Herbergen in der Kemptener Fürstabtei: Ein Beitrag zur Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums [1 ed.] 9783428587209, 9783428187201

Herbergen sind Relikte einer längst vergangenen Zeit, die aber noch heute im Rahmen des kontinentaleuropäischen Rechtskr

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German Pages 728 [729] Year 2023

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Herbergen in der Kemptener Fürstabtei: Ein Beitrag zur Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums [1 ed.]
 9783428587209, 9783428187201

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Schriften zur Rechtsgeschichte Band 208

Herbergen in der Kemptener Fürstabtei Ein Beitrag zur Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Von

Sven Selinger

Duncker & Humblot · Berlin

SVEN SELINGER

Herbergen in der Kemptener Fürstabtei

Schriften zur Rechtsgeschichte Band 208

Herbergen in der Kemptener Fürstabtei Ein Beitrag zur Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Von

Sven Selinger

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-18720-1 (Print) ISBN 978-3-428-58720-9 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Das Stockwerkseigentum, in Bayern auch Herbergsrecht genannt,1 ist das Schreckgespenst der Praxisjuristen. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen beruhte das Stockwerkseigentum von seiner Entstehung neben wenigen par­ tikulargesetzlichen Vorschriften oftmals nur auf zu verbindlichen Rechtsre­ geln erstarktem Gewohnheitsrecht,2 womit sich dieses Rechtsinstitut einer klaren rechtlichen Ausgestaltung entzieht. Zum anderen befinden sich die geltenden positivrechtlichen Normen mit dem Einführungsgesetz zum Bür­ gerlichen Gesetzbuch oder entsprechenden landesrechtlichen Ausführungs­ bestimmungen in Regelwerken, die heute weder zum Standardrepertoire der juristischen Ausbildung noch zum täglichen Handwerkszeug des praktischen Juristen gehören.3 Außerdem bestanden zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs wie auch für das Stockwerkseigentum oder die altrechtlichen Kellerrechte mehrere Übergangsnormen, deren Existenz bzw. Dogmatik heute oftmals nicht mehr bekannt sind, was die Gerichte allein aus diesem Grund vor schwierige Aufgaben stellt. Vor diesem Hintergrund wird mit dem vorliegenden Werk die Absicht verfolgt, die rechtliche Dogmatik 1  Vgl. P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 ff. m. w. N., v. a. S. 165 f. Fn. 16. Die Bezeichnung Herbergsrecht ist aber keinesfalls auf Bayern beschränkt, sondern Herbergen fanden sich in wesentlichen Teilen des konti­ nentaleuropäischen Raumes. Siehe hierzu etwa für den französischen Raum Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et ex­ pliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230 f., 234 („heberge“); für Wien K. Uhlirz, Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, Abteilung II: Regesten aus dem Archive der Stadt Wien, Band III: Verzeichnis der Originalurkunden des Städtischen Archivs, Wien 1904, S. 130 („herberg“). 2  Siehe hierzu O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 13; P. Putzer, Zur Rechtsge­ schichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 590 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Ab­ schied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126, 129 ff.) m. w. N.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Bei­ trag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 75 ff., 93 ff., 107 ff., 136 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 51 ff. m. w. N.; H. Sprau, Jus­ tizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 1. 3  Vgl. für Bayern nur W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen AusführungsGesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn.  1 ff.

6 Vorwort

des Bayerischen Stockwerkseigentums am Beispiel der noch heute vorhande­ nen Herbergen in der ehemaligen Kemptener Fürstabtei zu erarbeiten, wobei auch durch überregionale Ansätze gleichzeitig versucht wird, das Schreckge­ spenst des eigentlich bereits im Aussterben begriffenen Rechtsinstituts des Stockwerkseigentums aus dem juristischen Alltag endgültig zu vertreiben. Die Motivation zu dieser wissenschaftlichen Abhandlung ist auf mehrere Praxisfälle gegründet, die der Verfasser anwaltlich begleiten durfte und in deren Rahmen wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse gewonnen werden konnten, die es niederzuschreiben galt. Andererseits war es der verfassungs­ geschichtliche Forschungseifer, der eine Zeit wiederaufleben lassen wollte, die bereits lange als vergangen schien. Kempten, im Juli 2022

Sven Selinger

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Historische Grundlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Die Kemptener Fürstabtei – vom Benediktinerkloster zur aufstrebenden Landesgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Die obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 III. Die Genealogie der Herbergen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten . . . . . . . . . . . 190 V. Reichsfürstliches Patrimonium als Instrument zur Verwirklichung einer dem Allgäuischen Gebrauch entrückten Untertänigkeit nach reichsrecht­ lichem Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 VI. Quellennachweise aus der Zeit der Kemptener Fürstabtei . . . . . . . . . . . . 306 C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums . . . . . . . . . . 313 I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei – das bayerische Rechts­ institut im Lichte der allgemein geltenden Rechtsgrundsätze für das Stockwerkseigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 II. Kellerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums im Lichte des Code Napoléon und ihre Brauchbarkeit für das Verständnis des bayerischen Rechtsinstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 I. Das französische Stockwerkseigentum als droit coutumier . . . . . . . . . . . . 487 II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil – die Rechts­ figur der „servitudes établies par la loi“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 III. Das badische Stockwerkseigentum und das Relikt des Obereigentums . . 509 IV. Württembergisches Stockwerkseigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 V. Linksrheinisches Kellerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 I. Fränkische Reichsorganisation – königliche Grundherrschaft . . . . . . . . . . 546 II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft und die hochmit­ telalterliche Stadtentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 III. Die Anfänge der rechtsgelehrten Jurisprudenz ab dem 15. Jahrhundert – Stockwerksservitut und einheitliches Sonder- und Miteigentum an Herbergen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen . . . . 592

8 Inhaltsübersicht F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Kemptener Landtafeln aus dem Jahre 1738 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Urkatastervermessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Hypothekenbuch als Vorgänger des Grundbuchs (Art. 189 I EGBGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

611 611 616 628

G. Die Überleitung von Stockwerkseigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 H. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Historische Grundlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Die Kemptener Fürstabtei – vom Benediktinerkloster zur aufstrebenden Landesgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Das Benediktinerkloster Kempten als königliches Eigenkloster im Rahmen der Marca Campidonensis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Regina Hildegardis und das karolingische Erbe Karls des Großen – der frühmittelalterliche Königshof Hildegardisberg uff der Rotach . . . 49 3. Der Aufstieg der Kemptener Abtei zum Reichsfürstentum als Beleg für die staufische „Feudalisierung der Reichsverfassung“ des Heili­ gen Römischen Reiches Deutscher Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 II. Die obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Fürstliche Kirchenherrschaft und Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Die superioritas territorialis der entstehenden Kemptener Fürst­ abtei und ihr Verhältnis zu den königlichen Regalien sowie der geistlichen Kirchengewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) „Exempto Territorio Campidunensi“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Die Kemptener Fürstabtei im Lichte von obrigkeitsstaatlichen Bestrebungen seit dem 15. Jahrhundert – der Allgäuische Gebrauch als zweischneidiges Schwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Absolutistisch-despotische Alleinherrschaft in prunkvoll-majestäti­ schem Glanz und merkantilistische Wirtschaftspolitik im Fürststift Kempten des 17. und 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4. Aufgeklärter Absolutismus und Reformkatholizismus . . . . . . . . . . . . . 147 5. Hofstaat und Landstandschaft – die neuzeitliche Verfassung des Fürststifts Kempten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 III. Die Genealogie der Herbergen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten . . . . . . . . . . . 190 1. Dominium directum et utile als allgemeiner Ausgangspunkt für Lehen, Emphyteuse und Bodenzinsgüter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Das Lehenswesen in der Kemptener Fürstabtei . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Die allgemeinen Entwicklungslinien des Lehenswesens im Heili­ gen Römischen Reich Deutscher Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Die Investitur als feierlicher Vergabeakt der Lehensgüter . . . . . . . 205 c) Die staatsrechtliche Natur des neuzeitlichen Lehenswesens . . . . . . 213 d) Die geltenden Rechtsquellen des Lehensrechts – der Schwaben­ spiegel oder: Kunic Karls Reht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

10 Inhaltsverzeichnis e) Die Kategorien von Zinslehen und Erblehen im Schwabenspiegel  229 f) Edelmannslehen und Beutel- bzw. Bauernlehen . . . . . . . . . . . . . . . 238 g) Die Zinslehen – eine bayerisch-schwäbische Lehensart sui gene­ ris  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 h) Die Lehenserbfolge und die Kategorie der Erblehen in der Kemptener Fürstabtei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Heimfallrecht und die Auflassung aus der Hand des Monar­ chen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Lehenserbfolge und Allodialerbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 cc) Lex investiturae bzw. das sukzessive Lehenserbrecht im Fürststift Kempten – die Erblehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Die Herbergen – von der klösterlichen Häuserleihe zum Freieigen­ tum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 a) Die Grundherrschaft im Fürststift Kempten im Lichte der Agrar­ verfassung – die emphyteutischen Güter und die bäuerlichen Lehen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Die kirchliche Emphyteuse und die Bodenzinsgerechtigkeit bei Herbergen – zinseigene Güter und Zinslehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 c) Die Herbergen im Lichte von geteiltem Eigentum und Allodifi­ kation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 V. Reichsfürstliches Patrimonium als Instrument zur Verwirklichung einer dem Allgäuischen Gebrauch entrückten Untertänigkeit nach reichsrecht­ lichem Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 VI. Quellennachweise aus der Zeit der Kemptener Fürstabtei . . . . . . . . . . . . 306 C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums . . . . . . . . . . 313 I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei – das bayerische Rechts­ institut im Lichte der allgemein geltenden Rechtsgrundsätze für das Stockwerkseigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 1. Das Prinzip der Horizontalteilung in Abgrenzung zu dem aus dem römischen Recht stammenden Grundsatz superficies solo cedit . . . . . 313 2. Die Rechtsnatur des Stockwerkseigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 a) Die dogmatische Einordnung des Stockwerkseigentums . . . . . . . . 321 b) Eigentliches und uneigentliches Stockwerkseigentum . . . . . . . . . . 332 3. Die Entstehungsgeschichte des geltenden positiven Rechts . . . . . . . . . 336 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Die Normzwecke der Regelungen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in Bezug auf das Stockwerkseigen­ tum – die Motive der Väter des reichseinheitlichen Privatrechts . . 340 c) Motive hinsichtlich des Stockwerkseigentums im Entwurf für ein Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahre 1864 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 d) Der reichseinheitliche Sinneswandel im Königreich Bayern mit der Norm des Art. 42 des Bayerischen Gesetzes, Übergangs­ vorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 09.06.1899 betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

Inhaltsverzeichnis11 4. Die Kommentierung bei Wilhelm von Henle und Heinrich von Schneider als Referenz der Rechtsprechung des Bayerischen Obers­ ten Landesgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts . . . . . a) BayObLGZ 3, 1023 (Unzulässigkeit der Ausdehnung von Stock­ werkseigentum auf bisher im Alleineigentum stehende Teile der Grundfläche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) BayObLGZ 22, 270 (Miteigentum als Voraussetzung von Stock­ werkseigentum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) BayObLGZ 11, 713 (Unzulässigkeit einer nachträglichen Tei­ lung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die grundsätzliche Dogmatik des Stockwerkseigentums in der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts . . . . . . 6. Das geltende Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der eingeschränkte Anwendungsbereich des Art. 42 BayÜGBGB bzw. des Art. 62 BayAGBGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Stockwerkseigentum vor den Schranken des Grundgeset­ zes – die verfassungsrechtliche Fundierung des Grundsatzes der betroffenen Einheitlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Anwendungsbereich des Art. 182 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Norm des Art. 181 II EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Norm des Art. 131 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Norm des Art. 189 I 3 EGBGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Einzelfragen – Tausch von Sondernutzungsteilen, Umbau, Teilung und Gebäudeaufstockung, Untergang bzw. Abbrand des Gebäudes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Das Verhältnis der Stockwerkseigentümer untereinander – der Weg ins Bürgerliche Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Belastung der gemeinschaftlichen Grundfläche zugunsten einer Herbergseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Herbergsrecht und gutgläubiger Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kellerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die geltenden Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehung und Aufhebung von altrechtlichen Kellerrechten  . . . . . . . 3. Das Platzrecht als gelebtes Kellerrecht im Königreich Bayern . . . . . . 4. Die bayerische Rechtsprechung zu Kellerrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Exkurs: Erbbaurechte an Kellern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

353 356 356 357 359 360 361 361 378 392 402 407 412 414 427 435 446 456 456 459 469 473 482

D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums im Lichte des Code Napoléon und ihre Brauchbarkeit für das Verständnis des bayerischen Rechtsinstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 I. Das französische Stockwerkseigentum als droit coutumier . . . . . . . . . . . . 487 II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil – die Rechts­ figur der „servitudes établies par la loi“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 III. Das badische Stockwerkseigentum und das Relikt des Obereigentums . . 509

12 Inhaltsverzeichnis IV. Württembergisches Stockwerkseigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 V. Linksrheinisches Kellerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 I. Fränkische Reichsorganisation – königliche Grundherrschaft . . . . . . . . . . 546 II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft und die hochmit­ telalterliche Stadtentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 1. Sondereigen und markeigene Allmende als strukturelle Elemente eines frühgenossenschaftlichen Verbandes aus individuellen Teil­ habern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 2. Fränkische Markgenossenschaft und Herbergsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 559 3. Die Rechtsinstitute der Ganerbschaft und der Belehnung zur gesam­ ten Hand als Ansatzpunkte eines germanischen Gesamteigentums . . . 565 4. Herbergen und Zuwege als Frühformen von öffentlichen Sachen . . . . 578 III. Die Anfänge der rechtsgelehrten Jurisprudenz ab dem 15. Jahrhundert – Stockwerksservitut und einheitliches Sonder- und Miteigentum an Herbergen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen . . . . 592 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Kemptener Landtafeln aus dem Jahre 1738 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Urkatastervermessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Hypothekenbuch als Vorgänger des Grundbuchs (Art. 189 I EGBGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

611 611 616 628

G. Die Überleitung von Stockwerkseigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 H. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. F. alte Fassung Art. Artikel Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BaWüAGBGB Baden-Württembergisches Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch BayAGBGB Bayerisches Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch BayAGGVG Bayerisches Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz BayAVOGBO Bayerische Ausführungsverordnung zur Grundbuchordnung BayJMBl. Bayerisches Justizministerialblatt BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BayObLGZ Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen BayÜGBGB Bayerisches Gesetz, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuche betreffend, vom 09.06.1899 BayVBl. Bayerisches Verwaltungsblatt BayVerfGH Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bd. Band Bearb. Bearbeiter BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BvL Registeraktenzeichen BVerfG für konkrete Normenkontrollver­ fahren BvR Registeraktenzeichen BVerfG für Verfahren über Verfassungsund Kommunalverfassungsbeschwerden BWNotZ Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg bzw. beziehungsweise ca. circa C.c. Code civil

14 Abkürzungsverzeichnis D./DD.

Diploma, Diplomata

DDLD

Diplomata Ludwigs des Deutschen

ddo.

de dato, ab dem Datum

ders./dies. derselbe/dieselben d. h.

das heißt

d. i.

das ist

Dig. Digesten DNotZ

Deutsche Notarzeitung

Dr. theol.

Doktor der Theologie

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

ebd. ebenda EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Eph

Brief des Paulus an die Epheser; Epheserbrief

etc.

et cetera

ff. fortfolgende fl. r. h.

florenus Rheni; Währungseinheit

Fn. Fußnote fol.

Folio, Folia

GBBerG

Grundbuchbereinigungsgesetz vom 20.12.1993

GG Grundgesetz GVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

HamDOG

Gesetz zur Ordnung deichrechtlicher Verhältnisse der Freien und Hansestadt Hamburg vom 29.04.1964

HessAGBGB

Hessisches Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

hochfürst. hochfürstlich H. R. R. Fürst

Heiliger Römischer Reichs Fürst

Hrsg. Herausgeber hrsg. herausgegeben Jh. Jahrhundert JW

Juristische Wochenschrift

JZ Juristenzeitung kempt. kemptener KG Kammergericht LandR Landrecht LehenR Lehenrecht LG Landgericht M Matthäus-Evangelium MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

Abkürzungsverzeichnis15 MittBayNot

Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern MünchKomm Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch m. w. N. mit weiterem Nachweis NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift – RechtsprechungsReport Nr./Nro. Nummer o. Ä. oder Ähnliches OGH Oberster Gerichtshof, Österreich OLG Oberlandesgericht pr. principium RB Regula benedicti RdL Recht der Landwirtschaft RegBl. Regierungsblatt RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RJA Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts­ barkeit und des Grundbuchrechts Rn. Randnummer röm. römisch S. Satz, Seite SächsArchiv Sächsisches Archiv Sp. Spiegelstrich St. Sankt StAA Staatsarchiv Augsburg Tgw. Tagwerk u. und u. a. und andere unver. Nachdr. unveränderter Nachdruck v. von v. a. vor allem vgl. vergleiche Vorb. Vorbemerkung WEG Wohnungseigentumsgesetz WürttAGBGB Württembergisches Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch WürttArch. Württembergisches Archiv z. B. zum Beispiel ZfV Zeitschrift für Vermessungswesen ZR Zivilrecht

A. Einleitung Der Geist einer längst verblassten Zeit auf dem ehemaligen geistlichen Territorium der Kemptener Fürstabtei lässt sich mit den folgenden Worten widmender Natur auffangen, die aus einem späten Werk zum fürststiftischen Recht aus dem Jahre 1793 entnommen sind: „Dem Hochwürdigsten Fürsten und Herrn Herrn Rupertus, Fürst, und Abten zu Kempten des heiligen römischen Reichsfürsten (…). Euer Hochfürstliche Gnaden erlauben Höchstdenselben ein Werkchen zuzueignen, das Höchstihrer Aufmunte­ rung, und Unterstützung seine Existenz zu verdanken hat. (…) Ich ersterbe in tiefster Ehrerbiethung, euer Hochfürstlichen Gnaden. unterthänigster treu gehor­ samster Verfasser.“1

Dieses Treuegelöbnis eines Untertanen an den regierenden Landesherrn Rupert von Neuenstein macht eine Ehrerbietung bewusst, wie sie gerade für das obrigkeitsstaatlich-absolutistische Zeitalter des Heiligen Römischen Rei­ ches Deutscher Nation charakteristisch war.2 Die Ausrichtung der staatlichen Verfassung und der gesellschaftlichen Ordnung auf eine einzige Person, kombiniert mit den zeittypischen Merkmalen einer absoluten Monarchie, d. h. der Absicherung der fürstlichen Herrschaft unter Ausschluss konkurrie­ render Gewalten, der Erschließung von neuen staatlichen Einnahmequellen durch merkantilistische Wirtschaftsformen, der Modernisierung der Verwal­ tung durch eindeutige Zuständigkeiten und rationalisierte Entscheidungswege sowie der Zentrierung der Regierungsgewalt auf die Person des Fürsten, war das kulturelle Leitbild des europäischen Ancien Régime,3 das aus heutiger Sicht eine andere Welt vermittelt, in die es einzutauchen lohnt. Die Kempte­ ner Fürstabtei war nach dem Hochstift Augsburg der zweitgrößte geistige Staat4 in dem damaligen schwäbischen Reichskreis des Heiligen Römischen 1  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bür­ gerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, Widmung/Vorwort. 2  Siehe zur obrigkeitsstaatlichen Entwicklung der deutschen Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, Mün­ chen 2003, S. 52 ff., 141 ff.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 128 ff., 151 ff., 167 ff. 3  P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 185. 4  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern.

18

A. Einleitung

Reiches Deutscher Nation,5 an welchen auch heute noch teils prunkvolle und mächtige Bauten erinnern. In diesem Sinne ist die im Zentrum der heutigen Stadt Kempten (Allgäu) thronende und im Stile des Barock errichtete Resi­ denz mit der daneben sich befindenden Basilika St. Lorenz anzumerken, de­ ren Errichtung der als despotisch und besessen geltende Fürstabt Roman Giel von Gielsberg nach der Zerstörung des Marienmünsters im Dreißigjährigen Krieg beförderte,6 aber auch die sich auf dem Mariaberg befindende Kapelle Mariä Heimsuchung, deren Neubau von dem bereits als aufgeklärt beschrie­ benen Monarchen und Prälaten Honorius Roth von Schreckenstein7 im Jahre 1783 beauftragt wurde.8 Zeitzeugen bzw. Reste der Frühgeschichte der klösterlichen Abtei bzw. der späteren obrigkeitsstaatlich-monarchischen Epo­ che finden sich aber auch im Kemptener Umland und machen bewusst, dass es eine fürstliche Kirchenherrschaft gegeben hat, die schließlich auf eine lange geschichtliche Tradition zurückblicken konnte. Insoweit schmücken Wandgemälde das Rathaus der Gemeinde Altusried9 und erinnern an die fränkische Königin Hildegard, die Gemahlin Karls des Großen und Gönnerin

5  Regiments-Ordnung Maximilians I. (Augsburger Reichstag) vom 02.07.1500, abgedruckt bei K. Zeumer (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., Tübingen 1913, S. 299; W. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise (1383–1806) – Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998, S. 142 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 102; vgl. P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 195. Der im Jahre 1500 eingerichtete schwäbische Reichskreis als Gebietseinheit war in § 8 der Regiments-Ordnung von Maximilian I., von Gottes Gnaden Römischer König, geregelt und lautete: „Der dritt Kreys begreift die Biß­ thumb, Fürstenthum, Landt und Gebiet der Bischoffen von Chur, Costentz, Augspurg, des Hertzogen von Wirtenberg, des Marggrafen von Baden, die Geselschaft von St. Georgen Schild, die Ritterschaft in Hegaw, auch alle und jede Prelaten, Grafen, Herren, Reichstätt im Landt zu Schwaben.“; K. Zeumer (Hrsg.), ebd., S. 299. 6  Siehe zu der Kemptener Residenz und der Stiftskirche St. Lorenz B. Schaul, Denkmäler in Bayern, Band VII: Schwaben, München 1986, S. 77 f.; B. Bushart/ G. Paula (Hrsg.), Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Band III: Schwaben, 2. Aufl., München 2008, S. 559 ff.; T. Eser, Das Fürststift Kempten unter Abt Roman Giel von Gielsberg (1639 bis 1673), Allgäuer Geschichtsfreund 1991 (91), 5, (5, 7 ff.); M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klos­ terland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 236. 7  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 426 m. w. N. in Fn. 146. 8  B. Schaul, Denkmäler in Bayern, Band VII: Schwaben, München 1986, S. 84. 9  Vgl. zur Geschichte Altusrieds und der veranschaulichenden Bedeutung von Wandgemälden in historischen Bauwerken G. Spahr, Oberschwäbische Barockstraße, Band III: Leutkirch, Ottobeuren, Tannheim, Weingarten 1980, S. 86 f., 90 ff.



A. Einleitung19

des ehemaligen Benediktinerklosters Kempten,10 bzw. an den im Jahre 1525 sich gegen die Fürstengewalt erhebenden Allgäuer Haufen als Sinnbild der Bauernaufstände gegen die reichsfürstlichen Bestrebungen der steuerlichen Unterdrückung der freien Bauern zu Leibeigenen des Stifts.11 Das Schloss zu Thingau im ostallgäuischen Unterthingau war einst Reichshof der Deutschen Könige, bis es im Jahre 1436 vom Fürststift Kempten erworben wurde und ab 1487 der stiftischen Vogtei unterstellt, ab 1642 dann Sitz des Pflegamtes war, nachdem im Jahre 1594 Fürstabt Johann Adam Renner von Allmendin­ gen einen grundlegenden Umbau des einstigen königlichen Gebäudes verfügt hatte.12 Topographisch erstreckte sich die Kemptener Fürstabtei auf ein zu beiden Seiten der Iller bezogenes zusammenhängendes und auch abgeschlos­ senes Gebiet, das um das Jahr 1800 in etwa 18 Quadratmeilen mit 42.000 Ein­ wohnern umfasste, die in der Stiftsstadt, sieben Marktflecken, fünfundachtzig Dörfern und hunderten von Weilern und Einzelhöfen lebten.13 Als geographi­ sche Abrundungen des bestehenden herrschaftlichen Staatsgebiets des Fürst­ stifts Kempten können zu dieser Zeit im Norden Grönenbach-Rothenstein, nordwestlich Waldegg bei Legau, nordöstlich das vormals österreichische Lehen Ronsberg, im Westen Kimratshofen bzw. Hohenthann, im Osten Un­ terthingau, südwestlich Hellengerst, im Südosten Görisried und im Süden Martinszell und Sulzberg angesehen werden,14 so dass der regierende Heilige

10  Siehe zur Geschichte um die fränkische Königin Hildegard und den späteren Allgäuer Haufen M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234. 11  Zu den spätmittelalterlichen Bauernaufständen im Fürststift Kempten O. Erhard, Der Bauernkrieg in der gefürsteten Grafschaft Kempten, München u. a. 1908, S.  3 ff.; P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 3 m. w. N. Zur Vorgeschichte der Bauernerhebungen im Fürststift Kemp­ ten P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayeri­ sche Landesgeschichte 1967 (30), 201, (209 ff.). 12  B. Schaul, Denkmäler in Bayern, Band VII: Schwaben, München 1986, S. 382. 13  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 196; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 314 ff.; M. Weis, Das ehe­ malige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234. 14  A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 314 f.; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, in: Historisches Lexikon Bayern; ders., Kempten, Fürst­ abtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), in: Historisches Lexikon Bayern.

20

A. Einleitung

Römische Reichsfürst und Abt zu Kempten15 seine Herrschaft über ein be­ trächtliches Gebiet ausübte, die ab dem 15. Jahrhundert Vorstufen der Ent­ wicklung einer obrigkeitsstaatlichen Landesgewalt erkennen ließ und unter Beibehaltung der ursprünglichen karolingischen Tradition in die spätere Entstehung eines modernen Klosterstaates münden sollte.16 Als am Ausgang des Mittelalters die Diskurse vom modernen Staat, die in ihren ursprünglichsten staatsphilosophischen und staatstheoretischen Ausfor­ mungen Monarchiediskurse waren, den kontinentaleuropäischen Raum überzogen,17 begann auch das Stift Kempten sich zu einem landesherrschaft­ lichen Klosterstaat zu entwickeln.18 Im Jahre 1348 titulierte sich Abt Hein­ rich von Mittelberg erstmals als Fürstabt, unter seinem Nachfolger Friedrich von Hirschdorf wurde das Kloster unter anderem aufgrund seines bedeuten­ den Grundbesitzes und der selbständigen korporativen Verfassung dann erst­ mals als Stift bezeichnet.19 Im Vordergrund stand für das Fürststift Kempten dabei die Zurückdrängung des Allgäuischen Gebrauchs, der die Gerichts-, Steuer- und Wehrhoheit personalitätsbezogen den entsprechenden Leibherrn zuordnete, weshalb zum Aufbau eines territorialbezogenen Flächenstaates die Verdrängung der fremden Herrschaftsträger auf dem stiftischen Territorium, welches sich in seinen Grenzen auf die ehemalige Marca Campidonensis konzentrieren sollte,20 notwendig war.21 Durch die Bemühungen des Stifts 15  Höchfürstliche Kemptische HofrathsOrdnung vom 28.03.1761: „Wir von Gottes Gnaden Anselm des H. R. R. Fürst und Abt zu Kempten“; Fürst Romans ddo. Schloss Liebenthann vom 18.11.1641 die Auslösungen, das Anfallrecht, und die Ganten betref­ fend: „Romanus von Gottes Gnaden Abt des fürstlichen Stifts Kempten“; Stempel­ papierpatent vom 17.02.1762: „Honorius von Gottes Gnaden des heiligen röm. Reichs Fürst und Abt des Hochfürstlichen Stifts Kempten“. Die Verordnungen sind abgedruckt bei J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürger­ liche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 1, 252, 278. 16  Siehe zur Entwicklung der Kemptener Fürstabtei zum frühmodernen Kloster­ staat vorerst nur P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S.  184 ff. 17  Vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3.  Aufl., München 2002, S.  47 ff., 109 ff., v. a. S.  112; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 169 f. 18  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  18 ff. m. w. N. 19  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17 m. w. N. 20  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 20, 24 f. 21  P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989,



A. Einleitung21

Kempten, den Allgäuischen Gebrauch zu überwinden, entwickelte sich im 15./16. Jahrhundert schließlich der stiftkemptische Territorialstaat heraus, der insbesondere durch den vertraglichen Austausch von Leibeigenen auf das Modell der territorialitätsbezogenen Leibherrschaft und die damit verbundene zunehmend auch gebietsbezogene Trias aus Gerichts-, Steuer- und Wehrho­ heit über die stiftseigenen Untertanen gegründet war.22 Um das entstehende Fürststift Kempten aber wirklich zu verstehen, ist eine eingehende Analyse seiner reichsfürstlichen Staatsorganisation vorzunehmen, die den eigentlichen Hofstaat von den sonstigen Institutionen wie der ab dem 16. Jahrhundert in Erscheinung tretenden bäuerlichen Landschaft abgrenzen.23 Andererseits müssen die verschiedenen Rechtsebenen bedacht werden, die der Verfas­ sungsordnung der Kemptener Fürstabtei zugrunde lagen.24 Durch die Verlei­ hung der Grafschaftsrechte als Reichslehen durch König Friedrich II. im Jahre 1213 waren die Voraussetzungen für die Ausübung von weltlicher Ge­ walt gelegt.25 Die Regalienleihe bezog sich dabei aber nicht auf das allodiale

S.  185 ff.; ders., Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff., v. a. S. 9, 11; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 19 ff. 22  P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S.  185 ff.; ders., Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff., v. a. S. 9, 11; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 19  ff.; vgl. T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (29) m. w. N. 23  Vgl. G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; ders., Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), S. 43 ff.; zur Landschaft J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 203 f.; P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), S. 201 ff. 24  Vgl. hierzu M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 29 ff. 25  StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 18, Urkunde König Fried­ richs II. über die Belehnung des Abts mit den Grafschaftsrechten aus dem Jahre 1213; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  83 f.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 ff.); vgl. zur damit verbundenen weltlichen Gewalt A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichsfürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 554, 556 f. m. w. N. unter Erläuterung der Ansicht Kriegers.

22

A. Einleitung

Kirchengut, das unter dem Obereigentum des Papsttums stand.26 Davon zu unterscheiden ist die Frage nach dem exemten Status des Fürststifts Kemp­ ten, nachdem eine Bulle Papst Sixtus IV. aus dem Jahre 1483 ein entspre­ chendes Privileg beinhaltet hatte.27 In der Wissenschaft wird deshalb auch vertreten, dass der Kemptener Fürstabtei in der Endzeit eine volle Exemtion zukam.28 Auch dieser Fragestellung wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden, um im Ergebnis dann die konkrete Reichweite des „exempto Territorio Campidunensi“ aufzuklären.29 Ab der frühen Neuzeit strebten die Fürstäbte dann schließlich zunehmend einer absolutistischen Staatsform entgegen, bis sich im 18. Jahrhundert vor allem unter den Fürst­ äbten Engelbert von Syrgenstein, Honorius Roth von Schreckenstein und Rupert von Neuenstein mehr wohlfahrtsstaatliche Bestrebungen bzw. aufge­ klärtere Tendenzen im Sinne eines Reformkatholizismus ausmachen ließen.30 26  A. Pöschl, Die Regalien der mittelalterlichen Kirchen, Festschrift der Grazer Universität für 1927, Graz u. a. 1928, S. 43 ff.; vgl. zum Meinungsstand K.-F. Krieger, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter, 2. Aufl., München 2005, S.  84 ff.; A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichs­ fürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 555 f. je­ weils unter Erläuterung der Ansicht Pöschls. Zum päpstlichen Obereigentum M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwi­ schenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 31. 27  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  131 f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  91, 97 f.; D. Willoweit, Das landesherrliche Kirchenregiment, in: K. Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band II, Stuttgart 1983, S. 365; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (43 f.); ders., Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürsten­ tum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 91 f.; H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tridentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 57 f.; vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 263 ff. Zur Exemtion der mittelalterlichen Klöster und den Folgen des Tridentinums grundsätz­ lich J. Freisen, Verfassungsgeschichte der katholischen Kirche Deutschlands in der Neuzeit, Leipzig u. a. 1916, S. 3 ff., 32 f., 39 ff. 28  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 63 f., dort auch zum Begriff der vollen Exemtion m. w. N. 29  Vgl. A. Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità civili, Rom 1919, S. 591. 30  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baierischen Staat, Kempten 1847, S. 297; J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürst­ lichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 177 f., 182 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 64; L. Zenetti, Die Sür­ gen – Geschichte der Freiherren von Syrgenstein, Augsburg 1965, S. 105; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 230 f., 249 f., 421 ff. Zu den Einflüssen der Aufklärung im Fürststift Kempten



A. Einleitung23

Insoweit war unter anderem einer der letzten Hexenprozesse auf deutschem Boden hinsichtlich der angeklagten Anna Maria Schwägelin ein besonderes Ereignis, welchem in der Gesamtschau der neuzeitlichen Verfassung des Fürststifts Kempten nachzugehen sein wird.31 Im Lichte der neuzeitlichen Kirchenherrschaft aber standen in architekto­ nischer Hinsicht die Herbergen als ausgeschiedene Wohneinheiten im Rah­ men von ganzen Häusern,32 in denen zumindest später die Mehrzahl der är­ meren Menschen auf dem herrschaftlichen Grund des Fürstentums Kempten untergebracht waren,33 und die auch heute noch als Reste der vergangenen Zeit erscheinen. Die Herbergen, d. h. „ausgeschiedene Theile eines Hauses, welche selbständig besessen, veräußert, verpfändet und vererbt wurden, wo­ bei aber der Natur der Sache entsprechend die ungetheilte Gemeinschaft einzelner Theile des Gebäudes vorausgesetzt war“,34 stellten für die Men­ schen einen Besitz dar, der zusammen mit der Arbeitskraft ein würdiges Le­ ben ermöglichte.35 Über diese Besitzstände erhob der gnädige Fürstabt aber noch lange Zeit seine herrschaftliche Hand und traf als Obereigentümer im Sinne des grund- und lehensherrlichen dominium directum die verfügenden Entscheidungen darüber, wer überhaupt besitzen durfte.36 Die Herbergen W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Lan­ desgeschichte 1991 (54), S. 239 ff. 31  Zu diesem Hexenprozess umfassend W. Petz, Die letzte Hexe – Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin, Frankfurt a. M. u. a. 2007. 32  Zur Begriffsgeschichte der Herbergen J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 45; P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tü­ bingen 1897, S. 165 f.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 9 ff.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Bei­ trag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 3 f. 33  Vgl. Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 71. 34  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 165  f. (Zitat im Original im Präsenz). 35  Vgl. P. Blickle, Arbeit als Menschenwürde – zur Entstehung des Eigentums, in: ders., Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten – eine Geschichte der Frei­ heit in Deutschland, München 2006, S. 229 ff, v. a. S. 232 und das Schlusskapitel auf S. 305. 36  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21. Grundsätzlich zur Lehre vom geteilten Eigentum A. Thibaut, Über dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 71 ff.; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Hand­ buch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 94 ff.; P. Oertmann, Bayeri­ sches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 314 f.; F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., Band II/1: Sachenrecht, Berlin 1905, S. 432 mit Fn. 16;

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waren deshalb Ausdruck von sozialem Wohlstand und Gnade37 zugleich, zudem dienten sie der Wohnraumschaffung38 und besaßen insoweit auch eine fürsorgende Komponente von Herrschaft. Hinter diesen Herbergen standen letzten Endes die herkömmlichen Prinzipien der Horizontalteilung und damit die altrechtlichen Grundsätze des Stockwerkseigentums als historisch ge­ wachsene, eigenartige Kombination „eines aus getheiltem und ungetheiltem Miteigenthum gemischte(n) Verhältnis(ses)“,39 in anderen Regionen als Ge­ schoss-, Gelass- bzw. Etageneigentum oder gleichsam auch als Herbergsrecht bezeichnet,40 die schließlich über Jahrhunderte in vielen Territorien bzw. Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 325; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 ff.); D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S.  273 ff.; F. Krauss, Das geteilte Eigentum im 19. und 20. Jahrhundert, Frank­ furt a. M. 1999, S. 19 ff.; Ch. Ulmschneider, Eigentum und Naturrecht im Deutsch­ land des beginnenden 19. Jahrhunderts, Berlin 2003, S. 98 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S. 332 f. 37  Zum Prinzip der Gnade des Fürstabts StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2 f. 38  ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 11; dort auch zu der germanischen Tradition der Entstehung und Ausweitung des Instituts des Stockwerkseigentums, S. 9 ff.; vgl. auch P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wan­ del der Zeit, Norderstedt 2014, S. 43 f. Die Bedeutung von Stockwerkseigentum zur Wohnraumschaffung wurde auch rechtspolitisch zu Beginn des Deutschen Kaiser­ reichs, während der Weltwirtschaftskrise in der Weimarer Republik und auch später in der Bundesrepublik Deutschland in Stellung gebracht; siehe hierzu H. Stolp, Die Begründung von Grundbesitzgenossenschaften, insbesondere Gehäuserschaften und Gehöferschaften, Deutsche Gemeinde-Zeitung 1879, S. 53 ff.; W. Meyer, Das Stock­ werks-Eigentum – Ein Vorschlag zur Förderung des Wohnungsbaues, Berlin 1930, S.  3 ff.; Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betreffend Stockwerks­ eigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rahmen des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 1  ff.; H. Lange, Wiederbelebung des Stockwerkseigen­ tums?, NJW 1950 (6), S. 204 ff. 39  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 166; vgl. F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (49, 51 ff.). 40  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 73; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und fran­ zösischen Recht, Heidelberg 1896, S. 26 f.; P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sa­ chenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 m. w. N.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; O. v. Feilitzsch,



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Regionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wie auch dem späteren Königreich Bayern zumindest gewohnheitsrechtlich anerkannt wa­ ren und deren rechtliche Handhabe heute durch positivrechtliche Normen geregelt ist.41 In der Kemptener Fürstabtei waren die Herbergen durch ein fürstlich-kemptener Statut ausdrücklich als zulässig erklärt worden, während in anderen Regionen wie etwa Nürnberg, Würzburg oder Regensburg seit dem 16. Jahrhundert auch entsprechende Verbote bzw. Einschränkungen die­ ses Rechtsinstituts zu verzeichnen waren.42 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden durch eine statistische Erhebung noch rund zweihundertzwanzig dieser Herbergen im Bezirk des Amtsgerichts Kempten gezählt.43 Wie aber sind diese Herbergen in der Kemptener Fürstabtei überhaupt entstanden? Handelte es sich dabei vielleicht um ein besonderes Rechtsinstitut des ger­ manischen Kulturkreises, das sich im Mittelalter herausgebildet und in den frühmodernen Staaten allgemein weiterverbreitet hat, oder aber waren die Herbergen möglicherweise sogar Ausdruck einer frühen wohlfahrtsfördern­ den Gesinnung des neuzeitlichen Kemptener Klosterstaates? Was war der eigentliche Entstehungsgrund von horizontal geteilten Häusern, deren ausge­ schiedene Bestandteile unter mehreren Teilhabern geteilt waren? Einfache Hütten und Häuser aus Holz waren seit dem Ausgang der römischen Antike in vielen Kulturkreisen die typischen Behausungen der nicht dem Adelsstand Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 11 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall prak­ tischer Rechtsgeschichte, JA 1983, S. 415. 41  Siehe hierzu für den späteren Bereich des Königreichs Bayern nur die umfas­ senden Nachweise bei P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 ff. mit Fn. 14 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausfüh­ rungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 42  Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. (Statut Nr. VI): „Art. 11. Die Abtheilung liegender Güter, als Häuser, Herbergen, Felder, Wiesen, Gärten u. ist unter obrigkeitlicher Auctorität zu gesche­ hen, sonst ist sie für nichtig erklärt.“; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 f.; zur Verbotsgesetzgebung in Bayern und in sonstigen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßei­ genthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S.  48 ff.; P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 ff. Fn. 15; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S.  14 ff. 43  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 82 f.

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angehörenden einfachen Menschen.44 Eine derartige Entwicklung von auf mehrere Berechtigte aufgeteilte Herbergshäuser hängt dabei aber grundsätz­ lich nicht nur von den anzutreffenden natürlichen Gegebenheiten ab, sondern ist zunächst von den individuellen Bedingungen einer Rechtsordnung abhän­ gig, die sich auf einen bestimmten Begriff des Eigentums stützt und damit die rechtliche Grundlage für eine zivilisatorische kulturelle Höhe hergibt.45 Im germanischen Kulturkreis waren es das Grundeigentum und der Fahrnis­ gedanke von Entliegenschaften, die zu dem Modell von als beweglich anzu­ sehenden Holzhäusern auf fremden Grund und Boden beigetragen haben.46 Daneben entwickelte sich bei einzelnen germanischen Stämmen bereits früh die dogmatische Rechtsfigur eines Gesamteigentums heraus, das sich nicht nur bei den fränkischen Markgenossenschaften, sondern auch im erbrecht­

44  Zum Forschungsstand hinsichtlich des deutschen mittelalterlichen Holzbaus U. Klein, Zum aktuellen Forschungsstand des Holzbaus in Deutschland, in: Deutsche Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit e. V. (Hrsg.), Holzbau in Mittelalter und Neuzeit, Paderborn 2012, S. 9 ff.; zur Bedeutung des Rohstoffs Holz im Mittelalter und in der Neuzeit P. Blickle, Wem gehörte der Wald?, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S.  37 ff. 45  Siehe hierzu P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 583 f.; vgl. L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 77 f.: „syrischrömischen Rechtsbuches“. 46  Zu den besonderen Eigenschaften des germanischen Grundeigentums in Ab­ grenzung zum Eigentum des römischen Rechts O. v. Gierke, Das deutsche Genos­ senschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 141; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3.  Aufl., München 1864, S.  153 f.; B. Rode, Formen des Eigentums bei den Franken im 5./6. Jahrhundert und der Übergang von gentilpolitischen Normen zu Rechtsnormen – dargestellt anhand der Lex Salica, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 199 ff. Siehe dagegen zu dem vom Grund und Boden losgelösten Sondereigentum an Gebäuden nach deutschen territo­ rialen Rechten J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S.  66 f., 71 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 40 ff. m. w. N.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 153 f.; F. Novak, Das Stockwerks­ eigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (99 f.); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70.  Geburtstag, Salzburg 1971, S.  585  ff.; S. Saar/V.  Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (415 f.); S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3.



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lichen Prinzip der Ganerbschaft manifestierte.47 Die besondere Struktur aus Sondereigen, das einem solidarischen Teilhaber zustand, und gesamteigen­ tümlichen Einrichtungen erscheint hierbei als grundsätzliche Implikation, die dem germanischen Eigentumsrecht anhaftete und womöglich auch die recht­ liche Grundlage für das altrechtliche Institut des Stockwerkseigentums bilde­ te.48 Die Herbergen als ausgeschiedene Gebäudebestandteile passen sich in dieses Muster nahtlos ein, weshalb es nicht ausgeschlossen erscheint, dass sich die horizontalen Gebäudeteilungen in ihrem Ursprung möglicherweise auf das fränkische Recht bzw. entsprechende spätere partikulargesetzliche Abbilder zurückführen lassen. Die vorliegende Arbeit möchte sich deshalb den Herbergen als Relikten der klösterlichen Fürstenherrschaft in rechtsge­ schichtlicher und rechtswissenschaftlicher Hinsicht widmen. Die Untersu­ chung soll sich dabei in erster Linie auf den Zeitraum des hohen Mittelalters bis zur Auflösung der Kemptener Fürstabtei im Zuge der Säkularisation im Jahre 1803 konzentrieren,49 wenngleich es die vollständige Aufklärung der Geschichte der Herbergen in der Kemptener Fürstabtei aber verlangt, auch die Frühgeschichte des Benediktinerklosters Kempten, die rechtlichen Grund­ lagen des fränkischen Rechts sowie frühe germanische Erscheinungsformen dieses Rechtsinstituts entsprechend zu würdigen. Im Fürstensaal der Kemptener Residenz findet sich ein gegen Ende des 17. Jahrhunderts im Auftrag von Fürstabt Rupert von Bodman gefertigtes Ge­ mälde, das die Königin Hildegard, die Gemahlin Karls des Großen, zeigt, wie sie die von ihr gestiftete Klosterkirche Kempten in Händen hält.50 Der mo­ derne Klosterstaat Kempten stand nachweisbar in der karolingischen Tradi­ Das Gesammteigentum, Marburg 1843, S. 145 ff., 152 ff. hierzu vorerst nur R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Mitei­ gentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 34 ff.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Fest­ schrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 586 f.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 184. 49  Siehe zur Auflösung der Kemptener Fürstabtei im Zuge der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts umfassend F.-R. Böck, Die Säkularisation des Fürststifts Kempten, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 391 ff.; vgl. grund­ sätzlich zur Säkularisation M. Permaneder, Handbuch des gemeingiltigen katholi­ schen Kirchenrechtes, 3. Aufl., Landshut 1856, S. 50. 50  Abgedruckt bei R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 19. Zur entsprechenden Sage hinsichtlich der fränkischen Königin Hildegard und der gestifteteten Klosterkirche J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürs­ teten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauern­ kriegs, Kempten 1840, S. 19 ff. 47  L. Duncker, 48  Siehe

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tion.51 Gibt es deshalb möglicherweise, abgesehen von der nicht auszuschlie­ ßenden allgemeinen Affinität gegenüber dem fränkischen Recht, auch im Konkreten historische Berührungspunkte zwischen dem Erbe des Fränkischen Kaisers Karl dem Großen und den Herbergen im Fürststift Kempten? Von der Rechtsnatur waren die Herbergen grundsätzlich dem Immobiliarvermögen zu­ geordnet, so dass für sie das in der Kemptener Fürstabtei geltende Recht der liegenden Güter anwendbar war.52 Neben der emphyteutischen Häuser- und Grundleihe und darauf aufbauenden Gebäudeteilungen konnte die Entstehung einer Herberge daher insbesondere durch die disponierende Vergabe eines lan­ desherrschaftlichen Grundbesitzes als Lehensgut ermöglicht werden.53 Die Benediktinerabtei Kempten war seit ihrer Gründung Mitte des 8. Jahrhunderts eines der privilegiertesten Klöster im schwäbischen Reichskreis des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, was in erster Linie auf die symbolische und materielle Unterstützung durch die aus einem schwäbischen Herrschafts­ geschlecht stammende fränkische Königin Hildegard zurückzuführen war.54 Im Jahre 774 verlieh der spätere Kaiser des Fränkischen Reiches Karl der Große der Kemptener Benediktinerabtei die kirchliche Immunität, womit der unantastbare Amtsbezirk der Marca Campidonensis verbunden war, der fortan 51  M. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte, Band 20, Leipzig 1794, S. 56; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  19 ff.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (230 ff.); L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 2 f.; M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311 f.; H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tridentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 48, 58. 52  Zum Recht der liegenden Güter im Fürststift Kempten J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XLIX. 53  Siehe zu den einzelnen Rechtsinstituten hinsichtlich altrechtlicher Leiheverhält­ nisse an Grund und Boden vorerst nur S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privat­ rechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 1 ff. 54  F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des His­ torischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (228 ff.); M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311.



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unter königlicher Schirmherrschaft stand.55 Diese karolingische Verbunden­ heit mit dem Königtum des Fränkischen Reiches legte den Grundstein für den im Jahre 1213 durch eine Reichsbelehnung mit den Grafschaftsrechten vorbe­ reiteten Aufstieg der Kemptener Abtei zu einem Reichsfürstentum,56 worin möglicherweise gleichzeitig ein Nachweis für eine planmäßige staufische Re­ form bzw. Feudalisierung der Reichsverfassung des Heiligen Römischen Rei­ ches Deutscher Nation zu erblicken ist.57 Mit Artikel 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde als subsidiäre Rechtsquelle des Lehenswesens auf die „gemaine(n) kayserlichen Satzungen“ abgestellt.58 Es stellt sich damit die 55  Siehe hierzu L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  2 f.; W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwal­ tungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Ber­ lin u. a. 2019, S. 180 f.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311 f.; grundsätz­ lich zum Rechtsinstitut der kirchlichen Immunität G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Band I: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 1914, S. 253 ff. 56  Siehe zur Reichsbelehnung mit den Grafschaftsrechten hinsichtlich der früheren Kemptener Abtei F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeit­ schrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 f.); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  32 f., 199; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311 f. 57  Zur herrschenden Ansicht, die in dem Prinzip der Reichsbelehnung ein staufi­ sches Reichsorganisationsprinzip sieht, O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohen­ staufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 11 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Band V: Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 20; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Auf., München 2013, S.  76 f.; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Hei­ delberg 2005, S. 51 ff.; J. Dendorfer, Roncaglia: Der Beginn eines lehnrechtlichen Umbaus des Reiches?, in: S. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhundert, Regensburg 2010, S. 111 ff., v. a. S. 124 ff.; G. Dilcher, Die Entwick­ lung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Saliern und Staufern: in: Il feudale­ simo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288; K.-F. Krieger, Die Lehensho­ heit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200–1437), Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 23, Aalen 1979, S. 262 ff., der aber auf einen Widerspruch hinsichtlich fürstlicher Eigengüter hinweist, diese aber dann insgesamt als von der Reichsbelehnung abgeleitet unterstellt; tendenziell auch G. Lubich, Le­ hensgeber und Lehensnehmer – Herrschender und Beherrschter? Amtslehen und Herrschaftsgestaltung am Beispiel der Herzogtümer, in: J. Dendorfer/R. Deutinger (Hrsg.), Das Lehnswesen im Hochmittelalter, Ostfildern 2010, S. 441. 58  StAA, Artikel 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f.

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Frage, was mit diesem Terminus gemeint war. Handelte es sich dabei viel­ leicht um den Schwabenspiegel, der auch als „Kunic Karls Reht“59 bezeichnet wird? Sind die Herbergen in einem weiteren Sinne vielleicht nichts anderes als Erben von keinem Geringeren als dem Fränkischen Kaiser Karl dem Großen? Ist das dogmatische Grundprinzip, das den Herbergshäusern immanent er­ scheint, möglicherweise der unter Karl dem Großen im Rahmen der nationa­ len Reichsordnung des Fränkischen Reichs gefestigten Benefizialverfassung60 entlehnt? Vor dem Hintergrund des rechtlichen Ursprungs der Herbergen wird das Lehenswesen im Fürststift Kempten einer eingehenden Analyse unterzo­ gen. Dabei stehen neben den allgemeinen Entwicklungslinien des Lehenswe­ sens und den geltenden Rechtsquellen im Fürststift Kempten insbesondere die auf Herbergen bezogenen Lehensarten im Mittelpunkt der Betrachtung. Im Übrigen sieht sich die Arbeit insbesondere aber auch einer Entschlüsselung der staatsrechtlichen Natur des neuzeitlichen Lehenswesens verpflichtet. Die neuzeitliche Form des Lehenswesens unterscheidet sich von der mittelalter­ lichen erheblich und führte in der Kemptener Fürstabtei unter der obrigkeits­ staatlichen Herrschaft der Fürstäbte zu der Etablierung eines Besteuerungssys­ tems, welches das ursprüngliche persönliche Moment der Belehnung weitge­ hend in den Hintergrund treten ließ.61 Daneben werden aber auch die kirch­ liche Emphyteuse und das aus dem römischen Recht stammende Rechtsinstitut der superficies auf ihre grundsätzliche Eignung für den damaligen Herbergs­ bau untersucht.62 Im Ergebnis wird gezeigt werden, dass das neuzeitliche Le­ 59  Siehe hierzu Ch. Bertelsmeier-Kierst, ‚Schwabenspiegel‘ oder Kunic Karls Reht, in: dies. (Hrsg.), Kommunikation und Herrschaft, Stuttgart 2008, S. 125 ff. 60  Zur fränkischen Benefizialverfassung vorerst nur G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 62 ff.; E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzei­ ten – in seinen Verbindungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staatsund Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S. 94 ff., 122 ff., 324 ff. 61  Zur neuzeitlichen Finanzverfassung im Fürststift Kempten L. Margraf, Die ­Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 39 ff., 45; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röcke­lein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 329 ff.; zur Entwicklung des Finanzwesens in den deut­ schen Territorialstaaten T. Mayer, Geschichte der Finanzwissenschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. Gerloff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Finanz­ wissenschaft, Band I, Tübingen 1952, S. 236 ff., v. a. S. 244 ff.; M. Körner, Steuern und Abgaben in Theorie und Praxis im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: E. Schremmer (Hrsg.), Steuern, Abgaben und Dienste vom Mittelalter bis zur Gegen­ wart, Stuttgart 1994, S. 60 ff., 70 f. 62  Zu den Rechtsinstituten der (kirchlichen) Emphyteuse und der aus dem römi­ schen Recht entstammenden superficies allgemein A. Schmid, Handbuch des gegen­ wärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S.  1 ff., 57 ff.



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henswesen Ausübung von Staatsgewalt war, die sich in materieller Hinsicht hinsichtlich der liegenden Güter in den Herbergen als „feuda ignobilia censu­ alia haereditaria“63 bzw. als einer Bodenzinsgerechtigkeit unterliegenden Gü­ tern64 manifestierte, die sich mit der Zeit von dem im mittelalterlichen Dogma eines geteilten Eigentums aus dominium directum et utile65 verhafteten Obereigentum des Fürststifts Kempten befreien konnten und dann später re­ gelmäßig ein unter Zustimmungsvorbehalt stehendes Freieigentum markier­ ten.66 Die bereits vorhandenen Werke zum Stockwerkseigentum kränkeln oft­ mals an einer zu starren Abstraktheit, die einer wissenschaftlichen Herausar­ beitung der grundsätzlichen Dogmatik dieses Rechtsinstituts entgegensteht. Das Stockwerkseigentum beruht im Ergebnis auf einfachen Grundsätzen, die in Abgrenzung zu der heutigen Rechtsdogmatik des privatrechtlichen Eigen­ tums nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch aufgefunden werden können. In diesem Sinne muss das stockwerkseigentumsrechtliche Prinzip der Horizon­ talteilung zunächst grundlegend von dem aus dem römischen Recht stam­ menden und der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugrunde liegen­ den Grundsatz superficies solo cedit unterschieden werden,67 um eine dog­ 63  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 7 ff.; teilweise in deutscher Übersetzung abgedruckt bei G. Immler, Die Finanzund Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/ D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 64  Vgl. J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809, S. 578. 65  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21; vgl. A. Thibaut, Über dominium directum und utile, in: ders., Versu­ che über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 71 ff.; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 94 ff. 66  Siehe hierzu J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LV f.; J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809, S. 578 ff. 67  Die germanische Horizontalteilung stellt sich praktisch als Gegenentwurf zu der römischen Vertikalteilung und dem entsprechenden Grundsatz superficies solo cedit dar. Siehe hierzu nur H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Ge­ schichte und Theorie, Berlin 1867, S. 114 ff.; Baun, Ueber das Princip des einheitli­ chen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), S. 211 ff.; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürger­ lichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S.  415 f.; O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1,

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matische Fundierung zu erreichen. In einem weiteren Schritt wird das Stockwerkseigentum dann in das geltende Rechtssystem eingepasst werden, wobei vor dem Hintergrund, dass das Stockwerkseigentum vorbehaltlich einzelner Ausnahmen eine heute unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs grundsätzlich nicht mehr neu begründbare Form des Eigentums darstellt,68 die Vorschriften des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch dogmatisch in ihrer Systematik aufzubereiten sind. Dabei stehen auch die gesetzlichen Vorbehalte an die jeweiligen Landesgesetzgeber im Mittelpunkt, die von ihrem Sinn und Zweck altrechtliches Stockwerkseigen­ tum sichern bzw. dem entsprechenden Landesgesetzgeber die Befugnis zur zukünftigen Vereinheitlichung der im 19. Jahrhundert oft noch mannigfalti­ 2. Aufl., Berlin 1896, S. 283 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachen­ recht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 40 ff. m. w. N.; W. v. Henle/ H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbu­ che, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 11 ff.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 10 ff., 40 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit be­ sonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübin­ gen 1912, S. 10; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einfüh­ rungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 13 f., 22 ff., 30 ff., 116; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB, Rn. 1; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte 1999 (116), 384, (387 f.). O. Bogenschütz, Das Stock­ werkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126 ff.); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 21 ff., 137 ff.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 10 ff.; Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 42 f.; Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift be­ treffend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rah­ men des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 4 f. Grundsätzlich zum aus dem römi­ schen Recht stammenden Grundsatz superficies solo cedit L. Wenger, Superficies solo cedit, Philologus – Zeitschrift für antike Literatur und ihre Rezeption 1933 (88), S.  254 ff. 68  Siehe hierzu Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 ff.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, München 1899, S. 740 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayeri­ schen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 Bay-ÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter be­ sonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  30 ff.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 57 AGBGB Rn. 9.



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gen Erscheinungsformen des Stockwerkseigentums gewährleisten wollten.69 In Bayern kann insoweit die Norm des Art. 62 BayAGBGB angeführt wer­ den, die in Umsetzung von Art. 218 EGBGB altrechtliches echtes Stock­ werkseigentum in uneigentliches umwandelt,70 wobei sich auch hier Fragen der Abgrenzung zu den Vorschriften des Einführungsgesetzes zum Bürger­ lichen Gesetzbuch, namentlich etwa zu der Norm des Art. 182 EGBGB, stellen können.71 Durch diese skizzierten Arbeitsschritte wird das geltende positivrechtliche System des Stockwerkseigentums entschlüsselt, womit gleichsam auch die Grundprinzipien für die praktische Rechtsanwendung, allen voran in Bayern, erarbeitet werden. Dies führt schließlich auf dem Bo­ den des geltenden Rechtssystems zu dem Grundsatz der betroffenen Einheit­ lichkeit, der auf der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung aufbaut72 und vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Schranken des Grund­ gesetzes als allgemeiner Lösungsansatz für stockwerkseigentumsrechtliche Problemstellungen angesehen werden kann. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf das Stockwerkseigentum in der Kemptener Fürstabtei und möchte auf diese Weise gleichzeitig einen Beitrag zur Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums leisten. Eine vollständige Aufklärung des bayerischen Rechtsinstituts ist aber im Ergeb­ nis nur möglich, wenn auch sonstige Stockwerkseigentumsrechte berück­ sichtigt werden, weshalb auch das französische Recht und die sonstigen süddeutschen Formen des Stockwerkseigentums in Baden und Württemberg mitbehandelt werden.73 Der Hintergrund der Ausweitung des wissenschaftli­ chen Untersuchungsauftrages besteht in dem Umstand, dass die Herbergs­ 69  Vgl. E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f. m. w. N. auch zu der damaligen Rechtslage in Bayern und Hessen; W. v. Henle/ H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbu­ che, 3. Aufl., München 1931, S. 287 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB); ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 ff.). 70  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 71  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 2 ff.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 ff.). 72  Als Grundsatzentscheidungen können insoweit angesehen werden BGHZ 46, 281; BayObLGZ 3, 1023. 73  Siehe hierzu vorerst nur R. Schröder, Über eigentümliche Formen des Miteigen­ tums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 24 ff.; E. Dorner/ A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 192 ff.; H. Zoeppritz, Ue­ ber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 1 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Stockwerksei­ gentum nach württembergischem Recht, BWNotZ 1980 (3), S. 97 ff.; ders., Stock­

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rechte in den regionalen Geltungsbereichen oftmals mit Ausnahme von ein­ zelnen positivrechtlichen Regelungen nur gewohnheitsrechtlich anerkannt waren und ihnen deshalb teilweise auch eine andere Dogmatik zugrunde liegt.74 Dies beweist insbesondere das französisch-linksrheinische Stock­ werkseigentum, auf dem auch das Badische Landrecht aus dem Jahre 1810 aufbaut.75 Die dadurch bedingten unterschiedlichen Erscheinungsformen von Horizontalteilungen bzw. entsprechenden Konzeptionen gegenüber dem bayerischen Rechtsinstitut können schließlich Auswirkungen für die An­ wendbarkeit der Rechtsnormen der Art. 182 EGBGB bzw. Art. 62 Bay­ AGBGB haben, weshalb eine dogmatisch unrichtige Einordnung zu Rechts­ verlusten führen kann, die von dem geltenden positivrechtlichen Rechtssys­ tem des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch nicht beabsich­ tigt sind.76 Andererseits kann die durch regionale Unterschiede bedingte Mannigfaltigkeit an sonstigen Stockwerkseigentumsformen aber auch eine dogmatische Bereicherung mit sich bringen, die Rückschlüsse für das baye­ rische Herbergsrecht bieten kann. In diesem Sinne kann auf die aus dem französischen Recht stammende und dem Artikel 664 des Code Civil wie dem Satz 664 des Badischen Landrechts zugrunde liegende Rechtsfigur der „servitudes établies par la loi“ als subsidiäre Rechtsquelle für den Fall von nicht normierten stockwerkseigentumsrechtlichen Rechten und Pflichten der einzelnen Teilhaber eines Gesamtgrundbesitzes untereinander verwiesen

werkseigentum in Baden nach französischem Recht und die Einwirkung des württem­ bergischen Rechts, BWNotZ 1984, S. 5 ff. 74  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 1; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 10, 16 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Ab­ schied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (130 f.). 75  Siehe hierzu H. Zoeppritz, Über das Stockwerkseigentum – mit besonderer Be­ rücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S.  11 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Stockwerkseigentum in Baden nach französischem Recht und die Einwirkung des württembergischen Rechts, BWNotZ 1984, 5, (6  ff.); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 16. 76  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638, 64; BayObLGZ 22, 270, (271); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; G. Freudling, Echtes altrecht­ liches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 ff.). Das Bundesverfas­ sungsgericht führte in seinem Urteil aus dem Jahre 1968 neben Art. 182 EGBGB auch zu Art. 131 EGBGB unter anderem wie folgt aus: „(…) Es handelt sich um Vorschriften, die ausschließlich dem Zweck dienen, den Fortbestand konkreter Eigen­ tumsverhältnisse, die damals den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht entsprachen, zu sichern (…).“



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wer­den,77 ohne welche die nach dem französischen Code Napoléon, in Ba­ den, Württemberg und Bayern damals als herrschend anzusehende Son­ dereigentumstheorie78 grundsätzlich unverständlich bleiben müsste. Gleiches gilt auch für das besondere gemeinschaftliche Eigentum, das im französi­ schen Raum als „copropriété avec indivision forcée“ bezeichnet wird,79 das seine Entstehung dem geteilten Eigentum aus dominium directum et utile verdankt und in dogmatischer Hinsicht ein mehreren Personen zustehendes ungeteiltes Eigentum bildet, das nicht nach Bruchteilen aufgeteilt ist und daher heute als Gemeinschaftseigentum besonderer Art seine Weitergeltung der Vorschrift des Art. 181 II EGBGB verdankt.80 Gerade im badischen Recht gab es derartige Sonderformen von Gemeinschaftseigentum besonde­ rer Art,81 wobei hier auch immer wieder die französische Bezeichnung der „mitoyenneté“ anzutreffen ist.82 Nachdem es für die rechtliche Beurteilung des bayerischen Stockwerksei­ gentums allein nach dem Wortlaut der Vorschriften der Art. 182 EGBGB, Art. 62 BayAGBGB in erster Linie auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs ankommt, wird die vorliegende Arbeit schließlich durch eine Erläuterung der möglichen historischen Erkenntnisquellen für stockwerkseigentumsrechtliche Fallkonstellationen abgerundet. Hierzu gehö­ ren für die Kemptener Fürstabtei die im Jahre 1738 unter Fürstabt Anselm

77  R. Schröder, Über eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Lan­ desprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194 Fn. 9; vgl. auch O. v. Feilitzsch, Stockwerksei­ gentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, Mün­ chen 1920, S. 19. 78  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bür­ gerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194. 79  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258. 80  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bür­ gerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 189 mit Fn. 6; vgl. auch ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (128). 81  Siehe zur badischen Rechtsprechung, die bei bestimmten Konstellationen wie auch einem gemeinschaftlichen Hofraum ein Gemeinschaftseigentum besonderer Art nach Art. 181 II EGBGB anerkennen möchte, die Nachweise bei J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 12; vgl. aber auch BayObLGZ 22, 270, (272); BayObLGZ 1967, 397, (399 f.), wonach Art. 181 II EGBGB nur auf bestehende „Gesamthandsverhältnisse“ anzuwen­ den ist. 82  J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 12.

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A. Einleitung

Reichlin von Meldegg eingeführten Landtafeln,83 die inhaltlich eines der frühesten Immobilarverzeichnisse eines modernen Staates darstellten,84 die im Rahmen der Landesvermessung im Königreich Bayern seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angefertigten Grundsteuerkataster mit kartogra­ phischen Uraufnahmen85 und das durch das Hypotheken-Gesetz für das Kö­ nigreich Bayern vom 01.06.1822 eingeführte Hypothekenbuch.86 Letzteres war zwar von seinem sachlichen Anwendungsbereich auf hypothekarische Grundpfandrechte beschränkt, genoss insoweit aber bereits einen öffentlichen Glauben im Sinne einer begrenzten Publizität,87 weshalb es abgesehen von seiner formalen Weitergeltung bis zur Anlegung der späteren Grundbücher in den bayerischen Landgerichtsbezirken eine bedeutende Rechtsquelle für das Herkommen der altrechtlichen Herbergen hergibt, zumal das Hypotheken­ buch nach der Übergangsnorm des Art. 40 BayÜGBGB hinsichtlich der nach Art. 42 S. 3 BayAGBGB a. F., § 1010 BGB vorgeschriebenen Eintragungen mit Blick auf die ausschließlichen Sondernutzungsrechte beim insoweit um­ gewandelten uneigentlichen Stockwerkseigentum zunächst maßgebend blieb, bis das Grundbuch als angelegt galt.88 Bevor aber die Dogmatik des gelten­ den positivrechtlichen Rechtssystems bzw. die historischen Erkenntnisquel­ len behandelt werden, wird nun zunächst der Frühgeschichte des Benedikti­ nerklosters Kempten, seinem Aufstieg zum Reichsfürstentum und der Ent­ wicklung des Fürststifts Kempten zum obrigkeitsstaatlichen Territorialstaat nachgegangen. Es wird dabei zu zeigen sein, dass die gestiftete Klosterkirche 83  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bür­ gerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 38 (Nro. V.); P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grundbuchwesen – die Landtafeln des Fürst­ stifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (422); G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Ge­ schichtsfreund 2000 (100), 43, (46); E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 85. 84  Vgl. P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grundbuchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (410 f., 422). 85  K.-H. Zweckerl, Erster urkundlicher Besitznachweis, der Urkataster, in: J. Dietz (Hrsg.), Chronik der Juradörfer, Weiden 2012, S. 32 ff. 86  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 1. 87  E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 113. 88  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 286 (zu Art. 40 BayÜGBGB).



A. Einleitung37

in den Händen der fränkischen Königin Hildegard ein Sinnbild für den spä­ teren modernen Klosterstaat Kempten war. Dieser klösterliche Agrarstaat89 im schwäbischen Reichskreis des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war bis zuletzt von seiner Verfassung in vielerlei Hinsicht ein Erbe des Fränkischen Kaisers Karl dem Großen.

89  P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 195 ff.; ders., Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Lan­ desgeschichte 1967 (30), S. 201 ff.; P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grund­ buchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (422).

B. Historische Grundlagen I. Die Kemptener Fürstabtei – vom Benediktinerkloster zur aufstrebenden Landesgewalt 1. Das Benediktinerkloster Kempten als königliches Eigenkloster im Rahmen der Marca Campidonensis Für den Aufstieg der Kemptener Fürstabtei zu einer Landesherrschaft wurden die Weichen im frühen Mittelalter gestellt.1 Ausgangspunkt für die Entstehung des späteren Fürststifts Kempten war die Gründung einer Bene­ diktinerabtei im Jahre 752 im Zuge der Missionierung des Allgäus durch Mönche des Klosters Sankt Gallen, welcher der selige Audogar als erster Abt vorstand.2 Bis zu diesem Zeitpunkt befand sich in Campidonensis be­ reits eine frühe Klosterkirche, die nach einem Regest aus der Zeit um 742 von Theodor erbaut und von dem Augsburger Bischof Wikterp auf Bitte des Heiligen Magnus und Theodors eingeweiht worden war.3 Diese Klosterkir­ 1  Siehe zur frühen Geschichte der Benediktinerabtei Kempten die Darstellung bei F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Histori­ schen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), S. 219 ff. 2  J. M. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte, Band 20, Leipzig 1794, S. 56; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Histori­ schen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (228 ff.); M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 16 f., der dort auch den Meinungsstand hinsichtlich des umstrittenen ursprünglichen Kloster­ standorts darstellt; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311. 3  F. Zoepfl/W. Volkert, Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Band I: von den Anfängen bis 1152, in: Veröffentlichungen der Schwäbi­ schen Forschungsgemeinschaft 2b/1, Augsburg 1955, S. 18 Nr. 5; F. L. Baumann, Geschichte des Allgäus von den ältesten Zeiten bis zum Beginne des neunzehnten Jahrhunderts, Band I, Kempten 1881, S. 73 f.; G. Kreuzer, Gründung und Frühge­ schichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 71 m. w. N. Der entsprechende Vorgang ist auch im Rahmen der Vita Sancti Magni umfassend dokumentiert.; die Vita Sancti Magni ist abgedruckt bei D. Walz, Auf den Spuren der Meister – die Vita des heiligen Magnus von Füssen,



I. Die Kemptener Fürstabtei39

che in Campidonensis mit dem Namen St. Marien, die zu St. Mang angesie­ delt war,4 war aber lediglich eine unselbständige Missionszelle des Klosters der heiligen Afra und damit eine bischöfliche Eigenkirche im Rahmen der Augsburger Diözese,5 so dass der Bischof von Augsburg als eigentlicher Träger der von Theodor errichteten klösterlichen Kirche erschien.6 Das um das Jahr 752 gegründete Benediktinerkloster Kempten war dagegen ein kö­ nigliches Eigenkloster, das auf den Fränkischen König Pippin7 zurückging, der dem Kloster Kempten einen Teil des von ihm von den Alemannen kon­ fiszierten Grundbesitzes gab8 und damit entsprechend den Grundsätzen des fränkischen Eigenkirchensystems bzw. Landeskirchentums, welches in der Literatur auch als kirchenrechtliches Institut in der Karolingerzeit angesehen wird,9 den durch verliehenes Krongut in der Form von Benefizien begründe­ ten Grundstein für die Errichtung des königlichen Eigenklosters Kempten legte.10 Während dabei eine Ansicht in der Wissenschaft in den Rechtsvor­ schriften und Handlungen von Pippin in Bezug auf „Eigenkirchen“ eine Be­ Sigmaringen 1989, S. 170 ff. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang aber, dass die um das Jahr 742 zu St. Mang errichtete Kirche St. Marien einen kirchlichen Vor­ gänger hatte, nachdem St. Mang bereits im Jahre 645 die Erlaubnis zum Bau einer Kirche erhalten hatte.; so Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 4; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 16 ff. 4  F. Zoepfl/W. Volkert, Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Band I: von den Anfängen bis 1152, in: Veröffentlichungen der Schwäbi­ schen Forschungsgemeinschaft 2b/1, Augsburg 1955, S. 18 Nr. 5 unter Verweis auf Weitnauer. 5  F. L. Baumann, Forschungen zur schwäbischen Geschichte, Kempten 1899, S. 112; D. Ade-Rademacher, Zusammenfassung, in: Stadtarchäologie Stadt Kempten (Hrsg.), „Alles zu einem lauteren Steinhaufen gemacht“ – Auf der Suche nach dem mittelalterlichen Kloster in Kempten, Kempten 1998, S. 40; vgl. zur Magnuszelle in Füssen und zum dortigen Einfluss der Augsburger Bischöfe auch D. Walz, Auf den Spuren der Meister – die Vita des heiligen Magnus von Füssen, Sigmaringen 1989, S.  62 ff. 6  Vgl. Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 26 ff., v. a. S. 28; F. L. Baumann, Forschungen zur schwäbischen Geschichte, Kempten 1899, S. 112. 7  W. Lautemann, Mittelalter, München 1975, S. 56 f. mit der Kommentierung von Rau. 8  N. Herrmann, Kempten und das Oberallgäu – Bilder aus der Geschichte der Stadt und des Landkreises, 2. Aufl., Kempten 1984, S. 57; vgl. F. L. Baumann, Ge­ schichte des Allgäus von den ältesten Zeiten bis zum Beginne des neunzehnten Jahr­ hunderts, Band I, Kempten 1881, S. 74. 9  Vgl. S. Patzold, Presbyter – Moral, Mobilität und die Kirchenorganisation im Karolingerreich, Stuttgart 2020, S. 159, 161 unter Bezugnahme auf Ulrich Stutz. 10  Zum fränkischen Eigenkirchensystem bzw. Landeskirchentum Ch. Link, Kirch­ liche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 26 ff.; kritisch S. Patzold, Presbyter – Mo­

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B. Historische Grundlagen

stätigung der zu dieser Zeit geltenden päpstlichen Vorgaben sieht, wobei Papst Zacharias die Regelungen von Papst Pelagius bestätigte, wonach eine von Laien gegründete Eigenkirche einen gesicherten Grundbesitz und eine entsprechende Ausstattung bedurfte, wobei die Einsetzung sowie die Weihe der Priester von dem zuständigen Diözesanbischof erfolgen mussten, inter­ pretiert eine andere Ansicht die zur Verfügung stehenden Quellen im Sinne eines aufkeimenden Konflikts zwischen den adeligen Grundherren und den geistlichen Autoritäten mit Blick auf die Einweihung der Priester und die Durchführung der geistlichen Aufgaben.11 Für die Zeit Pippins sind dabei in erster Linie die Kapitularien der Jahre 742/43 und 744 von Bedeutung, in denen Pippin und sein Bruder Karlmann „secundum canones beschlossen (haben), dass ‚ein jeder (…) Priester‘ (unusquisque presbiter) seinem jewei­ ligen Diözesanbischof ‚unterworfen‘ (subiectus) sein sollte“, ohne dabei auf das Problem der Eigenkirchen und der Einsetzung der Priester durch Eigen­ kirchengrundherren einzugehen.12 Auch im Übrigen ergeben sich aus den frühmittelalterlichen Quellen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Frän­ kische König Pippin über die päpstlichen Anordnungen hinwegsetzen wollte, sondern er regierte vielmehr unter Achtung der Vorgaben der römischen Ku­ rie wie der bischöflichen Leitungsgewalten.13 Damit aber begründete der Fränkische König Pippin die Bedingungen für die Entstehung eines königli­ chen Eigenklosters in Campidonensis, das später unter Karl dem Großen zu einem mit Privilegien ausgestatteten Reichskloster werden sollte.14 Als ver­ mutlich königlich bestimmter Abt des neuen Klosters erschien zur gleichen Zeit der Mönch Audogar, während einer der von Abt Otmar gesandten Nachfolgemönche bereits Jahre zuvor nach der Demission Theodors in Campidonensis den Posten des Kirchenhüters der Kirche St. Marien zu St. Mang übernommen hatte.15 Dass sich das karolingische Königshaus aber ral, Mobilität und die Kirchenorganisation im Karolingerreich, Stuttgart 2020, S.  161 ff., 480 ff. 11  Dies entspricht im Ergebnis den beiden Ansichten, die im Schrifttum vertreten werden. Siehe hierzu S. Patzold, Presbyter – Moral, Mobilität und die Kirchenorgani­ sation im Karolingerreich, Stuttgart 2020, S. 161 ff., zu den entsprechenden päpstli­ chen Regelungen S. 162 f. 12  S. Patzold, Presbyter – Moral, Mobilität und die Kirchenorganisation im Karo­ lingerreich, Stuttgart 2020, S. 164 f. unter Verweis auf Karlmanni principis capitulare und Pippini principis capitulare Suessionense; Hervorhebungen im Original. 13  Eindringlich S. Patzold, Presbyter – Moral, Mobilität und die Kirchenorganisa­ tion im Karolingerreich, Stuttgart 2020, S. 165 ff. 14  W.-D. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Band I: Alte Kirche und Mittelalter, 5. Aufl., Gütersloh 2016, S. 481. 15  Ganz eindeutig ist die Quellenlage hier aber nicht. Es ist zum einen nicht si­ cher überliefert, wann Theodor Kempten verließ. Relativ sicher kann dagegen ange­ nommen werden, dass der Abt des Gallusklosters Otmar Perechtgoz und vier weitere



I. Die Kemptener Fürstabtei41

bei der Gründung des königlichen Eigenklosters Kempten strikt an die römi­ sche Kurie hielt, beweist nicht zuletzt auch der Umstand, dass der vorläufig zum Klostervorsteher bestimmte Audogar erst dann im Jahre 773 auf Bitte der fränkischen Königin Hildegard von Papst Hadrian zum Abt geweiht wurde.16 Es ist dabei mehr als wahrscheinlich, dass die Bestimmung Audo­ gars zum Abt des Klosters Kempten mit dem Fränkischen König Pippin zu­ sammenhängt, weil dessen Übernahme der Herrschaft über Kempten ein­ schließlich der Konfiszierung der alemannischen Güter im Jahre 752 zeitlich mit der Einsetzung Audogars als Abt des Klosters Kempten zusammenfällt.17 Im Ergebnis kann deshalb sicher angenommen werden, dass es bereits Mitte des 8. Jahrhunderts eine durch den Augsburger Bischof Wikterp geweihte Kirche St. Marien zu St. Mang gab, die aber nicht die erste Klosterkirche des Benediktinerklosters Kempten war, sondern in organisatorischer Hin­ sicht eine institutionell verfestigte Kirche des Augsburger Bistums.18 Mit Mönche in der Folge des Abschieds Theodors in die Kemptener Missionszelle schickte. Siehe hierzu G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 71 f. m. w. N.; vgl. auch F. L. Baumann, Geschichte des Allgäus von den ältesten Zeiten bis zum Beginne des neunzehnten Jahrhunderts, Band I, Kempten 1881, S. 72 ff., der sich an den etwaigen Gerüchten in den Kemptener Chroniken nicht beteiligt und stattdes­ sen den möglichen historischen Geschehensablauf anhand sicher bezeugter Quellen nachvollzieht; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 16 ff., der aber unter Verweis auf nicht genauer benannte Kemptener Chroni­ ken den Vorgang um die Weihe der Kirche zu St. Mang durch den Augsburger Bi­ schof Wikterp in das Jahr 645 datiert und nach dessen Ansicht der Mönch Theodor die von ihm in Campidonensis gegründete Kirche im Rahmen des im Allgäuer Raum um diese Zeit bestehenden fränkisch-alemannischen Kriegsgetümmels verließ, der andererseits auf S. 19 dann aber doch auf die Erhebung des Fränkischen Königs Pip­ pin über Kempten im Jahre 752 und den zu dieser Zeit lebenden Gründer und ersten Abt des Klosters Kempten Audogar abstellt. 16  M. Crusius, Schwäbische Chronick, Band I, Franckfurt 1733, S. 272; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 21 unter Verweis auf die frühmittelalterliche Quelle. 17  G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 71 m. w. N.; N. Herrmann, Kempten und das Oberallgäu – Bilder aus der Geschichte der Stadt und des Landkrei­ ses, 2. Aufl., Kempten 1984, S. 57; vgl. F. L. Baumann, Geschichte des Allgäus von den ältesten Zeiten bis zum Beginne des neunzehnten Jahrhunderts, Band I, Kempten 1881, S. 74. 18  F. L. Baumann, Forschungen zur schwäbischen Geschichte, Kempten 1899, S. 112; D. Ade-Rademacher, Zusammenfassung, in: Stadtarchäologie Stadt Kempten (Hrsg.), „Alles zu einem lauteren Steinhaufen gemacht“ – Auf der Suche nach dem mittelalterlichen Kloster in Kempten, Kempten 1998, S. 40; vgl. H. Maurer, Das Bis­ tum Konstanz und die Christianisierung der Alemannen, in: W. Berschin u. a. (Hrsg.),

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B. Historische Grundlagen

dem frühen Tod Karlmanns I., einem der beiden Söhne Pippins, im Jahre 771,19 lag das Fränkische Reich vereinigt in den Händen des bedeu­ tendsten Herrschers des Mittelalters Karl dem Großen, der sich durch die Heirat mit Hildegard, die alemannischer Herkunft war,20 mit dem Stamm der Alemannen verbündete.21 Damit war der Grundstein für das fränkische Ge­ samtreich gelegt,22 womit auch ein Segen für das nun errichtete Kloster Kempten einherging.23 Das Benediktinerkloster Kempten wurde von der aus Mission und Christianisierung am Hoch- und Oberrhein (6.–8. Jahrhundert), Stuttgart 2000, S.  151 f. 19  T. Schieffer, Karlmann, in: Historische Kommission bei der Bayerischen Akade­ mie der Wissenschaften (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band XI: Kafka – Klein­ fercher, Berlin 1977, S. 274. 20  Zur alemannischen Herkunft Hildegards J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 18; Einhard, Kaiser Karls Leben, nach der Ausgabe in den Monumenta germaniae, übersetzt von O. Abel, Berlin 1850, S. 40; F. L. Baumann, Geschichte des Allgäus von den ältesten Zeiten bis zum Be­ ginne des neunzehnten Jahrhunderts, Band I, Kempten 1881, S. 73 ff.; A. Cartellieri, Weltgeschichte als Machtgeschichte, Band I: Die Zeit der Reichsgründungen: 382– 911, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1927, Aalen 1972, S. 181 m. w. N.; K. Schreiner, „Hildegardis regina“ – Wirklichkeit und Legende einer karolingischen Herrscherin, Archiv für Kulturgeschichte 1975 (1), 1, (5 f.) m. w. N.; S. Konecny, Die Frauen des karolingischen Königshauses, Wien 1976, S. 67; I. Heidrich, Von Plectrud zu Hildegard – Beobachtungen zum Besitzrecht adliger Frauen im Frankenreich des 7. und 8. Jahrhunderts und zur politischen Rolle der Frauen der frühen Karolinger, Rheinische Vierteljahrsblätter 1988 (52), 1, (10); N. Herrmann, Kempten und das Oberallgäu – Bilder aus der Geschichte der Stadt und des Landkreises, 2. Aufl., Kempten 1984, S. 58; D. Hägermann, Karl der Große – Herrscher des Abendlandes, Berlin u. a. 2000, S. 217; A. Hack, Alter, Krankheit, Tod und Herrschaft im frühen Mittelalter, Stuttgart 2009, S. 49; M. Becher, Karl der Große, 6. Aufl., München 2014, S. 108. 21  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 18; S. Konecny, Die Frauen des karolingischen Königshauses, Wien 1976, S. 67 f.; H. Schwarzmaier, Zur Frühgeschichte des Klosters Kempten. Eine Untersuchung zu den Konventslisten des Klosters unter Abt Tatto, in: U. Ludwig/T. Schilp (Hrsg.), Nomen et Fraternitas, Festschrift für Dieter Geuenich zum 65. Geburtstag, Berlin u. a. 2008, S. 327; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 33; M. Hartmann, Die Königin im frühen Mittelalter, Stuttgart 2009, S. 96 ff., v. a. S. 99; vgl. D. Hägermann, Karl der Große – Herrscher des Abendlandes, Berlin u. a. 2000, S. 217; M. Becher, Karl der Große, 6. Aufl., München 2014, S. 108. 22  Vgl. T. Schieffer, Karlmann, in: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Band XI: Kafka – Kleinfercher, Berlin 1977, S. 274. 23  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 19; P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in:



I. Die Kemptener Fürstabtei43

einem schwäbischen Herrschaftsgeschlecht stammenden Gemahlin des karo­ lingischen Kaisers des Fränkischen Reiches Karl dem Großen Hildegard nach den Quellen reichlich beschenkt, so dass sie selbst als eigentliche Stif­ terin des Klosters gegolten hat.24 Insoweit schenkte Hildegard dem Kloster im Jahre 774 die Leiber der heiligen Märtyrer Epimach und Gordian sowie wertvollen Landbesitz.25 Bereits im Jahre 774 soll Kaiser Karl der Große ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S.  4 f. 24  M. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte, Band 20, Leipzig 1794, S. 56; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  19 ff.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (230 f.); L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 2; M. Weis, Das ehema­ lige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwa­ ben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vor­ ort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 16; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311; H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tridentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürger­ fleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 48. 25  F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des His­ torischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (231); M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234. Die eigentliche Überführung der Reliquien der Heiligen Gordian und Epimachus wird in der Wissenschaft heute als wahrscheinlich beurteilt. Wer aber nun konkret die Reliquien in das Stift Kempten brachte, ist angesichts von unterschied­ lichen Quellenangaben umstritten. Insoweit wird von Chronisten auch die Überliefe­ rung vorgebracht, wonach Papst Hadrian anlässlich der Weihe des errichteten Klosters Kempten und der Einsetzung der Konventualen die Translation der Reliquien selbst vorgenommen hat. Nach hier vertretener Ansicht ergibt sich die Überführung der Re­ liquien der Heiligen Gordian und Epimachus allein aus der frühmittelalterlichen Ur­ kunde Ludwigs des Frommen aus dem Jahre 839, weil das Kloster nicht zu Ehren der genannten Heiligen errichtet worden wäre, wenn nicht zuvor irgendwann eine ent­ sprechende Überführung stattgefunden hätte. Siehe zur heute wissenschaftlich aner­ kannten eigentlichen Überführung der Reliquien in das Stift Kempten N. Gaedeke, Die memoria fur die konigin Hildegard, in: P. Riché u. a. (Hrsg.), Actes du colloque „Autour d’Hildegarde“, Paris 1987, S. 36; G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kemp­ ten 1989, S. 72 m. w. N. Die Urkunde Ludwigs des Frommen aus dem Jahre 839 fin­ det sich in Monumenta Boica, Band XXXI, Teil I: Diplomata Imperatorum Apogra­ pha, Academia scientiarum boica, München 1836, S. 89 (Nr. XL). Zu der Ansicht in den Chroniken, wonach Papst Hadrian die Überführung der Reliquien selbst vorge­ nommen hat, J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen

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B. Historische Grundlagen

der Benediktinerabtei die Immunität und die freie Abtswahl verliehen haben, was später in den Jahren 815 und 839 von dem Fränkischen Kaiser Ludwig dem Frommen bestätigt wurde.26 Mit der kirchlichen Immunität war ein im frühen Mittelalter insbesondere unter dem Herrschaftsgeschlecht der Karo­ linger üblicher geistlicher Sonderstatus verbunden, wonach der Kirchenbe­ sitz aus dem territorialen Herrschaftsbereich der örtlichen Grafschaft heraus­ gelöst wurde, so dass das Kloster fortan direkt dem König unterstand.27 Aus Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 3 f.; L. Boxler, Sammlung der merkwürdigs­ ten Ereignisse in dem ehemaligen fürstlichen Reichsstifte Kempten seit dessen Ent­ stehung, bis zur Auflösung im Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statisti­ schen Notizen, Kempten 1822, S. 19. 26  StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 5, Schutzprivileg Kaiser Ludwigs des Frommen aus dem Jahre 815; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (232, 234, 238 ff., 249 ff.); L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 2 f.; H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benedik­ tinertum und Tridentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 58; M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schieder­ mair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisa­ tion der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234; A. Layer/G. Immler, Das Fürst­ stift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311 f. mit dem Hinweis, dass das Recht der freien Abtswahl nicht immer beachtet wurde; so auch L. Margraf, ebd., S. 6. Dies lag daran, dass Kaiser Ludwig der Fromme mit dem Privileg vom 02.09.832 die freie Abtwahl unter die Bedingung stellte, dass einer der Mönche das Kloster gemäß der Regula Benedicti regieren konnte; so F. L. Baumann, ebd., S. 234. Wenn dies nicht der Fall war, blieb die Einsetzung des Abtes Sache des Königs. Georg Kreuzer verweist im Zusammen­ hang mit der verliehenen kirchlichen Immunität und der freien Abtswahl auf die äl­ teste echte Urkunde Kemptens, aus der sich nach seiner Ansicht eine entsprechende Bestätigung dieser Ereignisse ableiten lässt; G. Kreuzer, Gründung und Frühge­ schichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 72 m. w. N. Im Übrigen beruht die Überlieferung dieser Ereignisse des Jahres 774 auch auf drei Dokumenten eines Fälschers aus dem 12. Jahrhundert, die auf der Grundlage einer unechten Reichenauer Vorlage erstellt wurden, denen die Wissenschaft aber einen gewissen Wahrheitsgehalt zukommen lässt.; siehe nur G. Kreuzer, ebd., S. 72 m. w. N. zum Meinungsstand. 27  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 180 f. Ausführlich zum Rechtsinstitut der kirchlichen Immunität G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Band I: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 1914, S. 253 ff.; im direkten Zusammenhang mit der Vogtei A. Waas, Vogtei und Bede in der deutschen Kaiserzeit, Band I, Berlin 1919, S. 99 ff., v. a. S. 117; A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S.  223 f.; L. Santifaller, Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskir­ chensystems, Graz u. a. 1964, S. 25; W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geistlichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 2004 (90), 192, (199); vgl. B. Jäger, Das geistliche Fürsten­



I. Die Kemptener Fürstabtei45

Sicht der karolingischen Herrscher diente diese kirchliche Immunität einer engeren Bindung des geistlichen Territoriums an das Reichsoberhaupt und damit einer dem Königtum dauerhaft verbundenen Reichskirche, womit gleichzeitig ein sakrales karolingisches Reichsaufbaumoment mit einher­ ging.28 Im Immunitätsbezirk übernahm der Abt die Aufgaben und Rechte des Grafen, wobei der Graf und auch die sonstigen fremden Herrschaftsträ­ ger von der Amtsausübung in diesem Bereich ausgeschlossen waren, also auch die Gerichtsbarkeit über ihre Leibeigenen dort nicht durchführen konn­ ten.29 Ausgenommen hiervon war die Blutgerichtsbarkeit als Element der ab dem 12. Jahrhundert als Hochgerichtsbarkeit bezeichneten Jurisdiktion, wel­ che ausschließlich der königlich legitimierten Grafengewalt oblag,30 weil diese mit den geistlichen Würden unvereinbar war.31 Da der Abt aber zudem als nicht wehrfähiger Geistlicher zur Ausübung der Grafenrechte nur einge­ tum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 9 f.; zur fränkischen Reichsauf­ baupolitik der Karolinger, zu der auch das königliche Instrument der kirchlichen Im­ munität zu zählen war J. Dendorfer, Roncaglia: Der Beginn eines lehnrechtlichen Umbaus des Reiches?, in: S. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhundert, Regensburg 2010, S. 111 ff. 28  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 40; vgl. B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 9. 29  F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des His­ torischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (249 ff.); L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 2 ff.; W. Metz, Das Karo­ lingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 180 f. Dem Grafen blieben nur noch die kriminelle Jurisdiktion, der Forstbann und die Geleite in der Immunität; F. L. Baumann, ebd., S. 250 ff. Die Sonderstellung des Klosters Kempten als Königsgut wird außerdem offensichtlich, wenn später Ludwig II. der Deutsche, Sohn von Ludwig dem Frommen, im Jahre 853 anerkennt: „nullusque postea ex Al­ bigaugensi vel Hilargaugensi vel Augusgaugensi populo die Kemptener Klostermark invadere aut novalia capere aut etiam nullus comes infra predictam marcham aliquod iuditium facere audebat.“; zitiert nach W. Metz, ebd., S. 180 f. Abgedruckt in Monu­ menta Germaniae Historica, Die Urkunden der deutschen Karolinger, hrsg. von der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Band I: Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren, Berlin 1934, DDLD, S. 90 ff., Nr. 66. 30  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 99; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 4 f.; P. Kreutz, Hochgerichtsbarkeit in Schwaben, publiziert am 21.06.2016, in: Histori­ sches Lexikon Bayern. 31  A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelal­ ter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 225; J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstli­ chen Stiftes Kempten, München 1933, S. 32 f.; B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 10 m. w. N.

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B. Historische Grundlagen

schränkt in der Lage war, wurden zur Verwaltung des Kemptener Klosters Stiftsvögte und -untervögte eingesetzt.32 Deren Befugnisse waren auf die Gerichtsvogtei wie auf die den Kern der Herrschaft ausmachende Schutzund Schirmvogtei bezogen.33 Der Verfügungsbereich der Kemptener Abtei lag ursprünglich in der im Jahre 853 von Ludwig dem Deutschen bestätigten Marca Campidonensis,34 die in etwa dem Gebiet der späteren Grafschaft Kempten entsprach.35 Das seit diesem Jahre auch nachweisbare Marienpat­ rozinium wird in der Literatur als Bestätigung der inneren Verbundenheit 32  A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. 33  Vgl. B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S.  10 m. w. N. 34  Monumenta Germaniae Historica, Die Urkunden der deutschen Karolinger, hrsg. von der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Band I: Die Urkun­ den Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren, Berlin 1934, DDLD, S. 90 ff., Nr. 66. 35  Siehe hierzu die Darstellung bei G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bay­ ern. Es kursiert eine widerlegte Urkunde, die angeblich den von Kaiser Ludwig dem Frommen im 9. Jahrhundert abgegrenzten Immunitätsbezirk beschreibt. In dieser Ur­ kunde wird der stiftische Immunitätsbezirk wie folgt festgelegt: „Marcham Campido­ nensem infra hos terminos consistere, ab Humminfurt usque ad Rougginsfluch, deinde Zimehellindenvvege, deinde in Isimarvvarzir, deinde in rivum qui vocatur Ascha, deinde in Lutrahe, ubi in hilaram vadit, deinde in directum super Hohinrain, deinde in Sedinbrunnen juxta Wolfoltisvvendi, deinde in fontem Zibenhaim, deinde in Mindelinursprinch, deinde in die Wertahe, deinde in die Geltinahe sursum, deinde in Rotaham, ubi vadit in hilaram.“ Siehe hierzu Vidimus Diplomatis Ottoniani, à Rudol­ pho Primo Imperatore de A. 1278. Über die Stiftische Land-Marcken, in: Des Hoch­ fürstlichen Stifts Kempten gründliche Widerlegung, Kempten 1737, S. 2; F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehemaligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Geschichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 231. Bei Margraf findet sich die folgende Umschreibung mit einer teil­ weisen Übersetzung der im Text benannten Orte und Flüsse: „Ab Humminfurt (bei Martinszell) usque ad Rogginsfluch (bei Riggis), deinde zim Hellindinwege (bei Hel­ lengerst), deinde in rivum, qui vocatur Asch (Eschach), deinde in Lutiraha, ubi in Hilaram vadit (Lautrach), deinde in directum super Bochinrain (Hoher Rain bei Kron­ burg), deinde in Sedinbrunnin juxta Wolfertiswendi (Wolfertschwenden) deinde in fontem ze Beheim (Böhen), deinde Zibenhaim, deinde in Mindilinursprinc (bei Eg­ genthal), deinde in die Wertache, deinde in di Geltnache (Geltnach), sursum deinde in Rotacham, ubi in Hilaram vadit.“; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kemp­ ten, München 1951, S. 5. Siehe hierzu insbesondere auch J. Moser, Schwäbische Merckwürdigkeiten, oder kleine Abhandlungen, Auszüge und vermischte Nachrichten von Schwäbischen Sachen, Ulm 1765, S. 424 ff. Mit in Rota(c)ham ist „in die Rot­ tach, wo sie in die Iller gehet“ gemeint; so J. Moser, ebd., S. 425, der nach hier ver­ tretener Ansicht zu Recht die Echtheit der das Kemptener Immunitätsgebiet abgren­ zenden Urkunde aus dem 9/10. Jahrhundert bestreitet.



I. Die Kemptener Fürstabtei47

des Kemptener Klosters mit dem karolingischen Herrscherhaus gedeutet.36 Nachdem das Bestreben der Kemptener Abtei bereits früh darauf ausgerich­ tet war, die reichsunmittelbare Stellung zu behaupten, d. h., dass zwischen der königlichen Reichsebene und dem Stift keine weiteren Herrschaften be­ standen und damit eine unmittelbare Untergebenheit gegenüber dem Deut­ schen Kaisertum anzunehmen war, und auch die Äbte des Benediktinerklos­ ters Kempten bereits ab dem 12. Jahrhundert den Fürstentitel zunächst noch inoffiziell für sich reklamierten, wobei die Bezeichnung als Fürstabt dann ab dem 14. Jahrhundert allgemeine Anerkennung finden sollte, verlieh König Friedrich II. dem Abt im Jahre 1213 die Grafschaftsrechte innerhalb der im Jahre 853 festgesetzten Grenzen der Marca Campidonensis als Reichslehen, wobei der spätere Deutsche Kaiser im Gegenzug die Stiftsvogtei mit allen Benefizien, die vormals die römischen Könige von Kempten zu Lehen ge­ tragen hatten, sowie die noch bestehenden Vogteirechte an beschränktem Klostergut des Stifts bekam, die bis dato dem im Jahre 1212 ausgestorbenen Herrscherhaus der Ronsberger zugestanden haben.37 Die Stiftsvogtei wurde schließlich im Jahre 1218 und endgültig dann im Jahre 1353 an die Kemp­ tener Abtei abgetreten,38 so dass die zu diesem Zeitpunkt dem Herrscherge­ 36  So M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234. Siehe auch F. L. Baumann, Zur ältern Ge­ schichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (232), der von dem Kloster Kempten als eines der „bestpri­ vilegierten Klöstern des Frankenreiches“ spricht. Zu der Situation sonstiger Klöster im 8. und 9. Jahrhundert im Vergleich W. Störmer, Grundherrschaften frühmittelalter­ licher Klöster und Stifte im Wandel des Hochmittelalters, in: W. Rösener (Hrsg.), Grundherrschaft und bäuerliche Gesellschaft im Hochmittelalter, Göttingen 1995, S.  184 f. 37  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  83 f.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 f.); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 32 f., 199; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17 m. w. N.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311 f.; G. Immler, Kemp­ ten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234 ff. Grundsätzlich zum reichskonstituierenden Instrument der Reichsbelehnung ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 214 ff. 38  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840,

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B. Historische Grundlagen

schlecht der Staufer zustehende Hochvogtei über das Benediktinerkloster Kempten im Sinne der Wahrnehmung der Schutzherrschaft, die auch den klösterlichen Grundbesitz und den Schutz der Menschen umfasste, in die Hand des nun entstehenden Fürststifts Kempten kam, das fortan einen unab­ hängigen und autonomen Herrschaftsstatus über ein in sich geschlossenes Territorium innehatte.39 Als Gegenleistung für den Erwerb der Stiftsvogtei im Jahre 1218 wurden seitens des Klosters Kempten fünfzig Mark Silber geleistet und auch der Verzicht auf das Münzrecht verbrieft.40 Im Zusam­ menhang mit den im Jahre 1220 erlassenen kaiserlichen Bestimmungen der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis, die den geistlichen Fürsten be­ stimmte Zugeständnisse in Bezug auf eigentlich den Königen zustehende Regalien wie das Gerichtswesen machte, womit die Landesherrschaften ge­ festigt wurden,41 waren damit die Voraussetzungen gelegt, dass das schwäbi­ sche Königskloster Kempten zum Reichsfürstentum aufsteigen konnte, was schließlich im Jahre 1453 mit dem Erwerb einer persönlichen Virilstimme im Reichsfürstenrat bestätigt wurde.42 S.  84, 137 ff.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. 39  F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des His­ torischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (252 f.); A. Layer/ G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhun­ derts, 3. Aufl., München 2001, S. 311 f.; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bay­ ern; M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klos­ terland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234 ff. 40  StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 19, Urkunde König Fried­ richs II. über die Vergabe der Vogtei über das Stift Kempten an dieses selbst gegen eine jährliche Zahlung von 50 Mark Silber aus dem Jahre 1218; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältes­ ten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 84; J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 33 f.; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 41  Siehe hierzu A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 238 f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 9; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsge­ schichte, 7. Aufl., München 2013, S. 72 f.; W. Stürner, Handbuch der deutschen Ge­ schichte, Band VI: Spätantike bis zum Ende des Mittelalters – Dreizehntes Jahrhun­ dert 1198–1273, Stuttgart 2007, S. 208 ff.; W. Goez, Legitimation weltlicher Herr­ schaft von Geistlichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 2004 (90), 192, (204). 42  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 199; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951,



I. Die Kemptener Fürstabtei49

2. Regina Hildegardis und das karolingische Erbe Karls des Großen – der frühmittelalterliche Königshof Hildegardisberg uff der Rotach Der spätere moderne Klosterstaat Kempten zeigt anhand seiner Entste­ hungsgeschichte eine originäre Verbindungslinie mit dem karolingischen Herrschergeschlecht auf, an deren Ausgangspunkt der Fränkische Kaiser Karl der Große und seine Gemahlin Hildegard stehen.43 Diesem historischen Zu­ sammenhang soll nun im Rahmen einer Häusergeschichte nachgegangen werden, die gleichzeitig darauf untersucht werden soll, ob ihr nicht auch Aufschlüsse hinsichtlich der damaligen karolingischen Reichsorganisation entnommen werden können. Im Stadtgebiet der Stadt Kempten (Allgäu) be­ finden sich noch heute zwei Herbergen, die im Ortsteil Äußere Rottach an­ gesiedelt sind. Diese beiden Herbergen besaßen im 19. Jahrhundert die Hausnummern 8 a und b für die aus einem Erd- und Obergeschoss beste­ hende eine Herberge bzw. die Hausnummer 8 c für die unmittelbar daneben angebaute andere Herberge, wobei die beiden Häuser durch ein gemein­ schaftliches Hofraumelement miteinander verbunden waren.44 Es muss dabei zunächst hervorgehoben werden, dass es unter normalen Umständen eigent­ lich unmöglich ist, eine Häuser- bzw. Gutsgeschichte über mehrere Jahrhun­ derte nachzuvollziehen. Häuser gehen unter, brennen ab, werden abgerissen, gegebenenfalls neuerrichtet oder durch Häuser auf anderen Grundstücken ersetzt. Hinzu kommt, dass es bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein noch keine Grundstücks-, Flur-, Plan- oder Hausnummern gab,45 womit eine histo­ rische Rückverfolgung erheblich erschwert wird. Die Menschen damals be­ halfen sich aber anderweitig. In diesem Sinne wurde ein grundherrschaft­ liches Gut regelmäßig einem konkreten Ort zugeordnet und zusätzlich eine Konkretisierung mit Blick auf eine vor Ort anzutreffende räumliche Beson­

S. 101; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), pub­ liziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. Siehe grundsätzlich zum Reichsfürstenrat ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 300 ff. 43  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  18 ff.; G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotter­ weich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 72 m. w. N. 44  StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Katas­ ter 940 II, fol. 344–347. 45  Vgl. J. G. Stenglein, Das Grundsteuer-Definitivum im Königreiche Bayern nach seiner neueren Einrichtung, Ein Hilfsbuch zur praktischen Fortführung, Bamberg 1855, S.  44 ff.

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B. Historische Grundlagen

derheit vorgenommen.46 Die hier wissenschaftlich zu untersuchenden Her­ bergen im ehemaligen Fürststift Kempten waren der Siedlung „auf der Rot­ tach“ zugeordnet, damals wurde insoweit formuliert „uff der Rot()ach“.47 Die Güter, auf denen die Herbergen waren, hatten aber zudem ein besonderes Erkennungsmerkmal. Wie einer Kaufvertragsurkunde vom 18.03.1778 hin­ sichtlich der Herberge mit der späteren Hausnummer 8 c entnommen werden kann, verkaufte damals Georg Lichtensteiger „in der Gassen“ seine Herberge „auf der Rottach“.48 Die genannte Herberge wurde damals beschrieben als „aigene auf herrschaftlichem Grund und Boden stehende Hörberg ausser der Rotach bestehend in 1 Stuben, 3 Kämeren, 1 Boden und Kellerlen, auch ei­ ner Tunglege hinder dem Hauß samt dem darzuegehörigen Garten (…).“49 Die Rottach-Siedlung war bis Ende des 17. Jahrhunderts kaum besiedelt.50 Wie durch eine hochmittelalterliche Urkunde weiter bewiesen werden kann, wurde letztlich im Jahre 1480 „neben ein vorhandenes ein neues Haus an der Gasse auf die Rottach“ gebaut.51 Nachdem durch den späteren Urkataster der zu untersuchenden Herbergen feststeht, dass die Herberge 8 c nur ein Anbau an das Nachbargebäude war52 und beide Häuser das Erkennungsmerkmal „in bzw. an der Gasse“ aufwiesen, spricht vieles dafür, dass es sich bei diesen Häusern zumindest um die ehemaligen Güter handelte, auf denen die auch heute noch bestehenden Herbergen erbaut waren. Für den territorialen Be­ 46  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufver­ tragsurkunde vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältes­ ten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 586, wo die der aufge­ zeigten Häusergeschichte zugrunde liegenden Häuser einer „Gassen“ auf der Rottach zugeordnet werden. 47  Siehe hierzu beispielsweise StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 83, Le­ henbuch des Fürstabts Johann Euchar von Wolfurt für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Altusried 1616–1631: „Item Jerg (Georg) Steche­ lin, Mezger, uff der Rot()ach Lorenzer Pfarr, hat zu lehen empfangen 1 Äckerlein in der Hofstat, Äckerlein hinderm Berg, sambt dem Anwanderlein mit deren zugehö­ rung, get nichts daraus, wie er diß von Melchior Fleschutzen uffm Lotterberg per 48 Pfd. 10 ß erkauft. Hat das Lehen uffgeben. 31. Juli 1626 (…).“ 48  StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufvertrags­ urkunde vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67. 49  StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufvertrags­ urkunde vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67. 50  Vgl. A. Weitnauer, Die Bevölkerung des Stifts Kempten vom Jahre 1640, Kempten 1939, S. II ff., 2, 4. 51  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 586 unter Rekurs auf die Stiftischen und Städtischen Urkunden, dokumentiert und bearbeitet von dem gleichen Verfasser. 52  StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufvertrags­ urkunde vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67.



I. Die Kemptener Fürstabtei51

reich der späteren Siedlung uff der Rotach war bereits im Lehenbuch des Fürstabts Gerwig von Sulmetingen aus dem Jahre 1451 ein entsprechendes „gütli uff der Rotach, das Cönin Studachs ist“, vermerkt.53 Im stiftkempti­ schen Salbuch aus dem Jahre 1527 ist damit übereinstimmend ein späterer Eintrag für „Sant Lorentzen pfarr“ zu finden, wonach zu Beginn des 16. Jahr­ hunderts einem Schneider uff der Rotach mit dem Namen Christian Funck ein Gütlein des Gotteshauses gehörte, das dieser von dem Fürstabt Johann von Riedheim bestanden hat.54 Dieses Gotteshausgut bestand zusätzlich aus drei Jochart Acker und „sonst nichts al“, wobei der Besitzer Christian Funck 24 Gulden zu Ehrschatz gab.55 Wie sich aus dem stiftkemptischen Salbuch aus dem Jahre 1394 ergibt, gab es auf der Rottach vor dem Jahre 1394 nur ein Eigenklostergut in der Form einer Halbhube und ansonsten achtzehn Äcker.56 Einer dieser Äcker war an Bentz Schedler verliehen, der zudem ei­ nen Heller „von einem Rain hinterm Haus“ zu zahlen hatte.57 Zudem musste Bentz Schedler zwei Pfennige für eine Hofstatt zahlen.58 Nachdem sich den genannten Äckern nach dem stiftkemptischen Salbuch aus dem Jahre 1394 nur bei Bentz Schedler ein Haus zuordnen lässt, was der Angabe von ledig­ lich einer „Halbhube ze Rottach“ im stiftkemptischen Salbuch aus dem Jahre 1394 entspricht, kann damit festgestellt werden, dass das Gebiet der späteren Siedlung uff der Rotach im 14. Jahrhundert noch ausschließlich mit einer Halbhube und achtzehn Äckern besetzt war, wobei vor dem Haus von Bentz Schedler eine Hofstätte lag und sich hinter dem Haus ein Rain be­ fand.59 Diese Halbhube zinste dem Kloster Kempten 4 Viertel Kern, 6 Schef­ fel Haber, 6 Schilling (Pfennige) Taglos, 2 Schafe, 3 Hühner und 2 ½ Schil­

53  A. Weitnauer, Alte Allgäuer Geschlechter III, Das Lehenbuch des Fürstlichen Stifts Kempten von 1451, Allgäuer Heimatbücher 1938, S. 28. 54  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1527, Alte Geschlechter XXIV., Allgäuer Heimatbücher, Band 34, Kempten 1941, S. 1; Alemannisches Institut Frei­ burg i. Br. (Hrsg.), Alemannisches Jahrbuch 1960, Freiburg 1960, S. 35. 55  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1527, Alte Geschlechter XXIV., Allgäuer Heimatbücher, Band 34, Kempten 1941, S. 1. 56  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff.; vgl. auch P. Blickle, Kempten, Historischer Atlas von Bayern, Teil Schwaben, Heft 6, München 1968, S. 62. 57  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 25. 58  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 30. 59  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30.

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B. Historische Grundlagen

ling (Pfennige) Vogtsteuer.60 Die gesamte Anordnung des Guts mit einer Hofstätte vorne, einem Haus und einem Rain hinterm Haus als Landstreifen zu dem sich dahinter befindenden Acker entspricht schließlich der Anordnung des Grundstücks der Herberge mit den späteren Hausnummern 8 a und b.61 Dieses Gut war damals im 18. Jahrhundert dann ein grundherrschaftliches 60  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13 f. 61  Aus dem Lehenbuch des Fürstabts Kardinal Bernhard Gustav von Baden-Dur­ lach (StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 98, Lehenbuch des Fürstabts Kardi­ nal Bernhard Gustav von Baden-Durlach für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Wiggensbach, Krugzell und Altusried) ergeben sich die folgenden Ein­ träge, die Rückschlüsse auf die konkrete Anordnung der späteren Herbergen 8 a, b und c zulassen: 1. „Item hat er empfangen sein gelegenes Güthlein uff dem Lotterberg umb seinem halben Hofstat (?) Anschlag mit dessen Zugehörung ußer disen und vorstehenden Gut ußer dem Hailigen Lorenzen uff dem Berg, ein Viertel Haaber und ńńńj (4 lb) ein vierling unschlitt und als gült in Kastenamt 2/4 per 90 lb angeschlagen Immassen er die von seinem Vatter und Khündern und Hainrich Stechelin selig ererbt und Imo deswegen wie auch nach absterben Iro Fürstl. Gl:gl:gl: Abbten Wolfurt, ect. (…) zu empfahlen gebürt. Actum vt supra (kein Datum) Fünffach Lehen = (29 lb) 8 ß 6 hlr Schreibgelt“ 2. „Item Hans Georg Stechelin beim Stüfft Kempten hat zu Lehen empfangen sein gelegenes Gütlein uf dem Lotterberg, so zusammen zwo Waiden vermag mit dessen Zugehörung, Immassen er daß von seinem Ähnin und Vater Georg und Hainrich Ste­ chelin, seelig ererbt und Ime deswegen ihm auch nach absterben Iro Fürstl. Gnaden Abbt Romani Giel von Gielsberg (…) zu empfahlen gebürdt. Actum vt supra ./. (kein Datum) Dhl: dreifach Lehen e e v j lb. V ßhlr Vj ßhlr Schreibgelt“ 3. „Verner hat er empfangen ein Beund uf dem Lotterberg, samt der Hofstatt da­ selbsten mit deren Zugehörung Immaßen er die gleichfahls wie vorstehende Waiden, von seinen Ähnin und Vatter Stehelin (…) ererbt und Imo deswegen, wie auch nach Absterben Ihro Fürstlichen gnädigsten (…) Abbt Wollfurts ect. Schenckh … etc. und Giel von Gielsberg höchsteren zu empfahlen gebürdt. Actum vt supra ./. (kein Datum) Fünffach Lehen e e v j lb v ßhlr Vj ßhlr Schreib­ gelt“ Bereits aus einem Lehenbuch des Fürstabts Johann Euchar von Wolfurt (StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 83, Lehenbuch des Fürstabts Johann Euchar von Wolfurt für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Altusried 1616–1631) war der folgende Eintrag vermerkt: 4. „Item Jerg (Georg) Stechelin, Mezger, uff der Rottach Lorenzer Pfarr, hat zu lehen empfangen 1 Äckerlein in der Hofstat, Äckerlein hinderm Berg, sambt dem Anwanderlein mit deren zugehörung, get nichts daraus, wie er diß von Melchior Fle­ schutzen uffm Lotterberg per 48 Pfd. 10 ß erkauft. Hat das Lehen uffgeben. Lehngelt 19 ß 3 hlr 1 ß Schreibgelt 31. Juli 1626.“ Aus alledem ergibt sich, dass im Ortsteil der Kemptener Fürstabtei uff der Rotach noch in der früheren Neuzeit eine Hofstatt vorhanden war, der Weiden bzw. Äcker angeschlossen waren, wobei der noch im stiftkemptischen Salbuch aus dem Jahre 1394 beschriebene Landstreifen nun zu einem Anwanderlein geworden ist.



I. Die Kemptener Fürstabtei53

Eigenklostergut des Fürstentums Kempten.62 Es fällt zudem auf, dass das stiftkemptische Salbuch aus dem Jahre 1394 im Gegensatz zu anderen Orts­ teilen des Verfügungsbereiches des entstehenden Fürststifts Kempten im Zu­ sammenhang mit der Siedlung uff der Rotach nicht von einer Gasse spricht, woraus abgeleitet werden kann, dass die für das 15. Jahrhundert und dann auch im neuzeitlichen 18. Jahrhundert vermerkten Bezeichnungen „an der Gasse auf die Rottach“ bzw. „in der Gassen“, so wie sie bei den zur Unter­ suchung gestellten Herbergshäusern zu verzeichnen waren, spezifische Kon­ kretisierungen des Standorts der Güter waren und nicht etwa nur auf eine allgemeine Zufahrt auf die Rottach abstellten.63 Die Halbhube zinste dabei direkt unterhalb des Lotterbergs,64 auf dem bis zu deren späteren Verwüstung im Jahre 1242 die ehrwürdige Hildegardisburg stand.65 Hinsichtlich der Zer­ störung der Hildegardisburg im hohen Mittelalter ist dabei durch eine histo­ rische Quelle die folgende Bemerkung überliefert: „Auergerus Randegk a Grundstein habuit amplissimum ac maxime numerosum Conventum. Sub eijus gubernatione vastatum legitur in Lotterbergo monte, castrum Hildegar­ disburgum dictum. Exanchoratur 7. April 1242.“66 Daraus ergibt sich impli­ zit, dass der Hildegardisberg, auf dem das „castrum Hildegardisburgum“ 62  P. Blickle, Kempten, Historischer Atlas von Bayern, Teil Schwaben, Heft 6, München 1968, S. 62. 63  StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufvertrags­ urkunde vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67.; J. Haggenmüller, Ge­ schichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 586; R. Dertsch, Das Stift­ kemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30. 64  Vgl. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021); J. Buck, Die Hildegardisburg, All­ gäuer Geschichtsfreund 1892 (5), S. 87 ff. 65  L. Boxler, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in dem ehemaligen fürstli­ chen Reichsstifte Kempten seit dessen Entstehung, bis zur Auflösung im Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statistischen Notizen, Kempten 1822, S. 50, 139; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 87; F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehemaligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Ge­ schichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 234; J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88 f.); D. Hünlin, Neue und vollständige Staats- und Erdbeschreibung des Schwäbischen Kreises und der in und um denselben gelegenen Oesterreichischen Land- und Herrschaften, insgemein Vorder- oder Schwäbisch Oes­ terreich, Band II, Lindau 1780, S. 677. 66  Zitiert nach J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (89).

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B. Historische Grundlagen

stand, im Ergebnis nicht mit dem Lotterberg identisch war, sondern einen davon zu unterscheidenden Teil, namentlich den Monte Hildegardis, bilde­ te.67 Damit stellt sich aber nun die Frage nach der historischen Bedeutung der damaligen mittelalterlichen Gasse, aus welcher vermutlich später das verbindende Hofraumelement der Herbergen hervorgegangen ist.68 Es wird zu zeigen sein, dass eines der genannten Güter auf den Fränkischen Kaiser Karl den Großen zurückgeht und damals uff der Rotach ein karolingischer Amtssitz, d. h. ein Königshof,69 später dann als ministerium bezeichnet,70 im Rahmen der Gauverfassung des Illergaues71 vorlag. 67  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (89) m. w. N. 68  Vgl. zu dem späteren gemeinschaftlichen Hofraum der Herbergen 8 a, b und c uff der Rotach StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kemp­ ten Kataster 940 II, fol. 344–347. 69  Siehe zu karolingischen Königshöfen des Frühmittelalters nur W. Metz, Die Kö­ nigshöfe der Brevium Exempla, in: F. Baethgen/H. Grundmann (Hrsg.), Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters namens der Monumenta Germaniae Histo­ rica, 22. Jahrgang, Köln u. a. 1966, S. 258 ff.; E. Gagel, Die Form karolingischer Königshöfe in Oberpfalz und Franken, Sonderdruck, Weiden 1963, S. 29 ff. 70  Zu den ministeria bzw. dem Begriff ministerium A. Dopsch, Die Wirtschafts­ entwicklung der Karolingerzeit, Band I, 2. Aufl., Weimar 1921, S. 163 f.; W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Un­ tersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 155 ff. 71  In der Wissenschaft ist umstritten, auf welches konkrete Gebiet sich der Iller­ gau bezog. Im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Klosterstandort des Benedik­ tinerklosters Kempten machte Baumann vor dem Hintergrund einer frühmittelalterli­ chen Urkunde Ludwigs des Frommen aus dem Jahre 833 geltend, dass der Illergau nur rechts der Iller, d. h. abseits des zweiten Illerarms in östlicher Richtung des Ge­ biets der Kemptener Altstadt, gelegen war, so dass sich das Kloster seiner Ansicht nach im Bereich des Flusstals der späteren Reichsstadt Kempten befunden haben muss. Zu Recht ist unter Verweis auf eine Urkunde Ludwigs des Deutschen dagegen aber von Kata und Weber eingewandt worden, dass sich der pago Hilargauense auf beide Seiten der Iller erstreckte, unabhängig davon, dass die frühmittelalterlichen Gaue keine absoluten Gradmesser für territoriale Zuordnungen darstellen konnten, nachdem diese gerade in der Frühzeit des Klosters Kempten noch Änderungen unter­ worfen waren, und auch die Bezeichnungen der Gaue nicht unbedingt einheitlich verwendet wurden, wie mitunter die geographische Annahme eines „Aldigow“ bzw. „Allgau“ zeigt, der den Raum des Stifts Kempten umfasst haben soll. Die Ansicht Baumanns wird umfassend erläutert bei S. Kirchberger, Stand der historischen For­ schung, in: Stadtarchäologie Stadt Kempten (Hrsg.), „Alles zu einem lauteren Stein­ haufen gemacht“ – Auf der Suche nach dem mittelalterlichen Kloster in Kempten, Kempten 1998, S. 8; B. Kata/G. Weber, Die archäologischen Befunde im Bereich der Kemptener Residenz und ihrer Umgebung, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 56 m. w. N., dort auch zu der Gegenansicht; zu der territorialen Dimension der frühmittelalterlichen Gaue und deren teilweise verschiedenen Be­



I. Die Kemptener Fürstabtei55

Um die fränkische Königin Hildegard und das ehemalige Benediktiner­ kloster Kempten ranken sich mehrere Legenden.72 Als wissenschaftlich gesi­ chert kann heute gelten, dass die Gemahlin Karls des Großen Hildegard das im 8. Jahrhundert gegründete Kloster Kempten mit Schenkungen von Grund­ besitz erheblich unterstützt hat.73 Die späteren Fürstäbte des Stifts Kempten nutzten die ursprüngliche königliche Legitimation durch das Herrscherge­ schlecht der Karolinger für die Verbesserung der Stellung ihrer Abtei im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation,74 womit sie die durch die Verleihung der kirchlichen Immunität durch Karl den Großen vor­ bereitete Entwicklung zu einem landesherrschaftlichen Reichsfürstentum be­ förderten.75 Auch wenn sich unter den mittelalterlichen Quellennachweisen gefälschte Urkunden befinden,76 so kann festgestellt werden, dass noch un­ zeichnungen F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehema­ ligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Geschichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 226 ff., 254 ff., 298 ff. Siehe zur Definition eines frühmittelalterlichen Gaus H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsfor­ schung 1913 (34), 1, (24) m. w. N. 72  K. Schreiner, „Hildegardis regina“ – Wirklichkeit und Legende einer karolingi­ schen Herrscherin, Archiv für Kulturgeschichte 1975 (1), S. 1 ff. 73  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  19 ff.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (230 f.); F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehemaligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Geschichte Ober­ schwabens, Ulm 1862, S. 227 f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kemp­ ten, München 1951, S. 2, 4; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311. 74  K. Schreiner, „Hildegardis regina“ – Wirklichkeit und Legende einer karolingi­ schen Herrscherin, Archiv für Kulturgeschichte 1975 (1), 1, (15 ff.). 75  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 2 ff. 76  Monumenta Germaniae Historica, Die Urkunden der Karolinger, Band I: Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen, bearbeitet von E. Mühlbacher, Hannover 1906, S. 296 ff. (Nr. 222 und 223); K. Brandi, Die Reichenauer Urkunden­ fälschungen, Heidelberg 1890, S. 110 ff.; J. Lechner, Schwäbische Urkundenfälschun­ gen des 10. und 12. Jahrhunderts – mit zwei Facsimiletafeln, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 1900 (21), 28, (41 ff.); H. Schwarzmaier, Königtum, Adel und Klöster im Gebiet zwischen oberer Iller und Lech, Augs­ burg 1961, S. 135 ff.; ders., Zur Frühgeschichte des Klosters Kempten. Eine Untersu­ chung zu den Konventslisten des Klosters unter Abt Tatto, in: U. Ludwig/T. Schilp (Hrsg.), Nomen et Fraternitas, Festschrift für Dieter Geuenich zum 65. Geburtstag, Berlin u. a. 2008, S. 328; K. Schreiner, „Hildegardis regina“ – Wirklichkeit und Le­ gende einer karolingischen Herrscherin, Archiv für Kulturgeschichte 1975 (1), 1, (16).

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B. Historische Grundlagen

ter dem fränkischen Herrscher Karl dem Großen freie Männer auf dessen Veranlassung dem Benediktinerkloster Kempten Hufen, d. h. landwirtschaft­ liche Höfe,77 in mehreren Gauen, namentlich im Illergau, Augustgau, Ni­ belgau, Gildinstein, Linzgau und im Gau Albinesbara,78 schenkten.79 Dieser Vorgang ist zunächst im Lichte der Hufenverfassung des Fränkischen Rei­ ches zu sehen, wo im Rahmen der inneren Reichsorganisation die Gefolg­ schaften für die königlichen Heerfahrten und sonstigen militärischen Dienste gesichert werden sollten, wobei die Größe der Hufen der gemeinen freien Männer für die Rekrutierung ausschlagend war.80 Unter Karl dem Großen gaben tausende von freien Männern ihren Besitz den Klöstern und Kirchen zu eigen, weil damit eine bevorzugte und damit auch effizientere Landwirt­ schaft möglich war, die auf selbständigem Wege nicht zu bewerkstelligen gewesen wäre,81 zum anderen aber auch, weil die freien Bauern damit dem Kriegsdienst entgehen konnten.82 Darin liegt der eigentliche Erklärungsan­ satz, warum gerade im Illergau und im Nibelgau die für den damaligen Stand des Anbaues und der Bevölkerung beträchtliche Zahl von insgesamt zweiundachtzig Hufen von freien Männern zur Verfügung gestellt wurden, die diese Güter letztlich seitens des Abtes oftmals gegen bestimmte Vorteile als untertäniges grundherrschaftliches Gut, das nun als Gotteshausgut gelten konnte, zurückerhielten.83 Nun ist in der geschichtswissenschaftlichen For­ schung heute anerkannt, dass sich die Topographie der Gauverfassungen 77  So J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mund­ art, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1301 f. 78  J. Böhmer Regesta Imperii, Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolin­ gern 751–918, neu bearbeitet von E. Mühlbacher und J. Lechner, Band I, 2. Aufl., Innsbruck 1908, S. 355 f.; J. Moser, Schwäbische Merckwürdigkeiten, oder kleine Abhandlungen, Auszüge und vermischte Nachrichten von Schwäbischen Sachen, Ulm 1765, S. 425; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 3, 5. 79  A. Layer/P. Fried, Die Innere Entwicklung, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 154; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 3, 5. 80  A. Meitzen, Volkshufe und Königshufe in ihren alten Massverhältnissen, in: ders. u. a. (Hrsg.), Festgabe für Georg Hanssen zum 21. Mai 1889, Tübingen 1889, S.  20 ff.; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 40; M. Becher, Karl der Große, 6. Aufl., München 2014, S. 100. 81  A. Gfrörer, Zur Geschichte deutscher Volksrechte im Mittelalter, Band II, Schaffhausen 1866, S. 374. 82  W. Rösener, Bauern im Mittelalter, 4. Aufl., München 1991, S. 228 ff. 83  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 40 f., 91, 199.



