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German Pages 114 [116] Year 1928
EIN JAHRZEHNT DEUTSCHAMERIKANISCHER POLITIK ) Eckardstein, Bd. III, S. 173. ) Dennett, Roosevelt, S. 173. (Der Brief ist am 13. Mai 1905 geschrieben.)
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lieilieft d . H . Z. 1 3 .
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Die deutsch-amerikanischen Beziehungen der Jahre 1897 bis 1900 waren keine allzu erfreulichen gewesen. Mit dem Amtsantritt Roosevelts sehen wir indessen das zweifellose Bemühen der deutschen Regierung, sie auf eine bessere Ebene zu bringen. Es gab ja auch keine Großmacht, mit der in ein gutes Verhältnis zu kommen für Deutschland an und für sich so leicht hätte sein müssen. Doch ist auch hier der oft bemerkte Zug deutscher Vorkriegspolitik, nämlich eine plötzliche Schwenkung ohne klares Zielbewußtsein und Kenntnis der Mittel nicht zu verkennen. Man sah in Berlin mit einem Male die Nützlichkeit guter Beziehungen zu den Vereinigten Staaten ein, und hatte man noch eben die Amerikaner nicht ganz für voll genommen, so begann jetzt ein Werben um ihre Gunst, das nicht selten Maß und Würde vermissen ließ. Es war ein Wettkriechen mit England um die amerikanische Freundschaft, wie es Graf Waldersee an einer Stelle seiner Tagebücher ausdrückt1). Trotzdem und vielleicht gerade deshalb entsprach der Erfolg nicht der aufgewendeten Mühe. Mit der noch zu schildernden Ausnahme des Zusammenstoßes in Venezuela war der Verkehr zwischen den Regierungen in Berlin und Washington seit 1901 in jeder Hinsicht korrekt, wenn nicht freundlich, besonders in den Jahren 1904/05 während des Krieges im Osten, wo ein gewisser „Parallelismus der Interessen" (Hashagen) sich herstellte. In den breiten Massen der Bevölkerung aber wie in führenden und ausschlaggebenden Schichten der Gesellschaft blieb die Abneigung gegen Deutschland, ja nahm noch zu, wenn sie auch nicht immer offen zutage trat. Wir wissen ja, daß selbst Staatsmänner wie John Hay von einem steten latenten Verdacht erfüllt waren, Deutschland durchkreuze amerikanische Pläne und sei geneigt, den Weltfrieden zu stören. Wie tief diese Anschauung wurzelte, zeigte die Tatsache, daß es nur irgendeines zufälligen Anlasses — wie Venezuela — brauchte, um- sofort eine feindliche Stimmung zu erzeugen. Aber erst der Weltkrieg war der alle noch bestehenden Illusionen vernichtende Beweis. Die Gründe dafür sind oft schwer zu greifen, es war mehr eine unbestimmte Atmosphäre, die sich in der Welt wie in Amerika zunehmend gegen Deutschland verdichtete, als etwas Gewisses, auf das man den Finger hätte legen können. Darum auch die Schwierigkeit, dem entgegenzuarbeiten. Klare Anschuldigungen konnte man unter Umständen widerlegen, Gefühle sind weniger leicht zu besiegen. Vielleicht war es die dunkle Ahnimg bei den instinktsicheren angelsächsischen Völkern, *) Waldersee, B d . I I I , S. 196, vgl. auch S. 190.
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daß Deutschland in seiner Tiefe Kräfte nicht gewöhnlicher Art barg, die den „Tag der Sachsen" bedrohten. Und darum der Wille, es zu isolieren. In den Vereinigten Staaten vollzog sich dieser Prozeß weniger rasch, weniger geradlinig, mit mehr Schwankungen und tatsächlichen oder scheinbaren Rückschlägen; dazu nicht so bewußt und verborgener, aber es wäre falsch, ihn deswegen zu übersehen. Jedenfalls waren die deutschen Bemühungen um Amerika nicht geeignet, ihn zu verhindern. Dennoch ließen Herrscher und Regierung nichts unversucht, wobei weite Kreise ihre Unterstützung liehen. 1902 sandte der Kaiser seinen Bruder Heinrich zu einer mehrwöchigen Reise durch die Vereinigten Staaten 1 ), die einen guten und erfreulichen Verlauf hatte. In Deutschland nahm man aber für ernst und Ausdruck eines dauernden Gefühls, was entweder nichtssagende Festrede und unverpflichtende Gastfreundschaft bei den öffentlichen Kreisen oder bloße Schaulust und Neugier der Massen war, die am nächsten Tage genau so einem Sportereignis oder Sensationsprozeß galt. Später wurde ein Professorenaustausch deutscher und amerikanischer Universitäten eingeleitet, welcher die gegenseitige Kenntnis der Länder befördern sollte. Ob er tief gewirkt hat, möchte man bezweifeln8). Dazwischen kamen offenbare Mißgriffe vor, wie die Schenkung einer Statue Friedrichs des Großen, die verstimmend wirkte. Mehr noch aber setzten Ereignisse in Mittelamerika, auf die wir jetzt eingehen müssen, die amerikanische Öffentlichkeit in Wallung. Seit der Besitzergreifung Kiautschaus und den Zwischenfällen vor Manila, die nach Ansicht der Amerikaner die deutsche Begierde nach territorialem Erwerb provoziert hatte, war in den Vereinigten Staaten der Argwohn gegen Deutschland genährt worden, daß dieses auch andernorts solchen Zielen nachgehe3). Vor allem suchte eine geschäitige Publizistik den Verdacht zu erwecken, daß die deutsche Marine nur auf den Augenblick *) Coolidge, S. 197, Schönemann, S. 16. ) Vgl. auch Penck, U.S.-Amerika, Gedanken und Erinnerungen eines Austauschprofessors. s ) Vgl. z. B., was Sternburg am 19. I I . 1903 über eine Unterhaltung mit Roosevelt berichtet: „ B e i Besprechung der Ursachen, welche der deutschfeindlichen Bewegung in den Vereinigten Staaten zugrunde liegen, erklärte der Präsident offen, daß sie durch das Vorgehen des Admiral Diederichs in Manila verursacht worden sei. Das amerikanische Volk habe darin eine Beleidigung seines nationalen Helden Admiral Dewey erblickt." Gr. Pol. 5 1 5 1 . 2
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lauere, wo sie sich neue Plätze zur Anlage von Kohlenstationen und maritimen Stützpunkten aneignen könne. Die Vereinigten Staaten waren natürlich am empfindlichsten in bezug auf den ihnen benachbarten süd- und mittelamerikanischen Kontinent, den sie als ihr ausschließliches Interessengebiet betrachteten. Mit der Ausdehnung seines Überseehandels hatte sich Deutschland nun dort mannigfache und gewinnbringende kommerzielle Beziehungen geschaffen. Die unsicheren Verhältnisse und gelegentlichen „Revolutionen" in einigen der lateinamerikanischen Staaten, wozu bisweilen Willkürakte einer nicht eben im europäischen Sinne gefestigten Regierung kamen, brachten aber hier und da dem deutschen Handel Schaden, oder führten zu Reklamationen. So war z. B. im November 1897 ein Deutscher, namens Lüders, in Haiti gefangen gesetzt worden. Die deutsche Regierung erhob Protest und stellte Entschädigungsforderungen, was Haiti zunächst veranlaßte, sich an die Vereinigten Staaten zu wenden. Zwar wurde Lüders durch Intervention des amerikanischen Konsuls befreit, doch da auch weiterhin eine Entschädigung verweigert wurde, mußten erst zwei deutsche Kriegsschiffe vor Porte au Prince erscheinen, um die Negerrepublik zum Nachgeben zu bringen. Während Staatssekretär Sherman in einem Schreiben an den Gesandten in Haiti, Mr. Powell, ausdrücklich die Unanwendbarkeit der MonroeDoktrin auf derartige Fälle betonte, ereiferten sich schon damals die Amerikaner über dieses „bullying of feeble American republics" (Chicago Tribüne) seitens Deutschlands. Es fehlte nicht an Stimmen, die den Versuch einer Festsetzung im westindischen Mittelmeer erkennen wollten1). Als Grund wurde angeführt, Deutschland wünsche in der Nähe des künftigen Durchstiches bei Panama eine Flottenstation zu erwerben oder sich in Venezuela oder Brasilien festzusetzen2). Die Abweisung eines im August 1898 erfolgenden Angebotes des Präsidenten der Dominikanischen Republik, Deutschland einen Landstrich auf der Insel zwecks Anlage einer Marinestation einzuräumen, beweist im Gegenteil, welche Zurückhaltung die deutsche Regierung übte3). Drei Jahre später (1901) gaben dann die Venezuela gehörigen und seiner Küste vorgelagerten Santa-Margarita-Inseln Anlaß zu einem Vgl. Kraus, Bülows Reden, I, S. *) Fürst Bülows Briefe Roosevelts. *) Gr. Pol. 4201
S. 2 5 1 ; Schieber I38f.; White, S. 272 und Fürst 6f. Reden, I, S. 435. Vgl. auch die früher angeführten bis 4204 (Bd. 15).
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diplomatischen Schritt des Washingtoner Staatssekretariats. Das amerikanische Marineamt wollte nämlich erfahren haben, daß deutsche Kriegsschiffe sich in der Nähe der Inseln aufgehalten und sie in Augenschein genommen hätten. Die Bundesregierung beauftragte daraufhin sofort ihren Berliner Geschäftsträger, Mr. Jackson, der deutschen Regierung zu eröffnen, daß jeder Versuch einer europäischen Macht, die besagten Inseln zu erwerben, zu einer Störung bestehender guter Beziehungen führen würde1). Gerade der Umstand, daß man solche Pläne, vorausgesetzt, daß sie überhaupt ernstlich bestanden, nicht weiter verfolgte, als man sah, daß sie in Washington auf Widerstand stoßen würden — und der Wunsch, auf der zukunftsreichen Meeresstraße nach dem Osten eine Kohlenstation zu besitzen, wäre gar nicht so unberechtigt und noch lange nicht eine Herausforderung der Union gewesen — zeigt, wie wenig man in Berlin daran dachte, die Monroe-Doktrin auf die Probe zu stellen. Erwähnt mag noch werden, daß manche Amerikaner auch glaubten, daß der geheime Einfluß Deutschlands 1902 den Verkauf der dänischen Inseln in Westindien an die Union hintertrieben habe, um sie eines Tages vielleicht selbst erwerben zu können. Jedenfalls war Staatssekretär Hay dieser Ansicht, wenn er sie auch nicht laut äußerte2). Ein Geschehnis von größter Tragweite, weil es zu direkter amerikanischer Vermittlung, wenn nicht Intervention führte, war das gemeinsam mit England erfolgende Vorgehen gegen Venezuela (1901 bis 1904). Dort hatten infolge innerer Wirren in den Jahren 1898 bis 1900 Deutsche beträchtlichen Schaden erlitten, dessen Wiedergutmachung die kaiserliche Regierung forderte8). Da sich Venezuela hartnäckig zeigte und dazu in nicht gerade höflicher Form Verhandlungen rundweg ablehnte, stand schon im Winter 1901/02 ein ernstlicher Schritt zur Wahrung der deutschen Rechte in Frage. Man wollte durch eine sog. „friedliche Blockade" Entgegenkommen zu erzwingen suchen, und deutsche Kriegsschiffe wurden in die venezolanischen Gewässer entsandt. Im Anschluß daran ließ die deutsche Regierung am 1 1 . Dezember 1901 in Washington ein Promemoria übergeben des Inhaltes, daß sie nichts als den Schutz ihrer geschädigten ') Kraus, S. 243; Schieber, S. 141 f.; Thayer II, S. 284. (Dort ist auch von dem phantastischen Gerücht die Rede, der Kaiser habe betreffs Überlassung zweier Häfen in Niederkalifornien — ,,for his own personal use" — mit Mexiko verhandelt.) s ) Coolidge, S. 201 und besonders Schieber, S. 1 8 1 ; Thayer, II, S. 294; Roosevelt-Lodge, II, S. 120 und 135. ') Kraus, S. 252ff.; Hill, S. 109.
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Untertanen bezwecke und unter keinen Umständen an Erwerb oder dauernde Besetzung venezolanischen Gebietes denke. Daran schloß sie eine Darlegung der zunächst in Aussicht genommenen Zwangsmaßregeln. Staatssekretär Hay dankte in seiner Antwort vom 16. Dezember für diese Bekanntgabe der deutschen Absichten und drückte seine Überzeugung aus, daß die mit der Durchführung Beauftragten nichts unternehmen würden, was nicht im Einklang mit diesen Erklärungen stände 1 ). Indem er jedoch auf Roosevelts Darlegungen über die Monroe-Doktrin in dessen Jahresbotschaft vom 3. Dezember 1901 hinwies, deutete er zugleich an, wo unter Umständen die Grenzen amerikanischer Zurückhaltung zu finden sein würden. Doch nahm man deutscherseits von einem schärferen Vorgehen gegen Venezuela noch Abstand, da sich Prinz Heinrich von Preußen gerade auf seiner Amerikareise befand, und man hoffte, mit England, das ähnliche Beschwerden hatte, zu einer gemeinsamen Behandlung der Frage zu gelangen. Erst Ende 1902 kam es daher nach vorausgegangenen deutsch-englischen Verhandlungen zu energischem Eingreifen. Am 7. Dezember stellten beide Mächte ein 24 stündiges Ultimatum in Caracas. Da keine befriedigende Antwort gegeben wurde, erfolgte der Abbruch der diplomatischen Beziehungen und die Anwendung der vorgesehenen Zwangsmittel, die kriegerischen Charakter trugen, ohne daß offiziell der Kriegszustand herrschte. Die wenigen in Besitz Venezuelas befindlichen Kriegsschiffe wurden weggenommen und versenkt2), am 13. Dezember ein Fort bei Puerto Cabello beschossen. Kaum jedoch waren diese Maßnahmen erfolgt, so ließ es sich schon die englische Presse angelegen sein, Deutschland als den ,,Haupturheber der ganzen Aktion und insbesondere aller Zwangsmaßregeln" hinzustellen und den Unmut der Vereinigten Staaten auf Deutschland abzulenken3). Dabei hatte gerade London die gemeinsame Aktion *) Foreign Relations (1901), S. 19^ bis 196; Moore, V I , S. 5 8 6 f r ; Schieber, S. 1 4 3 f. 2 ) Diese Versenkung erfolgte aus technischen Gründen auf Befehl des deutschen Kommandanten, was besonders in der Presse ,,zu der Behauptung und dem Vorwurf Anlaß gab, daß Deutschland allzu geneigt sei, mit unnötiger Schärfe vorzugehen". Gr. Pol. 5 1 2 2 . ' ) Gr. Pol. 5 1 2 0 u. Anm. Ferner Schieber, S. I48f.; Fürst Bülows Reden, I, S. 399f. und besonders S. 4 3 5 ; Coolidge, S. 198 u. 2 3 8 ; Fiedler. S. 128 u. 1 2 g f . Vgl. auch, was Graf Bernstorff, der zu dieser Zeit als Botschaftsrat nach London versetzt wurde und dort einen Teil der Venezuelaverhandlungen führte, sagt: ,,Der von uns in Bewegung gesetzte Apparat war im Verhältnis zu den deutschen Forderungen viel zu groß. Die erste Anregung zu
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angeregt, nun aber sollte das hinterlistige Deutschland England sozusagen in eine Falle gelockt haben. Man wollte zwar die Vorteile einstreichen, das Odium des gewaltsamen Vorgehens hingegen auf den unliebsamen Genossen abwälzen, was auch im großen und ganzen gelang. Wir sehen, daß auch solche scheinbar nebensächlichen und lokalen Vorgänge immer wieder den Blick in die weiten Perspektiven der gesamten gleichzeitigen Weltpolitik eröffnen und durch diese erst ihre eigentümliche Farbe empfangen. Die energische Aktion Deutschlands und Englands, denen sich Italien am n . Dezember noch hinzugesellte, hatte den Erfolg, daß Präsident Castro einzulenken begann, indem er sich dabei des amerikanischen Vertreters in Caracas, Mr. Bowen, bediente. Durch ihn ließ er das Anerbieten auf Einsetzung eines Schiedsgerichtes stellen. Am 13. Dezember brachte der amerikanische Botschafter Charlemagne Tower diesen Vorschlag in Berlin zur Kenntnis. Dasselbe geschah in London. Dort war man infolge der immer schwieriger werdenden öffentlichen Meinung und der vorauszusehenden parlamentarischen Anfragen geneigt, weitmöglichst nachzugeben, um die unangenehme Affäre aus der Welt zu schaffen. Die deutsche Regierung wollte zwar in ihren Forderungen nicht weiter gehen als England, setzte aber berechtigtes Mißtrauen in die Aufrichtigkeit Castros und wünschte in Hinblick auf die begonnene Unternehmung nun auch die Regelung aller Reklamationen sicherzustellen. Es waren sachlich gerechtfertigte Einwände angesichts der notorischen Unzuverlässigkeit und des schlechten Willens Venezuelas1). Dennoch machte sie sich nach kurzem Bedenken und Zögern den Schiedsgedanken zu eigen, nachdem diplomatische Besprechungen in London Überder gemeinsamen Aktion ging zwar von englischer Seite aus, es wäre aber unsererseits klüger gewesen, diese Anregung zu überhören. Mit unbedingter Sicherheit war vorauszusehen, daß die amerikanische Regierung gegen ein derartiges Vorgehen europäischer Mächte in Südamerika Einspruch erheben und daß England seiner Gewohnheit entsprechend vor den Vereinigten Staaten zurückweichen würde, sobald deren Mißfallen deutlich erkennbar war. Als die amerikanische öffentliche Meinung mit Heftigkeit protestierte und dabei als feststehend annahm, daß Deutschland in Venezuela Fuß fassen wolle, fiel uns die englische Presse in den Rücken mit der Behauptung, die Aktion sei von Deutschland eingeleitet, um England und die Vereinigten Staaten miteinander zu verfeinden." (Bernstorff, Deutschland und Amerika, S. 13/14.) ') Gr. Pol. 5121 u. 5123 bis 5125 (vgl. auch 5140 u. 5149); Moore, VI, S. 590
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einstimmung hinsichtlich gewisser Vorbehalte gebracht hatten. Am 17. Dezember wurde an Tower ein Memorandum übergeben, des Inhalts 1 ): „Die kaiserliche Regierung hat den Vorschlag, ihre Forderungen gegen die venezolanische Regierung einer Schiedsinstanz zu unterbreiten, unter gewissen, dem amerikanischen Botschafter soeben mitgeteilten Vorbehalten angenommen und dabei die Hoffnung ausgesprochen, daß der Präsident der Vereinigten Staaten das Schiedsamt übernehme werde. Im Einvernehmen mit der britischen Regierung glaubt die kaiserliche Regierang hierin jede Gewähr für eine befriedigende Erledigung der Angelegenheit gefunden zu haben, so daß dieser Weg vor der von der venezolanischen Regierung neuerdings vorgeschlagenen Alternative, mit den beiden Mächten durch Vermittlung des amerikanischen Gesandten Bower zu verhandeln, den Vorzug verdient." Roosevelt jedoch lehnte am 27. Dezember das ihm angetragene Amt zugunsten einer Verweisung des Streitfalles an das Haager Schiedsgericht ab, „regte aber eine diplomatische Vorkonferenz zur Regelung der Präliminarien in Washington an"*). Wir sind in unserer Darstellung bis zu diesem Zeitpunkt dem Bilde gefolgt, wie es sich aus den heute bekannten Akten ergibt. Im Jahre 1915 erschien nun in der Biographie John Hays von Thayer eine Version, die Roosevelt bezüglich der eben geschilderten Vorgänge in einer höchst dramatischen Rolle erscheinen ließ und zu der wir deshalb notwendigerweise Stellung nehmen müssen3). Da sich schon damals Zweifel an der Tatsächlichkeit des Behaupteten erhoben, schrieb Roosevelt am 29. August 1916 einen Brief an Thayer, in welchem er nicht nur eine Bestätigung, sondern selbst eine ergänzende Darstellung gab. Als Beweis für deren Richtigkeit fügte er zwei weitere Zeugnisse bei, nämlich einen Brief Admiral Deweys und einen solchen seines Freundes, des angeblich gleichfalls eingeweihten Mr. A. W. Callisen. Nach Roosevelt hätten sich nun die fraglichen Vorgänge wie folgt abgespielt. Er will zunächst in der Annahme, daß es Deutschland auf Anlage einer Flottenstation in irgendeiner Form oder auf Landerwerb im Bereiche des Panamakanals abgesehen hatte, die atlantische Flotte unter Ad») Gr. Pol. 5126. *) Gr. Pol. 5128 und 5129; vgl. auch Fürst BOlows Reden I, S. 398 ff. Die Ablehnung war auf Hay zurückzuführen. (Thayer, II, S. 288.) *) Thayer, II, S. 286 ff. Der bestätigende Brief Roosevelts ist im Anhang der späteren Auflagen dieses Werkes gleichfalls abgedruckt. Vgl. auch Bishop, I, S. 221 bis 226; Rhodes, S. 249ff. und Mowat, S. 299ff.
