willst du uns das Recht zu dieser Tat beweisen?‘ Jesus antwortete ihnen: ‚Brecht diesen Tempel ab, und ich will in drei Tagen ein neues Heiligtum bauen.‘ Die Juden stellten fest: ‚Sechsundvierzig Jahre lang wurde an diesem Tempel gebaut. Und du willst in drei Tagen ein neues Heiligtum bauen?‘ Als Jesus von den Toten auferweckt war, erinnerten sich seine Jünger an dieses Wort, erkannten, dass er von seiner Sendung geredet hatte, und glaubten daran. (BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab))
Die beiden großen Linien, die sich in diesem Teil bisher gezeigt haben, lassen sich auch an diesem Text deutlich erkennen. (1) Wie in allen vorherigen Passagen festgestellt, ist auch hier von den ersten Zeilen der Passage an die Tendenz zu erkennen, Jesus vom Judentum zu distanzieren. Das Pessachfest wird hier von der BG mit einer Erklärung versehen, die sich im biblischen Text nicht findet: Joh 2,13
BG Das Passahfest, das die Juden zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten feiern, stand bevor, und Jesus ging nach Jerusalem hinaus.
EÜ/NA Das Paschafest der Juden (τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων) war nahe und Jesus zog nach Jerusalem hinauf.
Luther Und der Juden Ostern war nahe, und Jesus zog hinauf gen Jerusalem
Durch diese Erklärung der Juden und ihrer Gebräuche wird das Pessachfest in eine größere gedankliche Distanz zunächst zum Autor des Johannesevangeliums, mit ihm aber auch zu den beschriebenen Personen, hier also zu Jesus, gerückt. Einen ähnlichen Effekt versuchen die BG-Redaktoren auch bei ihren Bearbeitungen der Texte aus dem Markusevangelium über die letzten Tage Jesu in Jerusalem zu erzielen, indem sie auch hier die Selbstverständlichkeit, mit der Jesus als Teil des Judentums dargestellt wird, auflösen:
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
Mk 14,1 bzw. BG 84, Der Todesbeschluss (Mark. 14,1–2.10– 11), Mk 14,1
Mk 14,12
Mk 14,16 bzw. BG 85, Das letzte Mahl (Mark. 14,16–21; Luk. 22,24.27– 30a; Mark. 14,22–25), Mk 14,16
227
BG Zwei Tage vor dem Passah der Juden
EÜ/NA Es war zwei Tage vor dem Pascha (τὸ πάσχα) und dem Fest der Ungesäuerten Brote (τὰ ἄζυμα).
Luther Und nach zwei Tagen war Ostern und die Tage der süßen Brote.
suchten die Hohenpriester und Schriftgelehrten einen Weg, wie sie Jesus mit List in ihre Gewalt bekämen und ums Leben brächten.
Die Hohenpriester und die Schriftgelehrten suchten nach einer Möglichkeit, Jesus mit List in ihre Gewalt zu bringen, um ihn zu töten.
Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List griffen und töteten.
Am ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote (τῇ πρώτῃ ἡμέρᾳ τῶν ἀζύμων), an dem man das Paschalamm (τὸ πάσχα) schlachtete, sagten die Jünger zu Jesus: Wo sollen wir das Paschamahl (τὸ πάσχα) für dich vorbereiten?
Und am ersten Tage der süßen Brote, da man das Osterlamm opferte, sprachen seine Jünger zu ihm: Wo willst du, daß wir hingehen und bereiten, daß du das Osterlamm essest?
Zwei Jünger waren vorausgegangen, kamen nach Jerusalem
Die Jünger machten sich auf den Weg und kamen in die Stadt. Sie fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte,
Und die Jünger gingen aus und kamen in die Stadt und fanden's, wie er ihnen gesagt hatte,
und bereiteten die Stätte für das gemeinsame Mahl.
und bereiteten das Paschamahl (τὸ πάσχα) vor.
und bereiteten das Osterlamm.
fehlt
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Im Unterschied zu Joh 2,13 ist hier zu erkennen, dass für den Autor des MkEvangeliums noch selbstverständlicher war, dass Jesus als Jude handelt. Hier wird nicht einmal bei der Erwähnung des Pessachfestes der johanneische Zusatz τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων beigefügt, der ja ebenfalls eine gewisse Distanz ausdrückt,71 sondern es ist ganz schlicht von τὸ πάσχα und vom synonym gebrauchten τὰ ἄζυμα72 die Rede. Die BG-Redaktion bearbeitet die Texte des Markusevangeliums so, dass das „Passah“ als eine rein jüdische Einrichtung erscheint. In Mk 14,1 steht ja nur τὸ πάσχα, aber die BG trägt das ohnehin schon distanziertere τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων ein. Mit der Übernahme der johanneischen Formulierung baut die BG eine größere Distanz auf, als das das Markusevangelium tut. Auch mit der pauschalen Rechtfertigung der BG-Redaktoren, dass der ursprüngliche Textsinn freigelegt werden solle, lässt sich dies nicht erklären: Gerade mit dieser Absicht hätte ja die im Johannesevangelium reflektierte später beginnende Trennungsbewegung nicht aufgegriffen werden dürfen.73 Vor allem die Kombination mit der Auslassung von Mk 14,12–1574 bestärkt die Vermutung, dass das Tun der Jünger und Jesu in eine möglichst große Distanz zum Pessachfest gebracht werden soll: Eben in diesen Versen ist davon die Rede, wie die Jünger das Pessachmahl für Jesus vorbereiten. Dementsprechend fasst die EÜ Mk 14,12–16 auch zu einer Perikope mit dem Titel „Die Vorbereitung des Paschamahls“ zusammen.75 In der BG bleibt 71 Das Genitivattribut an verschiedenen Stellen im Johannesevangelium (z.B. Joh 2,6; 5,1; 6,4; 7,2; 11,55 und 19,42) erziehlt beim Leser „eine gewisse Distanz gegenüber den Bräuchen und Festen“ bzw. vermittelt „eine Außenperspektive gegenüber diesen Bräuchen“ (vgl. Nicklas (2001), 292). Theobald sieht den Ausdruck „und das Pascha der Juden war nahe“ zudem als Vorverweis auf das „Todes-Pascha“ am Ende des Johannesevangelium (vgl. Joh 11,55) (vgl. Theobald (2009), 229). 72 Von ἄζυμος (ungesäuert, ohne Gärung); steht für die ungesäuerten Brote/Mazzen oder das Mazzenfest selbst (Bauer/Aland, 36). 73 Das reflektierte „spätere und feindliche“ Verhältnis der von der Synagoge getrennten, vornehmlich heidenchristlichen Kirche zum Judentum und zu dessen im Jahre 70 mit der Tempelzerstörung untergegangenen Opferkult darf ja nicht den frommen und toratreuen Juden Jesus, der mit seinem Volk so leidenschaftlich und das gemeinsame und für beide Seiten natürlich absolut verbindliche heilige Erbe streitet, aus dem Blick geraten lassen (vgl. Thyen (2005), 170). 74 Der Abschnitt „Der Todesbeschluss“ (BG 84) nimmt Mk 14,1–2.10–11 auf, „Die Todessalbung“ (BG 84) nennt Mk 14,3–9 als Referenzstellen, „Das letzte Mahl“ (BG 85) zitiert Mk 14,16–21; Lk 22,24.27–30a und Mk 14,22–25. Die Perikope Mk 14,12–15 sind somit die einzigen Verse, die aus diesem ersten Teil des 14. Kapitels fehlen. 75 „Am ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote, an dem man das Paschalamm schlachtete, sagten die Jünger zu Jesus: Wo sollen wir das Paschamahl für dich vorbereiten? […]14 […] Wo ist der Raum, in dem ich mit meinen Jüngern das Paschalamm essen kann? 15 […] Sie fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Paschamahl vor.“ (EÜ, Mk 14,12–16. Genauer analysiert ist in diesem Rahmen Mk 14,12 und Mk 14,16, weil
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
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davon nur Mk 14,16 in stark bearbeiteter Form erhalten, in der kein Hinweis mehr darauf erkennbar ist, dass die Jünger mit Jesus das Pessachmahl halten. Es wird nur neutral von einem gemeinsamen Mahl gesprochen. Auch Joh 2,13 lässt also diese in Mk 14,1–16 verstärkt zu beobachtende Tendenz einer Heraushebung der Jünger und Jesu aus den Gewohnheiten und Festen ihrer jüdischen Umgebung erkennen durch die Einfügung einer Erklärung, warum das Pessachfest überhaupt von den Juden gefeiert wird. Den Umgang mit dem Begriff „Passah“ in der BG kritisiert bereits von Soden und verweist auf die Illegitimität eines Eingriffs in den Text, selbst wenn es historische Gründe dafür gäbe: „Jesus ißt mit seinen Jüngern [in der BG, A.d.A.] kein Passah, sondern ein ‚Mahl‘ Markus 14, 16 (S. 86)76. Hier könnte freilich für die Tilgung des Wortes Passah bestimmend gewesen sein, daß die Herausgeber des VT, mit vielen (auch mir) das letzte Abendmahl Jesu geschichtlich nicht als Passahmahl ansehen (vgl. Grundmann, Gotteskindschaft, S. 149f.), aber das berechtigt nicht zu einer Textänderung.“77
Schon länger diskutierte man über die Übersetzung Luthers, wie die Überlegungen von Althaus und Knolle zu einer Neuausgabe der Lutherbibel beweisen78 Im Gegensatz zur Lutherübersetzung aber, in der τὸ πάσχα je nach Sinnzusammenhang mit „Ostern“ bzw. „Osterfest“ oder „Osterlamm“ übersetzt wird, sogar in der direkten Verbindung „der Juden Ostern“, vermeidet die BG einen derart offensichtlichen Anachronismus. Mit der Rede vom jüdischem „Osterfest“ wird bei den christlichen Lesern ja ganz automatisch eine Verbindung zwischen dem Jüdischen und dem Christlichen hergestellt. Diese Verbindung sollte in den Texten der BG wohl vermieden werden, daher wählte man einen anderen Weg der Darstellung. Wie die Untersuchung ähnlich bearbeiteter Verse bestätigt, hebt die BG-Redaktion das gesamte Handeln Jesu von den jüdischen Rahmenbedingungen ab, indem einerseits betont wird, dass das Pessachfest ein jüdisches Fest (vgl. Mk 14,1: „Passah der Juden“), und andererseits das Tun der Jünger und Jesu in möglichst wenig Zusammenhang mit diesem jüdischen Fest gebracht wird (vgl. Mk 14,16: „gemeinsames Mahl“). Diese Doppelbewegung, einerseits das spezifisch Jüdische zu verstärken und andererseits das jesuanische Tun davon abzugrenzen, führt zu der von der BG offensichtlich angestrebten Distanz Jesu zum Judentum. Auch Grundmanns Interpretationen zu dieser Stelle bestreiten die Historizität des Pessachmahls: Das Mahl Jesu habe „nichts in seinem Gedankengehalt mit dem jüdisch-israelitischen Passah zu tun“, sondern sei „ein Absich dort die deutlichsten Hinweise darauf finden, warum diese Stelle ausgelassen worden sein könnte). 76 von Soden zitiert hier aus der BG, von ihm mit VT („Volkstestament“) abgekürzt. 77 Soden, Urchristentum (1956), 184. 78 Althaus/Knolle (1940), 70.
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
schiedsmahl im Jüngerkreis in der Art der nach der Landessitte üblichen festlichen Mahlzeiten mit religiösem Charakter“79. Zugleich löst Grundmann die enge Verbindung Jesu zum Judentum, indem er auch die Deuteworte völlig aus dem jüdischen Kontext löst. Er spricht hier von einer neuen „Stiftung“ Jesu, die in keinerlei Zusammenhang mit dem Bundesgedanken stehe.80 Festhalten lässt sich für den Moment, dass der Pessachkontext, der sowohl bei den Synoptikern als auch bei Johannes für die Deutung der Passionsereignisse in je eigener Weise fruchtbar gemacht wurde,81 in der BG völlig fehlt. Das zeigt auch die Bearbeitung der letzten Verse von Joh 2. Hier erscheint das Fest nur noch wie die Hintergrundfolie, die wenig mit Jesus zu tun hat: Während des Festes in Jerusalem kamen viele zum Glauben an Jesus, weil sie seine Taten sahen. Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an; denn er durchschaute sie alle. (BG 106, Das Gespräch mit Nikodemus: Ende der Schriftgelehrsamkeit vor dem Lebensgeheimnis des Gottessohnes (2,23–24; 3,1–10.12–13.16–21.31–36), Joh 2,23–24)
Auch hier ist nur allgemein vom Fest, nicht aber vom Pessachfest die Rede und zudem wird davon nur im Präpositionalausdruck berichtet:
79
Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 157. Mehr dazu in den Analysen zu den Deuteworten (3.2.7 Der Umgang mit dem Begriff „Blut“ an den fünf ὁ ἀμνός-Stellen im Vergleich mit den Abendmahlstexten und dem Bericht vom „Blutzeugen“ Stephanus). 81 Johannes stellt das Passionsgeschehen insgesamt in den Horizont des Pessachfestes und versteht den Tod Jesu vor diesem Hintergrund (Joh 19,36 nimmt Bezug auf Ex 12). In den syn. Evangelien wird der Passahkontext dagegen zur Deutung des letzten Mahles Jesu herangezogen (vgl. Schröter (2009), 288). Die Feier des Mahles dient der Verbindung mit Jesus im geteilten Brot und im gemeinsamen Kelch und vergegenwärtigt das durch ihn vermittelte Heil. Dies sei als zum nur einmal jährlich gefeierten Pessachfest analoges Geschehen zu verstehen, denn das sakramentale Mahl der christliche Gemeinde wurde von Anfang an zumindest einmal in der Woche gefeiert (vgl. ebd. 290). 80
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
Joh 2,23
Joh 2,24
Joh 2,25
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BG Während des Festes in Jerusalem kamen viele zum Glauben an Jesus, weil sie seine Taten sahen
EÜ/NA Während er (Ὡς δὲ ἦν) zum Paschafest (ἐν τῷ πάσχα) in Jerusalem war, kamen viele zum Glauben an seinen Namen, als sie die Zeichen sahen, die er tat.
Luther Als er aber zu Jerusalem war am Osterfest, glaubten viele an seinen Namen, da sie die Zeichen sahen, die er tat.
Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an; denn er durchschaute sie alle. fehlt
Jesus aber vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle (διὰ τὸ αὐτὸν γινώσκειν πάντας). und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen (καὶ ὅτι οὐ χρείαν εἶχεν ἵνα τις μαρτυρήσῃ περὶ τοῦ ἀνθρώπου); denn er wusste, was im Menschen ist.
Aber Jesus vertraute sich ihnen nicht; denn er kannte sie alle
und bedurfte nicht, daß jemand Zeugnis gäbe von einem Menschen; denn er wußte wohl, was im Menschen war.
Aus der aktiven Teilnahme Jesu am Fest (vgl. EÜ: „Während er zum Paschafest […] war“) machen die BG-Redaktoren einen passiven und undefinierten Hintergrund für die folgende Szene (vgl. BG: „Während des Festes“), die auch noch mit „Das Gespräch mit Nikodemus: Ende der Schriftgelehrsamkeit vor dem Lebensgeheimnis des Gottessohnes“ (BG 106) überschrieben wird und somit klar die Lehre des Gottessohnes Jesus von der als jüdisch gebrandmarkten „Schriftgelehrsamkeit“ abgrenzen will. Nikodemus ist im Johannesevangelium aber eigentlich ein sehr offener Charakter,82 der bereits durch die Überschrift der BG einseitig vereinnahmt wird. Außerdem versteht sich das Johannesevangelium selbst als Schriftgelehrsamkeit. Aus dem Verweis auf Jesu besonderes Wissen um jeden Menschen, das dazu führe, dass er niemanden braucht (οὐ χρείαν εἶχεν), dem er sich anvertrauen kann, scheint der BG-Text hier ein Misstrauen Jesu den Festbesuchern gegenüber darstellen zu wollen: Jesus „durchschaut“ sie – und ihre bösen 82 So wird Nikodemus als Pharisäer und (führender) Jude (Joh 3,1), aber auch als einer, der durch die Zeichen Jesu an den Glauben an ihn gekommen ist (vgl. Joh 2,23.25), dargestellt, letztlich bleibt sein Verhältnis zu Jesus unbestimmt (vgl. Nicklas (2001), 213–247, v.a. 245).
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Absichten? –, der Verweis auf sein Wissen um die Menschen (Joh 2,25) fehlt völlig. Diese Darstellung der Festbesucher könnte darauf hinweisen, dass das „Fest“ trotz der fehlenden expliziten Erwähnung des Pessachfestes für die BG-Redaktion noch gedanklich mit den Juden verknüpft war. Als zusätzliches Argument für diese gezielte Distanzierung Jesu vom Jüdischen kann auch der fehlende, ja geradezu herausgeschnittene Vers Joh 2,1783 in der Passage BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab) gesehen werden: Eine Berücksichtigung dieser Reaktion der Jünger würde eine antijüdische Auslegung unmöglich machen, der Vers mit seiner Bezugnahme auf Ps 69,10 wurde von den BG-Redaktoren aber herausgeschnitten, obwohl dieser Vers für das Verständnis des Tuns Jesu als im ausdrücklichen Einklang mit dem jüdischen Denken stehend und unerlässlich wäre. (2) Die zweite große Linie sind die Eingriffe der BG-Redaktion in die Texte, die die Thematik des kultischen Opfers berühren. In diesem Beispiel stellt sich die Frage, warum der „Opferdienst“ in der Überschrift für beendet erklärt wird, obwohl in der gesamten Passage weder von „Opfer“ noch von „Dienst“ zu lesen ist. Zunächst sollen dazu die zentralen Verse über Jesu Tun während des Pessachfestes in Jerusalem verglichen werden. In der EÜ sind sie unter der Perikopenüberschrift „Die Vertreibung der Händler aus dem Tempel“ (Joh 2,13–22) zu finden, in der BG unter der stark lenkenden Überschrift „Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes“ (BG 105, Joh 2,12–16.18– 20.22ab). Keine wesentlichen Textunterschiede finden sich in der Situationsbeschreibung, also der Schilderung der Aktion Jesu, die Verkäufer und ihre Tiere aus dem Tempel zu treiben, die Tische der Geldwechsler umzustoßen und dem Wort, das Haus seines Vaters solle nicht zum „Kaufhaus“84 werden (Joh 2,14–16). Interessant ist hier allerdings, dass Jesu Rede vom Tempel als „Haus meines Vaters“ (Joh 2,16) auch in der BG wörtlich so übernommen wird. Jesus präsentiert sich mit diesem Wort als Sohn seines Vaters, der zu recht für die Belange seines Vaters eintritt: Er eignet sich den Tempel aufgrund des väterlichen Besitzrechtes als sein eigenes Haus an85, es geht ihm um die Heiligkeit dieses Ortes, nicht aber um das Ende des an ihm vollzoge-
83
‚Seine Jünger erinnerten sich an das Wort der Schrift: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.‘ (EÜ, Joh 2,17). 84 Die BG nimmt hier eine Aktualisierung von οἶκον ἐμπορίου (wörtlich: Haus des Handels) zum anachronistischen „Kaufhaus“ (identisch Luther) vor. 85 Vgl. Tilborg (2005), 37. Der verzehrende Eifer dieser Aneignung hat nicht den vordergründigen Sinn, dass sein Einsatz für den Tempel Jesus total in Beschlag nehmen würde, sondern den erst nachösterlichen Sinn, dass sein Anspruch, den er im Haus seines Vaters erhebt, ihn das Leben kosten wird (vgl. Theobald (2009), 232).
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
233
nen Kultes.86 Die BG-Redaktion scheint dies nicht zu bedenken, greift sie doch erst im Anschluss an diesen Vers stärker in den Text ein:
Da traten ihm die Juden entgegen mit der Frage: ‚Mit welchem Zeichen willst du uns das Recht zu dieser Tat beweisen?‘.
Luther/NA 17 Seine Jünger aber gedachten daran, daß geschrieben steht: Der Eifer um dein Haus hat mich gefressen. 18 Da antworteten nun die Juden und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, daß du solches tun mögest?
Jesus antwortete ihnen:
19 Jesus antwortete und sprach zu ihnen:
‚Brecht diesen Tempel ab, und ich will in drei Tagen
Brechet diesen Tempel, und am dritten Tage will ich (λύσατε τὸν ναὸν τοῦτον καὶ ἐν τρισὶν ἡμέραις)
ein neues Heiligtum bauen.‘
ihn aufrichten (ἐγερῶ αὐτόν).
Die Juden stellten fest: ‚Sechsundvierzig Jahre lang wurde an diesem Tempel gebaut.
20 Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in 46 Jahren erbaut;
Und du willst in drei Tagen ein neues Heiligtum bauen?‘
und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? (καὶ σὺ ἐν τρισὶν ἡμέραις ἐγερεῖς αὐτόν;) 21 (Er aber redete von dem Tempel seines Leibes.
fehlt
BG
fehlt Als Jesus von den Toten auferweckt war, erinnerten sich seine Jünger an dieses Wort,
22 Da er nun auferstanden war von den Toten, gedachten seine Jünger daran, daß er dies gesagt hatte,
erkannten, dass er von seiner Sendung geredet hatte, und glaubten daran.
und glaubten der Schrift und der Rede, die Jesus gesagt hatte.) (καὶ ἐπίστευσαν τῇ γραφῇ καὶ τῷ λόγῳ ὃν εἶπεν ὁ Ἰησοῦς´.)
Bei der Deutung der Situation finden sich wesentliche Unterschiede: Während im Bibeltext die Jünger sich in Joh 2,17 eines Schriftwortes87 erinnern,
86
Vgl. Theobald (2009), 226. ‚Denn der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt; / die Schmähungen derer, die dich schmähen, haben mich getroffen.‘ (EÜ, Ps 69,10). 87
234
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
im Rahmen dessen sie Jesu Verhalten als richtig zu beurteilen wissen, tilgt die BG diesen ganzen Vers. Die wohl größte Auffälligkeit findet sich dann in Joh 2,19–20: Die BG lässt Jesus ankündigen, ein neues Heiligtum bauen zu wollen, statt den Tempel wieder aufzurichten (EÜ). Sprachlich ist das nicht möglich, da sich das Personalpronomen ‚αὐτόν‘ in beiden Versen Joh 2,19.20 auf den vorher jeweils erwähnten Tempel (ὁ ναός) beziehen muss. Auch findet sich hier die bereits mehrmals in der BG festgestellte Polarisierung von neu und alt:88 Das Heiligtum wird als „neu“ bezeichnet und somit vom Tempel abgehoben. Interessant ist auch, dass Joh 2,19 in der BG gleich zweimal aufgenommen ist und somit betont wird.89 Den eigentlichen Sinn dieser Aussage würde erst Joh 2,21 erschließen: Jesus habe nicht, wie die Juden ihn in Joh 2,20 verstanden, von der Wiederaufrichtung des Jerusalemer Tempels, sondern von seiner eigenen bzw. der des „Tempels seines Leibes“, gesprochen.90 Dieser Vers fehlt in der BG komplett; der Sinn konnte und sollte in der Logik des BG-Textes nicht erhellt werden, da ja bereits die Aussage Jesu verfälscht wurde. Joh 2,22 wird dann wieder aufgenommen, bekommt aber durch die vorherigen Texteingriffe eine andere Sinnrichtung: Während es im Erzählduktus der BG von den Jünger als „Sendung Jesu“ erkannt wird, ein „neues Heiligtum zu bauen“, ist in der Logik des eigentlichen Textes das Wort Jesus endgültig durch seine Auferstehung am dritten Tag erhellt: Der Wiederaufbau des Tempels hat stattgefunden und Jesus hat somit den in Joh 2,18 von den Juden geforderten Beweis für die Rechtmäßigkeit seines Handelns erbracht. Joh 2,22 verweist dann auch nochmals explizit auf die Rückbindung des Handelns Jesu an die „Schrift“: Die Jünger glauben „der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte“ – und zwar in dieser Reihenfolge. Bereits im Alten Testament findet sich nämlich der Hinweis auf ein rettendes Eingreifen Gottes „am dritten Tag“91 und somit wird die Aussage Jesus von den Jüngern im Nachhinein an die Schrift rückgebunden und als glaubhaft erkannt. Vom „Ende des Opferdienstes“ kann daher mit Blick auf den tatsächlichen Bibeltext so nicht gesprochen werden. Die Vertreibung der Händler weist sicherlich auf eine ablehnende Haltung Jesu der Praxis gegenüber hin, dass im Tempel Profit daraus geschlagen wurde, den Gläubigen Opfertiere zu 88
Vgl. z.B. BG 63, Neu und alt verträgt sich nicht (Mark. 2,21–22). Vgl. die Analysen in 4.1.3 BG 81, Leidensnachfolge (Mark. 13,1–2; Joh. 2,19; Mark. 13,3–6.9–11a; Luk. 21,17–18; Mark. 13,13c; Matth. 10,24–25; Luk. 9,27). 90 Das Tempelwort Jesu und diese Reaktion der zeichenfordernden Juden kann als Spiel mit den synoptischen Texten (Mk 14,58; Mt 12,39f. ; 26,61) aufgefasst werden (vgl. Thyen (2005), 178f.). 91 ‚Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, / am dritten Tag richtet er uns wieder auf / und wir leben vor seinem Angesicht.‘ (EÜ, Hos 6,2). 89
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
235
verkaufen.92 Das Ziel, das gesamte Opferwesen abzuschaffen bzw., wie die BG es formuliert, das „Ende des Opferdienstes“ durch die „Tempelreinigung“ herbeizuführen, kann aber nicht aus dem Text herausgelesen werden. Vielmehr könnte von einer Freilegung des ursprünglichen Sinnes des Opfers, nämlich der Begegnung mit Gott, gesprochen werden. Wenn Jesus von sich selbst, ganz in jüdischer Begrifflichkeit, als einem wiederaufgebauten „Tempel“ sprechen kann, gibt er selbst einen ebenso eindringlichen Hinweis auf die eigentliche Funktion des Tempels, Begegnungsstätte mit Gott zu sein, wie es Hos 6 tut, einige Verse nach dem Verweis auf die Rettung am dritten Tag: ‚Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, / Gotteserkenntnis statt Brandopfer.‘ (Hos 6,6) Zu beachten ist allerdings, dass die Darstellung im Johannesevangelium wohl bereits die Frage nach einem Kult ohne Tempel reflektiert, was nach der Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. legitim und notwendig ist.93 Bereits eine zeitgenössische Rezension zu Grundmanns „Wer ist Jesus von Nazareth?“ (1940) erfasst genau das Problem, das die BG-Überschrift „:Ende des Opferdienstes“ ebenso aufwirft wie diverse Aussagen Grundmanns94: 92
Thyen vermutet sogar, dass diese Praxis, Opfertiere im Tempelbezirk zu verkaufen, eine „umstrittene Neuerung“ gewesen sein könnte, denn nur so sei vorstellbar, dass Jesus nicht verhaftet und vor Gericht gestellt wurde, sondern die Neuerung „sowohl vom Sanhedrin als auch von den Frommen im Volk mißbilligt wurde“ (vgl. Thyen (2005), 172). Die Abschaffung des gesamten Opferwesens wäre dann noch weniger Jesu Ansinnen gewesen. Michael Theobald bemerkt zudem, dass sich Jesu Aktion im Tempel gegen die Tiere und den Geldverkehr (also das, was den Opferkult ermöglicht) richtet, nicht gegen die Menschen selbst (vgl. Theobald (2009), 230 und Thyen (2005), 173). 93 Theobald weist daher darauf hin, dass in der johanneischen Darstellung der Tempelreinigung durchaus nicht nur Kritik an einem veräußerlichten Tempelbetrieb geübt wird oder die prophetische Vision einer eschatologischen Tempelreform geboten wird, sondern dass das „definitive Ende des Opfer- und Sühnekults“ die Pointe sei, eine „Fundamentalkritik des Tempels“, die von der christologischen Überzeugung herkommt, dass Jesus in Person der endgültige Ort der Heilsgegenwart Gottes in dieser Welt ist“ (vgl. Theobald (2009), 237). Eine „grundsätzliche Bejahung“ des Tempelkults sieht auch Fiedler (2005), 279. Hier (278– 283) findet sich auch eine kurze Erörterung der Frage des Zusammenhangs der Passage bei Joh mit dem bereits zerstörten Tempel. Klaus Berger äußert den Gedanken, dass die Juden in Joh 2,19 selbst dazu aufgefordert werden. Diese rhetorische Figur bringt eine Aufforderung zu einer Handlung, deren Handlungsvollzug unwahrscheinlich ist und einer zweiten, darauf aufbauenden Handlung. Der Sinn der Figur liegt nun auf dem zweiten Glied: ich kann das tun, ich will euch etwas zeigen (vgl. Berger (2004), 86). 94 „So ergibt sich: der jüdische Gottesdienst als Reinigungs- und Opferdienst ist abgelöst, von ihm führt keine Brücke der Verständnisses hinüber – das zeigt das Nikodemusgespräch – zu dem, wie nach Jesu Botschaft der neue Gottesdienst entsteht, wie das Reich Gottes kommt und wie er es sieht.“ (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 227). „Es ist bei Jesus nichts davon erkennbar, daß Gott besondere Leistungen für sich fordert, wie Opfer, Askese und derartige Dinge, mit denen der Mensch Gott dient und ihm ein Besonderes tut. Im Gegenteil: Jesus schleudert den Pharisäern und Schriftgelehrten das Wort ins Angesicht: ‚An Barmherzigkeit habe ich Wohlgefallen, nicht an Schlachtopfern.‘ Das ist ein Unterschied zum Gottes-
236
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
„Daß die Tempelreinigung als ‚eine bestimmte Absage‘ an den Tempeldienst gemeint war, hat G. [=Grundmann, A.d.A.] (28) nicht entfernt begründet. Sie hat im Gegenteil die Heiligkeit des Tempels zur Voraussetzung, wendet sich nicht gegen diese, sondern gegen die Entheiligung desselben. Entsprechend ist auch Israel für Jesus Gottes Volk. Jesus hat zwar auch Nicht-Juden seine Hilfe geschenkt, aber seine eigentliche Arbeit gilt den Juden. Heiden widmet er sich nur nebenbei. So hat das A.T. und seine Einrichtungen für Jesus wirklich Offenbarungsbedeutung.“95
Die Bearbeitung des Textes in der BG verändert den Sinn der Perikope somit wesentlich: Bereits durch die Überschrift wird der Lesefokus auf eine Ablösung vom Opferdienst gelenkt, anstatt zunächst deutungsoffen die näheren Umstände des Tempelkultes kritisiert wissen zu wollen. Auch spielen die Redaktoren durch die Tilgung der beiden Schriftverweise in Joh 2,17 (Ps 69,10) und Joh 2,21 in Verbindung mit Joh 2,20 (Hos 6,2) mit dem daraus resultierenden Leserverständnis, dass Jesus den Tempel zerstört und somit den gesamten Opferdienst beendet wissen wollte. Joh 2,17 spricht ja von Jesus als dem Eiferer für den Tempel und das ist die Sinnspitze der johanneischen Fassung, welche zudem über Ps 68/69 einen Bezug zur Passion herstellt. Selbst den Begriff „Tempel“ lassen die BG-Redaktoren Jesus nicht in seinem Munde führen, stattdessen spricht er vom neuen Heiligtum. Auch ein Blick in die BG-Bearbeitung der „Reinigung des Tempels“ (BG) bzw. der „Tempelreinigung“ (EÜ) im Markusevangelium kann die gezielte Bearbeitung noch zusätzlich verdeutlichen und die Bearbeitungsrichtung offenlegen: Als Jesus in den Tempel kam, trieb er aus, die dort kauften und verkauften, warf die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und ließ nicht zu, dass jemand mit dem, was er gerade bei sich trug, über den Vorhof ging, um seinen Weg abzukürzen. Und er belehrte sie: ‚Steht nicht geschrieben: Mein Haus soll der Anbetung dienen? Ihr aber dienstwesen in allen Religionen: Jesus macht allem Opferwesen, aller Askese als besonderen Leistungen, die Gott für sich will, ein Ende […].“ (Grundmann, Gott Jesu Christi, (1936), 21f.). In der Tempelreinigung stelle sich „deutlich die religiöse und unpolitische Absicht Jesu“ heraus: „ Natürlich vermeidet diese herausfordernde Handlung nicht tumultuöse Folgen. Im Mittelpunkt aber steht das Wort, das zwar aus zwei alttestamentlichen Prophetenworten zusammengesetzt ist, aber in dieser Zusammensetzung eine neue Position aufleuchten läßt: ‚Mein Haus soll ein Bethaus sein, ihr aber habt eine Räuberspelunke daraus gemacht.‘ Mit diesem Wort ist der Tempeldienst in der jüdischen Form grundsätzlich verworfen. […] Die eigentliche Bedeutung des Tempels, Opfer- und Kultstätte zu sein, wird verworfen und einen neue Form des Gottesdienstes proklamiert, die der vierte Evangelist die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit heißt (Joh 4,21.23.24)“ (Grundmann, Messiasproblem (1942), 395f.). „Der neue Gottesdienst, den Jesus bringt, ist nicht nur die Ablösung des jüdischen Reinigungsdienstes, sondern auch des jüdischen Opferkults, ja die Ablösung alles Opferkults. Wieder ist auf die mit Tod und Auferstehung Jesu sich verwirklichende Heilszeit hingewiesen, in der ein neuer ‚Tempel‘, d.h. ein neuer Gottesdienst da ist“ (Grundmann, Heil (1938), 3). 95 Büchsel (1942), 92.
237
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!‘ Die Hohenpriester und Schriftgelehrten hörten das und suchten, wie sie ihm ans Leben könnten; denn das ganze Volk war in heller Aufregung. (BG 76f., Reinigung des Tempels (Mark. 11,15–18))
BG […] und ließ nicht zu, dass jemand mit dem, was er gerade bei sich trug, über den Vorhof ging,
NA […] 16 καὶ οὐκ ἤφιεν ἵνα τις διενέγκῃ σκεῦος διὰ τοῦ ἱεροῦ.
EÜ […] 16 und ließ nicht zu, dass jemand irgendetwas durch den Tempelbezirk trug.
Luther […] 16 und ließ nicht zu, das jemand etwas durch den Tempel trüge.
Und er belehrte sie: ‚Steht nicht geschrieben: Mein Haus soll der Anbetung dienen? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!‘
17 καὶ ἐδίδασκεν καὶ ἔλεγεν αὐτοῖς· οὐ γέγραπται ὅτι ὁ οἶκός μου οἶκος προσευχῆς κληθήσεται πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν; ὑμεῖς δὲ πεποιήκατε αὐτὸν σπήλαιον λῃστῶν.
17 Er belehrte sie und sagte: Heißt es nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker sein? Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht.
17 Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben: "Mein Haus soll heißen ein Bethaus allen Völkern"? Ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht.
Die Hohenpriester und Schriftgelehrten hörten das und suchten, wie sie ihm ans Leben könnten;
18 Καὶ ἤκουσαν οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ γραμματεῖς καὶ ἐζήτουν πῶς αὐτὸν ἀπολέσωσιν·
18 Die Hohenpriester und die Schriftgelehrten hörten davon und suchten nach einer Möglichkeit, ihn umzubringen.
18 Und es kam vor die Schriftgelehrten und Hohenpriester; und sie trachteten, wie sie ihn umbrächten.
fehlt
ἐφοβοῦντο γὰρ αὐτόν,
Denn sie fürchteten ihn,
Sie fürchteten sich aber vor ihm;
denn das ganze Volk war in heller Aufregung.
πᾶς γὰρ ὁ ὄχλος ἐξεπλήσσετο ἐπὶ τῇ διδαχῇ αὐτοῦ.
weil alle Leute von seiner Lehre sehr beeindruckt waren.
denn alles Volk verwunderte sich über seine Lehre.
um seinen Weg abzukürzen.
238
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Vor allem zwei Einfügungen sind hier interessant: (1) Erstens wird in Mk 11,16 von der BG in den Text eingefügt, dass das Gehen durch den Vorhof dazu diene, „den Weg abzukürzen“. Es könnte sein, dass die BG die zweifellos tatsächlich im Text enthaltene Kritik an der Betriebsamkeit rund um den Tempel noch zuspitzen wollte: Die Hektik erscheint übertriebene, da man sogar noch versucht, durch Abkürzungen einen Schnelligkeitsvorteil zu erlangen, um möglichst schnell seinem Gewerbe nachzukommen (Opfertiere verkaufen bzw. Geld wechseln) bzw. die Pflicht im Tempel zu „erledigen“. In diese Richtung deutet auch das Fehlen von Mk 11,18b: Den Juden in der BG scheint nicht nur die Ehrfurcht vor dem Heiligen in Bezug auf den Tempel zu fehlen, sondern auch in Bezug auf Jesus wird nicht von ihrer (Ehr-)Furcht gesprochen.96 (2) Die zweite Bearbeitung ist noch interessanter, weil sie die Wirkung des Tuns Jesu anders bewertet: Mk 11,18 schreibt davon, dass die Hohenpriester und Schriftgelehrten Jesus umbringen wollen. Doch als Grund für dieses Wollen nennt nun die BG die „helle Aufregung“ des ganzen Volkes, während die EÜ, dem griechischen Text gemäß, von der Furcht der jüdischen Oberen schreibt, „weil alle Leute von seiner Lehre sehr beeindruckt waren“. Diese positive Wirkung der Lehre (ἡ διδαχῇ) Jesu bleibt im Text der BG unbeachtet; gemeint ist mit der „Lehre“ zunächst konkret die Aussage in Mk 11,17. Dieser Vers wird schließlich mit dem korrespondierenden Verb διδάσκω eingeleitet: ‚καὶ ἐδίδασκεν καὶ ἔλεγεν αὐτοῖς‘ (er lehrte und sagte zu ihnen). Mk 11,17 ist eine Kombination aus Jer 7,11 und Jes 56,7, Jesus verweist hier also explizit auf die prophetische Kultkritik, die sich die Juden immer noch nicht zu eigen gemacht haben, und erneuert sie mit seinen Worten: „Heißt es nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker sein? Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht.“ (EÜ, Mk 11,17)
Vgl.: (1) Jer 7,11: Ist denn in euren Augen dieses Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, eine Räuberhöhle geworden? Gut, dann betrachte auch ich es so – Spruch des Herrn. (2) Jes 56,7 (auch Jes 56,6 ist schon interessant, schließlich geht es um die Fremden): 6 Die Fremden, die sich dem Herrn angeschlossen haben, /die ihm dienen und seinen Namen lieben, um seine Knechte zu sein, / alle, die den Sabbat halten und ihn nicht entweihen, / die an meinem Bund fest halten, 7 sie bringe ich zu meinem heiligen Berg / und erfülle sie in meinem Bethaus mit Freude. Ihre Brandopfer und Schlachtopfer finden Gefallen auf meinem Altar, / denn mein Haus wird ein Haus des Gebets für alle Völker genannt.
Die BG nimmt diesen Vers adäquat auf und auch Grundmann verweist in seiner Interpretation dieser Stelle auf die „zwei alttestamentlichen Prophetenworte“, stellt aber dann fest, dass sie „in dieser Zusammensetzung eine 96
φοβοέω (Bauer/Aland, 1719–1721): Angst haben, fürchten, Ehrfurcht haben.
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
239
neue Position aufleuchten“ ließen, die zeige, dass Jesus den Tempeldienst „grundsätzlich“ verwerfe: „Mit diesem Wort ist der Tempeldienst in der jüdischen Form grundsätzlich verworfen. Der Tempel soll nach Jesu Urteil den Juden den Schutz bieten, die die Höhle den Räubern bietet, Schutz in ihren Raubzügen. Das tut der Opferdienst dadurch, daß in ihm der Jude seine Schuld sühnt, ohne daß er ein anderer wird.“97
Diese Interpretation geht sowohl am Zusammenhang, in dem die Zitate bei Jer bzw. Jes zu finden sind, vorbei, als auch an der daraus hervorgehenden Aussage, die Jesus selbst im Tempel macht. Festhalten lässt sich somit, dass die BG in beiden aufgenommenen Versionen der „Tempelreinigung“ (Mk und Joh; Mt und Lk fehlen) aus der Kritik an der Ausführung des Kultes im Tempel98 eine „grundsätzliche“ Kritik herausliest und dementsprechend in die Texte über die Aktion Jesu im Tempel einträgt, dass sie eine Ablösung bzw. „grundsätzliche“ Verwerfung (Grundmann) vom jüdischen Opferkult beinhalten. Die bereits an den vorherigen Beispielen nachgezeichnete Tendenz, den jüdischen Opferbegriff abzuwerten und schließlich für abgelöst zu erklären, hat sich an diesen Beispielen bestätigt. 3.1.7 Conclusio: Laut BG sagt sich Jesus mit der Feststellung des Endes von Opfer, Gesetz und Schriftgelehrsamkeit vollständig vom Judentum los Vor allem drei Stellen aus der BG-Bearbeitung des Evangeliums des Johannes sollen zur Abrundung dieses Kapitels genannt werden, da hier explizit auf das „Ende“ des Opferdienstes, aber auch auf das Ende von Gesetzesdienst, und Schriftgelehrsamkeit verwiesen wird: (1) Die eben schon analysierte Passage BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab). (2) Die direkt vorausgehende Passage BG 104f., Das Weinwunder: Ende des Gesetzesdienstes (Joh. 2,1– 11). (3) Die darauffolgende Passage BG 106–108, Das Gespräch mit Ni-
97
Grundmann, Messiasproblem (1942), 395. Diese Kritik steht explizit in Kontinuität zur prophetischen Kultkritik, wie die Bezugnahme Jesu auf die Propheten deutlich macht. Vgl. dazu auch. Theißen: Die Propheten haben „den Widerspruch zwischen frommer Opferpraxis und sozialer Ungerechtigkeit gegeißelt“. Es geht um situativ bedingte Opferkritik, die nicht die Opfer abschaffen will, sondern einen Opferkult ohne Gerechtigkeit für ungültig erklärt. Einige Psalmen üben auch grundsätzliche Opferkritik: Gott verlange die Hingabe des ganzen Menschen, die durch nichts ersetzt werden könne. „Motive situativ bedingter wie grundsätzlicher Opferkritik lagen also in der jüdischen Tradition bereit.“ (vgl. Theißen (2000), 202). Auch ist die Kultkritik sicherlich von der Dichotomie zwischen Stadt und Land beeinflusst (vgl. Theißen (2004), v.a. 172–186 und bereits Theißen (1979), 142–159). 98
240
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
kodemus: Ende der Schriftgelehrsamkeit vor dem Lebensgeheimnis des Gottessohnes (Joh. 2,23–24; 3,1–10.12–13.16–21.31–36). Auch das Thema des Gesetzes in der BG, das, ähnlich wie das kultische Opfer, als ein typisch jüdisches Spezifikum, das Jesus ablehnte, dargestellt wird, könnte nachgezeichnet werden. In diesem Rahmen soll der Blick in einen einschlägigen Text genügen. Diese Passage über die Hochzeit in Kana (2)) ist vor allem daher interessant, weil im Griechischen keinesfalls die Rede von einem „Ende“ des Gesetzesdienstes ist. Die BG trägt hier ihre favorisierte Interpretation komplett in den Text ein. Das Ende der Passage, die Bearbeitung von Joh 2,11,99 zeigt dies: BG Solches wird erzählt als erster Erweis seiner göttlichen Sendung.
NA Ταύτην ἐποίησεν ἀρχὴν τῶν σημείων ὁ Ἰησοῦς ἐν Κανὰ τῆς Γαλιλαίας καὶ ἐφανέρωσεν τὴν δόξαν αὐτοῦ,
Das Wandlungswunder bedeutet: Durch Jesus ist äußerlicher Gesetzesdienst zu Ende. Mit ihm bricht an der frohe Gottesdienst gewandelter Menschen, die schöpfen aus der Fülle des Geistes. Seine Jünger verstanden das und glaubten an ihn.
καὶ ἐπίστευσαν εἰς αὐτὸν οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ.
Der größte Teil dieses Verses, nämlich die vollständige Deutung, ist hier von der BG-Redaktion in den Text eingefügt worden. Von „Gottesdienst“ ist im Griechischen nicht die Rede, ebensowenig wie vom „Ende des Gesetzesdienstes“. Grundmann dagegen hebt in Übereinstimmung mit der BG-Bearbeitung die besondere Wichtigkeit dieser Passage hervor: „Es ist schon verschiedentlich aufgefallen, daß die Geschichte als Wunder die Art der Jesuswunder sprengt. […] Hinter dieser Geschichte taucht das Wort des Prologs auf: ‚Aus seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade‘, und die Geschichte selbst gibt den Hinweis, daß die Krüge, in die das Wasser gefüllt wurde, daständen ‚für die Reinigung der Juden‘ (2,6). Nun öffnet sich der eingeborgene Sinn: der Reinigungsdienst der Juden wird abgelöst durch den vollendeten neuen Gottesdienst, den Jesus bringt, den Gottesdienst des Geistes, symbolisiert im Wein. Dieser neue Gottesdienst ist der Gottesdienst der unerschöpflichen Heilszeit. Jeder religionsgeschichtlich geschulte Leser weiß: Hochzeit ist Heilszeit. Und die Heilszeit steht in Verbindung mit seinem den Tod besiegenden Tod, denn die ‚Stunde‘, die noch nicht gekommen ist (2,4), ist die Todesstunde. Sie vollzieht die Ablösung vom Judentum und führt die Heilszeit herauf. Der Christusglaube, den Johannes 99
BG 104f., Das Weinwunder: Ende des Gesetzesdienstes (2,1–11), Joh 2,11.
3.1 Die Vermeidung kultischer Implikationen
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der Täufer bezeugt und den die Jünger erfahren (Kap. 1), ist neu und anders als der jüdische Gottesdienst. […] Der neue Gottesdienst, den Jesus bringt, ist nicht nur die Ablösung des jüdischen Reinigungsdienstes, sondern auch des jüdischen Opferkults, ja die Ablösung allen Opferkults100. Wieder ist auf die mit Tod und Auferstehung Jesu sich verwirklichende Heilszeit hingewiesen, in der ein neuer ‚Tempel‘, d.h. ein neuer Gottesdienst da ist.“101
Die Ausdeutung des Geschehens auf der Hochzeit zu Kana als „Ende des jüdischen Reinigungsdienstes“ und Beginn des „neuen“ und „vollendeten“ Gottesdienstes „des Geistes“ ist eine offensichtlich subjektive Interpretation des eigentlichen biblischen Textes.102 Auch im Text der BG spiegelt sich diese Deutung Grundmanns. Interpretation und Text verschmelzen hier aufs Engste. So wird es möglich, dass der BG-Text gemeinsam mit Grundmann den „Frohen Gottesdienst gewandelter Menschen“ (BG) als völligen Gegensatz zum „Gesetzesdienst“ darstellt. In direktem Anschluss (BG 106–108) an die beiden bereits erwähnten Passagen wird dann auch noch auf das „Ende der Schriftgelehrsamkeit“ verwiesen (3).103 Grundmann bindet diese drei Passagen in seiner Interpretation zusammen: „So ergibt sich: der jüdische Gottesdienst als Reinigungs- und Opferdienst ist abgelöst, von ihm führt keine Brücke des Verständnisses hinüber – das zeigt das Nikodemusgespräch – zu dem, wie nach Jesu Botschaft der neue Gottesdienst entsteht, wie das Reich Gottes kommt und wie er es sieht.“104
100 Grundmann verweist hier auf die „ungeschichtliche Notiz“ des Johannes, bei dem, entgegen der synoptischen Überlieferung auch Schafe und Ochsen auf dem Tempelplatz angeboten werden. 101 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 226f. 102 Besser lässt sich von einer Offenbarung der Herrlichkeit Jesu auf der Hochzeit zu Kana sprechen, die die Jünger und somit die Leser zum Glauben führen soll. Die Verwandlung von Wasser zu Wein ist dabei nicht das Entscheidende, sondern der Anfang der Offenbarung des Jetzt der anbrechenden Zeit, in der Jesus seine Herrlichkeit offenbart, also der Anbruch der Zeit eschatologischen Heils und eschatologischer Fülle (vgl. Nicklas, Hochzeit (2004), 252). Eine Ablösung vom „jüdischen Reinigungsdienst“ ist damit nicht ausgesagt, wie Roland Deines in seinem archäologisch-historischen Beitrag zu Joh 2,6 hervorhebt: Der Evangelist nimmt die Vorgänge, die mit der jüdischen Reinheitspraxis zusammenhängen, ernst, indem er „zeigt, wie sich Wasser durch ein göttliches Schöpfungswunder […] in Wein, Blut und Geist verwandelt, so daß das Thema der Reinheit durch das Christusgeschehen selbst eine ungeheuere Wandlung durchmacht, bei der aber doch die Kontinuität mit dem Vorgängigen nicht völlig zerbrochen wird, sondern sichtbar bleibt. Nirgends findet sich auch nur die leiseste Kritik an der jüdischen Lebensweise“ (vgl. Deines (1993), 250). 103 BG 106–108, Das Gespräch mit Nikodemus: Ende der Schriftgelehrsamkeit vor dem Lebensgeheimnis des Gottessohnes (Joh 2,23–24; 3,1–10.12–13.16–21.31–36). 104 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 227.
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Eben diese Verbindung findet sich auch in der BG, die die drei eben angeführten Passagen zusammen mit zwei weiteren Passagen105 unter der Kapitelüberschrift „Die Offenbarung des neuen Gottesdienstes“(BG 104–111) fasst und somit nicht so sehr das „Ende“ des Jüdischen, sondern den Neubeginn durch Jesus betont. Auf einer Linie mit den bisherigen Beobachtungen an den Texten der BG liegt Grundmanns Bilanz: Er scheint eben diese drei eben analysierten Stellen aus dem Johannesevangelium als Zusammenfassung der gezielten Ablösung des Jesuanischen vom Jüdischen zu lesen. Am Ende seines ersten Kapitels „Jesus und die jüdische Religion“ spricht er davon, dass in den Negationen des Jüdischen „überall“ eine „neue Position“ Jesu erkennbar sei: „Damit sind wir erneut, und nun ganz klar, an jenen Punkt herangekommen, der uns Jesu eigene und neue Position erkennen läßt. Von dieser Position aus kam es, wie wir bis zu diesem Punkte sahen, zu einer Ablösung von den Grundpositionen des Judentums: Gesetz, Tempel, Liebeswerk; zu einer Verwerfung seines Reich-Gottesverständnisses und seiner Messiaserwartung; zu einer Auflösung seiner Lebensverfassung. Und überall wurde hinter der Negation eine neue Position sichtbar. Wir fragen, wie weit sie in der palästinischen Religionsgeschichte verbreitet war und worin sie besteht.“106
Festhalten lässt sich also, dass für die BG ebenso wie für Grundmann alle jüdischen „Grundpositionen“ und somit auch der jüdische Opferkult durch Jesus vollständig aufgelöst worden sei. Bereits 1932 in seiner Dissertation bezeichnete Grundmann das Opfer bereits als „kraftlose Institution zur Rettung der Menschen“, dessen Ende Christus bezeuge.107 An dieser Meinung hat er nichts geändert und sie ist sehr deutlich in die BG eingedrungen, wie die analysierten Textbeispiele zeigen konnten. Die Tatsache, dass die BG den Opferbegriff dezidiert vom jüdischen Denken abhebt, findet zudem ihre Parallele in den Gedanken Hitlers selbst: Dieser führt die Rede vom Opfer als Kriterium zur Spezifizierung des Unterschiedes zwischen Arier und Jude an108: Während „der Arier“ sein Leben der Gesamtheit willig unterordne, also „zum Opfer bringt“ und dabei seinen Selbsterhaltungstrieb überwinde, gehe bei „dem Juden“ der Aufopferungswille „über den nackten Selbsterhaltungstrieb des einzelnen nicht hinaus.“109 105
BG 108, Das Zeugnis des Täufers: Ende der Taufbewegung (Joh 3,22–23.25–30) und BG 109, Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (Joh 4,1.3–9a.10– 21.23–37.39–42). 106 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 69. Ähnlich auch Grundmann, Antike Religion (1943), 98f.: Das Neue Testament zeige eine „neue religiöse Wirklichkeit“, die mit Jesus eingetreten sei und mit der „Gesetz, Kultus und Meditation ihre grundlegende Bedeutung“ verloren hätten. 107 Vgl. Grundmann, Kraft (1932), 89. 108 Vgl. Bärsch (2002), 313. Bärsch nimmt hier außerdem einen religiösen Gehalt des Gedanken des „Opferns“ bei Hitler an, da dieser die Religion des „Ariers“ für göttlich halte. 109 Vgl. Hilter (1933), 330, zitiert nach Bärsch (2002), 313.
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
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3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“ 3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
3.2.1 Überblick über die Verwendung kultisch konnotierter christologischer Hoheitstitel in der BG: „Hoherpriester“ und „Lamm“ Doch nicht nur die kultische Terminologie in Bezug auf das Umfeld und das Handeln Jesu wird vermieden, sondern es werden auch christologische Aussagen selbst bearbeitet. Diese Bearbeitungen lassen einen noch deutlicheren Blick in „Jesu eigene und neue Position“110 werfen, die die BG-Redaktion, unter dem starken Einfluss Grundmanns, herauszuarbeiten versucht. So werden in der gesamten BG weder „Lamm“ (im Griechischen ‚ὁ ἀμνός‘ oder ‚τὸ ἀρνίον‘) noch „Hohepriester“ (jeweils ‚ἀρχιερεύς‘) als christologische Hoheitstitel verwendet. Vollständig wurden diese biblischen Bilder und somit ein Teil der vielfältigen christologischen Deutungen aus den Texten getilgt.111 Auch die Deutung des Wirkens Jesu wird somit von „Kultterminologie“ „gereinigt“. An diesen Stellen lässt sich jedoch nicht nur die Tilgung christologischer Titel feststellen, sondern zudem die Einfügung neuer christologischer Aussagen: An die Stelle der in der BG offenbar unerwünschten Titel „Lamm (Gottes)“ und „Hohepriester“ treten neue Begrifflichkeiten, die einen Blick in die Denkweise der Redaktion zulassen, da sie bewusst gesetzt werden mussten. Hier zunächst eine Zusammenstellung der Stellen, an denen Ersatztermini zu finden sind:
110
Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 69. In direktem Bezug auf Jesus findet sich in der BG an keiner Stelle die biblisch sehr gebräuchliche Rede vom „Lamm“ (in der EÜ: 47x im AT, 38x im NT, von den 38 NT-Stellen finden sich 34 in der Offenbarung. Analog ist die Übersetzungslage in Luther 1912. An einer einzigen Stelle ist, allerdings ohne direkten Bezug auf Jesus, überhaupt von einem „Lamm“ die Rede, bei der Taufe des Äthiopiers (Apg 8,26–40): Hier fragt der Äthiopier Philippus nach der Bedeutung von Jes 53 und liest die Stelle in folgendem Wortlaut vor: „Sie [=die Stelle, mit der der Äthiopier nicht weiterkam, A.d.A.] lautete: Wie ein Schaf, das zum Schlachten geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.“ (BG 240, Der Kämmerer von Äthiopien durch Philippus gewonnen (Apg.8,26–36.38–40), Apg 8,32), vgl. EÜ: 32 Der Abschnitt der Schrift, den er las, lautete: Wie ein Schaf wurde er zum Schlachten geführt; /und wie ein Lamm, das verstummt, / wenn man es schert, / so tat er seinen Mund nicht auf. (EÜ,Apg 8,32). Ausgerechnet in diesem Jesaja-Zitat lässt die BG „Lamm“ stehen. Ob das nun auf eine Bearbeitungsungenauigkeit mitten im vierten Teil der BG, oder aber auf die ohnehin in er BG fehlende Analogie zwischen „Lamm“ und „Christus“ (da die anderen Stellen ja fehlen) zurückzuführen ist, muss offen bleiben. 111
244
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Statt „Lamm“ (ὁ ἀμνός) findet sich: (1) „Der Erkorene Gottes“ (BG 102, Johannes: der Zeuge des Offenbarers (1,6–8.19–27.31.33–34.28–30), Joh 1,34.28–30), Joh 1,29, parallel auch bei Joh 1,36) (2) „tapferer Lebenseinsatz“ statt „Lamm ohne Makel“ (BG 201, Hoffnung bewährt sich im reinen Leben (1. Petr. 1,13b–21), 1 Petr 1,19). Statt „Lamm“/„Böcklein“112 (τὸ ἀρνίον) findet sich: (3) „Herzog ihres Lebens“ (BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12), Offb 12,11) (4) „Heiland“, „eingeborner Sohn“, „Christi Angst und Pein“ (statt „Blut des Lammes“) und „Christus, der ihnen durch die Leidensnot vorangegangen ist“ (statt „das Lamm in der Mitte vor dem Thron“) (BG 213f., Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers (Offb. 7,9–10.14b–17; 14,13), Offb 7,9.10.14.17) Sicherlich ist zwischen den einzelnen „Lämmern“ zu differenzieren und es ist nicht möglich, „alle neutestamentlichen Lämmer über einen Kamm zu scheren.“113 In der BG dagegen wird unterschiedslos an allen Stellen die Bezeichnng „Lamm“ getilgt. Ähnliches wurde bereits im deutschchristlich geprägten Gesangbuch der Kommenden Kirche beobachtet: Auch hier sei die Rede vom „Lamm Gottes“ „peinlich vermieden“, stattdessen finde sich eine „Umdichtung des altkirchlichen Agnus Dei“, die lautet: ‚O Sohn Gottes, unschuldig dem Tod zum Opfer gegeben, treu, gehorsam, geduldig warst du im Sterben und Leben. Willst hin zu Gott uns tragen, sonst müßten wir verzagen…‘“114 Annehmen lässt sich, dass die Rede vom Lamm „ganz und gar nicht deutsch-christlichen‘ Idealen von Kraft, Kampf und Sieg“ entsprochen habe.115
112
In der Offenbarung des Johannes kann auch diskutiert werden, ob man nicht besser vom „Böcklein“ spricht, um die Bezugnahme auf die jüdisch-apokalyptische Tradition vom Bock und zugleich die Schutzbedürftigkeit des Lammes hervorzuheben (Böcklein). Vgl. dazu Knöppler (2005), 479: In de Prädikation τὸ ἀρνίον seien Aspekte der Hoheit und Niedrigkeit vereinigt bzw. die Gedanken von Herrschaft und Erlösung. 113 Vgl. Berger (2004), 228. Mehr zur Verwendung des Titels im Folgenden in den Einzelanalysen. Allein die Verwendung zweier verschiedener Lexeme im Griechischen (τὸ ἀρνίον/ὁ ἀμνός) findet legt dies nahe, auch ist stets der Verwendungskontext zu beachten. 114 Hoffmann (1968), 86 zitiert aus: Gesangbuch der kommenden Kirche (1934), Nr. 82. Vgl. zum Gesangbuch Kapitel 1, FN 63. 115 Vgl. Nicklas, Apokalypse (2012), 357.
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
245
Auch der Begriff des „Hohepriester“ fehlt in der BG. Stattdessen setzten die Redaktoren viermal „Heiland“: (1) „als treuer Heiland bei Gott für sie eintreten“ statt „ barmherziger und treuer Hohepriester vor Gott zu sein“ (BG 168, Der Befreier aus Todesmacht (Hebr. 2,9–11.14–15.17b–18), Hebr 2,17); (2) „Heiland“ statt „Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks“ (BG 168f., Durch Leiden vollendet (Hebr. 5,7–10a), Hebr 5,10); (3) „Bote Gottes und unser Heiland“ statt „Apostel und Hohenpriester“ (BG 169, Treue um Treue (Hebr. 3,1–2a.12–14; 4,14–16), Hebr 3,1); (4) „mächtiger Heiland“ statt „erhabener Hohepriester“ (BG 169, Treue um Treue (Hebr. 3,1–2a.12–14; 4,14– 16), Hebr 4,14). Diese vier „Hohepriester-Stellen“ stammen allesamt aus dem Hebräerbrief, der nach Eberhard eine „Ausnahme im Rahmen neutestamentlicher Soteriologie“ darstellt, da seine Christologie „aufgrund des einmaligen Selbstopfers Jesu das Verständnis von kultischer Sühne und kultischem Opfer auf den Tod Jesu konzentriert.“116 David Moffit betont dabei, dass der Hebräerbrief Jesu lebendige Gegenwart im Himmel betont, ebenso wie auch das Blutopfer im mosaischen Kult die Präsentation des Lebens vor Gott symbolisierte: „The offering of blood in the Mosaic cult did not symbolize the entry and presentation of death before the presence of God, but that of life. In the same way, Hebrewsʼ emphasis of Jesusʼ living presence in heaven […] implies that it is not the death/slaughter of Jesus that atones, but the presentation of his life before God in the heavenly holy of holies. Jesusʼ resurrection makes this presentation possible not only by informing the Christology of Hebrews – Jesusʼ resurrection brings him into possession of the indestructible life necessary to become the high priest of Mechizedekʼs order – but also by providing an explanation for the authorʼs sacrificial soteriology that is intelligible in terms of the biblical account of blood offering.“117
In jedem Falle lässt sich feststellen, dass der Hebräerbrief in gewisser Weise als „Schlüssel des Neuen Testaments und des christlichen Kultverständnisses“ gesehen werden kann und sich wohl an das Tempelritual des Jom Kippur anlehnte.118 Trotz seiner Anlehnung an kultische Terminologie nimmt nun 116
Eberhart (2013), 203f. Moffit (2012), 221. 118 Im Hebräerbrief „ist Jesus der perfekte sündlose Hohepriester, ohne Anfang und ohne Ende, der ein himmlisches Opfer darbringt, und zwar nur einmal und nicht jährlich wiederkehrend. Er besiegt den Teufel (Hebr 2,14) und befreit seine Gefangenen, durchquert die Himmel (Hebr 4,14), reinigt das himmlische Heiligtum (Hebr 9,23), sitzt zur Rechten Gottes und legt dort für seine Schafe Fürbitte ein (Hebr 7,25). Viele von diesen Ideen wurden schon in den apokryphen Texten der hellenistischen Zeit mit Jom Kippur und dem Hohepriester assoziiert. Im Hebräerbrief aber will die typologisierende Auslegung das Tempelritual des Jom Kippur nicht nur erklären, sondern übertreffen. Es ist allerdings umstritten, ob der Tempel überhaupt noch existierte, als der Hebräerbrief verfasst wurde. Außerdem impliziert die Haltung des Verfassers nicht unbedingt, dass er auch das Synagogenritual und den Fest- und Fasttag des Volkes für abgeschafft hielt“ (Stökl Ben Ezra (2015), 8). 117
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
aber die BG einen Teil des Hebräerbriefs auf119, greift aber in die Texte ein und umgeht unter anderem das Bild von Christus als dem Hohenpriester. Die beiden Argumentationsstränge, „der des Hohenpriesteramtes und der des kultischen Opfers“, also die Darstellung Jesu als „Hoherpriester und Opfer zugleich“ sind laut Eberhard dabei im Hebräerbrief „kunstvoll miteinander verflochten“. Beide Begriffe „implizieren jeweils für sich eine Bewegung hin zu Gott“, auch wenn „weder die eine noch die andere Bewegung erschöpfend ausgezeichnet“ werde: „Typisch bleibt die – manchmal komplementäre – Verknüpfung der Motive.“120 „Der Vorgang ist innovativ, bleibt aber teilweise in sich widersprüchlich. Dem Hebräerbrief ist nämlich traditionelle Opfermetaphorik vertraut, wenn davon gesprochen wird, dass Jesus während seines Lebens ‚Bitten und Flehen‘ opfert (Hebr 5,7121; s.a. 13,15f.122) Dieses Konzept wird anhand der Vorstellung transzendiert und transformiert, dass Jesus sich als Hoherpriester selbst geopfert hat (7,27; 9,28123). Diese neue Dimension christologischer Aussagen vermittelt, dass Jesus durch seinen Tod in das Allerheiligste eintreten konnte, wo er in unmittelbarer Nähe zu Gott Fürbitte für die Menschen leistet. Eine solche Neubestimmung der Opfermetapher entspricht der christologischen Maxime des Hebräerbriefs, Jesus habe die Menschheit durch seinen Tod erlöst (2,14124). Sie hat mit diesem Schwerpunkt die allgemeine Vorstellung von kultischen Opfern nachhaltig beeinflusst.“125
119
Vgl. Stellenverzeichnis im Anhang: Hebr 1,3–4 (167), 2,9–11.14–15.17b-18 (168), 3,1–2a.12–14 (169), 4,12–13a (199), 4,14–16 (169), 5,7–10a (168), 10,35–36.39 (169), 11,1.6.33–34.36–38 (170), 12,1–3 (170), 13,7–9b.20–21 (171), 13,14 (221), 13,16 (221). 120 Vgl. Eberhart (2013), 140. 121 Die BG tilgt auch hier jeglichen Anklang an ein Opfer: „In den Tagen seines Erdenlebens hat Jesus sich aus bitterer Angst und tiefer Not mit Gebet und Flehen zu Gott gewandt, der ihn aus dem Tode retten konnte.“ (BG 168, Durch Leiden vollendet (Hebr. 5,7–10a), Hebr 5,7) statt „Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden.“ (EÜ, Hebr 5,7). Außerdem lässt sich eine Dramatisierung des Verses feststellen, da die BG ohne Textgrundlage von bitterer Angst und tiefer Not schreibt. 122 Hebr 13,15 fehlt in der BG, dafür ist 13,16 aufgenommen unter Beibehaltung der Opfermetaphorik: „Wohlzutun und mitzuteilen vergesset nicht, denn solchen Opfer gefallen Gott wohl.“ (BG 221, Rufe in die Gemeinde (2. Kor. 13,8; Jak. 4,7b-8a; 1. Kor. 6,19–20; 2. Tim. 1,7; 1. Kor. 4,20; 10,12–13; 16,13; 14,33.40; Hebr.13,16; 2. Kor. 13,11.13; 1. Joh. 2,17b; 1. Petr. 3,4; 4,10; 5,2–3), Hebr 13,16), identisch Luther. Die übertragene Verwendung des Opferbegriffs an dieser Stelle macht es den BG-Redaktoren wohl möglich, hier nicht in den Text einzugreifen. 123 Beide Stellen sind in der BG nicht aufgenommen. 124 Die BG nimmt diesen Vers auf, allerdings ohne direkten Verweis auf den Teufel (stattdessen: „satanische Macht“): „Er wurde ihnen völlig gleich in Fleisch und Blut, um durch seinen Tod die satanische Macht des Todes zu vernichten […].“ (BG 168, Der Befreier aus Todesmacht (Hebr. 2,9–11.14–15.17b-18), Hebr 2,14), vgl. EÜ: Da nun die Kinder Menschen von Fleisch und Blut sind, hat auch er in gleicher Weise Fleisch und Blut angenommen, um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
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Der Hebräerbrief stelle zudem den Unterschied zwischen dem Opfer Jesu zu dem des Hohenpriesters fest, der in der „Einmaligkeit des Selbstopfers“ (vgl. Hebr 9,25f.126) Jesu bestehe.127 Der Gedanke der Unwiederholbarkeit des Opfers, bei dem Jesus „das ein für alle Mal dargebrachte, letzte Opfer ist, nach dem kein zweite und auch keine kultisch-rituelle Wiederholung nötig ist (Hebr 10,23–28)“ führte auch dazu, dass im Christentum die Lebensführung (Röm 12,1f.; Phil 2,17), im besonderen der apostolische Dienst (Röm 15,16), Gebet und Wohltaten (Hebr 13,15f.) und der christl. Gottesdienst mit der Eucharistie im Zentrum (1 Kor 10,14–22), die „Funktion des Opferkults“ übernommen haben.128 In den Texten der BG fehlt die ganze Dimension des einmaligen Selbstopfers des Hohenpriesters Jesus, ebenso wie der Verweis auf die Betonung des Lebens vor Gott. Diese Gedankenschritte für die Deutung des Todes Jesu fehlen und diese Leerstelle führt dazu, dass in der BG der Wert des Selbstopfers der Nachfolger Christi leichter übersteigert dargestellt werden konnte, wie sich im Folgenden noch zeigen wird. Für die Christologie ist interessant, dass die kultische Terminologie auch in den christologischen Titel selbst vermieden wurde und damit einhergehend auch christologische Deutungsmuster ausfallen, wie zum Beispiel die Betonung der Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit des Todes Jesu. EXKURS: Der Begriff „Heiland“ in der BG Auf der Spur, welches Bild von Jesus die Redaktoren aber nun vermittelt wissen wollten, stellt sich zunächst die Frage, was hinter dem Begriff des „Heilands“ steckt, der ja, wie die obigen Befunde belegen, die am häufigsten gewählte Ersatzbezeichnung ist (viermal statt „Hohenpriester“, einmal statt „Lamm“). „Jesus der Heiland“ ist zudem die Überschrift für den 1. Teil der BG129. Dieser Terminus schien also von der BG-Redaktion als sehr passend empfunden worden zu sein. Im Deutschen ist neben der Übersetzung mit „Retter“ auch „Heiland“ als Übersetzung von ‚ὁ σωτήρ‘ durchaus geläufig und richtig,130 so auch bei (ἵνα διὰ τοῦ θανάτου καταργήσῃ τὸν τὸ κράτος ἔχοντα τοῦ θανάτου, τοῦτ’ ἔστιν τὸν διάβολον) […]. (EÜ, Hebr 2,14). 125 Eberhart (2013), 140. 126 Nicht in der BG aufgenommen. 127 Vgl. Eberhart (2013), 140. 128 Kratz (2006), 333. 129 BG 1, I. Jesus der Heiland. Die Jesus-Überlieferung der ersten drei Evangelien. 130 Im Begriff ist ja schließlich ἡ σωτηρία (Rettung, Erhaltung, Heil) enthalten (Bauer/Aland 1597f.). Im Lukasevangelium steht besonders der Titel des σωτήρ programmatisch (neben der häufigen Verwendung von κύριος) für seine Sendung zu den Armen (vgl. Lk 4,1– 1; 6,20b), so wie auch schon programmatisch für Gott, den Herrn und Retter (σωτήρ, vgl. Lk
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Luther in Lk 2,11. An dieser Stelle übersetzt auch die BG richtig mit „Heiland“, betont aber dadurch, dass zum ersten Mal im Text der BG von Jesus die Rede ist, den Titel stärker.131 Häufig132 wird dann in der BG die Rede vom „Heiland“ auch für andere christologische Titel eingesetzt, z.B. für „χριστός“ in Offb 11,15; 12,10:133 BG
NA
EÜ
Luther
15 Der siebte Engel blies seine Posaune.
15 Und der siebente Engel posaunte:
Da ertönten laute Stimmen im Himmel, die riefen: Nun gehört die Herrschaft über die Welt / unserem Herrn und seinem Gesalbten, / […]. Offb 12,10 10 […] ἄρτι 10 […] Jetzt ist ἐγένετο ἡ er da, der rettenσωτηρία καὶ ἡ de Sieg, / die δύναμις καὶ ἡ Macht und die βασιλεία τοῦ Herrschaft unseθεοῦ ἡμῶν καὶ ἡ res Gottes / und ἐξουσία τοῦ die Vollmacht χριστοῦ αὐτοῦ, seines Gesalbten, […] […]
und es wurden große Stimmen im Himmel, die sprachen: Es sind die Reiche der Welt unsers HERRN und seines Christus geworden, […]
Offb 11,15134
15 Καὶ ὁ ἕβδομος ἄγγελος ἐσάλπισεν
Laut klang es aus der Ewigkeit: ‚Nun gehört das Reich der Welt unserem Herrn und unserem Heiland, […]‘
[…] ‚Nun hat unser Gott das Heil und die Kraft und das Reich gewonnen, und unser Heiland hat die Macht errungen.
καὶ ἐγένοντο φωναὶ μεγάλαι ἐν τῷ οὐρανῷ λέγοντες ἐγένετο ἡ βασιλεία τοῦ κόσμου τοῦ κυρίου ἡμῶν καὶ τοῦ χριστοῦ αὐτοῦ, […]
10 […] Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unsers Gottes geworden und die Macht seines Christus, […]
Neben den beiden christologischen Feinheiten, dass „Gesalbter“ in der BG nur spärlich, „Heiland“ dagegen sehr häufig verwendet wird,135 fällt auch die 1,47) aus Marias Munde im Magnifikat ausgesagt wurde (vgl. Nicklas, Jesus von Nazareth (2009), 59f.). 131 BG 4, Die Heilige Nacht (Luk. 2,1–20.21b), Lk 2,11: Auch hier hat die BG „Heiland“ für σωτήρ (EÜ: Retter/Luther: Heiland). 132 7x im 1. Teil, je einmal im 2. und 4. Teil und 15x im 3. Teil. 133 BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7– 12). 134 Nun ist das Reich der Welt Gott, unserem Herrn, und unserem Heiland zugefallen. 135 Vgl. dazu auch das Kapitel 2: Jesus und das Judentum – der Messias-Begriff in der BG.
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
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Verstärkung der Deutung Christi als Heilsbringer durch die Wahl des Possessivpronomens „unser“ anstelle von „sein“ auf. Im Griechischen wird ‚χριστός‘ an der einen Stelle an ‚κύριος‘ (Offb 11,15), an der anderen an ‚θεός‘ (Offb 12,10) rückgebunden. Durch diesen fehlenden Rückbezug setzt die BG an dieser Stelle einen anderen christologischen Akzent: Es scheint den Bearbeitern von so großer Wichtigkeit zu sein, den (sprachlichen) Zugang zum „Heiland“ möglichst unmittelbar zu gestalten, dass das Possessivpronomen unser Heiland auch an Stellen gesetzt wird, wo der griechische Text die Beziehung zwischen Gott und Christus beschreibt (unser Herr/Gott und sein Gesalbter). Ebenso ist das auch in Offb 7,9136 festzustellen, wo die BG die Schar „vor den ewigen Gott und seinen Heiland“ treten lässt – eigentlich stehen sie aber „vor dem Thron und vor dem Lamm (ἐνώπιον τοῦ θρόνου καὶ ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου). Das scheint für die gesamte BG-Bearbeitung symptomatisch zu sein.137 Eine besondere Betonung erhält der bearbeitete Vers Offb 11,15 in der BG: Dieser Vers wurde gleich zweimal in verschiedenen Passagen aufgenommen, die zweite Aufnahme ist fast wörtlich identisch mit BG 213f., Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers (Offb. 7,9–10.14b–17; 14,13). An zentralen christologischen Stellen wird nämlich von den BG-Redaktoren ebenfalls Unmittelbarkeit hergestellt, z.B. auch durch die Verwendung des Präsens anstelle einer Vergangenheitsform hergestellt: (1) Joh 21,12–13: ‚[…] Denn alle wußten: es ist der Herr. Jesus kommt, nimmt das Brot und gibt es ihnen[…].‘ (BG 94, Die Jünger bezeugen den Auferstandenen (Joh. 21,1–4.7– 9.12–13)) statt ‚[…] Denn sie wussten, dass es der Herr war. Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen […]‘ (EÜ) (2) Joh 18,11: Da sprach Jesus zu Petrus: ‚Stecke dein Schwert in die Scheide! Soll ich den Kelch, den mir mein Vater reicht, nicht trinken?‘ (BG 152, Jesus gibt sich in die Hand seiner Feinde (18,1a.2–5a.6b–8.10–13)) statt ‚Da sagte Jesus zu Petrus: Steck das Schwert in die Scheide! Der Kelch, den mir der Vater gegeben hat (τὸ ποτήριον ὃ δέδωκέν μοι ὁ πατὴρ) – soll ich ihn nicht trinken?‘ (EÜ) Im ersten Beispiel wird das Handeln Jesu durch die Wahl von stilistisch als historisches Präsens zu erklärende Formen ins Präsens gesetzt, der Leser wird dadurch direkt in das Geschehen hineingenommen und könnte, wenn man von einer funktionalistischen Bibelumarbeitung durch die BG-Redaktoren ausgeht, so intensiver als durch die (durch das Griechische gestützte) Vergangenheitsform zur tätigen Nachahmung angespornt werden. Das zweite Beispiel zeigt noch deutlicher, dass die Redaktoren durch ihre Tempuswechsel durchaus deutend tätig waren: Das Perfekt (δέδωκέν), das im Griechischen resultative Bedeutung hat, wird auch hier vermieden und durch das Präsens ersetzt. In Verbindung mit der Überschrift „Jesus gibt sich in die Hand seiner Feinde“ – obwohl sich in den biblischen Passionstexten nie die Bezeichnung „Feinde“ findet, weder für Judas noch für die Soldaten oder Gerichtsdiener der Hohenpriester und Pharisäer – daher wählt die EÜ auch die Überschrift „Die Verhaftung“ für Joh 18,1–11 – scheint auch dieser redaktionelle Eingriff für die Leser eine Parallele zur aktuellen Situation herstellen zu wollen: „Feinde“ waren 1940 ganz klar definiert und dass Gefühl vieler Menschen, auch einen Kelch gereicht zu bekommen, scheint in der durch die Präsensverwendung hergestellte Unmittelbarkeit des Geschehens aufgegriffen und bestätigt zu werden. 136 137
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
der schon erwähnten ersten138: „Nun ist das Reich der Welt Gott, unserem Herrn, und unserem Heiland zugefallen.“ Diese Beispiele können zeigen, dass der Titel „Heiland“ in der BG vielfältig aufgenommen wurde und die Redaktion seine Betonung anstrebte. Nur schwer ist dagegen fassbar, welche Implikationen dahinterstecken. Der Begriff scheint eher als eine Art Platzhalter zu fungieren, der deutschchristliche Vorstellungen transportiert. Die häufige Verwendung des Titels „Heiland“ ist sicherlich nicht ohne Grund: Bereits im Neuen Testament ist dies der „unjüdischste“ Titel durch seinen Bezug auf die Herrscherkulte der Antike.139 Außer Frage steht, dass der Titel „Heiland“ vielfach mit deutschchristlichen Vorstellungen gefüllt worden war. Die Bezeichnung Jesu als „Heiland“ als die typisch deutsche Christustitulatur140 wird von den Deutschen Christen als häufiges Schlagwort gebraucht; immer wieder ist davon die Rede, dass Jesus der „Heiland der Deutschen“ geworden sei und sei. So führt Grundmann schon 1933 den Begriff des Heilands als den „Namen, den deutsche Frömmigkeit ihm gegeben hat, den Namen Heiland“,141 an, nimmt die Bezeichnung dann 1936 in den Titel einer Kleinschrift auf142 und bezeichnet Jesus 1940 als „Heiland der Deutschen“143: „Unter den germanischen Stämmen ist Jesus Christus mit großer Verehrung aufgenommen worden. Im Heliand, jenem Lied aus der Frühzeit der germanisch-deutschen Geschichte, ist vom Heiland der Deutschen gesungen.“144
Die Heilandsvorstellung nennt er dezidiert „griechisch“ und dadurch im Gegensatz zur jüdischen „Messiaserwartung“ stehend.145 Die positive Bewertung 138
„Laut klang es aus der Ewigkeit: ‚Nun gehört das Reich der Welt unserem Herrn und unserem Heiland, […]“ in BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12). Vgl. oben. 139 Vgl. Nicklas, Gott (2014), 97. 140 Vgl. Heliand (1939). Schon seit dem altsächsischen mittelalterlichen Epos „Heliand“ gab es den Begriff „Heiland“ in der deutschen Literatur, seitdem ist es eine allgemein christliche Bezeichnung, die sich auch in Liedern wie „Mein Heiland, Herr und Meister“ (aus Schuberts „Deutscher Messe“ von 1826) wiederfindet. Behringer (1870) umschreibt den „Heliand“ als „Evangelium der todesmutigen That“ (ebd. 62), in dem der Heliand in der „ernsten Dichtung des Altsachsen“ in „Seiner himmlischen Kraft“ und „königlichen Erhabenheit“ dargestellt werde (ebd. 3) und würdigt das Epos als Antwort auf die wichtige Frage, wie das Christentum unter den Germanen Gestalt angenommen habe. 141 Grundmann, Religion und Rasse (1933), 17. 142 Grundmann, Walter: Die Passion des Heilandes, der deutschen Gegenwart verkündigt. Eine homiletische Studie zur Passionsverkündigung, Dresden, Welzel 1936 (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Pfarrer und Lehrer, Bd. 13). 143 Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), Kapitelüberschrift S. 49. 144 Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 49f. 145 Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 253: „Banden die Judenchristen jerusalemischer Provenienz Jesus mit ihrer Messiaserwartung zusammen und sahen sie sie in ihm erfüllt, so gingen die Hellenisten einen anderen Weg, indem sie Jesus und die
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
251
des Titels „Heiland“ zeigt sich auch an anderer Stelle: Die Bezeichnung Jesu als „Heiland und Retter der Welt“ zeige Jesu „wahre Bedeutung“, die ihn aus „jeder jüdischen Beschränkung“ nehme146 und Fromm formuliert im Geleitwort zur Botschaft Gottes als „ernste“ Ausgangsfrage, „ob Jesus Christus auch weiterhin dem deutschen Volke auf seinem Wege zu Gott der Heiland sein kann“147 und beschreibt den Inhalt der Evangelien als „Heilandsbild“, das von den Kindheits- und Ostergeschichten gerahmt werde.148 In Luther sieht er den „Helianddichter“, dessen Werk, die besondere Erkenntnis, die den Deutschen geschenkt wurde, zu vermitteln, die BG sich fortzusetzen mühe.149 Der Katechismus verbindet dann im Kapitel „Der Heiland der Deutschen“150 die Beschreibung Jesu als „Heiland“ zusätzlich zur Betonung seiner Bedeutung für die Deutschen mit einer starken Abgrenzung vom Judentum: „Jesus aus Nazareth in Galiläa erweist in seiner Botschaft und Haltung einen Geist, der dem Judentum in allen Stücken entgegengesetzt ist. Der Kampf zwischen ihm und den Juden wurde so unerbittlich, daß er zu seinem Kreuzestod führte. So kann Jesus nicht Jude gewesen sein. Bis auf den heutigen Tag verfolgt das Judentum Jesus und alle, die ihm folgen, mit unversöhnlichem Haß. Hingegen fanden bei Jesus Christus besonders arische Menschen Antwort auf ihre letzten und tiefsten Fragen. So wurde er auch der Heiland der Deutschen.“151
Ähnlich verwendet Leffler verwendet den Begriff „Heiland“ in seiner Beschreibung der Besonderheit des Heilands der Deutschen und nennt zusätzlich „Leben und Leid“ und „Sieg und Niederlage“ als Kennzeichen für eine Heilandserfahrung.152 Leutheuser geht sogar so weit, den „Heiland“ als den griechische Heilandsgestalt miteinander in Verbindung setzten.“ Für diese Deutung bietet sich der Heiland-Begriff bzw. ja auch an, da σωτήρ in der griechischen Mythologie häufig als Epitheton ornans für Götter und Göttinnen gebraucht wurde, u.a. für Poseidon, Dionysos und Zeus. Hahn weist aber zudem darauf hin, dass Jesus im Motiv des gottgesandten ‚Retters‘ (σωτήρ) mit den Richtern und Charismatikern des alten Bundes, die zum Volk Israel gesandt sind, verknüpft wird (vgl. Hahn (1995), 278). 146 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 224. Wörtlich auch schon 1938: Grundmann, Heil (1938), 1. 147 Fromm (1940), 5. 148 „Kindheitsgeschichten und Osterberichte lassen so für alle, die nicht am Äußeren haften bleiben, sondern ihren Sinn verstehen wollen, als Umrahmung des Heilandsbildes glaubensinnig das Geheimnis Jesu aufleuchten: Tief in Gott verborgen ist sein Ursprung. Hin zu Gott dringt er durch sein Leiden und Sterben. Er besiegt den Tod und bezeugt sich als der Lebendige und Ewige über alle Zeiten hinweg“ (Fromm (1940), 44). 149 Vgl. Fromm (1940), 50. 150 Deutsche mit Gott (1941), Kapitel 19, 46–48. 151 Deutsche mit Gott (1941), 46. 152 „Wir sind versucht zu behaupten, daß der Heiland erst in seine eigentliche irdische Heimat kam, als sein Evangelium unseren Ahnen verkündet wurde. Niemals fand er Stämme oder Völkerschaften, bei denen sein Geist wirklich so stark Eingang finden konnte. Die Germanen waren es, die dem Christentum zu seiner weltgeschichtlichen Bedeutung verhalfen“
252
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
„überirdischen Garanten unseres Kampfes in den Reihen Adolf Hitlers“ zu bezeichnen.153 Die Bezeichnung als „Heiland der Deutschen“ wird also einerseits eng mit Deutschland verbunden und andererseits, damit einhergehend, vom Judentum abgehoben. Auch Wolf Mayer-Erlach, ebenfalls Institutsmitglied, aber nicht direkt an der BG-Herausgabe beteiligt154, nennt Hitler einen „Heiland“, der „Gottes Werk“ tue: „Uns ist der Führer das geworden, was Luther von der Obrigkeit sagt: Helfer, Retter. Millionen sehen in ihm, was Luther in den rechten Fürsten sah, den Heiland, der uns vor dem Verderben bewahrte. […] Weil wir Lutheraner sind, sehen wir die ganze Tiefe der Erscheinungen, sehen wir das Werk des Führers als Gottes Werk.“155
Ebenfalls verknüpft bereits der Titel eines Vortrags Leutheusers „Der Heiland in der Geschichte der Deutschen oder Der Nationalsozialismus, vom Evangelium aus gesehen“156 Nationalsozialismus und Heilandstitel eng. An anderer Stelle ermutigt er dann die Deutschen dazu, „todesmutige […] Urgemeinde des Heilands“157 zu sein. Der Begriff „Heiland“ wird hier mit der Beschrei(Leffler, Christus im Dritten Reich (1935), 63). „Nie wäre der Heiland, als sein Wort zu den Germanen kam, verstanden und aufgenommen worden, wenn er sich nicht schon längst vorher tausendfältig in der Seele der Germanen durch Worte aus Leben und Leid, aus Niederlage und Sieg verständlich gemacht hätte“ (ebd. 65). 153 Vgl. Leutheuser, Christusgemeinde der Deutschen (1938), 23. Den Gedanken des Kampfes im Sinne/in der Nachfolge Christi bzw. sogar mit dessen Unterstützung greift auch die BG in ähnlicher Weise auf. Mehr dazu unter 4.2 Jesus ist ein „Kämpfer“ gegen das Judentum, daher werden seine Nachfolger zu (Mit-)kämpfern. 154 Meyer-Erlach (1891–1982) war ab Herbst 1933 Ordinarius für Prakt. Theologie in Jena (ohne Promotion und Habilitation (Klee (2005), 409, Sp.1). Das Volksbildungsministerium in Weimar hatte unter Mitarbeit von Siegfried Leffler, der einen Posten für seinen Freund Meyer-Erlach schaffen wollte, erwirkt, daß der Professor für Praktische Theologie, Macholz, seinen Lehrstuhl aufgeben mußte (vgl. Schüfer (1998), 95). 1934 Dekan der Theologischen Fakultät, 1935 Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena und 1937 philosophischer Ehrendoktor der Universität Athen (Raschzok (2000), 175), bis 1940 bietet er gemeinsam mit Walter Grundmann abgestimmte „Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten“ an, die u.a. „Die Kirche unter dem Bolschewismus“ als Titel tragen (Ebd. 175). Ab 1939 Mitarbeit beim Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben in Eisenach, u.a. als Referent bei den Arbeitstagungen und Mitherausgeber von Institutsdokumenten (ebd. 180), außerdem ist er ab 1940 für Schulungen von Wehrmachtsoffizieren an nahezu allen Kriegsschauplätzen im Einsatz und hält rund 500 Vorträge (ebd. 181). 1945 Verlust des Ordinariats. Ablehnung Wiedereinstellung seitens der bayerischen Landeskirche, 1951–1963 Pfarrer in Wörsdorf bei Idstein im Taunus. 1963 Bundesverdienstkreuz, + 15.11.1982.“ (Klee (2005), 409, Sp.1). 155 Meyer-Erlach, Verrat an Luther (1936), 70. 156 Leutheuser (1933). 157 „Nein, es ist nicht das Wesen einer Gemeinschaft von Menschen, die von der Erlösung der Welt durch Christus künden, dass sie mehr der Kaste der Pharisäer und Schriftgelehrten gleicht als der singenden, todesmutigen, im Leben fröhlichen, untereinander verträglichen Urgemeinde des Heilands.“ (Leutheuser, Christusgemeinde der Deutschen (1938), 10).
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
253
bung der idealen Gemeinde verknüpft, die einerseits vom Judentum, hier vertreten durch Pharisäer und Schriftgelehrte, abgegrenzt, andererseits aber auch als „todesmutig“ beschrieben wird. Dieser Hinweis darauf, dass im deutschchristlichen Denken die Glorifizierung des Todes sehr stark verwurzelt war, sei hier zunächst nur festgehalten. Die Besonderheiten der christologischen Darstellung durch die Redaktion scheinen diese Richtung noch zu verstärken, wie sich im Folgenden zeigen wird. Der Begriff des „Heilands“ kann somit als zentraler christologischer Titel in der Theologie der Deutschen Christen, sowie auch im Besonderen der BG, bezeichnet werden und weist bereits einige Spezifika auf, die auf redaktionelle Tätigkeit zurückgeführt werden können. Auch der kurze Blick in die einschlägige Sekundärliteratur konnte dies zeigen. Der Heilandsbegriff wird von der BG-Redaktion in die Nähe zum Nationalsozialismus gebracht, auch eine Betonung des Deutschtums und die Abgrenzung des Begriffs von allen jüdischen Implikationen sind erkennbar. Diese Tendenzen sind freilich bereits im Hintergrundteil bzw. in der Zielsetzung des Instituts aufgefallen. Daher ist es nötig, noch weitere Begriffsänderungen in der christologischen Terminologie in den Blick zu nehmen. *
* *
Die Überlegung war, herauszufinden, wie in den Textbearbeitungen der BGRedaktoren die Kultmetaphorik ersetzt worden war und ob sich dadurch Implikationen für die Christologie ergaben. In der Betrachtung der anderen „Ersatztermini“ lassen sich erste Vermutungen darüber anstellen, welches christologische Verständnis die BGRedaktion forcieren wollte: ein neues, heroischeres Verständnis des Seins Jesu wird nahegelegt, das bewusst an einigen Stellen von der biblischen Terminologie Abstand nimmt. Diese Vermutungen sollen anhand derer Passagen aus der BG verifiziert werden, in denen zwar die Verse aufgenommen sind, in denen eigentlich von ‚ὁ ἀμνός‘ oder ‚τὸ ἀρνίον‘ die Rede ist, diese aber so bearbeiten werden, dass die Bezeichnung nicht mehr erkennbar ist: 3.2.2 BG 102, Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8.19–27.31.33–34.28–30), Joh 1,34.28–30: „Der Erkorene Gottes“ Die erste Vermeidung des Begriffs „Lamm“ fällt bei der Bearbeitung von Joh 1,29 auf, wo Johannes der Täufer im Original von Christus als dem „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (EÜ, Joh 1,29) spricht:
254
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
[‚Der wird mit heiligem Geiste taufen, auf den du den Geist herabkommen siehst, um ihn zu erfüllen. Das habe ich gesehen und ich lege Zeugnis ab: Er ist der Erkorene Gottes.‘ (Joh 1,34)] Das geschah in der Einöde jenseits des Jordans, wo Johannes taufte. Am folgenden Tage sieht Johannes Jesus zu sich kommen und spricht: ‚Siehe, der Erkorene Gottes, der die Schuld der Welt tilgt! Von ihm habe ich zu euch gesprochen. Ihn habe ich getauft, obwohl er mir überlegen ist, denn er war von Uranfang an bei Gott. (BG 102, Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8.19–27.31.33–34.28–30), Joh 1,34.28–30)
Besonders die BG-Bearbeitung von Joh 1,29–30 ist interessant: BG
NA
EÜ
Luther
Am folgenden Tage sieht Johannes Jesus zu sich kommen und spricht:
29 Τῇ ἐπαύριον βλέπει τὸν Ἰησοῦν ἐρχόμενον πρὸς αὐτὸν καὶ λέγει·
29 Am Tag darauf sah er Jesus auf sich zukommen und sagte:
29 Des andern Tages sieht Johannes Jesum zu ihm kommen und spricht:
‚Siehe, der Erkorene Gottes,
ἴδε ὁ ἀμνὸς τοῦ θεοῦ
Seht, das Lamm Gottes,
Siehe, das ist Gottes Lamm,
der die Schuld der Welt tilgt!‘
ὁ αἴρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου.
das die Sünde der Welt hinwegnimmt.
welches der Welt Sünde trägt!
Von ihm habe ich zu euch gesprochen.
30 οὗτός ἐστιν ὑπὲρ οὗ ἐγὼ εἶπον·
30 Er ist es, von dem ich gesagt habe:
30 Dieser ist's, von dem ich gesagt habe:
Ihn habe ich getauft,
ὀπίσω μου ἔρχεται ἀνὴρ
Nach mir kommt ein Mann,
Nach mir kommt ein Mann,
obwohl er mir überlegen ist,
ὃς ἔμπροσθέν μου γέγονεν,
der mir voraus ist,
welcher vor mir gewesen ist;
denn er war von Uranfang an bei Gott.
ὅτι πρῶτός μου ἦν.
weil er vor mir war.
denn er war eher denn ich.
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
255
Die ungewöhnliche Umstellung der Verse wurde bereits bemerkt.158 Nun soll der Fokus auf der Frage liegen, wie der Christustitel „Lamm Gottes“ von der BG inhaltlich gefüllt wird. Der „Erkorene“ wurde bereits oben für „Sohn Gottes“ (Joh 1,34) von der BG als Lesart bevorzugt,159 hier in Joh 1,29 fügt die BG den Titel „Erkorener“ ohne Rücksicht auf den griechischen Text ein. In der BG-Version von Joh 1,30 scheint dann der Gedanke einer Präexistenz Christi gezielt hervorgehoben zu werden: Die BG beschreibt Jesu Sein bei Gott „vom Uranfang an“ (BG, Joh 1,30), im Griechischen findet sich nur ein lapidares ‚πρῶτός μου‘.160 Jesu Sein wird außerdem von der BG in Joh 1,30 qualitativ als „Überlegenheit“ gedeutet, obwohl im Griechischen (ἔμπροσθέν μου γέγονεν: er entstand vor mir/wurde vor mir geboren/war vor mir) eine zeitliche Dimension beschrieben wird. Diese temporale Dimension nimmt die BG dann erst im letzten Versteil auf („er war von Uranfang bei Gott“ (BG) statt er war „vor mir“ bzw. „eher als ich“ (EÜ/Luther)). Zudem wird die Aussage Johannes des Täufers Joh 1,30 in der BG sprachlich völlig umgestaltet: Trotz der qualitativen Überlegenheit Christi („obwohl […]“) habe Johannes Christus getauft. Im Griechischen dagegen wird in diesem Vers die Taufe Jesu nicht noch einmal erwähnt. Die BG scheint besondere Betonung darauf legen zu wollen, indem einerseits der Präexistenzgedanken ausgedeutet wird und andererseits eine „Überlegenheit“ Christi betont wird. Der Titel „Lamm Gottes“ mit seinem Bedeutungsspektrum vom Symbol für das Leben und die Versöhnung bis zur Schwäche und Erlösungsbedürftigkeit wurde von der BG gestrichen und umgedeutet. Parallel wurde dies auch in Joh 1,36 geändert.161 Allein die Dimension, dass das „Lamm“ (EÜ) bzw. der „Erkorene“ (BG) die „Sünden“ (EÜ) bzw. die „Schuld“ (BG) der Welt getilgt habe, wird rudimentär, ohne den Titel „Lamm Gottes“ und somit auch ohne den intertextuellen Bezug zu Jes 53,7, angedeutet. Neben diesem Fehlen des Titels „Lamm Gottes“ fehlt außerdem der Joh 1,31, wo auf die Sendung Jesu zu Israel verwiesen wird:
158
2.4.1. BG 101f., Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8.19–27.31.33–34.28– 30), Joh. 1,6–8.19–20: Die Aussage des Johannes: ‚Ich bin nicht der Offenbarer.‘ 159 Siehe den Hinweis auf die verschiedenen Lesarten in 2.4.1 BG 101f., Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8.19–27.31.33–34.28–30), Joh. 1,6–8.19–20: Die Aussage des Johannes: ‚Ich bin nicht der Offenbarer.‘ 160 πρῶτός μου‘: wörtlich der Erste im Verhältnis zu mir. 161 Vgl. BG 102, Erste Gefolgschaft: Durch Glauben zum Schauen (Joh. 1,35–51), Joh 1,36. Auch hier schreibt die BG vom „Erkorenen Gottes“ statt vom „Lamm Gottes“.
256
fehlt
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG
NA κἀγὼ οὐκ ᾔδειν αὐτόν, ἀλλ’ ἵνα φανερωθῇ τῷ Ἰσραὴλ διὰ τοῦτο ἦλθον ἐγὼ ἐν ὕδατι βαπτίζων.
EÜ Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser
Luther Und ich kannte ihn nicht; sondern auf daß er offenbar würde in Israel, darum bin ich gekommen, zu taufen mit Wasser.
Grundmann selbst liefert Begründungen für diese beiden Veränderungen der biblischen Texte und zeigt so, dass sich dahinter planvolle Redaktion verbirgt: „Der Begriff Israel und Israelit ist in seinem religiösen Klang, den er als Symbolwort im vierten Evangelium im Unterschied zu ‚Jude‘ hat, eingedeutscht, wozu vor allem die Nathangeschichte zu vergleichen ist.162 Wer den Sprachgebrauch des vierten Evangelisten kennt, kann an der Berechtigung dazu nicht zweifeln. Ebenso haben wir das Symbol ‚Lamm Gottes‘, das heute den Zugang zur Aussage nicht öffnet, sondern versperrt, neu zu formen versucht. Maßgebend war dabei die Beobachtung von Joachim Jeremias, daß Lamm als Übersetzung eines aramäischen Wortes, das auch Knecht bedeuten kann163 also mit Joh. 1,29 der Knecht Gottes von Jes. 53 gemeint ist. Dieser Knecht ist – durchgängig z.B. in der Henochliteratur, begründet in Jes. 42,1 – der Auserwählte Gottes. An diesen Ausdruck anknüpfend haben wir übersetzt: ‚Siehe, der Erkorene Gottes, der die Schuld der Welt tilgt.‘“164
Mit einem Verständnis der theologischen Aussagen vom „Lamm Gottes“ und „Israel“ bzw. dem „Israeliten“ Nathan als bloße „Symbole“, die es nicht wert sind, übersetzt zu werden, sondern ohne Weiteres ‚eingedeutscht‘ bzw. ‚neu geformt‘ werden könnten, begründet Grundmann das Vorgehen der Redaktoren.
162
Die BG übergeht hier die Bezeichnung Nathans als „echter Israelit“ (BG 103, Erste Gefolgschaft: Durch Glauben zum Schauen (Joh. 1,35–51), Joh 1,47) aus Jesu Munde, stattdessen wird er: „einer, der mit aufrichtigem Ernst Gott sucht.‘ (vgl. unten, 4.3.3 Vergewisserung: Eine weitere Bearbeitung: „Der die Suchenden zum Leben führt“ statt der „König von Israel“ (BG 103, Erste Gefolgschaft: Durch Glauben zum Schauen (Joh. 1,35–51), Joh 1,49). 163 Grundmann verweist hier auf das Theologische Wörterbuch zum NT. I, 342–344. Tatsächlich weist Jeremias hier nach, dass erst durch die griechische Übersetzung des aramäischen Wortes die gedankliche Verbindung mit dem (Pessach)Lamm entstanden sei: „In der Gemeinde erhielt das Wort des Täufers einen neuen Sinn, als der Evangelist Joh […] Jesus als das Wahre Passahlamm (vgl. J 19,36) bezeichnete. […] Nun deutet man das Täuferwort auf Jesus als das Lamm Gottes, das durch die Sühnkraft seines Blutes die Sünde der Welt tilgt.“ (Jeremias (1933), 343). Im Gegensatz zu Grundmann schreibt Jeremias der Deutung der Gemeinde allerdings nicht ihre christologische Aussagekraft ab. 164 Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 21.
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
257
Dieses Zitat Grundmanns ist wichtig für die gesamte Analyse zum fehlenden Begriff „Lamm Gottes“ in der BG. Mit der Übersetzung der „Erkorene Gottes“ greift die BG einmal mehr die Lesart ‚ἐκλεκτός‘ (Erwählter/Erkorener Gottes) in Joh 1,34 auf und trägt diese hier in Joh 1,29 ein.165 Mit der Gleichsetzung von Lamm, Knecht, Auserwählter Gottes und Erkorener Gottes bleibt Grundmann und im Gefolge dessen die BG bei ihrer einseitigen Deutung stehen. Auf der Suche nach der Bedeutung des Titels „Lamm Gottes“ im Johannesevangelium stößt man auch auf die Verbindung mit den Pessachtraditionen bei der Darstellung der Kreuzigung, die andeutet, dass das Lamm Gottes im Johannesevangelium auch das wahre Pessachlamm ist,166 was vor allem anhand der Chronologie und des Zitats vom Zerbrechen der Knochen in Joh 19,36 wahrscheinlich gemacht werden kann.167 Das Johannesevangelium beruft sich dabei auf das in Ex 12 erzählte Pessachgeschehen und übernimmt das Bedeutungspotential von dort: Das Pessach wird als „Moment der Konstitution einer gegen das Böse geschützten Gemeinschaft“ gesehen.168 Zwar ist zweifellos auch das Gottesknechtslied (Jes 53) in Joh 1 rezipiert, hieraus „stammt u.a. die Vorstellung von einem Unschuldigen, der die Sünden auf sich lädt und nach seiner Erniedrigung erhöht und verherrlicht wird (Jes 52,13; Jes 53,13)“ und „er nach seiner Erhöhung die Erkenntnis hervorruft, dass er die Sünden der Anderen getragen und sie durch sein Leiden gerettet hat (Jes 53,4–7).“169 Aus den Traditionen des Pessachlamms dagegen hat das 165
Siehe die BG-Bearbeitung von Joh 1,34 in 2.4.1 BG 101f., Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8.19–27.31.33–34.28–30), Joh. 1,6–8.19–20: Die Aussage des Johannes: ‚Ich bin nicht der Offenbarer.‘ und die BG-Version von Joh 11,27 in 2.4.3 Der „Verheißene“ ist „Gottessohn“ und „Menschensohn“ – eine Zusammenfassung der Beobachtungen zu den BG-Bearbeitungen im Johannesevangelium. 166 Nielsen (2011), hier: 6. Das Lamm Gottes im Johannesevangelium, 6.2. Das Paschalamm. Als Beispielstellen nennt er Joh 19,29.31.32–33.36. Den Pessachbezug im Johannesevangelium hält auch Schlund (2007), 407 für plausibel, ebenso Nicklas, der auf die literarische Verbindung vom Paschalamm, das geschlachtet wird und einen Hintergrund für Joh 1,29 bildet, und der Passion Jesu hinweist: Jesus wird in Joh 19,16a genau zu der Stunde ausgeliefert, in der gewöhnlich die Pessachlämmer geschlachtet werden (vgl. Nicklas, Jesus von Nazareth (2009), 71f.). 167 Schlund (2007), 397. Zweifel äußert Berger (2004), 229: Joh 19,36 könne „wohl leichter auf den leidenden Gerechten nach Psalm 34,21“ bezogen werden: „Der Gerechte muß leiden, doch der Herr trägt Sorge, daß seine Gebeine nicht zerbrochen werden.“ 168 Schlund (2007), 411. 169 Vgl. Nielsen (2011), 6. Das Lamm Gottes im Johannesevangelium, 6. Das Johannesevangelium. Auch Nicklas (2001) vermutet als zentralen Hintergrund der Vorstellung eine Verbindung von Opferlammtraditionen mit Jes 53, deren Weiterentwicklung und Universalisierung aber durch Bilder des siegreichen messianischen Lammes angestoßen wurde. Zudem kann eine Verbindung mit Vorstellungen vom endzeitlichen „Lamm“ gesehen werden, wie es Offb zeichnet (ebd. 152).
258
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
johanneische Lamm Gottes insbesondere die Idee des Schutzes gegen den Tod und die Vorstellung, das Lamm stelle einen Übergang dar, übernommen. Somit lässt sich sagen, dass die Metapher „Lamm Gottes“ im Johannesevangelium alle diese Bedeutungskomponenten enthält und dann, wenn Jesus im Johannesevangelium „Lamm Gottes“ genannt wird, „Teile des semantischen Potentials der Metapher an ihm aktualisiert“ werden. 170 Indem die BG eine Übersetzung mit der „Erkorene“ wählt und in Grundmanns Interpretation dazu sich die Gleichsetzung mit dem Begriff „Knecht“ findet, wird ein Eingriff in den Text vorgenommen, der die Auslegung in den Text eindringen lässt. Eben der Verweis auf die Pessachtradition wurde getilgt und somit einmal mehr die positive Verbindung der Christologie mit dem Judentum. Die Rede vom „Erkorenen“ bzw. „erkorenen Gottessohn“ war in der BG bereits für ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ am Anfang der Passage in Joh 1,34 aufgefallen171 ebenso in Joh 20,31172 und beim Bekenntnis der Martha in Joh 11,27173. Auch Petrus lässt die BG in Joh 6,69 den „Erkorenen Gottes“ erkennen.174 Auch in die bearbeiteten Texte aus den synoptischen Evangelien fügt die BG die Rede vom „Erkorenen“ ein, z.B. in Lk 4,16–18175:
170
Vgl. Nielsen (2011), 6. Das Lamm Gottes im Johannesevangelium, 6. Das Johannesevangelium. 171 BG 102, Johannes: der Zeuge des Offenbarers (Joh. 1,6–8.19–27.31.33–34.28–30), Joh 1,34. 172 BG 160, Beschluß (20,30–31), Joh 20,31. 173 BG 137, Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (10,40–11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44), Joh 11,27. 174 BG 116f., Die Scheidung in Galiläa (Joh 6,60–64a.65–69), Joh 6,69: ‚Und wir haben geglaubt und erkannt: du bist der Erkorene Gottes.‘ statt ‚Du bist der Heilige Gottes‘ (ὁ ἅγιος τοῦ θεοῦ). 175 BG 17f., Undankbare Heimat (Luk. 4,16–30; Mark. 6,5a.6a), Lk 4,16–18.