I. Die Kemptener Fürstabtei57

nach einem bestimmten Strukturprinzip ausformte.84 In diesem Sinne gab es bereits im frühen Mittelalter Urgaue, die sich nach kleinen Flüssen und Bä­ chen richteten und von Königsleuten in der Form von Königshöfen zu fiska­ lischen Zwecken besiedelt waren.85 Nachgewiesen werden konnte eine der­ artige Beziehung von Königsgut und Gau unter anderem anhand einer kö­ niglichen Kirchenschenkung an Würzburg, die später dann von Ludwig dem Frommen bestätigt wurde.86 Ähnliches ereignete sich auch hinsichtlich des Benediktinerklosters Kempten, wenn im Jahre 832 der Sohn Karls des Gro­ ßen Kaiser Ludwig der Fromme dem Kloster auf Vortrag des Abtes Tatto bestätigte, dass die in früheren Jahren und teilweise schon unter seinem Va­ ter von freien Männern dem Kloster Kempten gegebenen sechsundneunzig Hufen, von welchen dem Fiskus ein jährlicher Zins zu zahlen war, dem Kloster schenkungsweise gegeben worden sind und auch den Fiskalzins zum Unterhalt der Mönche unter der Bedingung abtrat, dass das Kloster sich in Zukunft von niemandem sonst solche Güter übertragen lässt.87 Die materi­ 84  Vgl. W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwal­ tungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Ber­ lin u. a. 2019, S. 163 f. 85  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S.  163 f. 86  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 164 m. w. N. von sonstigen wissenschaftlichen Belegen hinsichtlich weiterer Grafschaften. 87  StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 8, Urkunde Kaiser Ludwigs des Frommen über die Bestätigung verschiedener Schenkungen aus dem Jahre 832; J. Böhmer Regesta Imperii, Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751–918, neu bearbeitet von E. Mühlbacher und J. Lechner, Band I, 2. Aufl., Inns­ bruck 1908, S. 355 f.; M. Klonnek, Chronologie der Geschichte Bayerns – 9. Jahrhun­ dert Jahr 800 bis 899, Band IX, Berlin 2015, Jahr 832; J. v. Raiser, Die Wappen der Städte und Märkte, dann der Marktberechtigten Orte in Ober-Donau-Kreis des König­ reichs Bayern, Augsburg 1834, S. 76; F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: ver­ bunden mit jener des ehemaligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Nie­ belgaues; ein Beitrag zu der Geschichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 232; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 3. „832, 28 mart. L. ad quem Tatto abbas Campidonae monasterii, in quo ss. Gordiani et Epimachi corpora requiescunt, retulit monasterio Karoli temporibus a certis liberis hominibus in pagis Hilargowe, Nihilgowe, Augustgowe, Gildinstein, Lintgowe, Albinesbara XCVI hobas, ex quibus census ad publicum solvendus esset, per publica conscripta traditas esse, ob petitionem abbatis monasterio has hobas confirmat earumque censum usibus fratrum concedit, ea tamen condicione ne in posterum monasterio liceat res, ex qui­ bus parti publicae census aut functiones debeantur, dono accipere. – Si locis deo di­ catis propter amorem“; T. v. Sickel, Acta regum et imperatorum Karolinorum digesta et enarrata – Die Urkunden der Karolinger, Band II: Urkundenregesten, Wien 1867, S.  175 f.

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elle Unterstützung des Benediktinerklosters Kempten durch Kaiser Ludwig den Frommen wird auch dadurch bestätigt, dass er dem Kloster Kempten im Jahre 839 Leute und Güter in Aldrichszell, Ruderatshofen und Hirschzell leihweise zuerkannte, nachdem dem Kloster im Jahre 837 bereits durch des­ sen Sohn Ludwig dem Deutschen das Recht verliehen worden war, sechs Karren Salz aus dem Salzwerk Holl in Tirol zollfrei abführen zu dürfen.88 Bereits zuvor im Jahre 834 wurde das Benediktinerkloster Kempten von al­ len öffentlichen Lasten und Kriegsdiensten befreit.89 Mit den zugewendeten Hufen aber wurden dem Kemptener Kloster Königsgüter verliehen, deren Ertrag sie für ihre Nutzungen behalten durften, d. h. die Hufen zinsten fortan für das Kloster selbst.90 Es ist auch davon auszugehen, dass einmal von kaiserlicher Seite festgelegte Privilegierungen dauerhaft bestanden.91 Ande­ rerseits verdeutlicht die vorbezeichnete Urkunde Ludwigs des Frommen aus dem Jahre 832 aber auch grundsätzlich den privilegierten Status des aus Kö­ nigsgut stammenden Grundbesitzes des Benediktinerklosters Kempten, das fortan unter einer noch stärker ausgeprägten königlichen Schirmherrschaft stand und deshalb nicht mit fremden Herrschaftselementen vermischt wer­ den sollte.92 Die im Rahmen der späteren Kemptener Fürstabtei gelegene Siedlung uff der Rotach lag an dem Fluss Rottach im Illergau, wo es im hohen Mittelalter bereits eine Halbhube gab, weshalb sich die Frage stellt, ob es insoweit einen Zusammenhang zu den von Karl dem Großen dem Kloster Kempten ursprünglich geschenkten Hufen gibt, zumal die karolingi­ 88  Siehe hierzu J. v. Raiser, Die Wappen der Städte und Märkte, dann der Markt­ berechtigten Orte in Ober-Donau-Kreis des Königreichs Bayern, Augsburg 1834, S. 76; F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehemaligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Ge­ schichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 232; L. Boxler, Sammlung der merkwürdigs­ ten Ereignisse in dem ehemaligen fürstlichen Reichsstifte Kempten seit dessen Ent­ stehung, bis zur Auflösung im Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statisti­ schen Notizen, Kempten 1822, S. 21 f. Fn. 28. Siehe zu weiteren Privilegierungen des Klosters Kempten durch Kaiser Ludwig den Frommen J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 25. 89  Siehe hierzu StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 9/2, Privileg Kaiser Ludwigs des Frommen über die Befreiung des Klosters Kempten von allen öffent­ lichen und Kriegsdiensten aus dem Jahre 834. 90  Siehe zu selbstzinsenden Gütern M. Bader, Das Lehenswesen Herzog Hein­ richs XVI. des Reichen von Bayern-Landshut, München 2013, S. 207 f. 91  A. Gfrörer, Zur Geschichte deutscher Volksrechte im Mittelalter, Band II, Schaffhausen 1866, S. 376 f. 92  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S.  180 f.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 40.



I. Die Kemptener Fürstabtei59

schen Königshöfe damals regelmäßig neben sakralen Elementen wie Kir­ chen auch aus Hufen bestanden.93 Nun wurde in der Geschichtswissenschaft anhand karolingischer Urbare weiter nachgewiesen, dass sich auch die klös­ terlichen Lokalverwaltungen nach den Gauen ausrichteten.94 Mit anderen Worten ist heute wissenschaftlich anerkannt, dass sich die karolingische Reichsorganisation an den entsprechenden Gauen ausrichtete, unabhängig davon, ob dem Kloster fiskalisches Königsgut oder privilegiertes Eigenklos­ tergut gegeben wurde.95 Die Gaue, die oftmals nach Flüssen benannt waren, bildeten die Grundlage für die fränkischen Verwaltungsbezirke in der Form von sich oftmals erst später herausbildenden Grafschaften, d. h. von Ge­ richtsbezirken eines Grafen.96 Die Grafschaft Kempten ist später schließlich aus Teilen des Illergaues, des Nibelgaues und der Gaue Duria wie Kelten­ stein entstanden.97 Im Illergau und im Nibelgau besaß das Kloster Kempten durch die Schenkungen Kaiser Karls des Großen, die später im Jahre 832 durch Kaiser Ludwig den Frommen bestätigt wurden, zunächst insgesamt zweiundachtzig Hufen,98 die neben der Burg Hilarmont und den hildegardi­ schen Schenkungen im Wesentlichen den ursprünglichen Grundbesitz des Benediktinerklosters Kempten ausmachten.99 Was heute kaum einer noch weiß, ist, dass sich im Mittelalter uff der Rotach nicht nur eine Halbhube befand,100 sondern aus Sicht des Flusses Rottach stand ca. 50–60 m links 93  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 164. 94  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S.  165 f. m. w. N. 95  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S.  162 ff., 171 ff., 180 ff. 96  A. Meister, Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 14. Jahr­ hundert, Leipzig 1913, S. 49 f. 97  F. L. Baumann, Forschungen zur schwäbischen Geschichte, Kempten 1899, S. 189. 98  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  40 f.; A. Layer/P. Fried, Die Innere Entwicklung, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 154; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 3, 5. 99  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 36. 100  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30.

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B. Historische Grundlagen

neben dem mit der späteren Halbhube besetzten Grundstück etwa 13 m (40 Fuß) in die Höhe versetzt auf dem sich direkt dahinter anschließenden Lot­ terberg die Hildegardisburg,101 auch Burg Hilgartenberg genannt.102 Es ist insoweit auch überliefert, dass eine Burg auf dem Lotterberg bereits um die Zeit der Klostergründung erbaut war.103 Dies wird durch eine weitere histo­ rische Überlieferung bestätigt, wonach im Jahre 773 ein Renobald Reinstet­ ter von Hilgartisberg, oder anders geschrieben: ein Renobald Reinstädter von Hilgartenberg, in Kempten lebte,104 was offensichtlich eine namentliche Beziehung mit der Hildegardisburg auf dem entsprechenden Berg indiziert, zumal sich das Adelsprivileg damals oftmals in einem Herkunftszusatz im Namen zeigte.105 Bei diesem Renobald Reinstetter von Hilgartisberg han­ delte es sich um ein adeliges Mitglied der Klostergemeinschaft, der vermut­ lich von Papst Hadrian im Jahre 777 als einer der Konventualen eingesetzt wurde und damit einer der ersten Konventherren des Mitte des 8. Jahrhun­ derts gegründeten Klosters Kempten war,106 womit nun auch eine direkte Beziehung des Hildegardisbergs mit der entsprechenden Burg auf dem Lot­ terberg zu dem Benediktinerkloster Kempten hergestellt ist. Das Jahr 773 entspricht auch dem vermuteten Stiftungsjahr, in dem die fränkische Köni­ gin Hildegard dem Benediktinerkloster Kempten den Grundbesitz durch eine Schenkung zukommen ließ,107 was mit der historischen Überlieferung einer Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88). Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichs­ stadt Kempten, Kempten 1820, S. 13. 103  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  37 f. m. w. N. 104  J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88); J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 4. 105  F. L. Baumann, Geschichte des Allgäus, Band I: Von der ältesten Zeit bis zur Zeit der schwäbischen Herzöge (1268), Kempten 1883, S. 133 ff., v. a. S. 144 f.; zum Nachweis nur die Liste der ursprünglichen Konventherren bei J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 4. 106  Hierzu M. Crusius, Schwäbische Chronick, Band I, Franckfurt 1733, S. 269 ff.; J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 3 f.; L. Boxler, Sammlung der merkwürdigsten Ereig­ nisse in dem ehemaligen fürstlichen Reichsstifte Kempten seit dessen Entstehung, bis zur Auflösung im Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statistischen Notizen, Kempten 1822, S. 19. 107  M. Zeiller, Itinerarii Germaniae novantiquae compendium, das ist: Teutschlan­ des neuverkürtztes Raisebuch, oder deß in denen Jahrn 1632 und 40 in zweyen Thei­ len außgegangnen Raisebuchs … engerer Begriff und Verfassung in einem Theil, Ulm 1662, S. 856; L. Boxler, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in dem ehemali­ gen fürstlichen Reichsstifte Kempten seit dessen Entstehung, bis zur Auflösung im 101  J. Buck, 102  J. Zorn,



I. Die Kemptener Fürstabtei61

bereits in den frühesten Zeiten errichteten Burg auf dem Lotterberg zeitlich übereinstimmt,108 wenngleich auch möglich ist, dass es sich bei der Hilde­ gardisburg um eine alemannische Burganlage gehandelt hat, die wie die Burg Hilarmont im Zuge der sich durchsetzenden fränkischen Herrschaft über Kempten zunächst von dem Schirmherrn des Klosters übernommen wurde.109 Der Name Lotterberg kommt auch nicht von dem „lotteren Bo­ den“, so wie dies heute noch in der Wissenschaft vertreten wird,110 sondern der Begriff „lotter“ stammt von dem mittelalterlichen Wort „lotar“, was so viel heißt wie gesetzeslos oder treuwidrig.111 Auf der Rottach standen näm­ lich im frühen und hohen Mittelalter die Galgen.112 Im Jahre 892 wurden durch den Abt Friedrich Gremlich von Ochsenbach der bis zu diesem Zeit­ punkt unterhalb der Burg Hilarmont stehende Galgen und die bestehende Richtstätte zu Schwaighausen auf die Rottach versetzt,113 womit die Ge­ richtsstätte mit hoher Wahrscheinlichkeit erweitert wurde. Damit ist belegt, dass auf dem Lotterberg bzw. uff der Rotach Gericht unter freiem Himmel gehalten wurde, was später dann in den Zuständigkeitsbereich des Gaugra­ fen fiel.114 Es ist aber auch wahrscheinlich, dass hier auch der königlich eingesetzte grundherrschaftliche Stiftsvogt, dem die Immunitätsgerichtsbar­ keit oblag, etwaige Gerichtsversammlungen über die Hintersassen (familiae) abhielt115 bzw. dies für das klösterliche Königsgut von den missi dominici, Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statistischen Notizen, Kempten 1822, S. 17. 108  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  37 f. 109  Siehe hierzu J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Graf­ schaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 22; F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehemaligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Geschichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 231. 110  R. Dertsch, Historisches Ortsnamenbuch von Bayern – Schwaben, Band IV: Stadt- und Landkreis Kempten, München 1966, S. 129. 111  Siehe hierzu die Erläuterung im Duden zum Wort lotter auf https://www.duden. de/rechtschreibung/Lotter (letzter Abruf: 18.01.2022). 112  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 571. 113  J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichs­ stadt Kempten, Kempten 1820, S. 7. 114  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 571. 115  A. Dopsch, Die Grundherrlichkeit der Karolingerzeit (Immunität und Vogtei), in: Gesammelte Aufsätze. Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, 1968, S.  12 f.; P. Riché, Die Karolinger, Stuttgart 1987, S. 160 f.

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B. Historische Grundlagen

d. h. von Königsboten,116 welche die lokalen Klosterbeamten im Rahmen der Reichszentralverwaltung überwachten, selbst praktiziert wurde.117 Die Gal­ gen auf der Rottach bzw. auf dem Lotterberg, die innerhalb der Marca Cam­ pidonensis auch von der Ferne gut zu sehen waren,118 dienten auch symbol­ trächtig zur Wahrung des Friedens und des Rechts, zur Eindämmung der Fehden sowie zum Schutz der Kirchen und Schwachen, so wie es im frühen Mittelalter auch dem herrschaftlichen Verständnis der fränkischen Könige entsprach.119 Nachdem sich im stiftkemptischen Salbuch aus dem Jahre 1394 für die spätere Siedlung auf der Rottach nachweisen lässt, dass es dort ur­ sprünglich nur eine Halbhube und achtzehn Äcker gab, wobei die Halbhube vorne über eine Hofstätte und hinter dem Haus über einen seitlichen Rain verfügte,120 was genau der Anordnung des Gutes der späteren Herberge 8 a und b entspricht, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an­ genommen werden, dass die Gasse, an der die damaligen Häuser standen, in der Hofstätte lag und zu den oben auf dem Lotterberg liegenden Galgen bzw. über den hinter diesem Gut gelegenen seitlichen Landstreifen, d. h. dem „Rain hinterm Haus“,121 in westlicher Richtung hinüber zu der Hilde­ gardisburg führte und dass sich dort in den frühesten Zeiten ein lokaler kö­ niglicher Amtssitz in klösterlicher Eigenverwaltung befand, wo auch Gericht gehalten wurde. Dies belegt zudem der Umstand, dass es auch später noch westlich von der Hildegardisburg ein Grundstück mit dem Flurnamen „Schanzacker“ gab, womit auch der militärische Festungszweck der Burg mit einer entsprechenden Schanze nachgewiesen ist.122 Als Übergangsform wurden in noch unsicheren Reichsgebieten von den Karolingern oftmals Präfekturen eingeführt, die unter der Leitung eines Beamten, d. h. eines prae­ fectus, standen, bevor sich auch dort die Grafengewalt durchsetzen konnte.123 Und hier saß gerade in der frühesten Zeit der eigentlichen Klos­ 116  Hierzu P. Riché, Die Karolinger, Stuttgart 1987, S. 159; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 49. 117  A. Meister, Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 14. Jahr­ hundert, Leipzig 1913, S. 58 f. 118  Siehe hierzu nur die Richtstättenbefunde bei J. Auler, Ausgewählte Altgrabun­ gen mit Richtstättenbefunden aus Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Richtstättenarchäolo­ gie, Dormagen 2010, S. 12 ff. 119  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 50. 120  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30. 121  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 25. 122  J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88 Fn. 1). 123  A. Meister, Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 14. Jahr­ hundert, Leipzig 1913, S. 49 ff.



I. Die Kemptener Fürstabtei63

tergründung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Konventherr mit dem Namen von Hilgartisberg124 auf der Burg bzw. der Befestigungsanlage, der einen solchen Verwaltungsbeamten verkörpern konnte.125 Es kann daher als sicher vorausgesetzt werden, dass dieser Renobald Reinstetter von Hilgartisberg auf der Hildegardisburg bzw. zumindest in unmittelbarer Nähe ansässig war, oder aber auf dem Lotterberg Güter besessen haben muss, zumal historisch weiter überliefert ist, dass die Mitglieder der Klostergemeinschaft mitunter auch eigene Güter, Lehen und Höfe durch klösterliche Schenkungen erhiel­ ten.126 Es fällt auch die für Burgen typische besondere strategische Bedeu­ tung dieses Stützpunktes auf, der an der heutigen Abzweigung zum Maria­ berg und nach Heiligkreuz gelegen ist.127 Nun befand sich der meiste Grundbesitz der hildegardischen Schenkungen gerade im Illergau,128 in dem auch die Siedlung uff der Rotach lag.129 Insoweit wird in der Wissenschaft 124  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88); J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichs­ stadt Kempten, Kempten 1820, S. 4. 125  Vgl. A. Meister, Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 14. Jahrhundert, Leipzig 1913, S. 52 f. 126  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 44. 127  Siehe hierzu die grundsätzlichen Ausführungen zur verkehrsstrategischen Be­ deutung von Burgstandorten bei J. Auer, Befestigungen und Burgen im Landkreis Kehlheim vom Neolithikum bis zum Spätmittelalter, Abensberg 2008, S. 46 f. Für den konkreten Fall lässt sich die besondere strategische Anordnung der ehemaligen Hilde­ gardisburg anhand Google Maps Äußere Rottach im Abgleich mit der Beschreibung der Hildegardisburg bei J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88) nachempfinden. Nachdem bereits die alte Römerstadt Cambodu­ num durch ein auf die Römer zurückgehendes organisiertes Straßennetz strukturiert war, ist auch möglich, dass sich an diesem Ort uff der Rottach bereits in antiker Zeit ein römischer Wachturm befunden hat. Hierfür spricht auch, dass entsprechende Funde von römischen Münzen auch für das Ufer der Rottach bzw. den Raum der Rottach nördlich von Kempten im Kies bzw. für die Altstadt bis zum Bräuhaus „zum grünen Baum“ dokumentiert sind; vgl. zum organisierten Straßennetz um die alte Römerstadt Cambodunum J. v. Raiser, Der Ober-Donau-Kreis des Königreichs Bay­ ern unter den Römern, Abteilung I: Die Römer-Male von Augusta rauracum bis Au­ gusta Vindelicorum, Augsburg 1830, S. 40 ff.; F. L. Baumann, Geschichte des Allgäus von den ältesten Zeiten bis zum Beginne des neunzehnten Jahrhunderts, Band I, Kempten 1881, S. 47, 49 ff.; N. Herrmann, Kempten und das Oberallgäu – Bilder aus der Geschichte der Stadt und des Landkreises, 2. Aufl., Kempten 1984, S. 20, 25 ff. Zu den römischen Münzfunden am Ufer der Rottach J. v. Raiser, ebd., S. 44. 128  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 36. 129  Siehe hierzu die Anmerkungen zu der topographischen Verortung des Illergaus in Fn. 71.

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B. Historische Grundlagen

konkretisierend vermutet, dass sich der hildegardische Grundbesitz um die Burg Hilarmont sowie in den Pfarreien St. Mang, St. Lorenz, Krugzell und Buchenberg befand, weil die Kemptener Abtei bereits in den ältesten Zeiten im Besitz dieses Bezirks war.130 Nach hier vertretener Ansicht steht allein von der namentlichen Bezeichnung her fest, dass es sich bei dem in der späteren Pfarrei St. Lorenz gelegenen Hildegardisberg131 und der entspre­ chenden Burg um Erbgut der aus dem alemannischen Geschlecht stammen­ den fränkischen Königin Hildegard handeln musste. Ansonsten hätte man den Berg im Mittelalter nicht mit Hildegardisberg benannt.132 Auf der Rot­ tach lag deshalb ein ursprünglicher lokaler Verwaltungs- und Gerichtssitz des Benediktinerklosters Kempten, dessen gutsbezogene Grundlage, gegebe­ nenfalls nach einer Übernahme von den bekämpften Alemannen,133 auf kö­ niglichen Grundbesitz der Karolinger zurückzuführen war.134 Dabei bedurfte es wie bei sämtlichen auf königlichem Gut aufbauenden Königshöfen135 not­ 130  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 22. 131  Vgl. zum Standort des Hildegardisbergs J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (89) m. w. N. 132  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (89); J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichs­ stadt Kempten, Kempten 1820, S. 4, wo auf den Konventherrn von Hilgartisberg ab­ gestellt wird. 133  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 22; F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehema­ ligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Geschichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 231. 134  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122, wo noch im Zeitpunkt der Beurkundung im Jahre 1480 hinsichtlich einer Verleihung des bestehenden Konvent­ hauses uff der Rotach, das sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an dem Ort der mittelal­ terlichen Halbhube bzw. der späteren Herberge 8 a befand, von einem Burgrecht und einer entsprechenden Schirm gesprochen wird. In den Kemptener Chroniken aus dem 15. Jahrhundert wird schließlich im Hinblick auf die Verleihung des Konventhauses uff der Rotach im Jahre 1480 und die Errichtung eines weiteren Hauses später dann von einem „Stadel beim Gotzhaus“ und einem „Crutzgang“ gesprochen.; F. L. Baumann, Die Kemptner Chroniken des ausgehenden 15. Jahrhunderts, in: Forschungen zur schwäbischen Geschichte, Kempten 1899, S. 77. Der Stadel war deshalb vermutlich die nun um ein weiteres Haus ergänzte Halbhube, die bereits für das Mittelalter uff der Rotach überliefert ist.; vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122, wo sich die Beliehenen verpflichten mussten, ein weiteres Haus zu errichten; R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kemp­ ten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 586. 135  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a.



I. Die Kemptener Fürstabtei65

wendigerweise auch eines Fronhofes mit einer Hufe, die hier hufentypisch direkt neben dem Fluss Rottach,136 d. h. der Wasserquelle, stand und den frühmittelalterlichen Königshof entsprechend versorgen konnte.137 Zudem war der Fronhof mit angegliederter Hufe zur Bewirtschaftung der Burg als lokalem Wirtschaftsmittelpunkt138 und des entsprechenden grundherrschaftli­ chen Besitzes in der Form der nachweisbaren Äcker auf dem Lotterberg139 erforderlich. Dies beweist auch die eindeutige Urkunde Kaiser Ludwigs des Frommen aus dem Jahre 832, der dem Kloster Kempten gerade auch die Eigenversorgung durch Verzicht auf den Fiskalzins sichern wollte.140 In ei­ ner solchen Hufe lag gleichsam auch die Legitimation für einen weiteren Landesausbau,141 was mit der mittelalterlichen Gebietsstruktur des damali­ gen Stützpunktes auf der Rottach mit fast ausschließlichem Ackerland über­ einstimmt.142 Denn zur Zeit der Karolinger war die bipartite grundherr­ schaftliche Landschaft grundsätzlich derart aufgebaut, dass ein Adeliger bzw. ein Kloster über Sal- und Herrenland verfügte, das sich im Gemenge 2019, S. 164. Zur Entstehung der Königshöfe, die teilweise wie z. B. im mainfrän­ kisch-thüringischen Gebiet bereits unter dem fränkischen Hausmeier Karl Martell entstanden sind F.-J. Schmale/W. Störmer, Franken vom Zeitalter der Karolinger bis zum Interregnum (716/19–1257) – die politische Entwicklung, in: M.  Spindler/A.  Kraus (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, Band III/1: Geschichte Frankens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 1997, S. 116 m. w. N. in Fn. 2. 136  Vgl. J. B. Weiß, „Die untere Rotach bey Kempten“ – Blick über die Rottach mit Steg auf mehrere Häuser und Höfe, vorne Gebüsch, Federzeichnung, nach der Natur gezeichnet, 1827. 137  Vgl. H. Elsner, Haithabu – ein Handels- und Gewerbezentrum der Wikinger­ zeit, Kiel 1987, S. 18 m. w. N. 138  J. Auer, Befestigungen und Burgen im Landkreis Kehlheim vom Neolithikum bis zum Spätmittelalter, Abensberg 2008, S. 45 f. 139  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30. 140  J. Böhmer Regesta Imperii, Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolin­ gern 751–918, neu bearbeitet von E. Mühlbacher und J. Lechner, Band I, 2. Aufl., Innsbruck 1908, S. 355 f.; M. Klonnek, Chronologie der Geschichte Bayerns – 9. Jahr­ hundert Jahr 800 bis 899, Band IX, Berlin 2015, Jahr 832; J. v. Raiser, Die Wappen der Städte und Märkte, dann der Marktberechtigten Orte in Ober-Donau-Kreis des Königreichs Bayern, Augsburg 1834, S. 76; F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehemaligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Nie­ belgaues; ein Beitrag zu der Geschichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 232; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 3. 141  Glosse Königshufe, Haus der Bayerischen Geschichte, www.hdbg.eu/glossare/ eintrag/k %E3 %B6nigshufe/860 (letzter Abruf: 18.01.2022). 142  Vgl. R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus All­ gäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff.; P. Blickle, Kempten, Historischer Atlas von Bayern, Teil Schwaben, Heft 6, München 1968, S. 62.

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B. Historische Grundlagen

mit den bäuerlichen Mansen, d. h. dem Leihe- oder Hufenland, befand.143 Neben den freien Bauern, deren Gehöfte sich als Sondereigen einem grund­ herrschaftlichen Einfluss entzogen und nur der genossenschaftlichen Verwal­ tung der Gesamtheit der Teilhaber an der markgemeinen Allmende unter­ lagen,144 wurde das Leihe- oder Hufenland von zwar wirtschaftlich selbstän­ digen, aber abhängigen und damit zinspflichtigen Bauern bewirtschaftet, die entsprechende Erträge an den Grundherrn abzuliefern hatten.145 Im Mittel­ punkt der Organisation bzw. der Verwaltung eines solchen Verbandes stand der Herren-, Sal- oder auch Fronhof, auf dem die Mansus-Bauern ebenfalls arbeiten mussten und der Teil eines frühmittelalterlichen Königshofs sein konnte.146 Der Sinn dieser „villae“, d. h. der Villikationsverfassungen in der Form von Komplexen aus dem Fronhof, auf dem die Leibeigenen des Grundherrn zu arbeiten hatten, und den abhängigen Bauernhöfen, bestand in der Mehrung der Einnahmen des Grundherrn.147 Mit der Halbhube befand sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits in den frühesten Zeiten des Klos­ ters Kempten im Rahmen des unmittelbar neben der Hildegardisburg ange­ siedelten Fronhofs ein zu diesem gehörendes gehobeneres Haus,148 welches auch noch im späten Mittelalter ein Konventhaus darstellte,149 das ursprüng­ lich aber als Herberge das Wohn- und Verwaltungsgebäude des Disponenten 143  K. Strank/K. Schultheis, Die Landgüterverordnung Karls des Großen: Das Ca­ pitulare de villis vel curtis imperii, in: K. Strank (Hrsg.), Obst, Gemüse und Kräuter Karls des Großen, Mainz 2008, S. 12. 144  Siehe zur freien wie auch gebundenen Markgenossenschaft L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 152 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1881 (2), 1, (50 ff.); G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrundherrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S. 31 ff.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn.  1 f. 145  K. Strank/K. Schultheis, Die Landgüterverordnung Karls des Großen: Das Ca­ pitulare de villis vel curtis imperii, in: K. Strank (Hrsg.), Obst, Gemüse und Kräuter Karls des Großen, Mainz 2008, S. 12. 146  K. Strank/K. Schultheis, Die Landgüterverordnung Karls des Großen: Das Ca­ pitulare de villis vel curtis imperii, in: K. Strank (Hrsg.), Obst, Gemüse und Kräuter Karls des Großen, Mainz 2008, S. 12. 147  K. Strank/K. Schultheis, Die Landgüterverordnung Karls des Großen: Das Ca­ pitulare de villis vel curtis imperii, in: K. Strank (Hrsg.), Obst, Gemüse und Kräuter Karls des Großen, Mainz 2008, S. 12. 148  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122; J. Buck, Die Hildegar­ disburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), S. 87 ff.; R. Dertsch, Das Stiftkempti­ sche Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30; F. L. Baumann, Die Kempt­ ner Chroniken des ausgehenden 15. Jahrhunderts, in: Forschungen zur schwäbischen Geschichte, Kempten 1899, S. 77. 149  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122.



I. Die Kemptener Fürstabtei67

über den Herren- bzw. Salhof und die entsprechend abhängigen Bauern bil­ den konnte.150 Der frühmittelalterliche Königshof Hildegardisberg bestand deshalb in seiner Gesamtheit aus dem Guts- oder Königshaus, germanisch sala, domus oder casa regalis, hier uff der Rotach im Konkreten der Hildegardisburg,151 der im Rahmen des Fronhofs, d. h. der curticula als Ver­ waltungs- und Wirtschaftshof, weitere Häuser, Hütten und Ställe als Be­ triebsgebäude zur Unterbringung des Heeres und zur Versorgung der Pferde zugeordnet sein konnten, wobei dem Fronhof wiederum Nebenhöfe mit in Eigenwirtschaft stehendem Land und bereits ab dem späteren Frühmittelalter auch zunehmend abhängige Bauern angeschlossen sein konnten.152 Es gibt am wissenschaftlichen Maßstab keinen Grund, warum direkt neben der Hil­ degardisburg als klösterlichem Amts- und Gerichtssitz auf der Rottach, zu welchem vermutlich gerade der seitliche Rain hinter der Halbhube führte,153 auf einem ähnlichen, von der Höhe etwas abgestuften Geländeniveau ein kleiner Bauernhof stehen sollte, zumal die Beschreibung der Halbhube im stiftkemptischen Salbuch aus dem Jahre 1394 mit einer Hofstatt und einem Rain154 in Verbindung mit dem überlieferten besonderen Erkennungsmerk­ mal „in bzw. an der Gassen“155 nur den Schluss zulässt, dass die konkret vorzufindende Anordnung des Gassenverlaufs mit der Gasse in der Hofstatt nach oben, am Haus rechts vorbei und dann dahinter seitlich links über ei­ nen Landstreifen bereits zur Zeit der Entstehung der Hildegardisburg vor­ handen gewesen sein muss, weil man ansonsten einen unkomplizierten ge­ 150  Vgl. G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistori­ sche Studie, Stockholm 1971, S. 130 ff. 151  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), S.  87 ff. 152  W. Schlesinger, Pfalzen und Königshöfe in Württembergisch Franken und an­ grenzenden Gebieten, in: Historischer Verein für Württembergisch-Franken (Hrsg.), Württembergisch-Franken, Schwäbisch Hall 1969, S. 3 f.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (52); S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsge­ schichte, München 2019, § 16 Rn. 1 f.; vgl. auch W. Metz, Die Königshöfe der Bre­ vium Exempla, in: F. Baethgen/H. Grundmann (Hrsg.), Deutsches Archiv für Erfor­ schung des Mittelalters namens der Monumenta Germaniae Historica, 22. Jahrgang, Köln u. a. 1966, S. 609 f. 153  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), S.  87 ff.; R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus All­ gäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 25. 154  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 25. 155  StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufvertrags­ urkunde vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67; J. Haggenmüller, Ge­ schichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 586.

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B. Historische Grundlagen

radlinigen Weg zu den auf dem Lotterberg gelegenen Gütern bzw. Galgen hätte anlegen können.156 Es macht hier vielmehr den Eindruck, als ob die Alemannen bzw. die erobernden Franken das natürliche Geländeniveau ge­ nutzt haben,157 das in späterer frühmittelalterlicher Zeit dann zu der beson­ deren Anordnung eines karolingischen Königshofes verwendet wurde. Dies wird durch eine Beschreibung des vermuteten Standorts der damaligen Hil­ degardisburg bekräftigt, deren Authentizität durch die zur Untersuchung ge­ stellte Häusergeschichte bestätigt wird: „Beim letzten Hause der äussern Rottach (…), da wo die Fahrstraße über den Wei­ ler Thingers nach Mariaberg führt, zweigt ein Fußweg links ab, der über einen haldigen Rain hinab, durch die Felder bis zu einer Bachrinne führt, die ihr spärli­ ches Wässerlein der nahen Rottach zuführt. Hier erhebt sich zur Rechten ein ca. 40 Fuß hoher Hügel, an dessen östlicher Seite ein schmaler, jedenfalls schon seit langer Zeit bestehender Weg zur Höhe emporführt.“158

Die letzten Häuser des Ortsteils auf der Rottach stellten die heutigen Her­ bergen mit den damaligen Hausnummern 8 a, b und c dar, die von außen für einen durchschnittlichen Betrachter einen Gesamtbesitz mit gemeinschaft­ lichem Hofraum bildeten159 und an der verkehrsstrategischen Abzweigung zum Mariaberg und nach Heiligkreuz lagen.160 Direkt daneben befand sich in westlicher Richtung der Hügel, auf dem die Hildegardisburg stand.161 Weiter westlich neben dem Hügel mit der Hildegardisburg verläuft andererseits heute der Weg mit dem Namen „Am Lotterberg“.162 Der östlichste Weg, den Buck hier vermutlich erläutert, war mit hoher Wahrscheinlichkeit die ehema­ lige Gasse, die im Mittelalter als Zugang zum Fronhof diente und vermutlich 156  Vgl. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021). 157  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 22; F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehema­ ligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Geschichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 231. 158  J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88). 159  Vgl. J. B. Weiß, „Die untere Rotach bey Kempten“ – Blick über die Rottach mit Steg auf mehrere Häuser und Höfe, vorne Gebüsch, Federzeichnung, nach der Natur gezeichnet, 1827; StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rent­ amt Kempten Kataster 940 II, fol. 344–347. 160  Google Maps Äußere Rottach. 161  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88). 162  Google Maps Äußere Rottach.



I. Die Kemptener Fürstabtei69

auch zu den in östlicher Richtung auf dem Lotterberg gelegenen Galgen führte, womit in der Beschreibung des Standorts der Hildegardisburg ange­ deutet wird, dass die Gasse zu der gesamten Burganlage der Hildegardisburg gehörte und damit implizit auch bestätigt wird, dass auch ein an der Gasse gelegenes Gut damals Bestandteil der frühmittelalterlichen Burganlage gewe­ sen sein muss.163 Dies passt auch von den örtlichen Höhenverhältnissen, nachdem die Grundstücke der Besitzer der damaligen mit den Hausnum­ mern 8 a, b und c versehenen Herbergen uff der Rotach gegenüber dem Ge­ ländeniveau der heutigen Straße Äußere Rottach heute noch mehrere Meter nach hinten versetzt in einer Höhe von ca. 3–4 Metern liegen, wenngleich die Höhenangabe der nach hinten auf den Berg versetzten Hildegardisburg mit 13 m (40 Fuß) aus Sicht des gegenwärtigen Straßenniveaus der Äußeren Rottach etwas zu hoch angesetzt ist. Ergänzend wird noch einmal die Urauf­ nahme aus dem Jahre 1823 herangezogen.164 Aus der Uraufnahme ist zu er­ kennen, dass in dem späteren gemeinschaftlichen Hofraum keine Zuordnung eines konkreten Buchstabens für die jeweils nutzungsberechtigte Herberge vermerkt ist.165 Auch bei dem Grundstück des Hauses mit der Hausnum­ mer 9, auf dem im hinteren Bereich die Hildegardisburg stand, befindet sich ein Durchgang, der keinen Buchstaben enthält.166 Dies hat grundsätzlich seinen Grund in dem Relikt des Obereigentums.167 Das in dominium direc­ 163  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88); R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 25; zu der Gassen uff der Rotach StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufver­ tragsurkunde vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältes­ ten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 586. 164  Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021). 165  Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021). 166  Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021); vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88). 167  Zur Lehre vom geteilten Eigentum A. Thibaut, Über dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena

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tum et utile geteilte Eigentum, so wie es auch in der Kemptener Fürstabtei in Bezug auf den herrschaftlichen Grund und Boden vorhanden war,168 ist schließlich der Ursprung von einem mehreren Personen zustehenden Eigen­ tum, das nicht nach Bruchteilen aufgeteilt ist und daher als Gemeinschaftsei­ gentum besonderer Art aufgefasst werden kann, welches seine Weitergeltung heute der Norm des Art. 181 II EGBGB verdankt.169 Bei dem gemeinschaft­ lichen Hofraum der zur Untersuchung gestellten Herbergen handelte es sich vormals gerade um eine Gasse, die von mehreren Grundstücken genutzt wurde.170 Gleiches gilt auch für die Gasse der Herbergen mit der damaligen Hausnummer 9.171 Der von der ehemaligen Hildegardisburg aus gesehen 1801, S.  71 ff.; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 94 ff.; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S.  314 f.; F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., Band II/1: Sachenrecht, Berlin 1905, S. 432 mit Fn. 16; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 325; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 ff.); D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S. 273 ff.; F. Krauss, Das geteilte Eigentum im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1999, S.  19 ff.; Ch. Ulmschneider, Eigentum und Naturrecht im Deutschland des beginnen­ den 19. Jahrhunderts, Berlin 2003, S. 98 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S.  332 f. 168  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21. 169  Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivil­ rechts, Heidelberg 1824, S. 94 ff.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 189 mit Fn. 6; vgl. auch ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stock­ werkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (128). 170  Vgl. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021); StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufvertragsurkunde vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 586. 171  Vgl. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021).



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östliche Weg war eine die Hofstatt der vormaligen Halbhube begrenzende Gasse, die im 19. Jahrhundert durch die Liquidationsverhandlungen vom 04.06.1832 in Privateigentum überführt wurde und damit einen Hofraum bildete.172 Die Uraufnahme aus dem Jahre 1823 konnte diesen Umstand zeit­ lich noch nicht erfassen. Gleiches gilt für die Gasse der Hausnummer 9.173 Diese war mit hoher Wahrscheinlichkeit eine weitere ursprüngliche Gasse, die damals nach hinten zu der Hildegardisburg führte. Der gesamte Komplex aus Hildegardisburg und Halbhube als Teil des neben der Burg errichteten Fronhofes gehörte im frühen Mittelalter zusammen und bildete einen karo­ lingischen Königshof, weil ohne einen entsprechenden Fronhof weder die Pferde der Gefolgschaften untergebracht noch die Burg hätte angemessen bewirtschaftet werden können.174 Das links von der Hildegardisburg angesie­ delte Grundstück konnte diese Funktion aufgrund der Anordnung als militä­ rische Schanze nicht leisten.175 Im Ergebnis stand deshalb auf dem von Buck gekennzeichneten Hügel – am Maßstab des heutigen Straßenniveaus der Äußeren Rottach – in Höhe von ca. 8–10 m die Hildegardisburg, an die in westlicher Richtung der überlieferte militärische Schanzacker angeschlossen war.176 An der östlichen Seite des Gesamtkomplexes befand sich die „Gassen“,177 die mit hoher Wahrscheinlichkeit rechts in der Höhe zu der Gerichts- und Richtstätte, d. h. zu den Galgen, führte. Die im stiftkempti­ schen Salbuch aus dem Jahre 1394 verzeichnete Halbhube verfügte über ei­ nen Rain hinter dem Haus,178 der auch noch in der Uraufnahme aus dem 172  Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Protokolle zu den Liquidations­ verhandlungen der Steuergemeinde St. Lorenz in 4 Bänden – mit Vormerkungen in Band I, Band II, Liquidationsprotokolle vom 04.06.1832 zu den Herbergen 8 a, b und c uff der Rotach, S. 1005 ff. 173  Vgl. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021). 174  Vgl. W. Metz, Die Königshöfe der Brevium Exempla, in: F.  Baethgen/ H. Grundmann (Hrsg.), Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters namens der Monumenta Germaniae Historica, 22. Jahrgang, Köln u. a. 1966, S. 609 f. 175  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88 Fn. 1). 176  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88 mit Fn. 1). 177  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufver­ tragsurkunde vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältes­ ten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 586. 178  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Ge­ schichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30.

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Jahre 1823 als Verbindungslinie zu dem etwas höher gelegenen ehemaligen Standort der Hildegardisburg erkannt werden kann.179 Der hintere Landstrei­ fen umfasste den gesamten frühmittelalterlichen Königshof.180 Es handelte sich hier um eine typische Burgstätte, die als Verwaltungs- und Gerichtssitz auf dem Hügel thronte und deren Gelände sich dann höhenmäßig abgestuft zu dem damals in etwa 5–6 Metern Höhe gelegenen Gut der heutigen Her­ bergen bewegte.181 Die spätere Herberge 8 c wurde erst im Jahre 1480 errichtet,182 womit die Hildegardisburg und der ihr angeschlossene Fronhof im frühen Mittelalter über zwei getrennte Zugänge zu erreichen waren.183 Hinter der Halbhube, die direkt neben dem Fluss Rottach positioniert war, befand sich ein später dann auch im stiftkemptischen Salbuch aus dem Jahre 1394 genannter Acker, an den sich östlich auf dem Lotterberg die ­Galgen anschlossen.184 In diesem Zusammenhang ist auch zu bemerken, dass im Jahre 1480 mit Fürstabt Johann I. von Wernau den Anbau des weiteren ­Hauses neben das bestehende Haus an der Gasse auf die Rottach gerade auch ein Klostervorsteher verfügt hat, der den Kult um die fränkische Köni­gin Hildegard im späten Mittelalter im Besonderen bemühte, als das Kloster am Ende des 15. Jahrhunderts von den Bauernaufständen185 bedroht war.186 Es

179  Vgl. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021). 180  Vgl. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021); R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 25. 181  Vgl. zu den Geländeverhältnissen J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Ge­ schichtsfreund 1892 (5), 87, (88). 182  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122 zu der Verleihung des Konventhauses uff der Rotach im Jahre 1480. 183  Vgl. K. Rübel, Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedelungsystem im deut­ schen Volkslande, Bielefeld 1904, S. 296 f. 184  Vgl. J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 7; R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30. 185  O. Erhard, Der Bauernkrieg in der gefürsteten Grafschaft Kempten, München u. a. 1908, S. 3 ff. Zur Vorgeschichte der Bauernerhebungen im Fürststift Kempten P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (209 ff.).



I. Die Kemptener Fürstabtei73

lag daher aus der Sicht dieses Fürstabts durchaus nahe, ehemaliges karolin­ gisches Königsgut in der Form eines Gotteshausgutes entsprechend zu erwei­ tern und in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.187 Bemerkenswert ist aber auch, dass die Hildegardisburg später von dem vermutlich dem Ritterstand und damit dem niederen Adel188 angehörigen Ludwig von Rotache bewohnt wurde, der den Abt Heinrich III. von Kempten im Jahre 1213 nach Konstanz begleitet hat, um die für die territorialstaatliche Landeshoheit des Stifts Kempten so wichtige Reichsbelehnung mit den Grafschaftsrechten zu emp­ fangen.189 Damit aber musste es sich bei diesem niederen Adelsvertreter um einen bedeutenden Ritter gehandelt haben, dem die Residenz der Hildegar­ disburg zukam190 und der damit die ursprüngliche karolingische Legitimation des Benediktinerklosters Kempten durch die Verleihung der kirchlichen Im­ munität durch den Fränkischen Kaiser Karl den Großen191 nach außen ge­ genüber dem König repräsentieren konnte. Allein auch aus diesem Grund musste es sich bei der Hildegardisburg um eine größere Burganlage gehan­ delt haben.192 Entscheidend ist aber, dass im Jahre 1394 eine halbe Hube „ze Rottach“ dem Kloster Kempten zinste,193 die zu dieser Zeit als einziger ver­ merkter bäuerlicher Hof uff der Rotach unterhalb des Lotterbergs, auf dem bis zu deren Zerstörung im Jahre 1242 die „ehrwürdige(…) und uralte“194

186  K. Schreiner, „Hildegardis regina“ – Wirklichkeit und Legende einer karolingi­ schen Herrscherin, Archiv für Kulturgeschichte 1975 (1), 1, (23 ff.); J. Günther, Vita S. Hildegardis, lateinisch, illuminiertes Manuskript auf Pergament. Bodenseegebiet, Kempten, um 1460–1467, in: Mittelalterliche Handschriften und Miniaturen, Ham­ burg 1995, S. 94. 187  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122 zur Verleihung des Kon­ venthauses uff der Rotach im Jahre 1480. 188  Vgl. B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 16. 189  F. L. Baumann, Geschichte des Allgäus, Band I: Von der ältesten Zeit bis zur Zeit der schwäbischen Herzöge (1268), Kempten 1883, S. 534; J. Buck, Die Hilde­ gardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (89). 190  Vgl. F. L. Baumann, Geschichte des Allgäus, Band I: Von der ältesten Zeit bis zur Zeit der schwäbischen Herzöge (1268), Kempten 1883, S. 534. 191  G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 72 m. w. N. 192  Anders aber vermutend J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichts­ freund 1892 (5), 87, (87 f.). 193  R. Dertsch, Historisches Ortsnamenbuch von Bayern – Schwaben, Band IV: Stadt- und Landkreis Kempten, München 1966, S. 171. 194  F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehemaligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Ge­ schichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 234.

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B. Historische Grundlagen

Hildegardisburg stand,195 vorhanden war.196 Damit wird nämlich bestätigt, dass der Zins des ursprünglichen Hufenbesitzes dem Kloster Kempten zufiel, was wiederum mit dem Schenkungsakt Kaiser Ludwigs des Frommen aus dem Jahre 832 übereinstimmt, der den Mönchen des Klosters den Unterhalt sichern wollte.197 Die Herbergen 8 a und b besitzen auch heute noch vermut­ lich aus Stein gebaute Außenwände, die östlich zur damaligen Gasse gewandt waren und ca. 65 cm breit sind.198 Eine derartige architektonische Bauweise mit steinernen Außenwänden könnte dem frühen Mittelalter entstammen,199 während dagegen im Vergleich dazu die Herberge 8 c nur etwas mehr als halb so breite Außenmauern besitzt,200 womit bestätigt wird, dass die Häuser ursprünglich zu unterschiedlichen Zeiten errichtet worden sind.201 Nachdem die Hildegardisburg nach ihrer Zerstörung im Jahre 1242 nicht mehr wiedererrichtet wurde, stellte die übriggebliebene Halbhube bis in das 16. Jahrhundert das einzige Gotteshausgut uff der Rotach dar.202 Das könig­ 195  L. Boxler, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in dem ehemaligen fürst­ lichen Reichsstifte Kempten seit dessen Entstehung, bis zur Auflösung im Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statistischen Notizen, Kempten 1822, S. 50, 139; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 87; F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehemaligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Ge­ schichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 234; J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88 f.); D. Hünlin, Neue und vollständige Staats- und Erdbeschreibung des Schwäbischen Kreises und der in und um denselben gelegenen Oesterreichischen Land- und Herrschaften, insgemein Vorder- oder Schwäbisch Oes­ terreich, Band II, Lindau 1780, S. 677. 196  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30. 197  M. Klonnek, Chronologie der Geschichte Bayerns – 9. Jahrhundert Jahr 800 bis 899, Band IX, Berlin 2015, Jahr 832; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 3. 198  Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Vermessungsplan aus dem Ver­ änderungsnachweis 6/1953 hinsichtlich der ehemaligen Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Kempten, Fortführungsriss Nr. 2081/2, Messverzeichnis von 1953, Ab­ markungsprotokoll 1442. 199  Vgl. G. Binding, Bauwissen im Früh- und Hochmittelalter, in: J. Renn u. a. (Hrsg.), Wissensgeschichte der Architektur, Band III: Vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit, Berlin 2014, S. 62 f. 200  Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Vermessungsplan aus dem Ver­ änderungsnachweis 6/1953 hinsichtlich der ehemaligen Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Kempten, Fortführungsriss Nr. 2081/2, Messverzeichnis von 1953, Ab­ markungsprotokoll 1442. 201  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122. 202  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1527, Alte Geschlechter XXIV., Allgäuer Heimatbücher, Band 34, Kempten 1941, S. 1.



I. Die Kemptener Fürstabtei75

liche Eigenklostergut unterstand direkt dem Schutz des Königs, d. h., dieses war Eigentum des Gotteshauses, das im Rahmen des Immunitätsbezirks nicht der Grafengewalt, sondern der königlichen Gewalt des vom Abt eingesetzten Stiftsvogtes unterlag.203 Die Zerstörung der Hildegardisburg im Jahre 1242 führte mitunter dazu, dass der Abt Auergerius Randecker von Grundstein seine Würde niederlegen musste.204 Zwar besaß das Benediktinerkloster Kempten das Privileg der freien Abtswahl.205 Nur hatte Kaiser Ludwig der Fromme das Privileg aus dem Jahre 839 unter die Bedingung gestellt, dass einer der Mönche das Kloster gemäß der Regula Benedicti regieren konnte, so dass, wenn dies nicht der Fall war, die Einsetzung des Abtes wieder dem König oblag.206 Der geistliche Würdenträger verlor durch die Zerstörung der Hildegardisburg damit seine königliche Legitimation, was wieder darauf schließen lässt, dass es sich bei dieser Burganlage um ein ganz besonderes klösterliches Königsgut gehandelt haben muss. Nun hat Kaiser Karl der Große durch die Landgüterverordnung, das capitulare de villis vel curtis imperii, die Ausstattung und damit indirekt auch eine Beschreibung eines

203  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  41 f.; W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungs­ geschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S.  180 ff. 204  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 87 unter Verweis auf eine Kemptener Klosterchronik. 205  Monumenta Boica, Band XXXI, Teil I: Diplomata Imperatorum Apographa, Academia scientiarum boica, München 1836, S. 89 (Nr. XL); F. L. Baumann, Zur äl­ tern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwa­ ben und Augsburg 1876 (2), 219, (234); L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 2 f., 6; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311 f. 206  Monumenta Boica, Band XXXI, Teil I: Diplomata Imperatorum Apographa, Academia scientiarum boica, München 1836, S. 89 (Nr. XL); F. L. Baumann, Zur äl­ tern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwa­ ben und Augsburg 1876 (2), 219, (234). Nach Kapitel 64 der Regula Benedicti wurde der neue Abt aus dem Kreis der Mönche gewählt: Kapitel 64: „Bei der Einsetzung des Abtes gelte immer der Grundsatz, dass der bestellt wird, den sich die ganze Klos­ tergemeinde einmütig, in der Furcht Gottes, oder ein auch noch so kleiner Teil der Klostergemeinde nach besserer Einsicht wählt. Man soll aber den wählen und einset­ zen, der verdienstvolles Leben und Lehrweisheit verbindet, wenn er auch in der Rangordnung der Klostergemeinde der Letzte wäre. (…).“; abgedruckt bei P. Basilius Steidle, Die Benediktus-Regel – Lateinisch-Deutsch, 4. Aufl., Beuron 1980, S. 173 ff. Allgemein zur Stellung des Abtes im Rahmen eines Benediktinerklosters M. Puzicha, „… die gemeinsame Regel des Klosters“ (RB 7,55) – Aufsätze und Vorträge zur Be­ nediktusregel II, Sankt Ottilien 2017, S. 395 ff.

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B. Historische Grundlagen

Königshofes festgelegt.207 Ein Königshof, lateinisch curtes regiae, kann all­ gemein beschrieben werden als königliches Kammergut, bestehend aus einer Burg mit ihrem Zubehör.208 Derartige karolingische Befestigungsanlagen waren regelmäßig seitlich mit einer Schanze bzw. Vorschanze ausgestattet, welche die Burg militärisch befestigten und sicherten; direkt neben dem kö­ niglichen Gutshaus war regelmäßig ein Hof als Aufenthaltsstätte, d. h. eine curticula, wo kleinere Holzhäuser und Stallanlagen zu finden waren bzw. Zelte aufgestellt werden konnten, wobei die curticula oftmals auch mit Obst­ bäumen und sonstigen Anpflanzungen versehen war.209 Diese zweigeteilte Villikationsverfassung bzw. Grundherrschaft war typisch für einen karolingi­ schen Königshof und konnte unter anderem bereits für das frühe Mittelalter hinsichtlich des Benediktinerklosters Fulda nachgewiesen werden, wobei auch festgestellt werden muss, dass grundsätzlich gerade die kirchlichen Grundherrschaften für das karolingische Bewirtschaftungsmodell empfäng­ lich waren.210 In dem Hof waren die Gefolgschaft bzw. das Heer in Zelten und Hütten sowie die Pferde in Ställen untergebracht, der von der Burg bzw. dem Königshaus getrennt war.211 In friedlichen Zeiten war die curticula der Wirtschaftshof der Burg.212 Karolingische Königshöfe waren oftmals Etap­ penstationen an verkehrsstrategisch bedeutenden Orten, die zunächst unter der Verwaltung eines praefectus stehen konnten, der die militärische Stellung zu halten sowie die Versorgung des Gutes mit Wasser, die Anpflanzung des Hofes und das Funktionieren des Wirtschaftshofes zu organisieren hatte, der

207  Des Kaisers Karl des Großen Capitulare de Villis, übersetzt und erläutert von J. Reß, Helmstädt 1794, S. 11 ff.; U. Weidinger, Das „Capitulare de villis“ – Die Ver­ sorgung des Königshofs mit Gütern, in: M. Becher (Hrsg.), Das Reich Karls des Großen, Darmstadt 2011, S. 79 ff. 208  J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1705. Zur Begriffsgeschichte der curtis regiae unter Berücksichtigung der Quellenexegese A. Dopsch, Die Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, Band I, 2. Aufl., Weimar 1921, S. 144 ff. Zur Terminologie des Kö­ nigshofes unter Heranziehung von Beschreibungen nachgewiesener frühmittelalter­ licher Königshöfe W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 106 ff. 209  Siehe hierzu K. Rübel, Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedelungsystem im deutschen Volkslande, Bielefeld 1904, S. 296 f. 210  U. Weidinger, Das „Capitulare de villis“ – Die Versorgung des Königshofs mit Gütern, in: M. Becher (Hrsg.), Das Reich Karls des Großen, Darmstadt 2011, S.  82 ff. 211  K. Rübel, Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedelungsystem im deutschen Volkslande, Bielefeld 1904, S. 298. 212  K. Rübel, Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedelungsystem im deutschen Volkslande, Bielefeld 1904, S. 298.



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später dann oftmals durch den Grafen ersetzt wurde.213 Ein karolingischer Königshof war im Ergebnis ein ministerium,214 d. h. ein Amts- und Verwal­ tungssitz, Wirtschaftshof, Lager­gelände, eine Richtstätte und ein militärischer Stützpunkt.215 Wenn man die Uraufnahme aus dem Jahre 1823 betrachtet,216 gehörte das gesamte Areal im westlichsten Bereich der in der späteren Kemptener Fürstabtei gelegenen Siedlung uff der Rotach damals zusammen und bildete mit der Hildegardisburg einen derartigen frühmittelalterlichen Königshof, der im 8. Jahrhundert unter der Leitung des Konventherrn na­ mens von Hilgartisberg als praefectus stand.217 Der frühmittelalterliche Kö­ nigshof Hildegardisberg war königlicher Klosterbesitz, der direkt neben dem Fluss Rottach lag218 und damit zur Keimzelle des Illergaues werden konnte,219 wobei der Stützpunkt auch eine wichtige Zwischenstation an der heutigen verkehrsstrategischen Abzweigung zum Mariaberg und nach Heiligkreuz war. Der gesamte Königshof, beginnend mit dem westlich gelegenen Grund­ 213  Siehe zum Ganzen K. Rübel, Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedelungsys­ tem im deutschen Volkslande, Bielefeld 1904, S. 296 ff. 214  A. Dopsch, Die Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, Band I, 2. Aufl., Weimar 1921, S. 163 f. 215  So nur K. Rübel, Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedelungsystem im deut­ schen Volkslande, Bielefeld 1904, S. 296 ff. Siehe hierzu §§ 24, 27, 33, 41, 42, 49, 55 f., 63 des capitulare de villis vel curtis imperii bei Des Kaisers Karls des Großen Capitulare de Villis, übersetzt und erläutert von J. Reß, Helmstädt 1794. Zu der Be­ deutung des capitulare de villis vel curtis imperii „als Inbegriff des fränkischen Reichsguts und seiner Verwaltung“ sowie zu dessen räumlichem Geltungsbereich im gesamten Fränkischen Reich unter Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Meinungsstand W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und ver­ waltungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 77 ff., v. a. S. 84, der auf S. 89 aber auch darauf hinweist, dass Spuren einer auf dem capitulare de villis aufbauenden Gesetzgebung in Italien ledig­ lich in bescheidenerem Maße vorhanden waren; zur Rezeption in gartenkultureller Hinsicht S. Hauschild, Der Zauber von Klostergärten, München 2014, S. 28 ff., 36 ff., 45 ff. 216  Vgl. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet verfügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAtlas, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal. bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021). 217  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88); J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichs­ stadt Kempten, Kempten 1820, S. 4; A. Meister, Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 14. Jahrhundert, Leipzig 1913, S. 52 f. 218  Vgl. J. B. Weiß, „Die untere Rotach bey Kempten“ – Blick über die Rottach mit Steg auf mehrere Häuser und Höfe, vorne Gebüsch, Federzeichnung, nach der Natur gezeichnet, 1827; J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), 87, (88). 219  Siehe zu der Topographie des Illergaus bereits Fn. 71.

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B. Historische Grundlagen

stück mit dem militärischen Flur­namen Schanzacker, dann der Hildegardis­ burg, an die sich östlich die curticula, bestehend aus dem Hof, einer Hofstätte mit Hufe und dem sich anschließenden Grundstück, das ebenfalls wie eine Schanze in westlicher Richtung nach oben steigt, im hohen Mittelalter nach­ weisbar dann als Beunde, d. h. als eingezäuntes Grundstück,220 benannt war und später den Garten der Herberge 8 a und b bildete, anschloss, lag auf dem unteren Lotterberg uff der Rotach und wäre noch heute verteidigungsstrate­ gisch gesichert nach hinten auf den Berg versetzt.221 Auch hier kann es kein Zufall sein, dass sich gerade am östlichsten Punkt später ein mit Obstbäumen und sonstigen Anpflanzungen versehenes Beundengrundstück befand, das wie eine Schanze westlich nach oben stieg und später ein befriedetes Besitz­ tum bildete, das der Hofstätte zugeordnet war.222 Dies gerade auch deshalb, weil derartige Beunden als umzäunte Obstgärten im Frühmittelalter oftmals gerade Fronhöfen von Burgen zugehörten,223 was gleichzeitig den Anordnun­ gen Karls des Großen im capitulare de villis vel curtis imperii hinsichtlich der Ausstattung der Königsgüter entsprach.224 Oberhalb der im stiftkempti­ schen Salbuch aus dem Jahre 1394 genannten Halbhube befand sich schließ­ lich ein Rain, der hinter dem Bauernhaus lag und so den gesamten Königshof nach Westen umspannen konnte.225 Oberhalb der Gasse in östlicher Richtung 220  R. Dertsch, Historisches Ortsnamenbuch von Bayern – Schwaben, Band IV: Stadt- und Landkreis Kempten, München 1966, S. 129 unter Bezugnahme auf eine stiftkemptische Urkunde aus dem Jahre 1427. Es wird zu zeigen sein, dass es sich hierbei um den späteren Garten der Herberge 8 a uff der Rotach handelte. Zum Be­ griff Beunde Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch (FWB), abrufbar unter www.fwb-online.de/lemma/beunde.s.1f?q=beunde &page=1. (letzter Abruf: 18.01.2022). 221  J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), S. 87 ff.; R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Ge­ schichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30; K. Rübel, Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedelungsystem im deutschen Volkslande, Bielefeld 1904, S. 296 f.; Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach; auch im Internet ver­ fügbar unter Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, BayernAt­ las, Uraufnahme zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www.geoportal.bayern.de/bayernatlas (letzter Abruf: 26.11.2021). 222  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122; R. Dertsch, Das Stift­ kemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30; ders., Historisches Ortsnamenbuch von Bayern – Schwaben, Band IV: Stadt- und Landkreis Kempten, München 1966, S. 129. 223  K. Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter, Leipzig 1886, S. 430. 224  Des Kaisers Karls des Großen Capitulare de Villis, übersetzt und erläutert von J. Reß, Helmstädt 1794, § 70 (S. 97 ff.). 225  Vgl. R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus All­ gäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 25.



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standen im frühen Mittelalter die Galgen als Ausdruck der Gerichtsstätte.226 Die heutigen Herbergen stehen deshalb auf ehemaligem königlichem Reichs­ grund, wo Könige residierten227 und in der frühesten Zeit eine Eigenverwal­ tung des Benediktinerklosters Kempten installiert war.228 Auffällig ist auch die Grenzmarkungsfunktion, die dem karolingischen Königshof uff der Rot­ ach eindeutig zukam, was gerade einem der Hauptzwecke der frühmittelal­ terlichen Königshöfe entsprach.229 Vor diesem Hintergrund kann es auch kein Zufall sein, dass sich auf der gleichen Verkehrslinie Richtung Mariaberg die nicht mehr erhaltene ursprüngliche Burg Kalbsangsttobel anschloss,230 was im Ergebnis die Markungspolitik der Karolinger hinsichtlich der Marca Campidonensis nur bestätigt.231 Die geschilderten Gesamtumstände lassen nur den Schluss zu, dass es uff der Rotach einen frühmittelalterlichen Kö­ nigshof gab, den ersten nachgewiesenen in der Kemptener Geschichte.

226  Vgl. J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 7. 227  Vgl. M. Crusius, Schwäbische Chronick, Band I, Franckfurt 1733, S. 280, wo ein Besuch Karls des Großen genannt wird, wobei Crusius hier auf Hilarmont als königliche Unterkunft abstellt. 228  Zur Bedeutung der Eigenverwaltung, wenn auch unter königlicher Aufsicht, im Mittelalter A. Dopsch, Die Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, Band I, 2. Aufl., Weimar 1921, S. 164 ff. 229  Siehe hierzu nur K. Rübel, Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedelungsystem im deutschen Volkslande, Bielefeld 1904, S. 301 ff. 230  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 37 f. Auch auf der ursprünglich in den frühesten Zeiten vorhandenen Burg Campi­ mont saß mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Konventherr mit dem Namen Hildebrand Hametan von Campimont; vgl. J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 4. 231  Siehe zum Verfügungsbereich der Marca Campidonensis Monumenta Germa­ niae Historica, Die Urkunden der deutschen Karolinger, hrsg. von der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Band I: Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren, Berlin 1934, DDLD, S. 90  ff., Nr. 66; P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 5; vgl. G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittel­ alter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 24 f. m. w. N.

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3. Der Aufstieg der Kemptener Abtei zum Reichsfürstentum als Beleg für die staufische „Feudalisierung der Reichsverfassung“232 des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation In der verfassungsgeschichtlichen Wissenschaft ist auch heute noch um­ stritten, ob sich der unter Kaiser Friedrich I. Barbarossa ab dem Jahre 1155 beginnenden Reichspolitik unter dem Herrschaftsgeschlecht der Staufer im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ein planmäßiges und systemati­ sches Prinzip des Reichsaufbaus entnehmen lässt, wonach die im Alten Reich angesiedelten Fürsten und sonstigen Herrschaftsträger durch eine Reichs­ belehnung stärker an das Sacrum Romanum Imperium gebunden werden sollten.233 In diesem Sinne wird in der Literatur von einer „Staatsreform der Hohenstaufen“234, von einer „Feudalisierung der Reichsverfassung“235 oder 232  G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Sali­ ern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288. 233  In der verfassungsgeschichtlichen Wissenschaft stehen sich hinsichtlich der Frage einer planmäßigen staufischen Reichsreform zwei Ansichten gegenüber.; be­ fürwortend O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S.  11 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V: Die geschicht­ lichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 20; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 76  f.; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S.  51 ff.; J. Dendorfer, Roncaglia: Der Beginn eines lehnrechtlichen Umbaus des Reiches?, in: S. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhun­ dert, Regensburg 2010, S. 111 ff., v. a. S. 124 ff.; G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Saliern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288; ablehnend dagegen R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deutschen Herzogtümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbreitung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013, S. 136 ff., v. a. S. 145 ff.; ­K.-F. Krieger, Die Lehenshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200– 1437), Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 23, Aalen 1979, S. 262 ff., der aber auf einen Widerspruch hinsichtlich fürstlicher Eigengüter hin­ weist, diese aber dann insgesamt als von der Reichsbelehnung abgeleitet unterstellt; tendenziell auch G. Lubich, Lehensgeber und Lehensnehmer – Herrschender und Beherrschter? Amtslehen und Herrschaftsgestaltung am Beispiel der Herzogtümer, in: J. Dendorfer/R. Deutinger (Hrsg.), Das Lehnswesen im Hochmittelalter, Ostfil­ dern 2010, S. 441. Siehe zur staufischen Herrschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  64 ff. 234  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 1 ff., v. a. S.  11 ff. 235  G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Sali­ ern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288.



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von „eine(m) lehnrechtlichen Umbau (…) des Reiches“236 unter den frühen Staufern gesprochen,237 wenngleich es auch gewichtige Gegenstimmen gibt, die sich der Anerkennung eines derartigen staufischen Reformstrebens mit beachtlichen Argumenten widersetzen.238 Insoweit wird insbesondere mit ei­ nem allgemeinen Bewusstseinswandel im Heiligen Römischen Reich Deut­ scher Nation argumentiert, der auf die Rezeption des römischen und kanoni­ schen Rechts im 12. und 13. Jahrhundert zurückgeführt wird und die gelehrte Jurisprudenz zur Folge hatte, womit die formale Alternativlosigkeit hinsicht­ lich einer künftigen Reichsbelehnung inzident mit einherging.239 Andererseits wird eingewandt, dass sich das Instrumentarium einer künftigen reichsrecht­ lichen Vergabe eines Lehens an dynastische Fürstentümer, Herzogtümer, Grafschaften, Markgrafschaften und an sonstige Herrschaftsträger seitens des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erst in der zwei­ ten Hälfte des 13. Jahrhunderts und damit rund ein Jahrhundert nach der Regierungszeit Friedrichs I. Barbarossa durchgesetzt hat, so dass der Zeitab­ lauf gegen ein planmäßiges staufisches Ordnungsprinzip spricht.240 Zudem wird in der Reichsbelehnung schließlich nur eine andere juristische Schab­ lone für das bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschende Ämterbesetzungsprivi­ 236  J. Dendorfer, Roncaglia: Der Beginn eines lehnrechtlichen Umbaus des Rei­ ches?, in: S. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12.Jahrhundert, Re­ gensburg 2010, S. 111 ff. 237  Siehe hierzu auch die Darstellung bei R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deutschen Herzogtümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbreitung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013, S. 138. 238  Zur Gegenansicht R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deut­ schen Herzogtümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbreitung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ost­ fildern 2013, S. 136 ff., v. a. S. 145 ff.; tendenziell auch K.-F. Krieger, Die Lehensho­ heit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200–1437), Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 23, Aalen 1979, S. 262 ff.; G. Lubich, Le­ hensgeber und Lehensnehmer – Herrschender und Beherrschter? Amtslehen und Herrschaftsgestaltung am Beispiel der Herzogtümer, in: J. Dendorfer/R. Deutinger (Hrsg.), Das Lehnswesen im Hochmittelalter, Ostfildern 2010, S. 441. 239  Siehe hierzu R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deutschen Herzogtümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbrei­ tung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013, S. 157; G. Lubich, Lehensgeber und Lehensnehmer – Herrschender und Be­ herrschter? Amtslehen und Herrschaftsgestaltung am Beispiel der Herzogtümer, in: J. Dendorfer/R. Deutinger (Hrsg.), Das Lehnswesen im Hochmittelalter, Ostfildern 2010, S. 441. 240  Siehe hierzu R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deutschen Herzogtümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbrei­ tung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013, S.  156 f.

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leg gesehen, das nach den zeitgenössischen Quellen einer ausdrücklichen Reichslehensbestellung ermangelte.241 Die als herrschend zu bezeichnende Ansicht sieht dagegen in der ab dem 12. Jahrhundert seitens des kaiserlichen Hofes zunehmend zu beobachtenden Vergabe von Ämtern bzw. territorialen Herrschaftsrechten in der Form der Reichsbelehnung, die unter Kaiser Fried­ rich I. Barbarossa begonnen hatte, ein systematisches Staatsorganisations­ prinzip, welches das Ziel verfolgte, die Fürsten und sonstigen Herrschaftsträ­ ger nach dem bestehenden Vorbild südlich der Alpen in Italien in die Reichs­ verfassung zu integrieren, und dem auf landesherrschaftlicher Ebene mit der Zeit das Bestreben nach Erlangung des Titels eines Reichsfürsten gegenüber­ stand.242 Gleiches galt grundsätzlich auch für Vogteien über landsässigen kirchlichen Grundbesitz, wo der Vogt als Schirmherr und Richter anzusehen war.243 Zu diesem Zweck erfolgte – vereinfacht formuliert – die Verleihung eines Reichslehens nach dem Muster, wonach der zukünftige Reichsfürst seinen landesherrschaftlichen Besitz einschließlich der allodialen Bestand­ teile an das Reich abtrat, das diesen dann mit reichseigenem Besitz anrei­ cherte und den Fürsten mit diesem Reichslehen belehnte, womit der landes­ herrschaftliche Besitz zunächst umgewandelt wurde und als Belehnung durch das Reich mit einem beneficium wieder erschienen ist.244 Dieses Verfahren 241  Siehe hierzu G. Lubich, Lehensgeber und Lehensnehmer – Herrschender und Beherrschter? Amtslehen und Herrschaftsgestaltung am Beispiel der Herzogtümer, in: J. Dendorfer/R. Deutinger (Hrsg.), Das Lehnswesen im Hochmittelalter, Ostfildern 2010, S. 423 ff., v. a. S. 441. 242  So nur O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S.  11 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V: Die ge­ schichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 20; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 76 f.; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S.  51 ff.; J. Dendorfer, Roncaglia: Der Beginn eines lehnrechtlichen Umbaus des Reiches?, in: S. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12.Jahrhundert, Regensburg 2010, S. 111 ff., v. a. S. 124 ff.; G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehns­ wesens in Deutschland zwischen Saliern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288; K.-F. Krieger, Die Lehenshoheit der deut­ schen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200–1437), Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 23, Aalen 1979, S. 262 ff., der aber auf einen Wider­ spruch hinsichtlich fürstlicher Eigengüter hinweist, diese aber dann insgesamt als von der Reichsbelehnung abgeleitet unterstellt. 243  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 20 ff.; A. Waas, Vogtei und Bede in der deutschen Kaiserzeit, Band I, Berlin 1919, S. 33 ff., 119 ff.; vgl. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 98. 244  Siehe hierzu D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  40 f., 76 f.; G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland



I. Die Kemptener Fürstabtei83

hatte für das Reich den Vorteil, dass es damit den Reichsfürsten der kaiserli­ chen Herrschaft unterordnen konnte, zumal Verstöße gegen die damit ver­ bundenen Lehenspflichten vor dem königlichen Lehensgericht sanktionierbar waren.245 Die Reichsfürsten waren fortan als Kronvasallen reichslehensrecht­ lich verpflichtet, sämtliche Handlungen gegen Leib und Leben, Ehre und Besitzstand des Deutschen Kaisertums zu unterlassen, keine Bündnisse und Allianzen mit feindlich gesinnten oder fremden Herrschaften gegen das Reich zu schließen, das Lehensgut nicht in die Hände von Dritten zu geben und insoweit zu entfremden, Heeresfolge zu leisten und dem König beratend zur Seite zu stehen.246 Für die Belehnung fiel eine Abgabe in der Form der Bede an.247 Auf der anderen Seite erhielt der ehemalige Herrschaftsträger den Rang eines princeps, eines fürstlichen Mitglieds des Reichsfürstenstan­ des, was mit Ehre verbunden war und auch regelmäßig die Übertragung eines Hof- bzw. Reichsamtes wie im Falle der Kemptener Abtei das bedeutende Ehrenamt des Hofmarschalls der Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation248 zur Folge hatte,249 insbesondere aber mittelbar über die Hoftage bzw. die späteren Reichstage auch zur Möglichkeit der unmittelba­ ren Einflussnahme auf die Politik des Reiches führte.250 Der Aufstieg der späteren Kemptener Fürstabtei zum Reichsfürstentum im Sacrum Romanum Imperium stellt sich zunächst als uneinheitlicher und in sich verworrener Vorgang dar, der sich der Einordnung in eine staatsorgani­ satorische Reform unter dem Adelsgeschlecht der Staufer zu entziehen scheint. Das Benediktinerkloster Kempten genoss ab dem 8. Jahrhundert den Status der kirchlichen Immunität und stand hinsichtlich seines territorialen zwischen Saliern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S.  294 f. 245  J. Lang, Geschichte und Institutionen des katholischen und protestantischen Kirchenrechts, Band I, Tübingen 1827, S. 137; D. Willoweit, Deutsche Verfassungs­ geschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 89. 246  ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 215 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 100; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 89. 247  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 98. 248  M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klos­ terland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 236; vgl. G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (47). 249  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 76 f., 88 f. 250  Siehe hierzu G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmit­ telalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; ders., Katholi­ sche Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 91.

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Verfügungsbereichs der Marca Campidonensis unter der Verwaltung von Vögten bzw. königlich eingesetzten Untervögten.251 Unter dem ostfränki­ schen Adelsgeschlecht der Salier war die reichsunmittelbare Stellung des Klosters gefährdet, nachdem die benediktinische Abtei bis zum 12. Jahrhun­ dert mehrmals an einflussreiche weltliche Herrscher und Bischöfe vergeben wurde.252 Nachdem die Welfen die Vogtei in den Wirren des Investitur­ streits253 an ihr Herrscherhaus binden konnten, fiel sie mit dem Tod König Welfs VI. Ende des 12. Jahrhunderts in die Hände der Staufer, wobei auch die Markgrafen von Ronsberg in dieser Zeit einzelne Vogteirechte an Teilen des Klosterbesitzes ausgeübt hatten.254 Im Jahre 1213 verlieh der spätere Kaiser Friedrich II. Abt Heinrich III. von Kempten die Grafschaftsrechte als Reichslehen und erhielt im Gegenzug die gesamte Stiftsvogtei einschließlich der bisher an die römischen Könige verliehenen Lehensgüter sowie der Vog­ teirechte der im Jahre 1212 ausgestorbenen Dynastie der Markgrafen von Ronsberg, um dann in den Jahren 1218 und 1224 wieder auf die Stiftsvogtei zu verzichten.255 Erst unter König Konrad IV. und dessen Sohn Konradin 251  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S.  180 f.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. Hierzu grundsätzlich A. Waas, Vogtei und Bede in der deutschen Kaiserzeit, Band I, Berlin 1919, S. 119 ff. Grundsätzlich zu dem Modell der Vögte und Untervögte im Zusammenhang mit der kirchlichen Immunität A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutsch­ lands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 225 ff. 252  G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 74 m. w. N.; W. Goez, Lebensbilder aus dem Mittelalter – Die Zeit der Ottonen, Salier und Staufer, 3. Aufl., Darmstadt 2010, S. 39 f.; H. Schwarzmaier, Königtum, Adel und Klöster im Gebiet zwischen oberer Iller und Lech, Augsburg 1961, S. 137, der hier mit weiterem Nach­ weis darauf hinweist, dass die Abtei lediglich ein persönliches Lehen an den Regens­ burger Bischof gewesen sein soll, ohne dass die Kemptener Abtei zu einem bischöf­ lichen Kloster des Bistums Regensburg geworden ist; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. 253  Zum Investiturstreit zwischen Kaisertum und Papsttum D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 58 ff.; A. Sierszyn, 2000 Jahre Kir­ chengeschichte, 3. Aufl., Witten 2015, S. 364 ff. 254  F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des His­ torischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248); A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. 255  StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 18, Urkunde König Fried­ richs II. über die Belehnung des Abts mit den Grafschaftsrechten aus dem Jahre 1213;



I. Die Kemptener Fürstabtei85

kam die Vogtei wieder in königliche Hände, bevor sie schließlich in den Jahren 1275 und 1353 endgültig als Reichslehen an das Stift Kempten ver­ pfändet wurde.256 Am Maßstab wissenschaftlicher Objektivität wird man in den reichsrechtlichen staufischen Belehnungsvorgängen des 12. und 13. Jahr­ hunderts hinsichtlich der Kemptener Abtei zunächst kein konstitutives Prin­ zip erkennen können, das für eine bewusste Reform der Reichsverfassung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation angeführt werden kann. Insbesondere sollte die Kemptener Abtei offensichtlich mit der Verleihung der Grafschaftsrechte nicht an das Reich gebunden werden, weil das Reich auf die Vogteirechte wenige Jahre nach der Reichsbelehnung wieder verzich­ tet hat.257 Steckt aber vielleicht in dieser Inkonsequenz des Vorgehens der Staufer ein zu erkennendes zielgerichtetes Kalkül, eine doch auf die Konsti­ tution des Reiches und eine „Feudalisierung der Reichsverfassung“258 abzie­ lende Planmäßigkeit? Mit König Friedrich II. verlieh der Enkel von Kaiser Friedrich I. Barba­ rossa die Grafschaftsrechte an die Kemptener Abtei, wobei das staufische Kaisertum im Gegenzug die Stiftsvogtei und die Vogteirechte der ehemali­ gen Markgrafen von Ronsberg erhielt und damit die Hochvogteirechte, d. h. die Schutzherrschaft über das Kloster, den Klosterbesitz und die in dem abgegrenzten Bereich der Marca Campidonensis lebenden Menschen, inne­ hatte.259 König Friedrich II. stand als Nachkomme in der Traditionslinie

J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  83 f.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 ff.); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 32 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  7  f.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. 256  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  83 ff., 104 ff., 137 ff.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. 257  Hierzu bereits die entsprechenden Nachweise in Fn. 255. 258  G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Sali­ ern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288. 259  F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des His­ torischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 f.); M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S.  234 ff.

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seines Großvaters,260 so dass die Verleihung der Grafschaftsrechte an das Stift als Reichslehen wenig überraschend ist. Denn Kaiser Friedrich  I. Bar­ barossa legte, was die Gegner der staufischen Reformthese nur unzurei­ chend würdigen, durch eine im Jahre 1157 erlassene Verfassungsbestim­ mung selbst fest, dass alles, was von Seiten des Reiches vergeben wird,261 als Lehen verliehen wird, wozu auch Grafschaften gehörten.262 In Abkehr von der bisherigen Praxis der königlichen Ämterbesetzung sollte damit zu­ künftig eine besondere Übereinkunft in der Form von Lehensbriefen einge­ halten werden, womit auch der Rechtssicherheit indizierende Gedanke einer Bindung des Vasallen zu erkennen war.263 Damit aber lag eine kaiserliche Entscheidung von Friedrich I. Barbarossa vor, die mit konstitutioneller ­Gesetzeskraft ein anderes Formprinzip für einen reichseinheitlichen Aufbau festlegte und damit einen Sinneswandel aufzeigte, nachdem sich die Le­ hensform bis zu diesem Zeitpunkt lediglich als Ausnahme bei der Vergabe von Königsgütern und der entsprechenden Ämterbesetzung dargestellt hat­

260  Siehe hierzu W. Stürner, Handbuch der deutschen Geschichte, Band VI: Spät­ antike bis zum Ende des Mittelalters – Dreizehntes Jahrhundert 1198–1273, Stuttgart 2007, S.  204 ff.; G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwi­ schen Saliern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 295; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 52. 261  Siehe hierzu Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Band I: 911–1197, herausgegeben von L. Weiland, Hannover 1893, S. 236, Nr. 169; „Fredericus Dei gratia Romanorum imperator et semper augus­ tus universis imperii fidelibus ad quos hec scripta pervenerint gratiam suam et bonam voluntatem. Novit vestre discretionis prudentia, quoniam ea, que ab imperio tenentur, iure feodali possidentur nec ea sine domini consensu ad alterius possunt transferri dominium. Intelleximus autem, quod Marsilienses beneficium, quod a dilecto prin­ cipe nostro Arela – tensi archiepiscopo tenebant, comiti Provincie in concambium dederint, cum nec nostrum vel archiepiscopi consensum unquam in hac re habuerint. Unde quoniam hec comu tatio inanis est et ipso iure irritatur, eam imperiali auctori­ tate cassamus, precipientes ne aliquod in illo beneficio archiepiscopo fiat impedimen­ tum et illud ad alterius non transferatur dominium.“ Zur Reichsbelehnung unter Kai­ ser Friedrich I. Barbarossa R. Deutinger, Königsherrschaft im Ostfränkischen Reich – eine pragmatische Verfassungsgeschichte der späten Karolingerzeit, Ostfildern 2006, S. 151. Dies wird auch als eine „erhöhte(…) Schriftlichkeit im Bereich der Reichs­ verfassung“ bezeichnet; so G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutsch­ land zwischen Saliern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 289; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 51 ff. 262  R. Deutinger, Königsherrschaft im Ostfränkischen Reich – eine pragmatische Verfassungsgeschichte der späten Karolingerzeit, Ostfildern 2006, S. 151. 263  Siehe Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica impera­ torum et regum, Band I: 911–1197, herausgegeben von L. Weiland, Hannover 1893, S. 236, Nr. 169.



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te.264 Von den Vertretern der Ansicht einer zu verneinenden bewussten stau­ fischen Reichsreform wird der Umstand, wonach die Kaiser die Vorzüge einer Belehnung, d. h. die damit einhergehenden gegenseitigen Bindungen durch den entsprechenden Treueid, kannten, auch nicht bestritten.265 Nur wird dann wiederum eingewandt, dass sich das Prinzip der Reichsbeleh­ nung nach den einschlägigen Quellen bei den Herzogtümern erst ab der Mitte des 13. Jahrhunderts und damit erst rund ein Jahrhundert nach dem Erlass der Verfassungsbestimmung durchgesetzt hat, weshalb nach dem Zeitablauf ein innerer Zusammenhang mit einer planmäßigen Reformmaß­ nahme nicht anzunehmen ist.266 Ein ähnlicher zeitlicher Zusammenhang war auch bei den Grafschaften zu beobachten, bei denen die Einsetzung der Grafen als kleinterritoriale Herrscher durch den König im Mittelalter kei­ neswegs die Regel darstellte, sondern es auch Allodialgrafen gab, die ihre dynastische Herrschaft auf eigenen Grundbesitz gründeten, so dass der Er­ werb von Grafschaftsrechten durch den König ein Privileg war, das eine gehobenere Stellung im Reich signalisierte und damit eine besondere Ver­ bundenheit mit dem Kaisertum zur Folge hatte.267 Auch hier setzte sich nach den Quellen die Reichsbelehnung erst im Laufe des 12. Jahrhunderts durch,268 so dass hinsichtlich der Ämterbesetzung zwar ein allgemeiner kaiser­licher Bewusstseinswandel zu erkennen ist, der sich aber erst mehrere Jahrzehnte nach dem Erlass der Verfassungsbestimmung im Jahre 1157 wirklich durchgesetzt hat. Es ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn im Rahmen des wissen­ schaftlichen Diskurses die Rezeption des römischen und kanonischen Rechts als möglicher Grund für die zukünftige Vergabe von königlichen Reichs­ gütern als Reichslehen durch die Staufer angeführt wird.269 Die damit ver­ 264  Siehe nur R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deutschen Her­ zogtümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbreitung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013, S. 144. 265  Siehe hierzu R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deutschen Herzogtümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbrei­ tung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013, S.  150 ff. 266  Zu diesem Argument R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deutschen Herzogtümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbreitung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ost­ fildern 2013, S. 140 ff., 148 ff. 267  R. Deutinger, Königsherrschaft im Ostfränkischen Reich – eine pragmatische Verfassungsgeschichte der späten Karolingerzeit, Ostfildern 2006, S. 158 ff. 268  R. Deutinger, Königsherrschaft im Ostfränkischen Reich – eine pragmatische Verfassungsgeschichte der späten Karolingerzeit, Ostfildern 2006, S. 150 ff. 269  Siehe hierzu R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deutschen Herzogtümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbrei­

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bundene gelehrte Jurisprudenz im 12. und 13. Jahrhundert hatte erheblichen Einfluss auf den Königshof und führte zur Anerkennung konkreter formaler Modalitäten, die im Rahmen von Rechtsgeschäften zu beachten waren.270 An dieser Stelle soll auch nicht die bisherige Quellenexegese der wissenschaft­ lichen Forschung hinsichtlich des Zeitraumes der allgemeinen Durchsetzung der Reichsbelehnungen einer Überprüfung unterzogen werden.271 Dass eine konstitutionelle Norm erst allmählich einen Verfassungswandel einleitet, ist nicht unbedingt außergewöhnlich, weil die normative Kraft einer derartigen Vorschrift stets in einem Spannungsverhältnis mit der realen Wirklichkeit steht, welche die Geltung der Norm aufgrund der konkreten Umstände im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation noch überfordern konnte.272 Vor diesem Hintergrund soll hier vielmehr die Frage aufgeworfen werden, ob der vom allgemeinen Muster abweichenden Reichsbelehnung an die Kemp­ tener Abtei möglicherweise eine Erkenntnis entnommen werden kann, die sich als andere Seite der Medaille darstellt, indem sie die staufische Reform sogar bestätigt. Denn der germanischen Staatsorganisation war ein einheits­ staatliches Ordnungsprinzip auf einem weiten Gebiet grundfremd, so dass sich bereits im 11. Jahrhundert eine Zwischenebene in der Form der Beam­ tenschaft entwickelt hatte.273 Das entsprechende Rechtsbewusstsein eines tung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013, S. 157; G. Lubich, Lehensgeber und Lehensnehmer – Herrschender und Be­ herrschter? Amtslehen und Herrschaftsgestaltung am Beispiel der Herzogtümer, in: J. Dendorfer/R. Deutinger (Hrsg.), Das Lehnswesen im Hochmittelalter, Ostfildern 2010, S. 441. 270  Siehe hierzu R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deutschen Herzogtümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbreitung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013, S. 157; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V: Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 18 ff.; ­ H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 50 ff.; vgl. auch K.-F. Krieger, Die Lehenshoheit der deutschen Könige im Spät­ mittelalter (ca. 1200–1437), Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 23, Aalen 1979, S. 264 f. Zum Einfluss des kanonischen Rechts auf die gesamteuropäi­ sche Entwicklung Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 35 ff. 271  Vgl. R. Deutinger, Vom Amt zum Lehen – Das Beispiel der deutschen Herzog­ tümer im Hochmittelalter, in: K.-H. Spiess (Hrsg.), Ausbildung und Verbreitung des Lehnswesens im Reich und Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013, S.  140 ff., 148 ff.; ders., Königsherrschaft im Ostfränkischen Reich – eine pragmati­ sche Verfassungsgeschichte der späten Karolingerzeit, Ostfildern 2006, S. 150 ff. 272  Siehe allgemein zum Verfassungswandel hinsichtlich einer modernen Verfas­ sung J. Isensee, Staat und Verfassung, in: ders./P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 13 Rn. 129 ff. 273  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 20.



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hierarchischen Formprinzips aus König, Beamtenschaft und Volk hatte sich bereits unter dem fränkischen Kaisertum herausgebildet und kämpfte seitdem im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation um seine Anerkennung mit Blick auf eine notwendige Koordination der Dynastien und Herrschaften im Reich.274 Da sich aber bei der Etablierung dieses Form­ prinzips notwendigerweise im Kampf mit den Dynastien Widerstände auftun mussten, entstanden oftmals Mischformen, wie sich auch an der Aufteilung in Vogtei und Grafschaft zeigte.275 Der Vogt verdrängte in den geistlichen Territorien im Lichte der kirchlichen Immunität regelmäßig den Grafen aus seinem Herrschaftsbereich und übte später selbst das Blutgericht über fremde Leibeigene aus.276 Gerade die Zersplitterung der territorialen Bezirke drängte schließlich dann zu einer reichsvereinheitlichenden Maßnahme, welche die Herrschaften bündelte, ohne die Dynastien und sonstigen Herrschaftsträger zu deklassieren.277 Dieses Ordnungsinstrumentarium wurde schließlich in dem Lehenswesen erblickt, das die dynastischen Herrschaftsträger nicht aus der Kaste drängte und auch in ihrem Verhältnis zum König nicht störte, son­ dern lediglich unter eine schonende Lehensverpflichtung delegierte.278 Die Folge waren schließlich wieder Organisationen wie die in Ober- und Unter­ vogteien, so wie sich die Obervogtei des Reiches auch bezüglich der Kemp­ tener Abtei ab dem 12. Jahrhundert durchgesetzt hatte.279 Das reichseinheit­ liche Lehenswesen konnte deshalb zur Überwindung von territorialen Gra­ benkämpfen unterschiedlicher Dynastien und zur Formung eines einheitlichen 274  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 20. 275  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 20. 276  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 20; A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 223 f.; G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelal­ ters, Band I: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 1914, S. 253 ff., W. Metz, Das Karolin­ gische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 180 f.; im direkten Zusammenhang mit der Vogtei A. Waas, Vogtei und Bede in der deutschen Kaiserzeit, Band I, Berlin 1919, S. 99 ff., v. a. S. 117. 277  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 21. 278  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 21. 279  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 21; M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234 ff.

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Reichsaufbaus beitragen, indem die Herrschaftsgebiete gebündelt wurden.280 Dies war auch der Grund, warum das landesherrschaftliche Gut oftmals noch um reichseigene Gebiete bzw. Güter angereichert wurde,281 um den späteren Status als Reichsfürstentum auch proportional in Bezug auf den Herrschafts­ bezirk abzusichern.282 Hinzu kam der positive Nebeneffekt einer zukünftigen Treuepflicht des Landesvasallen gegenüber dem Reich, womit eine Bindung der Landesebene an die höhere Reichsebene einherging.283 Die damit gleich­ zeitig begründete militärische Pflicht von weltlichen und geistlichen Herr­ schaftsträgern einschließlich der von ihnen selbst belehnten Vasallen, an der allgemeinen Heerfahrt und den Kriegszügen teilzunehmen, war im Zeitalter der Kreuzzüge gerade unter Kaiser Friedrich I. Barbarossa ein weiteres not­ wendiges Bindungs- und Organisationsmoment, das die Absicht einer staufi­ schen Reichsreform untermauert.284 Nicht zu vernachlässigen ist zudem der Gesichtspunkt, dass es den Imperatoren des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation auch darum gehen musste, dass kein Fürst im Reich zu mächtig wurde und damit die Reichsgewalt gefährden konnte.285 Deshalb wurde etwa Heinrich der Löwe als Herzog von Bayern und Sachsen im 12. Jahrhundert seiner Reichslehen durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa wie­ der verlustig, woraus gefolgert werden kann, dass es den Kaisern grundsätz­ lich um eine gebietsbezogene Unterordnung der Fürsten unter die Reichs­ ebene bei zunehmender Verdrängung von stammesdynastischen Traditionen ging, die bei der Begründung von landesübergreifenden Herrschaftsansprü­ chen für die kaiserliche Gewalt hätten gefährlich werden können.286 In die­ sem Sinne lebten in den unter dem staufischen Herrschaftsgeschlecht nun­ 280  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 21. 281  Vgl. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  40 f., 76 f. 282  Vgl. O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S.  21 f. 283  J. Dendorfer, Roncaglia: Der Beginn eines lehnrechtlichen Umbaus des Rei­ ches?, in: S. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhundert, Re­ gensburg 2010, S. 124 ff.; G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutsch­ land zwischen Saliern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 290 f. 284  Siehe hierzu J. Dendorfer, Roncaglia: Der Beginn eines lehnrechtlichen Um­ baus des Reiches?, in: S. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahr­ hundert, Regensburg 2010, S. 124 ff. Grundsätzlich zu den mittelalterlichen Kreuzzü­ gen A. Sierszyn, 2000 Jahre Kirchengeschichte, 3. Aufl., Witten 2015, S. 379 ff. 285  K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V: Die ge­ schichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 20. 286  K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V: Die ge­ schichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 20.



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mehr vorherrschenden reichspolitischen Motiven die Gründe für das vorma­ lige ottonisch-salische Reichskirchensystem wieder auf, die darin bestanden, die „Universalität der Kirche als Klammer der Reichseinheit“ insbesondere gegen stammesherzogliche Bestrebungen gegen die Reichskrone zu nut­ zen.287 Insoweit bildeten Bischöfe und Äbte von großen Reichsklöstern ein Gegengewicht gegen die zentrifugalen Kräfte der weltlichen Territorialge­ walten, was es aus Sicht des Kaisertums gerechtfertigt erscheinen ließ, ge­ rade geistliche Vertreter mit Reichsgut, Privilegien, Rechten und Reichs­ ämtern auszustatten, um diese in die Reichsverwaltung unmittelbar zu integ­ rieren.288 Neben diesem auf die Kemptener Fürstabtei direkt übertragbaren Aspekt sind nun aber hinsichtlich der Kemptener Abtei noch weitere Beson­ derheiten zu beachten, die sich in dieses Schema nahtlos einfügen. Denn bei der im Jahre 853 verbindlich abgegrenzten Marca Campidonensis handelte es sich bereits um einen geschlossenen Herrschaftsraum, der mit der Grafschaft Kempten annähernd identisch war,289 so dass aus der Sicht des Reiches in diesem entstehenden landesherrschaftlichen Bereich eine weitere Verdrän­ gungspolitik hinsichtlich von fremden adeligen Herrschaften entbehrlich war.290 Dies beweist auch der Umstand, dass zu Beginn des 12. Jahrhunderts die Kemptener Stiftsvogtei in den Händen des Grafen von Markstetten war, so dass davon ausgegangen werden kann, dass das kirchliche Immunitäts­ gebiet bereits ab dem 11. Jahrhundert mit einer auf das gesamte Gebiet der Marca Campidonensis bezogenen höheren Gerichtsbarkeit ausgestattet war.291 Mit der Reichsbelehnung mit den Grafschaftsrechten, die teilweise 287  Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 29  f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 6 ff. 288  Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 29 f. 289  Siehe hierzu G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmit­ telalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 24 f. m. w. N.; P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 5. Zu den Grafschaften als bereits kleineren Gebietsherrschaften im hohen Mittelalter K.-F. Krieger, Die Lehenshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200–1437), Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 23, Aalen 1979, S. 267. 290  Zur staufischen Reichsbelehnungspolitik bei Grafschaften grundsätzlich ­K.-F.  Krie­ger, Die Lehenshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200– 1437), Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 23, Aalen 1979, S. 266 ff., v. a. S. 272, wo auf die unter König Sigmund sich endgültig herausgebildete Ansicht Bezug genommen wird, wonach das gesamte Territorium der Grafschaft reichslehnbar war. Im Ergebnis ist die Reichsbelehnung mit den Grafschaftsrechten an das Stift Kempten als Vorläufer dieses Gedankens anzusehen. 291  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  32 f.

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schon in der kirchlichen Immunität gebündelt waren,292 war zudem die not­ wendige Bindung an das Reich mit der entsprechenden Loyalitätspflicht ge­ genüber dem Deutschen Kaisertum erreicht, weshalb auch unter diesem As­ pekt der Rechtssicherheit die Stiftsvogtei nicht unbedingt in königlicher Hand belassen werden musste, sondern von Seiten des Reiches auch darauf verzichtet werden konnte, so wie dies in den Jahren 1218 und 1224 auch geschehen ist.293 Es muss aber betont werden, dass auch das Stift Kempten selbst das Interesse hatte, die königliche Obervogtei abzuschütteln, nachdem diese später als unnötige Belastung empfunden wurde.294 Gleichzeitig wurde durch die Reichsbelehnung mit den Grafschaftsrechten und die damit ver­ bundene Begründung von Reichskirchengut der zu beobachtenden Entwick­ lung entgegengewirkt, die darin bestand, dass die Grafschaften seit dem 10. Jahrhundert erblich geworden waren, womit sie der Verfügung des Kö­ nigs hinsichtlich der Besetzung, der Einkünfte und der Obliegenheiten des jeweiligen Grafen zunehmend entzogen worden waren.295 In diesem Sinne wurde auch der missbräuchlichen Aneignung von staufischem Reichsgut durch etwaige Vertreter der kleinterritorialen Grafengewalt vorgebeugt.296 Mit dem Verzicht auf die Stiftsvogtei wurde die Vogtei aber nicht ganz auf­ gelöst, sondern der rechtliche Status des Vogtes änderte sich von dem eines königlich legitimierten erblichen Amtsträgers in den eines durch den Abt nun absetzbaren Beamten,297 wenngleich aber zunächst noch die Hochvogtei des Reiches in dem Bereich der Jurisdiktion erhalten bleiben sollte.298 Im Mittel­ alter war entscheidend, in welchen Händen die Macht lag und inwieweit sie dem König nützlich sein konnte.299 Wenn die Treue bei einem Grafen nicht gegeben war, wurde dem Grafen das Amt entzogen und einer anderen Person 292  So mit Recht L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  8 f. 293  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  83 f. 294  F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des His­ torischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (251 f.); vgl. auch A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 227 f. 295  A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittel­ alter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 231 f. 296  Siehe hierzu J. Peterke, Hohenacker, Waiblingen 2006, S. 46. 297  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (44). 298  P. Kreutz, Hochgerichtsbarkeit in Schwaben, publiziert am 21.06.2016; in: His­ torisches Lexikon Bayern. 299  R. Deutinger, Königsherrschaft im Ostfränkischen Reich – eine pragmatische Verfassungsgeschichte der späten Karolingerzeit, Ostfildern 2006, S. 158.



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oder Adelsfamilie übertragen, womit durch die zusätzlichen im Grafenamt enthaltenen Kompetenzen dann eine noch stärkere Interessenvertretung im Namen des Königs möglich war.300 Gerade diese Gefahr bestand bei dem Benediktinerkloster Kempten aber nur ganz begrenzt, weil es sich um ein geistliches Territorium handelte, bei welchem ein erbrechtlicher Missbrauch wie bei den weltlichen Fürsten grundsätzlich ausgeschlossen war,301 weshalb sich das Reich der bindungsgetreuen Loyalität der Kemptener Abtei weitge­ hend sicher sein konnte.302 Zwar ergibt sich aus den historischen Quellen­ nachweisen kein direkter Beleg dafür, dass das Herrschergeschlecht der Staufer nach einem bestimmten vereinheitlichenden Reformplan vorgegangen ist.303 Der Umstand allein, dass Kaiser Friedrich I. Barbarossa die künftige Vergabe von etwaigen Gütern des Reiches durch Reichslehen vorschrieb,304 300  R. Deutinger, Königsherrschaft im Ostfränkischen Reich – eine pragmatische Verfassungsgeschichte der späten Karolingerzeit, Ostfildern 2006, S. 159. Es ist aber noch einmal hervorzuheben, dass aus der Grafengewalt bereits ab dem 11. Jahrhun­ dert eine entsprechende Hochgerichtsbarkeit für den kirchlichen Immunitätsbezirk der Kemptener Abtei folgte; so J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 32 f. 301  Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 30. Dieser Aspekt wird deutlich, wenn man beispielhaft die Gründe für das fränkische bzw. ottonischsalische Reichskirchentum betrachtet, das auf eine enge Bindung von Kaisertum und Papsttum ausgerichtet war und somit einen Gegenentwurf im Hinblick auf dynastisch weltliche Fürstenhäuser darstellte.; siehe hierzu W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geistlichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechts­ geschichte. Kanonistische Abteilung 2004 (90), 192, (201); L. Santifaller, Zur Ge­ schichte des ottonisch-salischen Reichskirchensystems, Graz u. a. 1964, S. 23 f., 37 ff.: „(…) die Bischöfe (…) waren in der zweiten Hälfte des 9. und zu Beginn des 10. Jahr­ hunderts, in der Zeit, als das Reich zu verfallen drohte, im Gegensatz zu den meisten weltlichen Fürsten, die in der Regel ihre partikularen Interessen verfolgten, stets Ver­ treter einer zentralen Reichspolitik und Stützen des Königtums; dazu traten dann, und dies erscheint noch wichtiger und entscheidender, Gründe verfassungsrechtlicher Art: der König besaß ja längst das Einsetzungsrecht, die Investitur der Bischöfe etc.; die Bischöfe (…) selbst waren seit alter Zeit kraft ihres geistlichen Amtes Personen öffent­ lichen Rechtes, bildeten seit der fränkischen Zeit den geistlichen Reichsfürstenstand, verwalteten das Reichskirchengut und waren in dieser Eigenschaft Beamte des Königs, sie waren ferner im Besitz staatlicher Hoheitsrechte und hatten sich in allen diesen Funktionen längst bewährt.“; L. Santifaller, ebd., S. 39. 302  Vgl. L. Santifaller, Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskirchensys­ tems, Graz u. a. 1964, S. 23 f., 37 ff. zu den Grundsätzen des ottonisch-salischen Reichskirchensystems. 303  Vgl. Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica imperato­ rum et regum, Band I: 911–1197, herausgegeben von L. Weiland, Hannover 1893, S. 236, Nr. 169. 304  Vgl. Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica imperato­ rum et regum, Band I: 911–1197, herausgegeben von L. Weiland, Hannover 1893, S. 236, Nr. 169; R. Deutinger, Königsherrschaft im Ostfränkischen Reich – eine prag­ matische Verfassungsgeschichte der späten Karolingerzeit, Ostfildern 2006, S. 151.

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kann aus wissenschaftlicher Sicht hierfür allein nicht genügen. Die Tatsache aber, dass die Staufer ab der Regentschaft von Kaiser Friedrich I. Barbarossa vermehrt und später dann regelmäßig Belehnungen vorgenommen haben, wobei sie oftmals die Vogteirechte eines Grafschaftsbezirks, wo fremde dy­ nastische Herrschaftsträger und Güter im Laufe der Zeit zunehmend eximiert waren, mit usurpierten Grafschaftsrechten kombinierten, um auf diesem Wege ein einheitliches Herrschaftsgebiet zu konstruieren, lässt den Schluss zu, dass hier eine Planmäßigkeit am Werk war, die langfristig darauf gerich­ tet war, die desillusionierte Reichsorganisation aus einer nicht vorhandenen einheitlichen Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit allmählich zu überwinden, zumal in den Territorien als kleineren Herrschaftseinheiten die Herausbildung von staatlichen Attributen einfacher zu erreichen war.305 In Bezug auf die geistlichen Territorien im Heiligen Römischen Reich Deut­ scher Nation kann deshalb resümiert werden, dass die Bischöfe und Äbte das durch die regelmäßigen Reichsbelehnungen begründete Reichskirchengut und die damit verbundene Weltlichkeit ihrer Kirchen als belehnte Reichsfürs­ ten im Namen des Königs verwalteten, woraus sich später durch die an dem Reichslehen haftende Immobiliengerechtigkeit auch die Landeshoheit über das Gebiet und seine Insassen ableiten ließ.306 Damit wurden gleichzeitig die aristokratischen Familien zurückgedrängt und der kaiserlichen Regierung wenige Verbündete zur Verfügung gestellt.307 Im Ergebnis beweist deshalb das ungewöhnliche Verfahren der Reichsbe­ lehnung an die Abtei Kempten nur die planmäßige Reformpolitik der Stau­ fer, die seit Kaiser Friedrich I. Barbarossa auf eine einheitliche Reichsorga­ nisation unter reichslehensrechtlicher Bindung der territorialen Landesfürs­ ten und damit auf eine zunehmende Integration der nicht mehr zersplitterten Herrschaftsgebiete in die Reichsverfassung ausgerichtet war.308 Die Kempte­ ner Abtei, der bereits seit dem 8. Jahrhundert kirchliche Immunität zuge­ kommen war,309 entzog sich aufgrund der Eigenschaft als in sich geschlos­ 305  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 21 ff. 306  A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelal­ ter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 220 f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 7 ff.; vgl. J. Lang, Geschichte und Institutionen des ka­ tholischen und protestantischen Kirchenrechts, Band I, Tübingen 1827, S. 135 ff. 307  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 24. 308  O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 20 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V: Die geschicht­ lichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 20. 309  Siehe nur G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dot­ terweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 72 m. w. N.



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senes geistliches Territorium310 weitgehend den ansonsten notwendigen Re­ formmaßnahmen und hatte dann ab dem Jahre 1213 die Grafschaftsrechte als Reichslehen inne, wobei schließlich mit der endgültigen königlichen Abtretung der Stiftsvogtei im Jahre 1353 der autonome Herrschaftsbereich der entstehenden landesherrschaftlichen Kemptener Fürstabtei vervollkomm­ net war.311 Die seit dem 12. Jahrhundert zunehmenden Reichsbelehnungen unter dem Adelsgeschlecht der Staufer verdeutlichen im Ergebnis das Kalkül des Deutschen Kaisertums, geeignete Vertreter auszuwählen, die dem Reichsfürstenstand mit der entsprechenden Loyalität gegenüber dem Reich angehörig sein sollten.312 Der Kemptener Abtei diente der spätere Rang ei­ nes Reichsfürstentums für die Durchsetzung ihrer obrigkeitsstaatlichen Landeshoheit,313 weil der damit verbundene Status als einem direkt dem Reich unterstellten Kloster unter anderem als Argument für die Überwin­ dung des besonderen Allgäuischen Gebrauchs, der den auf dem reichsfürst­ lichen Territorium angesiedelten adeligen Leibherrn personalitätsbezogen die Gerichts-, Steuer- und Wehrhoheit über die Leibeigenen unabhängig von de­ ren gebietsbezogenen Aufenthaltsorten zuerkannte,314 herangezogen werden 310  Vgl. G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 24 f. m. w. N. 311  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 18, Urkunde König Fried­ richs II. über die Belehnung des Abts mit den Grafschaftsrechten aus dem Jahre 1213; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  83 f.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 ff.); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 32 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  7  f.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. Grundsätzlich zur Entwicklung des Fürststifts Kempten zu einem Territorialstaat M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 ff. 312  Vgl. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  40 f., 76 f.; G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwi­ schen Saliern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S.  294 f. 313  A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelal­ ter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 220 f., 235 f. 314  P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S.  6 ff.; J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 178 ff.

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konnte.315 Aus verfassungsgeschichtlicher Sicht kann aber festgehalten wer­ den, dass nach alledem der Belehnung der Kemptner Abtei mit den Graf­ schaftsrechten als Reichslehen im Jahre 1213 ein bewusstes Strukturprinzip zugrunde lag, welches die Entstehung des späteren territorialen Klosterstaa­ tes Kempten bereits im 13. Jahrhundert vorbereitet hat.316 Dies beweist auch der historische Befund, wonach Versuche von Kaiser Rudolf I. im Jahre 1275, die Stiftsvogtei für das Reich einzuziehen, bzw. später dann der Vorstoß von König Karl IV., der die Stiftsvogtei dem Herzog Friedrich von Teck zuwen­ den wollte, scheiterten und in weitere Verpfändungen der in der Vogtei ge­ bündelten Herrschaftsrechte an das Stift Kempten selbst mündeten.317 Denn zum einen war die Reichslehensverbindung nicht ohne Grund kündbar,318 zum anderen war das landesherrschaftliche Verständnis der Kemptener Abtei bereits seit dem späteren Hochmittelalter auf die Etablierung eines reichsun­ mittelbaren obrigkeitlichen Fürstentums ausgerichtet, das nicht mehr aufge­ geben werden sollte.319 Die gescheiterte Zuwendung der Stiftsvogtei durch König Karl IV. an einen weltlichen Herrschaftsträger mündete schließlich in eine weitere Bestätigung der bisherigen Privilegien im Jahre 1348, wo sich gleichzeitig erstmals der Titel „Fürst und Abt“ für den Vorsteher des Klos­ 315  Siehe hierzu J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 178 ff.; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 22, 27; P. Blickle, Klosterherrschaft im Mittelalter – Zur Entstehung des stiftkemptischen Territorialstaats, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 79 ff. 316  Vgl. O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S.  11 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V: Die ge­ schichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 20; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 76 f.; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S.  51 ff.; J. Dendorfer, Roncaglia: Der Beginn eines lehnrechtlichen Umbaus des Reiches?, in: S. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12.Jahrhundert, Regensburg 2010, S. 111 ff., v. a. S. 124 ff.; G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehns­ wesens in Deutschland zwischen Saliern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288. 317  A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. 318  Vgl. nur F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österrei­ chischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vor­ lesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 3 ff., v. a. S. 8, 10 f. 319  Vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stutt­ gart 1995, S. 17 ff.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten97

ters und den Inhaber der Grafschaft Kempten findet, womit auch formal die Grundlage für ein geistliches Reichsfürstentum gelegt war.320 Im Ergebnis war es aber die planmäßige staufische Reichsreform und die damit verbun­ dene Feudalisierung der Reichsverfassung, die den Grundstein für den mo­ dernen Klosterstaat Kempten nachhaltig begründete.321

II. Die obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten 1. Fürstliche Kirchenherrschaft und Staatsgewalt a) Die superioritas territorialis der entstehenden Kemptener Fürstabtei322 und ihr Verhältnis zu den königlichen Regalien sowie der geistlichen Kirchengewalt Die Entwicklung der fürstlichen bzw. geistlichen Landesherrschaften zu territorialen Obrigkeitsstaaten setzte im Heiligen Römischen Reich Deut­ scher Nation im 15. Jahrhundert ein und beinhaltete den Wandel von eher losen Herrschaftsformen, deren Verfügungsgewalten sich auf bestimmte Herrschaftsrechte wie Gerichtswesen, Vogteien und Lehenswesen über ein­ zelne Personen bzw. räumlich begrenzte Gebiete oder einzelne Grundstücke gründeten, zu über ein bestimmtes Gebiet mit den ansässigen Untertanen ausgebildeten höchsten Gewalten im Sinne einer superioritas territorialis.323 Mit dieser ging allmählich die Ausübung von Staatsgewalt einher, die sich unter anderem im Recht der Gesetzgebung, in einer auf das gesamte staat­ liche Gebiet bezogenen Verwaltung und Gerichtsbarkeit, in dem Recht zur Besteuerung der Untertanen und auch in der Dispositionshoheit, über Krieg und Frieden verbindlich zu entscheiden, äußerte.324 In diesem Kontext der Ausbildung der territorialen Landesobrigkeiten325 begannen sich Diskurse 320  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17 m. w. N.; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), S. 43. 321  Vgl. G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Saliern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288. 322  Vgl. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 172. 323  B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 15, 23 m. w. N.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 172. 324  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 173. 325  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 172.

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vom frühmodernen Staat zu etablieren, in deren Rahmen der von Jean Bodin in seinen „Les six livres de la république“ definierte Begriff der Souveräni­ tät als absolute und zeitlich unbegrenzte Gewalt zum ideengeschichtlichen Vorläufer des monarchisch-absolutistischen Staatsdiskurses des 17. Jahrhun­ derts werden sollte.326 In diesem Zusammenhang entstand schließlich auch die Disziplin des ius publicum, das auch verfassungsrechtliche Fragen zum Gegenstand hatte, wobei insoweit anfänglich eine genaue Trennung zu pri­ vatrechtlichen Themen noch nicht zu verzeichnen war.327 Im Zentrum der obrigkeitsstaatlichen Entwicklung stand nun aber die Herausbildung und Stärkung einer strukturierten Zentralmacht als Wachstumsmoment der wer­ denden monarchischen Staatsgewalten, die ohne einen organisierten und strukturierten Machtapparat die Ausübung der landeshoheitlichen Aufgaben nicht bewältigen konnten.328 Aus diesem Grund wurde nun regelmäßig in den frühmodernen Staaten wie auch im 16. Jahrhundert in der Kemptener Fürstabtei ein Hofrat, lateinisch curia, eingeführt,329 der die Bürokratie der fürstlichen Abtei zu bewerkstelligen hatte.330 Im Fürststift Kempten setzte sich der Hofrat, der an der obersten Stelle des gesamten Verwaltungsappara­ tes stand und ab dem Jahre 1785 auch ausdrücklich als Regierung bezeich­ net wurde, aus einem Beratergremium aus hohen Beamten in der Form eines Landvogts, des Kanzlers, des Hofmeisters sowie von weiteren Mitgliedern des Stiftskapitels zusammen, wobei der Hofratspräsident in der Regel der jeweilige Stiftsdekan war, der von dem Kanzler als Stellvertreter vertreten wurde.331 Dass sich die nach dem Hochstift Augsburg zweitgrößte geistige Herrschaft332 im schwäbischen Reichskreis des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation333 zu einem territorialhoheitlichen Obrigkeitsstaat entwi­ 326  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 47 ff., 109 ff., v. a. S.  112; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  169 f. 327  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7.  Aufl., München 2013, S.  170 f. 328  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 141. 329  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 141. 330  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 331  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 332  Vgl. G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 333  Regiments-Ordnung Maximilians I. (Augsburger Reichstag) vom 02.07.1500, abgedruckt bei K. Zeumer (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., Tübingen 1913, S. 299; W. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise (1383–1806) – Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998, S. 142 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 102; vgl. P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten99

ckeln konnte, lag in erster Linie an dem Privilegium eines unmittelbar sei­ tens des Reiches belehnten Reichsfürstentums,334 womit eine besondere Herrschaftslegitimation einherging, zudem begünstigte aber auch die rö­ misch-katholische Confessio als moralisches Bindemittel die Akzeptanz der sich herausbildenden Staatsgewalt der Fürstäbte über das in den Grenzen der vormaligen Marca Campidonensis gelegene Herrschaftsgebiet335 bei den künftigen Untertanen.336 Um die Entwicklung des werdenden landeshoheitlichen Klosterstaates Kempten zu verstehen, müssen die verschiedenen Rechtsebenen, die der Konstitution der reichsfürstlichen Abtei zugrunde lagen, unterschieden wer­ den.337 Ab dem ausgehenden Mittelalter versuchte das Kloster Kempten mit den Herrschaftselementen der Grundherrschaft, der Leibherrschaft und der Gerichtsherrschaft die territorialstaatliche Entwicklung weiter voranzutrei­ ben.338 Im Jahre 1348 titulierte sich Abt Heinrich von Mittelberg erstmals als Fürstabt, unter seinem Nachfolger Friedrich von Hirschdorf wurde das Klos­ ter unter anderem aufgrund seines bedeutenden Grundbesitzes und der selb­ ständigen korporativen Verfassung dann erstmals als Stift bezeichnet.339 Der Fürstabt erschien nun mit der Zeit zunehmend als eine von der Kirche abs­ der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 195. 334  Siehe hierzu F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeit­ schrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 f.); A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 220 f., 235 f.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S.  311 f.; M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234 ff. Grundsätzlich zur geistlichen Legitima­ tion durch Dotation W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geistlichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Ab­ teilung 2004 (90), 192, (195 ff.). 335  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17, 24 f. m. w. N. 336  Vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3.  Aufl., München 2002, S. 268. 337  Vgl. hierzu M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 29 ff. 338  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17 m. w. N. 339  K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Benedikti­ nerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 5; M. Walter, Das Fürst­ stift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 m. w. N.

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B. Historische Grundlagen

trahierte monarchische Herrscherpersönlichkeit,340 in der die Einheit der Landesherrschaft über ein geschlossenes Gebiet verkörpert lag.341 Wie etwa auch in dem geistlichen Fürstentum Fulda oder anderen frühmodernen Lan­ desherrschaften strebte der Fürstabt nach der superioritas territorialis, d. h. der Entwicklung von einem Personenverbandsstaat hin zu dem institutionel­ len Flächenstaat mit einer territorialitätsbezogenen Gewalt.342 Durch die entsprechenden Bemühungen des Stifts Kempten, den Allgäuischen Ge­ brauch, der die Gerichts-, Wehr- und Steuerhoheit den Leibherren zuordnete, zu überwinden, entwickelte sich im 15./16. Jahrhundert der stiftkemptische Territorialstaat heraus, der nun in erster Linie durch den vertraglichen Aus­ tausch von Leibeigenen auf das Modell der territorialitätsbezogenen Leib­ herrschaft des Fürststifts Kempten und die damit verbundene Trias an hoheit­ lichen Kompetenzen gegründet war.343 Dabei blieb aber die Marca Campi­ donensis das umgrenzte Herrschaftsgebiet der zunehmend dem Absolutismus zuneigenden Fürstäbte, auf das sich der neuzeitliche Territorialstaat Kempten beziehen sollte.344 Im 11./12. Jahrhundert stieß das Reichs- und Landeskir­ chentum grundsätzlich an seine Grenzen, indem das Papsttum in die Stellung des Königtums zunehmend eingedrungen war und der Kurialismus zu einer Nivellierung der mittleren Verbände der Kirche, der Landeskirchen und der Kirchenprovinzen geführt hatte.345 Am Ausgang des Mittelalters aber stieß die dem Weltherrschaftsanspruch des Papsttums zugrunde liegende Lehre von der potestas directa in temporalibus allmählich an die Grenzen der ­Herausbildung der modernen souveränen Staaten, nachdem die direkte Ein­ griffsgewalt des Papsttums in weltliche Angelegenheiten widerstrebende Tendenzen gegen den Souveränitätsanspruch der frühen Landesherrschaften 340  Vgl. M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grund­ herrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teut­ schen Domkapitel, Kempten 1790, S. 31 f. 341  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 ff. m. w. N.; zur entsprechenden Entwicklung im geistlichen Fürstentum Fulda B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 9. 342  B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 15, 23 m. w. N.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 172. 343  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  19 ff. m. w. N.; vgl. T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Verein­ ödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (29) m. w. N. 344  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 20, 24 f. 345  H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S. 489; D. Brosius, Das Stift Obernkirchen – 1167–1565, Bückeburg 1972, S. 28.



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und deren Staatskirchentum gezeigt hatte.346 Nach einer späteren Lehre der Jesuiten wurde die frühere Lehre von der potestas directa in temporalibus, die den Weltherrschaftsanspruch des Papstes stützte, zu einer potestas indi­ recta oder directiva abgeschwächt, womit dem Papst kraft der ihm zustehen­ den geistlichen Gewalt nun indirekt Eingriffsrechte in die weltlichen Dinge der Staaten zuerkannt wurden, wenn sich diese in religions- und kirchenhin­ dernden Maßnahmen entluden.347 Gegen den Kurialismus wurden im ausge­ henden Mittelalter seitens der werdenden modernen Staaten umfassende Ab­ wehrmaßnahmen ergriffen, um eine landeskirchliche Absonderung und Ver­ selbständigung gegen den Kurialismus zu begründen, zum anderen aber auch um eine staatskirchliche Abhängigkeit der kirchlichen Institutionen gegen­ über dem Landesherrn zu erreichen.348 Dabei ist auch grundsätzlich zu be­ denken, dass landesherrliche Kirchenregimenter regelmäßig zu Lasten der autonomen kirchlichen Institutionen und Gremien wie auch einem Kapitel gehen konnten.349 Andererseits konnte eine enge Verknüpfung der entstehen­ den Landesherrschaft mit der Kurie praktisch eine primatiale Vollgewalt über die Kirche begründen,350 was für ein geistliches Territorium wie das Fürst­ stift Kempten von erheblicher Bedeutung war.351 Die insoweit einhergehende Verbindung aus weltlicher und geistlicher Macht in der durch den Fürstabt verkörperten Herrscherpersönlichkeit352 begründete deshalb letztlich eine besondere Form des Staatskirchentums, die dem Regenten eine fast unbe­ grenzte Herrschaft vermittelte.353 Die Erscheinung von geistlichen Reichs­ fürsten war dabei im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nicht 346  M. Permaneder, Handbuch des gemeingiltigen katholischen Kirchenrechtes, 3. Aufl., Landshut 1856, S. 48 ff.; H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katho­ lische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S. 546 f. m. w. N. 347  H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S.  547 ff. m. w. N. 348  H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S. 490 ff., 549 ff., zu der Entwicklung im Heiligen Römischen Reich Deut­ scher Nation S. 496 ff. 349  Vgl. H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S. 494. 350  Vgl. H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S. 490. 351  Vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3.  Aufl., München 2002, S. 268. 352  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17 m. w. N. 353  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 91; D. Willoweit, Das landesherrliche Kirchenregiment, in: K. Jeserich u.  a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band II, Stuttgart 1983, S. 363 f. Im Ergebnis han­ delte es sich bei diesem Staatskirchentum um eine auf niederer Ebene vorzufindende Symbiose aus geistlicher Gewalt und weltlicher Herrschaft, wie es auch beim mittel­

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B. Historische Grundlagen

ungewöhnlich,354 das damit verbundene Staatskirchentum zeichnete sich im Ergebnis aber dadurch aus, dass die Prälaten als dem Fürstenstand angehö­ rende Reichsfürsten Vertreter der Reichskirche waren,355 die im Zuge der Entstehung der neuzeitlichen Staaten – von exemten Tendenzen hinsichtlich der Bischofsgewalt abgesehen356 – keine eigentliche landeskirchliche Abson­ derung gegenüber der Kurie verfolgten, sondern sich vielmehr der katholi­ schen Glaubenslehre verpflichtet sahen,357 so dass die Confessio als kirchen­ rechtliches wie moralisches Bindemittel hinsichtlich der entstehenden früh­ modernen Staatsgewalt fungieren konnte.358 Andererseits entsprach es aber auch grundsätzlich dem gelebten Selbstverständnis der neuzeitlichen Fürst­ bischöfe und -äbte, weltliche Herrschaft auszuüben und auf diese Weise entsprechenden Einfluss auf die Reichspolitik zu nehmen.359 Mit Blick auf das Fürststift Kempten bestand vor dem Hintergrund von etwaigen Investi­ turstreitigkeiten zwischen dem Reich und dem Papsttum zudem die Beson­ alterlichen päpstlichen Weltherrschaftsanspruch zu beobachten war.; siehe zu letzte­ rem Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 43 ff. 354  A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichsfürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 553, 555. 355  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 266; Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 18, 29 f. 356  Vgl. G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern zur Errichtung des Oberstheiligen­ pflegamts als landesherrliche Behörde im Fürststift Kempten. 357  Vgl. H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S. 490 ff., 546 ff. 358  Vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3.  Aufl., München 2002, S. 268. 359  Grundsätzlich zu der Erscheinung von fürstlicher Herrschaft von Geistlichen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und zu dem Selbstverständnis der entsprechenden geistlichen Würdenträger zur Ausübung von weltlicher Herrschaft B. Braun, Fürstbischöfe nach 1648 – Geistliches Profil und weltliches Selbstverständ­ nis, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahr­ hundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 27 ff.; A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichsfürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 553, 555; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), S. 43 ff. Zur reichspolitischen Einflussmöglichkeit des Fürststifts Kempten über eine persönliche Virilstimme im Reichsfürstenrat J. Rottenkolber, Geschichte des hoch­ fürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 199; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 101; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politi­ sche Geschichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. Das Verständnis einer auch weltlichen Herrschaftssphäre reichte unter meh­ reren Päpsten bis zum päpstlichen Kirchenstaat hinauf.; vgl. W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geistlichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 2004 (90), S. 192 ff.; Ch. Link, Kirch­ liche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 43 ff.



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derheit, dass dem Kemptener Benediktinerkloster in der Tradition der Regula Benedicti bereits ab dem 8. Jahrhundert die freie Abtswahl durch entspre­ chende königliche Urkunden gewährt worden war,360 wenngleich es von kö­ niglicher Seite auch einzelne Durchbrechungen hinsichtlich dieses Privilegs gab und erst das Wormser Konkordat des Jahres 1122 die freie Abtswahl zumindest in formaler Hinsicht endgültig absicherte.361 Die Wahl des Abtes stand aber im hohen Mittelalter dann unter der zusätzlichen Voraussetzung der späteren Konfirmation durch den Bischof bzw. das Papsttum.362 Die Fürst­ äbte der Kemptener Abtei waren bis zur Auflösung des Stifts im Jahre 1803 ausschließlich römisch-katholischer Konfession363 und dem Adelsstand zugehörig, was auch bis zuletzt für das adeligen Mitgliedern vor­ 360  Siehe zum Investiturstreit zwischen dem universellen Deutschen Kaisertum und dem Papsttum, der in das Wormser Konkordat mündete D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7.  Aufl., München 2013, S.  58  ff.; Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 31  ff.; A. Sierszyn, 2000 Jahre Kirchenge­ schichte, 3. Aufl., Witten 2015, S. 364 ff. Zur königlich beurkundeten freien Abtswahl in der Kemptener Abtei Diploma Ludovici Germ. privilegium liberae electionis abba­ tum, a Ludovici P. Campidonensibus datum, confirmantis, 23. Martii Anno 862, in: T. Neugart (Hrsg.), Codex Diplomaticus Alemanniae et Burgundiae TransIuranae in­ tra fines Dioecesis constantiensis, Band II, Sankt Blasien 1795, Nr. DCCCIX, S. 9 f.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Histori­ schen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (234, 238 ff., 249 ff.); H. Schwarzmaier, Zur Frühgeschichte des Klosters Kempten. Eine Untersuchung zu den Konventslisten des Klosters unter Abt Tatto, in: U. Ludwig/T. Schilp (Hrsg.), Nomen et Fraternitas, Berlin u. a. 2008, S. 334; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Po­ litische Geschichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexi­ kon Bayern. Zu Benedikt von Nursia, dem Benediktinerorden und der Regula Bene­ dicti A. Sierszyn, 2000 Jahre Kirchengeschichte, 3. Aufl., Witten 2015, S. 150 ff.; F. Oborski, Die Regula Benedicti und ihre Bedeutung im gesamteuropäischen Kon­ text, in: Der altsprachliche Unterricht Latein, Griechisch 2003 (46), 15, (15 f.). 361  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 6, 91; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311 f. Grundsätzlich zum Wormser Kon­ kordat, das mitunter bestimmte, dass der Bischofselekt des regnum teutonicum die Regalienleihe vor der Konsekration zu empfangen hatte, was sich aber im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Ergebnis nicht durchgesetzt hat. Ab dem 13. Jahrhundert kam die Konfirmation des Bischofs als Voraussetzung der Ausübung der potestas iurisdictionis hinzu, die ab dieser Zeit meistens vom Papst selbst vor­ genommen wurde; A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistli­ cher Reichsfürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S.  558 ff. 362  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 383. 363  Vgl. B. Braun, Fürstbischöfe nach 1648 – Geistliches Profil und weltliches Selbstverständnis, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17.

