Ein Jahrzehnt der Hoffnungen: Reformgruppen in der bayerischen Landeskirche 1966-1976 9783666557422, 9783525557426


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Ein Jahrzehnt der Hoffnungen: Reformgruppen in der bayerischen Landeskirche 1966-1976
 9783666557422, 9783525557426

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Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke

Reihe B: Darstellungen Band 51

Vandenhoeck & Ruprecht

Angela Hager

Ein Jahrzehnt der Hoffnungen Reformgruppen in der bayerischen Landeskirche 1966–1976

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55742-6

© 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: textformart, Daniela Weiland, Göttingen Druck und Bindung: w Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.1 Die Reformgruppen Arbeitskreis Evangelische Erneuerung (AEE), Vereinigung Bayerischer Vikare (VBV) und Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten (LabeT) als Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.2 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.3 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.4 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.5 Verortung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Verortung des Themas im gesamtgesellschaftlichen Rahmen: Die Um- und Aufbrüche der „68er“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Verortung des Themas innerhalb des westdeutschen Protestantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2.1 Reformgruppen der 1960 / 70er Jahre in den westdeutschen Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2.2 Der „Glaubenskampf“, die Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern (KSBB i. B.) und die Arbeitsgemeinschaft Kirchliche Erneuerung (AKE) . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Die Reformgruppen AEE, VBV und LabeT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 Der Arbeitskreis Evangelische Erneuerung (AEE) . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Die Bayerische Pfarrerbruderschaft als Wiege des AEE . . . . 2.1.2 Die Gründung des AEE 1967 / 68 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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27 30 32

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50

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Inhalt

2.1.3 Der Aufbau des AEE und seine Entwicklung bis 1976 . . . . 2.1.4 Die inhaltliche und formale Charakterisierung des AEE (1967–1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Ausblick: Die Entwicklung des AEE nach 1976 . . . . . . . . .

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2.2 Die Vereinigung Bayerischer Vikare (VBV) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Situation der Vikare vor Gründung der VBV . . . . . . . . 2.2.2 Die Gründung der VBV 1970 und ihr Aufbau . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Entwicklung der VBV bis 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Die inhaltliche und formale Charakterisierung der VBV (1970–1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Ausblick: Die Entwicklung der VBV nach 1976 . . . . . . . . .

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76 82 86 88

2.3 Der Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten (LabeT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2.3.1 Die Situation der Theologiestudenten vor Gründung des LabeT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.3.2 Die Gründung des LabeT 1970 und sein Aufbau . . . . . . . . 95 2.3.3 Die Entwicklung des LabeT bis 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2.3.4 Die inhaltliche und formale Charakterisierung des LabeT (1970–1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2.3.5 Ausblick: Die Entwicklung des LabeT nach 1976 . . . . . . . 108 3. Reformanliegen: Demokratisierung und Einsatz der Kirche für die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3.1 Historischer Hintergrund: Kirchengeschichtliche Eckdaten 1966–1976 . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.2 Demokratisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Versuche der Enthierarchisierung kirchlicher Strukturen . . Exemplarisch: Die Aktionsgemeinschaft KRIBS . . . . . . . . . 3.2.2 Engagement für ein neues Pfarrer- und Gemeindebild . . . . Exemplarisch: Der Einsatz des LabeT für eine praxisnahe Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exemplarisch: Der LabeT und die „Pfarrbrautfrage“ . . . . . Exemplarisch: Die VBV und die „Ordinationsverweigerung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exemplarisch: Das Engagement des AEE für die Frauenordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.3 Einsatz der Kirche für die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Inhalt

3.3.1 Engagement in globalen und konfessionsübergreifenden Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exemplarisch: Die VBV und das Anti-Rassismus Programm des ÖRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Positionierung in gesellschaftspolitischen Fragen . . . . . . . . Exemplarisch: Der „Fall Dieter Helbig“ in Nördlingen . . . .

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4. „Wir ziehen da an einem Strang“: Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews . . . . . . . . . . 271 4.1 Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Zur methodischen Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Konzeption der Oral History . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Erstellen der Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Leitfaden der qualitativen Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4.2 Auswertung der qualitativen Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 „Denn einzeln kämpfen, das hat keinen Sinn in dieser Situation“: Stellenwert und Bedeutung der Gruppe(n) für den Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 „Ich habe die eigentlich immer nur als Verbündete erlebt“: Die drei Gruppen als Teil eines sozialen Netzwerks . . . . . . 4.2.3 „Die kirchliche Blüte in dem gesamtgesellschaftlichen Strauß der 68er-Blüten“: Der Einfluss der 68er-Bewegung auf das eigene Engagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 „Es war ein Jahrzehnt der Hoffnung“: Rückblickende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Personenregister / Biogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

Vorwort

Diese Arbeit ist die gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Dissertation „‚Wir müssen uns zusammentun‘. Reformgruppen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 1966–1976“. Sie wurde im Sommersemester 2008 vom Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Theologie angenommen. Betreut wurde die Arbeit von Herrn Professor Berndt Hamm. Ich danke ihm dafür, dass er diesem eher unkonventionellen Thema zugestimmt und mich immer wieder in meinen Forschungen ermutigt hat. Berndt Hamm hat mich für die Kirchengeschichte begeistert; ihm und den Mitarbeitern seines Lehrstuhls und der dort angesiedelten Projekte verdanke ich viele anregende, wissenschaftlich wie menschlich bereichernde Gespräche und Stunden. Herrn Professor Hanns Christof Brennecke danke ich dafür, dass er das Zweitgutachten erstellt hat. Die bayerische Landeskirche hat mir durch ein Promotionsstipendium ermöglicht, sowohl den Synagogen-Gedenkband Bayern / Teilband I, an dem ich parallel zu meiner Dissertation mitgearbeitet habe, als auch die Doktorarbeit fertigzustellen. Zudem danke ich der bayerischen Landeskirche und dem Arbeitskreis Evangelische Erneuerung für großzügige Druckkostenzuschüsse. Da es noch kaum Literatur zu dem vorliegenden Thema gab, war ich bei seiner Erforschung auf Archivalien und die Informationen von Zeitzeugen angewiesen. Was erstere betrifft, wurde mir das Landeskirchliche Archiv Nürnberg zur zweiten Heimat. Ich danke hier besonders Herrn Archivrat Dr. Jürgen König und Frau Archivamtfrau Annemarie Müller sowie der Archivbeschäftigten Frau Angelika Hutzler für ihre Geduld und große Hilfsbereitschaft, mir immer wieder gerade neu erschlossene Bestände zugänglich zu machen. Für Beratung in rechtlichen Fragen danke ich Herrn Kirchenoberverwaltungsdirektor Dr. Walther Rießbeck. Ein besonderer Dank gebührt den Zeitzeugen, zugleich den Protagonisten der hier aufgearbeiteten Geschichte: Nicht nur, dass sie mir ihre Privatarchive zur Verfügung stellten, sie schenkten mir ihre Zeit und ihr Vertrauen, indem sie über die damaligen Jahre mit mir gesprochen haben. Hier danke ich besonders Herrn Werner Schanz, der mir wiederholt mit Informationen weitergeholfen und mich zur Weiterarbeit ermutigt hat.

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Vorwort

Der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Reihe; Herrn Professor Siegfried Hermle sei in diesem Zusammenhang für seine Unterstützung bei der Überarbeitung des Werkes für den Druck gedankt. Pfarrerin und Historikerin Karin Oehlmann, die zum Thema „Württemberg um 1968“ arbeitet, bin ich für den konstruktiven Austausch, die wertvollen Anregungen und das sorgfältige Korrekturlesen dankbar, Herrn Daniel Sander, Lektor des Vandenhoeck und Ruprecht-Verlags, für seine freundliche und geduldige Begleitung des Vorhabens. Besonders dankbar bin ich für die Unterstützung und das Verständnis von Familie und Freunden in den vergangenen Jahren. Stellvertretend für die Freunde, die mir zur Seite standen, seien Dr. Jens Düsel sowie die Bläserfreunde des Blechbläserensembles der Universität Erlangen genannt, sowie Britta Wagner und Roger Schmidt, die mir hilfreiche Rückmeldungen zu einzelnen Kapiteln gegeben haben. Gedankt sei meinen Eltern Traudl und Bruno Hager, die mich immer wieder zur Weiterarbeit ermutigt und mich in Studium und Promotion auf vielfältigste Weise, schließlich auch durch konstruktives Korrekturlesen der Arbeit und Betreuung unserer kleinen Tochter Amalie unterstützt haben. Besonders dankbar bin ich schließlich meinem Mann Dr. Steffen Arzberger. Nicht nur, dass er meine Arbeit scharfsinnig und kritisch begleitete; sein Humor und seine Liebe ließen mich immer wieder aus den Akten in die Gegenwart aufschauen. Gewidmet sei dieses Buch dem bayerischen Pfarrer Hermann Blendinger (verstorben 2005), dem die Reform der Kirche in dem hier beschriebenen Sinn ein Herzensanliegen war, und der in der Erforschung der 1960er und 70er Jahre in der bayerischen Landeskirche mit seinem Buch Pionierarbeit geleistet hat. Oberferrieden, Herbst 2009

Angela Hager

1. Einleitung

1.1 Die Reformgruppen Arbeitskreis Evangelische Erneuerung (AEE), Vereinigung Bayerischer Vikare (VBV) und Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten (LabeT) als Forschungsgegenstand Beim Blättern durch Akten und Zeitungsartikel über die bayerische Landeskirche Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre, bleibt man unwillkürlich an einigen Zitaten und der Darstellung etwa folgender Ereignisse hängen: So liest man zum Beispiel über eine Eingabe bayerischer Vikare1 an die Synode im Jahr 1969, die, laut Bischofsbericht, „auf eine Abschaffung der Ordination hinauslief“2 und stößt im Folgenden mehrfach auf den Begriff der „Ordinationsverweigerer“. Man entdeckt in der Abendzeitung vom 28. April 1970 die Titelzeile „Bannbulle gegen den aufsässigen Gottesmann von St. Georg [Nördlingen]“3, die sich auf die anstehende „Zwangsversetzung“ eines jungen Pfarrers bezieht. Man findet in einem Brief des Landeskirchenrates an einen Studenten, der sich weigert, Referenzen über seine Verlobte einzureichen, den Satz: „Wir können keine Pfarrer oder Vikare in den Dienst der Landeskirche übernehmen, die nach Gutdünken oder vielleicht aus einer revolutionären Gesinnung heraus Ordnungen, die sich unsere Landeskirche selber gegeben hat, ablehnen oder umdeuten.“4

1 In dieser Arbeit wird bei Vikaren und Theologiestudenten die Bezeichnung weiblicher und männlicher Personen meistens durch die jeweils maskuline Form ausgedrückt; auf eine durchgehende Verwendung von Doppelformen oder andere Kennzeichnungen wurde aus Gründen der Lesbarkeit und Übersichtlichkeit verzichtet. Was die Namen der Reformgruppen betrifft, wäre die Verwendung der integrativen Sprache ein Anachronismus: Der LabeT wurde als Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten und nicht, wie heute bezeichnet, als Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudierender gegründet; die VBV wurde als Vereinigung Bayerischer Vikare ins Leben gerufen, heute heißt sie Vereinigung Bayerischer Vikarinnen und Vikare, Pfarrerinnen und Pfarrer z. A., Pfarrerinnen und Pfarrer. 2 Dietzfelbinger, Fünf Jahre, 19. 3 Abendzeitung, Ausgabe für Nordbayern vom 28. 4. 1970 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44). 4 Schreiben des Landeskirchenrates an einen Theologiestudenten vom 10. 11. 1970, zit. nach dem Bericht der Arbeitsgruppe Verlöbnis (Wintersemester 1971 / 72), 19 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 39).

Einleitung

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Da ist die Rede von Gruppenbildungen und schwerwiegenden Differenzen innerhalb der bayerischen Pfarrerschaft, etwa, wenn der spätere Landesbischof Dr. Johannes Hanselmann in seiner Funktion als Bayreuther Kreisdekan im Frühjahr 1974 von einer „wilden Spannung zwischen den Polen“ verschiedener Fraktionen in der Kirche berichtet5. Und schließlich spricht der bayerische Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzende Hermann Dietzfelbinger vor der EKDSynode in Berlin 1971 die später viel zitierten Worte: „Wenn nicht alles täuscht, so stehen wir heute in einem Glaubenskampf, in einem Kirchenkampf, gegenüber dem der Kirchenkampf des Dritten Reiches ein Vorhutgefecht war. Das Unheimliche daran ist, daß dieser heutige Kampf vielfach kaum erkannt, zu allermeist verharmlost wird und unter Tarnworten wie ‚Pluralismus‘ voranschreitet.“6

Stürmische Zeiten also in der bayerischen Landeskirche? Ja – und nein. Der Großteil der Dokumente sowie Aussagen von Zeitzeugen belegen, dass die bayerische Landeskirche auch in diesen turbulenten Jahren eine „erstaunlich homogene Landeskirche“7 blieb, ohne „irgendwie auch ein[en] Hauch, dass […] [sie] auseinander bricht“8. Unbestreitbar aber kam es in Bayern – wie auch in anderen westdeutschen Landeskirchen – in den 1960er und 1970er Jahren zu entscheidenden Veränderungen und Weichenstellungen für strukturelle Innovationen. Die innerkirchliche Hierarchie wurde flacher, die Gesprächskultur, der Umgang innerhalb der landeskirchlichen Strukturen demokratischer. In breiter Öffentlichkeit wurden Personalentscheidungen ebenso hinterfragt wie die Praxis kirchlicher Handlungen, beispielsweise die Ordination. Innerkirchliche Diskussionen wurden mit Hilfe der Medien publik gemacht, Synodaltagungen wurden zunehmend kritisch von Nichtsynodalen begleitet. Die bayerische Landeskirche öffnete sich: Nach jahrelangen, teils erbitterten Auseinandersetzungen wurde 1975 die Ordination der Frau, 1976 endgültig die Annahme der Leuenberger Konkordie beschlossen. In die Ausbildung der Nachwuchstheologen wurden verstärkt humanwissenschaftliche Erkenntnisse und Praktika integriert, Milieugrenzen wurden überschritten, das traditionelle Bild des protestantischen Pfarrhauses wandelte sich und ließ nun auch für die berufstätige Frau eines Pfarrers Raum. Die bayerische Landeskirche wandte sich verstärkt globalen Themen zu, räumte den sogenannten „Laien“ einen 5

Meldung in NELKB 29 (1974), Ausgabe Mai (1), 175. Kirchenkanzlei der EKD, Berlin 1971, 33 f. Vgl. zu diesem Zitat die „Überlegungen zur kirchlichen Situation“ von Hermann von Loewenich (B+K, Nr. 10 / 21. 6. 1971, 2–8). 7 Interview Weber, 17. 8 Ebd. 6

Einleitung

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höheren Stellenwert ein, und zahlreiche Pfarrer erprobten sich in neuen Gottesdienstformen, in denen die aktuelle gesellschaftliche wie politische Situation kommentiert wurde. Betrachtet man die genannten Veränderungen und diejenigen, die für sie eintraten, genauer, merkt man, dass es sich hier größtenteils nicht um Vorgaben der Landeskirchenleitung handelte, sondern dass diese Neuerungen von Pfarrern und Laien angestoßen wurden, die sich zu diesem Zweck in Gruppen gesammelt hatten. Aus diesen Gruppen ragt der Arbeitskreis Evangelische Erneuerung (AEE) heraus. Im Einladungsschreiben zur konstituierenden Sitzung der damals noch so genannten „Aktionsgemeinschaft Evangelische Erneuerung“ formulierten die drei Pfarrer Kurt Hoffmann, Hermann von Loewenich und Werner Schanz am 20. November 1968 als wesentliches Anliegen: „Trotz bestem Willen von Seiten der Verantwortlichen, der nicht bestritten werden soll, verstärkt sich der Eindruck, als sei die Kirche vorzugsweise an der Erhaltung überkommener Positionen und Ordnungen interessiert. […] Es geht uns darum, dass sich die Kräfte im Rahmen unserer Kirche – Theologen und Nichttheologen zusammenfinden, die an einer Erneuerung der Kirche mitarbeiten wollen und die sich diese Erneuerung nur in einer Richtung denken können, welche sich mit den theologischen Stichworten ‚Exodusgemeinde‘ und ‚Kirche für die Welt‘ denken lässt. […] Wir laden zu diesem Zusammenschluss nicht aus einer Anti-Stellung heraus ein. Wir meinen, dass wir unserer Kirche schuldig sind, nicht mehr in der Vereinzelung zu verharren.“9

Der aus diesem Impuls erwachsende AEE wurde zu einer bestimmenden Gruppierung in der bayerischen Landeskirche; ein großer Teil der kirchenleitenden Persönlichkeiten der vergangenen vierzig Jahre erwuchs aus seinen Reihen. Es ist jedoch nicht nur der AEE, dessen Name immer wieder in Zusammenhang mit den oben genannten Anstößen und Veränderungen der Jahre 1966 bis 1976 auftaucht: Neben ihm erscheinen wiederholt die Kürzel zweier weiterer Gruppen, nämlich VBV – „Vereinigung bayerischer Vikare“ – und LabeT – „Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten“. Der Beschluss, erstere zu gründen, wurde im Januar 1970 auf der „Tagung der Arbeitsgemeinschaft für Vikare“ in Tutzing gefasst10. Mit der Verabschiedung der Satzung am 25. Mai desselben Jahres wurde die „Vereinigung Bayerischer Vikare“ offiziell ins Leben gerufen. Kurz zuvor war auf der Tagung der Theo-

9 10

LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 AEE, Nr. 1. Vgl. Meldung in NELKB 25 (1970), Ausgabe Januar (2), 37.

14

Einleitung

logiestudenten in Josefstal vom 31. März bis 3. April 1970 der „Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten“ gegründet worden. Alle eingangs genannten aufsehenerregenden Ereignisse hängen eng mit einer oder mehreren dieser drei Vereinigungen zusammen: So wurde das Eintreten für die Änderung der landeskirchlichen Ordinationspraxis zu einem beherrschenden Thema in den Anfängen der VBV, die Auseinandersetzung um den „Verlöbnisparagraphen“ gilt als eines der Hauptmotive für die Gründung des LabeT. Der junge Nördlinger Pfarrer Dieter Helbig war AEE-Mitglied und fand in diesem Kreis Rückhalt und Inspiration für seine Auseinandersetzungen. Die öffentlich erkennbare Fraktionsbildung in der bayerischen Landessynode leitete die vom AEE 1972 initiierte synodale Arbeitsgruppe „Offene Kirche“ ein. Mit ihren Aktionen, mit dem Einsatz für die genannten Themen standen die drei bayerischen Gruppen nicht allein, sondern waren Teil eines bundesweiten Phänomens: Ende der 1960er Jahre schossen kirchenkritische Reformgruppen und -bewegungen unterschiedlichster Herkunft, Zusammensetzung und Ausprägung wie Pilze aus dem Boden; die Kritik an der Institution Kirche hatte damit eine neue Artikulationsform gefunden, die in vielen Punkten Anleihen bei der jungen Linken zeigte. Die Menschen, die sich hier engagierten, einte zum einen ein starkes gesellschaftspolitisches Engagement, zum anderen das Ziel, kirchliche Strukturen zu enthierarchisieren und zu demokratisieren. Um diese beiden großen Anliegen zu verfolgen, sahen sie es als unabdingbar an, sich in Gruppen zusammenzuschließen. Sorgten diese Reformgruppen Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre für Aufsehen, sind sie heute weitgehend vergessen und kommen in kirchengeschichtlichen Darstellungen, wenn überhaupt, nur am Rande vor. Die vorliegende Arbeit will mit der Darstellung von Entwicklung und Geschichte der Reformgruppen AEE, VBV und LabeT diese Erscheinung der jüngsten Kirchengeschichte exemplarisch für die bayerische Landeskirche untersuchen. Dargestellt wird, aus welchem Impuls heraus die Gruppen entstanden, welche Ziele sie hatten, wie sie diese begründeten und zu erreichen versuchten, welche Charakteristika sie untereinander und mit anderen Kirchenreformgruppen verbanden, und wer ihre kirchenpolitischen Kontrahenten waren. Die hier angedeuteten, in der Arbeit ausgeführten Beobachtungen führen zu folgender These: Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre waren in den westdeutschen Landeskirchen Reformgruppen aktiv, die in ihrem Ruf nach einer Demokratisierung der Kirche von der 68er-Bewegung beeinflusst waren und die ihr stark gesellschaftspolitisches Engagement explizit wie implizit damit begründeten, dass sie damit der engagierten „Zeitgenossenschaft“ von Kirche und

Einleitung

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Evangelium, die in Jesu Leben und Wirken offenkundig werde, stärker gerecht zu werden versuchten. Exemplarisch zeigen dies die bayerischen Gruppen Arbeitskreis Evangelische Erneuerung (AEE), Vereinigung Bayerischer Vikare (VBV) und Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten (LabeT). Untersuchungszeitraum für die vorliegende Arbeit ist das Jahrzehnt von 1966 bis 1976: Der AEE wurde 1967 gegründet, die Marke 1966 bietet sich an, um Vorformen und Genese der genannten Gruppen zu erfassen. 1976 bildet den Endpunkt: Wesentliche Anliegen der Reformgruppen – zum Beispiel die Frauenordination 1975 – waren nun durchgesetzt. Schriftliche Dokumente und Zeitzeugenaussagen zeigen, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt die Aufbruchsstimmung in den drei Gruppen verflogen war.

1.2 Aufbau der Arbeit Im einleitenden ersten Kapitel werden Gegenstand und These dieser Arbeit eingeführt und der aktuelle Stand der Forschung skizziert. Die verwendeten Quellen werden beschrieben und erläutert, das Thema wird im gesellschaftlichen und kirchengeschichtlichen Kontext verortet. Im zweiten Kapitel werden Geschichte und Charakteristika der drei Reformgruppen AEE, VBV und LabeT im Untersuchungszeitraum vorgestellt. Die Vorgeschichte ihrer Gründungen und ihre Vorgruppen werden beschrieben. Die jeweilige Gründungssituation wird dargestellt; die Zielvorstellungen der Gruppen, die Strukturen und Arbeitsweise in den ersten Jahren ihres Bestehens werden erläutert. Die Charakterisierung von AEE, VBV und LabeT als Reformgruppen wird begründet. Abschließend wird die Entwicklung der Gruppen nach 1976 skizziert. Nach einem knappem Abriss der für die bayerische Kirchenreformbewegung besonders relevanten kirchengeschichtlichen Ereignisse und theologischen Diskussionen des Untersuchungszeitraums geht das dritte Kapitel der Frage nach, was die drei Gruppen unter Reformen in der Kirche verstanden und wie sie diese zu verwirklichen suchten. Als Orientierung dient dabei der Begriff der Kirchenreform, verstanden zum einen als Demokratisierung kirchlicher Strukturen, zum anderen als die Forderung nach einem verstärkten Einsatz der Kirche für die Welt, nach ihrer Zeitgenossenschaft in Jesu Sinn. Dieser Zweiteilung folgend werden Ziele und Arbeitsweise von AEE, VBV und LabeT dargestellt. Basis für diese Darstellung sind schriftliche Quellen, mitunter ergänzt durch Informationen aus den Zeitzeugeninterviews. Für jede der drei Gruppen werden exemplarisch zwei bzw. drei ihrer Anliegen näher erläutert.

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Einleitung

Im vierten Kapitel werden die aus den qualitativen Leitfadeninterviews gewonnenen Ergebnisse vorgestellt. Dadurch wird eine Annäherung an die Innensicht der Reformgruppen und an das Selbstverständnis ihrer Mitglieder geleistet. Dabei bestätigen die Zeitzeugenaussagen den im dritten Kapitel anhand der Auswertung schriftlicher Quellen gewonnenen Eindruck: Die drei Gruppen einte das Verständnis von Kirchenreform als Demokratisierung und verstärktes gesellschaftspolitisches Engagement; ihre Mitglieder fühlten sich als Teil eines Netzwerkes, das sie als von der 68er-Bewegung beeinflusst sahen. Pointiert wird die von ihnen empfundene Gesinnungsgemeinschaft durch die für dieses Kapitel gewählte Überschrift ausgedrückt: „Wir ziehen da an einem Strang“11. In den Schlussgedanken des fünften Kapitels verorte ich die Kirchenreformgruppen innerhalb einer spezifischen Frömmigkeit des Untersuchungszeitraums.

1.3 Forschungsstand Diese Arbeit beleuchtet eine Facette eines – nicht nur in Bezug auf die bayerische Landeskirche – bislang noch in vielen Teilen unbearbeiteten Feldes kirchlicher Zeitgeschichte12. Die Beschäftigung mit der Kirchengeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – sowohl was die Situation der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland als auch die der Kirchen in der DDR betrifft – hat erst vor einigen Jahren in breiterem Umfang begonnen13. Einen wichtigen Anstoß gab hier die von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte organisierte Tagung an der Evangelischen Akademie 11

Interview Kohler, 4. Vgl. dazu die Einschätzung des Kirchenhistorikers Wolf-Dieter Hauschild aus dem Jahr 2005: „Während es zur evangelischen Kirchengeschichte der Nachkriegszeit 1945–1955 zahlreiche Einzeluntersuchungen und – darauf aufbauend – erste Gesamtdarstellungen gibt, liegen zu den sechziger und siebziger Jahren lediglich einzelne Studien vor, die allenfalls begrenzten Aufschluss für eine Gesamtschau liefern. Man sieht viele Bäume, doch keinen Wald. Wir haben mancherlei historiographische Bausteine, doch kein Gebäude einer wissenschaftlich zuverlässigen Übersicht“ (Hauschild, Kirche, 51). Nachdem in dieser Arbeit der Einfluss der 68er-Bewegung auf die kirchlichen Reformgruppen betont wird, sei außerdem angemerkt, dass in der Profangeschichtsschreibung mittlerweile eine schier unüberschaubare Zahl von Publikationen über Vorgeschichte, Terminus und Folgen von 1968 vorliegt; dabei überwiegen persönlich motivierte Ausführungen. Als Orientierungshilfe für die Literaturrecherche bietet sich hier Becker / Schröder, Studentenproteste an. 13 Zu den Veröffentlichungen zum Thema „Kirchen und gesellschaftlicher Wandel in den 1960er und 70er Jahren“, die zwischen 1998 und 2008 erschienen sind, vgl. Loos, Auswahlbibliographie. 12

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Tutzing über „Protestantismus und soziale Bewegungen in den 1960er und 70er Jahren“ (2005). Mit der Themenwahl der Tutzinger Tagung, zugleich Jubiläumsveranstaltung anlässlich des 50jährigen Bestehens der Arbeitsgemeinschaft, sollten sich explizit „für die Kirchliche Zeitgeschichtsforschung unter zeitlichen und sachlichen Gesichtspunkten neue Horizonte“14 öffnen; der Beginn eines neuen Forschungsabschnitts wurde damit offiziell eingeläutet und ein Tagungsband mit wegweisenden Beiträgen veröffentlicht15. Größere und kleinere Zusammenkünfte zu dem Themengebiet folgten; zu nennen ist exemplarisch der Workshop „Die 68er: Kirchen, Christentum, Gesellschaft“ (2006) in Leipzig, bei dem Nachwuchswissenschaftler ihre Forschungen zu ost- und westdeutschen Landeskirchen vorstellten16. Zahlreiche Wissenschaftler, zum Teil in Projektgruppen zusammengeschlossen, widmen sich mittlerweile unter verschiedensten Perspektiven den Veränderungen im westdeutschen Protestantismus17 in den 1960er und 1970er Jahren. Für diejenigen, die sich um einen übergreifenden analytischen Rahmen bemühen, sei beispielhaft die von der DFG geförderte interdisziplinäre Forschergruppe in Bochum erwähnt, die sich mit der „Transformation der Religion in der Moderne. Religion und Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ beschäftigt. Ziel dieses Projekts ist „die Erarbeitung grundlegender Einsichten in die gesellschaftsgeschichtlichen Hintergründe des Wandels der öffentlichen Wahrnehmung von Religion in Westdeutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“18. Dabei werden auch die veränderten Sozialformen religiösen Handelns untersucht, unter anderem die strukturellen Wandlungsprozesse in westdeutschen Landeskirchen – fokussiert auf die bayerische Landeskirche und die Evangelische Kirche in Hessen-Nassau – und Diözesen in Wechselwirkung mit den gesellschaftlichen Veränderungen. Während bei dem Bochumer Projekt trotz exemplarischer Behandlung einzelner Kirchen und Diözesen im Gesamtprojekt eine umfassende Perspektive eingenommen wird, fokussieren andere Wissenschaftler auf einzelne, zum Teil regional definierte Facetten des Themengebietes und erforschen etwa – wie 14 So Harry Oelke, Vorsitzender der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, in seiner Einleitung zu dem aus der Tagung hervorgegangenen Band (Oelke, Einleitung, 19). 15 Hermle / Lepp / Oelke, Umbrüche. 16 Vgl. dazu den Bericht von Fitschen, Workshop. 17 Zur Bedeutung der späten 1960er Jahre für die ostdeutschen Protestanten und Kirchen, vor allem unter Berücksichtigung des Prager Frühlings, vgl. den Überblick bei Ohse, Protestantismus; vgl. außerdem Pollack, ’68er. 18 Damberg / Oehmen-Vieregge / Tripp, Transformationsprozesse, 465; vgl. dazu auch die Homepage www.fg-religion.de. Für Informationen danke ich Sebastian Tripp, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts.

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in der vorliegenden Arbeit – die Ereignisse in den einzelnen Landeskirchen um 1968. Als Beispiel sei hier die Aufarbeitung der württembergischen Kirchengeschichte für diesen Zeitraum genannt. Hier ist ein klassischer Zweischritt zu beobachten – zunächst kommen Zeitzeugen zu Wort, anschließend arbeiten Wissenschaftler die Geschichte auf: So veranstaltete der Verein für württembergische Kirchengeschichte eine Tagung „Aufbrüche und Umbrüche. Evangelische Kirche in den sechziger Jahren“ (2003), bei der vor allem damals Engagierte als Referenten zu Wort kamen19. Die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas leistet derzeit die Kirchenhistorikerin Karin Oehlmann, die in ihrem Dissertationsprojekt „1968 in Württemberg“ prägende Entwicklungen und Diskussionen dieser Jahre darstellt. Die Arbeit basiert auf vor allem auf der Analyse von Synodenprotokollen, die durch Archivmaterial und Zeitzeugeninterviews ergänzt werden. Auch in anderen Landeskirchen werden derzeit auf ähnliche Weise die Umbrüche jener Jahre erforscht; die westfälische und die rheinische Landeskirche standen etwa auf der Tagung „1968 und die Kirchen – Umbruch, Aufbruch, Durchbruch“ (2007) in Bielefeld im Fokus des Forschungsinteresses20. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass im Verlauf der nächsten Jahre für einen Großteil der Landeskirchen Tagungsbände und Untersuchungen zu diesem Thema vorgelegt werden, die den momentan kaum leistbaren Vergleich zwischen den Entwicklungen in den verschiedenen Kirchen ermöglichen. Mit der Auswahl der für diese Untersuchung herangezogenen Quellen wurde die Vorentscheidung getroffen, hier weitgehend eine Darstellung der Reformgruppen aus der Innenperspektive zu erarbeiten – aus Perspektive der bayerischen Landeskirche, aus Perspektive der Reformgruppen, aus Perspektive der in diesen engagierten Individuen. Zwar wurde durch Querverweise auf bereits veröffentlichtes Material zumindest punktuell versucht, auf parallele wie konträre Entwicklungen in anderen Landeskirchen hinzuweisen; es wäre aber wünschenswert, wenn nachfolgende Forschungen einmal – auf dieser Arbeit aufbauend – eine differenzierte Verortung der bayerischen Reformgruppen im westdeutschen Protestantismus leisten könnten. Was Arbeiten speziell zur bayerischen Landeskirche betrifft, ist an erster Stelle das im Jahr 2000 erschienene Buch des bayerischen Pfarrers Hermann Blendinger „Aufbruch der Kirche in die Moderne. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 1945–1990“ zu nennen. Nach der Darstellung der 19 Vgl. dazu den Tagungsband Ehmer / Lächele / Thierfelder, Reform. Bei dem Band handelt es sich um eine Sammlung von wissenschaftlichen Aufsätzen, Berichten von Zeitzeugen und Dokumentationen. 20 Vgl. dazu den Tagungsband Hey / Wittmütz, 1968.

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frühen Nachkriegsjahre beschreibt Blendinger aus der Sicht eines selbst für Kirchenreformen Engagierten die Entwicklungen in der bayerischen Kirche in den Amtsperioden der Landesbischöfe Hermann Dietzfelbinger (Amtszeit 1955–1975) und Dr. Johannes Hanselmann (Amtszeit 1975–1994). Stellungnahmen des AEE tauchen in dem nach Themenbereichen (z. B. „Kirche und Menschenrechte“, „Krise des Konfessionalismus“, „Das Evangelium in der Arbeitswelt“) gegliederten zweiten Teil des Buches wiederholt auf. Außerdem stellt das langjährige AEE-Mitglied Blendinger die Arbeitsgruppe von ihrer Gründung bis in die 1990er Jahre dar und legt dabei einen Schwerpunkt auf seine eigene Bewertung der Entwicklung der Gruppe21. Blendingers Ausführungen zeichnen sich durch sein Insider-Wissen und seinen anschaulichen, lebendigen Stil aus; ausdrücklich geht es ihm dabei mehr um eine engagierte Bestandsaufnahme als um unbedingte Objektivität. In seinem Vorwort beschreibt Blendinger sich als einen Amateur der Kirchengeschichte, „aber dafür habe ich mich nicht zu entschuldigen, denn gerade darin kann für den Leser auch ein besonderer Charme liegen. ‚Amateur‘ heißt schließlich nichts anderes als Liebhaber.“22 Ohne Zweifel hat Blendingers Buch diesen besonderen Charme und ist eine wesentliche Quelle für die Erforschung dieser Zeit; es bedarf jedoch der weiteren wissenschaftlichen Ausarbeitung vieler von ihm angedeuteter und teilweise bewusst aus eigener Sicht wiedergegebener Ereignisse. Einige Dokumente aus der Anfangszeit des AEE sowie Auszüge aus den Flugblättern der Kritischen Begleitung der Synode (KRIBS) werden in dem 1969 von Dietrich Lange, René Leudesdorff und Heinrich Constantin Rohrbach herausgegebenen Buch „Ad hoc: Kritische Kirche. Eine Dokumentation“23 aufgeführt. Über VBV und LabeT fehlen nennenswerte Darstellungen in der Literatur; beide Gruppen werden auch von Blendinger nicht vorgestellt. Lediglich in der von Konrad Kreßel und Klaus Weber herausgegebenen Aufsatzsammlung „100 Jahre Pfarrer- und Pfarrerinnenverein in Bayern 1891–1991“ sind ihnen zwei kleine Abschnitte gewidmet24. Das Buch Blendingers ist bislang die einzige Monographie, die sich mit dem AEE und den Reformen in der bayerischen Landeskirche in den 1960er und 1970er Jahren auseinandersetzt. Es sei an dieser Stelle jedoch auf Veröffentlichungen hingewiesen, die wesentliche Hintergrundinformationen zu dem 21 Vgl. Blendinger, Aufbruch, das Kapitel 9.4.: Der Arbeitskreis Evangelische Erneuerung, 233–254. Dieses Kapitel basiert in weiten Teilen auf einem maschinenschriftlichen, 1992 verfassten Rückblick „25 Jahre Arbeitskreis Evangelische Erneuerung“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 45). 22 Blendinger, Aufbruch, 7. 23 Lange / Leudesdorff / Rohrbach, Ad hoc. 24 Vgl. dazu Ahrens, Nachwuchsorganisationen; Dersch, Pfarrerverein.

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gewählten Forschungsgegenstand liefern: Zunächst ist hier der zweite Band des „Handbuchs der Geschichte der evangelischen Kirche in Bayern“25 zu nennen, der im Teil „Kontinuität und Neubeginn seit 1945“ auch Aufsätze zum kirchlichen Leben dieser Jahre und zur Rezeption zeitgenössischer theologischer Strömungen in der bayerischen Landeskirche enthält. In Claus-Jürgen Roepkes Überblickswerk „Die Protestanten in Bayern“ ist ein Kapitel dem „Evangelischen Leben im Zeichen des Wiederaufbaus nach 1945“ gewidmet; Roepke geht im Abschnitt „Sammlung und Sendung der Gemeinde“ unter anderem auf die in den 1960er Jahren entstandenen neuen Gottesdienstformen ein26. Weitere Informationen zu einzelnen Facetten des Forschungsgegenstands liefern verschiedene Monographien. Hier ist exemplarisch die Dissertation von Gerda Ursula Nützel über „Die Kontextualität der Theologinnenarbeit dargestellt am Beispiel der Entwicklung in den lutherischen Kirchen Bayerns, Mecklenburgs und Brasiliens“ zu nennen. Neben der wissenschaftlichen Literatur gibt es schriftlich fixierte Zeitzeugenberichte. Hier sind zunächst die kleineren Schriften und Autobiographien Dietzfelbingers27 und Hanselmanns28 anzuführen, die allerdings für diese Arbeit wenig ergiebig sind: In den Erinnerungen Dietzfelbingers kommt von den drei genannten Gruppen nur der AEE – und zwar nur als eine einmalige begriffliche Nennung ohne weitere Erklärung29 – vor. Interessant ist außerdem, dass keine der Personen, die aus der Sicht des AEE für maßgebliche Veränderungen in der bayerischen Landeskirche dieser Jahre standen – etwa Georg Kugler (Gründervater der Gemeindeakademie Rummelsberg 1974), Christof Bäumler (Leiter des Studienzentrums Josefstal und ab 1970 Professor für Praktische Theologie in München) oder Hermann von Loewenich als Kopf des AEE – in Dietzfelbingers Aufzeichnungen auftauchen. Das erste Amtsjahr von Johannes Hanselmann ist zugleich das letzte Jahr des für diese Arbeit gewählten Untersuchungszeitraumes; damit sind aus seiner Autobiographie für diese 25

Müller / Weigelt / Zorn, Handbuch (Bd. 2). Vgl. Roepke, Protestanten, vor allem 444–449; auch bei Hofmann, Mütter, finden sich interessante Passagen zu den Entwicklungen in der bayerischen Landeskirche zwischen 1945 und 1980. 27 Dietzfelbinger, Erinnerungen. 28 Hanselmann, Lebenserinnerungen. 29 Der AEE wird erwähnt in dem Abschnitt „Besondere Gruppen und Frömmigkeitsformen“ (Dietzfelbinger, Erinnerungen, 190 f., hier: 190) mit den Worten: „Unter den Pfarrern gibt es neben der Pfarrbruderschaft die mehr erwecklich geprägte Pfarrergebetsbruderschaft; es sind liturgisch interessierte Bewegungen wie die Michaelsbruderschaft und die Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Erneuerung am Werk, auch mehr progressive wie der Arbeitskreis für evangelische Erneuerung, vor allem aber eine ganze Reihe von ‚gemeinschaftlich‘, d. h. pietistisch geprägten Kreisen in den Gemeinden.“ 26

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Untersuchung ebenfalls nur punktuell Informationen zu gewinnen30. In geringer Zahl finden sich weitere persönliche Erinnerungen an diese Zeit in Aufsätzen, Zeitungsartikeln und Interviews; Beispiele hierfür sind etwa der Aufsatz von Hans-Joachim Petsch „Rote Socken unterm Talar“31, die Reflexionen von einst im AEE-Engagierten in der Dokumentation der Jubiläumstagung „40 Jahre Arbeitskreis Evangelische Erneuerung“32 (2008) oder die in Reden, Vorträgen und Interviews fixierten Erinnerungen des späteren Landesbischofs Hermann von Loewenich (im Amt von 1994 bis 1999), die allerdings nur am Rande auf den Forschungsgegenstand Bezug nehmen33. Abschließend zu diesem Forschungsüberblick sei angemerkt, dass in dieser Arbeit zahlreiche Themen nur angedeutet werden können, deren ausführliche Aufarbeitung lohnenswert wäre. Dazu rechne ich unter anderem die Situation der Evangelischen Studentengemeinden in Bayern, die Aktivitäten der Evangelischen Jugend, die Biographien der Theologen, die aufgrund von Differenzen mit der Landeskirchenleitung Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre ihre berufliche Zukunft außerhalb der Kirche bzw. in anderen Kirchen Westdeutschlands suchten, sowie die liturgischen Auf- und Umbrüche dieser Jahre.

1.4 Quellen Der Beschreibung der für diese Arbeit herangezogenen Quellen seien einige Überlegungen, eingeleitet durch ein Zitat des Schriftstellers Rolf Hochhuth, vorangestellt. 30 Aufschlussreich sind hier vor allem Hanselmanns Kapitel über das Theologinnengesetz (Hanselmann, Lebenserinnerungen, 121–152) und die Leuenberger Konkordie (ebd., 153–257). Zwar nur am Rande für diese Arbeit relevant, aber empfehlenswert zu lesen sind die Erinnerungen Hanselmanns an seine Zeit als Leiter des Hauses der Kirche in Berlin (West) von 1966 bis 1974 (ebd., 59–81). 31 Petsch, Erinnerungen. 32 Neuauflage der B+K, Sommer 2008 mit dem Titel „Zwischen Wüste und Gelobtem Land. 40 Jahre Arbeitskreis Evangelische Erneuerung. Dokumentation der Jubiläumstagung am 4. / 5. April 2008.“ Die Dokumentation enthält u. a. den knappen Rückblick über die ersten zehn Jahre des AEE (Hager, Jahre) sowie den Beitrag „Evangelische Erneuerung? Eine kritische Anaylse des kirchenpolitischen Profils“ von Johanna Haberer. Vgl. zum Jubiläum des AEE außerdem Hager, 40 Jahre. 33 Loewenich, Offen und deutlich. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass das mit Hermann von Loewenich (gestorben 2008) für diese Arbeit geführte Gespräch vom 4. 6. 2004 nicht zu den in dieser Arbeit zitierten Interviews zählt, da der Altbischof aus gesundheitlichen Gründen das Interview nicht freigab. Der Verfasserin lieferte es wertvolle Hintergrundinformationen, die in die Arbeit einfließen.

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„Überraschend ist doch bereits – und ich denke: nicht nur für mich – diese erste Erfahrung, die ich […] machte, und die ich bestritten hätte, bevor ich selber sie machen musste: dass es nämlich so viel leichter ist, eine Geschichte zu erzählen, wenn die Menschen tot sind, die sie zum Sprechen bringen soll, als wenn diese Menschen noch leben! […] Tatsächlich ist es viel einfacher, aus der Phantasie einen Menschen aufzubauen, den wir niemals gesehen haben – als einen darzustellen, der uns soeben noch lebendig vor Ohren und Augen trat; bezweifelt das einer, so mag er’s probieren.“34

Die Erforschung und Darstellung der Reformgruppen AEE, VBV und LabeT für den Zeitraum 1966 bis 1976 ist ebenso reizvoll wie problematisch, weil sie fast ausschließlich Arbeit mit Primärquellen bedeutet. Nur in wenigen Teilen dieser Untersuchung konnte auf Darstellungen in der Literatur zurückgegriffen werden; die zur Rekonstruktion einzelner Vorgänge und Entwicklungen nötigen Dokumente mussten oft mühsam in Privatarchiven gesammelt und durch die Befragung von Zeitzeugen ergänzt werden, die dabei selbstverständlich ihre ganz eigene Sicht auf die Ereignisse einbrachten. Immer wieder tauchten während des Arbeitsprozesses neue, nicht öffentlich zugängliche Unterlagen auf. Auch eröffnete nahezu jedes Interview eine weitere Perspektive auf die in dieser Untersuchung dargestellten Vorgänge. Es ist sehr wahrscheinlich, dass nach Veröffentlichung der Arbeit weitere Zeitzeugen durch ihre Erinnerungen und privaten Akten wertvolle inhaltliche Ergänzungen, möglicherweise auch Berichtigungen, einbringen. Diese Arbeit stellt daher eher den Anfang als das Ende eines Diskussionsprozesses dar. Eine besondere Herausforderung liegt zudem in der Tatsache – wie Rolf Hochhuth in obigem Zitat treffend anmerkt –, dass die Akteure des behandelten Themas größtenteils noch leben, ja sogar noch weitgehend im Berufsleben, teils in leitenden Positionen in der bayerischen Landeskirche stehen. Das grundlegende Bestreben eines Historikers, den dargestellten geschichtlichen Personen in ihrer Komplexität gerecht zu werden, birgt bei einer zeitgeschichtlichen Arbeit dieser Art spezielle Probleme: Einerseits bedarf die anhand der schriftlichen Quellen rekonstruierte Geschichte dieser Jahre aus verschiedenen Gründen der Ergänzung durch mündlich weitergegebene Erinnerung. Andererseits muss dabei bedacht werden, dass diese in hohem Maß subjektiv ist und maßgeblich dadurch geprägt ist, was die Folgejahre gebracht haben und was die eigene Gegenwart bestimmt. Gespräche mit Zeitzeugen helfen einerseits zu einem lebendigen, facettenreichen Bild einer Epoche; andererseits ist es notwendig, sich bei der Rekonstruktion der vergangenen Ereignisse nicht allein

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Hochhuth, Geschichte, 187 f.

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auf ihre Erinnerungen zu verlassen, sondern diese mit den durch andere, größtenteils schriftliche Quellen gewonnenen Erkenntnissen zu konfrontieren und abzugleichen.

1.4.1 Publikationen An Publikationen, auf die im Rahmen dieser Arbeit zurückgegriffen werden konnte, sind zunächst die einzelnen Informationsorgane der drei Reformgruppen zu nennen. Der AEE brachte im Juni 1968 die erste Nummer der „Berichte und Kommentare“35 heraus. Das Heft erschien im Untersuchungszeitraum drei bis fünf Mal im Jahr. Adressaten waren AEE-Mitglieder sowie Vertreter der Kirchenleitung. Erklärtes Ziel des Blattes war es, „unter den Mitgliedern unseres Arbeitskreises einen besseren Kontakt herzustellen, sie in ein paar Punkten, die uns wichtig erscheinen, an einer gemeinsamen kritischen Meinungsbildung zu beteiligen und über das zu informieren, was in den einzelnen Gruppen unseres Arbeitskreises geschieht. Darüber hinaus wollen wir mit diesen Blättern auch in unsere Landeskirche hinein wirken.“36

In den „Berichten und Kommentaren“ wurden auf etwa zwanzig bis vierzig Seiten Berichte einzelner Arbeitsgruppen veröffentlicht, aktuelle kirchenpolitische Ereignisse dokumentiert und in zum Teil satirischer Form kommentiert, interne Struktur- und Zielfragen diskutiert sowie grundsätzliche Aufsätze zu theologischen und gesellschaftspolitischen Fragen veröffentlicht. Die „Berichte und Kommentare“ sind im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg einzusehen37. Was die Publikation der VBV, den „VBV-Rundbrief “ angeht, gestaltete sich die Recherche schwieriger: Die Vereinigung selbst hat ihre Publikation nicht archiviert. Im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg sind die Jahrgänge 1970 bis 1976 nur lückenhaft vorhanden38; diesbezügliche Nachfragen in den Predigerseminaren blieben ebenso erfolglos wie die Recherche im Landeskirchenamt München. Ein Aufruf im Korrespondenzblatt an Pfarrerinnen und Pfarrer führte schließlich zum Erfolg39. Der VBV-Rundbrief erschien im Untersu35

Kurztitel in den Fußnoten: B+K. B+K, Nr. 1 / 20. 6. 1968, 37. 37 LAELKB Nürnberg, Z 343 (Evangelische Erneuerung). Für diese Arbeit wurden die Jahrgänge Nr. 1 / 1968 bis Nr. 26 / 1976 herangezogen. 38 LAELKB Nürnberg, Z 492 (VBV-Rundbrief ). 39 Korrespondenzblatt 120 (2005), Nr. 8 / 9 vom August / September, 125. 36

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chungszeitraum zwischen zwei und fünf Mal im Jahr. Folgten die ersten Nummern noch dem Schema „Anschreiben mit Anlagen“, so entwickelte sich der Rundbrief schon nach wenigen Monaten zu einem strukturierten Informationsheft, in dem neben Stellungnahmen zu kirchenpolitischen Themen auch die Konflikte einzelner Vikare dokumentiert wurden und immer wieder über Sinn und Zweck der Vereinigung reflektiert wurde. Das Archiv für das sogenannte „Info-LabeT“, das Informationsblatt des LabeT, befindet sich in der Augustana-Hochschule Neuendettelsau. Das Blatt erschien im Untersuchungszeitraum bis zu sechs Mal jährlich. Erstmals wurde das „Info-LabeT“ im Juni 1970 erstellt; in dieser Anfangsnummer wurde die Satzung des Landeskonvents Bayerischer Evangelischer Theologiestudierender abgedruckt, in der unter „§ 5. Die Delegiertenversammlung“, Absatz (4) steht: „Die DV gibt am Ende jeder Tagung eine Informationsschrift mit Tagesordnung, Sitzungsprotokoll und Beschlüssen heraus (info-labet).“40 Das „InfoLabeT“ wuchs bald über dieses Ziel hinaus: Neben dem Bericht über die Ergebnisse der Delegiertenversammlungen waren in dem Blatt zunehmend Aufsätze über grundlegende Themen, ausführliche Dokumentationen zu einzelnen Problemstellungen, Glossen und Kommentare zu finden. Die Resolutionen des LabeT sind hier ebenso dokumentiert wie die verschiedenen Fragebogenaktionen des Konvents. Was Umfang und Gestaltung angeht, erreichte die Publikation einen gewissen Wende- und Höhepunkt unter der Redaktion von Andreas Ebert und Werner Küstenmacher in den Jahren 1974 bis 1976. Dabei verfolgte Werner Küstenmacher das Konzept, aus dem „Info-LabeT“ „ein sehr attraktives Magazin, das so unterhaltsam ist und so fetzig, dass es die […] Studierenden lesen und lieben“41, zu machen; das „Info-LabeT“ wurde kurzzeitig zum Markenzeichen des Konvents. Neben den genannten Publikationen der drei Gruppen waren wesentliche Quellen für die vorliegende Arbeit die „Nachrichten der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern“42, das vom Pfarrer- und Pfarrerinnenverein herausgegebene „Korrespondenzblatt“ sowie die Sitzungsprotokolle der „Verhandlungen der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern“43. Außerdem wurden verschiedentlich Zeitungsartikel herangezogen, bevorzugt Beiträge aus dem Bayerischen Sonntagsblatt.

40 41 42 43

Info-LabeT, Nr. 1 / Juni 1970, 5. Interview Küstenmacher, 3. Im Folgenden NELKB. Im Folgenden VLS.

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1.4.2 Archivalien Für den Untersuchungszeitraum sind die Unterlagen des AEE (Korrespondenz, Material zu den Arbeitsgruppen, Sitzungsprotokolle etc.) im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg archiviert. Es handelt sich dabei zum Großteil um das Registraturgut, das Hermann von Loewenich 1985 an das Archiv gab. Im Januar 2001 übergab Hermann Blendinger weitere Akten über den AEE an das Landeskirchliche Archiv, die im November 2004 verzeichnet wurden. Unterlagen über die VBV sind nicht als spezieller archivalischer Bestand im Landeskirchlichen Archiv vorhanden. Sie konnten teilweise im AEE-Bestand des Landeskirchlichen Archivs, in den ebenfalls dort archivierten Unterlagen zum Pfarrerverein und in dem seit Herbst 2006 sukzessive verzeichneten Bestand „Landesbischof“, der Akten aus dem Büro Dietzfelbingers enthält, ausgemacht werden. Auch im LabeT-Archiv Neuendettelsau befinden sich einige Schriftstücke zur VBV. Weitere Dokumente zur VBV sind im Landeskirchenamt München erhalten. Dort sind beispielsweise die Protokolle der Kontaktgespräche mit dem Ständigen Team der VBV ab 1971 archiviert. Außerdem sind in Akten zu einzelnen Themen- oder Konfliktbereichen auch Unterlagen über die VBV zu finden. Was den LabeT betrifft, so befinden sich in der Augustana-Hochschule Neuendettelsau neben den verschiedenen Nummern des „Info-LabeT“ auch Ordner mit privater Korrespondenz von LabeT-Mitgliedern untereinander, der Schriftwechsel zwischen LabeT-Vertretern und externen Stellen, Mitgliederlisten, Flugblätter des Konvents sowie Protokolle und Berichte von Sitzungen, die zum Teil auch im „Info-LabeT“ abgedruckt sind. Außerdem sind im Archiv des Landeskirchenamts München Dokumente vorhanden, unter anderem der Schriftwechsel zwischen Vertretern des Konvents und Vertretern der Kirchenleitung, Protokolle über gemeinsame Sitzungen sowie einzelne Dokumente in thematisch gegliederten Ordnern. Archivalien zum LabeT befinden sich darüber hinaus in einzelnen Beständen anderer kirchlicher Gruppen und Organisationen im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg. Als wertvolle Ergänzung der genannten Archivalien erwiesen sich zahlreiche Dokumente, die Zeitzeugen beibrachten; diese Arbeit gewährt damit Einblicke in Unterlagen, die zuvor nicht öffentlich zugänglich waren. Zu nennen sind hier exemplarisch das umfangreiche Material zur VBV aus dem Besitz von Peter Frör und Uwe Lang44 sowie die Unterlagen von Dieter Helbig zu den Nördlinger Auseinandersetzungen. Um in dieser Arbeit eine möglichst 44 Ohne dieses Material hätte beispielsweise die Geschichte der sogenannten „Ordinationsverweigerer“ nicht rekonstruiert werden können.

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objektive Sicht auf die drei Gruppen zu erlangen, wurden außerdem Archivalien herangezogen, in denen Positionen von Personen und Gruppen, die außerhalb von bzw. zum Teil konträr zu AEE, VBV und LabeT standen, zur Sprache kommen. Dazu zählen im Landeskirchlichen Archiv der genannte Bestand Landesbischof, die Bestände der Pfarrerbruderschaft und der „Arbeitsgemeinschaft Kirchliche Erneuerung“ sowie der Bestand Personen. Aufschlussreich sind hier außerdem die im Landeskirchenamt befindlichen Gesprächsnotizen und -protokolle der verschiedenen Referenten. Durch Gespräche mit Menschen, die einigen damals von AEE, VBV und LabeT propagierten Zielen eher fern standen und stehen, wurde außerdem versucht, einer parteiischen Darstellung vorzubeugen45.

1.4.3 Interviews Der Historiker Michael Zimmermann beschreibt den Wert von Interviews für zeitgeschichtliche Forschungen folgendermaßen: „Insgesamt stellen die teils lebensgeschichtlich, teils auf enger begrenzte Bereiche orientierten Interviews mit Zeitzeugen der historiographischen Interpretation Quellen zur Verfügung, die in die gängigen Archivbestände kaum Eingang gefunden haben; sie tragen so zur Konstituierung alternativer Überlieferungsstränge bei. In einem sozialstatistischen Sinne repräsentativ sind Oral History-Interviews dabei ebensowenig wie [die] meisten anderen Quellen zur (Zeit-)Geschichte. Die Möglichkeiten der Oral History liegen nicht in der quantifizierenden Auswertung, sondern vielmehr in der qualitativen Interpretation.“46

Die mündlichen Quellen zu dieser Arbeit werden diesem Verständnis der Oral History entsprechend aufgearbeitet. Interviews mit Zeitzeugen sind für dieses Forschungsthema aus folgenden Gründen relevant: Zeitzeugen liefern wesentliche historische Details über die schriftlichen Quellen hinaus. Genannt sei hier nur, dass die Hintergründe über Entscheidungen und Resolutionen der Reformgruppen oft nicht aus den schriftlichen Quellen ersichtlich sind. „Wenn es Schwierigkeiten gab, dann haben wir telefoniert“47, beschreibt Zeitzeuge Georg Kugler ein für ihn wesentliches Charakteristikum des AEE. Die Rekon45 Ich danke Professor em. Manfred Seitz (Erlangen) und Andreas Späth, dem Vorsitzenden der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern (KSBB i. B.), für ihre Gesprächsbereitschaft. 46 Zimmermann, Zeitzeugen, 23. 47 Interview Kugler, 20.

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struktion dieser Kommunikation ist nur über Gespräche mit den Beteiligten möglich. Weiter ermöglichen es die Interviews, von schriftlich nicht oder nur in geringem Maß erfassten Vorformen der Reformgruppen oder parallelen Gruppierungen zu erfahren. Außerdem kann anhand der qualitativen Interviews der Mentalität der Beteiligten und ihrer Motivation, in den Gruppen mitzuarbeiten, nachgegangen werden. Die Interviewpartner entstammen den Geburtsjahrgängen 1927 bis 1953. Einige maßgebliche Akteure der Gründergeneration des AEE sind bereits verstorben, die für diese Arbeit gewählten Interviewpartner aus diesem Kreis sind teilweise in einem hohen Alter. Die Interviews mit ihnen bieten zum Teil eine der letzten Möglichkeiten, etwas über ihre Erinnerungen zu erfahren. Damit werden für nachfolgende Forschungen zu diesem Thema wichtige Grundlagen erstellt. Wie die Verfasserin mit den Chancen und Risiken der Oral History umgegangen ist und welches Konzept den Interviews konkret zugrundeliegt, wird im vierten Kapitel, einleitend zu der Analyse der Interviews, ausführlich erläutert.

1.5 Verortung des Themas 1.5.1 Verortung des Themas im gesamtgesellschaftlichen Rahmen: Die Um- und Aufbrüche der „68er“ Die Anfänge der in dieser Arbeit untersuchten bayerischen Kirchenreformgruppen liegen in den späten 1960er Jahren. Betrachtet man die von den kirchlichen Protagonisten gewünschten Veränderungen und Vorgehensweisen, liegt die Assoziation zu „1968“ nahe. Bevor ausgeführt wird, wie diese Jahreszahl verstanden und damit später in Bezug zu den Kirchenreformgruppen gesetzt werden kann, sei vorausgeschickt: Mittlerweile herrscht Konsens darüber, dass dieses Jahr im Kontext eines größeren Zeitraums, nämlich der 1960er Jahre insgesamt bzw. sogar der „langen 60er“48 Jahre (1958 bis 1974) betrachtet werden muss. Diese Jahre werden ihrer zahlreiche Um- und Aufbrüche in Gesellschaft, Kultur und Politik wegen als „dynamische Zeiten“49 charakterisiert. Wenige Schlaglichter mögen genügen, um diese Dynamik zu illustrieren: So gab es, was die gesellschaftliche Lage in Deutschland betrifft, wohl kaum einen Bereich, der nicht in Bewegung war – sei es die blühende Wirtschaft, der Wiederaufbau in beiden deutschen Gesellschaften, sei es die zunehmende Mobili48 49

Nach Lepp, Einführung, 58. Lepp führt hier u. a. Hodenberg / Siegfried, „1968“, an. Zur Begründung dieser Charakterisierung vgl. Schildt / Siegfried / Lammers, Einleitung.

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sierung der Bevölkerung, seien es die Neuerungen in Forschung und Technik, sei es die sich wandelnde Rolle der Frau. Die Jugendkultur dieses Jahrzehnts barg bereits zu Beginn der 1960er Jahre einen starken Politisierungsdruck, der sich Ende der 1960er Jahre verstärkte und in die Studentenunruhen mündete50. Zu den Themen, um die zwischen den Generationen, teils auch deren Grenzen überschreitend, gerungen wurde, zählten die Bildungsreform und die Auseinandersetzung um die Schuldfrage der Deutschen in der NS-Zeit sowie die unterschiedlichen Perspektiven auf innerdeutsche und internationale Politik. Es waren Jahre der kollektiven Hoffnung ebenso wie der weltweiten Erschütterung; der Kalte Krieg und seine Machtkämpfe hielten die Welt in Atem. Es waren Jahre der Protestkundgebungen und Bürgerrechtsbewegungen, Jahre der Hoffnungsträger wie John F. Kennedy und Martin Luther King, auf deren Ermordung hin Entsetzen die Nationen einte. Viele dieser hier angedeuteten Entwicklungen und Ereignisse der langen 1960er Jahre, ihre Auf- und Umbrüche spielten für die (Vor-)Geschichte und die Aktivitäten der bayerischen Kirchenreformgruppen eine Rolle. Nachdem sie jedoch erst Ende der 1960er Jahre gegründet wurden, erscheint es nun sinnvoll, tatsächlich auf das zur Chiffre51 geronnene Datum 1968 zu fokussieren, das auch für die Protagonisten dieser Arbeit in besonderer Weise für das sie prägende Konglomerat an Themen, Emotionen und Motivationen dieser Zeit steht. Begriffliche und inhaltliche Eingrenzung der 68er-Bewegung sind ebenso wie ihre Bewertung in der wissenschaftlichen und in der gesellschaftlichen Diskussion höchst umstritten. Worauf beruhte der „Mythos ’68“52, wo lagen seine Wurzeln? Bestand die 68er-Bewegung vor allem in der „Gewaltphilosophie Rudi Dutschkes“53 oder bedeutete sie die „zweite Geburt der Demokratie in Deutschland“54? Ist der Terminus 68er-Bewegung gleichbedeutend mit Begriffen wie Neue Linke, Außerparlamentarische Opposition (APO) oder Studentenbewegung? Der Berliner Sozialwissenschaftler Dieter Rucht schlägt einen gangbaren Weg durch das Dickicht an Begrifflichkeiten und Deutungen, indem er die Ereignisse um 1968, den Aufbruch der APO einschließlich 50

Dazu Siegfried, Jugendkultur, v. a. 621–623. Ursula Krey bezeichnet 1968 als „Chiffre mit identitätsstiftendem Symbolcharakter“: „Sie dient als Projektionsfläche für ein weites Spektrum an Überzeugungen, Gesellschaftsentwürfen und Lebensweisen sowie als Substrat einer langfristig polarisierenden Mythenbildung“ (Krey, Bruch, 14). 52 So mit deutlich negativer Konnotation der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth in seinem gleichnamigen Buch (Langguth, Mythos ’68). 53 So die These von Langguth (ebd.). 54 So Nevermann, APO, 125. 51

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der Studentenbewegung als soziale Bewegung charakterisiert55. Die 68er-Bewegung definiert Rucht als „das aktionsorientierte Netzwerk von Personen, Gruppen und Organisationen, das sich – in der Bundesrepublik – fast ausschließlich aus der gebildeten Mittelschicht rekrutierte und eine antikapitalistische, antitechnokratische und antiautoritäre Stoßrichtung verfolgte“56. Rucht betont, dass es „dem sozialen und ideologischen Kern derer, die die Aktivitäten in der Hochphase um das Jahr 1968 anstießen, […] um nicht weniger als einen grundlegenden sozialen Wandel“57 ging. Dieser Wandel wurde mit Hilfe eines verzweigten, vielgestaltigen Netzwerks von Gruppen und Organisationen zu erreichen versucht, deren Angehörige eine kollektive Identität ausbildeten und nach außen hin repräsentierten. An einzelnen Themen und Anknüpfungspunkten der 68er-Bewegung sind zu nennen deren Begeisterung für sozialistische Entwürfe, deren trotz Einbeziehung nationaler Themen (z. B. Notstandsgesetzgebung) globale Perspektive, die Politisierung des Alltags und die „Leitvorstellungen einer radikalen, über repräsentative Formen hinausweisenden Demokratie und eines selbstbestimmten, von zwanghaften bürgerlichen Verhaltensnormierungen befreiten Lebens“58. Obwohl diese Inhalte schon seit den späten 1950er und frühen 1960er Jahren formuliert und von einzelnen Gruppierungen an die Öffentlichkeit getragen worden waren, konnte sich erst Mitte der sechziger Jahre, als ein Moment des kollektiven öffentlichen Protests hinzukam, eine soziale Bewegung etablieren. Diese Bewegung setzte sich vor allem zusammen aus Angehörigen des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), der AntiNotstandsbewegung und der Anti-Atombewegung; gemeinsam bildeten sie die APO. Kern der APO war der SDS, Achsenthema waren die Notstandsgesetze59 und, daran anknüpfend, die Forderung nach einer umfassenden Re-Demo-

55 Dabei definiert Rucht eine soziale Bewegung als ein „auf gewisse Dauer gestelltes und durch kollektive Identität abgestütztes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke von Gruppen und Organisationen, welche sozialen Wandel mit Mitteln des Protestes – notfalls bis hin zur Gewaltanwendung – herbeiführen, verhindern oder rückgängig machen wollen. Sozialer Wandel bedeutet in diesem Zusammenhang eine grundlegende Veränderung gesellschaftlicher Ordnung“ (Rucht, Modernisierung, 77). 56 Ebd., 122. 57 Ebd., 121. 58 Ebd., 122. 59 Die Große Koalition (1966–1969) traf mit Hilfe der Notstandsgesetze Vorkehrungen für den Verteidigungsfall sowie für den Fall innerer Unruhen und Katastrophen. Bevor die Gesetze am 30. 5. 1968 verabschiedet wurden, gab es erbitterten Widerstand von Seiten des Kuratoriums „Notstand der Demokratie“, der FDP, zahlreichen Studentengruppen und Gewerkschaften. Sie kritisierten die Gesetze als inakzeptable Eingriffsmöglichkeit des Staates in die Grundrechte seiner Bürger.

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kratisierung des bundesrepublikanischen Systems60. Vor diesem Hintergrund skizziert Dieter Rucht die Entwicklung der 68er-Bewegung aus soziologischer Sicht folgendermaßen: „Erst allmählich konvergierten diese Stränge und bildeten in der Hochphase der Bewegung, etwa seit Mitte 1967 bis Mitte 1969, einen dichten Kommunikations- und Aktionszusammenhang, schließlich mündete sie in verschiedene Zerfallsprodukte.“61 Der Zeitpunkt, den Rucht mit dem Wort „schließlich“ andeutet, lässt sich spätestens auf das Jahr 1970 datieren: Die Selbstauflösung des SDS-Bundesvorstandes am 21. März 1970 markierte nur mehr als konstatierender Akt das de facto schon eingetretene Ende der Bewegung. Versöhnt durch den Regierungsantritt Willy Brandts im Herbst 1969, sahen ehemals in der APO Engagierte zum Teil ihre politische Heimat wieder innerhalb des parlamentarischen Systems, vornehmlich in der SPD und in der FDP. Andere engagierten sich in den aufkeimenden neuen sozialen Bewegungen – der Frauenbewegung, der Friedensbewegung oder den Grünen – oder in der 1968 / 69 gegründeten Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Wieder andere zogen sich in eine der zahlreichen kommunistischen Splittergruppen zurück oder schlossen sich den terroristischen Aktionen der RAF an. Gerade in ihren Nachwirkungen – dem kulturellen Liberalisierungsschub, dem Aufkommen neuer sozialer Bewegungen und dem Linksterrorismus der 1970er und 1980er Jahre – habe die 68er-Bewegung, so Rucht, in der Bundesrepublik Deutschland eine markante Zäsur gesetzt, obwohl sie kaum direkte politisch-institutionelle Veränderungen nach sich gezogen hat62.

1.5.2 Verortung des Themas innerhalb des westdeutschen Protestantismus Werden in der Profangeschichte die 1960er Jahre als Jahre des Um- und Aufbruchs bezeichnen, so lässt sich diese Charakterisierung auch auf die Kirchenund Theologiegeschichte übertragen63. Der gesamtgesellschaftliche Kulmina60 Vgl. dazu Richter, Außerparlamentarische Opposition. Richter skizziert in diesem Aufsatz die Entwicklung der Außerparlamentarischen Opposition als sozialer Bewegung, die er als Kulmination von Ostermarschbewegung, Antinotstandsopposition und Studentenbewegung darstellt. Dabei spielt der 2. 6. 1967, an dem Benno Ohnesorg bei den Anti-Schah-Demonstrationen erschossen wurde, die Rolle eines Katalysators der Außerparlamentarischen Opposition. 61 Rucht, Ereignisse, 123. 62 Vgl. Rucht, Bewegungen, 105 f. 63 Einige für die bayerischen Kirchenreformgruppen prägenden kirchengeschichtlichen Ereignisse werden in Kapitel 3.1, 115–124, skizziert.

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tionspunkt 1968 findet hier eine gewisse Entsprechung in der Krise besonders der späten 1960er Jahre64 – auch, wenn diese ebenfalls nicht isoliert von den Vorjahren betrachtet werden dürfen65. Als einen Umbruch im westdeutschen Protestantismus lässt sich die sinkende Akzeptanz der Volkskirche anführen: Ab spätestens Mitte der 1960er Jahre sahen sich die Kirchen mit dem Prozess der Entkirchlichung beträchtlicher Teile der westdeutschen Bevölkerung konfrontiert, der „alle vorherigen Abbruchstendenzen an Intensität und Nachhaltigkeit überstieg und einen bis heute anhaltenden Prozess der Kirchendistanzierung einleiten sollte“66. Wertewandel67 und fortschreitende Individualisierung schlugen sich in einem religiösen Pluralismus und einer Ausdifferenzierung in Glaubensfragen nieder. Schleichend verloren Kirche und Theologie an Deutungshoheit in gesellschaftlichen Fragen; ihre Anliegen und Bemühungen stießen zunehmend auf Desinteresse und Gleichgültigkeit in der Bevölkerung. Dass die Volkskirche bröckelte, schlug sich auch deutlich in den Statistiken nieder: Der wöchentliche Gottesdienstbesuch sank von durchschnittlich 15 Prozent im Jahr 1963 auf sieben Prozent im Jahr 197368, die Austrittsrate aus der evangelischen Kirche in Westdeutschland, die Anfang der 1960er Jahre unter 0,2 Prozent lag, betrug 1970 0,7 Prozent, 1975 bereits 0,8 Prozent69. Kirchliche Akteure – an führender Position ebenso wie an der Basis – wagten in den 1960er Jahren zunehmend politisch eindeutige Stellungnahmen. „Politische Probleme wurden […] zu einer das Christentum unmittelbar be-

64 Der Kirchenhistoriker Hugh McLeod unterteilt die „langen 60er“ in drei Phasen: „the early Sixties“ (1958 bis 1962), „the mid Sixties“ (1963 bis 1966) und „the late Sixties“ (1967 bis 1973). Besonders letztere sieht er als Jahre der Krise für die Kirchen in Europa, vor allem für die katholische Kirche (McLeod, European Religion, 41). Als mögliche Ursachen führt McLeod unter anderem die „sexuelle Revolution“, die Frauenbewegung, die in diesen Jahren zum Ausbruch kommenden Spannungen zwischen reformorientierten und traditionsbewahrenden Katholiken sowie die Rolle von „68“ an: „Furthermore, both Catholic and Protestant students felt strongly the pull of ‚1968‘ and the revolutionary hopes that inspired so many in that year“ (ebd., 43). 65 Vgl. Hauschild, Kontinuität, 35: „Die sog. 68er-Bewegung war nur Teil eines vielschichtigen Veränderungsprozesses, der zusammen mit den ökumenischen Impulsen und den sog. neuen sozialen Bewegungen die Entwicklung der evangelischen Kirche beeinflusst hat.“ 66 Pollack, Protestantismus, 105. 67 Der Ende der 1950er Jahre noch weithin unumstrittenen Wertekonsens „Gehorsam, Ordnung, Disziplin“ wurde ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre vom Erziehungsziel „Selbstständigkeit“ abgelöst; vgl. Pollack, Protestantismus, 125: Grafik 2. 68 Vgl. dazu ebd., 123: Tabelle: „Regelmäßiger Gottesdienstbesuch der Katholiken und Protestanten in Westdeutschland 1952–2005 (in %)“, in Anlehnung an eine Erhebung des Allensbacher Instituts. 69 Vgl. dazu die Grafik „Kirchenaustritte in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1989“ (ebd., 124).

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treffenden Sache.“70 Dies sorgte vor allem innerhalb der Kirchen für Kontroversen: Interessanterweise stießen hier zwei Konzepte aufeinander, die sich beide, wenn auch auf gänzlich unterschiedliche Weise, darauf beriefen, mit ihrem Verhalten die Lehren aus der Vergangenheit – der NS-Zeit und dem Missbrauch des Evangeliums durch die Deutschen Christen – gezogen zu haben. Für die eine Seite bedeutet dies, jedwede politische Positionierung kirchlicherseits abzulehnen – was an sich freilich auch wieder eminent politisch ist71; die andere Seite sah hingegen besonders das Versäumnis der Kirche im „Dritten Reich“, zu wenig im Namen Jesu für Unterdrückte eingetreten zu sein, und wollte dies in der Gegenwart durch entsprechende Stellungnahmen besser machen. Zwangsläufig benötigten Vertreter dieser zweiten Position für ihre Positionierungen ein breites Forum; in neuem Maß und Umfang wurden die Medien genutzt, um die eigene Position publik zu machen. Dabei, und das unterschied die 1960er Jahre von den Vorjahren, war der common sense aufgehoben, wer im Namen der Kirche sprechen dürfe, „der Grundsatz, dass Kirchenleitungen und Synoden hier eine besondere Kompetenz als reguläre Vertretungsorgane besäßen, [verlor] an Relevanz“72. Diese Richtlinienkompetenz der kirchlichen Leitungsorgane stellten weniger Einzelpersonen als vielmehr die vor allem in den späten 1960er Jahren ins Leben gerufenen innerkirchlichen Gruppen infrage. 1.5.2.1 Reformgruppen der 1960 / 70er Jahre in den westdeutschen Kirchen „Reformen aus der Mitte“: Unter diesem Titel wird der AEE im Februar 1970 im Bayerischen Sonntagsblatt vorgestellt; das Anliegen der Gruppe wird mit folgenden Worten erläutert: „Man hatte aus der Geschichte gelernt, daß eine Erneuerung der Kirche nicht von oben verordnet werden kann, daß echte Reformen immer aus ihrer Mitte kamen und von einer aktiven Gruppe getragen wurden. Eine solche Gruppe wollte man sein.“73 Eine „solche Gruppe“ wollte 70 Hauschild, Kontinuität, 40. Hauschild betont, dass dies im Prinzip nichts grundlegend Neues war, sondern zumindest seit den Auseinandersetzungen um die Wiederaufrüstung der 1950er Jahre galt; neu sei jedoch, „dass seitdem innerhalb der evangelischen Kirche auf breiter Basis und intensiv die politischen Lebensprobleme durch eine religiöse Quantifizierung gewissermaßen als Glaubensfragen behandelt wurden“ (ebd., 40 f.). 71 Vgl. dazu Roepke, Protestanten, 427: Daß die sogenannte unpolitische Kirche, die sich auf ihr Bekenntnis zurückzieht, eine obrigkeitstreue und damit gerade eine eminent politische Kirche ist, gehört zu den ständig zu bedenkenden Erfahrungen aus dem bayerischen Kirchenkampf.“ 72 Hauschild, Kontinuität, 54. 73 Friedrich Eras, Reformen aus der Mitte. „Arbeitskreis Evangelische Erneuerung“ (Kirchliche Gruppen in Bayern III), in: Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 25 (1970), o. S.

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Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre nicht nur der AEE sein: Etwa fünfzig sogenannte Reformgruppen waren 1967 / 1968 in westdeutschen Landeskirchen gegründet worden, und der Theologe und Religionspädagoge Reinhard Dross stellte angesichts dieses Phänomens fest: „Die seit langem praktizierte Kirchenkritik hat hier – innerhalb von weniger als zwei Jahren – völlig neuartige Formen angenommen.“74 Eine lange Dauer war dieser Form der Kirchenkritik allerdings nicht beschieden; die meisten dieser Gruppen waren bis spätestens Mitte der 1970er Jahre aufgelöst oder in der Bedeutungslosigkeit versunken. Zusammenschlüsse und Parteiungen in den Kirchen, Fraktionen in den Synoden gab es freilich nicht erstmals in den 1960er Jahren. Offensichtlich als Folge der Erfahrungen des Kirchenkampfes kam es jedoch in Bayern wie auch in anderen Landeskirchen75 nach 1945 zunächst gut zwanzig Jahre lang kaum zu offener Gruppenbildung im innerkirchlichen Bereich. Inoffizielle Zusammenschlüsse und konspirative Kreise gab es freilich dennoch; aus einem Teil von ihnen gingen später Gruppen der Bekenntnisgemeinschaft hervor, aus einem anderen Teil erwuchs ein Großteil der Kirchenreformgruppen76. Das Spektrum letztgenannter war breit gefächert: Sie setzten sich aus unterschiedlichen Personengruppen zusammen und traten punktuell oder regelmäßig zusammen. Zu ihnen zählten sogenannte Kritische Synoden (z. B. anlässlich der EKD-Synode 1968 in Berlin) und regionale Großgruppen (z. B. der AEE) ebenso wie Studentengruppen (z. B. der Aktionskreis Kirchenreform), Interessenvertretungen (z. B. die VBV) oder speziell von Geistlichen getragene Gruppen (z. B. der Arbeitskreis Schöneberger Pfarrer). Wenngleich die konkreten Anliegen ebenso wie die Dauer der Aktivitäten dieser zahlreichen Gruppen verschieden waren, so sind doch folgende grundlegende Gemeinsamkeiten festzustellen77: Alle diese Gruppen lassen sich, was ihre Kernthemen und ihre Aktionsformen angeht, in den Kontext der 68er-Bewegung stellen: Sie plädierten für eine stärkere Demokratisierung und Enthierarchisierung kirchlicher Strukturen und zeigten Sympathien für marxistisches, existentialistisches und psychoanalytisches Gedankengut. Die Gruppen verband untereinander zudem, dass ihre Mitglieder mehrheitlich die Notwendigkeit sahen, der Praxis den Vorrang vor der Theorie zu geben. Ihre Aktionen und ihr Engagement rechtfertig74

Dross, Vorwort, 9. Vgl. für die Württembergische Landessynode Hermle / Oehlmann, Gruppen. 76 Vgl. dazu auch die Vorgeschichte der bayerischen Kirchenreformgruppen (Kapitel 2.1.1, 45–50; Kapitel 2.2.1, 71–76; Kapitel 2.3.1, 90–95). 77 Hier orientiere ich mich an Dross, Vorwort; Leudesdorff, Reformgruppen; Marquardt, Kritik. 75

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ten sie vornehmlich mit dem sozialen Handeln Jesu in der Welt; ihrer Ansicht nach sollte sich die Kirche in ihrem Wirken als der verlängerte Arm des vor allem ethisch verstandenen Gottessohnes erweisen, sie habe „kein anderes theologisches Wesen als ihr pragmatisches, ihr Tun ist ihr Wesen“78. Die meisten Reformgruppen legten wenig Wert auf systematisch-theologische Diskussionen; teilweise wurden theologische Schlagworte verwendet, ohne näher reflektiert oder inhaltlich konkretisiert zu werden. Es war, um den Berliner Systematiker Friedrich-Wilhelm Marquardt zu zitieren, „eine Bewegung einfacher Einsichten und Wahrheiten. […] Das Bruchstückhafte, Unfertige, Undogmatische der Formen […] gehört zur Sache“79. Mitunter, so Marquardt weiter, mag einem auch die Berufung kirchlicher Reformgruppen „auf den ‚Geist und Sinn Christi‘ […] etwas schlicht vorkommen“80. Den Begriff der Reformgruppe bezieht der Theologe René Leudesdorff auf alle die Gruppen, die innerhalb der Institution Volkskirche für die genannten Anliegen eintraten. Um diese Gruppen von den „anti-reformistischen“ Vereinigungen dieser Jahre abzugrenzen und um die von den sogenannten bekennenden Gemeinschaften vorgebrachte Kritik an den Reformgruppen besser verstehen zu können, bietet sich ein Rückgriff auf das lateinische Verb „reformare“ an. „Reformare“ beinhaltet die Bedeutungen ‚umgestalten‘ und ‚wiederherstellen‘ und trägt damit Zukunft und Vergangenheit, Negation und Affirmation in sich. In den Anliegen der Reformgruppen lassen sich diese Bedeutungsebenen wiederfinden: Einerseits waren die Mitglieder der Reformgruppen mit der derzeitigen Erscheinungsform der Kirche unzufrieden und wollten sie umgestalten. Dabei zeigten sie sich von der gesamtgesellschaftlichen 68er-Bewegung beeinflusst. Sie wollten die kirchlichen Strukturen demokratisieren81, sie mischten sich dazu in Verfassungsdiskussionen ein, sie sahen, so Friedrich-Wilhelm Marquardt, eine „Verkündigung durch Kirchenordnung“82. Auf vielfältige Weise, unter anderem durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit, wollten sie kirchliche Entscheidungsprozesse transparenter machen. Außerdem sahen die Gruppen ihre Aufgabe darin, etwas wiederherzustellen, was ihrer Ansicht nach im Lauf der Christentumsgeschichte verloren gegangen war: den Einsatz der Kirche für die Welt, der mit dem vor allem als sozial handelnd verstandenen Gottessohn begründet wurde. Immer wieder wird in den Texten der Gruppen die ethische

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Marquardt, Kritik, 189. Ebd., 187. 80 Ebd., 190. 81 Zu der Problematik, die Forderung nach Demokratisierung auf die Kirche zu übertragen, vgl. Kapitel 3, 111 f. 82 Ebd., 194. 79

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Nachfolge Jesu betont, die Rückkoppelung an seine Botschaft und sein Handeln hervorgehoben. So proklamierte der „Aktionskreis Kirche und Gesellschaft Braunschweig“ 1968 / 69: „Der Ausgangspunkt für christliches Handeln in Kirche und Gesellschaft muß in Jesu Wort und Verhalten liegen, in seinem bedingungslosen Dasein für die religiös, sozial und politisch Diffamierten und Deklassierten der Gesellschaft. Nur dort, wo Menschen auch heute Jesus in diese Parteilichkeit nachfolgen, ist Kirche Jesu Christi. Alles in der verfaßten Kirche, was diesem Engagement dient, ist dankbar aufzunehmen; was diesem Engagement aber im Wege steht, ist entschlossen (und radikal) abzulehnen und abzubauen.“83

Dieses Argumentationsschema ist paradigmatisch und lässt sich durch unzählige Texte anderer Gruppen illustrieren84. Es galt, in den unterschiedlichsten Bereichen Verantwortung im Sinne eines politischen Jesus wahrzunehmen. In seinem Namen Stellung zu beziehen, in seine Kirche die Probleme der Gesellschaft aufzunehmen, war ein Kennzeichen dieser Reformgruppen – und auch zahlreicher theologischer Ansätze dieser Jahre85. Den meisten kirchlichen Reformgruppen lag es – von humoristischen Anspielungen abgesehen86 – fern, das eigene Engagement in einen direkten Bezug zu den Umbrüchen der Reformationszeit zu setzen. Sie wollten keine grundlegend neue Kirche, sie wollten Reformen innerhalb der Volkskirche, in der 83 Selbstvorstellung des Aktionskreises Kirche und Gesellschaft Braunschweig (Lange / Leudesdorff / Rohrbach, Ad hoc, 55). 84 So schreibt der „Arbeitskreis Junge Protestantische Gemeinde Frankfurt“ in seiner Präambel, er wolle „an der Veränderung der Welt im Geist und im Sinne Jesu mitwirken“ (ebd., 91 f. 91). Der Aktionskreis Kirchenreform Heidelberg formuliert als Teil eines möglichen „Minimalkonsens[es] über das Wesen der Kirche“: „Die Kirche ist durch Jesus Christus dazu berufen, an Gottes Wirken für das Heil der Welt teilzunehmen, in dem sie in der Nachfolge ihres Herrn Gott dient durch den gelebten Glauben (Röm. 12, ff.) [sic], der sich realisiert in der Aufrichtung der Schwachen, in der Hilfe für alle unterdrückten, armen, leidenden, ausgestoßenen, hoffnungslosen, suchenden und irrenden Menschen (Diakonia)“ (ebd., 82). 85 In den 1960er Jahren entdeckten die sogenannten „Progressiven“ Jesus neu. Hier sei vor allem auf die Ansätze politischer Theologien verwiesen, die den Einsatz für die Entrechteten als wesentliche Form der Jesus-Nachfolge predigten; in Deutschland sorgte unter anderem die Theologin Dorothee Sölle mit ihrem Buch „Atheistisch an Gott glauben“ (1968) für Aufsehen, in dem sie dafür eintrat, Christologie als Anthropologie zu betreiben und in Jesu Namen dessen Revolution weiterzutreiben. Als ein Beispiel für eine radikale Jesus-Nachfolge ist auch Rudi Dutschke zu nennen; vgl. dazu ausführlich Hager, Rudi Dutschke. 86 So ziert beispielsweise das Titelblatt des Info-LabeT Nr. 29 / Sommer 1976 ein von Werner Küstenmacher gezeichnetes Männchen, das die in diesem Heft enthaltene „Tieringer Erklärung“ des LabeT an die Tür des Landeskirchenamtes nagelt – ein deutliche Anspielung also an Martin Luthers Anschlag der 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg. Zur „Tieringer Erklärung“ vom 1. 2. 1976 vgl. auch Kapitel 2.3.3, 105.

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sie sich beheimatet fühlten. In diesem Punkt unterschieden sie sich von den bei Leudesdorff als „anti-reformistisch“87 bezeichneten Gruppen: Dabei handelte es sich um vornehmlich von Studenten getragenen, kirchenkritische „Basis- und Aktionsgruppen“, unter ihnen etwa die Herausgeber der Lutherischen Notstandshefte oder des Theologen-Infos „Rote Kanzel“88. Wie immer wieder in deren Verlautbarungen zum Ausdruck kommt, wollten sie eine Revolution in der Kirche statt einer Reform, eine Umformung des Bestehenden war ihnen zu wenig. Ihr großes Vorbild war der Theologe und Revolutionär Thomas Müntzer: Mit seinem Kampf gegen kirchliche und weltliche Obrigkeit und mit der Schärfe seiner Forderung nach einer radikalen Neugestaltung kirchlichen und privaten Lebens wurde er zum Urahn des Kommunismus stilisiert und avancierte zum Leitbild einiger Basisgruppen, von denen nicht umsonst eine den Namen „Thomas Müntzer mit dem Hammer“89 trug. Dezidiert begriffen sich die revolutionären Gruppen als Teil der sozialistischen Opposition, versuchten anhand der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule neue Modelle kirchlichen Handelns zu entwickeln und griffen bürgerliche Glaubens- und Lebenspraktiken an. Der Institution Volkskirche wurde der Krieg erklärt, sie wurde „als ein Verbrechen an Gott“90 bezeichnet und sollte „von einem revolutionären Neubau abgelöst werden“91. Der Schlachtruf hieß: „Ceterum censeo ecclesiam esse delendam“92; eine „Mitarbeit an reformistischen Änderungsversuchen [hielt man] für sinnlos“93. Der hier abschätzig verwendete Begriff „reformistisch“ taucht in verschiedenen Variationen immer wieder mit negativer Konnotation in Schriften der revolutionären Gruppen auf. Man distanzierte sich von den „Spielchen der Kirchenreformer im ‚Arbeitskreis für Ev. Erneuerung‘“94 und sprach von „der Wirkungslosigkeit von Kirchenreformbemühungen“95. Vertreter konservativer kirchlicher Bewegungen standen sowohl den hier skizzierten innerkirchlichen Reformgruppen wie den Vereinigungen mit dezidiert revolutionärem Anspruch – wenn auch freilich in unterschiedlichem

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Leudesdorff, Überblick, 15. Vgl. hierzu Evangelisches Verlagswerk Stuttgart, Theologiestudenten 1969. 89 Vgl. etwa das Flugblatt dieser Gruppe (ebd., 51–53). 90 Selbstvorstellung eines Kandidaten zur Wahl in ein Studenten-Parlament (ebd., 73 f., hier: 73). 91 Revolutionstest aus den Lutherischen Notstandsheften (ebd., 60–63, hier: 60). 92 Selbstvorstellung eines Kandidaten zur Wahl in ein Studenten-Parlament: ebd., 73 f., hier: 74. 93 Presseerklärung Celle vom 3. 10. 1968, zit. nach Lange / Leudesdorff / Rohrbach, Ad hoc, 179. 94 So in dem Beitrag „Die Absicht der Gegenpropaganda“ (Lutherische Notstandshefte): Evangelisches Verlagswerk Stuttgart, Theologiestudenten 69, 64 f., hier: 64. 95 Ebd. 88

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Maß – ablehnend gegenüber. Die Ziele von Befürwortern „modernistischer Theologie“ sahen sie als einer Reform der Kirche im Sinne Martin Luthers diametral entgegen gerichtet, da sie ihrer Ansicht nach auf die „absolute Selbständigkeit“96 des Menschen zielten: „Revolution im Namen des Christentums ist glatte Auflehnung gegen Gottes klaren Auftrag an die Seinen. Wenn die Kirche hier zur Reformation gefordert ist, dann so, daß sie sich im Gehorsam vor Christus von derartigen Ideologien reinigt, nicht anders. Wenn wir heutzutage gerufen sind, dann so, daß wir unseren Glauben bekennen und bezeugen, nicht aber, indem wir herumdiskutieren und mehr oder weniger intellektuelle Spielereien veranstalten.“97

Die hier genannten Vorwürfe freilich konnten wiederum auch zum Teil auf Anliegen von AEE, VBV und LabeT bezogen werden; es ist daher nicht verwunderlich, dass es wiederholt zu Konflikten zwischen Vertretern der drei Reformgruppen und Mitgliedern sogenannter bekennender Gemeinschaften kam. 1.5.2.2 Der „Glaubenskampf “, die Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern (KSBB i. B.) und die Arbeitsgemeinschaft Kirchliche Erneuerung (AKE) Kein Satz Hermann Dietzfelbingers wurde wohl so häufig zitiert wie sein eingangs erwähnter Ausspruch vor der EKD-Synode in Berlin-Spandau (19. Februar 1971), man befinde sich „in einem Glaubenskampf, einem Kirchenkampf, gegenüber dem der Kirchenkampf im ‚Dritten Reich‘ nur ein Vorhutgefecht war“98. Von der Zahl der positiven wie negativen Reaktionen selbst offensichtlich überrascht, versuchte Dietzfelbinger später verschiedentlich, sein Urteil zu erklären: Er habe hier den „Kampf zwischen Glauben und Unglauben“99 auf den Punkt bringen wollen, habe für eine „nüchterne[…], illusionslose[…] Analyse unserer Situation aus der Kraft des Heiligen Geistes“100 plädiert, um auf ihrer Basis „theologisch und geistlich weiterzuschreiten“101, „statt unsere Kräfte

96 „Ecclesia semper reformanda“? Zum 31. Oktober 1968 (Autorenkürzel: P-h), in: Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis. Informationsblatt 1 (1968), Nr. 2 vom 20. 10. 1968, 17–19, hier: 19. 97 Ebd. 98 Kirchenkanzlei der EKD, Berlin 1971, 33 f. 99 Dietzfelbinger, Erinnerungen, 303. Ausführlich rechtfertigte Dietzfelbinger auch vor der bayerischen Landessynode auf der Frühjahrstagung 1971 in Schweinfurt seine Einschätzung der kirchlichen Situation (VLS 1971 / I, vor allem 15–17). 100 Dietzfelbinger, Erinnerungen, 304. 101 Ebd.

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für eine Kirchenreform mit ihrem naturgemäß juristischen Schwergewicht zu verwenden“102. Ganz sicher jedoch, so Dietzfelbinger in seinen Lebenserinnerungen, habe er mit dem „Wort vom ‚Kirchenkampf‘ kein politisches Urteil über die Situation in Deutschland […] abgeben wollen“103. Auch im Rückblick stehe er zu seiner damaligen Diagnose: „Daß mit ihr ein Wahrheitsmoment in unserer inneren Situation getroffen war, davon bin ich bis heute überzeugt. Eine schwärende Wunde war offengelegt.“104 Die Meinungen darüber, ob Dietzfelbinger mit seiner Situationsanalyse Recht hatte, gingen bei seinen Zeitgenossen weit auseinander. AEE-Sprecher Hermann von Loewenich warnte dezidiert davor, die These Dietzfelbingers vom Glaubenskampf auf innerkirchliche Auseinandersetzungen zu übertragen und „vorhandene Fronten“ dadurch zu zementieren: „Es ist bedauerlich, daß das Wort des Ratsvorsitzenden als Wasser auf die Mühlen der konservativen Gruppen verstanden werden konnte. Ein innerkirchlicher Glaubenskampf, wie ihn auch in unserer Landeskirche manche Kreise zu entfachen versuchen, wäre für unsere Kirche ein Unglück.“105 Tatsächlich bezogen einige der von Loewenich genannten „konservativen“ Gruppen106 das Zitat vom „Glaubenskampf“ und „zweitem Kirchenkampf“ auf ihre Situation: Auffallend häufig wird der Ausspruch Dietzfelbingers bis heute in Schriften sogenannter bekennender Gemeinschaften zitiert107; er schien und scheint noch immer vielen als Ritterschlag für die eigenen Bemühungen zu gelten. Die so empfundene „Politisierung“ der Kirche durch Gruppen wie den AEE wurde parallel zu den Bestrebungen der „Deutschen Christen“ gesetzt; sich selbst sah man in Kontinuität zu der Bekennenden Kirche des „Dritten Reiches“. Inwieweit es tatsächlich einen „Glaubens- und Kirchenkampf“ in diesen Jahren gegeben hat, liegt im Auge des Betrachters; für die bayerische Landeskirche scheint den Dokumenten zufolge diese Diagnose wenig zutreffend zu sein. Während wesentliche Stationen der Mitte der 1960er Jahre erwachenden „Bekenntnisbewegung“ im westdeutschen Protestantismus 102 Ebd. Dieser Satz war vor allem mit Blick auf den von Dietzfelbinger kritisierten Entwurf zur neuen Grundordnung der EKD gesprochen (vgl. unten). 103 Ebd. 104 Ebd. 105 Hermann von Loewenich: Überlegungen zur kirchlichen Situation (B+K, Nr. 10 / 21. 6. 1971, 2–8, hier: 3). 106 Hier sei auf das Habilitationssprojekt von Dr. Gisa Bauer (Assistentin am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Kirchengeschichte; Universität Leipzig) zum Thema ‚konservative protestantische Gegenbewegungen‘ in den 1960er und 70er Jahren verwiesen. 107 So als Widmung in Bäumer / Beyerhaus / Grünzweig, Weg; auch die KSBB i. B. stellt das Zitat in der Darstellung ihrer Geschichte heraus. Vgl. http://www.ksbb-bayern.de [Stand: 7. 7. 2007].

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im kirchengeschichtlichen Überblick genannt werden, soll an dieser Stelle speziell auf die bayerischen Vertreter der überregionalen „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ eingegangen werden. In Bayern war der Vorbote der „Kirchlichen Sammlung“ die sogenannte „Rummelsberger Erklärung“108 vom 23. Januar 1967, die nach Einschätzung ihrer Vertreter die Grundlage der kurz darauf entstandenen „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern“ darstellt (KSBB i. B.)109. Die Erklärung war aus einem Kreis bayerischer Pfarrer hervorgegangen, der sich seit den Sommermonaten 1966 in der Diakonenanstalt Rummelsberg getroffen hatte, um sich gegen das „Eindringen modernistischer Theologie auch in Bayern“110, speziell der Ansätze Rudolf Bultmanns und seiner Schüler, zu wehren. 23 Pfarrer unterzeichneten die „Rummelsberger Erklärung“, in deren erstem Teil die eigene Bekenntnistreue dargelegt und in deren zweitem Teil die nach Ansicht der Verfasser bekenntniswidrigen theologischen Konzepte („Leugnung des Sühnopfers Christi“, „Verkennung der konkreten Forderungen Gottes“, „Verkennung der Heiligkeit Gottes“, „falsche Weltlichkeit“111 der Kirche) als Irrlehren verurteilt wurden. Die „Rummelsberger Erklärung“ wurde an alle bayerischen Pfarrer verschickt; rund 400 Pfarrer und Gemeindemitglieder bekundeten daraufhin ihre Zustimmung zu dem Papier. Am 13. November 1967 wurde die bis heute bestehende KSBB i. B. als eingetragener Verein gegründet112. Dabei handelte es sich um die regionale Gruppierung einer in mehreren westdeutschen Landeskirchen vertretenen Vereinigung113, die „ihren Ursprung in den bewußt lutherischen Gruppen in den verschiedenen Landeskirchen, besonders in den lutherischen Konventen und Bruderkreisen sowie unter den volksmissionarisch gesonnenen lutherischen Pietisten“114 hatte. Anders als die „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes

108 Die „Rummelsberger Erklärung“ ist abgedruckt in: Bäumer / Beyerhaus / Grünzweig, Weg, 156–158. 109 Ebd., 156. 110 Höfer, Sammlung, 73. 111 Alle Zitate aus: Die Rummelsberger Erklärung (Bäumer / Beyerhaus / Grünzweig, Weg, 158). 112 Im September 1968 zählten rund 300 Gemeindepfarrer und 500 Gemeindeglieder zu ihren Mitgliedern. 113 Am 25. 4. 1966 wurde in Braunschweig die „Kirchliche Sammlung. Aktionsgemeinschaft für Bibel und Bekenntnis“ ins Leben gerufen; weitere Kirchliche Sammlungen entstanden in der Folgezeit in Hannover, Bayern und Nordelbien. „Evangelische Sammlungen“ wurden in Württemberg, Berlin und im Rheinland gegründet. Vgl. Hermle, Evangelikalen, 336. 114 So in dem Artikel „Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ und „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘ (Gal. 1,6)“, in: Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis. Mitteilungsblatt 1 (1968), Nr. 1 (September), 9–11, hier: 10.

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Evangelium‘“, in der bis heute Unierte, Reformierte und Lutheraner zusammentreffen, sind in den Kirchlichen Sammlungen die „bewußt lutherischen Christen“115 vereint. „Bekenntnisbewegung“ und Sammlung eint „die gemeinsame Abwehr der Irrtümer in Theologie und Kirche, die die Fundamente der christlichen Kirche betreffen“116; einige Mitglieder sind in beiden Bewegungen engagiert. Erster Vorsitzender der KSBB i. B. war von 1967 bis 1979 der Kronacher Dekan Friedrich Höfer. Er beschrieb das Ziel der KSBB i. B. im Jahr 1980 mit folgenden Worten: „Die KSBB i. B. steht bewußt in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Sie will nichts anderes, als daß wieder ernst genommen wird, wie es im Grundartikel der Ev.-Luth. Kirche in Bayern heißt, daß ‚die Kirche in der Welt ihren Glauben an den dreieinigen Gott in den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen bekennt und sich in Lehre und Leben an das evangelisch-lutherische Bekenntnis hält, wie es insbesondere in der Augsburgischen Konfession von 1530 und im Kleinen Katechismus D. Martin Luthers ausgesprochen ist‘.“117

In einer Vorstellung der Gruppe im Bayerischen Sonntagsblatt im Jahr 1970 wurde dieses umfassende Ziel konkretisiert118: Die KSBB i. B. wird als eine Art „Grenzpolizei“ beschrieben, die sich einsetzt gegen eine „übertriebene Demokratisierung der Kirche“, gegen „eine falsche Politisierung“, „gegen eine Zeitgeist-Theologie, die den Menschen mehr und mehr in den Mittelpunkt ihrer Denkweise und Spekulationen rückt, also mehr Anthropologie und Soziologie ist als wirklich noch Lehre von Gott“119. Im Untersuchungszeitraum engagierte sich die KSBB i. B. besonders gegen die Einführung der Frauenordination und gegen eine Annahme der neuen Grundordnung der EKD; sie warnte außerdem vor der Unterzeichnung der Leuenberger Konkordie. Seit 1974 kritisierte die KSBB i. B das ihrer Ansicht nach bibel- und bekenntniswidrige Programm und die Praxis des ÖRK; außerdem wandte sie sich gegen die Liberalisierung des § 218 und gegen die Einführung des Sexualkundeunterrichts an den Schulen120. Damit vertrat die KSBB i. B. in allen genannten Punkten eine Gegenposition zu den Anliegen von AEE, VBV 115

Ebd. Ebd., 11. 117 Höfer, Sammlung, 75. 118 Klaus Martin Wiese: So eine Art „Grenzpolizei“. „Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ (Kirchliche Gruppen in Bayern I), in: Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 25 (1970), Nr. 7 vom 15. Februar, o. S. 119 Alle Zitate aus: ebd. 120 Vgl. dazu Höfer, Sammlung, 74. 116

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und LabeT121. Publikationsorgan der KSBB i. B. war offensichtlich bis 1969 das Blatt „Offen gesagt. Informationen und Kritiken“122, ab 1969 bis 1973 waren es die „Mitteilungen der KSBB i. B.“. Nach 1973 wurden die „InformationenHinweise-Kommentare“ der KSBB i. B. im Mitteilungsblatt „Concordia“ der Gesellschaft für Innere und Äußere Mission abgedruckt. Die Mitglieder der KSBB i. B. wirkten wiederholt an gemeinsamen Verlautbarungen und Aktionen anderer bekennender Gemeinschaften mit. Außerdem engagiert sich die KSBB i. B. bis heute in der 1977 in Nürnberg gegründeten „Arbeitsgemeinschaft Lebendige Gemeinde“. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde die KSBB i. B. im Untersuchungszeitraum nicht in dem Sinn öffentlich als Gruppe greifbar, wie es AEE, VBV und LabeT waren. Dies lag zum einen an dem Verständnis ihrer Mitglieder, eine „Erweckungsbewegung von innen her“123 fördern zu wollen; man wolle sich, so die Verlautbarung der KSBB i. B. auf ihrer ersten Pressekonferenz im September 1968, keinesfalls als Alternative zum AEE verstehen, „da man diesem Kreis in manchen Punkten sogar zustimme und er Theologen aller Schattierungen umfasse“124. Von den dezidiert kirchenpolitischen Zielen des AEE und ähnlich gearteter Gruppen distanzierten sich Vertreter der KSBB i. B. allerdings. So charakterisierte Friedrich Höfer die Sammlung in deutlicher Abgrenzung zu den kirchlichen Reformgruppen: „Sie [die KSBB i. B.] treibt keine Kirchenpolitik wie andere mehr progressive Gruppen, die den ‚Marsch durch die Institutionen‘ angetreten haben und sich rühmen, daß es ‚ihnen gelungen ist, die wesentlichen Schlüsselstellungen in der Kirche zu besetzen‘.“125 Obwohl von Seiten der KSBB i. B. wiederholt betont wurde, keine Kirchenspaltung zu bezwecken, wurden doch immer wieder Töne laut, die als Drohung mit der Spaltung ausgelegt werden konnten und mussten: So urteilten Vertreter der KSBB i. B. bei der ersten Pressekonferenz der Sammlung im Herbst 1968, es gebe schon längst „zwei evangelische Kirchen“: Eine, die an Bibel und Lehre festhalte, die andere modernistische, die von der Existentialphilosophie beeinflusst sei126. Eine Gruppe von zwölf Nürnberger Pfarrern, darunter AEE-Mit-

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Vgl. dazu Kapitel 3, 111–270. Vgl. dazu auch Kapitel 2.2.1, 72 f. 123 „‚Fälschung‘ sagen die einen. Kirchl. Sammlung um Bibel und Bekenntnis hielt Pressekonferenz“, in: Nürnberger Evangelisches Gemeindeblatt. Sonntagsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern 76 (1968), Nr. 39 vom 22. 9., 10. 124 Ebd. 125 Höfer, Sammlung, 76. 126 „‚Fälschung‘ sagen die einen. Kirchl. Sammlung um Bibel und Bekenntnis hielt Pressekonferenz“, in: Nürnberger Evangelisches Gemeindeblatt. Sonntagsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern 76 (1968), Nr. 39 vom 22. 9., 10. 122

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glieder, schrieb daraufhin eine Gegenerklärung, in der sie anfragte, mit welchem Recht die Mitglieder der Sammlung sich anmaßten, „Rechtgläubigkeit und Lehre anderer Pfarrer zu be- oder gar verurteilen“127, und darauf hinwies, dass Urteile über die gegenwärtige Kirchenlandschaft, so, wie sie die KSBB i. B. fällte, durchaus eine Kirchenspaltung verschulden könnten. In den darauffolgenden Jahren kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen Protagonisten der KSBB i. B. und anderen bayerischen Vertretern bekennender Gemeinschaften auf der einen Seite, sowie Vertretern von AEE, VBV und LabeT auf der anderen Seite. Anders als bei den drei Reformgruppen kam bei den Vertretern bekennender Gemeinschaften ihre Mitgliedschaft in der jeweiligen Vereinigung bei ihren Verlautbarungen jedoch häufig nicht zur Sprache, abgesehen von gemeinsamen Stellungnahmen zu grundsätzlichen Fragen wie der Frauenordination und der Leuenberger Konkordie. Aus der Reihe der bayerischen Persönlichkeiten bekennender Gemeinschaften, die in dieser Arbeit eine Rolle spielen, seien erwähnt: Dekan Friedrich Höfer (Vorsitzender der KSBB i. B. von 1967 bis 1979), Professor Dr. Walter Künneth (Ehrenpräsident des Theologischen Konvents128), Wolfram Kopfermann (Herausgeber von „Offen gesagt“), Dekan Dr. Walter Reissinger (Schriftführer des Theologischen Konvents), Dekan Dr. Günter Schlichting (Mitbegründer der KSBB i. B.) und Dr. Wolfhart Schlichting (Studieninspektor am Werner-Elert-Heim in Erlangen; Mitherausgeber von „Offen gesagt“). Ebenso wie die Mitglieder der Reformgruppen bildeten auch die Mitglieder der konservativen Gruppen Netzwerke. Im Untersuchungszeitraum konnte dies anhand der Akten an zwei Stellen namhaft gemacht werden: Zum einen weisen Briefe darauf hin, dass sich viele von ihnen im „Arbeitskreis Synode“ sammelten129. Ein weiteres Bündnis ist 1970 / 71 zu beobachten: Als auf der Herbsttagung der Synode 1970 in Bayreuth das Theologinnengesetz verab127 „‚Blinder Alarm‘ die anderen. Zwölf Pfarrer schrieben eine Gegenerklärung“, in: Nürnberger Evangelisches Gemeindeblatt. Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 76 (1968), Nr. 39 vom 22. 9., 10 (Dieser Artikel war direkt neben dem oben genannten Artikel „‚Fälschung‘ sagen die einen“ abgedruckt.). 128 Der „Theologische Konvent Bekennender Gemeinschaften“ wurde erstmals am 31. 3. 1969 nach Frankfurt einberufen. In seiner Einladung zu der Zusammenkunft umriss Rudolf Bäumer am 19. 12. 1968 Sinn und Zusammensetzung dieses Konvents mit folgenden Worten: „Die Bekenntnisbewegung, als Gemeindebewegung entstanden, bedarf der theologischen Unterstützung aller derer, denen es – sei es als Fachtheologen, sei es als theologisch interessierten und theologisch arbeitenden Pfarrern oder Religionslehrern – mit der Verkündigung einer nicht existential umgedeuteten biblisch-reformatorischen Botschaft ernst ist.“ Zit. nach Reissinger, Konvent, 30. 129 Vgl. dazu Kapitel 3.2.1, 131; der „Arbeitskreis Synode“ bildete wiederholt den Gegenpol zur „Offenen Kirche“.

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schiedet und das Beauftragungsgesetz in erster Lesung beschlossen wurde130, konstituierte sich in Reaktion darauf am 3. November 1970 in Nürnberg der „Vorläufige Leitungskreis der Kirchlichen Gruppen“, maßgeblich getragen von Dekan Dr. Walter Reissinger131. Zu den hier versammelten, von Reissinger als „kirchliche (bekenntnistreue) Gruppen“132 bezeichneten Vereinigungen zählten die KSBB i. B., die Arbeitsgemeinschaft Kirchliche Erneuerung, die PaulGerhard-Bruderschaft, der Konvent der Evang.-Luth. Gebetsbruderschaft, die Pfarrergebetsbruderschaft, die Communität Casteller Ring und die „Gesellschaft für Innere und Äußere Mission im Sinne der Lutherischen Kirche“. Die Gruppen einte ihr Engagement gegen die von ihnen so genannten „Bayreuther Gesetze“133, gegen die sie schließlich auch Rechtsverwahrung einlegten; im Gegensatz zu Gruppen wie dem AEE empfanden sich alle diese Vereinigungen als Bewahrer des lutherischen Bekenntnisses, das es zu verteidigen galt. Eine dieser Gruppen sei im Folgenden noch näher beschrieben, gehörte sie doch ebenfalls zu den Neugründungen in der bayerischen Landeskirche Ende der 1960er Jahre: die Arbeitsgemeinschaft Kirchliche Erneuerung, kurz: AKE. Sie wurde im November 1966 nach schwedischem Vorbild ins Leben gerufen; etwa 20 Pfarrer und Vikare, darunter Vertreter der Evang.-Luth. Gebetsbruderschaft, des Ergersheimer Kreises und der Paul-Gerhard-Bruderschaft, hatten die Gründung seit Sommer desselben Jahres vorbereitet134. Als Ziel der AKE wurde im Aufruf zur Gründung angegeben: „Die theologische Diskussion der Gegenwart, die neue kontroverstheologische Situation und der Umbruch im ethischen Denken unserer Zeit erwarten, daß sich innerhalb unserer Landeskirche eine Schar von Theologen zusammentut, die über ihre tägliche Gemeindearbeit hinaus der Erneuerung der Kirche durch ernste theologische Arbeit, durch Gebet und gemeinsame Zusammenkünfte dienen wollen.“135

130 Vgl. dazu ausführlich das Beispiel „Das Engagement des AEE für die Frauenordination“, 192–207. 131 Vgl. dazu die Unterlagen in LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 22 (AKE), Nr. 1; hier vor allem das Schreiben Walter Reissingers vom 11. 11. 1970 an Landesbischof, Kreisdekane und Landessynodalausschuss. 132 Ebd. 133 Bedenkt man, wie oft die bekennenden Gemeinschaften ihr eigenes Engagement in Parallele zu dem Einsatz der Bekennenden Kirche in der NS-Zeit setzen, liegt die Vermutung nahe, dass der Terminus „Bayreuther Gesetze“ bewusst Erinnerungen an die 1935 beschlossenen „Nürnberger Gesetze“ der Nationalsozialisten wecken sollte. Mit den „Bayreuther Gesetzen“ sind die Entscheidungen der Bayreuther Synode 1970 (Theologinnengesetz und Beauftragungsgesetz) gemeint (vgl. oben). 134 Vgl. zur Gründung der AKE die Unterlagen in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 22 (AKE), Nr. 1. 135 Aufruf zur Gründung einer „Arbeitsgemeinschaft Kirchl. Erneuerung“ (ebd.).

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In keinem Fall, so ist in dem Gründungsaufruf zu lesen, gehe es um eine Partei- oder Fraktionsbildung innerhalb der Kirche, um „vorläufige Antiresolutionen und Stimmungsmache“136. Man strebe vielmehr an, in einem lockeren Zusammenschluss von Theologen der bayerischen Landeskirche „anstehende Probleme des Amtes (Frauenordination), der Sakramentsverwaltung, der volkskirchlichen Praxis, der Kontroverstheologie, der historisch-kritischen Exegese und existentialen Interpretation“137 zu besprechen und daraus möglicherweise auch gewisse Rückschlüsse für die praktische Arbeit ziehen. Als Credo der Gemeinschaft wird angegeben: „Erneuerung der Kirche kann es nur durch das Wort Gottes und die hl. Sakramente geben; darum ist der Gottesdienst die Mitte des kirchlichen Lebens. Aus diesem Grunde werden die Bemühungen der AKE nicht zuletzt der Wiedergewinnung der angemessenen Gestalt des Gottesdienstes gelten.“138 Die Zielgruppe der bis heute bestehenden AKE weitete sich: Ordinierte wie Nichtordinierte gehörten schließlich zu ihr. Gemeinsam mit Gästen aus anderen Ländern trafen sie sich zu „Tagen kirchlicher Begegnung“, um „in gemeinsamer Feier und Betrachtung, in Gebet, Vortrag und Gespräch das Vermächtnis des Neuen Bundes in seiner Wirklichkeit für unser modernes Leben [zu] bezeugen und danksagend [zu] begehen“139. Trotz ihres dezidierten Selbstverständnisses als „Christen Augsburgischen Bekenntnisses“140 engagierte sich die AKE stark in der Ökumene und stand außer mit lutherischen Kirchen in Schweden, Ungarn und den USA auch in enger Verbindung zu anglikanischen, orthodoxen und katholischen Christen. Auch wenn die AKE in manchen Punkten mit der KSBB i. B. übereinstimmte – etwa in der Ablehnung der Frauenordination, in der Betonung des lutherischen Bekenntnisses und in dem formalen Vorsatz, keine kirchenpolitische Gruppierung sein zu wollen –, stand sie in ihren Anfangsjahren in anderen Fragen (etwa in der Kritik am Parochialsystem und in ihrem ökumenischen Engagement) dem AEE nahe. Da sich Vertreter der AKE ihrem Selbstverständnis entsprechend nur selten in kirchenpolitischen Auseinandersetzungen dieser Jahre öffentlich äußerten, kommen sie in dieser Arbeit nur am Rande vor. Hier gilt jedoch ebenso wie bezüglich der KSBB i. B., dass auch die ausführliche Aufarbeitung der Geschichte dieser Gruppe ein äußerst lohnendes Thema wäre. 136

Ebd. Ebd. 138 Ebd. 139 So im Einladungsprospekt: Eucharistie und Leben. Tage kirchlicher Begegnung (Neuendettelsau; 14.–18. 9. 1969). Veranstaltet von: AKE Bayern, AKE Schweden, Fellowship of St. Augustine, USA (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 22 (AKE), Nr. 1). 140 Ebd. 137

2. Die Reformgruppen AEE, VBV und LabeT

2.1 Der Arbeitskreis Evangelische Erneuerung (AEE) Der bis heute bestehende AEE war Ende der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre die aufsehenerregendste Gruppe in der bayerischen Landeskirche. Mit seinen Aktionen und Verlautbarungen stieß er über die (landes-)kirchlichen Grenzen hinaus auf Interesse und galt, was seine Mitgliederzahl betraf, 1969 als stärkste regionale Großgruppe innerhalb der kirchlichen Reformbewegung der Bundesrepublik Deutschland1. Der AEE hat die bayerische Landeskirche im Untersuchungszeitraum maßgeblich geprägt; zahlreiche Vertreter der Kirchenleitung kamen und kommen bis heute aus seinen Reihen. Die wesentlichen strukturellen Veränderungen, die in der bayerischen Landeskirche seit 1968 bis Mitte der 1970er Jahre durchgesetzt wurden – sei es die Einführung der Frauenordination oder die offene Fraktionsbildung in der Synode – sind eng mit dem Engagement von AEEMitgliedern verbunden. Der archivalische Nachlass des AEE aus den ersten Jahren seines Bestehens liest sich wie ein Kompendium aller wesentlichen theologischen und kirchenpolitischen Diskussionen dieser Jahre in Bayern.

2.1.1 Die Bayerische Pfarrerbruderschaft als Wiege des AEE Der Großteil der später führenden und prägenden Mitglieder des AEE war ursprünglich in der Bayerischen Pfarrerbruderschaft beheimatet und blieb es auch während seiner AEE-Zeit. Wie innerhalb der Bruderschaft die Idee, eine Aktionsgruppe in Sachen Kirchenreform ins Leben zu rufen, gewachsen war, wird im Folgenden skizziert. „Seien Sie bitte nicht gleich enttäuscht, wenn auf Tagungen und Zusammenkünften oft sehr verhärtete Fronten sichtbar werden. Es ist uns nicht erlassen, auch große Gegensätze im gemeinsamen Hören zu überwinden.“2 1

Vgl. Leudesdorff, Reformgruppen, 14. LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 4 (Bayerische Pfarrerbruderschaft), Nr. 28. 2

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Die Reformgruppen AEE, VBV und LabeT

Mit diesen Worten begrüßte der damalige Senior der Pfarrerbruderschaft Wilhelm Nicol im November 1961 einen 33jährigen Pfarrer als neues Mitglied. Der Mann hatte mit seinem Beitritt auf ein Einladungsschreiben reagiert, das die beiden Pfarrer Hermann von Loewenich und Peter Smolka im Oktober 1961 eigens für junge Geistliche entworfen hatten. Ziel der offensiven Mitgliederwerbung der Bruderschaft war es, mit den Neuzugängen die von Nicol beschriebene angespannte Lage aufzulockern und damit „ein Erstarren der Fronten“3 zu verhindern. Diese Fronten zeigten sich in verschiedenen Bereichen: Seit Ende der 1950er Jahre führten unterschiedliche Positionen bezüglich der Rezeption Rudolf Bultmanns zu zahlreichen Kontroversen in der Bayerischen Pfarrerbruderschaft4. Hinzu kamen in zum Teil scharfem Ton geführte Diskussionen über neue theologische Ansätze, subsumiert unter dem Topos der „modernen Theologie“. Die theologischen Auseinandersetzungen gingen oft Hand in Hand mit den Schwierigkeiten, die der Generationenwechsel innerhalb der Bruderschaft barg: Für manche ihrer Mitglieder tat sich ein unüberbrückbarer Graben zwischen denjenigen, die den Kirchenkampf miterlebt hatten5, und den „Nachgeborenen“ auf; außerdem gab es auch Konflikte innerhalb der „Vätergeneration“, deren Vertreter ihre Erfahrungen aus der NS-Zeit auf unterschiedlichste Weise verarbeitet hatten. Als der Michelauer Dekan und einflussreiche bayerische Kirchenpolitiker Wilhelm Mädl am 17. Februar 1968 seinen innerlich anscheinend schon seit Jahren vollzogenen Austritt mit dem Satz „Ich kann keinesfalls anerkennen, daß die gegenwärtige Pfarrerbruderschaft eine Fortsetzung der Bruderschaft aus der Zeit des Kirchenkampfes ist“6 begründete, sprach er damit offensichtlich mehreren älteren Pfarrern aus dem Herzen7. 3

Nicol in einem Brief an Kurt Hoffmann vom 7. 1. 1964 (ebd.). Vgl. dazu ausführlich Blendinger, Aufbruch, 191–196. 5 Die Bayerische Pfarrerbruderschaft war im Mai 1934 gegründet worden. Ihre Gründerväter verstanden die Bruderschaft als Sammlung bekenntnistreuer evangelisch-lutherischer Pfarrer, nicht als kirchenpolitische Gruppe. Die Position der Pfarrerbruderschaft während der NS-Zeit charakterisiert der Kirchenhistoriker Björn Mensing folgendermaßen: „Die Bruderschaft lag trotz enger Verbindungen zum bruderrätlichen Flügel der Bekennenden Kirche im allgemeinen auf der Linie von Landesbischof Meiser, auch wenn einige der führenden Persönlichkeiten manche taktischen Zugeständnisse Meisers an den NS-Staat kritisierten“ (Mensing, Pfarrer, 205). 6 Aus einem Brief Mädls an die Pfarrerbruderschaft vom 17. 2. 1968, in dem Mädl außerdem erklärte: „Da die Pfarrbruderschaft trotz meiner seit Jahren deutlich gezeigten Abneigung mich anscheinend immer noch als Mitglied führt, möchte ich nun in aller Form erklären, dass ich mich nicht nur seit langem nicht mehr als zu ihr zugehörig fühle, sondern auch nicht mehr als Mitglied betrachtet werden kann“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 4 (Bayerische Pfarrerbruderschaft), Nr. 28). 7 Vgl. ähnlich lautende Schreiben, enthalten in ebd. Zu einer Austrittswelle älterer Pfarrer aus der Bruderschaft kam es nach der Verabschiedung der neuen Leitsätze der Pfarrerbruderschaft 4

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Wilhelm Nicol versuchte immer wieder, dieser Stimmung entgegenzuwirken und betonte die wechselseitige Bereicherung, die der Austausch von Jung und Alt bringen könne. So schrieb er 1960 an einen Pfarrer im Ruhestand, der ebenfalls seinen Austritt erwog: „Ich wäre […] traurig, wenn die Alten sich zurückzögen. Wenn ich den Weg der Bruderschaft seit 1948 […] überblicke, dann sehe ich eine besondere Not, aber auch eine besondere Verheißung in dem Umstand, daß sich in der Bruderschaft die verschiedensten Gegensätze immer wieder auseinandersetzen müssen und doch beisammenbleiben dürfen. Da sind die Lutheraner Künneth’scher Prägung und da sind die Leute, die von Barth herkommen, da sind Pietisten und solche, die eine andere Herkunft aufweisen, da sind mehr politisch Interessierte und mehr meditativ Gerichtete, und da sind die Jungen […] und die Älteren und Emeriti. Wenn eine Bruderschaft diese Gegensätze nicht verkraften kann, […] verdient sie m. E. nicht diesen Namen.“8

Was ihr Selbstverständnis, was ihre theologische und kirchenpolitische Positionierung anging, wurde die Pfarrerbruderschaft den Forschungen Blendingers zufolge ab Mitte der sechziger Jahre „eindeutiger“9. Ein Grund dafür die Gründung der „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“ im Jahr 1966, die von der Bruderschaft als „Frontbildung“ gewertet und von deren Beitritt dezidiert abgeraten wurde10. Zunehmend kristallisierte sich in diesen Jahren heraus, dass die Pfarrerbruderschaft trotz der von ihr betonten Gesprächsbereitschaft mit Vertretern aller Positionen den Aufbrüchen in Theologie und Volkskirche mit besonderer Sympathie gegenüber stand. Allein diese Sympathiebekundungen für Reformen genügten jedoch einigen Mitgliedern der Bruderschaft bald nicht mehr: Sie wollten mehr als eine nur Pfingsten 1968, in denen die historisch-kritische Forschung als unentbehrlich festgehalten wurde und die Betonung des lutherischen Bekenntnisses wegfiel (vgl. Blendinger, Aufbruch, 217). 8 Nicol an einen Ruhestandspfarrer am 26. 7. 1960 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 4 (Bayerische Pfarrerbruderschaft), Nr. 28). 9 Vgl. dazu auch den Kommentar Blendingers zu dem Umstand, dass der Neutestamentler Eduard Schweizer, ein Schüler Rudolf Bultmanns, als Referent zum Thema „Moderne Theologie – eine Gefahr für die Kirche?“ für die Pfingsttagung der Pfarrerbruderschaft 1965 eingeladen wurde: „Daß die Bruderschaft sich solch eindeutige Parteinahme leisten konnte, hängt vielleicht auch damit zusammen, daß die früheren Kontrahenten alt geworden und aus dem Bruderrat ausgeschieden oder abgewählt worden waren. Sie war eindeutiger geworden“ (Blendinger, Aufbruch, 200). 10 Vgl. dazu den Brief des Bruderrats an die Mitglieder vom 22. 4. 1966: „Bei allem Verständnis für die Sorge um die Substanz der Verkündigung können wir jedoch nur abraten, sich dieser neuen Bekenntnisbewegung anzuschließen. Es wird hier, so meinen wir, nicht beachtet, daß die extremen Äußerungen theologischer Lehrer aufgewogen werden durch eine sehr fruchtbare exegetische Arbeit an der ganzen Heiligen Schrift, die uns für Predigt, Unterricht und Seelsorge zustatten kommt. Es erscheint uns darum nicht geboten, das Bekenntnis jetzt durch Frontbildung zu wahren“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 4 (Bayerische Pfarrerbruderschaft), Nr. 28).

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rein theoretische Standortbestimmung. Am 17. März 1965 schrieb Hermann von Loewenich, zu diesem Zeitpunkt Nürnberger Studentenpfarrer und Schriftleiter des Korrespondenzblattes, dem Coburger Dekan Peter Krusche, damals Senior der Pfarrerbruderschaft, einen Brief, in dem er anregte, die Pfarrerbruderschaft solle eine Zeit lang gemeinsam an einer kirchenpolitischen Aufgabe arbeiten: „Sicherlich wird sich die Bruderschaft hüten müssen, zu einer kirchenpolitischen Kampftruppe zu werden, in der eben nicht mehr die theologischen, sondern die kirchenpolitischen Argumente vorherrschen. Aber sie sollte auch nicht aus lauter Ängstlichkeit vor solchen Mißverständnissen den Weg zu einer gemeinsamen Willensbildung und von daher die Mitarbeit in der praktischen kirchlichen Gestaltung scheuen. Ich habe den Eindruck, daß andernorts diese Ängstlichkeit nicht besteht.“11

Das Antwortschreiben Krusches zeigte deutlich dessen Interesse an diesen Äußerungen von Loewenichs12. Nach Aussagen von Zeitzeugen wurde nun einige Zeit lang mit großem Engagement nach Wegen gesucht, die Pläne für eine Kirchenreform, die in dem Schreiben von Loewenichs anklangen, innerhalb der Pfarrerbruderschaft zu verwirklichen13. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch hauptsächlich daran, dass die Pfarrerbruderschaft offen für Pfarrer aller theologischen und politischen Richtungen bleiben wollte und außerdem aufgrund ihres Selbstverständnisses keine Laien aufnehmen konnte. Dass der Bruderrat in kirchenpolitischen Fragen jedoch häufig ähnlich dachte wie der AEE, sollte sich in den folgenden Jahren immer wieder in gemeinsamen Aktionen oder Vorstößen mit gleicher Zielrichtung zeigen14. Am 3. Januar 1967 schrieb von Loewenich erneut einen Brief an Krusche, in dem er zwei konkrete Forderungen an die Bruderschaft stellte15: Zum einen sollte diese an den theologischen Diskussionen innerhalb und außerhalb der Landeskirche „öffentlich mutiger und entschlossener teilnehmen“ und damit 11 LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 4 (Bayerische Pfarrerbruderschaft), Nr. 10. 12 Vgl. das Schreiben von Krusche an Hermann von Loewenich vom 22. 3. 1965 (ebd.). 13 Vgl. Interview Schanz, 9: „Wir haben ein Jahr lang intensive Gespräche gehabt mit dem Bruderrat der Pfarrbruderschaft […], ob nicht der Bruderrat und die Pfarrbruderschaft [sic.] sich öffnen könnte aus dem engen Kirchenraum hinaus und Laien aufnehmen [könnte].“ 14 So beispielsweise in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen um die Frauenordination, bei denen die Pfarrerbruderschaft mit dem von Pfarrvikarin Liesel Bruckner geleiteten Abendmahl auf der Pfingsttagung 1973 ein entschiedenes Zeichen für die Sakramentsverwaltung durch Frauen setzte; vgl. unten. Vgl. auch die von Leitendem Team des AEE und dem Bruderrat gemeinsam erstellten „Kriterien für die Wahl eines Landesbischofs“ (B+K, Nr. 21 / November 1974, 6–9). 15 Vgl. dazu im Folgenden den Brief von Loewenichs an Krusche vom 3. 1. 1967 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 4 (Bayerische Pfarrerbruderschaft), Nr. 10).

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der Tendenz entgegensteuern, dass „immer nur eine theologische Richtung in unserer Landeskirche publizistisch aktiv wird.“ Zum anderen wünschte sich von Loewenich, die Pfarrerbruderschaft möge endlich in Sachen Kirchenreform aktiv werden: „Wenn wir nämlich nicht dazu kommen, endlich konkrete Schritte zu tun, müsste auch für unser theologisches Engagement die Marx’sche Kritik gelten, dass wir die Welt zwar ständig interpretieren, aber nicht ändern. Und dabei geht es nicht einmal um die Welt, sondern um die Kirche.“

Damit die Kirche glaubwürdig den Ruf nach Umkehr vertreten könne, so von Loewenich, müsste sie sich selbst wandlungsfähig und umkehrwillig zeigen. Von Loewenich plädierte konkret für eine Mitarbeit an der anstehenden Verfassungsreform und an Fragen der kirchlichen Lebensordnung sowie für ein verstärktes Engagement dafür, theoretische Erkenntnisse für die Praxis kirchlichen Lebens fruchtbar zu machen. Der Studentenpfarrer schlug vor, sich wegen dieser Anliegen mit Reformgruppen anderer Landeskirchen auszutauschen, und resümierte: „Soviel ich sehe, gibt es jedenfalls in Bayern noch keine Gruppe, die sich dieser so dringenden Anliegen annimmt. Aber wenn überhaupt etwas geschehen kann, dann muß das im Team angegangen werden; der kirchliche Einzelkämpfer ist völlig überfordert. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß die Bruderschaft ein geeignetes Instrument der Kirchenreform werden könnte. Sonst müßte man sich tatsächlich überlegen, ob man nicht eine neue Gruppe als ‚Evangelische Reform‘ oder so ähnlich in unserer Kirche sammeln müßte.“

Von Loewenich beendete seinen Brief mit den Worten: „Vielleicht finden Sie das alles etwas ungeduldig und hitzköpfig. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man nicht mehr bloß zuschauen kann. Sonst hat man sein Leben verwartet. Und das meint das ‚Warten auf Gott‘ sicherlich nicht.“ Wenige Monate später wurden die Planungen für den späteren „Arbeitskreis Evangelische Erneuerung“ konkret. Aussagen von Zeitzeugen zufolge hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits in verschiedenen kleinen Kreisen bayerische Pfarrer gruppiert, die über Kirchenreformen nachdachten. Exemplarisch sei hier auf den von Georg Kugler, damals Pfarrer in Nürnberg-St. Sebald, initiierten sogenannten „Theologischen Kindergarten“ verwiesen, dessen Teilnehmer später im Kreis der AEE-Mitarbeiter aufgingen16. Die Gründung der KSBB 16 Vgl. Interview Kugler, 5. Zum Kern dieses offenen Kreises gehörten neben Georg Kugler noch Peter Krusche, Christof Bäumler, Adolf Sommerauer, Karl Steinbauer, Georg Lanzenstiel und Johannes Hiller.

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i. B. 1967 verstärkte möglicherweise den Wunsch einiger Pfarrer, ihre den bekennenden Gemeinschaften entgegengesetzten Ziele ebenfalls in einem Zusammenschluss Gleichgesinnter zu vertreten. Der überwältigende Zuspruch auf die Gründung des AEE zeigte, dass Hermann von Loewenichs oben zitierte Bemerkung exemplarisch für die Stimmung vieler bayerischer Geistlicher und Laien stand: Der Zeitpunkt, „an dem man nicht mehr bloß zuschauen kann“, schien gekommen zu sein.

2.1.2 Die Gründung des AEE 1967 / 68 „Liebe Brüder, viele unter uns begleiten den Weg unserer Kirche mit zunehmender Sorge. Immer mehr scheint sich dieser Weg in der Sackgasse der Restauration und Introvertiertheit zu verlieren. Trotz bestem Willen von Seiten der Verantwortlichen, der nicht bestritten werden soll, verstärkt sich der Eindruck, als sei die Kirche vorzugsweise an der Erhaltung überkommener Positionen und Ordnungen interessiert. Immer weniger scheint sie sich den Herausforderungen zu stellen, die sich aus dem Wandel der Gesellschaft in eine von uns allen noch unübersehbare Zukunft – signalisiert durch das Jahr 2000 – ergeben. Ist dieser Eindruck richtig, dann bedeutet dies, daß die Kirche in unserer Zeit ihren Auftrag verfehlt, Kirche für die Welt zu sein.“17

Mit diesen Worten beginnt das Schreiben mit dem Betreff „Konstituierung einer Aktionsgemeinschaft“, das der Nürnberger Bezirksjugendpfarrer Kurt Hoffmann, Hermann von Loewenich und Schülerpfarrer Werner Schanz am 20. November 1967 verfassten und an rund dreißig ausgewählte Personen – Pfarrer und Laien – schickten. Gedanken wie die oben genannten, so die drei Absender, würden schon jahrelang ohne sichtbaren Erfolg diskutiert. Auch sie selbst hätten „kein ausgewogenes Konzept dafür, was in dieser Lage zu tun sei“, sicher aber wäre, „daß mit einer Initiative nicht länger gewartet werden darf.“ Mit der angedachten Konstituierung einer „Aktionsgemeinschaft Evangelische Erneuerung“ verbinde sich die Hoffnung, „daß sich die Kräfte im Rahmen unserer Kirche – Theologen und Nichttheologen – zusammenfinden, die an einer Erneuerung der Kirche mitarbeiten wollen und die sich diese Erneuerung nur in einer Richtung denken können, welche sich mit theologischen Stichworten ‚Exodusgemeinde‘ und ‚Kirche für die Welt‘ andeuten läßt.“

Ausdrücklich wollte man eine Aktionsgemeinschaft bilden, wollte nicht in der theologischen Reflexion stecken bleiben, sondern diese bewusst in Bezug zu 17 LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1. Aus diesem Brief stammen auch die nachfolgenden Zitate.