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miral Dewey — for manoeuvers — gefechtsbereit sich bei Porto Rico haben sammeln lassen mit der geheimen Instruktion „to sail at an hour's notice". Dann habe er Herrn von Holleben zu sich gebeten, um ihm zu sagen, daß er angesichts der deutschen Kriegsschiffe an den venezolanischen Küsten nicht länger auf Antwort hinsichtlich des Schiedsvorschlages (doch wohl vom 13. Dezember) warten könne, sowenig wie er irgendeine Besetzung venezolanischen Bodens — auch keine vorübergehende — dulde. Der Botschafter sei einer festen Antwort ausgewichen. Darauf habe ihn Roosevelt ersucht, der deutschen Regierung mitzuteilen, daß, wenn innerhalb soundso viel Tagen (!) keine Zustimmung zur schiedlichen Erledigung des Falles erfolge, er Dewey zur Beobachtung der Deutschen in die venezolanischen Gewässer beordern würde. Holleben habe ,,grave concern" gezeigt und auf die ernsten Folgen einer solchen Handlung hingewiesen, „so serious to both countries that he dreaded to give them a name". Mehrere Tage später sei ein neuer Besuch des deutschen Vertreters erfolgt. Als er auf die Frage des Präsidenten, ob er Nachricht von seiner Regierung habe, dies verneinen mußte, habe ihm Roosevelt mitgeteilt, daß unter diesen Umständen längeres Warten überflüssig sei und Dewey schon 24 Stunden früher in See stechen werde. Holleben wäre sehr bestürzt gewesen, habe aber keine Erklärung über Annahme des Schiedsspruches abgegeben. Indessen sei die deutsche Zustimmimg innerhalb kurzer Frist aus Berlin eingelaufen mit dem Ersuchen, der Präsident möge selbst das Schiedsamt übernehmen1). Zur Kritik dieser Roosevelt'schen Darstellung ist nun folgendes zu bemerken*). Der Brief (wie auch die Erzählung *) Callisen ergänzt Roosevelts Bericht noch durch folgende Mitteilungen: „ T h e first time Holleben informed his government that probably Roosevelts attitude was a bluff; but on second thought went to his friend Buenz (deutscher Generalkonsul in New-York) for advice." Und weiter unten: „Holleben was obliged to eat his own words and telegraph in hot haste to Berlin, where his message fell like a bomb shell. You know the rest. This resulted in Holleben's being recalled and dismissed from the diplomatic service . . . When he sailed from Hoboken not a single member of the diplomatic corps or German official dared to see him off. Only Buenz (and I) dared to brave official disapproval, and went on board to bid him farewell." (Bishop, I, S. 225). *) Daß auch von amerikanischer Seite jetzt die Richtigkeit der Roosevelt'schen Darstellung bestritten wird, beweist das eben erschienene Buch von Howard C. Hill, Roosevelt and the Caribbean, vgl. S. 1 2 3 bis 146.
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Thayers, die auf privaten Mitteilungen des Ex-Präsidenten beruhte) ist fast vierzehn Jahre später geschrieben und geht nicht etwa auf ältere Aufzeichnungen zurück, da sich solche weder unter den Papieren Hays (die Thayer benutzte) noch unter den heute zugänglichen Roosevelts gefunden haben. Dazu kommt, daß der Bericht unter dem unverkennbaren Einfluß der Kriegspsychose, der Roosevelt bekanntlich nicht wenig verfallen war, abgefaßt ist, vielleicht aber auch im Hinblick auf die damals bevorstehende Nomination des Präsidentschaftskandidaten, woran Roosevelt ja auch keineswegs uninteressiert war. Die stärksten Bedenken indessen rufen die vagen Zeitangaben hervor, die sich nicht mit den durch die Akten bekannten vereinen lassen. Nach Roosevelt müssen, nachdem „the usual methods of diplomatic intercourse" angeblich keinen Erfolg gezeitigt hatten, zwischen der ersten und zweiten Unterredung mit Holleben mehrere Tage (a certain specified number of days) — nach späteren Angaben in Reden in Chicago und New York ist es eine ganze Woche gewesen, während das „Ultimatum" auf zehn Tage befristet war — verstrichen sein. Nun aber wurde Venezuelas Schiedsgerichtsbegehren am 13. Dezember in Berlin durch den amerikanischen Botschafter ohne Kommentar übermittelt und am 17. Dezember schon erklärte sich die deutsche Regierung zur Annahme bereit. Wann sollte demnach die Pression des Präsidenten stattgefunden haben, von der die Akten nichts enthalten ? Was schließlich die beiden Zeugen Roosevelts anbelangt, so sagt Dewey nur, daß er den schon erwähnten Befehl hatte ,,to be ready to move at an hour's notice", hingegen wußte er, wie Thayer selbst zugibt, nichts von der Krise selbst; während gegenüber Callisens gleichfalls unbestimmten Angaben dieselben Einwände und Bedenken bestehen wie hinsichtlich derer Roosevelts. Diese ganze Ultimatumsgeschichte kann deshalb nur mit größter Reserve aufgenommen werden. Daß der Präsident in privaten Gesprächen mit dem deutschen Botschafter nachdrücklich für das Schiedsgerichtsverfahren eingetreten ist und vielleicht mit gewichtigen Worten auf den Ernst der Lage hingewiesen hat, ist als möglich und wahrscheinlich anzunehmen, nichts aber spricht dafür, daß es zu drohenden und ultimativen Forderungen kam. Der amerikanische Historiker Howard C. Hill, der neuerdings die Venezuelaaffäre genau untersucht hat, wagt die Vermutung, daß Roosevelt — abgesehen von der ausschmückenden lebhaften Phantasie und der heftigen Feindschaft des Ex-Präsidenten gegen Deutschland während des Krieges — möglicherweise in der Erinnerung spätere Vorgänge mit früheren zusam-
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menwarf ). Wie wir gleich sehen werden, erregte nämlich die Ende Januar von deutscher Seite erfolgte Beschießung des venezolanischen Forts San Carlos einen heftigen Ausbruch des Unwillens in der Union, und auch offizielle Kreise mißbilligten damals deutlich und scharf Deutschlands (übrigens sehr berechtigtes) Vorgehen. Vielleicht verwechselte Roosevelt Gespräche, die er zu dieser Zeit mit dem neuen deutschen Geschäftsträger und späteren Botschafter, dem uns als Mitglied der Samoakommission schon bekannten Freiherrn Speck von Sternburg, hatte, mit solchen mit Holleben, der schon Ende Dezember aus Gesundheitsrücksichten aus Washington abberufen worden war. Wir hatten oben gesehen, daß die Blockademächte unter Vorbehalten einem schiedsrichterlichen Verfahren zugestimmt hatten. Auf dieser Basis begannen im Januar Verhandlungen in Washington, nachdem Venezuela die Vorbehalte, welche die Regelung bestimmter, an erster Stelle zu befriedigender Forderungen betrafen, angenommen hatte. Als Bevollmächtigter der venezolanischen Regierung wirkte wiederum Mr. Bowen, der zu diesem Zwecke nach Washington kam. Er setzte sich vor allem für eine baldige Aufhebung der Blockade ein. Unglücklicherweise ereignete sich gerade in jenem Augenblick ein Zwischenfall, der wie kein anderer in dieser Angelegenheit in den Vereinigten Staaten heftige Gefühlsausbrüche gegen Deutschland erzeugte und dieses in den Augen der Amerikaner vollends ins Unrecht setzte. Bei der Durchführung der Blockade war das deutsche Kriegsschiff „Panther" vom Fort San Carlos aus beschossen worden, worauf letzteres am 21. Januar zur Strafe durch Geschützfeuer zerstört wurde. Auch in Regierungskreisen äußerte man sich scharf gegen diese deutsche Maßnahme. „Zu keiner Zeit während der venezolanischen Verwicklung ist die Stimmimg gegen uns hier so gereizt gewesen als jetzt", meldete Sternburg aus Washington2). Für die große Masse der Amerikaner stand es ganz einfach fest, daß Deutschland im Unrecht war, und man hielt es daher für überflüssig, überhaupt auf eine Prüfung der näheren Umstände einzugehen. In dem Feldgeschrei von der angeblich bedrohten Monroe-Doktrin ging alle vernünftige Überlegung rettungslos unter3). >) HUI, S. 146 ') Gr. Pol. 5 1 3 3 u. Anm.; Hill, S. 143 ff. Vgl. dazu die gerechte Ansicht Whites, S. 363. *) Man vergleiche die deutlichen Worte Andrew D. Whites dazu: „ T a t sachlich kam hier die Monroedoktrin ebensowenig in Betracht wie die ewige Seligkeit der Heiligen. Jedenfalls bot sich aber hier wieder eine Gelegen-
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Die eigentliche Schwierigkeit bei den Verhandlungen in Washington bildete neben der Frage der Sicherheiten die Forderung der Blockademächte auch die zweitklassigen Forderungen an bevorzugter Stelle aus den venezolanischen Zolleinnahmen befriedigt zu sehen, was Mr. Bowen keinesfalls zugestehen wollte. Überhaupt suchten sich die Vereinigten Staaten als Schutzherren Südamerikas gegenüber den brutalen und gierigen Europäern aufzuspielen, wobei natürlich Vinter letzteren aus oben angedeuteten Gründen vor allem die Deutschen verstanden wurden1). Da in England der Druck auf die Regierung sich mehr und mehr verstärkte, den Amerikanern nachzugeben, wurde unter englischem Vorantritt abermals Präsident Roosevelt in der strittigen Frage zu einer schiedlichen Entscheidung aufgefordert. Er lehnte auch diesmal ab, so daß nun der Haager Schiedshof in dem am 13. Februar 1903 unterzeichneten Protokoll durch gegenseitige Vereinbarung als maßgebende Instanz eingesetzt wurde. Dieses Protokoll war nach schwierigen Verhandlungen, bei denen der neue deutsche Botschafter, Speck von Sternburg, sich als gewandter, wenn auch oft zu nachgiebiger Unterhändler erwies, endlich zustande gekommen und setzte den Schlußstrich unter diese unerquickliche Affäre 8 ). Auch sie, nach einem bekannten Wort, nur einer Fußnote in der großen Geschichte wert, aber als plötzliches Schlaglicht auf gewisse sich vorbereitende weltpolitische Entwicklungen und als „Stimmungsbild" nicht ohne Bedeutung. beit, über Deutschland loszuziehen, und diese Gelegenheit mußte ausgenutzt werden. Denn obwohl Deutschland stets beflissen war, alle Vorschriften des internationalen Rechts auf das genaueste einzuhalten, wurde doch jeder Schritt, den es unternahm, von einigen amerikanischen Blättern als eine Bedrohung der Vereinigten Staaten dargestellt. Fflr die Vereinigten Staaten lag hier ebensowenig eine Gefahr vor, wie für den Planeten Saturn." (White, S. 363.) Vgl. auch Schiemann (1903), S. 37. Gr. Pol. 5141 u. 5142. *) Gr. Pol. 5143, 5148, 5150.
Kapitel
V.
Deutsch-amerikanisches Zusammengehen im Fernen Osten. 1904-1905. Inzwischen war der Ferne Osten zum Brennpunkt eines scharfen russisch-japanischen Gegensatzes geworden und rückte damit erneut China in den Vordergrund auch der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Grund des Konfliktes war bekanntlich, daß die Russen keine Anstalten trafen, die seit den Boxerwirren besetzte Mandschurei zu räumen, vielmehr auch in Korea Fuß zu fassen suchten. Japans wirtschaftliche und politische Lebensnotwendigkeiten verboten die Festsetzung eines mächtigen Staates auf dem nur durch einen schmalen Meeresarm getrennten Festlande. Schon 1902 hatte deshalb angesichts der russischen Gefahr Graf Hayashi das Bündnis mit England zustande gebracht. Trotzdem strebte eine nicht schwache Partei unter Führung Marquis Itos einen Ausgleich mit Rußland an. Diese Versuche scheiterten indessen vor allem an den kriegstreiberischen Machenschaften von Großfürsten, Militärs und zweifelhaften, den schwachen Zaren beherrschenden Elementen, nach Art Besobrasows, wie ein der Zerfahrenheit der gesamten russischen politischen Leitung 1 ). Warnende Stimmen wie die Graf Wittes oder des Barons Rosen (Botschafter in Tokio) blieben ungehört. Alles deutete auf einen nahen Entscheid durch die Waffen. England mußte bei einem solchen von vornherein ein der Seite seines Verbündeten stehen. Aber auch die Vereinigten Staaten hatten in wachsendem Mißtrauen und schließlich kaum verhüllter Gegnerschaft Rußlands nicht zweifelhafte Pläne im Fernen Osten beobachtet. Sie neigten daher der englisch-japanischen Gruppe zu, und Roosevelt versicherte Japan der wohlwollenden Neutralität Amerikas im Fall des Krieges2). Einen eigentümlichen Platz ') Vgl. dazu jetzt Langer, Der Russisch-Japanische Krieg (Europ. Gespr. I V , 6). a) Eckardstein, Bd. III, S. 189; Dennett, Roosevelt S. 27, vgl. auch S. 118: , , B y force of circumstances therefore, the United States became for the moment as much a p a r t of the Anglo-Japanese alliance as though its signature had been a t t a c h e d . "
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nahm Frankreich ein, da es seinem Bundesgenossen die Unterstützung in dessen mit gemischten Gefühlen begleiteter Ostasienpolitik nicht ganz versagen wollte, andererseits bestrebt war, die Fäden der Delcasseschen Annäherung an England enger zu knüpfen. Auch Deutschland war vor schwierige Entscheidungen gestellt. Es hatte Rußlands Wendung gegen die Küste des Stillen Ozeans als willkommene Entlastung seiner Ostgrenze begrüßt und deshalb stark begünstigt, wie am augenfälligsten aus den Briefen des Kaisers an den Zaren hervorgeht. Eine zu offene Unterstützung Rußlands konnte jedoch nur zu leicht zu einer Hineinziehung in den Konflikt führen und war deshalb zu vermeiden. Zudem hatte Roosevelt zu Beginn des Russisch-Japanischen Krieges Deutschland und Frankreich vorsichtig und höflich andeuten lassen, daß er im Fall eines Versuches, eine ähnliche Kombination wie die von 1895 gegen Japan zustande zu bringen, auf die Seite dieses letzteren treten würde 1 ). Auch ein Zeichen, wie sich die Dinge seit 10 Jahren gewandelt hatten. Aber Deutschland hatte ja gar keine derartige Absicht. Es war vielmehr zu verhüten bestrebt, daß andere Mächte den russisch-japanischen Konflikt, unter welchem Vorwand immer, zur Ausdehnung ihrer politischen Interessensphäre in China nutzten. Den ausbrechenden Kampf möglichst zu lokalisieren, um seine Ausdehnung oder auch nur Rückwirkung auf die zentralchinesischen Provinzen zu unterbinden, schien ihm die beste Politik. Und hier war es, wo sich — von einem Punkt abgesehen — Deutschland und Amerika treffen sollten. Beide wünschten die möglichst unversehrte Erhaltung des chinesischen Reichskörpers, beide auch keine zu empfindliche Störung des bestehenden Mächtegleichgewichtes, d. h. keinen entscheidenden Sieg der einen oder anderen Partei. Aber während die Vereinigten Staaten zu Japan neigten, stand Deutschland mehr auf der Seite Rußlands und wünschte einen Sieg desselben, der zwar Japan niederwarf, aber nicht so vollkommen, daß nicht weiter die russischen Kräfte im Osten beansprucht und festgelegt würden. Ein solcher Sieg mußte auf Kosten Nordchinas, der Mandschurei und Koreas gehen, und Deutschland war bereit, diese Landstriche Rußland einzuräumen2). Das hatte ja 1901 die deutsche Auslegung des Roosevelt an Spring-Rice, 24. J u l i 1905. (Dennett, Rooseelt, S. 22 und 30). Roosevelt wußte natürlich damals noch nichts von der vor dem Abschluß stehenden englisch-französischen Entente, die so etwas ganz unwahrscheinlich machte. 2 ) Wilhelms I I . Briefe an den Zaren, S. 104 (3. I. 1904).
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Jangtseabkommens gezeigt, die so bittere Gefühle in England hervorgerufen hatte. Aber für Amerika war jene Aussicht alles andere als angenehm. Es wollte die volle Integrität Chinas. Von Japan befürchtete es keine oder doch nur eine geringe Beeinträchtigung derselben (was sich später als Irrtum erwies). Am 8. Februar 1904 brach der seit einigen Monaten unvermeidlich gewordene Krieg aus. Die südliche Mandschurei wurde das Kampffeld, auf dem die Armeen sich zum Angriff anschickten, nachdem die russische Flotte durch einen überraschenden Uberfall der japanischen vernichtet oder in Port Arthur eingeschlossen worden war. Der erste Gedanke einer Neutralisierung der dem zu erwartenden Kriegsschauplatz benachbarten Gebiete ging Anfang Februar von Frankreich durch dessen Gesandten in Peking aus, war aber beschränkt auf die Provinz Tschili und deren Hauptstadt 1 ). Wie aus einer Randbemerkung Holsteins hervorgeht, fürchtete dieser nun, daß Delcasse ihn als eine Schutzmaßregel gegen angebliche deutsche Machenschaften lancieren würde. Um daher Verdächtigungen bezüglich deutscher Annexionsgelüste gar nicht erst aufkommen zu lassen2) und andererseits selbst Sonderbestrebungen Frankreichs und Englands außerhalb Tschilis im Süden oder am Jangtse vorzubeugen, griff man den Vorschlag in Berlin auf, indem man ihn erweiterte. Ganz China außer der Mandschurei sollte einbezogen und neutral erklärt werden. In dieser Form wurde er am 5. Februar sowohl nach Peking zwecks Besprechung mit dem amerikanischen Gesandten Conger als auch nach Washington an Sternburg übermittelt, um Roosevelts Ansichten darüber einzuholen. Der Präsident unterzog denn auch sogleich den ihm vorteilhaft erscheinenden Plan genauer Prüfung, und nach kurzen Besprechungen in den nächstfolgenden Tagen erklärte sich die amerikanische Regierung bereit, sich bei den Großmächten für seine Durchführung einzusetzen, indem sie ihre Vertreter in London, Paris und Berlin anwies, die erforderlichen Schritte bei den dortigen Regierungen zu tun. Dabei war aber auf den Rat Hay's hin eine charakteristische Änderung an dem ursprünglichen deutschen Entwurf vorgenommen worden. Der Grund lag in der oben angedeuteten verschiedenen Stellungnahme Deutschlands und der Vereinigten Staaten zu Rußland. !) Gr. Pol. 5976. 2 ) Der „ N e w Y o r k Herald" hatte berichtet, Deutschland habe sich von Rußland die Provinz Tschili versprechen lassen und dafür den Verschluß der Ostsee zugesichert (Gr. Pol. 5976/77).