259
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
EÜ
Luther
Jesus kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war,
BG
16 Καὶ ἦλθεν εἰς Ναζαρά, οὗ ἦν τεθραμμένος,
NA
16 So kam er auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war,
16 Und er kam gen Nazareth, da er erzogen war,
ging nach seiner Gewohnheit am Feiertag in die Gemeindeversammlung und lehrte sie:
καὶ εἰσῆλθεν κατὰ τὸ εἰωθὸς αὐτῷ ἐν τῇ ἡμέρᾳ τῶν σαββάτων εἰς τὴν συναγωγὴν καὶ ἀνέστη ἀναγνῶναι.
und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um aus der Schrift vorzulesen,
und ging in die Schule nach seiner Gewohnheit am Sabbattage und stand auf und wollte lesen.
fehlt
17 καὶ ἐπεδόθη αὐτῷ βιβλίον τοῦ προφήτου Ἠσαΐου καὶ ἀναπτύξας τὸ βιβλίον εὗρεν τὸν τόπον
17 reichte man ihm das Buch des Propheten Jesaja. Er schlug das Buch auf und fand die Stelle,
17 Da ward ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und da er das Buch auftat, fand er den Ort,
‚Es heißt:
οὗ ἦν γεγραμμένον·
wo es heißt:
da geschrieben steht:
Der Geist des Herrn ruht auf mir;
18 πνεῦμα κυρίου ἐπ’ ἐμὲ
18 Der Geist des Herrn ruht auf mir; /
18 „Der Geist des HERRN ist bei mir,
Denn er hat mich erkoren, […]
οὗ εἵνεκεν ἔχρισέν με […]
denn der Herr hat mich gesalbt. […]
darum, daß er mich gesalbt hat; […]
Die Aussage, dass er „erkoren“ sei, wird hier von der BG zur „Lehre“ erhoben durch die Tilgung des Verweises darauf, dass er aus dem Buch Jesaja vorliest (Lk 4,17). Somit ist einerseits seine Bezugnahme auf das Alte Testament (Jes 61,1) verborgen, andererseits scheint sie in die Richtung von Jes 42,1 angepasst worden zu sein: Der Aussage, er sei von Gott „erkoren“, wird dadurch ein höherer Stellenwert beigemessen. Ähnlich war auch schon bei der Taufe Jesu der Begriff „erkoren“ in den Mittelpunkt gerückt worden:
260
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
In jenen Tagen kam auch Jesus von Nazareth und wurde von Johannes im Jordan getauft. Als er aus dem Wasser stieg, schaute er den Himmel offen und sah Gottes Geist auf sich herabkommen, wie eine Taube herniederschwebt, und vernahm Gottes Ruf: ‚Du bist mein lieber Sohn, den ich erkoren.‘ (BG 7, Von Gott zum Sohn berufen (Mark. 1,1.4; Matth. 3,10; Mark. 1,5ac.9–11), Mk 1,9– 11)
BG […] und vernahm Gottes Ruf: ‚Du bist mein lieber Sohn,
den ich erkoren.‘
EÜ
Luther
11 καὶ φωνὴ ἐγένετο ἐκ τῶν οὐρανῶν· σὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός,
NA
11 Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn,
11 Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn,
ἐν σοὶ εὐδόκησα.
an dir habe ich Gefallen gefunden.
an dem ich Wohlgefallen habe.
Auch in der Taufgeschichte, die für Grundmann als „Sohneseinsetzung in einem visionären Erlebnis“176 von hoher Wichtigkeit war, da hieran die beiden „Legenden“ von Jungfrauengeburt und Betlehem als Geburtsort „durchschaut“ werden könnten und somit unhaltbar würden177, wird die Rede vom „erkorenen“ Jesus eingefügt, in Anlehnung an Jes 42,1. Im Griechischen findet sich εὐδοκέω (Gefallen haben/finden). Diese beiden Stellen können nochmal verdeutlichen, wie konsequent das Bestreben der BG-Redaktoren war, Jesus nicht als den Gesalbten/Messias darzustellen, sondern vielmehr als den Erwählten bzw. Erkorenen. Das könnte in das Konzept einer „herrschaftlicheren“ Christologie passen, die sich auch im Titel „Herzog des Lebens“ nahelegt. 3.2.3 BG 201, Hoffnung bewährt sich im reinen Leben (1. Petr. 1,13b–21), 1 Petr 1,19: „tapferer Lebenseinsatz“ Christi Eine weitere interessante Spur, wie die BG-Redaktion die Stellen bearbeitet, die ‚ὁ ἀμνός‘ enthalten, ist die Rede vom „tapferen Lebenseinsatz“ Christi (1 Petr 1,19). An Stelle des Bildes vom kostbaren Blut des tadellosen „Lammes“ wird vom „tapferen Lebenseinsatz“ Christi gesprochen, der zu neuer „Freiheit“ geführt habe, vgl. 1 Petr 1,18f.178
176
Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 187. Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 187. 178 BG 201, Hoffnung bewährt sich im reinen Leben (1. Petr. 1,13b–21), 1 Petr 1,18f. 177
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
BG Bleibt eingedenk, dass euch
NA 18 εἰδότες ὅτι
EÜ 18 Ihr wisst, dass ihr
ἐκ τῆς ματαίας ὑμῶν ἀναστροφῆς πατροπαραδότου
nicht erkauft wurde mit feilem Gold oder Silber.
Christus hat sie euch gewonnen durch den tapferen Einsatz seines reinen Lebens. […]
Luther 18 und wisset, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid
οὐ φθαρτοῖς, ἀργυρίῳ ἢ χρυσίῳ, ἐλυτρώθητε
die Freiheit des neuen Lebens
261
aus eurer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise
von eurem eitlen Wandel nach väterlicher Weise,
nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Gold,
19 ἀλλὰ τιμίῳ αἵματι ὡς ἀμνοῦ ἀμώμου καὶ ἀσπίλου Χριστοῦ […]
19 sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel. […]
19 sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes, […]
Vor allem 1 Petr 1,18f. wurde auffällig bearbeitet. Aus dem Loskauf179 von der „sinnlosen, von den Vätern ererbten“ Lebensweise, also der Befreiung von sinnentstellten Bräuchen, macht die BG-Redaktion das Gewinnen einer abstrakten „Freiheit“, die als die Freiheit „des neuen Lebens“ bezeichnet wird. Somit sollte wohl einmal mehr der Neuheitscharakter der Botschaft Jesu ohne jegliche Verbindung zu den „Vätern“ hervorgehoben werden. Die deutlichste Veränderung ist dann in 1 Petr 1,19a festzustellen: Nicht durch das „Blut Christi“, der als „unschuldiges und unbeflecktes Lamm“ 179
Als Hintergrund für den Gedanken des Loskaufes nimmt Feldmeier einerseits den Gedanken des Loskaufes beim Kauf von Sklaven, der einen Eigentumswechsel markiert, an und andererseits hält er eine Anspielung auf Jes 52,3 LXX, auf den Zuspruch Gottes an die Gefangenen in Babel, dass er sie nicht durch Silber auslösen wird, für möglich, also eine Erinnerung an das befreiende Handeln Gottes in der Geschichte des Gottesvolkes. Auch erinnere der Gedanke des Lösens/Loskaufens an Mk 10,45. Dieser Bezug wird noch verstärkt durch den folgenden Vers, der explizit auf Jesu Opfertod Bezug nimmt. (vgl. Feldmeier (2005), 77). Diese drei Motive, Sklavenloskauf, Befreiung aus dem Exil und Sühne durch Jesu Tod, könnten dem Verfasser präsent gewesen sein (vgl. ebd. 78).
262
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
bezeichnet wird, ist ein „Loskauf“ zustande gekommen, sondern Christus habe die „Freiheit“ durch den „tapferen Einsatz des reinen Lebens“ gewonnen. Die Rede von der Erlösung im Bild vom „Blut des unschuldigen Lammes“, die darauf hindeutet, dass „die alttestamentliche Tradition vom Opferlamm hinter dieser Beschreibung der Erlösungstat Jesu“ stehe,180 ist in der BG also vermieden, der semantische Überschuss der Metapher des Opferlammes, der sich in der Entgegensetzung zum Löwen am Ende des Briefes (1 Petr 5,8) erschließt, bleibt unbeachtet:181 Stattdessen werden von der BG-Redaktion neue Aussagen redaktionell in den Text eingetragen: Die „Tapferkeit“ Christi wird, wie auch an anderen Stellen der BG,182 eingefügt und mit dem „Einsatz des Lebens“ verbunden, der dadurch als positive, heldenhaft durchgeführte Aktivität charakterisiert wird. Die christologische Aussage dieser Stelle wird somit auf den vorbildhaften, aktiven Lebenseinsatz konzentriert und reduziert. Es sei noch angemerkt, dass die BG das Partizip εἰδότες (1 Petr 1,18) als Imperativ übersetzt. So wird aus der Feststellung ein Appell. Die Leser der BG sind aufgefordert, sich stets an Christi „tapferen Einsatz seines reines Lebens“ für ihre „Freiheit“ zu erinnern, obwohl 1 Petr an das Wissen um das kostbare, vergossene Blut Christi erinnert, das aus der Lebensweise der Väter „loskaufen“ konnte. Zwar übersetzt auch Luther als Imperativ („wisset“), bleibt aber ansonsten eng am Griechischen. Der Appell bekommt daher durch die Veränderung dessen, was die Adressaten im Kopf behalten sollen, in der BG eine andere Bedeutung als bei Luther. Auch die in der BG gewählte Überschrift „Hoffnung bewährt sich im reinen Leben“ lässt die gewünschte Leserichtung erkennen, da die Rede vom „reinen Leben“ im Text als der Einsatz des reinen Lebens wieder aufgenommen wird. Im Vergleich dazu wählt die EÜ den wenig deutenden Titel „Der Weg zum Glauben“ für die Perikope 1 Petr 1,13–25.
180
Nielsen (2011), 2. Das Opferlamm, 2.2.1. Petrusbrief. Vgl. Feldmeier (2005), 79. Während das Raubtier vom Blut der anderen lebt, ist das Lamm das Opfer par excellence, von dem die anderen leben. Insofern symbolisiert das Lamm auch Christus als den, der nicht von den anderen lebt, sondern sich für diese aufopfert. 182 Vgl. BG 202f.: In Jesu Spur wird Leiden zum Quell des Lebens (1. Petr. 2,19–25; 3,9.15–16), 1 Petr 2,19 (‚tapfer‘ eingefügt) und BG 209, Gottes Hand im Leid (2. Kor 1,3–10; 7,10), 2 Kor 1,6 (‚tapfer‘ statt ‚in/mit Geduld‘). 181
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
263
3.2.4 BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12), Offb 12,11: „Herzog ihres Lebens“ Laut klang es aus der Ewigkeit: ‚Nun gehört das Reich der Welt unserem Herrn und unserem Heiland, und er wird walten in alle Ewigkeit.‘ Und ein Kampf begann im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen. Und der Drache mit seinen Engeln richtete nichts aus im Streit und mußte das Feld räumen im Himmel. Hinabgeworfen ward der große Drache, die uralte Schlange, die Teufel und Satan heißt und den ganzen Erdkreis verführt – hinabgeworfen auf die Erde samt seinen Engeln. Und ich hörte eine laute Stimme im Himmel rufen: ‚Nun hat unser Gott das Heil und die Kraft und das Reich gewonnen, und unser Heiland hat die Macht errungen. Gestürzt ist der Widersacher unserer Brüder, die er bei Tag und Nacht verklagte vor unserem Gott. Sie sind Sieger geblieben im Blick auf das vergossene Blut des Herzogs ihres Lebens und im Gehorsam gegen die Botschaft, die ihnen bezeugt wurde. Sie haben ihr Leben eingesetzt bis in den Tod. Darum freue dich, Himmel, mit deinen Bürgern! Doch wehe dir, Erde und Meer; denn der Teufel ist zu euch herabgekommen mit großem Zorn, weil er weiß, dass er nur noch wenig Zeit hat!‘ (BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12))
Hier handelt es sich um die erste Stelle in der BG, an der Verse aus der Offenbarung des Johannes aufgenommen werden. Insgesamt werden 36 Verse, und dies zum großen Teil nur teilweise, übernommen183 Der Offenbarung des Johannes kommt also nur „eine ganz marginale Rolle“184 in der BG zu. Übrig bleibt ein „Torso aus einigen wenigen Versatzstücken, die neu zusammengesetzt sind“, wenig aber von der ursprünglichen Programmatik.185 Zu beachten ist auch bei den Beobachtungen zum Umgang mit den Texten aus der Offenbarung, dass Grundmanns Denken, und somit die Texte der BG, nicht isoliert werden können: Gerade die „Negativdarstellungen ‚spätjüdischer Apokalyptik‘ sind zu dieser Zeit mehr oder weniger Allgemeingut der Forschung.“186 Dementsprechend lassen sich wohl auch die weitgehenden Streichungen in der BG erklären.187 183
Hier die BG-Stellen, an denen Verse aus der Offenbarung zu finden sind: BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12), BG 213, Der Ewige (Offb. 1,8.17b–18; 2,10b; 3,11b), BG 213f., Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers (Offb. 7,9–10.14b–17; 14,139, BG 214, Die Vollendung – das Gesicht des Sehers (Offb. 21,1a.3–8), BG 214f., Lobgesang (Offb. 4,8b.11; 5,9b–10.12; 11,15b.17–18), BG 215, Komm, Herr Jesus! (Offb. 22,20), BG 222f., Das Herrenmahl (Offb. 3,20; 19,9a; 1. Kor. 11,23b–25; 10,16–17; 11,26; Matth. 18,20). Vgl. auch das Stellenverzeichnis im Anhang. 184 Nicklas, Apokalypse (2012), 356. 185 Vgl. Nicklas, Apokalypse (2012), 358. 186 Nicklas, Apokalypse (2012), 359. Hier finden sich auch Beispiele aus der zeitgenössischen Literatur. 187 Nicht nur aus den Passagen aus der Offenbarung des Johannes, wurden apokalyptische Metaphern getilgt oder gar nicht erst aufgenommen (vgl. die Auswahl unzusammenhängender Verse aus Offb: 1,8.17b–18; 2,10b; 3,11b; 3,20; 4,8b.11; 5,9b–10.12; 7,9–10.14b–17; 11,15b.17–18; 12,7–12; 14,13; 19,9a; 21,1a.3–8; 22,20), auch an anderen Stellen wurde in die Texte eingegriffen: (1) 1 Kor 15,51–52 mit der Rede von der „letzten Posaune“ wurde in der
264
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Die ersten in die BG aufgenommenen Verse der Offenbarung finden sich nun im dritten Teil der BG im Kapitel „Das neue Leben“ als Beschreibung des „entscheidenden Kampfes“ und in Nähe zu ebenfalls sehr kämpferisch ausgedeuteten Passagen aus der Briefliteratur.188 Von größtem Interesse in Bezug auf die Frage nach der Ausdeutung des Bildes vom Lamm und nach der Darstellung des Todes ist Offb 12,11189:
BG herausgeschnitten (vgl. BG 212f.: Das Sterben – heilige Wandlung (1. Kor 15,35– 44a.50.53–55.57–58). (2) Auch in der Passage BG 211, Trost an Gräbern (1. Thess. 4,13b– 14.17c) fehlt die apokalyptische Bildwelt und die Verse auf die stark vereinfachte Kernaussage: „Wir werden bei dem Herrn sein alle Zeit“ (BG, 1 Thess 4,17c) reduziert. Die Frage nach Tod und Auferstehung und die damit verbundenen Zweifel der Gemeinde von Thessalonich scheinen durch die Textkürzungen und Vereinfachungen der BG einerseits weniger konkret beantwortet zu werden, andererseits sollte wohl der Tod als selbstverständlich und dadurch weniger bedrohlich dargestellt werden. (3) Aus Grundmann Perspektive hat Jesus seiner Jünger aus dem „apokalyptischen Treiben“ in Palästina, das das Land mit „Alarmnachrichten“ „in eine starke Nervosität versetzte“, gelöst und ihnen „an dieser Stelle“ mit Lk 17,22ff. (diese Verse fehlen in der BG) das „Bild vom unübersehbaren, über dem ganzen Himmel aufleuchtenden Blitz, dem der Tag des Menschensohnes gleiche“ gegeben, das „die Unübersehbarkeit dieses Tages“ veranschauliche: „Damit ist wohl der Hoffnung auf ein Weltende ein starker Ausdruck gegeben, zugleich aber jeder apokalyptischen Schwärmerei die Wurzel abgeschnitten.“ (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 121). Sparsame apokalyptische Ausführungen finden sich zwar bei Jesus (hier verweist Grundmann wieder auf Lk 17,22ff.), dies habe aber „der apokalyptisch stark bewegten Gemeinde“ nicht genügt: „Sie hat aus Apokalypsen, die sie schuf oder die sie kannte, bereits im Markus 13, wie etwa Vers 14 ‚Der Vorlesende merkte auf!‘ oder der allein in diesem Zusammenhang vorkommende Terminus ‚die Auserwählten‘ erweisen, Partien eingefügt. Wir haben uns bemüht, ohne diese Stücke einen Eindruck von der Art des apokalyptischen Redens Jesus in dem Abschnitt ‚Das Vermächtnis an die Jünger‘ zu geben.“ (Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 14). Dieser Abschnitt „Das Vermächtnis an die Jünger“ (BG 81–83) enthält einige Passagen über das „Reich Gottes“ und wäre sicher lohneswert für eine genauere Untersuchung. 188 Z.B. BG 196, Die Gemeinde als Kampfgemeinschaft in Jesu Christi Art (Phil. 1,27ac– 29), BG 198, Legt die Waffenrüstung Gottes an zum Kampf gegen den Satan (Eph. 6,10–18a) und BG 199, Der gute Kampf des Glaubens (1. Tim. 6,11b–12f). 189 BG 198, Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12), Offb 12,11.
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
265
BG Sie sind Sieger geblieben
NA καὶ αὐτοὶ ἐνίκησαν αὐτὸν
EÜ Sie haben ihn besiegt
Luther Und sie haben ihn überwunden
im Blick auf das vergossene Blut des Herzogs ihres Lebens
διὰ τὸ αἷμα τοῦ ἀρνίου
durch das Blut des Lammes
durch des Lammes Blut
und im Gehorsam gegen die Botschaft, die ihnen bezeugt wurde.
καὶ διὰ τὸν λόγον τῆς μαρτυρίας αὐτῶν
und durch ihr Wort und Zeugnis;
und durch das Wort ihres Zeugnisses
Sie haben ihr Leben eingesetzt
καὶ οὐκ ἠγάπησαν τὴν ψυχὴν αὐτῶν
sie hielten ihr Leben nicht fest,
und haben ihr Leben nicht geliebt
bis in den Tod.
ἄχρι θανάτου.
bis hinein in den Tod.
bis an den Tod.
Auch hier wird die Rede vom „Lamm“ bzw. „Böcklein“ (τὸ ἀρνίον) vermieden. Der am häufigsten in der Offenbarung des Johannes verwendete christologische Titel190 fehlt auch in den anderen in der BG aufgenommenen Passagen völlig. Stattdessen habe ein heroisierter „Herzog des Lebens“ sein Blut vergossen. In Anlehnung daran setzen auch seine Nachfolger ihr Leben ein. Auch hier wird wieder von „Einsatz“ gesprochen, also einer aktiven Tat, nicht davon, das Leben „nicht zu lieben“ wie im Griechischen. Der Text der BG legt somit auch hier einen Schwerpunkt auf den aktiven Lebenseinsatz als ideales Verhalten. Unterstrichen wird diese Tendenz durch die Einfügung des „Gehorsams“ in den vorherigen Versteil: Der Sieg wird also explizit an den „Gehorsam gegenüber der ihnen bezeugten Botschaft“ gebunden. Die eigentliche Versaussage bindet sich allerdings nicht an „Gehorsam“, sondern spricht davon, dass es Michael und seinen Engeln (vgl. Offb 12,7) auch mit der Macht ihres Wortes und Zeugnisses gelungen sei, den Drachen zu besie190
28x ist τὸ ἀρνίον in der BG als christologischer Titel aufgenommen und ist daher als Schlüssel für die Christologie der Offenbarung des Johannes zu verstehen (Knöppler (2005), 478). Als alttestamentlichen Traditionsbezug hält Knöppler die Vorstellung vom geschächteten Passalamm für das stärkste Vorbild, diskutiert werden auch das Bild vom Gottesknecht im Vergleich mit einem Lamm (Jes53,7) oder die Identifikation mit einem der Tamidopferlämmer (vgl. Num 28,3–8; Ex 29,38–42) (vgl. Knöppler (2005), 480–484).
266
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
gen. Ob sie dabei ihr Leben „eingesetzt“ haben, ist nicht die Frage. Der Text spricht lediglich davon, dass nicht die Frage nach dem eigenen Leben im Vordergrund stand, sondern die Liebe zu den Brüdern, die vom Drachen bei Gott Tag und Nacht „verklagt“ worden waren (vgl. Offb 12,10), vorrangig war im Vergleich zu eigenen Leben, das sie „nicht geliebt haben“ (Offb 12,11). Grundmann liefert eine geradezu beängstigende Deutung der „Michaelssymbolik“, die „bis auf die Gefallenendenkmäler des Weltkrieges“ reiche191 und außerdem „unlöslich“ mit der „deutschen Kolonisation, die mit der Mission in engster Verbindung stand“, verbunden sei: „Indem dem Reich neuer Boden gewonnen wird, wird Gottesglaube und Friedensordnung in immer weitere Gebiete hineingetragen. So wird die Michaelssymbolik zur Symbolik des Reiches.“192 Auch müsse beachtet werden, „daß die deutsche Michaelssymbolik nicht allein auf dem apokalyptischen Bild des letzten Buches der Bibel beruht. Den Drachentöter kennt schon die Edda, also das Germanentum.“193 Die „germanische Erinnerung“ sei also ebenso bedeutsam für eine Analyse der „Michaelssymbolik“194. Im Gegensatz zur Apokalypse hätten die Deutschen also „unter der Michaelssymbolik und dem Reichsgedanken“ „nicht ein Wehe über die Erde gesprochen, sondern […] um das Leben und das Heil dieser Welt gekämpft. Als Mitkämpfer auf der Seite der lichten Mächte versteht sich der germanisch-deutsche Mensch und erfleht durch seinen Kampf den Segen Gottes für die Erde. Die pessimistische Betrachtung der Apokalypse, die die Erde unter der verheerenden Wirkung des Satans und seiner Herrschaft sah, mußte der kämpferischen Betrachtung des deutschen Menschen weichen, der sich zum Kampf um diese Erde, ihr Leben und ihr Heil aufgerufen weiß. Damit sind wir an dem Leitseil des Mittelstückes der Apokalypse auf den tiefgreifenden Unterschied zwischen apokalyptischer Geschichtsschau und deutschem Geschichtsdenken aufmerksam geworden“.195 Mit Nicklas lässt sich auch196 hier annehmen, dass Grundmann mit seinen Aussagen den „Abfall vom Ideal vor allem persischer Eschatologie, die den
191
Grundmann, Apokalyptisches Geschichtsbild (1942), 85. Grundmann, Apokalyptisches Geschichtsbild (1942), 88. 193 Grundmann, Apokalyptisches Geschichtsbild (1942), 86 verweist hier auf: Die Edda I (1928), 113–124. In diesem Band der „Edda“ finden sich Heldensagen, die ursprünglich auf altisländisch geschrieben wurden und Stoffe der germanischen Heldensage aufgreifen. 194 Vgl. Grundmann, Apokalyptisches Geschichtsbild (1942), 86. 195 Grundmann, Apokalyptisches Geschichtsbild (1942), 89. 196 Vgl. schon vorher zum Gedanken des „Reiches Gottes“, der laut Grundmann aus der persischen Religion stamme: 3.2.7 Der Umgang mit dem Begriff „Blut“ an den fünf „Lamm“Stellen im Vergleich mit den Abendmahlstexten und dem Bericht vom „Blutzeugen“ Stephanus. 192
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
267
Menschen als ‚Mitkämpfer auf einer der beiden Machtseiten‘ sehe“, meint, ohne dies explizit benennen zu müssen.197 Wegen dieses „germanischen“ und „kämpferischen“ Deutungsansatzes ist hier wohl überhaupt diese Passage in der BG aufgenommen, grundsätzlich habe Jesus nämlich die Apokalyptik abgelehnt: „Das Neue Testament trägt heute noch die deutlichen Malzeichen eines folgenschweren Geisteskampfes an sich. Jesus von Nazareth hat in seiner eschatologischen Predigt vom Reiche Gottes grundsätzlich mit der Apokalyptik gebrochen, und er hat ebenso grundsätzlich mit den spezifisch jüdischen Zügen der Eschatologie gebrochen.“198
Für die BG-Bearbeitung lässt sich festhalten, dass in der Neukombination der Stelle aus Offb 11,15b und 12,7–12199 beide Texte „ihres ursprünglichen Kontextes beraubt und gleichzeitig unter dem gemeinsamen Stichwort des ‚Reiches‘ (Offb 11,15 und 12,10 in der entsprechenden Übersetzung) zusammengefasst“ sind.200 In dieser Kombination schien es den BG-Redaktoren also möglich, die Verse aufzunehmen. Die beiden Aspekte, die in der Offenbarung in τὸ ἀρνίον vereinigt sind, nämlich „beide Aspekte des gekreuzigten Christus […], einerseits Hoheit, Herrschaft und Gericht, andererseits aber auch Niedrigkeit, Opfertod und Erlösung“201 werden von der BG im Bild des „Herzog des Lebens“ und dem für die Versauswahl entscheidenden Thema des „Reiches“202 auf den ersten Aspekt konzentriert. Im Hintergrund für den Titel „Lamm“, „den wichtigsten Christustitel in der Offb“ sieht auch Giesen das Pessachlamm: „Wie Gott nach frühjüdischer Vorstellung sein Volk durch das Blut der Paschalämmer aus der Knechtschaft Ägyptens befreite, so hat Christus die Christen aus der Sklaverei der Sünden, die im Zusammenhang mit dem Götter- und Kaiserkult stehen, durch sein Blut befreit bzw. als das geschlachtete Lamm durch sein Blut aus allen Völkern und Nationen erkauft und so zu einem königlichen Volk und zu Priestern für Gott seinen Vater gemacht (5,9f.; 1,5f.)“203 Das „geschlachtete Lamm“ kann aber keineswegs
197
Vgl. Nicklas, Apokalypse (2012), 354. Nicklas setzt sich hier (352–356) mit eben dem Artikel Grundmanns zum apokalyptischen Geschichtsbild (1942) detailliert auseinander. 198 Grundmann, Apokalyptisches Geschichtsbild (1942), 92. Vgl. Exkurs: Todesdarstellung ohne apokalyptische Bilder in „Jesus als Lebensspender“. 199 BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7– 12), Offb 12,11: „Herzog ihres Lebens“. 200 Vgl. Nicklas, Apokalypse (2012), 357. 201 Knöppler (2005), 480. 202 Betont wird der Gedanke des „Reiches“ auch in BG 85, Das letzte Mahl (Mark. 14,16– 21; Luk. 22,24.27–30a; Mark. 14,22–25), Mk 14,24), Mk 14,24: In der BG wird beim letzten Abendmahl nicht das „Blut des Bundes“ (τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης), sondern das Blut, „vergossen zur Stiftung des Reiches“ vergossen. 203 Giesen (2012), 195.
268
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
als gewaltsamer Sieger angesehen werden, wie es die BG-Übersetzung zu suggerieren scheint, sondern die Gewaltbilder sind jeweils gebrochen.204 3.2.5 BG 213f., Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers (Offb. 7,9–10.14b–17; 14,13), Offb 7,9.10.14.17: Christus als Vorbild im Leid Auch in der Beschreibung des neuen Lebens nach dem Entscheidungskampf finden sich Passagen aus der Offenbarung.205 Besonders interessant ist die Passage BG 213f., Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers (Offb. 7,9– 10.14b–17; 14,13), da hier sowohl der Begriff „Lamm“ vermieden wird als auch diejenigen, die leidend sterben, ausdrücklich in direkte Nachfolge des leidenden Christus gestellt werden: Eine unübersehbare Schar aus jedem Volk und Land tritt vor den ewigen Gott und seinen Heiland im weißen Ehrenkleid mit den Maien der Freude in den Händen und jubelt ihm zu: ‚Gelobt sei Gott im höchsten Thron mit seinem eingebornen Sohn!‘ Sie sind durch große Trübsal gegangen und haben sie im Blick auf Christi Angst und Pein bestanden. Nun treten sie vor Gottes Thron und dienen ihm bei Tag und Nacht in seinem Heiligtum. Sie sind geborgen in Gottes Hut, sie leiden nicht mehr unter Hunger und Durst, sie werden nicht mehr verschmachten in Sonnenglut und Feuersbrand. Christus, der ihnen durch die Leidensnot vorangegangen ist, umsorgt sie als ihr treuer Hirte und leitet sie zu den Quellen des Lebens. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Selig sind die Toten, die im Glauben an den Herrn sterben. ‚Ja‘, spricht Gott, ‚sie sollen ruhen von ihrer Arbeit. Denn ihre Taten gehen mit ihnen zur Ewigkeit ein.‘ (BG 213f., Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers (Offb. 7,9–10.14b–17; 14,13))
Schon Offb 7,14 schreibt in der BG-Version dem Leiden Christi eine größere Rolle zu, als das im Griechischen der Fall ist:
204 Z.B. ist der siegreiche Löwe aus dem Stamm Juda (Offb 5,1–5) das Lamm, das wie geschlachtet aussieht (Offb 5,6), der Sieg des Lammes besteht also gerade in seiner (äußeren) Niederlage (vgl. Reinmuth (2006),304). Ähnlich Wengst: Das ‚Lamm‘ steht in gewolltem Kontrast zu dem vorher genannten Löwen […]. Es, das Lamm, ist der Löwe aus dem Stamm Juda, und es ist so dieser Löwe, der gesiegt hat. Im Zentrum des Himmels steht das geschlachtete Lamm, das irdisch völlig peripher ist: ohne Macht, hingerichtet in einem Winkel des Imperiums“ (Wengst, Apokalypse (2010), 120). 205 Z.B. BG 213f., Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers (Offb. 7,9–10.14b–17; 14,13), BG 214, Die Vollendung – das Gesicht des Sehers (Offb. 21,1a.3–8) und BG 214f., Lobgesang (Offb. 4,8b.11; 5,9b–10.12; 11,15b.17–18).
269
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
EÜ
Luther
Sie sind durch große Trübsal gegangen
BG
[…] οὗτοί εἰσιν οἱ ἐρχόμενοι ἐκ τῆς θλίψεως τῆς μεγάλης
NA
[…] Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen;
[…] Diese sindʼs, die gekommen sind aus großer Trübsal
und haben sie im Blick auf Christi Angst und Pein bestanden.
καὶ ἔπλυναν τὰς στολὰς αὐτῶν καὶ ἐλεύκαναν αὐτὰς ἐν τῷ αἵματι τοῦ ἀρνίου.
sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht.
und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes.
Die Nachfolge Christi im Leid („Angst und Pein“) wird hier betont, die Bildwelt der Offenbarung und die damit verbundenen Deutungsmöglichkeiten dagegen außer Acht gelassen. Während die EÜ mit dem griechischen Text vom Weißmachen der Gewänder im Blut des Lammes schreibt und so symbolisch von der wiederhergestellten Reinheit der Gewänder erzählt, löst die BG das Bild nach Gutdünken auf: Von den „Leidverklärten“, wie sie in der BGÜberschrift genannt werden – auch hier ist also wieder eine Betonung und zugleich Beschönigung, denn „Leidverklärte“ könnte man sinngemäß mit „durch das Leid Erhellte/Erleuchtete“ wiedergeben, des Leidens in den Text eingetragen –, von diesen „Leidverklärten“ wird nun nicht die Wiederherstellung der Gewänder zu ihrer ursprünglichen Reinheit und weißen Farbe berichtet, die durch die „große Bedrängnis“ (ἐκ τῆς θλίψεως τῆς μεγάλης) beschädigt worden war (EÜ. Offb 7,14a), sondern ganz praktisch ein „Bestehen“ der „großen Trübsal“ „im Blick auf Christi Angst und Pein“ (BG, Offb 7,14). Die Vision der Geretteten aus den Stämmen Israels ist im BG-Text nicht mehr erkennbar, wie Nicklas feststellt.206 Wie schon in Offb 12,11207 wird Christus als direktes Vorbild genannt, auf das es sich zu blicken lohnt, um schwierige Situationen zu bestehen. In Offb 12,11 führt der Blick „auf das vergossene Blut“ zum „Einsatz“ des Lebens „bis in den Tod“, jetzt in Offb 7,14 führt dieser Blick „auf Christi Angst und Pein“ zum „Bestehen“ der „großen Trübsal“. Festhalten lässt sich auf jeden Fall, dass es den Redaktoren hier ein Anliegen war, den Blick der Leser auf „Angst und Pein“ Christi zu lenken. Auch in Offb 7,17 wird dann erneut der Fokus auf das Leiden gelegt. Bereits die Überschrift „Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers“ gibt diese Leserichtung vor und vor allem Offb 7,17 bestätigt die Tendenz: 206
Vgl. Nicklas, Apokalypse (2012), 357. Vgl. 3.2.4. BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12), Offb 12,11: „Herzog ihres Lebens“. 207
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG Christus, der ihnen durch die Leidensnot vorangegangen ist,
NA ὅτι τὸ ἀρνίον τὸ ἀνὰ μέσον τοῦ θρόνου
EÜ Denn das Lamm in der Mitte vor dem Thron
Luther denn das Lamm mitten im Stuhl
umsorgt sie als ihr treuer Hirte
ποιμανεῖ αὐτοὺς
wird sie weiden
wird sie weiden
und leitet sie zu den Quellen des Lebens.
καὶ ὁδηγήσει αὐτοὺς ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων, […]
und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, […]
und leiten zu den lebendigen Wasserbrunnen, […]
fehlt
καὶ ἐξαλείψει ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ἐκ τῶν ὀφθαλμῶν αὐτῶν.
und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.
und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.
Die BG macht hier einen starken Eingriff in die christologische Terminologie des Verses. Die Rede vom „Lamm“ wird vermieden, stattdessen wird „Christus“ eingefügt und zugleich als der beschrieben, „der ihnen durch die Leidensnot vorangegangen ist“ (ohne griechische Basis). Das Bestreben der Redaktoren, Jesus hier, ohne Rücksicht auf den Wortlaut des Textes, als Vorbild im Leid zu präsentieren, ist offensichtlich. Eine weitere Auffälligkeit ist das Fehlen des dritten Versteils – spekuliert werden kann hier, ob die „Tränen“ zu wenig heldenhaft erschienen, oder ob den Redaktoren der Anklang an Jes 25,8 zu stark erschien – obwohl der Anklang an Ps 23,2 mit der Rede vom Hirten, der zur Quelle des Wassers des Lebens führt im zweiten Versteil ja aufgenommen wurde. Vor allem der explizite Verweis auf das Vorbild, ja das tätige Vorbild Christi im „Vorangehen“ durch die „Leidensnot“ (BG, Offb 7,17), obwohl eigentlich hier das Bild vom „Lamm in der Mitte vor dem Thron“ zu finden ist, ist signifikant und muss den Bearbeitungsintentionen der Redaktoren entsprochen haben. Bereits vorher fand sich außerdem der ausdrückliche Verweis auf den „Gehorsam“ derer, die siegen (BG, Offb 12,11). Auch hier handelt es sich – wie an einigen weiteren Stellen in der BG208 – um ein Redaktorenprodukt ohne griechische Basis. 208
Der „Gehorsam“ ist (neben „Vertrauen“ und „Treue“) ein für die BG typischer Begriff, der besser in die gesellschaftliche Lage zu passen schien als z.B. die Rede von „Erniedrigung“. Vgl dazu die Textbearbeitungen:
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
271
In 1 Petr 1,19 und Offb 5,9 bricht die BG ebenfalls aus dem biblischen Bild vom vergossenen Blut des Lammes aus. Statt vom Loskaufen „mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel“ (EÜ, 1 Petr 1,19) spricht die BG vom Gewinnen „durch den tapferen Einsatz seines [=Christi] reinen Lebens“ (BG, 1 Petr 1,19). Und anstelle von Menschen „aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Nationen und Völkern“, die „mit deinem Blut“ „für Gott“ erworben werden (EÜ, Offb 5,9), werden in der BG „Gottes Kinder“ erworben „mit deinem Opfer“ (BG, Offb 5,9). Erneut wird an dieser Stelle die Gotteskindschaft betont, die in engem Zusammenhang mit der positiven Wertung des Titels „Sohn Gottes“ steht und wohl ebenfalls – immer in Kombination mit anderen, fehlenden Titeln betrachtet – den Vorbildcharakter Jesu verstärken sollte. Der aktive Einsatz des Lebens, das Vorbild im Leiden, seine Tapferkeit und sein Gehorsam sind an diesen Stellen Attribute Christi, die die BG in die biblischen Texte eingefügt hat. Ausgesagt werden soll hier nicht, dass diese Attribute für sich genommen Fehlaussagen sind. Für ein adäquates Verständnis der Texte der Offenbarung sollte allerdings stets die Brechung der christologischen Aussagen ernst genommen werden:209 Das Siegen ist nie ein augenfälliges und triumphierendes, sondern erfolgt stets unter dem Schein des Gegenteils.210 „Das scheinbar schwache Lamm ist somit in Wirklichkeit der starke und durchsetzungsfähige Messias, der für die Seinen einzutreten ver(1) Nun lohnst du den Deinen, klein und groß, Gehorsam, Vertrauen und Treue […] (BG 215, Lobgesang (Offb. 4,8b.11; 5,9b–10.12; 11,15b.17–18), Offb 11,18); vgl. EÜ: [Da kam] [….] die Zeit, deine Knechte zu belohnen, / die Propheten und die Heiligen und alle, die deinen Namen fürchten, / die Kleinen und die Großen, […] (EÜ, Offb 11,18). (2) Auch in der Passage über die Taufe des Äthiopiers (Apg 8,26–40) findet sich der Begrif „Gehorsam“ ohne griechische Basis, im Zitat aus Jes 53: ‚[...] Sein Gehorsam hat das Gericht aufgehoben. Wer will seine Nachkommen zählen? Denn sein Leben wird der Erde entrückt.‘ Der Äthiopier fragte Philippus: ‚Bitte, sag mir, von wem spricht der Prophet?? Von sich selber oder von einem anderen?‘ Da kündete dieser ihm die Botschaft von Jesus. [...] (BG 240, Der Kämmerer von Äthiopien durch Philippus gewonnen (Apg. 8,26–36.38–40), Apg 8,33–35), vgl. EÜ: ‚[…] In der Erniedrigung (Ἐν τῇ ταπεινώσει) wurde seine Verurteilung aufgehoben. / Seine Nachkommen, wer kann sie zählen? / Denn sein Leben wurde von der Erde fortgenommen.‘ 34 Der Kämmerer wandte sich an Philippus und sagte: Ich bitte dich, von wem sagt der Prophet das? Von sich selbst oder von einem anderen? 35 Da begann Philippus zu reden und ausgehend von diesem Schriftwort verkündete er ihm das Evangelium von Jesus‘ (EÜ, Apg 8,33–35). Freilich kann die Rede vom Gehorsam als „christologische Tradition“ (Gräßer (1990), 305) verstanden werden mit Blick auf Phil 2,8. Die BG greift allerdings auch hier in den Text ein: Jesus „wurde gehorsam bis zum Tod am Kreuz“ (BG 196, Der selbstlose Herr – das Urbild des neuen Lebens (Phil. 2,5–11), Phil 2,8). γενόμενος ὑπήκοος μέχρι θανάτου, θανάτου δὲ σταυροῦ (EÜ: war/Luther: ward). 209 Zu beachten ist jeweils die Brechung der Gewaltbilder, vgl. oben FN 204. 210 Vgl. Wengst, Apokalypse (2010), 160.
272
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
mag.“211 Die BG-Redaktion scheint dagegen im Hoheitstitel „Lamm“ vor allem die Dimension der Schwäche zu lesen und tilgt daher die als inadäquate empfundene Bezeichnung für Christus. Die grundlegende Bearbeitung der BG-Redaktion ist aber die Tilgung der Kultmetaphorik, obwohl diese eigentlich wesentlicher Bestandteil der Texte ist: Die Offenbarung lässt sich als „Buch vom himmlischen Kult“ bezeichnen, da das Buch zeigen will, „was im himmlischen Heiligtum vor sich geht“212 und daher „Kultsprache und Kultkonzept“ dominieren.213 Als ein Ergebnis der Textanalysen ergibt sich somit, dass durch die Tilgung der Bezeichnung Christi als „Lamm“ neue Begrifflichkeiten in die Texte eingefügt wurden, die die Verbindung Christi mit kultischen Auffassungen vermeiden und viel mehr das Nachahmenswerte und Tapfere an Christus zu betonen versuchen. Sollte der Tod von den Lesern als eine „heroische Lebensspende“ verstanden werden? In der BG entstehen durch die Tilgungen neue Texte und es wird möglich, auch der Deutung des Todes Jesu Christi, wie die BG-Redaktion ihn sieht, terminologisch nachzugehen. 3.2.6 BG 215, Lobgesang (Offb. 4,8b.11; 5,9b–10.12; 11,15b.17–18), Offb 5,12: „Heiland“ statt „Lamm“, Deutung der Schlachtung als „Gabe des Lebens“ Würdig bist du, Heiland, der Welt Geheimnisse zu lösen; denn du hast Gottes Kinder erworben mit deinem Opfer und hast sie erschaffen zu einem königlichen und priesterlichen Geschlecht für unseren Gott. Du, Heiland, gabst dein Leben; dir gebührt Fülle und Macht, Weisheit und Kraft, Ehre, göttliches Wesen und Preis. Nun ist das Reich der Welt Gott, unserem Herrn, und unserem Heiland zugefallen. Und er wird herrschen in alle Ewigkeit. Wir danken dir, Herr, allwaltender Gott, der da ist und der da war, dass du mit deiner gewaltigen Macht die Herrschaft ergriffen hast. Du widerstandest denen, die sich wider dich erhoben haben. Die Stunde ist da, dass du das Schicksal der Toten entscheidest. Nun lohnst du den Deinen, klein und groß, Gehorsam, Vertrauen und Treue und stürzt ins Verderben der Erde Verderber. (BG 215, Lobgesang (Offb. 4,8b.11; 5,9b–10.12; 11,15b.17–18))
211
Giesen (2012), 176. Vgl. Tóth (2006), 493. 213 Vgl. Tóth (2006), 494. Tóth entwickelt eine „kultische Matrix“, ein „Koordinaten- und Deutungsraster für die kognitive Erschließung immanenter und transzendenter Wirklichkeitsbezüge. Die Dominanz von Kultsprache und Kultkonzept in der Off legen eine kultische Metaphysik nahe, die sich in der vertikalen Dimensionierung einer in die kultische Matrixstruktur eingelassenen transzendenten Wirklichkeit zur Geltung bringt“ (ebd. 494). Der Kult biete also gleichsam den Deutungshorizont, oder besser Deutungsraum, für die apokalyptische Heils- bzw. Unheilserwartung. Als Kontinuitätssymbol ziele er auf die sinnbildende Identität der eschatologisch verstandenen Adressatengemeinde (vgl. ebd. 509). 212
273
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
Dieses „Konglomerat“ an Versen aus der Offenbarung kreiert hier einen völlig neuen Text.214 Vor allem ein Blick in Offb 5,9–12 macht die Bearbeitungsrichtung in der BG deutlich: BG
NA
EÜ
Luther
9 καὶ ᾄδουσιν ᾠδὴν καινὴν λέγοντες·
9 Und sie sangen ein neues Lied:
9 und sangen ein neues Lied und sprachen:
Würdig bist du, Heiland, der Welt Geheimnisse zu lösen;
ἄξιος εἶ λαβεῖν τὸ βιβλίον καὶ ἀνοῖξαι τὰς σφραγῖδας αὐτοῦ,
Würdig bist du, / das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen;
Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel;
fehlt
ὅτι ἐσφάγης
denn du wurdest geschlachtet /
denn du bist erwürget
denn du hast Gottes Kinder erworben mit deinem Opfer
καὶ ἠγόρασας τῷ θεῷ ἐν τῷ αἵματί σου
und hast mit deinem Blut / Menschen für Gott erworben /
und hast uns Gott erkauft mit deinem Blut
fehlt
ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους […]
aus allen Stämmen und Sprachen, / aus allen Nationen und Völkern […]
aus allerlei Geschlecht und Zunge und Volk und Heiden. […]
fehlt
12 λέγοντες φωνῇ μεγάλῃ·
12 Sie riefen mit lauter Stimme:
12 und sie sprachen mit großer Stimme:
Du, Heiland, gabst dein Leben; dir gebührt
ἄξιόν ἐστιν τὸ ἀρνίον τὸ ἐσφαγμένον
Würdig ist das Lamm, das geschlachtet wurde, /
Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig,
Fülle und Macht, Weisheit und Kraft, Ehre, göttliches Wesen und Preis.
λαβεῖν τὴν δύναμιν καὶ πλοῦτον καὶ σοφίαν καὶ ἰσχὺν καὶ τιμὴν καὶ δόξαν καὶ εὐλογίαν.
Macht zu empfangen, Reichtum und Weisheit, / Kraft und Ehre, Herrlichkeit und Lob.
zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.
214
Vgl. Nicklas, Apokalypse (2012), 358.
274
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Besonders Offb 5,12 ist interessant für die Frage nach dem redaktionellen Eingriff in die christologische Aussage des Textes. Wieder ist die Rede vom „Lamm“ vermieden, stattdessen wird der Begriff „Heiland“ gebraucht, obwohl sich dieser Hoheitstitel in der Offenbarung eigentlich nicht findet215. Die Besonderheit des Heilands, aufgrund derer ihm Macht, Ehre usw. „gebührt“, wird nun von der Redaktion darin gesehen, dass er sein Leben gab. Auch hier ist die Aussage als eine aktive Handlung des „Heilands“ formuliert („geben“), während im Griechischen passives Partizip („das geschlachtete Lamm“) zu finden ist. Die Aussage wird zusätzlich verstärkt durch den veränderten Satzbau. Die BG wählt die direkte Anrede „Du, Heiland […], dir gebührt“, statt mit dem Griechischen die 3. Person („Würdig ist das Lamm“) zu verwenden. Offb 5,9 kann die Beobachtung, dass die aktive Lebensgabe im Fokus der BG-Redaktion stand, noch verstärken, da hier, ohne Berücksichtigung des griechischen Wortlautes, vom „Opfer“ des „Heilands“ gesprochen wird. Der Begriff „Heiland“ wurde hier eingefügt und stellt dadurch die Parallele zwischen Offb 5,9 und Offb 5,12 eindeutig her: Der „Heiland“ bringt das „Opfer“ (Offb 5,9) und der Heiland „gibt das Leben“ (Offb 5,12). Das soteriologische Motiv des Loskaufs, das hier eigentlich mit der christologischen Aussage über das Geschlachtetwerden des Lammes verbunden wird, 216 ist in der BG nicht mehr erkennbar. Auch diese Stelle lässt sich also auf die offensichtlich stark im Interesse der Redaktion liegende Aussage, dass mit „Opfer“ die aktive Lebenshingabe gemeint ist, hin lesen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die BG-Bearbeitungen der drei bisher analysierten Texte aus der Offenbarung des Johannes einmal mehr die Tendenz erkennen lassen, dass ein Text nach dem auch bei anderen „antisemitischen, nationalsozialistischen oder nationalsozialistisch beeinflussten Exegeten der Zeit“ erkennbaren Prinzip abgewertet wird, das den Einfall „jüdischen Denkens in Jesu angeblich so arisches, unjüdisches Gedankengut“ feststellt. Die Bearbeitung der Offenbarung könne daher als „Baustein gesehen werden, der im Rahmen einer Argumentation gesehen werden möchte, in der bestehende Kirchen von ihnen historisch zugewachsenen ‚jüdischen‘ Einflüssen ‚gereinigt‘ werden sollen, um auf den ‚arischen‘ Kern des Christentums kommen zu können.“217
215 Für ‚σωτήρ‘ wäre die Übersetzung ja legitim, vgl. Exkurs: Der Begriff „Heiland“ in der BG (unter 3.2.1.). 216 Vgl. Knöppler (2005), 488. 217 Nicklas, Apokalypse (2012), 368.
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
275
3.2.7 Der Umgang mit dem Begriff „Blut“ an den fünf „Lamm“-Stellen im Vergleich mit den Abendmahlstexten und dem Bericht vom „Blutzeugen“ Stephanus In den bisher erwähnten fünf Passagen aus der BG fällt auf, dass jede dieser Stellen außer Joh 1,29218 im Original mit „Blut“ (τό αἷμα) oder mit „Geschlachtetwerden“ (nur Offb 5,12) verbunden ist, in der BG allerdings nur ein einziges Mal in Offb 12,11. In Offb 5,9.12 wurde das Bild des geschlachteten Lammes für den Kreuzestod Jesu Christi völlig getilgt und die Stelle scheint somit ein im wahrsten Sinne des Wortes „blutleeres“ Opfer zu schildern. Dieses „Opfer“ wird gedeutet als aktives Erwerben der „Gottes Kinder“ (BG, ohne griechische Textbasis) mit Christi „Opfer“ (BG) (statt „mit/in deinem Blut“(ἐν τῷ αἵματί σου)). Der erste Versteil, der die Passivität, das Erleiden des Todes mit dem passiven Aorist ἐσφάγης („du wurdest geschlachtet“ (EÜ) oder drastischer bei Luther: „du bist erwürget“) von σφάζω ausdrückt, wurde von der BG dagegen gestrichen. Der Begriff des Opfers wird hier also in der BG als rein aktiver Begriff unter Vermeidung der Verweise auf das passive Geschlachtetwerden ebenso wie unter Fehlen der Rede vom „Blut“ verwendet. Das drastische Bild von der blutigen Schlachtung des Lammes, das in der Offenbarung immer wiederkehrt, kommt also an keiner Stelle zum Ausdruck. Zudem fehlt in der BG hier die universalistische Perspektive, die den Tod des „Lammes“ als geschehen für alle Stämme, Völker und Nationen deutet. Die BG schreibt vom Erwerb der „Kinder Gottes“ und lässt somit offen, ob diese aus allen Völkern kommen oder nicht. Die mit der Rede vom „Blut des Lammes“ eigentlich intendierten christologisch-soteriologischen Aussagen vom (1) metaphorisch auf den erhöhten Christus bezogenen „geschächteten Passalamm“, (2) der durch den Tod des „eschatologischen Passalammes“ bewirkten Sühne im Bild des Blutes als dem kultischen Sühnemittel schlechthin und (3) der durch das Lösegeldmotiv verstärkten Aussage über die Heilswirkung des Sühnetodes Jesu,219 finden sich in der BG also nicht. An diesen Beobachtungen lässt sich schon ablesen, wie die BG mit der Rede vom „Blut“ umzugehen versucht: Sie wird nur dann aufgenommen, wenn keine Verbindung mit dem jüdischen Opfer zu erkennen ist – nicht
218
Hier wurde der kultische Opfergedanke in der BG völlig getilgt. Dies war relativ einfach möglich war, da der Titel „Lamm Gottes“ den einzigen Verweis auf „jüdische“ Terminologie in dem kurzen Diktum Johannes‘ des Täufers darstellt. In der BG wurde er mit „Erkorener Gottes“ ersetzt. 219 Vgl. Knöppler (2005), 504–511, v.a. 511.
276
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
dagegen z.B. in der Verbindung „Blut, Ersticktes und Unzucht vermeiden“220 – und die enge Verbindung mit dem biblischen christologischen Hoheitstitel „Lamm (Gottes)“ unkenntlich gemacht wurde. Ein Blick in die anderen einschlägigen Stellen (vgl. die Detailanalysen oben) belegt das: (1) Offb 7,14: Trübsal „im Blick auf Christi Angst und Pein bestanden“ (BG) statt „Gewänder im Blut des Lammes (ἐν τῷ αἵματι τοῦ ἀρνίου) weiß gemacht“ (EÜ/NA) (2) Offb 5,9: „denn du hast Gottes Kinder erworben mit deinem Opfer“ (BG) statt „und hast mit deinem Blut (ἐν τῷ αἵματί σου) Menschen für Gott erworben“ (EÜ/NA) (3) 1 Petr 1,18f.: Christus hat die Freiheit „gewonnen durch den tapferen Einsatz seines reinen Lebens“ statt ihr wurdet aus der väterlichen Lebensweise losgekauft „mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel.“ Hier fehlen die typischen Attribute des Lammes Fehlerlosigkeit (vgl. Ex 12,5) und Blut (Ex 12,7.13). An den wenigen Stellen, an denen in der BG dann doch vom „Blut“ die Rede ist, scheint es zu einem Zeichen der Tapferkeit zu werden und verbunden zu sein mit den zu erwartenden Leiden, die wesentlich zur inhaltlichen Füllung des Begriffs des „Opfers“ als freiwillige Lebensspende in der BG gehört, z.B. in Offb 12,11: BG Sie sind Sieger geblieben im Blick auf das vergossene Blut des Herzogs ihres Lebens und im Gehorsam […]. Sie habe ihr Leben eingesetzt […]
EÜ Und sie haben ihn [= den Drachen] überwunden durch des Lammes Blut (διὰ τὸ αἷμα τοῦ ἀρνίου) […] und haben ihr Leben nicht geliebt
Hier ist der Begriff „Blut“ in der BG das einzige Mal an einer der fünf Stellen, die eigentlich vom „Lamm“ sprechen, erhalten. Allerdings lässt sich ein Unterschied in der Begriffsverwendung feststellen, der auf eine Glorifizierung des Begriffs schließen lässt:221 Nicht durch das Blut wird der satanische 220 Das wird in der BG zu: „Speise- und Ehegebote des mosaischen Gesetzes halten“ (vgl. 3.1.5 Die Frage nach dem Götzenopferfleisch: Die BG stellt eine bewusste Ablösung der ersten Gemeinden vom jüdischen Erbe dar). 221 Vgl. auch den Artikel zum Begriff αἷμα im ThWNT, Band I: Zwar stammt der Artikel nicht aus der Feder Grundmanns, der im ThWNT einige Artikel veröffentlicht hat und zudem im Vorwort als Korrektor und Ersteller des Literaturverzeichnisses genannt wird, aber doch lässt sich beim ebenfalls deutschchristlich geprägten Autor Johannes Behm eine ähnliche Gedankenausrichtung erkennen: Auch er schreibt, die „Begriffe der Opfersprache“ deuteten nicht darauf hin, dass kultische Opfergedanken mit dem Blute Christi verbunden seien, sie seien „nur bildliche Einkleidung für den Gedanken der Selbsthingabe, des vollendeten Gehorsams gegen Gott, den Christus im Kreuzestod bewies“. Die alttestamentlichen Traditionen lieferten also angeblich „keinen Ertrag“ für das Verständnis (vgl. Behm (1933), 174).
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
277
Drache besiegt, sondern die BG-Redaktion lässt „im Blick auf das vergossene Blut des Herzogs ihres Lebens“ siegen bzw. Sieger bleiben. Durch diese Bearbeitung wird das „Blut“ in eine größere Distanz zu den Kämpfenden gebracht, schließlich blicken sie nur darauf, während das griechische ‚διά‘222 ein kausales Verhältnis ausdrückt: Der Sieg wird aufgrund, wegen oder eben durch das Blut des Lammes errungen, nicht nur durch einen, wohl von den BG-Redaktoren als ermutigend gedachten, „Blick“ auf das Blut des „Herzogs ihres Lebens“. Die Rede vom „Sieg“ in der BG weckt hier wohl falsche Assoziationen, geht es doch im Text gerade nicht um den Zusammenhang von ‚Blut‘ und ‚Sieg‘223. Ganz wesentlich verändert auch die neugeschaffene Christustitulatur „Herzog ihres Lebens“ den Inhalt der Stelle, denn nicht mehr ein hilfloses „Lamm“, sondern ein glorioser „Herzog ihres Lebens“ ist es, von dessen Blut gesprochen wird. Auf dieser Linie scheint auch die Bearbeitung der Abendmahlsworte zu liegen. Die BG schreibt hier für 1 Kor 11,25: „Dieser Kelch ist Gottes neue Stiftung, besiegelt durch mein Blut“: Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Hört einer meine Stimme und tut die Tür auf, so will ich bei ihm einkehren, und wir wollen miteinander das Freudenmahl halten. Selig, die zum Freudenmahl des Heilands berufen sind. Unser Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm das Brot, dankte, brach es und sprach: ‚Nehmet, esset, das ist mein Leib für euch; solches tut zu meinem Gedächtnis.‘ Ebenso nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl und sprach: ‚Dieser Kelch ist Gottes neue Stiftung, besiegelt durch mein Blut; solches tut, sooft ihr daraus trinket, zu meinem Gedächtnis!‘ Der Kelch, den wir segnen, ist die Gemeinschaft mit Jesu Sterben. Das Brot, das wir brechen, ist die Gemeinschaft mit Jesu Leben. Wie wir alle ein Brot essen, so sind wir alle ein Leib. Sooft ihr darum von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, sollt ihr des Herrn Tod verkünden, bis er zu uns kommt! Jesus spricht: ‚Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.‘ (BG 222f., Das Herrenmahl (Offb. 3,20; 19,9a; 1. Kor. 11,23b–25; 10,16–17; 11,26; Matth. 18,20)) 222
διά mit Akkusativ wird zur Angabe eines Grundes verwendet, hier zur Angabe der wirksamen Ursache mit Akkusativ der Sache (vgl. Bauer/Aland, 362f.). 223 Vgl. Nicklas, Krieg (2009), 161. Nicklas weist hier darauf hin, dass mit der Rede vom „Blut“ zwar das Bild des siegreichen Kriegers aus Jes 63 aufgenommen wird, es aber umgedeutet wird. Es gehe nicht um den Zusammenhang von ‚Blut‘ und ‚Sieg‘, das ‚Blut‘ sei ja gerade nicht das Blut der Feinde, „sondern ‚Blut des Lammes‘, das gerade durch sein Leiden (wie der leidende Gottesknecht Jesajas) gesiegt hat – und somit Vorbild für diejenigen geworden ist, die als ihm jetzt schon Nachfolgende auch in der endzeitlichen Schlacht mit ihm ‚siegen‘ werden […] Wer – neben den satanischen Mächten – konkret unter den nur mit Chiffren bezeichneten, am Ende getöteten Feinden Gottes sein wird, bleibt das Geheimnis des Textes – eines Textes, der mit einer allumfassenden Gnadenformel (Offb 22,21) enden wird und schon deswegen für keinerlei Form von Gnadenlosigkeit gegenüber Andersdenkenden missbraucht werden darf (ebd. 161).
278
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG Selig, die zum Freudenmahl des Heilands berufen sind.
NA
EÜ Offb 19,9 […] μακάριοι οἱ […] Selig, wer εἰς τὸ δεῖπνον zum Hochzeitsτοῦ γάμου τοῦ mahl des Lamἀρνίου mes eingeladen κεκλημένοι […] ist. […] 1 Kor 11,25
Luther […] Selig sind, die zum Abendmahl wörtlich: ‚Hochzeitsmahl‘ des Lammes berufen sind […].
Ebenso nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl und sprach:
ὡσαύτως καὶ τὸ ποτήριον μετὰ τὸ δειπνῆσαι λέγων·
Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach:
Desgleichen auch den Kelch nach dem Abendmahl und sprach:
‚Dieser Kelch ist Gottes neue Stiftung, besiegelt durch mein Blut;
τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐστὶν ἐν τῷ ἐμῷ αἵματι·
Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut.
Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut;
solches tut, sooft ihr daraus trinket, zu meinem Gedächtnis!‘
τοῦτο ποιεῖτε, ὁσάκις ἐὰν πίνητε, εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν.
Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!
solches tut, so oft ihrʼs trinket, zu meinem Gedächtnis.
Der Kelch, den wir segnen, ist die Gemeinschaft mit Jesu Sterben.
Das Brot, das wir brechen, ist die Gemeinschaft mit Jesu Leben.
1 Kor 10,16–17 16 Τὸ ποτήριον 16 Ist der Kelch τῆς εὐλογίας ὃ des Segens, über εὐλογοῦμεν, οὐχὶ den wir den κοινωνία ἐστὶν Segen sprechen, τοῦ αἵματος τοῦ nicht Teilhabe Χριστοῦ; am Blut Christi? τὸν ἄρτον ὃν κλῶμεν, οὐχὶ κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ ἐστιν; .
Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi?
16 Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?
279
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
BG Wie wir alle ein Brot essen, so sind wir alle ein Leib.
NA
1 Kor 10,16–17
17 ὅτι εἷς ἄρτος, ἓν σῶμα οἱ πολλοί ἐσμεν, οἱ γὰρ πάντες ἐκ τοῦ ἑνὸς ἄρτου μετέχομεν.
EÜ
17 Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot.
Luther 17 Denn ein Brot istʼs, so sind wir viele ein Leib, dieweil wir alle eines Brotes teilhaftig sind.
Spannend ist hier wieder die sehr eigenartige Kombination der Passage aus mehreren Büchern (Offb, 1 Kor und Mt). Für den Exkurs ist aber nun vor allem die Verwendung des Begriffs „Blut“ interessant. Beim „Freudenmahl des Heilands“ (BG, Offb 19,9) spricht Jesus davon, dass die neue „Stiftung“ durch sein Blut besiegelt sei. Zunächst erscheint „Stiftung“ bzw. „neue Stiftung“ ein noch stärkerer Terminus zu sein als der „neue Bund“; auch ist der Gedanke der „Besiegelung“ dieser „Stiftung“ durch Christi Blut ein anderer als der deutungsoffene Gedanke des Bundes „in meinem Blut“, der, durch die Anlehnung an die alttestamentliche Terminologie, deutlich auf die Kontinuität mit dem „alten“ Bund verweist. In 1 Kor 11,25 wurde zudem die Rede vom „Blut“ verstärkt eingefügt: Das Blut sei das „Siegel“ des neuen Bundes. Die BG scheint die Akzentsetzung des Textes zu verkehren: Eigentlich bestimmt in der paulinischen Tradition „αἷμα den Bund und nicht der Bund das Blut“, der Bundesschluss steht also im Vordergrund, nicht das Blut.224 Interessant an dieser Stelle ist zusätzlich, dass der Satzbau von 1 Kor 10,16–17 verändert wird: Die BG macht zwei Aussagesätze aus den mit „οὐχί“ eingeleiteten rhetorischen Fragen: „Der Kelch […] ist die Gemeinschaft mit Jesu Sterben.“ und „Das Brot […] ist die Gemeinschaft mit Christi Leben.“ (BG), die EÜ und ähnlich Luther225 übersetzen: ‚Ist der Kelch […], nicht Teilhabe am Blut Christi?“ und „Ist das Brot […] nicht Teilhabe am Leib Christi?“ Einmal mehr werden hier Sterben und Leben Christi in den Vordergrund gestellt und die Rede von Blut und Leib vermieden. Das Blut wird nur als „Besiegelung“226 der „Stiftung“ erwähnt, also in einer durchaus heroischen Funktion.
224
Vgl. Schrage (2012), 38. Der Kelch […], ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot […], ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? 226 Hier könnte der Gedanke der Besiegelung aus Offb 7 die BG-Redakteure inspiriert haben. 225
280
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Fast wörtlich wird in der BG die entsprechende Stelle im Markusevangelium, Mk 14,24, übersetzt227, allerdings ohne den Gedanken der Besiegelung: BG Und er sprach: ‚Das ist mein Blut, vergossen zur Stiftung des Reiches für viele!
NA καὶ εἶπεν αὐτοῖς· τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν.
EÜ Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.
Luther Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des neuen Testamentes, das für viele vergossen wird.
Und auch die BG-Bearbeitung von Hebr 13,20 228 zeigt große Ähnlichkeiten: BG
NA
EÜ
Luther
Gott hat uns das neue Leben geschenkt,
20 Ὁ δὲ θεὸς τῆς εἰρήνης,
20 Der Gott des Friedens aber,
20 Der Gott aber des Friedens,
als er den großen Hirten der Seinen aus den Toten zum Leben führte, unsern Herrn Jesus Christus.
ὁ ἀναγαγὼν ἐκ νεκρῶν τὸν ποιμένα τῶν προβάτων τὸν μέγαν
der Jesus, unseren Herrn, den erhabenen Hirten seiner Schafe, von den Toten heraufgeführt hat
der von den Toten ausgeführt hat den großen Hirten der Schafe
Durch seinen Tod hat er die ewige Stiftung seines Reiches besiegelt.
ἐν αἵματι διαθήκης αἰωνίου,
durch das Blut eines ewigen Bundes,
durch das Blut des ewigen Testaments,
[…]
τὸν κύριον ἡμῶν Ἰησοῦν, […]
[…]
unsern HERRN Jesus, […]
Auch hier fällt die Einfügung der Rede von der „Stiftung“ auf, diesmal „durch seinen Tod“. Der griechische Text legt den Fokus stärker auf die Auferstehung Christi, schließlich ist hier vom „herausführen“ von den Toten durch das Blut des ewigen Bundes die Rede; das Bundesblut bleibt durch seine Stellung im in227
14,24. 228
BG 85, Das letzte Mahl (Mark. 14,16–21; Luk. 22,24.27–30a; Mark. 14,22–25), Mk BG 171, Bewährung des neuen Lebens (Hebr.13,20–21).
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
281
strumentalen Präpositionalausdruck eine Beschreibung des Weges, der in Kontinuität mit dem ewigen Bund steht, den Gott mit den Menschen bereits geschlossen hatte und der immer noch gültig ist. Die BG setzt andere Schwerpunkte, indem zwar das Führen „aus den Toten zum Leben“ erwähnt wird, aber aus dem Präpositionalausdruck ein selbstständiger Hauptsatz wird, der den Tod in den Fokus rückt: Durch den Tod sei die „ewige Stiftung seines Reiches“ besiegelt gewesen. Das ist ohne Parallele bei Luther. Auch das „Reich“ ist ein Begriff, der in der BG häufig und gerne verwendet wird.229 Grundmann hebt sogar hervor, dass das Reich Gottes, das Jesus verheißt, auf einer Linie mit dem Perser Zarathustra230 liege, nicht aber mit der „allgemeinen jüdischen Erwartung“: „Das Wort aber: ‚Das Reich Gottes ist mitten unter euch‘, besagt, dass dieses Gottesreich mit ihm [Jesus, A.d.A.] kommt und in seiner Person und Botschaft da ist. […] Nicht in den irdisch-politischen Mächten des weltlichen Lebens hat das Reich Gottes, wie er es versteht, seine Gegenmacht, sondern in der Macht des Bösen. Damit steht Jesus nicht auf der Linie der allgemeinen jüdischen Erwartung, sondern auf der Linie des Persers Zarathustra.“231
Diese Worte Grundmanns lassen klar erkennen, dass auch die biblische Rede vom „Reich Gottes“ (ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ), die tatsächlich ein wichtiges 229
Vgl. zum Reich-Gottes-Begriff in der BG schon 3.2.4 BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12), Offb 12,11: „Herzog ihres Lebens“. Das „Reich Gottes“ ist in der BG ein durchaus betonter Begriff, wie sich an den vielen Einfügungen dieses Begriffs erkennen lässt, z.B. im ersten Teil der BG: (1) Lk 2,25: Simeon wartet „auf das Reich Gottes“ (BG) statt „auf die Rettung Israels“ παράκλησιν τοῦ Ἰσραήλ (BG 4, Das Kind – das Heil der Erde (Luk. 2,25ab.26.27b–35), Lk 2,25). (2) Mk 1,17: Jesus beruft die ersten Jünger „zu Fischern für Gottes Reich“ statt „zu Menschenfischern“ (ἁλιεῖς ἀνθρώπων) (BG 8f., Erste Gefolgschaft (Mark 1,16–20), Mk 1,17) und sendet in Mk 3,14 die zwölf aus „vom Reich zu künden“ statt „zu predigen“ (κηρύσσειν) (BG 16, Der Kern der Jüngerschar (Mark. 3,13–19)). 1(3) Mk 2,2: Jesus verkündet in Kafarnaum „das Wort vom Reich“ statt „das Wort“ (τὸν λόγον) (BG 10f., Lahme gehen (Mark. 2,1–4; Luk. 5,19b; Mark. 2,5–9.11–12; 5,10), Mk 2,2). (4) Mk 6,23: Jesus kündet den vielen Menschen „vom Reiche Gottes“ statt ganz allgemein πολλά (BG 19f., Jesus, der Hausvater der Seinen (Mark. 6,32–42), Mk 6,34). 230 Perser wurden ebenfalls zu den „Ariern“ gerechnet. Die Berufung Grundmanns auf Persien steht im Gefolge des Denkens, dass Perser nicht zu den Orientalen zu rechnen seien, das bereits Anfang des 19. Jahrhunderts anzutreffen ist (z.B. Emst Moritz Arndt) und auch von Nietzsche, auf den sich wiederum Grundmann beruft (vgl. z.B. Grundmann, Antike Religion (1943), 84), aufgenommen wird (vgl. Gheiby (2012), 629). Man sah einen historischen Gegensatz von Persertum und Griechentum seit Alexander dem Großen, dagegen eine Verbundenheit zwischen Germanentum und Iraniertum, die wiedergefunden werden müsse. Dazu gehört auch, dass man glaubte, die ethische Lehre Zarathustras sei im Christentum übernommen worden (vgl. ebd. 630–632). Weiterführend vgl. besonders das gesamte Kapitel „Das nordische Persien“(ebd. 629–665). 231 Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 9.
282
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Merkmal der Botschaft Jesu ist, von ihm vereinnahmt wurde, indem er Jesus in einer Linie mit dem „Arier“ Zarathustra stehend beschreibt. Auch an anderer Stelle schreibt Grundmann, im Judentum herrsche die „unbrauchbare“ „an das Königtum Gottes in Israel anknüpfende“ Vorstellung, die „im messianischen Reich die jüdische Weltherrschaft“232 gesehen hätte, die somit „an Jerusalem und an den Zion gebunden ist“, und schreibt diese Vorstellung „den Juden“ an sich zu. Dies sei die Erwartung eines Messias, der Sohn Davids ist und Davids Thron einnehmen soll.233 Die richtige Vorstellung vom Reich Gottes dagegen, die vom Judentum zwar dann aufgenommen wurde und aus der „auch der im Alten Testament erst nachexilisch bezeugte Begriff Reich Gottes stammen“ dürfte234, stamme eigentlich aus der persischen Religion235 und sei „die apokalyptische Hoffnung auf das Herabkommen einer die Erde verwandelnden wunderbaren Herrschaft, eines Reiches, das die Ungerechtigkeit und Sünde und das Leid tilgt und Ewigkeit schafft“236. Mit Verweis auf Lommels Monographie „Die Religion Zarathustras“ versucht Grundmann, eine Linie von der zoroastrischen Religion bzw. dem Parsismus bis zum Christentum zu ziehen, was die apokalyptische Hoffnung auf eine die Erde verwandelnde Herrschaft betrifft.237 Dabei verweist er auch auf die „Knecht-Gottes-Schau des zweiten Jesaja“, in der er eine Verbindung „mit bestimmten Gedanken um den Menschensohn aus der spätjüdischen Apokalyptik“ sieht, durch die „auch viel arisches Religionsgut auf Jesus eingewirkt habe“238. Interessant ist hier zunächst die Rede vom „Spätjudentum“239. Letztlich versucht Grundmann dann mit dem Hinweis auf die Aufnahme Jesu dieser alttestamentlichen Linie und 232
Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 38. Vgl. Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 38. 234 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 37. 235 Vgl. oben FN 229. Speziell der Gedanke einer „altarischen Weltherrschaft“ schien als Vorlage oder wenigstens Hintergedanke für die Expansionspolitik Deutschlands im Dritten Reich gedient zu haben (vgl. Gheiby (2012), 663f.). 236 Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 37. 237 Vgl. Lommel (1930), 52–55, s. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940) 38f. Hermann Lommel war ein bekannter Indogermanist und Religionswissenschaftler, „Die Religion Zarathustras“ ist sein Hauptwerk (vgl. Schlerath (1987), 145. 238 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 64, Anm. 11. 239 Grundmann bedient sich dieses Begriffs auch an anderer Stelle: Hier spricht er vom Vergeltungsgedanken als „Grundlage der spätjüdischen Frömmigkeit“ (vgl. Grundmann, Gotteskindschaft (1938), 121). Der Begriff des „Spätjudentums“ ist allerdings höchst problematisch, siehe dazu Karlheinz Müller: Die „Spätjudentums“-Theorie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts habe eine Wertung eingeführt, die die vorexilische Prophetie als Höhepunkt der israelitischen Religionsgeschichte sah und von da ab ein rapides Gefälle feststellte. Erst Jesus habe über den Graben des „spätjüdischen“ Fehlverhaltens hinweg wieder an diese prophetische Phase der Religion Israels anknüpfen können (vgl. Müller (1991), 38). 233
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
283
auf Lommel, auch Jesu Eschatologie auf die persische, also die ‚arische‘ zurückzuführen. So offensichtlich sind die BG-Bearbeitungen nicht, in der Häufung der Einfügungen „Reich Gottes“240 wird aber eine Betonung des Begriffs sichtbar. „Frieden“ und auch der „Gott des Friedens“ findet sich an anderen Stellen der BG241 durchaus. Die Vermeidung der Rede vom „Gott des Friedens“ in Hebr 13,20 lässt also keine Tendenz feststellen, dem Frieden seinen Wert abzuschreiben, wie man vermuten könnte, um den Sinn des Kampfes zu betonen. An allen drei Stellen (1 Kor 11,25, Mk 14,24 und Hebr 13,20) fällt also die Rede von der „Stiftung des Reiches“ auf, die auch im Gegensatz zur Lutherübersetzung steht. Auch Luthers Übersetzung „das neue Testament in meinem Blut“ scheint ungewöhnlich. Luther verweist allerdings darauf, dass „Bund“ und „Testament“ bedeutungsgleich gelesen werden sollen.242 διαθήκη wird auch in der EÜ je nach Kontext ganz selbstverständlich mit „Testament“ übersetzt, der Zusammenhang zwischen beiden wird in Hebr 9,16–22, v.a. Hebr 9,16.19 deutlich:
240
Vgl oben FN 229. Z.B. „Gott des Friedens“ (BG 219: Verantwortung und Zuversicht (1. Thess. 5,14–24; 2. Thess. 2,16–17; 3,3.5), 1 Thess 5,23). 242 Luther schreibt verschiedentlich von „Testament“, meint damit aber nichts anderes als „Bund“, wie z.B. seine Übersetzung von Hebr 8,8–10 zeigt, in der auf die alttestamentliche Bundesterminologie rekurriert wird (Ex 19,5–6 ): 8 denn er [Christus, der Hohenpriester, vgl. Hebr 8,1 (A.d.A.)] tadelt sie und sagt: „Siehe, es kommen die Tage, spricht der HERR, daß ich über das Haus Israel und über das Haus Juda ein neues Testament machen will; 9 nicht nach dem Testament, das ich gemacht habe mit ihren Vätern an dem Tage, da ich ihre Hand ergriff, sie auszuführen aus Ägyptenland. Denn sie sind nicht geblieben in meinem Testament, so habe ich ihrer auch nicht wollen achten, spricht der HERR. 10 Denn das ist das Testament, das ich machen will dem Hause Israel nach diesen Tagen, spricht der HERR: Ich will geben mein Gesetz in ihren Sinn, und in ihr Herz will ich es schreiben, und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein.“ 241
284
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Luther 16 Denn wo ein Testament ist, da muß der Tod geschehen des, der das Testament machte. […] 19 Denn als Mose ausgeredet hatte von allen Geboten nach dem Gesetz zu allem Volk, nahm er Kälber- und Bocksblut mit Wasser und Scharlachwolle und Isop und besprengte das Buch und alles Volk 20 und sprach: „Das ist das Blut des Testaments, das Gott euch geboten hat.“ […]
NA 16 Ὅπου γὰρ διαθήκη, θάνατον ἀνάγκη φέρεσθαι τοῦ διαθεμένου· […] 19 λαληθείσης γὰρ πάσης ἐντολῆς κατὰ τὸν νόμον ὑπὸ Μωϋσέως παντὶ τῷ λαῷ, λαβὼν τὸ αἷμα τῶν μόσχων [καὶ τῶν τράγων] μετὰ ὕδατος καὶ ἐρίου κοκκίνου καὶ ὑσσώπου αὐτό τε τὸ βιβλίον καὶ πάντα τὸν λαὸν ἐρράντισεν 20 λέγων· τοῦτο τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς ἐνετείλατο πρὸς ὑμᾶς ὁ θεός.[…].
EÜ 16 Wo nämlich ein Testament vorliegt, muss der Tod des Erblassers nachgewiesen werden; […] 19 Nachdem Mose jedes Gebot dem Gesetz gemäß dem ganzen Volk vorgelesen hatte, nahm er das Blut der jungen Stiere und der Böcke, dazu Wasser, rote Wolle und Ysop, besprengte das Buch selbst und das ganze Volk 20 und sagte: Das ist das Blut des Bundes, den Gott für euch eingesetzt hat. […].
Somit fehlt nur in der Übersetzung der BG die sprachliche Parallele zu den alttestamentlichen Bundesschlüssen Gottes mit dem Volk Israel.243 Das Wortspiel des Hebräerbriefs, das vom Erbe zum Testament gleitet und damit eine zweite Bedeuutung von διαθήκη aufnimmt,244 wird von der BG übergangen. Stattdessen wird von „neuer Stiftung“ gesprochen, was den Neuheitscharakter verabsolutiert und die Kontinuität zu den vorangegangenen und immer noch gültigen Bundesschlüssen gänzlich verschweigt. 243 Die Rede vom „neuen Bund“ lehnt sich schließlich an Jer 31,31 an. Hier zeigt der Kontext aber deutlich dass der Sinaibund mit Israel nicht beendet ist, sondern viel mehr die tragende Land- und Volksverheißung vorher bestätigt werden (vgl. Jer 30,3 und Jer 31,27f.). „Dass der Bund von Israel gebrochen wurde, wie es der Text Jer 31,32 sagt, bedeutet ja noch nicht, dass der beendet worden ist und nicht mehr existiert. […] Es wird weiterhin von ‚Bund‘ gesprochen, der wie schon der Sinai-Bund Israel uneingeschränkt gilt […].“ (vgl. Dohmen/Hieke (2005), 49). 244 Vgl. Backhaus (2009), 329f.: „Während die bibelgriechische Sprachtradition darunter Gottesbund (im Sinne einer einseitigen und endgültigen Stiftung Gottes) verstand (hebr. berît), trug das Nomen in der hellenistischen Alltagssprache nahezu ausschließlich die damit verwandte Bedeutung ‚Testament‘ als letztwillige Verfügung von Todes wegen. Der Übersetzungsstrategie ist die wortspielerische Möglichkeit zur Bedeutungsverschiebung aus zwei Gründen willkommen: in der Sache wird der erwünschte Zusammenhang von Tod (Christi) und (neuem) Bund plausibilisiert; in der Form versichert die Rechtssprache die Adressaten ihrer bei Gott gesicherten Stellung.“
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
285
Und tatsächlich äußert sich Grundmann zum Deutewort eben in die Richtung, die die Texte der BG bereits durchscheinen ließ: Jesus „kümmert sich mit diesem Wort überhaupt nicht um einen bestehenden Bund“, sondern stattdessen „um die von ihm gefügte neue Gemeinschaft“.245 Jesus gehe es „bei seinem Tod um das Gültigmachen und den Vollzug einer Verfügung und Stiftung Gottes, deren Inhalt das Reich ist.“ Und dieses Reich werde nun „unverbrüchlich aufgerichtet und besiegelt mit seinem Tode.“246 So kommt Grundmann zum Schluss, dass Jesus mit seinem Tod „den engen Rahmen der bisherigen Tätigkeit und Gemeinschaft“ „sprengt“ und dadurch „dem Reiche Gottes eine universelle Wirksamkeit“ „schafft“: „Im Abendmahl stellt sich die Reichsgemeinschaft dar und wird unverbrüchlich für alle Zeiten.“247 Als Bestätigung dessen, was bisher an den Texten deutlich geworden ist, betont also auch Grundmann selbst einerseits die komplette Losgelöstheit Jesu von der jüdischen-israelitischen Pessachtradition248 und andererseits den Tod Jesu als „Siegel“ für das Reich Gottes, das mit der Beschreibung als „Reichsgemeinschaft“ in bedenkliche Nähe zum nationalsozialistischen Reich gesetzt wird, wie auch die wiederholte Einfügung von „Reich Gottes“ in die BG-Texte sowie Grundmanns Herausarbeitung des persischen Ursprungs des Reich-Gottes-Gedankens nahelegt. Auch der Begriff „Blutzeuge“ wird in der BG gebraucht, nämlich für Stephanus, dessen Tod die BG-Redaktoren einen Zwischentext widmen: Zur Leitung der Hellenistengemeinde wurden sieben Männer eingesetzt: ‚Stephanus, ein von Glauben und Geist erfüllter Mann, Philippus und Prochorus, Nikanor und Timon, Parmenas und Nikolaus. Dieser stammte aus Antiochia und hatte sich der jüdischen Religionsgemeinschaft angeschlossen.‘ Aus dieser Gemeinde kommt der erste christliche Blutzeuge. Die Überlieferung berichtet: (BG 237, letzter Teil des Zwischentextes vor BG 237f., Stephanus der erste Märtyrer“ (Apg. 6,8–7,1.48–58a.59b–60; 8,1b–2) am Anfang des Großkapitels „Schicksal und Taten der Hellenisten“ (BG 237–244))
245 Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 156. Vgl. 3.1.6 Vergewisserung: BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab): Das Mahl habe also „nichts in seinem Gedankengehalt mit dem jüdisch-israelitischen Passah zu tun und ist seiner Form nach ein Abschiedsmahl im Jüngerkreis in der Art der nach der Landessitte üblichen festlichen Mahlzeiten mit religiösem Charakter“ (ebd. 157). 246 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 156. 247 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 157. 248 Mehr zur Übersetzung des Begriffs „Passah“ und dem Umgang der BG damit bereits oben 3.1.6 Vergewisserung: BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab).
286
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Hier wird die positive Verwendung von „Blut“ paradigmatisch sichtbar: Das „Märtyrertum“249 wird in der BG als „Blutzeugnis“ definiert und somit wird das griechische Bedeutungsspektrum des „μάρτυς“ als „Zeuge“ in vielfältigem Sinne250 auf das Zeugnis durch den eigenen Tod bestimmt und zudem stark vom Judentum abgegrenzt: er sei „der erste christliche Blutzeuge“ gewesen, wie im Zwischentext der BG zu finden ist. Mit Recht ließe sich sagen, dass Stephanus der erste bekannte Anhänger Christi war, der bis in den Tod hinein sein Zeugnis für ihn ablegte. In der BG fehlt diese biblische Sprache, die sich z.B. in Apg 22,20 in der Rede vom „Blut“ des „Zeugen Stephanus“ (τὸ αἷμα Στεφάνου τοῦ μάρτυρός σου) zeigt im Rahmen einer Erzählung des Paulus über seine Berufung und seine vorhergehenden Fehltaten: BG fehlt
EÜ
Luther
19 κἀγὼ εἶπον· κύριε, αὐτοὶ ἐπίστανται […]
NA
19 Da sagte ich: Herr, sie wissen doch, […]
19 Und ich sprach: HERR, sie wissen selbst, […]
20 καὶ ὅτε ἐξεχύννετο τὸ αἷμα Στεφάνου τοῦ μάρτυρός σου, καὶ αὐτὸς ἤμην ἐφεστὼς […].
20 Auch als das Blut deines Zeugen Stephanus vergossen wurde, stand ich dabei; […]
20 und da das Blut des Stephanus, deines Zeugen, vergossen ward, stand ich auch dabei […]
Im Rahmen dieser Berufungsszene wird auch Paulus von Gott aufgefordert, Zeuge zu sein, und das nur wenige Verse vorher (Apg 22,15) und eben mit dem Begriff „μάρτυς“, der hier aber in keinerlei Verbindung mit einem Blutzeugnis steht: BG fehlt
NA 15 ὅτι ἔσῃ μάρτυς αὐτῷ πρὸς πάντας ἀνθρώπους ὧν ἑώρακας καὶ ἤκουσας.
EÜ 15 denn du sollst vor allen Menschen sein Zeuge werden für das, was du gesehen und gehört hast.
Luther 15 denn du wirst Zeuge zu allen Menschen sein von dem, das du gesehen und gehört hast.
Die Konzentration des Zeugnisses auf das Blutszeugnis in Bezug auf Stephanus ist in der BG also signifikant. Als eigentlicher Kern der Geschichte müss249
Vgl. die Überschrift des folgenden Abschnitts „Stephanus der erste Märtyrer“. Mit Alex Stock lässt sich eine „doppelte profangriechische Bedeutung von martys im Sinne von Tatsachen Bezeugen und Bekennen von Überzeugungen“ benennen, die sich auch im Sprachgebrach des neuen Testaments findet. Dagegen sei die uns geläufige Bedeutung von Märtyrern als Blutzeugen dem christlichen Sprachgebrauch erst in nachbiblischer Zeit zugewachsen (vgl. Stock (2013), 252). 250
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
287
te allerdings vielmehr das Zeugnis des Stephanus gelten, das er von seiner Vision ablegt. Die Vision des Stephanus, in der er Jesus „in göttlichen Höhen sieht, an der Seite des allerheiligsten Gottes“ habe erst die Sache „zum Sieden“ gebracht, da es den Jerusalemern als indiskutable Blasphemie erschien, „so etwas zu sehen und als evidente Wahrheit auszurufen“: „In der Logik dieser Geschichte ist der erste Märtyrer ein visionärer Bekenner. Er bekennt öffentlich etwas, was er in einer ihm in der Öffnung des Himmels, also in göttlicher Offenbarung gewährter Einsicht und Wahrheit sieht. […] Im Ursinn des Wortes martys ist dieser Stephanus jemand, der für etwas eintritt, eine nicht jedermann gleich zugängliche Wahrheit bezeugt. […] Aufgrund dieses Zeugnisses wird er gesteinigt. Für dieses Zeugnis muss er sein Leben lassen. Am Ende der Geschichte scheint es ganz klar: Es ist das Christusbekenntnis in dieser theophan zugespitzten Form, das die Mitglieder der Jerusalemer Synagogengemeinde bis aufs Blut reizt.“251
Der Tod des Stephanus ist in dieser Sichtweise eine Folge aus seinem Zeugnis, nicht aber ist, wie es der BG-Text nahezulegen scheint, der Tod selbst das „Blutzeugnis“. Sein absolutes Vertrauen auf Christus ist vielmehr entscheidend für den Vorbildcharakter seines Zeugnisses,252 auch dieser Gedanke bleibt in der BG aber unterbestimmt. Zusätzlich wird Stephanus von der BG-Redaktion gezielt aus dem jüdischen Kontext herausgehoben, einerseits durch die Bezeichnung als „christlicher“ Blutzeuge im Zwischentext, andererseits durch die Überschrift des folgenden Abschnitts BG 237f., Stephanus der erste Märtyrer (Apg.6,8– 7,1.48–58a.59b–60; 8,1b–2), die mit der Benennung als erster Märtyrer ebenfalls keine Verbindung zur jüdischen Gemeinde vorsieht. Die EÜ vermeidet mit der Überschrift „Die Steinigung des Stephanus“ (Apg 7,54–60) eine Deutung des Todes. Auch die Versauswahl Apg.6,8–7,1.48–58a.59b–60; 8,1b–2 gewährt einen Blick in das Denken der BG-Redaktion: Apg 8,1a253 fehlt in der BG komplett und Apg 8,1b bekommt dadurch ein größeres Gewicht.254 Auch vorher255 und nachher256 übergeht die BG die Erwähnung des Saulus.
251
Stock (2013), 255. Vgl. Braun, H. (2010), 5. 253 Saulus aber war mit dem Mord einverstanden. An jenem Tag brach eine schwere Verfolgung über die Kirche in Jerusalem herein. Alle wurden in die Gegenden von Judäa und Samarien zerstreut, mit Ausnahme der Apostel (EÜ, Apg 8,1). 254 Die BG geht hier konform mit der seit Ferdinand Christian Baur (1866/67) prägenden Linie der Auslegungsgeschichte, die die Aussage über die Verfolgung und Zerstreuung der Jerusalemer Gemeinde (Apg 8,1b) als Grundlage dafür verwendet, das Martyrium des Stephanus innerhalb der Geschichte des Christentums im Sinne einer Trennung vom Judentum zu betrachten (vgl. Braun, H. (2010), 3). 255 Bereits in Apg 7,58 findet sich der erste Hinweis auf eine Beteiligung des Saulus: „[…] trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß“ (EÜ, Apg 7,58). 252
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Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Im direkt darauf folgenden Abschnitt „Samaria wird durch den Hellenisten Philippus gewonnen“ (BG 239) nimmt die BG dann Apg 8,5–13 auf. Auch die Verse Apg 8,3–4 fehlen somit in der BG257. Diese Auswahl verrät redaktionelle Absicht: Dreimal wird hier gerade die im biblischen Text betonte Verbindung zwischen Saulus und der Steinigung des Stephanus vermieden (Apg 7,58b; Apg 8,1a und Apg 8,3), da sie nicht dem Bild, das die Redaktoren von Paulus zeichnen wollten,258 entsprach. Übergangen wurde auch der lange Abschnitt Apg 7,2–47, der die Rede des Stephanus enthält, die die gesamte Geschichte Gottes mit dem Volk Israel von Abraham ausgehend schildert und erst im Anschluss daran vor dem Hohen Rat Kritik am momentan herrschenden Unglauben übt (Apg 7,48–53). Schon allein vom Textumfang her (45 Verse Geschichte im Verhältnis zu 5 Versen Kritik) kann die Intention der Rede des Stephanus keine Loslösung vom Judentum sein, wie sie die BG ihm unterschiebt, indem lediglich die Kritik zur Sprache kommt. Im Gegenteil ordnet Stephanus seine Kritik ganz klar in das Ganze der Geschichte Gottes mit dem Volk Israel ein und kommt eben im Weiterdenken dessen zu dem Vorwurf, dass die jetzige Generation keinen Deut besser ist als ihre Väter: „Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Sie haben die getötet, die die Ankunft des Gerechten geweissagt haben, dessen Verräter und Mörder ihr jetzt geworden seid“ (Apg 7,52). Die BG-Redaktion lässt diesen Vorwurf allerdings durch die Herauslösung aus der Heilsgeschichte isoliert stehen und legt dadurch eine fatale Fehlinterpretation der Stelle nahe: Während Stephanus eigentlich 45 Verse lang von der Geschichte des Volkes Israel mit Gott spricht, die stets auch dann weiterging, wenn das Volk auf einen Propheten nicht hörte,259 und in bewusster Nachfolge der Propheten auf der Länge von fünf Versen warnt, dass das Volk schon wieder Gefahr laufe, sich zu widersetzen, diesmal nämlich Jesu
256 Apg 8,3 fehlt in der BG ebenfalls: „Saulus aber versuchte die Kirche zu vernichten; er drang in die Häuser ein, schleppte Männer und Frauen fort und lieferte sie ins Gefängnis ein.“ (EÜ, Apg 8,3). In der EÜ bildet der Vers den Abschluss des Absatzes „Verfolgung und Zerstreuung der Urgemeinde“. 257 Sie sind auch an keiner anderen Stelle aufgenommen. 258 Paulus sollte wohl stark als positiver Charakter verstanden werden, vgl. 3.3.4.3 BG 276, Bereitschaft zum Tod (2. Tim. 4,6–8). Auch Paulus wird „hingeopfert“ (2 Tim 4,6), mehr zur Paulusdarstellung unter 1.6.1 BG 272f., Paulus in Jerusalem (Apg. 21,17–36), Apg 21,23–26: Trotz seines Opfers im Tempel wird ein gezielt verschärfter Konflikt zwischen Paulus und der Gemeinde von Jerusalem gezeichnet, vgl. v.a. oben FN 36. 259 Vgl. Jeska (2001), 217: Dem „konstanten Rettungswillen“ und der treue Gottes steht der Ungehorsam der Hörer und ihrer Väter entgegen. Das Schema Verheißung – Erfüllung wird also „in Dienst genommen für die Betonung dieses Gegensatzes: Gott hält seine Verheißungen ein, die Menschen aber, die den ‚Gerechten‘ nicht anerkennen, widerstreben dem Heiligen Geist und damit Gott.“
289
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
Ankunft, bekommt die Rede durch den fehlenden Verweis auf die bleibende Verheißung Gottes an das Volk Israel einen ganz anderen Sinn. Schließlich fehlt auch noch die (jüdische) Totenklage am Ende der Passage (Apg 8,2): BG
NA
Den Stephanus bestatteten fromme Männer
συνεκόμισαν δὲ τὸν Στέφανον ἄνδρες εὐλαβεῖς
Fromme Männer bestatteten Stephanus
EÜ
Es bestatteten aber Stephanus gottesfürchtige Männer
Luther
in allen Ehren.
καὶ ἐποίησαν κοπετὸν μέγαν ἐπ’ αὐτῷ.
und hielten eine große Totenklage für ihn.
und hielten eine große Klage über ihn.
Auch der Zwischentext zeigt schon die bewusste Abgrenzung des Stephanus als „Hellenist“ von den „Judaisten“ an, wie ein Blick in den ersten Teil des Zwischentextes zeigt: Neben der alten Jüngerschaft aus Galiläa und den christlich gewordenen Juden aus Jerusalem, den Judaisten, gehörten zu der Urgemeinde die sogenannten ‚Hellenisten‘. Bei ihnen handelte es sich zumeist um Nichtjuden, die sich nur zu einem Teil der jüdischen Religion angeschlossen hatten. Unter diesen Hellenisten war Jesus sehr gut verstanden worden. Da die Judaisten mit der Botschaft Jesu das jüdische Gesetz und Tempelwesen verbinden wollten und sich den Hellenisten entgegenstellten, kam es frühzeitig zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen und den Hellenisten, in deren Verlauf die Hellenisten eine eigene Gemeinde gründeten. Der letzte Anstoß ergab sich wahrscheinlich daraus, dass bei der täglichen Versorgung der Witwen die Hellenisten übergangen wurden. […] (BG 237, keine Versangaben)
Die BG eröffnet in eben diesem Abschnitt einen bewussten Gegensatz zwischen Judenchristen und Heidenchristen, indem die Terminologie dualistisch angepasst wird: die Benennung als „Judaisten“ und „Hellenisten“ lässt das Gemeinsame, den Glauben an Christus, kaum mehr erahnen, waren doch Hellenisten griechischsprachige Judenchristen, Hebräer hebräischsprachige Judenchristen.260 Zudem werden positive Floskeln eingefügt (z.B. „Unter 260 Im Neuen Testament signalisiert „Hebräer“ die palästinische Abkunft von Judenchristen, vlg. 2 Kor 11,22; Phil 3,5; Apg 6,1 (Angersdorfer (2009), 1226). „Mit dem Ausdruck Ἑλληνισταί werden Apg 9,29 griechisch sprechende Juden bezeichnet, die in Jerusalem lebten. Manche von ihnen bildeten unter der Leitung eines Sieben-Männer-Gremiums, in dem Stephanus hervorragte, eine eigene Gruppe der Urgemeinde. Ihre Kritik an Tempel und Gesetz führte dazu, daß Stephanus getötet und die Hellenisten vertrieben wurden. Sie verbreiteten das Evangelium und bildeten eine wichtige Brücke zur Heidenmission (Apg 6–9; 11,19– 26).“ (Weiser (2009), 1406f.). Zur Problematik des (anachronistischen) Begriffs „Judenchristen“ vgl. Kapitel 1, FN 213, in 1.3.2 „Den Teufel durch den Beelzebub austreiben“. Hans von Sodens (unterdrückte) Kritik von 1940.
290
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
diesen Hellenisten war Jesus sehr gut verstanden worden.“ (s.o.)), die der Beschreibung von Konflikten innerhalb der Jerusalemer Gemeinde vorgeschaltet sind. Von vornherein wird somit von der BG Partei für die Hellenisten ergriffen. Der Gegensatz zwischen „Hellenisten“ und „Judaisten“ bei der Darstellung des Werdens der Gemeinde wird von der BG dadurch gezielt verschärft. Grundmann steht auch hier mit seinen theologischen Ausführungen ganz auf einer Linie mit der BG, und unterscheidet zwischen den hellenistisch geprägten Synagogenbesuchern und den „Rassejuden“. Der Protest dieser „Hellenisten“ gegen die „Judaisierung“ führte dann auch zum „Märtyrertod“ des Stephanus: „Die z.T. guten Berichte über die Tätigkeit des Paulus zeigen, daß er überall in den Synagogen diese Menschen traf, Männer und Frauen, und daß sich aus ihren Kreisen die christlichen Gemeinden bildeten, während sich die Rassejuden meistens ablehnend verhielten. […] Aus diesen hellenistischen Kreisen wächst nun ein sehr bedeutsamer Protest gegen die Judaisierung der Botschaft Jesu heraus. Um dieses Protestes willen muß ihr Führer Stephanus den Märtyrertod erleiden.“261
Mit ähnlicher Stoßrichtung unterscheidet Grundmann an anderer Stelle zwischen (1) den erst nach dem Tod Jesu zur Gemeinde derer, die an seine Auferweckung glaubten, „hinzukommenden“ „Jerusalemiten“ bzw. „Judaisten“, die versuchten „die Verbindung zu den Lebensäußerungen und der Gedankenwelt der jüdischen Religion herzustellen“, obwohl Jesus selbst schon zu Lebzeiten in einen „unüberbrückbaren Gegensatz zum Judentum“ geraten sei, (2) den Hellenisten, die dieser Verbindung mit der jüdischen Religion „widersprechen“ und aus deren Kreis auch „der erste Märtyrer“ komme und die Jerusalem verlassen mussten und (3) den „galiläischen Jüngern“, die bis zur Vertreibung der „Hellenisten“ vermittelt haben und danach die Führung in der Hand zu behalten suchten. Als auch sie durch die Verfolgung durch Herodes Agrippa Jerusalem verlassen mussten, hätten die „Judaisten“ endgültig die Oberhand erhalten. Als Ausgangspunkt der Mission eine ideale judenchristliche Gemeinde in Jerusalem anzunehmen, wie das die Apostelgeschichte darzustellen versuche, sei somit „judenchristliche Theorie“.262 Eigentlich sei vielmehr ein „Kampf um das Evangelium“, der „bis in die letzten Tiefen des Christusverständnisses ging“, zwischen Judaisten und Hellenisten ausgekämpft worden. 263 Einmal mehr ist hier die Anlehnung der BG-Texte an die Grundmannschen antijüdischen Denkschemata zu beobachten, die dem „Märtyrertod“ eine zentrale Rolle im „Kampf“ zwischen „Hellenisten“ und „Judaisten“ zuschreiben. Zwar ist die Darstellung des biblischen Textes zweifellos kontrast261
Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit, (1941), 151f. Vgl. Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 257. 263 Vgl. Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 258. 262
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
291
reich,264 doch ist das Idealbild der Jerusalemer Gemeinde ein Vorbild, das auch auf weiteren Etappen des „Weges des Heils“ zur Nachahmung anregt. Der Abriss über die Geschichte Israels kann mit Heike Braun als „Innehalten“ auf dem Weg, „bei dem für den Text entscheidende Aspekte der Herkunftsgeschichte erinnernd vergegenwärtigt werden“, gedeutet werden.265 Eine differenzierte Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum durch diese vielfältigen Kontinuitätslinien, die in der Stephanuserzählung gezeichnet werden, ist daher notwendig; die pauschale Deutung des Stephanus als „Symbol der Trennung“ ist nicht haltbar.266 Festhalten lässt sich nach diesem exemplarischen Einblick in die Stellen, an denen die BG den Begriff „Blut“ gebraucht, dass auch hier die thematischen Schwerpunkte der Texte in Richtung einer stärkeren Betonung des Todes verschoben werden. Gerade der Zwischentext über die Steinigung des Stephanus dürfte die Leser stark in ihrem Leserverständnis gelenkt haben durch die Bezeichnung als den „ersten christlichen Blutzeugen“. Die BGTeilausgabe schreibt über diese Zwischentexte: „An einzelnen Stellen sind erläuternde Zusätze in den Text eingefügt worden, um – vor allem beim Vorlesen – einen nicht ohne weiteres erkennbaren Sachverhalt für das Verständnis sicherzustellen.“267
Tatsächlich verschieben die Zwischentexte die Textschwerpunkte an einigen Stellen aber ganz erheblich, im Falle des Stephanus stand ja nicht sein Tod, sondern sein Bekenntnis zu Gott und der gesamten Heilsgeschichte im Vordergrund, die BG dagegen lenkt bereits im Zwischentext den Fokus auf das „Blutzeugnis“ und wird den geweckten Erwartungen dann – um den Preis einer sehr selektierenden Versauswahl – gerecht. Von Grundmann ist mir keine Aussage über den Begriff des „Blutzeugen“ bekannt, wohl aber machte er sich Gedanken über die Vermeidung des Begriffs „Blut“ und bezieht sich einmal mehr auf Luther. Im Allgemeinen sei das Verständnis von Kreuz und Blut oft von einem magischen „im orientalischen Denken wurzelnden“ – ein Seitenhieb auf die Juden – Verständnis 264
Die Verfolgungen, die in Apg 8,1b einsetzen, sind die höchste Steigerungsstufe zum vorher dargestellten Idealzustand der Jerusalemer Gemeinde als harmonischer Einheit in Apg 6,7 (vgl. Braun, H. (2010), 413), die Stephanuserzählung kann dabei als „Schwellenerzählung“ gesehen werden, die bis zum Ende der idealen Jerusalemer Gemeinde und ihrer Verfolgung und Zerstreuung reicht (Apg 8,1b.3) (vgl. ebd. 449). 265 Vgl. Braun, H. (2010), 454. Ausdrückliche Signale für die bleibende Relevanz und Aktualität der Geschichte Israels sind strukturelle Analogien und vielfältige Stichwort- und Motivverknüpfungen zu Erzählungen aus alttestamentlichen Subtexten, sowie sogar die wörtliche Übernahme mancher Passagen (ebd. 455). Zu Einzelheiten der Geschichtsdarstellung vgl. auch Jeska (2001), v.a. 156–183. 266 Vgl. Braun, H. (2010), 463. Zur Frage nach der Trennung von „Hellenisten“ und „Hebräern“ vgl. auch Frankemölle (2006), 240–262, v.a. 246–248. 267 BG-Teilausgabe, Nachwort XII.
292
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
geprägt, das sich zum Beispiel an die Einsetzungsworte „heftet“ und „die Heilsbedeutung des Leidens und Sterbens Jesu Christi als magische Wirkung durch das vergossene Blut an sich“ verstehe. Demgegenüber stehe Luthers „personalistisches“ Denken, das ihn das Kreuz als einen „von Christus durchstandenen Kampf“ verstehen und von der „Verbindung zwischen Christus und den Gläubigen“ her denken lasse:268 „Gegenüber jedem magischen Verständnis, das den Kampfeseinsatz vom Leiden und Sterben Jesu nicht kennt, hat Luther klar erkannt, daß das Heil im Christusglauben liegt und alles an dem ‚für uns‘ hängt, das im Glauben ergriffen wird und in dem Christus selbst ergriffen wird […] Aber gegen solche Fehlentwicklungen des Heilsverständnisses als einer Blutsmagie steht neutestamentlich-lutherischer Glaube selbst. Wo da vom Blut die Rede ist, ist die Realität des Opfers gemeint, das Blut als Träger des Lebens, aber nicht als magisch-zauberhafter Kraftstoff.“269
Allein der Gedanke eines magischen Blutsverständnisses trifft nicht das „orientalische“ bzw. das „jüdische“ Verständnis, denn gerade hier ist das Blut schon immer Bezeichnung für die ganze Person gewesen. In der BG wird nun die Rede vom „Blut“ an den meisten Stellen vermieden. Auch Hoffmann stellt diese Tendenz bei seiner Analyse der Gesangbuchbearbeitungen von „Deutsche mit Gott“ und „Gesangbuch der Kommenden Kirche“ fest, obwohl es „rein formal“ auch einige Gegenbeispiele gebe, „wo von Christi Erlösung durch sein Blut die Rede ist“. Dennoch überwiege die „Tendenz, die in den eindeutigen Korrekturen greifbar ist“, da ihnen gegenüber auch einzelnen erhaltene Wendungen nichts beweisen könnten und man zudem nicht vergessen dürfe, „in welchen Verstehenshorizont nun schließlich auch der ‚große Schmerzensmann‘ gerät, wenn es in einem zeitgenössischen Lied vom Sterben der Helden heißt: ‚Laß es uns ein Gleichnis sein, wie der Herr für uns gestorben‘270“.271 Auch in der BG lässt sich diese heldenhaftere Ausrichtung der Christologie, die die Rede vom Blut weitgehend vermeidet, konstatieren. Grundmann verbindet zusätzlich seine Ablehnung der „Blutmagie“ mit dem „Kampfeinsatz von Leiden und Sterben Jesu“, also letztlich wieder mit dem Gedanken des kämpferisch-tapferen Todes.
268
Vgl. Grundmann, Passion (1936), 31. Grundmann, Passion(1936), 31f. 270 Großer Gott wir loben dich (1941), 186. 271 Hoffmann (1968), 87. 269
3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“
293
3.2.8 Conclusio Das Fehlen des christologischen Titels „Lamm Gottes“ konnte also, zusätzlich zur bereits festgestellten Vermeidung des Messiasbegriffs, weitere Hinweise darauf geben, wie die BG-Redaktion die biblisch-christologischen Aussagen in ihrem Sinne bearbeitet. Neben der eindeutigen Vermeidung jeglicher Verbindungen zur „jüdisch“-kultischen Opferterminologie verdichteten sich die Hinweise darauf, dass auch eine andere Deutung des Todes Christi hervorgehoben werden soll, als sie im Bild des „Lammes“ zu finden ist. Zu den (neuen) Titeln „(unser) Heiland“ (Offb 4,11; 7,9; 11,15272; 12,10), sowie „Herzog des Lebens“ (Offb 12,11) und der „Erkorene Gottes“ (Joh 1,19), die wohl ein heldenhafteres Bild von Jesus zeichnen wollen, trat die Betonung des Leidens und des Gehorsams Christi, vor allem aber der wiederkehrende Verweis auf die Aktivität beim „Einsatz“ des Lebens. Der Gedanke des „Geschlachtetwerdens“ (EÜ, Offb 5,9) wird dagegen vermieden, zudem konnte die Tendenz festgestellt werden, dass in Verbindung mit dem Opfergedanken auch der Gedanke des Blutes fehlt. Auf diesem Hintergrund der fehlenden Darstellung des positiven Verhältnisses, ja der selbstverständlichen Zugehörigkeit Jesu zum Judentum und der ihm damit einhergehend zugeschriebenen negativen Haltung gegenüber Tempel, Kult und Opfer273 und der eben festgestellten Vermeidung „kultischer“ Hoheitstitulatur („Lamm Gottes“, „Hohenpriester“) verwundert es, dass der Begriff „Opfer“ dennoch an verschiedenen Stellen in der BG verwendet wird. Bisher ist an einer Stelle aufgefallen, dass Christi Tod als „Opfer“ gedeutet wird („du hast Gottes Kinder erworben mit deinem Opfer“ (BG, Offb 5,9)). Die Konzentration der Todesdeutung auf den Gedanken des „Opfers“ und zudem die sprachlich sehr positive Wertung des Todes als „Hingabe“ oder „Einsatz“ (vgl. BG, Offb 5,12: Lebenshingabe und BG, Offb 12,11 und 1 Petr 1,19: (tapferer) Lebenseinsatz) ließ sich bereits beobachten. Der Blick auf die „Lamm“-Stellen hat bereits erste Hinweise darauf liefern können, dass zwar kultische Terminologie zu vermeiden gesucht wurde, doch war bereits hier der Begriff „Opfer“ nicht völlig gestrichen, sondern vielmehr in einen neuen Kontext gesetzt worden, der ihn mit offenbar im Sinne der Redaktion liegenden Inhalten verband (z.B. Tapferkeit (1 Petr 1,19), Leiden 272
Offb 11,15b ist in der BG sogar zweimal (mit kleinen Übersetzungsunterschieden) aufgenommen: (1) Laut klang es aus der Ewigkeit: ‚Nun gehört das Reich der Welt unserem Herrn und unserem Heiland, und er wird walten in alle Ewigkeit.‘ (BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12)). (2) Nun ist das Reich der Welt Gott, unserem Herrn, und unserem Heiland zugefallen. Und er wird herrschen in alle Ewigkeit. (BG 215, Lobgesang (Offb. 4,8b.11; 5,9b–10.12; 11,15b.17–18)). 273 Vgl. 3.1 Die Vermeidung von kultischen Implikationen in der BG (und die Frage nach dem Umgang mit dem jüdischen Gesetz).