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kirchlichem Handeln setzen. Konkret sollten dabei angegangen werden „Fragen der Verfassungsreform, das Verhältnis Kirche-Staat / Gesellschaft / Politik, die Pluralität gottesdienstlichen und gemeindlichen Lebens, die ökumenischen Beziehungen unserer Kirche, der Prozeß der Meinungsbildung und der Mitverantwortung in der Kirche“. Für diese Anliegen, so die drei Verfasser, wolle man nicht länger „in der Vereinzelung […] verharren“, sondern trotz theologischer Differenzen auf den „nicht unerheblichen geistlichen Consensus im Blick auf das Wesen und den Auftrag der Kirche“ bauen: Die Kirche „bedarf […] unserer Mitarbeit, die wirklich nur in einer Gruppierung erfolgen kann.“ Die in dem Brief angekündigte konstituierende Sitzung fand am 4. Dezember 1967 im Studentenhaus „Heilig-Geist“ in Nürnberg – der Wirkungsstätte Hermann von Loewenichs – statt. Dort wurden die Weichen für die künftige Arbeit des Kreises gestellt18: Was das theologische Selbstverständnis anging, konnten sich die Teilnehmer mit den im Eingangsreferat Hermann von Loewenichs ausgeführten Konzepten „Exodusgemeinde“ (in Anlehnung an den Systematiker Jürgen Moltmann) und „Kirche für die Welt“ (in Anlehnung an Dietrich Bonhoeffer) identifizieren. Eine enge Verbindung von theologischer Reflexion und kirchlicher Aktion wurde befürwortet, wobei der Schwerpunkt auf letzterer liegen sollte. Der Gefahr einer Zersplitterung der Aktionsgemeinschaft in die angedachten Arbeitsfelder (Gottesdienst, Konfirmation, Kirchenverfassung, Politik, Gemeindestruktur) sollte durch eine institutionalisierte Vernetzung der einzelnen Gruppen und durch die Einrichtung eines Leitungsteams vorgebeugt werden. Eine Mitgliedschaft im Gesamtarbeitskreis AEE sollte auch unabhängig von der Mitarbeit in den einzelnen Gruppen erfolgen können. Konkret setzte sich die Gruppe zum Ziel, die Mehrheitsverhältnisse in den kirchlichen Gremien zu ihren Gunsten zu verändern und sich aktiv, auch mit neuen Modellen kirchlichen Handelns, in die Kirchenpolitik einzumischen. Dies könne die Bereitschaft beinhalten, notfalls auch „etwas außerhalb der Legalität“19 zu tun. Ebenso wurde die Entschlossenheit kundgetan, „auf bestehende häretische Strukturen destruktiv einzuwirken“20. Mit theologischen wie kirchenpolitischen Ansichten und Aktionen wollte man bewusst an die Öffentlichkeit gehen.

18 Vgl. dazu Reinhard von Loewenich: Protokoll über die Diskussion bei der Gründungsversammlung der Arbeitsgruppe „Evangelische Erneuerung“ am 4. 12. 1967 in Nürnberg (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1). Aus diesem Protokoll stammen auch nachfolgende Informationen. 19 Ebd. 20 Ebd.

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Dem Zeitzeugen Pfarrer Karl Foitzik zufolge wurde auf der Sitzung kurz überlegt, die Aktionsgemeinschaft „Dietrich-Bonhoeffer-Kreis“ zu nennen21. Dies wurde schließlich mit der Begründung abgelehnt, dass diese Bezeichnung eine zu starke Fixierung auf die Person Bonhoeffers und seine Theologie darstellen und das generelle Anliegen der Gruppe, nämlich eine breite „evangelische Erneuerung“ anzustoßen, nicht angemessen widerspiegeln würde. Die laut Foitzik lebhafte Auseinandersetzung um den Namen „Dietrich-BonhoefferKreis“ zeigt allerdings, welch hohen Stellenwert die Rezeption Bonhoeffers für die anwesenden Gründungsmitglieder hatte. Wie aus dem Protokoll hervorgeht, standen außerdem die Namen „Arbeitsgruppe Kirchenreform“, „Evangelische Reform“ oder „Arbeitsgruppe Kirche in der Gesellschaft“ zur Diskussion. Schließlich setzte sich die Bezeichnung „Arbeitskreis Evangelische Erneuerung“ durch. Unter diesem Namen wurde der nächste Schritt unternommen: Der Kreis der etwa dreißig Personen, die im Dezember 1967 zusammengekommen waren, sollte geweitet werden. Das vorläufige Leitungsteam – Herta Atzkern (Mitarbeiterin im Bayerischen Mütterdienst), Lieselotte Seibel (Lehrerin und SPD-Landtagsabgeordnete), Dr. Christof Bäumler (Leiter des Studienzentrums Josefstal), Christian Blendinger (Pfarrer in Nürnberg-St. Lorenz), Klaus Diegritz (Dekan in Bad Berneck), Kurt Hoffmann, Vikar Heinrich Hermanns, Hermann von Loewenich und Konrad Michel (Redakteur; Leiter des Studio Nürnberg des BR) – verschickte eine Information über den Kreis, verbunden mit einer Einladung zur ersten Mitgliederversammlung am 3. und 4. März 1968 in Nürnberg22. In dem Schreiben wurden alle wesentlichen Beschlüsse der konstituierenden Versammlung wiedergegeben. Die letzten Worten des Briefes „Wir würden uns freuen, Sie als Weggefährten zu gewinnen“ zeigten offensichtlich Wirkung: Bis zum 12. Februar 1968 – und damit einem knappen Monat vor der ersten Mitgliederversammlung! – erklärten 180 Theologen und Nichttheologen ihren Beitritt zum AEE23.

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Vgl. Interview Foitzik, 1. Schreiben des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung; ohne Datum (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1). Ebenso nachfolgendes Zitat. 23 Zahlenangabe laut Blendinger, Aufbruch, 235. 22

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2.1.3 Der Aufbau des AEE und seine Entwicklung bis 1976 Rund 200 Interessierte kamen zu der ersten ordentlichen Mitgliederversammlung am 3. und 4. März 1968 nach Nürnberg24. Einleitend hielt Hermann von Loewenich das Grundsatzreferat „Überlegungen zur Aufgabenstellung des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung“. Diese später in Thesenform veröffentlichten Ausführungen25 sind ein wichtiger Anhaltspunkt, um das theologische Selbstverständnis des AEE in seiner Anfangszeit zu charakterisieren. Im Wesentlichen ging es in diesen Überlegungen von Loewenichs um ein funktionales Verständnis von Kirche: Ihre Existenzberechtigung lag darin, eine „Kirche für andere“ zu sein, sie war ein Instrument dazu, an der Verwirklichung von Jesu Auftrag mitzuarbeiten, nämlich „der Welt Heil und Frieden zu bringen“26. Diese Aufgabe der Kirche sollte auf möglichst viele Schultern verteilt werden, Herrschaftsstrukturen sollten abgebaut, Traditionen hinterfragt werden. Die Gemeinde musste in der Nachfolge Jesu zum Exodus bereit sein und sich dabei den gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen und den aktuellen Fragen stellen; es galt, „neue Antworten des Glaubensgehorsams zu geben“27. Zu diesen neuen Antworten zähle, so von Loewenich abschließend, eine universal ausgerichtete und nicht eine die konfessionellen Unterschiede betonende partikulare Kirche. Auf die Ausführungen von Loewenichs folgte eine Diskussion im Plenum, die hauptsächlich um folgende drei Felder kreiste: die Rechtfertigung einer politischen und gesellschaftlichen Parteinahme der Kirche, das Problemfeld Kirche und Macht sowie das Verständnis vom kirchlichen Dienst der Versöhnung zwischen Völkern und gesellschaftlichen Gruppen28. Dem Protokoll zufolge einigten sich die AEE-Mitglieder darauf, dass die Sendung Jesu zur gesellschaftlichen und politischen Positionierung verpflichte. Zur Urteilsfindung bei aktuellen Fragen sei es nötig, dass der AEE ein Forum für offene Gespräche schaffe, in dem die verschiedenen Ansätze sachlich diskutiert werden könnten.

24 Vgl. dazu die Meldung „Arbeitskreis Evangelische Erneuerung“ (NELKB 23 (1968), Nr. 5 vom März (1), 92). Vgl. außerdem dazu und zu nachfolgenden Informationen Dietmar Stoller: Bericht über die erste ordentliche Versammlung des Gesamtarbeitskreises am 3. / 4. März 1968 in Nürnberg (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 3). 25 B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 1 f. 26 Ebd., 1. 27 Ebd., 2. 28 Vgl. dazu Dietmar Stoller: Bericht über die erste ordentliche Versammlung des Gesamtarbeitskreises am 3. / 4. März 1968 in Nürnberg (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 3).

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In seinem daran anschließenden Vortrag „Erwägungen zum Dienst der Christen in der Gesellschaft“29 nahm Christof Bäumler auf die „Theologie der Hoffnung“ Jürgen Moltmanns Bezug. Die empirische Kirche, so Bäumler, müsse sich an der Zukunft orientieren, am kommenden Reich Gottes: „Wir haben die Botschaft Jesu vom ankommenden Gottesreich weitgehend domestiziert, verkirchlicht, verharmlost und sie im übrigen den Sekten und Schwärmern überlassen. Mit allen unseren lobenswerten Arbeitsvorhaben und Modellen werden wir allenfalls unsere Räume ummöblieren, wenn wir uns nicht von dem ankommenden Gottesreich stören und erneuern lassen.“30

Diese Ausrichtung am kommenden Reich Gottes, so Bäumler weiter, müsse sich in einer umfassenden, grenzüberschreitenden Anteilnahme der Christen zeigen: „Es darf prinzipiell kein ernsthaftes Problem in der Welt geben, das nicht die gespannteste Aufmerksamkeit, die konkreteste Fürbitte als Anfang der Tat und das bereitwilligste Engagement von uns Christen erwarten könnte.“31 Dass es dem AEE mit dem hier geforderten, umfassenden Engagement offensichtlich ernst war, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass gleich auf der ersten Versammlung drei Resolutionen an die Öffentlichkeit gegeben wurden: Zum einen wurde der Landeskirchenrat aufgefordert, die Einführung des neunten Pflichtschuljahres ab 1968 / 69 zu unterstützen. Außerdem verabschiedete der Arbeitskreis eine Resolution zum Vietnamkrieg, in der dieser als „Völkermord“ bezeichnet und für eine Unterstützung der Notleidenden in Süd- und Nordkorea geworben wurde. Zum Dritten trat der Kreis für eine uneingeschränkte Sakramentsverwaltung der Theologin ein32.

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Ein Auszug aus dem Vortrag ist abgedruckt in B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 3–5. Ebd., 4. 31 Ebd. 32 Das Medienecho auf die erste Mitgliederversammlung war groß; die Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses hielten nach der Versammlung eine Pressekonferenz. Vgl. zum Beispiel den Artikel in den Nürnberger Nachrichten, Ausgabe vom 9. / 10. 3. 1968 mit der Überschrift „Unbehagen jetzt in Bahnen. Arbeitskreis ‚Evangelische Erneuerung‘ will eine Änderung der Kirche von innen her“, die Meldung in der Abendzeitung / 8-Uhr-Blatt, ebenfalls vom 9. / 10. 3. 1968, den Artikel „ ‚Parteilich werden im guten Sinn‘. Arbeitskreis Evangelische Erneuerung nimmt Stellung zu aktuellen Problemen“ (Fränkische Tagespost, Ausgabe vom 9. / 10. 3. 1968), „Die Kirche darf keine Institution sein. Der Arbeitskreis Evangelische Erneuerung hat viele Reformpläne“ (Nürnberger Zeitung, ebenfalls Ausgabe vom 9. / 10. 3. 1968). Vgl. außerdem den Bericht „Signal des Unbehagens“. „Arbeitskreis Evangelische Erneuerung“ tagte in Nürnberg (Nürnberger Evangelisches Gemeindeblatt. Sonntagsblatt für die evangelische Kirche in Bayern 76 (1968), Nr. 12 vom 17. 3., 7). 30

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Aufbau des AEE Auf der ersten Mitgliederversammlung wurde Hermann von Loewenich als Sprecher des Kreises ebenso bestätigt wie das vorläufige Leitende Team, das zur Kooption dreier weiterer Mitglieder ermächtigt wurde. Bereits bei dieser ersten Zusammenkunft wurde eine „zunehmende Ängstlichkeit“ des entstehenden AEE diagnostiziert, die die Gefahr in sich berge, „das Bestehende nur noch zu interpretieren, anstatt zu verändern“33. Dem sollte mit der Arbeit der fünf Arbeitsgruppen, deren Ziele und Programm auf der Versammlung vorgestellt wurden, vorgebeugt werden. In diesen sollten, so der Wunsch des Plenums, möglichst viele Fachleute vertreten sein. Diese Gruppen waren: Gruppe I, Gottesdienst: Diese Gruppe widmete sich den drei Arbeitsgebieten Abendmahlsgottesdienste (Regionalgruppe Coburg), Missionarische Gottesdienste (Regionalgruppe Nürnberg) und Familiengottesdienste (Regionalgruppe Südbayern). Ziel der Arbeitsgruppe „Gottesdienst“ war es, neben der Verbesserung bestehender Formen neue Gottesdienstmodelle zu erarbeiten, da „die Liebe zum Menschen […] heute eine Vielfalt von Gottesdienstformen [verlangt]“34. Gruppe II, Konfirmation: Diese Arbeitsgruppe, aufgeteilt auf zwei Gruppen in München und in Bad Berneck, sollte vor dem Hintergrund theologischer und psychologischer Überlegungen neue Modelle der Konfirmandenarbeit entwickeln. Gruppe III, Kirchenverfassung: Zwei Arbeitsgruppen in Nürnberg und München wurden beauftragt, an der neu entstehenden Kirchenverfassung mitzuarbeiten und sich mit Vorschlägen, die vor allem auf eine Enthierarchisierung und Demokratisierung der Landeskirche zielten, in die laufenden Diskussionen einzubringen. Gruppe IV, Politik: Hier sollten aktuelle politische Ereignisse und Diskussionen mit Aktionen und Stellungnahmen kommentiert werden. Es wurden vier Untergruppen gebildet, die sich speziell mit Fragen der Friedenspolitik, der Innen- und Außenpolitik sowie Rechtsangelegenheiten, besonders der Notstandsgesetze und der Strafrechtsreform, beschäftigten. Gruppe V, Gemeindestruktur: Diese Gruppe formulierte vier Ziele: Diejenigen, die neue Gemeindemodelle ausprobierten, sollten unterstützt und durch entsprechende Publikationen einem potentiellen Unterstützerkreis bekannt gemacht werden. In zwei Gruppen unterteilt sollte eine Einheit unter der Lei33 Dietmar Stoller: Bericht über die erste ordentliche Versammlung des Gesamtarbeitskreises am 3. / 4. März 1968 in Nürnberg (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 3. Hier: 2). 34 Ebd.

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tung von Georg Kugler (Nürnberg) Möglichkeiten der Veränderung großer kirchlicher Strukturen wie einzelner Gemeinden erforschen. Eine zweite Kleingruppe unter der Anleitung von Christof Bäumler (Josefstal) sollte diesbezüglich die Verbindung zu kommunalen Stellen pflegen sowie Strukturen von Mitarbeitsmöglichkeiten für Nichttheologen entwickeln. Im Januar 1969 wurden die thematisch gegliederten Gruppen in Zusammenschlüsse auf regionaler Basis umorganisiert35. Dadurch sollten für Interessierte räumliche Barrieren abgebaut, die Kommunikation der Mitglieder untereinander verbessert und das Zustandekommen regionaler Aktionen erleichtert werden. Immer wieder wurden in den folgenden Jahren kleine AEE-Regionalgruppen ins Leben gerufen, die sich für eine bestimmte Zeit einem speziellen Thema widmeten. Genannt seien hier exemplarisch der in Nürnberg beheimatete Unterkreis „Selbstbesteuerung“ oder der ebenfalls in Nürnberg im Mai 1971 ins Leben gerufene Arbeitskreis „ AEE – Presse – Information“, der seine Aufgabe darin sah, „die Kommunikation zwischen den einzelnen Gemeinden zu intensivieren und neue Impulse an die Gemeinde zu geben“36. Die Intensität ihrer Arbeit und die Zahl der Regionalgruppen schwankten und waren immer wieder Thema von Diskussionen und Auseinandersetzungen37. Manche Arbeitsgruppen gaben eigene Resolutionen heraus oder organisierten Diskussionsveranstaltungen38. Das Leitende Team, das 1973 vergrößert wurde39, übte eine Vermittlertätigkeit zwischen den Arbeitsgruppen aus. Hier wurden die verschiedenen Aktionen 35 Vgl. dazu auch Hermann von Loewenich: Schläft der AEE? (B+K, Nr. 3 / 1. 8. 1969, 2–5, hier: 3 f.). 36 Informationsblatt über den Arbeitskreis „Presse – Information“ des AEE (Region Nürnberg), in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 35. 37 Vgl. dazu Hermann von Loewenich: Plädoyer für eine offene Kirche. Bericht für die Mitgliederversammlung des AEE am 17. November 1973 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1). Von Loewenich betont hier (15), dass das Leitende Team eng mit den Regionalgruppen vernetzt sein müsse, die „höchst unterschiedlich arbeiten. […] Gerade in den Ballungsräumen scheint gegenwärtig kein klares Bedürfnis nach einer kontinuierlichen Arbeit in der Regionalgruppe vorhanden zu sein. Im lT [leitendes Team] haben wir das immer bedauert. Doch waren wir der Meinung, dass die Initiative jeweils bei den Mitgliedern vor Ort liegen muß. Zur Hilfestellung ist das lT sicher auch in Zukunft gerne bereit. Doch läßt sich dieses Problem der regionalen Aktivität nicht zentral steuern.“ 38 So z. B. die vom Münchner AEE am 27. 9. 1974 veranstaltete Podiumsdiskussion: „Braucht ein freier Staat eine freie Kirche?“ (Diskussion über das FDP-Kirchenpapier) mit Vertretern der politischen Parteien und der Landeskirche; die Gesprächsleitung hatte ein Mitarbeiter der SZChefredaktion; vgl. dazu auch B+K, Nr. 21 / November 1974, 11–14. 39 Vgl. dazu Hermann von Loewenich: Plädoyer für eine offene Kirche. Bericht für die Mitgliederversammlung des AEE am 17. November 1973 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen

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der Gruppen – etwa auch die aufsehenerregende „Kritische Begleitung der Synode“ (KRIBS) 1969 und 197040 – besprochen und zum Teil auch geplant, die Kontakte zu anderen außer- wie innerbayerischen Gruppen (darunter auch VBV und LabeT) gepflegt und die grundsätzliche Linie des AEE diskutiert. Zu einem weiteren wesentlichen Bindeglied für die AEE-Mitglieder wurde zunehmend die Publikation „Berichte und Kommentare“, in der aktuelle Informationen zum AEE, Grundsatzerklärungen, theologische, kirchen- und gesellschaftspolitische Aufsätze und Kommentare ebenso enthalten waren wie die zum Teil scharfzüngige – und vor allem außerhalb des AEE umstrittene – Kommentierung innerkirchlicher Ereignisse. Über das Selbstverständnis des Blattes gibt unter der Überschrift „An unsere Freunde und Kritiker, nah und fern!“ exemplarisch folgendes Vorwort zur August-Ausgabe 1973 Aufschluss: „Wir wollen kein beschauliches Blättchen sein, bei dem man beim Lesen einschläft. Wir weigern uns auch, unangenehme Tatsachen zu vertuschen bzw. in ‚brüderlicher Art‘ ‚im vertraulichen Gespräch‘ ‚zu bereinigen‘. Wir wollen vielmehr kritisch informieren, Mißstände beim Namen nennen und Richtungen aufzeigen, in die eine Kirche der Zukunft gehen sollte. Dabei nehmen wir gern andere Meinungen entgegen und drucken sie auch ab. Sollten angegebene Fakten nicht stimmen, werden wir das berichtigen und entsprechende Gegendarstellungen veröffentlichen. Aber wir wollen ein kritisches Blatt machen – auch wenn wir ab und zu dabei Prügel beziehen.“41

Tatsächlich bezogen die Redakteure so manches Mal „Prügel“, und zahlreiche Gegendarstellungen wurden in dem Blatt abgedruckt42. Die Redaktion lag in der Regel in Händen von zwei oder drei AEE-Mitgliedern.

III / 20 (AEE), Nr. 1, 16). Ab diesem Zeitpunkt sollte eine vierköpfige Sprechergruppe den AEE nach außen hin vertreten; außerdem konnten auch die Vorsitzenden (bzw. ihre Stellvertreter) der regelmäßig tagenden Regionalgruppen an den Sitzungen des Leitenden Teams teilnehmen, soweit die Gruppen nicht sowieso schon durch Mitglieder im Leitenden Team vertreten waren (vgl. B+K, Nr. 19 / 15. 1. 1974). 40 Vgl. dazu ausführlich das Beispiel „Die Aktionsgemeinschaft KRIBS“, 133–142. 41 B+K, Nr. 17 / 15. 8. 1973, 1. In dieser Ausgabe waren insgesamt drei Gegendarstellungen, auf diese Bezug nehmend zwei weitere Gegendarstellungen abgedruckt. 42 Hohe Wellen schlug etwa der Bericht „Wie man etwas oder nichts wird“ (B+K, Nr. 16 / 15. 5. 1973, 2–4). Hier kritisierte ein junger Theologe die aus seiner Sicht undemokratischen Beurteilungen und Besetzungsverfahren in der Landeskirche. Vgl. dazu die Gegendarstellung des Landeskirchenrates (B+K, Nr. 17 / 15. 8. 1973, 13–16), und die wiederum darauf folgende Gegendarstellung (ebd, 17–19). Vgl. dazu abschließend den „Selbstkritischen Nachtarock“ von Klaus Diegritz (B+K, Nr. 18 / 20. 10. 1973, 23), in dem Diegritz den „Berichten und Kommentaren“ und damit auch sich selbst Fehler in diesem Fall vorwarf und seinen „Nachtarock“ mit den Worten beendete: „Ich glaube, daß es einem kritischen Publikationsorgan gemäß ist, Fehler einzugestehen und daraus Lehren zu ziehen“. Das Redaktionsteam war in diesen Fragen gespalten (vgl. ebd., 1).

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Mit Beginn einer neuen Synodalperiode 1972 wurde eine weitere „Gruppe“ des AEE ins Leben gerufen: die synodale Arbeitsgemeinschaft „Offene Kirche“. In ihr trafen sich Synodale, „die dem ‚Arbeitskreis Evangelische Erneuerung‘ (AEE) angehören oder sich anderweitig für die Kirchenreform in Richtung einer ‚Kirche für andere‘ engagiert haben“43. Angestrebt waren eine verbesserte Zusammenarbeit und Abstimmung gleichgesinnter Synodaler, um mit größerer Effizienz Kirchenreformen in der Synode durchsetzen zu können. Entwicklung des AEE bis 1976 Als bereits ein gutes Jahr nach der aufsehenerregenden Gründung AEE-Mitglieder Zweifel an der Effizienz der Gruppe äußerten, sah Hermann von Loewenich dies als Folge der zu hohen bis falschen Erwartungen, die einige AEE-Mitglieder an die Gruppe hätten44: So könne der AEE niemandem die Verantwortung dafür abnehmen, selbst die Initiative in Sachen Kirchenreform zu ergreifen. Zeitzeugen bestätigen, dass der AEE gerade in den Gründungsmonaten sehr große Hoffnungen geweckt hatte, die für manche zwangsläufig mit einer Enttäuschung enden mussten. „Wir lebten sehr stark von der Begeisterung des Aufbruchs“, erinnert sich Christian Blendinger, „am Anfang, die ersten Sitzungen, die ersten Versammlungen, die waren rappelvoll, und das hat uns natürlich sehr Auftrieb gegeben. Und dann hat sich das eingependelt“45. In den folgenden Jahren versuchte Hermann von Loewenich wiederholt, der Unzufriedenheit einiger Mitglieder angesichts dieses „Einpendelns“ mit Erklärungen wie „Phasen der Reflexion“46 und „Denkpausen“47 zu begegnen. Mehr als einmal stand die Auflösung des AEE zur Debatte. So äußerte sich von Loewenich im Sommer 1971: „Das leitende Team hat sich in der letzten Zeit ausführlich mit der Frage beschäftigt, ob der AEE in der gegenüber der Gründungszeit veränderten Situation seine Arbeit 43 Selbstvorstellung der synodalen Arbeitsgruppe „Offene Kirche“ kurz nach ihrer Gründung; ohne Datum (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 37). 44 Hermann von Loewenich: Schläft der AEE? (B+K, Nr. 3 / 1. 8. 1969, 2–5, hier 2). 45 Interview Blendinger, 14. 46 So von Loewenich in einem Brief vom 5. 5. 1971 an die Regional- und Projektgruppen des AEE: „Liebe Freunde, 1. immer wieder werden wir gefragt, ob mit dem AEE nichts mehr los sei. Zweifellos befinden wir uns gegenwärtig nicht in einer Phase der Aktivitäten, sondern eher der Reflektion. Das hängt mit der veränderten kirchlichen Lage zusammen und auch damit, dass man nicht ständig ein paar Hauptakteure auf Hochtouren laufen lassen kann“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1). 47 Vgl. dazu Hermann von Loewenich: Plädoyer für eine offene Kirche. Bericht für die Mitgliederversammlung des AEE am 17. November 1973, 7: „Wir befinden uns eher in einer Phase der Denkpause als in einem entschlossenen Aufbruch zu neuen Ufern, wie es wohl den Anfang des AEE charakterisiert hat“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1).

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fortsetzen soll. 1. Wir waren übereinstimmend der Meinung, daß es falsch wäre, jetzt ‚das Segel zu streichen‘, auch wenn uns spektakuläre Durchbrüche nicht gelungen sind und wahrscheinlich auch in Zukunft nicht gelingen werden. Es wäre aber kaum zu verantworten, bestehende Einflußmöglichkeiten in der Kirche kampflos preiszugeben und dem ‚progressiven Flügel‘ in der Landeskirche die Möglichkeit zu nehmen, sich gruppenmäßig zu artikulieren. Andererseits halten wir die Weiterarbeit des AEE nur dann für sinnvoll, wenn wir Mitglieder finden, die bereit sind, einiges an Zeit und Kraft und Phantasie für die gemeinsame Arbeit zu investieren. Man kann diese Dauerbelastung nicht über Jahre hinweg einigen wenigen zumuten und dann Kritik üben, daß zu wenig passiert.“48

Ein halbes Jahr später schienen einige Mitglieder offensichtlich weiter für eine Auflösung der Gruppe zu plädieren; darauf weist jedenfalls der Artikel „Nüchterne Selbsteinschätzung“49 hin, in dem Hermann von Loewenich die Mitgliederversammlung des AEE vom 23. Oktober 1971 reflektiert. Auf der Versammlung hatte das Leitende Team den Mitgliedern seine Überlegungen vorgetragen, „ob ein Weitermachen des AEE in der gegenwärtigen Situation sinnvoll ist […]. Das leitende Team hatte sich diese Frage gestellt, weil man schon bei der Gründung des AEE gesagt hatte, man wolle ‚nichts von Ewigkeitswert‘ im AEE schaffen. Nüchtern wurden auch die Schwierigkeiten der zurückliegenden Jahre im Arbeitsbericht angesprochen: Sie lagen in der nicht zu Ende geführten Strukturdebatte im AEE, in der verschieden akzentuierten Interessenslage der Mitglieder, in der Ernüchterung hinsichtlich der Veränderbarkeit von Institutionen, im veränderten gesellschaftlichen Klima für die Kirche und in der notwendig lockeren Organisationsform des AEE.“50

48 Hermann von Loewenich in einem Brief vom 30. 6. 1971 (ohne Nennung eines Adressaten). Enthalten in: ebd. Vgl. auch das Resümee, das Hermann von Loewenich in seinen „Überlegungen zur kirchlichen Situation“ (B+K, Nr. 10 / 21. 6. 1971, 2–8) zieht: Vor dem Hintergrund des Zitats Hermann Dietzfelbingers vom „Glaubenskampf“ (Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, Berlin 1971, 33 f.) und einer, so von Loewenich, von der „Praxis der Angst“ geprägten Landeskirche sei es an der Zeit, dass der AEE „seine Position und Methodik neu […] überdenken“ müsse: „Zweifellos ist es uns in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die Institution Kirche so zu verändern, daß sie für den kritischen Zeitgenossen ein Ort des inneren und äußeren Engagements hätte werden können. Dieses Engagement ist heute leider mehr noch als früher die Ausnahme. […] Die Chancen der beiden Kirchen in einem mutigen Aufbruch, wie er etwa Johannes XXIII. vorgeschwebt haben mag, diesen kritischen Zeitgenossen einzuholen oder in einen Dialog zu verwickeln, scheinen vorläufig vorüber zu sein. Die Erwartungen, die wir im AEE in dieser Hinsicht hegten, sind ernüchtert. Wir haben uns in der Kirche darauf einzustellen, daß wir um neues Terrain Schritt für Schritt zu kämpfen haben und nur über den einzelnen neues Vertrauen finden werden“ (B+K, Nr. 10 / 21. 6. 1971, 2–8, hier: 5). 49 B+K, Nr. 11 / 1. 2. 1972, 26–28. 50 Ebd., 26.

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In dieser Aussage zeigt sich exemplarisch das Grundproblem des AEE: Einerseits war er als Reformgruppe gegründet worden; ihm war das „EschatologischDrängende“51 dieser Gruppen zu eigen, er war stark themen- und personenorientiert, er konnte aufgrund dieser Kennzeichen „nichts von Ewigkeitswert“ sein. Andererseits war er in seinen formalen Strukturen auf eine dauerhafte Organisation ausgerichtet52. In den erwähnten Überlegungen des Leitenden Teams wurden auch die Erfolge des AEE nicht verschwiegen und seine Rolle innerhalb der bayerischen Kirche als „Korrektiv“, „Auffangstelle für die von der Institution Enttäuschten“ und als „Katalysator reformerischer Bemühungen“ charakterisiert53. Zur Auflösung des AEE kam es nicht; zu stark war die Überzeugung, so Hermann von Loewenich 1972, „daß man im AEE eine zur Zeit unaufgebbare Funktion in der Kirche wahrnimmt“54. Genau an diesem Punkt, an der Wahrnehmung, dass der AEE zu diesem Zeitpunkt aus der Kirche schon nicht mehr wegzudenken war, setzt eine Analyse der Entwicklung des AEE von Pfarrer Johannes Opp, damals stellvertretender Leiter des Katechetischen Amtes, an, die er in den „Berichten und Kommentaren“ vom November 1975 unter der Überschrift „Braucht der AEE ein neues Programm?“ veröffentlichte. Opp charakterisiert in seinen Ausführungen die Jahre seit der Gründung des AEE 1967 / 68 bis 1971 als eine erste Phase des Kreises, in der sich der AEE, dem Leitbild „Kirche für andere“ folgend, in gewisser Weise als „Gegenüber zur Volkskirche“ verstanden hätte: Die Volkskirche war „zu messen an ihrem Auftrag und […] auch in ihren Strukturen zu korrigieren im Blick auf diesen Auftrag. […] Die Theologie der Hoffnung war in dieser schwungvollen Phase des AEE die tragende Kraft […] Sie implizierte […] Ansätze einer Frömmigkeit, die allerdings von dem Erscheinungsbild eines ständig aktiven, nicht mit sich, sondern mit sehr, sehr vielen Aufgaben beschäftigten Arbeitskreises überlagert wurden.“55

In einer zweiten Phase, die nach Ansicht Opps um 1972 begonnen hatte und 1975 noch immer andauerte, sei der AEE immer stärker selbst Teil der Volkskirche geworden: „Es wurde immer deutlicher, daß eine Erneuerung der Kir51

Marquardt, Kritik, 188. Vgl. unten. 53 Hermann von Loewenich: Nüchterne Selbsteinschätzung, in: B+K, Nr. 11 / 1. 2. 1972, 26–28, hier: 26. 54 Ebd., 28. 55 Johannes Opp: Braucht der AEE ein neues Programm? Wozu ist der AEE noch notwendig? (B+K, Nr. 24 / November 1975, 1–3, hier: 2). 52

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che nicht gegen die Volkskirche oder aus der Volkskirche heraus, sondern nur innerhalb dieser volkskirchlichen Gegebenheiten zu suchen“56 sei. Maßgeblich für das Ansetzen dieser zweiten Phase ab 1972 war die Wahl einiger AEEMitglieder in die Synode und die bereits genannte Gründung der synodalen Gruppe „Offene Kirche“. Nicht alle Mitglieder hatten diese zweite Phase des AEE begrüßt. Das spiegelt sich auch in Hermann von Loewenichs „Plädoyer für eine offene Kirche“ vom 17. November 1973 wieder: „Die Wahl einer Reihe von AEE-Mitgliedern in die Landessynode und die Bildung der synodalen Arbeitsgruppe Offene Kirche war ein zweiter Schwerpunkt der vergangenen beiden Jahre. Die neue Aufgabe, in der Kirche verantwortlich mitzugestalten, hat uns im leitenden Team stark beschäftigt. ‚Wir sind nicht mehr dieselbe Gruppe wie vorher‘ – so wurde die neue Situation gekennzeichnet. Der Stellenwert des AEE im Ganzen der Landeskirche hat sich zweifellos verändert. Innerhalb des AEE wurde kritisch gefragt, ob der Hang zu taktischen Kompromissen nicht überhand nehme.“57

Der Weg in die Synode ging zeitlich parallel mit dem Aufstieg führender AEEMitglieder in kirchenleitende Positionen. Inwieweit der „Marsch durch die Institutionen“ von Anfang an in der Gruppe angelegt war, darüber sind sich damals aktive Mitglieder bis heute uneins58. Hermann von Loewenich jedenfalls hatte diesen Weg explizit angekündigt: In seinen „Überlegungen zur kirchlichen Situation“, veröffentlicht in den „Berichten und Kommentaren“ vom Juni 1971, schloss er angesichts „der wachsenden Kritik an der Institution Kirche“ dennoch ein destruktives Verhalten ihr gegenüber aus. Ihm selbst, so von Loewenich, „scheint […] der Weg genereller Provokation und Polarisierung in der gegenwärtigen Lage nicht weiter zu führen. Der lange und mühevolle Weg durch die Institution Kirche bleibt uns nicht erspart, nicht um sie umzufunktionieren – das sei unmissverständlich ausgesprochen – sondern ihr dazu zu verhelfen, ihren Auftrag zeit- und sachgerecht auszuführen.“59

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Ebd. LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1, 12. 58 Vgl. dazu z. B. Interview Zademach, 20: Zademach sieht das Ende eines für ihn attraktiven AEE Mitte der siebziger Jahre: „Der Marsch durch die Institutionen in der Kirche wurde von einem Erfolg bis zum nächsten gekrönt: Wir haben die ersten Dekane gehabt, wir saßen in der Synode, wir kriegten den ersten Oberkirchenrat und haben nicht gemerkt, dass wir unsere Ziele peu à peu verraten haben und dass wir logischerweise die Laien verloren haben, weil wir eine reine binnenkirchlich orientierte Reformbewegung waren. Und der AEE hat den Bischof gestellt und die Kirche hat in der Gesellschaft nicht das Leiseste bewegt.“ 59 B+K, Nr. 10 / 21. 6. 1971, 2–8, hier: 6. 57

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Inwieweit allerdings dazu der AEE als Gruppe noch nötig war, war spätestens 1975 / 76 unter dem Großteil seiner Mitglieder umstritten. Der AEE, so stellte es Johannes Opp in seiner Analyse fest, lebe von großen gemeinsamen Zielen – und genau diese schienen nach 1976 zu fehlen60. Erst Anfang der 1980er Jahre erwachte der Kreis durch die Anstöße der Friedensbewegung noch einmal zu neuem Leben.

2.1.4 Die inhaltliche und formale Charakterisierung des AEE (1967–1976) Ebenso wie VBV und LabeT ist der AEE für den Untersuchungszeitraum als Reformgruppe zu bezeichnen, auch wenn diese Zuordnung insofern einzuschränken ist, als er auch Züge einer Organisation trägt. Inhaltliche Charakterisierung Inhaltlich zeigte der AEE in seinen Anfangsjahren alle für kirchliche Reformgruppen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre festgestellten Charakteristika: Seine Mitglieder drängten auf innerkirchliche Reformen, orientierten sich in ihren Forderungen und Vorgehensweisen an der 68er-Bewegung und verstanden sich vor allem als Aktionsgemeinschaft. Immer wieder setzte sich der AEE für eine stärkere Demokratisierung kirchlicher Strukturen ein und mahnte einen verstärkten Einsatz der Kirche für die Welt an; beides begründete er mit dem Hinweis auf die vor allem als sozial verstandene Sendung Jesu. Es ist Kennzeichen der kirchlichen Reformgruppen dieser Jahre, der Praxis den Vorrang vor der Theorie einzuräumen. So hatte auch für die Gründung des AEE den Ausschlag gegeben, konkrete Schritte gehen zu wollen und nicht länger in der theologischen Interpretation zu verharren. Waren sie theologisch begründet, wurden die Aktionen des AEE häufig mit dem Vorbild Jesu legitimiert. Immer wieder wurden als Kronzeugen des eigenen Engagements Bonhoeffers „Kirche für andere“ sowie die „Exodusgemeinde“ Moltmanns 60 Opp schlug vor, der AEE solle als neues Thema die vieldiskutierte Spannung von Frömmigkeit und Aktion aufgreifen und dabei für die Entwicklung einer „weltoffenen Frömmigkeit“ eintreten: Der AEE könnte die „Verbindung von Spiritualität und gesellschaftlicher Offenheit als mögliche Neuakzentuierung seines ursprünglichen Ansatzes diskutieren“ (ebd., 2 f.). Allerdings fragte Opp zugleich, ob persönliche Frömmigkeit tatsächlich für den AEE ein Thema werden könnte, für einen AEE, der „immer ein Stück Unverbindlichkeit und Individualismus pflegte“, der „nie auf eine bestimmte Theologie eingeschworen“ war, der von seinem Ansatz her „handeln, aktiv sein“ (ebd., 3) wollte.

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angeführt; die genannten Konzepte tauchten allerdings größtenteils nur als Formeln auf, die nicht näher erläutert wurden61. Besonders deutlich wird diese theologische Fundierung des AEE in dem Grundsatzreferat Hermann von Loewenichs auf der ersten Mitgliederversammlung des AEE, in dem er in drei Thesen das theologische Selbstverständnis des AEE skizzierte62. Dieses Referat wird seines programmatischen Charakters wegen im Folgenden ausführlich dargestellt. „1. Jesu Sendung hat das Ziel, der Welt Heil und Frieden zu bringen. Seine Gemeinde hat an dieser Sendung teil. Sie ist nicht Selbstzweck, sondern steht durch ihr Zeugnis in Wort und Tat im Dienst dieser Sendung. Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“63 So lautet die erste der insgesamt drei Thesen Hermann von Loewenichs. Deutlich kommt hier zum Ausdruck, wie grundlegend für den AEE die Berufung auf Jesus war; in seinem Namen sollte seine Gemeinde Verantwortung für die Welt übernehmen. Die Institution Kirche diene dazu, dass sie sich dem Auftrag Jesu gemäß „für das Wohl derer einsetzt, die nach Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Bildung hungern“64. Dies war ihre rein pragmatisch verstandene Funktion, die wiederherzustellen und auf die hinzuweisen Gruppen wie der AEE als ihre Aufgabe verstanden. Die Kirche wurde funktional gedeutet: Jesus Christus ist ihr Auftraggeber, die Gesellschaft ist ihr Aufgabenfeld. In späteren Verlautbarungen des AEE wurde darauf hingewiesen, dass dieser Ansatz in dieser Unbedingtheit nicht durchgehalten werden könne: „Wir geraten in eine Sackgasse, wenn wir einem Bild von Kirche nachlaufen, das in reiner Weise ‚Kirche für andere‘ oder […] [eine] ‚Exodusgemeinde‘ darzustellen versucht“65, so Hermann von Loewenich 1973 in seinem ebenfalls programmatischen „Plädoyer für eine offene Kirche“. Vielmehr müsse die historisch gewachsene Institution Kirche in ihrer gegenwärtigen Gestalt ernstgenommen werden und dürfe nicht auf einen rein instrumentellen Charakter (Dienst im 61 Vgl. dazu auch Marquardt, Kritik, 196. Marquardt kritisiert hier an vielen kirchlichen Reformgruppen „den rücksichtslose[n] Schlagwortgebrauch von theologischen Formeln mit unklarem oder überhaupt nicht vorhandenem tieferem Zusammenhang. ‚Kirche für andere‘, ‚Kirche für die Welt‘, ‚Exodus-Gemeinde‘, ‚Latente Kirche‘, ‚Selbstentäußerung‘ auch der Kirche ist genauso Sprachritual der Kritik wie der ‚Tod Gottes‘, das ‚Ende des metaphysischen Zeitalters‘, wie das demagogische ‚Wir heute‘, wie auf der anderen Seite auch ‚Kein anderes Evangelium‘.“ 62 Überlegungen zur Aufgabenstellung des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung (B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 1 f.). 63 Ebd., 1. 64 Ebd. 65 Hermann von Loewenich: Plädoyer für eine offene Kirche. Bericht für die Mitgliederversammlung des AEE am 17. November 1973, in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1, 3.

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Sinne Jesu) reduziert werden. Sie sei als eine „Institution im Übergang“ anzuerkennen, im Übergang „von den Bedürfnissen der Menschen hin zu Christus, von der etablierten Kirchlichkeit zum Reich Gottes“66. „2. Jesu Sendung vollzieht sich im Dienen und erfüllt sich am Kreuz. Am Kreuz wird alle menschliche Selbstgerechtigkeit gerichtet und das Recht des Gottes aufgerichtet, der den Gottlosen annimmt.“67 Den Dienstcharakter der Sendung Jesu verstand der AEE als Aufforderung zur Enthierarchisierung und Demokratisierung kirchlicher Strukturen: Dem Vorbild Jesu folgend sollte alles Dienen in Demut geschehen, Leitungsfunktionen sollten nicht zum Zwecke von „Herrschaft und Machtausübung“ missbraucht werden. Außerdem sollte die Verantwortung der Kirche auf möglichst viele Schultern verteilt werden, die diese in gegenseitigem Vertrauen zueinander und „in der Bereitschaft zur öffentlichen Rechenschaft“68 wahrnehmen sollten. Keine Tradition sollte unhinterfragt hingenommen werden, nötig sei die „ecclesia semper reformanda“. Auch in diesem Punkt sind spätere Verlautbarungen des AEE zurückhaltender: In Hermann von Loewenichs „Plädoyer für eine offene Kirche“ 1973 wird nicht mehr in dieser Schärfe auf die Enthierarchisierung und den möglichen Machtmissbrauch in Leitungsfunktionen hingewiesen; stärker wird nun zur konstruktiven Mitarbeit in der Volkskirche aufgerufen. So seien, was die Synode angehe, in der Anfangsphase des AEE zur Einflussnahme „harte provokative Formen“ gewählt worden, wie etwa die KRIBS: „Heute scheint es mir effektiver zu sein, Reformen und Veränderungen vor allem auch auf dem institutionell eröffneten Weg der Synode anzustreben.“69 Die dritte These von Loewenichs aus dem Referat von 1968 begründete die Weltgebundenheit und -verantwortung der Kirche, die sich beim AEE in unzähligen gesellschaftspolitischen Aktivitäten zeigte: „3. Jesu Sendung führt ihn hinaus ‚draußen vor das Tor‘ (Hebr. 13,12). Dort legt er den Grund unserer Freiheit. In seiner Nachfolge muß seine Gemeinde zum Exodus bereit sein, so wie das Volk des Alten Bundes Gottes freiheitsstiftendes Handeln im Auszug erfahren hat.“70 Auf dieses Konzept der Exodusgemeinde aufbauend mahnte 66

Ebd. Überlegungen zur Aufgabenstellung des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung (B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 1 f.). Ebenso nachfolgendes Zitat. 68 Ebd. 69 Hermann von Loewenich: Plädoyer für eine offene Kirche. Bericht für die Mitgliederversammlung des AEE am 17. November 1973 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1, 9). 70 Überlegungen zur Aufgabenstellung des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung (B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 1 f.). 67

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von Loewenich an, dass sich die Kirche in die veränderte Gegenwart hinauswagen, sich deren Herausforderungen stellen und darauf zeitgemäße Antworten des Glaubens finden müsse. Neue Formen sollten gesucht werden, um Menschen auf die ihnen gemäße und verständliche Weise mit dem Evangelium vertraut zu machen. Traditionen müssten hinterfragt und Grenzen (etwa der Konfession und der Region) überschritten werden. Auch in diesen Punkten sind fünf Jahre später erhebliche Modifikationen festzustellen: Nun wurde betont, dass die Kirche nicht im Gegenüber zur Gesellschaft stehe, sondern als ein Teil von ihr nicht allzu scharfe Kritik an den bestehenden Verhältnissen üben sollte. Es sei vielmehr Voraussetzung einer „Kirche für andere“, die „Menschen in ihrer gesellschaftlichen Situation und in ihren gesellschaftlich vermittelten Bedürfnissen [zu] akzeptieren“71. Innerhalb der kirchlichen Reformbewegung zählte der AEE zu den gemäßigten Gruppen, die ihre Anliegen taktisch durchzusetzen versuchten. Der Theologe René Leudesdorff beschrieb den AEE 1969 mit den Worten: „Sicher ist, daß von diesen Gruppen [wie dem AEE], weil sie bereits in das kirchliche Machtgefüge hineinreichen, vorerst der wirksamste, weil verhältnismäßig direkte und sachlich fundierteste Beitrag zu einzelnen Reformen geleistet wird. Der ‚Druck von links‘ erscheint hier zwar modifiziert und abgeschwächt […], er mündet jedoch am ehesten noch hier in greifbare Veränderungen der Kirchenstruktur ein, weil aus diesen Gruppen sowohl die gegenwärtigen Inhaber kirchlicher Leitungspositionen beeinflußt als auch die zukünftigen gestellt werden.“72

Die weitere Entwicklung des AEE hat diese Prognose Leudesdorffs bestätigt. Es bleibt nun die Frage, inwieweit man auch formal René Leudesdorff folgen und den AEE tatsächlich als eine kirchliche Reformgruppe bezeichnen kann. Formale Charakterisierung Es ist bis heute eine maßgebende Schwierigkeit des AEE, dass er – obgleich als anlassbezogene Reformgruppe gegründet – von Anfang an auch die Züge einer auf Dauer angelegten Organisation besaß: Dafür, den AEE formal als eine für den Untersuchungszeitraum typische Reformgruppe zu bezeichnen, spricht, dass er aus einem speziellen Anlass heraus, nämlich der Unzufriedenheit mit der damaligen landeskirchlichen Situation, 71 Hermann von Loewenich: Plädoyer für eine offene Kirche. Bericht für die Mitgliederversammlung des AEE am 17. 11. 1973 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1, 2). 72 Leudesdorff, Reformgruppen, 18.

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gegründet und de facto zeitlich begrenzt angelegt war73. Zudem passen zu dieser Charakterisierung als Gruppe die engen persönlichen Verbindungen vieler Mitglieder untereinander, ihr starkes „Wir-Gefühl“, die maßgebliche Prägung des AEE durch die in ihm aktiven Personen sowie die Tatsache, dass trotz der Koordination durch das Leitende Team der AEE ein weitgehend unhierarchisches Gebilde war: Er lebte in seinen vielen kleinen Regionalgruppen, deren Mitglieder sich eine Zeitlang trafen, zum Teil in engem Kontakt zueinander standen, und, nachdem ihr Ziel erreicht bzw. ihr gemeinsames Thema nicht mehr auf der kirchenpolitischen Tagesordnung stand, wieder (für eine Zeit lang) auseinander gingen. Der Übergang von einer Reformgruppe zu einem sozialen Netzwerk, das der AEE gemeinsam mit anderen Akteuren bildete, war fließend: Je nach Thema verbündeten sich AEEler mit anderen Engagierten, sei es aus VBV und LabeT74, sei es aus dem Theologinnenkonvent, der Bayerischen Pfarrerbruderschaft, der Evangelischen Jugend oder der Evangelischen Akademikerschaft. In gewisser Weise ist auch das Bayerische Sonntagsblatt als Teil dieses Netzwerks zu bezeichnen; es berichtete äußerst wohlwollend über Aktionen der drei Gruppen und wurde deshalb wiederholt von deren kirchenpolitischen Gegnern kritisiert.75 Einerseits war der AEE also eine Reformgruppe – andererseits war und ist er eine auf Dauer angelegte Organisation. Er besteht gerade deshalb noch heute, weil seine Existenz nicht nur – wie für eine Reformgruppe charakteristisch – von aktuell zu bewältigenden Fragen und Themen sowie den entsprechenden Personen abhängt: Man wird AEE-Mitglied, es gibt eine übergeordnete Struktur, die – auch wenn charismatische Führungspersönlichkeiten und zündende Inhalte fehlen – den AEE weiter trägt. Es gab und gibt immer wieder aktualisierte Grundsatzprogramme des AEE, die von einer konkreten inhaltlichen Füllung weitgehend absehen. Formal ist der AEE damit durchaus auch als eine dauerhafte Organisation zu bezeichnen – und genau dies war und ist bis heute 73 Bezüglich der Charakteristika von Gruppen orientiere ich mich an den Ausführungen des Soziologen Hartmut Tyrell, Interaktion, der, auf den Erkenntnissen des Soziologen Friedhelm Neidhardt aufbauend, Gruppen von Organisationen unter anderem durch folgende Charakteristika unterscheidet: In Gruppen sind unmittelbare Mitgliederbeziehungen entscheidend – mit den Interaktionen zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern steht und fällt die Existenz einer Gruppe, da eine längerfristige Struktur fehlt, um „Notzeiten“ zu überbrücken. Zudem sind für Gruppen, die auf eine nur relative Dauerhaftigkeit angelegt sind, Personen, für die nach langfristiger Existenz strebenden Organisationen hingegen Strukturen maßgeblich. 74 Vgl. etwa Kapitel 4.2.2, 296–299. 75 Die Vorbehalte einiger Dekane und Pfarrer gegen die Berichterstattung des Bayerischen Sonntagsblattes gingen im April 1971 so weit, dass sie die Auslieferung des Blattes in ihren Gemeinden verhinderten und sich weigerten, die Leserkarteien weiterzugeben. Vgl. dazu die Unterlagen in LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 22 (AKE), Nr. 1.

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sein Dilemma und entsprechend umstritten. Sein Gründungsanspruch, getragen von der 68er-Bewegung Kirchenreformen durchzusetzen, war in solchem Maß zeitbedingt, dass er sich nicht als dauerhaftes Ziel eignen konnte. Der mit den Jahren stetig zunehmende Anteil seiner passiven Mitglieder steht im Widerspruch zu dem ursprünglichen Anliegen, vor allem eine Aktionsgemeinschaft sein zu wollen. Die Diskrepanz zwischen der Reformgruppe des Untersuchungszeitraums und dem AEE als einer dauerhaften Organisation wurde spätestens ab Ende der 1970er Jahre immer wieder heftig diskutiert. Vielleicht auch ein wenig aus Sentimentalität hielt man dennoch am AEE fest und versuchte mitunter fast verzweifelt, neue Wege zu finden, um wieder Mitglieder zu mobilisieren und dem Gründungsanspruch auf eine neue Weise gerecht zu werden.

2.1.5 Ausblick: Die Entwicklung des AEE nach 1976 Im August 1969 stellte Hermann von Loewenich in den „Berichten und Kommentaren“ die Titelfrage „Schläft der AEE?“76. Mit genau derselben Frage begann fast vierzig Jahre später die Online-Ausgabe der „Berichte und Kommentare“77 – freilich vor der Kulisse einer völlig veränderten kirchlichen Landschaft: Galt trotz mancher Bedenken der AEE 1969 als ein Hoffnungsträger und war zumindest im kirchlichen Raum bekannt, so spielt er heute für viele kaum mehr eine Rolle. Die wesentlichen Stationen seiner Entwicklung nach 1976 seien im Folgenden kurz skizziert78. Wie bereits erwähnt, erlahmte nach 1975 die Arbeit des Kreises für einige Jahre. Zündende Themen fehlten; nur seine Organisationsstruktur erhielt den AEE am Leben. Anfang der 1980er Jahre fand der AEE in der Friedensbewegung ein neues Betätigungsfeld. Der 1982 zum AEE-Sprecher gewählte Neuendettelsauer Systematiker Joachim Track sorgte zudem für eine neue Blütezeit des Kreises. Eine Projektgruppe „Frieden“ wurde gegründet, der AEE meldete sich mit drei Papieren – der Nürnberger Erklärung „Schritte zum Frieden – heute“ (April 1983), der Schrift „Umkehr zum Frieden – Münchner Erklärung des AEE“ (Oktober 1984) und der Schrift „Ein Nein ohne jedes Ja“ (1986), einer Stellungnahme zur Strategischen Verteidigungsinitiative – zu Wort. Auch andere Themen wie „Neue Medien“ oder „Ehe, Sexualität und 76

Hermann von Loewenich: Schläft der AEE? (B+K, Nr. 3 / 1. 8. 1969, 2–5). Christine von Falkenhausen: Liebe Regionalgruppen, Mit-AEElerInnen, liebe FreundInnen!, in: http://www.aee-online.de [Stand: 8. 12. 2005]. 78 Vgl. zur Entwicklung des AEE ausführlich Blendinger, Aufbruch, 246–254. 77

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Kirche“ veranlassten den reaktivierten AEE zu zum Teil breit rezipierten Stellungnahmen. 1989 wurde unter AEE-Sprecher Gerhard Monninger das programmatische Papier „Die sieben Wegweiser für eine offene Kirche“ veröffentlicht79. Darin wird die „offene Kirche“ als eine „Kirche für andere“ (1), die fromm und politisch ist (2), als eine „Schalomkirche“, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einsetzt (3), charakterisiert. Sie ist eine „Beteiligungskirche“, die Geschwisterlichkeit vor hierarchische Strukturen setzt (4), eine in Bezug auf Bibel und Dogmen „kritische Kirche“ (5), eine „Kirche mit Herz“, deren Verkündigung ganzheitlich anspricht (6) und schließlich eine „Exodusgemeinde“, die immer wieder „den Auszug aus dem festen Lager hinaus“ riskiert (7). Dadurch, dass die sieben Wegweiser von den beiden Konzepten „Kirche für andere“ und „Exodusgemeinde“ gerahmt werden, nehmen sie Bezug auf das Referat Hermann von Loewenichs auf der ersten Mitgliederversammlung des AEE 1968, mit der „offenen Kirche“ auf von Loewenichs Verlautbarung aus dem Jahr 1973. Somit wird in den „Wegweisern“ von 1989 einerseits die Kontinuität des AEE zu der Gruppe der Anfangsjahre betont. Andererseits sind jedoch auch Unterschiede zu beobachten: Die Institution Kirche hat in den „Wegweisern“ einen weitaus höheren Stellenwert als 1968, ebenso die Auseinandersetzung mit der eigenen Spiritualität. Die neuen sozialen Bewegungen finden Erwähnung; der Ton ist weniger entschieden und griffig. Zu dem Zeitpunkt, als die sieben „Wegweiser“ erschienen, war die zweite Hochphase des Arbeitskreises schon wieder vorüber und Jahren der erneuten Zurückgezogenheit des AEE gewichen. Eine angedachte Auflösung des Kreises wurde im Herbst 2002 öffentlichkeitswirksam verkündet, dann aber nicht vollzogen80, die Druckausgabe der AEE-Zeitschrift wurde vorübergehend eingestellt. Einmal mehr sollten Umstrukturierungen und neue Ansätze dabei helfen, den im Jahr 2006 immer noch rund 300 Mitglieder zählenden AEE weiter überleben zu lassen. Er sehe beim AEE „Licht und Schatten“81, erklärte der damalige AEE-Sprecher Dr. Hans-Gerhard Koch im September 2006: Einerseits sei der formale Fortbestand des AEE gesichert; das Leitende Team treffe sich regelmäßig, die finanziellen Verhältnisse seien geordnet, die Geschäftsführung funktioniere; andererseits sei die Zahl der aktiven AEEler verschwindend 79 Sieben Wegweiser für eine offene Kirche, zit. nach ebd., 250–252. Ebenso nachfolgende Zitate. 80 Vgl. Gerhard Lenz: Der Arbeitskreis Evangelische Erneuerung denkt über seine Auflösung nach. Kirchliche „Regierungspartei“ vor dem Ende?, in: Sonntagsblatt. Evangelische Wochenzeitung für Bayern. Region Mittelfranken / Ausgabe A 57 (2002), Nr. 43 vom 27. Oktober, 12. 81 Hans-Gerhard Koch: Bericht des Sprechers für die Mitgliederversammlung des AEE am 24. 9. 2006 in Stein bei Nürnberg, in: http://www.aee-online.de [Stand: 22. 7. 2007].

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gering. Ehemalige wie aktive Mitgliedern halten verschiedene Gründe für diese Entwicklung des einst so profilierten Kreises für denkbar: Der Kairos für eine solche Reformgruppe, das Zusammentreffen der richtigen Personen, Zeitumstände und Themen, sei momentan nicht gegeben; die AEE-Mitglieder seien zu etabliert, um sich auch einmal gegen offizielle Verlautbarungen der Landeskirchenleitung zu stellen, es fehle an verbindenden Anliegen. Vor dem Hintergrund dieser Einschätzungen deutete Koch 2006 noch an, dass das 40jährige AEE-Jubiläum 2008 auch das Ende des Kreises bedeuten könnte: „Ich denke, das [Jubiläum] sollte ein Anlass für Rückblick und ehrendes Gedenken, ebenso aber auch für die Frage sein, ob es den AEE weiterhin braucht und wofür. Ich jedenfalls bin nicht bereit, über 2008 hinaus Sprecher eines langsam absterbenden Traditionsvereins zu sein, der ironischerweise die evangelische Erneuerung im Namen führt. Aber es wird sich ja hoffentlich bis 2008 erweisen, ob unser Herrgott den AEE noch für seine Kirche braucht oder nicht.“82

Tatsächlich brachte das Jubiläumsjahr Auftrieb für den AEE: Die „Berichte und Kommentare“ erschienen wieder als Druckfassung, neue Regionalgruppen wurden aktiv, die Vorstandschaft verjüngte sich und die von 75 Mitgliedern und Gästen besuchte Jubiläumsveranstaltung im April 2008 zeigte laut Koch „dass der AEE eine wirklich wichtige Aufbruchbewegung für unsere Kirche gewesen ist, und zweitens, dass diese Bewegung noch längst nicht ihre Ziele erreicht hat“83.

2.2 Die Vereinigung Bayerischer Vikare (VBV) Als Landesbischof Dietzfelbinger im März 1971 auf der Landessynode in Schweinfurt über die vorangegangenen fünf Jahre der Landeskirche berichtete, ging er dabei gesondert auf die Vikare ein, die er in drei Gruppen einteilte84: Da gebe es zunächst diejenigen, „die treu und redlich ihren Dienst in den Gemeinden tun“. Von diesen zu unterscheiden sei eine zweite Gruppe, eine „nicht kleine Zahl von Vikaren“, die „in den Dienst mit Vorbehalten und Hemmungen [tritt]. Ihre kritischen Fragen richten sich an die Gestaltung des pfarramtlichen Dienstes. Ihre reformerische Unruhe zielt auf ‚Effektivität des kirchlichen Dienstes‘. […] Vikare, die dem politisch-gesell82 Hans-Gerhard Koch: Bericht des Sprechers für die Mitgliederversammlung des AEE am 24. 9. 2006 in Stein bei Nürnberg, in: http://www.aee-online.de [Stand: 22. 7. 2007]. 83 Koch, Editorial. 84 Vgl. alle folgenden Zitate: Dietzfelbinger, Fünf Jahre, 18.

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schaftlichen Engagement der Kirche Priorität geben oder es ausschließlich vertreten, sind in der Minderzahl. Sie verschaffen sich freilich zuweilen eine spektakuläre Aufmerksamkeit, die den Blick auf die anderen verfälschen kann.“

Schließlich beschrieb Dietzfelbinger noch eine dritte Gruppe, die zahlenmäßig erheblich größer als die zweite sei. Bei ihnen, „die einen ‚gesunden‘ Reformeifer in unsere Kirche einbringen, ist der Veränderungswille sicher nicht immer primär vom Evangelium her motiviert. Sie haben teil – wie zu allen Zeiten – an der Unzufriedenheit mit dem Bestehenden und Überkommenen. […] Aber – und das unterscheidet sie von den ‚Revolutionären‘ – sie sind bereit und willens, ihre Ideen vor dem Evangelium zu verantworten.“

Es war eine der frühen Aktionen der „Vereinigung Bayerischer Vikare“ (VBV), auf diese vom Landesbischof erstellte Kurzcharakteristik zu reagieren: In einem „Offenen Brief“ wandte sie sich an Dietzfelbinger85 und fragte ihn unter anderem, ob es „zur Klärung der Lage bei[trage], wenn in unbewußt wertendem Ton das Konservative als das Gute hingestellt“86 werde, und ob eine derartige Dreiteilung nicht das Missverständnis in sich berge, als ob reformfreudige Vikare nicht ebenfalls treu ihren Dienst täten. Es folgte die Frage: „In welche Gruppe wäre die VBV einzuordnen?“87 Die Antworten auf diese Frage wären wohl innerhalb der bayerischen Landeskirche sehr unterschiedlich ausgefallen. An der VBV schienen sich die Geister zu scheiden: Für einige stand sie gerade in ihren Anfangsjahren in dem Ruf, in ihren Forderungen besonders polarisierend zu sein88; dies entsprach zum Teil auch dem Selbstverständnis ihrer Mitglieder. Der Ton ihrer Verlautbarungen war mitunter scharf, ihre Äußerungen provokativer als in der bayerischen Landeskirche üblich. Wenn der Sozialwissenschaftler Hartmut Przybylski als Ergebnis seines empirischen Forschungsprojekts festhielt, dass die Vikarsgeneration um 1970 85

Korrespondenzblatt 86 (1971), Nr. 7 (Juli), 81. Ebd. 87 Ebd. 88 Dies wird z. B. deutlich am Bericht über das Kontaktgespräch zwischen VBV, AEE und LabeT am 19. 6. 1972: „Das Gespräch zwischen VBV und AEE war längst fällig gewesen, aber nie zustande gekommen. Vermutlich spielten auf beiden Seiten gewisse Vorurteile eine Rolle (die Vikare als unüberlegte Revoluzzer, die AEE-Leute als systemimmanente Pragmatiker, die schon jubeln, wenn sie kleine, selbstverständliche Reförmchen durchgesetzt haben).“ In: VBV-Rundbrief, Nr. 11 / August 1972, 6. Allerdings sei an dieser Stelle angemerkt, dass es auch die Ansicht gab, der LabeT sei, verglichen mit der VBV, radikaler gewesen – so antwortete etwa Günter Kohler auf die Frage, ob er im LabeT die gleiche Grundtendenz gesehen habe wie bei der VBV: „An sich ja, bloß waren sie wesentlich radikaler.“ (Interview Kohler, 10). 86

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sich „im Vergleich zu den damaligen Pfarrern und zu den Theologiestudenten durch ein höheres Maß an Kirchenkritik und politischer Radikalität“89 auszeichnete, so traf dies auch auf die bayerischen Vikare zu. Gerade in den Anfangsjahren engagierten sich junge Theologen in der VBV, die während der Hochphase der Studentenbewegung studiert hatten; dies hatte direkte Auswirkungen auf ihren Umgang mit innerkirchlichen Fragestellungen90. Auf der anderen Seite schien die VBV nach ihren spektakulären Aktionen in den Anfangsjahren für Mitglieder, die nicht an führender Stelle beteiligt waren, sowie für Außenstehende wenig greifbar, mitunter gar belanglos gewesen zu sein91. Die kurze Dauer des Vikariats und die persönlichen Umbrüche, die mit dem Eintritt ins Berufsleben verbunden sind, standen einer kontinuierlichen Mitarbeit der Mitglieder und damit einer klaren Linie der VBV entgegen. An sich war dies in der formalen Struktur der VBV angelegt: Sie war zunächst eine Interessensvertretung ohne eine spezifische theologische und kirchenpolitische Ausrichtung. Dass sie in ihren Anfangsjahren jedoch von ihren Inhalten und de facto auch von ihrer Form her ebenso wie der AEE und der LabeT als Reformgruppe charakterisiert werden kann, zeigen die folgenden Ausführungen.

2.2.1 Die Situation der Vikare vor Gründung der VBV Ebenso wie die Theologiestudenten besaßen die bayerischen Vikare bis Frühjahr 1970 kein offizielles Sprachrohr für ihre Anliegen. Einige Vikare engagierten sich in verschiedenen innerkirchlichen Gruppierungen, beispielsweise im AEE, in der KSBB i. B. oder in der AKE. Zudem gab es die Vertretung der Vikare im Pfarrerverein. Über diese Beteiligungsmöglichkeiten hinaus schufen sich die Vikare verschiedene Foren, um sich über theologische und kirchenpolitische Fragen sowie über ihre Anliegen in Bezug auf Ausbildung und Zweites Examen auszutauschen. Einige davon werden im Folgenden genannt.

89 Przybylski, Studentenbewegung, 2. Przybylski war von 1972 bis 1975 Mitarbeiter an dem Forschungsprojekt „Zum Problem des Studienabbruchs evangelischer Theologen und der Ablehnung examinierter Theologen, ein Pfarramt auszuüben“, durchgeführt von einer Forschergruppe des Instituts für christliche Gesellschaftswissenschaften an der westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 90 Vgl. ebd., 3. 91 Vgl. dazu das Interview Weber, 15: „Was jetzt die VBV betrifft, das habe ich […] immer nur als wahnsinnig punktuell empfunden. […] Es ist für mich kein Trend sichtbar.“

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„Arbeitskreis für Theologie und Praxis“ (AThP) und „Theologischer Arbeitskreis“ Mitte der 1960er Jahre existierten in der bayerischen Landeskirche Gruppen, die speziell von jungen Theologen getragen wurden und die zum Teil später noch parallel zur VBV bestanden. Exemplarisch seien hier zwei Vereinigungen genannt: Der „Arbeitskreis für Theologie und Praxis“ und der „Theologische Arbeitskreis“. Der „Arbeitskreis für Theologie und Praxis“, kurz: AThP, der im September 1968 in Neuendettelsau gegründet worden war, verstand sich als Freundes- und Arbeitskreis, „in dessen Mittelpunkt die theologische Arbeit unter besonderer Berücksichtigung der Probleme innerhalb der bayerischen Landeskirche steht“92. Seine Zielgruppe waren zwar angehende Pfarrer und Religionslehrer, de facto bestand der Arbeitskreis laut Aussage ehemaliger Mitglieder aber hauptsächlich aus Vikaren, die sich in der Erinnerung von Zeitzeugen als „linke Speerspitze“93 festgemacht haben. Wieland Zademach, der damalige Pressereferent des AThP, sah das Besondere seiner Gruppe darin, dass sich der AThP vor allem mit der Dialektik von theologischer Theorie und Praxis sowie mit vornehmlich gesellschaftstheoretischen Fragen beschäftigte94. Als Beispiel für die gesellschaftspolitischen Aktivitäten des AThP sind dessen Tagung zum Thema „Kirche und Rechtsradikalismus“ im März 1969 und die dort erarbeiteten Studien zu nennen95. Der „Theologische Arbeitskreis“ hatte sich 1963 / 64 formiert. Etwa vierzig Theologiestudenten, später offensichtlich auch Vikare, trafen sich jeweils in den Semesterferien zu einem mehrtägigen Seminar über zentrale theologische Themen; Referenten kamen aus den eigenen Reihen oder von außerhalb. Ziel des Kreises war es, einen Weg zu finden, zeitgenössische Theologie (vor allem Positionen wie die Rudolf Bultmanns, Dorothee Sölles, Ernst Käsemanns u. a.) im Pfarrberuf vertreten und verkündigen zu können; man wollte nicht „nach dem Studium einen Salto mortale machen und die traditionelle Theologie anwenden“96. Der Kreis hegte offensichtlich Sympathie für die marxistische Gesellschaftstheorie. Der Fokus der kirchlichen Öffentlichkeit richtet sich auf den „Theologischen Arbeitskreis“, als Mitglieder der KSBB i. B. im Dezember 1967 ihr Informationsblatt „Offen gesagt. Informationen und Kritik“ dem Pfarrerkorres92 Wieland Zademach (Pressereferent des AThP): Gründung eines Freundes- und Arbeitskreises, in: Korrespondenzblatt 83 (1968), Nr. 11 (November), 8. 93 Interview Koch, 14. 94 Vgl. Interview Zademach, 13. 95 Vgl. den Beitrag „Rechtsradikalismus in der BRD“ (Korrespondenzblatt 84 (1969), Nr. 11 (November), 133). 96 Ich danke Dr. Eike Rubner, ehemaliges Mitglied des Arbeitskreises, für seine Auskünfte.

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pondenzblatt beilegten; herausgegeben wurde das Blatt von den beiden jungen Erlanger Theologen Wolfhart Schlichting, Studieninspektor in Erlangen, und Wolfram Kopfermann, wissenschaftlicher Assistent97. Unter der Überschrift „Sturm auf Neuendettelsau“ charakterisierte Wolfhart Schlichting den von ihm als „Neuendettelsauer Arbeitskreis“ bezeichneten Zusammenschluss als „politisch linksradikal“98. Das Ziel des Kreises lautete Schlichting zufolge: „Neuendettelsau soll eine Stätte der Infiltration radikalster moderner Theologie werden.“ Eine Einladung des Bultmann-Schülers Herbert Braun im Oktober 1967 ins Erlanger Jugendzentrum Frankenhof sei heimlich erfolgt. Der Artikel Schlichtings – und nicht nur er99 – sorgte für große Unruhe. Die Redaktion des Korrespondenzblattes veröffentlichte zahlreiche Leserbriefe, die unter dem Titel „Wirbel um ‚offen gesagt‘“ zu den Anschuldigungen Stellung bezogen100. Mitglieder des „Theologischen Arbeitskreises“ verfassten eine Erklärung, in der sie sich von den Vorwürfen Schlichtings distanzierten; Anliegen ihres Kreises sei es, „Arbeitsformen zu entwickeln, die es uns auch über die Examina hinaus ermöglichen, an theologischen Fragen weiterzuarbeiten“101. Man stehe in gutem Kontakt zu Hochschule und Dozenten, diskutiere über Studienreform und veranstalte theologische Tagungen, deren Programm der Kirchenleitung bekannt sei und von dieser auch finanziell unterstützt werde. Schlichting nahm daraufhin einen Teil seiner Thesen zurück102. Arbeitstagungen in Tutzing Die Erörterung arbeitspraktischer Anliegen der Vikare stand in den beiden eben genannten Gruppen nicht an erster Stelle; um sich über solche Fragen auszutauschen, boten vor der Gründung der VBV vor allem die alljährlichen Arbeitstagungen für Vikare in Tutzing Gelegenheit, die den Namen „Arbeitsgemeinschaft bayerischer Vikare“ trugen. Der Landeskirchenrat finanzierte 97 Für das Beiheft „Offen gesagt. Informationen und Kritik“ zeichneten Wolfram Kopfermann und Wolfhart Schlichting als Herausgeber verantwortlich (Korrespondenzblatt 82 (1967), Nr. 12 (Dezember); Beiheft). 98 So Wolfhart Schlichting in seinem Beitrag „Der Sturm auf Neuendettelsau“ (ebd.). Vgl. ebenso nachfolgende Zitate. 99 Heftige Reaktionen rief außerdem Kopfermanns Artikel über das Kirchentagsreferat von Ernst Käsemann (Juni 1967 in Stuttgart) hervor. Kopfermann warf Käsemann vor, dass in seinem Referat „die Erlösungstat Christi erst mit dem Leben verleugnet, dann theologisch preisgegeben [wird]“ (Wolfram Kopfermann: Ein halbes Jahr danach. Zu Professor Käsemanns Kirchentagsreferat, in: Korrespondenzblatt 82 (1967), Nr. 12 (Dezember); Beiheft). 100 „Wirbel um ‚offen gesagt‘“, in: Korrespondenzblatt 83 (1968), Nr. 1 (Januar), 5–8. Auch in den darauffolgenden Nummern gab es Leserbriefe in dieser Angelegenheit. 101 Vgl. dazu die „Stellungnahme von Mitgliedern des Theologischen Arbeitskreises“ (ebd., 5). 102 Vgl. Wolfhart Schlichting: Berichtigung (ebd., 8).

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die Tagungen und gewährte den Organisatoren freie Themen- und Referentenwahl. Exemplarisch sei hier die Tagung vom 9. bis 11. November 1967 erwähnt, die unter dem Motto „Mut zur Arbeit und zur Freizeit“ stand103. An ihr nahmen fünfzig Vikare teil. Im Mittelpunkt stand die Aussprache über die Ergebnisse einer im Predigerseminar Nürnberg durchgeführten Umfrage zum Tagungsthema. An das Treffen schloss sich eine weitere Erhebung zu den Arbeitsbedingungen bayerischer Vikare an, deren Auswertung im Korrespondenzblatt veröffentlicht wurde: Der ermittelten breiten Unzufriedenheit der Vikare mit der Ausbildungssituation sollte, so die Empfehlung der Vikare, mit „1. Reduktion des Arbeitsumfangs, 2. Einsatz in einer beschränkten Auswahl von Arbeitsgebieten unter Berücksichtigung der vorhandenen Begabung“104 begegnet werden. Außerdem müssten die Kommunikationsstrukturen dringend verbessert werden: „In der gegenwärtigen Situation stehen viele bayerische Vikare vor verschiedenen beruflichen Nöten. Da aber der Erfahrungskreis des einzelnen zu beschränkt ist, legt es sich nahe, nach einer breiteren Basis für eine gemeinsame Besinnung Ausschau zu halten.“105 Mit diesem Bericht wird im Korrespondenzblatt auffallend ausführlich über die Anliegen der Vikare berichtet, deren kirchenpolitisches Engagement Hermann von Loewenich in einem Vorspann zu dem Artikel ausdrücklich begrüßt: „Es handelt sich um den Versuch junger Amtsbrüder, an den Problemen unserer Landeskirche verantwortlich mitzuarbeiten. […] Die Umfrage dient dem Zweck, den verantwortlichen Stellen in unserer Kirche die Lage ungeschminkt zu schildern, sie mit Zahlen zu belegen und so eine sachgemäße Reform mitanzuregen.“106

Drei Jahre später wurde die „Arbeitsgemeinschaft bayerischer Vikare“ in Tutzing zum Geburtsort der VBV. Bevor es jedoch soweit war, trat noch eine weitere Gruppe in Erscheinung, deren Thematik die Anfangszeit der VBV maßgeblich prägen sollte: die Gruppe der sogenannten „Ordinationsverweigerer“. Personell stimmte diese Gruppe weitgehend mit der Gründergeneration der VBV überein; es handelte sich im Wesentlichen um Vikare des Predigerseminarkurses 1967 / 68 in Nürnberg, die sich zum Teil schon durch den „Theo-

103 Vgl. dazu Heinrich Herrmanns Bericht über die Tagung (Korrespondenzblatt 82 (1967), Nr. 2 (Februar), 9–11). 104 Arbeit und Freizeit. Eine Umfrage unter Vikaren (Korrespondenzblatt 82 (1967), Nr. 11 (November), 4–6, hier: 6). 105 Ebd., 5. 106 ebd.

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logischen Arbeitskreis“ kannten107. Der Stempel, der den jungen Männern aufgedrückt wurde, nämlich „Ordinationsverweigerer“ zu sein, wurde ihrem weitaus differenzierteren Anliegen nicht gerecht: Die Vikare setzten sich für eine Änderung der herrschenden Ordinationspraxis ein und versuchten diesbezüglich ins – auch theologische – Gespräch mit der Landeskirche zu kommen. Ihr Engagement, das ab August 1968 greifbar wird, wird an anderer Stelle dieser Arbeit ausführlich dargestellt. Initialzündung für die Gründung der VBV Die von den genannten Vikarsgruppen vertretenen Interessen kulminierten auf der Tagung der „Arbeitsgemeinschaft bayerischer Vikare“ vom 6. bis 8. Januar 1970 in Tutzing. Die Tagung war der Beschäftigung mit dem Thema „Reform des Vikariats und der theologischen Examina“ gewidmet. Hier, so der Vikar Günter Kohler in einem Schreiben an den Vorstand des Pfarrervereins am 9. Januar 1970, habe sich gezeigt, dass konkrete Vorstellungen der Vikare zum Tagungsthema nicht in eineinhalb Tagen zu erarbeiten seien. Es bedürfe vielmehr einer kontinuierlichen Arbeit, denn zweifellos bestehe die dringende Notwendigkeit, dass die Vikare entscheidend „an den Reformen, die jetzt in das entscheidende Stadium treten“108, mitwirkten. In welcher Form diese kontinuierliche Arbeit geschehen sollte, war umstritten. Vier Organisationsmodelle wurden diskutiert109: Der angedachte Anschluss einer Vikarsvereinigung an den Pfarrerverein wurde abgelehnt, da dieser zu heterogen sei, um die Interessen der Vikare vertreten zu können. Eine Vikarsvereinigung als eingetragener Verein sei gesetzlich zu stark gebunden, dazu komme „fehlendes allgemeines Öffentlichkeitsinteresse“110. Der Anschluss an eine Gewerkschaft schien ungeeignet, da diese im Wesentlichen auf arbeitsrechtliche Fragen ausgerichtet sei. Folglich wurde schließlich einstimmig die Form einer freiwilligen Vereinigung beschlossen: „Sie gewährt einen größeren Spielraum, schafft weitgehende Unabhängigkeit und ermöglicht die Konzentration auf die spezifischen Aufgaben und Ziele der Vikare.“111 Ein vorläufiger Ausschuss wurde beauftragt, die Gründung einer „Vereinigung bayerischer Vikare“ vorzubereiten. Er setzte sich zusammen aus Günter Kohler, Veit Ammon, Peter Frör, Rolf Hanusch, Johannes Max Raeder, Volker 107 So Dr. Eike Rubner in einem Brief vom 15. 4. 2009. Zum „Theologischen Arbeitskreis“ vgl. oben. 108 VBV-Ordner Frör. 109 Vgl. das Protokoll der Vikarstagung in der Evangelischen Akademie Tutzing vom 6.–8. 1. 1970 (VBV-Ordner Frör). 110 Ebd. 111 Ebd.

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Reißenweber und Eike Rubner. Diese sieben Vikare entwarfen in den folgenden Wochen ein erstes Organisationskonzept, führten Informationsgespräche mit Oberkirchenrat Dr. Siegfried Wolf und dem Vorsitzenden des Pfarrervereins, Wilhelm Mädl, informierten alle bayerischen Vikare über das Gründungsvorhaben und versandten im März 1970 einen Fragebogen, um ein Stimmungsbild über die Probleme und Schwierigkeiten der jungen Theologen im Vikariat zu erhalten112. 142 von 344 angeschriebenen Vikaren schickten ihren Bogen ausgefüllt zurück und verliehen darin ihrer Unzufriedenheit mit dem Vikariat als Ausbildungszeit Ausdruck113. Beanstandet wurde die vermeintliche Diskrepanz zwischen einer noch weitgehend am Bild des „geistlichen Privatgelehrten“ orientierten Universitätsausbildung und den praktischen Anforderungen, die eine im Umbruch befindliche Gesellschaft an die jungen Geistlichen stelle. 47,2 Prozent der Vikare wünschten sich eine Verbesserung der Vikariatszeit hin zu einer „wirklichen“ Ausbildungszeit auch auf Gebieten beispielsweise der Jugendarbeit: momentan sei das Vikariat eher eine „Hilfspredigerzeit“114 (so knapp vierzig Prozent der Befragten). 14 Prozent der Vikare hätten sich kein zweites Mal für den Weg ins Pfarramt entschieden. Vor allem ein Ergebnis der Fragebogenaktion gab dem Vorbereitenden Team einer „Vereinigung bayerischer Vikare“ Rückenwind: 90 Prozent der Befragten hielten die Gründung einer solchen Gruppierung für sinnvoll115.

2.2.2 Die Gründung der VBV 1970 und ihr Aufbau Im Mai 1970 wurde die anstehende Gründung der VBV unter der Überschrift „In Sachen ‚Vereinigung bayerischer Vikare‘“ im Korrespondenzblatt mit folgenden Worten gemeldet:

112

Der Fragebogen ist enthalten in: LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 33. Vgl. zur Auswertung und zu den nachfolgenden Informationen den Artikel von Claus-Jürgen Roepke: Die Vikare vereinigen sich (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 25 (1970), Nr. 23 vom 7. Juni, o. S.). 114 Vgl. dazu das Interview Frör, 6: „Die Vikare [von damals] sind nicht vergleichbar mit den Vikaren heute. Die Vikare heute sind in einem Lehrvikariat und damit im zweiten Ausbildungsgang – das waren wir nicht mehr. Wir waren voll tätig, also wie ein Pfarrer z. A., und wurden andererseits oft wie Kinder behandelt.“ 115 So das Vorbereitende Team am 19. 4. 1970 in seinem Einladungsschreiben an alle Vikarinnen und Vikare zur Gründungsversammlung in Ingolstadt (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 33). Allerdings ist in diesem Schreiben von insgesamt 312, nicht wie oben erwähnt 344 versendeten Fragebögen die Rede. 113

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„Es gibt in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern mindestens 250 aktive Vikare, von denen die meisten etwa 3 bis 5 Jahre im Vikariat arbeiten. Neben dem Pfarrerverein gibt es für diese immerhin recht starke Berufsgruppe – im Gegensatz zu anderen Berufsbereichen, z. B. Juristen, Mediziner etc. – keine ausreichende Interessenvertretung. Dieser Tatbestand und die guten Erfahrungen, die von schon bestehenden Vikarsvereinigungen in anderen Landeskirchen berichtet werden (vor allem aus Württemberg), veranlaßten 43 bayerische Vikare auf der traditionellen Arbeitstagung für Vikare (Januar 1970 in Tutzing), eine entsprechende Vereinigung bayerischer Vikare vorzubereiten.“116

Dass die geplante Gründung nicht auf ungetrübte Zustimmung stieß, lässt der Schluss der Meldung vermuten, die Veit Ammon im Auftrag des Vorbereitenden Teams verfasste: „Das Vorbereitende Team einer Vereinigung bayerischer Vikare hofft, das ihm bisher mancherorts entgegengebrachte Mißtrauen dadurch abbauen zu können, daß möglichst viele Vikare mit ihren unterschiedlichen Meinungen nach Ingolstadt kommen und über die geplante Arbeit mitbestimmen.“117 Gründungsversammlung in Ingolstadt Mit der Versammlung in Ingolstadt meinte Ammon die Gründungsversammlung der VBV am 25. Mai 1970, zu der 90 Vikare und drei Vikarinnen sowie verschiedene Gäste kamen, unter ihnen Oberkirchenrat Wolf, Wilhelm Mädl und Pfarrer Wilhelm Bogner118 als Vertreter des Pfarrervereins sowie die Rektoren der Predigerseminare. Anwesend waren außerdem Vertreter der Presse sowie ein Mitglied der Vereinigung Württembergischer Vikare. Der Verlauf der Versammlung ist durch ein Protokoll der VBV und durch einen Bericht im Bayerischen Sonntagsblatt, geschrieben von Pfarrer und Journalist Claus-Jürgen Roepke, einem AEE-Mitglied, dokumentiert119: Nachdem der vorläufige Ausschuss das geplante VBV-Modell vorgestellt hatte, folgte eine Grundsatzdebatte über die Ziele der VBV. Dabei „zeigten sich zwei Schwerpunkte, einmal Fragen der Ausbildung, zum anderen der Wunsch, ein Gegenüber zu kirchenleitenden Stellen zu schaffen“120. Es wurde betont, „daß

116

Korrespondenzblatt 85 (1970), Nr. 5 (Mai), 58. Ebd. 118 Bogner war von 1967 bis 1976 zweiter Landesvorsitzender des Pfarrer- und Pfarrerinnenvereins, von 1968 bis 1976 stellv. Mitglied im Vorstand „Verband der Pfarrervereine in Deutschland“. 119 Protokoll der Gründungsversammlung der „Vereinigung Bayerischer Vikare (VBV)“ in Ingolstadt am 25. 5. 1970 (Kurzfassung), in: VBV-Ordner Frör. Vgl. außerdem Claus-Jürgen Roepke: Die Vikare vereinigen sich (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 25 (1970), Nr. 23 vom 7. Juni, o. S.). 120 Protokoll der Gründungsversammlung der „Vereinigung Bayerischer Vikare (VBV)“ in Ingolstadt am 25. 5. 1970 (Kurzfassung), in: VBV-Ordner Frör. 117

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eine VBV nicht die Aufgabe theologischer Arbeitskreise und politischer Aktionsgruppen übernehmen dürfe, sondern kirchlich pragmatisch zu arbeiten habe“121. Was weiter gefordert wurde, fasste Claus-Jürgen Roepke folgendermaßen zusammen: „Einige wünschten sich Solidarisierungskampagnen in Konfliktfällen. […] Andere forderten den gemeinsamen Kampf für ein Mitspracherecht bei der Versetzung. Und wieder andere versprachen sich von der Vereinigung energische Vorstöße hin zu einer Neuordnung der Ordination. Doch im Mittelpunkt behauptete sich in der Mehrzahl der Voten das Problem der Ausbildung, der Vikarszeit und des zweiten theologischen Examens. Hier liegen elementare Interessen aller Vikare. Sie gemeinsam wahrzunehmen, dazu fühlt sich die neue Vereinigung berufen.“122

Eine kleine Gruppe von Vikaren schlug vor, auf die Gründung einer eigenen Vereinigung zu verzichten und lediglich eine Schlichtungsstelle für Vikare unter dem Dach des Pfarrervereins einzurichten. Dessen Vorsitzender Mädl unterstützte diese Idee, von der Mehrheit der anwesenden Vikare wurde sie jedoch abgelehnt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass diese Gruppe bayerischer Vikare um den Michelauer Vikar Siegfried Böhrer in den folgenden Monaten wiederholt den Anspruch der VBV kritisieren sollte, als eine Interessenvertretung tatsächlich die Mehrheit der Vikare zu vertreten. In einem Brief an Dietzfelbinger vom 28. Januar 1971 vermutete Böhrer, die VBV habe im Sinn, „die Kirche zu zerstören“123. Schließlich unterschrieben bei der Gründungsversammlung 80 von 93 teilnehmenden Vikarinnen und Vikaren die Beitrittserklärung zur VBV, 40 weitere hatten bereits zuvor ihr Interesse an der Gründung schriftlich bekundet. Im Juli 1970 hatte die VBV bereits 123 Mitglieder124. Ein gutes Jahr nach der Gründung waren die Hälfte aller bayerischen Vikare Mitglieder der VBV125.

121

Ebd. Claus-Jürgen Roepke: Die Vikare vereinigen sich (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 25 (1970), Nr. 23 vom 7. Juni, o. S.). 123 LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 33. Böhrer hatte am 19. 2. 1970 einen Rundbrief an alle bayerischen Vikare verschickt, in dem er vor dem Beitritt zur VBV warnte. Vgl. dazu die Antwort des Vorbereitenden Teams der VBV vom 3. 3. 1970 an Böhrer (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 33). 124 Vgl. VBV-Rundbrief, Nr. 2 / Juli 1970, 2. 125 Vgl. ebd. 122

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Reaktionen auf die Gründung der VBV Eine Woche nach Gründung der VBV wandte sich das Ständige Team an Landesbischof Dietzfelbinger mit der Bitte, dem Bischof die neue Vereinigung in einem persönlichen Gespräch vorstellen zu dürfen126. Man wolle „über die Entstehung der Vereinigung informieren und dabei besonders die beiden Fragenkreise – Reform des Vikariats und Konflikte in der Vikariatspraxis – darlegen, die zur Gründung führten. Wir hoffen, daß diese Vorstellung zu einem gegenseitigen Verständnis führt, das Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Vikarsvereinigung und Landeskirchenrat sein kann.“127

Landesbischof Dietzfelbinger reagierte freundlich auf dieses Schreiben128; ein Gespräch mit ihm und weiteren Vertretern der Kirchenleitung fand am 1. Juli 1970 statt. Über dieses Gespräch existiert ein Bericht, der im VBV-Rundbrief abgedruckt wurde129. Demnach begann das Treffen mit einer Apologie, die nahe legt, dass die Vertreter der VBV durchaus mit Skepsis ihnen gegenüber rechneten: „Es wird erklärt, daß sich die VBV nicht als grundsätzlicher Gegner des LKR und der Kirche verstehe, sondern um vertrauensvolle Mitarbeit werbe. Die VBV bemühe sich, die Bedingungen am Arbeitsplatz der Vikare zu verbessern, damit diese ihren Auftrag, der ja auch der Auftrag der ganzen Kirche sei, besser erfüllen können.“130

Landesbischof Dietzfelbinger betonte dem Bericht zufolge bei dem Gespräch, „daß es ihm besonders wichtig sei, daß die VBV bei der Vertretung ihrer Interessen auch das Ganze der Kirche in ihre Überlegungen einbezieht“131. In Reaktion auf die von Günter Kohler referierten Ergebnisse der Fragebogenaktion stimmte Dietzfelbinger offensichtlich zu, „daß es mit der partnerschaftlichen Zusammenarbeit im Pfarramt nicht immer so bestellt sei, wie es wünschenswert wäre. Hier sei nur auf lange Zeit eine Abhilfe zu schaffen, bei der der jungen Theologengeneration eine besondere Verantwortung zufalle“132. 126 Schreiben der VBV (Ständiges Team) an Landesbischof Dietzfelbinger am 2. 6. 1970, in: LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 33. 127 Ebd. 128 Vgl. das Schreiben Dietzfelbingers an das Ständige Team der VBV am 16. 6. 1970 (LAELKB Nürnberg, Bestand Landesbischof, Nr. 33). 129 Diesen Bericht hatte die VBV dem Landesbischof auf dessen Wunsch hin vor der Veröffentlichung zugesandt; von einer kleinen Änderung abgesehen erklärte Dietzfelbinger sich mit dem Protokoll einverstanden. Vgl. die Unterlagen dazu in LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 33. 130 Gespräch des Ständigen Teams mit Landesbischof Dietzfelbinger am 1. 7. 1970 (Kurzfassung), in: VBV-Rundbrief, Nr. 2 / Juli 1970. 131 Ebd. 132 Ebd.

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Umstritten war vor allem die „ AG Konflikte“ der VBV, die Vikare bei Problemen mit Mentoren und Gemeinden unterstützen sollte. Hier befürchtete Oberkirchenrat Wolf eine Verhärtung der Fronten. Die in dem Bericht dokumentierte Bemerkung Dietzfelbingers, es gebe in der Landeskirche „eine ganze Reihe von Gruppierungen, nicht nur die VBV“ war es möglicherweise, die in der Erinnerung des Zeitzeugen Peter Frör einen negativen Eindruck hinterlassen hat. So hat sich bei ihm der Antrittsbesuch in München folgendermaßen eingeprägt: „Wie wir uns da vorgestellt haben […], da ist uns Bischof Dietzfelbinger über den Weg gelaufen. Der kannte uns ja [und hat gefragt]: ‚Was macht denn Ihr hier?‘ Und da haben wir gesagt: ‚Es gibt jetzt eine VBV, und wir sind das Leitende Team und wir stellen uns jetzt vor.‘ Und dann hat er uns damals das folgende Segenswort mit auf den Weg gegeben, auf dem Gang war das: ‚In der bayerischen Landeskirche gab es schon viele Vereinigungen, die das nächste halbe Jahr nicht erlebt haben.‘ Das war die Perspektive, die sie hatten: Das ist eine Eintagsfliege, und das verändert sich wieder.“133

Der Pfarrerverein schien wenig begeistert von der Gründung der VBV gewesen zu sein. Im Vorfeld der Gründung, bei den Gesprächen des vorläufigen Ausschusses mit Mädl, wurde deutlich, dass dieser eine möglichst enge Anbindung der Vikare an den eigenen Verein wünschte, ja, diese in den Pfarrerverein integrieren wollte134. Ein gewichtiger Grund dafür war anscheinend die Befürchtung, dass eine Konkurrenz zwischen beiden Gruppen entstehen könnte, und „daß durch eine Vikarsvereinigung dem Pfarrer-Verein neue Mitglieder abspenstig gemacht werden“135. Dem Wunsch Mädls, bei der Gründungsversammlung in Ingolstadt die entstehende Vikarsvertretung in den Pfarrerverein einzugliedern, war kein Erfolg beschieden. Trotz gegenseitiger Vorbehalte unterstützte der Pfarrerverein die Vikarsvereinigung bereits in deren Gründungsjahr mit 1000 Mark136.

133

Interview Frör, 9. Vgl. dazu den Bericht über das Gespräch der VBV mit Kirchenrat Mädl. Protokoll der Sitzung des Vorbereitenden Teams am 21. 1. 1970 (VBV-Ordner Frör). 135 Protokoll der Sitzung des Vorbereitenden Teams am 15. 3. 1970 in München (VBV-Ordner Frör). 136 Protokoll der 2. Vollversammlung der VBV am 12. 10. 1970 in Ingolstadt (Kurzfassung); in: VBV-Ordner Frör. 134

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Satzung und Aufbau der VBV Die vorläufige Satzung vom 25. Mai 1970137 beginnt mit folgender Zielsetzung: „Die VBV stellt sich die Aufgabe, die Interessen aller Vikarinnen und Vikare in Bayern zu verfolgen, insbesondere die Fragen der Ausbildung und der Arbeitsbedingungen im Vikariat.“ Die Mitgliedschaft steht allen bayerischen Vikarinnen und Vikaren gegen Leistung eines Beitrages offen138. Mit der Übertragung einer Pfarrstelle endete damals – anders als heute – die Mitgliedschaft in der VBV; es konnten jedoch auch Nichtmitglieder mitarbeiten. Wesentliche strukturelle Elemente der VBV sind ihre Arbeitsgruppen, die Vollversammlung und das Ständige Team. Dabei schreibt die Satzung die Hauptleistung den Arbeitsgruppen zu, die sich „nach thematischen bzw. regionalen Erfordernissen [bilden]. Sie arbeiten selbständig und informieren die Mitglieder der VBV über ihre Arbeit. Sie stellen ihre Arbeitsergebnisse in der VBV zur Diskussion“139. Auf der Gründungsversammlung wurden die Gruppen „Ausbildung und 2. Examen“ und „Personalpolitik und Stellenbesetzung“ (kurz darauf umbenannt in „ AG Konflikte“) ins Leben gerufen, ebenso die AGs „Religionssoziologie und Kritische Theorie“, „Amt und Gemeinde“ sowie „Religionsunterricht“ und „Seelsorge und Seelsorgeberatung“140. Weitere Themen zur Bildung von Arbeitsgruppen gibt in der Folgezeit die Vollversammlung vor, die mindestens einmal im Jahr vom Ständigen Team einberufen wird und zu der alle VBV-Mitglieder eingeladen werden. Auf Wunsch von wenigstens zwanzig Prozent der Mitglieder lädt das Ständige Team zu einer außerordentlichen Versammlung ein. Die öffentlich tagende Vollversammlung beschließt die Satzung und entscheidet über die Finanzen der Vereinigung, verabschiedet und erörtert die Ergebnisse der Arbeitsgruppen und beauftragt das Ständige Team. Entscheidungen werden mit einer einfachen Mehrheit getroffen, anwesend müssen mindestens ein Drittel der VBV-Mitglieder sein. In besonders dringenden Fällen kann ein Beschluss per Briefwahl getroffen werden. Die Ergebnisse der Vollversammlung werden vom Ständigen Team und dem die Vollversammlung leitenden Dreier-Team protokolliert und innerhalb von sechs Wochen allen Mitglieder zugestellt; hier liegen die Wurzeln für das Publikationsorgan der Vereinigung, den „VBV-Rundbrief“.

137

Vorläufige Satzung vom 25. 5. 1970 (VBV-Ordner Frör). Da die Strukturen im Wesentlichen in den folgenden Jahrzehnten gleich geblieben sind, ist eine Beschreibung im Präsens gerechtfertigt. 139 Vorläufige Satzung vom 25. .5. 1970 (VBV-Ordner Frör). 140 Vgl. Protokoll der Vikarstagung in der Evang. Akademie Tutzing vom 6.–8. 1. 1970 (VBVOrdner Frör). 138

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Zu den Aufgaben der Vollversammlung gehört auch die jährliche Wahl des Ständigen Teams, das „die VBV vertritt und […] über seine Arbeit in der Vollversammlung Rechenschaft [ablegt]. Es ist verantwortlich für Organisation und Kommunikation“141. Das Ständige Team umfasst sieben Mitglieder, darunter mindestens eine Frau; die Adresse eines der Mitglieder ist zugleich die offizielle Anschrift der VBV.

2.2.3 Die Entwicklung der VBV bis 1976 Am besten lässt sich die Entwicklung der VBV an Inhalt und Aufmachung ihrer Publikation, dem VBV-Rundbrief, ablesen. Der Rundbrief erschien erstmals am 5. Juni 1970 und machte in seinen ersten Nummern diesem Namen alle Ehre: Er bestand lediglich aus einem Anschreiben – zugleich dem einzigen redaktionellen Beitrag – mit Anlagen. Verantwortlich zeichnete das Ständige Team. Im Folgenden wurde der VBV-Rundbrief an alle bayerischen Vikarinnen und Vikare, den Landeskirchenrat, den Pfarrerverein sowie an außerbayerische Vikarsvereinigungen verschickt. Ab August 1971 begann mit der elften Nummer die in den folgenden Jahren mehr oder weniger starke Bemühung, dem Publikationsorgan ein ansprechenderes Layout und einen größeren Umfang zu geben. Zudem trat ab diesem Zeitpunkt ein namentlich genannter Redakteur in Erscheinung; der „Rundbrief“ verlor seinen Briefcharakter und wurde zu einer Broschüre mit Beiträgen verschiedener Autoren. Arbeitsgruppen In den ersten Jahren bemühte sich die VBV immer wieder darum, Arbeitsformen zu finden, die möglichst viele ihrer Mitglieder zur Arbeit in kleinen Gruppen aktivierten. Bis Mitte 1971 waren vor allem die thematischen Arbeitsgruppen „ AG Amt und Gemeinde“, die sich mit der Angelegenheit der „Ordinationsverweigerung“ befasste, sowie die „ AG Seelsorge“ aktiv. Die anderen, oben erwähnten Gruppen („Ausbildung und 2. Examen“, „Personalpolitik und Stellenbesetzung“, „Religionssoziologie und Kritische Theorie“, „Religionsunterricht“) gab es anscheinend zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, denn im Dezember 1971 meldete VBV-Redakteur Uwe Lang, dass „endlich wieder regionale Arbeitsgruppen gebildet“142 worden seien. Doch auch diese bestanden of-

141 142

Vorläufige Satzung vom 25. 5. 1970 (VBV-Ordner Frör). VBV-Rundbrief, Nr. 9 / Dezember 1971, Anlage 2.

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fensichtlich nicht lange. Im August 1972 versuchte Lang, eine Neuorganisation der VBV mit einer durchgängig regionalen statt thematischen Gliederung durchzusetzen. Außerdem wollte er den Informationsfluss zwischen Basis und Ständigem Team verbessern143. Bei der Vollversammlung im November 1972 erstatteten einige dieser Regionalgruppen kurz Bericht über ihre Treffen und die dabei diskutierten Themen; in den folgenden Rundbriefen erscheint der Begriff Regionalgruppe nur noch sporadisch. Die angedachte regionale Gliederung nach dem Vorbild des AEE war offensichtlich wieder eingeschlafen. Themen der VBV Was bei der Synopse der VBV-Rundbriefe der Jahrgänge 1970 bis 1976 auffällt, ist, dass die VBV in den Jahren 1970 und 1971 häufiger konfliktträchtige Aktionen startete und umstrittene Resolutionen veröffentlichte als in den darauffolgenden Jahren. Exemplarisch seien genannt: die Resolution der VBV zum Anti-Rassismus Programm des Ökumenischen Rats der Kirchen144, die Verhandlungen der VBV mit dem Landeskirchenamt wegen der Ordinationsverweigerung einiger ihrer Mitglieder145, die Dokumentation des Falles Rolf Hanusch, dem den Unterlagen zufolge offensichtlich wegen seiner Mitarbeit in der VBV eine Stelle im Amt des Landesjugendpfarrers verweigert wurde146 und die gemeinsame Resolution von VBV und AThP, die sich für eine Trennung von Seelsorge und Dienstaufsicht in der bayerischen Landeskirche aussprach147. Entwicklung des Verhältnisses zum Pfarrerverein und zur Kirchenleitung Was sich bereits bei der Gründung der VBV angedeutet hatte, zog sich durch die folgenden Jahre und Rundbriefe der VBV: das angespannte Verhältnis der Gruppe zum Pfarrerverein, besonders im Zusammenhang mit den eben genannten umstrittenen Aktionen der Anfangszeit148. Unter anderem kritisierten die Vikare, dass ihnen der Pfarrerverein nicht den Platz in seiner Satzung ein-

143 Vgl. dazu Uwe Lang: „An alle Mitglieder und Freunde der VBV“ (VBV-Rundbrief, Nr. 11 / 5. 8. 1972, 1). 144 Vgl. das Beispiel „Die VBV und das Anti-Rassismus Programm des ÖRK“, 213–227. 145 Vgl. das Beispiel „Die VBV und die ‚Ordinationsverweigerung‘“, 167–191. 146 Vgl. VBV-Rundbrief Nr. 6 / 5. 4. 1971. 147 Vgl. dazu Korrespondenzblatt 86 (1971), Nr. 1 (Januar), 8. 148 Vgl. dazu VBV-Rundbrief, Nr. 6 / April 1971, 7: Unter dem Stichwort „Verhältnis zum Pfarrerverein“ steht hier: „Der [Pfarrerverein] hat sich in letzter Zeit durch die VBV ab und zu auf die Füße getreten gefühlt. Bei den Aktivitäten zum Antirassismusprogramm und zum Seelsorgegespräch mit Vorgesetzten stellte sich die Standesvertretung der Pfarrer merkwürdig schnell auf die Seite der Kirchenleitung.“

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räumte, der ihnen ihrem Erachten nach zustand, und dass eine institutionalisierte Vertretung von VBV-Mitgliedern in der Vertrauensmännerversammlung und im Vorstand des Vereins verzögert werde149. Dass der VBV nicht grundlegend und langfristig am Konflikt mit dem Pfarrerverein gelegen war, zeigt der Bericht über die 4. Vollversammlung der VBV im November 1971, an der zwei Vertreter des Pfarrervereins teilnahmen. Zum Tagesordnungspunkt „Verhältnis VBV – Pfarrerverein“ stellte das Ständige Team der VBV fest: „Zusammenarbeit ist möglich und notwendig, weil a) die VBV keine Gegenorganisation zum Pfarrerverein sei, und b) die VBV evtl. einen Erdrutsch im Pfarrerverein verhindern könne.“150 Die Stimme des Pfarrervereins in dieser Angelegenheit wird von den Protokollanten der VBV folgendermaßen wiedergegeben: „Das Verhältnis VBV – Pfarrerverein war gespannt, weil der Eindruck eines Konkurrenzunternehmens entstand. Dieser Eindruck müsse verschwinden. […] Die VBV sollte für den Pfarrerverein werben; ein Mitgliederschwund im Pfarrerverein sei nicht zu leugnen. Die VBV sei vom Pfarrerverein akzeptiert; freilich bestehe ein Generationenproblem, daher die Bitte, vorsichtig zu agieren. Jedoch sollte die VBV überall mitarbeiten, um die Einheit zu wahren.“151

Wieweit diese Einheit gehen sollte, blieb ein Streitpunkt in der VBV. Mehrmals wurde diskutiert, ob die Vereinigung eine „Untergruppe beim Pfarrerverein oder beim AEE“152 werden solle. Ein Zusammenschluss von Pfarrerverein und VBV schien im Mai 1975 ernsthaft im Raum gestanden zu sein, als bei einem Kontaktgespräch zwischen Vikaren und Pfarrerverein bereits über Einzelheiten einer möglichen Vereinigung gesprochen wurde153. Drei Vorteile sahen die VBV-Vertreter: Der Zusammenschluss würde für sie eine organisatorische Entlastung bedeuten. Außerdem würde damit der Rechtfertigungsdruck, den sie bezüglich ihres Vertretungsanspruches gegenüber der Kirchenleitung empfanden, aufhören. Schließlich wäre ein kontinuierlicheres Arbeiten auf breiterer Basis gewährleistet: „In Zukunft wären alle Lehrvikare und Pfarrer z. A., also die ersten 4 Jahre in der bayerischen Landeskirche, die sich dem Pfarrerverein 149

Vgl. dazu VBV-Rundbrief, Nr. 6 / April 1971, 7. VBV-Rundbrief, Nr. 9 / Dezember 1971, Anlage 1: Protokoll der 4. Vollversammlung der VBV am 8. 11. 1971 in Ingolstadt, Punkt 24: Bericht des ST über das Verhältnis VBV – Pfarrerverein, 2. 151 Ebd. 152 Vgl. dazu das Protokoll der 6. VBV-Vollversammlung am 27. 11. 1972 (VBV-Rundbrief, Nr. 13 / 25. 3. 1973, 5–11, hier: 7). 153 Vgl. das Protokoll über das Gespräch zwischen VBV und Pfarrerverein am 17. 4. 1975 in Tutzing (VBV-Rundbrief, Nr. 19 / 7. 5. 1975, 13). 150

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anschließen, Mitglieder dieser Vikarsvertretung: Neuer Name: evtl.: Vertretung bayerischer Vikare (VBV!).“154 Warum die in diesem Gespräch angedachte Vereinigung scheiterte, ist nicht dokumentiert. Das Verhältnis blieb spannungsreich155; die Basis für ein Miteinander brach jedoch nie völlig zusammen. Vertreter des Landeskirchenrats machten ihre Akzeptanz der VBV immer wieder davon abhängig, inwieweit die Vereinigung tatsächlich ihrem Anspruch gerecht werden konnte, die Mehrheit der bayerischen Vikare zu vertreten. Wie Aktenvermerke zu den Kontaktgesprächen belegen, forderte der Ausbildungsreferent wiederholt von den Vertretern des Ständigen Teams, sich um den Kontakt mit der Basis zu bemühen. Im Dezember 1973 beispielsweise ist in den Protokollen von Oberkirchenrat Siegfried Wolf die Anfrage vermerkt, „ob mit der Neuwahl eines Leitenden Teams evtl. auch eine Veränderung der Ziele und des Selbstverständnisses der VBV zu erwarten sei. […] Die anwesenden Vikare betonen als Ziel der VBV […] die Interessenvertretung aller Vikare. Gleichzeitig wollen sie Beiträge zur ‚gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Bewußtseinsbildung‘ leisten. OKR Dr. Wolf weist auf die Spannung zwischen diesen beiden Zielsetzungen hin.“156

Wolf hatte mit dem eben zitierten Hinweis den Finger in die Wunde der Vereinigung gelegt: Inwieweit war die Gruppe eine reine Interessenvertretung, inwieweit eine kirchliche Reformgruppe? Oder anders ausgedrückt: Wie konnte es gelingen, dass „die VBV trotz der möglichst breiten Basis, auf die sie sich stützen sollte, und der damit verbundenen Vielzahl der Meinungen eine Konzeption“157 entwickelte?

154

Ebd. Vgl. dazu beispielsweise die Bemerkung von Dersch, Pfarrerverein, 143 f.: „Die VBV als Nachwuchsorganisation des [Pfarrer-]Vereins – das hätte diesen zwar gefreut (und war vielleicht immer wieder auch erwünscht worden), hätte jene aber mit Recht entsetzt. Aus der Bewegung der 68er Jahre entstanden […] verstand sie sich grundsätzlich als Opposition zum Pfarrerverein. […] Die VBV als Konkurrenzorganisation zum Pfarrerverein im Blick auf die Vertreter der Mitglieder? So hätte diese sich immer wieder gerne gesehen, aber jener wurde nicht müde, den Alleinvertretungsanspruch im Sinne des Pfarrervertretungsgesetzes zu betonen und konnte sich durchsetzen, da in der VBV alle den Kraftaufwand scheuten, der schon allein dazu nötig gewesen wäre, aus der Vereinigung einen Verein zu machen.“ 156 So Wolfs Vermerk „Betr.: Kontaktgespräch mit dem Ständigen Team der VBV (13. 12. 1973)“ (Landeskirchenamt München, Az 20 / 3-9-4). 157 Protokoll der 2. Vollversammlung der VBV am 12. 10. 1970 (VBV-Ordner Frör). 155

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2.2.4 Die inhaltliche und formale Charakterisierung der VBV (1970–1976) Gerade in den Rundbriefen der ersten Jahre ihres Bestehens häuften sich Selbstverständnisdebatten innerhalb der VBV, die immer wieder um das Problem kreisten, inwieweit die Vereinigung von ihren nominellen Mitgliedern wahrund ernstgenommen wurde, und inwieweit hinter den Resolutionen und Forderungen der wenigen Aktiven tatsächlich eine Mehrheit der Vikare stand. So klagte das Ständige Team im Juli 1971 darüber, dass ihm – anders, als erwartet – kaum „Konfliktschilderungen“ zugingen, in denen ihm Vikare über die Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten, Kollegen und der Kirchenleitung berichteten158. Wenige Monate später, im November 1971, wurde dann ausführlich über die Gefahr reflektiert, dass die VBV zu einer „Funktionärsvereinigung ohne Basisarbeit“ werden könne159. Bei der VBV ist eine Mischform aus einer Interessenvertretung mit den Zügen einer Organisation und einer Reformgruppe zu beobachten: Einerseits ist sie formal eine auf Dauer angelegte Vertretung aller Vikarinnen und Vikare in Bayern; in ihrer Satzung sind keine inhaltlichen Ziele, sondern nur ihre Strukturen benannt. Andererseits sprechen zahlreiche Gründe dafür, sie in ihren Anfangsjahren als Teil der kirchlichen Reformbewegung, als Reformgruppe zu bezeichnen: So zeigt sich zunächst bereits im Akt ihrer Gründung ein starker Demokratisierungswille und ein neu erwachtes Selbstbewusstsein, das seine Parallelen auch an den Universitäten hatte: Man wollte ungeachtet seiner niedrigen Stellung innerhalb der Hierarchie ernstgenommen werden, man wollte seine Ideen, was Ausbildung, Berufsziel und Rechte anging, vertreten und verwirklichen160. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Blick darauf, wer die Initiative zur Gründung der VBV ergriff: Es waren zum Großteil Vikare, die bereits in Zusammenhang mit den in dieser Arbeit sogenannten „Vorgruppen“ oder „Nebengruppen“ der VBV in Erscheinung getreten sind (AG Ordination, AThP, AEE-Mitglieder etc.). Damit repräsentierten die Gründerväter keinesfalls einen Querschnitt ihrer Vikarsgeneration, sondern rekrutierten sich aus einem generell an Kirchenreformen interessierten Kreis; dies belegen auch die Aussagen von Zeitzeugen161. 158

Vgl. VBV-Rundbrief, Nr. 7 / Juli 1971. Vgl. VBV-Rundbrief, Nr. 8 / November 1971. 160 Vgl. dazu auch Leudesdorff, Reformgruppen, 15: „Gruppen, die den früheren landeskirchlichen Theologiestudentengruppen zu ähneln scheinen, in Wirklichkeit aber jetzt ausgeprägte Vorstellungen über Ausbildungsgang, Berufsziel und materielle Rechte entwickeln.“ 161 Vgl. dazu etwa Interview Kohler, 4: „Von unserem Predigerseminarkurs her war klar, dass wir zu den kritischeren Leuten gehört haben, und die müssen sich irgendwie gefunden haben. Das 159

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Die VBV wurde – trotz ihres formalen Charakters einer breiten Interessenvertretung – in ihren Inhalten weitgehend von einem kleinen Kreis Gleichgesinnter geprägt; man traf sich als konspirative Gruppe und legte die Linie der Vereinigung fest. In ihren Anfangsjahren war diese Linie inhaltlich klar der kirchlichen Reformbewegung zuzuordnen; dies zeigen die von der VBV vertretenen Themen, die weit über berufsspezifische Interessen hinausgingen. Das Dilemma der VBV, einerseits den organisatorischen Status einer Interessenvertretung zu haben, andererseits in ihren Anfangsjahren de facto die Anliegen der Reformbewegung – Demokratisierung und ein starkes gesellschaftspolitisches Engagement – zu verfolgen, teilte sie mit ähnlichen Vereinigungen dieser Jahre in anderen Landeskirchen. Genannt sei hier der im September 1968 gegründete Konvent Westberliner Vikare, kurz: KWV, der sich beispielsweise auf der Frankfurter Delegierten-Tagung im März 1969 angesichts von Flügelkämpfen zum wiederholten Mal mit der Frage beschäftigte, ob neben die formale Struktur nicht auch noch inhaltliche Vorgaben in die Satzung aufgenommen werden müssten: „Bisher heißt es in der Satzung lediglich, daß der KWV die Interessen der Westberliner Vikare vertritt, ohne daß völlige Einstimmigkeit darüber erzielt werden könnte, welche diese Interessen genau sein und wie sie durchgesetzt werden müßten.“162 Auch bei VBV zeigte sich von Anfang an, dass sie die Interessen aller Vikare weder vertreten konnte noch wollte163. Dies wurde sowohl von Seiten des Landeskirchenamtes als auch von den Vikaren, die sich selbst nicht der VBV zugehörig fühlten, kritisiert. Exemplarisch sei hier aus einer öffentlichen Stellungnahme von zehn bayerischen Vikaren bezüglich der umstrittenen VBVResolution zum Anti-Rassismus Programm des ÖRK zitiert164. Wie im Bayerischen Sonntagsblatt unter der Überschrift „Vikare kontra Vikare“ berichtet wurde, wiesen diese Vikare dezidiert darauf hin „daß der VBV nur etwa die Hälfte der bayerischen Vikare angehört. Die fragliche Resolution sei von weniger als einem Fünftel aller Vikare unterzeichnet worden. In der Öffentwar irgendwann so […], dass Leute wie Rolf Hanusch und Peter Frör plötzlich merkten: Wir ziehen da an einem Strang und wir möchten in dieser Landeskirche etwas verändern. Wir leiden darunter, dass sie mit Vikaren so umgeht, dass die gefälligst angepasst werden sollen, und das wollen wir nicht. Und deswegen müssen wir als Interessenvertretung uns jetzt zusammenfinden und diese VBV gründen.“ 162 So die „Überlegungen des Konvents Westberliner Vikare (KWV)“. Aktion Kirchenreform – Frankfurter Delegierten-Tagung, 2. / 3. 3. 1969 (Dross, Ad hoc, 121–123, hier: 122). 163 Vgl. dazu beispielsweise Interview Kohler, 8: „Ich vermute, daß wir im Grunde genommen von Anfang an das radikalere oder linkere Segment der Vikare vertreten haben. Es gab zweifellos Leute, die ganz anders gearbeitet, gedacht haben und die von vornherein an uns nicht interessiert waren, die wir vielleicht auch rausgeekelt hätten, wenn sie gekommen wären.“ 164 Vgl. dazu das Beispiel „Die VBV und das Anti-Rassismus Programm des ÖRK“, 213–227.

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lichkeit entstehe aber leicht der Eindruck, es handele sich um eine zahlenmäßig große Gruppe“165. Dass der Rollenkonflikt – formal eine Interessenvertretung, de facto eine von wenigen Aktiven getragene Gruppe mit kirchenpolitischen Zielen – der VBV immanent ist, zeigt auch der folgende Ausblick.

2.2.5 Ausblick: Die Entwicklung der VBV nach 1976 „Unsere Grundidee ist es ja eigentlich, eine Vernetzung von Interessensvertretung und dem Einsatz für kirchenpolitische Ideen anzubieten – wir wollen an der Gestalt der Kirche mitarbeiten! Aber Idee und Wirklichkeit klaffen schon oft auseinander; manchmal führt der Anspruch der Vikare an uns, Dienstleister zu sein, zur Verzweckung der VBV, der Reformtrieb wird enorm gehemmt.“166

Mit diesen Worten beschreibt Susanne Gutmann, Geschäftsführerin der VBV im Jahr 2005, das altbekannte Problem der Vereinigung. Ebenso wie dem AEE mangelt es der VBV Anfang des 21. Jahrhunderts an aktiven Mitgliedern. Zwar treten pro Ausbildungsjahrgang gut 25 Prozent der Vikarinnen und Vikare in die VBV ein, was die Zahl der Teilnehmer an den Vollversammlungen angeht, ist aber ein erheblicher Einbruch zu beobachten. Dieser Umstand hängt Gutmann zufolge an den Erwartungen eines Großteils ihrer Mitglieder an die VBV: „Man möchte ein Service-Angebot, das man durch seine Mitgliedschaft unterstützt.“167 Neben diesem Anspruchsdenken, so die VBV-Geschäftsführerin, leide die VBV vor allem unter den Umstrukturierungen im Landeskirchenamt: Dadurch, dass die mittlere Ebene gestärkt wurde, bleibe der VBV die direkte Auseinandersetzung mit den Entscheidungsträgern zunehmend vorenthalten. Zum Pfarrerverein hat sich Gutmann zufolge das ambivalente Verhältnis „Distanz und Nähe“168 erhalten, auch wenn 1988 die Vereinbarung getroffen wurde, dass „Pfarrer- und Pfarrerinnenverein und VBV […] sich als befreundete Organisationen [verstehen]“169. Seit diesem Zeitpunkt ist die VBV – 1980 umbenannt in „Vereinigung bayerischer Vikarinnen und Vikare“170 – auch of165 Meldung „Vikare kontra Vikare“ (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 25 (1970), Nr. 50 vom 13. Dezember, o. S.). 166 Gespräch mit Susanne Gutmann (23. 9. 2005). 167 Ebd. 168 Ebd. 169 Vgl. zu der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Pfarrerverein und VBV die Ausführungen von Dersch, Pfarrerverein. 170 Heute steht das Kürzel VBV für Vereinigung Bayerischer Vikarinnen und Vikare, Pfarrerinnen und Pfarrer z. A., Pfarrerinnen und Pfarrer.

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fen für die Mitgliedschaft von Pfarrerinnen und Pfarrern. Durch die Jahrzehnte hindurch sind immer wieder Spannungen zwischen VBV und Pfarrerverein aufgetreten, die sich an Themen wie der Warteliste für Vikare, der Stellenteilung von Pfarrerehepaaren oder der Besoldung entzündeten. Die Verbindungen zum LabeT sind nach wie vor hauptsächlich insofern eng, als die meisten der in der VBV Engagierten ihre ersten kirchenpolitischen Erfahrungen im Landeskonvent gemacht haben. Der Kontakt und die personellen Überschneidungen zwischen AEE und VBV hingegen haben nachgelassen: Teilten beide Organisationen in den ersten Jahrzehnten viele Anliegen und Interessen – etwa die Friedensdiskussion Anfang der achtziger Jahre –, fehlt heute offensichtlich weitgehend die gemeinsame Basis: „Wir sind zwar traditionell befreundete Gruppierungen und stehen uns grundsätzlich nahe, aber wir merken momentan, dass wir einfach eine andere Generation vertreten, als dort zur Zeit dominiert.“171 Mit der Verjüngung des AEE-Leitungsteams im Winter 2008 ergeben sich möglicherweise neue Perspektiven der Zusammenarbeit.

2.3 Der Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten (LabeT)

Der Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten Auf der Frühjahrstagung der Landessynode im Mai 1969 beschrieb Bischof Dietzfelbinger die Situation der Theologiestudenten folgendermaßen: „Viele Probleme verdichten sich verständlicherweise bei ihnen [Studenten der Theologie, Studentengemeinden, Studenten allgemein], und der Kampf der Geister wie der Scheidung der Geister hat hier besonders heftig eingesetzt. […] Keinesfalls kann ihnen dabei ein Bischof verübeln, wenn auch kritische, sehr kritische Fragen an die Institution der Kirche gestellt werden. […] Allerdings muß ebenso deutlich gesehen und offen davon geredet werden, daß sich gerade heute unter den Theologiestudenten harte Kämpfe abspielen, in Hörsälen und Seminaren, bei Übungsgottesdiensten und in Studentenheimen, zwischen Studenten und Lehrern der Theologie und untereinander. […] Es ist verständlich, daß in den Gemeinden, aus denen die Theologiestudenten kommen und in denen sie einmal Pfarrer werden wollen, die Unruhe wächst, wenn sie von solchen Dingen hören.“172

Die von Dietzfelbinger hier angedeuteten Wechselwirkungen zwischen evangelischen Theologiestudenten und Studentenbewegung waren unterschiedlichster Art; was Dietzfelbinger hier beschreibt, was er mit „harten Kämpfen“ und entsprechender „Unruhe“ in den Gemeinden andeutet, trifft wohl am ehesten auf 171 172

Gespräch mit Susanne Gutmann (23. 9. 2005). VLS 1969 / I, 20.

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die Theologiestudenten zu, die sich in Basis- und Aktionsgruppen an den Universitäten sammelten und vor dem Hintergrund einer am Marxismus orientierten Gesellschaftsanalyse einen Umsturz kirchlicher Strukturen propagierten173. Solche revolutionären Interessen lagen dem 1970 gegründeten LabeT weitestgehend fern; er griff als eine kirchliche Reformgruppe zwar durchaus noch Ideen der Studentenbewegung auf, wollte aber ebenso wie AEE und VBV eine Veränderung innerhalb der vorgegebenen Strukturen. Seine Mitglieder einte weitgehend das generelle Bestreben, später Pfarrer zu werden174. Dieses dezidiert berufsständische Interesse unterschied ihn von den Theologiestudenten, die sich in den genannten Basisgruppen engagierten und schließlich in großer Zahl außerkirchliche Berufe ergriffen.

2.3.1 Die Situation der Theologiestudenten vor Gründung des LabeT Kontakte untereinander und zur Landeskirche Zwischen den bayerischen Theologiestudenten und Vertretern der Landeskirchenleitung gab es – neben dem Antrag auf Aufnahme in die Anwärterliste – vor allem zwei Berührungspunkte: den Kontaktbesuch des Ausbildungsreferenten am Studienort und die jährlich stattfindenden „Theologiestudentenfreizeiten“ in Josefstal, die das „Amt für Gemeindedienst“ im Auftrag des Landeskirchenrates organisierte. Der Besuch des Ausbildungsreferenten wurde von den meisten der befragten Zeitzeugen in erster Linie als geselliges Ereignis empfunden. Der Lagebericht des Referenten über die aktuelle Situation der bayerischen Landeskirche war vor allem für diejenigen jungen Theologen interessant, die außerhalb Bayerns studierten. So erinnert sich beispielsweise Hans-Gerhard Koch, damals Theologiestudent: „Ich habe das in Erlangen weniger erlebt, aber dann in Göttingen: Da kam der damalige Nachwuchsreferent […] angereist, und es gab ein Abendessen, das die Landeskirche bezahlt hat […]. Und dann wurden wir informiert, was in der Landeskirche momentan läuft und was von uns erwartet wird als die künftigen Pfarrer. […] [Und] man hat natürlich die Kommilitonen hier kennen gelernt, […] das war so ein bisschen Heimatgefühl.“175

173

Vgl. dazu Kapitel 1.5.2.1, 36. Der LabeT stand theoretisch auch Religionsphilologen offen; in der Praxis engagierten sich hier jedoch nur vereinzelt Studenten mit einem zweiten Studienfach. Die überwiegende Mehrheit der LabeT-Mitglieder waren Studenten mit dem Berufsziel Pfarrer; sie prägten die Themen. 175 Interview Koch, 3. 174

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Mehr Zeit zum Diskutieren über die kirchliche und persönliche Situation boten die mehrtätigen „Theologiestudentenfreizeiten“ in Josefstal. Das „Studienzentrum für Evangelische Jugendarbeit“ in Josefstal, aufgrund seines progressiven Charakters innerhalb der bayerischen Landeskirche umstritten, war einigen jungen Theologen bereits aus der Schulzeit bekannt: Hier fanden die Orientierungstage für Abiturienten zum Thema „Beruf und Berufung des Theologen“ statt, hier boten die Mitarbeiter der „Arbeitsgemeinschaft für Schülerarbeit“ ihre „Schülerwochenendseminare“ an, die sich im Winter 1967 / 68 unter anderem dem „Dialog zwischen Marxisten und Christen“ und dem Thema „Zwischen Protest und Langeweile. Das Unbehagen der Jugend in unserer Gesellschaft“ widmeten176. Leiter des Studienzentrums Josefstal war bis 1976 Dr. Christof Bäumler, sein Nachfolger wurde Werner Schanz – beide Gründungsmitglieder des AEE. Engagement an den theologischen Fakultäten und in den Studentengemeinden Einige der Studierenden, die später im LabeT aktiv wurden, engagierten sich zuvor – und später auch parallel zur Arbeit im Landeskonvent – innerhalb ihrer theologischen Fakultäten. Dabei beschäftigten sie sich vor allem mit gesamtgesellschaftlichen Problemen und strukturellen Fragen der universitären Ausbildung177; innerkirchliche Anliegen lagen den meisten von ihnen eher fern. An der Erlanger Fakultät beispielsweise war der spätere LabeT-Gründer Johannes Friedrich Ende der sechziger Jahre in der Fachschaft Theologie aktiv. Deren vorrangige Ziele, etwa der Didaktik einen höheren Stellenwert zu geben, beurteilt Johannes Friedrich als „vergleichsweise harmlos“, man gehörte nicht „zu den ganz Linken damals“178. Dennoch hätten die Aktivitäten der Fachschaft Theologie für „nicht unerhebliche Konflikte mit einem Teil der Professoren“179 gesorgt und einige Veränderungen in der Fakultät angestoßen: Ein Fachschaftsrat wurde ins Leben gerufen, an der Fakultätssitzung durfte nun ein studentischer Sprecher teilnehmen, die Studenten bemühten sich um Mitbestimmungen bei Berufungen. An der Kirchlichen Hochschule Neuendettelsau wurde Ende der sechziger Jahre die schon länger praktizierte Teilnahme von Studenten mit einer beratenden Stimme an den Dozentensitzungen in der Conciliumsordnung rechtlich 176 Vgl. Arbeitsgemeinschaft für Schülerarbeit, Programm Schülerwochenendseminare. Winterarbeit 1967 / 68 (Quelle: Werner Schanz). 177 Nach Ausrufung des „Bildungsnotstandes“ wurde ab 1963 eine umfassende Bildungsreform propagiert. Was speziell die Theologie anbelangt, wurde (allerdings weitgehend vergeblich) ab 1965 an einer Studienreform gearbeitet. Vgl. den knappen Überblick bei Hauschild, Kirche, 60. 178 Interview Friedrich, 1. 179 Ebd.

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verankert180. Die Stimmung an der Hochschule war laut den Erinnerungen des damaligen Studentenpfarrers Karl Foitzik weitgehend ruhig; für Aufsehen sorgten allerdings wiederholt die politischen Diskussionen und Aktivitäten der Mitglieder einer im „Meiserhaus“ lebenden Kommune181. Außerdem gab es an der Augustana-Hochschule einen „Politischen Arbeitskreis“, der sich mit innen- und außenpolitischen Themen beschäftigte und auch den Weg in die Öffentlichkeit nicht scheute: So verabschiedeten seine Mitglieder am 24. Mai 1966 ein Memorandum zur geplanten Notstandsgesetzgebung182, in dem sie vor einer Gefährdung der Demokratie und der Gefahr einer Diktatur bei Verabschiedung der Notstandsgesetze warnten und zu einer breiten Diskussion darüber aufriefen. Die geltenden Gesetze, so die öffentliche Stellungnahme der jungen Theologen, seien zum Schutz des Staates durchaus ausreichend183. Das Memorandum, das dreißig Studenten und Geistliche unterschrieben, wurde unter anderem an den Deutschen Bundestag, an den DGB, an den Bundesinnenminister184 und verschiedene Medienanstalten verschickt. Das Memorandum enthielt keine theologische Begründung; hier wurde rein politisch argumentiert. Ebenso wie Studierende anderer Fakultäten engagierten sich bayerische Theologiestudenten in den Evangelischen Studentengemeinden ihrer Studienorte. Hier, an der Schnittstelle zwischen Gemeinde und Universität, kam es in den späten 1960er und in den 1970er Jahren zu erheblichen strukturellen wie ideellen Wandlungen: Man versuchte, Themen und Ziele der Studentenbewegung vor christlichem Hintergrund zu interpretieren, neue Formen des Glaubens zu finden und alternative kirchliche Handlungsmodelle zu entwickeln185. 180

Vgl. Dietzfelbinger, Fünf Jahre, 20. Vgl. dazu das Interview Foitzik, 9. Die Mitglieder dieser Neuendettelsauer „Kommune“ gingen den Erinnerungen Foitziks zufolge später nach Heidelberg und waren dort zum Teil im Sozialistischen Studentenbund aktiv. 182 Die Große Koalition (1966–1969) traf mit Hilfe der Notstandsgesetze Vorkehrungen für den Verteidigungsfall sowie für den Fall innerer Unruhen und Katastrophen. Bevor die Gesetze am 30. 5. 1968 verabschiedet wurden, gab es erbitterten Widerstand von Seiten des Kuratoriums „Notstand der Demokratie“, der FDP, zahlreichen Studentengruppen und Gewerkschaften. Sie kritisierten die Gesetze als inakzeptable Eingriffsmöglichkeit des Staates in die Grundrechte seiner Bürger. 183 Memorandum des Politischen Arbeitskreises der Theologischen Hochschule Neuendettelsau zur Notstandsgesetzgebung (Ordner „Politischer Arbeitskreis“ Lang). 184 Die Antworten des Bundesministeriums des Innern (20. 6. 1966), der CDU-Geschäftsstelle Bonn (13. 6. 1966), des SPD-Parteivorstands (24. 6. 1966) und der FDP-Geschäftsstelle Bonn (22. 6. 1966) an den Arbeitskreis sind ebenfalls enthalten in: Ordner „Politischer Arbeitskreis“ Lang. 185 Vgl. zu den Aktivitäten und der Entwicklung der Studentengemeinden in dieser Zeit den Überblicksartikel Bell, Art. Studentengemeinde / Hochschulgemeinde. Über den Versuch der Berliner ESG, als „politische Gemeinde“ zu leben, berichtete der damalige Studentenpfarrer Hassel181

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Gerade die Zuwendung vieler Studentengemeinden zur politischen Theologie und ihre Experimente im liturgischen Bereich führten häufig zu Auseinandersetzungen mit der Landeskirchenleitung und Vertretern der Ortsgemeinden. Die Besetzung der Stelle des Studentenpfarrers wurde oft zum Politikum, so beispielsweise 1970 in Erlangen: Da der vom Landeskirchenrat berufene ESGPfarrer nicht den Erwartungen einiger ESG- und AStA-Mitglieder entsprach, kam es zu einer zum Teil öffentlich ausgetragenen Kontroverse186. Einen anderen Konflikt hatte die ESG Erlangen ein Jahr zuvor mit Vertretern der Ortsgemeinde ausgetragen, als die Reformvorschläge des ESG-Gottesdienstteams für die Predigtreihe „Mutmaßungen über Gott“ für erbitterte Diskussionen gesorgt hatten: Unter anderem hatten sich die Studierenden für das Predigen ohne Talar, eine Diskussion als Fortsetzung des Gottesdienstes und eine veränderte Abendmahlsliturgie eingesetzt187. Engagement in verschiedenen kirchlichen Gruppen Einige Theologiestudenten wurden Ende der sechziger Jahre Mitglieder im AEE und beteiligten sich an Aktivitäten des Arbeitskreises. Die „Kritische Begleitung der Synode“ (KRIBS) bestand aus Mitgliedern des AEE, der Fachschaft Theologie Erlangen, des Arbeitskreises für Theologie und Praxis, des Konvents der Vikare und des Theologischen Arbeitskreises188. Im AThP und im „Theologischen Arbeitskreis“ engagierten sich außer den Vikaren auch Theologiestudenten189. Durch Zeitzeugengespräche ließ sich außerdem der „Sozialkritische Arbeitskreis e. V.“ ausmachen, der aus Erlanger Studierenden bestand190. Ihm gehörten acht Ehepaare an, die sich um Wohnungslose in der Obdachlosensiedlung in Nürnberg / Schafhof kümmerten. Die Gruppe traf sich zu privaten Seminaren, zu denen sie auch Gastreferenten einlud, und gestaltete ihre Freizeit miteinander. Aus diesem Kreis kamen auch Anstöße für die spätere Erlanger Verlöbnis-AG, deren Aktivitäten wiederum rückblickend von einigen mann in seinem 1969 erschienenen Buch „Politische Gemeinde“. Als zeitgenössische Perspektive auf das Thema sind auch die Erinnerungen des Studentenpfarrers der ESG Hannover zu empfehlen (Bergengruen, Seyt nuirg keck). Zu den katholischen Studentengemeinden vgl. besonders Grossbölting, Kontestation. Als Beispiel für die Reaktionen von Vertretern der „Bekenntnisbewegung“ auf die Aktivitäten der Studentengemeinden vgl. etwa den Aufsatz von Löwenthal, Studentengemeinden. 186 Vgl. dazu im Einzelnen LAELKB Nürnberg, Pfarreien III / 29 (ESG Erlangen), Nr. 161. 187 LAELKB Nürnberg, Pfarreien III / 29 (ESG Erlangen), Nr. 22. 188 KRIBS Flugblatt Nr. 1 (Bayreuth), in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48. Vgl. dazu ausführlich das Beispiel „Die Aktionsgemeinschaft KRIBS“, 133–142. 189 Nähere Informationen zu diesen beiden Gruppen vgl. Kapitel 2.2.1, 72 f. 190 So Michael Höchstädter, ehemaliges Mitglied des „Sozialkritischen Arbeitskreises e. V.“.