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Die amerikanische Formel ließ nämlich den Passus über den nicht in die Neutralisierung einzubeziehenden Kriegsschauplatz (Mandschurei) weg und setzte dafür das Unbestimmtere und zugleich Umfassendere: „to induce them (die Kriegführenden) to respect the neutrality of China and in all practicable way her administrative entity" ein J ). Die Sondierungen der amerikanischen Botschafter in den drei europäischen Hauptstädten hatten die Annahme des deutschamerikanischen Vorschlages zur Folge, der daraufhin den beiden kriegführenden Mächten unterbreitet wurde. Auf Japan brauchte nicht erst ein Druck ausgeübt zu werden, in Petersburg dagegen bedurfte es etwas eindringlicherer Hinweise. Mc Cormick, dem sich seine französischen und englischen Kollegen wie auch der deutsche Botschafter von Alvensleben anschlössen, sprach den ernsten Wunsch Amerikas aus, daß sich Rußland auf die vereinbarte Formel verpflichte. Letzteres konnte unter diesen Umständen nicht gut ausweichen und trat der Erklärung bei, machte hingegen die Mandschurei ausscheidende Vorbehalte und stellte so gewissermaßen den ursprünglichen deutschen Entwurf wieder her2). Hatten Deutschland und Amerika sich derart bei Ausbruch des Krieges über eine gemeinsame Linie verständigt, so führte dessen Verlauf zu noch engerem Hand-in-Hand-Arbeiten beider Staaten. Besonders waren es die folgenden Erwägungen, die Bülow und Holstein engen Anschluß an die Union suchen ließen: England am Jangtse und Frankreich in den seiner hinterindischen Kolonie anliegenden südchinesischen Provinzen hatten bei einer auf Kosten Chinas unter irgendeinem Vorwand herbeigeführten Einmischung den besten Gewinn zu erhoffen. Eine Erweiterung deutscher Rechte in Schantung, die als Kompensation allenfalls für Deutschland hätte herausspringen können, wog die Nachteile einer Zerstückelung Chinas nicht auf. Irgendwelche dahinzielende Gr. Pol. 5977, 5978 u. 5980; Dennett, Roosevelt, S. 69; Foreign Relations (1904), S. 2/3 u. 309f.; Thayer, II, S. 372. Einen Hinweis auf Korea, das sich gleichfalls neutral erklärt hatte, ließ H a y weg. Es war ja bereits stillschweigend Japan zugesprochen worden (vgl. Gr. Pol. 5986). Man sieht, auch Amerika nahm es nur cum grano salis ernst mit der Neutralität Chinas. Es konnte sich also eigentlich nicht beschweren, wenn Deutschland die Mandschurei zugunsten Rußlands ausnahm. a) Gr. Pol. 5981, 5984 u. 5990; Dennett, Roosevelt, S. 70. Auch Deutschland hatte in seiner offiziellen Antwort im Interesse der Russen den vorsichtigen Zusatz gemacht: ,,to cooperate . . . to assure the neutrality of China in so far as this may be compatible with the respective military interest of the two belligerent powers."
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Intrigen aber waren ein für allemal am besten unmöglich zu machen, wenn man sich tatkräftig und unzweideutig für die „offene Tür" der Rooseveltschen Politik einsetzte. Selbstverständlich sollte der durch den Ausgang des Krieges zu erwartenden Machtverschiebung zwischen Rußland und Japan in Korea oder der Mandschurei in irgendwelcher Form Rechnung getragen werden, doch sollte sie sich in annehmbaren Grenzen halten. Eine Schwierigkeit lag allerdings darin, daß alle in Verfolgung dieser Politik unternommenen Schritte nicht Rußland verletzen durften, mit dem möglichst gute Beziehungen aufrechtzuerhalten man in Berlin für nötig erachtete. Die Russen sollten weder ihre ostasiatischen Pläne und Ziele fahren lassen, noch einen manchmal gefürchteten Ausgleich mit England durch Tauschgeschäfte auf chinesischem Gebiete suchen. Wir spüren hier deutlich die mißtrauische Wachsamkeit Holsteins. Neben scharfen Voraussichten stehen aber auch unmittelbar phantastische Einbildungen und Mutmaßungen, die vor allem hinsichtlich der englichen Politik fehlgingen. Präsident Roosevelt war dagegen der festen Uberzeugung, daß England nichts gegen China unternehmen werde. Er dürfte mit dieser Ansicht ungefähr recht gehabt haben. Denn England war viel zu sehr auf Erhaltung seiner guten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten bedacht, als daß es deren Ostasienpolitik direkt zuwider gehandelt hätte 1 ). Eher schon hegte Roosevelt gegen Frankreich Verdacht; Delcasse, dem er allerhand dunkle Pläne zutraute, stand nicht in hoher Achtung bei ihm. Wir werden später sehen, daß Frankreich einen Versuch machte, bei der Friedensvermittlung eine maßgebende Rolle hinter den Kulissen zu spielen. Hingegen war Roosevelts anfängliches Mißtrauen gegen die deutsche Chinapolitik sichtlich im Entschwinden. Es ist ja zu bedenken, daß es die Ereignisse im Gebiete des pazifischen Ozeans gewesen waren, die vor und um die Jahrhundertwende so wesentlich zur Verschärfung der deutsch-amerikanischen Beziehungen Anlaß gegeben hatten : Samoa, die Besetzung Kiautschaus, die Vorkommnisse in der Bucht von Manila und endlich die Boxerwirren. Dazu kam das beargwöhnte Verhältnis Deutschlands zu Rußland. Fanden doch, abgesehen von der sehr wohlwollenden Neutralität Deutschlands, tatsächlich 1904 Bündnisverhandlungen zwischen Berlin und St. Petersburg statt, die dann allerdings nur die nicht sehr weitgehende Erklärung RußDennett, Roosevelt, S. 37: „Fundamental in all that he (Roosevelt) did in 1905 was the assumtion that British and American interests in the F a r East, if not in Europe, were identical." Beiheft d. H. Z. 1 3 .
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lands zum Ergebnis hatten, daß es Deutschland beistehen werde, wenn diesem aus den Kohlenlieferungen an das Baltische Geschwader Gefahren erwüchsen. Es war natürlich, daß manches von diesen deutsch-russischen Besprechungen durchsickerte, vergröbert von geschäftigen Zwischenträgern, und infolgedessen der Argwohn gegen Deutschland nie ganz zum Ruhen kam, was ständig im Auge zu behalten ist 1 ). Dennoch gelang es, allmählich engere Fäden mit Roosevelt zu knüpfen. So kam es, daß schon im Sommer 1904 der Präsident gelegentlich eines ausführlichen politischen Gespräches mit Sternburg den Wunsch ausdrückte, im Falle seiner bevorstehenden Wiederwahl nach Verständigung über die zu lösenden Fragen „in Ostasien Hand in Hand mit Deutschland zu gehen" und durch mündlichen Vortrag Sternburgs beim Kaiser sich mit diesem und der deutschen Regierung persönlich zur geeigneten Zeit in Verbindung zu setzen2). Im Anschluß daran entwickelte er die Grundzüge seines ostasiatischen Programms. Korea sollte an Japan kommen und die Neutralität der Mandschurei „unter Kontrolle eines von Deutschland, nicht England zu ernennenden chinesischen Vizekönigs" durch die Mächte garantiert werden. Sich auf eine so direkt gegen Rußland gerichtete und Deutschland in den Vordergrund schiebende Politik einzulassen, lehnten selbstverständlich sowohl die deutsche Regierung wie der Kaiser a limine ab, dennoch glaubte man andererseits das Anerbieten Roosevelts, soweit es sich generell auf ein engeres Zusammenarbeiten mit Deutschland bezog, keinesfalls von der Hand weisen zu dürfen. Glaubte man doch „mit keiner Macht in Ostasien so gleiche Interessen wie mit den Vereinigten Staaten zu haben". In der Entgegnung auf Roosevelts Anregung bedeutete Bülow deshalb Sternburg, zwar das vollste Einverständnis Deutschlands mit des Präsidenten Darlegungen im allgemeinen auszudrücken, in den einzelnen Punkten, die ihnen zugrunde lagen, aber noch vorsichtige Zurückhaltung zu üben3). Man wollte sich Amerika !) So machte der König von Italien am 14. Februar 1905 dem damaligen amerikanischen Botschafter in Rom, Lengerke-Meyer, eine Andeutung, über die deutsch-russischen Verhandlungen. Dennett, Roosevelt, S. 74; vgl. auch den Brief von Spring-Rice an Roosevelt v o m 5. Nov. I9°4 (Dennett, S. 73) und Gr. Pol. 6274 Anlage (S. 551). Auch hatte Spring-Rice in Petersburg eine geheime Quelle, die ihn mit Nachrichten aus dem Ministerium versorgte. Er zögerte natürlich nicht, vieles an seinen Freund Roosevelt weiterzuleiten (Dennett, S. 75/76). 2 ) Gr. Pol. 6264 (31. Aug.). 3 ) Gr. Pol. 6264 Anlage u. 6265.
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zunächst einmal fest in der Frage der open door, besonders am Jangtse, engagieren lassen, ehe man sich tiefer einließ. Freilich verrechnete man sich in Berlin, wenn man glaubte, die Vereinigten Staaten auch nur im geringsten gegen England vorschieben zu können. Zwar hatte Roosevelt wiederholt dem deutschen Botschafter versichert, daß er sich auch am Jangtse für die offene Tür einsetzen werde, aber solche Äußerungen sollten mehr die deutsche Regierung beruhigen als den Präsidenten verpflichten. Deutlich wurde das bei einem Versuch Bülows, die Hilfe Amerikas für eine alle Sonderaktionen auf chinesischem Boden ausschließende Vereinbarung der Mächte zu gewinnen. Als Anlaß, um an Roosevelt mit einem dahin zielenden Vorschlag heranzutreten, nahm man eine Meldung des deutschen Konsuls in Hankau, daß die japanischen Siege die Bevölkerung im Jangtsebecken tief beeindruckten und erregten und fremdenfeindliche Ausbrüche befürchten ließen, welche einer dadurch betroffenen Macht leicht den Vorwand zum Einschreiten bieten konnten. Natürlich zielte man dabei in erster Linie auf England. Roosevelt, welcher besser als Hay die Möglichkeit erkannte, eine solche Vereinbarung auch seiner Politik dienstbar zu machen, wäre nicht einmal so abgeneigt gewesen, auf nähere Besprechungen einzugehen, Heß sich aber dann von seinem für England und gegen Deutschland eingenommenen Staatssekretär — dessen Ansichten über den Jangtsevertrag wir kennen — dahin beeinflussen, sich weiteren Verhandlungen mit dem Vorwand zu entziehen, er fürchte eine Mißdeutung durch eine der kriegführenden Parteien wie auch die verfassungsmäßigen Schwierigkeiten eines internationalen Abkommens in den Vereinigten Staaten 1 ). Auch nahm während des Herbstes 1904 die bevorstehende Präsidentenwahl Roosevelt so gänzlich in Anspruch, daß dahinter die Fragen der ostasiatischen Politik zeitweilig zurücktraten. Immerhin dauerten die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Berlin und Washington fort, indem die deutsche Regierung sich bemühte, stets hervorzuheben, daß sie keine Sondervorteile in China erstrebe und dort dort mit den Vereinigten Staaten in jeder Hinsicht solidarisch sei2). Ein neuer Abschnitt deutsch-amerikanischen Zusammenwirkens begann erst, als mit dem Ausgang des Jahres 1904 die Gr. Pol. 6268/6269 u. 6272/6273. ) Gr. Pol. 6268. Roosevelt versicherte damals sogar dem deutschen Botschafter: „ T h e only man I understand and who understands me is the Kaiser." Doch wollten solche gelegentlichen Tiraden bei Roosevelt nicht viel besagen. 2
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Friedensfrage beherrschend in den Vordergrund der Weltpolitik trat. Schon im Sommer 1904 hatte durch Mittelsmänner eine unverbindliche Fühlungnahme zwischen Witte und Hayashi in London stattgefunden 1 ), doch bedurfte es erst der japanischen Siege, um einen Schritt weiterzukommen. Die Frage war: Würden sich die europäischen Mächte einmischen? Daß Anläufe dazu, besonders bei Frankreich, geschahen, erleidet keinen Zweifel. Abhold waren solchen Bestrebungen einmal Japan, das aus Erfahrung wußte, wie ein derartiger Frieden aussah, dann vor allem die Vereinigten Staaten und Deutschland. Beide hatten aus verschiedenen Gründen Anlaß, zu fürchten, daß es dabei nicht ohne irgendwelche Kompensationen abgehen würde. Amerika perhorreszierte sie im allgemeinen; Deutschland argwöhnte, daß sie auf seine Kosten zum Ausgleich der Differenzen seiner Gegner erfolgen würden. Man hatte ja eben zu diesem Zweck Marokko an Frankreich verhandelt. England und Frankreich waren als Verbündete der beiden Kriegführenden sowieso verdächtig. Die ersten noch vagen Umrisse eines englisch-j apanisch-französischrussischen Blockes tauchten auf. Mitte November schon hatte Roosevelt mitgeteilt, „daß er nicht daran denke, der Mediationsfrage näherzutreten, ohne die Lage im Fernen Osten eingehend mit Sternburg besprochen und sich über die zu ergreifenden Schritte mit S. Majestät dem Kaiser klar verständigt zu haben 2 )." Die Form, in der dieser engere Gedankenaustausch jetzt in die Wege geleitet wurde, war eine persönliche Reise Speck von Sternburgs nach Berlin, die auf ausdrücklichen Wunsch Roosevelts geschah, um dessen Ansichten und Vorschläge zu übermitteln. Sternburg faßte ein darauf bezügliches Promemoria ab, das er dem Auswärtigen Amt übergab8). Es enthielt im wesentlichen die uns schon bekannten Ansichten des Präsidenten über Rußland, in dessen Gewaltpolitik er eine Gefahr sah, und über Japan, das er innerhalb gewisser Grenzen begünstigte, ohne deshalb jede Reibungsfläche zwischen beiden Gegnern, die um des Gleichgewichtes willen erwünscht blieb, aus der Welt schaffen zu wollen. Bezüglich der Mandschurei wünschte er deren Rückgabe an China unter Neutralisierung durch die Mächte, Korea sollte japanisches Protektorat werden. Die Ant1 ) Dennett, Roosevelt, S. 43. Auch Baron Eckardstein spielte dabei eine Rolle; vgl. seine Lebenserinnerungen, Bd. III, S. 75/80; Franke, Großmächte, S. 266. ») Gr. Pol. 6271. •) Gr. Pol. 6274.
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wort Deutschlands war nicht ganz leicht. Infolge seiner schwierigen Lage zwischen Rußland im Osten und der durch die Entente vom April 1904 angebahnten Mächteverbindung England-Frankreich im Westen hatte es nicht dieselbe Unabhängigkeit der Entscheidung wie Amerika. Es konnte sich keinesfalls durch eine gegen die Russen gerichtete Politik diese zu Gegnern machen. Andererseits war der Eindruck zu vermeiden, daß es jene im Fernen Osten unterstütze. Bülow formulierte das gegenüber dem Kaiser so: „Wir können uns natürlich nicht der ostasiatischen Politik Amerikas zuliebe in Gegensatz zu Rußland bringen, wir werden jedoch unsere Antwort an Roosevelt so einzurichten haben, daß die so wichtigen Beziehungen Ew. Majestät zu dem amerikanischen Präsidenten und die langsam sich anbahnenden freundschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu Amerika dadurch nicht gefährdet werden." 1 ) Argwohn herrschte deutscherseits gegenüber England und vor allem Frankreich. Eine vom 29. Dezember 1904 datierte ausführliche Aufzeichnung Baron Holsteins zeigt dessen tiefes Mißtrauen2). Es ist eine jener allzu scharfsinnigen Ausarbeitungen, der zweifellos richtige Einsichten im einzelnen zugrunde lagen, die aber durch eine zu spitzfindige, zu gewaltsame und systematische Kombination der verschiedenen Verdachtmomente im ganzen übertrieben, wenn nicht krankhaft wirkt. Er fürchtete, daß Frankreich bzw. Delcasse an der Herstellung eines Vierbundes Frankreich-Rußland-England-Japan arbeite und in der Form einer englisch-französischen Friedensvermittlung zwischen Rußland und Japan den noch klaffenden Gegensatz zwischen Rußland und England durch eine großzügige Kompensationspolitik in China zu überbrücken suche3). Um das zu durchkreuzen, war es am besten, Amerika den Frieden zwischen den Kriegführenden unter Berücksichtigung billiger und gemäßigter Forderungen herbeiführen zu lassen und so die „Maklergebühren" zu ersparen. Das Wünschenswerteste jedoch schien, „daß die neutralen Mächte sich im voraus verpflichteten, aus dem Friedensschluß keinerlei Sonderansprüche als sog. Kompensationen herleiten zu wollen." !) Gr. Pol. 6274 2 ) Gr. Pol. 6275. 3 ) Dieser Gedanke Holsteins hat unbedingt etwas für sich; tatsächlich dachte man in England schon vor 1904/05 an einen Ausgleich mit Rußland. Aber die Methoden Englands waren viel feiner, vorsichtiger und darum wirksamer. Auch hatte England ja, wie oben erwähnt, allen Grund, sich mit Amerika gut zu stellen. Eine Kompensationspolitik in China wäre eine tödliche Mine für die amerikanisch-englische Freundschaft gewesen.
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In dem Telegramm Sternburgs (d. h. des Auswärtigen Amtes), das am 4. Januar 1905 unter Bezugnahme auf den Kaiser unmittelbar an den Präsidenten vermittels der deutschen Botschaft in Washington abging, waren die vorstehenden Gedankengänge kurz zusammengefaßt. Es wurde Roosevelt vorgeschlagen, bei den Mächten anzufragen, ob diese bereit seien, eine Verpflichtung im obigen Sinne zu übernehmen1). Daran schloß sich der Passus: „In the opinion of the Emperor a grant of a certain portion of territory to both belligerents, eventually in North-China, is inevitable." Es war dies eine vorsichtige Formulierung zugunsten Rußlands, was den Augen Hay's natürlich nicht entging. Dieser war deshalb zuerst dafür, überhaupt nicht auf den deutschen Vorschlag einzugehen, von seiner Feindschaft gegen Deutschland verblendet2). Roosevelt erkannte dagegen das Ausgezeichnete des Gedankens und machte ihn sich zu eigen. Am 1 1 . Januar antwortete er zustimmend an Sternburg, indem er gleichzeitig dem Kaiser seinen Dank für „his continued and powerful support of the policy of the open door and the integrity of China" aussprach. Wenige Tage später erließ die amerikanische Regierung an die Mächte eine offizielle Zirkularnote, mit der Aufforderung, sich zu den dargelegten Ansichten in bezug auf die Integrität Chinas zu äußern3). England, Frankreich und Italien nahmen den amerikanischen Vorschlag ohne weiteres an. Auch Deutschlands Antwort war selbstverständlich, da es ja selbst die Anregung zu dem Schritt gegeben hatte. Doch sahen wir soeben, daß es dabei auch eine versteckte Rücksichtnahme auf Rußland walten ließ, der einzige Punkt, in dem Deutschland und Amerika divergierten. Roosevelt hatte die Stelle, wo von Nordchina die Rede war, geflissentlich ignoriert. Bülow zog sich aus 1
) „ Y o u should ask all Powers . . . wether they are prepared to give a pledge not to demand any compensation for themselves in any shape of territory or other compensations in China or elsewhere for any services rendered to the belligerents in the interest of peace or for any other reason." Gr. Pol. 6276. 2 ) Roosevelt schrieb selbst dariiber am 11. Juli 1905 an Lodge: „He (Hay) hat grown to hate the Kaiser so that I could not trust him in dealing with Germany. When for instance, the Kaiser made the excellent proposition about the integrity of China Hay wished to refuse and pointed out where the Kaiser's proposition as originallly made contained what was inadvisable. I took hold of it myself, accepted the Kaisers offer, but at the same time blandly changed it so as to wholly remove the objectionable feature." (Dennett, Roosevelt, S. 81); Thayer, John Hay, II, S. 385ff. 3
) Gr. Pol. 6277, 6278 u. 6280; For. Relations (1905), S. 1 bis 4.