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behaltene Stiftskapitel gelten sollte.364 Das im Fürststift Kempten begründete katholische Staatskirchentum, welches in ähnlicher Form auch bei mehreren anderen modernen Staaten wie Frankreich, Polen, Österreich oder Bayern als konstituierendes Moment der entstehenden europäischen Nationen angesehen werden konnte, war in seiner religiösen Intoleranz eine Quelle der Macht, weil der Fundamentalkonsens als identitätsbildendes Merkmal diente und somit die werdende Staatsgewalt beförderte.365 Nicht nur, dass damit auch der Gehorsam der Untertanen eingefordert werden konnte, gründeten die Reichsfürsten ihr weltliches Herrschaftsverständnis oftmals explizit auch auf den legitimierenden Gedanken, wonach es mittelbar dem Papsttum in Rom zugutekommt, wenn die staatlich-konfessionelle Politik erfolgreich ist.366 Die Staatsreligion eröffnete den katholischen Territorien deshalb grundsätzlich die Möglichkeit zur Durchsetzung ihres universalen Anspruchs auf eine kon­ fessionelle Geschlossenheit und zu einem Ausbau eines straff gelenkten Staatskirchentums, womit infolge der notwendigerweise verschränkten Be­ reiche von hierarchischer Leitungsgewalt in Bezug auf das kirchliche sowie gesellschaftliche Leben und der Staatswillensbildung mit der Regentschaft des Reichsfürsten eine fürstliche Omnipotenz einherging, die nur durch äu­ ßere Umstände wie die Reformation oder den späteren Geist der Aufklärung wirklich erschüttert werden konnte.367 Dieser Aspekt der Omnipotenz des Fürstabts darf im Kontext mit den Herbergen in der Kemptener Fürstabtei nicht unterschätzt werden. Wer Ehebruch beging oder uneheliche Kinder zeugte, fiel im Rahmen der katholisch geprägten Gemeinschaft schnell in Ungnade, was dazu führen konnte, dass der einzelne Untertan weder Arbeit noch Eigentum erhielt.368 Gleiches galt bei der grundsätzlichen Infragestel­ und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 28. 364  H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tri­ dentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 48 ff.; vgl. auch L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 94. Beim Konvent dagegen setzte sich auch die Aufnahme von nicht adeli­ gen Mitgliedern mit der Regentschaft Roman Giel von Gielsberg durch; H. Immenkötter, ebd., S. 50. 365  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 268; D. Willoweit, Das landesherrliche Kirchenregiment, in: K. Jeserich u. a. (Hrsg.), Deut­ sche Verwaltungsgeschichte, Band II, Stuttgart 1983, S. 363; vgl. W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 398, 402, 418. 366  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 268 f. 367  Vgl. Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 88  ff., 99 ff., 111 ff.; zu den Folgen der Reformation auf die modernen Staaten und die Stellung der Kirche H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S. 491. 368  Zu den Folgen religiöser Verfehlungen im Fürststift Kempten W. Petz, Zwei­ mal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 398 ff.



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lung der katholischen Glaubenszugehörigkeit und bei etwaigen Vorhaben von Konversionen, die das innere Band zu der konfessionell definierten Staatsge­ meinschaft zerstörten.369 In diesem Sinne wurden vom rechten Weg abge­ kommene Untertanen bzw. auch zurückgekehrte Konvertierte zwar toleriert, sie landeten aber oftmals im Zuchthaus bzw. in der allgemeinen Verarmung, weil sie ihren Platz in der Kirchengemeinschaft durch die Abtrünnigkeit ge­ genüber ihrem katholischen Glauben eingebüßt hatten.370 Ein früher Diskurs über unveräußerliche Menschen- und Grundrechte bahnte sich in Europa in rechtsphilosophischer Hinsicht zwar bereits ab dem 16. Jahrhundert an, eine Siehe zu Eigentum und Arbeit als Komponenten der Menschenwürde P. Blickle, Ar­ beit als Menschenwürde – zur Entstehung des Eigentums, in: ders. (Hrsg.), Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten, München 2006, S. 229 ff., v. a. S. 232 und das Schlusskapitel auf S. 305. Ein anderes Beispiel ergibt sich aus einer Bittschrift einer alten Frau aus dem Jahre 1596, die in der Folge einer weiteren Beschwerde ihr Haus endgültig verlassen musste. „Ich mit dißem, weiß Gott gern verschonen wollt, so treibt mich doch laider die große nott und eüsserste Armut E. f. G. (Euer fürstlich Gnaden) noch ein mahl diemüttig mein Anliegen Zurrlagen, und umb dero gnedige Hilff anzurufen: ganz unterthenig und diemüttig bittend. (…) Allß das vor sieben Ja­ ren ungefahr mir das Hauß, so meinen lieben Hauswürth seelig, bis in 300 R gekaufft und mir und meinen armen waißen zu unserer underhalt verlaßen angefallen. Ich in die Krüken geworen, und darzu one alle mein Verhör und Verantwurttung in diejeni­ gen, offenlich, alls ein malraiz persten uff deme blaz umbgefürt, so ich doch die zeit meines lebens (…) übelthatt mit warheit mir bezichtigt, villweniger überereißen wor­ den. Über solliches Ir gl: hoch seelige obgemelte mein hauß allein umb 60 R selles angeschlagen, und ungeacht Sy Herren Mangen Dorn, Ulrichen Forstern, alltem Kel­ ler, und meinem Bruder Hansen Satler gnedig versprochen, mich mein lebenslang indem unteren Stock zulaßen. So hat man aber bald danach mir mein Hausräthlein uff die gaßen geworfen, und mich gar ins elend getrieben, hab auch bis dato nit aigent­ lich erfahren mögen, ob und was an obbemelten 60 R mernit wegen bezalt worden, sondern bin durch dißen Zustand umb Hauß Haußrath und all mein armürthen kom­ men (…). Langt deretwegen an (…) mein ganz diemütthige, und umb gottes barmher­ zighait willen, flehenliches bitten und anruffen. E. f. G. wöllen die gnedige verord­ nung thun, daß mir und meinen armen waißen unser anvererbtes Häußlein und Haimat ganz oder zum halben thail (wi E. f. G. gefellig). Dann ich wider Iren gnedigen wil­ len niemandts auß dem andere, oder oberer Thail zuvertreiben begeren widerumb ei­ geräumbt und an den meniert halb uß gelegten gellt, ain gnediger ergenzung meiner erlittener, und meins diemüttiges verhoffens verdinten schand spott und schadens halb beschehe. (…) unterthenige demüttige Margaretha Weilundt Gallus Graf, gewester Hofschneiders selig hinderlaßene armer Wittib.“ Auf das Schreiben erwiderte der Fürstabtei Johann Adam Renner von Allmendingen: „Wi sy ußkunft anbei solle es pleiben, Imassen Iren Kindern beruft, da sy aber nochmahlen beschwerdt, soll sy ir fl:gi: die Empfangene 60 R wider erlegen und (…) das Hauß hinweg, wohin sy wolle.“; StAA, Fürststift Kempten, Archiv Akten 1123, Güter, Häuser, Herbergen und Grundstücke zu Rottach, Urkunde vom 07.03.1596, fol. 2–5. 369  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 410. 370  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 406 ff.

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B. Historische Grundlagen

positivrechtliche Durchdringung dieses Gedankenguts brachte in den deut­ schen Territorien aber erst die Epoche der Aufklärung,371 so dass ein Verstoß gegen die katholischen Lehren die Verbannung aus der Gesellschaft zur Folge haben konnte, was andererseits wiederum Ausdruck der Legitimation von reichsfürstlicher Herrschaft war, die auf den Katholizismus als morali­ sches Bindemittel zurückgreifen konnte.372 Ideologisch war die fürstliche Kirchenherrschaft dabei bis zuletzt in einem Dualismus der beiden Naturen Christi, d. h. der göttlichen und der weltlichen Seite, verhaftet, wobei die Welt ideologisch im Verdacht stand, der heilenden Herrschaft der Kirche zu bedürfen.373 Dies führte unter anderem zu einer rechtlichen Unterscheidung im Personenrecht in Klerus und Laien sowie im Sachenrecht in Spiritualia und Temporalia, woraus sich etwa ergab, dass die Ehe als Sakrament und der Besitz von Kirche und Klerus der göttlichen Seite unterstanden, weshalb letzterer auch von Steuern und Abgaben befreit war, während der Laienbesitz der kirchlichen Besteuerung durch den Zehnten unterlag.374 Mit der Entste­ hung des obrigkeitsstaatlichen Staatssystems aber wurde die Landeshoheit auch zur Quelle der kirchlichen Leitungsgewalt, so dass sich die Ordnungs­ macht des Fürstabts unter der Oberaufsicht des Papsttums auch auf sämtliche Bereiche des sozialen Gemeinschaftslebens beziehen konnte, namentlich etwa auf die Liturgie, die Bestellung von Geistlichen und die volle Verfü­ gungsmacht über das Kirchengut.375 In diesem Sinne entstand in der Kemp­ tener Fürstabtei um das Jahr 1700 das Oberstheiligenpflegamt als landesherr­ liche Behörde der Kirchenaufsicht, welches den Fürstäbten grundsätzlich zur Begrenzung des Einflusses der zuständigen Diözesanbischöfe von Augsburg und Konstanz auf die Pfarreien des Stiftsgebiets dienen sollte, so dass sich 371  K. Stern, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, in: J.  Isensee/P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IX: Allgemeine Grundrechtslehren, 3. Aufl., Heidelberg 2011, § 184 Rn. 9 ff. 372  Vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 268. 373  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 262. 374  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 262; P. Mikat, Bemerkungen zum Verhältnis von Kirchengut und Staatsgewalt am Vor­ abend der Reformation, in: ders. (Hrsg.), Geschichte, Recht, Religion, Politik, Band II, München u. a. 1984, S. 578, 597 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürst­ stift Kempten, München 1951, S. 40; vgl. auch H. Feine, Kirchliche Rechtsge­ schichte – die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S. 493 zur Besteuerung des Klerus. Grundsätzlich zum Adelsprivileg im Fürststift Kempten H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tridentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 47 ff. 375  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (43 f.); vgl. auch Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, Mün­ chen 2009, S. 102; D. Willoweit, Das landesherrliche Kirchenregiment, in: K. Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band II, Stuttgart 1983, S. 365.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten107

die bischöflichen Interventionen lediglich auf die geistlichen Angelegenhei­ ten des Pfarrklerus beschränken sollten, während aber andererseits seitens des fürstlichen Landesherrn die Aufsicht über die Kirchenstiftungen und kirchlichen Bruderschaften reklamiert wurde.376 Im 18. Jahrhundert wuchs der landesherrlichen Behörde des Oberstheiligenpflegamts auch die Aufgabe der Schulaufsicht zu.377 Für ein Stift als Kirche galt grundsätzlich, dass es sich zu dem Papsttum und der allgemeinen Kirche wie ein unterer Staat zum oberen verhielt, wes­ halb auch ein kirchliches Obereigentum, d. h. ein dominium ecclesiæ univer­ salis, begründet war, welches aber lediglich in einem Teil der das Grundei­ gentum ausmachenden Proprietät bestehen konnte, nachdem dem Regenten und dessen Kirche der eigennützige Gebrauch und Besitz über das kirchliche Stiftseigentum grundsätzlich ausschließlich überlassen waren.378 Andererseits wurden der Kemptener Abtei durch König Friedrich II. im Jahre 1213 die Grafschaftsrechte als Reichslehen verliehen,379 so dass sich daraus ein Reichsgrundeigentum ergab, das sich auf das ganze Stift im Sinne der Welt­ lichkeiten, d. h. der Temporalia, bezog.380 In der Forschung ist die Bedeutung der vom König verliehenen regalia und ihr Verhältnis zu den Temporalien bzw. dem Kirchengut aber umstritten.381 Nach einer Ansicht wurden sämt­ liche weltlichen Güter und Herrschaftsrechte der Reichskirchen seitens des 376  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 377  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 378  Vgl. nur M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 31 f. 379  StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 18, Urkunde König Fried­ richs II. über die Belehnung des Abts mit den Grafschaftsrechten aus dem Jahre 1213; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  83 f.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 ff.); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 32 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  7  f.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. 380  Vgl. M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grund­ herrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teut­ schen Domkapitel, Kempten 1790, S. 30. 381  A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichsfürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 555 f. mit zahlrei­ chen Nachweisen zum wissenschaftlichen Meinungsstand.

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B. Historische Grundlagen

Königs in der Folge des Wormser Konkordats als Regalien verliehen, womit kein Unterschied zu den Temporalien bestand, während im wissenschaft­ lichen Diskurs auch vertreten wird, dass sich die Regalien lediglich auf ei­ nen, wenn auch wesentlichen, Teil der den Reichskirchen zustehenden Gü­ tern wie Herrschaftsrechten bezog und den Kirchen im Übrigen ein entspre­ chendes Allodialgut als Eigenkirchengut zustand.382 In der Wissenschaft kann aber anhand mehrerer Untersuchungen als nachgewiesen gelten, dass die Regalien innerhalb des Besitzes der Kirchen nur einen Teil bildeten und ansonsten ein freies Eigentum der Kirchen vorhanden war,383 weshalb hin­ sichtlich des kirchlichen Allodialguts auch ein kirchliches Obereigentum an­ zunehmen ist.384 Die Ansicht, wonach die Regalienleihe unter anderem zum einen die administratio temporalium, d. h. die Befähigung zur Ausübung von weltlicher Herrschaft, einschließlich der Verfügungsgewalt über das gesamte Reichskirchengut und auch das sonstige Kirchengut, begründete und zum anderen die eigentliche Voraussetzung eines Reichsfürstenstandes war,385 muss deshalb in Bezug auf das kirchliche Allodialgut eine Einschränkung erfahren, wonach sich insoweit die Verfügungsgewalt aus der höchsten Kir­ chengewalt ableiten ließ und der Regent als abhängiger Verwalter des Eigen­ kirchenguts in Erscheinung trat.386 Die Regalienleihe aber stellte die Grund­ bedingung für die Entstehung einer Landesherrschaft dar, die sich über die weltliche Grundherrschaft als Keimzelle des modernen Kemptener Kloster­ staates entfalten konnte.387 Andererseits waren die Reichsfürsten aufgrund 382  A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichsfürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 555 f. m. w. N. 383  A. Pöschl, Die Regalien der mittelalterlichen Kirchen, Festschrift der Grazer Universität für 1927, Graz u. a. 1928, S. 43 ff.; vgl. zum Meinungsstand K.-F. Krieger, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter, 2. Aufl., München 2005, S.  84 ff.; A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichs­ fürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 555 f. je­ weils unter Erläuterung der Ansicht Pöschls. 384  So zu Recht M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 31. Dies galt etwa für die Gotteshausgüter.; vgl. T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte ei­ ner Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (29). 385  Vgl. A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichs­ fürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 554, 556 f. m. w. N. unter Erläuterung der Ansicht Kriegers. 386  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 31 f. 387  Vgl. B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S.  10 f. m. w. N.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 52 ff., v. a. S. 56.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten109

der weltlichen Regalienleihe fortan als Kronvasallen auch reichslehensrecht­ lich verpflichtet, sämtliche Handlungen gegen Leib und Leben, Ehre und Besitzstand des Deutschen Kaisertums zu unterlassen, keine Bündnisse und Allianzen mit feindlich gesinnten oder fremden Herrschaften gegen das Reich zu schließen, das Lehensgut nicht in die Hände von Dritten zu geben und insoweit zu entfremden, Heeresfolge zu leisten und dem König beratend zur Seite zu stehen.388 Im Ergebnis bestand deshalb das gesamte Stiftsvermö­ gen in der Form eines obereigentümlich gebundenen nutzbaren Eigentums, wobei es die Hauptbestandteile der Spiritualia und Temporalia zum Gegen­ stand hatte.389 Das entsprechende stiftische Vermögen umfasste deshalb ins­ gesamt die Kirchengewalt des Regenten (Spiritualia), die auf dem stiftischen Staatsvermögen gegründete Landeshoheit wie das Territorium, das sich so­ wohl aus weltlichen wie auch geistlichen Gütern zusammensetzte.390 In Be­ zug auf die geistlichen Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wie auch die Kemptener Fürstabtei kann deshalb noch einmal zusam­ mengefasst werden, dass die Bischöfe und Äbte das durch die regelmäßigen Reichsbelehnungen begründete Reichskirchengut als Reichsfürsten im Na­ men des Königs verwalteten, wobei sich aus der damit verbundenen Welt­ lichkeit ihrer Kirchen über die an dem Reichslehen haftende Immobilienge­ rechtigkeit die Landeshoheit über das Gebiet und seine Insassen entstand.391 Davon ausgenommen war aber das kirchliche Allodialgut, dessen Verfü­ gungsgewalt sich originär aus der höchsten Kirchengewalt gründete.392

388  ­K.-F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 215 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 100; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 89. 389  Vgl. M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grund­ herrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teut­ schen Domkapitel, Kempten 1790, S. 30 ff. 390  Vgl. M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grund­ herrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teut­ schen Domkapitel, Kempten 1790, S. 31. 391  A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelal­ ter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 220 f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 7 ff.; B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 10 f. m. w. N.; vgl. J. Lang, Geschichte und Institu­ tionen des katholischen und protestantischen Kirchenrechts, Band I, Tübingen 1827, S.  135 ff.; H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S. 498 f. 392  Vgl. M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grund­ herrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teut­ schen Domkapitel, Kempten 1790, S. 30 ff.

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B. Historische Grundlagen

b) „Exempto Territorio Campidunensi“393 Nach einer Ansicht in der Wissenschaft verfügte das Fürststift Kempten in der späteren Neuzeit über eine volle Exemtion,394 womit die „Ausgliederung aus dem Bistumsverband und (…) (die) kirchliche() Gebietshoheit des regie­ renden Prälaten“ bezeichnet werden kann.395 Die Ansicht stützt sich dabei auf die Ausführungen bei Angelo Mercati, der hinsichtlich des Bayerischen Konkordats aus dem Jahre 1817 ausführte, wonach „partem autem Bavari­ cam Constantiensis Dioecesis cum exempto Territorio Campidunensi Au­ gustanae Dioecesi uniet“396, womit von einem exemten Territorium Campi­ donensis gesprochen wurde, welches bis zur Auflösung des Stifts im Zuge der Säkularisation bestanden haben soll.397 Eine andere Ansicht dagegen geht davon aus, dass die Kemptener Fürstäbte in der Folge einer im Jahre 1483 erteilten päpstlichen Bulle in der mit der Stiftskirche vereinigten Pfarrei St. Lorenz die bischöflichen Rechte beanspruchten, was der Bischof von Konstanz im Jahre 1752 schließlich auch anerkannte, während im Übrigen die Fürstäbte den Einfluss der zuständigen Diözesanbischöfe von Augsburg und Konstanz auf die Pfarreien des Stiftsgebiets zwar einschränken wollten, ohne aber die zuständigen Bischofsgewalten vollständig zu bestreiten.398 Im Ergebnis können mehrere Stufen der Exemtion unterschieden werden.399 Durch bestimmte Privilegien konnte ein Kloster der bischöflichen Jurisdik­ tion entzogen werden, so dass es zwar noch Teil des Kirchensprengels des 393  A. Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità civili, Rom 1919, S. 591. 394  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 63 f. 395  So E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ellwangen 1957, S.  63 f. m. w. N. 396  A. Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità civili, Rom 1919, S. 591. 397  So A. Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità civili, Rom 1919, S. 591; E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ellwangen 1957, S. 64. Grundsätzlich zur Säkula­ risation der Kemptener Fürstabtei F.-R. Böck, Die Säkularisation des Fürststifts Kempten, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwi­ schen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 391 ff. 398  So G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; ders., Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), S. 43; ders., Katholische Aufklä­ rung und Staatskirchentum im geistlichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Domini­ kus von Brentano, Trier 1997, S. 92. 399  Ausführlich M. Permaneder, Handbuch des gemeingiltigen katholischen Kir­ chenrechtes, 3. Aufl., Landshut 1856, S. 268 ff.; E. Fischer, Zur kirchlichen Verfas­ sung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ellwangen 1957, S. 63 ff.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten111

Bischofs war, der Abt aber fortan eine Verbandshoheit über Kloster und Klosterfamilie innehatte, ohne dabei aber die kirchliche Gebietshoheit zu erlangen.400 Das eigentliche Kloster stand auf dieser Stufe unter der Jurisdik­ tion des Papstes oder eines sonstigen Gebietsoberen auf einer Zwischenebe­ ne.401 Auf einer zweiten Stufe war es möglich, dass Pfarreien im Eigentum oder in einem sonstigen vermögensrechtlichen Verhältnis eines Stifts standen, oder aber der Abt als Regent über ein landeshoheitliches Fürstentum ver­ fügte, was in vielen Fällen zu der Erlangung von weiteren geistlichen Ho­ heitsrechten durch entsprechende Privilegien führte.402 Auch damit war eine volle kirchliche Gebietshoheit aber nicht verbunden, so dass die Äbte nicht zu „gefreite(n) Äbte(n)“ wurden, sondern sie blieben im Gegensatz zu der dritten Stufe der vollen Exemtion ein unselbständiger Teil des bischöflichen Gebietsverbandes.403 Mit der Freiung ist dann schließlich die volle kirchliche Hoheitsgewalt über das Kloster, die Klosterfamilie, den Klerus und das Volk im Rahmen des Verfügungsbereichs der Abtei verbunden, die aus dem Bis­ tum herausgelöst ist.404 Neben der bischöflichen Jurisdiktion kommen dem Abt durch entsprechende Privilegien oftmals auch einzelne bischöfliche Wei­ herechte zu.405 In der Neuzeit wurden die exemten Territorien durch die Nuntien überwacht.406 Die Stufen der Exemtion können zwischen einer blo­ ßen Verbands- und einer wachsenden geistlichen Gebietshoheit fließend und letztlich auch für den Historiker nicht leicht zu bewerten sein.407 Um die Frage für den modernen Klosterstaat Kempten beantworten zu können, soll im Folgenden auch die mittelalterliche Geschichte einer Betrachtung unter­ zogen werden. 400  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 66; vgl. D. Brosius, Das Stift Obernkirchen – 1167–1565, Bückeburg 1972, S. 41 ff. zu dem Stift Obernkirchen, das keine Exemtion gegenüber der Diöze­ sangewalt des Bischofs besaß, die Bischöfe aber andererseits kein Mitspracherecht bei der Verwaltung des Propstei- und Konventsguts hatten. 401  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 66. 402  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 66. 403  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 66; Klammerzusatz im Original. 404  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 66 f. 405  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 67. 406  H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S.  553 ff. 407  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 67.

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B. Historische Grundlagen

Wie stellte sich nun der Status der Exemtion hinsichtlich des „Territorio Campidunensi“408 dar? War der Fürstabt der Kemptener Abtei in der späteren Neuzeit in geistlichen Angelegenheiten tatsächlich der Herr über sein exem­ tes Staatsgebiet? Die Marca Campidonensis bzw. das spätere Hoheitsgebiet der Kemptener Fürstabtei lag in topographischer Hinsicht im Einflussbereich der Bistümer Augsburg und Konstanz.409 Als die Franken unter dem Fränki­ schen König Pippin im Jahre 752 den späteren Klosterbezirk Kempten end­ gültig unter ihre Herrschaft gebracht hatten, wurde der Grundbesitz des ale­ mannischen Adels beschlagnahmt und ein Teil davon dem gegründeten Kloster Kempten übergeben.410 In der Vita Sancti Magni wird zu der Weihe der von Theodor erbauten Kirche im Jahre 742 davon gesprochen, dass Theodor trotz der vielen Missetaten der Bewohner des Illergaus eine kleine Kirche am Ufer der Iller erbaut hat, die der Augsburger Bischof Wikterp dem Herrn zur Ehre der Heiligen Gottesmutter Maria weihen sollte.411 Am Ort Epfach, wo der Heilige Magnus und Theodor den Bischof von Augsburg antrafen, signalisierte der geistliche Würdenträger seine Bereitschaft zur Weihe der errichteten Kirche zu St. Mang und sprach unter anderem die folgenden Worte: 408  A. Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità civili, Rom 1919, S. 591. 409  K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Benedikti­ nerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 6; E. Gatz, Atlas zur Kirche in Geschichte und Gegenwart, Regensburg 2009, S. 68 f., 90 f. mit entspre­ chenden Karten zu den Bistümern Augsburg und Konstanz sowie inmitten von diesen dem späteren Fürststift Kempten vgl. auch A. Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità civili, Rom 1919, S. 591; Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 4; J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 3; F. Zoepfl/W. Volkert, Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Band I: von den Anfängen bis 1152, in: Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft 2b/1, Augsburg 1955, S. 18 Nr. 5; H. Schwarzmaier, Königtum, Adel und Klöster im Gebiet zwischen obe­ rer Iller und Lech, Augsburg 1961, S. 8 ff. m. w. N. 410  N. Herrmann, Kempten und das Oberallgäu – Bilder aus der Geschichte der Stadt und des Landkreises, 2. Aufl., Kempten 1984, S. 57; vgl. F. L. Baumann, Ge­ schichte des Allgäus von den ältesten Zeiten bis zum Beginne des neunzehnten Jahr­ hunderts, Band I, Kempten 1881, S. 74. Der Akt erinnert an die spätere Pippinsche Schenkung an den päpstlichen Kirchenstaat, die zum Osterfest des Jahres 774 durch Karl den Großen in Rom gegenüber Papst Hadrian bestätigt wurde.; vgl. A. Kleinclausz, Charlemagne, Paris 1934, S. 114 ff.; A. Cartellieri, Weltgeschichte als Macht­ geschichte, Band I: Die Zeit der Reichsgründungen: 382–911, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1927, Aalen 1972, S. 185 f.; vgl. M. Crusius, Schwäbische Chronick, Band I, Franckfurt 1733, S. 268. 411  D. Walz, Auf den Spuren der Meister – die Vita des heiligen Magnus von Füs­ sen, Sigmaringen 1989, S. 171.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten113 „Dieser Ort hier heißt mit Recht Heptateuch (…), denn er liegt in der Mitte zwi­ schen dem Kloster der heiligen Afra und deiner Zelle. Deshalb sollst Du wissen, dass es mein Wunsch ist, dass nach meinem Tod dieses Erbe der heiligen Maria und Afra gehören soll, auf das dieser Ort hier für unsere Nachfolger gleichsam Mittler sei zwischen deinem Kloster und der heiligen Kirche der Stadt Augs­ burg.“412

Zudem rüstete der Bischof das Volk mit dem Segen des großen Vaters und verlieh den Friedenskuss, wobei Theodor als Hüter der Kirche zu St. Mang zurückgelassen wurde.413 Am Maßstab der zitierten Quelle hat der Augsbur­ ger Bischof Wikterp hier nicht nur die bischöflichen Rechte wahrgenommen, indem er Theodor zum Kirchenhüter einsetzte und dem Volk den göttlichen Segen spendete, er hat auch zum Ausdruck gebracht, dass er die von Theo­ dor erbaute Kirche zu St. Mang als Missionszelle des Klosters der heiligen Afra auffasste und damit als bischöfliche Eigenkirche im Rahmen seiner Diözese, so dass der Bischof von Augsburg als eigentlicher Träger der ein­ geweihten Kirche als Teil des unter seiner geistlichen Direktion stehenden Klosters der heiligen Afra erschien.414 Die durch Wikterp geweihte Kirche zu St. Mang war deshalb nicht die erste Klosterkirche des Benediktinerklos­ ters Kempten, sondern in organisatorischer Hinsicht eine institutionell ver­ festigte Klosterzelle des Augsburger Bistums.415 Andererseits befindet sich in den Kemptener Chroniken ein entsprechender Nachweis, wonach Papst Hadrian am 11. Mai des Jahres 777 mit großem Gefolge und den Reliquien der Heiligen Gordian und Epimachus nach Kempten gekommen sein soll, um das neu gegründete Kloster einzuweihen und die Mönche zu Konventua­

412  D. Walz, Auf den Spuren der Meister – die Vita des heiligen Magnus von Füs­ sen, Sigmaringen 1989, S. 173. 413  D. Walz, Auf den Spuren der Meister – die Vita des heiligen Magnus von Füs­ sen, Sigmaringen 1989, S. 64, 173. 414  Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 26  ff., v. a. S. 28; vgl. insoweit zur Magnuszelle in Füssen auch D. Walz, Auf den Spuren der Meister – die Vita des heiligen Magnus von Füssen, Sigmaringen 1989, S. 62 ff. Grundsätzlich zum Kloster der heiligen Afra und den bischöflichen Machtbestrebungen vor dem Hintergrund der spätantiken Krisenzeiten und des zunehmenden Verfalls der öffentli­ chen Strukturen L. Kolmer, Mittelalter, in: W. Becker (Hrsg.), Die Kirchen in der deutschen Geschichte – von der Christianisierung der Germanen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1996, S. 2 f., 35 m. w. N. 415  So auch F. L. Baumann, Forschungen zur schwäbischen Geschichte, Kempten 1899, S. 112; D. Ade-Rademacher, Zusammenfassung, in: Stadtarchäologie Stadt Kempten (Hrsg.), „Alles zu einem lauteren Steinhaufen gemacht“ – Auf der Suche nach dem mittelalterlichen Kloster in Kempten, Kempten 1998, S. 40; vgl. H. Maurer, Das Bistum Konstanz und die Christianisierung der Alemannen, in: W. Berschin u. a. (Hrsg.), Mission und Christianisierung am Hoch- und Oberrhein (6.–8. Jahrhun­ dert), Stuttgart 2000, S. 151 f.

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B. Historische Grundlagen

len nach der Regel des Heiligen Benedictus einzusetzen.416 Durch entspre­ chende Urkunden ist nachgewiesen, dass im Jahre 773 Karl der Große an­ lässlich der Belagerung Pavias zu Ostern zum Papst nach Rom reiste, wo auch Hildegard und Audogar zugegen waren, wobei auf die Fürbitte der fränkischen Königin Audogar zum Abt geweiht wurde.417 Im Zuge eines Besuches beim Papst in Rom an Ostern des Jahres 774 bestätigte und erneu­ erte Karl der Große zudem gerade die Pippinsche Schenkung.418 Die Angabe der Chronisten hinsichtlich der Einweihung des Klosters Kempten durch Papst Hadrian ist im Ergebnis glaubhaft, nachdem die Chronisten auch die Namen der seitens des Papstes eingesetzten Konventualen detailliert wieder­ geben, was ohne eine entsprechende Vorlage nicht möglich gewesen wäre,419 und auch die konkreten historischen Umstände ein enges fränkisch-päpst­ liches Bündnis nahelegen.420 Damit aber erfolgte die Weihe und die Einset­ zung der Konventualen durch den Papst persönlich, womit das Benediktiner­ kloster Kempten ursprünglich unmittelbar unter dem Heiligen Stuhl stand, ohne dass sich hier eine frühe Bischofsgewalt als Zwischenebene nachwei­ sen ließe.421 In der Wissenschaft wird zudem konkretisierend vermutet, dass 416  M. Crusius, Schwäbische Chronick, Band I, Franckfurt 1733, S. 269  ff., wo auch das Jahr 776 als mögliches Jahr für die päpstliche Einsetzung der Konventualen benannt wird; J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 3 f.; L. Boxler, Sammlung der merkwürdigs­ ten Ereignisse in dem ehemaligen fürstlichen Reichsstifte Kempten seit dessen Ent­ stehung, bis zur Auflösung im Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statisti­ schen Notizen, Kempten 1822, S. 19. 417  M. Crusius, Schwäbische Chronick, Band I, Franckfurt 1733, S. 268, 272, 277; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  21 m. w. N. 418  A. Kleinclausz, Charlemagne, Paris 1934, S. 114  ff.; A. Cartellieri, Weltge­ schichte als Machtgeschichte, Band I: Die Zeit der Reichsgründungen: 382–911, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1927, Aalen 1972, S. 185 f.; vgl. M. Crusius, Schwäbische Chronick, Band I, Franckfurt 1733, S. 268. 419  Vgl. J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 4; L. Boxler, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in dem ehemaligen fürstlichen Reichsstifte Kempten seit dessen Entste­ hung, bis zur Auflösung im Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statistischen Notizen, Kempten 1822, S. 19, der anführt, dass „Andegar mit 23 Edlen das Kloster bezog.“ 420  Vgl. M. Crusius, Schwäbische Chronick, Band I, Franckfurt 1733, S. 268, 272, 277; A. Kleinclausz, Charlemagne, Paris 1934, S. 114  ff.; A. Cartellieri, Weltge­ schichte als Machtgeschichte, Band I: Die Zeit der Reichsgründungen: 382–911, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1927, Aalen 1972, S. 185 f.; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältes­ ten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 21 m. w. N. 421  Vgl. M. Crusius, Schwäbische Chronick, Band I, Franckfurt 1733, S. 269 ff.; J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten115

die Kemptener Abtei bereits in den ältesten Zeiten im Besitz des Bezirks war, der die Pfarreien St. Mang, St. Lorenz, Krugzell und Buchenberg um­ fasste.422 Zu bemerken ist andererseits, dass sich die Bischöfe von Konstanz erst in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts und dann sichtbarer ab dem 9. Jahrhundert in der Lage waren, eigene kirchliche Strukturen im Innern ihres Bistums zu begründen, die es schließlich dem Bistum Konstanz über­ haupt erst erlaubten, das Christentum in den alemannischen Landen instituti­ onell zu verankern und zu festigen.423 Das fränkische Eigenkirchensystem bzw. Landeskirchentum beruhte regelmäßig auf an die Klöster und Kirchen verliehenem Krongut in der Form von Benefizien, womit eine königliche Oberhoheit einherging, ohne dass die fränkischen Eigenkirchen die her­ kömmliche kirchliche Ordnungsstruktur berührten, wobei das von den Fran­ ken verfolgte Landeskirchentum teilweise zu einer Einschränkung und auch Zurückdrängung der bischöf­lichen Gewalten führen konnte.424 In der For­ schung ist das fränkische Eigenkirchenwesen unter dem Fränkischen König Pippin425 umstritten.426 Anhand der zur Verfügung stehenden Quellen, allen voran die Kapitularien der Jahre 742/43 und 744, in denen Pippin und sein Bruder Karlmann „secundum canones beschlossen (haben), dass ‚ein jeder (…) Priester‘ (unusquisque presbiter) seinem jeweiligen Diözesanbi­ schof ‚unterworfen‘ (subiectus) sein sollte“, ohne dabei auf das Problem der Eigenkirchen und der Einsetzung der Priester durch Eigenkirchengrundher­ ren einzugehen,427 ergeben sich aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Fränkische König Pippin einen Konflikt zwischen den adeligen Grundherren Kempten, Kempten 1820, S. 3 f.; L. Boxler, Sammlung der merkwürdigsten Ereig­ nisse in dem ehemaligen fürstlichen Reichsstifte Kempten seit dessen Entstehung, bis zur Auflösung im Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statistischen Notizen, Kempten 1822, S. 19. 422  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 22. 423  H. Maurer, Das Bistum Konstanz und die Christianisierung der Alemannen, in: W. Berschin u. a. (Hrsg.), Mission und Christianisierung am Hoch- und Oberrhein (6.–8. Jahrhundert), Stuttgart 2000, S. 139 ff., v. a. S. 162. 424  Zum fränkischen Eigenkirchensystem bzw. Landeskirchentum Ch. Link, Kirch­ liche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 26 ff.; kritisch S. Patzold, Presbyter – Mo­ ral, Mobilität und die Kirchenorganisation im Karolingerreich, Stuttgart 2020, S.  161 ff., 480 ff. 425  W. Lautemann, Mittelalter, München 1975, S. 56  f. mit der Kommentierung von Rau. 426  Siehe hierzu S. Patzold, Presbyter – Moral, Mobilität und die Kirchenorganisa­ tion im Karolingerreich, Stuttgart 2020, S. 161 ff. 427  S. Patzold, Presbyter – Moral, Mobilität und die Kirchenorganisation im Karo­ lingerreich, Stuttgart 2020, S. 164 f. unter Verweis auf Karlmanni principis capitulare und Pippini principis capitulare Suessionense; Hervorhebungen im Original.

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B. Historische Grundlagen

und den geistlichen Autoritäten mit Blick auf die Einweihung der Priester und die Durchführung der geistlichen Aufgaben heraufbeschwören wollte, sondern er hielt sich im Rahmen des fränkischen Eigenkirchenwesens viel­ mehr an die geltenden päpst­lichen Vorgaben unter Achtung der römischen Kurie wie der bischöflichen Leitungsgewalten, worunter zu verstehen war, dass Papst Zacharias die Regelungen von Papst Pelagius bestätigte, wonach eine von Laien gegründete Eigenkirche einen gesicherten Grundbesitz und eine entsprechende Ausstattung bedurfte, wobei die Einsetzung sowie die Weihe der Priester von dem zuständigen Diözesanbischof erfolgen muss­ ten.428 Unter Karl dem Großen wurde das fränkische Landeskirchentum zur Grundlage des Reichskirchentums des Fränkischen Reiches, das sich durch die Umwandlung von bisher fremden Gütern zu Krongütern auszeichnete, wobei diese als Benefizien neben Vertretern des Adelsstandes insbesondere auch an die Klöster und Kirchen gegeben wurden, womit für die Beliehenen Ämter, Aufgaben sowie Pflichten gegenüber dem König einhergingen.429 Dahinter verbarg sich der Gedanke einer gewollten Verschränkung von welt­ licher und geistlicher Macht, die dann später durch die Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahre 800 zudem eine päpstliche Legitimation erhielt.430 Mit der Heirat Hildegards und dem damit einhergehenden Bündnis Karls des Großen mit dem Volksstamm der Alemannen431 war es aber dann gelungen, das Benediktinerkloster Kempten als königliches Eigenkloster endgültig ab­ zusichern.432 Bedenkt man nun, dass der Verfügungsbereich der Kemptener Abtei ursprünglich in der im Jahre 853 von Ludwig dem Deutschen bestä­ tigten Marca Campidonensis lag,433 die in etwa dem Gebiet der späteren

428  So auch S. Patzold, Presbyter – Moral, Mobilität und die Kirchenorganisation im Karolingerreich, Stuttgart 2020, S. 165 ff. 429  Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 27  ff.; vgl. auch D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 40 zur kirchlichen Immunität. 430  Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 29. 431  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 18; S. Konecny, Die Frauen des karolingischen Königshauses, Wien 1976, S. 67 f.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7.  Aufl., München 2013, S.  33; M. Hartmann, Die Königin im frühen Mittelalter, Stuttgart 2009, S. 96 ff., v. a. S. 99; vgl. D. Hägermann, Karl der Große – Herrscher des Abendlandes, Berlin u. a. 2000, S. 217; M. Becher, Karl der Große, 6. Aufl., München 2014, S. 108. 432  G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 72 m. w. N. 433  Monumenta Germaniae Historica, Die Urkunden der deutschen Karolinger, hrsg. von der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Band I: Die Urkun­ den Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren, Berlin 1934, DDLD, S. 90 ff., Nr. 66.



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Grafschaft Kempten entsprach,434 so muss für das frühe Mittelalter davon ausgegangen werden, dass das Kemptener Territorium unter verschiedenen geistlichen Jurisdiktionen stand, wobei sich die Bischofsgewalt des Bistums Augsburg offensichtlich bis in den Bereich der frühen Kirche St. Marien zu St. Mang erstreckte,435 während sich der eigentliche Verfügungsbereich des Klosters Kempten in geistlichen Angelegenheiten insbesondere auch auf den räumlichen Bereich der späteren Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Buchen­ berg bezogen haben muss.436 Während sich aber andererseits die Merowin­ ger noch durch eine weltliche Neutralität gegenüber der Kirche und den kirch­lichen Dingen auszeichneten, nahm das Fränkische Reich insbesondere unter Karl dem Großen byzantinischen Geist auf, indem sich der Kaiser zu einem summus episcopus der fränkischen Reichskirche aufwarf und die kirchliche Gesetzgebung, die Einsetzung der Bischöfe, die Fürsorge für die Ausbildung des Klerus, das Mönchswesen und die Heidenbekehrung dem kaiserlichen Willen unterordnete.437 Die römische Idee einer Omnipotenz des Kaisers erhob sich in der Folge im Sinne einer auctoritate publica über die Reichsverfassung des Fränkischen Reiches und bezog sich auf sämtliche Kulturinteressen des Herrschaftsraumes, namentlich auf die „(…) Gesetzge­ bung und Verwaltung (…)(,) (den) Handel und Verkehr, (das) Maß-, Ge­ wicht- und Münzwesen, (die) Kanäle, Leuchtt()ürme, (den) Uferschutz, das Armenwesen, den Unterricht, die Interessen des Grundbesitzes (…)“ usw.438 Es kann deshalb auch davon ausgegangen werden, dass die frühe Kirche zu St. Mang unter den Franken ebenfalls ab dem ausgehenden 8. Jahrhundert zunehmend in den Einflussbereich des fränkischen Reichskirchentums ge­ 434  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), publi­ ziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 435  Vgl. F. L. Baumann, Forschungen zur schwäbischen Geschichte, Kempten 1899, S. 112; D. Ade-Rademacher, Zusammenfassung, in: Stadtarchäologie Stadt Kempten (Hrsg.), „Alles zu einem lauteren Steinhaufen gemacht“ – Auf der Suche nach dem mittelalterlichen Kloster in Kempten, Kempten 1998, S. 40; vgl. H. Maurer, Das Bistum Konstanz und die Christianisierung der Alemannen, in: W. Berschin u. a. (Hrsg.), Mission und Christianisierung am Hoch- und Oberrhein (6.–8. Jahrhun­ dert), Stuttgart 2000, S. 151 f.; E. Gatz, Atlas zur Kirche in Geschichte und Gegen­ wart, Regensburg 2009, S. 68 f., der davon spricht, dass sich der bischöfliche Kir­ chensprengel des Augsburger Bistums bis in das Oberallgäu erstreckte. 436  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 22, der hier auch die Pfarrei St. Mang benennt. 437  R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deut­ schen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1880 (1), 1, (8 f.). 438  R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deut­ schen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1880 (1), 1, (9).

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B. Historische Grundlagen

kommen ist, für was das Fragment eines Flechtwerksteins aus der Zeit um das Jahr 800 sprechen könnte, das im Jahre 1894 im Rahmen von Mauerres­ ten der Choranlage eines Vorgängerbaus der späteren Pfarrkirche St. Mang entdeckt wurde.439 Im Ergebnis kann deshalb hinsichtlich des frühen Mittel­ alters für den eigent­ lichen Verfügungsbereich des Benediktinerklosters Kempten, der sich im Lichte des fränkischen Reichskirchentums auch erwei­ ternd zeigen konnte, durchaus von einem vollen exemten Status gesprochen werden, wenngleich damit noch keine geistliche Gebietshoheit im Sinne des späteren modernen Staatsdiskurses verbunden war.440 Im hohen Mittelalter änderte sich die Ausgangslage. Im 10. Jahrhundert war der Bischof Ulrich von Augsburg zeitweise selbst Abt des Klosters Kempten, wobei er Mitte des 10. Jahrhunderts von Kaiser Otto I. die Abtei Kempten zu seinem Bistum erhielt, so dass er fortan über den gesamten Klosterbezirk verfügte.441 Insoweit wird in seiner Vita auch von einem „cy­ mitherio Kampidonensis monasterii“ gesprochen.442 Neuere archäologische Befunde von Ausgrabungen an der Residenz und der daran angeschlossenen St. Lorenz Basilika sprechen dabei dafür, dass dieser Friedhof des Klosters nach Maßgabe der aufgefundenen Körpergräber, die von der Datierung zu­ mindest bis in das 9. Jahrhundert zurückreichen, ziemlich sicher in diesem Bereich verortet war.443 Bereits im 9. bis in das 11. Jahrhundert hinein befand sich das Kloster Kempten in ständigen Auseinandersetzungen um seine Selb­ ständigkeit.444 Die Könige sahen das Kloster regelmäßig als königliches Ei­ 439  S. Kirchberger, Vorgängerbauten unter der Pfarrkirche St. Mang, in: Stadt­ archäologie Stadt Kempten (Hrsg.), „Alles zu einem lauteren Steinhaufen gemacht“ – Auf der Suche nach dem mittelalterlichen Kloster in Kempten, Kempten 1998, S. 11 ff. 440  Zum modernen neuzeitlichen Staatsdiskurs W. Reinhard, Geschichte der Staats­ gewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 47 ff., 109 ff.; D. Willoweit, Deutsche Verfas­ sungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 167 ff. 441  J. Jahn, Ulrich (Udalrich), in: K. Bosl (Hrsg.), Bosls bayerische Biographie, Regensburg 1983, S. 794. 442  Siehe zum cymitherio Kampidonensis monasterii in der Vita des heiligen Bi­ schofs Ulrich von Augsburg V. Babucke, Ausgrabungen und Beobachtungen im Be­ reich der Residenz, in: Stadtarchäologie Stadt Kempten (Hrsg.), „Alles zu einem lauteren Steinhaufen gemacht“ – Auf der Suche nach dem mittelalterlichen Kloster in Kempten, Kempten 1998, S. 24, 26; B. Kata/G. Weber, Die archäologischen Befunde im Bereich der Kemptener Residenz und ihrer Umgebung, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 68. 443  B. Kata/G. Weber, Die archäologischen Befunde im Bereich der Kemptener Residenz und ihrer Umgebung, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S.  61 ff. 444  G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 73 m. w. N.



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genkloster an, was sich im 9. Jahrhundert auch in zwei Fällen in einer allge­ meinen Durchbrechung der von königlicher Seite der Benediktinerabtei Kempten gewährten freien Abtswahl manifestierte.445 Der Anlass bzw. die Legitimation für die Interventionen der weltlichen Gewalten der Könige war insbesondere das an die Klöster und Kirchen verliehene Krongut, aus dem die Könige ihren Herrschaftsanspruch ableiteten.446 Andererseits war die Kemptener Abtei wie unter Bischof Ulrich von Augsburg, der als Titular-Abt zwei Mönche mit der Leitung des Klosters Kempten belegte, oder auch dem von König Heinrich III. im Jahre 1050 eingesetzten Bischof Gebhard III. von Regensburg zeitweise in der Hand von mächtigen Geistlichen, wenngleich es sich dabei nach einer Ansicht in der Wissenschaft hinsichtlich der Belehnung des Regensburger Bischofs lediglich um ein persönliches Lehen an den Re­ gensburger Bischof gehandelt haben soll, ohne dass die Kemptener Abtei zu einem bischöflichen Kloster des Bistums Regensburg geworden ist.447 Das Benediktinerkloster Kempten, das ursprünglich unter Karl dem Großen un­ mittelbar dem apostolischen Stuhl unterstand,448 kam deshalb ab dem 9. Jahr­ hundert und den aufkommenden Wirren des Investiturstreits zunehmend in den Machtbereich königlicher Gewalten, die versuchten, auf die innere Orga­ nisation des Kemptener Klosters Einfluss zu nehmen, bzw. die die Abtei an große Geistliche verliehen.449 Daneben gab es im hohen Mittelalter nun aber auch bischöfliche Gewalten, die andererseits ihren Einfluss geltend machten, um die Abtei Kempten in geistlichen Angelegenheiten unter ihre Bischofsge­ 445  G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 73 f. m. w. N. 446  M. Permaneder, Handbuch des gemeingiltigen katholischen Kirchenrechtes, 3. Aufl., Landshut 1856, S. 44 f. m. w. N. 447  G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 74 m. w. N.; W. Goez, Lebensbilder aus dem Mittelalter – Die Zeit der Ottonen, Salier und Staufer, 3. Aufl., Darmstadt 2010, S. 39 f.; H. Schwarzmaier, Königtum, Adel und Klöster im Gebiet zwischen oberer Iller und Lech, Augsburg 1961, S. 137, der hier mit weiterem Nach­ weis darauf hinweist, dass die Abtei lediglich ein persönliches Lehen an den Regens­ burger Bischof gewesen sein soll, ohne dass die Kemptener Abtei zu einem bischöf­ lichen Kloster des Bistums Regensburg geworden ist. 448  L. Boxler, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in dem ehemaligen fürst­ lichen Reichsstifte Kempten seit dessen Entstehung, bis zur Auflösung im Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statistischen Notizen, Kempten 1822, S. 19. Hierfür spricht die Einsetzung der Konventualen durch Papst Hadrian.; vgl. J. Zorn, Samm­ lung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kemp­ ten 1820, S. 3 f.; L. Boxler, ebd., S. 19. 449  G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u.  a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 73  f. m.  w.  N.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312.

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B. Historische Grundlagen

walt zu bringen.450 Insoweit ist etwa ein Eintrag der Pfarrkirche St. Lauren­ tius als „Ecclesia sancti Laurentii in Monte Campidonensi“ im Liber taxatio­ nis des Jahres 1353, d. h. in einem Verzeichnis der Einkünfte des Konstanzer Bischofs hinsichtlich der dem Bistum angehörenden Pfarreien, enthalten.451 Den Hintergrund hierfür bildet vermutlich der Umstand, dass der Papst im Jahre 1338 das Benediktinerkloster Kempten aufgrund von Uneinigkeiten unter den Konventualen ausdrücklich unter die Administration des Bischofs von Konstanz gestellt hatte.452 Andererseits war nach dem stiftkemptischen Salbuch des Jahres 1394 „uff dem Berg Sant Laurentis“ auch eine Kirche, die von dem Gotteshaus Kempten an das Bistum Konstanz zu Lehen unter Einschluss des Vogtrechts gegeben worden war.453 Weiter ist aber zu beden­ ken, dass dem Kloster wiederum im Jahre 1483 durch die Bulle Papst Six­ tus’ IV. der exemte Status gegen die weitergehenden Ansprüche des Bischofs von Konstanz auf die geistliche Leitungsgewalt bestätigt worden ist und der Fürstabt fortan auch weitgehend die bischöflichen Rechte über die Pfarrei St. Lorenz ausübte.454 So wie sich das Fürststift Kempten deshalb im hohen Mittelalter zunehmend aufmachte, die königliche Obervogtei endgültig abzu­ schütteln und ein souveräner moderner geistlicher Staat zu werden,455 so beanspruchte der Fürstabt im späteren Hochmittelalter zunehmend auch die 450  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 383. 451  S. Kirchberger, Archäologische Befunde unter der barocken Basilika St. Lo­ renz, in: Stadtarchäologie Stadt Kempten (Hrsg.), „Alles zu einem lauteren Steinhau­ fen gemacht“ – Auf der Suche nach dem mittelalterlichen Kloster in Kempten, Kemp­ ten 1998, S. 19. 452  J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichs­ stadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1802, Kempten 1820, S. 3 f., 15. 453  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 32. 454  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 383; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), S. 43. 455  Siehe hierzu grundsätzlich und in Bezug auf das ehemalige Fürststift Kempten O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitel­ mann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u.  a. 1913, S. 21; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Histori­ schen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (251 f.); M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S.  234  ff.; vgl. auch A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 227 f. Zu den Bestrebun­ gen des Fürststifts Kempten, ein souveräner moderner geistlicher Territorialstaat zu werden P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneu­



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Rechte in geistlichen Angelegenheiten, was auf Widerstand des Bischofs von Konstanz stoßen musste.456 War damit aber dann in der Neuzeit eine volle Exemtion verbunden? Nach dem Sixtinischen Privileg, d. h. einer Bulle Papst Sixtus’ IV. vom 20.05.1483, in welcher der exemte Status des Klosters und damit die Unab­ hängigkeit von jeder bischöflichen Gewalt bestätigt worden ist, leitete der Fürstabt das Stift unter der Oberaufsicht des Heiligen Stuhls in den Grenzen entsprechend verliehener päpstlicher Privilegien.457 Papst Sixtus IV. ver­ festigte damit aus eigenem Antrieb die bereits unter seinen Vorgängern ­Adrian II. und Gregor IX. an das Stift verliehenen Freiheiten.458 Haggenmül­ ler fasste den historischen Vorgang wie folgt zusammen: „Um des Stiftes Unabhängigkeit von jeder bischöflichen Gewalt zu sichern, er­ theilte der Papst (…) die Bestätigung, und befreite zu größerer Vorsicht das Stift und dessen Abt mit allen seinen Besitzungen, Gütern und Angehörigen neuerdings von aller Herrlichkeit, Jurisdiction und Oberhoheit des Bischofs von Constanz und jedes andern Ordinariates, so daß die genannten für gänzlich befreit gelten, den Recht Suchenden nur vor dem apostolischen Stuhl und dessen Abgeordneten ant­ worten, der Convent bei Erledigung der Abtei zur Wahl schreiten und die Bestäti­ gung bloß vom römischen Stuhl erlangen, das Ordinariat weder die Confirmation verhindern, noch Annate oder Intercalarfrüchte von dem neugewählten Abte for­ dern sollten. Den Bischöfen von Alexandria und Augsburg und dem Abte von St. Gallen wurde aufgetragen, so oft sie gesetzmäßig aufgefordert würden, dem Abt und seinem Convent den Genuß dieser Befreiung zu verschaffen und im Noth­

zeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S.  185 ff. 456  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 383. 457  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  131 f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  91, 97 f.; D. Willoweit, Das landesherrliche Kirchenregiment, in: K. Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band II, Stuttgart 1983, S. 365; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (43 f.); ders., Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürsten­ tum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 91 f.; H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tridentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 57 f.; vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 263 ff. Zur Exemtion der mittelalterlichen Klöster und zu den Folgen des Tridentinums grund­ sätzlich J. Freisen, Verfassungsgeschichte der katholischen Kirche Deutschlands in der Neuzeit, Leipzig u. a. 1916, S. 3 ff., 32 f., 39 ff. 458  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  383 m. w. N.

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B. Historische Grundlagen

fall hierzu die Hülfe des weltlichen Armes anzurufen, unangesehen alle widerstrei­ tenden Verordnungen und Vorschriften anderer Päpste über die Gefreiten.“459

Ausweislich des Inhalts der päpstlichen Bulle aus dem Jahre 1483 kann es im Ergebnis keinem Zweifel unterliegen, dass hier lediglich das Kloster, der Abt und die gesamte Klosterfamilie von der bischöflichen Gewalt befreit wer­ den sollten, so dass das Kloster Kempten Teil des Kirchensprengels des Bi­ schofs von Konstanz blieb, aber eine gewisse Verbandshoheit über das Kloster und die Klosterfamilie erlangte.460 Dies ergibt sich zum einen daraus, dass sich die Bulle Papst Sixtus IV. in erster Linie auf den innerklösterlichen Vor­ gang der Wahl und deren Bestätigung durch das Papsttum bezog, zum anderen aber auch aus dem Umstand, dass nur der Abt und die Klosterangehörigen als Recht Suchende dem apostolischen Stuhl unterstellt werden sollten.461 Auch sollte lediglich der Abt von der Erbringung von Annaten oder Interkalarfrüch­ ten gegenüber der Bischofsgewalt befreit sein.462 Aber auch die Regelung, wonach „das Stift und dessen Abt mit allen seinen Besitzungen, Gütern und Angehörigen neuerdings von aller Herrlichkeit, Jurisdiction und Oberhoheit des Bischofs von Constanz“ befreit sein sollte, wird man wohl im Sinne des Kirchenguts im engeren Sinne auszulegen haben, nachdem sich das päpstliche Obereigentum nur auf diese Güter beziehen konnte.463 Die Auslegung wird andererseits dadurch bestätigt, dass der Papst im Jahre 1338 lediglich das Be­ nediktinerkloster Kempten aufgrund von Uneinigkeiten unter den Konventua­ len unter die Administration des Bischofs von Konstanz gestellt hatte464 und dieser Vorgang aus dem 14. Jahrhundert durch die päpstliche Bulle praktisch wieder rückgängig gemacht werden sollte.465 Andererseits beanspruchte der Fürstabt aufgrund der Bulle Papst Sixtus’ IV. aus dem Jahre 1483 und der darin 459  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  383 m. w. N. 460  Vgl. E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ellwangen 1957, S. 66. 461  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 383. 462  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 383. 463  Vgl. nur M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 30 ff. 464  J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichs­ stadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1802, Kempten 1820, S. 3 f., 15. 465  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 384.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten123

geregelten Exemtion des Klosters später in der mit der Stiftskirche vereinigten Pfarrei St. Lorenz die bischöflichen Rechte, was der Bischof von Konstanz schließlich im Jahre 1752 ausdrücklich anerkannte.466 Es waren im Ergebnis drei Rechtskreise zu unterscheiden, deren weltliche und geistliche Elemente aber sämtlich in der Hand des reichsfürstlichen Hofes vereinigt lagen.467 Der Fürstabt war als Vorsteher des Klosters für den innerklösterlichen Bereich zu­ ständig, daneben beanspruchte er durch den exemten Status und die Inkorpo­ ration der Pfarrei St. Lorenz in das Stift in dieser Pfarrei auch das bischöfliche Amt des Hirten und Richters, d. h. die Rechte eines Bischofs, insofern die Bischofsweihe hierfür nicht Voraussetzung war.468 In den sonstigen Pfarreien des Fürststifts Kempten konnte der Fürstabt Patronatsrechte auf kirchenrecht­ licher Basis geltend machen, die Jurisdiktionsgewalt blieb aber bei den Bi­ schöfen, was aber in Konkurrenz zu der Landeshoheit des reichsfürstlichen Klerikers stand.469 Von den kirchlichen Aufgaben und der Administration wie Jurisdiktion über das eigene Kirchengut abgesehen bildeten insbesondere die durch König Friedrich II. im Jahre 1213 als Regalien verliehenen weltlichen Grafschaftsrechte470 den dritten Rechtskreis, deren Ausübung den eigentlichen landeshoheitlichen Herrschaftsanspruch über den geistlichen Sektor hinaus begründeten, womit letztlich auch die entsprechende Dispositionshoheit über die Grundstücke in der Grafschaft fiel, d. h. das Lehens- und Leihewesen.471 466  So K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Bene­ diktinerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 6; G. Immler, Kemp­ ten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Histori­ sches Lexikon Bayern. 467  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (43 f.); ders., Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 92. 468  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), S. 43. 469  G. Immler, Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürs­ tentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 92. 470  StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 18, Urkunde König Fried­ richs II. über die Belehnung des Abts mit den Grafschaftsrechten aus dem Jahre 1213; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  83 f.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 ff.); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 32 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  7  f.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. 471  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (43 f.).

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B. Historische Grundlagen

Mit den hochmittelalterlichen Bestrebungen des Kemptener Stifts, ein souve­ räner geistlicher Staat zu werden,472 nahmen aber grundsätzlich auch die Ten­ denzen der dem Fürstenstand angehörenden Äbte zu, auch die Rechte in geist­ lichen Angelegenheiten ausüben zu wollen, was auf Widerstand des Bischofs von Konstanz stoßen musste.473 Dies zeigt auch die Errichtung der landesherr­ lichen Behörde des Oberstheiligenpflegamts als Kirchenaufsicht um das Jahr 1700, mit der die reichsfürstlichen Regenten des Fürststifts Kempten versuch­ ten, den Einfluss der zuständigen Diözesanbischöfe von Augsburg und Kon­ stanz auf die zahlreichen Pfarreien im Stiftsgebiet auf Angelegenheiten des Pfarrklerus zu beschränken, während andererseits die Kirchenstiftungen und kirchlichen Bruderschaften unter der Aufsicht des Fürstabts als Landesherrn stehen sollten.474 Im 18. Jahrhundert wurde dann schließlich der Zuständig­ keitsbereich des Oberstheiligenpflegamtes auf die Aufgabe der Schulaufsicht erstreckt.475 Im Ergebnis ist deshalb die von Mercati verwendete Begrifflich­ keit eines „exempto Territorio Campidunensi“476 eng im Sinne des Bereichs des eigent­lichen Klosterbezirks und der mit der Stiftskirche vereinigten Pfar­ rei St. Lorenz auszulegen,477 in welchem der Fürstabt in der Tat als Quasi­ bischof die bischöflichen Rechte im Sinne des Amtes als Hirte und Richter wahrnahm, insoweit die Bischofsweihe hierfür nicht erforderlich war.478 Die Kemptener Fürstabtei blieb deshalb wie viele der Klöster und Stifter im Heili­ 472  Siehe hierzu grundsätzlich und in Bezug auf das ehemalige Fürststift Kempten O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitel­ mann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u.  a. 1913, S. 21; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Histori­ schen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (251 f.); M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S.  234  ff.; vgl. auch A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 227 f.; vgl. zur Entwick­ lung des neuzeitlichen Kemptener Territorialstaats P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Ge­ schichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 185 ff. 473  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 383. 474  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 475  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 476  A. Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità civili, Rom 1919, S. 591. 477  Vgl. G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 478  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), S. 43.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten125

gen Römischen Reich Deutscher Nation auf einer zweiten Stufe der Exemtion stehen, bei der eine volle kirchliche Gebietshoheit nicht anzunehmen war, wo­ mit im Gegensatz zu der dritten Stufe der vollen Exemtion lediglich der Status eines weiterhin unselbständigen Teils des bischöflichen Gebietsverbandes ein­ herging.479 Aber auch dieser Status scheint vor etwaigen Durchbrechungen nicht hinreichend gesichert gewesen zu sein, wenn für den 17.08.1730 histo­ risch überliefert ist, dass der Fürstabt Anselm von Reichlin-Meldegg von dem Fürstbischof von Konstanz feierlich eingeweiht wurde.480 Andererseits er­ langte der Fürstabt Engelbert von Syrgenstein am 26.04.1749 von Papst Bene­ dikt XIV. wiederum die Erlaubnis für sich und seine Nachfolger, den stifti­ schen Untertanen die Firmung in der Pfarrei St. Lorenz zu erteilen.481 Auch wenn mit der Errichtung des Oberstheiligenpflegamts um das Jahr 1700 sicher auch Tendenzen hin zu einer Ausweitung der geistlichen Herrschaft des Fürst­ stifts Kempten verbunden waren,482 so kann der unter Bezugnahme auf das Bayerische Konkordat aus dem Jahre 1817 vertretenen Ansicht, wonach die Kemptener Fürstabtei in der späteren Neuzeit über eine volle Exemtion verfügte,483 deshalb nicht beigetreten werden. Es ist vielmehr sogar so, dass ein um das Jahr 1773 seitens des Fürststifts Kempten unternommener Versuch auf Erlangung der Exemtion als eigenes Bistum an dem Widerstand der Bistü­ mer Augsburg und Konstanz scheiterte.484 Angesichts dieser Entwicklung ist es aber wahrscheinlich, dass dem Kemptener Reichsfürsten als teilweiser Quasibischof zumindest ein Votum decisivum auf den allgemeinen Konzilien eingeräumt war.485 Unabhängig davon aber bestanden die Bestrebungen um eine territoriale Landesobrigkeit im Lichte des überkommenen Allgäuischen Gebrauchs zunächst in der Auseinandersetzung mit dem Adel, der entspre­ chende Privilegien beanspruchte und auch als stiftischer Vasall nicht der Be­ 479  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 64 ff. 480  J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichs­ stadt Kempten, seit deren Entstehung, bis zur Auflösung der Reichsunmittelbarkeit im Jahre 1802, Kempten 1820, S. 101. 481  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baieri­ schen Staat, Kempten 1847, S. 295 m. w. N. 482  Vgl. G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 483  E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ell­ wangen 1957, S. 63 f. 484  K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Benedikti­ nerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 6. 485  M. Permaneder, Handbuch des gemeingiltigen katholischen Kirchenrechtes, 3. Aufl., Landshut 1856, S. 271 m. w. N., dort auf S. 271 f. auch zu den sonstigen Be­ fugnissen der privilegierten Reichsfürsten in geistlichen Angelegenheiten.

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B. Historische Grundlagen

steuerung unterlag,486 und den bäuerlichen Grundherrschaften, die ihren freien Status nicht aufgeben und sich dem landeshoheitlichen Herrschaftsanspruch des werdenden Klosterstaats Kempten weiterhin entziehen wollten.487 2. Die Kemptener Fürstabtei im Lichte von obrigkeitsstaatlichen Bestrebungen seit dem 15. Jahrhundert – der Allgäuische Gebrauch als zweischneidiges Schwert Der besondere Allgäuische Gebrauch, der den auf dem späteren reichs­ fürstlichen Staatsgebiet angesiedelten fremden Herrschaftsträgern und Leib­ herrn personalitätsbezogen die Gerichts-, Steuer- und Wehrhoheit unabhängig von einer bestimmten territorialen Zugehörigkeit eines Leibeigenen zuerkannte,488 war kein Relikt einer frühmittelalterlichen Personengerichts­ barkeit, sondern spiegelte vielmehr das grundsätzliche Problem der Organi­ sation herrschaftlicher Zuständigkeit in einem Raum wider, nachdem das Herzogtum Schwaben im 13. Jahrhundert untergegangen war und es seitdem keine zentralen bzw. regionalen Zuständigkeiten mehr gab.489 Das Fürststift Kempten war deshalb seit dem 15. Jahrhundert bestrebt, den im Allgäu vor­ herrschenden Gebrauch einer auf den bestimmten Leibeigenen oder Freizin­ ser bezogenen Zuständigkeit in Sachen der Gerichts-, Steuer- und Wehrhoheit Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 40. hierzu G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmit­ telalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; P. Blickle, Leib­ herrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur ge­ schichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff.; E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Sigmaringen 1972, S. 215 f., 227 f.; K.-H. Spieß, Lehn(s)recht, Lehnswesen, in: A. Er­ ler u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band II, Berlin 1978, Sp. 1737. 488  Siehe zum Allgäuischen Gebrauch R. Wiedemann, Der „Allgäuische Gebrauch“ einer Gerichtsbarkeit nach Personalitätsprinzip, Schriftenreihe zur Bayerischen Lan­ desgeschichte 11, München 1932, S. 1 ff.; K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Benediktinerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 5 ff.; P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstan­ des, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 18 ff.; J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstab­ tei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 178 ff. 489  J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 181. 486  L. Margraf, 487  Siehe



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten127

zurückzudrängen, um eine flächenstaatliche Landesherrschaft zu errichten.490 Das Ziel des klösterlichen Reichsfürstentums war die landesfürstliche Hoheit über ein unbegrenztes dominium, eine Souveränität über einen in sich ge­ schlossenen Herrschaftsraum.491 Dabei entpuppte sich der Allgäuische Ge­ brauch als zweischneidiges Schwert, weil er einerseits bekämpft werden musste, um die leibherrschaftlich bedingte Territorialhoheit über die Unterta­ nen zu erlangen, andererseits aber auch nützlich blieb, wenn es darum ging, Herrschaftsansprüche auf fremden Territorien zu begründen.492 Gleichzeitig blieb aber das von königlicher Seite im Jahre 1213 erlangte und schließlich im 14. Jahrhundert endgültig bestätigte Reichslehen hinsichtlich der Graf­ schaftsrechte als Ursprung einer königlich-weltlichen Legitimation das be­ stimmende Argument, wenn es darum ging, etwaige Streitigkeiten um Herr­ schaftsrechte zugunsten des entstehenden neuzeitlichen Klosterstaates Kemp­ ten und von dessen landesherrschaftlicher Etablierung zu beenden,493 so dass die bereits unter dem Fränkischen Kaiser Karl dem Großen durch das Instru­ ment der kirchlichen Immunität früh organisierte Reichsunmittelbarkeit der Abtei494 und die spätere königliche Regalienverleihung in der Form der 490  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17 ff. m. w. N.; J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 181 f. 491  P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S.  185 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stutt­ gart 1995, S.  17 ff. m. w. N. 492  J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S.  183 ff.; K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Bene­ diktinerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 5 ff.; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 191, der darauf ver­ weist, dass das Fürststift Kempten an seinen Besitzungen außerhalb der Grafschafts­ rechte wenig Interesse zeigte.; vgl. auch R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 27; vgl. auch M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 18 ff. m. w. N. 493  J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S.  185 f. 494  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 180 f. Zum Rechtsinstitut der kirchlichen Immunität G. v. Below, Der deut­

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B. Historische Grundlagen

Grafschaftsrechte die Entwicklung zu einer modernen Landesgewalt beför­ derten.495 Die obrigkeitsstaatlichen Tendenzen der neuzeitlichen Kemptener Fürst­ abtei lassen sich an bestimmten Entwicklungslinien aufzeigen, die für sich keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben können, aber ein plausibles Bild von der Entstehung einer frühmodernen Staatsordnung wiedergeben. Als wesentlicher Vorgang stellte sich zunächst die Stärkung der Zentralmacht dar, welche sich ab dem 16. Jahrhundert auf einen Hofrat stützte, der zukünf­ tig die Regierungsgeschäfte und die Verwaltung des Stifts zu bewerkstelligen hatte, und dem auch die im Jahre 1642 eingeführten und das Amt des Land­ vogts ersetzenden sieben Pflegämter als nachgeordnete Behörden, namentlich das Pflegamt diesseits der Iller mit Sitz in Kempten, das Pflegamt Hohen­ thann mit Sitz in der Burg Hohenthann, später dann im Dorf Lautrach, das Pflegamt Falken mit Sitz auf der Burg Falken, später dann exterritorial in der Stiftsstadt Kempten, das Pflegamt Liebenthann mit Sitz auf der Burg Lieben­ thann, später dann im Markt Obergünzburg, das Pflegamt Kemnat mit Sitz auf der Burg Kemnat, das Pflegamt Thingau mit Sitz im Markt Unterthingau sowie das Pflegamt Sulzberg und Wolkenberg mit Sitz zunächst auf der Burg Wolkenberg, dann im Dorf Lenzfried, zugeteilt waren, wobei die dezentrale Verwaltungsorganisation später noch um das Pflegamt Grönenbach ergänzt wurde.496 Nachdem die ersten fürstlichen Statute und damit Partikulargeset­ sche Staat des Mittelalters, Band I: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 1914, S. 253 ff.; im direkten Zusammenhang mit der Vogtei A. Waas, Vogtei und Bede in der deut­ schen Kaiserzeit, Band I, Berlin 1919, S. 99 ff., v. a. S. 117; A. Werminghoff, Ge­ schichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S.  223 f.; L. Santifaller, Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskirchen­ systems, Graz u. a. 1964, S. 25; W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geistlichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 2004 (90), 192, (199); zur fränkischen Reichsaufbaupolitik der Karolinger, zu welcher auch das königliche Instrument der kirchlichen Immunität zu zählen war, J. Dendorfer, Roncaglia: Der Beginn eines lehnrechtlichen Umbaus des Reiches?, in: S. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12.Jahrhundert, Regensburg 2010, S. 111 ff. 495  Vgl. J. Lang, Geschichte und Institutionen des katholischen und protestanti­ schen Kirchenrechts, Band I, Tübingen 1827, S. 135 ff.; A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S.  220 f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  7 ff.; B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S.  10 f. m. w. N.; H. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte – die katholische Kir­ che, 5. Aufl., Köln u. a. 1972, S. 498 f. 496  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; K. v. Andrian-Werburg, Das Territo­ rium des vormaligen fürstlichen Benediktinerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 7 ff., P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten,



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten129

zesakte bereits aus dem Jahre 1333 datierten,497 übten die Fürstäbte ab dem ausgehenden Mittelalter nun vermehrt das Recht der Gesetzgebung aus, wo­ mit durch entsprechende Normen auch die gesamtstaatliche Regelung von zivilrechtlichen Materien begann, indem Landesordnungen erlassen wurden, namentlich etwa die Gesetzeswerke von Fürstabt Georg von Grafenegg im Jahre 1562 und von Fürstabt Johann Erhard Blarer von Wartensee gegen Ende des 16. Jahrhunderts, mit denen das stiftkemptische allgemeine Civilund Strafrecht geregelt wurde.498 Auch die Gerichtsbarkeit nahm ab dem 15. Jahrhundert eine auf das ge­ samte Staatsgebiet bezogene Funktion einer Rechtsprechung unter Aufhe­ bung des nach dem Allgäuischen Gebrauch für die Gerichtsgewalt zuständi­ gen Adels ein, indem das Instrument des vertraglichen Austauschs von Leibeigenen mit fremden adeligen Herrschaftshäusern eingesetzt wurde, um die Untertanen auf dem eigenen Territorium der Gerichtsbarkeit unterwerfen zu können.499 Die Kemptener Fürstabtei beanspruchte für sich im 15. Jahr­ hundert weiterhin die Hochgerichtsbarkeit, die ein königliches Regal war und den Reichsfürsten seitens des Reiches im 13. Jahrhundert endgültig be­ stätigt worden war,500 wenngleich die hohe königliche Gerichtsbarkeit fak­ tisch bereits seit dem Ende des 12. Jahrhunderts in der Hand des Kemptener Abtes lag, womit die Reichsbelehnung mit den Grafschaftsrechten des Jahres Kempten 1989, S. 192 f.; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 29. 497  Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Alt­ stadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 351; vgl. auch zur ähnlichen landesherrschaftlichen Entwicklung im Fürstentum Fulda hinsichtlich des Gesetzgebungsrechts B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 15, 17. 498  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Regie­ rung Bände 5, fol. 30 f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 18; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S.  191 f.; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 29. 499  P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff., v. a. S. 9, 11; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 21. 500  P. Kreutz, Hochgerichtsbarkeit in Schwaben, publiziert am 21.06.2016, in: His­ torisches Lexikon Bayern; vgl. auch K.-F. Krieger, Die Lehenshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200–1437), Untersuchungen zur deutschen Staatsund Rechtsgeschichte 23, Aalen 1979, S. 265.

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B. Historische Grundlagen

1213 auch als deren Bestätigung angesehen werden konnte.501 Insoweit ist aber zwischen der vogteiherrlichen Blutgerichtsbarkeit und der gräflichen Königsgerichtsbarkeit zu unterscheiden, die zwar beide als Formen der Hochgerichtsbarkeit mit der Entstehung eines landeshoheitlichen Fürsten­ staates unter der Gerichtsherrschaft des Fürstabts als Landesfürsten standen, aber verschiedenen Entwicklungslinien und auch Zuständigkeiten folgten.502 Als Hochgericht für die vielen freien, d. h. nicht der Leibeigenschaft unter­ worfenen, Bauern, fungierte im hohen Mittelalter zunächst das kaiserliche Landgericht der Grafschaft Kempten als Freiengericht in bürgerlich-recht­ lichen Angelegenheiten, das aber auch die Blutgerichtsbarkeit ausübte, wäh­ rend die stiftischen Hörigen und Leibeigenen dem obersten fürstlichen Hof­ gericht bzw. den niedereren Hofgerichten des Landammanns, später dann den acht Pflegämtern, dem Obervogteiamt hinsichtlich der Herrschaft Bins­ wangen und dem Sankt Mangischen Patrimonialgericht über die Reichsvog­ teien Aitrang und Gaisenried unterstanden, die auch für Sachen der klöster­ lichen Grundherrschaften zuständig waren.503 Die Kompetenzen des Hofge­ richts wurden dabei mit Zustimmung des Kaisers zunächst auf die Dorfge­ richte übertragen, welche vom Abt auch ermächtigt werden konnten, den Blutbann auszuüben, wobei für das hohe Mittelalter auch noch ein Kemptener Vogteigericht überliefert ist, das ab dem Jahre 1455 auch die Hochgerichts­ barkeit innehatte.504 Daneben gab es ein zentrales Lehensgericht, das in An­ gelegenheiten um Lehen urteilte.505 Die eigentliche Reform des Kemptener Gerichtswesens und die damit verbundene territoriale Ausdehnung fiel aber in das 15. Jahrhundert, als die Zuständigkeiten seitens der Fürstäbte auf fünf Marktgemeinden, namentlich Obergünzburg, Buchenberg, Legau, Unterthin­ gau und Martinszell, übertragen wurden, nachdem noch im 14. Jahrhundert das Stadtgericht von Kempten als vogteiherrliches Blutgericht in Kriminal­ fällen agiert hatte.506 Den eigentlichen Hintergrund der entstehenden dezen­ tralen Gerichtsorganisation bildete der Umstand, dass das Fürststift Kempten 501  Vgl. L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  7 f., 15 ff. 502  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 52. 503  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 16 f., 52 f., 89; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stutt­ gart 1995, S.  24 f. m. w. N.; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwal­ tung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 504  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  25 f. m. w. N. 505  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 506  Siehe P. Kreutz, Hochgerichtsbarkeit in Schwaben, publiziert am 21.06.2016, in: Historisches Lexikon Bayern; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten131

im Jahre 1495 von königlicher Seite das Recht verliehen bekommen hatte, von nun an in allen seinen Gerichten durch den zuständigen Landvogt die Hochgerichtsbarkeit auszuüben.507 In dem Prozess des Aufbaus eines Netzes stiftischer Dorfgerichte als Niedergerichte kann letztlich die Absicht des Fürststifts Kempten gesehen werden, den Allgäuischen Gebrauch weiter zu­ rückzudrängen.508 Die Gerichte der Kemptener Fürstabtei, die sich aus der Vogteihoheit entwickelten, standen in Konkurrenz zu dem kaiserlichen Land­ gericht, das an die Stelle des ehemaligen Grafengerichts getreten war und als Freiengericht in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten wie auch für die aus der Grafengewalt folgende Blutgerichtsbarkeit zuständig war,509 womit die ge­ samtterritorialstaatliche Gerichtsbarkeit aber nicht geschwächt, sondern viel­ mehr untermauert und ausgebaut wurde, nachdem dem entstehenden Fürst­ stift Kempten ab dem 13. Jahrhundert die Grafschaftsrechte als Reichslehen verliehen worden waren.510 Die Tätigkeit des kaiserlichen Landgerichts kann treffend mit dem Spruch „Campidona sola judicat ense et stola“ beschrieben werden, wonach die Kemptener Abtei trotz der Bindungen des kanonischen Rechts als einziger Vertreter der geistlichen Reichsstände auch über das Blut richtete.511 Als Gerichtsverfassungsgesetz für die Regierung als höchste Jus­ tizinstanz galt die Höchfürstliche Kemptische Hofraths-Ordnung, die am 28.02.1735 bekanntgemacht worden war, während die Zuständigkeiten der niedereren Gerichte des Stifts durch die spätere Pflegamtsordnung bestimmt waren.512 Das Hofgericht war die höchste Justizinstanz des Landes, in wel­ Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 17. nur P. Kreutz, Hochgerichtsbarkeit in Schwaben, publiziert am 21.06.2016, in: Historisches Lexikon Bayern. G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotter­ weich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 192 f. 509  F. Eggmann, Geschichte des Illerthales: verbunden mit jener des ehemaligen Illergaues, so wie des anstoßenden All- und Niebelgaues; ein Beitrag zu der Ge­ schichte Oberschwabens, Ulm 1862, S. 233 f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 52 f., 78 ff., 86 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 24 m. w. N.; J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 206; P. Kreutz, Hochgerichtsbarkeit in Schwaben, publiziert am 21.06.2016, in: Histori­ sches Lexikon Bayern. 510  Vgl. L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 52; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 24. 511  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  24 m. w. N. 512  Höchfürstliche Kemptische Hofraths-Ordnung, in: J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einlei­ 507  L. Margraf, 508  So

132

B. Historische Grundlagen

chem der Fürstabt mit sonstigen Mitgliedern der Regierung, namentlich dem Regierungspräsidenten, dem Hofkanzler sowie einigen geheimen Hof- und Regierungsräten, insbesondere in Appellationssachen, die von den niederen Gerichten oder von dem Landgericht an das Hofgericht gingen, Recht sprach.513 Auch insoweit war deshalb eine Zentralisierung der Staatsgewalt zu beobachten, wenngleich eine Trennung der Exekutive zu einer unabhängi­ gen Justiz noch nicht vorhanden war.514 Dagegen wurden die vogteiische Gerichtsbarkeit des der niederen Instanz angehörenden Landammanns wie auch diejenige des kaiserlichen Landgerichts ohne Beteiligung des Fürstabts ausgeübt.515 Das Hofgericht war mitunter sachlich unmittelbar in erster In­ stanz zuständig bei Prozessen, welche die Hofkammer und damit das Finanz­ wesen betrafen, in Polizei- und Handwerkssachen, in Gant- und Prioritätssa­ chen, bei der Aburteilung aller schwerer Angriffe auf Religion, Staatsgewalt, Staatssicherheit und -autorität wie Verleumdungen des Abtes und seiner Räte, bei Verletzungen des Territoriums, bei Aufruhr, Siegelbruch, Gotteslästerung, Ehebruch, Raub, Diebstahl und Tötungsdelikten, wobei dem Hofgericht auch sonstige Fälle der criminalia vorbehalten blieben.516 Dabei galt aber im Fürststift Kempten bereits der Grundsatz, wonach die Zuständigkeiten der niederen Gerichte nicht übergangen werden sollten.517 Die Urteile des Hof­ gerichts unterlagen ab einer bestimmten Beschwerdesumme bzw. auch bei­ spielsweise bei schweren Verfahrensverstößen einer weiteren Überprüfung durch das Reichskammergericht bzw. den Reichshofrat, womit sich die lan­ desgerichtliche Justiz einer privilegia de non evocando et non appellando entzog.518 War die Anrufung einer Reichsgerichtsinstanz nicht möglich, blieb die Revision gegen den Gerichtsentscheid durch den Fürstabt selbst und wei­ tere Beamte, die regelmäßig in dem Regierungspräsidenten und dem Hof­ kanzler bestanden.519 Das kaiserliche Landgericht Kempten, in dem ein freier Mann als Richter die Spruchpraxis betrieb, stand dagegen noch bis in das 15. Jahrhundert in Konkurrenz zu dem für den gesamten oberschwäbischen Raum zuständigen schwäbischen Landgericht, die aber durch entsprechende tung dazu, Stift Kempten 1793, S. 1 ff. (Nro. I); L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 20 ff. 513  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 53 f., 57. Ausführlich zur inneren Geschäftsordnung des Hofgerichts L. Margraf, ebd., S.  54 ff. 514  Vgl. L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  53 f., 57. 515  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 53. 516  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 58 f. 517  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 59. 518  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 70. 519  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 70 f.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten133

Verträge des Stifts mit dem Deutschen Kaiser im Sinne einer obrigkeitsstaat­ lichen Entwicklung des Fürststifts Kempten in der frühen Neuzeit endgültig abgeschüttelt wurde.520 Das fürstlich-kemptener Gerichtswesen zeigte daher insgesamt seit der frühen Neuzeit eine auf das gesamte Staatsgebiet bezo­ gene landeshoheitliche Rechtsprechung auf, die den Allgäuischen Gebrauch überwunden hatte und eine in sich vollkommene Justiz verkörperte, wenn­ gleich diese trotz eines umfassenden Instanzenzuges und des anerkannten Grundsatzes einer mündlichen Verhandlung521 noch hinter dem rechtsstaatli­ chen Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zurückblieb.522 Ähnliche gebietsbezogene Maßnahmen der reichsfürstlichen Obrigkeiten zeigten sich im Bereich des Lehenswesens, dem von seiner Rechtsnatur die mittelalterliche gesellschaftliche Ordnung des Feudalismus immanent war.523 Das Lehensrecht muss als dynamisches Moment für die Bildung der sich allmählich entwickelnden einzelstaatlichen Territorialhoheiten und insoweit als eines der wesentlichen Substrate der entstehenden Landesgewalten ange­ sehen werden, das letzten Endes mit weiteren Elementen wie der Grund- und Bannherrschaft, der Hoch- und Niedergerichtsbarkeit, der Grafengewalt, der Vogtei oder sonstigen königlichen Regalien die Grundlage der entstehenden Landesherrschaften ausmachen konnte.524 Auf dem Gebiet des Lehenswesens kam es in der Kemptener Fürstabtei seit dem 15. Jahrhundert durch den ver­ traglichen Austausch von Leibeigenen als Hörige fremder Adelsfamilien und die damit einhergehende gebietseigene Integration525 sowie durch den gegen Ende des Mittelalters erfolgenden und die späteren Bauernbefreiungskriege 520  L. Margraf,

83.

Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 79 f.,

Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 90. L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 53 f., 57. Siehe insoweit auch zur Rolle des Landrichters Treuchtlinger im Hexen­ prozess um Anna Maria Schwägelin M. Panzer/E. Prößl, Anna Maria Schwägelin (1729–1781) – Verurteilte im letzten Hexenprozess auf deutschem Boden, in: Bayerns Töchter, München 2015, S. 264 f. 523  W. Reinhard, Die Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 212. Zur gesellschaftspolitischen Einordnung des mittelalterlichen Lehenswesens J. Dendorfer, Was war das Lehenswesen? – Zur politischen Bedeutung der Lehensbindung im Hochmittelalter, in: E. Schlotheuber (Hrsg.), Denkweisen und Lebenswelten des Mittelalters, München 2004, S. 43 ff. 524  So nur H. Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalter­ lichen Verfassungsgeschichte, Nachdruck der 1. Auflage von 1933, Darmstadt 1974, S. 449 f.; vgl. auch W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 56. 525  P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S.  6 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilis­ mus, Stuttgart 1995, S. 21. 521  L. Margraf, 522  Vgl.

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B. Historische Grundlagen

mitverursachenden Versuch, die zahlreichen freien Bauern in den Stand von Leibeigenen des Stifts zu degradieren,526 was aber im Ergebnis nur bedingt gelang,527 zu einer seit dem 16. Jahrhundert trotz vereinzelt weiterhin beste­ hender fremder Leibherrschaften auf dem reichsfürstlichen Territorium auch in ihrer Substanz zunehmend territorialhoheitlichen Lehensstruktur, die als förderlichstes Machtinstrument der entstehenden weltlichen Landesgewalt des Fürststifts Kempten angesehen werden konnte und seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auch zu einem finanzpolitischen Ansatzpunkt der auf eine Regulierung der defizitären Finanzkraft des Stifts gerichteten Bestrebungen wurde.528 Das Lehenswesen, das sich im Mittelalter mehr oder weniger noch als loses Herrschaftsinstrument dargestellt hatte, um in erster Linie militäri­ sche Kriegsdienste erhalten und Allianzen wie Bündnisse eingehen zu kön­ nen, wurde in der frühen Neuzeit schließlich zu einem obrigkeitsstaatlichen Machtmittel, welches das Wachstum und auch das Finanzwesen der entste­ henden frühmodernen Staaten unterstützen konnte, indem die finanzhoheit­ liche Belehnung gegen Abgaben in den Vordergrund trat.529 Um dieses Ziel im Fürststift Kempten zu erreichen, musste aber der Allgäuische Gebrauch seitens der klösterlichen Landesherrschaft weiter zurückgedrängt werden, um die gebietsbezogene Dispositionshoheit über die nun auf dem fürststiftischen Territorium ansässigen Untertanen erlangen und eine entsprechende Staatsge­ walt aufbauen zu können.530 Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Kemptener Fürstabtei im Sinne einer obrigkeitsstaatlichen 526  J. Goetze, Ein Appellationsprozeß vor dem kaiserlichen Kammergericht 1473/74. Zur Geschichte der Herrschaftsintensivierung der Fürstäbte von Kempten, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1975 (38), 486, (501 f.); S. Sugenheim, Geschichte der Aufhebung der Leibeigenschaft und Hörigkeit in Europa, St. Peters­ burg 1861, S. 364 f. mit S. 365 Fn. 2. 527  Vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stutt­ gart 1995, S.  17 f. m. w. N. 528  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (56); ders., Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spät­ mittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff.; vgl. auch M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stutt­ gart 1995, S. 17 ff.; E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalter­ lichen Lehenswesen, Sigmaringen 1972, S. 215 f., 227 f.; K.-H. Spieß, Lehn(s)recht, Lehnswesen, in: A. Erler u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsge­ schichte, Band II, Berlin 1978, Sp. 1737. 529  T. Mayer, Geschichte der Finanzwissenschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. Gerloff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, Band I, Tübingen 1952, S. 236 ff., v. a. S. 244 ff. 530  Vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stutt­ gart 1995, S.  18 ff. m. w. N.



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Landeshoheit später in der Folge der Obsoleszenz der niederadeligen Ritter­ schaft als Ausdruck der überkommenen mittelalterlichen Kriegsverfassung über eine eigene Landwehr verfügte, die im Jahre 1732 mit 534 Reitern und 3.776 Mann Fußvolk ausgestattet war, wobei sowohl die Rekrutierung als auch der Status innerhalb der Armee von der Größe des lehens- bzw. grund­ herrschaftlichen Grundbesitzes und damit von der materiellen Dimension des verliehenen Guts abhängig waren.531 Besonders anschaulich wurden die Bestrebungen der Fürstäbte, die im Be­ reich der Grafschaft Kempten angesiedelten Menschen ihrer landesherrschaft­ lichen Steuerhoheit zu unterwerfen und damit gebietsbezogen über sie zu ver­ fügen, im Rahmen eines Appellationsprozesses vor dem kaiserlichen Reichs­ kammergericht in den Jahren 1473/74, mit dessen höchster Zuständigkeit bei zivilrechtlichen Entscheidungen die landesgerichtliche Justiz der Kemptener Fürstabtei einer privilegia de non evocando et non appellando entzogen war.532 Es handelte sich hierbei um ein Appellationsverfahren, in dessen Rahmen drei kemptener Untertanen gegen ein erstinstanzliches Urteil des Hofgerichts in Rottweil vorgegangen sind, nachdem einer von Fürstabt Johann I. von Wernau angestrengten Klage gegen die Brüder wegen einer Verletzung des Eigentums­ rechts stattgegeben worden war.533 In sachlicher Hinsicht ging es um die Frage, ob sich die drei Untertanen der Herrschaft des Fürstabts entziehen konnten, weil sie sich von ihrem fremden Leibherrn Jahre zuvor freigekauft hatten, während die reichsfürstliche Autorität den Standpunkt vertrat, dass es sich um Freizinser handelte, die gegenüber dem Kloster „abschweiffig“ waren und deshalb das kirchliche Eigentumsrecht beeinträchtigt haben. Der anwalt­ liche Vertreter der Kemptener Fürstabtei trug zudem vor, dass es sich bei dem in Streit stehenden Grund und Boden um ein Lehensgut des Klosters handel­ te.534 Eine abschließende Entscheidung ist in der Sache nicht ergangen. Der Fall zeigt aber auf, dass die Fürstäbte das Hoheitsrecht über das Stiftsgebiet beanspruchen wollten und Dispositionen von fremden Herrschaften auf dem Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 14 f. Ein niederdeutscher Kammergerichtsprozess von 1525 – Beitrag zum Problem der rechtsgeschichtlichen und wirtschaftsgeschichtlichen Auswertung der Reichskammergerichtsakten, Göttingen 1969, S. 6; J. Goetze, Ein Appellationsprozeß vor dem kaiserlichen Kammergericht 1473/74. Zur Geschichte der Herrschaftsintensi­ vierung der Fürstäbte von Kempten, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1975 (38), S. 486. 533  J. Goetze, Ein Appellationsprozeß vor dem kaiserlichen Kammergericht 1473/74. Zur Geschichte der Herrschaftsintensivierung der Fürstäbte von Kempten, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1975 (38), 486, (487 ff.). 534  Den gesamten Prozess vor dem Reichskammergericht zusammenfassend J. Goetze, Ein Appellationsprozeß vor dem kaiserlichen Kammergericht 1473/74. Zur Geschichte der Herrschaftsintensivierung der Fürstäbte von Kempten, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1975 (38), 486, (487 ff.). 531  L. Margraf, 532  E. Pitz,

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B. Historische Grundlagen

Territorium der fürstlichen Abtei nicht mehr dulden wollten.535 Der Allgäui­ sche Gebrauch hatte sich überdauert und musste nun einem obrigkeitsstaat­ lichen Verständnis im Sinne einer Landeshoheit der Kemptener Fürstabtei Platz machen.536 Davon ausgenommen blieben aber bis zuletzt eigene inter­ ventionistische Versuche des Fürststifts Kempten, neues Territorium von sons­ tigen Herrschaften bzw. entsprechende weitere Rechte zu erwerben.537 Hier blieb der Allgäuische Gebrauch als Argument für den neuzeitlichen Kloster­ staat Kempten brauchbar, womit er vor dem Hintergrund der neuzeitlichen landeshoheitlichen Entwicklung der Kemptener Fürstabtei hin zu einem insti­ tutionellen Flächenstaat, der über ein geschlossenes Gebiet herrschte,538 zu einem zweischneidigen Schwert mutierte.539 3. Absolutistisch-despotische Alleinherrschaft in prunkvoll-majestätischem Glanz und merkantilistische Wirtschaftspolitik im Fürststift Kempten des 17. und 18. Jahrhunderts Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war die Existenz von zahlreichen Fürstbistümern, Reichsabteien bzw. -stiften, d. h. von geistlichen Herrschaften, die neben dem Krummstab auch das Schwert führten, ein kon­ stitutives Moment der reichseinheitlichen Verfassung.540 Die Kemptener 535  Vgl. J. Goetze, Ein Appellationsprozeß vor dem kaiserlichen Kammergericht 1473/74. Zur Geschichte der Herrschaftsintensivierung der Fürstäbte von Kempten, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1975 (38), 486, (501 f.). 536  Vgl. J. Goetze, Ein Appellationsprozeß vor dem kaiserlichen Kammergericht 1473/74. Zur Geschichte der Herrschaftsintensivierung der Fürstäbte von Kempten, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1975 (38), 486, (501); P. Blickle, Leibherr­ schaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtli­ chen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 18 ff. m. w. N. 537  J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S.  183 ff. 538  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 18 ff. m. w. N.; vgl. auch B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 15, 23 m. w. N. 539  J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S.  183 ff.; K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Bene­ diktinerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 5 ff. 540  H. Röckelein/D. Schiersner, Eine neue Sicht auf den Geistlichen Staat der Frü­ hen Neuzeit, in: dies. (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germa­



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Fürstabtei war deshalb keine Ausnahme, sondern der Fürstabt als geistlicher Vertreter Gottes und weltlicher Herrscher war Teil eines Strukturmoments, das sich über die erhobenen persönlichen Virilstimmen auf den Reichstagen im Reichsfürstenrat bzw. auch über gemeinsame Voten auf der Bank der schwäbischen Reichsprälaten bis auf die reichspolitische Ebene bemerkbar machte, wobei die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln als Mitglieder des Kurfürstenkollegiums einen besonderen Einfluss auf die Reichspolitik sowie die innere Organisation und Verwaltung des Reiches innehatten.541 Die neu­ zeitlichen katholischen Fürstbischöfe und -äbte, die ab der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg regelmäßig selbst aus Herrschaftshäusern kamen, sa­ hen grundsätzlich keinen Widerspruch zwischen dem geistlichen Amt und der Ausübung weltlicher Herrschaft.542 Ihre Aufgabe bestand zunächst in ih­ rem geistlichen Auftrag, von der Kanzel aus das Wort Gottes zu predigen und sich fürsorgend für die Menschen als eine Art Seelsorger zu betätigen, um auf diese Weise auf ein Leben gemäß den Lehren des Katholizismus hinzuwirken.543 Dies hinderte die regelmäßig gewählten Kirchenvorsteher aber nicht, sich ihrer gehobenen Stellung als Vertreter der Germania Sacra bewusst zu sein, die einerseits als Fürsten eine besondere Stellung innerhalb der Kurie einnahmen, andererseits aber auch gegenüber dem Deutschen Kai­ nia Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, Einleitung; W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geist­ lichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonis­ tische Abteilung 2004 (90), 192, (201); L. Santifaller, Zur Geschichte des ottonischsalischen Reichskirchensystems, Graz u. a. 1964, S. 23 f., 37 ff. 541  Siehe J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Mün­ chen 1933, S. 199; H. Röckelein/D. Schiersner, Eine neue Sicht auf den Geistlichen Staat der Frühen Neuzeit, in: dies. (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, Einleitung; W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geistlichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 2004 (90), 192, (204 f.). Siehe zum Kurfürstenkollegium ­K ­ .-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 281 ff.; vgl. A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichsfürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 553, 555. 542  Siehe B. Braun, Fürstbischöfe nach 1648. Geistliches Profil und weltliches Selbstverständnis, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S.  27 ff.; A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichsfürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 553, 555; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), S. 43 ff. 543  W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geistlichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 2004 (90), 192, (197 f., 200).

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B. Historische Grundlagen

sertum weniger abhängig waren.544 Zwar waren auch die fürstlichen Bischöfe bzw. Äbte in römisch-katholischen Weihen bei ihren politischen Entschei­ dungen und Handlungen nicht unbeschränkt, sondern sie waren an die katho­ lische Glaubenslehre545 und die übergeordneten rechtlichen Vorgaben des Papsttums insbesondere in der Form von Dekreten, unter dem Vorbehalt der Reichweite von päpstlichen Exemtionsprivilegien an bischöfliche Verfügun­ gen und Leitlinien wie auch der Kemptener Fürstabt mit Blick auf den von päpstlicher Seite bestätigten exemten Status aus dem Jahre 1483546 an die entsprechenden Kirchenverfassungen der Diözesen des Bistums Augsburg und des Bistums Konstanz, an Vorgaben eines Konvents, der wie auch im Falle der Kemptener Abtei in wesentlichen inneren Angelegenheiten ein Mit­ spracherecht besitzen konnte, zudem in moralischer Hinsicht aber auch an ihren legitimierenden Wahlauftrag und die damit verbundene Pflicht zur Lo­ yalität gegenüber den Wählern bzw. Kapitularien sowie abstammungsbedingt auch an etwaige familiäre bzw. herrschaftshäusliche Interessen gebunden.547 Dies änderte aber nichts an dem gelebten Selbstverständnis der geistlichen Fürsten, ihre Macht territorial zu behaupten und zu festigen bzw. auch an der Politik des Reiches insbesondere über den Einfluss im Reichsfürstenrat mit­ zuwirken.548 In diesem Sinne waren die mit einem Krummstab ausgestatteten 544  B. Braun, Fürstbischöfe nach 1648. Geistliches Profil und weltliches Selbstver­ ständnis, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 30. 545  Zur katholischen Glaubenslehre M. Hagel, Handbuch der katholischen Glau­ benslehre für denkende Christen, Augsburg 1838, S. 115 ff., 135 ff., 227 ff. 546  Hierzu J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Mün­ chen 1933, S. 131 f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 91, 97 f.; D. Willoweit, Das landesherrliche Kirchenregiment, in: K. Jeserich u.  a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band II, Stuttgart 1983, S. 365; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (43 f.); ders., Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 91 f.; H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tridenti­ num, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 57 f.; vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 263 ff. 547  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 91 ff., 97 ff.; H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tri­ dentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S.  47 ff.; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), S. 43. 548  B. Braun, Fürstbischöfe nach 1648. Geistliches Profil und weltliches Selbstver­ ständnis, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u.  a. 2018, S.  27 ff.; A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichs­ fürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 553, 555;



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten139

fürstlichen Regenten zwar regelmäßig keine Kriegsherren,549 dagegen aber stets geübte Diplomaten im Namen und mit dem Segen Gottes, der implizit die Ausübung der landeshoheitlichen Macht nach dem Vorbild absolutistischmonarchischer Herrschaftsformen und Traditionen legitimieren konnte.550 Die Predigt von der Kanzel im Namen Gottes und die sakral legitimierte weltliche Herrschaft, die zudem grundsätzlich durch die Wahl durch ein geistliches Gremium begründet war, führten zu einem fürstlichen Herr­ schaftsanspruch, dem gleichzeitig das Prinzip der Gnade zugrunde lag.551 Im werdenden Klosterstaat Kempten ergab sich die Legitimation der monarchi­ schen Herrschaft aus der Stellung des Fürstabts als Reichsfürst, der zudem durch die päpstlich bestätigte Wahl durch das Kapitel unmittelbar geistlich legitimiert war,552 womit gleichsam die fürstliche Herrschaft vor dem Abbild des göttlichen Fundus eine absolutistisch-theokratische Rechtfertigung er­ hielt, so dass insgesamt aus der Symbiose aus weltlichem Reichsfürstenstatus und göttlicher Berufung als Stellvertreter Christi auf Erden eine besondere Personifizierung im Sinne einer auctoritas dei in der Person des Fürstabts als gnädigem Herrn entsprang.553 Hinzu kam insbesondere noch eine bis zur Auflösung des Fürststifts Kempten im Jahre 1803 fortlebende patrimoniale Legitimation, indem der Fürstabt als Obereigentümer über die liegenden Güter auf dem stiftischen Hoheitsgebiet bis zuletzt seine disponierende Be­ fehlsgewalt erhob.554 G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), S.  43 ff.; ders., Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S.  339 m. w. N.; vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 199; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 101; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmit­ telalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 549  Es gab aber vereinzelt Ausnahmen von Vertretern des Episkopats, die auch als Kriegsherren fungierten; vgl. W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geist­ lichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonis­ tische Abteilung 2004 (90), 192, (198 ff.). 550  Vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3.  Aufl., München 2002, S.  259 ff., 370 ff. 551  Vgl. zur „gnädigen Herrschaft“ StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2 f. 552  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 98, 100 f. 553  Siehe zu den Legitimationselementen geistlicher Fürstenherrschaft S. Burkhardt, Mit Stab und Schwert, Ostfildern 2008, S. 143 ff., 176 ff. 554  Siehe hierzu das gesetzliche Regime hinsichtlich der liegenden Güter in der späteren Zeit des Fürststifts Kempten bei G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemei­ nen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abän­

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B. Historische Grundlagen

Mit dem Anspruch auf eine fürstliche Kirchenherrschaft in Gottes Gnaden ist der im Rahmen des monarchischen Diskurses referierte Bezug auf einen souveränen Monarchen und seine Herrschaft angesprochen, weil es bis in das 18. Jahrhundert genau genommen einen Staat als abstrakter Hyperinstitution noch nicht gab,555 wenngleich der spätere moderne Staat ohne die staats­ theoretischen Fundierungen eines Jean Bodin mit seinem Begriff der Souve­ ränität oder eines Thomas Hobbes mit seinem Leviathan als einer künstli­ chen, übergeordneten und allmächtigen Institution gegenüber den natürlichen Menschen nicht gedacht werden kann.556 Als der Staat aber im aufgeklärten Zeitalter des 18. Jahrhunderts als funktionale Einheit verstanden wurde, die von dem Fürsten zu abstrahieren war, entstand das Bild eines Monarchen, der ein Amt ausübte, wonach nun auch eine Entsakralisierung der Herrscher­ rolle einherging, welche die Legitimationsquelle des Gottesgnadentums über­ flüssig erscheinen ließ.557 Auch wenn dieser Gedanke bei einer geistlichen Herrscherpersönlichkeit wie dem Fürstabt des Stifts Kempten558 nur begrenzt zur Anwendung kommen kann, so stand aber gerade auch die Kemptener Fürstabtei im Zeichen von demokratischen Vorboten wie einer Rechte der bäuerlichen Untertanen einfordernden Landstandschaft559 zunehmend im Lichte zeitbedingter und später dann durch das Gedankengut der europäi­ schen Aufklärung verursachter Legitimitätseinbußen, die sie anderweitig auszugleichen hatte.560 Die neuzeitlichen Fürstäbte des Fürststifts Kempten standen deshalb in ihren absolutistischen Bestrebungen,561 die reichsrechtlich

dernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 111. Zur patrimonialen Staatstheorie G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1920, S. 199 ff.; H. Kelsen, All­ gemeine Staatslehre, Wien 1925, S. 332 f. 555  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 122. 556  Siehe hierzu W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3.  Aufl., München 2002, S.  109 ff. 557  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 122 f. 558  Vgl. K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Bene­ diktinerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 5; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 m. w. N. 559  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für baye­ rische Landesgeschichte 1967 (30), S. 201 ff.; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (47); T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurberei­ nigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (29). 560  Vgl. W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayeri­ sche Landesgeschichte 1991 (54), S. 239 ff.; T. Horst, Historische Aspekte der Kemp­ tener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (29). 561  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 20, 25.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten141

begründete Landeshoheit zu festigen,562 im weltlichen Geiste der sonstigen Fürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.563 Es galt inso­ weit für den Kemptener Klosterstaat, den Status als Reichsfürstentum zu behaupten, weshalb Regierung und Verwaltung leistungsstark ausgebaut und territoriale Fremdherrschaften weiter eliminiert werden mussten.564 Eine Le­ gitimitätsreserve brachten andererseits das Lehenswesen und die sonstigen Verleihungsformen an liegenden Gütern, weil – von den zahlreichen freien Bauerngütern abgesehen – der Grund und Boden bis zur Auflösung des Stifts im Jahre 1803565 weitgehend herrschaftlich blieb und zu Rechtsgeschäften hinsichtlich der Immobiliargüter daher noch regelmäßig die Zustimmung des Obereigentümers, d. h. des Stifts, welchem der Fürstabt vorstand,566 einge­ holt werden musste.567 Vor dem theoretischen Hintergrund des monarchischabsolutistischen Selbstverständnisses der Fürstäbte des Stifts Kempten ab dem 17. Jahrhundert568 soll hier deshalb nun der Versuch unternommen werden, die absolutistischen Elemente der Herrschaften herauszufiltern, wo­ bei spätere aufgeklärtere Ansätze auch im konservativen bzw. restaurativen Licht der kirchlichen Lehren zu interpretieren sind. Die Herrschaftsform einer monarchisch-absolutistischen Regentschaft bis hin zur Despotie in der Kemptener Fürstabtei wurde wie von keinem anderen von dem Fürstabt Roman Giel von Gielsberg, regierend von 1639–1673, re­ 562  Vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stutt­ gart 1995, S.  18 ff. m. w. N.; B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 10 f. m. w. N. 563  Vgl. B. Braun, Fürstbischöfe nach 1648. Geistliches Profil und weltliches Selbstverständnis, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S.  27 ff.; A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichs­ fürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 553, 555. 564  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 199; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 36. 565  Siehe zur Auflösung der Kemptener Fürstabtei den Beitrag von F.-R. Böck, Die Säkularisation des Fürststifts Kempten, in: B. Kata u.  a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 391 ff. 566  Vgl. nur M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 31 f. 567  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII ff.; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 285. 568  Vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stutt­ gart 1995, S. 20, 25.

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B. Historische Grundlagen

präsentiert.569 Nachdem das Marienmünster den Zerstörungen und Verwüs­ tungen des Dreißigjährigen Krieges zum Opfer gefallen war, sollte unter ihm die fürstliche Residenz und die Pfarr- und Stiftskirche St. Lorenz in baro­ ckem Glanz als Ausdruck der katholischen Reform und des fürstlich-kempte­ ner Absolutismus erscheinen, um dem erlangten Status eines Reichsfürsten­ tums angemessenen Glanz zu verleihen.570 Dort befand sich fortan auch der Sitz des Hofes des Klosterstaates Kempten als politisches, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum inmitten der später auch kaiserlich privilegierten Stiftsstadt.571 Der absolutistisch in Gottes Gnaden regierende Fürstabt sah sich dabei als machtvollkommener Herrscher, der, von seinen Bauplänen auch hinsichtlich weiterer Vorhaben in der direkten Umgebung der Residenz besessen und unduldsam, bis zur Tyrannei gegen seine Untertanen handelte, die sich als Leibeigene „auch gefallen lassen müssten, wenn man ihnen den Leib aufschneide, die Eingeweide herausnehme und die Füße in sie hinein­ stelle.“572 Folglich wurden sie zu erheblichen Frondiensten sowie Steuer- und Abgabeleistungen verpflichtet.573 Dies führte letztlich im Jahre 1664 zu einer an den Fürstabt adressierten Bittschrift der Untertanen, die aber seitens des geistlichen Würdenträgers abgelehnt wurde, so dass die seit den Bauernkrie­ gen um das Jahr 1500 entstandene Landstandschaft als ständische Vertretung der bäuerlichen Untertanen bei einer kaiserlichen Kommission intervenieren musste, welche die gegen die Obrigkeit des Fürstabts eingereichte Be­ schwerde als gerechtfertigt ansah.574 Die fürstliche Willkürherrschaft und der unbändige Reformeifer des Fürstabts Roman Giel von Gielsberg führten auch zu Spannungen innerhalb der Stiftsverwaltung, die sogar mit Gewalt 569  Vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Kemp­ ten 1933, S. 136 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilis­ mus, Stuttgart 1995, S. 45 f. 570  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  136 ff.; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Ge­ schichtsfreund 2000 (100), 43, (47, 56); W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 238, 240 f.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 42 ff. 571  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (51 f.); W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppel­ stadt (1694–1836), München 1998, S. 238 ff. 572  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Kempten 1933, S.  136 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 45 f. 573  Siehe nur J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Kempten 1933, S. 136 ff. (Zitat auf S. 139); M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 45 f. 574  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 139; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 46.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten143

gegen Kapitulare des eigenen Stifts einhergingen.575 Nachdem daraufhin Klagen auf Suspension bzw. Absetzung des eigenwilligen Fürstabts Roman Giel von Gielsberg beim Kaiser und Papst angebracht worden waren, wurde als Kompromisslösung im Jahre 1669 mit dem später im Jahre 1672 dann mit der Kardinalswürde verehrten Bernhard Gustav von Baden-Durlach ein Administrator und Koadjutor bestellt, der nach dem Tod des despotischen Alleinherrschers auf dem Stuhl des reichsfürstlichen Kemptener Abtes im Jahre 1673 Nachfolger von Roman Giel von Gielsberg wurde.576 Mit Kardinal Bernhard Gustav von Baden-Durlach, amtierend von 1673– 1677, kam dagegen ein den christlichen Tugenden verpflichteter Kirchen­ mann in das Stift, der gerade auch deshalb bereits früh zum Nachfolger des absolutistisch-despotischen Regenten Roman Giel von Gielsberg auserkoren war.577 Der Kardinal aus Baden-Durlach bemühte sich um den weiteren Aus­ bau der um das Stift gelegenen Siedlungen zu einer Stadt, weshalb er insbe­ sondere versuchte, Handwerker und Gewerbe in die fürstliche Abtei Kempten zu locken und dort ansässig zu machen, indem er als staatliche Vorleistung den ökonomischen und organisatorischen Unterbau für eine entstehende Wirtschaft entwickelte.578 Ganz im merkantilistischen Sinne sollten nach seinen Regierungsanweisungen im Fürststift Kempten hergestellte Güter und Erzeugnisse in erster Linie der eigenen Wirtschaft zugutekommen, so dass diese erst zu einer Ausfuhr zugelassen wurden, nachdem sie dreimal an stif­ 575  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  142 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 47 f.; vgl. auch H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tridentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürsten­ glanz, Augsburg 1998, S. 58 f. 576  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  145 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 47 ff.; A. Rübsam, Kardinal Bernhard Gustav – Markgraf von Ba­ den-Durlach, Fürstabt von Fulda 1671–1677, in: Quellen und Abhandlungen zur Ge­ schichte der Abtei und der Diözese Fulda, Fulda 1923, S. 50 ff.; K. Oesterle, Ein Kardinal aus Durlach – Konfession und Karriere in der frühen Neuzeit, Badische Heimat 2009, (89), 215, (219 ff.); F. Bautz, Biographisch-bibliographisches Kirchen­ lexikon, Band I: Aalders, Willem Jan bis Faustus von Byzanz, 2. Aufl., Hamm 1990, Sp. 538; vgl. G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Ge­ schichtsfreund 2000 (100), 43, (48). 577  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 146, 150 f.; A. Rübsam, Kardinal Bernhard Gustav – Markgraf von BadenDurlach, Fürstabt von Fulda 1671–1677, in: Quellen und Abhandlungen zur Ge­ schichte der Abtei und der Diözese Fulda, Fulda 1923, S. 50 ff., 298 ff.; K. Oesterle, Ein Kardinal aus Durlach – Konfession und Karriere in der frühen Neuzeit, Badische Heimat 2009, (89), 215, (219). 578  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 151; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 49 f.

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B. Historische Grundlagen

tischen Märkten angeboten worden waren, zudem wurde seitens des Kardi­ nals aus Baden-Durlach versucht, die Wochenmärkte der benachbarten Reichsstadt Kempten für die einheimischen Güter zu erschließen.579 Die Regierungszeit des späteren Fürstabts Rupert von Bodman, der von 1678 bis 1728 und damit fünfzig Jahre lang der Kirchenvorsteher der Kemp­ tener Abtei war, stand im Zeichen des Kameralismus, d. h. der stetigen Verbes­ serung der Finanzverfassung und der ertragsreichen Steigerung der Staatsein­ nahmen.580 Dies war auch notwendig, weil sich die Kemptener Fürstabtei vor allem seit der Errichtung der klosterstaatlichen Residenz und der Pfarr- und Stiftskirche St. Lorenz im 17. Jahrhundert einer defizitären Finanzkraft ausge­ setzt sah.581 Unter seiner Regentschaft wurde der Ausbau der seit der Verlei­ hung des Stadtrechts durch Kaiser Karl VI. im Jahre 1712/13 nun als Stifts­ stadt bezeichneten Siedlung im Zentrum des Stiftsterritoriums582 und der au­ ßerhalb dieser gelegenen Ortschaften weiter vorangetrieben.583 Insoweit ließ er ein Kornhaus, ein Brauhaus, eine Kapelle, ein Schießhaus, ein Konviktge­ bäude, mehrere Wohn- und Verwaltungseinrichtungen, ein Schmelz- und Hammerwerk, eine Schleif-, Säge-, Pulver- und Malzmühle, eine Weberei, eine Bleiche, eine Wandlandschau und eine stiftseigene Pharmazie errichten, um die Binnenwirtschaft der Abtei anzukurbeln, wobei er zusätzlich das Markt- und Zunftwesen neu organisierte, was in Konkurrenz zur benachbarten Reichsstadt Kempten ab dem Jahre 1712 die Abhaltung von eigenen Wochen­ märkten und die Errichtung von Zünften zur Folge hatte.584 Das neuzeitliche 579  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 151; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 49 f. 580  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  154 ff.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694– 1836), München 1998, S. 250, 255 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 50 f. 581  A. Rübsam, Kardinal Bernhard Gustav – Markgraf von Baden-Durlach, Fürst­ abt von Fulda 1671–1677, in: Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und der Diözese Fulda, Fulda 1923, S. 306; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 238 ff.; G. Immler, Die Finanzund Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/ D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 329 ff. 582  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 297 ff. 583  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 159; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Ge­ schichtsfreund 2000 (100), 43, (51 f.); M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 52. 584  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 158; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus,



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten145

Fürststift Kempten als moderner Staat handelte insoweit im Gegensatz zur benachbarten Reichsstadt Kempten, wo der Handel und das Gewerbe vollstän­ dig in privaten Händen lagen, als öffentlicher Unternehmer, um durch eigene Staatsbetriebe und -fabriken den allgemeinen Wohlstand und die Staatseinnah­ men zu steigern.585 Diese Entwicklung hatte sich bereits unter dem Fürstabt Roman Giel von Gielsberg abgezeichnet und wurde später kontinuierlich zu einer florierenden Staatswirtschaft ausgebaut.586 Andererseits war aber auch die Regierungszeit des Fürstabts Rupert von Bodman von dem absolutistischdespotischen Selbstverständnis einer unbegrenzten Machtvollkommenheit ge­ prägt, was sich in verfassungsmäßigen Auseinandersetzungen mit dem Stifts­ kapitel und der Landstandschaft zeigte.587 Fürstabt Rupert von Bodman dul­ dete neben sich keine sonstigen Gewalten und sah sich als legitimierter abso­ lutistischer Rechtsetzer von Gottes Gnaden.588 Das nach dem grundlegenden Verständnis des Benediktinerordens und aufgrund kaiserlicher wie päpstlicher Privilegien an der Regierungsarbeit beteiligte und für die Wahl des Fürstabts zuständige Stiftskapitel versuchte er deshalb bei der Wahl eines Koadjutors in der Kompetenz zu beschneiden, die Landstandschaft als das die bäuerlichen Untertanen vertretende Verfassungsorgan wurde dagegen staatlicherseits ein­ seitig mit dem Ziel entmachtet, dieses nach der Finanzverfassung des Stifts zuständige Kontrollorgan über wirtschaftliche Ressourcen des neuzeitlichen Klosterstaates auszuschalten, um die alleinige Verfügungsgewalt über die Fi­ Stuttgart 1995, S. 51 f. Siehe zur Geschichte der Wochen- und Jahrmärkte im Fürst­ stift Kempten W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 275 ff. 585  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 250 ff., 309; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürst­ abtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Ger­ mania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 338 ff. 586  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 250, 309; vgl. auch G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 338 ff. 587  Vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Mün­ chen 1933, S. 154 ff.; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 188 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Mer­ kantilismus, Stuttgart 1995, S. 52 ff. 588  Vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Mün­ chen 1933, S. 154 ff., 163 ff.; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Klein­ staat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kemp­ ten, Kempten 1989, S. 188 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 52 ff.

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B. Historische Grundlagen

nanzen der Untertanen zu erhalten, damit diese wiederum politisch entmün­ digt und wirtschaftlich geknebelt werden konnten.589 Auch die Regentschaft von Fürstabt Anselm von Reichlin-Meldegg, amtie­ rend von 1728 bis 1747, stand im Zeichen des prunkvollen Absolutismus und der despotischen Gewaltherrschaft.590 Die Konflikte mit der Untertänigkeit um die bäuerliche Landschaftskasse und entsprechende von der Regierung veruntreute Gelder sowie erbitterte Kämpfe mit der Reichsstadt Kempten bestimmten die Machtpolitik dieses Fürstabts.591 Dabei schreckte er auch nicht davor zurück, andersdenkende Vertreter der Landstandschaft zu verur­ teilen, auszuweisen, einzusperren oder hinzurichten,592 womit eine tyranni­ sche Willkürherrschaft der Rechtsunsicherheit einherging. Erst im Jahre 1732 wurde auf Betreiben des Reichshofrats der Landrezess zwischen dem Fürst­ stift Kempten und der bäuerlichen Landschaft geschlossen, der mitunter vorsah, dass die Regierung zukünftig verpflichtet war, bei allen Fragen des Steuer- und Abgabewesens Landschaftsvertreter hinzuzuziehen.593 In die Regentschaft des amtierenden Fürstabts Anselm von Reichlin-Meldegg fiel auch die gesetzliche Einführung der Landtafeln und des Totenbuchs, um für die Untertanen die Möglichkeit der Verbesserung ihrer Liquidität zu verwirk­ lichen, indem durch ausgewiesene Vermögensbestände der Rechts- und Ka­ pitalverkehr erleichtert werden sollte.594 Die in ihrer prunkvollen Art und Weise verschwenderische Regierungsart zeigte sich insbesondere, als dieser Fürstabt im Jahre 1742 mit einem Gefolge von 80 Mann zu der Krönung des bayerischen Kürfürsten Karl Albrecht nach Frankfurt reiste und zuvor die von ihm als Behausung vorgesehenen Räume im Gasthof „Zum Roten Men­ 589  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  154 ff., 163 ff.; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 188 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Mer­ kantilismus, Stuttgart 1995, S. 52 ff. 590  Vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Mün­ chen 1933, S. 169 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilis­ mus, Stuttgart 1995, S. 59, 63 f. 591  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 59. 592  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  169 f.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 59. 593  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 170; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Früh­ neuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 190; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 59 f. 594  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  60 ff.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten147

nigen“ hatte renovieren lassen, wofür ein Betrag von insgesamt 43.971 fl. aufgewendet worden war.595 Die Prunkräume des Südflügels der Residenz, ausgestattet im spätbarocken Stil des Rokoko, wurden schließlich von die­ sem geistlichen Würdenträger abschließend gestaltet und zeigten den absolu­ tistischen Herrschaftsanspruch dieses Reichsfürsten endgültig auch symbo­ lisch auf.596 4. Aufgeklärter Absolutismus und Reformkatholizismus Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wehte ein vorsichtig aufgeklärt-absolu­ tistischer Geist in der Kemptener Fürstabtei, der sich in zunehmend wohl­ fahrtsstaatlichen Tendenzen sowie reform-katholischen Bestrebungen zeig­ te.597 Die spätaristotelische Politologie sowie das sich davon ablösende Ge­ dankengut der Naturrechtslehre des 17. Jahrhunderts hatten in Europa ein anderes Staatsverständnis zur Folge, das den Fürsten nun auf der Grundlage eines naturrechtlichen Gesellschaftsvertrages als dienenden Amtswalter sei­ nes säkularen und nun als Institution personifizierten Staates in Erscheinung treten ließ und letztlich auch zu einer anderen Anschauung hinsichtlich des Verhältnisses zu den einzelnen Individuen führte.598 Mit dem Geist der Auf­ klärung entstand auf diese Weise die Idee von Verfassungen, der Gesetzes­ 595  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  172 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 63 f. 596  Vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Mün­ chen 1933, S. 172; B. Bushart/G. Paula (Hrsg.), Handbuch der deutschen Kunstdenk­ mäler, Band III: Schwaben, 2. Aufl., München 2008, S. 566; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 33; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 239; vgl. auch M. Weis, Das ehe­ malige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 236, 238. Allgemein zu den Prunkräumen der Residenz in Kempten A. Miller, Die Prunkräume der Residenz Kempten, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 64 ff. 597  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baierischen Staat, Kempten 1847, S. 297; J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürst­ lichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 177 f., 182 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 64; L. Zenetti, Die Sür­ gen – Geschichte der Freiherren von Syrgenstein, Augsburg 1965, S. 105; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S.  230 f., 249 f., 421 ff. 598  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7.  Aufl., München 2013, S.  201 ff.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 122 f.

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B. Historische Grundlagen

staat trat nun hervor und der Gedanke von unantastbaren Grund- und Men­ schenrechten breitete sich aus.599 Durch die nun zu beobachtende Abkehr von der auf den Fürsten konzentrierten Staatsidentität absolutistisch-monar­ chischer Ausformung rückte nunmehr auch das Gemeinwohl als Staatszweck in den Mittelpunkt, weshalb der aufgeklärte Absolutismus mit wohlfahrts­ staatlichen Tendenzen einherging.600 In den Staaten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren es oft philosophische Vertreter wie der französische Denker Voltaire, durch den „Geist und Wort zu einer Macht, die Staatsmänner und Könige zu fürchten hatten“, wurden, und der sich unter anderem auch am preußischen Königshof Friedrichs II. aufhielt,601 die das aufgeklärte Gedankengut verbreiteten.602 Ähnlich verlief die Entwicklung auch in der Kemptener Fürstabtei, wo mit Dominikus von Brentano ein ka­ tholischer Reformgeist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Erschei­ nung trat,603 wobei auch unabhängig davon eine wohlfahrtsstaatliche Ent­ wicklung des Fürststifts Kempten zu dieser Zeit nachweisbar ist. Bereits mit dem als sanftmütig604 beschriebenen Übergangsfürstabt Engel­ bert von Syrgenstein, regierend von 1747–1760, war in der Kemptener Fürst­ abtei ein anderes Verständnis von Herrschaft zu erkennen gewesen.605 In seine Regierungszeit fiel zwar zunächst weiterer Grunderwerb des Fürststifts Kempten wie im Jahre 1749 die Herrschaft Ronsberg, die Weiler Sonderhof, Reichartsried, Lausbühl und Binkenhofen sowie im Jahre 1757 die Herrschaft Apfeltrang.606 Damit lag eine gebietsbezogene Expansion der reichsfürst­ 599  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7.  Aufl., München 2013, S.  203 ff. 600  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 204. 601  N. Campagna/R. Voigt, Das Jahrhundert Voltaires. Vordenker der europäischen Aufklärung, in: dies. (Hrsg.), Das Jahrhundert Voltaires – Vordenker der europäischen Aufklärung, Baden-Baden 2020, S. 11 f., dort Zitat unter Bezugnahme auf Kraus. 602  Vgl. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  201 ff.; N. Campagna/R. Voigt, Das Jahrhundert Voltaires. Vordenker der europäi­ schen Aufklärung, in: dies. (Hrsg.), Das Jahrhundert Voltaires – Vordenker der euro­ päischen Aufklärung, Baden-Baden 2020, S. 11 f. 603  Zum Ganzen W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), S. 239 ff. 604  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baieri­ schen Staat, Kempten 1847, S. 298; J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 176; vgl. auch L. Zenetti, Die Sürgen – Ge­ schichte der Freiherren von Syrgenstein, Augsburg 1965, S. 105. 605  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baierischen Staat, Kempten 1847, S. 292 ff. 606  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baieri­



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten149

lichen Staatsgewalt vor, die aber nicht mit militärischen Mitteln erkämpft worden war.607 In der Amtszeit des Fürstabts Engelbert von Syrgenstein blieb die Kemptener Fürstabtei vielmehr von kriegerischen Auseinandersetzungen verschont und genoss wie die Reichsstadt Kempten einen inneren wie äuße­ ren Frieden, der auch durch die in Europa tobenden Unruhen bzw. Folgen des zeitlich noch vor seiner Regentschaft liegenden Österreichischen Erbfol­ gekriegs zwischen 1741 und 1745 und des Siebenjährigen Krieges zwischen 1756 und 1763 nicht erschüttert wurde.608 Einen weitsichtigen Eindruck vermittelte der Fürstabt in seinem Verhältnis zu der Landschaft und der pro­ testantischen Reichsstadt Kempten, mit denen es in Abkehr von den Herr­ schaften seiner Amtsvorgänger keine nennenswerten neuen Konflikte gab.609 Wohlfahrtsstaatliche Tendenzen im Sinne eines aufgeklärten Absolutismus waren insbesondere zu erkennen, als Fürstabt Engelbert von Syrgenstein im Jahre 1751 ein Armen- und Krankenspital errichten ließ,610 zudem die Erwei­ terung der Stiftsbibliothek und die Übertragung der lateinischen Schule des Stifts an Padres des Piaristenordens verfügte, um das stiftkemptische Bil­ dungs- und Schulsystem zu verbessern.611 Überdies unterstützte er die An­ siedlung einer wissenschaftlichen benediktinischen Akademie in der fürstli­ chen Abtei Kempten, namentlich der Societas Literaria Germano Benedictina, die aber auch aufgrund innerer Spannungen im Stiftskonvent nach kurzer Zeit wieder aufgelöst wurde, womit der fortschrittlichere Weg ins Europa der schen Staat, Kempten 1847, S. 292 ff.; J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürst­ lichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 178; L. Zenetti, Die Sürgen – Geschichte der Freiherren von Syrgenstein, Augsburg 1965, S. 105; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 64. 607  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baierischen Staat, Kempten 1847, S. 292 ff. 608  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baieri­ schen Staat, Kempten 1847, S. 294, 300; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeit­ alter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 65. 609  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baieri­ schen Staat, Kempten 1847, S. 295 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 65. 610  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baieri­ schen Staat, Kempten 1847, S. 297; J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 178; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeit­ alter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 64. 611  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 177; L. Zenetti, Die Sürgen – Geschichte der Freiherren von Syrgenstein, Augsburg 1965, S. 105; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 421 ff.