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Mitgliedern als ein wesentlicher Impuls für die Gründung des LabeT gesehen wurden191. Vorbereitungen zur Gründung des LabeT Wie die Erinnerungen von Zeitzeugen sowie schriftliche Dokumente belegen, hatten Ende der 1960er Jahre mehrere bayerische Theologiestudenten anscheinend weitgehend unabhängig voneinander die Idee, einen Landeskonvent zu gründen. Vom Herbst 1969 und Frühjahr 1970 ist die Korrespondenz des damaligen Theologiestudenten Karl-Heinz Klose erhalten, in der mögliche Organisationsmodelle einer solchen Vereinigung diskutiert werden192. Klose tauschte sich hier auch mit einem Studenten aus Schleswig-Holstein aus, in dessen Landeskirche bereits ein Konvent existierte193. Überhaupt war das Vorbild anderer Landeskirchen für die bayerischen Nachwuchstheologen in Blick auf den LabeT nicht zu unterschätzen: Bezeichnenderweise trug der erste Beitrag in der Geschichte des Info-LabeT den Titel „Zum Beispiel: so geht’s in anderen Landeskirchen“194. Motiviert wurde die Gründung eines Landeskonvents offensichtlich vor allem durch den Umgang der Kirchenleitung mit den Studenten: Die jungen Frauen und Männer waren mit der Informationspolitik der bayerischen Landeskirche unzufrieden, sie empfanden die Kontakte zwischen Ausbildungsreferent und Studierenden als nicht ausreichend, um anstehende Fragen zu klären und eigene Vorstellungen in laufende Diskussionen einbringen zu können195. Für Karl-Heinz Klose spielte zudem konkret eine Rolle, dass einige Kommilitonen offensichtlich wegen Konflikten mit der Kirchenleitung die Landeskirche verlassen hatten: „Aus diesen zum Teil durch Gerüchte verbreiteten und zum Teil auch selbst erfahrenen Abwanderungsvorgängen, die ich immer als eine individuelle Entscheidung erlebt habe, entstand bei mir und bei ein paar anderen das Gefühl: ‚Wir müssen uns 191

Vgl. dazu das Beispiel „Der LabeT und die ‚Pfarrbrautfrage‘“, 153–167. Vgl. LabeT-Unterlagen Karl-Heinz Klose. 193 Ebd. 194 Info-LabeT, Nr. 1 / Juni 1970, 2. 195 Vgl. dazu das Interview Schneider, 2, über seine Erfahrungen bei einem Gespräch mit dem Ausbildungsreferenten vor Gründung des LabeT: „Ich habe dann am Schluß versucht, […] nach Studienreform und Examensreform in Bayern zu fragen, und für diese Fragen wurde ich abgebürstet, das sei alles völlig irrelevant. Das war für mich eine Motivation zu sagen: Ich sehe das völlig anders. Und meine Kommilitonen sehen es auch anders. […] Ich wollte einfach nur informationshalber wissen, ob sich da was tut, auch in Bayern, und ob da wahrgenommen wird im Landeskirchenamt oder Landeskirchenrat, was an den Hochschulen los ist. Und ich mußte feststellen, daß man das entweder nicht wahrgenommen hat oder nichts damit zu tun haben wollte.“ 192

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einfach ein bisschen zusammenschließen.‘ […] Ich war damals nicht gewerkschaftlich organisiert, aber man hat ein Gefühl des Zusammenschlusses vielleicht auch im Laufe der Entwicklung der sechziger Jahre bekommen.“196

Aus den Briefen Karl-Heinz Kloses geht hervor, dass dieser auch um das Engagement zweier bayerischer Theologiestudenten, die in Tübingen studierten, wusste: Johannes Friedrich und Werner Schneider waren ebenfalls von der Notwendigkeit einer studentischen Vertretung überzeugt, entwarfen eine erste Konzeption eines solchen Konvents und erfanden schließlich auch den Namen LabeT197. Ihre Vorarbeiten, die Überlegungen anderer Studenten sowie die entsprechenden Verbindungen untereinander führten schließlich dazu, dass bei der Tagung der Theologiestudenten in Josefstal vom 31. März bis 3. April 1970 der „Landeskonvent Bayerischer Theologiestudenten“, kurz: LabeT, gegründet werden konnte.

2.3.2 Die Gründung des LabeT 1970 und sein Aufbau Im Mai 1970 trat der „Landeskonvent Bayerischer Theologiestudenten“ mit folgender Pressemitteilung ins Licht der Öffentlichkeit198: „Auf der Tagung der Theologiestudenten in Josefstal vom 31. 3.–3. 4. 1970 wurde ein Konvent bayerischer Theologiestudenten gegründet. Man ging dabei von folgenden Überlegungen aus: 1. Der Konvent schließt bayerische Theologiestudenten innerhalb und außerhalb Bayerns zusammen. Er ist deren Sprachrohr gegenüber den Organen der Evang.-Luth. Kirche in Bayern. 2. Der Konvent soll Theologiestudenten vor Vereinzelung im Studium schützen und zu besseren Kontakten verhelfen. Er informiert die Studenten über für sie wichtige Vorgänge in der Landeskirche und soll die Möglichkeit bieten, auf Entscheidungen, die die studentischen Angelegenheiten innerhalb der Landeskirche betreffen, Einfluss zu nehmen. Es wurde beschlossen, in einzelnen Städten örtliche Konvente zu gründen. Für den 19. Mai ist eine satzungsgebende Delegierten-Konferenz in Erlangen vorgesehen.“

Die bereits erwähnten Beweggründe, den Konvent ins Leben zu rufen, finden sich noch einmal in komprimierter Form in der Satzung des LabeT, die auf der

196

Interview Klose, 6. Vgl. Interview Friedrich, 5. 198 Werner Schneider: „Landeskonvent Bayerischer Theologiestudenten“ (NELKB 25 (1970), Nr. 9 vom Mai (1), 173). Vgl. außerdem die Meldung Werner Schneider / Johannes Friedrich: „Landeskonvent bayerischer Theologiestudenten“, in: Korrespondenzblatt 85 (1970), Nr. 5 (Mai), 58. 197

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ersten Delegiertenversammlung am 19. Mai 1970 in Erlangen verabschiedet wurde. Unter „§ 1: Definition und Aufgabe“ ist zu lesen: „(1) Der Landeskonvent (LK) verfolgt die Interessen aller Theologiestudierender aus dem Bereich der Evang.-Luth. Kirche in Bayern. (2) Aufgabe des Landeskonvents ist es, durch seine Organe die Zusammenarbeit zwischen den Konventsmitgliedern zu fördern und ihre Interessen gegenüber den Organen der Evang.-Luth. Kirche i. B. und der Öffentlichkeit zu vertreten. Dies gilt im besonderen für: a) eine Einflußnahme auf den Studiengang und die Durchführung des Ersten und Zweiten Theologischen Examens, b) einen verstärkten Informationsfluß zwischen den Organen der Evang.-Luth. Kirche i. B. und dem Landeskonvent. (3) Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben halten die Organe des LK mit anderen Organisationen, insbesondere mit der Vereinigung Bayerischer Vikare, dem Pfarrerverein und mit Konventen anderer Landeskirchen Verbindung.“199

Was den Aufbau und die Mitglieder des LabeT betrifft, so kann jeder bayerische Theologiestudent für die Dauer seines Studiums Mitglied des LabeT werden, indem er sich in die Mitgliedsliste eines LabeT-Einzelkonvents einträgt. Mit seinen Einzelkonventen (EKs), der Delegiertenversammlung (DV) und den Landeskonvents-Sprechern verfügt der LabeT über drei Organe: Ein Einzelkonvent setzt sich aus den LabeT-Mitgliedern zusammen, die an einer gemeinsamen Hochschule studieren. Sie wählen einen Konventssprecher und einen Stellvertreter. Die Zahl der Delegierten eines Einzelkonvents steigt bei entsprechend hoher Mitgliederzahl weiter an. Ein Einzelkonvent hat den anderen Einzelkonventen gegenüber Informationspflicht. Mindestens zweimal jährlich treffen sich die Delegierten der Einzelkonvente auf der öffentlichen Delegiertenversammlung, dem beschließenden und koordinierenden Organ des Landeskonvents. Von der Delegiertenversammlung werden aus den anwesenden Konventsmitgliedern drei Sprecher für die Dauer von einem Jahr mit einfacher Mehrheit gewählt; diese drei Sprecher sollen nach Möglichkeit demselben Einzelkonvent angehören. Die Sprecher repräsentieren den LabeT in der Öffentlichkeit und kümmern sich um Geschäftsführung, Finanzen und Leitung des Konvents. Dass sich die genannte Struktur des LabeT durchsetzte, war nicht unumstritten; Karl-Heinz Klose zufolge hatten bei der Gründung des Konvents „zwei Organisationsformen zur Diskussion [gestanden]: 1) nach dem Modell der Basisgruppe, die durch Vertreter mit imperativem Mandat eine überregionale Konferenz als beschließendes und nach außen wirkendes Organ haben, 2) die jetzt angestrebte Form, die formal alle Theologiestudenten umfasst, faktisch aber nur die Vertretung 199 LabeT-Satzung vom 19. 5. 1970 (LabeT-Archiv Neuendettelsau). Nachdem sich diese Strukturen bis heute nicht maßgeblich verändert haben, werden sie im Präsens wiedergegeben.

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einiger Interessierter darstellt. Es war ein taktischer Entschluss, die zweite Form zu bevorzugen.“200

Reaktionen auf die Gründung des LabeT An die Reaktionen der Studenten auf die Gründung des Konvents erinnert sich Gründungsmitglied Werner Schneider: „Es gab etwa siebzig Prozent sehr positive Reaktionen nach dem Motto: ‚Das wurde schon lange Zeit!‘ Und deswegen haben auch sehr viele mitgemacht. Es gab auch ablehnende Reaktionen nach dem Motto: ‚Das brauchen wir alles gar nicht‘, oder: ‚So richtig theologische Fragen sind uns lieber, aber die können wir an den Universitäten klären, da brauchen wir auch keinen Konvent dazu.‘ Das waren wohl zum Teil auch Missverständnisse. Aber ganz überwiegend gab es Zustimmung, was sich auch darin gezeigt hat, dass sich die Gründungsväter […] sofort zurückziehen konnten. Wir waren zwar dann bei den jeweiligen Einzelkonventssitzungen dabei […], aber wir mussten uns gar nicht mehr um den Gesamtzusammenhang kümmern.“201

Unter einigen engagierten Studenten, die ähnliche Interessen wie die „Gründungsväter“ verfolgten, wurde der LabeT schnell zum „Selbstläufer“202, auf die aktive Unterstützung bzw. Mitarbeit einer breiten Basis konnte er jedoch von Anfang an nicht zählen – wie noch auszuführen sein wird. Die Kirchenleitung schien der neuen Gruppierung zunächst skeptisch zu begegnen. Ein Brief Oberkirchenrat Wolfs vom 13. Mai 1970 an Werner Schneider mit dem Betreff „Gründung eines Landeskonvents bayer. Theologiestudenten“ zeigt deutliche Vorbehalte: Zwar teilte Wolf die Ansicht der Studenten, „daß der Wunsch nach Intensivierung der Verbindung Förderung verdient. […] Bestehende Organisationsformen sollten voll genutzt und nach Möglichkeit ausgebaut werden“203. Wolf rechnete zu diesen Formen die Kontaktbesuche von Vertretern des Landeskirchenamtes an den theologischen Fakultäten sowie die Theologiestudentenfreizeiten. Der LabeT war aus der Sicht Wolfs jedoch offensichtlich nicht zwingend erforderlich: „Für den Aufbau der Organisation eines Landeskonvents sieht der Landeskirchenrat keine Notwendigkeit unter Berücksichtigung der oben dargestellten Möglichkeiten. Er wird darum eine solche Institution auch nicht mitfinanzieren. […] Der Landeskirchenrat will [darum] Ihre geplante ‚Gründungsversammlung‘ auch finanziell nicht unterstützen. Für Sie wird sich vermutlich die Frage ergeben, ob Sie einen Landes200 201 202 203

Brief Kloses an Vikar Eike Rubner vom 28. 4. 1970 (LabeT-Ordner Klose). Interview Schneider, 3. Ebd. LabeT-Ordner Klose.

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konvent als Ihre eigene Organisation schaffen wollen. Das steht Ihnen natürlich frei. Ich bitte Sie jedoch, ernsthaft zu prüfen, ob nicht im Rahmen der Vorstellungen des Landeskirchenrats Ihre Anregungen eine gute Verwirklichung finden könnten.“204

Regelmäßige Kontaktgespräche zwischen LabeT-Vertretern und Vertretern der Kirchenleitung bereiteten in den folgenden Jahren den Boden für ein von Zeitzeugen als teils vorsichtig, teils sehr freundlich beschriebenes Verhältnis205. Dabei mahnten die zuständigen Referenten im Landeskirchenamt immer wieder an, dass der LabeT nur dann von ihnen als Gesprächspartner ernstgenommen werden könne, wenn die Mehrzahl der Studierenden hinter ihm stehe206. Anders als in anderen Landeskirchen erhielt der LabeT keinen regulären Etat vom Landeskirchenamt. Die Landeskirche zahlte nach Vorlage der Mitgliederlisten pro Mitglied und Semester einen entsprechenden Betrag an die Einzelkonvente207. Das erste Kontaktgespräch der Studenten mit Vertretern des Bayerischen Pfarrervereins verlief offensichtlich positiv, und so meldeten die Vertreter des LabeT auf der zweiten Delegiertenversammlung: „Offensichtlich liegt den Pfarrern an einer Kommunikation zwischen Theologiestudenten und Pfarrern. Der gemeinsame Kontakt und der Austausch an Informationen sollte noch intensiver gestaltet werden.“208 Vertreter des LabeT und der Vorstand des Pfarrervereins konnten sich auf „ein beiderseitiges Interesse an Zusammenarbeit in Fragen der Berufspraxis des Pfarrers und eines darauf bezogenen Studienganges sowie der Weiterbildung“209 einigen. Übermäßig herzlich scheint das Verhältnis zwischen Pfarrerverein und LabeT allerdings in den Anfangsjahren dennoch 204

Ebd. Vgl. einerseits das Interview Schneider, 4: „Das [Verhältnis] hat sich dann gebessert und geändert und war durchaus hoffnungsvoll, als erst einmal der persönliche Kontakt hergestellt war.“ Eine andere Sicht hatte Karl-Heinz Klose (Interview Klose, 12), der das Verhältnis zwischen LabeT-Vertretern und Landeskirchenleitung als ein „abwartendes“, von einem „kulturellen Konflikt“ geprägtes erlebte. Vgl. zu den Kontaktgesprächen aus Sicht der Landeskirchenleitung die Unterlagen in: Landeskirchenamt München, Az 20 / 1-1 / 3-26 Bd. I 1971–1979. Hier ist etwa bei dem Kontaktgespräch vom 22. 7. 1974 vermerkt: „Die Vertreter des Labeth [sic] verabschieden sich mit Dank für die offene Gesprächsatmosphäre und die offenkundige Bereitschaft zur Zusammenarbeit.“ 206 Vgl. dazu etwa die Aussage in dem Bericht über einen Besuch von Pfarrer Ernst Hopf (Ausbildungsreferat) beim LabeT EK Tübingen am 7. 7. 1970: „Pfr. Hopf meinte, die Unterstützung des LK hinge a) von der Zahl der Mitglieder ab (ernstgenommen würde er bei Unterstützung von ca. 80 % aller bayer. Theologiestudenten; b) von dem finanziellen Engagement der Mitglieder als Ausdruck des Interesses am Konvent“ (Info-LabeT, Nr. 2 / Juli 1970, 7). 207 Vgl. dazu etwa die Selbstvorstellung des LabeT, Flugblatt aus dem Jahr 1972 (LabeT-Archiv Neuendettelsau; ohne Signatur). 208 Info-LabeT, Nr. 3 / August 1970, 3. 209 Ebd., 5. 205

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nicht gewesen zu sein. Die Einstellung des Vorsitzenden Mädl hat sich in der Erinnerung ehemaliger LabeT-Mitglieder als wenig offen gegenüber ihren Anliegen festgemacht210; sie vermuteten, „daß der Pfarrerverein das [die Gründung des LabeT] nicht als Unterstützung gesehen hat, sondern eher als etwas, was nicht so erfreulich ist aus deren Sicht“211. Die anfangs angestrebte Zusammenarbeit pendelte sich im Lauf der Jahre auf einen regelmäßigen Informationsaustausch ein212. Der gemeinsame Nenner zwischen beiden Organisationen blieb ein formaler, nämlich Interessenvertretung der (künftigen) Pfarrer zu sein. Was ihre Inhalte anging, fühlte sich der LabeT der VBV und dem AEE weitaus näher als dem Pfarrerverein.

2.3.3 Die Entwicklung des LabeT bis 1976 Zur ersten LabeT-Delegiertenversammlung am 19. Mai 1970 in Erlangen kamen 22 Delegierte von zehn deutschen Hochschulen sowie ein Vertreter der Vikare. Handelte es sich bei diesen Delegierten um den „harten Kern“ des Konvents, galt es nun, die breite Masse der Studierenden zu mobilisieren, um arbeitsfähige Einzelkonvente zu schaffen. In einem Bericht der Landeskonventssprecher zwischen der ersten und der zweiten Delegiertenversammlung im Juli 1970 heißt es: „Es scheinen an folgenden Orten handlungsfähige EKs zu bestehen: München, Erlangen, Tübingen, Göttingen, Münster, Heidelberg (?), Neuendettelsau (?). Aus Mainz, Zürich und Berlin haben wir seit der 1. DV nichts mehr gehört. Der Aufbau des LK ist formal vollzogen.“213 Doch die meisten Studierenden waren an einer aktiven Mitgestaltung des Landeskonvents offensichtlich nicht interessiert – exemplarisch sei hier nur die Bilanz des Erlanger Einzelkonvents vom Winter 1970 mit der folgenden Feststellung genannt: „Der EK Erlangen als potentiell stärkster verzeichnet weiterhin nur 20 Mitglieder. Damit hat sich am herrschenden Desinteresse nichts geändert.“214 Zeitgleich bilanzierten die damaligen Landeskonventssprecher Johannes Goldhahn und Karl-Heinz Klose:

210

Vgl. etwa Interview Friedrich, 6. Ebd., 9. 212 Dabei dürfen die unterschiedlichen Interessen der Mitglieder beider Vereinigungen nicht vergessen werden. Ahrens, Nachwuchsorganisationen, 142, drückt die Diskrepanz folgendermaßen aus: „Im Unterschied zu unserem Verein versteht sich der LABET auch als ein kirchenpolitisches Forum, das sich sehr viel stärker in die eine oder andere theologische Richtung profilieren will.“ 213 Info-LabeT, Nr. 2 / Juli 1970, 6. 214 Info-LabeT, Nr. 4 / November 1970, 2. 211

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„Die Schatten der bisherigen Konzeption [werden] verstärkt deutlich: der Rahmen wird bzw. wurde denen übergestülpt, für die er da sein sollte; die Notwendigkeit eines Landeskonvents als Interessenvertretung wird nur von wenigen gesehen; es erscheint mehr und mehr fraglich, ob eine Interessenvertretung, die in Bayern nur durch kontinuierliche Arbeit möglich ist, aufgrund der ständigen Fluktuation wirksam werden kann. […] Das Konzept „erst Rahmen, dann Inhalt“ ging bis heute nicht auf. […] Das Unternehmen Landeskonvent mußte von der Anlage her […] auf eine Massenbasis hinzielen und sich auf die Mehrzahl der bayerischen Theologiestudenten stützen können. Die Massenbasis wurde nicht geschafft. Offenbar weil Interessen und Solidaritätsgefühl bzw. -bedürfnis nicht groß genug waren. Der Landeskonvent war zwar keine Fehlgeburt; von einer Frühgeburt zu sprechen, scheint eher angebracht. Folgerungen: Es erscheint nicht sinnvoll, weiterhin „nach oben“ zu arbeiten, wenn die Basis fehlt. Wir halten es für angebrachter, im gegenwärtigen Zeitpunkt verstärkt in die Breite zu wirken. Das heißt vornehmlich, die Verbindung von Studium und Beruf(sfeld) denen vor Augen zu stellen, die geneigt sind, diese Relation zu vergessen. Es muß ernsthaft gefragt werden, ob Theologiestudenten in Bayern irgendwelche Interessen haben, die sie vertreten wissen wollen. Wenn die bisherige Interesselosigkeit die Folge von Uninformiertheit über kirchliche Vorgänge, Äußerungen und Entscheidungen ist, könnten Einzelkonvente und Landeskonventssprecher durch gezielte Information Bewußtsein und Interesse schaffen. Auf Repräsentation und den Anspruch, für alle Theologiestudenten i. B. zu sprechen, muß weiterhin verzichtet werden.“215

Am Ende seines ersten Jahres musste sich der LabeT damit zwei Fragen stellen, mit deren negativer Beantwortung die Säulen seiner Existenz zusammenbrechen würden: Wollten die Studierenden überhaupt vom LabeT vertreten werden? Und: Bestand überhaupt eine Chance, dass die offiziellen Vertreter der Landeskirche den LabeT in absehbarer Zeit als Verhandlungspartner ernstnehmen würden? Auf der unmittelbar auf die Gründung des LabeT folgenden Synode im Oktober 1970 erwähnte Landesbischof Hermann Dietzfelbinger in seinem Bericht den LabeT – anders als die VBV – nicht, obwohl er die Frage des theologischen Nachwuchses in Bayern eigens thematisierte216. Der LabeT überstand diese Situation der Anfangszweifel, auch, wenn sich die Auseinandersetzungen über das eigene Selbstverständnis durch seine ganze Geschichte ziehen sollten. Anhand der Themenwahl des LabeT, der von seinen führenden Mitgliedern vorgegebenen Linie und seinem Selbstverständnis lassen sich für den Untersuchungszeitraum drei Phasen erkennen, die im Folgenden skizziert werden.

215 216

Ebd., 3. Vgl. VLS 1970 / I, 17.

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Erste Phase: Sommer 1970 bis Herbst 1972 Von den Themen, die im Info-LabeT dokumentiert werden, sind vor allem die Auseinandersetzungen um den „Verlöbnisparagraphen“ und der Einsatz des LabeT für Wahlpflichtpraktika, Zweitstudium und Anerkennung des Fakultätsexamens zu nennen, wobei auf Letzteres noch einzugehen sein wird. Die LabeT-Mitglieder engagierten sich zudem für die Examensreform, beschäftigen sich mit den Strukturen der bayerischen Landeskirche und brachten ihre Ideen für ein neues Pfarrerbild ein. Knapp zwei Jahre nach Gründung des Konvents, bei der Freizeit für Theologiestudierende in Josefstal vom 5. bis 8. April 1972, machte sich offensichtlich ein Generationenwechsel bemerkbar. So schrieb Karl Eberhard Sperl in seinem Bericht über die Freizeit: „‚Väter‘ des Bayernvolkes [beim Singen der Bayernhymne] ließ einige besonders alte Kämpfer an die Väter (und Mütter) des Landeskonvents denken, und um die Zukunft dieser eingangs gelobten Institution angesichts eines sich abzeichnenden Generationenwechsels sich Sorgen machen: Sind die jüngeren Semester – beseelt von einer neuen Innerlichkeit – nicht mehr an der Praxis von Gesellschaft und Kirche interessiert? Werden künftig Theologiestudenten nur noch wie in alten Zeiten Konsumenten dessen sein, was ihnen die Landeskirche anbietet? Freizeiten, Examina, Vikarsausbildung, pfarramtliche Pfründen?“217

Karl Eberhard Sperl selbst sollte seinen Teil dazu beitragen, dass zumindest der LabeT in den darauffolgenden Monaten diesen von ihm so charakterisierten Studententypus nicht repräsentierte: Gemeinsam mit anderen Vertretern des LabeT-EKs Erlangen übernahm er im Oktober 1972 vom Münchener EK die Schriftleitung des Info-LabeT. Diese Stabübergabe läutet eine zweite Phase des LabeT ein. Zweite Phase: Herbst 1972 bis Winter 1973 bzw. Frühling 1974 Diese zweite Phase war geprägt von ausführlichen Selbstverständnisdebatten, die sich in dem vom Protokollblatt zum Heft mutierenden Info-LabeT niederschlugen, sowie, eng damit zusammenhängend, von einer später so nicht mehr zu beobachtenden breiten Behandlung gesellschaftspolitischer Themen, bei denen die Sympathie der jeweiligen Redakteure fast ausnahmslos auf Seiten „linker“ Politik lag218. Immer wieder wurde auf die Verbindung von Christentum 217

So die Josephstaler Beobachtungen Sperls (Info-LabeT, Nr. 14 / 21. 4. 1972, 6–7, hier: 7). Vgl. exemplarisch dazu die Beiträge Info-LabeT, Nr. 16 / 1. 10. 1972, 3: „Pfarrer als Lockvögel – oder was das politische Mandat der Kirche nicht ist“; Info-LabeT, Nr. 18 / 5. 2. 1973, 11f: Dokumentation: „Pfarrer, politisches Evangelium und Bayernkurier“; Info-LabeT, Nr. 19 / März 1973, 3f: „Linke Brüder unter uns“. 218

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und Sozialismus Bezug genommen219, wiederholt wurden Karl Marx, Dorothee Sölle und Helmut Gollwitzer als Gewährspersonen für die eigene Einstellung angeführt. Das Info-Heft wurde dem Impressum zufolge mit Unterstützung der SPD-Erlangen hergestellt. Die Sprache einzelner Artikel war geprägt von marxistischen Termini. So ist beispielsweise in einem Beitrag des LabeTEinzelkonvents Berlin davon die Rede, dass die „historisch-materialistische Analyse von repressiven Systemen immer die Sache einiger weniger ‚Querulanten‘ [blieb], während das Gros der Kirche mit der alternativen Unterscheidung des Reiches Gottes (Evangelium) auf der einen Seite und des Reiches der Welt (Gesetz) auf der anderen Seite immer systemstabilisierend wirkte […]. Kirche wurde zum Herrschaftsapparat, solidarisierte sich aber nicht mit den Unterprivilegierten.“220

Kritische Reaktionen auf die Artikel blieben auch aus den eigenen Reihen nicht aus. Im Dezember 1972 beschwerte sich der EK-Neuendettelsau gegen die Artikel im Info-LabeT; der Anspruch des LabeT, Interessenvertretung aller bayerischer Theologiestudenten zu sein, stünde im Widerspruch zu „der sich allmählich herauskristallisierenden politischen Haltung und Theoriebildung eines Teiles der Konventsmitglieder“221. Auf diese und andere kritische Anfragen reagierte die Info-LabeT Redaktion mit ihrem Vorwort zur Maiausgabe 1973: „Vieles hat sich geändert, ändert sich, ist nicht mehr so wie es war – gut, ein Gemeinplatz – doch auch das INFO hat sich geändert! So meinte jedenfalls eine Anzahl von Lesern. Der Grund der ‚Wandlung‘ ist vielleicht, daß sich nicht genug ändert, verändert, da wo Veränderung in Studium, Kirche und Gesellschaft nötig ist. […] Was die Form anbelangt: bessere Aufmachung […] – Kein Einwand! Der Inhalt: ‚Die Richtung stimmt nicht‘, ‚Nestbeschmutzung‘, ‚Zu links‘, ‚Zu radikal‘, meinen die einen, andere: ‚Keine politische Linie‘, ‚Diffus‘, ‚Zu pluralistisch‘, ‚Falsches Bewußtsein‘. Das INFO hat sich vom Protokollblättchen zu einer Schrift ‚emanzipiert‘, die auch Meinungen – politische Meinungen, Einschätzungen und Analysen, die das Studium bzw. die spätere Praxis betreffen, zur Diskussion stellt.“222

Die Diskussionen darüber, inwieweit der LabeT noch seinem formalen Anspruch, alle bayerischen Theologiestudierenden zu vertreten, und damit sei219 Vgl. beispielsweise die ausführliche Wiedergabe des Schlußdokuments des „Ersten Lateinamerikanischen Kongresses ‚Christen für Sozialismus‘“ (Info-LabeT, Nr. 21 / 10. 7. 1973, 9–13). 220 LabeT-EK Berlin: Thesen zum Theorie-Praxis-Verständnis unserer Kirche im Horizont Kirche – Gemeinde – Gesellschaft (Info-LabeT, Nr. 18 / 5. 2. 1973, 3 f., hier: 3 f.). 221 Protokoll der 7. Delegiertenversammlung in Erlangen am 15. / 16. 12. 1972 (Info-LabeT, Nr. 18 / 5. 2. 1972, 14–16, hier: 16). 222 Info-LabeT, Nr. 20 / 10. 5. 1973, 2

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ner Charakterisierung als Interessenvertretung gerecht wurde, häuften sich im Jahr 1973223. Ab Dezember 1973 übernahmen die Tübinger Studenten Martin Schwenk und Jürgen Masurczak vorläufig die Redaktion. Die Existenz des LabeT stand zu diesem Zeitpunkt ernsthaft zur Debatte224. Verschiedene Wege wurden in Erwägung gezogen und teilweise auch beschritten, um den Konvent auf eine breitere Basis zu stellen, seine Attraktivität für Studierende sowie seine Arbeitsfähigkeit zu steigern: Eine Satzungsänderung sollte die Tätigkeit der Sprecher transparenter machen und durch größere Selbstständigkeit der Einzelkonvente die Demokratisierung des Konvents fördern. Außerdem wurde die Einrichtung einer Vollversammlung angedacht, die allen Mitgliedern offen stehen sollte und deren Beschlüsse für den LabeT bindend sein sollten. In dem diesbezüglichen Diskussionsbeitrag Jürgen Masurczaks mit dem Titel „Rettet eine VV [Vollversammlung] den Konvent?“ kommt eine gewisse Müdigkeit des LabeT zu diesem Zeitpunkt deutlich zum Ausdruck: „Langsam verstärkt sich bei mir immer mehr der Verdacht, daß wir die Lustlosigkeit, die fehlende Motivation einfach durch neue Satzungsänderungen am laufenden Band aufheben wollen. Wir tun doch alles, was wir können, wenn jetzt die Basis nicht aktiver wird, und wir nicht mehr Nachhall bei den Einzelnen finden, trifft uns die ‚Aktiven‘ keine Schuld. […] Doch liegen meines Erachtens die Ursachen für die Interesselosigkeit des Konvents nicht in den Satzungsänderungen oder an der vermißten VV, sondern wesentlich tiefer.“225

Bei der „Programmdebatte“ der LabeT-Delegiertenkonferenz am 7. und 8. Juni 1974226 in Tübingen konnten schließlich als Ziele festgehalten werden, dass sich der LabeT „quasi gewerkschaftlich im Sinne einer Interessenvertretung aller bayerischen Theologiestudenten gegenüber dem LKA“ versteht, seine Aufgabe darüber hinaus darin sieht, „ein allgemein-politisches Mandat zu relevanten kirchen- und gesellschaftspolitischen Fragen wahrzunehmen“ und sich darum „in verstärktem Maße um Öffentlichkeitsarbeit bemühen“ wolle. Die Zusammenfassung der Programmdebatte endete mit dem Satz: „Durch verstärkte Weiterarbeit muß versucht werden, die Basisarbeit noch mehr zu aktivieren.“

223

Vgl. dazu etwa die Beiträge in Info-LabeT, Nr. 20 / 10. 5. 1973, 9 f. Vgl. das Protokoll der Delegiertenversammlung des LabeT am 23. / 24. 11. 1973 in München (Info-LabeT, Nr. 22 / 6. 12. 1973, 3–12). 225 Info-LabeT, Nr. 23 / Frühjahr 1974, 17–19, hier: 18. 226 Info-Labet, Nr. 24 / Sommer 1974, 10–14. 224

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Dritte Phase: Sommer 1974 bis Winter 1976 Das Info-LabeT im Sommersemester 1974, in dem über diesen Beschluss berichtet wird, läutete die dritte Phase in der Entwicklung des LabeT ein. Die Redaktion des Info-LabeT übernahmen zu diesem Zeitpunkt die neugewählten LabeT-Landessprecher Andreas Ebert und Martin Schwenk, zu denen noch Werner Küstenmacher stieß. Neu war, dass von Sommer 1974 bis Winter 1976 ein großer Teil der Artikel aus der Feder von nur zwei Verfassern, nämlich Werner Küstenmacher und Andreas Ebert, stammte. Zuvor waren immer mehrere Autoren in den Heften vertreten. Der wesentliche Unterschied dieser dritten LabeT-Phase gegenüber den Anfangsjahren lässt sich am ehesten mit dem Satz auf den Punkt bringen: Der LabeT wurde zu einer Marke, mit der sich offensichtlich ein großer Teil seiner Zielgruppe identifizieren konnte. Die vorher herrschende Diskrepanz zwischen einer formalen Interessenvertretung und einer de facto die Organisation prägenden kleinen Gruppe mit kirchenpolitischen Zielen schien aufgelöst, die Phase der öffentlich ausgetragenen Selbstverständnisdebatten war Vergangenheit. Warum dies so war, erklärt möglicherweise folgendes Zitat aus einem der letzten Info-LabeT-Artikel von Werner Küstenmacher, das zugleich ein Bild des Konvents in der Ära des Autors skizziert: „Vor einigen Jahren galt das Wort ‚Selbstverständnisdebatte‘ als vornehmstes Vereinsthema […]. Damals diskutierte man sogar, ob der LabeT überhaupt noch weiter bestehen soll. Solches Treiben hat weder die Theologiestudierenden noch die Kirche weitergebracht. […] Der LabeT lebt von der Zukunft, nicht vom Blick zurück im Zorn. Er wächst an seiner Aufgabe, nicht an seinen Kritikern. Und er ist beliebt wegen seines vitalen Humors und seiner Selbstironie, nicht wegen seiner verkrampften Grimmigkeit.“227

Das Info-LabeT wollte Mitte der 1970er Jahre vor allem eines: die Theologiestudenten untereinander verbinden und unterhalten; politische Diskussionen standen nicht mehr an erster Stelle. Das Heft erhielt ein professionelles Layout, geprägt von Werner Küstenmachers Karikaturen. In gewisser Weise stand dabei, so Küstenmacher heute, das „Fluchblatt“, die Publikation der rheinischen Theologiestudenten, Pate, nur wollte man nicht deren als dezidiert linkspolitischen, gegen die Kirchenleitung gerichtet empfundenen Standpunkt einnehmen. Werner Küstenmacher erinnert sich: „Unser Plan, den ich dann als Schreibender und Zeichnender umgesetzt habe, war: Wir machen so etwas Ähnliches wie das Fluchblatt, also ein sehr attraktives Ma227 Werner Küstenmacher: Sei nicht traurig, LabeT. Aus unserer beliebten Serie: Die Selbstverständnisdebatte 31. Folge (Info-LabeT, Nr. 31 / Sommer 1977, 25–27, hier: 25).

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gazin, das so unterhaltsam und so fetzig ist, dass es […] die Studierenden lesen und lieben, aber nicht mit dieser protestierenden und manchmal auch blasphemischen Anti-Haltung. Also, wir wollten sozusagen ein frommes „Fluchblatt“ sein. […] Wir haben offensiv, unterhaltsam, urig, ulkig informiert. Von der Aufmachung her war es „links“, aber vom Inhalt her würde ich eher sagen liberal, also jetzt nicht rechts.“228

Im zuvor eher nüchtern gehaltenen Info-LabeT wurde es nun zunehmend bunter: Andreas Ebert verfasste zahlreiche Satiren, beispielsweise wurde die Reihe der „Bluff-Theologie“ geschaffen, in der unter dem Motto „Mehr sein durch scheinen“ den Lesern „eine eiserne Ration von gelehrt-theologischem Fachchinesisch“ zusammengestellt wurde, damit theologische „Fachgespräche untereinander und vor den staunenden Ohren Dritter noch intimer, geheimnisvoller und bedeutungsschwerer werden können“229. Die Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen und kirchenpolitischen Themen hatte zwar nicht mehr den Stellenwert, den sie bei der LabeT-Vorgängergeneration hatte, war aber – gerade 1974, Anfang 1975 – durchaus vorhanden. Wenn sie erfolgte, blieben die LabeT-Autoren zumeist tendenziell der Linie ihrer Vorgänger treu: So verabschiedete der LabeT beispielsweise Resolutionen zur Frage der sogenannten politischen Gefangenen in der BRD230 und zum Tod des RAF-Terroristen Holger Meins231. Als Höhepunkt seiner Vertretung berufsständischer Interessen in dieser Phase lässt sich die sogenannte „Tieringer Erklärung zur Übernahme von Theologiestudenten in den Pfarrdienst“ vom 1. Februar 1976 bezeichnen, in der sich die Studenten angesichts der nahenden „Pfarrerschwemme“ gegen jegliches Auswahlverfahren der Kandidaten, das sachliche Kriterien übersteigt, aussprachen. Sie riefen stattdessen dazu auf, alle Bewerber bei geringerem Gehalt in den Pfarrdienst zu übernehmen. Weniger Geld, so die Studenten, empfänden sie nicht „als Belastung, sondern als Hoffnung für die Glaubwürdigkeit der Kirche Christi. Wir hoffen darauf, in einer Kirche zu arbeiten, die mutiger und kreativer sein darf, weil sie ungesicherter und ärmer an äußeren Mitteln sein wird“232. Es war wohl genau diese Mischung aus Humor, Beiträgen speziell zur Situation von Theologiestudenten und (Kirchen-)Politik, die das Blatt für die 228

Interview Küstenmacher, 3. Vgl. die „Bluff Theologie. Schnellkurs“ von Werner Küstenmacher und Andreas Ebert (Info-LabeT, Nr. 28 / Weihnachten 1975, 9–10, hier: 9). 230 Vgl. dazu Info-LabeT, Nr. 24 / Sommer 1974, 15–18. 231 Vgl. dazu Info-LabeT, Nr. 25 / Weihnachten 1974, 7 f. 232 Tieringer Erklärung zur Übernahme von Theologiestudenten in den Pfarrdienst (Info-LabeT, Nr. 29 / Sommer 1976, 8). 229

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breite Masse so attraktiv machte: Die Auflage des Info-LabeT wurde wegen der großen Nachfrage für das Sommerheft Nr. 29 nahezu verdreifacht auf 800 Exemplare233 und hatte in der Weihnachtsausgabe 1976 eine Auflage von 1200 erreicht234. Neben dem Heft sorgten nun weitere „Produkte“ des LabeT für eine Art „Corporate Identity“: Es gab ein LabeT-Lied – „Labet euch, liebt einander, lebt zusammen, lobet Gott“235 –, und Werner Küstenmacher brachte seine LabeT-Poster auf den Markt: Die biblischen Comics für fünf Mark zu 1 Kor 13 „Die Liebe hört nie auf“, Psalm 23 „Du bist bei mir“ und Prediger 3 „Alles hat seine Zeit“ fanden reißenden Absatz. Ihre Aufmachung stand Küstenmacher zufolge symbolisch für die inhaltliche Linie des damaligen LabeT: „Dieses Poster war nicht nur eine wirtschaftliche Absicht, sondern hatte auch die Aussage: Wir sind Theologiestudenten und wir verbreiten die Bibel, aber in einer lustigen Form, in einer urigen, bisher noch nie da gewesenen Form. Und das war mir auch immer ganz wichtig, dass man sich von diesem Blasphemischen absetzt, was die rheinischen Linken gemacht haben, wo ich mir immer gedacht habe: Warum sind die bei dem Laden, wenn die so über den Laden herziehen?“236

Diskussionen über Spiritualität nahmen – verglichen mit dem Info-LabeT der Anfangsjahre – vermehrt Raum ein; mit dieser Tendenz zeigte das Info-Labet auch Parallelen zur Entwicklung im AEE237. So wie das Info-LabeT ein Heft sein sollte, das mehr unterhalten als vorrangig politisch argumentieren und polarisieren wollte, so wollte auch die damalige Führungsspitze des Konvents vor allem eine breite Basis ansprechen und sich damit auch von ihrer Vorgängergeneration absetzen: „Wenn ich mich richtig erinnere, war es am Anfang schon so: In den LabeT gingen die linken Revoluzzer. Und wir haben das so ein bisschen bayerisch-gemütlich aufgedehnt und haben gesagt: Komm, wir treffen uns einfach, wir Bayern.“238 War für die Gründergeneration der Konvent der rheinischen Theologiestudenten noch Vorbild für die eigene Initiative gewesen, war dieser jetzt zum „Lieblingsfeind“239 des

233

Vgl. Info-LabeT, Nr. 29 / Sommer 1976, 1 und 30. Info-LabeT, Nr. 30 / Weihnachten 1976, 25. 235 Der LabeT-Song entstand auf der LabeT-Freizeit 1976 in Rummelsberg (Info-LabeT, Nr. 29 / Sommer 1976, 16). 236 Interview Küstenmacher, 5. 237 Vgl. Kapitel 2.1.3, 62. Vgl. besonders die Analyse von Johannes Opp: Braucht der AEE ein neues Programm? Wozu ist der AEE noch notwendig? (B+K, Nr. 24 / November 1975, 1–3). Opp schlug als mögliches neues Anliegen für den AEE das der „weltoffenen Frömmigkeit“ vor. 238 Interview Küstenmacher, 5. 239 Ebd., 3. 234

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den LabeT prägenden Tübinger Konvents geworden. Man wollte sich politisch nicht festlegen: „In gewisser Weise habe ich immer versucht, aus diesem [LinksRechts]Schema irgendwie rauszukommen. Vielleicht war die Idee, dass wir nach außen links aussehen, aber dann gar nicht so sind.“240

2.3.4 Die inhaltliche und formale Charakterisierung des LabeT (1970–1976) Der LabeT stand – und steht in gewisser Weise bis heute – vor dem gleichen Dilemma wie die VBV, nämlich eine Mischform aus Interessenvertretung und Reformgruppe zu sein: Den formalen Kriterien nach ist der „Landeskonvent der bayerischen evangelischen Theologiestudenten“ eine klassische Interessenvertretung, eine Organisation, deren Mitgliederzusammensetzung – „alle Theologiestudierenden aus dem Bereich der Evang.-Luth. Kirche in Bayern“ – und Aufgabe – „durch seine Organe die Zusammenarbeit zwischen den Konventsmitgliedern zu fördern und ihre Interessen gegenüber den Organen der Evang.-Luth Kirche i. B. und der Öffentlichkeit zu vertreten“241 – per Satzung klar definiert sind. Die inhaltliche Füllung dieser Strukturen blieb allerdings immer umstritten: Was waren und sind die Interessen aller bayerischen Theologiestudierenden? Gerade in den Jahren 1972 und 1973, als im Info-LabeT vermehrt dezidiert (gesellschafts-)politisch und theologisch Position bezogen wurde, häuften sich die Diskussionen unter den Mitgliedern über Funktion und Aufbau des Konvents. Zwei Positionen standen sich gegenüber242: Von den einen wurde es als undenkbar angesehen, dass der LabeT Interessenvertretung aller bayerischen Theologiestudenten sein und sich gleichzeitig politisch positionieren wollte: Der Satzung zufolge sei eine „Politisierung des Konvents […] nicht möglich“. Auf ein inhaltliches Programm des LabeT müsse verzichtet werden, da es zwangsläufig nur eine bestimmte Gruppe repräsentieren würde. Der Konvent sollte sich daher darauf beschränken, allen Studierenden ein Gesprächsforum zu bieten, einen gewissen Freizeitwert zu besitzen, Sprachrohr zwischen Studenten und Landeskirche sein und Kommilitonen in Konfliktfällen mit kirchlichen Gremien zu unterstützen. Einer Interessensvertretung in der hier gewünschten Weise kam der LabeT im Untersuchungszeitraum in seiner dritten Phase (1974 / 75) am nächsten. 240 241 242

tate.

Ebd., 6. LabeT-Satzung vom 19. 5. 1970 (LabeT-Archiv Neuendettelsau). Beide Positionen in Info-LabeT, Nr. 18 / 5. 2. 1973, 6–8 sowie 9 f. Daraus nachfolgende Zi-

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Gegen diese Position wurde eingewandt, man dürfe den LabeT gerade nicht als eine „bürokratische Institution verstehen, die sich um ihrer selbst willen trägt“, die nur für „formalistische Interventionen beim Landeskirchenrat“ nötig wäre. Ein „entpolitisiert[er] und […] enttheologisiert[er] [Konvent], verurteilt zur Mitverwaltung und Mitgestaltung der Verhältnisse“ entspräche nicht der Intention der Gründer. Man könne davon ausgehen, dass das, was die im LabeT Aktiven als mangelhaft wahrnehmen würden und zu ändern versuchten, im Interesse aller Studenten liege. De facto sollte letztere Position trotz andersläufiger Bemühungen in den Jahren 1970 bis 1974 weitgehend die Arbeitsweise des LabeT bestimmen: Durch die Gestaltung des Info-LabeT, durch ihre (kirchen-)politischen Aktionen und Resolutionen prägte jeweils eine kleine Gruppe von Studenten das Bild des LabeT in der Öffentlichkeit. Folgt man der Einteilung René Leudesdorffs243 ist der LabeT sowohl von seinen Themen, die berufsständische Interessen weit überstiegen, als auch vom Zeitpunkt seiner Gründung her in seinen Anfangsjahren zu den kirchlichen Reformgruppen zu rechnen. Ebenso wie bei der VBV ist auch hier der Akt der Gründung an sich bereits als ein Zeichen neuen Selbstbewusstseins zu deuten; ebenso wie die Gründer der VBV hatten sich auch die Gründer des LabeT bereits zuvor in anderen Gruppen für Kirchenreformen bzw. Ziele der Studentenbewegung engagiert und sahen sich in enger Verbindung zum AEE: Beide Gruppen, so Werner Schneider im Juni 1970, kurz nach der Gründung des LabeT an Hermann von Loewenich, würden „in vielen Dingen ja wohl dasselbe oder ähnliches intendieren“244. Das Problem, formal eine Interessenvertretung zu sein, aber je nach Zusammensetzung und Einstellung seiner führenden Mitglieder inhaltlich auch als kirchenpolitische Gruppe zu agieren, zieht sich durch die Geschichte des Konvents und wird in regelmäßigen Abständen in entsprechenden Selbstverständnisdebatten deutlich.

2.3.5 Ausblick: Die Entwicklung des LabeT nach 1976 Nach dem Abschied Werner Küstenmachers aus dem Redaktionsteam des LabeT im Winter 1976 änderte sich allmählich das Erscheinungsbild des Info-LabeT wieder. Ab dem Winterheft 1977 trug das Heft nicht mehr die Handschrift Küstenmachers, der Ton wurde ernster. Wie die Übersichten über die Finanzen des Konvents zeigen, wurde die Kasse noch einige Jahre lang mit 243

Vgl. dazu Leudesdorff, Reformgruppen, 11–19. Dieses Schreiben wird zitiert in dem Brief Hermann von Loewenichs an Christian Blendinger am 18. 6. 1970 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 4). 244

Der Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten

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Einnahmen aus dem Verkauf von „Tiki-Postern“245 aufgefüllt; dabei kamen beispielsweise im Zeitraum von November 1979 bis Mai 1980 knapp 1000 Mark zusammen. Das Info-LabeT machte in den folgenden Jahren verschiedene Wandlungen in Format und Aufteilung durch. Ab dem Winterheft 1977 war es eine Zeit lang die gemeinsame Publikation von LabeT und des sogenannten „LadiBasteR“, des im November 1977 ins Leben gerufenen „Landeskonvents der in Bayern studierenden evangelischen Religionspädagogen“. Themen und Akzeptanz des LabeT bis heute hingen wie in den Jahren des Untersuchungszeitraums stark mit den jeweiligen Leitungspersönlichkeiten zusammen. An Schwerpunkten seien exemplarisch genannt die Verhandlungen um die Rahmenbedingungen des 1985 eingeführten „Praxisjahres für Theologiestudierende“, die Auseinandersetzungen um die Zwischenprüfung in den 1990er Jahren, das Engagement des LabeT für die Segnung homosexueller Paare und für die Akzeptanz konfessionsverschiedener Ehen im Pfarrhaus. Kam es auch immer wieder zu Konflikten mit der Kirchenleitung, die 1982 auch kurzzeitig zu einem Verzicht des LabeT auf finanzielle Unterstützung durch die Landeskirche führten246, so blieb doch das Verhältnis zwischen Nachwuchstheologen und ihrem späteren Arbeitgeber stabil. Anfang des 21. Jahrhunderts stehen die „Kontakte des LabeT zum Ausbildungsreferat und zur BTS „auf einer guten Basis“247. Ebenso positiv ist nach Aussage von Susanne Porzelius, der LabeT-Geschäftsführerin im Jahr 2005, das Verhältnis des LabeT zum PfarrerInnenverein248. Beispielsweise zogen beide bezüglich der Forderung, das Praxisjahr abzuschaffen, an einem Strang. Was 245 Vgl. etwa das Rundschreiben des damaligen LabeT-Finanzreferenten im Juni 1981: „Der Verkauf von Tiki-Postern war u. a. aktuell, als die LabeT-Kasse wenig Geld bzw. nur Schulden hatte. Doch auch nach der Sanierung der LabeT-Kasse sollte der Verkauf der Poster nicht einschlafen. […] Ich fände es gut, wenn der Verkauf von Tiki-Postern zur guten Tradition im LabeT würde“ (LabeT-Archiv Neuendettelsau, Ordner: LabeT-Finanzen ab 31. 12. 1975). 246 Ein Ereignis, das sogar dem Deutschen Pfarrerblatt eine längere Meldung mit dem Titel „Ausbruch aus dem kirchlichen ‚Finanzgefängnis‘“ wert war: „Mit sofortiger Wirkung beschloß die Delegiertenversammlung des LabeT […] Ende Mai 1982 in Neuendettelsau die völlige Selbstfinanzierung seiner Arbeit. Nachdem das Landeskirchenamt den bisherigen pro-Kopf-Betrag für jedes LabeT-Mitglied […] gekürzt hatte, stellte sich der LabeT nun finanziell auf eigene Füße. Der Kürzung vorausgegangen war die kirchliche Kritik am Informationsorgan des LabeT (INFO), das wiederholt brisante Themen angesprochen hatte. Als letztes ‚Argument‘ wurde zu Beginn dieses Jahres die Finanzschraube eingesetzt. […] Von der Selbstfinanzierung unbeschadet bleibt der aufrichtige Wunsch des LabeT zur konstruktiven und kritischen Zusammenarbeit mit seiner Landeskirche und ihren Institutionen.“ (Deutsches Pfarrerblatt 82 (1982), Nr. 7 (Juli), 331 f.). 247 Susanne Porzelius: Bericht des Leitenden Gremiums (Info-LabeT, Nr. 90 / April 2005, 4 f., hier: 5). 248 Freundliche Mitteilung von Susanne Porzelius, mittlerweile verheiratete Sahlmann.

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Ziele und Vorgehensweise betrifft, ist eine größere Nähe zum PfarrerInnenverein zu spüren als zur VBV. Zum AEE hingegen gibt es keine nennenswerte Verbindung. Laut Porzelius engagierten sich 2005 etwa zwanzig Theologiestudierende im LabeT; es finde kaum mehr Arbeit in den Einzelkonventen statt, der Schwerpunkt liege auf den Delegiertenversammlungen. Im April 2005 heißt es im Vorwort des Info-LabeT: „Die fetten Jahre sind vorbei. Die momentan schwierige wirtschaftliche Lage zeigt sich bei uns auch bei der Suche nach Werbekunden. […] Als weitere Erschwernis kommt hinzu, daß sich immer weniger Studierende finden, die sich im LabeT engagieren. Warum dies so ist, ist bislang ungeklärt, doch müssen wir diesen Wahrheiten ins Auge sehen.“249

249

Info-LabeT, Nr. 90 / April 2005, 3.

3. Reformanliegen: Demokratisierung und Einsatz der Kirche für die Welt

Um die Ziele und die Vorgehensweise von AEE, VBV und LabeT darzustellen, wird noch einmal auf die in dem Begriff „reformare“ enthaltenen Bedeutungsebenen zurückgegriffen: Wie dargestellt1, wollten die kirchlichen Reformgruppen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre demokratischere Strukturen in der Kirche durchsetzen. Dieses Ziel war ein vorrangig politisches: Die in allen gesellschaftlichen Bereichen vorgebrachte Forderung nach gleichen Beteiligungsmöglichkeiten aller, unabhängig von Status und Geschlecht, und nach dem Abbau von Autoritätsverhältnissen sollte auch in der Institution Kirche durchgesetzt werden. Mitunter misslang dabei die Gratwanderung zwischen der Forderung nach einer dem Wesen der Kirche angemessenen Demokratisierung – etwa die Position der Nichttheologen zu stärken oder die Kommunikationsstrukturen zu verbessern – und Bestrebungen, die verkannten, dass das Wesen der Kirche nicht in der Herrschaft des Kirchenvolkes, sondern in der Herrschaft Christi begründet liegt2. Demokratie im wörtlichen Sinn einer „Volksherrschaft“ ist nicht auf die Kirche zu übertragen: „Die Kirche ist keine Demokratie, weil sie nämlich einen Herrn hat“3. Gerade jedoch wenn die Blicke auf Christus als alleinigen Maßstab kirchlichen Handelns gerichtet sein sollen, können die, die auf ihn sehen, miteinander darum ringen, in welchem Sinn Christi Botschaft umgesetzt werden kann. Ein Haupt und viele gleichberechtigte Glieder – das ist eine theologische legitime Forderung, die Demokratisierung (etwa im Abbau von Hierarchien, offeneren Kommunikations- und Betei-

1

Vgl. Kapitel 1.5.2.1, 32–37. Vgl. dazu die Überlegungen bei Hermle, Landessynode, vor allem 235 f. Hermle fasst zusammen: „Eine ‚Demokratisierung‘ der Kirche ist […] dann angezeigt, wenn sie zu einer Partizipation der Kirchenglieder, zu einer angemessenen Debatten- und Streitkultur und zu einer mitverantwortlichen Teilhabe der Kirchenglieder führt, allerdings ist zugleich die Grenze einer solchen Forderung da erreicht, wo weltlich-parlamentarische Gepflogenheiten zu einer ‚Verfälschung des Kirchenregiments‘ zu führen drohen, wo die ‚Herrschaft des Kirchenvolkes‘ oder ‚die Herrschaft des Priesters‘ die ‚Alleinherrschaft Jesu Christi‘ in Frage stellt“ (ebd., 236). 3 So Martin Niemöller, ehemals Kirchenpräsident der evangelischen Kirche in Hessen-Nassau (Herbert, Geschichte, 273). 2

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ligungsformen, einer höheren Transparenz kirchlicher Entscheidungsprozesse) nicht in Konkurrenz, sondern in Interpretation und Ergänzung des christokratischen Aufbaus versteht4. Während die Reformgruppen bezüglich dieses ersten Ziels jedoch eher zurückhaltend theologisch argumentierten, begründeten sie ihr zweites großes Anliegen, den verstärkten Einsatz der „Kirche für die Welt“5 häufig mit Leben und Wirken Jesu: Es galt, durch ein hohes gesellschaftspolitisches Engagement die Kirche so wiederherzustellen, dass sie der vor allem ethisch verstandenen Sendung Jesu gerecht würde. Wie die Aufarbeitung der schriftlichen – und auch der mündlichen – Quellen zeigt, lassen sich alle Anliegen von AEE, VBV und LabeT im Untersuchungszeitraum diesen beiden Oberbegriffen Demokratisierung und Einsatz der Kirche für die Welt zuordnen; die Übergänge freilich sind fließend. Da sich die drei Gruppen auf unzähligen Gebieten engagierten und bei vielen kleinen und großen Themen zu Wort meldeten, kann nicht auf alle ihre Verlautbarungen und Aktionen detailliert eingegangen werden: Zum einen würde dies den Rahmen der Arbeit sprengen, zum anderen ermöglicht die Quellenlage nicht in allen Fällen eine sichere Rekonstruktion der jeweiligen Vorgänge. Ein Großteil der nicht eingehend behandelten Aktivitäten wird im Folgenden aber zumindest gestreift. Ausführlich gewürdigt werden sieben Unterthemen zu den beiden genannten großen Themenblöcken, wobei jede der drei Gruppen (AEE, VBV und LabeT) bei jeweils zwei dieser Unterthemen die Hauptrolle einnahm. Für den AEE bietet sich dessen Einsatz für die Frauenordination und die Unterstützung seines Mitgliedes Dieter Helbig in Nördlingen an. Für die VBV werden exemplarisch deren Engagement für das Anti-Rassismus Programm des ÖRK sowie ihr Protest gegen die vorherrschende Ordinationspraxis geschildert. Was den LabeT betrifft, so wird auf seine Forderungen nach einer praxisnahen und erweiterten Ausbildung sowie auf seine Kritik am traditionellen Pfarrerbild, fokussiert auf den sogenannten „Verlöbnisparagraphen“, eingegangen. Ein siebtes Unterthema, das breiteren Raum in diesem dritten Kapitel einnimmt, ist die „Kritische Begleitung der Synode“ (KRIBS) bei den Frühjahrssynoden 1969 in Bayreuth und 1970 in Coburg: Während bei den anderen genannten Themen jeweils eine Gruppe den Hauptakteur stellte – freilich oft unterstützt von Mitgliedern der anderen beiden Gruppen –, waren bei der KRIBS alle drei Gruppen bzw. Vorläufer dieser Gruppen in annähernd gleichem Maße beteiligt. 4

Vgl. hierzu auch den Aufsatz von Hermle / Oehlmann, Streitkultur. Kurt Hoffmann, Hermann von Loewenich, Werner Schanz: „Konstituierung einer Aktionsgemeinschaft“; Schreiben vom 20. 11. 1967 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1). 5

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Auf Gegeben- und Besonderheiten des bayerischen Protestantismus wird in diesem Kapitel immer wieder an den entsprechenden Stellen hingewiesen; vorausgeschickt seien aber einige generelle Bemerkungen zur Situation der bayerischen Landeskirche in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg6: „Veränderung und Beständigkeit“ – so hat Landesbischof Dietzfelbinger seine Erinnerungen überschrieben. Zu Recht: Zwischen beiden Polen versuchte er in seiner Amtszeit zu vermitteln, zwischen ihnen musste die bayerische Landeskirche ihren Weg aus den Nachkriegsjahren hinein ins 21. Jahrhundert finden. Beständigkeit zeigte sich in der bayerischen Landeskirche nach dem Krieg zunächst insofern, als die in der NS-Zeit „intakt“ gebliebene Kirche unter Hans Meiser nach dem Krieg weitgehend auf ihr altes Gefüge und ihren Personalbestand zurückgreifen konnte. Das Bischofsgesetz sicherte dem Landesbischof eine vergleichsweise starke Position7; die Strukturen der Kirchenverfassung von 1920 wurden wiederhergestellt. In den darauffolgenden Jahrzehnten kam es allerdings zu mehreren, teils gravierenden Änderungen, so dass mit der Zeit eine „Diskrepanz zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit“8 bestand, die eine neue Verfassung 1971 unabdingbar machte. Ihr ist ein Grundartikel vorangestellt, der die besondere Bindung der Kirche an Schrift und (lutherisches) Bekenntnis gleichsam als Auslegungsnorm der Verfassung betont9 – charakteristisch für die herausragende Rolle, die das lutherische Bekenntnis, bestärkt durch die Erfahrungen in der NS-Zeit, in der bayerischen Kirche spielte. So ist es wenig verwunderlich, dass Bischof Meiser, was kirchliche Zusammenschlüsse und überregionale Zusammenkünfte betraf, größere Sympathien für die VELKD und den LWB hegte als für die EKD und den ÖRK10. Zwar trat die bayerische Landeskirche sowohl der VELKD als auch der EKD bei; einer geplanten Neuordnung der EKD hin zu einem verbindlicheren Zusammenschluss stand sie aber ebenso wie der Leuenberger Konkordie unter Berufung auf das lutherische Bekenntnis und die landeskirchliche Autonomie zum Teil äußerst reserviert gegenüber. Engagiert, mitunter hitzig wurde unter Pfarrern, in den Gemeinden und in der Synode in diesen Angelegenheiten 6 Ich orientiere mich hier vor allem an Nützel, Kontextualität, 71–81; Roepke, Protestanten, 428–449. 7 Etwa im Vergleich zur Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, in der wiederum die Synode ein weit stärkeres Gewicht als in Bayern hat; vgl. dazu Damberg / Oehmen-Vieregge / Tripp, Transformationsprozesse, 478. 8 Grethlein / Böttcher / Hofmann / Hübner, Kirchenrecht, 41. Vgl. zur Kirchenverfassung Kapitel 3.2.1, 126–128. 9 Ebd., 45. 10 Nützel, Kontextualität, 77.

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diskutiert. Freilich haben derartige Auseinandersetzungen nicht den Eindruck von schweren Grabenkämpfen zu vermitteln; verglichen mit anderen Landeskirchen blieb es in der bayerischen Landeskirche verhältnismäßig harmonisch – die weitgehende Homogenität der Pfarrerschaft11 ist ebenfalls eine gewisse Konstante im bayerischen Protestantismus. Eine gravierende Veränderung gab es nach dem Krieg: Die bayerische Landeskirche wuchs durch den Zuzug von 700.000 evangelischen Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten von 1,7 auf 2,4 Millionen Mitglieder an. Bei den Bemühungen, diese Menschen in die Landeskirche zu integrieren und ihnen ein gottesdienstliches Leben zu ermöglichen, kam es vermehrt zur Kooperation mit der katholischen Kirche – durchaus erwähnenswert, da das Verhältnis zwischen den Konfessionen im damals zu gut zwei Dritteln katholischen Bayern lange spannungsgeladen war. Erst nach dem 2. Vaticanum kam es hier zu einem Klimawandel. Ein wahrer Kirchenbau-Boom war zu beobachten: Die neuentstandenen Gemeinden in den Diasporagebieten und an den Stadträndern benötigten Kirchenbauten, die zerstörten Kirchen in den Großstädten wurden wieder aufgebaut. Dass bis 1965 über 400 Kirchen errichtet werden konnten, war auch deshalb möglich, weil die Kirchensteuereinnahmen seit 1953 immer weiter, zum Teil sprunghaft angestiegen waren. Im Unterschied zu anderen Landeskirchen blieb die bayerische Kirche finanziell gut gestellt und konnte sich weitere Investitionen und die Verwirklichung neuer Ideen leisten. Die kirchliche Bildungsarbeit wurde neu aufgebaut; Bildungszentren und kirchliche Volkshochschulen wurden gegründet, neue Dienste ins Leben gerufen. 1966 wurden die Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen umgewandelt, 1972 wurde das Missionswerk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern gegründet. Weitere, zum Teil einschneidende Aufbrüche und Veränderungen im bayerischen Protestantismus – etwa die Einführung der Frauenordination, die Erprobung neuer Gottesdienstformen, die Veränderung der theologischen Ausbildung oder die Annahme der Leuenberger Konkordie – werden im folgenden Kapitel ausführlich behandelt. Bevor die Aktivitäten der drei bayerischen Gruppen dargestellt werden, soll eine kurze chronologische Zusammenschau eine grobe Orientierung über wesentliche Ereignisse im Untersuchungszeitraum geben – einem Untersuchungszeitraum, zu dem Gesamtdarstellungen bislang noch fehlen und über dessen 11 Vgl. dazu die Bemerkung von Roepke, Protestantismus, 447, aus dem Jahre 1972: „[…] extrem progressive Geistliche fühlten sich im milde-lutherischen Klima des evangelischen Bayern nie lange wohl und wanderten meist in liberalere Gegenden ab. So wird in der Gegenwart auf Bayerns protestantischen Kanzeln zwar kürzer als früher aber aufs Ganze gesehen recht einheitlich lutherisch gepredigt.“

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Periodisierung noch kein Konsens besteht12. Die Auswahl der im Folgenden erwähnten theologischen wie gesellschaftlichen Vorgänge und Diskussionen wurde hauptsächlich im Hinblick darauf getroffen, inwieweit sie zum Verständnis der Aktionen und Überlegungen der bayerischen Kirchenreformgruppen beitragen; wiederholt fließen daher auch in diesen Überblick bereits explizit bayerische Vorkommnisse ein.

3.1 Historischer Hintergrund: Kirchengeschichtliche Eckdaten 1966–1976 Das Jahr 1966 war im westdeutschen Protestantismus maßgeblich geprägt von der Auseinandersetzung um die sogenannte „Ostdenkschrift“: Im Herbst 1965 war die Denkschrift „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ veröffentlicht worden; verfasst hatte sie die „Kammer für Öffentliche Verantwortung“ der EKD unter Vorsitz des Juristen Ludwig Raiser13. Vor allem aufgrund ihres impliziten Plädoyers für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze hatte sie hauptsächlich bei den Vertriebenenverbänden scharfe Kritik geerntet. In Reaktion darauf verabschiedeten die Mitglieder der EKD-Synode auf ihrer Tagung im März 1966 die Erklärung „Vertreibung und Versöhnung“14, in der sie betonten, die Denkschrift rate „nicht zu einseitigem Verzicht [auf die Gebiete östlich der OderNeiße] als politischer Vorleistung, wohl aber zu Nüchternheit und zur Bemühung um einen friedlichen Ausgleich […]“15. Als eine der Reaktionen auf die Ostdenkschrift ist die Gründung der „Notgemeinschaft evangelischer Deutscher“ am 30. September 1966 in Stuttgart zu sehen16. Die kleine Vereinigung, die sich durch nationalistisch angehauchte Töne hervortat, wurde 1970 Mitglied in der „Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands“. Deutlich mehr Zulauf als die Notgemeinschaft hatte die am 12. Januar 1966 ins Leben gerufene „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“, eine Sammlung konservativer Christen; die Hauptmotive für ihre Gründung waren, so einer ihrer Vertreter, einerseits „die Liebe zu unserer 12

Vgl. dazu Hauschild, Kirche, 51. Abgedruckt in: Kirchenkanzlei der EKD, Denkschriften Band 1 / 1, 77–126. 14 Abgedruckt ebd., 127–133. 15 Ebd., 131. 16 In ihrer Selbstdarstellung gibt die Notgemeinschaft die Ostdenkschrift als „äußeren Anstoß“ ihrer Gründung an. Die Vereinigung änderte ihren Namen 1973 in „Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland“, um damit „gewissen Verdächtigungen [zu] wehren“ (Evertz, Notgemeinschaft, 55). 13

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evangelischen Kirche“, andererseits „unsere Enttäuschung durch die meisten Leitungen dieser unserer Kirche“17. Bei dem aufsehenerregenden ersten Schritt der „Bekenntnisbewegung“ in die Öffentlichkeit, der Großkundgebung am 6. März 1966 in der Dortmunder Westfalenhalle, kamen nach eigenen Angaben der Vereinigung etwa 24.000 Menschen zusammen. Das Hauptreferat auf dieser Versammlung hielt der Erlanger Systematiker Walter Künneth zu dem Thema „Kreuz und Auferstehung Jesu Christi“18. Wovon sich die „Bekenntnisbewegung“ abgrenzte – von der Befreiungstheologie, von der „Theologie der Revolution“ –, das prägte in diesem Jahr große Konferenzen und Versammlungen: So fand im Juli 1966 in Genf die „Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft“ unter dem Motto „Christen leben in der technischen und gesellschaftlichen Revolution unserer Zeit“ statt19. Der Terminus „Revolution“ wurde zum inhaltlichen Leitmotiv der Konferenz, zu der Vertreter aus über achtzig Nationen gekommen waren. Wiederholt wurde auf der Konferenz Gesprächsbereitschaft mit dem Marxismus signalisiert, Möglichkeiten der Zusammenarbeit wurden erörtert20. Den Wunsch, neue Wege in Kirchen und Theologie zu beschreiten, drückte auch schon der Titel der zweiten großen Konferenz des Jahres 1966 aus: „Siehe, ich mache alles neu“ (Joh 21,59) lautete das Motto der IV. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Uppsala, auf dem unter anderem das auch in Bayern später heftig diskutierte Anti-Rassismus Programm angestoßen wurde21. Der Wille zur grenzüberschreitenden ökumenischen Zusammenarbeit zeigte sich nicht nur bei den genannten Konferenzen. Seit Anfang der 1960er Jahre war verstärkt eine ökumenisch-weltweite Bewusstseinserweiterung, anfangs vor allem von Initiativgruppen getragen, zu spüren22. Das II. Vaticanum (1962–1965) mit seiner Liturgiereform, dem Wegfall der kirchlichen Zensur und des Index

17 Bäumer, Bekenntnisbewegung, 36. Vgl. dazu Stratmann, Evangelium; zur Literatur vgl. auch Hermle, Evangelikalen. 18 Vgl. die Selbstdarstellung der Gruppe bei Bäumer, Bekenntnisbewegung. 19 Vgl. dazu Ökumenischer Rat der Kirchen, Appell. 20 Vgl. dazu exemplarisch die Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppe B (Theologische Probleme in der Sozialethik), die von der Konferenz angenommen wurden: „Zwischen Christen und nichtchristlichen Anhängern sozialer Ideologien ist ein direkter Dialog möglich. Insbesondere bitten wir den Ökumenischen Rat der Kirchen dringend, überall in der Welt auf internationaler Basis einen informellen Dialog mit Marxisten zu beginnen. Wir glauben, dass hierdurch die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen Christen und Nichtchristen, ungeachtet ihrer Ideologien, zur Förderung des Friedens und Fortschritts für alle Menschen vergrößert werden“ (Ökumenischer Rat der Kirchen, Appell, 259). 21 Vgl. dazu auch das Beispiel „Die VBV und das Anti-Rassismus Programm des ÖRK“, 213–227; vgl. außerdem Frieling, Aufbrüche. 22 Vgl. Hauschild, Kirche, 55 f.

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ließ Gläubige beider Konfessionen auf eine erleichterte Zusammenarbeit hoffen und sorgte in einigen Ländern für Aufbrüche. Das Thema Versöhnung prägte den 13. Deutschen Evangelischen Kirchentag im Juni 1967 in Hannover stattfand23. Unter dem Motto „Der Friede ist unter uns“ kamen rund 34.000 Menschen zusammen, um sich mit Inhalten wie „Friedensdienst mit oder ohne Waffen“, „Juden und Deutsche. Ihr Weg zum Frieden“ oder „Sozialer Weltfrieden“ auseinanderzusetzen. Schon im Vorfeld sorgte die geplante Diskussionsrunde über die „Gegenwart des auferstandenen Christus“ für Aufsehen. Mitglieder bekennender Gemeinschaften hatten bereits Wochen zuvor die Teilnahme am Kirchentag und speziell an dieser Veranstaltung mit der Begründung abgelehnt, derartige Kontroversen um Glaubensfragen gehörten nicht vor einer breiten Öffentlichkeit ausgebreitet24. Die auf dem Kirchentag vertretenen christologischen Auffassungen eines vor allem ethisch verstandenen Gottessohnes, in dessen Stellvertretung man dezidiert politisch und gesellschaftlich Position beziehen wollte, hatten ein Nachspiel: Am 22. November 1967 machte der Bundesarbeitskreis der „Bekenntnisbewegung ‚Kein anderes Evangelium‘“ in der „Düsseldorfer Erklärung“ seiner Empörung Luft25. In sieben Thesen verwahrten sich die Mitglieder der Bewegung gegen die „gefährlichsten und verbreitetesten theologischen Irrtümer unserer Zeit“26: Sie betonten das unbedingte Festhalten an der Zwei-NaturenLehre und am Sühnetod Jesu sowie dessen leibliche Auferstehung und erteilten der Gott-ist-tot-Theologie und der Politisierung des Christusbekenntnisses eine scharfe Absage. Der „Düsseldorfer Erklärung“ schloss sich auch die KSBB i. B. an. Während die Ostdenkschrift noch immer die Gemüter erhitzte, erschien im März 1968 eine neue Denkschrift der EKD mit dem Titel „Friedensaufgaben der Deutschen“27. Diese dezidiert gesamtdeutsche Verlautbarung sprach sich erneut für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze aus, drängte auf die Kooperation beider deutscher Staaten, forderte die weltweite Verantwortung der Kirche für Abrüstung und Frieden und plädierte für Pressefreiheit und Anerkennung des freien Willens aller Deutschen. Im Osten von staatlicher Seite aus ignoriert, im Westen zwar als Dokument guten Willens betrachtet, aber sehr umstritten, wurde diese Denkschrift nicht als das wahrgenommen, was sie war: ein eigenständiges Modell im Rahmen des Bahr’schen Modells „Wandel durch 23 24 25 26 27

Vgl. dazu Deutscher Evangelischer Kirchentag Hannover 1967, Dokumente. Vgl. ebd., 13. Abgedruckt in Bäumer / Beyerhaus / Grünzweig, Weg, 167–170. Ebd., 167. Abgedruckt in: Kirchenkanzlei der EKD, Denkschriften Band 1 / 2, 15–33.

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Annäherung“28. Trotz der in dieser Denkschrift präsentierten Geschlossenheit bröckelte die Einheit der EKD zu diesem Zeitpunkt zusehends29: Bedingt durch den steigenden Druck der SED auf die gesamtdeutsche Organisation der EKD und die Diffamierung führender Kirchenmänner zogen mehr und mehr ostdeutsche Kirchenvertreter eine Trennung von der EKD in Betracht; seit dem Mauerbau 1961 tagten die Synodalen aus Ost und West getrennt. Am 10. Juni 1969 schlossen sich die östlichen Gliedkirchen der EKD im „Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“ zusammen, in dessen Grundordnung verankert war: „Der Bund bekennt sich zu der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland“30. Der erste Vorsitzende des Kirchenbundes, Bischof Albrecht Schönherr, charakterisierte im Juli 1971 den Kirchenbund folgendermaßen: „Eine Zeugnis- und Dienstgemeinschaft von Kirchen in der DDR wird ihren Dienst genau zu bedenken haben: In dieser so geprägten Gesellschaft, nicht neben ihr, nicht gegen sie.“31 Von Seiten des Staates und der Öffentlichkeit wurde diese Aussage Schönherrs als Formel „Kirche im Sozialismus“ wiedergegeben und sollte – wenngleich unterschiedlich inhaltlich gefüllt sollte – zum Leitbegriff für die evangelische Kirche in der DDR ab Anfang der 1970er Jahre werden. 1969 erhitzte in Westdeutschland einmal mehr der Kirchentag32 die Gemüter; das Medienecho war enorm33. Dazu trug erneut die „Bekenntnisbewegung“ bei: Nach dem Boykott des Kirchentags in Hannover initiierte sie jetzt eine eigene Arbeitsgruppe mit dem Titel „Streit um Jesus“. Diese Veranstaltung wurde zu einer der bestbesuchten des Kirchentags, erwartungsgemäß kam es dort zu keiner Einigung zwischen Vertretern moderner Theologie und Anhängern bekennender Gemeinschaften. Für weitere Kontroversen sorgte ab Oktober 1968 das Politische Nachtgebet34, das zum Inbegriff politischer Theologie in Westdeutschland wurde. Die Mitglieder des ökumenischen Arbeitskreises, unter ihnen Dorothee Sölle, nahmen sich unter anderem der Themen „Diskrimi28 So die Bewertung von Greschat, Protestantismus, 575. Der SPD-Politiker Egon Bahr hatte bereits Anfang der 1960er Jahre mit Blick auf eine Wiedervereinigung Deutschlands geraten, die deutsche Außenpolitik solle nicht länger dem Leitbild einer „Politik der Stärke“ folgen, sondern vielmehr versuchen, durch kleine Schritte die verhärteten Fronten aufzuweichen. 29 Im Folgenden orientierte ich mich an dem Überblick bei Wallmann, Kirchengeschichte, 297–314 (Der Weg der evangelischen Kirche in der DDR). Vgl. an weiterführender Literatur Pollack, Kirche; Friebel, Kirche; Goeckel, Kirche; Rendtorff, Revolution; Lepp / Nowak, Kirche. 30 Zit. nach Wallmann, Kirchengeschichte, 304; vgl. zum Ost-West-Dialog Silomon, Anspruch. 31 Mit diesen Hervorhebungen zit. nach ebd., 306. 32 Vgl. dazu Deutscher Evangelischer Kirchentag Stuttgart 1969, Dokumente. Vgl. dazu auch Ehmer / Lächele / Thierfelder, Reform, 284–311. 33 Zu den Kirchentagen vgl. auch Schroeter-Wittke, Kirchentag. 34 Zum Nachtgebet vgl. Cornehl, Sölle.

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nierungen“, „Wir – schuldige Christen. Buße 1968“ oder „Teufelskreis Entwicklungshilfe“ an35. Mit der Liturgie des Nachtgebets schufen seine Veranstalter eine der zahlreichen neuen Gottesdienstformen der 1960er und 1970er Jahre36. Einige dieser neuen Formen ebenso wie die Nachwehen des Stuttgarter Kirchentages waren es, die 1970 zur Gründung der „Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands“ führten: Man wollte gemeinsam über Landeskirchengrenzen hinweg eine Arbeitsgemeinschaft bilden, denn: „Trotz mancher Unterschiedlichkeiten der Lage […] war es doch derselbe Geist, der überall einbrach, und dieselbe Krise, die dadurch überall entstand.“37 Auch die KSBB i. B. zählte zu den Gründungsmitgliedern der Konferenz. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die westdeutschen Kirchenleitungen nicht nur mit den innerprotestantischen Querelen auseinanderzusetzen; Sorgen bereitete ihnen auch die seit 1968 sprunghaft gestiegene Zahl der Kirchenaustritte38. Über finanzielle Folgen der Kirchenaustritte mussten sich die westdeutschen Kirchen allerdings zu diesem Zeitpunkt noch keine Sorgen machen: Bedingt durch Wirtschaftswachstum und beginnende Inflation waren die Kirchensteuereinnahmen seit 1953 immer weiter, zum Teil sprunghaft angestiegen. Wolf-Dieter Hauschild bezeichnet die Zeit von 1961 bis Anfang der 1990er Jahre (mit einem kleinen Einbruch in den 1970er Jahren) insgesamt als „dagobertinische Phase“39 in der westdeutschen Kirchengeschichte; allerdings erreichte nach 1975 die Wachstumsrate in den EKD-Gliedkirchen nicht mehr das Niveau der späten 1960er und frühen 1970er Jahre, wo sie durchschnittlich bis zu 14,1 Prozent betragen hatte40. Im Unterschied zu anderen Landeskirchen blieb die bayerische Kirche vom Einbruch Mitte der 1970er Jahre verschont; ihr Haushalt expandierte kontinuierlich und mit vergleichsweise hohen Steigerungsraten41. Die große Finanzkraft der Kirche hatte unter anderem zur Folge, dass zahlreiche Bauten entstehen42, neue Einrichtungen geschaffen (wie bei35

Sölle / Steffensky, Politisches Nachtgebet. Dazu gehörten in Bayern unter anderem die großen Jugendgottesdienste in der Meistersingerhalle in Nürnberg und die Kommentargottesdienste in Nürnberg, St. Lorenz. Vgl. auch die Zusammenfassung wesentlicher Neuerungen und Veränderungen in der bayerischen Landeskirche bei Seitz, Leben. 37 Grünzweig, Konferenz, 25. 38 Vgl. Greschat, Protestantismus, 546 f. Vgl. dazu außerdem Pollack, Protestantismus, 124. 39 Nach Dagobert Duck, der – wie eben die westdeutschen Kirchen dieser Jahre – in Geld schwimmt (Hauschild, Kirche, 64). Im Gegensatz zu dem Comic-Geizkragen gaben die Kirchen das Geld allerdings mit vollen Händen aus. 40 Vgl. Damberg / Oehmen-Vieregge / Tripp, Transformationsprozesse, 482. 41 Ebd., 483. 42 Diese rege Bautätigkeit war auch ein Kritikpunkt einiger kirchlicher Reformgruppen, die dafür plädierten, die immensen Summen statt in kirchliche Bauprogramme lieber in die Entwicklungs36

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spielsweise 1974 in Bayern die Gemeindeakademie Rummelsberg) und kirchliche Stellen ausdifferenziert und vermehrt werden konnten. Im Mai 1970 begannen die Diskussionen um die Änderung der EKD-Verfassung hin zu einer „Bundeskirche“. Die Kompetenzen auf gesamtkirchlicher Ebene sollten dabei erheblich vergrößert werden, was auf massive Einwände stieß43. Insgesamt fünf Grundordnungen (EGO I bis V) wurden in den Folgejahren erarbeitet, bis im Februar 1976 der letzte Vorschlag, EGO V, am Widerstand Württembergs scheiterte44. In der bayerischen Landeskirche war die Mehrheit der Synodalen ebenso wie Bischof Dietzfelbinger dem Reformversuch skeptisch gegenübergestanden, und Wolf-Dieter Hauschild fasste im Kirchlichen Jahrbuch 1976 / 77 zusammen: „Es war ein offenes Geheimnis, daß – falls Württemberg die Zustimmung nicht verweigern würde – dann Bayern die Grundordnungsreform scheitern lassen würde.“45 Während es innerprotestantisch aufgrund der Diskussion um Wesen und Auftrag der EKD zu Reibungen kam, schien der Aufschwung in der Ökumene weiter voranzugehen; exemplarisch sei hier das Ökumenische Pfingsttreffen vom 3. bis 5. Juni 1971 unter dem Motto „Nehmet einander an, wie Christus uns angenommen hat“ in Augsburg genannt: Auf Einladung des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken und des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentages kamen Christen beider Konfessionen zusammen und verabschiedeten zahlreiche Resolutionen, in denen sie unter anderem die Lockerung der Sonntagspflicht, die gegenseitige Zulassung von Gästen zu Abendmahl bzw. Kommunion, die gemeinsame Durchführung von Kirchenbauten und die Erleichterung konfessionsverschiedener Ehen forderten46. Einige der Appelle hatten Erfolg; beispielsweise kam es in der Krankenhaus- und Telefonseelsorge zu einer dauerhaften Zusammenarbeit zwischen katholischer und evangelischer Kirche. Auch entstanden in den Folgejahren einige ökumenische Gemeindezentren. Was die Forderung nach gemeinsamen Abendmahlsfeiern betraf, erfolgte 1975 eine Einladung von evangelischer Seite an die katholischen Glaubensbrüder und -schwestern, an der Abendmahlsfeier teilzunehmen, während die römisch-katholische Kirche bei ihrem Nein zur Interkommunion blieb47. hilfe zu stecken; vgl. beispielsweise die „Resolution zum kirchlichen Bauprogramm (Vorentwurf )“ des Aktionskreises Kirchenreform Heidelberg (Lange / Leudesdorff / Rohrbach, Ad hoc, 87 f.). 43 Vgl. dazu die Arbeit von Ahme, Reformversuch. 44 Vgl. dazu ausführlich Schloz, Württemberg. Der auf der Synode verhandelte Zustimmungsantrag zur Annahme der neuen Grundordnung scheiterte letztlich an drei Stimmen. 45 Hauschild, Grundsatzfragen, 62. 46 Die einzelnen Resolutionen sind abgedruckt in: Ökumenisches Pfingsttreffen Augsburg 1971. Dokumente. 47 Vgl. den Überblick bei Martin, Entwicklungen, 527 f.

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Das Jahr 1972 stand weiter im Zeichen der Diskussionen um die Autonomie und „Bekenntnistreue“ einzelner Landeskirchen: Befürworter wie Gegner suchten weiter den öffentlichen Meinungsaustausch zur Neuordnung der EKD und zur Leuenberger Konkordie48. Am 16. März 1973 wurde die endgültige Fassung der „Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa“ verabschiedet; ein langes Kapitel des innerprotestantischen Gesprächsprozesses, angefangen bei den Schauenburger Gesprächen 1963 und weitergeführt in den Leuenberger Gesprächen 1969 bis 1971, war zu seinem vorläufigem Ende gekommen. Die einzelnen Kirchen mussten sich nun für oder gegen die Annahme der Konkordie entscheiden, die die Kirchengemeinschaft zwischen den Unterzeichnerkirchen festlegte und Bekenntnisunterschieden bezüglich Abendmahl, Christologie und Prädestination ihren trennenden Charakter nahm. Fast alle protestantischen Kirchen Europas sowie einige außereuropäische Kirchen unterschrieben in den darauffolgenden Monaten die Konkordie. In Bayern stimmte die Synode im Oktober 1974 in zweiter Lesung der Konkordie zu; dies geschah gegen den Willen Dietzfelbingers49. Mit dem Buch des peruanischen Theologen Gustavo Gutierrez „Teologia de la Liberacion“ erschien 1972 ein grundlegendes Werk der Befreiungstheologie in Lateinamerika und Asien. Auf Grundlage des christlichen Glaubens sollte der Kampf zur Überwindung ungerechter Strukturen geführt werden; die Praxis wurde zum Prüfstein des Glaubens, denn: „Alle politischen Theologien, alle Theologie der Hoffnung, der Revolution und der Befreiung gelten nicht so viel wie eine echte Initiative im Sinne der Solidarität mit den ausgebeuteten Klassen der Gesellschaft.“50 Das Programm des 15. Deutschen Evangelischen Kirchentags im Juni in Düsseldorf zeigt exemplarisch, wie diese Impulse in Deutschland aufgegriffen wurden: Unter der Losung „Nicht vom Brot allein“ beschäftigten sich die Teilnehmer mit Themen wie „Privater Wohlstand – Öffentliche Verarmung“, „Keine Einbahnstraßen“ (Mission und Entwicklung) sowie Fallstudien aus Lateinamerika und Indien. Ein weiteres Arbeitsfeld waren die zahlreichen neuen Gottesdienstformen51. Die Offenheit des Kirchentags für politische Themen und die sogenannten „Genitiv-Theologien“ (Theologie der Befreiung, Theologie der Hoffnung etc.) empörten einmal mehr die Mitglie48 Vgl. z. B. die Diskussionen in den NELKB, u. a. Ludwig Raiser: Bericht zum Stand der EKDReform (NELKB 27 (1972), Nr. 3 vom Februar (1), 46–48); Werner Hofmann: Zur Neuordnung der EKD (NELKB 27 (1972), Nr. 3 vom Februar (1), 49 f.). 49 Nachdem am 21. 11. 1976 Landesbischof Hanselmann und Landeskirchenrat der Leuenberger Konkordie in der am 6. 3. 1973 beschlossenen Fassung zugestimmt hatten, lag die Zustimmung aller drei kirchenleitender Organe der bayerischen Landeskirche vor. Vgl. VLS 1976 / II, 26–28. 50 Gutierrez, Befreiung, 362. 51 Vgl. dazu Deutscher Evangelischer Kirchentag Düsseldorf 1973, Dokumente.

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der bekennender Gemeinschaften und veranlassten sie dazu, im selben Jahr den ersten „Gemeindetag unter dem Wort“ in der Dortmunder Westfalenhalle auszurichten. Diese „gemeinsamen Tag[e] unter dem Evangelium“ sollten unter dezidierter Bezugnahme auf „solche Tage der Gemeinschaft […] in der Kampfzeit der Bekennenden Kirche“ vor allem der Evangelisation dienen52. Die seit Beginn der Studentenunruhen schwelende Diskussion um die Positionierung von Kirche und Geistlichen zugunsten linksgerichteter politischer Aktivitäten erreichte 1974 einen Höhepunkt, als der Berliner Bischof Kurt Scharf die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof im Gefängnis besuchte. Der sogenannte „Berliner Kirchenstreit“ entbrannte und wurde zum dankbaren Thema für die Medien. Auch innerkirchlich blieb die Verbindung von Sozialismus und Kirche ein Reizthema53: In den Jahren 1972 bis 1977 gab es in der EKD heftige Diskussionen um die Mitgliedschaft von Pfarrern in der 1968 / 69 gegründeten „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP). Die Auseinandersetzungen hatten ihren Anfang in der Evangelischen Landeskirche von Hessen und Nassau (EKHN) genommen, als die Pfarrvikarin Ute Knobloch 1972 bei einer Kommunalwahl für die DKP kandidierte. Kirchenleitung und Synode beschlossen daraufhin die Unvereinbarkeit von DKP-Mitgliedschaft und geistlichem Amt; die darauffolgende Entlassung des DKP-Mitglieds und Pfarrvikars Rolf Trommershäuser wurde weit über die Grenzen der hessen-nassauischen Landeskirche hinaus zum Politikum54. Vor allem der theologische Nachwuchs protestierte gegen ein Diktum der Unvereinbarkeit von Sozialismus und Christentum55. Auch der sogenannte „Radikalenerlass“ oder „Extremistenbeschluss“56 sorgte in kirchlichen Kreisen, wie beispielsweise bei den Teilnehmern des „Landesfestivals der Evangelischen Studentengemeinden Bayerns“, für Unruhe57. 52

Zitiert nach Bäumer, Gemeindetage, 94. Vgl. Albertz / Böll / Gollwitzer u. a., Pfarrer, 7. 54 Vgl. Hauschild, Kirche, 77. Vgl. dazu auch die Reaktionen des LabeT (Kapitel 3.3.2, 232). 55 So forderte beispielsweise die Delegiertenversammlung des Verbandes Evangelischer Theologiestudenten in der EKD „eine uneingeschränkte Anerkennung des Sozialismus als mögliche Alternative zum Kapitalismus“. Zit. nach der Meldung „Theologiestudenten gegen kirchliche Berufsverbote“ (NELKB 30 (1975), Nr. 10 vom Mai (2), 196). 56 Der sogenannte Radikalenerlaß war am 28. 1. 1972 von Bund und Ländern unter dem Namen „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“ vor allem als Reaktion auf den Terror der RAF beschlossen worden; mit seiner Hilfe sollten verfassungsfeindliche Bürger vom Beamtenverhältnis ausgeschlossen werden. 57 So äußerten etwa die Teilnehmer des „Landesfestivals der Evangelischen Studentengemeinden Bayerns“ im Juni 1975 in einem Offenen Brief an Vertreter der Kirchenleitung, Dozenten und den AEE: „Wir sehen, daß unser Staat Bürger diskriminiert, nur weil sie sich verpflichtet fühlen, die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch darzustellen oder zu verbessern. Wir halten eine solche staatliche Ideologie, die es nicht für nötig hält, sich mit ihren Kritikern inhaltlich auseinanderzusetzen, und ihnen jede Verantwortung für den Staat abspricht, für einen illegiti53

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Mit der Losung „In Ängsten – und siehe wir leben“ griff im Juni 1975 der Kirchentag in Frankfurt58 die allgemeine Stimmung der Unsicherheit – die Ängste „angesichts des internationalen Wettrüstens, politischer Gewalttaten und militanter Hausbesetzungen“59 – auf. In der Erinnerung der Organisatoren machte er sich als „offener, kritischer, kontroverser, aber auch […] festlichfröhlicher Kirchentag“60 fest, der „vielen das Gefühl [vermittelte], auch als einzelne nicht nur ohnmächtig zu sein“61. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl lautete die Bilanz: „Der Kirchentag befindet sich wieder im Aufwind.“62 Im Aufwind befand sich auch die Zahl der Theologiestudierenden: Sie war Mitte der 1970er Jahre enorm gestiegen, der Anteil der Studentinnen hatte stark zugenommen. Das evangelische Theologiestudium boomte, was unter anderem zur Folge hatte, dass an der Universität Göttingen der Numerus clausus für diesen Studiengang eingeführt wurde63. Was die gesellschaftspolitischen Einstellungen und Aktivitäten dieser Studenten betraf, war ein großer Unterschied zu der Vorgängergeneration zu beobachten – sie zeigten weniger politisches und soziales Engagement und wären „religiöser“ als in den Vorjahren, so eine Meldung aus der württembergischen Landeskirche aus dem Jahr 197664. Dieser men Herrschaftsanspruch über Menschen. Wir können als Evangelische Studentengemeinden in Bayern zu diesem Herrschaftsanspruch nicht mehr schweigen, sondern wollen die weiteren Vorgänge mitverfolgen und dort, wo es uns möglich ist, öffentlich Einspruch erheben gegen die Bedrohung einzelner durch den Staat. […] Unser christliches Selbstverständnis wäre Selbstbetrug, wenn wir es aus den Spannungen politischen Engagements heraushalten wollten.“ Dieser Brief wurde unter anderem abgedruckt in B+K, Nr. 23 / Juli 1975, 9 f. Ebd., 11 f., ist ein Kommentar von Eleonore von Rotenhan zum Radikalenerlaß veröffentlicht („Von der Angst als Radikaler ertappt zu werden“). Vgl. außerdem den diesbezüglichen Absatz in der Meldung „Aus dem Landessynodalauschuss“ (NELKB 30 (1975), Nr. 21 vom November (1), 415). Ihm zufolge war dem Landessynodalausschuss von bayerischen Studentenpfarrern „über eine beträchtliche Beunruhigung unter den Studenten im Blick auf die Auswirkungen des Radikalenerlasses berichtet“ worden. 58 Vgl. dazu Deutscher Evangelischer Kirchentag Frankfurt 1975, Dokumente. 59 Wolf, Basis, 133. 60 Ebd. 61 Ebd., 133 f. 62 Vgl. dazu Weber, Kirchentag. 63 Vgl. NELKB 31 (1976), Nr. 6 vom März (2), 106 f.; NELKB 31 (1976), Nr. 1 / 2 vom Januar, 34. Speziell bezüglich der für 1981 prophezeiten „Pfarrerschwemme“ in Bayern veröffentlichte der Pfarrer und Journalist Hartmut Weber im Juli 1976 einen Kommentar, in dem er anmahnte, sich frühzeitig mit dem Thema zu befassen, und außerdem davor warnte, alternative Modelle zur Parochialstruktur, mit denen sich der Landeskirche bei der momentanen „Pfarrernot“ behalf, einfach wieder fallen zu lassen und damit die Laien zu entmündigen (B+K, Nr. 26 / Juli 1976, 8 f.). Der LabeT veröffentlichte als Antwort auf die „Pfarrerschwemme“ die sogenannte „Tieringer Erklärung“ zur Übernahme von Theologiestudenten in den Pfarrdienst (NELKB 31 (1976), Nr. 4 vom Februarausgabe (2), 76. Vgl. zu der Erklärung auch Kapitel 2.3.3, 105. 64 NELKB 31 (1976), Nr. 4 vom Februar (2), 72 f.

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Wandel vom „politischen“ hin zum „religiöseren“ Theologen war auch bei den bayerischen Theologiestudenten zu beobachten. Und nicht nur bei ihnen: Die Jahre 1975 / 76 scheinen insgesamt für Geistliche der bayerischen Landeskirche eine Wende bedeutet zu haben. Die Hochphase der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen, die zum Teil in scharfen Tönen ausgetragenen Konflikte um strukturelle wie ethische Fragen war vorbei. Ein vorläufiger Rückzug, eine Konzentration auf die Inner(kirch)lichkeit zeigte sich, wenn auch in unterschiedlichen Maß, bei allen drei in dieser Arbeit behandelten Reformgruppen.

3.2 Demokratisierung Hier sind drei Ebenen zu unterscheiden: Erstens bemühten sich die Gruppen darum, die kirchlichen Strukturen auf verfassungsrechtlicher Ebene zu demokratisieren: Zu diesem Zweck mischten sie sich in die Verfassungsdiskussionen ein und legten Gesetzesentwürfe vor. Sie bestätigten damit eine Beobachtung Friedrich-Wilhelm Marquardts, der schreibt: „Es hat noch niemals eine ausgerechnet am Kirchenrecht, der Kirchenverwaltung, den kirchlichen Verfahrensordnungen so hingebungsvoll interessierte und engagierte Erneuerungsbewegung gegeben wie diese.“65 Den Bemühungen der Gruppen war ein gewisser Erfolg beschieden: Was die von ihnen intendierte Veränderung der Verfassungsstrukturen betrifft, zählt auch die bayerische Kirche zu den Landeskirchen, bei denen sich „trotz einiger Widerstände – nicht nur von evangelikaler Seite – und anders lautender theologischer Begründungen der Synoden eine zunehmende Demokratisierung im Laufe der 1960er Jahre feststellen lässt“66. Zwar war es vor allem der AEE, der sich hier engagierte, doch auch Vertreter von VBV und LabeT beschäftigten sich eingehend mit Struktur- und Verfassungsfragen und gaben entsprechende Stellungnahmen ab: „Der sog. demokratische Aufbau [der Kirche] ist nur Schein“67, befand etwa eine LabeT-Arbeitsgruppe nach einer Tagung in Josefstal 1971 sowohl in Bezug auf das Verhältnis Kirchenleitung – Gemeinde / Basis, als auch bezüglich des Umgangs der Kirchenleitung mit Theologiestudenten68. Gerade bei den Fragen des innerkirchlichen Umgangs miteinander lässt sich eine zweite Ebene feststellen, auf der sich die drei Gruppen für eine Demokra65

Marquardt, Kritik, 195. Damberg / Oehmen-Vieregge / Tripp, Transformationsprozesse, 479 67 Vgl. den Bericht Machtstrukturen in der Kirche (Info-LabeT, Nr. 9 / Juni 1971, 2–4, hier: 3). 68 Vgl. hierzu vor allem die „Stellungnahme zur Strukturdenkschrift der Evang.-Luth. Kirche in Bayern“, die der LabeT auf seiner vierten Delegiertenversammlung im Juli 1971 verfasste (InfoLabeT, Nr. 11 / 27. 10. 1971, 5–8). 66

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tisierung einsetzten: Ohne hier dezidiert formale Änderungen einzufordern, versuchten Vertreter von AEE, VBV und LabeT auf verschiedene Weise, die von ihnen als schwierig empfundenen Kommunikations- und Informationsstrukturen innerhalb der Landeskirche zu verbessern. Der AEE bemühte sich vor allem darum, die kirchlichen Entscheidungswege transparenter zu machen: Damit sich alle an der Diskussion über eine Entscheidung beteiligen könnten, so sein Credo, müssten auch die entsprechenden Informationen allen zugänglich gemacht werden. Die „Berichte und Kommentare“ waren dabei für den Arbeitskreis ein wesentliches Instrument für die Herstellung von Öffentlichkeit bei Konfliktfällen. Vertreter der jüngeren Generation, und damit vor allem LabeT- und VBV-Mitglieder, wollten die kirchlichen Strukturen vor allem dahingehend verändern, dass sich die Streit- und Debattenkultur änderte, dass sie trotz ihrer noch nicht abgeschlossenen Ausbildung an Entscheidungsprozessen partizipieren konnten; bei einigen ihrer in diesem Kapitel behandelten Aktionen war deren provokativer Inhalt in erster Linie ein Instrument zur Durchsetzung dieses Zieles. Schließlich gab es noch eine dritte Ebene der Demokratisierung, eine sogenannte „Demokratisierung des Evangeliums“69. Hier ging es den Gruppen darum, die Menschen des Neuen Testaments als konstitutives Element für die Verkündigung der Botschaft Jesu neu zu entdecken – ihrer Ansicht nach ein in der Kirche oft vernachlässigter Aspekt. Jesus habe mit seiner Botschaft die Menschen in ihren vorfindlichen Verhältnissen angesprochen, und so müsse die Kirche sich wieder stärker darum bemühen, Wege der Verkündigung und Gemeindestrukturen zu entwickeln, die den Menschen in ihrer Situation wirklich gerecht würden. Gerade das Pfarrerbild sollte sich ändern; Leitbild war hier die paulinische Charismenlehre. Möglichst viele Menschen sollten mit ihren Begabungen Verantwortung für die Kirche übernehmen; man sollte sich außerdem vermehrt ins Bewusstsein rufen, dass Leitungsaufgaben „nicht als Herrschaft und Machtausübung, sondern als Dienst“70 gedacht seien.

3.2.1 Versuche der Enthierarchisierung kirchlicher Strukturen Was formale Fragen der Demokratisierung angeht, war ein großes Thema schon weitgehend beschlossen, bevor der AEE richtig aktiv werden konnte bzw. die anderen beiden Gruppen gegründet wurden: Die neue Kirchenverfassung der 69

Vgl. dazu Marquardt, Kritik, 202 f. „Überlegungen zur Aufgabenstellung des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung“. Leicht geänderte Fassung auf Grund der Diskussion in der ersten ordentlichen Mitgliederversammlung am 3. / 4. 3. 1968 in Nürnberg (B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 1). 70

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bayerischen Landeskirche wurde 1971 verabschiedet, ohne dass der AEE – trotz zahlreicher Wortmeldungen und Stellungnahmen – noch viel daran hätte mitwirken können71. Das Engagement für die neue Kirchenverfassung Auf die Notwendigkeit einer Reform der bayerischen Kirchenverfassung von 1920, deren Strukturen nach 1945 weitgehend wiederhergestellt wurden, hatte Landesbischof Dietzfelbinger erstmals öffentlich 1961 auf der Frühjahrssynode in Ansbach hingewiesen72; Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit klafften zu diesem Zeitpunkt aufgrund zahlreicher, zum Teil gravierender Änderungen weit auseinander. Mit Beginn der Synodalperiode 1966 / 1972 setzten Landeskirchenrat und Synode einen Verfassungsausschuss mit rund 25 Mitgliedern zur Gesamtüberprüfung der Verfassung und für die Formulierung von Veränderungen und Ergänzungen ein73. Bis es zur endgültigen Verabschiedung der neuen Kirchenverfassung auf der Herbsttagung der Synode 1971 kam74, waren im Vorgriff auf die Reform bereits mehrere Kirchengesetze auf Synodaltagungen der Jahre 1968 bis 1971 erlassen worden. Diese „Fertigteilbauweise“75 kritisierte der AEE. Es mangele „an einer durchdachten Gesamtkonzeption, die zur Diskussion gestellt werden müßte, ehe man Teile der Verfassung schon im voraus verabschiedet. Die jetzt praktizierte ‚Fleckteppich‘-Arbeit erregt den Verdacht, daß durch eilige Verabschiedung von Verfassungsteilen weiterreichende Änderungen in der späteren Verfassungsarbeit blockiert werden könnten.“76

Hauptkritikpunkt des AEE war, dass mit dieser neuen Verfassung keine „wirkliche Verfassungsreform“ gelungen sei; ihr sei vielmehr anzumerken, dass „das 71 Vgl. dazu das umfangreiche Material in LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 15; Blendinger, Aufbruch, Kapitel 9 (Initiativen für eine demokratische Kirchenverfassung); hier vor allem die Seiten 239–241; Überblick bei Hübner, Verfassungs- und Verwaltungsstrukturen; Ammon / Rusam, Verfassung, 16–24; Grethlein / Böttcher / Hofmann / Hübner, Kirchenrecht, 41–45; interessant auch die Sicht Hermann Dietzfelbingers (Dietzfelbinger, Veränderung, 182–184): Ihm lag bei der Verfassungsreform besonders die Charakterisierung des Bischofs als eines Pfarrers am Herzen. 72 Nach Ammon / Rusam, Verfassung, 16–24. 73 Vgl. dazu auch Heinrich Riedel: Auf dem Weg zu einer neuen Kirchenverfassung in Bayern (NELKB 23 (1968), Nr. 13 vom Juli (1), 242–245). 74 Der Vorentwurf des Ausschusses war im Frühjahr 1970 zur Diskussion gestellt worden; nach der Berücksichtigung eingegangener Stellungnahmen wurde der Entwurf im Herbst 1970 offiziell eingebracht. Die erste Lesung fand auf der Frühjahrssynode 1971 statt. 75 Grethlein / Böttcher / Hofmann / Hübner, Kirchenrecht, 43. 76 Resolution zu den gegenwärtigen Arbeiten an einer neuen Kirchenverfassung; undatiertes Blatt (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 15).

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einschlägige Material aus gegenwärtig gültigen Kirchenverfassungen herangezogen wurde, die von dem herkömmlichen patriarchalischen Bild der Landes- und Volkskirche geprägt sind“77. Weder auf aktuelle Fragestellungen, so der Vorwurf des AEE, noch auf neue Formen gemeindlichen und gottesdienstlichen Lebens werde in den Verfassungsentwürfen eingegangen. Es sei keine Verwirklichung des allgemeinen Priestertums versucht worden; das Bild einer partner- und bruderschaftlichen Kirche des Neuen Testaments müsse erneut hinter einem Kirchenverständnis zurückstehen, das durch die herausragende Position Geistlicher dominiert werde. Was die konkrete Arbeit des AEE zur Verfassungsreform betraf, so war eine der anfangs fünf AEE-Arbeitsgruppen, die AG III, unterteilt in AG III (Nord) und AG III (Süd), diesem Themenkomplex gewidmet. Die AG Nord mit Sitz in Nürnberg unter Leitung von Christian Blendinger legte dabei ihren Schwerpunkt darauf, die Arbeit des Verfassungsausschusses zu begleiten; die AG Süd mit Sitz in München hingegen widmete sich Grundsatzfragen kirchlicher Strukturen78. Hauptanliegen des AEE war es, dass die neue Kirchenverfassung mehr Offenheit für bestehende und zukünftige Organisations- und Gemeindeformen jenseits des Parochialprinzips und einer rein regionalen Gliederung bieten sollte. Hierarchische Strukturen sollten abgebaut, die Landeskirche insgesamt demokratischer gegliedert werden, wobei etwa den genannten nicht-parochialen Organisationsformen stärkere Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden sollten79. Die Dekanatsebene sollte gestärkt werden; Amtszeiten – wie die des Bischofs – sollten begrenzt werden. Bei allen Verfassungsfragen galt für den AEE das Prinzip: „Die kirchlichen Strukturen müssen künftig auf allen Ebenen ‚offen, aufnehmend und einladend‘ wirken.“80 Und diese Offenheit sahen sie bei den kursierenden Verfassungsentwürfen nicht gegeben. 77

Ebd. Vgl. zu den Aktivitäten der beiden Arbeitsgruppen den Bericht in B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 29–32. Die AEE-Regionalgruppe Unterfranken erstellte zum Entwurf der neuen Kirchenverfassung eine eigene Stellungnahme mit detaillierten Änderungsvorschlägen (B+K, Nr. 8 / 15. 7. 1970, 4). 79 Vgl. dazu die „Diskussionsthesen zur Verfassungsreform der Kirche“ von Horst Birkhölzer (B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 17–20). Birkhölzer fasst hier als wesentliche Anliegen zusammen: „Verantwortungs- und Kompetenzbereiche sollten möglichst klar voneinander abgegrenzt werden, Funktionen dürfen nicht miteinander vermengt werden, insbesondere gilt das für eine personelle Trennung der rechtlichen und geistlichen Funktionen. […] Der Zentralismus müßte weitgehend abgebaut werden und mehr Verantwortung auf untere Ebenen deligiert werden, um dadurch Eigenverantwortung anzuregen. […] Es müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß Kirchenleitung mehr werden kann als Verwaltung des Vorhandenen. Es müssen kirchliche Planungsorgane geschaffen werden, um die Anpassung an die jeweiligen Verhältnisse zu ermöglichen“ (ebd., 19 f.). 80 Christian Blendinger: Zur Diskussion gestellt: Die „Landessynode“ (B+K, Nr. 2 / Frühjahr 1969, 8–20, hier: 8). 78

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Auf dem sogenannten Anhörungsverfahren (Hearing)81 zur Kirchenverfassung auf der Frühjahrssynode 1970 in Coburg meldeten sich der Münchner Prodekan Friedrich Spiegel-Schmidt und Christian Blendinger im Auftrag des AEE zu Wort. Letzterer sprach sich eindringlich für mehr Machtkontrolle und -beschränkung kirchlicher Gremien, hier vor allem mit Blick auf die Synode, aus82. Als sich spätestens nach der ersten Lesung des Verfassungsentwurfs im Frühjahr 1971 abzeichnete, dass die neue Kirchenverfassung noch in der laufenden Legislaturperiode der Synode verabschiedet werden würde, plädierte der AEE noch einmal vehement für „eine Zurückstellung des Gesamtentwurfs und eine Verabschiedung von einzelnen Abschnitten, die bessere Arbeits- und Organisationsmöglichkeiten schaffen“ und begründete dieses Anliegen damit, dass bei der Arbeit an der Verfassung „die nötige Grundlagenbesinnung ausgespart worden ist“83. Die Einwände und Unternehmungen des AEE in dieser Richtung84 blieben jedoch vergeblich; die neue Verfassung wurde seiner Ansicht nach ohne eine grundlegende Besinnung und ohne eine umfassende Neustrukturierung der Landeskirche, wie sie der AEE gefordert hatte, auf der Herbstsynode 1971 verabschiedet. Kirchenrechtler charakterisieren die Verfassung von 1971 als „behutsame und in vielem bewahrende Fortführung derjenigen von 1920, eine Anpassung an die damals vorgefundene Verfassungswirklichkeit, aber auch Raum gebend für neue Entwicklungen. Sie ist zum Teil ein Kompromiß aus den unterschiedlichen Erwartungen, die an sie herangetragen worden sind, oft auch in Verkennung dessen, was eine Kirchenverfassung leisten kann.“85

Dem AEE jedenfalls leistete sie offensichtlich nicht genug; den Einsatz für eine institutionelle Verankerung seiner Anliegen in der Verfassung empfanden seine Mitglieder als weitgehend gescheitert. 81 Hierbei handelte es sich um ein Novum in der bayerischen Landeskirche: Kirchenmitglieder hatten die Möglichkeit, hier zur Verfassungsreform das Wort zu ergreifen. 27 Redner machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. 82 Vgl. VLS 1970 / I, 150 f. Vgl. zu der Coburger Synode und dem ersten öffentlichen Anhörungsverfahren der bayerischen Synodalgeschichte auch Kapitel 3.2.1, 136–140. 83 So in dem Antrag, den die Projektgruppe Kirchenverfassung des AEE für die Märztagung 1971 der Landessynode eingereicht hatte. Zit. nach: Christian Blendinger: Eile oder Weile? Der Stand der Verfassungsfrage (B+K, Nr. 10 / 21. 6. 1971, 8–12, hier: 10). 84 So wurden im Juni 1971 „die Regionalgruppen […] dringend aufgefordert […], die Synodalen ihres Bereichs zu Gesprächen über die Verfassungsfragen einzuladen und ihnen den Standpunkt des AEE […] darzulegen. […] Für den AEE besteht hier eine der letzten Einflußmöglichkeiten, unsere rechtlichen Vorstellungen einer künftigen Kirche wenigstens ansatzweise zu verwirklichen“ (ebd., 11 f.). 85 Grethlein / Böttcher / Hofmann / Hübner, Kirchenrecht, 44.

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Einsatz für eine höhere Transparenz synodaler Entscheidungsprozesse Ein wesentlicher Punkt in der Verfassungsdiskussion war für den AEE ein neues Verständnis der Synode gewesen: Nach Ansicht des AEE war deren Funktion in der neuen Verfassung „unterhalb dessen beschrieben […], was sie eigentlich sein könnte und müßte: Gleichgewichtiges Kontrollorgan der behördlichen Kirchenleitung.“86 Doch nicht nur die Machtkontrolle durch die Synode war den AEE-Mitgliedern wichtig; ein wesentliches Anliegen, das sie seit Gründung ihres Arbeitskreises immer wieder auf verschiedene Weise verfolgten, war es, die Synode stärker mit der Basis zu vernetzen, ihre Struktur zu demokratisieren und ihre Entscheidungswege transparenter zu machen. Dieses Ziel verfolgte der AEE auf unterschiedlichste Weise: Ein Weg waren verschiedene Treffen, die einzelne Regionalgruppen mit Synodalen organisierten87. Außerdem wurde versucht, direkt auf die Zusammensetzung der Synode Einfluss zu nehmen: So sorgte der AEE 1971 im Vorfeld der Synodalwahlen 1971 mit seinen Informationen zu Modalitäten des Wahlverfahrens und zu den von den Kandidaten vertretenen Inhalten, mit Wahlabsprachen und -empfehlungen für einen von der Öffentlichkeit erstaunt wahrgenommen „Hauch von Wahlkampf in der Kirche“.88 Mit dem Resultat ihrer Bemühungen zeigten sich die AEE-Mitglieder zufrieden und kommentierten im Februar 1972: „Das Gesicht der Synode hat sich verändert. ‚Alte Veteranen‘ sind ausgeschieden, jüngere Leute kamen nach. […] Aus Sicht des AEE kann das Ergebnis als Erfolg angesehen werden: 18 Kandidaten, die dem AEE als Mitglieder angehören, wurden gewählt. Eine weitere große Gruppe steht unseren Vorstellungen sehr nahe. In vielen Sachfragen dürfte dadurch auf Anhieb eine Mehrheit vorhanden sein.“89

Tatsächlich sollten in dieser Legislaturperiode Gesetze verabschiedet werden, die vermutlich in der Periode zuvor keine Mehrheit hätten erzielen können, wie beispielsweise die Eingliederung der Frauen in das Pfarrergesetz 1975.

86 „Der neuen Landessynode nachträglich ins Stammbuch geschrieben“; nicht namentlich gekennzeichneter redaktioneller Vorspann zum Teilabdruck der Rede Blendingers beim Anhörungsverfahren 1970 (B+K, Nr. 11 / 1. 2. 1972, 4–6, hier: 4). 87 Vgl. dazu beispielsweise B+K, Nr. 4 / 1. 10. 1969, 16–19, den Bericht über den Besuch der Mitglieder der AEE-Regionalgruppe Unterfranken / Uffenheim bei Synodalen mit dem Fazit: „Eine Einwirkung auf die Synodalen in Fragen und Problemen unserer Landeskirche ist nicht nur möglich, sondern von ihnen aus sogar erwünscht“ (Ebd., 17). 88 So titelte die Süddeutsche Zeitung. Zit. nach „Gedanken zur Wahl. Das Gesicht der Synode hat sich verändert“ (unter dem Pseudonym „Kadi“ verfasst), in: B+K, Nr. 11 / 1. 2. 1972, 1–3, hier: 1. Auch die Kirchenvorstandswahlen 1970 und 1976 begleitete der AEE. 89 Ebd., 1.

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Ein formales Ziel, das der AEE bei seinem Synodalwahlkampf verfolgte, hieß „Gruppen erkennbar machen“90. Dieses Ziel ging der Arbeitskreis konkret an: Er rief eine synodale Arbeitsgruppe „Offene Kirche“91 ins Leben. Den Namen dieser Gruppe, den es auch in anderen Landeskirchen gab, begründete die synodale Gruppe in ihrer Selbstvorstellung folgendermaßen: „Die unterzeichneten Mitglieder dieser Synode, die dem ‚Arbeitskreis Evangelische Erneuerung‘ (AEE) angehören oder sich anderweitig für eine Kirchenreform in Richtung einer ‚Kirche für andere‘ engagiert haben, haben vereinbart, in einer synodalen Arbeitsgruppe zusammenzuarbeiten. Sie trägt den Namen ‚Offene Kirche‘. ‚Offene Kirche‘ heißt für uns: Die Kirche soll offen sein für die Fragen unserer Zeit, ohne sich dem Zeitgeist anzupassen. Sie soll sich nicht aus der Gesellschaft in ein selbstgefertigtes Ghetto zurückziehen. Sie soll sich in der Nachfolge Christi den Menschen in ihrer konkreten Situation öffnen und gerade so ihren Auftrag erfüllen. Dafür wollen wir in der Synode eintreten.“92

Darüberhinaus, so die Gruppe, habe der Name „Offene Kirche“ auch formale Implikationen: Man sei in keinem Fall eine Fraktion nach Vorbild der parlamentarischen Demokratie und kenne daher auch keinen Fraktionszwang. Ziele seien „Kooperation in bestimmten Sachfragen und Teilproblemen der Synode und […] Informationsaustausch.“93 Die Mitgliederliste der „Offenen Kirche“ wurde auch in den „Berichten und Kommentaren“ veröffentlicht94. Die von dem AEE verfolgte Gruppenbildung in der Synode – kein singulär bayerisches Phänomen95 – stieß auf Protest: Gerade als in den „Berichten und Kommentaren“ versucht wurde, auch andere synodale Gruppen auszumachen, wurde Kritik laut, hier werde „eine Gruppenbildung eingeleitet, die einer sachlichen Arbeit und der Einzelverantwortung jedes Synodalen nur hin90 „Gedanken zur Wahl. Das Gesicht der Synode hat sich verändert“ (unter dem Pseudonym „Kadi“ verfasst), in: B+K, Nr. 11 / 1. 2. 1972, 1–3, hier: 2. 91 Die „Offene Kirche“ wurde 1973 durch ein Grundsatzreferat Hermann von Loewenichs zum Leitbild des AEE. Vgl. Hermann von Loewenich: Plädoyer für eine offene Kirche. Bericht für die Mitgliederversammlung des AEE am 17. 11. 1973 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1). 92 Undatiertes Info-Blatt: Synodale Arbeitsgruppe „Offene Kirche“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 37). Das Blatt ist außerdem abgedruckt in B+K, Nr. 12 / 6. 5. 1972, 9 f. 93 Ebd. 94 Ebd. Ebenfalls in den B+K veröffentlicht wurde die Ansprache des Kommentargottesdienstes „ Mit Konflikten leben. Rückblick auf die Synode“ (gehalten in St. Lorenz am 19. 3. 1972), in dem sich Georg Kugler mit der Gruppenbildung in der Synode befasste (B+K, Nr. 12 / 6. 5. 1972, 5–9). 95 In der EKD kam es in mehreren Landeskirchen zu offener synodaler Gruppenbildung. Vgl. beispielsweise zu der Genese und den Zielen der drei synodalen Gruppierungen in der Landeskirche Hannover die Examensarbeit von Andreas Seifert: Reform der Kirche durch synodale Gruppenbildung? (1973). Vgl. außerdem Hermle / Oehlmann, Gruppen.

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derlich sein kann“96. Dennoch wurde noch in der Synodalperiode 1972 / 1978 eine weitere Gruppe, der „Arbeitskreis Synode“, gegründet, dem unter anderem auch Mitglieder des AKE angehörten und dessen Einfluss offensichtlich Mitte der 1970er Jahre größer als der der „Offenen Kirche“ war97. Für die Zusammensetzung und damalige Intention des „Arbeitskreises Synode“ ist bezeichnend, dass eines seiner Mitglieder von der „Offenen Kirche“ als der „linken“ Gruppe spricht, während er für die Arbeit des eigenen Kreises empfiehlt, „die verschiedenen Initiativen der rechten Seite zu koordinieren und zusammenzufassen, damit sie nicht in ihrer Zersplitterung unterliegen“98. Aus weiteren Schriftstücken wird deutlich, dass der „Arbeitskreis Synode“ versuchen wollte, auch das Mittelfeld der Synode für sich zu gewinnen99. Genau das war jedoch auch das Ziel der „Offenen Kirche“: Sie sah sich zu Unrecht verdächtigt, ihre Mitglieder „wollte[n] selbstzerstörerisch im Blick auf die Institution [Kirche] wirken“100. Man müsse, so das Protokoll eines Treffens der Arbeitsgruppe im Frühjahr 1974, verdeutlichen: „Wir akzentuieren die theologischen Dinge zwar anders, aber es geht uns konkret um die Kirche und ihr Weiterexistieren, es geht uns auch um diese Institution, nicht um stupide Bewahrung, aber um ihre Weiterentwicklung. Das würde manchen aus der ‚Mitte‘ überzeugen“101. 96 So der Hofer Dekan Martin Bohrer in einem Leserbrief (B+K, Nr. 12 / 6. 5. 1972, 2). Dieser Leserbrief war eine Reaktion auf den unter dem Pseudonym „Kadi“ verfassten Artikel „Gedanken nach der Wahl. Das Gesicht der Synode hat sich verändert“ (B+K, Nr. 11 / 1. 2. 1972, 1–3), in dem Bohrer als eines der sechs Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft bayerischer Dekane“ genannt wurde, die dem Bericht zufolge ebenfalls Absprachen in Erlangen über die künftige Arbeit in der Synode getroffen hätten und damit in den Augen des AEE als eine weitere Fraktion zu erkennen waren. 97 So kommentierte Hermann von Loewenich im Februar 1975: „Bei Wahlen ist die Arbeitsgruppe ‚Offene Kirche‘ zweifellos dem Arbeitskreis ‚Synode‘ zahlenmäßig unterlegen. Dieses Faktum ist nüchtern in Rechnung zu stellen“ (Hermann von Loewenich: Vor der zweiten Halbzeit. Zur Arbeit in der Landessynode, in: B+K, Nr. 22 / Februar 1975, 3–6, hier: 6). 98 So Pfarrer Albrecht Köberlin in einem Schreiben vom 7. 3. 1973 (LAELKB Nürnberg, Personen 154 (Albrecht Köberlin), Nr. 15). In diesem Brief geht es vor allem um das Vorgehen bezüglich des Anti-Rassismus Programms des ÖRK. 99 So wehrte Albrecht Köberlin etwa eine Zustimmung der KSBB i. B. zu einer vom „Arbeitskreis Synode“ unterstützten Erklärung zum Anti-Rassismus Programm vor der Synodaltagung vorsichtig ab: „Es besteht u. E. die Möglichkeit, daß sie [die Erklärung] in der Synode nicht nur durch den rechten Flügel, sondern auch durch die Mitte übernommen wird. Wir hielten es darum für besser, wenn die ‚Sammlung‘ mit ihrem Votum für die Erklärung vor der Synode nicht an die Öffentlichkeit tritt. Für viele Synodale in der Mitte würde die Erklärung als ‚Gruppen‘votum verstanden und ihnen das Alibi verschaffen, sich einer Zustimmung zu enthalten. […] Der ‚Arbeitskreis Synode‘ hat noch das Charakteristikum eines offenen Kreises, der auch offene Türen in das Mittelfeld der Synode hinein hat“ Albrecht Köberlin an die KSBB i. B. am 12. 2. 1973 (LAELKB Nürnberg, Personen 154 (Albrecht Köberlin), Nr. 15). 100 So das Protokoll über die Besprechung der synodalen Arbeitsgruppe „Offene Kirche“ am 23. 2. 1974 in Nürnberg (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 37). 101 Ebd.

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Dringend, so das Fazit des genannten Treffens, bräuchte die Gruppe „eine strategische Linie, auf der wir uns innerlich bewegen, um aus den reformerischen ad hoc-Einsichten herauszukommen. Wir brauchen langfristige Perspektiven für den Weg der Kirche.“102 Ihren Gründungszielen, nämlich vor allem Informationsaustausch und Kooperation, ging die synodale Gruppe mit Treffen untereinander nach, bei denen Synodaltagungen nachbesprochen und langfristige Strategien für das Konzept der Gruppe ebenso besprochen wurden wie konkrete Schritte zum Erreichen der gesetzten Ziele bei der nächsten Synodaltagung103. So wurde etwa zur Frage der Frauenordination genauestens vereinbart, welches Mitglied der Arbeitsgruppe aus welcher Perspektive Stellungnahmen zum Thema abgeben sollte und wer für den Theologinnenausschuss kandidieren sollte104. Die Gruppe stand außerdem in Austausch mit außerbayerischen Gruppen gleicher Intention105. Die Wortmeldungen und das Verhalten der Mitglieder der synodalen Arbeitsgruppe „Offene Kirche“ wurden in den folgenden Jahren vom AEE kritisch begleitet106. Dass der AEE den Anstoß zur Gründung synodaler Arbeitsgruppen gegeben hatte, war nicht das erste Mal, dass er für ein Novum in der bayerischen Synodalgeschichte verantwortlich war: 1969 hatte er gemeinsam mit Vertretern 102

Ebd. Vgl. ebd. 104 Vgl. die detaillierte Planung ebd.: „Stellungnahmen zur Theologinnenfrage auf der Synode: Herr Bogdahn (Biblisch; Katholisch), Prof. Joest (Schöpfungsordnung + Kephale Struktur), Frau Pflüger (Emanzipationsproblem), Frau Hickmann (Schutz durch die Ordination; Trostfunktion), Herr v. Loewenich (Ökumene), Herr Viebig (Hirtenamt), Herr Seiß (Schöpfungstheologie), Herr Birkhölzer (Bischof ).“ Vgl. dazu dementsprechend die Wortmeldungen der Genannten auf der Frühjahrssynode 1974 (VLS 1974 / I). 105 Belegt ist der Austausch der bayerischen Arbeitsgruppe „Offene Kirche“ mit außerbayerischen regionalen sowie überregionalen Gruppen gleicher Intention. So standen die Bayern etwa mit der gleichnamigen württembergischen Vereinigung und der Arbeitsgruppe EKD-Synode in Kontakt. Vgl. dazu die Unterlagen in LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 37. 106 In den „Berichten und Kommentaren“ wurden wiederholt Versäumnisse der Gruppe „Offene Kirche“ angemahnt. Beispielsweise kommentierte ein AEE-Mitglied unter dem Pseudonym „Daniel“ anlässlich der Wahlen der Vertreter zur EKD- und VELKD-Synode bei der Frühjahrssynode 1973: „Man kann auch der Arbeitsgruppe ‚Offene Kirche‘ den Vorwurf nicht ersparen, daß sie hier versagt hat. Was bei den Wahlen zur EKD-Synode noch einigermaßen geklappt hatte, vermißte man bei den Wahlen zur VELKD-Synode völlig: eine ausreichende Information über geeignete und ungeeignete Kandidaten, wobei der Maßstab für die Eignung nicht nur bei der Gesinnungsverwandtschaft zum AEE hätte gesucht werden müssen, sondern darin, ob einer überhaupt in der Lage ist, unsere Landeskirche auf einer überregionalen Synode sinnvoll zu vertreten.“ (B+K, Nr. 15 / 1. 3. 1973: Hätte man lieber würfeln sollen? Anmerkungen zu den Wahlen der EKD- und VELKD-Synode, 2 f., hier: 3). 103

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vor allem jüngerer Gruppen für Aufregung gesorgt, als er eine sogenannte „Kritische Begleitung der Synode“ ins Leben gerufen hatte. Exemplarisch: Die Aktionsgemeinschaft KRIBS Die KRIBS auf der Frühjahrssynode 1969 in Bayreuth „Sehr geehrte Synodale! Haben Sie auch schon gehört, daß einige Ihrer Konsynodalen darauf warten, daß wir von der KRIBS […] Lärm machen, und sie daraufhin die Synode verlassen wollen? Wußten Sie schon, daß wir diese Erwartungen enttäuschen wollen, weil wir im allgemeinen nette Leute sind? […] Wenn Lärm gemacht wird, dann nicht von uns. Wir haben auch keinen Lärm bestellt.“107

Mit dieser Selbstvorstellung eröffnete die „Kritische Begleitung der Synode“, kurz: KRIBS, ihre Flugblattserie zur Frühjahrssynode vom 2. bis 7. März 1969 in Bayreuth. Eine Selbstvorstellung, deren Anspielungen und süffisanter Ton Gründe hatten: Die Gruppe war in einem Schreiben des Dekanats Bayreuth als „außersynodale Opposition“ angekündigt worden108 – da lag die Assoziation zu Methoden und Wesen der APO nahe. Grund genug für die KRIBS, zu Beginn der Tagung in einem ersten Flugblatt ihre Ziele zu verdeutlichen: „Wir wollen mit Ihnen reden --- nicht über das Wetter,109 sondern über die Sachfragen, die auf der Synode verhandelt werden, über Argumente, die Sie gebrauchen, über die Entscheidungen, die Sie treffen sollen. […] Wir erwarten, daß die Kirche ‚in das Neuland vorstößt, von dem es keine Karte gibt‘.“110 Hinter diesen programmatischen Worten, hinter dem Konzept der KRIBS, steckte bei ihrem ersten Auftritt in Bayreuth ein Zusammenschluss verschiedener Vertreter aus AEE, der Fachschaftsinitiative an der Theologischen Fakultät Erlangen, des AThP, des Konvents der Vikare und

107 Flugblatt Nr. 1 (Bayreuth), in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48. 108 So laut Flugblatt Nr. 1 (Bayreuth) in einem Schreiben des Dekanats Bayreuth vom 27. 2. 1969. Die KRIBS zog auch in ihren folgenden Blättern wiederholt ironisch Parallelen zwischen sich und der APO – so etwa auch in einem abschließenden „Quiz-Flugblatt“ über die KRIBS mit der Frage „Woran merken Sie, wer zu KRIBS gehört? a) am Bart b) am Lutherrock c) am Rollkragenpullover.“ Bezeichnend auch folgende Frage auf demselben Flugblatt: „Warum haben Sie die KRIBSFlugblätter gesammelt? a) Sie wollen Ihren Lieben daheim etwas mitbringen b) Sie wollen sich informieren c) Sie wollen einmal ihren Enkeln beweisen, daß Sie auch am zweiten Kirchenkampf teilgenommen haben “ (Flugblatt Nr. 25 (Bayreuth), in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48). 109 Hier wird auf den Slogan des SDS „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“ Bezug genommen, mit dem dieser wiederum auf ein Plakat der Deutschen Bundesbahn anspielte. 110 Flugblatt Nr. 1 (Bayreuth), in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48.

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des Theologischen Arbeitskreises. Die KRIBS sollte damit die größte – und öffentlichkeitswirksamste111 – Aktion in der bayerischen Landeskirche dieser Jahre sein, in der offiziell verschiedene Generationen (Theologiestudierende, Vikare, Pfarrer) und Gruppen zusammen in der Öffentlichkeit auftraten. Für einige Jüngere bedeutete diese Aktion die erste Begegnung mit dem AEE, ein späterer Beitritt zu dem Kreis wird von einem Zeitzeugen dezidiert auf die gemeinsame Tätigkeit auf der Bayreuther Frühjahrssynode 1969 zurückgeführt112. Das Modell einer Kritischen Begleitung war keine bayerische Erfindung: Die KRIBS hatte ihre große Schwester in der Synodenbegleitung der EKDSynode im Oktober 1968 in Berlin113, ihre regionalen Pendants unter anderem in der Kritischen Kirche Württemberg114. Für ihre „Kritische Begleitung“ der bayerischen Synode hatten sich die Männer und Frauen verschiedene Aktionen einfallen lassen: So empfingen sie die Synodalen mit programmatischen Pappschildern (unter anderem mit dem Plakat „Sakramentsverwaltung und Verkündigung – nur Männersache?“)115, führten Gespräche mit den Synodalen und verteilten säuerliche Bonbons, verpackt in buntem Papier, um zu signalisieren: Inhalt und Verpackung können sich durchaus unterscheiden, und in froher Aufmachung kommt oft eine saure Überraschung daher. Kernstück der KRIBS in Bayreuth waren jedoch ihre insgesamt 26 Flugblätter116, in denen jeweils die aktuellen Reden hinterfragt wurden, ganz gleich, ob es sich dabei um den Bericht des Landesbischofs, die Ausführungen des Finanzreferenten, die Theologinnenfrage oder die Diskussion um die Entwicklungshilfe handelte. 111 Das Presse-Echo auf die Aktionen der KRIBS war gewaltig. Bei der ersten KRIBS in Bayreuth äußerten sich Vertreter der KRIBS auch in einer Pressekonferenz über ihre Anliegen. Vgl. die Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung, Ausgabe vom 5. 3. 1969, Nürnberger Nachrichten, Ausgabe vom 5. 3. 1969, Nürnberger Zeitung, Ausgabe vom 4. 3. 1969. Alle Zeitungsausschnitte enthalten in: ebd. 112 Vgl. Interview Friedrich, 10: „Und der AEE – das war die alte Verbundenheit zur KRIBS, dass ich gesagt habe: Jetzt komme ich.“ 113 Hier arbeiteten verschiedene Gruppen (unter ihnen die Studenten der Kirchlichen Hochschulen in Berlin, Mitglieder der Evangelischen Jugend, der Evangelischen Studentengemeinden und des Arbeitskreises Kirche und Gesellschaft) zusammen. Einige Dokumente sind abgedruckt in Lange / Leudesdorff / Rohrbach, Ad hoc, 129–138. 114 Die Kritische Kirche Württemberg (insgesamt etwa 100 Laien und Theologen) hatte sich am 7. 11. 1968 in Leonberg konstituiert. Sie trat mit ihrer Begleitung der Landessynode in den darauffolgenden Tagen in die Öffentlichkeit. Dokumente der Gruppe, unter anderem einige Flugblätter, sind abgedruckt in Lange / Leudesdorff / Rohrbach, Ad hoc, 26–36. 115 Vgl. Blendinger, Aufbruch, 236. 116 Die Flugblätter der KRIBS in Bayreuth (Frühjahrssynode 1969) und der KRIBS in Coburg (Frühjahrssynode 1970) sind enthalten in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48.