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der Schlinge, indem er sich indirekt auf frühere Erklärungen, insbesondere das Jangtseabkommen vom 16. November 1900, bezog: ,,In dieser Abmachimg hat die kaiserliche Regierung sich anheischig gemacht, für die Erhaltung der offenen Tür in China auch ihrerseits einzutreten, wo immer sie einen E i n f l u ß ausüben k a n n 1 ) . " Man sieht, wohin Bülow zielte, wenn man weiß, daß die deutsche Interpretation des Vertrages die Mandschurei nicht einbegriff. Dem auf der Rückreise nach Washington befindlichen Freiherm Speck von Sternburg aber sprach der Reichskanzler in einem Resumé der letzten Vorgänge seine Genugtuung wie folgt aus: „Es ist dies nach der Neutralisierung Chinas das zweite Mal innerhalb Jahresfrist, daß eine vertrauliche Ver-*ständigung zwischen Berlin und Washington sich nützlich nicht nur für Deutschland und Amerika, sondern für die Sicherung des Weltfriedens erweist. Diese Tatsache wird auch dem Präsidenten Roosevelt nicht entgangen sein 2 )." Die Friedensfrage selbst machte nur langsame Fortschritte. Denn einmal fühlte sich Rußland noch keineswegs endgültig zu Lande geschlagen, und selbst nach der Niederlage von, Mukden (März 1905) durfte es hoffen, daß zu seinen Gunsten die Zeit arbeite, die Japan schwere materielle Opfer auferlegte, während Rußland in seinem unermeßlichen Hinterland inzwischen neue Kräfte zu entwickeln vermochte. Zweitens befand sich auch das Baltische Geschwader noch auf der Fahrt durch die asiatischen Gewässer, und seine Ankunft konnte vielleicht eine plötzliche Wendung des Krieges herbeiführen. Präsident Roosevelt hielt daher die Zeit noch nicht für gekommen, um aus der abwartenden Beobachtung hinaus auf die Szene der lauten Handlung zu treten. Doch versicherte er dem nach Washington zurückgekehrten deutschen Botschafter, er wolle weiterhin ständig mit der deutschen Regierimg in Fühlung bleiben und auch den für St. Petersburg neu zu ernennenden amerikanischen Botschafter, LengerkeMeyer, in diesem Sinne instruieren3). Nur zu gern hätte Roosevelt ein Zusammengehen von Deutschland, England und Amerika gesehen, dem aber stand die ständig wachsende Erbitterung und das steigende Mißtrauen unter den beiden ersteren entgegen. England, dem natürlich Deutschlands Stellung in Washington höchst unangenehm war, suchte dazu seinen Rivalen auf alle Weise zu verdächtigen und aggressiver Pläne zu bezichtigen. Bei ') S. 388; 2 ) 3 )
Gr. Pol. 6279 (die Sperrungen stammen v o m Verfasser) ; Thayer, Dennett, Roosevelt, S. 82. Gr. Pol. 6284. Gr. Pol. 6285.
— 72 — Holstein herrschte wiederum der Verdacht, daß England durch die Zugeständnisse an Frankreich in Marokko dessen Zustimmung zur Verwirklichung seiner geheimen Absichten am Jangtse erkauft habe und daß Delcasse die Herstellung einer großen Mächtekoalition durch Annäherung der beiden Zweibünde betreibe1). Deutschland suchte demgegenüber darzutun, wie notwendig eine Verständigung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten sei, um diese Gefahr abzuwenden. Der Präsident solle einen Druck in Tokio zwecks Offenlegung etwaiger im Gang befindlicher Friedensbesprechungen ausüben*). Indessen hatte schon der Ausgang der Schlacht von Mukden Roosevelt veranlaßt, lebhafter auf Abschluß des Friedens zu drängen. Denn ein allzu großes Übergewicht Japans schien bedrohlich, und am Horizont stieg das Bild einer gelben Weltmacht empor. Zu Sternburg äußerte er, daß er den deutschen Kaiser gern als Vermittler sehen würde, wobei man füglich bezweifeln möchte, ob es dem Präsidenten mit diesem Wunsche so recht ernst war. Man hat eher den Eindruck, daß er damit nur um so stärker den Bück auf seine eigene Person lenken wollte. Jedenfalls bat er gleichzeitig Freiherrn von Sternburg, den russischen Botschafter in Washington, Cassini, unauffällig darüber auszuholen, wie dieser über die den Friedensschluß betreffenden Ansichten des Präsidenten denke3). *) Vgl. dazu z. B. Gr. Pol. 6288 und 6302. Holstein ging dabei von der Voraussetzung aus, daß die Überlassung Marokkos an Frankreich, der das französische Desinteressement in Ägypten nicht gleichwertig gegenüberstehe, ihre Ergänzung in der Zusage französischer Unterstützung englischer Pläne am Jangtse gefunden haben müsse. Man konnte in Berlin nicht begreifen, daß England auf das für seine Mittelmeerstellung so wichtige Marokko verzichtet habe. Holstein unterschätzte gründlich die auf weite Siebt eingestellte englische Politik, die, seit sie entschlossen war, Deutschland um jeden Preis zu isolieren, nicht die dazu erforderlichen Opfer scheute. Der Irrtum wurde während der Marokkokrise und in Algeciras offenbar, wo man auch im stillen gehofft hatte, daß England sich doch noch auf seine marokkanischen Interessen besinnen und Frankreich nur lau unterstützen werde, ja vielleicht ganz froh sei, daß die deutsche Aktion diese sicherstelle. England wollte nicht den Jangtse, sondern die Isolierung Deutschlands. Diese war das primäre Ziel, dem sich die anderen unterzuordnen hatten, und zu seiner Verwirklichung gehörte auch die amerikanische Freundschaft, und Roosevelt wußte, warum er sich auf England verlassen konnte. Diese Zusammenhänge nicht begriffen zu haben, war das Verhängnis der deutschen Politik. Vgl. auch Gr. Pol. 6304. *) Gr. Pol. 6286; 6290 bis 6292 und 6302. *) Gr. Pol. 6294/6295; vgl. auch 6298.
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Ende März erfuhr nun das deutsche Auswärtige Amt, daß man in St. Petersburg die Möglichkeit eines Kongresses der Mächte in Paris in Erwägung ziehe, um so den Frieden in einem für Rußland möglichst günstigen Sinne herbeizuführen. Wir sahen schon, daß man in Berlin der Ansicht war, daß auf einem solchen die Gefahr des Zusammenschlusses derjenigen Mächte drohe, die durch gegenseitige Kompensationen und Handelsgeschäfte auf Kosten Chinas etwas zu gewinnen hoffen durften, also der beiden Zweibünde. Bülow ließ deshalb sogleich Roosevelt von diesem Projekt vertrauliche Mitteilung machen, indem er „einen Friedensschluß durch Kongreß die für Deutschland und Amerika bedenklichste Form des Friedensschlusses" nannte. Am 31. März schon konnte von Sternburg melden, daß auch der Präsident in einem Kongreßfrieden eine schwere Gefahr erblicke und Japan wie England einen Wink in diesem Sinne gegeben, dem russischen Botschafter Cassini aber gesagt habe, daß er „es für absolut wünschenswert hielte, daß die russische Regierung unmittelbar mit der japanischen verhandle, falls Rußland sich zum Frieden entschließen sollte 1 )." Zwar war fortan nicht mehr von einem Kongreßfrieden die Rede, dafür aber versuchte jetzt Delcass6 durch direkte Verhandlungen mit dem japanischen Botschafter in Paris, Motono, die Vermittlung in die Hand zu nehmen8). Er hatte ja allen Grund, sie möglichst bald zustande zu bringen, da die Kaiserrede in Tanger am 31. März 1905 plötzlich die Gefahr eines deutschfranzösischen Konfliktes hatte auftauchen lassen. Japan war längst dem Frieden geneigt, weniger aber einer französischen Vermittlung 3 ). Statt auf den Fühler einzugehen, gab es eine nicht sehr bestimmte Antwort und wandte sich statt dessen am 18. April an Roosevelt, dessen Ansicht und Rat erbittend. Damit war der entscheidende Schritt getan, denn Roosevelt ergriff sofort die Gelegenheit und blieb von diesem Augenblick an in dauernder Verbindung mit der japanischen Regierung. Daß sich trotzdem die Verhandlungen noch bis Anfang Juni hindehnten, ehe der Präsident eine förmliche Aufforderung an die Kriegführenden ergehen ließ, lag daran, daß einerseits Japan hoffen durfte, aus l)
Gr. Pol. 6297, 6298, 6301;
Dennett, Roosevelt, S. 1 7 0 ;
Bishop,
S. 3777 f ») Dennett, Roosevelt, S. 174 ff. ') Delcass6 h a t t e sogleich angedeutet, daß Rußland nicht auf Abtretung russischen Bodens und eine Kriegsentschädigung eingehen könne. Japan lehnte es natürlich a b , sich i m voraus festzulegen, ohne daß Rußland seinerseits irgendeine Verpflichtung Obernahm.
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der beginnenden Revolution in Rußland und der im Westen ausgebrochenen Marokkokrise Vorteil ziehen zu können, andererseits Rußland als letzte Hoffnung und letzten Einsatz das Baltische Geschwader hatte, das erst am 27. Mai in der Schlacht von Tschusima von Admiral Togo vernichtet wurde. Die Aussichtslosigkeit weiteren Widerstandes nach dieser neuerlichen Niederlage trat angesichts der inneren Lage nun erst offen zutage und veranlaßte den Zaren endlich zum Nachgeben. Wir haben hier nicht die einzelnen bemerkenswerten Stufen der Rooseveltschen Vermittlung zu verfolgen 1 ) und wenden uns wieder der Stellung Deutschlands zu den eingetretenen Ereignissen zu. Wir sahen schon, daß die deutsche Regierung von dem Alp eines entstehenden Vierbundes bedrückt war2) und sein Zustandekommen vornehmlich bei Gelegenheit des russisch-j apanischen Friedensschlusses fürchtete. Es braucht deshalb keines Beweises, daß man der Rooseveltschen Vermittlung, die darauf zielte, Rußland und Japan allein an den Verhandlungstisch zu bringen, von Anfang an günstig gegenüberstand. In Petersburg hingegen offen zum Frieden zu drängen, konnte der Kaiser sich nicht entschließen, solange für das doch immerhin befreundete Land noch die Möglichkeit, eine gänzliche Niederlage abzuwenden, bestand und die Gärung im Innern noch nicht geradezu gefährlich schien. Die Seeschlacht von Tschusima, begleitet von drohendem Anschwellen der Revolution, brachte auch in Berlin den Umschwung. Jetzt erst war es klar, daß ein Friedensschluß unter allen Umständen das geringste Übel für Rußland war. Am 31. Mai hatte die japanische Regierung den Präsidenten formell ersucht, „directly and entirely of his own motion and initiative to invite the two belligerents to come together for the purpose of direct negotiation3)." Am 3. Juni erklärte die deutsche Regierung in Washington, daß der Kaiser bereit sei, auf den Friedensschluß „abzielende Bemühungen des Präsidenten Roosevelt im stillen beim Zaren zu unterstützen". Ohne eine Antwort des Präsidenten abzuwarten, schrieb Wilhelm II. noch am gleichen Tage persönlich an den Zaren4). Er stellte ihm nicht nur die Aussichtslosigkeit ferneren Widerstandes und die Vorteile einer ') Vgl. dazu Dennett, Roosevelt, S. 175 bis 188 und Bishop, I. Chapt. XXXI. *) Beinahe jeder Erlaß des Auswärtigen Amtes an Sternburg aus dem Frühjahr 1905 enthalt eine Anspielung darauf. *) Dennett, Roosevelt, S. 189 u. 215 f. 4 ) Gr. Pol. 6312; Briefe Wilhelms II. an den Zaren, S. i83ff.; Dennett, Roosevelt, S. 190/191; Bishop, S. 384!.
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Friedensvermittlung Roosevelts offen vor Augen, sondern erklärte sich auch bereit, sich mit dem Präsidenten privatim ins Einvernehmen setzen zu wollen, wenn nicht der Zar vorziehe, direkt mit Lengerke-Meyer zu reden. Am 4. Juni teilte der Kaiser durch persönliches Schreiben an den amerikanischen Botschafter Tower diesem seinen Schritt beim Zaren mit, indem er nochmals auf die Dringlichkeit sofortigen Handelns hinwies1). Der Präsident beauftragte nun Lengerke-Meyer, eine Audienz bei Nikolaus II. nachzusuchen, um dessen Zustimmung zu seinen Vorschlägen zu erlangen. Am 6. Juni fand die denkwürdige Unterredung in Tsarskoje Selo statt. Der Zar erklärte sich nach einigem Zögern und Schwanken damit einverstanden, daß Roosevelt die offizielle Aufforderung zu den Friedensunterhandlungen ergehen lasse. Sie erfolgte am 8. Juni 1905. Wenn auch die den Zaren letztlich bestimmenden Momente selbstverständlich in den objektiven Tatsachen des inneren russischen Zusammenbruches lagen, so ist ebenso zweifellos richtig, daß die deutsche Regierung von allen neutralen Mächten am tatkräftigsten zum Gelingen der amerikanischen Politik beigetragen hat. Ohne die Vorbereitung durch den kaiserlichen Brief und die Einwirkung auf den leicht beeindruckbaren Zaren und andererseits das Drängen bei Roosevelt, nun rasch zu handeln, wäre vielleicht der günstige Augenblick verpaßt worden. Denn nicht nur schwankte die russische Regierung bis zum letzten Augenblick, ob sie nachgeben solle, sondern in Petersburg gab es auch eine starke Partei, die auf Fortsetzung des Krieges und seine sog. „Versumpfung" drängte und während des ganzen Sommers 1905 noch manche Schwierigkeiten bereitete. Jedenfalls geht aus allen Zeugnissen heute deutlich hervor, daß die Audienz beim Zaren die entscheidende Wendimg brachte. Die deutsche Mitwirkung aber bestand in der Vorbereitung und Erleichterung des außergewöhnlichen Schrittes des amerikanischen Präsidenten. Am 9. August traten die Bevollmächtigten Rußlands und Japans in Portsmouth N. H., zusammen. Bülow hatte es von vornherein gegenüber Witte abgelehnt, sich in die Einzelheiten der Friedensverhandlungen einzumischen mit Rücksicht auf die gespannten Beziehungen zu England und auf das in Japan herrschende Mißtrauen2). Er hätte hinzusetzen können: auch im Hinblick auf die mit dem Namen Björkoe verbundenen Vorgänge. Die Besprechungen in Portsmouth nahmen zunächst einen glatten *) Dennett, Roosevelt, S. 191 u. 217 bis 220; vgl. auch Gr. Pol. 6313. ) Gr. Pol. 6320 Anm. (S. 615).
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Verlauf, bis es über der Frage der Abtretung Sachalins und einer Kriegsentschädigung beinahe zum Bruch kam 1 ). Da keine Seite nachgeben wollte, bedurfte es einer energischen Intervention Roosevelts. Er schlug als Kompromiß Teilung Sachalins, keine Kriegsentschädigung, aber Bezahlung einer angemessenen Summe seitens Rußlands unter der Form eines Abkaufes der nördlichen Inselhälfte vor und beauftragte Lengerke-Meyer mit der Vertretung seines Vorschlages in Petersburg. Gleichzeitig ersuchte er den deutschen Kaiser, sich beim Zaren zu verwenden. Dieser kam dem Wunsche des Präsidenten in einem am 24. August an Nikolaus II. gerichteten Brief nach, ohne indessen Erfolg zu haben, da die Russen unnachgiebig blieben2). Am 28. August richtete Roosevelt eine zweite noch dringlichere Bitte an den Kaiser, in Petersburg vermittelnd einzuwirken8). Ehe es zu deren Erfüllung kam, nahmen jedoch die Japaner am 29. September unter Verzicht auf eine Entschädigimg die ultimativ vorgebrachten Vorschläge Wittes an. Der Friede konnte unterzeichnet werden. Um zu einem richtigen Urteil über die deutsch-amerikanische Kooperation in den Jahren 1904/05 zu kommen, müssen wir in Betracht ziehen, daß es ganz besondere Umstände waren, die sie herbeigeführt und möglich gemacht hatten. Ausschlaggebend war vor allem, daß Deutschland und die Vereinigten Staaten die einzigen Weltmächte waren, die nicht von vornherein einer bestimmten Partei zugehörten und deren Interessen im Fernen Osten zugleich stark genug waren, um durch alle diesen berührenden Ereignisse in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Für Amerika handelte es sich um die Behauptung seiner grundsätzlichen Chinapolitik, Deutschland fürchtete mehr auf seine Kosten gehende Tauschgeschäfte der neugeschlossenen Entente. Für den Friedensschluß im besonderen kam hinzu, daß Japan auf Roosevelt hörte, während gleichzeitig die persönlichen Beziehungen Wilhelms II. zum Zaren und sein Einfluß auf diesen einen Höhenpunkt erreicht hatten, England und Frankreich aber nicht gut als Vermittler in *) Die deutsche Regierung fürchtete, daß in diesem Falle wieder die Frage französisch-englischer Mediation auftauchen würde, und beauftragte deshalb Sternburg, der damals in Homburg zur Kur weilte, Roosevelt brieflich auf diese Möglichkeit aufmerksam zu machen, damit er in Petersburg und Tokio darauf hinwirke, „daß seitens der Kriegführenden die Hinzuziehung Dritter abgelehnt werde". Vgl. dazu Gr. Pol. 6323; Roosevelt, Dennett, S. 242, 251, 265. *) Gr. Pol. 6325; Briefe Wilhelms II. an den Zaren, S. 201; Dennett, Roosevelt, S. 253 ff. ') Gr. Pol. 6329.
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Frage kamen, da eine Seite ihnen stets mit Mißtrauen begegnet wäre. Die Öffentlichkeit erfuhr kaum etwas von den zwischen Deutschland und Roosevelt hin- und hergehenden Erörterungen und gemeinsam vorbereiteten Schritten. Nur daß der Kaiser seine Bemühungen für den Frieden mit denen Roosevelts vereint hatte, gab der Präsident gelegentlich und öffentlich kund. Das Verhältnis der Völker als solches blieb daher von dem ihrer Regierungen zueinander im ganzen unberührt. Auf der Seite Amerikas aber war diese Regierung noch dazu cum grano salis identisch mit der Persönlichkeit Roosevelts. Es scheint damals tatsächlich auf Grund des intimen Verkehrs zwischen dem Präsidenten und Stemburg diesem gelungen zu sein, Roosevelt von der Aufrichtigkeit der deutschen Politik weitgehend zu überzeugen. Das uns bekannte Verhalten des Staatssekretärs Hay, der jederzeit deutsche Intrigen witterte, zeigt uns jedoch, wie wenig die Deutschland feindliche Richtimg auch nur in der Regierung überwunden war. Endlich handelte es sich für beide Seiten nicht um politische Lebensfragen und auch nicht um solche, die einen gemeinsamen Gegensatz zu irgendeiner Mächtegruppe schufen. Wir sahen ja, daß Roosevelts Politik auch auf einem gewissen stillschweigenden Einverständnis mit England basierte trotz des Mißtrauens, das Lansdowne den ungewohnten Vermittlungsmethoden jenes entgegenbrachte. Das amerikanisch-deutsche Zusammengehen blieb daher eine Episode. Es wirkte nach dem Ausdruck Hashagens als retardierendes Moment in der damals schon voll im Gange befindlichen Isolierimg Deutschlands 1 ). In Berlin aber glaubte man wohl zu einem grundsätzlichen Einvernehmen mit Amerika allein gelangen zu können, eine der vielen falschen Voraussetzungen auch der deutschen Marokkopolitik (s. nächstes Kapitel). Die Konferenz von Algeciras war die Probe auf diese Rechnung. Sie zeigte, daß Deutschland nicht in der Lage war, die Vereinigten Staaten auf seine Seite zu ziehen. Sie zeigte, daß die amerikanisch-deutsche „Entente" in Ostasien keine auf Dauer gegründete Verbindimg hatte schaffen können. 1 ) Hashagen, Zur Geschichte der amerikanisch-deutschen Beziehungen 1897 bis 1907, S. 123.