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B. Historische Grundlagen

Aufklärung zunächst verschlossen blieb.612 Zwar strahlte der Glanz des Ro­ koko auch unter seiner Regentschaft noch einmal auf, als von ihm der Aus­ bau der Prunkräume in der fürstlichen Residenz und die Anfertigung von Gemälden der Fürstäbte seit dem 15. Jahrhundert im Fürstensaal verfügt wurden.613 Dennoch markierte die Herrschaft des Fürstabts Engelbert von Syrgenstein eine Wende von dem absolutistisch-despotischen Regierungsstil seiner Amtsvorgänger hin zu einer aufgeklärteren Variante des Absolutis­ mus.614 Dieser Fürstabt sah sich dem Grundsatz verpflichtet, wonach nichts durch das Volk, aber alles für das Volk zu verrichten sein sollte, weshalb er mit seinen sozialen Taten zu dem Vorreiter des aufgeklärten Gedankens eines ersten Dieners seines Staates wurde, wie es später der Preußenkönig Fried­ rich II. zu bezeichnen suchte.615 Mit Dr. theol. Dominikus von Brentano kam um das Jahr 1770 eine von den im aufgeklärten Europa des „siècle des lumières“ vorherrschenden Ideen beeinflusste Persönlichkeit in das Fürststift Kempten, der von dem Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein, regierend von 1760–1785, zum Hofkap­ lan ernannt wurde.616 Dies war von besonderer Bedeutung, weil der Hofkap­ lan als Weltpriester den Fürstabt im Stift Kempten in geistlichen Angelegen­ 612  Siehe hierzu J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Graf­ schaft Kempten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baierischen Staat, Kempten 1847, S. 296; J. Rottenkolber, Geschichte des hoch­ fürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 177 f.; W. Brandmüller, Geistiges Le­ ben im Kempten des 17. und 18. Jahrhunderts, Zeitschrift für bayerische Landesge­ schichte 1980 (43), 613, (620 f.); L. Zenetti, Die Sürgen – Geschichte der Freiherren von Syrgenstein, Augsburg 1965, S. 105; vgl. W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 419. 613  Siehe nur J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 177; L. Zenetti, Die Sürgen – Geschichte der Freiherren von Syr­ genstein, Augsburg 1965, S. 105; vgl. M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 236, 238. 614  Vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Mün­ chen 1933, S. 178. 615  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 178. Siehe zum preußischen König Friedrich II. dem Großen als dem ersten Diener seines Staates W. Frotscher/B. Pieroth, Verfassungsgeschichte – Von der Nordamerikanischen Revolution bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, 19. Aufl., München 2021, S. 64 ff. 616  W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), S. 239  ff.; G. Immler, Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 94. Allgemein zu der Person Dominikus von Brentano R. Bohlen, Dominikus von Brentano: Sein Leben und Wirken, in: ders. (Hrsg.), Do­ minikus von Brentano 1740–1797, Trier 1997, S. 13 ff.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 431.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten151

heiten unterstützte und auch bei der als Patronatsherr in den Zuständigkeits­ bereich der reichsfürstlichen Obrigkeit fallenden Besetzung der Pfarrstellen mitwirkte.617 Andererseits wurde im 18. Jahrhundert mit dem Konsistorium zudem eine eigene landesherrliche Behörde gegründet, was den Hofkaplan nun zum Berater des Fürstabts in geistlichen Fragen und zum Amtswalter im Sinne eines Generalvikariats und auch Offizialats für die exemte Pfarrei St. Lorenz machte.618 Dominikus von Brentano wurde am Collegio Elvetica im damals unter österreichischer Herrschaft stehenden Mailand, wo das Ge­ dankengut der Aufklärung weit verbreitet war, ausgebildet, so dass es ihm zeitlebens darum ging, mit seinen schriftlichen Werken, die von dieser mo­ dernen Geisteshaltung beeinflusst waren, die im tiefen Boden des katholi­ schen Glaubens verwurzelte göttliche Aufklärung durch das Gedankengut einer vernunftgeprägten Freiheit zu überwinden.619 Im Vordergrund stand dabei eine Bibelübersetzung des Neuen Testaments unter dem späteren Fürst­ abt Rupert von Neuenstein, amtierend von 1785–1793, deren übersetzende Wortauslegungen den reformkatholischen und aufgeklärten Geist von Domi­ nikus von Brentano im Lichte des katholischen Obskurationssystems ver­ deutlichen, welches die mittelalterliche Finsternis zum Gegenstand hatte, den Aberglauben sowie Vorurteile predigte und sich so dem aufgeklärten Geist der Zeit entziehen wollte.620 Im Rahmen der Übersetzung der Bibel begann

617  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (44); ders., Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 91. 618  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (44); ders., Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S.  92 f. 619  W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), 239, (239 f.); G. Immler, Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 94 ff., 102. Siehe zu den unterschiedlichen inhaltlichen Inter­ pretationen des Begriffs der Aufklärung im 18. Jahrhundert aus theologischer Sicht Ph. Schäfer, Die Grundlagen der Aufklärung in katholischen Beurteilungen der Auf­ klärung, in: H. Klueting (Hrsg.), Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholi­ schen Deutschland, Hamburg 1993, S. 54 ff. Neben der Interpretation der Aufklärung im Sinne einer reinen Vernunft wurde dem Begriff auch eine negative Assoziation als Grundlage zum Unglauben, aber auch eine Auslegung im Sinne einer beförderten Selbsterkenntnis des Menschen als Ebenbild Gottes beigelegt; vgl. Ph. Schäfer, ebd., S.  54 ff. 620  W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), 239, (241 ff.). Zu Aberglaube und zur Aufklärung in Oberschwaben in historischer Perspektive W. Petz, Die letzte Hexe – Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin, Frankfurt a. M. u. a. 2007, S. 29 ff.

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B. Historische Grundlagen

Dominikus von Brentano das Wort Gottes anders auszulegen.621 In diesem Sinne wurde etwa „Gebt dem Teufel keinen Raum!“ (Eph 4, 27) von ihm abgewandelt neuinterpretiert als „Gebet den Einwirkungen des Lästerers nicht Raum!“622 In der Paraphrase wurde dann hierzu sogar ausgeführt, dass man nie „eure Ohren den Verhetzungen böser Menschen (öffnen sollte)“, womit die Nichtexistenz Satans suggeriert wurde.623 Der Logion M 16, 18 „Du bist Petrus (…)“ wurde von ihm allgemein interpretiert als Gemeine bzw. Versammlung anstatt als mit Kirche.624 Bereits im Jahre 1784 hatte er in dem anonym herausgegebenen Buch „Das Majestätsrecht die Bischöfe zu ernennen“ auf die Vorrede eines protestantischen Autors mit der Forderung, wonach der Fürst am Bischof „(…) einen treuen Diener, und der Staat ein redliches Mitglied haben (müsse)“, mit der Klage auf die große Finsternis des Mittelalters und das betrüglich isidorianische Kirchenrecht erwidert.625 Es mag deshalb kein Zufall sein, dass die Regentschaften der Fürstäbte Ho­ norius Roth von Schreckenstein und Rupert von Neuenstein nachweisbar aufgeklärte Herrschaftselemente enthielten.626 In diesem Sinne wurde der Wohlfahrtsstaat weiter ausgebaut, indem z. B. die Armenfürsorge, das Bil­ dungs- und Schulwesen sowie die Volksbildung verbessert und gefördert 621  D. v. Brentano, Die Heilige Schrift des Neuen Testaments. Auf Befehl des Hochwürdigsten Fürsten und Herrn Herrn Rupert II. Abten des fürstlichen Hochstifts Kempten etc. etc. Zum Nutzen und Gebrauche der hochfürstlichen Unterthanen, Band II/2, Kempten 1791, S. 96, 510; W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), 239, (247). 622  D. v. Brentano, Die Heilige Schrift des Neuen Testaments. Auf Befehl des Hochwürdigsten Fürsten und Herrn Herrn Rupert II. Abten des fürstlichen Hochstifts Kempten etc. etc. Zum Nutzen und Gebrauche der hochfürstlichen Unterthanen, Band II/2, Kempten 1791, S. 510; W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kemp­ ten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), 239, (247). 623  D. v. Brentano, Die Heilige Schrift des Neuen Testaments. Auf Befehl des Hochwürdigsten Fürsten und Herrn Herrn Rupert II. Abten des fürstlichen Hochstifts Kempten etc. etc. Zum Nutzen und Gebrauche der hochfürstlichen Unterthanen, Band II/2, Kempten 1791, S. 510; W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kemp­ ten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), 239, (247). 624  D. v. Brentano, Die Heilige Schrift des Neuen Testaments. Auf Befehl des Hochwürdigsten Fürsten und Herrn Herrn Rupert II. Abten des fürstlichen Hochstifts Kempten etc. etc. Zum Nutzen und Gebrauche der hochfürstlichen Unterthanen, Band I, Kempten 1790, S. 96; W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), 239, (247). 625  Das Majestätsrecht die Bischöfe zu ernennen. Mit einer Vorrede von Herrn Johann Georg Schellhorn, Prediger und Bibliothekar der Reichsstadt Memmingen, Kempten u. a. 1784, S. XII, 29 f.; W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), 239, (240). 626  Vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Mün­ chen 1933, S. 182 ff.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 249 f., 421.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten153

wurden.627 Im Jahre 1761 verfügte Fürstabt Honorius Roth von Schrecken­ stein im aufgeklärt-wohlfahrtsstaatlichen Geiste zudem die Errichtung eines Polizeidirektoriums, welches das gesamte Marktwesen regulieren, die Feuer­ sicherheit in der Stadt gewährleisten, die erlassene Bettelordnung durchset­ zen und für die Reinheit der Straßen im Stiftsgebiet sorgen sollte.628 Zudem lebte nun insbesondere unter Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein der Gesetzesstaat in den nun strukturierten und ausdifferenzierten Regelungswer­ ken auf, die eine Herrschaft des Rechts erleichterten.629 Im Sinne einer auf­ geklärten Raison kam es nun auch zu weiteren Aussöhnungen mit der protes­ tantischen Reichsstadt Kempten.630 Und doch kam das dunkle Licht des finsteren Mittelalters noch einmal auf, als einer der letzten Hexenprozesse auf deutschem Boden im Fürststift Kempten stattfand.631 Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein hatte das 627  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  182 f., 186; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 230 f., 249 f., 421; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kemp­ ten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (46); ders., Kempten, Fürstabtei: Terri­ torium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 628  Regierungs-Verordnung an sämtliche Pflegämter die Errichtung des PolizeyDirektoriums betreffend, ddo. Stiftkempten den 28sten Merz 1761; Extractus. Hoch­ fürstlich Kemptischen Hofrathsprotokolls ddo. 9ten Februar 1761. Die Instruktion für das damals neu errichtete Polizey-Direktorium betreffend, abgedruckt jeweils in: J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verord­ nungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 29 (Nro. II) und S. 30 ff. (Nro. III); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  182 ff.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694– 1836), München 1998, S. 230 f.; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (46); ders., Kempten, Fürstabtei: Territo­ rium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 30. Dabei galt im Fürststift Kempten in Polizeisachen bereits ein Subsidiaritätsprinzip: „Wenn Polizey-Sachen von einer Bedenklichkeit vorfallen, oder wichtige Erinnerung einzu­ führen wären, soll solches zuvor bei Hofrath vorgetragen, und darüber deliberirt und resolvirt werden.“; J. B. Renz, ebd., S. 31, dort S. IV, 30 ff. grundsätzlich auch zum gesetzlich bestimmten Wirkungskreis des Polizeidirektoriums im Fürststift Kempten. 629  Siehe hierzu das Stempelpapierpatent vom 17.02.1762, abgedruckt bei J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verord­ nungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 252. 630  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baieri­ schen Staat, Kempten 1847, S. 300. 631  Zu diesem Hexenprozess um die angeklagte Anna Maria Schwägelin im Fürst­ stift Kempten W. Petz, Die letzte Hexe – Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin, Frankfurt a. M. u. a. 2007.

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B. Historische Grundlagen

Todesurteil durch das Schwert mit der Formel „Fiat Iustitia“, die mit „es werde Gerechtigkeit“ übersetzt werden kann, unterzeichnet,632 weshalb ihm in der geschichtswissenschaftlichen Literatur vorgeworfen wurde, dass er damit ein Exempel statuieren wollte, indem er die aus armen Verhältnissen kommende Anna Maria Schwägelin633 opferte, um ein auch finanzpolitisches Zeichen gegen das von ihm bekämpfte Bettlertum zu setzen.634 Es wurde in der Forschung inzwischen aber nachgewiesen, dass das Urteil ausgesetzt und letztlich nicht vollstreckt wurde.635 In der Literatur wird insoweit auch von einem Gnadenakt des Fürstabts gesprochen, der auf den Einfluss von Domi­ nikus von Brentano zurückgeführt wird, ohne dass aber der Hexereiparagraph der Constitutio Criminalis Carolina aus dem Jahre 1532 angetastet worden wäre.636 Die zu dieser Zeit auch in der katholischen Lehre bereits überwun­ dene Hexenverfolgung hatte damit im Fürststift Kempten keine Renaissance erlebt, weshalb Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein seiner aufgeklärtabsolutistischen Regierungsweise treu geblieben ist.637 Dieser Fall macht aber deutlich, dass die konservativen Einflüsse in der Kemptener Fürstabtei gegenwärtig waren, was sich auch unter dem ebenfalls der Aufklärung ver­ pflichteten Fürstabt Rupert von Neuenstein fortsetzte.638 Zu seiner Regie­ rungszeit bildete sich sogar eine in zwei Lager geteilte benediktinische Klostergemeinschaft bzw. ein in geistlicher Hinsicht gespaltenes Stiftskapitel 632  W. Petz, Die letzte Hexe – Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin, Frank­ furt a. M. u. a. 2007, S. 167; M. Panzer/E. Prößl, Anna Maria Schwägelin (1729– 1781) – Verurteilte im letzten Hexenprozess auf deutschem Boden, in: Bayerns Töch­ ter, München 2015, S. 264 f. 633  Siehe zur Person Anna Maria Schwägelin M. Panzer/E. Prößl, Anna Maria Schwägelin (1729–1781) – Verurteilte im letzten Hexenprozess auf deutschem Bo­ den, in: Bayerns Töchter, München 2015, S. 261 ff.; U. Hinske-Gengnagel, Anna Schwägelin (1729–1781), in: Frauengeschichtswerkstatt Memmingen e. V. (Hrsg.), Memminger Frauen, Band I, Mering 2012, S. 174 ff. 634  In diesem Sinne H. Straßer, Anna Schwegelin. Der letzte Hexenprozess auf deutschem Boden – 1775 in Kempten, Kempten 1985, S. 93 ff., v. a. S. 104 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 72. A. A. dagegen zu Recht W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppel­ stadt (1694–1836), München 1998, S. 426 mit Fn. 147. 635  W. Petz, Die letzte Hexe – Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin, Frank­ furt a. M. u. a. 2007, S. 163 ff. 636  G. Immler, Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürs­ tentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 95 f. 637  Vgl. W. Petz, Die letzte Hexe – Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin, Frankfurt a. M. u. a. 2007, S. 163 ff. 638  Zur Regentschaft des Fürstabts Rupert von Neuenstein J. Haggenmüller, Ge­ schichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baierischen Staat, Kempten 1847, S.  311 ff.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten155

aus einer absolutistisch-aufgeklärten Minderheit um den amtierenden Fürst­ abt und den konservativen Repräsentanten der Kurie heraus.639 Die Gründe dafür lagen zum einen in den noch fehlenden intellektuellen Bedingungen zu einer Bewältigung der mit dem Rationalismus der Aufklärung im Lichte des über Jahrhunderte bewährten Kirchenstaates verbundenen Spannungen, zum anderen in einer systemimmanenten Abwehrhaltung, welche die Auseinan­ dersetzung des Katholizismus mit den neuen Ideen der Aufklärung konserva­ tiv überlagerte.640 Mit anderen Worten war der Reformkatholizismus auf ei­ nem aufgeklärten Vernunftdenken gebaut, das „sich mit Freimaurertum und antirömischem Affekt zu einem Katholizismus (verband), der sich zwar der äußerlichen kirchlichen Strukturen als ökonomisch-gesellschaftlicher Exis­ tenzgrundlage bedient(e), mit der genuinen Glaubensüberlieferung der Kirche jedoch nichts mehr gemein hat(te).“641 Der dadurch bedingte innere Zwie­ spalt, der sich bei den Fürstäbten und auch allgemein im Hofstaat breit­ machte, zeigte sich auch bei dem reichsfürstlichen Rekurs einer Herrschaft von Gottes Gnaden. Während die göttliche Legitimation von Fürstabt Hono­ rius Roth von Schreckenstein noch uneingeschränkt beansprucht wurde, wo­ mit die transzendente Bedeutung der Formel im Rahmen der fürstlichen Kirchenherrschaft stets immanent zugegen war, war bei Rupert von Neuen­ stein regelmäßig nur noch von „Hochfürstl(ichen) Gnaden“, und „unser gnädigster Fürst und Herr“ die Rede.642 Insgesamt lag die Besonderheit des aufgeklärten Geistes in der Kemptener Fürstabtei aber im Ergebnis in der über Jahrhunderte gewachsenen Symbiose aus reichs- und kirchenrechtlicher Stellung begründet, weshalb die Reformen auch aus der landesherrlichen Machtvollkommenheit heraus zu sehen waren, was dem Fürststift Kempten eine engere Verwandtschaft zum Geist des österreichischen Josephinismus

639  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  186 ff.; G. Immler, Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geist­ lichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S.  104 f.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 438 ff. 640  W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), 239, (249). 641  W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), 239, (249 f.). 642  Siehe nur das Stempelpapierpatent vom 17.02.1762: „Honorius von Gottes Gnaden des heiligen röm. Reichs Fürst und Abt des Hochfürstlichen Stifts Kempten“; Regierungsverordnung an sämtliche Pflegämter das sogenannte Konsolidationsrecht betreffend ddo. Stiftkempten den 17.09.1792: „Höchfürstl. Gnaden unser gnädigster Fürst und Herr“. Die Verordnungen sind abgedruckt bei J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einlei­ tung dazu, Stift Kempten 1793, S. 252, 348.

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B. Historische Grundlagen

bescherte.643 Dennoch folgte mit Fürstabt Castolus Reichlin von Meldegg, regierend von 1793–1803, eine Rückkehr in alte Denkmuster, bevor das Stift der Säkularisation zum Opfer fiel.644 5. Hofstaat und Landstandschaft – die neuzeitliche Verfassung des Fürststifts Kempten Mit der voranschreitenden obrigkeitsstaatlichen Entwicklung des Fürst­ stifts Kempten seit der frühen Neuzeit war andererseits aus der Perspektive der Untertanen in verwaltungsorganisatorischer Hinsicht ein Wandel hin­ sichtlich der Person des reichsfürstlichen Regenten zu erkennen, der sich zunehmend auch institutionell verfestigte.645 Der Fürstabt blieb zwar bis zur Auflösung des Fürststifts Kempten im Jahre 1803 der direkte Bezugspunkt regierender Machtausübung, durch die landeshoheitliche Manifestation mit Blick auf einen geschlossenen flächenstaatlichen Herrschaftsraum erschien die werdende Staatsgewalt nun aber zunehmend differenzierter und damit als eine gebietsbezogene hoheitliche Institution, die den Untertanen gegenüber­ stand.646 Gleichzeitig zeigten sich auf der bäuerlichen Ebene Gegentenden­ zen, die auf eine Interessenvertretung der auf dem gesamten stiftkemptischen Territorium ansässigen Untertanen ausgerichtet waren und sich gegen die Landeshoheit wandten, die ihren territorialen Wirkungskreis beanspruchte und in Bezug auf fremde adelige Herrschaften eliminierend handelte.647 Die 643  G. Immler, Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürs­ tentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 105. Zum Zusammenhang von aufgeklärt-absolutistischem Josephinismus und geistlichen Fürst­ bistümern H. Miekisch, Die Rezeption des Josephinismus in den fränkischen Fürst­ bistümern Bamberg und Würzburg, in: R. Bendel u. a. (Hrsg.), Katholische Aufklä­ rung und Josephinismus, Köln u. a. 2015, S. 159 ff., v. a. S. 164 f. 644  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  189 ff.; G. Immler, Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistli­ chen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 105. Siehe zur Auflösung der Kemptener Fürstabtei F.-R. Böck, Die Säkularisation des Fürststifts Kempten, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 391 ff. 645  Vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stutt­ gart 1995, S.  19 ff. m. w. N.; B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 15, 23 m. w. N. 646  Vgl. W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 226; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., Mün­ chen 2013, S. 129 f. 647  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für baye­ rische Landesgeschichte 1967 (30), S. 201 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 18 ff. Siehe zur territorialhoheitlichen Entwicklung grundsätzlich und hinsichtlich des Fürststifts Kempten P. Blickle, Leib­



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten157

Verfassung der Kemptener Fürstabtei war auch noch im 15. Jahrhundert in erster Linie agrarisch geprägt, weil sich im Umland zahlreiche Bauern befan­ den und sich auf dem reichsfürstlichen Hoheitsgebiet noch relativ wenig Handwerk bzw. Gewerbe angesiedelt hatte.648 Insoweit könnte staatstheore­ tisch auch von einem landwirtschaftlichen Agrarstaat gesprochen werden.649 Die konkreten Rahmenbedingungen waren daher auch in der Kemptener Fürstabtei der ideale Nährboden für das sich dann ab dem 18. Jahrhundert in der Staatstheorie grundsätzlich herausbildende Dogma einer Trennung von Staat und Gesellschaft.650 Im Fürststift Kempten gab es auf der einen Seite den Hofstaat, mit dem ab der frühen Neuzeit absolutistisch in Gottes Gnaden regierenden Fürstabt, auf den sich die monarchische Staatsgewalt konzent­ rierte.651 Da dieser fürstliche Regent aber die ausschließlich ihm obliegenden Regierungsgeschäfte nicht ohne Beratung und Koordination bewältigen konnte, etablierte sich im 16. Jahrhundert aus einem bis dato hohen Berater­ gremium aus Landvogt, Kanzler und Hofmeister ein Hofrat, der fortan an der Spitze des Verwaltungsapparates stand und dem ab dem Jahre 1642 auch die nun errichteten Pflegämter als nachgeordnete Behörden untergeben waren.652 herrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur ge­ schichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff.; E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Sigmaringen 1972, S. 215 f., 227 f.; J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auf­ lassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 178 ff. 648  P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 195 ff.; ders., Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Lan­ desgeschichte 1967 (30), S. 201 ff.; P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grund­ buchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (422). 649  Vgl. P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Früh­ neuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S.  195 ff. 650  Siehe hierzu P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl., Wien 1996, S. 73 f. 651  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  199 ff.; K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Benediktinerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 5; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17, 20, 25 m. w. N. 652  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 203; K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Be­ nediktinerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 7 ff.; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: His­ torisches Lexikon Bayern; ders., Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (45 f.); W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte ei­

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B. Historische Grundlagen

Den Pflegämtern wiederum waren Hauptmannschaften angeschlossen, die regelmäßig einer Pfarrei entsprachen, wenngleich es auch größere Pfarreien mit mehreren Hauptmannschaften gab.653 Der Hofrat wurde von dem Hof­ rats- bzw. Regierungspräsidenten geleitet, der üblicherweise als Großdekan zugleich auch der Stellvertreter des Fürstabts im innerklösterlichen Bereich und Generalvikar bei kirchlichen Aufgaben war, so dass sich hier auf einer zweiten Ebene eine weitere Symbiose aus weltlicher und kirchlicher Gewalt unterhalb der Autorität des Fürstabts bildete.654 Daneben gab es das Stiftska­ pitel aus Kapitularen, das mitunter aufgrund der königlich zugesicherten freien Abtswahl für die Wahl der Nachfolger der Kemptener Fürstäbte zu­ ständig war,655 sowie den Konvent der benediktinischen Ordensgemeinschaft, der bei der klösterlichen Ämterbesetzung und bei wesentlichen Entscheidun­ gen für das Stift wie im Falle von Verträgen mit anderen Herrschaftshäusern bzw. den landstandschaftlichen Untertanen ein Mitspracherecht für sich re­ klamierte656 und im 17. Jahrhundert unter Fürstabt Roman Giel von Giels­ berg auch allmählich für nichtadelige Mitglieder geöffnet wurde.657 Der Hofrat war der Inhaber der delegierten Regierungsgewalt und setzte sich seit dem Stiftsstatut aus dem Jahre 1666 auch aus drei seitens des Stiftskapitels gestellten Hofräten zusammen, wobei sich ab dem 18. Jahrhundert zuneh­ mend auch der Konvent als ergänzender Träger der exekutiven Gewalt heraus­kristallisierte.658 Die im Jahre 1666 gegründete Hofkammer, die unter ner Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 226. Siehe grundsätzlich zur Institu­ tion des Hofrates D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  130 f. 653  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 226 f. 654  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (46). 655  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  197 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 92; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (45). Zur freien Abtswahl im Fürststift Kempten H. Schwarzmaier, Zur Frühgeschichte des Klosters Kempten. Eine Untersuchung zu den Kon­ ventslisten des Klosters unter Abt Tatto, in: U. Ludwig/T. Schilp (Hrsg.), Nomen et Fraternitas, Berlin u. a. 2008, S. 334; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Ge­ schichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 656  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 92 ff.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 226. Danach erschienen zum Abschluss des Memminger Vertrages aus dem Jahre 1526 Fürstabt Sebastian von Breitenstein und zwei weitere Konventherren. 657  H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tri­ dentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 50. 658  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten159

dem Vorsitz eines Kapitulars mit sechs Räten besetzt war,659 war dagegen für das Kameralwesen zuständig, d. h. für die Finanzen, die Wirtschaftspolitik, das Bauwesen sowie die Verwaltung der grundherrlichen Rechte des Stifts, wobei der Hofkammer wiederum weitere landesweite Fachbehörden unterge­ ordnet waren wie das Bauamt, das Kastenamt, das Jagd- und das Fischeramt, während für das Lehenswesen der aus der Lehensstube hervorgegangene und unmittelbar der Regierung unterstellte Lehenhof die Zuständigkeit innehat­ te.660 Gleichzeitig traten an die Stelle der traditionsreichen Hofämter des Truchsesses, des Mundschenken, des Marschalls und des Kämmerers, mit denen im hohen Mittelalter zur Gewinnung mächtiger Schirmherren noch unterschiedliche hohe Adelsträger belehnt waren, ab dem 15. Jahrhundert in der Folge der auch funktionalen Überdauerung der vormaligen Erzämter eigene Hofämter wie das des Hofmeisters, des Kammerdieners oder der ­ Hofwache,661 wobei sich die nun beamtenrechtlichen Dienstverhältnisse mit entsprechenden Amts- und Verhaltenspflichten allgemein verfestigten.662 Die weiteren Bediensteten des reichsfürstlichen Hofstaates waren dagegen nicht den obersten Hofstäben, sondern Verwaltungsämtern zugeordnet, wie der Hofmüller dem Kastenamt, der Hofbraumeister dem Brauamt, der Hofwerk­ meister und der Hofzimmermeister dem Bauamt, der Hoffischermeister dem Fischeramt, der Hofgärtner dem Gartenamt, während die stiftseigenen Ein­ richtungen der Hofapotheke und der Hofdruckerei unmittelbar der Hofkam­ einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 226; L. Margraf, Die Landesho­ heit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 24 ff. 659  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 226. 660  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (46); ders., Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; W. Petz, Zweimal Kemp­ ten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 226, 229  f.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 27 ff., 39 ff., 50. Zur Grundherrschaft des Fürststifts Kempten P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (203 f.). Allgemein zur Institution der Hofkammer D. Willoweit, Deutsche Verfas­ sungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 131. Siehe zur Unterscheidung von herr­ schaftlichen und landschaftlichen Einkünften in Bezug auf die funktionale Zuständig­ keit der Finanzverwaltung L. Margraf, ebd., S. 50. 661  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (49 f.); ders., Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwal­ tung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 26 f. 662  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  201 f.; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Ge­ schichtsfreund 2000 (100), 43, (49 f.); D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 132 f.

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B. Historische Grundlagen

mer unterstellt waren.663 Auch gab es bis weit in das 17. Jahrhundert im Fürststift Kempten noch keine klare Trennung von exekutiver und judikativer Gewalt, so dass letztere regelmäßig von hohen Verwaltungsbeamten am Landgericht bzw. an den Marktgerichten und in den späteren Pflegämtern ausgeübt wurde.664 Bis zur Auflösung des Fürststifts Kempten im Jahre 1803 sollten in dem ab dem späten 18. Jahrhundert dann ausdrücklich als Regie­ rung bezeichneten Hofrat und in der Hofkammer die bürgerlichen Elemente dann sukzessive zunehmen, während dagegen die hohen Präsidentenposten in den einzelnen Behörden bis zuletzt dem adeligen Stiftskapitel vorbehalten blieben, so dass im Ergebnis das Amt des Hofkanzlers die für einen bürger­ lichen Vertreter höchstmögliche Stellung vermitteln konnte.665 Dem Hofstaat mit dem Fürstabt an der Spitze stellte sich dann seit dem Ende des 15. Jahr­ hunderts mit der Landstandschaft ein Vorbote der späteren Landstände zur Seite, der zu einem institutionellen Gegenpol im Rahmen des Verfassungsge­ füges der Kemptener Fürstabtei wurde.666 Hintergrund waren seit dem ausge­ henden 15. Jahrhundert vermehrt zu beobachtende Bestrebungen des entste­ henden Klosterstaats Kempten, die große Zahl der freien Bauern und Frei­ zinser zu untertänigen Leibeigenen zu machen.667 Nicht nur, dass die Kemp­ tener Fürstabtei mit der steten Zurückdrängung des Allgäuischen Gebrauchs 663  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  199 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  26 ff.; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (51). 664  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 665  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (46, 55). 666  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  203 f.; P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), S. 201 ff.; ders., Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Ge­ schichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 188 ff.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 226; E. Kuhn, Der Bauernkrieg von 1525 in Oberschwaben. Bildung, Organisation und Programmatik der Haufen, Vortragsreihe 475 Jahre Bauernkrieg in Oberschwaben, S. 16 f.; T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (29) m. w. N. Zu der im 15.  Jahrhundert entstehenden Interessenvertretung der Landstände D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 133 f. 667  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für baye­ rische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (204 ff.); J. Goetze, Ein Appellationsprozeß vor dem kaiserlichen Kammergericht 1473/74. Zur Geschichte der Herrschaftsintensi­ vierung der Fürstäbte von Kempten, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1975 (38), 486, (501 f.); S. Sugenheim, Geschichte der Aufhebung der Leibeigenschaft und Hörigkeit in Europa, St. Petersburg 1861, S. 364 f. mit S. 365 Fn. 2.



II. Obrigkeitsstaatliche Landeshoheit des neuzeitlichen Fürststifts Kempten161

durch das Mittel des Austauschs von Leibeigenen die auf das reichsfürstliche Territorium bezogene Grund-, Leib- und Gerichtsherrschaft in der Person des Fürstabts vereinigt wissen wollte,668 wurde letzten Endes durch das Prinzip der ärgeren Hand, wonach ein Kind nicht mehr dem Stand der Mutter, son­ dern stets dem des schlechter gestellten Elternteils entsprechend eingestuft werden sollte, und durch das Verbot der ungenossamen Ehe, das den Bund der Ehe mit einem Leibeigenen ausnahmsweise nur dann gestattete, wenn der künftige Ehepartner dafür bereit war, als Untertan die Herrschaft des Kemptener Klosters anzuerkennen, eine Potenzierung der Macht des Fürst­ abts hergestellt, indem die freien Bauern mit Gewalt zur Anerkennung der Herrschaft des entstehenden neuzeitlichen Klosterstaates Kempten gebracht wurden.669 Daneben wurden die von den bäuerlichen Untertanen zu erbrin­ genden Steuern seitens des Reichsfürstentums willkürlich erhöht, zudem wurde die Freizügigkeit der zunehmend unterdrückten Bauern und Freizinser eingeschränkt.670 Dies führte schließlich zu den Bauernbefreiungskämpfen zu Beginn des 16. Jahrhunderts, wobei die Sturmläufe des Allgäuer Haufens auf die Burg Liebenthann in Obergünzburg und auf sonstige Burgen im All­ gäu bzw. die von ihm initiierte Plünderung des Fürststifts Kempten im April 1525 besondere Erwähnung verdienen.671 Die bäuerlichen Haufen beriefen sich auf die göttliche Gerechtigkeit und erhoben damit bereits früh eine auch naturrechtlich begründete Forderung nach unveräußerlichen und unverletz­

668  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für baye­ rische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (203 ff.); ders., Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u.  a. 1989, S. 6  ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 18 ff. m. w. N.; E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Sigmaringen 1972, S.  215 f., 227 f. 669  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für baye­ rische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (205 f.); S. Sugenheim, Geschichte der Auf­ hebung der Leibeigenschaft und Hörigkeit in Europa, St. Petersburg 1861, S. 364 f. mit S. 365 Fn. 2. 670  Zum Memminger Vertrag aus dem Jahre 1526 P. Blickle, Persönliche Freiheit und politische Macht, in: W. Jahn u. a. (Hrsg), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augs­ burg 1998, S. 17 ff. Eine Übersicht zeitgenössischer Klagen der Bauern findet sich bei P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (207 f.). 671  O. Erhard, Der Bauernkrieg in der gefürsteten Grafschaft Kempten, München u. a. 1908, S. 3 ff. Zur Vorgeschichte der Bauernerhebungen im Fürststift Kempten P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (209 ff.). Grundsätzlich zu den sich im 15. Jahrhun­ dert herausbildenden bäuerlichen Haufen E. Kuhn, Der Bauernkrieg von 1525 in Oberschwaben. Bildung, Organisation und Programmatik der Haufen, Vortragsreihe 475 Jahre Bauernkrieg in Oberschwaben, S. 16 ff.

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B. Historische Grundlagen

lichen Grund-, Menschen- und Bürgerrechten.672 Auch wenn der Bauernkrieg gegen die reichsfürstliche Kemptener Obrigkeit im Ergebnis verlorenging, so führte die Niederlage zu dem Abschluss des Memminger Vertrages des Jah­ res 1526, in welchem die Schiedskommission des Schwäbischen Bundes die Landstandschaft bzw. auch Landschaft in der Form der genossenschaftlich organisierten Vertretung der bäuerlichen Untertanen als zukünftiger Vertrags­ partner der Kemptener Fürstabtei anerkannte.673 Damit trat neben den obrig­ keitsstaatlichen Fürstenhof und Hofstaat eine weitere Verfassungsinstitution hinzu, die fortan insbesondere mit Blick auf die Steuerlasten zu einem echten Gegengewicht der reichsfürstlichen Herrschaft werden sollte.674 Als im 17. Jahrhundert eine entsprechende Landschaftskasse eingerichtet worden war, die neben der grundsätzlichen Funktion der Sammlung der Anlagen zur Aufbringung der fälligen Reichs- und Kreissteuern675 später dann auch zur gebotenen Tilgung von Schulden des Stifts verwendet wurde, und es immer wieder zu dem begründeten Vorwurf von durch die reichsfürstliche Herr­ schaft veruntreuten Geldern aus der Landschaftskasse gekommen war, wurde letztlich ein ständiger Landschaftsausschuss als Kontrollorgan eingesetzt, der durch den Landeshauptrezess aus dem Jahre 1732 schließlich endgültig abge­ sichert wurde.676 Die absolutistisch-monarchische Regierung des Fürstabts bekam deshalb im Rahmen der frühneuzeitlichen Verfassung einen werden­ den Landstand an die Seite gestellt, der als institutionelle Vertretung der bäuerlichen Untertanen bereits als institutioneller Vorbote eines entsprechen­ den Gegenparts im Sinne des später im Rahmen der konstitutionellen Mo­ narchie des 19. Jahrhunderts entstehenden Zweikammersystems angesehen werden konnte.677 Die stiftkemptische Landschaft besaß aber die Besonder­ heit, dass sie nicht nur eine Vertretung des Bauernstandes war, sondern sogar 672  E. Kuhn, Der Bauernkrieg von 1525 in Oberschwaben. Bildung, Organisation und Programmatik der Haufen, Vortragsreihe 475 Jahre Bauernkrieg in Oberschwa­ ben, S. 29. 673  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für baye­ rische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (208 f.). 674  P. Blickle, Persönliche Freiheit und politische Macht, in: W. Jahn u. a. (Hrsg), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 28. 675  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (47). 676  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 45 ff. Ausführlich zum „Haubt-Verglich“ aus dem Jahre 1732 Confirmatio Caesarea über den Haubt-Verglich und Neben-Recess zwischen dem Hoch-Fürstl. Stifft Kempten, und dessen Unterthanen de Anno 1732 & 1737, StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt diesseits der Iller, Bände 3. 677  P. Blickle, Persönliche Freiheit und politische Macht, in: W. Jahn u. a. (Hrsg), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 28.



III. Die Genealogie der Herbergen163

ausschließlich aus dessen Vertretern bestand,678 womit die bäuerliche Abhän­ gigkeit des reichsfürstlichen Klosterstaats untermauert wurde, die bis zur Auflösung des Fürststifts Kempten im Zuge der Säkularisation des Jahres 1803 fortbestehen sollte.679

III. Die Genealogie der Herbergen Das Wort Herberge hat etymologisch eine lange Tradition. Es ist aus dem althochdeutschen heriberga entlehnt, worunter ursprünglich ein Aufnahmeort für viele, ein Gasthaus oder auch ein Lager verstanden wurde.680 In linguis­ tisch-morphologischer Hinsicht ist unverkennbar, dass in dem Wort Herberge der Wortstamm „Her“, hochdeutsch „Heer“, enthalten ist,681 womit ein Be­ zug zu einer begrenzten Aufnahme und Versorgung von reisenden Fürsten und ihrem oft zahlreichen Gefolge hergestellt ist.682 Andererseits kann die Herkunft des Wortes Herberge auch mit der heri multitudo, d. h. dem Volk, in Zusammenhang gebracht werden,683 womit schließlich eine großräumige Kapazität an Wohnraum verbunden ist.684 Daneben wurde das Wort Herberge auch als Synonym für den Versammlungsort der Gesellen einer Handwerks­ zunft oder -innung gebraucht, wo diese zeitweise untergebracht waren.685 Die Herberge stand deshalb nach der hochdeutschen Mundart für das beher­ bergende Moment einer zeitweisen Unterbringung von Reisenden, das Wort wurde aber auch insbesondere auf dem Lande als Synonym für Mietwohnun­ gen von armen Leuten benutzt oder in Städten und Märkten für Gebäude, bei 678  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (47). 679  Diese Abhängigkeit von den Bauern blieb bis zum Ende des Fürststifts Kemp­ ten bestehen.; vgl. nur M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkanti­ lismus, Stuttgart 1995, S. 17 f. m. w. N. 680  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116. 681  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116. 682  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149  f.; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116. 683  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149. 684  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 9. 685  So J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mund­ art, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1117; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, Mün­ chen 2015, S. 9.

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B. Historische Grundlagen

denen die Stockwerke verschiedenen Besitzern zugeordnet waren.686 Neben der vorübergehenden Versorgung, Übernachtung und Verpflegung zeigt das Wort Herberge damit auf, dass es im Hinblick auf die Entstehung von Stock­ werkseigentum auch im Kontext mit der Entwicklung der Städte und Dörfer zu sehen ist.687 Neben der Etymologie erhellen die Befunde der Rechtsgeschichte das We­ sen der Herbergshäuser. In der sprachwissenschaftlichen Forschung ist aner­ kannt, dass das Wort Herberge von dem fränkischen Wort heriberga entlehnt ist, wobei weiter angenommen wird, dass sich gerade im nordfranzösischen Raum die reinsten Formen von fränkischen Wortherkünften finden lassen, wenn sich deren Verbreitungsgebiet in erster Linie auf Nordfrankreich be­ schränkt.688 Dementsprechend finden sich in den altfranzösischen Coutumes insbesondere unter dem Titel „De servitudes“ zahlreiche grammatikalische Nachweise des Wortes Herberge in den französischen Formen „heberge“, „­héberge“ und „hébergement“ als synonyme Bezeichnungen für „maison“ und „héritage“.689 Das französische Wort für Herberge war deshalb im altfranzösi­ 686  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149  f.; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116 f.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S.  9 f.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 4; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 3; P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wandel der Zeit, Norderstedt 2014, S. 43. 687  R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 10 ff. 688  G. Rohlfs, Germanisches Spracherbe in der Romania, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – Philosophisch-historische Klasse 1944/46 (8), München 1947, S. 9 f. 689  Coustumes de la ville de Calais et pays, Calais 1630, S. 19 („herbergé“/„he­ berge“); Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230 f., 234 („heberge“); I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 443 („heberge“); J.-B. de Buridan, Coustumes de la cité et ville de Rheims, villes et villages régis selon icelles, Rheims 1665, S. 734 („hebergement“); C. Thourette, Coutumes du Comté et Bailliage de Montfort-Lamaulry, Gambais, Neauphile-leChastel, Saint-Liger en Yveline, enclaves et anciens ressorts d’iceux, Paris 1693, S. 123, 125 („heberge“/„héberge“); A. Couturier de Fournoue, Coutumes de la Pro­ vince et Comté Pairie de la Marche, Clermont-Ferrand 1744, S. 113 („deux heritages ou hebergemens“); L.-A. Sevenet, Coutume du Bailliage de Melun, Sens u. a. 1768, S. 212 („hébergement“); R.-J. Pothier, Coutumes des Duché, Bailliage et Prévôté d’Orléans, et ressort d’iceux, Paris u. a. 1780, S. 400 f. („héritage“); ebenso T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 129, 133 („heritage“); auch E. Pallu, Coustumes du Duche et Bailliage de Touraine anciens ressorts et en­ claves d’iceluy, Tours 1661, S. 321 („heritage“); dagegen sprechen die Coûtumes du Comte et Baillage d’Auxerre in diesem Zusammenhang von „maison“ und „heritage“,



III. Die Genealogie der Herbergen165

schen Sprachgebrauch anerkannt, womit offensichtlich auch eine etymologi­ sche Verbindung zu dem germanischen Wort heriberga besteht, das auch be­ reits für die fränkischen Königshöfe Verwendung fand.690 Es muss aber hier zwischen dem nord- und südfranzösischen Raum unterschieden werden, nach­ dem das mittelalterliche Rechtswesen in Frankreich zweigeteilt war und im Süden das römische gemeine Recht als ius commune galt, während die Rechts­ ordnung im französischen Norden in erster Linie durch die auf fränkischen, burgundischen und normannischen Rechtsgewohnheiten aufbauenden altfran­ zösischen Coutumes bestimmt war.691 Zwar baute die Rechtspflege in Süd­ frankreich mitunter ebenfalls auf zunächst unübersichtlichem und zersplitter­ tem Gewohnheitsrecht auf, dieses wurde aber zunehmend durch das gelehrte Recht der spätrömischen Jurisprudenz als Hauptquelle des Zivilrechts syste­ matisch ergänzt, während sich im Norden Frankreichs das droit coutumier bis lange in die Neuzeit als hauptsächliche Rechtsquelle hielt.692 Während im süd­ französischen Raum im Sinne der romanistischen Doktrin vorrangig von „un heritage (de) plusieurs portionnaires possedan par commun (…) (et) indivis“ gesprochen wurde, d. h., dass das Rechtsinstitut als römischrechtliche commu­ nio indiviso aufgefasst wurde,693 konnten die im nordfranzösischen Raum an­ zutreffenden „heberges“, „héberges“ oder „hébergements“ auch als ausge­ schiedene Gebäudebestandteile im Rahmen von mehreren Nutzeigentümern zustehenden Gebäuden bestehen,694 der Begriff wurde aber gerade auch für vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 231 f.; A. Brice, Coutumes générales de la ville de Metz et pays messin, Metz 1730, S. 362. 690  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149  f.; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116 f.; W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Aus­ gabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 164. 691  Z. v. Lingenthal/C. Salomo, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 16 f.; W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 2 f.; J. Coudert, Das Fortleben französischer Gewohnheits­ rechte aus dem Ancien Régime nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.), Französisches Zi­ vilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 37; H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 225. 692  W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – darge­ stellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 3; J. Coudert, Das Fortleben französischer Gewohnheitsrechte aus dem Ancien Régime nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.), Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 37; H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsge­ schichte, 3. Aufl., München 2017, S. 225 f. 693  J. Morgues, Les statuts et coustumes du pays de Provence, commentées par M. Jacques Morgues, Aix 1658, S. 115 f. 694  E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; vgl. M. Des-

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B. Historische Grundlagen

ein ganzes Haus verwendet, das im Sinne einer Vertikalteilung von dem Nach­ barhaus getrennt war, mit diesem aber auch über eine gemeinschaftliche Wand eine Einheit bilden konnte.695 Dabei ist auffällig, dass sich die nordfranzösi­ schen Herbergen regelmäßig durch eine eigentumsrechtliche Anbindung an das unfreie Erbe, d. h. ein gebundenes héritage, auszeichneten.696 Im nordost­ europäischen Raum, d. h. in den baltischen Ländern Lettland, Estland und Li­ tauen waren Herbergen als Häuser ebenfalls anerkannt,697 wobei im Baltikum unter einer Herberge im früheren Mittelalter zunächst ein gehobeneres Haus im Sinne eines Wirtschafts- bzw. Verwaltungsgebäudes oder eine Behausung godets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f. Dies ergibt sich ausdrücklich auch aus dem Article CXCVII. mit dem Titel „Charges qui se payent au voisin“ der Coutumes de Paris (Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 231): Article CXCVII. mit dem Titel „Charges qui se pa­ yent au voisin.“: „Les charges sont de payer & rembourser par celuy qui se loge & heberge sur & contre le mur mitoyen, de six roises, l’une de ce qui sera basti au dessus de six pieds.“ 695  Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230, 234: Article CXCIV. mit dem Titel „Basttisant contre mur non moitoyen, que doit, & quand.“: „Si aucun veut bastir contre un mur moitoyen, faire le peut, en payant moi­ tié tant dudit mur que fondation d’iceluy, iusques a son heberge.“ und Article CCVI. mit dem Titel „Poutres & soliues ne se mettent dans le mur non moitoyen.“: „N’est loisible à un voisin de mettre ou faire mettre & loger les poutres & soliues de sa maison dans le mur d’entre luy & sondit voisin, si ledit mur n’est moitoyen.“ 696  Coustumes de la ville de Calais et pays, Calais 1630, S. 19 („herbergé“/„he­ berge“); Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230 f., 234 („heberge“); I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 443 („heberge“); J.-B. de Buridan, Coustumes de la cité et ville de Rheims, villes et villages régis selon icelles, Rheims 1665, S. 734 („hebergement“); C. Thourette, Coutumes du Comté et Bailliage de Montfort-Lamaulry, Gambais, Neauphile-leChastel, Saint-Liger en Yveline, enclaves et anciens ressorts d’iceux, Paris 1693, S. 123, 125 („heberge“/„héberge“); A. Couturier de Fournoue, Coutumes de la Pro­ vince et Comté Pairie de la Marche, Clermont-Ferrand 1744, S. 113 („deux heritages ou hebergemens“); L.-A. Sevenet, Coutume du Bailliage de Melun, Sens u. a. 1768, S. 212 („hébergement“); R.-J. Pothier, Coutumes des Duché, Bailliage et Prévôté d’Orléans, et ressort d’iceux, Paris u. a. 1780, S. 400 f. („héritage“); ebenso T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 129, 133 („heritage“); auch E. Pallu, Coustumes du Duche et Bailliage de Touraine anciens ressorts et en­ claves d’iceluy, Tours 1661, S. 321 („heritage“); dagegen sprechen die Coûtumes du Comte et Baillage d’Auxerre in diesem Zusammenhang von „maison“ und „heritage“, ebenso E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 231 f.; A. Brice, Coutumes générales de la ville de Metz et pays messin, Metz 1730, S. 362. 697  G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistorische Studie, Stockholm 1971, S. 7 f., 130 ff., A. Hupel, Oekonomisches Handbuch für Liefund ehstländische Guthsherren, wie auch für deren Disponenten, Band I, Riga 1796, Vorrede S. III f., 222.



III. Die Genealogie der Herbergen167

für die Hofsweber, Bediensteten und Spinnmägde verstanden wurde, die von der Ausstattung auch in der Nähe eines Herrenhauses anzusiedeln sein konn­ ten, während das Wort später dann zunehmend synonym für einfachere Häuser Verwendung fand und sich damit dem herrschenden europäischen Begriffsver­ ständnis im hohen Mittelalter wie in der frühen Neuzeit im Sinne einer Volks­ stube anpasste.698 Dieses Begriffsverständnis aber lässt eine eindeutige Paral­ lele zu den frühmittelalterlichen karolingischen Königshöfen erkennen, die grundsätzlich aus einem Gutshaus und einem auch die heriberga umfassenden Sal- oder Fronhof bestanden, der unter der entsprechenden Verwaltung eines Amtsmannes stand.699 Im englischen Common Law war andererseits eine ent­ lehnte Bedeutung der heriberga anerkannt, wonach Amtsleute den Bürgern befahlen, Häuser als herbigandum und für die Unterbringung von Menschen herzurichten, womit sich in der „hare berg“ auch die feudalistische Delegation eines dominium directum zeigte.700 Aufgrund des starken normannischen Ein­ flusses waren deshalb Herbergen in Großbritannien weit verbreitet,701 die sich wie in Nordfrankreich später auch als ausgeschiedene Gebäudebestandteile zeigen konnten.702 Die innere Verbundenheit der skandinavischen Länder im Sinne einer gemeinsamen Rechtstradition703 zeigt sich an den unterschiedli­ chen grammatikalischen Ableitungen für das fränkische Wort Herberge wie 698  G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistorische Studie, Stockholm 1971, S. 7 f., 130 ff., A. Hupel, Oekonomisches Handbuch für Liefund ehstländische Guthsherren, wie auch für deren Disponenten, Band I, Riga 1796, S. 222; H. Ojansuu, Altes und Neues zu den germanisch-finnischen Berührungen, in: Neuphilologische Mitteilungen 1918 (7/8), 49, (51). 699  W. Schlesinger, Pfalzen und Königshöfe in Württembergisch Franken und an­ grenzenden Gebieten, in: Historischer Verein für Württembergisch-Franken (Hrsg.), Württembergisch-Franken, Schwäbisch Hall 1969, S. 3 f.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (52); S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsge­ schichte, München 2019, § 16 Rn. 1 f.; vgl. auch W. Metz, Die Königshöfe der Bre­ vium Exempla, in: F. Baethgen/H. Grundmann (Hrsg.), Deutsches Archiv für Erfor­ schung des Mittelalters namens der Monumenta Germaniae Historica, 22. Jahrgang, Köln u. a. 1966, S. 609 f. 700  J. Cowell, Kommentierung zu „He“, in: A law dictionary: Or the Interpreter of Words and Terms: used either in the Common or Statute laws of Great Britain, and in Tenures and Jocular Customs, London 1727; G. Jacob, Kommentierung zu „Her“, in: A new law-dictionary: containing the interpretation and definition of words and terms used in the law, 10. Aufl., London 1782 m. w. N. 701  R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deut­ schen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1880 (1), 1, (68 f.). 702  S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Privat- und Öffent­ liche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (737 f.). 703  K. Zweigert/H. Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., Tübingen 1996, S.  271 f.

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B. Historische Grundlagen

dem von „heribergera“ abgeleiteten altschwedischen Wort härbärghe oder her­ berghe, in Bezug auf Finnland an den Wörtern helperi bzw. hölperi, in Island oder Norwegen auch herbergi, die sämtlich für ein Quartier, eine Unterkunft bzw. eine gastliche Aufnahme und damit für einen Ort standen, an dem ein Fremder empfangen wurde, aber auch für eine Stube, einen Raum oder ein Zimmer wie auch für eine Behausung bzw. Residenz, wobei in der Sprachwis­ senschaft unter Verweis auf die Zeit des Mittelalters auf einen Bedeutungs­ wandel hingewiesen wird, der sich in der Neuzeit entwickelt hat, so dass die altsprachlichen Formen im skandinavischen Raum ursprünglich nur im Sinne eines Quartiers, einer Unterkunft und einer gastlichen Aufnahme in Erschei­ nung getreten sind.704 Im mittelalterlichen Wiener Stadtrechts- und Weichbild­ buch aus dem 13. Jahrhundert wurde in Art. 132 davon gesprochen, dass wenn jemand „(…) wil daruber ain dieselben maur höcher mauren, und der ander nicht, des mag nicht sein mit recht, wann es ein ungetailteu maur ist“,705 wo­ mit auch in Wien die gemeinschaftliche Mauer als konstituierendes Moment der Entstehung von Herbergen angesehen wurde.706 Zudem ergab sich aus Art. 133 des Wiener Stadtrechts- und Weichbildbuches ein Zustimmungserfor­ dernis des Grundherrn, dem das Erbe als „héritage“ zu dienen hatte.707 In Ita­ lien wurde das Stockwerkseigentum in der gelehrten römischen Jurisprudenz des 15. Jahrhunderts als communio indiviso betrachtet,708 während später dann mitunter die Statuti di Milano aus dem Jahre 1773 unter dem Capitolo CCCXLVII. unter anderem hinsichtlich der Kosten- und Lastentragung an „la soffitta esistente tra l’Edifizio superiore e l’inferiore“ anknüpften,709 woran sich die gleiche herbergsrechtliche Dogmatik wie im nordfranzösischen droit coutumier erkennen lässt, die als konstituierendes Kriterium für eine Herberge 704  C. Deleen/S. Delen, Fransyskt och Svenskt Lexikon, – H –, Stockholm 1819, S. 8; H. Ojansuu, Altes und Neues zu den germanisch-finnischen Berührungen, in: Neuphilologische Mitteilungen 1918 (7/8), 49, (50 f.); S. Snorri, The Stories of the Kings of Norway called the round world, London 1905, S. 354. 705  H. Schuster, Das Wiener Stadtrechts- oder Weichbildbuch, Wien 1873, S. 122 f.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (95 f. Fn.  5). 706  Vgl. H. Schuster, Das Wiener Stadtrechts- oder Weichbildbuch, Wien 1873, S.  122 f.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (95 f. Fn. 5). 707  Vgl. H. Schuster, Das Wiener Stadtrechts- oder Weichbildbuch, Wien 1873, S. 123. 708  C. Bartholomaeus, Tractatus de Servitutibus tam urbanorum quam rusticorum praediorum, Lausanne 1737, S. 113 f. 709  Statuti di Milano, 1773; zitiert nach S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeit­ schrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (721).



III. Die Genealogie der Herbergen169

auf eine gemeinschaftliche An- oder Aufbaumauer abstellte.710 Auch für das heutige Slowenien, das sich geschichtlich in einem direkten Zusammenhang mit der Entwicklung des österreichischen Kärnten sieht,711 ist durch eine spät­ mittelalterliche Urkunde aus dem Jahre 1470 die Existenz von Herbergen für das ehemalige Herzogtum Krain wissenschaftlich nachgewiesen.712 Danach hatten in „Crain (…) ein hanntwercher, der zu herwerg ist, 32 pfennig und ain witib halben (Teil) solichs anschlags (…) (sowie) der in einer herberg oder hofstat siczt, 8 pfennig und ein yedes weyb halben tayl ires / man anslag (…)“ als Abgabe an die Landsleute von Krain zu entrichten.713 Aus einem Quellen­ nachweis aus dem ältesten Stadtrecht der nordböhmischen Stadt Liberec er­ gibt sich, dass die Herberge als Haus in den Ländern der böhmischen Krone anerkannt war, wobei die „herbrige“ auch ein ausgeschiedener Gebäudebe­ standteil sein konnte, den sich ein erbrechtlich Verfügender hinsichtlich eines lehens- bzw. grundherrschaftlichen Gutes mit der Zustimmung der „öbrigkait“ von den Erben ausbedingen konnte.714 Im böhmischen Sprachgebrauch wurde die Herberge zudem mit den Wörtern hospoda für eine Gaststätte, ein Gast­ haus, einen Gasthof sowie ein Wirtshaus und nocleh für Unterkunft, Nacht­ quartier bzw. Bett unterlegt.715 Bemerkenswert ist eine weitere Kommentie­ rung, die eine Herberge mit dem böhmischen Wort weyměnek belegt,716 wo­ mit „dasjenige, was sich ein Bauer, der seine Wirthschaft jemand abgetreten, zu seinem Unterhalte ausbedungen hat, das Ausbedungene, Ausgeschiedene“ verstanden wurde,717 worunter wiederum das Geding, die Herberge, die Stube oder die Leibzucht fallen konnten.718 Damit wurde auch in den Ländern der böhmischen Länder die Herberge wie auch im nordfranzösischen und belgi­ 710  Vgl. M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. XX. 711  H. Küpper, Einführung in die Rechtsgeschichte Osteuropas, Frankfurt a.  M. 2005, S.  238 f. 712  Vgl. J. Unrest, Österreichische Chronik, herausgegeben von K. Grossmann, Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum, NS. 11, Weimar 1957, S.  31 f. 713  J. Unrest, Österreichische Chronik, herausgegeben von K. Grossmann, Monu­ menta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum, NS. 11, Weimar 1957, S.  31 f. 714  W. König-Beyer, Das älteste Reichenberger Stadtbuch – mit einer ortsge­ schichtlichen Einleitung und verschiedenen Anmerkungen versehen von Viktor Lug, Reichenberg 1943, S. 64 f. 715  K. Tham, Neuestes möglichst vollständiges deutsch-böhmisches und böhmischdeutsches Taschenwörterbuch, Prag 1814, S. 295. 716  J. Jungmann, Slownjk česko-německy, Band V: W–Ž, Prag 1839, S. 290. 717  K. Tham, Versuch eines böhmisch-deutschen juristischen, und geschäftsmänni­ schen Lexikons, Prag 1808, S. 72. 718  J. Jungmann, Slownjk česko-německy, Band V: W–Ž, Prag 1839, S. 290.

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B. Historische Grundlagen

schen droit coutumier im Zusammenhang mit dem unfreien Erbe, dem héri­ tage, gesehen.719 In dieses Schema passen sich im Ergebnis die Herbergs­ häuser der ehemaligen Kemptener Fürstabtei nahtlos ein. Dies wird an einem konkreten Herbergskomplex deutlich, der sich über die Jahrhunderte erhalten hat und nach einem entsprechenden Anbau an das Nachbargebäude im 15. Jahrhundert aus zwei Häusern bestand, von denen eines im 18. Jahrhun­ dert dann wieder in zwei Herbergen als ausgeschiedene Gebäudebestandteile aufgeteilt wurde.720 Damit zeigt sich, dass auch in der Kemptener Fürstabtei ein ähnliches Begriffsverständnis wie im nordfranzösischen Raum maßgebend war, wonach Herbergen sowohl ganze Häuser wie auch einzelne Wohneinhei­ ten im Rahmen eines Gebäudes sein konnten.721 Dies kann hinsichtlich dieses Herbergskomplexes anhand der im Jahre 1738 im Fürststift Kempten einge­ führten Landtafeln der Gemeinde St. Lorenz Rottach konkretisiert werden, wonach es sich nach der Teilung des einen Herbergshauses um die Herber­ gen 8 a und b als zwei „aigen 1/2 Haus“ handelte, während die Herberge 8 c mit „1 Häusle“ beschrieben wurde.722 Auch die geteilten Stockwerke der Her­ bergen 8 a und b als einzelne Wohneinheiten wurden im 19. Jahrhundert dann beschrieben als „hat eigne Hörberg“.723 Im Urkataster des 19. Jahrhunderts724 719  R.-J. Pothier, Coutumes des Duché, Bailliage et Prévôté d’Orléans, et ressort d’iceux, Paris u. a. 1780, S. 400 f. („héritage“); ebenso T. de la Thaumassiere, Maxi­ mes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 129, 133 („heritage“); auch E. Pallu, Coustumes du Duche et Bailliage de Touraine anciens ressorts et enclaves d’iceluy, Tours 1661, S. 321 („heritage“); dagegen sprechen die Coûtumes du Comte et Bail­ lage d’Auxerre in diesem Zusammenhang von „maison“ und „heritage“, E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 231 f.; ebenso A. Brice, Coutumes générales de la ville de Metz et pays messin, Metz 1730, S. 362; G. de Longé, Coutumes du pays et duché de Brabant. Quartier d’Anvers – Coutumes de la ville de Malines, Brüssel 1879, S. 109, 111 ff., wo die Begrifflichkeit „heritage“ syno­ nym verwendet wurde. 720  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122; Steuerregister des Pfleg­ amtes diesseits der Iller der Pfarrei St. Lorenz aus dem Jahre 1742; Steuerliste Pfarr St. Lorenz die Fastnacht Henne betreffend aus dem Jahre 1743. 721  Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230 f., 234; E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; vgl. M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f. 722  StAA, Fürststift Kempten, Landtafelamt, Bände 152. 723  StAA, Fürststift Kempten, Landtafelamt, Bände 164, Eintragsnummer 82. 724  Zur Steuerkatastervermessung im Königreich Bayern zu Beginn des 19. Jahr­ hunderts A. Kraus, Die naturwissenschaftliche Forschung an der Bayerischen Akade­ mie der Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung, München 1978, S. 166 ff.; M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Haus der Bayerischen Geschichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Band 26, Augsburg 2001, S. 9 ff.; A. Fuchs, Wie alles begann, in: Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, Abtei­



III. Die Genealogie der Herbergen171

ist die Herberge 8 a dann als Gebäude auf dem Grundstück mit der ­Pl.-Nr. 1718* vermerkt, die aus einem „Hausantheil mit gemeinschaftlichem Hofraum(,) bestehend zu ebener Erde aus einer Stube, zwei Kammern, einem Hausgang, Holzschupfe und Keller 1/2 Antheil mit HsNr. 8 b und c“ bestand, wobei der Herberge noch ein Würzgarten mit der Pl.-Nr. 1716 zugeordnet war, während die Herberge 8 b auf dem Grundstück mit der Plannummer 1718* mit „einem Hausantheil mit gemeinschaftlichem Hofraum und Holzlege, be­ steht im oberen Stock aus einer Stube, einer Stubenkammer, Nebenkammer und einem Keller und dem Dachboden, 1/2 Anteil mit Hs.Nr. 8 a c“ und einem Würzgarten auf dem Grundstück mit der Pl.-Nr. 1717 beschrieben war.725 Die Herberge mit der Hausnummer 8 c dagegen war nach dem Urkataster hin­ sichtlich des Grundstücks mit der P ­ l.-Nr. 1719 a mit einem „Hausanteil mit gemeinschaftlichem Hofraum, bestehend in dem Anbau aus einer Stube, zwei Kammern, einem Keller, Holzlege und Dachboden“ eingetragen, wobei auch zu dieser Herberge auf dem gesonderten Grundstück mit der Pl.-Nr. 1719 b ein Würzgarten dazugehörte.726 Der Grundbesitz der späteren Plannummern 1718*, 1719 a und 1719 b war dabei stets lehensrechtlich gebunden und wurde dann im 18. Jahrhundert in der Form von entsprechend aufgeteilten zinseige­ nen Gütern wieder ausgegeben.727 lung Vermessung, Informations- und Kommunikationstechnik (Hrsg.), Es ist ein Maß in allen Dingen – 200 Jahre Bayerische Vermessungsverwaltung 1801–2001, Mün­ chen 2001, S. 26 ff.; W. Torge, Geschichte der Geodäsie in Deutschland, 2. Aufl., Berlin u. a. 2009, S. 113 ff.; F. Past, Dr. Johann Georg von Soldner, Schöpfer der wissenschaftlichen Grundlagen der bayerischen Landesvermessung, in: K. Kröger (Hrsg.), Wegbereiter in der deutschen Landesvermessung, Stuttgart 1999, S. 93 ff.; K.-H. Zweckerl, Erster urkundlicher Besitznachweis, der Urkataster, in: J. Dietz (Hrsg.), Chronik der Juradörfer, Weiden 2012, S. 32 ff. 725  StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Katas­ ter 940 II, fol. 344–347. 726  StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Katas­ ter 940 II, fol. 344–347. 727  StAA, Fürststift Kempten, Archiv Bände 1274, Landamman Ambts Protocolle dato 4ten gbris 1671 bis 4t. Aprilis 1674; StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 98, Lehenbuch des Fürstabts Kardinal Bernhard Gustav von Baden-Durlach für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Wiggensbach, Krugzell und Altusried; StAA, Fürststift Kempten, Hofkammer Bände 291, Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 1 (1729), Rottach; Actum vom 17.10.1729, wo hinsichtlich der Herberge 8 c von einer „aigenthümblichen Hörberg auf der Rottach, deren Grundt und Boden gdgster. Herrschaft gehörig (ist)“, gespro­ chen wird. Zu der Praxis der späteren vermehrten Ausgabe von Zinseigen im Fürst­ stift Kempten auch W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694– 1836), München 1998, S. 209 f.

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B. Historische Grundlagen

Die Herbergshäuser bestanden grundsätzlich aus Holz, wobei sich ab dem 18. Jahrhundert vermehrt auch der Backstein- und Ziegelmauerbau durchgesetzt hat.728 Sie waren von der Höhe her gegenüber dem heutigen baurecht­lichen Standard etwas kleiner erbaut, was sich auch an den Kellern zeigte, die zum einen regelmäßig eine Raumhöhe von unter 2 Metern besa­ ßen und zum anderen oftmals nur über Luken von oben zugänglich wa­ ren.729 Die Bauweise war auch in der Kemptener Fürstabtei wie im Münch­ ner Raum oftmals durch eine zweigeschossige Bebauung geprägt, die durch einen Ausbau des Dachgeschosses aber erweitert werden konnte.730 Die Wasserversorgung wurde dabei nicht selten durch eigene Brunnenanlagen hergestellt,731 auch eigene Toilettenanlagen, d. h. Aborte, waren nicht immer vorhanden, weshalb die in Nachttöpfen und Leibstühlen gesammelten Not­ durften in Flüssen und Bächen entsorgt wurden.732 Ein Abgleich der inne­ ren Architektur der Herbergshäuser im europäischen Raum ergibt weitere bedeutende Erkenntnisse für den Aufbau der Herbergen und deren fränki­ schem Wesen. Und zwar standen die Herbergen offensichtlich in einem en­ gen baulichen Zusammenhang mit dem Flurküchenhaus als dem typischen fränkischen Haustypus,733 so dass auch insoweit die salisch-fränkischen Rechtsgewohnheiten zu erkennen sind, wie sie sich seit dem frühen Mittel­ alter über den kontinentaleuropäischen Raum verbreitet haben.734 Ein frän­ kisches Flur­küchenhaus bestand regelmäßig aus einer größeren Stube sowie 728  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 210; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 4; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 18. 729  Für die Kemptener Fürstabtei ergibt sich dieser Befund aus mehreren Herber­ gen des heutigen Ortsteils der Stadt Kempten (Allgäu) mit dem Namen Äußere Rot­ tach; vgl. auch W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 4; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 18 ff. 730  Vgl. StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Kataster 940 II, fol. 344–347; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S.  18 ff. 731  Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu), Uraufnahme der Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach mit Einzeichnung der zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch bestehenden Brunnen; vgl. auch R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S.  20 f. 732  R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 20; W. Dölker, Das Her­ bergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 20, 22. Herbergen waren deshalb oftmals in der Nähe von Gewässern anzutreffen.; vgl. W. Dölker, ebd., S. 20. 733  Zum fränkischen Haustypus des Flurküchenhauses im Zusammenhang mit den Herbergen G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistori­ sche Studie, Stockholm 1971, S. 86 f., 130 ff. 734  Vgl. R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deutschen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1880 (1), 1, (12 ff.).



III. Die Genealogie der Herbergen173

mehreren Kammern, wobei der Flur der Küche zugeordnet war, wo sich regelmäßig in unmittelbarer Nähe eine Feuerstelle befand, deren abgeleitete Wärme sich dann auf die danebenliegende Stube erstrecken konnte.735 Im Ergebnis durchzieht dieses fränkische Modell, wenn auch in unterschiedli­ chen architektonischen Ausformungen, den europäischen Raum, wobei sich auch die südosteuropäischen Häuser der Familien- und Dorfgemeinschaften in Rumänien und Bulgarien mit einer ähnlichen Architektur darstellen.736 Für das ehemalige Fürststift Kempten weist der Urkataster des 19. Jahrhun­ derts hinsichtlich der vormaligen Herberge 8 a uff der Rotach einen Be­ stand aus, wonach sich das Gebäude auf der Pl.-Nr. 1718* befand und aus einem „zu ebener Erde“ gelegenen „Hausantheil mit gemeinschaftlichem Hofraum“ bestand, der „aus einer Stube, zwei Kammern, einem Hausgang, (einer) Holzschupfe und (einem) Keller“ zusammengesetzt war, während die Herberge 8 b ebenfalls auf dem Grundstück mit der Plannummer 1718* angeordnet und „im oberen Stock (…) (mit) einer Stube, einer Stubenkam­ mer() (und einer) Nebenkammer“ gelegen war.737 Das Nachbarhaus der Herberge 8 c dagegen war im Urkataster hinsichtlich des Grundstücks mit der Pl.-Nr. 1719 a mit einem „Hausanteil mit gemeinschaftlichem Hofraum, bestehend in dem Anbau aus einer Stube, zwei Kammern, einem Keller, Holzlege und Dachboden“ eingetragen.738 Beide Haushälften, d. h. diejenige der Herbergen 8 a und b und die der Herberge 8 c, waren dabei im Innen­ bereich derart ausgestaltet, dass sich der Kamin bei der einen Haushälfte mittig zeigte, während bei der Herberge 8 c der Kamin oberhalb des Flures und der Küche und damit an die östliche Hauswand unmittelbar angren­ zend angeordnet war.739 An diesen beiden Herbergshäusern fällt deshalb auf, dass sie jeweils aus Stuben und Kammern bestanden, wobei sich die Feuerstellen als Kamine direkt in der Nähe des Flures und der Küche be­ 735  G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistorische Studie, Stockholm 1971, S. 86 f. 736  Siehe hierzu G. Doytchinov/Ch. Gantchev, Österreichische Architekten in Bul­ garien 1878–1918, Wien u. a. 2001, S. 28 ff. mit Lichtbildern auf S. 30 f. 737  StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Katas­ ter 940 II, fol. 344–347. 738  StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Katas­ ter 940 II, fol. 344–347. 739  StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Kataster 940 II, fol. 344–347; J. B. Weiß, „Die untere Rotach bey Kempten“ – Blick über die Rottach mit Steg auf mehrere Häuser und Höfe, vorne Gebüsch, Federzeich­ nung, nach der Natur gezeichnet, 1827, wo die Kamine der Herbergen zu erkennen sind.

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B. Historische Grundlagen

fanden.740 Auch im nordrheinwestfälischen Höxter und in dessen Umge­ bung stellte sich um das Jahr 1500 das Wohnspeicherhaus mit Stube, Flur, Küche und weiteren Kammern als der typische Haustypus dar.741 Ein ähn­ licher Befund ergibt sich aus der Regensburger Wachtgerichtsordnung vom 17.03.1657, die unter anderem hinsichtlich der Unzulässigkeit einer hori­ zontalen Teilung eines Hauses von „Keller, Stuben“ bzw. von „alle diejeni­ gen Gemach“ sprach.742 Diese Nähe zu dem fränkischen Haustyp des Flur­ küchenhauses wird auch für die Münchner Au der heutigen bayerischen Landeshauptstadt bestätigt, wo Herbergen ganze Häuser wie ausgeschie­ dene Gebäudeteile sein konnten und das entsprechende Urkundenmaterial regelmäßig von Gemächern spricht.743 Einen klaren wissenschaftlichen Be­ fund liefern andererseits auch die Herbergen in Wien, wo anhand von hochmittelalterlichen Urkunden ausgeschiedene Gebäudebestandteile aus­ drücklich belegt sind, die mitunter mit „an dem drittail des hauses“, einer seitens vier Brüdern „gemeinsam ererbte(n) Haushälfte“ oder mit „sein Haus halbs verkaufft“ beschrieben wurden, wobei auch hier in den histori­ schen Dokumenten regelmäßig von „stuben und camer“, von einer „stuben halbe, da der ofen inn stet“ oder von „gemëchen“ gesprochen wurde.744 Nachdem in Wien, Salzburg, Niederösterreich wie auch im sonstigen öster­ reichischen Raum die Existenz von Herbergen wissenschaftlich belegt ist,745 können die Beschreibungen der Besitzstände in den hochmittelalterli­ chen Urkunden nur die für das Baltikum, wo die Herbergen ebenfalls aus Stuben und Kammern bestanden, bereits nachgewiesene wissenschaftliche Erkenntnis bestätigen, wonach sich die Herbergen regelmäßig als fränki­

740  J. B. Weiß, „Die untere Rotach bey Kempten“ – Blick über die Rottach mit Steg auf mehrere Häuser und Höfe, vorne Gebüsch, Federzeichnung, nach der Natur gezeichnet, 1827. 741  H. Rüthing, Höxter um 1500 – Analyse einer Stadtgesellschaft, Paderborn 1986, S.  379 f. 742  Wachtgerichtsordnung vom 17.03.1657, zitiert nach O. v. Feilitzsch, Stock­ werkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivat­ rechts, München 1920, S. 15. 743  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 14 ff., 21, 25 ff. 744  F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (96 f. Fn. 1, 97 Fn. 2) unter direkter Bezugnahme auf entsprechende hoch­ mittelalterliche Wiener Urkundennachweise. 745  K. Uhlirz, Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, Abteilung II: Regesten aus dem Archive der Stadt Wien, Band III: Verzeichnis der Originalurkunden des Städti­ schen Archivs, Wien 1904, S. 130; Wort herberge, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch (FWB), www.fwb-online.de/lemma/ herberge.s.1f. (letzter Abruf: 31.01.2022).



III. Die Genealogie der Herbergen175

sche Flurküchenhäuser darstellten.746 Der europäische Kontext führt dabei zu einer weiteren Konkretisierung. Denn auch im nordischen Rechtskreis wurden heizbare Gemächer als Stuben, auch „stofa“ bzw. „ofnstofa“, be­ zeichnet, wobei Sprechstuben, in denen Vornehme Gehör gaben, Gefolgs­ stuben für das Gefolge eines Fürsten sowie Wohn- und Badstuben unter­ schieden wurden, wenngleich auch noch die skemma als gesonderte Män­ ner- und Frauengemächer angeführt werden müssen.747 Die skandinavischen Wörter härbärghe, helperi oder herbergi standen dabei für ein Quartier, eine Unterkunft bzw. eine gastliche Aufnahme und damit für einen Ort, an dem ein Fremder empfangen wurde, aber auch für eine Stube.748 Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Tschechische Republik und den Raum des ehemali­ gen Großmährischen Reiches, wo die Häuser bzw. Herbergen aus Stuben und Kammern zusammengesetzt waren.749 Auch hat sich im heutigen Un­ garn der fränkische Haustypus des Flurküchenhauses mit Stuben und un­ mittelbar daran sich anschließenden Küchen- bzw. Feuerstellen über die Jahrhunderte konserviert.750 Schließlich waren auch die Bauernhäuser in den slowenischen Karawanken zumindest am Maßstab des fränkischen Haustypus des Flurküchenhauses ähnlich aufgebaut, wenn das Haupthaus regelmäßig aus Stuben, Kammern und Kellern bestand und der bäuerliche Hof durch Wirtschaftsgebäude, Scheunen und Ställe vervollständigt wur­ de.751 Die innere Architektur der Herbergen in der Kemptener Fürstabtei besitzen deshalb eine architektonische Nähe zu dem fränkischen Haustypus des Flurküchenhauses und passen sich insgesamt in den Herbergsbestand des kontinentaleuropäischen Raumes ein. Als Wesensmerkmal der Herbergen als altrechtliche Wohneinheiten752 gilt die horizontale Gebäudeteilung, wobei diese nicht nur in der klassischen Form von getrennten Stockwerken vorkam, sondern sich gerade später auch durch das Prinzip des ineinander Verwobenen auszeichnen konnte, d. h., dass 746  G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistorische Studie, Stockholm 1971, S. 86 f., 130 ff. 747  K. Weinhold, Nordisches Leben, Berlin 1856, S. 224 ff. m. w. N. 748  H. Ojansuu, Altes und Neues zu den germanisch-finnischen Berührungen, in: Neuphilologische Mitteilungen 1918 (7/8), 49, (51). 749  W. König-Beyer, Das älteste Reichenberger Stadtbuch – mit einer ortsge­ schichtlichen Einleitung und verschiedenen Anmerkungen versehen von Viktor Lug, Reichenberg 1943, S. 65 (Kammern); J. Jungmann, Slownjk česko-německy, Band V: W–Ž, Prag 1839, S. 290 (Stube). 750  É. Márkus, Zur Volkskunde der Ungarndeutschen, Budapest 2010, S. 198 ff., 262 f. 751  T. Cevc, Das Bauernhaus in den Karawanken, Klagenfurt 1991, S. 66 ff. 752  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 45; P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 165 f.

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B. Historische Grundlagen

auch einzelne Räume bzw. zueinander gehörende Raumteile bzw. -komplexe im Rahmen eines Gesamtgebäudes einzelne Herbergen bilden konnten.753 In der Wissenschaft sind andererseits bereits Vorkommen dieser horizontalen Stockwerksrechte für das Altertum überliefert, namentlich für das altbabylo­ nische Recht, das alte Ägypten, für Syrien und das ehemalige Seleukiden­ reich als einem der hellenistischen Diadochenstaaten, womit die Horizontal­ teilung bei Gebäuden im Ergebnis auch für den Raum des späteren Byzanti­ nischen Reiches nachgewiesen ist.754 Der Unterschied zu den spätantiken römischen bzw. mittelalterlichen Rechtsinstituten bestand aber hinsichtlich der altertümlichen Stockwerksrechte in der grundsätzlichen rechtlichen Aus­ gestaltung in der Form einer communio pro diviso, d. h. einer ungleichmäßi­ gen und realen Teilung von entsprechenden Gebäuden in ausgeschiedene

753  J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3.  Aufl., München 1864, S.  154; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stock­ werkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württem­ berg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (353); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 70 ff.; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 52 ff.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S.  1 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum – Geschichte, Theorie und Praxis der materiellen Gebäudeteilung unter besonderer Berücksichtigung von Rechtstatsachen aus Österreich, Berlin 2007, S. 269 ff.; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126 f.); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 2. Eine Abbildung der Bauskizze einer Gesamtherberge findet sich bei R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 11. 754  S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Privat- und Öffentli­ che Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (709 ff.); D. Pappulias, Zur Geschichte der Superficies und des Stockwerkseigentums, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanische Abteilung 1906 (27), 363, (363 f.); L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 76 ff.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1934 (54), 89, (89 ff.) m. w. N.; J. Limpens, La propriété hori­ zontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 583; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 16 m. w. N.; N. Thun, Die rechtsge­ schichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Pri­ vatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 16 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  50 m. w. N.



III. Die Genealogie der Herbergen177

Bestandteile.755 Das klassische römische Pandektenrecht stand der insbeson­ dere im germanischen Kulturkreis zu beobachtenden Horizontalteilung mit seinem naturrechtlichen Axiom superficies solo cedit grundsätzlich dann ab­ lehnend gegenüber,756 ermöglichte auf mehrere Eigentümer verteilte Stock­ werksrechte aber durch das anerkannte Rechtsinstitut einer communio indi­ viso, wobei auch ein superfiziarisches Recht als dogmatischer Ansatzpunkt in Betracht kam, wenngleich darin auch eine Durchbrechung des rö­ mischrechtlichen Grundsatzes eines in sich einheitlichen Eigentums an

755  Überzeugend S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Privatund Öffentliche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (705 ff.) unter Bezugnahme und Erläuterung mehrerer Quellen; D. Pappulias, Zur Geschichte der Superficies und des Stockwerkseigentums, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Roma­ nische Abteilung 1906 (27), S. 363, der im Zusammenhang mit dem altgriechischen Recht von dem Rechtsinstitut des Erbbaurechts spricht, wobei der Käufer eines Stockwerks nach zwei Quellen nicht auch Miteigentümer des Grund und Bodens wer­ den sollte, womit eine communio indiviso ausscheidet. 756  H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und The­ orie, Berlin 1867, S. 114 ff.; Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), S.  211 ff.; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 415 f.; O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 283 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S.  40 ff. m. w. N.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Be­ rücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  11  ff.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 10  ff., 40  ff.; H.  Zoep­pritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 10; Planck’s Kom­ mentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachen­ recht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deut­ sche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münche­ ner Au, München 1969, S. 13 f., 22 ff., 30 ff., 116; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stock­ werkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 f.); O. Bogenschütz, Das Stock­ werkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126 ff.); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 21 ff., 137 ff.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 10 ff.; Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 42 f.; Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift be­ treffend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rah­ men des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 4 f.

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B. Historische Grundlagen

Grundstücken und den auf ihm errichteten Bauten gesehen werden konnte.757 Hervorzuheben ist aber, dass das byzantinische Recht im Übrigen und im Gegensatz zu anderen antiken Rechtsbüchern wie dem syrischen keine be­ stimmte Regelung des Stockwerkseigentums vorsah, sondern sich hier lokale Gewohnheitsrechte entwickelt hatten, die mitunter auch bereits Kosten- und Lastenregelungen in Bezug auf Instandsetzungen und Reparaturen vorsa­ hen.758 Demgegenüber stellten die im germanischen Raum vorzufindenden Herbergshäuser bzw. die ausgeschiedenen Herbergen im Rahmen eines Ge­ bäudes ein, wenn auch obereigentümlich gebundenes, Sondereigentum auf einem fremden bzw. gegebenenfalls gemeinschaftlich gebundenen Grund und Boden dar, welches sich der römischrechtlichen Doktrin bis zuletzt widersetzte,759 weshalb bei den antiken griechisch-römischen Frühformen nicht von Herbergen gesprochen werden kann.760 Andererseits wird die An­ 757  S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (713 ff.). Zu Durchbrechungen des Grundsatzes superficies solo cedit im klassischen römischen Recht L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Imma­ nuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 78; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelal­ ters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (89 ff.) m. w. N.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigen­ tums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburts­ tag, Salzburg 1971, S. 583 f. m. w. N.; M. Rainer, Superficies und Stockwerkseigentum im klassischen römischen Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanische Abteilung 1989 (106), 327, (348 ff.); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/ C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 1 m. w. N. 758  D. Pappulias, Zur Geschichte der Superficies und des Stockwerkseigentums, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanische Abteilung 1906 (27), 363, (363 f.). 759  J. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou com­ mentaire et complément des codes Français, Band VIII, Paris 1827, S. 389; vgl. auch J. M. Boileux, Die Controversen des französischen Civilrechts nach dem Commen­ taire sur le Code civil, Stuttgart 1841, S. 164 f. Siehe zu dem vom Grund und Boden losgelösten Sondereigentum an Gebäuden nach altdeutschen territorialen Rechten J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlun­ gen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 71 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S.  40 ff. m. w. N.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 153 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3. 760  A. A. hinsichtlich der rechtsdogmatischen Einordnung als Eigentum im engeren Sinne etwa L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römi­ schem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 über­ reicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 76 ff., der insoweit auf einen Kaufvertrag aus altbabylonischer Zeit verweist, der mitunter eine Kammer im Grundgeschoss eines Bierhauses nebst ihren Wänden zum Gegenstand hatte, aber auch auf ein Kaufgeschäft, das einen auf einem Dach befindlichen Festsaal beinhal­



III. Die Genealogie der Herbergen179

sicht vertreten, wonach das Stockwerkseigentum im deutschen Raum bereits im 12. Jahrhundert in Erscheinung getreten ist, wobei in erster Linie auf die Kölner Schreinsurkunden abgestellt wird.761 Diese Behauptung ist zwar an­ gesichts der Interpretationsoffenheit der zur Verfügung stehenden Texte wis­ senschaftlich noch nicht gesichert,762 man wird dieser Ansicht aber zustim­ men können. Dabei ist aber noch einmal auf den fränkischen Ursprung der Herbergen einzugehen, wobei unter Herbergen im früheren Mittelalter zu­ nächst herrenhausähnliche Häuser im Sinne von Wirtschafts- oder Verwal­ tungsgebäuden oder auch Behausungen für die Hofsweber, die Bediensteten und Spinnmägde verstanden wurden, während das Wort Herberge später dann zunehmend synonym für die Volksstube bzw. einfachere Häuser Ver­ wendung fand.763 Für die spätere Kemptener Fürstabtei kann dieses frühe tete, womit man in letzterem Fall auch ein eigenes Stockwerk auf dem Dach anneh­ men konnte; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), S. 89 mit Fn. 1 f. 761  O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284 Fn. 4 unter Bezug auf eine Kölner Schreinsurkunde: „sigefridus tradidit filie sue Mathilde dimidietatem sue domus in qua manet, ipsa autem tradidit Gerardo tali condicione ut“; zu der zitierten Schreinsurkunde A. Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand? – Verfügungen von Todes wegen in mit­ telalterlichen Referenzrechtsquellen, Köln u. a. 2011, S. 335. Siehe zu dieser Ansicht auch R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 26 f.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 9; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 12; H. Oppikofer, Eigentumsgemein­ schaften im mittelalterlichen Recht, insbesondere an Wohnhäusern, in: Beihefte zur Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1924, 33, (42); F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stif­ tung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (92); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Fest­ schrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 584  f.; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 16 mit Fn. 5; H.-W. Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126) spricht davon, dass das Stockwerkseigentum trotz seiner praktischen Schwierigkeiten seit dem 12. Jahrhundert weit verbreitet war; S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, S. 415; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 53 m. w. N.; vgl. auch J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Fest­ schrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820. 762  Zum Meinungsstand N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stock­ werkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S.  49 ff. 763  G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistorische Studie, Stockholm 1971, S. 7 f., 130 ff., A. Hupel, Oekonomisches Handbuch für Lief-

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B. Historische Grundlagen

Begriffsverständnis einer Herberge ebenfalls reklamiert werden, nachdem mit hoher Wahrscheinlichkeit die im stiftkemptischen Salbuch aus dem Jahre 1394 vermerkte Halbhube, die später die Herberge 8 a darstellte, als Verwaltungsgebäude des Konventherrn von Hilgartisberg im Rahmen des frühmittelalterlichen Königshofs Hildegardisberg vermutet werden kann.764 Als Erklärungsansatz für die Entstehung von Stockwerkseigentum wird im wissenschaftlichen Diskurs andererseits die germanische Vorstellung von Holzgebäuden als Fahrnisgegenstände, d. h. Entliegenschaften,765 angeführt, die nicht notwendigerweise mit dem Eigentum an dem Grundstück verbun­ den sein mussten und in den mittelalterlichen Städten vor dem Hintergrund der Raumnot auch für eine Mehrgeschossigkeit mit Blick auf die später dann zunehmend aus Stein gebauten Häuser kompatibel waren.766 Dieser Ansicht kann vor dem Hintergrund, wonach in den unterschiedlichen deutschen Ter­ ritorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation auch die Mög­ lichkeit eines Sondereigentums an einem Haus unabhängig von dem Eigen­ tum an Grund und Boden im Lichte der geltenden Grundsätze eines geteilten Eigentums anerkannt war,767 ihre Richtigkeit attestiert werden. Als anerkannt kann andererseits auch gelten, dass die Herbergen als ausgeschiedene Gebäu­ und ehstländische Guthsherren, wie auch für deren Disponenten, Band I, Riga 1796, S. 222; H. Ojansuu, Altes und Neues zu den germanisch-finnischen Berührungen, in: Neuphilologische Mitteilungen 1918 (7/8), 49, (51). 764  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), S.  87 ff.; R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus All­ gäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 25. 765  R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3.  Aufl., Leipzig 1919, S.  153 f. 766  F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (99  f.); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 585 ff.; S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall prakti­ scher Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (415 f.); vgl. R. Hübner, Grundzüge des deut­ schen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 153 ff.; J. Kuntze, Die Kojengenossen­ schaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 66 f., der die Ansicht vertritt, dass im germani­ schen Raum dem Bauwerk gegenüber dem Boden grundsätzlich entgegen dem römi­ schen Akzessionsprinzip der Vorrang gegeben wurde, womit dem germanischen Grundeigentum die Abhängigkeit vom Grund und Boden, wie es dem römischen Recht zugrunde liegt, ermangelte. 767  Statt vieler J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S.  71 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 40 ff. m. w. N.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 153 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3.



III. Die Genealogie der Herbergen181

debestandteile mitunter aus Erbteilungen von Rittergut oder aus sonstigen familiären Teilungen hervorgegangen sind, womit notwendigerweise die Teilung eines bisher einheitlichen Besitzes an mehrere Berechtigte verbun­ den war.768 Als sich dann im späteren Hochmittelalter allmählich auch die Belehnung an nicht dem Adelsstand angehörige Personen durchgesetzt hat,769 näherte sich die Herberge als Haus bzw. ausgeschiedene Wohneinheit im Rahmen eines Gebäudes schließlich zunehmend dem Begriffsverständnis ei­ ner Volksstube an.770 Neben dem französischen Raum und dem Großherzogtum Baden war Stockwerkseigentum mitunter in Württemberg, Bayern, in Sachsen-Meinin­ gen, in Schleswig, in Frankfurt, Weimar, Rudolstadt, Coburg wie auch in Österreich und der Helvetischen Schweiz vorzufinden.771 Das Allgemeine 768  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 47 f.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Sa­ vigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (95 ff.) m. w. N.; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civi­ listische Praxis 1938 (144), 343, (345); E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 19; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berück­ sichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 9 f.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 586 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 27, 29; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); ders., Das „Keller­ recht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (77); S. Saar/ V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (416); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigen­ tums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 10 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 258 ff. 769  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 39 ff. Siehe dagegen zu ritterlichen Edelmannsgütern G. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 53 ff.; H. Klein, Ritterlehen und Beutellehen in Salzburg, in: Beiträge zur Siedlungs-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte von Salzburg, Gesammelte Aufsätze von Herbert Klein, Festschrift zum 65. Geburtstag von Herbert Klein, Salzburg 1965, S. 325 ff. 770  Vgl. G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistori­ sche Studie, Stockholm 1971, S. 130 ff. 771  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 13; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzge­

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B. Historische Grundlagen

Landrecht für die Preußischen Staaten aus dem Jahre 1794 regelte dagegen das Stockwerkseigentum nicht, etwaige Vorkommen von Stockwerkseigen­ tum wie z. B. im preußischen Thüringen sind aber wissenschaftlich belegt und wurden auch von der königlich-preußischen Rechtsprechung des Ober­ tribunals teilweise ausdrücklich als zulässig anerkannt.772 In diesem Sinne sind auch die Kasernenstuben im preußischen Neuruppin zu nennen, die um das Jahr 1740 auf Veranlassung von König Friedrich II. nach dessen ur­ sprünglicher Intention für etwaige verheiratete Soldaten zur Unterbringung errichtet worden waren, dann aber stubenweise als Kleinwohnungen an Bür­ ger der Stadt geschenkt wurden.773 Im Königreich Bayern war das Rechtsin­ stitut des Stockwerkseigentums ebenfalls fast überall verbreitet und gewohn­ heitsrechtlich anerkennt, namentlich mitunter in Nürnberg, Regensburg, Würzburg und Kempten, wobei es regional auch besondere Statuten gab, die das Stockwerkseigentum ausdrücklich gestatteten, aber auch Verbotsgesetze wie in den Gebieten des Würzburger und des Regensburger Rechtes.774 In­ bung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (50 f. mit Fn. 4); H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S.  18 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129) m. w. N.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerks­ eigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S.  75 ff., 93 ff., 107 ff., 136 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 53 ff. m. w. N.; vgl. auch R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 ff. 772  F. Ackermann, Ueber Stockwerkseigentum – insbesondere nach preußischem Recht, Göttingen 1891, S. 16 ff./ 28 ff.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 13; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 591; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S.  29 ff.; S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsge­ schichte, JA 1983, 415, (416 f.) m. w. N. auch zu der preußischen Rechtsprechung. 773  A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 1 ff. 774  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 49 f.; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und fran­ zösischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 f. m. w. N.; P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 ff.; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivat­ recht, Halle a. d. S. 1903, S. 316; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sa­ chenrecht, unver. Nachdr. der 1.  Aufl. 1905, Berlin 2010, S.  41 mit Fn.  13; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 13 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigen­ tum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhält­ nisse, Tübingen 1912, S. 25; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au,



III. Die Genealogie der Herbergen183

soweit regelte die Würzburger Stadtbauordnung vom 22.08.1722, dass „fü­ rohin bei vorkommenden Theilungen eines Hauses (diese) nicht anderst als von oben bis unten hinaus als senkelrecht geschehen (sollten).“775 In Re­ gensburg verbot die Wachtgerichtsordnung vom 17.03.1657 die horizontale Teilung eines Hauses: „Dessgleichen soll Niemandts von seiner eigenen Be­ hausung einem andern Nachbarn zu seinem Haus ichzit zu verkaufen oder zuzuaigen machthaben, es seien Keller, Stuben … oder anders …, dann also, dass bei einem jeden Haus alle diejenigen Gemach ob und unter der Erde bleiben, die ein jeder Stock, wie er von der Erden gerad über sich aufgehet, in ihm begreifft und beschleusst.“776 Auch wenn in diesen gesetzlichen Vor­ schriften das Wort Herberge nicht ausdrücklich verwendet wurde, handelte es sich hier doch um das gleiche Rechtsinstitut wie im nordfranzösischen Raum, was anhand von Urkundenmaterial wissenschaftlich bereits belegt ist.777 Die Herbergen in Bayern konnten dabei wie auch im Salzburger Raum als ganze Häuser bestehen, insbesondere ab der frühen Neuzeit in der Folge von An- und Aufbauten an bzw. auf bestehende Häuser und von Gebäude­ zertrümmerungen aber auch ausgeschiedene Gebäudebestandteile darstellen, wobei ein dingliches Herbergsrecht eines Sondereigentümers auch durch das Rechtsinstitut der Miete ersetzt sein konnte.778 Die einschlägige wissen­ schaftliche Literatur verortet die planmäßige Entstehung der in einfachem Baustil errichteten Herbergen als ausgeschiedene Gebäudebestandteile aber dann regel­mäßig in die Zeit ab dem 14. Jahrhundert, wenngleich es vor die­ München 1969, S. 14 ff.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1999 (116), 384, (390, 393); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 56 ff., 117; zur Verbreitung im Königreich Bayern auch H. Becher, Die ge­ sammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, München 1899, S. 741 f.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichs­ rechts, Stuttgart 1907, S. 17. Verboten wurde das Stockwerkseigentum später zudem noch in Nassau (1827), in Weimar (1841), in Schwarzburg Rudolstadt (1858) und Coburg (1869).; vgl. O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, un­ ver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 13; H. Zoeppritz, ebd., S. 22; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S.  32 f. 775  Würzburger Stadtbauordnung vom 22.08.1722, zitiert nach O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 15. 776  Regensburger Wachtgerichtsordnung vom 17.03.1657, zitiert nach O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 15. 777  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 14 ff. 778  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 14 ff., 21, 25 ff.

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B. Historische Grundlagen

sem Zeitpunkt in Wien und in anderen deutschen Städten Frühformen dieses germanischen Rechtsinstituts gab.779 Insoweit sind die Herbergen in der öst­ lichen Münchener Au und der südwärts damit verbundenen Lohe, im Mün­ chener Westbereich Haidhausen oder im Lehel innerhalb des städtischen Burgfriedens zunächst im Zuge einer bäuerlichen Migration, welcher die städtische Notwendigkeit an Arbeitskräften für die mit Feuer und Wasser betriebenen Werke wie Mühlen und Schmieden gegenüberstand, ab dem 16. Jahrhundert entstanden.780 Der Bedarf an Herbergen als Wohnraum nahm dann im Münchener Raum ab dem 17. Jahrhundert mit Blick auf die zukünf­ tige Stadtentwicklung und die damit verbundene Ansiedlung einer Vielzahl von Tagelöhnern und Kleinhandwerkern weiter zu, womit sich Ballungs­ räume entwickelten, die nach einer Verortung der zahlreichen Arbeiter und Handwerker im direkten Umland verlangten.781 In Regensburg dagegen ver­ bot die Wachtgerichtsordnung vom 17.03.1657 die Entstehung weiterer hori­ zontaler Gebäudeteilungen, was in Würzburg durch die Stadtbauordnung vom 22.08.1722 verwirklicht wurde, wobei ein ähnlicher Rechtszustand auch in Nürnberg bestand,782 womit zum einen als bewiesen gelten kann, dass sich das Stockwerkseigentum auch hier seit der frühen Neuzeit zuneh­ mend ausgebreitet hat, weil ansonsten die Verbote nicht erforderlich gewe­ sen wären,783 zum anderen aber auch, dass sich in diesen Städten wohl ähn­ 779  N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 51 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergi­ schen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 6; J. Limpens, La propriété ho­ rizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 277; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 4. Für Köln und Wien ist das Stockwerkseigentum bereits ab dem 12. Jahrhundert nachgewiesen.; siehe nur O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privat­ rechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284 Fn. 4; F. Novak, Das Stockwerksei­ gentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), S. 89 ff. 780  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 6 f; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 20; N. Thun, Die rechtsge­ schichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Pri­ vatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 3. 781  R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 20 ff.; vgl. auch W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 5 ff. 782  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 f. Fn. 15; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 15; N. Thun, Die rechtsgeschicht­ liche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechts­ geschichte, Hamburg 1997, S. 56 ff. 783  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 f. Fn. 15.



III. Die Genealogie der Herbergen185

liche Probleme wie im Münchener Raum gestellt haben, wo es durch die Zertrümmerung von Gebäuden infolge des sich weiter ausbreitenden Zu­ stroms an Arbeitskräften und Handwerkern zu nachhaltigen und unüber­ schaubaren Eigentumsbeständen gekommen war.784 Ähnlich verlief auch die Entwicklung im neuzeitlichen Klosterstaat Kempten, wo ab dem 18. Jahr­ hundert der Zuzug von Ehepaaren nur noch unter der Bedingung gestattet war, dass diese sich einen Wohnsitz außerhalb der Stiftsstadt nahmen, oder dass im Falle des Ablebens eines Ehepartners der andere wieder in seine Heimatgemeinde zurückkehrte, womit die Raumnot und die zuwanderungs­ bedingte Notwendigkeit von entsprechenden Gebäudeteilungen in ausge­ schiedene Herbergen mittelbar dokumentiert wurde.785 Später wurde im Fürststift Kempten dann noch durch fürststiftische Vorschriften das für eine Ansiedlung in der Stiftsstadt neben einer handwerklichen Grundqualifikation o. Ä. notwendig einzubringende Mindestvermögen erheblich erhöht,786 so dass auch insoweit der einzudämmende Bevölkerungszuwachs belegt wird. In der Kemptener Fürstabtei lag ein weiterer Grund für entsprechende Ge­ bäudezertrümmerungen auch in dem Umstand, dass die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges zu der Zerstörung vieler Häuser beigetragen haben, so dass die dadurch bedingte Raumnot durch Gebäudeteilungen kompensiert werden musste.787 Andererseits führten auch die den Untertanen im Fürst­ stift Kempten seitens der Regierung im 18. Jahrhundert auferlegten Steuer­ lasten zu einer erheblichen finanziellen Not, was sich in der Notwendigkeit von Gebäudeteilungen zur Unterbringung der immer ärmer werdenden Men­

784  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 27 ff., 86 ff.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 20; P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wandel der Zeit, Norderstedt 2014, S. 44; vgl. auch Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (221); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  210 f.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126). 785  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 217, 219, 221 ff., dort auch zur allgemeinen Bevölkerungsentwicklung im Fürststift Kempten auf S. 214 ff. 786  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 217 ff. 787  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 211; vgl. auch die Begründung der partikulargesetzlichen Verordnung Fürst Romans ddo. Schloss Liebenthann vom 18.11.1641 die Auslösungen, das Anfallrecht und die Ganten betreffend bei J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 278 f., 291 f. (Nro. CIX).

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B. Historische Grundlagen

schen zeigte.788 Etwaige Frühformen des stockwerkseigentumsrechtlichen Rechtsinstituts in Köln, Wien und anderen deutschen Städten bestätigen in­ soweit nur den Zusammenhang mit dem Aufblühen der frühmodernen Staa­ ten und Städte.789 Denn mit der Zurückdrängung des mittelalterlichen Feu­ dalsystems kam es in den deutschen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu einem Wachstum des Handels und einem zu­ nehmenden Aufblühen der Vorrechte, Privilegien und Immunitäten genießen­ den Städte und städtischen Gewerbe, womit gleichsam erste Ansätze bürger­ licher Freiheit und Unabhängigkeit verbunden waren.790 In diesen raum­ schaffenden Maßnahmen in der Form von Aufteilungen ganzer Gebäude in ausgeschiedene Bestandteile aber lag schließlich der eigentliche Grund für die Herbergen als Streithäuser,791 weil durch die Gebäudeteilungen neue ausgeschiedene Gebäudeteile als Herbergen entstanden, für die regelmäßig die gleichen Hofräume bzw. sonstigen gemeinschaftlichen Einrichtungen be­ standen, deren rechtliche Absicherung durch Servitut aber stets in mit der Teilung inzident mit einhergehenden stillschweigenden Begründungen lag, ohne dass die gemeinschaftlichen Nutzungsrechte der einzelnen Teilhaber formal in einem hierfür vorgesehenen dinglichen Rechtsbuch erfasst worden 788  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baieri­ schen Staat, Kempten 1847, S. 310. 789  N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 51 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergi­ schen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 6; J. Limpens, La propriété ho­ rizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 277; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 4. 790  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  40 f. 791  Siehe zu den Herbergen als Streithäuser J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deut­ schen Volkes, Leipzig 1888, S. 45; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civi­ listische Praxis 1938 (144), 343, (349 ff.); Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betreffend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungs­ recht im Rahmen des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 7 ff., 17 f.; Meisner/Ring/ Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (60); vgl. Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (217 f.).



III. Die Genealogie der Herbergen187

wären.792 Dies galt es von Gesetzes wegen zu unterbinden, zumal es auch aus Gründen der guten Policey mit Blick auf den regelmäßig nur rudimentä­ ren rechtlichen Regelungsbestand dieses Rechtsinstituts notwendig war, die Ausbreitung der Händel- und Streithäuser einzudämmen.793 Dass die Entste­ hung der Herbergen als ausgeschiedene Gebäudebestandteile aber eindeutig im Zusammenhang mit dem Wachstum der frühmodernen Staaten und der Städte, dem damit einhergehenden Bevölkerungszuwachs und der Raumnot in den Ballungsgebieten zu sehen ist,794 beweisen auch die Kasernenstuben im preußischen Neuruppin, die nach der Aufgabe ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung als Soldatenwohnungen später dann stubenweise als

792  Ein Vorreiter eines Hypotheken- bzw. Grundbuchs waren die im Jahre 1738 eingeführten Kemptener Landtafeln, in die aber noch keine Real- bzw. Personalservi­ tute eingetragen wurden. Siehe zur Einführung der Landtafeln im Jahre 1738 im Fürststift Kempten P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grundbuchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (422); G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (46); E. Hammer, Die Ge­ schichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 85; L. Margraf, Die Landes­ hoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 30. 793  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 23; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127); vgl. auch H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichti­ gung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 4. 794  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  210 f.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittel­ alters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1934 (54), 89, (97 ff.); H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit be­ sonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tü­ bingen 1912, S. 3  f., 6; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 20; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 587; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127); S. Saar/V.  Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall prakti­ scher Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (416); W. Petz, Zweimal Kempten: Ge­ schichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 211 ff.; P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wandel der Zeit, Norderstedt 2014, S.  43 f.; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 2; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  267 ff.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigen­ tums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 8 ff., der auch Gebirge als geeignete Orte benennt.; so auch J. Kuntze, Die Kojengenossen­ schaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 44 f.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechts­ geschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (100); W. Dölker, ebd., S. 20 („Hanglage“).

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B. Historische Grundlagen

Kleinwohnungen an Bürger der Stadt geschenkt wurden.795 Parallel hierzu ging es den regierenden Monarchen, die auf Machterhalt ausgerichtet waren, um das Wachstum ihrer entstehenden Staaten, wofür die Herbergen, die auch den ärmeren Bevölkerungsschichten ein eigenes Haus ermöglichten,796 ein probates städtebauliches Instrument waren.797 Dass hier aber bereits so­ zialpolitische Erwägungen der Obrigkeiten eine Rolle gespielt haben, wo­ nach der Herbergsbau für einfache Menschen dem planmäßigen Kalkül des Fürsten entsprach,798 auch diesen ein eigenes Häuschen zu ermöglichen, ist vor dem Hintergrund der typischen absolutistisch-despotischen Herrschaften und deren einnahmenerhöhenden Maßnahmen abwegig.799 Die Fürsten be­ 795  A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 1 ff. Zum Stockwerkseigentum in Preußen grundsätzlich F. Ackermann, Über Stockwerkseigen­ tum, insbesondere nach preußischem Recht, Göttingen 1891, S. 16 ff.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 17; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 26; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Ent­ wicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 62 ff., 94 ff. 796  Vgl. H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 187, 701, 741 f.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 30. 797  Dies ergibt sich im Ergebnis auch aus dem Wesen des lehen- und grundherr­ schaftlichen Obereigentums. Das Obereigentum beinhaltete das Proprietätsrecht, wel­ ches sich mitunter auf die Substanz der Sache beziehen konnte, so dass ein Beliehe­ ner ein Gut zum Nutzeigentum nur bekam, wenn er den Zustand der verliehenen Sache aufrechterhielt oder verbesserte. Der Beliehene durfte die Substanz der Sache aber nicht verschlechtern, weshalb ein entsprechender Konsens durch die herrschaft­ liche Autorität oftmals nur dann erteilt wurde, wenn die Sachsubstanz gesichert war, womit Verpflichtungen zum Bau eines neuen Hauses oder zu entsprechenden Instand­ setzungen einhergehen konnten.; vgl. M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapi­ tulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 f. mit Fn. b. 798  Zum sozialen Aspekt der Herbergen statt vieler J. Kuntze, Die Kojengenossen­ schaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 74; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wie­ ner Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (99). 799  In diesem Sinne G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 271 ff., v. a. S. 274 f.; a. A. dagegen N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stock­ werkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 11 ff. Eher wahrscheinlich ist, dass diese Gebäudeteilungen in erster Linie auf dem Willen der Herbergsbesitzer selbst beruhten, wie auch die ergangenen Verbote gegen unübersichtlich gewordene Eigentumsbestände beweisen; vgl. P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 f. Fn. 15; W. Dölker, Das Her­ bergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 6 ff., 14 ff., 21.



III. Die Genealogie der Herbergen189

durften schlicht Handwerker, Gewerbetreibender und sonstiger Arbeiter, um das Wachstum ihrer Residenzen zu befördern, womit Wohnraum für diese Personenkreise geschaffen werden musste.800 In der Kemptener Fürstabtei verdichtete sich daher im Laufe des 18. Jahrhunderts die bis zu diesem Zeit­ punkt lockere Wohnbebauung in der Stiftsstadt, so dass im Jahre 1778 ohne das Dienstpersonal des Fürstabts bereits 200 Häuser mit 2.238 Einwohnern gezählt wurden,801 worunter eine Vielzahl von Herbergen zu finden wa­ ren.802 Gerade Handwerker in der Stiftsstadt waren mit Herbergshäusern ausgestattet.803 Deshalb kann auch der Ansicht, dass es sich bei den Her­ bergsvierteln soziologisch regelmäßig um abgesonderte Armenviertel außer­ halb der Ballungszentren handelte, in denen die Kriminalität stets hoch und der Aberglaube weit verbreitet gewesen sein sollen, und deren Bewohnern man deshalb nicht trauen konnte,804 im Ergebnis nicht zugestimmt wer­ den.805 Dies wird allein anhand der Kemptener Fürstabtei widerlegt, wo sich Herbergen gerade auch inmitten der Stiftsstadt befanden und auch die sich im Umland des Fürststifts Kempten befindende Siedlung uff der Rotach mit ihren ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert in erster Linie von Tagelöhnern, Handwerkern und Arbeitern bewohnten Herbergen kein Armenviertel darstellte,806 womit seitens der reichsfürstlichen Autorität insoweit eine ho­ heitliche Abgrenzungspolitik nicht vorgenommen wurde. Zwar wurden die 800  Vgl.

R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 13 ff. Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 210; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 33 f.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S.  215 m. w. N. 802  Vgl. W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 233 ff. 803  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 233 ff. 804  Siehe hierzu F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittel­ alters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1934 (54), 89, (97 ff.); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigen­ tums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Ge­ burtstag, Salzburg 1971, S. 587; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 13 f.; vgl. auch P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wandel der Zeit, Norderstedt 2014, S. 43 ff. 805  In dem hier vertretenen Sinne auch G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  356 ff. 806  StAA, Fürststift Kempten, Hofkammer Bände 291, Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, Rottach; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S.  233 ff. 801  J. Rottenkolber,

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B. Historische Grundlagen

Herbergen oftmals von ärmeren Menschen besessen,807 sie waren aber als Volksstuben808 ab der frühen Neuzeit in erster Linie Ausdruck einer Relati­ vierung des vormals bestehenden adelsprivilegierten Lehens- und Grund­ herrschaftswesens und ein Instrument der neuzeitlichen Stadtentwicklung.

IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten 1. Dominium directum et utile als allgemeiner Ausgangspunkt für Lehen, Emphyteuse und Bodenzinsgüter Als zentraler Ausgangspunkt für das Recht der unbeweglichen Güter in der Kemptener Fürstabtei und damit auch für die Entstehungsgründe der Häuser und Herbergen ist das mittelalterliche Dogma des Benefiziums bzw. des sonstigen überlassenen Landes als geteiltes Eigentum anzusehen,809 das auch in der reichsfürstlichen Abtei Kempten anerkannt war.810 Diese Teilung der im Eigentum enthaltenden rechtlichen Befugnisse unter verschiedenen Personen, wonach grundsätzlich dem Obereigentümer die Proprietätsrechte, d. h. das Grundeigentum als dominium directum, zustand, während der an­ dere als Untereigentümer einzelne Nutzungsrechte im Sinne des Nutzeigen­ tums, d. h. eines dominium utile, innehatte, beruhte im Ergebnis auf der sich 807  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 211; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 257 f., 356 ff. Zur Entwicklung der Kemptener Stiftsstadt und der Handwerkerschaft W. Petz, ebd., S.  199 ff., 232 ff., 297 ff. 808  Vgl. G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistori­ sche Studie, Stockholm 1971, S. 130 ff. 809  Zur Lehre vom geteilten Eigentum A. Thibaut, Über dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S.  71 ff.; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 94 ff.; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S.  314 f.; F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., Band II/1: Sachenrecht, Berlin 1905, S. 432 mit Fn. 16; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 325; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 ff.); D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S. 273 ff.; F. Krauss, Das geteilte Eigentum im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1999, S.  19 ff.; Ch. Ulmschneider, Eigentum und Naturrecht im Deutschland des beginnen­ den 19. Jahrhunderts, Berlin 2003, S. 98 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S.  332 f. 810  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten191

ab dem 12. Jahrhundert herauskristallisierenden mittelalterlichen Doktrin, wonach die Sachherrschaft über ein Eigentum unter mehreren Personen mit unterschiedlichen Proprietäts- und Nutzungsrechten aufgeteilt sein konnte, woraus für sich getrennte Rechtskreise entstanden.811 Das geteilte Eigentum bildete folglich bis in die späte Neuzeit das grundlegende Dogma der unbe­ weglichen Güter in den Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deut­ scher Nation, aber auch im französischen Raum,812 das sich unter anderem auf das Lehenswesen und die bäuerliche Grund- und Gutsherrschaft bezog.813 Davon in einem strengen Sinne zu unterscheiden sind die Superfiziarrechte, die sogenannte Bodenzinshäuser beinhalten konnten, die dem Superfiziar zwar eine ähnliche Rechtsposition wie der eines dominium utile vermittelten, deren Ursprung und Regelungsgrund aber im römischen Recht lagen814 und die sich mit der Rezeption des gemeinen römischen Rechts zunehmend dann mit dem mittelalterlichen deutschen Recht vermengen und damit auch ver­ breiten konnten.815 Auch wenn es im fürststiftisch-kemptener Recht keinen 811  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff.; D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S. 274 ff.; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 63 f.; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (209). 812  E. Weiß, Ergebnisse eines Vergleichs der grundherrschaftlichen Strukturen Deutschlands und Frankreichs vom 13. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1970 (57), S. 1 ff.; vgl. K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Hei­ delberg 1875, S. 521 f. 813  G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (209); W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städ­ ten, Basel 1861, S. 34 ff., 141 ff., 258 ff.; T. Mommsen, Zur Geschichte der Erbpacht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanische Abteilung 1902 (36), S.  441 ff.; J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großher­ zoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809, S. 578 ff. 814  M. Rainer, Superficies und Stockwerkseigentum im klassischen römischen Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanische Abteilung 1989 (106), S. 327 ff. 815  P. Bartmann, Das Erbbaurecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs als Mittel zur Lösung der Kleinwohnungsfrage, Frankfurt a. M. 1914, S. 9 ff.; D. Strauch, Das ge­ teilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.), Fest­ schrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S.  274 f.; F. Krauss, Das geteilte Eigentum im 19. und 20. Jahrhundert, Frank­ furt a. M. 1999, S. 18 f.; J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809, S. 581 ff. Zum

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B. Historische Grundlagen

entsprechenden positivrechtlichen Nachweis eines superfiziarischen Rechts an Gebäuden gab,816 war die Existenz derartiger Bodenzinshäuser als mate­ rieller Verkörperung eigentumsähnlicher Rechte an einem auf fremdem Grund und Boden sich befindenden Gebäude im Fürststift Kempten ohne weiteres möglich, weil zum einen in der Kemptener Fürstabtei neben den partikularen zivilrechtlichen Vorschriften, d. h. den Statuten des Fürstentums Kempten, „in subsidium“ das gemeine römische Recht Anwendung fand und damit wiederum die Vorschriften zu den superficies galten,817 zum anderen aber auch, weil diese superfiziarischen Rechte durch einfachen Vertrag be­ gründet werden konnten.818 In der Kemptener Fürstabtei gab es unter ande­ rem die folgenden „verschiedenen Gattungen der liegenden Güter“819: eigene lehenfreie Güter, Lehengüter (Erblehen), Erb- und Zeitpachtsgüter, Boden­ zinsgüter als die meistens in und um das Stift herumliegenden Bodenzinsfel­ der, zudem Gotteshausgüter als Fall- und Schupflehen, die neuen Kempti­ schen Ehrenschatzgüter und dritte Pfenniggüter.820 Zudem waren in dem Kemptener Klosterstaat auch leibfällige Güter vorhanden, die auf Lebenszeit Unterschied der Emphyteuse zum superfiziarischen Recht A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 58 ff. Allgemein zur Rezeption des römischen Rechts in den kontinentaleuro­ päischen Territorien H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 55 ff.; vgl. auch R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 40. 816  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bür­ gerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XLIX ff. 817  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S.  XLVIII f., 36 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 19 f. 818  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 63 ff.; vgl. auch J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809, S. 582. 819  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bür­ gerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XLIX. 820  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109. Die Kategorien „freieigene Güter“ bzw. „Erblehen“ sind bereits Aus­ druck einer im Übergang zur Neuzeit zu beobachtenden Entwicklung, die das freie Eigentum aus der Leibherrschaft entstehen ließ und die Verfügungsbefugnis des ­Lehensinhabers zunehmend steigerte; vgl. auch P. Blickle, Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten, München 2006, S. 227 ff.; 298 ff., v. a. S. 305.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten193

an den Inhaber vergeben wurden und nach dem Leibfall an den Herrn zu­ rückfielen.821 Eine zu pauschale Kategorisierung verbietet sich aber insbe­ sondere aus zwei Gründen. Zum einen kam es stets auf die in dem jeweiligen Vertragswerk zwischen den Parteien individuell vereinbarten Bedingungen an, die von der grundsätzlichen gesetzlichen Einordnung der unbeweglichen Güter abweichen konnten.822 Zum anderen waren die Übergänge zwischen den einzelnen Kategorien gerade im Lichte der mit zunehmender Zeit sich verflüchtigenden Elemente des Obereigentums823 oftmals dann auch fließend, weshalb insoweit neben den individuellen Vereinbarungen vor allem auch die überkommenen Gewohnheiten und Rechtssitten der beteiligten Kreise be­ rücksichtigt werden mussten.824 Die Lehre vom dominium directum et utile kann in dogmatischer Hinsicht wie folgt konkretisiert werden, wenngleich das Obereigentum seit dem ho­ hen Mittelalter auch einem Wandel unterlag.825 „Das Eigenthum (hielt) als Befugniß (…) in sich (…) solche Rechte, aus denen als aus seinen Bestand­ theilen das Eigenthum zusammengesetzt (…) (war): diese (…) (waren) die bloße Proprietät(,) (…) der Nießbrauch (selbstnützige Gebrauch) (…) (und) der Besitz.“826 Dabei wurde kraft der Proprietätsrechte über die Substanz und kraft des Nießbrauchs über die Nutzungen geordnet, während sich der Besitz auf die Innehabung der Sache bezog.827 Andererseits wurden neben diesen 821  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 111 f. Ein Überblick der liegenden Güter im Fürststift Kempten findet sich auch bei P. Blickle, Kempten, Historischer Atlas von Bayern, Teil Schwaben, Heft 6, München 1968, S. 215 ff. 822  J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809, S. 579. 823  Zu den einzelnen Entwicklungsstufen des Obereigentums W. Arnold, Zur Ge­ schichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 258 ff. 824  Dies war dann auch der Grund, warum der Code civil klare Kategorien mit Blick auf das Eigentum bzw. sonstige dingliche Rechte geschaffen hat; siehe hierzu J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809, S. 578 ff. 825  Vgl. W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S.  258 ff. 826  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7. 827  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 8. „Die Substanz eines Dinges ist das Ding selbst, oder dasjenige, was an einem Dinge als fortdaurend vorgestellt werden kann. Ueber die Substanz einer Sache disponiren heißt also den Zustand des an sich betrachteten Dinges

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B. Historische Grundlagen

konstituierenden Elementen des Eigentums der ersten Gattung Rechte einer zweiten Gattung unterschieden, die das Eigentum und dessen Bestandteile betrafen, d. h. die rechtlichen Befugnisse, seinem Eigentum zu entsagen bzw. dieses zu veräußern, zu verleihen, zu verpfänden, zu vermindern oder sonst wie einzuschränken.828 Diese unterschiedlichen Eigentumsrechte beider Gat­ tungen konnten grundsätzlich verschiedenen Personen zustehen, wobei die Proprietät der wesensbildende Bestandteil des Eigentums war, ohne welchen ein Eigentum nicht denkbar war und von dem sich sämtliche sonstigen Ei­ gentumsrechte als Grund ableiteten.829 Man sprach insoweit von einem voll­ ständigen oder unbeschränkten Eigentum, wenn die Eigentumsrechte beider Gattungen in einem Subjekt vereinigt waren, während, wenn dies nicht der Fall war, von einem unvollständigen oder beschränkten Eigentum gesprochen wurde.830 Die Proprietät blieb aber das Grundeigentum, welches die causa auch für abgeleitete Nutzungsrechte darstellte.831 „Daher (…) (war) das un­ vollständige Eigenthum entweder nutzbares Eigenthum, oder Obereigenthum, dieses (…) (bestand) in der bloßen – aber nicht ganzen Proprietät, kraft dessen so über die Sache verfügt werden (…) konnte, daß deren Substanz verschlimmert werden (…) konnte.“832 Im Ergebnis enthielt das Nutzeigen­ tum deshalb zumindest Teile der Proprietät als Grundeigentum, wobei die das Nutzeigentum bildenden Rechte wiederum zwischen mehreren Personen in dem Sinne aufgeteilt sein konnten, dass einer Person die auf das Nutz­ eigentum bezogene Proprietät zustand, einer anderen dagegen der Nießbrauch und der Besitz, worauf sich im Lehensrecht die Befugnis zur Begründung eines Afterlehens ohne Einwilligung des Lehensherrn gründen konnte.833 In­ selbst bestimmen. Bey Rechten ist das Recht selbst, an sich, und (…) als bloße mora­ lische Möglichkeit zu handeln betrachtet, die Substanz.“; M. Hofmann, ebd., S. 8 Fn. b. 828  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 8. 829  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 8. 830  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 9. 831  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 9 f. 832  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 10. 833  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 10.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten195

soweit wurde schließlich zwischen dem tätigen Eigentum des Nießbrauchers oder Besitzers sowie dem ruhenden Eigentum des Inhabers der Proprietät unterschieden, auch wenn dieser Rechte der zweiten Gattung besaß.834 Das Obereigentum machte im Laufe der spätmittelalterlichen bzw. neuzeitlichen Jahrhunderte dann aber einen Wandel sichtbar, der sich ab dem 15. Jahrhun­ dert zunehmend in Gestaltungen, die bereits in die Nähe der Allodifikation kamen, erschöpfte, wobei im hohen bzw. späten Mittelalter regelmäßig noch die Auflassung eines liegenden Gutes aus der Hand des Gutsherrn erfolgen musste, der auch implizit das dem Verfügungsakt zugrundeliegende Rechts­ geschäft mit abschloss, später dann das Rechtsgeschäft, d. h. z. B. der Verkauf oder die Schenkung, zwar formal abgetrennt durch den Vasallen oder sonst Beliehenen Leiheinhaber durchgeführt wurden, der Obereigentümer aber noch das Recht zur Auflassung aus seiner Hand behielt.835 Gerade bei den Bodenzinsgütern, die auf der langfristigen Erbleihe, lateinisch Emphyteuse, beruhten, wurde im deutschen Recht bereits ab dem 15. bzw. 16. Jahrhundert ein volles Eigentumsrecht beobachtet,836 das aber in den Stiftern bis zuletzt an ein entsprechendes Zustimmungserfordernis des Obereigentümers gebun­ den blieb,837 was auch in der Kemptener Fürstabtei nicht anders geregelt war.838 Dort bestand bis zur Auflösung des Fürststifts Kempten im Jahre 1803 eine allgemeine Protokollierungspflicht von Rechtsgeschäften über liegende Güter.839 Unter die Klasse der auf höherer Anweisung beruhenden Kontrakte, bei denen die Erlaubnis der höheren Stelle notwendig war, fielen unter ande­ rem die Veräußerung von ganzen liegenden Gütern und Häusern, wenn inso­ weit die Besorgnis bestand, dass der Kaufschilling zur Tilgung der vorhande­ nen Schulden nicht ausreichen konnte, Verträge, durch die neue Leibgeding­ häuser begründet wurden, Pakte mit Bedingnissen, deren spätere Erfüllung nicht in der Gewalt des Kontrahenten oder des Amtes standen, Verträge, die den Verkauf von einzelnen Grundstücken oder die Teilung eines Guts bzw. 834  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 11. 835  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S.  258 ff. 836  J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809, S. 579. 837  Allgemein für die Klöster und Stifter W. Arnold, Zur Geschichte des Eigen­ tums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 285. 838  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII ff. 839  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bür­ gerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII ff.

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B. Historische Grundlagen

eines Hauses an mehrere Teilhaber beinhalteten, zudem vertragsmäßige Ver­ einbarungen, die den Verkauf eines Hauses oder einer Herberge an einen im Stift Nichtansässigen zum Gegenstand hatten.840 Gleiches galt für die Lehen im Fürststift Kempten, die aber in der späten Neuzeit oftmals nur noch einem Anzeige- und Umschreiberfordernis unterworfen waren, während die Veräu­ ßerung einzelner lehenbarer Grundstücke von ganzen Lehensgütern, unab­ hängig davon, dass die Veräußerung einzelner Grundstücke sowieso auch der Zustimmung der höheren Behörde bedurfte, nur mit dem eingeholten lehens­ rechtlichen Konsens des Lehenhofes erfolgen durfte.841 Dies alles zeigt auf, dass sich auch im Fürststift Kempten das Obereigentum am Ende nur noch mehr oder weniger auf eine an ein Zustimmungserfordernis geknüpfte Re­ servehoheit zurückgezogen hatte, während sich in den mittelalterlichen Jahr­ hunderten das dominium utile weitgehend noch in einem bloßen Nutzeigen­ tum ohne hinreichende Proprietätsrechte erschöpft hatte.842 Die Lehensgüter näherten sich im neuzeitlichen Klosterstaat Kempten daher mit der Zeit zu­ nehmend Eigengütern an, die vormaligen Erbpachtgüter erstarkten zu einem Freieigentum, wobei die aus dem Obereigentum resultierende Zustimmungs­ pflicht bis zur Auflösung des Fürststifts Kempten beibehalten blieb.843 Die Gründe für diese Entwicklung müssen auch in der Kemptener Fürstabtei in erster Linie in den Zielen der endgültigen Etablierung der Landeshoheit, der Absicherung der territorialstaatlichen Entwicklung, der Steuerbarmachung des Adels, indem er aus den lehensrechtlichen Treueverhältnissen zunehmend entlassen wurde, aber auch in der grundsätzlichen Absicht der Schaffung ei­ nes neuzeitlichen Besteuerungssystems gesehen werden, so wie die ab dem 15. Jahrhundert durch das Fürststift Kempten beförderte Überwindung des 840  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bür­ gerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LV f. 841  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bür­ gerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LVI. 842  Vgl. allgemein zu dieser Entwicklung des Obereigentums G. Deter, Allodifika­ tion, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stif­ tung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 ff.); W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 258 ff. Zu den einzelnen Bestandteilen des altrechtlichen Eigentumsbegriffs vor dem dogmatischen Hintergrund des geteilten Eigentums aus dominium directum und dominium utile M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. 843  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII ff.; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 285.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten197

Allgäuischen Gebrauchs durch die Stärkung der territorialitätsbezogenen Leibherrschaft die Entstehung des modernen Klosterstaates Kempten beför­ dert hatte.844 Im Gegensatz zu anderen entstehenden modernen Staaten, wo die Erbleihe in erster Linie als Mittel zum Wachstum des Staates angesehen wurde,845 blieb in der Kemptener Fürstabtei die Bedeutung der Grundherr­ schaft im Lichte der zahlreichen bäuerlichen Eigengüter dagegen bis zuletzt gering.846 Hinsichtlich des Lehenswesens kann die neuzeitliche Finanzpolitik des Kemptener Reichsfürstentums auch als Grund des vermehrten Vorkom­ mens von Zinslehen vermutet werden, die für den Belehnten im Sinne einer Art Kreditbeschaffung mit einer dauerhaften Grundzinspflicht verbunden waren und im Fürststift Kempten vermehrt vorkamen.847 Im Ergebnis aber beschränkte sich das Obereigentum in der Endzeit des Kemptener Kloster­ staates nur noch auf einen Zustimmungsvorbehalt, dem zunehmend ein, wenn auch noch obereigentümlich gebundenes, freies Alleineigentum gegen­ überstand,848 wobei sich der Erlaubnisvorbehalt in einer Bindung auswirkte, die notwendigerweise die Erfüllung der grundbezogenen Zinspflicht bzw. auch etwaiger Errichtungs- und Instandsetzungspflichten hinsichtlich Häu­ sern und Herbergen bedingen konnte,849 um das Stiftsvermögen des Kempte­ 844  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 ff.; vgl. G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungs­ problem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Ab­ teilung 2013 (130), 205, (213). 845  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 38. 846  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17 f. m. w. N. 847  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; E. Klebel, Ter­ ritorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Sigmaringen 1972, S. 216. Zu der finanzpolitischen Bedeutung von Zinslehen E. Gothein, Wirt­ schaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 164. 848  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII ff.; allge­ mein hierzu W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 283, 285; vgl. auch G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provin­ zial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preu­ ßischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109, 111. 849  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 f. mit Fn. b. Dies wird man auch aus den folgenden Einträgen im Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, ableiten können: „Franz Weiß, Zimmermann, hat auf Jerg Hein­

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B. Historische Grundlagen

ner Fürstentums nicht zu beschädigen.850 Das ursprüngliche Rechtsverhältnis der eigentlichen Belehnung oder der Erbleihe trat schließlich mit der Zeit vollkommen in den Hintergrund, und die Häuser und Herbergen wurden di­ rekt an die Käufer veräußert, wobei aber bis zu der Aufhebung der Stifter und Klöster die Einwilligung des Herrn erforderlich blieb.851 Vor dem Abbild des Dogmas vom geteilten Eigentum sollen nun im Kon­ text mit den Herbergen das Lehenswesen und die Emphyteuse bzw. Erbpacht von Bodenzinsgütern in der reichsfürstlichen Abtei Kempten näher unter­ sucht werden. Dabei sollen die staatsrechtliche Natur des neuzeitlichen Le­ henswesens, die im Fürststift Kempten damals geltenden Rechtsquellen für Lehensgüter sowie die Klärung der Lehenskategorien der Beutel- bzw. Bau­ ernlehen, der Zinslehen und der Erblehen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Im Anschluss daran wird der Häuser- oder auch Bodenleihe852 im Lichte von Obereigentum und Allodifikation nachgegangen, bevor Quellen­ nachweise aus der Zeit der Kemptener Fürstabtei die Untersuchung abrunden werden.

rich Stehele Gotzhausguts ein Häuslen erbaut, solle Bodenzins so dem Stehele derent­ willen abgeschrieben 8 xer 1 hlr, so dann Hofstatt Zins 34 xer 1 hlr; und so dann H. C. Pr. den 7. Marty 1719 Zins 1 fl 42 xer 1 hlr Dises Häusle ist nicht zustande kommen.“ „Lorenz Schröther, zuvor Niclas Hug, vor ihme Hans Jerg Stehele, gewes­ ter Hofmetzger, hat von gnädigster Herrschaft vermög CammerProthocoll de dato 27. Aprill 1697 eine Hofstatt so von gnädigster Herrschaft darauf ein Haus erbauen.“; StAA, Fürststift Kempten, Hofkammer Bände 291, Urbarbuch der Pfarreien St. Lo­ renz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, Rottach. 850  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LV f.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhun­ dert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 329 ff. 851  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII ff.; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 285. 852  Zur Häuser- und Bodenleihe W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 34 ff.; A. Schwappach, Handbuch der Forst- und Jagdgeschichte Deutschlands, Band I, Berlin 1886, S. 102 ff.; R. Schröder, Ueber ei­ gentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Hei­ delberg 1896, S.  40  ff.; C. v. Schwerin, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., Berlin u. a. 1928, S. 149; K. Winkler/J. Schlögel (Hrsg.), Handbuch des Erb­ baurechts, 6. Aufl., München 2016, § 1 Rn. 1; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 38 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechts­ geschichte, München 2019, § 16 Rn. 3.