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Der Einzug der KRIBS in die Bayreuther Synode hat sich dem Zeitzeugen Christian Blendinger eingeprägt: „Wir sind eingezogen, und von oben her – das war so ein großer Saal mit Empore – kamen dann Spruchbänder. Und es wurden fieberhaft Flugzettel in Heinersreuth gedruckt. […] Und da sind wir dann in fliegender Eile hin und her geprescht und haben die Flugblätter unter den Synodalen verteilt, die natürlich neugierig waren, was die Kerle wieder bringen. Und es war dann auch eine muntere Atmosphäre, und es war nicht bloß aggressiv. […] Federführend [bei den Flugblättern] war Klaus Diegritz […], der diesen fröhlichen Ton reinbringen konnte.“117

An das Verteilen der Flugblätter und das Echo der Synodalen erinnert sich Johannes Friedrich, der damals für die Fachschaft Theologie Erlangen bei der KRIBS aktiv war: „Wir standen dann im Grunde nach jeder Sitzung vor der Tür und haben unsere Flugblätter verteilt, und einige waren wirklich begierig darauf, das nächste Flugblatt zu bekommen und es zu lesen und haben sich darauf gefreut. Und eine ganze Menge fand das völlig ungehörig und unmöglich, was wir da gemacht haben […]. Und das war in meiner Erinnerung die Mehrheit.“118

Die Autoren der einzelnen Blätter unterzeichneten ihre Beiträge namentlich, ebenso wurden die jeweils verantwortlichen Gruppen angegeben. Das Niveau der Flugblätter wurde von Außenstehenden unterschiedlich beurteilt: Für Richard Kolb, damals Chefredakteur des Bayerischen Sonntagsblattes, traf „ihr Inhalt […] manchmal die Mitte der Problematik; manchmal waren es nur frotzelnde Marginalien auf Schülerzeitungsniveau“119. Themen waren unter anderem die Frauenordination, Kritik am geringen Interesse der Kirche an der Entwicklungshilfe, die Diskussion um die Kirchenverfassungsreform, das Eintreten für eine bessere Öffentlichkeitsarbeit und die Frage der Kirchensteuer. Immer wieder wurde die Klärung grundsätzlicher Fragen angemahnt (zum Beispiel Flugblatt Nr. 6: Plädoyer für ein grundsätzliches Gespräch über den Auftrag der Kirche als Basis für die Klärung von Strukturfragen) und die Demokratisierung und Enthierarchisierung der Strukturen in Kirche und Synode gefordert. Um einen Eindruck von der Vielfalt der Schriftstücke in Stil und Tonfall zu vermitteln, sei an dieser Stelle auf das Kapitel zum Einsatz des AEE für 117 Interview Blendinger, 12. Ähnliche Erinnerungen an die Aktion äußert auch Günter Kohler (vgl. Interview Kohler, 7). 118 Interview Friedrich, 4. 119 Richard Kolb: Lieber Leser! (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 24 (1969), Nr. 12 vom 23. 3., 2).

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die Frauenordination verwiesen (vgl. unten), in dem die diesbezüglichen Flugblätter ausführlich wiedergegeben werden; dieses Thema hatte für die Mitglieder der KRIBS einen besonders hohen Stellenwert. Dies zeigt auch eine Aussage von Johannes Friedrich, der die Auseinandersetzung um die Frauenordination als das Thema, „wo wir alle miteinander [die Teilnehmer der KRIBS] uns gefunden und uns engagiert haben“120, bezeichnet. Erfolgreich war die Bemühung um einen offenen Ausspracheabend, den die Mitglieder der KRIBS in Absprache mit Synodalpräsident Karl Burkhardt angeregt hatten. Busse brachten Gemeindemitglieder bis aus Hof zu dem Gespräch am Abend des 5. März 1969 herbei; die Veranstaltung war überfüllt. Drei Stunden lang diskutierten Nichtsynodale, Synodale und Landesbischof Dietzfelbinger aktuelle Fragen. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Theologinnenfrage und Möglichkeiten der Demokratisierung der Kirche. Mit diesem Abend war prinzipiell ein Schritt zur Öffnung der Synode geschehen – wenn auch laut Berichterstattung im Bayerischen Sonntagsblatt die Diskussionsbereitschaft der Synodalen eher gering war und sich die Auskunftsbereitschaft Landesbischof Dietzfelbingers auf eine Formalie zum Diskussionsverlauf beschränkte121. So zogen auch die Mitglieder der KRIBS auf ihrem 19. Flugblatt ein eher bitteres Resümee mit der Überschrift „Wir sind beeindruckt“: „Von unserer Seite wurde in verschiedenen qualifizierten Gesprächsbeiträgen für die Demokratisierung der Kirche, die Sakramentsverwaltung durch die Theologin, das politische Engagement der Kirche in Fragen der Dritten Welt plädiert. Abgesehen von einigen Synodalen und 1 (i. W. einem) Oberkirchenrat, erfolgte von ihrer Seite keine Stellungnahme, noch wurden Einwände erhoben. Wir sind geneigt, das Schweigen als Zustimmung zu unseren Vorstellungen aufzufassen. Denn wir können uns nicht vorstellen, daß sie gegenteilige Stellungnahmen hätten für sich behalten können. Das macht uns Mut, auf dem eingeschlagenen Weg weiterzuarbeiten. Wir können nicht verhehlen, daß wir eine so einheitliche schweigende Zustimmung nicht erwartet hatten. Darum sind wir beeindruckt!“122

Die KRIBS auf der Frühjahrssynode in Coburg 1970 Der abschließende Satz des letzten auf der Bayreuther Synode verteilten Flugblattes „Die nächste Synode kommt bestimmt. KRIBS auch“123 war keine leere 120

Interview Friedrich, 4. Vgl. Helmut Winter: Die jungen Kritiker meldeten sich zu Wort. Flugblätter und ein Ausspracheabend belebten die Bayreuther Synode (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 24 (1969), Nr. 12 vom 23. 3., 9). 122 Flugblatt Nr. 19 (Bayreuth), in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48. 123 Flugblatt Nr. 26 (Bayreuth), in: ebd. 121

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Ankündigung: Tatsächlich wurde die KRIBS noch einmal in größerem Maß124, nämlich auf der Frühjahrssynode vom 8. bis 13. März 1970 in Coburg, aktiv – einer Synode, die auch insofern Schlagzeilen machte, als hier das erste „Anhörungsverfahren“ in der Geschichte der bayerischen Synode stattfand. Obwohl die KRIBS in Coburg nun nicht mehr den Bonus für sich verbuchen konnte, ein Novum in der bayerischen Synodalgeschichte zu sein, obwohl ihre Flugblätter „längst nicht mehr so spritzig“125 waren wie in Bayreuth, so konnte sich doch auch diese zweite „Kritische Begleitung“ nicht über mangelndes öffentliches Interesse beklagen: In der Synoden-Berichterstattung der Medien war die KRIBS häufig an exponierter Stelle vertreten, ihre Flugblätter126 wurden zum Teil in vollem Wortlaut abgedruckt127. Für letztere zeichnete nun allerdings nur noch der AEE verantwortlich: Die in Bayreuth bestehende Zusammenarbeit mehrerer Gruppen hatte in Coburg damit keinen Bestand mehr; bei den in einem Flugblatt mit Alters- und Berufsbezeichnung aufgeführten, an der Coburger KRIBS beteiligten 23 AEE-Vertretern handelte es sich um Vikare, Pfarrer, Dekane, eine Studentin sowie Vertreter nichtkirchlicher Berufsgruppen128. Themen der Flugblätter waren unter anderem Fragen der Kirchenverfassung (vor allem bezüglich Stellung und Befugnisse der Dekane), die Frauenordination und die Entwicklungshilfe. Die Informationspolitik der Synode, genauer: eine mangelnde Transparenz der Entscheidungsgänge, wurde kritisiert, außerdem wurde der Arbeit der Synodalen eine fehlende Bodenhaftung vorgeworfen (vgl. Flugblatt Nr. 8 mit der Überschrift „Schwebt die Synode über

124 Offensichtlich gab es auch noch eine kleine Aktion der KRIBS auf der Herbsttagung der Synode 1969 in Augsburg; vgl. den Brief von Vikar Johannes Max Raeder an Hermann von Loewenich am 19. 11. 1969 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 6). Nähere Informationen darüber konnten jedoch weder im Landeskirchlichen Archiv noch durch die Befragung von Zeitzeugen ausfindig gemacht werden. Folgende Notiz in den Unterlagen von Albrecht Köberlin („Bericht über Synode März 1973 bei Regionalkonf.“; 26. 3. 1973) kann ebenfalls als Hinweis auf eine erneute kritische Begleitung gedeutet werden: „Begleitmusik eines Arbeitskreises ‚Kritische Synode‘. Verunglimpfungen und verzerrte unwahre Parolen, um Atmosphäre zu schaffen“ (LAELKB Nürnberg, Personen 154 (Albrecht Köberlin), Nr. 15). 125 Interview Friedrich, 3. 126 Die weitgehend unnummerierten Flugblätter sind enthalten in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48. 127 So wurde beispielsweise ein Flugblatt vollständig abgedruckt in: Coburger Tagblatt, Ausgabe vom 10. 3. 1970; vgl. auch den Artikel „Rosarot – Grün – Gelb – Rosa. Kritische Begleitung und kritische Anfragen zur Synode“, in: Coburger Tagblatt, Ausgabe vom 13. 3. 1970, 9. Die Zeitungsartikel sind enthalten in: ebd. 128 So die Auflistung auf einem unnummerierten KRIBS-Flugblatt, das verteilt wurde als Reaktion auf die Bemerkung Mädls in einem Interview mit der Neuen Presse, bei der KRIBS in Coburg handle es sich um „eine kleine Gruppe junger Leute (meist Vikare und Theologiestudenten)“. In: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48.

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den Wolken?“). Angemerkt sei noch, dass sich auch die AKE auf der Coburger Synode mit Flugblättern zu Wort meldete129. Schwerpunkt der KRIBS in Coburg war die Auseinandersetzung um das Jugendwerk der bayerischen Landeskirche. Das Aufsehenerregende an der zwischen dem AEE und einigen Dekanen ausgefochtenen Kontroverse war dabei weniger die Brisanz des Streitobjekts, als vielmehr die Art und Weise, wie der Konflikt ausgetragen wurde: Die nichtkirchliche Öffentlichkeit konnte Tag für Tag die Positionen der Kontrahenten in den Zeitungen nachlesen. Hier war schließlich sogar von einem „Flugblatt- und Interview-Krieg“130 die Rede; die Journalisten sahen dies als „ein gutes Zeichen für die Kirche“, da so deutlich werde, dass „die Kirche nicht tot oder am Einschlafen ist, sondern daß sich in ihrem Kreise These und Antithese rühren, daß lebhaft diskutiert und gestritten wird. Da steckt Leben hinter.“131 Das KRIBS-Flugblatt, das den Stein ins Rollen brachte, trug den Titel „Existenz des Jugendwerks der Evang.-Luth. Kirche in Bayern bedroht“132. Auf dem Blatt wurde eine existentielle Gefährdung des Jugendwerks der bayerischen Landeskirche festgestellt: „Starke Kräfte möchten dieses Werk unserer Kirche durch Entzug der notwendigen Mittel zu Fall bringen.“ Bei diesen Kräften handle es sich um die „Arbeitsgemeinschaft bayerischer Dekane“, die insgesamt 22 Männer umfasse133, unter ihnen aus der Reihe der Synodalen Wilhelm Mädl (Michelau), Gerhard Kübel (Bayreuth), Hans-Kurt Franz (Heidenheim) und Eduard Putz (Erlangen). Sie hätten einen Antrag an den Landeskirchenrat gestellt, in dem die Berechtigung des Jugendwerkes angezweifelt und eine personelle und finanzielle Reduzierung gefordert werde. Über den Umweg des Finanzausschusses, zu dessen Mitglieder auch Mädl zählte, werde nun eine „Gleichschaltung des Jugendwerks“ versucht: „Weil das Jugendwerk sich bis jetzt keinen Maulkorb umhängen ließ, sondern sich der drängenden Anliegen 129 Das Schlagwort KRABS, das die Flugblätter zierte, stand laut Kopfzeile für „Kritische Anfragen an die B. Synode“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48). 130 So der Bericht über die Synode „Das war’s diese Woche“, in: Coburger Neue Presse, Ausgabe vom 14. 3. 1970; vgl. auch den Titel eines Artikels in der Coburger Neuen Presse vom 13. 3. 1970 „Der Flugblattkrieg geht weiter“; vgl. außerdem den Abdruck des AEE-Flugblattes in: Coburger Neue Presse, Ausgabe vom 12. 3. 1970. Alle Zeitungsausschnitte sind enthalten in LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48. 131 „Das war’s diese Woche“ (Coburger Neue Presse, Ausgabe vom 14. 3. 1970). 132 LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48. 133 Laut Aussage Mädls waren es 47 Dekane. Vgl. „NP-Exklusiv-Interview mit Dekan KR Mädl“ als Reaktion auf das AEE-Flugblatt in der Coburger Neuen Presse, Ausgabe vom 12. 3. 1970. Nach Aussage des Pegnitzer Dekans Wolfram Hanow war die Arbeitsgemeinschaft „ein loser Zusammenschluß und offen für alle Dekane. Sie ist allein entstanden aus der Sorge um unsere Kirche.“ Zit. nach: epd-Landesdienst Bayern vom 20. 3. 1970 (4 / 362), enthalten in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48.

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der jungen Generation annimmt (3. Welt / Mitbestimmung der Laien / Wahlalter usw.) soll es stumm gemacht werden.“134 In einem Interview mit der Neuen Presse wehrte sich Mädl gegen diese „unrichtig[e]“ Anschuldigung des AEE: Es gehe ihm und den anderen Dekanen nicht um eine Bedrohung der Existenz des Jugendwerkes, sondern darum, „dem Jugendwerk zu helfen, den ihm aufgegebenen Dienst in der rechten Weise tun zu können“135. Er selbst hätte „vom Finanzausschuß im Zuge der Vorbereitung des landeskirchlichen Haushaltes den Auftrag, den Haushalt des Jugendwerkes zu überprüfen, weil das Jugendwerk erhebliche Zuschüsse der Landeskirche beansprucht“. Zudem führte Mädl an, es gebe einen Sonderhaushalt des Landesjugendpfarrers, der dem Finanzausschuss nicht zur Einsicht vorgelegen habe. Gegen den durch diese Bemerkung möglicherweise vermittelten Eindruck, bei diesem Sonderhaushalt handle es sich um eine schwarze Kasse, verwahrte sich die KRIBS in einem weiteren Flugblatt136. Außerdem veröffentlichte sie als Reaktion auf das oben genannte Interview Mädls den von diesem unterzeichneten „Bericht über die Tagung der Arbeitsgemeinschaft bayerischer Dekane“ vom 9. Februar 1970 in Schwabach, gerichtet an den Landeskirchenrat, mit dem der folgende Antrag der Arbeitsgemeinschaft eingereicht wurde137: „Der Landeskirchenrat möge prüfen, wie weit das Jugendwerk in seiner gegenwärtigen Gestalt noch eine Berechtigung hat und sinnvolle, aufbauende Arbeit leisten kann. […] Wir meinen, das Jugendwerk müßte neu organisiert und wahrscheinlich auch reduziert werden, personell und finanziell.“ Inhaltlich war die genannte Kontroverse um das Jugendwerk rasch beseitigt – der Finanzausschuss erhöhte den Etat für das Jugendwerk für das Jahr 1970138. Die Form, in der die Auseinandersetzung ausgetragen wurde, vor allem die Veröffentlichung des Tagungsberichts der Arbeitsgemeinschaft 134 So das unnummerierte Flugblatt (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48). 135 „NP-Exklusiv-Interview mit Dekan KR Mädl“ als Reaktion auf das AEE-Flugblatt, in: Neue Presse, Ausgabe vom 12. 3. 1970 (enthalten in: ebd.). 136 Vgl. das unnummerierte Flugblatt „Keine schwarze Kasse beim Jugendwerk“, enthalten in: ebd. 137 Unnummeriertes Flugblatt mit der Überschrift „Zu den Ausführungen des Synodalen Mädl im Exklusiv-Interview der Coburger Neuen Presse. Zu wirklich sachlicher Information der Synode veröffentlichen wir den genauen Wortlaut des Papiers, aus dem wir zitiert haben“. Letztere Bemerkung bezieht sich auf die von Mädl in einem Interview gemachte Bemerkung, die KRIBS habe es sich wohl zur Aufgabe gemacht, „die Arbeit der Synode mit ihrer (wie das Beispiel Jugendwerk gezeigt) auf oft recht schwacher Information beruhenden Kritik“ begleitet. Die genannten Dokumente sind enthalten in ebd. 138 Die KRIBS-Mitglieder verwahrten sich dagegen, dem Finanzausschuss jemals das Misstrauen ausgesprochen zu haben; ihre Skepsis habe allein der „Arbeitsgemeinschaft bayerischer Dekane“ gegolten. Vgl. das unnummerierte Flugblatt (ebd.).

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Bayerischer Dekane und die Frage, über welche Quelle der AEE an diesen Bericht gelangt war, blieb über die Synode hinaus ein Streitpunkt139. Resümee: Bewertung der KRIBS Die KRIBS zeigt von allen Aktionen der drei Reformgruppen bzw. deren Vorläufern wohl am deutlichsten die Prägung ihrer Mitglieder durch die 68er-Bewegung. Aus einem Abstand von vier Jahren heraus bezeichnete Hermann von Loewenich sie sogar selbst als „außersynodale Opposition“140. Grundanliegen der KRIBS war eine Öffnung der synodalen Strukturen und die Förderung einer öffentlichen Meinungsbildung über die dort verhandelten Themen. Von verschiedener Seite wurde ihr dafür Lob gezollt und ein Erfolg attestiert: Es wurde eine „spürbare Auflockerung festgefahrener Meinungen“141 und eine „wohltuende Entkrampfung“142 ebenso konstatiert wie der „Beginn eines heilsamen Polarisierungsprozesses“143, wenngleich beide Seiten – konservative und progressive – „freilich bisweilen Gesten der Überlegenheit und des Nichtaufeinanderangewiesenseins“144 gezeigt hätten. Synodalpräsident Karl Burkhardt resümierte in seinem Schlusswort: „Es war zum ersten Mal, daß wir begleitet worden sind von einer Gruppe interessierter junger Mitchristen unserer Kirche. Mein Dank gilt auch diesen. Ich habe schon vielfach in vielen Organisationen gesagt, die heutige Welt wäre in ihrer Organisation manchmal dankbar, wenn sie interessierte Mitarbeit und Kritik von den jüngeren Leuten bekommen könnte. Deshalb möchte ich es als ein gutes Zeichen ansehen. Es ist der Beginn einer Zusammenarbeit gewesen. Wir haben manche Anregung erhalten. Ich möchte mich dafür bedanken und hoffe, daß diese Arbeit auch in Zukunft fortgesetzt werden kann. (Beifall).“145

Alterspräsident Kurt Lentrodt schloss sich dieser Bewertung der KRIBS an: 139 Vgl. das Schreiben von Klaus Diegritz an Mädl am 14. 4. 1970, sowie den Brief Diegritzs vom 11. 3. 1970. Vgl. außerdem das Schreiben von Wilhelm Bogner an Diegritz vom 17. 4. 1970. Alle genannten Dokumente sind enthalten in: ebd. Vgl. ebd. auch weitere Briefe vom April 1970 in dieser Angelegenheit. 140 Hermann von Loewenich: Plädoyer für eine Offene Kirche. Bericht für die Mitgliederversammlung des AEE am 17. 11. 1973 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 1). 141 Helmut Winter: Die jungen Kritiker meldeten sich zu Wort. Flugblätter und ein Ausspracheabend belebten die Bayreuther Synode (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 24 (1969), Nr. 12 vom 23. 3., 9). 142 VLS 1969 / I, 153 f. 143 So Blendinger, Aufbruch, 238. 144 So Richard Kolb: Lieber Leser! (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 24 (1969), Nr. 12 vom 23. 3., 2). 145 VLS 1969 / I, 153.

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„Ich glaube, daß wir sogar diesmal von dem Beginn einer neuen Ära in unserer Synode sprechen können. Die Synode mit ihrem Präsidenten stellte sich zum 1. Mal klug und mutig der Opposition und war bereit, auf der einen Seite ihre Positionen zu verteidigen, auf der anderen Seite auf neue Anregungen zu hören. Diese erste Begegnung und Fühlnahme mit der Gemeinde alter und neuer Prägung war trotz kleiner Schönheitsfehler durch eine wohltuende Entkrampfung verheißungsvoll und im Blick auf die bewiesene Disziplin vielleicht sogar ein Vorbild für den säkularen Bereich. Vivant sequentes! Während es bei dem 1. Treffen mehr um Information ging, müßte dann bei der nächsten Begegnung mit der jüngeren Generation die Diskussion im Vordergrund stehen. […] Wollen wir es doch auch bei uns lernen und diese Erkenntnis mit nach Hause nehmen, daß die Opposition gegenüber der traditionellen Kirche nicht aus der Freude am Opponieren, sondern im Sinne einer Erneuerung, allein aus der Liebe zur Kirche und aus der Sorge um die Kirche entstanden ist. Lassen Sie mich deshalb zum Schluß der Kirche, […] aber auch der der Kirche getreuen Opposition mit ihrem Studentenpfarrer von Löwenich an der Spitze, und ihren Vikaren und Studenten danken für den Dienst, den sie alle für die eine Kirche Jesu Christi zu tun bereit sind.“146

Landesbischof Dietzfelbinger klang hier eher verhalten; er gab zu bedenken, „daß es nicht nur um Reformen, sondern um Ordnung des zu Reformierenden auch geht, damit nicht aus der Erneuerung […] so etwas wie ein Chaos wird, das die Erneuerung verschlingt“147. Mit seiner Skepsis stand Dietzfelbinger in der Mitte zwischen denjenigen, die die KRIBS positiv und denen, die sie negativ beurteilten. Für letztgenannte sei exemplarisch auf den Beitrag „Eindrücke und Gedanken. Zur Landessynode in Bayreuth vom 3. bis 7. März 1969“ des Wunsiedler Dekans Walter Reissinger verwiesen, dessen „Kopf und Gedanken auf der Rückfahrt von der Synode […] sorgenschwer“148 waren. Reissinger dankte zwar einerseits „der Opposition […] für ihr diszipliniertes Verhalten“, beklagte aber andererseits den Maßstab, anhand dessen seiner Ansicht nach die Synode beurteilt wurde: „[M]an ist froh, daß nicht – wie eben bei anderen Synoden – mehr passierte!“. Dieser Maßstab, so Reissinger, sei sehr niedrig gesetzt, er sei „genau genommen nichts anderes als die nackte Angst vor einem Terror, der die legitime Autorität in der Kirche abzubauen versucht, um selbst dann um so autoritärer zu verfahren!“ Konkret kritisierte Reissinger den Ton der Flugblätter („ironisch verletzende Bemerkungen und Alternativen oder […] die Weise, wie man den Hochw. Herrn Landesbischof kritisierte“), das fehlende Vertrauen in das Wissen und Gewissen des Landeskirchenrats und der Synode sowie die mangelnde Achtung der Jugend vor der „große[n], gewachsene[n] Erfahrung“ der Synodalen. Reissinger drückt seine Sorge darüber aus, dass offensichtlich 146 147 148

Ebd., 153 f. Ebd., 154. Korrespondenzblatt 84 (1969), Nr. 4 (April), 44 f., ebenso nachfolgende Zitate.

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„die Brüder der Opposition keine anderen Erfahrungen mit ihrer Kirche gemacht [haben], also etwa Erfahrungen, die ihnen ihre Kirche lieb und wert machten, die ihnen, wie der Hochw. Herr Landesbischof immer wieder betont, Liebe und Ehrfurcht vor der Gemeinde JEsu [sic] Christi einflößten? Sind es wirklich nur Erfahrungen, die zu solcher Kritik führen müssen?“

Bevor Reissinger seinen Beitrag mit einem Hinweis auf die Bekenntnis- und Sammlungsbewegung schloss, in der er sich an führender Stelle engagierte, stellte er noch die Frage: „Hat das alles noch den HErrn Jesus Christus, wie IHn die Hl. Schrift bezeugt, zum Quell-, Mittel- und Zielpunkt? […] Bestimmen hier vielmehr nicht Ideologien usw. die Aussagen bis in die Formulierung hinein, die ihren Ursprung in anderen Rüstkammern, nicht aber in der der Hl. Schrift haben! Man denke doch z. B. an die stark betonte Forderung nach Kontrolle der Macht in der Kirche! Wir haben hier darum so große Sorge, weil dann alles falsch werden muß: die Konzeption von Welt und Zeitgeschehen, von Kirche und Gemeinde und ihrem Auftrag in der Welt – und nicht zuletzt auch alles Tun (R. 14,23).“

Reissingers Stellungnahme blieb nicht ohne Echo: In der nächsten Ausgabe des Korrespondenzblattes antworteten Befürworter und Mitglieder der KRIBS, unter ihnen auch Dekan Klaus Diegritz: „Liebe zur Gemeinde Christi [bedeutet für uns] nicht kritikloses Jawohlsagen und Strammstehen. […] Wir fordern […] für die Sache der Gemeinde Jesu, nicht für uns, nicht für unsere Gruppierungen.“149 Und Diegritz stellt am Ende seines Briefes die rhetorische Frage: „Lieber Dekanskollege, ist es wirklich so schlimm, wenn unser beider vorhandene Macht kontrolliert wird? Oder steht es nicht schlimm um uns, wenn wir davor erschrecken?“150

3.2.2 Engagement für ein neues Pfarrer- und Gemeindebild „Übereinstimmung müßte erreicht werden in folgender These: Konsequente Durchsetzung des in Jesu Ruf in die Freiheit begründeten ‚allgemeinen Priestertums aller Gläubigen‘, das umgesetzt werden muß in die selbständige Beteiligung aller an den gemeinsamen Lernprozessen – contra ‚Prägung‘ der ‚Schafe‘ durch die ‚Hirten‘ in der hierarchischen Institution bzw. contra willkürlichen Egoismus frommer Subjekte in sektiererischen Zirkeln.“151 149

Korrespondenzblatt 84 (1969), Nr. 5 (Mai), 53 f. Ebd., 54. 151 Christof Bäumler: Gesichtspunkte zur Entwicklung von Gruppengemeindeämtern; Gesprächsrunde vom 17. bis 19. 9. 1970 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 22). 150

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Diese Überlegung sprach der Praktische Theologe Christof Bäumler im September 1970 bei der Zusammenkunft der AEE-Arbeitsgruppe „Gruppengemeindeämter“ aus. Seine Begründung für eine Demokratisierung der gemeindlichen Strukturen ist paradigmatisch für alle drei Gruppen in Fragen des Pfarrerbildes. Folgende Forderungen lassen sich hier herauskristallisieren: Die Parochie sollte aufgelöst, die Gemeindestrukturen sollten demokratisiert, die Gemeindeglieder stärker in die Verantwortung gezogen und der herausgehobene Status des Pfarrers sollte nivelliert werden. Für letzteres Anliegen traten besonders die Vikare mit ihrer Kritik an der vorherrschenden Ordinationspraxis ein (vgl. unten). Ziel war die mündige, selbstständige Gemeinde, in der der Pfarrer – mehr oder weniger – ein Mitarbeiter unter anderen war. Theologisch begründet wurde dies mit dem Schlagwort „Priestertum aller Gläubigen“; auch wurde die Vierzahl der reformierten Ämterlehre gegenüber dem herausgehobenen Amt des Pfarrers in den lutherischen Bekenntnisschriften als beispielhaft angeführt. Alle drei Gruppen entwarfen Konzepte für Teampfarrämter152 bzw. „Gruppengemeindeämter“153 und betonten die Bedeutung übergemeindlicher Dienste154. Auch über die konkrete Gemeindesituation hinaus sollten Nichttheologen in der Landeskirche ein stärkeres Gewicht bekommen; das Bild der Kirche sollte nicht mehr maßgeblich von Pfarrern geprägt werden. Dies war vor allem ein An152 So tagte etwa die VBV-Vollversammlung am 26. 11. 1973 in München / St. Lukas unter dem Motto „Teampfarramt – Zukunftsmusik oder Realität“ (vgl. die Unterlagen in: Landeskirchenamt München, Az 20 / 3-9-4). Die 4. Delegiertenversammlung des LabeT trat in ihrer Stellungnahme zur Strukturdenkschrift der bayerischen Landeskirche vehement für das Gruppenpfarramt ein: „Wir sind uns klar darüber, daß mit dem Gruppenpfarramt nicht alle Schwierigkeiten beseitigt sind, sondern daß es in der Anfangsphase verstärkt Konflikte zu lösen gibt. Doch meinen wir, daß das Gruppenpfarramt Möglichkeiten bietet a) zur Befreiung des Pfarrers von unerfüllbaren Ansprüchen und von seiner Isolierung b) zur besseren Entfaltung seiner spezifischen Fähigkeiten c) zur Erweiterung einer reflektierten Selbstkritik. […] Darum fordern wir dazu auf, dem Gruppenpfarramt bei den Überlegungen zur Strukturreform Raum zu gewähren und auch hier ‚kontrollierte Experimente‘ […] aufzunehmen“ (Info-Labet, Nr. 11 / 27. 10. 1971, 5–8, hier: 6). 153 Im AEE war eine Arbeitsgruppe aktiv, die sich mit den Fragen und Problemen von „Gruppengemeindeämtern“ befasste und entsprechende Konzepte entwarf. Unter Gruppengemeindeamt wurde verstanden eine „Kooperative von hauptberuflichen kirchlichen Mitarbeitern mit verschiedener Ausbildung (Theologie, Soziologie, Psychologie, Sozialpsychologie, Sozialpädagogik etc.) […], die in einer sozioökonomischen Region langfristig zusammenarbeiten im Interesse einer strategischen Beteiligung aller dazu bereiten Personen an gemeinsamen Lernprozessen im Sinne einer ‚Kommunikation des Evangeliums‘ (Ernst Lange)“. Aus: Zwischenbericht über den Stand der Überlegungen zu Fragen des Gruppengemeindeamtes (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 22). 154 Der AEE hatte in der Verfassungsdiskussion wiederholt die Bedeutung übergemeindlicher Dienste herausgehoben; der Arbeitskreis war zudem personell eng mit den jungen bayerischen Akademien und Studienzentren verzahnt.

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liegen des AEE, wenngleich er dieses in der Praxis nicht immer mit besonderem Nachdruck verfolgte. Immerhin aber war die Integration von Nichttheologen in die Gruppe eines der Hauptmotive für seine Gründung gewesen, und er startete wiederholt Versuche, „Laien“ mehr Gehör zu verschaffen, sei es durch spezielle Tagungen, auf denen ihre Stellung thematisiert wurde155, sei es dadurch, dass der AEE durch seine Wahlkampfkampagnen bei Kirchenvorstands- und Synodalwahlen die Bedeutung dieser Gremien für die Landeskirche hervorhob. Abgesehen davon, dass alle drei Gruppen das Parochialsystem als keine „zeitgemäße Antwort des Glaubensgehorsams“156 empfanden, wollten sie auch, dass das Berufsbild des Pfarrers stärker den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen angepasst werden sollte. Für den AEE bedeutete dies insbesondere, dass sich der Pfarrberuf auch für Frauen öffnen sollte (vgl. unten). Die Vertreter der jungen Generation machten sich vor allem dafür stark, dass in die Ausbildung verstärkt Erkenntnisse anderer Fächer einflössen: So griffen die Vikare beispielsweise in der „ AG Seelsorge“ der VBV begeistert die psychologischen Methoden der Klinischen Seelsorge-Ausbildung (KSA) auf. Der LabeT beschäftigte sich vor allem mit der von ihm empfundenen Diskrepanz zwischen dem traditionellen Bild der protestantischen Pfarrfamilie und der gesellschaftlichen Realität; speziell ging es ihm hier um die Frage, inwieweit die Verlobte bzw. Ehefrau eines Pfarrers automatisch als künftige Pfarrfrau von der Landeskirchenleitung gesehen werden konnte (vgl. unten). Sowohl LabeT- als auch VBV-Mitglieder versuchten wiederholt, durch ihren Einsatz für eine Reform des Ersten und Zweiten Theologischen Examens157 sowie durch ihre Vorschläge zur Veränderung der ersten und zweiten Ausbildungsphase158 auch formale Weichenstellun155 So organisierte der AEE 1969 eine sogenannte Laientagung in Ottobrunn, die dazu dienen sollte, „die Stimme der Nichttheologen, die im AEE wie überall in der Kirche zu kurz kommt, zu artikulieren“ (B+K, Nr. 3 / 1. 8. 1969, 8 f., hier: 8). 156 Vgl. „Überlegungen zur Aufgabenstellung des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung“ (B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 1 f.). 157 Bei den Änderungsvorschlägen, die die Examina betrafen, ging es den Vikaren und Studenten vor allem um der Ausbildung angemessenere Prüfungsinhalte (vor allem das 2. Examen betreffend) und um mehr Transparenz über das Zustandekommen der Noten. Für Aufsehen sorgte der Artikel von Wieland Zademach „Blick zurück im Zorn. Kritischer Rückblick auf das Examen 1972“ (VBV-Rundbrief, Nr. 13 / 25. 3. 1973, 1–3), in dem Zademach den Prüfern hinsichtlich der Leistungsbewertungen „krasse Willkür“ vorwarf. 158 Die VBV bemühte sich vor allem um eine Neustrukturierung der zweiten Ausbildungsphase: Statt des auf das Lehrvikariat folgenden Gemeindevikariats sollte gleich die Zeit als Pfarrer z. A. folgen (vgl. hier auch das Beispiel „Die VBV und die ‚Ordinationsverweigerung‘“, 167–191). In einer Gemischten Kommission hatten die Vikare Gelegenheit, ihre Vorschläge zur Ausbildungsreform gemeinsam mit Lehrpfarrern, Vertretern der Predigerseminare sowie Vertretern des Landeskirchenrats zu diskutieren; vgl. z. B. den Bericht aus der Gemischten Kommission (VBV-Rundbrief, Nr. 9 / Dezember 1971, Anlage 1).

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gen für ein neues Pfarrerbild zu geben. LabeT-Vertreter fassten im November 1970 ihre Ansichten über ihr Studium folgendermaßen zusammen: „Die bisherige theologische Ausbildung ist einseitig: Sie sieht zwar eine umfassende philologische, historische und systematische, aber keine empirisch-kritische Ausbildung vor.“159 Die Studenten wünschten sich Lehrveranstaltungen, „in denen die kirchliche und gesellschaftliche Praxis mit überlegt wird, Einführung in die Methoden empirisch-kritischer Wissenschaft [und] wissenschaftstheoretische Reflexion der theoretischen und praktischen Arbeit“160. Außerdem forderten sie eine „umfassende Vorbereitung auf die kirchliche Praxis schon vom ersten Semester an durch: Praktika, Konvent, interdisziplinäre Blockseminare“161. Wie der Konvent dieses Ziel konkret verfolgte, wird im folgenden Abschnitt dargestellt. Exemplarisch: Der Einsatz des LabeT für eine praxisnahe Ausbildung „Die Zahl derer, die nach dem Examen nicht in den kirchlichen Ausbildungsweg gehen, erreichte in den letzten Jahren manchmal fast ein Drittel aller Kandidaten. Dabei muß nach Motiv und Absicht differenziert werden zwischen 1) Kandidaten, die eine theologische Promotion anstreben; 2) Kandidaten, die in steigender Zahl eine Zusatz- und Ergänzungsausbildung anstreben, um sich für den Dienst in der Kirche besser zuzurüsten oder später einen Spezialdienst anzustreben, wobei in zunehmendem Maße das Motiv auch der Zweitberuf zur Existenzsicherung ist, 3) Kandidaten, die nach dem 1. Examen in einem anderen Studienfach weitermachen, weil sie z. Zt. nicht bereit sind, in den kirchlichen Dienst zu treten, oder sich innerlich nicht dazu in der Lage sehen.“162

Diese Worte Dietzfelbingers in seinem Bericht „Fünf Jahre im Leben der Evang.Luth. Kirche in Bayern“, gehalten vor der Landessynode vom 7. bis 12. März 1971 in Schweinfurt, weisen auf ein Anliegen junger bayerischer Theologen hin, das Parallelen auch in anderen Landeskirchen163 bzw. auch in anderen universitären Fächern hatte: Die Studenten fühlten sich durch ihr Studium nicht in ausreichendem Maß auf ihren Beruf vorbereitet und versuchten auf eigene Faust, die Ausbildung entsprechend zu erweitern und zu verbessern. 159 Hans-Gerhard Koch: Grundsätzliches zum 1. Examen (Info-LabeT, Nr. 4 / November 1970, 4 f., hier: 4). 160 Ebd. 161 Ebd., 5. 162 Dietzfelbinger, Fünf Jahre, 21. 163 Przybylski, Studentenbewegung, 1, berichtet, „daß Anfang der siebziger Jahre ein ‚aufsehenerregender Anteil‘ von Theologen [in der ganzen Bundesrepublik] die in Studium und Beruf organisierte Laufbahn verließ, um einen Beruf außerhalb der Kirche zu ergreifen“.

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Einsatz für die Aufnahme von Zweitstudiengängen Die bayerische Landeskirchenleitung, die Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre dringend Pfarrer benötigte, war von dem sich dadurch verzögernden oder gar nicht beschrittenen Weg der Kandidaten ins Pfarramt wenig angetan. Nicht nur, dass, wie oben erwähnt, junge Theologen nach dem Ersten Examen fernab des kirchlichen Weges ihre Ausbildung aufstockten und erweiterten: Auch schon während ihres Studiums suchten zahlreiche Theologiestudenten nach Wegen, sich Zusatzqualifikationen neben dem Theologiestudium zu erwerben, sei es, um sich etwa durch soziologische Studien besser auf den späteren Pfarrberuf vor gewandeltem gesellschaftlichen Hintergrund vorbereiten zu können, sei es, um sich ein zweites Standbein zu sichern, falls der eigene Weg doch nicht in die Kirche führen sollte. Verschiedene Schritte wurden nun von Seiten der Kirchenleitung unternommen, um dem Pfarrermangel vorzubeugen: Offensiv wurde in den Medien für den Pfarrerberuf geworben164, die Stelle des Studentenpfarrers in Neuendettelsau im Jahr 1969 wurde gezielt mit dem überzeugten Gemeindepfarrer Karl Foitzik besetzt, damit er die Studierenden mit seiner Freude an diesem Beruf anstecke165. Landesbischof Dietzfelbinger zeigte wenig Verständnis für die Aufnahme von zusätzlichen Studiengängen. Exemplarisch sei aus seinem Weihnachtsbrief an die Theologiestudenten vom 14. Dezember 1968 zitiert, in dem Dietzfelbinger die theoretischen Grundlagen, die das Theologiestudium vermittelte, durchaus für ausreichend erachtete – „Mir scheint, am Denken fehlt es heute in der Theologie nicht“166 – und den Neutestamentler Hans Conzelmann „als einen unverdächtigen Zeugen“167 zitiert:

164 Vgl. die Meldung „Brief an Bayerns Abiturienten. Die Kirche braucht Pfarrer“ (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 25 (1970), Nr. 18 vom 3. 5., o. S.). Hier wird berichtet, dass sich Landesbischof Dietzfelbinger in einem Brief an alle evangelischen Abiturienten in Bayern gewandt hatte mit der Bitte, „die Fragen des Pfarrerberufs einmal ausführlich mit einem Mann des Vertrauens, mit einem Religionslehrer oder Pfarrer zu besprechen“. 165 Vgl. das Interview Foitzik, 8: „Es war damals […] unter den Studierenden [üblich], dass das Gemeindepfarramt eigentlich sehr, sehr kritisch gesehen worden ist. Kann man als Gemeindepfarrerin, Gemeindepfarrer überhaupt in der Kirche irgendwas erreichen, etwas verändern? Sind da die Strukturen nicht [zu eng]? Es war also der totale Drang in die Sonderpfarrämter, also das Spezialpfarramt, das Spezialvikariat, aber nicht Gemeindepfarramt. […] Und darum haben die auch damals gesagt: ‚Also, wir haben bisher immer einen der Assistenten zum Studierendenpfarrer gemacht […] Wir suchten jetzt mal einen, von dem wir wissen oder annehmen, dass er gerne Gemeindepfarrer ist, der den Studierenden einfach Lust macht, auch Gemeindepfarrer zu werden.‘ Das war so die motivierende Überlegung.“ 166 LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 162. 167 Ebd.

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„Als ob die grassierende Stimmung, die Kirche durch weniger Theologie und mehr Soziologie, Psychologie, Politologie und neuestens gar ‚Kybernetik‘ auf den schwachen Beinen zu halten, neu wäre! Und nicht vielmehr ein neuer Ausbruch einer der deutschen Theologie je und je eigentümlichen Lust zur Selbstverleugnung. Gerade wenn die Lage in Theologie und Kirche alles andere als imposant ist, kann das Remedium nur sein: Arbeiten, nämlich Theologie treiben!“168

Die Theologiestudenten waren hier offensichtlich anderer Ansicht als Conzelmann und Dietzfelbinger: So erinnert sich Karl-Heinz Klose daran, dass er „eine Unterbelichtung des Theologiestudiums von humanwissenschaftlicher Seite her empfunden“169 habe. Ähnliches empfand offensichtlich auch Wieland Zademach, der sich neben der Theologie für das Studium der Psychologie einschrieb; er habe das Fach zusätzlich belegt in der Hoffnung, auf dieser erweiterten Wissensbasis später „besser Seelsorger […], besser Pfarrer“170 sein zu können. Immer wieder plädierten LabeT-Vertreter öffentlich für das Belegen zusätzlicher Studiengänge und deren Anerkennung durch die Kirchenleitung. So schrieb Hans-Gerhard Koch im November 1970 unter dem Titel „Grundsätzliches zum 1. Examen“: „Zu fordern wäre also: […] Spezielle Vorbereitung auf die künftige Tätigkeit durch Ergänzungs-, Zweit- und Aufbaustudium; Förderung der persönlichen Unabhängigkeit des Theologen durch Zweitberuf und Übergangsstudium.“171 Die Landeskirchenleitung tat wiederholt in Gesprächen mit LabeT-Vertretern ihre Zweifel am Sinn eines Zweitstudiums für bayerische Theologiestudenten kund. Wenn überhaupt, so Oberkirchenrat Wolf in einem Gespräch mit Vertretern des LabeT-EK-Tübingen, mache ein solches erst nach dem Vikariat Sinn, da „nach einer gewissen Praxiserfahrung […] mit einer höheren Effektivität eines solchen Studiums zu rechnen [sei]; zum anderen könne der LKR den Kandidaten dann besser beurteilen“172. Die EK-Mitglieder entgegneten darauf unter anderem, dass, wenn „man erst einmal Vikar und etabliert sei, […] es doch äußerst schwierig [wäre], noch einmal ein ganzes Studium zu beginnen“173. Außerdem schien den Studenten „bei einer solchen Reglementie-

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Zit. nach ebd. Interview Klose, 13. 170 Interview Zademach, 2. 171 Hans-Gerhard Koch: Grundsätzliches zum 1. Examen (Info-LabeT, Nr. 4 / November 1970, 4 f., hier: 5). 172 Protokoll des Gesprächs zwischen dem LabeT-Einzelkonvent Tübingen und Siegfried Wolf am 2. 12. 1970 (Info-LabeT, Nr. 5 / Februar 1971; Anlage 1). 173 Ebd. 169

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rung die Wirkung der persönlichen Motivation auf ein Studium und eine Tätigkeit überhaupt nicht berücksichtigt“174. Zweitstudiengänge der Theologiestudierenden waren nur in den Anfangsjahren des LabeT ein nennenswerter Diskussionspunkt zwischen LabeT-Vertretern und der Landeskirchenleitung. Spätestens ab Mitte der 1970er Jahre waren sie kein Thema mehr: Nun zeichnete sich angesichts der zunehmenden Studentenzahlen die ab Anfang der 1980er Jahre zu erwartende „Pfarrerschwemme“ ab; die Landeskirchenleitung musste sich keine Sorgen mehr um die Besetzung ihrer Pfarrstellen machen. Einsatz für verpflichtende Praktika Neben dem Zweitstudium traten die bayerischen Theologiestudenten für weitere Möglichkeiten ein, den Horizont über das universitäre Theologiestudium hinaus zu weiten: Sie engagierten sich für studienbegleitende Wahlpflichtpraktika in Industrie und Diakonie ebenso wie in der Gemeinde, um das – auch von anderen Reformgruppen175 – als unbefriedigend empfundene Theorie-Praxis-Verhältnis zugunsten der Praxis zu verbessern. Dabei einte gerade das Interesse, die Praxis nicht nur mittels Gemeindepraktika im genuin kirchlichen Arbeitsbereich, sondern auch im weitgehend fremden Arbeitermilieu kennenzulernen, die Theologiestudenten mit angehenden Akademikern anderer Fakultäten: Die Tradition der Arbeiterbewegung faszinierte sie, und sie bemühten sich mit Lernen vor Ort um Aufweichung der Standesgrenzen. Hier sei angemerkt, dass auch der AEE starkes Interesse am Arbeitermilieu zeigte und sich auf unterschiedlichste Weise dafür einsetzte, mit Arbeitern ins Gespräch zu kommen176, deren Lebensbedingungen und Interessen stärker ins Bewusstsein der Kirche zu rücken177 und die Präsenz von Arbeitern in kirchlichen Gremien zu erhöhen178. Besonders ist hier das Engagement des Nürnberger Sozialpfarrers und Fachhochschullehrers Wilhelm Scheuerpflug zu nennen. Auch 174

Ebd. Dross, Vorwort, 8, sieht genau hier ein wesentliches Kennzeichen kirchenkritischer Gruppen: „Den Gruppen geht es […] um die in Theologie und Kirche vernachlässigte Vermittlung zwischen Theorie und Praxis […] [sie] möchten […] eine der Praxis standhaltende Theorie durchsetzen, indem sie eine mit der Theorie übereinstimmende Praxis üben.“ 176 So wurde etwa in den „Berichten und Kommentaren“ Kommentare von Betriebsräten zur Kirche veröffentlicht; die Zusammenstellung erschien unter dem Titel „Warum kommt die Kirche so spät? Was Arbeiter von der Kirche denken“ (B+K, Nr. 17 / 15. 8. 1973, 2 f.). 177 Vgl. exemplarisch zu dem Thema die Beiträge von Wilhelm Scheuerpflug: Kirche und Arbeiter (B+K, Nr. 19 / 15. 1. 1974, 4–8); Ein Blick über den Zaun: ‚Unsere Sorge: Der arbeitende Mensch‘ (B+K, Nr. 25 / März 1976, 4 f.). 178 Vgl. dazu den Artikel des DGB-Landesvorsitzenden, Senatsmitglieds und Synodalen Willi Rothe: Warum mehr Arbeiter in die Kirchenvorstände sollten (B+K, Nr. 25 / März 1976, 3 f.). 175

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die VBV beschäftigte sich wiederholt mit dem Themenkomplex Kirche und Arbeiter179. Das offizielle Engagement für Wahlpflichtpraktika begann mit Gründung des LabeT; zu diesem Zeitpunkt konnten Theologiestudenten auf freiwilliger Basis Praktika belegen. Im Dezember 1970 wandten sich Vertreter des Konvents in einem Brief an Siegfried Wolf180: „Die gegenwärtige theol. Ausbildung ist noch immer durch eine extreme Praxisferne gekennzeichnet. […] Wir gehen davon aus, dass ein intensives Kennenlernen der Bedingungen, in denen der größte Teil der Bevölkerung lebt, schon während des Studiums unbedingt notwendig ist. […] Eine echte Erfahrung im industriellen, landwirtschaftlichen, diakonischen oder pädagogischen Bereich kann jedoch nur durch eigene Erfahrung vermittelt werden. Da Theologiestudierende durch die Befreiung von 18 Monaten Wehrdienst (Zivildienst) ohnehin privilegiert sind, kann ihnen ein achtwöchiges Wahlpflichtpraktikum wohl zugemutet werden. Es scheint uns dringend erforderlich zu sein, die bisher unverbindlich angebotenen Praktika ab Winter 1972 / 73 zu einer Voraussetzung der Zulassung zum ersten Examen zu machen. […] Bis zu diesem Zeitpunkt würden wir eine Übergangsregelung begrüßen, die in begründeten Fällen eine Dispensierung vom Wahlpflichtpraktikum erlaubt.“

Mit ihrer Forderung nach mehr Praxisnähe im Studium beriefen sich die Studierenden auch auf eine Fragebogen-Aktion der VBV181: Der dort konstatierten, „auf der fortschreitenden Differenzierung beruhenden Kommunikationsschwierigkeiten“182 der Vikare und Pfarrer wollten die Studierenden frühzeitig mittels „Lernen durch Erfahrung“ vorzubeugen. Wie die geforderten Wahlpflichtpraktika strukturiert sein sollten, entwarf eine Arbeitsgruppe „Praktika für Theologiestudierende“ auf der Freizeit für Theologiestudierende in Josefstal vom 14. bis 16. April 1971183: Demnach sollten die Studierenden in einer Vorbereitungsphase durch theoretische Einführungen und Gruppenarbeit mit der betreffenden Arbeit vertraut gemacht werden. Während des Praktikums sollten die Studenten zwar in den Arbeitsprozess eingebunden, aber nicht so stark belastet werden, dass die Möglichkeit der Beobachtung und der persönlichen Kontaktaufnahme gefährdet würde. Durch Supervision und Gruppengespräche sollten die Studierenden in ihrem Lernprozess begleitet werden; eine Auswertung am Ende des Praktikums sollte der 179 So lautet beispielsweise das Schwerpunktthema der VBV-Vollversammlung im Herbst 1974 „Kirche und Arbeiter“ (VBV-Rundbrief, Nr. 19 / 7. 5. 1975, 2–4). 180 Zit. nach Info-LabeT, Nr. 5 / Februar 1971, 3. Ebd. nachfolgendes Zitat. 181 Der Fragebogen ist enthalten in: LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 33. 182 Vgl. Info-LabeT, Nr. 7 / April 1971, 1. 183 Bericht der Arbeitsgruppe „Praktika für Theologiestudierende“ Tagung Josefstal 1971 (Info-LabeT, Nr. 7 / April 1971, 1–3).

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Verarbeitung und Systematisierung ihrer Erfahrungen dienen – das Praktikum sollte daher frühzeitig im Studium stattfinden, um „eine möglichst intensive Verwertung im Studium“184 sicherzustellen. Als Folge der Wahlpflichtpraktika erhofften sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe eine Neubestimmung des Verhältnisses von Theorie und Praxis: „Dabei soll die Theorie anhand der Praxis und von der Theorie her die Praxis gestaltet werden. Auf jeden Fall muss eine Verbindung von Praxis und Theorie gerade im Blick auf den zukünftigen Beruf des Pfarrers stattfinden.“185 Der Landeskirchenrat hatte mittlerweile auf die diesbezüglichen Anfragen der Studierenden reagiert und im Frühjahr 1971 eine Umfrage über Praktika bei möglichen Einsatzstellen eingeleitet186. Im Juni 1971 versicherte Wolf den Studierenden, dass in der neuen Prüfungsordnung der Nachweis einer bestimmten Wochenzahl an theoretisch vor- und nachbereiteten Praktika obligatorisch sein werde, wobei der Studierende selbst aus einem Angebot wählen dürfe187. Bis zu einer definitiven Entscheidung sollte es jedoch noch dauern: Noch hatten nicht alle im Landeskirchenamt zuständigen Stellen ihr Votum zugunsten der Praktika abgegeben; zudem war der Rücklauf der vom Landeskirchenrat initiierten Umfrage an mögliche Einsatzstellen für Praktikanten offensichtlich schleppend und wenig ergiebig. Entsprechende Stellen und qualifiziertes Personal für die Betreuung der Praktikanten zu finden, schien das Hauptproblem für die stockende Entscheidungsfindung des Landeskirchenrats zu sein188. Die Studierenden ließen nicht von dem Thema ab: Bei der Freizeit in Josefstal vom 5.–8. April 1972 zum Thema „Die Vikarsausbildung in der bayerischen Landeskirche“ wurden in einem Gespräch mit Oberkirchenrat Wolf wieder die Wahlpflichtpraktika thematisiert189. Die LabeT-AG „Praxisbezogenes Studium“ forderte, dass ein Gemeindepraktikum in das Studium einbezogenen werden müsse; eine entsprechende Vor- und Nachbereitung müsse gewährleistet sein. Arbeiten, die im Zusammenhang mit dem Praktikum geschrieben wurden, sollten bei den Examensanforderungen anerkannt werden.

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Ebd., 1. Ebd., 3. 186 Vgl. Info-LabeT, Nr. 8 / Mai 1971, 1: „Die vom LKR eingeleitete Umfrage über Praktika für Theologiestudenten konnte noch nicht abgeschlossen werden, da die Termine von den angeschriebenen Personen nicht eingehalten worden sind. Die bisher eingegangenen Berichte sind nach Meinung des LKR nicht befriedigend.“ 187 Bei seinem Besuch des EK Neuendettelsau am 14. 6. 1971; vgl. Info-LabeT, Nr. 10 / 15. 7. 1971, 5. 188 Info-LabeT, Nr. 11 / 27. 10. 1971, 14. 189 Info-LabeT, Nr. 14 / 21. 4. 1972, 4–7. 185

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Die laut Wolf zu diesem Zeitpunkt bereits möglichen Praktika in der Gemeinde, speziell in Landgemeinden, und in der Industrie waren nicht institutionalisiert, sondern wurden auf Privatinitiative der Studierenden hin vom Landeskirchenrat unterstützt. Die LabeT-Vertreter wiesen nun noch einmal auf ihre Bemühungen um die Durchsetzung von verpflichtenden Praktika in den vergangenen eineinhalb Jahren hin; de facto sei man seitdem keinen Schritt weitergekommen. Die Studenten waren über die in ihren Augen zögernde Reaktion des Landeskirchenrates auf ihre Eingaben enttäuscht und fühlten sich nicht ernstgenommen. So schwingt in dem letzten Abschnitt des Berichts über die Tagung in Josefstal eine Portion Ernüchterung und Resignation mit, wenn es heißt: „Bleibt zu fragen: Was passierte im vergangenen Jahr in Sachen Praktika? […] Faßt man das Ergebnis früherer Josefstaler Tagungen mit diesem zusammen, mag das Abschlußbild der Tagung symbolhaft stehen bleiben: Blumen pflückende Theologen auf der grünen Wiese.“190 Im Frühjahr 1974 wurde die neue Examensordnung veröffentlicht; sie trat erstmals im Frühjahr 1975 in Kraft. Wichtigste Neuerung war die wissenschaftliche Hausarbeit191. Bei dem Kontaktgespräch der LabeT-Vertreter mit Ulf Claussen (Ausbildungsreferat) im Januar 1974 in München wurden noch einmal die Praktika angesprochen: Mindestens vierwöchige, theoriebegleitete Gemeindepraktika wurden angestrebt; an den Ausbildungsstätten sollten die Praktika durch Einführungs- und Auswertungstagungen begleitet werden. Bei dem Gespräch gaben die LabeT-Vertreter an, sie würden einen Vorschlag für Richtlinien zu den Praktika erarbeiten192. Im Herbst 1974 war es soweit: Bei dem Kontaktgespräch zwischen Vertretern des LabeT und Ulf Claussen wurde den Studenten die neue Rahmenordnung für ein anerkanntes theoriebegleitetes Praktikum für bayerische Theologiestudenten vom 29. Oktober 1974 vorgelegt; die Reaktion der Studentenvertreter war positiv193. Die endgültige Regelung für die Wahlpflichtpraktika kam schließlich mit der neuen Prüfungsordnung für das 1. Theologische Examen im Sommersemester 1974: Ab dem Examensjahrgang Sommersemester 1976 musste 190

Ebd. Vgl. dazu auch den Vermerk von Ulf Claussen zum Kontaktgespräch mit dem LabeT am 18. 1. 1974 (Landeskirchenamt München, Az 20 / 1-1 / 3-26 Bd. I 1971–1979). 192 Ebd. 193 Vgl. dazu auch den Vermerk von Ulf Claussen über das Kontaktgespräch zwischen Ausbildungsreferat und LabeT-Vertretern vom 22. 11. 1974 in München: „Die Rahmenordnung für ein anerkanntes theoriebegleitetes Praktikum für Theologiestudenten in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern vom 29. Oktober 1974 wird vorgelegt. Die Studenten haben keine Einwendungen gegen die Rahmenordnung. Herr Weidemann spricht im Namen der Studenten seinen Dank für die großzügigen finanziellen Regelungen innerhalb der Rahmenordnung aus“ (Landeskirchenamt München, Az 20 / 1-1 / 3-26, Bd. I 1971–1979). 191

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jeder Examenskandidat ein theoriebegleitetes Praktikum vorweisen, das vom Landeskirchenamt mit 75 Mark pro Woche sowie Spesen finanziert wurde194. Nachdem das Wahlpflichtpraktikum in der Examensordnung verankert war, sahen die Vertreter des LabeT den Landeskirchenrat in der Verantwortung, für entsprechende Praktikumstellen zu sorgen; besonders für junge Theologen, die außerhalb Bayerns studierten, war die Suche nach geeigneten Einrichtungen und entsprechender Begleitung schwierig195. An den bayerischen Fakultäten musste die theoretische Begleitung der Praktika gewährleistet werden: Während sowohl Neuendettelsau als auch Erlangen entsprechende Begleitprogramme anboten, musste an der Münchener Fakultät erst ein vergleichbares Angebot geschaffen werden. Schließlich kristallisierte sich an jeder der drei Fakultäten ein eigenes Profil bei der Betreuung der Praktika heraus. Einige Plätze für Industriepraktikanten stellte das Amt für Industrie- und Sozialarbeit in Nürnberg zur Verfügung; weitere Praktikumsplätze in diesem Bereich zu finden, war anscheinend nicht einfach. Wie wichtig es aber offensichtlich den Gemeinden war, dass Theologiestudenten gerade in Betrieben Erfahrungen sammelten, zeigt der Antrag der Augsburger St. Andreas-Gemeinde vom 30. Juli 1975 an die bayerische Synode, in dem sie die Durchführung von Industriepraktika für angehende Pfarrer forderte196. Der Organisationsausschuss der Synode empfahl daraufhin der Landessynode, „auch ihrerseits die Theologiestudierenden zu einem Industriepraktikum zu ermuntern“197. Bereits im Herbst 1976 wurden mit insgesamt 130 Stellen ausreichend Praktikumsplätze für Studierende zur Verfügung gestellt. Für das Frühjahr 1977 standen 194

Vgl. Info-LabeT, Nr. 25 / Weihnachten 1974, 6. Vgl. den Bericht von Andreas Ebert: Praktikum in Grün und Grau (Info-LabeT, Nr. 28 / Weihnachten 1975, 17). Ebd. nachfolgende Informationen. 196 Der Antrag des Kirchenvorstands der St. Andreas-Gemeinde Augsburg lautete: „Die Landessynode möge den LKR auffordern, den Theologiestudierenden ein Industriepraktikum dringend zu empfehlen.“ (VLS 1975 / II, 145). Der Augsburger Dekan Klaus-Peter Schmid, Berichterstatter des synodalen Organisationsausschusses, erklärte dazu: „Die geltende theol. Aufnahmeprüfungsordnung zählt in § 5 die Zulassungsvoraussetzungen auf, darunter auch den Nachweis von mindestens einem vom Prüfungsamt anerkannten theoriebegleiteten Praktikum. Nach Mitteilung von OKR Dr. Wolf gehören dazu auch Industriepraktika, sofern sie die vorgeschriebene Dauer haben und die nötige Theorie- und Praxisbegleitung sichergestellt ist.“ (ebd.) In einem Brief vom 22. 10. 1975 an die St. Andreas Gemeinde baten die LabeT-Vertreter den Kirchenvorstand: „Könnten Sie uns, vielleicht aus Ihrem Gemeindebereich, konkrete Möglichkeiten aufzeigen, diesen Antrag zu verwirklichen. Bei der momentanen Konjunkturlage werden sich unseres Erachtens kaum Firmen finden, die Theologiestudenten ein Praktikum ableisten lassen. […] Wenn Firmen ein Industriepraktikum für uns anbieten, würden sicher viele von uns diese Chance ergreifen. Wir würden uns freuen, wenn Sie bei diesem Problem einige konkrete Vorschläge machen könnten“ (Landeskirchenamt München, Az 20 / 1-1 / 3-26 Bd. I 1971–1979). 197 VLS 1975 / II, 145. 195

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180 Plätze in acht verschiedenen Bereichen zur Verfügung; auch ein Krankenhauspraktikum, ein Industriepraktikum in München und ein Praktikum in der Militärseelsorge wurden in Aussicht gestellt198. Mittlerweile sind entsprechende Praktika im bayerischen Theologiestudium eine Selbstverständlichkeit. Das 1985 eingeführte „Praxisjahr für Theologiestudierende“, mit dem auch versucht wurde, dem damaligen „Pfarrerberg“ Herr zu werden, wurde allerdings im Jahr 2007 – auch auf Antrag des LabeT hin199 – in dieser Form wieder eingestellt200. Bei dem Wunsch nach zusätzlichen Praktika während des Theologiestudiums, beim Belegen von Zweitstudiengängen ging es den Studierenden vor allem darum, die gesellschaftlichen Verhältnisse außerhalb des kirchlichen Raumes durch praktische Erfahrung und anschließende theoretische Reflexion kennenzulernen und sich damit in ihrem künftigen Beruf als Pfarrer besser auf die Bedürfnisse der Menschen einstellen zu können. Andererseits setzten sie sich auch dafür ein, dass ihre eigenen beruflichen Rahmenbedingungen dem tiefgreifenden Wandel dieser Jahre Rechnung trugen. Dies zeigte sich exemplarisch an ihrer Kritik am traditionellen Bild des protestantischen Pfarrhauses und an der Rolle der Pfarrfrau. Exemplarisch: Der LabeT und die „Pfarrbrautfrage“ „Wir befürchten […], daß das Verfahren in Sachen Verlöbnis als Präzedenzfall aufgefasst werden könnte. Studenten müssen sich angesichts dieses Verfahrens nämlich fragen, welchen Sinn eine lange und eingehende Diskussion mit dem Landeskirchenamt noch haben kann, wenn diese schließlich doch durch einen fait accompli vonseiten des Mächtigeren beendet wird.“201 198

Angabe nach Info-LabeT, Nr. 30 / Weihnachten 1976, 37. Der LabeT schloss sich in seiner „Stellungnahme zur Forderung der Abschaffung des Praxisjahres“ am 31. 10. 2004 einer entsprechenden Eingabe des PfarrerInnenvereins an die Synode an und begründet dies unter anderem damit, dass das „Praxisjahr […] Studien- und Lebenszeit [kostet]“, aufgrund der Verlängerung des Theologiestudiums die Familienplanung „problematisch“ mache und außerdem „eine Unterbrechung des akademischen Studiums für ein oder zwei Semester […] einen laufenden theologischen Reifungsprozeß [stört]“ (http://www.labet.de [Stand: 28. 7. 2007]). 200 Überlegungen, durch Praktika die steigende Zahl an Theologiestudenten zu verringern, gab es von Seiten des LabeT auch bereits im Herbst 1975. So machten die Studenten bei einem Kontaktgespräch mit dem Ausbildungsreferat am 7. 11. 1975 folgende beiden Vorschläge: „a) Vor dem Studium soll ein mindestens ½-jähriges Praktikum in einer Gemeinde abgeleistet werden, in der die Motivation und Kontaktfähigkeit des Studenten geprüft wird. Auf Grund des Ergebnisses dieses Praktikums wird der Theologiestudent in die Anwärterliste aufgenommen oder nicht. b) Für alle Theologiestudenten soll die Pflicht zur Ableistung des Wehr- und Ersatzdienstes eingeführt werden.“ (Landeskirchenamt München, Az 20 / 1-1 / 3-26, Bd. I 1971–1979). 201 Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3. 199

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Die Enttäuschung, die aus diesen Zeilen der LabeT-Landessprecher Helmut Edelmann und Helmut Utzschneider vom 13. November 1972 an das Landeskirchenamt spricht, erscheint auf den ersten Blick überraschend: Ab Mitte Oktober 1972 waren Theologiestudenten und angehende Pfarrverwalter nicht mehr verpflichtet, ihre Verlobung dem Landeskirchenamt anzuzeigen und ausführliche Unterlagen, darunter auch einen Lebenslauf der Braut sowie die Referenz eines Pfarrers über die Partnerin, einzureichen – und dass diese Regelung geändert wurde, war zu einem großen Teil dem Engagement des LabeT zuzuschreiben. Warum die Studenten trotz des inhaltlichen Erfolges mit dem Ausgang des Falls unzufrieden waren, hatte seine Gründe in dem Ablauf des Verfahrens: Wie die folgenden Ausführungen zeigen, hatten sich die jungen Männer und Frauen nicht nur eingehend mit verschiedenen Facetten des Themas befasst, sondern darüber hinaus auch exemplarisch demonstrieren wollen, wie man künftig Konflikte zwischen Landeskirchenamt und Studenten auf eine gedeihliche Art überwinden und lösen könnte202. In genau diesem Bemühen sahen sie sich nun nicht ernstgenommen: Der oben genannte Beschluss des Landeskirchenamtes vom Oktober 1972 kam für sie überraschend; sie hatten mit weiteren vorherigen Anhörungen und Absprachen gerechnet. War es den jungen Theologen bei den Auseinandersetzungen um den „Verlöbnisparagraphen“ auch in hohem Maße darum gegangen, für einen demokratischeren Umgang miteinander innerhalb der bayerischen Landeskirche zu kämpfen, so sind trotz dieses mitunter offensichtlichen instrumentellen Aspekts jedoch auch die Inhalte des Konflikts spannend: Sie betreffen die wesentliche Wandlung im Bild des evangelischen Pfarrhauses und seiner Familie, die vor dem Hintergrund der Emanzipation der Frauen in den 1960er und 1970er Jahren zu sehen ist203: Die jungen Theologen hatten Partnerinnen, die nicht mehr ihren Beruf aufgeben wollten, um „hauptberuflich“ Pfarrfrau zu werden – und ihre Männer wiederum wollten nicht, dass, wie sie empfan202 Der grundsätzlichen Frage, wie „Konflikte in der Kirche beurteilt und bearbeitet werden bzw. werden sollten“ widmete sich auch der AEE. Vgl. etwa die Thesen „An Konflikten lernen“ von Christof Bäumler (B+K, Nr. 10 / 21. 6. 1971, 18–20). 203 Vgl. dazu Hauschild, Aufbruch, 68: „Der […] Wandel war ein Generationenproblem und machte sich ab etwa 1965 in der innerkirchlichen Diskussion bemerkbar, als die Ehefrauen der jungen Pastoren – zunächst weitgehend, dann zumeist – ihren erlernten Beruf voll oder halb ausübten. Daraus resultierte eine ökonomische Differenz zwischen jüngeren und älteren Pfarrfrauen, zunehmend häufig auch eine Differenz der Kinderzahl (diese u. a. auch bedingt durch den sog. Pillenknick seit 1967 / 70). Eine Reformdiskussion blieb in den Ansätzen stecken; so hätte vielleicht der Vorschlag, den innerhalb des Pfarrhauses und außerhalb desselben für die Gemeinde tätigen Pfarrfrauen ein ordentliches Gehalt zu zahlen, einige Veränderungen bewirken können oder den Wandel in der öffentlichen Funktion des Pfarrhauses gemildert; die Finanzierung eines solchen Gehalts wäre damals kein Problem gewesen.“

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den, über ihre Frauen von Seiten des Landeskirchenamtes aus „verfügt“ werden sollte. Die Auseinandersetzungen um den „Verlöbnisparagraphen“ gingen nicht nur auf formaler, sondern auch auf inhaltlicher Ebene weit über das konkrete Thema hinaus, und so notierte Pfarrer Ernst Hopf, der im Landeskirchenamt mit dem Thema betraut war, im Juli 1972: „Die Studenten betrachten die Auseinandersetzung als Grundsatzdiskussion über das Berufsbild des Pfarrers, über das Pfarrfrauenbild, über Motivationen zu Veränderungen in der Kirche.“204 Die große Bedeutung der sogenannten „Pfarrbrautfrage“ zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie als ein Anstoß zur Gründung des LabeT gilt205, in der Erinnerung mancher Zeitzeugen sogar als der Hauptgrund206. Die rechtliche Ausgangssituation Dass Theologiestudenten während ihrer Ausbildung heirateten, war Ende der 1960er Jahre noch etwas Ungewöhnliches in der bayerischen Landeskirche; bis zu diesem Zeitpunkt war es üblich, dass sich die Männer mit Beginn ihrer Berufstätigkeit als Pfarrer verehelichten207. Diejenigen, die sich noch während ihres Studiums verlobten oder heiraten wollten, mussten ebenso wie diejenigen, die bereits im Dienst der Landeskirche standen, entsprechende Unterlagen über ihre Partnerinnen an das Landeskirchenamt einreichen. Was genau gefordert war, zeigt folgender Auszug aus der Aufnahmeentschließung der bayerischen Landeskirche für „Anwärter des geistlichen Amtes“ aus dem Jahr 1970:

204

Vermerk von Ernst Hopf am 25. 7. 1972 (Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3). Vgl. Info-LabeT, Nr. 3 / August 1970, 2: Tagesordnung der 2. Delegiertenversammlung am 16. 7. 1970 in Neuendettelsau. 206 Vgl. Interview Friedrich, 5: „Ich glaube, der Hauptgrund [für die Gründung des LabeT] war, dass wir gekämpft haben gegen diese Pflicht: Wenn man auf der [Anwärter-]Liste eingetragen ist und sich verlobt oder verheiratet, dass man dann zwei Gutachten bringen musste für die Verlobte und das genehmigt werden musste. Ich glaube, dass das […] der Hauptgrund war, dass wir gesagt haben: Da müssen wir gemeinsam etwas dagegen tun.“ Anders Schneider, Interview, 3: „Es gab die Pflicht jedes Theologiestudenten oder auch jedes Vikars oder Pfarrers, seine Braut in München vorzustellen, das war im Pfarrergesetz verankert. Und das fanden die Neuendettelsauer Kommilitonen urkomisch und sehr merkwürdig und waren sehr böse darüber und haben sich da so richtig in diese Frage verhakt, so dass es für Spätere so aussieht, als ob das der Gründungsgrund [für den LabeT] gewesen wäre. Das war er natürlich nicht.“ 207 Vgl. dazu auch die Erfahrungen von Peter Frör (Interview Frör, 3), der, bevor er nach Kalifornien ging, noch während seines Lehrvikariats heiraten wollte, und sich daran erinnert, wie er einen Brief „an den Landeskirchenrat geschrieben [hat], ob es nicht vielleicht doch möglich wäre, unter den gegebenen Umständen vorher zu heiraten“. Anschaulich beschreibt Hanselmann, Lebenserinnerungen, 40, wie er auf ungewöhnliche Weise eine frühzeitige Trauungsgenehmigung 1951 / 52 erhielt entgegen der damaligen Praxis, erst nach Erreichen des 27. Lebensjahres oder nach dem Zweiten Examen heiraten zu dürfen. 205

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„Die Aufnahme [in die Anwärterliste] berührt auch Ihren sehr persönlichen Bereich, nämlich bei Verlöbnis und Eheschließung. Als Herausforderung zu einer Selbstprüfung ist es gedacht, wenn wir auch den Studenten der Anwärterliste zumuten, wozu Vikare und Pfarrer verpflichtet sind, nämlich ein beabsichtigtes Verlöbnis dem Landeskirchenrat mitzuteilen und die Eheschließung anzuzeigen. Wir erbitten folgende Unterlagen: Tauf- und Konfirmationszeugnis und einen handgeschriebenen Lebenslauf der Braut. Ferner bitten wir einen Pfarrer zu benennen, den wir um eine Referenz angehen können. Wir wünschen Ihnen, dass Sie bei der Wahl des Ehegefährten den Menschen finden, der Ihnen im persönlichen und dienstlichen Bereich ein guter Begleiter ist.“208

Diese Sätze müssen vor dem Hintergrund des bayerischen Pfarrerrechts von 1939 gesehen werden: Jeder Pfarrer hatte seine Verlobung anzuzeigen, der Landeskirchenrat konnte die Ehe aufgrund der „geistigen oder körperlichen Konstitution der Braut“ verweigern. Eine Heirat ohne Erlaubnis führte zur Entlassung des Pfarrers; eine Scheidung des Pfarrers war nicht möglich. Weiter schloss das bayerische Pfarrergesetz de facto aus, dass die Ehefrau eines Pfarrers einen Beruf ausübte. Mit dem sogenannten „Verlöbnisparagraphen“, der oben genannte Bedingungen per Gesetz regelte, folgte die bayerische Landeskirche dem Pfarrergesetz der VELKD vom 14. Juni 1963, §§ 43–47, das mehrere umstrittene Forderungen enthielt, unter anderem die Pflicht des Pfarrers, seine Frau zur Aufgabe ihres Berufs zugunsten einer Mithilfe in der Gemeinde zu bewegen, wenn es sein Beruf erforderte209. Bemerkenswert ist, dass im VELKDPfarrergesetz im Gegensatz zur vorherigen bayerischen Regelung die Berufstätigkeit einer Pfarrfrau vorausgesetzt wird. Die beiden Präzedenzfälle Die breite Diskussion um den auch vorher schon umstrittenen „Verlöbnisparagraphen“ kam durch zwei Präzedenzfälle ins Rollen: Verschiedentlich äußerten bayerische Theologiestudenten Ende der 1960er Jahre ihren Unmut darüber, die vom Landeskirchenamt geforderten Unterlagen über ihre Bräute einzureichen; es kam zum Teil zu ausführlichen Briefwechseln mit dem Landeskirchenrat. Man fühlte sich durch die Regelung bevormundet; man sah in ihr eine Vorschrift, die den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr angemessen war. Schließlich wurden zwei Theologiestudenten, die keine Unterlagen über ihre Frauen einreichen wollten, offensichtlich von der Anwärterliste für das geistliche Amt gestrichen – das war insofern heikel, weil dies in letzter Konsequenz 208 Zit. nach der Zusammenstellung des Konvents Erlangen: AG Konflikte: Verlobung (Eheschließung), in: Info-LabeT, Nr. 9 / Juni 1971, 6. 209 Vgl. Grethlein / Jotzo, Pfarrer-Dienst-Recht, 75.

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das Aus für ihre Berufsperspektive, Pfarrer der bayerischen Landeskirche zu sein, bedeuten konnte. Karl-Heinz Klose, der sich trotz dieses Risikos weigerte, den Forderungen des Landeskirchenamtes nachzukommen, begründet dies heute folgendermaßen: „Ich hätte mich damals auch furchtbar gewundert, wenn der zukünftige Arbeitgeber meiner Frau von mir einen persönlichen Lebenslauf gewollt hätte oder irgendwelche Referenzen. Und das hat natürlich bei mir und bei anderen die Frage erzeugt: Was will die Landeskirche eigentlich von unseren Ehepartnern? Wo fängt die Inanspruchnahme an, wo die Verfügungsgewalt – mit welchem Recht auch? [Wir argumentierten] gar nicht so mit der Frauenemanzipation, sondern eher von der Männerseite her: Moment, wenn die hier schon über unsere Frauen verfügen, wie sehr verfügen die dann über uns?“210

Die Arbeit der Erlanger „ AG Konflikte: Verlöbnis“ Aus Solidarität mit den Betroffenen, deren Kritik am Vorgehen des Landeskirchenrats sie teilten, und aus der Sorge heraus, möglicherweise selbst unter derartige Maßnahmen zu fallen, initiierten einige Erlanger Studierende, überwiegend verlobt oder verheiratet, im Wintersemester 1970 / 71 eine „Verlöbnis-AG“; die offizielle Konstituierung der Gruppe war im April 1971211. Ziel der Mitglieder dieser „Verlöbnis-AG“ war es, eine Änderung des bayerisches Verlöbnisparagraphen und eine Umgestaltung der entsprechenden Paragraphen des VELKD-Pfarrerrechts zu erreichen; dabei wollten sie auch andere Kritiker dieser Paragraphen unterstützen, etwa den Pfarrfrauendienst der EKD-Landeskirche Hannover. Es ging den Studierenden aber nicht nur um inhaltliche Differenzen in dieser konkreten Frage. Ausgehend von der Erkenntnis, dass hinter vordergründig rein sachlichen Problemen häufig soziologische und psychologische Motive stehen, wollten sie an diesem Punkt exemplarisch ein „Konfliktlösungsmodell“ finden, auf das bei künftigen Auseinandersetzungen zwischen Kirchenleitung und jungen Theologen zurückgegriffen werden könnte212. Der vollständige Name ihrer Arbeitsgruppe lautete daher „ AG Konflikte: Verlöbnis“. Seit der Tagung für Theologiestudierende in Josefstal im April 1971 arbeitete die Erlanger „ AG Konflikte: Verlöbnis“ im Auftrag des Landeskonvents an dem Thema213. Anscheinend war auch von Seiten des Landeskirchenrats Inter210

Interview Klose, 7. Gründungstermin nach 2. Bericht der AG Verlöbnis WS 1971 / 72 (Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3, Betreff: Bekanntmachungen über das Verlöbnis der Pfarrer und Kandidaten). 212 Vgl. Info-LabeT, Nr. 9 / Juni 1971, 6. 213 Vgl. zu der Gruppe auch Hans-Jürgen Haase: „Zwischenbericht der Arbeitsgruppe Verlöbnis“ (Info-LabeT, Nr. 11 / 27. 10. 1971, 18–20). 211

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esse an dem Engagement der Gruppe bekundet worden, war man mit der derzeitigen Regelung der „Pfarrbrautfrage“ doch offensichtlich auch in München nicht zufrieden214. Der theologische Referent Ernst Hopf stand in dieser Angelegenheit in Kontakt mit den AG-Mitgliedern215. In seinen Anregungen zur Arbeit der „ AG Konflikte: Verlöbnis“ scheint immer wieder durch, dass Ernst Hopf offensichtlich ebenfalls mit dem Vorgehen der Landeskirche in dieser Angelegenheit nicht einverstanden war. So gab er der Gruppe unter anderem den Arbeitsauftrag: „Die bisher von der Landeskirche geübte Praxis, Studenten, die sich weigern, Unterlagen über die Frau hereinzugeben, aus der Anwärterliste zu streichen, ist einer kritischen Analyse zu unterziehen.“216 Bevor es zu einem Treffen der AG-Mitglieder mit Hopf im Juli 1971 kam, hatten erstere schon einiges unternommen: Ein Fragebogen an „Ehefrauen und Bräute von Theologiestudenten“ war in Umlauf gebracht worden217. Er umfasste sechs Fragen, die jeweils im Multiple-Choice Verfahren zu beantworten waren und die das Pfarrerbild der Frauen ebenso abfragten wie die Einstellung zur Berufstätigkeit der Pfarrfrau, ihr Engagement in der Gemeinde, das Verständnis von der Rolle des evangelischen Pfarrhauses und die eigene Beurteilung des „Verlöbnisparagraphen“. Am 10. Juli 1971 trafen sich Vertreter der „ AG Konflikte: Verlöbnis“ mit Ernst Hopf in Erlangen, um das weitere Vorgehen zu besprechen: Die Studenten wollten sich weiter mit soziologischen und psychologischen Aspekten des Themas befassen, Hopf plante, einen „Fragebogen für Pfarrbräute“ zu erstellen, der die bislang einzureichenden Unterlagen ersetzen könnte218. Im Oktober 1971 gab die „ AG Konflikte: Verlöbnis“ einen ersten kurzen Bericht, den sogenannten Zwischenbericht, in dem die Ausgangssituation und das weitere Vorgehen skizziert wurden219. Wesentlich ausführlicher und umfassender geriet der ein gutes halbes Jahr später verfasste zweite Bericht der Arbeitsgemeinschaft.

214 Vgl. dazu die Bemerkung von Karl-Heinz Klose in einem Brief vom 21. 4. 1970 (LabeTUnterlagen Klose), dass auch ein Vertreter des Landeskirchenamtes gesagt habe, dass die Verordnung überholt sei. 215 Vgl. dazu den entsprechenden Briefwechsel in: Landeskirchenamt München, Az 20 / 231-3. 216 Briefentwurf von Hopf an Haase am 24. 5. 1971 (ebd.). Dass der Entwurf abgeschickt wurde, davon zeugt die entsprechende inhaltliche Bezugnahme in der Antwort Haases vom 5. 7. 1971 (ebd.). 217 Vgl. Info-LabeT, Nr. 9 / Juni 1971, 7. 218 Vgl. das Gedächtnisprotokoll Hopfs zu dem Treffen (Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3). 219 Vgl. Hans-Jürgen Haase: Zwischenbericht der Arbeitsgruppe Verlöbnis (Info-LabeT, Nr. 11 / 27. 10. 1971, 18–20).

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Der „2. Bericht der Arbeitsgruppe Verlöbnis“ Der „2. Bericht der Arbeitsgruppe Verlöbnis“ wurde als Arbeitsergebnis der Gruppe nach dem Wintersemester 1971 / 72 verfasst220. Er wurde auch an den Landeskirchenrat verschickt. Der 22 Seiten lange Bericht ist in folgende Teile gegliedert: „1. Darstellung der gegenwärtigen Situation. 2. Die ungeklärte Funktion der einzureichenden Papiere. 3. Das Pfarrfrauenbild. 4. Diskussion der Argumente von LKR und Studenten. 5. Das beiderseitige Verhältnis LKR – Studenten.“221 Im ersten Teil wird neben der bayerischen Rechtslage auch die Situation in anderen westdeutschen Landeskirchen dargestellt, über die die Studenten sich Informationen eingeholt hatten: In vier Landeskirchen gab es dem bayerischen „Verlöbnisparagraphen“ ähnliche Regelungen, in sieben Landeskirchen gab es keine diesbezüglichen Verordnungen. Im zweiten Teil des Berichts wird kritisiert, dass nicht klar sei, welche Funktion die Unterlagen, die über eine künftige Pfarrfrau eingereicht werden müssten, hätten, bzw. welche Konsequenzen der Landeskirchenrat aus den Informationen ziehen würde. Besonders wird die Auflage, einen Pfarrer angeben zu müssen, der eine Referenz über die Braut ausstellt, beanstandet; gerade diese Regelung könne „zu einer erheblichen Beeinträchtigung […] des Verhältnisses zwischen künftiger Frau des Pfarrers und LKR [führen]“222. So sei diese Vorschrift „Ausdruck hierarchischen Denkens: Wenn ein Pfarrer über seine Gemeindeglieder Auskünfte an den LKR erteilt, ohne Kontrollmöglichkeit des Betroffenen, zeugt das nicht von demokratischer Gesinnung, da die nötige Offenheit als wichtigste Voraussetzung für demokratische Praxis fehlt“223. Ihrem dritten Teil, den Ausführungen über das Pfarrfrauenbild, legt die Arbeitsgruppe die These zugrunde, dass „die verschiedenen Forderungen und Erwartungshaltungen, mit denen von Seiten der Kirchenleitung und Gemeinden der Frau eines Pfarrers begegnet wird, […] Ausdruck für die gesellschaftliche Stellung der Frau überhaupt“224 seien. Die Verfasser gehen zunächst auf die Rolle der Frau innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft ein, um, darauf aufbauend, den Beitrag, den Kirche und Theologie dabei geleistet haben, zu reflektieren. Anschließend zeigen die Verfasser ethische Kategorien zur Wertung menschlichen Verhaltens auf: Dabei kontrastieren sie Ordnungsethik mit gesellschaftsbezogener Ethik und charakterisieren letztere als „eine Forderung des christlichen Liebesgebotes“225: 220 221 222 223 224 225

2. Bericht der Arbeitsgruppe Verlöbnis (Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3). Ebd., 1. Ebd., 4. Ebd. Ebd. Ebd., 10.

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„Die Interpretation dessen, was Liebe, Verantwortung und Barmherzigkeit heute konkret heißen, kann […] nur unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Situation erfolgen. Die Liebe Gottes wird zur Richtschnur der Liebe unter den Menschen und der Liebe zwischen Mann und Frau […] Für die Ehe bedeutet das gegenseitige Teilnahme und gegenseitiges Teilhabenlassen am Leben und Handeln des Partners. […] Nur die absolute Gleichordnung von Mann und Frau entspricht […] dem Gebot Gottes in der gegenwärtigen Situation.“226

Hier zeigt sich, was auch in vorherigen Dokumenten bezüglich des „Verlöbnisparagraphen“ wiederholt anklang: Während von Seite des Landeskirchenrates angemerkt wurde, dass die Studenten auch Fragen der „Theologie der Ordnung“, „dogmatische Fragen des Kirchenbegriffes, des Gemeindeverständnisses“ erörtern sollten227, lehnten die jungen Theologen die Relevanz solcher Überlegungen für ihre Forderungen ab. Sie beriefen sich auf ein „dynamisch demokratisch ausgerichtetes Gemeindeverständnis“, das sie einem „am NT und den Bekenntnissen orientierten statischen Gemeindeverständnis als congregatio sanctorum“228 entgegengerichtet sahen. Die Forderung nach Aufhebung des Verlöbnisparagraphen war zweifelsfrei eher ein gesellschaftspolitisches als ein theologisches Anliegen der Studenten. Ausgehend von den Vorstellungen einer gleichberechtigten Ehe sahen die Verfasser des Berichts die Erwartungshaltung gegenüber einer Pfarrfrau, so, wie sie in den momentanen Regelungen der bayerischen Landeskirche und dem Dienstrechtgesetz der VELKD zum Ausdruck komme, als deren völlige Inanspruchnahme von Seiten der Kirche an: „Dieser totale Anspruch richtet sich gegen das Recht der Ehefrau, ihr Leben in eigener Verantwortung zu führen.“229 Im vierten Teil ihres Berichts stellten die jungen Theologen – jeweils mit Briefzitaten untermauert – Argumente von Landeskirchenrat und Studenten zum Verlöbnisparagraphen dar; eindeutig – und wenig verwunderlich – lag ihre Sympathie dabei auf Seiten der studentischen Position. Die nachfolgende Auflistung der Argumente der Landeskirchenleitung muss deshalb mit einer gewissen Vorsicht gelesen werden. Unter anderem wird hier angeführt, Informationen über die Pfarrfrau würden von der Kirchenleitung deshalb benötigt, um Konflikte mit der Gemeinde des zukünftigen Pfarrers zu vermeiden; nach Ansicht der Studenten sollten diesbezügliche mögliche Konflikte jedoch weder 226

Ebd., 10 f. Diese Forderungen Hopfs werden in einem studentischen Schreiben vom 5. 7. 1971 zitiert (Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3). 228 Vgl. Gedächtnisprotokoll über das Gespräch mit Vertretern der studentischen Arbeitsgruppe ‚Verlöbnis‘ und Pfarrer Hopf am 10. 7. 1971 in Erlangen (Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3). 229 2. Bericht der Arbeitsgruppe Verlöbnis (Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3). 227

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vermieden noch verschleiert werden, sondern würden vielmehr zum Wachsen und zur Mündigkeit einer Gemeinde dazugehören. Dass die angehenden jungen Eheleute gerade durch die Auflagen des „Verlöbnisparagraphen“ über die enge Verbindung von Ehe und Beruf eines Pfarrers ins Gespräch kommen sollten, sahen die Studenten als Angriff auf die Selbstständigkeit des Paares: Die Landeskirche wolle hier offensichtlich einen „erzieherischen“ Auftrag wahrnehmen. Ebenso wenig zeigten die Studenten Verständnis für eine formalrechtliche Begründung, der zufolge die Studenten den Ordnungen der Landeskirche Genüge tun müssten. Hier verwiesen die Studierenden auf den Unterschied zwischen „kirchlicher Ordnung“ und „einzelnen kirchlichen Verordnungen“, die durchaus kritikwürdig seien. Die kirchlichen Verordnungen aber müssten den vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen angepasst werden: „Ordnung ist […] nicht als Selbstzweck oder gottgewollt zu begreifen, sondern sie ist Eingeständnis des In-der-Welt-Seins von Kirche.“230 Ein letzter Teil des Berichts ist der Analyse und Exegese des Verhältnisses zwischen Landeskirchenrat und Theologiestudenten gewidmet. Hier wird zunächst der „relativ scharfe Ton“231 festgestellt, in dem die Briefe der Studenten an das Landeskirchenamt gehalten sind, und mit einer allgemeinen Unsicherheit der jungen Theologen gegenüber der Kirchenleitung erklärt; diese bemühe sich nicht, „die Voraussetzungen für die Unsicherheit der Studenten ihm [dem Landeskirchenamt] gegenüber abzubauen“, sondern werte sie vielmehr „als Ausdruck einer grundsätzlich destruktiven Haltung der Kirche gegenüber“232. An dieser Stelle wird aus einem Brief des Landeskirchenamtes an einen Theologiestudenten folgende Passage zitiert: „Wir können keine Pfarrer oder Vikare in den Dienst der Landeskirche übernehmen, die nach Gutdünken oder vielleicht aus einer revolutionären Gesinnung heraus Ordnungen, die sich unsere Landeskirche selber gegeben hat, ablehnen oder umdeuten. Wenn heute gegen die Bekanntmachung über das Verlöbnis Sturm gelaufen wird, welche Bekanntmachungen und Gesetze sind dann morgen das Ziel des Angriffs?“233

Nach Ansicht der Studierenden wäre es gerade richtig, wenn sich Anwärter auf das geistliche Amt schon in ihrer Ausbildungszeit mit der „verfassten und verwalteten Kirche“234 auseinandersetzten und sich in ihrer kritischen Annahme und Mitgestaltung übten. 230

Ebd., 16. Ebd., 18. 232 Ebd., 19. 233 Ebd. Hier wird aus einem Brief des Landeskirchenrates an einen Theologiestudenten vom 10. 11. 1970 zitiert. 234 Ebd., 21. 231

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Der Bericht endet mit einer kurzen Darstellung des Modellcharakters der Verlöbnis- AG für künftige Konflikte: Gerade die rege „Kommunikation zwischen den Konfliktgegnern“235 habe dazu beigetragen, dass „Vorurteile durch die Wirklichkeit korrigiert werden können“236. Wie wichtig es den Studenten war, mit der Auseinandersetzung um den „Verlöbnisparagraphen“ für eine Enthierarchisierung und Demokratisierung kirchlicher Strukturen einzutreten, zeigt die Bemerkung: „Voraussetzung für den kritischen Dialog war nicht mehr die Unterwerfung unter eine bestehende Ordnung, d. h. das Akzeptieren der Bedingungen des Gegners. Dies bewirkt, daß beide Seiten ein gleichstarkes Interesse am Fortbestehen der Dialoge behalten. Für jeden besteht so ein gewisser Zwang, den anderen durch Argumente zu überzeugen.“237 Durch die Solidarisierung vieler Studierender mit den beiden „Präzedenzfällen“ könnten diese nicht als isolierte Einzelfälle behandelt werden: „Der LKR war genötigt, ein Gespräch anzubieten, das als Ziel eine Änderung der bestehenden Praxis hatte.“238 Die „ AG Konflikte: Verlöbnis“ schließt ihre Darstellung mit den Worten: „Der gegebene Konflikt wurde als Teil eines größeren Lernprozesses verstanden. Es ist wichtig, einen Konflikt als Konflikt aufzufassen und als solchen zu lösen. Dies verhindert die Verschleierung vorhandener Gegensätze und Unstimmigkeiten durch ein falsches Harmoniemodell, das als Ergebnis eine Perpetuierung des Status quo hätte. Konflikte müssen von daher grundsätzlich positiv gewertet werden als Anzeichen von Lernprozessen und Veränderungen sowie als Anlaß zu notwendigen Umstrukturierungen. Erfolgreich ausgetragene Konflikte sind wirksam gegen Abstumpfung und Gewöhnung an unbefriedigende Zustände.“239

Die Freizeit in Unterammergau vom 15. bis 19. Juli 1972 Im Juni 1972 informierte der Landeskirchenrat die Studierenden darüber, dass es ihnen bis zum Bekanntwerden einer Neuregelung freigestellt wäre, ob sie den Forderungen des „Verlöbnisparagraphen“ nachkommen wollten oder nicht240. Einen Monat später, vom 15. bis 19. Juli 1972, fand eine Konventsfreizeit zum Thema „Pfarrfrauenbild“ in Unterammergau statt. Zu dieser Freizeit, die vom Landeskirchenamt unterstützt wurde, waren zukünftige Pfarrfrauen ebenso eingeladen wie Ernst Hopf. Diskutiert wurden erneut die verschiedenen Facetten des „Pfarrbraut“-Themas, unter anderem, welche Auswirkungen es habe, wenn die Frau eines Pfarrers einer anderen Konfession oder Religion angehöre, 235 236 237 238 239 240

Ebd. Ebd. Ebd., 22. Ebd. Ebd. Vgl. Info-LabeT, Nr. 16 / 1. 10. 1972, 10.

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wenn sie einen Beruf ausüben wolle oder inwieweit die berufliche Tätigkeit des Pfarrers zugunsten seiner berufstätigen Frau eingeschränkt werden könne241. Hopf vermerkte nach der Tagung in seinen Unterlagen: „Von studentischer Seite waren, soweit ich es beurteilen kann, vor allem die als progressiv und extrem kritisch eingestellten Theologiestudenten mit ihren Frauen bzw. Bräuten anwesend. Ein besonderes Charakteristikum der Freizeit war, dass die Theologiestudenten auf die Argumente, die ich vortrug, nicht einzugehen bereit waren, daß es vielleicht auch umgekehrt nicht gelang, die Argumente der Studenten mit dem gebührenden Gewicht ernst zu nehmen. So wurde viel aneinander vorbeigeredet, was eine beiderseitige Frustration zur Folge hatte.“242

Auch die anwesenden Frauen schienen nicht uneingeschränkt von dem Gesprächsklima auf der Freizeit angetan zu sein, vor allem, was das Thema Pfarrfrau betraf; hier hatten offensichtlich einige junge Frauen das Gefühl, in eine Ecke gedrängt zu werden, die ihrem Selbstverständnis als (künftige) Ehefrauen und Mütter wenig entsprach243. Dem Landeskonvent war diese Auffassung von der Rolle der Frau offensichtlich weniger wichtig; hinter seinen Forderungen stand die Vorstellung eines beruflich gleichberechtigten Miteinanders des Pfarrers und seiner Partnerin. Diese Anliegen brachte die Verlöbnis-AG nach der Freizeit als förmliche Eingabe vor den Landeskirchenrat; die sogenannten „Unterammergauer Beschlüsse“ lauteten: „1. Die Bediensteten der Landeskirche (Pfarrer usw.) haben dem Landeskirchenamt eine Eheschließung mitzuteilen, solange das Pfarrergesetz darüber noch eine Regelung enthält. Die Unterlagen zur Eheschließung (ein Fragebogen, Heiratsurkunde) sind erst nach der Eheschließung dem LKA einzureichen. 2. Mitarbeit in der Gemeinde steht im freien Ermessen der Pfarrfrau. Sie ist nicht verpflichtet, Fragen des LKA zu diesem Thema zu beantworten. 3. Wenn die Ehefrau des Pfarrers nicht einer evangelischen Kirche angehört, dürfen dem Pfarrer daraus keine dienstrechtlichen Konsequenzen entstehen. Maßnahmen, die im beiderseitigen Einverständnis des Pfarrers und des LKA getroffen werden, bleiben davon unberührt. 4. Die Punkte 1–3 gelten sinngemäß für Pfarrvikarinnen.“244

241 Siehe den Artikel von Johannes Arendt: Halbzeitpfarrer und Freizeitdiskussion. Unterammergau 1972 (Info-LabeT, Nr. 16 / 1. 10. 1972, 10 f.). 242 Aktenvermerk von Ernst Hopf zur Konventsfreizeit (Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3). 243 Vgl. dazu Info-LabeT, Nr. 17 / 15. 11. 1972, 5 und 8. 244 Zit. nach dem Schreiben der LabeT-Landessprecher Helmut Edelmann und Helmut Utzschneider an das Landeskirchenamt / OKR Dr. Siegfried Wolf vom 13. 11. 1972 (Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3).

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Mit dieser Eingabe hatte der LabeT sozusagen den ersten Schritt des mit Pfarrer Hopf vereinbarten weiteren „Fahrplans“ in Sachen Verlöbnisparagraph erfüllt. Als zweiter Schritt war eine offizielle Verhandlungsrunde im Herbst 1972 mit allen Beteiligten vorgesehen245. „Erfolg“ mit schalem Beigeschmack: Die Neuregelung vom Oktober 1972 Doch zu diesem runden Tisch kam es nicht mehr: Am 10. Oktober 1972 beschloss die Vollsitzung des Landeskirchenrats die neue Bekanntmachung über das Verlöbnis von Pfarrern, Pfarrverwaltern, (Pfarr-)Vikaren und Kandidaten sowie einen Fragebogen246: Pfarrer – ebenso Pfarrverwalter, (Pfarr-)Vikarinnen und Predigt- sowie Pfarramtskandidaten – waren nun verpflichtet, eine beabsichtigte Heirat weiterhin anzuzeigen; anstelle der verschiedenen Unterlagen musste die zukünftige Braut nun lediglich einen knappen Fragebogen ausfüllen247. Ein Gespräch des Paares mit einem Dekan, Kreisdekan oder Referenten des Landeskirchenamtes wurde angeboten. Was die Theologiestudenten betraf, war erwünscht, aber nicht mehr vorgeschrieben, dass diese ihr Verlöbnis oder ihre Heirat anzeigten: „Studenten der Theologie und angehende Pfarrverwalter sind gebeten, wie die im Dienst der Landeskirche Stehenden zu verfahren. Die genannten Unterlagen (ausgefüllter Fragebogen, Heiratsurkunde und Bestätigung der kirchlichen Trauung) müssen spätestens mit der Meldung zur theologischen Aufnahmeprüfung eingereicht werden.“248 Die Neuregelung erfüllte damit inhaltlich wesentliche Forderungen der Teilnehmer der Konventsfreizeit Unterammergau. Dennoch waren die Studierenden vom Vorgehen des Landeskirchenrats enttäuscht: Weder die Verlöbnis-AG noch der LabeT waren im Vorfeld über den Erlass der Neuregelung informiert worden; die Bekanntmachung war allen bayerischen Theologiestudierenden am 2. November 1972 kommentarlos zugesandt worden249. Die jungen Theologen fühlten sich nun als Diskussionspartner nicht ernstgenommen; ihre Hoffnung, durch Diskussionen und gegenseitigen Meinungsaustausch ein neues, ein ihrer Ansicht nach demokratischeres Lösungsmodell für Auseinandersetzungen zwischen Landeskirche und Studierenden zu finden, sahen sie als gescheitert an. 245 Vgl. dazu Karl Eberhard Sperl: Sinnvolle Konfliktlösung? (Info-LabeT, Nr. 17 / November 1972, 4 und 13). 246 Vgl. KAB1, 250; Überarbeitung 19. 12. 1973. 247 Der Fragebogen umfasste einen ersten, rein statistischen Teil (Name, Konfession, Berufsausbildung der Frau) und einen zweiten, freiwillig auszufüllenden Teil mit Angaben zur eventuellen Mitarbeit in der Gemeinde sowie besonderen Neigungen und Begabungen (Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3). 248 Vgl. dazu die Unterlagen ebd. 249 Vgl. ebd.

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In seinem Artikel „Sinnvolle Konfliktlösung?“250 zieht Karl Eberhard Sperl in einem Artikel im Info-LabeT vom November 1972 das Resümee: „Für die in dieser Sache Engagierten stellt sich nun die Frage, wozu der Aufwand an Zeit und Kraft, wenn sich alles nun in einer solch geräuschlosen Formalität regeln lässt, wenn von den Argumenten, die man zu entkräften sich bemühte, nun auf einmal nichts mehr zu vernehmen ist? Ist unsere Kirchenleitung eben doch nur eine Behörde, die auf entsprechenden Druck hin reagiert und sonst eben alles beim Alten lässt?“251

Ähnlich klingt es auch in dem Schreiben Helmut Utzschneiders und Helmut Edelmanns vom 13. November 1972 an Oberkirchenrat Wolf, aus dem bereits eingangs zu diesem Kapitel zitiert wurde: „Wir mußten davon ausgehen, daß der Meinungsbildungsprozess auf seiten der im Konvent zusammengeschlossenen Studenten wie auf Ihrer, des Gesprächspartners, Seite keineswegs abgeschlossen und die Zeit für Beschlüsse reif war. […] Um so mehr befremdete uns der Beschluß des LKR. In unseren Augen wurde damit einseitig und überdies per Verwaltungsakt das Gespräch abgebrochen, ohne daß die beteiligten Studenten informiert, geschweige denn zu Rate gezogen wurden.“252

Wolf gab in seiner Antwort zu bedenken, dass die Kommunikation in dieser Angelegenheit „in einer bisher noch nie dagewesenen Intensität durchgeführt wurde. Festzustellen ist auch, daß die Arbeitsgruppe Verlöbnis entscheidende Vorarbeiten für die neue Bekanntmachung leistete. Nach der Freizeit in Unterammergau schien uns die Zeit für Entscheidungen reif.“253 Außerdem verwies Wolf darauf, dass der Landeskirchenrat mit der Verabschiedung der neuen Bekanntmachung des Verlöbnisparagraphen, die nicht nur die Theologiestudenten betreffe, lediglich die ihm übertragene Aufgabe wahrgenommen habe. Dass das veranschlagte Gespräch erneut dem Verlöbnisparagraphen gelten sollte, sei zudem nicht klar ersichtlich gewesen. Wolf beendete seinen Brief mit den Worten: „Wir wünschen uns für die Zukunft eine bessere Zusammenarbeit mit den Landessprechern“. Die weitere Entwicklung Dass mit der Neuregelung des Verlöbnisparagraphen die Diskussion um das Pfarrfrauenbild noch lange nicht zu Ende war, passt zu dem immer wieder von Studierenden vorgebrachtem Argument, bei diesem Problem gehe es um mehr 250 251 252 253

Karl Eberhard Sperl: Sinnvolle Konfliktlösung? (Info-LabeT, Nr. 17 / 15. 11. 1972, 4 und 13). Ebd., 13. Landeskirchenamt München, Az 20 / 23-1-3. Schreiben von Wolf an die Landessprecher vom 30. 11. 1972 (ebd.).

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als nur um formale Lösungen254. Als daher für das erste Kontaktgespräch nach Bekanntgabe des neuen Gesetzes die Vertreter des Landeskirchenrats unter anderem das Thema „Bekanntmachung über das Verlöbnis“ vorschlugen, reagierten die Vertreter der Einzelkonvente bei einem Zwischentreffen im November 1972 in München verstimmt: „Den Anwesenden war nicht klar, was beim Kontaktgespräch in Bezug auf die Verlöbnisfrage verhandelt werden soll. Will der LKR mit der „Änderung“ des Verlöbnisparagraphen – Einführung eines Fragebogens – den Grundsatzfragen (Stand der Frau in unserer Gesellschaft, Pfarrfrauenbild, Amtsverständnis usw.) aus dem Weg gehen?“255

Bei der 7. Delegiertenversammlung im Dezember 1972 wurde per Beschluss die AG-Verlöbnis gebeten, „die Frage ‚Verlöbnis‘ der AG […] in ihre übergreifende Problematik (Pfarrfrauenbild, Pfarrerin, Frau in der Kirche und Gesellschaft) hinein weiter zu verfolgen“256. Dazu sollten die Beauftragten das Ausbildungsreferat zu eindeutigen Stellungnahmen bewegen, auch außerhalb Bayerns Kontakt mit anderen in diesen Fragen Engagierten suchen, Stellungnahmen von Pfarrvikarinnen und Pfarrfrauen einholen und sich noch einmal mit dem Landeskirchenrat über das bezüglich des Verlöbnisparagraphen versuchte Konfliktlösungsmodell auseinandersetzen. In den darauffolgenden Jahren flammte die Diskussion um die „Pfarrbrautfrage“ immer wieder auf, vor allem, was die konfessionsverschiedene Partnerin bzw. mittlerweile auch den konfessionsverschiedenen Partner einer Pfarrerin betraf257. Das Thema blieb auf der Tagesordnung des LabeT und war weiterhin Gegenstand von Kontaktgesprächen mit dem Landeskirchenamt258. Auch in einer Fragebogenaktion des LabeT 1976 wurde die konfessionsverschiedene Beziehung thematisiert; etwa ein Viertel der bayerischen Theologiestudierenden nahm an der Aktion teil259. Ein Großteil, 84 Prozent, bejahte die „katholische Pfarrfrau“. Bei 15 Prozent der Studierenden waren die Partner ka254 Dies ist auch bei den Briefwechseln anderer Studierender mit dem Landeskirchenamt zu beobachten. Vgl. dazu Info-LabeT, Nr. 10 / 15. 7. 1971, 6. 255 Protokoll vom Zwischentreffen der bayr. Einzelkonvente am 1. 11. 1972 in München (InfoLabeT, Nr. 17 / 15. 11. 1972, 6–8, hier: 7). 256 Info-LabeT, Nr. 18 / 5. 2. 1973, 16. 257 Bei der Frage der konfessionsverschiedenen Ehen von Geistlichen muss bedacht werden, dass erst im März 1966 von katholischer Seite aus im sogenannten „Mischehe-Dekret“ Regelungen wie die Exkommunikation der Katholiken, die ihre Ehe evangelisch trauen ließen oder die Verpflichtung des Katholiken zur Bekehrung seines nichtkatholischen Partners gestrichen worden waren. 258 Vgl. etwa Info-LabeT, Nr. 13 / 31. 1. 1972, 7: Bericht über das Kontaktgespräch des LabeTEinzelkonvents München mit Siegfried Wolf und Ernst Hopf am 19. 1. 1972. 259 Die Umfrageergebnisse sind abgedruckt in Info-LabeT, Nr. 30 / Weihnachten 1976, 3–5.

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tholisch, insgesamt 20 Prozent der Partner bayerischer Theologiestudierender waren nicht evangelisch und zwei Drittel von ihnen wollten auch dem Partner zuliebe nicht konvertieren. Auch wollten 48 Prozent der Partner nicht in der Gemeinde mitarbeiten – neben 24 Prozent der in dieser Frage Unentschlossenen waren es damit nur 28 Prozent, die sich im künftigen Betätigungsfeld ihres Partners engagieren wollten. Der Kommentator der Umfrage-Ergebnisse, Andreas Ebert, sah die konfessionsverschiedene Pfarrer-Ehe als ideales Modell für die in der Bevölkerung viel diskutierte Mischehe; sie diene der Ökumene, der eine zwanghafte Konversion des konfessionsverschiedenen Partners nur schaden könne; der Glaube eines Menschen lasse sich zudem nicht durch juristische Instanzen feststellen. „Deshalb ist das LKA nicht das geeignete Organ, die Wahl des Ehepartners zu beeinflussen bzw. die Ordination von überholten konfessionellen Vorstellungen abhängig zu machen. Die Studenten sollten sich ernsthaft klarmachen, was eine nichtgläubige oder konfessionsverschiedene Partnerin (Partner) bedeuten. Die Entscheidung muss der Einzelne in Absprache mit seinem Partner und evtl. mit einem erfahrenen Seelsorger treffen. Die Entscheidung kann aber nicht vom LKA für die Betroffenen zwangsweise getroffen werden. Das aber geschieht, solange Vikare und Vikarinnen mit einem konfessionsverschiedenen Partner nicht ordiniert werden.“260

Auch heute kann der Landeskirchenrat Bedenken gegen eine Eheschließung anführen. Dies kann zu Sonderregelungen für den Dienst des betroffenen Geistlichen führen, die unter Berücksichtigung der Gemeindesituation in beiderseitigem Einverständnis getroffen werden sollten. Werden derartige Regelungen nicht akzeptiert, kann es zu einer Zwangsversetzung des Pfarrers kommen, im äußersten Fall zu einer Versetzung in den Wartestand261. Exemplarisch: Die VBV und die „Ordinationsverweigerung“ „Wir fragen, ob trotz zahlreicher Erläuterungen durch die Arbeitsgruppe ‚Amt und Gemeinde‘ Kirchenleitung und Landesbischof immer noch nicht zur Kenntnis genommen haben, daß es dieser Gruppe nie um eine ‚Abschaffung der Ordination‘ ging, sondern um eine Änderung bzw. Abschaffung der gegenwärtigen Ordinationspraxis.“262 260

Ebd., 4. Vgl. Grethlein / Jotzo, Pfarrer-Dienst-Recht, 75. Vgl. § 53 PfG (RS 500). 262 Offener Brief zum Bericht des Landesbischofs bei der Frühjahrstagung der Synode 1971 in Schweinfurt (VBV-Ordner Frör); Korrespondenzblatt 86 (1971), Nr. 7 (August), 81. Vorausgegangen waren die kritischen Bemerkungen Dietzfelbingers über die Vikare und die Aktionen der sogenannten „Ordinationsverweigerer“ in dem genannten Bericht (Dietzfelbinger, Fünf Jahre, 18–20). 261

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Das in diesem offenen Brief der VBV vom Frühjahr 1971 an Landesbischof Hermann Dietzfelbinger benannte Problem war das große Missverständnis, das die Aktionen der in der „Arbeitsgruppe Ordination“ (später AG „Amt und Gemeinde“ der VBV) engagierten bayerischen Vikare begleitete: Zum einen wollten die Vikare durch die Diskussion über die Ordination Anstöße für eine neue Streitkultur geben: Sie wollten sich auf gleicher Augenhöhe mit Vertretern der Kirchenleitung, Synodalen und älteren Geistlichen theologisch über das Wesen der Ordination austauschen und entsprechende Änderungen der vorherrschenden Praxis anstoßen. Zum anderen ging es den Vikaren inhaltlich um ein demokratischeres Gemeindeverständnis: Die Partizipation der Kirchenmitglieder kam ihrer Ansicht nach bei der vorherrschenden Ordinationspraxis zu kurz, die Gefahr, dass die Pfarrer als ein besonderer Stand unter den Getauften erschienen, war ihres Erachtens nach groß. Dazu kam, dass in der vorherrschenden Ausbildungssituation Status und Beauftragung der damaligen Vikare ungeklärt und auch für die Gemeinden verwirrend waren. Wie verschiedene Stellungnahmen von Vertretern der Kirchenleitung und auch von Gemeinden zeigen, stießen die von den Vikaren vertretenen Inhalte durchaus auf offene Ohren; das Thema Amt und Ordination stand gerade Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre vor allem durch die Diskussionen um die Frauenordination wiederholt auf der Tagesordnung landeskirchlicher Gremien. Ihre Wortwahl jedoch und die Form ihrer Verlautbarungen machten die jungen Theologen zu den die kirchliche Öffentlichkeit spaltenden „Ordinationsverweigerern“; ihre in den Augen vieler263 berechtigten Kritikpunkte standen mehr und mehr im Schatten ihrer Charakterisierung als destruktive junge Männer. Den folgenden Ausführungen sei vorausgeschickt, dass die Ausbildungspraxis der bayerischen Vikare Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre im Umbruch war: Aus dem neun Monate langen „Trockenschwimmkurs“264 im Predigerseminar ohne Praxis in einer Gemeinde war ein sogenanntes „Lehrvikariat“ von 15 Monaten Dauer geworden, in denen sich die Kurse im Predigerseminar mit praktischer Betätigung in der Gemeinde bei einem Lehrpfarrer abwechselten. Daran anschließend folgte eine zwei bis drei Jahre lange Vikarsbzw. Hilfspredigerzeit (auch Gemeindevikariat genannt), die mit dem Zweiten 263 Auch der AEE beispielsweise setzte sich intensiv mit dem Themenkomplex „Amt und Ordination“ auseinander; vgl. z. B. den Bericht über die Arbeit der AEE-Regionalgruppe Hof (B+K, Nr. 3 / 1. 8. 1969, 6 f.). 264 Reinhard Biller: Unpersönlicher Dienstleistungsbetrieb – oder neue Wege der Gemeindearbeit? Reform der Pfarrerausbildung am Scheideweg, in: B+K, Nr. 16 / 15. 5. 1973, 7 f., hier: 7.

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Examen endete. Während dieser Jahre wurde der Vikar ordiniert; unabhängig davon wurde er aber mancherorts schon lange vor der Ordination mit der Sakramentsverwaltung beauftragt, wodurch die Ordination in gewisser Weise wieder obsolet wurde. Ein Vikar konnte sich erst nach der Ordination und nach bestandener Anstellungsprüfung auf eine Pfarrstelle bewerben und dort installiert werden. Die Ordination war damit von der Installation in eine Gemeinde losgelöst; zudem wurde sie ohne direkte Beteiligung von Nichttheologen vollzogen. Langfristiges, letztlich auch erreichtes Ziel der VBV-Vertreter war es bei den Diskussionen um die zweite Ausbildungsphase, dass diese mit Abschluss eines – freilich veränderten – Lehrvikariats endete und danach eine Anstellung als Pfarrer z. A., in der Regel verbunden mit der Ordination in der jeweiligen Gemeinde bzw. der Übertragung eines anderen Dienstes, folgte265. Anstöße und Anfänge der Diskussion Erstmals einer breiteren, wenn auch noch weitgehend innerkirchlichen Öffentlichkeit bekannt wurden die Gedanken der bayerischen Vikare zur Ordination im August 1968: Einige Vikare der Predigerseminare Bayreuth und Nürnberg verfassten gemeinsam mit Erlanger Theologiestudenten einen Artikel mit dem Titel „Junge Theologen verweigern die Ordination“, der im Korrespondenzblatt veröffentlicht wurde266. Die Autorengruppe berichtete in ihrem Beitrag über Genfer Vikare, die sich zu einer Reformgruppe zusammengeschlossen und 1967 eine Erklärung zur Ordination verfasst hatten, die auf folgendem Grundsatz aufbaute: „In der Taufe und der Konfirmation […] wird jeder Christ ordiniert. Er wird Diener (Amtsträger) Jesu Christi.“267 Von dieser dezidierten Berufung auf Jesus ausgehend, betonten die jungen Schweizer Theologen den enormen Facettenreichtum des Priesteramts aller Gläubigen und sahen in dem Dienst der herkömmlichen kirchlichen Amtsträger keine besondere Qualität. Sie zogen den Schluss, dass einerseits das Betätigungsfeld für Geistliche breiter werden müsse, man aus dem einen Pfarramt mehrere Ämter machen sollte, in denen die Geistlichen ihren „persönlichen Fähigkeiten und den Grundlagen der heutigen Gesellschaft entsprechend Jesus Christus gemeinsam […] dienen“268 265 1976 wurde ein Vorbereitungsdienst von zwei Jahren festgelegt, der die theologische Anstellungsprüfung einschloss; dieses Lehrvikariat wurde in Predigerseminar und Gemeinde absolviert. Nach dem Vikariat und bestandener Prüfung begann für die Pfarramtskandidaten der Probedienst; die Pfarramtskandidaten wurden auf eigenen Antrag hin ordiniert. 266 Hilbig, Christian (in Auftrag): Junge Theologen verweigern die Ordination. Genfer Kirchenleitung verhält sich abwartend (Korrespondenzblatt 83 (1968), Nr. 8 (August), 2 f.). 267 Zit. nach ebd., 2. 268 Zit. nach ebd.

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könnten. Andererseits, so die Vikare, müsse die Kirche von der Ausschließlichkeit des – den ihrer Ansicht nach vorfindlichen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr angemessenen – Parochialsystems Abschied nehmen. Seit der Verabschiedung dieser Erklärung hatten 22 Genfer Theologen die Ordination verweigert. Zwei Drittel von ihnen standen mittlerweile dennoch im Dienst der Genfer Kirche: Sie hatten keine Pfarramtsführung inne und erhielten weniger Lohn als die ordinierten Kollegen. Andere unterrichteten an Schulen oder betätigten sich in der theologischen Studienarbeit. Der größte Widerstand gegen die von den Vikaren vertretene Ordinationsauffassung kam dem Bericht zufolge nicht von Seiten der Kirchenleitung, sondern aus den Kerngemeinden. Wie der genannte Artikel der jungen bayerischen Theologen deutlich zeigt, hatten seine Verfasser die Ereignisse in Genf mit großer Sympathie für die dortigen „Ordinationsverweigerer“ verfolgt. So schloss die Autorengruppe ihre Berichterstattung mit den Worten: „Wir meinen, daß dieser Schritt der Genfer Theologen uns herausfordert, unser Verständnis von Amt und Gemeinde zu durchdenken. Es besteht kein Zweifel, daß manche dieser Forderungen genuin biblisch-reformatorische Gedanken enthalten. Es wäre unserer Meinung nach an der Zeit, daß auch in unserer Landeskirche ein Gespräch über das Verständnis von Amt und Ordination in ihrem Bezug zur Struktur der Gemeinde in Gang kommt.“269

Das hier anvisierte Gespräch führten die Vikare zunächst weitgehend untereinander: Sie gründeten eine „Arbeitsgruppe Ordination“, in der sie über mögliche neue Wege in der Ordinationspraxis diskutierten und erste Papiere zu der Thematik erstellten. Die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentierten sie der Öffentlichkeit im Frühjahr 1969 mit ihrer „Resolution zur Frage der Ordination“. Die „Resolution zur Frage der Ordination“ vom 9. Januar 1969 Im März 1969 wurde im Korrespondenzblatt die am 9. Januar 1969 in Tutzing verfasste „Resolution zur Frage der Ordination“ veröffentlicht, die 58 Personen unterzeichnet hatten270. In ihrer Verlautbarung führten die Vikare die „passive Erwartungshaltung weiter Teile der Gemeinde“ in nicht geringem Maße auf die herausragende Stellung des Pfarrers zurück, in dem „eine Fülle unterschied269

Ebd., 3. Hermann von Lips, Otfried Arndt: Resolution zur Frage der Ordination (Korrespondenzblatt 84 (1969), Nr. 3 (März), 33 f.). Die Resolution war am 14. 2. 1969 an den Landeskirchenrat geschickt worden zusammen mit der Liste der 58 Unterzeichner, von denen einer mit dem Zusatz „mit Vorbehalt“ unterschrieben hatte. Enthalten in: Landeskirchenamt München, Az 20 / 3-6-2, Band I (1964–1974). 270

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licher und gegensätzlicher Aufgaben […] massiert“ sei. Dadurch werde der Gemeinde die Verantwortung entzogen, sie werde entmündigt: „Der Gegensatz zum ursprünglich reformatorischen Ansatz des ‚Priestertums aller Gläubigen‘ ist offenkundig. Vorschub für diese Entwicklung hat u. a. die Ordination geleistet, insofern durch die Ordination das Mißverständnis erzeugt wird, die Aufgabe der Gemeindeleitung oder der Verkündigung liege auf einer qualitativ anderen Ebene als die übrigen vielfältigen Dienste in der Gemeinde. Eine unnatürliche und dem Gemeindeleben oft sogar schädliche Überordnung des ‚Geistlichen‘ über die Gemeinde ist die Folge.“271

Die Diagnose war damit gestellt, und die Vikare zogen ihre Konsequenzen: „Die vorherrschende Konzeption des Gemeindelebens nach dem Bild ‚Hirte-Herde‘ bedarf dringend einer Ergänzung und Korrektur durch andere neutestamentliche Modelle, die die Gemeinde als lebendigen Organismus oder als Bau sehen, in dem jedem Element eine lebenswichtige Funktion wesensmäßig zukommt. Eine Neuordnung der Gemeinde ist von daher geboten. Geistliches Amt und Ordination beeinträchtigen eine bestmögliche Verwirklichung des Auftrages, der jedem durch die Taufe gegeben ist, zu sehr, als daß die gegenwärtige Praxis bedenkenlos weitergeführt werden könnte.“

Die Veröffentlichung der Resolution gab zunächst den Anstoß für ein generationenübergreifendes Gespräch innerhalb der bayerischen Pfarrerschaft über die damalige Ordinationspraxis. Einige Vikare versuchten, gerade älteren Pfarrern ihre Ansichten nahe zu bringen bzw. mit ihnen persönlich ins Gespräch zu kommen, etwa, indem sie Pfarrkonvente besuchten und dort Referate zum Thema Amt und Ordination hielten272. Allerdings schien auch im Blick auf die Fragen von Amt und Ordination wieder eine erhebliche Rolle zu spielen, ob ein Pfarrer die NS-Zeit miterlebt hatte oder nicht und inwieweit er eine Nivellierung bis hin zu einem politischen Missbrauch des kirchlichen Amtes fürchtete. Dies zeigte sich exemplarisch in dem Leserbrief des pensionierten Pfarrers Dr. Hans Ammon, abgedruckt im Mai 1969 im Korrespondenzblatt. Hier kommt weniger ein grundsätzlicher theologischer Dissens zum Ausdruck, vielmehr wird indirekt Kritik an den vom gesellschaftlichen Zeitgeist geprägten 271

Ebd. So etwa der Vikar Hermann von Lips mit seinem Referat auf dem Bamberger Pfarrkonvent in Marktheidenfeld am 22. 4. 1969. Eine überarbeitete und erweiterte Fassung dieses Referats mit dem Titel „Ordination heute“ ist erhalten in: VBV-Ordner Frör. Auch Günter Kohler, damals Vikar in Bad Tölz, hielt im April 1971 ein Referat zum Thema „Amt und Gemeinde“ auf der Pfarrkonferenz seines Pfarrkapitels; vgl. sein Schreiben an den Vorstand des Pfarrervereins vom 15. 4. 1971 (VBV-Ordner Frör). 272

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Forderungen der Vikare laut, zu denen der von diesen intendierte demokratischere Aufbau der Gemeinde zählte. In seinem Brief betont Ammon, dass die Ordination die alleinige Bezogenheit des Ordinanden auf Gott symbolisiere, unabhängig von den sich wandelnden Zeiten, Politik- und Gesellschaftsformen273. Wieder wird eine direkte Parallele zu den Jahren des Kirchenkampfes gezogen: So hofft Ammon für den „zweifelnde[n], suchende[n], wankende[n], ablehnende[n], fragende[n], aber ehrliche[n] candidatus muneris“274, dass sich vielleicht „nach seinem Studium die Möglichkeit eines gehaltreichen Gespräches wie einst bei uns im schweren weltanschaulichen und politischen Ringen der 20er, 30er und 40er Jahre“ ergeben möge. Die abschließenden Worte Ammons zeigen deutlich den hohen Stellenwert, den der Geistliche dem Erfahrungsschatz seiner Generation bezüglich aktueller kirchlicher Anliegen wie in diesem Fall der Diskussion um die damalige Ordinationspraxis beimisst: „Wir veterani evangelii haben nicht nur Rosen und Kohl und anderes geliebtes Zeug für die häusliche Küche – weitab vom grünen Markt der Städte – gezogen und gezüchtet und aus Freude an unseren Kindern ihnen ein paar Verschen ins Album und Erinnerungsbüchlein gesetzt, sondern wir haben wesentlich gearbeitet am Evangelium, für das Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes. Dazu waren wir ordiniert und nicht für andere Aufgaben, selbstgewählt, aufgeprägt von fremden Personen und Geistesmächten. Das sollten wir nicht vergessen oder gar mißachten!“275

Erarbeitung einer „positiven Zielvorstellung“ Parallel zu ihrem Schritt in die Öffentlichkeit feilte die „Arbeitsgruppe Ordination“ weiterhin in internen Diskussionen an ihrer Position; die Anregungen und Reaktionen von außen wurden dabei aufgegriffen und sollten zur Profilierung des Vorgehens der Gruppe beitragen. Vor allem wollten die Vikare daran arbeiten, der Öffentlichkeit den konstruktiven Aspekt ihres Handelns deutlicher zu vermitteln. So ist im Protokoll einer Arbeitstagung der AG am 9. April 1969 zu lesen276: „Einigkeit besteht sogleich darin, daß dem bisher bloß negativen Ansatz ein positiver Ansatz gegenübergestellt werden muß. Die negative Zielvorstellung ‚Verweigerung der Ordination‘ genügt nicht, da dies spektakulär missverstanden werden kann. Notwendig ist eine positive Zielvorstellung.“ An einer solchen „positiven Zielvorstellung“, die auch eine Solidarisierung der bereits Ordinierten mit der Arbeitsgruppe hervorrufen sollte, wurde auf der 273 Hans Ammon: Leserbrief zur Resolution Arndt / von Lips (Korrespondenzblatt 84 (1969), Nr. 5 (Mai), 58 f.). 274 Ebd., 59. 275 Ebd. 276 Protokoll der Arbeitstagung „Ordination“ vom 9. 4. 1969 (VBV-Ordner Frör). An der Tagung nahmen insgesamt 14 Personen teil. Aus dem Protokoll auch nachfolgende Zitate.

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genannten Tagung gearbeitet. Als Ausgangspunkt für ihre Überlegungen zur Ordination wählten die Vikare die Perspektive „von der Gemeinde her“. Diese Blickrichtung, so die Gruppe, sei sinnvoller und umfassender als die weiteren zur Wahl stehenden Perspektiven „vom Amt her“, „vom Beruf des Pfarrers her“ oder „vom Auftrag der Kirche in der Welt her“. „Von der Gemeinde ausgehen soll heißen: theologisch von einem bestimmten Gemeindeverständnis ausgehen, nicht von der empirischen Gemeinde […] Wenngleich theologisch vom Gemeindeverständnis her argumentiert werden soll, so kann gleichwohl methodisch und taktisch ein anderer Ausgangspunkt (etwa beim Amt) genommen werden.“

Gemeinde sollte verstanden werden als „funktionierende Gemeinde“, denn „von Gemeinde [kann] nur in einem Geschehensbegriff geredet werden. […] Gemeinde geschieht da, wo auf den Ruf der Not (z. B. Unfreiheit) geantwortet wird.“ Im Lauf der Diskussion wurde dieser Gemeindebegriff weiter präzisiert: „Gemeinde geschieht dort, wo Gemeinschaft geschieht und in dieser Gemeinschaft Hilfe gegeben wird. Gemeinde ist dann sehr wohl eine soziologische Größe, aber nicht statisch wie in der bisherigen Form (Gemeinde = alle Getauften).“ Hilfe würde nun auf verschiedene Weise in einer Gemeinde gegeben, und zu manchen Hilfeleistungen in bestimmten Notsituationen sei eine Ausbildung nötig – aber eben nicht immer zwangsläufig die eines Pfarrers. Ebenso notwendig wie dessen Mitarbeit sei das Engagement anderer Berufsgruppen; der Pfarrer würde dadurch seine herausragende Stellung verlieren – und das sei wünschenswert. Folgerichtig wurde dadurch auch die Exklusivität der Ordination des Pfarrers in Frage gestellt: Diese, alternativ als „Einführung“ zu bezeichnen, sollte künftig für alle Dienste in der Gemeinde in gleicher Weise und nur für die genau definierte Dauer des jeweiligen Dienstes gelten. Auch die so verstandene Ordination sei jedoch nicht zwingend notwendig: Es könne auch Pfarrer ohne Ordination geben; einzige Voraussetzung müsse künftig das Bestehen des Zweiten Examens sein. Enthierarchisierung der kirchlichen Strukturen, Teampfarramt: Die Auseinandersetzung um die Praxis der Ordination führt und führte auch damals zwangsläufig zu grundlegenden Diskussionen um theologische und kirchenpolitische Konzepte. Die Ordination war ein Brennglas, das die Strahlen des Themenkomplexes „Demokratisierung und Enthierarchisierung kirchlicher Strukturen“ bündelte – und zum Flammen brachte. Dass es ausgerechnet das Thema Ordination war, an dem sich die Kritik der Vikare an den kirchlichen Verhältnissen entzündete, scheint allerdings eher ein Zufall gewesen zu sein, da es von einigen nur als Aufhänger für weitere Kirchenreformen verstanden wurde. So

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wird einleitend zu dem Protokoll der Sitzung vom 5. Juni 1969 daran gezweifelt, „ob die Ordination der geeignete Ansatzpunkt für unser Vorhaben ist […]. Der Sinn unseres Unternehmens ist ja nicht nur die Erarbeitung eines neuen Ordinationsverständnisses, sondern es soll dadurch die Gemeinde (Kirche) in ihren festgefahrenen Strukturen aufgebrochen werden.“277 Diese Zweifel führten jedoch nicht zu einem Abweichen von dem Engagement für die Änderung der Ordinationspraxis; vielmehr wurde nach der Beschäftigung mit biblischen und systematischen Grundlagen nun intensiv über ein praktisches Vorgehen nachgedacht. Zwei mögliche Wege wurden auf der Arbeitstagung „Ordination“ am 5. Juli 1969 diskutiert: „1. Es wurde der Vorschlag gemacht, sich möglichst schnell ordinieren zu lassen und dann zu versuchen von dem rechtlich gesicherten Stand eines Ordinierten aus die jetzige Ordinationspraxis zu ändern. 2. Der andere Weg sieht vor die Ordination zu verweigern, wenn sich eine Änderung nicht erreichen läßt. Sollte die Kirchenleitung den Verweigerern den Zugang zum Pfarramt verwehren, so bestünde die Möglichkeit einen Zweitberuf zu ergreifen um von dieser Grundlage aus die bisherige Ordinationspraxis und das bisherige Amtsverständnis zu verändern.“278

Eine definitive Entscheidung darüber, welcher der beiden Wege sinnvoller war, wurde auf der Tagung nicht getroffen. Gegen den erstgenannten sprach vor allem die Befürchtung, dass, wenn ein Kandidat erst einmal ordiniert worden sei, dessen Interesse für Änderungen der Ordinationspraxis schwinden könnte; zudem würde er bei weiterem Eintreten gegen die Ordination dann unglaubwürdig wirken. Gegen den zweiten Weg sprach hingegen die schwache Position der Vikare innerhalb der Kirchenhierarchie. Der Erfolg der Aktion sei stark abhängig davon, wie viele trotz der Angst davor, in diesem Fall möglicherweise keine Stelle in der Landeskirche zu finden, sich an einer Verweigerung beteiligen würden. Schließlich sei zu befürchten, „daß die Ordinationsverweigerung kein wirksames Druckmittel mehr darstellt, da die Kirchenleitung bestrebt sei ihren Stellenbedarf lieber mit Prädikanten und Pfarrern des zweiten Bildungsweges zu decken als ihr nicht genehmen Kandidaten ein Pfarramt zu übertragen“. In diesem Sinn könnten „wichtige Gründe (Fehlen eines Zweitberufes, Verantwortung gegenüber der Familie) dagegen sprechen, den Weg 2 bis zur letzten Konsequenz zu gehen“. Dennoch wurde letztlich dieser Weg – wenn auch in modifizierter Form – gewählt. Dies zeigten die folgenden Mo277 Protokoll der Arbeitstagung der Münchner Gruppe „Ordination“ am 5. 6. 1969 in MünchenLochhausen (VBV-Ordner Frör). 278 Protokoll der Arbeitstagung „Ordination“ am 5. 7. 1969 (VBV-Ordner Frör).

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nate, in denen in der kirchlichen Öffentlichkeit die „positiven Zielvorstellungen“ der Vikare weitgehend untergingen und die jungen Theologen stattdessen als die sogenannten „Ordinationsverweigerer“ für Aufsehen und Aufregung sorgten. Die Eingabe der Vikare an die Landessynode vom September 1969 Am 10. September 1969 erfolgte eine Eingabe der Arbeitsgruppe Ordination an die Landessynode. Eingeleitet mit den Worten „Die Unterzeichneten bitten die Landessynode, sich die folgenden Überlegungen und Vorschläge zu Amt, Gemeinde und Ordination zu eigen zu machen“279 ist das Dokument in drei Teile untergliedert: A) Theologische Erwägung zum Amt der Gemeinde, B) Konsequenzen für das Dienstverhältnis der Pfarrer, C) Vorschläge für Gesetzesänderungen. In den theologischen Erwägungen zum Amt der Gemeinde definieren die Unterzeichner Gemeinde als „die Gemeinschaft derer, die unter dem Wort und im Dienst Jesu ihr Leben im Dasein für die Welt führen“. Im Folgenden werden die Termini Kirche und Gemeinde anscheinend synonym verwendet; ihre Existenzberechtigung liegt dabei einzig in der Ethik, im Bemühen, den Willen Jesu zu erfüllen. Als das der Kirche gegebene Amt wird der Dienst der Versöhnung bezeichnet, „zu dem alle Glieder der Gemeinde durch ihre Taufe berufen und ermächtigt sind“ und das „in den verschiedenen Ämtern der Gemeinde [ausgeübt wird]“. Unter Berufung auf die „Väter der Reformation“ heben die Vikare das allgemeine Priestertum als „Kennzeichen christlicher Gemeinde“ hervor, anhand dessen sich die Reformatoren „entschieden […] gegen einen römischkatholischen Amtsbegriff, der aus den Getauften einen besonderen geistlichen Stand heraushebt“, abgegrenzt hätten. Im Folgenden wird die Eingabe der Vikare undeutlich: Einerseits wird betont, dass sich das eine Amt der Kirche in verschiedene Ämter auffächert, deren Gestalt sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen ändere. Alle Ämter seien auf Grund des einen gemeinsamen Auftrages gleichwertig: „Es gibt kein Amt, das auf besondere Weise, z. B. durch die Ordination, von den anderen abgehoben wird. Die Verteilung von Aufgaben richtet sich allein nach Notwendigkeiten und Möglichkeiten des Dienstes, ohne daß dadurch Vorrechte begründet werden, z. B. das Vorrecht der Sakramentsverwaltung.“ Alle Ämter würden auf eine Beauftragung durch die Gemeinde zurückgehen, „am Beginn eines jeden Dienstes in einer Gemeinde steht solche Beauftragung und Einführung. Sie bindet Gemeinde und Beauftragte aneinander und verpflichtet beide zur verantwortlichen Wahrnehmung des ge279 Der Antrag ist enthalten in: VBV-Ordner Frör. Hieraus auch die nachfolgenden Zitate. Vgl. zu dem Antrag auch VLS 1969 / II, 11.