294
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
und Not (Offb 7,14.17)). Mit der Vermeidung des christologischen Titels „Lamm Gottes“ scheint sich auch die Darstellung des Kreuzesopfers Christi zu ändern. Es werden neue christologische Schwerpunkte gesetzt, die sich von der biblischen Terminologie absetzen, aber eine enge Verbindung zwischen dem Tod Christi und dem (neuen) Opferterminus herzustellen scheinen. Grundmanns Ausführungen von 1936 über sein Verständnis des Begriffs „Lamm“ nehmen die bisher an den Texten der BG gemachten Beobachtungen vorweg: Auch hier wird schon ein Fokus auf das Leiden Jesu gelegt und zudem auf die aktive und kämpferische Deutung des Kreuzesgeschehens: „Die neutestamentlich-lutherische Kreuzesschau sieht schließlich im Kreuzesweg Jesu seine kämpferische Aktivität, die auch in der letzten, schweigenden Passivität des Leidens steckt, deutlich. Deshalb ist ihr das Bild vom Lamm zwar Ausdruck des schweigenden Leidens, aber eben dieses Leiden und Schweigen ist zugleich als innerste Überwindung des Bösen höchste Aktivität. Deshalb ist Jesus als Lamm der Herr, und die apokalyptische Schau, die das Lamm den Löwen nennt (Offenb. Joh. 5,4–6274), trifft darin den tiefsten Sinn des leidenden Schweigens. […] Es ist deshalb eine falsche Predigt der Passion, die niederdrücken, in einem falschen Sinne ‚demütig‘ machen will. In alledem liegt eine falsche theologische Verkürzung des Geschehens vor, die die Wirklichkeit verzerrt. Wir sahen vielmehr, wie gerade reformatorisches Verständnis die Kategorien des KämpferischHeldischen auf das Kreuzesgeschehen anwenden kann und durch die Predigt des Leidens eine Freiheit des Glaubens schafft.“275
Die Rede vom „Lamm“ wird von Grundmann hier noch nicht getilgt, allerdings ausgedeutet in den „Kategorien des Kämpferisch-Heldischen.“ Hier wird nochmal deutlich, dass auch das Anliegen der BG-Redaktion nicht nur als eine Negativabgrenzung vom Opferbegriff beschrieben werden kann, sondern auch als neue Füllung der Begrifflichkeiten durch eigene Interpretationen sowie die Einführung neuer Begriffe und Kategorien der Deutung. Von großer Relevanz für eine Beurteilung der Intentionen der BG dürfte die Frage nach der Deutung des Kreuzestodes Jesu Christi sein. Da sowohl die Titel „Lamm“ als auch „Hohenpriester“ wegfallen, scheint eine Richtung schon angedeutet zu sein: Christus soll nicht als das schwache Lamm, das die Sünden der Welt hinwegnimmt, dargestellt werden, sondern vielmehr als der Heiland oder noch majestätischer als „Herzog des Lebens“, ja gleichsam als leidender, aber tapferer Held, der durch seinen Tod am Kreuz, seine „Lebensspende“, wie die BG euphemistisch schreibt, einen „Sieg“276 erringen kann. Als heldenhaftes Vorbild scheint dieser Jesus der BG den Soldaten vor Augen gestellt zu werden. Sollte er ihnen als Vorbild dafür dienen, ihr Leben für den NS-Staat mutig einzusetzen? 274
In der BG nicht aufgenommen. Grundmann, Passion (1936), 32f. 276 „Sein Sieg“ ist z.B. die Überschrift über die redaktionell bearbeiteten synoptischen Auferstehungserzählungen, vgl. BG 94f. 275
295
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
Das Fehlen des Hohepriestertitels führt zudem dazu, dass in der BG die Dimension des unwiederholbaren Selbstopfers des Hohenpriesters Jesus, ebenso wie der Verweis auf die Betonung des Lebens vor Gott fehlt. Der Wert des Selbstopfers der Nachfolger Christi schien den BG-Redaktoren dadurch leichter betont werden zu können. Im folgenden Teil werden weitere Beobachtungen zur Verwendung und Neubestimmung des Opferbegriffs in der BG und der Frage, wie die Sicht auf den Tod dadurch verändert wird, angestellt. Es werden nun BG-Passagen analysiert, die vom „Opfer“ Christi sprechen, ohne dass der griechische Text das deckt, um der Frage nachzugehen, an welchen Stellen und mit welchen Implikationen die BG-Redaktion den Begriff „Opfer“ gezielt in die Texte einfügt.
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs 3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
3.3.1 BG 25, Alte und neue Frömmigkeit (Matth. 6,1–6.16–18), Mt 6,16–18: „Opfer“ statt „Fasten“ Wenn euch ein Opfer auferlegt ist, macht kein leidendes Gesicht wie die Heuchler, denn sie verstellen ihr Antlitz, damit sie von den Leuten gerühmt werden. Im Namen Gottes sage ich euch: Sie haben ihren Zweck erreicht. Wenn du ein Opfer bringen mußt, dann zeige das nicht vor den Leuten, um vor ihnen mit deinem Opfer zu prunken, sondern deinem Vater klage im Verborgenen deine Kümmernis, und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir aufhelfen! (BG 25, Alte und neue Frömmigkeit (Matth. 6,1–6.16–18), Mt 6,16–18)
Hier die Verse Mt 6,16–18 im Vergleich: BG Wenn euch ein Opfer auferlegt ist,
NA Wenn euch ein Opfer auferlegt ist,
EÜ 16 Wenn ihr fastet,
Luther 16 Wenn ihr fastet,
macht kein leidendes Gesicht wie die Heuchler, denn sie verstellen ihr Antlitz,
macht kein leidendes Gesicht wie die Heuchler, ἀφανίζουσιν γὰρ τὰ πρόσωπα αὐτῶν
macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen,
sollt ihr nicht sauer sehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Angesicht,
296
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG damit sie von den Leuten gerühmt werden.
NA ὅπως φανῶσιν τοῖς ἀνθρώποις νηστεύοντες·
EÜ damit die Leute merken, dass sie fasten.
Luther auf daß sie vor den Leuten scheinen mit ihrem Fasten.
Im Namen Gottes sage ich euch: Sie haben ihren Zweck erreicht.
ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ἀπέχουσιν τὸν μισθὸν αὐτῶν.
Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten.
Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin
Wenn du ein Opfer bringen mußt,
17 σὺ δὲ νηστεύων
dann zeige das nicht vor den Leuten,
ἄλειψαί σου τὴν κεφαλὴν καὶ τὸ πρόσωπόν σου νίψαι,
17 Wenn du aber fastest, 17 Du aber salbe dein Haar, wenn du fastest,
so salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht,
und wasche dein Gesicht, um vor ihnen mit deinem Opfer zu prunken,
18 ὅπως μὴ φανῇς τοῖς ἀνθρώποις νηστεύων
18 damit die Leute nicht merken, dass du fastest,
18 auf daß du nicht scheinest vor den Leuten mit deinem Fasten,
sondern deinem Vater klage im Verborgenen deine Kümmernis,
ἀλλὰ τῷ πατρί σου τῷ ἐν τῷ κρυφαίῳ•
sondern nur dein Vater, der auch das Verborgene sieht;
sondern vor deinem Vater, welcher verborgen ist;
und dein Vater, der ins Verborgene sieht,
καὶ ὁ πατήρ σου ὁ βλέπων ἐν τῷ κρυφαίῳ
und dein Vater, der das Verborgene sieht,
und dein Vater, der in das Verborgene sieht,
wird dir aufhelfen!
ἀποδώσει σοι.
wird es dir vergelten.
wird dirʼs vergelten öffentlich.
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
297
Trotz des im Griechischen eindeutigen νηστεύω („fasten“) wird jede der einschlägigen Stellen in der BG mit „Opfer (bringen)“ wiedergegeben. Eine Umdeutung der Passage auf eine Rede über das „Opfer“ ist somit überdeutlich erkennbar. Die Textfassung in der BG hat kaum mehr Ähnlichkeiten mit dem eigentlichen Text. Vor allem die Formulierungen „wenn du ein Opfer bringen mußt“ und „wenn euch ein Opfer auferlegt ist“ scheinen darauf abzuzielen, den Wert des unfreiwilligen, aber unausweichlich auferlegten „Opfers“ darzustellen. Eigentlich beschreibt der Evangelientext aber den Fall, „wenn Menschen fasten“, im Sinne eines iterativen „immer dann, wenn“, nicht aber eines konditionalen „falls“. Das Fasten wird somit als eine selbstverständliche Gegebenheit erwähnt, als ganz natürliche Handlung, für die allerdings die näheren Bedingungen zu klären sind (kein finsteres Gesicht usw.).277 Die BG hebt dementgegen die Notwendigkeit eines „Opfers“ deutlich hervor, das hier allerdings nicht im kultischen Sinn, sondern in übertragener Deutung verwendet zu werden scheint. Zugleich wird das, was die BG als spezifisch jüdisch brandmarkt und ablehnt, überdeckt. So bleibt nicht nur das Fasten, sondern auch die Gabe der Almosen unerwähnt, indem das dreimalige ‚ἐλεημοσύνη‘ zweimal verbal mit „(einem Bedürftigen) helfen“, einmal als „Liebeswerk“ übersetzt wird.278 Wie stark der Eingriff in diese Verse selbst den Redaktoren erschien, zeigt der Unterschied in der Bearbeitung dieser Stelle in der etwas früher erschie277
Vgl. dazu Luz I (2002), 428: „Der Text denke nicht über die Problematik des Fastens an sich nach, gibt auch keine besondere christliche Begründung […], sondern setzt es als Ausdruck der Frömmigkeit einfach voraus, um daran die rechte Ausrichtung des Fastenden auf Gott allein einzuschärfen.“ Ähnlich Frankemölle (1999): Matthäus geht es um die Motivation, „um ein Tun ohne Nebenabsichten“ (ebd. 242), um „Ungespaltenheit, Ganzheit und (im Besten Sinne des Wortes) Einfachheit (ebd. 242). Matthäus kritisiert „nicht eine bestimmte Frömmigkeitspraxis an sich, sondern nur deren heuchlerischen Vollzug“ (ebd. 242). 278 Die Rede von den ‚Almosen‘ wurde vermieden in Mt 6,2.3.4: BG Wenn du einem Bedürftigen helfen willst, […]
EÜ/NA Luther 2 Wenn du Almosen gibst 2 Wenn du Almosen gibst, (Ὅταν οὖν ποιῇς […] ἐλεημοσύνην), […] Wenn du ein Liebeswerk 3 Wenn du Almosen gibst (σοῦ 3 Wenn du aber Almosen tust, […] δὲ ποιοῦντος gibst, […] ἐλεημοσύνην),[…] Im Verborgenen sollst du 4 Dein Almosen soll verborgen 4 auf daß dein Almosen helfen. […]. bleiben (ὅπως ᾖ σου ἡ verborgen sei […]. ἐλεημοσύνη ἐν τῷ κρυπτῷ) […]. Wie bei der Vermeidung des Begriffs ‚Fasten‘, wenn auch nicht mit einem so offensichtlichen Bedeutungsunterschied, will die BG auch hier wohl eine größere Distanz zum als jüdisch eingeordneten Begriff der „Almosen“ herstellen.
298
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
nenen Teilausgabe (nur Teil 1: „Der Heiland“ (die Harmonie aus den synoptischen Evangelien): Im Unterschied zur Gesamtausgabe übersetzt die Teilausgabe mit „Entsagung“ statt „Opfer“ (BG-Teilausgabe 28, Alte und neue Frömmigkeit (Matth. 6,1–6.16–18), Mt 6,16–18). Hier die Unterschiede zur Gesamtausgabe: BG-Gesamtausgabe Wenn euch ein Opfer auferlegt ist,
BG-Teilausgabe Wenn euch eine Entsagung auferlegt ist,
macht kein leidendes Gesicht wie die Heuchler,
dann schaut nicht finster drein wie die Heuchler,
denn sie verstellen ihr Antlitz, damit sie von den Leuten
denn sie verstellen ihr Angesicht, damit sie von den Leuten
um ihrer Entsagung willen gerühmt werden.
gerühmt werden.
dann zeige das nicht vor den Leuten,
dann zeige es nicht vor den Leuten,
um vor ihnen mit deinem Opfer zu prunken, […]
um vor ihnen entsagungsvoll zu erscheinen, […]
[…] Wenn du ein Opfer bringen mußt,
[…] Wenn du Entsagung übst,
Bereits von Soden, der die Teilausgabe kannte, stellt fest, dass die Redaktoren Jesus in Mt 6,16 von „Entsagung“ sprechen lassen, die „auferlegt“ oder „geübt“ wird.279 Auch Fischer konstatierte die Vermeidung des Wortes „Fasten“ „mit größter Scheu“ und die Einfügung des Begriffs „Entsagung“ in der Teilausgabe und bezeichnet sie als das „ehrfurchtslose Umbiegen des Wortlautes gegen den ursprünglichen Sinn.280 Fromm kontert mit dem Verweis darauf, dass die Verdeutschung der BG den Versuch darstelle, den „Sachverhalt“ für die deutschen Menschen verständlich wiedergeben zu wollen: „Sie fragen nicht, ob irgendein deutscher Mensch heute etwas weiß von Fasten als religiöser Pflicht – und so können Sie auch nicht ahnen, daß gerade die Übertragung ‚Entsagung‘ oder ‚Opfer‘ den Sachverhalt wiedergeben will und vielleicht allein wiedergeben kann.“281
279
Vgl. Soden, Synoptische Frage (1951), 184. Vgl. Fischer (1940), 12. 281 Im Anhang zu Fromm (1940), 59. 280
299
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
Die Begriffe „Entsagung“ und „Opfer“ werden von Fromm also als legitime „Übertragungen“ gesehen. Faktisch wird aber der Sinn des Fastens (ebenso wie auch der von „Entsagung“ und „Opfer“) unzulässig reduziert. Die Rede von „Entsagung“ findet sich in der Gesamtausgabe nur noch an einer anderen Stelle (BG 177, Diener der Ewigkeit mitten im Sturme der Zeit (2. Kor. 6,1– 10), 2 Kor 6,4–5), wo in der BG vom Ausharren „in entsagungsreichen Tagen“ gesprochen wird statt vom Dienen Gottes „durch Fasten“ (EÜ) bzw. „in Fasten“ (Luther): BG In allem erweisen wir uns als Diener Gottes:
NA
EÜ
Luther
4 ἀλλ’ ἐν παντὶ συνιστάντες ἑαυτοὺς ὡς θεοῦ διάκονοι,
4 In allem erweisen wir uns als Gottes Diener:
4 sondern in allen Dingen beweisen wir uns als die Diener Gottes:
[…] in Mühe,
5 […] ἐν κόποις,
5 […] unter der Last der Arbeit,
5 […] in Arbeit,
in kummervollen Nächten und
ἐν ἀγρυπνίαις,
in durchwachten Nächten,
in Wachen,
entsagungsreichen Tagen.
ἐν νηστείαις,
durch Fasten.
in Fasten,
wir harren aus
Hier tritt der eigentliche Kontext, das Engagement des Paulus, das auch mühevoll sein und zu Schlaf- und Nahrungsmangel führen konnte,282 in den Hintergrund. Stattdessen lässt diese zweite Beobachtung zur Vermeidung des Begriffs „Fasten“ in der BG Ähnlichkeiten zur Bearbeitung von Mt 6,16–18 erkennen. In beiden Fällen zeigen die redaktionellen Eingriffe, was als rechtes christliches Verhalten betont werden soll: Entsagung, Entbehrung und Opfer, verbunden mit Kummer und dem Willen, darin auszuharren. Dieser Unterschied in der Übersetzung zwischen Teil- und Gesamtausgabe eröffnet zudem einen Blick in die Denk- und Vorgehensweise der Redaktoren. Ein Verweis auf das religiöse Fasten sollte bewusst vermieden werden. Mögliche Gründe dafür sind, dass das Fasten entweder als zu wenig praxis282
Vgl. Schmeller (2010), 352. Schmeller lässt offen, ob es sich bei der Nennung dieser drei Peristasen, die sich unmittelbar aus dem Einsatz des Paulus ergeben“ um die berufliche Tätigkeit oder das missionarische Engagement des Paulus im engeren Sinn handelt, weist aber darauf hin, dass beide Mühen (vgl. 1 Thess 2,9 mit 1 Kor 3,8) zu Schlaf- und Nahrungsmangel führen können.
300
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
dienlich bzw. zu weit von der deutschen Lebenswirklichkeit entfernt angesehen wurde und gegen die Zielbestimmung stand, einen „Dienst an der Seele des deutschen Volkes“283 tun zu wollen. Stärker war wohl der Grund, dass die BG-Redaktion das Fasten dem angeblichen jüdischen „Vergeltungsdenken“284 bzw. dem jüdischen Verständnis von „Lohngerechtigkeit“ hinzurechnete, wie weitere Beobachtungen am Text der BG ebenfalls nahelegen,285 vor allem aber die Aussagen Grundmanns zu dieser Thematik eindeutig belegen. Grundmann stellt den Gedanken von Lohn und Strafe als Teil des „jüdischen Vergeltungsschemas“ dar: „Die Grundlage der spätjüdischen Frömmigkeit ist der Vergeltungsgedanke. Dieser Vergeltungsgedanke bestimmt das Denken über das Gericht, über Lohn und Strafe, Himmel und Hölle. Im Mittelpunkt dieses ganzen Vergeltungsschemas steht das Gesetz. Seine Erfüllung schafft den Verdienst, der belohnt wird, seine Übertretung die Schuld, die bestraft wird. Liebeswerk und Tempeldienst dienen der Sühnung der Schuld.“286
Dementgegen verweist er mehrfach auf den „neuen Weg“ der „vertrauenden Hingabe an Gott“, den Jesus gegenüber dem jüdischen Verdienst- und Lohndenken, das abwertend als „rechnendes Vergelten“ bezeichnet wird, eingeschlagen habe: Jesus verbinde „mit seiner Art, den Menschen zu begegnen, nicht die Auflage von Bußübungen und Fasten, sondern ruft zur vertrauenden Hingabe an den Gott, der sich zur Gemeinschaft gibt, deshalb ruft er nicht zu einer Umkehr zum Gesetz, denn mit der Einführung des Gesetzes würde er ja das jüdische System bejahen, vielmehr ruft er zu einer Umkehr zu dem Gott, 283
Vgl. im Vorwort zur Gesamtausgabe (BG VII). Dieses Zerrbild der jüdischen Gottesvorstellung beschreibt Grundmann so: „Die jüdische Gottesanschauung ist grundlegend bestimmt durch den Vergeltungsgedanken: Gott ist der das menschliche Tun vergeltende Richter. Bis in die Einzelheiten des Lebens im Diesseits und Jenseits ist diese Vergeltung entfaltet und ausgerechnet worden.“ (Grundmann, Bergrede (1939), 16. Zweifellos ist aber auch die Übersetzung von EÜ/Luther nicht vor Missverständnissen gefeit, da es falschen Assoziationen zur „Vergeltung“ Vorschub leisten kann. Wengst weist darauf hin, dass die wörtliche Übersetzung ‚wiedergeben‘ ‚erstatten‘ laute und eine sachliche Parallele im Diktum Rabbi Elasars habe: ‚Die Gerechtigkeitsgabe wird ausschließlich gemäß der Freundlichkeit vergolten, die in ihr steckt‘ (Babylonischer Talmud, Sukka 49b). Die Freundlichkeit ist das Maß, an dem sich das Urteil Gottes orientiert, nicht die Höhe der geleisteten Abgabe (Wengst, Regierungsprogramm (2010), 144). 285 Z.B.: Mt 6,16: ‚sie haben ihren Zweck erfüllt‘ statt ‚sie haben ihren Lohn (EÜ/Luther) bereits erhalten‘ (ἀπέχουσιν τὸν μισθὸν αὐτῶν). Hier wird der Gedanke von Lohn und Strafe ausgeklammert oder doch zumindest verfremdet: Während in der BG der – zu vermeidende – ‚Zweck‘ des ‚Opfers‘ im Gerühmtwerden durch die Leute liegt, übersetzt die EÜ (wie sinngemäß auch Luther: ‚ auf daß sie vor den Leuten scheinen mit ihrem Fasten ‘) den Versteil ‚ὅπως φανῶσιν τοῖς ἀνθρώποις νηστεύοντες‘ mit ‚ damit die Leute merken, dass sie fasten‘ korrekt (wörtlich hieße es: ‚damit sie den Leuten als Fastende erscheinen/sichtbar werden‘). Ebenso Mt 6,18: Gott werde ‚aufhelfen‘, statt das Tun zu ‚vergelten‘. 286 Grundmann, Gotteskindschaft (1938), 121. 284
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
301
der Liebe ist.“287 Jesus habe „dem Verdienst- und Lohndenken im religiösen Leben den schärfsten Kampf angesagt“.288 Die Kritik am jüdischen „Gesetz“ bildet dabei den Rahmen für Grundmanns Kritik an der jüdischen „Vergeltungslehre“289: Eigentlich ist aber zu dieser Stelle mit Jes 58,5–9 bereits ein alttestamentliches Textvorbild gegeben. Hier wird der Sinn des Fastens um ein Vielfaches weiter gefasst: Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: / die Fesseln des Unrechts zu lösen, / die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, / jedes Joch zu zerbrechen, 7an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, / die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden / und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen. (EÜ, Jes 58,6f.)
Das Fasten dient im biblischen Verständnis eindeutig der Herstellung einer größeren Gerechtigkeit und hat somit einen tieferen Sinn. Durch Fasten kann es gelingen, Hartherzigkeit und Gewalt zu überwinden. Auch Matthäus selbst bezeichnet Fasten (sowie Almosen und Gebet) als Gerechtigkeit (vgl. Mt 6,1: Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen). Aber bereits Jesaja muss kritisieren, dass die Gerechtigkeit leider nicht immer auch realisiert wird: „Obwohl ihr fastet, gibt es Streit und Zank / und ihr schlagt zu mit roher Gewalt. So wie ihr jetzt fastet, / verschafft ihr eurer Stimme droben kein Gehör.“ (Jes 58,4). Wengst verweist außerdem darauf, dass die Kritik am Tun guter Taten aus egoistischen Motiven heraus selbstverständlich auch im jüdischen Denken präsent sei und durchaus nicht als Widerspruch zum Lohngedanken gesehen werde.290 Frankemölle hält es daher für möglich, dass der Text für heidenchristliche Leser abschließend festhalten wolle, dass sich die christliche Ethik im Grundansatz nicht von der jüdischen unterscheide.291 Die Unterstellung, dass im Judentum der blinde „Vergeltungsgedanke“ herrsche, trifft also eindeutig nicht, dennoch bearbeitet die BG-Redaktion den 287
4,8.
288
Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 68. Grundmann nimmt hier Bezug auf 1 Joh
Vgl. Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 10. „Nach jüdischer Anschauung entsteht die Sünde an der Thora, am Gesetz. Wer das Gesetz mit seinen einzelnen Bestimmungen nicht beobachtet, ist Sünder. Wer es beobachtet, ist gerecht. Aus dieser Bestimmung entsteht der Grundgedanke der Vergeltungslehre. Sowohl im Leben als auch im Weltgericht belohnt Gott den Gerechten wie er den Sünder bestraft.“ (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 62). 290 Vgl. Wengst, Regierungsprogramm (2010), 140. 291 Vgl. Frankemölle (1999), 242. Frankemölle verweist auf den Kontext, in dem sich der Text über das Fasten finde und in dem auch dezidiert betont werde, dass der matthäische Jesus nicht gekommen sei, Gesetz und Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen (Mt 5,17). Daher könne auch „von einer Identität christlicher und jüdischer Ethik im Grundansatz ausgegangen werden“ (ebd. 242f.). 289
302
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Text auf diesem gedanklichen Hintergrund. Da dieses „jüdische Verdienstdenken“ als negativ angesehen wurde, Mt 6,16–18 aber offenbar positiv rezipiert wurde, sollte es wohl nicht mit angeblich „jüdischen“ Begrifflichkeiten belastet werden. Diese Bearbeitungen zeigen somit einmal mehr das Bestreben der BG, alles, was in Jesu Verkündigung „jüdisch“ ist, eliminieren zu wollen.292 Wengst nennt als mögliche Erklärung der Skepsis gegenüber dem Lohngedanken, die auch heute noch gegenwärtig sei, dass die Verheißung himmlischen Lohnes „in doppelter Hinsicht als befremdlich erscheinen“ könne, nämlich entweder in der Annahme „billiger Vertröstung“ oder aber durch eine generelle Skepsis dem Lohngedanken293 gegenüber, die „besonders in protestantischer Tradition und noch einmal mehr in neuprotestantischer“ anzutreffen sei, da das Reden von „Lohn“ „als ‚jüdisch‘ und damit als ‚unterchristlich‘“ galt.294 Die BG-Redaktion versucht auch an dieser Stelle nicht, sich mit dem jüdischen Denken auseinanderzusetzen, – sie hatte sich im Gegenteil die Abgrenzung von allem als „jüdisch“ identifizierten Denken auf die Fahnen geschrieben. So verwundert es nicht, dass das Fasten der Jünger auch an anderer Stelle unerwähnt bleibt. Die BG-Bearbeitung von Mk 2,18–19 wirkt wie eine Bestätigung der bisherigen Beobachtungen zum Thema „Fasten“ in der BG: Die Anhänger des Johannes und der Pharisäer pflegten zu fasten. Sie kamen und fragten ihn: „Warum fasten die Anhänger des Johannes und der Pharisäer, aber deine Jünger fasten nicht?“ Jesus sprach zu ihnen: „Kann denn eine Hochzeitsgesellschaft fasten, solange der Bräutigam bei ihr ist?“ (BG 63, Wozu fasten in der Zeit des Heils?” (Mark. 2, 18–19a), Mk 2,18–19a)
Hier wird das Fasten ausschließlich den Jüngern des Johannes und den Pharisäern zugeschrieben, der folgende Vers, dass auch die Jünger nach Jesu Tod wieder fasten werden (Mk 2,20295), bleibt unberücksichtigt. Das Fasten er292 Diese Tendenz zu einer kritischen Haltung dem Matthäusevangelium gegenüber mit der Begründung einer „Rejudaisierung“ dieses Evangeliums stellte bereits Nicklas für die antisemitisch motivierte Exegese fest (vgl. Nicklas (2008), 1901). 293 Wengst weist aber ebenfalls darauf hin, dass der Lohngedanke der heutigen Gesellschaft, bedingt durch das „zweckrationale“ Denken, gar nicht fremd sei: „Weithin lebt sie geradezu von der Frage: ‚Was bringt’s?‘“ Der „Blick auf den ‚Gotteslohn‘“ könne hier wieder neu dazu frei machen „ Dinge wirklich um ihrer selbst willen oder für andere zu tun und das Handeln nicht vom eigenen Nutzen abhängig zu machen. […] Die Aussage, dass Gott Lohn gibt, hält fest, dass er der Richter ist, der das letzte Wort behält. Und sie hält damit zugleich die alte Hoffnung des Tun-Ergehens-Zusammenhang fest, dass dem Täter des Guten seine Guttat doch auch zum Guten ausschlagen möge.“ (Vgl. Wengst, Regierungsprogramm (2010), 54). 294 Vgl. Wengst, Regierungsprogramm (2010), 53. 295 Mk 2,20 Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein; an jenem Tag werden sie fasten.
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
303
scheint in der BG also auch hier wieder als ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Juden und Jesusjüngern und wird wie vorher als ein jüdisches Spezifikum dargestellt. Interessant ist aber nun, was an die Stelle des „jüdischen“ und als überholt betrachteten Verhaltens in die Texte eingefügt wird. Es wurde versucht, an dieser Stelle erwünschte Verhaltensweisen einzufordern, die BG-Leser anstelle des Fastens an den Tag legen sollten: In der ersten Version ist das die „Entsagung“, in der Gesamtausgabe dann das „Opfer“. In jedem Falle wird die biblische Aussage ihres religiös-kultischen Rahmens enthoben. Dass auch und gerade das religiöse Fasten eine Änderung der inneren Einstellung und somit auch des Handelns bewirken kann, sei unbestritten. Der tiefere Sinn des Fastens,296 wie er in Mt 6,16–18 angesprochen wird, fehlt in der BG. Festgestellt sei daher, dass die Redaktoren diesen Zusammenhang nicht der Interpretation der Leser überlassen wollten, sondern versuchten, ihn in ihrem Sinne zu konkretisieren. Im Vergleich zur Teilausgabe lässt sich also die Fixierung auf den (plakativeren) Begriff des „Opfers“ festhalten. Der gedankliche Weg zu diesem Eingriff in den Text läuft über die Überlegung, dass mit Fasten ja die „Entsagung“ von etwas gemeint sei, was dann im nächsten Schritt als „Opfer“ formuliert wird und somit sprachlich sehr deutlich in den zeitgeschichtlichnationalsozialistischen Sprachgebrauch eingeordnet wurde. Zusammenfassend lässt sich als neue Füllung des Opferbegriffs in der BG festhalten, dass das Opfer als unausweichliches Geschehen gesehen wird. Man kann nicht beeinflussen, ob es von einem gefordert wird (es wird „auferlegt“, man „muss“ es bringen) und es gilt sich, ihm zu stellen, ohne den Sinn darauf zu richten, damit prunken zu können. Die geforderte richtige Reaktion, wenn ein „Opfer“ zu bringen ist, wurde von der BG ebenfalls mit einem neuen Versteil präzisiert, s. Mt 6,17–18:
296
Wengst spricht z.B. von einer „ganz und gar auf Gott bezogene Angelegenheit“, die nicht dazu dienen solle, anderen zu imponieren. Die perfekte Tarnung könne dabei jedes Imponiergehabe vermeiden (Vgl. Wengst, Regierungsprogramm (2010), 165).
304
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG
NA
EÜ 17 Du aber salbe dein Haar,
Luther
Wenn du ein Opfer bringen mußt,
17 σὺ δὲ νηστεύων
wenn du fastest,
17 Wenn du aber fastest,
dann zeige das nicht vor den Leuten,
ἄλειψαί σου τὴν κεφαλὴν καὶ τὸ πρόσωπόν σου νίψαι,
und wasche dein Gesicht,
so salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht,
um vor ihnen mit deinem Opfer zu prunken,
18 ὅπως μὴ φανῇς τοῖς ἀνθρώποις νηστεύων
18 damit die Leute nicht merken, dass du fastest,
18 auf daß du nicht scheinest vor den Leuten mit deinem Fasten,
sondern deinem Vater klage im Verborgenen deine Kümmernis,
ἀλλὰ τῷ πατρί σου τῷ ἐν τῷ κρυφαίῳ
sondern nur dein Vater, der auch das Verborgene sieht;
sondern vor deinem Vater, welcher verborgen ist;
und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir aufhelfen!
καὶ ὁ πατήρ σου ὁ βλέπων ἐν τῷ κρυφαίῳ ἀποδώσει σοι.
und dein Vater, der das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dirʼs vergelten öffentlich.
Der Versteil „deinem Vater klage im Verborgenen deine Kümmernis“ deckt sich nicht mit dem griechischen Text, auch hier scheint die BG also ein bestimmtes Ziel mit einer solchen Einfügung zu verfolgen: Denen, die das Opfer bringen müssen wird nun auch noch Kümmernis unterstellt und der geforderte Umgang mit dieser Kümmernis ist die Klage im Verborgenen. Die im Text der BG eindeutig geforderte Opferbereitschaft soll hier offenbar an Gott „rückgebunden“ werden, bei dem man über die eigene Lage klagen darf. Die BG-Redaktion scheint hier als selbstverständlich darstellen zu wollen, dass mit den „Opfern“ auch „Kümmernis“ einhergehe. Der Bibeltext ist in der BG hier bei weitem nicht genug berücksichtigt, vielmehr scheinen gerade in diesen Versen die Bearbeitungsmotive der BG-Redaktoren einsehbar zu werden. Von Soden sieht zusätzlich in der Vermeidung der Rede vom „Waschen“ und „Salben“ in Mt 6,17 eine „Abschwächung“ des „bildhaften (und bildkräf-
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
305
tigen!) Ausdrucks“297. Im Zuge der Umarbeitung der ganzen Stelle auf einen Aufruf zum „Opfer“ hin, das allerdings nicht kultisch (sonst würde es auch sinnvoll sein, sich zu waschen und zu salben, um würdig opfern zu können), sondern im Sinne eines „Opfers der Tat“ verstanden werden möchte, dürfte die im Text erwähnte Waschung und Salbung für die BG-Redaktoren keinen Sinn mehr ergeben zu haben. Stattdessen rief man zu einem Opfer „im Verborgenen“ auf, das nicht vor den Leuten gezeigt werden solle. An dieser signifikanten Änderung von Mt 6,18 macht auch von Soden eindeutig fest, dass die ganze Rede von der „Entsagung“ statt vom Fasten „den kultischen Charakter“ verliere.298 Wenn man diese Stelle scharf ausdeuten will, kann man dahinter den Versuch der BG sehen, den Deutschen eine Opferbereitschaft aufzuerlegen, deren Sinn nicht angezweifelt werden darf. Die BG-Redaktion formt die Texte so um, als ob sie von der Unausweichlichkeit der „Opfer“ handelten, die jedem auferlegt werden. Diese Opferbereitschaft scheint absolut gedacht zu werden, da nicht darauf verwiesen wird, wer entscheiden soll, was „auferlegt“ wurde und man tun „muss“. Als ein Opfer in diesem Sinne könnte dann zeitgeschichtlich auch das stille Opfer eines jeden Soldaten an der Front verstanden werden. Der Hinweis Grundmanns darauf, man könne die BG als „Feldbibel“ bezeichnen,299 scheint ebenfalls in die Richtung zu deuten, dass besonders die Frontsoldaten auf totale Hingabebereitschaft und Opferbereitschaft eingeschworen werden sollten. Der eigentliche Inhalt blieb an dieser Stelle von den BG-Redaktoren unbeachtet: Die biblische Rede vom Fasten, das seinen Sinn in der Begegnung mit Gott hat, fehlt, ebenso die Hinweise, wie das Rein- und Bereitwerden für eine ebensolche Begegnung möglich wird. „Opfer“ scheint hier also anstelle eines kultischen Opfers als ein „Opfer der Tat“ verstanden zu werden, das mit Entbehrungen und Kümmernis einhergeht. An die Stelle des „Fastens“, das als sinnloses Tun im Sinne des jüdischen Verdienstdenkens von den Redaktoren abgewertet wird, tritt das tätige, opferbereite Handeln. Die ganze Passage kann man als einen Aufruf zu diesem „Opfer“ hin lesen. 3.3.2 Das aktive Opfer: BG 186, Gottesdienst der Tat (Röm. 12,1–2): Gegenmodell zum (jüdischen) kultischen Opfer. „Weihe“ zum Opfer ist „fordernder Wille Gottes“. Dies ist Teil vom neuen „Gottesdienst“ und die Forderung der „Opferbereitschaft“ (BG 254) Eine weitere Dimension des Opferbegriffs in der BG, der es nachzugehen lohnt, ist die des aktiven Opfers. Dass die BG-Redaktion die Aktivität der 297
Vgl. Soden, Synoptische Frage (1951), 200. Vgl. Soden, Synoptische Frage (1951), 184. 299 Vgl. Zum Hintergrund. Klemm (1986), 388, FN 403 zitiert hier Grundmann aus LKA Dresden, 710. 298
306
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Leser verstärkt einfordert, zeigen bereits die Überschriften der drei Passagen (1) BG 25f., Die Tat entscheidet (Luk. 6,46–49), (2) BG 204, Lebendiger Glaube wirkt die Tat (Jak. 1,17–18.21–25; 2,15–17.26) und (3) BG 186, Gottesdienst der Tat (Röm. 12,1–2). Vor allem die dritte Passage bietet einen weiteren Einblick in die Arbeit der Redaktion: Der „Gottesdienst der Tat“300 wird hier nämlich explizit mit dem Begriff des „Opfers“ verknüpft: BG Brüder, […] weiht euch zu einem lebendigen Opfer,
NA 1 Παρακαλῶ οὖν ὑμᾶς, ἀδελφοί, […] παραστῆσαι τὰ σώματα ὑμῶν θυσίαν ζῶσαν ἁγίαν
EÜ 1 […] ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen,
Luther 1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, […] daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig
wie Gott es will,
εὐάρεστον τῷ θεῷ,
das Gott gefällt;
und Gott wohlgefällig sei,
und zu einem Gottesdienst, wie ihn Jesus Christus fordert!
τὴν λογικὴν λατρείαν ὑμῶν·
das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst.
welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.
Löst euch aus der Welt der Eigensucht!
2 καὶ μὴ συσχηματίζεσθε τῷ αἰῶνι τούτῳ,
2 Gleicht euch nicht dieser Welt an,
2 Und stellet euch nicht dieser Welt gleich,
[…] so daß ihr richtig abwägen könnt, was da ist Gottes
[…] εἰς τὸ δοκιμάζειν ὑμᾶς
[…] auf daß ihr prüfen möget,
τί τὸ θέλημα τοῦ θεοῦ,
[…] damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist:
τὸ ἀγαθὸν καὶ εὐάρεστον καὶ τέλειον.
was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist.
der gute, wohlgefällige und vollkommene Gotteswille.
segnender, fordernder und vollendender Wille!
300
welches da sei
Ähnlich betont auch Grundmann die Komponente der „Tat“ beim „Gottesdienst“: Jesus habe einen „Gottesdienst“ verkündet, der die Liebe sei, die am Mitmenschen „in Gesinnung und Tat“ geschehe (vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 129f.).
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
307
In Röm 12,1 wird hier von „Weihe zum lebendigen Opfer“ anstelle dem „Darbringen als Opfer“ gesprochen. Auch hier lässt der Opferbegriff nach Meinung der Redakteure wohl zu sehr auf das als alt, abgelöst und genuin jüdisch deklarierte kultische Opfer schließen. Um diese Implikationen in der BG zu vermeiden, wurde daher in den Text eingegriffen. Im Griechischen wird durch παραστῆσαι eine Verbindung zu Röm 6,12ff hergestellt: Hier werden nun die römischen Briefadressaten gemahnt, ihre Leiber, also sich selbst in ihrer Identität, Gott zur Verfügung zu stellen und sich in seinen Dienst zu stellen. Darin besteht das „Opfer“301. In der BG wird nun diese Aussage verändert durch die sprachliche Umformung zu Appell-Sätzen und die Einfügung eines Versteils, der davon spricht, dass Jesus diesen „Gottesdienst“ der „Weihe“ explizit fordere. Auch Gott wird dann in Röm 12,2 ein „fordernder Wille“ zugeschrieben. Der Inhalt der Forderung bzw. das Wesen des Gottesdienstes, wie es die BG versteht, wird vor allem in den beiden Forderungen „Weiht euch zu einem lebendigen Opfer!“ und „Löst euch aus der Welt der Eigensucht!“ deutlich. Auch bei diesem zweiten Appell ist eine Betonung der Aussage erkennbar: Die BG fasst, am Griechischen „μὴ συσχηματίζεσθε“ (man solle sich der Welt „nicht angleichen“ (EÜ) bzw. sich „nicht gleichstellen“ (Luther)) vorbei, die Aussage positiv zur Aufforderung „Löst euch!“. Dies impliziert allerdings, dass man sich bereits stark in Verstrickungen befand. Wohl ausschlaggebender ist aber die Einfügung „Welt der Eigensucht“, statt dem neutraleren ‚diese Welt‘.302 Hier lässt sich vermuten, dass diese Bearbeitung auf eine Aufforderung zur Gemeinschaft, dem Gegenteil der „Eigensucht“ abzielte. Diese Gemeinschaft kann, in Verbindung mit der Bearbeitung der ersten Forderung, als eine „Opfergemeinschaft“ gelesen werden. Das „Opfer“ wird somit als Forderung Gottes und daher als Verpflichtung aufgefasst. Die „Tat“, die die Überschrift ankündigt, wird hier als „Opfer“ beziehungsweise als „Weihe zum lebendigen Opfer“ definiert. Sowohl der aktive Einsatz in der „Tat“ wird dadurch betont, als auch die „Tat“ eng mit dem Begriff des „Opfers“ verbunden. Einerseits wird also das (jüdische) kultische Opfer gezielt abgelehnt, obwohl der griechische Text eben die Opfersprache aufnimmt, die schon im hellenistischen Judentum auch im übertragenen Sinn auf das ethische Verhalten des Menschen bezogen wurde303, andererseits betont die BG den „Gottesdienst der Tat“ als Gegenmodell. Dabei wird die Tat nicht, dem biblischen Zeugnis folgend, als geforderte Konsequenz aus dem Opfer gesehen, sondern
301
Vgl. Wilckens III (2003), 3f. Gemeint ist, dass sich die Christen verwandeln lassen, indem sich ihre Vernunft von der neuen Wirklichkeit des Lebens bestimmen lässt, wie schon der Existenzwandel von der Taufe her in Röm 6 zentrales Thema war (vgl. Wilckens III (2003), 7). 303 Vgl. Lohse (2003), 335 mit Beispielen. 302
308
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
die BG-Redaktion macht daraus eine „Neuerung“ in totaler Abgrenzung, die auf Jesus und seine „unjüdische“ Einstellung zurückgeführt wird. Auf die Rede von der „Weihe“ zum Opfer trifft man auch an anderen Stellen der BG.304 Interessant ist hierbei, dass der Begriff der „Weihe“ auch im Nationalsozialismus durchaus geläufig war, und zwar in Verbindung mit der „Blutfahne“ der NSDAP, durch deren Berührung seit 1926 alle neuen Fahnen „geweiht“ wurden.305 Auch die Rede davon, dass ein „fordernder Wille Gottes“306 solch einen „neuen Gottesdienst“307 sucht, ist bezeichnend. Die Einfügung der größeren „Opferbereitschaft“ als erstrebenswertes christliches Spezifikum ist bereits in BG 254 aufgefallen.308 Diese „Opferbereitschaft“ scheint allerdings nicht im 304
Vgl. unten 4.4 Jesus ist nicht das Lamm, sondern der tapfere „Lebensspender“, der sich opfert, und zur Tapferkeit ruft. Das Verständnis vom Opfertod Christi wird heroisiert. 305 Bei der Blutfahne der NSDAP handelt es sich um eine Hakenkreuzfahne, die beim Marsch auf die Feldherrnhalle am 9. November 1923 mitgeführt worden war. Nach Vorstellung der Nationalsozialisten hatte sie durch das Blut der getöteten Putschisten eine besondere Weihe erfahren. Seit 1926 wurden alle neuen Fahnen und Standarten der Partei durch Berühung mit dem Tuch der Blutfahne geweiht. Sie wurde ab 1931 im „Braunen Haus“ in München aufbewahrt (Schäfer (2006), http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/ Blutfahne der NSDAP). Die Fahne war 1923 auf dem Odeonsplatz zurückgeblieben und vorerst in den Katakomben der Münchner Polizei gelagert worden. Erst später wurde der „dilettantische Umsturzversuch“ zum „Opfergang“ verklärt (Knopp (2003), 31), auf dem Reichsparteitag 1926 in Weimar überreichte Hitler dann die mittlerweile an die Partei zurückgegebene ‚Blutfahne‘ der SS zu treuen Händen. „Bei kruden Weiheritualen sah man nunmehr, wie SSTruppführer Jakob Grimminger sie hinter Hitler hertrug“ (ebd. 34). Sogar als Symbol für Hitler selbst wurde die Blutfahne verwendet: Beim Eintritt in die HJ musste ein Eid auf die Blutfahne abgelegt werden, der lautete: ‚Vor dieser Blutfahne, die für unseren Führer steht, schwöre ich, all meine Kraft und Stärke dem Erretter unseres Landes, Adolf Hitler zu weihen. Ich bin willens und bereit, mein Leben für ihn zu geben, so wahr mir Gott helfe“ (vgl. Lewis (2003), 39). 306 Im Griechischen wird der Wille Gottes nicht als Forderung, sondern umgekehrt das Gute und Vollkommene, das Tun der Liebe (vgl. Gal 6,10; 1 Thess 5,15; Kol 3,14), als Willen Gottes bestimmt (vgl. Wilckens III (2003), 7). 307 Eigentlich: „λατρεία λογική“: der vernünftige bzw. geistige Gottesdienst. Vgl. zum Begriff λογικός Wilckens III (2003), 4–6: Das Grundwort philosophischer, v.a. stoischer Grundsprache wurde in der philosop. Mystik transzendentalisiert. In Röm 12,1 dagegen in hermeneutischer Funktion verwendet: „Die totale Hingabe an Gott ist vielmehr darin der ‚geistige Gottesdienst‘ der Christen, daß er auf die Heilswirklichkeit des Erbarmens Gottes, seiner Gnade, bezogen ist, der sich hinzugeben zwar ihrem Wesen als Selbsthingabe entspricht, aber eben keineswegs identisch ist mit ihr“ (ebd. 6). Der ‚geistiges Gottesdienst‘ soll sich in der Leiblichkeit vollziehen, im Gegensatz zu stoischen und mystischen Vorstellungen einer ‚geistigen‘ Religion, die sich in der Nichtachtung bzw. im Verlassen des Leibes vollziehen solle. Auf diesen Gegensatz zielt die Mahnung, nicht auf den Gegensatz zwischen äußerlichem Kultbetrieb und innerlicher Vernünftigkeit (ebd. 6). 308 Vgl. das Kapitel 3.1.5.3 BG 251f., Paulus über die Apostelzusammenkunft (Gal.2,1– 6.9–10). Hier wurde auch der Zwischentext BG 254, in dem das Christentum dem Judentum
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
309
kultischen, sondern im übertragenen Sinne der „Lebensspende“ bzw. der „Tat“ verstanden zu werden. Die Rede von der Opferbereitschaft dürfte außerdem ohne Zweifel bei deutschchristlich geprägten Lesern die Analogie zum Einsatz für den NSStaat nahegelegt haben, denn der Begriff findet sich in deutschchristlichen Publikationen als Beschreibung der „Gefolgschaft Adolf Hitlers“: „Im Jahre 1928 bedeutete die nationalsozialistische Entscheidung den persönlichen Einsatz. Was heute, weil es gefahrlos und schön ist, scheinbar zu den Selbstverständlichkeiten des Lebens in unserem Volke gehört, war in dieser Zeit verbunden mit Kampf und Verzicht. Der Wille für Deutschland in der Gefolgschaft Adolf Hitlers bedeutete Opferbereitschaft bis zum Tode.“309
Diese intensive Herausarbeitung der Opferbereitschaft ist insofern auffällig, dass sie über die biblische Aufforderung zum Leben im Vertrauen auf Christus hinausgeht. Die vielschichtige biblische Rede vom „Opfer“ wird in der BG an vielen Stellen auf die Bereitschaft zum (Selbst-)Opfer zugespitzt, so auch in der BG-Bearbeitung von 1 Petr 5,2–3:310
mit seiner staatlich geschützten Religionsausübung gegenübergestellt wird und die „grundsätzliche Scheidung“ des Christentums vom Judentum konstatiert. Durch die Benachteiligung des Christentums, ihren „schwereren Weg“, sei eine „größere Opferbereitschaft“ erforderlich gewesen. Die BG-Redaktoren scheinen hier selbst zu Geschichtsschreibern zu werden, da von Paulus eben genau die Gesetzestreue (vgl. auch das Beispiel von seinem Naziräergelübde im Tempel von Jerusalem, 3.1.5.2 BG 272–274, Paulus in Jerusalem (Apg. 21,17–36), Apg 21,25) und Rücksichtnahme, die die BG-Redaktion ins Gegenteil verkehrt, an den Tag legte und bei weitem nicht von der „grundsätzlichen Scheidung“ vom Judentum gesprochen werden kann. So weiß Apg 16 über die Rezeption der Beschlüsse des Apostelkonzils zu berichten: Als sie (Paulus und sein ‚mit Rücksicht auf die Juden‘ (Apg 16,3) beschnittener (!) Begleiter Timotheus) nun durch die Städte zogen, überbrachten sie ihnen die von den Aposteln und den Ältesten in Jerusalem gefassten Beschlüsse und trugen ihnen auf, sich daran zu halten‘ (Apg 16,4). 309 Diese Worte finden sich zu Beginn des Kapitels „Der Nationalsozialistische Pfarrerund Lehrerkreis“. In: Thieme (1939), 44. 310 BG 222, 7. Rufe in die Gemeinde (2. Kor. 13,8; Jak. 4,7b–8a; 1. Kor. 6,19–20; 2. Tim. 1,7; 1. Kor. 4,20; 10,12–13; 16,13; 14,33.40; Hebr.13,16; 2. Kor. 13,11.13; 1. Joh. 2,17b; 1. Petr. 3,4; 4,10; 5,2–3), 1 Petr 5,2–3.
310
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG Steht als rechte Seelsorger in der Gemeinde Gottes, die euch anvertraut ist!
NA 2 ποιμάνατε τὸ ἐν ὑμῖν ποίμνιον τοῦ θεοῦ ἐπισκοποῦντες
EÜ 2 Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes,
Luther 2 Weidet die Herde Christi, die euch befohlen ist und sehet wohl zu,
Nicht gezwungen, sondern willig –
μὴ ἀναγκαστῶς ἀλλ’ ἑκουσίως κατὰ θεόν,
nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will;
nicht gezwungen, sondern willig;
nicht gewinnsüchtig, sondern opferbereit –
μηδὲ αἰσχροκερδῶς ἀλλὰ προθύμως,
auch nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Neigung;
nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund;
nicht als dürftet ihr euren Willen aufzuzwingen denen, die euch befohlen sind,
3 μηδ’ ὡς κατακυριεύοντες τῶν κλήρων
3 seid nicht Beherrscher eurer Gemeinden,
3 nicht als übers Volk herrschen,
sondern werdet ein Vorbild für eure Gemeinde!
ἀλλὰ τύποι γινόμενοι τοῦ ποιμνίου.
sondern Vorbilder für die Herde!
sondern werdet Vorbilder der Herde.
Zunächst fällt auf, dass das biblische Bild vom Hirten und der Herde in der BG völlig aufgelöst ist zum „Seelsorger“ in der „Gemeinde“. Die typisch lutherische Übersetzung von „ἐκκλησία“ mit „Gemeinde“ wird hier von der BG an einer Stelle übernommen, in der im Griechischen das Bild der „Herde“ verwendet wird.311 Durch die BG-Bearbeitung bekommt dann die Aufforderung, ein Vorbild für die „Gemeinde“ (wörtlich: Herde) zu sein, einen anderen Inhalt. Opferbereitschaft ist gefordert, voran geht die Aufforderung „Steht als rechte Seelsorger in der Gemeinde Gottes […]!“ anstelle des Gebotes, sich um die Herde zu kümmern bzw. für sie zu sorgen („ποιμάνατε“). In Verbindung mit BG 311
Die Vermeidung des Begriffs der ἐκκλησία in 1 Petr könnte darin begründet sein, dass der Begriff ursprünglich als Bezeichnung für die Versammlung der freien Bürger einer griechischen Polis politisch konnotiert war, 1 Petr aber wohl eine Sklavenschrift ist. Belege aus dem Text zur negative Haltung von 1 Petr zum römischen Staat siehe Streetskamp (2014), 37–42.
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
311
254 (vgl. oben), wo die Rede von der „Opferbereitschaft“ wieder aufgenommen wird, wird der Vorbildcharakter der Gemeindeseelsorger also durch das „Stehen“ in der Gemeinde312 in einer „opferbereiten“ Haltung definiert. Auch wird dann nicht das „Herrschen“ über die Herde abgelehnt, sondern die BG formuliert etwas weniger generell, es dürfe lediglich nicht der eigene Wille „aufgezwungen“ werden. Hier kann nur spekuliert werden, ob die BGRedaktion die generelle Aussage, dass die Haltung des „Herrschens“ abzulehnen sei und stattdessen die Haltung der „Fürsorge“ (1 Petr 1,2) den wahren Hirten ausmache, abschwächen wollte, um den Lesern keinen Anlass zu bieten, auch Kritik an der Herrschaft Hitlers als legitim und bibelkonform zu betrachten. Wie die Umdeutung des Begriffs des „Fastens“ zu „Entsagung“ in der BGTeilausgabe und noch stärker zu „Opfer“ in der BG-Gesamtausgabe nahelegt und die enge Verbindung des Opferbegriffs mit der dem tätigen Handeln („Gottesdienst der Tat“) und der Forderung der Opferbereitschaft bestätigt, wird von der BG die Dimension des aktiven Opfers hervorgehoben. 3.3.3 Das (Todes-)Opfer als heroisches und kämpferisches Geschehen – „Weihe“, „Einsatz“, „Spende“ Mehrfach war bereits deutlich geworden, dass die Deutung des Todes sich in der BG auf Gedanken des „Opfers“ konzentriert und der Tod zudem sprachlich sehr positiv als „Hingabe“ oder „Einsatz“ (vgl. BG, Offb 5,12: Lebenshingabe und BG, Offb 12,11 und 1 Petr 1,19: (tapferer) Lebenseinsatz) gewertet wurde. Auch in die folgenden Texte trägt die BG-Redaktion eine sehr positive Deutung des Todes bzw. des Opfers ein und lässt es so als ein erstrebenswertes, ja geradezu heldenhaftes Geschehen erscheinen.
312
Die BG übergeht hier das Bild von der Herde völlig und übersetzt, als ob im Griechischen ἐκκλησία stünde. Unberücksichtigt bleibt das Fehlen des Terminus „ἐκκλησία“ in 1 Petr (vgl. dazu Doering (2013), 101–106: Das Fehlen könnte damit zusammenhängen, „dass dieser Brief kommunikativ keine Einzelgemeinde im Blick hat, sondern von der Gesamtheit der Christusgläubigen spricht (ebd. 103)).
312
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
3.3.3.1 BG 74, Sendung und Opfer (Luk. 12,49–50): Das „Opfer“ ist die „Todesweihe“ BG (Sendung und Opfer)
NA
EÜ (Von Frieden und Zwietracht)
Luther
Jesus sprach:
Feuersbrand auf die Erde zu schleudern bin ich gekommen,
49 Πῦρ ἦλθον βαλεῖν ἐπὶ τὴν γῆν,
49 Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen.
49 Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden;
und was wollte ich lieber, als er loderte schon!
καὶ τί θέλω εἰ ἤδη ἀνήφθη.
Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!
was wollte ich lieber, denn es brennete schon!
Aber durch den Tod muß ich zuvor geweiht werden,
50 βάπτισμα δὲ ἔχω βαπτισθῆναι,
50 Ich muss mit einer Taufe getauft werden
50 Aber ich muß mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe;
und wie schlägt mir mein Herz,
καὶ πῶς συνέχομαι
und ich bin sehr bedrückt,
wie ist mir so bange,
bis es vollbracht ist.
ἕως ὅτου τελεσθῇ.
solange sie noch nicht vollzogen ist.
bis sie vollendet werde!
Diese kurze Passage aus der BG findet sich deshalb in dieser Arbeit unter den Texten zum Opferverständnis der BG aufgenommen, weil sie die beiden Verse Lk 12,49–50 mit „Sendung und Opfer“ überschreibt. „Sendung“ muss sich sinngemäß auf Lk 12,49 beziehen, „Opfer“ auf Lk 12,50. Interessant ist somit zunächst ein Blick auf die Besonderheiten in der Übersetzung und im Anschluss daran die Frage, welche Auswirkungen diese auf das Verständnis von „Sendung“ und „Opfer“ Christi haben. Zunächst wird die „Sendung“ Christi (Lk 12,49) dramatischer dargestellt als in der EÜ: Er wolle „Feuersbrand […] schleudern“, von dem er wünschte, dass er bereits „loderte“ (BG) statt „Feuer […] zu werfen“, von dem er wünschte, dass es schon brenne (EÜ, Πῦρ […] βαλεῖν). Grundmann beschreibt diese „Sendung“ Jesu als „den schwersten Kampf“ in den Jesus „verwickelt“ werde. Dadurch werde er selbst zum „Kämpfer“. Seine Worte in
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
313
Lk 12,49 seien Ausdruck für die „innere Leidenschaft und Glut solchen Kämpfens und Einsatzes“:313 Und auch Jesu „Opfer“ in Lk 12,50 wird in der BG verfremdet. Während die BG von der „Weihe“ „durch den Tod“ spricht, ist eigentlich die Rede vom Getauftwerden „mit einer Taufe“. Auch die Einstellung Jesu zu dieser „Weihe“ wird bei weitem positiver dargestellt als das der griechische Text erlaubt: Die BG lässt Jesus „wie schlägt mir mein Herz“ sprechen, was wohl besser in ein heldisches Konzept der „Weihe“314 passt als das ehrliche „ich bin sehr bedrückt“ (EÜ) bzw. „mir ist so bange“ (Luther). Die Übersetzung „bis es vollbracht ist“ (BG) lässt eine deutliche Bezugnahme auf Joh 19,30 erkennen, darf wohl nicht überinterpretiert werden, da sie auch dem unterschiedlichen Subjekt geschuldet ist. Jedoch fügt sie sich in das die Ängste Jesu verklärende Konzept der BG stimmig ein.315 Grundmann übersetzt Lk 12,50 in seiner Monographie „Der Gott Jesu Christi“ (1936) noch ganz wörtlich, geht aber in seiner Deutung bereits in die Richtung, die dann 1940 in die BG eingetragen wird: Es handle sich um einen „Opferweg“ und einen „Leidensweg“, der „Kämpfe“ koste. Dies alles habe Jesus im „Gehorsam“ auf sich genommen, wie sich besonders im „letzten Gotteskampf in Gethsemane“ gezeigt habe. Schließlich kommt Grundmann zum Fazit, dass „die Gotteskindschaft, die Jesus lebt, nicht ein Idyll ist, sondern Kraft in einem Leben des Einsatzes und des Dienstes und des Opfers.“316 Die Terminologie der BG ist auch hier in den Schriften Grundmanns stark vorgeprägt. Ebenfalls liegt die Betonung des Gehorsam, die bereits mehrfach in der BG beobachtet wurde (Offb 11,18; 12,11; Apg 8,33–35, vgl. die Detailanalysen), auf einer Linie mit dem Denken Grundmanns. Zudem wird deutlich, wie eng Grundmann den Gehorsam gegenüber dem Leiden in Jesu Leben des Einsatzes, Dienstes, Opfers und Kampfes mit dem Gedanken der „Gotteskindschaft“ verknüpft. Diese „Gotteskindschaft“ ist die Kraft für sein 313
Vgl. Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 33. Zum Konzept der Weihe vgl. oben 3.3.2 Das aktive Opfer: BG 186, Gottesdienst der Tat (Röm. 12,1–2): Gegenmodell zum (jüdischen) kultischen Opfer. „Weihe“ zum Opfer ist „fordernder Wille Gottes“. Dies ist Teil vom neuen „Gottesdienst“ und die Forderung der „Opferbereitschaft“ (BG 254), v.a. Anm. 875. 315 Auch in der Bearbeitung von Joh 19,30 wird in der BG das aktive Vollbringen Jesu betont durch den durch die Wahl der Überschrift „Es ist vollbracht“ erzielten Wiederholungseffekt (BG 157: Es ist vollbracht (19,25–30.31–34), Joh 19,30). 316 Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 29. Ähnlich auch Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 126: „Seine ganze Geschichte zeigt, vor allem noch zuletzt in Gethsemane, daß er sich unter den Willen Gottes stellte, sich mit ihm einigte und als der Sohn, dem Vater vertrauend, gehorsam war.“ Die Gotteskindschaft verwendet Grundmann an anderer Stelle auch als Abgrenzungskriterium vom Judentum: Ihnen werde in Joh 8,30–47 die „Kindschaft Gottes“ abgesprochen (Grundmann, Botschaft Jesu im Urchristentum (1941), 145). „Die Gotteskindschaft, die Jesus lebt und verkündet, ist etwas anderes als der Gesetzesdienst und steht im Gegensatz zum Gesetzesdienst“ (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 224f.). 314
314
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
gehorsames Kämpfen und Leiden. Könnte hier das Bestreben der BGRedaktoren erkennbar sein, ihre Leser zu ermutigen, von denen ja bekanntlich auch einige Soldaten an der Front waren? In dieser Passage finden sich gleich mehrere Besonderheiten, die die BGRedaktoren in den eigentlichen Text eintragen. Neben einer heldenhafteren Todesdeutung wird, durch die Interpretationen Grundmanns gestützt, allgemein die Christologie des Textes auf gewisse Aspekte fokussiert: Die mutige Aussage Jesu wird von Grundmann dezidiert als „kämpferisch“ deklariert, Jesus selbst als „Kämpfer“ im „schwersten Kampf“. Das „Opfer“ bekommt also die kämpferische Dimension wesenhaft zugeschrieben. Zudem wird auf den vorbildhaften „Gehorsam“ Jesu in seinem „Kämpfen“ und „Leiden“ hingewiesen. Und als letzte Besonderheit sei auf die Betonung der „Gotteskindschaft“ Jesu verwiesen, die noch in mehreren Texten begegnen wird. 3.3.3.2 BG 209, Das Hohelied der Liebe (1. Kor. 13,1–14,1a), 1 Kor 13,3: Ein dramatisches „Opfer“ in den Flammen als ideale Christusnachfolge? BG
NA
EÜ/NA
Luther
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe
κἂν ψωμίσω πάντα τὰ ὑπάρχοντά μου
Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte /
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe
und meinen Leib im Flammentod opferte,
καὶ ἐὰν παραδῶ τὸ σῶμά μου ἵνα καυχήσωμαι,
und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, /
und ließe meinen Leib brennen,
und hätte der Liebe nicht, so wäre mirʼs nichts nütze.
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, οὐδὲν ὠφελοῦμαι.
hätte aber die Liebe nicht, / nützte es mir nichts.
und hätte der Liebe nicht, so wäre mirʼs nichts nütze.
In 1 Kor 13,3 wird von zwei idealen Verhaltensweisen berichtet. Die beiden vorangegangen Verse des sogenannten ‚Hohelied‘ nannten besondere Fähigkeiten (‚in den Sprachen der Menschen und Engel reden‘ (1 Kor 13,1), ‚prophetisch reden‘, ‚alle Geheimnisse wissen‘, ‚alle Erkenntnis haben‘, ‚alle Glaubenskraft besitzen und damit Berge versetzen‘ (1 Kor 13,2)). All dies nun wäre nutzlos, wenn nicht etwas noch wichtigeres dazukäme, die Liebe. Der Text der BG greift nun gerade in die Beschreibung der Verhaltensweise ein, die sich auf den Umgang mit dem eigenen Leben bezieht. Die Übersetzung der BG „wenn ich […] meinen Leib im Flammentod opferte“ statt „wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe“ (EÜ) enthält eine starke Wertung des biblischen Textes, denn auch hier wird der Tod im Feuer von der BG als „Opfer“ gedeutet. Die Passage wird also einmal mehr auf den Begriff des
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
315
Opfers, noch dazu eines dramatischen Opfers im „Flammentod“, zugespitzt und der Tod wird als aktives „Opfer“ beschrieben („wenn ich […] opferte“). Durch diese Einfügung des Begriffs „Opfer“ wird also diese Passage in Verbindung mit den anderen Texten, in denen die BG vom „Opfer“ schreibt, gesetzt. Auch die dort beobachteten Deutungen des Opfers als einem aktiven, heldenhaften Geschehen gelangen dadurch in den Text. Auch in der Auslegungstradition wird dieser Vers meist auf das Martyrium bezogen, allerdings ist hier im Wesentlichen von den Gefahren die Rede, also „vom Martyrium um des Ruhmes und der Ehre willen“. Man war sich somit dessen bewusst, dass dieser Vers nur allzu leicht missbraucht werden konnte, um ein selbstgerechtes, letztlich aber liebloses Sterben zu rechtfertigen.317 Wohl gerade in diesem Wissen um die Anfälligkeit des Verses für Fehldeutungen stellten die BG-Redaktoren den Vers durch den Eingriff in eine Linie mit der von ihnen forcierten Deutung des Opferbegriffs. 3.3.3.3 BG 75, ‚Mitleiden ist Voraussetzung der Herrlichkeit‘ (Mark. 10,35–40). Leid und „Todesweihe“ werden verknüpft. Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, traten an Jesus heran und sprachen zu ihm: ‚Meister, wir möchten, dass du uns gewährst, um was wir dich bitten.‘ Er fragte sie: ‚Was wollt ihr von mir?‘ Da sprachen sie zu ihm: ‚Vergönne uns, dass einer dir zur Rechten und einer dir zur Linken sitzen darf in deiner Herrlichkeit.‘ Jesus aber sagte ihnen: ‚Ihr wißt nicht, was ihr erbittet. Könnt ihr den Leidenskelch trinken, den ich trinke, und die Todesweihe empfangen, die ich empfangen muß?‘ Sie sprachen zu ihm: ‚Ja, wir können es.‘ Jesus aber sagte ihnen: ‚Den Leidenskelch, den ich trinke, und die Todesweihe, die mir bevorsteht, werdet ihr empfangen, aber Ehrenplätze an meinem Tische zu verleihen, steht nicht bei mir, sondern der Vater gibt sie, wem er sie zugedacht.‘ (BG 75, Mitleiden ist Voraussetzung der Herrlichkeit (Mark. 10,35–40))
Vor allem Mk 10,38–40, die Antwort Jesu auf die Bitte des Jakobus und Johannes, in seiner Herrlichkeit neben ihm zu sitzen, weist einige Auffälligkeiten in der BG-Bearbeitung auf:
317 Vgl. Schrage (2012), 332. Hier auch mehr zu den einzelnen antiken Quellen. Auch Dietrich Boenhoeffer, der selbst zum Märtyrer wurde, wies in einer Predigt 1934 darauf hin, dass ein Glaubenskampf die große Versuchung der Selbstsicherheit, Selbstgerechtigkeit und Rechthaberei, letztlich also der Lieblosigkeit in sich trägt (vgl. Bonhoeffer (1972), 535).
316
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
EÜ
Luther
Jesus aber sagte ihnen: ‚Ihr wißt nicht, was ihr erbittet.
BG
38 ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτοῖς· οὐκ οἴδατε τί αἰτεῖσθε.
NA
38 Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet.
38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisset nicht, was ihr bittet.
Könnt ihr den Leidenskelch trinken, den ich trinke, und die Todesweihe empfangen, die ich empfangen muß?‘
δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω ἢ τὸ βάπτισμα ὃ ἐγὼ βαπτίζομαι βαπτισθῆναι;
Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?
Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, und euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?
Sie sprachen zu ihm: ‚Ja, wir können es.‘ Jesus aber sagte ihnen:
39 οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ· δυνάμεθα. ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτοῖς·
39 Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen:
39 Sie sprachen zu ihm: Ja, wir können es wohl. Jesus aber sprach zu ihnen:
‚Den Leidenskelch, den ich trinke, und die Todesweihe, die mir bevorsteht, werdet ihr empfangen,
τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω πίεσθε καὶ τὸ βάπτισμα ὃ ἐγὼ βαπτίζομαι βαπτισθήσεσθε,
Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde.
Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;
aber Ehrenplätze an meinem Tische zu verleihen, steht nicht bei mir,
40 τὸ δὲ καθίσαι ἐκ δεξιῶν μου ἢ ἐξ εὐωνύμων οὐκ ἔστιν ἐμὸν δοῦναι,
40 Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben;
40 zu sitzen aber zu meiner Rechten und zu meiner Linken stehet mir nicht zu, euch zu geben,
sondern der Vater gibt sie, wem er sie zugedacht.‘
ἀλλ’ οἷς ἡτοίμασται.
dort werden die sitzen, für die diese Plätze bestimmt sind.
sondern welchen es bereitet ist.
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
317
An dieser Stelle arbeitet die BG das Leiden Jesu als besonderes Merkmal heraus. Ohne die Bildwelt des griechischen Textes zu beachten wählt die BG für „Kelch“/„Weinkelch“ (τό ποτήριον) die Übersetzung „Leidenskelch“ und anstelle von „Taufe“ (τό βάπτισμα) das unbiblische „Todesweihe“318. Schon Fischer stellte in seiner Kritik an der BG fest: „Auch das Wort von der Bluttaufe wird vermieden. In einer Zeit, wo wir von Feuertaufe und ähnlichen Dingen zu reden gewöhnt sind, glaubt Grundmann für den christlichen Märtyrertod statt Bluttaufe das Wort „Todesweihe“ einführen zu müssen.“319 Fromm kontert diesen Vorwurf: „ Mir ist noch nicht bekannt geworden, daß das Wort ‚Bluttaufe‘ in der Lutherbibel zu finden ist. Ob nicht schon der Begriff ‚Märtyrertod‘ eine Verschiebung ist, wo doch Jesus von der Vollendung seines Werkes spricht, die durch seinen Tod eintritt?“320 Wohl liegt die größte Verschiebung der Textaussage nicht so sehr in der Frage, ob es sich um eine „Bluttaufe“ oder eine „Feuertaufe“ handelt, die Jesus an dieser Stelle seinen Jüngern ankündigt, sondern in der Frage, ob der biblische Text eine derartige Ausdeutung auf den Tod hin überhaupt zulässt und man nicht ebenso den „Kelch“ und die „Taufe“, die Jesus seinen Jüngern voraussagt, weniger zugespitzt auf ein Leben in der Nachfolge Jesu hin lesen sollte, als die Nachfolge auf Jesu Leiden und Sterben zu reduzieren. Richtig ist, dass der „Kelch“ im Alten Testament als Metapher für das steht, was jedem Menschen in seinem Leben zuteil wird, besonders allerdings für das Schlechte,321 und die „Taufe“ als symbolischer Ausdruck für das Eintauchen der Menschen in verschiedene Arten von Unheil, teils eschatologischer Natur, verwendet wird.322 Nicht zu übersehen ist im Markusevangelium nun die 318 Ähnlich BG 74, Sendung und Opfer (Luk. 12,49–50): „Jesus sprach: ‚Feuersbrand auf die Erde zu schleudern bin ich gekommen, und was wollte ich lieber, als er loderte schon! Aber durch den Tod muß ich zuvor geweiht werden, und wie schlägt mir mein Herz, bis es vollbracht ist.“ statt ‚ich muss mit einer Taufe geweiht werden‘ (EÜ, Lk 12,49) für ‚βάπτισμα δὲ ἔχω βαπτισθῆναι‘ (NA; Luther übersetzt wörtlich: ‚Aber ich muß mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe‘). Während Grundmann selbst (Gott Jesu Christi (1936), 29 und Jesus der Galiläer (1940), 122) hier mit „Taufe“ übersetzt, in der Deutung aber ebenfalls vom „Opferweg“ Christi spricht, trägt die BG-Übersetzung die Deutung direkt in den Text ein. 319 Fischer (1940), 12. 320 Im Anhang zu Fromm (1940), 59. 321 „The cup is a metaphor for one’s portion in life, what one has been given to ‚drink‘, whether of good or ill“ (vgl. Marcus (2009), 747, ebenso Gnilka (2010), 101). Positiv werde die Rede vom „Kelch“ in Ps 23,5 und Ps 116,13 verwendet, gebräuchlich sei im AT aber auch die Rede vom „Becher des Zorns“ (z.B. Jes 51,17) und an einer Stelle auch vom Kelch, aus dem die Unschuldigen, die es nicht verdient haben, trinken müssen (Jer 49,12) (vgl. Markus (2009), 747 und Gnilka (2010), 101). 322 Baptisma steht auch im nichtbiblischen Griechisch für dieses „Eintauchen“ (vgl. Josephus, Bellum Iudaicum 4,137), ähnlich die mit Wasser/Flut verbundene Vorstellung in alttestamentlichen und jüdischen Texten (vgl. Ps 42,7; Jes 43,2), teilweise ist das überfließende Unheil eschatologischer Natur (vgl. Marcus (2009), 747). Auch Norbert Baumert sieht den
318
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Tendenz, dass Jesus im „Doppelbild“323 von Kelch und Taufe auf sein Leiden und seinen Tod anspielt, und die Taufe „unmittelbar für den Tod und das Leiden steht“324 und auch der „Kelch“ ist eng mit dem Leiden Jesu verknüpft.325 Auch in Mk 8,34 ist ja bereits der Nachfolgegedanke mit der „Bereitschaft zur Übernahme des Kreuzes“ verbunden.326 Die BG verschärft diese Tendenz noch durch die Eintragung von „Leiden“ und „Tod“ direkt in den Text. Auch scheint die Wortwahl, die Todesweihe zu empfangen diese positiv zu werten. An dieser Stelle ist die EÜ allerdings auch nicht wertungsfrei und zudem inkonsequent, da sie einmal vom Aufsichnehmen, einmal vom Empfang der Taufe spricht. Wörtlich ist die Übersetzung Luthers, die vom Getauftwerden mit der Taufe, mit der auch Jesus getauft wird, am nächsten an der figura etymologica im Griechischen. Eine positive Wertung von Leid und Tod lässt sich also an diesen Versen in der BG feststellen. Am Auffälligsten ist allerdings die Eintragung des Begriffs der „Weihe“ und dessen Verknüpfung mit dem Tod.327 An anderer Stelle wird in der BG der Begriff der „Weihe“ auch mit dem Gedanken des Kampfes verknüpft, ebenfalls ohne griechische Textgrundlage: Paulus deutet hier (Röm 6) den Zusammenhang zwischen Tod und Auferstehung Jesu Christi und der Taufe. In der BG-Version fordert er dann dazu auf, sich zum „Kampf für sein Reich“ zu „weihen“ und sich „ganz“ „dem Urbild eures Lebens, Christus“ hinzuge-
Prozess des „Eintauchens“ mit baptizein verbunden, eigentlich dem Hineinfügen in die Gemeinschaft. „Todesweihe“ ist aber in jedem Falle ein tendentiöser Begriff der BG-Redaktion. Baumert bezieht sich allerdings auf das „(Hin-)Einfügen“ in 1 Kor 12,13: „Paulus denkt hier vom Entstehungsprozeß der konkreten Ortsgemeinde her: Gott hat viele einzelne Menschen erfaßt und sie zusammengefügt, zu einem Ganzen gemacht, wobei jeder einzelne ein eigenständiges Element einbringt.“ (Baumert (2007), 201), gemeint sei also keine gleichzeitige Vorstellung, nicht in einem Nacheinander von Vielen, die je für sich selbst neu hinzugefügt wurden (ebd. 202). 323 Gnilka (2010), 102. 324 Gnilka (2010), 102. Anders bei Paulus, der „vom Taufsakrament ausgeht und dieses unter Bezug auf den Tod Jesu soteriologisch deutet.“ 325 Vgl. Collins (2007), 496: Adela Collins erinnert an das Gebet Jesu in Gethsemane Mk 14,36: „Here it is clear that the cup represents the suffering that Jesus is about to endure and that this suffering is part of the divine plan.“ 326 Vgl. Gnilka (2010), 23. Vgl. unten die Analyse von Mk 8,34–37 in der BG: 3.3.4.1 BG 62, Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben (Mark. 8,34–37; Matth. 10,32– 33; 12,30). „Einsatz“ und „Treue werden als „Opfer“ gedeutet. 327 Vgl. oben 3.3.2 Das aktive Opfer: BG 186, Gottesdienst der Tat (Röm. 12,1–2): Gegenmodell zum (jüdischen) kultischen Opfer. „Weihe“ zum Opfer ist „fordernder Wille Gottes“. Dies ist Teil vom neuen „Gottesdienst“ und die Forderung der „Opferbereitschaft“ (BG 254), vgl. oben FN 305 zur „Weihe“ im Nationalsozialismus.
319
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
ben (vgl. BG, Röm 6,13.17).328 Die Verschränkung von „(Todes-)Weihe“, „Kampf“ und „Leiden“ gewährt einmal mehr einen Einblick in die Schwerpunktsetzung der Redaktion. Interessant ist auch die Vers- und Überschriftenwahl in der BG. Der Titel „Mitleiden ist Voraussetzung der Herrlichkeit“ gibt dem Leser die Deutungsrichtung von Anfang an vor, die sich in der BG-Variante von Mk 10,38–39 vermuten ließ: Das Leiden mit Christus soll die zentrale Aussage der nun folgenden Verse sein. Die EÜ wählt im Unterschied dazu die Überschrift „Vom Herrschen und vom Dienen“ für die (längere) Perikope Mk 10,35–45 und zeigt so, dass es keineswegs zwingend ist, die Verse in dieser Weise zu lesen.329 Durch den Anschluss von Mk 10,41–45 gewinnt die Passage eine 328
BG 182, Mit Christus ins neue Leben! (Röm. 6,4.9–13.17.23), Röm 6,13.17:
BG Laßt euch nicht von der Sünde zum Kampf gegen Gott mißbrauchen! […]
NA 13 μηδὲ παριστάνετε τὰ μέλη ὑμῶν ὅπλα ἀδικίας τῇ ἁμαρτίᾳ,
EÜ 13 Stellt eure Glieder nicht der Sünde zur Verfügung als Waffen der Ungerechtigkeit,
Luther 13 Auch begebet nicht der Sünde eure Glieder zu Waffen der Ungerechtigkeit,
Weiht euch zum Kampf für sein Reich!
ἀλλὰ […] τὰ μέλη ὑμῶν ὅπλα δικαιοσύνης τῷ θεῷ.
sondern […] stellt eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit in den Dienst Gottes.
sondern begebet […] eure Glieder Gott zu Waffen der Gerechtigkeit.
Gott sei Dank! Ihr […] habt euch ganz dem Urbild eures Lebens, Christus, hingegeben.
[…] 17 χάρις δὲ τῷ θεῷ ὅτι […] ὑπηκούσατε δὲ ἐκ καρδίας εἰς ὃν παρεδόθητε τύπον διδαχῆς,
[…] 17 Gott aber sei […] 17 Gott sei aber Dank; denn ihr […] gedankt, daß ihr seid jedoch von […] nun gehorsam Herzen der Lehre geworden von Hergehorsam geworden, zen dem Vorbilde an die ihr übergeben der Lehre, welchem wurdet. ihr ergeben seid. Die BG spricht hier von der „Hingabe“ an Christus, statt dem „Gehorsam“ gegenüber seiner Lehre (Röm 6,17). Auch findet sich zweimal „Kampf“ statt „Waffen“ (ὅπλα) – aus der Rüstungsmetapher wird in der BG eine Kampfesmetapher. Zu diesem „Kampf“ solle man sich „weihen“. Der Kampf wird bestimmt als „Kampf für sein Reich“, während der biblische Text ganz explizit die Rüstungsmetapher auf den Dienst Gottes, der für die „Gerechtigkeit“ getan werden solle, münzt. Die Beschreibung Christi als „Urbild“, das hier als „Urbild des Lebens“ gedeutet wird, verweist einmal mehr auf die Lebensnachfolge, die in Röm 6,10 als „Kampf“ gedeutet wird („Er ist einmal gestorben im Kampf mit der Sünde. Nun steht er im Leben und gehört für ewig Gott.“ (BG, statt: τῇ ἁμαρτίᾳ ἀπέθανεν – er starb der Sünde). Auch hier wurde der Gedanke des Kampfes hinzugefügt. 329 Ähnlich Gnilka (2010): „Streit in der Jüngerschaft um die ersten Plätze“ für Mk 10,35– 45, Marcus (2009): „Jesus discusses serving and being served“ für Mk 10,35–45 und Collins (2007): „Instruction on Leadership“ für Mk 10,35–45.
320
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
neue Sinndimension, die die BG nicht beachtet: Die anmaßende Frage von Jakobus und Johannes nach den Plätzen im Reiche Gottes führt zu großem Ärger der anderen Jünger (Mk 10,41) und macht eine Beschwichtigung bzw. „Sonderbelehrung“330 von Seiten Jesu nötig (Mk 10,42–45), in der er das von ihm Gesagte nochmals ausführt und auf eine andere Ebene hebt331: Nicht die Nachfolge allein (in der Bildwelt durch „Kelch“ und „Taufe“ umschrieben) garantiert Ehrenplätze (bereits Mk 10,40). Vielmehr liegt die Pointe der Stelle darin, dass die Bereitschaft zum Dienen die wahre Größe eines Menschen ausmacht und die wahre Nachfolge Christi ist (Mk 10,45). Die BG lässt an dieser Stelle aber ihre Versauswahl mit Mk 10,40 enden, lässt somit die Kernaussage über das Verhältnis von Dienen und Herrschen hier außen vor332 330
Gnilka (2010), 103. „Nicht mehr Sonderauszeichnungen in der himmlischen Welt stehen zur Debatte, sondern die Ordnung der Gemeinde. Wer in ihr nach Rang und Vorsitz strebt, soll seinen Dienst wie ein Diener und Sklave tun, sich nicht von Ehrgeiz, sondern Dienstbereitschaft leiten lassen“ (Gnilka (2010), 103). 332 Das „Dienen“ kann aber an sich als ein positiv besetzter Begriff in der BG bezeichnet werden: Mk 10,43–45 wird schon einige Seiten vorher in anderer Kombination in der BG aufgenommen (BG 58, Alle Ehre liegt im Dienst (Luk. 22,24–25; Mark. 10,43–45; Matth. 20,28 Cod. D und Cod. Syr.), ähnlich BG 177, Diener der Ewigkeit mitten im Sturme der Zeit (2. Kor. 6,1–10), BG 186, Dienst an der Gemeinschaft (Röm. 12,3–8), BG 189, Nicht Zügellosigkeit, sondern Dienst in der Liebe (Gal. 5,13–17.19–26; 6,1–5.7–9a.10b). Der größte Unterschied zum griechischen Text liegt hier allerdings in Mk 10,45 bei der Bestimmung des Dienstes Christi: ‚Denn auch der Menschensohn kam nicht, sich dienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben hinzugeben zur Freiheit für viele.‘ (BG 58, Alle Ehre liegt im Dienst (Luk. 22,24–25; Mark. 10,43–45; Matth. 20,28 Cod. D und Cod. Syr.), Mk 10,45) statt ‚Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.‘ (EÜ, Mk 10,45). Die Rede von Jesu Tod als ‚Lösegeld‘ (λύτρον) für viele wird von der BG also vermieden und stattdessen wird die ‚Freiheit‘ als Ziel der Lebenshingabe Jesu von den Redaktoren eingefügt. Ähnlich in der Bearbeitung von Gal 4,4f. (BG 189, Aus Schicksalszwang zur Sohnesfreiheit (Gal. 3,23–28; 4,1–9; 5,1), Gal 4,4f.): „Als aber die Zeit erfüllt ward, sandte Gott seinen Sohn in unser Fleisch und Blut, damit er der Knechtschaft ein Ende mache und wir das Recht der Söhne empfingen“ (BG) statt „4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt (γενόμενον ἐκ γυναικός, γενόμενον ὑπὸ νόμον), 5 damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen.“ (EÜ/NA Gal 4,4f.). Der griechische Text, der das Paradoxon des Stehens Christi „unter dem Gesetz“ und zugleich den Freikauf derer, die selbst unter dem Gesetz stehen, thematisiert, bleibt dabei von der BG unbeachtet. Ebenso in der BG-Bearbeitung von 1 Tim 2,6a (BG 167, Der Mittler (1. Tim. 2,4–6a), 1 Tim 2,6a): ‚Er hat sich selbst dahingegeben ans Kreuz zur Freiheit für alle‘ statt ‚der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle‘ (EÜ, 1 Tim 2,6a). Die Freiheit als Gegenbegriff zur Knechtschaft (des Gesetzes) erweist sich also als ein Zentralbegriff an verschiedenen Stellen der BG (z.B. auch in Verbindung mit einer starken „Entjudung“ einer Stelle, z. B.: ‚Er ist den einen anstößig, den anderen sinnlos. Uns aber, die 331
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
321
und beschreibt stattdessen mit den selbstgewählten Schlüsselbegriffen „Leidenskelch“ und „Todesweihe“ die ideale Christusnachfolge. Das heißt allerdings nicht, dass das Dienen in der BG nicht ebenfalls thematisiert wird. Festgestellt werden kann an der Überschriftenwahl lediglich, dass in Richtung eines Dienstes bis zum Äußersten, also dem „Lebenseinsatz“ bzw. „Opfer“ gedacht wird und zudem die Verknüpfung mit den Gedanken von Gehorsam, Treue und Einsatz forciert wird, die sich stark an die nationalsozialistische Propaganda anlehnt. Die „Todesweihe“, die durch die Verbindung von Lk 12,50 mit dem Opferbegriff parallelisiert wurde, und der Gedanke des „Leides“ sind hier eng verknüpft. Die BG-Bearbeitung von Mk 10,40 im Folgenden zeigt durch die Aufhebung des passivum divinum und die Einfügung des „Vaters“, der als handelndes Subjekt die Plätze „zudenkt“ ein weiteres Mal, dass die BG-Redaktion die Beziehung zwischen Jesus und dem Vater als „Gottessohnschaft“ definiert wissen möchte. Die Zusammenfassung der Plätze zur Rechten und Linken Jesu zu „Ehrenplätzen“ könnte zudem als weiterer Hinweis darauf gesehen werden, wie erstrebenswert den BG-Redaktoren die „Ehre“ war.333 Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Leiden Christi und ebenso die Aufforderung, mitzuleiden betont wird. In der eben analysierten Stelle schließt sich dieser Kreis: das „Mitleiden“ wird mit der „Todesweihe“ Jesu parallelisiert, und das ohne Textbasis und nur in einer Überschrift. Wenn nun das „Mitleiden“ als ein Teil der „Todesweihe“ dargestellt wird, ist es dadurch, als Leiden im Tod und bis zum Tod, auf physisches Leid konzentriert. Der Gedanke der Nachfolge ist in der BG, hier angelehnt an das Markusevangelium, wesentlich durch das Leiden gekennzeichnet, wie sich in weitern Texten noch zeigen wird.334
wir durch ihn die Freiheit erlangen, ist Jesus Christus Gottes Kraft und Weisheit.‘ (BG 174, Die Botschaft vom Kreuz (1. Kor. 4,1–2; 1,17–18.21–25.30b), 1 Kor 1,22–24) statt ‚22 Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. 23 Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, 24 für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit‘ (EÜ, 1 Kor 1,22–24). Hier wird die Freiheit als Qualifikation zur Berufung dargestellt und stattdessen der Universalitätsgedanke des Paulus, dass explizit Juden wie Griechen berufen sein können, getilgt) der Gedanke des Auslösens der Menschheit im Bilde des Lösegeldes wird dagegen von den Redaktoren verworfen. Der Gedanke der sorgenden Zuwendung, die hinter dem Freikauf steckt, wird nicht wahrgenommen 333 Vgl. die Überschrift BG 58, Alle Ehre liegt im Dienst (Luk. 22,24–25; Mark. 10,43– 45; Matth. 20,28 Cod. D und Cod. Syr.). 334 Die genauere Analyse dazu in 4.1 Jesus ist nicht der Messias, sondern der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen.
322
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
3.3.3.4 BG 116, Die Botschaft vom Lebensbrot (Joh. 6,26–27.30ac–35. 37–39a.40ab.41–44ab.45b–47.49–53.58–59), Joh 6,49–53: Christus „opfert“ statt „gibt“(δώσω) seinen Leib. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind doch gestorben. Mit wirklichem Himmelsbrot aber ist es so: Wer von ihm ißt, soll nicht dem Tode verfallen. Ich bin das lebendige Brot, das von Gott gekommen ist. Wenn einer davon ißt, wird er in Ewigkeit leben. Und das Brot ist mein Leib, den ich opfere für das Leben der Welt.‘ Es stritten sich die Juden untereinander: ‚Wie kann er uns seinen Leib zu essen geben?‘ Da sprach Jesus zu ihnen: ‚Im Namen Gottes sage ich euch: Empfangt ihr nicht den Leib des Menschensohns zum Lebensbrot, so habt ihr kein Leben in euch. […]‘ (BG 116, Die Botschaft vom Lebensbrot (Joh. 6,26–27.30ac–35.37–39a.40ab.41– 44ab.45b–47.49–53.58–59), Joh 6,49–53)
Hier ist vor allem Joh 6,51–53 von Interesse in der Frage nach der Darstellung des Todes in der BG. Zunächst bezeichnet sich Jesus als „lebendiges Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ (Joh 6,50a: εἰμι ὁ ἄρτος ὁ ζῶν ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβάς), dies deutet er dann:
323
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
BG […] Und das Brot ist mein Leib, den ich opfere für das Leben der Welt.‘
NA 51 […] καὶ ὁ ἄρτος δὲ ὃν ἐγὼ δώσω ἡ σάρξ μού ἐστιν ὑπὲρ τῆς τοῦ κόσμου ζωῆς.
EÜ 51 […] Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich gebe es hin) für das Leben der Welt.
Luther 51 […] Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt.
Es stritten sich die Juden untereinander: ‚Wie kann er uns seinen Leib zu essen geben?‘
52 Ἐμάχοντο οὖν πρὸς ἀλλήλους οἱ Ἰουδαῖοι λέγοντες· πῶς δύναται οὗτος ἡμῖν δοῦναι τὴν σάρκα [αὐτοῦ] φαγεῖν;
52 Da stritten sich die Juden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben?
52 Da zankten die Juden untereinander und sprachen: Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?
Da sprach Jesus zu ihnen: ‚Im Namen Gottes sage ich euch:
53 εἶπεν οὖν αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς· ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν,
53 Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, das sage ich euch:
53 Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich ich sage euch:
Empfangt ihr nicht den Leib des Menschensohns
ἐὰν μὴ φάγητε τὴν σάρκα τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου
Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst
Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes
fehlt
καὶ πίητε αὐτοῦ τὸ αἷμα,
und sein Blut nicht trinkt,
und trinken sein Blut,
so habt ihr kein Leben in euch.‘
οὐκ ἔχετε ζωὴν ἐν ἑαυτοῖς.
habt ihr das Leben nicht in euch.
so habt ihr kein Leben in euch.
zum Lebensbrot,
Gemäß dem Stellenverzeichnis der BG setzt sich die gesamte Passage aus Joh 6,26–27.30ac–35.37–39a.40ab.41–44ab.45b–47.49–53.58–59 zusammen. An der gezielten Stellenauswahl mit vielen Auslassungen und fehlenden Halbversen lässt sich schon ablesen, dass die BG an dieser Stelle starke Notwendigkeit sah, in den Text einzugreifen. Trotz seiner fast vollständigen Aufnahme finden sich gerade in Joh 51–53 einige Übersetzungsauffälligkeiten, die redaktioneller Bearbeitung zuzuschreiben sind. Vor allem die Überset-
324
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
zung von δώσω in Joh 6,51 mit „ich opfere“, also bereits wertend und zudem ohne Berücksichtigung des griechischen Futurs, sondern mit dem Unmittelbarkeit suggerierenden Präsens, liegt auf einer Linie mit dem bisher beobachteten häufigen Gebrauch der Deutung des Todes Christi als ‚Opfer‘. Der Verweis auf den Tod Jesu ist sicherlich beabsichtigt in der Rede, dass er sein Fleisch geben will, Hartwig Thyen stellt zudem auch fest, dass die Stelle an Opfer denken lasse.335 Ein Eingriff in den Text, wie ihn die BG-Redaktion vornimmt, ist jedoch deutlich zu unterscheiden von einem Evangelienkommentar. Die zweite große Auffälligkeit ist die Bearbeitung von Joh 6,53: Hier fehlt einerseits der Verweis auf das Trinken des Blutes336, andererseits wurde das Essen des Fleisches umgewandelt zum „Empfang des Leibes zum Lebensbrot“ und somit verfremdet, indem das wohl als zu profan empfundene Verb ‚essen‘ auf eine metaphorische Ebene gehoben (‚das ‚Lebensbrot zu empfangen‘) und dadurch herausgehoben wird. Zwar ist die gesamte Lebensbrotrede metaphorisch zu verstehen, dennoch kann damit „keineswegs geleugnet werden, daß da gleichwohl eine Beziehung zum Sakrament der Eucharistie besteht“.337 Die BG-Redaktoren machen einen eigentümlichen Eingriff, indem sie einerseits den „Leib“ als „Lebensbrot“ verbildlichen, andererseits aber die Rede von Blut und der zugehörigen Deutung als Wein tilgen, wie auch das Fehlen von Joh 6,54–57 belegt. Diese Bearbeitungen könnten auch ein Hinweis auf eine Verschiebung im Eucharistieverständnis der Redaktoren sein: Sollte die Bezugnahme auf die Eucharistie zurückgedrängt werden? Die Einfügung der Rede vom „Lebensbrot“ fällt auch bei der Überschrift dieser Passage („Die Botschaft vom Lebensbrot“) sowie der vorangehenden Passage BG 113f., Die Speisung der Fünftausend: Das Zeichen vom Lebensbrot (6,1–5.7–21.22a.23–25) auf. Die BG spricht also vom Lebensbrot, das der geopferte Leib Christi ist, der nun empfangen werden kann. In EÜ/Luther ist nahe am griechischen Text das Brot der (hin-)gegebene Leib Christi und der Wein das Blut Christi, die nun gegessen und getrunken werden können. Festzuhalten ist, dass die BG-Terminologie auch an dieser Stelle einen Teil der Bildwelt des gemeinsamen Mahls herauslöst und Begrifflichkeiten ein335 Vgl. Thyen (2005), 365. Thyen dürften hier an die Verwendung von kultischer Opferterminologie denken, ähnlich Tilborg (2005), 99: „Fleisch und Blut sind Elemente von Opferzeremonien, bei denen normalerweise Blut vergossen und Fleisch gegessen wird. […] Es geht um den Tod Jesu, der hart und derb ist, aber bei den Gemeinschaftsmahlzeiten als lebensspendend erfahren wird; denn Fleisch und Blut Jesu sind zuverlässig. […] Jesus hat sein Leben gegeben für das Leben der Welt, dieses geopferte Leben ist gegenwärtig im Fleisch und Blut“. 336 Vgl. 3.2.7 Der Umgang mit dem Begriff „Blut“ an den fünf ὁ ἀμνός-Stellen im Vergleich mit den Abendmahlstexten und dem Bericht vom „Blutzeugen“ Stephanus. 337 Vgl. Thyen (2005), 370.
325
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
baut, die in die bisherigen Betrachtungen passen, denn auch hier wird Jesu Gabe seines Fleisches als „Opfer“ gedeutet. 3.3.3.5 BG 132–134: Die Bildrede vom rechten Hirten (Joh. 10,22– 26.12.13.17–18.1–5.8.10–11.14–15a.27–34a.37–39), Joh 10,17–18): der Sohn opfert sein Leben/setzt sein Leben aus eigenem Entschluss ein Die Bildrede wurde in der BG in den Kontext der folgenden Passage „Das Streitgespräch beim Tempelweihfest“ (EÜ-Überschrift für Joh 10,22–39) eingetragen; Sprechanlass ist somit in der BG die Frage nach dem „Verheißenen“ (Joh 10,24).338 Nach dem eigentlichen Text ist es ein Monolog Jesu ohne literarisch erkennbare Zuhörerschaft, also unmittelbar an die Leser gerichtet339. Interessant für die Frage nach dem Opferbegriff sind Joh 10,17–18: BG Der Vater liebt mich, weil ich mein Leben einsetze, und ich soll es wieder empfangen.
NA 17 Διὰ τοῦτό με ὁ πατὴρ ἀγαπᾷ ὅτι ἐγὼ τίθημι τὴν ψυχήν μου, ἵνα πάλιν λάβω αὐτήν.
EÜ 17 Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen.
Luther 17 Darum liebt mich mein Vater, daß ich mein Leben lasse, auf daß ich's wiedernehme.
Keiner kann es mir nehmen, sondern ich opfere es aus eigenem Entschluß.
18 οὐδεὶς αἴρει αὐτὴν ἀπ’ ἐμοῦ, ἀλλ’ ἐγὼ τίθημι αὐτὴν ἀπ’ ἐμαυτοῦ.
18 Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin.
18 Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber.
Ich habe Vollmacht, es hinzugeben, und ich habe Vollmacht, es wieder zu nehmen.
ἐξουσίαν ἔχω θεῖναι αὐτήν, καὶ ἐξουσίαν ἔχω πάλιν λαβεῖν αὐτήν·
Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen.
Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen.
Dieses Gebot empfing ich von meinem Vater.
ταύτην τὴν ἐντολὴν ἔλαβον παρὰ τοῦ πατρός μου.
Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.
Solch Gebot habe ich empfangen von meinem Vater.
338
Vgl. die Analyse im Teil zum Messias-Begriff, 2.4.2 (4) BG 129, Die Heilung des Blindgeborenen: Das Zeichen vom Licht der Welt (9,1–34), Joh 9,22 und BG 132, Die Bildrede vom rechten Hirten (10,22–26.12.13.17–18.1–5.8.10–11.14–15a.27–34a.37–39), Joh 10,24f. 339 Vgl. Tilborg (2005), 138.
326
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Hier übersetzt die BG-Redaktion die Verse über die Lebenshingabe Jesu mit einer erstaunlichen sprachlichen Varianz: im Griechischen findet sich zweimal die antithetische Gegenüberstellung von θεῖναι und λαβεῖν (EÜ: hingeben – nehmen, Luther: lassen – nehmen) und einmal die Präzisierung des Hingebens als freie Entscheidung (θεῖναι; kein unfreiwilliges Wegnehmen (αἴρειν)). Auf diese Übersetzungsunebenheiten in der BG lohnt es sich, einen genaueren Blick zu werfen: Obwohl im Griechischen in Joh 10,1–8 dreimal eine Form von τίθημι zu finden ist, übersetzt die BG mit drei verschiedenen deutschen Verben: (1) einsetzen, (2) opfern, (3) hingeben: Joh 10,17
BG einsetzen
NA θεῖναι
EÜ hingeben
Luther lassen
πάλιν λαβεῖν αἴρειν
wieder nehmen entreißen
wiedernehmen
10,18a
wieder empfangen nehmen
θεῖναι ἀπ’ ἐμαυτοῦ
hingeben aus freiem Willen
von mir selbst lassen
10,18b
opfern aus eigenem Entschluss hingeben
θεῖναι
hingeben
lassen
wieder nehmen
πάλιν λαβεῖν
wieder nehmen
wiedernehmen
von mir nehmen
Statt des dreimaligen θεῖναι wählt die BG drei verschiedene Übersetzungsvarianten, die gemeinsam das Verständnis des Todes Jesu in der BG umreißen könnten: Durch diese variatio wird der Eindruck vermieden, dass es sich lediglich um eine Wiederholung der Tatsache handelt, dass Jesus sein Leben hingeben wird (aus der Perspektive des Erzählers Jesus gesehen) bzw. hingegeben hat (aus der Perspektive der Textredaktion gesehen). Stattdessen wird der Einsatz bzw. das Opfer seines Lebens betont – eine bei Weitem aktivistischere und heroischere Akzentuierung des Geschehens im Vergleich zur zwar freiwilligen (Hin-)Gabe, wenn man die bisherigen Befunde zur Verwendung der Begriffe ‚Opfer‘ und ‚Einsatz‘ in der BG beachtet. Der Tod Jesu ist nicht nur die vollmächtige „Hingabe“, sondern sogar der (tätige und heldenhafte) „Einsatz“ seines Lebens, das als „Opfer“ gedeutet wird. Die Deutekategorie des „Opfers“ wird von der BG-Redaktion hier ebenso wie der Gedanke des Lebenseinsatzes340 in den Text eingetragen. Zudem kann man trotz der aktiven Rolle, die Jesus durch den „Einsatz“ seines Lebens zugeschrieben wird, auch einen Akzent auf der Menschlichkeit 340
Vgl.: BG 140: Dem Opfer entkeimt das Leben (12,24b–32.37a), Joh 12,25 (s.u.).
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
327
Jesu vermuten: Er solle sein eingesetztes Leben vom Vater wieder empfangen statt es zu nehmen (λαβεῖν).341 Allerdings ist dann in Joh 10,18b auch in der BG die korrekte Übersetzung mit „nehmen“ gewählt. Einerseits wird also die aktive Tat Jesu, sein Lebenseinsatz bzw. Opfer, betont, andererseits zeigt sich eine gewisse Scheu der Redaktoren davor, Jesus auch eindeutig die Macht über den Verbleib seines Lebens zuzuschreiben. Dies könnte darin begründet liegen, dass Aktivität und Abhängigkeit Jesu zugleich ausgesagt werden sollten: Die Aktivität Jesu, um den Lesern das tätige Christentum, das kämpferisch und opferbereit sein soll, nahezubringen, die Abhängigkeit Jesu vom Vater, um seinen Gehorsam und sein Vertrauen zu ihm zu begründen und eventuell sogar, um das Verhalten Jesu mit dem im nationalsozialistischen Staat geforderten Gehorsam zum Führer zu parallelisieren. So kann die Präsentation vorbildhafter Aktivität Jesu die Intention der Redaktoren zeigen, sowohl eine größere Nähe zum Leser als auch den größtmöglichen Anreiz zur Nachfolge des in der BG präsentierten Jesus herzustellen. Auch die sehr freie Übersetzung von θεῖναι ἀπ’ ἐμαυτοῦ (Joh 10,18a), wörtlich dem Hingeben des Lebens von selbst, mit dem Opfern des Lebens aus eigenem Entschluss dürfte die aktive Entscheidung Jesu zum Lebensopfer noch betonen. 3.3.4 Die gloriose Seite des Opfers: der Weg zu „Sieg“ und „Leben“ 3.3.4.1 BG 62, Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben (Mark. 8,34–37; Matth. 10,32–33; 12,30). „Einsatz“ und „Treue“ werden als „Opfer“ gedeutet Jesus rief das Volk zusammen samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: ‚Will einer mein Jünger sein, der überwinde sein Ich und trage sein Kreuz und folge mir nach! Wer sein Leben für sich erhalten will, verliert es. Wer es aber hingibt, gewinnt es zum ewigen Leben. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und verlöre darüber seine Seele? Was hätte der Mensch dann noch einzusetzen, um seine Seele wieder zu gewinnen? Wer mir die Treue hält vor den Menschen, für den will ich eintreten vor meinem Vater. Wer mir die Treue bricht vor den Menschen, dessen muß ich mich schämen vor meinem Vater. Wer nicht mit mir ist, ist wider mich. Wer nicht mit mir sammelt, zerstreut.‘ (BG 62, Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben (Mark. 8,34–37; Matth. 10,32–33; 12,30))
341 Thyen deutete λαβεῖν hier als Hinweis auf den genuin johanneischen Gedanken, „daß Jesus nicht nur Herr seines Todes, sondern Herr auch seiner Auferstehung ist: Als der vom Vater Beauftragte hat er die Vollmacht, sein in den Tod gegebenen Leben neu zu ergreifen.“ (Thyen (2005), 492). Demzufolge trifft die BG-Übersetzung des zweimaligen λαβεῖν einmal mit dem passiven Empfangen des Lebens durch den Vater, einmal mit dem bevollmächtigten Nehmen des Lebens eine weniger eindeutige Aussage über die Vollmacht Jesu als das Griechische.
328
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Hier ein Vergleich wichtiger Verse: BG
EÜ
Jesus rief das Volk zusammen samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen:
34 Er rief die Volksmenge und seine Jünger zu sich und sagte:
34 Καὶ προσκαλεσάμενος τὸν ὄχλον σὺν τοῖς μαθηταῖς αὐτοῦ εἶπεν αὐτοῖς·
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen:
‚Will einer mein Jünger sein,
Wer mein Jünger sein will,
εἴ τις θέλει ὀπίσω μου ἀκολουθεῖν,
Wer mir will nachfolgen,
der überwinde sein Ich
der verleugne sich selbst,
ἀπαρνησάσθω ἑαυτὸν
der verleugne sich selbst
und trage sein Kreuz und folge mir nach!
nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
καὶ ἀράτω τὸν σταυρὸν αὐτοῦ καὶ ἀκολουθείτω μοι.
und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
Wer sein Leben für sich erhalten will, verliert es.
35 Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren;
35 ὃς γὰρ ἐὰν θέλῃ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ σῶσαι ἀπολέσει αὐτήν·
35 Denn wer sein Leben will behalten, der wirdʼs verlieren;
Wer es aber
wer aber sein Leben
ὃς δ’ ἂν ἀπολέσει τὴν ψυχὴν αὐτοῦ
und wer sein Leben verliert
um meinetwillen und um des Evangeliums willen
ἕνεκεν ἐμοῦ καὶ τοῦ εὐαγγελίου
um meinet- und des Evangeliums willen,
Mk 8,34–37
NA
Luther
hingibt,
verliert,
gewinnt es
wird es retten.
σώσει αὐτήν.
der wird᾽s behalten.
zum ewigen Leben. […]
[…]
[…]
[…]
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
Wer mir die Treue hält vor den Menschen,
Mt 10,32–33 32 Wer sich nun 32 Πᾶς οὖν ὅστις vor den Menὁμολογήσει ἐν schen zu mir ἐμοὶ ἔμπροσθεν bekennt, τῶν ἀνθρώπων,
329
32 wer nun mich bekennet vor den Menschen,
für den will ich eintreten vor meinem Vater.
zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.
ὁμολογήσω κἀγὼ ἐν αὐτῷ ἔμπροσθεν τοῦ πατρός μου τοῦ ἐν [τοῖς] οὐρανοῖς·
den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater.
Wer mir die Treue bricht vor den Menschen,
33 Wer mich aber vor den Menschen verleugnet,
33 ὅστις δ’ ἂν ἀρνήσηταί με ἔμπροσθεν τῶν ἀνθρώπων,
33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen,
dessen muß ich mich schämen vor meinem Vater.
den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.
ἀρνήσομαι κἀγὼ αὐτὸν ἔμπροσθεν τοῦ πατρός μου τοῦ ἐν [τοῖς] οὐρανοῖς.
den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.
Diese Verse sind wichtig für das Verständnis von Nachfolge, wie es sich in der BG findet: Schon in der Überschrift werden „Einsatz, Treue und Opfer“ als der Weg zu „Sieg und Leben“ beschrieben. Mt 10,32–33 könnte dem in der BG-Überschrift angekündigten Begriff der „Treue“ zugeordnet werden: Treue wird hier von der BG definiert als „Treue zu Jesus vor den Menschen“. Die EÜ und auch Luther sprechen davon, sich zu Jesus zu „bekennen“. Die BG wählt einen stärker am militärischen Jargon orientierten Ausdruck, der zudem das griechische Verb ὁμολογεῖν nominalisiert und dadurch die Aussage verstärkt (‚Treue halten‘ und ‚Treue brechen‘ statt ‚bekennen‘ und ‚verleugnen‘). Die Tugend der „Treue“ ist von der BG hier also hervorgehoben. Wohlbekannt war dabei den Redaktoren der häufige Rekurs im NS-Staat auf diese Tugend und die mehrheitliche Verwendung in Bezug auf den ‚Führer‘342, denn Grundmann selber parallelisiert das Treueverhältnis zwischen SS-Männern und ihrem Führer mit dem Verhältnis zwischen Gott und 342
So mussten z.B. alle Kinder beim Eintritt in die Hitlerjugend die „Treueformel“ sprechen: „Ich verspreche, in der Hitler-Jugend allzeit meine Pflicht zu tun in Liebe und Treue zum Führer und unserer Fahne“ und auch das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“, das Treuegelöbnis, das Hitler 88 deutsche Schriftsteller und Dichter schwören ließ (abgedruckt z.B. in: Vossische Zeitung (26.10.1933), 2), fordert die Treue zum Führer ein.