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2. Das Lehenswesen in der Kemptener Fürstabtei a) Die allgemeinen Entwicklungslinien des Lehenswesens im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation In der Wissenschaft ist der Ursprung des Lehenswesens umstritten.853 Ähnliche Verhältnisse dieses Instituts gab es bei den meisten Völkern der Erde, so dass sich die Frage stellt, ob es sich bei dem germanischen Lehens­ wesen um eine mittelalterliche Organisationsform handelte, die „aus dem ersten Keime“ entstanden ist.854 Im Ergebnis braucht der Frage hier aber nicht weiter nachgegangen zu werden, weil das mittelalterliche germanische Lehenswesen zumindest eine bedeutende eigene Ausformung erfahren hat.855 Diese bestand darin, dass sich das Lehenswesen im gesamten germanischen Kulturkreis unabhängig von der Teilung des Fränkischen Großreichs nach dem Tod Kaiser Karls des Großen im Jahre 814856 nicht nur zu einem rein punktuellen Herrschaftsinstrument, sondern vielmehr zu einem konstituieren­ den und flächendeckenden Moment der feudalen Staatsverfassungen der nach der Teilung des Fränkischen Reiches nun bestehenden Territorien her­ ausbildete, wovon eines das spätere Heilige Römische Reich Deutscher Na­ tion war.857 Andererseits verbietet es sich aber wiederum eine zu undifferen­ zierte Betrachtungsweise anzulegen, weil sich das germanische Lehenswesen 853  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 24 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 53 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 16 ff. 854  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 53, 58 ff., dort auf S. 53 ff. auch zu den Erscheinungsformen des Instituts des Lehens bei den anderen Völkern; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 17, dort auch die Bezugnahme auf „aus seinen ersten Keimen“. 855  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 53 ff., v. a. S. 61, 79 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 17. 856  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 31 ff., 42 ff. 857  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 17 ff., v. a. S. 31 f.; vgl. auch ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staats­ rechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S.  214 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 62 ff. zu den Benefizien der Franken und ihrem Verhältnis zu dem späteren Lehenswesen im Raum des ehemaligen Fränkischen Reiches.

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B. Historische Grundlagen

im Geltungsbereich des ehemaligen Fränkischen Reiches, bei den Langobar­ den und in den deutschen Territorien spätestens ab dem 10. Jahrhundert un­ terschiedlich ausgeformt hat,858 weshalb gemeinsame Entwicklungslinien angesichts der mannigfaltigen lehensrechtlichen Erscheinungsformen mehr oder weniger nur im Ansatz zu erkennen sind und eine Beschreibung des mittelalterlichen Lehenswesens in der Form von allgemeinen Grundsätzen an den sich in den unterschiedlichen territorialen Bereichen gebildeten verschie­ denen Rechtsgewohnheiten und -sitten scheitern muss.859 Angesichts der Tatsache, dass sich die Kemptener Fürstabtei auf dem Territorium des Heili­ gen Römischen Reiches Deutscher Nation befand,860 soll deshalb nun die Entwicklung des Lehenswesens in diesem territorialen Herrschaftsbereich im Vordergrund stehen. Die gemeinsame Grundlage für das Lehenswesen in den germanischen Stämmen bildeten die Gefolgschaften, hinter denen das Prinzip stand, wo­ nach sich ein Germane durch freien und treuen Gehorsam mit seinem Leben und Blut einem mächtigen Haupt anschloss und im Gegenzug den Unterhalt, die Gabe einer Waffe oder eine sonstige Belohnung erhielt, ohne dass dies zunächst bereits mit der Vergabe eines Grundstücks oder gar mit einer ange­ dachten Vererblichkeit eines Gutes verbunden war.861 Es bestand eine per­ sönliche Abhängigkeit des germanischen Kriegers gegenüber dem Herrn, dem er im Rahmen eines Treueverhältnisses im Hinblick auf territoriale Er­ oberungen tapfer zu dienen hatte.862 Erst ab der Mitte des 8. Jahrhunderts aber wurde der Grundbesitz bei den Völkern germanischen Ursprungs we­ sentlicher Bestandteil eines dienste- und leistungsbezogenen Treueverhältnis­ ses zu einem Herrn, wenngleich auch hier die periodische Relativität der 858  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  19 ff., 25 ff., 29 ff. 859  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  19 ff. 860  Regiments-Ordnung Maximilians I. (Augsburger Reichstag) vom 02.07.1500, abgedruckt bei K. Zeumer (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., Tübingen 1913, S. 299; W. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise (1383–1806) – Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998, S. 142 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 102; vgl. P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 195. 861  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  17 f.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  40 f.; vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 61 ff. 862  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 61 f.; P. Mayr, Hand­ buch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 17 f.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten201

entsprechenden Entwicklungsfortschritte zu bedenken ist.863 Der Grund, dass der Grundbesitz nun in den Mittelpunkt rückte, war insbesondere, dass man die Krieger durch die Zuwendung von liegenden Gütern zur Benutzung bzw. eines höheren Wehrgeldes enger an die Herrschaften binden und die Loyali­ tät befördern wollte.864 Nachdem bereits ab dem 6. Jahrhundert das Recht an solchen unbeweglichen Gütern mit dem Wort Beneficium überliefert ist, entwickelte sich das dem Vasallen zustehende iure beneficiario in der Folge zu dem erblichen Lehenswesen des Hochmittelalters.865 Das feudale Lehens­ wesen breitete sich dann schließlich bei den Germanen innerhalb der nächs­ ten Jahrhunderte flächendeckend aus866 und wurde auch zur Grundform des gesellschaftlichen Feudalsystems des ostfränkischen und späteren Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.867 Die deutsche Lehensverfassung war bis in das späte 14. Jahrhundert auf drei Herrschaftselementen gebaut, namentlich der Kronvasallität, dem Adelsprivileg und der Haus- und Grund­ herrschaft.868 Bereits in der frühen Zeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wurden entsprechende Lehen seitens der Deutschen Kö­ nige, aber auch der Kirchen, in der Form von Domänen, Ämtern und Würden 863  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 18. Zum damaligen wissenschaftlichen Meinungsstand hinsichtlich der Entwick­ lung des Lehenswesens G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehen­ rechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 58 ff. 864  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 62 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 19  f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 428. 865  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 62 ff., v. a. S. 66; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 20; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 428. 866  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  22 ff., 26 ff., 30 ff. 867  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 2, 62 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 29  ff. Grundsätzlich zum mittelalterlichen Feudalismus G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Band I: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 1914, S. 243 ff.; P. Mayr, ebd., S.  19 ff.; H. Zoepfl, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Band I, 2. Aufl., Stuttgart 1841, S. 100 f. Zum Übergang vom ostfränkischen zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  42 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V: Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 9 ff. 868  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  29 ff.

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B. Historische Grundlagen

ausschließlich an Vertreter des Hochadels, d. h. an sogenannte Kronvasallen sowie weltliche oder geistliche Fürsten bzw. sonstige freie Lehnsnehmer mit adeligen Standeswürden vergeben, die im Gegenzug im Sinne des geleisteten Treueides die auf den Lehensgütern lastenden Kriegsdienste oder sonstigen Dienste militärischer, beratender oder diplomatischer Art gegenüber dem Lehensgeber zu erbringen hatten.869 Die Kronvasallität führte zu einer großen Anzahl an Reichslehen,870 womit sich im Alten Reich frühzeitig Ansätze ei­ ner föderativen Grundstruktur herausbilden konnten.871 Die Kirchen dagegen vergaben ihre Lehen in erster Linie an dynastische Adelsgeschlechter, um sich gegen äußere Mächte in Schutz nehmen zu lassen.872 In diesem Sinne belehnte das Stift Kempten im 14. Jahrhundert den Herzog von Bayern mit dem Ehrenamt des Erztruchsesses, den Kurfürsten von Sachsen mit dem des Erzschenken, den Grafen von Montfort zu Tettnang mit dem des Erzmar­ schalls und den Landgrafen von Nellenberg bzw. später ab dem Jahre 1465 dann den Erzherzog von Österreich mit dem Ehrenamt des Erzkämmerers, um mächtige Schirmherren zu gewinnen, wobei die Lehensnehmer ihrerseits wieder Familien des Ritterstandes mit den Ämtern gegen Treueide nachbe­ lehnten.873 Daneben war bis in das 12. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Gegensatz zu den sonstigen Teilen des ehemali­ gen Fränkischen Reiches der Grundbesitz, d. h. die Alloden, im Verhältnis zu den Lehen übermäßig verbreitet, so dass sich hier eine umfassende Hausund Grundherrschaft des freien Adels über ihm untergeordnete Leibeigene ausweiten konnte.874 Eine dominierende Rolle kam aber über das gesamte Mittelalter der Kriegsverfassung zu, die bereits im Übergang zum hohen Mittelalter zunehmend dazu führte, dass sich viele zum Kriegsdienst ver­ pflichtete Adelsleute gegen die Verleihung von Grundbesitz freie Mannen

869  P. Mayr,

S. 31.

Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831,

870  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 3, 37 f.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 31. 871  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 3, 37 f. zu der Organisation des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation durch vergabebe­ dingte Reichs-, Provinzial- und Territoriallehen. 872  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 31. 873  G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichts­ freund 2000 (100), 43, (48). 874  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 29 f. Siehe zu diesem Herrschaftselement auch D. Willoweit, Deutsche Verfas­ sungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 48 ff.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten203

kauften, um die militärischen Pflichten zu delegieren.875 Im hohen Mittelalter wurde der Personenkreis der potentiellen Lehensträger dann auch auf unfreie Personen erstreckt, womit in erster Linie der Ritterstand als niederer Adel zu rechnen war, der sich durch militärische Verteidigungsdienste die Gunst der Herrschaftshäuser weltlicher bzw. geistlicher Würdenträger sichern konnte.876 Für diese standen als Lehensherrn zunächst die Erlangung von treuen Kriegs­ mannen und Verbündeten sowie entsprechender Naturalien im Vordergrund ihres Interesses.877 Folglich bestand die öffentliche Gewalt in allen Verzwei­ gungen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, angefangen von dem Kaiser über die Landesherrn, den Herren- und Ritterstand und die dörf­ lichen Gemeinschaften und Korporationen, in einer stets durch lehens- und grundherrschaftliche Verleihung vermittelten Herrschaft über vasallische Personen,878 womit die Reichsverfassung im Lichte des Feudalsystems ent­ sprechend organisiert und ausgeformt war.879 In der frühen Neuzeit dagegen passte sich das mittelalterliche Lehenswesen allmählich dann einer fort­ schreitenden Entwicklung der einzelnen Fürstentümer zu Landesgewalten an.880 Dies zeigte sich zum einen daran, dass das persönliche Element der Belehnung immer unbedeutender wurde, indem sich der Personenkreis der möglichen Vasallen ab dem späteren Mittelalter auch auf nicht dem Adels­ stand angehörende Personen erweiterte, zum anderen aber auch an dem Umstand, dass nun Abgaben und Geldleistungen im Gegensatz zu den vor­

875  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 30; vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 92 ff. 876  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  32 f.; vgl. S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 4. Zur Ritterschaft als niederem Adel B. Jäger, Das geistliche Fürsten­ tum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 16. 877  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 30. 878  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  31 f.; H. Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Nachdruck der 1. Auflage von 1933, Darmstadt 1974, S. 8; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (207). 879  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 1 ff., 37 f. 880  G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogma­ tischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 428; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Sa­ vigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (208).

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B. Historische Grundlagen

mals zu erbringenden Naturalien in den Mittelpunkt rückten.881 Nachdem sich das Rechtsinstitut der Erblehen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bereits ab dem 12. Jahrhundert herausgebildet hatte,882 war mit der gewandelten Erkenntnis von auch nichtadeligen Vasallen nun auch dieser Personenkreis in der Lage, gegen Abgaben ein eigenes vererbbares Lehens­ gut zu erhalten und zu bewirtschaften.883 Die weltlichen bzw. geistlichen Fürsten im Sacrum Romanum Imperium, deren Bestreben im frühen und hohen Mittelalter noch in erster Linie in der Erlangung von Gefolgschaften, Verbündeten, entsprechenden diplomatischen Allianzen und in einem gestei­ gerten Herrschaftseinfluss im Rahmen der Reichsverfassung gelegen hatte,884 versuchten nun ab der frühen Neuzeit zunehmend auch über das überkom­ mene Lehens- und Grundherrschaftswesen, die territorial oftmals noch nicht hinreichend gebündelten Herrschaften durch die Entstehung einer landesho­ 881  G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmati­ scher und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 428. Siehe zu der im süddeutschen Raum zu beobachtenden Entwicklung einer Belehnung von auch nicht dem Adelsstand angehörenden Personen in der Form von Beutel- bzw. Bauern­ lehen E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterlichen Lehenswe­ sen, Sigmaringen 1972, S. 215 f.; H. Klein, Ritterlehen und Beutellehen in Salzburg, in: Beiträge zur Siedlungs-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte von Salzburg, Gesammelte Aufsätze von Herbert Klein, Festschrift zum 65. Geburtstag von Herbert Klein, Salzburg 1965, S. 325 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 106 f.; H. C. Faussner, Vom salmannischen Eigen zum Beutellehen. Zum bäuerlichen Grundeigentum im bayerisch-österreichischen Rechts­ gebiet, in: L. Carlen (Hrsg.), Forschungen zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde, Band 12, Zürich u. a. 1990, S. 12 ff. Zu der Entwicklung des Finanzwe­ sens in den entstehenden deutschen Territorialstaaten T. Mayer, Geschichte der Fi­ nanzwissenschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. Gerloff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, Band I, Tübingen 1952, S. 236 ff., v. a. S. 244 ff.; zur neuzeitlichen Finanzverfassung des Fürststifts Kempten L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 39 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 329 ff. 882  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 94 ff., v. a. S. 103 ff. 883  Vgl. H. Klein, Ritterlehen und Beutellehen in Salzburg, in: Beiträge zur Sied­ lungs-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte von Salzburg, Gesammelte Aufsätze von Herbert Klein, Festschrift zum 65. Geburtstag von Herbert Klein, Salzburg 1965, S. 325 ff.; ausdrücklich für Bayern P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 33 ff., 106 f. 884  Allgemein zur Entwicklung G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland übli­ chen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S.  61 ff., 130 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 16 ff.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten205

heitlichen Staatsgewalt gebietsbezogen und institutionell zu festigen,885 was sich im obrigkeitsstaatlichen Zeitalter zur hoheitlichen Ausübung der dem Regenten zustehenden lehensherrlichen Rechte über den Grund und Boden fortentwickelte und dem regierenden Landesherrn eine besondere patrimo­ niale Legitimation von Herrschaft gewähren sollte.886 Damit hatte sich das mittelalterliche Lehens- und Feudalsystem endgültig überdauert und musste vor dem Hintergrund der entstehenden Landesherrschaften praktisch einer neuzeitlichen Form der Verleihung von Grundbesitz Platz machen. b) Die Investitur als feierlicher Vergabeakt der Lehensgüter Als Belehnung wird der zeremonielle Investiturakt bezeichnet, wodurch einer anderen Person von dem Lehnsherrn unter Einhaltung bestimmter Förmlichkeiten und gegen die Ableistung des Treueeides die Zuwendung ei­ nes Lehensgutes erklärt wird.887 Dieses Rechtsgeschäft enthielt von seinem Wesen eine Doppelnatur, die in rechtsgeschichtlicher Hinsicht eine Parallele zu den unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch geltenden rechtlichen Übertra­ gungsformen des Privateigentums erkennen lässt.888 Demnach bedurfte es für die Investitur als Auflassung in der Neuzeit einer causa praecedens, d. h. ei­ nes vorbereitenden Geschäfts, auf das hin die eigentliche Investitur durchge­ führt wurde.889 Derartige Grundgeschäfte konnten ein Kauf, ein Tausch, eine 885  G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmati­ scher und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 428; für die Kemptener Fürstabtei hinsichtlich der dort eingeführten territorialitätsbezogenen Leibherrschaft P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im All­ gäu, in: ders. (Hrsg.), Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauern­ standes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 ff. 886  Siehe zur territorialstaatlichen Lehenshoheit A. Reyscher, Das gesammte würt­ tembergische Privatrecht, Band II, Tübingen 1843, S. 144; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 8; vgl. auch B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 10 f. m. w. N. Zur patrimonialen Staatslehre G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1920, S.  199 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S. 332 f. 887  ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 217 f.; P. Mayr, Hand­ buch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 143; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirth­ schaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 429, 433; S. Schlinker/H. Lu-­ dyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 4; vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 4, 6, 16 f. 888  §§ 929 ff., 873, 925 BGB. 889  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 144.

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B. Historische Grundlagen

Schenkung, aber grundsätzlich auch eine letztwillige Verfügung sein, wonach der Erbe testamentarisch verpflichtet war, einem anderen nach dem Tod des Erblassers eine bestimmte Sache zu Lehen zu konstituieren.890 Möglich wa­ ren auch Lehensversprechungen, die auf konkrete Bedingungen abstellten, bei deren Eintritt der Investiturakt ausgelöst werden sollte.891 Davon zu un­ terscheiden war der Fall, dass bereits in dem konstituierenden Lehensvertrag selbst etwaige Lehensnachfolger festgesetzt wurden, weil hier als entspre­ chendes Grundgeschäft die ursprüngliche Vereinbarung selbst anzusehen war.892 Die durch das Lehensverhältnis begründeten Pflichten des Vasallen waren als Korrelat einer dinglichen Treue anzusehen.893 Wie auch in den sonstigen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation empfing der Lehensnehmer auch im Fürststift Kempten ein Lehensgut gegen Ablegung eines Treueids.894 Das Lehen, lateinisch feudum, zeichnete sich dadurch aus, dass es ein „Recht auf alle Nutzungen sammt einem Theile der Proprietät einer Sache (ge­ währte), welches jemandem unter der Verbindlichkeit der wechselseitigen besonde­ ren Treue verliehen (wurde), oder, (anders formuliert), ein Lehen (war) das nutz­ bare Eigenthum einer Sache, welches jemanden mit Vorbehaltung des Obereigen­ thums, unter der Verbindlichkeit der wechselseitigen besonderen Treue verliehen (wurde).“895 890  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  145 f. 891  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  145 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dog­ matischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 434. 892  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  145 f. 893  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 3 ff., 17 f.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 4. 894  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 4, 6, 16 f.; Copia Gemeiner Lehens-Pflicht von Burger- und Baurs-Leuthen aus Abbt Heinrich von Ulm Lehen-Buch, dd. 27. Maij 1608, in: Des Hochfürstlichen Stifts Kempten gründliche Widerlegung, Kempten 1737, Lit. KKKKKKK, S. 305; vgl. G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 111; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 429. 895  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 3 ff., 17 f.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten207

Grundlage des Lehens war in der Kemptener Fürstabtei wie in anderen deutschen Territorien der ordentliche Lehensvertrag zwischen dem Lehens­ herrn und dem Vasallen, wobei der Lehensbrief in seiner ursprünglichen Gestalt stets maßgebend blieb, d. h., dass dieser auch bei etwaigen späteren Weiterbelehnungen unverändert fortgalt.896 In diesem Lehensvertrag wurden die konkreten Bedingungen der Belehnung und der gegenseitigen Treue fest­ gelegt, wobei im Falle der Nichtregelung einzelner Gesichtspunkte grund­ sätzlich insoweit dann die Lehensgesetze und -gewohnheiten als stillschwei­ gend anerkannt galten.897 Durch den Treueid wurde das Lehen zum rechten Lehen.898 Für das Fürststift Kempten liegt eine Formel eines Treueeids in der Form einer Copia Gemeiner Lehens-Pflicht aus dem Lehenbuch von Fürstabt Heinrich von Ulm hinsichtlich der Vergabe von Bürger- und Bauernlehen vom 27.05.1608 vor, welche die damalige Investitur in der Kemptener Fürst­ abtei anschaulich verdeutlicht: „Ihr werden mir anloben an Aydstatt, daß ihr meines Gnädigen Fürsten und Herrn Nutz und Frommen fürdern, Schaden und Nachtheil warhnen und wenden wöllen nach eurem besten Fleiß und Vermögen, auch derenthalben Ihren Fürstlichen Gna­ den getreu, gehorsam und gewärtig sein, sodann daß ihr von euerem inhabenden Lehen-Gut weder wenig noch vil ohne Verwilligung oder Vorwissen Hochgedach­ ten Ihrer Fürstl. Gnaden, oder deren Lehens-Verwaltern verkauffen, vertauschen, versetzen, oder in andere Weg verkehren, und veraberwandlen, und wo ihr ver­ schwigene Lehen wissen, erfueren, oder innen wurden, dieselbe Hochgedachten Ihro Fürstlich Gnaden, oder Dero Lehens-Verwaltern unverzogentlich anzeigen, und all anderes thun sollet und wollet, so ein getreuer Lehenmann seinem LehenHerrn von Lehens- und Rechtswegen schuldig und pflichtig ist.“899

hohen Schule, Wien 1801, S. 6 f. (dort das Zitat); P. Mayer, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 1. 896  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 18 f.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 10 f. 897  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 10 f. 898  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 6. 899  Copia Gemeiner Lehens-Pflicht von Burger- und Baurs-Leuthen aus Abbt Heinrich von Ulm Lehen-Buch, dd. 27. Maij 1608, in: Des Hochfürstlichen Stifts Kempten gründliche Widerlegung, Kempten 1737, Lit. KKKKKKK, S. 305. Ein ent­ sprechender Huldigungseid des Magistrats der Reichsstadt Regensburg vom 31.03.1791, der aber wie bei anderen Reichsstädten nicht auf einer Belehnung durch das Reich beruhte, findet sich bei ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staats­

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B. Historische Grundlagen

Vom Wesen her war der Lehensvertrag ein Unterfall der Veräußerung einer Sache und damit grundsätzlich ein privatrechtliches Rechtsgeschäft, auch wenn der Lehnsherr ein Fürst war.900 Die Lehenshoheit ist dagegen die bür­ gerliche Oberherrschaft des Regenten über die auf seinem abgegrenzten Staatsgebiet liegenden Lehen.901 Daraus wird erkennbar, dass notwendiger­ weise eine Differenzierung angezeigt ist, nachdem die ab dem 15. Jahrhun­ dert entstehende obrigkeitsstaatlich-landeshoheitliche Leitungsgewalt902 den Vergabevorgang des Lehens am Maßstab einer entstehenden Staatsraison beeinflusst hat.903 Da es sich aber grundsätzlich um ein typisches Vertrags­ verhältnis zwischen Lehensherr und Vasall handelte, gab es auch bei Lehens­ verträgen essentialia negotii, ohne die ein Lehen nicht vorlag.904 Demnach gehörten zu dem Wesen eines Lehens eine Sache, auf der das Lehensverhält­ nis beruhte, ein geteiltes Eigentum sowie die wechselseitige Treue, wobei man die Treue des Lehensgebers Schutztreue, die des Vasallen Lehenstreue, lateinisch fidelitas, nannte.905 Die lehensrechtliche Bindung war dabei wech­ selseitig, d. h., dass auch der Monarch bzw. der Fürstabt der Kemptener Abtei als Lehensherr nach der Belehnung nicht mehr ohne die Zustimmung des Vasallen einseitig über das Lehen verfügen konnten.906 Andererseits mussten die mit dem Lehen verbundenen Dienste gegenüber dem Fürstabt als Lehens­ rechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S.  218 f. 900  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 12. 901  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 13; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 32 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 430. 902  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 52 ff., 141 ff.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7.  Aufl., München 2013, S.  128 ff., 151 ff., 167 ff. 903  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 4 f., 32 f. 904  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 84. 905  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 84. 906  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 4; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 7.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten209

herrn gesichert sein, weil ansonsten der Vasall seines Lehensgutes verlustig werden konnte.907 Als Lehen wurde in diesem allgemeinen Rahmen praktisch alles verliehen, was lehnbar war, d. h. „Sachen, wie sie auch physisch oder juristisch beschaffen seyn mögen, (…) wenn sie nur überhaupt einen Gegen­ stand des Vermögens ausmachen“, d. h. unbewegliche wie bewegliche Sa­ chen, Rechte, Regalien, Kirchen- oder Gotteshausgüter usw.908 Gleichzeitig musste bei den an dem Lehensverhältnis beteiligten Personen die aktive und passive Lehensfähigkeit gegeben sein, so dass sie nach den einschlägigen Regeln die Belehnung vornehmen bzw. überhaupt Lehen empfangen konn­ ten.909 Da es sich bei dem Lehenswesen um eine besondere Form der Verlei­ hung handelte, war jede Person zur Vergabe eines Lehens in dem Maße be­ fugt, wie sie grundsätzlich auch eine privatrechtliche Veräußerung einer Sa­ che vornehmen konnte, womit im Ausgang stets eine uneingeschränkte Dis­ positionshoheit über die Sache vorliegen musste.910 Im Zusammenhang mit den Herbergen ist insoweit festzuhalten, dass im deutschen Raum das nach ideellen Bruchteilen geteilte Miteigentum, bei dem eine Belehnung des An­ teils an der Gemeinschaft möglich war, von dem Gesamteigentum unter­ schieden wurde, bei welchem nur sämtliche Eigentümer gemeinsam die Sa­ che zu Lehen geben konnten.911 Neben der freien Disposition über die Sache war für die aktive Lehensfähigkeit zudem notwendig, dass der Lehensgeber die Fähigkeit hatte, alle Rechte zu erwerben und sämtliche Pflichten einzuge­ hen, die mit dem Lehensverhältnis verbunden waren.912 Andererseits setzte auch die passive Lehensfähigkeit des Vasallen entsprechend voraus, dass hinsichtlich des Gegenstands der Infeudation keine absolute oder relative Erwerbsunfähigkeit vorlag.913 Eine absolute Lehensunfähigkeit lag etwa bei Geächteten, bürgerlich Toten oder bestimmten sonstigen Personengruppen 907  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 4 f., 10. 908  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 111 ff., zitierte Passage auf S. 111; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privat­ rechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 431 f. 909  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  132 ff.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dog­ matischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 429 ff. 910  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 132. 911  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  132 f. 912  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  134 f. 913  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  136 ff.

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B. Historische Grundlagen

vor, während bei relativer Lehensunfähigkeit der Vasall nicht in der Lage war, die Anforderungen an die aus dem Lehensverhältnis erwachsenden und zu leistenden Dienste zu erfüllen.914 Im Fürststift Kempten galt zudem für die Weibspersonen eine Ausnahme, denen die Lehensfähigkeit grundsätzlich abgesprochen wurde, weil es Frauen nicht zugestanden hat, Waffen zu tragen und den Herrn zu verteidigen, die öffentliche Ehre es nicht duldete, dass Frauen einer Versammlung von Männern beiwohnten, weil sie keine Ge­ heimnisse behalten konnten, die Beschlüsse von Frauen unsicher und auch ihre Ansichten zudem vergänglich waren.915 Damit lehnte sich insoweit das Lehenswesen in der Kemptener Fürstabtei auch in der Neuzeit noch an die mittelalterliche Kriegsverfassung an, wenngleich es Frauen aber grundsätz­ lich zustand, ein zinsiges Lehen zu kaufen.916 In der Kemptener Fürstabtei waren darüber hinaus hinsichtlich der Lehensfähigkeit insbesondere die Vor­ schriften über das Vormundschaftswesen, d. h. die Bevogtung, zu beachten, wobei subsidiär auch das gemeine Recht Anwendung fand.917 Danach waren etwa Unmündige, minderjährige vaterlose Kinder oder solche, deren Eltern zur zweiten Ehe schritten, sowie Personen, welche ihr Vermögen allein nicht verwalten konnten,918 von der freien Disposition über Güter ausgeschlossen und damit auch aktiv wie passiv lehensunfähig.919 Im Übrigen gab es beson­ 914  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  136 ff. 915  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2. 916  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  2 f.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österrei­ chischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vor­ lesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 36: „(…) daß die Weiber in Lehen nicht succedieren können, weil man sie zu Kriegsdiensten für unfähig hielt, die doch von jedem Lehen geleistet werden mußten.“. 917  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. XLVIII f., 104 ff. Zum Verfahren in Vormundschaftssachen im Fürststift Kempten J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LXII ff. 918  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S.  104 f.; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S.  LXIII f. 919  Vgl. P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  136 ff.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten211

dere Formen der Belehnung, wovon zum einen die Afterbelehnung hervorge­ hoben werden soll, bei der ein Vasall sein Lehen an einen anderen Lehens­ nehmer, den Untervasall, weitergegeben hat.920 Für den Untervasall waren hier nur die Rechtsbeziehungen zu seinem Lehensgeber maßgeblich, wobei dieser berechtigt war, im Falle einer Verfehlung des Untervasalls seine Kla­ gerechte an seinen Lehensherrn abzutreten.921 Andererseits ist im Zusam­ menhang mit den Herbergen die gemeinschaftliche Belehnung zur gesamten Hand hervorzuheben, welche mehreren Personen, d. h. etwa Brüdern in der Seitenlinie, aber auch diesen gegenüber etwaigen Dritten, die gleiche Gewere gab, wobei das Lehensgut hinsichtlich der Nutzungen zwischen den Vasallen oftmals real aufgeteilt war, wenngleich einer der Mitbelehnten gegenüber dem Lehensherr die schuldigen Lehensdienste zu erbringen hatte.922 Mit dem Tod eines Mitbelehnten sukzedierten die anderen in dessen ideellen Anteil am Lehen, der wie ein entsprechendes Miteigentum oder ein solidarisches

920  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 7; vgl. zu dem After­ lehen und dessen lehensrechtlichen Modalitäten P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 133; G. Prager, Lehrbuch des ge­ sammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Bezie­ hung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 432; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privat­ rechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 5. 921  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 133; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dog­ matischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u.  a. 1888, S. 432; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 5. 922  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 82 ff., 104 ff.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 108, 110. Hintergrund der Belehnung zur gesamten Hand war die in den deutschen Territorien des Heiligen Rö­ mischen Reiches Deutscher Nation vorherrschende Regel, wonach ein Lehen vom Vater an den Sohn bzw. einen Enkel vererbt wurde. Waren mehrere Söhne, aus Sicht der Seitenlinie Brüder, vorhanden, mussten sich diese auf einen Erben einigen. Kam eine Einigung aber nicht zustande, oblag die Entscheidung dem Lehensherrn, an wen das Lehen gegeben werden sollte. Die anderen Söhne wurden entsprechend entschä­ digt. Eine gemeinschaftliche Sukzession der Söhne in das Lehen fand deshalb grund­ sätzlich nicht statt. Starb der Vasall ohne lehensfähige Erben, fiel das Lehen an den Lehensherrn zurück. Durch die Belehnung zur gesamten Hand wurde durch einen Lehensbrief ein einheitlicher Lehensnexus begründet, der mit einem gemeinschaftli­ chen Sukzessionsrecht verbunden war. Die Mitbelehnten erhielten das Lehen zur ge­ samten Hand und teilten sich die Nutzung des Lehensgutes. Zum Ganzen L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 80 ff.; vgl. auch die entsprechende Rege­ lung im Schwabenspiegel bei H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 61, S. 260 f.

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B. Historische Grundlagen

Gesamteigentum anzusehen war, im Wege der Anwachsung.923 Die gemein­ schaftlich Belehnten hatten dabei das Recht der Teilung, womit aber geson­ derte Lehensnexūs mit selbständigen Sukzessionsrechten entstanden, wenn nicht vertraglich das Lehensgut hinsichtlich der Lehenserbfolge weiterhin wie ein ganzes Lehen bedungen war.924 Im späten Mittelalter wurde unter der Belehnung zur gesamten Hand schließlich auch die Variante verstanden, wo ein anderer im Rahmen der Investitur bereits vertraglich als Mitbelehnter benannt war, dieser aber noch gegenüber dem eigentlichen Vasall noch keine Nutzungen aus dem Lehensgut gezogen hatte.925 Diese Form der gemein­ schaftlichen Belehnung war dabei noch im hohen Mittelalter streng von der Eventualbelehnung zu unterscheiden, die eine entsprechende Sukzession ei­ nes gerade noch nicht Belehnten von dem späteren Eintritt einer konkreten Bedingung abhängig machte, mit der Zeit passte sich die Belehnung zur ge­ samten Hand schließlich aber der herkömmlichen Eventualbelehnung an, nachdem der gemeinschaftliche Besitz der Mitbelehnten nicht mehr als unab­ dingbare Voraussetzung angesehen wurde.926 Insoweit wurde auch im Fürst­ stift Kempten von der grundsätzlichen Lehensunfähigkeit der Weibspersonen eine Ausnahme gemacht, wenn sie in dem Lehensbrief bereits mit einem Mann genannt waren, der keinen Stammesvorgänger hatte.927 Wenn dagegen ein Mannesstamm vorhanden war, blieb eine Frau für ewig ausgeschlos­ sen.928 Ist der Mann deshalb vor der Frau verstorben, fiel das Lehen an das Stift zurück, wenn keine männlichen Erben vorhanden waren und eine cog­ natische Primogenitur zugunsten der Weibslinie nicht vorgenommen worden 923  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 82, 89 ff.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshis­ torische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 107 ff. 924  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 84, 90, 101 ff.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 109, der dort aber nur ein Recht auf eine reale Teilung anerkennen möchte. 925  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 94 ff. 926  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 95 ff., 106 ff., 113 f.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 109, der insoweit von ei­ ner Unterform der Belehnung zur gesamten Hand spricht. 927  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2; vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 401, in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kemp­ ten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 401; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsät­ zen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 35, 43. 928  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten213

war.929 In anderen deutschen Territorien konnten die Weibspersonen dagegen in den Mannesstamm sukzedieren, wenn die vorübergehende lehensrechtli­ che Suspension der Weibspersonen durch die Existenz von lebenden Vertre­ tern des Mannesstammes infolge des späteren Erlöschens von diesem aufge­ hoben war.930 Insoweit unterschied sich der neuzeitliche Kemptener Kloster­ staat von den lehensrechtlichen Gewohnheiten in anderen Territorien, in de­ nen ausnahmsweise auch Weiber-, Schleier- oder Kunkellehen nach dem ausgestorbenen Mannesstamm möglich waren, in den das Weib folgen konnte, wenn nicht sogar Weiberlehen als feudo feminio grundsätzlich zuge­ lassen waren und im Rahmen der Investitur ausdrücklich oder stilschweigend vorgesehen werden konnten.931 Im Ergebnis sind die besonderen lehensrecht­ lichen Gestaltungen aber nichts anderes als der Beleg dafür, dass entspre­ chend der privatautonomen Möglichkeiten die Lehensverhältnisse stets indi­ viduell ausgestaltet werden konnten, insofern das Partikularrecht oder subsi­ diär das gemeine Recht keine Verbote bzw. Beschränkungen enthielten.932 c) Die staatsrechtliche Natur des neuzeitlichen Lehenswesens Noch im 19. Jahrhundert wurde die Rechtsnatur des Lehenwesens von der herrschenden Ansicht dem Privatrecht zugeschrieben, der sich die Rechtsge­ 929  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 35, 43; L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S.  81 f. 930  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 35, 43; L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S.  81 f.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 f. 931  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 35, 43; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 429; H. Röckelein, De feudo femineo – über das Weiberlehen, in: P. Aufge­ bauer/Ch. v. d. Heuvel (Hrsg.), Herrschaftspraxis und soziale Ordnungen im Mittelal­ ter und in der frühen Neuzeit, Ernst Schubert zum Gedenken, Hannover 2006, S.  267 ff. 932  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 18 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirth­ schaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 429, 432.

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B. Historische Grundlagen

schichte angeschlossen hat.933 Die Lehre, die hinter dieser grundlegenden Einordnung stand, war dabei von dem eigentlichen Lehensvorgang bestimmt, der sich auf die Leihe eines Grund und Bodens als einem wesensgleichen Minus gegenüber einer Veräußerung bezog und gegen etwaige Dienste, Na­ turalien sowie Zinsen möglich war.934 Dies verdeutlicht die folgende Erläute­ rung zum Lehensvertrag aus dem Jahre 1801: „Das Lehensverhältniß wird ordentlicher Weise durch einen Vertrag gegründet, denn es besteht darinn, daß jemand einem andern das nutzbare Eigenthum über­ läßt, und dieser es unter der Verbindlichkeit zur wechselseitigen Treue übernimmt. Es geht also zwischen beyden Theilen ein Vertrag vor sich. (…) Daher sind die aus dem Lehenverhältniße entspringenden Rechte und Verbindlichkeiten vertragsmäs­ sige, conventionelle, denn sie gründen sich auf einen vorläufigen Vertrag. (…) Die wichtigste Eintheilung der Lehen ist in Staats- oder öffentliche, und in Privatlehen (Feuda publica, et privata). Ein öffentliches Lehen ist, dessen Obereigenthum sich bei dem Staate, oder dem Regenten desselben befindet; ein Privatlehen, dessen Obereigenthum sich bey einer Privatperson befindet. (…) Auch bey einem Staats­ lehen sind die Rechte und Verbindlichkeiten bloß vertragsmässige, denn auch, wenn der Staat, oder der Fürst jemanden ein Lehen giebt, contrahirt er mit ihm. Ihre Rechte, die sie als Lehnherr und Vasall gegen einander haben, werden bloß durch den Vertrag bestimmt (…).“935

Die Verfassungsgeschichte hat dem Lehenswesen für die Entwicklung des modernen Staates vor dem Hintergrund, dass es sogar eine eigene Lehens­ rechtswissenschaft gegeben hat,936 bei grundsätzlicher Anerkennung der grundeigentümlichen Implikationen für die werdenden Landesherrschaften bisher hauptsächlich eine eher untergeordnete Behandlung beigemessen,937 oder ihm in erster Linie eine negative Assoziation beigelegt.938 Insoweit wurde sogar eine zerstörerische Wirkung des Lehenswesens für die Entwick­ lung der modernen Staatlichkeit angenommen, weil sich die Vasallen von 933  So K.-H. Spieß, Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittel­ alter, 3. Aufl., Stuttgart 2011, S. 17. 934  Vgl. F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichi­ schen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorle­ sungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 10 ff. 935  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 10 ff. (dort das Zitat); ähnlich A. Reyscher, Das gesammte württembergische Privatrecht, Band II, Tübingen 1843, S. 143. 936  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 1 ff. 937  Vgl. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  40 f., 98; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S.  52 ff. 938  Siehe zur entsprechenden Forschungsgeschichte K.-H. Spieß, Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, 3. Aufl., Stuttgart 2011, S. 17 f.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten215

fremden Adelsfamilien auf dem eigens durch den Monarchen beanspruchten Territorium dem Zugriff des regierenden Fürsten entzogen und damit keine gebietsbezogene Unmittelbarkeit vorliegen konnte.939 Von anderer Seite wurde das Lehenswesen dagegen als ein motorisches und stabilisierendes Moment für den mittelalterlichen Staat beschrieben, das als eines der wesent­ lichen Substrate der allmählich entstehenden Landesgewalt angesehen wer­ den konnte, das, von territorialen Unterschieden abgesehen, mit weiteren Elementen wie der Grund- und Bannherrschaft, der Hoch- und Niederge­ richtsbarkeit, der Grafengewalt, den Vogteien oder den Regalien die herr­ schaftliche Grundlage ausmachen konnte.940 Allein es gilt auch hier zum einen zwischen dem mittelalterlichen und dem neuzeitlichen Lehenswesen zu unterscheiden,941 zum anderen kann die landeshoheitliche Belehnung im Rahmen eines werdenden Territorialstaates wie dem neuzeitlichen Kloster­ staat Kempten942 als solche nicht im Sinne eines einheitlichen Vorgangs betrachtet werden, sondern die eigentliche Entscheidung zur Vergabe eines Lehens ist als Hoheitsakt von den in den Lehensbriefen festgelegten bzw. vereinbarten Modalitäten943 zu abstrahieren. Das mittelalterliche Lehenswesen hatte im Lichte der zeitgemäßen Kriegs­ verfassung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation seinen überwie­ genden Zweck in der Verteidigung bzw. Erweiterung von herrschaftlichen Territorien, indem freie Männer zu Gefolgschaften, später dann insbesondere 939  G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Band I: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 1914, S. 243 ff. m. w. N. in Bezug auf den modernen Staat, während nach seiner Ansicht insbesondere die lehenbaren öffentlichen Gerichtsbezirke im Hei­ ligen Römischen Reich Deutscher Nation obgleich der Belehnung ihre als solche staatliche Eigenschaft nicht verloren haben. 940  H. Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Nachdruck der 1. Auflage von 1933, Darmstadt 1974, S. 5 ff., 449 f.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 56. 941  Vgl. F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichi­ schen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorle­ sungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 27 ff., 44; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 428; für die Kemptener Fürstabtei hinsicht­ lich der dort eingeführten territorialitätsbezogenen Leibherrschaft P. Blickle, Leib­ herrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur ge­ schichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff. 942  P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S.  6 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilis­ mus, Stuttgart 1995, S. 18 ff. m. w. N. 943  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 10 ff.

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B. Historische Grundlagen

Vertreter des niederadeligen Ritterstandes, zu militärischen Zwecken gewor­ ben wurden.944 Insoweit gab es dann ab dem ausgehenden Frühmittelalter zwar von der rechtlichen Beziehung her eine Lehensverbindung, nach wel­ cher der Vasall dem Lehensherrn zur bedingungslosen Treue verpflichtet war und entsprechende militärische Dienste zu verrichten hatte, der Vasall wurde dadurch grundsätzlich aber noch nicht zu einem Untertanen, der einer hoheit­ lichen Gewalt des entsprechenden Lehensherrn unterlag.945 Das neuzeitliche Lehenswesen stand dagegen im Zeichen der obrigkeitsstaatlichen Landesho­ heit, so dass sich der Vasall auch als Untertan darstellte, wenn sein Lehensgut auf dem fürstlichen Territorium angesiedelt war.946 Unter der territorialstaat­ lichen Lehenshoheit, die in der Staatswissenschaft des ausgehenden 18. Jahr­ hunderts bereits regelmäßig dem öffentlichen Recht zugeordnet und von der Dispositionshoheit des Obereigentümers und der Ausübung der lehensherr­ lichen Rechte des dominium directum unterschieden wurde, wurde letztlich der Inbegriff der Befugnisse verstanden, die der Staatsgewalt als solcher hinsichtlich der im Staatsgebiete ansässigen Lehen zustanden, namentlich das Recht der Gesetzgebung, der Polizei, der Gerichtsbarkeit und der Besteu­ erung, während dagegen die Lehensherrlichkeit allgemein dem Privatrecht zugeordnet wurde, welche aus dem konstituierenden Lehensvertrag entsprang und sich nach Maßgabe des Lehensrechts an den im Lehensverbande haften­ den Lehen innerhalb wie außerhalb des Staatsgebietes äußerte.947 Der fürst­ liche Herrscher konnte daher einerseits zum gemeinen Wohl Gesetze erlas­ 944  ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 214 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 2, 17; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 16 ff. 945  ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 212 ff.; G. Prager, Lehr­ buch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftli­ cher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 428; vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 4 f., 62 ff. 946  ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 215 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 4; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 428; vgl. F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 16 f. Weber schreibt hierzu treffend: „Die Lehensherrlichkeit ist kein Bestandtheil der Ma­ jestätsrechte, obgleich sie mit denselben coexistiren kann.“; G. v. Weber, ebd., S. 4. 947  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 4 f., 18 f., 32 f.;



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten217

sen, um das provinziale Lehenssystem partikularrechtlich zu regeln,948 so wie dies im Fürststift Kempten mit der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, als mit Art. 64 eine verbindliche und die rein privatrechtliche Sphäre überlagernde Heim- bzw. Lehensfallordnung festgelegt wurde,949 oder mit der späteren Verordnung von Fürstabt Roman Giel von Gielsberg vom 18.11.1641, als das auch auf Erblehen bezogene Anfallsrecht umfassend geregelt wurde, gesche­ hen ist.950 Andererseits oblag in der Kemptener Fürstabtei auch die Verwal­ tung der Lehensgeschäfte der Bürokratie des reichsfürstlichen Hofes, na­ mentlich dem unmittelbar der Regierung zugeordneten Lehenhof, der inso­ weit die lehensherrlichen Rechte des Fürstabts über die vielen Lehensobjekte wahrzunehmen hatte.951 Dass die Gesetze in Ausübung von Staatsgewalt er­ lassen wurden und damit öffentlich-rechtlicher Natur waren, kann nicht be­ stritten werden.952 Nur wie stellten sich nun die Vergabe der Lehen und die eigentliche Wahrnehmung der im Obereigentum begründeten lehensherrli­ chen Rechte von ihrer Rechtsnatur dar? Bei den deutschen unmittelbaren Stiftern war das Obereigentum und das prodominium, d. h. die Ausübung der aus dem Obereigentum als dominium directum abgeleiteten lehensherrlichen Rechte und Befugnisse, bei der Kirche selbst, und derjenige der zum Vorste­ her der Kirche gewählt wurde, übte das prodominium sublime über die auf stiftischen Grund und Boden sich befindenden und somit landsässigen Lehen vermöge der ihm zustehenden weltlichen Macht aus.953 Die Vasallen waren A. Reyscher, Das gesammte württembergische Privatrecht, Band II, Tübingen 1843, S. 144. 948  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 32 f. 949  Art. 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kemp­ ten, Regierung Bände 5, fol. 30 f. 950  Verordnung des Fürstabts Roman Giel von Gielsberg vom 18.11.1641 die Auslösungen, das Anfallrecht und die Ganten betreffend, abgedruckt bei J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichts­ verfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 278. 951  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 32 f. 952  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 32, wonach der Grund der Lehenshoheit die oberste Staatsgewalt ist. 953  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 31 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üb­

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B. Historische Grundlagen

daher Kirchenvasallen und schworen die Treue der Kirche wie auch dem Fürstabt.954 Der Fürstabt als Staatsoberhaupt stellte sich damit letztlich wie eine „gedoppelte Person dar: Landesherr und Lehensherr. Als Landesherr übt(e) er die Hoheitsrechte in Lehensachen aus; als Lehenherr, wenn schon gleichfalls im Namen des Staates, dessen moralische Persönlichkeit er (…) vertrat, die lehenherrlichen Rechte.“955 Es gilt hier deshalb im Ergebnis im Hinblick auf die Entstehung der modernen Staatlichkeit zu unterscheiden,956 weil es sich in Wirklichkeit um ein zweistufiges Rechtsverhältnis handelte, bei dem die gnädige Autorität des Fürsten dem Bürger zunächst in einer übergeordneten Stellung gegenübertrat, während die individuell festgelegten Modalitäten in dem Lehensvertrag wie die Erbringung von Naturalien und die auf dem liegenden Gut lastenden Abgaben, oder aber die Erbfolge, kon­ kret und damit hoheitlich bestimmt, aber auch offengelassen werden konnten, womit in diesem Fall dann das partikulargesetzliche bzw. gemeine Recht Anwendung fanden.957 Es können deshalb in diesem Kontext die Grundsätze

lichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leip­ zig 1810, S. 14; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschicht­ licher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 431. 954  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 14 f.; vgl. ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 221 f. 955  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff., 30 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leip­ zig 1807, S. 4 f., 32 f.; A. Reyscher, Das gesammte württembergische Privatrecht, Band II, Tübingen 1843, S. 144 (dort das Zitat); G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 430 f. 956  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 32 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirth­ schaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 431. 957  Man differenzierte insoweit im Ergebnis zwischen bestimmten und unbe­ stimmten Lehen; siehe hierzu F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teut­ schen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prin­ zipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 10 f. Zu den geltenden Rechtsquellen im neuzeitlichen Fürststift Kempten Art. 64 der Landesord­ nung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f.: „so wollen wür uns hiemit auf die gemaine kayserlichen Satzungen, Lehen­ recht derselben Lehern und yeblichen hergebrachten Landtsbräuchen referirt und ge­ zogen (haben).“



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten219

der Zweistufentheorie958 zur Anwendung kommen, wenngleich sich aber eine systematische Übertragung dieser heute als anerkannt geltenden verwal­ tungsdogmatischen Figur auf etwaige vorkonstitutionelle Rechtsverhältnisse verbietet, zumal die unterschiedlichen Bereiche der Staatstätigkeit in der Kemptener Fürstabtei noch nicht derart ausdifferenziert waren, wie es bei den modernen Staaten der Gegenwart zu beobachten ist.959 Andererseits be­ stand ab dem Jahre 1669 bereits eine klare Zuständigkeit der Hofkammer in Sachen des gesamten Kameralwesens, zu dem die Resorts der Finanzen, der Wirtschaft und des Bauwesens gehörten, während für das abgetrennte Le­ henswesen der unmittelbar der Regierung zugeordnete Lehenhof zuständig war, wobei der Bereich des Lehenswesens im Fürststift Kempten bis zuletzt Regierungssache war.960 Auch gab es für lehensrechtliche Auseinanderset­ zungen mit dem Lehensgericht eine besondere Gerichtsbarkeit, die das Le­ henswesen bereits funktional von den normalen Zivilverfahren abhob.961 Eine Verwaltung der Lehen als eigenes Kirchenvermögen schied aber in der Regel aus, nachdem es zwar ein gesondertes Allodialvermögen der Kirchen gab, das Stiftsvermögen an liegenden Gütern infolge der königlichen Regali­ enverleihung aber grundsätzlich in der Ausübung von weltlicher Gewalt vergeben wurde,962 und sich auch das Wesen der vergebenen Lehen als zwar 958  H. P. Ipsen, Öffentliche Subventionierung Privater, DVBl. 1956, S. 462  ff., 498 ff., 602 ff.; zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung der Zweistufentheorie M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band IV: Staats- und Ver­ waltungsrechtswissenschaft in West und Ost und West 1945–1990, München 2012, S.  236 ff. 959  Vgl. G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 960  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 28 f.; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 187 f. 961  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 191; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Pri­ vatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 435 f.; zur Gerichtsverfassung in der Kemptener Fürstabtei J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verord­ nungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. II ff. 962  Grundsätzlich zur mittelalterlichen Zusammensetzung des Vermögens von Stiftern und Kirchen A. Pöschl, Die Regalien der mittelalterlichen Kirchen, Fest­ schrift der Grazer Universität für 1927, Graz u. a. 1928, S. 43 ff.; vgl. zum Meinungs­ stand K.-F. Krieger, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter, 2. Aufl., München 2005, S. 84 ff.; A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geist­

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B. Historische Grundlagen

herrschaftliches und an einen bis zur Auflösung des Fürststifts Kempten im Jahre 1803 bestehenden Zustimmungsvorbehalt im Sinne des Obereigentums gebundenes, aber von der auf den Vasall delegierten Nutzung her bereits unbeschränktes Eigentum auszeichnete,963 weshalb eine reine Fiskalverwal­ tung in der Form der Vermögensverwaltung ausscheiden musste.964 Entschei­ dend ist aber letztlich der Zweck, der mit den Lehen verfolgt wurde.965 In diesem Sinne diente das neuzeitliche Lehenswesen wie die landeshoheitliche Grundherrschaft dem staatlichen Abgaben- und Besteuerungssystem, indem Finanzmittel kreiert wurden.966 Zudem aber sollten die auf den Lehen zu er­ licher Reichsfürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 555 f. jeweils unter Erläuterung der Ansicht Pöschls. Zur Regalienleihe der Graf­ schaftsrechte an das Stift Kempten im Jahre 1213 StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 18, Urkunde König Friedrichs II. über die Belehnung des Abts mit den Grafschaftsrechten aus dem Jahre 1213; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 83 f.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248  ff.); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 32  ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 7 f.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. Siehe zur mit der Regalienleihe verbundenen administratio temporalium A. Schmidt, ebd., S. 554, 556 f. m. w. N. unter Erläuterung der Ansicht Kriegers. 963  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 111; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LII; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 285. 964  Vgl. P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Früh­ neuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 187 f.; zur Subvention als Hoheitsverwaltung in Abgrenzung zur reinen fis­ kalischen Staatstätigkeit H. P. Ipsen, Öffentliche Subventionierung Privater, DVBl. 1956, 462, (465 f.). 965  Vgl. auch G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 2 ff., 32 f. 966  Zur Entwicklung des Finanzwesens in den deutschen Territorialstaaten T. Mayer, Geschichte der Finanzwissenschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. Gerloff u.  a. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, Band I, Tübingen 1952, S. 236 ff., v. a. S. 244 ff.; M. Körner, Steuern und Abgaben in Theorie und Praxis im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: E. Schremmer (Hrsg.), Steuern, Abgaben und Dienste vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1994, S. 60  ff., 70  f. Zur neuzeitlichen Finanzverfassung im Fürststift Kempten L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 39 ff., 45;



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten221

richtenden Häuser und Herbergen vor allem in städtebaulicher Hinsicht zum Wachstum des frühmodernen Staates beitragen, womit die neuzeitliche Le­ hensvergabe in die dogmatische Nähe einer Frühform der Subvention kommt.967 Es ist daher durchaus angezeigt, die erste Stufe der Vergabe des Lehens, in der sich in erster Linie die landeshoheitliche Leitungsgewalt der fürstlichen Autorität offenbarte, von dem eigentlichen Lehensvertrag als ei­ ner zweiten Stufe zu unterscheiden.968 Danach war das „Ob“ der Vergabe bzw. einer entsprechenden Zustimmung zu einem Verkauf oder einer Weiter­ gabe eines Lehens stets öffentlich-rechtlicher Natur, zumal dies aus heutiger Sicht Grundrechtsrelevanz hätte, während die Ausgestaltung des konkreten Lehensrechtsverhältnisses auf der zweiten Stufe einerseits oktroyiert erfol­ gen, andererseits sich aber auch nach privatrechtlichen Normen richten konn­ te.969 Aufgrund der reichsfürstlichen Omnipotenz konnte es in den neuzeit­ lichen Jahrhunderten angezeigt sein, entsprechende seitens des Stifts vorge­ gebene Bedingungen des Lehensvertrages zu akzeptieren, bevor man ansons­ ten ein Lehen nicht bekommen hätte, so dass sich der Lehensvertrag im Ergebnis als hoheitlich oktroyiert darstellen konnte.970 Andererseits konnten im Rahmen der Investitur auch bereits die zu entrichtenden Abgaben festge­ legt werden, so dass dies eine besondere Form der neuzeitlichen Besteuerung darstellte, wonach Grund und Boden gegen Geld zur Verfügung gestellt wurde.971 Die königliche Verleihung der Grafschaftsrechte als Reichslehen im Jahre 1213 begründete für das Fürststift Kempten im Ergebnis die Kom­ petenz zur Ausübung von weltlicher Gewalt, die sich ab dem späten Mittel­ G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahr­ hundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 329 ff. 967  Dies entspricht im Ergebnis dem klassischen Anwendungsfall der Zweistufen­ theorie; vgl. H. P. Ipsen, DVBl. 1956, 498, (501 ff.). Zum Grundsatz der Wachstums­ förderung des modernen Staates W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 38. 968  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 4 f., 32 f. 969  Hier offenbart sich schließlich wieder der Unterschied aus Landeshoheit und Lehensherrlichkeit.; vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehen­ rechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 4 f., 32 f. 970  Vgl. zur Omnipotenz des reichsfürstlichen Regenten Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 88 ff., 99 ff., 111 ff. 971  Zum neuzeitlichen Besteuerungswesen einschließlich der Begriffsgeschichte des Wortes Steuern, das vormals auch für Lehensabgaben des Vasallen gebraucht wurde, T. Mayer, Geschichte der Finanzwissenschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. Gerloff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, Band I, Tübingen 1952, S. 247 ff.

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B. Historische Grundlagen

alter zu der landeshoheitlichen Herrschaft des Fürststifts Kempten ausformte, so dass sich das Grundeigentum im Lichte der zunehmend territorialitätsbe­ zogenen Leibherrschaft auch hier als Keimzelle der Staatlichkeit manifestier­ te.972 Nach alledem muss aber festgehalten werden, dass sich das neuzeitliche Lehenswesen als Staatsgewalt in der Gestalt eines landeshoheitlichen Sub­ strats darstellte, die sich in der Verfügbarkeit über die im Herrschaftsbereich ansässigen Untertanen zeigte.973 d) Die geltenden Rechtsquellen des Lehensrechts – der Schwabenspiegel oder: Kunic Karls Reht In dem das Lehenswesen beinhaltenden Artikel 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641 ist ein Hinweis auf das in der Kemptener Fürstabtei geltende Le­ hensrecht enthalten, wenn insoweit ausgeführt wird, dass „wür uns hiemit auf die gemaine kayserlichen Satzungen, Lehenrecht derselben Lehern und yeblichen hergebrachten Landtsbräuchen referirt und gezogen wollen, daz ist erst obbemelte Lehen-Artickhul nit allein, sonderen auch allesambt und sonderlichen bey einverleibten Straffenfälligkait und rechtlicher Einziehung dersel­ ben würckhlich und unverwaigerlich gehalten werden.“974

Damit wurde gesetzlich festgelegt, dass neben den von den Lehensherrn im Zuge einer individuellen Belehnung bestimmten Bedingungen in den Le­ hensbriefen die in der Landesordnung enthaltenen partikularrechtlichen Le­ hensnormen, die gemeinen kaiserlichen Satzungen und die üblichen her­ gebrachten, d. h. gewohnheitsrechtlichen allgäuischen Landesbräuche gelten 972  Vgl. B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Mar­ burg 1986, S.  10 f. m. w. N.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., Mün­ chen 2002, S. 52 ff., v. a. S. 56. 973  In diesem Sinne ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 213; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  8 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 4 f., 32 f.; ders., Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 14 f.; G. Prager, Lehrbuch des ge­ sammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Bezie­ hung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 431; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 12, wenngleich dieser noch den Lehensvertrag betont. Andere Ansicht S. Schlinker/ H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 4. 974  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Re­ gierung Bände 5, fol. 30 f.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten223

sollten.975 Es entstand damit eine allgemeine Normenhierarchie des in der Kemptener Fürstabtei geltenden Lehensrechts, die sich nach dem Grundsatz richtete, wonach die speziellere Vorschrift der allgemeineren vorging.976 In diesem Sinne standen zunächst die in den Lehensbriefen mit dem Vasallen festgelegten Regelungen am oberen Ende der Normenhierarchie, weil mit diesen, wie etwa eine im Rahmen der Investitur verordnete Sukzession be­ weist, eine für alle Lehensnachfolger, die Rechte aus dem Lehen herleiten wollten, verbindliche Norm und Vorschrift bestand.977 Der ordentliche Le­ henskontrakt als Vertrag konnte dem Gesetz vorgehen und im Ergebnis auch über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen.978 Dass die seitens des Fürst­ abts konkretisierten lehensrechtlichen Modalitäten als unantastbare Dekrete anzusehen waren, ergab sich bereits aus dem Umstand, dass der gewählte landeshoheitliche Kirchenvorsteher bei der Ausübung weltlicher Macht, ab­ gesehen von etwaigen Bindungen durch das kanonische Recht, aufgrund seiner landesherrschaftlichen Omnipotenz dem Gesetz nicht unterlag.979 Die Machtvollkommenheit zeigte sich auch darin, dass der Fürstabt der Kempte­ ner Abtei zwar einmal eingegangenen Lehensbindungen unterlag, ihm aber andererseits die Möglichkeit eingeräumt war, geschlossene Verträge durch einen Kauf später wieder zu revidieren.980 Daneben mussten die Gesetze und Gewohnheiten des Lehenhofes, von welchem das Lehen verliehen wurde, berücksichtigt werden.981 Auf der anderen Seite gingen die von der reichs­ fürstlichen Obrigkeit verfügten partikularrechtlichen Normen in Landesord­ 975  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Re­ gierung Bände 5, fol. 30 f.; vgl. zu den lehensrechtlichen Rechtsquellen grundsätzlich auch G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 18 f., 33 ff. 976  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 13; vgl. P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 77. 977  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 18 f.; vgl. auch ders., Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 2. 978  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 19. 979  H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S. 334 ff.; Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 88 ff., 99 ff., 111 ff. 980  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 17. 981  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  77 f.

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B. Historische Grundlagen

nungen und die „yeblichen hergebrachten Landtsbräuchen“, d. h. das in der Allgäuer Region gebräuchliche Gewohnheitsrecht als speziellere Vorschrif­ ten dem gemeinen Recht vor.982 Die besonderen Lehensgebräuche wurden in der Kemptener Fürstabtei in einem um das Jahr 1700 erstatteten Rechtsgut­ achten in Bezug auf allgäuische Bürger- und Bauernlehen wie folgt beschrie­ ben: „Vor allem halte ich für ohngezweifflet, dasß die in dem Allgey so ge­ nante baurenlehen nicht allein dem nammen nach, sondern in der thath rechte lehen seyen. (…) Auß diesem biß daher abgehandelten folget, daß unser quaestinirt allgeyische lehen seyen und müßen genennet werden feuda igno­ bilia censualia haereditaria“,983 womit das anerkannte Wesen der Lehen als zinspflichtige gemeine Erblehen beschrieben wurde.984 In Artikel 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee werden als weitere Rechtsquelle die „gemaine(n) kayserlichen Satzungen“ genannt,985 womit die Frage aufgeworfen ist, um welche konkrete Kodifikation es sich dabei handelte. Möglich wäre zunächst, dass hiermit die Deutschen Reichs­ gesetze, insofern sie das Lehenswesen betrafen, wie die Goldene Bulle, die Reichshofrathsverordnung und die Wahlcapitulation, gemeint waren.986 Die genannten reichsrechtlichen Normen galten aber fast ausschließlich für Reichslehen und enthielten Regelungen zur Sicherung der dem Kaiser zuste­ henden lehensherrlichen Rechte sowie des Reichsherkommens bzw. bezüg­ lich der den Reichsständen in Lehenssachen gebührenden Gerechtsame und waren daher nur insoweit brauchbar, als sie das Institut des Lehenswesens als solches betrafen, wenngleich einzelne Landesterritorien die Reichsgesetze auch durch Publikationen anerkannt hatten.987 Diese Auslegung des gesetz­ 982  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 13; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  77 f. 983  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geist­ licher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 984  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 985  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Re­ gierung Bände 5, fol. 30 f. 986  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  42 f. 987  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  42 f.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten225

lichen Verweises auf die „kayserlichen Satzungen“ wird aber durch die stift­ kemptische Landesverordnung selbst widerlegt, wenn nach dem grammatika­ lischen Wortsinn der Vorschrift der Zusatz „gemaine“ herangezogen wird.988 Das langobardische Lehensrecht als libri feudorum war zwar auch subsidiär als gemeines Recht in den deutschen Territorien anerkannt.989 Es galt aber in den deutschen Territorien als gemeines Recht nur dann, wenn nichts anderes gesetzlich bestimmt war und die regionalen Lehensgewohnheiten auf die le­ hensrechtlichen Institute des libri feudorum überhaupt passten.990 Entgegen seines erst später im 17. Jahrhundert entstandenen Titels stellte auch der Schwabenspiegel eine Rezeption des gemeinen Land- und Lehensrechts dar, der aber nicht spezifische schwäbische Rechtssätze enthielt, sondern nur als verbindliches Recht im Machtbereich des römisch-deutschen Kaisers gelten sollte, weshalb der Schwabenspiegel auch als Kaiserrecht bezeichnet wird.991 Andererseits schwingt in dieser Bezeichnung die allgemeine Vorstellung ei­ ner idealisierten kaiserlichen Legitimation mit, die sich im Hochmittelalter zunehmend aus der aus dem römischen Recht entlehnten Annahme des Kai­ sers als dem obersten Gesetzgeber entwickelt hatte.992 In einem Kommentar aus dem Jahre 1728 wird der Schwabenspiegel unter Rekurs auf eine Bear­ 988  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Re­ gierung Bände 5, fol. 30 f. 989  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  46 ff.; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungspro­ blem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 2013 (130), 205, (208); S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsge­ schichte, München 2019, § 16 Rn. 4. Allgemein zu den libri feudorum G. Dilcher, Das lombardische Lehnrecht der Libri Feudorum im europäischen Kontext, in: ­K.-H. Spieß (Hrsg.), Ausbildung und Verbreitung des Lehnswesens im Reich und in Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013, S. 41 ff. 990  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 45 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 58 f., 67, 77 f.; vgl. auch G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 40 ff., v. a. S. 42. 991  So H. Derschka, Schwabenspiegel, publiziert am 19.03.2012, in: Historisches Lexikon Bayern. Zum Schwabenspiegel S. Hähnchen, Rechtsgeschichte, 4. Aufl., Heidelberg u. a. 2012, S. 156; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 67 f.; N. Grundlings, Die Geschichte der noch Uebri­ gen Wissenschaften, Fürnehmlich Der Gottes-Gelahrheit, wie auch besonders eine umständliche Historie aller und jeder Theile der Rechts-Gelahrheit bis 1742, Bremen 1742, S. 772; F. v. Moshamm, Grundsätze des Lehenrechtes, Landshut 1814, S. 15 f. 992  J. Kutz, Das Dorf und die bäuerliche Lebenswelt im Schwabenspiegel – Ein Rechtsbuch als soziohistorische Quelle, in: Zeitschrift für die Geschichte des Ober­ rheins 2008 (156), 85, (88).

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B. Historische Grundlagen

beitung von Sebastiani Meichsneri aus dem Jahre 1561 wie folgt beschrie­ ben, womit auffällt, dass in der Gesetzesfassung des Fürststifts Kempten so­ gar die gleiche Terminologie verwendet wurde: „Kayserlich und Königlich Land- und Lehnrecht, Sazung, Sitten und Gebreuch, wie unsere Teutschen vorfahren lang wol hergebracht und erhalten, auch durch Römische Keyser und Könige weiters erklärt und gebessert worden sind, darnach sie sich in allen zutragenden Sachen und Fällen, in und ausserhalb rechtens, treu­ lich und friedlich verhalten haben.“993

Damit wurde schließlich ausdrücklich auf die „altem gemeinen Keys. be­ schriebenem Rechten“ als Grundlage des Schwabenspiegels Bezug genom­ men,994 womit davon ausgegangen werden kann, dass mit Artikel 64 der Kemptener Landesordnung dem Schwabenspiegel ausdrücklich Gesetzeskraft verliehen werden sollte und darunter nicht die libri feudorum zu verstehen waren. Da diese „schwäbische“ Kodifikation nämlich an sich keine Geset­ zeskraft hatte, bedurfte es einer entsprechenden positivrechtlichen Öffnungs­ klausel,995 die in der Kemptener Fürstabtei mit Artikel 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee verwirklicht war.996 Ge­ gen eine gesetzliche Öffnung der libri feudorum spricht aber insbesondere auch die konkrete Ausformung des stiftkemptischen Lehenswesens, das sich durch eine umfassende Vergabepraxis von für den bayerisch-schwäbischen Raum typischen Zinslehen auszeichnete,997 was eine Lehenskategorie dar­ stellte, die zumindest in dieser Form von den libri feudorum nicht vorausge­ 993  J. Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, Argentorati 1728, S.  XV; N. Grundlings, Die Geschichte der noch Uebrigen Wissenschaften, Fürnehmlich Der Gottes-Gelahrheit, wie auch besonders eine umständliche Historie aller und jeder Theile der Rechts-Gelahrheit bis 1742, Bremen 1742, S. 772. 994  J. Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, Argentorati 1728, S. XVII. 995  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  67 ff.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österrei­ chischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vor­ lesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 55 ff., der auf S. 60 davon spricht, dass „heut zu Tage (…) kein Lehenhof in Teutschland (ist), bey dem diese Sammlungen als Gesetzbücher angesehen würden.“ Diese Ansicht wird mit der Öff­ nungsklausel im Fürststift Kempten für den Schwabenspiegel widerlegt, wo dieser bis zur Auflösung des Stifts im Jahre 1803 mit Gesetzeskraft gegolten hat. 996  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f. 997  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Sigma­ ringen 1972, S. 216. Zu der Kategorie der Zinslehen als einer bayerisch-schwäbischen Besonderheit L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S. 315; vgl. auch M. Bader, Das Lehenswesen Herzog Heinrichs XVI. des Rei­ chen von Bayern-Landshut, München 2013, S. 207 f.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten227

setzt war.998 Im Übrigen waren die libri feudorum im 16. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bereits allgemein als subsidiä­ res Lehensrecht anerkannt,999 so dass eine gesetzliche Öffnungsklausel inso­ weit im Gegensatz zum Schwabenspiegel nicht notwendig gewesen wäre.1000 Nachdem auch das rezipierte römische Recht zwar allgemeine Rechtssätze zum Erwerb und zum Verlust, zu den Wirkungen der Rechte usw. enthielt, die auf sämtliche Institute wie auch das Lehenswesen Anwendung finden konnten, ohne aber spezifische Regelungen für die lehensrechtliche Rechts­ übung zu enthalten,1001 kann es sich bei dem in der stiftkemptischen Landes­ ordnung angeführten Terminus „gemaine kayserlichen Satzungen“ nur um einen Verweis auf den Schwabenspiegel handeln, der durch ein Partikularge­ setz ausdrücklich rezipiert wurde und damit nachrangig als weitere Rechts­ quelle heranzuziehen war, wobei sich daran wiederum das langobardische Lehensrecht subsidiär anschloss.1002 Damit blieb das Fürststift Kempten sei­ ner Frühgeschichte insoweit treu, als das damalige Benediktinerkloster Kempten von der aus einem schwäbischen Herrschaftsgeschlecht stammen­ den fränkischen Königin Hildegard als Gemahlin des späteren Kaisers des Fränkischen Reiches Karl dem Großen unterstützt wurde,1003 wobei insbe­ 998  Vgl. W. Ebel, Über den Leihegedanken in der deutschen Rechtsgeschichte, in: Vorträge und Forschungen: Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Band V, Konstanz u. a. 1960, S. 17. 999  Zum Ganzen einschließlich der geschichtlichen Entwicklung der libri feudo­ rum F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 45 ff. 1000  Vgl. P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  67 ff.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österrei­ chischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vor­ lesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 55 ff. 1001  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  61 f. 1002  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 68 f., 78. 1003  M. Schroeckh, Christliche Kirchengeschichte, Band 20, Leipzig 1794, S. 56; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  19 ff.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (230 f.); L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 2; M. Weis, Das ehema­ lige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwa­ ben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vor­ ort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 16; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der

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B. Historische Grundlagen

sondere Karl der Große im Rechtsbuch des Schwabenspiegels als verbind­ liche Legitimationsinstanz erscheint.1004 Das Kaiserrecht wird deshalb nicht umsonst auch als „Kunic Karls Reht“ bezeichnet.1005 Daneben konnten als anwendbare Rechtsquellen noch das natürliche Lehensrecht aus der Natur der Sache,1006 das gemeine römische Recht als entsprechend heranzuziehende Kodifikation mit allgemeinen Rechtssätzen, die auch auf lehensrechtliche Verhältnisse anwendbar waren, und die Analogie folgen,1007 wenngleich diese subsidiären Rechtsquellen im Fürststift Kempten gesetzlich nicht aus­ drücklich rezipiert waren.1008 Die Normenhierarchie zeigt insgesamt auf, dass neben den reichsfürstlichen Rechtsakten als oberstem Gesetz gerade auch die allgäuischen Gewohnheiten und Gebräuche einen hohen Rang ein­ nahmen, bevor schließlich die kaiserlichen Rechte des Schwabenspiegels subsidiär Anwendung fanden.1009

Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 311; H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tridentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürger­ fleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 48. 1004  H. Derschka, Der Schwabenspiegel und die kognitive Entwicklung des Men­ schen – neue Fragen an einen alten Text, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2001 (118), 100, (112 f.). 1005  Siehe hierzu Ch. Bertelsmeier-Kierst, ‚Schwabenspiegel‘ oder Kunic Karls Reht, in: dies. (Hrsg.), Kommunikation und Herrschaft, Stuttgart 2008, S. 125 ff. 1006  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 14 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 33 ff. mit einer umfassenden Erläuterung des damaligen wis­ senschaftlichen Meinungsstandes zum natürlichen Lehensrecht und dessen überpositi­ vistischer Herleitung. 1007  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  77 f. 1008  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f. 1009  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f.; StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgut­ achten erstattet um 1700, S. 7 ff.; v. a. S. 13; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschafts­ politik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 77.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten229

e) Die Kategorien von Zinslehen und Erblehen im Schwabenspiegel Während in der wissenschaftlichen Forschung auch heute noch der Ein­ fluss des Schwabenspiegels auf das mittelalterliche Augsburger Stadtrecht umstritten ist1010 und die Autonomie des städtischen Rechts zumindest hin­ sichtlich des Lehenswesens weitgehend betont wird,1011 enthielt Art. 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641 eine Öffnungsklausel für die gemeinen kaiser­ lichen Satzungen1012 und damit für das Kaiserrecht, den Schwabenspiegel.1013 Damit ist die subsidiäre Anwendbarkeit des Schwabenspiegels im Reichs­ 1010  L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S.  305 ff.; allgemein P. Kreutz, Stadtbuch von Augsburg, publiziert am 25.10.2011, in: Historisches Lexikon Bayern. 1011  L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S.  310 f., 315, 318 f. 1012  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Re­ gierung Bände 5, fol. 30 f.; vgl. zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Öffnungsklau­ sel P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  67 ff.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichi­ schen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorle­ sungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 55 ff. 1013  Zum Schwabenspiegel als Kaiserrecht P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 67 ff.; S. Hähnchen, Rechtsgeschichte, 4. Aufl., Heidelberg u. a. 2012, S. 156; H. Derschka, Schwabenspiegel, publiziert am 19.03.2012, in: Historisches Lexikon Bayern. Der Schwabenspiegel als Rechtsbuch wurde seit seiner Entstehung im 13. Jahrhundert mehrfach rezipiert, weiter- und um­ gebildet bzw. auch durch fremde Elemente erweitert. Es bestehen deshalb Abschrif­ ten, eigene Kodifikationen und Kurz- und Langfassungen. Ein Überblick der unter­ schiedlichen Ausformungen findet sich bei E. Spangenberg, Beyträge zu den Teut­ schen Rechten des Mittelalters, vorzüglich zur Kunde und Kritik der altgermanischen Rechtsbücher und des Sachsen- und Schwaben-Spiegels, Halle 1822, S. 85  ff.; Ch. Bertelsmeier-Kierst, ‚Schwabenspiegel‘ oder Kunic Karls Reht, in: dies. (Hrsg.), Kommunikation und Herrschaft, Stuttgart 2008, S. 125 ff. Editionen des Schwaben­ spiegels enthalten die Werke von H. v. d. Lahr/K. Eckhardt, Schwäbisches Landrecht und Lehenrecht, Bibliotheca Rerum Historicarum, Nachdruck der Ausgabe von 1766, Aalen 1974 und A. v. Daniels, Land- und Lehenrechtbuch – Saechsisches Land- und Lehenrecht. Schwabenspiegel und Sachsenspiegel, Band II, in: ders. u. a. (Hrsg.), Rechtsdenkmaeler des Deutschen Mittelalters, Berlin 1863. In der neueren Wissen­ schaft zum Kaiserrecht in der Form des Schwabenspiegels werden der Rechtstext bzw. die integrierten Bilderhandschriften auf ihre Erkenntnismöglichkeiten unter Be­ rücksichtigung der historischen wie gegenwärtigen kognitiven Eigenschaften der Menschen untersucht; siehe hierzu nur H. Derschka, Der Schwabenspiegel und die kognitive Entwicklung des Menschen – neue Fragen an einen alten Text, in: Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2001 (118), S.  100 ff.; G. Kocher, Das Bild vom Recht im Schwabenspiegel, Signa Ivras 2010 (6), S. 75 ff.

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B. Historische Grundlagen

fürstentum Kempten belegt, womit sich das Lehenswesen in der Kemptener Fürstabtei unabhängig von vorrangigen Rechtsquellen nach diesem Kaiser­ recht ausformen konnte, was mittelbar auch Auswirkungen auf die herge­ brachten allgäuischen Gebräuche und Gewohnheiten haben musste.1014 In dem „edle(n) und rechte(n) Buch von den Mannlehen“ wird das kaiserlichmittelalterliche Lehensrecht im Rahmen des Schwabenspiegels ausgeführt, das in Artikel 1 eine personenbezogene Einschränkung enthielt, wonach „Pfaffen und Bauern und alle, die nicht semper (…) und nicht von ritterli­ chem Stand geboren (sind), (…) alle des Lehenrechtes darben (sollen), wie wir hernach bescheiden“, wobei in Artikel 154 eine Ausnahme dieses Grund­ satzes für nicht mit einem Heerschild ausgestattete und damit für nichtadelige Personen in der Form der Bürgermeisterlehen gemacht wurde.1015 Im Übri­ gen aber enthielt der Schwabenspiegel ausdrücklich Vorschriften zu Zinsle­ hen und Erblehen, denen nun im Kontext des neuzeitlichen Lehenswesens im Fürststift Kempten nachgegangen werden soll. Zu diesem Zweck werden zunächst die entsprechenden Vorschriften dargestellt:1016 Art. 38. Ungeborene Lehenserben Ein Mann stirbt und hinterläßt eine schwangere Frau; und sie bekommt einen Sohn, der so lange lebt, dass man seine Stimme hört. Will man das nicht glauben, so soll man es bezeugen mit Zeugen, die vierzehn Jahre alt sind (oder älter). Hat man die nicht, so bezeugt man es wohl mit zwei Frauen, die ihre Mühe oder das Kind lebend gesehen haben; die sind mit Recht Zeugen.

1014  Dies wird man anhand der im Fürststift Kempten nachgewiesenen Kategorie von Zinslehen annehmen können.; vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalter­ lichen Lehenswesen, Sigmaringen 1972, S. 216. Zu bemerken sind in diesem Zusam­ menhang aber auch die besonderen Bodenzinsfelder, die in der Kemptener Fürstabtei vorkamen.; vgl. G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und StatutarRechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und fran­ zösischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109. 1015  H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Il­ lustrationen aus alten Handschriften, München 2002, S. 303; L. Wüsthof, Schwaben­ spiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S. 309. 1016  H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Il­ lustrationen aus alten Handschriften, München 2002, S. 129, 236 ff.; Klammerzusätze im Original.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten231 Art. 56. Welches Kind belehnbar ist

Der Herr soll nur einem Kind das Gut seines Vaters verleihen. Welchem er es verleihe, steht den Kindern anheim und nicht dem Herrn. Wenn sie das Lehen innert Jahresfrist gefordert haben, so liegt die Wahl bei den Kindern; und verstreicht das Jahr und die Kinder gewinnen die Zuneigung des Herrn, so dass er ihnen dennoch das Lehen verleiht, so hat er die Wahl, das Gut zu verleihen, welchem er will. Und ver­ leiht ein Herr einem Kind ein Gut nach seinem Willen und nicht nach Recht, so schadet das den Kindern nicht an ihrem Recht. Und versäumt eines der Kinder seine Jahresfrist, wie hiervor geredet ist, sei der Herr ihm gegenüber ledig; es sei denn, es mache ehafte Not geltend. Art. 57. Wenn viele Brüder Anwartschaft auf ein Lehen haben Und fordert der Sohn eines Mannes, der zu seinen Tagen gekommen ist, sein Le­ hen von seinem Herrn, und er hat Brüder, die noch in ihren Tagen (der Minderjährig­ keit) sind, so muss er dem Herrn geloben, dass sie keinen Anspruch darauf erheben, wenn sie zu ihren Tagen kommen, solange ihr Bruder lebt. Wenn die Brüder zu ihren Tagen kommen und das Lehen von dem Herrn fordern, dann soll der Bruder den Herrn und das Gut verteidigen; und er soll den Herrn bitten, dass er für ihn und seine Brüder einen Gerichtstag um Lehenrecht vor seinen Mannen einberufe. Das Recht ist folgendermaßen, dass für den ältesten Bruder die Wahl besteht: Will er seine Brüder das Lehen mit ihm gemeinsam empfangen lassen, tut er das wohl; will er es nicht, tut er das auch wohl. Dann steht es für den Herrn zur Wahl, ob er nur dem ältesten das Lehen verleihen soll. Verleiht der Herr aber nach Gnade und nicht nach Recht ihnen allen das Lehen, so sollen sie die Gewere gemeinsam haben, oder sie haben kein Recht an dem Lehen. Das Lehenrecht spricht also: Lehen ohne Gewere ist kein Le­ hen. Gewere ohne Belehnung und das Verpfänden eines Lehens ohne die Hand des Herrn haben keine Kraft. Art. 61. Der vielen Brüder ein Gut leiht (a) Ein Herr kann vielen Brüdern ein Lehen verleihen, das sie zu gesamter Hand empfangen und an dem sie gleiche Gewere haben. Und wollen sie ihren Besitz schei­ den und sie teilen es untereinander auf, so tun sie das wohl ohne die Erlaubnis des Herrn. Wenn sie das Gut aber so teilen, so hat keiner von ihnen das Recht, das Gut des anderen zu erben. Wenn einer von ihnen ohne Lehenserben stirbt, so ist dessen Teil dem Herrn ledig. Stirbt einer von ihnen, solange sie das Gut ungeteilt innehaben, so tritt das Kind an des Vaters Stelle und behält das Gut, das sein Vater hatte, gemein­ sam mit allen Vaterbrüdern. Während die, die miteinander belehnt sind, das Gut ge­ meinsam innehaben, kann keiner ohne den anderen über das Lehen oder das Gut verfügen. Was aber einer davon jemandem verleiht oder hinterlässt, das kann derselbe nicht aus dem Gut herausbrechen. Wenn die(, die das Gut mit ihm haben,) es so be­ lassen wollen, wie es ist, so muss er sich stets daran halten.

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B. Historische Grundlagen

(b) Wenn mehr Leute als ein Mann mit einem Gut belehnt sind und das Gut nicht geteilt haben, kann keiner von ihnen dem Gut an einen anderen Herrn folgen, wenn ihr Herr stirbt, (das kann) nur ein einziger Mann. Art. 64. Wenn Kinder zu Lebzeiten ihres Vaters Lehen empfangen Wenn der Herr den Kindern das Gut ihres Vaters zu Lebzeiten ihres Vaters verleiht und der Vater das Gut bis zu seinem Tode alleine in seiner Gewere hat, so kommen die Kinder nach dem Tode des Vaters zu dem Herrn und bitten ihn, dass er daran denke, dass er ihnen das Gut gemeinsam mit ihrem Vater verlieh und dass er ihnen erlaube, ihr Lehen anzutreten. Das sollen sie innerhalb ihrer Jahresfrist begehren, weil sie keine Gewere hatten. Und hätten sie die Gewere gehabt, wären sie von der Forde­ rung wohl befreit. Das sollen sie innert Jahresfrist tun; und gibt ihnen der Herr das Lehen nicht, so sollen sie seine Mannen als Zeugen dafür nehmen, damit sie ihnen helfen, wenn der Herr die Forderung abstreiten wolle. Den Kindern hilft es nicht, dass sie das Gut gemeinsam mit ihrem Vater empfingen, wenn sie keine Gewere dar­ an hatten. Sie sollen ihres Vaters Lehen fordern, als ob es das erste Mal wäre. Es ist viel besser für das Kind, wenn es das Lehen nicht mit dem Vater empfängt. Wenn aber der Vater und die Kinder eine gemeinsame und gleiche Gewere an dem Gut haben und es miteinander empfangen haben, und der Vater stirbt, so treten sie an die Stelle des Vaters und sollen ihr Gut kein zweites Mal empfangen. Bestreitet ihnen der Herr das Lehen, bezeugen sie es mit zwei seiner Mannen. Sie sollen das innert Jah­ resfrist tun. Will er ihnen das nicht zugestehen, so haben sie doch ihr Gut zu Recht behauptet, und tut ihnen der Herr Gewalt an, so sollen sie das dem Oberherrn, von dem er das Gut hat, klagen. Und ist es sein Eigen, so klage man es dem König, wenn der Herr ein Fürst ist. Und ist er ein anderer Herr, so klage man es dem Landrichter. Und ist der König nicht im Lande, so kann man es dem Landrichter klagen, in dessen Gericht das Gut liegt. Und kommen weder der Fürst noch ein anderer Herr vor den Landrichter, so soll dieser doch das Gut der Leute beschirmen. Es kommt oft vor, dass ein Gut in einem anderen Gericht liegt, und dass der Mann, dem es gehört, in demselben Gericht wohnt oder in einem anderen. Wer immer wegen dieses Gutes klagt, und wo immer der Mann ansässig ist, gegen den sich die Klage richtet, oder der, der da klagt: Gemäß der Lage des Gutes soll der Landrichter richten. Art. 66. Wie sich ein Erblehen wandelt Gibt ein Mann sein Gut seinem Herrn auf und bittet, es seinem Sohn zu verleihen, so heißt das nicht Erblehen, sondern nur das, das dem Mann durch Tod zukommt. Gibt einer sein Erblehen auf und empfängt es danach wieder, heißt es nicht mehr Erblehen. Beansprucht ein Mann ein anderes Recht an einem Gut, als er tatsächlich daran hat, und er kann das Recht, das er selbst an dem Gut zugesprochen hat, nicht vor Gericht behaupten, so hat er alles Recht, das er an dem Gut hatte, verloren; das kommt vom ungerechtfertigten Anspruch.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten233 Art. 97. Rechte Lehen

Was der Herr als Lehen verleiht, soll ein rechtes Lehen sein. Erblehen und Burg­ lehen und die Anwartschaft auf das Gut eines lebenden Mannes und auf das erste Gut, das der Herr verleiht, wenn es ihm ledig wird, das alles heißt rechtes Lehen. Art. 102. Stirbt der Mann ohne Lehenserben Wenn derjenige (ohne Lehenserben) stirbt, der das Gut in seiner Gewere hat, soll sich der Herr des Gutes bemächtigen. Wenn er nicht daran denkt, dass er das Gut verliehen hat, begeht er deswegen keine Missetat. Und kommt einer, der verkündet, es sei sein Lehen oder er habe die Anwartschaft darauf, dem soll er es überlassen oder er soll für ihn darüber richten. Der Mann soll das innert seiner Jahresfrist for­ dern. Wenn der Mann das Gut innert seiner Jahresfrist von seinem Herrn gefordert hat, braucht er sein Gut von diesem Tag an über ein Jahr nicht mehr zu fordern. Und gebietet ihm der Herr einen Gerichtstag deswegen, und der Mann will das innerhalb der Jahresfrist nicht annehmen, so hat er das Gut verloren, wenn der Herr das zu Recht bezeugen kann mit seinen Mannen; derer sollen es sieben sein. Art. 108. Zinslehen (a) Es kann kein Mann seinem Standesgenossen mit Recht ein Zinslehen verleihen. Er verleiht es wohl seinem Untergenossen; das ist aber kein rechtes Lehen. Mühle und Münze und alle Arten von Zoll und alles das Gut, das man um Zins verleiht, brauchen die Nachkommen nicht zu empfangen, (wenn derjenige stirbt,) der das Gut zuvor empfangen hat. Keiner soll ein Zinsgut empfangen außer der, der es zuerst empfängt. Die Nachkommen sollen ihren Zins an dem Tag geben, wie ihnen beschie­ den wird, und haben ihr Gut behauptet. (b) Wer mit Recht ein Zinsgut haben will, soll es selbst bebauen und darauf arbei­ ten, oder seine Knechte, der er mit Speise verköstige und entlohne. Art. 122. Wer keine Lehenserben hat und dem Herrn das Lehen unterschlagen will Und hat ein Mann, der keine Lehenserben hat, ein Lehen von einem Herrn, und er will damit mit Recht so verfahren, dass es dem Herrn nicht mehr ledig werden kann, soll er es seinem Standesgenossen oder einem Übergenossen verleihen und soll ihm danach den Nutzen und die Gewere darangeben. Und wenn er die Gewere daran über Jahr und Tag hat, kann er es mit seiner Hand der Frau von jenem versetzen oder wem er will; er kann auch mit seiner Hand wem immer er will eine Anwartschaft erteilen. Das ist daher Recht, dass er das Lehen in seiner Gewere hat. Das kann er nicht tun, wenn er die zwei Dinge von seinem Herrn gefordert hat. Zuvor tut er es wohl. Es versetzt ein Mann ein Lehen wohl mit der Hand des Herrn, von dem er es hat, und erteilt auch mit dem Willen seines Herrn die Anwartschaft, wem er will.

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B. Historische Grundlagen Art. 125. Wie der Herr wegen Zinslehen richten soll

(a) Verleiht der Herr vielen (Mannen) ein Zinslehen, ich meine zwölf Mannen oder mehr, und er streitet mit ihnen um das Zinslehen oder sie untereinander, so soll er die Mannen vor sich laden und soll darüber richten wie über ein echtes Lehen; nur das nehmen wir aus: Um Zinslehen hilft ein jeglicher Mann, der an seinem Recht unbe­ scholten ist, dem anderen. Manchmal setzt man einen festen Termin für den Zins fest, und wenn der Mann an diesem Tag den Zins versäumt, ist das Gut verloren; manch­ mal setzt man es anders fest. Wie der Herr den Zins festsetzt und der Mann das freiwillig akzeptiert, so soll der Mann ihn geben. Vom Zinslehen soll niemand dem Herrn dienen, außer er hat es mit dem Mann vereinbart. Pfaffen und Frauen und alle Arten von Leuten, die weltliches Gut mit Recht haben können, haben mit Recht Zins­ lehen inne. (b) Ein jeglicher Mann, der ein Eigen hat, das er genießt und an dem er den Nut­ zen und die Gewere hat, kann es als Zinslehen verleihen. Hat er aber Erben, die das Gut erwarten, muss er auch deren Erlaubnis dazu haben; ohne ihren Willen kann er es nicht tun. Und hat er einen Herrn oder gehört an ein Gotteshaus und will sein Ei­ gen als Zinslehen austeilen, können ihm das weder der Herr seines Gotteshauses noch ein anderer Herr verwehren, wenn das Eigentum bei diesem Herrn bleibt. Art. 152. Von Lehen, zu denen Zinsen gehören Verleiht der Herr einem Mann ein Gut, zu dem Zinspflichtige gehören, und es werden von ihnen andere Dienste als der Zins geleistet, so kann sich der Herr diesen Dienst, der über den Zins hinausgeht, vorbehalten, wenn er das Gut verleiht. Verleiht man aber einem Mann ein freies Gut, an dem niemand das Recht an einem Zins hat und wovon man keinen Dienst tut, und man fordert von ihm einen Dienst, so soll er das dem Herrn künden, und der Herr soll sein Gut schützen. Ist das Gut aber das Eigen eines Herrn oder es gehört einem Gotteshaus, von dem es nicht veräußert wer­ den kann, und der Mann somit an keinen anderen Herrn kommen kann, so soll der Mann das Gut ohne Dienst als rechtes Lehen behalten. Und fällt es an ein Gotteshaus, so fahre der Mann dorthin und fordere sein Lehen. Und stirbt der Mann unterdessen und hinterlässt Lehenserben, so folgen die ihm im Gut nach, wie das Buch hiervor sagt. Art. 189. Von der Belehnung Verleiht ein Mann ein Gut einem anderen Mann ohne ausnehmende Bedingung, so gehört alles, was an Gebäuden darauf steht, dem Mann, der das Gut innehat; es sei denn, der Herr bedingte die Gebäude aus; das tut der Herr mit Recht.

Im Schwabenspiegel, oder auch in „Kunic Karls Reht“1017, lebte bereits der germanische Geist auf, der sich auch in den Herbergen der Kemptener 1017  Siehe hierzu Ch. Bertelsmeier-Kierst, ‚Schwabenspiegel‘ oder Kunic Karls Reht, in: dies. (Hrsg.), Kommunikation und Herrschaft, Stuttgart 2008, S. 125 ff.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten235

Fürstabtei verewigen sollte. In mehreren überlieferten Handschriften des Schwabenspiegels als Kaiserrecht finden sich Illustrationen, die auf Karl den Großen abstellen, die aber weniger in dessen historischer Bedeutung für das Land- und Lehensrecht des 13. Jahrhunderts begründet lagen, sondern in der mit ihm verbundenen Vorstellung eines gerechten Idealkaisers.1018 Aus die­ sem Grund erschien der fränkische Herrscher Karl der Große im Rechtsbuch des Schwabenspiegels als verbindliche Legitimationsinstanz,1019 die dem entsprechenden Kaiserrecht mitunter auch die Bezeichnung „Kunic Karls Reht“ verlieh.1020 Mit der Regelung „Von der Belehnung“ im Rahmen des Landrechts enthielt der Schwabenspiegel ausdrücklich den Gedanken eines Sondereigentums an einem Haus oder einer Herberge auf dem fremden Grund und Boden des Herrn, wenn sich dieser das Haus ausbedingen konnte und es ansonsten dem Vasall gehörte.1021 Dieser Rechtsgedanke war in meh­ reren deutschen Territorien anerkannt und auch im Kaiserrecht des Schwa­ benspiegels normiert,1022 womit das germanische Rechtsinstitut der Entlie­ genschaften, d. h. von Häusern und Herbergen als bewegliche Fahrnis, her­ vorgehoben wurde.1023 Neben der Verleihung des Gutes an nur ein Kind des Vasallen regelte der Schwabenspiegel auch grundsätzlich die Möglichkeit einer Belehnung zur gesamten Hand, woraus sich das typische germanische

1018  H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Il­ lustrationen aus alten Handschriften, München 2002, S. 387 ff. m. w. N. 1019  H. Derschka, Der Schwabenspiegel und die kognitive Entwicklung des Men­ schen – neue Fragen an einen alten Text, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2001 (118), 100, (112 f.). 1020  Vgl. Ch. Bertelsmeier-Kierst, ‚Schwabenspiegel‘ oder Kunic Karls Reht, in: dies. (Hrsg.), Kommunikation und Herrschaft, Stuttgart 2008, S. 125 ff. 1021  Vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LandR II Art. 189, S. 129. 1022  Siehe zu dem Rechtsinstitut eines Sondereigentums auf fremden Grund und Boden in den deutschen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Na­ tion J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhand­ lungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 71 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S.  40 ff. m. w. N.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 153 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3; vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LandR II Art. 189, S. 129. 1023  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 66 f.; S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (415  f.); vgl. R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 153 ff.

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B. Historische Grundlagen

Gesamteigentum ergeben konnte.1024 Das Modell der Belehnung zur gesam­ ten Hand wies eine enge Verbindung zu dem Prinzip der Ganerbschaft auf und konnte den rechtlichen Grundstein eines an mehrere Teilhaber verliehe­ nen Gutes legen, das real in einzelne Wohneinheiten als Herbergen geteilt war und später vor dem Hintergrund der romanistischen Doktrin als ein ide­ elles Miteigentum angesehen werden konnte.1025 Damit aber lagen dem Kai­ serrecht bereits die Rechtsinstitute eines Sondereigens auf fremden Grund und Boden sowie eines das Lehensgut einheitlich verfassenden Gesamteigens zugrunde, die zur dogmatischen Grundlage von den späteren Herbergen als ausgeschiedene Sondereigen auf fremden Grund und Boden werden konn­ ten.1026 Dabei ist im Zusammenhang mit dem Schwabenspiegel entscheidend, dass mit der Erlaubnis des Herrn ausgeschiedene Gebäudeteile verwirklicht werden konnten, die in diesem Fall über eine bloße reale Teilung hinausgin­ gen und vererbbar waren.1027 Bestritt der Herr einem Abkömmling aber grundsätzlich ein Lehen, das dieser mit dem Vater empfangen hatte, ohne aber die Gewere bekommen zu haben,1028 dann konnte das Kind nach dem 1024  Vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 56, S. 259, Art. 61, S. 260 f. 1025  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 80 ff., 145 ff.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 107 ff.; vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 35. 1026  Vgl. zur stockwerkseigentumsrechtlichen Gesamthandstheorie J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 53 f., 59 ff.; F. List, Stockwerks­ eigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (51 ff.); W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 40 f.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Imma­ nuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 80; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 602 f.; allgemein J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., Mün­ chen 1864, S. 156 f.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Ge­ schichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 130 f., 219. Vgl. zu dem auch dem späteren Art. 664 des Code civil zugrunde liegenden Gedanken eines Son­ dereigentums im Rahmen eines Hauses, der dem römischen Recht fremd war, J. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou commentaire et complément des codes Français, Band VIII, Paris 1827, S. 389; J. M. Boileux, Die Controversen des französischen Civilrechts nach dem Commentaire sur le Code civil, Stuttgart 1841, S. 164 f. 1027  Vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 61, S. 260 f. 1028  Vgl. J. Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, Argentorati 1728, S. 36 ff.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten237

Kaiserrecht den König oder Landrichter anrufen und für sein Lehen kla­ gen.1029 Diese Gerichtsgewalt des Landrichters war im Ergebnis typisch für das deutsche Lehensrecht und zeigte sich spiegelbildlich auch bei der eigent­ lichen Investitur des Lehens im Sinne der gerichtlichen Auflassung eines entsprechenden Gutes durch den Richter.1030 Vor dem Hintergrund des ger­ manischen Grundeigentums1031 war hiermit bereits die Entstehung der späte­ ren Landesherrschaften angelegt.1032 Auch waren die Erblehen im Schwaben­ spiegel ausdrücklich normiert, so wie sich diese in den deutschen Territorien im 12. Jahrhundert allmählich herausentwickelt hatten,1033 wenn von einem Gut gesprochen wurde, das ein Mann durch den Tod erhielt.1034 Die Erble­ hen, die auch in der Kemptener Fürstabtei später allgemein anerkannt waren,1035 waren nach dem Kaiserrecht rechte Lehen wie auch entsprechende Anwartschaften auf ein Gut.1036 Das rechte Erblehen zeichnete sich dabei im Ergebnis dadurch aus, dass ein unter der Bedingung der vorgesehenen Erb­ folge empfangenes Lehen an die Nachkommen weitergegeben werden konnte, wenn dies in dem Lehensvertrag vereinbart war.1037 Ein Zinslehen 1029  Vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 64, S. 262. 1030  R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deut­ schen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1880, 1, (35 ff.). 1031  Zum germanischen Grundeigentum B. Rode, Formen des Eigentums bei den Franken im 5./6. Jahrhundert und der Übergang von gentilpolitischen Normen zu Rechtsnormen – dargestellt anhand der Lex Salica, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 199 ff. 1032  Vgl. R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deutschen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1880, 1, (35, 39); W. Reinhard, Geschichte der Staatsge­ walt, 3. Aufl., München 2002, S. 52 ff., v. a. S. 56. 1033  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 103 ff. 1034  Vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 66, S. 263. 1035  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XLIX f.; G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des König­ reichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109. 1036  H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Il­ lustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 97, S. 275. 1037  J. Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, Argentorati 1728, S. 35: „Git ein Man gut sime Herren uff und bittet es sime süne lihen das heisst nüt erbe lehen vvenn

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B. Historische Grundlagen

war nach dem Schwabenspiegel dagegen ein Lehensgut, auf dem ein Grund­ zins lastete, so dass als Gegenleistung von dem Beliehenen grundsätzlich keine militärischen Dienste zu erbringen waren.1038 Diese für mittelalterliche Verhältnisse atypische Ausformung einer Lehensart wird im Schwabenspie­ gel zunächst hervorgehoben, dann aber die Möglichkeit eines rechten Zins­ lehens erläutert: „Do men yerliche zinß von gilt das ist nüt recht lehen. (…) Sprichet aber der Man es si sin recht lehen und löugent das er nüt zins davon gebe Do müs der Herre des Mannes recht umbe nemen oder er müs In betzugen das er yme Zinß davon geben habe vor ebe (…) das güt in sine gevvalt kam(.) Und erzüget das der Herre so hett der Man das güt verloren.“1039

Die Zinslehen waren dagegen bereits nach dem Schwabenspiegel mehr oder weniger als Kreditgeschäfte der Herren angelegt, die damit eine Bebau­ ung ihrer Güter beförderten, wobei auch Frauen und Geistliche Zinslehen innehaben konnten.1040 f) Edelmannslehen und Beutel- bzw. Bauernlehen In der geschichtswissenschaftlichen Forschung ist nachgewiesen worden und anerkannt, dass sich im bayerisch-österreichischen Raum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation seit dem 13./14. Jahrhundert zuneh­ mend auch die Belehnung an nichtadelige Personen durchgesetzt hat.1041 Be­ das den Man anerstirbet Wer ein erbelehen uffgit und es andervverbe entphoht dernoch heisst es nüt erbelehen me.“ Vgl. auch H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 66, S. 263. 1038  J. Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, Argentorati 1728, S. 53; vgl. auch H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illust­ rationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 125, S. 291 f. 1039  J. Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, Argentorati 1728, S. 15. 1040  H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Il­ lustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 125, S. 291 f., Art. 152, S. 302; vgl. zum Zinslehen in der Bedeutung von Kreditgeschäften E. Got­ hein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 164. 1041  Siehe hierzu P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 106 f. m. w. N.; für den schwäbischen Reichskreis L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S. 306 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 66 ff.; E. Klebel, Territo­ rialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Sigmaringen 1972, S.  215 f.; H. Klein, Ritterlehen und Beutellehen in Salzburg, in: Beiträge zur Sied­ lungs-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte von Salzburg, Gesammelte Aufsätze von Herbert Klein, Festschrift zum 65. Geburtstag von Herbert Klein, Salzburg 1965, S.  325 ff.; H. C. Faussner, Vom salmannischen Eigen zum Beutellehen, in: L. Carlen



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten239

grifflich ist damit die Kategorie der Beutel- bzw. Bauernlehen angesprochen, die sich ab dem späten Mittelalter von den bis dato geltenden Lehensarten, welche an dem adeligen Herkommen ausgerichtet waren und damit die vor­ züglichen Rechte adeliger Güter teilten, d. h. insbesondere die Freiheit von öffentlichen, gemeinen und bäuerlichen Abgaben und deshalb Rittergut, Rit­ terlehen, Frey-Schildlehen, Edellehen oder adeliges Lehen genannt wurden, absonderten und mitunter auch die Belehnung an nicht dem Adelsstand an­ gehörige Personen beinhalteten.1042 Dabei muss aber präzisierend angemerkt werden, dass ursprünglich als Beutel- oder Bauernlehen auch Ritterlehen bezeichnet wurden, die der Ritterschaft als niederem Adel im Rahmen der hochmittelalterlichen Kriegs- und Feudalverfassung gegen die Ableistung von militärischen Verteidigungs- bzw. Hofdiensten gewährt worden wa­ ren.1043 Die Terminologie der Beutellehen ist insgesamt nicht eindeutig fass­ bar, nachdem Beutellehen auch für gewöhnliche Baugüter und den sonst damit verbundenen Reichnissen standen, wobei sich die Beutellehen aber grundsätzlich von den Kategorien der Ritterlehen bzw. adeligen Lehen ab­ grenzten.1044 Die Geschichtswissenschaft hat nachweisen können, dass sich Beutellehen und Ritter- bzw. Edelmannslehen als deren Gegenstück im süd­ deutschen Raum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation seit dem 14. Jahrhundert immer mehr anglichen, wobei dann später die begriff­ liche Unterscheidung nur noch entsprechend des Herkommens, d. h. nach der adeligen bzw. nichtadeligen Person des künftigen Vasallen, getroffen wurde.1045 Dass sich dieser Sinneswandel auch in der dem schwäbischen

(Hrsg.), Forschungen zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde, Band 12, Zürich u. a. 1990, S. 12 ff. 1042  J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band I: A–E, Leipzig 1793, Sp. 959; G. Weber, Handbuch des in Deutschland übli­ chen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S.  53 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 106 m. w. N. 1043  H. Klein, Ritterlehen und Beutellehen in Salzburg, in: Beiträge zur Siedlungs-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte von Salzburg, Gesammelte Aufsätze von Herbert Klein, Festschrift zum 65. Geburtstag von Herbert Klein, Salzburg 1965, S.  325 ff. 1044  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  106 m. w. N. 1045  H. Klein, Ritterlehen und Beutellehen in Salzburg, in: Beiträge zur Siedlungs-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte von Salzburg, Gesammelte Aufsätze von Herbert Klein, Festschrift zum 65. Geburtstag von Herbert Klein, Salzburg 1965, S.  325 ff.; H. C. Faussner, Vom salmannischen Eigen zum Beutellehen, in: L. Carlen (Hrsg.), Forschungen zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde, Band 12, Zürich u. a. 1990, S. 12 ff.; vgl. F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77.

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B. Historische Grundlagen

Reichskreis des Alten Reiches angehörenden Kemptener Fürstabtei1046 im Lichte des dort subsidiär geltenden Schwabenspiegels vollzog,1047 der in Ar­ tikel 154 auch bereits das regelmäßig nichtadelige Bürgermeisterlehen be­ inhaltet hatte,1048 beweisen die überlieferten Lehenbücher der Kemptener Fürstabte, d. h. die besonderen Amtsbücher aus dem Rechtsbereich des Le­ henswesens, ab dem 15. Jahrhundert.1049 In diesem Sinne hat bereits im Jahre 1451 Fürstabt Gerwig von Sulmetingen ein Lehenbuch über „alle ade­ ligen und Beutellehen“ geführt.1050 Gleiches gilt für ein Lehenbuch aus dem Jahre 1453, wo zwischen „adeligen, bürgerlichen und bäuerlichen Vasallen und der von diesen besessenen Lehengüter“ unterschieden wurde.1051 Diese Entwicklung setzte sich in der Kemptener Fürstabtei unter den Herrschaften der nachfolgenden reichsfürstlichen Würdenträger fort,1052 wobei immer öf­ ter auch ausschließlich entsprechende bäuerliche Lehen enthaltende Lehen­ bücher geführt wur­den,1053 wenngleich der Begriff Bauernlehen zweideutig war und auch im eigentlichen Sinne als Lehen an einen Bauern verstanden 1046  Regiments-Ordnung Maximilians I. (Augsburger Reichstag) vom 02.07.1500, abgedruckt bei K. Zeumer (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., Tübingen 1913, S. 299; W. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise (1383–1806) – Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998, S. 142 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 102; vgl. P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 195. 1047  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f. 1048  H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Il­ lustrationen aus alten Handschriften, München 2002, S. 303. 1049  Siehe zu den im Spätmittelalter in den deutschen Territorien regelmäßig ein­ geführten Lehenbüchern P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehn­ rechts, Landshut 1831, S. 106; J. Wild, Lehenbücher, publiziert am 10.05.2013, in: Historisches Lexikon Bayern. 1050  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 1; abrufbar unter www.deutschedigitale-bibliothek.de/item/ (letzter Abruf: 02.03.2022). 1051  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 2; abrufbar unter www.deutschedigitale-bibliothek.de/item/ (letzter Abruf: 02.03.2022). 1052  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 7. 1053  So bereits bei Fürstabt Wolfgang von Grünenstein, 1536–1543, StAA, Fürst­ stift Kempten, Lehenhof Bände 22; abrufbar unter www.deutsche-digitale-bibliothek. de/item/ (letzter Abruf: 02.03.2022). „Gegen die Bestimmungen des gemeinen Rechts gehört jedes Lehn in Bayern entweder in die Klasse der Ritter-, oder der Beutellehen, die auch beim obersten Lehnhofe in zwei verschiedenen Büchern aufgeführt wer­ den.“; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 106.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten241

werden konnte.1054 Andererseits wurden im Fürststift Kempten auch an Bau­ ern verliehene Lehen als Beutellehen bezeichnet, die ohne weiteres rechte Lehen darstellen konnten.1055 Zwar konzentrierte sich die Lehensvergabe im späten Mittelalter grundsätzlich auch noch auf adelige bzw. ritterliche Vasal­ len, auch gab es später neben den nichtadeligen Vasallen weiterhin Edel­ männer, die ein entsprechendes Lehensgut seitens der fürststiftischen Admi­ nistration erhielten, die Investitur richtete sich aber nun zunehmend auch auf nicht dem Adelsstand entstammende bürgerliche Personen aus, um auch die­ sen mit der Bestellung eines Lehens die Möglichkeit zu geben, ein Haus bzw. eine Herberge zu bauen und somit das Wachstum des frühmodernen Staates weiter zu befördern.1056 In der Kemptener Fürstabtei gab es für die bezüglich des persönlichen Elements neue Form der Vergabe von Lehen ne­ ben der allmählichen Obsoleszenz der mittelalterlichen Kriegsverfassung1057 noch einen weiteren wesentlichen Grund, der in der Finanzlage des Stifts 1054  G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 m. w. N.; vgl. P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehn­ rechts, Landshut 1831, S. 106 m. w. N. 1055  G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S.  355 m. w. N. 1056  Vgl. Lehenbuch des Fürstabts Sebastian von Braitenstein für die nach Mann­ fällen neu belehnten Vasallen aus Adel und Patriziat, die an neue Lehentrager verlie­ henen Lehen der Kirchen, Klöster und Spitäler sowie die nach Mannfällen an Lehen­ leute in der Reichsstadt Kempten und in den Pfarreien St. Mang, Durach, Betzigau, Wildpoldsried, Haldenwang, Untrasried, Lauben, St. Lorenz, Waltenhofen, Veits, Memhölz, Martinszell, Stein i. Allgäu, Eckarts, Niedersonthofen, Fischen i. Allgäu, Schöllang, Altstädten, Sonthofen, Buchenberg, Isny, Wengen, Wiggensbach, Krugzell und Altusried neuverliehenen Beutellehen, StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 14; abrufbar unter www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/ (letzter Abruf: 02.03.2022); Lehenbuch des Fürstabts Sebastian von Breitenstein für die nach dem Herrenfall von 1523 neu verliehenen bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Waltenhofen, Buchenberg, Veits, Memhölz, Rauns, Stein i. Allgäu, Martinszell, Nie­ dersonthofen, Immenstadt, Seifriedsberg, Fischen, Altstädten, Sonthofen, Oberstdorf, Rechtis, Isny, die Lehen der Bürger der Reichsstadt Wangen, die bäuerlichen Lehen in der Pfarrei Dösingen, zu Linden, in den Pfarreien Seeg, Bernbeuren, Grönenbach, Theinselberg, Lachen, Weitnau mit Eisenbolz, Röthenbach (Allgäu), Großkötz, Iller­ beuren, Merazhofen, auf der Alp Printschen, in den Pfarreien Wengen, Siggen und Hellengerst, auf der Alp Taufersberg, zu Oberharprechts, auf den Alpen „Hohentrau“, „Hüttenleuten“, „Mittelberg am Wüestnern“ und „Hirschgunt“ sowie in der Pfarrei Christazhofen, StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 16; abrufbar unter www. deutsche-digitale-bibliothek.de/item/ (letzter Abruf: 02.03.2022); vgl. W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 144 f. 1057  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  39 ff.

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B. Historische Grundlagen

seit dem Ausgang des Dreißigjährigen Krieges lag, die defizitär war und daher auf die Generierung von neuen Einnahmequellen gerichtet sein muss­ te.1058 Es entsprach deshalb der Finanzpolitik der Kemptener Fürstabtei ab dem 17. Jahrhundert, den zu diesem Zeitpunkt bereits relativ großen Anteil an Beutellehen an dem unter dem Obereigentum des Stifts stehenden Grund­ besitzes zu erweitern, um das bereits starke Übergewicht der in der Form von Abgaben statt in Naturalien zu entrichtenden Leistungen der Vasallen weiter zu steigern.1059 Dies lässt andererseits den Schluss zu, dass Beutelle­ hen im Fürststift Kempten ab dem 17. Jahrhundert gerade deshalb zuneh­ mend auch im Umfeld der Stiftsstadt vergeben wurden, weil dies den staat­ lichen Ausweitungsbestrebungen entsprach, die insbesondere unter dem Fürst­abt Rupert von Bodman einsetzten.1060 Im Ergebnis kann die ­Belehnung von nicht dem Adelsstand angehörenden Personen mit Beutel- bzw. Bauern­ lehen als neuzeitlicher Paradigmenwechsel angesehen werden, der nicht nur die mittelalterliche feudale Lehensverfassung überwand, sondern im Lichte der aufkommenden obrigkeitsstaatlichen Tendenzen auch in personeller Hin­ sicht eine neue Form der Belehnung einführte,1061 die den Staat nun im Rah­ 1058  Siehe hierzu W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 238 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspoli­ tik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 329 ff. 1059  G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geist­ licher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin u. a. 2018, S. 356 f.; zu den zahlreichen Beutellehen auch ders., Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bay­ ern. 1060  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 49 f., 52; vgl. W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 232 ff. Exemplarisch kann bezüglich der ausweiten­ den Siedlungstendenzen zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Fürststift Kempten auch auf das Urbarbuch hinsichtlich der Siedlung auf der Rottach in der Pfarrei St. Lorenz verwiesen werden; vgl. StAA, Fürststift Kempten, Urbarbuch der Pfarreien St. Lo­ renz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, Hofkammer Bände 291, Rottach. 1061  Vgl. T. Mayer, Geschichte der Finanzwissenschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. Gerloff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissen­ schaft, Band I, Tübingen 1952, S. 236 ff., v. a. S. 244 ff.; M. Körner, Steuern und Abgaben in Theorie und Praxis im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: E. Schremmer (Hrsg.), Steuern, Abgaben und Dienste vom Mittelalter bis zur Gegen­ wart, Stuttgart 1994, S. 60 ff., 70 f. Zur neuzeitlichen Finanzverfassung im Fürststift Kempten L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  39 ff., 45; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten243

men eines Systems Gut gegen Abgaben als regulierende Instanz im Rahmen eines grundbezogenen Besteuerungswesens in Erscheinung treten ließ.1062 g) Die Zinslehen – eine bayerisch-schwäbische Lehensart sui generis In der Kemptener Fürstabtei gab es die Lehensart der Zinslehen,1063 die im schwäbischen Reichskreis des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Na­ tion insbesondere auch in dem auf die Bestrebungen der Bürgerschaft nach Emanzipation und Autonomie zurückzuführenden Augsburger Stadtrecht aus dem Jahre 12761064 eine Kodifikation gefunden haben.1065 Während der Ein­ fluss des Schwabenspiegels auf das Augsburger Stadtrecht hinsichtlich des Lehensrechts fraglich bzw. zumindest nicht abschließend geklärt ist,1066 war die Anwendbarkeit der „gemaine(n) kayserlichen Satzungen“1067 im Fürststift Kempten mit Gesetzeskraft partikularrechtlich festgelegt, so dass die im Schwabenspiegel unmittelbar geltenden Vorschriften der Zinslehen eine di­ rekte Einwirkung auf das dortige Lehenswesen nehmen konnten.1068 Den Gegenstand eines Zinslehens bildete ein bestimmtes Lehensobjekt gegen eine mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 329 ff. Zur obrigkeitsstaatlichen Entwicklung des neuzeitlichen Kemptener Klosterstaates P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 18 ff. m. w. N. 1062  Vgl. T. Mayer, Geschichte der Finanzwissenschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. Gerloff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissen­ schaft, Band I, Tübingen 1952, S. 244 ff. 1063  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Sigma­ ringen 1972, S. 216. 1064  P. Kreutz, Stadtbuch von Augsburg, publiziert am 25.10.2011, in: Historisches Lexikon Bayern. 1065  L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S.  311 ff. 1066  L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S.  305 ff.; P. Kreutz, Stadtbuch von Augsburg, publiziert am 25.10.2011, in: Histori­ sches Lexikon Bayern. 1067  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f. 1068  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Re­ gierung Bände 5, fol. 30 f.; vgl. P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 67 ff.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 55 ff.

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B. Historische Grundlagen

jährliche Abgabe an den Lehensherrn.1069 Nun ist aber zu bedenken, dass die Kategorie Zinslehen auch die synonyme Bezeichnung für ein Beutellehen sein konnte, d. h. für ein konkretes Lehen, das nicht mit Ritterdiensten, son­ dern mit dem Beutel, also mit Geld oder Abgaben, verdient wurde und auch von bürgerlichen und bäuerlichen Personen besessen werden konnte, wobei in anderen deutschen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hierfür auch die Namen Säckellehen, Erbzinsgüter oder Zinsgüter zu finden waren.1070 Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Zinslehen im Fürst­ stift Kempten eine besondere Form eines Lehens darstellten.1071 Hierfür spricht bereits der Umstand, dass in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, als der Schwabenspiegel entstanden ist,1072 Beutellehen, die an nichtadelige Personen vergeben wurden, zumindest noch nicht allgemein anerkannt waren,1073 so dass das im Kaiserrecht enthaltende Zinslehen nicht die Bedeu­ tung des späteren Beutellehens gehabt haben kann.1074 Auch wenn man be­ denkt, dass ursprünglich als Beutellehen auch Ritterlehen bezeichnet wur­ den1075 und sich auch Ritter als niedere Adelsvertreter theoretisch von der 1069  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; M. Bader, Das Lehenswesen Herzog Heinrichs XVI. des Reichen von Bayern-Landshut, München 2013, S. 207. 1070  So J. Mertens, Grundsätze des gemeinen Lehnrechtes nebst angezeigten Ab­ weichungen und besonderen Verordnungen des Reichslehnrechtes, des österreichi­ schen und vorderösterreichischen in eine fassliche Ordnung gebracht, Freiburg 1789, S.  120 f.; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mund­ art, Band I: A–E, Leipzig 1793, Sp. 959. 1071  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8. 1072  H. Derschka, Schwabenspiegel, publiziert am 19.03.2012, in: Historisches Lexikon Bayern. 1073  Vgl. P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  106 f. m. w. N.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, Mün­ chen 1969, S. 66 ff.; E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterli­ chen Lehenswesen, Sigmaringen 1972, S. 215 f.; H. Klein, Ritterlehen und Beutelle­ hen in Salzburg, in: Beiträge zur Siedlungs-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte von Salzburg, Gesammelte Aufsätze von Herbert Klein, Festschrift zum 65. Geburts­ tag von Herbert Klein, Salzburg 1965, S. 325 ff.; H. C. Faussner, Vom salmannischen Eigen zum Beutellehen, in: L. Carlen (Hrsg.), Forschungen zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde, Band 12, Zürich u. a. 1990, S. 12 ff.; für den schwäbi­ schen Reichskreis L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesba­ den 2017, S. 306 ff. 1074  Vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 125, S. 291 f., Art. 152, S. 302. 1075  H. Klein, Ritterlehen und Beutellehen in Salzburg, in: Beiträge zur Siedlungs-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte von Salzburg, Gesammelte Aufsätze von



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten245

lehensrechtlichen Kriegspflicht durch die Übernahme einer Abgabenlast freikaufen konnten,1076 so muss aber die grundsätzliche Charakterisierung der Zinslehen im Schwabenspiegel als grundzinspflichtige Güter beachtet werden, die keinen direkten Zusammenhang mit einem adeligen oder unade­ ligen Personenkreis erkennen ließen.1077 Der entscheidende Unterschied be­ steht aber wohl darin, dass bei Beutellehen im Sinne von Säckellehen, die wie die Zinslehen auch keine Kriegslehen waren,1078 der Vasall statt der Le­ hensdienste bei der jedesmaligen Belehnung eine bestimmte Geldsumme entrichten musste, während die Zinslehen einer jährlichen Grundzinspflicht unterlagen.1079 Bemerkenswert ist Art. 108 b des Schwabenspiegels, der da­ von spricht, dass wer mit Recht ein Zinsgut haben will, soll es selbst bebauen und darauf arbeiten, oder seine Knechte, der er mit Speise verköstige und entlohne.1080 An diesem Rechtssatz wird deutlich, dass sich die gemeinen kaiserlichen Satzungen des Schwabenspiegels mit der Einordnung des Zins­ lehens als einem rechten Lehen schwertaten, dies eigentlich nur im Falle der Bebauung anerkennen wollten, womit das wahre Wesen des Zinslehens als Mischform von erbpacht- und lehensrechtlichen Elementen hervorschimmer­ te.1081 Folglich wurden Zinslehen im hohen Mittelalter oftmals noch unver­ baut bzw. unkultiviert in der Form von Äckern, Wiesen, Weiden, Wäldern, Gewässern oder Gärten vergeben, ohne dass sich auf dem Gut bereits ein verbautes Haus befunden hat.1082 Das Zinslehen zeichnete sich gerade da­ durch aus, dass ein Gut zu Lehen gegeben wurde, ohne dass damit eine le­ Herbert Klein, Festschrift zum 65. Geburtstag von Herbert Klein, Salzburg 1965, S.  325 ff. 1076  J. Darjes, Discours über sein Natur- und Völker-Recht, Anderer Theil, Jena 1763, S. 1291, die im Ergebnis auch als feuda censualia bezeichnet wurden. 1077  L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S. 311; vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 125, S. 291 f. 1078  Vgl. P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  106 m. w. N. 1079  J. Mertens, Grundsätze des gemeinen Lehnrechtes nebst angezeigten Abwei­ chungen und besonderen Verordnungen des Reichslehnrechtes, des österreichischen und vorderösterreichischen in eine fassliche Ordnung gebracht, Freiburg 1789, S.  120 f. 1080  H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Il­ lustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 108, S. 280. 1081  F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S. 311. 1082  Siehe hierzu beispielhaft das Zinslehen zu Hochflur, das durch Pergamentur­ kunde vom 28.02.1273 an das unweit des Bodensees gelegene Kloster Salem übertra­ gen wurde und Grundbesitz wie Äcker, Wiesen und Felder enthielt, ohne aber bereits einen bewirtschaftenden Bauernhof zu beinhalten, womit das Zinslehen die Bebauung des Gutes befördern sollte.; vgl. J. Peterke, Hohenacker, Waiblingen 2006, S. 45 ff.