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meinsamen Amtes.“280 Problematisch erscheint nun allerdings, dass die Vikare zur Erklärung für diese Beauftragung CA XIV anführen („Vom Kirchenregiment wird gelehrt, daß niemand in der Kirchen offentlich lehren oder predigen oder Sakrament reichen soll ohn ordentlichen Beruf“281), hebt doch das Augsburger Bekenntnis an dieser Stelle gerade die öffentliche Lehre, Predigt und Sakramentsverwaltung als ein spezielles Amt hervor. Aus der Überlegung heraus, die momentane Ordinationspraxis widerspreche dem „Priestertum aller Gläubigen“, da die Nichttheologen in ihrer Stellung herabgewürdigt würden, ziehen die Vikare Konsequenzen für das Dienstverhältnis der Pfarrer. Hier steht nun das Pfarrerrecht im Mittelpunkt, in das die Vorschläge der Vikare zum Teil erhebliche Eingriffe bedeuten würden – Eingriffe, die zum Teil von der bayerischen Landeskirche selbst gar nicht vorgenommen werden könnten, da das Pfarrerrecht im Pfarrergesetz der VELKD (1963) verankert ist282. Die Vikare schlagen vor, dass es künftig nur noch eine, für Vikare, Pfarrer und alle anderen kirchlichen Mitarbeiter gleichlautende Erklärung geben sollte: „Ich verspreche, die mir übertragenen Aufgaben nach Gottes Willen wahrzunehmen und das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und in dem Bekenntnis der Evangelisch-Lutherischen Kirche bezeugt ist, zu verkünden. Ich will mich gegen eine Verfälschung der evangelischen Botschaft wehren, nicht aufhören, nach der Wahrheit des biblischen Zeugnisses gewissenhaft zu fragen und mich mit meinem ganzen Leben danach ausrichten. Ich verpflichte mich zur Zusammenarbeit mit allen Mitarbeitern in der Gemeinde und zur Dienstverschwiegenheit; das Beichtgeheimnis werde ich unverbrüchlich wahren. Ich übernehme diese Verpflichtung im Vertrauen auf die gnädige Hilfe Gottes.“

In dieser Erklärung sind die wesentlichen Elemente des Ordinationsgelübdes enthalten; neu ist die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit anderen kirchlichen Mitarbeitern. Ein Vikar, so die Eingabe weiter, solle diese Erklärung bei der Übernahme in den Vorbereitungsdienst abgeben; bei Antritt einer Pfarrstelle solle der Pfarrer diese bereits abgegebene Verpflichtung bestätigen. Das Dienstverhältnis werde durch die Übertragung einer Pfarrstelle durch den Landeskirchenrat begründet. In einem dritten Teil ihres Antrages gehen die Vikare auf die für diese Änderungen notwendigen Gesetzesänderungen in der Verfassung der Evang.-Luth. 280

Ebd. Übersetzung nach: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 69. 282 Vgl. dazu ausführlich die Stellungnahme von Oberkirchenrat Dr. Gustav Adolf Vischer zu dem Antrag der Vikare, verfasst am 25. 9. 1969 (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 183). 281

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Kirche in Bayern, in der Ordnung des geistlichen Amtes, im Pfarrergesetz, im Kandidatengesetz sowie in der Kirchengemeindeordnung ein. Der Antrag der Vikare ging an den synodalen Ausschuss „Amt und Ordination“, dessen Vorsitz Hermann Dietzfelbinger übernommen hatte. In seinem Bericht über den Ausschuss begrüßte der Landesbischof, dass man aus „mancherlei Gründen“ gezwungen sei, „über die Ordination neu nachzudenken und ihre Stellung im Leben der Kirche, des Pfarrers, in unseren kirchlichen Gesetzen und Ordnungen – wie in Agende IV – zu überprüfen. Das ist jedenfalls besser, als wenn wir sie unverstanden oder widerwillig mitschleppen, wenn ein junger Vikar sie einfach über sich ergehen läßt, daß sie […] zu den trübseligsten Tagen im Leben eines Pfarrers gehören kann.“283

Letztlich lag der Schwerpunkt der Diskussionen auf dieser Synode zum Thema Amt und Ordination jedoch auf der Theologinnenfrage und der Frage der Sakramentsverwaltung durch die Frau; der Antrag der Vikare war bis Frühjahr 1970, wie Synodalpräsident Karl Burkhardt später bedauernd feststellte, „durch ein Versehen nicht beantwortet worden“284. Die Gruppe ging daher nun den nächsten Schritt, von dem sie sich – wie sich herausstellen sollte, zu Recht! – größere Aufmerksamkeit erhoffte. Die sogenannte „Ordinationsverweigerung“ im Frühjahr 1970 Im Februar und März 1970 unterzeichneten 37 nichtordinierte bayerische Vikare folgende Erklärung, die außerdem von 17 weiteren Vikarinnen und ordinierten Vikaren und Pfarrern unterschrieben wurde, die damit ihre Solidarität mit den 37 Männern zeigen wollten. „Eine Gruppe von Vikaren in der Evang.- Luth. Landeskirche in Bayern hat sich in den Jahren 1968 und 1969 mit dem Problem der Ordination befasst. Als Arbeitser283

VLS 1969 / II, 32. Schreiben von Karl Burkhardt an die Vikare der Arbeitsgruppe „Ordination“ vom 24. 4. 1970, in: Landeskirchenamt München, Az 20 / 3-6-2, Band I (1964–1974). In diesem Brief gibt Burkhardt die Antwort des Synodalausschusses „Amt und Ordination“ bzw. eines Teilausschusses auf die Eingabe wieder; hier wird den Vikaren zwar in einigen Punkten allgemein gehalten zugestimmt (etwa, dass die „Dienste in der Gemeinde […] weiter entfaltet werden müssen“ oder dass „eine Überbetonung im Amtsverständnis“ abzulehnen sei), die Ordination wird jedoch für unverzichtbar wegen ihrer „göttlichen Einsetzung“ erklärt. Abschließend heißt es: „Die Synode bittet Sie und stellt Ihnen mit Ernst anheim, Ihre Stellungnahme zur Ordination neu zu überdenken. Mit der Synode würden sich unsere Gemeinden freuen, wenn junge Theologen in der Ordination zu erkennen geben, daß sie sich unter der Verheißung und Verpflichtung Jesu Christi zum Dienst der Kirche berufen lassen.“ Vgl. zu dem Brief auch die Meldung „Ordination ist unaufgebbar. Brief der Synode an bayerische Vikare“ (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 25 (1970), Nr. 13 vom 29. 3., o. S.). 284

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gebnis wurde unter dem 10. September 1969 ein Antrag an die Landessynode eingereicht. Darin wird die Ordination abgelehnt, weil theologische Gründe gegen sie sprechen und weil sie wegen der Hervorhebung der Theologen als besondere Personengruppe nicht vertretbare Folgerungen für das Gemeindeverständnis hat. Für alle Dienste in der Gemeinde ist nur eine – gleichwertige – Einführung sachgemäß. Eine verbindliche Stellungnahme der Landessynode und der Kirchenleitung zu diesem Antrag steht bisher aus. Die Ordination bildet nach wie vor die Voraussetzung für den Dienst in der Landeskirche. Unter den gegenwärtigen Umständen und solange das Ordinationsverständnis nicht geklärt ist, erkläre ich darum, daß die Ordination für mich nur im Sinne einer Installation und im Zusammenhang mit der ersten Installation in Frage kommt.“285

Die 37 Vikare schickten die Erklärung mit einem jeweils individuell gestalteten Anschreiben an den für sie zuständigen Kreisdekan. Eines dieser Schreiben, das des Vikars Peter Frör an den Münchner Kreisdekan, Oberkirchenrat Hans Schmidt, sei exemplarisch wiedergegeben. In diesem Brief zeigt sich einmal mehr das bereits genannte Anliegen der Vikare, mit ihrer „Weigerung“, sich unter den herrschenden Umständen ordinieren zu lassen, auf ihre Bereitschaft aufmerksam zu machen, konstruktiv an neuen Wegen und Lösungen in der bayerischen Landeskirche mitzuarbeiten. So schreibt Peter Frör am 27. Februar 1970: „Sehr geehrter Herr Kreisdekan! Der Herr Landesbischof hat in seinem Bericht vor der Landessynode am 20. Oktober 1969 in Augsburg die Sätze gesagt: ‚Wenn nur eine kleine Gruppe zielstrebig ist, psychologisch geschickt und strategisch vorgeht, kann sie eine überraschte, gelähmte Minderheit überspielen, terrorisieren und dann dahin führen, wo sie nicht sein möchte. Sie kann aber auch legitimen Anstoß geben druch [sic] sachliche Arbeit der Verständigen, durch mitreißende Impulse von Menschen, die sich für andere, für etwas Neues, verantwortlich wissen. Warum sollte die Macht der Minderheit immer nur zum Bösen ausschlagen und nicht auch zum Guten?‘ Ich weiß, daß unsere gemeinsame Aktion in Sachen Ordination im ersten Sinn ausgelegt werden könnte. Wenn ich mich dieser Aktion anschliße [sic], möchte ich aber keinesfalls so verstanden werden. Wenn ich mich mit anderen in der Ordinationsfrage engagiere, dann nur deshalb, weil ich der Meinung bin, daß dadurch die längst überfällige Diskussion über Amts- und Gemeindeverständnis in unserer Kirche verstärkt vorangetrieben und zu praktischen Konsequenzen führen muß. Dies, nicht eine Frontverhärtung, ist das Ziel der Aktion. Wir wollen nicht als ‚Ordinationsverweigerer‘ gelten, sondern als eine Gruppe von Vikaren, denen es um die zukünftige Gestalt der Kirche in dieser Welt geht, in der wir unseren Mann stehen müssen. Als ein Zeichen des Engagements und der Bereitschaft zur kritischen Mitarbeit an den offenen Fragen, 285 Erklärung und Liste der Unterzeichner sind enthalten in: Landeskirchenamt München, Az 20 / 3-6-2, Band I (1964–1974).

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die durch das Problem ‚Ordination‘ berührt werden, möchte die beiliegende Erklärung aufgefasst werden.“286

Die Diskussionen auf der Frühjahrssynode 1970 in Coburg Wie sehr die „Ordinationsverweigerung“ der Vikare für Aufsehen sorgte, veranschaulichen die kontroversen Diskussionen des Themas bei der Frühjahrssynode in Coburg vom 8. bis 13. März 1970.287 Ein Teil der Synodalen zeigte dabei kein Verständnis für die Anliegen der Vikare; sie sahen hier einen revolutionären Ansatz, der ein entschiedenes „Entweder-Oder“ forderte: So sah Pfarrer Rudolf Kahle bei den Vikaren, die sich auch nach einem Gespräch „in echter brüderlicher Liebe“ nicht ordinieren lassen wollten, „keine andere Möglichkeit als die, daß man ihnen sehr deutlich sagt: Dann könnt ihr, liebe Freunde, in der Bayerischen Landeskirche keinen Dienst tun. […] Und wenn jemand fragt, was dann ist, wenn vielleicht 30 Vikare die Bayerische Landeskirche verlassen, dann, verehrte Konsynodale, wollen wir froh sein, daß unsere Gemeinden vor diesen Schwarmgeistern bewahrt bleiben. Dann wird morgen der westdeutsche Blätterwald rauschen, und dann werden übermorgen andere in die Bayerische Landeskirche kommen, weil sie sehen, daß die Bayerische Landeskirche noch auf klarem Kurs ist.“288

Ebenso ablehnend zeigte sich Wilhelm Mädl, der ironisch meinte, man habe ja mit den „Ordinationsverweigerern“ nun „eine ganze Reihe von neuen Kirchenvätern bekommen“, die durch ihre Aktion klargemacht hätten, „daß unsere Kirche durch ein paar Jahrhunderte hindurch die Ordination schriftund bekenntniswidrig geübt hat“289. Mädl sah die „Ordinationsverweigerung“ als einen (weiteren) Grund an, das Beauftragungsgesetz zu blockieren290; wer könne schließlich garantieren, „daß gerade die Vikare, die die Ordination ablehnen, dann nicht in einigen Jahren auf dem Umweg über das Beauftragungsgesetz in den Dienst und in das Amt unserer Kirche kommen? Und wer garantiert uns dafür, daß nicht dann in einigen Jahren vielleicht die Ordination überhaupt überflüssig geworden ist, weil dann alles mit dem Beauftragungsgesetz gemacht werden kann.“291 286 Vikar Peter Frör an den Münchner Kreisdekan Hans Schmidt vom 27. 2. 1970 (VBV-Ordner Frör). 287 Vgl. dazu exemplarisch VLS 1970 / I, 54–59. 288 Ebd., 55. 289 Ebd., 77. 290 Vgl. zu dem im Frühjahr 1971 beschlossenen „Kirchengesetz über die Beauftragung kirchlicher Mitarbeiter zur Sakramentsverwaltung“ das Beispiel „Das Engagement des AEE für die Frauenordination“, 192–207. 291 VLS 1970 / I, 77 f.

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Unverständnis wurde von Mädl ebenso wie von anderen Synodalen darüber geäußert, dass die Vikare einerseits die Ordination ablehnten, auf der anderen Seite die Frauenordination befürworteten292. Andere Synodale hingegen zeigten Entgegenkommen, was die Anliegen der Vikare betraf: Exemplarisch sei hier die Wortmeldung des Pfarrers Johannes Hiller genannt, der von den Bemühungen seines Teilausschusses berichtete, eine Antwort auf den Antrag der Vikare vom Herbst zu finden. Beim Diskutieren dieses Antrages, so Hiller, „ist uns eines deutlich geworden: daß hinter der Not um die Ordination bei vielen unserer jungen Amtsbrüder eine echte Anfechtung auf der einen und der Versuch einer gründlichen theologischen Besinnung auf der anderen Seite steht. Ihnen Leichtfertigkeit vorzuwerfen, geht einfach nicht an.“293 Auch der Nürnberger Pfarrer Friedrich Wolf, dessen Sohn zu den sogenannten Ordinationsverweigerern zählte, warb um Verständnis für die Situation der nachrückenden Theologen angesichts des Dilemmas, dass einerseits die Frage von Amt und Ordination noch geklärt werden müsste, andererseits „sich junge Menschen auf diese noch zu klärende Angelegenheit einlassen“294 sollten. Wolf setzte hier große Hoffnungen auf die geplanten klärenden Gespräche zwischen Kreisdekanen und Vikaren. Die weitere Entwicklung Zu diesen Gesprächen kam es vorerst jedoch offensichtlich nicht: Anscheinend wollten die Kreisdekane, die die Erklärungen der Vikare an das Landeskirchenamt weitergereicht hatten, ab Mai 1970 mit den Vikaren ihres Kirchenkreises, die die Erklärung unterzeichnet hatten, persönliche Gespräche führen. Nachdem die Vikare allerdings in der Ordinationspraxis „ein Sachproblem, nicht ein seelsorgerliches“ sahen, lehnten sie diese Einzelgespräche ab und schlugen stattdessen vor, für die einzelnen Kirchenkreise jeweils gemeinsame Gespräche mit allen Unterzeichnern zu führen. Bis Herbst 1970 waren jedoch weder diese Gruppen- noch die Einzelgespräche zustande gekommen295. Auch der in der Erklärung vorgeschlagene Kompromiss, die Ordination mit der ersten Installation zu verbinden, wurde vom Landeskirchenrat abgelehnt; nur ein bereits Ordinierter könne sich auf eine Pfarrstelle bewerben296. Dies 292

Ebd., 77. Ebd., 81. 294 Ebd., 58. 295 Vgl. dazu das Schreiben der VBV / Arbeitsgruppe Amt und Gemeinde (Klaus Dieter Schaefer) an die bayerischen Kreisdekane vom 17. 10. 1970 (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 33). 296 Dies sollte kurze Zeit später neu überdacht werden: In der Anlage zu dem Schreiben Oberkirchenrat Heinrich Riedels vom 21. 1. 1971 an 34 Vikare wegen deren Antrags auf Ordination wird von den Überlegungen des Landeskirchenrats berichtet, „eine Meldung auf eine Pfarrstelle 293

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erhöhte den Druck auf die Vikare, sich ordinieren zu lassen297. Zudem hatte die Gruppe „Amt und Gemeinde“ das Gefühl, von der Kirchenleitung als Gesprächspartner nicht ernstgenommen zu werden: So war unter den drei jungen Theologen, die der Landeskirchenrat für ein von der VELKD initiiertes Gespräch mit jungen Theologen zum Thema „Auftrag des Pfarrers und Ordination“ berufen hatte, kein Mitglied der Arbeitsgruppe298. In einem Schreiben vom 1. September 1970, in dem die Vikare den Landesbischof um ein Gespräch baten, um „das Problem der Ordination zu einer Klärung zu bringen“, beklagten sich die jungen Männer darüber, dass sie durch die fehlenden Bewerbungsmöglichkeiten nahezu gezwungen seien, sich ordinieren zu lassen. „Wir möchten zu bedenken geben, daß es wohl gelingen kann, einzelne unter Druck zu einer Ordination in der bisherigen Form zu veranlassen. Aber es dürfte einsichtig sein, daß dies nur eine erzwungene Identifikation mit der bisherigen Praxis sein kann, wie sie doch wohl um der Glaubwürdigkeit willen von keiner Seite erwünscht sein kann. Es entsteht der Eindruck, daß man zwar Bedenken gegen die Ordinationspraxis im Stillen haben und auch dem Ordinator sagen darf (wie wohl bei bisher Ordinierten gelegentlich praktiziert), aber sie nicht öffentlich in der Kirche äußern darf, wie wir dies als Gruppe getan haben. Uns liegt daran, in der Kirche, der wir angehören, unseren Dienst zu tun. Wir sind nicht an Konfrontationen interessiert, die ein Gespräch unmöglich machen.“299

Dietzfelbinger antwortete in einem ausführlichen Brief. Er bekundete darin seine Bereitschaft, die Vikare in ihrem Wunsch, ihren Dienst in der bayerischen Landeskirche zu tun, zu unterstützen300. Allerdings kritisierte er, dass die bisherigen öffentlichen Verlautbarungen der Vikare dergestalt waren, dass der Eindruck nahe läge, diese seien „überein gekommen, die Ordination abzulehnen oder durch eine gemeinsame Aktion zu einer anderen Regelung zu gelangen“. Dietzfelbinger gestand in seinem Brief zu, dass die Agende IV im Ausnahmefall zulasse, die Ordination mit der Installation zu verbinden. Allerdings sähe

auch schon dann anzunehmen, wenn die Ordination bereits genehmigt ist, also nach Abschluß des Ordinationsgespräches und nach einem entsprechenden Beschluß der Vollsitzung des Landeskirchenrates.“ In: Landeskirchenamt München, Az 20 / 3-6-2, Band I (1964–1974). 297 Vgl. dazu das Schreiben der VBV / Arbeitsgruppe Amt und Gemeinde an Dietzfelbinger am 1. 9. 1970 (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 33). 298 Vgl. dazu den Briefwechsel zwischen der „AG Amt und Gemeinde“ und Siegfried Wolf im August und Oktober 1970 (ebd.). 299 Schreiben der VBV / Arbeitsgruppe Amt und Gemeinde an Dietzfelbinger am 1. 9. 1970 (ebd.). 300 Schreiben Dietzfelbingers an Schaefer, Arndt und von Lips am 3. 10. 1970 (ebd.).

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er diesen Weg in gewisser Weise durch die Formulierungen und Vorschläge zur Gesetzesänderung von Seiten der Vikare verbaut, die darauf hinzielten, die Ordination als solche abzuschaffen. Dietzfelbinger stellte die Frage: „Kann dann der Landeskirchenrat, der im übrigen durch die Erklärung der Synode über die Ordination ja auch gebunden ist, auf den von Ihnen vorgeschlagenen Kompromiß eingehen, wenn er ehrlich handeln will?“301 Der Landesbischof schloss seinen Brief mit der Bitte um ein Gespräch mit Klaus Dieter Schaefer, Otfried Arndt und Hermann von Lips als Vertretern des Vikarskreises: „So, denke ich, könnte sich ein neuer Ansatz finden lassen.“302 Wie die „VBV / Arbeitsgruppe Amt und Gemeinde“ in einem Schreiben vom 6. November 1970 an Hermann Dietzfelbinger mit Blick auf das anstehende Gespräch mitteilte303, ging es ihr darum, dass man sich auf beiden Seiten „aus Verfestigungen […] lösen“ solle. Als Gesprächsbasis brachten die Vikare in dem Brief folgende drei Punkte vor: „1. Es liegt uns zunächst daran, anscheinend bestehende Missverständnisse zu klären. Es war z. B. nie unsere Absicht, die Ordination überhaupt zu verweigern; unsere Überlegungen richteten sich auf die bestehende Praxis der Ordination. 2. Wir fühlen uns berufen, den Auftrag Christi wahrzunehmen und dadurch Gemeinde zu bauen. Wir wollen deshalb in den Gemeinden und damit in der Kirche Dienst tun. 3. Für diesen Punkt sind nach den Ordnungen unserer bayerischen Landeskirche die Theologische Anstellungsprüfung und eine Ordination in der bisherigen Praxis Voraussetzung. Um hier zu einem für beide Seiten befriedigenden Konsensus zu gelangen, scheint uns die Möglichkeit, die Herr OKR Wolf in seinem Referat vor der Frühjahrstagung der Synode 1970 in Coburg erwogen hat, ein akzeptabler Kompromiß zu sein; vgl. Dokumente zur Diskussion über Amt und Ordination in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern S. 28: ‚So müßte man als Ausweg einen Ordinationsgottesdienst für alle Vikare eines Jahrgangs, etwa in einem Gottesdienst der Synode, ins Auge fassen.‘ Im Anschluß an diesen Vorschlag könnten wir uns einen gemeinsamen Ordinationsgottesdienst der Mitglieder unserer Arbeitsgruppe vorstellen.“304

Der Ton der Vikare am Ende des Briefes war fast beschwörend: Viele der ehemaligen Ordinationsverweigerer hatten die Theologische Anstellungsprüfung bereits abgelegt; sie wollten sich nun auf eine Pfarrstelle bewerben, was ih301

Ebd. Ebd. 303 LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 33. 304 Ebd. Der Wunsch nach einer Gruppenordination war nun freilich nicht leicht mit der Forderung nach einem größeren Gemeindebezug bei der Ordination zusammenzubringen. 302

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nen aufgrund der fehlenden Ordination aber nicht möglich war. So schließt das Schreiben mit der „sehr herzliche[n]“ Bitte, „uns, wenn irgend möglich, für unser Gespräch noch einen Termin im zu Ende gehenden Kirchenjahr einzuräumen“305. „Längerfristige Konzepte“ oder: Der leise Rückzug Am 4. Dezember 1970 und am 8. Januar 1971 kam es zu zwei Gesprächen von fünf bzw. sechs Vikaren aus den Reihen der „Ordinationsverweigerer“ mit Hermann Dietzfelbinger sowie Vertretern des Landeskirchenrats in München306. Allerdings war der Landeskirchenrat nicht zu schnellen Lösungen bereit307: Kandidaten, die die „Erklärung“, in der die Antragsteller ihrer Ansicht nach explizit die Ordination abgelehnt hatten, unterzeichnet hatten, könnten nicht ordiniert werden, wenn sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch immer hinter dieser Erklärung stünden. Voraussetzung für eine Ordination sei daher von Seiten der Landeskirche, dass jeder Vikar, der zu den Unterzeichnern der Erklärung zähle, in einer persönlichen Stellungnahme zu Amt und Ordination auch auf seine derzeitige Stellung zur „Erklärung“ eingehen müsse. Das Anliegen der am Gespräch beteiligten Vikare, die Ordination mit der Installation zu verbinden, wurde als nach geltendem Kirchenrecht nicht möglich abgelehnt. Ein Zugeständnis machte der Landeskirchenrat insofern, als die Bewerbung eines Kandidaten auf eine Pfarrstelle auch dann möglich sei, wenn dieser noch nicht ordiniert, aber sein Ordinationsgesuch bereits genehmigt sei. Zudem stimmten die Vertreter des Landeskirchenrats den Vikaren dahingehend zu, als sie ein weitergehendes Gespräch über die Ordination ebenfalls für sinnvoll erachteten. Möglicherweise sei es eine Option, die theologische Anstellungsprüfung vor die Ordination zu ziehen; damit würde die Ordination auch mit dem Beginn des Pfarrdienstes zusammenfallen. Oberkirchenrat Heinrich Riedel beendete sein Schreiben an die Vikare, in dem er die Ergebnisse der Gespräche zusammengefasst hatte, mit den Worten: „Zur Ordination darf man weder gezwungen noch überredet werden. Sie sollen frei und ehrlich entscheiden, ob Ihre bisherigen Erfahrungen im Vikariat den Ruf, der Sie einmal zum Studium der Theologie geführt hat, bekräftigen; ob Sie – reformato305

Ebd. Vgl. zu dem Gespräch aus Sicht des Landeskirchenrates das Schreiben Heinrich Riedels vom 21. 1. 1971 an alle Vikare, die die Erklärung zur Ordination im Frühjahr 1970 unterschrieben hatten. Wie sich das Gespräch aus Sicht der beteiligten Vikare darstellte, wird deutlich im VBV-Rundbrief, Nr. 5 / 21. 12. 1970, Anlage 2: Kurzbericht über das Gespräch der Arbeitsgruppe „Amt und Gemeinde“ im Landeskirchenrat am 4. 12. 1970. 307 Vgl. das Schreiben Riedels an 34 Vikare am 21. 1. 1971 (VBV-Ordner Frör); abgedruckt in VBV-Rundbrief, Nr. 6 / Frühjahr 1971 (Anlage). 306

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rischer Überzeugung entsprechend – nicht allein der vocatio interna trauen wollen, sondern die vocatio externa suchen, nämlich die Stimme der Gemeinde und Gesamtkirche, die nach gewissenhafter menschenmöglicher Prüfung die Berufung und Sendung Jesu Christi bestätigt und mit ihrer Fürbitte begleitet.“308

Ein weiteres Gespräch der VBV fand am 29. Januar 1971 mit dem theologischen Ausschuss der Landessynode statt309. Wieder traten die Vikare vor allem für ein zeitliches Zusammenfallen von Ordination und Installation ein; dies machten sie auch kurz darauf in einem Antrag an die Landessynode vom 8. Februar 1971310 noch einmal deutlich, in dem sie darum ersuchten, dass die Synode die rechtlichen Voraussetzungen schaffen möge, „damit die in der Agende für evang.-luth. Kirchen und Gemeinden, Band IV, vorgesehene Verbindung von Ordination und erstmaliger Installation im gleichen Gottesdienst in Bayern möglich wird. – Wir bitten die Synode um Verständnis dafür, daß uns die Behandlung dieses Antrages wegen der Pfarramtskandidaten unter uns als äußerst dringlich erscheint.“311

Der Synodale Konrad Wolf stellte in seinem Bericht aus dem Organisationsausschuss der Synode fest, dass der Ausschuss hier „auf zwei etwas verwunderliche Tatbestände“ gestoßen sei: So sehe einerseits die Agende IV die Möglichkeit vor, dass eine Ordination im gleichen Gottesdienst der ersten Installation auf eine Pfarrstelle vorangehen könne, in einem Memorandum des Landeskirchenrates312 hingegen werde vermerkt, dass das Pfarrergesetz (§ 5) diese Möglichkeit verbiete: „Hier stehen also zwei gültige kirchliche Ordnungen im Widerspruch. Der Organisationsausschuß vertritt die Auffassung, daß dieser Widerspruch nicht auf die Dauer bestehen kann.“313 In anderen Landeskirchen, in denen das gleiche Pfarrergesetz gelte und die gleiche Agende eingeführt sei, würden hingegen bedenkenlos Erstinstallation und Ordination im selben Gottesdienst vorgenommen. Diese Frage sollte nun im Rechtsausschuss weiter behandelt werden; außerdem sollte der Landeskirchenrat die Widersprüche prüfen, und Wege suchen, auf denen „diese Widersprüche zu bereinigen sind“314. „Ob diese

308

Ebd. Vgl. „Protokoll über das Gespräch zwischen dem theol. Ausschuß der Landessynode und Mitgliedern der Gruppe Amt und Ordination am 29. 1. 1971“ (VBV-Ordner Frör). 310 Im Synodenprotokoll steht als Eingabedatum des Antrags der 22. 1. 1971 (VLS 1971 / I, 10). 311 Antrag der AG Amt und Gemeinde am 8. 2. 1971 an die Landessynode (VBV-Rundbrief, Nr. 6 / 5. 4. 1971); vgl. auch VLS 1971 / I, 147 f. Eine ähnlich lautende Anfrage an die Synode stellte das Pfarrkapitel des Prodekanatsbezirks München-Süd (vgl. ebd.). 312 Gemeint ist das oben erwähnte Schreiben Riedels vom 21. 1. 1970 (VBV-Ordner Frör). 313 VLS 1971 / I, 148. 314 Ebd. 309

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Beseitigung in Richtung unseres Antrags gehen wird,“ so Klaus Dieter Schaefer am 18. März 1971 an seine Kollegen, „ist nach dem rechtlichen Gutachten des LKR vom 21. 1. 71315 zumindest fraglich. Kurzfristig ist also auch von der Synode nichts zu erwarten.“316 Nachdem schnelle Entscheidungen und Änderungen der Rechtslage bzw. ihrer Interpretation weder zu erhoffen waren noch eintraten, musste ein neuer Weg, wie mit der Frage der Ordination umzugehen war, gefunden werden. So wurden am 15. März 1971 auf einer Sitzung der Arbeitsgruppe in Ingolstadt „Grundlinien für ein längerfristiges Konzept der Arbeitsgruppe ‚Amt und Gemeinde‘ im Rahmen der VBV“317 entworfen. Gegliedert in die drei Punkte Zielvorstellung der AG, Funktion der AG und Verfahren der AG wird als Zielvorstellung angegeben, dass man langfristig auf eine Reform der Ordinationspraxis und des Ordinationsverständnisses in der bayerischen Landeskirche unter Berücksichtigung historischer, theologischer und soziologischer Gesichtspunkte hinwirken wolle. Das Berufsbild des Pfarrers sollte weiterentwickelt werden; Themenfelder wie Installation, Parochialystem, das Miteinander von Theologen und Nichttheologen sowie deren Stellung im kirchlichen System sollten dabei aufgegriffen und hinterfragt werden. Die Funktion der AG Amt und Gemeinde wird mit den drei Schlagworten Information, Diskussion und Aktion beschrieben. Was das Verfahren der AG angehe, so die Grundlinien weiter, werde es in der Regel „so sein, dass die AG Einzelthemen zu verschiedenen Anlässen aufgreift, einzelnen Aktionen, die der Zielvorstellung der AG entsprechen, eine breitere Basis verschafft oder Modelle von Weiterentwicklungen in Teilbereichen der Gemeindearbeit kritisch begleitet.“ Soweit die Pläne für das längerfristige Vorgehen. Wie aber sollte sich die damals betroffene Vikarsgeneration ganz pragmatisch bezüglich ihrer eigenen Ordination verhalten? Klaus Dieter Schaefer fasst die diesbezüglichen Ergebnisse der genannten Sitzung in Ingolstadt folgendermaßen zusammen318: Diejenigen, die bereits das Zweite Examen absolviert hatten, sprachen sich mehrheitlich dafür aus, die Ordination einzeln oder als Gruppe zu beantragen. Was das gemeinsame Vorgehen betraf – und man wollte auf jeden Fall als Gruppe kenntlich bleiben –, sollten daher zunächst die Kreisdekane informiert werden, dass „einige Kollegen demnächst den Antrag auf O. stellen werden – mit der Tendenz, bisherige Erklärungen nicht zu widerrufen“. Der dazu erarbeitete 315 316 317 318

Gemeint ist wieder das Schreiben Riedels vom 21. 1. 1970 (VBV-Ordner Frör). VBV-Ordner Frör. Die „Grundlinien“ sind enthalten in: VBV-Ordner Frör. Schaefer in seinem Schreiben am 18. 3. 1971 an seine Kollegen (ebd.).

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Modell-Brief, den Klaus Dieter Schaefer am 18. März 1971 an den Landeskirchenrat richtete und der auch dem Nürnberger Kreisdekan zuging, sah folgendermaßen aus: „Betrifft: Ordination. Zunächst wollen wir dem anscheinend immer noch bestehenden Missverständnis wehren, wir wollten mit unserer Erklärung vom Februar 1970 und dem Antrag an die Synode vom September 1969 die Ordination überhaupt verweigern. Unsere Überlegungen gingen und gehen dahin, eine Form der Ordination zu finden, die den Bezug der Ordination zur Gemeinde in der Praxis deutlicher hervorhebt als bisher. Demgemäß ist der Widerruf jener Erklärung in der Sache nicht erforderlich, wenn Mitglieder unserer Arbeitsgruppe jetzt den Antrag auf Ordination stellen, wie es nach der gegenwärtigen Rechtslage erforderlich ist. Arbeitsziel der gesamten Gruppe bleibt es, eine Ordinationspraxis zu erreichen, die dem Amt adäquater ist, auch wenn dieser Prozess längere Zeit in Anspruch nehmen wird.“319

Zusammen mit diesem Schreiben sollte folgender Antrag eingereicht werden: „Betreff: Antrag auf Ordination. Wir fühlen uns berufen, den Auftrag Jesu Christi wahrzunehmen und dadurch Gemeinde zu bauen. Wir wollen deshalb in den Gemeinden und damit in der Kirche Dienst tun. In diesem Sinne verstand die Arbeitsgruppe ‚Amt und Gemeinde‘ der Vereinigung Bayerischer Vikare ihre Bemühungen um eine sachgemäße Praxis der Ordination. Nach Rücksprache mit den Mitgliedern der Arbeitsgruppe beantrage ich hiermit meine Ordination. Meinen Dienst in der Gemeinde will ich gemäß dem Auftrag Jesu Christi wahrnehmen, wie er in den Schriften des Alten und Neuen Testaments wiedergegeben und in den Bekenntnissen der evangelisch-lutherischen Kirche aktualisiert wurde.“320

Wichtig war, so Klaus Dieter Schaefer in seiner Zusammenfassung der Sitzungsergebnisse, dass weiterhin „das Vorgehen als Gruppe gegenüber der Kirchenleitung deutlich“ werde. Der Antrag solle daher möglichst weitgehend gleichzeitig bis Ende April 1971 eingereicht werden; die AG sollte von jedem, der diesen Schritt tat, benachrichtigt werden. „Der Vollzug der Ordination wäre solange auszusetzen, bis sämtlichen Antragstellern die Ordinationsgenehmigung des LKR vorliegt; nur so kann die Gruppe demonstrieren, dass sie sich nicht vom LKR auseinander dividieren lässt.“ Außerdem solle auf gemeinsame Ordinationen der ehemaligen „Ordinationsverweigerer“ hingewirkt werden. Die Arbeit der AG Amt und Gemeinde sollte dennoch weitergehen; sie sollte das 319 Schreiben Schaefers an den Landeskirchenrat und die Kreisdekane am 18. 3. 1971 (ebd.). Außerdem enthalten in: Landeskirchenamt München, Az 20 / 3-6-2, Band I (1964–1974). 320 Anlage zum Brief Schaefers vom 18. 3. 1971 an seine Kollegen (VBV-Ordner Frör). Ebd. nachfolgende Zitate.

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entworfene langfristige Konzept verfolgen und allen Interessierten offen stehen, unabhängig davon, ob sie die Ordination verweigerten oder nicht. Der „Antrag auf Ordination“ Ein Großteil der Mitglieder der AG Amt und Gemeinde reichte nun im Frühjahr 1971 den Antrag auf Ordination ein. Für ihre Entscheidung war offensichtlich ausschlaggebend, eine Stelle finden zu wollen und zu müssen321. Als die Vollsitzung des Landeskirchenrates am 21. April 1971 davon unterrichtet wurde, dass die Mitglieder der Gruppe „Amt und Gemeinde“ gleichlautende Ordinationsanträge an den Landeskirchenrat stellen würden, beschloss der Landeskirchenrat, dass die Anträge dieser Vikare angenommen werden würden; mit jedem würde wie üblich einzeln ein Ordinationsgespräch geführt und jeder müsse eine persönliche Stellungnahme zu Schrift und Bekenntnis ablegen. Die gemeinsame Ordination mehrerer Vikare sei möglich; „etwa intendierte Veränderungen der Agende“ würden jedoch nicht akzeptiert322. Für die anstehenden Ordinationsgottesdienste wurden Konzepte erarbeitet, die den Zielen der AG wenigstens in Ansätzen Rechnung tragen sollten: Dies zeigt exemplarisch ein Entwurf für einen solchen Ordinationsgottesdienst vom Mai 1971323. Er zeichnet sich dadurch aus, dass im „Ordinationsteil“ die Vertreter der Gemeinden eine herausragende Stellung einnahmen. Nach der Ansprache eines Gemeindevertreters sollte außerdem der Ordinand eine „Erklärung zur Auseinandersetzung über Amt und Ordination“ verlesen. Wie eine solche Erklärung aussehen konnte, sei am Beispiel der entsprechenden Stellungnahme, verfasst von Rolf Hanusch, Klaus Molitoris, Gerhard Pfister, Johannes Max Raeder und Klauss Stüwe, illustriert, die diese offensichtlich anlässlich ihrer Ordination am 17. Oktober 1971 – anscheinend im Gottesdienst – abgeben wollten. Sie lehnt sich eng an einen von der VBV erarbeiteten Entwurf an324. 321 Vgl. dazu etwa Interview Frör, 5: „Wir mussten ja, wir sollten ja und wir wollten ja in Pfarrstellen kommen.“ Vgl. auch Interview Kohler, 3: „Nach ein paar Jahren waren wir dann alle irgendwie ordiniert, manche mit mehr Schwierigkeiten, manche mit weniger. […] Ich bin praktisch aus dieser Front herausgebrochen, weil ich dann vorhatte, nach Amerika zu gehen, um Clinical Pastoral Education zu machen, und man hatte mir gesagt: Da solltest Du Dich vielleicht vorsichtshalber ordinieren lassen, dann kannst Du da drüben auch Gottesdienste halten. Das dürfen dort nur Leute, die die Frage: Are you ordained? mit Ja beantworten. Auf die Art und Weise bin ich dann aus dieser ‚Widerstandsfront‘ rausgeflogen.“ 322 Aktenvermerk von Siegfried Wolf zur Arbeitsgruppe Amt und Gemeinde der VBV (3. 5. 1971), in: Landeskirchenamt München, Az 20 / 3-6-2, Band I (1964–1974). 323 Im VBV-Ordner Frör findet sich der „Entwurf für Ordinationsgottesdienst der Münchner Gruppe, Mai 1971“. 324 Entwurf: Zur Frage der Ordination (VBV-Ordner Frör).

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„Trotz schwerer Bedenken lassen wir uns heute ordinieren. Wir gehören zu einer Gruppe von etwa 50 Vikaren unserer Landeskirche, die sich seit drei Jahren mit dem herkömmlichen Verständnis vom Amt des Pfarrers in der Gemeinde und deswegen auch mit der Frage der Ordination besonders auseinandergesetzt hat. Aus dem Neuen Testament und aus der Auslegung des reformatorischen Begriffes ‚allgemeines Priestertum aller Gläubigen‘ scheint uns hervorzugehen: Das Amt, das die Versöhnung predigt‘, wie Paulus es nennt (2. Kor 5), ist der ganzen Gemeinde aufgetragen und soll von ihr gemeinschaftlich verantwortet werden. […] Gewiß hat dabei der Pfarrer seine besondere Ausbildung und wie jeder, seine besonderen Gaben. Dies kann aber keine außerordentliche Sonderstellung, keinen eigenen ‚geistlichen Stand‘ begründen. Im Blick auf die bisherige Ordinationspraxis sehen wir vor allem an drei Punkten Widersprüche zur oben dargelegten Sendung aller Christen durch Christus: 1. Der hauptberufliche Dienst von ‚Geistlichen‘ wird durch eine besondere Einführung (eben die Ordination) über die anderen Dienste in der Gemeinde hinausgehoben. Diakon, Gemeindeschwester, Kantor, Gemeindehelferin usw. werden nicht gleichwertig eingeführt. Die Ordination rückt in bedenkliche Nähe zur Priesterweihe. Wir bitten die Gemeinde, unsere heutige Ordination nicht in diesem Sinne zu verstehen. 2. Beschluß und Vollzug der Ordination stehen allein bei der Kirchenleitung. Die Gemeinde ist weitgehend davon ausgeschaltet. Wir haben bewusst von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, daß Kirchenvorsteher bei diesem Ordinationsgottesdienst mitwirken können und bitten dies als ein Zeichen der Mitverantwortung der Gemeinde für ihre Vikare zu verstehen. 3. Ordination und eine Reihe von Kirchengesetzen begünstigen das Bild vom Pfarrer als dem Oberhaupt der Gemeinde, dem sich alle unterzuordnen haben. Das Bild von der Gemeinde als dem Leib Christi verbietet solch eine ‚pfarrherrliche‘ Vorherrschaft. Wir hoffen, daß wir und die Gemeinden, in denen wir stehen, nicht diesem Zerrbild von Gemeinde erliegen. Unsere Bemühungen, an diesen Punkten zu einem neuen Verständnis zu kommen, sind noch nicht zu Ende. Kirchenleitung und Landessynode haben uns gehört, konnten aber unserem Verständnis noch nicht folgen. Die Ordination, wie sie bisher war, ist weiterhin Voraussetzung dafür, als Theologe in dieser Kirche zu arbeiten. Wenn wir heute trotz der aufgezeigten Bedenken uns ordinieren lassen, so geschieht das, weil wir eben dies wollen: heute in dieser Kirche arbeiten. Wir gehen in die vorgegebenen Verhältnisse hinein und hoffen, daß in der Zeit unserer Arbeit bei Gemeinden und bei der Kirchenleitung die Mündigkeit und Verantwortung jedes Christen und ihrer Gemeinschaften weiter wächst und gestärkt wird.“325

Unter den Namen der fünf Unterzeichner steht der Satz: „Klaus Molitoris, der mit uns ordiniert werden sollte, wurde nach der Genehmigung der Vollzug der 325

Stellungnahme „Zu unserer Ordination“ (ebd.).

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Ordination vom Landeskirchenrat versagt.“326 Möglicherweise steht in diesem Zusammenhang ein Briefwechsel zwischen VBV und Landeskirchenrat bezüglich der von der VBV verfassten „Erklärung zur Behandlung der Ordinationsgesuche“ (29. Mai 1971): Hier drückte die VBV ihr Befremden darüber aus, wie eine Reihe von Ordinationsgesuchen behandelt würden: „Bisher wurden zwei Gesuche, trotz Befürwortung der Vorgesetzten des Dienstweges, im Landeskirchenrat abgelehnt; mehrere andere sind auf unterer Ebene liegengeblieben. Nach drei Jahren der Diskussion hätte man einen einigermaßen ungehinderten Vollzug erwarten können, zumal als Basis der erklärte Wille vorlag, in dieser Kirche Dienst zu tun. Stattdessen entsteht der Eindruck, daß die Kirchenleitung bewusst bürokratisch vorgeht, um einzelne Vikare zu isolieren. Vor allem befremdet uns der Mißbrauch der Ordination als diziplinarer Hebel in der Hand der Kirchenleitung.“327

Der Landeskirchenrat, der diese Erklärung der VBV in seiner Vollsitzung im Juni 1971 „zur Kenntnis genommen“328 hatte, antwortete darauf, in letzter Zeit kein Ordinationsgesuch abgelehnt, sondern mitunter nur die Beschlussfassung zurückgestellt zu haben329. Ein Teil der ehemaligen „Ordinationsverweigerer“ ließ sich in den folgenden Monaten ordinieren; andere kehrten dem Dienst als Pfarrer der bayerischen Landeskirche den Rücken und gingen in andere Berufe. Im achten VBV-Rundbrief vom Herbst 1971 heißt es, die AG „Ordination“ habe „ihre Arbeit zur Zeit eingestellt“330. Zwar wurde die Ordinationspraxis der bayerischen Landeskirche weiterhin von jungen Theologen in Frage gestellt331 und die Änderungen in der Ordi326 Ebd. Wie im Protokoll der 3. VBV-Vollversammlung (Mai 1971) zu lesen ist, wurden zu diesem Zeitpunkt offensichtlich die Ordinationsgesuche von Klaus Molitoris und Klauss Stüwe verzögert behandelt: „Spannungen zu Gruppen in der Gemeinde und Evangeliumsgemäßheit der Predigt sind die Punkte, die die Kirchenleitung angreift.“ (VBV-Rundbrief, Nr. 7 / Juli; Anlage 1). 327 Schreiben der VBV-Vollversammlung an die Mitglieder des Landekirchenrates am 29. 5. 1971, in: Landeskirchenamt München, Az 20 / 3-6-2, Band I (1964–1974). 328 So das durch Siegfried Wolf übermittelte Schreiben an die VBV am 18. 6. 1971 (ebd.). 329 Ebd. 330 VBV-Rundbrief, Nr. 8 / Herbst 1971, 1 f. 331 So stellte der Vikar Ulrich Hubel im Mai 1972 einen Antrag an den Pfarrerverein, einen Gesetzesvorschlag an die Synode einzubringen, in dem die Behandlung von Ordinationsgesuchen kirchenrechtlich festgelegt werden solle: Er forderte unter anderem, die Dauer des Zeitraums, in dem über ein Ordinationsgesuch entschieden werde, festzulegen und eine Schieds-Kommission einzurichten, an die sich ein Kandidat im Fall einer Ablehnung seines Ordinationsgesuchs wenden könnte. Beide genannten Anliegen beschied der Landeskirchenrat negativ; vgl. den Briefwechsel in: Landeskirchenamt München, Az 20 / 3-6-2, Band I (1964–1974). Auf einer gänzlich anderen Argumentationsbasis als der der in dem Kapitel behandelten „Ordinationsverweigerer“ fußte der erfolgreiche Sammelantrag, den 1976 / 77 eine Gruppe von anfangs zwölf, schließlich neun bayerischen VikarInnen auf eine gemeinsame Ordination stellte. Dieser Antrag wurde in einem

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nationspraxis, etwa das Assistieren durch Nichttheologen, waren noch einige Zeit lang heftig umstritten332; die Intensität der innerkirchlichen Diskussionen um dieses Thema, die den Aktionen der Vikare Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre zuzurechnen ist, wurde jedoch nicht mehr erreicht. Fazit: Der instrumentelle Charakter der „Ordinationsverweigerung“ Wie schon mehrfach in diesem Kapitel angeklungen ist, war von Seiten der Vikare bereits während der Diskussion um die Ordinationsverweigerung festgestellt worden, dass das Thema – trotz seiner allgemein anerkannten Relevanz – inhaltlich nicht zwingend notwendig zum Kristallisationspunkt ihrer Auseinandersetzung mit der Landeskirche geworden war, sondern von einigen von ihnen tatsächlich nur als ein mögliches Instrument gesehen wurde, Änderungen im innerkirchlichen Kommunikationsverhalten herbeizuführen. Auch Landesbischof Dietzfelbinger stellte fest, dass es sicher „nicht falsch sei“, die Synodeneingabe der sogenannten Ordinationsverweigerer vom Herbst 1969 „auch im Zusammenhang mit einer Demokratisierungstendenz zu sehen“333. Der instrumentelle Charakter der Ordinationsverweigerung wird auch in Zeitzeugenaussagen deutlich. So urteilt Peter Frör, selbst einer der „Ordinationsverweigerer“, über den damaligen Konflikt: „Man kann es vielleicht aus dem Rückblick zusammenfassend sagen: Das war ein Versuch, sich zu emanzipieren oder einen anderen Ton da reinzubringen, aber es war das falsche Instrument, das an der Ordination aufzuhängen, was wir eigentlich wollten. Es war eigentlich ein kirchenreformerischer Impetus. Und das an der Ordinationsfrage aufzuhängen, das ist, wie wenn man das Pferd von hinten aufzäumt, das war nicht das geeignete Instrument.“334

Interessant an den Auseinandersetzungen um die Ordination ist, dass genau dieses von Peter Frör genannte Anliegen, „einen anderen Ton da reinzubringen“, bei Vertretern der älteren Generation nicht angekommen zu sein scheint. Dies zeigte sich bereits darin, dass in der Öffentlichkeit vielfach nur die negierende, provokative Art der Gruppe Amt und Ordination angekommen zu sein Schreiben an den Landeskirchenrat vom 26. 1. 1977 vor allem damit begründet, dass die Gemeinschaft der Amtsträger so besonders zum Ausdruck käme (VBV-Unterlagen Klose). Hans-Gerhard Koch erinnert sich daran, dass dieser Sammelantrag auch aus Solidarität mit einer Vikarin, die noch nicht ordiniert werden sollte, gestellt wurde (vgl. Interview Koch, 12 f.). 332 Vgl. dazu den nicht namentlich gekennzeichneten Artikel „Unreine Hände“ (B+K, Nr. 11 / 1. 2. 1972, 22 f.), in dem geschildert wird, wie zwei Dekane ihre Assistenz bei zwei Ordinationen verweigerten, bei denen die Vertrauensmänner des Kirchenvorstandes ebenfalls assistieren sollte. 333 Dietzfelbinger, Fünf Jahre, 19. 334 Interview Frör, 5.

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schien – die positiven Implikationen, das konstruktive Gespräch über die Ordination kamen kaum zu Gehör, sie wurden vom Schlagwort der „Ordinationsverweigerer“ übertönt. Als Beispiel für die Wahrnehmung von Seiten der älteren Generation sei abschließend zu diesem Kapitel ein Brief des Praktischen Theologen Kurt Frör vom 3. Februar 1971 angeführt335. Sowohl Frörs Sohn Peter als auch sein Schwiegersohn Günter Kohler gehörten zu der Arbeitsgruppe Amt und Gemeinde; beide hatten die „Erklärung der Verweigerung der Ordination unter den herrschenden Bedingungen“ unterzeichnet. Das Schreiben Kurt Frörs zeigt nach einem nüchternen Plädoyer für den Sinn der Ordination als Bestandteil verantwortlicher Stellenbesetzung336 noch einmal exemplarisch, dass die ältere Generation durchaus Verständnis für die Anliegen der jungen Theologen bezüglich der Änderung der Ordinationspraxis hatte, diese sich durch ihre Provokationen aber viel Verständnis und Sympathien verbaut hatten. „Ungünstig ist für Euch, dass Ihr in den Anfängen Erklärungen abgegeben habt, wo Eure eigenen Vorstellungen noch nicht so geklärt waren wie heute, bes. in dem Schriftsatz, den die Synode behandelte. Ihr könnt jetzt deutlich erkennen, welche Konsequenzen das gezeitigt hat: Schockwirkung. Bes. Stichwort: Abschaffung der Ordination, ganz schockierend. Kann jetzt nicht nachprüfen, ob wörtlich oder nur herauszulesen. Jedenfalls unglückliche Formulierungen drin. Nun aber: Nach Schock wird das Extremste zitiert, und zwar wörtlich, exakt und unbestreitbar. Daran seid Ihr selber schuld, denn die Texte wurden Euch ja nicht untergejubelt, sondern von Euch vorgelegt. Gut. Daraus kann man lernen. Nun wäre es angebrachter, in objektiver Würdigung der (heute schon wieder) historischen Vorgänge etwa die Hälfte des heiligen Zornes auch auf Eure eigenen Häupter zu lenken. Die andere Hälfte dann meinetwegen auf die andern.“337

335 Kurt Frör an Günter Kohler am 3. 2. 1971 (VBV-Ordner Frör). Aus dem Schreiben geht hervor, dass sich Günter Kohler zuvor in einem Brief an seinen Schwiegervater gewandt hatte; anscheinend hatte er Kurt Frör um seine Meinung bezüglich der Bewerbungsfähigkeit noch nicht ordinierter Kandidaten für Pfarrstellen gebeten. 336 Kurt Frör argumentiert, dass die Kirchenleitung die Aufgabe habe, die Pfarrstellen verantwortlich zu besetzen. Um entsprechend vertrauenswürdige Kandidaten berufen zu können, müssten die Anwärter gewissenhaft geprüft werden: „Das Examen ist ein Teil davon, aber nicht alles. Dazu gehört das Ordinationsgespräch, und, als Ergebnis des gesamten Prüfungsvorganges, der Beschluss, dass der Kandidat in eine Gemeinde voziert werden kann. Das geschieht heute durch die Feststellung, dass er ordiniert werden kann. Erst dann hat er das Recht, sich auf eine Pfarrstelle zu melden.“ 337 Ebd.

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Exemplarisch: Das Engagement des AEE für die Frauenordination „Das Wort einer Theologin: ‚Für mich gehört die Vikarinnenfrage schon lange ins Gebiet der Neurosenlehre‘ ließ mich […] hoffen, daß auch in Bayern noch Theologen sich ihre Lebendigkeit bewahrt haben, nicht auf alten Positionen zu beharren, sondern wandlungsfähig geblieben sind. Selbst die äußerste Starrheit eines bayerischen Geistlichen, der mit seiner unerschütterlichen Ablehnung der Pastorin auf den Barrikaden zu fallen entschlossen ist, mußte wenigstens einräumen, daß das Pastorinnenproblem in 50 Jahren ebenso wenig mehr eine Rolle spielen wird, wie heute die Berechtigung der Frau als Ärztin und Juristin an leitender Stelle wirken zu dürfen noch angezweifelt wird.“338

Es war Alterspräsident Kurt Lentrodt, der sich mit dieser Stellungnahme auf der Frühjahrstagung der bayerischen Synode im März 1969 in Bayreuth zu Wort meldete. Während heute, knapp vierzig Jahre später, die Prophezeiung Lentrodts eingetroffen ist, und das „Pastorinnenproblem“ tatsächlich in Deutschland so gut wie keine Rolle mehr spielt, bestimmte es in den 1960er und 1970er Jahren maßgeblich die Diskussion innerhalb der bayerischen Landeskirche, die spätestens Anfang der siebziger Jahre mit ihrer Weigerung, Frauen zu ordinieren, zusammen mit der Landeskirche in Schaumburg-Lippe339 innerhalb der EKD auf verlorenem Posten stand: In manchen Landeskirchen gab es bereits seit 1958 volle Pfarrstellen für Frauen sowie deren Ordination; Vorreiter waren die Pfalz und Lübeck. Als 1961 die hannoversche Landeskirche ihren Entwurf zum Pastorinnengesetz vorlegte, der 1963 in Kraft trat, läutete dies einen „dienstrechtlichen Dammbruch“340 ein. In Bayern sollte es noch zwölf weitere Jahre dauern, bis die Frauenordination zugelassen wurde. In diesen Jahren hat wohl kein anderes Thema mehr Stellungnahmen der verschiedenen kirchlichen Gruppen hervorgerufen als die sogenannte Theologinnenfrage; auch VBV und LabeT meldeten sich hier wiederholt zu Wort341. Mitglieder des AEE haben gerade auch durch ihre Mitarbeit in der Synode hier eine herausragende Rolle eingenommen; daher sollen die Aktionen und Resolutionen des AEE im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen. Vorausgeschickt sei den folgenden Ausführungen zur Frauenordination, dass sich, was ihre Befürworter und ihre Gegner betraf, in der Auseinandersetzung 338 VLS 1969 / I, 53. Seine Wortmeldung wurde auf einem Flugblatt der KRIBS abgedruckt (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48). 339 In der Landeskirche Schaumburg-Lippe blieb den Frauen die Ordination bis 1991 verwehrt. 340 Hauschild, Kirche, 67. 341 Beispielsweise lag die Eingabe des LabeT, das Theologinnengesetz bald zu verabschieden, auf der Herbstsynode 1975 in Ansbach vor (vgl. auch VLS 1975 / II, 142).

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in mehrerlei Hinsicht Fronten auftaten: Zum einen wurde theologisch darüber gestritten, ob einer Frau aus biblischer Sicht der Weg ins geistliche Amt gestattet werden dürfe. Von Seiten der Gegner wurden hier vornehmlich Stellen aus den Pastoralbriefen zitiert, die eine kirchliche und gesellschaftliche Unterordnung der Frau betonten. Bevorzugt wurde außerdem der 1. Korintherbrief, Kapitel 14, Vers 34 angeführt: „Wie in allen Gemeinden der Heiligen, sollen die Frauen in den Gemeinden schweigen, denn es wird ihnen nicht erlaubt, zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt.“342 Befürworter der Frauenordination bezeichneten diese Stelle entweder als sekundäre Einfügung oder wiesen darauf hin, dass, sollte die Stelle kein Einschub sein, sie nicht einfach auf andere Gemeinden und Jahrhunderte übertragbar sei. Spätestens nachdem die theologische Fakultät Erlangen 1969 in ihrem Gutachten hatte verlauten lassen, dass aus theologischer Sicht die Frauenordination zulässig wäre, führten deren Gegner weitere Argumente ins Feld, die gegen eine bayerische Pfarrerin sprächen: Die Zulassung von Frauen ins Pfarramt sei gegen die Bekenntnisschriften, die Synode habe daher in dieser Frage keine Entscheidungsbefugnis. Man tue einer Frau keinen Gefallenen damit, ihr diesen für Männer schon oft zu schweren Beruf aufzubürden. Die Frauenordination würde einen Rückschritt für die Ökumene bedeuten. Bei der Lektüre der Resolutionen und Synodenprotokolle kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es im Grunde weniger um einen theologischen als um einen kulturellen Konflikt ging: Es stand zur Debatte, ob die gesamtgesellschaftliche Emanzipation der Frauen auch in der Kirche Einzug halten würde. Wie in kaum einer anderen Frage bildeten sich hier enge Netzwerke auf beiden Seiten: Unter den Befürwortern agierten besonders AEE und Theologinnenkonvent sowie die Bayerische Pfarrerbruderschaft gemeinsam; unter den Gegnern der Frauenordination bildete sich 1970 / 1971 eine – auch formal begründete343 – Koalition aus der KSBB i. B., der AKE, der Paul-GerhardBruderschaft, dem Konvent der Evang.-Luth. Gebetsbruderschaft, der Pfarrergebetsbruderschaft, der Communität Casteller Ring und der „Gesellschaft für Innere und Äußere Mission im Sinne der Lutherischen Kirche“.

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Übersetzung Elberfelder Bibel. Als auf der Herbsttagung der Synode 1970 in Bayreuth das Theologinnengesetz verabschiedet und das Beauftragungsgesetz in erster Lesung beschlossen worden war, schlossen sich die genannten Gruppen am 3. 11. 1970 in Nürnberg zu einem „Vorläufigen Leitungskreis der Kirchlichen Gruppen“ zusammen; der führende Kopf des Leitungskreises war Dekan Walter Reissinger. Der Kreis legte schließlich gegen die von ihm so genannten „Bayreuther Gesetze“ Rechtsverwahrung ein. Vgl. dazu auch Kapitel 1.5.2.2, 42 f. 343

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Der Diskussionsstand zum Zeitpunkt der Gründung des AEE Die Diskussionen über die Frauenordination in der bayerischen Landeskirche Ende der 1960er Jahre spielten sich vor folgendem Hintergrund ab344: Bis zur Verabschiedung des Vikarinnengesetzes 1944 mussten die wenigen bayerischen Theologinnen, die ab 1923 am Ersten Theologischen Examen in Ansbach teilgenommen hatten, sich ihre Arbeitsmöglichkeiten innerhalb der Kirche selbst organisieren, was bedeutete, dass sie vornehmlich in den Schul- und Archivdienst gingen345. Das „Kirchengesetz über das Dienstverhältnis der Vikarinnen“ (Vikarinnengesetz) von 1944, das mit Modifikationen bis 1970 Bestand hatte, erlaubte Frauen unter anderem die Wortverkündigung im Kindergottesdienst, in Bibelstunden vor Frauen und Kindern und im Religionsunterricht, die Wahrnehmung besonderer kirchlicher Aufgaben und die „Mitwirkung bei der Erledigung pfarramtlicher Geschäfte“346. Die öffentliche Wortverkündigung war der Theologin ebenso verwehrt wie die Verwaltung der Sakramente und die Vornahme von Amtshandlungen. Ihre Dienstbezeichnung war Vikarin bzw. nach dem Zweiten Theologischen Examen Pfarrvikarin; eine Ordination gab es für sie nicht, sie wurde für ihren Dienst eingesegnet347. Ihrem Dienstrang nach war die Vikarin Angestellte bei der Kirchengemeinde oder der jeweiligen Dienststelle, an der sie tätig war. Zudem war sie der Zölibatsklausel unterworfen. Hermann Blendinger charakterisiert die Stellung der Vikarinnen als „unklar konturierte[…] Zwischenwesen zwischen Pfarrern und Laien“348. 1954 wurde das Vikarinnengesetz einer geringfügigen Novellierung (v. a. Änderung einiger dienstrechtlicher Punkte) unterzogen349. 344 Vgl. Nützel, Kontextualität, 63–222; Blendinger, Aufbruch, 172–187. Nützel, ebd., 63, unterteilt die Geschichte der Theologinnen in Bayern in vier Phasen: In die erste Phase, die mit der Teilnahme von Frauen am kirchlichen Examen 1923 begann und bis zur Verabschiedung des Vikarinnengesetzes 1944 reicht, fiel die Gründung des Theologinnenkonvents; die Frauen arbeiteten in diesen Jahren „in individuell organisierten Arbeitsfeldern“. Phase 2 umfasst die Nachkriegsjahre bis 1970, bestimmt von der Frage, ob und inwieweit ein Dienst sui generis für die Theologin angestrebt und entwickelt werden sollte und inwieweit ihr die Sakramentsverwaltung zustehen sollte. Die dritte Phase umfasst die Jahre 1970 bis 1975 und lässt sich als das intensive Ringen um die „Theologinnenfrage“ charakterisieren, das mit der Einführung der Frauenordination endete. Als eine vierte Phase fasst Nützel die Jahre 1975 bis 1990 zusammen, in denen die Bemühungen im Mittelpunkt standen, durch das Erprobungsgesetz die Amtsformen für Pfarrer und Pfarrerinnen zu erweitern, und die durch die Diskussionen um den sogenannten Veto-Paragraphen und den Erziehungsurlaub geprägt waren. Zum Weg der Theologin ins Pfarramt auch in anderen Landeskirchen vgl. den Überblick bei Kuhlmann, Protestantismus. 345 Vgl. Nützel, Kontextualität, 81–83. 346 Ebd., 88 f. 347 Die ersten neun bayerischen Vikarinnen wurden im Sommer 1947 eingesegnet. Vgl. Nützel, Kontextualität, 94. 348 Blendinger, Aufbruch, 175. 349 Vgl. Nützel, Kontextualität, 97 f.

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Als 1955 Hermann Dietzfelbinger Hans Meiser im Amt des Landesbischofs ablöste, hofften die Theologinnen, dass der neue Bischof allmählich ihre Stellung und ihre beruflichen Möglichkeiten in der Landeskirche verbessern würde. In den folgenden Jahren zeigte sich jedoch, dass in Hermann Dietzfelbingers Vorstellungen von den Aufgaben der Frauen in der Kirche die Pfarrerin keinen Platz hatte: Er sah den Dienst der theologisch gebildeten Frau vornehmlich in der Diakonie und wollte für sie einen Dienst der eigenen Art schaffen. Dem Wunsch der Vikarinnen, Sakramente verwalten zu dürfen, stand er ablehnend gegenüber350. Abgesehen von diesem Anliegen waren die Vikarinnen mit weiteren Aspekten ihres Berufs wenig glücklich: Ihre Berufsbezeichnung vermittelte ein Berufsleben lang den Eindruck, sie hätten ihre Ausbildung nicht abgeschlossen; sie waren dem Kandidaten- und nicht dem Personalreferat zugeordnet; sie verdienten nur 80 Prozent des Gehalts ihrer männlichen Kollegen und sie waren noch immer der Zölibatsklausel unterworfen. In der Landessynode wurde die „Theologinnenfrage“ seit Anfang der sechziger Jahre intensiv verhandelt; hier waren übrigens zu diesem Zeitpunkt erst seit kurzem, nämlich seit 1958, Frauen als Synodale zugelassen. Auf der Frühjahrstagung 1961 machte Hermann Dietzfelbinger seine Position in der Theologinnenfrage deutlich: Der Beruf der Pastorin in anderen Landeskirchen sei „kein Ideal“, sondern ein „Notbehelf“; in Bayern wolle man auch aus ökumenischer Verantwortung heraus dieser „Nivellierung der Stände und Dienste“ nicht folgen, sondern vielmehr den Gaben der Frau angemessen noch mehr „das ihr gemäße Bild suchen“. Wieder hob Dietzfelbinger die Diakonie als ideales Arbeitsfeld für Theologinnen hervor351. Ein gemischter Ausschuss – unter anderem mit Synodalen, Vertretern des Landeskirchenrats und des Theologinnenkonvents352 – wurde eingesetzt, um an den von Dietzfelbinger gegebenen Anstößen weiterzuarbeiten353. 1962 stimmte der Landeskirchenrat einer 350

Vgl. dazu ebd., 101–103. Vgl. VLS 1961 / I, 10 f. 352 Pfarrvikarin Liesel Bruckner regte 1935 an, einen Theologinnenkonvent in der bayerischen Landeskirche zu gründen; das erste bayerische Theologinnentreffen fand im September 1935 in Nürnberg statt. Der Konvent bot den examinierten Theologinnen die Möglichkeit, sich über ihr Selbstverständnis und ihre Berufserfahrungen auszutauschen und gemeinsam die Vertretung ihrer Interessen gegenüber der Landeskirchenleitung wahrzunehmen. Mit der Verabschiedung des Vikarinnengesetzes 1944 erkannte der Landeskirchenrat den Theologinnenkonvent als berufsständische Vertretung an; diese Anerkennung endete mit der Integration der Theologinnen in das Pfarrergesetz 1975. Der Theologinnenkonvent blieb als berufsständische Organisation dennoch weiter bestehen; er setzt sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Frauen in der Kirche ein und dient als Diskussionsforum und zum Erfahrungsaustausch. Vgl. Nützel, Kontextualität, 173 f. 353 Zu dem Ausschuss vgl. VLS 1961 / I, 32. 351

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Anhebung der Theologinnengehälter von 80 auf 100 Prozent des Gehaltes ihrer männlichen Kollegen zu. Auf der Frühjahrssynode 1963 in Würzburg wurde beschlossen, dass zur weiteren Bearbeitung der Vikarinnenfrage ein synodaler Ausschuss gebildet werden sollte, der den Namen „Ausschuss für Fragen der theologisch gebildeten Frau“ (Theologinnenausschuss) trug354. Die Ergebnisse der Ausschussarbeit trug Dr. Liselotte Nold, Leiterin des Bayerischen Mütterdienstes, auf der Herbstsynode vom 25. bis 29. Oktober 1965 in Ansbach vor355: Demnach sei eine Revision des Vikarinnengesetzes nötig, ein Stellenplan für Theologinnen müsse geschaffen, die Berufsbezeichnung geändert werden; außerdem, so Nold, sei „die Sakramentsverwaltung im Dienstbereich […] von beiden Ausschüssen für eine wichtige Entscheidungsfrage und in der Mehrzahl mit verschiedenen Motiven für möglich gehalten worden“356. Nold plädierte für rasch anlaufende „praktische Versuche“ und beendete ihren Bericht mit den mahnenden Worten: „Wenn eine nächste Synode und wenn die Landeskirche diese Frage in absehbarer Zeit nicht rascher und direkter angeht, vor allem auch im Blick auf die Sakramentsverwaltung, fürchten wir, daß dieser Beruf stirbt, ehe er entwickelt ist. […] Wir verlieren die guten Kräfte an andere Kirchen und wir bekommen den Nachwuchs nicht, nach dem wir vielleicht in 10 Jahren klagend rufen.“357

Der Ausschuss legte einen Antrag vor, der Landeskirchenrat möge der Synode „möglichst bald“ ein Änderungsgesetz zum Vikarinnengesetz vorlegen, das unter anderem die Sakramentsverwaltung der Theologin in ihrem Dienstbereich ermögliche sowie bei den anderen oben erwähnten Mängeln der momentanen Regelung Abhilfe schaffe358. Der Referentenentwurf, den das Landeskirchenamt, weitgehend den Vorstellungen Hermann Dietzfelbingers vom „Dienst eigener Art“ der Frauen folgend359, nun zum Theologinnengesetz erarbeitete und der Ende September 1966 mit Bitte um Stellungnahme dem Theologinnenkonvent zuging, wurde von den Theologinnen abgelehnt. Laut dem Entwurf waren die Theologinnen weiterhin von der Sakramentsverwaltung ausge-

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Vgl. VLS 1963 / II, 22. Vgl. dazu VLS 1965 / II, 25–28. Nold trug die Ergebnisse des Ausschusses in Vertretung für den erkrankten Ausschussvorsitzenden vor. In dem Ausschuss war als sprachliche Regelung vereinbart worden, nicht mehr von der „theologisch gebildeten Frau“, sondern von der Theologin zu sprechen. Vgl. dazu auch Nützel, Kontextualität, 108. 356 VLS 1965 / II, 27. 357 Ebd., 27 f. 358 Vgl. VLS 1965 / II, 79. Vgl. außerdem Nützel, Kontextualität, 108 f. 359 Vgl. zu den Vorstellungen Dietzfelbingers zum „Dienst eigener Art“ in seinem Bischofsbericht (VLS 1966 / I, 18–21). Vgl. außerdem Nützel, Kontextualität, 109 f. 355

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schlossen, sie sollten in das Kirchenbeamten-, nicht in das Pfarrerrecht integriert werden; aufgehoben werden sollte die Zölibatsklausel, und die gegenüber den Pfarrern schlechtere Bezahlung sollte aufgestockt werden. Die Theologinnen waren mit dem Entwurf nicht einverstanden; sie kritisierten vor allem, dass sie sehr früh auf ein bestimmtes Arbeitsgebiet festgelegt würden, dass ihnen weiterhin die Sakramentsverwaltung verwehrt sei und dass sie außerdem weiter aus dem geistlichen Amt ausgeschlossen blieben360. Der Referentenentwurf wurde zur weiteren Überarbeitung zurückgezogen, doch auch die folgenden Entwürfe brachten nicht die Übertragung der Sakramentsverwaltung für die Theologin in ihrem jeweiligen Dienstbereich. Bereits bei seiner ersten Mitgliederversammlung am 3. und 4. März 1968 in Nürnberg gab der AEE eine Resolution ab, in der er die Sakramentsverwaltung der Frau ohne Einschränkung befürwortete. Die Wogen schlugen zu diesem Zeitpunkt hoch: Verschiedene Gruppen innerhalb der Landeskirche warben massiv für ihre Position. So hatte beispielsweise eine Gruppe um den Wunsiedler Dekan Dr. Walter Reissinger am 15. Februar 1968 ein Memorandum „Das Amt der Kirche und die Frau“ an alle bayerischen Synodalen und alle bayerischen Pfarrer versandt, in der sie die Pfarrer um Unterzeichnung einer Erklärung baten, in der es unter anderem hieß: „Sollte unsere Landeskirche ein solches Gesetz beschließen, wären diese Folgen unvermeidlich: a) Die Evang.Luth. Kirche in Bayern wäre nicht mehr mit der Kirche identisch, die uns ordiniert hat; b) die Pfarrerschaft und Gemeinden werden gespalten.“ Bis zum 28. Februar 1968 hatten bereits 173 bayerische Pfarrer unterschrieben361. Der AEE distanzierte sich in einer Stellungnahme vom 1. März 1968 „nachdrücklich vom Stil und Inhalt der Erklärung“.362 Auf der Frühjahrssynode 1968 wurde die Diskussion der Theologinnenfrage vertagt; jedoch wurde be360 Zur Stellungnahme des Theologinnenkonvents zu dem Entwurf vgl. Nützel, Kontextualität, 110 f. 361 Das Memorandum und die entsprechenden Anschreiben an Synodale und Pfarrer sind ebenso wie die Reaktionen darauf enthalten in: LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 149. Es gingen daraufhin zahlreiche Briefe an den Landesbischof ein; auch eine Gruppe Bayreuther Vikare meldete sich am 22. 2. 1968 zu Wort. Unklar war vielen vor allem, inwieweit der landeskirchliche Apparat dieses Memorandum der insgesamt sechs Pfarrer unterstützt hatte. Einem Schreiben von Walter Reissinger vom 2. 3. 1968 zufolge (ebenfalls an alle Pfarrer und Mitglieder der Landessynode versandt) war die Erklärung ohne das Wissen der Landeskirchenleitung abgegeben worden: „Die Adressierung der Umschläge wurde aus zeit- und arbeitstechnischen Gründen von der Stiftungsverwaltung erbeten. […] Die Kosten für Druck und Versand dieser Erklärung tragen die Unterzeichneten selbstverständlich privat“ (ebd.). 362 Stellungnahme zu der Erklärung „Das Amt der Kirche und die Frau“ vom 1. 3. 1968, unterzeichnet vom Geschäftsführenden Ausschuss des AEE Christian Blendinger, Kurt Hoffmann und Hermann von Loewenich (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 15).

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richtet, dass aufgrund der Ergebnisse, die der von der Synode zusammen mit dem Landeskirchenrat gebildete gemischte Ausschuss erarbeitet hatte, der Landeskirchenrat eine weitere Vorlage zur Frage der theologisch gebildeten Frau erstellt hatte. Während allerdings der Ausschuss in beschränktem Umfang für die Sakramentsverwaltung der Frau gestimmt hatte, hatte der Landeskirchenrat diese nicht in seinen Entwurf aufgenommen363. Auf der Herbstsynode am 23. Oktober 1968, die sich unmittelbar an die theologische Arbeitstagung anschloss und nur einen Nachmittag lang dauerte, spielte die Theologinnenfrage keine Rolle; sie sollte erst wieder bei der Frühjahrssynode 1969 für Diskussionen sorgen. Die KRIBS -Flugblätter zur Frauenordination auf der Frühjahrssynode 1969 Vor der Tagung der Landessynode im Frühjahr 1969 erarbeiteten Pfarrvikarin und AEE-Mitglied Marianne Pflüger und die AEE-Arbeitsgruppe III / Nord (Kirchenverfassung) eine Stellungnahme des Leitenden Teams „Zur Frage der Theologinnen in der Evang.-Luth. Kirche Bayerns“364. Darin wurden einige der oben genannten Missstände benannt und Vorschläge zu deren Änderung gemacht: Die Theologinnen sollten dem Personalreferat unterstellt werden, ihre Berufsbezeichnung sollte in Pfarrerin oder Pastorin geändert werden, ihnen sollte die Sakramentsverwaltung in ihrem jeweiligen Dienstbereich übertragen werden, es sollte ihnen das aktive Wahlrecht bei den Senioratswahlen in den Pfarrkapiteln zustehen, und Stellenbesetzungen bei Theologinnen sollten auf dem normalen Weg der Ausschreibung und Bewerbung im Amtsblatt erfolgen. Die Stellungnahme schließt mit der Bitte: „Seit etwa 40 Jahren studieren auch in Bayern Frauen Theologie. Die Kirche hat dankbar ihren Dienst angenommen, soweit sie ‚untergeordnet‘ blieben. Helfen Sie bitte, diese Einstellung zu überwinden, damit Möglichkeiten für gleichberechtigte, verantwortliche Mitarbeit von Frauen in der bayerischen Landeskirche geschaffen werden.“365

Dieses Schreiben lag den Synodalen auf der Frühjahrstagung 1969 in Bayreuth vor. Doch der AEE sollte weit über diese Stellungnahme hinaus bei der Theologinnenfrage für Aufsehen sorgen, nämlich mittels der Flugblätter der KRIBS, die der Arbeitskreis gemeinsam mit anderen bayerischen Gruppierungen initiiert hatte366. Ein Großteil der Flugblätter war der Theologinnenfrage 363 364 365 366

Vgl. VLS 1968 / I, 26 f. B+K, Nr. 2 / Frühjahr 1969, 26–29. Ebd., 29. Zur KRIBS vgl. Kapitel 3.2.1, 133–142.

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gewidmet; sie werden in ihrer unterschiedlichen Mach- und Tonart kurz dargestellt367. Gleich zu Beginn der Synode bezog Hermann Dietzfelbinger klar Stellung und widmete einen großen Teil seines Bischofsberichts der Theologinnenfrage. Er mahnte an, bei der Behandlung dieser Frage „auf Gewissensbedenken und die Schriftgebundenheit vieler ernsthafter Glieder der Gemeinde Rücksicht“368 zu nehmen. In ihrem ersten Flugblatt zur Frauenordination mit dem Titel „Ein Gewissen wiegt soviel wie das andere“ (KRIBS-Flugblatt Nr. 2) kritisierten die KRIBS-Teilnehmer diese Äußerungen Dietzfelbingers; er habe damit eine „massive Beeinflussung der Synode“ vorgenommen. Das Flugblatt ist in sachlichem Ton gehalten; es enthält eine exegetische Auseinandersetzung mit 1. Korinther 14, 34 (vgl. oben) und drei kurze Anfragen zum vorherrschenden Umgang mit Theologinnen in der bayerischen Landeskirche. Nüchtern im Ton ist auch das darauffolgende Flugblatt (KRIBS-Flugblatt Nr. 3): Hier wird vor der angedachten Ernennung der Theologin zur Kirchenbeamtin gewarnt und ein eigener Vorschlag zum Theologinnengesetz gemacht. Mit dem dritten Flugblatt zum Thema Frauenordination (KRIBS-Flugblatt Nr. 11), das sich auf Zitate aus der Wortmeldung Hermann Dietzfelbingers zur Diskussion um die Theologinnenfrage bezieht369, ändert sich der Tonfall370: Es ist überschrieben mit Dietzfelbingers Worten: „Ich glaube, daß wir weiterkommen“ und setzt hinzu: „Wir zweifeln daran!“. Als Rahmen des sich anschließenden Textes dienen zwei Kästen: Im oberen stehen die Worte „Die ‚Freudigkeit‘ der Brüder im Amt darf nicht auf Kosten der Freudigkeit der Schwestern gehen“, im unteren Kasten heißt es: „Übrigens: Die Freudigkeit der meisten Brüder wird beeinträchtigt, wenn die Schwestern ohne Freudigkeit bleiben.“ Auch hier stand ein Ausspruch Dietzfelbingers Pate, der in seinem Beitrag seine Sorge darüber betonte, „daß die Amtsbrüder in der Landeskirche beisammen bleiben“ und er ihnen „die Freudigkeit erhalten oder wiedergeben“371 wolle. Zwischen den beiden Kästen stehen zwei direkte Fragen an Dietzfelbinger:

367 Alle im Folgenden zitierten Flugblätter sind enthalten in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48. 368 VLS 1969 / I, 20. Die abschließenden Worte Dietzfelbingers zur Theologinnenfrage in seinem Bischofsbericht waren: „Möge diese Synode einen Weg beschreiten, der dem wertvollen Dienst der Theologin in der Landeskirche zu einer angemessenen Form hilft, aber von der Verbindlichkeit des geistlichen Amtes nichts abbricht und auf Gewissensbedenken und die Schriftgebundenheit vieler ernsthafter Glieder der Gemeinde Rücksicht nimmt!“ 369 Vgl. VLS 1969 / I, 60 f. 370 Flugblatt Nr. 11 (Bayreuth), enthalten in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48. Ebd. vgl. die nachfolgenden Zitate. 371 VLS 1969 / I, 61.

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„1. Herr Landesbischof, Sie möchten in der Theologinnenfrage ‚für die Schwachen eintreten‘. Wir fragen: Wer sind die Schwachen? Eine Gruppe von etablierten Pfarrern, die in gleicher Weise vom Pfarrergesetz geschützt sind wie ihre Kollegen und die in der Lage scheinen, bei Nichtberücksichtigung ihrer Wünsche eine eigene Kirche zu gründen, oder die Theologinnen selbst, die seit Jahren aus Bayern abwandern, weil ihre Berufung mißachtet wird? 2. Sie fragen: ‚Welche Vollmacht hat die Synode als die Vertretung der Gemeinde in Fragen des geistlichen Amtes und des allgemeinen Priestertums?‘ Warum machen Sie der Synode das Recht streitig, über die Theologinnenfrage zu entscheiden? Die Pfarrer wurden auch nicht ‚alle gehört‘, als das Pfarrergesetz, welches das geistliche Amt mindestens ebenso berührt, von der Synode verabschiedet wurde. Oder weichen Sie auf eine illusionäre Einmütigkeit aller Amtsträger aus, weil Sie einer Mehrheit in der Synode nicht mehr sicher sind? Wo ist in der Verfassung unserer Kirche das Plebiszit aller Amtsträger vorgesehen? Ist Nichtstun der gesuchte gemeinsame Weg?“

Ein ganz anderer Stil wurde dann für das vierte Flugblatt zur Frauenordination gewählt (KRIBS-Flugblatt Nr. 12): der des Märchens. Es war „Das Märchen vom Weg nach vorn“ und reagierte auf die Berichterstattung des Synodalen Friedrich Wolf über die Arbeit des Theologischen Ausschusses zur Theologinnenfrage, dessen Entschlüsse – vor allem die eingeschränkte Befugnis der Theologin zur Sakramentsverwaltung – immer wieder beschnitten worden war372. „Es war einmal ein Ausschuß. Der plagte sich redlich. Viele, viele Monate lang. Und die Arbeit trug auch Früchte. Ein neues verheißungsvolles Gesetz für die Priesterinnen des Landes reifte heran. Der Ausschuß glaubte, er habe dem königlichen Hof ein königliches Geschenk gemacht. Da kamen die königlichen Räte voll Entsetzen zusammen. Sie glaubten nämlich, in dieser Frucht sei an einigen Stellen ein geheimnisvolles Gift verborgen, das gewisse Priester und Weise des Landes in unheilvolle Raserei versetzen würde. Flugs schnitten sie mit einem scharfen Messer hier und da ein Stückchen weg. Da begann die restliche Frucht gar fürchterlich zu faulen und zu stinken. So wurde sie der königlichen Hofversammlung angeboten. Aber selbst die Priesterinnen des Landes, die sonst alles schluckten, wandten sich entsetzt ab. Seitdem stinkt die Frucht vor sich hin. …. und stinkt ….und stinkt …und stinkt ….und hoffentlich stinkt es dem Ausschuß auch!“373

Auf dem fünften Flugblatt zum Thema (KRIBS-Flugblatt Nr. 16) beschränkten sich die KRIBS-Autoren auf sechs „Thesen zur Pastorinnenfrage“, gedacht als Diskussionsgrundlage für den Offenen Abend, um schließlich auf einem 372 Vgl. dazu ebd., 126 f. Vgl. die Vorlage „Entwurf eines Kirchengesetzes über das Dienstverhältnis der Theologinnen“ (ebd., 171–176). 373 Flugblatt Nr. 12 (Bayreuth), in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 48.

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letzten Flugblatt dazu (KRIBS-Flugblatt Nr. 18) mit dem Titel „Frauen-Ordination und Sakramentsverwaltung gehören nicht in einen Topf!“ die Forderung nach der „Sakramentsverwaltung durch die Theologin in ihrem Dienstbereich“ zu stellen und zu verdeutlichen, dass den Unterzeichnern nicht an einer „übereilte[n] Einführung der Frauenordination, bevor nicht die Frage des Amtsverständnisses neu beantwortet ist“, gelegen sei. Der Theologische Ausschuss empfahl unter anderem aufgrund der großen Kontroversen in der allgemeinen Aussprache, die Vorlage zum Theologinnengesetz bis zur Frühjahrstagung 1970 zurückzustellen; die anstehende Herbsttagung der Synode sollte „zum Teil als Arbeitstagung für die anstehenden Sachfragen“ genutzt werden. Zur Vorbereitung der Arbeitstagung sollte wieder ein gemischter Ausschuss arbeiten, in dem interessierte Gruppen mitarbeiten könnten374. Der Frühjahrstagung 1970, so der weitere Plan, könne dann ein Gesetzentwurf zur Abstimmung vorliegen. Die Diskussion auf den folgenden Synoden Auf der Herbstsynode 1969 lag das Gutachten der theologischen Fakultät Erlangen vor, das sich dafür aussprach, dass Frauen mit Predigtamt und Sakramentsverwaltung betraut werden könnten375. Nun wurde jedoch auf der Synode die Theologinnenfrage von der Diskussion um Amt und Ordination insofern überlagert, als Ordination und Sakramentsverwaltung entkoppelt wurden. Überlegungen zu einem verfassungsändernden „Beauftragungsgesetz“, einem „Kirchengesetz über die Beauftragung kirchlicher Mitarbeiter zur Sakramentsverwaltung“, kamen ins Spiel. Durch das Beauftragungsgesetz konnten nichtordinierte kirchliche Mitarbeiter376 via Beauftragung durch den Kirchenvorstand in bestimmten Fällen zur Sakramentsverwaltung befähigt werden; der Landeskirchenrat musste diese Beauftragung genehmigen. Unter diese Regelung sollten nun die Theologinnen ebenso wie die „Laien“ fallen. Die Notwendigkeit, dass theologisch gebildete Frauen ordinierte Pfarrerinnen würden, damit ihre Forderung nach Sakramentsverwaltung erfüllt würde, war damit nicht mehr gegeben. Gleichzeitig wurde ein neuer Entwurf des Theologinnengesetzes diskutiert, durch das die Frauen am geistlichen Amt teilhaben würden, ihnen 374

Vgl. VLS 1969 / I, 126 f. LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 149. Ein Teil dieser Stellungnahme ist abgedruckt in: B+K, Nr. 6 / 15. 2. 1970, 15–17. 376 Laut Referentenentwurf vom Januar 1970 waren damit die Berufsgruppen „Vikare, (Pfarr-) Vikarinnen, Pfarrverwalter im Vorbereitungsdienst, Religionsphilologen(innen), die mit der Erteilung von RU kirchlich beauftragt sind, und Lektoren mit Predigterlaubnis (Praedikanten)“ gemeint. Andere Gruppen von Mitarbeitern könnten „nur aufgrund eines Kirchengesetzes einbezogen werden“ (Nützel, Kontextualität, 115). 375

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der Dekan bzw. Leiter der Dienststelle und nicht mehr der Ortspfarrer vorstehen und die Zölibatsverpflichtung aufgehoben würde. Wie sehr die Verhandlungen um beide Gesetzesvorlagen von taktischen Überlegungen geprägt waren, zeigt exemplarisch ein Brief des Erlanger Systematikers Walter Künneth an Hermann Dietzfelbinger vom 25. Februar 1970. Künneth wollte verhindern, dass das Theologinnengesetz auf der Frühjahrssynode in Coburg eine Sonderstellung erhalten könnte: „Es scheint mir aber in Coburg alles darauf anzukommen, daß eine Verkopplung dieser beiden Gesetze [Beauftragungsgesetz und Theologinnengesetz] nicht aus dem Auge verloren wird, denn eine isolierte Annahme des Theologinnengesetzes scheint mir hinsichtlich der theologischen Begründung nicht glücklich zu sein und würde in aller Welt als eine Vorstufe für die Frauenordination und das volle Frauenpfarramt verstanden werden. Angesichts der immer heftiger werdenden Debatte über die Ordination und vor allem auch angesichts der äußerst bedenklichen Vorstöße einer radikalen Gruppe von Vikaren (bisher 43) in bezug auf die Ordinationsfrage könnte ich einer isolierten Annahme des Theologinnengesetzes nicht zustimmen.“377

Am selben Tag, als Walter Künneth diesen Brief verfasste, beschloss der Bruderrat der Bayerischen Pfarrerbruderschaft in seiner Sitzung: „Die Treue zu Schrift und Bekenntnis unserer Kirche verlangt eine Auffassung vom kirchlichen Amt, die Theologinnen von der Verwaltung der Sakramente und der Verkündigung des Wortes nicht ausschließt.“378 Auf der Frühjahrssynode 1970 wurde das Gesetz über das Dienstverhältnis der Theologinnen mit 73 Pro- und neun Gegenstimmen in erster Lesung verabschiedet379. In erster Lesung wurde auf der Herbstsynode 1970 auch das verfassungsändernde Beauftragungsgesetz beschlossen380; verabschiedet wurde es auf der Frühjahrssynode 1971381. Bis zur zweiten Lesung des Theologinnengesetzes versuchten diejenigen, die gegen weitergehende Befugnisse der Theologinnen waren, das Ruder noch einmal herumzureißen: Beispielsweise meldete sich die AKE Anfang Juni 1970 mit einem Schreiben an alle Synodalen zu Wort, in dem sie sich dafür aussprach, nicht weiter Halbheiten zu vertreten, sondern den Mut zum „Nein zur Einbeziehung der Frau ins Geistliche Amt überhaupt“ aufzubringen: „Und dann weisen Sie der Frau auf der ‚mütterlichen Seite‘ der Kirche den ihr gemäßen Ort an und erlauben Sie, daß sie es auf 377 378 379 380 381

LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 149. Der Beschluss ist enthalten in ebd. Vgl. VLS 1970 / I, 92. Mit 76 Pro- und zehn Gegenstimmen. Vgl. den Beschluss in: VLS 1970 / II, 84. Zum Beschluss des Beauftragungsgesetzes vgl. VLS 1971 / I, 114.

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dieser Seite in Anerkennung der Gleichwertigkeit von Mann und Frau ebenso weit bringen kann wie der Mann im Geistlichen Amt, d. h. auf der ‚väterlichen Seite‘ der Kirche!“382 Doch diese und andere Interventionen waren nicht von Erfolg gekrönt: Das geänderte Theologinnengesetz, das unter anderem den Frauen eine größere Bandbreite an Arbeitsfeldern, in bestimmten Fällen eine Übertragung der Sakramentsverwaltung, in Einzelfällen auch Amtshandlungen ermöglichte und ihre Arbeitsverhältnisse weitgehend an die ihrer männlichen Kollegen anglich, wurde auf der Herbstsynode 1970 mit einer Mehrheit von 79 zu sechs Gegenstimmen verabschiedet und sollte mit dem 1. Januar 1971 in Kraft treten383. Nach dem Beschluss wünschte Synodalpräsident Burkhardt dem Gesetz „eine gute Auswirkung und Segen für unsere Landeskirche“384 und schloss mit den Worten: „Damit möchte ich diese langjährigen Beratungen abschließen.“385 Doch in der Theologinnenfrage war mit dem Gesetz keinesfalls ein Schlusswort gesprochen; die Unklarheiten, die das Gesetz mit sich brachte, entfachten die Diskussion um das Amt der Theologin kurz darauf aufs Neue. Dabei spielte nicht zuletzt die neue Zusammensetzung der Synode eine Rolle. Die Probleme mit dem Beauftragungs- und dem geänderten Theologinnengesetz 1970–73 Unzufriedenheit mit dem neuen Theologinnengesetz wurde sowohl bei Gegnern als auch bei Befürwortern der Sakramentsverwaltung durch Frauen laut386. Befürworter wie die AEE-Mitglieder kritisierten vor allem die Unsicherheiten, die mit dem Gesetz einhergingen und die für die Vikarinnen keinen Fortschritt, sondern teilweise sogar einen Rückschritt bedeuteten. Dies zeigt deutlich der sogenannte „Theologinnenreport“, den Claus-Jürgen Roepke, Marianne Pflüger und Christian Blendinger erstellten. Anhand zehn verschiedener Arbeitssituationen bayerischer Theologinnen stellten sie hier die Schwierigkeiten der 382 Schreiben der AKE an die Synodalen, datiert auf Anfang Juni 1970, in: LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 149. Der AKE meldete sich in dieser Angelegenheit wiederholt mit Briefen an die Synodalen zu Wort (vgl. die Unterlagen in LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 149). 383 Zu dem Beschluss vgl. VLS 1970 / II, 97; vgl. die Gesetzesvorlage ebd., 181–185; vgl. außerdem Nützel, Kontextualität, 116. 384 VLS 1970 / II, 97. 385 Ebd. 386 Zu den Aktionen der Gegner der Sakramentsverwaltung durch Frauen gehörte auch, dass der „Vorläufige Leitungskreis der Kirchlichen Gruppen“ Rechtsverwahrung gegen die 1970 in Bayreuth beschlossenen Regelungen einlegte. Vgl. dazu Kapitel 1.5.2.2, 42 f.; vgl. auch Nützel, Kontextualität, 118.

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momentanen Regelung vor387. Das Resümee, das die drei zogen, war deutlich: „Das Gesetz muß geändert werden. Denn es ist theologisch fragwürdig. Es ist menschlich diskriminierend. Und es ist praktisch kaum durchführbar. Und das alles zusammen ist denn doch selbst für ein Kirchengesetz zuviel des Schlechten.“388 Was an Unsicherheiten durch das neue Theologinnengesetz ausgelöst worden sei, beschreiben die Verfasser griffig: Neben anderen Kritikpunkten ist zu lesen, dass die Liturgie weiterhin Männersache sei, Frauen als „Ersatzfrauen“ dienten, die zahlreichen Beauftragungen und Einsegnungen sowohl den Vikarinnen als auch den Gemeinden zu viel und zu unübersichtlich würden und die Rechtslage für „altgediente“ Vikarinnen zum Teil einen Rückschritt bedeute. Besonders diskriminierend sei außerdem für die Frauen das Einspruchsrecht männlicher Kollegen gegen ihre Beauftragung mit Sakramentsverwaltung und Predigt. Als der „Theologinnenreport“ zusammengestellt wurde, waren bereits erste Schritte eingeleitet worden, die Regelung wieder zu revidieren: AEE-Mitglied Uta Hickmann hatte die 1971 neugewählte Synode auf ihrer ersten Tagung im Frühjahr 1972 in Bayreuth gebeten, „das Theologinnengesetz noch einmal in Angriff zu nehmen“389. Synodalpräsident Burkhardt formulierte mit ihr gemeinsam einen Antrag, den er dem Landessynodalausschuss vorlegte390. Auf der Herbstsynode 1972 wurde zudem der Anstoß aufgenommen, über die Teilbeschäftigungsverhältnisse für verheiratete Theologinnen nachzudenken; wiederum wurde ein gemischter Ausschuss gebildet391. Die Durchsetzung der Frauenordination 1974 / 75 Die Unzufriedenheit mit dem Theologinnengesetz wuchs in den kommenden Monaten weiter, der AEE fragte in der Maiausgabe 1973 seiner Berichte und Kommentare ungeduldig: „Was wird aus der Theologin?“ und warf der Synode Verzögerungstaktik vor, wobei er auch die Mitglieder des AEE-nahen synodalen Arbeitskreises „Offene Kirche“ von seiner Kritik nicht ausschloss: 387

B+K, Nr. 15 / 1. 3. 1973, 11–18. Ebd., 12. 389 VLS 1972 / I, 144. Vgl. außerdem auf der Bayreuther Synode 1972 auch die kritische Wortmeldung von Hildegard Hamm-Brücher (VLS 1972 / I, 75), in der sie beklagt, „die Mitarbeit der Frauen in der Kirche wird vom Landeskirchenrat noch sehr stiefmütterlich oder stiefschwesterlich behandelt. […] Wir haben heute viel über eingefrorene Planstellen und über Theologenmangel gehört. Ich möchte fragen, welches andere Land immer noch keine ordinierten Theologinnen hat.“ 390 Laut der Aussage von Uta Hickmann verfasste Burkhardt noch am selben Abend mit ihr gemeinsam einen Antrag zur Vorlage beim Landessynodalausschuss (vgl. Blendinger, Aufbruch, 186 und 301). 391 Vgl. Nützel, Kontextualität, 120. 388

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„Es ist deshalb zu fragen, was die ‚Offene Kirche‘ zu tun gedenkt. Weiter mitzuverzögern oder endlich klare Anträge auf den Tisch zu legen? Sollte sie nicht wissen, in welcher Richtung, sei ihr hier ein Rat gegeben: Uneingeschränkte Übernahme der theologisch gebildeten und examinierten Frau in das Pfarrergesetz! Das umgehende Gerücht, der Bischof werde dann die Synode auflösen, sollte sie nicht schrecken. Entweder sie werden wiedergewählt oder sie bleiben als ehrliche Vertreter ihrer Meinung draußen. Wäre das so schlimm?“392

Ein symbolischer Akt dieser Monate war sicherlich, dass auf der Pfingsttagung der Pfarrerbruderschaft 1973 Liesel Bruckner die Abendmahlsfeier hielt393. Im Herbst 1973 brachten vierzig Synodale, Angehörige des synodalen Arbeitskreises „Offene Kirche“, als Initiativantrag die Vorlage für ein neues Theologinnengesetz in die Synode ein; die Gruppe forderte die volle Gleichberechtigung der Theologin mit dem Pfarrer durch ihre Einbeziehung in das Pfarrergesetz394. Dem Initiativantrag stimmte auch der Konvent Evangelischer Theologinnen in Bayern zu395. Diese Vorlage wurde weiterverhandelt; der synodale Ausschuss unter Leitung von Dr. Ludwig Blendinger macht daraus einen Gesetzentwurf, der im Frühjahr 1974 der Synode vorgelegt wurde396. Vertreter des AEE bzw. der synodalen Arbeitsgruppe „Offene Kirche“ meldeten sich nicht nur in der Diskussion nachdrücklich zu Wort, die „Offene Kirche“ legte den Synodalen auch zwölf „Thesen zur Theologinnenfrage (Zu den Einwen392

B+K, Nr. 16 / 15. 5. 1973, 5. Pfarrvikarin Liesel Bruckner war seit 1935 erstes weibliches Mitglied der Pfarrerbruderschaft (vgl. Blendinger, Aufbruch, 318); zu der Pfingsttagung vgl. außerdem Korrespondenzblatt 88 (1973), Nr. 8 / 9 (August / September), 86 f., den Beitrag von Gerhard Nemec: „Konflikt und Gemeinschaft. Eine Pfarrvikarin leitete die Abendmahlsfeier der Pfarrerbruderschaft in Rummelsberg“. Bevor Liesel Bruckner auf einstimmigen Beschluss des Bruderrates (dessen Mitglied sie selbst war) die Abendmahlsfeier leitete, hatte es eine Auseinandersetzung um das Vorhaben gegeben: Ein Pfarrer hatte den Landeskirchenrat von dem Plan unterrichtet, woraufhin Siegfried Wolf in einem Brief an die Bruderschaft darauf verwies, dass Vikarinnen nur in ihrem eigenen Dienstbereich das Abendmahl leiten dürften; die Pfingsttagung falle jedoch nicht in den Dienstbereich Bruckners. Die Pfarrerbruderschaft sah mehrheitlich den Landeskirchenrat hier nicht als weisungsberechtigt an und hielt an ihrem Beschluss fest, den sie biblisch und theologiegeschichtlich begründete. 394 Vgl. zu der Gesetzesinitiative LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 15; B+K, Nr. 18 / 20. 10. 1973, 2. Vgl. außerdem den Entwurf eines Kirchengesetzes über die Neuregelung des Dienstverhältnisses der Theologinnen (Theologinnenneuregelungsgesetz / TNG), in: VLS 1973 / II, 217 f., sowie die Vorstellung und Diskussion der Vorlage in: ebd., 54–60. 395 Vgl. das Schreiben des Theologinnenkonvents an Landesbischof Dietzfelbinger, eingegangen am 13. 2. 1974 (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 150). 396 Vgl. Entwurf eines Kirchengesetzes zur Eingliederung der Theologinnen in das Pfarrer- und Kandidatenrecht, vorgelegt in der vom Theologinnenausschuß verabschiedeten Fassung (VLS 1974 / I, 146–150). 393

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dungen gegen das Theologinnengesetz)“397 vor. Die Abstimmung der ersten Lesung wurde jedoch aufgrund des großen Diskussionsbedarfs auf die Herbsttagung verschoben, was Hartmut Weber in den Berichten und Kommentaren enttäuscht mit der Bemerkung kommentierte: „Das mangelnde taktische Geschick der Befürworter des Theologinnengesetzes wird hoffentlich den Verantwortlichen zu denken geben. Weil man im entscheidenden Augenblick die an und für sich vorhandenen Stimmen nicht beibringen konnte, ist in der Öffentlichkeit der zwar nicht ganz zutreffende, aber doch recht peinliche Eindruck entstanden, das gesamte Gesetz sei in der ersten Lesung durchgefallen.“398

Weber mutmaßt in seinem Artikel auch, dass es keiner der Synodalen mehr zu einem offenen Konflikt mit Dietzfelbinger habe kommen lasse wollen; man habe dessen „letztes Amtsjahr nicht unnötig belasten“ und außerdem nicht in den Ruch des „Bischofskillers“ geraten wollen399. Solche Überlegungen wurden jedoch bald hinfällig: Früher als erwartet erklärte Landesbischof Dietzfelbinger zu Beginn der Herbstsynode 1974, dass er sein Amt zum 1. Mai 1975 niederlegen und in den Ruhestand treten werde. Neben gesundheitlichen Gründen gebe es auch „andere Tatbestände und Erwägungen, die diesen Termin nahelegen“400; in seinen Lebenserinnerungen wird Dietzfelbinger später die Frauenordination als „Schritt in die falsche Richtung“401 bezeichnen. Auf derselben Synode, auf der Dietzfelbinger seinen geplanten Rücktritt erklärte, wurde die erste Lesung des Theologinnenneuregelungsgesetzes abgeschlossen402. Auf der Synode im Herbst 1975 kam es zur zweiten, abschließenden Lesung des „Kirchengesetzes über die Berufung der Theologin zum Dienst des Pfarrers“ und zur Verabschiedung des Gesetzes403. Es trat am 1. Januar 1976 in 397 LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 37. Die Thesen sind abgedruckt in B+K, Nr. 20 / Juni 1974, 3–5; vgl. außerdem Nützel, Kontextualität, 122f; vgl. auch VLS 1974 / I, 129. Der synodale Arbeitskreis „Frau und Kirche“ (AFK), der gegen die Frauenordination war, antwortete auf diese Thesen mit einem Flugblatt. 398 Hartmut Weber: Klimawechsel. Zur Frühjahrstagung der Landessynode (B+K, Nr. 20 / Juni 1974, 1 f., hier: 2). Diese Konfliktvermeidung Dietzfelbinger zuliebe betraf neben dem Thema Frauenordination auch die Leuenberger Konkordie. 399 Ebd., 1; vgl. dazu auch den Kommentar von Hermann von Loewenich: Vor der zweiten Halbzeit. Zur Arbeit der Landessynode (B+K, Nr. 22 / Februar 1975, 3–6), in dem von Loewenich die Verzögerung der Verabschiedung wesentlicher Entschlüsse (Theologinnengesetz, Stellungnahme zu Leuenberger Konkordie und EGO) durch den „dosierten“ Einspruch Dietzfelbingers beklagt. 400 VLS 1974 / II, 11. 401 Dietzfelbinger, Veränderung, 320. 402 Vgl. die Annahme der ersten Lesung mit 71 Pro-, 21 Kontrastimmen und 4 Enthaltungen (VLS 1974 / II, 120). 403 Über das Gesetz wurde auf Antrag hin schriftlich abgestimmt. Vgl. die Aussprache und den Beschluss, in: VLS 1975 / II, 75–86.

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Kraft; die Theologinnen waren nun mit allen Rechten in das Pfarrergesetz integriert. Bis Jahresende 1976 waren bereits vierzehn bayerische Theologinnen ordiniert404. Ein sogenannter „Veto-Paragraph“ gab betroffenen Pfarrern und Kirchenvorständen noch bis 1995 die Möglichkeit, aus Gewissensgründen die Ausschreibung einer Pfarrstelle für eine Theologin zu verhindern; dieser Paragraph wurde auf der Frühjahrssynode 1996 gestrichen405. Resümee: Die Rolle des AEE bei der Durchsetzung der Frauenordination Wie bei so vielen Aktionen der Reformgruppen lässt sich auch in der Theologinnenfrage kein direkter Kausalzusammenhang zwischen der Gruppe AEE und der Durchsetzung der Frauenordination herstellen. Die Ausführungen haben aber gezeigt, dass sich sowohl der AEE als Gruppe – wie paradigmatisch die Resolution zur Theologinnenfrage auf seiner ersten Mitgliederversammlung im März 1968 zeigt – als auch seine Mitglieder als einzelne Persönlichkeiten in ihren jeweiligen Funktionen vehement für die Frauenordination eingesetzt haben. Gerade in dieser Frage kam es außerdem auffällig häufig zur Zusammenarbeit mit anderen Gruppen – bei der KRIBS mit den Vertretern des theologischen Nachwuchses, bei Anträgen an die Synode unter anderem mit der Evangelischen Akademikerschaft, bei dem Theologinnenreport und den Gesetzesvorlagen mit dem Theologinnenkonvent. Wie entscheidend für die AEE-Mitglieder das Engagement für die Durchsetzung der Frauenordination war, zeigen auch die Erinnerungen der Zeitzeugen: Die Frauenordination galt als eines der einenden Themen, ja das herausragende Thema der Gruppe, an dem sich die „Opposition […] artikuliert hat“406, und man sieht die Durchsetzung der Frauenordination durchaus als einen Erfolg, zum Teil als Haupterfolg der eigenen Bemühungen407.

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Vgl. Nützel, Kontextualität, 130. Der Antrag auf Abschaffung des „Veto-Paragraphen“ vom Konvent der evangelischen Theologinnen in Bayern war bereits 1989 und wieder auf der Frühjahrssynode 1996 behandelt worden (vgl. VLS 1996 / I, 96 und 122–124); abgeschafft wurde er durch Synodalbeschluss vom Herbst 1996. Der Veto-Paragraph hatte in der Praxis kaum eine Rolle gespielt; seit 1980 hatte es nur zwei Ausschreibungsbeschränkungen gegeben (vgl. VLS 1996 / I, 96). 406 Interview Foitzik, 16. 407 Vgl. beispielsweise Interview Foitzik, 24: „An bestimmten Bereichen – und an denen hole ich mir dann die Kraft, auch wieder weiter zu machen – war es so, dass wir gesagt haben: Das war sinnvoll […] und es hat sich gelohnt, es hat auch was verändert. […] Das geht von Kleinigkeiten bis hin zur Frauenordination.“ Vgl. auch Interview Friedrich, 11: „Der Haupterfolg war die Frauenordination“ und 15: „Wir hätten die Frauenordination nicht gekriegt ohne das Engagement dieser Gruppen.“ 405

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3.3 Einsatz der Kirche für die Welt Eine Kirche zu gestalten, die stärker als bisher Anteil an den zahlreichen Problemen der Menschen nehmen, sich vermehrt zugunsten der Unterdrückten positionieren, die sich der Welt zuwenden sollte – das war neben der Demokratisierung kirchlicher Strukturen das zweite große Anliegen der kirchlichen Reformgruppen im Untersuchungszeitraum. Sie sahen die Kirche in der Gefahr, sich vor den Herausforderungen der Gegenwart zurückzuziehen, sie wollten, dass sie sich verstärkt für diese öffnete und in ihr handelte. Der AEE brachte dieses von ihm geforderte gesellschaftspolitische Engagement der Kirche wiederholt durch den Terminus „Offene Kirche“ zum Ausdruck. So lautete die siebte der insgesamt 16 Thesen, die AEE-Sprecher Hermann von Loewenich als „Perspektiven einer erneuerten Volkskirche“ auf der Dekanatsjugendpfarrrerkonferenz im Juli 1974 in Grafrath vortrug: „Eine erneuerungsfähige Kirche muß eine offene Kirche sein. Das Stichwort ‚Offene Kirche‘ ist zu verstehen als Alternative gegen ein geschlossenes System von Kirche, die sich von der Welt abschließt oder in einer feindlichen Umwelt zu überwintern trachtet. Offene Kirche heißt demgegenüber Zeitgenossenschaft. Das Evangelium soll den Menschen der Gegenwart bezeugt werden. Von daher ist immer wieder zu überprüfen, was in der kirchlichen Praxis nur auf die Selbsterhaltung der Institution und auf binnenkirchliche Probleme ausgerichtet ist und was den Menschen durch Wort und Tat zum Leben verhilft, wie es Christus eröffnet.“408

Von Loewenich führte in den folgenden Thesen weiter aus, was für ihn eine offene Kirche bedeutete: So hatte – um nur einige seiner Anliegen zu nennen – die „Öffentlichkeitsarbeit im Sinne eines zurückgewonnenen ‚publice docere‘ […] in einer offenen Kirche Priorität“, eine offene Kirche sei auf den „Dialog der Theologie mit den Humanwissenschaften angewiesen“, sie müsse sich mit dem „Problem des innerkirchlichen Pluralismus“ auseinandersetzen. Einige der Punkte, die von Loewenich sich von einer „offenen Kirche“ erwartete, sind bereits unter dem Stichwort „Demokratisierung“ dargestellt worden. Im Mittelpunkt dieses zweiten Teils sollen vor allem die Aktionen und Verlautbarungen von AEE, VBV und LabeT stehen, die dezidiert mit der von Loewenich angemahnten „Zeitgenossenschaft“ der Kirche, ihrem Einsatz für die Welt zusammenhängen, bei denen sich die umfassend verstandene Verantwortung der Gruppen in konfessionsübergreifenden und globalen Fragen ebenso zeigt wie in gesellschaftspolitischen Themen. Dabei ist es gerade im Un408 Hermann von Loewenich: Perspektiven einer erneuerten Volkskirche (B+K, Nr. 21 / November 1974, 15–17, hier: 16).

Einsatz der Kirche für die Welt

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terschied zu den Mitgliedern sogenannter bekennender Gemeinschaften das Kennzeichen der kirchlichen Reformgruppen, die Grenzen der Konfessionen und Partikularkirchen ebenso wie die Grenzen einer lutherischen Zwei-ReicheLehre angesichts des für sie globalen Auftrags, im Namen Jesu für Gerechtigkeit und Frieden auf der Welt einzutreten, als zweitrangig zu betrachten.

3.3.1 Engagement in globalen und konfessionsübergreifenden Fragen Über den Tellerrand der eigenen Landeskirche, der eigenen Konfession zu blicken, war erklärtes Ziel vor allem des AEE: Viele seiner Mitglieder waren schon lange vor Gründung des Arbeitskreises von der ökumenischen Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre erfasst worden. Unter ihnen ist besonders das AEEMitglied Else Müller, ab 1970 erste hauptamtliche Ökumenereferentin der bayerischen Landeskirche, zu nennen. Ihr Einsatz für konfessionsübergreifende Zusammenarbeit, der bereits in den späten 1940er Jahren begonnen hatte, wird von Zeitzeugen als „legendär“ beschrieben409. Bereits bei der ersten Mitgliederversammlung des AEE im März 1968 wurde betont, wie wichtig dem Kreis gelebte Ökumene war: „Die Exodusgemeinde ist ermächtigt, überkommene Grenzen zu verlassen. Darum gehört zu ihrem Zeugnis der Dienst der Versöhnung zwischen den Völkern und gesellschaftlichen Gruppen, das Gespräch über die Grenzen von Weltanschauungen und Ideologien hinweg, vor allem aber die oekumenische Gemeinschaft in der Christenheit, wo immer sie möglich ist. Angesichts der Aufgaben, die Christus seiner Gemeinde heute stellt, ist es wichtiger, die oekumenische Gemeinschaft der Christen zu praktizieren, als konfessionelle Verschiedenheiten zu betonen und zu stabilisieren.“410

409 Vgl. Interview Kugler, 7 f.; Interview Schanz, 3. Vgl. dazu auch die Ausführungen Else Müllers in B+K, Nr. 26 / Juli 1976, 4 f., mit dem Titel: Ein Wunschkatalog. Themen einer unprovinziellen Ökumene. Ausführlich zu Else Müller vgl. Foitzik, Else Müller; Hassel, Brückenbauerin; zu den ökumenischen Entwicklungen der Nachkriegszeit in der bayerischen Landeskirche vgl. den Überblick bei Martin, Entwicklungen. 410 „Überlegungen zur Aufgabenstellung des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung“. Leicht geänderte Fassung auf Grund der Diskussion in der ersten ordentlichen Mitgliederversammlung am 3. / 4. 3. 1968 in Nürnberg (B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 1 f.). Mit seinem Engagement für die Ökumene zeigte der AEE ein wesentliches Charakteristikum kirchlicher Reformgruppen; vgl. dazu Marquardt, Kritik, 197: „Es fällt sofort auf, wie stark die kritische Kirche Teil einer großen ökumenischen Bewegung ist. Das ist angesichts der nationalkirchlichen Tradition des deutschen Protestantismus etwas ganz Außerordentliches und darüberhinaus das erste Zeichen dafür, daß die ökumenische Sache den Kirchenfürsten, die sie bisher als ihre Domäne behandelt haben, endlich strittig und zur Sache der ganzen Kirche und aller Gemeinden gemacht wird.“

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Um diese ökumenische Gemeinschaft bemühte sich der AEE in den folgenden Jahren auf verschiedenste Weise, sei es, dass einzelne seiner Regionalgruppen mit katholischen Christen zusammen an Projekten arbeiteten411, sei es, dass die synodale Arbeitsgruppe „Offene Kirche“ eine verstärkte Vernetzung der bayerischen Synode mit ökumenischen Organisationen forderte412. Der Einsatz für die Annahme der Leuenberger Konkordie Zu dem ökumenischen Engagement ist auch der Einsatz des AEE für die Annahme der Leuenberger Konkordie zu rechnen. Insgesamt fast fünf Jahre währte die Diskussion um die „Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa“, in der die evangelischen Kirchen Europas ihre Übereinstimmung in Grundfragen des Glaubens (Christologie, Prädestination, Abendmahl) bekundeten sowie, darauf basierend, in eine Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft traten413. Im September 1971 war von 49 Vertretern aus mehr als 60 lutherischen, reformierten und unierten Kirchen Europas ein erster Entwurf beschlossen worden, der den verschiedenen Kirchen mit der Aufforderung um Stellungnahme zugeleitet wurde; die endgültige Fassung der Leuenberger Konkordie wurde am 16. März 1973 verabschiedet. Es lag nun an den einzelnen Kirchen, sich für oder gegen eine Annahme der Konkordie zu entscheiden. In Bayern zählten die Mitglieder der KSBB i. B. zu den entschiedenen Gegnern der Konkordie; sie begründeten ihre Kritik in einer Stellungnahme vom September 1972 vor allem damit, dass hier eine Konkordie „trotz schwerer Lehrdifferenzen“414 angenommen werden solle, ihrer Ansicht nach aber „eine Konkordie, sofern sie geistlich wahrhaftig sein soll, nur auf gemeinsamer Grundlage des Glaubens vor Gott verantwortet werden kann“415. Mit ihrer ablehnenden Haltung standen Mitglieder der Sammlung in der bayerischen Landeskirche nicht allein da: Die Auflösung von Schrift

411 Beispielsweise beschäftigte sich die Regionalgruppe Bamberg mit der Thematik „Dritte Welt“ und erarbeitete dazu gemeinsam mit einer katholischen Gruppe ein Gottesdienstkonzept (vgl. B+K, Nr. 8 / 15. 7. 1970, 2). Auch die AEE-Gruppe Ingolstadt startete gemeinsam mit katholischen Gruppen eine Aktion „Dritte Welt“ (vgl. den Bericht in B+K, Nr. 8 / 15. 7. 1970, 7–9). 412 So die Erklärung der Arbeitsgruppe „Offene Kirche“ zur Münchner Synode (März 1973). In dieser Erklärung wird unter anderem der Antrag an den Landessynodalausschuss gestellt, die Synode „sollte stärker als bisher an der Delegation bayer. Vertreter zu oekumenischen Aktivitäten und Konferenzen beteiligt werden. Jeder Synodale, der es wünscht, soll in Zukunft außer mit der EPD-Dokumentation auch mit dem ÖPD (Ökumenischen Pressedienst) kostenlos regelmäßig beliefert werden“ (B+K, Nr. 16 / 15. 5. 1973, 10 f.). 413 Vgl. zur Leuenberger Konkordie auch Kapitel 3.1, 121. 414 Stellungnahme der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern e. V.“ zur Leuenberger Konkordie (Bäumer / Beyerhaus / Grünzweig, Weg, 183–186, hier: 184). 415 Ebd.

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und Bekenntnis wurde befürchtet416, das „Gespenst der Einheitskirche“417, so Hermann Blendinger, ging um, und die Aussprachen zur Konkordie waren auf den Tagungen der Landessynode von scharfen Wortwechseln geprägt. Für Hermann Dietzfelbinger sollte die absehbare Annahme der Konkordie ebenso wie die erkennbare baldige Durchsetzung der Frauenordination schließlich zu nicht geringem Teil zu seinem vorzeitigen Rücktritt vom Amt des Landesbischofs 1975 führen418. Der AEE hingegen setzte sich mit Stellungnahmen und Wortmeldungen auf den Synoden für die Annahme der Konkordie ein. Er begründete seine Zustimmung zur Leuenberger Konkordie damit, dass diese auf eine „möglichst breite Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst“ hin strebe; sie sei vor dem Hintergrund einer dialogisch zu verwirklichenden Kirchengemeinschaft zu sehen, die „funktional vom Auftrag der Kirche her verstanden“419 werden müsste. Für „ängstliches oder taktierendes Hinausschieben der Annahme der Konkordie“ zeigte der Kreis kein Verständnis: Dies wirke „auf den ökumenischen Dialog wie auf die Aufarbeitung der eigenen theologischen Tradition entmutigend“420. Das Engagement für die „Dritte Welt“ Unabhängig von ihrer Konfession wurde die Situation der Christen anderer Länder, gerade der „Dritten Welt“, thematisiert, und der AEE widmete sich der Frage, wie er den sozialen Weltfrieden aktiv mitgestalten könnte. Im November 1968 etwa warb die AEE-Arbeitsgruppe IV (Politik) in einem Antrag an die Mitgliederversammlung um deren Zustimmung für verschiedene Pro416 Vgl. dazu auch den nicht namentlich gekennzeichneten Artikel „Leuenberger Konkordie – Auflösung von Schrift und Bekenntnis?“ (B+K, Nr. 14 / 1. 10. 1972, 2). Hier geht der Verfasser auf die sogenannten „Ratzeburger Thesen“ der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ vom 25. 6. 1972 ein, die von bayerischer Seite aus Günter Schlichting und Friedrich-Wilhelm Künneth unterzeichnet hatten. Sie werfen der Leuenberger Konkordie vor, diese löse die Geltung der Bekenntnisse auf, bringe das Evangelium nicht voll zur Geltung, verbalisiere das Sakrament und verfälsche das Verständnis der einen heiligen Kirche. Die Thesen sind abgedruckt in: Bäumer / Beyerhaus / Grünzweig, Weg, 187–193. 417 Blendinger, Aufbruch, 210. Vgl. zu den Diskussionen um die Leuenberger Konkordie ebd., 209–223. 418 Siehe dazu das Beispiel „Das Engagement des AEE für die Frauenordination“, 192–207. 419 So die Stellungnahme des Leitenden Teams vom 31. 7. 1972 (B+K, Nr. 14 / 1. 10. 1972, 7 f.). 420 Vgl. dazu ebd., 8. Auf die Ankündigung der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis“, bei Annahme der Leuenberger Konkordie durch die Kirchenleitungen sich von der jeweiligen Landeskirche zu trennen (vgl. die Meldung „Kirchliche Sammlung droht mit eigener Kirchenleitung“, in: NELKB 29 (1974), Nr. 5 vom März (1), 96), reagierte Claus-Jürgen Roepke mit der Glosse: „Kirchengesetz über die Pflege religionsgeschichtlich wertvoller Minderheiten im bayerischen Luthertum (Minderheitenschutz-Gesetz)“ in B+K, Nr. 20 / Juni 1974, 16 f.

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jekte421, die alle das Ziel verfolgten, „dass sich die Gemeinden unserer Landeskirche mit der Problematik der dritten Welt befassen. Es geht darum, auf den verschiedensten Wegen eine Bewußtseinsbildung und einen Lernprozeß einzuleiten.“422 Für ein konkretes Projekt zur „Dritten Welt“ setzte sich die AEE-Arbeitsgruppe „Selbstbesteuerung“ ein423: Dieser von vornherein nur als temporär geplante Kreis konstituierte sich im Juni 1969 und verfolgte das Ziel, für den Welthunger zu sensibilisieren und Möglichkeiten der Hilfe zu eröffnen. Seinen Mitgliedern gelang es, dass sich bereits sechs Monate nach Gründung des Arbeitskreises 120 AEE-Mitglieder und 70 Personen, die nicht dem AEE angehörten, selbst besteuerten, d. h. ein bis drei Prozent ihres Nettoeinkommens für die Entwicklungshilfe zur Verfügung stellten. Diese Selbstbesteuerung war unter anderem gedacht als „eine ‚Protesthandlung‘ gegen die Aufwendungen des Entwicklungsetats, der jahrelang unter dem von der UNO geforderten 1 % des Volkseinkommens lag […]. Sich selbst besteuern heißt u. a., den Welthunger zu einem innenpolitischen Problem der Bundesrepublik machen zu wollen. […] Selbstbesteuerung bedeutet weiterhin den Versuch, sich mit anderen Personen, die ebenfalls ihr caritatives Engagement zum gesellschaftspolitischen erweitert haben, zu koalieren.“424

Außerdem erstellte der Kreis Unterrichtsmaterial zum Thema „Dritte Welt“ für Lehrer und Pfarrer, arbeitete mit anderen entwicklungspolitischen Gruppen auf Landes- und Bundesebene zusammen und beteiligte sich an der Organisation von Friedensmärschen. Die VBV tat sich hier vor allem bei einem Thema

421 Unter anderem zählten zu diesen Vorhaben zwei Anträge an die Landessynode: „a) Unbeschadet der Verhandlungen und Ergebnisse der EKD-Synode in Berlin (Oktober 1968) zu Fragen der dritten Welt möge die Bayerische Landessynode die Anregung der Weltkirchenkonferenz in Uppsala aufnehmen und 5 % der Kirchensteuereinnahmen zur Linderung der Not in den Entwicklungsländern zur Verfügung stellen. b) Die Landessynode wird gebeten, ein Grundsatzreferat mit Aussprache über die Problematik und die Ursachen der Not in der dritten Welt einzuplanen und zu diesem Problemkreis ein Wort an die Gemeinden zu richten.“ So die Anträge der Arbeitsgruppe IV (Politik) des AEE an die Mitgliederversammlung des AEE am 1. / 2. 11. 1968 in Nürnberg (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 18). 422 Ebd. 423 Das Modell der Selbstbesteuerung hatte seinen Ursprung in Holland; es wurde nicht nur in der bayerischen Landeskirche aufgegriffen: In Württemberg beispielsweise beschäftigte sich die 1966 gegründete Kirchenreformgruppe „rostra theologica“ intensiv mit den Verhältnissen in der „Dritten Welt“ und engagierte sich dabei auch für die Selbstbesteuerung. Vgl. dazu Gebert, „rostra theologica“. 424 So ein Rundschreiben des Kreises vom 12. 9. 1969 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 35).

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aus dem Bereich Ökumene / „Dritte Welt“ hervor, nämlich beim sogenannten Anti-Rassismus Programm des ÖRK. Exemplarisch: Die VBV und das Anti-Rassismus Programm des ÖRK „Es muß uns klar werden, daß die Kirchenmitglieder, die ihre Verantwortung für die Bedürftigen in irgendeinem Teil der Welt praktisch leugnen, ebenso der Häresie schuldig sind wie die, welche die eine oder andere Glaubenswahrheit verwerfen.“425 Diese Sätze stammen aus dem Referat „Der Auftrag der ökumenischen Bewegung“, das der frühere ÖRK-Generalsekretär Willem Adolph Visser’t Hooft auf der ÖRK-Vollversammlung vom 4. bis 19. Juli 1968 in Uppsala vortrug. Motto der Versammlung war „Siehe, ich mache alles neu“ (Joh 21,59). Zählt man – dem Verlauf der Versammlung durchaus angemessen – zu den hier von Visser’t Hooft genannten Bedürftigen die Menschen, die unter Rassismus leiden, ist man bereits mitten in der Diskussion um das sogenannte Anti-Rassismus Programm, das seinen Anfang weitgehend unbeachtet auf der ÖRK-Vollversammlung nahm und schließlich auch die bayerische Landeskirche intensiv beschäftigte: Dass man als Christ Verantwortung für Bedürftige, selbstverständlich auch für durch Rassismus Unterdrückte hat, stand außer Frage; in welcher Form aber diese Verantwortung wahrgenommen werden konnte und inwieweit sich die Institution Kirche dabei politisch positionieren durfte, daran sollten sich die Geister scheiden. Der Weg zum Anti-Rassismus Programm Zentrales Thema der ÖRK-Vollversammlung in Uppsala war, wie Christen sich konkret an der Verwirklichung des Reiches Gottes beteiligen könnten, wie sie „heute schon etwas von der Neuschöpfung sichtbar werden [lassen könnten], die Christus an seinem Tag vollenden wird“426. In allen Kommissionen und Sektionen wurde die Frage behandelt, wie der sozialen Ungerechtigkeit durch tatkräftige Unterstützung der Benachteiligten und Unterdrückten entgegengewirkt werden könnte. Ein Weg, die von Visser’t Hooft angemahnte und gleichsam in den status confessionis erhobene Verantwortung für die Welt wahrzunehmen, sollte das sogenannte Anti-Rassismus Programm sein427: Der „Ausschuß für Kirche und Gesellschaft“ gab in Uppsala Empfehlungen für ein umfangreiches Studien- und Aktionsprogramm zur Beseitigung des Rassismus. Er definierte dabei Rassismus als 425 426 427

Visser’t Hooft, Auftrag, 337. Goodall, Bericht, 1 f., hier: 1. Zum Anti-Rassismus Programm vgl. auch Frieling, Aufbrüche.

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„den ethnozentrischen Stolz auf die eigene rassische Gruppe, Bevorzugung der besonderen Wesensmerkmale dieser Gruppe, die Überzeugung, daß diese Merkmale grundsätzlicher biologischer Art sind und den nachfolgenden Generationen weitergegeben werden, negative Empfindungen gegenüber anderen Gruppen, die nicht an den eigenen Merkmalen teilhaben, verbunden mit dem Drang, die andersrassische Gruppe zu diskriminieren und von der vollen Teilhabe am Leben der Gemeinschaft auszuschließen.“428

Am 21. August 1969 billigte der Zentralausschuss des ÖRK in Canterbury den „Plan eines ökumenischen Programms zur Bekämpfung des Rassismus“429. In einem Rundschreiben informierte der Zentralausschuss die Mitgliedskirchen kurz darauf von dem geplanten Ökumenischen Fünfjahresprogramm, in dessen Rahmen auch ein Sonderfonds mit 200.000 US-Dollar eingerichtet werden sollte, für den der Ausschuss weitere 300.000 US-Dollar von den ÖRKMitgliedskirchen erbat. Die Mittel dieses Fonds, so das Rundschreiben, „sollen vom Exekutivausschuß an Organisationen vergeben werden, die mit den Zielsetzungen des Ökumenischen Rates übereinstimmen, unterdrückte Rassengruppen in ihrem Kampf um Gerechtigkeit unterstützen und den Opfern rassischer Unterdrückung helfen“430. Das Exekutivkomitee des ÖRK, zu dessen Mitgliedern auch der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker zählte, nahm in seiner Sitzung vom 2. September 1970 in Arnoldshain diese Empfehlung des Zentralausschusses an, die in dem erwähnten Sonderfonds bereitgestellten 200.000 US-Dollar verschiedenen Freiheitsbewegungen, unter anderem in Afrika, zur Verfügung zu stellen431. Stellungnahmen der EKD und der VELKD Als Hermann Dietzfelbinger von diesem Entschluss des Exekutivkomitees erfuhr, sandte er am 15. September 1970 in seiner Funktion als EKD-Ratsvorsitzender einen Eilbrief an den ÖRK-Generalsekretär Dr. Eugene Blake, in dem er die „außerordentliche Unruhe“ schilderte, die dieser Beschluss ausgelöst habe: „Nicht wenige Kirchenmitglieder protestieren energisch dagegen. Sie sind gerne bereit, der Kirche Gaben und Kirchensteuern zur Verfügung zu stellen. Aber sie vermögen angesichts dieses Beschlusses nur sehr schwer einen Zusammenhang zwischen ihren Gaben und der tatsächlichen Verwendung herzustellen. Manche Glieder der 428

Goodall, Bericht, 253. Der Wortlaut des Beschlusses von Canterbury vom 21. 8. 1969 ist abgedruckt in: epd-dokumentation: Anti-Rassismus Programm, 24–32. 430 Brief des Zentralausschusses des ÖRK an die Mitgliedskirchen im August 1969 (ebd., 33–39, hier: 36). 431 Der Beschluss von Arnoldshain vom 2. 9. 1970 ist abgedruckt in: ebd., 52–59. Die Organisationen, an die die Gelder gehen sollten, sind ebd. mit kurzer Darstellung ihrer Ziele aufgelistet. 429

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Kirche, besonders solche, die die Verhältnisse in der Dritten Welt kennen, überlegen sich, ob sie unter diesen Umständen weiterhin der Kirche angehören wollen.“432

Dietzfelbinger bezeichnete die Verantwortung der Christen für verfolgte und unterdrückte Menschen als „unbestritten“, bezweifelte aber, dass bei dem Beschluss des Exekutivkomitees „alle Faktoren berücksichtigt wurden, die nötig sind, um dieses Vorgehen der kirchlichen Öffentlichkeit als Handeln der Kirche Jesu Christi deutlich und einsichtig zu machen“: „Bei den unterstützten Organisationen ist […] in mindestens einigen Fällen zu fragen, ob die Zweckbestimmung dieses Dienstes noch erkannt wird, nämlich gewaltlose Maßnahmen zu fördern, die mit den Zielen des Ökumenischen Rates in Einklang stehen. Ich bin sicher, daß der Beschluß nur solchen Zielen dienen möchte. Aber wenn etwa Revolutionsregierungen unterstützt werden, liegt zumindest die Vermischung der Rassismusprobleme mit Tendenzen des Nationalismus sehr nahe.“433

Noch am selben Tag antwortete der holländische Soziologe Baldwin Sjollema, der Exekutivreferent des Anti-Rassismus Programms, da Generalsekretär Blake zu diesem Zeitpunkt abwesend war. Sjollema rechtfertigte den Entschluss des ÖRK, der „kein drastischer Umschwung seiner Politik, sondern vielmehr die Konsequenz einer zwanzigjährigen Überzeugung“434 sei. Der ÖRK habe die Zusicherung aller beteiligten Organisationen erhalten, dass die ihnen zur Verfügung gestellten Gelder „nicht für militärische Zwecke verwendet werden, sondern für Rechtshilfeprogramme, soziale und medizinische Hilfe, sowie Erziehungsprojekte innerhalb ihrer Organisationen.“ Der Exekutivausschuss, so Sjollema weiter, habe sich intensiv mit den Anfragen auseinandergesetzt; man solle nun die Unterstützung der entsprechenden Organisationen „als das ansehen, was sie ist: eine Folgerung, die sich aus der Entscheidung ergibt, den Rassismus mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, jedoch ohne Gewaltanwendung, zu bekämpfen“435. Für Dietzfelbinger war diese Antwort Sjollemas offensichtlich keine Beruhigung: Am 18. September 1970 ging eine Erklärung der EKD-Kirchenkanzlei mit dem Titel „Kampf gegen den Rassismus“ an die Öffentlichkeit, die mit den Worten schloss, dass die „von Landesbischof Dietzfelbinger gegen 432 LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 51; der Brief ist außerdem abgedruckt in epdDokumentation: Anti-Rassismus Programm, 60 f. 433 Ebd. 434 LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 51. Vgl. dazu auch die kurze Zusammenstellung der „Vorgeschichte“ der Aufbrüche von Uppsala bei Frieling, Aufbrüche, 176–178. 435 Schreiben Sjollemas an Dietzfelbinger am 15. 9. 1970 (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 51).