330
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Mensch, nennt den Opfertod Christi einen Beweis für Gottes Treue und schreibt der Treue im „deutschen Artgesetz“ eine herausragende Rolle als „Mark der Ehre“ zu.343 Ebenfalls verbindet Grundmann die „Treue“ an anderer Stelle eng mit dem Gedanken des Lebens als „Kampf“, indem er betont, dass „Treue“ zusammen mit einer „kämpferischen Weltschau“344 zur „Gefolgschaftstreue“ werde.345 Auch an weiteren Stellen in der BG fällt die Einfügung und somit die Betonung des Begriffs der „Treue“ auf, z.B. bei den Überschriften „Treue um Treue“346, „Treu und redlich“347 und in der Bearbeitung von Offb 11,18348: NA
EÜ
[…] Nun lohnst du den Deinen,
BG
[…] καὶ δοῦναι τὸν μισθὸν τοῖς δούλοις σου
[…] die Zeit, deine Knechte zu belohnen, /
[…] und zu geben den Lohn deinen Knechten,
Luther
fehlt
τοῖς προφήταις καὶ τοῖς ἁγίοις καὶ τοῖς φοβουμένοις τὸ ὄνομά σου,
die Propheten und die Heiligen und alle, die deinen Namen fürchten, /
den Propheten, und den Heiligen und denen, die deinen Namen fürchten,
klein und groß,
τοὺς μικροὺς καὶ τοὺς μεγάλους,
die Kleinen und die Großen, /
den Kleinen und Großen,
καὶ διαφθεῖραι τοὺς διαφθείροντας τὴν γῆν.
die Zeit, alle zu verderben, die die Erde verderben.
und zu verderben, die die Erde verderbt haben
Gehorsam, Vertrauen und Treue und stürzt ins Verderben der Erde Verderber.
343
Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 11f. Die „kämpferische Weltschau“ bindet Grundmann einerseits an Luther, der den Gedanken, „daß es sich im Kreuzesgeschehen um einen Entscheidungskampf mit dem satanischdämonischen Aufstand wider Gott handelt“ erfasst habe, wie sich in seinem Osterlied ‚Christ lag in Todesbanden‘ zeige (vgl. Grundmann, Passion (1936), 29), und andererseits an die „kämpferische germanische Weltanschauung“, in der der „Gedanke der germanischen Gefolgschaftstreue“ lebendig sei, „indem sowohl die sich aufopfernde Treue des Gefolgsherrn wie die Untrennbarkeit vom Gefolgsmann da ist“ (ebd. 30). 345 Grundmann, Passion (1936 ), 29. 346 BG 169, Treue um Treue (Hebr. 3,1–2a.12–14; 4,14–16). 347 BG 56, Treu und redlich (Luk.16,10–12; Matth. 25,14–30; Luk. 12,48b), ähnlich auch schon in der BG-Teilausgabe: „Auf die Treue kommt es an“ (Luk. 16,10–12; Matth. 25,14– 30; Luk. 12,48b). 348 BG 215, Lobgesang (Offb. 4,8b.11; 5,9b–10.12; 11,15b.17–18), Offb 11,18. 344
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
331
Hier wurde neben den ebenfalls für die BG-Ausrichtung zentralen Begriffe „Gehorsam“ und „Vertrauen“ auch der Begriff der „Treue“ eingefügt als eine belohnungswürdige Charakterhaltung. Aus diesen Beispielen wird deutlich, dass die BG-Redaktion einerseits um die Bedeutung des Begriffs in der zeitgenössischen profanen Verwendung wusste und ihn andererseits über den biblischen Text hinaus verwendete. Unter „Einsatz“ könnte die BG-Redaktion Mk 8,34 verstanden haben, den Vers der Passage, in dem die Nachfolge der Jünger beschrieben wird. Die EÜ nennt als Voraussetzungen für die Nachfolge, sich selbst zu „verleugnen“ (ἀπαρνησάσθω ἑαυτὸν) und sein Kreuz „auf sich zu nehmen“ (ἀράτω τὸν σταυρὸν αὐτοῦ), während die BG davon spricht, dass es nötig sei, das eigene Ich zu „überwinden“ und sein Kreuz „zu tragen“. Auch wenn es sich hier um kleinere Übersetzungsunterschiede handelt, ist es dennoch signifikant, dass die BG ohne Rücksicht auf ihre Textvorlage, die Lutherbibel von 1912, so übersetzt. Die „Überwindung des eigenen Ich“, wie der Jesus der BG fordert, klingt nach einem Anspruch an einen starken, geradezu heroischen Menschen, dem es dann mühelos zu gelingen scheint, sein Kreuz zu tragen. Dementgegen weist die „Selbstverleugnung“ stärker in die Richtung eines nicht immer einfachen Prozesses, dem das Auf-sich-Nehmen des Kreuzes entspricht. Von der Grundorientierung der beiden Verdeutschungen her lässt sich also sagen, dass die BG den Prozess der Nachfolge zwar nicht vereinfacht, aber doch glanzvoller darstellt, als das die EÜ und Luther mit dem griechischen Text tun. Unterstrichen wird diese Beobachtung durch die Beschreibung des „Opfers“, das allerdings hier nur in der Überschrift, nicht aber im Text so genannt wird: Die BG schreibt davon, dass das Leben hingegeben werden solle, um das ewige Leben zu gewinnen, die EÜ spricht im Gegensatz dazu davon, dass das Leben um Jesu und des Evangeliums Willen verloren gehen (ἀπόλλυμι) könne, und dadurch gerettet werde. Hier zeigt das von der BG-Redaktion intendierte Opferverständnis sehr deutlich: Die Rede vom „Hingeben“ erfolgt ohne den Verweis auf die biblisch unbedingt notwendige Bindung an Jesus und das Evangelium, ohne die freilich im christlichen Verständnis jede Hingabe ihren Sinn verliert. Der freiwillige Tod wird in der BG positiv dargestellt, während die biblische Rede vom „Verlieren“ im Blick hat, dass der Mensch an seinem Leben im Diesseits hängt. Dies wird dann durch das Versprechen der „Rettung“ des Lebens aufgefangen. Im Markusevangelium werden eigentlich nicht bloß irdisches und ewiges Leben einander gegenübergestellt, sondern vielmehr bringt das Markusevangelium das „Paradox“ zum Ausdruck, dass das eigentliche, dauernde
332
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Leben aus dem Vergänglichen, bzw. genauer gesagt aus dessen Preisgabe, entsteht.349 Die BG scheint dagegen einerseits Lebensverlust durch die Bezeichnung als „Hingabe“ positiver darstellen zu wollen, andererseits eine klare Trennung zwischen irdischem und ewigem Leben vollziehen zu wollen mit dem Versprechen des „Gewinns des ewigen Lebens“ – eine Einfügung, die der Text an dieser Stelle nicht zulässt.350 Ohne, dass das Wort ‚Opfer‘ im Text verwendet wird, wird der Leser durch die Überschrift „Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben“ bereits vorgeprägt: Selbstverleugnung, Kreuz, Nachfolge und schließlich die Hingabe des Lebens werden bereits im Horizont des Begriffes „Opfer“ gelesen und gedeutet. Dies alles ist in der BG unbedingt notwendig, um das Leben zu gewinnen – und damit den ‚Sieg‘. Beide Begriffe, ‚Opfer‘ und ‚Sieg‘, finden sich zwar ausschließlich in der Überschrift, beeinflussen aber gerade durch diese exponierte Stellung das Textverständnis des Lesers. Die Kombination des Opferbegriffes mit dem Versprechen von „Sieg und Leben“ und die Hinzufügung vom Gewinn des Lebens „zum ewigen Leben“ deutet ebenso wie der gedankliche Bogen zu den folgenden Kapitelüberschriften der Evangelienharmonie („Sein Kampf“ (BG 63–73), „Sein Kreuz“ (BG 74–93) und „Sein Sieg“ (BG 94–95)) auf eine Glorifizierung der ‚Lebenshingabe‘, also des von der BG definierten ‚Märtyrertum‘ hin. So wie Jesus in seinem ‚Kampf‘ siegte, sollen auch die Deutschen in seiner ‚Nachfolge‘ (wenn sie das Kreuz tragen) kämpfen und siegen. Der Weg zu einer gedanklichen Identifizierung der Nachfolge Christi mit dem Einsatz für den NS-Staat ist für den Leser hier nicht mehr weit. Sogar Grundmann selber parallelisiert das Treueverhältnis zwischen SS-Männern und ihrem Führer mit dem zwischen den Menschen und Gott und nennt den Opfertod Christi einen Beweis für Gottes Treue, allerdings stets beschränkt auf die ‚deutschen Menschen‘, und schreibt der Treue im ‚deutschen Artgesetz‘ eine herausragende Rolle als ‚Mark der Ehre‘ zu: „Was deutsches Christentum ist, wird deutlich, wenn wir uns einen Augenblick auf das deutsche Artgesetz besinnen. Es hat seinen vielleicht kürzesten und treffendsten Ausdruck bekommen in dem Wahlspruch Hindenburgs: ‚Die Treue ist das Mark der Ehre.‘ Wir wissen, daß das Schwarze Korps des Führers den Wahlspruch hatte: ‚SS.-Mann, deine Ehre heißt Treue.‘ […]Ihre Ausprägung hat diese deutsche Treue im Gefolgschaftsgedanken zwischen Führer und Gefolgschaft gefunden, der heute politisches Prinzip geworden ist. […] Auch das Gottesverhältnis ist dem germanisch-deutschen Menschen ein Verhältnis der Treue. Er kennt keine größere Sünde und Schuld als die Meintat, die in der Untreue be349
Vgl. Gnilka (2010), 24. Der Psyche-Begriff sprengt an dieser Stelle die Grenzen des irdischen Lebens (ebd. 25). 350 Die Eschatologie in der BG wäre ebenfalls ein spannendes Forschungsfeld – hier scheinen die Redaktoren ähnlich viele Texteingriffe vorgenommen zu haben wie in der Christologie.
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
333
steht. […] Deutschen Menschen kündet der Christus die Treue Gottes, die er selbst in seinem Opfertod darstellt und bewährt, […].“351
Diese Hervorhebung der Treue, die zum Opfer führt, die bei der Betrachtung der BG-Texte ins Auge fällt, scheint somit ganz deutlich im Rahmen der Herausgeberintentionen gelegen zu haben. 3.3.4.2 BG 140f., Dem Opfer entkeimt das Leben (Joh. 12,24b–32.37a), Joh 12,24b–28). Lebenseinsatz ist Opfer Fällt das Weizenkorn nicht in die Erde und erstirbt, so bleibt es für sich allein. Erstirbt es aber, so trägt es reiche Frucht. Wer sein Leben für sich erhalten will, verliert es. Wer aber sein Leben in dieser Welt einsetzt, gewinnt ewiges Leben. Will einer in meinen Dienst treten, der folge mir, und wo ich bin, dort soll auch mein Gefolgsmann sein, und mein Vater wird ihn ehren. Jetzt erbebt meine Seele. Soll ich sagen: Vater, hilf mir aus dieser Stunde? Doch dazu bin ich in dieser Stunde gekommen: Vater, bringe deinen Sohn zu Ehren!‘ (BG 140f., Dem Opfer entkeimt das Leben (Joh 12,24b–32.37a352), Joh 12,24b–28).
Vor allem Joh 12,25 ist für die Frage nach dem Opferverständnis der BG interessant, außerdem sollen Joh 12,26.28 in den Vergleich einbezogen werden, weil sie die Einbettung des Opferthemas in die Gestaltung der BG verdeutlichen können:
351
Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 11f. BG und Luther ordnen den Versteil unter Joh 12,37a ein, EÜ mit NA bereits zu Joh 12,36b. 352
334
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
BG Wer sein Leben für sich erhalten will, verliert es. Wer aber sein Leben in dieser Welt einsetzt, gewinnt ewiges Leben.
NA 25 ὁ φιλῶν τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἀπολλύει αὐτήν, καὶ ὁ μισῶν τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἐν τῷ κόσμῳ τούτῳ εἰς ζωὴν αἰώνιον φυλάξει αὐτήν.
EÜ 25 Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.
Luther 25 Wer sein Leben liebhat, der wirdʼs verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wirdʼs erhalten zum ewigen Leben.
Will einer in meinen Dienst treten, der folge mir, und wo ich bin, dort soll auch mein Gefolgsmann sein, und mein Vater wird ihn ehren. […]
26 ἐὰν ἐμοί τις διακονῇ, ἐμοὶ ἀκολουθείτω, καὶ ὅπου εἰμὶ ἐγὼ ἐκεῖ καὶ ὁ διάκονος ὁ ἐμὸς ἔσται· ἐάν τις ἐμοὶ διακονῇ τιμήσει αὐτὸν ὁ πατήρ. […]
26 Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren. […]
26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren. […]
Vater, bringe deinen Sohn zu Ehren!‘ Da kam eine Stimme vom Himmel herab: ‚Ich habe ihn zu Ehren gebracht und will es aufs neue tun.‘
28 πάτερ, δόξασόν σου τὸ ὄνομα. ἦλθεν οὖν φωνὴ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ· καὶ ἐδόξασα καὶ πάλιν δοξάσω
28 Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen.
28 Vater verkläre deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn verklärt und will ihn abermals verklären.
Auch hier findet sich der Begriff „Opfer“ wieder nur in der Überschrift, die von den Herausgebern gesetzt wurde. Daher lohnt es sich, im Text nach den redaktionellen Eingriffen zu forschen, die mit dieser Titelwahl in Verbindung stehen. In Joh 12,25 wird erneut eine Fokussierung und somit die Vereinnahmung der Worte über das Leben in der Nachfolge Christi hin zum Selbstopfer vorgenommen. Sicherlich ist eine Deutung Richtung Märtyrertum möglich und sinnvoll, aber die Übersetzung als Lebens-„Einsatz“, der dann zum „Gewinn“ des ewigen Lebens führt, ist doch eine stark tendenziöse Vereinfachung des Textes und gerade durch die Verbindung des Begriffs „Opfer“ in der Überschrift, der die Lesererwartung prägt, mit den Begriffen „Sieg“ („gewinnen“) und „Leben“ sehr einseitig ausgelegt. Im griechischen Text ist in Joh 12,25 aber nicht jemand, der sein Leben „für sich erhalten will“, beschrieben, und dem die BG durch die Hinzufügung „für sich“ egoistische
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
335
Motive unterstellt werden, sondern ein „φιλῶν τὴν ψυχὴν αὐτοῦ“: der, der sein Leben lieb hat. In Antithese dazu steht der „μισῶν τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἐν τῷ κόσμῳ“, der, der sein Leben hasst, allerdings ergänzt durch den Zusatz: sein Leben in dieser Welt. Die EÜ übersetzt Joh 12,25 nicht so wörtlich, wie Luther es tut (‚liebhaben‘ und ‚hassen‘), aber sinngemäß mit dem verbalen Kontrastpaar ‚daran hängen‘ und ‚gering achten‘.353 Die BG legt beiden Verben neuen Sinngehalt bei, wenn sie einerseits die menschlich zunächst durchaus natürliche Liebe zum Leben abwertet, indem sie sogleich egoistische Motive unterstellt („für sich“), anderseits aber statt von der Geringachtung oder wörtlich dem Hassen des irdischen Lebens vom „Einsetzen“ dieses Lebens spricht. Aus der Aufforderung Jesu, ihm zu dienen (Joh 12,26) und sogar das eigene irdische Leben geringer zu schätzen als eben dieses Bestreben, Christus nachzufolgen, macht die BG damit die direkte Aufforderung, das eigene Leben „einzusetzen“. Jesu Versprechen des ewigen Lebens wird so in der BG an den „Einsatz“ des Lebens gekoppelt, also an ein Märtyrertum, sodass der ideale Nachfolger Christi im folgenden Vers dann auch schwerlich als „Diener“ (EÜ/Luther, gr. ὁ διάκονος) beschrieben werden kann, sondern mit dem militärisch gefärbten „Gefolgsmann“354 von den BG-Redaktoren wiedergegeben wird. Wieder kann also eine Verstärkung der Aussage in die Richtung eines tatsächlichen „Einsatzes“ des Lebens festgestellt werden anstelle der differenzierteren biblischen Aussage, die von der grundsätzlichen Haltung spricht, das irdische Leben „gering zu achten“ in Relation zum verheißenen ewigen Leben. Joh 12,25f. sind somit „nicht nur Auslegung der ihnen vorausgehenden Metapher vom Weizenkorn, die Jesu Tod und Begräbnis als die notwendige Bedingung dafür benannte, daß er nicht allein bleiben muß, sondern reiche Frucht bringen wird“; vielmehr kann davon gesprochen werden, dass „nun auch der implizite Leser in diese Notwendigkeit des ‚Sterbens‘ miteinbezogen wird: Nachfolge Jesu als Weg in das ewige Leben schließt die Liebe des eigenen Lebens im Sinne eines Trachten nach eigenen Interessen, die das Ansehen unter den Menschen über das vor Gott stellen, aus.355 Ein „Diener“ Christi steht demnach aber nach biblischem Zeugnis nicht zuerst in der Pflicht oder Aufforderung, sein Leben „einzusetzen“, sondern zunächst im Dienste Christi: „Im Leben oder Tod, in Niedrigkeit und Angst 353 Thyen hält ‚hintansetzen‘ oder dem höheren Gut gegenüber ‚geringachten‘ für die bessere Übersetzung im Vergleich zum „emotional gefärbten“ Hassen. Angelehnt ist die Übersetzung an das hebräische ( שנאvgl. Dtn 21,15; Gen 29,31 ff) (vgl. Thyen (2005), 560). 354 Ähnliche Terminologie auch in BG 103, Erste Gefolgschaft: Durch Glauben zum Schauen (1,35–51) und BG 154f., Der Zeuge des Gottesreiches vor dem Vertreter des Römischen Reiches (18,28–31.33–19,16a), Joh 18,36: οἱ ὑπηρέται wird mit „Gefährten“ übersetzt. 355 Vgl. Thyen (2005), 560.
336
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
oder in Herrlichkeit“356. Dass damit ein christliches Martyrium biblisch nicht ausgeschlossen ist, steht außer Frage, von Wichtigkeit ist aber die Prioritätensetzung des biblischen Textes: In der Dienerschaft Christi kann das eigene irdische Leben nicht mehr den absoluten Stellenwert haben, es wird „gering geachtet“, ja „gehasst“, denn es ist ja das ewige Leben verheißen, zu dem das irdische Leben eben durch diese Prioritätenverschiebung bewahrt wird. Es geht nicht darum, dass ein „Gefolgsmann“ sein Leben heroisch „einsetzt“, um dadurch das ewige Leben zu „gewinnen“ (BG), vielmehr ist nach den Prioritäten des eigentlichen biblischen Textes (1. Nachfolge, 2. eigenes Leben) das eigene irdische Leben bereits für das ewige Leben bewahrt. Die BG dagegen verstärkt die in den Text eingetragene Deutung eines unbedingten Lebenseinsatzes noch zusätzlich durch die Tempuswahl beim „Gewinn“ für diesen „Einsatz“: BG
EÜ
Wer sein Leben für sich erhalten will, verliert es. Wer aber sein Leben in dieser Welt einsetzt,
Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet,
gewinnt ewiges Leben.
wird es bewahren (φυλάξει) bis ins ewige Leben.
In Joh 12,25 stellt die BG im Präsens, also mit größtmöglicher sprachlicher Unmittelbarkeit, den Gewinn des ewigen Lebens gleichsam als Lohn für den „Einsatz“ in Aussicht, die EÜ hält sich mit der Wahl des Futurs an den griechischen Text, der hier nach den Präsensformen in Joh 12,2–5a erstmals in die Zukunft blickt und somit Joh 12,25 den Charakter einer Verheißung verleiht:357 Eine Fortsetzung des diesseitigen Lebens ins ewige Leben hinein wird verheißen, die Spannung zwischen „schon jetzt“ und „noch nicht“ wird dabei aufrechterhalten. Durch das Futur erscheint dieses „Bewahren“ des Lebens zwar als innere Notwendigkeit aus der Geringachtung des Lebens in dieser Welt, nicht aber als „Gewinn“, auf den gleichsam ein Anspruch bestünde. Auch den Begriff „Einsatz“ lohnt es sich, noch etwas näher anzusehen: Er wird von der BG auffallend häufig (vgl. z.B. BG 62, Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben (Mark. 8,34–37; Matth. 10,32–33; 12,30) (vgl. oben) oder BG 133, Die Bildrede vom rechten Hirten (Joh. 10,22– 356
Thyen (2005), 561. Vgl. Theobald (2002), 99. Joh 12,25 gewinnt durch den Versteil b den Charakter einer Verheißung, deren Gültigkeit in der Autorität ihres Sprechers begründet ist, der ewiges Leben zusagt. (ebd. 100). Bei Theobald findet sich auch ein detaillierter Vergleich von Joh 12,25f. mit den synoptischen Parallelen (ebd. 97–126). 357
337
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
26.12.13.17–18.1–5.8.10–11.14–15a.27–34a.37–39), Joh 10,17: „ Der Vater liebt mich, weil ich mein Leben einsetze, und ich soll es wieder empfangen.“ (vgl. oben)) verwendet. In Untersuchungen zum NS-Sprachstil stellte Christian Braun fest, dass es ein typisches Phänomen im Nationalsozialismus war, dass Ausdrücke aus dem technischen oder militärischen Bereich in praktisch alle anderen Bereiche übertragen wurden.358 Er verweist außerdem darauf, dass beim Ausdruck „Einsatz“ (als Beispiele werden „Arbeitseinsatz“ und „Kriegseinsatz“ genannt) im nationalsozialistischen Gebrauch die „Sachorientierung“ (also eine primär sach- bzw. tätigkeitsbezogene Perspektive) im Vordergrund steht „die, auf Personen bezogen, auch eine euphemistische Funktion erfüllen kann.“359 Neben dieser Deutung des „Opfers“ als „Lebenseinsatz“ wurde bereits die stark zeitgeschichtlich geprägte Übersetzung von ὁ διάκονος mit „Gefolgsmann“ konstatiert. Dieser steht in Kombination mit ‚der folge mir‘ statt ‚folge mir nach‘ (EÜ/Luther) für ἐμοὶ ἀκολουθείτω (Joh 12,26). Der griechische Text kann beide Übersetzungen stützen, doch ‚folgen‘ scheint noch mehr den Gehorsamsaspekt in den Blick zu nehmen, gerade wenn der, der ‚folgt‘ als Gefolgsmann bezeichnet wird. Zudem wird durch die Tempuswahl der BG der Appellcharakter des „Folgens“ gestützt. Das griechische Futur ἔσται wird von den Redaktoren mit einem Jussiv übersetzt: BG
EÜ
Will einer in meinen Dienst treten, der folge mir, und wo ich bin,
Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach (ἐμοὶ ἀκολουθείτω); und wo ich bin,
dort soll auch mein Gefolgsmann sein,
dort wird auch mein Diener sein (ἔσται).
und mein Vater wird ihn ehren.
Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.
Auch hier ist eigentlich ein eschatologischer Lohn für die Nachfolge bezeichnet, der auf einer Ebene mit dem Zustand des ewigen Lebens (ebenfalls im Futur) im Kontrast zur Welt in Joh 12,25 steht.360 Diese Beobachtungen zeigen, dass die Bearbeiter vor allem in Joh 12,25f. auf stark zeitgeschichtlich geprägtes Vokabular zurückgriffen, das den Aspekt des Gehorsams in der Nachfolge hervorhebt und zugleich die Aufforderung zum „Folgen“ verstärkt. Das „Folgen“ scheint eine Betonung von „Nachfolgen“ zu sein, eventuell in Anlehnung an nationalsozialistische Terminologie: Auch dem Führer „folgt“ 358
Vgl. Braun, C. (2007), 247. Braun, C. (2007), 247. 360 Vgl. hierzu Frey (2000), 269. 359
338
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
man. Die Verwendung der Bezeichnung „Gefolgsmann“ wird auch von Grundmann selbst mit der militärischen, treuen Gefolgschaft verbunden, indem er das Treueverhältnis zwischen Gott und Mensch wird mit dem Verhältnis zwischen Hauptmann und Gefolgsmann vergleicht: „Die stellvertretende361 Kraft dieses Opfers aber besteht darin, daß er uns nun gewissermaßen sagt: Was du in Schuld und Schicksal und Tod dich Bedrückendes erlebst, das laß meine Sorge sein, ich mache es für dich mit dem Vater aus! Ich bringe dich zum Vater! So wird uns dieses Christusopfer zum letzten Zeichen der Treue Gottes, die uns nicht läßt, und unser Glaube wird zur Treue des Gefolgsmannes, der dem Hauptmann folgt und zum Ziele durchdringt. Damit sind wir aber über alle Grenzen unseres Lebens hinausgehoben und empfangen aus dem Glauben Frieden, Freude, Kraft des Lebens.“362
Die Rede von „Gefolgsmann“ und „Gefolgschaft“ in der BG ist dementsprechend keineswegs zufällig gewählt worden und findet sich in mehreren Textbearbeitungen.363
361
Auch der Gedanke der Stellvertretung scheint sich in der BG dem Gedanken der militärisch gedachten Gefolgschaft untergeordnet zu sein. Hier wären weitere Nachforschungen sicher lohnend. Auffälligkeiten stellte bereits Hoffmann in deutsch-christliche Gesangbücher fest: „Vom Werk Christi ist also zu sagen, daß der Gedanke des stellvertretenden Leidens möglichst getilgt oder doch wenigstens abgeschwächt oder verallgemeinert wird“ (Hoffmann (1968), 87. 362 Grundmann, Predigt zum Morgengottesdienst (1934), 45f. Ähnlich 1936: „Deutschen Menschen kündet der Christus die Treue Gottes, die er selbst in seinem Opfertod darstellt und bewährt, wird ihr Gefolgsherr, dem sie als Gefolgsmannen in Kampf und Arbeit des Lebens folgen. Er führt sie nicht aus ihrem Volk und aus der Welt heraus, sondern in ihr Volk und in die Welt zu verantwortungsbewußter Arbeit hinein (Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 11f.). „Hier zeige sich auch das „deutsche Artgesetz, das deutsches Leben als Gemeinschaftsleben untereinander und als Gottesgemeinschaft bestimmt, und das personalistisch gestaltet ist, zum Ausdruck: es besteht in der Treue, die zusammen mit der kämpferischen Weltschau zur Gefolgschaftstreue wird.“ (Grundmann, Passion (1936), 29), „Der Gedanke der germanischen Gefolgschaftstreue ist lebendig, indem sowohl die sich aufopfernde Treue des Gefolgsherrn wie die Untrennbarkeit vom Gefolgsmann da ist. […] Das Ganze ist von der kämpferischen germanischen Weltanschauung gesehen.“ (ebd. 30). 363 Vgl. BG 8, Erste Gefolgschaft (Mark 1,16–20), BG 51–62, Seine Gefolgschaft, BG 102f., Erste Gefolgschaft: Durch Glauben zum Schauen (1,35–51), BG 199, In der Gefolgschaft des Todbezwingers (2. Tim. 2,8a.11b-12a.13).
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
339
3.3.4.3 BG 276, Bereitschaft zum Tod (2. Tim. 4,6–8). Auch Paulus wird „hingeopfert“ (2 Tim 4,6) BG Ich werde jetzt hingeopfert, und die Zeit meines Heimgangs ist da.
NA 6 Ἐγὼ γὰρ ἤδη σπένδομαι364, καὶ ὁ καιρὸς τῆς ἀναλύσεώς μου ἐφέστηκεν.
EÜ 6 Denn ich werde nunmehr geopfert, und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe.
Luther 6 Denn ich werde schon geopfert, und die Zeit meines Abscheidens ist vorhanden
Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe meinen Erdenlauf vollendet. Ich habe Glauben gehalten.
7 τὸν καλὸν ἀγῶνα ἠγώνισμαι, τὸν δρόμον τετέλεκα, τὴν πίστιν τετήρηκα·
7 Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten.
7 Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten;
Nun reicht mir Gott, der gerechte Richter an seinem ewigen Tag den Siegespreis,
8 λοιπὸν ἀπόκειταί μοι ὁ τῆς δικαιοσύνης στέφανος, ὃν ἀποδώσει μοι ὁ κύριος ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ, ὁ δίκαιος κριτής,
[…]
[…]
8 Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, […]
8 hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der HERR an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird, […]
Hier ist einerseits die Textauswahl von nur drei Versen (2 Tim 4,6–8), andererseits die Überschrift „Bereitschaft zum Tod“ entscheidend, um zu erkennen, dass auch hier der Begriff des Opfers auf den Tod hin zugespitzt wird. Durch einen verbindenden Zwischentext, das Spezifikum des 4. Teils der BG, der 2 Tim 4,6–8 mit der vorangegangenen Passage ‚Ankunft in Italien und Rom‘ (Apg. 28,13–16ac.30–31) (BG 275), in der Paulus als Gefangener nach Rom kommt, verknüpft, wird dieser Eindruck noch verstärkt, denn die Redaktoren fügen hier ein: Paulus ist vielleicht noch einmal freigekommen. Später ist er jedoch in Rom den Märtyrertod gestorben. (BG 276) 364
σπένδομαι: geopfert werden, sein Blut als Trankopfer vergießen (Bauer/Aland, 1521).
340
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Eben nach diesem von den Redaktoren gesetzten Verweis auf den Märtyrertod des Paulus, der historisch allerdings nicht gesichert ist,365 wird die Stelle 2 Tim 4,6–8 aufgenommen, die nicht nur direkt mit dem „Hingeopfertwerden“ des Paulus einsetzt, sondern auch, ähnlich wie im ersten Teil der BG366, einen erneuten Hinweis auf die siegreiche und gloriose Komponente eines derartigen „Kampfes“ und „Opfers“ gibt, indem „Siegespreis“ statt „Kranz bzw. Krone der Gerechtigkeit“ übersetzt wird. Die BG-Variante unterschlägt hier eine wichtige Komponente: Der gute Kampf wird ja durch den Erhalt der Krone der Gerechtigkeit im Text näher bestimmt als einen gerechter Kampf.367 Obwohl sich „Kampf“ und „Hingeopfertwerden“ auch im Griechischen finden368 lässt sich somit eine Bearbeitungstendenz ausmachen, die in Kombination mit den bereits analysierten Stellen ebenfalls auf ein auf den Tod konzentriertes Opferverständnis hinweist. Auch bleibt die inhaltliche Füllung des im Griechischen im Sinne eines Wettkampfes/Wettlaufes gebrauchten Begriffs unterbestimmt, einerseits durch den fehlenden Verweis auf die Gerechtigkeit, die durch den Preis belohnt wird, andererseits dadurch, dass die Metapher vom Leben als Wettkampf, der ein Wettlauf ist,369 undeutlicher wird durch das zweimalige Einsetzen („ich habe […], ich habe“) und die Rede vom „Erdenlauf“ in der BG. Interessant ist die BG-Übersetzung von 2 Tim 4,8: Aus den beiden Verben (ἀπόκειται; ἀποδώσει) wählt die BG nur das zweite, übersetzt hier aber anstelle des Futurs das Präsens, das eine im Griechischen nicht ausgesagte Unmittelbarkeit herstellt: „Nun reicht mir Gott 365
Über die letzten Jahre des Paulus wird aktuell diskutiert, vgl. die Sichtung literarischer Zeugnisse im Tagungsband Heid (2011) und die Diskussionen auch über eine mögliche Spanienreise im WUNT-Band „The Last Years of Paul“ (Puig i Tàrrech/Barclay/Frey (2015)). 366 Vgl. Überschrift „Sein Sieg“ für die Erzählungen über die Auferstehung im ersten Teil der BG. BG 94–95, „Sein Sieg“. Darunter die Passagen: BG 94f., Die Jünger bezeugen den Auferstandenen (Joh. 21,1–4.7–9.12–13) und BG95, Die Gemeinde bezeugt ihre Sendung und glaubt an den Ewig-Gegenwärtigen (Joh. 21,15–17; Matth. 28,16–20). 367 Die (sprachliche) Verbindung von Kampf und Gerechtigkeit scheint für die BG auch an anderen Stellen problematisch gewesen zu sein, vgl. die BG-Bearbeitung von 2 Kor 6,7: ‚Wir bewähren uns mit Lauterkeit und Einsicht, Großmut und Güte, mit heiligem Geist und ungeheuchelter Liebe, mit der Botschaft der Wahrheit und der Kraft Gottes, ausgerüstet mit dem Schild und Schwert Gottes.‘ (BG 177, Diener der Ewigkeit mitten im Sturme der Zeit (2. Kor. 6,1–10), 2 Kor 6,6–7), im Vergleich: ‚[…] 6 durch lautere Gesinnung, durch Erkenntnis, durch Langmut, durch Güte, durch den Heiligen Geist, durch ungeheuchelte Liebe, 7 durch das Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und in der Linken (διὰ τῶν ὅπλων τῆς δικαιοσύνης τῶν δεξιῶν καὶ ἀριστερῶν)‘ (EÜ/~ Luther, 2 Kor 6,6–7). 368 Vor allem der „kultisch geprägte Terminus ‚hinopfern‘ verleiht dem rhetorisch ausgestalteten Absatz Feierlichkeit (vgl. Brox (1989), 265). 369 Ebenso 2 Tim 2,5: Hier wird der ‚Lauf‘ vom Gemeindeleiter gefordert (vgl. Brox (1989), 266).
3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs
341
[…] den Siegespreis“ (BG) statt „Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit (ἀπόκειταί) den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird (ἀποδώσει)“. Die BG wählt sich hier eine Passage zur Bearbeitung aus, die nicht dem paulinischen ‚Sich-Rühmen‘ seiner Schwachheit entspricht. Stattdessen ist Paulus hier „der siegreiche Kämpfer, der glorreiche Held, was nach den sicher echten Paulusbriefen schwerlich als Selbstbildnis denkbar ist“.370 Mit den genannten Eingriffen in den Text scheint diese Stelle sich also gut in die Bearbeitungsintentionen einzupassen. Ähnlich wird in der BG-Bearbeitung von Joh 12,25371 vorgegangen. Die Betonung des „Siegespreises“ bzw. „Gewinns“ für „Einsatz“, „Kampf“ und „Opfer“ schien den Redaktoren also zentral gewesen zu sein. Festhalten lässt sich an dieser Stelle, dass eigentlich erstaunlich wenige Bearbeitungen zu finden sind, das diese durch die enge Eingrenzung und somit die Entkontextualisierung der Stelle wohl nicht mehr nötig war: Vor allem durch die Überschrift „Bereitschaft zum Tod“ wird der Tod des Petrus als Märtyrertod dargestellt, der durch die betonte Garantie eines „Siegespreises“ positivistisch gedeutet wird und an dieser Stelle sogar von der Bindung an die „Gerechtigkeit“ gelöst wird. Die exponierte Stellung als letzter Abschnitt des 4. Teils der BG und somit als Abschluss der gesamten BG lässt vermuten, dass die Redaktoren hier nochmals einige der ihnen wichtigen Themen zu Wort kommen lassen wollten. Die Bedeutung der Schlussverse wurde bereits für die letzten Verse der Offenbarung als „Schlussstein der Bibel Alten und Neuen Testaments“ festgestellt:372 Gegen Ende eines jeden biblischen Buchs bzw. noch mehr am Ende der ganzen Bibel werde der Lesefluss langsamer, führe zu gesteigerter Aufmerksamkeit und dadurch werde der Schluss „in einem anderen Licht gesehen als irgendeine Zeile oder ein Abschnitt mitten im Werk.“ Außerdem fordere der Schluss eines Textes einen je größeren Kontext ein und prägt umgekehrt diesen größeren Kontext, indem er die Wahrnehmung auf eine Rekapitulation des Ganzen lenke. Die Bereitschaft sei also groß, im jeweiligen Ende hermeneutische Wegweiser für die Wahrnehmung des größeren Ganzen zu su-
370
Brox (1989), 266. Zum Sich-Rühmen für seine Schwäche vgl. 2 Kor 11,30; 12,4f.9f., zum Selbstbild vgl. Phil 3,12ff. Brox spricht von einer „Stilisierung“ des Paulusbildes, das vor allem das Interesse der „Nachahmbarkeit des Apostels“ verfolgte (ebd. 267). 371 ‚Wer aber sein Leben in dieser Welt einsetzt, gewinnt ewiges Leben‘ (BG, Joh 12,25) statt ‚wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren (φυλάξει) bis ins ewige Leben‘ (EÜ, Joh 12,25), vgl. oben. 372 Vgl. den Titel ‚Die Worte der Prophetie dieses Buches‘. Offenbarung 22,6–21 als Schlussstein der christlichen Bibel Alten und Neuen Testaments gelesen (Hieke/Nicklas (2003)).
342
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
chen.373 Die Schlussverse der Offenbarung durch die literarische Klammer „Baum des Lebens“ (Gen 2,9 und Offb 22,19) lassen sich als „Abrundung einer christlichen Kanonausprägung von Genesis bis Offenbarung“ lesen, die durch den Gebetsruf „Amen. Komm, Herr Jesus“ (Offb 22,20) und den Gnadenwunsch für alle (Offb 22,21) einen sehr gut geeigneten Schlusspunkt bilde.374 Beim „Schlussstein“ laufen die Linien zusammen und die Botschaft bündelt sich.375 An dieser exponierten Stelle am Ende ihrer Bibel wählt die BG-Redaktion dagegen einen ganz anderen Schlusspunkt, der den bisher festgestellten Zusammenhang zwischen Tod, Opfer und (Lebens-)Einsatz noch einmal bestätigt.
3.4 Der neue Opferbegriff: Die Übertragung des Opferbegriffs auf die Schlachtfelder 3.4 Der neue Opferbegriff
Das Opfer in der BG wird also nicht kultisch verstanden. Jegliche Nähe Christi oder auch nur seiner Familie zum Kultgeschehen rund um den Tempel ist in den Evangelien vermieden, auch „kultische“ christologische Titel fehlen. Stattdessen wird der Tod Jesu als tapferes Opfer und Lebensspende beschrieben und auch seine Nachfolger bringen ein „Opfer“376. Ebenso sagen es die Autoren selber, dass die Auferweckung des Lazarus zeige, „daß die Lebensspende dem Lebensspender den Tod bringt und sein Tod zur Lebensspende an die Welt wird.“377 Hier wird deutlich, wie die BG-Redaktion die Begrifflichkeiten in ihrem Sinne füllt. Am Opferbegriff konnte und wollte sie wegen seiner großen Bedeutung im Dritten Reich wohl nicht vorbeigehen. Aus der Vermeidung der (kultischen) Opferterminologie wird somit eine erneute Einführung des Opferbegriffs ohne kultische Implikationen. Vermuten lässt sich zudem, dass der Begriff dadurch ganz in die Nähe des im Kontext nationalsozialistischer Ideen begegnenden Verständnisses von „Opfer“ gerückt wird, schließlich lässt sich die Hochschätzung des Opfertodes als eine der „Eigentümlichkeiten des Nationalsozialismus“378 bezeichnen, aus der der 373
Vgl. Hieke (2013), 227f. Vgl. Hieke (2013), 249. 375 Vgl. Hieke/Nicklas (2003), 112. Die Linien werden ebd. v.a. 84–90 genauer aufgezeigt. 376 3.3.3.2 BG 209, Das Hohelied der Liebe (1. Kor. 13,1–14,1a), 1 Kor 13,3: Ein dramatisches „Opfer“ in den Flammen als ideale Christusnachfolge? 377 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 124. 378 Ackermann (1990), 175. Tatsächlich bediente sich das nationalsozialistische Regime während des Krieges einer pathetischen Sprache, um das Opfer der Jugend in Kategorien des Heldenmythos zu beschreiben, diese Rhetorik stand aber im Widerspruch zur Berichterstattung, die wesentlich realistischer war als noch im ersten Weltkrieg und das Kriegsgeschehen nur schwerlich kaschieren konnte (Mosse (1993), 246.248). 374
3.4 Der neue Opferbegriff
343
Nationalsozialismus seine Kraft schöpfen konnte.379 Die BG macht die Heroisierung des Opfers zur stärksten Deutekategorie des Todes Jesu, obwohl die biblischen Interpretationen seines Todes vielstimmig sind – vom unschuldigen Lamm bis zum Hohepriester, der sich selbst geopfert hat. Die fehlende Vielstimmigkeit führt auch zu den fehlenden Differenzierungen, die eigentlich wichtig wären, um deutlich zu machen, dass nicht jeder Tod sinnvolle „Hingabe“ bzw. „Lebenseinsatz“ ist.380 Nach dem Opferverständnis Grundmanns sind die Opfer des Ersten Weltkrieges Idealbeispiele für einen „sinnvollen“ Opfertod, die ermöglichten, dass sich das Dritte Reich durchsetzen konnte:381 379 Ackermann (1990) weist zudem auf die Parallele zum frühen Christentum hin: „Wie das frühe Christentum, so schöpft auch der Nationalsozialismus seine Kraft aus den Märtyrergräben. Jedes Opfer schließt das deutsche Volk enger zusammen, bestätigt Hitlers Führungsposition und gliedert sich in einen historischen Prozeß ein, der quasi den Leidensweg Christi widerspiegelt, denn Deutschlands Weg zur Einigung ist mit zahlreichen Opfern gepflastert. ‚Opfer‘ im NS-Sinn ist […] niemals ‚victim‘, sondern immer ‚sacrifice‘. Umgewandelt von einem sinnlosen in ein sinnvolles Ereignis, ist das Opfer als Beitrag zum Kampf des deutschen Volkes um seine Freiheit und Einheit ein unverlierbarer Bestandteil der Nationalgeschichte.“ (ebd. 176). 380 Vgl. dazu Nocke (2002), 455: „Nicht jede Selbstauslieferung, jedes Sichverlieren ist wirkliche Hinwendung zu einem Du. Ebensowenig ist jeder Tod Hingabe: Sterben kann einfach Niederlage, sinnwidrigen Abbruch, Verlust bedeuten Es kann auch bloßes Wegwerfen des Lebens bedeuten. Sterben kann aber auch […] Konsequenz eines Lebenseinsatzes sein, Auslieferung an ein Du, letzte Radikalisierung einer im Leben praktizierten Hingabe. Tod als Hingabe – das ist der sinnvolle, der eigentlich gesollte Tod. Der Gedanke darf also nicht dazu mißbraucht werden, die eigene Gleichgültigkeit gegenüber dem unfreiwilligen Sterben der vielen zu rechtfertigen […].“. In der BG-Konzeption scheint mit der Entjudung der Theologie auch das Wissen um eine Entjudung der Gesellschaft in Kauf genommen zu werden: Man tolerierte es, dass das Leben der Juden für nichtig erachtet wurde und entwickelte stattdessen eine eigene Todes- und Opfervorstellung, die den Tod der eigenen Volksangehörigen im Krieg oder in dessen Umfeld heroisierte und „christlich“ als Lebenshingabe im Sinne der Nachfolge Christi deutete. 381 Grundmann, 28 Thesen (1935), 52. Ähnlich misst auch Langner, der u.a. im Verlag Deutsche Christen veröffentlichte (z.B. Langner (1933)), den Erfahrungen des 1. Weltkriegs eine Schlüsselrolle in der Entwicklung des „deutschen“ Glaubens der nationalsozialistischen Ära zu. An der Front hätten sich „Frontmenschen“ herausgebildet, die durch diese „Erziehung“ einen „Männer- und Opferglauben“ (Überschrift des 6. Kapitels in: Langner (1935), 41–63) erworben haben. Vor diesen Männern dürfe nur noch derjenigen sprechen, der „durch Opfer und dasselbe Schicksal gezeichnet“ sei, „sonst nämlich glaubt man es nicht! […] Der Glaube […] ist nicht mehr das Bekenntnis der Worte, sondern das Größere der Hingabe um seines Glaubens willen“ (vgl. Langner (1935), 53). Schon vorher verknüpfte Paul Althaus das Ideal der Bereitschaft zum „Opfer für das Vaterland“ mit seinem „pastoraltheologischen Erweckungsprogramm“ (vgl. Liebenberg (2008), 176): In dieser Bereitschaft zeige sich die „Ahnung eines heiligen gerechten Weltwillens“ (Althaus in seinem Aufsatz „Aus einem Lazarett im Deutschen Osten“, vgl. 1. Dez.-Ausgabe der Allg. Ev.-Luth. Kirchenzeitung 1914, zitiert nach Liebenberg (2008), 176).
344
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
„Wir tragen als Nationalsozialisten das Hakenkreuz. Das Hakenkreuz ist ein Zeichen des Opfers, das uns das Christuskreuz in einem neuen Licht erstrahlen läßt. Wir haben unter dem Hakenkreuz gelernt, wie alles wirkliche, neue, kräftige Leben nur durch das Opfer vorhanden ist und nur aus dem Opfer entsteht. […] Wir begreifen Adolf Hitler immer dann am besten, wenn wir sein Wollen verstehen heraus aus dem fanatischen Willen, das ‚Vergebens‘ durchzustreichen, das über dem Opfer der 2 Millionen [Weltkriegsgefallener] zu stehen schien. […]. Das Dritte Reich unseres Führers steht auf dem Opfer unserer gefallenen Brüder. Damit ist uns das Opfergesetz, das die ganze Wirklichkeit des Lebens durchzieht, deutlich geworden: Neues Leben gibt es nur aus dem Opfer besten Lebens.“382
Diesen Weltkriegsopfern sei man „schuldig, als Denkmal ihres Opfers ein neues Reich zu schaffen für unsere Kinder und Kindeskinder“, im Bewusstsein, dass „der Neuaufbruch der Nation, das neue volkhafte Leben in Volksgemeinschaft“ ohne ihren „unerhörten Opfergang“ gar nicht möglich sei.383 Das Opfer wird von ihm als „Lebensgesetz“ beschworen und mit der Bereitschaft einer Mutter, ihr Leben bei der Geburt für das Kind zu geben, verglichen: „Wie wir aus dem Opfer unserer Gefallenen ein neues völkisches Leben erhalten haben und wie wir der Einsatzbereitschaft unserer Mutter unser irdisches Leben verdanken, so erhalten wir aus dem Christusopfer am Kreuz die Berufung zum ewigen Leben und damit für unser Leben ewigen Sinn, ewigen Inhalt.“384
Ohne völlige Opferbereitschaft könne kein neues Leben entstehen. Zudem wird das Christusopfer mit dem Soldatenopfer parallelisiert: Die Soldaten brächten neues „völkisches Leben“, das Christusopfer dagegen das „ewige Leben“.385 „Seine letzte, größte Erfüllung findet dieses Opfergesetz der Wirklichkeit im Christuskreuz. […] Christlicher Kreuzesglaube ist eine Sache reifer Menschen. Ihnen macht er nun auch wirkliche heldische Lebensgestaltung möglich, die aus dem Sieg des Christus über Schuld, Schicksal und Tod lebt. Das Bild des Gekreuzigten zeigt uns […] den Christus, der sein Leiden bewußt herbeiführt und gestaltet und sich willentlich unter Gottes Willen stellt. Es Tatsächlich lässt sich eine „Radikalisierung der Gesellschaft in Deutschland“ nach dem 1. Weltkrieg ausmachen, die damit zusammenhängt, dass man „nach der einigenden nationalen Begeisterung“, mit der man in den Krieg gezogen war, nicht wahrhaben wollte, dass dies alles umsonst gewesen sein sollte (vgl. Meyer (2008), 185). „Die Angst vor einer kommunistischen Revolution wurde natürlich von den Ereignissen in Rußland, wo Bürgerkrieg und blutiges Gemetzel an der Tagesordnung waren, intensiv geschürt. Der Umstand, dass an vielen Stellen in diesen russischen Wirren Juden eine wichtige Rolle spielten, wurde von antisemitischen Nationalisten für ihre Zwecke breit ausgeschlachtet. Das gleiche galt für die Deutsche Kommunistische Partei, die von überdurchschnittlich vielen Funktionären jüdischer Herkunft gelenkt wurde.“ (ebd. 187). 382 Grundmann, 28 Thesen (1935), 52f. Ähnlich Grundmann, Gott und Nation (1933), 48. 383 Vgl. Grundmann, Gott und Nation (1933), 48. 384 Grundmann, 28 Thesen (1935), 54. Fast wortgleich Grundmann, Gott und Nation (1933), 49. 385 Grundmann, 28 Thesen (1935), 52.
3.4 Der neue Opferbegriff
345
zeigt uns den Christus, der in seinen Leiden auf das Schlachtfeld tritt mit den Mächten der Schuld, des Schicksals und des Todes.“386
Grundmanns Aussage zeigt seine starke Verhaftung in den nationalsozialistisch geprägten Vorstellungen von „Opfer“. So versteht er das Hakenkreuz als „Zeichen des Opfers, das uns das Christuskreuz in einem neuen Licht erstrahlen läßt“, christlicher „Kreuzesglaube“ könne die „heldische Lebensgestaltung“ ermöglichen, in der Nachfolge Christi, „der in seinem Leiden auf das Schlachtfeld tritt“. Gerade diese pointierten Aussagen Grundmanns lassen annehmen, dass man sich in der Verwendung des Begriffs des „Opfers“ in die Nähe zu nationalsozialistischen Ideen begeben wollte. Die Deutung des Todes, die den Tod (1) als aktives Geschehen, als „Opfer“ „Einsatz“ „Hingabe“, (2) als gloriose Tat, als „Lebensspende“, „Todesweihe“, „tapferer Lebenseinsatz“ und (3) als gehorsame, aber aktive Entscheidung Christi versteht, wurde in der BG in die biblischen Texte verstärkt eingetragen. Auffällig sind hierbei die Tendenzen in der Textauswahl und -bearbeitung, die Rückschlüsse auf die favorisierten Deutungen zulassen. Interessant ist auch die Beobachtung, dass auch ganz bestimmte Tugenden, die sich wohl mit einigem Recht als militärische Tugenden bezeichnen lassen, auffallend oft in den Texten der BG erscheinen, z.B. die Begriffe Gehorsam, Treue und Vertrauen.387 Nicht die Verwendung dieser Begrifflichkeiten an sich, sondern die Häufigkeit ihrer Verwendung und vor allem die gezielte Einflechtung solcher Begriffe an Stellen, an denen die griechischen Texte das nicht decken, lassen erkennen, dass die Redaktoren größeres Gewicht auf eben diese Termini legen wollten. Zudem lässt sich vermuten, dass durch die Verwendung im nationalsozialistischen Kontext den Redaktoren bewusst gewesen sein muss, welche Implikationen sie sich mit der Verwendung dieser Terminologie einhandeln, so z.B. bei der Verwendung des Begriffs der „Gefolgschaft“ oder auch von „Opfer“, „Blutzeuge“ und „Bluttaufe“. Der OpferBegriff in der BG gerät durch die terminologischen Verflechtungen in eine unübersehbare Nähe zu kollektivistischen Denkmustern im Nationalsozialismus, die die „Rasse“ als „letzte und tiefste Voraussetzung dafür, im Kampf zusammenzustehen und sein Leben für den anderen zu opfern“, sehen und das Opfer somit als „Opfer für das Eigene, das Gemeinsame“ zugleich verstehen: „Dieses lebt weiter, auch wenn man selbst untergeht. So ist man nicht gänzlich vergessen, sondern lebt durch sein Opfer in den anderen weiter, die Fleisch vom eigenen Fleische sind.“388 Die sehr positive Wertung des Todes Jesu als „Hingabe“, „Weihe“ oder „Opfer“ in der BG setzt den Begriff des
386
Grundmann, 28 Thesen (1935), 54f. Mehr dazu unter 4.2.1 in der Einführung zu 4.2 Jesus ist ein „Kämpfer“. 388 Zehnpfennig (2011), 241. 387
346
Kapitel 3: Zum Begriff des Opfers in der BG
Todes in eine bedenkliche Nähe zu nationalsozialistisch gefärbten ideologischen Vorstellungen.389 In diesem Teil der Arbeit zeigte sich somit, dass die BG-Redaktion die von ihnen ausgewählten Texte so bearbeitet, dass das Verständnis Jesu von Opfer und Gottesdienst als fundamental verschieden von dem der Juden dargestellt wird: Jegliches kultische Opfer wird kategorisch als von Jesu Verkündigung ‚abgelöst‘ dargestellt. Dennoch fällt in den Texten auf, dass der Begriff „Opfer“ auch in einem positiven Sinne gebraucht und mit anderen Inhalten gefüllt wird. Die Schwerpunkte der eingefügten Umdeutungen konnte der dritte Teil dieses Kapitels aufdecken.
389 Diese Beobachtungen dürften auch Auswirkungen auf Aussagen und redaktionelle Eingriffe zum Thema des „ewigen Lebens“ in der BG haben. Überhaupt scheinen die eschatologischen Vorstellungen in der BG ein spannendes Forschungsfeld zu sein. Die vorliegende Arbeit muss sich auf die Herausarbeitung wichtiger christologischer Grundzüge beschränken.
3.4 Der neue Opferbegriff
347
Ein Blick in die BG.
347
348
Kapitel 4
Jesus als „Wunderneuschöpfung“ im Verständnis der BG-Redaktoren Die bisherigen Beobachtungen sollen im folgenden Teil systematisiert und hinterfragt werden. Die Ablösungstendenzen der BG vom Judentum sind an den exemplarischen Analysen zu Messias-Begriff und zur Opferthematik deutlich geworden. Die BG stimmt also mit Grundmanns Behauptung überein, Jesu Verkündigung habe ihn „in einen durchgängigen und bis zu den Wurzeln reichenden Gegensatz zum Judentum“ geführt.1 Die bisher angestellten Beobachtungen zu den Tendenzen der Darstellung der Christologie sollen nun gebündelt und zu einem Deutungsrahmen zusammengestellt werden. Bisher wurden als Schwerpunkte der Darstellung Jesu seine tapfere und heldenhafte Lebensspende, das gehorsame Leiden, seine Sohnschaft, die zur Gotteskindschaft führt und die Betonung seines kämpferischen und aktiven Handelns festgestellt. Interessant ist nun, ohne dabei nachweisen zu wollen, dass es sich um gänzlich unbiblische „Charakterzüge“ handelt,2 wie die konkrete Gestaltung und Ausdeutung dieser christologischen Aussagen vorgenommen wurde und warum man sich gerade auf diese christologischen Termini und Deutungen fokussierte. Auch soll gezielt nachgeforscht werden, wie die Schwerpunkte der christologischen Darstellung auch den Gedanken der Nachfolge beeinflussen. Eine enge Verknüpfung zwischen den Wesenszügen einer christlichen Lebensweise und der Christologie ist ja zweifellos Wesensmerkmal des christlichen Glaubens, schließlich lässt sich das Ziel eines christlich geführten Lebens mit Röm 8,29 als ein Ähnlichwerden zu Christus bzw. eine Teilhabe an Christus beschreiben: „denn alle, die er im voraus erkannt hat, hat er auch im voraus dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei.“ Festgestellt wurde bereits, dass die Christologie zentrales Thema für die
1
Vgl. Grundmann, Gotteskindschaft (1938), 117. Ohne Zweifel lassen sich biblische Passagen ausfindig machen, die eine „kämpferische“ Haltung Jesu erkennen lassen; sicherlich hat Jesus gelitten und sicherlich ist die Bezeichnung „Sohn Gottes“ mehr als richtig und biblisch [etc.]. Von Interesse bei der Analyse der Texte der BG ist allerdings, wie vorgegangen wurde, an welchen Stellen welche Termini eingetragen wurden und dafür andere Termini gestrichen wurden. 2
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
349
BG-Redaktion ist.3 Mit der ‚Entjudung‘ geht auch für Grundmann die Freilegung der „Persönlichkeit“ Jesu einher, die sonst durch ‚jüdische Übermalung‘, die Grundmann festzustellen meint, überdeckt sei.4 Grundmann nennt in seinem Jesusbuch von 1940 ganz gezielt die Evangelienauswahl, also den ersten Teil der ‚Botschaft Gottes‘, als die „wesentlichen Evangelientexte, die ein zusammenhängendes Bild Jesu geben“5. Eine solche Vorgehensweise ist nun aber sehr anfällig für Verfälschungen, da ja eben keine sicheren Rekonstruktionen der „Persönlichkeit“ Jesu möglich sind und somit kein „zusammenhängendes Bild“ gezeichnet werden kann. Von den bisherigen Beobachtungen ausgehend, dass und wie Jesus in der BG negativ von „dem“ Messiasund Opferverständnis „der Juden“ abgegrenzt wird, soll nun das, was bereits bei den bisher analysierten Stellen augenfällig wurde, systematisiert werden: Ein Auswahl- und Bearbeitungskonzept, das letztlich zu einem neuen Jesusbild führt. Die Forschungsfragen dieses Teils lauten also: Wie wird die „Persönlichkeit“ Jesu in der BG gezeichnet? Welche Facetten des biblischen Jesus fehlen? Welche werden verstärkt durch Text- bzw. Versauswahl und was wird den Texten gänzlich hinzugefügt? In Grundmanns Vorstellung und somit auch nach Meinung der BGRedaktion gehe aus der „Ablösung“ Jesu vom Judentum die Entwicklung einer „neuen“6 bzw. „eigenen Position“7 Jesu hervor, seine „Eigenart“ 8 also, die ihn einen „eigenen“ Weg9 gehen bzw. sein „eigenes“ Zeugnis10 geben ließen. Welche Linien dieser positiven11 Christologie sich in der BG zeigen, ist Thema dieses Kapitels. Der Betrachtungsfokus liegt nun auf dem Umgang der Redaktoren mit Aussagen, die offenbar als erwünscht empfunden wurden. Für die Skizzierung der „Eigenart“ des BG-Jesus in diesem Kapitel der Arbeit wurden zunächst die Gegenentwürfe zu den bereits dargestellten „entjudeten“ christologischen Aussagen ausgewählt: Jesus ist nicht der Messias, sondern ein Leidender und Jesus wird nicht mit dem jüdischen Tempelopfer3 Vgl. 1.2.5.1 Suche nach dem „ewigen Wahrheitsgehalt“. Besonders die Schriften Grundmanns sollen auch in diesem Kapitel zum Vergleich herangezogen werden. 4 Grundmann, Arbeitsbericht (1940), 35. 5 Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 5. 6 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 69. 7 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 206. 8 Vgl den Titel des 3. Kapitels seiner Jesus-Monographie: III. Die Eigenart Jesu (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 91–138). Ein Teilkapitel heißt hier: „Der Weg zu Jesu Eigenart“ (ebd. 92). 9 BG 15, Jesu eigener Weg: nicht Drohprediger, sondern Freudenbote (Matth. 11,2–3; Luk. 7,22–26a.28–35; Matth. 14,3a.10b). 10 BG 121, Des Sohnes eigenes Zeugnis (8,13–19; 12,44–45; 8,20). 11 Hiermit ist keine qualitative Aussage getroffen, sondern es sind, im Gegensatz zur von den Redaktoren vorgenommenen negativen Abgrenzung vom Judentum, nun jene Textbearbeitungen gemeint, die ein neues Jesusbild ergeben.
350
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
kult positiv in Verbindung gebracht und dementsprechend auch an keiner Stelle als „Lamm Gottes“ bezeichnet. Die Darstellung Jesu als Galiläer kann dabei als Grundlage der „Entjudung“ gesehen werden und wird daher nicht eigens als Charakteristikum des Jesus-Bildes in der BG genannt. Zusätzlich sollen die besonders häufig in Augenschein tretende Verwendung „kämpferischer“ Terminologie, sowohl in Bezug auf Jesus als auch auf seine Nachfolger, und die Frage nach der Bedeutung von „Tod“ und „Leben“ im christologischen Titel „König des Lebens“, der in der BG häufig verwendet wird, thematisiert werden. Weitere positiv verwendete Termini (Heiland, Christus, Meister, Sohn Gottes) können nur am Rande zur Sprache kommen, wären aber für weitere Nachforschungen ebenfalls lohnend. Eben der Frage, wie diese „neue Gestaltung“ sich in der BG zeigt und welche Zusammenhänge bestehen zu den Zielangabe der Redaktoren, den Deutschen einen „Dienst“ zu erweisen, widmet sich dieser Teil der Arbeit.
4.1 Jesus ist nicht der Messias, sondern der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen 4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
4.1.1 Einführung und Stand der Dinge
Bisher1 wurde bereits deutlich, dass der Messiasbegriff von der BG als Fehlaussage ausgewiesen wird mit der Begründung, dass das Leiden Jesu nicht mit dem jüdischen Messiasbegriff zu vereinbaren sei, z.B. in der BGEinfügung: „denn der Messias, wie er ihn erwartete, sollte keine Leiden kennen.“2 Die BG weist also nicht nur, im Einklang mit den neutestamentlichen Schriften, darauf hin, dass Jesus leiden werde, sondern führt sein Leiden als Ausschlusskriterium für seine Messianität an. Mehrfach wurde bereits die Betonung des Leidens sowohl als Merkmal Christi als auch als Anspruch an die richtige Nachfolge festgestellt, so in der Bearbeitung von Mk 10,35–40, die in der BG mit „Mitleiden ist Voraussetzung für die Herrlichkeit“ überschrieben ist. Interessant ist hier, wie oftmals in der BG, zunächst die Versund Überschriftenwahl: Dem Leser wird durch die Betonung des Mitleidens mit Jesus bereits die Leserichtung vorgegeben. Auch wird dann im Text der BG vom „Leidenskelch“ statt vom „Kelch“/„Weinkelch“ (τό ποτήριον) ge1 Vgl. 2. Jesus und das Judentum – der Messias-Begriff in der BG: Christus, der Verheißene bzw. der erkorene Gottessohn. 2 In der Bearbeitung von Mt 16,22 (BG 74f., Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken! (Mark. 8,27–31a; Luk. 17,25; Matth. 16,22; Mark. 8,33), Mt 16,22) verweist die BG ganz gezielt auf die jüdische Messias-Erwartung, die den Gedanken des Leidens nicht kenne (vgl. oben 2.2.1). Weitere Beispiele im gesamten Kapitel 2. Jesus und das Judentum – der Messias-Begriff in der BG: Christus, der Verheißene bzw. der erkorene Gottessohn.
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
351
sprochen und anstelle von „Taufe“ (τό βάπτισμα) findet sich der ideologisch gefärbte Begriff der „Todesweihe“3. Das Leiden Christi und bereits durch die Überschrift die Aufforderung, mit ihm mitzuleiden, werden zur Kernaussage. Deutlich wird auch, dass das Leiden, da es ja als ein Teil der „Todesweihe“ verstanden wird, als physisches Leid definiert ist. Die Nachfolge wird also wesentlich auf die Nachfolge im realen Mit-Leiden und Mit-Sterben konzentriert. Die Dimension des „Mitleidens“ als Mitgefühl bzw. „Mitleid“ mit anderen scheint daher weitgehend4 vernachlässigt zu werden. Wenn dann einige Seiten später von den Jüngern explizit „Leidensnachfolge“5 verlangt wird, dürfte für die Leser der BG die Verbindung zum Tod Jesu, der ja mehrfach als „Lebensspende“ gedeutet wird, mitschwingen. Die BGBearbeitung, bei der der Nachfolgegedanke auf das Mitleiden mit Christus, nicht dagegen auf das Mitleid mit anderen, fokussiert wird und dieses Mitleiden wiederum in eine Parallele zum Lebenseinsatz bzw. Blutzeugnis gesetzt wird, fügt sich in das bisher gewonnene Bild ein, das die Weihe zum lebendigen Opfer positiv hervorstellt. Auch die bereits analysierte Passage BG 213f., Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers (Offb. 7,9–10.14b–17; 14,13) präsentierte Christus bewusst als Vorbild im Leid6; schon in der Überschrift und dann besonders in den bearbeiteten Versen Offb 7,14.17:
3
Vgl. 3.3.3.3 BG 75, ‚Mitleiden ist Voraussetzung der Herrlichkeit‘ (Mark. 10,35–40). Leid und Tod werden verknüpft. Ähnlich BG 74, Sendung und Opfer (Luk. 12,49–50): „Jesus sprach: ‚Feuersbrand auf die Erde zu schleudern bin ich gekommen, und was wollte ich lieber, als er loderte schon! Aber durch den Tod muß ich zuvor geweiht werden, und wie schlägt mir mein Herz, bis es vollbracht ist.“ statt ‚ich muss mit einer Taufe geweiht werden‘ (EÜ, Lk 12,49) für ‚βάπτισμα δὲ ἔχω βαπτισθῆναι‘ (NA; Luther übersetzt wörtlich: ‚Aber ich muß mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe‘). 4 An einigen Stellen ist aber auch vom „Mitleid“ Jesu mit anderen zu lesen. (1) Vor der Speisung der 5000: ‚Als er ausstieg, sah er die gewaltige Menge, und es erschütterte ihn‘ (BG 19, Jesus, der Hausvater der Seinen (Mark. 6,32–42), Mk 6,34) für ἐσπλαγχνίσθη ἐπ’ αὐτούς. (2) Im „Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger“ (EÜ-Überschrift für Mt 18, 23–35) wird das „Mitleid“ wörtlich erwähnt: „[…] Der Herr hatte Mitleid mit jenem Verwalter“ (BG 44, Vergebung den Schuldigern (Matth. 18,21–35; 5,23–24), Mt 18,27). für ἐπλαγχνισθεὶς. (3) Dagegen hat der Samariter wieder kein „Mitleid“, sondern es greift ihn – hier wollte man wohl dramatisieren – „ans Herz“: „Es kam aber auch ein Samaritaner auf der Reise dorthin. Als der ihn sah, griff es ihn ans Herz […].“(BG 47, Wer ist der Nächste? (Luk. 10,29–37), Lk 10,33f.), für ἐσπλαγχνίσθη. In den anderen drei Teilen der BG taucht „Mitleid“ nicht auf. 5 BG 81, Leidensnachfolge (Mark. 13,1–2; Joh. 2,19; Mark. 13,3–6.9–11a; Luk. 21,17–18; Mark. 13,13c; Matth. 10,24–25; Luk. 9,27). 6 Vgl. 3.2.5 BG 213f., Die Leidverklärten – das Gesicht des Sehers (Offb. 7,9–10.14b–17; 14,13), Offb 7,9.10.14.17: Christus als Vorbild im Leid.
352
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
NA
EÜ
Luther
Sie sind durch große Trübsal gegangen
BG
14 […] οὗτοί εἰσιν οἱ ἐρχόμενοι ἐκ τῆς θλίψεως τῆς μεγάλης
14 […] Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen;
14 […] Diese sindʼs, die gekommen sind aus großer Trübsal
und haben sie im Blick auf Christi Angst und Pein bestanden.
καὶ ἔπλυναν τὰς στολὰς αὐτῶν καὶ ἐλεύκαναν αὐτὰς ἐν τῷ αἵματι τοῦ ἀρνίου. […]
sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht. […]
und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. […]
Christus, der ihnen durch die Leidensnot vorangegangen ist, […]
17 ὅτι τὸ ἀρνίον τὸ ἀνὰ μέσον τοῦ θρόνου […]
17 Denn das Lamm in der Mitte vor dem Thron […]
17 denn das Lamm mitten im Stuhl […]
4.1.2 BG 229, Die Emmausjünger (Luk. 24,13–35), Lk 24,25–27 In der Erzählung von den Emmausjüngern übersetzt die BG ‚ὁ χριστός‘ im Gegensatz zu Mk 8,29 nicht mit ‚Messias‘, sondern mit ‚Christus‘.7 Die Stelle lässt sich gleichsam als Überleitung von dieser Negativabgrenzung, die die BG gegenüber „der“ von ihr definierten jüdischen Messiaserwartung vornimmt, hin zur ‚positiven Christologie‘, also zu eben jenen Charakteristika, die die BG an Jesus hervorhebt, lesen. Auf dem Weg nach Emmaus begegnen zwei Jünger dem Auferstandenen (Lk 24,13–35), ohne ihn zunächst zu erkennen. Der Text zunächst im Wortlaut der BG: Zwei Männer aus dem Jüngerkreis waren am Ostertag unterwegs nach Emmaus, einem Dorf, das zwei Stunden von Jerusalem entfernt liegt. Sie sprachen miteinander über all die Ereignisse der letzten Tage und gerieten darüber in Streit. Da nahte sich Jesus und gesellte sich zu ihnen. Aber ihre Augen vermochten nicht zu erkennen, wer es war. Er sprach zu ihnen: ‚Was bedeuten die Worte, die ihr auf eurem Weg miteinander wechselt?‘ Mit traurigem Blick blieben sie stehen. Der eine, der Kleopas hieß, antwortete ihm: ‚Alle, die in Jerusalem weilen, wissen, was sich in diesen Tagen zugetragen hat. Bist du der Einzige, der davon nichts erfahren hat?‘ Er fragte sie: ‚Was denn?‘ Sie sprachen zu ihm: ‚Was mit Jesus von Nazareth geschehen ist! Er war ein großer Gottesmann, beglaubigt in Wort und Tat vor Gott und allem Volk. Ihn haben unsere Hohenpriester und Ratsherren zum Tod 7
Vgl. 2.2.1 BG 74f., Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken! (Mark. 8,27–31a; Luk. 17,25; Matth. 16,22; Mark. 8,33), Mk 8,29: ‚Messias‘ als Fehlaussage des Petrus.
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
353
verurteilt und kreuzigen lassen, und wir hatten gehofft, er würde zum Befreier unseres Volkes werden. Zu all dem kommt aber noch, dass heute der dritte Tag ist, seit das geschah. Außerdem haben uns einige unserer Frauen in Unruhe versetzt. Sie sind in der Frühe zum Grab gekommen und haben seinen Leichnam nicht gefunden. Als sie zurückkehrten, sagten sie, sie hätten Engel gesehen, die ihnen verkündet hätten, er lebe. Da sind denn einige aus unserem Kreise zum Grabe gegangen und haben es gefunden, wie die Frauen erzählt hatten. Nur ihn haben sie nicht gesehen‘ Und der Unbekannte sprach zu ihnen: ‚Ihr Unverständigen! Fällt es euch so schwer, all das zu glauben, was die prophetischen Schriften künden? Ist nicht das Leiden allein der Weg, auf dem Christus zu seiner Herrlichkeit eingeht?‘ Und aus allen Schriften der Alten deutete er ihnen Tod und Auferstehung Jesu. Unterdessen kamen sie in das Dorf, zu dem sie wollten, und er tat, als wollte er weitergehen. Da nötigten sie ihn: ‚Bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt!‘ und er blieb bei ihnen. Als er sich mit ihnen zu Tisch gesetzt hatte, nahm er das Brot, dankte, brach es und gab es ihnen. Da wurden ihnen die Augen aufgetan, und sie erkannten ihn. Er aber entschwand ihnen, und sie sprachen zueinander: ‚Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns sprach und uns die Schriften erschloss?‘ (BG 22–30, Die Emmausjünger (Luk. 24,13–35), Lk 24,13–32)
An dieser Passage lassen sich einige Textbearbeitungen durch die Redaktion ausfindig machen. (1) Der Gesprächsrahmen wird verändert (Lk 24,13–17): BG Zwei Männer aus dem Jüngerkreis waren am Ostertag unterwegs nach Emmaus, einem Dorf, das zwei Stunden von Jerusalem entfernt liegt.
NA 13 Καὶ ἰδοὺ δύο ἐξ αὐτῶν ἐν αὐτῇ τῇ ἡμέρᾳ ἦσαν πορευόμενοι εἰς κώμην ἀπέχουσαν σταδίους ἑξήκοντα ἀπὸ Ἰερουσαλήμ, ᾗ ὄνομα Ἐμμαοῦς,
EÜ 13 Am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist.
Luther 13 Und siehe, zwei aus ihnen gingen an demselben Tage in einen Flecken, der war von Jerusalem sechzig Feld Wegs weit; des Name heißt Emmaus.
Sie sprachen miteinander über all die Ereignisse der letzten Tage
14 καὶ αὐτοὶ ὡμίλουν πρὸς ἀλλήλους περὶ πάντων τῶν συμβεβηκότων τούτων.
14 Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte.
14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten.
und gerieten darüber in Streit. Lk 24,13 nimmt bereits vorweg, dass die Geschichte am „Ostertag“ stattfinde, statt mit dem griechischen Text (αὐτῇ τῇ ἡμέρᾳ) lediglich auf Lk 24,1 („Am
354
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
ersten Tag der Woche“) zu verweisen8. In der BG gerät somit die anachronistische Rede vom „Ostertag“ in den Bibeltext, freilich angelehnt an die Entdeckung des leeren Grabes in Lk 24, die aus Perspektive der BG-Redaktion eben am „Ostertag“ geschah. Auch die Verdeutschung „zwei Stunden“ statt „sechzig Stadien“ (EÜ) bzw. „sechzig Feld“ (Luther) für σταδίους ἑξήκοντα soll wohl ein besseres Textverständnis bei der deutschen Leserschaft erzielen.9 Inhaltlich bedeutender ist dagegen die vom Griechischen her haltlose Hinzufügung eines Halbverses zu Lk 24,14, dass die beiden Jünger in ihrem Gespräch in einen Streit geraten seien. (2) Die Beschreibung Jesu wird „entjudet“. Interessant ist hier die Kurzbeschreibung Jesu, die die Emmausjünger ihrem Weggefährten geben, von dem sie noch nicht wissen, dass es Jesus selbst ist. Sie berichten Folgendes über ‚τὰ περὶ Ἰησοῦ τοῦ Ναζαρηνοῦ‘ (Lk 24,19a): BG Er war ein großer Gottesmann, beglaubigt in Wort und Tat vor Gott und allem Volk.
NA 19 […] ὃς ἐγένετο ἀνὴρ προφήτης δυνατὸς ἐν ἔργῳ καὶ λόγῳ ἐναντίον τοῦ θεοῦ καὶ παντὸς τοῦ λαοῦ,
EÜ 19 […] Er war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk.
Luther 19 […] welcher war ein Prophet mächtig von Taten und Worten vor Gott und allem Volk;
Ihn haben unsere Hohenpriester und Ratsherren zum Tod verurteilt und kreuzigen lassen,
20 ὅπως τε παρέδωκαν αὐτὸν οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ ἄρχοντες ἡμῶν εἰς κρίμα θανάτου καὶ ἐσταύρωσαν αὐτόν.
20 Doch unsere Hohenpriester und Führer haben ihn zum Tod verurteilen und ans Kreuz schlagen lassen.
20 wie ihn unsre Hohenpriester und Obersten überantwortet haben zur Verdammnis des Todes und gekreuzigt.
und wir hatten gehofft, er würde zum Befreier unseres Volkes werden. […]
21 ἡμεῖς δὲ ἠλπίζομεν ὅτι αὐτός ἐστιν ὁ μέλλων λυτροῦσθαι τὸν Ἰσραήλ· […]
21 Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde. […]
21 Wir aber hofften, er sollte Israel erlösen. […]
8
Vgl. Wolter (2008), 775. Ein Stadion sind ca. 185–200 m (vgl. Anhang zur Einheitsübersetzung, 1412), 60 Stadien dementsprechend 11,1–12 km. Die Angabe mit „zwei Stunden“ in der BG ist somit etwas knapp geschätzt. 9
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
355
Die BG macht aus dem „Propheten“, der Israel erlösen wird, einen „Gottesmann“, von dem die Jünger sagen, er werde „unser Volk“ erlösen. Hier scheint die Jesus-Darstellung bewusst heldenhafter zu sein: „großer Gottesmann“ klingt machtvoller als „Prophet“ (EÜ/Luther für ‚ἀνὴρ προφήτης‘). Zudem ist die Sendung Jesu anders bestimmt: die BG lässt die Emmausjünger Jesus als den „Befreier unseres Volkes“ erhoffen. Ein direkter Israelbezug, wie er im Griechischen zu finden ist, in dem die Jünger auf den hoffen bzw. davon berichten, dass sie auf den hofften10, der Israel erlöst (‚ἡμεῖς δὲ ἠλπίζομεν ὅτι αὐτός ἐστιν ὁ μέλλων λυτροῦσθαι τὸν Ἰσραήλ‘), wurde also auch hier getilgt. (3) Die Bezugnahme Jesu auf die Schriften wird modifiziert. Interessant ist ferner der Umgang der Redaktoren mit den Texten in der Frage nach den „Schriften“ (αἱ γραφαί) Israels. Hier ein Vergleich der drei einschlägigen Verse Lk 24,25.27.32):
10
Die Hoffnung wird als vergangene Hoffnung beschrieben (vgl. Imperfekt ἠλπίζομεν). Bovon stellt die „Ironie, zu der diese Chronologie anregt“, fest, denn trotz der vom lukanischen Jesu angekündigten Dauer des Leidens (Lk 9,22; 18,33) scheint schon am dritten Tag die erwartete Erlösung Israels in dunkler Vergangenheit untergegangen zu sein (vgl. Bovon (2009), 560).
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG
NA
EÜ
Luther
Und der Unbekannte sprach zu ihnen: ‚Ihr Unverständigen! Fällt es euch so schwer, all das zu glauben, was die prophetischen Schriften künden?
25 Καὶ αὐτὸς εἶπεν πρὸς αὐτούς ὦ ἀνόητοι καὶ βραδεῖς τῇ καρδίᾳ τοῦ πιστεύειν ἐπὶ πᾶσιν οἷς ἐλάλησαν οἱ προφῆται
25 Da sagte er zu ihnen: Begreift ihr denn nicht? Wie schwer fällt es euch, alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben.
25 Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren und träges Herzens, zu glauben alle dem, was die Propheten geredet haben!
Ist nicht das Leiden allein der Weg, auf dem Christus zu seiner Herrlichkeit eingeht?‘
26 οὐχὶ ταῦτα ἔδει παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ;
26 Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?
26 Mußte nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?
Und
27 καὶ
27 Und er legte ihnen dar,
27 Und
fehlt
ἀρξάμενος ἀπὸ Μωϋσέως καὶ ἀπὸ πάντων τῶν προφητῶν
ausgehend von Mose und allen Propheten,
fing an von Mose und allen Propheten
aus allen Schriften der Alten deutete er ihnen Tod und Auferstehung Jesu.
διερμήνευσεν αὐτοῖς ἐν πάσαις ταῖς γραφαῖς τὰ περὶ ἑαυτοῦ.
was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.
und legte ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren.
[…] und sie sprachen zueinander: ‚Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns sprach
[…] 32 καὶ εἶπαν πρὸς ἀλλήλους• οὐχὶ ἡ καρδία ἡμῶν καιομένη ἦν [ἐν ἡμῖν] ὡς ἐλάλει ἡμῖν ἐν τῇ ὁδῷ,
[…] 32 Und sie sagten zueinander: Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete
[…] 32 Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege,
und uns die Schriften erschloss?‘
ὡς διήνοιγεν ἡμῖν τὰς γραφάς;
und uns den Sinn der Schrift erschloss?
als er uns die Schrift öffnete?
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
357
Vor allem die Streichung von Lk 24,27a in der BG ist auffällig. Die im griechischen Text eindeutige Verknüpfung der Propheten mit Mose wird dadurch vermieden. Mose und die Propheten sind aber der Ausgangspunkt (ἀρξάμενος), an dem Jesus seine Schriftdarlegung beginnen lässt. Die „Schriften der Alten“, die die BG dann in Lk 24,27b als Deutungsbasis vorstellt, sind somit nicht auf die „prophetischen Bücher“ begrenzt, wie es der Text der BG nahelegt, sondern es handelt sich um alle Schriften, also um alle heiligen Schriften Israels einschließlich den Mosebüchern. Auch wird die Schriftdarlegung Jesu nicht, wie in der BG, auf die Deutung von Tod und Auferstehung begrenzt (vgl. BG, Lk 24,27b), sondern sie umfasst alles, was über ihn geschrieben steht. Diese beiden Bezüge bleiben in der BG unklar. Trotz der korrekten Übersetzung αἱ γραφαί mit „die Schriften“ scheint die BG sich mit ihren Aussagen auf die „prophetischen Schriften“ (Lk 24,25) beschränken zu wollen. Ein Blick auf die Bearbeitung verwandter Verse durch die BG-Redaktion zeigt, dass auch an anderen Stellen die Bezugnahme auf die Schriften Israels verschleiert wird.11 Die Propheten scheinen den einzigen Teil der Heilsgeschichte Israels darzustellen, den die Redaktoren positiv mit der „Entjudung“ vereinbaren konnten.12 Hintergrund dürfte die Vorstellung sein, die Propheten stünden außerhalb des Judentums.13 11 Stattdessen findet sich z. B. (1) die Formel ‚wie es ihm bestimmt ist‘ statt ‚wie die Schrift über ihn sagt‘ (BG 85, Das letzte Mahl (Mark. 14,16–21; Luk. 22,24.27–30a; Mark. 14,22–25), Mk 14,21). Der Bezug auf das Alte Testament wird durch diese Bearbeitung weit weniger offensichtlich, die Bearbeitung dürfte aber den Lesern kaum ins Auge gefallen sein, da der Verweis auf eine besondere ‚Bestimmung‘ Jesu die Füllung dieser Bestimmung als eine in der Schrift belegte nicht ausschließt. (2) Deutlicher wird die Vermeidung der Verbindung Jesu mit der „Schrift“ der Juden in Lk 4,16f. Die BG (BG 17, Undankbare Heimat (Luk. 4,16–30; Mark. 6,5a.6a), Lk 4,16f.): Jesus „lehrt“ hier „am Feiertag in der Gemeindeversammlung“ statt am „Sabbat in der Synagoge“ aus der Schrift vorzulesen. (3) An anderen Stellen wird die Bezugnahme auf die Schrift vollständig verschwiegen, so fehlt z.B. 1 Petr 1,16 in der BG das ‚Denn es heißt in der Schrift‘ (BG 201, Hoffnung bewährt sich im reinen Leben (1. Petr. 1,13b–21). 12 So bleiben in der BG mehrfach Erfüllungszitate stehen, z.B. ‚Es mußte sich das Wort des Propheten Jesaja erfüllen, der gesagt hat‘ (BG 141, Des Propheten Urteil über den Unglauben wird bestätigt (12,37b–41), Joh 12,37) und ‚Sondern hier erfüllt sich das Prophetenwort […]‘ (BG 234, Die Ausgießung des Geistes (Apg. 4,31a; 2,2–4.6a.12–17a.21–24.32– 33.36b–38.41–42), Apg 2,16). Fraglich ist auch der Umgang der BG mit dem Titel „Prophet“ für Jesus. Es finden sich die Verdeutschungsversuche „Sendling des Höchsten“ (BG 5, Das Kind – das Licht der Welt (Luk. 1,76–79), Lk 1,76) statt „Prophet des Höchsten“ (EÜ/Luther) für „προφήτης ὑψίστου“ und „Seher“ (BG 31, Vergebung schafft Liebe (Luk.7,36–49), Lk 7,39) statt „Prophet“ (EÜ/Luther) für „προφήτης“. Auf jeden Fall ist der Umgang viel lockerer als mit „Hohenpriester“ oder „König“ (zumindest „König von Israel“), die Stellung der BG (und Grundmanns) zur Prophetie war nicht gänzlich negativ So sieht Grundmann die Prophetie als „gegen das volksgöttliche Jahweverständnis“ gerichtet an, also seinem Verständnis nach gerade deshalb positiv. So schreibt er in einer „Analyse“ der Religionsgeschichte, durch die Verbindung des Christentums mit dem Judentum sei
358
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
(4) Der Aspekt des Leidens wird verabsolutiert. Der auffälligste Vers in der unter (3) bereits angeführten Passage ist zweifellos Lk 24,26, in dem Jesus, ausgehend von der Schrift, vom Leiden spricht: BG Ist nicht das Leiden allein der Weg, auf dem
NA 26 οὐχὶ ταῦτα ἔδει παθεῖν
EÜ 26 Musste nicht
Luther 26 Mußte nicht
Christus
τὸν χριστὸν
der Messias
Christus
all das erleiden,
solches leiden
um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?
und zu seiner Herrlichkeit eingehen?
zu seiner Herrlichkeit eingeht?
καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ;
ein „bestimmter Mythos, nämlich der israelitische, war zum heilsnotwendigen Dogma erhoben worden. Hinfort mußte jeder glauben, daß Jahwe der Gott Jesu Christi sei, obwohl er zunächst nichts anderes ist als israelitische Volksgottheit, mythische Größe wie andere Götter auch. Das religionsgeschichtliche Problem des Prophetentums mit seiner fortgeschrittenen, gegen das volksgöttliche Jahweverständnis stehenden Prophetie muß hier außer Betracht bleiben.“ (Grundmann, Mythos (1938), 10). 13 Diese Vorstellung geht bereits auf Ignatius von Antiochien zurück: Dieser bezeichnet im Brief an die Philadelphier die Propheten als erste Christusverkündiger, die von den Juden nicht verstanden worden seien (5,1; 9,2; Text mit deutscher Übersetzung bei Lindemann/Funk/Paulsen (1992)). In der „Spätjudentums“-Theorie (ab Ende 19. Jhdt) spiegelt sich diese Vorstellung von der vorexilischen Prophetie als Höhepunkt der israelitischen Religionsgeschichte. Erst Jesus habe wieder daran anknüpfen können (vgl. Müller (1991), 38, vgl. Kapitel 3, FN 239). Zur Frage, wie das Alte Testament in der Zeit des Dritten Reiches gesehen wurde, vlg. Klaus Koenen (Koenen (1998). Deutsch-christliche Exegeten haben sich den Gedanken der Heraushebung der Popheten aus dem Judentum zueigen gemacht, z.B. versucht der Alttestamentler Anton Jirku, ebenfalls Mitglied der Deutschen Christen, „den Propheten einen ‚Arierpaß‘ auszustellen. Offensichtlich glaubte er, die Propheten so zu retten und ihnen auch in einer deutsch-national geprägten Kirche Raum geben zu können.“ (ebd. 56). In eine ähnliche Richtung dürfte die Unterscheidung zwischen vorjüdischen und jüdischen Bestandteilen des Alten Testaments beim Gießener Dozent Karl Friedrich Euler (1909–?) gehen (vgl. ebd. 66). Da Euler Institutsmitglied war und wohl in enger Verbindung mit Grundmann stand (er hielt beispielsweise auf der zweiten Tagung 1941 einen Vortrag über die „Rassengeschichte des vorderen Orients und die Wissenschaft vom Alten Testament“ (Euler, Rassengeschichte (1942)) und publizierte gemeinsam mit Grundmann den Band „Das religiöse Gesicht des Judentums“ (Euler/Grundmann (1942)), ist es plausibel, diesen Hintergrund auch für die BGBearbeitung anzunehmen. Mehr zur Frage nach dem Alten Testament bereits in 1.2.1 Entstehung und Aufbau, besonders FN 30.
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
359
Während Luther und EÜ sich an die griechische Formulierung (οὐχὶ ταῦτα ἔδει παθεῖν: musste er nicht dies/all dies/solches erleiden) halten, wagt die BG hier eine Deutung des Leidens an sich14 als den einzigen Weg zur Herrlichkeit. Nach den vorherigen Beobachtungen, dass die BG den Messiasbegriff nur bei als Falschaussagen qualifizierten Textstellen verwendet und zudem die Vorstellung eines „leidenden Messias“ als Denkunmöglichkeit dargestellt hat,15 die „die Juden“ nicht an Jesus glauben lassen kann, fällt hier auf, dass ‚ὁ χριστός‘ von der BG hier eben nicht mit ‚Messias‘, sondern mit dem positiv gedeuteten16 ‚Christus‘ übersetzt wird. Gerade weil Messias (hebr.) und Christus (gr.) ohne Zweifel bedeutungsgleich ‚der Gesalbte‘ meinen, ist der unterschiedliche Umgang der BG mit beiden Bezeichnungen bedeutsam: ‚Messias‘ hat sich als Negativbezeichnung der Autoren nachweisen lassen, ‚Christus‘ als positive Benennung.17 Undenkbar war wohl, den (Deutschen) Christen auch noch ihren Namen und somit einen wichtigen Teil ihrer Identität zu nehmen, selbst wenn sich in dieser schon überdeutlich die jüdischen Wurzeln erkennen lassen. Hier nun wird die Stelle von der BG ins Positive gewendet und von ‚Christus‘ gesprochen, dessen Leiden der exklusive (vgl. das apodiktische ‚allein‘ der BG) Weg zu seiner Herrlichkeit gewesen sei. Wohl da im Griechischen die Unvermeidlichkeit des Leidens durch das ‚ἔδει‘ (er musste) ausgedrückt wird18 und dadurch eine Glorifizierung des Leidens unmöglich gemacht würde, nehmen es die BG-Redaktoren nicht auf. Die Rede vom Leidenmüssen (Lk 24,26, auch Mk 8,31) stellt eigentlich den Tod Jesu als notwendigen Bestandteil seiner Wirklichkeit heraus, zu verstehen allerdings als „Vollendung“ seiner Sendung im Sinne einer „geschichtstheologischen Interpretation des Weges Jesu, die auch angesichts seines Todes an der Legitimität seines Anspruchs und an der Macht Gottes, die Geschichte zu lenken, festhält.“19 14
Auch ταῦτα wird in der BG übergangen. Vgl. die Analyse der BG-Version von Mt 16,22 im Messias-Teil (BG 74f., Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken! (Mark. 8,27–31a; Luk. 17,25; Matth. 16,22; Mark. 8,33)). 16 Vgl. u.a. die Titel von Teil 3 (III. Jesus der Herr. Die Christusbotschaft der Apostel) und Teil 4 (IV. Das Werden der Christusgemeinde. Berichte und Zeugnisse aus den ersten Jahren der Gemeinde) der BG. 17 Vgl. 2 Jesus und das Judentum – der Messias-Begriff in der BG. 18 Vgl. Wolter (2008), 78. 19 Schröter (2009), 296: „Dieses ‚muss‘ stellt den Tod Jesu als notwendigen Bestandteil seiner Wirksamkeit heraus, indem es ihn als von Beginn an beabsichtigten Teil des Planes Gottes versteht. Das liegt auf der Linie derjenigen Sinngebung, die Jesus selbst mit seinem Tod verband, wenn er ihn als Vollendung seiner Sendung betrachtete. Das Verständnis eines von Beginn an den Tod einschließenden Heilsplanes Gottes geht hierüber freilich hinaus. Weder Jesus selbst noch seine ersten Anhänger haben damit gerechnet, dass Gott ein derart grausames Schicksal für seinen Repräsentanten von Beginn an geplant hatte! Vielmehr besagt diese Deutung: Auch dann, wenn sich die Menschen gegen Gottes Gesandten stellen und ihn 15
360
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Eine solche Deutungsmöglichkeit des Textes zuzulassen lag wohl hier20 nicht im Sinne der BG-Redaktoren. (5) Conclusio. Die genaue Betrachtung der Stelle hat ergeben, dass die genannten vier Dimensionen dieser Textneuschöpfung der BG eine eigene Aussage einprägen. Gerade der Gedanke des Leidens, dessen Verbindung mit dem hebräischen Messiasbegriff Grundmann und die BG für unmöglich erklärt hatten, der nun mit dem griechischen „Christus“ verknüpft wird, zeigt, dass in der BG „Christus“ und „Messias“ nicht gleichbedeutend verstanden werden. Jesus scheint in der BG gerade aus dem Grunde, dass er leiden musste, hier nicht als der „Messias“ bezeichnet zu werden, schließlich wurde der Messiasbegriff in der BG als Fehlaussage verwendet21. Bei der EmmausErzählung lässt sich nun im Gegenteil die „positive“ Bearbeitung der Redaktoren feststellen: Die zu vermeidenden Bezeichnungen (Messias, Sabbat, Synagoge, die Schrift) wurden getilgt, stattdessen wurden die Präferenzen der Redaktoren betont. Die Christologie bekommt zusätzlich zum fehlenden Israelbezug einen heldenhafteren Charakter beigemessen (‚Er war ein großer Gottesmann, beglaubigt in Wort und Tat vor Gott und allem Volk.‘ (BG, Lk 24,19) und ‚Befreier unseres Volkes‘ (BG, Lk 24,21)), das Leiden wird zum Ideal erhoben (‚Ist nicht das Leiden allein der Weg, auf dem Christus zu seiner Herrlichkeit eingeht?‘ (Lk 24,26)). Der Bezug auf die heiligen Schriften Israels wird modifiziert, auch das „τὰ περὶ ἑαυτοῦ“ (Lk 24,27), das Jesus ihnen aus allen Schriften erschließt und das die Doppelstruktur aus Gesetz und Propheten noch unterstreicht,22 scheint auf die prophetischen Schriften beschränkt. Die Intention des lukanischen Textes, das Leiden Jesu in das Licht der Auferstehung zu rücken und so aufgrund des Zeugnisses der Schrift das Leiden „als integralen Bestandteil seiner Messianität erkennbar“ zu machen23, wird in der BG durch ihre, hier relativ kleinen, Eingriffe in den Text, angesogar grausam zu Tode bringen, stellt dies die Macht Gottes über die Geschichte nicht in Frage. Es handelt sich also um eine geschichtstheologische Interpretation des Weges Jesu, die auch angesichts seines Todes an der Legitimität seines Anspruchs und an der Macht Gottes, die Geschichte zu lenken, festhält.“ Klein verweist außerdem auf den Zusammenhang mit den „Schriften“, die erfüllt werden durch das Leiden: Das Leiden musste also gemäß den Schriften so sein (vgl. Klein (2006), 732). 20 Mk 8,31a dagegen ist in der BG aufgenommen mitsamt der Aussage, Jesus müsse leiden (δεῖ […] παθεῖν): ‚Da verbot er ihnen streng, diese Ansicht zu verbreiten, und belehrte sie: ‚Des Menschen Sohn muß viel leiden, und mit Schimpf und Schande ausgestoßen werden von seinen Zeitgenossen.‘ (BG 75, Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken! (Mark. 8,27–31a; Luk. 17,25; Matth. 16,22; Mark. 8,33), Mk 8,31a. 21 Vgl. Kapitel 2 dieser Arbeit: 2. Jesus und das Judentum – der Messias-Begriff in der BG: Christus, der Verheißene bzw. der erkorene Gottessohn. 22 Vgl. Bovon (2009), 561. 23 Wolter (2008), 784.
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
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passt an das Bestreben, den Gedanken des Leidens zu betonen ohne explizite Bezugnahme auf die Heilsgeschichte Israels. 4.1.3 BG 81, Leidensnachfolge (Mark. 13,1–2; Joh. 2,19; Mark. 13,3–6. 9–11a; Luk. 21,17–18; Mark. 13,13c; Matth. 10,24–25; Luk. 9,27) Auch die Passage „Leidensnachfolge“ hebt das Leiden als wichtigstes Kriterium der Nachfolge hervor: Als Jesus den Tempel verließ, sprach einer seiner Jünger zu ihm: ‚Meister, ist das eine Pracht! Was für Bauten!‘ Und Jesus sprach zu ihm: ‚Von dem mächtigen Bau, den du bewunderst, bleibt kein Stein auf dem anderen; alles fällt in Trümmer. Brecht diesen Tempel ab, und ich werde in drei Tagen ein neues Heiligtum errichten.‘ Als er allein auf dem Ölberg saß, gegenüber dem Tempel, fragten ihn seine Jünger: ‚Sage uns, wann wird das geschehen, und was ist das Zeichen für den Tag, an dem sich alles vollenden muß?‘ Da gab ihnen Jesus zur Antwort: ‚Seht zu, daß euch niemand irre macht! Viele werden in meinem Namen auftreten mit der Behauptung, ich sei in ihnen wiedergekehrt, und werden damit viele verführen. Habt acht auf euch selber! Ihr werdet den Gerichten übergeben und in den Synagogen ausgepeitscht und vor Landvögte und Fürsten gestellt werden um meinetwillen. Und wenn sie euch verhören, macht euch nicht vorher Sorge, was ihr sagen sollt, sondern was euch Gott zu jener Stunde ins Herz gibt, das sprecht aus. (BG 81, Leidensnachfolge (Mark. 13,1–2; Joh. 2,19; Mark. 13,3–6.9–11a; Luk. 21,17–18; Mark. 13,13c; Matth. 10,24–25; Luk. 9,27), Mk 13,1–2; Joh 2,19; Mk 13,3–6.9–11a)
An dieser Stelle fällt als erstes die Überschrift „Leidensnachfolge“ auf, die genau die bisherige These, dass einerseits das Leiden Jesu von den BGRedaktoren in betonter Weise dargestellt wird, und andererseits das Leiden ein wesentlicher Teil der Nachfolge ist, wenn nicht sogar sein muss, zu bestätigen scheint. Auffällig ist dann die Versauswahl: Die BG-Redaktion wählt aus allen vier Evangelien einige Verse aus und stellt daraus einen zusammengewürfelten Absatz mit Passagen aus der Rede Jesu über die Endzeit (Mk 13,1–37; Lk 21,5–36) und Einzelversen aus den Perikopen ‚Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis‘ (EÜ, Mt 10,16–39) und ‚Von Nachfolge und Selbstverleugnung‘ (EÜ, Lk 9,23–27) zusammen. Joh 2,19 sticht dabei heraus:
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG
NA
Mk 13,1–2
EÜ
Luther
Als Jesus den Tempel verließ, sprach einer seiner Jünger zu ihm: ‚Meister, ist das eine Pracht! Was für Bauten!‘
1 Καὶ εἰσῆλθεν πάλιν εἰς τὴν συναγωγήν. καὶ ἦν ἐκεῖ ἄνθρωπος ἐξηραμμένην ἔχων τὴν χεῖρα.
1 Als Jesus den Tempel verließ, sagte einer von seinen Jüngern zu ihm: Meister, sieh, was für Steine und was für Bauten!
1 Und da er aus dem Tempel ging, sprach zu ihm seiner Jünger einer: Meister, siehe, welche Steine und welch ein Bau ist das!
Und Jesus sprach zu ihm: ‚Von dem mächtigen Bau, den du bewunderst, bleibt kein Stein auf dem anderen; alles fällt in Trümmer.
2 καὶ παρετήρουν αὐτὸν εἰ τοῖς σάββασιν θεραπεύσει αὐτόν, ἵνα κατηγορήσωσιν αὐτοῦ.
2 Jesus sagte zu ihm: Siehst du diese großen Bauten? Kein Stein wird auf dem andern bleiben, alles wird niedergerissen.
2 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Siehst du wohl allen diesen großen Bau? Nicht ein Stein wird auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde.
Brecht diesen Tempel ab,
ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτοῖς· λύσατε τὸν ναὸν τοῦτον
Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder,
Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brechet diesen Tempel,
und ich werde in drei Tagen ein neues Heiligtum errichten.‘
καὶ ἐν τρισὶν ἡμέραις ἐγερῶ αὐτόν.
in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten.
und am dritten Tage will ich ihn aufrichten.
Joh 2,19
Dieser Vers wurde aus der Erzählung über die Vertreibung der Händler aus dem Tempel (Joh 2,13–22) herausgelöst. Der Kontext, in dem er sich eigentlich findet und die Spannung aus Hochschätzung und Relativierung des Tempels zugleich wird von der BG nicht aufgegriffen, stattdessen wird er direkt der Ankündigung der Zerstörung des Tempels in der Endzeitrede in Mk angefügt. Dazu ist auch noch die Besonderheit zu erwähnen, dass Joh 2,19 von der BG-Redaktion an zwei Stellen aufgenommen wurde,24 zum zweiten Mal in 24
Die Fassungen des Logions in Mt 26,61; 27,40 finden sich dagegen nicht in der BG, aber Apg 6,14 ist aufgenommen und im Kontext verstärkt: in der BG (BG 238, Stephanus der erste Märtyrer (Apg. 6,8–7,1.48–58a.59b–60; 8,1b–2), Apg 6,14)) lautet die Anklage an Stephanus: ‚Wir haben ihn nämlich sagen hören: Jesus von Nazareth, der wird diesen Tempel zerstören und die Bräuche abschaffen, die uns Mose gegeben hat.‘ statt ‚Wir haben ihn näm-
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der Passage über die „Tempelreinigung“25. Dort ist die BG-Textauswahl noch eindeutiger auf eine Ablösung Jesu vom Judentum ausgerichtet durch die Herausarbeitung einer expliziten Ablehnung des „jüdischen Opferkultes“ durch Jesus. Der neue „Tempel“ sei der „neue Gottesdienst“ der Heilszeit, durch den der jüdische, ja sogar aller Opferkult abgelöst sei.26 Aber auch in der hier zu beobachtenden Bearbeitung von Joh 2,19 wird die Richtung des Textes umgelenkt: Während die BG Jesus ankündigen lässt, er werde ein „neues Heiligtum“ errichten, spricht der griechische Text vom einer Wiederaufrichtung des Tempels, also des einen, selbstverständlich jüdischen Tempels von Jerusalem.27 Der Kontext des Verses fehlt in der BG durch die Einfügung in synoptische Stellen: Eigentlich wird ja im zugehörigen Deutewort bzw. „Autorenkommentar“28 (Joh 2,21–22) das Wort über den Tempel dann auf den „Tempel seines [=Jesu] Leibes“ bezogen, der nach drei Tagen wieder aufgerichtet wurde bzw. auferstanden ist. Auch macht die gesamte Erzählung über die „Aktion Jesu im Tempel“29 unmissverständlich klar, dass nicht einfach von einem „neuen Heiligtum“ gesprochen werden kann, wie es die BG tut, sondern die Tempelreinigung sich als Einsatz Jesu für den Tempel deuten lässt, wie die Rede vom „Eifer“ für das Haus Gottes (Joh 2,1730) zeigt.31
lich sagen hören: Dieser Jesus, der Nazoräer, wird diesen Ort zerstören und die Bräuche ändern (ἀλλάξει τὰ ἔθη), die uns Mose überliefert hat.‘ (EÜ, Apg 6,14). 25 BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab), vgl. dazu 3.1.6 Vergewisserung: BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab). 26 Vgl. Grundmanns Kommentar „Der neue Gottesdienst, den Jesus bringt, ist nicht nur die Ablösung des jüdischen Reinigungsdienstes, sondern auch des jüdischen Opferkults, ja die Ablösung allen Opferkults. Wieder ist auf die mit Tod und Auferstehung Jesu sich verwirklichende Heilszeit hingewiesen, in der ein neuer ‚Tempel‘, d.h. ein neuer Gottesdienst da ist.“ (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 227). 27 Im Unterschied zu Mk 14,58 ist in Joh 2,19 das „Tempelwort“ christologisch zugespitzt: Vorder- und Nachsatz sprechen von ein- und demselben Tempel: „Der Grund dafür ist der, dass der Evangelist beide Satzhälften auf denselben Jesus bezogen wissen wollte (vgl. V. 21) (vgl. Theobald (2009), 227). In der Aufforderung an „die Juden“, sie sollen „diesen Tempel“ niederreißen, weissagt Jesus seinen gewaltsamen Tod und seine Souveränität angesichts seines Todes wird herausgestellt (ebd. 233). 28 Schenke, L. (1998), 61. 29 Überschrift von Schenke zu Joh 2,13–22 (Schenke, L. (1998), 61). 30 „Seine Jünger erinnerten sich an das Wort der Schrift: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.“ (Joh 2,17, vgl. Ps 69,10)). Eben dieser Vers fehlt allerdings in der BG (vgl. BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab). Das wurde bereits in 3.1.6 festgestellt. 31 Mehr zur BG-Version der Tempelreinigung bereits unter 3.1.6 Vergewisserung: BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab).
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Das Johannesevangeliums setzt die Tempelzerstörung bereits voraus,32 die Rede von der ‚Ersetzung‘ des Tempels durch den Leib Jesu dokumentiert daher, „wie stark die Institution des Jerusalemer Tempels und die mit ihm verbundenen Traditionen die Diskurse im frühen Christentum und dann auch in weiten Teilen des frühen Christentums beherrschten.“33 Selbst wenn aber der Jerusalemer Tempel nur als Symbol für das wirkliche ‚Haus Gottes‘ gesehen wird, ist er auch als Symbol „heilig und darf nicht profanisiert werden“.34 Die Symbolik ist also Teil der Strategie, mit dem Untergang des tatsächlichen Tempels umzugehen, keineswegs aber die Aussage zur Ablösung vom Tempelkult, die die BG hineinzuinterpretieren scheint. Die Hauptintention des „Rätselwortes“ bestimmt Jörg Frey aber als die implizite Aufforderung an die Leser, „nach weiteren Hinweisen auf das damit bezeichnete Geschehen, auf Jesu Tod und Auferstehung, zu suchen“, also als proleptischen Hinweis auf Jesu Tod.35 Durch seine Bearbeitung und Positionierung im Absatz „Leidensnachfolge“ in der BG scheint der Vers allerdings lediglich den Zweck zu verfolgen, den Jerusalemer Tempel als endgültig überholte Institution abzuwerten,36 das „Leiden“ aber prononciert hervorzuheben, wie schon die Überschrift „Leidensnachfolge“ zeigt, und genauer zu bestimmen als kämpferisches Leiden, das den Umsturz der bestehenden Verhältnisse einschließt.37
32
Vgl. Frey, Evangelium (2013), 288. Frey, Licht (2013), 160f. 34 Vgl. Schenke, L. (1998), 62. Schenke nennt als Begründung für Jesu eifrigen Einsatz für den Jerusalemer Tempel, dass der Tempel als „Haus meines Vaters“ gesehen wird und dadurch heilig ist, obwohl er „unter einem Vorbehalt steht, insofern dies Prädikat ja gar nicht von ihm gelten kann, wenn Gott im Menschen Jesus auf Erden erschienen ist und wohnt. Nicht im Tempel zeltet Gottes Logos, sondern im Leib Jesu (1,14). Ist dann der Jerusalemer Tempel nur ein Symbol für das wirkliche ‚Haus Gottes‘? Doch auch als Symbol ist er heilig und darf nicht profanisiert werden.“ (ebd. 62). 35 Frey, „theologia crucifixi“ (2013), 514. 36 Vgl. die fehlende Rede vom „Eifer“ für das „Haus meines Vaters“. 37 Im Folgenden wird zudem deutlich, welche Beschreibung des Kampfes die BGRedaktion den Lesern nicht präsentieren wollte: Aus der sich anschließenden Bibelstelle Mk 13,3–11 gibt die BG an, Mt 13,3–6.9–11a übernommen zu haben. Bewusst gestrichen wurden also Mk 13,7–8, die den Krieg als Beginn der Endzeit, als „Anfang der Wehen“ bezeichnen. Sie waren den Herausgebern wohl zu heikel wegen der negativen Sicht auf die Kriege zwischen Völkern und Reichen, den damit einhergehenden Erdbeben und Hungersnöten und der Darstellung der Rolle der Jünger: Sie hören von den Nachrichten und werden beunruhigt, bleiben aber unbeteiligt. 33
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4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
4.1.4 BG 168f., Durch Leiden vollendet (Hebr. 5,7–10a) In den Tagen seines Erdenlebens hat Jesus sich aus bitterer Angst und tiefer Not mit Gebet und Flehen zu Gott gewandt, der ihn aus dem Tode retten konnte. Er ist erhört und seiner Angst entnommen worden. Aber er hat doch, obwohl er Gottes lieber Sohn war, in seinem Leiden Gehorsam lernen müssen. Dadurch wurde er vollendet und allen, die ihm folgen, der Herzog ewigen Heiles, den Gott zum Heiland für uns eingesetzt hat. (BG 168f., Durch Leiden vollendet (Hebr. 5,7–10a))
BG
NA
EÜ
Luther
In den Tagen seines Erdenlebens hat Jesus sich aus bitterer Angst und tiefer Not mit Gebet und Flehen zu Gott gewandt, der ihn aus dem Tode retten konnte. Er ist erhört und seiner Angst entnommen worden.