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B. Historische Grundlagen

hensrechtliche Heer- oder sonstige Verteidigungspflicht einherging, sondern an die Stelle der üblichen Lehensleistungen trat eine bloße Zinslast.1083 In wirtschaftlicher Hinsicht stellte sich das Zinslehen daher als Kreditgeschäft dar, das der Obrigkeit eine Kapitalbeschaffung ermöglichte.1084 Dogmatisch war im Fürststift Kempten deshalb ausdrücklich anerkannt, dass Dienste nicht zum Wesen eines Lehens gehörten, so dass ein Lehen auch ohne Dienste und damit bloß gegen eine bestimmte regelmäßig zu entrichtende Abgabe ausgegeben werden konnte.1085 Im Rahmen der klösterlichen Herr­ schaften wie auch bei sonstigen landesherrschaftlichen Lehensherren kam dem Zinslehen aber gerade auch eine erhebliche Bedeutung für die Entwick­ lung der frühmodernen Staaten und der Städte zu, die ab dem 13. Jahrhundert zunehmend nach Ausweitung und Wachstum strebten.1086 Darin scheint der eigentliche Grund für den Zusatz des Schwabenspiegels zu liegen, wonach jemand ein von dem grundsätzlichen Wesen her als „nüt recht lehen“1087 einzuordnendes Zinslehen nur dann mit Recht haben sollte, wenn er das ent­ sprechende Gut selbst bebaute und kultivierte.1088 Denn darin lag schließlich zumindest eine einem bestimmten Dienst ähnliche Gegenleistung im Sinne der Förderung des staatlichen Wachstums, die als Äquivalent das Zinslehen in die Nähe eines gegen bestimmte Dienste und Leistungen empfangenen

1083  J. Mertens, Grundsätze des gemeinen Lehnrechtes nebst angezeigten Abwei­ chungen und besonderen Verordnungen des Reichslehnrechtes, des österreichischen und vorderösterreichischen in eine fassliche Ordnung gebracht, Freiburg 1789, S.  120 f.; J. Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie oder allgemeines System der Stats-Stadt-Haus- und Land-Wirthschaft, und der Kunst-Geschichte, in al­ phabetischer Ordnung, Teil 69, Berlin 1796, S. 380; G. Prager, Lehrbuch des gesamm­ ten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 426; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S.  311 f.; J. Grimm/W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 31, Trier 2001, Sp. 1528; vgl. J. Runde, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Göttingen 1801, S. 447; W. Danz, Handbuch des heutigen deutschen Privatrechts – nach dem Systeme des Herrn Hofraths Runde, Band V, 2. Aufl., Stuttgart 1802, S. 356 f. 1084  E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 164. 1085  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8. 1086  E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 164 f. 1087  J. Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, Argentorati 1728, S. 15. Man kann insoweit auch von einem uneigentlichen Lehen sprechen.; so etwa G. Lenneps, Abhandlung von der Leyhe zu Landsiedel-Recht, Marburg 1769, S. 57. 1088  Vgl. E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angren­ zenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S.  164 f.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten247

herkömmlichen Lehens brachte.1089 Daneben war auf dem vorstädtischen Lande das Zinslehen in der Form des bäuerlichen Erblehens weit verbreitet, was auch für die Kemptener Fürstabtei anzunehmen ist.1090 Das stiftkempti­ sche Recht enthielt keine ausdrückliche Vorschrift zu den Zinslehen, was aber wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit der subsidiär geltenden Rechts­ quelle des Schwabenspiegels auch nicht notwendig war.1091 Dagegen gab es im partikularen Recht des Fürststifts Kempten neben den Lehensgütern die Bodenzinsgüter und -felder, die eine ähnliche Beschaffenheit wie die eigent­ lichen Erbpachtgüter besaßen,1092 womit ihre innere Verwandtschaft mit den Zinslehen offen zutage trat.1093 Dennoch bestand ein Unterschied darin, dass ein Zinslehen als Lehen dem lehensrechtlichen Treueid unterlag und gegen die Entrichtung eines bestimmten Grundzinses vergeben wurde, während die Bodenzins- und Erbpachtgüter der Eigenschaft als Lehen gerade ermangel­

1089  Siehe zum Zins als Ersatz für einen Lehensdienst J. Krünitz, Oekonomischtechnologische Encyklopädie oder allgemeines System der Stats-Stadt-Haus- und Land-Wirthschaft, und der Kunst-Geschichte, in alphabetischer Ordnung, Teil 69, Berlin 1796, S. 380. 1090  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; J. Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie oder allgemei­ nes System der Stats-Stadt-Haus- und Land-Wirthschaft, und der Kunst-Geschichte, in alphabetischer Ordnung, Teil 69, Berlin 1796, S. 382; J. Runde, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Göttingen 1801, S. 447; W. Danz, Hand­ buch des heutigen deutschen Privatrechts – nach dem Systeme des Herrn Hofraths Runde, Band V, 2. Aufl., Stuttgart 1802, S. 356 f.; E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewer­ begeschichte, Straßburg 1892, S. 163. 1091  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f.; StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgut­ achten erstattet um 1700, S. 8; G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzialund Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußi­ schen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 67 ff.; F. Chimani, Erläuterung des longo­ bardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S.  55 ff. 1092  Vgl. G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und StatutarRechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und fran­ zösischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109, 111. 1093  Vgl. F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S. 311; E. Got­ hein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 163.

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B. Historische Grundlagen

ten.1094 Das Zinslehen stellte deshalb ein uneigentliches Lehen oder ein Le­ hen sui generis dar, weil es die herkömmlichen Vasallenpflichten, die im hohen Mittelalter in erster Linie in der Kriegsverfassung begründet lagen, bei dieser Art von Lehen nicht gab, sondern vielmehr ein Grundzins, d. h. eine konkrete Zinsabgabe, für die Nutzung des geliehenen Gutes zu entrichten war, womit das Zinslehen in die dogmatische Nähe der Emphyteuse rück­ te.1095 Deshalb konnten auch Weibspersonen ein Zinslehen besitzen, zumal hierfür kein feudaler Kriegsdienst zu leisten war.1096 Während ein emphyteu­ tisches Zinseigen, lateinisch censuale praedium, bald allodium censuale,1097 aber regelmäßig frei veräußerbar war, stellte sich diese Eigenschaft bei den schwäbischen Zinslehen erst mit der sich durchsetzenden Vererbbarkeit im 13. Jahrhundert ein, womit aber dann in materieller Hinsicht kein Unter­ schied mehr zu den emphyteutischen Erbpachtgütern bestand.1098 Deshalb wurde das Zinslehen in anderen Gegenden auch als Erbzinsgut oder Zinsgut bezeichnet, ohne formal auf die Lehenseigenschaft abzustellen.1099 Dement­ sprechend kam ein um das Jahr 1700 erstattetes Rechtsgutachten eines unbe­ kannten Verfassers auch zu dem allgemeinen Ergebnis, „daß unser quaestio­ niert allgeyische lehen seyen und müssen genennet werden feuda ignobilia 1094  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; J. Runde, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Göt­ tingen 1801, S. 447 f.; W. Danz, Handbuch des heutigen deutschen Privatrechts – nach dem Systeme des Herrn Hofraths Runde, Band V, 2. Aufl., Stuttgart 1802, S. 356 f.; E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Land­ schaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 163. 1095  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 8; J. Mertens, Grundsätze des gemeinen Lehnrechtes nebst angezeigten Abweichungen und besonderen Verordnungen des Reichslehnrechtes, des österreichi­ schen und vorderösterreichischen in eine fassliche Ordnung gebracht, Freiburg 1789, S.  120 f.; J. Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie oder allgemeines System der Stats-Stadt-Haus- und Land-Wirthschaft, und der Kunst-Geschichte, in alphabetischer Ordnung, Teil 69, Berlin 1796, S. 380; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S. 311 f.; J. Grimm/W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 31, Trier 2001, Sp. 1528. 1096  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3; vgl. auch H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 125, S.  291 f. 1097  Zum emphyteutischen Zinseigen E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbege­ schichte, Straßburg 1892, S. 161 f. 1098  E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 161 ff. 1099  Vgl. J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band I: A–E, Leipzig 1793, Sp. 959.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten249

censualia haereditaria.“1100 In dem lateinischen Wort censualia war der census enthalten, der sich nach der altrechtlichen Terminologie auf den Grundzins, d. h. die zu zahlende jährliche Abgabe für die Grundleihe, bezogen hat.1101 Der Zins konnte aber, wenn dies vereinbart war, auch in Naturalien wie Hüh­ nern und Früchten zu entrichten gewesen sein.1102 Das Zinslehen stellte in der Kemptener Fürstabtei daher eine besondere Form des Lehens sui generis dar, die ein bestimmtes Lehensgut einer Grundzinspflicht unterwarf und im Gegenzug die Bebauung einer Herberge ermöglichte.1103 Diese erbaute Her­ berge stand aber, insofern der Lehensvertrag keine anderen Regelungen enthielt, obgleich des bestehenden Lehensnexus dann regelmäßig in einem freien Sondereigen,1104 das aber durch die Nichtzahlung des Grundzinses mit dem gesamten liegenden Gut an die Obrigkeit ohne entsprechende Ansprü­ che des bisherigen Lehensnehmers zurückfallen konnte.1105 Oftmals wurden die Zinslehen mit der Zustimmung des Grundeigentümers aber gegen ent­ sprechende Afterzinse an sonstige Besitzer weitergegeben, womit der Nach­ folger im Zinslehensrechtsverhältnis den ursprünglichen Zins wie den After­ zins zu bezahlen hatte.1106 In diesen Fällen fiel das Zinslehen erst wieder an den Lehensgeber zurück, wenn kein Nachfolger das Zinsgut zu seiner Hand nehmen wollte, womit die Ansprüche an dem bebauten Zinsgut verloren

1100  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 1101  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 61. 1102  J. Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie oder allgemeines Sys­ tem der Stats-Stadt-Haus- und Land-Wirthschaft, und der Kunst-Geschichte, in alpha­ betischer Ordnung, Teil 69, Berlin 1796, S. 382. 1103  Vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 108, S. 280. 1104  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LandR II Art. 189, S. 129. Zum Begriff Lehensnexus H. Zoepfl, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Band I, 2. Aufl., Stuttgart 1841, S. 101. 1105  J. Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie oder allgemeines Sys­ tem der Stats-Stadt-Haus- und Land-Wirthschaft, und der Kunst-Geschichte, in alpha­ betischer Ordnung, Teil 69, Berlin 1796, S. 381 ff.; E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewer­ begeschichte, Straßburg 1892, S. 163 f. 1106  C. Jäger, Schwäbisches Städtewesen des Mittelalters, Band I, Stuttgart u. a. 1831, S.  329 f.

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B. Historische Grundlagen

gingen.1107 Nur im Falle des eingetretenen Heimfalls wurde das Gut wieder von dem Lehensherrn neu ausgegeben, während es ansonsten Jahr und Tag von dem Lehensnehmer bzw. von sonstigen Afterzinsern besessen und nicht erneut empfangen werden musste,1108 womit auch insoweit kein Unterschied mehr zum emphyteutischen Zinseigen, d. h. zu einem zinspflichtigen Allod, welches im Falle der Säumnis der Zinszahlung nur eine Geldbuße zur Folge hatte,1109 gegeben war.1110 Anders stellte sich die Situation nur dar, wenn der Lehensvertrag eine andere Regelung enthielt, oder aber das Lehen gegen eine Geldzahlung vorher abgelöst wurde, was aber eine vertraglich bedun­ gene Ausnahme darstellte.1111 Bei Zinslehen galt zudem die Besonderheit, dass bei ihnen die Frauen von dem Lehensfolgerecht nicht ausgeschlossen waren.1112 Hierzu führte der in der Kemptener Fürstabtei unmittelbar mit Gesetzeskraft geltende Schwabenspiegel aus1113: „Zinslehen hant mit rechte frovven und pfaffen und allerhande lute die mit rechte güt söllen han.“1114 Auch insoweit war das Zinslehen daher eine besondere Lehensart, die sich von dem herkömmlichen Lehenswesen atypisch abhob.1115 Vor diesem Hin­ tergrund kann als bewiesen gelten, dass es sich bei der Kategorie der Zins­

1107  C. Jäger, Schwäbisches Städtewesen des Mittelalters, Band I, Stuttgart u. a. 1831, S.  329 f. 1108  Vgl. C. Jäger, Schwäbisches Städtewesen des Mittelalters, Band I, Stuttgart u. a. 1831, S. 332. 1109  E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 163 f. 1110  Vgl. E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angren­ zenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S.  161 ff. 1111  E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 163 f. 1112  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3; F. Strippelmann, Neue Sammlung bemerkenswerther Entscheidungen des OberAppellations-Gerichtes zu Cassel, Teil II, Cassel 1842, S. 222 f. mit Fn. 14, wo auf den Schwabenspiegel Bezug genommen wird. 1113  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 67 ff.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 55 ff. 1114  J. Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, Argentorati 1728, S. 68; F. Strippelmann, Neue Sammlung bemerkenswerther Entscheidungen des Ober-AppellationsGerichtes zu Cassel, Teil II, Cassel 1842, S. 222 f. mit Fn. 14. 1115  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten251

lehen um eine bayerisch-schwäbische Besonderheit handelte,1116 die in den anderen deutschen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mehr in der Emphyteuse oder langfristigen Erbpacht aufgegangen war.1117 h) Die Lehenserbfolge und die Kategorie der Erblehen in der Kemptener Fürstabtei aa) Heimfallrecht und die Auflassung aus der Hand des Monarchen In der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641 befindet sich mit Artikel 64 eine Norm zum Lehenswesen, die zum einen eine Heimfallordnung aufstellte, zum an­ deren aber auch bereits erste Ansätze einer partikulargesetzlichen Sukzessi­ onsordnung hinsichtlich der Lehen erkennen ließ. Die Vorschrift hatte den folgenden Wortlaut:1118 „Wie die Lehengüether zue empfahen undt von Fälligkeit derselben Artikel 64: Wür sötzen, ordnen und gebüetten hiemit auch, daz alle unsere Underthanen, Zu­ gehörige oder andere Herrenleuth, so gelegene und unbewegende Güether, es wä­ ren an Haus, Hoff, Hoffstatt, Bainden, Gärtten, Äckher, Wysen, Holtz und Veld inhätte und in nüesslichen Besitz wäre, so entweeder unserm Stüfft und Gottshaus Kempten desselbigen zugehörige Schlösern Sultzberg und Hochenthan oder von dem Berg und Herrschafft Kemnath zu Lehen riehren und gehen nach Absterben eines Regirenden Prelatten Fürsten und Herrn zu Kempten oder aber nach sein des Lehenmans Ableiben als dan seine nachgelassene Erben, derglei[c]hen auch der Unmündigen, Wittwen und Waisen nachgesözte Vögt und Lehentrager innerhalb Jahrsfrist und des selbigen todlichen Abgang an zu rechnen und vor Verfliessung 1116  So L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S. 315; vgl. auch M. Bader, Das Lehenswesen Herzog Heinrichs XVI. des Reichen von Bayern-Landshut, München 2013, S. 207 f., der darauf hinweist, dass die gegen­ teilige Ansicht, die das Vorkommen von Zinslehen in Bayern als selten bezeichnet, nicht haltbar ist. Siehe insoweit auch den Nachweis eines echten Zinslehens hinsicht­ lich des Hofes Gottwellinken, später auch Fehnenhof genannt, im Würzburger Um­ land bei C. Heffner/C. Reuß, Würzburg und seine Umgebungen, ein historisch-topo­ graphisches Handbuch, Würzburg 1852, S. 314 f. 1117  Zur Abgrenzung des Lehenswesens von der Emphyteuse bzw. der Erbleihe StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsät­ zen Georg Ludwig Böhmer’s, Band II, Leipzig 1808, S. 5 f., dort auch zur Abgren­ zung von dem Rechtsinstitut der superficies; W. Dannhorn, Römische Emphyteuse und deutsche Erbleihe – ein Beitrag zur Entstehung der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht, Köln u. a. 2003, S. 62, 89 ff. 1118  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f.

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B. Historische Grundlagen

des Jahrs und Tags von bemelten ihren innhabenden Lehengüethern alhie in unsere Cantzley Kempten in der Herrschafft Kemnath aber bey dem Vogt daselbsten, doch in dem alten Anschlag ohne Staigerung des Lehentax zu empfahen und wider zu Lehen schuldig sein. Und da ein Geschwistriget daz andere von angerögten Lehen-Güetheren seines gebührenden Anthails halber auslösen wolt, daz selbig, so daz andere also hinaus­ lösst, die selbe Ausloss-Summa so zu vor die fahrende Haab an Vich und Rossen, Geschüff und Geschier, auch Heu und Stroh, auch daz Korn, so etwas bey besche­ chener Ausloßung vorhanden, und in daz selbig Auslosungs-Summa geraith wor­ den wäre, davon abgezogen und soll daz übrig auch alsdan zu verlehnen und vom Stüfft und Sultzbergischen Lehen je von 40 Gulden oder 40 Pfund Haller, 1 Pfund Häller oder 1 Gulden, desgleichen solle es auch mit dem Kemnathischen Lehen gehalten werden, von den Hochenthannischen Lehen aber von 30 Gulden oder 30 Pfund Häller 1 Pfund Häller oder 1 Gulden zum Lehen-Schülling zu geben schul­ dig sein. Desgleichen, wo einer oder mehr von solchen seinen inhabenden Lehengüethern, was wenig oder vihl oder etwan gar verkauffen thäten, soll alsdan durch den Käu­ fer nach Verscheinung des Monaths, in deme solcher Kauff vor der Pfarrkirchen derselben enden, durch die Amman oder Haubtleuth desselben Ohrts ordentlich, wie sichs gebühret, und dise unsere Ordnung vermag verkhündt worden ist, und der Verkäufer die alte verfallene hinderstöllige Lehen alle zuvor davon verricht hätte, Auslosschülling wie in negstgesetzten Artickhel vermehrt gelehnt und von dem Verkäufer daz Lehen aufgeben werde. Also soll es auch in den Teuschen gehalten werden, wo einer mit dem anderen Veldt umb Veldt gleiche Tausch getroffen, beede Güether entweders vom Stüfft Sultzberg und Hochenthan, auch Kemnath Lehen wären, soll jeder daz sein an sich ertauschte Gueth wider zu Lehen empfangen, wo aber einer dem anderen ein Freyund nit Lehengueth gegen einem anderen Gueth so Lehen ist, vertauscht, so ist derjenig, so daz jenig Lehengueth an sich ertauscht hat, das Lehen davon zu geben schuldig. Dergleichen auch da einer dem anderen vihl oder wenig aufgeben auch der jenig, so aufgibt, dieselbe Aufgaab mit dem anderen desselben Guethsanschlag zu beleh­ nen schuldig, doch solle in denn Tauschen ein Gleichheit gehalten werde, daz die Aufgab nit über des anderen Gueths Wehrt oder Anschlag seye. Alle diejenige auch, so mehr bemelte ihre Lehengüether, Züns, Gülten und andere Sachen verunderpfanden und versötzen, sollen solche nach Ablösung jederzeit wi­ derum in ihre Hand zu Lehen auch sonsten jeder Züns- oder Gültherr, solche Züns oder Gülthen auf jeden begebendten oder zu tragenden Lehenfahl zu entrichten und daz Lehengelt zu geben verpflicht sein. Dieweill auch alle andere Aigenschafft, Gelegenhait, gestaltsame der Lehen- und Fähligkait derselben in diser kurtzen Ordnung mögen angezogen werden, so wol­ len wür uns hiemit auf die gemaine kayserlichen Satzungen, Lehenrecht derselben Lehern und yeblichen hergebrachten Landtsbräuchen referirt und gezogen, daz ist erst obbemelte Lehen-Artickhul nit allein, sonderen auch allesambt und sonderli­ chen bey einverleibten Straffenfälligkait und rechtlicher Einziehung derselben würckhlich und unverwaigerlich gehalten werden.“



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten253

Mit dieser Vorschrift verfügte der Fürstabt Johann Erhard Blarer von War­ tensee im Wege eines partikularen Gesetzesaktes eine Regelung für den Heimfall, d. h. für den Fall, dass ein Fürstabt starb bzw. das Ableben des Vasallen zu besorgen war,1119 womit gleichzeitig eine Wiederbelehnung an Erben und damit eine durch das Gesetz beabsichtigte Sukzession in das wie­ derempfangene Lehensverhältnis einherging, wenn insoweit ausgeführt wurde, dass wenn „Haus, Hoff, Hoffstatt, Bainden, Gärtten, Äckher, Wysen, Holtz und Veld inhätte und in nüesslichen Besitz wäre, so entweeder unserm Stüfft und Gottshaus Kemp­ ten (…) zu Lehen riehren(,) und gehen nach Absterben eines Regirenden Prelatten Fürsten und Herrn zu Kempten oder aber nach sein des Lehenmans Ableiben als dan seine nachgelassene Erben, derglei(c)hen auch der Unmündigen, Wittwen und Waisen nachgesözte Vögt und Lehentrager(,) innerhalb Jahrsfrist (…) von bemel­ ten ihren innhabenden Lehengüethern alhie in unsere Cantzley Kempten in der Herrschafft Kemnath aber bey dem Vogt daselbsten, doch in dem alten Anschlag ohne Staigerung des Lehentax zu empfahen und wider zu Lehen schuldig sein.“1120

Daran zeigte sich schließlich der Endzweck des Heimfalls, der auch im Fürststift Kempten grundsätzlich darauf gerichtet war, dass die Belehnten über die Generationen ihr Lehensgut behalten konnten.1121 Die gesetzliche Heimfallordnung ließ dabei aber grundsätzlich die getroffenen Regelungen nach dem Gesetz der Investitur unberührt, und stellte auch im Übrigen hin­ sichtlich der hier betroffenen und von der Allodialerbfolge zu unterscheiden­ den Lehensfolge auf die allgemein geltenden Grundsätze und Anforderungen an eine Belehnung wie die bestehende Lehensfähigkeit der „nachgelassene(n) Erben“ ab, wenn etwa auch auf die „Unmündigen, Wittwen und Waisen

1119  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f.; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (46). Allgemein zum Heimfall J. Frisch, Teutsch-lateinisches Wörter-Buch, Berlin 1741, S. 597; J. Moser, Teutsches Staats-Recht, Teil 8, Leipzig u. a. 1743, S.  80 f.; F. Florin, Oeconomus prudens et legalis continuatus, Oder Grosser Herren Stands und Adelicher Haus-Vatter, bestehend in 5 Büchern, Band I, Nürnberg u. a. 1719, S. 620; G. v. Berg, Staatswissenschaftliche Versuche, 2. Teil, Lübeck u. a. 1795, S. 57; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1078; ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Ber­ lin 1797, S. 220 f. 1120  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f.; vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 ff. 1121  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 20.

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B. Historische Grundlagen

nachgesözte Vögt“ abgestellt wurde.1122 Andererseits legitimierte der partiku­ largesetzliche Gesetzesakt grundsätzlich Verkäufe und Täusche von Lehen zu Lebzeiten der Vasallen mit Zustimmung der Obrigkeit, wobei aber, „wo (…) einer dem anderen ein Frey- und nit Lehengueth gegen einem anderen Gueth so Lehen ist, vertauscht (hat), so (…) derjenig, so daz jenig Lehengueth an sich ertauscht hat, das Lehen davon zu geben schuldig (gewesen ist)“, womit im Ergebnis nur die allgemein gültige Regel hervorgehoben wurde, wonach sich eine Lehensfolge grundsätzlich nach dem ersten Belehnungsakt und dem entsprechenden Erwerber richtete, weshalb sich bei einem durch Tausch er­ worbenen Lehen die zur Sukzession berufenen Erben nach dem ertauschten Lehensgut und dessen ausbedungenen lehensrechtlichen Bedingungen richte­ ten.1123 Damit aber bestätigte sich im Grundsatz nur die im Fürststift Kemp­ ten anerkannte Erblichkeit der Lehen, so wie sie sich in den Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation seit dem 12. Jahrhundert be­ reits grundsätzlich durchgesetzt hatte.1124 Die durch die partikulargesetzliche Regelung des Art. 64 aufgestellte Heimfallordnung war wie „nach den Grundsätzen von der Gültigkeit und (der) verbindlichen Kraft der besonderen Disposition (des Fürstabts), worin sie angeordnet (…) (waren)“, gesetzlich für alle auch bereits vergebenen Lehen grundsätzlich verbindlich.1125 Nach der in der Kemptener Fürstabtei geltenden Normenhierarchie blieben die in­ dividuellen Vereinbarungen im Rahmen der Lehensverträge zwar vorrangig wirksam.1126 Der partikularrechtliche Akt war aber Ausdruck eines landesho­ 1122  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 ff.: „Bey der gemeinen Allodial-Succession entscheidet die bloße Nähe des Grades, bey der Lehensfolge Descendenz vom ersten Erwerber und Vorzug der Linie. Bey jener kön­ nen alle die Personen, die mit dem Verstorbenen am nächsten verwandt sind, succe­ diren, bey dieser werden lehensfähige Personen erfordert.“; G. v. Weber, ebd., S. 341 f., Hervorhebungen im Original. 1123  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 f. 1124  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 103 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 33 f. 1125  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S.1 f. 1126  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 17; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 18 f.; vgl. auch ders., Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Ge­ org Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 1 f.; zur Omnipotenz des absolutistisch regierenden Monarchen, woraus sich auch die Oberhoheit über das landesrechtliche Lehenswesen und der damit verbun­ dene Vorrang der vertraglichen Regelungen herleiten lässt, H. Kelsen, Allgemeine



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten255

heitlichen Privilegiums des Regenten, der im gemeinen Interesse das staat­ liche Lehenswesen sichern wollte und auf diesem Wege mit der Norm des Artikels 64 gleichzeitig die unter anderem auch subsidiäre Geltung sonstiger Rechtsquellen in der Form der „gemaine(n) kayserlichen Satzungen, Lehen­ recht derselben Lehern und yeblichen hergebrachten Landtsbräuchen“ ange­ ordnet hat.1127 Der Sinn und Zweck des Gesetzesaktes kann dabei auch in engem Zusammenhang mit der im späten Mittelalter in den deutschen Terri­ torien regelmäßig zu beobachtenden Einführung von Lehenbüchern gesehen werden.1128 Denn mit diesen Amtsbüchern in Lehenssachen wurden die vor­ genommenen Belehnungen seit dem späten Mittelalter schriftlich dokumen­ tiert, nachdem sich die Vergabe der Lehen bis zu diesem Zeitpunkt in erster Linie durch althergebrachte Rechtssymbole vollzogen hatte.1129 Nach dem überkommenen mittelalterlichen deutschen Land- und Lehensrecht, zu dem auch die Rechtssammlung des kaiserlichen Schwabenspiegels gehörte,1130 erlosch nach dem Tod des Lehnsherrn oder des Vasallen aber grundsätzlich das gegenseitige Lehensband und musste mit dem entsprechenden Nachfol­ ger erneuert werden, so dass das Lehen in dessen Hand unter Beteiligung der Obrigkeit neu aufgelassen werden musste.1131 Dies ist der eigentliche Rege­ lungszweck des Artikel 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit um das beginnende 17. Jahrhundert, wel­ cher im Ergebnis in der Sicherung des landesrechtlichen Lehenswesens be­ stand, indem unübersichtliche Lehensbestände, die durch den Tod des Le­ henshern oder Vasallen hätten eintreten können, vermieden werden sollten.1132 Staatslehre, Wien 1925, S. 334 ff.; Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S.  88 ff., 99 ff., 111 ff. 1127  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol.  30 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 2. 1128  J. Wild, Lehenbücher, publiziert am 10.05.2013, in: Historisches Lexikon Bayern. 1129  J. Wild, Lehenbücher, publiziert am 10.05.2013, in: Historisches Lexikon Bayern. 1130  H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Il­ lustrationen aus alten Handschriften, München 2002, S. 387 ff. m. w. N. 1131  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol.  30 f.; J. Wild, Lehenbücher, publiziert am 10.05.2013, in: Historisches Lexikon Bayern. 1132  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol.  30 f.; J. Frisch, Teutsch-lateinisches Wörter-Buch, Berlin 1741, S. 597, wonach das Lehen infolge des Heimfalls wieder offen war; G. v. Weber, Handbuch des in

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B. Historische Grundlagen

Das in der partikulargesetzlichen Vorschrift implizit zum Ausdruck kom­ mende Obereigentum relativierte sich dann in der Kemptener Fürstabtei ab dem 17. Jahrhundert allmählich und führte in der späteren Neuzeit zu einem nur noch bestehenden Zustimmungsvorbehalt zugunsten des reichsfürstlichen Lehenhofes für den Fall eines beabsichtigten Rechtsgeschäfts über das Le­ hen, die damit regelmäßig die Eigenschaft einer den ganz eigenen Gütern ähnlichen Beschaffenheit, einem Allod vergleichbar, angenommen hatten.1133 Wenn die Norm des Artikel 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann ­Erhard Blarer von Wartensee andererseits wiederholt davon spricht, dass ein Lehen „schuldig“ sein sollte, so wird damit nur das allgemeine Lehens­ band hervorgehoben, das auch in wechselseitigen Veräußerungsverboten be­ stand,1134 wenngleich die Vorschrift mit der heimfallbedingten Anzeige- und Erneuerungspflicht binnen Jahresfrist grundsätzlich noch auf eine Wiederbe­ lehnung durch die Kemptener Kanzlei und damit aus deren Hand abstellte, die auf ein zur Zeit des Erlasses dieser partikularen Rechtsnorm noch stärker ausgeprägtes Obereigentum schließen lässt.1135 Gleichzeitig waren mit der genannten Norm auch erste Ansätze einer Sukzessionsordnung verbunden, Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 2; J. Wild, Lehen­ bücher, publiziert am 10.05.2013, in: Historisches Lexikon Bayern. 1133  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 111; vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S.  LIII ff.; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 285. Zum allodifizierten Lehensgut G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (212 ff.); K.-H. Spieß, Lehn(s) recht, Lehnswesen, in: A. Erler u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechts­ geschichte, Band II, Berlin 1978, Sp. 1737 f. Siehe hierzu auch das RegierungsRescript an das Pflegamt der Landvogtey diesseits der Iller daß keinem ins Stift nicht gehörigen, der Kauf, oder der Anfall eines Hauses u. im Stift gestattet werden solle. ddo. Stift Kempten den 26.01.1731, in: J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauch­ baren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 304 (Nro. CXV). 1134  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol.  30 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 3 ff., v. a. S. 7. 1135  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol.  30 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 3 ff., v. a. S. 7; zu den



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die den Personenkreis der möglichen Vasallen für die Weitergabe des Lehens rudimentär umriss, wenn von „seine(n) nachgelassene(n) Erben, derglei(c)hen auch der Unmündigen, Wittwen und Waisen nachgesözte Vögt und Lehentrager“ oder einem „Geschwistriget(,) daz andere von angerögten LehenGüetheren seines gebührenden Anthails halber auslösen wolt“, gesprochen wurde, die das Gut „zu empfahen und wider zu Lehen schuldig sein (sollten).“1136 Neben den zu regelnden Modalitäten im Falle des Heimfalls des Lehens gab es für die Vorschrift des Artikel 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aber auch noch andere Gründe. Zum einen waren die Vorgänge der Belehnungen in den deutschen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation regelmäßig zahlreich geworden, weshalb die damit verbundene Unübersichtlichkeit durch die Anzeige des Lehens bei der „Cantzley Kempten“ und die Doku­ mentation der Wiederbelehnung aufgefangen werden sollte.1137 Zum anderen ist nicht auszuschließen, dass auch im Zuge der Entwicklung des neuzeit­ lichen Kemptener Obrigkeitsstaates das Bedürfnis bestand, genaue Lehen­ bücher zu besitzen, um die eigenen Güter von denen fremder adeliger Herr­ schaftsträger systematisch unterscheiden und damit auch die Bekämpfung des Allgäuischen Gebrauchs weiter befördern zu können.1138 bb) Lehenserbfolge und Allodialerbfolge Allgemein war mit Lehenserbfolge der Übergang eines Lehens auf die Lehensnachfolger gemeint, wenn der Vasall starb oder sich das Lehen aus einem anderen Grund erledigte.1139 Der erbrechtliche Übergang konnte or­ Entwicklungsstufen des dominium directum W. Arnold, Zur Geschichte des Eigen­ tums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 258 ff. 1136  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol.  30 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 1  f.; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 655 ff. 1137  Vgl. J. Wild, Lehenbücher, publiziert am 10.05.2013, in: Historisches Lexikon Bayern. 1138  Vgl. P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stutt­ gart u. a. 1989, S. 6 ff.; J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 178 ff. 1139  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 ff.; P. Mayr,

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B. Historische Grundlagen

dentlich von Gesetzes wegen nach den einschlägigen Bestimmungen, zu de­ nen auch die hoheitlich verfügten Bedingungen im Rahmen des Gesetzes der Investitur, d. h. des Lehensvertrages, gehörten,1140 oder aber außerordentlich aufgrund eines Testaments oder Erbvertrages erfolgen, wobei letztere Mög­ lichkeiten den Grundsätzen über eine zulässige Veräußerung unterlagen.1141 Die Lehensfolge war grundsätzlich von der Lehensordnung zu unterscheiden, die als vorgegebene Regel einen Berechtigten abstrakt von den sonstigen in Betracht kommenden Lehenserben ausschied.1142 Das Lehensfolgerecht da­ gegen war „das Recht, in Folge dessen gewisse Personen (…) auf den Erle­ digungsfall das (bestimmte) Lehn erwerben, eigentlich in das Recht des verstorbenen Vasallen succedieren (konnten), und welches im Gegensatze zur Alodialsuccession auch schon vor dem Anfalle des Lehns sich wirksam äußert(e).“1143 Die ordentliche Lehensfolge beruhte in den Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation grundsätzlich entweder auf einer gesetzlichen Sukzession nach der Blutsverwandtschaft, d. h. der Ab­ stammung von dem ersten Lehensnehmer, oder aber auf einem speziellen Rechtsgrund im Rahmen der Investitur wie einer vertraglichen Mitbeleh­ nung.1144 Insoweit waren für eine ordentliche Lehensfolge zunächst die kon­ kreten Bedingungen, die im Rahmen der feierlichen Investitur festgelegt Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 175; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 654 f. 1140  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2; A. Schnaubert, Erläuterung des in Deutschland üblichen Lehnrechts in einem Kommentar über die Böhmerschen principia iuris feudalis, 3. Aufl., Braun­ schweig 1799, S. 339 f. 1141  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  175 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 440; vgl. zur grundsätzlich untersagten Veräußerung von Lehen G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 3 ff., v. a. S. 7. 1142  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 ff., dort auch zu den Unterschieden zu der Allodialerbfolge; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 176. 1143  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 176, im Original (im Gegensatze zur Alodialsuccession) in Klammern; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 655; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 440 f. 1144  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 342 ff., P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 176; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 655, 658;



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten259

worden waren, entscheidend, wenngleich für den Fall, dass der Lehensbrief keine konkreten Bedingungen für die Lehensfolge enthielt, später dann ver­ mutet wurde, dass die Parteien in diesem Fall stillschweigend die gesetzli­ chen Vorschriften vorbehalten haben.1145 Das sukzessive Erbrecht, lateinisch successio ex pacto et providentia maiorum, war der im langobardischen wie deutschen Lehensrecht und auch im Fürststift Kempten allgemein anerkannte und mit der landesrechtlich normierten Erbfolge des Zivilrechts, d. h. den entsprechenden Regelungen zur Allodialerbfolge, grundsätzlich in keinem inneren Zusammenhang stehende Grundsatz, wonach, wenn keine spezielle vertragliche Erbfolgeregelung getroffen worden war, das Lehen und die mit ihm verbundenen Rechtsverhältnisse auf einen Lehensnachfolger nach einer Lehensordnung überging, wobei die Lehensfolge stets auf den ersten Erwer­ ber als den ursprünglichen gemeinschaftlichen Stammvater zurückgeführt wurde, so dass sich das konkrete Lehen als persönliche Repräsentation des ersten Erwerbers darstellte, ohne aber zu einer Vermengung mit der Persön­ lichkeit des entsprechenden Lehensnachfolgers zu führen.1146 In der Kempte­ ner Fürstabtei war die spezielle Lehensfolge der successio ex pacto et provi­ dentia maiorum ebenfalls anerkannt, womit es auch im reichsfürstlichen Klosterstaat die Stammlehen als feuda ex pacto et providentia maiorum gab.1147 Im Fürststift Kempten schlossen die Verwandten insoweit bei Lehen G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 434, 440 f. 1145  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 8; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österrei­ chischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vor­ lesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 10 f.; zur verbindlichen Geset­ zeskraft von festgelegten Bedingungen im Lehensbrief StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 17; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 18 f.; ders., Handbuch des in Deutschland übli­ chen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. bai­ erischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 1 f. 1146  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 13 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 ff., C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 650 ff.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 441 f.; vgl. S. Schlinker/ H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 5. 1147  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 13 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herr­ schaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18; grundsätzlich zu den Stammlehen, die auf der Lehensfolge der successio ex pacto et providentia majo­

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B. Historische Grundlagen

wie auch bei der Emphyteuse das auf dem Gedanken der Sicherung des Nut­ zens für den Herrn beruhende ius retractus, d. h. das Einziehungsrecht der reichsfürstlichen Autorität, aus, was auf ein reales Privileg zugunsten der beliehenen Personen gestützt wurde.1148 Das Vorhandensein eines Agnaten, d. h. eines männlichen Blutsverwandten, führte deshalb aufgrund eines Qua­ sikontraktes dazu, dass der Lehensherr hinsichtlich des ius retractus ausge­ schlossen blieb, weil mein eine einmal erworbene Rechtsposition nicht ein­ fach so verlieren konnte, wobei diese Regel auf Mitbelehnte keine Anwen­ dung fand.1149 Die Lehensfolge war grundsätzlich eine Singularsukzession in das Vermögen des ersten Erwerbers, wenngleich das sukzessive Erbrecht im Laufe der Nachfolgefälle dazu führen konnte, dass die Reinheit des ursprüng­ lichen Lehens vergänglich wurde.1150 Eine besondere Abweichung von der normalen Lehensfolge waren die sogenannten Erblehen als feuda heredita­ ria,1151 die auf besonderen Bedingungen im Lehensvertrag beruhten und be­ reits in frühen lehensrechtlichen Sammlungen wie dem langobardischen Le­ hensrecht in modifizierter Form vorgesehen waren, wobei diese Art der Be­ lehnung oftmals dann wie auch im Fürststift Kempten im Rahmen von etwa­ igen Rechtsgeschäften gewohnheitsmäßig praktiziert und später dann auch partikulargesetzlich übernommen wurde.1152 Im Allgemeinen bestand der abhebende Charakter der Erblehen in einer Improprietät, die sich darauf gründete, dass es sich bei Erblehen um dem Allodialrecht angenäherte und dem Lehnsrecht entfremdete Lehen handelte, wobei die Übergänge stets flie­ rum beruhten, G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 342 f. 1148  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  13 ff. 1149  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  15 ff. 1150  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341; a. A. C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 652 ff., der hier eine Universalsukzession annimmt. 1151  Zum Begriff der Erblehen in der Kemptener Fürstabtei StAA, Fürststift Kemp­ ten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 7 ff. 1152  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XLIX f.; G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des König­ reichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 659 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 441.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten261

ßend waren.1153 Der wahre Charakter der Erblehen kann erhellt werden, wenn diese von den Stammlehen abgegrenzt werden.1154 Denn die Einteilung in die Stammlehen (feuda ex pacto et providentia maiorum) und die Erblehen (feuda hereditaria) ergibt sich im Ergebnis aus der grundsätzlichen Verschie­ denheit der Lehens- und Allodialerbfolge.1155 „Lehen ex pacto et providentia maiorum (…) unterschieden sich von den Erblehen (…) durch die wahre ei­ gentliche Lehensfolge im Gegensatze der entweder gänzlich oder nur in eini­ gen oder andern Stücken eingeführten Allodial-Succession.“1156 Die Erblehen wurden andererseits wiederum in vollkommene Erblehen (feudum heredita­ rium merum), bei dem die Allodialerbfolge gänzlich galt, und in gemischte Erblehen (feudum hereditarium mixtum) eingeteilt, bei dem lediglich ein­ zelne Teile der Allodialerbfolge übernommen waren.1157 Bei den Stammlehen sukzedierten die Nachkommen kraft der im Rahmen der Investitur festgeleg­ ten Erbfolge.1158 Ein reines Erblehen unterstand dagegen der Universalsuk­ zession, d. h., dass der Lehensnachfolger im Gegensatz zu der hinsichtlich der Lehensfolge grundsätzlich anzunehmenden singulären Sukzession im Wege der allodialen Erbfolge und damit nach dem Prinzip der Universalsuk­ zession in sämtliche Rechte und Verbindlichkeiten des Erblassers eintrat.1159 Nachdem aber auch beim Erblehen die Sukzession im Ausgang von der In­ vestitur herrührte, war das Erblehen in ordentlicher Weise auch hier grund­ sätzlich auf die Deszendenten des ersten Erwerbers des Erblehens beschränkt, weshalb eine ganz freie Vererbbarkeit nur in Ausnahmefällen statthatte.1160 Im Fürststift Kempten war dieser rechtliche Zustand später dann allgemein auch hinsichtlich der Beutellehen entsprechend ausgeformt.1161 Etwaige Pro­ 1153  C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 659 f.; vgl. auch grundsätzlich zur Improprietät bei uneigentlichen Lehen, deren Abweichun­ gen gegenüber eigentlichen Lehen auf einer Privatwillkür beruhen, K. Paetz/ Ch. Goede, Lehrbuch des Lehnrechts, Göttingen 1808, S. 88 ff. 1154  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 ff. 1155  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 342. 1156  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 343. 1157  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344. 1158  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 342. 1159  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341, 349. 1160  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344 ff., 349. 1161  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 f.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten

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B. Historische Grundlagen

bleme gab es aber später dann hinsichtlich der Reihenfolge der anwendbaren lehensrechtlichen Rechtsquellen, als sich mit zunehmender Zeit die Geset­ zesherrschaft in den deutschen Territorien etabliert hatte.1162 Dies konnte etwa der Fall sein, wenn im Lehensvertrag Kognaten das Sukzessionsrecht eingeräumt worden war, so dass sich dadurch Widersprüche zu partikular­ rechtlichen Gesetzeswerken bzw. zu sonstigen subsidiären Rechtsquellen er­ geben konnten.1163 Die Lehenserbschaft erfolgte grundsätzlich ipso iure zur Delation, so dass der Lehenserbe in die Rechte und Pflichten des ursprüngli­ chen Lehensnehmers eintrat, sie konnte aber mit der freien Allodialerbschaft zusammenfallen, so wie dies bei den reinen Erblehen grundsätzlich der Fall war.1164 Die Lehenserbfolge musste aber im Übrigen von der Allodialerb­ folge streng unterschieden werden, da beide Sukzessionsordnungen unabhän­ gig voneinander waren.1165 Bei der Allodialerbfolge trat der Erbe in sämtliche Rechte und Pflichten des Erblassers ein, während dies bei der Lehenssukzes­ sion nicht der Fall war, wobei hier auch der potentielle Personenkreis in Bezug auf die im Wege der lehensrechtlichen Sukzession in Lehensgüter eintretenden Nachfolger grundsätzlich einer Beschränkung etwa in der Form der Erforderlichkeit der Lehensfähigkeit unterlag.1166 Das Lehen konnte zu­ im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 1162  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 1 f.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teut­ schen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prin­ zipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 14 ff.; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 661 f.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 177 ff. 1163  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 14 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 1 f.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 177 ff.; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 661 f. 1164  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  2 f., 13 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 349; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  202 f.; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 663. 1165  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 ff. 1166  F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 253; G. v. Weber, Handbuch des in Deutsch­



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten263

dem bei der Lehenserbfolge beispielsweise auch nicht bei der Bestimmung eines Pflichtteils in Anrechnung gebracht werden.1167 Eine besondere Aus­ prägung der Lehenserbfolge war das Familienfideikommiss, der dazu führte, dass das Lehen nach den Grundsätzen der successio ex pacto et providentia maiorum auf ganz bestimmte Berechtigte, in erster Linie an den ältesten Sohn, verteilt wurde.1168 Konkrete Ausformungen des Familienfideikommis­ ses waren das Seniorat, wonach stets der Älteste der ganzen Familie zur Lehensfolge berufen war, das Majorat, welches zunächst der Nähe des Gra­ des, bei gleich Nahen dem höheren Alter, den Ausschlag gab, die Primogeni­ tur, wonach die Linie des Erstgeborenen und in dieser der Erstgeborene den Vorzug hatte, bzw. das Minorat als umgekehrtes Majorat.1169 cc) Lex investiturae bzw. das sukzessive Lehenserbrecht im Fürststift Kempten – die Erblehen Dass ein von dem Herrn empfangenes Lehensgut vererbbar war, hatte sich in den Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bereits ab dem 12. Jahrhundert allmählich durchgesetzt.1170 Auch der Schwabenspie­ gel, der in der Kemptener Fürstabtei mit Gesetzeskraft anerkannt war,1171 land üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 ff. Siehe zu der allodialen Erbfolge in der Kemptener Fürstabtei den Auszug aus der Fürst Erhardischen Landesordnung die Erbfolge betreffend, in: J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verord­ nungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 316 ff. (Nro. CXXV). 1167  C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 663 f.; vgl. auch G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 349 f., der darauf verweist, dass dies aber bei einem reinen Erblehen möglich war. 1168  C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 665 ff.; vgl. auch G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 342 f. 1169  C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 665 ff.; grundsätzlich zum Wesen der Primogenitur G. v. Weber, Handbuch des in Deutsch­ land üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 14 ff., 28 ff. 1170  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 103 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 33 f.; vgl. T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (29), der in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass das Fall- und Schupflehen demgegen­ über mit dem Tod des Lehensnehmers endete. 1171  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5,

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B. Historische Grundlagen

enthielt bereits ausdrücklich Regelungen zu Erblehen.1172 Es überrascht des­ halb nicht, dass die Lehensgüter im stiftkemptener Recht in der späteren Neuzeit dann ausschließlich als Erblehen ausgewiesen wurden, d. h., dass nicht nur eine entsprechende Vermutung für die Erblichkeit bestand, sondern die Eigenschaft der Lehensgüter als Erblehen war allgemeines Recht gewor­ den.1173 In Kongruenz mit dieser von Gesetzes wegen systematisierenden Einordnung war ein erstattetes Rechtsgutachten eines unbekannten Verfassers um das Jahr 1700 zu der Feststellung gelangt, „dass es der Leheneigenschaft der bürgerlichen und bäuerlichen Lehen (in der Kemptener Fürstabtei) keinen Abbruch (tue), dass für diese keine Kriegsdienste geleistet würden und dass bei ihnen das bürgerlichrechtliche und nicht das lehen­ rechtliche Erbrecht angewandt werde. (…) Die spezielle Lehenerbfolge (gelte) bei den Lehen ex pacto et providentia (maiorum), bei den Erblehen (feuda haeredita­ ria) aber die zivilrechtliche. Auß diesem biß daher abgehandleten folget, daß unser quaestioniert allgeyische lehen seyen und müssen genennet werden feuda ignobilia censualia haereditaria.“1174

Wie sich also der Begriff Beutellehen seit dem späteren Hochmittelalter von der grundsätzlichen edelmanns- und adeligen Herkunft emanzipiert hatte,1175 waren die Erblehen nach dem um das Jahr 1700 erstatteten Rechts­ gutachten später auf dem schwäbisch-allgäuischen Territorium der Kempte­ ner Fürstabtei offensichtlich ausschließlich der zivilrechtlichen Allodialerb­ folge unterstellt, wobei die Bezeichnung Erblehen allgemein und ohne fol. 30 f.; zu der Bedeutung einer entsprechenden partikulargesetzlichen Öffnungs­ klausel P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  67 ff.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österrei­ chischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vor­ lesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 55 ff. 1172  H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Il­ lustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 66, S. 263, Art. 97, S. 275. 1173  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XLIX f.; G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des König­ reichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109. 1174  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 1175  Vgl. P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  106 f. m. w. N.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten265

Rücksicht auf das geltende Lehensfolgerecht verwendet wurde.1176 Dies be­ darf einer wissenschaftlichen Hinterfragung und einer klarstellenden Erläute­ rung. Ein spezielles Lehenserbfolgerecht, lateinisch auch lex investiturae, das sich von den Grundsätzen der successio ex pacto et providentia maiorum unterscheiden konnte, wurde im Mittelalter und in der frühen Neuzeit mitun­ ter in den im Rahmen des Lehensvertrages festgelegten Bedingungen gese­ hen, womit durch die vertragliche Gestaltung auch eine Annäherung an die Grundsätze der Allodialerbfolge verbunden war.1177 Insoweit wurden ein durch Lehensbrief vereinbartes reines und gemischtes Erblehen unterschie­ den, wobei das erstere der Allodialsukzession vollständig unterlag, ohne dass sich dadurch die sonstigen Eigenschaften des Lehens oder der Status einer fehlenden Veräußerbarkeit änderten bzw. das Grundprinzip der Abstammung vom ersten Erwerber aufgehoben wurde, während bei gemischten Erblehen nur einzelne Punkte der Allodialsukzession entlehnt waren; in beiden Fällen galten aber das Sukzessionsrecht und die Sukzessionsordnung, weil die ver­ traglich bestimmten Lehenserbfolgen regelmäßig allgemein nur auf Erben und nicht auf bereits konkret festgelegte Personen gerichtet waren.1178 Weber hat die Unterschiede der Lehens- zu der Allodialerbfolge mit Blick auf die Art und Weise der Sukzession und die sukzedierenden Personen treffend wie folgt zusammengefasst: „Bey der gemeinen Erbfolge wird vermöge der Wohlthat des Letztverstorbenen, bey der Lehensfolge vermöge der Wohlthat des ersten Erwerbers succedirt. Bey jener tritt der Erwerbe in alle und jede Verbindlichkeiten und Rechte des Erblas­ sers, sie ist daher eine universelle; bey dieser fällt die Repräsentation des letzten Erblassers hinweg; sie ist daher eine singuläre Succession. Bey der gemeinen Al­ lodial-Succession entscheidet die bloße Nähe des Grades, bey der Lehensfolge Descendenz vom ersten Erwerber und Vorzug der Linie. Bey jener können alle die

1176  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 1177  Siehe hierzu A. Schnaubert, Erläuterung des in Deutschland üblichen Lehn­ rechts in einem Kommentar über die Böhmerschen principia iuris feudalis, 3. Aufl., Braunschweig 1799, S. 339 f.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 202 f.; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 650 ff., 658 ff. 1178  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  2 f.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Lands­ hut 1831, S.  202 f. m. w. N.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Le­ henrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S.  342 ff. m. w. N.

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B. Historische Grundlagen

Personen, die mit dem Verstorbenen am nächsten verwandt sind, succediren, bey dieser werden lehensfähige Personen erfordert.“1179

Die Erblehen standen deshalb im Lichte der Grundsätze einer allodialen Sukzession, wobei sich grundsätzlich nur in wenigen Fällen eine vollkom­ mene Allodialerbfolge ausmachen ließ.1180 In der Wissenschaft sind am Maß­ stab zahlreicher Lehensverträge entsprechende Formeln herausgearbeitet worden, welche auf Erblehen bezogen waren, wobei die konkrete Einordnung der Erblehen als vollkommene und reine oder aber nur gemischte der Aus­ legung zugänglich war.1181 Als Formeln für die Verleihung wurden insoweit verwendet: „1. Für sich und seine Erben, wie die Namen haben mögen (heredibus quibuscun­ que), 2. für alle und jede Erben, 3. wer das Lehen als ein eigenthümliches, erwor­ benes, gewonnenes Gut, als ein rechtes Erbe, Erbgut, oder Erblehen, wie solcher Erbgüter alt Herkommen, Recht und Gewohnheit ist; 4. zu Erblehen oder ErbMann-Lehen, 5. für sich und seine Lehenfolger und in deren Ermanglung für seine Erben, oder 6. dergestalt verliehen wurden, daß nach Erlöschung der männlichen Linie die Töchter und deren nächsten Erben zugelassen werden; 7. wenn das Lehen für sich und seine nachkommenden Erben beyderley Geschlechts oder 8., so daß die Mannspersonen mit den Weibspersonen succediren sollen (…).“1182

Während eine Ansicht in diesen Formeln sämtlich reine Erblehen erblickte, stufte etwa Weber nur die dritte und fünfte Formel als einem vollkommenen Erblehen entsprechend ein, womit die damals bestehenden Auslegungs­ schwierigkeiten hinreichend dokumentiert werden.1183 Mit der Entstehung des modernen territorialbezogenen Staates änderte sich zudem noch die Aus­ gangslage, nachdem die werdenden fürstlichen Landesherren nun zunehmend auch das Recht der Gesetzgebung ausübten und auch damit begannen, das Lehenswesen im Rahmen der Landesordnungen partikulargesetzlich auszu­ formen und zu regeln.1184 In diesem Sinne wurden in der Kemptener Fürst­ 1179  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 f.; Hervorhe­ bungen im Original. 1180  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344 ff. 1181  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 345 f. m. w. N. un­ ter Bezugnahme auf Lambert. 1182  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 345 f. m. w. N. un­ ter Bezugnahme auf Lambert; Hervorhebungen im Original. 1183  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 345 f. m. w. N. 1184  Zur entsprechenden partikulargesetzgeberischen Entwicklung im Fürststift Kempten Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten267

abtei mit der in der um die Zeit des ausgehenden 16. Jahrhunderts entstande­ nen Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee ent­ haltenden Norm des Artikels 64 bereits erste Ansätze einer partikulargesetz­ lichen Sukzessionsordnung aufgestellt, die den Geist der durch den Herrn im Rahmen der Investitur festgelegten Bedingungen der Lehenserbfolge erken­ nen ließ.1185 Die Verordnung Fürst Romans ddo. Schloss Liebenthann vom 18.11.1641 die Auslösungen, das Anfallrecht und die Ganten betreffend enthielt schließlich dann umfassende partikularrechtliche Normen des Anfall­ rechts, womit das Lehenserbrecht konkretisierend ausgeformt wurde.1186 Die Lehenserbfolge stand nun unter einem gesetzlichen Regiment, das neben die speziellen Bedingungen des Lehensvertrages trat.1187 Die ordentliche Le­ henserbfolge richtete sich fortan daher auch im Fürststift Kempten nach den individuellen Lehensverträgen, oder aber nach den gesetzlichen Bestimmun­ gen.1188 Eine außerordentliche Lehenserbfolge lag dagegen vor, wenn die Erbfolge durch Testament oder Erbvertrag festgelegt worden war, was in der Kemptener Fürstabtei bei einem konkreten Lehensgut aber grundsätzlich unstatthaft war, solange der lehensherrliche Obereigentümer, d. h. die Autori­ tät des Fürstabts als Kirchenvorsteher, seine verfügende Hand im Sinne der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 351; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 18; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S.  191 f.; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 29; vgl. auch zur ähnlichen landesherrschaftlichen Entwicklung hinsichtlich des Gesetz­ gebungsrechts im Fürstentum Fulda B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 15, 17; allgemein hierzu D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 138 f. 1185  Vgl. Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol.  30 f. 1186  Abgedruckt bei J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hoch­ fürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privat­ recht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 278 ff. (Nro. CIX). 1187  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betref­ fenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 278 ff. (Nro. CIX); G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344 ff. m. w. N., v. a. S.  348. 1188  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2; vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344 ff. m. w. N., v. a. S.  348.

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B. Historische Grundlagen

Proprietätsrechte noch über der Veräußerung des Lehensguts hatte und das dominium directum ausübte.1189 Im Fürststift Kempten waren deshalb testa­ mentarische Verfügungen über Lehen grundsätzlich ausgeschlossen, weil das Lehen den Nachkommen des ersten Belehnten als Wohltat und aus der Gnade des Lehensherrn zugewandt wurde, weshalb ein Testament zugunsten einer anderen Person das Recht eines Dritten aufgehoben hätte, das durch die Gnade, den Vertrag und die Erlaubnis des Verleihenden wohlerworben war, weil der Vasall sein Recht am Lehen nur auf Lebenszeit hatte und weil der Wille dessen, der das Testament machte, dem Lehensherrn nachteilig gewe­ sen wäre.1190 „Denn wer ohne Recht spricht, spricht nicht.“1191 Ein außeror­ dentliches Testament oder ein entsprechender Erbvertrag waren daher nur bei sonstigen Gütern zulässig, die einer lehensrechtlichen Bindung gerade nicht unterlagen.1192 Etwaige unzulässige testamentarische bzw. erbvertragliche Verfügungen wurden deshalb regelmäßig auch seitens der reichsfürstlichen Obrigkeiten unterbunden, wenn sie mit dem Gesetz in Widerspruch traten.1193 Die Lehensart der Erblehen aber war in der Neuzeit im Fürststift Kempten 1189  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 176, 203; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 440; vgl. zu den Rechtswirkungen des dominium directum im Zusammen­ hang mit den Stiftern M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff., 30 ff. 1190  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2 f.; vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344 ff. m. w. N., v. a. S.  341 f. 1191  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3: „qui sine lege loquitur nil loquitur.“ 1192  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3. 1193  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in ge­ schichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 440, der darauf hinweist, dass in diesem Fall der lehensrechtliche Konsens notwendig war, um den Mangel an der Verfügbarkeit über das Lehensgut zu heilen. In der Kemptener Fürstabtei war insoweit mitunter entscheidend, dass letztwillige Verfügungen nur unter der Aufsicht und mit Vorwissen des fürstlichen Landvogts bzw. Landammans errichtet werden durften und die Lehen nicht freier Veräußerbar­ keit unterlagen. Siehe hierzu auch die Regierungsverordnung an sämtliche Pflegämter die bey Errichtung der Testamente, und anderer Vermächtniße erforderliche Solenitä­ ten betreffend ddo. Stift Kempten den 11.12.1769, in: J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einlei­ tung dazu, Stift Kempten 1793, S. 312 ff. (Nro. CXXIII).



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten269

allgemein anerkannt und richtete sich nach den speziellen herrschaftlichen Dispositionen oder dem partikularen Recht, ohne dass der Begriff auf die lex investiturae beschränkt war.1194 Das Anfallrecht wurde im Fürststift Kempten später dann in erster Linie durch die partikulargesetzliche Verordnung des Fürstabts Roman Giel von Gielsberg vom 18.11.1641 die Auslösungen, das Anfallrecht und die Ganten betreffend konkretisiert.1195 Aus der Begründung der reichsfürstlichen Ver­ ordnung ist der Sinn des vorbenannten Partikularrechtsaktes zu entnehmen. „Demnach Wir dann anderst nicht erfinden können, als daß aus zuvieler Nachsu­ chigkeit von etlichen das Anfallrecht weiter, als Unserer Vorherren, und Unsere Intention jemalen gewesen, zu erweitern unterstanden werde, indeme sowohl die Blutsverwandten, und Schwäger, als auch die Schuldgläubiger theils in ihrem eig­ nen, theils in anderer Namen Anfall zu haben, sich einbilden wollen, derohalben so wollen Wir, ordnen, gehalten, und dem endlich nachgelebt werden solle.“1196

Andererseits galt es aber auch, „so viel sich von Rechts- und Billigkeitswegen thun lasset, und in alle Weg dahin zielen, wie unsre fürstliche Grafschaft wieder völlig besetzt, die Gütter und Häu­ ser, wieder gebauen, repariert erhalten, und alle Beschwerden, Anlagen, Dienst, und anders am leidentlichsten angestellt, und errichtet werden möchten.“1197

Das Anfallrecht sollte von seinem Anwendungsbereich her bei sämtlichen durch Käufe und Verkäufe, Verleih- oder Erbbestand hingegebenen Gütern 1194  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S.  XLIX f.; G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 1195  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 278  ff. (Nro. CIX). 1196  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 282  f. (Nro. CIX). 1197  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 279 (Nro.  CIX).

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B. Historische Grundlagen

ausnahmslos gelten.1198 Es bestand aber in Ausnahmefällen auch die Mög­ lichkeit des Verlustes eines Lehens, wenn etwa eine Veräußerung oder eine Änderung eines Lehens ohne die Zustimmung des Lehensherrn erfolgt war, oder das zu Lehen gegebene Gut verschlechtert worden war, aber auch wenn die Untertanen des Vasallen misshandelt worden waren, wobei die Verfehlun­ gen jeweils durch das Lehensgericht festgestellt werden mussten.1199 Diese Grundsätze, die auch für die grundherrschaftliche Emphyteuse entsprechend galten, führten schließlich zur Verwirkung des grundsätzlich anerkannten Anfallrechts und begründeten das ius retractus des Fürstabts.1200 Nach dem partikulargesetzlich geregelten Anfallrecht bzw. der damit einhergehenden Sukzessionsordnung, die auch im Falle der lex investiturae grundsätzlich maßgebend blieb,1201 waren im Fürststift Kempten zur Lehensrechtserbfolge wie auch in anderen deutschen Territorien zunächst die Deszendenten des zuerst Investierten berufen, d. h. die Blutsverwandten, während etwaige Sei­ tenverwandte, d. h. die Aszendenten als Verwandte in aufsteigender Linie, kein gesetzliches Sukzessionsrecht besaßen.1202 Die Stellung als Deszendent setzte voraus, dass diese auf einer leiblichen Abstammung aus einer bürger­ lich gültigen und standesgemäßen Ehe beruhte, so dass Adoptierte, etwaige aus einer morganatischen Ehe oder Missheirat Stammende und nichteheliche Kinder nicht zur Sukzession berufen sein konnten.1203 Innerhalb der Ordnung der Deszendenten waren Theil- und Gemeinhaber hinsichtlich des Lehensgu­ tes privilegiert, denen das doppelte Band aus Verwandtschaft und Gemein­ 1198  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betref­ fenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 283 (Nro. CIX). 1199  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 5, 10. 1200  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 5, 10, 13 ff. 1201  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  202 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 1 f. 1202  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 13 ff.; G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und StatutarRechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und fran­ zösischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 124 f. 1203  Insoweit zum langobardischen und auch deutschen Lehensrecht C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 655 ff.; F. Chimani, Erläu­ terung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 228 ff.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten271

schaft den Vorzug vermittelte.1204 Damit schlossen sonstige gemeinschaft­ liche bzw. gesellschaftliche Beziehungen der Nachkommen bzw. von deren Gütern zu dem Anfallgut diejenigen Blutsverwandten von der gesetzlichen Sukzession aus, die nur über den Status eines Deszendenten ohne weitere gesetzliche Merkmale verfügten.1205 Für den Fall, dass kein Deszendent vor­ handen war, fiel das Lehensgut der Ordnung der über einen gemein- bzw. gesellschaftlichen Status verfügenden Personen hinsichtlich des Lehensguts an.1206 Danach folgte die Ordnung von denjenigen, deren Güter mit dem anfallenden Gut unter einer Gülte bzw. einem Zins verhaftet waren,1207 was gerade für Herbergen Relevanz besaß, weil diese oftmals auf einem Grund­ stück einer gemeinschaftlichen Zinslast unterliegen konnten.1208 Erst nach dieser Ordnung erbten die bloßen Deszendenten, bevor subsidiär die Mitbe­ wohner des Ortes, unter diesen insbesondere die Anstößer, d. h. die Anlieger, zum Zuge kamen.1209 Unter gleichen Blutsvergleichbaren mit Gemeinschafts­ status waren die Nähe des Grades, dann das Geschlecht, wobei das männ­ liche Geschlecht vor dem weiblichen den Vorzug hatte, und schließlich der Umstand der zeitlich ersten Anmeldung des entsprechenden Anfallrechts 1204  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S.  124 ff. 1205  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S.  124 ff. 1206  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S.  124 ff. 1207  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 124. 1208  Vgl. W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S.  45 ff., 57 ff., 65 ff.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 2 f.; hinsichtlich des Fürststifts Kempten auch StAA, Fürst­ stift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8. 1209  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 125. Siehe hierzu die General-Verordnung an sammtliche Pflegämter den Vorzug des Anfallrechts der Gemeinhaber vor den blossen Verwandten betreffend ddo. Stift Kempten den 15.06.1761, in: J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauch­ baren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 299 f. (Nro. CXI).

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B. Historische Grundlagen

maßgebend.1210 Die Verordnung nahm aber Anstößer von ganzen Gütern, Häusern und Herbergen ausdrücklich von dem Anfall- und Einstandsrecht aus,1211 was vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks nicht der Abschaffung von weiteren horizontalen Gebäudeteilungen, sondern vielmehr der Vermei­ dung einer finanziellen Überforderung der angrenzenden Grundstücke dienen sollte, weil man die Häuser wieder erbaut sehen und repariert haben woll­ te.1212 Eine allgemeine Voraussetzung der gesetzlichen Lehenserbfolge war die Lehensfähigkeit.1213 Im Falle eines Widerspruchs zwischen den konkret festgelegten Bedingungen im Lehensvertrag als Gesetz der Investitur und dem partikularen Lehenserbfolgerecht konnten mögliche Auslegungspro­ bleme entstehen.1214 Zuständig für derartige Rechtsstreitigkeiten war im Fürststift Kempten das Lehensgericht.1215 Nach alledem wurde das Le­ henserbrecht im Fürstentum Kempten in staatsrechtlicher Hinsicht in der 1210  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 126. 1211  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 125. Siehe hierzu Regierungs-Rescript an das Pflegamt der Landvogtey dies­ seits der Iller das vorgebliche Anfallrecht der Anstosser bey ganzen Herbergen betref­ fend ddo. Stift Kempten vom 12.11.1756, in: J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kempti­ sche bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 302 f. (Nro. CXIII). 1212  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 279, 282 f. (Nro. CIX). 1213  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 f.; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 653 f. 1214  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344 ff. m. w. N. unter Bezugnahme auf Lambert; ders., Handbuch des in Deutschland üblichen Lehen­ rechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 1 f.; F. Chimani, Erläuterung des longobardi­ schen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böh­ mers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S.  14 ff.; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 661 f.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  177 ff. 1215  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 5, 10; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publi­ ziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten273

Mitte des 17. Jahrhunderts zum illustrierenden Exempel von absolutistischen Herrschaftselementen auf der einen und aufgeklärteren Tendenzen im Sinne des sich etablierenden Gesetzesstaates auf der anderen Seite.1216 Hintergrund war in erster Linie die Verordnung des Fürstabts Roman Giel von Gielsberg vom 18.11.1641 die Auslösungen, das Anfallrecht und die Ganten betreffend, mit der partikulargesetzlich eine verbindliche Sukzessionsordnung festgelegt wurde.1217 Damit stellte sich fortan die Frage, wie etwaige Widersprüche zwischen speziell im Rahmen des Gesetzes der Investitur verfügten Bedin­ gungen und der partikularen Sukzessionsordnung zu lösen waren.1218 Nach­ dem die im Rahmen der Lehensverträge geregelten Erblehen regelmäßig nur abstrakt auf die „Erben“ abstellten, war in solchen Fällen die lehensrechtliche Sukzessionsordnung grundsätzlich anwendbar.1219 Eine Zäsur hinsichtlich des gesetzlichen Sukzessionsrechts stellte im Ergebnis der partikulare Geset­ zesakt des Fürstabts Roman Giel von Gielsberg aus dem Jahre 1641 dar.1220 Die gesetzliche Sukzessionsordnung galt in der Folge praktisch unbeschränkt, so dass sich die lehenserbliche Folge im einen Fall nach dieser, in anderen Fällen von reinen Erblehen dagegen nach der Allodialerbfolge richten konn­ te.1221 Die entsprechende Anwendbarkeit der richtigen Rechtsquelle war eine 1216  Vgl. H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S.  334  ff.; Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 88 ff., 99 ff., 111 ff.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 203 ff. 1217  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 278  ff. (Nro. CIX). 1218  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344 ff. m. w. N. unter Bezugnahme auf Lambert; ders., Handbuch des in Deutschland üblichen Lehen­ rechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 1 f.; F. Chimani, Erläuterung des longobardi­ schen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böh­ mers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S.  14 ff.; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 661 f.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  177 ff. 1219  P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  202 f. m. w. N.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehen­ rechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344 ff. unter Bezugnahme auf Lambert. 1220  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 278  ff. (Nro. CIX). 1221  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344 ff. m. w. N.

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B. Historische Grundlagen

Frage der Rechtsanwendung.1222 Entscheidend war hierbei die rechtliche Beurteilung im Einzelfall.1223 Damit aber muss die Aussage in dem um das Jahr 1700 erstatteten Gutachten relativiert werden, wonach sich die Erblehen ausschließlich nach der zivilrechtlichen Allodialerbfolge richteten.1224 Denn die partikulare Gesetzgebung führte implizit zu einer gesetzlichen Modifika­ tion der lehensvertraglich vereinbarten Erblehen, die damit einzeln als feu­ dum hereditarium mixtum erschienen und bei denen von Gesetzes wegen lediglich einzelne Teile der Allodialerbfolge galten.1225 Am Maßstab der wissenschaftlichen Erkenntnisse um Erblehen in den deutschen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation kann die Annahme des ausschließlichen Vorkommens von reinen Erblehen in der Kemptener Fürst­ abtei aber als ausgeschlossen gelten.1226 Die im Rahmen der Investitur fest­ gelegten Bedingungen hinsichtlich der Erbfolge fanden deshalb notwendiger­ weise in den zunehmend erlassenen Gesetzeswerken ihre Grenzen, wodurch die naturgemäße Omnipotenz des absolutistisch regierten Stifts Kempten an die eigenen Grenzen des aufkommenden Gesetzesstaates stieß.1227 An der unter Bezugnahme auf Lambert; ders., Handbuch des in Deutschland üblichen Lehen­ rechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Nebst dem K. baierischen Lehensedicte, Band IV, Leipzig 1811, S. 1 f. 1222  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 348; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 202  f. m. w. N. 1223  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 348; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 202  f. m. w. N.; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 659 f. m. w. N. 1224  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 1225  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 343. 1226  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 344 ff. m. w. N. unter Bezugnahme auf Lambert; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 202 f. m. w. N. 1227  Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Alt­ stadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 351; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 18; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S.  191 f.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus,



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten275

grundsätzlichen Anerkennung der allgäuischen Lehen als Erblehen im neu­ zeitlichen Obrigkeitsstaat des Fürststifts Kempten änderte dies aber im Er­ gebnis nichts.1228 3. Die Herbergen – von der klösterlichen Häuserleihe zum Freieigentum a) Die Grundherrschaft im Fürststift Kempten im Lichte der Agrarverfassung – die emphyteutischen Güter und die bäuerlichen Lehen In der Kemptener Fürstabtei sind Herbergen durch ein fürstlich-kemptener Statut ausdrücklich als zulässig anerkannt worden.1229 Dieser Rechtszustand änderte sich auch bis zur Auflösung des Stifts im Jahre 1803 nicht mehr, wie eine späte Verordnung vom 17.09.1792 beweist, wo bezüglich des Anfall­ rechts mitunter geregelt wurde, dass „bei neuerlicher Vertheilung oder Ver­ stückelung des Hauptguts (…) das Consolidationsrecht den Besitzern der von demselben schon zuvor abgetheilten Güter, Häuser oder Herbergen, und zwar, wenn deren mehrere vorhanden, demjenigen, der den größten Theil davon besitzt, zustehen (sollte).“1230 Damit wurde implizit auch noch einmal das eigentliche Wesen der neuzeitlichen Herbergen als ausgeschiedene Teile Stuttgart 1995, S. 18 ff., v. a. S. 23, 25; vgl. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsge­ schichte, 7. Aufl., München 2013, S. 203 ff. 1228  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S.  XLIX f.; G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 1229  Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Alt­ stadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. (Statut Nr. VI); P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 f. Fn. 15. 1230  Abgedruckt bei G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 123. Allgemein zum Konsolidationsrecht G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirth­ schaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 439 f.

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B. Historische Grundlagen

eines Gebäudes, die veräußert, verpfändet und vererbt werden konnten, wo­ bei der Natur der Sache nach eine ungeteilte Gemeinschaft von einzelnen Teilen des Hauses vorausgesetzt wurde, bestätigt.1231 Neben der lehensrecht­ lichen Begründbarkeit des zulässigen Baus einer Herberge im Rahmen der Investitur gab es in der Kemptener Fürstabtei mit der grundherrschaftlichen Emphyteuse oder Erbpacht aber auch noch ein anderes Rechtsinstitut, das den Bau bzw. den Erwerb einer eigenen Herberge ermöglichen konnte.1232 Angesprochen ist damit die städtische- bzw. frühstaatliche Häuser-, Bodenoder Bauleihe, die im altdeutschen Gebrauch über ein bloßes obligatorisches Rechtsverhältnis weit hinausging und eine dingliche Komponente im Sinne eines Erbbaurechts in sich trug.1233 Insoweit sind hinsichtlich der geschicht­ lichen Entwicklung der Kemptener Fürstabtei einige Besonderheiten zu be­ achten. Die Verfassung des werdenden neuzeitlichen Klosterstaates Kempten, der in dem durch die Regiments-Ordnung von König Maximilian I. vom 02.07.1500 errichteten schwäbischen Reichskreis des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation lag,1234 war in erster Linie agrarisch ausgeformt, weshalb auch von einem werdenden Agrarstaat gesprochen werden konnte,1235 der später dann in seinem stiftischen Kernbereich die Struktur einer kleinen

1231  Vgl. P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2.  Aufl., Tübingen 1897, S.  165 f. 1232  Vgl. nur M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. mit Fn. b; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 7 ff. 1233  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S.  34 ff.; A. Schwappach, Handbuch der Forst- und Jagdgeschichte Deutsch­ lands, Band I, Berlin 1886, S. 102 ff.; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 40 ff.; C. v. Schwerin, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., Berlin u. a. 1928, S. 149; K. Winkler/J. Schlögel (Hrsg.), Handbuch des Erbbaurechts, 6. Aufl., Mün­ chen 2016, § 1 Rn. 1; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S.  38 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3. 1234  Regiments-Ordnung Maximilians I. (Augsburger Reichstag) vom 02.07.1500, abgedruckt bei K. Zeumer (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., Tübingen 1913, S. 299; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 102. 1235  P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 195 ff.; ders., Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Lan­ desgeschichte 1967 (30), S. 201 ff.; P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grund­ buchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (422).



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten277

Residenzstadt aufwies.1236 Dies änderte sich schließlich auch bis in das frühe 18. Jahrhundert nicht, d. h., dass es sich mit Ausnahme weiter Teile der Stiftsstadt, die sich um die Residenz und die Basilika St. Lorenz auch im Zuge der vermehrt zu beobachtenden bäuerlichen Migration und sonstigen Zuwanderungen in das Stift ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zwar zu einer dicht besiedelten, von der Bebauung aber nicht geschlossenen Kernsiedlung entwickelt hatte, was auch an nicht ablösbarem Besitz von reichsstädtischen Bürgern inmitten der Stiftsstadt lag,1237 um eine Agrarverfassung handelte, die gerade im Umland durch die bäuerliche Bevölkerung und nicht urbare landwirtschaftliche Grundstücke, Felder und Weiden geprägt war.1238 Dies beweist unter anderem auch der Umstand, dass noch am Anfang des 18. Jahr­ hunderts Kühe, Schweine, Hennen und Enten unmittelbar vor der Residenz und damit inmitten der bereits weitestgehend bebauten Stiftsstadt gehalten wurden.1239 Die Siedlungsgeschichte der Stiftsstadt des Fürststifts Kempten zeigt für das 18. Jahrhundert vier Stadteile auf, namentlich den herrschaftli­ chen Bereich um die Residenz, nach Süden die Häuser von wohlhabendem Hofpersonal und bevorzugten Handwerkern, um das Kornhaus und im Nor­ den eine bürgerliche Mittelschicht und nach Westen ein Viertel kleinerer Handwerker und niederen Hofpersonals.1240 Im Übrigen aber war das Stift gerade im Umland in erster Linie agrarisch geprägt und entzog sich zunächst der Eigenschaft als urbar, was die spätabsolutistischen Fürstäbte in Verbin­ dung mit strengen baurechtlichen Vorschriften zu verändern suchten.1241 Von 1236  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 310 ff. 1237  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 199 ff., 209. 1238  Vgl. nur G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kemp­ ten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 338 ff.; T. Horst, Historische As­ pekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereini­ gung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (28 ff.). 1239  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 210. 1240  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 203 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herr­ schaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 338. 1241  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 210 f.; vgl. zu entsprechenden Bestrebungen des Stifts Kempten in den Bereichen Forstwirtschaft und Fischerei auch G. Immler, Die Finanz- und Wirt­ schaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18.  Jahrhundert, in: H.  Röckelein/D.  Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und

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B. Historische Grundlagen

der grundsätzlichen ländlichen Gebietsstruktur aber abgesehen standen fast sämtliche Grundstücke in der Stiftsstadt im Eigentum des Fürststifts Kemp­ ten, so dass in Bezug auf diesen räumlichen Bereich die Grundherrschaft zu einem bedeutenden Instrument der staatlichen Häuser- und Bodenleihe wer­ den konnte.1242 Aufgrund des vergleichsweise relativ hohen Anteils an frei­ eigenem Grundbesitz der Bauern im stiftischen Herrschaftsbereich, der sich bis in die spätere Neuzeit aufrechterhalten sollte, kam der Grundherrschaft im Fürststift Kempten im Vergleich zu den Lehensgütern eine eher marginale Rolle zu,1243 wenngleich die Kategorie der Zinslehen emphyteutisch ausge­ formt war und diese damit in die Nähe von als Zinseigen ausgegebenen Gütern kamen.1244 Im Lichte der ab dem frühen 15. Jahrhundert zu beobach­ tenden Entwicklung der Landesherrschaft Kempten zu einem Territorialstaat wurde der besondere Allgäuische Gebrauch zurückgedrängt, um die in ihm personalitätsbezogen vereinigten Herrschaftselemente der Grund-, Leib- und Gerichtsherrschaft auf das stiftseigene Territorium zu konzentrieren und der Kemptener Fürstabtei unterzuordnen.1245 Die klösterliche Grundherrschaft war schon bis zu diesem obrigkeitsstaatlichen Wandel kein tragender Faktor für die entstehende Landesherrschaft Kempten gewesen, weil sich die in 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u.  a. 2018, S.  347 ff. 1242  Siehe hierzu W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 209 f.; vgl. A. Schwappach, Handbuch der Forstund Jagdgeschichte Deutschlands, Band I, Berlin 1886, S. 102 ff. Grundlegend zum Begriff der Grundherrschaft F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 25. 1243  So P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (203 ff.).; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 f. m. w. N.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhun­ dert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 ff., der aber die bäuerlichen Lehen der Grundherrschaft zuordnet.; T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (29). 1244  E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 162 ff.; J. Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie oder allgemeines System der Stats-Stadt-Haus- und Land-Wirthschaft, und der Kunst-Geschichte, in alphabetischer Ordnung, Teil 69, Berlin 1796, S. 380; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wies­ baden 2017, S. 311 f.; J. Grimm/W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 31, Trier 2001, Sp. 1528. 1245  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bay­ erische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (204 ff.); ders., Leibherrschaft als Instru­ ment der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten279

erster Linie an Ministeriale, d. h. Bedienstete des Stifts, ausgegebenen Grund­ besitzstände gegen Ende des 13. Jahrhunderts zunehmend zu eigenen Herr­ schaften von teilweise nun in den Reichsritterstand aufgestiegenen Kloster­ dienstmannen entwickelt hatten.1246 Zudem war im Bereich der Grafschaft Kempten eine Grundherrschaft über die vielen freien Bauern zunächst über­ haupt nicht möglich, weshalb die reichsfürstlichen Obrigkeiten im Zuge der territorialstaatlichen Entwicklung nun versuchten, diese wie auch die gegen­ über den Unfreien bessergestellten Freizinser zu Leibeigenen des Stifts zu degradieren, überdies gab es noch Bauern, die unter der Grundherrschaft ei­ nes fremden Adelsträgers standen, weshalb auch insoweit der Austausch von Leibeigenen erst die Voraussetzung für die Ausübung von territorialitätsbezo­ genen lehens- und grundherrlichen Rechten verwirklichte.1247 Durch die ob­ rigkeitsstaatlichen Bestrebungen und die gelenkte Abnahme des besonderen Allgäuischen Gebrauchs nahm aber die Grundherrschaft im frühmodernen Klosterstaat Kempten Mitte des 15. Jahrhunderts etwas zu, womit neben die im Hochmittelalter in erster Linie auf Adelige und Ministeriale angewandte klösterliche Häuser- und Bodenleihe nun auch vermehrt die bürgerliche und bäuerliche Grundleihe gegen Abgaben trat.1248 Nicht zu vernachlässigen ist im Zusammenhang mit dem Fürststift Kempten auch die ab dem 14. Jahr­ hundert in Mitteleuropa sich vollziehende Entvölkerung durch den Schwar­ zen Tod der Pestepidemie, weshalb die dahingesiechten Bauern notwendiger­ weise für die anstehende landwirtschaftliche Kultivierung kompensiert wer­ 1246  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bay­ erische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (203 f.); vgl. ders., Leibherrschaft als In­ strument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Be­ deutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 5 f. m. w. N. 1247  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bay­ erische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (204 ff.); M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 ff.; vgl. auch J. Goetze, Ein Appellationsprozeß vor dem kaiserlichen Kammergericht 1473/74. Zur Geschichte der Herrschaftsintensivierung der Fürstäbte von Kempten, in: Zeitschrift für bayeri­ sche Landesgeschichte 1975 (38), 486, (501 f.); S. Sugenheim, Geschichte der Aufhe­ bung der Leibeigenschaft und Hörigkeit in Europa, St. Petersburg 1861, S. 364 f. mit Fn. 2 auf S. 365. 1248  Siehe zur gesamten Entwicklung der Grundherrschaft im Fürststift Kempten einschließlich der damit verbundenen Erhebungen der Bauern im Rahmen der Bau­ ernbefreiungskriege seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts P. Blickle, Die Land­ standschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (204 ff.); vgl. auch M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 f. m. w. N., der davon spricht, dass sich zwar unter den Neuerwerbungen von Eigenklostergütern des Stifts bedeutende Kom­ plexe befanden, der Anteil des Stifts am Gesamtbestand der Höfe und Grundstücke im Kemptener Raum vor der Säkularisation aber lediglich 11 Prozent umfasste. Zur Grundherrschaft im Zusammenhang mit der Entstehung der modernen Staaten F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 25 ff.

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B. Historische Grundlagen

den mussten.1249 Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts kam zudem aufgrund der vermehrten Zuwanderung in die Stiftsstadt und der damit verbundenen Raumnot die Erforderlichkeit der Erschließung neuer Siedlungen im Umland hinzu, weshalb die Grundherrschaft im Fürststift Kempten auch unter diesem Aspekt zunahm.1250 Gleichzeitig wurden die bereits mit Häusern und Herber­ gen bebauten Grundstücke nun vermehrt als zinseigene Güter vergeben,1251 womit sich die Grundherrschaft des Fürststifts Kempten zu diesem späteren Zeitpunkt zumindest von den eingesetzten Instrumentarien, wenn auch nicht vom Umfang, von den mittelalterlichen Grundherrschaften und sonstigen Verleihungen von Grund und Boden anderer süddeutscher Bistümer und Klöster nicht unterschied.1252 Neben den freien und grundhörigen Bauern, auch als Urbarbauern be­ zeichnet,1253 gab es die leibeigenen Bauern, die zu den genannten Abgabelas­ ten noch zusätzliche persönliche Frondienste zu erbringen hatten.1254 Im Fürststift Kempten wurden dementsprechend neben den vielen freien Bauern Gotteshaushuber angetroffen, die als Grundholden zu Leibrecht auf den stif­ tischen Gütern saßen.1255 Abzugrenzen waren die Bauern schließlich grund­ sätzlich von dem Personenkreis kleiner Handwerker wie Schmiede, Sattler, Wirte, Krämer, Bierbrauer, Müller, Schneider oder Schuster, die zwar keine Bauern im engeren Sinne waren, diesen aber vom Status nahestanden, und als Besitzer von fremden Grundstücken in der Form von Höfen oder einzel­ nen Häusern ebenfalls den grundherrschaftlichen Beziehungen unterworfen sein konnten.1256 Dies hatte insbesondere für die Verleihung des klösterlichen 1249  Vgl.

F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 74. Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 213, 216 ff., 289 ff. 1251  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 209 f. Siehe hierzu beispielhaft StAA, Fürststift Kempten, Hofkammer Bände 291, Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Martinszell u. a., Lauf­ zeit 1717–1744, Rottach. 1252  Vgl. P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (204 ff.); E. Gothein, Wirtschaftsge­ schichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 160 ff. 1253  F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 27. 1254  F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 67 ff. 1255  G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geist­ licher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 347 f., 355 ff. 1256  F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 63. Zu der Ent­ wicklung des Kleinhandels und der Handwerker im Fürststift Kempten W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S.  282 ff.; vgl. G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten 1250  W. Petz,



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten281

Grundbesitzes in der fürstlich-kemptener Stiftsstadt, aber auch in den unmit­ telbaren Randzonen bzw. im angrenzenden Umland Bedeutung, als dort ab dem 18. Jahrhundert Handwerker auch wegen einer zunehmenden berufs­ ständischen Überbesetzung in der Stiftsstadt zunehmend ansässig wurden.1257 Dies war im Fürststift Kempten beispielsweise auch für die Siedlung uff der Rotach der Fall.1258 Der Grundherr war die Kemptener Fürstabtei, deren Rechte über den Grundbesitz von dem Fürstabt im Rahmen seiner weltlichen Macht ausgeübt wurden.1259 Die Bauern oder der an diese angenäherte Per­ sonenkreis wurden damit zu Adressaten eines an eine Naturalien- bzw. Abga­ benlast gebundenen Nutzeigentums, wobei erstere regelmäßig auch einen Zehnten an die Obrigkeit abführen mussten, womit auf diesem Wege zudem eine wirtschaftliche Einnahmequelle für das Stift generiert wurde.1260 Die bäuerliche Betriebsstruktur auf von der Obrigkeit ausgegebenen land­ wirtschaftlichen Nutzflächen war gerade in Schwaben ab dem späten Mittel­ alter grundsätzlich ein bedeutender Wirtschaftsfaktor geworden, der neben die adeligen und klerikalen Eigenwirtschaften trat und den werdenden Lan­ desherren wie auch den Kirchen als Gegenleistung grundherrschaftliche Ab­ gaben in der Form von Stiften, Gülten und unregelmäßigen Besitzwechselab­ im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 338 ff. 1257  Vgl. W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 287, 289 ff. 1258  StAA, Fürststift Kempten, Hofkammer Bände 291, Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, Rottach; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 293. 1259  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 30  ff.; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 29 ff., 33 ff. 1260  T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (29); G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahr­ hundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 338 ff., 347 ff.; vgl. J. Kirchinger, Landwirtschaft (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit), publiziert am 01.12.2015, in: Historisches Lexikon Bayern; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dog­ matischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 425 f. Grund­ sätzlich zu der Abgabeform des Zehnten J. Bichler, Die Grundherrschaft Spital in der Weitau (Leukental) vom Ausgang des Mittelalters bis zur Grundentlastung 1848 – ein Beitrag zur Geschichte des Freistifts Nordtirol, Frankfurt a. M. 1929, S. 21 ff.; M. Bader, Das Lehenswesen Herzog Heinrichs XVI. des Reichen von Bayern-Landshut, München 2013, S. 205 f.

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B. Historische Grundlagen

gaben, d. h. Laudemien und Handlöhne, einbrachte.1261 Aufgrund der territo­ rialen Zusammensetzung des Hoheitsgebiets der Kemptener Fürstabtei aus Marktflecken, Dörfern, Weilern und Einzelhöfen1262 war der Grundbesitz des Stifts im Umland des Kerngebiets der Stiftsstadt zerstreut und umfasste auch in größerer Entfernung liegende Bauernhöfe wie auch Almen, Weiden, Felder sowie sich auf Gewässer wie Weiher beziehende Fischereigerechtsame.1263 Der grundherrschaftliche Besitz erstreckte sich allgemein auf größere und kleinere Höfe, aber auch auf kleinere Besitzstücke, worunter neben landwirt­ schaftlichem Nutzland auch Gartengrundstücke, Fluss- und Seenutzungen, kleinere Ackerstreifen, Waldanteile sowie Riede und Moose fallen konn­ ten.1264 Daneben wurde die Grundherrschaft auf kleinere Handwerker und Tagelöhner, insbesondere aber auch auf die Bediensteten der Kirche, angewandt,1265 die entsprechend den vertraglichen Bedingungen der Leihe auch die Errichtung von später in einzelne Herbergen als ausgeschiedene Gebäudebestandteile aufgeteilten Häusern beinhalten konnte, auf denen dann regelmäßig auch die entsprechenden Handwerkergerechtigkeiten lasteten.1266 Im Fürststift Kempten gab es im Ergebnis zahlreiche Einödhöfe, die unter anderem durch die Vereinödungspolitik des Stifts unter Fürstabt Anselm Reichlin von Meldegg weiter gefördert wurden, um die landwirtschaftliche Produktion als den wichtigsten Faktor der agrarischen Wirtschaftsform kon­ 1261  J. Kirchinger, Landwirtschaft (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit), publiziert am 01.12.2015, in: Historisches Lexikon Bayern; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 423. 1262  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 196; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 314 ff.; M. Weis, Das ehe­ malige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234. 1263  Vgl. G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 347 ff.; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 34. 1264  Vgl. G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 347 ff.; F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 63. 1265  Vgl. F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 63. 1266  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 220 f., 234.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten283

zentrierter und damit auch effizienter zu gestalten.1267 Als Gründe für die Vereinödung wurden im Fürststift Kempten mitunter „ ‚die schlechte Ernährung des Viehs, das weit zum Futter laufen musste‘, das ‚zu frühe Austreiben des Viehs oder der Überbesatz der Weiden‘, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auftauchende Wunsch nach Aufteilung des Gemeinde­ landes (…) (, d. h. der Allmende), das Streben nach wirtschaftlicher Besserung, die Streitigkeiten der Bauern untereinander, (die) Kostenersparnis, (die) Beseitigung der Feuersgefahr sowie die Mobilität des Bodens und die geistige Beweglichkeit der Bewohner (…) (vorgebracht).“1268

Denn die Einödhöfe zeichneten sich oftmals durch große Areale aus, die von der Bewirtschaftungsstruktur her unübersichtlich geworden waren, was einer angemessenen Kultivierung der Flächen abträglich war.1269 Auch bei der Grundherrschaft galt grundsätzlich das Dogma des geteilten Eigentums, d. h. eines Obereigentümers über den herrschaftlichen Grund und Boden, der die grundherrlichen Rechte des dominium directum ausübte, und eines Un­ ter- bzw. Nutzeigentümers, dem die Nutzungsrechte über die Sache im Sinne des dominium utile eingeräumt waren, welches obgleich der durch die Glos­ satoren, d. h. die Rechtsgelehrten des 12. und 13. Jahrhunderts, bedingten Entlehnung aus dem römischen Recht1270 das gesamte Recht der liegenden

1267  T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (28 ff.); G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahr­ hundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u.  a. 2018, S.  359 ff.; P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grundbuchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (421 f.). 1268  T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (30); Hervorhebungen im Original. 1269  Zu dem Modell der landwirtschaftlichen Einödhöfe in Bayern grundsätzlich F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 64. Als steuerliche Be­ messungsgrundlage diente der Hoffuß, worunter die Einteilung der nach der Maß­ einheit Tagwerk bemessenen Grundbesitze in ganze Höfe, halbe Höfe, Viertel-Höfe, Achtel-Höfe, Sechzehntel-Höfe und Zweiunddreißigstel-Höfe verstanden wurde.; vgl. F. Lütge, ebd., S. 66. 1270  A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über ein­ zelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 77 ff.; Ch. Trefurt, Sys­ tem des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hof­ rath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 95; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 43; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S.  63 f.

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B. Historische Grundlagen

Güter in der Kemptener Fürstabtei überlagerte.1271 In dem geistlichen Klos­ terstaat Kempten galt andererseits die Besonderheit, dass auch die bäuer­ lichen Lehen als „wirkliche Lehen im strengen Sinne des Rechts“ angesehen wurden, welche neben dem als Gotteshausgüter bezeichneten stiftischen Ur­ bargut, das regelmäßig zu Leibrecht an grundherrschaftlich gebundene Bau­ ern verliehen war, standen.1272 Grundsätzlich aber wurde noch bis in die späte Neuzeit hinein in der Kemptener Fürstabtei zwischen den disponieren­ den Rechten des Obereigentümers und denen des Untereigentümers unter­ schieden,1273 wobei sich auch hier im Fürststift Kempten ab dem 18. Jahr­ hundert in Konformität mit der Entwicklung bei den Lehensgütern eine Re­ lativierung des dominium directum des Stifts abgezeichnet hatte, wonach die Weitergabe des emphyteutischen Grundstücks bzw. grundsätzlich auch der darauf errichteten ganzen Häuser und Herbergen nicht mehr aus der Hand des regierenden Monarchen erfolgen musste, sondern die entsprechende Zu­ stimmung der höheren Behörde zu dem Rechtsgeschäft genügt hatte.1274

1271  StAA, Lehenhof Bände 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  3  ff.; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verord­ nungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XLIX ff.; vgl. M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwi­ schenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. mit Fn. b; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 7 ff. Grundsätzlich zur Lehre vom geteilten Eigentum G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 ff.); A. Thibaut, Über dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der The­ orie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 71 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S. 332 f. 1272  G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S.  355 m. w. N. 1273  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21. 1274  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII. Dies stellte bereits eine dem Alod angenäherte Form des Eigentums dar.; vgl. K.-H. Spieß, Lehn(s)-recht, Lehnswesen, in: A. Erler u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band II, Berlin 1978, Sp. 1737 f.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten285

b) Die kirchliche Emphyteuse und die Bodenzinsgerechtigkeit bei Herbergen – zinseigene Güter und Zinslehen Die allgemeine Rechtsnatur der hochmittelalterlichen Leihe ist die einer erblichen Leihe, eines ius hereditarium, in deutschen Urkunden auch als Erbzinsrecht, Erbrecht, Erbschaft, Erbpacht, Erbe, von kirchlichen Gerichten auch als Emphyteuse bezeichnet.1275 Davon zu unterscheiden ist das in erster Linie auf Stadtgründungen bezogene Burgrecht, das als ein von dem Grund­ herrn gegen die Begründung eines Zinsrechts ausgetanes Recht verstanden werden konnte, um etwa reiche Allodien zu Bauplätzen zur Verfügung zu stellen und so die Entwicklung der Städte zu befördern, weshalb es sich in­ soweit auch mehr um einen Vogteizins handelte, der dann später in einen Grundzins übergehen konnte.1276 Eigentum und Leihe bzw. Erbrecht standen sich bis in das späte Mittelalter als aufeinander bezogene Gegensätze gegen­ über, woraus gerade in geistlichen Territorien wiederum die begriffliche Un­ terscheidung des Eigentums als dominium directum und des Erbzinsrechts als dominium utile abgeleitet wurde, was sich andererseits im Recht der deutschen Herrschaftshäuser in den relativ einfachen Ausdrücken Eigen und Erbe widerspiegelte.1277 Das hochmittelalterliche Rechtsinstitut der Leihe ermöglichte, dass der Grund und Boden der Herren einer konkreten Nutzung wie auch einer Bebauung dienen konnte, sei es durch einen landwirtschaft­ lichen Betrieb oder die Errichtung von Häusern,1278 womit die rechtliche Grundlage für das spätere Wachstum der frühmodernen Staaten und Städte geschaffen war.1279 In diesem Sinne war eine Gesellschaftsordnung festge­ 1275  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S.  142 f.; F. C. v. Savigny, Landrechtsvorlesung 1824, Band I: Einleitung, all­ gemeine Lehren, Sachenrecht, Frankfurt a. M. 1994, S. 342 ff.; S. Schlinker/H. Ludyga/ A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 6; vgl. auch H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Ge­ setzbuche vom 09.06.1899, München 1899, S. 742. 1276  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S.  142 f. 1277  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 144 f.; vgl. W. Dannhorn, Römische Emphyteuse und deutsche Erbleihe, Köln u. a. 2003, S. 14. 1278  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 145; C. v. Schwerin, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., Berlin u. a. 1928, S. 149. 1279  A. Schwappach, Handbuch der Forst- und Jagdgeschichte Deutschlands, Band I, Berlin 1886, S. 102 ff.; C. v. Schwerin, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., Berlin u. a. 1928, S. 149; K. Winkler/J. Schlögel (Hrsg.), Handbuch des Erb­ baurechts, 6. Aufl., München 2016, § 1 Rn. 1; vgl. M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senatsund Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. mit

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legt, die sich mit den Merkmalen Eigentum und Freiheit einerseits, abgelei­ teter Besitz und Unfreiheit andererseits beschreiben lässt, wobei den dinglich Beliehenen in den Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bereits früh das volle Nutzeigentum zuerkannt worden war, was zu­ mindest als Vorstufe eines später weitgehend allodifizierten Eigentums ange­ sehen werden konnte.1280 Zwar wurde die Emphyteuse bzw. Erbpacht vorran­ gig bei wüsten Ländereien zum Zwecke der Urbarmachung gebraucht, ihr sachlicher Anwendungsbereich erweiterte sich aber im Laufe der Zeit auf Grundstücke aller Art sowie auch auf Gebäude, unabhängig davon, ob es sich um ein ländliches Grundstück zur Fruchtziehung oder bereits um ein städtisches Grundstück gehandelt hatte.1281 Aus diesem Telos ergibt sich, dass die kirchliche Emphyteuse bzw. Erbleihe als Rechtsinstitut zunächst zwar auf bereits bebaute Liegenschaften ausgerichtet war, was aber nicht im Sinne einer nutzungsbezogenen Ausschließlichkeit gesehen werden konn­ te.1282 Im Klosterstaat Kempten galten die Grundsätze der kirchlichen Emphyteu­ se.1283 Das aus dem römischen Recht entstammende Rechtsinstitut beinhal­ tete grundsätzlich vor allem das dingliche Recht, ein städtisches Grundstück von den Landesherrn, den städtischen Obrigkeiten, aber auch von Privatper­ sonen, zu einer bestimmten Nutzung zu pachten.1284 Die Emphyteuse stellte Fn. b; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 7 ff. 1280  C. v. Schwerin, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., Berlin u. a. 1928, S. 149; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 34, 258 ff. Zum bereits vollen Nutzeigentum J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzoglich Badische bürgerliche Gesetzge­ bung, Karlsruhe 1809, S. 579; K. Winkler/J. Schlögel (Hrsg.), Handbuch des Erbbau­ rechts, 6. Aufl., München 2016, § 1 Rn. 1. 1281  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 3 ff. 1282  Vgl. A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 3 ff. 1283  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 11 ff.; vgl. G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statu­ tar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Geset­ zen, Augsburg 1841, S. 109. 1284  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8, 11 ff.; J. Runde, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Göttingen 1801, S. 447 f.; A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 1 ff.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 423; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 6.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten287

dabei allgemein „das dingliche, vererbliche und veräußerliche Recht an fremdem Grund und Boden (dar), vermöge dessen der Inhaber gegen Ent­ richtung eines jährlichen Canons das volle Gebrauchs- und Benutzungsrecht des Grundstücks, soweit dieses dadurch nicht deteriorirt (…) (wurde), hat(te)“,1285 und mit der regelmäßig im Bereich der landesherrlichen Grund­ herrschaft bestimmte Grundgerechtigkeiten verbunden waren, d. h. emphyteu­ tische Besitzformen wie das Erbrecht, das Leibrecht oder das Leibgedinge, die nach dem Tod des Emphyteuten endeten, wobei später dann Abkömm­ linge als nachfolgende Grundholden gewählt wurden, zudem das Neustift­ recht für die Lebenszeit des Grundherrn und das zeitlich kündbare Freistift­ recht.1286 Bei der kirchlichen Emphyteuse galten die Grundsätze einer Veräu­ ßerung von Kirchengütern, d. h., dass diese durch einen contractus emphyteu­ ticarius begründet wurde, womit ein dingliches Recht der Nutzung an dem Vertragsobjekt einherging.1287 Außerdem bedurfte der Konsensualkontrakt im Gegensatz zu den Modalitäten bei der weltlichen Emphyteuse der konstitutiv wirkenden Schriftform, um überhaupt Gültigkeit zu erlangen.1288 Im Übrigen war regelmäßig auch noch eine gerichtliche Bestätigung des emphyteutischen Kontrakts erforderlich.1289 Die Emphyteuse begründete im Allgemeinen wie auch in der Kemptener Fürstabtei kein Eigentumsrecht im heutigen Sinne, auch wenn den Pächtern ein Gut dauerhaft zu vollem Eigentum gegeben 1285  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 3; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 424; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 38 f. 1286  F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 76 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 42 ff. Zur relativ unein­ heitlichen Terminologie und Dogmatik der verschiedenen unter den Begriff der Em­ phyteuse fallenden Erbleiheformen im mittelalterlichen süddeutschen Raum W. Dannhorn, Römische Emphyteuse und deutsche Erbleihe, Köln u. a. 2003, S. 89 ff.; vgl. zu den entsprechenden Gotteshaushubern in der Kemptener Fürstabtei G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 347 ff. Der Begriff Grundgerechtigkeit wurde im 19. Jahrhundert allgemein dann für das Rechtsinstitut der Dienstbarkeiten verwendet; vgl. F. C. v. Savigny, Landrechtsvorlesung 1824, Band I: Einleitung, allgemeine Lehren, Sachenrecht, Frankfurt a. M. 1994, S. 333 ff. 1287  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 6 ff. 1288  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 8 f.; vgl. J. Runde, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Göttingen 1801, S. 447 f.; W. Dannhorn, Römische Emphyteuse und deutsche Erbleihe, Köln u. a. 2003, S. 12 ff. 1289  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 10 f.

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B. Historische Grundlagen

wurde.1290 Denn auch hier handelte es sich lediglich um ein volles Unter­ eigentum, das die Dispositionshoheit des Fürststifts Kempten im Sinne des dominium directum unberührt ließ.1291 Im Zusammenhang mit den Herber­ gen ist andererseits aber wissenschaftlich nachgewiesen worden, dass es im Münchener Raum und andererorts in der frühen Neuzeit bereits Konstella­ tionen gab, wo das entsprechende Leihegut in der Form eines mit Herbergen bebauten Grundstücks bereits in ein Allod und der Zins in eine Reallast­ berechtigung umgewandelt worden waren.1292 Der Grund und Boden in der Münchener Au sowie in den benachbarten Orten Giesing und Haidhausen stand unter dem Prinzip der Grundgerechtigkeiten.1293 Die Grundholden mussten für die Nutzung des herrschaftlichen Grund und Bodens Frondienste und Geldabgaben entrichten, wobei unter die letzteren insbesondere die grundherrlichen Zinsen fielen.1294 Daneben gab es das Laudemium im Falle einer besitzwechselbedingten Übergabe.1295 Im Münchener Raum führte die­ 1290  G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S.  347 f.; J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großher­ zoglich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809, S. 579; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S.  98 f.; A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band  II, Leipzig 1848, S.  16  ff.; S. Schlinker/H. Ludyga/ A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 6. 1291  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 11 ff., 21; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 347 ff.; vgl. Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 99; A. Schmid, Handbuch des gegen­ wärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 16 ff., 34 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungs­ gesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 325. 1292  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 46 ff., 57 ff., 65 ff.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 10; vgl. hierzu auch K. Winkler/J. Schlögel (Hrsg.), Handbuch des Erbbaurechts, 6. Aufl., München 2016, § 1 Rn. 1; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 278 ff. 1293  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 45 ff. 1294  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 45 ff. 1295  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 46; vgl. G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dog­ matischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u.  a. 1888, S. 425  f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 6.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten289

ses System unter Berücksichtigung des lokalen Gewohnheitsrechts bei den Herbergen zu einer besonderen Symbiose aus Freieigentum und Grundzins­ pflicht, die als eine emphyteutische Abwandlung in der Form einer reallast­ ähnlichen Bodenzinsgerechtigkeit aufzufassen war.1296 Eine ähnliche Ent­ wicklung war auch bei den Herbergen im Fürststift Kempten zu beobachten. Denn auch hier setzte sich im Rahmen der neuzeitlichen Grundherrschaft im Lichte des Schwabenspiegels ein grundzinsiges Freieigentum an Herbergen durch.1297 Der Schwabenspiegel hatte vorgegeben, dass ein Zinslehen grund­ sätzlich kein rechtes Lehen war,1298 weil der Grund und Boden an den Grundholden für einen jährlichen Zins verliehen wurde, und nicht gegen die dem Lehenswesen immanenten höheren Leistungen, die im Mittelalter ge­ mäß dem Treueid insbesondere in militärischen Diensten bestanden hat­ ten.1299 Das Zinslehen war deshalb eine Mischform aus Lehen und Em­ phyteuse, die sich bei den Herbergen unter anderem in einer Bodenzinsge­ rechtigkeit manifestierte.1300 Die Lehenszinsgüter wurden deshalb einmal seitens der Obrigkeit gegen eine jährliche Zinszahlung ausgegeben, wobei die Güter gegen Afterzinse auch weiterverliehen werden konnten und der Heimfall erst eintrat, wenn die auf dem Gut lastenden Zinsen nicht mehr gezahlt werden konnten.1301 Mit der Durchsetzung der Vererbbarkeit der Lehen waren die Zinslehen später auch frei veräußerbar und unterschieden sich damit nicht mehr von den zu Zinseigen ausgegebenen Gütern,1302 die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die eigentliche Form der Leihe von bestehenden Häusern und Herbergen im reichsfürstlichen Hoheitsgebiet des Stifts Kempten ausmachten.1303 Im Falle des Verkaufs einer Herberge nahm das entsprechende Rechtsgeschäft den Charakter der Verfügung eines vollen 1296  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 46 ff., 57 ff., 65 ff.; vgl. S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, Mün­ chen 2019, § 16 Rn. 2 f. 1297  StAA, Fürststift Kempten, Hofkammer Bände 291, Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, Rottach; vgl. auch StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8. 1298  J. Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, Argentorati 1728, S. 15. 1299  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 2, 17; C. v. Zedtwitz, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Versicherung, Zürich 2000, S. 65 f. 1300  F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S. 311. 1301  C. Jäger, Schwäbisches Städtewesen des Mittelalters, Band I, Stuttgart u. a. 1831, S.  329 ff. 1302  E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S. 161 ff. 1303  Vgl. W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 209 f.

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B. Historische Grundlagen

Nutzeigentums mit einer Zinslast an, womit wiederum ein faktisches Mi­t­ eigentum verbunden war.1304 Die Hofkammer des reichsfürstlichen Kloster­ staates Kempten beschwerte sich im Jahre 1764 schließlich beim Fürstabt darüber, dass viele Güter als zinsige Freieigen ausgegeben worden waren,1305 wobei die Verwirklichung von etwaigen Bauvorhaben Bedingung der reichs­ fürstlichen Zustimmung zur Weitergabe des Grundbesitzes sein konnte.1306 Analysiert man einzelne Urbarbücher und die Landtafelbände der Kemptener Fürstabtei des 18. Jahrhunderts fällt im Ergebnis auf, dass die auf herrschaft­ lichem Grund und Boden errichteten Herbergen zu dieser Zeit bereits regel­ mäßig im Freieigentum standen und grund- bzw. bodenzinsig waren, womit die emphyteutische Bodenzinsgerechtigkeit deutlich zu erkennen ist.1307 Das herrschende Besitzrecht bestand dabei im Erbrecht bzw. in einem diesem angenäherten Leibrecht bzw. Leibgedinge.1308 Davon zu unterscheiden waren die Bauernlehen, auch Schupf- oder Falllehen genannt, die nach entsprechen­ den Gebäudeteilungen Herbergen beinhalten konnten, als geliehene Sachen aber auch sonstige Güter wie Weiden, Wiesen und Felder umfassten, wobei neben die Abgabenlast eines Zinses oftmals auch ein Zehnten trat.1309 Dass sich die Kategorie der aus dem Schwabenspiegel entlehnten Zinslehen im 1304  Vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deut­ schen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 40 ff. 1305  W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), Mün­ chen 1998, S. 209 f. 1306  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, Hofkammer Bände 291, Rottach, wo ver­ merkt ist, dass etwaige zu bauende Häuser nicht zustande kamen. 1307  StAA, Fürststift Kempten, Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, Hofkammer Bände 291, Rottach; Stadtarchiv Kempten, Landtafelbände der Gemeinde Sankt Lorenz II, Einträge zu Gemeinde St. Lorenz, Rottach unter dem Vorbehalt späterer Änderungen im Königreich Bayern; zu letzterem auch Stadtarchiv Kempten, Landtafelbände der Gemeinde Sankt Lorenz I, Blatt 5 zu den Dominical-Verhältnissen. Grundsätzlich zu den Urbaren M. Bader, Urbare, publiziert am 19.11.2014, in: Historisches Lexikon Bayern. 1308  Vgl. Stadtarchiv Kempten, Landtafelbände der Gemeinde Sankt Lorenz I, Blatt 5 zu den Dominical-Verhältnissen; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspoli­ tik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 347 f. Grundsätzlich zu den Besitzrechten bzw. Grundgerechtigkeiten des Erbrechts bzw. der daran angenäherten Leibfälligkeit F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 80 ff. 1309  Zu der geschichtlichen Entwicklung der Bauernlehen F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S. 80; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privat­ rechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 425 f.; W. Störmer, Grundherrschaften frühmittelalterlicher Klös­ ter und Stifte im Wandel des Hochmittelalters, in: W. Rösener (Hrsg.), Grundherr­ schaft und bäuerliche Gesellschaft im Hochmittelalter, Göttingen 1995, S. 196, 209.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten291

Fürststift Kempten durchgesetzt hat,1310 zeigt sich insbesondere auch an der besonderen Güterklasse der Bodenzinsfelder, die in dieser Form nur im stif­ tisch-allgäuerischen Raum vorkamen und wie die eigentlichen Erbpachtgüter gegen einen jährlich zu entrichtenden Bodenzins eigenständig genutzt wer­ den konnten, und dabei unbeschränktes, aber weiterhin herrschaftliches Ei­ gentum des Fürststifts Kempten darstellten, das im Sinne des Freistiftrechts stündlich abgelöst werden konnte.1311 In diesem Sinne waren die Gotteshaus­ huber die zu Leibrecht auf stiftischen Gütern sitzenden Grundholden.1312 Dabei ist hinsichtlich der Forstwirtschaft hervorzuheben, dass diese anderer­ seits auch im Obereigentum und damit unter der Forsthoheit des Stifts ste­ hende Wälder als Nutzeigentum erhielten, wobei es auch Waldteile gab, die einzelnen freien Untertanen gehörten.1313 Diese unterstanden aber den ge­ setzlichen Regelungen des Stifts, woraus wiederum eine Oberhoheit resul­ tierte, die sich in Verboten und Einschränkungen des Holzverkaufs auswirken konnte.1314 Andererseits bezog sich die Grund- und Pachtherrschaft im Fürst­ stift Kempten auch auf die Fischerei.1315 Das Obereigentum blieb aber entge­ gen den Verhältnissen in sonstigen deutschen Territorien bis zu der Auflösung 1310  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8. 1311  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109. Zum (kirchlichen) Freistiftrecht T. Meyer/K. Karpf, St. Peter und darü­ ber hinaus, Spittal an der Drau 2006, S. 22 ff.; H. Reitmeier, Das Hypothekenbuch – Ein Beitrag zur Quellenkunde, Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familien­ kunde 2008 (71), 112, (113); J. Bichler, Die Grundherrschaft Spital in der Weitau (Leukental) vom Ausgang des Mittelalters bis zur Grundentlastung 1848 – ein Beitrag zur Geschichte des Freistifts Nordtirol, Frankfurt a. M. 1929, S. 12 f. Zu dieser frei­ stiftischen Bodenzinsgerechtigkeit als Ausnahme im Münchener Raum W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 66. 1312  G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S.  347 f. 1313  P. Blickle, Wem gehörte der Wald?, in: ders., Studien zur geschichtlichen Be­ deutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 37 ff., G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 347 f. 1314  G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 347 ff.; vgl. P. Blickle, Wem gehörte der Wald?, in: ders., Studien zur geschicht­lichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 38 ff. 1315  G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im

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B. Historische Grundlagen

des Stifts erhalten, was nur zeigt, dass die einzelnen Stufen zum allodifizier­ ten Eigentum in den deutschen Territorien uneinheitlich waren.1316 Im Ergeb­ nis begründete die Emphyteuse im Fürststift Kempten wie auch die Erbleihe oder Erbpacht in sonstigen deutschen Territorien deshalb ein eigentumsähnli­ ches Recht gegen die jährliche Zahlung einer entsprechenden Abgabe, wobei der Emphyteut bzw. Erbpächter die ordentlichen wie auch außerordentlichen Lasten des Grundstücks zu tragen hatte.1317 Im Gegenzug durfte der Em­ phyteut das geliehene Gut uneingeschränkt wie ein Eigentümer nutzen und auch etwaige Veränderungen an der Substanz der Sache vornehmen, wobei eine stillschweigende Grenze darin bestand, dass er durch die konkrete Art der Benutzung keine Verschlechterung des emphyteutischen Objektes bewir­ ken durfte, sondern vielmehr auf eine Verbesserung des grundherrschaft­ lichen Gutes hinzuwirken hatte.1318 Mit der Aufhebung bzw. dem Erlöschen der Emphyteuse nach Eintritt des Endtermins trat dann wieder das volle Ei­ gentum des durch die emphyteutische Leihe auf bestimmte Dauer beschränk­ ten Nutzeigentums ein.1319 Von diesen emphyteutischen Rechtsverhältnissen zu unterscheiden waren die auf Gebäude auf fremden Grund und Boden beschränkten superficies, weshalb die durch ein Superfiziarrecht bedingten Häuser auch Bodenzins­ häuser genannt wurden.1320 Das Wesen der superficies, die ihren Ursprung ebenfalls im römischen Recht hat, lag darin, dass sie dem Inhaber das Recht gab, ein Gebäude auf einem fremden Grundstück zu errichten und unbegrenzt 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 353. 1316  Vgl. W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Ba­ sel 1861, S. 285; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694– 1836), München 1998, S. 210. 1317  G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S.  347 ff.; A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deut­ schen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 31 ff.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Be­ ziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 424; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Pri­ vatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 6. 1318  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 14; A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 16, 30. 1319  Vgl. A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 39 f.; vgl. Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 104 ff. 1320  Vgl. J. Brauer, Erläuterungen über den Code Napoléon und die Großherzog­ lich Badische bürgerliche Gesetzgebung, Karlsruhe 1809, S. 578 ff.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten293

wie ein Eigentümer zu nutzen, womit auch ein erneuter Abriss gestattet war.1321 Die superficies war zwar von ihrem Anwendungsbereich gegenüber der Emphyteuse, die auch sonstige Nutzungen als die ausschließlich auf et­ waige Gebäude bezogenen umfassen konnte, beschränkt, sie verlieh dem In­ haber des superfiziarischen Rechts in Bezug auf das Gebäude aber eine stärkere Rechtsposition, die derjenigen eines echten Eigentümers vergleich­ bar war, während der Emphyteut an die Bedingungen des emphyteutischen Konsensualkontraktes gebunden war.1322 Der Umfang des superfiziarischen Rechts war daher mit Blick auf ein emphyteutisches Recht hinsichtlich der Benutzung des Grundstücks zwar durchaus geringer, in Bezug auf das damit in Verbindung stehende Gebäude aber ausgedehnter.1323 Die superficies, die sich weniger auf landwirtschaftliche Grundstücke bezog, war der Vorgänger des Erbbaurechts.1324 Gleiches kann in gewisser Hinsicht auch von der Häu­ serleihe gesagt werden, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer mehr zu einem emanzipierten Verkauf unter Vorbehalt eines Grundzinses und damit zu einem Sondereigentum auf einem vorbehaltenen fremden Grund entwi­ ckelt hatte.1325 Das Erbbaurecht als beschränkt dingliches und grundstücks­ gleiches Recht wurde zunächst in den Normen der §§ 1012–1017 BGB gere­ gelt und ist heute in dem Erbbaurechtsgesetz normiert, das die inhaltsgleiche

1321  Grundsätzlich A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 57 ff.; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Hei­ delberg 1896, S. 39 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 12. 1322  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 58 ff.; grundsätzlich zum Unterschied von Lehen zur Emphyteuse und zu der superficies G. v. Weber, Handbuch des in Deutsch­ land üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band II, Leipzig 1808, S. 5 f. 1323  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 60. 1324  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 39 f.; S. Räfle, Erbbaurechtsverordnung, Kommentar zur Verordnung über das Erbbaurecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 3, 7; V. Hustedt, in: H. Ingenstau/ders. (Hrsg.), ErbbauRG, Gesetz über das Erb­ baurecht, Kommentar, 11. Aufl., Köln 2018, S. 1 f. 1325  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 40 ff.; S. Räfle, Erbbaurechtsverord­ nung, Kommentar zur Verordnung über das Erbbaurecht unter besonderer Berück­ sichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 3; vgl. V. Hustedt, in: H. Ingenstau/ders. (Hrsg.), ErbbauRG, Gesetz über das Erbbaurecht, Kommentar, 11. Aufl., Köln 2018, S. 1 f., der hier aber davon spricht, dass der Baugrund oftmals unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde.

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B. Historische Grundlagen

Verordnung über das Erbbaurecht vom 15.01.1919 abgelöst hat.1326 Es ist in historischer Hinsicht wahrscheinlich, dass sich auch im Fürststift Kempten die Emphyteuse seit der frühen Neuzeit zunehmend mit dem Rechtsinstitut des superfiziarischen Rechts verband, so wie es auch im Münchener Raum der Fall war.1327 Unabhängig davon kann angemerkt werden, dass abgesehen von der auch städtebaulichen Dimension der superficies, die in gewisser Weise eine dogmatische Durchbrechung des im römischen Recht naturrecht­ lich anerkannten Grundsatzes superficies solo cedit beinhaltet hatte,1328 diese später nach dem gemeinen Recht die dogmatische Grundlage insbesondere von superfiziarischen Kellerrechten, im ehemaligen Königreich Bayern auch als Platzrechte bezeichnet, bei den Herbergen bildeten.1329 Auch wenn es im fürststiftisch-kemptener Recht keinen entsprechenden Nachweis eines super­ fiziarischen Rechts an Gebäuden gab,1330 war die Existenz derartiger Boden­ zinshäuser als eigentumsähnliche Rechte an einem auf fremden Grund und Boden sich befindenden Gebäude ohne weiteres möglich, nachdem in der Kemptener Fürstabtei neben den partikularen stiftisch-zivilrechtlichen Vor­ schriften, d. h. den Statuten des Reichsfürstentums Kempten, „in subsidium“ das gemeine römische Recht Anwendung fand und damit wiederum die Vor­ schriften zu dem Rechtsinstitut der superficies galten.1331 Die darin zu erken­ nende Nähe zu den Herbergen als ausgeschiedene Gebäudebestandteile wird offenkundig, wenn die Definition des Wortes „héberge“ im Rahmen des Werkes „Des loix des bâtiments suivant la coutume de Paris“ aus dem Jahre 1776 angeführt wird, wo steht, „(que) c’est la superficie qu’occupe une 1326  Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 61; S. Räfle, Erbbaurechtsverordnung, Kommentar zur Verordnung über das Erbbaurecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesge­ richtshofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 3; V. Hustedt, in: H. Ingenstau/ ders. (Hrsg.), ErbbauRG, Gesetz über das Erbbaurecht, Kommentar, 11. Aufl., Köln 2018, S.  2 ff.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 13. 1327  Vgl. W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S.  50 ff. 1328  L. Wenger, Superficies solo cedit, Philologus 1933 (88), 254, (255 f.). 1329  Vgl. Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf ei­ nes bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 68 f., 100 f. 1330  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XLIX ff. 1331  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S.  XLVIII f., 36 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 19 f.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten295

maison contre un mur mitoyen, ou l’adossement d’un bâtiment contre un mur mitoyen. Un propriétaire n’est tenu de contribuer au mur mitoyen que suivant son héberge ce qui veut dire suivant l’étendue qu’il en occupe.“1332 Im Ergebnis waren die Herbergen deshalb von der konkreten Rechtsform der Verleihung unabhängig und konnten sich auf lehens- wie grundherrschaft­ lichem Grund befinden, aber auch in der Form eines superfiziarischen Rech­ tes begründet werden.1333 c) Die Herbergen im Lichte von geteiltem Eigentum und Allodifikation Im rechtswissenschaftlichen Diskurs im Übergang zum 19. Jahrhundert wurde die anerkannte Konstruktion eines geteilten Eigentums aus dominium directum et utile einer Revision unterzogen.1334 Die zeitgenössischen Werke zum Privatrecht von führenden Juristen enthielten Erklärungsversuche für das Wesen und die rechtliche Reichweite des dominium utile des Vasallen, des Emphyteuten und des Inhabers eines superfiziarischen Rechts, die aber dogmatisch nicht überzeugen konnten.1335 In diesem Sinne wurde etwa ver­ treten, dass, „so wie actio utilis diejenige heißt, deren Fall nicht eigentlich vorhanden ist, wo­ bey aber im Gericht wegen der Aehnlichkeit es so angenommen wird, als ob der Fall vorhanden wäre: so kann dominium utile ein Recht genannt werden, welches zwar nicht Eigenthum ist, aber im Gericht quoad effectum vindicandi dafür ange­ nommen wird. Dieß geschieht bey der possessio bonae fidei, der Emphyteuse, der (s)uperficies.“1336

Andererseits wurde allgemeiner formuliert, wonach das „Nutzungseigenthum (…) das besondere dingliche Recht an einer fremden Sache (ist), vermöge dessen jemanden die vollkommenste Nutzung derselben, verbunden mit einer eingeschränkten Disposition über die Substanz der Sache und dem Rech­

1332  M. Desgodets,

S. XX.

Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776,

1333  Vgl. nur M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. mit Fn. b; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 7 ff. 1334  A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über ein­ zelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff. m. w. N. 1335  Siehe hierzu nur die Nachweise bei A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff. 1336  T. Schmalz, Handbuch des römischen Privatrechts. Für Vorlesungen über die Justinianeischen Institutionen, Königsberg 1801, S. 140 f.

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B. Historische Grundlagen

te, die Sache von einem jeden Besitzer und selbst von dem Eigenthümer derselben oder dem sogenannten Obereigenthümer abzufordern, (…) (eingeräumt ist).“1337

Bei diesen Versuchen einer Begriffsbildung bzw. einer brauchbaren Defi­ nition wurde das dominium utile bereits in Abgrenzung zu dem wahren Ei­ gentum gesehen, blieb aber zunächst noch in der überkommenen Dogmatik eines Ober- und Untereigentums verhaftet.1338 Thibaut brachte die Versuche nach einer Durchdringung der Rechtsnatur des Eigentumsbegriffs dann schließlich auf eine einheitliche Formel: „Solange der Eigenthümer die wesentlichen Proprietäts-Rechte einem anderen nicht gänzlich übertragen hat, und nur bloß erlaubt, daß ein andrer einzelne Rechte an seiner Sache ausübe, ist und bleibt er wahrer Eigenthümer, und die, welche jene einzelnen Rechte concedirt sind, haben nichts weiter (…) als ein ius in re aliena. Wenn man nicht in eine platte contradictio in adiecto verfallen will, so muß man dies annehmen. Das wahre Eigenthum kann nur im condominio an einer und der­ selben Sache mehreren Personen zuständig gedacht werden. Sobald nicht mehrere pro indiviso gleiche Hauptrechte haben, ist Einer wahrer Eigenthümer, und alle, denen sonst Rechte an der Sache zustehen, sind ihm subordinirt, haben also kein Recht an einer eignen Sache, sondern üben nur die Rechte eines Dritten aus.“1339

Damit war die Theorie eines nicht mehr geteilten Eigentums eines nun einheitlichen Eigentümers verbunden, die sich im Lichte der Allodifikation im 19. Jahrhundert allmählich durchsetzen sollte.1340 Im Kontext mit den Herbergen im Fürststift Kempten soll der Blick aber zunächst noch einmal in die Vergangenheit gerichtet werden, um der Frage 1337  Ch. v. Dabelow, Versuch einer richtigern Theorie der Lehren von den Lehns­ schulden dem Lehns-Concurse und dem Verhältnisse der Lehnsgläubiger zu den Allo­ dial-Gläubigern ingleichen des Lehns-Concurses zu dem Allodial-Concurse, Halle 1794, S. 64. 1338  Ch. v. Dabelow, Versuch einer richtigern Theorie der Lehren von den Lehns­ schulden dem Lehns-Concurse und dem Verhältnisse der Lehnsgläubiger zu den Allo­ dial-Gläubigern ingleichen des Lehns-Concurses zu dem Allodial-Concurse, Halle 1794, S.  57 ff.; A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff. 1339  A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über ein­ zelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 86; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S.  95 f.; H. Kiefner, Thibaut und Savigny – Bemerkungen zum Kodifikationsstreit, in: A. Buschmann (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Gmür zum 70. Geburtstag, Bielefeld 1983, S. 56. 1340  G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 ff.). Damit war eine Rückkehr zum einheitlichen Eigentumsbegriff des römischen Rechts verbunden.; so H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privat­ rechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 64.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten297

nachzugehen, wann sich das dominium directum des stiftischen Obereigentü­ mers an liegenden Gütern einschließlich der Häuser und Herbergen derart zurückgebildet hatte, dass an diesen annähernd ein allodifiziertes Eigentum entstehen konnte, bzw. in welchen Abschnitten sich dieser Prozess vollzogen hat. Ein Anschauungsfall wird die Ausgangslage noch einmal verdeutlichen. Ein nichtadeliger Vasall erhält ein Beutellehen, das als Zinslehen sui generis ausgestaltet ist und deshalb einem Grundzins unterliegt.1341 In dem Lehens­ vertrag wird vereinbart, dass der Untertan auf dem herrschaftlichen Grund und Boden eine Herberge errichten darf. Nach einem einheitlichen Eigen­ tumsbegriff unter Zugrundelegung des römischrechtlichen Grundsatzes su­ perficies solo cedit würde der Vasall mit dem Erwerb des Grundstücks auch das Eigentum an der Herberge erhalten,1342 was in den unterschiedlichen deutschen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, wo die Möglichkeit eines Sondereigentums an einem Haus unabhängig von dem Eigentum an Grund und Boden im Lichte der Grundsätze eines geteilten Eigen­tums anerkannt war, auch anders rechtlich ausgestaltet sein konnte.1343 Das dominium directum des Obereigentümers nahm aber grundsätzlich – vorbehaltlich anderer vertraglicher Regelungen – auf jeden Fall auch an der Herberge teil, nachdem sich die obereigentümlichen Proprietätsrechte auf die Substanz der Sache erstreckten,1344 was dazu führte, dass im Fürststift Kempten bis in das 16. Jahrhundert der gesamte Bestand an liegenden Gü­ tern, d. h. an Grundstücken, Häusern und Herbergen, auf einen Käufer, Erben oder sonstigen Rechtsnachfolger nur aus der Hand des Fürstabts aufgelassen und übertragen werden konnte, bevor sich das Obereigentum im 18. Jahrhun­ 1341  Vgl. G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355; L. Wüsthof, Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht, Wiesbaden 2017, S.  311 f.; J. Grimm/W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 31, Trier 2001, Sp. 1528. 1342  F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gie­ ßen 1818, S. 257 f. m. w. N. in Fn. 1 auf S. 258. Siehe zu entsprechenden Quellen aus dem römischen Recht die Übersichten bei A. Schmidt, Das Recht der Superficies, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanische Abteilung 1890 (11), 121, (124); L. Wenger, Superficies solo cedit, Philologus 1933 (88), 254, (254 f.). 1343  Statt vieler J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S.  71 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 40 ff. m. w. N.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 153 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3. 1344  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. mit Fn. b.