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den fraglichen Beschluß des Exekutiv-Komitees […] geltendgemachten Bedenken […] nicht ausgeräumt“436 worden seien. Eine Stellungnahme des Rats der EKD folgte am 24. September 1970. In ihr wurde das Ziel des ÖRK, bei Rassismus den Unterdrückten zu helfen, grundsätzlich bejaht; dem angedachten Programm müsste aber die Klärung einiger grundsätzlicher Fragen vorausgehen437. Entschiedener äußerte sich einen Tag später die Lutherische Kirchenleitung (VELKD): Kirchliche Gelder für den Entwicklungsdienst sollten grundsätzlich „in Partnerschaft mit den Kirchen am Ort verwendet werden“, „politische Gruppen sollen nicht mit kirchlichen Geldern gefördert werden.“438 Die Generalsynode der VELKD erklärte am 8. Oktober 1970 in Eutin, sie verkenne nicht „daß es Christen geboten sein kann, das Recht des Nächsten notfalls auch mit Gewalt zu verteidigen oder zu erkämpfen, wenn es in politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Unterdrückung ständig mißachtet wird. Die Kirche selbst aber würde durch Anwendung von Gewalt ihrem Zeugnis widersprechen und ihre Bemühungen um Versöhnung und Frieden unglaubwürdig machen. Sie verfehlt auch ihren Auftrag, wenn sie andere Mittel zur Verfügung stellt, die direkt oder indirekt Gewaltanwendung fördern.“439

Interessant ist hier die Unterscheidung zwischen Christen und Kirche, die einen deutlichen Unterschied zu kirchlichen Reformgruppen markiert: Diese machten keinen Unterschied zwischen der Aufgabe der Kirche und der Aufgabe eines Christen; die Kirche sollte ja gerade als Gemeinschaft von Christen das durch Jesu Vorbild Gebotene Tun. Die bayerische Landessynode schloss sich auf ihrer Herbsttagung vom 18. bis 23. Oktober 1970 in Bayreuth in einer Stellungnahme zum Anti-Rassismus Programm der Erklärung der VELKD an440.

436

epd-Dokumentation, Anti-Rassismus Programm, 63 f. Ebd., 71–74. 438 Ebd., 74. 439 „Erklärung der Generalsynode zum Rassismus vom 8. Oktober 1970“ (Lutherische Generalsynode 1970, 525). Abschließend bat die VELKD-Synode die Gemeinden darum, denen, die unter Diskriminierung litten, zu helfen. Der Rat der EKD und die Kirchenleitung der VELKD sollten „dafür […] sorgen, daß kirchliche Mittel nur im Sinne des Auftrages der Kirche verwendet werden. Ihr Einsatz soll in jedem Fall in partnerschaftlicher Absprache mit den Kirchen am Ort geschehen.“ 440 Vgl. dazu die kontroversen Diskussionen auf der Synode (VLS 1970 / II, 58–63, sowie 125–127); vgl. dazu auch Bernd Mayer: Landessynode in Bayreuth vom 18. bis 23. Oktober 1970 (NELKB 25 (1970), Nr. 22 / November (2), 428 f.). 437

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Das Engagement der VBV für das Anti-Rassismus Programm Die 2. Vollversammlung der VBV am 12. Oktober 1970 in Ingolstadt ging bereits zu Ende, als von den zu diesem Zeitpunkt noch Anwesenden „die Stellungnahme der Bischöfe Dietzfelbinger und Wölber441 zur Entscheidung des Ökumenischen Rates, antirassistische Gruppen zu unterstützen, scharf verurteilt“ wurde442. Da die Versammlung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr beschlussfähig war, wurde vereinbart, dass das Ständige Team eine Resolution zum Anti-Rassismus Programm vorbereiten und dieses den VBV-Mitgliedern zur schriftlichen Abstimmung weiterleiten sollte443: Das Ständige Team kam diesem Auftrag nach, und so lag dem 4. VBV-Rundbrief vom 29. Oktober 1970 ein entsprechender Entwurf mit der Bitte um Unterzeichnung bei. Sobald eine entsprechende Anzahl an Zustimmungen eingegangen sei, wolle man mit der Erklärung an die Öffentlichkeit gehen. Um die „Resolution mit einem symbolischen Beitrag an den Ökumenischen Rat unterstreichen [zu] können“, wurden die VBVMitglieder darüber hinaus um Spenden gebeten, die sie unter dem Kennwort „Rassismus“ an ein eigens dafür eingerichtetes Konto einzahlen sollten. Der Rundbrief wurde wie gewöhnlich auch an den Landeskirchenrat und den Pfarrerverein verschickt. Letzterer reagierte umgehend: Am 3. November 1970 lag der VBV-Resolutionsentwurf der Konferenz aller bayerischen Dekane und Vertreter der kirchlichen Werke und Dienststellen der bayerischen Landeskirche vor, zwei Tage später wandte Wilhelm Mädl sich als Vorsitzender des Pfarrervereins mit einem Schreiben an die Mitglieder des Ständigen Teams, in dem er diese zu einer Aussprache einlud und „dringend“ um deren Anwesenheit bat. Der Brief zeigt deutlich, dass es ihm vor allem darum ging, dem im VBV-Rundbrief angekündigten Schritt der Vikare in die Öffentlichkeit vorzubeugen: „Ich bin der Meinung, daß dieses Problem sorgfältig besprochen werden muß, da wichtige Lebensfragen unserer diakonischen Arbeit auf dem Spiel stehen. Auch sind meiner Meinung nach erschöpfende Informationen 441 Hans-Otto Wölber, leitender Bischof der VELKD, hatte das Anti-Rassismus Programm heftig kritisiert: „Der einzelne Christ“, so Wölber, „mag für sich aus seinem Gewissen heraus einen gewaltsamen Widerstand verantworten, aber die Kirche kann immer nur als Anwalt für Überzeugungen handeln und bleibt ohne Einschränkung an den Grundsatz der Gewaltlosigkeit gebunden“ (NELKB 25 (1970), Nr. 19 / Oktober (2), 380 f.). 442 Ich orientiere mich im Folgenden an der „Dokumentation zur Antirassismusresolution der VBV“, die als Anlage zum VBV-Rundbrief, Nr. 5 / 21. 12. 1970 erschienen ist [im Folgenden: VBV-Rundbrief (Anti-Rassismus Programm)]. 443 Dies war gemäß VBV-Satzung, Absatz 3. 2. 4, möglich: „Bei Dringlichkeit kann auf Anregung des Ständigen Teams oder auf Antrag von einem Fünftel aller Mitglieder eine briefliche Beschlußfassung herbeigeführt werden. Für eine solche Beschlußfassung ist die Rückantwort von einem Drittel der Mitglieder der VBV notwendig. Mehrheitsverhältnisse gelten entsprechend.“

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noch notwendig, damit keine unbedachten und unerwünschten Reaktionen heraufbeschworen werden.“444 Als Gesprächstermin gab Mädl den 13. November vor und nannte als Teilnehmer des Gesprächs unter anderen die VBV-Vertreter und Oberkirchenrat Kurt Horn. Doch zu der Aussprache sollte es nicht mehr kommen: Als zum Zeitpunkt der nächsten Sitzung des Ständigen Teams am 9. November bereits 51 VBVMitglieder (bei acht Gegenstimmen und einer Enthaltung) die Resolution unterzeichnet hatten445, schickte das Ständige Team die leicht veränderte Resolution an die Presse und gab sie zur Veröffentlichung frei. Die Motive für dieses rasche Vorgehen werden im Protokoll der Sitzung vom 9. November deutlich: „Immerhin sei es [das Ständige Team] vor der Gefahr des Mauschelns mit den Dekanen schon gewarnt worden; außerdem sei der vorgesehene Veröffentlichungstermin (2. Nov.) schon weit überschritten. Eine Verschiebung bis nach dem Gespräch setze es schließlich aller Voraussicht nach unter noch stärkeren Druck von seiten der Gesprächspartner, aber auch von seiten der Vikare, die auf die Veröffentlichung drängen.“446

Auf der selben Sitzung verfasste das Team außerdem ein Schreiben an Mädl, in dem es den Pfarrerverein von der Veröffentlichung der Resolution informierte und zugleich seine Teilnahme an dem geplanten Gespräch mit Vorschlag weiterer Gesprächspartner zusagte, wobei es sein „Befremden“ nicht verhehlte, dass Termin und Gesprächspartner ohne vorherige Verständigung mit der VBV einfach festgelegt worden waren447. Mädl sagte drei Tage später, nachdem die Resolution bereits an die Medien gegangen war, das Gespräch jedoch wieder ab. Offensichtlich hätte es vor allem den Sinn gehabt, öffentliche Verlautbarungen der VBV zu verhindern. Die bayerische Dekanskonferenz, die prompt über die geplante öffentliche Resolution der Vikare informiert worden war, hatte ihrerseits allerdings auch nicht auf ein derartiges Gespräch gewartet: Die Konferenz hatte bereits am 4. November eine eigene Stellungnahme zum Anti-Rassismus Programm herausgegeben, in der die Dekane deutlich machten: „Die Vergabe von Mitteln aus Kollekten für ökumenische Aufgaben und für die Aktion ‚Brot für die Welt‘ zur Unterstützung von Organisationen, die mit Mitteln der Gewalt arbeiten, widerspricht dem Zweck dieser Mittel und kann deshalb nicht in 444

VBV-Rundbrief (Anti-Rassismus Programm). VBV-Ordner Frör. 446 Ebd. 447 Schreiben des Ständigen Teams der VBV an Mädl vom 9. 11. 1970, in: VBV-Rundbrief (Anti-Rassismus Programm). 445

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Frage kommen. Ebenso wird es abgelehnt, Kirchensteuermittel zur direkten oder indirekten Förderung von Gewaltmaßnahmen zu verwenden, da dies dem Geberwillen und der Zweckbestimmung der Kirchensteuer widerspricht.“448

Die Medien waren offensichtlich ebenso wie Mädl von dem entschiedenen Vorstoß der Vikare überrascht: Es ist dokumentiert, dass sich der Evangelische Pressedienst nach Erhalt der Resolution am 10. November noch einmal bei dem Ständigen Team der VBV und beim Landeskirchenrat rückversicherte, ob er die Erklärung tatsächlich veröffentlichen dürfe449; ersteres gab grünes Licht, der Landeskirchenrat hingegen bestellte die Vikare zum Gespräch und bedauerte, dass die VBV ohne sein Einverständnis den Weg in die Öffentlichkeit gesucht hatte. Die Resolution der VBV In verschiedentlich gekürzten Fassungen erschien in den Tagen nach dem 10. November die Resolution der VBV in den Medien450. Da sie ein eindrückliches Dokument dafür ist, dass eine Reformgruppe in ihrer kirchenpolitischen Positionierung bis zur Inkaufnahme von Gewalt ging, wird sie hier vollständig wiedergegeben: „Aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses unterstützen die in der Vereinigung Bayerischer Vikare zusammengeschlossenen Vikarinnen und Vikare in der Evang.-Luth. Landeskirche in Bayern mit einer Geldspende das Antirassismusprogramm des Ökumenischen Rates der Kirchen, insbesondere die finanzielle Förderung der 19 Organisationen, die für die Gleichberechtigung der Rassen kämpfen. Sie bringen damit zugleich ihr Bedauern zum Ausdruck, daß diese vorbildliche Aktion christlicher Solidarität mit den Unterdrückten durch eine Reihe kirchlicher Verlautbarungen aus der Bundesrepublik Deutschland, deren vage Bedenken und wenig stichhaltigen Gegenargumente nicht zu überzeugen vermögen, in ihrer symbolischen Wirkung herabgesetzt wurde. Wir halten die bloßen Austrittsdrohungen einzelner Gemeindeglieder, die alle profilierten kirchlichen Stellungnahmen zu begleiten pflegen, nicht für bedenklicher als die Tatsache, daß die Kirchen mit praktizierter Mitmenschlichkeit bisher so wenig Anstoß erregt haben. Diese Aktion des Ökumenischen Rates hat die kirchliche Öffentlichkeit hierzulande weithin unvorbereitet an448 Stellungnahme der bayerischen Dekanskonferenz vom 4. 11. 1970, zit. nach epd-Dokumentation: Anti-Rassismus Programm, 122 f. Die Stellungnahme wurde außerdem abgedruckt in den NELKB 25 (1970), Nr. 21 / November (1), 417. Demnach fand die Konferenz am 3. 11. statt. Zu den Hintergründen um die Verabschiedung dieser Stellungnahme vgl. B+K, Nr. 9 / 14. 12. 1970: Sondernummer zum Anti-Rassismus Programm des ÖRK [im Folgenden: B+K (Anti-Rassismus Programm)], hier: Teil IV,1. 449 Vgl. VBV-Rundbrief (Anti-Rassismus Programm). 450 So etwa in der Süddeutschen Zeitung und in den Nürnberger Nachrichten.

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getroffen und wurde so nicht zureichend verstanden. Das geht eindeutig zu Lasten der mangelhaften Bewußtseinsbildung in den deutschen Mitgliedskirchen, die weit hinter dem ökumenischen Diskussionsstand zurückgeblieben ist. Unsere Stellungnahme soll ein Beitrag zur Bewußtseinsbildung sein. Diese Aktion ist gegen jeden Rassismus gerichtet. Wir bedauern, daß in den Reaktionen darauf dem Rassismus der Weißen ein Rassismus der Farbigen gegenübergestellt und mit dieser Entdeckung des Splitters im Auge des Bruders der Selbstentlastung Tür und Tor geöffnet wurde. Gegen die Förderung nichtmilitärischer Projekte von Organisationen, die zum Teil auch zur Gewaltanwendung bereit sind, ist von einem christlichen Prinzip der Gewaltlosigkeit her argumentiert worden (so im Brief des Ratsvorsitzenden der EKD an den Generalsekretär Blake und in der Erklärung der Kirchenleitung der VELKD), das gerade von den lutherischen Kirchen in Wahrheit nie vertreten wurde. Es wird auch heute nicht ernstlich vertreten und kann einer umfassenden christlichen Weltverantwortung nicht gerecht werden. Die historische und prinzipielle Bevorzugung etablierter Staatsgewalt gegenüber revolutionärer Gegengewalt durch die Kirche vermögen wir nicht zu rechtfertigen. Die Kirche wird sich dem Recht unterdrückter Gruppen, die sich in Gewaltverhältnissen gezwungen sehen, selbst Gewalt anzuwenden, in Wort und Tat nicht verschließen können, so gewiß ihr Ziel das Ende der Ausübung von Gewalt über Menschen ist. Solange die Diskussion um abstrakte Prinzipien geführt wird, entsteht der falsche Eindruck, als ständen sich auf der einen Seite überzeugte Vertreter der Gewaltlosigkeit (deutsche Lutheraner) und auf der anderen Seite Anhänger von Gewaltanwendung (Weltkirchenrat) gegenüber. Damit ist niemand gedient, am wenigsten den Unterdrückten, die weiter auf wirksame Hilfe warten. Wir hoffen, daß unsere Stellungnahme nicht als Beitrag zum Prinzipienstreit, sondern zur nötigen innerkirchlichen Urteilsbildung verstanden wird. Unsere Spende soll nicht als Ersatz, sondern als Anstoß für die von der Landeskirche erwartete finanzielle Hilfe aufgenommen werden.“451

Reaktionen auf die Resolution Einen Tag, nachdem die Resolution für die Presse freigegeben worden war, fand im Landeskirchenrat am 11. November 1970 ein Gespräch zwischen Vertretern des Landeskirchenrats und der VBV statt452. Die Veröffentlichung der VBV-Resolution wurde von Seiten des Landeskirchenrats bedauert; sowohl gegen ihren Inhalt als auch gegen ihre Wirkung bestünden Bedenken. Durch diese Aktion der VBV sei der zwischen Ständigem Team und Landesbischof vereinbarte Grundsatz der Zusammenarbeit verletzt worden; das für den 13. November 451 Enthalten in: VBV-Rundbrief (Anti-Rassismus Programm). Diese endgültige Fassung unterscheidet sich nur unwesentlich von der im VBV-Rundbrief, Nr. 4 / 23. 10. 1970 (Anlage 3) abgedruckten Fassung. 452 Vgl. dazu das ausführliche Protokoll: „Gespräch über die Resolution der VBV zum Anti-Rassismus-Programm am 11. Nov. 1970“ (VBV-Ordner Frör). Vgl. außerdem die kurze Zusammenfassung des Gesprächs in: VBV-Rundbrief (Anti-Rassismus Programm).

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anberaumte Gespräch mit dem Pfarrerverein sei nun gegenstandslos, so der ebenfalls zum Gespräch eingeladene Oberkirchenrat Horn. Die Vertreter des Ständigen Teams hingegen verteidigten ihren Schritt und bezeichneten ihre Resolution als den „Beginn des Gesprächs“453. Wie bei dem Treffen im Landeskirchenamt angekündigt, gab der Landeskirchenrat eine Gegendarstellung zu der Resolution der VBV heraus, die in der Ausgabe des Bayerischen Sonntagsblattes vom 22. November 1970 unter der Überschrift „Resolution bedauert“ auf der gleichen Seite wie die VBV-Resolution erschien454. Inzwischen hatten 69 VBV-Mitglieder bei acht Gegenstimmen und einer Enthaltung für die Resolution gestimmt. 460 Mark waren zu diesem Zeitpunkt bereits an Spenden auf das von der VBV eingerichtete Konto zur Unterstützung des Anti-Rassismus-Programms eingegangen, im Frühjahr 1971 waren es über 1000 Mark455. Dass nicht alle bayerischen Vikare einer Meinung mit der VBV waren, zeigte sich in einer Stellungnahme von zehn Vikaren vom 23. November 1970: Sie verwahrten sich dagegen, dass die Resolution der VBV zum Anti-Rassismus Programm als Stellungnahme des Großteils der bayerischen Vikare gesehen wurde, und stellten fest: „Nachdem die Kirche erkannt hat, daß es nicht ihre Aufgabe ist, Ordnungsfaktor des Staates zu sein, halten wir es für verhängnisvoll, daß nun wiederum – wenn auch unter umgekehrtem Vorzeichen – ein Bündnis mit Faktoren politischer Gewaltausübung propagiert wird. Die Anwendung von Gewalt […] widerspricht dem Zeugnis des Evangeliums. Die Aufgabe der Kirche ist es, durch die Verkündigung von Gesetz und Evangelium und durch den tätigen Dienst der Liebe ihren Anteil zu Versöhnung und Frieden zu leisten. Wir sind der Meinung, daß auf solche Weise ein echter Beitrag zur Überwindung des mit dem biblischen Zeugnis nicht zu vereinbarenden Rassismus geleistet werden kann. Zur Erweiterung und Intensivierung der so dringend notwendigen Liebestätigkeit ist nicht zuletzt ein verstärktes finanzielles Engagement der Christen erforderlich.“456

Die VBV erfuhr von dieser Stellungnahme nur aus der Presse457. 453

Ebd. Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 25 (1970), Nr. 47 vom 22. 11., o. S. Die VBV kritisierte, dass sie erst in der Presse die Gegendarstellung zu sehen bekommen habe; diese war vom Landeskirchenrat an den epd gegangen mit der Bitte, sie in der Nähe der Resolution der Vikare abzudrucken. Vgl. das Protokoll des Gesprächs zwischen Ständigem Team und Siegfried Wolf am 10. 12. 1970 (VBV-Ordner Frör). 455 Vgl. VBV-Rundbrief, Nr. 6 / Frühjahr 1971, 1. 456 Zit. nach B+K (Anti-Rassismus Programm), Teil IV.3. Vgl. außerdem dazu die Meldung „Vikare kontra Vikare“ (Sonntagsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 25 (1970), Nr. 50 vom 13. 12., o. S.). 457 Vgl. VBV-Rundbrief (Anti-Rassismus Programm). 454

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Die weitere Entwicklung der Angelegenheit Die Unterstützung des Anti-Rassismus Programms blieb auf der Tagesordnung der VBV; ihre Vertreter sammelten weiter Informationen und versuchten, mit verschiedenen Experten ins Gespräch zu kommen458. Zur Frühjahrssitzung der Landessynode in Schweinfurt von 7. bis 12. März 1971 reichte das Ständige Team der VBV am 22. Januar 1971 zwei Anträge ein: „1.) Die Synode möge erneut in die Diskussion des ‚Anti-Rassismusprogramms‘ des Weltkirchenrates eintreten mit dem Ziel, eine eigene Stellungnahme zu erreichen, die den Fortgang der Weltdiskussion seit Okt. 1970 berücksichtigt und den neuen Entscheidungen des Weltrates der Kirchen Rechnung trägt. 2) Die Synode möge ein Sonderkonto errichten, das es allen Gemeinden und Gemeindegliedern erleichtert, für dieses Programm gezielt zu spenden.“459

Die VBV begründete ihre Anträge damit, dass die Stellungnahme der Synode vom Oktober 1970 angesichts der fortgeschrittenen Diskussion „nicht ausreichend“ sei und dass vor allem „angesichts der einstimmigen Annahme des Programms auf der Tagung des Zentralkomitees des Weltkirchenrates in Addis Adeba […] eine Revision der Stellungnahme unumgänglich“460 sei. Über beide VBV-Anträge wurde nicht auf der Synode abgestimmt. Nach einer langen Diskussion verabschiedeten die Synodalen den „Beschluß der Landessynode zum ökumenischen Programm zur Bekämpfung des Rassismus“461, in dem sie noch einmal bekräftigten, dass die Landeskirche „weder direkt noch indirekt Gewaltmaßnahmen fordern“ könne. Es sei zu begrüßen, dass vom Zentralausschuss des ÖRK in Addis Adeba „den Bedenken gegen die Verwendung kirchlicher Gelder zur Unterstützung von Organisationen, die gewaltsame Mittel nicht ausschließen, teilweise Rechnung getragen“ worden sei, man wolle aber kon458 So trafen sich Vertreter der VBV etwa mit einer ESG-Ökumenereferentin. Im Rahmen dieses Kontakts war anscheinend auch der Herausgeber des epd-Infos „Entwicklungspolitik“ auf die Aktion der bayerischen Vikare aufmerksam geworden und meldete Interesse an deren Erfahrungen mit ihrer Kirchenleitung, um darüber eine Glosse zu verfassen. Dazu kam es aber anscheinend nicht. Vgl. Protokoll der Sitzung des Ständigen Teams der VBV am 19. 11. 1970 (VBV-Ordner Frör). 459 Antrag des Ständigen Teams der VBV an die Synode am 22. 1. 1971 (VBV-Ordner Frör). Vgl. außerdem VLS 1971 / I (Schweinfurt), 137. Laut Sitzungsprotokoll des Ständigen Teams (22. 1. 1971) war der Anstoß für den Antrag ein Schreiben von Siegfried Wolf vom 22. 12. 1970 (VBV-Ordner Frör), in dem dieser der VBV berichtete, dass die Landessynode die Einrichtung eines Sonderkontos für das Anti-Rassismus-Programm negativ beschiedenen habe; die im Landeskirchenrat bzw. der Landeskirchlichen Stiftungsverwaltung eingehenden Spenden für das AntiRassismus Programm würden (mit entsprechender Zweckbestimmung versehen) an das Diakonische Werk in Stuttgart zur Überstellung nach Genf weitergeleitet. 460 Ebd. 461 VLS 1971 / I (Schweinfurt), 178.

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krete Informationen des ÖRK über zu fördernde Projekte abwarten, bis man über eine Empfehlung des Programms entscheiden könne. An die VBV schickte die Synode einen Brief, in dem sie erklärte: „Wegen der auch nach der Konferenz von Addis Adeba noch ungeklärten Fragen sieht sich die Synode nicht in der Lage, ein Sonderkonto für Spenden zum Anti-RassismusProgramm zu errichten, da dadurch der Eindruck erweckt würde, daß wir den diesbezüglichen Vorhaben des Ökumenischen Rates uneingeschränkt zustimmen. Sollten Gemeindeglieder den Wunsch haben, Geld für diese Zwecke zu spenden, wird empfohlen, diese Gaben mit entsprechender Zweckbestimmung zu überweisen auf das Konto des Diakonischen Werkes für Anti-Rassismus-Programm, Stuttgart […].“462

Das Konto, das die Vikare beantragt hatten, wurde erst 1973 eingerichtet: Auf ihrer Tagung im März 1973 verabschiedete die Landessynode mit drei Gegenstimmen eine Resolution, die sich in weiten Teilen an die Beschlüsse der EKDSynode Ende Februar in Berlin-Spandau anlehnte: Die bayerischen Synodalen sprachen sich nun dafür aus, dass das Ziel des Anti-Rassismus-Programms „die unmittelbare humanitäre Hilfe an von den Rassenkonflikten betroffenen Menschen und die Unterstützung der Bestrebungen zur Überwindung des Rassismus sein“463 müsse. Eine Zusammenarbeit mit politischen Bewegungen und Stellen sei dabei durchaus möglich, bedeute aber wirklich nur eine Zusammenarbeit und keine Identifikation mit deren politischen Zielen; militärische Kampfverbände dürften nicht auf der Empfängerliste des Sonderfonds stehen. Spenden von Gemeindegruppen oder einzelnen Gemeindemitgliedern konnten auf ein Konto des Diakonischen Werkes unter dem entsprechenden Betreff eingezahlt werden; die Kontonummer sollte jedoch nicht in der Erklärung angegeben werden464. Die AEE-Regionalgruppe Bayreuth wandte sich in einer Entschließung gegen diese ihrer Ansicht nach „bedenkliche[n] kirchenpolitische[n] Äußerungen“; unter anderem kritisierte die Gruppe, dass „von einer bestimmten Seite mit der wachsenden Zahl der Kirchenaustritte einseitig Kirchenpolitik betrieben und weiterhin ‚fahrlässig der Eindruck erweckt‘ werde, als würden durch 462

Ebd., 146. VLS 1973 / I, 126. 464 In den B+K, Nr. 16 / 15. 5. 1973, 10 f., ist eine „Erklärung der Arbeitsgruppe Offene Kirche zur Münchner Synode“ abgedruckt, die dem epd übergeben wurde. In ihr wurde begrüßt, dass „das Anti-Rassismusprogramm des ÖRK ernsthaft (im Ausschuß) diskutiert und durch die Synodalerklärung dazu eine künftige Unterstützung dieses Programms möglich wurde.“ Enttäuscht zeigten sich die Mitglieder der Gruppe darüber, „daß sie um des von ihnen schließlich akzeptierten Kompromisses willen keine eindeutigere und praktisch effektivere Unterstützung des Anti-Rassismusprogramms erreichen konnten.“ 463

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das Anti-Rassismus-Programm des Ökumenischen Rates mit Kirchengeldern Waffen finanziert“465. Am 18. Januar 1971 verabschiedete der Zentralausschuss des ÖRK eine Resolution in Addis Adeba, in der er unter anderem einen neuen Spendenaufruf an seine Mitgliedskirchen erließ sowie eine aktualisierte Fassung des Programms zur Bekämpfung des Rassismus verabschiedete466. In der bayerischen Landeskirche blieb das Anti-Rassismus Programm weiter auf der politischen Tagesordnung und wurde in den Augen Hermann Blendingers zu einer Art „Schibboleth, an dem man die Rechten und die Linken in der Kirche unterscheiden konnte“467. Bewertung der Auseinandersetzungen um das Anti-Rassismus Programm Inhaltlich standen die Unterzeichner der VBV-Resolution in der bayerischen Landeskirche sicher nicht alleine da: Auf der Herbsttagung der Synode 1970 in Bayreuth gab es unter den Synodalen durchaus Befürworter des Anti-Rassismus Programms468, und auch der AEE vertrat eine der VBV sehr ähnliche Position469: Die Kirche durfte angesichts der Situation der Unterdrückten nicht 465 So die Meldung im Nordbayerischen Kurier, Ausgabe vom 17. 12. 1970 (Zeitungsausschnitt enthalten in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 42). Vgl. außerdem die Meldung in NELKB 26 (1971), Nr. 1 / Januar (1), 16. 466 Die „Resolution des Zentralauschusses des ÖRK in Addis Adeba vom 18. Januar 1971“ ist ebenso wie das „Programm zur Bekämpfung des Rassismus in der Fassung von Addis Adeba 10. / 21.1.1971“ abgedruckt in: epd-Dokumentation: Anti-Rassismus Programm, 216–232. 467 Blendinger, Aufbruch, 155. 468 Vgl. dazu etwa VLS 1970 / II, 60, die Wortmeldung des Synodalen Pfarrer Johannes Hiller. Dieser sprach sich zwar nicht für eine vorbehaltlose Unterstützung des Anti-Rassismus-Programms aus, mahnte aber deutlich an, „daß wir uns nicht mit einem Nein zu diesem umstrittenen Beschluß von Arnoldshain begnügen, sondern uns von ihm zu Taten herausfordern lassen (Beifall)“. 469 Wie erwähnt widmete der AEE die komplette neunte Nummer seiner „Berichte und Kommentare“ (B+K, Nr. 9 / 14. 12. 1970) der „Dokumentation über alle Vorgänge um das Anti-RassismusProgramm des ÖRK während der letzten Wochen und Monate“. Am 7. 11. 1970 verabschiedete der AEE-Arbeitskreis „Entwicklungspolitik und Selbstbesteuerung“ bei seiner Vollversammlung in Nürnberg eine Resolution, in der er das Anti-Rassismusprogramm des ÖRK ausdrücklich unterstützte; vgl. B+K (Anti-Rassismus Programm), Teil IV.4.). In der B+K-Sonderausgabe ist außerdem die Ansprache des AEE-Mitglieds Johannes Viebig im Rahmen der Reihe „Evangelische Kommentare“ in St. Lorenz (Nürnberg) vom 15. 11. 1970 abgedruckt. Viebig sprach über das AntiRassismus Programm des ÖRK und verteidigte die Haltung der Vikare: Man müsse beim Geben vertrauen in Gottes Segen für die Verwendung der Gaben. Ebenfalls in der Ausgabe B+K (AntiRassismus Programm) startete der AEE eine Umfrage, in der er die Mitglieder um ihre Einschätzung der Erklärung von Arnoldshain (ÖRK-Exekutivausschuss) und der Erklärung von Eutin (Generalsynode der VELKD) bat. Die Umfrageergebnisse sind abgedruckt in: B+K, Nr. 10 / 21. 6. 1971, 22. Demnach sprachen sich rund 90 Prozent der 86 Umfrage-Teilnehmer für die dem Antirassismusprogramm zustimmende Erklärung von Arnoldshain aus. Abgedruckt war auch die Nummer eines Spendenkontos für das Anti-Rassismus-Programm.

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zögern, ihnen zu vertrauen und Hilfe zu gewähren und eindeutig Position zu beziehen; nur so konnte sie dem Auftrag Jesu gerecht werden. Dass es dabei möglicherweise auch zu Gewalt kommen könnte, hatte die VBV in ihrer Resolution billigend in Kauf genommen und gewissermaßen als historischen Ausgleich gewertet (vgl. oben). Gegner des Anti-Rassismus Programms warfen der VBV und weiteren Befürwortern unter Hinweis auf die Zwei-Reiche-Lehre einen Verstoß gegen CA XVI und CA XXVIII470 vor: Die Kirche müsse Gewalt ablehnen; der ÖRK verstoße mit seinem Programm gegen das Gebot der christlichen Nächstenliebe, er „überschätzt die politische Macht und unterschätzt die Barmherzigkeit als Mittel zur Förderung der Gerechtigkeit“471. Letzterer Satz zeigt, dass, sieht man von der Zuspitzung auf die Frage der Gewaltanwendung ab, hinter den Auseinandersetzungen um das Anti-Rassimus Programm einmal mehr die grundsätzliche Frage stand, ob die Kirche sich politisch positionieren durfte und ob bzw. inwieweit die Grenzen zwischen politischem und kirchlichen Handeln gewahrt bleiben mussten. Dass die VBV hier eine radikale Nachfolge des von ihnen in dieser Weise politisch gedeuteten Jesus der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre vorzog, ist charakteristisch für die Reformgruppen dieser Jahre. Nicht minder repräsentativ ist das spontane Vorgehen der VBV in dieser Angelegenheit, das jeglichem kirchlichen „Dienstweg“ zuwiderlief: Während auf der Synode im Herbst 1970 lange überlegt wurde, was man beim momentanen Diskussions- und Informationsstand von Seiten der Landeskirche aus verlauten lassen dürfe und man sich dann – sicher nicht zur allgemeinen Befriedigung – dem Beschluss der VELKD anschloss472, suchte die VBV sehr unbefangen den Weg in die Öffentlichkeit: Eine Resolution musste ihrer Ansicht nach nicht zwangsläufig am Ende eines Diskussions- und Meinungsfindungsprozesses stehen, sondern konnte diesen auch einleiten. Möglicherweise war auch hier – ähnlich wie bei der Frage der Ordinationsverweigerung – die Resolution vor allem ein Mittel zum Zweck, ein Protest gegen die kirchlichen Kommunikationsstrukturen: Man wollte als Gesprächspartner wahrgenommen werden, man wollte zeigen, dass man durchaus selbständig das Wort ergreifen konnte. Wie dargestellt, führte die An470 CA XVI (Von der Polizei und weltlichem Regiment) und CA XXVIII (Von der Bischofen Gewalt) sind konstitutiv für die lutherische Zwei-Reiche-Lehre. 471 So die Erklärung zum Anti-Rassismus Programm des ÖRK vom 31. 12. 1972, unterzeichnet von 50 Pfarrern und Gemeindeglieder aus dem Raum München. Auch die KSBB i. B. und der Arbeitskreis Synode unterstützten die Erklärung. Vgl. die Unterlagen in: LAELKB Nürnberg, Personen 154 (Albrecht Köberlin), Nr. 15. 472 Vgl. dazu auch die ausführliche und treffende Analyse der Diskussion auf der Synode von Meyers-Herwartz, Rezeption, 234–238.

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kündigung der VBV, mit ihrer Stellungnahme an die Öffentlichkeit zu gehen, tatsächlich zur Gesprächsbereitschaft bei Vertretern der Kirchenleitung, die allerdings anscheinend vor allem aus dem Grund gezeigt wurde, um genau diese öffentliche Verlautbarung zu verhindern. Nachtrag: Die Pfingstbotschaft des ÖRK 1972 Der ÖRK sorgte 1972 aus anderem Grund noch einmal für heftige Diskussionen in der bayerischen Landeskirche, nämlich als der Landeskirchenrat die Pfingstbotschaft der ÖRK-Präsidenten nicht zur Veröffentlichung empfahl. Zugrunde lag dieser Pfingstbotschaft Römer 8, 21–24; in der Auslegung wurde die Kraft des Geistes betont, der die Menschen befähige, die Erde „nicht länger auszubeuten und zu verschmutzen“, „für den Frieden zu leiden“, die Isolierung zu überwinden, „die die Christen untereinander und von ihren Mitmenschen trennt“473. Laut Berichterstattung des Bayerischen Sonntagsblatts hatte der Landeskirchenrat die Verbreitung der Botschaft nicht empfohlen, weil sie seiner Ansicht nach „Mängel in der Auslegung des Bibelwortes enthalte“474: „Der gegenwärtige Jesus Christus komme in der Botschaft nicht vor, und so werde auch das Wort vom Geist mißverständlich. Wegen dieser ‚unklaren theologischen Hintergründe‘ habe man auf die Verbreitung der Pfingstbotschaft in Bayern verzichtet, um keine Verwirrung in die Gemeinden zu tragen. […] Dietzfelbinger betonte, daß er sich der Diskussion um die Pfingstbotschaft gerne stelle, auch wenn er sie nicht in die Oeffentlichkeit [sic] gebracht habe.“475

Dietzfelbinger hatte diese Entscheidung auch in einem Brief an Eugene Blake mitgeteilt; hier wählt der Bischof die Formulierung, er könne die Äußerungen zu Römer 8 „leider nicht als hinreichende Auslegung dieses Wortes ansehen“476; der Landeskirchenrat sehe daher davon ab, „die Botschaft zu verbreiten“. Der LabeT (Einzelkonvent Heidelberg) protestierte vehement gegen diese Position des Landeskirchenrats zur ÖRK-Botschaft477. Der AEE druckte die

473 Pfingsten 1972. Botschaft der Präsidenten des Ökumenischen Rates der Kirchen, abgedruckt unter anderem in: B+K, Nr. 13 / 27. 6. 1972, 19 f. 474 So die Meldung „Unklare Hintergründe. Pfingstbotschaft des Weltkirchenrates nicht verbreitet“ (Nürnberger Gemeindeblatt. Sonntagsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern 79 (1972), Nr. 24 vom 11. 6., 6). 475 Zit. nach: Ebd. 476 Schreiben Dietzfelbingers an Blake am 25. 4. 1972 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 4). 477 Der Einzelkonvent schickte seine Protesterklärung und kritische Anfragen an den Landeskirchenrat und Landesbischof Dietzfelbinger (vgl. Info-LabeT, Nr. 15 / 4. 7. 1972, 3).

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Botschaft in der Juniausgabe seiner „Berichte und Kommentare“ ab478, und AEE-Mitglied Ludwig Blendinger kritisierte in einem Kommentargottesdienst in Nürnberg-St. Lorenz mit dem Thema „Zur Pfingstbotschaft“ den Landeskirchenrat in seiner Haltung, die Kirchenmitglieder vor einer solchen Botschaft glauben „schützen“ zu müssen und sie damit de facto zu entmündigen479. Blendinger schloss seinen Kommentar mit der Aufforderung zu Eigenverantwortung und Gestaltung innerkirchlicher Demokratie: „Wir selbst müssen Information und Dialog fordern und in sachgemäßer Weise wahrnehmen. Das heißt praktisch: Besprechen Sie den Text der Pfingstbotschaft in Kirchenvorständen und Gemeindekreisen, holen Sie sich Theologen, die Auskunft geben können. Befassen Sie sich mit der geplanten Neuordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Leuenberger Konkordie, auch dann, wenn Sie meinen, daß die Synode es schon richtig machen wird. […] Machen Sie sich die Mühe, Ihre Meinung auch zu begründen. Oder: wenn Ihnen Taufe, Konfirmation, Religionsunterricht und andere Dinge Probleme aufgeben, bilden Sie Arbeitsgruppen. […] Alles in allem: Seien Sie mündig!“480

3.3.2 Positionierung in gesellschaftspolitischen Fragen „Ich fürchte, daß hier Kräfte am Werk sind, denen es gar nicht um wirkliche Erneuerung unserer Kirche geht, sondern um Politisierung.“481 Diese Worte schrieb der Bayreuther Dekan Gerhard Kübel am 29. Februar 1972 an Hermann von Loewenich; Grund seines Briefes war die Lektüre der „Berichte und Kommentare“, in seinen Augen ein „Pamphlet“, dessen „überhebliche[r], zynische[r] Ton“482 ihn an die Veröffentlichungen der Deutschen Christen erinnere. Der Vorwurf Kübels, der AEE politisiere die Kirche durch die von ihm praktizierte Streitkultur, die von ihm initiierte Fraktionsbildung und die Wahl seiner vornehmlich gesellschaftspolitischen Themen, war weder neu noch singulär. Auch die VBV und der LabeT mussten sich – wenn auch in geringerem Maße – wiederholt mit derartigen Anfragen auseinandersetzen und ihr Engagement für gesellschaftspolitische Themen im kirchlichen Raum begründen. Dabei war für alle drei Gruppen Politik etwas der Kirche und dem Christentum 478 479 480 481 482

B+K, Nr. 13 / 27. 6. 1972, 19 f. Ludwig Blendinger: Mündige Herde (ebd., 21–25). Ebd., 24 f. LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 5. Ebd.

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Immanentes. Der AEE hatte es bei seiner ersten Mitgliederversammlung programmatisch formuliert: „Das Heil Christi, das jede geschichtliche Verwirklichung übersteigt, läßt sich in unserer Welt nur so glaubwürdig bezeugen, daß die Christenheit sich auch für das Wohl derer einsetzt, die nach Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Bildung hungern. Damit hat die Sendung der Gemeinde Christi eine gesellschaftliche und politische Dimension. Sie muß für die ‚parteilich‘ werden, die im Schatten leben. Verstünde sie sich neutral, würde sie jeweils die gewohnte Praxis und die bestehenden Verhältnisse sanktionieren.“483

Aus diesem Verständnis heraus meldeten sich AEE, VBV und LabeT zu unzähligen gesellschaftspolitischen Themen zu Wort und wählten dazu Resolutionen, offene Briefe, Anträge an die Synode, Artikel in ihren Publikationsorganen oder auch die entsprechende Gestaltung von Gottesdiensten und gemeindlicher Arbeit. Die Bandbreite der dabei behandelten Themen ist so groß, dass ihre Darstellung im Rahmen dieser Arbeit nur als ein fragmentarischer Überblick möglich ist, der mit einem Blick darauf schließt, wie Mitglieder der drei Gruppen versuchten, ihre Anliegen in Gottesdiensten und Gemeindearbeit zu vermitteln. Ausführlich wird am Ende dieses Abschnitts der „Fall Dieter Helbig“ dargestellt, für Gegner wie Befürworter sozusagen das Paradebeispiel für die inhaltliche und formale „Politisierung“ eines Geistlichen (und AEE-Mitglieds) des Untersuchungszeitraums in der bayerischen Landeskirche. Stellungnahmen zur APO und deren Ausläufern Als LabeT und VBV gegründet wurden, war die Hochphase der Studentenbewegung, die Blüte der APO bereits vorbei: Die allmähliche Zersplitterung der Bewegung hatte sich bereits ab Herbst 1968 angekündigt; die Selbstauflösung des SDS-Bundesvorstandes am 21. März 1970 war nur mehr der offizielle Akt des de facto schon eingetretenen Endes der Bewegung484. Verlautbarungen der beiden Gruppen LabeT und VBV zu konkreten Ereignissen im Kontext der Studentenbewegung lassen sich daher nicht nennen, auch wenn sich einige der Gruppenmitglieder als Teil der Studentenbewegung bzw. als von deren Themen beeinflusst sahen. Vorgruppen von LabeT und VBV nahmen allerdings durchaus zu Kernthemen der APO Stellung, so beispielsweise 483 „Überlegungen zur Aufgabenstellung des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung. Leicht geänderte Fassung auf Grund der Diskussion in der ersten ordentlichen Mitgliederversammlung am 3. / 4. März 1968 in Nürnberg“ (B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 1 f., hier: 1). 484 Vgl. dazu ausführlich Bauss, Studentenbewegung, 44–70.

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im Memorandum zur Notstandsgesetzgebung, das der Politische Arbeitskreis Neuendettelsau am 24. Mai 1966 verabschiedete485. Ein Zusammenschluss junger Theologen, unter denen ebenfalls zahlreiche spätere VBV-Mitglieder waren, protestierte im Juli 1969 angesichts einer Äußerung des damaligen Bundesfinanzministers Franz Josef Strauß (CSU). Strauß hatte im Juli 1969 mit folgender Aussage in einem öffentlich gemachten Fernschreiben an den bayerischen Ministerpräsident Alfons Goppel bundesweit für Diskussionen gesorgt: „Diese Personen [Mitglieder der APO] nützen nicht nur alle Lücken der Paragraphen eines Rechtsstaates aus, sondern benehmen sich wie Tiere, für die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich ist, weil diese Gesetze auch bei Rechtsbrechern noch mit Reaktionen rechnen, die der menschlichen Kreatur eigentümlich sind […].“486

Anlass für dieses umstrittene Schreiben des Finanzministers war das sogenannte „Knast-Camp“ in Ebrach bei Bamberg gewesen: Insgesamt rund 150 APOMitglieder aus dem Bundesgebiet waren zu einem Treffen in den Landkreis Bamberg gekommen; das dort geplante Zelten war ihnen durch eine kurzfristig erlassene Kreisverordnung vereitelt worden. Es kam zu Krawallen und harten Auseinandersetzungen der Oppositionellen mit der Polizei. Zu den zahlreichen Reaktionen, die Strauß auf diese Worte hin erntete, zählten auch Briefe aus der bayerischen Landeskirche: Am 29. Juli 1969 wandten sich Heinrich Herrmanns und Matthias Oursin im Namen von 47 jungen Theologinnen und Theologen (in der Mehrzahl Vikare, außerdem Theologiestudenten, wissenschaftliche Assistenten und Religionsphilologen) an Franz Josef Strauß487. In dem Schreiben, mit dem die Unterzeichner „auf das Heftigste“ gegen die Äußerung von Strauß protestierten, heißt es unter anderem: „Ihre Aussagen offenbaren eine Zügellosigkeit und Menschenverachtung, die in schärfstem Kontrast steht zu den christlichen Grundsätzen der Partei, deren Vorsitzender Sie sind. […] Als Theologen der jungen Generation wollen wir nicht schweigen, wenn begonnen wird, unliebsame Gruppen der Gesellschaft zu diffamieren. […] Es drängt sich leider der Vergleich zum Dritten Reich auf, als zunächst auch nur einer unliebsamen Gruppe die Menschenrechte abgesprochen wurden, dann aber die Ver485

Vgl. dazu Kapitel 2.3.1, 92. Abzug des Fernschreibens von Franz Josef Strauß an Alfons Goppel vom 18. 7. 1969. Das Schreiben wurde Landesbischof Dietzfelbinger auf dessen Bitte hin von der Bayerischen Staatskanzlei zugesandt (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 66). 487 LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 66. Der Großteil der Unterzeichner zählte später zu den VBV-Gründungsmitgliedern. 486

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folgungsmaschinerie des Staates nicht bei den Juden Halt machte, sondern fortschritt zur Unterdrückung von Gewerkschaften, Parteien und auch der Kirchen.“

Hier wird – ebenso wie im Brief Hermann von Loewenichs (vgl. unten) – explizit auf die NS-Zeit Bezug genommen, wenn auch die Klimax Juden, Gewerkschaften, Parteien und schließlich Kirchen befremdet. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der bayerischen Landeskirche erst Mitte der 1970er Jahre in größerem Umfang begann; in den Anfangsjahren der drei Reformgruppen wurde das „Dritte Reich“, von kurzen Verweisen wie dem eben genannten abgesehen, nicht thematisiert. Herrmanns und Oursin schickten den Brief auch in Kopie an Hermann Dietzfelbinger488. Sie verbanden dies mit der Bitte um eine öffentliche Stellungnahme Dietzfelbingers, da ihrer Ansicht nach hier „die Kirche im Sinne Jesu für Verfolgte einzutreten hat, auch wenn sie wie Zöllner Gesetzesbrecher sind“. Am 30. Juli 1969 schrieb Hermann von Loewenich im Namen des AEE einen Brief an Strauß, in dem er sich ebenfalls „tief beunruhigt“ über dessen Aussage zeigte: „Wir sind aufs äußerste darüber betroffen, daß ein Mitglied der Bundesregierung mit so leichtfertigen Worten über elementare Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und über das christliche Verständnis der Menschenwürde hinweggehen kann. Auch Übertreter der Gesetze haben Anspruch auf Achtung dieser Menschenwürde. Darüber sollte in unserem Staat nach den furchtbaren Erfahrungen der Hitlerzeit nicht der leiseste Zweifel bestehen. […] Die Sprache der Unmenschlichkeit, die vom ‚sowjetischen Untermenschen‘, von der ‚Ausmerzung der Volksschädlinge‘ und von ‚lebensunwertem Leben‘ redet, ist unter uns leider noch nicht vergessen. Ihre Äußerungen haben die Erinnerung an dieses böse Vokabular in erschreckender Weise wachgerufen. Für uns als evangelische Christen gilt hier eindeutig der Grundsatz: Wehret den Anfängen. Als Arbeitskreis Evangelische Erneuerung […] protestieren wir daher scharf gegen Ihre Äußerungen. Mit ihnen haben Sie in unseren Augen Ihre Qualifikation zu einem Regierungsamt in Frage gestellt.“489

Auszüge dieses Briefes verlas Herrmanns später in einer Panorama-Sendung, die sich mit den Äußerungen des Ministers und den Reaktionen darauf befasste490. Für den im Urlaub weilenden Finanzminister antwortete auf das Schreiben des AEE nur einer seiner Mitarbeiter in Vertretung und zitierte zur Verteidigung 488

LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 66. Hermann von Loewenich an Bundesminister Franz Josef Strauß am 30. 7. 1969, abgedruckt in: B+K, Nr. 4 / 1. 10. 1969, 4 f. 490 Vgl. dazu den Aktenvermerk mit dem Betreff: Panorama-Sendung zu den Strauß-Äußerungen über die Vorfälle in Bamberg, (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 66). 489

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von Strauß’ Position die zustimmende Zuschrift eines Bundesbürgers, der die Mitglieder der APO als „Entartete“ bezeichnet hatte491. Am 30. Juli 1969 wandte sich von Loewenich in einem Brief an Dietzfelbinger, in dem er auf das Schreiben der Vikare hinwies und Dietzfelbinger ebenfalls um ein klärendes Wort in der Öffentlichkeit zum Verhalten von Strauß bat492: „In diesen Äußerungen von Bundesminister Strauß ist das christliche Verständnis von der Würde des Menschen in einer so eklatanten Weise verletzt worden, daß die Kirche ihrem Öffentlichkeitsauftrag an dieser Stelle nicht ausweichen darf. Die Strömungen von Haß und Intoleranz, die es zweifellos in unserer Bevölkerung gibt, fordern an diesem Punkt unsere Seelsorge an der Öffentlichkeit heraus.“

In seinem Antwortschreiben stimmte Dietzfelbinger dem AEE-Sprecher in der Sache zwar zu493, wollte sich jedoch zunächst bei Strauß erkundigen, inwieweit dieser richtig zitiert worden sei. Ähnlich antwortete Dietzfelbinger auch Heinrich Herrmanns: Er nehme die Meinung der Vikare ernst, auch seiner Ansicht nach drängten „die Dinge […] nach einer kirchlichen öffentlichen Stellungnahme“, sie seien aber zuvor „sorgsam zu bedenken“494. Der anschließende Briefwechsel zwischen Landesbischof und Bundesfinanzministerium zeigt die schwierige diplomatische Gratwanderung Dietzfelbingers: Einerseits kritisiert er vorsichtig die Äußerung von Strauß – „Ich bitte um Verständnis, wenn auch ich meine, daß an dieser Stelle eine Grenze überschritten ist“ –, andererseits betont er, er stimme „nicht mit allen Äußerungen in dem Protestschreiben meiner Amtsbrüder überein. Auch die Wertung, die sie vornehmen, kann ich mir nicht aneignen.495“ In beinahe entschuldigendem Ton berichtet Dietzfelbinger dem Finanzminister, er habe über die Angelegenheit auch in einem seiner regelmäßigen Rundbriefe an die bayerischen Pfarrer geschrieben; er wolle aber in keinem Fall, dass die Angelegenheit für den Wahlkampf verwendet werde und würde sich über ein Gespräch mit Strauß freuen. Der persönliche Referent des Finanzministers wandte sich daraufhin mit der Bitte an Dietzfelbinger, den Rundbrief an die Pfarrer zurückzuhalten, da ein Passus bezüglich des Gegenstands sicher im Wahlkampf gegen Strauß verwendet würde. Dem konnte – und wollte – Dietzfelbinger nicht nachkom491

Vgl. B+K, Nr. 4 / 1. 10. 1969, 5–7. Von Loewenich an Dietzfelbinger am 30. 7. 1969 (B+K, Nr. 4 / 1. 10. 1969, 7). 493 Vgl. das Schreiben Dietzfelbingers an von Loewenich am 5. 8. 1969 (B+K, Nr. 4 / 1. 10. 1969, 8): „Ich muss Ihnen recht geben: Die Äußerungen des Herrn Bundesministers Dr. Strauß, wenn sie so gefallen sind, verletzen das, was wir unter dem christlichen Menschenbild verstehen.“ 494 Dietzfelbinger an Herrmanns am 8. 8. 1969 (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 66). 495 Dietzfelbinger an Strauß am 21. 8. 1969 (ebd.). 492

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men496. Parteilichkeit kann man Dietzfelbinger bezüglich seiner Äußerung in dem Pfarrerrundbrief im Übrigen nicht vorwerfen: Er schreibt lediglich, dass Wohltat und Härte von Gesetzen allen Menschen unabhängig von ihrem Verhalten zukommen müssten, und fügt hinzu: „was Strauß übrigens im Zusammenhang mit seiner Äußerung selber indirekt bestätigte.“497 Franz Josef Strauß betonte in seinem Antwortschreiben an Dietzfelbinger, dass er „die Erwähnung der Angelegenheit im Pfarrer-Rundbrief […] für wahlpolitisch bedenklich [halte], da dies sofort von der falschen Seite ausgeschlachtet würde“498. Dietzfelbinger solle lieber zu skandalösen Vorkommnissen in sozialistischen Falken-Lagern in Bayern Stellung beziehen. Indirekt warf Strauß dem Landesbischof vor, sich auf der falschen Seite zu engagieren: „Ich darf bitten, denjenigen die Arbeit nicht zu erschweren, die im weltlichen Raum bemüht sind, ein unentbehrliches Mindestmaß der Beachtung christlich-sittlicher Grundsätze sicherzustellen.“499 Zu einer öffentlichen Stellungnahme von Landesbischof Dietzfelbinger in dieser Angelegenheit kam es den Dokumenten zufolge nicht. Der AEE stellte dessen Schweigen in dieser Angelegenheit den Verlautbarungen der Landeskirche anlässlich seiner Ansicht nach weniger prekären Angelegenheiten (etwa der Herausgabe des Sexualkunde-Atlas) gegenüber und gab enttäuscht seinem Unverständnis darüber Ausdruck, dass die Position von Strauß oder auch die Agitationen der NPD von der Kirchenleitung seines Erachtens nach „unterbewertet“500 würden. Eingedenk der Tatsache, dass in Ausläufern – wie eng auch immer man im Einzelnen deren Zusammenhang zu der Bewegung sehen möchte – Anliegen der APO weitergeführt oder radikalisiert wurden, sei noch angemerkt, dass sich der AEE und auch die mittlerweile gegründeten Gruppen VBV und LabeT wiederholt zur DKP und zur RAF zu Wort meldeten. Der LabeT beschäftigte sich eingehend mit der Frage, inwieweit die Ausübung eines kirchlichen Amtes mit einer Mitgliedschaft in der DKP kompatibel sei501, und widmete dabei auch der Darstellung des „Fall Trommershäuser“ breiten Raum in seinem Info-LabeT502. 496 Vgl. den Vermerk Dietzfelbingers über das Telefonat mit dem Referenten von Strauß am 30. 8. 1969 (ebd.). 497 Der Pfarrerrundbrief vom 18. 8. 1969 ist abgedruckt in: Dietzfelbinger, Auftrag, 291–304, hier: 301. 498 Strauß an Dietzfelbinger am 1. 9. 1969 (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 66). 499 Ebd. 500 So das Fazit des namentlich nicht genannten Kommentators der Dokumentation „Landeskirche und Öffentlichkeit“ (B+K, Nr. 4 / 1. 10. 1969, 4–11, hier: 11). 501 Vgl. dazu auch Kapitel 3.1, 122. 502 Vgl. den Beitrag „Zum Fall Trommershäuser. Kann ein Christ Kommunist sein?“ (Info-LabeT, Nr. 19 / 25. 3. 1973, 5–7).

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Im März 1973 wandte sich die Info-LabeT Redaktion vehement gegen eine vermeintliche Unvereinbarkeit von kirchlichem Amt bzw. Christentum überhaupt und DKP bzw. marxistischen Anschauungen. Sie argumentierte dabei unter anderem damit, man könne von Seiten der Kirche nicht so tun, „als ob das Evangelium eine interessenlose Angelegenheit, eine Idee, die kein Mittendrinsein, kein Engagement erfordere“503, sei. Kirchliches Handeln sei immer auch von politischem Interesse geleitet, das es offen zu legen gelte: „Erst wenn Interessenvertretung nicht mehr Sünde wider den Heiligen Geist ist, haben kirchliche Mitarbeiter die Freiheit, ihr Eintreten für Demokratisierung und Sozialismus unumwunden zuzugeben und als Christen zu verwirklichen.“ Was die RAF betraf, so verabschiedete der LabeT im Dezember 1974 eine Resolution zum Strafvollzug der Baader-Meinhof-Gruppe, in der er feststellte, dass der Besuch des Berliner Bischofs Kurt Scharf504 bei Ulrike Meinhof „dem christlichen Seelsorgeverständnis voll entsprochen hat“505 und „die Gleichstellung der sogenannten politischen Gefangenen mit allen anderen Gefangenen [forderte], was nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß unseres Erachtens der deutsche Strafvollzug von Grund auf humanisiert werden muß“506. Die Resolution, auf die der LabeT keine offizielle Äußerung der Landeskirchenleitung erhielt, wurde im darauffolgenden Jahr an verschiedene Stellen, unter anderem an die Kanzlei der EKD versandt; letztlich blieb sie „in der kirchlichen Bürokratie“507 stecken. Den Tod von Ulrike Meinhof kommentierte LabeT-Mitglied Markus Weidemann, indem er auch auf den erfolglosen Weg der LabeT-Resolution anspielte: „Wir reagieren betroffen, warum? Sicher spielt da sehr stark die Angst eine Rolle. Die Angst vor der Eskalation der Gewalt […]. Aber noch mehr ist es das Gefühl des eigenen Versagens und des Versagens der Kirchen in dieser Situation. […] Wir hatten den ‚Marsch durch die Institutionen‘ angetreten und waren gescheitert. Ulrike Meinhof, frühere Ostermarschiererin und Pazifistin, schlug einen anderen Weg ein. Die Baader-Meinhof-Gruppe war in einem Teufelskreis der Unterdrückung.“508

503 „Linke Brüder unter uns“; redaktioneller Beitrag (Info-LabeT, Nr. 19 / 25. 3. 1973, 3 f.); vgl. zum Thema DKP-Mitgliedschaft von Pfarrern außerdem die Resolution des LabeT-EK Berlin (Info-LabeT, Nr. 20 / 10. 5. 1973, 3 f.). Ebd. auch nachfolgendes Zitat. 504 Vgl. zum sogenannten Berliner Kirchenstreit 1974 Kapitel 3.1, 122. 505 Resolution (Info-LabeT, Nr. 25 / Weihnachten 1975, 7 f., hier: 7). 506 Ebd. 507 Markus Weidemann: Ulrike Meinhof † (Info-LabeT, Nr. 26 / Sommer 1976, 5 f., hier: 5). 508 Ebd.

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Stellungnahmen zur Ostpolitik – Einsatz für Frieden und Versöhnung In seinen Stellungnahmen zur Ostpolitik stand der AEE der Linie der SPD nahe: Egon Bahr hatte gemeinsam mit Bundeskanzler Willy Brandt Anfang der 1960er Jahre die Weichen für die Ostpolitik der Bundesrepublik neu gestellt. Die Parole hieß „Wandel durch Annäherung“ statt einer „Politik der Stärke“. Die heftig umstrittenen „Ostverträge“ sollten Schritte in diese Richtung sein509: Am 12. August 1970 wurden im „Moskauer Vertrag“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion der beidseitige Verzicht auf Gewalt bekundet; die Bundesregierung erkannte hier außerdem erstmals den territorialen Status quo an. In dem am 7. Dezember 1970 unterzeichneten „Warschauer Vertrag“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen wurde der bestehende Grenzverlauf bestätigt und die Grenze zwischen Polen und der Bundesrepublik für unverletzlich erklärt. Außerdem bekundeten die Vertragspartner ihren Willen zum Aufbau und zur Entwicklung wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen. Die Bundesregierung machte die Ratifizierung der Ostverträge von der Unterzeichnung des „Viermächte-Berlin-Abkommens“ abhängig. Als dieses am 3. September 1971 unterzeichnet worden war, sollte es noch hitzige Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, schließlich sogar ein gescheitertes Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Brandt geben, bis der Bundestag am 17. Mai 1972 den „Moskauer Vertrag“ und den „Warschauer Vertrag“ billigte; der Großteil der Unionsabgeordneten enthielt sich der Stimme. In den heftigen Diskussionen um die Ostverträge meldete sich auch eine Gruppe von 25 namhaften protestantischen Persönlichkeiten zu Wort, unter ihnen Eberhard Bethge, Jürgen Moltmann und Carl Friedrich von Weizsäcker. Sie befürworteten in der „Erklärung evangelischer Theologen und Laien zu den Ostverträgen“510 (Ostern 1972) die Ratifizierung der Ostverträge. Eine eigene theologische Begründung wird in der Erklärung nicht angeführt; dezidiert wird auf vorausgegangene Aufrufe der EKD (vor allem auf die Ostdenkschrift 1965511) zur Aussöhnung und zu einem Neubeginn in den Beziehungen zu den östlichen Nachbarn verwiesen. Der AEE begrüßte diese Erklärung und wehrte sich dagegen, diese wie VELKD-Bischof Hans-Otto Wölber lediglich als private Meinungsäußerung zu betrachten. Der AEE rief nun am 7. April 1972 zu einer Unterschriftensammlung auf, um zu zeigen, dass hinter dieser Erklärung zu den Ostverträgen zahlreiche evangelische Christen stünden: 509 510 511

Nach Lehmann, Deutschland-Chronik, 240–243. LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 38. Vgl. zur Ostdenkschrift Kapitel 3.1, 115 f.

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„Diese Erklärung nötigt niemanden in seinem Gewissen. Sie bekundet vor der Öffentlichkeit eine Entscheidung, zu der sich die Unterzeichner auf Grund des Friedensauftrags des Evangeliums bekennen. Je breiter die Zustimmung zu dieser Entscheidung ist, desto größer ist auch das Gewicht einer solchen Erklärung. Gegen Bischof Wölber ist festzuhalten: ‚Kirchlich maßgeblich‘ wird eine derartige Erklärung nicht primär durch eine formale Autorisierung, sondern durch den freien Consensus, der unter Christen im Nachdenken über die praktischen Konsequenzen des Evangeliums erzielt werden kann.“512

Innerhalb von vierzehn Tagen hatten die AEE-Mitglieder über 3000 Unterschriften gesammelt; das Ergebnis der Unterschriftenaktion leitete Hermann von Loewenich an die Bundestagsfraktionen und den Rat der EKD weiter. Die Aktion sorgte für Aufruhr in der Landeskirche: Der Landesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises und CSU-Bundestagsabgeordnete Hans Roser, ein Gegner der Ostverträge, warf Hermann von Loewenich vor, er habe die Kanzel für politische Zwecke missbraucht, indem er in seiner Funktion als Kulmbacher Dekan zu der Unterschriftenaktion aufgerufen habe. Zudem warf Roser von Loewenich eine „Politisierung der Kirche“513 vor; es kam zu öffentlichen Stellungnahmen beider Kontrahenten in dieser Angelegenheit. Roser begründete seine Vorwürfe damit, dass es Trägern kirchlicher Verantwortung nicht zustehe, Politik zu machen; es dürfe der Kirche lediglich darum gehen, „die politische Dimension der Liebe und der Versöhnung ins Bewußtsein zu bringen und so den zur Entscheidung gerufenen Politikern das Gewissen zu schärfen“514. Von Loewenich verteidigte sich: Mit Ausnahme von Kempten und Schweinfurt hätten die AEE-Mitglieder durchgehend auf persönlichem Weg zur Unterstützung der Erklärung aufgerufen. In direkter Reaktion auf einem Brief, in dem dem Kulmbacher Dekan vorgeworfen wurde, er könne sein Amt als Dekan nicht ausklammern, wenn er als AEE-Mitglied zu einem aktuellen politischen Geschehen Stellung beziehe, rechtfertigte von Loewenich sein Verhalten: „Gewissensgründe haben mich veranlasst, mich in dieser Sache zu exponieren und mich dem Risiko des Missverstandenwerdens auszusetzen. […] Bei meinem Engage512

LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 38. So in dem Artikel „Klerikalisierung der Politik“. MdB Hans Roser zur Unterschriftenaktion des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung (Bayerische Rundschau, Ausgabe vom 9. 5. 1972). Vgl. dazu außerdem die zahlreichen weiteren diesbezüglichen Zeitungsartikel (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 38); vgl. die Meldung „3000 Unterschriften für Ratifizierung der Ostverträge“ (B+K, Nr. 12 / 6. 5. 1972, 12), sowie den Artikel: Hans Rosers zweierlei Maß. Kirchliche Legitimation überschritten (B+K, Nr. 14 / 1. 10. 1972, 14–16). 514 „Klerikalisierung der Politik“. MdB Hans Roser zur Unterschriftenaktion des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung, in: Bayerische Rundschau, Ausgabe vom 9. 5. 1972 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 38). 513

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ment ging es mir wirklich nicht um Parteipolitik, sondern um ein Zeichen dafür, wie meine Freunde und ich ihr christliches Engagement für den Frieden konkret in dieser Lage verstehen. […] Ich weiß, daß ich als Pfarrer und Dekan für alle da sein soll. Doch kann das nicht heißen, daß ich nur das sagen darf, was ohnehin von allen gedacht und von allen gern gehört wird. Ich halte es für hilfreicher, auch solche Denkanstöße zu geben, die zunächst ungewohnt wirken. Ist einer Gemeinde mit farblosen Äußerungen und blassen Ratschlägen gedient? Provozieren will ich wahrhaftig niemanden. Ich respektiere Andersdenkende. Ich meine, daß Entscheidungen heute nur im Gespräch gefunden werden können.“515

Nicht nur in Kulmbach, auch andernorts in Bayern kam es zu Diskussionen um die Unterschriftensammlung der AEE-Mitglieder516. Das Thema wurde nun auch grundsätzlich behandelt: Im Mantelteil des Sonntagsblatts wurden die konträren Stellungnahmen des Hofer Dekans Martin Bohrer und Hermann von Loewenichs zu der Frage „Soll die Kirche sich konkret politisch äußern?“ abgedruckt517. Eine Gruppe evangelischer bayerischer Theologen, unter ihnen Walter Künneth, veröffentlichte die Erklärung „Kirche und Ostverträge. Wider den Mißbrauch des kirchlichen Amtes“ und erklärte: „Wer in parteipolitische Konflikte mit kirchlicher Autorität und mit dem Anspruch evangelischer Weisung eingreifen zu müssen meint, hat das Evangelium mißverstanden. […] An alle diejenigen […], die die Grenzen ihrer kirchlichen Legitimation überschritten haben, richten wir die Mahnung: Gefährdet die Einheit der Evangelischen Kirche nicht länger, indem Ihr das kirchliche Amt und dadurch auch den Herrn der Kirche für bestimmte politische Zielvorstellungen in Anspruch nehmt. Der Dienst des Evangeliums will Menschen frei machen zu eigenverantwortlichem politischem Handeln.“518

Auch der Landeskirchenrat veröffentlichte eine Stellungnahme zu den kirchlichen Auseinandersetzungen um die Ostverträge. Seine Kritik daran, dass in der Landeskirche Gruppen zu dieser politischen Frage Position bezogen, kommt klar zum Ausdruck:

515

Beide Briefe enthalten in ebd. So etwa die Auseinandersetzung zwischen dem Münchner Pfarrer Reinhard von Loewenich und Hans Roser bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung in Landshut. Vgl. dazu den namentlich nicht gekennzeichneten Artikel: Im politischen Raum keine Versöhnung? MdB Roser contra Reinhard von Loewenich (B+K, Nr. 12 / 6. 5. 1972, 11). 517 Soll die Kirche sich konkret politisch äußern? Zu einer aktuellen Streitfrage äußern sich zwei bayerische Dekane mit unterschiedlichen Auffassungen (Nürnberger Gemeindeblatt. Sonntagsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern 79 (1972), Nr. 20 vom 7. 5., 20). 518 „Kirche und Ostverträge. Wider den politischen Mißbrauch des kirchlichen Amtes“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 38). 516

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„Im Bereich politischer Ermessensfragen ist genaue Information, Sachverstand, politisches Kalkül und Mut zur Entscheidung notwendig. Dabei sind verschiedene Meinungen in Kauf zu nehmen. Sie sind häufig unvermeidbar und zuweilen zur Klärung notwendig. Das ist zu bedenken, wenn kirchliche Gruppen und einzelne Personen mit besonderer kirchlicher Verantwortung meinen, in solchem politischen Meinungsstreit öffentlich Stellung nehmen zu müssen. Sie stehen in der Gefahr, einem Ermessensurteil das Gewicht einer vom Evangelium her zu fällenden Glaubensentscheidung zu geben.“519

Gerade für diese implizite Kritik, dem AEE mangele es für eine Stellungnahme zu dieser komplexen politischen Frage am nötigen Sachverstand, zeigten die AEE-Vertreter kein Verständnis: Seiner Ansicht nach, so Hermann von Loewenich, sei „Engagement für den Frieden […] der Kirche in besonderer Weise aufgetragen. Es darf sich nicht in Allgemeinplätzen erschöpfen, sondern muß sich in der konkreten politischen Situation bewähren.“520 Einsatz für den Ersatzdienst und für die Resozialisierung von Strafgefangenen Aus diesem Verständnis heraus traten die drei Gruppen auch auf anderen politischen Feldern für Frieden und Versöhnung ein: So waren beispielsweise AEE und VBV bei der Unterstützung von Wehrdienstverweigerern aktiv. Hier fielen wieder die Interessen des AEE mit den beruflichen Zuständigkeitsbereichen seiner Mitglieder zusammen: So lag die kirchliche Betreuung von Kriegsdienstverweigerern und Zivildienstleistenden anfangs in der Verantwortung des Schülerpfarrers im Amt für Jugendarbeit – diese Stelle bekleidete AEEGründungsmitglied Werner Schanz von 1965 bis 1970521. Der Arbeitskreis als ganzer setzte sich immer wieder für die Rechte der Ersatzdienstleistenden und für die Anerkennung von deren Dienst als eines Grundrechts ein522.

519 „Stellungnahme des Evang-Luth. Landeskirchenrats zur kirchlichen Auseinandersetzung über die Ostverträge“ (19. 4. 1972), in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 38. 520 Hermann von Loewenich, in: Soll die Kirche sich konkret politisch äußern? Zu einer aktuellen Streitfrage äußern sich zwei bayerische Dekane mit unterschiedlichen Auffassungen (Nürnberger Gemeindeblatt. Sonntagsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern 79 (1972), Nr. 20 vom 7. 5., 20). 521 1967 wurde die „Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer in Bayern“ gegründet, die der Landeskirchenrat unterstützte. Vgl. zum Engagement für Kriegsdienstverweigerer in der bayerischen Landeskirche Blendinger, Aufbruch, 138–144. 522 Vgl. die bei der AEE-Mitgliederversammlung vom 1. 11. 1969 beschlossene Resolution: „Der AEE lehnt die Pläne des Ausschusses von Beamten des Verteidigungsministeriums und Vertretern der Militärseelsorge beider Konfessionen, einen waffenlosen Ersatzdienst einzuführen und die Ersatzdienstzeit zu verlängern, ab. Es kann nicht Aufgabe der Militärseelsorge sein, ideologische Dienste für die Bundeswehr zu leisten, insbesondere mitzuwirken, daß die Zahl der Kriegsdienst-

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Konkret forderten Vertreter von AEE und VBV im Februar 1972, die Kirchenleitung müsse „es mit der Betreuung der Kriegsdienstverweigerer und der Zurverfügungstellung von Plätzen für den Zivildienst viel ernster als bisher nehmen“523. Versöhnung und Vergebung waren auch das Motiv für die Bemühungen des „ AEE-Arbeitskreises Resozialisierung“, in dem auch Bewährungshelfer mitarbeiteten524. Der Kreis informierte an Gemeindeabenden und Veranstaltungen Arbeitnehmer und Gewerkschaftsvertreter über die Situation Strafgefangener nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis und bemühte sich um die Beschaffung von Wohnraum. Einem Straffälligen wurde im Predigerseminar Nürnberg zeitweilig Unterkunft und Verpflegung gewährt. Einzelne AEE-Mitglieder kümmerten sich zudem um die Vermittlung von Arbeit, ausnahmsweise sogar um die Betreuung der Strafgefangenen selbst. Parteipolitische Positionierung Gerade in den Auseinandersetzungen um die Ostverträge war den AEE-Mitgliedern eine parteipolitische Positionierung zugunsten der SPD vorgeworfen worden. Auch wenn der AEE sich immer gegen den Vorwurf wehrte, „Nachwuchsorganisation einer Partei“ zu sein525, auch wenn er ebenso wenig wie VBV und LabeT als politisch uniform charakterisiert werden kann, so zeigen die verschiedenen Stellungnahmen und Aktionen der drei Gruppen doch, dass ihre Mitglieder in jedem Fall eher dem sozialliberalen als dem konservativen politischen Spektrum zuzurechnen waren. Im Juni 1970 sorgte beispielsweise ein Gebet des Bad Bernecker Dekans Klaus Diegritz für Aufregung: Angesichts der bevorstehenden Sondierungen zu den Ostverträgen hatte Diegritz im Pfingstgottesdienst gebetet: „Besonders bitten wir Dich, Herr, für Willy Brandt und Willi Stoph, die in dieser verweigerer reduziert wird. Die Mitgliederversammlung nimmt zur Kenntnis, daß der Rat der EKD sich von diesen Plänen distanziert hat. Wir fordern den Rat auf, weiterhin seine besondere Aufmerksamkeit darauf zu richten, daß die Rechte der Kriegsdienstverweigerer nicht angetastet werden“ (B+K, Nr. 5 / 1. 12. 1969, 7). Vgl. zum Umgang mit Kriegsdienstverweigerern in der bayerischen Landeskirche auch Blendinger, Aufbruch, 138–144. 523 So der Beschluss einer Ausschusssitzung / AEE-Region Bayreuth (B+K, Nr. 11 / 1. 2. 1972, 24 f.) unter der Überschrift: „Unsinniges Prüfungsverfahren beseitigen.“ 524 Vgl. zu den Aktivitäten des Kreises den Bericht in: B+K, Nr. 8 / 15. 7. 1970, 12 f. Vgl. außerdem Reinhold Schwert: Resozialisierung Strafgefangener und gefährdeter Jugendlicher (B+K, Nr. 3 / 1. 8. 1969, 27). 525 So das Vorwort zur Ausgabe der „Berichte und Kommentare“ vom Oktober 1972: „Der AEE war noch nie Nachwuchsorganisation einer Partei, obwohl es an Versuchen, ihn dazu abzustempeln, nicht gefehlt hat. Mitglieder der SPD, CSU und FDP und in der Mehrzahl Parteilose arbeiten im AEE zusammen.“ (B+K, Nr. 14 / 1. 10. 1972, 1).

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Woche miteinander reden wollen. Hilf ihnen zu guten Gedanken“526. Dass er für den DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph, für einen Kommunisten, gebetet hatte, veranlasste einen seiner Kirchenvorstände, den CSU-Politiker und Landtagsvizepräsidenten Simon Nüssel, zu scharfer Kritik: Er bedauerte öffentlich, dass „durch unklare Äußerungen von Geistlichen die eigentliche Situation in Deutschland verniedlicht und die notwendige Konfrontation zwischen Christentum und Marxismus bagatellisiert“527 würde. Diegritz wurde mit dem Vorwurf konfrontiert, er wolle „die Leute nach links beten“528. Der Dekan verteidigte sich hingegen damit, dass er als Christ für jeden Menschen beten dürfe. Die Vorbehalte gerade gegenüber der CSU zeigten sich beim AEE noch einmal besonders deutlich in dem Engagement der Gruppe gegen das neue bayerische Rundfunkgesetz 1972529: Die CSU-Landtagsfraktion hatte am 21. Januar 1972 eine Novelle zum Bayerischen Rundfunkgesetz vorgelegt, durch die unter anderem die Rechte des BR-Intendanten vermindert und die Zahl der vom Landtag gewählten Rundfunkräte erhöht werden sollte. Angestrebt war außerdem in einem weiteren, bereits ausformulierten Gesetz die Zulassung privater Rundfunkveranstalter in Bayern. Der Gesetzesentwurf zum Bayerischen Rundfunkgesetz wurde am 1. März 1972 unverändert verabschiedet. Vierzehn Tage später, am 15. März 1972, konstituierte sich ein „Landesbürgerkomitee Rundfunkfreiheit“ mit dem Ziel, ein Volksbegehren gegen das neue Rundfunkgesetz einzuleiten. Der AEE unterstützte mit einem Aufruf an die Synode, Briefen an Verantwortliche und einer Sondernummer seiner „Berichte und Kommentare“ das Volksbegehren „Freiheit für Funk und Fernsehen in Bayern“.530 In diesem Volksbegehren ging es vor allem darum, einer zunehmenden parteipolitischen Einflussnahme der CSU auf die Programmgestaltung sowie der Gründung privater Rundfunk- und Fernsehanstalten, die „von wirtschaftlichen Interessengruppen kontrolliert“531 würden, vorzubeugen. In den „Berichten und Kommentaren“ wird unter anderem der Vorwurf laut, die CSU würde versuchen, ihre eigentlichen Interessen durch „Demokratisierungs526 Zit. nach dem Bericht Kein Gebet für Kommunisten. Landtagsvizepräsident Nüssel wendet sich gegen Fürbitte für Willi Stoph, in: Süddeutsche Zeitung, Ausgabe vom 23. 6. 1970 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 5). 527 Zit. nach ebd. 528 Zit. nach ebd. 529 Vgl. hierzu auch Chronik des Bayerischen Rundfunks / Konsolidierung und Ausbau I: 1970 bis 1975 (http://www.br-online.de [Stand: 13. 7. 2007]). 530 Vgl. hier vor allem die diesem Thema gewidmete Ausgabe B+K, Nr. 13 / 27. 6. 1972. Mit dieser Nummer bat das Leitende Team des AEE seine Leser darum, das Volksbegehren gegen das neue Rundfunkgesetz zu unterstützen. 531 Ebd., 3.

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gerede“ zu vertuschen532. Das Volksbegehren hatte Erfolg: Durch einen Volksentscheid wurde am 1. Juli 1973 die bayerische Verfassung um den Artikel 111a ergänzt, der für Hörfunk und Fernsehen in Bayern eine öffentlich-rechtliche Trägerschaft vorsieht und außerdem festlegt, dass beim Bayerischen Rundfunk Regierung, Landtag und Senat nicht mehr als ein Drittel der Rundfunkratsmitglieder stellen dürfen. Das entsprechend überarbeitete Rundfunkgesetz trat am 1. August 1973 in Kraft. Häufiger politischer Gegner vor allem von AEE und LabeT war der bereits schon genannte, für seine Tätigkeit als CSU-Bundestagsabgeordneter beurlaubte Landesjugendpfarrer Hans Roser. Wiederholt warf Roser verschiedenen AEE-Pfarrern den Missbrauch ihres Amtes für politische Zwecke vor (vgl. oben)533; auf der anderen Seite meldete sich der AEE zu Wort, als drei bayerische Pfarrer öffentlich Wahlwerbung für Roser betrieben534. Auch von LabeTVertretern wurde wiederholt bemängelt, dass Roser bei seiner Wahlwerbung mit der dezidierten Bezugnahme auf seinen Beruf und Bibelzitaten das „Vertrauen zu ihm als Mitchristen und Pfarrer zu parteipolitischen Zwecken“ missbrauche535. Im November 1972 druckte der LabeT außerdem die Stellungnahme der „2. Delegiertenversammlung des Verbandes der Evangelischen Theologiestudenten der EKD“ (VETh) ab, in der der christliche, demokratische und soziale Anspruch der CDU / CSDU in Frage gestellt wurde, und die – nach Auflistung entsprechender Beispiele – mit den Worten endete: „Angesichts dieser Tatsachen ergeht an die Wähler die dringende Empfehlung bei der Wahl am 19. November 1972 der CDU / CSU die Stimme zu verweigern und sich für die Kräfte, die für Frieden, Fortschritt und soziale Gerechtigkeit eintreten, zu entscheiden!“536 Die Veröffentlichung dieser Wahlempfehlung stieß nicht nur auf Zustimmung unter den jungen bayerischen Theologen: In einem Leserbrief wurde dem LabeT eine gewisse Schizophrenie vorgeworfen, einerseits Hans Rosers Wahlwerbung zu verurteilen, andererseits selbst parteipolitisch Position zu beziehen537. Vertreter aller drei bayerischen Reformgruppen warfen der Landeskirchenleitung wiederholt explizit oder implizit vor, auf dem „rechten“ Auge blind zu sein und nur dann politische Verlautbarungen von Pfarrern oder gesellschaft532

Ebd., 12. Vgl. dazu vor allem die Auseinandersetzungen um die Ratifizierung der Ostverträge (vgl. oben). 534 So geschehen beim Bundestagswahlkampf im November 1972 (B+K, Nr. 15 / 1. 3. 1973, 4–6). 535 Info-Labet, Nr. 17 / 15. 11. 1972, 3 f., hier: 3. 536 Zur Wahl. Appell des VETh am 5. 11. 1972 (Info-LabeT, Nr. 17 / 15. 11. 1972, 14). 537 Info-LabeT, Nr. 18 / 5. 2. 1972, 12. 533

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lichen Gruppen zu kritisieren, wenn diese aus dem politisch linksgerichteten Spektrum kämen538. Einer Schwarz-Weiß-Malerei sei hier aber vorgebeugt: Die Landeskirchenleitung ließ durchaus auch gegenüber der CSU kritische Töne hören539, Hans Roser bekundete von sich aus Interesse an Diskussionen mit dem AEE540. Ab Mitte der 1970er Jahre ist hinsichtlich der parteipolitischen Positionierung der Reformgruppen eine gewisse Auflockerung zu beobachten: In den „Berichten und Kommentaren“ wurde 1976 auch der Evangelische Arbeitskreis der CDU / CSU vorgestellt541, der LabeT lud den bayerischen Wirtschaftsminister Anton Jaumann (CSU) zu einer Diskussionsveranstaltung ein542. Verlautbarungen zu Fragen von Bildung, Familie und Sexualität In diesem Feld tat sich von den drei Gruppen hauptsächlich der AEE hervor: Er meldete sich bezüglich der Neuordnung des Volksschulwesens zu Wort543, trat öffentlich für die Einrichtung einer Universität in Bayreuth ein544 und beschäftigte sich eingehend mit Konzepten für den Religionsunterricht und der Frage, inwieweit „Kirche heute in rechter Weise in der Schule ‚anwesend‘ sein könnte“545. Was Fragen der Familienpolitik betrifft, sei das Engagement einiger AEEMitglieder bei der Reform des § 218 erwähnt, zugleich ein Beispiel dafür, dass 538 Dieser Vorwurf kommt beispielsweise in der Dokumentation „Landeskirche und Öffentlichkeit. Bericht über drei Vorgänge“ (B+K, Nr. 4 / 1. 10. 1969, 4–11) deutlich zum Ausdruck, in dem bedauert wird, dass die Landeskirchenleitung ein von bayerischen Pfarrern und kirchlichen Mitarbeiterin unterschriebenes Flugblatt gegen die NPD missbilligte, statt vor der „Gefahr von rechts“ zu warnen. 539 So kommentierte Dietzfelbinger das Rundfunkgesetz mit den Worten: „Ich habe der Meinung zugestimmt, daß die CSU hier undemokratisch ohne genügende Anhörung anderer Meinungen und viel zu rasch vorgehe“ (B+K, Nr. 13 / 27. 6. 1972, 6). 540 Vgl. dazu das Schreiben Rosers an Reinhard von Loewenich am 5. 3. 1970 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 6). 541 Vgl. Wolfgang Vogelgesang: Ein Gesprächskreis zwischen Kirche und Politik. Der Evangelische Arbeitskreis (EAK) der CDU / CSU (B+K, Nr. 26 / Juli 1976, 9 f.). 542 Vgl. zu den Reaktionen darauf: Interview Küstenmacher, 6. 543 So verabschiedete der AEE bereits bei seiner ersten Mitgliederversammlung (März 1968) eine Resolution für die Einrichtung des neunten Schuljahres in den bis 1969 achtklassigen Volksschulen. 544 Vgl. dazu das Schreiben des Bayreuther Oberbürgermeisters Hans Walter Wild an Hermann von Loewenich vom 16. 2. 1970, in dem er sich dafür bedankt, „daß der Arbeitskreis Evangelische Erneuerung am 13. Januar 1970 – also in einer entscheidenden Phase – eine Presseerklärung für die Universität Bayreuth abgegeben hat. Ich glaube, daß diese Aktion entscheidend war, die im Gange befindliche Meinungsbildung für Bayreuth einzunehmen“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 7). 545 So in dem ersten Bericht über die gerade gegründete Arbeitsgemeinschaft Schulfragen in der AEE-Gruppe IV (Nord): Politik, in: B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 33 f., hier: 33.

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innerhalb des AEE durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten wurden: So wurde im Mai 1973 die Stellungnahme der AEE-Region München, die sich für das Fristenmodell einsetzte, ausdrücklich mit der Bemerkung in den „Berichten und Kommentaren“ abgedruckt, es handle sich hier nicht um eine einheitliche AEE-Meinung546. Die Regionalgruppe hatte bewusst mit ihrer Resolution einen Gegenpol zu den kirchlichen Stellungnahmen bilden wollen, die sich gegen jegliche Schwangerschaftsabbrüche gewandt hatten; sie wollte damit „den Freiraum politischen Entscheidens wieder herstellen“547. 336 Personen, darunter 83 Pfarrer, unterzeichneten die Resolution548. Stellungnahmen aller drei Gruppen gab es angesichts des „Skandals“ um das in ökumenischer Zusammenarbeit gestaltete kirchliche Urlaubermagazin „Unterwegs“ 1971. Nachdem die Angelegenheit einer gewissen Komik nicht entbehrt und außerdem ein bezeichnendes Licht auf die Vorstellungen von sexueller Freizügigkeit in der bayerischen Landeskirche wirft, sei im Folgenden der Wirbel um „Unterwegs“ etwas ausführlicher dargestellt. Dabei standen einmal mehr weniger dezidiert theologische Differenzen im Mittelpunkt, als vielmehr die Frage, ob und in welcher Weise sich die Kirche in einer gesamtgesellschaftlich geführten Diskussion, hier dem Umgang mit Sexualität, positionieren dürfe. Ausgangspunkt der Aufregungen war die erste Ausgabe des Urlaubsmagazins „Unterwegs“ im Jahr 1971; das vierzigseitige Magazin wurde von den drei evangelischen Landeskirchen Baden, Bayern und Württemberg sowie den drei entsprechenden Diözesen finanziert und sollte zu Beginn der Urlaubszeit kostenlos auf Campingplätzen, an Autobahnen, Grenzübergängen und in Kurorten verteilt werden. Nun hatte die bayerische Ausgabe, herausgegeben vom Amt für Gemeindedienst der bayerischen Landeskirche in Zusammenarbeit mit dem Seelsorgereferat der Erzdiözese München-Freising und von den Redakteuren Claus-Jürgen Roepke, Helmut Winter sowie einem Graphiker verantwortet, mit einer Besonderheit aufzuwarten: Auf einer farbigen Doppelseite des Magazins war eine nackte junge Frau zu sehen, die auf dem Bauch in einer Wiese lag; neben der Nackten war ein Gebet mit Worten aus dem 139. Psalm abgedruckt. Gleichsam als Vorwarnung war das Bild der schönen Nackten in Briefmarkengröße auf der vorangehenden Seite abgebildet, versehen mit einer Erklärung der Redakteure für ihre Bildauswahl:

546 Vgl. den Beitrag Es gibt keine kirchliche Einheitsmeinung zur Reform des § 218. Stellungnahme der AEE-Region München (B+K, Nr. 16 / 15. 5. 1973, 20 f.). 547 Ebd., 20. 548 Vgl. B+K, Nr. 18 / 20. 10. 1973, 21 f.

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„Sind Sie erstaunt über das Bild auf der nächsten Seite? Nacktes wird heute in zahlreichen Magazinen und Filmen angeboten: obszön zur Schau gestellt, gekoppelt mit brutaler Gewalt oder als Werbeträger geschickt verpackt. Sex anders als so ins Bild gesetzt wird zur Ausnahme. Wir meinten, dieses Foto von Jochen Harder sei eine solche Ausnahme. […] Heute beginnen die Christen ihre Einstellung zum Sex neu und positiv zu formulieren. Was ist zu diesem Bild zu sagen? Es ist schön und ein klein wenig romantisch. Im satten Grün der helle Körper des Menschen, ‚nackt, wie Gott ihn schuf‘. Und es ist fromm – zumindest offen für die Frage nach dem Sinn der Geschlechtlichkeit: ‚Wunderbar sind deine Werke…‘ […] Jeder Mensch ist ganz ein Werk Gottes, sagt die Bibel. […] Wer die Freude am Körper bejaht, bekennt sich zu seinem Schöpfer. Das Werk trägt freilich auch den Namen seines Schöpfers. Darum: Wer Menschen gebraucht, als wären sie Waren, beleidigt Gott. Und wo Sex benutzt wird, den Umsatz zu steigern, entwürdigt der Mensch sich selber. Dieses Bild und dieses Gebet haben uns in der Redaktion lange beschäftigt. Wie werden Sie die nächste Seite betrachten?“549

Auf der gleichen Seite wie diese vorsichtige Ankündigung waren in Passbildformat die Konterfeis von Hermann Dietzfelbinger und Kardinal Julius Döpfner unter der Überschrift „Neue Lebenszuversicht“ abgebildet; beide hatten die bayerische Ausgabe in ihrer Endfassung und damit auch die Nackte nicht gesehen. Die badische und die württembergische Kirche hatten für ihre Ausgaben das fragliche Bild abgelehnt und an seiner Stelle eine Wüstenlandschaft abgebildet. Mit der Auslieferung der ersten Exemplare Anfang Mai 1971 liefen im Landeskirchenamt empörte Anrufe und Telegramme ein: Kirchenvorstände und Vertreter von Pfarrämtern, die das Heft aufgeschlagen hatten, forderten die „Einziehung der gesamten Auflage“550. Auch Kardinal Julius Döpfner plädierte dafür, die Auflage einzustampfen; sollte sie in dieser Form erscheinen, so Döpfner in einem Telefonat mit Dietzfelbinger, gebe es einen Skandal in der katholischen Kirche und sein Amt wäre gefährdet551. Der Landeskirchenrat entschied sich für das Einziehen der Auflage; gegenüber den Dekanaten begründete er, es gehe hier um „Fragen der Fairneß [auch bezüglich der ökumenischen Zusammenarbeit] und des Geschmacks“552, zudem habe sich augenscheinlich gezeigt, 549 Urlaubsmagazin „Unterwegs“, Ausgabe 1971 (1), 13. In: LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 74. 550 So der Kirchenvorstand Holzkirchen (Oberbayern) am 9. 5. 1971 an den Landeskirchenrat. Auch das „Pfarramt Tegernsee erhebt dringend Einspruch gegen Vertrieb der Urlauberzeitschrift Unterwegs unter Berufung auf das 6. Gebot“ (10. 5. 1971). Telegramme erhalten in: LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 74. 551 Aktenvermerk Dietzfelbingers zu den Telefonaten mit Kardinal Döpfner am 12. 5. 1971 (ebd. 552 Schreiben des Landeskirchenrates an alle Dekanate (mit Abdrucken für alle Pfarrämter) am 21. 5. 1971 (ebd.).

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dass „das Thema der Sexualität von der bildlichen Darstellung her auf diese hier versuchte Weise theologisch nicht zureichend zur Sprache gebracht“553 werden könne. Die Folge war, dass die 270.000 Exemplare der bayerischen Ausgabe der Urlaubs-Illustrierten „Unterwegs“ in dieser Form nicht ausgeliefert wurden. Die Nackte wurde durch das Bild einer Wüste ersetzt; der Neudruck kostete laut Auskunft der Kirchenleitung rund 38.000 Mark, die beide Kirchen je zur Hälfte zahlten. Für die weltliche Presse war die Angelegenheit ein gefundenes Fressen: Von der Tageszeitung bis zum Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL widmeten Journalisten der Sache breiten Raum und ließen ihrer Kreativität bei der Suche von pfiffigen Überschriften freien Raum; die Süddeutsche Zeitung glänzte mit der Titelzeile „Wüste Gabi ’raus – Wüste Gobi ’rein“554. Für Außenstehende war die Angelegenheit bestens dazu angetan, das Klischee einer leibfeindlichen Kirche zu pflegen, und genau aus diesem Grund zeigten sich zahlreiche Pfarrer, Gemeindemitglieder sowie Vertreter kirchlicher Gruppen und theologischer Fakultäten unzufrieden mit dem Verhalten des Kirchenleitung und richteten entsprechende Briefe an den Landesbischof. An Vorwürfen kam wiederholt, dass die Glaubwürdigkeit der Kirche darunter leide, wenn sie einerseits um Spenden bitte, andererseits hohe Geldbeträge für eine solche Neuauflage aufbringen könne; das Vorgehen sei zudem ein großer Rückschritt „für alle unsere Bemühungen zu einer wirklich biblisch fundierten Sexualethik“555. Sechs Erlanger Theologieprofessoren und ein Wissenschaftlicher Rat beklagten, dass ein derartiges kirchliches Verhalten ihnen selbst die Identifikation mit der Kirche nicht leicht mache und es ihnen umso mehr erschwere, die ihnen „anvertrauten Studenten zu einer solchen Identifikation anzuleiten. Die Nachwuchskrise, die auf die Kirche zukommt, hat u. E. gerade in solchen Identifikationsschwierigkeiten mit ihren Grund.“556 Auch AEE und LabeT machten ihrer Enttäuschung öffentlich Luft: So richtete der LabeT-Einzelkonvent Erlangen gemeinsam mit Vertretern der Fach-

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Ebd. Hannes Burger: „Wüste Gabi ’raus – Wüste Gobi ’rein“. Die interkonfessionelle Urlaubszeitschrift „Unterwegs“ stolpert über eine Rückenpartie / Nackt unter Psalmen, in: Süddeutsche Zeitung, Ausgabe vom 15. / 16. 5. 1971, 3. Dieser Zeitungsausschnitt sowie zahlreiche andere Berichte sind enthalten in: LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 74. 555 So der Münchner Prodekan Friedrich Spiegel-Schmidt am 18. 5. 1971 an den Landeskirchenrat, enthalten in: Ebd. 556 Die Professoren Dr. Wilfried Joest, Dr. Bernhard Klaus, Dr. Niels-Peter Moritzen, Dr. Peter Stuhlmacher, Dr. Martin Hengel, Dr. Friedrich Mildenberger und der Wissenschaftl. Rat Dr. Hans Schulze am 19. 5. 1971 an den Landesbischof, enthalten in: ebd. 554

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schaft und der Theologischen Fakultät Erlangen Ende Mai einen Offenen Brief an den Landesbischof: „Diese Maßnahme [das Einziehen des Magazins], die die evang.-luth. Kirche in Bayern 50.000 DM gekostet haben soll, ist uns unverständlich, da sich mit diesem Bild und den dazu gehörigen Texten […] endlich eine offene und sachgemäße Einstellung zur Sexualität im Raume der Kirche anbahnte. Nun aber scheinen die antisexuellen Resentiments Einiger die Oberhand gewonnen zu haben.“557

In dem Schreiben wurde eine öffentliche Stellungnahme Dietzfelbingers gefordert. Auch der LabeT-Einzelkonvent Neuendettelsau wandte sich mit einem ähnlichen Brief an den Landesbischof558: Die Studenten berichteten über ihre positive Reaktion angesichts der Erstauflage des Magazins, das auch an der Hochschule verteilt worden war: „Sie [die Zeitschrift] erregte freudiges Erstaunen, da sie von bloßem Protest gegen die Sexualisierung in unserer Gesellschaft absah, statt dessen eine positiv-kritische Stellungnahme bot. Gerade in dem Psalmwort neben dem nackten Körper kam zum Ausdruck, wie positiv sich die Heilige Schrift zum Menschen in der Gesamtheit seiner Person stellt. Umso überraschter waren wir, als wir […] erfuhren, daß Sie sich entschlossen hatten, die Verbreitung dieser Zeitschrift zu unterbinden.“559

Hermann von Loewenich fragte im Namen des AEE an, ob sich die Kirchenleitung bewusst sei, dass sie mit ihrem Verhalten öffentlichen Spott provoziere: „Wir vermögen in dieser Entscheidung nämlich gerade nichts von jener evangelischen Freiheit zu entdecken, in der wir die Leiblichkeit und Sexualität des Menschen bejahen.“560 Gerade angesichts der gemeinsamen Verlautbarung von Landeskirchenrat und Landessynode im März 1971, in der beide Gremien von der „begrüßenswerten Natürlichkeit und Unbefangenheit“ in sexuellen Fragen gesprochen hätten, sei dies zu bedauern. Hermann von Loewenich: „Wir befürchten, daß durch diese Entscheidung alle Bemühungen der letzten Jahre auf sexualethischem Gebiet in den Verdacht der Unglaubwürdigkeit geraten.“561 Diese Stellungnahme des AEE wurde auch in den Medien veröffentlicht562. 557 Offener Brief des Einzelkonvents Erlangen an Dietzfelbinger, datiert auf „Ende Mai 1970“ mit insgesamt 67 Unterschriften (ebd.). 558 Schreiben des LabeT-EK Neuendettelsau am 21. 5. 1971 an Dietzfelbinger (ebd.). 559 Ebd. 560 Hermann von Loewenich: Die „teuerste Rückseite der Landeskirche“. Erklärung des leitenden Teams im AEE (B+K, Nr. 10 / 21. 6. 1971, 23 f.). 561 Ebd., 24. 562 So in der Süddeutschen Zeitung, Nr. 123 vom 24. 5. 1971, 13.

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Der Wirbel um das Magazin „Unterwegs“ lässt sich als eine Facette der Auseinandersetzung der bayerischen Landeskirche mit der sogenannten sexuellen Revolution der späten 1960er und frühen 1970er Jahre deuten563. Die für die Veröffentlichung des umstrittenen Fotos verantwortlichen Redakteure hatten offensichtlich gehofft, mit ihrem Beitrag einen Kontrapunkt zur allgemeinen „Sexwelle“ zu setzen, sie hatten als Kirche provozieren und mit neuen Aspekten überraschen wollen – und waren damit gescheitert. Und so zog Claus-Jürgen Roepke am 4. Juni 1971 ein bitteres Resümee: „Die Kirche, mit der ich mich bisher glaubte, identifizieren zu können, hat sich lächerlich gemacht und ihre gesamte sexualethische Verkündigung unglaubwürdig. Die Ökumene an der Basis hat einen ernsten Rückschlag erlitten. Die Bereitschaft vieler, sich noch für die Kirche zu engagieren, ist durch diesen Machtanspruch entscheidend gedämpft worden. […] Die Sexwelle […] kann nicht mit Traktätchen – aber auch nicht mit gewichtigen Denkschriften – bekämpft werden. Hier muß deutlich und offen – ich scheue mich nicht zu sagen: hier muß lutherisch-frei und positiv gesagt und im Bild gezeigt werden, was vom 1. Artikel her zu sagen ist.“564

Entwicklung neuer Formen der Gottesdienste und des Gemeindeaufbaus Ausgehend vom Leitbild der „Kirche für andere“ heißt es in den Überlegungen zur Aufgabenstellung des AEE bei seiner ersten Mitgliederversammlung im März 1968: „Die Formen von Gottesdienst und Verkündigung sind dann sachgemäß, wenn sie von den Menschen verstanden und mitvollzogen werden können, denen das Evangelium bezeugt werden soll.“565 Für dieses Anliegen, Gottesdienste und Verkündigung den gewandelten Lebensverhältnissen entsprechend zu gestalten und dabei auch (gesellschafts-) politische Themen einzubringen, setzte sich der AEE seit seiner Gründung ein: Eine der fünf bei der ersten Mitgliederversammlung eingesetzten Arbeitsgruppen war die Arbeitsgruppe I: Gottesdienst. Aufgeteilt auf verschiedene Untergruppen beschäftigten sich ihre Mitglieder einerseits theoretisch mit verschiedenen liturgischen Neuerungen und hinterfragten traditionelle Formen,

563 Vgl. dazu den Aufsatz von Mantei, Protestantismus. Die Kirchenhistorikerin charakterisiert die sexuelle Revolution als „eine Emanzipationsbewegung von kirchlich vorgegebenen Sexualkodizees, über deren Einhaltung staatliche Gesetze wachten“ (ebd, 173). Insgesamt, so Mantei, habe sich die evangelische Kirche den maßvollen Zielen dieser Emanzipationsbewegung geöffnet und so gemeinsam mit der sozialliberalen Regierung dazu beigetragen, dass aus einer Revolution eine Reform auf dem Gebiet der bundesdeutschen Sexualmoral wurde. 564 Roepke an Dietzfelbinger (LAELKB Nürnberg, Landesbischof, Nr. 74). 565 In: „Überlegungen zur Aufgabenstellung des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung. Leicht geänderte Fassung auf Grund der Diskussion in der ersten ordentlichen Mitgliederversammlung am 3. / 4. März 1968 in Nürnberg“ (B+K, Nr. 1 / Juni 1968, 1 f., hier: 1).

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andererseits erstellten sie praktisches Material (etwa zu Abendmahlsgottesdienten, missionarischen Gottesdiensten, Familiengottesdiensten) und machten es anderen zugänglich. So wurden wiederholt in den „Berichten und Kommentaren“ Gebetstexte abgedruckt566, umstrittene Predigten diskutiert567 und neue Gottesdienstkonzepte vorgestellt. Besonders die monatlich stattfindenden Kommentargottesdienste aus Nürnberg St. Lorenz, die von AEE-Mitgliedern initiiert sowie maßgeblich gestaltet wurden568, wurden mehrfach in den „Berichten und Kommentaren“ dokumentiert569. Gerade in den Fragen der Gottesdienstgestaltung kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen AEE-Mitgliedern und Vertretern bekennender Gemeinschaften. Genannt sei hier exemplarisch die Auseinandersetzung zwischen dem Wunsiedler Dekan Dr. Walter Reissinger und dem jungen Weißenstädter Pfarrer und AEE-Mitglied Dr. Helmut Ruhwandl im Mai / Juni 1970570: Ruhwandl hatte bei einer Soldaten-Rüstzeit in Oberfranken unter dem Motto „Fantasie für Gott“571 gemeinsam mit den jungen Männern einen Gottesdienst mit Verkündigung (Lk 19, 1–10) und einem gemeinsam formulierten Credo gestaltet; der Pfarrer hatte dabei lediglich „als theologischer Fachberater“ fungiert572. Am darauffolgenden Sonntag berichtete Ruhwandl im Gottesdienst in Weißenstadt über die Rüstzeit und verlas die Kurzpredigt und folgendes Glaubensbekenntnis der Männer: „Jesus Christus – unser Herr! Er hat Gottes Liebe auf Erden gelebt und uns erkennen lassen, wie ein Mensch dem Anderen begegnen kann. Er hat erfahren, wie man einander durch Vorurteile von der Gemeinschaft ausschließt. Aber er hat gezeigt, wie man sie in die Gemeinschaft zurückführt. Gleichgestellt mit den Ausgestoßenen 566 Vgl. etwa Hermann Blendinger / Unter-Gruppe Gottesdienst (AEE): Kollektengebet für Trinitatis und den 2. Sonntag nach Trinitatis (B+K, Nr. 4 / 1. 10. 1969, 20). 567 Vgl. zum Beispiel den Abdruck der sogenannten APO-Predigt des Nördlinger Pfarrers Dieter Helbig (vgl. unten, 256–260), in: B+K, Nr. 5 / 1. 12. 1969, 16–22. Der ausdrücklichen Aufforderung an die Leser, zu der Predigt Stellung zu nehmen, wurde Folge geleistet (vgl. B+K, Nr. 6 / 15. 2. 1970, 8–10). 568 Hier sind vor allem Georg Kugler, Christian Blendinger, Johannes Viebig und Friedrich Walz zu nennen. Vgl. dazu deren grundsätzliche Überlegungen und die Dokumentationen einiger Kommentargottesdienste (Kugler / Blendinger / Viebig / Walz, Kommentargottesdienste). 569 Vgl. beispielsweise den Abdruck des von Georg Kugler verantworteten Kommentargottesdienstes vom 19. 3. 1972 mit dem Synoden-Rückblick (B+K, Nr. 12 / 6. 5. 1972, 5–9). Vgl. außerdem zu den Kommentargottesdiensten ausführlich mit grundsätzlichen Stellungnahmen zu dieser Gottesdienstform die Ausgabe B+K, Nr. 22 / Februar 1975, 8–19. 570 Vgl. hierzu die Dokumentation „Oberfranken 1970“ (B+K, Nr. 8 / 15. 7. 1970, 19–31). 571 Unter diesem Titel erschien 1965 ein von Gerhard Schnath im Auftrag des Deutschen Evangelischen Kirchentages herausgegebenes Buch über Gottesdienste in neuer Gestalt. 572 B+K, Nr. 8 / 15. 7. 1970, 25.

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mußte er leiden und starb als ein Verbrecher am Kreuz. Wir wissen aber, daß Er nicht im Tode geblieben ist, sondern auch heute lebt. Ich hoffe mit allen, die auf Jesus vertrauen, daß er auch bei mir bleibt, wenn ich Angst habe und nicht glauben kann, wenn ich sterbe.“573

Jesu Vorbildcharakter für das eigene Verhalten wird hier betont; seine Gottessohnschaft kommt ebenso wenig vor wie sein Sühnetod574. Einen Sonntag später, am 7. Juni 1970, predigte Reissinger vor der Weißenstädter Gemeinde; seine Predigt wurde von einem Gemeindemitglied mitstenographiert. Demnach verurteilte Reissinger sowohl die Kurzpredigt der Soldaten als auch das verlesene Glaubensbekenntnis als Widerspruch gegen die Bibel; beide seien geeignet, die Gemeinde zu verunsichern und zu verwirren. Gerade das Bekenntnis sei „mit den für uns alleingültigen Symbolen verglichen […] klare Irrlehre und klare Verleumdung gegen Jesu Christi“575. Dem jungen Amtskollegen Ruhwandl warf Reissinger einen Verstoß gegen das Ordinationsgelübde vor. Der AEE bot daraufhin Reissinger ein klärendes Gespräch an, das dieser offensichtlich ausschlug576. Neben der Gottesdienstgestaltung widmete sich der AEE ausführlich Fragen der Konfirmationspraxis und richtete ebenfalls bereits bei seiner ersten Mitgliederversammlung eine eigene Arbeitsgruppe ein, deren Mitglieder zum Teil auch in dem landeskirchlichen Ausschuss zu diesem Thema mitarbeiteten. Hauptanliegen der Arbeitsgruppe II (Konfirmation) war es, zu Experimenten in der Konfirmandenarbeit zu ermutigen und die Konfirmation in ihrer Deutungsvielfalt (Abendmahlszulassung, Glaubensbefragung, Taufgedächtnis, Verpflichtung, Übernahme in die Erwachsenengemeinde etc.) zu „entflechten“577. Exemplarisch: Der „Fall Dieter Helbig“ in Nördlingen „Wir zwei sind keine ‚Sonderfälle‘, sondern ein getreues Spiegelbild der allgemeinkirchlichen Lage: Exponenten zweier Generationen, zweier theologisch-politischer Richtungen, die durch eine uns noch undurchschaubare Fügung am gleichen Ort in

573

Ebd., 20. Der Text weckt Assoziationen an das Glaubensbekenntnis Dorothee Sölles, vorgetragen beim Politischen Nachtgebet im Oktober 1968. Vgl. Sölle / Steffensky, Nachtgebet, 26 f. 575 B+K, Nr. 8 / 15. 7. 1970, 26. Das Gemeindemitglied, das die Predigt mitstenographierte, notierte nach diesen Worten: „An dieser Stelle Stimmen aus der Gemeinde, einige verlassen aus Protest den Gottesdienst.“ 576 Vgl. den ebd., 29 f., abgedruckten Briefwechsel. 577 Vgl. die Verlautbarungen und Vorschlägen zur Konfirmationspraxis in LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 11. 574

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gleicher Aufgabe zusammengespannt sind. Wir wissen auch, daß wir sachlich keine Freunde mehr werden können.“578

Als der junge Pfarrer Dieter Helbig seinem Dienstvorgesetzten, dem Nördlinger Dekan Ottmar Dimmling, diese Zeilen im August 1969 schrieb, sollte es nur noch wenige Monate dauern, bis die Auseinandersetzungen um den 33jährigen Geistlichen endgültig zum Politikum innerhalb der bayerischen Landeskirche, zum überregional bekannten „Fall Dieter Helbig“ werden sollten. In außergewöhnlichem Maß verfolgten die inner- wie außerkirchliche Öffentlichkeit den Konflikt mit; von verschiedenen Seiten zugänglich gemachte Dokumente über den Stand der Auseinandersetzung halfen ihr dabei: So gab der Landeskirchenrat im April 1970 eine 25 Seiten umfassende „Darstellung der Sachlage“ heraus579, die in Dekanaten und kirchlichen Dienststellen zur Einsichtnahme vorlag und auf die Dieter Helbig mit einer knappen Gegendarstellung antwortete; zudem erstellte er ein 60seitiges „Violettbuch“ mit zum Teil persönlichen Dokumenten zu der Angelegenheit580. Der AEE, dessen Mitglied Helbig war, widmete eine ganze Sondernummer seiner „Berichte und Kommentare“ den Vorfällen in Nördlingen581 und die Printmedien – von Abendzeitung bis Süddeutscher Zeitung – nahmen ebenfalls regen Anteil an dem „aufsässigen Gottesmann von St. Georg“582. Der Fall Dieter Helbig wird im Folgenden ausführlich dargestellt; er mag damit exemplarisch für ähnlich geartete Konflikte um einzelne Pfarrer der bayerischen Landeskirche in den 1960er und 70er Jahren stehen, die in dieser Arbeit nicht behandelt werden583. Besonders interessant in Bezug auf das Thema 578 Schreiben von Dieter Helbig an Dekan Ottmar Dimmling vom 28. 8. 1969, enthalten in: Violettbuch Helbig, 20 f., hier: 21. Das „Violettbuch zum Konflikt zwischen Dekan Dimmling und Pfarrer Helbig. Zusammengestellt von Dieter Helbig Ostern 1970“ ist enthalten in LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44 [im Folgenden: Violettbuch Helbig]. 579 Wirken von Pfarrer Dieter Helbig in Nördlingen. Darstellung der Sachlage, in: LAELKB Nürnberg, Vereine III / 20 (AEE), Nr. 44 [im Folgenden: Darstellung LKR]. 580 Gegendarstellung mit dem Titel „Eins Manns Red ein Halbred man soll sie hören bed!“ [Selbstverpflichtung der Obrigkeit; angebracht im Außen-Treppenaufgang des Nördlinger Rathauses] Eine Kirchenleitung untersucht, oder: von der Unmöglichkeit, daß einer allein die Wahrheit findet!; in LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44 [im Folgenden: Gegendarstellung Helbig]. 581 Berichte und Kommentare, Nr. 7 / 15. 5. 1970 (Sonderausgabe): Der Fall Helbig [im Folgenden: B+K (Helbig)], enthalten in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44. 582 AZ-Nordbayern, Ausgabe vom 28. 4. 1970, 5. 583 Angeführt werden in B+K (Helbig), 2, unter anderem die Vorgänge um Vikar Manfred Jelden (Erlangen): Jelden blieb wegen seiner politischen Gottesdienste eine von ihm gewünschte Beurlaubung für eine Assistentenstelle zwar nicht grundsätzlich verwehrt (wie mitunter von Zeitzeugen

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der Reformgruppen ist, dass, wie die Dokumente zeigen, der AEE sich vehement für den jungen Pfarrer einsetzte und ihm Rückhalt gab. Daran erinnert sich Dieter Helbig noch heute: „Ich wusste den AEE hinter mir.“584 Vorgeschichte Dieter Helbig, Jahrgang 1935, trat seinen Dienst als zweiter Pfarrer von St. Georg in Nördlingen im Frühjahr 1966 an; zuvor war er von 1963 bis 1966 als Vikar in Spiegelau, Pfarramt Grafenau, tätig gewesen. Helbig hatte sich eigener Angabe zufolge auf Aufforderung des Personalreferenten Heinrich Riedel auf die Stelle in der Stadt im Ries beworben, „wo der Dekan einen tüchtigen, jungen Pfarrer brauchte.“585 Was seine theologische und politische Einstellung betrifft, so sieht Dieter Helbig sich rückblickend in den Jahren bis zu seinem Dienstantritt in Nördlingen als „strammen Lutheraner“, der in seiner Vikarszeit in Spiegelau „noch ganz gut bürgerlich angepasst [war], wie man es von mir erwartet hat.“586 Helbig erinnert sich noch gut an den sehr freundlichen Empfang durch Dimmling auf seiner neuen Stelle, er habe „unter ganz normalen Umständen […] [seinen] Dienst angefangen“587. Ausschnitte aus späteren Briefen zwischen Helbig und Dimmling zeugen von der anfänglichen Sympathie beider Geistlicher füreinander588. Das Ende dieser gegenseitigen Zuneigung ging allem Anschein nach parallel mit einer Wende in Helbigs theologischer und politischer Einstellung: Er sei, so Dieter Helbig rückblickend, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre „aufgewacht“: durch die Lektüre der Bonhoeffer-Biographie Eberhard Bethges, durch die Berichte über die internationale Studentenbewegung, die Schrecken des Vietnam-Kriegs, die allmählich bekannt werdenden Informationen über berichtet), er wurde aber zum Dekan nach Bamberg versetzt, „um sich dort zu bewähren“ (so die Auskunft von Manfred Jelden). Außerdem wird der Fall des Vikars Ulrich Hubel in Rosenheim genannt: Hubel wurde versetzt, nachdem es Differenzen wegen seines Gemeindeverständnisses, seiner Jugendarbeit, seiner ökumenischen Kontakte und besonders der ökumenischer Jugendgottesdienste im Profil des „politischen Nachtgebets“ gegeben hatte. Diese Fälle können in der Arbeit nicht näher ausgeführt werden; der „Fall Dieter Helbig“ mag hier als Beispiel für Auseinandersetzungen zwischen einem Geistlichen, seinen Vorgesetzten und der Landeskirchenleitung dienen. 584 Interview Helbig, 13. 585 Riedel an Helbig laut ebd., 1. 586 Ebd., 3. 587 Ebd., 5. 588 So schrieb Dimmling am 16. 9. 1969 an Helbig (Violettbuch Helbig, 22–25, hier: 25): „Niemand bedauert das [gemeint ist der Verlust der freundschaftlichen Beziehung beider zueinander] mehr als ich, der ich Dir vom ersten Tag Deines Amtsantrittes an mit grossem Vertrauen entgegenging und dankbar dafür war, in Dir einen Pfarrer bekommen zu haben, der Leben in die Gemeinde bringt.“

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die Verbrechen der NS-Zeit589. Alle diese Eindrücke und Erkenntnisse standen für Dieter Helbig im Hintergrund, wenn er in den folgenden Monaten in Nördlingen das Ziel verfolgte, „das Evangelium […] auf eine zeitgemäße Weise [zu] verkünden“590. Der offene Brief zum Vietnamkrieg vom Februar 1968 „Offener Brief zur kirchlichen Verantwortung anläßlich der neuesten Verschärfung des Vietnam-Krieges“: So lautete der Betreff, unter dem Dieter Helbig am 13. Februar 1968 sein Schreiben an Landesbischof Hermann Dietzfelbinger (als Durchschlag zudem an Hermann von Loewenich, Pfarrer Hans-Wolfgang Jokisch, das Münchner Sonntagsblatt sowie die Süddeutsche Zeitung) richtete. In seinem Brief nahm Helbig auf einen Rundfunkaufruf Carl Friedrich von Weizsäckers Bezug, in dem dieser für eine verstärkte finanzielle Unterstützung der Zivilbevölkerung in Vietnam eintrat. Helbig kommentierte: „Weizsäcker und alle Glieder unserer Kirche irren, wenn sie sich durch den seit einer Woche heftiger und sinnloser den je tobenden Vernichtungskrieg gegen alles Lebende lediglich zu verstärkter finanzieller Hilfe aufrufen lassen. Sie irren, wenn sie nur nach humanitärer Hilfe rufen, während offiziell die US-Truppen um eine weitere Division verstärkt werden und man gerüchteweise in den USA davon redet, die bevorstehende Entscheidungsschlacht bei Khe Sanh mit Hilfe taktischer Atomwaffen für sich entscheiden zu wollen.“591

Helbig fordert eine klare Positionierung der Kirche: Zum momentanen Zeitpunkt „helfen nicht mehr allein die zum Geben geöffneten oder zum Beten gefalteten Hände. Verlangt wird hier von uns Christen im Namen Jesu mindestens eine klare Stellungnahme gegen den Völkermord.“ Eine dahingehende Stellungnahme anzumahnen und damit Verantwortung zu zeigen, sieht Helbig auch deshalb als seine Pflicht an, weil er „als ein mitten im Hitlerreich Geborener den damals Verantwortlichen [jahrelang] den Vorwurf [machte], aus Menschenfurcht geschwiegen oder nur mit vorgehaltener Hand geflüstert zu haben.“ Er ruft abschließend den Landesbischof zu einem klärenden Wort auf, das dieser als Kanzelabkündigung oder Stellungnahme der Landessynode der bayerischen Landeskirche geben möge. Helbig selbst verlas seinen Brief kurz darauf im Gottesdienst. Ottmar Dimmling wertete später diesen offenen Brief als Beginn des Konflikts zwischen Dieter Helbig und ihm. So führt er in der Begründung seines 589 590 591

Vgl. Interview Helbig, vor allem 5–7. Interview Helbig, 9. „Vietnambrief“, enthalten in: Violettbuch Helbig, 6.

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Antrages auf Vollzug des „Nichtgedeihlichkeits-Paragraphen“ gegen Helbig vom Oktober 1969 an: „Seitdem Helbig am 2. Ostertag 1968 den an den Herrn Landesbischof gerichteten offenen Brief in der Vietnamfrage ohne Wissen des Pfarrkollegiums von St. Georg verlesen hatte, erhielt seine Verkündigung mehr und mehr einen stark politischen Akzent.“592 Bereits im Dezember des genannten Jahres, so Dimmling weiter, sei Helbig endgültig für die Gemeinde nicht mehr tragbar gewesen: „Als Helbig in der Schaukastenaffäre im Dezember 1968 ein schier unerträgliches Verhalten an den Tag legte, wäre es an der Zeit gewesen, seine Versetzung zu betreiben.“593 Die „Schaukastenaffäre“ im Dezember 1968 Es war ein einfaches Plakat, das sich zu der „Schaukastenaffäre“ ausweitete und das im Dezember 1968 den Konflikt zwischen Kirchenvorstand und Dekan auf der einen Seite, Pfarrer Helbig und seinen Unterstützern auf der anderen Seite eskalieren ließ: Dieter Helbig war vom Kirchenvorstand mit der Gestaltung des Schaukastens vor der Georgskirche beauftragt worden. Um in der Woche vom 8. bis 14. Dezember die Aktion „Brot für die Welt“ vorzustellen, brachte Helbig in der Mitte des Kastens das Originalplakat an, das ein hungerndes Kind zeigte. Rechts dieses Bildes hing ein weiteres Plakat, das Helbig in einer Skizze mit „Hungerhand“ betitelte594. Stein des Anstoßes waren nicht die Plakate, sondern die Kommentierungen des Pfarrers: So fragte die mittig angebrachte Kopfzeile im Schaukasten: „Ist Ihnen Christus zu radikal? …mir auch! Aber tun Sie etwas gegen den Hunger in der Welt, bevor Sie in dieser Kirche beten!“ Gestützt wurde diese Aufforderung durch eine Banderole am linken unteren Rand des Kastens mit den Worten: „Jesus sagt: Soziale Gerechtigkeit. Keine Gottesdienste! Matthäus 9,13“ – also Helbigs Interpretation des bei Matthäus wiedergegeben Hosea-Zitats „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer“. Die Chronologie der auf das Plakat folgenden Auseinandersetzung schlägt sich nicht lückenlos in den Akten nieder; die Dokumente lassen aber auf folgenden Ablauf schließen595: Anscheinend forderte Dekan Dimmling nach Rücksprache mit anderen Pfarrern des Kapitels Helbig am 20. Dezember auf, das Plakat zu entfernen; am selben Tag beschloss auch der Kirchenvorstand, dass der Schaukasten wieder umgestaltet werden müsse. Dieter Helbig solle den Schlüssel für den Kasten bis zum darauffolgenden Tag um acht Uhr beim 592 Begründung des Antrags auf Vollzug des Nichtgedeihlichkeits-Paragraphen vom Oktober 1969, als Kopie enthalten in Violettbuch Helbig, 61. 593 Ebd. 594 Skizze des Plakats enthalten in Violettbuch Helbig, 11. 595 Zusammenstellung nach Violettbuch Helbig, Darstellung LKR und Gegendarstellung Helbig.

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Vorsitzenden des Kirchenvorstandes abliefern: „Sollte Helbig der Aufforderung nicht nachkommen, so wird der Schaukasten durch das Pfarramt geöffnet und der irreführende Satz entfernt.“596 Dieter Helbig weigerte sich, diesem Beschluss nachzukommen; er gab an, dass er am nächsten Tag ein Gespräch mit dem Landesbischof in dieser Angelegenheit führen werde, dessen Willen er sich unterwerfen wolle. Dennoch wurde der Kasten einige Stunden vor Helbigs Gespräch mit Dietzfelbinger am Vormittag des 21. Dezember von einem Schlosser im Auftrag des Kirchenvorstandes gewaltsam aufgebrochen und die Umgestaltung vorgenommen597. Am 26. Dezember verlas Helbig im Gottesdienst folgende Kanzelabkündigung: „In der Schaukastenfrage ist es zwischen dem KV und mir zu Spannungen gekommen. Ich hoffe zuversichtlich, daß diese auf der morgigen Sitzung behoben werden können.“598 Einen Tag später fanden zwei Sitzungen statt, die zeigten, dass in dem Fall durchaus auch eine gewisse Brisanz gesehen wurde: Zum einen trafen sich Hermann Dietzfelbinger, der Münchner Kreisdekan Hans Schmidt und Dieter Helbig zu einem Gespräch über die Angelegenheit, dessen Verlauf letzterer als positiv charakterisierte599. Zum anderen gab es eine erneute Kirchenvorstandssitzung in Nördlingen, in der die Kirchenvorsteher erstmals darüber diskutierten, ob eine Versetzung Helbigs zu beantragen sei. Eine knappe Woche später, auf seiner Sitzung vom 2. Januar 1969, missbilligte der Kirchenvorstand offiziell das Verhalten Helbigs in der „Schaukastenaffäre“ und verlieh außerdem seiner Erwartung Ausdruck, dass dieser künftig Kanzelerklärungen – wie die vom 26. Dezember – nur nach Absprache mit dem Pfarrkollegium abgeben solle600. Dieter Helbig beschwerte sich am Tag nach dieser Sitzung beim Landeskirchenrat über das Vorgehen des Kirchenvorstandes: Dessen Beschlüsse vom 20. Dezember 1968 und 2. Januar 1969 stünden im Widerspruch zum Kirchenrecht und zum Grundgesetz – zum Kirchenrecht insofern, als sie die christliche Partnerschaft verletzten, zum Grundgesetz deshalb, da keine Mei596

Beschluss des Kirchenvorstandes, zit. nach: Darstellung LKR, 2. Hier nach dem im Violettbuch Helbig, 7, in Abschrift enthaltenen Schreiben Helbigs an den Landeskirchenrat vom 3. 1. 1969 mit dem Betreff „Beschlüsse des Kirchenvorstands Nördlingen bezüglich Umgestaltung des Schaukastens vor St. Georg vom 20. 12. 1968 und 2. 1. 1969“. 598 Vgl. den Rundbrief von Dieter Helbig an Peter Krusche, Ernst Käsemann, Christof Bäumler und Hans-Wolfgang Jokisch vom 3. 1. 1969 (Violettbuch Helbig, 9). 599 Ebd. 600 Nach Darstellung LKR, 3 f. Eingangs der Sitzung hatte Dieter Helbig folgende Erklärung verlesen: „Ich bedauere, daß, verursacht durch mein Verhalten, die Auseinandersetzung um den Schaukasten solche, für alle Beteiligten unerquickliche Formen angenommen hat. Ich bin bereit, in Zukunft meine Teil dazu beizutragen, daß sich solche Vorkommnisse nicht wiederholen.“ Zit. nach dem Brief von Dieter Helbig an Peter Krusche, Ernst Käsemann, Christof Bäumler und HansWolfgang Jokisch vom 3. 1. 1969 (Violettbuch Helbig, 9). 597

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nungs- und Pressefreiheit gewährt würden. Helbigs Angebot, „den Kommentar zu dem beanstandeten Satz aus Mt 9,13 so deutlich (zusammen mit dem KV) zu gestalten, daß das Ziel (soziale Gerechtigkeit + Gottesdienst) klarer wird“601 war abgelehnt worden. Helbig beklagte zudem, dass das von ihm eingeholte Gutachten des Praktischen Theologen und AEE-Mitgliedes Peter Krusche nicht zur Kenntnis genommen worden war. Krusche hatte in einem Schreiben vom 19. Dezember 1968 auf eine Anfrage Helbigs hin zu dessen Auslegung von Matthäus 9,13 Stellung genommen und mitgeteilt, dass sein erster Eindruck von der Skizze des Schaukastens gewesen sei „daß Sie mit der von Ihnen gewählten Übersetzung sagen wollten: Kein Gottesdienst ohne soziale Gerechtigkeit! Jedenfalls habe ich das Votum nicht so verstanden, daß nun keine Gottesdienste mehr gehalten werden sollen. Ich würde auch meinen, daß dieses Verständnis als allgemeines Verständnis Ihrer Formulierung angenommen werden darf.“602

Krusche geht in seinem Schreiben weiter auf den für Christen geforderten Einsatz für soziale Gerechtigkeit in der Welt ein, den er auch durch die Verlautbarungen der IV. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Uppsala 1968603 unterstrichen sieht. Er schließt mit den Worten: „Meiner Beobachtung nach ist es für die Gemeinde durchaus heilsam, wenn sie auf diese Weise an den armen Lazarus vor ihrer Tür erinnert wird und zugleich merkt, daß die übliche Form von christlicher Wohltätigkeit dem Problem des Hungers in der Welt nicht gerecht wird. Deshalb würde ich meinen, daß Ihr Schaukastenbild, wenn man Matth. 9,13 im obengenannten Sinn versteht und interpretiert, ein hilfreicher Anstoß sein könnte, über die Aufgabe der Christenheit an den Hungernden in der Welt neu und intensiver nachzudenken.“604

Peter Krusche wurde ebenso wie der Neutestamentler Ernst Käsemann, der anscheinend auch zu der „Schaukastenaffäre“ Stellung genommen hatte605, sowie die AEE-Mitglieder Christof Bäumler und Hans-Wolfgang Jokisch am 3. Januar 1969 von Dieter Helbig in einem Brief darüber informiert, dass er in der „Schaukastenangelegenheit“ keinen Erfolg vorweisen könne: Der Kasten werde künftig zentral vom Pfarramt aus gestaltet. Helbig listete in seinem Schreiben die Konsequenzen auf, die seiner Ansicht nach aus dem Konflikt zu ziehen 601 602 603 604 605

Vgl. ebd. Schreiben Krusches an Helbig am 19. 12. 1968 (Violettbuch Helbig, 8). Das Motto der Vollversammlung lautete „Siehe, ich mache alles neu“ (Joh 21,59). Schreiben Krusches an Helbig am 19. 12. 1968 (Violettbuch Helbig, 8). Hier ist allerdings in den Akten kein entsprechendes Schriftstück erhalten.

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seien: Demnach müsse er weiter vor Ort seine Arbeit tun, da es „mit kompromisslosen, das ‚System‘ sprengenden Radikallösungen […] von unserer Seite aus nicht getan“ sei. Weiter müsse verhindert werden, „daß in der jetzigen Umbruchssituation in der Kirche Wahrheitsfragen […] zu Disziplinarfragen umfunktioniert und dann kirchenrechtlich erledigt“ würden. Drittens habe die Schaukastenaffäre gezeigt, wie wesentlich die Herstellung einer Öffentlichkeit über die Kerngemeinde hinaus in solchen Fragen sei. Viertens sei darüber nachzudenken, wie Kirchenvorsteher dahin gelangen könnten, „theologische Fragen auch theologisch zu beantworten, statt rein pragmatisch zu entscheiden“. Fünftens müsste auf einen Wechsel in den Kirchenvorständen hingearbeitet werden, damit es „zu einer echten Demokratisierung kommt. Die Vorherrschaft der sogenannten ‚Frommen‘, des bürgerlichen Mittelstands muß ein Ende haben.“ Schließlich solle der AEE eine Materialsammlung zu Fällen wie dem Helbigs anlegen, die – unter Orts- und Personennamenänderung – auch öffentlich analysiert werden sollte. Dieter Helbig schloss sein Schreiben mit den Worten: „Ich danke Ihnen allen herzlich für die bisherige Solidarität, auf die man in solchen Fällen besonders angewiesen ist. Wir werden sehen, wie die Dinge weiter gehen. Gott gebe es, daß wir am Ende dieses Jahres mit der Kirchenreform weiter gekommen sind, ohne daß ‚Köpfe‘ rollen!“606 Am 24. Februar fand noch einmal eine Kirchenvorstandssitzung statt, zu der auch der Münchner Kreisdekan Hans Schmidt kam. Hier zeigte sich, dass Helbig mit seiner Kritik an der Vorgehensweise des Kirchenvorstands nicht alleine war: „Landesbischof wie Kreisdekan hätten den Inhalt des Plakates auch nicht gebilligt, so daß bei etwas mehr Geduld das Aufbrechen überflüssig geworden wäre, da Pfarrer Helbig erklärt habe, sich dem Votum des Bischofs zu beugen.“607 Eine gemeinsame Erklärung beendete die Schaukastenaffäre: „Sowohl der Kirchenvorstand als auch Pfr. Helbig betrachten die Schaukastenaffäre als erledigt. Kirchenvorstand und Pfr. Helbig drücken ihr Bedauern über den Ablauf des Geschehens aus.“608 Die umstrittenen „politischen Predigten“ der Jahre 1968 bis 1970 Lässt sich die Schaukastenaffäre als eine klar abgrenzbare Stufe in dem zunehmend eskalierenden Konflikt beschreiben, so zogen sich die Diskussionen um Dieter Helbigs Predigten wie ein roter Faden durch die konfliktreichen Jahre 1968 bis 1970 in St. Georg. Erhalten sind die Predigt zum Ostersonntag 1968, die sogenannte Gerstenmaier-Predigt vom März 1969, die „ APO-Predigt“ vom 606 607 608

Violettbuch Helbig, 9. Zit. nach: Darstellung LKR, 4. Zit. nach ebd., 5.

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17. August 1969, der Weihnachtsbrief vom 25. Dezember 1969 sowie die Predigt zum Karfreitag vom 27. März 1970609. Alle genannten Predigten wären einer ausführlichen Besprechung wert, greifen sie doch alle auf unterschiedlichste Art und Weise aktuelle politische Aussagen auf, wobei ein Schwerpunkt auf einem immer wiederkehrenden Plädoyer für die Anliegen der Studenten liegt. Da eine so umfassende Analyse jedoch den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde, soll hier nur exemplarisch eine der Predigten, die sogenannte APO-Predigt, dargestellt werden. Sie wurde vom AEE in der Dezemberausgabe 1969 der Berichte und Kommentare 1969 abgedruckt mit der Bemerkung, dass sich das Redaktionsteam zwar nicht „mit dem Inhalt der Predigt in allen Einzelheiten“ identifizierte, aber der Meinung war, „daß sie ein bedenkenswerter Diskussionsbeitrag zum Thema ‚Politische Diakonie der Kirche‘ ist.“610 Querverweise zu anderen der aufgelisteten Predigten sollen darüber hinaus einen übergreifenderen Einblick in die Argumentationslinien des jungen Geistlichen bieten. Die sogenannte APO -Predigt vom August 1969 Der APO-Predigt, gehalten am 17. August 1969 in Nördlingen und am 24. August 1969 in Löpsingen, lag der Wochenspruch aus 1. Petrus 5,5, ein Zitat aus Sprüche 3,34, zugrunde: „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade.“ Die Predigt ist in elf Abschnitte gegliedert: (1) Ursprung und Tradierung des Sündenbock-Prinzips im Alten Testament (2) Jesu Ablehnung des Sündenbockgedankens und seine Predigt der Demut (3) Von Christen gewählte „Sündenböcke“ in der Kirchengeschichte, fokussiert auf den „Sündenbock“ Juden (4) Das Stuttgarter Schuldbekenntnis, interpretiert als eine Absichtserklärung, künftig auf Sündenböcke zu verzichten (5 / 6) Einführung der Gruppe der rebellischen Studenten / der APO und Darstellung der harschen Reaktionen der Öffentlichkeit und einiger Politiker auf diese jungen Menschen (7) Bekundung von Verständnis für die Studenten unter Hinweis auf deren intellektuelle Kompetenz und Verteidigung ihres Verhaltens („ernsthafte Hintergründe“) (8) Kritik an den zum Teil „unverstandenen Provokationen“ der Studenten, die deren eigentlichen Zielen mitunter im Wege stehen (9) Aufforderung, die Schuld an den derzeitigen Missständen bei der älteren Generation zu suchen, und deswegen demütig zu sein und nicht die APO als Sündenbock zu missbrauchen. Aufzeigen einer Parallele zwischen der Kritik Jesu an den Pharisäern und der Kritik der APO an den Etablierten 609

Alle Predigten sind enthalten in: Violettbuch Helbig. B+K, Nr. 5 / 1. 12. 1969, 16–22. Der Aufforderung der Redaktion, Diskussionsbeiträge zu der Predigt einzureichen, wurde nachgekommen; vgl. B+K, Nr. 6 / 15. 2. 1970, 8–10. 610

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(10) Appell, mit der APO nicht einen neuen Sündenbock zu kreieren, sondern sich stattdessen in Demut und Selbstkritik zu üben (11) Aufruf, dieses Bewusstsein in die Praxis umzusetzen, indem die Hörer der Predigt bei der Bundestagswahl die Parteien wählen sollten, die in dem dargelegten Sinn handeln. Helbig versuchte, den Sündenbockgedanken mit dem Gedanken der Demut, also dem Wochenspruch, zu verknüpfen: Statt sich in der APO einen Sündenbock für die Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Zuständen zu schaffen, sollte die ältere Generation demütig fragen, inwieweit sie nicht selbst an der Misere schuld sei, und sollte durch Selbstkritik und eine richtige Entscheidung bei der Bundestagswahl im Sinne des Wochenspruchs und damit im Sinne Jesu handeln. Dabei zog Helbig zwischen den Zeilen eine Parallele zwischen der Judenverfolgung und der Kritik an der APO, wenn er beispielsweise sagt: „In einem Land, in dem es noch keine 25 Jahre her ist, dass der letzte Jude als Sündenbock verjagt und verbrannt wurde, sollten wir uns peinlich hüten, statt Selbstkritik an uns zu üben, wieder nach einem neuen Sündenbock Ausschau zu halten. Die häufig gehörte Redensart ‚die APO ist an allem schuld‘ ist objektiv falsch und dazu unchristlich in höchsten Grad. Wer trägt denn die Verantwortung für den Zustand unserer Gymnasien und Universitäten? Wer hat bis jetzt die Mitbestimmung in der Wirtschaft blockiert? […] Doch wohl kaum die Generation der 16- bis 26jährigen ‚Protestanten‘, sondern die, die schon einmal in Deutschland einen Sündenbock unter grauenvollen Umständen davongejagt haben (oder die Tat schweigend mit ansahen). Was von uns, den älteren und alten Christen verlangt wird – durch Jesus Christus und keinen anderen – ist Demut, Selbstbezichtigung und Selbstkritik. Ja, das tut weh. Das ist nicht schön für einen 50jährigen, wenn er sich von einem 20jährigen einen ganzen Katalog von Versäumnissen vorhalten lassen muss. Aber – zur Zeit Jesu hat das genauso wehgetan, wenn Christus einem, der nach dem Sündenbock Ausschau hielt, gesagt hat, er möge doch bitte erst einmal ‚demütig‘, selbstkritisch werden: siehe Pharisäer und Zöllner im Tempel, siehe die Geschichte mit dem Balken im eigenen Auge.“

Dass die Studenten Jesu Willen besser erfüllen würden als die mittlere Generation, von Helbig als (amts-)kirchentreues Establishment gezeichnet, ist auch in anderen seiner Predigten ein tragendes Motiv: So legte Helbig seiner sogenannten Gerstenmaier-Predigt im März 1969, die ihm eine Rüge des Landeskirchenrats einbrachte611, das Weinberg-Gleichnis von den ungleichen 611 Zu dieser Predigt über Mt 21,28–31, gehalten am 2. 3. 1969, wurde Helbig offensichtlich angeregt durch eine Heiligabendpredigt in St. Lorenz, die Pfarrer Christian Blendinger gehalten hatte. Helbigs Schreiben vom 5. 3. 1969 an Christian Blendinger zufolge verließen einige Besucher seinen Gottesdienst, andere beschwerten sich bei Dekan Dimmling über die Predigt. Helbig erhielt auf die Predigt hin nach einem Gespräch mit Heinrich Riedel einen Aktenvermerk, eine dienstliche Rüge nach § 55 Pfarrgesetz, gegen die er sich erfolglos wehrte. Vgl. dazu die Unterlagen in: LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44.