7 ὃς ἐν ταῖς ἡμέραις τῆς σαρκὸς αὐτοῦ δεήσεις τε καὶ ἱκετηρίας πρὸς τὸν δυνάμενον σῴζειν αὐτὸν ἐκ θανάτου μετὰ κραυγῆς ἰσχυρᾶς καὶ δακρύων προσενέγκας καὶ εἰσακουσθεὶς ἀπὸ τῆς εὐλαβείας,
7 Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden.
7 Und er hat in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert zu dem, der ihm von dem Tode konnte aushelfen; und ist auch erhört, darum daß er Gott in Ehren hatte.
Aber er hat doch, obwohl er Gottes lieber Sohn war, in seinem Leiden Gehorsam lernen müssen.
8 καίπερ ὢν υἱός, ἔμαθεν ἀφ’ ὧν ἔπαθεν τὴν ὑπακοήν,
8 Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt;
8 Und wiewohl er Gottes Sohn war, hat er doch an dem, was er litt Gehorsam gelernt.
Dadurch wurde er vollendet und allen, die ihm folgen, der Herzog ewigen Heiles,
9 καὶ τελειωθεὶς ἐγένετο πᾶσιν τοῖς ὑπακούουσιν αὐτῷ αἴτιος σωτηρίας αἰωνίου,
9 zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden
9 Und da er vollendet war, ist er geworden allen, die ihm gehorsam sind, eine Ursache zur ewigen Seligkeit.
den Gott zum Heiland für uns eingesetzt hat.
10 ροσαγορευθεὶς ὑπὸ τοῦ θεοῦ ἀρχιερεὺς κατὰ τὴν τάξιν Μελχισέδεκ.
10 und wurde von Gott angeredet als „Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks“.
10 genannt von Gott ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks.
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Auch an dieser Stelle wählt die BG-Redaktion für ihre Textbearbeitung nur einige der christologischen Aussagen des Textes aus. Die Rede von Christus als Hoherpriester wird vollständig getilgt und stattdessen „Heiland“ eingefügt.38 Stattdessen wird der Akzent wieder stark auf das Leiden Jesu gesetzt, wie die Überschrift „Durch Leiden vollendet“ bereits nahelegt. Das „Leiden“ wird zunächst in Hebr 5,7 angedeutet als „lautes Schreien“ und „Tränen“ (EÜ) bzw. dramatischer als „bittere Angst und tiefe Not“ (BG), Hebr 5,8 nennt dann das Leiden als Weg zum Gehorsam. Sicherlich begreift der Hebräerbrief das Leiden hier als wichtigen und berichtenswerten Schritt auf Jesu Weg zur Vollendung, nicht aber als Bedingung dafür, wie es in der BG-Bearbeitung erscheint: Durch die Einfügung, dass Jesus „dadurch“ vollendet worden sei, wird das eigentlich satzverbindende ‚καί‘ von der BG-Redaktion fälschlich kausal gedeutet. Außerdem schreibt die BG, Jesus habe „in seinem Leiden Gehorsam lernen müssen“. Leiden und Gehorsam erscheinen durch diese beiden Änderungen als zwingende Voraussetzungen der Vollendung. Zu beachten ist aber, „dass Jesus nicht gehorsam ist, indem er leidet, als fordere Gott das Leiden um seiner selbst willen. Vielmehr ist er seiner Sendung gehorsam, auch wenn diese durch Leiden führt.“39 Im Gesamtkontext der Passage (die EÜ überschreibt sie treffend mit „Das Amt des Hohenpriesters“ (Hebr 4,14–5,10) und ordnet sie ein in das große Kapitel „Christus, der wahre und endgültige Hohepriester des Neuen Bundes“ (Hebr 4,14–10,18)) macht der Verweis auf das Leiden Christi ja auch nur einen kleinen Teil aus: Zunächst ist direkt vor der von den BG-Redaktoren ausgewählten Passage in Hebr 5,1–5 die Rede vom Dienst des menschlichen Hohepriesters vor Gott (Prototyp ist Aaron), mit dem der „christliche Hohepriester“40 dann verglichen wird (Hebr 5,5–10). Der levitische Priesterdienst ist das „biblische Vorausbild“,41 das von Christus in radikaler Weise erfüllt wird. Legitimation und Funktion sind identisch: Beide sind aus Menschen genommen und von Gott dazu eingesetzt,42 Gaben und Opfer für die Sünden
38 Der Begriff „Hohepriester“ wurde in der BG konsequent gemieden, vgl. 3.2.1 Überblick über die Verwendung kultisch konnotierter christologischer Hoheitstitel in der BG. 39 Backhaus (2009), 209. 40 Gräßer (1990), 267. 41 Backhaus (2009), 202. Vgl. Gräßer (1990), 267: „Was bei aaronitischen Hohenpriestern ansatzweise da ist, hat entsprechend, anders und überbietend auch der christliche“. Die Leser werden durch die Art der Darstellung in eine „paradoxe Lesehaltung“ gezwungen: „Einerseits sollen sie von Bekanntem aus christologische Entsprechungen (in 5–10) finden. Andererseits werden sie das Bekannte von diesen Entsprechungen aus korrigieren und relativieren müssen.“ (Karrer (2002), 255). 42 Der biblische Text verweist dezidiert darauf, dass auch Christus von Gott zum Hohepriester berufen wurde und stellt die Berufung mit zwei Verweisen auf das Alte Testament
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
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der Irrenden und Unwissenden darzubringen, allerdings hat der menschliche Hohepriester auch für seine eigene Schuld zu opfern.43 Nach dem Ritual des großen Versöhnungstags,44 das im Folgenden als biblischer Typos der Heilstat Christi entfaltet wird, musste der Hohepriester zunächst sich und sein Haus entsühnen, bevor der den Sühnedienst für sein Volk versah (vgl. Lev 16), da er sonst nicht im göttlichen Heiligkeitsbereich stand.45 Jesus dagegen hat mit uns in der Gleichheit der Versuchungen gestanden und ist deshalb mitleidensfähig, allerdings war er ohne Sünde.46 Der Bogen wird dann in Hebr 5,10 geschlossen: Hier wird darauf verwiesen, dass Jesus durch sein Leiden und seine Vollendung nicht nur der „Urheber des ewigen Heils“ geworden sei, sondern von Gott auch mit dem Titel „Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks47“ angeredet werde. Der Heilstod Christi erlangt im Hebräerbrief, „was alle Gaben und Opfer anstreben, aber nicht erreichen, weil sie irdische Bemühungen bleiben.“48 Die priester- und opfertheologischen Grundstrukturen, die der Verfasser des Briefes in der Tora vorfindet, akzeptiert er und lässt sie zugleich für seine Erschließung der Heilstat Christi fruchtbar werden: „Es ist ein Mittlerdienst am Kreuz, der von Gott her ein für alle Mal jene Einheit stiftet, die alle menschlichen Opfer nur zu erwähnen und anzudeuten vermochten. Genau darin liegt das Wesen des Hohepriestertums Christi.“49 Der Vergleich mit dem levitischen Priestertum ist somit „christologisch, nicht apologetisch motiviert.“50 dar (Ps 2,7; 110,4). Mehr zum Rückgriff des Hebräerbriefs auf diese Psalmen bei Gräßer (2009), 288–291. 43 Backhaus (2009), 197. 44 Vgl. zum Hintergrund des Hebräerbrifs schon oben 3.2.1 Überblick über die Verwendung kultisch konnotierter christologischer Hoheitstitel in der BG: „Hoherpriester“ und „Lamm“. 45 Backhaus (2009), 202. 46 Vgl. Gräßer (1990), 267. Christus ist zwar in allem den Menschen gleich, nicht aber in der Sünde (vgl. schon Hebr 4,15). Das Interesse des Hebräerbriefs liegt hier beim Nachweis, dass es an Menschlichem beim Großen Hohenpriester Christus keinen Mangel hat (vgl. ebd. 296). Die Sündlosigkeit Jesu „steht nicht isoliert im frühen Christentum (vgl. 2 Kor 5,21; 1 Petr 2,22; 3,18; 1 Joh 3,5; vgl auch Joh 8,46) und bietet eine zentrale Voraussetzung für das rettende Geleit, das Jesus den Seinen zu Gottes Thron gewährt.“ (Karrer (2002), 248, auch 261). 47 Melchisedek wird in der Schrift lediglich zweimal (Gen 14,18–20 und Ps 110,4) erwähnt: Dem König in Jerusalem wird hier die Erhöhung durch Gott und die priesterliche Würde, angelehnt an das uralte mit Jerusalem verbundene Priestertum Melchisedeks, verheißen (vgl. Karrer (2002), 265, vgl. 263–271, auch 277f.). Frühjüdische Quellen berichten von ihm als dem ersten Priester, der seine Tätigkeiten von niemandem lernt, und als Repräsentant der Gerechtigkeit (Textbeispiele bei Karrer (2002), 270). Im Hebräerbrief ist er als mythischer, hoher Melchisedek „Modell“ für das Tun Christi (ebd. 268). 48 Vgl. Backhaus (2009), 201. 49 Vgl. Backhaus (2009), 201. 50 Gräßer (1990), 267.
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Die Kontinuität und zugleich die Unwiederholbarkeit und Unverfügbarkeit der Aufgabe Christi wird also herausgearbeitet: Gott ist es, der ihn beruft, ihn sich als „Hohepriester“ auswählt, der in der Tradition der bisherigen alttestamentlichen (!) Hohepriester steht und ihr zugleich „überbietend entspricht“51. Das Leiden Christi wird damit in den Kontext seiner Sendung eingeordnet, die Spannung bleibt, analog zu Hebr 2, erhalten: Jesus bittet (Hebr 5,7) um die Überwindung des Leidens, der Prüfungen und des Todes und wird erhört; der Tod bleibt ihm aber nicht erspart, sondern er integriert gehorsam das Todesleiden in seinen Weg und erlangt schließlich die himmlische Vollendung.52 Das Leiden Christi erscheint in diesem Setting also nicht als einzig möglicher Weg zur Vollendung, der glorifiziert wird (vgl. die Überschrift der BG: „Durch Leiden vollendet“), sondern vielmehr als ein Teil der von Gott verliehenen hohepriesterlichen Würde, trotz der eigenen Menschlichkeit und Schwäche für alle anderen einzustehen. Für die Frage der Nachfolge, also das „Mitleiden“ ergibt sich daraus, dass der Gehorsam Jesu im Leiden Ansporn für die, die ihm folgen, sein kann: „Auch bei ihnen geht es um das bejahende Hören auf die Sendung durch Gott. […] Konkret gemeint ist die geduldige Bewahrung des Glaubens und seine tatkräftige Bewährung in einer Welt, die zur Fremde wird.“53 Die Eröffnung eines Weges zu Gott ist das tröstliche Vorbild. Der BG-Text verschiebt die Schwerpunkte durch Textauswahl und -bearbeitung so, dass das Leiden im Sinne von „bitterer Angst“ und „tiefer Not“ eher als Notwendigkeit für die Nachfolge also als die (letzte) Konsequenz aus der Nachfolge erscheint. Die Tilgung der alttestamentlichen Bildsprache von Jesus als dem „Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks“ in der BG beeinflusst zusätzlich die Deutung der Stelle. Christologisch werden zwei neue Ausdrücke eingefügt: Jesus sei der „Herzog ewigen Heiles“ (BG, Hebr 5,9; statt αἴτιος σωτηρίας αἰωνίου) und von Gott „zum Heiland für uns eingesetzt“ (BG, Hebr 5,1054). Die Christologie wird auf die Titel „Herzog“ und „Heiland“ konzentriert und scheint so einmal mehr den „heldenhaften“ Charakter Jesu betonen zu wollen. Ähnlich spricht Grundmann in seinem Jesusbuch „Jesus der Galiläer und das Judentum“ vom Leiden Jesu als einer „Notwendigkeit“: Er habe dadurch die Wahrheit seiner Botschaft „bewährt“ und sei „in diesem Leiden Sieger“ geworden.55 In einer Linie hiermit scheint die Darstellung des Leidenmüssens des Herzogs in der BG zu liegen.
51
Gräßer (1990), 268. Vgl. Karrer (2002), 275. 53 Backhaus (2009), 210. 54 Statt „angeredet als ‚Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks‘“ (EÜ, Hebr 5,10), vgl. oben. 55 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 122. 52
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
369
Interessant ist ferner, dass Hebr 4,14–16, die ersten Verse der Perikope nach der Einteilung der EÜ (Das Amt des Hohenpriesters: 4,14–5,10) in der BG im Gegensatz zu Hebr 5,1–5 aufgenommen wurden, allerdings in neuer Kombination. So findet sich direkt im Anschluss an die eben analysierte Passage (BG 168f., Durch Leiden vollendet (Hebr. 5,7–10a)) der Absatz „Treue um Treue“, der u.a. Hebr 5,14–16 aufnimmt. Meine Brüder, die ihr von Gott erkoren und zu seiner Herrlichkeit berufen seid, schaut auf zu Jesus! Ihm, dem Boten Gottes und unserm Heiland, sind wir verpflichtet. Er bleibt treu seinem Schöpfer. Sehet auch ihr zu, dass sich euer keiner mit einem ungläubigen Herzen treulos von Gott lossage. Vielmehr ermahnt euch täglich, damit keiner sich vom Bösen betrügen lasse und sich in Zweifel an Gott verhärte. Denn wir gehören nur so lange zu Christus, als wir unser hoffnungsfrohes Vertrauen auf Gott unerschüttert festhalten bis zum Ende. Da wir einen mächtigen Heiland haben, der durch die Himmel geschritten ist vor das Angesicht des Vaters, Jesus, den Sohn Gottes, so wollen wir ihm die Treue halten. Denn er kann mittragen an unserm Zagen und Versagen, weil er selbst in der Anfechtung stand wie auch wir, ohne dass er versagte. So wollen wir mit Zuversicht dem Vater nahen, und wir werden bei ihm Verständnis finden und Aufrichtung, wenn uns Hilfe not ist. (BG 168, Treue um Treue (Hebr. 3,1–2a.12–14; 4,14–16))
Auch hier hat die BG-Redaktion alle hohepriesterlichen Titel getilgt, der Blick sei an dieser Stelle nur auf Hebr 4,14–15 gerichtet, da diese Verse nach der EÜ-Einteilung zur Perikope „Das Amt des Hohenpriesters“ (Hebr 4,14– 5,10) gehören:
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG Da wir einen mächtigen Heiland haben, der durch die Himmel geschritten ist
NA 14 Ἔχοντες οὖν ἀρχιερέα μέγαν διεληλυθότα τοὺς οὐρανούς,
EÜ 14 Da wir nun einen erhabenen Hohenpriester haben, der die Himmel durchschritten hat,
Luther 14 Dieweil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesum,
vor das Angesicht des Vaters,
fehlt
fehlt
fehlt
Jesus, den Sohn Gottes, so wollen wir ihm die Treue halten.
Ἰησοῦν τὸν υἱὸν τοῦ θεοῦ, κρατῶμεν τῆς ὁμολογίας.
Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an dem Bekenntnis festhalten.
den Sohn Gottes, der gen Himmel gefahren ist, so lasset uns halten an dem Bekenntnis.
Denn er
15 οὐ γὰρ ἔχομεν ἀρχιερέα
15 Wir haben ja nicht einen Hohenpriester,
15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester,
kann mittragen an unserm Zagen und Versagen, weil er selbst in der Anfechtung stand wie auch wir, ohne dass er versagte.
μὴ δυνάμενον συμπαθῆσαι ταῖς ἀσθενείαις ἡμῶν, πεπειρασμένον δὲ κατὰ πάντα καθ’ ὁμοιότητα χωρὶς ἁμαρτίας.
der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat.
der nicht könnte Mitleiden haben mit unsern Schwachheiten, sondern der versucht ist allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde.
Auch hier ersetzt der Titel „Heiland“ den des „Hohepriester“ (Hebr 4,14). Da die Verse aber unter der Überschrift „Treue über Treue“ zusammengestellt wurden, wird zudem der Aspekt der Treue in die Verse eingetragen56: In Hebr 56
Ebenso wird in den vorherigen Versen der Begriff der Treue in den Text eingetragen (1) bzw. umgedeutet auf den Schöpfer hin statt auf den, der ihn wie bereits Mose (AT-Bezug) eingesetzt hat: (1) ‚dass sich euer keiner mit einem ungläubigen Herzen treulos von Gott lossage‘ (BG, Hebr 3,12) statt ‚dass keiner vom lebendigen Gott abfällt‘ (EÜ, Hebr 3,12). (2) ‚er bleibt treu seinem Schöpfer‘ (BG, Hebr 3,2) statt ‚der – wie auch Mose in Gottes Haus – dem treu ist, der ihn eingesetzt hat‘ (EÜ, Hebr 3,2).
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
371
4,14 findet sich das Bekenntnis, Jesus „die Treue halten“ zu wollen (BG) statt der ermunternden Aufforderung, an dem „Bekenntnis“, also dem Bekenntnis zu Jesus, dem Sohn Gottes, dem erhabenen Hohepriester, festzuhalten (EÜ). Wie bedeutsam diese Wortwahl hier ist, zeigt die Verwendung an bereits erwähnten Passagen der BG und bei Grundmann.57 Auch in der BGBearbeitung von 1 Tim 6,11f.58 zeigt sich eine ähnliche Ausdeutung der „Treue“: Gerade vor der Aufforderung zum „guten Kampf“ (1 Tim 6,12) fügt die BG die Rede von „Treue“ und „Tapferkeit“ ein: BG Sei […] treu und gütig,
NA 11 […] δίωκε δὲ […] πίστιν, ἀγάπην
EÜ 11 […] Strebe unermüdlich nach […] Glauben, Liebe,
Luther 11 […] Jage aber nach […] dem Glauben, der Liebe,
tapfer und milde.
ὑπομονὴν πραϋπαθίαν.
Standhaftigkeit und Sanftmut.
der Geduld, der Sanftmut;
Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, […]
12 ἀγωνίζου τὸν καλὸν ἀγῶνα τῆς πίστεως, […]
12 Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, […]
12 kämpfe den guten Kampf des Glaubens; […]
Die Übersetzung mit „Treue“ statt „Bekenntnis“59 (ὁμολογία) in Hebr 4,14 scheint sich in das christologische Konzept der BG-Redaktion eines treu und tapfer kämpfenden Jesus einzufügen. Als zweite christologische Tendenz lässt sich die Betonung der liebenden Vater-Sohn-Beziehung festhalten. Im Messias-Teil wurde bereits eine Präferenz für die Bezeichnung Jesu als „Sohn Gottes“60 festgestellt. Auch hier wird die Sohnschaft unterstrichen, indem Jesus Christus „Gottes lieber Sohn“ statt schlicht „der Sohn“ (υἱός, Hebr 5,8) genannt wird.61 Unterstützt wird die BG57
Mehr zum Begriff der Treue in der BG schon in 3.3.4.1 BG 62, Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben (Mark. 8,34–37; Matth. 10,32–33; 12,30). „Einsatz“ und „Treue werden als „Opfer“ gedeutet. 58 BG 199, Der gute Kampf des Glaubens (1. Tim. 6,11b–12). Vgl. die genauere Analyse dieser Stelle in 4.2.7.1. 59 Hintergrund der Aufforderung, am Bekenntnis festzuhalten, ist aber wohl die „Glaubensschwäche der Gemeinde“ (vgl. Gräßer (1990), 244). 60 U.a. 2.3.1 BG 88, Das Verhör vorm Hohenpriester Das Verhör vorm Hohenpriester (Mark. 14,53–61; Luk. 22,67b–70; Mark. 14,63–65; Luk. 22,64c), Mk 14,60–61; Lk 22,67b– 70), Mk 14,61 und Lk 22,67: Das Verhör vor dem Hohenpriester: ‚Sohn Gottes‘ statt ‚Messias‘. 61 Hahn verweist darauf, dass zwischen den Bezeichnungen ‚der Sohn‘ und ‚Sohn Gottes‘ unterschieden werde müsse, findet sich im Neuen Testament doch nur bei ‚der Sohn‘ als
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Bearbeitung von Hebr 3,1462 mit der Rede vom „Vertrauen“, ja vom „hoffnungsfrohen“ Vertrauen, an dem „unerschüttert“ festzuhalten sei (die EÜ schreibt gemäß dem griechischen Text nüchterner, man müsse „bis zum Ende an der Zuversicht festhalten, die wir am Anfang hatten“). Außerdem ergänzen die Redaktoren bereits vorher (Hebr 4,14) den Vers um einen Satzteil: BG
EÜ
Da wir einen mächtigen Heiland haben, der durch die Himmel geschritten ist
Da wir nun einen erhabenen Hohenpriester haben, der die Himmel durchschritten hat,
vor das Angesicht des Vaters,
fehlt
Jesus, den Sohn Gottes, so wollen wir ihm die Treue halten.
Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an dem Bekenntnis festhalten.
Auch hier wird die Vater-Sohn-Beziehung hervorgehoben, ohne dass der griechische Text das so belegt. Man könnte sogar spekulieren, dass Assoziationen an einen tapferen Kämpfer, der siegreich aus der Schlacht vor seinen Führer tritt, geweckt werden sollten oder zumindest im Hintergrund standen. In jedem Fall weisen die Beobachtungen aber darauf hin, dass der biblische Titel „Sohn Gottes“ von der BG stark betont und auf verschiedene Komponenten hin zugespitzt wird (Vertrauen/Treue usw.), die durch die Texte nicht in dieser Intensität belegt sind. Sowohl philologisch als auch theologisch gravierender ist, dass diese Bearbeitungen zu Lasten anderer Dimensionen der biblischen Christologie63 gehen. 1936 nimmt Grundmann die biblische Rede vom „Hohepriester“ noch wesentlich ernster, wenn er sagt, in Hebr 5,7– 10 werde Wert auf „die Tatsächlichkeit des Leidens“ sowie „das Lernen des Gehorsams“ gelegt „im Blick auf die Heilsbedeutung des Leidens, die im Hoherpriesterwerden zusammengefasst ist.“64 Überhaupt hat der frühe Grundmann hier kein Problem damit, die Herkunft der Gedanken aus dem jüdischen Kultdenken heraus zu erklären, ohne sie damit abzuwerten, indem er von einer „allegorisch-rationalisierenden“ Deutung in Hebr 6–10 spricht, „die einmal sein Hohespriesteramt mit dem alttestamentlichen Vorbild des Melchisedek vergleicht, zum anderen mit dem Opfer des levitischen Priestertums. Daß Jesus nicht nur […] Hoherpriester ist, sondern zugleich Opfer, bringt die zweite Gedankenreihe zum Ausdruck, die Sinn und Notwendigkeit des Christusopfers in einer allegorischen Gedankenfolge aus dem jüdischen Korrelat die ‚Vater‘-Bezeichnung Gottes. Der Würdetitel ‚Gottessohn‘ müsse daher separat betrachtet werden (vgl. Hahn (1995), 281). 62 BG 168, Treue um Treue (Hebr. 3,1–2a.12–14; 4,14–16), Hebr 3,14. 63 Hier also: Hohepriester, Sündopfer usw. 64 Grundmann, Passion (1936), 25.
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
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Opferkultus begründet. Ihre Gedanken bestehen darin, daß Jesu Opfer das Bundesopfer des neuen Bundes ist, das das Allerheiligste, den Zugang zu Gott, erschließt. […] Der unüberbietbare Unterschied gegenüber allem anderen Opfer besteht darin, daß es unwiederholbar […] und dauernd wirksam ist.“ 65 Zu diesen Aussagen, die vom Bundesdenken ausgehen, scheint die BGBearbeitung in einem großen Kontrast zu stehen: Die Bildwelt, die Jesus als Hohenpriester und Opfer zugleich darstellt, fehlt völlig, die Konzentration auf ein heilsnotwendiges Leiden ist deutlich sichtbar, während sich die Unwiederholbarkeit des Opfers aus dem BG-Text nicht mehr ablesen lässt. 4.1.5 BG 202f.: In Jesu Spur wird Leiden zum Quell des Lebens (1. Petr. 2,19–25; 3,9.15–16) Es liegt ein Segen darin, wenn ihr unverdienten Kummer tapfer tragt. Seid gewiss: Gott will es so. Es wäre kein Ruhm, wenn ihr Schläge aushaltet, die ihr durch euer Unrecht selbst verschuldet habt! Aber wenn ihr ausharrt dort, wo ihr leiden müßt trotz des Guten, das ihr tut, wird Gott euch segnen. Denn dazu seid ihr berufen. Christus hat in seinem unschuldigen Leiden und Sterben euch ein Vorbild hinterlassen, damit ihr in seinen Spuren ihm folgen sollt. Er ließ sich keine Fehltat zuschulden kommen, und ein Trugwort kam nicht aus seinem Munde. Er erwiderte Schmähwort nicht mit Schmähwort. Er drohte nicht rachgierig seinen Bedrängern. Vielmehr vertraute er sein Recht dem ewigen Richter an. Durch seinen Tod am Kreuz tilgte er unsre Schuld, damit wir von der Gewalt der Finsternis befreit für Gott leben könnten. Seine Schmerzen haben euch Heil gebracht. Ihr waret wie Führerlose im wegelosen Land. Nun aber habt ihr hingefunden zu ihm, der sich euer annimmt und euch auf rechter Straße zum Heil führt. (BG 202f., In Jesu Spur wird Leiden zum Quell des Lebens (1. Petr. 2,19–25; 3,9.15–16))
Schon vor dem Lesen dieses Abschnitts wird der Leser durch die Überschrift wieder zum Thema des Leidens gelenkt. Doch auch bei diesem Text lässt sich eine Veränderung des Settings feststellen, in das die BG die Verse stellt. Während die BG beide Teile der Passage unter der großen Überschrift „Christliches Leben in Familie und Gesellschaft“ (1 Petr 2,11–4,11) aufnimmt und den ersten Teil unter der Überschrift „Die Sklaven in der Nachfolge Christi“ (1 Petr 2,17–25) einbettet zwischen weiteren Empfehlungen für das richtige Verhalten bestimmter Gruppen66, wählt die BG aus den Empfehlungen an die Sklaven lediglich die Verse heraus, die mit dem „Leiden“ zu tun haben. Der Einleitungsvers 1 Petr 2,18, der den Leserahmen vorgibt („Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Ehrfurcht euren Herren unter, nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den launenhaften.“ (EÜ, 1 Petr 2,18)) fehlt völlig, die folgenden Verse wurden stark bearbeitet: 65
Grundmann, Passion (1936), 25f. EÜ-Passagen: „Der Christ im Staat“ (1 Petr 2,11–17) und „Frauen und Männer in der Ehe“ (1 Petr 3,1–7). 66
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG Es liegt ein Segen darin, wenn ihr unverdienten Kummer tapfer tragt. Seid gewiss: Gott will es so.
NA 19 τοῦτο γὰρ χάρις, εἰ διὰ συνείδησιν θεοῦ ὑποφέρει τις λύπας πάσχων ἀδίκως.
EÜ 19 Denn es ist eine Gnade, wenn jemand deswegen Kränkungen erträgt und zu Unrecht leidet, weil er sich in seinem Gewissen nach Gott richtet.
Luther 19 Denn das ist Gnade, so jemand um des Gewissens willen zu Gott das Übel verträgt und leidet das Unrecht.
[…] Denn dazu seid ihr berufen.
[…] 21 εἰς τοῦτο γὰρ ἐκλήθητε,
[…] 21 Dazu seid ihr berufen worden;
[…] 21 Denn dazu seid ihr berufen;
Christus hat in seinem unschuldigen Leiden und Sterben euch ein Vorbild hinterlassen,
ὅτι καὶ Χριστὸς ἔπαθεν ὑπὲρ ὑμῶν ὑμῖν ὑπολιμπάνων ὑπογραμμόν,
denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben,
sintemal auch Christus gelitten hat für uns und uns ein Vorbild gelassen,
damit ihr in seinen Spuren ihm folgen sollt. […]
ἵνα ἐπακολουθήσητε τοῖς ἴχνεσιν αὐτοῦ, […]
damit ihr seinen Spuren folgt. […]
daß ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen; […]
Eine Betonung des Leidens Christi und infolgedessen die Aufforderung zur Nachahmung diese Leidens lässt sich zunächst durch die Wahl des Adressatenkreises vermuten: Die Passage in der BG setzt erst mit 1 Petr 2,19 ein, in 1 Petr 2,18 werden allerdings gezielt die Sklaven aufgefordert, an der Stelle, an der sie in der Gesellschaft stehen, den Willen Gottes zu tun („ihr Gewissen nach Gott zu richten“ (1 Petr 2,19)) und beim Tun dessen sogar Unrecht zu ertragen. Die BG richtet die Passage dagegen pauschal an alle. Außerdem findet sich statt des Hinweises darauf, dass es nur bei eigenem reinen Gewissen gnadenhaft sei, Kränkungen und Unrecht zu ertragen, in der BG die Generalisierung, es sei „tapfer“, unverdienten Kummer zu ertragen. Der Hinweis darauf, dass ein solches „Ertragen“ nur dann richtig sei, wenn die Entscheidung dazu mit dem „Gewissen“ übereinstimme, das sich nach Gott richte, fehlt also. In der BG folgt eine pauschalisierte beruhigende Aussage, die aus der Gewissensentscheidung eine Gewissheit macht und aus dem Leiden mit gutem Gewissen ein Leiden nach Gottes Willen: „Seid gewiss: Gott will es so.“ Diese Aussage der BG, dass Gott das ungerechte Leiden
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wolle, ist ebenfalls nicht haltbar, der Vers kann keineswegs als eine Legitimation des Leidens gelesen werden.67 Desweiteren fällt ins Auge, dass die BG-Redaktion in 1 Petr 2,21 nicht nur vom Vorbild im Leiden, das wesentlich ergänzt wird durch den Aspekt der „Unschuld“,68 sondern auch vom Vorbild im Sterben spricht. Ähnlich wird in der BG die Rede vom Leiden und Sterben auch in Röm 5,969 eingefügt: Gott habe uns „durch Jesu Leiden und Sterben zurechtgebracht“ (statt: ἐν τῷ αἵματι αὐτοῦ/durch sein Blut70). Auch hier wird durch die Einfügung die Verbindung von Leiden und Sterben betont. Beide Änderungen können zeigen, dass für die BG-Redaktion die Vorbildhaftigkeit im Leiden eng mit der Vorbildhaftigkeit im Sterben und der dadurch implizierten Aufforderung, sich an beidem ein Vorbild zu nehmen, verbunden ist, obwohl der Gedanke des eventuellen Sterbens in 1 Petr 2,21 eigentlich unbetont ist.71 Durch den fehlenden Kontext in der Bearbeitung der BG-Redaktion wird freilich nicht klar, dass die Zusage, an der Gnade (χάρις) zu partizipieren, eben denen explizit zugesprochen wird, die der Willkür und den Anfeindungen der Mitwelt am schutzlosesten ausgeliefert sind: den Sklaven. Diese werden nun in 1 Petr 1,21ff. sogar in unmittelbare Beziehung zum leidenden Christus gesetzt und so „im Kontext der christlichen Gemeinden aufgewertet“.72 67
Vgl. Feldmeier (2005), 114: 1 Petr unternehme auch nicht den Versuch, die Sklaverei zu legitimieren. Wie viel weniger darf eine pauschale Legitimation des Leidens ohne den Verweis auf die Sklaven als Adressaten in den Text eingetragen werden. 68 Nach 1 Petr 2,20 gibt es auch selbstverschuldetes Leiden. Nur zu Unrecht erduldetes Leiden aber ist Gnade, wie „am ‚Beispiel‘ Jesu mittels Schriftzitaten und einem vorstrukturierten urchristlichen Glaubensbekenntnis“ in 1 Petr 2,21–25 erläutert werde (vgl. Frankemölle (1990), 51). 69 BG 181, Im neuen Leben mit Gott (Röm. 5,1–5.8–11), Röm 5,9. Zur Deutung dieser Stelle vgl. Wolter (1978), 176ff., vgl. Wolter (2005), 311f.: In Röm 5,9–10 wird mit der Logik argumentiert, dass es viel schwerer zu glauben sei, dass einer für Gottlose und Sünder stirbt, als dass er Gerechtfertigte und Versöhnte aus dem kommenden Zorn rettet. Dies scheint in der BG nicht so klar zu werden durch das Fehlen von Röm 5,6–7. 70 Mehr zum Begriff „Blut“ in der BG vgl. 3.2.7 Der Umgang mit dem Begriff „Blut“ an den fünf „Lamm“-Stellen im Vergleich mit den Abendmahlstexten und dem Bericht vom „Blutzeugen“ Stephanus. 71 Vgl. Breytenbach (2005), 440. Der Text stellt das Leiden Christi als moralische Vorbild vor (vlg. die Situationen, die mit πάσχειν in V.19.20 beschrieben werden). Außerdem litt Christus als Lebender. „Vor diesem Hintergrund kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Fokus bei ἔπαθεν auf dem Leiden Christi liegt und der Gedanke seines eventuellen Sterbens unbetont ist“ (ebd. 440). Vgl. Vouga (2013), 216: „Das ‚für euch‘ setzt das Leiden, nicht aber den Tod voraus. Gemeint ist nicht, dass an der Stelle von anderen gelitten wird, sondern für sie.“ 72 Vgl. Feldmeier (2005), 115. Brox liest die Aussagen ab Vers 1 Petr 1,19 nicht mehr auf die Sklaven bezogen, sondern insgesamt auf die Situation des Bürgers gegenüber den staatlichen Instanzen: Die Leiden, die ungerechterweise erlitten werden und ihren Grund in der
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4.1.6 BG 203, Freude im Leid (1. Petr. 4,12–13; 5,6–11) Wenn ihr in der Feuerprobe des Leidens steht, wundert euch dessen nicht! Fragt nicht: Warum geschieht uns das? Sondern seid froh, wenn ihr wie Christus leiden müßt! Dann werdet ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit voll Freude und Wonne sein. Beugt euch unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch herausreiße zu seiner Zeit! Alle eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorget für euch. Seid nüchtern! Seid wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen könne. Ihm leistet Widerstand, fest im Glauben! Eure Leiden sind gewiss nicht schwerer als die, welche eure Brüder in der weiten Welt auf sich nehmen müssen. Der gnädige Gott aber, der euch durch Christus gerufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit, wird euch bereiten, stärken, kräftigen, gründen, wenn ihr die kleinste Zeit eure Leiden getragen habt. Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit! (BG 203, Freude im Leid (1. Petr. 4,12–13; 5,6–11))
Auch hier haben sich die BG-Redaktoren gezielt Verse über das Leid herausgesucht und diese noch terminologisch verschärft. Hier zunächst 1 Petr 4,12– 13 im Detail:
‚Bindung an Gott‘ haben, seien Gnade (Brox (1979), 132). „Und die Selbstverständlichkeit, mit der hier das Leiden mit der Bindung an Gott zusammengebracht wird, kommt aus der Erfahrung und der Perspektive des Briefes, der mit allen Formen von Leiden der Christen, aber nicht mit Leiden als solchem befasst ist.“ (ebd. 133).
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
377
BG Wenn ihr in der Feuerprobe des Leidens steht, wundert euch dessen nicht!
NA 12 Ἀγαπητοί, μὴ ξενίζεσθε τῇ ἐν ὑμῖν πυρώσει πρὸς πειρασμὸν ὑμῖν γινομένῃ
EÜ 12 Liebe Brüder, lasst euch durch die Feuersglut, die zu eurer Prüfung über euch gekommen ist, nicht verwirren,
Luther 12 Ihr Lieben, lasset euch die Hitze, so euch begegnet, nicht befremden (die euch widerfährt, daß ihr versucht werdet),
Fragt nicht: Warum geschieht uns das?
ὡς ξένου ὑμῖν συμβαίνοντος,
als ob euch etwas Ungewöhnliches zustoße.
als widerführe euch etwas Seltsames;
Sondern seid froh, wenn ihr wie Christus leiden müßt!
13 ἀλλὰ καθὸ κοινωνεῖτε τοῖς τοῦ Χριστοῦ παθήμασιν, χαίρετε,
13 Stattdessen freut euch, dass ihr Anteil an den Leiden Christi habt;
13 sondern freuet euch, daß ihr mit Christo leidet,
Dann werdet ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit voll Freude und Wonne sein.
ἵνα καὶ ἐν τῇ ἀποκαλύψει τῆς δόξης αὐτοῦ χαρῆτε ἀγαλλιώμενοι
denn so könnt ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit voll Freude jubeln.
auf daß ihr auch zur Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben möget.
Auch hier fällt zunächst die ungewöhnliche Zusammenstellung einiger Verse aus zwei verschiedenen Kapiteln des ersten Petrusbriefs auf. Unter der Überschrift „Freude im Leid“ werden diese Verse gezielt auf das Thema „Leid“ hin zugespitzt. Gleich in 1 Petr 4,12 wird πειρασμός (eigentlich: Prüfung, Versuchung) mit „Leiden“ stark deutend übersetzt. Der gesamte Ausdruck, der die Verwirrung der Gemeinde mit „Feuersglut, die zu eurer Prüfung über euch gekommen ist“ (EÜ) umschreibt, wird von der BG als „Feuerprobe des Leidens“ übersetzt. Die „Feuersglut“ (πύρωσις), die von der BG als „Feuerprobe“, also als faktische Bewährungsprobe gedeutet und somit verstärkt wird, kann durch das zwischen Artikel und Substantiv stehende ἐν ὑμῖν allerdings besser so verstanden werden, „dass nun explizit auf die innerliche Be-
378
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
drängnis Bezug genommen wird. In jedem Fall genügt die Deutung des Leidens als Prüfung allein nicht mehr.“73 Die BG-Redaktion dagegen spricht korrespondierend mit dieser Beobachtung auch in 1 Petr 4,13 nicht vom Anteil (καθὸ κοινωνεῖτε) an den Leiden Christi, sondern vom Leiden wie Christus. Die eschatologische Hoffnung, durch die Verbindung mit Christus sowohl an seinem Leiden als auch seiner Herrlichkeit zu partizipieren,74 scheint in der BG in den Hintergrund zu treten, stattdessen scheint den Lesern eine komplette Nachfolge im Leid nahegelegt zu werden. Auch die Übersetzung des zweiten Versteils mit „Fragt nicht: Warum geschieht uns das?“ (BG) als Aufforderung an die „Leidenden“ weist in eine andere Richtung als die EÜ-Übersetzung, die den „Geprüften“ die Ermutigung zuspricht, sich nicht verwirren zu lassen, „als ob euch etwas Ungewöhnliches zustoße“ (EÜ). Nachfragen nach dem Grund des Leidens („Fragt nicht: Warum […]?“) werden von der BG-Redaktion explizit nicht zugelassen, vielmehr wird Wert darauf gelegt, dass man sich dieser „Feuerprobe“ stellen und „wie Christus“ tapfer leiden müsse. Auffällig ist in dem Zusammenhang auch die Verswahl und das Fehlen der kommenden Verse, die ganz klar darauf verweisen, dass die Frage nach dem „Warum“ eben nicht ausgeschlossen ist, sondern ganz klar beantwortet wird: Leiden ist nur dann sinnvoll, „wenn ihr wegen des Namens Christi beschimpft werdet“ (EÜ, 1 Petr 4,15) bzw. wenn einer leidet, „weil er Christ ist“ (EÜ, 1 Petr 4,16). Indem die BG diese Verse auslässt, macht sie die Aussage von 1 Petr 4,12–14 zu einer pauschalen Aufforderung zum Leid ohne Nachfragen nach dem Grund dafür. Es folgen dann nahtlos sechs Verse aus 1 Petr 5 (1 Petr 5,6–11); hier die wichtigsten Stellen im Detailvergleich:
73 Feldmeier (2005), 149. Ähnlich Brox: Das Bildwort „Feuersbrunst“ sei eher als theologische Situationsdeutung als dramatische Situationsbeschreibung zu verstehen (vgl. Brox (1979), 213). 74 Vgl. Brox (1979), 215.
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
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BG Beugt euch unter die gewaltige Hand Gottes,
NA 6 Ταπεινώθητε οὖν ὑπὸ τὴν κραταιὰν χεῖρα τοῦ θεοῦ,
EÜ 6 Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes,
Luther 6 So demütiget euch nun unter die gewaltige Hand Gottes,
damit er euch herausreiße zu seiner Zeit!
ἵνα ὑμᾶς ὑψώσῃ ἐν καιρῷ,
damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist.
daß er euch erhöhe zu seiner Zeit.
[…] Ihm leistet Widerstand, fest im Glauben!
[…] 9 ᾧ ἀντίστητε στερεοὶ τῇ πίστει
[…] 9 Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens!
[…] 9 Dem widerstehet, fest im Glauben,
Eure Leiden sind gewiss nicht schwerer als die, welche eure Brüder in der weiten Welt auf sich nehmen müssen.
εἰδότες τὰ αὐτὰ τῶν παθημάτων τῇ ἐν κόσμῳ ὑμῶν ἀδελφότητι ἐπιτελεῖσθαι.
Wisst, dass eure Brüder in der ganzen Welt die gleichen Leiden ertragen müssen!
und wisset, daß ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.
Der gnädige Gott[…] wird euch bereiten, stärken, kräftigen, gründen, wenn ihr die kleinste Zeit eure Leiden getragen habt. Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit!
10 ὁ δὲ θεὸς πάσης χάριτος […] ὀλίγον παθόντας αὐτὸς καταρτίσει, στηρίξει, σθενώσει, θεμελιώσει. 11 αὐτῷ τὸ κράτος εἰς τοὺς αἰῶνας, ἀμήν.
10 Der Gott aller Gnade aber […] wird euch, die ihr kurze Zeit leiden müsst, wieder aufrichten, stärken, kräftigen und auf festen Grund stellen. 11 Sein ist die Macht in Ewigkeit. Amen.
10 Der Gott aber aller Gnade […] der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen. 11 Ihm sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Auch hier sind die Verse aus ihrem eigentlichen Kontext genommen. Nur die „Abschließende Ermahnung und Tröstung“75 (1 Petr 5,6–11) bleibt in der BG übrig, nicht aber die vorangehenden Ermahnungen sowohl an die Ältesten, wie Hirten für ihre Herde zu sorgen und Vorbild zu sein (1 Petr 5,1–4), als
75
Feldmeier (2005), 162.
380
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
auch an die Jüngeren, sich dieser Sorge anzuvertrauen (1 Petr 5,5), als auch an alle, einander demütig zu begegnen (1 Petr 5,5). 1 Petr 5,6 steht dann in der BG nicht im Kontext der Demut76 und des gegenseitigen Respekts, sondern erscheint isoliert als Aufforderung, sich Gott unterzuordnen. Terminologisch interessant auch das schärfere „Beugt euch!“ (BG) für ταπεινώθητε im Vergleich zum „Beugt euch in Demut!“ (EÜ) bzw. „Demütiget euch!“ (Luther). In Anlehnung an 1 Petr 5,577 geht es bei der Aufforderung zur Demut gegenüber Gott darum, dass auch die bedrängte Situation von den Adressaten des Briefes angenommen werden soll.78 In der BG lautet die Verheißung, „herausgerissen“ (BG) zu werden statt „erhöht“ zu werden (EÜ/Luther) für das im Griechischen eindeutige ὑψόω79. Auch die Aussage von 1 Petr 5,9, die vom Leiden der Brüder auf der ganzen Welt spricht, scheint von den BG-Redaktoren relativiert worden zu sein: Das Leiden der Adressaten des Petrusbriefs sei „gewiss nicht schwerer“, also eher leichter, während die Übersetzung „gleiche Leiden“ (EÜ) bzw. noch deutlicher „ebendieselben Leiden“ (Luther) das Leiden aller auch gleich ernst nimmt und dem Herunterspielen des Leidens der Gemeinde in Relation zu den anderen widersteht. Auch die Bearbeitung der Zeitangabe in 1 Petr 5,10 (ὀλίγον) vom „kurzer Zeit“ (EÜ) zur „kleinsten Zeit“ (BG) scheint die Relativierungstendenz zu bestätigen: Die „tröstliche Entgegensetzung von kurzem Leiden und ewiger Herrlichkeit“80 wird in der BG noch verstärkt: Eine Stärkung durch Gott wird nach noch kürzerer Leidenszeit zugesagt. Hintergrund könnte die Ermutigung der Leser sein.
76
Feldmeier sieht den Begriff der „Demut“ allerdings als Schlüsselbegriff der Ethik im ersten Petrusbrief (vgl. Feldmeier (2013), 257–261 und Feldmeier (2005), 160–162). Die BG nimmt mit ihrem Eingriff in den Text also durchaus eine gewichtige Änderung vor. Eine generelle Ablehnung des Begriffs der „Demut“ lässt sich aber nicht feststellen, wurde der Begriff doch in Lk 18,14 (BG 30, Ehrlich vor Gott (Luk. 18,9–14)) gezielt verwendet: „Wer sich vor Gott überhebt, der wird verworfen; wer sich demütig vor ihm beugt, der wird erhöht.“ (BG) statt „ὅτι πᾶς ὁ ὑψῶν ἑαυτὸν ταπεινωθήσεται, ὁ δὲ ταπεινῶν ἑαυτὸν ὑψωθήσεται (NA)/wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden (EÜ)/Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden (Luther). 77 Dort ging es um den Verzicht auf Unterdrückung im innergemeindlichen Miteinander, also um die Demut im Umgang miteinander, hier in 1 Petr 5,6 nun um die Demut gegenüber Gott (vgl. Feldmeier (2005), 162). 78 Vgl. Feldmeier (2005), 162. 79 Erhöhen: ursprünglich für die Schlange, die Mose auf „erhöhte“, d.h. sichtbar auf einer Stange befestigte, ebenso wird Christus am Kreuz erhöht (vgl. Bauer/Aland, 1695f.). 80 Feldmeier (2005), 168.
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
381
4.1.7 BG 209, Gottes Hand im Leid (2. Kor 1,3–10; 7,10) Wenn wir leiden, wie Christus gelitten hat, empfangen wir auch reichen Trost durch ihn. Unser Leid und unser Trost schaffen euch Kraft und Leben. Ihr lernt, die gleichen Leiden tapfer zu tragen, die auch wir leiden. Wir sind dessen unerschütterlich gewiss, dass ihr in euren Leiden auch Trost finden werdet. Uns traf schwere Drangsal, die wir euch nicht verheimlichen wollen; sie ging über Menschenkraft, so dass wir an uns verzweifelten und mit dem Leben abgeschlossen hatten. Unser Vertrauen ruhte nicht mehr auf uns selbst, sondern allein auf Gott, der die Toten erweckt. Gott hat uns aus solcher Todesnot errettet und wird uns auch ferner seine Hilfe nicht versagen. (BG 209, Gottes Hand im Leid (2. Kor 1,3–10; 7,10), 2 Kor 1,5–10)
Interessant ist zunächst der Kontext, in dem diese Passage in der BG zu finden ist. Sie steht zu Beginn des vierten Teilkapitels „In Trost und Vollendung“ im Kapitel „Das neue Leben“81. Offenbar wollte man auch hier das Leiden gezielt in direkten Zusammenhang mit dem Tod82, aber auch der Hoffnung auf das neue Leben83 bringen. Hier ein Überblick über die wichtigsten Verse (2 Kor 1,5–7) der Passage:
81
BG 196–215. In dem Teilkapitel folgen unter anderem die Abschnitte BG 211, Trost an Gräbern (1. Thess. 4,13b–14.17c) und BG 212, Das Sterben – heilige Wandlung (1. Kor 15,35– 44a.50.53–55.57–58). 83 Vgl. die Wahl der Kapitelüberschrift „Das neue Leben“ und die im Abschnitt „In Trost und Vollendung“ folgenden Passagen BG 211, Ohne Ewigkeitshoffnung ist der Glaube leer (1. Kor. 15,12–19) und BG 214, Die Vollendung – das Gesicht des Sehers (Offb. 21,1a.3–8). Eine genauere Analyse der eschatologischen Vorstellungen in der BG wäre ein spannendes Forschungsfeld. 82
382
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG […] Wenn wir leiden, wie Christus gelitten hat, empfangen wir auch reichen Trost durch ihn.
NA […] 5 ὅτι καθὼς περισσεύει τὰ παθήματα τοῦ Χριστοῦ εἰς ἡμᾶς, οὕτως διὰ τοῦ Χριστοῦ περισσεύει καὶ ἡ παράκλησις ἡμῶν.
EÜ […] 5 Wie uns nämlich die Leiden Christi überreich zuteil geworden sind, so wird uns durch Christus auch überreicher Trost zuteil.
Luther […] 5 Denn gleichwie wir des Leidens Christi viel haben, also werden wir auch reichlich getröstet durch Christum.
Unser Leid und unser Trost schaffen euch Kraft und Leben.
6 εἴτε δὲ θλιβόμεθα, ὑπὲρ τῆς ὑμῶν παρακλήσεως καὶ σωτηρίας·
6 Sind wir aber in Not, so ist es zu eurem Trost und Heil,
6 Wir haben aber Trübsal oder Trost, so geschieht es euch zugute.
oben eingebaut
εἴτε παρακαλούμεθα, und werden wir ὑπὲρ τῆς ὑμῶν getröstet, so geπαρακλήσεως schieht auch das zu eurem Trost;
Ihr lernt, die gleichen Leiden tapfer zu tragen, die auch wir leiden.
τῆς ἐνεργουμένης ἐν ὑπομονῇ τῶν αὐτῶν παθημάτων ὧν καὶ ἡμεῖς πάσχομεν.
er wird wirksam, wenn ihr geduldig die gleichen Leiden ertragt, die auch wir ertragen.
7 καὶ ἡ ἐλπὶς ἡμῶν βεβαία ὑπὲρ ὑμῶν εἰδότες ὅτι ὡς κοινωνοί ἐστε τῶν παθημάτων, οὕτως καὶ τῆς παρακλήσεως. […]
7 Unsere Hoffnung für euch ist unerschütterlich; wir sind sicher, dass ihr mit uns nicht nur an den Leiden teilhabt, sondern auch am Trost. […]
Wir sind dessen unerschütterlich gewiss, dass ihr in euren Leiden auch Trost finden werdet. […]
Istʼs Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil;
welches Heil sich beweist, so ihr leidet mit Geduld, dermaßen, wie wir leiden. Istʼs Trost, so geschieht auch das euch zu Trost und Heil; 7 und unsre Hoffnung steht fest für euch, dieweil wir wissen, daß, wie ihr des Leidens teilhaftig seid, so werdet ihr auch des Trostes teilhaftig sein. […]
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
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Auch in diesen Versen lassen sich Veränderungen in den Aussagen über das Leiden feststellen. Schon die Überschrift greift nur das „Leiden“ auf; anders die EÜ-Überschrift „Von Leiden und Trost des Apostels“ (2 Kor 1,3–11) in Anlehnung an 2 Kor 1,7. Leiden und Trost kommen ja gleichermaßen von Christus. Gräßer sieht den Schwerpunkt auf dem „Trost“ liegen und nennt die Verse „Lobpreis des Trostes Gottes“84 für 2 Kor 1,3–7. Diese Aussage verwischt die BG, in dem sie 2 Kor 1,5 so zum Konditionalsatz umbaut, dass das Leid als Bedingung für den Trost erscheint: „Wenn wir leiden, wie Christus gelitten hat, empfangen wir auch reichen Trost durch ihn“ (BG, 2 Kor 1,5). Das griechische „(ὅτι) καθὼς […] οὕτως“ dagegen setzt Leiden und Trost sprachlich auf eine Ebene. Ebenso setzt die BG-Beschreibung der „Gewissheit“ des Apostels, dass die angefochtenen Korinther erst „in“ ihren Leiden auch Trost finden werden (2 Kor 1,7), einen deutlich hierarchisierten Akzent (durch Leiden wird auch der Trost zuteil) im Vergleich zum sprachlich wieder gleichrangigen: „dass ihr mit uns nicht nur an den Leiden teilhabt, sondern auch am Trost“ (EÜ, 2 Kor 1,7). Auch ist hier die „Hoffnung“ (ἐλπίς) des Apostels ausgedrückt; der Vers bekommt also die Funktion der Ermutigung und des Trostes, während die „Gewissheit“, die die BG aussagt, dem Vers beinahe Appellcharakter verleiht, der zum Leiden aufruft. Die gezielte redaktionelle Arbeit zeigt sich zudem daran, dass sich die Betonung des „Leidens“ auch in der im Text der BG direkt folgenden Passage ausmachen lässt.85 Zudem fällt in der BG-Version von 2 Kor 1,6 die Hinzufügung des Verbs „lernen“ auf:
84
Gräßer (2002), 53, Überschrift für 2 Kor 1,3–7. BG 210f., Die Kraft Christi im Leiden (2. Kor 12,7b–10). Vor allem die Bearbeitung von 2 Kor 12,7b zeigt das: Die BG schreibt schlicht: „Leiden hat mir Gott gegeben, dass ich mich nicht überhebe.“, eigentlich steht „ἐδόθη μοι σκόλοψ τῇ σαρκί, ἄγγελος σατανᾶ, ἵνα με κολαφίζῃ, ἵνα μὴ ὑπεραίρωμαι.“ / „wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen: ein Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.“ (EÜ) / „ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe.“ (Luther). Die BG-Version spricht vom „Leiden“, das „Gott gegeben“ habe. Das Passivum Divinum ‚ἐδόθη‘ wird dadurch vereindeutigt, obwohl sich vermuten lässt, dass die verhüllende Ausdrucksweise des Paulus vermeiden will, Gott direkt verantwortlich zu machen (vgl. Gräßer (2005), 197). Auch die exponierte Stellung des Schlagworts „Leiden“ an den Beginn der Passage zeigt bewusste Bearbeitung: Der Text spricht ja eigentlich nicht explizit vom Leiden, sondern wählt die Bilder des „Stachels im Fleisch“ (σκόλοψ τῇ σαρκί) und des „satanischen Boten“ (ἄγγελος σατανᾶ). Die BG fokussiert durch diesen Eingriff den Vers einmal mehr auf den Wert des „Leidens“. 85
384
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG Unser Leid und unser Trost schaffen euch Kraft und Leben.
NA εἴτε δὲ θλιβόμεθα, ὑπὲρ τῆς ὑμῶν παρακλήσεως καὶ σωτηρίας·
EÜ Sind wir aber in Not, so ist es zu eurem Trost und Heil,
Luther Wir haben aber Trübsal oder Trost, so geschieht es euch zugute.
oben eingebaut
εἴτε παρακαλούμεθα, ὑπὲρ τῆς ὑμῶν παρακλήσεως
und werden wir getröstet, so geschieht auch das zu eurem Trost;
Ist᾽s Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil;
Ihr lernt, die gleichen Leiden tapfer zu tragen, die auch wir leiden.
τῆς ἐνεργουμένης ἐν ὑπομονῇ τῶν αὐτῶν παθημάτων ὧν καὶ ἡμεῖς πάσχομεν.
er wird wirksam, wenn ihr geduldig die gleichen Leiden ertragt, die auch wir ertragen.
welches Heil sich beweist, so ihr leidet mit Geduld, dermaßen, wie wir leiden.
Diese Lesart T (Tischendorfiani textus) ist im Novum Testamentum Graece von 1927 noch im Fließtext aufgenommen. Luther 1912 übernimmt sie, nicht die BG.
Ist᾽s Trost, so geschieht auch das euch zu Trost und Heil
Der Schwerpunkt scheint für die BG hier auf dem didaktischen Gesichtspunkt zu liegen: Das Leiden wird „gelernt“ durch das Leiden des Apostels, der seinerseits leidet „wie Christus gelitten hat“ (BG 2 Kor 1,5). Der forcierte Aspekt des Leidens ist vor allem die „Tapferkeit“ beim Ertragen desselben, die „Geduld“ dagegen, die sich im griechischen Text findet (ὑπομονῇ), wird übergangen. Auch der gesamte Bezugspunkt der Aussage wird verändert: Der Trost (παράκλησις) wird eigentlich beim geduldigen Ertragen des Leidens wirksam. Die BG entfernt diesen Zusammenhang und macht einen kurzen und eingänglichen Hauptsatz daraus: Durch dessen Schlichtheit („Ihr lernt…“) wird die Aussage, die zugleich Leiden und Trost des Apostels mit dem Schicksal der Gemeinde verknüpft, auf den Aspekt des tapferen Lernens des Leidens zugespitzt und somit verflacht.86 Es geht aber eigentlich gerade 86
Schmeller nennt die „Trostmittlerschaft“ des Paulus allerdings als wichtigen Schlüssel für das Verständnis von 2 Kor 1,5: Die exklusive Leidensgemeinschaft des Apostels mit Christus und zugleich die Inklusivität der Gemeinde können so gedacht werden, dass es sich um eine „unmittelbare“ Leidensgemeinschaft des Paulus und eine von Paulus vermittelten Leidensgemeinschaft der Gemeinde handelt, da ihr auch der Trost analog durch den Apostel vermittelt wird (vgl. Schmeller (2010), 65).
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
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nicht um eine Übertragung der einzelnen Arten des Leidens des Paulus auf die Korinther, sondern um „die Selbigkeit des Leidensverständnisses“87. Die „Didaktisierung“ der Botschaft Jesu fällt in ähnlicher Weise auch an anderen Stellen der BG auf in der gehäuft auftretenden und gezielt eingefügten Rede vom „Lernen“ Jesu, ebenso wie dem „Lernen“ seiner Nachfolger.88 87 Gräßer (2002), 59. Es geht darum, dass die Korinther die ihnen in der Nachfolge des Gekreuzigten widerfahrenden Verfolgungen, Schmähungen und Kränkungen als ‚Leiden Christi‘ verstehen und sich so als Erlöste in einer unterlösten Welt verstehen können (vgl. ebd. 60). 88 (1) Bereits beobachtet wurde die Betonung der Notwendigkeit von Leiden und Lernen in der BG-Bearbeitung von Hebr 5,8 (vgl. BG 168f., Durch Leiden vollendet (Hebr. 5,7–10a), Hebr 5,8: „Aber er hat doch, obwohl er Gottes lieber Sohn war, in seinem Leiden Gehorsam lernen müssen“ für ‚ἔμαθεν‘. (2) Auch in Hebr 2,17 wird der „Lernprozess“ Jesu hervorgehoben (BG 168, Der Befreier aus Todesmacht (Hebr. 2,9–11.14–15.17b–18), Hebr 2,17): In der BG „lernt“ Jesus mit seinen Brüdern zu „empfinden“ und ist dann ihr „treue Heiland“, statt er „musste“ „gleich werden“ (ὀφείλειν + Inf. Aor. Pass. ὁμοιωθῆναι): Anstelle des Gleichwerdens Jesu mit allen Menschen schreibt die BG vom Lernen des Mitempfindens. Die Betonung der Gefühlsebene (‚mitempfinden‘) und der Lernprozess Jesu weisen auf eine starke Vermenschlichung Jesu hin. (3) Ebenso fügt die BG-Version von 1 Petr 1,21 einen Lernprozess des Glaubens in den Text ein (BG 201, Hoffnung bewährt sich im reinen Leben (1. Petr. 1,13b–21)): In der genaueren Analyse dieser Passage (vgl. oben 3.2.3) wurde die Einfügung der Rede vom „tapferen Lebenseinsatz“ Jesu in 1 Petr 1,17 (BG) festgestellt, der zur „Freiheit des neuen Lebens“ geführt habe. Dies wird dann zugespitzt: Eben durch sein tapferes Vorbild soll man an Gott „glauben lernen“ (1 Petr 1,21 (BG)). Eigentlich spricht der Vers davon, dass Christus um derentwillen erschien, die durch ihn an Gott glauben (δι’ ὑμᾶς τοὺς δι’ αὐτοῦ πιστοὺς εἰς θεὸν) (vgl. 1 Petr 20f.). Die BG-Einfügung des Hilfsverbs „lernen“ reduziert die Sendung Christi auf die didaktische Funktion des Lehrers des Glaubens an Gott. Für die Leser verknüpft sich der Zweck der Sendung (das Lernen des Glaubens) zudem mit der heldenhaften Tat Jesu, dem „tapferen Einsatz seines reinen Lebens“; den Lesern als potentiellen Nachfolgern scheint so der „tapferen Lebenseinsatz“ als adäquate Methode der Nachfolge. (4) Der Rolle Jesu als „Lernender“ entsprechend betont die BG auch die Rolle Gottes als „Erzieher“, so in der Überschrift BG 170f., Gottes Erzieherhand im Leid (Hebr. 12,4–5a.6– 11). Hier fehlt in der BG (Hebr 12,6; „Erziehen will euch Gott, wenn er euch hart anfaßt.“) der Verweis darauf, dass das „Erziehen“ bzw. „Züchtigen“ (παιδεύει) aus Liebe geschieht (vgl. „Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; […] jeden Sohn, den er gern hat.“ (EÜ, Hebr 12,6)). Aus der Versaussage: „Liebe ist der Grund für Züchtigung/Erziehung“ (also einer aitiologischen Erklärung für die momentan erlittene Züchtigung) wird in der BG die Aussage: „Das harte Anfassen ist Zeichen für Gottes Willen, als ‚Erzieher‘ tätig zu sein.“ Auch ist nicht mehr erkennbar, dass der Text auf Spr 3,12 Bezug nimmt. Zudem erschien der Gedanke der „Härte“ (vgl. oben BG Hebr 12,6: „[…] wenn er euch hart anfaßt“) den Redaktoren wohl sehr passend, hier für die Härte Gottes, aber auch in Bezug auf den Gedanken der Nachfolge. Der Fokus scheint hier auf die Ermutigung der Leser zum Leiden zu liegen: das „harte Schicksal“ wird als definitiver Weg zum Leid beschrieben, die erforderliche Reaktion ist die „Bewährung“ im Leid. ‚λύπη‘ steht aber für seelischen Schmerz, (vgl. Bauer/Aland 1988: „Trauer, Kummer, Herzeleid“), nicht für körperliches Leiden, wie es die BG-Übersetzung
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Dies könnte mit der BG-Tendenz der „Vermenschlichung“ Jesu zusammenhängen, also der Tendenz, seine Menschheit besonders stark betonen zu wollen, die Gottheit dagegen weniger hervorzuheben.89 Hintergrund dafür dürfte die Praxisorientierung der gesamten BG sein, die vor allem die Vorbildfunktion Jesu im Glauben (d.h. für die BG besonders im Handeln, insbesondere im Kampf gegen die Juden) zu betonen sucht. Auf dem Hintergrund der verstärkten Betonung des Leidens90 und Kämpfens91 und sogar des eigenen Lebenseinsatzes92 kann vermutet werden, dass eine größere Nähe des leidenden und kämpfenden Jesus zu den Menschen, die ihm nachfolgen sollen (und das ja auch, so wie Jesus, tapfer lernen können), hergestellt werden sollte. Bereits in der Aufforderung an die Leser der BG am Ende des Vorworts erklärt die Redaktion das „Lernen“ zum Ziel des Lesens: „Lernt mit Jesus glauben an den Vater, und strebt mit ihm nach seinem ewigen Reich!“ (BG VIII)
Einerseits wird hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch Jesus lernt, andererseits wird der Leser in den Lernprozess hineingeholt: Mit ihm solle man glauben lernen und mit ihm nach dem ewigen Reich streben. Die Praxisorientierung der BG wie im Besonderen der Christologie, die sich bereits mehrfach im Vorwort angekündigt hatte (dem deutschen Volk einen „Dienst“ erweisen usw.), wird hier nochmal betont. Auch diese Praxisorientierung stellt sich somit als eine direkte Anforderung an das deutsche Volk dar. Während die „Entjudung“ vor allem das Problem lösen sollte, durch den Glauben an den Juden Jesus mit der damaligen Judenfeindlichkeit in Konflikt zu geraten, scheint der zweite Schritt, der verschiedene christologische Dimensionen nahelegt. Die „Erziehung“ durch Gott zur Härte und zur Bewährung im Leid wird in der BG zur Kernaussage. (5) Auch BG Joh 11,15 (BG 135–138, Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (10,40–11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44), vgl. die genauere Analyse in 4.2.2) stellt die Nachfolge als Lernprozess dar: durch die Auferweckung des Lazarus sollen die Jünger „glauben lernen“ (für ‚ἵνα πιστεύσητε‘). 89 Diese Tendenz scheint auch die Beobachtung einiger aus den Texten herausgeschnittener Verse zu belegen, die Jesu Gottheit betonen. So fehlt z.B. (1) Joh 11,42 (Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herum steht, habe ich es gesagt; denn sie sollen glauben, dass du mich gesandt hast.). Dieser Vers nimmt thematisiert deutlich die Einheit von Vater und Sohn, ist in der BG aber geradezu herausgeschnitten, wie die Versauswahl zeigt: BG 138, Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (10,40– 11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44). Joh 11,42 fehlt. (2) Auch Joh 17,21 (Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.) wurde getilgt (vgl. BG 145 (Jesu Gebet für die Seinen (17,1–2b.4–11c.13–14c.15–17.19–20.22–26)). 90 Vgl. diese Kapitel 4.1. 91 Vgl. Kapitel 4.2. 92 Vgl. Kapitel 4.4.
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
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betont und Jesus u.a. als „Lernenden“ darstellt, auf eine Konkretisierung der (neuen) Inhalte des „entjudeten“ Christentums im täglichen Leben abzuzielen. Grundmann spricht auch ganz konkret davon, dass sich gerade die Synoptiker der „Erziehung“ der Jünger durch Jesus zu einem „wirksamen“, „kämpfenden“ und „sieghaften“ Glauben gewidmet hätten.93 Die auffälligen Schlagworte Kampf und Sieg werden von Grundmann also auch mit Gedanken der „Erziehung“ verknüpft. Hier ist aber m.E. keine durchgängige Systematik auszumachen, sondern die Redaktionsentscheidungen wurden wohl eher passagenabhängig getroffen. Nicht nur der Aspekt des Lernens Jesu, sondern an anderen Stellen auch der Aspekt des Lehrens wird mehrfach hervorgehoben. Dies lässt die Wahl der Christusbezeichnung „Meister“ auch an Stellen, an denen im Griechischen nicht ὁ διδάσκαλος zu finden ist, vermuten.94 4.1.8 Conclusio In den Beobachtungen dieses Kapitels wurde deutlich, dass dem Jesus der BG die Rolle des Leidenden gezielt und als Abgrenzungskriterium von „dem“ von den Redaktoren vorausgesetzten jüdischen Messiasverständnis zugeschrieben wird. Auch in Bezug auf die, die in Christi Nachfolge stehen, ist „Leiden“ in der BG ein zentraler Begriff (z.B. BG 202: In Jesu Spur wird Leiden zum Quell des Lebens (1. Petr. 2,19–25; 3,9.15–16) und BG 203, Freude im Leid (1. Petr. 4,12–13; 5,6–11)). Ebenfalls hebt Grundmann das Leiden als ein wesentliches Moment des Lebens Jesu hervor, das „schicksalhafte Bedeutung“ habe und seine „der Welt geltende Sendung“ anzeige. 95 Den Bogen zwischen dem Leiden Christi und den Erwartungen an die Nachfolge seiner Jünger, die für Grundmann wie auch für die BG wesentlich Leidensnachfolge bedeutet, spannt Grundmann über den Gedanken, dass
93
Vgl. Grundmann, Antike Religion (1943), 95. Johannes dagegen habe die ewige und unveränderliche Grundlage des Glaubens thematisiert. 94 ‚Meister‘ wird an folgenden Stellen von der BG gerne als Anrede an Jesus genutzt: (1) BG 39, Glaube achtete auf Jesu Wort (Luk. 10,38–42), Lk 10,40): Martha spricht zu Jesus als ‚Meister‘ (BG) statt ‚Herr‘ (EÜ/Luther für ‚κύριε‘). (2) BG 41, Glaube findet Erhörung (Mark. 10, 46–52), Mk 10,51: Der blinde Bartimäus sagt zu Jesus: ‚Meister, dass du mich sehend machst‘ (BG) statt ‚Rabbuni, ich möchte wieder sehen können‘ (EÜ/Luther für ραββουνι). (3) BG 75, Nicht der Menschen Erwartung, sondern Gottes Gedanken! (Mark. 8,27–31a; Luk. 17,25; Matth. 16,22; Mark. 8,33), Mt 16,22:Aus dem Munde des Petrus: ‚ Meister‘ statt ‚Herr‘ (EÜ/Luther für κύριε). (4) BG 135–138, Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (10,40– 11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44), Joh 11,16: Thomas fordert die anderen Jünger auf, mitzugehen, um „dass wir mit dem Meister sterben“ statt mit ihm zu sterben (EÜ/Luther für ἵνα ἀποθάνωμεν μετ’ αὐτοῦ). 95 Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 163.
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Jesus zu seinen Lebzeiten die Jünger mit „ganzer Aufmerksamkeit“ auf Leid, Not, Verfolgung und gewaltsamen Tod vorbereitet habe: „Gott will aus Leid Leben wecken. […] Von diesem Gesichtspunkt aus geht Jesus mit den Menschen um. An den Leidenden will er Gottes Macht und helfende Liebe zum Durchbruch bringen. Er sieht im Leiden Gott Hilfe und Leben schaffend am Werke. Von diesem Gesichtspunkt aus geht Jesus in sein eigenes Leben, das ihm nicht Verwerfung und Strafe von Gott ist, sondern eben der Weg, den er gehen muß und auf dem Gottes Werk offenbar wird. So macht er auch seinen Jüngern deutlich, daß ihrer Leid und Not, Verfolgung und gewaltsamer Tod warten und richtet seine ganze Aufmerksamkeit darauf, sie für diesen letzten Einsatz tüchtig und bereit zu machen. […] Er gibt ihnen die Gewissheit, daß nichts ohne Gott geschieht und daß auch im bittersten Leiden Gott helfend und bewahrend und errettend gegenwärtig ist.“96
Die Formulierung, Jesus habe seine Jünger „für diesen letzten Einsatz tüchtig und bereit“ machen wollen, lässt hier Anklänge an ein Verhältnis zwischen Feldherr und Soldaten erkennen, die von ihm zum „Einsatz“ im Felde „tüchtig und bereit“ gemacht werden. Die historisch-kritische Rückfrage, inwieweit die Erfahrungen von späteren Verfolgungen und Leid der christlichen Gemeinden in die Texte eingedrungen sind, bleibt von Grundmann hier unbeachtet.97 Auch wird das Leiden nicht nur als eine mögliche Folge, die aus dem Leben nach dem Evangelium resultieren kann, sondern vielmehr als zu erwartende Notwendigkeit, auf die man sich vorbereiten soll, beschrieben. In aktuellen Deutungen dagegen wird die Frage nach dem Leid nicht als eine Abgrenzung von jüdischer Messiaserwartung und tatsächlicher Bestim96
Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 113f. Sicherlich sollte der erste Petrusbrief die Empfänger „in ihrer schwierigen Situation als gesellschaftliche und religiöse Minderheit“ dabei unterstützen, sich im Bewusstsein ihrer göttlichen Erwählung zu bewähren (vgl. Gielen (2013), 523). Die Frage der Datierung bedingt die Frage danach, um welche Situation es sich genau handelt, die Spannweite reicht von den 60er Jahren bis in die Zeit Trajans (98–117) hinein, bedingt wohl durch die Allgemeinheit des Schreibens. Gerade diese sowie die Bezeichnung Roms als Babylon und die Verfolgung der Christen um ihres Christseins willen macht die Spätdatierung plausibler. Broer hält als Abfassungszeit „die Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert n.Chr. am wahrscheinlichsten (vgl. Broer (2001), 620f), Feldmeier favorisiert die Frühzeit Domitians (zwischen 81 und 90), da sich keine Hinweise auf Martyrien finden, zu denen es in späterer Zeit wohl kam, wie sich in Offb 2,13; 6,9–11; 17,6 zeige (vgl. Feldmeier (2003), 329), auch Gielen plädiert für eine Datierung in Domitians Regierungszeit mit der Begründung, dass Domitian schon zu Lebzeiten im gesamten Reich seine kultische Verehrung als Loyalitätsbeweise gefordert habe, allerdings in die Spätzeit, da er hier den Kaiserkult zunehmen als Mittel zur Loyalitätsüberprüfung einsetzte (vgl. Gielen (2013), 525). Als Abfassungsort wird Rom oder Kleinasien angenommen (vgl. Broer (2001), 622. Gielen (2013), 522f. äußert die Präferenz für Kleinasien). Die Adressaten in Kleinasien waren wohl besonders vom Unverständnis und Misstrauen betroffen, dass man denen entgegenbrachte, die sich dem Kaiserkult verweigerten, da die Bürgerkriegswirren der ausgehenden Republik hier besonders stark waren und man dementsprechend für den Frieden der Kaiserzeit besonders dankbar war (vgl. Gielen (2013), 525). 97
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
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mung Jesu gesehen. Man bemüht sich nicht nur darum, aus der Situation der einzelnen Gemeinden heraus zu argumentieren und die Leidensvorhersagen im Kontext der innerjüdischen Entwicklungen zu sehen98, obwohl historisch z.B. für das Matthäusevangelium durchaus anzunehmen ist, „dass sich ‚die‘ Gemeinde der matthäischen Christusanhänger (oder Teile von ihr) in einem Konflikt mit (Mitgliedern?) der lokalen Synagoge befanden, der so weit gegangen sein mag, dass von einer Trennung der beiden Gruppen gesprochen werden kann […] Wie auch immer: Selbst ein Trennungsstrich zwischen matthäischer Gemeinde und örtlicher Synagoge (oder einer örtlichen Synagoge), welcher zudem von unterschiedlichen Anhängerinnen und Anhängern Christi unterschiedlich scharf empfunden worden sein mag, bedeutet weder eine Trennung zwischen matthäischem Christentum und ‚der‘ Synagoge, die es als solche (im Singular!) gar nicht gab, noch, dass die matthäischen Christen sich als ‚Kirche‘ außerhalb Israels verstanden.“99 Die einzelnen biblischen Texte sollten daher auch als Teil einer kanonischen Schrift, die auch jenseits ihrer Entstehungssituation relevant sein will, verstanden werden: Sie müssen also sowohl in ihren Gesamtkonzeptionen gesehen werden, als auch im Verhältnis zu den Konzeptionen anderer biblischer Texte.100 Statt nun einseitig eine Abgrenzung Jesu von „den Juden“ zu konstruieren, wie die BG es versucht, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass in allen neutestamentlichen Schriften auch „positive Gegengewichte“ zu finden seien, so auch im Matthäus- und Johannesevangelium: „Matthäus spricht von der Sendung Jesu allein zu den ‚verlorenen Schafen des Hauses Israel‘ (10,6; 15,24), und er stellt auch die Kirche ganz betont vor das strenge Gericht Gottes (7,13–27; 18,23–35; 24,3–25,46). Das Johannesevangelium weiß schließlich um das ‚Heil, das von den Juden kommt‘ (4,22). Alle diese Gegenaussagen mögen das Problem wenigstens ein Stück weit entschärfen, heben es aber keineswegs auf. […] Die vorgeführten Texte treffen sich in einem wichtigen Punkt: Es ist gerade die grosse Nähe zum Judentum, die zu einer derartigen schroffen Distanzierung führt.“101
Das größere Problem stellt also nicht die ursprüngliche Intention, sondern erst die Rezeption der Texte dar: „Eine antijüdische Rezeption des Neuen Testa98 Die Leidensvoraussagen (Mt 10,17.23; 23,34–39) „reflektieren Spannungen zwischen Juden und den christlichen Boten wie Gemeinden im palästinisch-syrischen Raum, die sich schon relativ früh aufgebaut und nach der Tempelzerstörung noch massiv verstärkt haben“ (Vollenweider (1999), 43f.). 99 Nicklas (2015), 19f. 100 Vgl. Nicklas, Versöhnung (2013), 283; gerade bei schwierigen Verse wie dem Blutruf Mt 27,25 ist es notwendig, vom Ganzen des Neuen Testaments her den Vers sowohl auszulegen als auch zu kritisieren (vgl. Luz, IV (2002), 289, vgl. 288–290). Nicklas und Stökl Ben Ezra arbeiten in diesem Sinne zum Beispiel das Bedeutungspotential der Theologie des Yom Kippur für Mt 27,25f. heraus, das „unselige antijüdische Deutungen“ überwinden helfen könne (vgl. Nicklas (2015), 15). 101 Vollenweider (1999), 45.
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
ments ist erst durch die Rezeption bzw. Intention der Rezipienten grundgelegt und dann entsprechend tradiert worden.“102 Im Laufe der „christlichen Identitätsbestimmung“ seien als „Fluchtlinie“ Antithesen und Komparationen benutzt worden, um das Entscheidende des christlichen Glaubens herauszustellen und aufzuzeigen, „dass gegenüber dem Jüdischen mit Jesus Christus etwas Neues, Vollkommeneres und Besseres gekommen ist.“103 Als eine derartige „Fluchtlinie“ benutzt nun allerdings die BG den Messiasbegriff: Zunächst wird die jüdische Vorstellung polemisch dargestellt, um dann im zweiten Schritt die christliche davon abzugrenzen. So hätten „die Juden“ einen rein politischen Messiaskönig erwartet: „Es ist bezeichnend, daß der Jude das Gottesreich als jüdische Weltherrschaft erwartete. Auch diesem Gedanken ist Jesus scharf entgegengetreten, indem er das Gottesreich als eine geistliche Herrschaft verstand und es ablehnte, Messiaskönig der Juden zu sein.“104
Der Gedanke des „Leidens“ dient Grundmann sowie der BG also als Abgrenzungskriterium von der jüdischen Messiaserwartung. 102
Blum (2010), 242. Historisch-kritische Exegese könne daher zwar „zeigen, dass ein antijüdisches Verständnis neutestamentlicher Texte nicht dem Textverständnis des Einzeltextes entspricht, aber sie kann darin nicht von der grundsätzlichen Problematik der selbstverständlich gewordenen antijüdischen Rezeption entlasten, die die christliche Identitätsbildung wiederum maßgeblich beeinflusst hat“ (ebd.). Ähnlich Nicklas: Ein Teil der antijüdischen Potentials lasse sich durch die Rezeption der Texte, gelöst aus ihrem ursprünglichen Kontext, erklären (Nicklas, Versöhnung (2013), 281). 103 Vollenweider (1999), 49. 104 Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 10. Ähnlich verbindet Pohlmann, ebenfalls Autor im Verlag Deutsche Christen, dessen Schrift (Pohlmann (1939)), am Ende von Fromms BG-Kommentar dezidiert „zur weiteren Vertiefung“ empfohlen wird, die Ablehnung des Messias-Gedankens mit dem Gedanken des Kampfes Jesu gegen die von den Juden angeblich angestrebte „Weltherrschaft“: Der jüdische Messiasgedanke stamme „vom Satan“ (ebd. 49), Jesu Ethik sei daher nicht „grundsätzlich-pazifistisch“, „im Gegenteil, […] Jesu Lebenswerk ist Kampf, Kampf des Stärkeren mit dem Starken (Matth. 12.29; Mark. 3,27; Luk. 11,21f.)! Aus allen diesen Beispielen geht hervor, daß Jesus nicht die Macht schlechthin in ihrer Daseinsberechtigung und in ihrer Göttlichkeit antasten will, sondern eben nur die Macht, welche die Juden erstreben, um unter dem Deckmantel des Reiches Gottes sich zur Weltherrschaft zu bringe.“ (ebd. 56). Auch Grundmann verknpüft die Erwartung des jüdischen Strebens nach Weltherrschaft mit der Messiaserwartung der Juden: die „politischjüdischen Reichgottesidee“, also „der Gedanke an die Wiederaufrichtung der Herrschaft Gottes in der messianischen Zeit“ sei Zentrum der Messiaserwartung, „wobei der Gedanke der Herrschaft Gottes gleichgesetzt ist mit der Weltherrschaft Israels, die einen mythischparadiesischen Charakter tragen soll“ (vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 35). Nun wird nochmals der Zusammenhang deutlich: Die Juden erwarten die jüdische Weltherrschaft, eingeleitet durch das Kommen des Messias. Da das Weltende als „blutige Vernichtung“ kommen müsse, kämpfe das Judentum jetzt gegen das „junge deutsche Volk“ (Grundmann, Entscheidungsstunden (1941), 83).Vgl. zum „Reich Gottes“ in der BG 3.2.4 BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12), Offb 12,11: „Herzog ihres Lebens“ und Kapitel 3, FN 229 zum Reich-Gottes-Begriff.
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
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Der Widerspruch, in dem die auffällige Betonung des Vorbildcharakters Christi im Leiden mit der heroischen Auffassung von „Lebensspende“, „Weihe“, „Gottesdienst der Tat“ und dem kämpferischen Jesusbild das sich bisher in der BG angedeutet hat, zu stehen scheint, hat sich im Blick auf die Textstellen in der BG und die zugehörigen Interpretationen aufgelöst: In der Frage, wie das Leiden in der BG aber verstanden wird, wurde eine enge Verflechtung von Leid und Tod sichtbar, bei der das Leiden als ein Teil des heroischen Handelns aufgefasst wird.105 Auch der Kampfesgedanke wird von Grundmann mit dem Leiden verbunden: Das Leiden sei als „ein sehr wesentlicher Teil seines Kampfes“ zu verstehen, da er durch sein Leiden „die zerstörenden Mächte des Daseins zur Enthüllung ihrer letzten Gründe und Tiefen, zum Angriff auf den, der nichts anders tat als Gottes Willen“, zwinge und dadurch ihre „Gottfeindschaft“ enthülle. Das Leiden ist da notwendig, „wo der Angriff auf diese Mächte genügend vorgetragen ist“ und somit sehe Jesus selbst sein Leiden als „ein Stück dieses Kampfes“. „Jesus sieht sein Leben und Sterben als eine unlösliche Einheit unter dem Gesichtspunkt ‚Dienst‘.“106 Selbst das „stille Leiden“ wird von Grundmann als Teil des „Kampfes“ definiert. Sichtbar wird hier einmal mehr die enge Verknüpfung der BG-Bearbeitungen mit Grundmanns Denken. Ebenfalls wird die aktive und heldenhafte Seite des Leidens und Sterbens Jesu hervorgehoben, die von Grundmann als „herrische Überlegenheit“ und mit dem Stichwort „Dienstwille“ betitelt wird. Auf diese Weise wird ebenfalls auf die Abhebung Jesu vom Judentum abgezielt: „Was Jesus vom Judentum unterscheidet, ist sein Dienstwille. Wir haben gesehen, wie tief dieser Unterschied reicht: bis in die letzten Fundamente, und wie weit er führt: bis zu seiner Verwerfung durch die Juden, die ihn ans Kreuz ausliefern, das nicht aus einem politischen, sondern aus einem religiösen Widerspruch Jesu entsteht. Die Art seines Leidens und Sterbens offenbart – darin hat Nietzsche recht – die herrische Überlegenheit Jesu gegenüber seinen Widersachern und allem, was sie ihm antun können, eine Überlegenheit aus dem Glauben.“107
Dieser Gedanke der „herrischen Überlegenheit“ dürfte auch den Beobachtungen zugrunde liegen, dass das Leid in der BG kaum mit Schmerz und Ohnmacht verbunden zu werden scheint. Diese Konnotationen wären allerdings im Bild des „Lammes“ präsent, das die BG aber völlig gestrichen hat. Vielmehr wird der Aspekt der freien Entscheidung, des Kämpferischen und auch des Gehorsams und der Treue im Leiden betont und somit scheint auch hier wieder ein letztlich heroisches Leiden dargestellt worden zu sein. Auch wur-
105
Vgl. oben: BG 75, ‚Mitleiden ist Voraussetzung der Herrlichkeit‘ (Mark. 10,35–40). Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 37. 107 Grundmann, Antike Religion (1943), 84. 106
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
den Leid und Tod verknüpft im Gedanken der „Leidensnachfolge“, die sogar als „Voraussetzung für die Herrlichkeit“ bezeichnet wird. Das Problem, das sich aus der Schwerpunktsetzung der BG ergibt, wird allein dadurch überdeutlich, dass Grundmann mit seiner Isolierung des Sterbens Jesu vom „jüdischen Dienstwillen“ völlig übergeht, dass es auch jüdische Märtyrer gab (vgl. 2 Makk 7, auch 4 Makk).108 Diese Loslösung des Gedankens der Leidensnachfolge vom Judentum und die Verabsolutierung des Leidens ist auch mit Blick auf die Bibelstellen, in denen die Nachfolge Jesu mit der Bereitschaft zum Martyrium verknüpft wird, fatal: Unbeachtet scheint in der BG der Unterschied zwischen dem Kreuz Christi und dem Kreuz der Jünger zu bleiben. Moltmann weist, nach einem Streifzug durch das Verständnis und den Nachvollzug der Passion Christi im Sinne der Leidensmystik109, eindrücklich auf die Exklusivität des Kreuzes Christi hin: „Es muß gefragt werden, ob dieses Kreuz der absoluten Gottverlassenheit nicht exklusiv sein Kreuz bleibt und nur in Abschattungen in das Kreuz der leidenden Nachfolger übergeht. Das Kreuz Christi geht nicht auf in ein Vorbild für das Kreuz der Nachfolger Christi. Sein Leiden an der Gottverlassenheit ist nicht ein Entwurf für die christliche Existenz in der Gottverlassenheit der vergehenden Welt. Darum heißt es in Mark. 8,35 wohl mit Bedacht auch nicht, daß die Jünger ‚sein‘, nämlich Christi Kreuz auf sich nehmen sollen, sondern eben ‚ihr Kreuz‘. Von einer Nivellierung kann nicht die Rede sein, wie auch die Gethsemanegeschichte zeigt. Jesus litt und starb in Einsamkeit. Die Nachfolger aber leiden und sterben in seiner Gemeinschaft. Das ist bei aller Gemeinsamkeit etwas anderes. […] Darum ist Nachfolge Freude.“110
Der entscheidende Punkt, auf den Moltmann hier verweist und der im starken Gegensatz zur einseitigen BG-Interpretation liegt, ist der, dass auch die Unterschiede zwischen Christi tatsächlichem Kreuzestod und der möglichen
108
Auch diese haben für das Volk gelitten, um den Zorn Gottes abzuwenden. Vgl. hierzu die Monographie von Henten (1997) zu 2 und 4 Makk und seinen Artikel „Jewish Martyrdom and Jesusʼ Death“ (Henten (2005)). In den Passionserzählungen seien, neben Elementen aus anderen Traditionen, auch Elemente jüdischer Märtyrererzählungen eingebaut, die Passionserzählungen bilden somit ein Genre, das sich aus verschiedenen literarischen Vorbildern zusammensetzt (Henten (20059, 168). Die Deutungsmuster, nach dem ein Mensch für (einen) andere(n) stirbt und sie (ihn) durch den eigenen Tod aus einer Notlage rettet, ist zudem schon in den Tragödien des Euripides zu finden und hat sich dann in der Kaiserzeit nicht nur bis in Spruchtraditionen und Wandmalereien verbreitet, sondern wurde eben auch von Juden wie Jusephus, Philo und den Verfassern von 2 und 4 Makk aufgenommen (vgl. Breytenbach (2013), 323). 109 Moltmann (1972), 47–49, schon im historischen Christentum präsent, dann im Spätmittelalter auch im christlichen Europa (Christus als „Mann der Schmerzen“). 110 Moltmann (1972), 57. Zwischen Christi eigenem Kreuz und dem Kreuz seiner Nachfolger bestehe eine „qualitative Differenz“ (ebd. 65), „im Kreuz der Nachfolge des Glaubens und der Liebe wird Christi Kreuz existentiell erfahrbar, aber Christi Kreuz geht ihm zeitlich und sachlich und in seiner eschatologischen Bedeutung voran“ (ebd. 66).
4.1 Jesus ist der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen
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Kreuzesnachfolge bedacht werden müssen. Die BG ebnet diese Unterschiede mit ihrer Nachfolgekonstruktion unzulässig ein. Der Gedanke des Leidens stehe zudem neutestamentlich stets in der „durch die Auferweckung Jesu abgedeckten Zuversicht auf die bleibende und absolute Gültigkeit der Heilszusage Gottes“ und könne daher niemals Ziel oder Wesen der Jüngerschaft und keinesfalls vorrangig auf den gewaltsamen Tod bezogen sein. (Leidens-)Nachfolge sei „vielmehr die ungeteilte, das Wagnis des Glaubens auf sich nehmende Bereitschaft des Gerufenen“ und eine Offenheit für Gott, die alles, „auch die Bereitschaft zum Einsatz des eigenen Lebens“ einschließe.111 Daher können Leiden und Martyrium niemals als Selbstzweck angesehen werden, wie es in der BG geschieht und in Grundmanns Denken sogar noch 1957 erkennbar ist: Selbst damals sieht er die in den Evangelien geforderte „Leidensnachfolge“ noch als Gegensatz zum jüdischen Verständnis innerhalb einer „Vergeltungstheorie“ an: „Der Weg in das Reich Gottes ist der Weg der Hingabe an die Menschen um des Reiches Gottes willen, nämlich in Gehorsam gegen Gott. Diese Worte von der Leidensnachfolge tun kund, aus welcher Einsicht heraus Jesus selbst den Weg des Leidens gegangen ist. Sie bedeuten gegenüber der jüdischen Vergeltungstheorie, die Leiden nur als Strafe versteht, eine grundlegende Wandlung des Verständnisses des Leidens. Im Leiden vollzieht sich das Freiwerden vom eigenen Ich, und es entspringt der Notwendigkeit des Dienstes.“112
Diese Denkrichtung ist der biblischen diametral entgegengesetzt: Nicht das Leiden wird als Wert dargestellt, denn „nicht vom Mitgekreuzigtwerden der Glaubenden her ist das Kreuz Christi in seiner Bedeutung zu verstehen, sondern umgekehrt vom Kreuzestod Christi für die Gottlosen her gewinnt das Mitgekreuzigtwerden der Glaubenden seinen Sinn. […] Die Verkündigung des Kreuzes fragt den Hörer doch wohl nicht primär, ob er sich mit Christus kreuzigen lassen will, sondern verkündet ihm den für ihn, den Gottlosen, in Gottverlassenheit gekreuzigten Christus.“113 „Christi Kreuz wird zum Grund für das Mitgekreuzigtwerden des Apostels, der Märtyrer und der selbstvergessen Liebenden.“114
111
Oberlinner (1980), 172. Grundmann, Geschichte Jesu Christi (1957). 113 Moltmann (1972), 63. 114 Moltmann (1972), 65f. 112
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
4.2 Jesus ist ein „Kämpfer“ gegen das Judentum, daher werden seine Nachfolger zu (Mit-)kämpfern 4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
4.2.1 Einführung und Stand der Dinge
Schon öfter war in den bisher betrachteten Texten die Beobachtung gemacht worden, dass Jesus in den Texten der BG „kämpferischer“ gezeichnet und auch der Opferbegriff mit dem „Kampf“ in Verbindung gebracht werde. Die Wahl des Titels „Sein Kampf“115 für die synoptischen Streitgespräche, in denen der „Angriff“ Jesu „seine grundsätzliche Schärfe“ bekommen habe, da hier das „Nein Gottes, das Jesus über diesen ganzen religiösen Betrieb kündet“, sichtbar werde116 ließ bereits eine „kämpferische“ Christologie erkennen, ebenso wie Grundmanns Deutung der Streitgespräche als „Gegenangriff“ Jesu, zu dem ihn die „Angriffe“, die zwar jeweils von den Pharisäern und Schriftgelehrten begonnen worden seien, gezwungen hätten, der aber aus seiner „Haltung“ herausgewachsen sei, die sich „um die Satzungen und Bestimmungen des Judentums nicht kümmert und sie beiseiteschiebt und dabei tief in die religiöse Substanz des Christentums eingreift.“117 Eben diese Tendenz lassen die Überschriften „Hart und entschlossen“118, „Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben“119, „Der Kampf in Judäa“120 der „Die entscheidende Kampfansage“121 erahnen. Die BG wählt also mehrfach den „Kampf“ als entscheidendes Charakteristikum für Jesu Leben und Wirken. Ebenso verhält es sich bei der Bezeichnung des idealen Nachfolgers Christi als „mein Gefolgsmann“.122 Jesus selbst wird in Mk 12,37123 mit einer Kampfesmetapher beschrieben: Er habe die Schriftgelehrten mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Und bereits Mk 12,36 zitiert Jesus David betont kämpferisch: die Feinde sollen besiegt zu Füßen gelegt werden.124 Auch Grundmann nennt ein Kapitel seiner Jesus-Monographie von 1940 „Der Kampf mit dem Judentum“ und unterscheidet hier drei Phasen des Kampfes: (1) Die Juden (Pharisäer und Schriftgelehrte) stoßen sich an der 115
Kapitelüberschrift für BG 63–73. Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 36. 117 Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 148. 118 BG 51, Hart und entschlossen (Mark. 9,43–47.50b). 119 BG 62f., Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben (Mark. 8,34–37; Matth. 10,32–33; 12,30). 120 Großüberschrift für BG 118–134. 121 BG 68f., Die entscheidende Kampfansage (Luk. 11,39–42ab; Matth. 23,24; Luk. 11,43; Mark. 12,40; Luk. 11,44–46; Matth. 23,13; Luk. 11,47–50.51c; 13,34–35a; 11,53–12,1). 122 Vgl. BG 140f., Dem Opfer entkeimt das Leben (Joh 12,24b–32.37a), Joh 12,26. 123 BG 79, Die Frage nach dem Davidssohn (Mark. 12,35–37), Mk 12,37. 124 BG 79, Die Frage nach dem Davidssohn (Mark. 12,35–37), Mk 12,36. 116
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
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Sendung Jesu und kämpfen gegen ihn. (2) Jesus startet Gegenangriff und trennt sich schließlich auch von ihnen. (3) Die Passion ist das Ende des Kampfes.125 Jesu „Sendung“ nennt er „den schwersten Kampf“, in den dieser selbst zum „Kämpfer“ werde. Seine Worte in Lk 12,49 seien Ausdruck für die „innere Leidenschaft und Glut solchen Kämpfens und Einsatzes“:126 Dementsprechend ist der Vers auch in der BG bearbeitet127. Auch spricht er vom „letzten Gotteskampf in Gethsemane“128, ebenso wie vom „Gefolgsherrn“ Christus, dem die „Deutschen Menschen“ als „Gefolgsmannen“ folgen.129 Zudem lässt sich bereits, auf den ersten, dem bearbeiteten Bibeltext vorgeschalteten Seiten, eine enge gedankliche Verbindung der Herausgeber zum damaligen geschichtlichen Geschehen erkennen, das im Vorwort zweimal als „Entscheidungskampf“130 bezeichnet wird. Schon die Rede vom Entscheidungs- bzw. Schicksalskampf war eigentlich politische bzw. propagandistische Terminologie. So stufte man den als unvermeidlich empfundenen deutsch-sowjetischen Krieg als „Entscheidungskampf“ ein, der eine Vorentscheidung über den Ausgang des Weltkrieges bringen könne.131 Dass die Deutschen im „Entscheidungskampf“ stehen, weiß auch das „Jahrbuch der deutschen Sprache“ von 1941 und weist gleich zu Beginn darauf hin, dass „alle Gedanken auf Kampf und Sieg in dem großen, entscheidenden Freiheitskampf unseres Volkes gerichtet“ seien.132 Gerade deshalb möchte es aber seinen Beitrag zu diesem Kampf leisten durch das „Schwert“ der deutschen Sprache: „Auch die deutsche Sprache ist ein Schwert, das uns niemand aus der Hand schlagen darf, und das wir blank und scharf erhalten müssen. […] So sage man nicht, daß ein Jahrbuch der deutschen Sprache in unserer vom Kampf und Waffenlärm erfüllten Zeit fehl am Platze sei. Es wird auf seinem Gebiete den Entscheidungskampf unserer Tage mitkämpfen. […] Es beobachtet den Kampf um den Lebensraum der deutschen Sprache und wird von den Vorgängen in ihren Grenz- und Außengebieten berichten. […] Das Jahrbuch wird aber
125
Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 145–150. Vgl. Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 33. 127 Vgl. BG 74, Sendung und Opfer (Luk. 12,49–50). 128 Grundmann, Gott Jesu Christi (1936), 29. 129 Vgl. Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 11f. 130 BG VII und BG VIII. 131 Magenheimer (2000), 169. Magenheimer erörtert hier die Frage, ob Nazideutschland den Krieg gegen die Sowjetunion als Präventivkrieg oder Entscheidungskampf sah und kommt zum Ergebnis, dass der deutsche Angriff „nicht das Attribut eines Präventivkrieges im üblichen Sinne“ besessen habe, da ein Krieg mit der Sowjetunion dem deutschen Reich unvermeidlich schien. „Somit sollte die Gefahr eines gefürchteten Zweifrontenkrieges beseitigt werden, indem man für kurze Zeit einen solchen in Kauf nahm. Der deutsch-sowjetische Krieg besaß also den Rang eines Entscheidungskampfes, aber auch einer Vorentscheidung über den Ausgang des Weltkrieges“ (ebd. 169, vgl. auch 45). 132 Buttmann (1941), 7. 126
396
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
auch davon erzählen, wie der Werktag den Bau der Sprache verunstaltet und wie der Kampf dagegen auf der ganzen Linie entbrannt ist.“133
Die Kampfesterminologie sickerte auch in andere Bereiche ein, nicht nur in die Theologie. Sowohl die BG-Redaktion als auch die Deutschen Christen, die in ihren Thesen dafür plädieren, „daß unsere Kirche in dem Entscheidungskampf um Sein oder Nichtsein unseres Volkes an der Spitze kämpft“134, als auch Grundmann selbst, der das „Reich der Deutschen“ als Gottesauftrag „im großen Entscheidungskampf des Abendlandes“ sieht, und dabei das „Reich“ stets mit dem „Gottesreich“ zusammendenkt135, stehen zweifellos in dieser Zeit. Aus den bisherigen Befunden lässt sich vermuten, dass die Darstellung eines „kämpferischen“ Jesus tatsächlich ein Anliegen der BGRedaktion war und die Sprache dabei als „Schwert“ diesen sollte. Nicht nur in der BG, sondern auch in der Sprache der Redaktoren finden sich häufig kämpferische Termini, wie bereits einige Zitate zeigen konnten. Hier zunächst ein Überblick über bereits in den bisherigen Analysen erwähnte Aussagen: Grundmann beschrieb die Deutschen Christen als „Kerntrupp der kirchlichen Erneuerung, der Zähigkeit, Werbekraft, Glaubensgewissheit und Sendungsbewußtsein besitzen muß“,136 und als „eine geschulte Kampfschar“ mit der Aufgabe, „Brücken zwischen nationalsozialistischer Bewegung und der notwendigen Erneuerung der Kirche“ zu schlagen. Er äußerte die Einschätzung, „im Vormarsch auf das Ziel: Erneuerte lebendige Christuskirche im deutschen Volk“ zu sein, und beschreibt den Weg dorthin als „Glaubenskampf und Glaubenszucht. Erneuerte lebendige Christuskirche im deutschen Volk aber ist wirkliche Heimat der Seele des deutschen Volkes. Das ist unser Ziel und unsere Losung. Dahin geht unser Weg.“137 Bereits 1934 beschrieb er die Deutschen Christen als „eine Kampfschar, von Gott gerufen“, die um die „Christuskirche deutscher Menschen“ kämpfen solle, und verbindet diese Gedanken mit den Nationalsozialismus: „Wenn unser Volk nicht sterben soll im Heidentum, […] braucht es die Sendung nationalsozialistischer Menschen! Hörst du nun, Deutscher Christ? Du bist gerufen!“138 Die Forderung, Brücke zwischen Kirche und Nationalsozialismus zu sein, ist somit gerade in den früheren Schriften Grundmanns deutlich mit dem Gedanken des kämpferischen Einsatzes dafür verbunden. Die Häufigkeit und die große Selbstverständlichkeit, mit der militärisch gefärbte Begrifflichkei133
Schulz (1941), 5f. Aus These 5 der Deutschen Christen, kommentiert von Wieneke (1932), 20. 135 Vgl. Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 7f.: „Und es geht beim Reich, dem ‚weltlichen Regiment‘, stets mit um das Gottesreich Jesu Christi.“ 136 Grundmann, Die Losung (1935), 8. 137 Grundmann, Die Losung (1935), 28, vgl. 1.2.5.2. „Dienst“ am deutschen Volke. 138 Grundmann, Sendung der Deutschen Christen (1934), 7f., ähnlich Grundmann, 28 Thesen (1935), 60. (Anhang). 134
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
397
ten und Denkkategorien im Umfeld der BG-Redaktion finden, zeigt deutlich, dass es sich bei den an den BG-Texten gemachten Beobachtungen nicht um spitzfindig herausgearbeitete Einzelphänomene handelt, sondern um – vergleichsweise moderate – Auswüchse einer viel größeren gedanklichen Strömung, die das Schema vom Leben als Kampf, den es in Gehorsam, Treue, Leiden, Dienst und Opfer tapfer zu bestehen gelte. Wer dabei der „Feind“ ist, wird zumindest in der BG nicht eindimensional als „der Jude“ bestimmt, auch wenn die Polemik gegen die Juden vor allem in den Evangelien und aus Jesu Munde überdeutlich gemacht wird. An einigen Stellen wird immerhin die biblische Metaphorik von der BG nicht aufgehoben, beispielsweise bleibt die Rede vom „Teufel“139 und von den „finsteren Gewalten“140 in der BG stehen. Auch für die Frage nach der Darstellung Christi als Kämpfer sei darauf verwiesen, dass es schon vor der nationalsozialistischen Machtergreifung „gängiger Stil“ quer durch alle kirchlichen Gruppierungen hindurch war, sich „einer von kämpferischer Metaphorik durchsetzten Sprache wie selbstverständlich zu bedienen.“141 Die BG-Redaktion arbeitet zu dieser Thematik nicht im luftleeren Raum. Der Unterschied dürfte wohl in der Intensität der Verwendung liegen: Im deutschchristlichen Bereich bedient man sich nicht nur von Kampf und kriegerischer Auseinandersetzung geprägte Metaphern, sondern geht „deutlich weiter […] bis hin zu einer Verherrlichung des Soldatentodes.“142 Dem liegt bereits die Tradition der militia christiana zugrunde, an die sich das deutschchristliche Denken bewusst anlehnt: Martin Wagner greift in seiner Publikation in der „Schriftenreihe der Deutschen Christen“ diesen Gedanken auf und überträgt ihn auf seine Zeit: So wie die ersten Christen ihr ganzes Leben als militia christiana (christlicher Kriegsdienst) aufgefasst hätten, müsse es „auch heute wieder werden“, denn auch heute noch bedeute das Leben der Christen „Kriegsdienst“ mit „Leib und Leben“, da es im „Entscheidungskampf“, der „zwischen Glaube und Unglaube, Christentum und Bolschewismus, Christus und Antichrist“ entbrannt sei, auf jeden einzelnen ankomme.143 139
Vgl. unten: BG 198f., Legt die Waffenrüstung Gottes an zum Kampf gegen den Satan (Eph. 6,10–18a), Eph 6,11. 140 BG 198f., Legt die Waffenrüstung Gottes an zum Kampf gegen den Satan (Eph. 6,10– 18a), Eph 6,12. Hier allerdings wird in der BG nicht gegen die Weltenherrscher (πρὸς τοὺς κοσμοκράτορας) gekämpft, sondern gegen ein Heer an Gewalten. 141 Kampmann (2009), 759. 1933 bis zur Schlacht um Stalingrad 1943 vermochten dann „Metaphern und Denkfiguren, die einer auch kriegerischen Auseinandersetzung unter den Völkern zumindest nicht grundlegend abweisend gegenüberstanden, die Breite der kirchlichen Arbeit zu bestimmen“ (ebd.769). 142 Vgl. Kampmann (2009), 762. 143 Vgl. Wagner (1933), 27.