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B. Historische Grundlagen

dert zu einem Zustimmungsvorbehalt beim Verkauf von Grundstücken mit ganzen Häusern und Herbergen entkräftete.1345 Wenn es durch die Nutzeigen­ tümer zu Gebäudezertrümmerungen kam, entstanden wiederum weitere aus­ geschiedene Bestandteile eines Gebäudes als einzelne Wohneinheiten in der Form von Herbergen, die auch grund- bzw. bodenzinsig waren und der Oberhoheit und -aufsicht der Kemptener Fürstabtei direkt unterstanden.1346 Savigny hatte sich im 19. Jahrhundert am Maßstab des römischen Rechts bereits früh gerade gegen eine solche Konstellation von verschiedenen Stockwerkseigentümern ausgesprochen.1347 Denn damit war das Eigentum an dem Haus nicht nur in unterschiedliche Dispositions- und Nutzungsrechte aufgeteilt, sondern zusätzlich auch noch das Gebäude und damit die Sache selbst in sich zerteilt.1348 Bei der Emphyteuse war die Situation ähnlich.1349 Auch hier erhielten die Berechtigten ein volles Nutzeigentum gegen Zahlung des jährlich zu entrichtenden Canons, wobei das Obereigentum dem Stift zustand.1350 Zudem gab es in der Kemptener Fürstabtei Mischformen aus 1345  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21; G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 111. Zum allodifizierten Lehensgut G. Deter, Allodifi­ kation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (212 ff.); vgl. auch K.-H. Spieß, Lehn(s)recht, Lehnswesen, in: A. Erler u. a. (Hrsg.), Handwör­ terbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band II, Berlin 1978, Sp. 1737 f. 1346  Vgl. Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. (Statut Nr. VI): „Art. 11. Die Abtheilung liegender Güter, als Häuser, Herbergen, Felder, Wiesen, Gärten u. ist unter obrigkeitlicher Auctorität zu geschehen, sonst ist sie für nichtig erklärt.“; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kempti­ sche bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII ff. Zu Gebäudezertrümmerungen bei Herbergen R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 20; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126). 1347  F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gie­ ßen 1818, S. 258, 286 ff. 1348  F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gie­ ßen 1818, S. 258, 286 ff.; M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulations­ rechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. 1349  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 11 ff., 21. 1350  Vgl. A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 31 ff., 38 f.; zum vollen Nutzeigentum Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 325.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten299

Lehen, Emphyteuse und gegebenenfalls auch eigenem Gut, für welche die gleichen Grundsätze galten.1351 Abzugrenzen waren diese Bodenzinsgüter von den ausschließlich freieigenen Gütern, die keinen rechtlichen Einschrän­ kungen mehr unterlagen.1352 Mit der Durchsetzung der Erblichkeit der lie­ genden Güter führte das Obereigentum des Fürststifts Kempten aber regel­ mäßig nicht mehr dazu, dass das lehens- bzw. grundherrschaftliche Gut an die Obrigkeit zurückfiel.1353 Dies zeigte gerade auch die partikularrechtliche Verordnung Fürst Romans ddo. Schloss Liebenthann vom 18.11.1641 die Auslösungen, das Anfallrecht und die Ganten betreffend auf, die eine Ver­ wahrlosung der bestehenden Häuser und Herbergen mangels eines Anfalles gerade verhindern wollte.1354 Für die rechtliche Qualifizierung des jeweiligen Nutzeigentums waren unabhängig von den dogmatischen Unfeinheiten zunächst stets die Bedin­ gungen des Lehensvertrages oder des emphyteutischen Kontraktes maßge­ bend.1355 Grundsätzlich können aber drei grobe Stufen der Entwicklung des Obereigentums und damit korrespondierend des Untereigentums festgestellt werden, die sich seit dem hohen Mittelalter abgezeichnet haben.1356 Der Le­ hens- oder Grundherr war zunächst der unbeschränkte Eigentümer und der Beliehene als Höriger nur Inhaber eines von diesem abgeleiteten Besitzes, während später auf einer weiteren Stufe beide im Hinblick auf das gebildete 1351  N. Th. v. Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 98 f. 1352  Vgl. G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und StatutarRechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und fran­ zösischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109. 1353  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  11 ff. 1354  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 279 (Nro.  CIX). 1355  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 11 ff.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und öster­ reichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 10 f.; G. v. Weber, Hand­ buch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 19; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Hand­ buch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 102; A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S.  6 ff., 16 ff. 1356  Siehe hierzu G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 5 f.; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 258 ff.

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B. Historische Grundlagen

geteilte Eigentum eine gleichberechtigte Stellung der rechtlichen Anerken­ nung innehatten, bis dann das gebundene Untereigentum immer mehr zu ei­ ner eigenen Rechtsposition im Sinne eines vollen Eigentums des Beliehenen erstarkte, dem nur noch ein Zustimmungsvorbehalt und später dann noch ein bloßes ablösbares Zinsrecht des vormaligen Obereigentümers gegenüber­ stand, so dass der Beliehene den Eigentümer mit der Zeit dauerhaft ver­ drängte und letztlich das geteilte Recht in seiner Hand vereinigte.1357 Noch im hohen und späteren Mittelalter war das Rechtsverhältnis des Herrn zu den Beliehenen im Allgemeinen wie auch in der Kemptener Fürstabtei dadurch geprägt, dass zwar das Gut als zunehmend erbliches und dingliches Recht dem Eigentum des Herrn selbständig gegenüberstand und nicht mehr belie­ big entzogen werden konnte,1358 dieses sich aber nur als Derivat von dem die Verfügungsgewalt innehabenden Herrn darstellte, der als eigentlicher Eigen­ tümer galt.1359 In der Folge musste aller Erwerb auf den Grundherrn zurück­ geführt, jede Veräußerung, sei es von ihm selbst, sei es von dem Vasallen bzw. dem Emphyteuten, durch ihn vermittelt werden, wenn bestimmte Grundstücke verliehen bzw. weiterverliehen, bebaut, oder nach einem Heim­ fall, einer Fröhnung, einem Kauf, einer Schenkung oder sonst von Neuem ausgetan werden sollten.1360 Gerade auch in dem Falle eines derivativen Er­ werbs durch den bisherigen Beliehenen an einen anderen durch Ehestiftung, Aussteuer, Morgengabe, Erbteilung, Verpfändung, Afterleihe, Schenkung und Verkauf konnte dies zunächst nur aus der Hand des Herrn erfolgen, weshalb sich die genannten Rechtsgeschäfte lediglich als Unterformen der eigent­ lichen Belehnung oder Erbleihe darboten.1361

1357  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 258; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 88  f.; vgl. insoweit zur Erbpacht F. C. v. Savigny, Landrechtsvorlesung 1824, Band I: Einleitung, allgemeine Lehren, Sachenrecht, Frankfurt a. M. 1994, S. 342 ff. 1358  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 4, 11 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 6 ff. 1359  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 259. 1360  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 259 f. Für das Lehenswesen im Fürststift Kempten ergibt sich dies mittelbar auch aus der Heimfallordnung in Artikel 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641.; vgl. StAA, Fürst­ stift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f. 1361  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 260. Eine Auswahl von verschiedenen Urkunden zur Ehestiftung, Aussteuer, Morgengabe, Erbteilung, Verpfändung, Afterleihe, Schenkung und zum Verkauf fin­ den sich ebd., S. 261 ff. Der Ehrschatz war die Abgabe, die an den Lehnsherrn bei der Veränderung des Besitzes an dem Lehensgut zu entrichten war.; vgl. J. Adelung,



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten301 „Erst muss(te) das Recht dem Herrn aufgelassen werden, dann (…) wurde es von ihm auf den neuen Erwerber übertragen; bei jeder ‚Handänderung‘ (mutatio ma­ nus) (…) war die Erneuerung der Leihe nötig, und der Empfänger hat(te) dafür an den Herrn den Ehrschatz zu geben.“1362

Während auf der ersten Stufe die Dispositionshoheit ausschließlich dem Herrn zustand, änderte sich später die Ausgangslage mit der im Zuge der Jahrhunderte verfeinerten Lehre vom geteilten Eigentum,1363 die nun durch­ aus ein eigenes Rechtsgeschäft des Beliehenen wie Verkauf oder Schenkung anerkannte, wobei aber die Auflassung an den Herrn und damit der vermit­ telte spätere Erwerb durch diesen zunächst noch maßgebend blieb.1364 Inso­ weit konnte zwischen einem materiellen Erwerb vom Beliehenen und einem formellen Erwerb von dem Herrn unterschieden werden, wobei sich letzterer in einem gesonderten Rechtsakt oder im Falle von Afterleihen zumindest noch in einer zu tilgenden Ersatzpflicht zeigte.1365 Im Fürststift Kempten entsprach diese zweite Stufe nachweisbar noch in der frühen Neuzeit dem geltenden Recht.1366 Danach konnten seitens des Vasallen bzw. des Em­ phyteuten zwar Rechtsgeschäfte über das Gut vorgenommen werden, das Gut musste aber dem Lehens- bzw. Grundherrn, d. h. dem stiftischen Reichsfürs­ ten, grundsätzlich aufgesendet werden, womit eine Art Kündigung und ein gleichzeitiger neuer Vergabeakt verbunden waren.1367 Das dominium direc­ tum des Fürstabts durfte aber nicht übergangen werden, was ansonsten den Verlust des lehens- bzw. grundherrschaftlichen Gutes zur Folge haben konn­

Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band I: Von A–E, Leipzig 1793, Sp. 1659. 1362  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 260. 1363  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 5 ff. 1364  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 273. 1365  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S.  273, 282 f. m. w. N. 1366  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 380, in: G. Immler (­Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürst­ stift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 380. 1367  Siehe zum Wort aufsenden Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch (FWB), abrufbar unter www.fwb-online.de/ lemma/aufsenden.s.3v. (letzter Abruf: 22.01.2022). Einen Aufsendungsvorgang in der Kemptener Fürstabtei enthält die hochmittelalterliche Urkunde StAA, Fürststift Kemp­ ten, Lehenhof Urkunden 380, in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Ar­ chive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 380.

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B. Historische Grundlagen

te.1368 Die Übergänge der einzelnen Stufen waren im Ergebnis aber flie­ ßend.1369 Das Obereigentum zeigte sich auf der letzten Stufe oftmals nur noch in einer Zinspflicht und in sonstigen Resten, so dass der Beliehene allmählich das Gut zu einem, wenn auch noch gebundenen, freien Alleinei­ gentum erwarb.1370 Auf der dritten Stufe fällt das ursprüngliche Rechtsver­ hältnis der Belehnung oder der Erbleihe schließlich in formeller Hinsicht praktisch vollkommen weg und die Häuser wurden für einen wirksamen Er­ werb seitens des Verkäufers unmittelbar in die Hand des Käufers aufgelassen, wobei aber im Fürststift Kempten wie auch bei den sonstigen Stiftern und Klöster bis zu deren durch die Säkularisation bedingten Auflösung die Zu­ stimmung des Herrn erforderlich blieb.1371 Ohne die Genehmigung des Obereigentümers durfte ein Gut nicht veräußert werden, was in der Kempte­ ner Fürstabtei im Falle der eigenwilligen Zuwiderhandlung als unvorstellbare Gehorsamsverweigerung gegenüber der Geistlichkeit angesehen wurde.1372 Eine Missachtung des dominium directum lag vor, wenn der Verkauf ohne ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung des direkten Lehensherrn geschah, der Vasall von dem Lehen bzw. der Grundherrschaft Kenntnis hatte und der Besitz des Lehens wirksam auf den Erwerber übertragen wurde.1373 In diesem Fall war das Gut verwirkt und konnte an die Obrigkeit zurückfal­ len.1374 Der Käufer hatte dabei regelmäßig neben dem Kaufpreis auch die auf den Häusern lastenden Abgaben zu entrichten.1375 Darin zeigt sich schließ­ 1368  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21. 1369  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 278. 1370  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 283, 285. Siehe hierzu auch G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Pro­ vinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändern­ den, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109, 111, wo die Pachtgüter als „unbe­ schränktes, herrschaftliches Eigenthum“ beschrieben werden und den Lehensgütern eine „mit den ganz eigenen Gütern fast gleiche Beschaffenheit“ attestiert wird. 1371  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 285; vgl. auch S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privat­ rechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 5. 1372  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 10. 1373  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 21. 1374  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21. 1375  Vgl. W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Ba­ sel 1861, S. 286 ff., 294.



IV. Das Recht der unbeweglichen Güter im Fürststift Kempten303

lich die ursprüngliche Unterscheidung zwischen einer Lehenstaxe, einem Canon oder einem sonstigen Leihezins und einem auf dem Grund und Boden haftenden Grundzins, wenngleich die Begriffe nicht einheitlich verwendet wurden.1376 Aus verfassungsgeschichtlicher Sicht muss betont werden, dass die Zinslehen, aber auch die kirchliche Emphyteuse, probate Mittel waren, um das Wachstum eines entstehenden modernen Staates oder einer Stadt zu befördern, was mit der Zuteilung von Grund und Boden bzw. von bereits errichteten Häusern an Handwerker, Arbeiter und Kleingewerbetreibende möglich war.1377 Aus staatstheoretischer Sicht aber reklamierte der Fürstabt mit dem beibehaltenen System eines disponierenden Obereigentums bis zu­ letzt eine Legitimitätsreserve für seine reichsfürstliche Herrschaft, die ihn im Sinne der patrimonialen Staatslehre bis zuletzt als verfügungsberechtigte Autorität in Erscheinung treten ließ.1378 Zwar hatte sich das Obereigentum in der Kemptener Fürstabtei im aufgeklärten 18. Jahrhundert auf eine finanzi­ elle Einnahmequelle und einen damit verbundenen Zustimmungsvorbehalt zurückgedrängt.1379 Der einzuholende lehensrechtliche Konsens diente der Sicherung der Dienste des Lehens und durfte nur zur Abwendung von Not, die sogar vor den Göttern gerechtfertigt gewesen wäre, ausnahmsweise um­ gangen werden.1380 Die reichsfürstliche Abtei Kempten blieb aber bis zuletzt der eigentliche Disponent über den herrschaftlichen Grund und Boden,1381 womit ein ungebundenes Freieigentum an den Resten territorialstaatlicher 1376  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S.  60 ff. 1377  Vgl. E. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angren­ zenden Landschaften, Band I: Städte und Gewerbegeschichte, Straßburg 1892, S.  164 f. 1378  Zur patrimonialen Staatstheorie G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1920, S. 199 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S. 332 f. 1379  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII ff.; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 285; zur entsprechenden finanzpolitischen Bedeutung T. Mayer, Geschichte der Finanz­ wissenschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. Gerloff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, Band I, Tübingen 1952, S. 247 ff.; zu den Einnahmequellen der Kemptener Fürstabtei auch im Zusammenhang mit den Gottes­ haushubern G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S.  329 ff., v. a. S.  347 ff. 1380  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3. 1381  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII ff.

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B. Historische Grundlagen

Legitimität scheitern musste, die der Fürstabt für seine fürstlichen Ambitio­ nen in Gottes Gnaden aufrechterhielt.1382

V. Reichsfürstliches Patrimonium als Instrument zur Verwirklichung einer dem Allgäuischen Gebrauch entrückten Untertänigkeit nach reichsrechtlichem Muster Ein abrundender Vergleich von Lehenswesen und Grundherrschaft in der Kemptener Fürstabtei bringt eine weitere Erkenntnis, die das Recht der unbe­ weglichen Güter als reichsfürstliches Patrimonium erscheinen lässt,1383 dem ein tieferer Sinn und Zweck zu entnehmen ist. Denn die Bedeutung des Le­ henswesens ging im Fürststift Kempten bis in die Neuzeit und auch noch danach über die der bäuerlichen Grundherrschaft weit hinaus.1384 Dies hatte seinen Grund in den Vorteilen des Lehenswesens, mit dem notwendigerweise ein Treueid und damit auch eine Loyalitätspflicht gegenüber der reichsfürst­ lichen Obrigkeit einherging.1385 Auf diese Weise konnte die Zurückdrängung des vorherrschenden Allgäuischen Gebrauchs durch die beförderte territoria­ litätsbezogene Leibherrschaft auch rechtlich abgesichert werden, indem die nun der Gerichts-, Wehr- und Steuerhoheit des neuzeitlichen Klosterstaates Kempten unterstehenden Untertanen1386 nicht nur mit etwaigem lehensrecht­ lich gebundenem Grundbesitz ausgestattet wurden, sondern gleichzeitig ab dem 15. Jahrhundert über das Lehensband an die Kemptener Fürstabtei und deren obrigkeitsstaatliche Territorialhoheit rechtlich wie auch moralisch ge­ 1382  Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3.  Aufl., Berlin 1920, S. 199 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S. 332 f. 1383  Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3.  Aufl., Berlin 1920, S. 199 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S. 332 f. 1384  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bay­ erische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (204 ff.); G. Immler, Die Finanz- und Wirt­ schaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18.  Jahrhundert, in: H.  Röckelein/D.  Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 ff.; vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 f. 1385  Vgl. ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem Sys­ tem des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 215 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Ge­ org Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 3 ff., 17 f.; J. Lang, Geschichte und Institutionen des katholischen und protestantischen Kirchenrechts, Band I, Tübingen 1827, S. 137; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7.  Aufl., München 2013, S. 89; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 100. 1386  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  19 ff.



V. Reichsfürstliches Patrimonium als Instrument305

bunden werden konnten.1387 Es zeigte sich hier das gleiche Prinzip wie auf Reichsebene, als durch die Vergabe von Reichslehen ab dem 12. Jahrhundert die Fürsten und sonstigen Herrschaftsträger im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation unter das Reichsoberhaupt des Deutschen Kaisertums dele­ giert werden sollten, womit gleichsam eine bewusste Reichsaufbaupolitik der Staufer im Sinne einer „Feudalisierung der Reichsverfassung“1388 verbunden war.1389 Das fürststiftische Lehenswesen ermöglichte auf diese Weise, dass die entsprechenden künftigen Untertanen, vereinzelt auch freie Bauern,1390 unter das Fürstentum Kempten delegiert und dadurch in Abkehr von dem souveränitätsfeindlichen Allgäuischen Gebrauch1391 als eigentliche Unter­ tanen etabliert werden konnten. Dies scheint der eigentliche Grund dafür zu sein, warum das Lehenswesen in der Kemptener Fürstabtei gegenüber der Grundherrschaft stets dominierte,1392 und zeigt wiederum auch hier die enge Verbundenheit des Klosterstaates Kempten mit der sich auf dem Fundament 1387  Siehe zum lehensrechtlichen Band die Nachweise bei ­K.-F.  Häberlin, Hand­ buch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 215 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leip­ zig 1807, S. 3 ff., 17 f.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 3 ff., v. a. S. 8, 10 f.; J. Lang, Geschichte und Institutionen des katholischen und protestantischen Kirchen­ rechts, Band I, Tübingen 1827, S. 137; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 100; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 89. 1388  G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Sali­ ern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288. 1389  So die herrschende Ansicht O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstau­ fen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 11 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Band V: Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 20; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  76 f.; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Hei­ delberg 2005, S. 51 ff.; J. Dendorfer, Roncaglia: Der Beginn eines lehnrechtlichen Umbaus des Reiches?, in: S. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhundert, Regensburg 2010, S. 111 ff., v. a. S. 124 ff.; G. Dilcher, Die Entwick­ lung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Saliern und Staufern, in: Il feudale­ simo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288. 1390  Vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17 f. m. w. N. 1391  Vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  18 ff. m. w. N. 1392  P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bay­ erische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (204 ff.); G. Immler, Die Finanz- und Wirt­ schaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18.  Jahrhundert, in: H.  Röckelein/D.  Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra,

306

B. Historische Grundlagen

der Karolinger gebauten späteren Reichsorganisation auf, die noch im Hoch­ mittelalter in geistlichen Territorien wie dem Fürststift Kempten stets ein sakrales Stützmoment erblickte.1393 Andererseits kann sich hieraus auch ein Erklärungsansatz dafür ergeben, warum die Bauernlehen im Fürststift Kemp­ ten ohne weiteres als rechte Lehen anerkannt waren, die damit uneinge­ schränkt einem lehensrechtlichen Treueid unterlagen.1394 Gleichzeitig wird damit offenbar, dass das Lehenswesen für die Entstehung der neuzeitlichen Kemptener Fürstabtei als frühmodernem Agrarstaat von überragender Bedeu­ tung war, womit bestätigt wird, dass die Grundherrschaft, hier in einem all­ gemeinen Sinne verstanden, als die Keimzelle der entstehenden Staatlichkei­ ten anzusehen ist.1395

VI. Quellennachweise aus der Zeit der Kemptener Fürstabtei Die wissenschaftlichen Erkenntnisse um das Lehenswesen bzw. das Rechtsinstitut der Emphyteuse, d. h. der Häuser-, Boden- oder Bauleihe,1396 sollen nun durch entsprechende Quellennachweise in der Form von Doku­ menten des reichsfürstlichen Lehenhofes bzw. sonstigen Urkunden des Fürst­ stifts Kempten aus der Zeit ab dem 14. Jahrhundert belegt werden. Es handelt sich um eine Auswahl, die einzelne Nuancen des Rechts der liegenden Güter in der Kemptener Fürstabtei verdeutlichend erfasst. Die Übersetzungen ent­ sprechen den Anmerkungen des Archivales im Rahmen des bibliographischen Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 ff.; vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 f. 1393  Vgl. nur L. Santifaller, Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskirchen­ systems, Graz u. a. 1964, S. 23 f., 37 ff.: W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geistlichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 2004 (90), 192, (201). 1394  Vgl. G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S.  355 m. w. N. 1395  B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S.  10 f. m. w. N. 1396  Vgl. W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Ba­ sel 1861, S. 34 ff.; A. Schwappach, Handbuch der Forst- und Jagdgeschichte Deutsch­ lands, Band I, Berlin 1886, S. 102 ff.; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 40 ff.; C. v. Schwerin, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., Berlin u. a. 1928, S. 149; K. Winkler/J. Schlögel (Hrsg.), Handbuch des Erbbaurechts, 6. Aufl., Mün­ chen 2016, § 1 Rn. 1; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S.  38 f.; V. Hustedt, in: H. Ingenstau/ders. (Hrsg.), ErbbauRG, Gesetz über das Erb­ baurecht, Kommentar, 11. Aufl., Köln 2018, S. 1 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3.



VI. Quellennachweise aus der Zeit der Kemptener Fürstabtei307

Nachschlagewerkes hinsichtlich des in Bezug auf das vormalige Kemptener Reichsfürstentum überlieferten Urkundenbestandes aus der Zeit des 14. Jahr­ hunderts bis zum 18. Jahrhundert.1397 Im Übrigen beruhen die zitierten Quel­ len aus Nachweisen, die den stiftkemptischen Salbüchern, den Landtafelbän­ den bzw. einzelnen Lehenbüchern und sonstigen Urkunden entnommen sind. Burgrecht (Vogteirecht) In einer Urkunde des Lehenhofs aus dem Jahre 1494 zeigt sich ein Vogtei­ recht, d. h. ein Burgrecht, wenn „König Maximilian (…) Fürstabt Johanns (ersuchte), seinem Pfleger zu Trasp, Hainrich von Rottenstain, der den Burgstall Yglsperg bauen will, damit zu belehnen.“1398 Die neugebaute Burg, genannt der Valck, wurde später dann zusammen mit dem Berg und Burgstall Yttelspurg im Jahre 1505 an Acharius und Gangolff von Rottenstain zu rech­ tem Schild- und Mannlehen verliehen.1399 Als Gegenleistung wurden dem Lehensherrn das Öffnungsrecht für die Burg sowie das Versprechen gegeben, keine Stiftsuntertanen schirmen zu wollen.1400 Aus dem Versprechen kann abgeleitet werden, dass die vogteiliche Schirm- und Schutzherrschaft dem Fürststift Kempten vorbehalten bleiben sollte,1401 womit der seitens des neu­ zeitlichen Kemptener Klosterstaates intendierte Aufbau einer Territorialho­ heit bestätigt wird.1402

1397  Vgl. G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staats­ archiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997. 1398  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 202, in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kemp­ ten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 202. 1399  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 203, in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kemp­ ten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 203. 1400  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 204, in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kemp­ ten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 204. 1401  Vgl. auch StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122 zur Verleihung des Konventhauses uff der Rotach im Jahre 1480, wo auf ein Burgrecht und eine vormals bestehende Schirm- bzw. Schutzherrschaft hinsichtlich eines Areals Bezug genommen wird, das in der im Reichsfürstentum Kempten gelegenen Siedlung uff der Rotach gelegen war. 1402  Vgl. P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Früh­ neuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S.  185 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17 ff. m. w. N.; J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata

308

B. Historische Grundlagen

Edelmannslehen Fürstabt „Johann Erhardt, Dechant, Custor und Konvent des fürstlichen Stiftes Kempten belehn(t)en (im Jahre 1588) den Truchsessen (…) mit dem Gut Rüetzenberg (…) in Essendorffer Pfarr.“1403 Im Jahre 1524 verlieh Fürstabt „Sebastion von Kempten (…) Hans Sygmund Huntpis zum Sygken den Turm, (den) Burgstall und (den) Burgberg, (den) Kirchensatz und Kirchenlehen, drei Weiher und drei ‚Kälterlin‘ zu Sygken, den Sygkenhaymer Wald, den Hof am Burgberg, den Bauhof, die Mühle und verschiedene weitere Höfe und Güter zu Sygken, ein Gut zu Blidrißhoven, zwei Malter Hafer aus einem Gut zu Klaingött­ lißhoven, den Hof Brugck (abgegangen) und Gülten und Zinse aus einem Gut zu Grosen Gottlißhoven und aus dem Maierhof zu Mäcken zu rechtem Mann- und Frauenlehen.“1404

Erste Beutellehen aus der Hand des Fürstabts Im Lehenbuch des reichsfürstlichen Stifts Kempten aus dem Jahre 1451 ist für die Siedlung uff der Rotach ein Gut vermerkt, das an eine nichtadelige Person zu Lehen gegeben wurde: „Item daz gütli uff der Rotach, daz Cönin Studachs ist.“1405 Im Jahre 1480 verlieh Fürstabt „Johanns von Kempten (…) Hanns Fry ein Tagwerk Mahd und ein halbes Jauchert Acker zu Bidingen zu rechtem Lehen.“1406 Gotteshausgüter Im stiftkemptischen Salbuch aus dem Jahre 1527 ist ein Eintrag für „Sant Lorentzen pfarr“ zu finden, wonach einem Christian Funck, Schneider uff (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auf­ lassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 181 f. 1403  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 398; in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kemp­ ten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 398. 1404  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 401, in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kemp­ ten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 401. 1405  A. Weitnauer, Das Lehenbuch des Fürstlichen Stifts Kempten von 1451, Alte Allgäuer Geschlechter III, Allgäuer Heimatbücher, Band 8, Kempten 1938, S. 28. 1406  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 391, in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kemp­ ten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 391.



VI. Quellennachweise aus der Zeit der Kemptener Fürstabtei309

der Rottach ein Gütlein des Gotteshauses gehörte, das dieser von dem Fürst­ abt Johann von Riedheim bestanden hat.1407 Dieses Gotteshausgut bestand zusätzlich aus drei Jochart Acker und „sonst nichts al“, wobei der Besitzer Christian Funck 24 Gulden zu Ehrschatz geben musste.1408 Zudem ist in dem stiftkemptischen Salbuch aus dem Jahre 1527 ein Eintrag zu Bartlome Fe­ nenberg hinsichtlich eines Gotthausgutes „zu Rottach“ vermerkt, das unter anderem aus zehn Jochart Acker bestand und einem Ehrschatz von 71 Gul­ den unterlag.1409 Lehen, wobei das Rechtsgeschäft von der Auflassung unterschieden wird Dass Häuser auf dem Territorium der Kemptener Fürstabtei belehnt und verliehen wurden, zeigt sich an einer Urkunde des Lehenhofs aus dem Jahre 1491, als „Jös Höldricher, Keller zu Truchpurg, (…) sein an Hans Gaßar verkauftes, vom Goteshaus Kempten lehenbares Haus zu Tingo am Markt Blanetten, dem Hofmeister, und Oschwaldt, dem Kanzler zu Kempten, auf(sendete).“1410 Leihgeschäft zwischen einem Vertreter des Ritterstandes und einem Bürger der Reichsstadt Kempten Im Jahre 1433 lieh „Ludwig von Rotenstain (…) für sich und seinen Bruder Thomas, der jetzt nicht im Lande ist, an Peter Sutor, Bürger zu Kempten,1411 die Hälfte der Ehaften zu Altungsriede, die sein verstorbener Vater Oswalt mit Walther Schwertfürben herge­ bracht und gehalten hat, den Wald halb, die 2 Weiher, das Fischrecht in der Ilr halb, den Hof zu Kaldy, den Hof halb und eine Gült aus ihm zu Hergers, 2 Höfe im Dorfe, 1 Watschar auf dem Lerchenberg, Watschare im Dorf und Zinse aus solchen, den Klokacker, den Herrenbrül im Dorfe halb, den Diessenbach, Koppach und Lerchenbach halb, das Wisbuoch und das Wetzlinbuoch halb, die Halde, die in des Lechners Hof am Lugbanck im Dorfe gehört, Hubgeld zu Oberhofen, Zehnten zum Sibold, zu Adelegg, zu Besserr und zum Holzwart, Zins aus der Taferne zu 1407  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1527, Alte Geschlechter XXIV., Allgäuer Heimatbücher, Band 34, Kempten 1941, S. 1. 1408  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1527, Alte Geschlechter XXIV., Allgäuer Heimatbücher, Band 34, Kempten 1941, S. 1. 1409  R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1527, Alte Geschlechter XXIV., Allgäuer Heimatbücher, Band 34, Kempten 1941, S. 5. 1410  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 380, in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kemp­ ten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 380. 1411  Vgl. auch W. Petz, Kempten, Reichsstadt, publiziert am 10.09.2012, in: Histo­ risches Lexikon Bayern.

310

B. Historische Grundlagen

Kümbrechtzhofen, des Tukers Gütlein, 2 Teile aus dem Gute zu Schrailoch, Zins aus dem Isenbach, ein Watschar und ein Gütlein zu Kümbrechtzhofen und Zins aus des Webers Holz.“1412

Zinslehen Eine Urkunde des Lehenhofs aus dem Jahre 1485 zeigt ebenfalls die Dis­ positionshoheit des Fürststifts Kempten als Obereigentümer auf, wenn „Jörg Mair Endris zu Hebenhofen (…) Fürstabt Johann (…) von Kempten, der ihm erlaubt hat(te), an Hainrich von Rottenstain 4 fl. rh. Zins aus seinem Lehen(s)gut zu verkaufen, (versprechen musste), daß er oder seine Nachfolger das Gut samt des Zinses zu Lehen (später) empfangen werden.“1413

Beutellehen, Zinslehen und Erblehen „Item hat er empfangen sein gelegenes Güthlein uff dem Lotterberg umb seinem halben Hofstat Anschlag mit dessen Zugehörung ußer disen und vorstehenden Gut ußer dem Hailigen Lorenzen uff dem Berg, ein Viertel Haaber und ńńńj (4 lb) ein vierling unschlitt und als gült in Kastenamt 2/4 per 90 lb angeschlagen Immassen er die von seinem Vatter und Khündern und Hainrich Stechelin selig ererbt und Imo deswegen wie auch nach absterben Iro Fürstl. Gl:gl:gl: Abbten Wolfurt, ect. (…) zu empfahlen gebürt.“1414 „Item Hans Georg Stechelin beim Stüfft Kempten hat zu Lehen empfangen sein gelegenes Gütlein uf dem Lotterberg, so zusammen zwo Waiden vermag mit des­ sen Zugehörung, Im-massen er daß von seinem Ähnin und Vater Georg und Hain­ rich Stechelin, seelig ererbt und Ime deswegen ihm auch nach absterben Iro Fürstl. Gnaden Abbt Romani Giel von Gielsberg (…) zu empfahlen gebürdt. Actum vt supra ./.“1415

1412  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 200, in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kemp­ ten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 200; vgl. auch J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  372 f. m. w. N. 1413  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 392, in: G. Immler (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kemp­ ten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 392. 1414  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 98, Lehenbuch des Fürstabts Kar­ dinal Bernhard Gustav von Baden-Durlach für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Wiggensbach, Krugzell und Altusried. 1415  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 98, Lehenbuch des Fürstabts Kar­ dinal Bernhard Gustav von Baden-Durlach für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Wiggensbach, Krugzell und Altusried.



VI. Quellennachweise aus der Zeit der Kemptener Fürstabtei311 „Verner hat er empfangen ein Beund uf dem Lotterberg, samt der Hofstatt daselbs­ ten mit deren Zugehörung Immaßen er die gleichfahls wie vorstehende Waiden, von seinen Ähnin und Vatter Stehelin (…) ererbt und Imo deswegen, wie auch nach Absterben Ihro Fürstlichen gnädigsten (…) Abbt Wollfurts ect. Schenckh … etc. und Giel von Gielsberg höchsteren zu empfahlen gebürdt. Actum vt supra ./.“1416

Bauernlehen „Item Michel Meggtlin zu Neuhausen Lorenzer Pfarr, als Ehevogt Maria Grefin seinen Hausfrauen, hat zu Lehen empfangen sein gelegen Guth zu Seybotten Wig­ genspacher Pfarr, mit aller Zugehörung, eß sei an Hauß, Hoff, Hofstatt, Holz und Veldern, so überall (…) (3 1/2), Rinderwaiden ertragen mag, außer dem zu Zins get Herren Albrecht von Hohenegg, jetzt Balty Bettenbeckher (…) (3) Sack Haaber(,) 1 lb hlr dem Heiligen zu Wiggenspach(,) 1 ß (Schilling) dem Stift Stall zu Kempten, (…) dem heiligen St. Lorenzen auf dem Berg e e e sonst nichts mer, über das per (…) (328 Pfund Heller) angeschlagen (…).“1417

Zinseigen Aus den im Jahre 1738 im Fürststift Kempten eingeführten Landtafeln zu der Gemeinde Sankt Lorenz ergibt sich für die Herberge 8 a der Siedlung uff der Rotach, dass deren Besitzer im Jahre 1738 Jerg Prestel war. Ihm gehörte ein „aigen 1/2 Haus und Garthen von Christoph Mayr“, später im 19. Jahr­ hundert dann beschrieben als „hat eigne Hörberg“. Die zu dieser Zeit bereits im Freieigentum stehende Herberge bestand aus einem Hausanteil zu ebener Erde mit Garten zu 0,15 Tgw. und war bodenzinsig. Auf der Herberge lag keine Abgabe an die geistliche Autorität des Fürstabts, d. h. ein Zehnten, mehr, dagegen aber ein Jagdfrohngeld und ein Gartenzins.1418 Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Obereigentümers Eine Kaufvertragsurkunde vom 18.03.1778, in der Johann Georg Liechten­ steiger 1416  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 98, Lehenbuch des Fürstabts Kar­ dinal Bernhard Gustav von Baden-Durlach für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Wiggensbach, Krugzell und Altusried. 1417  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 63, Lehenbuch des Fürstabts Jo­ hann Adam Renner von Allmendingen für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Wiggensbach und Krugzell. 1418  StAA, Fürststift Kempten, Landtafelamt, Bände 152; StAA, Fürststift Kempten, Landtafelamt, Bände 164, Eintragsnummer 82; Stadtarchiv Kempten, Landtafelbände der Gemeinde Sankt Lorenz I und II.

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B. Historische Grundlagen

„(…) seine aigene auf herrschaftlichem Grund und Boden stehende Hörberg ausser der Rotach(,) bestehend in 1 Stuben, 3 Kämeren, 1 Boden und Kellerlen, auch ei­ ner Tunglege hinder dem Hauß samt dem darzuegehörigen Garten (…) (,) an Jo­ seph Mäuler von der hinteren Rotach (…) um 275 Gulden“

verkauft, bedarf auf der Seite des Lehenhofs der Zustimmung des gnädigen Regierungspräsidenten, Großdekans und späteren Fürstabts Rupert von Neu­ enstein.1419 An dem Vorgang zeigt sich, dass in der späten Zeit des Fürststifts Kempten Verkäufe nur noch der Zustimmung der reichsfürstlichen Autorität unterlagen und der Obereigentümer seine Verfügungsgewalt weitgehend ein­ gebüßt hatte.1420

1419  StAA, Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufver­ tragsurkunde vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67. 1420  Vgl. J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. LIII ff.

C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei – das bayerische Rechtsinstitut im Lichte der allgemein geltenden Rechtsgrundsätze für das Stockwerkseigentum 1. Das Prinzip der Horizontalteilung in Abgrenzung zu dem aus dem römischen Recht stammenden Grundsatz superficies solo cedit Dem gemeinen römischen Recht war von seiner Konzeption der Gedanke einer horizontalen Teilung von Gebäuden fremd,1 wenngleich die romanisti­ sche Wissenschaft heute bei einigen spätantiken Autoren auch einzelne Versu­ che der Durchbrechung nachgewiesen hat.2 Anerkannt war aber nach dem rö­ mischen Recht grundsätzlich nur die vertikale Teilung eines Hauses, so dass auch nur nach diesem Prinzip geteilte Gebäude Gegenstand besonderer Rechte sein konnten.3 Dahinter verbirgt sich der Grundsatz superficies solo cedit, der 1  Siehe hierzu Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), S.  211 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (196 ff.); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 12; J. Limpens, La propriété hori­ zontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/ C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 1. 2  Siehe hierzu L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 78; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stif­ tung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (89 ff.) m. w. N.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S.  583 f. m. w. N.; M. Rainer, Superficies und Stockwerkseigentum im klassischen römischen Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanische Abteilung 1989 (106), 327, (348 ff.); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 1 m. w. N. 3  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 12; W. Merle, Das Wohnungs­

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

auch der Konzeption des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zugrunde liegt und insoweit als dogmatischer Gegenentwurf zu der auf germanischer Rechts­ tradition beruhenden Horizontalteilung von Gebäuden angesehen werden muss.4 Dieser bekannte römische Rechtssatz, wonach das auf dem Grund und Boden errichtete Gebäude Eigentum des Eigentümers des Bodens ist, findet sich bei Paulus in den Digesten als der spätantiken Sammlung aus Werken Rechtsgelehrter der klassischen Zeit der römischen Jurisprudenz5 zunächst all­ gemeiner formuliert: „in quibus propria qualitas exspectaretur, si quid additum erit, toto cedit“, wonach eine Sache, die mit einer anderen derart verbunden wird, dass sie integrierter Bestandteil von dieser wird und damit ihre Selbstän­ digkeit verliert, auch dem Rechte nach in der anderen aufgeht.6 Für das Grund­ eigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 17 m. w. N. in Fn. 8. 4  H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und The­ orie, Berlin 1867, S. 114 ff.; Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), S.  211 ff.; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 415 f.; O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 283 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S.  40 ff. m. w. N.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 11  ­ ff.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 10  ff., 40  ff.; H.  Zoep­pritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 10; Planck’s Kom­ mentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachen­ recht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deut­ sche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münche­ ner Au, München 1969, S. 13 f., 22 ff., 30 ff., 116; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stock­ werkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 f.). O. Bogenschütz, Das Stock­ werkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126 ff.); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 21 ff., 137 ff.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 10 ff.; Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 42 f.; Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift ­betreffend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rah­ men des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 4 f. 5  U. Manthe, Geschichte des römischen Rechts, 5. Aufl., München 2016, S. 87 ff. 6  Dig. 41, 1, 26 pr.; zitiert bei L. Wenger, Superficies solo cedit, Philologus 1933 (88), S. 254. Dieser Rechtsgedanke findet sich heute in § 93 BGB.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei315

stücksrecht wird dieser Rechtssatz schließlich von Ulpian ausdrücklich wie­ derholt, wenn formuliert wird: „semper enim superficiem solo cedere.“7 In der Pandektenwissenschaft wurde dieser Grundsatz unter anderem wie folgt aus­ gelegt: „Aber auch abgesehen von dieser physischen Unmöglichkeit ist dieser Besitz aus juristischen Gründen unmöglich: so kann z. B. ein Gebäude, ohne den Boden, wo­ rauf es ruht, nicht besessen werden, und der Grund liegt offenbar darin, dass ein Gebäude, als Theil eines Ganzen, für unzertrennlich von dem Boden angesehen wird. Dieser Satz selbst nämlich, dass Boden und Gebäude juristisch zusammen­ hängen, dass sie nur Theile eines und desselben Ganzen sind, also nicht verschie­ dene für sich bestehende Sachen, dieser Satz ist in vielen Stellen (des klassischen römischen Rechts) deutlich angesprochen.“8

Daraus ergibt sich implizit, dass es bei einem Haus mit mehreren Stock­ werken als unmöglich vorausgesetzt ist, dass es verschiedene Eigentümer der Stockwerke gibt, sondern es muss einen Hausbesitzer, d. h. einen Eigentümer, geben.9 Dieses im römischen Recht naturrechtlich in den zivilrechtlichen Abhandlungen vorausgesetzte Axiom besitzt trotz seines klaren Bekenntnis­ ses und offensichtlichen Gegensatzes zu dem Prinzip der stockwerkseigen­ tumsrechtlichen Horizontalteilung eine dogmatische Reszissibilität, die sich aus dem Rechtsinstitut der superficies als eines Rechtes auf fremdem Boden ergibt, das seinen Ursprung ebenfalls im römischen Recht findet und sich langsam von einer obligatorischen Berechtigung zu einem dinglichen Recht entwickelt hat,10 was sich im herbergsrechtlichen Zusammenhang heute in erster Linie an Platzrechten und superfiziarischen Kellerrechten zeigt.11 Das 7  Dig. 43, 17, 3, 7; zitiert bei L. Wenger, Superficies solo cedit, Philologus 1933 (88), S. 254. Dieser Rechtsgedanke findet sich heute in § 94 BGB. 8  F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gie­ ßen 1818, S. 257 f. m. w. N. in Fn. 1 auf S. 258. Siehe zu einschlägigen Quellen aus dem römischen Recht A. Schmidt, Das Recht der Superficies, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Romanische Abteilung 1890 (11), 121, (124); L. Wenger, Superficies solo cedit, Philologus 1933 (88), 254, (254 f.). 9  So ausdrücklich F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gießen 1818, S. 258, 286 ff.; W. Merle, Das Wohnungseigentum im Sys­ tem des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 17; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 93 f. 10  L. Wenger, Superficies solo cedit, Philologus 1933 (88), 254, (255 f.); G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 442 f.; vgl. auch E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 11 ff. 11  BayObLG, NJW-RR 1991, 1426; vgl. G. Prager, Lehrbuch des gesammten Pri­ vatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 443.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Recht der superficies erfasste aber auch das Erbbaurecht, das in seiner Denk­ form mit dem Grundsatz superficies solo cedit grundsätzlich unvereinbar scheint und aufgrund seiner anerkannten Praktikabilität eigentlich auch die selbstverständliche naturrechtliche Begründung dieses Rechtssatzes etwas erschüttert.12 Die Rechtsnatur der altrechtlichen superficies lässt sich ent­ schlüsseln, wenn man ihren schuldrechtlich obligatorischen Ausgangspunkt, der in dem überkommenen Rechtsinstitut der Miete liegt, betrachtet, wonach das dem einzelnen Grundstückseigentümer zukommende und grundsätzlich unbegrenzte Benutzungsrecht durch das aus einer dauernden Vermietung des Grundstücks zur Benutzung hervorgegangene dingliche Recht der superficies eingeschränkt werden konnte, welches sich auf ein Gebäude auf diesem Grundstück bezog.13 „Die (s)uperficies besteht nämlich in dem dinglichen, veräußerlichen und vererbli­ chen Recht an fremdem Grund und Boden, vermöge dessen der Inhaber das Grundstück insofern, als er auf demselben ein Gebäude haben darf, dieses Gebäude selbst aber, welches jure accessionis dem Grundeigenthümer gehört, unbeschränkt zu benutzen und zu gebrauchen, befugt ist.“14

Im Gegensatz zu der Erbpacht, die dem Erbpächter eine umfassendere Dispositionshoheit hinsichtlich der Nutzung entsprechend der durch sein Recht nicht ausgeschlossenen Zwecke gewährt hatte, war der Superfiziar darauf beschränkt, ein Gebäude auf fremdem Grund und Boden zu haben, das ihn zur Ausübung der Eigentumsrechte als ein quasi dominus insoweit ermächtigte, als dies nicht zu einer Aufhebung der Möglichkeit des Grund­ stückseigentümers führte, später zu seiner von Natur aus gegebenen unbe­ schränkten Eigentümerposition zurückzukehren.15 Damit wird gleichsam auch das Wesen der im Rahmen der Herbergen vorzufindenden Platzrechte 12  Vgl.

L. Wenger, Superficies solo cedit, Philologus 1933 (88), 254, (255 f.). nur A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deut­ schen bürgerlichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 57; H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S. 103 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechts­ verwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (202 ff.); G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirth­ schaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 443; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 10. 14  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 57 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 443. 15  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 59 f. 13  Siehe



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei317

und superfiziarischen Rechte erhellt, die nach der bayerischen Rechtspre­ chung als grunddienstbarkeitsähnlich beschrieben werden können.16 Nach alledem aber wird man im Ergebnis eine dogmatische Inkonsequenz rö­ mischrechtlichen Ursprungs annehmen dürfen, die aber den grundsätzlichen Rechtssatz superficies solo cedit, der dem heutigen Bürgerlichen Gesetzbuch ausnahmslos zugrunde liegt17 und das stockwerkseigentums- bzw. herbergs­ rechtliche Prinzip der Horizontalteilung als unzulässig erachtet, nicht in Frage stellt.18 Denn wie auch bereits Savigny nachgewiesen hat, besteht hinsichtlich des Superfiziarrechts eigentlich kein Widerspruch zu dem im römischen Recht naturrechtlich anerkannten Prinzip der Vertikalteilung von Gebäuden, weil das superfiziarische Recht kein Eigentum darstellte, sondern nur eine zum dinglichen Recht erstarkte Nutzungsbefugnis an einem konkre­ ten Bestandteil auf fremdem Grund und Boden vermittelte.19 Für das Her­ bergsrecht bleibt damit festzuhalten, dass sich das Bürgerliche Gesetzbuch zwar einer vertikalen Gebäudeteilung verpflichtet sieht, womit sich das Rechtsinstitut des Stockwerkseigentums, das auf dem Gedanken eines ge­ teilten Eigentums in der horizontalen Ebene im Rahmen eines Gebäudes beruht,20 als wesensfremdes Element im Rahmen der heute geltenden Kon­ zeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs darstellt, dass aber auch das römische Recht eine superfiziarrechtliche Durchbrechung eines Besitzes auf fremdem Grund und Boden kannte.21 16  BayObLGZ

22, 270, (271 f.); BayObLG, NJW-RR 1991, 1426. zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 ff.; B. Mugdan, Die gesamm­ ten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sa­ chenrecht, Berlin 1899, S. 24 f.; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Würt­ temberg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (345). Siehe zur Entste­ hungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Abgrenzung zu dem germanischen Rechtsinstitut des Stockwerkseigentums auch O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  24 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 166 ff. 18  In diesem Sinne wird man auch die Ausführungen bei L. Wenger, Superficies solo cedit, Philologus 1933 (88), 254, (255 ff.) zu interpretieren haben. 19  F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gie­ ßen 1818, S. 286 ff. unter Bezug auf Dig. 43, 17, 3, 7; G. Prager, Lehrbuch des ge­ sammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Bezie­ hung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 443. 20  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 ff.; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.). 21  Vgl. F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gießen 1818, S. 286 ff. unter Bezug auf Dig. 43, 17, 3, 7; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Be­ ziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 443; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter 17  Motive

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

2. Die Rechtsnatur des Stockwerkseigentums Wenn man sich der Rechtsnatur oder dem Wesen von Stockwerkseigentum annähern möchte, stößt man wegen der Vielgestaltigkeit von partikular- bzw. gewohnheitsrechtlich anerkannten sowie real vorkommenden Formen dieses Rechtsinstituts an Grenzen, die einer systematischen Erfassung auf den ers­ ten Blick entgegenstehen.22 Dies gilt auch, wenn die Untersuchung nach dem Erkenntnisziel auf das Stockwerkseigentum in Bayern, Württemberg und Baden einschließlich französischer Einflüsse des Code Napoléon be­ schränkt wird. Insoweit wurde in der Kemptener Fürstabtei ein Herbergs­ komplex aufgefunden, bei dem eine im Alleineigentum stehende Herberge mit einer aus zwei weiteren Herbergen bestehenden Haushälfte verbunden war, wobei das gemeinschaftliche Verbindungselement zu der im Alleinei­ gentum stehenden Herberge mit ihren autonomen Gartengrundstücken aus­ schließlich in einem Hofraum bestand.23 Von dem grammatikalischen Wortlaut, wie er in Art. 182 EGBGB und Art. 62 BayAGBGB vorkommt, ist das Stockwerkseigentum ein Eigentum an einem konkreten Stockwerk.24 Diese triviale Feststellung zeigte sich regional unter anderem in sonstigen besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  24 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 166 ff. 22  Vgl. ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 ff.) m. w. N.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerksei­ gentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 75 ff., 93 ff., 107 ff., 136 ff.; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeit­ schrift 1948 (3), S. 83. Ein umfassender Überblick des Stockwerkseigentums in den deutschen Territorien findet sich auch bei G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  53 ff. m. w. N. Siehe auch K. v. Jacubetzky, Bemerkungen zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, München 1892, S. 182 ff., 253; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Fest­ schrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 590  ff.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 1; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 10, 16 ff. 23  StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Kataster 940 II, fol. 344–347; vgl. P. Blickle, Kempten, Historischer Atlas von Bay­ ern, Teil Schwaben, Heft 6, München 1968, S. 273. 24  Vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art.  62 AGBGB Rn.  1 f.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388); ­H.-W. Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50– 218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei319

Umschreibungen dieses alten Rechtsinstituts wie Etagen-, Geschoss- oder Gelasseigentum, ohne dass sich daraus aber abweichende Bedeutungen erge­ ben hätten.25 Nur wurde das altrechtliche Stockwerkseigentum nach den überlieferten Rechtsquellen regelmäßig nicht in einem engeren Sinne ausge­ legt, sondern entsprechend den hauptsächlichen Entstehungsgründen von wohnlichem Bedarf sowie rechtsgeschäftlichen bzw. erbrechtlichen Teilun­ gen auch auf sonstige ausgeschiedene Gebäudeteile wie vertikale Teilungen innerhalb eines konkreten Stockwerks, einzelne Räume oder sogar Raumteile bezogen,26 so dass es nicht abwegig war, dass jemand wie in der Altstadt der Reichsstadt Kempten sein Abort in dem Gebäude des Nachbarn hatte.27 Es muss aber bereits hier angemerkt werden, dass nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts im Zusammenhang mit Kellerrech­ ten Stockwerkseigentum an Kellern zwar grundsätzlich für möglich gehalten wurde, das oberste bayerische Zivilgericht aber dann den Begriff des Stock­ werkseigentums auf sein engeres Verständnis zurückführte, wenn ausgeführt wurde, dass nach dem Wortlaut ein einzelner Keller kein Stockwerk im Sinne von Art. 182 EGBGB sein kann, so dass insoweit ein Sondereigentum am Keller und eine entsprechende Anwendung von Art. 62 BayAGBGB aus­ 25  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 26 f.; P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 166; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum un­ ter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  11 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126). 26  J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3.  Aufl., München 1864, S.  154; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stock­ werkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württem­ berg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (353); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 70 ff.; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 52 ff.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S.  1 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 269 ff.; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126 f.); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsge­ setz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 2. 27  Vgl. hierzu den Grundsteuerkataster der Steuergemeinde Kempten (Allgäu) zu den Anwesen mit den Hausnummern 196 bis 198 in der Kemptener Altstadt StAA, Grundsteuerkataster der Steuergemeinde Kempten (Allgäu), Rentamt Kempten Ka­ taster 935 I, fol. 236–238, wo sich ein „Gewölb zur ebenen Erde“ im Nachbarge­ bäude befand.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

scheiden musste.28 Eine Ansicht in der Literatur vertritt zudem, dass sich das Stockwerkseigentum in Süddeutschland als Herbergsrecht auch dadurch auszeichnete, dass „Räume von dem einen Haus in das unmittelbar angren­ zende Nachbarhaus übergreifen konnten.“29 Eine derartige Verzahnung mit Nachbarhäusern war aber nicht nur für Süddeutschland spezifisch, sondern entspricht vielmehr dem Wesen von Stockwerkseigentum, so dass diese be­ sondere horizontale Verzahnung nicht nur regional auf den süddeutschen Raum beschränkt war, sondern vielmehr überall vorkommen konnte.30 Nach der räumlichen Anordnung eines Stockwerks in einem Haus kann aus dem Wort Stockwerkseigentum weiter zumindest auch der bereits erörterte Grund­ satz der Horizontalteilung abgeleitet werden, der sich von dem römischen Rechtssatz superficies solo cedit und damit der ausschließlich mög­ lichen vertikalen Teilung abhebt.31 Zudem kann aus dem Begriff Stockwerkseigen­ tum geschlossen werden, dass dieses auch in Relation zu dem ganzen Ge­ bäude zu interpretieren ist, woraus das Wesen eines Bestandteils zur Gesamt­ heit und damit schließlich von geteiltem Eigentum in horizontaler Anordnung hergeleitet werden kann.32 Vom Telos her handelt es sich bei Stockwerksei­ gentum damit um eine Gemeinschaft unter einem Dach, wobei der Ursprung im germanischen Kulturkreis die Durchbrechung des Prinzips einer aus­ schließlich zulässigen Teilung in senkrechter Richtung nicht hinderte, so dass Stockwerkseigentum partikular- bzw. gewohnheitsrechtlich in verschiedenen Regionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation weit verbreitet war.33 Man kann deshalb vorläufig durchaus formulieren, dass die Horizon­ talteilung von Gebäuden aus dem altdeutschen Rechtsleben erwachsen ist.34 28  BayObLGZ

22, 270 ff.; BayObLGZ 1967, 397, (399). L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 2. 30  Vgl. J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 154. 31  Vgl. J. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou commentaire et complément des codes Français, Band VIII, Paris 1827, S. 389; J. M. Boileux, Die Controversen des französischen Civilrechts nach dem Commen­ taire sur le Code civil, Stuttgart 1841, S. 164 f. 32  Vgl. N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigen­ tums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 1 f. 33  Vgl. A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 53 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126). 34  In diesem Sinne J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3.  Aufl., München 1864, S. 154; J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 43, 48 ff.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 40 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit beson­ derer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 6; F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (52). A. A. dage­ 29  So



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei321

a) Die dogmatische Einordnung des Stockwerkseigentums Die Rechtsgelehrten des 19. Jahrhunderts standen vor der Schwierigkeit, wie das Stockwerkseigentum als geteiltes Eigentum in der Form von mehre­ ren Stockwerkseigentumsbesitzern zustehenden ausgeschiedenen Gebäudebe­ standteilen und regelmäßig gemeinschaftlich genutzten Einrichtungen bzw. Teilen wie dem Dach, dem Treppenhaus oder Hofräumen in dogmatischer Hinsicht zu interpretieren ist.35 Es ging um die grundsätzliche Erfassung der Rechtsnatur dieses Instituts, wobei die Frage zwischen Germanisten und Romanisten umstritten war.36 Den folgenden Theorien muss vorausge­ schickt werden, dass sie einerseits bereits teilweise auf der später herrschen­ den romanistischen Doktrin aufbauen und auf eine Anpassung des altrecht­ lichen Stockwerkseigentums an das römische Recht mit seinem Grundsatz superficies solo cedit gerichtet sind,37 wenngleich sie andererseits aber im Zeichen der langen historischen Rechtstradition des Stockwerkseigentums betrachtet werden müssen, welches aufgrund seiner germanischen Herkunft notwendigerweise bereits im Ausgangspunkt als rechtlicher Fremdkörper im Rahmen von auf dem einheitlichen römischen Eigentumsbegriff aufbauenden Rechtsordnungen erscheinen muss.38 Nach der insoweit vertretenen französisch-deutschrechtlichen Sondereigen­ tumstheorie gelten allgemein die dem Sonderrechte der einzelnen Stock­ gen S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (721 ff.); L. Wenger, Zum Wohn- und Wirt­ schaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aa­ len 1970, S. 77. 35  Vgl. P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 600. 36  Vgl. P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 600. 37  Zusammenfassend auch zum Meinungsstand im 19.  Jahrhundert J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 43 ff.; P. Putzer, Zur Rechtsge­ schichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 597 ff.; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S. 205 ff. 38  Vgl. hinsichtlich des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs O. v. Feilitzsch, Stock­ werkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivat­ rechts, München 1920, S. 24 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 166 ff.; grundsätzlich zur germanischen Rechtstradition des Rechtsinstituts O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbe­ griffs, Berlin 1873, S. 134 ff.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

werkseigentümer unterworfenen Teile des Gebäudes im Sinne von Alleinei­ gentum als selbständige unbewegliche Sachen, wobei zu ihnen das unauflös­ liche Miteigentum an der Grundfläche und an denjenigen Gebäudeteilen als mit dem Sondereigentum verbundenes Recht gehört, die wie etwa die Haupt­ mauern, das Dach, die Treppen oder auch der Haustelegraf für den Bestand des Ganzen wesentlich sind oder dem Gebrauch von sämtlichen Stockwerken dienen.39 Innerhalb dieser eigentlichen Ausformung der Sondereigentums­ theorie wurde schließlich noch eine engere Variante von darauf beruhendem Stockwerkseigentum vertreten, wonach auch ein ausschließliches Sonderei­ gentum möglich war, ohne dass dies mit einem Miteigentum an gemein­ schaftlichen Einrichtungen des Gebäudes verbunden sein musste.40 39  Siehe zur Sondereigentumstheorie J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 78 ff.; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Mitei­ gentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S.  31  ff.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausfüh­ rungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berück­ sichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 11 f.; E. Dorner/ A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 7 ff., 26 ff.; W. Dölker, Das Herbergs­ recht in der Münchener Au, München 1969, S. 30 f., 33 ff., 76 ff.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 598, 600 ff.; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 39 f.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 54; R. Weber, Die Stockwerkeigentümergemeinschaft – Praktische Möglichkeiten und Grenzen vertraglicher Gestaltung im schweizerischen und deutschen Recht, Zü­ rich 1979, S. 8; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohen­ zollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerk­s­ eigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126, 128); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Ent­ wicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 27 ff.; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S. 208; G. Kohl, Stockwerksei­ gentum, Berlin 2007, S. 227 ff.; N. Haas, Der Sonderrechtsgegenstand im System des Stockwerkseigentumsrechts – Unter besonderer Berücksichtigung der Umbauproble­ matik, Zürich 2015, S. 22 f. 40  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 ff.; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berück­ sichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 8; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979,



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei323

Die Miteigentumstheorie dagegen sieht in dem Stockwerkseigentum ein Miteigentumsverhältnis unter Ausschluss der Teilung und mit einer dauern­ den Zuweisung der Benutzung einzelner Gebäudeteile an die einzelnen Teil­ haber, woraus sich bereits eine Affinität zu der romanistischen Doktrin im Sinne eines condominium ergibt.41 Es gibt hier aber einen germanistischen S. 40; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 54; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 227; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 1; ­H.-W.  Thümmel, Stockwerkseigentum in Baden nach französischem Recht und die Einwirkung des württembergischen Rechts, BWNotZ 1984, 5, (9 ff.). Zu der en­ gen Sondereigentumstheorie A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Ber­ lin 2012, S. 65 m. w. N. in Fn. 327; entsprechend zum württembergischen Stock­ werkseigentum LG Ulm, DNotZ 1971, 627; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 182 Rn. 1; vgl. auch H. Sprau, Justizgesetze in Bay­ ern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 4; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 33 ff., die im Falle der engen Sondereigentums­ variante im Ergebnis kein Stockwerkseigentum anerkennen möchten. 41  Siehe zur Miteigentumstheorie O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deut­ schen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284 ff.; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Hei­ delberg 1896, S. 33 ff.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 42; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 417; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 316 f.; H. Zoepp­ ritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württem­ bergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 9 f., 28 ff.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 11 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche RechtsZeitschrift 1948 (3), S. 83; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 601; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerli­ chen Rechts, Berlin 1979, S. 39; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 17 f., 31 f.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1; R. Weber, Die Stockwerkeigentümergemeinschaft – Prakti­ sche Möglichkeiten und Grenzen vertraglicher Gestaltung im schweizerischen und deutschen Recht, Zürich 1979, S. 8; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerksei­ gentum (?), JZ 1980 (4), 125, (128); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Ham­ burg 1997, S. 39 ff., 44 f., 48; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leip­ ziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S. 207 f.; G. Kohl, Stockwerkseigen­ tum, Berlin 2007, S. 230 ff.; N. Haas, Der Sonderrechtsgegenstand im System des Stockwerkseigentumsrechts – Unter besonderer Berücksichtigung der Umbauproble­ matik, Zürich 2015, S. 12 ff., 22 ff.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Vorgänger, der dogmatisch vor dem Hintergrund des germanischen Genos­ senschaftsgedankens auf dem deutschrechtlichen Gesamteigentum aufbaut und insoweit neben den Bestandteilen an Sondereigen ungeteilte Nutzungs­ rechte zur gesamten Hand an gemeinschaftlichen Einrichtungen annimmt.42 Eine romanistische Ansicht, die aus dem französischen Recht entlehnt ist, aber auch im deutschen Rechtskreis mit der Zeit zunehmend entsprechend vorkam, spricht einem Rechtsverhältnis im Sinne von Art. 664 des Code civil den Charakter von wahrem Eigentum ab und interpretiert das Stockwerks­ eigentum nur als eine besondere Art von superfiziarischem Recht oder Dienstbarkeit, weil das Wort „propriété“ in Art. 664 des Code Napoléon le­ diglich uneigentlich gebraucht sei.43 42  Zur stockwerkseigentumsrechtlichen Gesamthandstheorie J. Kuntze, Die Kojen­ genossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsle­ ben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 53 f., 59 ff.; R. Schröder, Ueber eigentüm­ liche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S.  34 ff.; F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzge­ bung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (51 ff.); W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S.  40 f.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 80; P. Putzer, Zur Rechtsge­ schichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 602 f.; allgemein J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 156 f.; O. v. Gier­ke, Das deut­ sche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 130 f., 219. 43  Siehe zu dieser Ansicht A. Renaud, Von den Sachen und Beschränkungen des Eigenthums, in: Rechtliche Gutachten, Band II, Mannheim 1886, S. 21 f.; C. v. Wächter, Ueber Theilung und Theilbarkeit der Sachen und Rechte, in: Archiv für die civi­ listische Praxis 1844 (27), 155, (177 ff. mit Fn. 34); Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (220 ff.); H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S. 117 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzel­ nen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwal­ tung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (211 ff.); R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergän­ zungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 195 mit Fn. 12; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Ge­ setzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 417; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechts­ ordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  33 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berück­ sichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 19, 29 f.; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin



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Die angeführten Theorien versuchen, das germanische Rechtsinstitut des Stockwerkseigentums mit der romanistischen Doktrin und dem Grundsatz superficies solo cedit zu vereinbaren und insoweit anzupassen, ohne aber zugeben zu wollen, dass dieses Unterfangen aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Konzeptionen notwendigerweise an Grenzen stoßen muss, die zumindest nicht vollständig überwunden werden können.44 Zudem sind die dogmatischen Einordnungen in ihrer doktrinären Erfassungsmentalität gleich­ zeitig tauglich wie unvermögend zugleich, das Wesen von Stockwerkseigen­ tum hinreichend zu bestimmen, weil sie die mannigfaltigen realen Ausfor­ mungen dieses vormals in erster Linie nur gewohnheitsrechtlich anerkannten altrechtlichen Instituts, welches auf individuellen regionalen Rechtsgewohn­ heiten und Rechtssitten sowie althergebrachten Traditionen beruhte, im einen Fall mehr, im anderen Fall weniger bestimmen können.45 Es bleibt deshalb im Ansatzpunkt eigentlich nur, auf eine höhere Ebene zu abstrahieren und die Rechtsnatur des Stockwerkseigentums allgemeiner zu bestimmen, um eine für sämtliche Fälle brauchbare dogmatische Einordnung zu erhalten, die insbesondere auch die germanische Rechtstradition hinreichend beachtet.46 Für die praktische Rechtsanwendung muss aber betont werden, dass sich dieser Theorienstreit mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der das Stockwerkseigentum in eigentliches bzw. echtes und uneigentliches bzw. unechtes einteilt,47 und dem sich das Bayerische Oberste Landesgericht angeschlossen hat,48 nicht auf eine Bedeutung von nur 1979, S.  17 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 232 ff.; H. Grziwotz/ R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145; J. Hönle/ U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 13; J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S.  53 ff. m. w. N.; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S. 206 f.; vgl. O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284 f. 44  Siehe hierzu nur die umfassende und auf das deutsche Stockwerkseigentum übertragbare Analyse zum österreichischen Stockwerkseigentum und dessen entspre­ chender Dogmatik bei P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 597 ff. 45  So auch W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 26 f.; vgl. Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divi­ sum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württember­ gisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjus­ tiz 1870, 193, (202 ff., 217 ff.); A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 69. 46  Vgl. auch W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 26 f. 47  BGH, Urteil vom 25.11.1966, Az.: V ZR 30/64 = BGHZ 46, 281, (286 f.). 48  BayObLGZ 1995, 413, (416).

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akademischer Natur reduzieren lässt und deshalb als überholt gelten kann, weil die Differenzierung in echtes und unechtes Stockwerkseigentum dogma­ tisch auf der Sondereigentums- und der Miteigentumstheorie aufbaut.49 Dem­ nach – so der Bundesgerichtshof – zeichne sich unechtes Stockwerkseigen­ tum dadurch aus, dass bei diesem das Grundstück und das Gebäude in allen Teilen allen Berechtigten gemeinsam und unter Teilungsausschluss zum Miteigentum nach ideellen Teilen gehöre und den Berechtigten einzelne reale Teile zur ausschließlichen Benutzung zugeordnet seien, das echte Stock­ werkseigentum dagegen aber eine Verbindung von Sondereigentum und Miteigentum der einzelnen Berechtigen an gemeinsamen Gebäude- bzw. Grundstücksteilen sei.50 Damit bestätigt sich aber gleichsam noch einmal implizit, dass diese Theorien grundsätzlich nicht geeignet sein können, das Wesen von Stockwerksrechten abschließend zu bestimmen, weil sie sich of­ fensichtlich auf ganz unterschiedliche reale Formen dieses Rechtsinstituts beziehen.51 Die auf dem französischen Recht beruhende romanistische Theorie, die das Stockwerkseigentum auf ein superfiziarisches Recht bzw. eine Dienst­ barkeit, d. h. auf ein ius in re aliena, reduzieren möchte, ist bereits mit dem Begriff Stockwerkseigentum unvereinbar, weil es sich insoweit ausdrücklich um eine besondere Form eines Eigentums handelt und auch der Parteiwille regelmäßig auf die Begründung eines vollen Eigentumsrechts gerichtet war.52 Auch wenn die Vorschrift des Art. 664 des Code civil im Rahmen der Kodifikation des französischen Zivilgesetzbuchs systematisch in der Rubrik „servitudes établies par la loi“ eingeordnet worden war, so spricht der Wort­ laut der genannten Vorschrift eindeutig von propriété und propriétaires, so dass die Annahme eines bloßen superfiziarischen Rechts bzw. einer bloßen Dienstbarkeit vor dem Hintergrund, dass der französische Gesetzgeber in den Normen der Art. 544, 552 und 637 ff. des Code civil streng zwischen dem Eigentum und sonstigen dinglichen Rechten unterschieden hat, nicht

49  Vgl. BGHZ 46, 281, (286 f.); BayObLGZ 1995, 413, (416); H. Sprau, Justiz­ gesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1. 50  BGHZ 46, 281, (286  f.); vgl. Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 54 f. 51  In diese Richtung bereits Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divi­ sum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württember­ gisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjus­ tiz 1870, 193, (217 ff.). 52  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 74; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S. 209.



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haltbar ist.53 Zudem bedarf ein beschränkt dingliches Recht wie eine ent­ sprechende Dienstbarkeit stets einer im Eigentum stehenden Sache als Zuord­ nungsobjekt, so dass diese Theorie im Ergebnis dazu führen würde, dass das Eigentum und damit die Sache als Gesamtheit geleugnet werden würde.54 Anders formuliert stellt sich bei mehreren Stockwerksrechten auf der Grund­ lage dieser romanistischen Theorie die Frage, wer denn nun überhaupt Ei­ gentümer und wer Superfiziar ist, was zudem regelmäßig dem Parteiwillen der einzelnen Berechtigten nicht entsprochen haben dürfte, die grundsätzlich ein selbständiges Eigentum der Beteiligten an ausgeschiedenen Gebäude­ teilen begründen wollten.55 Die systematische Einordnung der Norm des Art. 664 C.c. unter den Titel „servitudes établies par la loi“ hat vielmehr einen anderen Grund, der nur die vorherrschende Sondereigentumstheorie im französischen Recht bekräftigt.56 Denn die Sondereigentumstheorie ist, worin ihre Schwäche besteht, eigentlich nur dann plausibel, wenn sie abge­ sehen von einem Miteigentum an den gemeinschaftlichen Einrichtungen in Verbindung mit der Annahme von Grunddienstbarkeiten und aus der Ge­ meinschaft erwachsenden gesetzlichen Pflichten der einzelnen Stockwerks­ eigentümer untereinander gesehen und verstanden wird, woraus sich der tieferliegende Sinn und Zweck der Einordnung des Art. 664 C.c. im Rahmen der redaktionellen Rubrik der „servitudes établies par la loi“ ergibt,57 nicht 53  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 22; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 19. 54  Vgl. J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 74; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S. 209. 55  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 74; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S. 209; vgl. Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (222 ff.); Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (206 ff.). 56  Vgl. J. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou commentaire et complément des codes Français, Band VIII, Paris 1827, S. 389; J. M. Boileux, Die Controversen des französischen Civilrechts nach dem Commen­ taire sur le Code civil, Stuttgart 1841, S. 164 f. 57  R. Schröder, Über eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 24 f., 31 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194 Fn. 9; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum,

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

aber andererseits, dass es sich bei Stockwerkseigentum nicht um Eigentum handelt.58 Die Miteigentumstheorie hat den Vorzug, dass sie eine Herberge einschließlich des gesamten Grundstücks als Rechtsgemeinschaft erklären kann.59 Ein Gebäude besteht neben den einzelnen den Teilhabern allein zu­ geordneten Gebäudeteilen stets auch aus gemeinschaftlichen Einrichtungen wie einem Dach, der Flurtreppe, die zu den Stockwerken führt, den Mauern, die ein Anwesen einfrieden, oder den Hofräumen, die das Gebäude mit ei­ nem Zugang versorgen.60 Die auf dem romanistischen Geist aufbauende Miteigentumstheorie ermöglicht hier die rechtliche Erfassung des Ganzen, ohne dass insoweit hypothetische Annahmen wie gesetzliche oder gewohn­ heitsrechtliche Rechte oder Pflichten, wie für die Praktikabilität der Son­ dereigentumstheorie notwendig, erforderlich sind.61 Es handelt sich schlicht um eine Gemeinschaft, bei der ein Miteigentum nach entsprechenden Antei­ len vorliegt, das über das dem einzelnen Stockwerkseigentümer zugeordnete Stockwerk, d. h. über die zur alleinigen Sondernutzung bestimmten Teile, festgelegt wird.62 Gleiches gilt im Übrigen auch für die germanische Ge­ samthandstheorie, die einen stockwerkseigentumsrechtlichen Komplex als Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; vgl. auch H. Zoeppritz, Ueber das Stock­ werkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badi­ schen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 9; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 19; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 227. 58  Vgl. O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 22; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 19. 59  Vgl. H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berück­ sichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S.  28 f.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 31, 33; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 230 f. 60  Vgl. BGHZ 46, 281, (286 f.); BayObLGZ 1995, 413, (416); H. Sprau, Justiz­ gesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1. 61  Vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deut­ schen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 33; E. Dorner/A. Seng, Badi­ sches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stock­ werkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badi­ schen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 28 f.; N. Haas, Der Sonderrechtsgegenstand im System des Stockwerkseigentumsrechts – Unter besonderer Berücksichtigung der Umbauproblematik, Zürich 2015, S. 12 ff. 62  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 33; E. Dorner/A. Seng, Badisches Lan­ desprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 28 f.; vgl. auch N. Haas, Der Sonderrechtsgegenstand im System



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei329

genossenschaftliche Gemeinschaft auffasst und den einzelnen Teilhabern ein gebundenes Sondereigen bzw. Sondernutzungsrecht an ausgeschiedenen Ge­ bäudeteilen vermittelt, die wiederum untrennbar an die zur gesamten Hand zugeordneten Nutzungsrechte der Genossen an den gemeinschaftlichen Ein­ richtungen gebunden sind.63 Dennoch war die Sondereigentumstheorie in der französischen, badischen, württembergischen und bayerischen Praxis die herrschende Anschauung bei der Interpretation stockwerkseigentumsrechtli­ cher Gebilde.64 Innerhalb dieser Sondereigentumstheorie ist der strengeren Variante die Richtigkeit zu attestieren, weil ein Miteigentum an gemein­ schaftlichen Einrichtungen, auch wenn diese regelmäßig vorhanden waren und hier dann wiederum die Grundsätze der Mieteigentumstheorie entspre­ chend galten,65 nicht unbedingt notwendig war, wie ausschließlich über das Nachbargrundstück zugängliche Kellerräume, die keine Verbindung zu dem Fundament des darüberliegenden Hauses aufwiesen, beweisen.66 Eine Ent­ scheidung zwischen der strengen Sondereigentumstheorie und der Miteigen­ tumstheorie bedarf es im Ergebnis nicht und kann es auch nicht geben. Al­ lein diese beiden Theorien erleichtern unzweifelhaft die dogmatische Erfas­ sung des überkommenen Rechtsinstituts des Stockwerkseigentums, sind aber eigentlich tauglich und unvermögend zugleich.67 Im Ergebnis müssen stets die regionalen Gewohnheiten und Rechtssitten betrachtet bzw. untersucht werden, um analytisch festzustellen, welche Form des Stockwerkseigentums des Stockwerkseigentumsrechts – Unter besonderer Berücksichtigung der Umbaupro­ blematik, Zürich 2015, S. 12 ff. 63  F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Ver­ waltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (51 ff.); W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 40 f.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S.  602 f.; vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deut­ schen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 34 ff.; allgemein J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 156 f.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Ber­ lin 1873, S. 130 f., 219. 64  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194. 65  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 195 Fn. 11. 66  Vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.03.1986, Az.: 6 U 231/84 = NJW-RR 1987, 138, (139); H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksich­ tigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 5; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 64 ff. auch unter Darlegung des wissenschaftlichen Meinungsstandes. 67  Vgl. auch W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 26 f.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

in dem jeweiligen Gebiet gesetzlich anerkannt war bzw. sich gewohnheits­ rechtlich durchgesetzt hatte.68 So gab es im Königreich Württemberg bereits im 19. Jahrhundert vermehrt ein Miteigentum nach Quoten, für das der dog­ matische Ansatz der französisch-deutschrechtlichen Sondereigentumstheorie nicht passen konnte.69 Andererseits wurde später bei der Sondereigentums­ theorie grundsätzlich dann regelmäßig ein dazugehörendes Miteigentum an den gemeinschaftlichen Einrichtungen angenommen,70 das aber bei einzel­ nen Gemeinschaftsanlagen wie einem Hofraum, einer Zufahrt, einem ge­ meinsamen Gartenland o. Ä. dogmatisch nicht überzeugen konnte. In derar­ tigen Fällen ist vielmehr auch die Kenntnis des germanischen Gesamteigen­ tums notwendig, um rechtsdogmatisch den geschichtlichen Zusammenhang eines in sich ungeteilten Gesamt­eigentums berücksichtigen zu können.71 In der Kemptener Fürstabtei gab es nachweisbar Formen von Stockwerkseigen­ tum, die auf der Sondereigentumstheorie beruhten, aber auch solche, bei de­ nen der Gedanke des gemeinschaftlichen Miteigentums dominierte bzw. eine

68  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürger­ liche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 195 f.; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 69. 69  Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stock­ werken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (217 ff.). Eine entsprechende Entwicklung war auch in Wien zu beobachten, wo das Miteigen­ tum in der Neuzeit gegenüber dem Stockwerkseigentum in der Unterzahl war, sich aber mit der Zeit weiterverbreiten konnte.; so F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (107 ff.). Es erscheint insoweit richtig, dass sich das Miteigentum nach Quoten allmählich mit der Rezeption des gemeinen römi­ schen Rechts verbreitet hat und damit im Verhältnis zum Stockwerkseigentum auch häufiger wurde.; so P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 590. 70  Vgl. BGHZ 46, 281, (286 f.); BayObLGZ 1995, 413, (416); E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deut­ schen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1. 71  F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Ver­ waltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (51 ff.); W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 40 f.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S.  602 f.; allgemein J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S.  156 f.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 130 f., 219.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei331

Mischung aus beiden Ansätzen vorlag.72 Dennoch muss hervorgehoben wer­ den, dass das Rechtsinstitut des Stockwerkseigentums ein germanisches Rechtsinstitut ist, das historisch eine eindeutige Affinität zu dem deutschrecht­ lichen Gesamteigentum erkennen lässt, welches sich einer ausschließlich ro­ manistischen Interpretation entzieht und deshalb trotz der Bestrebungen ei­ ner dogmatischen Erfassung ein Fremdkörper unter der gesetzlichen Herr­ schaft des Grundsatzes superficies solo cedit im Rahmen etwaiger privat­ rechtlicher Kodifikationen bleiben muss.73 Es soll hier deshalb im Ergebnis auch überhaupt nicht versucht werden, die Rechtsnatur des Stockwerks­ eigentums abschließend zu beurteilen, sondern das Herbergsrecht soll viel­ mehr in seiner partikular- und gewohnheitsrechtlichen Vielheit belassen und auf eine Definition gebracht werden, die allgemein gefasst bleibt und damit dem Wesen dieses Rechtsinstituts mit Blick auf die mannigfaltigen realen Formen entspricht. Danach ist Stockwerkseigentum grundsätzlich eine hori­ zontale Form von geteiltem Eigentum eines Gebäudes, bei der die ausge­ schiedenen Teile als verrechtlichte Sondernutzungseinheiten erscheinen und gemeinsame Einrichtungen im ungeteilten Miteigentum stehen.74 Dass an derartigen Rechtsverhältnissen grundsätzlich auch beschränkt dingliche Rechte in Anlehnung an die romanistische Doktrin konstruiert bzw. gesehen werden können, versteht sich vom Standpunkt eines einheitlichen römischen Eigentumsbegriffs von selbst.75 Für die praktische Rechtsanwendung kann 72  StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Kataster 940 II, fol. 344–347; vgl. P. Blickle, Kempten, Historischer Atlas von Bay­ ern, Teil Schwaben, Heft 6, München 1968, S. 273. Bei diesem Komplex aus drei Herbergen stand eine Herberge einschließlich der ihr zugeordneten autonomen Grundstücke real geteilt im Sonder- bzw. Alleineigentum, während das unmittelbar angrenzende Nachbargebäude aus zwei Herbergen bestand, die in einem Verhältnis von 1/2 Anteil zueinanderstanden; vgl. aufgrund der räumlichen Nähe zum württem­ bergischen Raum hinsichtlich des Rechtsinstituts der Miteigentumsgemeinschaft auch Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (217 ff.). 73  Zum Ganzen P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 600 ff. 74  In Anlehnung an P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S.  165 f. 75  Vgl. C. v. Wächter, Ueber Theilung und Theilbarkeit der Sachen und Rechte, in: Archiv für die civilistische Praxis 1844 (27), 155, (177 ff. mit Fn. 34, 196 f.); Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzel­ nen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (220 ff.); H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S.  117 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stock­ werken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

eine salomonische Wahrheit des Obersten Gerichtshofs Österreichs in einer Entscheidung vom 01.03.1951 angeführt werden, welche die Interpretations­ offenheit hinsichtlich der Rechtsnatur des altrechtlichen Stockwerkseigen­ tums in dogmatischer Hinsicht betont und es damit in gewisser Weise der Disziplin der historischen Rechtstatsachenforschung unterstellt: „Zu diesem Zweck muss die einer gesetzlichen Regelung entbehrende alte Einrichtung des Stockwerkseigentums (in erster Linie) denjenigen gesetzlichen Bestim­ mungen unterstellt werden, die darauf am besten pas­sen.“76 Damit wollte der Oberste Gerichtshof Österreichs aber keinesfalls feststellen, dass das geltende positive Recht ungeeignet ist, das Rechtsinstitut des Stockwerks­ eigentums ausschließlich zu regeln, sondern es sollte nur die im Rahmen der Rechtsanwendung zu bedenkende rechtshistorische Bedingtheit dieses Rechtsinstituts zum Ausdruck gebracht werden,77 nachdem sich das germa­ nische Stockwerkseigentum einer klaren romanistischen Einordnung ent­ zieht.78 b) Eigentliches und uneigentliches Stockwerkseigentum Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich das Bayerische Oberste Landesgericht ausdrücklich angeschlossen hat, werden heute zwei Formen von Stockwerkseigentum unterschieden.79 Es gibt eigentliches bzw. echtes Stockwerkseigentum und uneigentliches bzw. unechtes Stockwerks­ und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (211 ff.); R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und franzö­ sischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 17 f., 38 f. m. w. N.; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S. 206 f.; vgl. O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284 ff.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, un­ ver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 42 m. w. N.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Imma­ nuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 78, 80 m. w. N. 76  OGH vom 01.03.1951, Über das Recht zur Benützung der Außenmauer eines Hauses, an dem Stockwerkseigentum besteht, Az.: SZ XXIV/58, zitiert nach P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 604. 77  Vgl. P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 604. 78  Vgl. zum österreichischen Stockwerkseigentum und dessen Dogmatik P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Fest­ schrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 597 ff. 79  BGHZ 46, 281, (286 f.); BayObLGZ 1995, 413, (416).



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei333

eigentum.80 Nach der Begriffsbestimmung des Bundesgerichtshofs zeichne sich unechtes Stockwerkseigentum dadurch aus, dass bei diesem das Grund­ stück, d. h. der Grund und Boden sowie das Gebäude in allen Teilen, allen Berechtigten gemeinsam und unter einem Teilungsausschluss zum Miteigen­ tum nach ideellen Teilen gehöre und die ausschließliche Zuweisung einzelner realer Teile, insbesondere von Gebäudestockwerken, an den einen oder ande­ ren Berechtigten nur zur Benutzung stattfinde, das echte Stockwerkseigentum dagegen aber eine Verbindung von Sondereigentum, d. h. Alleineigentum, des einen oder anderen Berechtigten an dem einen oder anderen Grundstücksteil, d. h. einem Stockwerk, einerseits und von Miteigentum aller Berechtigten an sonstigen Grundstücksteilen, mindestens aber an für alle Stockwerke ge­ meinsamen Gebäudeteilen wie Umfassungsmauern usw., andererseits sei.81 Das unechte Stockwerkseigentum baut auf der Miteigentumstheorie auf und entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die gesetz­ geberische Absicht der Einführung einer einheitlichen gesamtstaatlichen Kodifikation eines Zivilgesetzbuchs im Deutschen Kaiserreich, aber auch in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie und in der Helvetischen Schweiz, allmählich Konturen annahm, indem das überkommene Rechtsins­ titut des Stockwerkseigentums im rechtspolitischen Diskurs behandelt wurde und entsprechende Entwürfe vorbereitet waren, um eine Möglichkeit zu fin­ den, das in erster Linie auf Gewohnheiten und Rechtssitten der beteiligten Kreise gegründete altrechtliche Stockwerkseigentum in eine mit dem Geist der künftigen gesetzlichen Konzeptionen weitgehend vereinbaren Rechtsform zu bringen.82 Im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch manifes­ 80  BGHZ 46, 281; (286  f.); BayObLGZ 1995, 413, (416); Hornig, Wohnungs­ eigentum und Dauerwohnrecht, DNotZ 1951, 197, (199 f.); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 1; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2; R. Weber, Die Stockwerkeigentümergemeinschaft – Praktische Möglichkeiten und Grenzen vertraglicher Gestaltung im schweizerischen und deutschen Recht, Zürich 1979, S. 8 f.; vgl. Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betreffend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rahmen des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 4 f. 81  BGHZ 46, 281, (286); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 1; vgl. auch N. Haas, Der Son­ derrechtsgegenstand im System des Stockwerkseigentumsrechts – Unter besonderer Berücksichtigung der Umbauproblematik, Zürich 2015, S. 22 f. 82  W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 39; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 246; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 18 f., 22 ff.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stock­ werkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 592 ff., 599 f. mit Fn. 74; N. Haas, Der Sonder­ rechtsgegenstand im System des Stockwerkseigentumsrechts – Unter besonderer Be­ rücksichtigung der Umbauproblematik, Zürich 2015, S. 22 ff. zum schweizerischen

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

tierte sich dies später unter anderem mit dem reichsrechtlichen Vorbehalt für die Landesgesetzgeber in Art. 131 EGBGB, der eine Begründung von unech­ tem Stockwerkseigentum unter tatbestandlich festgelegten Bedingungen wie auch einem Ausschluss der Aufhebung der Gemeinschaft gestattete.83 Das mit dem Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht in Widerspruch stehende unechte Stockwerkseigentum84 ist von dem Gedanken einer miteigentums­ rechtlichen Gemeinschaft geleitet, in deren Rahmen den einzelnen Teilhabern ausschließliche Benutzungsrechte an einzelnen ausgeschiedenen Gebäudebe­ standteilen in der Form von Sondernutzungsrechten zugeordnet sind.85 Das ausschließliche Benutzungsrecht ist mit einem unteilbaren Eigentum der Teilhaber an einem Grundstück und an den der gemeinschaftlichen Nutzung der einzelnen Sondernutzungsberechtigten unterliegenden Gebäudeteilen nach ideellen Bruchteilen verbunden.86 Die Beteiligung der einzelnen Teil­ haber drückt sich grundsätzlich in den nach den konkreten Wertverhältnissen bestimmten ideellen Anteilen an der Gemeinschaft aus.87 Im damaligen Kö­ nigreich Bayern hat der Gesetzgeber mit Art. 42 des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuche betreffend, vom 09.06.1899 eine Norm geschaffen, die das altrechtliche echte Stockwerks­

Stockwerkseigentum; vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigen­ tums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 ff.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (112 ff.); W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 61 ff. 83  ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 f.); A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 61. Art. 131 EGBGB: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche für den Fall, dass jedem der Miteigentümer eines mit einem Gebäude versehenen Grund­ stücks die ausschließliche Benutzung eines Teiles des Gebäudes eingeräumt ist, das Gemeinschaftsverhältnis näher bestimmen, die Anwendung der §§ 749 bis 751 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausschließen und für den Fall des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Miteigentümers das Recht, für die Insolvenzmasse die Aufhe­ bung der Gemeinschaft zu verlangen, versagen.“ 84  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 (zu Art. 42 BayÜGBGB). 85  A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 61 f. 86  J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art.  1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 131 Rn. 3 f.; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neu­ ruppin, Berlin 2012, S. 61 f. 87  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 56.



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eigentum in unechtes überführt,88 so dass mit gewissen Modifikationen in Bayern heute die für die uneigentliche herbergsrechtliche Form geltenden Vorschriften der §§ 749 ff., 1008 ff. BGB Anwendung finden.89 Das echte Stockwerkseigentum dagegen, das eine Durchbrechung des Grundsatzes su­ perficies solo cedit mit sich bringt, zeichnet sich insoweit durch ein Alleinbzw. Sondereigentum an den ausgeschiedenen Gebäudebestandteilen aus, womit unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch wie in Baden, wo eine Ausfüh­ rungsnorm zum 01.01.1900 nicht erlassen worden war, zunächst eine Be­ handlung als selbständige Grundstücke einherging, was sich regelmäßig auch an einer gesonderten Erfassung im Grundbuch zeigen konnte.90 Der Son­ dereigentümer kann deshalb grundsätzlich über sein Alleineigentum frei verfügen und ist insofern keinen Einschränkungen unterworfen.91 Wie bereits aufgezeigt wurde, verdient in dogmatischer Hinsicht im Rahmen der Son­ dereigentumstheorie auch die strenge Variante Zustimmung, weshalb ein Miteigentum an den gemeinschaftlichen Einrichtungen zwar regelmäßig ge­ geben ist, aber nicht als notwendig vorauszusetzen ist.92 Konstruktionen von ausschließlichem Sondereigentum finden sich gerade in Gebieten, wo das französische Recht galt bzw. sich dieses ausgewirkt hat.93 Die im Miteigen­ 88  So nur W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287  f., 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betreffend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rahmen des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 5; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bay­ ern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (384, 397 f.). 89  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 (zu Art. 42 BayÜGBGB); Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 56; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 61 ff. 90  Vgl. E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 ff. Damit galt in Baden und in sonstigen Reichsländern, wo eine Ausführungs­ norm nicht ergangen war, zunächst ausschließlich die Vorschrift des Art. 182 EGBGB: „Das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stock­ werkseigentum bleibt bestehen. Das Rechtsverhältnis der Beteiligten untereinander bestimmt sich nach den bisherigen Gesetzen.“ 91  A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 66. 92  Vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 5; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 64 ff., dort auch zum wissenschaftlichen Meinungsstand. 93  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); E. Sehling, Die Rechtsverhält­ nisse an den der Verfügung des Grundeigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 146 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonde­

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tum stehenden Teile des mit dem Gebäude bebauten Grundstücks sind von den einzelnen Sondereigentümern gemeinschaftlich zu unterhalten, die zu­ dem hinsichtlich der Nutzung ihres Sondereigentums auf eine Rücksicht­ nahme gegenüber den anderen Berechtigten verpflichtet sind.94 Während sich dieser Gedanke bei den gemeinschaftlichen Einrichtungen aus dem Miteigen­ tum direkt ergibt, wird die nachbarschaftliche Beschränkung dogmatisch im Übrigen oftmals aus stillschweigenden Servituten begründet.95 3. Die Entstehungsgeschichte des geltenden positiven Rechts a) Allgemeines Bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 gab es keine reichseinheitliche Regelung hinsichtlich des Stockwerkseigentums.96 Das Stockwerkseigentum war in einigen deutschen Territorien des ehemali­ gen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation partikularrechtlich wie durch das auf dem französischen Code Napoléon aufbauende Badische Land­ recht geregelt oder gewohnheitsrechtlich anerkannt, wenngleich sich auch innerhalb der unterschiedlichen Gebiete, in denen Stockwerkseigentum vor­ kam, wiederum Besonderheiten in den konkreten Ausformungen dieses rer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 21; H.-W. Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, ­BWNotZ 1987, 76, (79); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stock­ werkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S.  79 f. 94  A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 61 f. m. w. N. 95  A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S.  66  f. m. w. N. Die Annahme von Servituten, die entsprechende Rechte und Pflichten der Herbergsbesitzer bzw. stockwerkseigentumsrechtlichen Teilhaber untereinander be­ gründen, entspricht im Ergebnis der historischen Entwicklung, die sich in der Neuzeit insbesondere in zahlreichen altfranzösischen Coutumes niedergeschlagen hat.; vgl. ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 142; F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzge­ bung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 96. L’article 216 de la Coutume d’Auxerre: „Si le bas d’une maison appar­ tient à un particulier, et le haut à un autre, celui à qui appartient le bas est tenu de construiere et entretenir tous les mur de cette maison jusqu’à l’étage qui appartient à l’autre, et fournir les poutres, solives et aires ou plancher supérieur de sa dépendance; et le propriétaire du haute est tenu seulement du carreau au-dessus dudil plancher, et du restant des murs ainsi que de la couverture de ladite maison.“; zitiert nach ­J­ .-M.  Lahaye, ebd., S. 142. 96  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 f.



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Rechtsinstituts fanden.97 In diesem Sinne war das Stockwerkseigentum in den territorialen Geltungsbereichen des französischen Code civil, in Würt­ temberg, Baden und Bayern, in Sachsen-Meiningen, in Schleswig, in Frank­ furt, Weimar, Rudolstadt und Coburg, wie auch in Gebieten Österreichs wie Salzburg und der Schweiz vorzufinden.98 Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten aus dem Jahre 1794 regelte dagegen das Stockwerksei­ gentum nicht, etwaige Vorkommen von Stockwerkseigentum wie z. B. im preußischen Thüringen sind aber wissenschaftlich nachgewiesen und wurden auch von der königlich-preußischen Rechtsprechung des Obertribunals teil­ weise als zulässig anerkannt.99 Im rechtsrheinischen Königreich Bayern 97  Etwaige Vorkommen von Stockwerkseigentum gab es bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs unter anderem in Bayern, Baden, Württemberg, Hes­ sen, Schlesien, in der Pfalz, in Sachsen-Meiningen und Lübeck.; vgl. K. v. Jacubetzky, Bemerkungen zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, München 1892, S. 182 ff., 253; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 10, 16 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausfüh­ rungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeit­ schrift 1948 (3), S. 83; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 590 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 ff.) m. w. N.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 75 ff., 93 ff., 107 ff., 136 ff. Ein umfassender Überblick zum Stockwerks­ eigentum im deutschen Raum findet sich bei G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  53 ff. m. w. N. 98  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 13; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzge­ bung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (50 f. mit Fn. 4); H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S.  18 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129) m. w. N.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerks­ eigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S.  75 ff., 93 ff., 107 ff., 136 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 53 ff. m. w. N.; vgl. auch R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 ff. 99  F. Ackermann, Ueber Stockwerkseigentum – insbesondere nach preußischem Recht, Göttingen 1891, S. 16 ff./ 28 ff.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 13; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 591; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979,

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war es fast überall verbreitet und vorwiegend gewohnheitsrechtlich aner­ kennt, wenngleich es auch besondere Statuten gab, die das Stockwerkseigen­ tum regional ausdrücklich regelten, aber auch partikulargesetzliche Ausnah­ men wie in den Gebieten des Würzburger und des Regensburger Rechts, wo es durch besondere Vorschriften später verboten war.100 Insoweit regelte die Würzburger Stadtbauordnung vom 22.08.1722, dass „fürohin bei vorkom­ menden Theilungen eines Hauses nicht anderst als von oben bis unten hinaus als senkelrecht geschehen (zu teilen ist).“101 In Regensburg dagegen verbot die Wachtgerichtsordnung vom 17.03.1657 die horizontale Teilung eines Hauses: „Dessgleichen soll Niemandts von seiner eigenen Behausung einem andern Nach­ barn zu seinem Haus ichzit zu verkaufen oder zuzuaigen machthaben, es seien Keller, Stuben (…) oder anders (…), dann also, dass bei einem jeden Haus alle diejenigen Gemach ob und unter der Erde bleiben, die ein jeder Stock, wie er von der Erden gerad über sich aufgehet, in ihm begreifft und beschleusst.“102 S.  29 ff.; S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsge­ schichte, JA 1983, 415, (416 f.) m. w. N. auch zu der preußischen Rechtsprechung. 100  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 49 f.; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und fran­ zösischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 f. m. w. N.; P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 ff.; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivat­ recht, Halle a. d. S. 1903, S. 316; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sa­ chenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 13; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S.  17; W. v. Henle/ H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbu­ che, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 13 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tü­ bingen 1912, S. 25; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S.  14 ff.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (390, 393). N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stock­ werkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 56 ff., 117; zur Verbreitung des Stockwerkseigentums im ehemaligen Königreich Bayern auch H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, München 1899, S. 741 f. Verboten wurde das Stockwerkseigentum später zudem noch in Nassau (1827), in Weimar (1841), in Schwarzburg Rudolstadt (1858) und in Coburg (1869).; vgl. H. Zoeppritz, ebd., S. 22. 101  Würzburger Stadtbauordnung vom 22.08.1722, zitiert nach O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 15. 102  Regensburger Wachtgerichtsordnung vom 17.03.1657, zitiert nach O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 15; abgedruckt auch bei P. v. Roth, Bayrisches



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Ein entsprechendes frühes Teilungsverbot hatte es für private Gebäudezer­ trümmerungen bereits ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Wien gegeben.103 Während in der bayerischen Pfalz französisches Recht galt und sich das Stockwerkseigentum deshalb linksrheinisch ausformen konnte, war dieses Rechtsinstitut im Bereich des Bayerischen Landrechts eigentlich unzu­ lässig, was aber einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung nicht im Wege stand, weshalb es gegebenenfalls durch etwaige partikulare statutarische Be­ stimmungen unterbunden werden musste.104 Abgeschafft wurde neues Stock­ werkseigentum zudem im Jahre 1827 in Nassau, im Jahre 1841 in Weimar, 1858 in Rudolstadt sowie im Jahre 1869 in Coburg.105 Im Großherzogtum Hessen gab es dagegen baurechtliche Normen, die das Entstehen von Stock­ werkseigentum von der Möglichkeit einer ganzen Absonderung von ausge­ schiedenen Gebäudeteilen abhängig machten, was ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann regelmäßig zur Versagung der notwendigen baurecht­ lichen Erlaubnis führte.106 Der zu Beginn des 19. Jahrhunderts auflebende Kodifikationsstreit zwischen Savigny und Thibaut, ob eine einheitliche Kodi­ fikation des bürgerlichen Rechts erfolgen sollte,107 flammte daher aufgrund der regional vorzufindenden Rechtszersplitterung hinsichtlich der Stock­ werksrechte108 auch in Bezug auf dieses Rechtsinstitut auf, wenngleich sich in der Frage des Stockwerkseigentums beide Rechtsgelehrte in dogmatischer Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 f. Fn. 15, dort auch zu einem entsprechenden Nürnberger Verbotsgesetz. 103  F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (100) m. w. N. 104  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 f. Fn. 15; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 22 f., 25. 105  O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 13; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 32 f. 106  W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S.  21 m. w. N. 107  H. Kiefner, Thibaut und Savigny – Bemerkungen zum Kodifikationsstreit, in: A. Buschmann (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Gmür zum 70. Geburtstag, Bielefeld 1983, S.  53 ff. 108  Vgl. E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des würt­ tembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 10, 16 ff.; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S.  590 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 ff.) m. w. N.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerksei­ gentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 75 ff., 93 ff., 107 ff., 136 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 53 ff. m. w. N.

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Hinsicht einig waren, dass die Konstruktion einer Horizontalteilung auf der Grundlage eines geteilten Eigentums mit dem römischen Recht unvereinbar war.109 Diese Rechtsgedanken manifestierten sich unter anderem in den Überlegungen der zur Erarbeitung eines Entwurfs zum Bürgerlichen Gesetz­ buch berufenen 1. BGB-Kommission, die sich in dem späteren Entwurf des Jahres 1886 zeigten.110 b) Die Normzwecke der Regelungen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in Bezug auf das Stockwerkseigentum – die Motive der Väter des reichseinheitlichen Privatrechts Nach den Gesetzesmaterialien zu den Regelungen des späteren Einfüh­ rungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch zu urteilen, wurde die stock­ werkseigentumsrechtliche Horizontalteilung, wonach ein besonderes Eigen­ tum an den einzelnen Stockwerken möglich sein sollte, d. h., dass verschie­ dene Stockwerke eines Gebäudes auch verschiedenen Eigentümern gehören konnten, von den Vätern einer reichseinheitlichen bürgerlich-rechtlichen Kodifikation abgelehnt.111 Die 1. BGB-Kommission nahm dabei ausdrück­ lich auf das Badische Landrecht Bezug, das die Norm des Art. 664 des Code Civil unverändert beibehalten habe, aber auch auf das Land Bayern, in dem in einigen Gebieten ein Sondereigentum an einzelnen Stockwerken auch un­ abhängig vom französischen Geltungsbereich des Code Napoléon anerkannt war.112 Gleiches galt für die württembergische Praxis sowie für Meiningen, 109  F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gie­ ßen 1818, S. 257 f., 286 ff.; A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 86. 110  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 ff.; vgl. N. Thun, Die rechts­ geschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 136 ff. 111  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 ff.; B. Mugdan, Die gesamm­ ten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sa­ chenrecht, Berlin 1899, S. 24 f.; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Würt­ temberg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (345). Siehe zur Entste­ hungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Abgrenzung zu dem germanischen Rechtsinstitut des Stockwerkseigentums O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  24 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 166 ff. 112  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 f.; B. Mugdan, Die gesamm­ ten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sa­ chenrecht, Berlin 1899, S. 24 f.



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Schleswig und Frankfurt a. M., während nach der Ansicht der 1. BGB-Kom­ mission das Stockwerkseigentum in dem Preußischen Allgemeinen Landrecht nach der neueren Praxis keinen Boden gefunden hatte.113 Begründet wurde die Ablehnung mit dem dogmatischen Standpunkt mit Blick auf den auszuar­ beitenden Entwurf für ein Bürgerliches Gesetzbuch, wonach die Stockwerke eines Gebäudes wesentliche Bestandteile desselben sind und deshalb einem anderen Rechte als dem Grundstück, auf welchem das Gebäude sich befin­ det, nicht unterworfen sein können.114 Damit beriefen sich die mit der Ausar­ beitung eines entsprechenden Entwurfs für ein Bürgerliches Gesetzbuch be­ trauten Väter wieder auf den aus dem römischen Recht stammenden Grund­ satz superficies solo cedit, wonach der Boden bei Grundstücken die Haupt­ sache ist, so dass alles, was mit dem Boden fest zusammenhängt, Bestandteil des Bodens ist, was auch für die rechtlichen Beziehungen der fest mit ihm verbundenen Sachen entscheidend ist.115 Den entscheidenden Beweggrund zur Ablehnung des Stockwerkseigentums sah die 1. BGB-Kommission in erster Linie aber in der Vermeidung einer „indivision forcée“, d. h. einer aus mehreren Inhabern unterschiedlicher Stockwerke bzw. Wohnungen unter Einschluss eines möglichen Miteigentums am Grund und Boden bzw. an den der gemeinschaftlichen Benutzung gewidmeten Hausteilen durch dauerndes Recht bestehenden Gemeinschaft, welche grundsätzlich eine Quelle fortwäh­ render Streitigkeiten eröffnet.116 Dieses Risiko, den Frieden im Innern der 113  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 f.; B. Mugdan, Die gesamm­ ten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sa­ chenrecht, Berlin 1899, S. 24 f. 114  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 42 f., 45; B. Mugdan, Die ge­ sammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25. 115  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 42 f., 45; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25. 116  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 45. In diesem Sinne wird in der Literatur von den Herbergen auch als „Streithäuser“ gesprochen; vgl. J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 45; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachen­ recht, Berlin 1899, S. 25; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stock­ werkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württem­ berg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (349 ff.); Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betreffend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rahmen des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S.  7 ff., 17 f.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., Mün­

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Häuser zu gefährden, konnte nach Ansicht der 1. BGB-Kommission auch nicht durch die Rechtssitte der beteiligten Kreise bzw. durch die lokalen Bedürfnisse gerechtfertigt werden, so dass das Stockwerkseigentum auch im öffentlichen Interesse einer Bekämpfung der Unzuträglichkeiten solcher streitanfälligen Wohnverhältnisse nicht in das künftige Bürgerliche Gesetz­ buch übernommen werden sollte.117 Im Gegenzug sollte seitens der Reichs­ regierung, um die lokalen Bedürfnisse zu berücksichtigen, vorgesehen wer­ den, „daß sie die Befriedigung derselben in den Grenzen des Bestandtheils­ begriffes (von Sachen) den betheiligten Bundesstaaten überläßt. Der hierzu erforderliche Vorbehalt aber (…) (sollte) in dem Einführungsgesetze seine Stelle (finden).“118 Damit steht fest, dass die landesrechtlichen Vorbehalte zur Ausgestaltung des Stockwerkseigentums in dem Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch nach der Absicht des Reichsgesetzgebers den Lan­ desgesetzgebern die Möglichkeit geben sollten, die besonderen altrechtlichen Formen des Stockwerkseigentums zu bewahren bzw. ausgestaltend zu verän­ dern, damit auch den regionalen Gewohnheiten, den Rechtssitten der betei­ ligten Kreise und den lokalen Bedürfnissen Rechnung getragen werden konnte.119 Im Ergebnis handelte es sich deshalb vom Sinn und Zweck her um die Durchsetzung einer einheitlichen Kodifikation eines Bürgerlichen Ge­ setzbuchs am Maßstab von allgemein anerkannten Grundsätzen, ohne aber die anerkannten Wertungen der regionalen Rechtsgemeinschaften hinsichtlich des althergebrachten Stockwerkseigentums vollständig leerlaufen lassen zu chen 1986, S. 55; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (60). 117  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 45 f.; B. Mugdan, Die gesamm­ ten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sa­ chenrecht, Berlin 1899, S. 25. 118  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 46; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachen­ recht, Berlin 1899, S. 25, 243 f.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Aus­ führungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S.  33 f., 39 f.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 9. 119  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 46; B. Mugdan, Die ge­ sammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25, 243 f.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 33 f., 39 f.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestim­ mungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stutt­ gart 1907, S. 9.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei343

wollen.120 Deshalb wurde durch den Reichsgesetzgeber durch die Vorbehalte an die jeweiligen Landesgesetzgeber eine legislative Flexibilität geschaffen, damit diese die partikularen Besonderheiten in den Ländern und Regionen hinreichend berücksichtigen konnten.121 Eine entscheidende Anmerkung ist zu der Entstehungsgeschichte des Wortlauts des späteren Art. 182 EGBGB geboten. Der Reichsgesetzgeber hatte insoweit zunächst den grammatikalischen Wortlaut von Stockwerks­ rechten diskutiert, der sich aber schließlich nicht in der späteren Gesetzesfas­ sung der Vorschrift des Art. 182 EGBGB niedergeschlagen hat, sondern durch das Wort Stockwerkseigentum ersetzt wurde.122 Hintergrund war die Mannigfaltigkeit der altrechtlichen Rechtsverhältnisse in den Ländern des Deutschen Kaiserreiches, die vom Standpunkt der romanistischen Doktrin teilweise rechtlich differenziert zu beurteilen waren.123 In diesem Sinne konnte beispielsweise ein echtes Sondereigentum als Stockwerkseigentum ohne einen dazugehörenden Miteigentumsanteil, so wie dies im linksrheini­ schen Raum vorzufinden war,124 gegebenenfalls auch dem aus dem römi­

120  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 42 f., 45 f.; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25, 243 f. 121  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 46; B. Mugdan, Die ge­ sammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25, 243 f.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 33 f., 39 f.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestim­ mungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stutt­ gart 1907, S. 9. 122  Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerli­ chen Gesetzbuchs, Band VI, Berlin 1899, S. 628 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Das „Keller­ recht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (77 f. mit Fn. 15). 123  Vgl. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bür­ gerlichen Gesetzbuchs, Band VI, Berlin 1899, S. 630; ­H.-W.  Thümmel, Das „Keller­ recht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (78). 124  E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentü­ mers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 146 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 21; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Ent­ wicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 79 f.; ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerks­ eigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (78).

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

schen Recht stammenden Institut der superficies entsprechen,125 womit streitig war, ob deshalb derartige Stockwerksrechte von dem späteren Art. 182 EGBGB überhaupt erfasst sein würden.126 Mehrere Länder drängten deshalb im Rahmen der zweiten Lesung der 2. BGB-Kommission auf eine redaktio­ nelle Änderung, um den Untergang ihrer altrechtlichen Rechtsverhältnisse zu verhindern.127 Nachdem aber mit dem späteren Art. 184 EGBGB auch sons­ tige Altrechte wie Superfiziarrechte bzw. Servitute unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch aufrechterhalten bleiben sollten, war die Besorgnis der reklamie­ renden Länder behoben.128 In Art. 182 EGBGB schlug sich dies schließlich grammatikalisch in dem Wort Stockwerkseigentum nieder, dessen Auslegung Rechtsprechung und Lehre überlassen wurde.129 Aus der weiteren Entste­ hungsgeschichte zu den Normen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ergibt sich deshalb, dass trotz der Mannigfaltigkeit von Altrech­ ten, die sich in den Ländern im Laufe der vergangenen Jahrhunderte teils gewohnheitsrechtlich herausgebildet hatten, und der darauf bezogenen Bera­ tungen und Diskussionen um den konkreten Wortlaut der Normen die Alt­ rechte länderfreundlich konserviert werden sollten, um die regionalen Ge­ wohnheiten und Rechtssitten zu berücksichtigen, wobei aber etwaige Neube­ gründungen nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausge­ schlossen bleiben sollten.130 125  M. Rainer, Superficies und Stockwerkseigentum im klassischen römischen Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanische Abteilung 1989 (106), S. 327 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (78). 126  Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürger­ lichen Gesetzbuchs, Band VI, Berlin 1899, S. 630; ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Rest­ grundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (78). 127  Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürger­ lichen Gesetzbuchs, Band VI, Berlin 1899, S. 630; ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Rest­ grundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (78). 128  Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürger­ lichen Gesetzbuchs, Band VI, Berlin 1899, S. 628 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Das „Keller­ recht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (78). Die teleologi­ sche Nähe der Normen der Art. 182 und 184 EGBGB zeigt sich auch daran, dass diese Normen im Entwurf der 2. BGB-Kommission noch in einem Artikel zusam­ mengefasst waren; so ­H.-W.  Thümmel, ebd., S. 78 Fn. 13. 129  Vgl. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388 ff., 397 ff.) m. w. N. 130  Vgl. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bür­ gerlichen Gesetzbuchs, Band VI, Berlin 1899, S. 628 ff.; B. Mugdan, Die gesammten



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei345

c) Motive hinsichtlich des Stockwerkseigentums im Entwurf für ein Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahre 1864 Im Königreich Bayern wurde von dem Königlich Bayerischen Staatsmi­ nisterium der Justiz dagegen eine Kommission eingesetzt, die mit der Erar­ beitung eines Entwurfs für ein Bürgerliches Gesetzbuch für die bayerische Monarchie allerhöchst betraut wurde.131 Der entsprechende Entwurf für den dritten Teil mit dem Titel „Besitz und Rechte an Sachen“ lag „nebst dem verwandten Hauptstücke des allgemeinen Theiles – Von den Sachen –“ im Jahre 1864 vor132 und enthielt auch Normen zum Stockwerkseigentum, die wörtlich wiedergegeben werden sollen, um das damalige Gedankengut hin­ sichtlich des stockwerkseigentumsrechtlichen Rechtsinstituts im Königreich Bayern vor dem späteren Inkrafttreten des reichseinheitlichen Bürgerlichen Gesetzbuchs zu verdeutlichen.133 Die eingesetzte Kommission war von dem Grundsatz bestimmt, dass es Sondereigentum an räumlich ausgeschiedenen Teilen eines Gebäudes gibt und dass solche Rechtsverhältnisse, „wenn auch nach den allgemeinen Rechtsbegriffen nicht wohl zu konstruieren und anor­ mal, (…) als in der Rechtssitte und in lokalen Bedürfnissen begründet, auch keinem öffentlichen Interesse widerstreitend, weder verboten noch ignoriert Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachen­ recht, Berlin 1899, S. 24 f.; ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigen­ tum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (77 f.). 131  Freiherr v. Mulzer, in: Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, Vorwort. Siehe zu der gesamten bayerischen Gesetzgebungsgeschichte hinsichtlich des Stockwerkseigentums auch unter Berücksichtigung des Entwurfs für ein Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahre 1808 N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 118 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 105 ff. Eine ähnliche Entwicklung hinsichtlich eines Gesetz­ entwurfs für ein Bürgerliches Gesetzbuch, das sich an den französischen Code Napo­ léon anlehnte, gab es auch im Großherzogtum Hessen mit einem entsprechenden Gesetzentwurf aus dem Jahre 1845.; vgl. J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 51; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 21 f. m. w. N. 132  Freiherr v. Mulzer, in: Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, Vorwort. 133  Vgl. Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 48 f.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

werden (können).“134 Gemäß dieser geäußerten Absicht wurden die folgen­ den Vorschriften in den königlich-bayerischen Entwurf aufgenommen:135 Art. 212. Wenn Mehreren das Eigenthum an räumlich ausgeschiedenen Theilen eines Gebäu­ des zusteht, so sind Grund, Dach, Hofraum und die anderen zum gemeinschaftlichen Gebrauche dienenden Bestandtheile des Gebäudes unter ihnen nach Verhältniß des Werthes der Sondertheile gemeinschaftlich. Dieses Miteigenthum gilt als Bestandtheil des Eigentums an dem Sondertheile und kann nur mit dem letzteren zur Veräußerung gebracht werden. In dem Absatz 1 bezeichneten Verhältnisse haben die Theileigenthümer zu den Erhaltungs- und Wiederherstellungskosten der ihnen gemeinschaftlich dienenden Theile des Gebäudes beizutragen. Art. 213. Gehören verschiedene Stockwerke eines Hauses verschiedenen Personen, so hat der Eigenthümer eines jeden Stockwerkes den Aufwand für Erhaltung des Fußbodens und seiner Unterlage, sowie der Decke seines Stockwerkes, dann der Treppe, welche von dem nächst unteren Stockwerke zu dem seinen führt, für sich allein zu bestreiten. Verzögert der Eigenthümer die ihm obliegende Ausbesserung oder Wiederherstel­ lung ungeachtet geschehener Aufforderung, so hat jeder Theileigenthümer das Recht, die nothwendigen Verwendungen zu machen und die Rückerstattung seines Aufwan­ des zu verlangen. Art. 214. Verabredungen, wodurch die Bestimmungen der Art. 212 und 213 abgeändert wer­ den, sind nur giltig, wenn hierüber eine öffentliche Urkunde errichtet ist. Dritten gegenüber wirken dieselben nur unter den Voraussetzungen des Art. 59.

134  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 71; Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetz­ buches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 45; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 107 f. 135  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 48 f.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei347 Art. 215.

Im Falle des Verkaufes eines räumlich ausgeschiedenen Antheiles eines Gebäudes steht den übrigen Theileigentümern ein gesetzliches Vorkaufsrecht zu, welches nach den Bestimmungen der Art. 384, 385, 387 und 388 Th. II zu beurtheilen ist. Art. 216. Die auf das Nachbarrecht bezüglichen Bestimmungen der Bauordnungen bleiben vorbehalten.

Ausweislich der zitierten Vorschriften hatte die allerhöchst eingesetzte bayerische Kommission in erster Linie das altrechtliche echte Stockwerks­ eigentum vor Augen, für das entsprechende Regelungen mit Blick auf dessen rechtlicher Behandlung verwirklicht werden sollten.136 Dies wird in der Kommentierung zu den Normen im Rahmen des Entwurfs bestätigt, wenn ausgeführt wurde, dass „bei der weniger bemittelten Einwohnerklasse (…) häufig ein Theileigentum mehrerer Personen an einem und demselben Ge­ bäude nach räumlich ausgeschiedenen Theilen, nach Stockwerken oder nach einzelnen Wohnungsräumen (vorgekommen ist).“137 Den Regelungsbedarf sah man letztlich in dem Umstand, dass private Vereinbarungen der einzel­ nen Stockwerkseigentümer regelmäßig fehlten, wobei das französische Zivil­ gesetzbuch ausdrücklich als Vorbild genannt wurde.138 Nach Art. 212 des bayerischen Entwurfs sollte deshalb eine eindeutige rechtliche und allge­ meingültige Aufteilung vorgenommen werden, wonach „in Ermangelung anderer Anhaltspunkte jeder als Miteigenthümer an dem Grund und Boden und an den zum gemeinschaftlichen Gebrauche dienenden Bestandthei­ len des Gebäudes nach dem Werthe seines Antheiles zu betrachten (…) (sein soll­ te), wobei (…) dieser ideelle Theil an dem Gesamteigenthume mit dem Sonderei­ genthume eines jeden Betheiligten an den ausgeschiedenen Räumlichkeiten in un­

136  Vgl. Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 48 f., 71. 137  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 71; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit be­ sonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübin­ gen 1912, S. 25. 138  Vgl. Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf ei­ nes bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 71; R. Schröder, Ueber eigentümliche For­ men des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S.  27 f.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

zertrennbarer Verbindung (…) (stehen), und eine abgesonderte Veräußerung des einen oder des anderen Gegenstandes nicht zulässig (…) (sein sollte).“139

Entsprechend sollte der Maßstab für die Lastenverteilung festgelegt sein, was mit Art. 213 des Entwurfs konkretisiert wurde, wobei auch hier die könig­ lich-bayerische Kommission in erster Linie den am häufigsten vorkommenden Fall eines den Beteiligten zustehenden Sondereigentums an einzelnen Stock­ werken erfassen, und den sonstigen Stockwerkseigentümern im Falle der Nichtabhilfe bezüglich Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen ein Recht auf Selbstvornahme „notwendige(r) Verwendungen auf Kosten des Säumi­ gen“ und damit mit Erstattungsanspruch einräumen wollte.140 Etwaige abwei­ chende Bestimmungen über diese Rechtsverhältnisse durch Vertrag oder letzt­ willige Verfügung sollten nach Art. 214 des bayerischen Entwurfs möglich sein, wobei die Kommission auch die möglichen Missstände im Rahmen der­ artiger Herbergen im Blick hatte, weshalb zum einen der urkundliche Nach­ weis im Falle sonstiger Vereinbarungen von Gesetzes wegen verlangt werden sollte, zum anderen nach Art. 215 auch ein Vorkaufsrecht der anderen Stock­ werkseigentümer für den Fall der Veräußerung eines räumlich ausgeschiede­ nen Teils bestehen sollte, weil „bei einem Verhältnisse, welches (…) fast un­ ausweichlich mit mannigfachen Mißständen verbunden ist, (…) die Konsoli­ dierung mehrerer Antheile in einer Hand höchst wünschenswerth erscheint und (daher) Begünstigung verdient.“141 Daran zeigt sich, dass auch die aller­ höchst eingesetzte bayerische Kommission die Anfälligkeit von Stockwerksei­ gentum für Streitigkeiten, so wie sie auch seitens des Reichsgesetzgebers spä­ ter als Grund für die reichseinheitliche Ablehnung des Rechtsinstituts unter landesrechtlichen Vorbehalten angeführt wurde,142 erkannt hatte, man hier aber im Königreich Bayern den gelebten und anerkannten Rechtsgewohnhei­ ten und -sitten Raum zur Entfaltung geben wollte.143 Mit der Norm des 139  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 71; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 23 f. 140  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 71 f.; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 24. 141  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 72; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 24. 142  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 45. 143  Vgl. Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei349

Art. 216 des königlich-bayerischen Entwurfs sollte schließlich noch festgelegt werden, dass die bestehenden baurechtlichen Vorschriften „zur nächsten und unmittelbaren Richtschnur“ unberührt bleiben sollten, da auch sie den lokalen Bedürfnissen dienen und die gelebte Rechtssitte enthalten konnten.144 d) Der reichseinheitliche Sinneswandel im Königreich Bayern mit der Norm des Art. 42 des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 09.06.1899 betreffend Mit der Vorschrift des Art. 42 BayÜGBGB hat das Königreich Bayern schließlich eine Überleitungsnorm geschaffen, mit der das bestehende alt­ rechtliche Stockwerkseigentum, das in mannigfaltigen Ausformungen vor­ handen war, im Sinne von uneigentlichem bzw. unechtem Stockwerkseigen­ tum vereinheitlicht werden sollte.145 Damit kam der Bayerische Gesetzgeber dem landesrechtlichen Vorbehalt des Art. 131 EGBGB ziemlich nahe, indem praktisch eine entsprechende Regelung geschaffen und die Rechtslage an diese Norm angepasst wurde.146 Die Übergangsvorschrift des Art.  42 BayÜGBGB hatte den folgenden Wortlaut und ist die Vorgängervorschrift der späteren und heute noch geltenden Norm des Art. 62 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs:147 an Sachen, München 1864, S. 72; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 23 f. 144  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 72. 145  Art. 42 des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 09.06.1899 betreffend, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1899, Beilage zu Nr. 28, S. 94; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausfüh­ rungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); vgl. auch O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonde­ rer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 32. 146  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 32; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 f.). Die Vorschrift des Art. 42 BayÜGBGB galt für die Landesteile rechts des Rheins, für die Pfalz erfolgte die Anpassung durch Art. 20 des Liegenschaftsgesetzes vom 01.07.1898; vgl. Pfälzisches Liegenschaftsrechtsgesetz vom 01.07.1898, BayGVBl. 1898, Nr.  36, S.  370; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 184 ff.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonde­ rer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 32; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (130). 147  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB).

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums Art. 42.

Das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stock­ werkseigentum (Herbergsrecht) gilt von diesem Zeitpunkte an als Miteigenthum an dem Grundstücke mit der Maßgabe, daß jedem Miteigenthümer die ausschließliche und dauernde Benutzung derjenigen Theile des Gebäudes zusteht, welche ihm zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehören, und daß der Aufwand für deren Unterhaltung ihm zur Last fällt. Der Anspruch auf Aufhebung der Gemein­ schaft ist ausgeschlossen. Auf die Benutzungsrechte der Miteigenthümer findet die Vorschrift des § 1010 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung.

Nach den Gesetzesmaterialien zur Bayerischen Ausführungs- bzw. Über­ gangsgesetzgebung mit Blick auf die Normen bzw. die Vorbehalte des Ein­ führungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch wurde die noch in dem Entwurf für ein entsprechendes Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahre 1864 vorgesehene Konzeption von etwaigen Ausfüh­ rungsregelungen nach französischem Vorbild für das altrechtliche echte Stockwerkseigentum nicht weiterverfolgt, ohne aber das auf anerkannter Gewohnheit und Rechtssitte beruhende herbergsrechtliche Rechtsinstitut vollständig aufgeben zu wollen.148 Über den Beratungen entfaltete sich aber nun zunehmend der Geist aus den Erläuterungen um eine reichseinheitliche Kodifikation eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, der auf eine Ablehnung des Stockwerkseigentums auf Reichsebene aufgrund von dessen typischer Anfäl­ ligkeit für Streitigkeiten der Herbergsbesitzer untereinander gerichtet war und sich nun auch in den Erörterungen des Bayerischen Landesgesetzgebers aufzeigte.149 Zwar wurde im Rahmen der Beratungen zu der Bayerischen Ausführungsgesetzgebung mitunter auch die sozialpolitische Komponente unterstrichen, wonach das Stockwerkseigentum bzw. die Herbergen als ein probates Mittel angesehen werden konnten, um auch ärmeren Menschen und Familien einen eigenen Besitz im Rahmen eines ansonsten lediglich geteilten Gemeinschaftsverhältnisses zu ermöglichen.150 Nur überwogen inzwischen 148  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 189, 740 f.; vgl. auch O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 32. 149  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 740 f.; vgl. Mo­ tive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 45. 150  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 187, 701, 741 f.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 30.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei351

auch hier die im Rahmen der Beratungen zu einem einheitlichen Bürgerli­ chen Gesetzbuch für das Deutsche Reich diskutierten Bedenken, wonach solche stockwerkseigentumsrechtlichen Verbindungen der Gefahr von regel­ mäßigen Streitigkeiten ausgesetzt waren, so dass zwar die bestehenden Rechtsverhältnisse weiter anerkannt, aber nicht mehr neubegründet bzw. ausgeweitet werden sollten.151 Konkret hat der Bayerische Gesetzgeber die Rechtsnatur der Herbergsrechte als „eigenthümliche anomale Konstruktion“ in der Form von „Sondereigenthum an Bestandtheilen eines Gebäudeganzen“ beschrieben, die von dem zukünftigen Bürgerlichen Gesetzbuch ausgeschlos­ sen sein sollten.152 Auf Andrängen der Bayerischen Staatsregierung seien aber in das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch etwaige Vorbe­ halte aufgenommen worden, zum einen, dass bereits bestehendes Sonderei­ gentum dieser Art erhalten bleiben sollte, zum anderen aber die Miteigentü­ mer eines Hauses, bei dem die unterschiedlichen Stockwerke im Sinne eines ausschließlichen Benutzungsrechts zwischen den einzelnen Teilhabern ver­ teilt seien, wobei hier im Rahmen eines Klammerzusatzes auch das Rechts­ institut der Dienstbarkeit erwähnt wurde, durch Landesgesetz vor den Rege­ lungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über das Recht auf eine Aufhebung der Gemeinschaft geschützt werden sollten.153 Damit hat der Bayerische Gesetz­ geber zunächst die Norm des Art. 182 EGBGB angesprochen, die das am 01.01.1900 bestehende Stockwerkseigentum aufrechterhält, zudem Art. 131 EGBGB, der den Landesgesetzgebern mitunter gestattet, Vorschriften für den Fall von Miteigentumsgemeinschaften zu erlassen, die das Recht auf Teilung der Gemeinschaft durch die Stockwerkseigentümer selbst, einen Konkursver­ walter oder einen Pfandgläubiger eines Teilhabers ausschließen.154 Überdies sollte durch Art. 131 EGBGB die landesrechtliche Option eröffnet bleiben, das Gemeinschaftsverhältnis näher zu bestimmen, um Fragen hinsichtlich der Kostenlast bei gemeinschaftlichen Bestandteilen wie dem Dach durch Gesetz

151  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 187 ff., 740 ff.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 30 ff.; vgl. Motive zu dem Entwurfe ei­ nes Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 45. 152  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 740. 153  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 740; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 30. 154  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 40, 740.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

ausgestalten zu können.155 Andererseits wurde im Rahmen der Beratungen die Ansicht vertreten, dass man es hinsichtlich der Aufhebung der Gemein­ schaft auch bei den Vorschriften der §§ 749 ff. BGB belassen könne, da etwa­ ige Streitigkeiten unter den Herbergsbesitzern wie auch der Fall eines Kon­ kurses wichtige Gründe darstellen, um dann die Teilung der Gemeinschaft durchzusetzen.156 Der Bayerische Gesetzgeber hat zudem ausdrücklich auf die Tatsache hingewiesen, dass die süddeutschen Staaten wie auch Würt­ temberg und Baden die Neubegründung von Stockwerkseigentum sämtlich ausgeschlossen und sich mit der Beibehaltung von bestehenden Rechts­ verhältnissen begnügt haben.157 Im Ergebnis zeigen die Beratungen des Bayerischen Gesetzgebers aber auf, dass es durchaus Tendenzen zu einer landesrechtlichen Ausübung des Vorbehaltes des im Rahmen des Einfüh­ rungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch geschaffenen Art. 131 EGBGB gab, die unter anderem aus sozialpolitischen Beweggründen bzw. aus dem Umstand, dass die Bayerische Staatsregierung auf diesen landesgesetzgeberi­ schen Vorbehalt des Reichsgesetzgebers selbst hingewirkt hatte, motiviert waren.158 Im Ergebnis wurde dann mit Art. 42 BayÜGBGB in Ausübung der den Landesgesetzgebern mit Art. 218 EGBGB eingeräumten Befugnis zur Änderung von bestehenden Gesetzen ein Kompromiss gefunden, der eine der Norm des Art. 131 EGBGB ähnliche Ausformung des Stockwerkseigentums vorsah.159 Diese Vorschrift war mit dem Geist des reichseinheitlichen Bür­ gerlichen Gesetzbuchs vereinbar, sie verwirklichte aber letztlich nicht die den Landesgesetzgebern nach der Norm des Art. 131 EGBGB eingeräumte Befugnis zur dogmatischen Anpassung von bestehenden Herbergsrechten, wobei umstritten war, ob sich aus dieser Vorschrift auch die Kompetenz zu einer Begründung von neuen stockwerkseigentumsrechtlichen Verhältnissen

155  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 740 f. 156  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 743 f. 157  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 744. 158  Vgl. H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 741  ff.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 30. 159  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 32; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 f.). Art. 218 EGBGB: „Soweit nach den Vorschriften dieses Abschnitts die bisherigen Landesgesetze maßgebend bleiben, können sie nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch Lan­ desgesetz auch geändert werden.“



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei353

ergeben sollte.160 Gleichzeitig wurde das grundsätzliche Wesen des Her­ bergsrechts mit einem Ausschluss der Aufhebung der miteigentumsrechtli­ chen Gemeinschaft, vermutlich auch aus sozialpolitischen Erwägungen, be­ wahrt, wenngleich aus den diesbezüglichen Beratungen hervorgeht, dass Konstruktionen von bestimmtem Sondereigentum an ausgeschiedenen Teilen eines Gebäudeganzen auch bestehen bleiben konnten, so dass Art. 42 BayÜGBGB nicht ausschließlich wirken sollte.161 Im Innenverhältnis der Stockwerkseigen­ tümer sollten dagegen grundsätzlich die Vorschriften der §§ 741 ff. BGB gelten, insofern sich aus der Übergangs- bzw. Überleitungs­ norm des Art. 42 BayÜGBGB nichts anderes ergibt.162 4. Die Kommentierung bei Wilhelm von Henle und Heinrich von Schneider als Referenz der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts Nach der Kommentierung von Henle und Schneider zu der Vorschrift des Art. 42 des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 09.06.1899 betreffend, die auch in mehreren Entscheidun­ gen des Bayerischen Obersten Landesgerichts angeführt wird,163 kann Stockwerkseigentum nach dem 01.01.1900 nicht mehr begründet werden, weil das Bürgerliche Gesetzbuch ein Sondereigentum an den Bestandteilen eines Gebäudes im Sinne der §§ 93 und 94 BGB und die Bestellung eines Erbbaurechts an einem Teil eines Gebäudes nach § 1014 BGB a. F. aus­ schließt.164 Dies gilt unabhängig von einer etwaigen späteren Anlegung des Grundbuchs, wie es von der Norm des Art. 189 I EGBGB in Erwägung ge­ zogen wird.165 Nach Art. 42 S. 1, 2 BayÜGBGB gilt das zur Zeit des Inkraft­ tretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerkseigentum nun­ 160  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 187, 701. 161  Vgl. H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 40. 162  Vgl. zum Ganzen H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausfüh­ rungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 40, 743 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Ge­ setze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichti­ gung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 32; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 f.). 163  Vgl. nur BayObLGZ 3, 1023, (1025); BayObLGZ 1967, 397, (399 f.). 164  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 165  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 (zu Art. 42 BayÜGBGB).