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Söhnen zugrunde (Mt 21,28–31) und setzte den ersten Sohn mit dem Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier als Vertreter des Establishments612, den zweiten Sohn mit einem protestierenden Studenten gleich. Die Beschreibung der beiden kleidete Helbig in eine Festrede Jesu vor dem ausgewählten Publikum („erlauchte und beamtete Vertreter der Christenheit aus Kirche, Partei und Staat“) die mit folgenden fiktiven Worten des Gottessohnes endet: „Ihr nennt euch ‚christlich‘ und macht viele Worte um Gott und mich, aber wo es darauf ankommt, wirklich etwas für den Frieden in der Welt zu wagen, da habt ihr hundert Ausflüchte und kluge Redensarten, weil ihr zuerst an eure eigenen Geschäfte denkt. Und jener Oberkirchenrat und Parlamentspräsident paßt genau zu euch. Gott aber liebt die, die vielleicht gar nicht an ihn glauben, aber praktisch sich nicht scheuen, etwas zu tun, daß es Frieden unter den Menschen werden kann.“

Auch die gegen den Weihnachtskonsum protestierenden Studenten waren für Helbig diejenigen, die der „müde gewordenen Kirche“ endlich „aus ihrer Sattheit aufhelfen“613 wollten. Jesus und die Studenten – für Helbig offensichtlich eine Gesinnungsgemeinschaft. Pointiert gesagt verlief die Grenze zwischen Gut und Böse in seinen Predigten zwischen den jungen Protestierenden und der etablierten älteren Generation, zwischen an Gott Zweifelnden und Frommen, zwischen SPD und CDU / CSU. Letzteres wird bei Helbigs „ APO-Predigt“ besonders im Schlussteil deutlich. Helbig beendet seine Ausführungen mit einer deutlichen Wahlempfehlung, indem er die imaginäre Frage seiner Zuhörer nach dem richtigen, sprich: dem von Jesus gewollten Verhalten, folgendermaßen beantwortete: „Und wenn nun einer fragt: wie macht man denn das praktisch? dann will ich bewusst noch einmal von der Bundestagswahl sprechen. Da werden doch nicht einfach seelenlose Parteien gewählt, sondern Menschen, die entweder wenigstens versuchen, 612 Der CDU-Politiker und Theologe Eugen Gerstenmaier war von 1954 bis 1969 Bundestagspräsident. Wenn Helbig in seiner Predigt von dessen „unbestreitbaren Verdienste[n] um Kirche, Partei und Staat“ spricht, so spielt dies sicher auch auf Gerstenmaiers Mitgliedschaft in der Bekennenden Kirche und im Kreisauer Kreis an; Gerstenmaier war nach dem Attentat vom 20. 7. 1944 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er hatte 1945 das Evangelische Hilfswerk gegründet. Gerstenmaier stand aus aktuellem Anlass am 2. 3. 1969 im Fokus vom Helbigs Predigt: Er hatte im Dezember 1968 die Bundesversammlung für die Wahl des Bundespräsidenten am 5. 3. 1969 nach West-Berlin eingeladen; die Wahl, bei der der Sozialdemokrat und bisherige Bundesjustizminister Gustav Heinemann knapp gewann, fand bereits unter seinem, Gerstenmaiers, Nachfolger im Amt des Bundestagspräsidenten Kai-Uwe von Hassel statt; Gerstenmaier war Ende Januar zurückgetreten. Die Wahl des Bundespräsidenten in West-Berlin wurde von der sowjetischen und der DDR-Regierung als Provokation empfunden. 613 Vgl. Weihnachtsbrief-Predigt Helbigs 1969 (Violettbuch Helbig, 54–57).

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den Geist Christi zu praktizieren, oder die heute schon ‚versprechen‘, das Gegenteil zu tun, wenn sie in den Bundestag einziehen sollten. Da kann man am 28. September sein Kreuzchen machen hinter Namen, die ‚Wiederherstellung der nationalen Ehre‘ und eine ‚Politik der Stärke‘ versprechen; da kann man die wählen, die ‚endlich abrechnen‘ und ‚Hart durchgreifen‘ wollen; die versprechen, ‚den roten Terror mit allen Mitteln zu brechen‘. Kurz, man kann die wählen, die weder aus der Vergangenheit etwas gelernt, noch etwas vom Geist Christi begriffen haben. Man kann aber auch denen seine Stimme geben, die ‚demütig‘ sind im biblischen Sinn des Wortes; die mit der Kritik und mit dem ‚Aufräumen‘ bei sich selbst und im eigenen Haus anfangen; man kann auch die wählen, die sich nicht durch die APO provozieren lassen zur Gewalt, sondern die durch die APO nachdenklich werden über das, was im Staat reformbedürftig ist. Kurz, man kann auch die wählen, die den Mut haben, gegen den Strom einer unwissenden und deshalb verbitterten Masse zu schwimmen; ja, man kann die wählen, die die Wahrheit unseres Bibelwortes auf sich selbst beziehen: ‚Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.‘ – Amen.“614

Reaktionen auf die „ APO -Predigt“ Reaktionen auf die APO-Predigt ließen nicht lange auf sich warten: Einen Tag nach dem Gottesdienst rief ein Gemeindemitglied bei Dekan Dimmling an: Aufgrund der Ausführungen Helbigs sei in der Gemeinde Löpsingen „große Unruhe entstanden“615; die Predigt wurde auch in einem Brief auf Schärfste kritisiert616. Dimmling wies daraufhin den Pfarrer dienstlich an „künftighin in Deinen Predigten politische Bezüge in der Art, wie geschehen, zu unterlassen, besonders Dich vor den Bundestagswahlen solcher Aussagen zu enthalten, die geeignet sind, das Vertrauen der Gemeinde zu ihrer Kirche und ihren Pfarrern zu erschüttern. Gewiss soll die Verkündigung eines Pfarrers Beziehung zu den Aktualitäten des Alltags, des Lebens und der Welt haben, aber sie darf nicht so einseitig sein, dass die Gemeinde dabei Schaden leidet.“617

Der Löpsinger Kirchenvorstand wollte künftig keine politischen Predigten mehr hören und bat Mitte September einen pensionierten Dekan, den Predigtdienst zu übernehmen. Diesem Beschluss folgte nun anscheinend eine Ver614 Im Anschluss an die Predigt verlas Helbig noch eine „Erklärung um die jüngste NPD-Versammlung in Nördlingen“, in der er sich gegen die Bedrohung und grobe Beschimpfung eines NPD-Mitglieds nach der Versammlung aussprach und dafür plädierte, „auch die Auseinandersetzung mit der NPD nur mit christlichen und demokratisch legitimen Mitteln zu führen.“ Die Erklärung ist abgedruckt in: B+K (Helbig), 11. 615 Schreiben Dimmlings an Helbig vom 25. 8. 1969 (Violettbuch Helbig, 19). 616 Vgl. Darstellung LKR, 6. 617 Ebd.

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kettung von Missverständnissen: Dimmling ging offensichtlich davon aus, der Kirchenvorstand hätte Helbig ein Kanzelverbot erteilt, und traf die Kirchenvorsteher daraufhin ohne vorherige Absprache mit Dieter Helbig. Damit, so Helbig, habe Dimmling seine Amtspflicht verletzt618, indem er eine Anhörung Helbigs vor dem Kirchenvorstand verweigert habe und „allein an der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung interessiert ist, statt nach der Evangeliumsbezogenheit der Predigt zu fragen“619. Eine diesbezügliche Eingabe Helbigs an den Landeskirchenrat blieb erfolglos. Zu den Auseinandersetzungen um Helbigs Predigten muss angemerkt werden, dass sich der Nördlinger Kirchenvorstand hier auch schützend vor seinen Pfarrer stellte: So antwortete er auf eine offensichtlich sehr heftige Reaktion eines CSU-Bundestagsabgeordneten auf eine Predigt Helbigs mit folgendem Beschluss vom 2. Oktober 1968: „Wir begrüssen, daß Sie in sehr offener Weise Ihre Meinung zur Predigt von Pfarrer Helbig geäußert haben. Der Kirchenvorstand ist allerdings sehr beunruhigt über Ihre Formulierung: ‚…ansonsten ergeben sich weitgehende Folgerungen und Forderungen.‘ Wir bitten Sie, diesen Satz genauer zu interpretieren. Sollten Sie dennoch beabsichtigt haben, einen Druck auf einen Pfarrer unserer Gemeinde auszuüben, so sähe sich der Kirchenvorstand gezwungen, dies zurückzuweisen.“620

Nicht nur die Predigten Dieter Helbigs erregten Aufsehen: Auch das Konzept seines Konfirmandenunterrichts war umstritten621; bei der Einsegnung der Konfirmanden im März 1969 wählte der Pfarrer zudem ohne Absprache mit dem Kirchenvorstand oder dem Pfarrkollegium neben Bibelstellen auch zu einem Drittel Zitate berühmter, vor allem hinsichtlich ihrer Ethik vorbildhafter Christen wie Martin Luther King, Albert Schweitzer und Dietrich Bonhoeffer, die die Konfirmanden selbst aussuchen durften. Schwierigkeiten hatte Helbig offensichtlich auch wegen seines Religionsunterrichts mit der Schulleitung des Nördlinger Theodor-Heuss-Gymnasiums622.

618

Vgl. ebd. Gegendarstellung Helbig, 1. Ebd. nachfolgendes Zitat. 620 Zit. nach Darstellung LKR, 5. 621 Vgl. dazu das Schreiben von Hans S. an Dieter Helbig am 21. 2. 1970 (Violettbuch Helbig, 39–42). Auszüge dieses Briefes sind auch abgedruckt in B+K (Helbig), 18 f. 622 Vgl. den Brief Dieter Helbigs am 4. 6. 1969 an Peter Krusche, Christof Bäumler, Christian Blendinger, Werner Schanz und Gottfried Stoll, in dem Helbig berichtet, dass er „durch eine vom Direktorat des hiesigen Gymnasiums über Kultusministerium / LKR gehende Intrige als ‚marxismusverdächtig‘ abgesägt werden sollte“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44). 619

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Der Konflikt eskaliert Wie die von Dieter Helbig gesammelten Dokumente belegen, kam es in den folgenden Monaten zu einem ausführlichen Briefwechsel zwischen dem Dekan und dem Pfarrer. Auch in den Kirchenvorstandssitzungen stand das Verhalten Dieter Helbigs weiter im Mittelpunkt. Ein Kirchenvorsteher stellte im September 1969 einen Antrag auf Dienstentlassung Helbigs und listete in seiner Begründung verschiedene Aussagen und Verhaltensweisen Helbigs auf, die seiner Ansicht nach im Zeichen „einer neuen, von der Heiligen Schrift in den Hauptstücken wesentlich abweichenden Lehre“623 standen. Am 8. Oktober 1969 beantragte Ottmar Dimmling die Versetzung Dieter Helbigs wegen nichtgedeihlichen Wirkens; als Gründe für den Antrag nannte er die „einseitige Ausrichtung seiner Predigten auf politische Bezüge“, seine „destruktive Kritik an der bestehenden Kirche“, seinen „Mangel an Takt gegenüber der Gesamtgemeinde und einzelnen Gemeindegliedern“ sowie, dass Helbig „durch Infragestellung des christlichen Bekenntnisses sowohl in der Gemeinde wie im Pfarrkapitel Unruhe, Ärgernis und Verbitterung erregt“ habe624. Der Landeskirchenrat bat daraufhin Kreisdekan Schmidt um ein Gespräch mit dem Nördlinger Pfarrkapitel. Auf dessen Bericht hin veranlasste der Landeskirchenrat den Kreisdekan zu weiteren Gesprächen, „daß die schwierige Situation in Nördlingen doch zu einem guten Ende gebracht werden kann“.625 In der Zwischenzeit hatte ein Nördlinger Gemeindemitglied einen „Antrag auf ein Verfahren im Sinn des Amtszuchtgesetzes gegen Herrn Pfarrer Helbig“ eingereicht, den der Landeskirchenrat mit Hinweis auf die laufende Prüfung des Falles durch den Kreisdekan zurückwies626. Der Fall der Chefarzttochter Daniela S. Der Tropfen, der das Fass in Nördlingen zum Überlaufen brachte, war im Frühjahr 1970 der Fall der Chefarzttochter Daniela S., die zu Helbigs Konfirmandinnen zählte. Im Konfirmandenunterricht hatte Dieter Helbig über die von ihm als solche empfundene Zwei-Klassen-Medizin im deutschen Gesundheitswesen und das Profitstreben der Chefärzte gesprochen. Der Chirurg Dr. Hans S., Vater der Konfirmandin Daniela und Chefarzt des Nördlinger Stiftungskrankenhauses, wandte sich daraufhin am 21. Februar mit einem Schreiben an Dieter Helbig und warf ihm darin „bösartige und widerliche Demagogie“ 623 Vgl. „Zusammengefaßte Begründung meines Antrags vom 8. 9. 1969“ (Violettbuch Helbig, 32–35). 624 Begründung des Antrags von Ottmar Dimmling vom 8. 10. 1969 (Unterlagen Helbig). 625 Zit. nach: Darstellung LKR, 7. 626 Vgl. ebd., 8.

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sowie Amtsmissbrauch vor; ihn befremde neben dessen Charakterisierung von Chefärzten als „geldgierigen Tyrannen“ zudem mancherlei anderes an seinem Konfirmandenunterricht, etwa die Parallelsetzung von Che Guevara mit Jesus Christus, Helbigs Infragestellung jeglicher Autorität sowie die seiner Ansicht nach von Helbig vertretene „skurrile Form des Kommunismus“. Er frage sich, was er in der Kirche, für die er „erhebliche Opfer“ bringe, noch zu suchen habe, wenn diese „derartige diabolische Wirrköpfe“ dulde. Der Brief endet mit den Sätzen: „Meine Tochter Daniela wird ab sofort Ihren Konfirmandenunterricht nicht mehr besuchen. Da ich grossen Wert darauf lege, dass sie konfirmiert wird, soll sie an der Prüfung und Konfirmation teilnehmen. Sollten Sie das nicht wünschen, so werde ich Herrn Dekan Dimmling bitten, Daniela durch einen anderen Pfarrer einsegnen zu lassen. Bei dieser Handhabung Ihrer Pfarrtätigkeit werden Sie weiterhin viele Menschen von ihrer Kirche trennen.“627

Dieter Helbig antwortete Hans S. am 23. Februar in einem langen Brief, in dem er seine Sicht der Unterrichtsstunde darlegte und den Grund für die Verstimmung als „tiefer liegende Meinungsverschiedenenheit“ ansah, nämlich in einem grundlegenden theologischen Dissens. Helbig brachte an dieser Stelle folgende Zusammenfassung seiner Frömmigkeit und Theologie: „Nach meiner Überzeugung, die ich aus dem Neuen Testament belegen kann, war Jesus nicht der, zu dem ihn sich die bürgerliche Gesellschaft zurechtgebogen hat. Er war ein Rebell der Liebe, der Grenzen überschritten und Tabus mißachtet hat, wo sie dem Menschen seine Würde nahmen. In grenzenlosem Gottvertrauen hat er es gewagt, dagegen anzugehen und für seine Sache den Tod auf sich zu nehmen. Deshalb ist er der ‚auferstandene‘ Christus, der direkt und indirekt überall heute am Werk ist, wo ‚Grenzgänger der Liebe und der Hoffnung‘ etwas wagen für ihre durch falsche Götzen, Autoritäten und Machtbesitzer unterdrückten und beleidigten Mitmenschen – sei es nun in unserem Staat, der UdSSR, USA, CSSR oder in der Dritten Welt. Daß dieser Jesus in erster Linie unsere Jugend heute etwas angeht, und nicht eine harmlose Gottheit des Kults, des Jenseits und der frommen Träume – das scheint uns zu scheiden. Aber es kann mich nicht von meinem Auftrag entbinden.“628

Helbig bat den Arzt in dem Brief, dass er noch einmal mit seiner Konfirmandin über die Angelegenheit sprechen dürfe; zu dem Gespräch kam es nicht. Kurz nach Empfang des Briefs suchte der Chefarzt Dekan Dimmling mit der Bitte 627

Schreiben von Hans S. an Dieter Helbig am 21. 2. 1970 (Violettbuch Helbig, 39–42). Schreiben Dieter Helbigs an Hans S. vom 23. 2. 1970 (Violettbuch Helbig, 43 f.). Der Brief ist außerdem vollständig abgedruckt in B+K (Helbig), 19–21. 628

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auf, dieser möge seine Tochter konfirmieren; Dimmling willigte ein und teilte dies Helbig zwei Tage später mit. Helbig warf dem Dekan nun „krassen Rechtsbruch“ und „Rechtsbeugung“ vor: Als zuständiger Pfarrer hätte er ein klärendes Gespräch mit der Konfirmandin führen und erst danach entscheiden wollen, ob Dimmling und nicht er das Mädchen konfirmiere. Helbig wandte sich in der Angelegenheit an den Landeskirchenrat. In dem entsprechenden Schreiben vom 7. März 1970 bezeichnete er einen bedeutenden Teil der Kirchenvorsteher als „durch diese Situation offenbar überfordert“ und „nicht in der Lage, auf die neue kirchengeschichtliche Situation mit Verständnis zu reagieren.“629 Dem Brief vorausgegangen war eine Kirchenvorstandssitzung, in der der Kirchenvorstand den Fall Daniela S. als „äusserst schwierigen Seelsorgefall“ charakterisierte, den Helbig „in einer nicht gutzuheissenden Weise hochgespielt“ habe. Dimmling berief sich auf einen seelsorgerlichen Notstand, und der Kirchenvorstand beschied: „Die gegen Helbig von Dr. S. erhobenen Vorwürfe entsprechen den vielfachen kritischen Stimmen aus der Gemeinde gegen Helbigs Verkündigung auf der Kanzel und in der Schule. Die Weigerung Dr. S., seine Tochter noch weiterhin in seinen Konfirmandenunterricht zu schicken und sie von ihm konfirmieren zu lassen, ist verständlich.“630

Helbig lehnte es ab, die geforderte Zession für Daniela zu erteilen. Auf einen von ihm vorgeschlagenen Kompromiss, er wolle die Zession geben, wenn zuvor ein Gespräch zwischen ihm und dem Arzt versucht werde, ging der Kirchenvorstand offensichtlich nicht ein631. Nun wurde wieder dasselbe Gemeindemitglied aktiv, das bereits das Einsetzen eines Amtszuchtsverfahrens gegen Helbig beantragt hatte, und richtete einen Brief an alle Konfirmanden aus Helbigs Sprengel, in dem er gegen den Geistlichen polemisierte. Der Kirchenvorstand wies die in dem Brief gegen Helbig erhobenen Vorwürfe zurück; auch Dimmling verwahrte sich öffentlich gegen die „persönliche Diffamierung Helbigs“.632 Den Vorwurf Helbigs, Dimmling habe Rechtsbruch begangen, wollte dieser jedoch nicht auf sich sitzen lassen und überlegte offensichtlich sogar die Niederlegung seines Amts. Die Situation schien nicht mehr zu retten.

629 630 631 632

Schreiben Dieter Helbigs an den Landeskirchenrat vom 7. 3. 1970 (Darstellung LKR, 8). Zit. nach Darstellung LKR, 10. So Gegendarstellung Helbig, 3. Vgl. Darstellung LKR, 11.

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Die Einleitung des Nichtgedeihlichkeitsverfahrens gegen Dieter Helbig Der Landeskirchenrat beschloss in seiner Sitzung vom 18. März 1970, zu überprüfen, inwieweit ein gedeihliches Wirken Helbigs in Nördlingen noch gewährleistet sei. Helbig, der am 19. März davon unterrichtet worden war, verlas im Karfreitagsgottesdienst (27. März) eine Erklärung, die er auch in schriftlicher Form verteilte, und in der er dafür plädierte, dass eine Untersuchung gegen ihn „den allgemein gültigen Rechtsnormen entsprechen“633 müsse und dabei bestimmte Voraussetzungen – ein von ihm benannter Vertreter in einer Untersuchungskommission, umfassende Vor-Ort-Recherche, Einsichtnahme in die Sitzungsprotokolle, persönliches Appellationsrecht an die Schlichtungsstelle als letzter Instanz – erfüllt sein müssten. Anscheinend schickte Helbig diese Forderungen am 5. April an den Landeskirchenrat, der ihm diese – mit Ausnahme des von Helbig geforderten, von ihm benannten Vertreters – als ihm selbstverständlich zustehende Ansprüche bestätigte634. Das Zwangsversetzungsverfahren wurde am 8. April mit einer Anhörung des Pfarrkapitels und des Kirchenvorstandes in Nördlingen eingeleitet. Helbig verlas bei den Sitzungen dieser beiden Gremien eine Erklärung, in der er sich erneut gegen die Umstände des gegen ihn laufenden Verfahrens aussprach: In der jetzigen Auslegung sei das Nichtgedeihlichkeitsverfahren „gegen undemokratischen Missbrauch nicht genügend gesichert […]“.635 Helbig betonte unter anderem, dass sich die von ihm in der Auseinandersetzung vorgebrachten Punkte „zu mindestens 75 % auf theologisch-politische Lehrfragen“ bezögen – eine Ansicht, die die Landeskirche bestritt: „Nach dem Ergebnis der Sitzungen des Pfarrkapitels und des Kirchenvorstands werden Pfarrer Helbig aus ‚theologisch-politischen Lehrfragen‘ gerade keine Vorwürfe gemacht. Die Kirchenvorsteher in Nördlingen haben sehr betont, daß sie weder gegen die Predigt noch gegen Seminare o.ä. Einwendungen erheben, und klargestellt, daß sie überwiegend das Wirken auf diesem Gebiet – Aufrütteln, NachdenklichMachen – positiv einschätzen.“636

Die Bitte des Kirchenvorstands, bis Abschluss des Verfahrens die Öffentlichkeit „nicht weiter zu informieren“, lehnte Helbig ab. Bei der anschließenden geheimen Abstimmung stimmten acht Kirchenvorsteher dafür, dass ein ge-

633

Zit. nach ebd., 12 f. Vgl. ebd., 18. 635 Erklärung: Brief Dieter Helbigs an Landeskirchenrat / Pfarrkonferenz / Kirchenvorstand / evangelische Gemeinde Nördlingen am 8. 4. 1970 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44). 636 Darstellung LKR, 16 f. 634

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deihliches Verhalten Helbigs in Nördlingen nicht mehr gewährleistet sei, vier enthielten sich der Stimme. Helbig und Dimmling waren bei der Abstimmung abwesend. Obwohl einige der Punkte in Helbigs Erklärung nach Ansicht des Landeskirchenrats und der Sitzungsmitglieder der Ergänzung und Richtigstellung bedurften, verteilte Helbig seine Erklärung einen Tag später, am 9. April, in der Öffentlichkeit. Der Kirchenvorstand schickte daraufhin am 10. April ein Telegramm an den Landeskirchenrat, in dem er diesen vor die Alternative stellt: „Entweder wird Pfarrer Helbig sofort suspendiert oder der gesamte Kirchenvorstand tritt zurück.“637 Am 12. April 1970 wurde eine Erklärung des Kreisdekans in den Kirchen Nördlingens verlesen, in dem dieser die Vorgänge aus seiner Sicht darstellte und vor allem die Tatsache, dass Helbig seine Erklärung vom 8. April in der Öffentlichkeit verteilt hatte, missbilligte. Der Kirchenvorstand beschloss am 11. April ebenfalls eine Stellungnahme zu den Ereignissen, in dem er als Grund, für Helbigs Versetzung zu plädieren, vor allem dessen „mangelnde Demut und Nächstenliebe“ angab. Beide Erklärungen wurden in einer Sondernummer des Gemeindebriefs veröffentlicht638. Die vorläufige Versetzung Helbigs nach München-Fürstenried Am 14. April 1970 beschloss die Vollsitzung des Landeskirchenrates die sofortige Suspendierung Dieter Helbigs von seinem Dienst in Nördlingen und seine Versetzung nach München-Fürstenried mit Dienstantritt zum 20. April. Helbig wurde dieser Beschluss mit einem Eilbrief am 18. April zugestellt. Er erhob am 21. April gegen den Entscheid Einspruch; sein Dienstantritt in Fürstenried wurde daraufhin auf den 1. Juni verschoben, die Suspendierung vom Dienst in Nördlingen wurde aufrechterhalten. Die Versetzung Helbigs sorgte für öffentliches Aufsehen639. Bei Bekanntwerden der Nachricht konstituierte sich ein Aktionskreis, bestehend aus Gemeindemitgliedern von St. Georg. Dieser Kreis organisierte innerhalb kürzester Zeit einen „Informationsabend in der Angelegenheit Dieter Helbig“ am 23. April im größten Saal Nördlingens, im „Deutschen Haus“, für den breit Werbung ge637

Zit. nach ebd., 23. Evang.-Luth. Gemeindebote für die Kirchengemeinde Nördlingen St. Georg, Sonderausgabe im April 1970 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44). 639 Vgl. dazu auch die Berichterstattung in den Medien, z. B.: Claus-Jürgen Roepke: Der Kampf der Pfarrer von St. Georg, in: Süddeutsche Zeitung, Ausgabe vom 22. 4. 1970, 17. Vgl. außerdem: Gerücht mit hohem Wahrheitsgehalt, in: Rieser Nachrichten, Ausgabe vom 23. 4. 1970, 20, sowie: „Angeblich Kommunist im schwarzen Talar“, in: Nürnberger Zeitung, Ausgabe vom 24. 4. 1970, und: „Worte über Mao bringen Geistlichen zu Fall“, in: Abendzeitung, Ausgabe vom 23. 4. 1970. 638

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macht wurde640. Außerdem kursierte eine Unterschriftenliste, deren bald über 3000 Unterzeichner (darunter etwa ein Drittel Katholiken) sich gegen die vorläufige Versetzung Helbigs aussprachen: „Ich / Wir meinen, dass unter Christen, zumal gleicher Konfession, eine versöhnliche Verständigung selbstverständlich sein müsste, und wenden uns gegen solche Radikallösungen. Ich / wir glauben, dass eine weitere Zusammenarbeit auf breitester Basis in einer christlichen Gemeinde möglich ist und fordern im Interesse eines aktiven Gemeindelebens das weitere Verbleiben von Pfarrer Helbig in Nördlingen.“641

Der öffentliche Informationsabend am 23. April 1970 Wie groß das Interesse der Bevölkerung an der Auseinandersetzung um Dieter Helbig inzwischen war, zeigten spätestens die Besuchermassen am Abend des 23. April. Einen Eindruck von der Situation im „Deutschen Haus“ in Nördlingen vermittelt folgender Auszug aus dem Bericht über den Informationsabend in den „Berichten und Kommentaren“: „Sämtliche Stühle waren besetzt, in den Gängen standen sie dichtgedrängt, auf der Empore war kein Platz mehr frei, sogar die Bühne war dichtbesetzt. Der Saal musste gesperrt werden. Als die Versammlungsleitung die Veranstaltung eröffnete, wurde sie durch massives Klopfen an die Saalfenster erst einmal deutlich unterbrochen. Ein Fenster musste geöffnet werden, und da standen viele von denen dichtgedrängt, die keinen Einlaß mehr gefunden hatten. Drei Stunden standen sie. Es zog, aber das störte niemand mehr.“642

Wie verschiedene Medienberichte bezeugen643, war die Sympathie der über 1.000 Besucher an diesem Abend offensichtlich auf Seiten Helbigs. Zwar kamen mit Kreisdekan Schmidt, einem Mitglied des Kirchenvorstandes sowie einigen wenigen Helbig gegenüber skeptischen Stimmen aus dem Publikum auch Vertreter anderer Positionen zu Wort, ihre Beiträge scheinen aber kaum Verständnis oder gar Beifall geerntet zu haben. Für Helbig sprachen sich Vertreter der AfA (Arbeitskreis für Arbeitnehmerfragen) und des DGB ebenso aus wie Be640 Vgl. dazu das Einladungs-Flugblatt mit dem Titel „Was ist in unserer Gemeinde los?“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44). 641 Unterschriftenliste „Zur Sache Helbig“ (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44). 642 B+K (Helbig), 3. 643 Vgl. dazu etwa den ausführlichen Artikel in den Rieser Nachrichten vom 25. 4. 1970, 22, sowie in der AZ-Nordbayern, Ausgabe vom 28. 4. 1970, 5, den Artikel mit dem Titel: Nördlingen: Bannbulle gegen den aufsässigen Gottesmann von St. Georg. Chefarzt fürchtet um das Seelenheil seiner Tochter.

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sucher von Helbigs theologischen Seminaren und Jugendliche. Mit „überwältigender Mehrheit“644 wurde am Ende des Abends eine Resolution für den Verbleib Helbigs in Nördlingen verfasst. Die weitere Entwicklung des Falls Seit 27. April 1970 war Helbigs Antrag entsprechend das AEE-Mitglied Horst Birkhölzer als Vertreter der Interessen Helbigs an den weiteren Untersuchungen des Landeskirchenrates in dem Fall beteiligt. Helbig wurde Protokolleinsicht zugestanden. Anfang Juni trat Helbig die Stelle als Amtsaushilfe in München Fürstenried an und blieb dort bis Ende August 1970. In der Zwischenzeit wurde das Verfahren gegen Dieter Helbig, in dessen Rahmen 40 Zeugen vernommen worden waren, eingestellt; offensichtlich hatte sich Landesbischof Hermann Dietzfelbinger maßgeblich für eine friedliche Lösung eingesetzt645. So erinnert sich Dieter Helbig an das Gespräch mit ihm: „So, wie er mir den Kompromiss, zu dem sich der Landeskirchenrat schließlich durchgerungen hat – nämlich, dass keine Urteilsfindung stattfindet, ich aber im Laufe eines Jahres mich wegmelden soll, ganz freiwillig, wohin ich auch immer will –, wie er mir das dargestellt hat bei einem persönlichen Gespräch unter vier Augen, das hat mich sehr beeindruckt. Das war nicht einfach der Bischof, der mir eben etwas mitzuteilen hat, sondern er versuchte mir wirklich auch die schwierige Lage, in der der Landeskirchenrat sich befindet, im persönlichen Gespräch klarzumachen.“646

Der genannte Kompromiss wurde von allen beteiligten Parteien akzeptiert: Dieter Helbig sollte freiwillig seinen Dienst in St. Georg bis zum Schuljahresbeginn 1971 beenden und wollte sich zwischenzeitlich um eine andere Gemeinde bewerben. In einer Kanzelabkündigung am 30. August 1970 wurde dieser Entschluss in einer Erklärung der Gemeinde verlesen; in ihr machte Helbig einerseits deutlich, dass das, was er getan habe, seiner Gewissensüberzeugung entsprochen habe, dass er aber andererseits dadurch entstandene Verletzungen bedauere und sich diesbezüglich bei allen davon betroffenen Gemeindemitgliedern ebenso entschuldige, wie er das bei Dekan Dimmling und dem Kirchenvorstand bereits getan habe. Zusammen mit Helbigs Erklärung wurden zwei weitere Stellungnahmen, die des Kirchenvorstandes und des Landeskirchenrates, verlesen. Erstgenannter schrieb die Schuld an dem Konflikt dem Pfarrer zu, machte aber das Zugeständnis, dass, wenn der Kirchenvorstand es „an Verständnis oder brüderlicher 644 645 646

B+K (Helbig), 3. Vgl. dazu etwa die Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung, Ausgabe vom 2. 9. 1970. Interview Helbig, 16.

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Liebe gegen ihn haben mangeln lassen“, er dies bedauere. Der Landeskirchenrat bat in seiner Erklärung „Pfarrer, Kirchenvorsteher und Gemeindeglieder, im Geiste des Evangeliums zusammenzuarbeiten und sich um gegenseitiges Verständnis und Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben in der Nachfolge Christi zu bemühen.“647 Im darauffolgenden Jahr wurde Dieter Helbig auf die zweite Pfarrstelle der Emmaus-Kirche in München gewählt, wo er bis 1987 bleiben sollte; diese 16 Jahre bezeichnet Helbig heute als „meine glücklichste Zeit in meinem Pfarrerleben.“648 Die Rolle des AEE beim „Fall Dieter Helbig“ Der AEE spielte in dieser Angelegenheit eine nicht unwesentliche Rolle: Zahlreiche Briefe belegen, dass der Arbeitskreis den ganzen Konflikt hindurch Ansprechpartner für Dieter Helbig war, der sich aus diesem Kreis mit Horst Birkhölzer schließlich auch seinen Vertreter für die Verhandlungen wählte. Der AEE war wesentlich an der Information der Öffentlichkeit über die Vorgänge in Nördlingen beteiligt („audiatur et altera pars“)649, druckte in den „Berichten und Kommentaren“ Aufsätze und Stellungnahmen Helbigs ab und wandte sich in den Nördlinger Auseinandersetzungen wiederholt mit Briefen an den Landeskirchenrat. Helbig sah sich insgesamt stark vom AEE geprägt: Hier habe er, so Helbig rückblickend, „mehr so indirekt gehört“, „wie man mit Konfliktfällen umzugehen hat“650, hier habe er eine „Reformgruppe [gefunden], die mir zunächst einmal ganz emotional Rückhalt gibt in meinen Auseinandersetzungen.“651 Warum engagierte sich der AEE in dieser Angelegenheit so stark? Dass Dieter Helbig zu den Mitgliedern des Kreises zählte, war hier sicher nicht der einzige Grund. Entscheidend schien für den AEE vielmehr gewesen zu sein, dass 647 Die Erklärungen sind abgedruckt in den Rieser Nachrichten, Ausgabe vom 31. 8. 1970 unter der Überschrift: Ein Weg zum Frieden in der Gemeinde. 648 Interview Helbig, 1. 649 Damit ist nicht nur die Helbig-Sondernummer der B+K gemeint: Es sind einige Briefe Außenstehender erhalten, die sich explizit beim AEE über die Vorgänge in Nördlingen erkundigen. Auch in die Gottesdienste von AEE-Mitgliedern floss der Fall ein: So predigte Christian Blendinger, der besonders stark mit dem Fall Helbig befasst war, am Sonntag Rogate 1970 in der Lorenzkirche: „Wir bitten Dich auch für die zerspaltene Christenheit und für Christen, die miteinander in Unfrieden leben. Wir bitten Dich für den Pfarrer in Nördlingen, der wegen seiner Überzeugung seiner Stelle enthoben wurde. Hilf, daß Unrecht von beiden Seiten eingesehen wird.“ Zitiert nach einem Schreiben Blendingers vom 8. 6. 1970 (LAELKB Nürnberg, Vereine und Institutionen III / 20 (AEE), Nr. 44). 650 Interview Helbig, 13. 651 Ebd., 14.

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er die Nördlinger Auseinandersetzungen im selben Sinn wie Helbig selbst beurteilte: Sie waren für den AEE kein Einzelfall, sondern standen exemplarisch dafür, wie innerhalb der landeskirchlichen Hierarchie grundlegende theologische und politische Differenzen nicht ausdiskutiert, sondern „nach bekanntem Kartenspielmuster“652 behandelt wurden: Die Landeskirche würde die Symptome, nicht aber die Ursachen von theologischen und politischen Differenzen bekämpfen und dabei weder die in der Hierarchie weiter unten Angesiedelten (in dem Fall Dieter Helbig) noch die Gemeinde als mündige Gesprächspartner in ihre Untersuchungen einbeziehen. Eine derartige Zwangsversetzung wie bei Helbig könne keine Lösung für grundsätzliche Auseinandersetzungen sein und müsse in Zukunft vermieden werden. Der Fall Dieter Helbig war also für den AEE eindeutig ein Präzedenzfall. So resümiert Christian Blendinger in der Sondernummer der „Berichte und Kommentare“ zum Fall Dieter Helbig: „In dieser Sache geht es nicht nur um persönliche Querelen und Unzuträglichkeiten, sondern um die Grundsatzfrage, ob Theologen in unserer Kirche eine Arbeitsmöglichkeit haben, die nach den Konsequenzen des Evangeliums für unsere soziale und politische Wirklichkeit ernsthaft fragen.“653

Inwieweit der Fall Dieter Helbig jedoch tatsächlich in diesem grundsätzlichen Sinn gedeutet werden konnte, daran schieden sich die Geister. Was war der Kern der Auseinandersetzung im „Fall Dieter Helbig“? Ging es um eine theologische und politische Auseinandersetzung und damit um einen Präzedenzfall – so Dieter Helbig und seine Unterstützer – oder um Fragen des persönlichen Umgangs und damit um einen Einzelfall – so der Nördlinger Kirchenvorstand, Dekan Dimmling und die Landeskirchenleitung? Es ist auffällig, dass in nahezu allen Äußerungen der beiden Parteiungen eine dieser beiden genannten Einschätzungen des Falls betont wurde und sich scharf gegen die andere Position verwahrt bzw. diese explizit ausgeschlossen wurde654.

652

Christian Blendinger: Der Fall Dieter Helbig und der AEE (B+K (Helbig), 28f; hier: 29). Ebd., 28. 654 Vgl. exemplarisch das Schreiben des LKR vom 16. 4. 1970 an Christian Blendinger: „So behauptet er [Dieter Helbig] weiter, daß ‚politisch-theologische Lehrfragen‘ im Mittelpunkt des Verfahrens ständen, während die Besprechungen im Pfarrkapitel und besonders im Kirchenvorstand gerade das Gegenteil ergeben haben und er auch aus der Entschließung des Landeskirchenrates vom 13. 11. 1969 […] genau weiß, daß der Landeskirchenrat in dieser Richtung keine entscheidenden Vorwürfe erhebt.“ Vgl. etwa auch zur Stimmung im Kirchenvorstand in seiner Sitzung vom 8. 4. 1970: „Stark wurde betont, daß Pfarrer Helbig seine eigene Forderung, immer miteinander zu sprechen, nicht beachte. Weiter wurde herausgestellt, daß es hier nur um die nicht de653

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Einerseits ist die Ansicht Dieter Helbigs und seiner Unterstützer, hier handele es sich um einen auf theologischen und politischen Differenzen beruhenden grundsätzlichen und damit paradigmatischen Konflikt, in vielen Punkten nachvollziehbar: In den maßgeblichen, aufgeführten Streitpunkten – der Schaukastenaffäre, den Predigten und dem Fall Daniela S. – entzündete sich die Diskussion an den von Helbig vertretenen Positionen und damit an Inhalten. Helbig lässt sich als Vertreter einer politischen Theologie bezeichnen, der – sicher parteiisch und oft bewusst polarisierend – in seinen Predigten und Aktionen die Themen aufgriff, die seine Zeit bewegten: die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die Frage des Umgangs mit der Außerparlamentarischen Opposition und der Studentenbewegung, die Öffnung für globale Themen. Der Pfarrer trat für eine unbedingte Nachfolge eines vor allem ethisch verstandenen Jesus ein, des Kämpfers für soziale Gerechtigkeit; in seinem Sinn, im Sinn eines politischen Christentums zu handeln und für diesen Weg des Glaubens zu werben, war Helbigs innerer Antrieb in den Auseinandersetzungen. Dass er dabei andererseits mitunter „zu wenig sensibel“655 Vertretern anderer Ansichten gegenüber gewesen sei, sagt Helbig heute selbst. Wie seine Kontrahenten ihm vorwarfen, war Helbigs Tonfall in der Tat mitunter scharf und provozierend; in seinen Predigten, Briefen und Erklärungen zeichnete er häufig die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Schwarz und Weiß, ohne auf die ihm sicher bewussten Graustufen einzugehen. Sein Umgang mit dem Kirchenvorstand zeigt – ganz entgegen der sonst von den Reformgruppen geforderten Stärkung der Laien – mitunter gewisse hierarchische Tendenzen. Das ihm vorgeworfene Verhalten, wiederholt persönliche Kontroversen öffentlich zu machen, war aus Helbigs Sicht allerdings unabdingbar: Da er die Auseinandersetzung als Grundsatzkonflikt verstand, musste die Öffentlichkeit seiner Ansicht nach informiert werden. Und zumindest in diesem Sinn war der „Fall Dieter Helbig“ ganz sicher ein Präzedenzfall dieser Jahre: Die Rolle der Öffentlichkeit wurde erkannt und für die eigenen Anliegen genutzt.

mütige, lieblose, rechthaberische und unversöhnliche Art des Pfarrers gehe, nicht um die Frage konservativ oder fortschrittlich, zumal der Kirchenvorstand den Neuerungsplänen stets aufgeschlossen gegenübergestanden sei.“ Beide Schriftstücke sind enthalten in: Darstellung LKR, 22. 655 Interview Helbig, 9.

4. „Wir ziehen da an einem Strang“: Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

4.1 Vorüberlegungen 4.1.1 Zur methodischen Vorgehensweise Die Ausführungen im zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit basieren weitgehend auf der Aufarbeitung schriftlichen Quellenmaterials. Im vierten Kapitel steht nun die Auswertung der qualitativen Interviews im Vordergrund. In einer Arbeit über die Jahre 1966 bis 1976 ist eine Darstellung der heutigen Sicht auf die damaligen Ereignisse kein unerlässlicher Bestandteil. Dass die damals Aktiven im folgenden Kapitel mit ihrer rückblickenden Sicht auf den Untersuchungszeitraum zu Wort kommen, birgt auch die Gefahr, dass am „Mythos 68“ gestrickt bzw. die Verfasserin zur Hagiographin der Zeitzeugen werden könnte. Die Entscheidung, den Zeitzeugen dennoch in diesem Kapitel einen breiten Raum zu geben, beruht zum einen darauf, dass für die Interviewerin die Erinnerungen der Zeitzeugen die Geschichte der 1960 / 70er Jahre plastisch werden ließen; diese Erfahrung soll auch dem Leser nicht vorenthalten werden. Zum anderen zeigen die Aussagen der Interviewten, wie groß der Einfluss der Ereignisse bis heute ist. Außerdem kann – wenn auch aufgrund des zeitlichen Abstands nur in begrenztem Maße – eine ausführliche Wiedergabe der Interviews Antworten auf Fragen geben, über die allein anhand der schriftlichen Dokumente kaum Auskünfte möglich sind. Dazu zählen vor allem Aspekte, die die persönlichen Einschätzungen der damals Engagierten betreffen: Inwieweit fühlten sich die Mitglieder der drei Gruppen tatsächlich untereinander verbunden, inwiefern empfanden sie sich selbst als Teil eines auf Reformen zielenden Netzwerkes? Welche Bedeutung hatte die Gruppe für sie? Um diesen und anderen Fragen nachzugehen, greift die Verfasserin auf die Methoden der Oral History zurück.

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Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

4.1.2 Konzeption der Oral History Oral History ist „eine Methode, einen in mündlicher Form vermittelten Bestand an historischen Informationen zu sammeln und in der Regel auf Band festzuhalten“1. So beschrieb die Oral History Association, Columbia, im Jahr 1968 ihre Forschungsmethode. Durch Oral History sollen Zeitzeugen und Beteiligte einer Epoche, eines geschichtlichen Ereignisses mit ihren eigenen Erfahrungen zu Wort kommen; schriftliche, oft weitgehend an den „Großen“ der Geschichte orientierte Quellen werden durch mündliche Berichte ergänzt, in denen auch die „Kleinen“ zu Wort kommen. Den Objekten der Geschichte wird aus ihrem „Objektstatus“2 verholfen. Zwar ist die Oral History „in gewissem Sinne […] so alt wie die Geschichtsschreibung selbst“3; in die wissenschaftliche Erforschung neuester Zeitgeschichte wurde sie in Deutschland, anders als in den USA und Großbritannien, bislang nicht in derart breitem Umfang integriert4. Viele Gründe sprechen jedoch dafür, ihre Methoden in die Aufarbeitung der Zeitgeschichte einzubeziehen. Dazu zählen die veränderten Kommunikationsgewohnheiten5: Schriftstücken sind zunehmend langwierige mündliche Entscheidungsprozesse vorgeschaltet, die aus den Akten nicht rekonstruierbar sind, sondern erst durch die Erläuterung Beteiligter verständlich werden. Zudem werden Entscheidungsprozesse auf mehrere Schultern verteilt: Waren früher augenscheinlich einige wenige Mächtige geschichtsprägend, so steht heute eine breite Schicht von gesellschaftlichen Gruppierungen und Interessenvertretern hinter einer Entscheidung. Konnten früher die Erinnerungen der kleinen Zahl von Entscheidungsträgern anhand von (Auto-)Biographien nachvollzogen werden, kann das historische Wissen der zahlreichen Beteiligten 1

Starr, Oral History, 52. Niethammer, Einführung, 8. 3 Starr, Oral History, 28. 4 Für die verzögerte und zögerliche Rezeption der Oral History in Deutschland macht Lutz Niethammer, einer der führenden deutschen Vertreter dieser Forschungsrichtung, vor allem zwei Gründe verantwortlich, deren Wurzeln in der NS-Zeit liegen: Zum einen brach das nationalsozialistische Regime mit der Unterdrückung der Arbeiterbewegung auch die Tradition der Arbeiterbiographie ab und zerstörte eine Sozialwissenschaft, die auf Tiefeninterviews und Lebensgeschichten basierte. Zum anderen lieferte gerade die Aufarbeitung der Zeit des „Dritten Reiches“ laut Niethammer vielen Historikern ein gewichtiges Argument gegen die Methoden der Oral History: Während sich einerseits mündliche Zeugnisse über die Jahre 1933 bis 1945, etwa in den Spruchkammerverfahren, oft als unzuverlässig erwiesen, lagen andererseits schriftliche Dokumente in zuvor nicht gekannten Ausmaß über das nationalsozialistische Regime vor. Die Geschichtswissenschaft perfektionierte infolgedessen ihren gewohnten Umgang mit schriftlichen Dokumenten und maß mündlichen Aussagen wenig Bedeutung zu. Vgl. Niethammer, Einführung, 10 f. 5 Vgl. dazu ebd., 9. Ebenso nachfolgende Informationen. 2

Vorüberlegungen

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heute am ehesten durch Interviews ermittelt werden. Dazu kommt, dass sich der Fokus der Geschichtsbetrachtung geändert hat: Die Faszination an der „Geschichte von unten“ nimmt zu. Das Interesse an der eigenen Biographie und an der Familiengeschichte wächst, die Bedeutung der eigenen Geschichte und ihre identitätsstiftende Funktion werden von verschiedenen Seiten erkannt6. Dem Historiker geben Interviews anschauliches Quellenmaterial an die Hand. Geschichte wird konkret und lebendig – auch, wenn mit den Erinnerungen der Zeitzeugen sorgfältig und vorsichtig umgegangen werden muss. Angemerkt sei schließlich noch, dass Oral History mitunter auch dazu führt, dass der Historiker zusätzliche schriftliche Unterlagen einsehen kann: Beim Erstellen der Interviews kann ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Wissenschaftler und dem Befragten dazu führen, dass Zeitzeugen persönliche Dokumente zum Forschungsgegenstand weitergeben. Die Methoden der Oral History sind nicht unumstritten7: Der Historiker hat erheblichen Einfluss auf das Zustandekommen und die Qualität seiner Quellen. Seine Person, sein Vorwissen über den Interviewpartner, den sogenannten „Oral Author“, und seine Fragepraxis entscheiden in hohem Maße darüber, welche Informationen der Zeitzeuge preisgibt und an welche Aspekte seiner Geschichte er sich erinnern kann. Eine Empathie mit dem Gesprächspartner ist Voraussetzung für ein gelingendes Interview, darf jedoch nicht mit der kritiklosen Annahme der erhaltenen Informationen einhergehen8. So ist die sorgfältige Vorbereitung des Interviewers anhand schriftlicher Quellen auf den „Oral Author“ Pflicht.9 Gegebenfalls müssen Interviews mit Dritten erstellt werden, um Informationen zu überprüfen. Um den Zweifeln am Wert persönlicher Erinnerungen Rechnung zu tragen, muss bei der Auswertung eines qualitativen Interviews berücksichtigt werden, dass das autobiographische Gedächtnis eines Menschen kein „registrierendes

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Vgl. etwa für den Bereich Seelsorge: Specht-Tomann, Leben. Kritikpunkte in Anlehnung an Grele, Bewegung, 143–161. 8 Vgl. dazu Samuel, Oral History, 69 f.: „Gerade eine der Stärken der Oral History als einer demokratischen Form geistiger Arbeit, nämlich die Identifikation des Historikers mit seinem Gegenstand, ist auch eine Quelle großer Schwierigkeiten. Wohl zu Recht fürchten die Historiker jede Art von herablassender Behandlung ihrer Interviewpartner und sind deshalb stets auf ein ungebrochenes solidarisches Verhalten mit diesen bedacht. Dies hat zur Folge, dass sie sich häufig eines konkreten Urteils enthalten und damit letztlich nichts weiter als zum Sprachrohr ihrer Zeugen werden – womit sie dann genau das Schicksal derjenigen Historiker erleiden, die sich ausschließlich mit einer Quellengattung beschäftigt haben.“ 9 Vgl. Starr, Oral History, 44. Starr zitiert Saul Benison, einen Pionier der Oral History Bewegung, mit den Worten: „Als Interviewer muß man gründlich und genau vorbereitet sein, so daß man in gewissem Sinn mehr weiß als der Knabe, der gerade interviewt wird.“ 7

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Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

Gedächtnis“10, sondern vielmehr ein „selektiver Apparat“11 ist: „Es gibt keine objektive Erinnerung.“12 Erlebnisse der Vergangenheit werden aus der Perspektive der Gegenwart betrachtet; ihre Interpretation und Bewertung hängt von dem ab, was nach ihnen im Leben eines Menschen geschah13. Der Historiker muss seine mündlichen Quellen daher sorgfältig analysieren14 und immer wieder mit schriftlichen Dokumenten und Aussagen anderer ab- und vergleichen. Bedenken gibt es schließlich noch gegenüber der Oral History als historischer Methode. Kritiker mahnen an, Vorsicht walten zu lassen, dass sie nicht „in einem kulturellen Ghetto endet, dass sie sich […] zu einer Arkandisziplin mit ungeklärten Annahmen und einer literarischen Produktion, die an umfassende Denkhorizonte nicht mehr heranreicht, entwickelt“15. Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, sich die eigenen Annahmen und die Intention, mit der die Interviews geführt werden, bewusst zu machen, Interessierten Einsicht in die Interviews zu gewähren und weiterhin schriftliche Quellen aufzuarbeiten. Die Erstellung und Auswertung der für diese Arbeit erstellten Zeitzeugeninterviews stützt sich auf die Erkenntnisse der qualitativ-empirischen Sozialforschung. Im Unterschied zur quantitativ-statistischen Vorgehensweise lässt die qualitative Methode Raum für Hintergründe und persönliche Anmerkungen des Interviewten und erschien deshalb für die vorliegende Untersuchung geeigneter. Innerhalb des Methodenpools qualitativ-empirischer Sozialforschung war für diese Arbeit die Form des Intensivinterviews zu bevorzugen, das alle „Formen der mündlichen Befragung, die mit nicht-standardisierten Fragen und einem geringen Maß an Strukturierung der Frageanordnung vorgehen“16 umfasst. Aus der Vielfalt möglicher Frageformen erwies sich das grob strukturierte Interview, das themenzentrierte Leitfadeninterview, als am besten geeignet, da es einen weitgehend offenen Verlauf des Interviews ermöglicht. Der Leitfaden bewahrt andererseits vor der Gefahr, dass das Gespräch in andere Themenbereiche abgleitet, und macht eine entsprechende Vorbereitung auf 10

Bertaux / Bertaux-Wiame, Erinnerung, 110. Ebd. 12 Ebd., 111. 13 Vgl. ebd., 113: „Folglich heißt ‚sein Leben erzählen‘ nicht nur, sich erinnern. Man erinnert sich kaum. Aber man rekonstruiert. Man erzählt im Hinblick auf seine momentane, persönliche Situation und auf die zeitgenössischen gesellschaftlichen Umstände.“ 14 Als Hilfe kann hier ein Modell von Theodor Schulze dienen, der in Autobiographien und autobiographischem Material – darunter auch narrative Interviews – fünf Prozessstufen bzw. Materialschichten unterscheidet; vgl. Schulze, Autobiographie. 15 Samuel, Oral History, 70. 16 Friedrichs, Methoden, 224. 11

Vorüberlegungen

275

die Interviews als Voraussetzung für eine souveräne Gesprächsführung seitens des Interviewers unabdingbar17. Schließlich schafft er eine Vergleichbarkeit der Interviews. Mit dem für diese Arbeit entwickelten Leitfaden wurden zwei Ziele verfolgt: Zum einen ging es darum, Faktenwissen um die Vorgehensweise und die Strukturen der Reformgruppen aus der Innenperspektive einzuholen. Für diesbezügliche Fragen waren die Interviewpartner als Funktionsträger, als „Experten“ für die damalige Situation relevant; die Interviews weisen daher Merkmale des ExpertInneninterviews18 auf. Der Begriff des Experten ist hier nicht im Sinne eines außenstehenden, die Lage überblickenden Betrachters gemeint. Bezeichnet werden damit vielmehr Menschen, die „selbst Teil des Handlungsfeldes sind, das den Forschungsgegenstand ausmacht“19, Menschen, die „in irgendeiner Weise Verantwortung […] [tragen] für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung“20, Menschen, die „über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse“21 verfügen. In diesem Sinn waren die Interviewpartner als Vertreter der Reformgruppe, in der sie sich engagierten, wichtig; gefragt war ihr spezielles Wissen und ihr Erfahrungsschatz mit dieser Gruppe. Jedoch ging es bei den Interviews nicht nur um reine Sachinformationen, mit deren Hilfe die schriftlichen Quellen ergänzt werden konnten. Wesentlich waren auch die Reflexionen über die Empfindungen und Hoffnungen der Zeitzeugen in diesen Jahren, war deren Verständnis von Kirchenreform. Bei Antworten auf diese Fragen spielten die Biographien der „Oral Authors“ eine besonders große Rolle. Daher orientiert sich der Leitfaden weitgehend am Konzept des ExpertInneninterviews, lässt jedoch auch Raum für Fragen nach Lebensgeschichte und Mentalität der einzelnen Persönlichkeiten. Um deren Individualität Rechnung zu tragen, wurde der anfangs geplante anonyme Interviewvergleich zugunsten einer Zusammenschau mit zahlreichen namentlich gekennzeichneten Zitaten aufgegeben. Für das Verständnis der wiedergegebenen Aussagen ist diese namentliche Nennung meines Erachtens unverzichtbar. So schließt beispielsweise Landesbischof Johannes Friedrich, danach gefragt, inwieweit Reformgruppen wie AEE, VBV und LabeT seiner Einschätzung nach 17

Vgl. hierzu auch Meuser / Nagel, ExpertInneninterviews, 449. Vgl. die Ausführungen bei Meuser / Nagel, ExpertInneninterviews. An dieser Stelle sei Beate Hofmann gedankt, die für ihre Dissertation (Hofmann, Mütter) ebenfalls ExpertInneninterviews mit themenzentriertem Leitfaden durchgeführt hat und mich an ihren Erfahrungen mit dieser Methode hat teilhaben lassen. 19 Meuser / Nagel, ExpertInneninterviews, 443. 20 Ebd. 21 Ebd. 18

276

Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

zeitbedingte Erscheinungen gewesen seien oder aber auch heute wieder aktiv werden könnten, seine Antwort mit den Worten: „Ich weiß, dass das jetzt noch keine objektive Beurteilung ist, sondern eine sehr subjektive aus der Sicht des Bischofs.“22 Nicht nur die momentane Stellung innerhalb oder außerhalb der kirchlichen Hierarchie hat einen Einfluss darauf, wie die Zeitzeugen ihre Vergangenheit darstellen; zum Teil sind ihre Antworten auch durch mittlerweile zum Allgemeingut gewordene Erkenntnisse über Höhepunkte, Stärken und Schwächen der 1960er und 1970er Jahre geprägt. Dabei fällt auf, dass manche Interviewpartner sehr bestrebt sind, keinesfalls mit den öffentlichkeitswirksamen „radikalen“ Studenten in einen Topf geworfen zu werden, sich also nicht als Revolutionäre, sondern als differenzierte Persönlichkeiten und vielseitig interessierte Reformer zu zeigen.

4.1.3 Erstellen der Interviews Vor Durchführung der Interviews wurden die verfügbaren schriftlichen Quellen zu einem Großteil aufgearbeitet. Folgende Ziele der Interviews wurden festgelegt und durch eine entsprechende Strukturierung des Leitfadens verfolgt: In ihrer Rolle als „Experten“ wurden die Gesprächspartner nach ihrer Sicht der Gruppe (Motivation zur Mitarbeit, Stellenwert und Charakterisierung der Gruppe, Verständnis von Kirchenreform, Gruppenstrukturen, politische und theologische Einordnung der Mitglieder) und der Gruppe im Kontext (Verhältnis der drei Reformgruppen untereinander, Netzwerkcharakter, Einschätzung anderer kirchlicher Gruppen und möglicherweise Mitarbeit) befragt. Außerdem sollten die Interviewten ihr Engagement im größeren kirchlichen und gesellschaftlichen Rahmen verorten (Verhältnis zu Vertretern der Kirchenleitung, Bezug zur 68er-Bewegung, Relevanz des Generationenkonflikts). In einem vierten Fragenkomplex wurden die Interviewpartner um eine rückblickende Charakterisierung des Untersuchungszeitraums gebeten; außerdem wurde nach ihrer Einschätzung der heutigen Situation gefragt. Nach der Erstellung des Leitfadens wurden die 16 Interviewpartner nach folgenden Kriterien ausgewählt: Die Interviewpartner engagierten sich innerhalb des Zeitraumes 1966 bis 1976 in mindestens einer der drei Reformgruppen. Von jeder der drei Gruppierungen sind exponierte Vertreter unter den Befragten, die zum Teil als Gründungsmitglieder, zum Teil als führende Persönlichkeiten fungierten. Beim AEE als Vereinigung von Laien und Theologen sind beide Stellungen vertreten. Aus dem Kreis der Personen, die die genannten 22

Interview Friedrich, 15.

Vorüberlegungen

277

Kriterien erfüllten, wurden die Interviewpartner zum Teil auf Empfehlungen von Zeitzeugen, zum Teil aufgrund ihrer Präsenz in den schriftlichen Dokumenten ausgewählt. Vorkontakte wurden weitgehend vermieden; der Interviewtermin war mit einer Ausnahme zugleich die Erstbegegnung mit dem Zeitzeugen. Die Gespräche fanden in der Wohnung oder an der Arbeitsstelle des Interviewpartners statt. Sie dauerten zwischen einer Stunde und drei Stunden und wurden mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet. Das offene Leitfadeninterview gab der Interviewerin die Freiheit, die Frageblöcke je nach Gesprächsverlauf in unterschiedlicher Reihenfolge anzubringen. Außerdem bot diese Frageform die Möglichkeit, den unterschiedlichen Themenbereichen, die von den Interviewpartnern eingebracht werden, im Gespräch nachzugehen. Zum Teil lieferten die oft nebenbei gemachten Anmerkungen wertvolle historische Details und Hintergründe, die in die historische Rekonstruktion der Geschichte und Arbeitsweise der Reformgruppen, dargestellt im zweiten und dritten Kapitel, einflossen. Nach der Transkription des aufgenommenen Gesprächs wurde den Interviewpartnern die schriftliche Aufzeichnung zugesendet. Diese hatten nun die Möglichkeit, das Interview gegenzulesen und Gesprächspassagen, die sie nicht unter ihrem Namen zitiert haben wollten, zu kennzeichnen. Von dieser Möglichkeit machte nur ein Interviewpartner in nennenswerter Weise Gebrauch23. Anschließend stimmten die Zeitzeugen schriftlich zu, dass ihr Interview wissenschaftlich ausgewertet dürfe und dabei ihre Aussagen – mit Ausnahme der von ihnen speziell gekennzeichneten – als Zitate in die Arbeit einfließen dürfen24. Außerdem genehmigten sie die Archivierung ihres Interviews im Landeskirchlichen Archiv. In einigen Fällen wurden die Kontakte nach den Interviews aufrechterhalten. Es kam zum Teil zu nicht dokumentierten Folgegesprächen über die speziellen Arbeitsbereiche der Zeitzeugen innerhalb der Kirche; außerdem stellten einige Gesprächspartner Dokumente zur Verfügung und vermittelten den Kontakt zu weiteren Zeitzeugen.

23 Dieser Interviewpartner bestand zudem auf einer stilistischen, in geringem Maße inhaltlichen Überarbeitung seines Interviews. Dem wurde stattgegeben, da dies keine ausschlaggebenden Konsequenzen für die Vergleichbarkeit der Kernaussagen des Interviewten hatte. 24 Während die Niederschrift der Interviews eine wörtliche Wiedergabe des Gesagten darstellt und somit beispielsweise auch Wortwiederholungen oder Fehler in der Syntax wiedergibt, wurden die in der Arbeit wiedergegeben Zitate insofern vorsichtig geglättet, als dass sie einem flüssigen Lesen nicht im Wege stehen.

278

Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

4.1.4 Leitfaden der qualitativen Interviews Der Leitfaden, der den qualitativen Interviews zugrunde lag, enthält folgende Frageblöcke, die in variabler Reihenfolge besprochen wurden: I. I.1 I.2 I.3 I.4 I.5

Die Reformgruppe und ihre Ziele Motivation, sich der Gruppe anzuschließen / sie zu gründen (Vorbilder etc.) Stellenwert der Gruppe und Charakterisierung Verständnis von Kirchenreform Binnenstrukturen der Gruppe und eigene Mitarbeit Einordnung der Mitglieder: politisch, theologisch

II. II.1 II.2 II.3

Die Gruppe im Kontext Verhältnis der (drei) Reform-Gruppen untereinander / Netzwerkcharakter Bewertung anderer kirchlicher Gruppen/„Kirchenkampf“? Vorgruppen / Nebengruppen / Nachgruppen

III. III.1 III.2 III.3

Das Engagement im größeren kirchlichen und gesellschaftlichen Rahmen Verhältnis zur Kirchenleitung, zum Bischof Bezug zur 68er-Bewegung Relevanz des Generationenkonflikts

IV. IV.1 IV.2 IV.3 IV.4 IV.5

Rückblickende Bewertung Charakterisierung, Beschreibung des Jahrzehnts 1966–1976 Bewertung des eigenen Engagements Entwicklung der Gruppe/„Marsch durch die Institutionen“ Die Gruppe und der Interviewpartner heute Sicht der Situation heute

4.2 Auswertung der qualitativen Interviews 4.2.1 „Denn einzeln kämpfen, das hat keinen Sinn in dieser Situation“25: Stellenwert und Bedeutung der Gruppe(n) für den Einzelnen In diesem ersten Teil geht es um die Bedeutung der Gruppen für ihre Mitglieder: ihre Beweggründe, dieser beizutreten bzw. sie zu gründen, den Stellenwert, den die Gruppe in ihrem Leben spielte, die Erwartungen, die sie mit ihr verbanden und die Ziele, die sie mit ihrer Hilfe verfolgten.

25

Interview Schanz, 7.

Auswertung der qualitativen Interviews

279

„Sich zusammenzutun, tut gut“ 26: Motivation zur Mitarbeit in der Gruppe Der Großteil der Befragten gibt als Hauptgrund für die Gründung bzw. den Beitritt zu einer der drei Gruppen den Unmut über die innerkirchlichen, „verzopften“27 Strukturen und den Willen zu deren Umgestaltung an: Sie hatten das Gefühl, kirchliche Hierarchiestrukturen würden einem freundlichen Miteinander quer durch die Generationen und Ämter im Wege stehen. Genannt werden in diesem Zusammenhang der als unpersönlich und befremdlich empfundene Umgang von Vertretern der Landeskirchenleitung mit den Pfarrern28 und der vor allem von den damals noch in der Ausbildung stehenden Theologen geäußerte Eindruck, in ihren Anliegen nicht ernst genommen zu werden. Exemplarisch sei hier das Erlebnis von Werner Schneider, damals Theologiestudent, beim sogenannten Kontaktbesuch29 eines Referenten aus dem Landeskirchenamt in Heidelberg genannt: „Ich habe dann am Schluss versucht […] nach Studienreform und Examensreform in Bayern zu fragen, und für diese Frage wurde ich abgebürstet, das sei alles völlig irrelevant. Das war für mich eine Motivation zu sagen: Ich sehe das völlig anders. Und meine Kommilitonen sehen es auch anders. Das war ein wichtiger Anlass, einmal darüber nachzudenken, wie das eigentlich weitergehen soll, wenn ich später mal in diese Kirche gehe.“30

Ähnliches bringt auch Karl-Heinz Klose, damals ebenfalls Theologiestudent, zum Ausdruck: Es habe einen enormen Diskussionsbedarf seitens der Jüngeren bezüglich der Gegebenheiten in der bayerischen Landeskirche gegeben, der seines Erachtens nach nicht befriedigt wurde: „Man wollte Bescheid wissen. Man hat den Dekanen gegenüber nicht mehr gekuscht. Man hat zu Ordinationen Anfragen gestellt. Man war nicht mehr damit zufrieden, dass man irgendwo hingeschickt worden ist als z. A., sondern hat gefragt: Warum muss ich dahin? Oder: Können Sie mir bitte ein Gemeindeprofil anbieten? Das sind von heute aus gesehen sehr verständliche Fragen, die aber damals der gesamten Gehorsamskultur und dem Sendungsprinzip nicht entsprochen haben.“31

26

Interview Klose, 6 f. Im Sinne von „verfilzt“. Siehe Interview Weber, 5. 28 Vgl. beispielsweise Interview Blendinger, 5: „Was mich sehr gestört hat, war, dass der Landeskirchenrat damals keine Briefe geschrieben hat, sondern nur Entschließungen, […] keine Anrede, kein Gruß. Meistens [wurde] der Pfarrer in der dritten Person gehandelt […] ohne Unterschrift, ohne Gruß.“ 29 Vgl. dazu Kapitel 2.3.1, 90. 30 Interview Schneider, 6. 31 Interview Klose, 6 f. 27

280

Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

Bereits vor der Gründung bzw. dem Beitritt zu einer der drei Gruppen standen die Befragten bezüglich solcher und anderer Fragen mit Gleichgesinnten in Kontakt. Günter Kohler, damals Vikar, beschreibt die Situation kurz vor der Gründung der VBV folgendermaßen: „Von unserem Predigerseminarkurs her war klar, dass wir zu den kritischeren Leuten gehört haben, und die müssen sich irgendwie gefunden haben. Das war irgendwann so […], dass Leute wie der Rolf Hanusch und Peter Frör plötzlich merkten: Wir ziehen da an einem Strang und wir möchten in dieser Landeskirche etwas verändern. Wir leiden darunter, dass sie mit Vikaren eben so umgeht, dass die gefälligst angepasst werden sollen, und das wollen wir nicht. Und deswegen müssen wir als Interessenvertretung uns jetzt zusammenfinden und diese VBV gründen.“32

Mehr und mehr wuchs anscheinend in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre – an „eine[m] Punkt, wo es unerträglich war, in der gegebenen Weise weiterzumachen“33 – das Bedürfnis: „Wir müssen uns irgendwie zusammentun“34. Dass dieses Empfinden bei Pfarrern, Vikaren und Theologiestudenten gleichermaßen in diesem Zeitraum aufkam, führen die Befragten vor allem auf die gesamtgesellschaftliche Situation zurück: „Man hat ein Gefühl des Zusammenschlusses eben vielleicht auch im Lauf der Entwicklung der sechziger Jahre bekommen“35. Ebenso wie ein anderer Interviewpartner36 umschreibt Christian Blendinger die Stimmung dieser Jahre mit dem Begriff des „Kairos“37: „Die Zeit war reif – das ist ganz schwer zu erklären, warum. So etwas liegt so in der Luft […]. Das war ein Kairos, den man nicht gleich wieder hat.“38 Ein weiterer Beweggrund, sich einer der Gruppen anzuschließen, war schließlich für einige Interviewpartner der „Reiz der einzelnen Persönlichkeiten“39, die sich dort engagierten. Diese personenorientierte Anziehung trifft vor allem auf den AEE zu; genannt werden hier in erster Linie Hermann von Loewenich und Klaus Diegritz.

32

Interview Kohler, 4. Interview Frör, 12. 34 Interview Zademach, 4. 35 Ebd., 8. 36 Vgl. Interview Frör, 14. 37 Aus dem Griechischen im Sinne von ‚rechte Zeit, rechter Ort, günstige (Zeit-)Umstände‘ zu übersetzen. 38 Interview Blendinger, 16. 39 Interview Kohler, 14. 33

Auswertung der qualitativen Interviews

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„Jeder hat auf seinem eigenen Spielfeld gespielt“ 40: Charakterisierung und Stellenwert der Gruppe AEE-Mitglied Georg Kugler drückt den Stellenwert des AEE für den Einzelnen aus seiner Sicht folgendermaßen aus: „Es ist nicht so, dass ein AEE-Mitglied sein Stand- und auch sein Spielbein beim AEE hatte. […] Jeder hat auf seinem eigenen Spielfeld gespielt: Ich in der Gemeindeakademie, Christof Bäumler in Josefstal und Werner Schanz im Amt für Industrieund Sozialarbeit […]. Andere im Jugendwerk, Dritte in ihren Gemeinden, Vierte als Dekane mit dieser verflucht schweren Aufgabe, jetzt aus dem Dekanat auch so etwas wie eine Arbeitsgemeinschaft zu machen, die kooperiert […]. So war das, dass jeder an seinem Ort als Mitglied eines Tertiärordens – das ist schon fast wieder zuviel gesagt – sein Spiel machte.“41

Was Kugler mit seinem Bild vom Stand- und Spielbein ausdrückt, bringt die auch von anderen AEE-Engagierten empfundene Rolle des AEE auf den Punkt. Unabhängig vom Grad ihrer Mitarbeit sehen die Befragten rückblickend die Gruppe nicht als ihren Berufsmittelpunkt: Der AEE sei „ein wichtiger Strang, aber nicht der Hauptstrang“42 gewesen, er wird nicht als „Vordergrundarbeit“43 gesehen, er war ein Zusammenschluss von Leuten, die in die gleiche Richtung dachten, aber eben auch „absorbiert waren von ihren anderen Jobs“44. Hartmut Weber erinnert sich: „Wir hatten das Gefühl, wir denken weithin das Gleiche […], wir haben relativ ähnliche Ziele, wir wissen auch, was wir nicht wollen, aber damit hat es sich auch ein Stück weit gehabt. Und das haben dann natürlich die verschiedenen Leute in ihren Einzelfunktionen […] umgesetzt.“45 Gesinnungsgemeinschaft, Freundschaft und Solidarität – diese Begriffe fallen immer wieder in den Interviews46. Werner Schanz führt aus: „Für mich war das ein sehr befreiendes Erlebnis, jetzt nicht mehr als Werner Schanz dazustehen, der etwas will, sondern zu wissen, dass da eine Reihe von Leuten das mitträgt. Das gab schon eine große Sicherheit […], weil wir uns zunächst immer als Ein-

40

Interview Kugler, 13. Ebd. 42 Interview Blendinger, 4. 43 Interview Foitzik, 15. 44 Interview Weber, 11. 45 Ebd. 46 Vgl. z. B. Interview Rotenhan, 10: „Da bilden sich persönliche Freundschaften, wo man jetzt ohne und mit AEE auch miteinander reden kann über das, wie man eigentlich möchte, dass diese Welt gestaltet wird. Ich denke, dieser Freundeskreis damals, der da entstanden ist, der war ganz wichtig.“ 41

282

Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

zelkämpfer gefühlt hatten und jetzt einen Raum hatten, wo man offen reflektieren konnte, auch die eigene Rolle.“47

Der hohe Stellenwert, den die Befragten dem emotionalen Moment des AEE einräumten, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie den AEE auch als couragierte Reformgruppe verstanden – eine „Aktionsgemeinschaft“, eine „Kampftruppe“48 gar, deren Ziel es vorrangig war, mehr Demokratie in der Kirche durchzusetzen und sich „gegen eine engstirnige Kirchenpolitik“49 zu wenden. Dass dabei auch neue, innerkirchlich aufsehenerregende Wege gewählt wurden, empfanden die Befragten als eine wohltuende „Frechheit“, die Eleonore von Rotenhan folgendermaßen beschreibt: „Es war insgesamt […] eine aufregende Geschichte, weil das für uns alle das erste Mal war, dass sich so eine aufmüpfige Bande von Männern und Frauen zusammentat und gesagt hat: So soll es nicht weitergehen.“50 Trotz der übereinstimmenden Einschätzung, dass die AEE-Mitglieder in keinster Weise mit „den Berliner Studenten“ zu vergleichen seien, wird wiederholt der Bezug des AEE zu Inhalten der 68er-Bewegung erwähnt51. Was den LabeT betrifft, so wurde dieser von Gründungsmitgliedern vor allem im Kontext der Studentenbewegung gesehen. Werner Schneider: „Der LabeT gehörte zu den vielen einzelnen Studentenorganisationen, bei denen das allgemeine Gefühl war: Wir müssen etwas bewegen in dieser Gesellschaft und wir können es auch. […] Und wir haben Kirche als einen Teil unserer Gesellschaft erlebt und auch bewusst so wahrgenommen und haben gesagt: Wenn sich da etwas rührt, kann sich auch woanders etwas rühren.“52

Karl-Heinz Klose, ebenfalls ein Vertreter der ersten LabeT-Generation, sieht die Gründung einer studentischen Interessenvertretung bereits als ersten Schritt zu einer Reform: 47 Interview Schanz, 10. Vgl. dazu auch Interview Helbig, 13: „Ich wusste den AEE hinter mir“ sowie, gerade vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzungen in Nördlingen, seine Beschreibung des AEE als „eine Reformgruppe, die mir zunächst einmal ganz emotional Rückhalt gibt in meinen Auseinandersetzungen“ (ebd., 14). 48 Interview Blendinger, 11: „Der AEE war in sich eine gewisse Kampftruppe. […] Und da muss man nicht endlos diskutieren, da tut man, was dran ist.“ 49 Interview Foitzik, 3. 50 Interview Rotenhan, 4 f. 51 Vgl. Interview Helbig, 10: Helbig bezeichnet den AEE als „eine Reformgruppe, die das, was bei den Studenten aufgebrochen ist, in die Kirche hinüber übersetzen will: an Demokratisierung, an Ehrlichkeit, zurück zum historischen Jesus, und alle diese Thesen, die damals im Raum waren.“ 52 Interview Schneider, 14.

Auswertung der qualitativen Interviews

283

„Das ist eine andere Kultur, die wir gebracht haben […]. Es war einerseits ein deutliches Gewicht des LabeT auf Interessenvertretung, es war aber andererseits durchaus auch ein Wunschtraum, besser wahrscheinlich: eine Vision, ein neuer Blickwinkel einer Kirche von morgen. […] Ich glaube in der Tat, dass über diese Implantierung von Interessenvertretung eine andere Kultur und damit natürlich auch eine Reform stattfinden. Es ist ein Implantieren anderer Denkwege, die durch Personen, durch Leib, durch Präsenz, durch Jugend abgedeckt wird“53.

Ebenso wie die AEE-Mitglieder betonen auch die ehemaligen LabeT-Mitglieder als eine wesentliche Funktion ihrer Gruppe rückblickend deren soziale Integrationsleistung: Sie vermittelte ihnen Kontakte zu anderen bayerischen Studierenden, half ihnen angesichts sich trennender Studienwege, die Verbindung zu den Studienfreunden weiter aufrecht zu halten und dadurch letztendlich eine zum Teil bis heute währende Bindung zu den späteren Kollegen aufzubauen. Für Johannes Friedrich beispielsweise hat sein Engagement im LabeT „letztlich zu einer Verbundenheit mit der bayerischen Kirche, mit der bayerischen Pfarrerschaft“54 geführt. Auch die VBV erfüllte für ihre Mitglieder diesen Zweck des Erhalts bzw. Knüpfens von Freundschaften55, wenn auch dieser Aspekt nicht so stark betont wird wie etwa beim AEE. Was zudem immer wieder hervorgehoben wird, ist die Bedeutung der VBV als eines Diskussionsforums. Peter Frör: „Wo kann man angesichts dessen, was wir erleben, was wir zu tun haben, wozu wir herausgefordert sind, was unsere theologischen Fragestellungen sind, was […] die Herausforderungen der Praxis [sind, miteinander reden]? Wo findet man Gleichgesinnte, wo ist ein Austausch-Ort, um das loszuwerden und zu artikulieren, was uns beschäftigt hat?“56

Dennoch wollte man sich nicht mit dem Austausch begnügen, es sei durchaus eine „kirchenreformerische Initiative [gewesen], […] eine innerkirchliche reformerische Tätigkeit an den Themen, auf die wir gestoßen sind“57. Die damals Aktiven meinen heute, dass ihre damaligen Ziele berufständische Interessen weit überschritten hätten; es sei ihnen um die Kirche als Ganzes gegangen. Günter Kohler: „[Wir waren eine] Interessenvertretung vor allem mit dem Ziel, an dieser Landeskirche etwas zu ändern – also, nicht nur die Bedingungen für Vikare zu verbessern, sondern schon deutlich mit dem Ziel, eine 53

Interview Klose, 19 f. Interview Friedrich, 9. 55 Vgl. z. B. Interview Frör, 12: „Es war dann auch ja viel Kollegenschaft, es war dann auch viel Freundschaft, die da daraus entstanden ist.“ 56 Ebd., 12. 57 Ebd., 10. 54

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Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

Landeskirche zu verändern, die so mit Vikaren umgeht.“58 Man habe durchaus politisch sein wollen, man habe anstoßen wollen, dass sich die Kirche stärker politisch engagiert und etwa auch Stellung bezieht gegenüber der bayerischen Staatsregierung. „Das waren keine Revoluzzer“ 59: Politische und theologische Verortung der Mitglieder Eleonore von Rotenhan gibt mit ihrer Aussage, die AEE-Mitglieder seien „keine Revoluzzer“ gewesen, eine von den anderen Zeitzeugen geteilte Einschätzung der Gruppe wieder: Es handelte sich demzufolge um „relativ brave Leute“60, eine gemäßigte „linksliberale Gruppe“61, mehr der SPD und der FDP als der CSU zugetan, aber „auf gar keinen Fall DKP-Leute“62. Es waren Reformer, keine Revolutionäre – letzterer Begriff wird von damals im AEE Engagierten eher abschätzig verwendet. Hartmut Weber: „Ich habe ihn [den AEE] nie als linke Gruppierung erlebt, in der Synode hat er sich ja sinnvollerweise den Namen ‚Offene Kirche‘ gegeben. Die Rechten, die Bekenntnistreuen haben zwar dann immer gesagt: ‚Die Linken haben die Macht ergriffen‘, aber […] was in Bayern als links gilt, ist anderswo bestenfalls die Mitte.“63 Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im AEE auch eine – wenn auch allem Anschein nach sehr kleine – Zahl von Mitgliedern gab, die sich nicht nur im genannten „bayerischen Sinn“ als links verstanden haben. Einer von ihnen war Wieland Zademach, der auch von mehreren anderen Befragten diesbezüglich in den Interviews als herausragendes Beispiel angeführt wird.64 Zademach beschreibt als die für sein damaliges Engagement „durchgehende Linie […] immer die Auseinandersetzung oder die Versöhnung mit Kirche und Gesellschaft. Und das hermeneutische Raster dafür war für mich ein kritischer Marxismus.“65 Die Mehrheit der AEEler verfolgte den Interviews zufolge allerdings eher einen grundsätzlich demokratischen Ansatz. Uwe Lang

58

Interview Kohler, 4 f. Interview Rotenhan, 11. 60 Interview Koch, 8. 61 Interview Lang, 10. 62 Interview Helbig, 17. 63 Interview Weber, 6. 64 So erwähnt zum Beispiel Werner Schanz die Diskussionen über Christentum und Marxismus, die er als „Prager Themen“ bezeichnet, um daran die Bemerkung anzuschließen: „Aber auch innerhalb von Bayern gab es Zademach […] und dann auch andere, die sich da intensiv auskannten. Und das waren oft sehr leidenschaftliche Diskussionen, und zwar nicht bloß eine Übernahme von Marx, sondern schon auch kritische Auseinandersetzungen“ (Interview Schanz, 4). 65 Interview Zademach, 26. 59

Auswertung der qualitativen Interviews

285

fasst zusammen: „Letztlich lief es immer darauf hinaus: Mehr Demokratie in der Kirche.“66 Was theologische Konzepte und Vorbilder betrifft, scheint die Bandbreite unter den AEE-Mitgliedern groß gewesen zu sein: Vertreter dezidiert kulturprotestantischer Ansätze waren demnach ebenso dabei wie Pietisten67. Trotz der verschiedenen Einstellungen lassen sich anhand der Interviews auch einige Gemeinsamkeiten und Schwerpunkte ausmachen: So wird wiederholt von Vertretern der damals mittleren Generation im AEE der Einfluss der Werke Dietrich Bonhoeffers erwähnt. Für damals jüngere AEE-Mitgliede waren offensichtlich theologische Ansätze, die dem interdisziplinären Diskurs gewidmet waren, besonders interessant. Was die VBV betrifft, so scheinen sich hier, zumindest in der Gründergeneration, deutlicher politische und theologische Gemeinsamkeiten der Engagierten ausmachen zu lassen als beim AEE. So vermutet Günter Kohler, „dass wir im Grunde genommen von Anfang an so das radikalere oder linkere Segment der Vikare vertreten haben, und es gab zweifellos Leute, die ganz anders gearbeitet, gedacht haben und die von vornherein an uns nicht interessiert waren“68. In der Anfangszeit habe die VBV durchaus politisch – dabei zum Teil auch mit marxistischen Anklängen69 – sein wollen, insofern, als „wir uns eine Kirche vorgestellt haben, die Stellung bezieht, die nicht aus irgendeiner Taktik gegenüber der bayerischen Staatsregierung heraus ihren Mund hält und sich nicht zu reden traut.“70 Der Selbsteinschätzung seiner ehemaligen Mitglieder zufolge scheint bei der Gründung des LabeT eine übereinstimmende politische oder theologische Einstellung kaum relevant gewesen zu sein71. Entscheidender war offensichtlich, so die Erinnerung von Karl-Heinz Klose, „das Moment oder die Energie […] des Geschwisterlichen. […] Wir sind verbunden, wir sind vernetzt, 66

Interview Lang, 10. So erinnert sich Eleonore von Rotenhan: „Wir hatten […] im AEE Leute, wo man sagen würde: Das sind eigentlich Pietisten mit einem ganz bestimmten, intensiven Glaubensleben, die aber aus dem Pietismus heraus gesagt haben: Kirche muss staatskritischer werden“ (Interview Rotenhan, 11). 68 Interview Kohler, 8. 69 Interview Lang, 10. 70 Interview Kohler, 9. 71 Diese Einschätzung gibt auch Johannes Friedrich wieder, wenn er sagt (Interview Friedrich, 14): „In diesen drei Gruppierungen haben sich ja potentiell die Kritischen gesammelt. Im AEE ganz klar, in der VBV auch. Im LabeT vielleicht nicht nur: […] [Er] sollte die umfassende Versammlung aller Studierenden sein. Also, [der LabeT] hat sich jetzt nicht von vornherein als die linke Reformgruppe verstanden, jedenfalls in der Zeit, in der ich da drin war. Wir wollten schon, dass möglichst alle da drin sein können.“ 67

286

Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

wir handeln doch in ein und demselben Auftrag und betreiben ein und dieselbe Sache – dieses Gefühl war meiner Meinung nach dominanter als: Wir denken politisch gleich.“72 Werner Schneider antwortete auf die Frage, ob er die Mitglieder des LabeT theologisch oder politisch auf einen Punkt bringen könne: „Nein, überhaupt nicht. Das war auch nicht Ziel der Sache, eine eigene Dogmatik zu entwerfen oder einen Konsens herzustellen. Das war nur als Forum gedacht, wo man sich kennen lernen kann, wo man auch lernen kann, miteinander zu streiten an dem einen oder anderen Punkt, wo man sich auseinandersetzt, sich gegenseitig informiert.“73

Als Gemeinsamkeit empfand man, ein offenes Miteinander in der Kirche und von Seiten der Kirche mit der Gesellschaft haben zu wollen, fernab hierarchischer Strukturen. Als kleinsten gemeinsamen Nenner, so Karl-Heinz Klose, könne man daher am ehesten angeben, dass der „überwiegende Teil einfach die gesellschaftspolitische Dimension von Kirche und Theologie betont hat.“74 Ehemalige LabeT-Vertreter, die ab Mitte der 1970er Jahre in dem Konvent aktiv waren, empfanden allerdings die Gründer des LabeT in Relation zur eigenen Einstellung als dezidiert links75. „Da muss man nicht endlos diskutieren, da tut man, was dran ist“ 76: Sicht auf die Binnenstrukturen der Gruppen und die eigene Mitarbeit Auch in den Erinnerungen der damaligen Mitglieder spiegeln sich die jeweiligen Mischformen von AEE, VBV und LabeT aus Organisation und Reformgruppe bzw. Netzwerk77 wieder – je nachdem, in welcher Weise sie sich in der Gruppe engagierten bzw. deren Strukturen nutzten. Dies wird besonders beim AEE deutlich. Hier zählt etwa Dieter Helbig zu denjenigen, die vor allem die organisatorischen Strukturen des Arbeitskreises übernahmen. Helbig charakterisiert daher den Kreis als „einen Zusammenschluss von reformwilligen Pfarrern und Laien, der sich um einen Führungskern Herrmanns, Schanz, Loewenich, Rotenhan und so ein paar anderen noch geschart hat in dem Vertrauen, dass die die Themen vorgeben, aber uns immer

72

Interview Klose, 10. Interview Schneider, 6. 74 Interview Klose, 10. 75 Vgl. hier Interview Küstenmacher, 12: „Die Gründer waren eher polarisierend, das waren […] Linke.“ 76 Interview Blendinger, 10 f. 77 Vgl. dazu Kapitel 2.1.4, 62–67; Kapitel 2.2.4, 86–88; Kapitel 2.3.4, 107 f. 73

Auswertung der qualitativen Interviews

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wieder [auf dem Laufenden halten und motivieren]“78. Hier wird die herausgehobene Funktion des Leitenden Teams für die anderen Mitglieder deutlich, das, wie in anderen Interviews auch, sofort namentlich benannt wird. Darin zeigt sich auch, dass für viele der AEE in hohem Maße von den führenden Personen geprägt wurde, unter denen zweifelsohne Hermann von Loewenich die Hauptrolle spielte: Er wird rückblickend als „ein entscheidender Faktor“79 beschrieben, als der „Kopf des AEE“80, den man in dieser Position „akzeptiert [hat], weil er eine vernünftige Linie vorgab“81. Von Loewenich stand für viele – wenn auch nicht immer gleichermaßen begrüßt – sinnbildlich für das eher gemäßigte Wesen des AEE. Eleonore von Rotenhan: „Manche hätten ihn sich […] radikaler gedacht als er war. Aber ich denke, dass der AEE dann in den siebziger Jahren so vorwärts marschiert ist, das haben wir schon ihm und seinen taktischen Fähigkeiten zu verdanken, denn wenn der AEE nur irgendeine linke Revoluzzerbewegung geblieben wäre, wäre er untergegangen. Mit Hermann von Loewenich war da jemand, der taktisch gedacht hat, der auch Personalpolitik betrieben hat.“82

Georg Kugler ist zu denjenigen zu rechnen, die den AEE weniger als dauerhafte strukturierte Organisation denn als Gruppenverband, als Netzwerk, das sich in Stoßzeiten immer wieder verdichtete, empfand83. Er prägte das bereits genannte Bild des AEE vom Tertiärorden: Seine Mitglieder machten an ihrem Ort „ihr Spiel“, wussten sich aber im Arbeitskreis aufgefangen. War für Kugler und andere vor allem das Gefühl einer Solidargemeinschaft in Denken und Handeln entscheidend, so gab es auch diejenigen AEEler, die ihre Mitgliedschaft vor allem über ihre kontinuierliche Mitarbeit in den kleinen Regionalgruppen definiert sahen und für die die personalen Bezüge, der Kontakt untereinander, der Gruppencharakter der Vereinigung entscheidend waren. Hier sei exemplarisch Uwe Lang genannt, der sich in der Regionalgruppe Bayreuth engagierte und diese als „sehr aktiv“ beschreibt: „Wir haben uns regelmäßig getroffen einmal im Monat und uns zu allen aktuellen kirchlichen und politischen Themen auseinandergesetzt.“84 Dass sich der AEE gerade in der Anfangszeit als eine Gruppe des Handelns verstand und wenig Wert auf gemeinsame Reflexion legte, wurde von 78 79 80 81 82 83 84

Interview Helbig, 15. Interview Blendinger, 6. Interview Kugler, 18. Interview Blendinger, 11. Interview Rotenhan, 6. Vgl. Interview Kugler, 13. Interview Lang, 11.

288

Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

einem Teil der Mitglieder begrüßt, von anderen eher skeptisch gesehen. Christian Blendinger resümiert: „Der AEE war in sich eine gewisse Kampftruppe […]. Und da musste man nicht endlos diskutieren, da tut man, was dran ist.“85 Dass sich dabei Laien wie Theologen gleichermaßen einbringen konnten, blieb jedoch eher ein Wunschtraum der Gründer. Für Eleonore von Rotenhan, selbst eine der sogenannten „Laien“ in der Gruppe, lag der Grund für den Rückzug der Nichttheologen in den verschiedenen Arbeitsrhythmen: Die „Berufswirklichkeit von Theologen und Laien [passt] eben häufig nicht zusammen“86. Werner Schneider mutmaßt, es sei vielleicht auch ein Problem, dass „die Theologen so gut reden können. Viele Laien, die diesen Aufbruch mitgetragen haben, waren plötzlich wieder weg, und das fand ich sehr schade.“87 Was die Erinnerungen von ehemaligen VBV- und LabeT-Mitgliedern an die Strukturen ihrer Vereinigungen betrifft, fällt zunächst im Vergleich zum AEE auf, dass keine herausragenden Führungspersonen benannt werden. Die Mitgliedschaft war kürzer, die Führungsrollen rotierten schneller als beim AEE. Werner Schneider, einer der Gründerväter des LabeT: „Wer den Finger gehoben hat und gesagt hat: Ja, ich bereite die nächste Sitzung vor, der war offenbar schon zur Führungspersönlichkeit geboren.“88 Während offensichtlich in den Anfangsjahren vor allem eine bestimmte Gruppe gesellschaftsund kirchenpolitisch interessierter Studenten, um im Bild Schneiders zu bleiben, „den Finger hoben“ und damit der Interessenvertretung LabeT de facto das Gesicht einer Reformgruppe gaben, änderte sich dies ab Mitte der siebziger Jahre: Vorrangiges Ziel scheint nun gewesen zu sein, dass sich eine breite Masse der Studierenden mit dem LabeT identifizieren konnte; man einigte sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Zugehörigkeit zur gleichen Landeskirche und wollte mit dem Selbstverständnis, „eine Art Stammtisch“89 für alle zu sein, einen Imagewandel herbeiführen. Werner Küstenmacher: „In den LabeT gingen [vorher] so die linken Revoluzzer. Und wir haben das so ein bisschen bayerisch-gemütlich aufgedehnt und haben gesagt: Komm, wir treffen uns einfach, wir Bayern.“90 Andererseits kristallisierten sich in dieser Zeit durch die hohe Bedeutung, die das professionalisierte Info-LabeT gewann, weitaus deutlicher als in den Jahren zuvor mit Andreas Ebert und Werner

85 86 87 88 89 90

Interview Blendinger, 11. Interview Rotenhan, 7. Interview Schneider, 12. Ebd., 8. Interview Küstenmacher, 3. Ebd., 5.

Auswertung der qualitativen Interviews

289

Küstenmacher Führungspersonen im LabeT heraus. Als kontinuierliche Redakteure des Info-LabeT gaben sie dem Konvent eine inhaltliche wie formale Linie vor, die zuvor in diesem Maße nicht vorhanden gewesen war. Werner Küstenmacher rückblickend über das Info-Heft: „Da stand drin, wie die Sache läuft.“91 Die VBV unterschied sich vom LabeT dadurch, dass ihre Mitglieder nicht über ganz Deutschland, sondern nur über den bayerischen Raum verteilt waren. Bezüglich der Strukturen der VBV lassen sich in den Interviews vor allem folgende Merkmale ausmachen: Zunächst gab es jeweils einen festen Kern, zumeist ein schon bestehender Freundeskreis, der das Ständige Team bildete; dort wurde „sozusagen die Logistik und die Organisation und die Tätigkeit organisiert. […]. Wir haben besprochen: Was machen wir jetzt wieder mit so einer Antwort vom Landeskirchenrat? […] Oder: Wie kriegen wir die Nordbayern dazu, eine Arbeitsgruppe zu dem und dem Thema [zu machen] – solche Themen waren es eigentlich. Also mehr schon in die innere Struktur gerichtet“92.

Das Ständige Team, so drückt es Günter Kohler aus, fühlte sich gegenüber den Mitgliedern „in der Verantwortung […], für die Leute jetzt auch was zu tun und was vorzulegen […] Das waren beinahe so ein bisschen konspirative Treffen.“93 Über die Grundrichtung, die das Ständige Team der VBV mitgab, schienen Diskussionen schnell abzuebben. Uwe Lang: „Es wurde nicht so richtig gekämpft, dass man sich da um Posten gerissen hat, da diejenigen, die anderer Meinung waren […], die haben einfach dann nicht mehr mitgemacht und haben gesagt: Macht doch, was ihr wollt.“94 Was das Maß der Beteiligung ihrer einzelnen Mitglieder betraf, scheint bei der VBV die Schere noch weiter auseinandergegangen zu sein als bei AEE und LabeT: Die Arbeit in den Regionalgruppen war offensichtlich nur in der Anfangszeit der Gruppe für viele attraktiv und ein Bindeglied zwischen Basis und Ständigem Team. Später gab es anscheinend zunehmend die zwei Möglichkeiten: Entweder man engagierte sich im Ständigen Team oder man nahm die Arbeit der VBV nur noch beiläufig auf einer der Tagungen, sprich: Mitgliederversammlungen, wahr. Einen Grund für die zunehmend als gering empfundene Akzeptanz der VBV lag nach Ansicht der Interviewpartner in ihrer der Ausbildung entgegenlaufenden Struktur begründet: Durch die 91 92 93 94

Ebd., 11. Interview Frör, 9 f. Interview Kohler, 7. Interview Lang, 7.

290

Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

Kurse in den Predigerseminaren fanden die Vikarinnen und Vikare in erster Linie in diesen Gruppen ihre Ansprech- und Diskussionspartner; die kursübergreifend konzipierte Interessenvertretung VBV widersprach in gewisser Weise der auf einem starken Gruppenzusammenhalt basierenden Ausbildungsstruktur95. „Ein bisschen mehr Offenheit und Demokratie in die Kirche mit hineintragen“ 96: Gemeinsame Vorstellungen von Kirchenreform bei den Mitgliedern der drei Gruppen Über die Gruppengrenzen hinweg herrscht eine bemerkenswerte Einigkeit der Interviewpartner darüber, welche Themen sie durch ihre Mitarbeit in der Reformgruppe propagieren und welche Ziele sie verfolgen wollten. Die Antworten lassen sich, ebenso wie bei der Auswertung der schriftlichen Dokumente geschehen, subsumieren unter den Schlagworten Demokratisierung und Einsatz der Kirche für die Welt. Demokratisierung Hans-Gerhard Koch fasst die verschiedenen Themen und Ziele des AEE mit der Bemerkung zusammen, es sei „innerkirchlich die Frage nach einer Demokratisierung der Kirche auf allen Ebenen“97 gewesen. Wie die anderen Interviews zeigen, teilten diese Empfindung die Befragten aller drei Gruppen, auch wenn sie das Anliegen der Demokratisierung verschieden konkretisierten und mit unterschiedlichen Mitteln zu erreichen suchten. So wird immer wieder als ein wesentliches Thema der Wunsch nach der Durchschaubarkeit der kirchlichen Entscheidungswege angegeben; Ziel war in der Erinnerung der Interviewpartner eine transparente Kirche, in der die Machtverhältnisse offen gelegt würden. Günter Kohler formuliert als Wunsch der damaligen Vikare, „dass nicht eine führende Schicht von Pfarrern grundsätzlich bestimmt, wo es langgeht – Pfarrer, denen wir außerdem nicht so abgenommen haben, wenn sie vom Dienen redeten, dass sie wirklich dienen wollten, sondern bei denen wir den Eindruck hatten: Die üben Macht aus, aber diese Macht ist unkontrolliert, darüber wird nicht offen gesprochen. […] Wir wollten eine Landeskirche haben, die offen ist, deren Leitung auch offen ist für Gemeindeglieder, nicht bloß pfarrerdominiert. Eine Landeskirche, in der die Strukturen einigermaßen durchsichtig sind […].“98 95 96 97 98

Vgl. Interview Klose, 18 f. Interview Lang, 5. Interview Koch, 8. Interview Kohler, 5.

Auswertung der qualitativen Interviews

291

AEE-Mitglieder betonen, dass sich ihr Wunsch und Streben nach einer Offenlegung von Machtstrukturen am augenscheinlichsten und im wortwörtlichen Sinne in der Gründung der synodalen Arbeitsgruppe „Offene Kirche“ geäußert habe. Hartmut Weber merkt dazu an, dass es seiner Ansicht nach zuvor durchaus Fraktionen in der Synode gegeben habe, die nur nicht als solche offenkundig gewesen wären: „Ich denke, der AEE hat hier mit offeneren Karten gespielt als die anderen.“99 Was die Synode angeht, wollte man zudem deren Kompetenzen stärken100 bzw. synodale Strukturen innerhalb des kirchlichen Systems insgesamt stärken101. Ein weiterer, im Zusammenhang mit dem Stichwort Demokratisierung von den Zeitzeugen genannter Aspekt betrifft den von ihnen damals als unpersönlich empfundenen Umgang der Landeskirchenleitung mit den (zukünftigen) Pfarrern. Die Zeitzeugen erinnern sich, dass sie die Kommunikationsstrukturen ändern wollten hin zu einem partnerschaftlicheren Miteinander, bei dem die jeweilige Stellung, die der einzelne Theologe in der landeskirchlichen Struktur innehatte, nicht mehr diese ihrer Ansicht nach damals zu hohe Bedeutung haben sollte. Gerade die Befragten, die damals noch in der Ausbildung standen, wollten Gespräche auf gleicher Augenhöhe über ihre Anliegen und ihre Situation, sie hingen an der Vision, „dass das Argument eines Vikars zur Ordination genauso wichtig ist wie das Argument eines gestandenen Bischofs. […] Die Idee hatten wir, dass, wenn man sich miteinander zusammentut, dann wird das Ganze besser, als wenn der eine kuschen muss und der andere sich durchsetzt.“102 Rückblickend sehen sich die damals in VBV und LabeT Engagierten in diesem Anliegen vom gesellschaftlichen Aufbruch getragen; ihre Ziele seien als kirchliche Parallele zu den Forderungen der Studenten nach Enthierarchisierung der Ordinarienuniversität und nach mehr Mitspracherecht zu sehen103. Der Wunsch, als Gesprächspartner ernstgenommen zu werden, ging so weit, 99

Interview Weber, 16. Vgl. etwa Eleonore von Rotenhan über die gestiegene Bedeutung der Besetzung der Synode und die Entdeckung der Synode als Entscheidungsinstrument (Interview Rotenhan, 13): „Die Umgestaltung der Synode war ganz wichtig. [Es war entscheidend] zu sagen: Die und die müssen jetzt in die Synode rein, sonst kraucht die Synode weiterhin so langsam und langweilig durch die Gegend.“ 101 Vgl. Interview Weber, 5, der als ein Ziel des AEE „mehr Demokratie intern, mehr synodale Systeme auch auf allen anderen Ebenen“ nennt. 102 Interview Frör, 8. 103 Vgl. Interview Friedrich, 7: „Ich denke, ohne diese Erfahrung der 68er hätten wir wenig Interesse gehabt, einen LabeT zu gründen überhaupt. Das war so das allgemeine Gefühl: Wir können auch etwas beitragen, und es ist von der Sache her sinnvoll, mit uns zu reden und dass wir unsere Stimme erheben. Das war von dem 68er-Gefühl her geprägt, ganz klar.“ 100

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Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

dass das Kämpfen für inhaltliche Themen mitunter in erster Linie dem Zweck diente, die Kommunikationsstrukturen zu verbessern. Die Erinnerungen der Zeitzeugen bestätigen hier den Eindruck, den das schriftliche Quellenmaterial nahelegte: So beurteilt Peter Frör sein Eintreten für eine veränderte Ordinationspraxis hauptsächlich als einen „Versuch, sich zu emanzipieren, einen anderen Ton reinzubringen. Aber es war das falsche Instrument, das an der Ordination aufzuhängen, was wir eigentlich wollten.“104 Was den Vikaren die Frage um die Ordination war, bedeutete den Zeitzeugen, die sich in den Anfangsjahren im LabeT engagierten, im Blick auf demokratischere Strukturen vor allem die Debatte um den Verlöbnisparagraphen, der als Bevormundung der jungen Theologen durch die ältere Generation empfunden wurde105. Aber auch in dem inhaltlichen Ziel, diesen Paragraphen abzuschaffen, sehen die Zeitzeugen heute vor allem das Bemühen um eine gleichberechtigte Gesprächsstruktur106, das Streben danach, „dass sich Studenten im Feld der Landeskirche […] ein bisschen aufrechter bewegt haben“107. Gerade in diesem Bestreben sei man von der gesamtgesellschaftlichen Stimmung getragen worden: Viele von ihnen hatten sich vor und während des Bestehens des LabeT in der Hochschulpolitik mit ähnlichen Anliegen beschäftigt und übertrugen nun die dort angelegten Maßstäbe und Forderungen nach durchgehender Demokratisierung auf das System Landeskirche. Vor diesem Hintergrund beurteilt LabeT-Mitglied Werner Schneider die Anliegen seiner Gruppe rückblickend folgendermaßen: „Es ging im Grunde um genau dieselben Reformvorhaben wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Es ging […] um Demokratisierung. […] Wir hatten ja damals immer das Schlagwort gehabt: Wir haben zwar eine Demokratie, aber keine Demokraten. […] Wir waren ja so die erste Generation, die mit vollem Bewusstsein in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen ist, und wir sahen […] sehr viel Nachholbedarf in allen Institutionen, dass nun wirklich auch demokratische Verhaltensformen stattfinden. Und da waren unsere Abteilungen Hochschule und Kirche.“108

Zu den Punkten, die sich unter dem großen Stichwort Demokratisierung zusammenfassen lassen, zählt schließlich das immer wieder in den Interviews 104

Interview Frör, 5. Interview Koch, 3 f.: „Wir haben gesagt: Was geht das die alten Herrn da in München etwas an, wen ich heiraten will?“ 106 Vgl. dazu auch die Beispiele „Der LabeT und die ‚Pfarrbrautfrage‘“, 153–167, sowie „Die VBV und die ‚Ordinationsverweigerung‘“,167–191. 107 Interview Klose, 14. 108 Interview Schneider, 4. 105

Auswertung der qualitativen Interviews

293

genannte Thema des veränderten Pfarrerbildes bzw. des neuen Amtsverständnisses. Die Frauenordination wird hier als entscheidendes, gruppen- und generationenübergreifendes Thema dieser Jahre genannt, ihre Einführung im Jahr 1975 / 76 kennzeichnet für viele ein vorläufiges Ende der innerbayerischen Reformbewegung109. Schon für die Teilnahme der verschiedenen Gruppen an der KRIBS war die Auseinandersetzung um den Zugang der Frauen zum kirchlichen Amt offensichtlich entscheidend gewesen110. Obwohl in der Frage der Frauenordination das Engagement des AEE maßgeblich war111, sahen auch die Vertreter der Nachwuchs-Gruppen rückblickend hier eine wesentliche Motivation für ihr Engagement. So bezeichnet Werner Schneider schon für die Gründungsphase des LabeT als besonders relevant die „Theologinnenfrage, das heißt: Was wird mit unseren Mitstudentinnen – werden die nun ordiniert oder nicht?“112 Ebenso sahen Zeitzeugen auch in der VBV einen Schwerpunkt auf der Geschlechterfrage liegen; für die Solidarität von Mann und Frau einzutreten, war für sie selbstverständliches Thema113. Neben der Frage der Zulassung der Frau zum Pfarrdienst sind in der Erinnerung der Zeitzeugen noch andere Fragen in Zusammenhang mit dem Amtsverständnis wesentlich. Das vorherrschende Pfarrerbild, so Uwe Lang für die Vikare, wurde „von sehr vielen sehr kritisch gesehen. Die Vikare haben sich damals eigentlich mehr gewünscht, den Pfarrer als Lebensberater zu sehen, während von Seiten der etablierten Kirche damals doch sehr stark das Amt betont wurde. Und dieses Amtsverständnis hat immer wieder zu Kollisionen geführt. Auch das Amtsverständnis der Dekane und Oberkirchenräte. Man hat ja damals auch viele solcher übergeordneten Strukturen in Frage gestellt.“114

Nichttheologen sollten in pfarramtliche Tätigkeiten eingebunden werden. Die Erprobung des Teampfarramtes war für viele, gerade im AEE, aber auch schon im LabeT und in der VBV, ein wichtiges Anliegen. Außerdem ging es um eine Aufwertung der Arbeit der theologischen „Laien“, um eine verstärkte Zu-

109 Vgl. etwa die Aussage Karl Foitziks über spätere Jahre des AEE: „Ich denke, es fehlten […] so zündende Themen wie es eben damals zwei, drei Themen gewesen sind. Das herausragende Beispiel war die Frauenordination. Das war [etwas], wo sich auch Opposition artikuliert hat“ (Interview Foitzik, 16). 110 Vgl. z. B. Interview Friedrich, 4, bezüglich der Teilnahme an der KRIBS: „Wir waren von der Fachschaft ja vor allem hingegangen wegen des Themas Frauenordination.“ 111 Vgl. das Beispiel „Das Engagement des AEE für die Frauenordination“,192–207. 112 Interview Schneider, 3. 113 Vgl. etwa Interview Lang, 6. 114 Ebd.

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Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

sammenarbeit mit Fachleuten anderer Richtungen und damit auch um eine Öffnung der Kirche für außertheologische Kompetenzen. Zudem war ein großes Ziel, so Hans-Gerhard Koch stellvertretend für die Verfechter einer Gottesdienstreform dieser Jahre, dass man „Leuten einen Zugang zur Kirche ermöglicht hat, die bislang einfach von den Formen her keinen Zugang hatten. Das war wichtig, gerade für Intellektuelle und für Leute, die […] aus ihrem sozialen Milieu kamen.“115 Ihr Ziel, die kirchlichen Strukturen demokratischer und offener zu machen, begründen einige Gesprächspartner außer mit der Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel auch theologisch im Rückgriff auf biblische Zeugnisse116: „Aus dem Evangelium kommt meiner Ansicht nach eine demokratisch organisierte Kirche und nicht eine von oben nach unten organisierte.“117 Viele der Befragten greifen in ihrem Plädoyer für eine offene Kirche auf das Neue Testament zurück: Man habe, erinnert sich Dieter Helbig, der Kirche ein Gesicht geben wollen, das sich „näher am Evangelium der Bergpredigt […] orientiert und weniger an der Christologie des Paulus“118. Die Besinnung auf das Evangelium als alleiniger Motor kirchlicher Arbeit wurde stark gemacht119, man wollte mit dem Rückgriff auf die Botschaft Jesu wieder eine offenere Kirche, im Sinne Dietrich Bonhoeffers eine „Kirche für andere“ begründen. Die Bekenntnisschriften spielten bei den Argumentationen der Zeitzeugen kaum eine Rolle; sie gingen vornehmlich zurück an die biblischen Quellen. Es war, so Günter Kohler, ein „Impetus, dass wir unsere Bibel lesen und dass wir daraus jetzt auch die Konsequenzen ziehen […], dass Kirche her geht und in der Öffentlichkeit auftritt und sich auf die Seite der Armen, auf die Seite der rassistisch Unterdrückten stellt“120. Einsatz der Kirche für die Welt Immer wieder werden in den Interviews als Anliegen ein stärker gesellschaftspolitisches Engagement der Kirche und ihre Öffnung hin zur Welt genannt. Die Aussagen, die diesen Punkten zuzuordnen sind, lassen sich unter den Stich115

Interview Koch, 15. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass, gerade was die theologische Reflexion betraf, nicht alle Mitglieder mit dem Verhalten ihrer Gruppe einverstanden waren. So sagte etwa Christian Blendinger, dass der AEE „ein Versuch [war], manches zu öffnen, aber die theologische Reflexion hat ihm von Anfang an gemangelt.“ (Interview Blendinger, 7) 117 Interview Kohler, 15 f. 118 Interview Helbig, 22. 119 Vgl. Interview Kohler, 11: „Kirche als Gemeinde verstehen, die vom Evangelium angetrieben zur Gemeinde und zur Kirche wird und nicht als sich selber fortsetzende Kirchenleitung im Sinne von Obrigkeit.“ 120 Interview Kohler, 16. 116

Auswertung der qualitativen Interviews

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worten Positionierung der Kirche in gesellschaftspolitischen Fragen, Überschreiten regionaler und konfessioneller Grenzen und Öffnung für neue theologische Konzepte unter Einbeziehung anderer Wissenschaften bündeln. Positionierung der Kirche in gesellschaftspolitischen Fragen: Wie das dritte Kapitel dieser Arbeit gezeigt hat, nahmen AEE, VBV und LabeT auf vielfältige Weise Stellung zu gesellschaftspolitischen Themen. Auch in den Interviews wird dieses umfassende Engagement immer wieder betont und als genuin christliche Aufgabe definiert. Eleonore von Rotenhan: „Meine Theologie war eine offene Kirche, eine Kirche, die Verantwortung übernimmt für die Welt, dazu kam ich auch aus der Sozialarbeit. […] Mich interessierten solche Leute wie Käsemann, Gollwitzer, die immer wieder die Weltverantwortung der Kirche deutlich gemacht haben. Das war das, wo ich mich dann auch zu Hause fühlte: Als ein Auftrag eines Christen, daran zu arbeiten, und damit eben auch gegen Strukturen anzugehen, die einer offenen Kirche widersprochen haben.“121

Man wollte ein politisches Christentum, das in der Nachfolge Jesu Verantwortung für die Welt übernimmt, das sich den Problemen der Welt öffnet – das wird immer wieder von den Interviewpartnern hervorgehoben. Ein Zeitzeuge bezeichnet es auch als das Insistieren darauf, „global verantwortlicher [zu] sein“122. Überschreiten regionaler und konfessioneller Grenzen: Einige Zeitzeugen äußern, dass sie damals konfessionelle Mauern überspringen wollten: Die Annahme der Leuenberger Konkordie wird als ein wesentliches Anliegen des AEE genannt123, ebenso auch insgesamt eine Verstärkung ökumenischer Bemühungen der Landeskirche. Hier wird als vorbildlich das AEE-Mitglied Else Müller genannt124. Interessant ist, dass die ökumenischen Bemühungen der damaligen Kirchenreformbewegung in den Erinnerungen der damals noch in der Ausbildung stehenden Zeitzeugen kaum, in den Antworten der ehemaligen AEEMitglieder eher beiläufig vorkommen, obwohl es sich hier um einen theologischen und kirchengeschichtlichen Schwerpunkt des Untersuchungszeitraums handelt. Öffnung der Theologie für andere Wissenschaften: Vor allem ehemalige VBVund LabeT-Mitglieder erinnern sich an ihre Begeisterung dafür, theologische Ansätze in den Dialog mit anderen Wissenschaften und Konzepten zu bringen. Genannt werden hier die Gespräche zwischen Marxismus und 121 122 123 124

Interview Rotenhan, 6. Interview Weber, 1. Vgl. Interview Weber, 5; Interview Rotenhan, 10. Vgl. Interview Kugler, 7, Interview Schanz, 3, u. a.

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Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

Christentum, die klinische Seelsorgebewegung125 oder das Interesse an der Soziologie126. Was den Weg von der Theologie bzw. Gesellschaftstheorie hin zur praktischen Kirchenreform betrifft, sah Wieland Zademach einen Unterschied zwischen jungen und älteren Theologen127: Jüngere, von der Studentenbewegung geprägte Theologen haben seiner Ansicht nach vermehrt unmittelbar über den Marxismus und Ernst Bloch zur Kirchenreform gefunden, ältere wären seiner Ansicht nach häufiger von entsprechenden theologischen Entwürfen, die diese Impulse aufgriffen, wie Jürgen Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ inspiriert worden. Entscheidend war bei aller theologischen Reflexion das Bemühen um einen verbesserten Theorie-Praxis-Bezug; man wollte, so AEE-Mitglied Uwe Lang, „die Erkenntnisse, die die Theologie des 20. Jahrhunderts erbracht hat, […] in die Gemeinden hineintragen und vermitteln“128.

4.2.2 „Ich habe die eigentlich immer nur als Verbündete erlebt“129: Die drei Gruppen als Teil eines sozialen Netzwerks Was die im vorangegangenen Kapitel gezeigte Gemeinsamkeit in Themen und Zielen vermuten lässt, wird in diesem Kapitel, das die Auswertung der Antworten auf die Frage nach der wechselseitigen Einschätzung der Gruppenmitglieder beinhaltet, verstärkt und bestätigt: Die damals in AEE, VBV und LabeT Engagierten sehen sich rückblickend als Teil einer gemeinsamen Bewegung, eines Netzwerkes Gleichgesinnter, das die Grenzen zwischen den einzelnen Gruppen oft verschwimmen ließ. Dies zeigt sich anhand folgender Auffälligkeiten: So betonen die Zeitzeugen wiederholt die Gleichzeitigkeit der Gründung der drei Gruppen, die „so evident“130 gewesen sei, dass es sicher „kein Zufall [war] – das war einfach damals eine Aufbruchbewegung, die gesamtgesellschaftlich zu sehen ist“131. Außerdem werden wiederholt – wie im vorhergehenden Zitat mit dem Begriff „Aufbruchbewegung“ geschehen – Begrifflichkeiten verwendet, die über die Charakterisierung einer einzelnen der drei Gruppen hinaus auf einen größeren Zusammenhang zwischen den verschie125 Vgl. zu dem hohen Stellenwert der Seelsorgebewegung für einzelne VBV-Mitglieder das Interview mit Peter Frör. 126 Vgl. Interview Koch, 4. 127 Interview Zademach, 19. 128 Interview Lang, 15. 129 So Karl Foitzik (Interview Foitzik, 11), nach seiner Einschätzung des LabeT befragt. 130 Ebd., 22: „Es war die Gleichzeitigkeit so evident, dass ich denke, dass es einfach so eine Zeit war, wo so etwas nötig gewesen ist, weil alles andere irgendwo so verstaubt war.“ 131 Interview Lang, 15.

Auswertung der qualitativen Interviews

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denen damals Engagierten verweisen. In diesem Sinn sind beispielsweise die Bezeichnungen „Widerspruchsbewegung“132 oder „Erneuerungsbewegung“133 zu sehen. Die verwendeten Termini setzen ein Gegenüber, setzen andersdenkende Akteure voraus, von denen sich die Genannten unterscheiden; besonders deutlich wird dies beispielsweise in der Aussage Peter Frörs: „Es gab einen kirchenreformerischen Ansatz, und es gab die bewahrenden Kräfte, die alles so lassen wollten wie bisher.“134 Die Gemeinsamkeit zwischen AEE, VBV und LabeT wurde so stark empfunden, dass mehrere der Befragten gleichzeitig oder nacheinander in zwei oder drei der genannten Gruppen waren. LabeT-Mitbegründer Werner Schneider etwa führt seine Motivation zur Gründung des LabeT auf seine Mitgliedschaft beim AEE zurück: „Ich bin sozusagen von der Erwachsenengruppe aus zu den anderen gestoßen und habe den LabeT gegründet, weil da diese Studentenstufe fehlte.“135 Auch viele VBV-Mitglieder schlossen sich dem AEE an, mit dem sie zum Teil schon während ihrer VBV-Zeit kooperiert hatten136. Im Zusammenhang mit Doppelmitgliedschaften taucht neben AEE, VBV und LabeT immer wieder die Bayerische Pfarrerbruderschaft auf. Für die AEE-Mitglieder der ersten Generation ist die Bruderschaft zum großen Teil eine kirchliche Heimat vor dem AEE gewesen, geblieben oder geworden. Nachwuchstheologen empfanden aber ebenfalls eine große Nähe zu der Bruderschaft – „Ich hatte das Gefühl, die Pfarrbruderschaft liegt auf einer ähnlichen Linie wie der AEE“137 – und wurden zum Teil ebenfalls schon früh Mitglied. Hans-Gerhard Koch, der zu einer Gruppe Studierender gehörte, die sich mit der Geschichte der bayerischen Landeskirche im „Dritten Reich“ auseinandersetzte, nennt als einen Grund für die Attraktivität der Bruderschaft die Anziehungskraft der Person Karl Steinbauers138, der für Koch und seine

132

Interview Koch, 2. Interview Lang, 8 f. 134 Interview Frör, 11. Fast synonym Interview Lang, 8f: „Es war eigentlich kein Generationenkonflikt, es war ein Konflikt zwischen den Leuten, die das Bewusstsein dafür hatten, dass in der Kirche etwas erneuert werden muss, und zwischen denen, die gemeint haben, die Strukturen sind alle so bestens und in Ordnung und müssen so bleiben.“ 135 Interview Schneider, 10. 136 Vgl. etwa Uwe Lang, der vor allem die Kooperation mit AEE-Mitglied Diegritz hervorhebt: „Mit ihm habe ich ständig und gut zusammengearbeitet. Ich habe ihn außerordentlich bewundert und ich habe auch für meine Arbeit in der VBV ihn immer mit zu Rate gezogen“ (Interview Lang, 7). So wurde Uwe Lang in seiner VBV-Zeit durch das leitende Team in das Führungsgremium des AEE berufen (vgl. B+K, Nr. 11 / 1. 2. 1972, 25). 137 Interview Lang, 10. 138 Pfarrer Karl Steinbauer (1906–1988), Gründungsmitglied der Bayerischen Pfarrerbruderschaft, war aufgrund seiner Kritik am NS-Staat unter anderem in KZ-Haft (Sachsenhausen). 133

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Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

Kommilitonen eine besondere Glaubwürdigkeit verkörperte: „Wir sind dann auf Karl Steinbauer gestoßen. Das hat viele von uns dazu gebracht, in die bayerische Pfarrbruderschaft einzutreten, relativ früh. Weil wir gesagt haben: Das ist der einzige Verein, der sich zu dieser Vergangenheit überhaupt bekennt, und wo ein paar Leute drin sind, die damals nicht alles mitgemacht haben.“139 Die Grenzen zwischen den einzelnen Gruppen werden von den Befragten als fließend wahrgenommen: Oft konnte im Nachhinein nicht mehr zugeordnet werden, welche Gruppe in welcher Angelegenheit aktiv geworden war bzw., bei Doppelmitgliedschaften der Interviewpartner, in welcher der Gruppen man sich in welcher Sache engagiert hatte. Einige der Befragten waren auch in anderen reformorientierten, nicht dezidiert innerbayerischen Vereinigungen aktiv, deren Anliegen als tendenziell ähnlich dargestellt wurden. Dies illustriert beispielsweise folgende Aussage Wieland Zademachs, der sich außer in VBV und AEE auch in der Evangelischen Studentengemeinde seiner jeweiligen Studienorte engagierte: „Das hat sich alles überlappt, das war eine Gemengelage: In der ESG aktiv zu sein, im AEE […]“140. Dezidiert werden von den Interviewpartnern als Gesinnungsgenossen der Gruppen einzelne herausragende Persönlichkeiten der Landeskirche genannt, „die ganzen Kirchenreformer-Typen“141, sowie wiederholt das Studienzentrum Josefstal und die Gemeindeakademie Rummelsberg erwähnt. In den Urteilen der AEE-, VBV- und LabeT-Mitglieder über die jeweils anderen Gruppen zeigt sich übereinstimmend ein Solidaritäts- und Zusammengehörigkeitsgefühl: LabeT- und VBV-Mitglieder sahen sich selbst als zwei organisch aufeinander folgende Gruppen an, deren Austausch und Nähe als intensiv beschrieben wird. Werner Schneider: „Als ich dann gemerkt habe, dass es die VBV damals schon gab, habe ich gesagt: ‚Das ist ideal, dann haben wir als nächste Stufe die VBV, da treffen wir uns dann alle wieder. Und so war es dann auch.“142 Umgekehrt empfanden es VBV-Mitglieder „als sehr angenehm […], dass bereits die Theologiestudierenden etliche Papiere ganz in unserem Sinn verfassen“; er habe dies, so VBV-Mitglied Uwe Lang, „als Unterstützung empfunden“143. In ihren Hauptinteressen, kirchliche 139

Interview Koch, 7. Interview Zademach, 9. 141 Vgl. z. B. Interview Weber, 6. Weber nennt hier Christof Bäumler, Werner Schanz, Georg Kugler. 142 Interview Schneider, 6 f. Umgekehrt sagt VBV-Mitglied Zademach über den LabeT aus, die VBV-Mitglieder hätten sich angesichts seiner Entstehung „gefreut, dass es jetzt eine Vorstufe zur VBV auf studentischer Ebene gibt“ (Interview Zademach, 26). 143 Interview Lang, 10. 140

Auswertung der qualitativen Interviews

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Strukturen zu demokratisieren und den Einsatz der Kirche für die Welt anzumahnen, stimmten sie überein, wenngleich deren konkrete Umsetzung und die Beurteilung der jeweiligen „Radikalität“ des anderen unterschiedlich waren144. Den AEE empfanden die in ihrer Funktion als VBV- und LabeT-Mitglieder Befragten als emotionale Unterstützung, die der eigenen Arbeit mehr Gewicht verlieh; die meisten der damaligen Nachwuchstheologen traten noch während ihrer Ausbildungszeit oder danach in die große Reformgruppe ein145. Für einen nicht geringen Teil von ihnen wurzelte das Gefühl der Nähe zum AEE vor allem in der gemeinsamen Teilnahme an der KRIBS. So gibt Johannes Friedrich als Grund für seinen Eintritt in den AEE an: „Das war die alte Verbundenheit zu KRIBS, dass ich gesagt habe: Das ist eigentlich von den kirchenpolitischen Gruppierungen, soweit ich sie kenne, die einzige, wo ich hinpasse und wo ich hingehöre und die ich unterstützen will.“146 Die AEE-Mitglieder auf der anderen Seite sahen die Gruppen des Nachwuchses mit Sympathie. Karl Foitzik erinnert sich, er habe die LabeT-Akteure „eigentlich immer nur als Verbündete erlebt“147. Werner Schanz drückt mit dem Satz „Der LabeT gehörte fast zu uns“148 Ähnliches aus wie Dieter Helbig mit seiner Bemerkung über die VBV: „Das waren dann schon die Jungen für mich, […] die ich verstanden habe.“149

4.2.3 „Die kirchliche Blüte in dem gesamtgesellschaftlichen Strauß der 68er-Blüten“150: Der Einfluss der 68er-Bewegung auf das eigene Engagement Immer wieder weisen die Interviewpartner darauf hin, dass ihre Bemühungen um eine Kirchenreform als Teil der damals herrschenden gesamtgesellschaftlichen Aufbruchbewegung gesehen werden müssten; man habe sich kirchlich „dem angenähert, was da in der Großwetterlage passiert ist“151. Rahmenthemen

144 Interview Kohler, 10. Kohler, danach gefragt, ob er im LabeT die gleiche Grundtendenz gesehen habe wie bei der VBV: „An sich ja, bloß waren sie wesentlich radikaler.“ 145 Interview Kohler, 12: „Wir ‚Anti-Ordinationsleute‘ sozusagen, wir waren natürlich dann alle im AEE.“ 146 Interview Friedrich, 10. 147 Interview Foitzik, 11. 148 Interview Schanz, 16. 149 Interview Helbig, 17. 150 Interview Kugler, 8. 151 Interview Frör, 10.

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der 68er-Bewegung wie Demokratisierung und Globalisierung wurden konkret kirchlich und theologisch gefüllt; die Begeisterung für sozialistische Entwürfe, für humanwissenschaftliches Gedankengut, ebenfalls Kennzeichen der 68er-Bewegung, kommen bei den Interviewpartnern ebenfalls vor. So verwundert es nicht, dass alle Interviewpartner, wenn auch in unterschiedlichem Maß, rückblickend einen Bezug ihres Engagements zur 68er-Bewegung sehen. Einige der damaligen Nachwuchstheologen, der ehemaligen VBV- und LabeT-Mitglieder, sehen ausdrücklich in der Studentenbewegung die Motivation für das eigene Engagement und für die Gründung einer Reformgruppe. Die Älteren hingegen, die sich damals im AEE engagierten, äußern sich über die demonstrierenden Studenten distanzierter und verwenden kaum den Begriff der Studentenbewegung, sondern umschreiben ihn eher mit Begriffen wie „Aufbruch“ oder „gesamtgesellschaftliche Bewegung“. Man teilte grundsätzlich die Kernanliegen der Studenten, nicht aber deren Radikalität; man erkannte aber trotz aller Unterschiede an, dass „diese ganzen Dinge […] einen gemeinsamen Nährboden“152 hatten. „Es ist im Grunde ein Ausläufer der Studentenbewegung gewesen“ 153: Verhältnis der Reformgruppen zur 68er-Bewegung Einige der im LabeT Engagierten kamen von der Hochschulpolitik her. Die Ereignisse um die Berliner Studenten rüttelten sie wach. Werner Schneider erinnert sich: „Die Geschichte der damaligen Zeit an den Universitäten hat mich dann sofort in Beschlag genommen. In meinem zweiten Semester war ich mit einem Kommilitonen aus Neuendettelsau in Berlin, in den Tagen, als Benno Ohnesorg erschossen wurde. Ich habe von da an alles sehr genau mitgekriegt, was in Berlin, später auch in Heidelberg und Frankfurt an sogenannter Studentenbewegung gewesen ist. […] Und ich musste mich mit allem auseinandersetzen, was es in Gesellschaft und Kirche gab, konzentriert an der Hochschule. Es waren ungeheuer spannende Zeiten, und so ist es bestimmt auch zu erklären, dass ich immer geguckt habe: Wo in der Kirche rührt sich was? Oder: Wo muss ich selber mitmischen?“154

Werner Schneider engagierte sich in der ESG, deren besondere Affinität zu den Anliegen der Studentenbewegung in der Öffentlichkeit vor allem von Seiten der „Bekenntnisbewegung“ scharf kritisiert wurde, und setzte sich – ebenso wie andere der Befragten, die damals studierten – für eine Reform des Theologie152 153 154

Interview Foitzik, 22. Interview Lang, 10. Interview Schneider, 1.

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studiums und eine Änderung des Umgangs an den theologischen Fakultäten ein155. Hans-Gerhard Koch: „Was mich in Erlangen damals besonders geprägt hat, war, dass das die Zeit der Studentenbewegung war, 1967, 1968. Da gab es in Erlangen dann heftige Auseinandersetzungen um eine neue Grundordnung der Universität, wo wir Studenten den Eindruck hatten, wir würden dabei sehr viele Rechte verlieren. Und wir wollten durchsetzen, dass Studenten überall mitreden dürfen, und da gab es dann Rektoratsblockaden und solche Geschichten. Das hat mich damals geprägt – ja, das war so der Impuls.“156

Diejenigen, die Ende der 1960er Jahre bereits im Vikariat waren, sehen sich rückblickend zum Teil als Parallele dieser Bewegung in der Kirche: Was sie an der Universität nur in den Anfängen miterlebt hatten, griffen sie nun auf ihre Weise auf. Peter Frör: „Diese Gruppe von Vikaren, die hatten alle vor dem Aufkommen der Studentenbewegung an den Universitäten ihr Examen gemacht. […] Wir hatten alle nicht mehr den Aufbruch an den Universitäten unmittelbar erlebt, also waren wir auch nicht, wie der LabeT, davon angesteckt. Wir waren sozusagen die brav aufgewachsenen Vikare, die jetzt aber in einer sozusagen verspäteten Weise aufgewacht waren und gesagt haben: Wir können so nicht weitermachen, wie wir es im Studium vorgefunden haben. Und wir haben dann das Vikariat genommen, um da die reformerischen Ansätze [umzusetzen].“157

Einige der Befragten – sowohl der damals Studierenden als auch der als Vikare Tätigen – betonen ihr damaliges Interesse an der Soziologie und der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule; zum Teil wurde ein zweiter Studiengang neben dem Theologiestudium aufgenommen158. Die damals im AEE Engagierten, zum Großteil zum Gründungszeitpunkt dem Studenten- bzw. Ausbildungsalter bereits entwachsen, bringen andere 155

Vgl. Interview Schneider, 1, Interview Friedrich, 7, Interview Koch, 1, Interview Klose, 2. Interview Koch, 1. 157 Interview Frör, 10. Ähnlich auch Interview Kohler: Kohler nennt das Miterleben der Anfänge der Studentenbewegung an den Universitäten, wo er auch AStA-Vorsitzender war, schränkt aber ein: „Die richtige 68er-Bewegung, die kam, als wir schon nicht mehr Studenten waren und auch nicht mehr so die Kontakte hatten. Ein gewisser Zusammenhang ist aber schon da, weil so die Tendenz, aufmüpfig zu sein, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen, auch schon in den Jahren angefangen hat, wo wir studiert haben“ (Interview Kohler, 9). 158 Vgl. etwa Interview Koch, 4: „Ich selber habe zum Beispiel dann in Göttingen erst mal Soziologie studiert, weil mich das, was an der Theologischen Fakultät da als Pflichtveranstaltungen nötig war, eher langweilte. Da habe ich also Soziologie-Vordiplom damals gemacht, weil ich gedacht habe: Das interessiert mich viel mehr. Gesellschaft war eben die große Frage – was passiert eigentlich in der Gesellschaft?“ Vgl. außerdem Interview Zademach, 2. 156

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Themen zur Sprache, Themen, die ihre Wurzeln zum Teil bereits in den 1950er Jahren haben, darunter die Auseinandersetzung mit dem Marxismus159, das Engagement für den „Wandel durch Annäherung“ in der Ostpolitik160 und den Einsatz für Abrüstung und Frieden. Oft spielt eine Rolle, dass die damals Dreißig- bis Vierzigjährigen, die den Kern des AEE ausmachten, im Unterschied zu den Vikaren und Studenten den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt hatten. Werner Schanz beispielsweise, der für die Beratung von Kriegsdienstverweigerern zuständig war, resümiert, dass „das Thema Friede […] wirklich auch mein Thema [war], auch eben gerade aufgrund dieser Kriegserfahrungen. Nie wieder Krieg – das war für uns klar und auch für die Generation der Theologiestudenten“161. Vertreter dieser Interviewgruppe nennen unter anderem Ernst Käsemann und Helmut Gollwitzer als prägende Persönlichkeiten162. Die Kirchentage der 1960er und 1970er Jahre, die Theologen wie den genannten ein Forum boten, haben in der Erinnerung der AEE-Mitglieder einen hohen Stellenwert für die eigene Biographie163. „Ich würde es eher als einen kulturellen Konflikt bezeichnen“ 164: Bedeutung des Generationenkonflikts für die innerkirchlichen Auseinandersetzungen Betrachtet man die rückblickenden Aussagen der Zeitzeugen über die Relevanz der Generationenfrage für die innerkirchlichen Auseinandersetzungen, fällt zweierlei auf: Einerseits kommen in den Aussagen der Befragten Bemerkungen vor, die der Altersfrage bzw. dem biographisch-theologischen Hintergrund einer Generation eine bedeutende Rolle für die innerkirchlichen Auseinandersetzungen zukommen lassen. Andererseits werden diese Konflikte von vielen als kulturelle Konflikte, als Konflikte um verschiedene theologische und gesellschaftliche Positionen charakterisiert, bei denen das Alter nicht die entscheidende Rolle spielte. Was die Relevanz der Generationenfrage für innerkirchliche Auseinandersetzungen angeht, verlief der Schnitt offensichtlich nicht zwangsläufig zwischen Studenten und dem Studentenalter Entwachsenen; entscheidend war vielmehr häufig, ob man als bayerischer Pfarrer den Zweiten Weltkrieg miterlebt hatte 159 So engagierte sich beispielsweise Georg Kugler als Schülerpfarrer für den Dialog mit dem Marxismus (vgl. Interview Kugler, vor allem 7 f.). 160 Vgl. dazu Interview Foitzik, 22. 161 Interview Schanz, 5; vgl. auch Interview Helbig, 8. 162 Vgl. etwa Interview Rotenhan, 6; Interview Kugler, 19; Interview Weber, 20. 163 Vgl. etwa Interview Kugler, 16, Interview Schanz, 8, Interview Rotenhan, 7, Interview Weber, 4. 164 Interview Klose, 12.