Kapitel
VI.
Die erste Marokkokrise und die Konferenz von Algeciras. 1905-1906. Während die japanisch-russischen Friedensbesprechungen in Gang kamen und sich langsam hinzogen, war eine andere Frage, die eine Gefahrenzone der damaligen politischen Weltverhältnisse betraf, in ihr akutes Stadium getreten: die marokkanische. Solange England in Marokko seine politischen und wirtschaftlichen Interessen eifersüchtig wahrgenommen hatte — und bis zur Jahrhundertwende war das der Fall —, schien die Gefahr, die von möglichen Vorstoßversuchen des nachbarlichen Frankreich zur Einbeziehung dieses wichtigen und wertvollen Landes in seine ausschließliche Machtsphäre ausgehen konnte, verhältnismäßig gering1). Das wurde grundlegend anders im Gefolge der seit 1902 einsetzenden Annäherung zwischen Frankreich und England, die am 8. April 1904 zu dem bekannten Abkommen führte, das Marokko an Frankreich auslieferte. Zwar schien dieser Vertrag; — soweit er wenigstens öffentlich war — nur die beiden ihn schließenden Staaten anzugehen und Rechte Dritter nicht zu berühren2), auch verfügte er ja formell nichts gegen die Integrität und Souveränität Marokkos. Aber da Frankreich bald mit Spanien über dessen Ansprüche in einem besonderen Abkommen vom Oktober 1904 in Reine kam — nur eine Erklärung wurde veröffentlicht, nicht die eigentlichen Abmachungen — und auch Italien in diesen Jahren bereits die halbe Schwenkung auf die französische Seite vollzogen hatte, sah sich Deutschland, dessen Handel nach dem Frankreichs und Englands der bedeutendste in Marokko war3), nicht wenig in seinen Interessen bedroht. Dies also war der Ausgangspunkt der sich seit dem Frühjahr 1904 entwickelnden Marokkokrise, die zunächst noch dadurch ver1 ) Morel, S. 7 bis 12; Tardieu, L a Conférence d'Algésiras, S. 61, Anm. 1. 2 ) So interpretierte ihn Bülow selbst am 12. April im Reichstag. Vgl. Reden, II, S. 74. 3 ) Tardieu, S. 47 ff.
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zögert wurde, daß Deutschland sich mit England bezüglich Ägyptens, das ja gleichfalls in das Abkommen vom 8. April hineingezogen war, auseinandersetzen und andererseits die spanischfranzösischen Verhandlungen abwarten wollte, um daraus auf Frankreichs Absichten in Marokko womöglich Schlüsse zu ziehen. Die Gefahr wirtschaftlicher Benachteiligung für Deutschland bestand darin, daß unter formeller Wahrung seiner vertragsmäßigen Rechte die allein wichtigen und aussichtsreichen Konzessionen und Regierungsaufträge in alleinige Hand der Franzosen gerieten, die alle Anstalten für die pénétration pacifique trafen. Es war also auch hier wie in China das Prinzip der „offenen Tür", das Deutschland im weitesten Sinne verwirklicht wissen wollte. Dem entsprach das Bemühen der deutschen Politik, dem Sultan in Fez gegenüber französischen Druckversuchen den Rücken zu stärken und diejenigen seiner Pläne zu begünstigen, die, wie z. B. die Einberufung einer marokkanischen Notabeinversammlung im Januar 1905, als Schachzüge gegen Frankreich galten. Denn letzteres suchte die Marokkaner in die Richtung einer es einseitig bevorteilenden, sog. „Reform" zu drängen, indem ein französischer Gesandter (St. René Tallandier) sich in besonderer Mission nach Fez begab und dort als Mandatar der europäischen Mächte aufzutreten suchte, eine Anmaßung, die deutscherseits sofort richtig gestellt wurde1). Wir haben hier die marokkanische Frage nicht in ihrer ganzen Breite und Entwicklung darzustellen, insonderheit nicht, wie sie auf die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich und zu anderen europäischen Mächten von Rückwirkung war, sondern beschränken uns darauf, nur das zu streifen, was als unumgängliche Voraussetzimg not ist, um den Hintergrund für die besondere Aufgabe zu gewinnen. Deutschlands Zusammenwirken mit Amerika hatte in Ostasien zu günstigen Ergebnissen geführt. Lag es nicht nahe, es in einer scheinbar ähnlichen Frage, wo es sich ebenfalls um die Bedrohung der „offenen Tür" durch einen benachbarten Hauptinteressenten handelte, zu wiederholen und hierzu die bereits geknüpften freundschaftlichen Beziehungen zu Präsident Roosevelt auszunützen? Jedenfalls waren dies die Erwägungen der deutschen Regierung, als sie in einem Erlaß vom 24. Februar 1905 ') Die Franzosen und der Gesandte selbst bestritten allerdings heftig, je eine Äußerung in diesem Sinne getan zu haben. Vgl. Tardieu, S. 4 3 . Die deutsche Regierung berief sich demgegenüber auf das eigene W o r t des Sultans. Vgl. auch Gr. Pol. 6621, 6631 und 6644; Hamann, Zur Vorgeschichte des Weltkrieges, S. 204.
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an ihren Botschafter in Washington diesen beauftragte, Roosevelt Marokkos wegen zu sondieren, nachdem schon im Januar Bülow den deutschen Vertreter in Tanger, v. Kühlmann, angewiesen hatte, darüber zu berichten, bzw. den dortigen amerikanischen Vertreter darüber auszuholen, ob und inwiefern durch die Neugestaltung Marokkos wirtschaftliche Interessen der Vereinigten Staaten beeinträchtigt würden1). Bezüglich der Stellung zu den französischen Ansprüchen in Marokko im allgemeinen war die Bundesregierung allerdings schon früher einmal eine gewisse Bindimg eingegangen, indem sie sich gelegentlich der Perdiccarisaffäre — Gefangennahme eines amerikanischen Millionärs dieses Namens im Mai 1904 durch den Kabylenchef Raisuli — französischer Verwendung bei der scherifischen Regierung bedient und so die durch das Abkommen vom 8. April geschaffene besondere Stellung Frankreichs in Marokko gleichsam implicite anerkannt hatte8). Und auch die bei weitem geringere Bedeutung der Atlasländer für den amerikanischen Handel, die in keiner Weise mit China vergleichbar waren, mußte eigentlich von vornherein erwarten lassen, daß es Amerika ablehnen würde, sich in der Marokkofrage in einer mehr als ganz allgemeinen Weise zu engagieren. Roosevelt lehnte denn auch in seiner Antwort vom 9. März zwar freundlich und höflich, aber entschieden das durch den deutschen Botschafter übermittelte Ansuchen ab, den Sultan in der als strategischen Zug gegen Frankreich geplanten Einberufung der Notabelnversammlung auf diplomatischem Wege gemeinsam mit Deutschland zu bestärken, mit dem Hinweis auf die im Kongreß zu befürchtenden Schwierigkeiten gegenüber einer so weit ausgreifenden Politik in einem Lande, „welches hier in den Vereinigten Staaten gänzlich unbekannt ist 3 )". Doch sagte er wenigstens zu, seinen neuen Gesandten in Marokko im Sinne einer engen Fühlungnahme mit Deutschland instruieren zu wollen. Hinter diesen in verbindliche Wendungen gekleideten Worten Roosevelts verbarg sich jedoch tatsächlich eine glatte Absage an die deutsche Marokkopolitik. Wir wissen das heute aus den zahlreichen privaten Äußerungen gegenüber seinen Freunden und Diplomaten. Wo der Präsident seiner Rede keinen Zwang auferlegen mußte, sprach er nur ironisch und spöttisch von dem *) Gr. Pol. 6547 u - 6 5 5 8 u. Anm. dazu. ») Gr. Pol. 6386; Tardieu S. 5. *) Gr. Pol. 6 5 5 9 ; Bishop. Bd. I, S. 468. Die wichtigste Quelle über die Marokkopolitik Roosevelts ist ein eigenhändiger und ausführlicher, mit Dokumenten belegter Brief des Präsidenten an seinen Botschafter in London (Whitelaw Reid), der bei Bishop in extenso abgedruckt ist.
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neuesten „pipe-dream of the Kaiser". Pflicht des deutschen Botischafters wäre es nun gewesen, dies zu erkennen und dem Auswärtigen A m t nüchtern die wirkliche Sachlage vor Augen zu stellen. Statt dessen bemerken wir in allen Berichten aus Washington denselben trügerischen Optimismus, mit dem die meisten auf Amerika bezüglichen politischen Dokumente seit der Jahrhundertwende, d. h. seit der forcierten Amerikafreundschaft, gefärbt sind. Die folgenden Wochen der Marokkofrage standen unter dem Zeichen der Mittelmeerreise des deutschen Kaisers, gelegentlich derer das aufsehenerregende Anlaufen von Tanger stattfand. Diese Aktion, die vornehmlich unter dem Drängen Bülows und Holsteins gegenüber den mannigfachen Bedenken des Kaisers zustande kam, war der Ausgangspunkt der nun beginnenden akuten Krise. Denn die Tangerrede Wilhelms II. stellte nicht mehr überhörbar die deutschen Ansprüche in den Mittelpunkt der Diskussion und legte Deutschland in einer Richtung fest, die keinen Rückzug mehr zuließ. In Berlin ging man unter der Voraussetzung der Souveränität Marokkos von dem Grundsatz aus, daß nur die Gesamtheit der an der Madrider Konvention von 1880 beteiligten Vertragsmächte eine Neuordnung der Zustände Marokkos ins Werk setzen könne. Sonderverhandlungen mit Frankreich, die zu irgendwelchen Kompensationen und Abgrenzungen von Rechten hätten führen können, wurden abgelehnt, da Frankreich durch Nichtmitteilung der Konvention vom 8. April in offizieller Form es versäumt habe, solche zu einer Zeit einzuleiten, als sich Deutschland weder gegenüber dem Sultan moralisch verpflichtet, noch durch Notifizierung seines Standpunktes bei den Vertragsmächten festgelegt hatte. Diese These war formal und juristisch nicht leicht angreifbar, aber verfehlt und zum Scheitern verurteilt, weil sie auf einer die realen Verhältnisse nicht genug beachtenden Fiktion beruhte. Wir haben hier nicht zu erwägen, welche Möglichkeiten, sich mit Frankreich z u verständigen, vorlagen: der einseitig betonte Rechtsstandpunkt in einer durch die englisch-französische Entente längst praktisch gewordenen machtpolitischen Entscheidung mußte notwendig zur Niederlage führen. Genug, die geschilderten Erwägungen gaben dem Auswärtigen A m t Veranlassung, die Idee einer Konferenz der Vertragsmächte zum leitenden Gesichtspunkt zu machen. In Verfolgung dieses Zieles wirkte der deutsche Vertreter auf den marokkanischen Sultan ein, um ihn zu einem dahingehenden Antrag zu bestimmen. Anfang Mai traf Graf Tattenbach, der vorübergehend die Geschäfte in Tanger führte, in außerordentlicher Mission in Fez ein, um sich an Ort und Stelle zu orientieren Beiheft d. H. Z. 13.
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und dem Einfluß des schon länger anwesenden französischen Gesandten (s. oben) die Wage zu halten. Die Hoffnung Deutschlands in bezug auf eine Konferenz bestand nun nicht zum geringsten in der Annahme, daß auch Amerika, das sich 1880 an der Madrider Konvention beteiligt hatte, auf einer solchen den deutschen Standpunkt des zu erhaltenden Status quo und der Integrität Marokkos unterstützen und so auf England mitbestimmend einwirken würde. Hatte doch Bülow vor der Tangerreise des Kaisers diesem in der Darlegung des dabei einzuhaltenden Programms vorgeschlagen, den Präsident Roosevelt durch dessen Gesandten Gummere in Tanger grüßen und ihm berichten zu lassen, daß er (der Kaiser) „eine Parallele gezogen habe zwischen Erhaltung der offenen Tür in China und Marokko 1 )". Aus Meldungen des Grafen Tattenbach ging hervor, daß sein amerikanischer Kollege scheinbar entschieden für eine Politik der offenen Tür eintrat, und über Rom wurde eine gleich günstige Meldung des italienischen Botschafters in Washington bekannt2). Aber auch auf direktem Wege suchte jetzt die deutsche Regierung Roosevelt zu gewinnen. In der ersten Hälfte des April erfolgten Weisungen nach Washington, dem Präsidenten die deutsche Marokkopolitik eingehend darzustellen und ihn gleichzeitig zu ersuchen, im Sinne des deutschen Standpunktes auf das englische Kabinett einzuwirken. Deutschland müsse aus Gründen des Prestiges und in Wahrung seiner politischen und wirtschaftlichen Interessen und der aller anderen Nationen auf einer Konferenz bestehen, es selbst erstrebe keine Bevorzugung in Marokko. Die Annahme war, wie gesagt, daß Englands Haltung in hohem Maße von der Union abhängig sein würde. Man hätte gern durch Sondierungen Roosevelts beim britannischen Botschafter etwas über die Londoner Absichten erfahren, bzw. einen Wink gewünscht, der den Widerstand Englands gegen eine Konferenz beseitigt hätte 8 ). Da Roosevelt um diese Zeit jedoch nicht in der Haupt*) Gr. Pol. 6576, 6591, 6599 u. 6604. >) Gr. Pol. 6610 u. 6617. ') Roosevelt selbst sagt darüber: „ T o this the Emperor (Roosevelt spricht meist vom Emperor, wenn er die deutsche Regierung meint) added that he believed that the attitude of England would depend upon the attitude of the U. S. and asked me to tell England that we thought there should be a conference (13. April)." — „Speck has written m e a n urgent appeal to sound the British Government and find out whether they intend' to back up France in gobbling Morocco." (Brief an Taft, 20. III.) „ . . . that the latter (England) would only drop her opposition if I would give her a hint to do so" (13. Mai). Bishop, I, S. 469^; Gr. Pol. 6633 Anm.
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Stadt anwesend war, verwies er Speck von Sternburg, nachdem er nochmals brieflich seine Ansichten im Sinne seiner Antwort vom 9. März (s. oben) dargelegt hatte, an den stellvertretenden Staatssekretär zur Besprechung der deutschen Wünsche und beauftragte diesen letzteren mit der nichtssagenden und diplomatischen Mitteilung an Durand (englischer Botschafter), „daß es Wunsch des Präsidenten sei, daß England und Deutschland sich über Marokko verständigten und in Harmonie vorgingen 1 )". Noch war Roosevelt trotz aller Verbindlichkeit gegenüber der deutschen Regierung jedem Schritt abgeneigt, der auch nur die leichte Andeutung einer Intervention in sich trug2). Sternburg regte nun im deutschen Interesse eine dilatorische Behandlung der Konferenzidee bis zur Rückkehr des Präsidenten an, ein Vorschlag, der dem Auswärtigen Amt insofern gelegen kam, als es das Eintreffen des Grafen Tattenbach am Hofe des Sultans in Fez abwarten wollte. Deutschland hielt an der Konferenzidee fest, obwohl jetzt durch Delcasse und die französische Diplomatie verschiedene Versuche gemacht wurden, um mit Deutschland zu einer beiderseitigen Erörterung der schwebenden Fragen und vielleicht auch Sonderverhandlungen zu kommen. In Frankreich begann man die Folgen der überstürzten Aktion Delcass6s in Marokko zu befürchten, und Rouvier selbst — der Conseil-Präsident — fing an, von seinem Minister des Auswärtigen abzurücken. Aber im Hintergrunde stand England, das Frankreich in seinem Widerstand befestigte und aus einer Verschlechterung der deutsch-französischen Beziehungen für sich Nutzen erhoffte.8) In dieser Lage war es ') Gr. Pol. 6633; Bishop, I, S. 473. *) ,,I do not feel that as a Government we should interfere in the matter." (Bishop, I, S. 4 7 2 ! ) *) Roosevelt sagt selbst darüber (Bishop, I, S. 475): ,,I saw Sir Mortimer on the matter (Anfang Juni), but could get very little out of him. He was bitter about Germany, and so far as he represented the British Government it would appear t h a t they w e r e a n x i o u s to see G e r m a n y h u m i l i a t e d by France's refusal to enter a conference, a n d t h a t t h e y w e r e q u i t e w i l l i n g t o f a c e the p o s s i b i l i t y of w a r u n d e r s u c h c i r c u m s t a n c e s . I did not think this should much valor on their part, a l t h o u g h f r o m t h e i r p o i n t of v i e w i t w a s s a g a c i o u s , as of course in such a war, where the British and French fleets would be united, the German fleet could have done absolutely nothing; while on land, where Germany was so powerful it would be France alone that would stand, and would have to stand, the brunt of the battle." (Vom Verf. gesperrt.) E s ist doch bezeichnend, daß Roosevelt so fähig war, den englischen Standpunkt nachzufühlen, und nur das Wort „sagacious" dafür fand. 6*
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immer wieder Roosevelt, in dem Deutschland einen ausschlaggebenden Faktor sah, zum wenigsten denjenigen, der des stärksten Einflusses auf die englisch-französische Politik sicher sein durfte 1 ). Sternburg stellte ihm die Möglichkeit einer gänzlichen Neuorientierung der deutschen Politik, falls die Konferenz nicht zustande käme, vor Augen. Der erste leise Wink fiel, daß unter Umständen Deutschland zu wählen haben würde zwischen der Möglichkeit eines Krieges mit Frankreich und der Prüfung der Bedingungen, die Frankreich vielleicht vorschlagen würde, um einen solchen zu vermeiden2). „Wir glauben indessen, daß es im Interesse sowohl Deutschlands wie auch Amerikas liegt, wenn wir unsere bisherige, nach allen Seiten hin unabhängige Stellung auch fernerhin bewahren. Ob dies geschieht, oder nicht, das hat Präsident Roosevelt in der Hand, denn von ihm hängt es ab, die Verwirklichung des Konferenzgedankens zu sichern. Er braucht nur den Vertragsmächten und dem Sultan von Marokko gegenüber sich unzweideutig für die Konferenz auszusprechen." (Erlaß Bülows an Sternburg vom 30. Mai 1905.)3) Als Roosevelt im Mai nach Washington zurückkam, fand er Speck von Sternburg und Jusserand (französischer Botschafter) in ernstlicher Besorgnis wegen eines Bruches zwischen Frankreich und Deutschland. Die Delcassekrise war auf ihrem Höhepunkt. Zwar führte die Opposition gegen die verantwortungslose Politik des Ministers im eigenen Lager nun zu dessen Sturz am 6. Juni 1905 — ein Geschehnis, das allenthalben als deutscher Erfolg gebucht wurde —, und der versöhnlichere Rouvier übernahm selbst das Auswärtige, aber die Konferenz war damit noch lange nicht gesichert. Die schwierigsten Verhandlungen setzten jetzt erst ein und kamen nur langsam vorwärts. Gefährliche Spannungen entstanden, da Rouvier in dem Wunsche, ein Sonderabkommen mit Deutschland zu erreichen, in Berlin auf die hartnäckige Weigerung stieß, diesen Ausweg anzunehmen. Vielmehr hatte noch am 6. Juni die deutsche Regierung durch Zirkularnote die Annahme der durch den Sultan von Marokko ergangenen Einladung zu einer Konferenz den Vertragsmächten mitgeteilt. !) Vgl. z. B. Gr. Pol. 6667. 2 3
) Bishop, I, S. 470 (13. Mai).