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Die Tradition des miles christianus stammt aus der römischen Militärsprache in Verbindung mit stoizistischer Psychomachie-Symbolik. Beispielsweise wird der antike Kriegsheld Decius Mus aus Livius‘ Ab urbe condita als exemplum eines miles christianus rezipiert144 und Augustinus vergleicht die Decii als Vertreter der civitas terrena in einer Exemplakette zur pietas erga patriam mit christlichen Märtyrern.“145 Grundlage dafür ist auch der Topos vom Leben als einem Kampf (vgl. Hiob 7,1; Platon in de Apologie des Sokrates, Seneca, Epistulae Morales 97).146 Die Auffassung, dass sich das Leben des Menschen als ein Kampf vollzieht, ist also weitaus älter als die Allegorese der Waffen des christlichen Ritters im Brief an die Epheser.147 Im Hintergrund stehe bei der Wahl dieser Bildlichkeit „stets die Frage, wie die Stellung des Christen gegenüber den weltlichen Herausforderungen im Verhältnis zu den Ansprüchen, die der Glaube stellt, zu bewältigen sei. Dabei bietet sich die ‚militia‘-Bildlichkeit schon deswegen an, weil die militärischen Prinzipien des Gehorsams, der Unterordnung unter einen Führer, der inneren Disziplin und des Todesmutes unmittelbaren Bedürfnissen des frühen Christentums entsprochen haben.“148 Schmal ist aber der Grat zwischen einer historischen Analyse und Bewertung dessen, was diese Vorstellungen leisten können, und einer Glorifizierung derselben. Für die BG dürfte Adolf von Harnacks Untersuchung zur militia christi von 1905 prägend gewesen sein, der zu Zweiterem tendiert und beispielsweise die Schlacht Konstantins gegen Maxentius als Offenbarung des Christengottes „als Kriegs- und Siegesgott“ deutet:149 Danach habe „keine Schranke“ mehr die milites christi vom Heere getrennt, die Kirche habe im Gegenteil den Soldaten kriegerische Heilige (neben den kriegerischen Erzengeln) geschaffen und sich dem Kaiser in die Arme geworfen.150 Aus der Rede vom „Kriegsgott“ wird im deutschchristlichen Denken dann die konkrete Aufforderung zum Kämpfen. Die Frage nach dem Sinn des 144
Tauss (2000), 34. Die Darstellung des Publius Decius Mus bei Livius, AUC VIII, 6,8ff. Tauss (2000), 34. Später verwendet dann Antonio Possevino „die Decii in seinem Vademecum für Offiziere und Militärseelsorger Il Soldato Christiano (Neuausgabe Venedig 1604) in der augustinischen Exemplumtradition für fortitudo und erläutert damit den Tugendkanon des militärisch aktiven miles christianus (ebd. 35; Tauss verweist dazu auf Antonio Possevino, Il Soldato Christiano Con Nuove Aggiunte, Venedig 1604, v.a. 35–37). 146 Die genauen Angaben dazu bei Wang (1975), 21. 147 Vgl. Wang (1975), 139. Auch im Spätmittelalter war der miles christianus Teil der politisch-theologischen Propaganda (ebd. 177, umfassend 177–194). Mehr zur Begriffsgeschichte bis zum 17. Jahrhundert ebd. 21–37. 148 Wang (1975), 21. 149 Harnack (1905), 86f.: „Der weltgeschichtliche Umschwung vom Heidentum zum Christentum hat sich also zuerst im Heere vollzogen. Von hier hat die öffentliche Anerkennung der christlichen Religion ihren Anfang genommen. […] Christus victor! Der Christengott hatte sich als Kriegs- und Siegesgott offenbart!“ 150 Vgl. Harnack (1905), 92. 145
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
399
Kampfes wird ausgeklammert bzw. auf die Schlagworte vom „Entscheidungskampf“ gegen „Unglaube“, „Bolschewismus“ und „Antichrist“ eingedampft151 und somit der nationalsozialistisch-antijüdischen Rede angeglichen. Auch Grundmann setzt den Bolschewismus mit der zu bekämpfenden Herrschaftsform des Judentums gleich: „Im Bolschewismus will Asien, beherrscht vom Judentum, dem Abendland den Untergang bereiten.“152 Den Kampf für den Nationalsozialismus im „Reich der Deutschen“ dagegen nennt er „Heiligen Gottesauftrag“ und parallelisiert das Deutsche Reich mit dem Reich Gottes: „Das Reich der Deutschen […] ist heiliger Gottesauftrag; das Reich Christi aber […] ist Seele des Reiches der Deutschen.“153 Einige Passagen, die diese These, dass Jesus verstärkt als „Kämpfer“, dessen Leben ein Kampf gegen die Juden war und er selbst zum Kampf aufgerufen habe, bestätigen, sollen im Folgenden in den Blick kommen. 4.2.2 Jesus als Kämpfer: BG 68–70, Die entscheidende Kampfansage (Luk. 11,39–42ab; Matth. 23,24; Luk. 11,43; Mark. 12,40; Luk. 11,44–46; Matth. 23,13; Luk. 11,47–50.51c; 13,34–35a; 11,53–12,1) Jesus sprach zu den Pharisäern: ‚Wehe euch, ihr Pharisäer! Ihr reinigt die Außenseite von Bechern und Tellern, euer Innwendiges aber strotzt vor Gier und Bosheit. Ihr Narren, hat nicht der, der das Äußere schuf, auch das Innere geschaffen? Reinigt das Innere, und sehet, alles wird euch rein! Wehe euch Pharisäern! Ihr gebt den zehnten Teil als gesetzlich vorgeschriebene Abgabe von Minze, Raute und aller Art Kraut und geht vorüber am Rechttun und an der Liebe zu Gott. Ihr Verblendeten, die ihr Menschen leiten wollt, ihr seihet das Wasser, um eine Mücke aus ihm zu entfernen, aber ein Kamel verschluckt ihr. Wehe euch, ihr Pharisäer, euch geht es darum, in den Versammlungen den Ehrenplatz zu erhalten und auf den Märkten vor aller Augen gegrüßt zu werden. Ihr verschlingt der Witwen Häuser und deckt euren Betrug durch euer Fürbittgebete, die ihr für sie halten wollt. Ihr werdet ein besonders hartes Urteil empfangen. Wehe euch! Ihr seid wie die unbezeichneten Gräber. Die Menschen laufen über sie hin, und nach eurer Lehre verunreinigt sie sich dabei, ohne es zu wissen.‘ Da gab ihm einer der Schriftgelehrten zur Antwort: ‚Meister, mit diesen Worten schmähst du auch uns.‘ Er aber sprach: ‚Ja, auch euch Schriftgelehrten wehe! Denn ihr bürdet den Menschen mit euren Gesetzesbestimmungen unerträgliche Lasten auf und macht nicht den geringsten Versuch, sie tragen zu helfen. Wehe euch Schriftgelehrten, ihr Heuchler! Ihr schließt Gottes Reich vor den Leuten zu: ihr kommt nicht hinein, und die hinein wollen, laßt ihr nicht hinein. Wehe euch! Ihr baut Grabdenkmäler für die Propheten, die von euren Vätern getötet wurden. So verewigt ihr die Taten eurer Väter und stimmt ihnen zu. Sie töteten, ihr aber baut. Deshalb sagt die Schrift ‚Von der Weisheit Gottes‘: Ich sende zu ihnen Weise und Propheten, und sie töten und verfolgen sie, so dass das Blut aller Propheten, das von der Gründung der Welt an bis zu diesem Geschlecht vergossen ist, nach Vergeltung schreit. Wahrlich, ich sage euch, es wird an diesem Geschlechte vergolten 151
Vgl. oben Wagner (1933), 27. Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 7. 153 Grundmann, Deutsches Christentum (1936), 9. Vgl. zum „Reich Gottes“ in der BG 3.2.4 BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7– 12), Offb 12,11: „Herzog ihres Lebens“ und Kapitel 3, FN 229 zum Reich-Gottes-Begriff. 152
400
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
werden. Und weiter sagt die Schrift ‚Von der Weisheit‘: ‚Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind. Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie die Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, und ihr habt nicht gewollt. Euer Haus wird euch wüst gelassen werden.‘ Und er ging fort, und die Schriftgelehrten und die Pharisäer setzten ihm hart zu, sahen ihm bei jedem Wort auf den Mund und lauerten darauf, ihn mit seinen Worten zu fangen. Jesus sprach zu seinen Jüngern: ‚Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer: vor der Heuchelei!‘ (BG 68–70, Die entscheidende Kampfansage (Luk. 11,39–42ab; Matth. 23,24; Luk. 11,43; Mark. 12,40; Luk. 11,44–46; Matth. 23,13; Luk. 11,47–50.51c; 13,34–35a; 11,53–12,1))
Mehrfach finden sich in dieser langen Stelle Verschärfungen der Wehe-Rufe in Lk 11. Bereits in der Überschrift wird dies als die „entscheidende Kampfansage“ gedeutet. Zunächst ist hier die Zusammenstellung der Passage interessant: Lk 11,39–12,1 wird fast vollständig aufgenommen, nach einigen Versen jedoch unterbrochen durch weitere Verse aus allen drei synoptischen Evangelien. Es ergibt sich folgendes Bild:
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
BG Lk 11 Lk 11,39–42a Wehe euch, ihr Pharisäer! […]
Wehe […]
Lk 11,43 euch Pharisäern!
Lk 11,44–46 Wehe euch! […]
Lk 11,47–50.51c Wehe euch! […]
Lk 11,53–12,1 Und er ging fort […]
401
BG Mt 23/BG Mk 12/BG Lk 13
Mt 23,24 Ihr Verblendeten, die ihr Menschen leiten wollt, ihr seihet das Wasser, um eine Mücke aus ihm zu entfernen, aber ein Kamel verschluckt ihr.
Mk 12,40 Ihr verschlingt der Witwen Häuser und deckt euren Betrug durch euer Fürbittgebete, die ihr für sie halten wollt. Ihr werdet ein besonders hartes Urteil empfangen. Mt 23,13 Wehe euch Schriftgelehrten, ihr Heuchler! Ihr schließt Gottes Reich vor den Leuten zu: ihr kommt nicht hinein, und die hinein wollen, laßt ihr nicht hinein. Lk 13,34–35a154 ‚Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind. Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie die Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, und ihr habt nicht gewollt. Euer Haus wird euch wüst gelassen werden.‘
Fünf Weherufe aus Lk 11 wurden jeweils noch verstärkt durch einen angehängten Vers aus anderen Texten. Eine Besonderheit ist die Tilgung von Lk 154 Fast identisch ist Mt 23,38: 38 ἰδοὺ ἀφίεται ὑμῖν ὁ οἶκος ὑμῶν ἔρημος. Hier wird die Anlehnung an Jer 22,5 aber deutlicher, Lukas „sucht den Bezug auf Jer 22,45 nicht hervorzuheben“ (Bovon (2008), 456). Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sich die BG für die lukanische Parallele hat.
402
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
11,52155: Stattdessen wurde die Parallelstelle Mt 23,13 in den BG-Text eingesetzt (vgl. oben). Vermuten lässt sich, dass die BG-Redaktion nicht einmal indirekt die Aussage treffen wollte, dass im Gesetz der Schlüssel zur Erkenntnis liege. Ein Blick in die einzelnen Versabschnitte zeigt, dass sich durch die Veränderung des Textzusammenhangs auch der Sinn der Verse verändert, vgl. Lk 11,44: BG Wehe euch!
NA Οὐαὶ ὑμῖν,
EÜ Weh euch:
Luther Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler,156
Ihr seid wie die unbezeichneten Gräber.
ὅτι ἐστὲ ὡς τὰ μνημεῖα τὰ ἄδηλα,
Ihr seid wie Gräber, die man nicht mehr sieht;
daß ihr seid wie die verdeckten Totengräber,
Die Menschen laufen über sie hin,
καὶ οἱ ἄνθρωποι [οἱ] περιπατοῦντες ἐπάνω
die Leute gehen darüber,
darüber die Leute laufen,
οὐκ οἴδασιν.
ohne es zu merken.
und kennen sie nicht!
und nach eurer Lehre verunreinigen sie sich dabei, ohne es zu wissen.‘
In diesem Vers werden die Pharisäer mit Grabstellen verglichen, die nicht als solche zu erkennen sind, so dass man sich verunreinigt, wenn man unwissentlich über sie hinweggeht, da der Tod in Israel mit Unreinheit in Verbindung gebracht wurde (vgl. Num 19,16).157 Der Widerspruch zwischen dem Anschein, den die Pharisäer nach außen vermitteln und dem Inneren wird einmal 155
Weh euch Gesetzeslehrern! Ihr habt den Schlüssel (der Tür) zur Erkenntnis weggenommen. Ihr selbst seid nicht hineingegangen und die, die hineingehen wollten, habt ihr daran gehindert. (EÜ, Lk 11,52). 156 Luther folgt hier mit dem Mehrheitstext dem Codex Bezae. 157 Wolter (2008), 433. Num 19,16 spricht von einer Verunreinigung für sieben Tage. Vgl. auch Mt 23,27: Weiße Farbe sorgte für die Markierung. Die Pharisäer sind außen zwar schön wie diese frisch gestrichenen Gräber, innen aber voller Unrat, den der Tod mit sich bringt. Vgl. auch Bovon (2008), 231, Anm. 68.
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4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
mehr thematisiert und fasst die Vorwürfe aus Lk 11,39.42 zusammen.158 Die Pharisäer werden als Menschen, deren Umgang man meiden solle, charakterisiert:159 Sie verunreinigen die Menschen, die mit ihnen in Kontakt kommen, indem sie in ihnen das Schlechte hervorrufen und sie zur Sünde verleiten.160 Die BG trägt nun die Kategorie der Unreinheit direkt in den Text ein und legt den Vers als weitere Polemik gegen die jüdische Vorstellung von Reinheit aus, in dem sie Jesus in eine klare Distanz zum pharisäischen Denken bringt: Der Jesus der BG spricht von „eure Lehre“ von Reinheit und Unreinheit und macht dadurch deutlich, dass er selbst für eine andere Lehre stehe. Ähnlich wurde auch Lk 11,46 bearbeitet: BG
NA
EÜ
Luther
Er aber sprach: ‚Ja, auch euch Schriftgelehrten wehe!
ὁ δὲ εἶπεν· καὶ ὑμῖν τοῖς νομικοῖς οὐαί,
Er antwortete: Weh auch euch Gesetzeslehrern!
Er aber sprach: Und weh auch euch Schriftgelehrten!
Denn ihr bürdet den Menschen
ὅτι φορτίζετε τοὺς ἀνθρώπους
Ihr ladet den Menschen
denn ihr beladet die Menschen
unerträgliche Lasten auf
φορτία δυσβάστακτα,
Lasten auf, die sie kaum tragen können,
mit unerträglichen Lasten,
und macht nicht den geringsten Versuch, sie tragen zu helfen.
καὶ αὐτοὶ ἑνὶ τῶν δακτύλων ὑμῶν οὐ προσψαύετε τοῖς φορτίοις.
selbst aber rührt ihr keinen Finger dafür.
und ihr rührt sie nicht mit einem Finger an.
mit euren Gesetzesbestimmungen
Hier verschärft die BG die Kritik an den νομικοί dadurch, dass in ein Versteil mit direkter Kritik am Gesetz eingefügt wird. Die BG spricht hier wieder von „euren Gesetzesbestimmungen“ und distanziert Jesus, dem dieser Satz in den Mund gelegt wird, somit vom Gesetz. Das Gesetz erscheint nicht mehr als Gottes Wille, sondern als der Wille der Schriftgelehrten. Die biblische Kritik Jesu lässt sich aber als Kritik an der Gesetzesauslegung der Schriftgelehrten verstehen. Der Maßstab für die richtige Auslegung findet sich dann im zwei158
Vgl. Wolter (2008), 434. Klein (2006), 431. Unter ihrer harmlos erscheinenden Oberfläche verbergen sich unerkannte Gefahren (vgl. Wolter (2008), 434). 160 Bovon (2008), 231. 159
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ten Versteil, der wörtlich übersetzt „ihr tragt die Bürden nicht mit einem (einzigen) eurer Finger“ lautet. Kritisiert wird in Lk 11,46 also letztlich eine Gesetzesauslegung, die sich nicht am eigenen Tun messen kann und will. Es geht also um die Kritik am „Gegensatz zwischen Reden und Tun“, gegen den sich bereits die jüdische Frömmigkeit richtete.161 Außerdem übersetzt die BG den zweiten Versteil mit: „Ihr macht nicht den geringsten Versuch, sie tragen zu helfen.“162 Die Sinnspitze wird dabei verkehrt: Jesus wirft den Gesetzeslehrern nun nicht mehr vor, selbst nicht aktiv zu werden, sondern die BG münzt den Vers auf ein vermeintlich durch die Gesetzesbestimmungen (vgl. oben) geknechtetes Volk von Juden, das der Hilfe der Schriftgelehrten bedürfte, aber nicht einmal diese bekommt. Nicht das Verhalten der Schriftgelehrten, sondern das Gesetz an sich wird dadurch kritisiert – eine Textauslegung, die einmal mehr Jesus vom Judentum abgrenzt. Aus den Diskussionen Jesu mit Pharisäern und Schriftgelehrten um das Zueinander von Tora und ihrer eigenen Lebenspraxis wird in der BG eine „Kampfansage“. Dem Jesus der BG wird hier nicht nur eine Kritikfunktion zugeschrieben, die er aufgrund seiner göttlichen Legitimation beansprucht, sondern seine Worte werden als vollständige Ablehnung den Pharisäern und Schriftgelehrten gegenüber gedeutet: Er habe ihnen den „Kampf“ angesagt. Als drittes Beispiel sei noch die lückenhafte Aufnahme von Lk 13,35 genannt. Lk 13,34–35:
161 Bovon (2008), 233. Bovon verweist auf Sifra 26,3: „Denn wer lernt, ohne danach zu tun, dem wäre es besser, wenn er nicht geboren wäre“ (ebd. Anm. 74). 162 Auf den ersten Blick wird tatsächlich nicht eindeutig klar, ob sich der Vorwurf, dass die Pharisäer keinen Finger rühren, darauf bezieht, „dass sie dem Durchschnittsjuden die Erfüllung der Tora nicht erleichtern“ (Wolter (2008), 434 nennt Fitzmyer, Nolland und Eckey als Vertreter dieser Leseweise), oder auf die fehlende eigene Umsetzung des von anderen Geforderten: Diese Deutung halten Wolter (2008), Bovon (2008) und Schürmann (1994) für wahrscheinlicher, und zwar aus Gründen der Wortwahl (Wolter 434), der Aufnahme des Topos der philosophischen und politischen Invektive vom Widerspruch zwischen Worten und Taten (Wolter 434), des Kontextes (der sachliche Vorwurf der Gesetzesverschärfung (Lk 11,42a.39a) wird zu einem persönlichen Vorwurf, dies nicht einmal selbst einzuhalten (Schürmann 318f.)) bzw. der Traditionslinie (Bovon 233, vgl. FN oben).
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BG
NA
EÜ
Luther
‚Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind. Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie die Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, und ihr habt nicht gewollt.
34 Ἰερουσαλὴμ Ἰερουσαλήμ, ἡ ἀποκτείνουσα τοὺς προφήτας καὶ λιθοβολοῦσα τοὺς ἀπεσταλμένους πρὸς αὐτήν, ποσάκις ἠθέλησα ἐπισυνάξαι τὰ τέκνα σου ὃν τρόπον ὄρνις τὴν ἑαυτῆς νοσσιὰν ὑπὸ τὰς πτέρυγας, καὶ οὐκ ἠθελήσατε.
34 Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die zu dir gesandt sind. Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt.
34 Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigest, die zu dir gesandt werden, wie oft habe ich wollen deine Kinder versammeln, wie eine Henne ihr Nest unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!
Euer Haus wird euch wüst gelassen werden.‘
35 ἰδοὺ ἀφίεται ὑμῖν ὁ οἶκος ὑμῶν.
35 Darum wird euer Haus (von Gott) verlassen.
35 Sehet, euer Haus soll euch wüst gelassen werden.
fehlt
λέγω [δὲ] ὑμῖν, οὐ μὴ ἴδητέ με ἕως [ἥξει ὅτε] εἴπητε·
fehlt
εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ἐν ὀνόματι κυρίου.
Ich sage euch: Ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis die Zeit kommt, in der ihr ruft: Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!
Denn ich sage euch: Ihr werdet mich nicht sehen, bis daß es komme, daß ihr sagen werdet: Gelobt ist, der da kommt im Namen des HERRN!
Und weiter sagt die Schrift ‚Von der Weisheit‘:163
Diese Verse markieren einen „Gedankensprung“ im Text: Jerusalem wird angesprochen, aber die Pharisäer sollen hören: Das Gesagte gilt für ganz Israel und somit auch für sie als Repräsentanten der Frömmigkeit des Gottesvolkes.164 Die BG nimmt lediglich Lk 13,35a auf und schafft somit eine sinn163
Wohl in Anlehnung an Lk 11,49, wo ausdrücklich „die Weisheit“ (nicht aber wie in der BG die Schrift ‚Von der Weisheit‘ (in Lk 11,49 ebenso)) genannt ist. Tatsächlich hat die Klage ja weisheitlichen Charakter: Sie ruft zur Buße auf nach Spr. 1,20–33 und wohnt in Jerusalem nach Sir 24,7–12 (Bovon (2008), 455). 164 Klein (1994), 494.
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
ändernde Leerstelle, da die Ankündigung der Zukunft, die auf die Ankündigung des Verlassenseins des Hauses folgt, fehlt: „Ich sage euch: Ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis die Zeit kommt, in der ihr ruft: Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Lk 13,35bc, vgl. Jer 12,7 u.a.). Das Verständnis des gesamten Verses ist allerdings tatsächlich schwierig: Nach „klassischer“ Auslegung wird ein Bruch Gottes mit seinem Volk ausgesagt; die daraus resultierende Frage, ob eine Verheißung an Israel bleibt, wird kontrovers diskutiert.165 Bovon spricht für Lk 13,34–35 von einem „Gerichtsorakel“, das aus einer Klage samt Darstellung des negativen Willen als Gegenstück zum positiven Willen bestehe, auf das ein Urteilsspruch folge (35a) und dann ein letzter kurzer Spruch, der „eine rätselhafte Zukunft, von der wir nicht erfahren, ob sie dunkel oder hell sein wird“ (35b) eröffne.166 Demgegenüber hält Wolter Lk 13,35 für ein „Drohwort mit Strafankündigung“167: Bei der Parusie werden die Adressaten etwas tun, was sie in der Gegenwart versäumt haben, obwohl sie dazu aufgefordert wurden. Dann allerdings wird es zu spät sein.168 Das Vorgehen der BG-Redaktion, mit der dramatischen Ansage zu enden, dass das Haus leerbleibt, und ohne die Perspektive zu eröffnen auf die Zeit hin, in der sie in den wohlbekannten Psalm einstimmen: „Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn“ (Ps 118,26),169 verändert den Sinn der Aussage in jedem Falle dadurch, dass überhaupt die Geschichte weitererzählt wird, was auch Wolter hervorhebt.170
165
Nicklas (2015), 20. Nicklas fragt hier kritisch an, ob die „klassischen“ Auslegungen nicht mindestens so gewagt seien wie die Meinung, dass Gott auch im Matthäusevanglium der treue und unendlich versöhnungswillige Gott ist (ebd.). Dies lässt sich auf das Lukasevangelium übertragen. Wolter referiert die „klassischen“ Auslegungen so: „In der Regel wird angenommen, dass Jesus in 35a den Auszug Gottes aus dem Jerusalemer Tempel oder aus Zion Jerusalem ankündigt […]. Für diese Vorstellung gibt es auch zahlreiche Belege in der alt-jüdischen Literatur (Ez 10,18f; 11,23; äthHen 89,56 […])“ Alle (diese) Texte beschreiben jedenfalls eine unwiderrufliche Trennung, und der Sache nach kündigt Jesus an, dass Gott Israel verlassen und aus Jerusalem ausziehen wird (vgl. Wolter (2008), 498). Bovon vermutet, dass 35 a als Orakelspruch zugleich die Tempelzerstörung von außen, durch die Römer, sowie von innen, durch die Israeliten selbst, ankündigt (vgl. Bovon (2008), 457). 166 Vgl. Bovon (2008), 444f. Eingeleitet wird der Spruch des Richters in Lk 1335a durch ἰδού (ebd. 456). 167 Wolter (2008), 498. In Lk 13,34 sieht er dementsprechend ein „Scheltwort, das die Schuld des Adressaten aufweist“ (ebd. 497). 168 Vgl. Wolter (2008), 499. 169 Bovon hält fest, dass dieser Versteil „eine Zukunft erahnen“ lasse, und präferiert es, den Vers aus apokalyptischer Perspektive als Ankündigung des Kommens des Messias zu lesen (vgl. Bovon (2008), 459). 170 „Der Sache nach kündigt Jesus an, dass Gott Israel verlassen und aus Jerusalem ausziehen wird (vgl. Wolter (2008), 498). 35c–d erzählen dann aber die Geschichte weiter und verlängern sie in die Zukunft hinein (ebd. 499).
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
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Ob man nun mit Wolter ein „Strafankündigung“ vermutet oder davon ausgeht, dass Lk 13,35bc die Klage auffängt und in die bleibende Verheißung an Israel einordnet,171 ist es doch in jedem Fall wahrscheinlich, dass die BG den Halbvers daher vermeidet, weil sie sie eben als Verheißung an Israel las oder doch zumindest keinen Zweifel dran lassen wollte, dass Israel endgültig verlassen sei. Die Redaktoren fürchteten wohl, die Deutung der Stelle als „entscheidende Kampfansage“, die sich in der stark herausgearbeiteten Polemik gegen jüdische Gruppierungen zeigen sollte, durch Aufnahme des zweiten Versteils ad absurdum zu führen. Grundmann nennt die „Wehe“-Stellen ja mehrfach als Zentralstellen seiner Darstellung Jesu als „Kämpfer“, da sie „all jene Gedanken enthalten, die in den Einzelkonflikten eine Rolle spielen“, und somit als „der schärfste Angriff, den Jesus auf die religiösen Führer des Judentums unternommen hat,“ bezeichnet werden können.172 In diesem Kampf gehe es „um die Totalität des menschlichen Seins vor Gott“ und gegen „satanische Gewalt“. „In der Lösung von Gott und in der Verkrümmung in sich selbst aber hat alles seelische Kranksein des Menschen seinen letzten Grund. Und Jesus wird da zum unerbittlichen Kämpfer, der seine scharfen Wehe ausspricht, wo Gott für den menschlichen Eigennutz und für die menschliche Selbstsucht mißbraucht wird. Solchen mißbräuchlichen Gottesdienst hieß Jesus Heuchelei, die er rückhaltlos entlarvt. Sein Kampf bekommt aus der Erfüllung seiner Funktion seinen Inhalt. Sein Kampf geht um die Totalität des menschlichen Seins vor Gott, um Gottes ganze Herrschaft, die ihm Gottes gegenwärtiges Wirken und zukünftiges Vollenden, Richten und Erlösen umfaßt. Sein Kampf richtet sich gegen die widergöttlichen zerstörenden dämonisch-satanischen Mächte, denen je und je Menschen verfallen können, und will aus ihnen befreien. Nicht politische Macht, sondern satanische Gewalt ist sein Gegner.“173
Jesus wird von Grundmann als „unerbittlicher Kämpfer“ bezeichnet, der „seine scharfen Wehe“ gegen den „missbräuchlichen Gottesdienst“ ausspreche. Mit denjenigen, die den „widergöttlichen Mächten“ bzw. der „satanischen Gewalt“ verfallen sind, meint Grundmann im Kontext der Wehe-Rufe die Pharisäer und Schriftgelehrten, deren „Gottesdienst“ Jesus als „Götzendienst“ und „Teufelsdienst“ bezeichnet habe. Er präsentiert Pharisäer und Schriftgelehrte als „Gegner“, gegen die ein „unerbittlicher“ Kampf legitim, ja vielmehr geboten erscheine, da sie gegen Gott auf der Seite des Teufels stünden. Die „grundsätzliche“ und „unerbittliche“ Trennung, die Jesus vollzogen habe, wird in der BG als aktive Handlung beschrieben. Die „Vorwürfe“ der Phari171 Ähnlich sehen Fiedler und Nicklas für die matthäische Parallelstelle Mt 23,37f. den Vers 23,3a im Hintergrund: Hier findet sich ein Lesehinweis, der den Text eigentlich vor antijüdischen Interpretationen schützen müsste; Der matthäische Jesus weist seine Hörer an, weiterhin der Lehrautorität der Pharisäer zu folgen (vgl. Fiedler (2006), 345–347; Nicklas, Versöhnung (2013), 282). 172 Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 149. 173 Grundmann, Messiasproblem (1942), 404.
408
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
säer und Schriftgelehrten hätten den Grund für die Trennung geliefert, die Jesus schließlich „von sich aus“ „vollzieht“. 174 Ähnlich schreibt Grundmann auch schon 1936, Jesus sei „in den schwersten Kampf verwickelt“ und daraufhin zum „Kämpfer“ geworden. Seine „Gotteswahrheit“ könne sich „nur im Kampf durchsetzen“175 Die BG sammelt hier unter der Überschrift „Die entscheidende Kampfansage“ eine große Anzahl an Versen, die Jesus in den synoptischen Evangelien in Diskussionen mit Pharisäern und Schriftgelehrten spricht.176 Es gibt vergleichsweise wenige Kürzungen oder den Versuch, nur die Quintessenz aus dem Gesagten herauszuziehen, wie es der Zielbestimmung der BGBearbeitung entspräche, „Doppelüberlieferungen“ tilgen zu wollen177. Stattdessen wird die Opposition Jesu gegen Pharisäer und Schriftgelehrte durch die große Textmenge und die Auswahl der Verse betont. Auch die Überschrift deutet das Gesagte bereits sehr stark, indem sie die Worte Jesu als „Kampfansage“ auffasst. Selbst beinahe drei Jahrzehnte später überschreibt Grundmann in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium die einschlägigen Passagen Mt 23,1–39 (als Parallelen gibt er Mk 12,38–40 und Lk 11,37– 54; 20,54–47 an) noch mit „Die Trennung der Gemeinde von den Pharisäern und ihren Schriftgelehrten“178 – ein Indiz dafür, dass Grundmann auch später noch in Richtung einer Trennung Jesu von „dem“ Judentum, wie sie die BG konstruiert, dachte. In der Frage nach der Darstellung des Kampfes Jesu sind zudem die Passagen aufschlussreich, in denen sich die BG-Redaktoren gezielt Bibelverse herausgepickt haben und mit entsprechend kämpferischen Überschriften versehen haben. Dort sind keine großen terminologischen Veränderungen nötig, um doch eine bestimmte Deutung nahezulegen:
174
Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 150. Vgl. Grundmann Gott Jesu Christi (1936), 33. 176 In der EÜ lassen sie sich folgenden Perikopen zuordnen: (1) Worte gegen die Pharisäer und die Schriftgelehrten (Lk 11,37–54), (2) Worte gegen die Schriftgelehrten und die Pharisäer (Mt 23,1–39), (3) Worte gegen die Schriftgelehrten (Mk 12,38–40), (4) Der Abschied von Galiläa (Lk 13,31–35). 177 Vgl. Vorwort der BG-Teilausgabe, XI. 178 Grundmann, Matthäus (1968), 481–499. Im Kommentar zum Lukas-Evangelium lautet die Überschrift etwas milder „Jesu Auseinandersetzung mit seinen Gegner“ (Grundmann, Lukas (1961), 236–251). 175
409
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
4.2.3 Jesu Nachfolger als (Mit-)Kämpfer: 4.2.3.1 BG 196f.: Die Gemeinde als Kampfgemeinschaft in Jesu Christi Art (Phil. 1,27ac–29) Hier ist die ganze Passage für die Frage nach der Darstellung der Christologie relevant: BG
NA
EÜ
Gestaltet euer Gemeindeleben, wie es der Botschaft Christi würdig ist!
27 Μόνον ἀξίως τοῦ εὐαγγελίου τοῦ Χριστοῦ πολιτεύεσθε,
27 Vor allem: Lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium Christi entspricht.
27 Wandelt nur würdig dem Evangelium Christi,
Luther
fehlt
ἵνα εἴτε ἐλθὼν καὶ ἰδὼν ὑμᾶς εἴτε ἀπὼν ἀκούω τὰ περὶ ὑμῶν,
Ob ich komme und euch sehe oder ob ich fern bin, ich möchte hören,
auf daß, ob ich komme und sehe euch oder abwesend von euch höre,
Steht in einem Geiste zusammen,
ὅτι στήκετε ἐν ἑνὶ πνεύματι,
dass ihr in dem einen Geist feststeht,
ihr steht in einem Geist und einer Seele
kämpft einmütig für den Glauben, zu dem euch die Botschaft Gottes aufruft!
μιᾷ ψυχῇ συναθλοῦντες τῇ πίστει τοῦ εὐαγγελίου
einmütig für den Glauben an das Evangelium kämpft
und samt uns kämpfet für den Glauben des Evangeliums
Laßt euch in keiner Weise einschüchtern von euren Widersachern!
28 καὶ μὴ πτυρόμενοι ἐν μηδενὶ ὑπὸ τῶν ἀντικειμένων,
28 und euch in keinem Fall von euren Gegnern einschüchtern lasst.
28 und euch in keinem Weg erschrecken lasset von den Widersachern,
Eure Festigkeit soll sie warnen vor dem Verderben und euch eures Heils gewiss machen –
ἥτις ἐστὶν αὐτοῖς ἔνδειξις ἀπωλείας, ὑμῶν δὲ σωτηρίας,
Das wird für sie ein Zeichen dafür sein, dass sie verloren sind und ihr gerettet werdet,
welches ist ein Anzeichen, ihnen der Verdammnis, euch aber der Seligkeit,
so will es Gott!
καὶ τοῦτο ἀπὸ θεοῦ·
ein Zeichen, das von Gott kommt.
und das von Gott.
410
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG Über eurem Leben steht die Losung: ‚Jesus Christus.‘
NA 29 ὅτι ὑμῖν ἐχαρίσθη τὸ ὑπὲρ Χριστοῦ,
EÜ 29 Denn euch wurde die Gnade zuteil, für Christus da zu sein,
Luther 29 Denn euch ist gegeben, um Christi willen zu tun,
So sollt ihr nicht nur an ihn glauben, sondern auch für ihn leiden.
οὐ μόνον τὸ εἰς αὐτὸν πιστεύειν ἀλλὰ καὶ τὸ ὑπὲρ αὐτοῦ πάσχειν, […].
also nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch seinetwegen zu leiden […].
daß ihr nicht allein an ihn glaubet sondern auch um seinetwillen leidet; […]
Schon die Rede von der „Kampfgemeinschaft in Jesu Christi Art“, die sich in der Überschrift findet, deutet stark darauf hin, wie die BG-Redaktoren die Stelle verstanden haben. Und tatsächlich findet sich hier der Aufruf an die Gemeinde, einträchtig am Glauben festzuhalten, sogar für ihn zu kämpfen (συναθλοῦντες, Phil 1,27) und sogar das Leiden um Christi Willen in Kauf zu nehmen (τὸ ὑπὲρ αὐτοῦ πάσχειν, Phil 1,29). Uta Poplutz spricht von „Agonmetaphorik“179 und stellt für 1 Phil 27–30 fest, dass es sich eher um einen kriegerischen als einen athletischen Agon handle.180 Die Anklänge an soldatische Bilder seien auch gerade in Philippi sinnvoll, da die Stadt als römische, also als militärische Kolonie gegründet sei.181 Während nun aber die EÜ den Aspekt der Einmütigkeit hervorhebt und dementsprechend „Aufruf zur Eintracht“ als Überschrift für Phil 1,27–29 wählt und damit dem in Phil 4,3 wieder aufgegriffenen συναθλέω in Phil 1,27 gerecht wird182, betont die BG den Charakter der Gemeinde als „Kampfgemeinschaft“ und unterstreicht das durch die Wortwahl im Text. Neben der vom Griechischen nicht gestützten Rede von der „Kampfgemeinschaft“ der Gemeinde pocht die BG auch auf „Festigkeit“ (BG, Phil 1,28) als Warnung an die „Widersacher“ und gibt den Lesern als ihre „Losung“ „Jesus Christus“ mit. Die definitive Aussage „Über eurem Leben steht die Losung: ‚Jesus Christus.‘“ ist in der BG an die Stelle der Erinnerung an die gnadenhafte 179 Poplutz (2004), 298. Der agonistische Bezug werde zudem durch die explizite Nennung von ἀγών in Phil 1,30 realisiert. Zur Herkunft der Agonmetaphorik und ihrer Verankerung in Stoa und Kynismus ebensowie alttestamentlich-frühjüdischen Quellen und der Verwendung der Terminologie in der römischen Kaiserzeit siehe Poplutz (2004), v.a 101–217 und Brändl (2006), 32–137. 180 Vgl. Poplutz (2004), 301. 181 Vgl. Poplutz (2004), 302. 182 Vgl. Poplutz (2004), 326: Der Einheitsgedanke stehe trotz der militärisch geprägten Agonmetaphorik im Vordergrund. Brändl (2006), 341 weist aber darauf hin, dass die Verbindung mit dem apostolischen ἀγών in Phil 1,5–7 vorausgesetzt sei.
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
411
Erwählung (ὅτι ὑμῖν ἐχαρίσθη τὸ ὑπὲρ Χριστοῦ, Phil 1,2) getreten. Der Begriff der „Losung“ wird von Grundmann an anderer Stelle ebenfalls in einem kämpferischen Sinn verwendet und in enger Verbindung mit der Aufgabe, Kirche und Nationalsozialismus zu verbinden, indem man „Brücken zwischen nationalsozialistischer Bewegung und der notwendigen Erneuerung der Kirche“ schlage und so „im Vormarsch“ sei auf das Ziel, eine „erneuerte lebendige Christuskirche im deutschen Volk“ zu sein: „Das ist die Losung, nach der sich der weitere Weg der Deutschen Christen richtet; ein Weg in neue Zeit und neues Land, der Schritt um Schritt errungen sein will in Glaubenskampf und Glaubenszucht. Erneuerte lebendige Christuskirche im deutschen Volk aber ist wirkliche Heimat der Seele des deutschen Volkes. Das ist unser Ziel und unsere Losung. Dahin geht unser Weg.“183
Auch in der BG ist an einer zweiten Stelle der Begriff „Losung“ verwendet, und zwar im Großkapitel „Schicksal und Taten der Hellenisten“184 in einem Zwischentext185. Judenchristen und Hellenisten werden hier einmal mehr gegenübergestellt, indem davon berichtet wird, die Hellenisten hätten ihre „Missionslosung“, allen Völkern müsse die „Botschaft Gottes“186 verkündet werden (vgl. BG, Mk 13,10), gegen die „Losung“ der Judenchristen gestellt, man solle nicht zu den Heiden, sondern allein zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gehen (vgl. Mt 10,5.6.23, BG 241f.). Auffällig ist zudem der Satzbau in der Bearbeitung der BG, denn hier sind viele Appelle formuliert. In Phil 2,17c187 spricht Paulus allerdings von seinem Wunsch, von den Fortschritten der Philipper zu hören. Diese Wünsche des Paulus werden sprachlich in konsekutiven ὅτι-Sätzen geäußert, die der abwesende Paulus den Philippern gegenüber schreibt (ἀπὼν ἀκούω τὰ περὶ ὑμῶν ὅτι: „ich wünsche mir, Folgendes über euch zu hören, nämlich, dass […]“ (vgl. EÜ/Luther). Die BG dagegen setzt nach der Auslassung von Phil 1,27 b mehrere Imperative: „Steht […] zusammen, kämpft […]! Laßt euch in keiner Weise einschüchtern […]!“ (BG). Der sprachliche Abschluss mit dem pauschalen „so will es Gott!“ (besser für καὶ τοῦτο ἀπὸ θεοῦ wäre „und das 183
Grundmann, Die Losung (1935), 27f. BG 237–244. 185 Zwischentext nach BG 241, In Antiochia entsteht durch die Hellenisten eine christliche Gemeinde (Apg. 11,19–26), und vor BG 242, Petrus tauft den römischen Hauptmann Kornelius in Cäsaren (Apg. 10,1–9a.17b–26.30a.33b–36.44–48; 11,1–4.15b–18a). 186 Hier wird einmal mehr deutlich, dass sich „Die Botschaft Gottes“ als das wahre Evangelium verstand. Grundmann selbst verbindet mit der Wahl des Titels der BG „eine doppelte theologische Überzeugung“: Es gebe trotz der „Fülle von Werken Gottes“, „nur eine ‚Botschaft‘ dieses Gottes, ein Evangelium“, diese Botschaft gehe alle an und wolle alle erreichen „ohne den Umweg über die israelitische Geschichte, ohne ein heilsnotwendiges Altes Testament“ (Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 22 und Grundmann, Entjudung (1939), 14–17). 187 In der BG nicht aufgenommen. 184
412
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
kommt von Gott“) ist in der BG eine zusätzliche Verstärkung der vorangegangenen Appelle. Im Griechischen dagegen ist die Aussageintention eine andere, nämlich der Rückbindung der Wünsche des Apostels an Gott. Die Betonung des Appell-Charakters der Botschaft Jesu findet sich schon länger im Gedankengut der Deutschen Christen. So verweist auch Richard Barth188, ebenfalls Institutsmitglied, 1936 auf den fordernden Charakter, der in Jesu Verheißungen stecke: „Stellt man einmal alle bedeutsamen Jesusworte zusammen […], so wird man davon überrascht sein, dass sie fast alle, teils in ausdrücklicher Form, teils nur sinngemäß und verdeckt, Aufrufe und Anforderungen (Imperative) enthalten. Selbst seine Verheißungen sind innerlich mit den Forderungen verknüpft. Sie lassen sich zu bezeichnenden Gruppen zusammenziehen:“189 Höre! Glaube! Bitte! Danke! Tue! Und gleichsam als Zusammenfassung dieser Aufforderungen: Folge mir nach!190
Das biblische Zeugnis,191 demgemäß Zuspruch und Anspruch, Gabe und Aufgabe einander so zugeordnet sind, dass Zuspruch und Gabe vorgängig gedacht werden, der daraus erwachsende Anspruch dann nur die (freiwillige) Antwort des Menschen sein könne, wird hier einseitig interpretiert. Die BG scheint sich dieser Tendenz anzuschließen. Wegen der Verknüpfung mit der Frage nach dem Leiden lohnt sich noch ein gesonderter Blick auf Phil 1,29f.:
188
Vgl. Kapitel 1, FN 340. Barth, Krisis im ev. Religions-Unterricht (1937), 96. 190 Vgl. Barth, Krisis im ev. Religions-Unterricht (1937), 96–106. 191 Z.B. sind in der „Bergpredigt“ Mt 5–7 die Seligpreisungen, der grundsätzliche Zuspruch an den Menschen (Mt 5,1–16), vor den Anspruch gestellt, der dann in verschiedenen Schriftauslegungen (Mt 5,17–7,27) zu finden ist. 189
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
413
BG Über eurem Leben steht die Losung: ‚Jesus Christus.‘
NA 29 ὅτι ὑμῖν ἐχαρίσθη192 τὸ ὑπὲρ Χριστοῦ,
EÜ 29 Denn euch wurde die Gnade zuteil, für Christus da zu sein,
Luther 29 Denn euch ist gegeben, um Christi willen zu tun,
So sollt ihr nicht nur an ihn glauben, sondern auch für ihn leiden.
οὐ μόνον τὸ εἰς αὐτὸν πιστεύειν ἀλλὰ καὶ τὸ ὑπὲρ αὐτοῦ πάσχειν,
also nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch seinetwegen zu leiden.
daß ihr nicht allein an ihn glaubet sondern auch um seinetwillen leidet;
fehlt
30 τὸν αὐτὸν ἀγῶνα ἔχοντες, οἷον εἴδετε ἐν ἐμοὶ καὶ νῦν ἀκούετε ἐν ἐμοί.
30 Denn ihr habt den gleichen Kampf zu bestehen, den ihr früher an mir gesehen habt und von dem ihr auch jetzt hört.
und habet denselben Kampf, welchen ihr an mir gesehen habt und nun von mir höret.
Hier lässt sich eine Zuspitzung der Deutung des Leidens feststellen, ähnlich zu den bereits im Teil von Jesus als dem Leidenden beobachteten Analysen: Während in dem Wort ἐχαρίσθη („es ist gütig gegeben/geschenkt“) es als gnadenhaftes Geschehen verstanden wird, mit dem Hineinwachsen in das Dasein Christi nicht nur das Geschenk des Glaubens, sondern auch die Fähigkeit zum Leiden um seinetwillen bekommen zu haben, gestaltet die BG den Vers um zu einer Aufforderung zum Leiden: Aufgrund der „Losung: ‚Jesus Christus.‘“ sollen die Adressaten dieser Passage glauben und für ihn leiden. Man bekommt den Eindruck, dass hier vom Leiden gleichsam als Verpflichtung gesprochen wird, die nicht um Christi willen (ὑπὲρ αὐτοῦ, „um seinetwillen“ (Luther), „seinetwegen“ (EÜ)), sondern in Vertretung für ihn aufgenommen wird. Ähnlich versteht Grundmann das Leiden als Teil des Kampfes.193 Die Übersetzung der BG verlässt auch hier die Richtung, die griechische Text vorgibt: Die Reihenfolge (1) Glauben und (2) Leiden (Phil 1,29b) bleibt zwar erhalten, die Verknüpfung mit der Gnade aber fehlt.194 Im Hinter192
ἐχαρίσθη: von χαρίζομαι (Deponens), 3. Sg. Aorist Passiv. Χαρίζομαι: „Aus Gunst gewähren, aus Gnaden schenken, gütig spenden“ (Bauer-Aland), 1988. 193 Vgl. bereits 4.1.9 in der Conclusio zu „Jesus ist nicht der Messias, sondern der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen“. 194 Diese ist aber für das Verständnis des Verses wichtig: Nicht nur der Glaube an Jesus Christus, sondern auch das Leiden sind Gnadengeschenke: „In dieser Reihenfolge heißt dies, daß ihnen nicht nur der vorteilhafte Stand des Glaubens gegeben ist, sondern damit der dazugehörende Weg in die Erniedrigung. Das bedeutet für die Philipper, daß das Geschenk des
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
grund des „Agon“ in Phil 1,27–30 steht aber eigentlich „keine klassische Märtyrerideologie195, d.h. dem Leiden kommt kein in sich positiver Wert zu“, sondern ist „Element des Agons“.196 Festhalten lässt sich also, dass die Aussagen dieser Perikope, die ihren Lesern zweifellos einiges an Einsatz abverlangt, in der Bearbeitung der BG verstärkt auf den Kampf als adäquates Mittel verweist. Bereits die Überschrift, in der die Gemeinde als „Kampfgemeinschaft“ angesprochen wird, gab diese Richtung vor. Die Wahl von Schlagwörtern und der appellative Satzbau konnten die Beobachtungen noch erhärten.
Glaubens auch die Selbsterniedrigung impliziert, und ihnen somit der erste Teil des Weges Christi vorgegeben ist.“ (Wick (1994), 73). 195 Im Hintergrund könnte die Konzeption von 4 Makkabäer stehen, in der das Leiden der Märtyrer als heiliger Wettstreit (ἀγών) und Übung (γυμνασίαν) bezeichnet wird (vgl. Poplutz (2004), 303). 196 Poplutz (2004), 303. Vgl. auch Brändl (2006), 367–371: Der Agon sei besser als „Dienst für das Evangelium“ zu bestimmen, zu der der Gemeindeleiter aufgerufen sei.
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4.2.3.2 BG 198f., Legt die Waffenrüstung Gottes an zum Kampf gegen den Satan (Eph. 6,10–18a) BG Laßt euch erfüllen von der unüberwindlichen Kraft des Herrn!
NA 10 Τοῦ λοιποῦ, ἐνδυναμοῦσθε ἐν κυρίῳ καὶ ἐν τῷ κράτει τῆς ἰσχύος αὐτοῦ.
EÜ 10 Und schließlich: Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn!
Luther 10 Zuletzt, meine Brüder, seid stark in dem HERRN und in der Macht seiner Stärke.
Legt die Waffenrüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anläufen des Teufels standhalten könnt!
11 ἐνδύσασθε τὴν πανοπλίαν τοῦ θεοῦ πρὸς τὸ δύνασθαι ὑμᾶς στῆναι πρὸς τὰς μεθοδείας τοῦ διαβόλου·
11 Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt.
11 Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnet gegen die listigen Anläufe des Teufels.
Denn wir haben nicht allein mit unseresgleichen zu kämpfen, sondern ein ganzes Heer böser und finsterer Gewalten streitet gegen uns.
12 ὅτι οὐκ ἔστιν ἡμῖν ἡ πάλη πρὸς αἷμα καὶ σάρκα ἀλλὰ πρὸς τὰς ἀρχάς, πρὸς τὰς ἐξουσίας, πρὸς τοὺς κοσμοκράτορας τοῦ σκότους τούτου, πρὸς τὰ πνευματικὰ τῆς πονηρίας
12 Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister
12 Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern
fehlt
ἐν τοῖς ἐπουρανίοις.
des himmlischen Bereichs.
unter dem Himmel.
Darum greift zur Waffenrüstung Gottes, damit ihr
13 διὰ τοῦτο ἀναλάβετε τὴν πανοπλίαν τοῦ θεοῦ, ἵνα
13 Darum legt die Rüstung Gottes an, damit ihr
13 Um deswillen ergreifet den Harnisch Gottes, auf daß ihr
δυνηθῆτε ἀντιστῆναι
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG in den harten und entscheidenden Tagen
NA ἐν τῇ ἡμέρᾳ τῇ πονηρᾷ
EÜ am Tag des Unheils
Luther an dem bösen Tage
Widerstand leisten und das Feld behalten könnt.
καὶ ἅπαντα κατεργασάμενοι στῆναι.
standhalten, alles vollbringen und den Kampf bestehen könnt.
Widerstand tun und alles wohl ausrichten und das Feld behalten möget.
So steht nun! Als Panzer schirme euch Wahrheit und Rechtschaffenheit.
14 στῆτε οὖν περιζωσάμενοι τὴν ὀσφὺν ὑμῶν ἐν ἀληθείᾳ καὶ ἐνδυσάμενοι τὸν θώρακα τῆς δικαιοσύνης
14 Seid also standhaft: Gürtet euch mit Wahrheit, zieht als Panzer die Gerechtigkeit an
14 So stehet nun, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angezogen mit dem Panzer der Gerechtigkeit
Schreitet entschlossen als Boten des Friedens durch das Land!
15 καὶ ὑποδησάμενοι τοὺς πόδας ἐν ἑτοιμασίᾳ τοῦ εὐαγγελίου τῆς εἰρήνης,
15 und als Schuhe die Bereitschaft, für das Evangelium vom Frieden zu kämpfen.
15 und an den Beinen gestiefelt, als fertig, zu treiben das Evangelium des Friedens.
Der Glaube sei der Schild, an dem alle Pfeile des bösen Feindes abprallen!
16 ἐν πᾶσιν ἀναλαβόντες τὸν θυρεὸν τῆς πίστεως, ἐν ᾧ δυνήσεσθε πάντα τὰ βέλη τοῦ πονηροῦ [τὰ] πεπυρωμένα σβέσαι·
16 Vor allem greift zum Schild des Glaubens! Mit ihm könnt ihr alle feurigen Geschosse des Bösen auslöschen.
16 Vor allen Dingen aber ergreifet den Schild des Glaubens, mit welchem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösewichtes;
[…] Rüstet euch mit Gebet und Flehen!
[…] 18 Διὰ πάσης προσευχῆς καὶ δεήσεως […]
[…] 18 Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! […]
[…] 18 Und betet stets in allem Anliegen mit Bitten und Flehen […]
Die BG wählt hier einen Text aus, in dem sich im griechischen Text eine Verschmelzung von agonistischer und militärischer Metaphorik festhalten
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
417
lässt, die an paulinische Bildmotive ebenso wie an alttestamentlich-jüdische Traditionen anknüpft,197 wie auch die Wahl der Überschrift „Aufruf zum Kampf“198 in der EÜ zeigt. Zum Abschluss des Briefes geht es eigentlich um die „grundsätzliche Situation“, in der sich die christliche Gemeinde in der Welt befindet: Eine „Kampfsituation“, und zwar eine geistliche, in der die Herrscher der Welt dem Evangelium feindlich gegenüberstehen und die Christen nicht kapitulieren dürfen, sondern mit den Waffen Gottes kämpfen sollen.199 Das Bild der Waffenrüstung Gottes, die eine „ganz und gar geistliche Rüstung“ ist, steht dabei dafür, dass die Christen den „geistlichen“ Kampf gegen die Mächte der Finsternis nicht aus eigener Kraft bestehen müssen (vgl. 2 Kor 10,4).200 Im Hintergrund dieser Metaphern stehen wohl „traditionelle, vielfach aus dem alten Testament stammende Topoi“, vielleicht auch die Ausrüstung eines römischen Legionärs.201 Obwohl sich die Kampfesmetaphorik auch im griechischen Text findet, wurden durch die BG-Redaktoren Änderungen am Text vorgenommen. Die BG wählt als Überschrift „Legt die Waffenrüstung Gottes an zum Kampf gegen den Satan“ und lässt die Passage mit Eph 6,18a enden. Somit fehlt die Bitte an die Gemeinde, auch für die rechte Verkündigung des Paulus zu beten (Eph 6,19), der sich zum Zeitpunkt der Abfassung der vorangegangenen Worte nach eigenen Angaben im Gefängnis befindet (Eph 6,20). Der Kontext, in den hinein Paulus die Worte über die rechte „Rüstung“202 geschrieben hat, wird von der BG dadurch übergangen. Stattdessen wird ein neuer Kontext kreiert: Die Passage findet sich eingeordnet in eine Fülle an Textabschnitten, die alle mit dem Gedanken des „Kampfes“ in Verbindung gebracht werden. Direkt vorher steht der Abschnitt BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12)“, darauf folgen BG 199: Das Schwert des Geistes (Hebr. 4,12–13a) und BG 199: Der gute Kampf des Glaubens (1. Tim. 6,11b–12). Im Epheserbrief ist allerdings 197
Vgl. Brändl (2006), 380. Brändl verweist hier u.a. auf 1 Thess 5,8; 2 Kor 6,7; 10,3–5; Röm 13,12. Auch Sellin (2008), 473 nennt das Alte Testament und Paulus als Vorbilder. Mit Pfammatter (1990) lassen sich u.a. Jes 59,17 (Jahwe selbst greift zu den Waffen), Jes 11,4f (der gerechter Herrscher aus Davids Geschlecht) und die Kriegsrolle von Qumran (Kampf der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis, bes. 1QM 3,13–5,1; 5,3a–7; 6,2f) nennen (ebd. 46). 198 EÜ-Überschrift für Eph 6,10–20. 199 Vgl. Mußner (1982), 166. 200 Vgl. Mußner (1982), 167. 201 Vgl. Mußner (1982), 166. Sellin (2008), 480 denkt ebenfalls an die typische Ausrüstung eines römischen Legionärs. Mehr zum Gedanken der militia christiana unter 4.2.1 Einführung und Stand der Dinge. 202 Die BG-Übersetzung mit „Waffenrüstung“ ist nicht schlecht, ist doch im Griechischen wörtlich die volle Rüstung des Hopliten (Schwerbewaffneten) gemeint. Sellin schlägt ‚Schwerbewaffnung‘ bzw. ‚Totalrüstung‘ als Übersetzung vor, um dem summarischen Charakter des Wortes gerecht zu werden (vgl. Sellin (2008), 472).
418
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
die Kampfesmetaphorik außer in der zweiten Hälfte des letzten Kapitels nicht vorherrschend.203 Eph 6,10–20 haben vielmehr die rhetorische Funktion eines Schlussappells, der das vorher Gesagte zusammenfasst und zugleich die Adressaten nachhaltig emotional beeinflussen möchte. Die Schilderung der Waffenrüstung verstärkt diese Wirkung.204 Doch nicht nur der Kontext wurde in der BG verändert, auch in den Text selbst finden sich einige Eingriffe. Auffällig sind die Änderungen in der Beschreibung der Feinde, gegen die es zu kämpfen gilt, in Eph 6,12: BG ‚Denn wir haben nicht allein mit unseresgleichen zu kämpfen,
NA ὅτι οὐκ ἔστιν ἡμῖν ἡ πάλη πρὸς αἷμα καὶ σάρκα
EÜ Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen,
Luther Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen,
sondern ein ganzes Heer
ἀλλὰ πρὸς τὰς ἀρχάς, πρὸς τὰς ἐξουσίας,
sondern gegen die Fürsten und Gewalten,
sondern mit Fürsten und Gewaltigen,
böser und finsterer Gewalten
πρὸς τοὺς κοσμοκράτορας τοῦ σκότους τούτου, fπρὸς τὰ πνευματικὰ τῆς πονηρίας
gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister
nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern
fehlt
ἐν τοῖς ἐπουρανίοις.
des himmlischen Bereichs.
unter dem Himmel.
streitet gegen uns.‘ (1) Zum Ersten wird hier der Kampf entlokalisiert. Weder die „Beherrscher der Finsternis dieser Welt“ (κοσμοκράτωρ) noch die „bösen Geister in den Himmeln“ (ἐν τοῖς ἐπουρανίοις) werden in der BG als Gegner genannt, stattdessen wird von einem „ganzen Herr böser und finsterer Gewalten“ gesprochen, deren „lokale“ Ansiedlung nicht erwähnt wird. Soll diese Textbearbeitung der BG zu einer „Verweltlichung“ des Kampfesgedankens beitragen? 203
Viel häufiger findet sich (v.a. Eph 4.5) die Metapher vom Leib der Gemeinde mit Christus als Haupt (z.B. Eph 4,15f., 5,21–33). 204 Sellin (2008), 472.
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
419
Sollen die Leser durch den fehlenden Verweis auf „diese Welt“ und den „himmlischen Bereich“ und somit auf die universale Existenz des Bösen, das durch Christus besiegt wurde (und gegen das es sich dementsprechend in der Nachfolge Christi zu stellen gilt), dazu animiert werden, diese Verse als Ermutigung zum konkreten Kampf gegen das „ganze Heer“ (BG, Eph 6,12) zu lesen? Allerdings ist die Überlieferung nicht ganz sicher,205 diese Beobachtung kann also kein Hauptargument sein. (2) Zum Zweiten findet sich bereits im ersten Versteil ein weiterer auffälliger Eingriff in den Text: Während der Kampf gegen Menschen im Bibeltext komplett ausgeschlossen wird, relativiert die BG diese Aussage, indem sie davon spricht, dass „nicht allein“ gegen Menschen gekämpft werden solle. Das „οὐκ ἔστιν“ ist aber eine definitive Absage an den Kampf gegen Menschen „aus Fleisch und Blut“ (πρὸς αἷμα καὶ σάρκα). Auch Mußner betont, dass es sich bei der Waffenrüstung um eine „ganz und gar geistliche“ und beim Kampf um einen „geistlichen Kampf“ handle, der sich nicht „‚gegen Fleisch und Blut‘, d.h. gegen schwache Menschen, sondern ‚gegen die Ränke des Teufels‘, der seine Herrschaft durch Mächte und Gewalten, durch die Weltherrscher dieser Finsternis und die Geisterwesen der Bosheit in den himmlischen Bereichen ausübt“, richte.206 Die metaphorische Leserichtung, die den Kampf nicht als einen tatsächlichen, militärischen Kampf versteht, sondern als ein Sich-Rüsten im Glauben (ἐνδύσασθε τὴν πανοπλίαν τοῦ θεοῦ (Eph 6,11)) und Ankämpfen gegen das Böse (auch hier metaphorisch: ὁ διάβολος (Eph 6,11)), wird also vom griechischen Text klar vorgegeben, von der BG aber verschwiegen. Der BG-Leser, zumal ein deutscher Soldat an der Front, wird ohne diese Information, dass der Kampf gegen Menschen explizit nicht gemeint ist mit dem Aufruf zum Kampf, von der BG zu einer falschen Deutung gedrängt. In eben diese Richtung geht auch die Konkretisierung der Beschreibung der Pfeile in Eph 6,16 als „Pfeile des bösen Feindes“ (BG) statt „Geschosse des Bösen“ (EÜ). Hier kann sich die BG allerdings an Luthers Übersetzung mit „Pfeile des Bösewichts“ (Luther) anlehnen. (3) Zum Dritten ist die Verbindung von Eph 6,12 und Eph 6,15 bezeichnend: Auch Eph 6,15 wurde stark bearbeitet: „Schreitet entschlossen als Boten des Friedens durch das Land!“ (BG statt „und als Schuhe die Bereitschaft, für das Evangelium vom Frieden zu kämpfen“ (EÜ). Die eindeutige Beschreibung des Inhalts und Ziels des Kampfes, also des Sich-Rüstens und Auflehnens gegen das Böse, das hier biblisch metaphorisch als Kampf beschrieben wird, ist der Einsatz „für das Evangelium vom Frieden“. Die BG hat dagegen zunächst davon gesprochen, dass auch (nicht allein) gegen Menschen zu kämpfen sei und spricht nun davon, dass die „Friedensboten“ durchs 205
In Papyrus 46 fehlt der letzte Versteil, auch war die Rezeption in der frühen Kirche überhaupt kompliziert (vgl. Sellin (2008), 47). 206 Vgl. Mußner (1982), 167.
420
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Land schreiten (BG, Eph 6,15). Im griechischen Text ist dieser Vers ganz in die Metaphorik der verschiedenen Gegenstände der „Rüstung Gottes“ gehalten (Eph 6,11.13) („Gurt der Wahrheit“ und „Panzer der Gerechtigkeit“ (Eph 6,15), „Schild des Glaubens“ (Eph 6,16), „Helm des Heils und Schwert des Geistes“ (Eph 6,17)), die Schuhe stehen dabei für die Grundlage, den Boden, auf dem der „Kampf“ stattfinden darf, und das ist „die Bereitschaft, für das Evangelium vom Frieden zu kämpfen“ (EÜ, Eph 6,15). Mußner weist darauf hin, dass schon in Eph 2,14ff. vom Friedenswerk Christi die Rede war und dort „die Versöhnung der beiden, bisher verfeindeten Teile der Menschheit, der Juden und der Heiden, in einem Teil der Kirche“ gemeint war. Darin bestehe ‚das Evangelium des Friedens‘, das die Kirche zu verkünden habe. „Die ‚Kriegsarbeit‘ des Christen ist also faktisch Friedensarbeit“.207 Auf diese Verse über den geistlich-geistlichen Kampf der Christen gegen die Macht der Finsternis könne sich eine „Theologie der Gewalt“ also nicht berufen, denn als Hauptwaffe der Christen sei ja das Wort Gottes, das ihm vom Geist selbst geschenkt ist, genannt.208 Die BG löst in ihrer Bearbeitung aber einerseits den Frieden aus der im Griechischen eindeutigen Verknüpfung mit dem Evangelium, und macht aus dem Kampf für das Evangelium, das die Friedensbotschaft enthält, den abstrakten Appell, „Boten des Friedens“ (BG, Eph 6,15) zu sein, die durchs Land schreiten. Durch die fehlende Verknüpfung mit der Rüstungsmetapher (durch die Beschreibung der „Schuhe der Friedensbotschaft“ im Kontext der gesamten Rüstung wird die Gleichzeitigkeit der Kampfesbedingungen im Griechischen eindeutig) bleibt in der BG außerdem offen, ob die Aufgabe der „Friedensboten“ während des eigentlichen „Kampfes“ oder erst danach stattfindet. Der NS-Ideologie, den anderen Ländern durch Kampf Frieden zu bringen, wird hier keine definitive Absage erteilt.209
207
Vgl. Mußner (1982), 169. Vgl. Mußner (1983), 170. Eph 6,17b sei daher die ‚Tonstelle‘ des Abschnitts.“ (ebd. 170). Bereits Harnack stellt fest, dass durch die Aufgabe, für das Evangelium des Friedens zu kämpfen „der ganzen Schilderung der Charakter einer erhabenen Paradoxie gegeben und das militärische Element im Grunde wieder aufgehoben“ werde (vgl. Harnack (1905), 13). Ähnlich Pfammatter (1990), 47: Die „Bereitschaft für das Evangeliums des Friedens“ zu kämpfen zeige, worum es im Kampf überhaupt geht. 209 Der Katechismus ‚Deutsche mit Gott‘, der sich exakt der Übersetzung der BG von Eph 6,12 bedient und den Vers im Kapitel „Das Reich der Deutschen, unser Gottesauftrag“ anführt, verstärkt noch zusätzlich den Eindruck einer kämpferischen Aussage, wenn er u.a. das Lutherzitat „Wenn Deutschland unter einem Haupt und in einer Hand wäre, so wäre es unüberwindlich.“ vorschaltet (vgl. Deutsche mit Gott (1941), 25). 208
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
421
Sprachlich fällt andererseits auch in Eph 6,13 eine Dramatisierung in der BG-Übersetzung auf: Statt als Zeitangabe vom biblischen210 „Tag des Unheils“ (EÜ, Eph 6,13 für ἐν τῇ ἡμέρᾳ τῇ πονηρᾷ) zu sprechen, wählt die BG „in den harten und entscheidenden Tagen“ (BG, Eph 6,13). Luther hat „an dem bösen Tage“. Die sprachliche Verbindung zum Alten Testament ist in der BG nicht mehr ersichtlich, zudem wird auch hier die „Härte“ des Geschehens betont. Die Häufung des Adjektivs „hart“211 ist in der BG auffällig und passt zu bisherigen Beobachtungen, den Gedanken eines bitteren und harten Kampfes zu idealisieren. Desweiteren erweckt der Verweis auf die „Entscheidung“, die diese Kampfestage bringen sollen, beim Leser ein Gefühl der Unmittelbarkeit des Kampfes. Mit Franz Mußner lässt sich die Stelle besser so lesen, dass der „böse Tag“ ständig da ist und die christliche Gemeinde eben darum nicht ohne Waffenrüstung Gottes sein kann.212 Auch der „entjudete“ Katechismus des Instituts bedient sich der Übersetzung der BG von Eph 6,13. Im Kapitel „Unseres Lebens Aufgabe“ weisen die Verfasser zunächst auf die Notwendigkeit von Einsatz und Opfer hin: „Wir sollen treu und gewissenhaft unseren Beruf erfüllen in Haus und Volk, zu jedem Einsatz und Opfer bereit.“213 Als Quintessenz formulieren die Herausgeber dann die unmissverständliche Aufforderung: „Greift zur Waffenrüstung Gottes, damit ihr in den harten und entscheidenden Tagen Widerstand leisten und das Feld behalten könnt.“214 Der Verweis darauf, dass es sich hier eben um Eph 6,13 handelt, fehlt, obwohl alle anderen Zitate, aus denen der Katechismus großteils besteht, gut belegt sind. Der Vers bekommt nun allein dadurch eine andere Bedeutung, dass er als die Schlussfolgerung der Verfasser aus den vorher angeführten Zitaten (z.B. von Luther und Goethe) erscheint und zudem graphisch durch eine größere Schriftart hervorgehoben ist. Er bekommt im Katechismus folglich kein eigenes Gewicht als Textzeuge, der eigentlich aus einem ganz anderen Kontext stammt, zugestanden, sondern kann in dieser stark deutenden Übersetzung als direkte Aufforderung zu „Einsatz und Opfer“ gelesen werden. Diese Beobachtungen am Text der BG, die eine den Kampfgedanken betonende und in die Unmittelbarkeit übertragende Leseweise nahelegen, werden
210 Vgl. z.B. Jer 17,17: „Werde nicht zum Schrecken für mich, / du meine Zuflucht am Tag des Unheils!“ und Ps 18,19: „Sie überfielen mich am Tag meines Unheils, / doch der Herr wurde mein Halt.“ 211 Vgl. BG 170f., Gottes Erzieherhand im Leid (Hebr.12,4–5a.6–11), Hebr 12,6 („wenn er euch hart anfaßt“) und BG Hebr 12,11: „Jedes harte Schicksal ist freilich […] Leid“ (statt ‚Jede Züchtigung scheint Schmerz zu bringen‘, πᾶσα δὲ παιδεία […] δοκεῖ […] εἶναι […] λύπης)) und die BG-Überschrift BG 51, Hart und entschlossen (Mark. 9,43–47.50b). 212 Vgl. Mußner (1982), 168. 213 Deutsche mit Gott (1941), 12. 214 Deutsche mit Gott (1941), 13.
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
durch die Deutung, die Grundmann selbst zu Eph 6,12 liefert, noch unterstützt. In seiner Dissertation 1932 übersetzt er den Vers noch korrekt: „Legt an die Waffenrüstung Gottes, um bestehen zu können gegen die Kampfesweisen des Teufels; denn uns ist kein Kampf gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Mächte, gegen die Gewalten, gegen die Weltbeherrscher der Finsternis, gegen die Geister der Bosheit unter den Himmlischen.“215
Seine Deutung allerdings ist den acht Jahre später entstandenen Texten der BG erstaunlich ähnlich. Er deutet den Vers so: „Die Gemeinde ist also in ihrer Existenz angegriffen von den Mächten, denen sie entnommen ist. Sie ist bedroht und damit in einen schweren Kampf hineingestellt. Im weiteren Verlauf ist dann die Waffenrüstung beschrieben, die ihr gegeben ist. Ziel des Starkseins, zu dem die Gemeinde aufgefordert wird, ist das Bestehen in diesem Ringen. Dazu hat sie die Kraft des Christus nötig als eine Kraft, die sie in ihrer Existenz bewahrt und erhält.“216
Auffällig ist auch hier die Zielbestimmung: nicht sei „für das Evangelium vom Frieden zu kämpfen“ (EÜ, Eph 6,15), sondern für das „Bestehen in diesem Ringen“. Auch die Beschreibung der „Bedrohung“ (besser könnte man vielleicht von „Versuchung“ oder mit Eph 6,11 (EÜ) von „listigen Anschlägen des Teufels“ sprechen) der Gemeinde wird von Grundmann dramatisiert und konkretisiert: Grundmann spricht vom Angriff auf die Existenz der Gemeinde und sieht sie bedroht und in einen schweren Kampf hineingestellt. Zuletzt noch ein Blick auf das Ende des Abschnitts in der BG: Hier wird nur der erste Teil von Eph 6,18a aufgenommen und noch dazu bearbeitet. Der Kontext des Verses wird völlig vernachlässigt: BG Rüstet euch mit Gebet und Flehen!
215 216
NA 18 Διὰ πάσης προσευχῆς καὶ δεήσεως
EÜ 18 Hört nicht auf, zu beten und zu flehen!
Luther 18 Und betet stets in allem Anliegen mit Bitten und Flehen
προσευχόμενοι ἐν παντὶ καιρῷ ἐν πνεύματι, καὶ εἰς αὐτὸ ἀγρυπνοῦντες ἐν πάσῃ προσκαρτερήσει καὶ δεήσει περὶ πάντων τῶν ἁγίων 19 καὶ ὑπὲρ ἐμοῦ, […]
Betet jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus und bittet für alle Heiligen,
im Geist, und wachet dazu mit allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen
19 auch für mich: […]
19 und für mich, […]
Grundmann, Kraft (1932), 108. Grundmann, Kraft (1932), 108.
423
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
Selbst das Gebet wird von der BG als ein Teil des „Sich-Rüstens“ zum Kampfe aufgefasst und somit rein funktionalistisch verstanden. Das Gebet bleibt auf die Betenden beschränkt (Rüstet euch mit Gebet […]), während der griechische Text das Beten als eine unaufhörliche Geisteshaltung beschreibt (ἐν παντὶ καιρῷ ἐν πνεύματι), in der der Beter über sich hinausgeht und Kraft für andere und für Paulus selbst (περὶ πάντων τῶν ἁγίων, ὑπὲρ ἐμοῦ) bei Gott erbittet. 4.2.3.3 BG 199f., Wettkämpfer um ewigen Preis (1. Kor. 9,24–27) BG
NA
EÜ
Luther
Viele Wettläufer laufen im Stadion –
24 Οὐκ οἴδατε ὅτι οἱ ἐν σταδίῳ τρέχοντες πάντες μὲν τρέχουσιν,
24 Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen,
24 Wisset ihr nicht, daß die, so in den Schranken laufen, die laufen alle,
einer gewinnt den Kampfpreis. So lauft auch ihr um den ewigen Kampfpreis!
εἷς δὲ λαμβάνει τὸ βραβεῖον; οὕτως τρέχετε ἵνα καταλάβητε.
aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt.
aber einer erlangt das Kleinod? Laufet nun also, daß ihr es ergreifet!
Jeder Wettläufer härtet durch strenge Enthaltsamkeit seinen Leib:
25 πᾶς δὲ ὁ ἀγωνιζόμενος πάντα ἐγκρατεύεται,
25 Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam;
25 Ein jeglicher aber, der da kämpft, enthält sich alles Dinges;
die Wettkämpfer im Stadion, um einen verwelkenden Kranz zu gewinnen;
ἐκεῖνοι μὲν οὖν ἵνα φθαρτὸν στέφανον λάβωσιν,
jene tun dies, um einen vergänglichen,
jene also, daß sie eine vergängliche Krone empfangen,
wir, um die unvergängliche Krone des Lebens zu erlangen.
ἡμεῖς δὲ ἄφθαρτον.
wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen.
wir aber eine unvergängliche.
424
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG So laufe ich in der vorgezeichneten Kampfbahn
NA 26 ἐγὼ τοίνυν οὕτως τρέχω ὡς οὐκ ἀδήλως,
EÜ 26 Darum laufe ich nicht wie einer, der ziellos läuft,
Luther 26 Ich laufe aber also, nicht als aufs Ungewisse;
und schlage beim Faustkampf nicht in die Luft.
οὕτως πυκτεύω ὡς οὐκ ἀέρα δέρων·
und kämpfe mit der Faust nicht wie einer, der in die Luft schlägt;
ich fechte also, nicht als der in die Luft streicht;
Ich übe mich, meinen Leib ganz in meine Gewalt zu bekommen,
27 ἀλλ’ ὑπωπιάζω μου τὸ σῶμα καὶ δουλαγωγῶ,
27 vielmehr züchtige und unterwerfe ich meinen Leib,
27 sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn,
denn ich mag nicht anderen verkünden und selbst versagen.
μή πως ἄλλοις κηρύξας αὐτὸς ἀδόκιμος γένωμαι.
damit ich nicht anderen predige und selbst verworfen werde.
daß ich nicht den andern predige, und selbst verwerflich werde.
Aus 1 Kor 9 werden von der BG lediglich diese drei Verse ausgewählt und bearbeitet.217 Im Kontext bindet Paulus direkt vorher sein Tun und seine Verkündigung unlösbar an das Evangelium und somit an die Verheißung Christi: „Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an seiner Verheißung teilzuhaben“ (EÜ, 1 Kor 9,23). Auch die folgende Aufforderung an die Korinther, ebenso wie Paulus selbst nach dem Vorbild eines enthaltsamen Läufers im Stadion bzw. eines klugen Faustkämpfers zu handeln, ist dadurch eindeutig rückgekoppelt an das Evangelium. Als „unvergänglicher Siegeskranz“ (1 Kor 9,25) ist auf diesem Hintergrund die Teilhabe an der Verheißung Christi, also dem Evangelium (1 Kor 9,23) zu verstehen. Auch das passive „Verworfenwerden“, das Paulus befürchtet, wenn er anders verkündigt als handelt, ist an die Evangelien rückgebunden, wie die passive Wortbedeu217 Auch wenn der Zusammenhang mit der Vorhergehenden in der Exegese umstritten ist (Schrage (1995), 361; Baumert (2007), 138 sieht keinen Grund, den Schlussteil abzuschneiden), würde der Makrotext doch für einen anderen Schwerpunkt sorgen: Poplutz (2004), 250– 258 verortet 1 Kor 9,24–27 im Makrotext 1 Kor 8–10 und sieht als Hauptfokus die Frage nach dem Götzenopferfleisch und verweist dabei auf die Überschrift in 1 Kor 8,1 (ebd. 256). Dieser Kontext ist auch desahalb entscheidend, weil Paulus selbst dort, wo ein gemeindeinternes und spezifisch heidenchristliches Problem geklärt werden soll – hier die Frage nach dem Gätzenopferfleisch – Israel nie aus den Augen verliert: So greift er 1 Kor 10,1–14 auf die Geschichte Israels zurück, um die Korinther vor einer trügerischen Sicherheit zu warnen (vgl. Sänger (2013), 454).
425
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
tung im Gegensatz zum eigenverschuldeten „Versagen“, das die BG als Übersetzung wählt, ausdrückt. Auch Luther schreibt „daß ich nicht den andern predige, und selbst verwerflich werde“ (1 Kor 9,27) und bleibt so nahe am Griechischen.218 Die BG wählt anstelle dieser vielfältigen Rückbezüge auf das Evangelium auch hier eine vorwiegend kämpferische Terminologie, die sich nicht immer mit dem Griechischen deckt: (1) Im Griechischen stehen bei ὁ στέφανος („Kranz“ bzw. „Siegeskranz“) zwei Adjektive (φθαρτὸν στέφανον […], ἡμεῖς δὲ ἄφθαρτον), das tertium comparationis ist also der Kranz, der für die Läufer im Stadion vergänglich, für die, die nach dem Evangelium streben, aber unvergänglich ist. Die BG bearbeitet diesen metaphorischen Vergleich und scheint zum einen den Unterschied zu verstärken, indem einmal von „Kranz“, einmal von „Krone“ geschrieben wird. Die (lexikalisch mögliche) Übersetzung von στέφανος mit „Krone“ dürfte hier von Luther übernommen sein, der allerdings von vergänglicher und unvergänglicher Krone spricht und somit den griechischen Parallelismus aufrechterhält. Zum anderen wird die Unterscheidung noch durch die Einfügung „Krone des Lebens“ manifestiert. Das Leben wird so als Gabe, die aus dem Kampf erwächst, dargestellt. (2) Schon in 1 Kor 9,24 ist der Preis, den die Läufer erringen können (τό βραβεῖον 219), von der BG mit „Kampfpreis“ bzw. im zweiten Satzteil (obwohl das gr. Pronomen, keine Wiederholung des Substantivs, zu finden ist) sogar noch stärker mit „ewiger Kampfpreis“ übersetzt (EÜ: „Siegespreis“, Luther: „Kleinod“) und somit der sportliche Wettlauf im Stadion gleich eindeutig als ein Kampfesgeschehen gedeutet. Das Wort Wettkampf enthält im Deutschen zwar ebenfalls diese Komponente, im Griechischen findet sich aber nicht die von der BG vorgenommene Reduzierung, die für die damaligen Leser eine Parallelisierung der paulinischen Verse mit dem aktuellen Geschehen in Deutschland nahelegt. Der Verweis auf den ewigen Kampfpreis greift außerdem bereits auf die „unvergänglichen Kranz“ (1 Kor 9,25) vor. Auch 1 Kor 9,26 wird das Schlagwort „Kampf“ in den BG-Text eingetragen: BG So laufe ich
in der vorgezeichneten Kampfbahn […] 218
NA ἐγὼ τοίνυν οὕτως τρέχω
ὡς οὐκ ἀδήλως, […]
EÜ
Luther
Darum laufe ich
Ich laufe aber also,
nicht wie einer, der ziellos läuft, […]
nicht als aufs Ungewisse; […]
ἀδόκιμος γένωμαι: unbewährt/untüchtig/unbrauchbar werden (Bauer/Aland). Auch Bauer/Aland gibt „Kampfpreis“ als Wortbedeutung an, allerdings folgt gleich darauf das etymologisch verwandte Wort βραβεύω (Kampfpreise erteilen, Schiedsrichter sein), das den sportlichen Hintergrund eindeutiger aufscheinen lässt. 219
426
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
(3) Zudem wurden die Anforderungen an die Wettkämpfer von den BGRedaktoren umgeschrieben (1 Kor 9,25a.27a). BG Jeder Wettläufer
NA 25 πᾶς δὲ ὁ ἀγωνιζόμενος
EÜ 25 Jeder Wettkämpfer
Luther 25 Ein jeglicher aber, der da kämpft,
härtet durch strenge Enthaltsamkeit seinen Leib: […] Ich übe mich, meinen Leib ganz in meine Gewalt zu bekommen, […]
πάντα ἐγκρατεύεται, […]
lebt aber völlig enthaltsam; […]
enthält sich alles Dinges; […]
27 ἀλλ’ ὑπωπιάζω μου τὸ σῶμα καὶ δουλαγωγῶ, […]
27 vielmehr züchtige und unterwerfe ich meinen Leib, […]
27 sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn, […]
In der Analyse der beiden einschlägigen Halbverse 1 Kor 9,25a und 9,27a ist in der BG zu beobachten, dass das Augenmerk schon bei der Beschreibung des Wettkämpfer explizit auf den Leib gerichtet wird, während die beschriebene Enthaltsamkeit nicht nur rein körperliche Abhärtung, sondern auch die zugehörige mentale Einstellung meint.220 Zudem lässt sich noch eine kleine Sinnänderung erkennen, da aus der völligen Enthaltsamkeit in der BG eine strenge Enthaltsamkeit wird, die die Schwerpunktsetzung etwas verändert: Nicht mehr die Enthaltsamkeit in allen Dingen, also eine umfassende Enthaltsamkeit,221 wird betont, sondern vor allem die Härte und Strenge des enthaltsamen Lebens, das, wie bereits festgestellt wurde, der körperlichen Ertüchtigung (vgl. BG 1 Kor 9.25a) zu Gute kommen soll. Auch diese Verschärfung der Anforderungen verweisen auf die Betonung des Kämpfer- bzw. Kriegerideals in der BG, obwohl die BG nun interessanterweise hier von „Wettläufern“ schreibt, obwohl eigentlich nun das Bild des Boxers bzw. Pankratisten (ἀγωνιζόμενος) gewählt ist.222
220
Der Wortbedeutung nach Enthaltsamkeit sowohl geschlechtlicher Art (1 Kor 7,9) als auch die Enthaltsamkeit in jeder Hinsicht bei Athleten (1 Kor 7,25) (Bauer/Aland 437). Auch Brändl (2006), 228 nennt sowohl auf die besondere Lebensweise als auch auf die Konzentration auf die bevorstehenden Ereignisse. 221 Auch Poplutz liest die Verse als „Mahnung zur Selbstdisziplin“ (Poplutz (2004), 249). Ähnlich Schrage (1995), 363: Es geht um die Selbstdisziplin bei der Vorbereitung, die uneingeschränkter Konzentration bedarf. 222 Vgl. Schrage (1995), 363 und Poplutz (2004), 278.
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
427
(4) In die Bildwelt des 1 Kor, die an dieser Stelle das Agonmotiv durchgehend mit Bildern aus dem Sport füllt223 und sich damit auf den Erfahrungshintergrund der Gemeinde von Korinth beruft, da dort im Zwei-Jahres-Rhythmus die Isthmischen Spiele zu Ehren des Poseidon stattfanden,224 wurde von der BG-Redaktion an einigen Stellen eingegriffen. Auch wenn die Übersetzungen sich meist nicht sehr weit vom Griechischen entfernen, entsteht doch eine semantische Linie, die nicht so sehr an einen sportlichen Wettkampf, sondern eher an einen tatsächlichen militärischen Kampf denken lässt. Abschließend soll das im Blick auf die Auswahl der Verse und Überschriften nochmal verdeutlicht werden. Die analysierte Passage gehört zum 4. Kapitel des dritten Teils der BG mit dem Titel „4. Das neue Leben“ und dort wiederum zum Unterkapitel „a) In Ehre und Ausdauer“. Wie ein Blick auf die Überschriften der anderen Passagen dieses Unterkapitels225 zeigt, ist die Tendenz zur Auswahl sehr weniger Verse (meist zwei oder drei Verse) zu erkennen und zugleich die Wahl stark deutender Überschriften, die allesamt aus dem Wortfeld „Kampf(eseinsatz)“ schöpfen. Die EÜ dagegen wählt für das gesamte Kapitel 1 Kor 9,1–27 den Titel „Das Beispiel des Apostels“ und fasst somit das Beispiel vom Läufer im Stadion in einen größeren Zusammenhang ein, in dem Paulus über seine Berufung als Apostel spricht, die er unlösbar an das Evangelium bindet (1 Kor 9,23). Zugleich erinnert Paulus aber auch an das Gesetz des Mose (1 Kor 9,9) und seine Sendung zu den Juden (1 Kor 9,20).
223
Vgl. die tabellarische Zusammenstellung von Poplutz: V. 24 handelt vom Läufer, V. 25 vom Wettkämpfer, V. 26 überträgt Paulus das Bild vom sportlichen Wettkampf auf sich und identifiziert sich mit einem Läufer (V. 26ab) und Boxer bzw. Pankratisten (V. 26cd) (vgl. Poplutz (2004), 260.278). Lindemann vermutet, dass Paulus zwei nicht miteinander verwandte Sportarten wählt, um die Schwierigkeit seiner Aufgabe zu unterstreichen (Lindemann (2000), 215). 224 Vgl. Poplutz (2004), 264, auch Lindemann (2000), 214. Die Isthmischen Spiele stellten somit den „Realhintergurnd“ für die metaphorische Anwendung dar, die beiden Konzepte ‚Wettlauf im Stadion‘ und ‚Appell an die korinthischen Gemeindemitglieder‘ blendet Paulus übereinander (vgl. ebd. 288f.). Zu den panhellenischen Spielen von Isthmias als Hintergrund zum 1. Korintherbrief vgl. auch Brändl (2006), 18–44. 225 Die anderen Passagen dieses Unterkapitels sind folgendermaßen überschrieben: (1) BG 196, Der selbstlose Herr – das Urbild des neuen Lebens (Phil. 2,5–11); (2) BG 196f., Die Gemeinde als Kampfgemeinschaft in Jesu Christi Art (Phil. 1,27ac–29); (3) BG 197, Mit Ernst Christen sein! (Phil. 2,12b–16a); (4) BG 197, Freude und Friede als Inhalte des neuen Lebens (Phil. 4,4–8.9b); (5) BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12); (6) BG 198f., Legt die Waffenrüstung Gottes an zum Kampf gegen den Satan (Eph. 6,10–18a); (7) BG 199, Das Schwert des Geistes (Hebr. 4,12–13a); (8) BG 199, Der gute Kampf des Glaubens (1. Tim. 6,11b–12); (9) BG 199, Der volle Einsatz (2. Tim. 2,3–5); (10) BG 199: In der Gefolgschaft des Todbezwingers (2. Tim. 2,8a.11b–12a.13); (11) BG 199f., Wettkämpfer um ewigen Preis (1. Kor. 9,24–27).
428
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
4.2.3.4 Abrundung: BG 199, Der gute Kampf des Glaubens (1. Tim. 6,11b– 12) und BG 199, Der volle Einsatz (2. Tim. 2,3–5) Zur Abrundung des bereits konstatierten Tendenz der BG-Texte, nicht nur Jesus als „Kämpfer“ darzustellen, sondern auch die Nachfolge wesentlich als Kampfesgeschehen zu beschreiben, sollen zuletzt noch zwei kürzere Passagen aus der BG zu Wort kommen, die sich beide im Großkapitel „Das neue Leben“ (BG 196–215) im Abschnitt „a) In Ehre und Ausdauer“ (BG 196– 200)226 finden. (1) Die erste Passage BG 199, Der gute Kampf des Glaubens (1. Tim. 6,11b–12): Sei rechtschaffen und fromm, treu und gütig, tapfer und milde. Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem auch du berufen bist durch Jesus Christus! Ihm hast du die Treue vor vielen Zeugen gelobt! (BG 199, Der gute Kampf des Glaubens (1. Tim. 6,11b–12))
226
In diesen Abschnitt a) sind auch die bereits analysierten Stellen (1) BG 196f., Die Gemeinde als Kampfgemeinschaft in Jesu Christi Art (Phil. 1,27ac–29); (2) BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12); (3) BG 198f., Legt die Waffenrüstung Gottes an zum Kampf gegen den Satan (Eph. 6,10–18a); (4) BG 199f., Wettkämpfer um ewigen Preis (1. Kor. 9,24–27) eingeordnet.
429
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
BG
NA
EÜ
Luther
fehlt
11 Σὺ δέ, ὦ ἄνθρωπε θεοῦ, ταῦτα φεῦγε·
11 Du aber, ein Mann Gottes, flieh vor all dem.
11 Aber du, Gottesmensch, fliehe solches!
Sei rechtschaffen227 und fromm,
δίωκε δὲ δικαιοσύνην εὐσέβειαν
Strebe unermüdlich nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit,
Jage aber nach der Gerechtigkeit, der Gottseligkeit,
treu und gütig,
πίστιν, ἀγάπην
Glauben, Liebe,
dem Glauben, der Liebe,
tapfer und milde.
ὑπομονὴν πραϋπαθίαν.
Standhaftigkeit und Sanftmut.
der Geduld, der Sanftmut;
Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem auch du berufen bist
12 ἀγωνίζου τὸν καλὸν ἀγῶνα τῆς πίστεως, ἐπιλαβοῦ τῆς αἰωνίου ζωῆς, εἰς ἣν ἐκλήθης
12 Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen worden bist
12 kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, dazu du auch berufen bist
Ihm
καὶ
und für das
und
hast du die Treue vor vielen Zeugen gelobt!
ὡμολόγησας τὴν καλὴν ὁμολογίαν ἐνώπιον πολλῶν μαρτύρων.
du vor vielen Zeugen das gute Bekenntnis abgelegt hast.
bekannt hast ein gutes Bekenntnis vor vielen Zeugen.
durch Jesus Christus!
Ein gezielter Vergleich des BG-Textes mit dem Griechischen und der EÜ kann bestätigen, dass auch an dieser Stelle einige Veränderungen vorgenommen wurden, die nach den bisherigen Befunden als typisch für die BGBearbeitungen eingestuft werden können. Aus der „Aufforderung an Timotheus“228 ist in der BG ein pauschaler Aufruf zum Kämpfen geworden,
227 Die Übersetzung der BG ist hier in Ordnung, auch Brox scheibt, hier sei „das gerechte Leben, nicht im paulinischen Sinn die geschenkte Gerechtigkeit Gottes“ gemeint (vgl. Brox (1989), 213). 228 EÜ-Überschrift für 1 Tim 6,11–16.
430
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
da der Adressatenbezug229 vollständig getilgt wurde. Auch finden sich in der BG auffällig gewordene militärisch konnotierte Schlagworte: (a) Die Deutung von ὑπομονή (Standhaftigkeit (EÜ)/Geduld (Luther))230 in 1 Tim 1,11 als tapfer, obwohl gerade ὑπομονή und πρᾳΰτης das „spezifisch christliche Ethos“231 der Tugendliste zeigen, (b) die Übersetzung von πίστις (Glauben) mit treu in ebendiesem Vers, die erst durch die Verbindung mit (c) der Rede davon, Christus die Treue zu geloben (1 Tim 6,12), anstelle des Ablegens eines guten Bekenntnisses für das ewige Leben als bewusste Bearbeitung erscheint. Der Präpositionalausdruck εἰς ἣν bezieht sich allerdings nicht nur auf ἐκλήθης, sondern auch auf ὡμολόγησας; die korrekte Übersetzung lautet also: zu dem [= zum ewigen Leben] du berufen bist und für das du bezeugt hast.232 Das „Treuegelöbnis“ gegenüber Christus ist also keine textgemäße Übersetzung, sondern eine Konstruktion der Redaktoren. Der Begriff „Gelöbnis“ wird im nationalsozialistischen Kontext in Bezug auf die Treue zu Hitler und das Mittragen der seiner Ideen verwendet,233 wie sich auch Hitlers auf die Gemeinschaft des ganzen Volkes (in Kampf und Sieg) einschwörenden Worten am Ende seiner Rede zum achten Jahrestag der Machtergreifung entnehmen lässt: „Es ist ein wunderbarer Gemeinschaftsgedanke, der unser Volk beherrscht! Daß dieser Gedanke in seiner ganzen Kraft uns im kommenden Jahr erhalten bleibe, das sei der Wunsch des heutigen Tages. Daß wir für diese Gemeinschaft arbeiten wollen, das sei unser Gelöbnis! Daß wir im Dienst dieser Gemeinschaft den Sieg erringen, das ist unser Glaube und unsere Zuversicht! Und daß der Herrgott in diesem Kampf des kommenden Jahres uns nicht verlassen möge, das soll unser Gebet sein! Deutschland Sieg Heil!“234
(d) Auch der gesamte Aufbau der Bearbeitung von 2 Tim 6,11b ist auffällig: „Sei rechtschaffen und fromm, treu und gütig, tapfer und milde.“ (BG) statt „Strebe unermüdlich nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut.“ (EÜ) der direkte Vergleich zeigt deutlich, dass einerseits die als „Soldatentugenden“ bekannten Vokabeln der „Treue“ 229
Eigentlich ist hier Timotheus direkt angesprochen: es handelt sich bei 1 Tim 6,11–16 um eine „eigenständiges paränetisches Stück“, nicht um eine allgemeine Ermahnung an alle Christen, „sondern eine spezifische Verpflichung an die durch Timotheus repräsentierten Amsträger (vgl. Brox (1989), 212). „Timotheus wird hier in die Nachfolge seines Vorbildes Paulus gerufen“ (ebd. 213). Ebenso Brändl (2006), 368. 230 ἡ ὑπομονή (Bauer/Aland, 1686): Ausharren, Geduld, Ausdauer, Standhaftigkeit. Vor allem in den späten Texten des Neuen Testaments zu finden. 231 Brox (1989), 213. 232 ὁμολογέω (Bauer/Aland, 1151f.): frei heraussagen, erklären, bekennen. 233 Beispielsweise unterzeichneten 88 deutsche Dichter und Schriftsteller das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ an Adolf Hitler (Text im Wortlaut s. Vossische Zeitung (26.10.1933), 2). Mit „Gefolgschaft“ ist hier das „Treueverhältnis zum Führer in Gehorsam“ gemeint (Schmitz-Berning (1998), 252). 234 Hitler, Sportpalast (1941), 47.
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
431
und „Tapferkeit“ favorisiert wurden und andererseits konsequent alle Substantive als Adjektive übersetzt wurden. Kann hier der Wunsch nach einem stärkeren Appell-Charakter dieser Textstelle vermutet werden, der die direkte Anweisung „Sei treu und tapfer!“ (vgl. BG) der Aufforderung vorzieht, nach positiven Tugenden (im Griechischen Substantive) zu streben, die sich an eine Auflistung an falschen Verhaltensweisen (2 Tim 6,3–10) anschließen? (2) Die zweite kurze Passage stammt aus dem zweiten Brief an Timotheus (BG 199, Der volle Einsatz (2. Tim. 2,3–5): BG Sei ein wackerer Streiter Jesu Christi,
NA 3 Συγκακοπάθησο ν ὡς καλὸς στρατιώτης Χριστοῦ Ἰησοῦ.
EÜ 3 Leide mit mir als guter Soldat Christi Jesu.
Luther 3 Leide mit als ein guter Streiter Jesu Christi.
Ein rechter Soldat
4 οὐδεὶς στρατευόμενος235
4 Keiner, der in den Krieg zieht,
4 Kein Kriegsmann
läßt sich von seinem Dienst nicht ablenken
ἐμπλέκεται ταῖς τοῦ βίου πραγματείαις,
lässt sich in Alltagsgeschäfte verwickeln,
flicht sich in Händel der Nahrung,
und findet damit die Anerkennung seines Feldherrn.
ἵνα τῷ στρατολογήσαντι236 ἀρέσῃ.
denn er will, dass sein Heerführer mit ihm zufrieden ist.
auf daß er gefalle dem, der ihn angenommen hat.
Nur wenn einer recht kämpft,
5 ἐὰν δὲ καὶ ἀθλῇ τις,
5 Und wer an einem Wettkampf teilnimmt,
5 Und so jemand auch kämpft,
wird er ausgezeichnet.
οὐ στεφανοῦται ἐὰν μὴ νομίμως ἀθλήσῃ.
erhält den Siegeskranz nur, wenn er nach den Regeln kämpft.
wird er doch nicht gekrönt, er kämpfe denn recht.
auch denn du darunter leiden mußt!
Auch in dieser kleinen Passage lassen sich einige Besonderheiten erkennen, die der Bearbeitung durch die Redaktoren zugeschrieben werden können. 235 236
στρατεύω (Bauer/Aland, 1537): Kriegsdienste tun, zu Felde ziehen. στρατολογέω (Bauer/Aland, 1538): ein Heer sammeln, Soldaten anwerben.
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Besonders die Bezeichnungen „ein wackerer Streiter“ (BG, 2 Tim 2,3) und „ein rechter Soldat“ (BG, 2 Tim 2,4) fallen auf. Im ersten Fall scheint das von der BG-Redaktion gewählte Adjektiv den Gedanken der Tapferkeit stärker auszudrücken als das schlichte „gut“, im zweiten Fall lässt sich die Hinzufügung des Adjektivs auf Grund des griechischen Textes nicht erklären, ist hier doch ohne Wertung die Rede von dem, der in den Krieg zieht (στρατευόμενος) bzw. einem „Kriegsmann“ (Luther). Die Gesamtaussage von 2 Tim 2,4 verändert sich in Kombination mit dem zweiten Versteil. Die Originalaussage könnte man zusammenfassen: Jeder, der in den Krieg zieht, wird ganz selbstverständlich seine alltäglichen Belange liegen lassen (keiner wird sich weiter darum kümmern (οὐδεὶς…ἐμπλέκεται)), damit der Heerführer mit ihm zufrieden ist. Die BG dagegen macht den Vers zu einer Dienstanweisung, die das Ideal des wackeren und rechten Soldaten ausdrückt: „Ein rechter Soldat läßt sich von seinem Dienst nicht ablenken und findet so Anerkennung des Feldherrn.“ Auch lässt sich die Frage nach dem Leiden237 nochmal zuspitzen: Die Bearbeitung von 2 Tim 2,1 macht aus der Aufforderung an Timotheus zum Mitleiden die Aufforderung zum Mitkämpfen, das zum Leiden führt.238 Die Änderung des Verses zu einer stärkeren Aussage über den rechten Kampf, die dadurch den Charakter einer Kampfesaufforderung bekommt, der vom metaphorischen Verständnis wegführt, zeigt sich auch in 2 Tim 2,5. Die Illustration der Aufforderung zu hingebungsvollen Mitleiden (2 Tim 2,3) mit Beispielen aus verschiedenen Bereichen, so aus dem militärischen Bereich (Parallelisierung dieser Aufforderung mit dem Vertrauensverhältnis zwischen Soldat und Heerführer, 2 Tim 2,4) und aus dem Bereich des Sports (Fairplay führt zum Sieg, 2 Tim 2,5) und schließlich aus dem landwirtschaftlichen Bereich (Die Ernte kommt dem, der für sie arbeitet, auch zugute, 2 Tim 2,6 (nicht in der BG)),239 wird in der BG bearbeitet. Der landwirtschaftliche Vergleich fehlt völlig, der Bereich des Sports dagegen wird mit dem militärischen Vergleich verschmolzen. Aus der Teilnahme am Wettkampf (ἀθλῇ) wird das rechte Kämpfen, aus dem Siegeskranz die 237 Vgl. 4.1 Jesus ist nicht der Messias, sondern der „Leidende“, mit dem wir mitleiden sollen. 238 Der Schwerpunkt verschiebt sich dadurch etwas: Statt der Aufforderung, auch das Leiden in Kauf zu nehmen („leide mit mir!“ (EÜ/Luther)), wird in der BG der Kampfesappell betont, dem das Leiden zugeordnet ist: „Sei ein wackerer Streiter! (Auch wenn du denn leiden musst).“ Freilich handelt es sich in 2 Tim hier „nicht um das Leiden des Untätigen, des Überwältigten, sondern des mit allem Einsatz Kämpfenden“. Der Unterschied zur BG liegt aber darin, dass das ‚Mitleiden‘ stets als „immer vorhandene Realiltät“ verstanden wird, das „auch in der ‚normalen‘ Mühe des Dienstes an der Lehre […], nicht erst im Martyrium“ verwirklicht werden (vgl. Brox (1989), 241). 239 Die drei Beispiel vom Soldaten, Athleten und Landwirt, die 2 Tim 2,4–6 miteinander verbindet, knüpfe an paulinische Vorbilder an (1 Kor 9,7.24–27) (vgl. Brändl (2006), 375).
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
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Auszeichnung (στεφανοῦται), aus dem regelkonformen (νομίμως) Sportwettkampf der rechte Kampf. Eine Fokussierung auf die militärische Begriffswelt, die sogar so weit geht, Verse mit Vergleichen aus anderen Lebenswelten ganz beiseite zu lassen oder umzuformulieren, lässt sich an dieser Stelle in der BG sehr deutlich erkennen. Aus dem Randgedanken der Nachfolge im Kampf wird dadurch in der BG ein zentrales Phänomen gemacht. Allerdings konnten sich die Redaktoren für diese Passage auch an Luther anlehnen, der ebenfalls eine Präferenz für die militärische Sprache erkennen lässt: Auch bei ihm ist das Beispiel aus der Welt des Sports nicht eindeutig als solches erkennbar.240 Einen eindeutigen Eingriff in den Text stellt zudem die (De-)Kontextualisierung dar: Wie schon für die BG-Bearbeitung von 1 Tim 6,1–2 festgestellt wurde, fehlt auch in der eben betrachten Passage der Hinweis auf den Gemeindeleiter als Adressaten. Dadurch suggeriert die BG auch hier, dass es sich um allgemeine Anweisungen handle, eigentlich lässt sich in den Pastoralbriefen aber festhalten, dass die Agon-Metaphorik „im besonderen dazu dient, die Auftrags- und Schicksalsgemeinschaft zwischen Paulus und seinen Nachfolgern darzustellen und damit den Gemeindeleiter in seinem Dienst zu unterstützen.“241 4.2.4 Conclusio und Einordnung in die Zeitgeschichte: Der Kampfgedanke bei Hitler und seine starke Verbindung zum Begriff des „Opfers“ Der Kampf ist auch in Hitlers Terminologie ein Zentralbegriff, geradezu eine „Kampfesideologie“, wie Zehnpfennig herausarbeitet: Für Hitler sei der Mensch ein Teil des „Systems der Natur“, dessen Überleben nur gesichert ist, wenn er sich in das System einfüge und seinen Gesetzen unterwerfe. Das zentrale Gesetz sei das Gesetz des Kampfes, wie sich am ständiges Ringen, am Überwältigen und Überwältigt-Werden in der Natur zeige, bei dem nur der Stärkere überlebt. Dies sei von der Natur so gewollt, da der Kampf positiv auf die Stiftung von Ordnung wirke.242 Das Leben wird als Kampf verstanden, der schon im Alltäglichen stattfinde, der Krieg als der Ernstfall, der „als der entscheidende Mechanismus der Auslese das Weltgeschehen weiterhin vorantreiben kann.“243 Hitlers eigene Aussagen belegen dies: Er selbst nennt den Ersten Weltkrieg den Kampf, in dem Opfer gebracht wurden „für die Erhaltung des Reiches“ und „Unerhörtes gelitten“ wurde und nimmt das als 240 3 Leide mit als ein guter Streiter Jesu Christi. 4 Kein Kriegsmann flicht sich in Händel der Nahrung, auf daß er gefalle dem, der ihn angenommen hat. 5 Und so jemand auch kämpft, wird er doch nicht gekrönt, er kämpfe denn recht. 6 Es soll aber der Ackermann, der den Acker baut, die Früchte am ersten genießen. Merke, was ich sage! (Luther, 2 Tim 2,3–6). 241 Brändl (2006), 379f. 242 Vgl. Zehnpfennig (2011), 238. 243 Zehnpfennig (2011), 239.
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Zeichen, im Blick auf die „Gesamtsumme der Opfer […], die bereits vor uns gebracht worden sind“, die „Pflicht“ in dieser „ewigen Geschlechterfolge“ zu erfüllen und auch in der Zukunft zu kämpfen und zu opfern.244 Wofür allerdings im Dritten Reich gekämpft werden solle, verrät Hitler in einer anderen Rede, nämlich „daß die Macht […] nimmermehr entschwindet“, sich „die neue Idee […] siegreich über ganz Deutschland erhebt und allmählich das ganze Volk in die Gewalt ihres Bannes zieht. Wir wollen mutig und entschlossen diese Fahne der Auferstehung unseres Volkes verteidigen gegen jeden, der sie glaubt niederreißen zu können.“245 Das „Primat der Politik, die berufen ist, den Lebenskampf der Nation zu organisieren und zu leiten“, solle wiederhergestellt werden.246 Hitler spricht von den „Volksgenossen“ als seinen „Gefährten“, die „in unerhörter Treue und in unerschütterlicher Beharrlichkeit“ hinter der „Revolution“ gestanden wären. Nun sollen auch diejenigen, die „außerhalb unserer Kampfreihen“ stünden, in den neuen Staat hineingeführt werden.247 Im Rückblick beschreibt Hitler seine Machtergreifung als „größten Seelenkampf“ mit der „Kraft der Rede“, bei dem alle „innerlich überzeugt werden“ mussten, mit ihm zu gehen und „die großen Opfer“ auf sich zu nehmen. Ausschließlich „dort, wo „ein böswilliger Gegner“ „mit der Gewalt Widerstand“ geleistet habe, habe er „als einstiger Frontsoldat auch die Antwort gewählt, die der Gewalt gegenüber allein am Platze ist: Gewalt gegen Gewalt“. Die „streitende Bewegung“, die daraus entstand, kämpfe also „mit dem Geiste“, „solange der andere bereit war, ebenfalls mit geistigen Waffen anzutreten“, scheue sich allerdings auch nicht, „an die Gewalt zu appellieren, sobald der andere seinerseits glaubte, mit der Gewalt den Geist töten zu können.“248 Auf dieser gedanklichen Basis deutet Hitler auch das Kampfjahr 1940 als „Jahr größter Erfolge, allerdings auch großer Opfer“. Er relativiert die Zahl der Toten und Verletzte, die „klein ist gegenüber allen früheren Kriegen“, äußert aber auch Mitleid: „Unserer ganze Zuneigung, unsere Liebe und Fürsorge gehört denen, die diese Opfer bringen mußten. Sie haben das erlitten, was Generationen vor uns an Opfern schon bringen mußten.“249 Eine Betonung des Kampfgedankens lässt sich in der BG ebenfalls feststellen, zudem findet Grundmann scharfe Worte und beschreibt das Leben Jesu 244 Vgl. Hitlers Rede vor der deutschen Landwirtschaft am 5. April 1933 im Herrenhaus, in: Hitler, Arbeit und Frieden (1933), 30f. 245 Aus der Rede vor 2 Millionen Werktätiger am 1. Mai 1933 zum ‚Tag der Nationalen Arbeit‘, in: Hitler, Arbeit und Frieden (1933), 35. 246 Vgl. Hitlers Rede in Potsdam am 21. März 1933 anläßlich der „Eröffnung des Reichstages der nationalen Erhebung“, in: Hitler, Arbeit und Frieden (1933), 13. 247 Vgl. Hitlers Rede auf dem Kongreß der Deutschen Arbeitsfront in Berlin am 10. Mai 1933, in: Hitler, Arbeit und Frieden (1933), 30f. 248 Hitler, Sportpalast (1941), 21. 249 Hitler, Sportpalast (1941), 46.
4.2 Jesus als „Kämpfer“, seine Nachfolger als (Mit-)kämpfer
435
als einen „Kampf bis auf den Tod“, den er kämpfen habe müssen.250 Auch die konkreten Eindrücke des Ersten Weltkriegs beeinflussten sowohl das Denken Hitlers als auch das der BG-Redaktion (und das deutschchristliche Denken im Allgemeinen) wesentlich. Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs habe geradezu „soldatische Denkstrukturen“ herausgebildet: Gerade der Gedanke einer Nationalkirche sei auf dieser emotionalen Basis nicht mehr auf die zentralen Grundwerte „Bibel und Bekenntnis“, sondern vielmehr auf die den gemeinsamen „Erfahrungshorizont einer im 1. Weltkrieg erlebten Offenbarung“ gegründet worden.251 Auf diesem Hintergrund lässt sich auch die Ausdrucksweise der BG-Texte selbst und ihrer Kommentatoren besser verstehen und einordnen. Die Grundvorstellung vom „Kampf des Lebens“252 findet sich bei Grundmann parallel zu Hitler, der vom „Lebenskampf“253 spricht und auch im Katechismus des „Instituts“, der davon spricht, man dürfe „nicht feige werden im Kampfe des Lebens“254. Diese gehäufte Übertragung eigentlich dem militärischen Bereich zugehöriger Begriffe255 auf verschiedenste Bereiche lässt sich als Aktualisierung der übergeordneten „Konzeptmetapher“256, die auf die Rezeption Darwins im 19. Jahrhundert zurückzuführen sei, verstehen: „Leben als Kampf“. Diese Konzeptmetapher „Leben als Kampf“ legitimiere die binäre Logik der nationalsozialistischen Ideologie: „Situation und Sachverhalte werden auf diese Weise auf ein Schwarz-Weiß-Schema reduziert, es gibt nur ein ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘, nur Sieger und Besiegte, nur Sieg und Niederlage, nur Leben oder Tod. Kurz: die Welt und die Dinge werden kontrastiv konzeptualisiert.“257
Sowohl Hitler als auch die BG-Redaktion bzw. das deutschchristliche Denken scheint sich dieser Konzeptmetapher zu bedienen. In der BG ist häufig und 250
Grundmann, Walter: Jesus der Galiläer und das Judentum, Leipzig, Wigand, 1940, 207. Vgl. Rinnen (1995), 152. 252 Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 53f. 253 Vgl. Hitlers Rede in Potsdam am 21. März 1933 anläßlich der „Eröffnung des Reichstages der nationalen Erhebung“, in: Hitler, Arbeit und Frieden (1933), 13. 254 Deutsche mit Gott (1941), 95. 255 Z.B. ‚Einsatz‘ aber auch ‚Front‘ (Erzieherfront, Arbeitsfront, Bekenntnisfront). 256 Unter „Konzeptmetapher“ sei eine „Leitvorstellung“ (als kontextfreie Abstraktionsform) zu verstehen, die über konkrete metaphorische Ausdrücke realisiert werde (vgl. Braun, C. (2007), 248. Braun verweist zusätzlch auf Pielenz (1993), 71. Pielenz liefert folgende Definition: „Als Extrakt einer Menge metaphorischer Äußerungen repräsentiert eine konzeptuelle Metapher jeweils einen type oder Typ (e.g. ‚Argument als Krieg‘), jede einzelne metaphorische Äußerung gilt als token oder Vorkommnis (e.g. ‚er attackierte ihre Position‘), indem sie einen type implementiert. Eine konzeptuelle Metapher ist insofern lediglich eine kontextfreie Abstraktionsform, die nur über konkrete metaphorische Ausdrücke verwirklicht wird.“ (71). 257 Braun, C. (2007), 248. 251
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Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
meist ohne Basis im biblischen Text, von „Sieg“ und „Kampf“ die Rede. Solche Aussagen können mit Braun als Realisierungen der dahinterliegenden Abstraktionsform, gedeutet werden. Im deutschchristlichen Denken geht mit der Anlehnung an nationalsozialistische Rhetorik häufig die Parallelisierung des biblischen Nachfolgegedankens mit den Anforderungen an die Leser im Dritten Reich einher. Mehrfach wird vom „deutschen Schicksalskampf“ und von Jesus als „Garant für den Sieg in den Reihen Hitlers“ gesprochen. Den Deutschen Christen wird beispielsweise von Leutheuser empfohlen, ihr Kreuz in „Treue zu Gottes Reich“ auf sich zunehmen und dabei „nicht feige“ zu sein. Das „Sterben um der Treue zur Sache Gottes willen“ mache ja die „Ehre“ der Deutschen aus, da es sich „bei der Sache unsres Volkes nicht nur um einen weltlichen Existenzkampf handelt, also um ein Volksleben im jüdischen Sinne, sondern um die Treue zu Gottes Reich, zu Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Friedensbotschaft.“258 Hier wird zwar das Sterben als Sterben „für die Sache Gottes“ definiert, allerdings ist die Definition dieser „Sache“ unmöglich haltbar, da sie vom jüdischen Sache abgegrenzt wird, die nur einen „weltlichen“ Existenzkampf führe, während es nur den Christen um Gottes Reich gehe. Leffler geht noch einen Schritt weiter, indem er den Kampf Jesu nicht nur als antijüdischen, sondern auch als politisch-antisemitischen deutet und mit dem „deutschen Kampf“ parallelisiert: „Jesus wurde mitten im jüdischen Volk der größte Antijude, ja für alle Zeit durch seine Liebestat der politische Antisemit. Das empfindet jeder, der den deutschen Kampf aus Liebe zu seinem Volk und allen guten Werten führen mußte.“259
Die „Konzeptmetapher“ von „Kampf“ und „Sieg“ und vom Leben als Kampf finden sich also im Nationalsozialismus ebenso wie im deutschchristlichen Denken, das sich in der BG spiegelt. Der Unterscheid zwischen beiden ist, dass die BG das Leben Jesu als Kampf darstellt und erst im Gefolge dessen auch das Leben der Christusgläubigen als Kampf bestimmt, der Nationalsozialismus sich allerdings diesen „Zwischenschritt“ spart bzw. ersetzt durch die Rede von Hitlers tapferem Kampf im Ersten Weltkrieg, der ebenfalls Vorbildcharakter habe. Konkret an den Textbearbeitungen der BG lässt sich erkennen, dass man Texte, die sich der einer auf den militärischen Bereich anspielenden Agonmetaphorik mit Präferenz in die Bibelausgabe aufnahm, andere Texte mit Wettkampfmetaphern aus dem Sportbereich gerne in Richtung eines militärischen Bildwelt veränderte.