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oder nicht. Hier spielte auch – parallel zur gesamtgesellschaftlichen Situation – der Wunsch der Nachgeborenen nach Aufarbeitung der landeskirchlichen Vergangenheit im „Dritten Reich“ eine Rolle. Hans-Gerhard Koch sieht dieses Bedürfnis als einen maßgeblichen Anstoß für sein Engagement für den LabeT und später im AEE: „Wir haben damals erfahren, was unsere Altvorderen […] im ‚Dritten Reich‘ gemacht haben und dann festgestellt: Die sind ja alle noch da. Und das hat uns dann relativ kritisch gemacht gegenüber den Autoritäten, als die uns damals Professoren oder kirchenleitende Männer entgegengetreten sind. […] Und das war dann so die Motivation, sich dann auch zum Beispiel im LabeT zu engagieren.“165

Koch und andere ehemalige Erlanger Studenten erinnern sich, dass sie es als enttäuschend empfanden, dass Pfarrer in zum Teil gehobenen kirchlichen Positionen – wie sie es für einen Dekan herausgefunden hatten – anscheinend nicht für ihre Vergangenheit zur Verantwortung gezogen wurden, und das Landeskirchenamt auf ihre diesbezüglichen Fragen mit Schweigen antwortete. Dieses Schweigen, so Koch, sei für viele von ihnen „der Anlass [gewesen], dann mal zu fragen: Was ist denn da sonst eigentlich los? Wie war denn das in Bayern mit der Bekennenden Kirche?“166 Zu einer breiten Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der bayerischen Landeskirche sollte es im Untersuchungszeitraum allerdings noch nicht kommen. Für Werner Schneider, damals Student, liegt rückblickend ein Grund für Auseinandersetzungen in dem Mangel an Wissen und Interesse für die Situation der jeweils anderen Generation: „Es war für beide Seiten schwierig: Wir Jungen konnten das schwer einschätzen, was die Leute, die mit dem Kirchenkampf noch zu tun hatten, erlebt haben und wie sie darauf reagiert haben. Da gab es mehr Spekulationen als Wissen. Und umgekehrt wohl auch: Mehr Befürchtungen als handfeste Fakten. […] Ich habe dann erst später wahrgenommen, wie schwierig es wirklich für Ältere gewesen sein kann, wenn es dann um speziell kirchenpolitische Fragen ging, die Theologinnenordination etwa oder auch andere, bis hin zu der Frage: Wer macht den Vorsitz im Kirchenvorstand? Oder: Wann dürfen kirchliche Glocken läuten? Für mich eine Frage, wo ich gesagt habe: Was soll das? Bis ich aus Unterlagen in Archiven kapiert habe: Das war relevant im Kirchenkampf, natürlich! Wenn zu Hitlers Geburtstag geläutet werden musste, dann war das eine relevante Frage.“167 165

Interview Koch, 1. Ebd., 6 f. 167 Interview Schneider, 13. Ähnlich auch seine Aussage ebd.: „Ich denke, für die Generation, die den Kirchenkampf wirklich erlebt hat, war das manchmal auch schwierig einzuschätzen, was sich in dieser Gesellschaft aufgetan hat, also nicht nur in der Gesellschaft, sondern in der Kirche.“ 166

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Unterschiedliches Alter spielte zudem eine Rolle, wenn es um Fragen des Umgangs und um Themen, die den gesamtgesellschaftlichen Umbrüchen zuzurechnen sind, ging – etwa bei der Pfarrbrautfrage. Dies sei, so Hans-Gerhard Koch, schon ein „klassischer Generationenkonflikt“ gewesen168 und müsse, wie Karl-Heinz Klose es bezeichnet, auf einer „biographisch-theologischen Grundlage“ gesehen werden: „Wer im Königreich oder unter Hitler großgeworden ist […], wer national geprägt ist, vom Mannesgedanken und vom Kampfesmut als Wertvorstellungen, tat sich, glaube ich, mit diesem Kulturumschwung schwer.“169 Ähnlich hat dies auch Dieter Helbig, der dezidiert in seinem öffentlichen Verhalten Anliegen und Themen der Studentenbewegung vertrat, bezüglich der Reaktionen der Kollegen auf sein Verhalten empfunden: „Je jünger, umso mehr Verständnis für mich, und je älter, umso schwieriger wurde es im Durchschnitt. […] Wer das Anliegen der Studenten im Grunde verstanden hat, der hat irgendwie auch mein Verhalten damals verstanden und umgekehrt.“170 Immer wieder betonen die Interviewpartner, dass mehr noch als die Generationenfrage theologische Differenzen sowie Unterschiede im Kirchen- und Gesellschaftsverständnis eine Rolle gespielt hätten. Peter Frör: „Erlebt habe ich es nicht als Generationenkonflikt, sondern mehr als einen theologischen Konflikt und einen Konflikt in der Auffassung von dem, was Kirche ist. Wir haben eine Kirche vorgefunden, die auf das Bewahren ausgelegt war, eine Kirche am Ende der Restaurationszeit. Wir hatten gesehen: Das ist nicht zukunftsträchtig.“171 Waren auf gesellschaftspolitischer Ebene Hochschulleitungen und bestimmte parteipolitische Akteure Zielscheibe von Kritik und avancierten zum Gegner in entsprechenden Auseinandersetzungen, so waren es im innerkirchlichen Bereich diejenigen, die Frör als Repräsentanten einer „auf das Bewahren ausgelegte[n]“ Kirche bezeichnete. Ebenso wie die als Kontrahenten empfundenen „Konservativen“ in allen Altersschichten zu finden waren, rekrutierten sich auch die Mitglieder der Reformgruppen, namentlich des AEE, aus allen Generationen. 168 Vgl. Interview Koch, 5: „Die Verlöbnisfrage, […] das war der Generationenkonflikt. Wir haben gesagt: Was geht das die alten Herrn da in München etwas an, wen ich heiraten will? Das war ein klassischer Generationenkonflikt, da hat man sich bevormundet gefühlt und hat gesagt: Wieso? Und hat sich also dann entsprechend gewehrt gegen diese Bevormundung der älteren Generation.“ 169 Vgl. Interview Klose, 17. 170 Interview Helbig, 17. 171 Interview Frör, 14. Ähnlich Interview Lang, 8f: „Es war eigentlich kein Generationenkonflikt. Es war ein Konflikt zwischen den Leuten, die das Bewusstsein dafür hatten, dass in der Kirche etwas erneuert werden muss, und zwischen denen, die gemeint haben, die Strukturen sind bestens und in Ordnung und müssen so bleiben.“

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Wortführer waren im AEE Frauen und Männer, deren Alter weit über dem der Protagonisten der Studentenbewegung lag. „Es war nie irgendwie auch nur ein Hauch, dass so eine Kirche über diesen Streitigkeiten zusammenbricht“ 172: Verhältnis der Befragten zu anderen kirchlichen Akteuren Die in der Überschrift vorangestellte Einschätzung Hartmut Webers über die innerkirchlichen Auseinandersetzungen kann als Konsens unter den Befragten bezeichnet werden: Trotz aller Differenzen waren in Bayern die Fronten in der Erinnerung der Zeitzeugen nie so verhärtet, dass ein Bruch innerhalb der Kirche zu befürchten war173. Mit dem Zitat Hermann Dietzfelbingers vom „zweiten Kirchenkampf“ bzw. „Glaubenskampf“ in Deutschland (EKD-Synode Berlin-Spandau) konfrontiert, lehnen die Befragten übereinstimmend eine solche Diagnose rückblickend für die Situation in der bayerischen Landeskirche ab: Die kirchlichen Gruppen, die in den 1960er und 1970er Jahren miteinander rangen, seien in keinerlei Hinsicht mit den Deutschen Christen einerseits und den Mitgliedern der Bekennenden Kirche andererseits zu vergleichen174. Dass es aber Auseinandersetzungen, politische Machtkämpfe gegeben hat, und dass diese zum Teil auch in sehr scharfem Ton ausgefochten wurden, wird nicht geleugnet. Als Kontrahenten bezeichnen die damals in den drei Reformgruppen Engagierten vor allem einige Pfarrer einer bestimmten theologischen und biographischen Prägung (hauptsächlich Dekane), die KSBB i. B. sowie den Apparat der Kirchenleitung. Wie sich die diese kirchenpolitischen Gegner in der Erinnerung der Zeitzeugen festgemacht haben, wird im Folgenden pointiert dargestellt. „Es gab einen Block […], das waren Leute, die haben eine konservative lutherische Theologie vertreten, vor allem die Erlanger Theologie vor dem Zweiten Weltkrieg, für die Paul Althaus und Werner Elert Kronzeugen waren, und sie haben von da aus auch eine sehr strikte Zwei-Reiche-Lehre vertreten. […] Das war eine bestimmte Gruppe in der Kirche, die hatten zum Teil auch eine gleiche Vergangenheit, waren Wehrmachtsoffiziere gewesen. Wir sagten immer: Die Obristen.“175

Hans-Gerhard Koch schneidet in dieser Beschreibung exemplarisch Punkte an, die auch von den anderen Befragten in Zusammenhang zur Charakterisierung 172

Interview Weber, 17. Vgl. z. B. auch Interview Zademach, 24: „Darauf waren wir immer stolz, dass es nicht diese Frontstellung gab, sondern das Gemeinsame immer im Vordergrund stand.“ 174 Vgl. etwa Interview Schanz, 10: „Das [der Vergleich mit dem Kirchenkampf ] hat uns sehr aufgeregt. Das haben wir auch abgelehnt, diesen Vergleich […] fanden wir nicht angebracht.“ 175 Interview Koch, 12. 173

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ihrer kirchenpolitischen Gegner verwendet werden: Zum einen werden diese gerne mit dem Adjektiv lutherisch ausgestattet oder als „eingefleischte Lutheraner“ bezeichnet176, empfunden als Kontrast zum eigenen, Konfessionsgrenzen überschreitenden theologischen Interesse. Sie werden als Anhänger der „Erlanger Theologie“ charakterisiert, womit namentlich die Ansätze von Paul Althaus und Werner Elert gemeint waren, sie werden dargestellt als Vertreter einer strikten Zwei-Reiche-Lehre, die jegliche politische Theologie vehement ablehnten177. Bei der Beschreibung der kirchenpolitischen Gegner fallen zudem wiederholt Begriffe aus dem militärischen Bereich – ein Kontrast zu der bei den Befragten wiederholt geäußerten Sympathie bzw. deren Engagement für die Kriegsdienstverweigerung178. Mehrmals wird die Mitgliedschaft der kirchenpolitischen Gegner in studentischen Verbindungen, insbesondere in der Burschenschaft der Bubenreuther und in der christlichen Studentenverbindung Uttenruthia Erlangen, genannt; dabei muss freilich angemerkt werden, dass auch unter den Mitgliedern der Reformgruppen Korporierte waren. Die gemeinsame militärische Vergangenheit der Kontrahenten im Zweiten Weltkrieg wird gerade von den damals in VBV und LabeT aktiven Theologen hervorgehoben; dass hier Hans-Gerhard Koch von den Wehrmachtsoffizieren spricht, deckt sich sicher nicht immer mit der ausgeübten Funktion dieser Männer im Krieg. Der von Koch verwendete Begriff „Obristen“ zeigt aber, was Koch und andere damit, unabhängig vom tatsächlichen Dienstgrad aller so bezeichneten Männer, meinten: Sie kritisierten einen als autoritär empfundenen Führungsstil, der ihrer Ansicht nach auf Befehl und Gehorsam ausgerichtet war. Die Interviewpartner nennen immer wieder einen Kreis von fünf bis zehn Persönlichkeiten, die für sie die eben aufgeführten Eigenschaften sinnbildlich vertraten. Unter ihnen waren vor allem Dekane fortgeschrittenen Alters, die sich zum Teil offensichtlich über den „Arbeitskreis Bayerischer Dekane“179 auch in der Synode als ein Gegner der „Offenen Kirche“ zeigten und häufig auch Mitglieder bekennender Gemeinschaften waren. Mitunter werden die genannten Eigenschaften aber auch im Rückblick als charakteristisch für Vertreter des Pfarrervereins empfunden, dem gerade von den Nachwuchstheologen wiederholt ein ausgeprägtes „Standesbewusstsein“ vorgeworfen wurde, das ihrer Ansicht nach einer Nähe zwischen ihren Gruppen bzw. Interessen und den Aktivi176

Vgl. z. B. Interview Blendinger, 13. Vgl. z. B. auch Interview Koch, 11. 178 Vgl. z. B. Interview Schanz, 4 f. 179 Vgl. zu den Auseinandersetzungen zwischen AEE und dem Arbeitskreis Bayerischer Dekane das Beispiel „Die Aktionsgemeinschaft KRIBS“, 138–140. 177

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täten des Pfarrervereins im Wege stand. Der Pfarrerverein erschien als „Vertreter des Establishments“180. Besonders der damalige Vorsitzende, Dekan Wilhelm Mädl, wird als für die Anliegen der nachkommenden Theologen mitunter wenig aufgeschlossen charakterisiert181. Die KSBB i. B. ist in der Erinnerung der befragten Zeitzeugen wenig präsent. Hier wurden vor allem einzelne, herausragende Persönlichkeiten wahrgenommen und weniger die Gruppe als solche182; so wird die Sammlung einmal sogar als „Phantom“183 bezeichnet. In jedem Fall nehmen Auseinandersetzungen um Strukturveränderungen innerhalb des kirchlichen Systems in der Erinnerung der Zeitzeugen einen weitaus größeren Raum ein als dezidiert theologische Auseinandersetzungen etwa zwischen AEE und der KSBB i. B., obwohl es hier genügend Reibungspunkte gegeben hat und hätte. Danach gefragt, wie er das Verhältnis des AEE zu Vertretern der Landeskirchenleitung gesehen habe, antwortete Christian Blendinger: „Nicht feindselig, aber strukturkritisch“.184 Mit dieser Antwort gibt Blendinger die Meinung des Großteils der Befragten wieder: Man war einzelnen Vertretern der Landeskirchenleitung durchaus mit Sympathie verbunden, einige Zeitzeugen, vor allem Mitglieder des AEE, nennen diese gar als Unterstützer, die ihnen bei innerkirchlichen Konflikten den Rücken stärkten: Schanz etwa fand im Landeskirchenrat „Partner“, die ihm bei seinen reformorientierten Ansätzen Rückendeckung gaben185. Der Apparat der Landeskirchenleitung allerdings wurde in den Interviews als kritisch gesehen und diejenigen, die an ihm festhielten – zuvorderst Bischof Dietzfelbinger – in dieser Hinsicht ebenfalls. Auffällig ist, dass, was das Verhältnis zum Landeskirchenamt und zum Bischof angeht, die AEE-Mitglieder rückblickend versöhnlicher urteilen. Den Jüngeren, damals Vikare und Studenten, erscheint ihr einstiges Verhältnis zur Kirchenleitung prekärer. Sie erinnern sich daran, dass sie oft eine Geringschätzung ihrer Person empfunden hätten; die Ursache dafür machen sie an ihrer 180

Interview Küstenmacher, 8. Vgl. z. B. Interview Frör, 7: „Der Kirchenrat Mädl hat versucht, die VBV in den Pfarrerverein und dessen Interessen und Aktivitäten zu integrieren, also zu verhindern, dass es eine eigene Vereinigung gab.“ 182 Vgl. etwa Interview Koch, 2 und 6 f. 183 Vgl. Interview Helbig, 16. 184 Interview Blendinger, 12. 185 Vgl. Interview Schanz, 3 und 7; hier nennt Schanz als Partner und Berater Oberkirchenrat Hugo Maser und Oberkirchenrat Siegfried Wolf. Ähnlich auch Interview Weber, 4: Nachdem Weber in Selb Schwierigkeiten aufgrund eines kritischen Artikels bekam und Beschwerden über ihn an den Landeskirchenrat gelangten, war die Reaktion gänzlich anders, als erwartet: „Daraufhin hat der Oberkirchenrat Maser gesagt, es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn man dem Mann eine Journalistenausbildung ermöglichte.“ 181

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niedrigen Stellung innerhalb der kirchlichen Hierarchie und an ihrem Alter fest. Diesen Konflikt mit der Landeskirchenleitung empfand ein Teil der jungen Geistlichen stärker, ein anderer hingegen erinnert sich eher an ein neutrales bis positives Verhältnis186. Für diese unterschiedliche Beurteilung spielt einerseits sicher die heutige Position der Interviewpartner innerhalb des kirchlichen Systems wie überhaupt die in den vergangenen dreißig Jahren gemachten Erfahrungen mit der Kirchenleitung eine nicht unerhebliche Rolle. Andererseits zeigen auch die schriftlichen Dokumente, dass es damals unter den in LabeT und VBV Engagierten eine große Bandbreite an Einstellungen gegenüber der Kirchenleitung gab.

4.2.4 „Es war ein Jahrzehnt der Hoffnung“187: Rückblickende Bewertung Spätestens Mitte der 1970er Jahre war die innerkirchliche Reformbewegung in der Erinnerung der Zeitzeugen abgeebbt; die Mitglieder der bayerischen Reformgruppen steckten ihre Energie nun in andere Betätigungsfelder. Die einen fanden – erstmals oder erneut bzw. verstärkt – in der Bayerischen Pfarrerbruderschaft ihr Zuhause188, andere, wie Hermann von Loewenich, stiegen in einflussreiche Positionen auf und lenkten damit endgültig ihr kirchenpolitisches Engagement in institutionalisierte Bahnen. Wieder andere stellten einen bestimmten Aspekt innerhalb der von den drei Gruppen vertretenen Interessen in den Mittelpunkt ihrer beruflichen und privaten Leidenschaft; sie zeigten Einsatz in den neuen sozialen Bewegungen, etwa der aufkeimenden Friedensbewegung189, der Ökumenebewegung190 oder der Frauenbewegung191. Eine in einem solchen Maße umfassende innerkirchliche Reformbewegung und Aufbruchstimmung, wie sie die Zeitzeugen rückblickend für das Jahrzehnt 186 Vgl. etwa das Interview Friedrich, 5: „Ich kann mich nicht erinnern, dass die Kirchenleitung negativ reagiert hätte, jedenfalls nicht deutlich […], oder dass es irgendwie da Probleme gegeben hätte.“ 187 Interview Klose, 22. 188 Vgl. etwa Interview Blendinger, 15: „Die hatten Nestwärme in der Pfarrbruderschaft, während der AEE eine Kampftruppe war“. 189 Vgl. hier Interview Klose, 21: „Ende der siebziger, achtziger Jahre gehörte ich zu den Leuten zum Gesprächskreis Frieden, der damals die christlichen Friedensgruppen in Bayern zusammengeführt hat zu halbjährlichen Treffen. Da waren über dreißig Gruppen in der HochZeit als gemeindliche Friedensgruppen oder übergemeindliche Friedensgruppen zusammengekommen […].“ 190 So z. B. Wieland Zademach. 191 So z. B. Elenore von Rotenhan.

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1966–1976 diagnostizieren, wurde seitdem von ihnen nicht mehr festgestellt. In ihrer Bewertung dieser Zeit sehen die Interviewpartner hinsichtlich der Rahmenthemen „Demokratisierung“ und „Einsatz der Kirche für die Welt“ einen in unterschiedlichem Ausmaße empfundenen, zumindest tendenziellen Erfolg ihrer Bemühungen und beurteilen ihr damaliges Engagement für ihre persönliche Entwicklung als uneingeschränkt positiv. „Es war so ein basisdemokratischer Aufbruch, auch kirchlich“ 192: Charakterisierung des Jahrzehnts 1966–1976 und Sicht des eigenen Engagements Übereinstimmend bewerten die Befragten das Jahrzehnt 1966 bis 1976 als positiv. Nach einer griffigen Charakterisierung dieses Zeitraums befragt, verwenden mehrere Zeitzeugen den Terminus „Aufbruch“. Georg Kugler: „Die siebziger Jahre waren […] eine einmalige Achsenzeit. Ein Aufbruch. Eine Achsenzeit, in der Dinge passiert sind, wo Dinge möglich waren, wie sie später nicht mehr möglich gewesen sind […]. Es gibt von Piet Jansen ein Lied, das an den Kirchentagen viel gesungen wurde: ‚Die Sache Jesu braucht Begeisterte‘. Also, da war so etwas wie eine Begeisterung, eine Gewissheit von Hoffnung, ein Überschwang fast. […] Wenn man nach einer Theologie, nach theologischen Metaphern dafür sucht, dann ist es ganz eindeutig die Exodustheologie.“193

Das Wort „Aufbruch“ ist bei Georg Kugler ebenso wie bei Werner Küstenmacher, Eleonore von Rotenhan und Dieter Helbig positiv besetzt, aber ergebnisoffen194. Dasselbe ist bei den von anderen Zeitzeugen verwendeten Begriffen und Wendungen der Fall, wie etwa „Jahrzehnt der Hoffnungen“195, „Versuch, der Kirche ein politischeres, demokratischeres Gesicht zu geben“196, der „Versuch, sich zeitgemäßer zu machen“197, oder das Resümee „man wollte […] offener […] sein“198. Ob diese Ziele erreicht wurden, darüber sind die Zeitzeugen unterschiedlicher Ansicht: Hier ist zwischen den greifbaren Erfolgen der Kirchenreformbemühungen und dem, was der einzelne aus seinem Engagement in diesen Jahren für seinen weiteren Lebensweg mitgenommen hat, zu unterscheiden. 192

Interview Küstenmacher, 14 f. Interview Kugler, 16 f. 194 Vgl. dazu etwa die Aussage von Werner Küstenmacher (Interview Küstenmacher, 14): „1970 bis 1980 war […] ein basisdemokratischer Aufbruch, auch kirchlich“; außerdem Interview Rotenhan, 16, sowie Interview Helbig, 22. 195 Interview Klose, 22. 196 Interview Helbig, 22. 197 Interview Frör, 13. 198 Interview Weber, 18. 193

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Zumindest einen gewissen Erfolg sehen alle Befragten in ihren damaligen Bemühungen. „Die bayerische Landeskirche hat sich demokratisiert“199, findet Hans-Gerhard Koch. „Es war ein Jahrzehnt, in dem […] sich eine gewisse Offenheit, eine gewisse Transparenz allmählich durchgesetzt hat“200, findet auch Günter Kohler, schränkt aber ein: „Ich denke, dieser Impetus, dass wir unsere Bibel lesen und dass wir daraus jetzt auch die Konsequenzen […] so ziehen, dass Kirche hergeht und in der Öffentlichkeit auftritt und sich auf die Seite der Armen, auf die Seite der rassistisch Unterdrückten stellt, das haben wir nicht so durchziehen können. […] Ich habe nicht den Eindruck, dass wir die Kirche dazu gekriegt haben, dass sie so konsequent das Evangelium gegenüber vor allem dem Staat, gegenüber der Öffentlichkeit vertritt. […] In Bayern wären wir damit eindeutig in der Opposition, und ich denke, das traut sich die Kirche nicht. Insofern bin ich enttäuscht. Es ist ein geringer Trost, dass in vielen kirchenleitenden Ämtern AEE-Leute sitzen. Ich selber bin auch Dekan geworden. Aber es ist eigentlich nicht das, was ich als Zweck dieser Unternehmung gesehen habe in den sechziger Jahren.“201

Geteilter Meinung, was die Erfolge der Bemühungen der Reformgruppen angeht, ist auch Georg Kugler. Einerseits ist er rückblickend erstaunt darüber, dass „sich die Kirche reformfähiger gezeigt [hat], als wir vermutet hatten. Das heißt: Viel von dem, was wir eingegeben haben, ist nicht auf der zweiten Schiene gelaufen, sondern ist auf der ersten Schiene der Verlebendigung kirchlicher Strukturen in die Kirche selber hineingekommen.“202 Andererseits sieht Kugler aber auch, wie er es nennt, „oberflächliche Entwicklungen“, nämlich, „dass die Gründergeneration eine ganz andere Stimmung vermittelt hat als das, was jetzt so in Serie geht. Es gibt Dinge, wo ich einfach sagen muss: Da sind Fehlentwicklungen passiert.“203

199 Interview Koch, 15. Koch sieht allerdings als negative Folge hier auch eine mitunter in Schwerfälligkeit mündende Überstrukturierung; diese Ansicht teilt auch Peter Frör (Interview Frör, 13): „Was man heute als Kompetenzwirrwarr sieht, was uns erstickt und fast unfähig macht, das wurde damals als große Sache etabliert. Man hat also Formen demokratischen Zusammenlebens übernommen, aber wieder nur halbherzig, denn letzte Entscheidungen haben dann doch wieder andere gemacht. Es war der Versuch, sich zeitgemäßer zu machen; sehr viel geändert, glaube ich, hat sich durch diese ganzen Jahre nicht.“ Ähnlich außerdem Werner Küstenmacher (Interview Küstenmacher, 14 f.): „Was ich dann nachträglich eigentlich mit Schrecken festgestellt habe, dass sich in dieser Zeit die Kirchenleitung, ich glaube, fast verdoppelt hat personell. Das ist überhaupt die Krankheit der siebziger Jahre: Wo man sich viel um Strukturen gekümmert hat, ist der Verwaltungsapparat explodiert, nicht nur in der Kirche.“ 200 Interview Kohler, 16. 201 Ebd. 202 Interview Kugler, 17. 203 Ebd., 16.

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Auch Wieland Zademach beurteilt den Erfolg der kirchlichen Reformgruppen differenziert: Gemessen an seinem damals hohen Anspruch, dass sich Kirche und Gesellschaft grundlegend verändern könnten, sind die Gruppen gescheitert. Über der – zum Teil durchaus erfolgreichen! – Beschäftigung mit binnenkirchlichen Problemen seien ihnen „sehr bald […] die Gesellschaft und die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse aus dem Blick geraten“204 So sind für die rückblickende Beurteilung der kirchenreformerischen Bemühungen die Hoffnungen, die man in die Gruppen setzte, ausschlaggebend. Dezidiert betonen einige Zeitzeugen, dass ihre Erwartungen begrenzt gewesen seien: So äußert Christian Blendinger bezüglich des AEE, er habe „ihm nicht zuviel gegeben. Ich habe gesagt, das und das kann er, manches kann er auch nicht, das war mir von vornherein klar.“205 Und Werner Schanz antwortet auf die Frage, ob er von den Wirkungen des AEE enttäuscht worden sei: „Nein, eigentlich nicht, aber das liegt ja an einem selber, […] dass man weiß, dass so eine Arbeitsgemeinschaft auch Grenzen hat […] Natürlich gab es dann auch wieder mal Enttäuschungen, aber im Großen und Ganzen eigentlich nicht.“206 Was innerhalb dieser als solcher anerkannten Grenzen innerkirchlich erreicht wurde, wird positiv beurteilt: Die Anliegen der Kirchenreform im Sinne einer Demokratisierung und eines verstärkten gesellschaftspolitischen Engagement der Kirche seien in mancher Hinsicht erreicht worden207, in gewisser Weise sei es ein „Befreiungsschlag“208 gewesen, vor allem, was das Klima in der bayerischen Landeskirche angeht: „Man kann heute sehr viel freier atmen auch in unserer Landeskirche, als man es vielleicht in den fünfziger und Anfang der sechziger Jahre konnte. Es ist ein anderes Miteinander.“209 Auch, was die Entwicklung der eigenen Person betrifft, ziehen die Befragten überwiegend eine positive Bilanz. So betonen mehrere der Zeitzeugen, dass ihnen ihr Engagement in der Gruppe geholfen habe, eine „Heimat in dieser Landeskirche“210 zu finden: Man lernte hier, wie Werner Schanz es in Bezug auf seine AEEMitgliedschaft ausdrückt, „Freunde und Freundinnen auf Zeit und Dauer“211 204

Interview Zademach, 29. Interview Blendinger, 15. 206 Interview Schanz, 18. 207 Vgl. etwa Interview Blendinger, 15: „Alle diese Umgangsformen haben sich verbessert, auch Strukturfragen von Gemeindeaufbau, […] die Mündigkeit, die Mitsprache der Laien in der Kirche wurde sehr verändert und verbessert.“ 208 Interview Lang, 15. 209 Ebd. 210 Interview Klose, 20 f. 211 Interview Schanz, 17 f. Ebenso etwa auch Interview Frör, 12: „Es war dann auch ja viel Kollegenschaft, es war dann auch viel Freundschaft, die da daraus entstanden ist.“ 205

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kennen, man entdeckte Gleichgesinnte. Karl-Heinz Klose sieht in diesem Sinn sein LabeT-Engagement auch weniger erfolgs- als vielmehr prozessorientiert: „Es ist absolut nicht der Gedankengang: Wir haben uns das Ziel gesetzt, und wir haben es zu 75 Prozent erreicht, wir können abhaken, was wir in irgendeinem Programm einmal geschrieben haben […] Das ist es überhaupt nicht. Es ist die Erfahrung und der Weg mit den Personen, des Miteinanders, des Miteinander-Ringens, des Überhaupt-nicht-immer-einer-Meinung-Seins, aber zu wissen: Hier sind Leute unterwegs in dieser Kirche, die mit mir dasselbe Amt anstreben oder sich dafür ausbilden lassen, und die mit Ernst ihre, unsere Sache verhandeln wollen. […] Dieser Ernst verbindet uns [noch heute].“212

Neben diesem emotionalen Aspekt schreiben viele der Befragten bestimmte, für ihren weiteren Lebens- und Berufsweg maßgebliche Fähigkeiten und theologische Einsichten ihrem Engagement in den Gruppen zu213. Karl-Heinz Klose empfindet etwa seine Arbeit im LabeT rückblickend als einen Lernprozess, Theologie in die Praxis umzusetzen: „Ich habe systematische Theologie beim LabeT gelernt […]. In den Diskussionen [haben] genau die Auseinandersetzungen zu systematischen Themen stattgefunden, die ich dann sehr schnell in irgendwelchen Kompendien oder in der Literatur wiederfinden konnte, bloß waren sie bei uns mit Feuer und Leib versehen, und bei anderen mit Buchstaben. Ich habe eine Theologie der Erde gelernt, also gelernt, wirklich zu kapieren, dass die theologischen Gedankengänge etwas damit zu tun haben, wie ich mit meinem Kollegen, Bruder umgehe, und ich betrachte das nicht als Herunterbrechen der Theologie, sondern als Lebendigwerden.“214

Durch die Arbeit in den Gruppen, so die Befragten, wurden neue, zum Teil vorher unbekannte Wirkungsfelder kennengelernt und für die eigene Arbeit fruchtbar gemacht. Besonders augenscheinlich ist der Nutzen, den damals Engagierte aus ihrer Arbeit in den Reformgruppen für ihren weiteren Lebensweg gezogen haben, bei Werner Küstenmacher: Er tat damals seine ersten Schritte, was das Zeichnen seiner heute so bekannten Figuren betrifft, er übte sich an212

Interview Klose, 21. Vgl. etwa Interview Friedrich, 15: „Mein Engagement war für mich unglaublich wichtig, und ich denke, dass ich auch heute nicht hier wäre, wenn ich mich nicht in den verschiedensten Formen engagiert hätte – und zwar nicht, weil ich jetzt dadurch Beziehungen habe, sondern von den Fähigkeiten, die ich da gelernt habe.“ Ebenso auch Interview Helbig, 21: „Es hat sich gelohnt, zunächst einmal rein biographisch, weil ich damals zu einem theologischen, kirchenpolitischen und politischen Bewusstsein gekommen bin, das sich im Grunde bis zum heutigen Tag durchgehalten hat.“ 214 Interview Klose, 20. 213

Auswertung der qualitativen Interviews

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hand des Info-LabeT in der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, die später zu seinem beruflichen Schwerpunkt werden sollte, und entdeckte „die enorme[n] Möglichkeiten […] der medialen Kirche“215. Ein in dieser Hinsicht ähnliches Beispiel ist Peter Frör. Er setzte sich in seiner VBV-Zeit besonders für die thematische Gruppe „Klinikseelsorge“ ein, verfolgte dieses Interesse später in seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Bethel weiter und machte es schließlich zu seinem beruflichen Schwerpunkt als Krankenhauspfarrer. Auch bei anderen damals Engagierten beobachtet Frör, dass viele ihren Anliegen aus der VBV-Zeit treu geblieben seien: „Einer vom Leitenden Team ist […] in die Erwachsenenbildung gegangen und hat sich mehr auf diese Weise [engagiert]. Andere […] haben sich im synodalen Bereich engagiert, wieder andere in der Seelsorgebewegung, haben dann Supervision gemacht und die Pastoralpsychologie erkoren. […] Damals sind die Wurzeln gelegt worden für weitere Dinge, die dann nicht mehr auf derselben Ebene weiter gegangen sind“216.

So traf die gesamtgesellschaftliche Ausdifferenzierung der Interessen auch auf die im innerkirchlichen Bereich Engagierten zu: Einige suchten den Weg innerhalb der Kirchenpolitik und stiegen in entsprechende Ämter auf, andere verwirklichten in Sonderpfarrstellen ihre Ziele und wieder andere gingen in gesellschaftlichem Engagement, etwa in der SPD oder in Friedensgruppen, auf. „Wir lebten sehr stark von der Begeisterung des Aufbruchs“ 217: Sicht der Entwicklung der Gruppe bis heute Was den AEE betrifft, wird von den Befragten die Anfangszeit der Gruppe als sehr positiv bewertet. Christian Blendinger: „Wir lebten sehr stark von der Begeisterung des Aufbruchs. Am Anfang die ersten Sitzungen, die ersten Versammlungen, die waren rappelvoll, und das hat uns natürlich sehr Auftrieb gegeben. Und dann hat sich das eingependelt […], die Begeisterung des Anfangs verfliegt auch“218. Das Ende dieser Hochphase wird weitgehend auf Mitte bis Ende der siebziger Jahre datiert oder ausdrücklich mit dem Erreichen bestimmter Ziele markiert. Uwe Lang: „Nachdem im Grunde genommen bereits Ende der siebziger Jahre ein Großteil der Ziele erreicht war, ist das Engagement bei vielen schon etwas geringer geworden. […] Es wäre für den AEE vielleicht ein bisschen besser gewesen, wenn man gesagt hätte: Die Ziele sind jetzt erreicht, […] andere Leute waren plötzlich in der Landeskirche, 215 216 217 218

Interview Küstenmacher, 11. Interview Frör, 12 f. Interview Blendinger, 14. Ebd.

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Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

die das Sagen hatten, es war eine freiere, offenere Atmosphäre, das hat sich alles sehr positiv entwickelt, und man hätte durchaus den AEE in der Zeit auflösen können.“219

Das Ende der ersten Phase, der öffentlichkeitswirksamen Hochphase, trat für viele sehr schnell, zum Teil bereits 1971 / 72 ein. Hans-Gerhard Koch, der Anfang der siebziger Jahre dem AEE beitrat, reflektiert, wie er zu diesem Zeitpunkt den Kreis wahrgenommen hat: „Ich hatte, als ich dazu kam, eigentlich eher den Eindruck, dass es so eine gewisse Müdigkeit gab, […] dass ein paar der AEE-Protagonisten ja inzwischen in Amt und Würden waren und dann plötzlich doch Rücksichten nehmen mussten […]. Aber ich hatte den Eindruck, dass im AEE dann in dieser Zeit mehr inhaltlich gearbeitet wurde. […] Es waren weniger die spektakulären Formen der Anfangszeit.“220

Spätestens Mitte der siebziger Jahre ziehen die AEE-Interviewpartner rückblickend einen Strich; die zündenden Themen hätten nun zunächst gefehlt. Dass ehemals führende AEE-Mitglieder zu diesem Zeitpunkt herausragende Positionen innerhalb der Landeskirche erreicht hatten, wäre ebenfalls nicht zu unterschätzen, auch, wenn der „Marsch durch die Institutionen“ für die meisten – wenn auch nicht für alle221 – Interviewpartner selbstverständlich und auch rückblickend unumgänglich war222. Dies war sozusagen „die Konsequenz“223 der Gruppenziele. Günter Kohler: „Im Grunde genommen war es ja eigentlich die Konsequenz aus diesem ÄndernWollen, dass dann irgendwann die Leute, die ändern wollten, auch die Leitungsfunktionen übernehmen. Ich kann nicht bloß immer nur verlangen, dass Leute anders 219

Interview Lang, 12. Interview Koch, 10. 221 Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht Wieland Zademach dar, der den Marsch durch die Institution Kirche als nicht in den Anfängen des AEE begründet sieht: „Anfangs war uns klar: Wir wollen kein kirchenleitendes Amt, sondern […] [wollen] kirchenkritisch bleiben und das können wir nur, wenn wir selber nicht Teil des Apparates werden“ (Interview Zademach, 22). 222 Vgl. etwa Interview Koch, 10: „Das war ausdrücklich das Ziel im AEE […]. Es gab ja im allgemein politischen Raum diesen Spruch von dem Marsch durch die Institutionen, den wollten die [AEE-]Initiatoren auch antreten und haben entsprechende Ansprüche erhoben.“ Ebenso Interview Rotenhan, 5; Eleonore von Rotenhan hat hier speziell Hermann von Loewenich im Blick, wenn sie sagt: „Da war natürlich auch ein Bedürfnis, den langen Weg durch die Institutionen anzustreben. Es war ja auch so, dass wir dann oftmals den Hermann versucht haben, rauszunehmen aus der Schusslinie, und gesagt haben: Wenn der Hermann mal Bischof wird […], dann darf man ihn jetzt nicht verschleißen.“ 223 Interview Christian Blendinger, 15 f. Blendinger erzählt zudem folgende Episode aus der Anfangszeit des AEE: „Ich habe eines Abends im Auto nach Hause fahrend […] zum Hermann von Loewenich gesagt in einer etwas depressiven Anwandlung: ‚Weißt du, was der ganze Sinn vom AEE ist? Am Ende wird einer Oberkirchenrat oder zwei.‘ Er wurde sogar mehr, aber das war damals überhaupt nicht im Blick. Und da hat er gesagt: ‚Ach, das ist ein bisschen wenig jetzt.‘“ 220

Auswertung der qualitativen Interviews

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Kirche leiten, ohne dann irgendwann einmal das selber zu tun und anders zu tun. Für mich war am Anfang nicht das Ziel des AEE, dass wir jetzt in den Landeskirchenrat kommen, was dann irgendwann teilweise passiert ist.“224

Das „Unterwandern“ der Institution, so allerdings mehrere Zeitzeugen implizit oder explizit, verändere auch die „Unterwanderer“225. So kommentiert Werner Schneider, der es zunächst sehr erfreulich fand, dass AEE-Mitglieder in die Kirchenleitung kamen: „Aber es ist ja dann auch so, dass die Strukturen manchmal Personen auffressen, und dass man plötzlich merkt: Soviel kann ich – oder können wir als Personen – doch nicht bewegen. Ich denke, das ist auch eine AEE-Erfahrung.“226 Heute sind einige der befragten ehemaligen AEE-Mitglieder nicht mehr in der Gruppe aktiv; sie sind zum Teil nur noch „unterstützende, zahlende Mitglieder“227, die das Geschehen „aus der Ferne“228 mit verfolgen und zum Teil eine Distanz zu der Entwicklung und den Themen des AEE229 spüren. Einigen erscheint die heutige Funktion der einstigen Reformgruppe als marginal. Vielleicht, so der noch heute im AEE engagierte Hans-Gerhard Koch, müssen „für so eine Reformbewegung, wie es der AEE auf breiter Front gewesen ist, die richtigen Leute und die richtigen Zeitumstände zusammenkommen“230. Was LabeT und VBV betrifft, erwies sich die Frage nach einer Bewertung der Entwicklung durch die ehemaligen Mitglieder als wenig ergiebig: Beide Gruppen waren formal als Interessenvertretungen auf eine kurzzeitige Mitgliedschaft angelegt; mit dem sozusagen berufsbedingten Austritt engagierte man sich meist in generationenübergreifenden innerkirchlichen Gruppen wie dem AEE oder der Pfarrerbruderschaft und verlor einen engeren Bezug zu den Nachwuchsorganisationen. Eine Stellungnahme zum weiteren Weg der Gruppen wollte daher keiner der Interviewpartner abgeben231. 224

Interview Kohler, 13. Vgl. etwa Interview Kohler, 7. 226 Interview Schneider, 14. 227 Interview Frör, 12. 228 Interview Helbig, 20. Vgl. auch seine Bemerkung ebd.: „Aber ich bin schon lange kein aktives Mitglied mehr.“ 229 Vgl. etwa Interview Blendinger, 14: „Meine Distanzierung zum AEE […] war durch die Veränderung der Thematik bei mir bestimmt.“ Vgl. dazu auch Interview Rotenhan, 16: „Natürlich werden da jetzt Fragen verhandelt, die nicht mehr meine Fragen sind.“ 230 Interview Koch, 15 f. 231 Hierfür sei exemplarisch die Aussage aus dem Interview Klose, 14, angeführt: „Ich habe die Nachfolgegeneration nicht vor Augen. Wir haben den Karren, sage ich jetzt mal, angeschoben, und andere haben ihn dann weiterbetrieben. […] Im Vikariat zum Beispiel hatte ich keinerlei Kontakt mehr zum LabeT“. 225

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Querschnittanalyse der qualitativen Leitfadeninterviews

Dass es auch heute noch genügend Themen in Kirche und Gesellschaft gäbe, für die ein Eintreten nötig wäre, darüber waren sich die Befragten einig. Ob die damals gewählte Form einer Reformgruppe dafür geeignet ist, wird angezweifelt. So meint Werner Schanz: „Vielleicht ist die Zeit vom AEE vorbei, so, wie wir ihn initiiert haben. Aber die Zeit für einen Aufbruch ist eigentlich immer nötig; ich weiß nicht, ob Ihre Generation eine neue Form finden könnte.“232 Dem stimmen andere Zeitzeugen zu – auch wenn die Frage, welche neue Form angebracht wäre, offen bleibt.

232

Interview Schanz, 15.

5. Resümee

Abschließend greife ich noch einmal auf die in der Einleitung gestellte These zurück: Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre waren in den westdeutschen Landeskirchen Reformgruppen aktiv, die in ihrem Ruf nach einer Demokratisierung der Kirche von der 68er-Bewegung beeinflusst waren und die ihr stark gesellschaftspolitisches Engagement explizit wie implizit damit begründeten, dass sie damit der engagierten „Zeitgenossenschaft“ von Kirche und Evangelium, die in Jesu Leben und Wirken offenkundig werde, stärker gerecht zu werden versuchten. Exemplarisch zeigen dies die bayerischen Gruppen Arbeitskreis Evangelische Erneuerung (AEE), Vereinigung Bayerischer Vikare (VBV) und Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten (LabeT). Bei der Auswertung der schriftlichen und mündlichen Quellen wurde deutlich, dass sich diese Zweiteilung der Reformanliegen kirchlicher Gruppen an AEE, VBV und LabeT aufzeigen lässt. Was ihre Forderung nach Demokratisierung und Enthierarchisierung kirchlicher Strukturen1 betrifft, zeigt sich der Einfluss der 68er-Bewegung auf diese Gruppen deutlich. Stellt man dann noch in Rechnung, dass die Berufung kirchlicher Reformgruppen des Untersuchungszeitraums „auf den ‚Geist und Sinn Christi‘“ manchem „etwas schlicht vorkomme“2, liegt die Anfrage nahe, ob der Christusbezug damals als Feigenblatt für einen innerkirchlichen Aktionismus zur Verwirklichung linksliberaler Ideen diente. Tendenzen in diese Richtung gibt es sicher; insgesamt würde eine solche Wertung den Reformgruppen meines Erachtens jedoch nicht gerecht. Ihre Argumentations- und Vorgehensweise, ihr Versuch, die – sicher dabei mitunter vernachlässigte – Theorie in die Praxis umzusetzen, sind vielmehr im Kontext einer spezifischen Frömmigkeit dieser Jahre zu sehen. Es ist eine Frömmigkeit, die sich in der gesellschaftlichen Praxis bewähren wollte, die vor allem den Weg nach außen, in die Welt suchte. Eine Frömmigkeit, die den Gottessohn so begriff, wie ihn der Kirchenhistoriker Berndt Hamm im Jahr 1970 beschrieb: „Jesus war […] radikal – in seinen Forderungen und in seinem Erbarmen. […] Er stellte die Hilfe für die Mitmenschen über die Erfüllung des Sabbatgebotes und mutete seinen Hörern die Feindesliebe zu, […] er hielt es 1 2

Vgl. zur Schwierigkeit, den Demokratiebegriff auf die Kirche anzuwenden, Kapitel 3, 111 f. Marquardt, Kritik, 190.

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Resümee

mit den Außenseitern der Gesellschaft, mit den Prostituierten und Kriminellen, mit den Verachteten und Armen. Jesus provozierte auf der ganzen Linie.“3 In der Nachfolge eines so oder ähnlich verstandenen Jesus sahen sich die kirchlichen Reformgruppen – und engagierten sich in seinem Namen für die Welt und gegen Erstarrungen des kirchlichen Systems. Sicher hatte diese Art von Frömmigkeit und die damit einhergehende Begeisterung der Gruppenmitglieder für Kirchenreformen auch Schattenseiten: Eine Überfülle an Themen führte dazu, dass viele Anliegen zwar spektakulär aufgegriffen, dann aber nicht langfristig verfolgt wurden, die Theorie musste so manches Mal hinter der Praxis zurückstehen, es taten sich in den Argumentationen bisweilen Widersprüche auf und manche Verletzung von Repräsentanten konträrer Positionen hätte sicher vermieden werden können. Doch aller Kritik zum Trotz: Die Leidenschaft und Kreativität dieser Männer und Frauen, ihre weltzugewandte Frömmigkeit steckt bis heute an, einmal – ungeachtet der Macht des Faktischen – selbst und mit anderen neu darüber nachzudenken, wie eine Kirche im Sinne Jesu heute aussehen müsste. Und sich dann gemeinsam auf den Weg zu machen.

3 Hamm, Religionen, 133. Vgl. zu der radikalen Frömmigkeit dieser Jahre auch Hager, Rudi Dutschke.

Abkürzungen AEE AfA AKE APO AStA AThP B+K BR BVP CDU CSU DDR DFG DGB DKP DV EGO EKD ELKB FDP KRIBS KSA KSBB i. B. KWV LabeT LKR LWB MdB NELKB NS ÖRK RAF SDS SED VBV VELKD VETh

Arbeitskreis Evangelische Erneuerung Arbeitskreis für Arbeitnehmerfragen Arbeitsgemeinschaft Kirchliche Erneuerung Außerparlamentarische Opposition Allgemeiner Studierendenausschuss Arbeitskreis für Theologie und Praxis Berichte und Kommentare Bayerischer Rundfunk Bayerische Volkspartei Christlich Demokratische Union Christlich Soziale Union Deutsche Demokratische Republik Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Kommunistische Partei Delegiertenversammlung (des LabeT) Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland Evangelische Kirche in Deutschland Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Freie Demokratische Partei Kritische Begleitung der Synode Klinische Seelsorge Ausbildung Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern Konvent Westberliner Vikare Landeskonvent bayerischer evangelischer Theologiestudenten Landeskirchenrat Lutherischer Weltbund Mitglied des Bundestages Nachrichten der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern Nationalsozialismus Ökumenischer Rat der Kirchen Rote Armee Fraktion Sozialistischer Deutscher Studentenbund Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Vereinigung Bayerischer Vikare Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Verband der Evangelischen Theologiestudenten der EKD

Weitere Abkürzungen nach: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG). Bearb. von Siegfried Schwertner. Berlin / New York 21992 oder verstehen sich von selbst.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Unveröffentlichte Quellen 1) Registratur Landeskirchenamt München Az 20 / 3-6-2, Bd. I (1964–1974): Betreff: Ordination der Kandidaten Az 20 / 23-1-3, Betreff: Bekanntmachungen über das Verlöbnis der Pfarrer und Kandidaten Az 20 / 1-1 / 3-26, Bd. I (1971–1979). Betreff: A) Kontakte mit den Theologiestudenten der bayer. Landeskirche (alle Konvente betreffend […]). B) Kontaktgespräche mit den Vertretern der Konvente und mit dem Leitenden Team des LabeT Az 20 / 3-9-4: VBV. Kontaktgespräche mit dem ständigen Team, Zeitraum 1971–1990

2) Landeskirchliches Archiv Nürnberg (LAELKB Nürnberg) Vereine und Institutionen III / 4 (Bayerische Pfarrerbruderschaft) 10: Arbeit der bayerischen Pfarrerbruderschaft 1964–1974 28: Korrespondenz der bayerischen Pfarrerbruderschaft 1960–1968

Vereine und Institutionen III / 20 (Arbeitskreis Evangelische Erneuerung) 1: Erklärung und Resolution über Zielsetzung und Aufgabenstellung des AEE 1967– 1976 3: Sitzungsprotokolle des leitenden Teams 1967–1975 4: Korrespondenz des leitenden Teams 1969–1975 (Amt des Sozialpfarrers bis W. Dollinger) 5: Korrespondenz des leitenden Teams 1969–1974 (H. Edelmann bis H. Luther) 6: Korrespondenz des leitenden Teams 1969–1974 (A. von Maltzan bis F. Rusam) 7: Korrespondenz des leitenden Teams 1969–1974 (M. Schadeberg bis G. Zschieschang) 11: Arbeitsgruppe II: Konfirmation (Gesamtarbeitsgruppe; Untergruppen Nord und Süd 1968–1970) 15: Arbeitsgruppe III: Kirchenverfassung (Materialsammlung zur Verfassungsänderung allgemein 1968–1974) 18: Arbeitsgruppe IV: Kirche und Politik (Sammelakt 1968–1969)

Quellen- und Literaturverzeichnis

321

22: Arbeitsgruppe V: Sammelakt der Untergruppe Süd zum Thema: Errichtung eines Gruppengemeindeamtes bzw. Gruppenpfarramtes 1969–1970 35: Regionalgruppe Nürnberg; Unterkreis Selbstbesteuerung 1969–1971 37: Synodale Arbeitsgruppe Offene Kirche 1973–1975 38: Solidarisierung des AEE mit der „Erklärung evangelischer Theologen und Laien zu Ostverträgen mit Unterschriftenaktion“ 1972 39: Verbindung zur VBV (Vereinigung Bayerischer Vikare) und Landeskonvent bayerischer Theologiestudierender 1970–1972 44: Der Fall Dieter Helbig (Handakte Pfarrer Christian Blendinger) 1969–1971 45: „25 Jahre Arbeitskreis Evangelische Erneuerung. Ein dokumentierender Rückblick“ von Pfarrer Hermann Blendinger 1992 48: „Kritische Begleitung der Synode“ (KRIBS). Flugblätter und Pressestimmen zu den Synoden in Bayreuth und Coburg (Handakte Klaus Diegritz) 1969–1970

Vereine und Institutionen III / 22 (Arbeitsgemeinschaft Kirchliche Erneuerung) 1: 1) Rundschreiben, Arbeitspapiere, Tagungen (auch Gründung 1966) 1966–1971. 2) „Ergersheimer Kreis“ [nur Fragmente] 1953–1963. 3) Arbeitskreis Ev.-Luth. Pastoren [Sitz Braunschweig] 1963–1964. 4)Vorläufiger Leitungskreis der kirchlichen Gruppen 1970–1971

Landesbischof 33: Kontakte zur Vereinigung Bayerischer Vikare (VBV) 1970–1971 51: Auseinandersetzung mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen 1970–1974 66: Stellungnahme zu den Äußerungen des Bundesfinanzministers Franz Josef Strauß über die Außerparlamentarische Opposition (APO) anlässlich der Vorfälle bei dem „Knast-Camp“ in Ebrach (1969) 74: Herausgabe der „Urlaubs-Illustrierten“ für 1971 gemeinsam mit der Diözese München und Freising 1970–1971 133: Verabschiedung von Landesbischof Dietzfelbinger 1974–1975 149: Dienst der Theologin in der Bayerischen Landeskirche 1967–1970 150: Dienst der Theologin in der Bayerischen Landeskirche 1973–1974 162: Theologische Skandale 1968–1969 183: Amt und Ordination 1962–1963; 1969–1974 230: Angelegenheiten der EKD 1957–1966

Personen 154 (Pfarrer Albrecht Köberlin) 15: Auseinandersetzung um das Anti-Rassismus Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen 1972–1974

Pfarreien III / 29 (Evang. Studentengemeinde Erlangen) 22: Gottesdienstordnungen 1947–1969 161: Besetzung der Pfarrstelle (1970–1972)

Quellen- und Literaturverzeichnis

322 Publikationen

Z 343 Evangelische Erneuerung. Berichte und Kommentare Nr. 1 (1968) bis Nr. 26 (1976) Z 492 VBV-Rundbrief

3) Archiv Augustana-Hochschule Neuendettelsau (unsigniert) Info-LabeT, Jahrgänge 1970–1976 LabeT Korrespondenz 1970–1976

4) Unterlagen von Privatpersonen Frör, Peter: Ordner mit Unterlagen zur VBV Helbig, Dieter: Unterlagen zum „Fall Dieter Helbig“ in Nördlingen Klose, Karl-Heinz: Unterlagen zum LabeT und zur VBV Lang, Uwe: Ordner mit Unterlagen zum Politischen Arbeitskreis Neuendettelsau Lang, Uwe: Ordner mit Unterlagen zur VBV Lang, Uwe: Ordner mit Unterlagen zum AEE Schanz, Werner: Unterlagen zum Studienzentrum Josefstal Scheffler, Heinz: Ordner mit Unterlagen zum Politischen Arbeitskreis Neuendettelsau

5) Interviews Christian Blendinger, 15. Juni 2004 in Augsburg Prof. em. Dr. Karl Foitzik, 18. August 2005 in Neuendettelsau Dr. Johannes Friedrich, 6. Juli 2005 in München Peter Frör, 11. Oktober 2005 in Erlangen Dieter Helbig, 24. Juni 2005 in Zirndorf Karl-Heinz Klose, 21. September 2005 in Heilsbronn Dr. Hans-Gerhard Koch, 22. Dezember 2004 in Nürnberg Dr. Günter Kohler, 11. Oktober 2005 in Erlangen Werner Küstenmacher, 6. Juli 2005 in München Georg Kugler, 11. April 2005 in Altdorf Uwe Lang, 16. Februar 2006 in Dinkelscherben Werner Schanz, 18. Februar 2005 in Nürnberg Werner Schneider, 4. Februar 2005 in Bayreuth Eleonore von Rotenhan, 17. Februar 2005 in Nürnberg Hartmut Weber, 24. Mai 2004 in München Dr. Wieland Zademach, 25. Juni 2004 in Erlangen

Quellen- und Literaturverzeichnis

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6) Weitere Auskünfte Weitere Gespräche wurden außerdem geführt mit Valentin Goldenstein (Pfarrer i. R.) am 4. September 2003 in Erlangen, Michael Höchstädter (Dekan in Fürth) am 15. April 2005 in Fürth, Hermann von Loewenich (Altbischof ) am 4. Juni 2004 in Nürnberg, Thomas Öder (Pfarrer in Uttenreuth) am 14. März 2005 in Uttenreuth, Andreas Späth (Vorsitzender der KSBB i. B.) am 13. Juli 2007 (telefonisch) sowie Manfred Seitz (Prof. em.) am 24. September 2003 in Erlangen. Für ihre wiederholte Gesprächsbereitschaft und die Übermittlung aktueller Dokumente wird außerdem Susanne Gutmann (VBV) und Susanne Sahlmann (LabeT) gedankt.

Veröffentlichte Quellen und Darstellungen Ahme, Michael: Der Reformversuch der EKD 1970–1976. Stuttgart / Berlin / Köln 1990. Ahrens, Uwe Bernd: Nachwuchsorganisationen, Mitgliederwerbung. In: Kreßel / Weber (Hg.): 100 Jahre, 142. Albertz, Heinrich / Böll, Heinrich / Gollwitzer, Helmut u. a.: „Pfarrer, die dem Terror dienen?“ Bischof Scharf und der Berliner Kirchenstreit 1974. Eine Dokumentation. Reinbek bei Hamburg 1975. Ammon, Wilhelm von / Rusam, Reinhard: Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 20. November 1971. Erläutert von Dr. jur. Wilhelm von Ammon und Dr. jur. Reinhard Rusam. München 21985. Bäumer, Rudolf: Die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ (Gal. 1,6). In: Bäumer / Beyerhaus / Grünzweig (Hg.): Weg, 36–40. –: Die „Gemeindetage unter dem Wort“. In: Bäumer / Beyerhaus / Grünzweig (Hg.): Weg, 94–96. – / Beyerhaus, Peter / Grünzweig, Fritz (Hg.): Weg und Zeugnis. Bekennende Gemeinschaften im gegenwärtigen Kirchenkampf 1965–1980. Hg. aus Anlaß des 10jährigen Bestehens der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands. Bad Liebenzell 1980. Bauss, Gerhard: Die Studentenbewegung der sechziger Jahre in der Bundesrepublik und Westberlin (Kleine Bibliothek Politik, Wissenschaft, Zukunft; 108). Köln 1977. Becker, Thomas P. / Schröder, Ute (Hg.): Die Studentenproteste der 60er Jahre. Archivführer – Chronik – Bibliographie. Köln / Weimar / Wien 2000. Bell, B. Desmond: Art. Studentengemeinde / Hochschulgemeinde. In: TRE 32 (2001), 263–268. Bergengruen, Hermann: Seyt nuirg keck! Zwischen Studentenrevolte und Kirchenregiment. Stuttgart 1981. Bertaux, Daniel / Bertaux-Wiame, Isabelle: Autobiographische Erinnerung und kollektives Gedächtnis. In: Niethammer (Hg.): Lebenserfahrung, 108–122. Blendinger, Hermann: Aufbruch der Kirche in die Moderne. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 1945–1990. Stuttgart / Berlin / Köln 2000.

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Personenregister / Biogramme

Kursive Seitenzahlen verweisen auf Fundstellen in den Fußnoten.

Ammon, Hans, Dr. phil., Pfarrer 171 f. geb. 7. 12. 1905 Ansbach, gest. 5. 2. 1978 Ansbach 1935 Pfarrer in Fürnried, 1948 Pfarrer in Ansbach-St. Gumbertus, 1955 Pfarrer in Burgbernheim, 1966 Ruhestand. Ammon, Veit, Pfarrer, Oberstudienrat 75, 77 geb. 27. 11. 1937 Fürnried 1966–1969 Vikariat in Passau-Versöhnungskirche, 1967 Ordination, 1969 Religionslehrer in München (Ludwig-Thoma-Realschule), 1974 Oberstudienrat und Religionslehrer (Berufsbildungszentrum für Elektrotechnik und Städtische Fachoberschule München), 1992 Ruhestand. Arndt, Otfried, Dr., Pfarrer 170, 181, 182 geb. 9. 9. 1941 Mönchengladbach Vikar in der bayerischen Landeskirche, 1973 Ordination, später Dienst in der Rheinischen Kirche und in der lutherischen Kirche in den USA. Atzkern, Herta, Mitarbeiterin beim Bayerischen Mütterdienst 52 geb. 16. 3. 1926 Bunzlau 1952 Pfarrfrau in Windischeschenbach, 1959 Mitarbeit im Bayerischen Mütterdienst, ab 1970 Referentin für gemeindebezogene Frauenarbeit im Bayerischen Mütterdienst, 1972–1996 Mitglied der bayerischen Landessynode, Mitglied im Landessynodalausschuss, 1990 Bundesverdienstkreuz. Bäumler, Christof, Dr. theol., Pfarrer, Universitätslehrer (PT) 20, 49, 52, 54, 56, 91, 143, 154, 253, 254, 260, 281, 298 geb. 13. 3. 1927 Bad Kissingen, gest. 7. 2. 1996 München 1953 Religionslehrer an der Oberrealschule Kempten, 1956 Studienrat (Kempten), 1958 Pfarrer in München-St. Matthäus, 1961 Leiter des Studienzentrums für Evangelische Jugendarbeit in Josefstal, 1970 Professor für Praktische Theologie in München, 1995 emeritiert. Bahr, Egon, Journalist, Politiker (SPD) 117 f., 234 geb. 18. 3. 1922 Treffurt / Werra 1948–1950 Korrespondent in Hamburg und Bonn für den Berliner „Tagesspiegel“, 1950–1960 Bonner Kommentator und einige Zeit Chefredakteur von RIAS Berlin, 1960 Leiter des Presse- und Informationsamtes in Berlin, 1966 Sonderbotschafter im Auswärtigen Amt, 1969–1972 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, 1972–1990 Mit-

Personenregister / Biogramme

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glied des Bundestages, 1972–1974 Bundesbevollmächtigter für Berlin und Bundesminister für besondere Aufgaben, 1974–1976 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1984–1994 Leiter des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Bethge, Eberhard, Pfarrer, Honorarprofessor 234, 250 geb. 28. 8. 1909 Warchau, gest. 18. 3. 2000 Wachtberg 1935 Ausbildung im Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Zingst und Finkenwalde, Freundschaft mit Dietrich Bonhoeffer, 1937–1940 Studieninspektor in Bonhoeffers Seminar, 1944 Verhaftung durch die Gestapo, Freilassung im April 1945, bis 1953 persönlicher Referent des Berliner Bischofs Otto Dibelius; Studentenpfarrer an der Humboldt-Universität, 1953–1961 Pfarrer in London, 1962–1976 Leiter des Pastoralkollegs Rengstorf, 1967 Veröffentlichung der Bonhoeffer-Biographie, 1969 Lehre an der Universität Bonn. Birkhölzer, Horst, Pfarrer, Oberkirchenrat 127, 132, 267 f. geb. 18. 12. 1933 Deglhof 1962 Inspektor am Predigerseminar Nürnberg, 1966 Pfarrer in Neu-Ulm-Petruskirche, 1975 Rektor am Predigerseminar Bayreuth, 1982 Oberkirchenrat im Landeskirchenamt, 1999 Ruhestand. Blake, Eugene Carson, Dr., Theologe 214 f., 220, 226 geb. 7. 11. 1906 Saint Louis (Missouri), gest. 31. 7. 1985 Stamford 1928–1929 presbyterianischer Geistlicher in Lahore / Indien, 1932 Hilfsprediger an St. Nicholas / New York City, 1935 Prediger an der First Presbyterian Church in Albany, 1940 Prediger an der Presbyterianer-Kirche in Pasadena in Kalifornien, 1961 Generalsekretär der United Presbyterian Church, 1966–1972 Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Blendinger, Christian, Pfarrer 52, 58, 127 f., 135, 197, 203, 247, 257, 260, 268, 269, 280, 288, 294, 307, 311, 313, 314 geb. 30. 10. 1927 Betzenstein 1960 Pfarrer in Kaufbeuren, 1965 Pfarrer in Nürnberg-St. Lorenz, 1977 Studienleiter an der Evangelischen Akademie Bad Boll, 1983 Pfarrer in Augsburg-St. Ulrich, 1992 Ruhestand. Blendinger, Hermann, Pfarrer 10, 18 f., 25, 47, 194, 211, 224 geb. 26. 1. 1925 Betzenstein, gest. 23. 12. 2005 1954 Pfarrer in Großgarnstadt, 1963 Evangelischer Presseverband München, 1964 Pfarrer in Wasserburg (Bodensee), 1974 Pfarrer in Würzburg-Deutschhauskirche, zugleich Direktor des Rudolf-Alexander-Schröder-Hauses, Evangelisches Bildungszentrum Würzburg, 1988 Ruhestand. Blendinger, Ludwig, Dr. med. vet., Tierarzt 205, 227 geb. 16. 3. 1922 Nennslingen 1948–1982 Tierarzt in Nennslingen, Kirchenvorsteher, Vertrauensmann des Kirchenvorstands, 1980–1986 Präsident der VELKD-Generalsynode, zuvor Mitglied, 1963–1978 Mitglied der bayerischen Landessynode. Böhrer, Siegfried, Pfarrer 78 geb. 4. 11. 1943 Sugenheim

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Personenregister / Biogramme

1968–1972 Vikar in Michelau bei Dekan Wilhelm Mädl, 1972 Pfarrer in Tambach, 2004 Ruhestand. Bogdahn, Martin, Dr. theol., Pfarrer, Oberkirchenrat 132 geb. 23. 11. 1936 Elbing 1967 Pfarrer in München-Christuskirche, 1978 Pfarrer in München-Kreuzkirche, 1985 Beauftragter für Rundfunk und Fernsehen, 1990 Oberkirchenrat des Kirchenkreises München (Kreisdekan), 1997 ständiger Vertreter des Landesbischofs, 2001 Ruhestand. Bogner, Wilhelm, Pfarrer, Dekan 77, 140 geb. 2. 10. 1925 Göggingen (heute Augsburg) 1954 Pfarrer in Michelrieth, 1963 Pfarrer in Fürth-St. Michael II, 1969 Pfarrer in Fürth-St. Michael I, 1977 Dekan in Gunzenhausen, 1990 Ruhestand. Bohrer, Martin, Pfarrer, Dekan 131, 236 geb. 23. 4. 1915 Niederwerrn, gest. 27. 2. 1974 Hof 1947 Pfarrer und theologischer Hilfsreferent im Landeskirchenrat, 1948 Pfarrer in Oettingen, 1958 Dekan in Schwabach, 1968 Dekan in Hof. Bonhoeffer, Dietrich, Pfarrer, Universitätslehrer (ST), Widerstandskämpfer 51 f., 62, 250, 260, 285, 294 geb. 4. 2. 1906 Breslau, gest. (hingerichtet) 9. 4. 1945 KZ Flossenbürg (Oberpfalz) [Personenlexikon 41] Brandt, Willy (eig. Herbert Ernst Karl Frahm), Politiker (SPD), Bundeskanzler 30, 234, 238 geb. 18. 12. 1913 Lübeck, gest. 8. 10. 1992 Unkel bei Bonn 1964 SPD-Vorsitzender, 1966–1969 Bundesaußenminister, 1969–1974 Bundeskanzler, 1971 Friedensnobelpreis für die von ihm initiierte Ostpolitik. Braun, Herbert, Pfarrer, Universitätslehrer (NT) 73 geb. 4. 5. 1903 Warlubien (Westpreußen), gest. 27. 8. 1991 Mainz 1930 Pfarrer in Friedrichshof (Ostpreußen), 1931 Pfarrer in Lamgarben, 1940 Pfarrer in Drengfurt, 1937 inhaftiert als Mitglied der Bekennenden Kirche, 1947 Dozent, 1949 Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Berlin, 1952–1971 Professor in Mainz. Bruckner, Lisette, genannt Liesel, Pfarrerin 48, 195, 205 geb. 22. 1. 1912 Dortmund, gest. 28. 10. 1999 Amberg 1935 Gründerin und bis 1970 Leiterin des „Konvents Bayerischer Theologinnen“, erstes weibliches Mitglied der Bayerischen Pfarrerbruderschaft, 1935 Dekanatsjugendleiterin in Sulzbach-Rosenberg und Helferin für das Pfarramt in Amberg, 1937 Dekanatsjugendleiterin in Erlangen, 1940–1950 Mitarbeit im Reisedienst Mittel- und Unterfranken der Zentrale des evangelischen Jugendwerkes, sowie „Lehrgänge für kirchliche Gemeindearbeit“ (Stein), 1947 mit der seelsorgerlichen Betreuung der Pfarrvikarinnen beauftragt, 1950 Vikarin in Amberg, 1976 Pfarrerin mit allgemeinkirchlichen Aufgaben, 1976 Ruhestand. Bultmann, Rudolf, Universitätslehrer 39, 46, 47, 72 f. geb. 20. 8. 1884 Wiefelstede (Oldenburg), gest. 30. 7. 1976 Marburg [Personenlexikon 48 f.]

Personenregister / Biogramme

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Burkhardt, Karl, Jurist, Staatssekretär, Regierungspräsident von Mittelfranken 136, 140, 177, 203 f. geb. 8. 1. 1910 Ansbach, gest. 24. 8. 1997 1938 bayerische innere Verwaltung, Regierung von Mittelfranken, Innenministerium, Landratsämter Ansbach und Dinkelsbühl, 1950–1957 Rechtsrat und Oberbürgermeister von Ansbach, 1957 / 58 Staatssekretär im Bayerischen Unterrichts- und Kultusministerium, 1958–1975 Regierungspräsident des Regierungsbezirks Mittelfranken, 1960–1983 Präsident der bayerischen Landessynode. Claussen, Ulf, Pfarrer, Wirtschaftswissenschaftler 151 geb. 27. 2. 1943 Berlin 1973 theologischer Referent im Landeskirchenamt München, 1983 Pfarrer in Würzburg-Heuchelhof, 1998 Patronatspfarrer in Amorbach, 2007 Ruhestand. Conzelmann, Hans, Universitätslehrer (NT) 146 f. geb. 27. 10. 1915 Tailfingen (Württemberg), gest. 20. 6. 1989 Göttingen 1954 außerordentlicher Professor für Neues Testament an der Universität Zürich, 1956 ordentlicher Professor in Zürich, 1960 Professor an der Universität Göttingen, 1978 emeritiert. Diegritz, Klaus, Pfarrer, Dekan 52, 57, 135, 140, 142, 238 f., 280, 297 geb. 26. 3. 1926 Nürnberg, gest. 11. 10. 1993 Thalfingen 1953 Pfarrer in Stammbach, 1965 Dekan in Bad Berneck, 1975 Dekan in Neu-Ulm, 1990 Ruhestand. Dietzfelbinger, Hermann, D. theol., Dr. theol. h. c., DD., Pfarrer, bayerischer Landesbischof 12, 19 f., 25, 37 f., 59, 69 f., 78−80, 89, 100, 113, 120 f., 126, 136, 141, 145−147, 167, 168, 177, 181−183, 190, 195 f., 199, 202, 206, 211, 214 f., 217, 226, 229, 230−232, 241, 243, 245, 251, 253, 267, 305, 307 geb. 14. 7. 1908 Ermershausen, gest. 15. 11. 1984 München 1935 Pfarrer in Rüdenhausen, 1939 theologischer Hilfsreferent im Landeskirchenrat München, 1945 Rektor des Predigerseminars Nürnberg, 1953 Rektor der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, 1955 bayerischer Landesbischof, 1967–1973 Vorsitzender des Rates der EKD, 1975 Ruhestand. Dimmling, Ottmar, Pfarrer, Dekan 249−252, 257, 259−263, 265, 267, 269 geb. 3. 4. 1912 Regnitzlosau, gest. 6. 4. 1979 Stephanskirchen 1940 Pfarrer in Großkarolinenfeld, 1958 Pfarrer in Ebersberg, 1964 Dekan in Nördlingen, 1977 Ruhestand. Döpfner, Julius, Dr. theol., Erzbischof von München und Freising, Kardinal 243 geb. 26. 8. 1913 Hausen bei Kissingen, gest. 24. 7. 1976 München 1939 Priesterweihe, 1941–1944 Kaplan in Großwallstadt, anschließend Seelsorger in Schweinfurt und Präfekt in Würzburg, 1946 Subregens des Priesterseminars in Würzburg, 1948 Bischof von Würzburg, 1957 Bischof von Berlin, 1958 Kardinal, 1961 Erzbischof von München und Freising, 1963 einer der vier Moderatoren des II. Vaticanums, 1965 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Dutschke, Rudi, Dr. phil., Politiker und Soziologe, Wortführer der deutschen Studentenbewegung 28, 35 geb. 7. 3. 1940 Schönefeld (Brandenburg), gest. 24. 12. 1979 Aarhus (Dänemark)

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Personenregister / Biogramme

1958 Studienverbot in der DDR wegen Wehrdienstverweigerung, Lehre als Industriekaufmann, 1961–1968 Studium an der FU Berlin, 1962 / 63 Mitbegründer der Subversiven Aktion, die sich 1964 an den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) anschloss, 1968 schwere Verletzung bei Attentat, 1969 London; dann Studium in Cambridge, wegen „subversiver Tätigkeit“ Ausweisung aus England, 1971 Ausreise nach Dänemark; Dozent in Aarhus. Ebert, Andreas, Pfarrer 24, 104f., 167, 288 geb. 12. 3. 1952 Berlin 1984 Pfarrer mit allgemeinkirchlichen Aufgaben: Verein für volksmissionarische Dienste in Nürnberg-St. Lorenz, 1989 Dienst im Prodekanat München-West, 1990 stellvertretender Leiter des Gemeindekollegs der VELKD in Celle, 1996 Pfarrer in München-St. Lukas, seit 2004 Leiter des Spirituellen Zentrums St. Martin am Glockenbach in München. Edelmann, Helmut, Dr. theol., Pfarrer, Propst, Lehrbeauftragter 154, 163, 165 geb. 24. 7. 1950 Obermögersheim 1977–1980 Assistent am Institut für Fundamentaltheologie und Ökumene an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1981–1994 Pastor in Hamburg-Quickborn, 1995–2000 Oberkirchenrat für ökumenische Grundsatzfragen der VELKD in Hannover, 2000–2008 Propst im Kirchenkreis Nordfriesland der Nordelbischen Evang.-Luth. Kirche, seit Herbst 2008 Lehrbeauftragter mit einem Forschungsprojekt „Amerikastudien“ am Systematisch-theologischen Fachbereich der ChristianAlbrechts-Universität Kiel. Foitzik, Karl, Dr. theol., Dipl. Päd., Pfarrer, Professor im Kirchendienst 52, 92, 146, 207, 293, 299 geb. 31. 10. 1937 Schweinfurt 1965 Pfarrer in Colmberg, 1969 Studieninspektor und Studentenpfarrer an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, 1973 Fachhochschullehrer und Leiter am Fachhochschulstudiengang für Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit an der Augustana-Gesamthochschule, 1975 Professor in Fachhochschulen im Kirchendienst, 2003 Ruhestand. Franz, Hans-Kurt, Pfarrer, Dekan 138 geb. 29. 9. 1919 Königszelt, gest. 1. 4. 1995 1950 Vorsteher der Diakonissenanstalt Martinshof-Rothenburg (Lausitz), 1955 Amtsaushilfe Simmershofen, 1956 Pfarrer in Diebach, in den Dienst der bayerischen Landeskirche übernommen, 1961 Dekan in Heidenheim, 1982 Ruhestand. Friedrich, Johannes, Dr. theol., Pfarrer, bayerischer Landesbischof 91, 95, 135 f., 155, 275, 283, 285, 299, 312 geb. 20. 6. 1948 Gadderbaum 1979 Pfarrer in Nürnberg-St. Egidien, zugleich Studentenpfarrer, 1985 Probst von Jerusalem, 1991 Dekan in Nürnberg, 1999 bayerischer Landesbischof. Frör, Kurt, D. theol., Pfarrer, Universitätslehrer (PT) 191 geb. 10. 10. 1905 Rothenburg ob der Tauber, gest. 16. 2. 1980 Erlangen 1936 Pfarrer in München-Christuskirche, 1945 Pfarrer in München-Stephanuskirche, 1949 Beauftragter für kirchliche Unterweisung Rummelsberg, 1952 Pro-

Personenregister / Biogramme

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fessor für Praktische Theologie in Erlangen, 1964 Universitätsprediger, 1972 emeritiert. Frör, Peter, Pfarrer 25, 75, 80, 87, 155, 178f., 190 f., 280, 283, 292, 297, 301, 304, 310, 313 geb. 6. 9. 1942 München 1972 Pfarrer mit allgemeinkirchlichen Aufgaben in den Bodelschwinghschen Anstalten Bethel; Ausbildung als Supervisor in der KSA, 1977 Pfarrer in Bayreuth-Christuskirche (Krankenhauspfarrstelle), 1985 Vertretung, dann Pfarrer in München-Reformations-Gedächtniskirche (Krankenhausseelsorgestelle), 2005 Ruhestand. Gerstenmaier, Eugen, Kaufmann, Theologe, Bundestagsabgeordneter, Bundestagspräsident 255, 257 f. geb. 25. 8. 1906 Kirchheim / Teck, gest. 13. 3. 1986 Oberwinter [Personenlexikon 87] Goldhahn, Johannes, Pfarrer 99 geb. 6. 1. 1948 Hof 1976 Pfarrer in Geilsheim, 1990 Pfarrer in Ansbach-Friedenskirche, 2001 Pfarrer in Immenstadt. Gollwitzer, Helmut, Religionswissenschaftler, Pfarrer, kirchlicher Dozent, Universitätslehrer (ST) 102, 295, 302 geb. 29. 12. 1908 Pappenheim (Bayern), gest. 17. 10. 1993 Berlin [Personenlexikon 90] Goppel, Alfons, Jurist, Dr. h. c., Politiker (CDU / CSU) 229 geb. 1. 10. 1905 Reinhausen bei Regensburg, gest. 24. 12. 1991 Johannesberg bei Aschaffenburg 1930–1933 Mitglied der BVP, 1945 / 46 Gründungsmitglied der CDU Nordhorn und Bentheim in Westfalen, 1946 der CSU in Aschaffenburg, dort CSU-Kreisvorsitzender, 1946 Stadtrechtsrat in Aschaffenburg, 1952 Zweiter Bürgermeister, 1954– 1978 Mitglied des bayerischen Landtages (CSU), 1957–1958 Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium der Justiz, 1958–1962 bayerischer Innenminister, 1962–1978 bayerischer Ministerpräsident, 1979–1984 Mitglied des Europaparlaments. Guevara Serna, Ernesto „Che“, Arzt, kubanischer Politiker 262 geb. 14. 6. 1928 Rosario / Argentinien, gest. 9. 10. 1967 bei Higueras / Bolivien (erschossen) 1953 Promotion in Buenos Aires, danach Arzt in einer bolivianischen Leprastation, revolutionäre Tätigkeit in verschiedenen lateinamerikanischen Staaten, 1956–1959 Guerillakämpfer in Kuba, 1959–1961 Präsident der kubanischen Nationalbank, 1961–1965 Industrieminister, 1966 / 67 Guerillero in Bolivien. Gutmann, Susanne, Pfarrerin 88 f. geb. 27. 1. 1976 Gunzenhausen 2003 Vikariat in Nürnberg-St. Matthäus und St. Jobst, 2006 Wirtschaftsvikariat bei der Siemens AG, 2007 Pfarrvikariat in Nürnberg-Laufamholz, 2009 Pfarrerin im Schuldienst, Hans-Sachs-Gymnasium (Nürnberg). Haase, Hans-Jürgen, Pfarrer, Studiendirektor 157 f. geb. 5. 8. 1945 Memmingen

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Personenregister / Biogramme

1975 Ordination, 1981 Religionslehrer am Geschwister-Scholl-Gymnasium Röthenbach / Pegnitz. Hamm-Brücher, Hildegard, Dr. rer. nat., Staatsekretärin, Politikerin (ehemals FDP) 204 geb. 11. 5. 1921 Essen 1950–1966 und 1970–1976 Mitglied des bayerischen Landtages, 1972 Fraktionsvorsitzende, 1976–1990 Mitglied des Deutschen Bundestags, 2002 Austritt aus der FDP. Hanow, Wolfram, Dekan, Kirchenrat 138 geb. 24. 12. 1909 Tarnowko (Posen), gest. 11. 7. 1999 1937 Studieninspektor in Wittenberg, 1938 Kreispfarrer in Oppeln, 1944 Pfarrer in Wohlau, 1945 Pfarrer in Brieg (Schlesien), 1946 Amtsaushilfe, 1948 Übernahme in die bayerischen Landeskirche, Pfarrer in Fürnried, 1953 Dekan in Cham, 1961 Dekan in Pegnitz, 1976 Ruhestand. Hanselmann, Johannes, D. Dr. phil., Mag. theol. D. D., Pfarrer, bayerischer Landesbischof 12, 19 f., 21, 121, 155 geb. 9. 3. 1927 Ehingen a. R., gest. 2. 10. 1999 Rotthalmünster 1950 Grad eines Sacrae Theologiae Magister am Wittenberg-Seminar in Springfield (Ohio), 1952 Promotion zum Dr. phil., 1953 Pfarrer in Grub a. f., 1966 Leitung des Hauses der Kirche Berlin (West), 1974 Kreisdekan im Kirchenkreis Bayreuth, 1975 bayerischer Landesbischof, 1977 Vizepräsident des Lutherischen Weltbundes, 1986 Präsident des Lutherischen Weltbundes, 1994 Ruhestand. Hanusch, Rolf, Dr. theol., Pfarrer 75, 83, 87, 187, 280 geb. 6. 3. 1943 Nördlingen, gest. 15. 2. 2003 Berlin 1971 Religionslehrer in Pullach, 1975 Studentenpfarrer in Kassel, 1980 Leiter des Studienzentrums Josefstal, 1991 Studienleiter der Evangelischen Akademie Tutzing in Bayreuth, 1994 Leiter der Akademie der Evang. Kirche in Berlin-Brandenburg. Hassel, Kai-Uwe von, Politiker (CDU) 258 geb. 21. 4. 1913 Gare, gest. 8. 5. 1997 Aachen 1954–1962 Ministerpräsident (CDU) von Schleswig-Holstein und Mitglied des Bundesrates, 1962–1966 Bundesverteidigungsminister, 1966–1969 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, 1969–1972 Präsident des Deutschen Bundestages, 1972–1976 Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Heinemann, Gustav Walter, Dr. jur., Dr. rer. pol., Dr. theol. h. c., Politiker, Bundespräsident 258 geb. 23. 7. 1899 Schwelm, gest. 7. 7. 1976 Essen 1933–1945 Mitglied der Bekennenden Kirche, 1949–1950 Bundesinnenminister (CDU), 1950 Rücktritt, 1952 Austritt aus der CDU, Gründung der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP), 1957 Beitritt zur SPD, 1966–1969 Justizminister, 1969–1974 Bundespräsident. Helbig, Dieter, Pfarrer 14, 25, 112, 228, 248−270, 282, 286, 294, 299, 304, 309, 312 geb. 15. 9. 1935 Bayreuth 1966 Pfarrer in Nördlingen, 1971 Pfarrer in München-Emmauskirche, 1987 Missionswerk Tansania; Pfarrer und Missionar in der Massai-Steppe um Same, 1994 Pfarrer in Schonungen, 1997 Ruhestand.

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Herrmanns, Heinrich, Pfarrer, Landesbischof der Evang.-Luth. Kirche von Schaumburg-Lippe 74, 229, 230 f., 286 geb. 9. 4. 1939 Lodz 1969 Pfarrer in Kulmbach-Petrikirche, 1979 Landesjugendpfarrer, 1985 Dekan in Memmingen, 1991 Landesbischof der Evang.-Luth. Kirche von Schaumburg-Lippe, 2001 Ruhestand. Hickmann, Uta, Sozialpädagogin, Hausfrau 132, 204 geb. 28. 10. 1931 Berlin 1955 / 56 Sozialsekretärin im Sozialamt der Westfälischen Kirche, Studium der Medizin, Mutter von vier Kindern und Hausfrau, ehrenamtliche Tätigkeiten, 1972–1990 Mitglied der bayerischen Landessynode, 1991–1997 Mitglied der EKD-Synode, 1994–2002 im Vorstand der Villigst-Stiftung. Hiller, Johannes, Pfarrer, Dekan 49, 180, 224 geb. 3. 3. 1928 Nenzenheim 1953 Inspektor am Predigerseminar Nürnberg, 1956 Pfarrer in München-Kreuzkirche; Studentenpfarrer, 1964 Pfarrer in Ebersberg, 1970 Afrikasekretär bei der Leipziger Mission, Erlangen, 1972 Afrikareferent des Missionswerks, 1976 Dekan in Pegnitz, 1991 Ruhestand. Höchstädter, Michael, Pfarrer, Dekan 93 geb. 12. 7. 1944 Kulmbach 1977 Pfarrer in Großwalbur, nebenamtlicher Berater für Kriegsdienstverweigerer, 1987 Pfarrer in Nürnberg-St. Jobst, 2002 Dekan in Fürth, 2009 Ruhestand. Höfer, Friedrich, Pfarrer, Dekan 40−42 geb. 2. 4. 1915 Werneck, gest. 23. 3. 2002 1954 Pfarrer in Schwaig, 1955 Direktor des Pfarrwaisenhauses Windsbach, 1964 Dekan in Kronach, 1980 Ruhestand. Hoffmann, Kurt, Dr. theol., Pfarrer, Dekan 13, 50, 52, 197 geb. 5. 7. 1929 Coburg, gest. 3. 3. 2004 1958 Pfarrer in Wunsiedel, 1962 Pfarrer in Nürnberg-St. Jakob und Bezirksjugendpfarrer, 1969 Pfarrer in Nürnberg-Lutherkirche, 1973 Standortpfarrer in München, Dozent an der Hochschule der Bundeswehr München, 1979 Dekan in Bad Windsheim, 1983 Pfarrer in Aschau-Bernau, 1990 Ruhestand. Hopf, Ernst, Pfarrer 98, 155, 158, 160, 162−164 geb. 12. 1. 1939 Flossenbürg, gest. 30. 7. 1990 1967 Assistent an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, 1969 Pfarrer mit allgemeinkirchlichen Aufgaben; theologische Hilfskraft im Landeskirchenrat München, 1973 Pfarrer in Heilsbronn, 1980 Rektor des Predigerseminars in Pasing. Horn, Kurt, Pfarrer, Oberkirchenrat 218, 221 geb. 28. 8. 1910 Bad Kissingen, gest. 15. 5. 1990 1936 Pfarrer in Filke, 1946 theol. Hilfsreferent im Landeskirchenrat München, 1947 Dekan in Bad Neustadt, 1953 Rektor des Predigerseminars Nürnberg, 1962 Oberkirchenrat, 1975 Ruhestand. Hubel, Ulrich, Pfarrer 189, 250 geb. 10. 11. 1941 Weilheim

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Personenregister / Biogramme

1970 / 71 Pfarrverweser in Schwabach, 1971–1975 Studium der Pädagogik in Tübingen und Berlin, 1975 Pastorat mit Schwerpunkt Schule und Erwachsenenpädagogik in Düsseldorf / Diakoniewerk Kaiserswerth, 1977 Ordination, 1980 Pfarrer in Kirchfarrnbach, 1987 Religionspädagogisches Zentrum in Heilsbronn, Pfarrer mit allgemeinkirchlichen Aufgaben: Referent für die Ausbildung der Lehramtsanwärter in Mittelfranken, 2006 Ruhestand. Jaumann, Anton, Politiker (CSU) 241 geb. 5. 12. 1927 Belzheim, gest. 23. 1. 1994 München 1957 Rechtsanwalt, 1958–1990 Mitglied des Bayerischen Landtages, 1963–1967 CSU-Generalsekretär, 1966–1970 Staatssekretär im Staatsministerium der Finanzen, 1970–1988 bayerischer Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr. Jelden, Manfred, Pfarrer, Studiendirektor 249 f. geb. 11. 6. 1943 Weimar 1971 Ordination, 1973 Religionslehrer und Schulpsychologe in Nürnberg (Johannes-Scharrer-Gymnasium), 2007 Ruhestand. Jokisch, Hans-Wolfgang, Pfarrer, Kirchenrat, Prodekan 251, 253, 254 geb. 3. 5. 1933 Driesen (Pommern) 1962 Pfarrer in Erlangen-St. Matthäus, 1966 Pfarrer in Erlangen-Neustadt; Studentenpfarrer, 1970 Pfarrer in Pullach, 1984 Pfarrer bei der Evang. Kirche deutscher Sprache in Athen, 1990 Kirchenrat im Landeskirchenamt München, 1992 Prodekan in München-Süd, 1997 Ruhestand. Käsemann, Ernst, Theologe, Universitätslehrer (NT) 72, 73, 253, 254, 295, 302 geb. 12. 7. 1906 Dahlhausen Kr. Bochum, gest. 17. 2. 1998 Tübingen [Personenlexikon 126 f.] Kahle, Rudolf, Pfarrer, Dekan 179 geb. 5. 7. 1918 Berlin, gest. 5. 4. 1999 1954 Pfarrer in Obernburg (Main), 1971 Dekan in Neumarkt in der Oberpfalz, 1983 Ruhestand. Kennedy, John Fitzgerald, amerikanischer Präsident (1961–1963) 28 geb. 29. 5. 1917 Brookline bei Boston, gest. 22. 11. 1963 Dallas, Texas (ermordet) King, Martin Luther, amerikanischer Bürgerrechtler und Baptistenpfarrer 28, 260 geb. 15. 1. 1929 Atlanta, Georgia, gest. 4. 4. 1968 Memphis, Tennessee (ermordet) Klose, Karl-Heinz, Pfarrer 94–99, 147, 157, 258, 279, 282, 285 f., 304, 312, 315 geb. 6. 6. 1948 Schnaittenbach in der Oberpfalz Theologiestudium, Lehramtsstudium, 1979 Pfarrer in Nürnberg-St. Markus, 1986 Pfarrer in Stein-Jakobuskirche, 1996 Referent für die pädagogische Ausbildung für Schule und Gemeinde im Vikariat an den Predigerseminaren Bayreuth und Neuendettelsau, 2005 Pfarrer in Heilsbronn. Knobloch, Ute, Theologin 122 1972 Pfarramtskandidatin und Kandidatin der DKP bei der Kommunalwahl in Frankfurt. Koch, Hans-Gerhard, Dr. päd., Mag. theol., Dipl.-Päd., Pfarrer 68 f., 90, 147, 190, 290, 294, 297, 301, 303–306, 310, 314 f. geb. 13. 5. 1944 Kutno

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1972–1975 Jugendbildungsreferent in der evangelischen Jugendsozialarbeit, 1981 Pfarrer in Weidenberg, 1987 stellvertretender Leiter des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit, 1997 Leiter des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit, 2005 Ruhestand. Köberlin, Albrecht, Pfarrer 131, 137 geb. 17. 8. 1909 Walsdorf, gest. 31. 5. 2000 1937 Pfarrer in Wunsiedel, 1947 Pfarrer in Dachau-Friedenskirche, 1975 Ruhestand. Kohler, Günter, Dr. theol., Pfarrer, Dekan 70, 75, 79, 86 f., 171, 187, 191, 280, 283, 285, 289 f., 294, 299, 301, 310, 314 geb. 1. 4. 1941 Tübingen 1971 CPE-Ausbildung in den USA, 1973 Pfarrer in Fechheim, 1983 Missionswerk (Tansania): Dozent an einer Bibelschule, 1992 Assistent des Direktors im Missionswerk, 1996 Pfarrer in Königsbrunn, 2003 Dekan in Augsburg-Süd, 2006 Ruhestand. Kolb, Richard, Pfarrer, Herausgeber des bayerischen Sonntagsblattes 135 geb. 21. 10. 1914 Hof, gest. 7. 4. 2003 1951 Pfarrer in Wasserburg, 1959 Referent im Diakonischen Werk Bayern in Nürnberg, 1967–1980 Geschäftsführer des Evangelischen Presseverbandes für Bayern und Herausgeber des bayerischen Sonntagsblatts, gleichzeitig Rundfunkbeauftragter der Evang.-Luth. Kirche in Bayern. Kopfermann, Wolfram, Pfarrer 42, 73 geb. 2. 1. 1938 Beverungen Studium der Theologie und Soziologie, 1962–1969 wissenschaftlicher Assistent für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, 1971 Pfarrer in Friesenhausen, 1974 in den Dienst der Evang.-Luth. Kirche Hamburg übernommen; Pastor in Hamburg-St. Petri, 1978 Leiter der „Geistlichen Gemeinde-Erneuerung in der evangelischen Kirche“, 1988 Niederlegung des Pastorenamtes und Austritt aus der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche, Gründung der Freikirche „AnskarKirche“ und deren Leiter. Krusche, Peter, D. theol., Pfarrer, Universitätslehrer (PT), Bischof in Hamburg 48 f., 253, 254, 260 geb. 9. 7. 1924 Tutschin (Polen), gest. 23. 8. 2000 München 1952 Pfarrer beim Amt des Landesjugendpfarrers, 1956 Landesjugendpfarrer, 1962 Dekan in Coburg, 1967 kommissarischer Leiter des Evang.-Luth. Pastoralkollegs Neuendettelsau, 1968 Professor für Praktische Theologie an der Universität München, 1983 Bischof für den Sprengel Hamburg der Nordelbischen Landeskirche, 1992 Ruhestand. Kübel, Gerhard, Pfarrer, Kirchenrat, Dekan 138, 227 geb. 9. 5. 1904 Speyer, gest. 18. 2. 1991 1933 Pfarrer in Untersteinach, 1947 Pfarrer in Nürnberg-St. Lorenz, 1957 Kirchenrat, 1959 Dekan in Bayreuth, 1972 Ruhestand. Künneth, Friedrich-Wilhelm, Dr. theol., Pfarrer 211 geb. 12. 4. 1933 Berlin-Steglitz 1967 Sekretär der Kommission für Erziehungsfragen und für Gottesdienst beim Lutherischen Weltbund in Genf, 1970 Arbeitsauftrag für ökumenische Aufgaben, Referent im Landeskirchenamt, 1979 Pfarrer in München-Paul-Gerhardt-Kirche,

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Personenregister / Biogramme

1980–2003 Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis (KSBB) in München, 1998 Ruhestand. Künneth, Walter, Theologe, Universitätslehrer 42, 47, 116, 202, 236 geb. 1. 1. 1901 Etzelwang (Oberpfalz), gest. 26. 10. 1997 Erlangen [Personenlexikon 148] Küstenmacher, Werner, Pfarrer, Journalist, Karikaturist 24, 35, 104, 106, 108, 288 f., 309, 310, 312 geb. 9. 8. 1953 München 1985 nach dem Vikariat beurlaubt zum Dienst beim Evangelischen Presseverband München (Medienfragen), seit 1990 als freiberuflicher Autor und Karikaturist tätig. Kugler, Georg, Pfarrer 20, 26, 49, 56, 130, 247, 281, 287, 298, 302, 309 f. geb. 23. 4. 1930 Asch 1959 Pfarrer in Nürnberg-St. Sebald, 1967 Pfarrer im Amt für Gemeindedienst, 1974 Leiter der Gemeindeakademie Rummelsberg, 1983 Pfarrer in Lindau-St. Stephan, 1991 Dienstauftrag zur Beratung und Fortbildung von Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern in der Kirchenprovinz Sachsen, 1993 Ruhestand. Lang, Uwe, Pfarrer 25, 82 f., 284, 287, 289, 293, 296, 297, 298, 304, 313 geb. 4. 10. 1943 Augsburg 1974 Religionslehrer am Gymnasium Starnberg, 1979 Pfarrer in Leipheim, 1993 beurlaubt: tätig als Börsen- und Finanzexperte, 1998 Ruhestand. Lanzenstiel, Georg, Pfarrer, Oberkirchenrat, Kreisdekan 49 geb. 2. 5. 1909 Augsburg, gest. 7. 6. 1983 1936 Pfarrer in Nördlingen, 1948 Pfarrer in München-St. Markus IV, zugleich Studentenpfarrer, 1964 Dekan in München, 1966 Kirchenrat, 1971 Oberkirchenrat, Kreisdekan im Kirchenkreis München, 1977 Ruhestand. Lentrodt, Kurt, Dr. med., Dr. med. dent., Honorarprofessor 140, 192 geb. 24. 3. 1898 München, gest. 25. 9. 1979 München 1922 Dr. med. dent., 1929 Dr. med., danach Assistent an der westdeutschen Kieferklinik Düsseldorf, 1955 Honorarprofessor für Zahnheilkunde in München, maßgeblich beteiligt an der Errichtung der Evangelischen Akademie Tutzing und der Evangelischen Theologischen. Fakultät der Universität München, 1951–1972 Mitglied der bayerischen Landessynode, zuletzt deren Alterspräsident. Lips, Hermann von, Pfarrer, Universitätsprofessor (NT) 170−172, 181, 182 geb. 15. 4. 1942 Irmelshausen 1974 Promotion, 1976–1983 Pfarrer in Fürth-Auferstehungskirche, 1983–1993 Assistent für Neues Testament an der Ev.-Theol. Fakultät der Universität München, 1989 Habilitation an der Universität München, 1992–1994 Vertretungsprofessuren in Leipzig, Dresden und Halle, seit 1994 / 95 Professor für Neues Testament an der Theol. Fak. der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 1997 Ephorus am Evangelischen Konvikt Halle, 2007 emeritiert, 2009 Vorsitzender des Mitteldeutschen Bibelwerks. Loewenich, Hermann von, Pfarrer, bayerischer Landesbischof 13, 20 f., 25, 38, 46, 48−53, 55 f., 58−61, 63−68, 74, 108, 130−132, 140, 197, 206, 208, 227, 230 f., 235−237, 241, 245, 251, 280, 286 f., 308, 314 geb. 26. 10. 1931 Nürnberg, gest. 18. 12. 2008 Nürnberg

Personenregister / Biogramme

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1962 Studentenpfarrer in Nürnberg-St. Egidien, 1969 Dekan in Kulmbach, 1976 Dekan in Nürnberg, 1985 Kreisdekan und Oberkirchenrat im Kirchenkreis Nürnberg, 1994 bayerischer Landesbischof, 1999 Ruhestand. Loewenich, Reinhard von, Pfarrer, Dekan 236, 241 geb. 9. 1. 1933 Nürnberg 1962 Amt des Landesjugendpfarrers Nürnberg, 1970 Pfarrer in München-Kreuzkirche II, 1972 Pfarrer in München-Kreuzkirche I, 1978 Dekan in Landshut, 1987 Studienleiter und Direktor der Evangelischen Akademie Berlin-West, 1989 Dekan in Regensburg-Neupfarrkirche, 1998 Ruhestand. Luther, Martin, Reformator 35, 37, 40 geb. 10. 11. 1483 Eisleben, gest. 18. 2. 1546 Eisleben Mädl, Wilhelm, Pfarrer, Dekan, Kirchenrat 46, 76–78, 80, 99, 137, 138 f., 179 f., 217–219, 307 geb. 26. 11. 1906 Bachhausen, gest. 2. 4. 1996 1934 Pfarrer in Grafengehaig, 1943 Pfarrer in Trebgast, 1954 Dekan in Michelau, 1962 Kirchenrat, 1972 Ruhestand. Marx, Karl, Philosoph, Nationalökonom, politischer Journalist 102, 284 geb. 5. 5. 1818 Trier, gest. 14. 3. 1883 London Maser, Hugo, Pfarrer, Oberkirchenrat 307 geb. 17. 12. 1912 Augsburg, gest. 21. 8. 1989 München 1944 Pfarrer in Wiesenbronn, 1951 Pfarrer in München-St. Markus IV, zugleich Studentenpfarrer, 1954 Rektor des Predigerseminars in Bayreuth, 1964 Oberkirchenrat im Landeskirchenamt, 1972 ständiger Vertreter des Landesbischofs, 1980 Ruhestand. Masurczak, Jürgen, Chirurg 103 geb. 1. 12. 1948 Lützen 1970 Beginn des Theologiestudiums, 1974 Aufnahme eines Doppelstudiums Medizin und Theologie, kein theologisches Examen, 1980 Abschluss des Medizinstudiums und Approbation, 1980–1990 Facharztausbildung als Chirurg und Unfallchirurg in Stuttgart, Bocholt und Wesel, 1990 Einstieg in die chirurgische Gemeinschaftspraxis in Crailsheim. Meinhof, Ulrike, Journalistin, führendes Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF) 122, 233 geb. 7. 10. 1934 Oldenburg, gest. 9. 5. 1976 Stuttgart 1955 Studium der Philosophie, Pädagogik, Soziologie und Germanistik, Mitarbeit beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund, 1960–1964 Chefredakteurin bei der Zeitung „konkret“, 1969 / 70 Lehrbeauftragte am Institut für Publizistik der Freien Universität Berlin, 1970 beteiligt an der gewaltsamen Befreiung des Terroristen Andreas Baader aus dem Gefängnis, 1972 Beteiligung an Sprengstoffanschlägen, 1972 Inhaftierung, 1976 Selbstmord in der Gefängniszelle. Meins, Holger, Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF) 105 geb. 26. 10. 1941 Hamburg-Eimsbüttel, gest. 9. 11. 1974 Wittlich 1962 Studium an der Hochschule für bildende Künste Hamburg-Lerchenfeld, ab September 1966 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin, 1970 An-

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schluss an die RAF, 1972 Beteiligung an Bombenanschlägen, 1972 Inhaftierung, 1974 Tod nach wochenlangem Hungerstreik in der Justizvollzugsanstalt Wittlich. Meiser, Hans, bayerischer Landesbischof 46, 113, 195 geb. 16. 2. 1881 Nürnberg, gest. 8. 6. 1956 München [Personenlexikon 169 f.] Michel, Konrad, Rundfunkredakteur 52 geb. 28. 9. 1913 Bingen, gest. 19. 6. 1987 Nürnberg-Mögeldorf Studium der Landwirtschaft, 1938–1944 Lehrzeit im Sortimentsbuchhandel; anschließend Tätigkeit im Verlagsbuchhandel, 1945 Reporter bei „Radio München“ (Vorläufer des Bayerischen Rundfunks unter amerikanischer Leitung), ab 1946 beteiligt am Aufbau der politischen Redaktion bei „Radio München“, 1949–1954 Geschäftsführer des Verwaltungsrats des Bayerischen Rundfunks, 1955–1958 Leiter der Personalabteilung des Bayerischen Rundfunks, 1958–1978 Leiter von Studio Nürnberg (1990 umbenannt in Studio Franken), 1978 Ruhestand, 1959–1971 Mitglied der bayerischen Landessynode, 1985 ausgezeichnet mit der Bürgermedaille der Stadt Nürnberg. Molitoris, Klaus, Theologe, Soziologe 187 f., 189 geb. 15. 9. 1942 Nürnberg, gest. 14. 4. 1995 Burgdorf-Otze 1970 Vikar in München-Christuskirche, 1971 zweite Anstellungsprüfung, 1971 beurlaubt zum Studium in Regensburg, später Professor (FH) für Soziologie. Moltmann, Jürgen, Pfarrer, Universitätslehrer (ST) 51, 54, 62, 234, 296 geb. 8. 4. 1926 Hamburg 1958–1963 Professor für Dogmengeschichte und Dogmatik an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, 1963–1967 Professor für Systematische Theologie und Sozialethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Bonn, 1967 Professor für Systematische Theologie in Tübingen, 1994 emeritiert. Monninger, Gerhard, Pfarrer 68 geb. 8. 9. 1943 Hersbruck 1973 Studieninspektor und Studentenpfarrer an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, 1980 Pfarrer in Stockdorf, 1993 Pfarrer in München-St. Johannes, 2003 landeskirchlicher Beauftragter für Umweltfragen, 2008 Ruhestand. Müller, Else, Ökumenereferentin der bayerischen Landeskirche 209, 295 geb. 23. 11. 1915 Essen, gest. 8. 8. 1987 Nürnberg 1937–1939 Ausbildung zur Gemeindehelferin und Jugendleiterin im Burckhardthaus in Berlin, danach Jugendleiterin in Bamberg, 1947 Reisedienst des evangelischen Mädchenwerks im Amt des Landesjugendpfarrers, 1960 zuständig für die ökumenische Jugend- und Studienarbeit, 1970 erste hauptamtliche Ökumenereferentin der bayerischen Landeskirche, 1974 Mitglied des Nagelkreuzordens, 1983 Bundesverdienstkreuz am Band. Müntzer, Thomas, Priester, radikaler Theologe 36 geb. um 1490 Stolberg / Harz, gest. 27. 5. 1525 Mühlhausen (Bauernkrieg) Nicol, Wilhelm, Pfarrer 46 f. geb. 14. 6. 1920 Rummelsberg, gest. 15. 7. 1996 1950 Pfarrer in Burggrub, 1957 Pfarrer in Nürnberg-Mögeldorf, 1971 Pfarrer in Nürnberg-Melanchthonkirche, 1983 Ruhestand.

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Nold, Elisabeth Charlotte genannt Liselotte, Dr. h. c, Leiterin des Bayerischen Mütterdienstes 196 geb. 22. 4. 1912 München, gest. 5. 7. 1978 1941–1978 Mitarbeiterin beim Bayerischen Mütterdienst, ab 1965 Gesamtleiterin des Bayerischen Mütterdienstes, 1953–1965 Mitarbeit im „Deutschen Ausschuß für Erziehung und Bildung“. Nüssel, Simon, Politiker (Bayernpartei; CSU) 239 geb. 20. 1. 1924 Hohenknoden 1966–70 zweiter Vizepräsident des bayerischen Landtags, 1970 Staatssekretär für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, 1987–1990 Bayerischer Staatsminister für Landwirtschaft und Forsten. Ohnesorg, Benno, Student, Pazifist 30, 300 geb. 15. 10. 1940 Hannover, gest. 2. 6. 1967 Berlin (erschossen) Opp, Johannes, Pfarrer, Dekan 60, 62, 106 geb. 15. 4. 1936 Regensburg 1963 Inspektor am Predigerseminar Bayreuth, 1967 Pfarrer in Kitzingen, 1971 Katechetisches Amt; Referent für Konfirmandenarbeit, 1974 stellvertretender Leiter, 1979 Dekan in Fürth, 1990 Leiter des Katechetischen Amtes, 1994 Direktor des Religionspädagogischen Zentrums Heilsbronn, 2001 Ruhestand. Oursin, Matthias, Pfarrer, Dekan 229 f. geb. 13. 4. 1943 Berlin 1972 Pfarrer in Nürnberg-St. Georgskirche, 1979 Religionslehrer am Gymnasium Hersbruck, 1990 Pfarrer in Lauf an der Pegnitz, 1998 Dekan in Ansbach, 2006 Ruhestand. Pfister, Gerhard, Dr. theol., Pfarrer 187 geb. 14. 1. 1941 Fürth 1969 Assistent an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität München, 1977 Pfarrer in Starnberg, 1993 Pfarrer in Gauting, 2004 Ruhestand. Pflüger, Marianne, Pfarrerin 132, 198, 203 geb. 24. 3. 1929 Stuttgart Pfarrvikarin, 1953 im Dekanat München, 1962 Dienst an der Städt. Berufsschule München, 1966 Studienzentrum Josefstal, 1976 Ordination zur Pfarrerin, 1977 Pfarrerin in München-Nikodemuskirche, 1994 Ruhestand. Putz, Eduard, Pfarrer, Dekan 138 geb. 9. 1. 1907 Altenschönbach (Unterfranken), gest. 22. 9. 1990 Erlangen [Personenlexikon 198] Raeder, Johannes Max, Pfarrer 75, 137, 187 geb. 9. 12. 1942 Alexandrow (Polen) 1974 Pfarrer in München-Lutherkirche, 1982 Pfarrer in Geretsried, 2008 Ruhestand. Raiser, Ludwig, Jurist, Universitätslehrer (Bürgerliches Recht, Wirtschafts- und Handelsrecht) 115 geb. 27. 10. 1904 Stuttgart, gest. 13. 6. 1980 Tübingen [Personenlexikon 201]

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Reissenweber, Volker, Pfarrer 75 f. geb. 3. 9. 1942 Coburg 1969 Vikar in Landshut-Erlöserkirche ( Vikariat Auloh), 1973 zunächst 4. Pfarrstelle Landshut-Christuskirche (Sitz Ergolding); nach Gründung einer eigenständigen Kirchengemeinde Inhaber der Pfarrstelle Ergolding, 1984 Pfarrer in Seidmannsdorf, 2005 Ruhestand. Reissinger, Walter, Dr. theol., Pfarrer, Dekan 43, 141 f., 193, 197, 247 f. geb 12. 7. 1905 Neustadt Aisch, gest. 18. 9. 1986 Bayreuth 1953 Pfarrer in Peißenberg, 1963 Dekan in Wunsiedel, 1972 Ruhestand. Riedel, Heinrich, Landesjugendpfarrer 180, 183, 184 f., 250, 257 geb. 17. 3. 1903 Nürnberg, gest. 8. 6. 1989 München [Personenlexikon 207] Roepke, Claus-Jürgen, Dr. h. c., Pfarrer, Oberkirchenrat 20, 77 f., 203, 211, 242, 246 geb. 23. 1. 1937 Berlin 1967 Volontär bei Presse und Rundfunk, 1967 Pfarrer in München-Stephanuskirche; zugleich Sonderauftrag für evangelische Publizistik, 1974 Oberkirchenrat (Medien- und Öffentlichkeitsarbeit) in der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover, 1980 Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, 1991 Oberkirchenrat und Leiter der Ökumeneabteilung im Landeskirchenamt der bayerischen Landeskirche, 1997–2001 Mitglied des Rates der EKD, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, der Kommission der EKD für den Dialog mit der Russisch-Orthodoxen Kirche, 1995–2008 Präsident des Martin-Luther-Bundes, 2001 Ruhestand. Roser, Hans, Pfarrer, Politiker (CSU) 235, 236, 240 f. geb. 7. 3. 1931 Claffheim, gest. 15. 6. 2005 Roth 1961 Pfarrer in Zeil am Main, 1963 Landjugendpfarrer beim Amt des Landesjugendpfarrers, 1969 Abgeordneter im Deutschen Bundestag (CSU), 1977 Schulpfarrstelle, 1979 Pfarrer in Roth, 1990 Ruhestand. Rotenhan, Eleonore von, Sozialwirtin, Fachhochschullehrerin 281, 282, 284, 285, 286−288, 291, 295, 309, 314f. geb. 3. 6. 1939 Hirschberg / Schlesien 1965–1969 Referentin in der evangelischen Jugendsozialarbeit, 1972 Dozentin, später Professorin an der Staatlichen Fachhochschule München, 1979–1991 Mitglied des Rates der EKD, 1983–1989 Mitglied im Dreiervorstand des Deutschen Evangelischen Kirchentags, 1985–1987 Kirchentagspräsidentin, 1999 gemeinsam mit den kirchlichen Frauenorganisationen „IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit Landesverband Bayern e. V.“ und dem evangelischen „Verein für Internationale Jugendarbeit, Landesverein Bayern e. V.“ Gründerin der ökumenischen gemeinnützigen GmbH „STOP dem Frauenhandel“, Träger für die Hilfsorganisation JADWIGA. Rubner, Eike, Dr. phil., Pfarrer und Psychologe, Psychoanalytiker, Lehrbeauftragter vom Ruth-Cohn-Institut für TZI (Themenzentrierte Interaktion) 72, 75, 76, 97 geb. 16. 10. 1939 in Breslau 1972 Ordination, 1972 Vertretung: Pfarrer in Augsburg Heilig Kreuz II, 1972 beurlaubt für ein Zusatzstudium in Psychologie (Salzburg) und Ausbildung zum Psycho-

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analytiker im Salzburger Arbeitskreis für Tiefenpsychologie (heute: Psychoanalyse), Religionsunterricht im Bereich Traunstein, nicht mehr im Dienst der bayerischen Landeskirche seit November 1978, 1978–2004 Praxis für Psychoanalyse (Rosenheim), seit 1980 Ausbilder in der Gruppenleitermethode TZI am Ruth-Cohn-Institute international, 18 Jahre im Kirchenvorstand (Brannenburg), Gottesdienstvertretungen. Ruhwandl, Helmut, Dr. theol., Pfarrer, Dekan 247 f. geb. 21. 3. 1940 München 1969 Pfarrer in Weißenstadt, 1977 Pfarrer in Regensburg-Dreieinigkeitskirche, 1986 Pfarrer in München-Evangeliumskirche, Prodekan in München-Nord, 1993 Pfarrer in München-St. Markus, Dekan in München, 2000 Projektstelle Augustana-Hochschule Neuendettelsau, Lehrstuhl für Systematische Theologie, Lehrbeauftragter für Ethik, 2005 Ruhestand. Sahlmann, Susanne, geb. Porzelius, Vikarin 109 f. geb. 19.8.1979 in Neustadt a. d. Aisch 2007 Gastvikariat in Halle / Saale-Luthergemeinde Schaefer, Klaus Dieter, Pfarrer 180 f., 182, 185 f. geb. 15. 4. 1943 München Ordination 1971, 1971 beurlaubt zum Studium an der Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Fakultät Nürnberg-Erlangen, 1979 nicht mehr im Dienst der bayerischen Landeskirche. Schanz, Werner, Pfarrer 9, 13, 48, 50, 91, 237, 260, 281, 284, 286, 298, 299, 302, 307, 311, 316 geb. 20. 12. 1931 Memmingen 1961 Pfarrer in Nürnberg-St. Peter, 1965 Schülerpfarrer beim Amt des Landesjugendpfarrers; Verantwortlicher für die Arbeit mit Kriegsdienstverweigerern und Zivildienstleistenden auf Landesebene, 1970 theologischer Leiter des Studienzentrums in Josefstal; 1979 Leiter des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit, 1997 Ruhestand. Scharf, Kurt, Pfarrer, Bischof 122, 233 geb. 21. 10. 1902 Landsberg / Warthe, gest. 28. 3. 1990 Berlin [Personenlexikon 215] Scheuerpflug, Wilhelm, Pfarrer, Fachhochschullehrer im Kirchendienst 148 geb. 18. 8. 1931 Neuendettelsau 1961 Pfarrer in Ingolstadt-St. Matthäus, 1964 Pfarrer in Ingolstadt-St. Johannes, 1966 Amt für Industrie- und Sozialarbeit, 1974 Stiftungsfachhochschule Nürnberg, 1985–1991 deren Präsident, 1993 Ruhestand. Schlichting, Günter, Dr. theol., Pfarrer, Dekan, Kirchenrat 42, 211 geb. 9. 6. 1911 Zoppot (Danzig), gest. 6. 5. 1989 1945 Amtsaushilfe, 1952 Pfarrer in Regensburg-Untere Stadt, 1963 Pfarrer in Bamberg-St. Stephan und Dekan, 1975 Ruhestand. Schlichting, Wolfhart, Dr. theol., Pfarrer 42, 73 geb. 18. 3. 1940 München 1965 Inspektor am Werner-Elert-Heim Erlangen, Promotion, 1969 / 70 Pfarrer in Quito / Ecuador, 1970 CVJM Sekretär in Kassel-Wilhelmshöhe, 1975 Pfarrer in

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Regensburg-Neupfarrkirche, zugleich Studentenpfarrer, 1986–1989 Spiritual bei der Christusbruderschaft in Falkenstein,1989 bis 2005 1. Obmann der „Gesellschaft für Innere und Äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche“, 1990 Pfarrer in Augsburg-St. Jakob, 2005 Ruhestand. Schmid, Klaus-Peter, Pfarrer, Dekan 152 geb. 23. 7. 1920 Münchberg 1951 Pfarrer in Eggenfelden, 1955 Pfarrer im Landeskirchenrat, 1962 Dekan in Neu-Ulm, 1974 Dekan in Augsburg, 1984 Ruhestand. Schmidt, Hans, Oberkirchenrat, Kreisdekan 178, 253, 255, 261, 266 geb. 11. 11. 1902 Erlangen, gest. 12. 4. 1922 München [Personenlexikon 221] Schneider, Werner, Pfarrer 94, 95, 97, 98, 108, 155, 279, 282, 286, 288, 292 f., 297 f., 300, 303, 315 geb. 21. 4. 1946 Bad Berneck 1977 Pfarrer in Neuhaus, 1980 Pfarrer mit allgemeinkirchlichen Aufgaben (Senden), 1986 Vertretung in Altdorf, 1987 Religionslehrer am Dante-Gymnasium München, 1991 Pfarrer in Bayreuth-St. Georgen, 1997 Krankenhausseelsorger in Bayreuth. Schönherr, Albrecht, Pfarrer, Bischof, Vorsitzender der evangelischen Kirchenleitung in der DDR 118 geb. 11. 9. 1911 Katscher, gest. 9. 3. 2009 Potsdam 1947–1962 Pfarrer am Dom zu Brandenburg, parallel Superintendent, 1951 Direktor des Predigerseminars in Brandenburg, 1963 Generalsuperintendant des Sprengels Eberswalde, 1967 Verwalter des Bischofsamtes Berlin-Brandenburg (Ost), 1973– 1981 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg (DDR), 1969–1981 Vorsitzender der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (1973, 1977 Wiederwahl). Schweitzer, Albert, Prof. Dr. phil. D. theol. Dr. med., Theologe, Philosoph, Musikwissenschaftler, Organist, Arzt 260 geb. 14. 1. 1875 Kaysersberg / Oberelsass, gest. 4. 9. 1965 Lambarene / Gabun Schweizer, Eduard, Pfarrer, Universitätslehrer (NT) 47 geb. 18. 4. 1913 Basel, gest. 27. 6. 2006 Zürich Pfarrer in Nesslau / Kanton St. Gallen, ab 1941 zugleich Privatdozent für Neues Testament an der Universität Zürich, 1946 Professor für Neues Testament an der Universität Mainz, 1949 Universität Bonn, und WS 1949 Zürich, dort 1964–1966 Rektor. Schwenk, Martin, Pfarrer 103 f. geb. 28. 2. 1952 Gunzenhausen 1982 Pfarrer in Pilgramsreuth, 1997–2004 gleichzeitig ehrenamtlicher Vorsitzender des Landesverbands für Kindergottesdienstarbeit in Bayern, 2004 Pfarrer in Erding. Seibel, Lieselotte, Lehrerin, Politikerin (SPD) 52 geb. 3. 2. 1932 1966–1980 MdL Bayern (SPD), stellvertretende Vorsitzende des Landesfrauenausschusses des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Bayern, Landesfrauenreferentin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern, bis 1981 Bezirks-

Personenregister / Biogramme

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vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) in Franken, 1979–1989 Mitglied des Europäischen Parlaments, 1987–1989 stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Kultur, Bildung, Information und Sport, Obfrau der Sozialistischen Fraktion im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz. Seitz, Manfred, Pfarrer, Universitätslehrer (PT) 26 geb. 17. 9. 1928 Winterhausen 1953 wissenschaftlicher Assistent in Erlangen, 1958 Pfarrer in Nürnberg-St. Jakob, 1961 Hilfsreferent im Landeskirchenrat, 1964 Dozent am Pastoralkolleg Neuendettelsau, 1966 Professor für Praktische Theologie an der Universität Heidelberg, 1972 Professor an der Universität Erlangen, 1994 emeritiert. Sjollema, Baldwin, Soziologe 215 geb. 1927 Rotterdam 1957 Direktor des ÖRK-Flüchtlingsbüros in Wien, anschließend Referent für Migrationsfragen im ÖRK in Genf, 1982 Direktor des Anti-Apartheid-Programms der Internationalen Arbeitsorganisation. Smolka, Peter, Pfarrer, Dekan 46 geb. 30. 6. 1932 Waldenburg 1960 Pfarrer in Kötzting, 1966 Militärpfarrer in Cham, 1973 Pfarrer in ErlangenSt. Matthäus, 1983 Dekan in Neumarkt in der Oberpfalz, 1995 Ruhestand. Sölle, Dorothee, Dr. habil., Universitätslehrerin, Schriftstellerin 35, 72, 102, 118, 248 geb. 30. 9. 1929 Köln, gest. 27. 4. 2003 Göppingen 1968 Initiatorin der „Politischen Nachtgebete“, 1975–1987 Professorin für Systematische Theologie am Union Theological Seminary in New York, Ehrenprofessorin der Universität Hamburg. Sommerauer, Adolf, Pfarrer, Kirchenrat 49 geb. 6. 12. 1909 München, gest. 12. 5. 1995 München 1937 Pfarrer in Regensburg-Obere Stadt, 1951 theologischer Mitarbeiter an der Evangelischen Akademie Tutzing, 1957 Beauftragter für Predigt- und Rundfunkfragen, 1963–1978 Sendung „Pfarrer Sommerauer antwortet“ im ZDF, 1977 Ruhestand. Späth, Andreas, Religionspädagoge 26 geb. 17. 9. 1971 Augsburg Religions- und Gemeindepädagoge zunächst in Würzburg, dann in München, Religionslehrer in Ansbach, seit 2003 Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis (KSBB), seit 2004 Vorsitzender des Vorstandes der Christlichen Bildungsstiftung (CBS), seit 2008 stellvertretender Vorsitzender des Exekutivausschusses der Internationalen Konferenz bekennender Gemeinschaften. Sperl, Karl Eberhard, Pfarrer 101, 165 geb. 16. 12. 1946 Hafenpreppach 1966–1968 Zeitsoldat, 1976 Pfarrer in Reisbach, 1979 Pfarrer in Meeder, dort Aufbau eines Friedensmuseums, 2003 Pfarrer in Bad Tölz, Ende 2009 Freistellungsphase Altersteilzeit.

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Personenregister / Biogramme

Spiegel-Schmidt, Friedrich, Pfarrer, Hilfskomiteevorsitzender 128, 244 geb. 27. 2. 1912 Montreux (Schweiz) [Personenlexikon 242] Steinbauer, Karl, Pfarrer 49, 297 f. geb. 2. 9. 1906 Windsbach, gest. 6. 2. 1988 Erlangen-Buckenhof [Personenlexikon 247] Stoll, Gottfried, Pfarrer 260 geb. 23. 2. 1933 Neuendettelsau 1962 Pfarrer in Waldmünchen, 1967 Landesjugendpfarrer, 1975 Pfarrer in Gröbenzell, 1989 landeskirchlicher Beauftragter für Fortbildung und Homiletik in Neuendettelsau, 1997 Ruhestand. Stoph, Willi, Politiker (SED) 238 f. geb. 9. 7. 1914 Berlin-Schöneberg, gest. 13. 4. 1999 Berlin 1948–1950 Leiter der Wirtschaftspolitik beim SED-Parteivorstand, 1950–1989 Mitglied der Volkskammer, 1952–1955 Innenminister, 1953–1989 Mitglied des Politbüros, 1956–1960 Verteidigungsminister, 1959 Armeegeneral, 1964–1973 Ministerpräsident, 1973–1976 Vorsitzender des Staatsrates (Staatsoberhaupt), 1976–1989 Vorsitz des Ministerrates und Mitglied des Staatsrates, 1989 Parteiausschluss, 1990 / 91 zeitweilig in Haft. Strauss, Franz Josef, Dr. h. c., Politiker (CSU) 229−232 geb. 6. 9. 1915 München, gest. 3. 10. 1988 Regensburg 1948–1952 CSU-Generalsekretär, 1952–1961 stellvertretender CSU-Vorsitzender, 1953–1955 Bundesminister für besondere Aufgaben, 1955–1956 Bundesminister für Atomfragen, 1956–1962 Bundesverteidigungsminister, 1961–1988 CSU-Vorsitzender, 1966–1969 Bundesfinanzminister, 1978–1988 bayerischer Ministerpräsident. Stüwe, Klauss, Pfarrer, Klinische Seelsorge Ausbildung (KSA), Taijiquan-Lehrer, Komtemplationslehrer (Würzburger Schule der Kontemplation – Leitung Willigis Jäger) 187, 189 geb. 10. 9. 1942 Schwarzach (St. Veit) / Österreich 1973 Pfarrer in München-St. Johannes II, 1981 Pfarrer in München-Lutherkirche I (Giesing), 1995 Leiter des Hauses der Stille im Schloss Altenburg, 2007 Ruhestand. Track, Joachim, Pfarrer, Universitätslehrer (ST) 67 geb. 9. 11. 1940 Nürnberg 1967 wissenschaftlicher Assistent und Privatdozent an der Universität Erlangen-Nürnberg, 1976 Professor für Systematische Theologie an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, 1997 Mitglied des Rates des LWB, insgesamt 18 Jahre Mitglied der bayerischen Landessynode, 2005 Ruhestand. Trommershäuser, Rolf, Theologe 122, 232 geb. 1940 1967–1969 wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Bochum, 1964–1970 SPD-Mitglied, dann Übertritt zur DKP, von der rheinischen Landeskirche als Pfarramtskandidat wegen seiner politischen und theologischen Einstellung abgelehnt, in Hessen zum Pfarrvikar (Pfarrer) in Weillmünster ernannt, wegen seiner DKP-Mitgliedschaft Entlassung aus der Landeskirche.

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Utzschneider, Helmut, Pfarrer, Universitätslehrer (AT) 154, 163, 165 geb. 3. 3. 1949 Gessertshausen 1974 wissenschaftlicher Assistent in München, 1979 Vikar in Baldham bei München, 1980–1982 Pfr. z. A. in Steinebach am Wörthsee, bis 1991 Akad. (Ober-)rat in München, 1991 Professor für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule Bethel, 1992 Professor für Altes Testament an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau. Viebig, Johannes, Pfarrer, Oberkirchenrat 132, 224, 247 geb. 26. 12. 1919 Breslau, gest. 13. 9. 2008 1950 Pfarrer in Steppach, 1954 Pfarrer in Erlangen-Neustadt IV (Studentenpfarrer), 1960 Pfarrer in St. Lorenz I, 1970 Prodekan, 1972 Akademiedirektor Tutzing, 1977 Oberkirchenrat und Kreisdekan Nürnberg, 1985 Ruhestand. Vischer, Gustav Adolf, Dr. jur., Oberkirchenrat 176 geb. 6. 8. 1899 Landsberg (Lech), gest. 5. 8. 1985 1928 Regierungsrat, 1933 Oberregierungsrat, 1943 Regierungsdirektor, 1947 Oberkirchenanwalt, 1950 Oberkirchenrat, 1967 Ruhestand. Visser’t Hooft, Willem Adolf, Theologe, Generalsekretär des ÖRK 213 geb. 20. 9. 1900 Haarlem / Niederlande, gest. 4. 7. 1985 Genf 1924 Sekretär des CVJM-Weltbundes, 1931 Generalsekretär des Christlichen Studentenweltbundes, 1938–1966 Generalsekretär des (im Aufbau begriffenen) Ökumenischen Rates der Kirchen (1948 im Amt bestätigt), 1968 Ehrenpräsident des ÖRK. Walz, Friedrich, Pfarrer 247 geb. 16. 10. 1932 Schillingsfürst, gest. 27. 9. 1984 1962 Pfarrer in Nürnberg-St. Lorenz, 1973 Pfarrer in Erlangen-Neustadt, zugleich Studentenpfarrer, 1980 landeskirchlicher Beauftragter für Hörfunk und Fernsehen. Weber, Hartmut, Pfarrer, Redakteur beim Bayerischen Rundfunk 123, 206, 281, 284, 291, 298, 305, 307 geb. 21. 8. 1942 Gunzenhausen 1970 Pfarrer mit besonderer Verwendung (Kommunikation), 1972 Pfarrer in München-St. Matthäus, 1981 Redakteur im Kirchenfunk des Bayerischen Rundfunks, 2007 Ruhestand. Weidemann, Markus, Pfarrer 151, 233 geb. 12. 1. 1952 München 1984 Pfarrer in München-Nazarethkirche, 1991 Missionswerk Bayern; Tansania, 2004 Pfarrer in Freising. Weizsäcker, Carl Friedrich Freiherr von, Dr. phil., Physiker, Philosoph, Friedensforscher 234, 251 geb. 28. 6. 1912 Kiel, gest. 28. 4. 2007 Söcking am Starnberger See 1946 Professor in Göttingen und Abteilungsleiter am dortigen Max-Planck-Institut für Physik, 1957 Professor und Direktor des Philosophischen Seminars der Universität Hamburg, Mitglied des Max-Planck-Instituts für Physik, 1957 „Erklärung der Göttinger Achtzehn“, 1962 Mitverfasser des Tübinger Memorandums, 1970 Gründung des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg.

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Personenregister / Biogramme

Weizsäcker, Richard Freiherr von, Dr. jur., Politiker (CDU), Bundespräsident 214 geb. 15. 4. 1920 Stuttgart 1979–1981 Vizepräsident des Bundestages, 1981–1984 Regierender Bürgermeister von Berlin, 1984–1994 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, 1964– 1970 und 1979–1981 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, 1967– 1984 Mitglied der Synode und des Rates der EKD. Wild, Hans-Walter, Jurist 241 geb. 27. 11. 1919 Würzburg, gest. 24. 5. 2001 Bayreuth 1958–1988 Oberbürgermeister in Bayreuth Winter, Helmut, Diakon, Redakteur 242 geb. 26. 7. 1927 München 1952 Diakon in Würzburg-St. Johannis, 1961 Redakteur des Evang. Pressedienstes in Nürnberg, 1966 Pressereferent Brot für die Welt Stuttgart, 1968 Leitender Redakteur Sonntagsblatt München, 1980 Chefredakteur Evang. Pressedienst für Bayern in München, 1990 Ruhestand. Wölber, Hans-Otto, Dr. theol., Pfarrer, Bischof in Hamburg 217, 234 f. geb. 22. 12. 1913 Hamburg, gest. 10. 8. 1989 Hamburg 1945 Jugendpastor in Hamburg, 1954 Beauftragter der VELKD für Jugendfragen, 1955–1963 Lehrbeauftragter für „Evangelische Jugendkunde“ an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Hamburg, 1956 Hauptpastor in Hamburg-St. Nikolai, 1959 Senior, Vertreter des Bischofs, 1964–1977 Landesbischof von Hamburg, 1977–1983 Bischof für den Sprengel Hamburg der Nordelbischen Landeskirche 1969–1975 Leitender Bischof der VELKD und Vorsitzender der lutherischen Bischofskonferenz. Wolf, Friedrich, Pfarrer, Prodekan 180, 200 geb. 30. 10. 1910 Nürnberg, gest. 28. 5. 1982 Nürnberg 1938 Pfarrer in Schwabach, 1953 Pfarrer in Nürnberg-St. Sebald und Bezirksjugendpfarrer, 1961 Pfarrer in Nürnberg-Mögeldorf, 1970 Prodekan Nürnberg-Ost, 1978 Ruhestand. Wolf, Konrad, Landwirt, Mitglied der bayerischen Landessynode 184 geb. 22. 2. 1903 Winterstein, gest. 3. 10. 1978 Wolf, Siegfried, Dr. theol., Pfarrer, Oberkirchenrat 76 f., 80, 85, 97, 147, 149–151, 152, 163, 165, 166, 181, 182, 187, 205, 222, 307 geb. 11. 5. 1923 Münchberg, gest. 3. 1. 1997 1956 Pfarrer in Coburg-St. Moritz, 1962 Rektor am Predigerseminar Nürnberg, 1969 Oberkirchenrat, 1986 Ruhestand. Zademach, Wieland, Dr. theol., Pfarrer 61, 72, 144, 147, 284, 296, 298, 311, 314 geb. 25. 11. 1943 Cham 1973 Pfarrer in Streitau, 1988 Geschäftsführer der ACK, 2000 Dienst im Kirchenkreis Nürnberg; Pfarrer in Schwaig, 2006 Ruhestand.