) Vgl. auch Gr. Pol. 6668: „Der Geschäftsträger (in London) gibt jedoch der bestimmten Überzeugung Ausdruck, daß die englische Regierung den Konferenzgedanken annehmen wird, falls Amerika unzweideutig für denselben eintritt." (Bülow an Sternburg, 25. Mai.)
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unter nochmaliger Darlegung des rechtlichen Standpunktes gemäß der Madrider Konvention von 1880 1 ). Und als Frankreich endlich zögernd und unwillig doch dem Konferenzgedanken näher trat, suchte es dessen Annahme wenigstens von allerlei Sicherungen abhängig zu machen. Roosevelt fürchtete unter diesen Umständen hauptsächlich für Frankreich, dessen exponierte Lage im Fall eines Krieges er wohl erkannte. Er wünschte ihm zu helfen Und zu einer Entspannung beizutragen, oder, um seine eigenen Worte zu gebrauchen: „Ich wünschte etwas für Frankreich auf rechtmäßige Weise (legitimately) zu tun, da ich der Ansicht war, daß in diesem Falle das Recht auf seiner Seite lag; aber ich wollte auch nicht irgendeine Haltung einnehmen, welche ich nicht unter allen Umständen (at all costs) durchzuhalten willens war 2 )." Zu dieser Erkenntnis des Präsidenten, sich nicht länger gänzlich abseits stellen zu können, kamen noch folgende Erwägungen. Im Fernen Osten war ja noch immer nicht der Kriegszustand zwischen Japan und Rußland beendet, der Präsident hatte gerade den streitenden Parteien seine Vermittlung angetragen, um den Frieden herbeizuführen. Mußte nicht ein Konflikt unter den Hauptmächten Europas die ganze Welt in Mitleidenschaft ziehen und einen allgemeinen Brand herbeiführen? Als daher am 1 1 . Juni Sternburg, indem er dem Präsidenten ein Memorandum übergab, die direkte Bitte um Einwirkung auf Paris (und London) aussprach, war dieser aus den angeführten Erwägungen und um Frankreichs willen nicht mehr abgeneigt, die Vermittlung zu übernehmen. Er setzte sich sogleich in enge Verbindung mit Sternburg und Jusserand und durch letzteren mit dem Quai d'Orsay und ließ der französischen Regierung vorstellen, daß ein Krieg zu diesem Zeitpunkte gefährlich und wirksame englische Hilfe auf dem Festland aussichtslos sei3). Man müßte dem Kaiser Gelegenheit geben „to save his face". Eine Konferenz, besonders wenn die Mehrzahl der Mächte zu Frankreich neige, wäre die beste Garantie gegen einen ungerechtfertigten Angriff Deutschlands auf französische Interessen. Das Gewichtigste und Entscheidendste aber war, daß Roosevelt erklärte, er würde die Einladung zur Konferenz nur, wenn auch Frankreich zustimme, annehmen und auf ihr „treat both sides with absolute justice, and . . . if necessary, take very strong grounds against any attitude of Germany which seemed to me unjust and unfair". Was Roosevelt unter just !) Vgl. Gr. Pol. 6687. 2 ) Bishop, I, S. 475. 3 ) Bishop, I, S. 4 7 6 I ; Gr. Po). 6707.
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and fair verstand, wurde nur zu deutlich, als die Konferenz in Algeciras im Gange war 1 ). Frankreich konnte beruhigt sein, auch Amerika würde ihm keine Schwierigkeiten machen (der anderen war es sowieso sicher), und es zögerte nun nicht länger, der Konferenz sein placet zu geben. Dem engüschen Botschafter drückte Roosevelt die Erwartung aus, daß dessen Regierung einer friedlichen Lösimg keine Schwierigkeit bereiten werde. Denn England suchte noch immer in geschicktem Spiel, indem es mit eigenen Äußerungen zurückhielt, Frankreich „den Rücken zu stärken und den in London gerade anwesenden amerikanischen Staatssekretär Hay für sich zu gewinnen 1 )". Mitte Juni hatte also Roosevelt die grundsätzliche Zustimmung Frankreichs zur Konferenz erlangt. Indes gingen die deutsch-französischen Unterhandlungen weiter, da Frankreich die v o r h e r i g e Vereinbarung des Programms und somit möglichste Außerdiskussionstellung der französischen Marokkopläne forderte. Deutschland hingegen verlangte, daß der ganz allgemeinen Feststellung einiger Grundlinien die n a c h h e r i g e Erörterung der Reformpunkte folge. Frankreich verstand es, in Washington glauben zu machen, daß die vollständige Einigung nicht mehr an ihm liege, indem es Deutschland mit dem Odium des schlechten Willens belastete3). Gleichzeitig ersuchte Rouvier durch Jusserand den Präsidenten, nun auch auf Deutschland zu drücken, damit dieses nachgäbe. Roosevelt sagte zu4). Am 25. Juni richtete er, indem er das die französische Zustimmung zur Konferenz enthaltende Telegramm Rouviers an Jusserand beifügte, ein ernstes Schreiben an Sternburg zur Weitergabe an die kaiserliche Regierung. Er hob nochmals seine entschlossenen und nachdrücklichen Bemühungen in Paris für die kaierlichen Wünsche hervor trotz seiner Bedenken, den Anschein einer Intervention zu erwecken. Daran knüpfte er die ernste und dringliche Hoffnung, die deutsche Regierung möge nun ihrerseits sich zufriedengestellt erklären und sich nicht an Nebenfragen stoßen, da das Erreichte ein offenbarer Erfolg Deutschlands sei6). Den„ W i t h Speck I was on close terms; with J u s s e r a n d , who is one of the best man I have ever met, and w h o s e c o u n t r y w a s i n t h e r i g h t o n t h i s i s s u e , I w a s o n e v e n c l o s e r t e r m s . " (Vom Verf. gesperrt.) Bishop, I, S. 478. Deutlicher kann man sich nicht gut ausdrücken. ») Gr. Pol. 6713. *) Bishop, I, S. 478f. (Telegramm Rouviers an Jusserand.) 4) Bishop, I, S. 48of. (Telegramm Jusserands an Rouvier.) •) „ N o w in turn I most earnestly and with all respect urge that His Majesty show himself satisfied and accept this yielding to his wishes by
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noch brauchte es fast noch vierzehntägiger Verhandlungen, ehe die letzten Hindernisse in der Formulierung der Erklärung, welche die Konferenzannahme begleiten sollte, aus dem Wege geräumt waren. - Roosevelts Drängen und ernste Bestimmtheit mag auf beiden Seiten noch bestehende Bedenken beseitigt haben. Zu Jusserand äußerte der Präsident, daß er die von Frankreich gestellten Bedingungen für unklug halte, und empfahl den beiden Regierungen eine kurze Formel, die alle Fragen an die Konferenz verwies außer solchen, denen eine frühere Abmachung mit Dritten im Wege stände1). Am 26. Juni erklärte er sich bereit, nachdem die deutsch-französische Verständigung gelungen sei, seinerseits die Konferenz anzunehmen und England zu demselben Entschluß zu bewegen2). Am 27. Juni ließ Bülow, indem er seine Befriedigimg über die Übereinstimmimg mit Roosevelt aussprach, diesem „die für einen leitenden Minister ungewöhnliche und sehr weitgehende Erklärung" zukommen, bei Meinungsverschiedenheiten mit Frankreich in den weiteren Verhandlungen nach Annahme der Konferenz allemal „bei Seiner Majestät diejenige Entscheidimg zu befürworten, welche Präsident Roosevelt als praktisch und fair empfehlen wird3)". Leider Heß sich Sternburg bei der Übermittlung des ins Englische übersetzten Wortlautes einen verhängnisvollen Irrtum zu schulden kommen, indem er schrieb: „The Emperor has requested me to teil you that in case during the Coming conference differences of opinion should arise between France and Germany, he, in every case, will be ready to back up the decision which you should consider to be the most fair and the most practical4)." Wir werden später sehen, welche Folgen diese falsche Auslegung von Bülows Depesche während der Konferenz hatte und wie sie Roosevelt einen scheinbar triftigen Grund zu einem für Deutschland höchst unangenehmen Schritt gab (s. S. 100). France . . . I feel that now having obtained what he asks, it would be most unfortunate even to seem to raise questions about minor details, for if under such circumstances the dreadful calamity of war should happen, I fear that his high and honorable fame (des Kaisers) might be clouded. He has won a great triumph; he has obtained what his opponents in England and France said he never would obtain and what I myself did not believe he could obtain . . ." Gr. Pol. 6738 u. Bishop, I, S. 483ff. ') 2 ) ») 4 ) Lodge,
Gr. Pol. 6743; Bishop, I, S. 485. Gr. Pol. 6742/6743. Gr. Pol. 6744. Bishop, I, S. 487. (Vom Verf. gesperrt.) II, S. 167.
Vgl. auch Roosevelt-
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Endlich am 8. Juli nach sich abermals hinziehenden Erörterungen über die Redaktion der auszutauschenden Schriftstücke kamen die unter diesem Datum bekannten gegenseitigen Erklärungen zwischen Deutschland und Frankreich zustande, die die Annahme der Konferenz durch letzteres unter Festlegung ihrer allgemeinen Leitpunkte in sich schlössen1). Die nächste nicht weniger schwierige Aufgabe war die von Deutschland nun zugestandene genauere und ins einzelne gehende Formulierung derjenigen Punkte, die dem Sultan als von diesem der Konferenz vorzuschlagendes Programm nahegelegt werden sollten. Da diese Verhandlungen sich naturgemäß fast ausschließlich zwischen Deutschland und Frankreich abspielten — Roosevelt bezeigte sein Widerstreben, ferner in einer Sache zu intervenieren, die Amerika nicht berühre2) —, haben wir nicht auf sie einzugehen. Am 28. September kam der Programmentwurf zustande, der den internationalen Beratungen als Grundlage dienen sollte8). Die Konferenz konnte beginnen. Die deutschen Akten wie die Briefe und Aufzeichnungen Roosevelts lassen heute einwandfrei erkennen, daß der amerikanische Präsident den hervorragendsten Anteil an ihrem Zustandekommen gehabt hat. Seine Vermittlung zwischen Deutschland und Frankreich — nur wenige Eingeweihte wußten um sie — war weniger laut und aufsehenerregend als die gleichzeitige zwischen Rußland und Japan, aber nicht weniger entscheidend. Bei der zweideutigen, eher zum Konflikt als zur Verständigung treibenden Politik Englands und der seit dem Sturz Delcasses in Frankreich sich verschärfenden kriegerischen Stimmung war die Einwirkung Roosevelts die einzige, der in beiden Ländern Erfolg verbürgt war. Ob die Konferenz und die Erhaltung des Friedens allerdings zum Heile Deutschlands war, steht auf einer anderen Seite4). Denn verhehlen wir uns nicht, der Druck Roosevelts auf die französische Regierung war zumindest mit der in scheinbar unparteiische Worte gekleideten Zusicherimg verbunden, Frankreich zu unterstützen, falls Deutschland auf der Gr. Pol. 6767. «) Gr. Pol. 6778. a ) Gr. Pol. 6832. *) Wir können uns nicht entschließen, die Erhaltung des Friedens, wie es heute allzuviel geschieht, zum obersten Wertmaßstab zu machen. Deutschland hatte die Wahl zwischen Verhandlungen mit Frankreich und dem offenen Bruch. Beide Möglichkeiten konnten ergriffen werden. Schwäche und Schuld aber war es, zu schwanken, zu drohen und dann doch zurückzuweichen.
— 89 — Konferenz Unbilliges verlange. Was das hieß, sollte bald deutlich werden. Wenn Deutschland darauf vertraute, durch seine Bemühungen um die Freundschaft Amerikas und den geflissentlich vorgebrachten Hinweis auf ähnliche Verhältnisse in China wie in Marokko dessen Hilfe gewonnen zu haben, so hatte es sich hier ebenso verrechnet, wie in der Einschätzung der übrigen Faktoren1). Henry Cabot Lodge, der Vorsitzende der Senatskommission für Auswärtiges und intime Freund Roosevelts, streift in mehreren Briefen an den Präsidenten aus dem Sommer 1905 die Marokkokrisis und äußert darin Anschauungen, die sicher auch die Billigung dessen fanden, an den sie gerichtet waren, und welche die hier wiedergegebene Ansicht vollauf bestätigen. Einige Stellen daraus mögen das verdeutlichen. Lodge schreibt am 2. Juli: „Gern werde ich mit Dir über Marokko sprechen. Das ist eine aufregende Sache (nervous business) gewesen! Ich bin sehr besorgt (anxious), daß wir auch alles tun, um Frankreich an uns zu ziehen. Frankreich muß mit uns und England gehen. Es ist dies wirtschaftlich und politisch die richtige Verbindung (sound arrangement). Ein schlimmer Tag für uns wäre der, an dem Deutschland Frankreich niederwürfe (crush). Doch ist die unmittelbare Gefahr vorüber, und ich glaube nicht, daß der Kaiser den Krieg will (means to fight)." Eine ergänzende Stelle aus einem sechs Wochen später (14. August) abgesandten Brief, die eine Vordeutung auf die später sich wirklich abspielenden Vorgänge ist, lautet: „Die lokale Streitfrage in Marokko geht uns nichts an, höchst wichtig ist dagegen, daß wir Frankreich nach Kräften helfen (give all the help we can) . . . Wer immer als unser Vertreter (zur Konferenz) geht, muß sich mit dem deutschen Delegierten auf dem besten Fuß halten (keep on the best terms) und dennoch, sobald es zum Handeln kommt, Frankreich, soweit er irgend kann, unterstützen (support to the extent of his power) 2 )." Werfen wir nun noch einen Blick auf die politische Gesamtlage. England und Spanien waren durch Verträge zur Unterstützung Frankreichs verpflichtet und willens, sie zu leisten; Rußland, welches mehr als je das französische Geld benötigte, dachte nicht daran, seinem Verbündeten die Gefolgschaft zu versagen. Italien waren, abgesehen von den unabhängig von der Marokkofrage fester und fester unterirdisch nach Paris hin sich spinnenden Fäden, die Hände durch besondere Abmachungen Vgl. auch Wolff, D a s Vorspiel, S. 165 u. 188. 2)
Roosevelt-Lodge, Bd. II, S. 162 u. 172; v g l . auch den Brief v o m 8. Juli (S. 164 ebd.).
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gebunden, die das begehrte Tripolis betrafen. Sie hinderten Italien, Frankreich in Marokko entgegenzutreten. Es war ihm bestenfalls eine wohlwollende, tatsächlich zweideutige Neutralität gestattet1). Die kleinen Staaten schließlich strebten — wenn sie nicht, wie Portugal, von England abhingen — eine vorsichtige Mittelstellung einzunehmen, um nach Gunst und Lage zu dieser oder jener Partei hinüberwechseln zu können. Nur auf Österreich konnte Deutschland einigermaßen sicher (keineswegs unbedingt) und etwa in derselben Weise zählen wie Frankreich auf England, Rußland und Spanien. Blieb also Amerika, dessen Stimme als die des mächtigsten außereuropäischen Staates sehr wohl der Deutschland feindlichen Koalition als Gegengewicht hätte dienen können. Das drückte sich offen in der Tatsache aus, welche Wichtigkeit die deutsche Regierung der ständigen Unterrichtung Roosevelts über die Marokkoangelegenheit und die deutschen Ziele beimaß. Aber der Präsident war alles andere als geneigt, diese Rolle zu übernehmen, die in nichts anderem bestanden hätte als in einer gerechten Abwägung der Tatsachen. Wir werden im Gegenteil sehen, daß er sich zwar um eine Vermittlung bemühte, sie aber auf Kosten Deutschlands herbeiführen half. Die Konferenz trat Mitte Januar 1906 in der südspanischen Küstenstadt Algeciras zusammen. Erster deutscher Delegierter war v. Radowitz, Botschafter in Madrid, dem Graf Tattenbach zur Seite stand. Frankreich war durch R6voil, den ehemaligen Generalgouverneur von Algier, vertreten, der zäh die französischen Ansprüche durchfocht. Auch Roosevelt hatte einen seiner begabtesten und fähigsten Diplomaten entsandt, Henry White, früher Botschaftssekretär in London, zuletzt Botschafter in Rom, nicht zu verwechseln mit Andrew D. White, dem Deutschland so gewogenen amerikanischen Vertreter in Berlin (bis 1903). Die übrigen Delegierten waren, um die wichtigsten zu nennen: Graf von Welsersheimb (Österreich), Marquis Visconti Venosta (Italien), Sir Arthur Nicolson (England) und Graf Cassini (Rußland). Nachdem in der Eröffnungssitzung am 16. Januar formell die Souveränität und Integrität Marokkos und die „offene Tür" für alle erklärt worden war, kamen zunächst die Reformen zur Sprache, über welche verhältnismäßig leicht eine Einigung zu erzielen war*). Man bemühte sich sichtlich in beiden Lagern, eine der Verständigung förderliche Atmosphäre zu schaffen. Die l
) Tardieu, S. 6 1 ; Seymour, S. 146 f. *) Gr. Pol. 6947 bis 6949; Tardieu, S. 105.