258 259
Leutheuser/Fascher (1935), 16f. Leffler, Christus im Dritten Reich (1935), 48.
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
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4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“ 4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
4.3.1 Einführung und Stand der Dinge
Eine weitere Facette der „Wunderneuschöpfung“ Jesus versucht die BGRedaktion wohl im Titel „König des Lebens“ zu fassen. Festgestellt wurde bereits im Messias-Teil,260 dass der Titel „König der Juden“ ebenso wie „König Israels“ in der BG ausschließlich als Negativbezeichnung auftaucht und weitgehend parallel zum Messiasbegriff als „Problem“261 verstanden wird, an dem sich entscheide, ob das deutsche Volk an diesen Jesus glauben kann. Man könne ja nicht einerseits, in der deutschen politischen Realität, „gegen den Juden kämpfen“ und andererseits, in der deutschen religiösen Realität, „dem König der Juden sein Herz erschließen“.262 Zwar korrelieren die christologischen Titel „Messias“ und „König“, wie Schreiber herausarbeitet: „König“, „Sproß Davids“ oder „Fürst (der Gemeinde)“ stellen dabei Hyponyme zum Oberbegriff des „Gesalbten“ dar.263 Dabei stehe aber der Christus-Titel mit seiner größeren semantischen Offenheit einer religiös-ganzheitlichen Deutung eher offen als der stärker politisch konnotierte König-Titel. Das erkläre auch die starke Verbreitung der Titulierung Jesu als ‚Christus‘, „die eine Wesensaussage über Jesus als göttlichen Repräsentanten und Heilsbringer intendiert und so zum fundamentalen Bekenntnis der jungen Christenheit avanciert“.264 Dagegen zeigt sich am Umgang der BG mit der Rede des Petrus an die Einwohner von Jerusalem am Pfingsttag (Apg 2,14–36), dass der Königstitel allein als positiver Begriff aufgefasst zu werden scheint. In der Rede selbst fehlt Apg 2,25–31 und Apg 2,34–35, wo David als Zeuge der Auferstehung angeführt wird.265 Auffällig ist auch der Redeschluss Apg 2,36266. Hier findet sich „König“ ohne gr. Basis in einer Aussage des Petrus in unmittelbarer Verbindung mit ‚Herr‘:
260
Vgl. den Exkurs: Jesus ist nicht der „König der Juden“ und nicht der „König Israels“ unter 2.2.4 BG 89f., Aufforderung zum Justizmord (Mark. 15,1; Luk. 23,2), Lk 23,2: Die Anklage vor Pilatus – Jesus als Messiasprätendent. 261 Vgl. Grundmanns Rede vom „Messiasproblem“ mit „weittragender Bedeutung“: „Denn wenn Jesus der Messias gewesen ist, dann hat die Kreuzesinschrift recht: ‚Jesus von Nazareth, der König der Juden.‘“ (Vgl. Grundmann, Messiasproblem (1942), 381). 262 Vgl. Grundmann, Messiasproblem (1942), 381. 263 Vgl. Schreiber (2000), 20. Im Einzelfall müsse das freilich jeweils anhand der einschlägigen Texte erwiesen werden. 264 Vgl. Schreiber (2000), 496. 265 Vgl. die Rezeption Davids in der BG 2.2.2 BG 79, Die Frage nach dem Davidssohn (Mark. 12,35–37)), Mk 12,35: ‚Messias‘ als falsche Behauptung der Schriftgelehrten. 266 BG 235, Die Ausgießung des Geistes (Apg. 4,31a; 2,2–4.6a.12–17a.21–24.32–33.36b– 38.41–42), Apg 2,36.
438
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG So ist gewiss,
NA ἀσφαλῶς οὖν γινωσκέτω πᾶς οἶκος Ἰσραὴλ
EÜ Mit Gewissheit erkenne also das ganze Haus Israel:
Luther So wisse nun das ganze Haus Israel gewiß,
dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und König gemacht hat
ὅτι καὶ κύριον αὐτὸν καὶ χριστὸν ἐποίησεν ὁ θεός, τοῦτον τὸν Ἰησοῦν ὃν ὑμεῖς ἐσταυρώσατε.
Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt.
daß Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zu einem HERRN und Christus gemacht hat.
Schon in Apg 2,22 wurde in der BG die Anrede „Israeliten, hört diese Worte“ (Ἄνδρες Ἰσραηλῖται, ἀκούσατε τοὺς λόγους τούτους) gestrichen und auch jetzt in Apg 2,36 fehlt der Verweis darauf, dass das ganze Haus Israel die Erhöhung Christi erkennen soll. Die BG gibt hier korrekt an, nur Apg 2,36 b aufzunehmen und wählt dann, nach diesen Bearbeitungen des Kontexts, die Königstitulatur anstelle von χριστός. „König“ wird hier positiv verwendet, die Aussage des Petrus steht in unmittelbarer Verbindung mit ‚Herr‘. Die Bezeichnung Jesu als „König“ ohne griechische Basis zeigt, dass es sich eindeutig um eine von den Redaktoren intendierte Änderung handelt. Das Fehlen des Messiasbegriffs sowie des Verweises auf das Haus Israel legt zudem offen, dass die Stelle von der BG-Redaktion positiv rezipiert wurde. Es erweist sich schnell, dass es sich bei der von der Redaktion hier favorisierten Bezeichnung Jesu als „König“ nicht um einen Einzelfall handelt, sondern sich auch an weiteren Stellen der BG derartige Einfügungen finden lassen. So finden sich die christologischen Titel „Herzog des Lebens“ und „Herzog des Heiles“267, die durch die jeweilige Übersetzung von ἀρχηγός und αἴτιος mit „Herzog“ ein herrschaftlicheres Christusverständnis suggerieren als das der griechische Text tut. Auch die Jünger mache er zu „Königen des Lebens“.
267
‚Herzog ihres Heiles‘ statt ‚Urheber ihres Heils‘ (τὸν ἀρχηγὸν τῆς σωτηρίας ) (BG 168, Der Befreier aus Todesmacht (Hebr. 2,9–11.14–15.17b–18), Hebr 2,10), ähnlich ‚Herzog ewigen Heiles‘ statt ‚Urheber des ewigen Heils (EÜ) bzw. ‚Ursache zur ewigen Seligkeit‘ (Luther) (αἴτιος σωτηρίας αἰωνίου) (BG 168f., Durch Leiden vollendet (Hebr. 5,7–10a), Hebr 5,9) und ‚Herzog ihres Lebens‘ statt ‚Lamm‘ (ἀρνίος) (BG 197f., Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12), Offb 12,11).
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
439
4.3.2 BG 139, Der König des Lebens kommt in die Stadt seines Todes (Joh. 12,12–13.17–24a). Leben und Tod werden polarisiert In die Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem wurde von der BG-Redaktion vor allem in die Verse Joh 12,12–17268 stark eingegriffen: NA
EÜ
Luther
Tags darauf hörte die Menge des Volkes, die zum Fest gekommen war: Jesus kommt nach Jerusalem.
BG
12 Τῇ ἐπαύριον ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν, ἀκούσαντες ὅτι ἔρχεται ὁ Ἰησοῦς εἰς Ἱεροσόλυμα
12 Am Tag darauf hörte die Volksmenge, die sich zum Fest eingefunden hatte, Jesus komme nach Jerusalem.
12 Des andern Tages, da viel Volks, das aufs Fest gekommen war, hörte, daß Jesus käme gen Jerusalem,
Da nahmen sie Palmzweige, zogen ihm entgegen und riefen:
13 ἔλαβον τὰ βαΐα τῶν φοινίκων καὶ ἐξῆλθον εἰς ὑπάντησιν αὐτῷ καὶ ἐκραύγαζον·
13 Da nahmen sie Palmzweige, zogen hinaus, um ihn zu empfangen und riefen:
13 nahmen sie Palmenzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrieen:
‚Heil und Segen dem Gottgesandten, dem König des Lebens!‘
ὡσαννά·εὐλογημέ νος ὁ ἐρχόμενος ἐν ὀνόματι κυρίου, [καὶ] ὁ βασιλεὺς τοῦ Ἰσραήλ.
Hosanna! / Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, / der König Israels!
Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des HERRN, der König von Israel!
Joh 12,1–6 fehlt
[…]
[…]
[…]
Und die Schar, die mit ihm zog, bezeugte: ‚Er hat Lazarus aus dem Grab gerufen und von den Toten erweckt.‘ […]
17 Ἐμαρτύρει οὖν ὁ ὄχλος ὁ ὢν μετ’ αὐτοῦ ὅτε τὸν Λάζαρον ἐφώνησεν ἐκ τοῦ μνημείου καὶ ἤγειρεν αὐτὸν ἐκ νεκρῶν. […]
17 Die Leute, die bei Jesus gewesen waren, als er Lazarus aus dem Grab rief und von den Toten auferweckte, legten Zeugnis für ihn ab. […]
17 Das Volk aber, das mit ihm war, da er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. […]
268 BG 139f., Der König des Lebens kommt in die Stadt seines Todes (Joh. 12,12–13.17– 24a), Joh 12,12–13.17.
440
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
In dieser Passage ist wohl die auffälligste Bearbeitung die des Rufes der Volksmenge in Joh 12,13: ‚Heil und Segen dem Gottgesandten, dem König des Lebens‘ statt ‚Hosanna! / Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, der König Israels!‘ Die Bezugnahme auf Ps 118,26 wird hier, wohl bewusst, unkenntlich und jeglicher Israelbezug wird vermieden;269 gleichzeitig werden aber neue Akzente in den Text hineingelegt, so die Betonung des Lebens270 durch die zweimalige Christusbezeichnung „König des Lebens“ und zugleich die Abgrenzung von Jerusalem durch die polarisierende Aussage der Überschrift: König des Lebens – Stadt seines Todes271, sowie auch eine größere Betonung der Sendung Christi durch die Rede vom „Gottgesandten“ statt, in Treue zum griechischen Text, vom „Kommenden“.272 Im Kommentar Grundmanns fällt noch stärker auf, dass er den Versuch unternimmt, den Einzug in Jerusalem als eine deutliche Absage Jesu an Israel darzustellen. Das Geschehen wird von Grundmann als „festlicher Einzug“ gedeutet, der zwar „als messianischer Königseinzug dargestellt“ und von den Jüngern „vielleicht auch messianisch“ verstanden worden sei. Durch die jeweils unterschiedliche Darstellung der Evangelisten hätte der Einzug aber nur „unsicher“ tatsächlich messianischen Charakter gehabt.273 Joh 12,14–16 fehlt in der BG. Auch wird die Episode vom Esel bzw. den Eseln (Mt) in der Bearbeitung der synoptischen Erzählungen vom Einzug Jesu in Jerusalem in der BG nicht aufgenommen274. Grundmann selbst verwendet allerdings diesen Teil der Erzählung, die „legendenhaften Charakter“ trage, als Argument dafür, dass die Initiative zum Einzug von Jesus selbst ausgegangen sei: Er habe ja die Auffindung der Esel vorausgeahnt. Diese Beobachtung finde sich auch in einer Äußerung im Babylonischen Talmud 275, die auf Rabbi Jehoschua ben Levi (um 250 n. Chr.) zurückgehe und besage: 269 Mit „Lobgesängen und Palmzweigen“ huldigen auch die Jerusalemer dem Makkabäer Simon, weil der einen „großen Feind aus Israel besiegt hat“ (1 Makk 15,51, außerdem sind Palmwedel beim Laubhüttenfest Siegeszeichen, bei dessen Wasserprozession zudem Psalm 118 gesungen wird (vgl. Thyen (2005), 555). 270 Ζωή ist sicherlich ein wichtiger Begriff bei Johannes, aber auch „König Israels“ wird bereits in Joh 1,49 eingeführt und hier wieder aufgegriffen. Eine Tilgung, wie sie in der BG vorgenommen wird, wird dem Text nicht gerecht. 271 Vgl. die Überschrift der Passage: „Der König des Lebens kommt in die Stadt seines Todes“. 272 Anders übersetzt Grundmann selber: „Gemeinsam ist ihnen allen [= den Evangelisten] der liturgische Gruß der Festpilger: ‚Gesegnet sei der Kommende im Namen des Herrn.‘“ (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 152). 273 Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 152. 274 Vgl. das Fehlen von Mk 6b–11 unten in 4.3.4 BG 76, Einzug in Jerusalem (Mark. 10,32a; 11,1–10ac; Matth. 21,10–11; Luk.19,39–40). Die synopt. Berichte über den Einzug in Jerusalem im Vergleich zu Joh. 275 Die deutsche Übersetzung des babylonischen Talmud findet sich bei Goldschmidt (2002).
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
441
‚Siehe, ‚der Menschensohn kommt auf den Wolken des Himmels‘ und ‚arm und reitend auf einem Esel‘. ‚Wenn sie (Israel) dessen würdig sind, kommt er auf den Wolken des Himmels; wenn sie dessen nicht würdig sind, arm und reitend auf einem Esel.‘276 Daraus zieht Grundmann den Schluss: „Wenn eine solche Auslegung zur Zeit Jesu schon bekannt gewesen ist, und die Initiative zum Einzug von Jesus ausging, dann ist die Form des Einzuges eine Anklage, die Jesus seinerseits gestaltet, eine Anklage gegen die Unwürdigkeit Israels.“277
Der Eselsritt anstelle eines gloriosen Einzugs könnte nach Grundmanns Meinung also als „Anklage gegen die Unwürdigkeit Israels“ verstanden worden sein. Unbeachtet bleibt von Grundmann die Frage nach Entstehung und Selbstverständnis des Talmud: Selbst wenn diese Auslegung zur Zeit Jesu schon bekannt war, kann die Folgerung daraus nicht, wie bei Grundmann, lauten, dass der Einzug dann tatsächlich eine Anklage gewesen sei;278 der Abschnitt aus dem Talmud findet sich ja in einer Vielzahl vielfältiger rabbinischer Auslegungen zu biblischen Aussagen über das Kommen des Davidssohns.279 276 Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 152. Im Kontext findet sich dieser Ausspruch des Rabbis aber als Zitat aus dem Mund eines anderen Rabbi: „R. Alexandri sagt: R. Jehošuả b.Levi wies auf einen Widerspruch hin: Es heißt: wie ein Menschensohn kam er mit den Wolken des Himmels heran, dagegen heißt es: demütig und reitet auf einem Esel? Haben sie sich verdient gemacht, mit den Wolken des Himmels, haben sie sich nicht verdient gemacht, demütig und auf einem Esel reitend“ (bT Sanh Fol. 98a, vgl. Goldschmidt (2002), 70). 277 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 152f. In der Frage nach der „Unwürdigkeit Israels“ verweist Grundmann auf: Lohmeyer (1937), 228–233. Lohmeyer bringt hier eben das von Grundmann zitierte rabbinische Zeugnis, schlussfolgert zunächst aber ein wenig vorsichtiger als Grundmann, dass es „fraglich“ sei, „ob schon der erste Erzähler oder Mt mit dieser Erzählung den späteren rabbinischen Gedanken verbunden“ habe (vgl. 233). Letztlich unterscheidet sich sein Fazit aber nicht von Grundmanns Denken: „zu dem theologischen Aufriß der Geschichte Jesu wie ihn Mt gibt, würde er [der Gedankengang vom ärmlichen Einzug, der die „Unwürdigkeit Israels“ zeigt, A.d.A.] trefflich stimmen; Jerusalem ist die Stadt der Feinde des Gottgesandten.“ (233). 278 Zu Fragen der Entstehung des Talmud siehe Stemberger (1992), v.a. 193–198. Die Mischna, „deren Wurzeln bis in die biblsiche Zeit zurückreichen“, gilt als Hauptquelle (ebd. 130). Talmud (von lamad „lernen“ bzw. limmad „lehren“) bedeutet „Studium, aber auch „Belehrung, Lehre“, v.a. die aus der Bibel kommende Belehrung und somit auch der Schriftbeweis (ebd. 167). 279 Vgl. Goldschmidt (2002), 63–76: Das Zitat selbst steht in direkter Verbindung mit einem anderen „Widerspruch“, der direkt vorangestellt ist: „es heißt: zu seiner Zeit, dagegen heißt es: es beschleunigen? Haben sie sich verdient gemacht, so will ich es beschleunigen, haben sie sich nicht verdient gemacht, erst zur Zeit“ (ebd. 70). Der gesamte Abschnitt Sanh Fol. 97–99 dreht sich in immer neuen Variationen um die Frage, wann und wie der Sohn Davids kommt. Man schlägt hier auch vor, er werde erst kommen, wenn die Frechheit überhand nimmt (Sanh Fol. 97a) oder bevor ein Tor, das dreimal eingestürzt wurde, zum dritten Mal wiederrichtet wird (Sanh Fol. 98a).
442
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Grundmann argumentiert also mit der Frage nach der Gestaltung des Einzugs: Reitend auf einem Esel, den er sich aktiv beschaffen ließ, wird Jesus für Grundmann, weil er nicht auf den „Wolken des Himmels“ kommt, wie er zum würdigen Israel gekommen wäre, zum Ankläger Israels, das eines machtvollen Einzugs unwürdig ist. Eigentlich referieren die Evangelien280 aber Sach 9,9281, wo vom an die gerechten Richter erinnernden Friedenskönig282 auf einem Esel (im Gegensatz zum hochmütigen Kriegskönig auf einem Pferd) gesprochen wird. Gerade von dieser alttestamentlichen Stelle ausgehend, die ja zur jüdischen Heiligen Schrift, genauer zu den Propheten (Neviim), gehört, eine „Anklage“ Jesu zu konstruieren, ist nicht haltbar und erscheint mit Blick auf seine Wertung der einzelnen Überlieferungen noch deutlicher als Konstruktion Grundmanns. Namentlich genannt wird lediglich der Babylonische Talmud, der von zwei alttestamentlichen Überlieferungssträngen weiß. Bei Grundmann erscheinen diese Überlieferungen als unvereinbare Gegensätze, zwischen denen sich Jesus für den entschieden habe, der eine Anklage der Unwürdigkeit Israels enthalte. Grundmann erwähnt nicht die alttestamentliche Herkunft beider Überlieferungsstränge, der Rede vom Friedenskönig (vgl. Sach 9,9) und vom eschatologischen Kommen des Menschensohnes auf den Wolken des Himmels (vgl. Dan 7,13). Auch die Frage, welche der beiden Überlieferungstraditionen im Hintergrund der Erzählung vom Einzug in Jerusalem gestanden haben könnte, scheint Grundmann nicht zu interessieren, er pickt sich lediglich einige Verse aus dem Talmud heraus, stellt sie gegenüber und spricht davon, Jesus habe bewusst und in Abgrenzung von Israel die Alternative des ärmlichen Einzugs, die Israel seine Unwürdigkeit vor Augen geführt habe, gewählt. Der fehlende Israelbezug in der BG-Bearbeitung dieser Passage ist ein Indiz dafür, dass im Hintergrund eine ähnliche Interpretation stand, wie sie Grundmann vorlegt. Man wählt hier den Weg, den Text zu „entschärfen“, also eine positive Darstellung Israels völlig zu vermeiden, um somit die Stelle vor den Lesern als richtige Darstellung Jesu zu präsentieren. Die Bezeichnung Jesu als „König des Lebens“ wird ebenso von den Redaktoren als eine 280
Vgl. zu den Unterschieden zwischen Joh und den Synoptikern auch 4.3.4 BG 76, Einzug in Jerusalem (Mark. 10,32a; 11,1–10ac; Matth. 21,10–11; Luk.19,39–40). Die synopt. Berichte über den Einzug in Jerusalem im Vergleich zu Joh. Matthäus spricht u.a. von zwei Eseln aufgrund seiner Version von Sach 9,9. Thyen spricht davon, dass Joh mit den synoptischen Prätexten spielt und die Szene somit „als eine Art von Palimpsest über den entsprechenden synoptischen Texten“ erscheine (Thyen (2005); 554). 281 Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. (EÜ, Sach 9,9). Das Zitat diene bei Johannes der Erinnerung an dessen Kontext, dem Aufruf Sacharjas zu Freude und Jubel (vgl. Thyen (2005), 555f.). 282 Er verkündet für die Völker den Frieden […]. (EÜ, Sach 9,10).
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
443
richtige Aussage gedeutet wie die „Ersatzaussagen“, die die BG für den Messiasbegriff wählt, positiv besetzt sind, während die Bezeichnungen „Messias“ und „König von Israel“ negativ konnotiert sind. Während in der BG Joh 12,14–16, die Erzählung vom Eselsritt Jesu unter Bezugnahme auf Sach 9,9f., völlig fehlt, versucht Grundmann, die ganze Szene als Abgrenzungsversuch Jesu von Israel darzustellen. Bereits mit der Seitenüberschrift ‚ Der König des Lebens kommt in die Stadt seines Todes (Joh. 12,12–13.17–24a)‘ (BG 139) wurde die antithetische Gegenüberstellung von Leben und Tod deutlich, durch die auch Jesus als der ‚König des Lebens‘ und Jerusalem als die ‚Stadt des Todes‘, die in der BG als die jüdische Stadt schlechthin präsentiert wird, gegenübergestellt werden. Eine genauere Betrachtung der Interpretationen Grundmanns zu dieser Stelle bestätigt den Befund. Die Bezeichnung Jesu als „König des Lebens“ wird vom Judentum klar abgegrenzt. 4.3.3 Vergewisserung: Eine weitere Bearbeitung: „Der die Suchenden zum Leben führt“ statt der „König von Israel“ (BG 103, Erste Gefolgschaft: Durch Glauben zum Schauen (Joh. 1,35–51), Joh 1,49) Nach biblischem Zeugnis hatte allerdings bereits Nathanael Jesus richtig als „König von Israel“ bezeichnet (Joh 1,49). Die BG wählt auch an dieser Stelle eine andere Formulierung: EÜ
Luther
Da entgegnete ihm Nathanael:
BG
ἀπεκρίθη αὐτῷ Ναθαναήλ·
NA
Natanaël antwortete ihm:
Nathanael antwortete und spricht zu ihm:
‚Meister,
ῥαββί,
Rabbi,
Rabbi,
du bist der Sohn Gottes,
σὺ εἶ ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ,
du bist der Sohn Gottes,
du bist Gottes Sohn,
der die Suchenden zum Leben führt.‘
σὺ βασιλεὺς εἶ τοῦ Ἰσραήλ.
du bist der König von Israel!
du bist der König von Israel!
Auch hier greift die BG-Redaktion in den Text ein und spricht von dem „der die Suchenden zum Leben führt“ statt vom „König von Israel“. Um Nathanael nicht als Juden darzustellen, wurde zudem schon seine vorangehende Charakterisierung verändert (BG, Joh 1,47):
444
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG
NA
EÜ
Luther
Jesus sah Nathanael kommen und sprach von ihm:
Εἶδεν ὁ Ἰησοῦς τὸν Ναθαναὴλ ἐρχόμενον πρὸς αὐτὸν καὶ λέγει περὶ αὐτοῦ·
Jesus sah Natanaël auf sich zukommen und sagte über ihn:
Jesus sah Nathanael zu sich kommen und spricht von ihm:
‚Siehe, einer, der mit aufrichtigem Ernst Gott sucht.‘
ἴδε ἀληθῶς Ἰσραηλίτης ἐν ᾧ δόλος οὐκ ἔστιν.
Da kommt ein echter Israelit, ein Mann ohne Falschheit.
Siehe, ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist.
Die BG vermeidet die Bezugnahme auf Israel und somit auf die positive Sicht Jesu auf Israel völlig. Die „Wesensaussage“, Nathanael sei ein rechter Israelit,283 wird radikal umgeschrieben: In der BG wird er als „Gottsucher“ vorgestellt, der dann aus diesem unbestimmt-glaubenswilligen Kontext heraus zum (als richtig bewerteten) Bekenntnis von Jesus als dem, der die Suchenden zum Leben führt, kommt. Die Aussagen des Textes der BG sind an dieser Stelle äußerst frei und vom griechischen Text nicht einmal ansatzweise gedeckt. Die Sinnspitze dieser kurzen Szene ändert sich vollkommen und man wundert sich, dass sie überhaupt in die BG aufgenommen wurde. Man kann daher davon ausgehen, dass hier das redaktionelle Bestreben erkennbar ist, den Gedanken der rechten Nachfolge Jesu mit „Gottsucher“ zu füllen und dementsprechend auch die Bestimmung Jesu als Führer zum Leben für die Gottsucher anzugeben. Wie im ersten Beispiel nimmt die Rede vom „Leben“ hier einen zentralen Platz ein und wird ergänzt durch den Gedanken der „ernsten“ und „aufrichtigen“ Suche nach Gott. Gegen die Erwählung Israels schreibt die BG-Redaktion auch in Apg 10,34–35284 gezielt an, indem sie Petrus dies leugnen lässt:
283
Nicklas (2001), 169. Nicklas weist darauf hin, dass diese Bezeichnung auf die Offenbarung Gottes an Israel (Joh 1,31) zurückgreift. Die Offenbarung Jesu an Israel in Joh 1,31, die in Johannes dem Täufer ihren Ausgangspunkt genommen hat, ist so zu ihrem ersten Ziel gekommen (ebd. 189). 284 BG 244, Petrus tauft den römischen Hauptmann Kornelius in Cäsarea (Apg. 10,1– 9a.17b–26.30a.33b–36.44–48; 11,1–4.15b–18a), Apg. 10,34–35.
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
BG
NA
EÜ
445
Luther
Da sprach Petrus: ‚Jetzt begreife ich wirklich:
34 Ἀνοίξας δὲ Πέτρος τὸ στόμα εἶπεν· ἐπ’ ἀληθείας καταλαμβάνομαι
34 Da begann Petrus zu reden und sagte: Wahrhaftig, jetzt begreife ich,
34 Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahr ich mit der Wahrheit,
Gott kennt kein auserwähltes Volk, […]
ὅτι οὐκ ἔστιν προσωπολήμπτης ὁ θεός,[…]
dass Gott nicht auf die Person sieht, […]
daß Gott die Person nicht ansieht; […]
Diese Bearbeitung ist wohl eine der gravierendsten Verfälschungen in der BG. Für das Johannesevangelium ergibt sich folgendes Bild: Während der griechische Text zeigt, dass die Rede vom „König Israels“ im Johannesevangelium positiv konnotiert ist, da der Gruß der Menge an Jesus den kommenden „König Israels“ in Kombination mit der Aussage des Nathanael erweist, dass die Bezeichnung richtig ist. Dies macht auch Jesus selbst durch die geheimnisvolle Handlung (vgl. Joh 12,14f) deutlich macht bekennt es schließlich offen vor Pilatus (vgl. Joh 18,37). Das volle Verständnis des Königtums Jesu werde dann mit Jesu Verherrlichung offenbar. Die gesamte Darstellung empfange somit „von Ostern ihr Licht und wird von dort her verständlich. Die Augenzeugen konnten das Eigentliche nicht begreifen.“285 4.3.4 BG 76, Einzug in Jerusalem (Mark. 10,32a; 11,1–10ac; Matth. 21,10– 11; Luk. 19,39–40). Die synopt. Berichte über den Einzug in Jerusalem im Vergleich zum Johannesevangelium Es waren Festpilger unterwegs nach Jerusalem. Jesus zog vor ihnen her, und sie erschraken darüber. Seine Jünger aber befiel Angst. Als sie in die Nähe von Jerusalem kamen über Bethanien, zum Ölberg, holten sie für Jesus ein Reittier, bedeckten es mit ihren Mänteln, und er setzte sich darauf. Viele breiteten ihre Gewänder auf den Weg, andere hieben Zweige von den Bäumen ab, und die ganze Menge rief: Heil und Segen dem Gottgesandten! Gelobt sei Gott!‘ Als er in Jerusalem einzog, geriet die ganze Stadt in Aufregung. Sie raunten sich zu: ‚Wer ist denn das?‘ Die galiläischen Festpilger aber sagten: ‚Das ist der Prophet Jesus von Nazareth.‘ Angehörige der Pharisäer riefen ihm aus der Menge zu: ‚Meister, gebiete deinen Jüngern Schweigen!‘ Er gab ihnen zur Antwort: ‚Ich sage euch: wenn ihr die zum Schweigen bringt, dann werden die Trümmer eurer Stadt schreien.‘ (BG 76, Einzug in Jerusalem (Mark. 10,32a; 11,1–10ac; Matth. 21,10–11; Luk.19,39–40), Mk 11,1–10ac; Mt 21,10–11; Luk. 19,39–40))
285
Vgl. dazu Schenke, L. (1998), 241. Auch Nicklas (2001), 189 weist darauf hin, dass das Bekenntnis des Nathanael bereits eine Antizipation des Buchschlusses (Joh 20,30f) darstellt.
446
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG
NA Mk 11,1–10ac
EÜ
Luther
Als sie in die Nähe von Jerusalem kamen über Bethanien, zum Ölberg,
1 Καὶ ὅτε ἐγγίζουσιν εἰς Ἱεροσόλυμα εἰς Βηθφαγὴ καὶ Βηθανίαν πρὸς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν,
1 Als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage und Betanien am Ölberg,
1 Und da sie nahe an Jerusalem kamen, gen Bethphage und Bethanien an den Ölberg,
Mk 11,1b-6 fehlt
ἀποστέλλει δύο τῶν μαθητῶν αὐτοῦ […]
schickte er zwei seiner Jünger voraus. […]
sandte er seiner Jünger zwei […]
holten sie für Jesus ein Reittier, bedeckten es mit ihren Mänteln, und er setzte sich darauf.
7 Καὶ φέρουσιν τὸν πῶλον πρὸς τὸν Ἰησοῦν καὶ ἐπιβάλλουσιν αὐτῷ τὰ ἱμάτια αὐτῶν, καὶ ἐκάθισεν ἐπ’ αὐτόν.
7 Sie brachten den jungen Esel zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Tier und er setzte sich darauf.
7 Und sie führten das Füllen zu Jesu und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.
[…] und die ganze Menge rief:
[…] 9 καὶ οἱ προάγοντες καὶ οἱ ἀκολουθοῦντες ἔκραζον·
[…]. 9 Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen:
[…] 9 Und die vorne vorgingen und die hernach folgten, schrieen und sprachen:
Heil und Segen dem Gottgesandten!
ὡσαννά· εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ἐν ὀνόματι κυρίου·
Hosanna! / Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!
Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN!
fehlt
10 εὐλογημένη ἡ ἐρχομένη βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ·
10 Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, / das nun kommt. /
10 Gelobt sei das Reich unsers Vaters David, das da kommt in dem Namen des HERRN!
Gelobt sei Gott!‘
ὡσαννὰ ἐν τοῖς ὑψίστοις.
Hosanna in der Höhe!
Hosianna in der Höhe!
447
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
BG
NA Mt 21,10–11:
EÜ
Luther
Als er in Jerusalem einzog, geriet die ganze Stadt in Aufregung. Sie raunten sich zu: ‚Wer ist denn das?‘
10 Καὶ εἰσελθόντος αὐτοῦ εἰς Ἱεροσόλυμα ἐσείσθη πᾶσα ἡ πόλις λέγουσα· τίς ἐστιν οὗτος;
10 Als er in Jerusalem einzog, geriet die ganze Stadt in Aufregung, und man fragte: Wer ist das?
10 Und als er zu Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der?
Die galiläischen Festpilger aber sagten:
11 οἱ δὲ ὄχλοι ἔλεγον·
11 Die Leute sagten:
11 Das Volk aber sprach:
‚Das ist der Prophet Jesus von Nazareth.‘
οὗτός ἐστιν ὁ προφήτης Ἰησοῦς ὁ ἀπὸ Ναζαρὲθ
Das ist der Prophet Jesus von Nazaret
Das ist der Jesus, der Prophet von Nazareth
τῆς Γαλιλαίας. in Galiläa. Lk 19,39–40
aus Galiläa.
Angehörige der Pharisäer riefen ihm aus der Menge zu: ‚Meister, gebiete deinen Jüngern Schweigen!‘
39 καί τινες τῶν Φαρισαίων ἀπὸ τοῦ ὄχλου εἶπαν πρὸς αὐτόν· διδάσκαλε, ἐπιτίμησον τοῖς μαθηταῖς σου.
39 Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister, bring deine Jünger zum Schweigen!
39 Und etliche der Pharisäer im Volk sprachen zu ihm: Meister, strafe doch deine Jünger!
Er gab ihnen zur Antwort: ‚Ich sage euch: wenn ihr sie zum Schweigen bringt, dann werden die Trümmer eurer Stadt schreien.‘
40 καὶ ἀποκριθεὶς εἶπεν· λέγω ὑμῖν, ἐὰν οὗτοι σιωπήσουσιν, οἱ λίθοι κράξουσιν.
40 Er erwiderte: Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.
40 Er antwortete und sprach zu ihnen: Ich sage euch: Wo diese werden schweigen, so werden die Steine schreien.
Diese Passage findet sich im Kapitel „In der Stadt der Entscheidung“286. Auch hier fehlt wieder weitgehend die von Grundmann als „legendenhaft“ bezeich286 Grundmann schreibt über Jerusalem, Jesus habe bereits, gegen die Erwartungen der Juden, den Tod in dieser Stadt, der „Prophetenmörderin“ erwartet: „Schon der Ort des Todes ist nicht gleichgültig. An Jerusalem knüpfen sich für den Palästiner bestimmte Erwartungen.“ (Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 150) „Von Jerusalem, insbesonderheit vom Tempel
448
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
nete Episode von der Beschaffung eines Esels zum Einzug in Jerusalem (Mk 11,1b–7). Interessant ist, dass Mk 11,7 dennoch in Andeutungen aufgenommen wurde. Allerdings wird die Initiative Jesu nicht erwähnt, die für Grundmanns bereits aufgeführte Deutung der Passage als aktive Anklage Jesu gegen die Unwürdigkeit Israels so wichtig war.287 Stattdessen wird die Idee den Jüngern allein zugeschrieben: Sie hätten „ein Reittier“ (Luther hat „das Füllen“, die EÜ „der junge Esel“) für Jesus geholt. Die Strategie der Herausgeber scheint hier eine Verfremdung der als Legende abgetanen alttestamentlichen Anklänge bis zur Unkenntlichkeit zu sein, was auch an der Wahl des unbestimmten Artikels erkennbar wird. Die Aspekte, die positiv hervorgehoben werden sollen, werden dagegen mit dem redaktionseigenen Vokabular ausgestaltet. Wie in Joh 12,13 enthalten die Rufe des Volkes wieder den Wunsch nach „Heil und Segen“ anstelle des hebräischen „Hosanna“ (ähnlich auch schon „Im Namen Gottes“ statt „Amen, amen“ (Joh 12,24)). Die Rufe werden zudem verkürzt und wesentlicher christologischer Aussagen beraubt (aus Joh 12,13 wird getilgt „der König Israels“, in der BG-Übertragung von Mk 11,10 fehlt der Jubelruf „Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David“. Sprachlich wird so durch die appellative Kürze, vor allem aber durch die Voranstellung des typischen Huldigungsrufes „Heil!“ eine Nähe zum Hitlergruß hergestellt, die den Redaktoren wohl kaum verborgen geblieben sein kann. Eine weitere Auffälligkeit findet sich beim Wechsel von Mt 21 zur synoptischen Parallelstelle in Lk 19. Die Forderung der Pharisäer an Jesus, seine Jünger zum Schweigen zu bringen, wird von der BG als direkte Reaktion auf die Aussage der „galiläischen Festpilger“ (BG, Mt 21,11) eingefügt. (1) Erstens wird allerdings die Aussage, dass Jesus ein Prophet sei (Mt 21,11), biblisch gar nicht ausdrücklich „Galiläern“ zugeschrieben, sondern allen Leuten bzw. der Volksmenge (οἱ δὲ ὄχλοι), die sich zum Zeitpunkt des Einzugs Jesu in Jerusalem aufhielt. Der Hinweis auf Galiläa findet sich lediglich als Ortsangabe in der Aussage des Volkes über Jesus („der Prophet aus Nazareth in Galiläa“), nicht aber, wie von der BG missbräuchlich eingefügt, als Hinweis auf die mehrfach bereits festgestellte dualistische Gegenüberstellung von Jesus, dem Galiläer und seinen Anhängern, den Galiläern, im Gegensatz zu den Pharisäern bzw. pauschal den Juden in Jerusalem. Die Zusammenfügung des Rufs der „Galiläer“ und der Aufforderung zum Tadel durch die „Pharisäaus sollte nach jüdischer Erwartung das Reich Gottes anheben. […] Wenn die galiläische Volksmenge Jesus den festlichen Einzug in Jerusalem bereitet hat, dann mag bei solchem Einzug und den ihn begleitenden Rufen dieser Gedanke mitgespielt haben. Jesus hat von Jerusalem auch etwas Besonderes erwartet; deshalb ging er hin. Aber das war total anders, als es die Erwartung der Jünger vorsah.“ (ebd. 151). 287 Vgl. die Ausführungen dazu oben in der BG-Bearbeitung des Einzugs in Jerusalem nach dem Johannesevangelium (4.3.2 BG 139: Joh 12,12–13.17). Leben und Tod werden polarisiert).
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
449
er“ ist von der BG also konstruiert. (2) Zweitens lässt sich dann feststellen, dass die Aussage der Pharisäer und die Entgegnung Jesu darauf (Lk 19,39– 40) bearbeitet wird: Diese beiden Verse folgen in der BG direkt auf die Rede der „galiläischen Festpilger“ über den Propheten (Mt 21,11) statt auf die Jubelrufe der Jünger bei Jesu Einzug in Jerusalem (Lk 19,39) und somit ist die Forderung, die „Jünger“ zum Schweigen zu bringen, in der BG auf die „galiläischen Festpilger“, die dadurch alle als „Jünger“ bezeichnet werden, und ihre Rede über den Propheten Jesus bezogen, in der lukanischen Abfolge aber auf die Jubelrufe der Jünger, die Jesus als König bezeichnen (Lk 19,38). (3) Drittens wurde auch die Entgegnung Jesu noch bearbeitet: Während die EÜ dem griechischen Text gemäß von schreienden Steinen (οἱ λίθοι (Steine, Felsen, Bausteine)) spricht, die das Lob der Jünger übernehmen würden und somit ausdrückt, dass ihr Jubel etwas so Offenbares ausdrückt, dass gleichsam jeder Stein davon berichten könnte, schreibt die BG: „Ich sage euch: wenn ihr die zum Schweigen bringt, dann werden die Trümmer eurer Stadt schreien“ (BG, Lk 19,40). Die BG liest also bereits eine Vorausdeutung auf die Zerstörung Jerusalems bzw. des Jerusalemer Tempels in diesen Vers hinein, obwohl in der Logik des Lukasevangeliums Jesus erst im nächsten Vers in die Nähe Jerusalems kommt288. In dieser Bearbeitung, die davon spricht, dass die „Trümmer der Stadt“ schreien, wird der Sinn des Verses verkehrt: Nicht mehr die Steine an sich als äußerstes Symbol für das Unbelebte, das dennoch von Gott Kunde geben kann, nein, auf die Trümmersteine des zerstörten Jerusalems als Symbol für den Untergang des Judentums289 wird Bezug genommen. Mit der Aussage, dass die „Trümmer der Stadt“ von Jesus Kunde ablegen werden, wird hier die Sinnspitze des Verses durch die BGRedaktion verändert: Die Rechtmäßigkeit Jesu werde sich gerade im Erweis der Unrechtmäßigkeit des Judentums zeigen, die durch die Zerstörung Jerusalems und besonders des Tempels offenbar wird. Zudem wird in der BG-Bearbeitung die Entgegnung Jesu verschärft, die nun auf das böse Tun der Pharisäer verweist: Jesus spricht davon, die Trümmer würden dann schreien, wenn die Pharisäer selbst die Jünger zum Schwei288 41 Als er näher kam und die Stadt sah, weinte er über sie 42 und sagte: Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt. Jetzt aber bleibt es vor deinen Augen verborgen (EÜ, Lk 19,41–42). 289 Schon Gerhard Kittel, Grundmanns Doktorvater, zieht dieses Wort Jesu über den Untergang Jerusalems als Paradebeispiel für den „Fluch“, der auf dem jüdischen Volke liege, heran und ordnet es in seine Erörterungen zur „Judenfrage“ ein, in der auch der Christ zu kämpfen habe (vgl.Kittel (1933), 77). Nur dem „vom Neuen Testament herkommenden Glauben“ sei zugänglich, warum das Volk Israel zerstreut und heimatlos sei: „Für ihn [den Glauben, A.d.A.] ist die letzte Lösung des Rätsels dieses rätselhaften aller Völker: dass dies Volk heimatlos wurde, weil es den, der die Erfüllung seiner Gottesgeschichte war, kreuzigte. Jesus weinte über Jerusalem, weil er den Untergang der Stadt und den Fluch seines Volkes sah; sein Wort aber hieß: ‚Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten […]‘“ (ebd. 82).
450
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
gen brächten („wenn ihr sie zum Schweigen bringt“ (BG, Lk 19,40)). Im griechischen Text dagegen schreien die Steine (οἱ λίθοι κράξουσιν), wenn die Jünger schweigen (ἐὰν οὗτοι σιωπήσουσιν) – eine parallel gebaute Antithese, die anzeigt, dass die Steine die Multiplikatorenfunktion der Jünger übernehmen würden. Von der latenten Unterstellung, dass die Pharisäer selbst aktiv würden, um die Jünger zum Schweigen zu bringen, wie es der BG-Jesus zu unterstellen scheint, ist hier nichts zu finden, vielmehr geht es um die Unausweichlichkeit, dass Jesus als „König Israels“ zu Gehör gebracht wird. Nach diesen Beobachtungen ist es nicht mehr verwunderlich, dass die folgenden Verse (Lk 19,41–42), die von der Trauer und Mitleid Jesu mit dem drohenden Schicksal Jerusalems berichten, in der BG nicht aufgenommen wurden. Auch der intertextuelle Bezug zu Hab 2,9–11290 bleibt in der BG unbeachtet. Hier ist von der offensichtlichen Sünde von Menschen, die ihr Haus auf Kosten anderer bauen, die Rede, deren eigenes Unrecht so offensichtlich ist, dass es gleichsam – der Text bleibt hier ganz im Bild des Hausbaus – „jeder Stein in der Mauer und jeder Sparren im Gebälk“ (Hab 2,11) herausschreien könnte. Das Lukasevangelium nimmt dieses Bild der Offensichtlichkeit auf und münzt es in das Gegenteil, die offensichtliche Herrlichkeit Jesu um, von der sogar Steine künden könnten. In der BG findet sich von diesen Zwischentönen des Textes nichts mehr außer einer Abwertung Jerusalems, dessen Zerstörung die Ehre Gottes erweisen werde. Festhalten lässt sich also, dass die BG einmal mehr eine starke Abgrenzung zwischen Galiläa und Jerusalem, zwischen Jüngern und Pharisäern und zwischen für gut befundenen „deutschen“ („Heil und Segen!“) und vermiedenen hebräischen Christusrufen („Hosanna!“) vornimmt. Die Beobachtungen zur dualistischen Gegenüberstellung in der BG-Bearbeitung der einschlägigen Stellen im Johannesevangelium zum „König des Lebens“, der in die „Stadt seines Todes“ kommt, werden also auch durch die BG-Bearbeitung der Kompilation der synoptischen Texte zum Einzug in Jerusalem bestätigt.
290
9 Weh dem, der für sein Haus unrechten Gewinn sucht / und sich hoch droben sein Nest baut, / um dem drohenden Unheil zu entgehen. 10 Zur Schande für dein eigenes Haus / hast du beschlossen, viele Völker niederzuschlagen; / damit sündigst du gegen dich selbst. 11 Es schreit der Stein in der Mauer /und der Sparren im Gebälk gibt ihm Antwort. (EÜ, Hab 2,9–11).
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
451
4.3.5 BG 5f., Die Weisen vom Morgenland (Matth. 2,1ac.2b.9b–11) Als Jesus geboren war, da kamen auch Weise vom Aufgang der Sonne, die sprachen: ‚Wir sahen einen Königsstern aufgehen und wollen dem neugebornen Königskind in Ehrfurcht huldigen.‘ Der Stern ging vor ihnen her und stand still über dem Haus, in dem das Kind war. Als sie den Stern dort sahen, wurden sie hocherfreut, gingen in das Haus und fanden das Kind mit Maria, seiner Mutter, beugten das Knie und huldigten ihm, breiteten ihre Schätze aus und brachten ihm zum Geschenk Gold, Weihrauch und Myrrhe. (BG 5f., Die Weisen vom Morgenland (Matth. 2,1ac.2b.9b–11))
BG
NA
EÜ
Luther
Als Jesus
1 Τοῦ δὲ Ἰησοῦ γεννηθέντος
1 Als Jesus
1 Da Jesus geboren war
fehlt
ἐν Βηθλέεμ τῆς Ἰουδαίας ἐν ἡμέραις Ἡρῴδου τοῦ βασιλέως,
zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa
zu Bethlehem im jüdischen Lande, zur Zeit des Königs Herodes,
geboren war, da kamen auch Weise vom Aufgang der Sonne,
ἰδοὺ μάγοι ἀπὸ ἀνατολῶν παρεγένοντο
geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten
siehe, da kamen die Weisen vom Morgenland
fehlt
εἰς Ἱεροσόλυμα
nach Jerusalem
nach Jerusalem
die sprachen:
2 λέγοντες·
2 und fragten:
und sprachen:
‚Wir sahen einen Königsstern aufgehen und wollen dem neugebornen Königskind in Ehrfurcht huldigen.‘
ποῦ ἐστιν ὁ τεχθεὶς βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων; εἴδομεν γὰρ αὐτοῦ τὸν ἀστέρα ἐν τῇ ἀνατολῇ καὶ ἤλθομεν προσκυνῆσαι αὐτῷ.
Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.
2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.
Zunächst einmal fällt die Auslassung der Verse Mt 2,3–8.9a.12 auf. Alle Verse über den jüdischen König Herodes samt der Antwort der Hohenpriester und Schriftgelehrten sind in der BG restlos getilgt. Aufgrund der Häufung der von der BG zu vermeidenden Termini war eine Streichung hier wohl einfacher umzusetzen als die „Entjudung: Die Antwort der Schriftgelehrten und Hohenpriester (Mt 2,5–6) auf die Frage des Herodes gibt den Geburtsort des
452
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
‚Messias‘, gr. ‚ὁ χριστὸς‘ (vgl. Mt 2,4: ποῦ ὁ χριστὸς γεννᾶται) an, der, wie im Messias-Teil bereits gezeigt wurde, in der BG eindeutig nicht mit Jesus in Verbindung gebracht werden soll, sondern als eine Fehlannahme der Juden dargestellt werden soll. Das als Antwort folgende Zitat aus dem Buch Micha291, das Betlehem als Geburtsstadt Jesu ausweist, wurde ebenfalls gestrichen. Es fehlt zudem die Angabe der Magier, sie suchen den „König der Juden“ (Mt 2,2). Diese sich durch die Antwort der jüdischen Oberen, gestützt durch das Alte Testament, manifestierende Identität Jesu mit der Forschung der heidnischen Sterndeuter, will die BG offenbar um jeden Preis vermeiden. Grundmann selbst versucht, die Streichung der Herodes-Passage mit dem Hinweis auf eine späte Eintragung und auf die Volksfrömmigkeit, die nur den „Zug der Magier und die Anbetung“ aufgenommen habe, zu rechtfertigen292: Für die Frage nach der Verwendung des Königstitels ist Mt 2 die wichtigste Stelle dieser Passage. Die BG gibt zwar richtig an, nur Matth. 2,1ac aufgenommen zu haben, dennoch ist die Streichung des zweiten Versteiles bezeichnend: Sowohl die Geburt Jesu in (dem jüdischen Gebiet!) Judäa in der – in Mi 5,1 verheißenen – Stadt Betlehem bleibt unerwähnt als auch der Hinweis auf das jüdische Denken bei der Zeitrechnung: „Zur Zeit des Königs Herodes“. Ebenso fehlt Jerusalem als der jüdische vorläufige Zielort der Sterndeuter, an dem sie die Frage nach dem genauen Geburtsort des „Königs der Juden“ stellen. Am deutlichsten ist wohl das Fehlen dieser Bezeichnung „König der Juden“ in der BG. Stattdessen findet sich eine verallgemeinerte, aber durch die zweimalige Erwähnung jeweils in einem zusammengesetzten Substantiv betonte Verwendung des Königstitels: Die „Weisen“ hätten einen „Königsstern“ aufgehen sehen und wollen nun dem „Königskind“ huldigen (vgl. BG, Matth. 2,2). Hier wird der Titel ‚König der Juden‘ (βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων) aus dem Mund der Sterndeuter getilgt; außerdem wird, durch die fehlende Erwähnung des Herodes bedingt, die Frage der Magier zur Aussage. Jegliche Verbindung der Magier mit einem jüdischen Jesusverständnis wird an dieser Stelle also komplett ausgeschlossen, wie sowohl die Betrachtung der fehlenden wie auch der bearbeiteten Verse zeigte.
291
Sie antworteten ihm: In Betlehem in Judäa; denn so steht es bei dem Propheten: Du, Betlehem im Gebiet von Juda, / bist keineswegs die unbedeutendste / unter den führenden Städten von Juda; / denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, / der Hirt meines Volkes Israel (Mt 2,5–6, vgl. Mi 5,1). 292 In die Magierreihe ist […] eine Anfrage bei Herodes eingetragen worden, obwohl die Magier ihr Zeichen in dem sie begleitenden Stern haben, der über der Hütte, in der das Kind ist, stille steht und sie also der Auskunft des Herodes nicht bedürfen. Es ist bezeichnend, dass die Deutsche Volkskunst sich um dieses Stück selten gekümmert hat, sondern instinktiv den Zug der Magier und die Anbetung des Kindes, kaum aber die Anfrage bei Herodes zur Darstellung gebracht hat“ (Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 16).
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
453
Erwähnenswert ist abschließend noch die Übersetzung der Absicht der Magier: ‚ἤλθομεν προσκυνῆσαι αὐτῷ‘ übersetzt die BG: ‚Wir […] wollen dem neugebornen Königskind in Ehrfurcht huldigen‘. Die Proskynese vor dem „Königskind“ wird von der BG sehr betont übersetzt mit dem – aus dem Munde der Deutschen Christen und unter Berücksichtigung der wesentlich schwächeren Luther-Übersetzung auffälligen – Substantiv ‚Ehrfurcht‘, das auch an zwei weiteren Stellen der BG eine Sonderrolle einnimmt.293 4.3.6 Die Nachfolger Christi als „Könige des Lebens“: BG 181f., Aus Knechten des Todes werden Könige des Lebens (1. Kor. 15,45.47–49; Röm. 5,12.15.17.19.20b–21) In Jesus Christus ist der neue Mensch erschienen. Ihm gab Gott seinen heiligen Geist, der das Leben schafft. Am Anfang stand der Mensch, der in seiner Vergänglichkeit der Erde zugehört. Ihm erst folgt der aus Gott geborene ewige Mensch. Zum ersten Menschen gehören wir alle als Kinder der Erde, zum neuen Menschen als Kinder Gottes. Wie wir das Bild des ersten Menschen an uns tragen, so werden wir auch das Bild des Gottessohnes tragen. In jedem dieser beiden Menschen wird eine ganze Welt verkörpert. Die Welt der ersten Menschen löste sich von ihrem Schöpfer, und darum wurde in ihr die Vergänglichkeit zum hoffnungslosen Todesverhängnis für alle, weil sie sich alle von Gott entfernt haben. In der Welt des neuen Menschen Jesus Christus empfangen alle durch Gottes Gnade unvergängliches Leben. Diese Gnade ist größer als das Verhängnis. Der Verstoß des einen hat die Menschen zu Knechten des Todes gemacht. Nun macht erst recht die Gabe Gottes sie zu Königen des Lebens. (BG 181f., Aus Knechten des Todes werden Könige des Lebens (1. Kor. 15,45.47–49; Röm. 5,12.15.17.19.20b–21), 1 Kor 15,45.47–49; Röm 5,12.15.17)
Besonders auffällig wurden hier Röm 5,12–17 verändert:
293
Eine ähnliche Einfügung des Wortes ‚Ehrfurcht‘ findet sich auch anderer Stelle in der BG: Mk 6,7–9: ‚Und er [=Jesus, A.d.A.] rief die Jünger zu sich, begann sie auszusenden […] und gebot ihnen: ‚Zieht euren Weg, den ich euch sende, wie Menschen, die in Ehrfurcht eine heilige Stätte betreten, um anzubeten: ohne Stab und Ranzen, ohne Schuhe und Geld.‘ (BG 60, Mitarbeiter Jesu (Mark. 6,6b–9; Luk. 10,2–3; Matth. 10,16b; Luk. 10,5–6a.7–11.16; Matth. 13,47–48; Mark. 6,12–13a.30–31; Luk. 10,17–20; Mark. 9,38–40), Mark. 6,7–9)). Der hervorgehobene Versteil ist komplett von der BG eingefügt. Der deutliche Verweis auf ein ehrfürchtiges Verhalten könnte in der BG in Verbindung mit dem (militärischen) Gehorsamsverständnis stehen.
454
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG
NA
Die Welt der ersten Menschen löste sich von ihrem Schöpfer, und darum wurde in ihr die Vergänglichkeit zum hoffnungslosen Todesverhängnis für alle, weil sie sich alle von Gott entfernt haben.
EÜ Röm 5,12–17 12 Διὰ τοῦτο 12 Durch einen ὥσπερ δι’ ἑνὸς einzigen Menἀνθρώπου ἡ schen kam die ἁμαρτία εἰς τὸν Sünde in die κόσμον εἰσῆλθεν Welt und durch καὶ διὰ τῆς die Sünde der ἁμαρτίας ὁ Tod und auf θάνατος, καὶ diese Weise geοὕτως εἰς πάντας langte der Tod zu ἀνθρώπους ὁ allen Menschen, θάνατος διῆλθεν, weil alle sündigἐφ’ ᾧ πάντες ten. ἥμαρτον·
Luther 12 Derhalben, wie durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben;
Röm 5,13–14 fehlt
[…]
[…]
[…]
In der Welt des neuen Menschen Jesus Christus empfangen alle durch Gottes Gnade unvergängliches Leben.
15 Ἀλλ’ οὐχ ὡς τὸ παράπτωμα, οὕτως καὶ τὸ χάρισμα· εἰ γὰρ τῷ τοῦ ἑνὸς παραπτώματι οἱ πολλοὶ ἀπέθανον,
15 Doch anders als mit der Übertretung verhält es sich mit der Gnade; sind durch die Übertretung des einen die vielen dem Tod anheim gefallen,
15 Aber nicht verhält sich's mit der Gabe wie mit der Sünde. Denn so an eines Sünde viele gestorben sind,
Diese Gnade ist größer als das Verhängnis.
πολλῷ μᾶλλον ἡ χάρις τοῦ θεοῦ καὶ ἡ δωρεὰ ἐν χάριτι τῇ τοῦ ἑνὸς ἀνθρώπου Ἰησοῦ Χριστοῦ εἰς τοὺς πολλοὺς ἐπερίσσευσεν.
so ist erst recht die Gnade Gottes und die Gabe, die durch die Gnadentat des einen Menschen Jesus Christus bewirkt worden ist, den vielen reichlich zuteil geworden.
so ist viel mehr Gottes Gnade und Gabe vielen reichlich widerfahren durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus.
Röm 5,16 fehlt
[…]
[…]
[…]
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
BG Der Verstoß des einen hat die Menschen zu Knechten des Todes gemacht.
NA
EÜ Röm 5,12–17 17 εἰ γὰρ τῷ τοῦ 17 Ist durch die ἑνὸς Übertretung des παραπτώματι ὁ einen der Tod θάνατος zur Herrschaft ἐβασίλευσεν διὰ gekommen, durch τοῦ ἑνός, diesen einen,
455
Luther 17 Denn so um des einen Sünde willen der Tod geherrscht hat durch den einen,
Nun macht erst recht die Gabe Gottes
πολλῷ μᾶλλον οἱ τὴν περισσείαν τῆς χάριτος καὶ τῆς δωρεᾶς τῆς δικαιοσύνης λαμβάνοντες
so werden erst recht alle, denen die Gnade und die Gabe der Gerechtigkeit reichlich zuteil wurde,
viel mehr werden die, so da empfangen die Fülle der Gnade und der Gabe zur Gerechtigkeit,
sie zu Königen des Lebens.
ἐν ζωῇ βασιλεύσουσιν
leben und herrschen
herrschen im Leben
διὰ τοῦ ἑνὸς Ἰησοῦ Χριστοῦ.
durch den einen, Jesus Christus.
durch einen, Jesum Christum.
Auch diese Passage lässt schon allein durch die Zusammensetzung aus zwei unterschiedlichen paulinischen Briefen, sowie noch deutlicher durch die gezielte Auswahl weniger Verse aus längeren Passagen dieser Briefe, eine starke redaktionelle Bearbeitung erkennen.294 In diesem Rahmen soll nun auf einige Auffälligkeiten dieser komplexen Passage hingewiesen werden. So fehlt die Adam-Christus-Typologie vollständig. Schon in ihrer Version der Passage aus 1 Kor spricht die BG-Redaktion vom „ersten Menschen“ und von Jesus Christus als dem „neuen Menschen“ statt des „zweiten Menschen“ (ὁ δεύτερος ἄνθρωπος, 1 Kor 15,47). Die Verbindung von Adam und Jesus, dem „letzten Adam“ (EÜ, 1 Kor 15,45) fehlt also und mit ihr die Bezugnahme auf die Genesis.295 Die von der BG ausgewählten Verse aus Röm 5, ebenfalls ohne Bezugnahme auf Adam, wurden von den Redaktoren zudem stark bear294
Mit der Auswahl lehnte sich die BG-Redaktion wohl daran an, dass Paulus in Röm 5 auf die in seinem früheren Brief (1 Kor 15,21.45–49) bereits ausgebreiteten Gedanken zurückgriff und diese neu durchdenkt. Die Kenntnis von 1 Kor kann auch tatsächlich das Verständnis erleichtern (vgl. Wilckens I (1997), 308), die Kombination in der BG zu einem einzigen Text ist natürlich dennoch keine adäquate Vorgehensweise. 295 Vgl. zur Adam-Christus-Typologie auch schon 1 Kor 15,21f. (vgl. Schrage (2001), 161–166). 1 Kor 15,45–47 weist die Übereinstimmung des bisher Gesagten mit der Schrift (v.a. Gen 2,7) auf (vgl. ebd. 302–310). Vgl. auch Lohse (2003), 177–180.
456
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
beitet. In Röm 5,17 wird der Titel „König des Lebens“ nun auf die Adressaten angewendet; diese Verheißung wird polarisierend den „Knechten des Todes“ gegenübergestellt, verstärkt durch die Wahl substantivierter Formulierungen. Eigentlich wird aber die „Gnade und die Gabe der Gerechtigkeit“ in Röm 5,16–21 als Grund für die Aufgabe „ἐν ζωῇ βασιλεύσουσιν“, wörtlich also „im Leben zu herrschen“ bestimmt (Röm 5,17). Auch ist schon in Röm 5,15 von der Gnadentat Christi die Rede, die BG spricht aber nur von der „Gnade“ bzw. „Gnade Gottes“. Die Übersetzung mit „Könige des Lebens“ wird hier von der BGRedaktion zwar nicht zur Vermeidung einer positiven Aussage über Israel gewählt, wie in den vorherigen Beispielen als Vermeidung der Christusbezeichnung „König Israels“, geht jedoch einher mit einer Gegenüberstellung von Leben und Tod. Auch die starke Kürzung der Passage (Röm 5,13–14.16 fehlen) zeigt, dass man sich nicht auf die Komplexität der Argumentation296 einlassen wollte. Stattdessen findet sich im Text der BG eine antithetisch geprägte Linie: Nicht nur die Begriffspaare Knechte und Könige, Tod und Leben, sondern auch Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit werden gegenübergestellt: Röm 5,12 spricht vom Tod als „Vergänglichkeit“, die ein „hoffnungsloses Todesverhängnis für alle“ wurde in der „Welt der ersten Menschen“. Der Kontrast zum „unvergänglichen Leben“ (BG, Röm 5,15; ohne gr. Basis), das Jesus in der BG bringt, wird somit noch verstärkt.297 Für diesen kurzen Blick auf die Passage lässt sich festhalten, dass nicht nur Christus selbst, sondern auch seine Nachfolger als „Könige des Leben“ bezeichnet wurden. In der identischen Wortwahl zeigt sich die enge Verflechtung der BG-Bearbeitung der Christologie mit den Anforderungen, die an die BG-Leser als Nachfolger des BG-Jesus gestellt werden. Ohne Bezug auf Israel298 und das Alte Testament299 werden im Text der BG Leben und Tod – parallel zum „ersten“ und „neuen“ Menschen – hier pointierter gegenübergestellt als das im biblischen Text der Fall ist. Die Bearbeitungsprinzipien scheinen der polarisierten Gegenüberstellung von Jesus und den Juden zu ähneln.
296
Auch an dieser Stelle kann nur kurz auf das Fehlen von Röm 5,13 die Bezugnahme auf das Verhältnis von Sünde und Gesetz (=Tora), und das Fehlen von Röm 5,16 die Anknüpfung an die Theologie der Rechtfertigung verweisen werden (vgl. Lohse (2003), 181). Die Aussagen über das Gesetz (Röm 5,13f.20) sind aber Angelpunkt der Argumentation: Wo es um Adams Sünde geht, da geht es entscheidend um die Geltung des Gesetzes (vgl. Wilckens I (1997), 313). 297 An dieser Stelle wären weitere Nachforschungen zu eschatologischen Vorstellungen in der BG sicher gewinnbringend. 298 An den BG-Stellen, die Jesus als „König des Lebens“ bezeichnen, ist er nicht „König Israels“. 299 Keine Erwähnung der Adam-Christus-Typologie.
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
457
4.3.7 Conclusio Noch an einigen weiteren Stellen wird der Gegensatz zwischen Leben und Tod hervorgehoben. Es scheint, als ob der Verlust des diesseitigen Lebens, der in der BG dadurch betont, ja sogar propagiert zu werden scheint, dass positivistisch von ihm als „tapferer Lebensspender“300 gesprochen wurde, durch die ebenso stark betonte Verheißung des ewigen Lebens aufgefangen werden soll. Weitere Beispiele dafür, dass die positive Sicht auf die aktive Todesbereitschaft in der BG betont wird, sind die Betonung der Bereitschaft des Paulus zum Tod am Ende des vierten Teils und somit in herausgehobener Position in den letzten Versen der BG301 und ähnlich auch BG 76, Seid getreu bis in den Tod! (Didaskalia latina 11; Jak. 1,12)302: Dem Mann, der „die Prüfung besteht“ wird die „Krone des Lebens“ verheißen. Obwohl keine großen Veränderungen vorgenommen wurden, kann auch diese Stelle durch die Positionierung in der BG303 als bewusst hier aufgenommener Text eingestuft werden. Auch in der Ausdeutung des Lebens lassen sich weitere interessante Beobachtungen machen: So sind in der BG die Begriffe „Sieg“, „Leben“ und „Opfer“ als die Bestimmung des idealen Lebens eng verknüpft: „Sieg“ und „Leben“ sind die Ziele; Opfer, Einsatz, Treue, (Dienst, Gehorsam, Leiden usw.) werden als der Weg dazu genannt. Dies zeigt vor allem die Überschrift BG 62, Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben (Mark. 8,34–37; Matth. 10,32–33; 12,30), also die Umdeutung des Opferbegriffs, der, ohne im Text verwendet zu werden, die Leser zur Deutung des Opfers als Selbstverleugnung, Kreuz und Nachfolge lenkt. Dieses sei für den Gewinn des Lebens unbedingt notwendig, nur so sei der „Sieg“ möglich. Alle Begriffe finden sich zwar ausschließlich in der Überschrift, beeinflussen aber gerade durch diese exponierte Stellung das Textverständnis des Lesers. Die Kombination des Opferbegriffes mit dem Versprechen von „Sieg und Leben“ lassen außerdem vermuten, dass bewusst offen gelassen werden soll, ob ein diesseitiger oder ein jenseitiger Sieg gemeint ist. Der gedankliche Bogen zu den folgenden Teilen der Evangelienharmonie „Sein Kampf“304, „Sein 300
Vgl. 4.4 Jesus ist nicht das Lamm, sondern der tapfere „Lebensspender“, der sich opfert, und zur Tapferkeit ruft. Das Verständnis vom Opfertod Christi wird heroisiert. 301 BG 276, Bereitschaft zum Tod (2. Tim. 4,6–8). 302 Selig der Mann, der die Prüfung besteht; denn ist er bewährt, wird er die Krone des Lebens empfangen. (BG 76, Seid getreu bis in den Tod! (Didaskalia latina 11; Jak. 1,12)) Auffällig ist hier das Fehlen von Jak 1,12b, da der Kranz ja nur denen verheißen ist, die Gott lieben (τοῖς ἀγαπῶσιν αὐτόν). Die BG scheint dagegen nur an (bedingungslose?) Prüfung und Bewährung gedacht zu haben. 303 Zwischen BG 75, Mitleiden ist Voraussetzung der Herrlichkeit (Mark. 10,35–40) und BG 76, Einzug in Jerusalem (Mark. 10,32a; 11,1–10ac; Matth. 21,10–11; Luk.19,39–40). 304 BG 63–73.
458
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Kreuz“305 und „Sein Sieg“306 deutet ebenfalls auf eine Glorifizierung des Kämpfens und Leidens unter der Verheißung des „Sieges“ hin. Wird auch hier die Parallele zwischen Jesu „Sieg“ in seinem „Kampf“ und der Aufforderung an die Deutschen, in seiner „Nachfolge“ für den NS-Staat zu kämpfen, sich märtyrerhaft einzusetzen und schließlich zu siegen, von der Redaktion angestrebt? Die Bezeichnung „Sieg“ für die Erzählungen über die Erscheinungen des auferstandenen Christus (vgl. „Sein Sieg“ und „Der Sieg des Lebens“307) können in der Frage, wie ein „Sieg“ gedacht war, darauf hinweisen, dass der endgültige Sieg von der BG-Redaktion eschatologisch gedacht war und somit Trost für alle im Dritten Reich Kämpfenden spenden sollte. Sowohl das Leiden308 als auch der aktive Einsatz309 werden von der BGRedaktion mit dem „Leben“ verknüpft, einmal mit dem „ewigen Leben“, einmal mit dem „neuen Leben“. Auch die Bearbeitung von Röm 6,4 stellt Leben und Tod gegenüber:
305
BG 74–93. BG 94f. „Sein Sieg“ als Kapitelüberschrift für die in die BG aufgenommenen Erzählungen über die Erscheinung des Auferstandenen in Galiläa, BG 94, Die Jünger bezeugen den Auferstandenen (Joh. 21,1–4.7–9.12–13) und BG 95, Die Gemeinde bezeugt ihre Sendung und glaubt an den Ewig-Gegenwärtigen (Joh. 21,15–17; Matth. 28,16–20). Auffällig ist hier zudem die Wahl der Textstellen: Obwohl es sich um den ersten Teil der BG handelt, nach dessen Zielsetzung er die synoptischen Evangelien behandelt, finden sich hier nur Berichte aus Joh über die Erscheinung Jesu in Galiläa. Die Erscheinung am Grab (Mt 28,1–10),vor Maria Magdalena und den Jüngern (Mk 16), und am Grab, auf dem Weg nach Emmaus und in Jerusalem (Lk 24) und ebenso am Grab, bleibt zunächst unerwähnt, wohl da es sich jeweils um Erscheinungen in Judäa handelte und die BG-Redaktion damit hätte zugeben müssen, dass Jerusalem in den Evangelien nicht nur die Stadt des Todes, sondern auch die Stadt des neuen Lebens des Auferstandenen ist. 307 Erst im zweiten Teil der BG, den Bearbeitungen des Johannesevangeliums, sind dann Teile aus Joh 20 aufgenommen unter der Kapitelüberschrift „Der Sieg des Lebens“ (BG 159– 160) BG 159, Das Zeichen des Lebens für Maria (20,1.11a.14b–17a.17c–18a), BG 159f., Der Friedensgruß des Wiedersehens mit den Jüngern (20,19–23) und BG 160, ‚Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!‘ (20,24–29). 308 Im Teil „Sein Kreuz“ findet sich z.B. die Passage BG 81, Leidensnachfolge (Mark. 13,1–2; Joh. 2,19; Mark. 13,3–6.9–11a; Luk. 21,17–18; Mark. 13,13c; Matth. 10,24–25; Luk. 9,27), wo dem, der „ausharrt bis zum Ende“, der Gewinn des „ewigen Lebens“ verheißen wird. Das Ausharren unter Leiden wird hier von der BG mit der Verheißung des „ewigen Lebens“ verbunden, obwohl im Griechischen allgemeiner σωθήσεται (er wird gerettet (EÜ), selig (Luther)) steht. 309 BG 52, Einsatzbereit (Luk. 9,57–62; 14,28–33), Lk 9,60: Jesus fordert auf zum Zeugnis für das „neue Leben des Gottesreiches“ (für τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ). 306
4.3 Jesus ist nicht „König Israels“, sondern „König des Lebens“
BG Wir sind auf Christi Tod getauft.
459
NA συνετάφημεν οὖν αὐτῷ διὰ τοῦ βαπτίσματος εἰς τὸν θάνατον,
EÜ Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod;
Luther So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod,
Wie Christus durch die herrliche Kraft des Vaters von den Toten erweckt ist,
ἵνα ὥσπερ ἠγέρθη Χριστὸς ἐκ νεκρῶν διὰ τῆς δόξης τοῦ πατρός,
und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde,
auf daß, gleichwie Christus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters,
so werden auch wir mit ihm in ein neues Leben eintreten.
οὕτως καὶ ἡμεῖς ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν.
so sollen auch wir als neue Menschen leben.
also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln.
Das bedeutet: die alte Welt des Todes hat durch ihn über uns ihre Macht verloren.
Das „neue Leben“ scheint hier als eschatologische Verheißung verstanden zu werden, in die man mit dem Tod eintritt. Die Partizipialkonstruktion „ἐν καινότητι ζωῆς περιπατήσωμεν“ zeigt aber – zumal gedanklich verknüpft mit dem Bild, in der Taufe bereits mit Christus begraben worden zu sein – dass der Eintritt in das neue Leben bereits mit der Taufe vollzogen gedacht wird. Eine weitere Gegenüberstellung von Leben und Tod findet sich auch in BG 222f., Das Herrenmahl (Offb. 3,20; 19,9a; 1. Kor. 11,23b–25; 10,16–17; 11,26; Matth. 18,20)310. Der Kelch wird als Gemeinschaft mit dem Sterben, das Brot als Gemeinschaft mit dem Leben gedeutet. Die Gemeinschaft im Sterben scheint in der BG als Voraussetzung für die Gemeinschaft im neuen Leben verstanden zu werden. Die Nachfolge im Tod erweist sich einmal mehr als Kerngedanke für die BG-Redaktion, die Betonung, dass Jesus der König des Lebens sei, scheint als Ermutigung und Verheißung dienen zu sollen.
310
Vgl. 3.2.7 Der Umgang mit dem Begriff „Blut“ an den fünf ὁ ἀμνός-Stellen im Vergleich mit den Abendmahlstexten und dem Bericht vom „Blutzeugen“ Stephanus. Der Kelch wird als Gemeinschaft mit dem Sterben, das Brot als Gemeinschaft mit dem Leben gedeutet.
460
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
4.4 Jesus ist nicht das Lamm, sondern der tapfere „Lebensspender“, der sich opfert, und zur Tapferkeit ruft: Das Verständnis vom Opfertod Christi wird heroisiert 4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
4.4.1 Einführung und Stand der Dinge
Deutlich wurde bisher schon, bedingt durch die enge Verknüpfung von Opfer- und Todesbegriff, dass in der Darstellung des Todes Jesu die Betonung seiner tapferen „Lebensspende“ bzw. heldenhaften „Todesweihe“ im Fokus der BG-Redaktoren liegt. Genannt wurde Grundmanns Deutung des „Weinwunders“ 311 nicht nur als „Ende des Gesetzesdienstes“, sondern auch als „vollendeter neuer Gottesdienst“ der „unerschöpflichen Heilszeit“, die in Verbindung mit Jesu Tod stehe, „denn die ‚Stunde‘, die noch nicht gekommen ist312, ist die Todesstunde. Sie vollzieht die Ablösung vom Judentum und führt die Heilszeit herauf.“313 Auch die „Tempelreinigung“314 verweise auf „die mit Tod und Auferstehung Jesu sich verwirklichende Heilszeit […], in der ein neuer ‚Tempel‘, d.h. ein neuer Gottesdienst da ist.“315 Im Gespräch mit der Samaritanerin316 werde dann als der „neue Gottesdienst“ offenbar, „daß das Heil in der Lebensspende besteht, daß sein Bringer nicht aus jüdischen Voraussetzungen zu verstehen ist, daß er vielmehr der Retter der Welt ist und daß er den neuen Gottesdienst bringt, der allen bisherigen Gottesdienst, jüdischen und samaritanischen, ablöst.“317 In den BG-Texten fanden sich zudem Hinweise auf die Deutung des Todes Christi als „tapferer Lebenseinsatz“318, und „Todesweihe“, da Jesus selbst „durch den Tod […] geweiht werden“ müsse.319 Der BG-Jesus fordert dementsprechend dazu auf, man müsse sein Leben „einsetzen“ und sein „Gefolgsmann“ sein320 Ebenfalls wurde den Jüngern bereits angekündigt, sie 311
BG 104f., Das Weinwunder: Ende des Gesetzesdienstes (Joh 2,1–11). Grundmann verweist hier auf Joh 2,4. 313 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 226f. 314 BG 105, Die Tempelreinigung: Ende des Opferdienstes (Joh. 2,12–16.18–20.22ab). 315 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 226f. 316 BG 109–111 Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (4,1.3– 9a.10–21.23–37.39–42). 317 Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 229. 318 BG 201, Hoffnung bewährt sich im reinen Leben (1. Petr. 1,13b-21), 1 Petr 1,19: „tapferer Lebenseinsatz“ Christi (vgl. 3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“). 319 BG 74, Sendung und Opfer (Luk. 12,49–50);Lk 12,50. Vgl. 3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs. 320 BG 140f., Dem Opfer entkeimt das Leben (Joh 12,24b–32.37a), Joh 12,25) Vgl. 3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs. Ähnlich BG 198, Der entscheidende Kampf – das Gesicht eines Sehers (Offb. 11,15b; 12,7–12), Offb 12,11: die Sieger haben ihr Leben „eingesetzt“ (Vgl. 3.2 Christologische Ersatztermini für „Lamm Gottes“); vgl. auch BG 62, Ohne Einsatz, Treue und Opfer kein Sieg und kein Leben (Mark. 8,34–37; Matth. 10,32–33; 12,30), Mk 312
4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
461
müssten den „Leidenskelch“ trinken und die „Todesweihe empfangen“, wie es Jesus getan habe.321 Auch erging in der BG die Aufforderung an die „Brüder“, sich selbst „zum lebendigen Opfer“ zu „weihen“.322 Im den bereits vorgelegten detaillierten Analysen der BG-Stellen zum Begriff des (kultischen) Opfers, zum Hoheitstitel „Lamm Gottes“ und der Stellen, an denen die BG eine neue Verwendung des Opferbegriffs in die biblischen Texte einbringt, hat sich also gezeigt, dass dieser neugeschaffene Opferbegriff eng mit der Deutung des Todes Jesu verbunden ist und sowohl sein Leiden als auch seine kämpferische Tatkräftigkeit und Tapferkeit betont. Zum Abschluss sollen daher noch drei Stellen aus der BG, die den Tod Jesu deuten, analysiert werden. Diese Passagen scheinen den Aspekt des tapferen und vorbildhaften Todes zu vertiefen, da von Jesus jeweils als „Lebensspender“ gesprochen wird, während, wie bereits festgestellt wurde, andere christologische Titel („Lamm Gottes“ und „Hoherpriester“) vermieden wurden und somit auch die von diesen Titeln ausgehenden Deutungsaspekte fehlen. Vielleicht legte die BG-Redaktion so viel Wert auf eine „unjüdische“ Deutung des Todes Jesu, da der Gedanken der „Entjudung“ eng mit dem Gedanken des Kreuzesgeschehens verknüpft wurde. Grundmann zieht dazu das alte Vorurteil heran, „die Juden“ hätten Christus gekreuzigt und stünden daher unter untilgbarem „Fluch“ „durch den der ewige Jude zum Fluch der Völker wird, zersetzend, vergiftend, zerstörend.“323 Ausgehend vom Haß auf Jesus Christus „bei seinen Lebzeiten“ hätten sie „seine Kreuzigung veranlaßt“, dann aber auch „die sich an seinen Namen anhängende Bewegung gehaßt und verfolgt. […] Dieser Haß ist bis auf den heutigen Tag geblieben.“324 Die „Judenfrage“ in der NS-Zeit hängt für Grundmann aus diesem Grund „auf das engste mit diesem Kreuzesgeschehen zusammen“. Selbst „der Jude“ selbst hätte diese „wundeste Stelle seiner Geschichte“ erkannt.325 Ausgangspunkt für die Argumentation Grundmanns und der BG scheint also das Klischee zu sein, das die Kreuzigung Jesu von vornherein allein den Juden zuschreibt. So lag es wohl für die BG-Redaktoren nahe, die soeben dargestellten Deutung des Todes als „tapfere Lebensspende“ zu wählen, die sich als logische Konsequenz aus dem „Kampf“ gegen die Juden ergibt: Die Haltung Jesu sei „geradezu gegensätzlich zu dem Verhalten und Verständnis des Judentums. So war der Zusammenstoß unvermeidlich und der ihm von den Juden 8,35: das Leben soll „hingegeben“ werden, um das ewigen Leben zu „gewinnen“ (vgl. 3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs). 321 BG 75, Mitleiden ist Voraussetzung der Herrlichkeit (Mark. 10,35–40) (vgl. 3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs). 322 Vgl. BG 186, Gottesdienst der Tat (Röm. 12,1–2), Röm 12,1; vgl. 3.3 Die Umdeutung des Opferbegriffs. 323 Grundmann, Passion (1936), 7. 324 Grundmann, Wer ist Jesus von Nazareth? (1940), 3f. 325 Grundmann, Passion (1936), 6.
462
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
bereitete Kreuzestod hat seinen geschichtlichen Grund in diesem Gegensatz.“326 Dieser „Glauben an die Kollektivschuld des jüdischen Volkes am Tod Christi“ war die klassische Begründung für religiöse Judenfeindschaft seit dem Mittelalter.327 Fenske widerlegt diese irrige Annahme, denn Jesus habe nicht mit seinem Volk gebrochen, sondern seine Hinrichtung sei „wohl ein politischer Akt, der mit religiösen Vorstellungen bestimmter Gruppen verbunden war“ gewesen: „Menschen seines Volkes haben ihn angenommen, andere ihn abgelehnt. Dasselbe lässt sich auch von Heiden sagen: Es haben ihn nicht alle Arier aufgenommen, somit hätten sie mit Jesus oder Jesus hätte mit ihnen gebrochen. Solche banalen Weiterführungen dieser rassischen Überlegungen zeigen immer wieder die Absurdität dieser Aussagen.“328
In der Hinrichtung Jesu zeige sich vielmehr „eine Differenz zwischen den gegen ihn agierenden Zeitgenossen und Jesus. Doch wer sind diese Zeitgenossen, die seine Hinrichtung betreiben? Die Evangelien sprechen von bestimmten Gruppen innerhalb des Judentums, so sind der Hohe Priester und Schriftgelehrte seiner Zeit treibende Kräfte. Hieraus lässt sich jedoch keine rassische Unterschiedenheit herleiten.“329 Die Frage nach der Deutung des Todes Jesu Christi ist insofern grundlegend. Bereits die Durchsicht der Überschriften belegt, dass – nicht nur in Grundmanns Deutung – im Gespräch mit der Samaritanerin330 als der „neue Gottesdienst“ offenbar werde, dass das Heil in der „Lebensspende“ bestehe.331 Der Begriff der „Lebensspender“ wird vielmehr auch in der BG gleich dreimal wörtlich in Überschriften aufgenommen als adäquate Beschreibung des Todes Jesu: (1) BG 135, Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (Joh. 10,40–11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44), (2) BG 138: Der Todesbeschluß aus Anlaß der Lebensspende (Joh. 11,45–51a.53–57), (3) BG 139: Die Todessalbung: Dank für die Lebensspende (Joh. 12,1–5.7.9–11). Höchst willkommen waren den BG-Redaktoren in der Frage nach der Deutung des Todes Jesu also einige Passagen aus dem Johannesevangelium, die – zumal mit gezielten Eingriffen in die Texte – sehr leicht ein ausschließlich heroisches Verständnis des Todes Jesu vermitteln können. BG 135–141 bündelt unter der Überschrift „Die Lebensspende als Todesanlaß“ sechs Passagen, die allesamt Aussagen über den Tod Jesu treffen. Die ersten drei Passage, die ebenso einstimmig wie für eine deutsche Bibelübersetzung ungewöhn326
Grundmann, Heil (1938), 7. Vgl. Vogt (2003), 12. 328 Fenske (2005), 246. 329 Fenske (2005), 247. 330 BG 109–111, Das Gespräch mit der Samaritanerin: Der neue Gottesdienst (4,1.3– 9a.10–21.23–37.39–42). 331 Grundmann, Jesus der Galiläer und das Judentum (1940), 229. 327
4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
463
lich332 vom Tod als „Lebensspende“ sprechen, sollen im Folgenden untersucht werden. Die weiteren drei Passagen ((4) BG 139f., Der König des Lebens kommt in die Stadt seines Todes (Joh. 12,12–13.17–24a)333 (5) BG 140f., Dem Opfer entkeimt das Leben (Joh 12,24b–32.37a)334 (6) BG 141, Des Propheten Urteil über den Unglauben wird bestätigt (Joh 12,37b–41)) sollen als Hintergrund dienen bzw. wurden bereits an anderer Stelle eingehend analysiert. Festzuhalten ist also, dass der „neue Gottesdienst“ als „Gottesdienst der Tat“ (s.o.), einhergehend mit der Ablösung vom „Opferkult“ eng verbunden wird mit Tod und somit Heilszeit (s. Hochzeit zu Kana) und mit der „Lebensspende“ (s. Tempelreinigung durch den „Lebensspender“ und „Lazarus“). Ob die BG ein derartig eingeschränktes Verständnis des Kreuzestodes Jesu als „Lebensspende“, die jedem „guten“ Christen als Vorbild/„Exemplum“ dienen soll, konsequent in die Texte einträgt, ist nun zu überprüfen. Dazu sollen vier Textstellen, in denen von „Lebensspende“ gesprochen wird, analysiert werden. Der Begriff der „Lebensspende“ taucht zwar nur in den BGBearbeitungen des Johannesevangeliums auf, scheint aber dort zentrale Bedeutung zu haben. 4.4.2 BG 121, Allein der Sohn – Spender des Lebens! (Joh. 5,37b–39a.40.24) Vor allem Joh 5,37–40335 ist hier interessant, da hier der Sohn als Lebensspender, von dem das Leben empfangen werden kann, dargestellt wird:
332
Der Begriff ist heute im Wesentlichen bekannt aus den Aufrufen zur Plasma-, Blutoder Knochenmarkspende (vgl. „Tag der Lebensspende“ von CSL Plasma (http://www. plasma-spenden.de/tag/tag-der-lebensspende/ [Stand: 15.08.2016]), der Werbeslogan „Schenke Leben, spende Blut“ zur Blutspende beim DRK (https://www.drk-blutspende.de/ [Stand: 15.08.2016]) und die Formulierung „Lebensspende – auch für die Großen kinderleicht“ (http://www.dkms-nabelschnurblutbank.de/de/lebensspender-auch-fuer-die-grossenkinderleicht.html) [Stand: 15.08.2016]). 333 Vgl. 4.3.2 BG 139: Der König des Lebens kommt in die Stadt seines Todes (Joh. 12,12–13.17–24a). Leben und Tod werden polarisiert. 334 3.3.4.2 BG 140f., Dem Opfer entkeimt das Leben (Joh. 12,24b–32.37a), Joh 12,24b– 28). Lebenseinsatz ist Opfer. 335 BG 121, Allein der Sohn – Spender des Lebens! (Joh. 5,37b–39a.40.24), Joh 5,37b– 39a.40.
464
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG
NA
EÜ
Luther
fehlt
37 καὶ ὁ πέμψας με πατὴρ ἐκεῖνος μεμαρτύρηκεν περὶ ἐμοῦ.
37 Auch der Vater selbst, der mich gesandt hat, hat über mich Zeugnis abgelegt.
37 Und der Vater, der mich gesandt hat, derselbe hat von mir gezeugt.
Ihr habt des Vaters Stimme niemals gehört und seine Wirklichkeit nie erschaut,
οὔτε φωνὴν αὐτοῦ πώποτε ἀκηκόατε οὔτε εἶδος αὐτοῦ ἑωράκατε,
Ihr habt weder seine Stimme gehört noch seine Gestalt je gesehen,
Ihr habt nie weder seine Stimme gehört noch seine Gestalt gesehen,
und sein Wort haftet nicht in euch; denn seinem Boten schenkt ihr keinen Glauben.
38 καὶ τὸν λόγον αὐτοῦ οὐκ ἔχετε ἐν ὑμῖν μένοντα, ὅτι ὃν ἀπέστειλεν ἐκεῖνος, τούτῳ ὑμεῖς οὐ πιστεύετε.
38 und auch sein Wort bleibt nicht in euch, weil ihr dem nicht glaubt, den er gesandt hat.
38 und sein Wort habt ihr nicht in euch wohnend; denn ihr glaubt dem nicht, den er gesandt hat.
Ihr durchforscht die Schriften und wähnt darin das ewige Leben zu haben,
39 ἐραυνᾶτε τὰς γραφάς, ὅτι ὑμεῖς δοκεῖτε ἐν αὐταῖς ζωὴν αἰώνιον ἔχειν·
39 Ihr erforscht die Schriften, weil ihr meint, in ihnen das ewige Leben zu haben;
39 Suchet in der Schrift; denn ihr meinet, ihr habet das ewige Leben darin;
fehlt
καὶ ἐκεῖναί εἰσιν αἱ μαρτυροῦσαι περὶ ἐμοῦ·
gerade sie legen Zeugnis über mich ab.
und sie istʼs, die von mir zeuget;
und zu mir wollt ihr nicht kommen, um Leben zu empfangen.
40 καὶ οὐ θέλετε ἐλθεῖν πρός με ἵνα ζωὴν ἔχητε.
40 Und doch wollt ihr nicht zu mir kommen, um das Leben zu haben.
40 und ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben haben möchtet.
Hier fällt zunächst das Fehlen zweier Versteile auf. Joh 5,37a wurde von der Passage abgetrennt und bereits im vorherigen Abschnitt mit einer kleinen Veränderung aufgenommen.336 Somit fehlt in diesem Abschnitt der Hinweis 336 Allerdings lässt die BG es durch die Einfügung des Wörtchens „darin“ so erscheinen, als ob der Vater nur in den Werken des Sohnes, nicht aber auch selbstständig Zeugnis abge-
4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
465
darauf, dass Gott selbst bereits am Sinai Zeugnis von Jesus abgelegt und ihn gesandt habe.337 Die BG vermeidet damit diese Verbindung mit dem Volk Israel. Deutlicher ist das Fehlen des Versteils Joh 5,39b, der die positive Würdigung der Schriften des heutigen Alten Testaments und somit den Selbstbezug Christi auf das Judentum, in ähnlicher Weise übergeht, wie das bereits vielfach in den bisherigen Analysen deutlich wurde. Joh 5,39a bekommt somit in der BG ebenfalls einen negativen Klang.338 Besonders auffällig ist dann die Bearbeitung von Joh 5,40. In Kombination mit der von der BG gewählten Überschrift „Allein der Sohn – Spender des Lebens“ kann dieser Vers ein weiteres Schlaglicht auf das Verständnis von der Rolle Jesu für das Leben der Gläubigen werfen: Die BG betont, man könne von Jesus das Leben empfangen und löst durch das Fehlen von Joh 5,39b. diese Aussage gänzlich von den Schriften Israels, obwohl bereits dort das Zeugnis über Jesus zu finden sei, ja die Jünger zur „wahren Mose-Jüngerschaft“ gerufen sind.339 EÜ und Luther sprechen mit dem griechischen Text schlicht davon, dass man bei Christus das ewige Leben (ζωὴν αἰώνιον, Joh 5,29a) habe und berücksichtigen so die Parallelität des zweimaligen Gebrauchs von ἔχειν in Joh 5,39a und Joh 5,40 in Bezug auf die Schriften und auf Jesus selbst. Die BG dagegen betont mit der Aussage, bei Jesus könne man das Leben empfangen die aktive Handlung Jesu (vgl. oben Joh 6,53: den Leib zu Lebensbrot empfangen). Dass das eine bewusste Setzung ist, zeigt denn auch die Überschrift, die Jesus den ‚Spender des Lebens‘ nennt – eine ganz unbiblische legt hätte. Ähnlich auch die Einfügung in Joh 5,37 (diesen Vers nimmt die BG bereits im vorangehenden Absatz auf!), vgl. BG 120f., Der Vater als Zeuge des Sohnes (Joh 5,31–37a), Joh 5,36f.: […] Denn die Werke, die ich nach des Vaters Willen vollbringen soll und auch tue, sind Zeuge dafür, daß mich der Vater gesandt hat. Der Vater hat darin selbst sein Zeugnis abgelegt über mich.“ (im Griechischen nicht zu finden, vgl. NA Joh 5,37a: καὶ ὁ πέμψας με πατὴρ ἐκεῖνος μεμαρτύρηκεν περὶ ἐμοῦ). 337 Joh 5,3 verweist auf Dtn 4,12: Die Sinai-Generation hat Gottes Wort bereits gehört, aber diese Wort ist jetzt in den Adressaten von Joh aktuell nicht gegenwärtig. Eigentlich wäre das, was am Sinai geschehen ist, in Jesus wieder neu lebendig, sogar auf höherer Stufe: man hört nicht nur, sondern sieht auch Jesus. Aber auch dies ist bei den Zuhörern gerade nicht der Fall (vgl. Tilborg (2005), 79). 338 Das Durchforschen der Schriften entspricht ja dem Bild des Frommen in Ps 1, der seine Freude an der Tora JHWHs hat und Tag und Nacht darüber nachsinnt. Erst im Nachsatz wird der Kritikpunkt deutlich: Statt des ewige Leben bei dem zu suchen und zu dem zu ‚kommen‘, von dem die Schriften zeugen, suchen sie es unmittelbar in diesem selbst und verfehlen es somit (vgl. Thyen (2005), 326). 339 Wenn die Jünger an anderen Stellen Mose und Jesus voneinander scheiden, zeigen sie ihr Unwissen gegenüber der wahren Mose-Jüngerschaft, die Jesus z.B. Joh 5,39–46 aussagt (vgl. Nicklas (2001), 368). Der Vers beeinhaltet die Verschränkung, dass einerseits Mose von Jesus spreche und man dementsprechend, wenn man ihm nicht glaube, auch Gott nicht glaube und andererseits man dann nicht auf Gottes Worte hört, wenn man nicht an die göttliche Herkunft Jesu glaubt (vgl. Tilborg (2005), 80).
466
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Redeweise, die auf Jesu Tod anspielt, der, wie bereits deutlich wurde, von der BG als aktives und heldenhaft anmutendes Opfer gedeutet wurde. 4.4.3 BG 135–138: Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (Joh. 10,40–11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44), Joh 11,1.3–12.14–21.23–41.43–44 Es lag aber einer krank, Lazarus aus Bethanien, der dort zusammen mit seinen Schwestern Maria und Martha wohnte. Sie sandten zu Jesus und ließen ihm sagen: ‚Herr, siehe, dein Freund liegt krank.‘ Als Jesus das vernahm, sprach er: ‚Diese Krankheit führt nicht zum Tode. Gott will durch sie seine herrliche Macht erweisen, um den Sohn zu Ehren zu bringen.‘ Jesus war mit den Geschwistern befreundet. Als er von der Erkrankung des Lazarus erfuhr, blieb er noch zwei Tage dort, wo er war. Dann erst sprach er zu den Jüngern: ‚Wir wollen wieder nach Judäa gehen!‘ Die Jünger wehrten es ab: ‚Meister, eben erst wollten dich die Juden steinigen, und du gehst schon wieder dorthin?‘ Jesus antwortete: ‚Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wer am Tage wandert, stößt nicht an; denn er sieht das Licht, das diese Welt erleuchtet. Wer aber bei Nacht wandert, stößt sich, weil ihm das Licht fehlt.‘ Nach diesen Worten sagte er ihnen: ‚Unser Freund Lazarus schläft. Aber ich gehe hin, um ihn zu wecken.‘ Da sprachen seine Jünger zu ihm: ‚Herr, wenn er schläft, so wird er gesund.‘ Da sagte ihnen Jesus frei heraus: ‚Lazarus ist entschlafen. Und ich bin froh um euretwillen, dass ich nicht da war. So werdet ihr glauben lernen. Also wollen wir zu ihm gehen!‘ Da sprach Thomas, auch Zwilling genannt, zu den Gefährten: ‚Auch wir wollen mitgehen, dass wir mit dem Meister sterben!‘ Als nun Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe lieben. Bethanien aber lag nur eine gute halbe Wegstunde von Jerusalem entfernt. Und viele Juden waren zu Martha und Maria gekommen, um sie über ihren Bruder zu trösten. Als Martha hörte, Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber bleib zu Hause. Martha sprach zu Jesus: ‚Herr, wärest du hier gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben.‘ Jesus verhieß ihr: ‚Dein Bruder wird auferstehen.‘ Martha sagte zu ihm: ‚Ja, ich weiß: bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.‘ Da sprach Jesus zu ihr: ‚Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, wenn er auch stürbe. Und wer im Glauben an mich lebt, für den hat der Tod auf ewig seine Schrecken verloren. Glaubst du das?‘ Sie sprach zu ihm: ‚Ja, Herr, ich glaube: du bist der erkorene Gottessohn, der in die Welt gekommen ist.‘ Danach ging sie fort, rief ihre Schwester Maria und sagte heimlich zu ihr: ‚Der Meister ist da und ruft dich.‘ Als diese das hörte, erhob sie sich eilends und ging zu ihm; denn Jesus war noch nicht in das Dorf gekommen, sondern war an der Stelle geblieben, wo ihm Martha begegnet war. Als nun die Juden, die bei ihr im Hause waren und sie trösteten, Maria so rasch aufstehen und hinausgehen sahen, folgten sie ihr in der Meinung, sie gehe zum Grabe, um sich dort auszuweinen. Maria kam dorthin, wo sich Jesus befand, erblickte ihn, fiel ihm zu Füßen und klagte ihm auch: ‚Herr, wärest du hier gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben.‘ Als Jesus sie weinen sah, und die Juden, die ihr folgten, ebenfalls weinten, da erbebte er im Geist, ergrimmte und sprach: ‚Wo habt ihr ihn hingelegt?‘ Sie sprachen zu ihm: ‚Komm, Herr, und siehe!‘ Jesus gingen die Augen über. Da sprachen die Juden: ‚Siehe, wie lieb hatte er ihn!‘ Einige von ihnen meinten: ‚Konnte der, der dem Blinden die Augen öffnete, nicht verhindern, dass dieser starb?‘ Da ergrimmte Jesus innerlich aufs neue und trat ans Grab. Es war eine Höhle, und ein Stein verschloss sie. Jesus gab die Weisung: ‚Nehmt den Stein weg!‘ Da sagte Martha, die Schwester des Entschlafenen, zu ihm: ‚Herr, er liegt schon in Verwesung. Seit vier Tagen ruht er im Grabe.‘ Jesus sprach zu ihr: ‚Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben würdest,
467
4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
würdest du Gottes herrliche Macht schauen?‘ Da nahmen sie den Stein fort. Jesus aber erhob seine Augen und betet: ‚Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast!‘ Und als er das gesagt, rief er mit lauter Stimme: ‚Lazarus, komm heraus!‘ Und der Tote kam heraus, an Händen und Füßen mit Binden umwickelt und das Gesicht mit einem Tuch umwunden. Da sprach Jesus zu ihnen: ‚Nehmt ihm die Binden ab und laßt ihn gehen.‘ (BG 135–138: Die Erweckung des Lazarus: Das Sinnbild der Lebensspende (10,40–11,1; 11,3–12.14–21.23–41.43–44))
Grundmann deutet die Stelle so, dass hier die „die Passionsgeschichte einleitenden Gedanken“ veranschaulicht würden, nämlich „daß die Lebensspende dem Lebensspender den Tod bringt und sein Tod zur Lebensspende an die Welt wird.“340 Wenn man die BG-Überschrift ernst nimmt, scheint hier mit „Lebensspende“ allerdings nicht der Tod, sondern die Auferweckung des Lazarus durch Jesus gemeint zu sein. In der Textbearbeitung selbst finden sich ebenfalls einige Auffälligkeiten: Die BG lehnt sich in dieser Passage zwar deutlich an die lutherische Sprache an, (1) BG Joh 11,35 „Jesus gingen die Augen über.“ ist identisch mit Luther 1912 (vgl. EÜ: „Da weinte Jesus.“ (EÜ, Joh 11,35 für ἐδάκρυσεν ὁ Ἰησοῦς), und (2) auch die Formulierung „Jesus ergrimmte“ trägt Luthers Handschrift: BG
NA
EÜ
Luther
Als Jesus sie weinen sah, und die Juden, die ihr folgten, ebenfalls weinten,
Ἰησοῦς οὖν ὡς εἶδεν αὐτὴν κλαίουσαν καὶ τοὺς συνελθόντας αὐτῇ Ἰουδαίους κλαίοντας,
Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren,
Als Jesus sie sah weinen und die Juden auch weinen, die mit ihr kamen,
da erbebte er im Geist,
ἐνεβριμήσατο τῷ πνεύματι
war er im Innersten erregt
ergrimmte er im Geist
ergrimmte [und sprach:]
καὶ ἐτάραξεν ἑαυτὸν
und erschüttert.
und betrübte sich selbst.
Da ergrimmte Jesus innerlich aufs neue […]
340
Joh 11,33
Joh 11,38 Ἰησοῦς οὖν Da wurde Jesus πάλιν wiederum innerἐμβριμώμενος ἐν lich erregt […] ἑαυτῷ […]
Da ergrimmte Jesus abermals in sich selbst […]
Grundmann, Walter: Jesus der Galiläer und das Judentum, Leipzig, Wigand, 1940, 124.
468
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
Die BG übersetzt ἐμβριμάομαι mit „er ergrimmte“ in Joh 11,38 parallel zu Luther. In Joh 11,33 dagegen ist nach der Satzstellung in der BG „er ergrimmte“ die Übersetzung für ταράσσω und nicht wie in Joh 11,38 BG und bei Luther für ἐμβριμάομαι. Eigentlich steht ταράσσω im Johannesevangelium stets für „inwendigen Kummer oder Angst“, aber nie für „äußeres Gebaren“.341 Dagegen meint ἐμβριμάομαι nach dem ältesten Gebrauch bei Aischylos das laute Schnauben oder Wiehern der Rosse342, an dieser Stelle ebenfalls emotionale Erregung.343 Hier lässt sich nur spekulieren, warum nun an dieser Stelle344 das Betrübtsein Jesu in der BG getilgt wird. Die Vermutung liegt nahe, dass dieser Aspekt nicht so stark betont werden sollte, da es sich nicht in das Bild des tapferen Jesus zu fügen schien, den hier in der BG und auch schon bei Luther der Grimm wie ein heiliger Zorn zu packen scheint.345 Die Beobachtungen zeigen, dass die Unterschiede in der Formulierung zwischen BG und Luther redaktionelle Eingriffe erkennen lassen, zugleich aber die Anlehnung an einprägsame Begriffe aus der Lutherübersetzung den Lesern weiterhin das Gefühl geben sollte, einen vertrauten Text zu lesen. Besonders fallen aber die Übersetzungsunterschiede in Bezug auf den Tod des Lazarus auf: (1) Joh 11,14: Da sagte ihnen Jesus frei heraus: ‚Lazarus ist entschlafen‘ (für ἀπέθανεν, EÜ/Luther haben „gestorben“), ähnlich (2) Joh 11,39:
341 Vgl. Thyen (2005), 533, Thyen nennt Joh 12,27; 13,21; 14,1.17 als Beispiele. Vgl. auch Bauer/Aland 1606: in unserer Literatur geistige und seelische Verwirrung, die sich auch in äußerlichem Durcheinander entladen kann. 342 Aischylos, Sieben gegen Theben I/461 (vgl. Thyen (2005), 532, dort auch 532–535 detailliert zu den Forschungen über den Wortgebrauch. 343 Diese Lexem ist im NT äußerst selten (nur 5x), Thyen vermutet, dass Erregung und Emotion sowohl dem Tod seines Freudes Lazarus als auch bereits seinem eigenen Sterben gelten, das ja eng damit verbunden ist: Jesus weint über den Tod des Lazarus (11,35), wie die Juden richtig feststellen (11,36). Joh 11,38 nimmt dann die Wendung aus Joh 11,33 wieder auf, somit wird erneut die Trauer über den verstorbenen Freund ausgedrückt (vgl. Thyen (2005), 535). Tilborg sieht Jesus in Joh 11,33 vor Unwillen schnauben, in innerliche Erschütterung geraten und heulen (vgl. Tilborg (2005), 159). Joh 11,38 erläutert er analog: Jesus ist erneut innerlich erschüttert, aber seine Erschütterung ist eine andere: Jesus bebt vor Erregung, weil einige ihn in einer Position als Machthaber über Leben und Tod in Frage gestellt haben (11,37b) (ebd. 160). 344 Obwohl Joh 11,35 auch in der BG-Version das Weinen Jesu thematisiert. 345 Definition von „ergrimmen“ im Online-Duden: von Grimm, Zorn erfasst werden (http://www.duden.de/rechtschreibung/ergrimmen [Stand: 15.08.2016]).
469
4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
BG
NA
EÜ
Luther
Jesus gab die Weisung: ‚Nehmt den Stein weg!‘ Da sagte Martha,
λέγει ὁ Ἰησοῦς· ἄρατε τὸν λίθον. λέγει αὐτῷ
Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta,
Jesus sprach: Hebt den Stein ab! Spricht zu ihm Martha,
die Schwester des Entschlafenen, zu ihm:
ἡ ἀδελφὴ τοῦ τετελευτηκότος Μάρθα·
die Schwester des Verstorbenen, entgegnete ihm:
die Schwester des Verstorbenen:
‚Herr, er liegt schon in Verwesung. Seit vier Tagen ruht er im Grabe.‘
κύριε, ἤδη ὄζει, τεταρταῖος γάρ ἐστιν.
Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag.
HERR, er stinkt schon; denn er ist vier Tage gelegen.
Eigentlich bringt die drastische Sprache in diesem Vers die Unmöglichkeit dessen, was hier möglich werden soll, zum Ausdruck bringt: die Unwiderruflichkeit des Todes.346 Die BG aber bezeichnet Lazarus poetisch als „Entschlafenen“ (statt „Verstorbenen“ (EÜ/Luther)) und lässt Martha sagen, „er liegt schon in der Verwesung“ (BG), statt „er stinkt schon“ (Luther). Die Darstellung der BG spricht hier so euphemistisch vom Tod, wie es weder dem griechischen Text noch der Übersetzung Luthers entspricht. Gerade im Verhältnis zur engen Orientierung an Luther einige Verse vorher ist von einer von der BG-Redaktion bewusst vorgenommenen Wortwahl auszugehen. Im Gegensatz zur wörtlichen Orientierung an Luthers Übersetzung wird der Tod von der BG-Redaktion gleichsam mit dem Weichzeichner als das „Ruhen“ des „Entschlafenen“, der „schon in Verwesung liegt“ beschrieben. (3) Ein anderes Beispiel für eine ähnlich poetisierte Beschreibung des Todes ist 1 Kor 15,35– 44347:
346
Vgl. Thyen (2005), 536. BG 212f.: Das Sterben – heilige Wandlung (1. Kor 15,35–44a.50.53–55.57–58) v.a. 1 Kor 15,35.36.44. 347
470
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG Nun wird gefragt: ‚Wie stehen die Toten auf?‘
NA 35 Ἀλλ’ ἐρεῖ τις· πῶς ἐγείρονται οἱ νεκροί; ποίῳ δὲ σώματι ἔρχονται;
EÜ 35 Nun könnte einer fragen: Wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden sie haben?