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ersten vertraulichen Besprechungen unter den Delegierten über die schwierigen Hauptpunkte, die Polizei- und Bankorganisation, konnten daher beginnen. Bald aber zeigte sich, daß Frankreich offen oder versteckt, wenn nicht mit Namen so tatsächlich, ein Generalmandat für sich allein oder allenfalls gemeinsam mit Spanien, dazu Bevorzugung bei der Bankgründung, erstrebte. Das waren für die deutschen Vertreter unannehmbare Forderungen. Schon am 20. Januar hatte Bülow Sternburg angewiesen, mit Staatssekretär Root die Möglichkeiten einer Polizeiorganisation durchzusprechen, und hatte ihm zu diesem Zweck drei verschiedene Vorschläge an die Hand gegeben, welche Deutschland als in Betracht kommende Lösungen ansah1). Auch die Annahme jeder anderen aussichtsvollen, den deutschen Grundsätzen Rechnung tragenden und den Wünschen Amerikas entsprechenden Reform wurde zugesagt. Man wollte auf alle' Fälle Amerika an der Debatte beteiligen und zu einer Stellungnahme veranlassen8). Hatte doch Henry White v. Radowitz erklärt, daß er den deutschen Standpunkt in der Mandatsfrage für den richtigen halte und sich mit bemühen würde, ein vernünftiges Kompromiß zustande zu bringen. Ob diese Äußerung allerdings viel mehr war als eine diplomatische Phrase, möchte man angesichts der späteren Entwicklung bezweifeln. Root meinte zwar nun, daß die Vereinigten Staaten selbst an der Polizeiorganisation nicht teilnehmen könnten, stellte aber Besprechung der deutschen Vorschläge, von denen ihm der dritte als bester erschien (fortan als Vorschlag III bezeichnet), mit dem Präsidenten und eine davon abhängige Instruierung des amerikanischen Vertreters in Aussicht3). Dieser Vorschlag III, der späterhin zum Ausgangspunkt weiterer Verhandlungen wurde, sah von einer Mandatserteilung an irgendeine Macht gänzlich ab, sondern wollte lediglich den Sultan verpflichten, Polizeitruppen zu halten und durch fremde Instrukteure ausbilden und befehligen zu lassen, wobei ihm die Wahl des geeigneten internationalen Personals unter gewissen Garantien überlassen bleiben sollte4). In Algeciras bemühten sich inzwischen der Italiener Marquis Visconti Venosta und Mr. White im Zusammenhang mit den am 23. Januar in Gang gekommenen direkten BeGr. Pol. 6956. ) Gr. Pol. 6959 (Schluß) und besonders 6965. ') Gr. Pol. 6958. *) Die beiden anderen Vorschläge betrafen eine sektionsweise Organisation der Polizei durch verschiedene Mächte (I), bzw. ein Mandat an •eine oder mehrere kleine Mächte (II); vgl. Gr. Pol. 6956. Tardieu bezeichnet den Vorschlag I I I auch als „Projet Marocain". a
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sprechungen zwischen v. Radowitz und Révoil um eine Verständigung. Um White und damit Amerika noch mehr im Sinn einer vermittelnden Tätigkeit heranzuziehen, schlug Bülow Radowitz vor, richtig erscheinende Konzessionen in Einzelfragen an Frankreich nicht direkt zu machen, sondern durch jenen vermitteln zu lassen1). Sehr gelegen kam der deutschen Regierung ein am 24. Januar in der französischen Zeitung „Siècle" erschienener Artikel von de Lanessan, der in seiner Darlegung der Polizeifrage sich weitgehend mit den deutschen Ansichten berührte2). Um so wichtiger erschien es der deutschen Regierung, daß nun ein Vermittlungsantrag in dieser Richtung von einer neutralen Macht vom Gewichte Amerikas erfolge, und zwar in einer Formulierung, die deutschen Gesichtspunkten möglichst Rechnung trüge. Er mußte so weit nachdrücklicher wirken, als wenn er bloß von Österreich oder Italien ausging; Deutschland selbst war zu sehr Partei, um ihn einzubringen. Sternburg sollte daher Präsident Roosevelt für ihn gewinnen, da „die Lage für denselben reif sei". Staatssekretär Root war indessen anderer Auffassung. Er meinte, daß der Präsident durch einen solchen Antrag Whites in Verwicklungen geraten könne, welches Bedenken Sternburg durch die Bemerkung zu beheben suchte, daß vorerst ja vertrauliche Sondierung der Ansichten der verschiedenen Regierungen genüge. Dem war Root nicht abgeneigt. Tatsächlich erfolgte kurz darauf eine dahingehende Instruktion an Henry White3). Mittlerweile kam auch die Bankfrage in Fluß, in der Frankreich auf Grund seiner überwiegenden wirtschaftlichen Belange gleichfalls Vorteile vor den anderen an der künftigen Staatsbankorganisation zu beteiligenden Mächten für sich beanspruchte. Immerhin konnte hier Deutschland eher auf Unterstützung sowohl der Staaten als der privaten Kreise zählen. Umstritten waren die Höhe des prozentualen Anteils jeder Macht am Gründungskapital, die Zusammensetzung und Organisation der leitenden Organe und die Unterstellung der Bank unter eine fremde Gerichtsbarkeit und fremdes Recht. Auch diese Probleme unter Hinweis auf die alle übrigen Konferenzstaaten benachteiligenden französischen Ansprüche mit Root eingehend zu erörtern, wurde Sternburg beauftragt, während in der Polizeifrage Radowitz riet, jetzt zunächst das Ergebnis der Sondierungen Whites im Sinne 1
) Gr. Pol. 6964, 6965 und 6967 (S. 121). ) Gr. Pol. 6968 und Tardieu, S. I46ff. 3 ) Gr. Pol. 6968, 6971 und 6978. 2
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des deutschen Vorschlages I I I und des Lanessanschen Artikels abzuwarten. Gleichzeitig hob allerdings White, unterstützt von Visconti Venosta, die Notwendigkeit für Deutschland hervor, in der Bankfrage Konzessionen zu machen zur Erzielung einer Verständigung über die Polizei1). Am 3. Februar kam es zu einer zweiten unmittelbaren Besprechung zwischen Radowitz und Revoil. Die gegenseitigen Standpunkte begannen sich klarer abzuzeichnen. Radowitz formulierte von neuem die Gesichtspunkte, die der deutschen Regierung den Vorschlag I I I als geeigneten Ausweg erscheinen ließen. Doch Revoil lehnte ihn rundweg ab und war auf die Frage des deutschen Vertreters, welche anderen Möglichkeiten ihm annehmbar erschienen, allenfalls geneigt, ein Doppelmandat für Frankreich und Spanien zuzugestehen, das mit gewissen Sicherungen umgeben werden könne. Man trennte sich mit dem Bewußtsein, vorläufig keine bindende Brücke gefunden zu haben. Berichte an die Regierung und etwaige weitere Instruktionen waren abzuwarten2). Aus Unterredungen mit Visconti Venosta und besonders H. White wurde Radowitz jedoch klar, daß diese die französische Lösung als annehmbare Basis ansahen. Beide rieten zu Entgegenkommen, ja selbst Österreich schien einer Vermittlung nicht abgeneigt3). Radowitz deutete daraufhin in seinen Berichten vom 5. und 6. Februar indirekt an, daß gewisse Konzessionen, wie die Dinge lagen, wohl nicht zu umgehen seien, und gab einige dahinzielende Umrisse4). In Berlin glaubte man hartnäckig bleiben zu sollen. Man versicherte sich zunächst Österreichs. Radowitz aber wurde bedeutet, daß sowohl der französische Vorschlag wie der amerikanisch-italienische Kompromiß unannehmbar seien und sich bis auf weiteres Festhalten an Vorschlag I I I empfehle. Angesichts der Lage in Algeciras mußte das ein Festlaufen der Verhandlungen erwarten lassen, denn an «in französisches Nachgeben war gar nicht zu denken. Die so wichtige amerikanische Ansicht darüber wurde am 8. Februar bekannt. Auf das erneute Drängen Sternburgs, auf der eben skizzierten Grundlage die Vermittlung Whites (wobei dies im !) Gr. Pol. 6974 bis 6978; Tardieu, S. 141 ff.; Rüdiger, S. 68ff. 2 ) Vgl. Tardieu, S. 148 bis 1 5 2 ; Gr. Pol. 6980. 3 ) „Marquis Visconti Venosta und White raten aber nur als persönliche Meinung zu Entgegenkommen bezüglich Organisation durch franz. und spanische Offiziere, etwa mit Beteiligung einer dritten Macht als Kontrollinstanz, was genauer zu bestimmen bliebe." (Gr. Pol. 6984.) Vgl. auch Tardieu, S. 153. 4 ) Gr. Pol. 6984 und 6985.
— 94 — Verein mit Österreich, vielleicht auch Italien geschehen könne) eintreten zu lassen, gab der Staatssekretär eine ausweichende Antwort. „Da Amerika an der Marokkofrage von allen Mächten das geringste Interesse habe, möchte er jeden Schritt vermeiden, der als aufdringlich gedeutet werden könne. Er würde den Schritt nicht unternehmen, falls er anstatt ein bestimmtes Resultat nur Diskussionen nach sich ziehen würde1)." Was das, der diplomatischen Form entkleidet, hieß, war klar genug. Und schon kam von Radowitz aus Algeciras die vom folgenden Tage (9. Februar) datierte Nachricht, daß H. White aus seinen Besprechungen mit R6voil den absolut sicheren Eindruck gewonnen habe, daß die derzeitigen deutschen Anträge von Frankreich rundweg abgelehnt werden würden, weshalb jede Vermittlung aussichtslos wäre, solange nicht eine gemeinsame Basis für beide Parteien gefunden sei. Er (White) rate wiederholt und dringend, „die Möglichkeit zu lassen zur Einigimg über eine Organisation mit Beteiligung von französischen und spanischen Offizieren", sonst stehe Scheitern der Konferenz in Aussicht. Visconti Venosta äußerte sich ähnlich, und Graf Welsersheimb teilte persönlich die Ansicht der beiden anderen, wenn er auch weisungsgemäß Deutschland unterstützte1). Radowitz erbat neue Instruktionen, konnte jedoch das Auswärtige Amt zu keiner Änderung seiner Taktik veranlassen. Ein am 10. Februar in Berlin erschienenes Wolfftelegramm aus Algeciras stellte den nun offenbaren deutschfranzösischen Gegensatz klar heraus3). Die entscheidende Krise näherte sich. Am 13. Februar überbrachte Radowitz seinem französischen Kollegen die deutsche Antwort (auf die Besprechung vom 3. Februar, s. oben). Eine Diskussion fand in Erkenntnis ihrer Aussichtslosigkeit gar nicht erst statt. Rövoil sagte nichts als Übermittlung nach Paris zu. Schon am 16. erfolgte die französische Entgegnung. Sie setzte der deutschen die französische These entgegen, erklärte sich zwar mit der Polizeiorganisation und der Ernennung der Offiziere durch den Sultan (ohne förmliches Mandat an irgendeine Macht) einverstanden, machte aber das Zugeständnis einer Kontrollinstanz und weitere Verhandlungen von der ausschließlichen Wahl französischer und spanischer Instrukteure abhängig. Es war im wesentlichen der schon am 3. Februar umrissene Standpunkt Frankreichs, demgegenüber Deutschland in einer zweiten kurzen Erklärung vom ») Gr. Pol. 6989 (8. II.). *) Gr. Pol. 6990 und 6996. *) Vgl. Tardieu, S. 167 bis 171.
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ig. Februar den seinigen aufrecht erhielt 1 ). Man war am Scheideweg angelangt. Viele glaubten schon das Scheitern der Konferenz mit seinen bedenklichen Folgen vorauszusehen. Irgendeine neue Initiative war not, die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Wir können nicht, da uns nicht obliegt, eine Geschichte der Konferenz zu schreiben die Vorgänge, die sich zwischen den verschiedenen Regierungen abspielten, ebensowenig alle inoffiziellen Einwirkungen der Delegierten auf der Konferenz darstellen; uns berührt nur, welche Politik Washington unter diesen Umständen verfolgte. Dort hatte die deutsche Regierung gleichzeitig mit den letztgeschilderten Ereignissen in Algeciras ihre Bemühungen fortgesetzt. Aber auch Jusserand, der französische Botschafter, war nicht müßig, unterstützt von seinem englischen Kollegen. Er stellte in seinen Besprechungen mit Roosevelt und Root den deutschen Darlegungen die französischen Argumente entgegen, und, wie es scheint, mit Erfolg 8 ). Erschwerend fiel für Deutschland der Umstand ins Gewicht, daß sein Vorgeben, die Interessen aller zu verteidigen, gerade von den Mächten Widerspruch oder zum mindesten nicht Unterstützung erfuhr, die eine „Tunisierung" Marokkos am nächsten berührt und benachteiligt hätte, wenigstens dem Augenschein nach, also von England, Spanien, Italien. Daß aber deren Regierungen längst durch besondere, teilweise geheime Verträge abgefunden und entschädigt waren, lag weniger zutage und trat schwerer ins Bewußtsein 3 ). Die Vereinigten Staaten hatten kaum Interessen in dem für sie entlegenen nordafrikanischen Küstenstrich, und, abgesehen von dem allgemeinen Wunsch, nicht in europäische Händel gezogen zu werden (so gern auch Roosevelt persönlich den Mann des Schicksals spielte), hatten sie auch keinen speziellen Anlaß, für Marokko nachdrücklich einzutreten oder sich tiefer mit seinen Problemen zu befassen. Es wurde immer klarer, wie verfehlt in Verkennung der realen Lage die deutsche Politik gewesen war, diese Konferenz herbeizuführen, die sich notwendigerweise bei solcher gemeinsamen Gegnerschaft gegen Deutschland selbst, statt — wie gehofft — gegen Frankreich wenden mußte. Es war nun soweit, daß Deutschland in Vertretung berechtigter, aber unter den vorliegenden Umständen auf diese Weise nicht durchsetzbarer Ansprüche als der Störenfried erschien, als Hemmschuh der für nötig erkannten Reformen. Gr. Pol. 7004, 7011/7012, 7016, 7018, Anfang von 7019 u. 7037; Tardieu, S. 174 bis 177, 181 f. u. 187. *) Tardieu, S. 160 bis 162. ®) Morel, passim.
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Die feindlichen Preßmachenschaften verstärkten den Anschein. Hatte Deutschland nicht geheime Pläne im Hintergrund, wollte es sich vielleicht in Marokko festsetzen, um dort irgendwie einen Stützpunkt für künftige koloniale oder maritime Pläne zu schaffen ? Auch in Washington nahm diese Ansicht überhand. Roosevelt war nicht der Mann, sich ohne weiteres den Verdächtigungen Deutschlands zu entziehen. Das hatte die Venezuela-Affäre gelehrt. Wir hatten oben gesehen, daß H. White, wenn auch mit diplomatischen Konzessionen an Deutschland, im Grunde der Meinung war, die französisch-spanische Lösung der Polizeifrage sei gut, allenfalls die Form der internationalen Kontrolle lasse Diskussionen zu. In Washington war man derselben Ansicht, und man braucht nicht an der Darstellung Tardieus zu zweifeln, daß infolge der geschickten französischen Diplomatie Roosevelt schon Anfang Februar bereit war, im geeigneten Zeitpunkt eine Initiative in diesem Sinne zu ergreifen, ja Frankreich entsprechende Zusicherungen gab 1 ). In Algeciras bewegte sich White noch entschiedener in der gleichen Richtung. Am 13. Februar hatte Radowitz die ablehnende deutsche Antwort an Revoil überbracht (s. oben). Frankreich seinerseits war entschlossen, von dem Doppelmandat bzw. der alleinigen Ernennung französischer und spanischer Offiziere durch den Sultan nicht abzugehen, höchstens eine es nicht zu sehr behindernde neutrale Kontrolle zuzulassen. Aber auch mit dieser letzteren sog. Konzession wollte es nicht eher hervortreten, als bis es der Annahme des ersten Punktes sicher war. Revoil setzte sich daher mit H. White in Verbindung (14. und 15. Februar). Dieser eignete sich das französische Projekt an, erklärte sich bereit, es von sich aus einzubringen, ja seine Empfehlung in Berlin durch Roosevelt2) zu ver1 ) Tardieu sagt darüber, S. 162: „Pas plus à Washington qu'à SaintPétersbourg, le désire exprimé par nous ne rencontra d'objection. Comme avait fait le comte Lamsdorff, M. Roosevelt se contenta de remarquer qu'il fallait reserver cette démarche comme une suprême ressource, attendre l'occasion favorable, éviter d'en compromettre le succès par une initiative prématurée. Nous avions donc la certitude qu'à l'instant critique une double action morale s'exerçerait en notre faveur." 2
) „Mais il ne se borna pas à cette approbation; et après avoir promis a son collègue français de s'approprier le projet qu'il rédigerait dans ce sens et de le présenter en temps utile comme une transaction américaine, il lui offrit spontanément de le faire recommander à Berlin par le président Roosevelt . . . en faisant sur elle comme sur la promesse de Mr. White le secret le plus absolu . . ." Tardieu, S. 180.
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anlassen. Alles natürlich im tiefsten Geheimnis. Ein Textentwurf wurde gemeinsam aufgesetzt und alles vorbereitet. Doch Roosevelt entschloß sich jetzt selbst zum Handeln. An dem gleichen 19. Februar, an dem Radowitz dem französischen Bevollmächtigten die auf ihrer Forderung internationaler Gestaltung der Polizei beharrende deutsche Antwort erteilte, hatte Sternburg eine Besprechung mit Staatssekretär Root. Auch dieser gab seiner Ansicht Ausdruck, daß, falls Deutschland den Vorschlag I I I aufrecht erhalte, die Konferenz scheitern würde. Er werde sich indes bemühen, nach Rücksprache mit dem Präsidenten „ein für Frankreich annehmbares Kompromiß zu schaffen" 1 ). Was es damit »auf sich hatte, wurde sogleich deutlich. Root übergab, nachdem er sich kurze Zeit zur Besprechung mit Roosevelt zurückgezogen hatte, dem Botschafter eine Note. Sie bezog sich in ihrem Eingang auf das deutsche Ansinnen vom 29. Januar (s. S. 92), mit einem amerikanischen Vorschlag hervorzutreten; der Präsident erachte jetzt die Zeit für gekommen. Es erfolgte die Darlegung der Einzelheiten, die sich in allem mit der zwischen Revoil und White vereinbarten Fassung deckten. Man sieht, woher sich die Fäden spannen. Zwei Tage später lief die Antwort aus Berlin ein. In ihrem Ton, den Anweisungen Bülows entsprechend, so diplomatisch als möglich2), lehnte sie den Inhalt der Note, soweit er sich auf den entscheidenden Punkt bezog, ab. Statt dessen griff sie auf die früheren deutschen Vorschläge mit zwei oder drei zur Wahl zu stellenden Modifikationen zurück. Daß Roosevelt überhaupt auf ihre Besprechung eingehen würde, war nicht anzunehmen, nachdem er sich einmal für die französische Lösung ausgesprochen hatte. Seine durch Root am 23. Februar dem deutschen Botschafter erteilte Antwort war deutlich genug. Er halte einen Vermittlungsvorschlag im vorerwähnten Sinne für aussichtslos. „ E r würde nur reizbare Diskussionen nach sich ziehen."3) Die Dinge nahmen in Algeciras also ihren Fortgang, d. h. eigentlich keinen, da Beratungen über den wichtigsten Gegenstand nicht möglich waren, solange keine der Parteien nachgab, und die minderen Fragen geregelt waren. Zwar half man sich vorerst mit Sitzungen über die Bankfrage durch 1
) Gr. Pol. 7019. ) Vgl. die bezeichnende Randbemerkung Bülows zu 7 0 1 9 : „ I c h halte bei der b e s o n d e r e n Wichtigkeit der amerikanischen Stellungnahme wie im Hinblick auf die guten Absichten (!) von Roosevelt eine s c h l e u n i g e Antwort, die natürlich sehr f r e u n d l i c h zu halten ist, für geboten." (Sperrschrift im Original.) 3 ) Gr. Pol. 7038. 2
Beiheft d. H. Z . 1 3 .
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(20., 22. und 24. Februar), die aber auch nicht recht vorwärts kam. Vom 24. Februar bis 3. März fand überhaupt keine gemeinsame Beratung statt. Die Stimmung war gedrückt, ein Ausweg schien sich nicht zeigen zu wollen. Frankreich suchte daraus Nutzen zu ziehen, indem es Deutschland ob dessen Hartnäckigkeit nach allen Seiten hin verdächtigte. Es war entschlossen, jetzt eine ihm günstige Wendung herbeizuführen, und zwar, indem es die Polizeifrage, die ja bisher o f f i z i e l l nicht angeschnitten worden war, auf die Tagesordnung brachte1). Im Einverständnis mit Frankreich stellte der englische Bevollmächtigte, Sir Arthur Nicolson, zu Ende der Sitzung vom 3. März, die der Bank gegolten hatte, den entsprechenden Antrag. Auf ihn vereinigte sich die große Mehrheit der Vertreter, nur Deutschland, Österreich und Marokko waren dagegen. Handelte es sich formell auch nur um eine Abstimmung über die Geschäftsordnung, so war doch das Ergebnis, richtig ausgedeutet, bedeutsam genug. Die gefürchtete Isolierung Deutschlands war nicht mehr zu verkennen. Da trat Österreich in den Mittelpunkt der Ausgleichsbemühungen. Schon am 23. Februar hatte Kaiser Franz Josef den deutschen Botschafter zu sich bitten lassen, um ihm mitzuteilen, daß in Wien eingegangenen Nachrichten zufolge sich England, Spanien, Rußland und wahrscheinlich auch Amerika für Frankreich entscheiden würden. Daran schloß er den dringenden Wunsch, diese Wendung zu einer Isolierung Deutschlands und Österreichs vermieden zu sehen2). Am 26. teilte Graf Welserheimb einen österreichischen Vermittlungsvorschlag an Radowitz mit, der aber bei der deutschen Regierung kein Gehör fand 3 ). Jetzt unter dem Eindruck der Sitzung vom 3. März kam Österreich erneut auf ihn zurück. Aus den Berichten von Radowitz ging gleichfalls hervor, daß der deutsche Standpunkt nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Bülow stimmte der Einbringung des österreichischen Projektes jetzt zu4). *) Vgl. Tardieu, S. 275 ff. Schon am 26. März hatte Révoil, sich auf die deutsche Antwort vom 19. beziehend, Radowitz eine neue Erklärung abgegeben, die schloß: „C'est à la Conférence qu'il appartient, conformément à l'accord du 8 juillet, de déterminer la solution." Gr. Pol. 7042. 2 ) Gr. Pol. 7039. 3 ) Gr. Pol. 7045. Ihm gemäß sollte ein neutraler höherer Offizier die Polizeiorganisation in Casablanca und zugleich die Inspektion Über die Polizei in den auf Spanien und Frankreich zu verteilenden übrigen Häfen übernehmen. Vgl. auch Gr. Pol. 7046 u. 7049; Rüdiger, S. 43 ff. 4 ) Gr. Pol. 7056 u. 7060 bis 7063.
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Am 7. März endlich entschied sich auch Roosevelt, auf die deutsche Regierung nochmals einen Druck auszuüben. Er übergab Sternburg eine Note zur direkten Übermittlung an den Kaiser 1 ). Der Präsident gab darin zunächst seinem Bedenken, von Frankreich noch mehr Konzessionen zu verlangen Ausdruck. Nur die besonderen Vorgänge, die zur Konferenz von Algeciras geführt hätten, könnten ihn überhaupt veranlassen, weitere Anstrengungen im Sinne einer Beilegung der Streitfragen zu machen. Er habe die auf Bitten Deutschlands durch ihn herbeigeführte französische Zustimmung zur Konferenz nur erreicht, indem er Frankreich die Zusicherung einer unparteiischen und billigen (fair) Entscheidung gab 2 ). Dazu habe er sich berechtigt geglaubt auf Grund des Briefes Sternburgs vom 28. Juni 1905 (s. S. 87). Sein Vorschlag vom 19. Februar sei verständig, und er fühle sich verpflichtet, „most earnestly to urge Your Majesty to accept it". Nachdem er nochmals dessen Billigkeit dargelegt, fuhr er fort: „Looking at the object as I do . . . I see grave reasons to apprehend that if the conference should fail because of Germany's insisting upon pressing France beyond the measure of concession described in this proposed arrangement, the general opinion of Europe and America would be unfavorable, and Germany would lose that increase of credit and moral power that the making of this arrangement would secure to her, and might be held responsible probably for beyond the limits of reason, for all the evils that may come in the train of the disturbed condition of affairs in Europe." Man konnte nicht gut unzweideutigere Worte gebrauchen. Diese Note zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, wie die Dinge standen. Waren die anfänglichen Illusionen in Berlin schon sehr verflogen, dieses Dokument mußte vollends ernüchtern. Ob es noch großen Einfluß geübt hat, möchte man füglich bezweifeln, denn der Rückzug war, wie wir sahen, schon im Gange, was auch in der Kaltstellung und bald darauf erfolgenden Entlassung Holsteins, dessen verhängnisvoller Einfluß auf den Gang der Konferenz trotz Bülows nomineller Leitung offenbar ist, seinen Ausdruck fand. Bezüglich der Rooseveltschen Note ist außerdem zu bemerken, daß sich jetzt zeigte, welch folgenschwex
) Gr. Pol. 7074; Tardieu, S. 297. ) „ B y the request of Germany I urged France to consent to the conference, giving her very strong assurances of my belief that a decision would be reached, consonant with an impartial view of what is most fair and most practical. The nature, the strength and the justification of these assurances may be realized by referring to the terms of Baron Sternberg's letter to me of June 28, 1905." 2
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ren Irrtum sich Sternburg bei Übermittlung jenes schon früher erwähnten Briefes vom 28. Juni 1905 hatte zuschulden kommen lassen. Er hatte nämlich seine Instruktion in peinlicher Weise überschritten, insofern er in dem bewußten Schreiben einen Erlaß Bülows dahin ausgelegt hatte, daß der K a i s e r w ä h r e n d der K o n f e r e n z auf jeden Fall etwaige Entscheidungen des Präsidenten annehmen würde. Hören wir, was Bülow selbst jetzt in einem darauf bezüglichen Erlaß an Sternburg vom 12. März sagte: „Einmal waren Sie nach meinem Telegramm nur zu der Erklärung ermächtigt, daß ich bei Seiner Majestät etwaige Vermittlungsvorschläge des Präsidenten befürworten würde, während Sie deren unbedingte Annahme im Namen Seiner M a j e s t ä t s e l b s t zugesagt haben. Ferner haben Sie durch den Zusatz .during the Coming conference' Ihre Zusage auf die zwischen uns und Frankreich während der K o n f e r e n z sich ergebenden Meinungsverschiedenheiten abgestellt, während ich lediglich die damals noch speziell zwischen uns und Frankreich zu führenden Vorverhandlungen im Auge hatte." 1 ) Man versteht jetzt eher, was den Präsidenten zu seinem ungewöhnlichen Schritt, mit dem er sich direkt an den Kaiser wandte, veranlaßte, und das mag ihm zugute gehalten werden. Wir sahen, daß die Aussichten für eine Einigung günstiger geworden waren. Immerhin dauerte es noch drei Wochen, bis alle Schwierigkeiten behoben wurden. Sie bestanden in der als letzte Rückzugslinie aufrecht erhaltenen Forderung Deutschlands auf einen neutralen Polizeikommandanten in Casablanca, der zugleich zum Generalinspektor auszuersehen war. Hatten die Sitzungen vom 8. und 10. März einen nahen Ausgleich erwarten lassen2), so kam es um dieses Punktes willen nun nochmals zu einer Spannung, die kompliziert wurde durch eine am 7. März aus innerpolitischen Gründen ausgebrochene französische Ministerkrise. Noch einmal machte das Auswärtige Amt in Beantwortung von Roosevelts Note den Versuch, auf Grund der neugeschaffenen Basis des österreichischen Reformplanes und unter Hervorkehrung der mit dem früheren amerikanischen gemeinsamen Grundzüge dessen Beistimmung und Vermittlung zu gewinnen. Es geschah in Form eines persönlichen Telegramms des Kaisers an den Präsidenten vom 12. März. Erfolg hatte es nicht. Roosevelt scheute sich nicht, den österreichischen Vorschlag als „absurd" zu bezeichnen. „The propose I suggested is the better !) Gr. Pol. 7093. ) Gr. Pol. 7075 bis 7079 und 7084 bis 7086; Tardieu, S. 301 ff.
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and safer and the only one I can support", erklärte er kurz und bündig1). Es war jetzt so, daß statt der früher gesuchten und erwünschten amerikanischen Vermittlung Bülow Sternburg anwies, dem Präsidenten gegenüber „der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß er, wenn er nicht für den österreichisch-ungarischen Vorschlag mit eintritt, wenigstens zu dessen Gunsten von seinen jetzigen Vorschlägen Abstand nimmt" 2 ). Umgekehrt enthüllen zwei interessante Berichte Sternburgs vom 17. und 18. März, wie weitgehend selbst in den offiziellen Kreisen Washingtons das Urteil über die deutsche Politik sich von der gegen Deutschland gerichteten Propaganda der Ententestaaten abhängig zeigte und wie wenig man dort noch infolge eingewurzelter Abneigung gegen Deutschland imstande war, sich diesen Einflüssen zu entziehen. Sternburg berichtet am 1 . März: „Präsident bemerkte dann, daß unter seinen Beratern und im Kongreß die Ansicht immer mehr Boden fasse, daß Deutschland durch seine Verschleppungspolitik Frankreich zu erniedrigen beabsichtige. Dies ginge, wie man dort glaube, auch aus den Reden S. M. des Kaisers hervor . . . Der österreichische Vorschlag gelte hier als von Deutschland inspiriert, und man glaube, daß Deutschland hinter demselben eine Einflußsphäre und einen Hafen im Mittelmeer anstrebe." Eine Stelle aus der Depesche vom 13. März lautet ergänzend: „Vertraulich erfahre ich, daß Staatssekretär heute Deutschlands Verhalten auf der Konferenz als kleinlich und einer großen Nation unwürdig bezeichnet hat. Seine anfangs so starke Stellung in Algeciras habe Deutschland gänzlich verloren und stehe im Begriffe, das Vertrauen der Welt zu verlieren." 3 ) Am 18. März formulierte die Bundesregierung in einer dem deutschen Botschafter übergebenen Note nochmals ausführlich die Gründe, die ihr den Vorschlag Welsersheimbs unangebracht erscheinen ließen, während White in Algeciras auf Radowitz in gleicher Richtung einzuwirken suchte4). Das österreichische Projekt werde durch Aufteilung der Häfen an Frankreich und Spanien und eine dritte neutrale Macht in Casablanca erst die Gr. Pol. 7093 u. 7102. ) Gr. Pol. 7106; vgl. auch die Schlußbemerkung Bülows zu Gr. Pol. 7x02 und Randbem. 3 zu 7 1 1 2 . Wie aus dem Vorstehenden ersichtlich, ist die Behauptung Tardieus von drei nacheinanderfolgenden Telegrammen Wilhelms II. an Roosevelt, um ihn zu einer Intervention zugunsten Deutschlands zu veranlassen, gänzlich irrig. Vgl. Tardieu, S. 3igf. und 335. 3 ) Gr. Pol. 7 1 1 2 u. 7 1 1 3 . 4 ) Gr. Pol. 7 1 1 5 ; Tardieu, S. 348. 2
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zu vermeidenden Einflußsphären schaffen. Dennoch würden die Vereinigten Staaten ihm zustimmen, wenn es die anderen Mächte täten. Ihre wahre Meinung ging aber deutlich aus dem Passus hervor: „If we had sufficient interest in Morocco, to make it worth our while, we should seriously object, on our own account, to the adoption of any such arrangement." Zugleich deutete Österreich selbst an, daß die „Forderung der neutralen Polizei für Casablanca als unerfüllbar aufgegeben werden müsse"1). Unter dem von allen Seiten ausgeübten Druck entschied man sich in Berlin nun auch für Nachgeben in diesem Punkte gegen ein kleine französische Konzession in der Bankfrage. Nach Washington wurde gedrahtet, daß die „Erhaltung des bisherigen Vertrauens zwischen Berlin und Washington (ob es so groß war ? D. Verf.) die unverzügliche Beseitigung aller Mißverständnisse wichtiger als die ganze Marokkoangelegenheit" erscheine2). Von Casablanca war nicht mehr die Rede. Der Weg war frei, man hatte dem Druck nachgegeben, seitdem man einmal entschlossen war, es nicht zum Bruch kommen zu lassen. Am 26. März brachte Graf Welsenheimb erneut seinen modifizierten Vorschlag ein, dem Deutschland beistimmte. Auch Frankreich schloß sich in allem wesentlichen an. Namentlich White, Visconti Venosta und Cassini (Rußland) hatten in langen Bemühungen des vorhergehenden Tages dazu beigetragen, letzte Widerstände R6voils zu beseitigen3). Die neue Akte konnte, nachdem noch einige mehr technische Fragen geregelt waren, unterzeichnet werden. Es geschah dies am 7. April 1906. Bezeichnenderweise fügten die amerikanischen Bevollmächtigten ihrer Unterschrift den Vorbehalt an, daß zwar die Akte auch die Vereinigten Staaten binde, letztere aber keine Verantwortung und Verpflichtimg für Durchführung derselben übernehmen könnten. Der Senat erweiterte anläßlich der Ratifikation diesen Vorbehalt noch um die Erklärung, daß die Vereinigten Staten an der Konferenz nur zum Schutze ihres Handels und dem von Leben, Freiheit und Eigentum ihrer Bürger teilgenommen hätten, ohne Absicht von der überlieferten amerikanischen Politik abweichen zu wollen, die Teilnahme an l ) Gr. Pol. 7116. Am 15. und 17. III. hatten Besprechungen darüber zwischen dem österreichischen Botschafter in Paris, Graf von Khevenhaller, and dem neuen Minister des Auswärtigen, Bourgeois, stattgefunden. Vgl. auch Tardieu, S. 343ff') Gr. Pol. 7118. ») Gr. Pol. 7137.
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der Regelung rein europäischer Fragen verbiete (Monroe-Doktrin).1) Es waren das billige Worte, nachdem Präsident Roosevelt tatsächlich das Gegenteil davon getan hatte, nämlich seinen Einfluß mehr oder weniger zugunsten der Deutschland feindlichen Staaten in die Wagschale der europäischen Politik geworfen hatte. Die acht Jahre später eintretenden Ereignisse machten deutlich, daß diese Entscheidimg nicht zufällig fiel, sondern daß sie symptomatisch die Richtung der amerikanischen Politik gegenüber Deutschland schon damals bezeichnete. ') Foreign Relations (1906), S. 678; Latani, S. 265.
Kapitel
VII.
Schlufs. Die Algeciraskonferenz endete mit der Konstellation, die dann ein Jahrzehnt in der Welt herrschend blieb und unter der die Mächte in den großen Krieg eintraten. Die französisch-englische Entente hatte ihre erste Feuerprobe bestanden. Statt erschüttert zu werden — wie man in Berlin wohl im stillen gehofft — , hatte sie sich weiter gefestigt. Rußland und England dagegen fanden gerade auf der Konferenz Gelegenheit, sich einander zu nähern und einen wichtigen Schritt in der Richtung zu tun, die ein Jahr später zu dem Abkommen führte, das für die asiatischen Gegensätze einen Modus vivendi schuf. Italien hatte sich unverhohlen dem Dreibund abgewandt, und Spanien war gegen seine eigentliche Neigung an England-Frankreich gebunden. Die Vereinigten Staaten hatten zwar zu vermitteln versucht; aber es blieb kein Zweifel, daß zwar besondere Fälle — wie 1904 bei 1905 in Ostasien — zu einer Kooperation mit Deutschland hatten führen können, sie aber in den ernsten und für Deutschland allein entscheidenden Fragen nicht willens waren, der von England geführten Gruppe entgegenzutreten oder auch nur eine wahrhaft neutrale Haltung einzunehmen. Aber mit dieser negativen Tatsache war es nicht getan. Amerika war jetzt zu sehr in die Weltpolitik — und damit indirekt auch die europäische Politik, die ein Teil davon war — verflochten, als daß es von irgendeinem großen Ereignis innerhalb derselben hätte unberührt bleiben können. Ein amerikanischer Historiker, der sich der Aufhellung der Rooseveltschen Politik gewidmet hat, konnte mit Recht schreiben: „In truth, the United States held the scales in Europe as well as in Asia in 1905, and could tip them either way." 1 ) Da sie es nicht nach der Seite Deutschlands taten, verstärkten sie tatsächlich — wenn auch vorerst nur durch das Gewicht ihrer Sympathien — die Ententeseite. Denn ein unbeteiligtes Fürsichsein wie vor 1898 gab es nicht mehr. In diesem Zusammenhange mag es auch angebracht sein, auf ein Gespräch hinzuweisen, das 1911 Freiherr von Eckardstein mit Roosevelt auf der Redaktion ') Dennett, Roosevelt and the Russo-Japanese War, S. 2.
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der Zeitschrift „Outlook", die Roosevelt damals herausgab, führte1). Wir geben es mit dem Vorbehalt wieder, der gegenüber allen Veröffentlichungen Eckardsteins angebracht ist, wenn auch die Äußerungen Roosevelts durchaus in den Rahmen seiner Persönlichkeit passen. Nachdem der Expräsident sich über die Fehlerhaftigkeit der deutschen Konlerenzpolitik, die Deutschland eine Schlappe und große Einbuße an Prestige gebracht habe, verbreitet hatte, fuhr er, auf die damalige Möglichkeit eines Krieges eingehend, fort: „Supposing the German armies had overrun France, we in America would not have kept quiet. I certainly would have found myself compelled to interfere." Auf die Entgegnimg Eckardsteins, wie sich das mit der Monroedoktrin (Nichteinmischung in europäische Dinge) vertrüge, habe Roosevelt erwidert: „As long as England succeeds in keeping up the .balance of power' in Europe, not only on principie, but in reality, well and good; should she however for some reason or other fail in doing so the United States would be obliged to step in at least temporally, in order to reestablish the balance of power in Europe, never mind against which country or group of countries our efforts may have to be directed. In fact we ourselves are becoming, owing to our strength and geographical situation, more and more the balance of power of the whole globe." Der Weltkrieg hat in gewisser Weise diese Voraussage erfüllt. Der Angelpunkt der Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten war das deutsch-englische Verhältnis. Wie die Dinge um und nach 1900 lagen, war Amerika nur durch und mit England zu gewinnen. Die angelsächsische Entente war und ist vielleicht der Hauptpfeiler der englischen Weltpolitik, weit mehr als die französisch-englische, die für ein bestimmtes, wenn auch damals im Brennpunkt stehendes Ziel geschlossen wurde. Denn jene hat selbst den Weltkrieg überdauert und spannt heute noch den Erdball in ihre Netze. Man übersieht leicht, welche gar nicht hoch genug zu veranschlagende Bedeutung die Tatsache für Großbritannien hatte, daß ihm durch die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten der Rücken frei war (und daß Amerika in Ostasien auch für England Wache hielt). Es war einer der verhängnisvollen Fehler Deutschlands, daß es nicht stärker die angelsächsische Rassen- und Kulturgemeinschaft in Rechnung zog. *) Eckardstein, Bd. III, S. 174f.; vgl. auch Dennett, Roosevelt, S. 1. Zu bedenken ist allerdings, daß Roosevelt die obenstehende Äußerung als Privatmann tat, wenn ihr auch als die eines Expräsidenten erhöhtes Gewicht zukam.
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Wir wissen ja selbst, welche Rolle diese Faktoren in unserem Verhältnis zu Österreich spielten. Sie waren latente Kräfte, die über politische Spannungen hinweg — hatten doch auch Preußen und Osterreich einen Krieg geführt — jederzeit bereit waren, sich mächtig zu entfalten. Das Gefühl gemeinsamen Kulturschicksals hatte als ein neues politisches Moment sich im 19. Jahrhundert entwickelt. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen von Algeciras bis zum Weltkrieg entbehren der dramatischen Spannung des vorausgehenden Jahrzehntes. Der offizielle Verkehr zwischen den Regierungen entwickelte sich äußerlich freundlich, und wer nur diese Seite betrachtete, konnte denken, daß hier alles zum Besten stände. Es kam weder zu neuen Zwischenfällen noch Spannungen noch überhaupt zu besonders nennenswerten Ereignissen, an denen beide Mächte beteiligt waren. Weder die zweite Friedenskonferenz im Haag 1907 noch der Neutralisationsplan des Staatssekretärs Knox für die Mandschurei 1910 sind hierfür von besonderem Interesse. Wichtiger wäre es schon, gewisse mehr unterirdische Vorgänge zu verfolgen, wobei vielleicht noch manches ans Licht kommen würde. Der tiefere Grund für diese scheinbar ruhige Entwicklung war, daß das aufregende Jahrzehnt der Weltpolitik, welches die Jahre 1895 bis 1906 umspannt, abgeschlossen war, und mit dem Beginn der französisch-englisch-russischen Entente die europäischen Fragen, eingeschlossen die vorderasiatischen und nordafrikanischen, in den Vordergrund traten. Vom Balkan, Marokko, Tripolis, Mesopotamien gingen die großen Krisen aus. Rußland hatte sich vom Fernen Osten abgewandt und mit Japan verständigt, um den Schwerpunkt seiner Politik wie früher nach Südwesten zu verlegen. Frankreich rüstete fieberhaft an seiner Ostgrenze, und England war von dem deutschen Flottenbau hypnotisiert. Die europäische und die Weltkonstellation fingen an, sich zu decken. Deutschland wurde das befestigte Lager, um das sich von allen Seiten der eherne Ring der feindlichen Staaten zusammenzog. Die Vereinigten Staaten waren ein unsichtbares Glied in ihm.