Luther 35 Möchte aber jemand sagen: Wie werden die Toten auferstehen, und mit welchem Leibe werden sie kommen?
Du Unverständiger, auch bei dem Saatkorn, das der Sämann der Erde anvertraut, wächst das Leben aus dem Tod. […]
36 ἄφρων, σὺ ὃ σπείρεις, οὐ ζῳοποιεῖται ἐὰν μὴ ἀποθάνῃ·[…]
36 Was für eine törichte Frage! Auch das, was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. […]
36 Du Narr: was du säst, wird nicht lebendig, es sterbe denn. […]
Es sinkt ins Grab, was sterblich war; zu neuem Leben ersteht, was der Ewigkeit gehört.
44 σπείρεται σῶμα ψυχικόν, ἐγείρεται σῶμα πνευματικόν.
44 Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib.
44 Es wird gesät ein natürlicher Leib, und wird auferstehen ein geistlicher Leib.
fehlt
Εἰ ἔστιν σῶμα ψυχικόν, ἔστιν καὶ πνευματικόν.
Wenn es einen irdischen Leib gibt, gibt es auch einen überirdischen.
Ist ein natürlicher Leib, so ist auch ein geistlicher Leib.
Schon in 1 Kor 15,35 entfernt sich die BG vom Text hin zu einer Deutung des Gesagten: Während der zweite Versteil über die leibhaftige Auferstehung in der BG vollständig fehlt und sich dadurch der Sinn verändert,348 bricht die BG im ersten Versteil aus der bisherigen Bildwelt von Saat und Ernte aus. Das Trikolon in 1 Kor 15,42.43.44 mit dem dreimaligen „σπείρεται“ wird von den Redaktoren nicht konsequent übersetzt. In den Versen 1 Kor 15,42.43 findet sich beide Male die wörtliche Übersetzung mit „es wird gesät“; in 1 348 Wolfgang Schrage sieht auch in der Frage nach dem πῶς der Auferweckung (1 Kor 35a) keine unangemessene Spekulation über das Wie, sondern eo ipso die Frage nach der leibhaftigen Auferweckung (1 Kor 35b) (vgl. Schrage (2001), 279). Das Fehlen von 1 Kor 35b in der BG verändert damit das Verständnis des Verses wesentlich.
4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
471
Kor 15,44 verlassen die Redaktoren allerdings die wörtliche Übersetzung und mir ihr die metaphorische Ebene und schreiben: „Es sinkt ins Grab, was sterblich war“. Angefügt wird der Verweis auf das „neue Leben“ in der „Ewigkeit“. Vom Inhalt der Verse des Briefs an die Korinther ist nur ein Bruchteil wiedergegeben. Aussagen über eine leibliche Auferstehung sind vermieden, Schlagworte wie das „neue Leben“ dagegen ohne griechische Textgrundlage eingefügt. Besonders in 1 Kor 15,44 wird der Tod poetisch umschrieben und das Leben betont. Die Vorliebe zu schlagwortartigen Substantiven zeigt sich in dieser Passage bereits vorher (1 Kor 15,36): BG Du Unverständiger, auch bei dem Saatkorn, das der Sämann der Erde anvertraut,
NA ἄφρων, σὺ ὃ σπείρεις,
EÜ Was für eine törichte Frage! Auch das, was du säst,
Luther Du Narr: was du säst,
wächst das Leben aus dem Tod.
οὐ ζῳοποιεῖται ἐὰν μὴ ἀποθάνῃ.
wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt.
wird nicht lebendig, es sterbe denn.
Auch hier verwendet die BG die antithetischen Substantive Leben und Tod, die, ohne Rücksicht auf die griechischen Verben, dem Leser eine größere Eindringlichkeit vermitteln. Außerdem wählt die BG als Akteur anstelle der zweiten Person Singular („was du säst/man sät“/σὺ ὃ σπείρεις) den Säman, der in den Evangelien mehrfach in Gleichnissen Jesu zu finden ist (auch in der BG übernommen). Soll auf diese Weise ein zusätzlicher Akzent auf die Macht Jesu über Leben und Tod gelegt werden? Ebenfalls bearbeitet wurde die Antwort Jesu auf Marthas Bekenntnis zur „Auferstehung am Letzten Tag“ (Joh 11,24: „ἐν τῇ ἀναστάσει ἐν τῇ ἐσχάτῃ ἡμέρᾳ“). Auch hier zeigt sich, welche Aspekte des Todes in der BG hervorgehoben werden:
472
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
NA
EÜ
Da sprach Jesus zu ihr [=Martha]: ‚Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, wenn er auch stürbe.
BG
25 εἶπεν αὐτῇ ὁ Ἰησοῦς· ἐγώ εἰμι ἡ ἀνάστασις καὶ ἡ ζωή· ὁ πιστεύων εἰς ἐμὲ κἂν ἀποθάνῃ ζήσεται,
25 Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt,
25 Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe;
Luther
Und wer im Glauben an mich lebt, für den hat der Tod auf ewig seine Schrecken verloren. Glaubst du das?‘
26 καὶ πᾶς ὁ ζῶν καὶ πιστεύων εἰς ἐμὲ οὐ μὴ ἀποθάνῃ εἰς τὸν αἰῶνα. πιστεύεις τοῦτο;
26 und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?
26 und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?
Statt der Verheißung des ewigen Lebens fügt die BG-Redaktion den Hinweis ein, dass es keinen „Schrecken“ des Todes mehr gibt. Sicherlich ist es theologisch nicht falsch, vom fehlenden „Schrecken“ des Todes zu sprechen (vgl. 1 Kor 15,55 „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ in Anlehnung an Hos 13,14349). Doch ist im Kontext des Bekenntnisses der Martha in der Erzählung über die Auferweckung des Lazarus der Fokus des Textes ein anderer: Es geht um die Verheißung des Lebens nach dem irdischen Tode, ganz konkret um die Verheißung der Auferweckung des Lazarus. Nicht aber wird der Tod als etwas „Schreckliches“ bzw. „Erschreckendes“ dargestellt, vielmehr liegt der Schwerpunkt des Textes darauf, dass Martha und Maria bereits Wissen von der Auferstehung der Toten haben (Joh 11,24.32), sie unbenommen davon aber dennoch traurig sind. Jesus vollbringt daraufhin an Lazarus das Zeichen seiner Auferweckung. Die BG sieht damit einerseits den „Schrecken des Todes“ beseitigt und deutet das Geschehen als „Sinnbild der Lebensspende“ (vgl. BG-Überschrift). Die Betonung des Schreckens könnte hier ein Hinweis auf den Eindruck des „großen Krieges“, also des ersten Weltkrieges sein, unter dem die Redaktoren wie die „Deutschen Christen“ überhaupt standen350 – die „Lebensspende“, die auch für den Tod Jesu als die 349
An dieser Stelle gibt die BG zwar 1 Kor 15,55 korrekt wieder (BG 212f., Das Sterben – heilige Wandlung (1. Kor 15,35–44a.50.53–55.57–58), 1 Kor 15,55), tilgt aber mit 1Kor 15,16 die Aussage darüber, was der „Stachel“ des Todes in der paulinischen Deutung überhaupt ist, nämlich die Sünde (vgl. 1 Kor 15,56, EÜ: Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde ist das Gesetz). 350 Vgl. Kapitel 3, FN 381.
4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
473
Hauptdeutekategorie verwendet wird, scheint mit der Erwartung an die Leser der BG (u.a. ja die Soldaten an der Front) zu korrespondieren, ebenfalls ihr Leben für das Volk zu „spenden“ bzw. „tapfer“ „einzusetzen“. 4.4.4 BG 138f.: Der Todesbeschluß aus Anlaß der Lebensspende (Joh. 11,45–51a.53–57) und BG 139: Die Todessalbung: Dank für die Lebensspende (Joh. 12,1–5.7.9–11) Viele von den Juden, die zu Maria gekommen waren und Jesu Tat geschaut hatten, glaubten an ihn. Einige aber von ihnen gingen zu den Pharisäern und berichteten ihnen, was Jesus getan hatte. Da versammelten die Hohenpriester und Pharisäern den Hohen Rat und sprachen: ‚Was machen wir? Dieser Mensch tut Zeichen über Zeichen. Lassen wir ihm freie Hand, so findet er überall Glauben, und schließlich kommen die Römer und nehmen uns Tempel und Volk.‘ Einer aber unter ihnen, Kaiaphas, der zu dieser Zeit Hohenpriester war, sagte zu ihnen: ‚Ihr versteht nichts und bedenkt, nicht, dass es besser für euch ist: ein Mensch stirbt für das Volk, als dass das ganze Volk zugrunde geht.‘ Das sagte er aber nicht aus sich, sondern als Hoherpriester weissagte er. Von jenem Tage an hatten sie den Beschluß gefasst, ihn zu töten. Da zeigte sich Jesus nicht mehr öffentlich unter den Juden, sondern zog fort in das Land nahe der Wüste zu einer Stadt mit Namen Ephraim und bleib mit seinen Jüngern dort. Es stand aber das Passahfest bevor, und viele zogen schon vor dem Fest vom Lande nach Jerusalem hinauf, um die vorgeschriebene Reinigung zu vollziehen. Da suchen sie Jesus; und wenn sie im Tempel zusammenstanden, kam das Gespräch auf ihn: ‚Was meint ihr? Ob er wohl zum Fest kommt?‘ Hatten doch die Hohenpriester und Pharisäer Befehle ergehen lassen, wer seinen Aufenthaltsort kenne, solle ihn angeben, damit sie ihn festnehmen könnten. (BG 138f.: Der Todesbeschluß aus Anlaß der Lebensspende (Joh. 11,45–51a.53–57))
Vor allem Joh 11,47–52 ist interessant. Die Verse stehen thematisch nach dem Bericht über die Erweckung des Lazarus, durch die viele Juden zum Glauben kommen, der den Pharisäern zu Ohren kommt (Joh 11,45–46).
474
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
BG
NA
Da versammelten die Hohenpriester und Pharisäern den Hohen Rat und sprachen: ‚Was machen wir? Dieser Mensch tut Zeichen über Zeichen.
47 Συνήγαγον οὖν οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ Φαρισαῖοι συνέδριον καὶ ἔλεγον· τί ποιοῦμεν ὅτι οὗτος ὁ ἄνθρωπος πολλὰ ποιεῖ σημεῖα;
47 Da beriefen die Hohenpriester und die Pharisäer eine Versammlung des Hohen Rates ein. Sie sagten: Was sollen wir tun? Dieser Mensch tut viele Zeichen.
47 Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer einen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen.
Lassen wir ihm freie Hand, so findet er überall Glauben, und schließlich kommen die Römer und nehmen uns Tempel und Volk.‘
48 ἐὰν ἀφῶμεν αὐτὸν οὕτως, πάντες πιστεύσουσιν εἰς αὐτόν, καὶ ἐλεύσονται οἱ Ῥωμαῖοι καὶ ἀροῦσιν ἡμῶν καὶ τὸν τόπον351 καὶ τὸ ἔθνος.
48 Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben. Dann werden die Römer kommen und uns die heilige Stätte und das Volk nehmen.
48 Lassen wir ihn also, so werden sie alle an ihn glauben; so kommen dann die Römer und nehmen uns Land und Leute.
Einer aber unter ihnen, Kaiaphas, der zu dieser Zeit Hohenpriester war, sagte zu ihnen: ‚Ihr versteht nichts
49 εἷς δέ τις ἐξ αὐτῶν Καϊάφας, ἀρχιερεὺς ὢν τοῦ ἐνιαυτοῦ ἐκείνου, εἶπεν αὐτοῖς· ὑμεῖς οὐκ οἴδατε οὐδέν,
49 Einer von ihnen, Kajaphas, der Hohepriester jenes Jahres, sagte zu ihnen: Ihr versteht überhaupt nichts.
49 Einer aber unter ihnen, Kaiphas, der desselben Jahres Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisset nichts,
und bedenkt nicht, dass es besser für euch ist: ein Mensch stirbt für das Volk, als dass das ganze Volk zugrunde geht.‘
50 οὐδὲ λογίζεσθε ὅτι συμφέρει ὑμῖν ἵνα εἷς ἄνθρωπος ἀποθάνῃ ὑπὲρ τοῦ λαοῦ καὶ μὴ ὅλον τὸ ἔθνος ἀπόληται.
50 Ihr bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.
50 bedenket auch nichts; es ist uns besser ein Mensch sterbe für das Volk, denn daß das ganze Volk verderbe.
351
EÜ
Luther
Mit Topos ist wohl eindeutig der Tempel gemeint (wie in Joh 4,20 und Dtn 12,5) als die Heilige Stätte Israels (Thyen (2005), 542). Die BG trägt dieses Verständnis direkt in den Text ein.
475
4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
EÜ
Luther
Das sagte er aber nicht aus sich, sondern als Hoherpriester weissagte er.
BG
51 τοῦτο δὲ ἀφ’ ἑαυτοῦ οὐκ εἶπεν, ἀλλ’ ἀρχιερεὺς ὢν τοῦ ἐνιαυτοῦ ἐκείνου ἐπροφήτευσεν
NA
51 Das sagte er nicht aus sich selbst; sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er aus prophetischer Eingebung,
51 (Solches aber redete er nicht von sich selbst, sondern weil er desselben Jahres Hoherpriester war, weissagte er.
fehlt
ὅτι ἔμελλεν Ἰησοῦς ἀποθνῄσκειν ὑπὲρ τοῦ ἔθνους,
dass Jesus für das Volk sterben werde.
Denn Jesus sollte sterben für das Volk;
fehlt
52 καὶ οὐχ ὑπὲρ τοῦ ἔθνους μόνον ἀλλ’ ἵνα καὶ τὰ τέκνα τοῦ θεοῦ τὰ διεσκορπισμένα συναγάγῃ εἰς ἕν.
52 Aber er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln.
52 und nicht für das Volk allein, sondern daß er auch die Kinder Gottes, die zerstreut waren, zusammenbrächte.)
Von jenem Tage an hatten sie den Beschluß gefasst, ihn zu töten.
53 ἀπ’ ἐκείνης οὖν τῆς ἡμέρας ἐβουλεύσαντο ἵνα ἀποκτείνωσιν αὐτόν.
53 Von diesem Tag an waren sie entschlossen, ihn zu töten.
53 Von dem Tage an ratschlagten sie, wie sie ihn töteten.
Am Auffälligsten an dieser Passage ist das Fehlen von Joh 11,51b.52. Obwohl auch die BG in Joh 11,50 die Weissagung aufnimmt, dass „ein Mensch“ „für das Volk“ sterben werde – gemeint ist ja auch hier der Tod Jesu für das Volk der Juden352 – werden die folgenden Verse gestrichen, die explizit die Weissagung bzw. prophetische Rede des Hohepriesters auf Jesus und das Volk münzen (Joh 11,15b) und dann die identische Weissagung auf alle „versprengten Kinder Gottes“ ausweiten. Zum Thema der „Lebensspende“ ist in diesem Fall vor allem die Überschrift relevant: Der „Todesbeschluß“ wir hier als durch die „Lebensspende“ veranlasst dargestellt (BG 138f.: Der Todesbeschluß aus Anlaß der Lebensspende (Joh. 11,45–51a.53–57)). Die Bedeutung dieser Überschriftenwahl ist daher schwierig zu definieren: Soll damit ausge352 Eindeutig ist die Rede auf das Volk Israel bezogen, auch wennn sowohl λαός (Joh 11,50) als auch ἔθνος (Joh 11,48.51b.52 gebraucht werden (vgl. Thyen (2005), 543).
476
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
sagt werden, man habe nur deshalb der Beschluss gefasst Jesus zu töten, weil dieser bereit ist, sein Leben zu „spenden“? Auch in der Passage BG 139: Die Todessalbung: Dank für die Lebensspende (Joh. 12,1–5.7.9–11) sind wenige Veränderungen im Text erkennbar, außer der Auslassung von Joh 12,6.8: Da kam Jesus sechs Tage vor dem Fest nach Bethanien, wo Lazarus war, den er von den Toten erweckt hatte. Sie bereiteten ihm ein Mahl, Martha wartete auf. Lazarus nahm auch damit ihm am Mahle teil. Da nahm Maria ein Pfund echten, kostbaren Nardenöls, salbte seine Füße und trocknete sie mit ihren Haaren. Und der Duft des Öls erfüllte das ganze Haus. Da sprach Judas Ischarioth, einer von seinen Jüngern, der schon mit dem Gedanken umging, ihn auszuliefern: ‚Warum wurde das Öl nicht für hundert Taler verkauft und der Erlös den Bedürftigen gegeben?‘ Da sprach Jesus: ‚Laß sie! Sie mag es aufbewahren für den Tag meines Begräbnisses.‘ Nun erfuhr die Volksmenge, dass er da sei, und sie kamen nicht nur Jesu wegen, sondern vor allem, um Lazarus zu sehen, den er von den Toten erweckt hatte. Da beschlossen die Hohenpriester, auch Lazarus töten zu lassen, weil viele Juden seinetwegen hingingen und zum Glauben an Jesus kamen. (BG 139, Die Todessalbung: Dank für die Lebensspende (Joh. 12,1–5.7.9–11)
In diesem Zusammenhang ist daher lediglich die Überschrift aufschlussreich, die erneut den Gedanken der „Lebensspende“ als Deutung des Todes auch in diese Passage einträgt. 4.4.5 Conclusio An den Textbearbeitungen der BG wurde deutlich, dass die Darstellung des Todes Jesu bewusst auf einige wenige Dimensionen verengt werden sollte. Wenn man mit Theißen zwischen den „Exemplum“- und „Sacramentum“Funktionen des Todes Jesu unterscheidet, und alle Deutungsmöglichkeiten, die mit dem Opferbegriff verbunden werden, diesen beiden Funktionen zuordnet, lässt sich sagen, dass in der BG nur die „Exemplum“-Funktion (1), nicht aber die „Sacramentum“-Funktion (2) zu rezipieren scheint: (1) Die „Sacramentum-Funktion“ umfasst bei Theißen „alle Deutungen, in denen der Tod Jesu Unheil überwindet, indem er die Störung einer Ordnung beseitigt, oder eine Beziehung wiederherstellt, wobei die Wiederherstellung einer Ordnung von Schuld und Recht als ‚Sühne‘ und die Wiederherstellung einer personalen Beziehung als ‚Versöhnung‘ bezeichnet werden kann“.353 Von der BG-Redaktion werden entsprechende biblische Aussagen kaum aufgegriffen, wohl gerade deshalb, weil bei diesen Deutungen des Todes Jesu „keine Analogie zwischen dem Handeln Gottes, Christi und des Menschen“ hergestellt wird, sondern „gerade die Distanz zwischen Gott und Mensch betont“ wird, denn durch die „Ungerechtigkeit der Menschen“ ist das Verhältnis zwischen 353
Vgl. Theißen (2000), 202.
4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
477
Gott und Mensch gestört, so dass Gott und Mensch ‚versöhnt‘ werden müssen.354 Die Tilgung der kultischen Opferterminologie in der BG zeigt ebenfalls, dass ein derartiges Todesverständnis ausgeklammert werden sollte.355 Dagegen ist die „Exemplum“-Funktion (1), bei der Jesus als „Modell göttlichen und menschlichen Verhaltens“ präsentiert wird, in dessen Tod sich „die Art und Weise, wie Gott grundsätzlich handelt – und wie der Mensch sein Handeln und sein Leiden ertragen soll“ zeigt und der Tod Jesu damit „als exemplum seinen Sinn durch Analogie zu göttlichem und menschlichem Verhalten“ erhält,356 in der BG stark rezipiert: (a) Sowohl Tod und Auferstehung werden als notwendiges Geschehen aufgefasst. „Der Tod Jesu wurde dadurch zum Durchgang zur Herrlichkeit“, dass Christus als ‚Vorläufer‘ verstanden wurde (vgl. Hebr 6,20), der für die ihm nachfolgenden Menschen den Weg in den Himmel gebahnt hatte (Hebr 10,20). (b) Der Tod Jesu wird in die Reihe der Märtyrerpropheten eingereiht. Auferstehung wird als „Kontrastgeschehen zum Tod des Märtyrers“ verstanden. „Dass Gott das Niedrige und Verworfenen erwählt, wird zum Hoffnungsbild für alle Erniedrigten und Verworfenen (vgl. 1 Kor 1,18ff.), an denen Gott in analoger Weise handelt.“357 (c) Jesus wird als der leidende Gerechte dargestellt. Sein Leiden wird „zum Modell für das Leiden der Christen“ […] Die Christen dürfen sich in ihrem Leiden mit Christus verbunden fühlen.“ 358 Die BG rezipiert alle drei Deutungsrichtungen der „Exemplum“-Funktion, allerdings wird gerade bei der Aufnahme der dritten Deutung überdeutlich, dass auch hier wieder eine redaktionelle Auswahl vorgenommen wird: Während die biblischen Aussagen zum „leidenden Gerechten“ „mit Hilfe von Zitaten aus den Klagepsalmen oder des leidenden Gottesknechtes“ gestaltet werden, lässt eine Deutungsrichtung, wie sie die BG einschlägt, diese Bezugnahmen nicht zu, wie sie zum Beispiel in der narrativen Verarbeitung von Ps 22/21 LXX in der Passionsgeschichte359 auftritt und die den Versuch darstel354
Vgl. Theißen (2000), 204. Auch hier fehlen dementsprechend die alttestamentlichen-jüdischen Anknüpfungspunkte in den Texten der BG, so zum Beispiel die priesterschriftlichen Aussagen über den Opferkult in Lev 4–5, über den Jom Kippur in Lev 16 und bei Ez, ebenso opferkultische Kategorien, die in nichtjüdischen Texten belegt sind. Ein Überblick über die Anknüpfungspukte für die soteriologische Deutung des Todes Jesu bei Wolter (2005), 298–304. Wolter verweist auch auf die Vielzahl von Kategorien und Vorstellungen, die dazu führten, nicht nur das Leben, sondern auch den Tod Jesu als Teil des Heilswillens Gottes zu deuten. Die Gesamtheit der Modelle gehörte zum „überindividuellen kulturellen Wissen der Menschen jener Zeit“ (ebd. 301). Speziell zum Jom Kippur als Hintergrund v.a. für Hebr, Röm und Teile von Mt siehe Stökl Ben Ezra (2015), 8–13. 356 Theißen (2000), 202. 357 Vgl. Theißen (2000), 203. 358 Vgl. Theißen (2000), 204. 359 Vgl. Mt 27,46 und Mk 15,34. 355
478
Kapitel 4: Jesus als „Wunderneuschöpfung“
le, aus den „jüdisch-alttestamentlichen“ Möglichkeiten heraus „eine Antwort auf die Frage zu geben, wie und warum es denn überhaupt zum Leiden des Christus und Gottessohns kommen konnte.“360 Die BG wählt also vorrangig die Darstellungen des Todes Jesu, die seinen Vorbildcharakter in Tod und Leid betonen, und kommt dadurch zu einer Überbetonung dieser Deutungen. Gerade die Passagen, die von Wolter in die Kategorie der „paränetischen Gebrauchsweisen“ der Rede vom Heilstod Jesu eingeordnet wird, die den Heilstod Jesu als „Vorbild“ funktionalisiert,361 werden aufgenommen und vermitteln durch ihr im viel geringeren Textkorpus der BG gehäuftes Auftreten den Lesern den Eindruck, dass dieses Verständnis vom Tod Jesu „das“ biblische sei. Der Hintergrund für diese „paränetischen“ Aussagen dürfte aber keine Anleitung zum Sterben mit Christus gewesen sein, vielmehr wurde er „als ethisches Vorbild“ gebraucht.362 Aus exegetischer Perspektive sind die Eingriffe der BG-Redaktion deshalb fatal, weil die vielfältigen Kreuzestheologien des Neuen Testaments reduziert werden. Die Vielstimmigkeit der Deutungen darf aber nicht auf eine Dimension reduziert werden, da in den Deutungen aktive Sinnstiftung geschehen ist.363 Zimmermann spricht von „metaphorischer Interaktion“ zwischen dem „bildspendenden Bereich“ und dem Tod Jesu als dem „bildempfangenden“ Bereich des Todes Jesu: Durch diese Interaktion entstehe eine neue, metaphorische Kohärenz, die es z.B. möglich mache, den Tod als „Opfer“ zu deuten. Der Tod Jesu am Kreuz wird mit dem ursprünglich nicht damit verbundenen Sinnbereich der jüdischen Opferpraxis und -theologie verschränkt. So entsteht ein metaphorischer Zusammenhang. Die Übertragungsrichtung zeigt: „Nicht der blutige Opferkult mußte seine Berechtigung angesichts des Kreuzesgeschehens beweisen, vielmehr brauchte die Behauptung, daß im schändlichen Kreuz Heil zu finden sei, die Absicherung durch altbewährte theologische Argumentationsmuster, wie sie in der Kulttheologie gegeben waren.“364 „Die Opferchristologie bezieht sich konsequent auf den Tod Jesu, aber bleibt nicht beim Tod und seiner Gewaltdimension stehen. Opferchristologie ist stattdessen gerade eine produktive Verarbeitung dieses Todes. Produktiv 360 Nicklas, Gottverlassenheit (2013), 415. Vgl. auch Nicklas, Jesus von Nazareth (2009), 45–49. Interessant ist, dass die BG das Psalmenzitat in Mk 15,34 stehen lässt (BG 92, Golgatha (Mark. 15,22–32a; Luk. 23,39–43; Mark. 15,33–36; Luk. 23,46), Mk 15,34), aber offenbar nicht davon ausgeht, dass die Leser es als solches erkennen und infolgedessen die Deutung, dass das Leiden „unjüdisch“ sei, verwerfen können. 361 Wolter nennt hier z.B. 1 Petr 2,21; 1 Tim 2,1–6; Joh 15,12–13 – allesamt Stellen, die in der BG zu finden sind (Wolter (2005), 306–308). 362 Wolter (2005), 307. 363 Zimmermann (2005), 316–325. Mit der aktiven Sinnstiftung untrennbar beim Deutungsprozess verwoben sind die Historizität des Todes Jesu und die Literalität der Deutungen (in den Texten des Neuen Testaments). 364 Zimmermann (2005), 361.
4.4 Jesus ist der tapfere „Lebensspender“
479
deshalb, weil wie im bildspendenden Bereich der Tod der Opfermaterie zwar notwendig vorausgesetzt, aber dabei nicht zum Selbstzweck erhoben wird, sondern auf ganz unterschiedliche theologische Funktionen hinzielt, sei es die Sühne, Gabe bzw. Heiligung oder Gemeinschaft. Produktiv aber auch deshalb, weil metaphorische Konstruktion nicht nur ein rezeptiver, sondern immer zugleich ein innovativer Vorgang ist, in dem sich die Brechung und Überbietung vorgeprägter Sprachnormen ereignet.“365 Durch ihre Verengung des Opfergedankens ohne Hinweis auf den kultischen „bildspendenden“ Bereich gerät die BG in gefährliche Nähe zum Missbrauch des Opfergedanken durch Nationalismen und Terrorsysteme, denn spätestens beim Ausbruch des ersten Weltkriegs im Klima des ‚ersatzreligiöse‘ Nationalismus des 19. Jahrhunderts, der „den Heldentod als heiligen Opfertod“ feierte366 wirkte auch „die Suggestion, dank der Opfer auf dem Altar des Vaterlandes ein neues Zeitalter zu errichten.“367 Der Missbrauch der Opferbereitschaft machte es möglich, dass „die modernen Nationalismen und noch mehr die Terrorsysteme […] dank einer todesbereiten Einsatzwilligkeit ihrer Gefolgsleute so viel Unheil anrichten“ konnten.368 Vor diesem Hintergrund sei es zwar „wenig verwunderlich, dass heute jegliche Selbstaufopferung in Misskredit geraten ist,“369 zu wenig kommt dabei aber „jene Aufopferung, die auch den Widerstand gegen den Totalitarismus beseelte“ hervor: „Ohne Opfer, so hat man gerade im Blick auf die Terror-Diktaturen des 20. Jahrhunderts sagen können, sei kein Widerstand möglich gewesen. […] Hier, so wird man sagen können, lebt das Zeugnis des christlichen Martyriums fort: für die Wahrheit Gottes und für das Allgemeinwohl sein Leben einzusetzen.“370
Die Rede vom Opfer sollte sich aber stets daran messen lassen, wer ein Opfer wofür fordert. Die Eingriffe in die neutestamentlichen Texte durch die BGRedaktoren hatten aber erkennen lassen, dass die Textauswahl und -bearbeitung zu so starke Veränderungen führte, dass nicht mehr klar ist, dass eigentlich biblische Texte die Nachfolge Christi im ganzen Leben, fordern, sondern oftmals die BG-Redaktoren die Nachfolge Christi im Opfertod (für das Deutsche Reich) zu fordern scheinen.
365
Zimmermann (2005), 369. Angenendt (2011), 125. Vgl. 3.4 Der neue Opferbegriff: Die Übertragung des Opferbegriffs auf die Schlachtfelder. 367 Angenendt (2011), 126. Angenendt nennt als weitere Wirkkomponenten die Verschränkung von Apokalyptik, Gewaltbereitschaft und Männerbündlertum. 368 Angenendt (2011), 124. 369 Angenendt (2011), 126. 370 Angenendt (2011), 127. 366
480 l5
Kapitel 5
Schlussgedanken Die vorliegenden Analysen stellen eine erste Sichtung des Textmaterials der BG dar und halten einige Besonderheiten fest, die sich anhand der Verwendung und Bearbeitung christologischer Titel in der BG erkennen ließen und, in Verbindung mit der Sichtung des Textmaterials, das die Publikationen Grundmanns liefern, als bewusste redaktionelle Eingriffe in die Texte erwiesen. Die Angaben der Redakteure der ‚Botschaft Gottes‘, eine verständliche Bibelübersetzung in Anlehnung an Luther zu bieten, die zudem lediglich Doppelüberlieferungen und Legenden tilgt und an den Stellen, die einem deutschen Leser aus zeitbedingten Gründen unverständlich sind, kleine Erklärungen einfügt, sind eindeutig nicht genug, um zu erfassen, wie die Bibeltexte verändert wurden. Stärker ist der Aspekt der „Gestaltung“ und des dadurch geleisteten „Dienstes“ am deutschen Volk. Höchst ideologisch und fatal ging die „Entjudung“1 also Hand in Hand mit der Einfügung neuer Begrifflichkeiten und insgesamt einer neuen Schwerpunktsetzung. Nicht nur eine Lösung des Konfliktes, in den der Glaube an den Juden Jesus die deutschen Christen angesichts der damaligen Judenfeindlichkeit brachte, ist das Ziel der BGRedaktion. Die Darstellung Jesu als Galiläer ist dabei die Grundlage des Vorhabens der „Entjudung“, das man aber ebenfalls dazu nutzte, um im zweiten Schritt verschiedene christologische Dimensionen im Text hervorzuheben und so eine Konkretisierung der (neuen) Inhalte des „entjudeten“ Christentums im täglichen Leben anzustoßen. Durch die enge Verquickung von Christologie und Nachfolge zeigte sich vor allem im letzten Kapitel auch an Textpassagen aus Briefliteratur, Apostelgeschichte und Offenbarung, dass sich in den Texten der BG sowohl die direkte als auch die über die Christologie vermittelte Bearbeitung des Gedankens der Nachfolge auf die Gedanken dazu, wie ein Christ Christus ähnlich werden kann, sehr deutlich auswirkt. An den festgestellten Schwerpunkten, die die Redaktoren als die „Eigenart“ Jesu herausarbeiten, wird die enge Orientierung am praktischen Nutzen sichtbar, den die Texte als „Feldbibel“2 und
1 ‚Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben‘. 2 Vgl. Klemm (1986), 388, FN 403. Klemm zitiert hier Grundmann aus LKA Dresden, 710.
Kapitel 5: Schlussgedanken
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„Stück Kriegseinsatz der deutschen Religionswissenschaft“3 dem deutschen Volk bringen sollten. Man versuchte also nicht nur die Deutschen in ihrem Glauben zu unterstützen, sondern auch in ihrem Einsatz im und für den Staat. Eben dadurch, dass das Christentum für die Deutschen „lebbar“ gemacht werden soll, würde der Bibeltext dann auch zu einem Mittel der politischen Beeinflussung. Dieser Gedanke, dass Nachfolge nicht „nur“ Dienst für Christus, sondern auch Dienst für den Staat ist, wird in den Texten der BG erkennbar. Man war sich auch dieser engen Verbindung bewusst: „Auf seine Lehre kommt es an, an ihm wird in seiner Nachfolge gelernt.“4 Dieses Zitat Grundmanns zeigt deutlich, dass die BG-Redaktion sich dessen bewusst war, dass durch die Eingriffe in die Christologie unmittelbar Einfluss darauf genommen werden könne, was von den Lesern, die sich im Idealfall ja als Nachfolger Christi verstehen, gefordert wird. Das ‚Institut‘ hatte sich ohnehin ganz dezidiert zum Ziel gesetzt, sich der praktischen Gestaltung des religiösen Lebens zu widmen, und sieht auch die ‚Botschaft Gottes‘ als einen Teil dieser Praxisnähe: „Wir waren von vornherein davon überzeugt, daß die Arbeit des Instituts, wenn sie nicht in reiner wissenschaftlicher Diskussion steckenbleiben wollte, über die Forschungsarbeit und wissenschaftliche Publikation hinaus vorstoßen mußte zu Versuchen praktischer Gestaltung. Nur so konnten die Ergebnisse des Instituts aus der Unverbindlichkeit bloßer wissenschaftlicher Publikation herausgelöst und für die Erneuerung des deutschen religiösen Lebens im Volke und damit für eine wirkliche Reformation fruchtbar gemacht werden.“5
Der Jesus der BG erscheint an vielen Stellen als Vorbild speziell für die deutschen Leser, ebenso scheinen die Aufforderungen Jesu an seine Jünger und der Apostel an die jungen Gemeinden so gestaltet und bearbeitet worden zu sein, dass sie ohne größere Probleme in das deutsche Umfeld übertragen werden konnten. Dabei meinte man auch, einen militärischen Aspekt der Nachfolge stark hervorheben zu müssen. Bereits Bergen benennt als Tendenz der deutschchristlichen Bewegungen die Suche nach dem „wahren, reinen Christentum“ mit einem „heroischen Jesus“ und einer „Volkskirche“ aller Deutschen. Man habe ein solches Christentum für unentbehrlich für ein „starkes nationalsozialistisches Deutschland“ gehalten.6 Diese deutschchristliche Suche nach der heroischen Seite Jesu könnte ebenfalls für die BG als leitend gelten, wie die bereits festgestellten Charakterzüge des „Kämpfers“ und „Lebensspenders“ andeuten. Grundmann versteht derartige Eingriffe in den Text als Hervorhebung der tatsächlichen Textaussage, wie sich daran zeigt, dass er
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Grundmann, Entscheidungsstunden (1941), 84. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 117. 5 Grundmann, Arbeitsbericht (1940), 34. 6 Vgl. Bergen (2003), 571. 4
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dem Jesus der Synoptiker das Vorhaben der „Erziehung“ der Jünger zu einem „wirksamen“, „kämpfenden“ und „sieghaften“ Glauben unterstellt.7 Dass die „Eigenart“ Jesu, die die BG herausarbeitet, historisch nicht haltbar und eigentlich gar nicht so eigenartig ist, ist heute unstrittig. Jesus war schließlich selbst ein gläubiger Jude, der nicht im Sinn hatte, das Judentum „aufzulösen“, wie die BG-Redaktion das häufig unterstellt. Vielmehr lässt sich von einer „selbstverständlichen“ Akzeptanz Jesu der Erwählung des jüdischen Volkes sprechen und auf die Tatsache verweisen, dass viele in ihm eben den „im Judentum lange erwarteten Messias“ sahen.8 Dass die Eingriffe sehr gezielt stattfanden, wird durch den expliziten Verweis Grundmanns auf die „Eigenart“ Jesu belegt. Man versuchte nicht nur, seinen Kampf gegen das Judentum zu konstruieren, sondern auch, biblische christologische Hoheitstitel (z.B. wird er im Grundmann-Kapitel über die „Eigenart“ Jesu „Sohn Gottes“ genannt) zu antijüdischen Titeln zu machen, und neue Titel (z.B. „Heiland“) mit antijüdischen oder speziell erwünschten Inhalten zu füllen, die sich zu einem neuen Gesamtbild, dem „Jesus der BG“ zusammenfügen. Grundlegend für die konkrete Vorgehensweise ist dabei die gezielte Aufnahme von Passagen, in denen erwünschte Aussagen zu finden sind, deren Verstärkung, oft durch eine einschlägige Über- oder Seitenschrift, oder sogar die Neueintragung dieser Aussagen.9 So entsteht das „neue“ Bild Jesu aus der christologischen Denkweise der BG-Redaktoren,10 die einen „BG-Jesus“ in Abgrenzung vom jüdischen Jesus erwachsen lassen. In der vorliegenden Arbeit wurde konkret an der Verwendung des Messias-Begriffs deutlich, dass scheinbar „Unjüdisches“ in Bezug auf Jesus getilgt wurde, in Bezug auf seine „Gegner“ aber verstärkt wurde.11 Neben den Tilgungen und Kürzungen, die die BGRedaktion angekündigt hatte, finden sich daher auch Ergänzungen und Veränderungen, die in die von den Redaktoren gewünschte Richtung wiesen. Aufgefallen ist auch, dass es einige Leitthemen gibt, die sich konsequent durch die gesamten bearbeiteten Texte ziehen. Diese Bearbeitungslinien können aufgrund von Häufigkeit, Systematik und Konsequenz nur der Intention der Redaktoren zugeschrieben werden. Auch der Vergleich mit Grundmanns
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Vgl. Grundmann, Antike Religion (1943), 95. Johannes dagegen habe die ewige und unveränderliche Grundlage des Glaubens thematisiert. 8 Dietrich, Gott der Rache (1999), 9. 9 Der Umgang mit unerwünschten Aussagen kam bereits zur Sprache: Diese wurden entweder völlig weggelassen oder (oft in verschärfter Form) als Fehlaussagen dargestellt. Vgl. dazu schon 1.4.3 Konkretisierungen: Die Vorgehensweise – Methodik der Textanalyse in dieser Arbeit. 10 Besonders die Schriften Grundmanns sollen auch in diesem Kapitel zum Vergleich herangezogen werden. 11 Exemplarisch aufgezeigt an der gezielten Verwendung im negativen bzw. Vermeidung im positiven Kontext des Messias-Begriffs.
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theologischen Aussagen in seinen eigenen – oder besser: seinen anderen – Veröffentlichungen zeigt die großen gedanklichen Übereinstimmungen. Der „Antijüdische Dreischritt“12 Grundmanns, mit dem er das Judentum charakterisiert und das auch als Grundprinzip der Textbearbeitungen vermutet wurde, hat sich in den Analysen als ein „Zweischritt“ erkennen lassen: In den Texten wurde das „Jüdische“ ausfindig gemacht, um dann im zweiten Schritt die dahinterliegenden, guten Ideen herauszuarbeiten bzw. in die Texte als jesuanische Spezifika einzutragen. Bereits Lubinetzki hatte ähnlich festgestellt, dass die BG einen doppelten Weg wählte, um das Christentum gegen das Judentum zu profilieren: (1) Sie sei bestrebt, das „Judentum möglichst abstoßend zu schildern“ und (2) nehme dabei in Kauf, „sämtliche positive Bezüge Jesu zum Judentum seiner Zeit herunterzuspielen und durch Umdeutung zu negieren“.13 Diese zweite Dimension kann mit den aus den Texten gewonnenen Erkenntnissen genauer ausgeführt werden: In dem Vorgehen der „Umdeutung“ werden nicht nur die positiven Bezüge Jesu zum Judentum negiert, sondern es werden zusätzlich auch eindeutig jüdische und positiv belegte Umstände, Meinungen, Lehren usw. als spezifisch jesuanisch präsentiert und häufig noch verstärkt. So zeigte sich im ersten Teil, dass Jesus für die BG-Redaktoren nicht der Messias ist, dafür aber wurden andere Aussagen in den Vordergrund gerückt: Er sei der „Heiland“, der (die Deutschen) in ein neues Gottesverhältnis, nämlich das der Gotteskindschaft, rufe und der wesentlich durch sein Leiden gekennzeichnet sei. Konkret konnte die Analyse exemplarischer Textpassagen der BG auf dieser Basis deutliche Akzentverschiebungen in der christologischen Darstellung im Vergleich zu den neutestamentlichen Christologien nachweisen. Dabei durchziehen gewisse Schwerpunkte alle Textbearbeitungen der BG, ohne Rücksicht auf die Vielfalt der Entstehungskontexte, christologischen Zielsetzungen und terminologischen Besonderheiten der einzelnen biblischen Bücher zu nehmen. Deutlich ließen sich als Schwerpunkte, die sich durch die gesamte BG ziehen, erkennen, (1) dass bei der Darstellung des Lebens Jesu der Gedanke des Kampfes vorherrscht: Jesus wird als Kämpfer gegen das Judentum präsentiert, der unerbittlich gegen seine jüdischen Gegner vorgeht. Wesentlich bestimmt wird der Kampf durch das damit einhergehende Leiden Christi, das dieser in treuem Gehorsam zu seinem lieben Vater aktiv auf sich nimmt. (2) Sowohl das Leiden als auch die enge Beziehung zu Gott dem Vater werden in 12 Vgl. Grundmanns Aufsatz: Grundmann, Art des Judentums (1942), 51–162: Er geht von drei Prämissen aus: (1) Das Judentum ist ganz anders als andere Religionen. (2) Das Judentum hat sich fremde Geschichten und Ideen nur angeeignet. (3) Dieses angeeignete Gute wurde durch die spezifisch jüdischen Grundhaltungen „zersetzt“ (genauer in 1.4.1 Die Ausgangsfrage: Welche Redaktionstendenzen lassen sich bei der Redaktion der „Botschaft Gottes“ beschreiben?). 13 Lubinetzki (1998), 417.
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den Texten der BG als Punkte, die Jesus unwiderruflich aus dem Judentum herausheben, dargestellt, da ersteres mit der jüdischen Messiaserwartung, zweiteres mit der jüdischen Gottesvorstellung nicht zu vereinbaren sei.(3) Die Vorstellung vom Tod Jesu wird in der BG, einhergehend mit der Tilgung jeglicher positiver Verwendung jüdisch-kultischer Opferterminologie, auf den Gedanken der tapferen Lebensspende konzentriert. Jesus habe sein Leben aktiv geopfert. (4) Um diese Aussagen herauszuarbeiten, haben die Redaktoren nicht nur eine positive Verwendung des Messias-Titels und des Titels „Lamm Gottes“ mit seinen kultischen Implikationen vermieden und andere Textstellen, an denen Jesus positiv mit dem jüdischen Tempelkult oder der Tora in Verbindung gebracht wird, gestrichen, sondern auch die Aussagen über die Herkunft Jesu bearbeitet, sodass aus den Texten nicht mehr die jüdische Abstammung14 und Selbstidentifikation Jesu hervorgeht. Anders wäre auch die Aussage der Redaktoren, Jesus habe sein Leben im Kampf gegen das Judentum verbracht, nicht haltbar gewesen. (5) Gleichermaßen wurde die Apostelgeschichte unter ebendiesen Gesichtspunkten bearbeitet, sodass auch die Entwicklungen der christusgläubigen Gemeinden als eindimensionale Abgrenzungsprozesse zwischen den positiv konnotierten „Hellenisten“ bzw. „Heidenchristen“ in Antiochia und den negativ konnotierten „Judaisten“ bzw. „Judenchristen“ in Jerusalem dargestellt werden. Auch hier sei ein „Kampf um das Evangelium“, der „bis in die letzten Tiefen des Christusverständnisses ging“, zwischen Judaisten und Hellenisten ausgekämpft worden.15 Der dezidiert betonte Märtyrertod des „Hellenisten“ Stephanus scheint hier eine Parallele zur Betonung des Todes Christi als „Lebensspende“ zu sein. (6) Diese Beobachtungen finden auch ihren Widerhall in den Bearbeitungen der neutestamentlichen Briefliteratur. Gehorsam, Leiden und aktiver Lebenseinsatz finden sich auch hier als Beschreibungen der idealen Christus-Nachfolge. Zudem fällt verstärkt die Einfügung verschiedener „Tugenden“ auf, die eigentlich im soldatischen Kontext gefordert sind, z.B. Treue und Ehre. Verbunden mit den Beobachtungen einer häufigen Verschlagwortung, Steigerung des Appellcharakters und Verkürzung der Texte verwundert es nicht, dass Grundmann selbst durchblicken lässt, dass man sich hier der militärischen Ausdrucksweise anpassen wollte: Man habe die „Redeform“ des Paulus überarbeiten müssen, da sie vom Einfluss hellenistischer Rhetorik und daher von „Kettenschlüssen“ und „gehäuften Begriffen“ geprägt sei, was vor allem bei den Briefeinleitungen deutlich erkennbar sei: „Aus dieser durch die hellenistische Rhetorik bestimmten Redeweise […] kommt die christliche Phraseologie; sie wirkt unerträglich und ist unmöglich für ein Geschlecht, dessen Sprach- und Empfindungsstil sich in den Berichten des Oberkommandos der Wehrmacht im deutsch-englischen Krieg einen klassischen Ausdruck geschaffen hat. Eine 14 15
U.a. durch die Tilgung der Rede von der Davidssohnschaft und der Geburt in Judäa. Vgl. Grundmann, Ewige Wahrheit und Zeitgebundenheit (1941), 258.
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Übersetzung kommt hier nur mit einer radikalen Vereinfachung durch, die in sachlich schlichter und nüchterner, die Formeln erfüllender Weise den Gedanken selbst Ausdruck verschafft.“16
Im Gegensatz zur von Grundmann diagnostizierten hellenistischen Rhetorik bei Paulus tauchen in der BG immer wieder Schlagworte einer deutschchristlichen Rhetorik auf, die den Nachfolgegedanken fassen sollen. Als Annäherung an diese Schlagworte biete sich die Rhetorik der deutschchristlichen Autoren selbst an. Beispielsweise führt Barth im Anschluss an anerkennende Worte über Adolf Hitler17 einen regelrechten Tugendkatalog für die Deutschen an: „Der Führer hat die guten Geister, die in unserem Blute schlummerten, aufgerufen und erweckt. Treue, Tapferkeit, Ehre, Freiheit, Pflicht, Opferwille – Worte, die schon in früheren Zeiten deutscher Not und deutschen Glaubensaufschwungs ihren stolzen Klang gewonnen hatten, fanden neuen Widerhall.“18
Ähnlich klingt eine Beschreibung der idealen Nachfolge ex negativo bei Grundmann: Glaube, Vertrauen, Entschlossenheit und Treue seien bei den Jüngern „während des Gethsemanekampfes“ in sich zusammengestürzt.19 Hier wird sichtbar, dass Grundmann mit diesen Begriffen ihre vorherige Nachfolge charakterisiert. Neben den Leitlinien der BG gibt es bei anderen Themen dagegen durchaus Unschärfen, so z.B. bei der Frage nach dem Heiligen Geist20 und der Rolle des Paulus21. Das Vorgehen der Redaktoren besteht an diesen Stellen darin, diese Themen in den Hintergrund treten zu lassen bzw. subtil zu lösen: Der Heilige Geist erscheint als „heiliger Geist“ und somit nicht eindeutig als Eigenname und Paulus spricht z.B. nicht von sich selbst als Jude, sondern in der dritten Person wird erzählt: Saulus war Jude. Spannend wäre somit einerseits die Frage nach dem Gottesbild und der Trinitätsvorstellung der Redaktoren, scheinen sie doch auf den ersten Blick stark damit beschäftigt, den „Gott Jesu Christi“ zu definieren. Damit hängt auch die Frage nach der Kontinuität der Offenbarung, eng verknüpft mit der nach der Rolle des Alten Testamen-
16 Grundmann selbst merkt in einer Fußnote hierzu an: „Die in der Ausgabe des NT. ‚Die Botschaft Gottes‘ gegebene Zusammenstellung von Partien aus den Paulusbriefen ist in ihrer stilistischen Seite nach diesen beiden Gesichtspunkten gestaltet. Das muß bei jeder kritischen Stellungnahme beachtet werden“ (Grundmann, Ewige Wahrheit (1941), 242, FN 54). 17 „Sein Sieg war der Sieg des Glaubens“ (Barth, Krisis im ev. Religions-Unterricht (1937), 107). 18 Barth, Krisis im ev. Religions-Unterricht (1937), 108. 19 Grundmann, Passion (1936 ), 12. 20 Vgl. Kapitel 3, FN 1. 21 Vgl. Kapitel 3, FN 36.
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tes, zusammen.22 Andererseits ist fraglich, welches Verhältnis die BGRedaktion zu Paulus hatte: Wurde auch er hauptsächlich unter dem funktionalistischen Aspekt rezipiert, dass aus der Briefliteratur Handlungsanweisungen für die Leser abgeleitet werden sollten und er, der schließlich auch „hingeopfert“ wurde, Vorbildcharakter bekommt? Immer wieder tauchte dabei auch die Frage nach der Entwicklung der ersten Gemeinden auf. Auch die Frage nach den eschatologischen Vorstellungen im Hintergrund der BG dürfte spannenden Stoff für die weitere Beschäftigung bieten: Welche Reich-GottesVorstellung steckt hinter den Texten der BG?23 Warum betont Grundmann, dass Jesus grundsätzlich die Apokalyptik abgelehnt habe,24 und wie spiegelt sich diese Haltung in den Texten der BG? Aus der ersten Materialsichtung ergeben sich viele weitere Themen und Motivfelder, deren Erforschung ebenfalls lohnend wäre. Die Texte der ‚Botschaft Gottes‘ sind also sicherlich noch lange nicht erschöpfend behandelt; überhaupt bleibt in der Erforschung der antijüdischen Exegese noch viel zu tun, denn „die zwölf Jahre des Schreckens und Grauens prägen das Leben im Staat Israel wie jüdisches Leben generell und wie auch das Leben der Kirchen, vor allem in ihrem Verhältnis zum jüdischen Volk.“25 Gerade dem jüdischen Volk, den „älteren Brüdern“26 der Christen, wurde durch die ‚Botschaft Gottes‘ großes Unrecht zugefügt. Die Aufgabe der heutigen Exegese ist es weiterhin, „Grundzüge eines Verständnisses Jesu Christi zu erarbeiten, das nicht per se antijüdisch strukturiert ist, vielmehr unter der Voraussetzung der theologisch begründeten Bejahung Israels als Volk Gottes gewonnen wird.“27 Um ein solches Verständnis zu ermöglichen, ist es unerlässlich, daran zu arbeiten, antijüdische Tendenzen der Exegese in Tradition und Gegenwart aufzuspüren und aufzuklären. Die Textbearbeitungen der BG können hierbei als warnendes Beispiel dienen, an denen sich eine Verschränkung antijüdischer Klischees mit politischideologischen Zielen zeigt. Trotz dieser Bilanz kann aber das Ziel solch exegesegeschichtlicher Forschungen nicht sein, ein hartes Urteil der Nachgeborenen zu fällen: „Überheblichkeit in der Beurteilung wird hier nur finden, wer die Aufgabe der Wissenschaft verkennt. Sie ist und bleibt die Minimierung 22 Vgl. Kapitel 4, FN 22, 23, 24. Zumindest zur Prophetie lässt sich keine negative Haltung ausmachen. 23 Vgl. Kapitel 3, FN 229 zum Reich-Gottes-Begriff. 24 „Das Neue Testament trägt heute noch die deutlichen Malzeichen eines folgenschweren Geisteskampfes an sich. Jesus von Nazareth hat in seiner eschatologischen Predigt vom Reiche Gottes grundsätzlich mit der Apokalyptik gebrochen, und er hat ebenso grundsätzlich mit den spezifisch jüdischen Zügen der Eschatologie gebrochen.“ (Grundmann, Apokalyptisches Geschichtsbild (1942), 92). Vgl. zur Apokalyptik: Kapitel 3, FN 187. 25 Osten-Sacken (1982), 28. 26 Vgl. die Ansprache von Johannes Paul II in der Synagoge von Rom am 13.04.1986 (Johannes Paul II (1986)). 27 Fenske (2005), 36.
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von Täuschungen, Selbsttäuschungen und Illusionen in ständiger Geltungsprüfung auch und gerade in einer wissenschaftlichen Theologie als einer, wie sich vielleicht sagen läßt, Logik des apostolischen Evangeliums (vgl. Gal 2,5.14).“28 Vielmehr besteht die Hoffnung, dass die Sensibilität für die exegetisch äußerst problematischen Bearbeitungen des Neuen Testamentes vor dem nationalsozialistischen ideologischen Hintergrund weiter geschärft wird. Im Gegensatz zum Bestreben der Redaktoren, Jesus als „Wunderneuschöpfung“ entgegen dem Judentum herauszustellen, kann der Neuigkeitswert Jesu auch in der alttestamentlich-jüdischen Tradition verstanden werden: „Jesus hat über seine alttestamentliche Tradition und über seine Zeitgenossen hinaus der Menschheit Neues gebracht, ihr neue Impulse gegeben. Das Neue ist jedoch aus dem Alten erwachsen und im Interpretationsrahmen des Alten zu verstehen […] und steht mit ihm in Wechselwirkung.“29
Das Vorgehen der Redaktion kann mit Birgit Gregor nur als „Verirrung und Fehlleistung von Kirche und Theologie auf dem Boden judenfeindlicher Einstellungen zu Lasten des Judentums“30 beschrieben werden. Fraglich für eine heutige Exegese ist und muss bleiben, in welcher Weise biblisch überlieferte Züge der Christologie betont oder unerwähnt bleiben dürfen. Als eine Leitplanke kann sicherlich gelten, dass nicht unerwähnt bleibt, nach welchen Kriterien Texte ausgewählt oder bearbeitet werden. Die bloße Erwähnung, dass „nichts Wesentliches“31 fehle, genügt nicht als Leserinformation. In der Frage nach der Zielsetzung dieser Eingriffe in die Texte lässt sich feststellen, dass die BG also zwar einerseits auf dem religiösen Gebiet stehenbleibt und den Deutschen in ihrer „Glaubensnot“ helfen möchte, andererseits aber zugleich mit der starken Betonung des Gedankens der Lebensdienlichkeit sowie dem Bestreben, eine „kämpferische deutsche Theologie“ zu entwickeln, die den Kampf Jesu gegen das Judentum zum Hauptthema macht, die Grenzen dessen überschreitet, was eine Bibelübersetzung leisten soll und kann. Auch die gehäufte Verwendung nationalsozialistisch-ideologischer Termini zeigt diese gefährliche Tendenz. Die weiteren Instituts- oder institutsnahen Publikationen, z.B. der ‚entjudete‘ Katechismus, der ebenfalls eine sehr große Nähe zum Nationalsozialismus offenbar werden lässt, oder Grundmanns Schriften, deren Vorworte teils mit „Heil Hitler!“ enden, machen die zu enge Verbindung der exegetischen Bemühungen des „Instituts“ mit dem nationalsozialistischen Denken dann überdeutlich. 28
Schenk (2002), 279. Fenske (2005), 252f. 30 Gregor (1998), 141, bezogen auf das Gesangbuch „Großer Gott wir loben dich“. 31 Im Anhang zu Fromm (1940), 58f. 29
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Die Bibelauslegung wird dadurch unredlich und sekundär, da das Ergebnis bereits vorgegeben scheint: Jesus muss Kämpfer gegen das Judentum sein, da die nationalsozialistische Ideologie Recht hat. Dem entgegenstehende Lesarten werden nicht zugelassen, die entsprechenden Bibelstellen häufig vereinfacht und auf einige wenige Schlagworte zugespitzt, denn die Redaktoren nutzen ihr Vorhaben der „Entjudung“ auch dazu, erwünschte (nationalsozialistisch ebenfalls gebräuchliche) Begrifflichkeiten in die Texte oder zumindest, wenn auch sicher nicht weniger wirkungsvoll, in die Über- und Seitenschriften einzutragen und somit den Lesern bereits aus der Nazi-Propaganda vertraute Begriffe nun als spezifisch christliche Begriffe zu präsentieren. Die Orientierung an der geschichtlichen Situation, die schon in der Einleitung aufgrund der Zielbestimmungen des Instituts, einen „Dienst an der Erneuerung des frommen deutschen Lebens im Großdeutschen Reich des siegreichen Führers“32 tun zu wollen, lässt sich in den Texten an der Häufung der Verwendung von Begrifflichkeiten, die auch in nationalsozialistisch-politischen Kontexten vorkommen, nachweisen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass alle Lebensbereiche von zeitgenössischer Sprache und zeitgenössischem Denken durchzogen waren.33 Traurig ist es dennoch, dass nicht einmal vor den Bibeltexten selbst Halt gemacht wurde: Über Kommentare zu den Texten lässt sich schließlich streiten und es ist den Lesern auch stärker bewusst, dass es sich um eine (Einzel-)Meinung und Interpretation handelt; eine Übersetzung dagegen weckt den Anschein, objektiv zu sein, auch wenn das natürlich nie der Fall ist, da es keine wertungsfreien Übersetzungen gibt. Das Grundproblem der BG lässt sich mit Karl Fischer so formulieren: „Die Botschaft Jesu wird nicht deswegen anerkannt, weil sie seine Botschaft ist und als gültiges Wort vor uns tritt, sondern sie wird anerkannt, weil und soweit sie dem entspricht, was uns auch ohne Jesus lebenswert ist.“34
Fischer erfasst klar, dass der Kern des Problems der BG die Anpassung der Texte an die Zeit ist: Man erliegt – und hier lässt sich ergänzen: damals wie heute – allzu leicht der Versuchung, in den biblischen Texten eben die bereits gesellschaftlich akzeptierten „Lebenswerte“ zu betonen oder gar zu isolieren zu Ungunsten anderer Themen. Dies war in der BG überdeutlich der Fall: Es kam zu einer tragischen Verfälschung des tatsächlichen Bibeltextes unter dem Einfluss ideologischer, nationalistischer und nationalsozialistischer Bestrebungen. Dass eine solche oder ähnliche Verfälschung der biblischen Texte nie wieder geschieht, ist und bleibt Desiderat und Aufgabe jeder biblischen Exegese. 32
Grundmann: Arbeitsbericht (1940), 37. Vgl. das „Jahrbuch der Deutschen Sprache“, das, analog zum Denken der Redaktoren, die Institutsarbeit als Teil des Kriegseinsatzes zu sehen, die Sprache als „Kampfmittel“ verstand (vgl. Buttmann (1941), 7). 34 Fischer (1940), 11. 33
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Diese Beobachtungen legen nahe, dass die „Entjudung“ der BG zwar allgegenwärtig ist, aber ganz klar nicht die einzige Bearbeitung der Texte war, sondern vielmehr als Mittel zum Zweck benutzt wurde: Die Bibeltexte wurden dazu missbraucht, den Lesern bereits durch die bearbeitete Christologie, die in Textauswahl und -bearbeitung den Schwerpunkt auf die Themenfelder „Kampf“ und „Opfer“ setzt, Handlungsanreize zu setzen, die nicht der biblischen Vielfalt christologischer Deutungen entsprechen. Durch die Reduktion der Texte auf einige Schlagworte und wenige christologische Titel wird auch die Vielstimmigkeit der Deutungen reduziert und somit der Sinn der Texte, da in den Deutungen aktive Sinnstiftung geschehen ist.35 Die Eingriffe in die Briefliteratur, welche diese in kurze Passagen unterteilen, die ähnliche Schwerpunkte auf eine aktive, entschlossene, tapfere, kämpferische und opferbereite Nachfolge setzen, dürften noch stärkeren Appellcharakter gehabt haben. Der „Dienst“, den die Herausgeber als Ziel der BG angeben, besteht somit nicht nur in der Darbietung von Texten, die zum Konzept des „entjudeten“ Christentums passen, sondern die Texte wurden darüber hinaus dazu missbraucht, die Deutschen, besonders die Soldaten an der Front, zu Kampf und Opfer anzuspornen. Dass eine derartige Reduktion der biblischen Aussagen in höchstem Maße illegitim ist, muss nicht betont werden. Der Redaktion wird bewusst gewesen sein, dass der Bibeltext, zumal wenn er an der Front gelesen wurde, wozu er ja unter anderem gedacht war (vgl. „Feldbibel“), von seinen Lesern auch als Aussage dazu gelesen wurde, wie die Nachfolge Christi konkret gelebt werden könnte. Die Bearbeitungen sowohl der Evangelien als auch von Apostelgeschichte und Briefliteratur36 konnten die Leser durch die Reduktion auf die von den BG-Herausgebern präferierten Themen und Deutungsmuster lenken und zu dementsprechenden Handlungen motivieren. Deutlich wurde außerdem, dass die bearbeiteten Texte der BG eine große gedankliche Nähe zu den theologischen Schriften Walter Grundmanns aufweisen, sodass dieser mit Recht als „Federführer“37 des Projekts und „Verfasser“38 der BG bezeichnet werden kann. Feststellen ließ sich bei den Verglei-
35 Zimmermann (2005), 316–325. Mit der aktiven Sinnstiftung untrennbar beim Deutungsprozess verwoben sind die Historizität des Todes Jesu und die Literalität der Deutungen (in den Texten des Neuen Testaments). 36 Eine genauere Betrachtung der Auswahl, Bearbeitung und Verwendung der Verse aus der Briefliteratur und zur Theologie des Paulus allgemein wäre ein lohnendes Betätigungsfeld für weitere Forschungen. In der vorliegenden Arbeit wurden, entsprechend den ermittelten christologischen Schwerpunkten, lediglich die einschlägigen Passagen der Briefliteratur untersucht. 37 Prolingheuer (1997), 73. 38 Stegmann (1984), 70.
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chen aber auch, dass Grundmann genau unterscheiden konnte, „wann und wo welches Wort am Platz war“39: Einige theologische „Probleme“, die Grundmann in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen ausführlich diskutiert, wurden in der BG durch Tilgungen einfach umgangen. Grundmanns Äußerungen sind also im Vergleich zu den Texten der BG weit komplexer und auch differenzierter, während die BG strittige Fragen oft auf eine Aussage oder einen Appell reduziert, schwierige Stellen streicht und missverständliche Worte vermeidet oder vereinfacht. Der Unterschied kommt wohl dadurch zustande, dass Grundmann in seinen Monographien für ein Fachpublikum schreibt, das er nicht mit simplen Thesen ohne theologische Unterfütterung abspeisen kann. Daher finden sich hier auch Erörterungen zur Frage nach der Herkunft Jesu,40 der die BG-Texte durch gezielte Kürzung der Texte leichter ausweichen können. In der BG wurde subtiler vorgegangen. Ein Großteil der Beeinflussungen erfolgt durch die Auswahl der Verse, die in einen neuen Zusammenhang gestellt werden und die Überschriften, die gerade in der Briefliteratur, in der am stärksten gekürzt wurde, Schwerpunkte betonen oder sogar selbst setzen. Die Einfügung von (Halb-)Versen ist zwar seltener, lässt aber gerade dort deutlich erkennen, welche Themen den Redaktoren besonders wichtig waren. Der Anspruch, der mit der BG erfüllt werden sollte, war wohl auf weiten Strecken auch, leicht verständliche Aussagen, häufig mit Appellcharakter, treffen zu wollen, die keine weiteren Nachfragen theologischer Art hervorriefen. Professor Hans Klein aus Hermannstadt begegnete Walter Grundmann einmal persönlich in Eisenach, als dieser dort bereits der Leiter des Katechetenseminars war (1957–1975). Er schrieb mir folgende Worte über Grundmann: „Ich weiß, dass er ein überdurchschnittlich begabter Mann war, um nicht zu sagen ‚hochbegabt‘. Das bringt es mit sich, dass er wenig kritisch im Hinblick auf die Zeitgeschichte war. Er war ein Volksmann, der überall, wo er war, gut angekommen ist. […] Politisch war er unbedarft, naiv. Aber er war auch ein Streber. Nicht zu verwundern bei dieser Begabung. In dem einzigen Gespräch, das ich mit ihm hatte, hat er mir über sein Verständnis der Rechtfertigungslehre einiges gesagt, das ich recht oberflächlich fand. Tiefgang war wahrscheinlich nicht sein Ding. Aber Freundlichkeit, Entgegenkommen.“41
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Vgl. Niebuhr (2014), 36: Niebuhr stellt dies beim Vergleich von Vorlesungsmanuskripten mit Vorlesungsnachschriften fest: Während in den Manuskripten ebenso so wie in den daran oft eng angelehnten wissenschaftlichen Veröffentlichungen politische und parteiideologische Anspielungen weitgehend fehlen, ist das in den Nachschriften ebenso wie in den populärwissenschaftlichen Schriften anders: Hier finden sich auch „Jargon und Gedankengut nationalsozialistischer Propaganda“. 40 Vgl. Grundmann, Jesus der Galiläer (1940), 10. 41 Prof. Dr. Hans Klein in einer Email vom 07.07.2014.
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Dieses Bild vom volksnahen, aber „recht oberflächlichen“ Exegeten scheint mir gut zu seiner Tätigkeit in der BG-Redaktion zu passen: Jesus sollte in die Nähe des Volkes gerückt werden, sollte selbst als „Volksmann“ dargestellt werden. Diese Volksnähe, die mit dem „Dienst an der Seele des deutschen Volkes“ (BG VII) im Vorwort der BG zu identifizieren sein dürfte, spiegelt sich in den Textbearbeitungen wider: Nicht die korrekte Wiedergabe der griechischen Texte, nicht die Wahl von Überschriften, die möglichst wenig deuten, sondern möglichst genau den Inhalt erfassen, und auch nicht die Vollständigkeit des biblischen Zeugnisses stehen im Fokus dieser Bibelausgabe, sondern die Volksnähe, die nur zu oft den Leser zu einem oberflächlichen Textverständnis führt, etwa durch die mehrmalige Wiederholung einiger weniger Schlagworte („Gehorsam“, „Ehre“, „Treue“, „Gefolgschaft“), die mit den Leitbegriffen der nationalsozialistischen Propaganda Hand in Hand gehen. Auch Jerke stellte bereits fest, dass die BG mit ihren „knappen und einprägsamen Schlagworten“ eine „mögliche Symbiose von christlicher Botschaft und nationalsozialistischer Weltanschauung suggeriert“.42 Im dritten Teil dieser Arbeit wurde der Vermutung nachgegangen, dass der „Dienst‘, den die ‚Botschaft Gottes‘ dem deutschen Volk erweisen will, sich ganz deutlich in Textauswahl und -bearbeitung widerspiegelt und sich stark an der Lebenswirklichkeit der Deutschen orientieren möchte. Dies hat sich insofern durchaus bestätigt, dass die getilgten oder ins Negative verkehrten christologischen Aussagen (z.B. Jesus als Messias, Jesus als Lamm) durch neue Aussagen ersetzt wurden (z.B. Jesus als tapferer Lebensspender), die auch in anderen Teilen der BG (z.B. in den paulinischen Briefen in Aufforderungen „hart und entschlossen“43 usw.) ihre Entsprechung fanden. Die auffallend häufige Verwendung militärischer Bilder und Ausdrücke sowie die Feststellung, dass aus den häufig verwendeten oder komplett hinzugefügten Termini eine Art „Militärtugendkatalog“ erstellt werden kann, zeigt, dass die Praxisorientierung, die die Herausgeber selbst deutlich kundtun, in enger Verbindung zu den Gegebenheiten im nationalsozialistischen Staat vorgenommen wurde. Die Zielsetzung der Redaktoren im Vorwort ist somit teilweise erfüllt: „Aber das Ziel der Arbeit ist nicht eine wissenschaftliche Studie, sondern ein religiöser Beitrag zur Klärung der deutschen religiösen Fragen, der erweisen soll, inwiefern auch uns die Gotteswahrheit des Neuen Testaments, die in ihm enthaltene Botschaft Gottes ‚Kraft und Weisheit Gottes‘ sein will und sein kann.“ (BG VI)
Dass dabei „die reichen Erkenntnisse und Einsichten, die die deutsche theologische und religionswissenschaftliche Forschung in Entstehung und Inhalt 42 43
Vgl. Jerke (1994), 205. BG 51, Hart und entschlossen (Mark. 9, 43–47.50 b).
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des Neuen Testaments gewonnen hat“ (BG VI), ebenfalls berücksichtigt werden sollten, wie die Verfasser angeben, scheint an vielen Stellen nicht eingelöst worden zu sein. Die Orientierung am Leser und dessen nationalsozialistischer Umwelt stand in jedem Falle im Hauptfokus des Herausgeberinteresses, anders lässt sich das Projekt einer ‚Entjudung‘ nicht erklären. Doch nicht nur das, eher als Reaktion auf die NS-Politik zu verstehende, passiv-reaktionäre Bestreben, das Neue Testament gegenüber der antisemitischen NS-Ideologie halten zu können44 und daher Jesu jüdische Herkunft so weit wie möglich zu verschleiern, sondern auch und vor allem das aktive Interesse daran, den Deutschen Halt und Orientierung durch das Neue Testament bieten zu können, steht hinter dem Gedanken des „Dienstes“ und der „Klärung deutscher religiöser Fragen“. Durch die Nivellierung der Unterschiede zwischen Christentum und Nationalsozialismus versuchte man – oftmals bestimmt ohne Bewusstsein für die Folgen dieses Tuns – das christliche vom jüdischen Denken soweit abzukoppeln, dass ersteres als mit der nationalsozialistischen Weltanschauung kompatibel dargestellt wird, zweiteres aber als bereits von Jesus selbst als überholt gebrandmarkt wird. Nicht herauslesen lässt sich allerdings aus den Texten der BG, welche persönlichen und völkischtheologischen Ambitionen und kirchenpolitischen Interessen Grundmanns ebenfalls im Hintergrund standen.45 Dazu wären umfassende zeitgeschichtliche Forschungen nötig, die auch die Sichtung von Archivmaterial umfassen sollten.46 Interessant ist auch die Beobachtung, dass sich die Redaktoren zwar in weiten Teilen an den „gängigen Stil“ anlehnen können. Der Unterschied der BG-Bearbeitungen (und allgemein des deutschchristlichen Denkens) zu den Zeittendenzen in der Theologie liegt aber nun darin, dass man „deutlich weiter“ geht, sogar „hin zu einer Verherrlichung des Soldatentodes.“47 Zu Beginn der Arbeit stand auch die Frage, welche Kriterien einer Bearbeitung und Auswahl von Bibeltexten als legitim empfunden werden und welche es im Gegenteil zu vermeiden gilt. Festhalten lässt sich nach den vorliegenden Analysen sicherlich, dass das Bestreben der Redaktoren, den „Dienst“ am deutschen Volke anderen, auch politischen Interessen unterzuordnen, zu einer Verfälschung und einem fatalen Missbrauch der biblischen Texte führte. Die 44
Bzw. besser formuliert, der Begeisterung der Redaktoren für den Nationalsozialismus entsprechend: Das Bestreben, das Neue Testament im Einklang mit der NS-Ideologie vermitteln zu können. 45 Vgl. Niebuhr (2014), 38. 46 Es wären v.a. Sitzungsprotokolle und ähnliche Dokumente aus dem Umfeld des Instituts einzusehen. Hierzu gibt es vielfältige Archivalien im Landeskirchenarchiv Eisenach. Das gesamte Findbuch ist online im Archivportal Thüringen: http://www.archive-in-thueringen.de /finding_aids/index.php?path=0;25939;-200 [Stand: 15.08.2016]. 47 Vgl. Kampmann (2009), 762.
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Leser der BG wurden in eine Richtung gelenkt, die nicht mit den biblischen Inhalten vereinbar ist. Im Gegenteil wurden viele Texte (v.a. die paulinischen Briefe) so dekontextualisiert und neu tituliert, dass die Leser zu einer Mitarbeit im nationalsozialistischen Deutschland implizit aufgefordert wurden. Die explizite Aufforderung findet sich dann im ‚entjudeten‘ Katechismus ‚Deutsche mit Gott‘ sowie in vielen deutschchristlichen Publikationen aus dem Umfeld der BG-Redaktoren. Eine derartige ‚Aktualisierung‘ des Neuen Testaments tut den Texten sowie den Lesern Gewalt an. Aus unserer heutigen Sicht kann dieser dunkle Teil der Exegesegeschichte Mahnung an alle heutigen Interpretationsversuche sein: Die Kriterien, nach denen Texte ausgewählt oder bearbeitet werden, sollten den Lesern so genau wie möglich bekannt sein, die Streichung des kompletten Alten Testaments sowie ganzer thematischer Einheiten (z.B. Jesus als Jude) sind unredlich für eine Bibelausgabe, die sich als Übersetzung bezeichnet (freilich mit dem beschwichtigenden Verweis darauf, „Legenden“ und Doppelungen vermieden zu haben48). Der Anspruch des „Dienstes“ am Volk wird in dem Moment unhaltbar, in dem die Texte und ihre Inhalte anderen Interessen untergeordnet werden, die zu rechtfertigen scheinen, dass bewusst am griechischen Text vorbei Bearbeitungen der Texte vorgenommen werden, die einen neuen Sinn in die Texte eintragen. Gerade die Eintragung neuer (Halb-)Verse ist in höchstem Maße ideologisch zu nennen, ebenso die Wahl von Über- und Seitenschriften, die die Texte bereits im gewollten Sinne und ohne die im Text vorhandenen Vokabeln deuten statt zusammenzufassen. Nachdenklich gemacht bei all den Recherchen zu den Texten der BG und deren Hintergründen hat mich vor allem der enorme Kontrast zwischen der Sicht der BG-Redaktion auf den märtyrerhaften Tod Jesu, aus der die Anforderung an die Leser hervorgeht, sich in die Nachfolge dieser Jesusfigur zu stellen, und der Sicht der eigentlichen „Opfer“ der Denkströmungen, die der nationalsozialistischen Bewegung zugeneigt waren. Diametral entgegengesetzt zum nationalsozialistischen Heldenverständnis, aber auch der – im Vergleich zum nationalsozialistischen Verständnis abgeschwächten, aber doch im Vergleich zum biblischen Verständnis verstärkten – Sicht auf den Tod als „Lebensspende“ und „Hingabe“ in der BG, lesen sich ja die folgenden Aussagen, die sich in Yad Vashem, der „Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Holocaust“ in Jerusalem finden. Jüdische Ghettobewohner grenzen sich hier deutlich vom schicksalsergebenen passiven Erdulden ihrer Situation ab und wollen sich nicht wie Schafe zum Schlachten führen lassen. Stattdessen sei Widerstand gegen das mörderische Vorhaben der nationalsozialistischen Peiniger das einzig probate Mittel. Das folgende Zitat von Rabbi Nissenbaum kann zeigen, wie wichtig eine Unterscheidung ist zwischen dem richtigen und 48
Grundmann, Grundsätzliche Bemerkungen zum Volkstestament (1939), 15.
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gottgefälligen Märtyrertum als dem letzten Ausweg aus einer sonst erzwungenen Selbstverleugnung und dem blinden Sich-Fügen in ein Schicksal, das nur im Sinne hat, den Leib zu vernichten, nicht aber eine mentale Selbstverleugnung fordert: „This is a time for sanctifying life, not for sanctifying God’s name through death. In the past, our enemies demanded our soul, and the jew sacrificed his body to sanctify God’s name. Now the enemy is demanding the jewish body, and the jew is obligated to defend it – to protect his life.“ (Rabbi Yitzhak Nissenbaum, Ghetto Warschau)
Ähnlich hält auch Abba Kovner, ebenfalls in Yad Vashem zitiert, den Widerstand bis zum letzten Atemzug für unumgänglich: „They shall not lead us away like sheep to the slaughter! […] Brothers! It is better to die as free warriors than to live by the grace of murderers. Resist! To your last breath.“ (Abba Kovner, Litauen (read out on the assembly of Pioneer Youth in Vilna Ghetto, 1.1.1942))
Der Grundsatz, zwar lieber den Leib als die Seele zu verkaufen, aber dann, wenn nur der Leib gefordert wird, das Leben um jeden Preis zu verteidigen, kann zumindest für die Zukunft, wenn auch bedauerlicherweise nicht mehr für die Vergangenheit, den Orientierungsrahmen für das Verständnis vom Märtyrertum bilden, das nicht den Tod glorifiziert und somit nicht das Lebensopfer, sondern das, was unumstößlicher jüdischer ebenso wie christlicher Grundsatz ist, zum zentralen Punkt macht: Die Hochschätzung des Lebens, ja, die Verteidigung des Lebens, die den Märtyrertod zwar als Extremform der Verteidigung der jüdischen bzw. christlichen Ideale kennt, aber nicht forciert. Ohne so verstandene „Opfer“ wäre im Blick auf die Terror-Diktaturen des 20. Jahrhunderts wohl kein Widerstand möglich gewesen; hier, „so wird man sagen können, lebt das Zeugnis des christlichen Martyriums fort: für die Wahrheit Gottes und für das Allgemeinwohl sein Leben einzusetzen.“49 Die Tatsache, dass christliche Exegeten nicht vor einer Vermischung des biblischen Vorzugs des Lebens mit dem nationalsozialistischen und für den Machterhalt nötigen Ideal des Sterbens für die Gemeinschaft zurückschreckten, ist zwar bis zu einem gewissen Punkt aus der Zeit heraus zu erklären und gewiss auch einer großen Portion falsch verstandenem Idealismus der Autoren geschuldet, ändert aber nichts daran, dass eine Vermischung von Exegese und Politik fatale Auswirkungen haben kann – gerade weil eine Bearbeitung biblischer Texte, die nicht als Kommentar kenntlich gemacht wird, den Lesern als authentisches Bibelwort, also Gotteswort im Menschenwort, erscheint, und dadurch einen unzulässigen Autoritätsanspruch einfordert.
49
Angenendt (2011), 127.
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Literaturverzeichnis 6.1 Zeitdokumente (bis 1945) 6.1.1 Quellen
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Literaturverzeichnis
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Hilfsmittel: Duden. Die deutsche Rechtschreibung, http://www.duden.de/ [Stand: 15.08.2016]. Bauer, Walter: Griechisch-deutsches Wörterbuch. Zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur (Hrsg.: Aland, Kurt/Aland, Barbara), Berlin [u.a.] de Gruyter, 6., völlig neu bearb. Aufl. 1988. (Bauer/Aland) Leggewie, Otto: Ars Graeca. Griechische Sprachlehre. Neu bearb. v. Mehrlein, Rolf/Richter, Friedrich/Seelbach, Wilhelm, Paderborn, Schöningh, 17. Aufl. 2007. Oswald, Renate (Hrsg.): Gemoll. Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch von Gemoll, Wilhelm und Vretska, Karl, München [u.a.], Oldenbourg; 10., völlig neu bearb. Aufl. 2007.
Häufiger verwendete Reihentitel wurden im Literaturverzeichnis wie üblich abgekürzt: AThANT BZNW EKK HBS HNT NTOA/StUNT ÖKT SKI ThHK ThKNT WUNT ZNW
Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament Herders Biblische Studien Handbuch zum Neuen Testament Novum Testamentum et Orbis Antiquus/Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Ökumenischer Taschenbuch-Kommentar zum Neuen Testament Studien zur Kirche und Israel Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament Theologischer Kommentar zum Neuen Testament Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft
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Personenregister Althaus, Paul 343 Barth, Richard 10, 79, 412, 485 Büchner, Wilhelm 8, 17 Büchsel 90, 116 Chamberlain, Houston Steward 4f., 10, 21 Diederichs, Eugen 18 Fascher, Erich 79, 436 Fischer, Karl (Carl) Wilhelm 6f., 9, 30, 46f., 61, 84, 107, 298, 317, 488 Fromm, Erich 6–8, 28, 30f., 39, 46, 52–56, 107f., 251, 298, 487 Gimpel, Paul 17 Goldstein, Kurt Julius 106 Grundmann, Walter 8–14, 18–23, 30, 33– 46, 48, 52–59, 68–74, 77, 80 und zu den Einzelstellen Harnack, Adolf von 5, 20f., 23, 398 Hintzenstern, Herbert von 19 Hirsch, Emmanuel 35, 143, 168 Hitler, Adolf 4, 16, 19, 26f., 29, 32, 35f., 69, 76, 79, 82, 242, 308, 343, 430, 434f., 485 Hunger, Heinz 8 Kittel, Gerhard 132f., 449 Lagarde, Paul de 4, 19, 21 Langner, Erwin 343
Leutheuser, Julius 66, 76, 79, 168, 252, 436 Leffler, Siegfried 16, 29, 43, 66f., 69, 76, 78f., 251, 436 Luther, Martin 10f., 21, 24, 28–34, 52, 63, 73f., 251f., 262, 283, 292, 330, 420 Marcion von Sinope 20f., 23 Meyer-Erlach, Wolf 46, 76, 252 Müller, Ludwig (Reichsbischof) 10 Pich, Hugo 9 Pohlmann, Hans 390 Pribnow, Hans 17 Rad, Gerhard, von 11 Rosenberg 10, 20f. Schenke, Friedrich 4 Schneider, Arthur 16, 66 Soden, Hans von 9, 47–52, 61, 83f., 105, 117, 158, 163, 165, 171, 229, 298, 304f. Strauß und Torney, Luise (Lulu) von 18f. Thieme, Kurt 4, 17, 75, 309 Wagenführer, Max-Adolf 17 Wagner, Cosima 5 Wagner, Eva 5 Wagner, Martin 397, 399 Weinmann, Heinrich 8, 17 Werdermann, Herbert 17
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Sachregister Abba 70 Abendmahl 49, 229, 267, 275–279, 285 Altes Testament 10f., 22f., 33, 43, 59, 71, 76, 85, 97f., 117, 154, 157, 180, 208, 211, 234, 259, 282f., 357f., 366, 411, 417, 421, 452, 456, 465, 485, 493 Angst 215, 244, 246, 268f., 276, 351f., 365–368, 445, 468 Anpassung 53, 79, 98, 488 Antijudaismus 24, 26, 28, 32f., 72 Antisemitismus 5, 24, 26–28, 36, 135 Apokalyptik 263–268, 282, 486 Arier/arisch 4, 6, 16, 26f., 34–39, 58, 71, 79, 98, 242, 274, 281f., 358, 462 Auferstehung 78, 185, 241, 264, 280, 294, 318, 340, 356f., 363f., 434, 437, 460, 470–472, 477 Bayreuth 5 Bekennende Kirche 6, 11, 30, 32, 34, 46f., 49, 52 Beschneidung 50, 59, 143, 176, 183–187, 212 Blut 34, 246, 275–287, 308, 323f., 375, 463 Blutfahne 308 Blutzeuge siehe Märtyrer Bund 183f., 223, 251, 267, 283–285, 266, 373 Bundeszeichen siehe Beschneidung Dienst 15, 42, 135, 168, 307, 313, 320f., 321, 333f., 337, 391–393, 397, 430– 433, 481 Ehe 205, 209f., 213f. Ehre 15, 33, 79, 98, 272f., 289, 315f., 320, 330, 332–334, 337, 399, 427f., 466, 484f.
Eisenach 5, 8, 18, 49, 69, 73–75, 80, 490– 492 Entschlossenheit 15, 52, 66, 77, 168, 394, 416, 419, 421, 434, 485, 489, 491 Erlösungsantisemitismus 27f. Erneuerung des dt. kirchl. Lebens 41f., 44, 78, 80, 396, 411, 481, 488 Erwählung 151, 170, 175, 223, 388, 411, 444, 482 Erziehung 43, 343, 382, 385–387, 421, 435 Fest der Beschneidung 183 Führer 4, 16, 35f., 42, 67, 75, 78–80, 214f., 252, 290, 308, 327, 329, 332, 344, 372f., 398, 407, 431f., 444, 485, 488 Galiläa siehe Jesus der Galiläer Gebet 70, 80, 237f., 246f., 301, 318, 365, 386, 416, 422f., 430 Gefolgschaft 14, 19, 180, 256, 309, 330, 332, 335, 338, 345, 443f., 491 Gehorsam 165, 168, 207, 244, 263, 265, 270f., 276, 319, 385, 430, 453 Gelöbnis (treuester Gefolgschaft) 19, 329, 430 Gemeinschaft 22, 168–170, 187, 189, 191, 277f., 285, 300, 307, 392, 430, 459, 494 Gerechtigkeit 201f., 223, 239, 300f., 319, 339–341,416, 420, 429f., 436, 455f., siehe auch Werkgerechtigkeit Germanen/germanisch 4f., 34, 37, 84, 250– 252, 266f., 281, 330, 332 Gesangbuch, deutschchristlich 17f., 244, 487 Gesetz 21, 58, 112, 135f., 138, 145, 152, 163, 176–179, 183f., 187–192, 195– 202, 205, 208–214, 220–225, 239–242, 284, 289, 300f., 309, 313, 320, 360, 399, 402–404, 427, 433, 456, 460
Sachregister Gnade 180, 222, 277, 342, 374f., 379, 410, 413, 453–456 Godesberger Erklärung 76f. Gottesdienst 49, 70, 75, 129, 135, 145, 191, 235f., 240–242, 247, 305–309, 313, 318, 346, 363, 391, 407, 460–463 Hakenkreuz 73, 79, 308, 344f. Härte 15, 66, 385, 394, 416, 421, 491 Heiliger Geist 145, 179f., 193, 205, 453, 485 Held 266, 270, 292–294, 311, 313–315, 326, 341, 344f., 348, 355, 360, 368, 391, 460, 466, 479, 493 Heliand 250f. Hingabe 210, 239, 274, 293, 300, 305, 308, 311, 319f., 326, 331f., 345, 393 Hitlerjugend 329, 342 Hohepriester siehe auch Priester 99f., 103f., 106–108, 110, 114–117, 139f., 227, 237, 243–247, 249, 293–295, 343, 354, 365–373, 451, 461f., 473–476 Jena 5, 8, 11, 69, 76, 79, 80, 252 Jesus – Davidssohn 64, 84, 95–99, 117–119, 180, 437, 441, 484, – Erkorener 84, 120, 126, 143, 151f., 155, 162, 166, 168, 244, 253–260, 293, 369, 466 – Galiläer/Galiläa 10, 34, 35, 40, 64, 84, 136, 138, 141–145, 153, 155, 185, 192, 204, 251, 350, 447–450, 458, 480 – Heiland 28, 86, 119, 133, 144, 178, 181f., 244f., 247–253, 263, 268, 272– 274, 278f., 293, 298, 350, 365–370, 372, 482f. – Hirte 147, 268, 270, 310f., 325, 336 – Kämpfer siehe auch Kampf 56, 96, 147, 165, 194, 264, 292, 294, 311–314, 327, 349f., 364, 372, 391, 394–399, 407– 411, 428, 461, 481, 483, 487–489 – König der Juden/Judenkönig/König Israels 82, 92, 99–111, 154, 168, 256, 357, 367, 437–453, 456, 463 – Krist 84, 118 – Lamm (Gottes/Gotteslamm) 181, 227f., 243f., 247, 253–258, 260–278, 293–
531
295, 343, 352, 375, 391, 438, 457, 460f., 484, 491 – Lebensspender/Lebensspende 63, 89, 154, 210, 272, 276, 294, 308f., 324, 342, 345, 348, 351, 387, 391, 457, 460– 463, 466f., 472f., 475f., 481, 484, 491 – Leidender siehe auch Leidensnachfolge 89–92, 94, 157f., 164f., 168, 244f., 251, 257, 268–272, 292–294, 313–321, 345, 348–353, 358–361, 364–369, 372–393, 410, 413f., 431f., 458, 461, 477f. – Menschensohn 88, 91, 114f., 151–155, 170, 204, 257, 264, 282, 320, 323, 441f. – Messias 61, 83–132, 137, 142–154, 157–175, 178f., 183, 185, 194, 242, 250, 260, 271, 282, 293, 349f., 352, 356, 358–360, 387–390, 437f., 443, 482–484 – Offenbarer 119–126, 131, 165, 194, 253, 255, 257 Judäa 64, 110, 118, 134, 143, 204, 287, 394, 451f., 458, 466, 484 Kampf siehe auch Jesus als Kämpfer 24, 44f., 79, 96–98, 264, 266f., 327, 330, 341, 350, 394–399, 407–411, 420–436, 489 Kampfgemeinschaft 264, 410, 414, 427f. Katechismus, deutschchristlich 17f., 180, 420 Kirchenmusik 17f., 32 Körper 385, 426 Kreuz/Kreuzigung/Kreuzestod 35, 82, 99f., 109–113, 192, 251, 275, 291, 294, 318, 321, 328–332, 344, 354, 367, 391–393, 458, 461–463, 478 Leib 279, 306, 308, 322–324, 423–426, 470f., 494 Leid/Leidensnachfolge siehe auch Jesus als Leidender 244, 268–272, 292–294, 298, 313–321, 343, 345, 348–353, 358–361, 364–369, 372–393, 410, 413f., 431f., 458, 461, 477f. Leidenschaft 46, 313, 395 Loskauf 261f., 271, 274 Lösegeld 275, 320f. Machtergreifung 430, 434
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Sachregister
Märtyrer 275, 285–287, 290f., 317, 332, 334f., 339–341, 343, 345, 362, 375, 392f., 398, 414, 458f., 477, 484, 493f. Michael (Erzengel) 263–268 militia Christi/militia christiana 397f., 420 Negativabgrenzung 122, 349, 352, 359, 437, 485, 491 NSDAP 20, 27, 29, 67, 71, 78f., 132, 168, 308 Opfer 44, 61, 210f., 223, 228, 235f., 239, 245f.,261f., 275f., 276, 292–299, 303– 315, 318, 322–333, 338f., 342–349, 363, 366f., 372, 394, 421, 433f., 457, 460, 476–479, 484, 489 Opferlamm 257, 262 Opfertod s. auch Opfer 210, 261, 267, 308, 330, 332f., 338, 342f., 457, 460, 472, 479 Opferwille 79, 485 Passah siehe Pessach Persien 266, 281–285 Pessach 186f., 116, 226–232, 256–258, 267, 285 Pfarrernotbund 6 Pflicht/Verpflichtung 79, 161, 205, 209f., 212, 214, 215, 238, 298, 307, 329, 369, 413, 434, 485 Priester siehe auch Hohepriester 119f., 122, 187–194, 211, 272, 477 Rassegesetze, Nürnberger 26 Rasse/Rassentheorie/Rassefrage 4f., 27f., 37, 169, 192, 290, 345, 358 Reich – Gottes 90, 102, 168, 177, 179, 235, 241, 264, 267, 281–285, 390, 393, 399, 448, 486 – der Deutschen 42, 80, 399, 433f. Rhetorik 279, 342, 418, 436, 484f. Sachsen 6, 73, 76 Siebenbürgen 74f. Sieger 276f., 368, 435, 460 Sport 78, 410, 414, 425, 427, 432f. Sportpalast 77, 430, 434 Stephanus 266, 275–292, 375, 459 Strafe 57, 300, 388
Suche – Jesu nach den Menschen 153 – nach Gott 37, 40, 42, 44, 46f., 136, 162, 256, 443f., 452, 481 – der Autoren nach Wahrheit 13, 72 Synagoge 147f., 157–161, 287, 290, 357, 360, 389 Tapferkeit 79, 165, 244, 260–262, 271f., 276, 292f., 342, 371–374, 381f., 384f., 428–432, 457, 460f. Targum 91, 165 Tempelreinigung 226, 232, 235f., 285, 363, 460, 463 Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 132, 256 Thüringen 6, 73, 76 Tora s. Gesetz Treue(gelöbnis) 19, 67, 79, 187–190, 195, 244f., 268, 321, 329–333, 370–372, 385, 430, 460 Trinität 485 Tübingen 132 Vater, Gott der 21, 40, 70, 96, 129, 137, 155f., 162, 180, 186, 204, 232, 249, 313, 315f., 321, 325–327, 333, 337f., 364, 369f., 371f., 386, 459, 464f., 483 Vaterland 343, 479 Vergeltung 57, 282, 300–302, 393, 399 Verlag Deutsche Christen 11, 16f., 66, 343, 390 Versöhnungstag siehe Yom Kippur Wartburg 73 Weihe 176–179, 195, 198, 203, 305–309, 311–314, 315–321, 345 Weltkrieg, Erster 4, 124, 266, 342f., 344, 395, 433 Werkgerechtigkeit 202, 223 siehe auch Gerechtigkeit Wettkampf/Agon siehe Sport Widerstand 78, 106, 218, 272, 379, 416, 421, 434, 479, 494 Wieratal 29, 66, 76 Wittenberg 10 Yad Vashem 493f. Yom Kippur 367, 389 Zarathustra 282
Anhang Verzeichnis der in der BG aufgenommenen Bibelstellen So weit nicht anders angegeben, finden sich alle Stellen aus den synoptischen Evangelien im ersten Teil der BG, die Verse aus dem Johannesevangelium im zweiten Teil, die Verse aus der Briefliteratur im dritten Teil und Offenbarung und Apostelgeschichte im vierten Teil. Abweichungen in der Zuordnung zu den Teilen wurden mit römischen Ziffern (I–IV) angegeben. Gekennzeichnet sind desweiteren Verswiederholungen. In der rechten Spalte ist jeweils die Seitenzahl in der BG angegeben.
Mt 2,1ac.2b.9b–11 3,10 4,2–11 5,1–2 5,7–9 5,13–14.16 5,20–22a.27– 28.33–34a.37 5,23–24 5,39a 5,45–48 6,1–6.16–18 6,7–8 6,9–13 7,7–11 8,5–10.13 10,24–25 10,32–33 10,34–35a.36 10,37 11,2–3 11,12 11,25–27ac 11,28–30
5 7 7 21 21 52 53 44 21 21 24 42 42 41 36 81 62 63 18 15 82 26 26
12,30 12,45c 13,24–30 13,45–46 14,3a.10b 14,66–68b.69–71 15,12–14 16,1–8 16,22 18,1–4 18,10 18,21–35 19,27 20,1–15 21,10–11 21,28–31 21,33 21,42a 22,39 23,13 23,24 25,14–30 25,31.33–46
62 71 35 53 15 89, fälschlich als Mt angegeben, eigentl. Mk 65 IV, 228 74 27 27 44 58 58 76 77 78 78 46 68 68 56 49
534
Verzeichnis der in der BG aufgenommenen Bibelstellen
26,34 26,49–50 26,73c.74c–75 28,16–20
85 87 89 95
Mk 1,1.4; 1,5 a c. 9–11 1,12 1,14b–15 1,16–20 1,21–27 1,29–34 b 1,35–38 1,40–42a.44 2,1–4 2,5–9.11–12 2,13–17 2,18–19a 2,21–22 2,23–28 3,1 3,2–6 3,7b–11 3,13–19 3,20–21.31–35 3,22–27 3,28–29 4,1–10.13–20.25 4,21 4,26–29 4,30–32 4,35–41 5,10 5,21–42.43b 6,5a.6a 6,12–13a.30–31 6,32–42 7,1–23 7,32–35.37 8,10–13 8,22 b–26a 8,27–31a 8,33 8,34–37 9,14–29 9,38–40 9,43–47.50b 10,2–12 10,13–14.16
7 7 8 8 9 9 10 11 10 10 14 63 62 62 64 62 20 16 18 71 71 33 34 82 34 36 10 12 17 60 19 65 12 31 10 74 74 62 39 51 51 67 27
10,17–27 10,32a 10,35–40 10,43–45 10,46–52 11,1–10ac 11,15–18 11,23 11,24–25 11,27b–33 12,2–9a 12,12 12,13–17 12,18–25 12,27 12,28ac.29a.30 12,31c–34b 12,35–37 12,40 12,41–44 13,1–2 13,3–6.9–11a 13,13c 13,28–29 13,32 13,33a.34–37.31 14,1–2.10–11 14,3–9 14,16–21 14,22–25 14,27–29 14,32–35a.36– 38.41b–42 14,43–44 14,46–49a 14,50–52 14,53–61 14,63–65 14,66–68b.69–71 15,1 15,2–15 15,16–20a 15,20b–21 15,22–32a 15,33–36 15,38–41 15,42–47
53 76 75 58 40 76 76 35 42 77 78 78 78 78 80 46 46 78 68 80 81 81 81 82 83 83 84 84 85 85 85 86 87 87 87 88 88 89, fälschlich als Mt angegeben 89 90 90 91 91 91 92 93
Verzeichnis der in der BG aufgenommenen Bibelstellen Lk 1,76–79 2,1–20.21b 2,25ab.26. 27b–35 2, 41–52 4,16–30 5,19 b 6,20a–23a 6,27–33 6,29–31 6,36 6,37–38ac.41–42 6,43–45 6,46–49 7,22–26a.28–35 7,36–49 8,1–3 9,27 9,52–56 9,57–62 10,13–15 10,17–20 10,23–24 10,29–37 10,38–42 11,1–4 11,5–8 11,20 11,24–26 11,29–30.32.31; 12,54–56 11,34–36 11,39–42ab 11,43 11,44–46 11,47–50.51c 11,5–12,1 12,2–3 12,4–7 12,13–21.33– 34.36–38 12,22b–32 12,42–46 12,48b 12,49–50 13,1–9 13,10–17 13,20–21 13,23–29
5 3 4 6 17 10 21 21 21 21 22 22 25 15 30 17 81 45 22 71 60 62 46 38 42 41 71 71 31 51 68 68 68 68 68 34 37 54 37 48 56 74 70 65 34 72
13,31–33 13,34–35a 14,15–24 14,28–33 15,3–7 15,11–32 16,1–9 16,10–12 16,13 17,1–2 17,5–6 17,7–10 17,11–19 17,20–21 17,24.26a.27.26b 17,25 17,34 18,1b 18,9–14 18,29–30 par. 19,1–10 19,39–40 20,36 20,40 21,17–18 22,24–25 22,24.(Wdh.) 27–30 22,31–38 22,53c 22,64c 22,67b–70 23,2 23,39–43 23,46 24,13–35 Joh 1,1–5.9–14.16–18 1,6–8.19–27.31. 33–34.28–30 1,35–51 2,1–11 2,12–16.18– 20.22ab 2,19 2,23–24 3,1–10.12–13.16– 21.31–36
74 68 73 52 14 27 47 56 53 27 35 59 43 82 83 74 83 41 29 58 30 76 80 80 18 58 85 85 87 88 88 89 91 91 IV, 228 99 101 102 104 105 I, Wdh, 81 106 106
535
536
Verzeichnis der in der BG aufgenommenen Bibelstellen
3,22–23.25–30 4,1.3–9a.10–21. 23–37.39–42 4,43.45b–53 5,2–3a.5–17a 5,17b 5,18–23.25– 26.30ac 5,31–37a 5,37b–39a.40.24 5,41–42.44–47 6,1–5.7–21.22a. 23–25 6,26–27.30ac–35. 37–39a.40ab.41– 44ab.45b–47.49– 53.58–59 6,60–64a.65–69 7,1–13 7,14–18.25–30 7,19–22a.22c–24 7,37–38a 7,40–43.31–36. 45–52 8,2–11 8,12 8,13–19 8,20 8,21–23.24b–25a. 28–29 8,31–45.47–59 9,1–34 9,35–41 10,19.21 10,22–26.12.13. 17–18.1–5.8.10– 11.14–15a.27–34a. 37–39 10,40–11,1 11,1 11,3–12.14–21. 23–41.43–44 11,45–51a.53–57 12,1–5.7.9–11 12,12–13.17–24a 12,24b–32.37a 12,34–36 12,37b–41 12,44–45
108
132 135 135
12,46–50 130 13,1–2a.4–10c.12– 15.34–35.16–16 142 13,21–24.25b– 26.27b.30 143 13,31–33 146 13,36–38 146 14,1–7a.8– 146 10.12.13b 14,18–23 147 14,27–28a.30.31 151 15,4–5.8 148 150 15,7 15,9–11.13–16b 149 149 15,18–19.21–23 16,1 149 16,16.17a.19–22 150 16,23b–24.26b– 27.28b–30a.30c–32 150 16,33 151 17,1–2b.4–11c. 13–14cc.15–17. 144 19–20.22–26 18,1a.2–5a.6b– 8.10–13 152 18,15–18.25b–27 153 153 18,19–24 18,28–31.33– 19,16a 154 19,1–16a 154 156 19,16b–22 19,25–30.31–34 157 158 19,38–42 20,1.11b.14b– 17a.17c–18a 159 20,19–23 159 20,24–29 160 20,30–31 160 21,1–4.7–9.12–13 94 21,15–17 95
135 138 139 139 140 131 141 121
Apg 2,2–4.6a.12–17a. 21–14.32–33.36b– 28.41–42 2,43b–47a 2,47b 3,1–8.11–16.26 4,1.3–22
109 112 118 118 119 120 121 121 113
114 116 117 122 118 123 123 I, 43 130 121 121 131 125 127 130 131
236 236 236 230 231
Verzeichnis der in der BG aufgenommenen Bibelstellen 4,23–30 4,31a 4,33 4,36–37 6,8–7,1 7,1.48–58.59b–60 8,1b–2 8,5–13 8,26–36.38–40 9,1–11.13–24 9.26 10,1–9a.17b–26. 30a.33b–36.44–48 11,1–4.15b–18a 11,19–26 14,8–23 15,23b–25a.27–29 16,8b–25.35–40 17,1b–10a 17,16–34 18,1–18a 19,23–20,1 20,1 21,17–36 22,3.4 23,16–25a.33.35b 28,13–16ac.30–31 Röm 1,16–17.18–21. 24–25b.28.32 2,1–9b.10a 3,21a.22–26.28 5,1–5.8–11 5,12.15.17.19 6,4.9–13.17.23 7,14b–15.17– 19.21–25 8,1a–2 8,5–17 8,18–30 8,31–35.37–39 9,16 10,4.9–11.12b– 15a.17 11,33–36 12,1–2 12,3–8 12,9–19a.21
233 234 236 236 237 237 237 239 240 245 245 242 242 241 256 252 258 260 262 264 270 270 272 245 274 275
178 178 178 180 181 182 182 182 183 184 185 172 172 185 186 186 187
13,1–10 13,11b.12–14 14,1–10.12– 19.22b–23 15,1–3a 15,5–6.13
220 187 217 217 188
1 Kor 172 1,4–9 1.17–18.21– 25.30b 173 173 2,6–16 3,3b–13a.16– 17.21b–23 IV, 268 4,1–2 173 221 4,20 6,19–20 221 208 8,1b–3 8,5–6 167 199 9,24–27 10,12–13 221 222 10,16–17 11,17–22.33– 34a.22bc (Wdh.) IV, 268 11,23b–25 222 222 11,26 12,3–17a.18.21a. 22.25–27 216 13,1–14,1a 208 208 14,1a 14,33.40 221 227 15,1–11 15,12–19 211 15,20.22.24.26.28c 212 15,35–44a.50.53– 55.57–58 212 16,13 221 2 Kor 1,3–10 1,24 3,4–6.17–18 4,1–6 (175) 4,7–11.16–18 5,14–21 6,1–10 7,10 11,32–33 12,7b–10
210 175 175 176 176 177 210 IV, 245 210
537
538
Verzeichnis der in der BG aufgenommenen Bibelstellen
13,8 13,11.13
221 221
Gal 2,1–6.9–10 2,11–21 3,23–28 4,1–9 5,1 5,6ac 5,13–17.19–26 6,1–5.7–9a.10b
IV, 251 IV, 254 188 188 188 208 189 189
Eph 1,3–10 3,14–21 4,1b–6.13–16 4,24–5,2a 5,1–5,2a 5,8–18 6,4b 6,10–18a
192 193 193 194 194 194 219 198
Phil 1,12–26 1,27ac–29 2,5–11 2,12b–16a 3,20–21 4,4–8.9b 4,10–19
IV, 266 196 196 197 211 197 IV, 266
Kol 1,9–12a.13–14 1,15–18–20 1,21–23a.26´–27 2,19 2,3.6–7.9–10.13bc. 14ac.15 3,1bc–4 3,14–15b 3,16–17 3,18–20 3,21b–24a.25 4,1a
191 191 191 191 191 192 194 194 219 219 219
1 Thess 2,1–2.9b–12.14–16 IV, 261 3,4–8 IV, 261
4,13b–14.17c 5,14–24
211 219
2 Thess 2,16–17 3,3.5
219 219
1 Tim 2,1–2 2,4–6a 3,16 6,11b–12
220 167 215 199
2 Tim 1,7 1,9–10 2,8a.11b–12a.13 4,6–8
221 167 199 IV, 276
Phil 1,12–26 1,27ac–29 2,5–11 2,12b–16a 3,20–21 4,4–8.9b 4,10–19
IV, 266 196 196 197 211 197 IV, 266
Hebräer 1,3–4 2,9–11.14– 15.17b–18 3,1–2a.12–14 4,12–13a 4,14–16 5,7–10a 10,35–36.39 11,1.6.33–34. 36–38 12,1–3 13,7–9b.20–21 13,14 13,16 Jak 1,2–7 1,17–18.21–25 2,15–17.26 4,7b–8a
167 168 169 199 169 168 169 170 170 171 221 221 203 204 204 221
Verzeichnis der in der BG aufgenommenen Bibelstellen 1 Petr 1,3–9 1,13b–21 2,3–5.9b 2,19–25 3,4 3,9.15–16 4,10 4,12–13 5,2–3 5,6–11
200 201 201 202 221 202 221 203 221 203
2 Petr 3,13
211
1 Joh 1,5b–a.8–10 2,1b–5a.8b–11 2,17b 2,23 2,29b–3,4a
205 205 221 208 206
539
3,1–4a.6.7b–9a. 10b.14–20 206 4,7–12.16b.19–20 206 5,10.12.18.4 208, Rfg. Offenb 1,8.17b–18 2,10b 3,11b 3,20 4,8b.11 5,9b–10.12 7,9–10.14b–17 11,15b 11,15b. 17–18 12,7–12 14,13 19,9a 21,1a.3–8
213 213 213 222 214 214 213 197 Wdh. 214 197 213 222 213
Außerdem sind folgende acht nichtbiblischen Textstücke aufgenommen (alle in BG I), für die es sicher lohnend wäre, nach der Intention für die Aufnahme in die BG zu fragen: (1) Origines, de orat.lib. 2,14 (BG 37, Glaube kennt kein ängstliches Sorgen (Luk. 12,22b–32; Origines, de orat. Lib. 2,14))) (2) Makarius hom. 37 Anf (BG 43, Glaube, Liebe, Hoffnung (Makarius hom. 37 Anf.)) (3) Hieronymus ad Ephes. 5,3–4(BG 48, Gott und Bruder (Apg. 20,35c; Hieronymus ad Ephes. 5,3–4; Clemens Alex. Strom 1,19,24)) (4) Clemens Alex. Strom. 1,19,24 (BG 48, Gott und Bruder (Apg. 20,35c; Hieronymus ad Ephes. 5,3–4; Clemens Alex. Strom 1,19,24)) (5) Origines Komm. Zu Matth. 17,31 (BG 51, Klug und klar, Origines Komm. Zu Matth. 17,31) (6) Matth. 20,28 Cod. D und Cur. Syr (BG 58, Alle Ehre liegt im Dienst (Luk. 22,24–25; Mark. 10,43–45; Matth. 20,28 Cod. D und Cur. Syr.) (7) Hieronymus Komm. zu Matth. 12,13 (BG 64, Das Herz folgt seinem eigenen Gesetz (Mark. 3,1; Hieronymus Komm. Zu Matth. 12,13; Mark. 3,2–6) (8) Didaskalia latina 11 (BG 76, Sei getreu bis in den Tod! (Didaskalia latina 11; Jak. 1,12))