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

mehr von diesem Zeitpunkt an als Miteigentum an dem Grundstück mit der Maßgabe, dass jedem Miteigentümer die ausschließliche und dauernde Be­ nutzung derjenigen Teile des Gebäudes zusteht, welche ihm zur Zeit des In­ krafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehören, dass der Aufwand für deren Unterhaltung ihm zur Last fällt und der Anspruch auf Aufhebung der Gemeinschaft ausgeschlossen ist.166 Damit hat der Bayerische Gesetzgeber von der ihm eingeräumten Befugnis nach der Norm des Art. 218 EGBGB Gebrauch gemacht und das bestehende Stockwerkseigentum den von der Norm des Art. 131 EGBGB tatbestandlich erfassten Ausformungen im Sinne von uneigentlichem bzw. unechtem Stockwerkseigentum angepasst.167 Un­ abhängig davon wurde aus der Norm des Art. 131 EGBGB aber die Kompe­ tenz des Bayerischen Gesetzgebers abgeleitet, auch die spätere Neubegrün­ dung von unechtem Stockwerkseigentum nach dem Inkrafttreten des Bürger­ lichen Gesetzbuchs vorzusehen, wovon der Bayerische Gesetzgeber aber keinen Gebrauch gemacht hat.168 Damit kann nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Benutzung eines gemeinschaftlichen Gebäudes grundsätzlich dauernd in der Weise geregelt werden, dass jedem Teilhaber die ausschließliche Benutzung eines Teiles des Gebäudes zusteht, §§ 745, 746, 1010 BGB, wobei die dann nicht herbergsrechtlich begründete Gemein­ schaft stets der generellen Aufhebung entsprechend der §§ 749 ff. BGB un­ terliegt.169 Für die bereits vor dem 01.01.1900 begründeten altrechtlichen Rechtsverhältnisse galt dagegen fortan die Vorschrift des Art. 42 BayÜGBGB, die später dann durch die bis auf das Abstellen auf den Zeitpunkt des Inkraft­ tretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs vom Wortlaut her gleichlautende Norm des Art. 62 BayAGBGB ersetzt wurde,170 wobei Art. 182 EGBGB ein am 166  Art. 42 des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 09.06.1899 betreffend, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1899, Beilage zu Nr. 28, S. 94; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausfüh­ rungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 167  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 168  BayObLGZ 3, 1023, (1024); W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 169  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB). 170  Vgl. nur W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 118; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn.  2 ff.; ­H.-W. Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (130); G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (397 f.); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsge­



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01.01.1900 bestehendes sonstiges Stockwerkseigentum in Einzelfällen auch dann aufrechterhalten kann, wenn ein entsprechendes Sondereigentum an einem Teil des Gebäudes als einer selbständigen Sache im Sinne von echtem bzw. eigentlichem Stockwerkseigentum vorliegt.171 Nach Art. 42 BayÜG­ BGB werden die vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs beste­ henden Rechtsverhältnisse in eine mit dem Geist des Bürgerlichen Gesetz­ buchs übereinstimmende Rechtsform gebracht und die Grundlage für eine einheitliche Rechtsanwendung geschaffen, wobei das Miteigentum an dem Grundstück zur Hauptsache erhoben worden ist, so dass dieses nun auch die ehemaligen Sondereigentumsteile in sich aufnimmt und die Sonderrechte nur noch als wesentlicher Bestandteil des Anteils an der Gemeinschaft gelten.172 Das Miteigentum erfasst damit das ganze Grundstück einschließlich der Bo­ denfläche, der Gebäude und der vormaligen Sonderrechte.173 Aus der Kommentierung lässt sich die Notwendigkeit von Ausnahmen hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 42 BayÜGBGB herleiten. Dies be­ trifft insbesondere den Fall, in dem ein Teilhaber zwar über ein Sonderrecht verfügt, nicht aber an der gemeinschaftlichen Grundfläche beteiligt ist, weil dann nach Maßgabe der Grundfläche das Sonderrecht als Ausdruck des we­ sentlichen Anteils an der Gemeinschaft nicht definierbar sein kann.174 In diesem Fall wird der Regelungszweck von Art. 182 EGBGB eingreifen kön­ nen, der darin besteht, heute nicht mehr begründbare und daher unzulässige altrechtliche Rechtsverhältnisse zu sichern.175 Gleiches gilt auch für real ge­ teilte Haushälften, die über eigene Grundstücke verfügen.176 Hier besteht setz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 12. 171  Vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S.  288, 290 (zu Art.  42 BayÜGBGB), wobei diese Passage bei den Kommentatoren hier nicht ganz eindeutig ist. 172  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 173  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 174  Vgl. BayObLGZ 22, 270, (271 f.); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Mün­ chen 1988, Art. 62 Rn. 4, der in dem Fall, in dem das Sonderrecht an einem Gebäu­ deteil nicht zugleich mit Miteigentum an anderen Grundstücksteilen wie auch der Grundfläche einhergeht, das Vorliegen eines Stockwerkseigentums verneint; vgl. auch G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (398 f.) m. w. N. 175  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; G. Freudling, Echtes alt­ rechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). 176  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.).

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

bereits keine Notwendigkeit für eine Umwandlung in uneigentliches Stock­ werkseigentum entsprechend Art. 42 BayÜGBGB, da der Rechtszustand be­ reits dem Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs entspricht, und zudem fraglich sein kann, ob dies nicht auf eine unzulässige Neubegründung von Stock­ werkseigentum hinauslaufen könnte.177 5. Die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts a) BayObLGZ 3, 1023 (Unzulässigkeit der Ausdehnung von Stockwerkseigentum auf bisher im Alleineigentum stehende Teile der Grundfläche) Das Bayerische Oberste Landesgericht hat mit dem Beschluss vom 05.12.1902, BayObLGZ 3, 1023, eine erste Grundsatzentscheidung getroffen und die Unzulässigkeit der Ausdehnung eines Miteigentumsverhältnisses im Sinne von Art. 42 BayÜGBGB auf eine Grundfläche hervorgehoben, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Alleineigen­ tum stand.178 Damit hat das oberste ordentliche Gericht Bayerns die Er­ streckung von Stockwerkseigentum in waagerechter Richtung auf neue Grundflächen ausgeschlossen und dies mit dem Argument begründet, dass ansonsten eine seit dem 01.01.1900 unzulässige Neubegründung von Stock­ werkseigentum vorliegen würde.179 Das zur Entscheidung anstehende Be­ schwerdeverfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht hatte ein an ein anderes und im Stockwerkseigentum stehendes Gewölbe unmittelbar da­ nach anschließendes Gewölbe zum Gegenstand, das bisher im Alleineigen­ tum stand und nunmehr durch Eigentumsübergang in rechtlicher Hinsicht an das bisherige im Stockwerkseigentum stehende Gewölbe angeschlossen wer­ den sollte.180 Das Gericht bezog sich hierbei auf den Standpunkt des Bürger­ lichen Gesetzbuchs, wonach in Übereinstimmung mit dem gemeinen Recht das Grundstück die Hauptsache und das auf ihm errichtete Gebäude wesent­ licher Bestandteil dieses Grundstücks ist, so dass im Falle der Aufteilung der 177  BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigen­ tum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399); vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 4. 178  BayObLGZ 3, 1023. 179  BayObLGZ 3, 1023, (1023 f.). 180  BayObLGZ 3, 1023, (1023 f.).



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Grundfläche eines Hauses in Miteigentumsteile und entsprechendes Alleinei­ gentum diese rechtlichen Verhältnisse uneingeschränkt gelten, d. h., dass der gemeinschaftliche Teil der Grundfläche dann im Miteigentum steht, der im Alleineigentum stehende Teil der Grundfläche dagegen trotz der Vorschrift des Art. 42 BayÜGBGB im Alleineigentum bleibt, „geradeso, wie wenn die Teile besondere Häuser wären.“181 Bemerkenswert ist, dass das Gericht die­ ses Ergebnis unter Bezugnahme auf Art. 182 EGBGB zu begründen versucht hat.182 Damit wird dogmatisch ausdrücklich signalisiert, dass es Fallgestal­ tungen geben kann, auf die Art. 42 BayÜGBGB keine Anwendung findet, sondern die entsprechend dem Sinn und Zweck des Art. 182 EGBGB zu lö­ sen sind.183 Insoweit führt das Bayerische Oberste Landesgericht dann aus, dass sich Art. 182 EGBGB nach seinem Wortlaut nur auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehendes Stockwerkseigen­ tum beziehe und keinesfalls gestatte, dass eine Horizontal- oder Querteilung auf bisher noch nicht einbezogene Flächen erstreckt werden dürfe.184 Glei­ ches gilt nach dem Gericht schließlich auch, wenn es zwei getrennte Häuser wären, d. h., dass real geteilte Haushälften mit eigenen und im Alleineigen­ tum stehenden Grundstücken nicht von Art. 42 BayÜGBGB erfasst werden können, so dass es auch hier bei Art. 182 EGBGB bleibt.185 Mit anderen Worten kann Art. 182 EGBGB der Umwandlung in unechtes Stockwerksei­ gentum nach Art. 42 Bay-ÜBGBG entgegenstehen, wenn Alleineigentum an einer bisher noch nicht einbezogenen Fläche oder an Teilen einer im Mitei­ gentum stehenden Fläche besteht, womit die höchstbayerische Rechtspre­ chung bereits früh eine Grenze hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 42 BayÜGBGB anerkannt hat.186 b) BayObLGZ 22, 270 (Miteigentum als Voraussetzung von Stockwerkseigentum) In der Entscheidung BayObLGZ 22, 270 hat sich das Bayerische Oberste Landesgericht im Zusammenhang mit einem unter einem gemeinschaftlichen Grund erweiterten Felsenkeller mit dem Anwendungsbereich des Art. 182 EGBGB auseinandergesetzt.187 Das Gericht führt insoweit aus, dass Art. 182 EGBGB darauf gerichtet ist, bereits bestehendes Stockwerkseigentum zu si­ 181  BayObLGZ

3, 1023, (1024 f.). BayObLGZ 3, 1023, (1024). 183  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1024). 184  BayObLGZ 3, 1023, (1024). 185  BayObLGZ 3, 1023, (1023, 1025). 186  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.). 187  BayObLGZ 22, 270. 182  Vgl.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

chern und aufrechtzuerhalten.188 Hierunter fallen nach der Ansicht des Bay­ erischen Obersten Landesgerichts die Konstellationen, in denen die Berech­ tigten an den einzelnen Stockwerken eines Gebäudes ein selbständiges Son­ dereigentum haben, wobei das Gericht als Voraussetzung für die Annahme von Stockwerkseigentum grundsätzlich ein entsprechendes Miteigentums­ verhältnis verlangte, insbesondere an der gemeinschaftlichen Grundfläche oder an sonstigen gemeinsam benützten Teilen des Gebäudes.189 Weiter un­ terschied das Bayerische Oberste Landesgericht nach den konkreten Rege­ lungszwecken der in Frage stehenden Übergangsvorschriften und wandte Art. 182 EGBGB ausdrücklich auf die Fälle an, bei denen ein selbststän­ diges, d. h. ausschließliches Sondereigentum, von einzelnen Berechtigten an einzelnen Stockwerken eines Gebäudes nach dem bisherigen Recht ange­ nommen worden war.190 Daraus ergibt sich implizit, dass die Norm des Art. 62 BayAGBGB nach der bayerischen Rechtsprechung für ihre Anwend­ barkeit notwendigerweise Miteigentum von sämtlichen Beteiligten an der Grundfläche sowie an gemeinschaftlichen Gebäudeteilen voraussetzt, was bedeutet, dass nur das echte Stockwerkseigentum im engeren Sinne darun­ terfällt, d. h. die konkrete Gestaltung, wo den sämtlichen Berechtigten zu­ sätzlich auch die Grundfläche gemeinschaftlich zusteht.191 Unter die Vor­ schrift des Art. 182 EGBGB können nach den Feststellungen des Gerichts unter der Bedingung von bestehendem Miteigentum aber auch die Fälle von unechtem Stockwerkseigentum fallen, „bei denen ein Miteigentum der Be­ rechtigten am ganzen Gebäude, sei es nach Bruchteilen oder ohne solche mit servitutarischen Sonderrechten an den einzelnen Stockwerken“, vor­ 188  BayObLGZ

22, 270, (271). 22, 270, (271 f.). 190  BayObLGZ 22, 270, (271 f.). 191  BayObLGZ 22, 270, (271 f.); BayObLGZ 1967, 397, (399); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27, 35; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399) m. w. N.; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 58; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 2, 4, der alle Formen des Stockwerkseigentums in Bayern dem Art. 62 BayAGBGB unterstellt, dann aber mit der herrschenden Meinung doch eine Ausnahme sieht, wenn das Son­ derrecht an einem Gebäudeteil nicht zugleich mit Miteigentum an anderen Grund­ stücksteilen wie auch der Grundfläche einhergeht; ausdrücklich zu der mit Art. 42 BayÜGBGB weitgehend gleichlautenden Norm des Art. 20 des Pfälzischen Liegen­ schaftsrechtsgesetzes vom 01.07.1898 H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegen­ schaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 194. 189  BayObLGZ



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liegt.192 Im Ergebnis lehnte das Bayerische Oberste Landesgericht ein Stock­ werkseigentum an dem Felsenkeller aber ab, nachdem ein Miteigentum der Beteiligten nicht zu erkennen war, das überdies auch Bedingung für die An­ wendbarkeit der Überleitungsvorschrift des Art. 42 BayÜGBGB gewesen wäre.193 c) BayObLGZ 11, 713 (Unzulässigkeit einer nachträglichen Teilung) Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in seinem Beschluss vom 02.12.1910, BayObLGZ 11, 713, die Teilung eines bestehenden Stockwerks­ eigentums in Analogie zu dem Verbot einer Neubegründung von Stockwerks­ eigentum nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs als unzuläs­ sig angesehen.194 Danach können, wenn mehrere Stockwerksrechte durch eine darauf gerichtete Willenserklärung zu einer rechtlichen Einheit vereinigt worden sind, die früheren Stockwerkseigentumsrechte nicht mehr aufleben und getrennt veräußert werden.195 Das Gericht konkretisiert in dieser Ent­ scheidung das Wesen des Miteigentums im Sinne von Art. 42 BayÜGBGB.196 Dieses ist nämlich gerade nicht Miteigentum schlechthin, bei dem eine Ver­ einigung von zwei Anteilen zu der Entstehung einer rechtlichen Einheit bei­ tragen könnte, sondern das Miteigentum der einzelnen Berechtigten ist be­ grifflich gerade mit dem „einen wesentlichen Bestandteil des Anteils an der Gemeinschaft bildenden, ausschließlichen und dauernden Benutzungsrecht an bestimmten Gebäudeteilen“ verbunden, womit der Bruchanteil des Stock­ werkseigentümers näher bestimmt wird.197 Insofern die Miteigentumsrechte deshalb noch als gesonderte Rechte nebeneinander stehen, liegt danach eine Vereinigung in einer Hand nicht vor und ist die einzelne Veräußerung mög­ 192  BayObLGZ

22, 270, (271 f.). 22, 270, (271 f.). 194  BayObLGZ 11, 713; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 182 Rn. 1. 195  BayObLGZ 11, 713, (716); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen AusführungsGesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 48 f.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichs­ rechts, Stuttgart 1907, S. 51 f. 196  Vgl. BayObLGZ 11, 713, (716 f.). 197  BayObLGZ 11, 713, (716 f.). 193  BayObLGZ

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

lich.198 Aus dieser Entscheidung, die das Miteigentum im Sinne von Art. 42 BayÜGBGB in die dogmatische Nähe von Sondereigentum stellt, ergibt sich unter anderem auch, dass eine räumliche Einheit für eine rechtliche Vereini­ gung von ehemaligen Stockwerkseigentumsteilen notwendig ist.199 d) Die grundsätzliche Dogmatik des Stockwerkseigentums in der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts Das Bayerische Oberste Landesgericht hat gerade im Zusammenhang mit Räumen, die sich im Keller ehemaliger Herbergen befinden, eine grundsätz­ liche Dogmatik herausgearbeitet, die als Leitprogramm für die Behandlung stockwerkseigentumsrechtlicher Fallkonstellationen angesehen werden kann. Danach bedingt die Anwendung der Normen der Art. 182, 218 EGBGB – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – 200 und des Art. 42 BayÜGBGB bzw. des heute geltenden Art. 62 BayAGBGB grundsätzlich zunächst das Vorlie­ gen eines schon bestehenden Miteigentums mit gemeinschaftlichen Nut­ zungsrechten.201 Nachdem auch der bayerischen Rechtsprechung die Unter­ scheidung von echtem und unechtem Stockwerkseigentum zugrunde liegt, d. h., wonach es einerseits Sonderrechte der einzelnen Teilhaber an Teilen des Gebäudes als selbständige unbewegliche Sachen gibt und sich dann das Mit­ eigentum auf die Grundfläche und auf die gemeinschaftlichen Teile des Ge­ bäudes bezieht, andererseits sich das Stockwerkseigentum als Miteigentums­ verhältnis unter Ausschluss der Teilung und mit der dauernden Zuweisung von ausschließlichen Benutzungsrechten an einzelnen Teilen des Gebäudes an einzelne Teilhaber darstellen kann,202 muss bei echtem Stockwerkseigen­ 198  BayObLGZ 11, 713, (717); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 48 f.; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deut­ sche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Mün­ chen 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 14; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 58; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Ent­ wicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 150 f.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Be­ stimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 51 f. m. w. N. auch zur Gegenansicht. 199  Vgl. BayObLGZ 11, 713, (717). 200  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); BayObLGZ 22, 270, (271 f.). 201  BayObLGZ 1967, 397, (400). 202  BayObLGZ 1995, 413, (416) unter Verweis auf BGHZ 46, 281; vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 Bay-ÜGBGB).



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tum zumindest Miteigentum an den gemeinschaftlichen Teilen des Gebäudes bestehen, im Fall von unechtem Stockwerkseigentum zudem auch an der Grundfläche.203 Ein Stockwerkseigentum an einem einzelnen Keller ist aber bereits begrifflich nicht möglich, weil ein einzelner Kellerraum unter einem Gebäude kein Stockwerk ist, bei dem gegebenenfalls nach der Norm des Art. 42 BayÜGBGB bzw. des Art. 62 BayAGBGB mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine Überführung in unechtes Stockwerkseigen­ tum erfolgen könnte,204 wenngleich Stockwerkseigentum an „Stockwerken“ im Keller grundsätzlich als zulässig anerkannt wird.205 Abgestellt wird nach der bayerischen Rechtsprechung grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Inkraft­ tretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum 01.01.1900, so dass entscheidend ist, ob bzw. inwieweit Stockwerkseigentum zu diesem Zeitpunkt begründet war.206 Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich damit für die rechtliche Beur­ teilung von Stockwerkseigentum zunächst, dass eine Prüfung in drei Arbeits­ schritten erfolgen muss. Entscheidend ist die Rechtslage am 01.01.1900, wobei festgestellt werden muss, wo das entsprechende Stockwerk bzw. der Raum angeordnet ist, d. h. oberhalb der Erde oder im Keller, weil für ein­ zelne und sich nicht als Stockwerk darstellende Keller Kellerrecht gilt, inso­ fern kein Partikularrecht besteht.207 Wenn ein Miteigentum an den gemein­ schaftlichen Gebäudeteilen und/oder der Grundfläche nicht vorliegt, scheidet ein Stockwerkseigentum aus, weshalb allein aus diesem Grund einzelne Kellerräume regelmäßig nach Kellerrecht zu beurteilen sein werden.208 6. Das geltende Gesetzesrecht a) Der eingeschränkte Anwendungsbereich des Art. 42 BayÜGBGB bzw. des Art. 62 BayAGBGB Nach Art. 182 S. 1 und 2 EGBGB bleibt das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerkseigentum bestehen, das Rechtsverhältnis der Beteiligten untereinander bestimmt sich nach den bishe­ rigen Gesetzen.209 Der Bayerische Gesetzgeber hat mit der Norm des Art. 42 203  BayObLGZ

1995, 413, (417). 22, 270 ff.; BayObLGZ 1967, 397, (399). 205  BayObLGZ 22, 270, (271). 206  BayObLGZ 1995, 413, (416). 207  BayObLG, NJW-RR 1991, 1426; BayObLGZ 1995, 413, (416). 208  BayObLGZ 22, 270 ff.; BayObLGZ 1967, 397, (399); BayObLGZ 1995, 413, (417). 209  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S.  317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3.  Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale 204  BayObLGZ

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetz­ buche betreffend, vom 09.06.1899,210 der vom grammatikalischen Wortsinn bis auf den Umstand des ausdrücklichen Abstellens auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs weitgehend mit der späteren Norm des Art. 62 BayAGBGB übereinstimmt, von seiner ihm eingeräumten Kompetenz nach Art. 218 EGBGB Gebrauch gemacht und das in den rechts­ rheinischen Gebieten wie auch der linksrheinischen bayerischen Pfalz211 ­bestehende Stockwerkseigentum inhaltlich in eine den tatbestandlichen Vo­ raussetzungen der Vorschrift des Art. 131 EGBGB ähnliche Form im Sinne von unechtem Stockwerkseigentum geändert.212 Daraus wurde in Rechtspre­ Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388); H.-W. Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50– 218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3. 210  Art. 42 des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 09.06.1899 betreffend, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1899, Beilage zu Nr. 28, S. 94; BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1427). 211  Pfälzisches Liegenschaftsrechtsgesetz vom 01.07.1898, BayGVBl. 1898, Nr. 36, S. 370; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichti­ gung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 32; H.-W. Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (130). In der linksrheini­ schen bayerischen Pfalz wurden mit Art. 20, 19 II des Pfälzischen Liegenschafts­ rechtsgesetzes die Stockwerksrechte, mit denen kein Miteigentum an Grund und Bo­ den verbunden war, statt als Eigentum im Sinne von veräußerlichen und vererblichen dinglichen Rechten an dem fremden Grundstück nach Art. 184 EGBGB verstanden, womit das Recht verbunden war, auf dem Grundstück den Gebäudeteil zu haben, der vormals Sondereigentum an dem fremden Gebäude darstellte. Dagegen lautete die Norm des Art. 20: „(1) 1 Das Stockwerkseigenthum nach Art. 664 des pfälzischen Civilgesetzbuchs gilt von dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs an als Mit­ eigenthum an dem Grundstücke mit der Maßgabe, daß jedem Miteigenthümer die ausschließliche und dauernde Benutzung derjenigen Theile des Gebäudes zusteht, welche ihm zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehören, und daß der Aufwand für ihre Unterhaltung ihm zur Last fällt. 2 Der Anspruch auf Auf­ hebung der Gemeinschaft ist ausgeschlossen. (2) Auf die Benutzungsrechte der Mit­ eigenthümer findet die Vorschrift des § 1010 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung.“ Siehe hierzu H. v. Schneider, Das Gesetz über das Lie­ genschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 184 ff. 212  So nur W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechts­ ordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920,



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chung und Literatur nicht zuletzt gefolgert, dass das altrechtliche echte Stockwerkseigentum in Bayern am 01.01.1900 vollständig erloschen und in unechtes Stockwerkseigentum nach Maßgabe dieser Vorschrift umgewandelt worden ist.213 Die herrschende Ansicht geht heute deshalb davon aus, dass Art. 42 BayÜGBGB bzw. Art. 62 BayAGBGB sämtliches altrechtliches Stockwerkseigentum erfasst, so dass es in Bayern nur noch die uneigentliche Form dieses Rechtsinstituts gibt, die dem Geist des Bürgerlichen Gesetz­ buchs im Hinblick auf die nunmehr grundsätzlich anwendbaren Normen der miteigentumsrechtlichen Gemeinschaft nach §§ 741 ff., 1008 ff. BGB ent­ spricht.214 Andererseits wird in der Literatur aber auch einschränkend vertre­ S. 32; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 35; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 118; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn.  2 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (130); G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (397 f.); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kom­ mentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 12; N. Thun, Die rechts­ geschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 158 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 169 f., 246; vgl. Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betref­ fend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rahmen des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 5. Zu bemerken ist, dass es im Pfälzischen Civilgesetzbuch mit Art. 664 eine dem fränzösischen Code Civil entsprechende Norm gab. Das danach beurteilte Stockwerkseigentum wurde wie in Bayern in unechtes Stockwerkseigentum überführt, Art. 218 EGBGB, wobei eine ähnliche Konzeption wie diejenige in Art. 131 EGBGB gewählt wurde; vgl. H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anle­ gung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Bei­ trag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 117, 158. 213  BayObLGZ 1995, 413, (416); BayObLG, Beschluss vom 13.11.2001, Az.: 5 Z RR 82/00; F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., Band II/1: Sa­ chenrecht, Berlin 1905, S. 434 Fn. 27; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 119; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3 f.; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1; relativierend G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (384, 398 ff.). 214  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S.  317; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen

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ten, dass das unechte Stockwerkseigentum, d.  h. die bereits vor dem 01.01.1900 bestehenden uneigentlichen Formen dieses Rechtsinstituts, nicht von Art. 62 BayAGBGB erfasst werden, weil das unechte Stockwerkseigen­ tum von dem Bayerischen Gesetzgeber mit Art. 42 BayÜGBGB gerade aner­ kannt worden ist, womit eine entsprechende Geltungsfiktion „gilt“ im Sinne der vorbenannten Vorschrift nicht erforderlich ist.215 Allein diese Ansicht übersieht aber, dass es bereits vor dem 01.01.1900 wie auch in der Kempte­ ner Fürstabtei Herbergsrechte auf der rechtlichen bzw. dogmatischen Grund­ lage der Miteigentumsgemeinschaft geben konnte,216 so dass es hier ohne ein entsprechendes Eingreifen von Art. 42 BayÜGBGB bzw. Art. 62 BayAG­ BGB für diese altrechtlichen uneigentlichen Formen hinsichtlich des inneren Rechtsverhältnisses der Beteiligten untereinander nach Art. 182 S. 2 EGBGB bei der Anwendbarkeit der bisherigen Gesetze und gewohnheitsrechtlich an­ erkannten Rechtssitten bleiben würde, was dem Willen des Bayerischen Ge­ setzgebers, der das zur Zeit des Inkrafttretens bestehende altrechtliche Stock­ werkseigentum zwar beibehalten, gleichzeitig aber eine klare und streitvor­ beugende Regelung im Sinne des Geistes des Bürgerlichen Gesetzbuchs schaffen wollte, aber nicht entspricht.217 Damit fallen auch die vor dem 01.01.1900 begründeten uneigentlichen Formen von Stockwerkseigentum heute unter die Vorschrift des Art. 62 BayAGBGB, was auch in Konformität mit dem Wortlaut des Art. 62 BayAGBGB steht, weil das Wort „gilt“ keine Ausschließlichkeit für das altrechtliche echte Stockwerkseigentum indiziert, sondern auch das unechte Stockwerkseigentum modifizierend erfassen kann, zudem ist eine weitergehende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm nur auf das echte altrechtliche Stockwerkseigentum dem Wortlaut des Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287  f., 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 35 ff.; H. Sprau, Justizgesetze in Bay­ ern, München 1988, Art. 62 Rn. 2, 4; a. A. dagegen bei G. Freudling, Echtes altrecht­ liches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 ff., 397 ff.). 215  Vgl. zu dieser Ansicht in der Literatur G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (398) m. w. N.; W. Dölker, Das Herbergs­ recht in der Münchener Au, München 1969, S. 118; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 169 f. 216  Vgl. Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (217 ff.). 217  Vgl. H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, München 1899, S. 740 ff.; W. v. Henle/ H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbu­ che, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f., 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB).



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei365

Art. 62 BayAGBGB nicht zu entnehmen.218 Nachdem aber auch im König­ reich Bayern im 19. Jahrhundert die Sondereigentumstheorie im Sinne von echtem Stockwerkseigentum herrschend war,219 stellt sich im Übrigen die Frage nach dem Verhältnis der Vorschriften der Art. 218 EGBGB, Art. 62 BayAGBGB zu Art. 182 EGBGB, nachdem letztere Norm das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerkseigentum im Rahmen des bestehenden altrechtlichen Rechtskreises konserviert, wäh­ rend nach der Norm des Art. 62 BayAGBGB das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerkseigentum als Miteigen­ tum an dem Grundstück mit der Maßgabe gilt, dass jedem Miteigentümer die ausschließliche und dauernde Benutzung der Teile des Gebäudes zusteht, die ihm oder seinem Rechtsvorgänger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bür­ gerlichen Gesetzbuchs gehörten, und dass er die Kosten für ihre Unterhaltung zu tragen hat.220 Mit anderen Worten stellt sich die Frage, ob der Begriff Stockwerkseigentum in Art. 62 BayAGBGB im Ergebnis gleichbedeutend ist mit jenem in Art. 182 EGBGB, was in der Folge bedeuten würde, dass in der Tat das altrechtliche echte Stockwerkseigentum heute als vollständig unter­ gegangen gelten müsste.221 Andererseits muss aber in diesem Kontext hinter­ fragt werden, ob dieses Ergebnis dem Willen des Bayerischen Gesetzgebers wirklich entsprach, weil damit auch besondere Formen von Stockwerks­ eigentum, auf die das Rechtsinstitut einer Miteigentumsgemeinschaft nicht passen, erfasst werden, bzw. auch diejenigen, die mit dem Geist des Bürger­ lichen Gesetzbuchs und dem aus dem römischen Recht stammenden Grund­ satz superficies solo cedit, wonach sich das Eigentum nach dem Grund und

218  Im Ergebnis deshalb wie hier W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 4: „Art. 62 gilt für alle Formen des Stockwerkseigentums an in Bayern belegenen Grundstücken (…), unabhängig von ihrer früheren rechtlichen Konstruktion.“ 219  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 71; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, München 1899, S. 740; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194. 220  Vgl. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 ff., 397 ff.). 221  Grundsätzlich zu dieser Abgrenzungsfrage G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 ff., 397 ff.).

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Boden gemäß §§ 946 ff., 94 BGB bestimmt,222 übereinstimmen, möglicher­ weise einen hiervon abweichenden materiellen Rechtsgehalt bekommen würden.223 Diesen Rechtsfragen kann im Ergebnis nur nachgegangen werden, wenn die rechtliche Dogmatik des Art. 62 BayAGBGB in Abgrenzung zu derjenigen des Art. 182 EGBGB herausgearbeitet wird, wobei sich dies an dem allgemeinen Rechtsgedanken zu orientieren hat, wonach Art. 182 EGBGB ehemalige altrechtliche Privatrechtsformen gerade sichern möchte, die heute unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch unzulässig wären.224 Nach der Entstehungsgeschichte der bayerischen Übergangsgesetzgebung zum Bürgerlichen Gesetzbuch entsprach es am Ende des 19. Jahrhunderts allgemeiner Ansicht, dass die Neubegründung von etwaigem Stockwerks­ eigentum nach dem 01.01.1900 vollständig ausgeschlossen sein sollte.225 Mitunter auf Drängen der Bayerischen Staatsregierung seien aber in das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch etwaige Vorbehalte aufge­ nommen worden, wonach zum einen ein bereits bestehendes Sondereigentum 222  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 415 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  11 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berück­ sichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 10; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1; O. Bogenschütz, Das Stockwerks­ eigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H ­ .-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126 ff.); G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 f.). 223  So bereits zu Recht G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1999 (116), 384, (397 ff.). 224  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; G. Freudling, Echtes alt­ rechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388); vgl. auch H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, 4, der dies aber zunächst nur auf das echte Stockwerkseigentum bezieht und in der Folge den Anwendungsbereich des Art. 62 BayAGBGB umfassend fasst. 225  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 740 ff.; W. v. Henle/ H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetz­ buche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 30 ff.; vgl. auch H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Mün­ chen 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2.



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dieser Art unter bestimmten Voraussetzungen erhalten bleiben sollte, zum anderen die Miteigentümer eines Hauses, bei dem die verschiedenen Stock­ werke im Sinne eines ausschließlichen Benutzungsrechts zwischen den ein­ zelnen Teilhabern verteilt seien, durch Landesgesetz vor den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs über das Recht auf Aufhebung der Gemeinschaft geschützt werden sollten.226 Andererseits wurde seitens der bayerischen Parlamentarier stets die seitens des Reichsgesetzgebers geschaffene Möglich­ keit bedacht, dass es den Landesgesetzgebern auch aufgrund der Initiative des Königreichs Bayern grundsätzlich zusteht, neues Herbergsrecht im Sinne der Norm des Art. 131 EGBGB, d. h. unechtes Stockwerkseigentum unter den in der genannten Vorschrift beschriebenen Modalitäten, zu begründen.227 Mit der Vorschrift des Art. 42 BayÜGBGB hat es der Bayerische Gesetzge­ ber dann aber für die bestehenden Rechte nicht bei Art. 182 EGBGB belas­ sen, sondern der bayerische Landesgesetzgeber hat schließlich von der Be­ fugnis des Art. 218 EGBGB Gebrauch gemacht und das im Raum des König­ reichs Bayern bestehende Stockwerkseigentum dem Art. 131 EGBGB ange­ passt, d.  h., es vom Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs an in Miteigentum am Grundstück mit der in Art. 42 S. 1 BayÜGBGB ausgespro­ chenen Maßgabe umgewandelt.228 Dadurch ist das im Lichte der Sonderei­ gentumstheorie früher nur „nebensächliche Miteigentum an den gemeinschaftlichen Teilen zur Hauptsache erhoben und so erweitert (worden), dass es das Sondereigentum des einzelnen Berechtigten in sich aufnimmt und die Sonderrechte, die bestehen bleiben, nur noch als wesentlicher Bestandteil des Anteils an der Gemeinschaft erscheinen.“229

Entscheidend ist aber, dass Art. 42 BayÜGBGB nach der Entstehungsge­ schichte entgegen sonstiger Konzeptionen in anderen Ländern die Grund­ fläche als konstituierendes Moment ansieht und gerade nicht die Gebäude­ teile.230 Das Miteigentum an der Grundfläche ist mit anderen Worten der 226  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 740. 227  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band  I, München 1899, S.  741  ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (130). 228  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art.  62 AGBGB Rn.  2  ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 f.); G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 169 f. 229  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f., 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB). 230  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Ausgangspunkt für die Beteiligung an der dann unauflösbaren herbergsrecht­ lichen Miteigentumsgemeinschaft, die sich dann an dem nur noch aus­ schließlichen Benutzungsrecht an den Gebäudeteilen fortsetzt und nicht um­ gekehrt.231 Damit können aber dann allein nach der Entstehungsgeschichte nicht entsprechende Fälle von Stockwerkseigentum von Art. 42 BayÜGBGB bzw. Art. 62 BayAGBGB erfasst werden, bei denen bestimmte Berechtigte überhaupt kein Miteigentum an einer Grundfläche besitzen, sondern z. B. nur an einem Stockwerk oder sonstigen gemeinschaftlichen Gebäudeteilen.232 Zudem muss nach der Entstehungsgeschichte klarstellend angeführt werden, dass die Vorschrift des Art. 62 BayAGBGB zu einer Umwandlung von am 01.01.1900 bestehendem Stockwerkseigentum in unechtes Stockwerkseigen­ tum führt,233 so dass Fälle, wo vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Ge­ setzbuchs überhaupt kein Stockwerkseigentum vorlag, von dieser Vorschrift nicht erfasst werden können, da dies gegebenenfalls auf die unzulässige Neubegründung von Stockwerkseigentum nach Art. 189 I 3 EGBGB hinaus­ laufen würde.234 Die Entstehungsgeschichte des Art. 42 BayÜGBGB zeigt chen 1931, S. 287 f., 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 319; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  169 f. 231  Vgl. H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor ent­ standene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S.  419 ff.; W. v. Henle/H. v. Schnei­der, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 287 f., 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S. 319; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  169 f. 232  Vgl. BayObLGZ 22, 270, (271 f.); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Mün­ chen 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 4. 233  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art.  62 AGBGB Rn.  2  ff.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388, 397 f.). 234  Vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art.  62 AGBGB Rn. 2, 4. Grundsätzlich zu der Norm des Art. 189 I 3 EGBGB H. Habicht, Die Ein­ wirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253, 257; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, Mün­ chen 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Ein­ führungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004,



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für die Auslegung dieser Vorschrift auf, dass der Bayerische Gesetzgeber das bestehende Stockwerkseigentum im Sinne des miteigentumsrechtlichen Geis­ tes des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausgestalten wollte.235 Als Ansatzpunkt der gesetzlich vorgesehenen Umwandlung in eine Miteigentumsgemeinschaft galt aber die Grundfläche,236 abgesehen davon, dass auch allein nach der Entstehungsgeschichte die mit Art. 42 BayÜGBGB normierte gesetzliche Geltungsfiktion im Sinne von unechtem Stockwerkseigentum nicht aus­ nahmslos gelten sollte, sondern besondere Sondereigentumsformen gerade auch ausgenommen bleiben konnten.237 Dementsprechend hat auch die oberste bayerische Rechtsprechung die Anwendbarkeit des Art. 42 BayÜGBGB eingeschränkt.238 Das Oberste Bay­ erische Landesgericht stellt klar, dass die Möglichkeit der Anwendbarkeit des Art. 42 BayÜGBGB bzw. des Art. 62 BayAGBGB grundsätzlich ein bereits vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 beste­ hendes Miteigentum an der Grundfläche und den gemeinschaftlichen Teilen des Gebäudes mit gemeinschaftlichen Nutzungsrechten voraussetzt.239 Für unechtes Stockwerkseigentum muss ein Miteigentum am Grundstück, bei echtem Stockwerkseigentum zumindest an den gemeinsamen Gebäudeteilen bestehen.240 Liegt aber ein vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetz­ buchs und damit zum 01.01.1900 begründetes Miteigentum nicht vor, schei­ det die Anwendung von Art. 62 BayAGBGB bereits aus.241 Eine nachträg­ liche Veränderung des vor dem 01.01.1900 bereits begründeten Stockwerks­ eigentums, insbesondere seine Erstreckung auf Grundstücksflächen oder Gebäudeteile, die vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3. 235  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 (zu Art. 42 BayÜGBGB). 236  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 287 f., 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S. 319; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  169 f. 237  Vgl. H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 740 ff. 238  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1025); BayObLGZ 22, 270, (271 f.); BayObLGZ 1967, 397, (399 f.); BayObLGZ 1995, 413, (416 f.). 239  BayObLGZ 1967, 397, (399 f.). 240  BayObLGZ 1995, 413, (416 f.). 241  BayObLGZ 1967, 397, (400).

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

nicht Gegenstand des Stockwerkseigentums waren, ist unzulässig.242 Weiter unterscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht nach dem konkreten Regelungszweck der in Frage stehenden Übergangsvorschriften und wendet die Norm des Art. 182 EGBGB ausdrücklich auf die Fälle an, bei denen ein selbstständiges, d. h. ausschließliches Sondereigentum, von einzelnen Be­ rechtigten an den einzelnen Stockwerken eines Gebäudes nach dem bisheri­ gen Recht angenommen worden war.243 Die Norm des Art. 62 BayAGBGB setzt daher nach der bayerischen Rechtsprechung für ihre Anwendbarkeit notwendigerweise Miteigentum von sämtlichen Beteiligten an der Grundflä­ che sowie an Gebäudeteilen voraus, was bedeutet, dass nur das echte Stock­ werkseigentum im engeren Sinne darunterfällt, d. h. die konkrete Gestaltung, wo den sämtlichen Berechtigten zusätzlich auch die Grundfläche gemein­ schaftlich zusteht.244 Dogmatisch ist damit der aus dem gemeinen römischen Recht stammende Grundsatz superficies solo cedit verbunden, der ein geteil­ tes Eigentum an der Grundfläche und einzelnen Gebäudebestandteilen nicht zulässt, und dessen beinhaltende Sachherrschaft sich grundsätzlich auf das ganze Grundstück bezieht.245 Dieses Ergebnis ergibt sich schließlich auch 242  BayObLGZ 3, 1023, (1025); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kom­ mentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 7; H. Sprau, Justizge­ setze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetz­ buch, Kommentar, München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 58 f., 61 f. In diesem Sinne ist von der bayerischen Rechtsprechung auch die nachträgliche Teilung als unzulässig bewer­ tet worden; so BayObLGZ 11, 713, (716). 243  BayObLGZ 22, 270, (271 f.). 244  BayObLGZ 22, 270, (271 f.); BayObLGZ 1967, 397, (399).; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27, 35; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399) m. w. N.; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 58; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 2, 4, der alle Formen des Stockwerkseigentums in Bayern dem Art. 62 BayAGBGB unterstellt, dann aber mit der herrschenden Meinung doch eine Ausnahme sieht, wenn das Son­ derrecht an einem Gebäudeteil nicht zugleich mit Miteigentum an anderen Grund­ stücksteilen wie auch der Grundfläche einhergeht; in diesem Sinne ausdrücklich hin­ sichtlich der mit Art. 42 BayÜGBGB weitgehend gleichlautenden Norm des Art. 20 des Pfälzischen Liegenschaftsrechtsgesetzes vom 01.07.1898 H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verord­ nung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 194. 245  Vgl. R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3.  Aufl., Leipzig 1919, S. 155; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27, 35; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei371

aus dem grammatikalischen Wortsinn des Art. 62 BayAGBGB selbst, der auf ein Miteigentum am Grundstück abstellt und nach dieser Maßgabe den ein­ zelnen Miteigentümern ein ausschließliches Benutzungsrecht an den einzel­ nen Teilen des Gebäudes zuerkennt, die ihnen oder ihren Rechtsvorgängern vor dem 01.01.1900 gehörten.246 Dies läuft im Ergebnis auch konform mit der dargestellten Entstehungsgeschichte des Art. 42 BayÜGBGB, wonach der Bayerische Gesetzgeber das nebensächliche Miteigentum an den gemein­ schaftlichen Teilen zur Hauptsache erhoben und so erweitert hat, dass es das Sondereigentum des einzelnen Berechtigten in sich aufnimmt und die Son­ derrechte, die bestehen bleiben, nur noch als wesentlicher Bestandteil des Anteils an der Gemeinschaft erscheinen.247 Aber auch aus teleologischen Erwägungen muss es für den Fall von altrechtlichem echtem Stockwerks­ eigentum im weiteren Sinne, d. h., wo den Herbergsbesitzern das Grundstück gerade nicht gemeinsam gehört, grundsätzlich bei Art. 182 EGBGB bleiben, weshalb in diesem Fall die Anwendung des Art. 62 BayAGBGB ausgeschlos­ sen bleibt. Denn Art. 62 BayAGBGB will zwar das Rechtsverhältnis auf eine neue einheitliche Grundlage im Sinne einer zukünftigen miteigentumsrecht­ lichen Gemeinschaft stellen, ohne aber die Rechtsbeziehungen, die sich aus dem ehemaligen Sondereigentum ergeben, wesentlich zu modifizieren.248 AGBGB Rn.  1 f.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 f.); Entscheidungen des Stuttgarter Obertribunals vom 16.02.1864 und 04.06.1864, Seufferts Archiv XVIII Nr. 242; Seufferts Archiv XXIV Nr. 239; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (196 ff.). 246  Art. 42 des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 09.06.1899 betreffend, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1899, Beilage zu Nr. 28, S. 94; vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3 ff. 247  Vgl. H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor ent­ standene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; W. v. Henle/H. v. Schnei-­ der, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f., 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 319; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 169 f. Anders noch das Oberste Landesgericht für Bayern in seiner Entschei­ dung vom 04.02.1880, wo das Miteigentum an gemeinschaftlichen Einrichtungen von der bestehenbleibenden Existenz des Sondereigentums abhängig gemacht wurde; vgl. Seufferts Archiv XXXVI Nr. 106; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 25. 248  Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 58 f., 61 f.; vgl. auch H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn.  3 ff., v. a. Rn.  5.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Andererseits könnte die von Gesetzes wegen stattfindende Überführung in unechtes Stockwerkseigentum zu einem Gemeinschaftsverhältnis führen, welches das bisherige Sonder- bzw. Alleineigentum praktisch vollständig umwandeln und auch zu einer teilweisen Entleerung der institutionellen Di­ mension des stockwerkseigentumsrechtlichen Rechtsinstituts beitragen würde, die mit dem übergangsregelungsrechtlichen und rechtsvereinheit­ lichenden Sinn und Zweck des Art. 62 BayAGBGB unvereinbar ist.249 Es bleibt deshalb festzuhalten, dass die Norm des heute geltenden Art. 62 Bay­ AGBGB die zum 01.01.1900 bereits bestehenden Herbergsrechte in ein un­ echtes Stockwerkseigentum umwandelt,250 wobei diese Vorschrift nur das altrechtliche uneigentliche und das echte Stockwerkseigentum im engeren Sinne, wo die einzelnen Herbergsbesitzer auch sämtlich gemeinschaftliches Eigentum an der Grundfläche haben, erfasst.251 In den übrigen Fällen bleibt es aber bei der Anwendbarkeit des Art. 182 EGBGB, der besondere Formen von altrechtlichem Stockwerkseigentum gerade sichern möchte.252 Dieses Ergebnis wird im verfassungsrechtlichen Kontext bestätigt. Die Rechtsordnung ist ein Stufenbau.253 Das mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch verfolgte Kodifikationsprinzip der Art. 3 a. F., 55 und 218 EGBGB kann inso­ 249  Vgl. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399). 250  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 4; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). 251  Vgl. zur Anwendbarkeit des Art. 62 BayAGBGB auf das echte Stockwerksei­ gentum im engeren Sinne BayObLGZ 22, 270, (271 f.); BayObLGZ 1967, 397, (399); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27, 35; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1999 (116), 384, (399) m. w. N.; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 58; ausdrücklich hinsichtlich der mit Art. 42 BayÜGBGB weitgehend gleichlautenden Norm des Art. 20 des Pfälzischen Liegenschaftsrechtsge­ setzes vom 01.07.1898 H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs be­ treffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 194. 252  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; G. Freudling, Echtes alt­ rechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). 253  Zum Stufenbau der Rechtsordnung H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nachdruck der 2. Auflage aus dem Jahre 1960, Wien 2000, S. 228 ff.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei373

weit interpretiert werden, als dass die Materie des bürgerlichen Rechts grund­ sätzlich Sache des Reichs- bzw. Bundesgesetzgebers ist, der privatrechtliche Normen erschöpfend regeln soll, es sei denn, dass das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch ausspricht, dass Landesrecht unverändert bestehen bleibt, oder aber die jeweiligen Landesgesetzgeber ausdrücklich ermächtigt, etwaiges bestehendes Landesrecht zu ändern.254 Hinsichtlich des Rechtsinsti­ tuts des Stockwerkseigentums enthält die Vorschrift des Art. 131 EGBGB zu­ nächst für das unechte Stockwerkseigentum eine Kompetenz der Landesge­ setzgeber, wonach diese ermächtigt sind, landesgesetzliche Vorschriften zu erlassen, die für den Fall, dass jedem der Miteigentümer eines mit einem Ge­ bäude versehenen Grundstücks die ausschließliche Benutzung eines Teiles des Gebäudes eingeräumt ist, das Gemeinschaftsverhältnis näher bestimmen, wo­ bei von dieser landesgesetzgeberischen Befugnis mit Ausnahme des württem­ berg-badischen Gesetzes über das Miteigentum nach Wohneinheiten aus dem Jahre 1950, das wenige Jahre später wieder aufgehoben wurde, von keinem Reichs- bzw. Bundesland Gebrauch gemacht wurde.255 Andererseits formu­ liert die Norm des Art. 182 EGBGB, dass das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 bestehende Stockwerkseigentum bestehen bleibt.256 Eine Änderungsbefugnis für die Landesgesetzgeber enthält 254  BVerfG, Beschluss vom 22.04.1958, Az.: 2 BvL 32/56; BVerfG, Beschluss vom 19.07.2007, Az.: 1 BvR 650/03 m. w. N. 255  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S.  317; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band  VIII, Stuttgart 1984, Art.  131 Rn.  1; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 f.); aus rechtsgeschichtlicher Sicht Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetz­ buches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 46; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerli­ chen Gesetzbuche vom 09.06.1899, München 1899, S. 744. 256  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Ein­ führungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1999 (116), 384, (388); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; L. Briesemeister, in:

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

die Vorschrift des Art. 218 EGBGB für den Fall, dass die bisherigen Landes­ gesetze maßgebend bleiben, woraufhin der Bayerische Gesetzgeber die Über­ gangsvorschrift des Art. 42 BayÜGBGB und später dann die Nachfolgenorm des Art. 62 BayAGBGB erlassen hat, womit die in erster Linie gewohnheits­ rechtlich anerkannten und zum Teil mannigfaltigen Erscheinungsformen des Stockwerkseigentums im miteigentumsrechtlichen Geiste des Bürgerlichen Gesetzbuchs vereinheitlicht werden sollten.257 Die durch das Einführungsge­ setz zum Bürgerlichen Gesetzbuch eingeräumte Kompetenz der Landes­ gesetzgeber ist dabei umfassend zu verstehen, d. h., soweit die Vorbehalte des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch Rechtsgebiete allgemein dem Landesrecht zuweisen, gelten sie für alle Vorschriften, welche die Rege­ lung des Rechtsgebietes zum Gegenstand haben, wobei auch etwaige Abwei­ chungen in Ansehung der allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetz­ buches statthaft sind.258 Eine Grenze kann sich aber aus der Verfassung bzw. einem Bundesgesetz ergeben.259 Ansonsten sind die Landesgesetzgeber bun­ desrechtlich befugt, im Rahmen ihres weiten Gestaltungsspielraums auf der Grundlage der entsprechenden Gesetzgebungskompetenzen das Landesrecht zu ändern.260 Dies gilt auch, wenn bereits eine umfassende und erschöpfende Regelung eines bestimmten Gegenstands der konkurrierenden Gesetzgebungs­ kompetenz durch den Bund vorliegt.261 Eine Grenze der Änderungskompetenz ergibt sich aber zum einen aus der Vorschrift des Art. 218 EGBGB selbst, da sich diese Norm nur auf im Jahre 1900 bereits bestehende Rechtsverhältnisse und deren Normierung bezieht, d. h., dass die Landesgesetzgeber gerade nicht befugt sind, im Jahre 1900 noch nicht bestehende Rechtsverhältnisse im Sinne eines vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs anerkannten bzw. gegebenen Rechtszustands neu zu begründen.262 Dieser bundesrechtlich fest­ gelegte Kompetenzrahmen ergibt sich ausdrücklich auch aus der Norm des Art. 189 I 3 EGBGB, der die Neubegründung eines nach den Vorschriften des H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f. 257  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB); vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3 f. 258  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64. 259  Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.08.2006, Az.: 8 C 21.05. 260  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64. 261  BVerfGE 20, 238, (251). 262  M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2 f.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei375

Bürgerlichen Gesetzbuchs unzulässigen Rechts nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 ausschließt.263 Mit anderen Worten können die Landesgesetzgeber zwar grundsätzlich in Bezug auf altrechtlich begründete und bereits zum 01.01.1900 bestehende Rechtsverhältnisse auch von der allgemeinen Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs abweichendes Landesrecht schaffen, wenngleich hier konstatiert werden kann, dass die Mit­ eigentumsregelung des Art. 42 BayÜGBGB bzw. des Art. 62 BayAGBGB dem Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs entspricht,264 sie dürfen aber kein unzulässiges Eigentum im Sinne eines unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht mehr statthaften Rechtsinstituts265 in Bezug auf im Jahre 1900 noch nicht bestehende Rechtsverhältnisse neu begründen.266 Auch wenn nun in Be­ zug auf Stockwerkseigentum die einschränkende Auslegung des Art. 189 I 3 EGBGB durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beachtet werden muss, wonach eine Ausnahme für etwaige spätere Änderun­ gen, die in die dogmatische Nähe von Neubegründungen kommen, in Bezug auf Grundstücke besteht, bei denen bereits vor dem 01.01.1900 Stockwerksei­ gentum bestand, so gilt diese Rechtsprechung grundsätzlich nur für altrechtli­ che Inhaltsänderungen im Rahmen eines im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bereits bestehenden Stockwerkseigentumskomple­ xes zumindest in senkrechter Richtung, nicht aber dagegen für etwaige Erwei­ terungen auf Grundstücksflächen, die am 01.01.1900 noch nicht zum beste­

263  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; Pa­ landt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78.  Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1. 264  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 (zu Art. 42 BayÜGBGB); vgl. H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 29 f. 265  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253. 266  Vgl. M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art.  1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayeri­ schen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2 f.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

henden Stockwerkseigentum gehört haben.267 Ähnlich hat auch das Bundes­ verwaltungsgericht in einem zu entscheidenden Fall eine zulässige Wiederher­ stellung eines Rechts von einer unzulässigen Neubegründung unterschieden.268 Die Vorschrift des Art. 182 EGBGB möchte ehemalige Privatrechtsformen gerade sichern, die unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht mehr zulässig wären.269 Daraus ergibt sich bereits allgemein, dass die Anwendung von Art. 62 BayAGBGB nicht zu einer Neubegründung von Stockwerkseigentum führen darf, d. h., die Norm enthält eine gesetzliche Legitimation zur Ände­ rung von am 01.01.1900 bereits begründeten herbergsrechtlichen Rechtsver­ hältnissen, ohne dass dies aber zu einer Erweiterung des bestehenden Stock­ werkseigentums führen darf.270 Dies wäre etwa dann der Fall, wenn real ge­ teilte Haushälften, die auf verschiedenen Grundstücken ohne ein gegenseitiges Miteigentum an den Grundflächen bzw. den Gebäudeteilen angeordnet sind, zudem noch in waagerechter Richtung in dann neues Stockwerkseigentum überführt werden würden.271 Denn dann würden für sich eigenständige Ge­ bäudekomplexe, an denen nie gegenseitiges Miteigentum bestand, in einen neuen miteigentumsrechtlichen Gemeinschaftsverbund entgegen der heute geltenden bürgerlich-rechtlichen Konzeption einbezogen werden, was nicht nur gegen Art. 189 I 3 EGBGB verstoßen würde, sondern auch von den Nor­ men der Art. 218 EGBGB, Art. 62 BayAGBGB nicht gedeckt sein kann.272 267  BGHZ 46, 281, (289 f.); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 7; G. Freudling, Echtes altrecht­ liches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (401). In der zitierten Entschei­ dung des Bundesgerichtshofs hat das Gericht offengelassen, inwieweit waagerechte Modifikationen eines zum 01.01.1900 bestehenden Komplexes aus Stockwerkseigen­ tum zulässig sind. 268  BVerwG, Urteil vom 29.08.2006, Az.: 8 C 21.05. 269  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; G. Freudling, Echtes alt­ rechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). 270  BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Mün­ chen 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2 ff.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerks­ eigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanis­ tische Abteilung 1999 (116), 384, (399). 271  Vgl. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399). 272  So auch im übertragenen Sinne der Bundesgerichtshof.; BGHZ 46, 281 ff. In­ soweit wohl auch in Konformität mit BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64, wo der hamburgische Landesgesetzgeber nach Art. 66, 3, 218 EGBGB öffent­ liches Eigentum geschaffen hat. Dies wird unabhängig von dem öffentlich-rechtlichen Charakter des § 2 I HamDOG noch von der umfassenden Änderungskompetenz des Landesgesetzgebers als erfasst angesehen werden können, da es auch vor dem Jahre 1900 spezifische Vorschriften in der Deichordnung für die Landherrschaften der



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei377

Der dem Ergebnis zugrundeliegende Rechtsgedanke ergibt sich heute aus­ drücklich aus der entsprechenden Vorschrift des § 1 IV WEG und wurde auch bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts seitens des Bayerischen Obersten Lan­ desgerichts ausdrücklich betont.273 Bei solchen Fallgestaltungen muss es des­ halb grundsätzlich bei Art. 182 EGBGB verbleiben,274 weil Art. 62 BayAG­ BGB weder zur Neubegründung von neuen Herbergsrechten nach dem 01.01.1900 noch zu einer sonstigen Erweiterung auf Grundstücksflächen und Gebäudeteile führen darf, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht in den stockwerkseigentumsrechtlichen Bestand einbezogen waren.275 Ansons­ ten würde auch ein Verstoß gegen bzw. eine Unvereinbarkeit mit Bundesrecht im Sinne der Vorschrift des Art. 31 GG vorliegen.276 Denn ist entsprechend ergangenes Landesrecht von einer bundesrechtlich eingeräumten Kompetenz wie Art. 218 EGBGB nicht gedeckt,277 verstößt es nach den Grundsätzen vom Stufenbau der Rechtsordnung278 gegen entsprechendes Bundesrecht, wenn der Bundesgesetzgeber über den Anwendungsbereich der Landesgesetzgebungs­ kompetenz hinaus wie auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts die konkurrie­ rende Gesetzgebungskompetenz zum Erlass von Bundesrecht besitzt und diese Kompetenz auch ausgeübt hat, Art. 72 I, 74 I Nr. 1 GG.279 Entgegenstehendes Marschlande und Bergedorf vom 04.03.1889 gab. Damit wird man hier auch nicht von einer nach der Norm des Art. 189 I 3 EGBGB unzulässigen Neubegründung spre­ chen können. Vgl. auch H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn.  2 ff.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399). 273  BayObLGZ 3, 1023, (1025); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kom­ mentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 7. 274  Siehe hierzu nur G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1999 (116), 384, (398 f.); nicht ganz eindeutig W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 275  BGHZ 46, 281, (289 f.); BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399); vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2 ff. 276  H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommentar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 ff., 5. 277  Vgl. M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art.  1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5. 278  Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nachdruck der 2.  Auflage aus dem Jahre 1960, Wien 2000, S. 228 ff. 279  H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommentar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 ff., 5 f.; vgl. BVerfG, Beschluss des Zwei­ ten Senats vom 25.03.2021, Az.: 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20, wobei der Senat hier die Nichtigkeit des Berliner Mietendeckels über Art. 72 I GG und nicht

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

und von der landesrechtlichen Kompetenz nicht gedecktes Landesrecht wird daher nach den bundesstaatlichen Grundsätzen des Art. 31 GG derogiert, wenngleich sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Ansicht die Nichtigkeit des nicht wirksam erlassenen Geset­ zesakts allein bereits aus der fehlenden Kompetenz des Landesgesetzgebers ergibt und ein weiterer Rekurs auf Art. 31 GG nicht notwendig ist.280 b) Das Stockwerkseigentum vor den Schranken des Grundgesetzes – die verfassungsrechtliche Fundierung des Grundsatzes der betroffenen Einheitlichkeit Fraglich bleibt, ob die zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung des Bun­ desgerichtshofs, die eine nachträgliche Teilung von im Miteigentum stehen­ den Bestandteilen eines stockwerkseigentumsrechtlichen Komplexes in real geteiltes Alleineigentum in Bezug auf ein zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 bereits mit Stockwerkseigen­ tum infizierten Grundstücks zugelassen hat,281 der verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält. In diesem Fall zum badischen Stockwerkseigentum aus dem Jahre 1966 war die Konstellation so, dass die Stockwerke eines mit einem gemeinsamen Hofraum ausgestatteten Vorderhauses zwischen den Streitparteien zu Sondereigentum verteilt waren und sich dahinter nach einer entsprechenden senkrechten Teilung eines vormals im Miteigentum stehen­ den Hinterraums des Grundstücks, der ein Hinterhaus, eine Hofreite, einen Garten und Schweineställe einschloss, bis auf eine Tenne und ein kleineres Hofraumstück nun eine reale Teilung des beschriebenen hinteren Grund­ stücksrestes nach Alleineigentum im Sinne der Sondereigentumstheorie be­ fand.282 Dabei ist zunächst festzustellen, dass der Entscheidung nicht die Fallkonstellation einer senkrechten Modifikation eines bestehenden Gebäu­ des zugrunde lag, sondern die Änderung einer stockwerkseigentumsrechtli­ über die bundesstaatliche Kollisionsnorm des Art. 31 GG begründet hat: „Ein deutli­ ches Anzeichen dafür, dass eine landesrechtliche Bestimmung einen Bereich betrifft, den der Bundesgesetzgeber geregelt hat, liegt vor, wenn ihr Vollzug die Durchsetzung des Bundesrechts beeinträchtigt und dieses nicht mehr – zumindest nicht mehr voll­ ständig – oder nur verändert angewandt und sein Regelungsziel lediglich modifiziert verwirklicht werden kann.“; vgl. auch BVerfGE 102, 99, (115). 280  H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommentar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 ff., 5 f. unter Erläuterung der Rechtspre­ chung des Bundesverfassungsgerichts in Rn. 1 f., der aber im Ergebnis eine Bezug­ nahme auf Art. 31 GG ausdrücklich billigt; vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Se­ nats vom 25.03.2021, Az.: 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20. 281  BGHZ 46, 281, (288 ff.). 282  BGHZ 46, 281, (282 f.).



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei379

chen Verteilung eines Grundstücks in Rede stand.283 Der Bundesgerichtshof hat diese untypische Konstruktion als mögliches Stockwerkseigentum aner­ kannt.284 Das Gericht führte insoweit aus, dass ein solcher Rechtsinhalt, d. h. stockwerksweise getrenntes Allein- bzw. Sondereigentum am Hauptgebäude, Gemeinschaftseigentum in der Form von Miteigentum nach Bruchteilen am Rest des Grundstücks, für das Stockwerkseigentum typisch sei.285 Das in der Folge des Prozessvergleichs zwischen den Parteien und des entsprechenden Grundbuchvollzugs verlautbarte Stockwerkseigentum weise dagegen nun auf, dass das Eigentum am allergrößten Teil des Grundstücksrests, d. h. ohne das Vorderhaus, nicht mehr gemeinschaftlich, sondern real aufgeteilt sei, und zwar auch hinsichtlich des Hinterhauses und der Schweineställe nicht waage­ recht, sondern senkrecht.286 Dies sei aber weder mit dem Begriff noch mit dem Wesen des Stockwerkseigentums unvereinbar.287 Diese rechtliche Ein­ ordnung war im Ergebnis zunächst nicht zu beanstanden. Denn dieser Fall bezog sich nur auf ein einziges Grundstück, so dass ein Miteigentum als wesentliches Kriterium von Stockwerkseigentum ohne weiteres vorlag, zu­ dem waren weitere gemeinschaftliche Einrichtungen vorhanden und die Stockwerke standen einer etwaigen vollständigen Vertikalteilung der Grund­ stücksteile entgegen.288 Es wird noch zu zeigen sein, dass gerade das badi­ sche Stockwerkseigentum, das unter dem linksrheinischen Einfluss des fran­ zösischen Code Napoléon stand, sogar auch ausschließliches Sondereigentum kannte,289 so dass dieser Fall, auch wenn man den vorderen Teil des Grund­ stücks vernachlässigen wollte, unter diesem Gesichtspunkt ohne weiteres als Stockwerkseigentum anerkannt werden konnte, solange nicht mehrere Grundstücke durch die Teilung entstanden.290 Im Großherzogtum Baden gab 283  Vgl.

BGHZ 46, 281, (282 f.). 46, 281, (286 ff.). 285  BGHZ 46, 281, (288). 286  BGHZ 46, 281, (288). 287  BGHZ 46, 281, (288). 288  Zur Dogmatik des badischen Stockwerkseigentums W. Behaghel, Das badi­ sche bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rück­ sicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 266; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 21; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stock­ werkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (132); ders., Stockwerkseigentum in Baden nach französischem Recht und die Einwirkung des württembergischen Rechts, Zeit­ schrift für das Notariat in Baden-Württemberg 1984, 5, (6 ff.); W. Merle, Das Woh­ nungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 20. 289  H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S.  21; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (132). 290  Vgl. E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundei­ gentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 146 ff.; H. Zoeppritz, Ueber 284  BGHZ

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

es zudem im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs keine Übergangsnorm entsprechend dem Art. 42 BayÜGBGB, so dass hier zunächst uneingeschränkt Art. 182 EGBGB zur Anwendung kam.291 Eine Anwendung von dem heute in Bayern geltenden Art. 62 BayAGBGB auf solche Konstellationen könnte aber in Konflikt mit Art. 72 I, 74 I Nr. 1 GG geraten, weil der jeweilige Landesgesetzgeber nach Art. 218 EGBGB zwar das bisher bestehende stockwerkseigentumsrechtliche Landesrecht durch Landesgesetze ändern darf, aber nicht befugt ist, auch im Hinblick auf be­ reits vor dem 01.01.1900 bestehende Rechtsverhältnisse noch nicht mit Stockwerkseigentum belastete Grundstücksteile in die Miteigentumsgemein­ schaft mit einzubeziehen.292 Hier könnte nicht mehr nur eine zulässige In­ haltsänderung eines Altrechts, sondern vielmehr eine unzulässige Erweite­ rung vorliegen, die bundesrechtlich nach der Norm des Art. 189 I 3 EGBGB nicht mehr gestattet ist und auch die den Ländern eingeräumte Kompetenz des Art. 218 EGBGB überschreitet.293 Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in einer frühen Entscheidung aus dem Jahre 1902 bestimmt, dass eine Ausdehnung von Stockwerkseigentum auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht stockwerkseigentumsrechtlich be­ troffene Grundstücksflächen ausscheidet, was grundsätzlich zur Folge hat, dass im Falle der Aufteilung einer mit einem Haus bebauten Grundfläche in Miteigentum und Alleineigentum diese rechtlichen Verhältnisse trotz der Norm des Art. 62 BayAGBGB uneingeschränkt gelten, woraus sich ergibt, dass der gemeinschaftliche Teil der Grundfläche dann im Miteigentum steht, während dagegen der zunächst im Alleineigentum stehende Teil der Grund­ das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 21; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (132). 291  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f. 292  BVerfG, Beschluss vom 22.04.1958, Az.: 2 BvL 32/56; BVerfGE 20, 238, (251 ff.); BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); G. Freudling, Echtes altrechtliches Stock­ werkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399); vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2 ff.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f. 293  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kom­ mentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; W. v. Henle/ H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2 ff.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 7.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei381

fläche obgleich der Überleitungsnorm des Art. 42 BayÜGBGB bzw. des heute geltenden Art. 62 BayAGBGB im Alleineigentum bleibt, „geradeso, wie wenn die Teile besondere Häuser wären.“294 Diese bayerische Rechtspre­ chung hält die einfachgesetzlichen Grenzen der Art. 218, 189 I 3 EGBGB ein und steht auch in Konformität mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.295 Denn auch der Bundesgerichtshof als höchstes deutsches ordentliches Gericht führt in der erläuterten Entscheidung zum badischen Stockwerkseigentum aus, dass sich aus dem Sinn und Zweck der Norm des Art. 189 I 3 EGBGB nur ergebe, dass kein Stockwerkseigentum mehr an solchen Grundstücken begründet werden könne, die zum 01.01.1900 noch nicht Gegenstand von Stockwerkseigentum waren.296 Das Gesetz ver­ biete aber nicht, dass an solchen Grundstücken, an denen zu diesem Zeit­ punkt bereits Stockwerkseigentum bestand, die Abgrenzung des beiderseiti­ gen Stockwerkseigentums durch Rechtsgeschäft noch nachträglich abgeän­ dert werden könne, mindestens dann, wenn diese Abänderung nicht zu einer Ausdehnung der waagerechtlichen Eigentumsteilung auf bisher davon noch nicht betroffene Grundstücksteile, sondern zu senkrecht geteiltem Eigentum an bereits entsprechend altrechtlich belasteten Grundstücksteilen führe.297 Damit stellte der Bundesgerichtshof im Ergebnis fest, dass Inhaltsänderungen von bestehendem Stockwerkseigentum in senkrechter Richtung zulässig sind, er hat aber die Frage nicht abschließend beantwortet, inwieweit es Grenzen bei waagerechten Modifikationen von bereits bestehenden Komplexen geben kann.298 In der Literatur wird insoweit die Ansicht vertreten, dass horizontale Änderungen von Grundstücks- und Gebäudebeständen grundsätzlich unzu­ lässig sind, weil sie mit der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs unver­ einbar sind.299 Dieser Einwand erscheint nur auf den ersten Blick plausibel. 294  BayObLGZ 3, 1023, (1024  f.); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  49 f.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württem­ bergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 47 ff.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 182 Rn. 1. 295  BGHZ 46, 281, (289  f.); M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2 ff. 296  BGHZ 46, 281, (289 f.). 297  BGHZ 46, 281, (289 f.). 298  Vgl. BGHZ 46, 281, (289 f.). 299  Grundsätzlich zur Unzulässigkeit waagerechter stockwerkseigentumsrecht­ licher Teilungen J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50– 218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 7; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Ent­

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Entscheidend ist, wie man den jeweiligen real gegebenen Stockwerkseigen­ tums- bzw. Herbergskomplex einordnet. Die anzusetzenden Parameter erge­ ben sich aus dem Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch selbst. Denn nach Art. 182 S. 1 EGBGB bleibt das zum 01.01.1900 bestehende Stockwerkseigentum bestehen.300 Nach Art. 189 I 3 EGBGB kann aber ein nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs unzulässiges Recht nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mehr begründet werden,301 womit zwar auch das Rechtsinstitut des Stockwerkseigentums an sich dem Verdikt einer künftigen Unbegründbarkeit unterfällt, dagegen aber etwaige bloße Inhaltsänderungen eines zum 01.01.1900 bereits bestehenden wicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 148 ff.; vgl. auch BGHZ 41, 177 ff. zur waagerechtlichen Teilung des Eigentums an einer Grenzmauer. 300  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerksei­ gentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanis­ tische Abteilung 1999 (116), 384, (388); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S.  193 f. 301  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommen­ tar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei383

Bestandes nicht ausgeschlossen werden.302 Aus dem Satz 2 der Norm des Art. 182 EGBGB ergibt sich der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die räumliche Bestimmung des bestehenden Stockwerkseigentums. Danach be­ stimmt sich das „Rechtsverhältnis der Beteiligten“ untereinander nach den bisherigen Gesetzen. Entscheidend ist daher das konkrete Rechtsverhältnis in der Form des bestehenden Herbergskomplexes, wie es sich im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs darstellte.303 Man wird regelmä­ ßig als entscheidendes Abgrenzungskriterium die Einheitlichkeit der Grund­ fläche einschließlich der auf dieser errichteten Gebäudeteile ansehen müssen, woraus sich retrospektiv eine betroffene Einheitlichkeit als Maßstab der rechtlichen Beurteilung von Stockwerkseigentum ergibt.304 Ist der zu bewer­ tende stockwerkseigentums- bzw. herbergsrechtliche Komplex in sich abge­ schlossen und einheitlich, werden etwaige Modifikationen, wenn zumindest mit diesen keine waagerechten Erweiterungen von bisher noch nicht betrof­ 302  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253. 303  Vgl. H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 418 f.; F. Affolter, Das inter­ temporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257  f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergän­ zungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S.  193 f., 196 f.; E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 151; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 42 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 33; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigen­ tum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungs­ gesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117 f.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (402); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 142 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 165. 304  Vgl. zur Einheitlichkeit eines Stockwerkseigentums- bzw. Herbergskomplexes BGHZ 46, 281, (289 f.); BayObLGZ 3, 1023, (1024); E. Schott, Das Stockwerksei­ gentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 47 ff.; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band  VIII, Stuttgart 1984, Art.  182 Rn.  1 („bisher gemeinschaftliche Teile“); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 7.

384

C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

fenen Grundflächen verbunden sind,305 was eine Überschreitung der betroffe­ nen Einheitlichkeit gerade indizieren würde, im Rahmen von diesem bzw. eine entsprechende Umwandlung im Sinne von Art. 62 BayAGBGB möglich sein, während im Übrigen in der Regel die Grenzen zu einer unzulässigen Neubegründung überschritten sein werden und eine bloße altrechtliche In­ haltsänderung zu verneinen sein wird.306 Angesprochen ist damit allgemein auch die Problematik von herbergsrechtlichen Mischformen.307 Im Rahmen der betroffenen Einheitlichkeit des zum 01.01.1900 bestehenden stockwerks­ eigentumsrechtlichen Rechtsverhältnisses sind aber dann auch Änderungen in waagerechter Richtung zulässig, weil diese von Art. 189 I 3 nicht erfasst werden, solange der abgeschlossene Herbergskomplex nicht verlassen wird und damit die Grenzen einer zulässigen Inhaltsänderung eines Altrechts ein­ gehalten werden.308 Anders lautende Ansichten sind reine rechtspolitische Postulate, die sich rechtlichen Ansatzpunkten im geltenden Gesetzesrecht entziehen. Dagegen wären waagerechte wie auch senkrechte Erweiterungen hinsichtlich eines altrechtlichen Stockwerkseigentumsbestandes auf noch nicht am 01.01.1900 zum Herbergskomplex gehörende Grundflächen bzw. Gebäudeteile, d. h. von Grundstücksteilen, die zu dem in sich abgeschlosse­ nen und einheitlichen Stockwerkseigentum im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht gehörten, heute grundsätzlich unter den Voraussetzungen der Art. 72 I, 74 I Nr. 1 GG Sache des Bundesgesetzge­ bers, unabhängig davon, ob Art. 182 EGBGB oder eine landesrechtliche Übergangs- oder Ausführungsnorm Anwendung findet.309 Diese Normen wollen grundsätzlich den bisherigen Bestand an Stockwerkseigentum sichern, oder aber etwa wie in Bayern im Miteigentumsgeiste des Bürgerlichen Ge­ setzbuchs modifizieren, ohne aber Neubegründungen zu legitimieren.310 Der 305  Insoweit

übereinstimmend BGHZ 46, 281, (290); BayObLGZ 3, 1023, (1024). 3, 1023, (1024 f.); F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399); vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn.  2 ff. 307  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1023 ff.). 308  Vgl. F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253. 309  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; BVerfGE 20, 238, (251); BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25.03.2021, Az.: 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5. 310  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ 306  BayObLGZ



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei385

hier vertretene Grundsatz der betroffenen Einheitlichkeit ist im Ergebnis verfassungs- und gesetzeskonform und entspricht auch den angeführten Grundsatzentscheidungen.311 In dem Urteil des Bundesgerichtshofs handelte es sich um einen abgeschlossenen Stockwerkseigentumskomplex, der einen in sich einheitlichen Rechtskreis bildete und deshalb altrechtlichen Inhaltsän­ derungen zugänglich war,312 während sich der genannte Fall des Bayerischen Obersten Landesgerichts auf ein Gewölbe in einem ganz anderen Gebäude­ komplex des Nachbarn bezog, so dass unabhängig davon, dass bereits die Annahme eines Miteigentums zwischen den Stockwerkseigentümern zweifel­ haft war und eine waagerechte Erweiterung von auf bisher nicht betroffene Grundstücksflächen in Rede stand, ein einheitlicher Herbergskomplex zu verneinen war.313 Gleiches gilt auch bei real geteilten Haushälften, die sich jeweils auf unterschiedliche Grundstücke beziehen und keine stockwerksei­ gentumsrechtliche Einheit bilden können, so dass auch hier eine Erweiterung bzw. eine miteigentumsrechtliche Umwandlung in eine bis dato noch nicht vorhandene Gemeinschaft wegen der damit verbundenen Neubegründung von Stockwerkseigentum unzulässig ist.314 Wenn Erweiterungen bzw. sons­ tige Änderungen, sei es in senkrechter oder in waagerechter Richtung, zuge­ lassen werden sollen, die den in sich abgeschlossenen Rechtskreis des Stock­ werkseigentums- bzw. Herbergskomplexes verlassen, liegt nicht mehr nur eine Inhaltsänderung des Altrechts vor, sondern eine unzulässige Neubegrün­ dung von etwaigem Stockwerkseigentum, die heute grundsätzlich Sache des Bundesgesetzgebers nach Art. 72 I, 74 I Nr. 1 GG ist.315 Zu bedenken ist weiterhin, dass der einheitliche Komplex am 01.01.1900 bereits vorhanden

chen 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3 ff. 311  Vgl. BGHZ 46, 281, (290); BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.). 312  Vgl. BGHZ, 46, 281, (282 f., 289 f.); F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253. 313  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1024). 314  BayObLGZ 3, 1023, (1024); G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerksei­ gentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanisti­ sche Abteilung 1999 (116), 384, (399); vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Mün­ chen 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2 ff. 315  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; BVerfGE 20, 238, (251); BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25.03.2021, Az.: 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5.

386

C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

gewesen sein muss.316 Nachdem aber die Vorschrift des Art. 62 BayAG­BGB unabhängig davon stets Miteigentum von sämtlichen Herbergsbesitzern an der Grundfläche voraussetzt, wird auch insoweit die notwendige Einheitlich­ keit als Voraussetzung für eine inhaltliche Änderung des Altrechts bestätigt, so dass in anderen Fällen regelmäßig Art. 182 EGBGB zur Anwendung kom­ men muss.317 Dies ist nämlich der eigentliche Sinn der zitierten Rechtspre­ chung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, die Anwendbarkeit des Art. 42 BayÜGBGB bzw. des Art. 62 BayAGBGB einzuschränken, wenn auch sonstige Grundstücksteile vorhanden sind, die im Alleineigentum ste­ hen.318 Der Grundsatz der betroffenen Einheitlichkeit, der nach dem geltenden Gesetzesrecht nach Art. 182 S. 1 und 2, 189 I 3 EGBGB auf das am 01.01.1900 bestehende Stockwerkseigentum abstellt, wird durch die Reich­ weite der Landesgesetzgebungskompetenz nach Art. 218 EGBGB bestä­ tigt.319 Danach können, soweit nach den Vorschriften dieses Abschnitts, na­ mentlich des Vierten Teils des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch,320 die bisherigen Landesgesetze maßgebend bleiben, diese nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch Landesgesetz auch geändert werden.321 Die Änderungskompetenz des Art. 218 EGBGB bezieht sich auf sämtliche Übergangsvorschriften des Vierten Teils des Einführungs­ gesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, womit lediglich die Vorschriften der Art. 187, 188, 193 und 196 EGBGB nicht erfasst werden, weil diese keine Übergangsnormen enthalten.322 Die durch das Einführungsgesetz zum Bür­ gerlichen Gesetzbuch eingeräumte Kompetenz des Landesgesetzgebers ist dabei umfassend zu verstehen, d. h., soweit die Vorbehalte des Einführungs­ gesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch Rechtsgebiete allgemein dem Lan­ desrecht zuweisen, gelten sie für alle Vorschriften, welche die Regelung des 316  Vgl. BayObLGZ 1995, 413, (416). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschriften der Art. 182 EGBGB und Art. 62 BayAGBGB. 317  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1024); BayObLGZ 1995, 413, (417); G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 ff., 397 ff.); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 4. 318  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1023 ff.). 319  Vgl. zur Reichweite der bundesrechtlich eingeräumten Landesgesetzgebungs­ kompetenz des Art. 218 EGBGB M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5. 320  M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 2. 321  Zum Ganzen M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50– 218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 1 ff. 322  M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 2.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei387

Rechtsgebietes zum Gegenstand haben.323 Etwaige Abweichungen in Anse­ hung der allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches sind statt­ haft.324 Dies gilt auch, wenn bereits eine umfassende und erschöpfende Re­ gelung eines Gegenstands der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund vorliegt.325 Aus dem Wortlaut des Art. 218 EGBGB ergibt sich aber bereits eine Grenze, wenn die Vorschrift des Art. 218 EGBGB die Änderungsbefugnis davon abhängig macht, dass „die bisherigen Landesge­ setze maßgebend bleiben“, woraus abgeleitet werden kann, dass landesrecht­ lich die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs beste­ henden Gesetze abgeändert werden können, dass sich diese Kompetenz aber nur auf zum 01.01.1900 bereits bestehende Rechtsverhältnisse bezieht, d. h., die Landesgesetzgeber sind durch die Änderung der bisherigen Gesetze nicht befugt, neue stockwerkseigentums- bzw. herbergsrechtliche Rechtsver­ hältnisse zu begründen.326 Würde daher ein Landesgesetzgeber durch den Erlass eines Gesetzes die Ausdehnung von bestehendem Stockwerkseigen­ tum auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht mit Stockwerkseigentum infizierte Teile einer Grundfläche zulas­ sen, würde dieses mit den geltenden Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Eigentum nach §§ 903 ff. BGB, die auf dem Grundsatz superficies solo cedit aufbauen, kollidieren und deshalb nach Art. 31 GG derogiert wer­ den.327 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Ansicht in der Literatur wird Landesrecht nach Art. 31 GG aber nur gebrochen, wenn es wirksam erlassen wurde, so dass hier von einer Kompetenzausübungsschranke gesprochen wird, die sich aus den Kompe­ tenznormen des Grundgesetzes ableitet.328 Daraus ergibt sich, dass kompe­ tenzlos erlassenes Landesrecht auch ohne eine entsprechende Heranziehung der Norm des Art. 31 GG nichtig ist.329 Diese Grenze wurde einfachgesetz­ lich auch in Art. 189 I 3 EGBGB normiert, der Rechtsinstituten, die unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch unzulässig sind, wozu heute auch das Stock­ 323  BVerfG,

Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64. Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64. 325  BVerfGE 20, 238, (251). 326  So zu Recht M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50– 218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5. 327  So H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommen­ tar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 f.; vgl. auch BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); BVerwG, Urteil vom 29.08.2006, Az.: 8 C 21.05 zur Auslegung der Vor­ schrift des Art. 189 I 3 EGBGB. 328  H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommentar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 f. 329  H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommentar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 f. unter Verweis auf BVerfGE 98, 159. 324  BVerfG,

388

C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

werkseigentum gehört, eine Neubegründung verwehrt.330 Entsprechend wä­ ren auch landesrechtliche Vollzugsakte nichtig, die auf diesbezügliche Rechtsänderungen im Grundbuch gerichtet wären.331 Die betroffene Einheit­ lichkeit des zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs und damit zum 01.01.1900 bestehenden Stockwerkseigentums darf daher keine denaturierende Änderung erfahren, die aber vor dem strengen verfas­ sungsrechtlichen Hintergrund der Art. 72 I, 74 I Nr. 1, 31 GG bereits dann vorliegt, wenn ein bestehender Komplex entgegen der geltenden Grundsätze des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Grundflächen erweitert werden würde, die vormals noch nicht mit Stockwerkseigentum betroffen waren.332 Ob die Landesgesetzgeber dagegen im Rahmen ihrer gesetzgeberischen Einschät­ zungsprärogative durch Art. 218 EGBGB auch ermächtigt werden sollten, die bisherigen Gesetze im Sinne von Modifikationen bestehender Rechtsver­ hältnisse derart zu ändern, dass auch neue Stockwerksrechte im Rahmen ei­ ner betroffenen herbergsrechtlichen Einheitlichkeit begründet werden kön­ nen, muss am Maßstab der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungs­ 330  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommen­ tar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3. 331  H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommentar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 ff. Zur grundbuchmäßigen Behandlung des Stockwerkseigentums in Bayern W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 7. 332  Vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25.03.2021, Az.: 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20; BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommen­ tar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 ff., dort in Fn. 5 auch mit der Anmer­ kung, dass Art. 31 GG aber keine Anwendung findet, wenn Bundesrecht im Einzelfall abweichendes Landesrecht zulässt oder eine entsprechende Öffnungsklausel enthält. Nur muss sich das Landesrecht auch in diesem Fall im Rahmen der eingeräumten Ermächtigung halten.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei389

gerichts bejaht werden.333 Hierfür spricht auch die Entstehungsgeschichte der entsprechenden Normen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch, nachdem der Reichsgesetzgeber die Neubegründung von Stock­ werkseigentum unter der bürgerlich-rechtlichen Kodifikation grundsätzlich ausschließen und den Landesgesetzgebern lediglich die Möglichkeit der Konservierung von altrechtlich begründeten Rechtsverhältnissen an die Hand geben wollte.334 Bemerkenswert ist dabei in den Gesetzesmaterialien zu ei­ nem reichseinheitlichen Bürgerlichen Gesetzbuch die Begründung, wonach, „um die lokalen Bedürfnisse zu berücksichtigen, (…) die Befriedigung der­ selben in den Grenzen des Bestandtheilsbegriffes (von Sachen) den betheilig­ ten Bundesstaaten“ überlassen werden sollte.335 Aus dem Begründungsan­ satz „in den Grenzen des Bestandtheilsbegriffes“ von wesentlichen Sachen kann nämlich gerade auch abgeleitet werden, dass die landesrechtlichen Vor­ behaltsnormen gerade nicht auf zum 01.01.1900 noch nicht betroffene Grundflächen bzw. Grundstücke bezogen sein sollten, sondern die Väter des reichseinheitlichen Bürgerlichen Gesetzbuches den Grundsatz superficies solo cedit vielmehr zielführend bei ihren Überlegungen im Blick hatten.336 Davon aber abgesehen sollte den Landesgesetzgebern die Möglichkeit von gesetzlichen Abweichungen durch Landesrecht gestattet werden.337 Anknüp­ fungspunkt der landesrechtlichen Gesetzgebungskompetenz des Art. 218 EGBGB bleibt aber ausschließlich das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuches bereits bestehende Stockwerkseigentum, d. h. die

333  BVerfG,

Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64. zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 46; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachen­ recht, Berlin 1899, S. 25, 243 f.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Aus­ führungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S.  33 f., 39 f.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 9. 335  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 46; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachen­ recht, Berlin 1899, S. 25, 243 f. 336  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 42 f., 45; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25. 337  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 46; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachen­ recht, Berlin 1899, S. 25, 243 f. 334  Motive

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

zum 01.01.1900 begründete betroffene Einheitlichkeit.338 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift des Art. 218 EGBGB selbst, der nur die bisherigen Gesetze einem Änderungsvorbehalt unterwirft,339 aber auch aus der Norm des Art. 182 S. 1 EGBGB, der nur das im Zeitpunkt des Inkraft­ tretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerkseigentum be­ stehen lässt.340 Andererseits normiert Art. 189 I 3 EGBGB gerade ein Verbot der Neubegründung von Stockwerkseigentum unter dem geltenden Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs.341 Daraus ergibt sich aber insgesamt dann, dass die Länder im Sinne von Art. 218 EGBGB nicht befugt sind, etwaige Grundflächen, die außerhalb der zum 01.01.1900 bestehenden stockwerksei­ gentums- bzw. herbergsrechtlichen Rechtsverhältnisse lagen, durch Landes­ 338  Vgl.

BayObLGZ 1995, 413, (416). in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5. 340  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Ein­ führungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1999 (116), 384, (388); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f. 341  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommen­ tar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3. 339  M. Mittelstadt,



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei391

gesetz in den entsprechenden Komplex einzubeziehen, dass die Landesge­ setzgeber aber in Bezug auf eine altrechtliche betroffene Einheitlichkeit durchaus Gesetze erlassen können, die Modifikationen von altrechtlichem Stockwerkseigentum zulassen, welche auch in die Nähe von Neubegründun­ gen von Stockwerkseigentum kommen können.342 Damit sind mitunter qua­ litative Änderungen der betroffenen Einheitlichkeit wie nachträgliche Tei­ lungen und Neuzuordnungen von einzelnen Teilbestandteilen einer Wohnein­ heit zu einer anderen angesprochen, d. h. bauliche bzw. benutzungsrechtliche Modifikationen des konkret vorzufindenden Komplexes, sei es in senkrech­ ter oder waagerechter Richtung, die bei verständiger rechtlicher Wertung den ursprünglichen Stockwerkseigentumsbestand bzw. die altrechtliche Her­ berge derart umwandeln, dass die Grenze zu einer unzulässigen Neubegrün­ dung eines Altrechts grundsätzlich überschritten ist.343 Fehlt es aber an ei­ nem solchen landesrechtlichen Änderungsgesetz, bleiben derartige in die Nähe von Neubegründungen kommende Bestandsumwandlungen o. Ä. aus­ geschlossen.344 Mit anderen Worten können die Landesgesetzgeber aufgrund ihres demokratisch legitimierten parlamentarischen Einschätzungs- und Wer­ tungsspielraums, der umfassend zu interpretieren ist, Änderungsgesetze er­ lassen, die den zum 01.01.1900 bestehenden Stockwerkseigentums- bzw. Herbergsbestand betreffen, und im Rahmen dieser altrechtlichen Rechtsver­ hältnisse auch etwaige Modifikationen zulassen, die über bloße zulässige Inhaltsänderungen hinausgehen.345 Fehlt es an einer solchen landesrecht­ lichen Konkretisierung aber, bleibt es bei dem uneingeschränkten Verbot von entsprechenden Neubegründungen.346 An diesem Ergebnis ändert auch 342  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich ver­ schiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommen­ tar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 ff., 5. 343  So etwa bei einer Teilung von ursprünglichen Herbergseinheiten eines Hauses bzw. des Grundstücks; vgl. OLG Stuttgart, RJA 6, 82, (83 f.); F. Affolter, Das inter­ temporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeit­ schrift 1948 (3), 83, (84). 344  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommen­ tar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 ff., 5. 345  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64. 346  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommen­ tar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 ff., 5.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

der Sinn und Zweck des Art. 182 EGBGB nichts, sondern dieses wird viel­ mehr durch die hinter der genannten Vorschrift stehende reichsgesetzgeberi­ sche Absicht bestätigt, ehemalige Privatrechtsformen zu sichern, die unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht mehr zulässig wären.347 Den Ländern aber sind Änderungen hinsichtlich der zum 01.01.1900 begründeten Rechts­ verhältnisse gestattet, solange die Grenzen der konkreten betroffenen Ein­ heitlichkeit eingehalten bleiben, was bei einer Ausdehnung auf zum Zeit­ punkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht stock­ werkseigentumsrechtlich betroffene Grundflächen nicht der Fall wäre.348 In diesem Sinne erhellt sich schließlich die Gesamtkonzeption des Einfüh­ rungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch und bestätigt den Grundsatz der betroffenen Einheitlichkeit. c) Der Anwendungsbereich des Art. 182 EGBGB In Abgrenzung zu dem sachlichen Anwendungsbereich des Art. 62 Bay­ AGBGB, der nur das unechte und das altrechtliche echte Stockwerkseigen­ tum im engeren Sinne erfassen kann,349 ergibt sich dann auch der Anwen­ dungsbereich der Norm des Art. 182 S. 1, 2 EGBGB, wonach das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerksei­ gentum bestehen bleibt und sich das Rechtsverhältnis der Beteiligten unter­ einander nach den bisherigen Gesetzen bestimmt. Die Norm gilt zunächst allgemein, d. h. sämtliches Stockwerkseigentum im Bundesgebiet gilt zu­ nächst fort und beurteilt sich hinsichtlich der Rechtsbeziehungen der Teilha­ ber ausschließlich nach dem bis zum 01.01.1900 geltenden Recht.350 Dem 347  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; G. Freudling, Echtes alt­ rechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). 348  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommen­ tar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 ff., 5. 349  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); BayObLGZ 22, 270, (271 f.); BayObLGZ 1995, 413, (417); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 4; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399). 350  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Ge­



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei393

Wortlaut des Art. 182 EGBGB ist aber eine Einschränkung zu entnehmen, wonach sich nur das Innenverhältnis der Beteiligten, d. h. die Benutzung und Verwaltung sowie die Lastenverteilung, nach den bisherigen Gesetzen richtet, nicht aber dagegen das Außenverhältnis, weshalb es insoweit bei dem Grundsatz des Art. 181 I EGBGB und der Anwendung des Bürger­ lichen Gesetzbuchs bleibt.351 Die Übertragung und Belastung des Stock­ werkseigentums richten sich daher nach den §§ 873 ff. BGB.352 Bis zur An­ setzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Ge­ setzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stutt­ gart 1984, Art. 131 Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrecht­ liches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f.; zu eng dagegen die Ansicht bei F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 182 Rn. 1, Art. 131 Rn. 2; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145, die den allgemeinen Ausgangscharakter des Art. 182 EGBGB nicht sehen und des­ halb die Norm nur auf das echte Stockwerkseigentum anwenden wollen. 351  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 418 f.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S.  257 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S.  193 f., 196 f.; E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grund­ eigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 151; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 42 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 33; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungs­ gesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117 f.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (402); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 142 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 165. 352  T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civi­

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

legung der Grundbücher gelten aber weiterhin die bisherigen Gesetze, Art. 189 I 1, 2, III BGB.353 Zu beachten ist die systematische Abgrenzung zu Art. 131 EGBGB, wonach der Reichsgesetzgeber die Konzeption des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch trotz des Standpunktes einer grundsätzlichen Ablehnung des überkommenen Rechtsinstituts des Stockwerkseigentums dergestalt ausgearbeitet hat, dass die landesrechtli­ chen Normen, welche für den Fall, dass jedem der Miteigentümer eines mit einem Gebäude versehenen Grundstücks die ausschließliche Benutzung an einem Teil des Gebäudes eingeräumt ist, das Gemeinschaftsverhältnis näher bestimmen, die Anwendung der §§ 749 bis 751 des Bürgerlichen Gesetz­ buchs ausschließen und zusätzlich für den Fall des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Miteigentümers das Recht, für die Insolvenzmasse die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, versagen, unberührt bleiben.354 Denn damit hat der Reichsgesetzgeber den Fortbestand von unechtem Stockwerkseigentum anerkannt und die Landesgesetzgeber zusätzlich er­ mächtigt, im Rahmen der Grenzen der landesgesetzgeberischen Kompetenz des Art. 131 EGBGB uneigentliches Stockwerkseigentum zu schaffen, um diesen gemäß der im Rahmen der Entstehungsgeschichte zu einem reichs­ einheitlichen Bürgerlichen Gesetzbuch angemerkten Absicht die Option zu eröffnen, die verschiedenen Gewohnheiten und Rechtssitten der beteiligten Kreise in Bezug auf altrechtliches Stockwerkseigentum insoweit berück­ sichtigen zu können, als sie gegebenenfalls selbst entsprechende Gesetze erlassen.355 Da aber mit Ausnahme des württemberg-badischen Gesetzes über das Miteigentum nach Wohneinheiten aus dem Jahre 1950, das bereits wenige Jahre später wieder aufgehoben wurde, kein entsprechendes Landes­ gesetz auf der Ermächtigungsgrundlage des Art. 131 EGBGB erlassen

listische Praxis 1938 (144), 343, (345 f.); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 8. 353  OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor ent­ standene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419; F. Affolter, Das intertempo­ rale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leip­ zig 1903, S. 258. 354  Vgl. E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des würt­ tembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 42. 355  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 46; B. Mugdan, Die ge­ sammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25, 243 f.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 33 f., 700 f.; vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB).



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei395

wurde,356 bleibt es für sämtliches Stockwerkseigentum zunächst bei dem Grundsatz des Art. 182 EGBGB.357 Mit der Norm des Art. 42 BayÜGBGB hat der Bayerische Gesetzgeber letztlich dann von seiner Änderungskompe­ tenz nach Art. 218 EGBGB Gebrauch gemacht und eine den tatbestand­ lichen Voraussetzungen der Vorschrift des Art. 131 EGBGB ähnliche gesetz­ liche Regelung im Sinne von unechtem Stockwerkseigentum geschaffen.358 Der Sinn und Zweck des Art. 182 EGBGB besteht grundsätzlich darin, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 bestehendes Stockwerkseigentum zu sichern und aufrechtzuerhalten, das heute nicht mehr zulässig wäre.359 Dies ergibt sich überdies offensichtlich systematisch auch aus der Gliederung des Einführungsgesetzes zum Bürger­ lichen Gesetzbuch selbst. Denn während Art. 131 EGBGB nach der Kon­ zeption dieses Gesetzes vorne im Zusammenhang mit Materien steht, bei denen die landesrechtlichen Regelungen regelmäßig unberührt bleiben, wird 356  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S.  317; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band  VIII, Stuttgart 1984, Art.  131 Rn.  1; ­H.-W. Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 f.); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 131 Rn. 9 ff.; F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 131 Rn. 1. Die beiden letz­ ten Kommentierungen ordnen auch Art. 62 BayAGBGB dem Art. 131 EGBGB zu. 357  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungs­ gesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau, Justizge­ setze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Ber­ lin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1999 (116), 384, (388). 358  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 33; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (397 f.). 359  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; H. Habicht, Die Einwir­ kung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; vgl. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigen­ tum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388).

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

die offensichtlich eine Ausnahme beinhaltende Norm des Art. 182 EGBGB direkt nach der Vorschrift des Art. 181 I EGBGB aufgeführt, der den Grundsatz aufstellt, dass auf das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerli­ chen Gesetzbuchs bestehende Eigentum von dieser Zeit an die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung finden,360 dann aber wiederum gerade im Kontext von Normen wie Art. 181 II, 183 und 184 EGBGB, die bestehende Rechtszustände der Zeit vor dem 01.01.1900 als bestehenblei­ bend ansehen möchten.361 Der Systematik des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ist damit ein weit tieferliegender Sinn und Zweck zu entnehmen, zumal wenn man hier noch die abschließende Klarstellung nach Art. 189 I 3 EGBGB bedenkt, der es ausschließt, dass ein nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs unzulässiges Recht nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch begründet wird.362 Unter Beachtung von etwaigen landesrechtlichen Überleitungsnormen nach dem bayerischen Vorbild des Art. 42 BayÜGBGB wird sich deshalb der ver­ bleibende Anwendungsbereich der Vorschrift des Art. 182 EGBGB ent­ sprechend ihrer systematischen Einordnung im Rahmen des Einführungsge­ setzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch und mit Blick auf die sachlichen Re­ gelungsgehalte der Art. 131, 218 EGBGB bzw. von landesrechtlichen Be­ stimmungen wie Art.  62 BayAGBGB auf Stockwerkseigentumsformen

360  G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 f.); F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Inter­ nationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 181 Rn. 1; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 181 EGBGB Rn. 1. 361  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; O. v. Feilitzsch, Stockwerks­ eigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 322 f. 362  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; Pa­ landt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78.  Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei397

beschrän­ken, die sich wegen etwaiger Besonderheiten den landesrechtlichen Übergangsvorschriften entziehen.363 Vor diesem Hintergrund gilt Art. 182 EGBGB in Bayern zunächst für das altrechtliche echte Stockwerkseigentum im weiteren Sinne, das sich dadurch auszeichnet, dass die einzelnen Teilhaber Sondereigentum an einzelnen aus­ geschiedenen Gebäudeteilen, d. h. Stockwerken oder Räumen, und eine mit­ eigentumsrechtliche Beteiligung an gemeinschaftlichen Gebäudeteilen besit­ zen, ohne dass dies aber mit einem Miteigentum von sämtlichen Teilhabern an der Grundfläche einhergehen würde.364 Denn würde die Grundfläche eines Grundstücks sämtlichen Teilhabern gemeinschaftlich zustehen, läge insoweit altrechtliches echtes Stockwerkseigentum im engeren Sinne vor, das von Art. 62 BayAGBGB erfasst werden würde.365 Art. 182 EGBGB möchte aty­ pische Herbergsrechte wie auch ausschließliches Sondereigentum bzw. sons­ tiges altrechtliches Stockwerkseigentum im weiteren Sinne gerade sichern.366 Gleiches gilt, wenn real geteilte Haushälften von verschiedenen Teilhabern mit eigenständigen und im Alleineigentum stehenden Grundstücken vorlie­

363  Vgl. O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28 ff. 364  BayObLGZ 22, 270, (271 f.); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399). 365  BayObLGZ 22, 270, (271 f.); BayObLGZ 1967, 397, (399).; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399) m. w. N.; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 58; vgl. auch H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 2, 4, der alle Formen des Stockwerkseigentums in Bayern dem Art. 62 BayAGBGB unterstellt, dann aber mit der herrschenden Meinung doch eine Ausnahme sieht, wenn das Son­ derrecht an einem Gebäudeteil nicht zugleich mit Miteigentum an anderen Grund­ stücksteilen wie auch der Grundfläche einhergeht; ausdrücklich dagegen hinsichtlich der mit Art. 42 BayÜGBGB weitgehend gleichlautenden Norm des Art. 20 des Pfäl­ zischen Liegenschaftsrechtsgesetzes vom 01.07.1898 H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 194. 366  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; H. Habicht, Die Einwir­ kung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; vgl. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigen­ tum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388).

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

gen.367 Zwar können diese Haushälften für sich durchaus Stockwerkseigen­ tum im Sinne der Sondereigentumstheorie dargestellt haben, nur fehlt es für die Anwendung des Art. 62 BayAGBGB gerade an einem Miteigentum von sämtlichen Herbergsbesitzern an einer gemeinschaftlichen Grundfläche, zu­ dem würde die nachträgliche Annahme eines synthetischen Prinzips im Sinne einer beide Gebäude erfassenden Gesamtherberge zu einer unzulässigen Neubegründung von Stockwerkseigentum in waagerechter Richtung hinaus­ laufen.368 Folglich sind real geteilte Haushälften stets an Art. 182 EGBGB zu messen, d. h., dass das Stockwerkseigentum in seinem zum 01.01.1900 bestehenden Bestand bestehen bleibt, es sei denn, dass eine sämtlichen Teil­ habern zustehende gemeinschaftliche Grundfläche vorliegt, was beim Vorlie­ gen von mehreren Grundstücken aber regelmäßig ausgeschlossen sein wird.369 Scheidet dies daher aus, weil sonstige Grundflächen vorhanden sind, die im Alleineigentum stehen, kommt für eine Grundfläche, die mehre­ ren Nachbarn bzw. Angrenzern dient, möglicherweise Art. 181 II EGBGB in Betracht, d. h., es handelt sich dann gegebenenfalls um eine gemeinschaft­ liche Fläche wie z. B. eine Einfahrt oder einen Zugang, einen Winkel oder einen Hofraum, der gemeinschaftlich sämtlichen Nachbarn dient, ohne dass dies aber eine Umwandlung im Sinne von Art. 62 BayAGBGB zur Folge hätte.370 Der sonstige Anwendungsbereich erstreckt sich auf Mischformen von Stockwerkseigentum aus Alleineigentum und Miteigentum.371 Da Stock­ werkseigentum weder auf Teile der Grundfläche in senkrechter noch in waa­ 367  Vgl.

BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.). 3, 1023, (1024 f.); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399); Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., Mün­ chen 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; vgl. H. Sprau, Justizge­ setze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 4. 369  Vgl. BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.). 370  Zum Anwendungsbereich des Art. 181 II EGBGB H. Habicht, Die Einwir­ kung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 410 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausfüh­ rungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 f. (zu Art. 43 BayÜGBGB mit Vorb.); F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258. 371  BayObLGZ 3, 1023, (1023 ff.). 368  BayObLGZ



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gerechter Richtung erstreckt werden darf, wenn die insoweit relevanten Flä­ chen bisher noch nicht stockwerkseigentumsrechtlich betroffen waren,372 d. h., zu dem in sich abgeschlossenen und einheitlichen Stockwerkseigen­ tumsbestand nicht gehörten und im Alleineigentum standen, besteht die Möglichkeit von Mischformen aus Miteigentum und Alleineigentum, die ei­ ner Anwendbarkeit des Art. 62 BayAGBGB entgegenstehen.373 Auch hier sichert die Vorschrift des Art. 182 EGBGB den bisherigen und nunmehr unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch unzulässigen Bestand vor einer unbilligen Änderung im Sinne eines unechten Gemeinschaftsverhältnisses nach Bruch­ teilen, das in diesen konkreten Konstellationen regelmäßig auch gar nicht angemessen bestimmt werden könnte.374 Im Ergebnis fallen – dogmatisch – unter den Anwendungsbereich des Art. 182 EGBGB damit schließlich genau die Fälle, die sich dem bürgerlichrechtlichen Grundsatz superficies solo cedit mit seiner axiomatischen An­ knüpfung an ein einheitliches Grundstück und dessen darauf bezogenen we­ sentlichen Bestandteilen widersetzen.375 Denn die Rechtsansicht, wonach die Vorschrift des Art. 62 BayAGBGB für ihre Anwendbarkeit notwendiger­ weise ein Miteigentum von sämtlichen Beteiligten an der gemeinschaftlichen Grundfläche voraussetzt, was bedeutet, dass neben dem unechten Stock­ werkseigentum lediglich das echte Stockwerkseigentum im engeren Sinne darunterfällt, d. h. die konkrete Gestaltung, wo den sämtlichen Berechtigten zusätzlich auch die Grundfläche gemeinschaftlich zusteht,376 begründet sich 372  Vgl.

BGHZ 46, 281, (289 f.); BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.). 3, 1023, (1023 ff.). 374  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; H. Habicht, Die Einwir­ kung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; vgl. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigen­ tum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). 375  Vgl. F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gießen 1818, S. 258, 286 ff.; Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbu­ ches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 ff.; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deut­ sche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 24 f.; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichti­ gung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (345). 376  BayObLGZ 22, 270, (271 f.); BayObLGZ 1967, 397, (399); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399) m. w. N.; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 58; 373  BayObLGZ

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

dogmatisch aus dem römischen Recht und dem Grundsatz superficies solo cedit, der dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegt.377 Der Bayerische Gesetzgeber wollte damals vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetz­ buchs das zum 01.01.1900 bestehende Stockwerkseigentum entsprechend der tatbestandlichen Konzeption des späteren Art. 131 EGBGB im Sinne einer mit dem Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs vereinbaren Miteigentumsge­ meinschaft ändern.378 Der Grundsatz superficies solo cedit beruht aber auf vgl. auch H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 194. 377  Siehe zum römischen Grundsatz superficies solo cedit in Abgrenzung zum germanischen Stockwerkseigentumsgedanken einer Horizontalteilung H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S.  114 ff.; Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), S. 211 ff.; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 415 f.; O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 283 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S.  40 ff. m. w. N.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen AusführungsGesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichti­ gung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 11 ff.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 10 ff., 40 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 10; Planck’s Kommentar zum Bürger­ lichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S.  13 f., 22 ff., 30 ff., 116; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 f.). O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H.-W. Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126 ff.); N. Thun, Die rechtsgeschicht­ liche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechts­ geschichte, Hamburg 1997, S. 21 ff., 137 ff.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, Mün­ chen 2015, S. 10 ff. 378  Vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechts­ ordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 32; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 35; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 118; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl.,



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einem einheitlichen Eigentumsbegriff, der ein Sondereigentum an ausge­ schiedenen Gebäudeteilen, d. h. ein geteiltes Eigentum an der Grundfläche und einzelnen Gebäudebestandteilen, nicht zulässt, sondern dessen beinhal­ tende Sachherrschaft sich grundsätzlich auf das ganze Grundstück bezieht und das Eigentum am Gebäude und dessen Bestandteilen dem Eigentum am Grundstück einheitlich nachfolgen lässt.379 Deshalb kann aber nach dem römischen Recht und damit auch dem Bürgerlichen Gesetzbuch als Ansatz­ punkt einer von dem Bayerischen Gesetzgeber vorgesehenen unechten Mit­ eigentumsgemeinschaft nur das ganze Grundstück, d. h. die gemeinschaftli­ che Grundfläche, maßgebend sein,380 weil ansonsten mit der Überleitungs­ norm des Art. 62 BayAGBGB wieder Rechtszustände geschaffen werden könnten, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch widersprechen.381 In den sonsti­ gen Fällen aber bleibt es dagegen bei dem allgemeinen Grundsatz des Art. 182 EGBGB, der gerade Privatrechtsformen sichern möchte, welche unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht mehr zulässig wären.382

München 1986, S. 55; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn.  2 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (130); G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (397 f.); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigen­ tumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudin­ ger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 12; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Bei­ trag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 158 f.; G. Kohl, Stock­ werkseigentum, Berlin 2007, S. 169 f., 246. 379  R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3.  Aufl., Leipzig 1919, S. 155; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27, 35; vgl. auch die Entscheidungen des Stuttgarter Obertribunals vom 16.02.1864 und 04.06.1864, Seufferts Archiv XVIII Nr. 242; Seufferts Archiv XXIV Nr. 239; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stock­ werken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (196 ff.). 380  W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27, 35. 381  Vgl. nur in Bezug auf das Stockwerkseigentum F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gießen 1818, S. 258, 286 ff. 382  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638, 64; H. Habicht, Die Einwir­ kung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; vgl. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigen­ tum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388).

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

d) Die Norm des Art. 181 II EGBGB Mit der Vorschrift des Art. 181 II EGBGB hat der Reichsgesetzgeber ne­ ben Art. 182 EGBGB eine weitere Bestandssicherungsnorm geschaffen, die auch als Ausnahme zu dem Grundsatz des Art. 181 I EGBGB anzusehen ist, wonach auf das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetz­ buchs bestehende Eigentum von dieser Zeit an die Vorschriften des Bür­ gerlichen Gesetzbuchs Anwendung finden,383 und mittelbar entsprechende Bezugspunkte zum Stockwerkseigentum aufweist. Denn durch das mittelal­ terliche Dogma eines das dominium directum ausübenden Obereigentü­ mers konnte unter anderem ein mehreren Personen zustehendes Eigentum entstehen, das nicht nach Bruchteilen aufgeteilt war, sondern als ungeteil­ tes Miteigentum, im linksrheinischen Raum insoweit auch als Gemein­ schaftseigentum besonderer Art im Sinne der „mitoyenneté“ angesehen, aufgefasst werden musste, und das seine Weitergeltung der heute noch gel­ tenden Vorschrift des Art. 181 II EGBGB verdankt.384 Nach dieser Norm bleiben die Rechte bestehen, wenn zur Zeit des Inkrafttretens des Bürger­ lichen Gesetzbuchs das Eigentum an einer Sache mehreren nicht nach Bruchteilen zustand, oder aber zu dieser Zeit ein Sondereigentum an ste­ henden Erzeugnissen eines Grundstücks, insbesondere an Bäumen, begrün­ 383  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407, 410; F. Affolter, Das intertempo­ rale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leip­ zig 1903, S. 256 f.; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betref­ fend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 185 ff.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 6 f.; vgl. auch B. Mugdan, Die ge­ sammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 487 ff. 384  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bür­ gerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 189 mit Fn. 6; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 410 f.; vgl. auch ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (128). Zur badischen bzw. württembergischen Rechtsprechung, die bei bestimmten Konstellationen wie auch einem Hofraum ein Gemeinschaftseigentum besonderer Art nach der Norm des Art. 181 II EGBGB anerkennen möchte, die entsprechenden Nachweise bei J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 12; vgl. aber auch BayObLGZ 22, 270, (272); BayObLGZ 1967, 397, (399 f.), wonach Art. 181 II EGBGB nur auf bestehende „Gesamthands­ verhältnisse“ anwendbar ist. Ablehnend bei einer gemeinschaftlichen Giebelmauer nach dem Rheinischen Bürgerlichen Gesetzbuch im Sinne von Art. 653 des Code ci­ vil BGHZ 27, 197, (202 f.).



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei403

det war.385 Damit wird ausdrücklich geregelt, dass es für das ungeteilte Miteigentum bei dem zum 01.01.1900 bestehenden Rechtszustand ver­ bleibt, während ein nach Bruchteilen geteiltes Eigentum grundsätzlich den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs unterworfen wird, wobei nach Art. 186 EGBGB mit Blick auf § 1010 BGB zunächst der Zeitpunkt der Anlegung der Grundbücher maßgebend war, was in Bayern nach Art. 40 BayÜGBGB mit der übergangsweisen Geltung der bestehenden Eintragun­ gen im Hypothekenbuch überbrückt wurde.386 Der sachliche Anwendungs­ bereich des Art. 181 II EGBGB erstreckt sich auf gemeinsame Einfahrten, Zugänge, Winkel, Brunnen und Hofräume, wobei die Vorschrift auf die Unentbehrlichkeit der Sache für die einzelnen Teilhaber abstellt und des­ halb die Aufhebung des ungeteilten Eigentums grundsätzlich verbietet.387 Die Besonderheit des ungeteilten Miteigentums ist seine eine Unselbstän­ digkeit indizierende Verknüpfung mit den sonstigen Grundstücken, wes­ halb die nicht nach Bruchteilen geteilte Fläche oder das sonstige Sachele­ ment nicht der Verfügungsbefugnis eines einzelnen Miteigentümers unter­ liegen kann.388 Die Abgrenzung eines gemeinschaftlichen Miteigentums, 385  Siehe hierzu in rechtsgeschichtlicher Hinsicht O. v. Gierke, Deutsches Privat­ recht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 40 f. m. w. N. 386  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407 f. mit Fn. 2 auf S. 408; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 315; F. Endemann, Lehr­ buch des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., Band II/1: Sachenrecht, Berlin 1905, S. 433 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 286 (zu Art. 40 BayÜGBGB); vgl. Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sa­ chenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323. Die Vorschrift des Art. 40 BayÜGBGB lautete: „An die Stelle der im § 1010 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorgeschriebenen Eintragungen in das Grundbuch treten bis zur Anlegung des Grundbuchs die entspre­ chenden Eintragungen in das Hypothekenbuch.“ 387  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 410 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 291 f. (zu Art. 43 BayÜGBGB mit Vorb.); F. Affolter, Das intertempo­ rale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leip­ zig 1903, S. 258. 388  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 411; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 f. (zu Art. 43 BayÜGBGB mit Vorb.); vgl. F. Affolter, Das intertempo­ rale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leip­ zig 1903, S. 258 f. Die Vorschrift des Art. 43 BayÜGBGB lautete: „Ist nach den bis­ herigen Vorschriften die Teilung eines Grundstücks, das in Miteigentume der Eigen­ tümer anderer Grundstücke steht und diesen dauernd zu bestimmten wirtschaftlichen Zwecken dient, wegen dieser Zweckbestimmung ausgeschlossen, so gilt das Grund­

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

das nicht nach Bruchteilen geteilt ist, von einer bloßen Dienstbarkeit be­ stimmt sich danach, ob einer konkreten Fläche für den angrenzenden Grundstückseigentümer eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu­ kommt oder ob sich die in Frage stehende Fläche nur als Annex darstellt, der nicht notwendigerweise eine Unentbehrlichkeit der Sache indiziert.389 Im Königreich Bayern wurde mit der Vorschrift des Art. 43 BayÜGBGB eine entsprechende Norm geschaffen, die solche ungeteilten Miteigentums­ bestände in Grunddienstbarkeiten überführte, so dass fortan jedes auf diese Fläche angewiesene Hauptgrundstück bei rechtlichem Fortbestand des un­ geteilten Miteigentums über eine Grunddienstbarkeit an diesem Neben­ grundstück verfügte.390 Der Inhalt und der Umfang der Grunddienst­ barkeiten hing von der bisherigen Benutzung ab.391 Damit hörte im Ergeb­ nis auch die dem Regelungszweck des Art. 181 I EGBGB zugrunde lie­ gende Notwendigkeit der Unaufhebbarkeit auf.392 Die Norm des Art. 43 BayÜG­ BGB setzte für ihre Anwendbarkeit voraus, dass es sich um ein selbständiges Grundstück handelte, das im Grundsteuerkataster mit einer eigenen Plannummer gekennzeichnet war, zudem durfte es sich bei der fraglichen Fläche, an welcher ein Eigentümer eines Nachbargrundstücks ein Benutzungsrecht reklamierte, nicht um den Bestandteil eines anderen Grundstücks handeln, da ansonsten nicht der mit der Vorschrift des Art. 43 BayÜGBGB geregelte Fall der notwendigen Gemeinschaft, sondern eine bloße Dienstbarkeit vorgelegen hätte.393 Die Grunddienstbarkeit musste zu ihrer Wirksamkeit nach Art. 187 EGBGB nicht in das Grundbuch eingetra­ stück von dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs an als zugunsten des je­ weiligen Eigentümers eines jeden der anderen Grundstücke mit einer Grunddienstbar­ keit des Inhalts belastet, daß er es zu den bestimmten Zwecken benutzen darf.“ 389  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 410 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 291 f. (zu Art. 43 BayÜGBGB mit Vorb.). 390  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 411 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 287 f. (zu Art. 43 BayÜGBGB). 391  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 293 (zu Art. 43 BayÜGBGB). 392  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 412; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 293 (zu Art. 43 BayÜGBGB). 393  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 292 f. (zu Art. 43 BayÜGBGB). Die Norm des Art. 43 BayÜGBGB ist mit Blick auf Art. 181 II, 218 EGBGB verfas­ sungskonform.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei405

gen werden, solange noch keine entsprechende Verordnung nach Art. 10 II BayÜGBGB ergangen war.394 Wenn die Eintragungspflicht durch eine Ver­ ordnung im Sinne von Art. 10 II BayÜGBGB begründet worden und eine Eintragung erfolgt wäre, hätte die Grunddienstbarkeit gegebenenfalls durch einen gutgläubigen Erwerb des sämtlichen Beteiligten dienenden Grund­ stücks untergehen können.395 Eine entsprechende Verordnung ist aber nicht erlassen worden,396 weshalb es bei den allgemeinen Grundsätzen geblieben ist, wonach gemäß Art. 187 I EGBGB eine altrechtliche Grunddienstbar­ keit zur Erhaltung ihrer Wirksamkeit gegenüber dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs grundsätzlich nicht der Eintragung bedarf.397 Wenn sie aber einmal eingetragen wurde, auch wenn dies unrichtigerweise gesche­ hen ist, oder wenn sie später gegebenenfalls auch zu Unrecht wieder ge­ löscht wird, nahm bzw. nimmt sie an dem öffentlichen Glauben des Grund­ buchs teil, so dass zugunsten eines Dritten auch ein entsprechender lasten­ freier Erwerb vollzogen werden kann.398 Wird die altrechtliche Grund­ dienstbarkeit dagegen nicht in das Grundbuch eingetragen, scheidet ein Erlöschen infolge eines gutgläubigen Erwerbs aus.399 In diesem Fall bleibt 394  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 293 (zu Art. 43 BayÜGBGB). Art. 10 BayÜGBGB lautete: „(1) 1 Grunddienstbarkeiten, die zu der Zeit bestehen, zu welcher das Grundbuch als angelegt anzusehen ist, müssen zur Erhaltung der Wirk­ samkeit gegenüber dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs in das Grundbuch eingetragen werden. 2 Der Eintragung sind Grunddienstbarkeiten, mit denen das Hal­ ten einer dauernden Anlage verbunden ist, solange nicht unterworfen, als die Anlage besteht. (2) Der Beginn und die Dauer der Frist für die Anmeldung der einzutragen­ den Grunddienstbarkeiten werden durch Verordnung bestimmt; die Frist muß jedoch mindestens sechs Monate betragen. (3) Die Bestimmung der Frist kann für einzelne Grundbuchbezirke und für einzelne Arten von Grunddienstbarkeiten gesondert erfol­ gen. (4) Die Eintragung und die Entgegennahme der Erklärungen, die zum Zwecke der Eintragung vor dem Grundbuchamt abgegeben werden, sind gebührenfrei.“; abge­ druckt bei W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 240 f. (zu Art. 10 BayÜGBGB). 395  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 412 f. 396  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 241 f. (zu Art. 10 BayÜGBGB). 397  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 240 f. (zu Art. 10 BayÜGBGB). 398  BGH, Urteil vom 08.04.1988, Az.: V ZR 34/87; BayObLG, Der deutsche Rechtspfleger 1979, 381, (381 f.). Zum Meinungsstand vor der höchstrichterlichen Klärung der Frage BayObLGZ 1971, 194, (198); 1972, 267, (270) m. w. N.; vgl. auch H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 33 f. 399  BayObLG, Der deutsche Rechtspfleger 1979, 381; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 34; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudin­ ger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 7; F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirt­

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

es für die Aufhebung des Rechts bei der Anwendung der bisherigen Ge­ setze, bis die Grunddienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen wird, Art. 189  III EGBGB.400 Ab der Eintragung in das Grundbuch gelten aber ausschließlich die Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs.401 Das Bayeri­ sche Gesetz, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuche betref­ fend, vom 09.06.1899 wurde durch Art. 80 II Nr. 2 BayAGBGB vom 20.09.1982 aufgehoben,402 wobei die Aufhebung oder die Änderung von Rechtsvorschriften durch dieses Gesetz die bereits eingetretenen Rechts­ wirkungen unberührt ließ, Art. 78 BayAGBGB. Im Übrigen bleibt nach Art. 181 II EGBGB zudem ein Sondereigentum an auf fremden Grundstü­ cken stehenden Bäumen, Pflanzen und Früchten bestehen, wobei der kon­ krete Rechtserwerb zum 01.01.1900 abgeschlossen sein musste und etwa­ ige Neubegründungen nach diesem Zeitpunkt nicht mehr zulässig sind, worunter auch mögliche Nachbepflanzungen fallen.403

schaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art.  25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 4; a. A. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Baye­ rischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 241 (zu Art. 10 BayÜGBGB). 400  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art.  57 AGBGB Rn. 31; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 189 EGBGB Rn. 2; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 2, 5, 7. 401  BGH, Urteil vom 08.04.1988, Az.: V ZR 34/87; BGH, NJW-RR 2012, 346, (347 ff.); W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 241 (zu Art. 10 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 31; ­Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 189 EGBGB Rn. 2 f.; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 2. 402  BayGVBl. 1982, 803; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 15. 403  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3.  Aufl., Jena 1901, S.  414  f. mit Fn.  5 auf S.  414; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 197; a. A. F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 256 f., der die später nachgewachsenen bzw. nachgepflanzten Bäume den sonderberechtigten Eigentümern zuordnen möchte. Siehe zu entsprechenden landesrechtlichen Vorschrif­ ten, die eine Sonderrechtsfähigkeit an stehenden Erzeugnissen eines Grundstücks vorsahen, die Nachweise bei J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 13.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei407

e) Die Norm des Art. 131 EGBGB Nach Art. 131 EGBGB bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, wel­ che für den Fall, dass jedem der einzelnen Miteigentümer eines mit einem Gebäude versehenen Grundstücks die ausschließliche Benutzung eines Teiles des Gebäudes eingeräumt ist, das Gemeinschaftsverhältnis näher bestimmen, die Anwendung der §§ 749 bis 751 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausschlie­ ßen und für den Fall des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Mit­ eigentümers auch das Recht, für die Insolvenzmasse die Aufhebung der Ge­ meinschaft zu verlangen, versagen, unberührt. Mit dieser Norm wurde eine Ausgestaltungskompetenz der Länder geschaffen, aufgrund derer die Landes­ gesetzgeber ermächtigt werden sollten, unechtes Stockwerkseigentum ent­ sprechend der tatbestandlichen Modalitäten zu schaffen.404 Damit wollte der Reichsgesetzgeber den Ländern die Möglichkeit eröffnen, die regionalen stockwerkseigentumsrechtlichen Gewohnheiten und Sitten in der Form einer mit dem Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs vereinbaren Miteigentums­ gemeinschaft berücksichtigen zu können.405 Die Länder haben von diesem eingeräumten Gesetzesvorbehalt mit Ausnahme des württemberg-badischen Gesetzes über das Miteigentum nach Wohneinheiten aus dem Jahre 1950, das wenige Jahre später wieder aufgehoben wurde,406 keinen Gebrauch ge­

404  Siehe hierzu H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 417; H. Zoeppritz, Ue­ ber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 32 f.; F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., Band II/1: Sachenrecht, Berlin 1905, S. 453 mit Fn. 48; H. Diester, Das Wohnungseigentumsgesetz vom 15. März 1951, MDR 1951, 267, (268); W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einfüh­ rungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 5; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 131 Rn. 2 ff. 405  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 46; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachen­ recht, Berlin 1899, S. 25, 243 f.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Aus­ führungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 33 f., 700 f.; vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen AusführungsGesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 406  Württemberg-badisches Gesetz über das Miteigentum nach Wohneinheiten vom 12.06.1950, Regierungsblatt der Regierung Württemberg-Baden 1950, S. 57, Nr. 275; Erste und Zweite Verordnung des Justizministeriums zur Durchführung des Gesetzes über das Miteigentum nach Wohneinheiten, Regierungsblatt der Regierung Württemberg-Baden 1951, S. 55 ff., Nr. 291 und 292; Gesetz über die Aufhebung des

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

macht.407 Damit sollte die zukünftige Entstehung von unechtem Stock­ werkseigentum unterbunden und verhindert werden.408 In der Literatur wird insoweit daher vertreten, dass es sich bei Art. 131 EGBGB mit Blick auf die Einführung des Wohnungseigentumsgesetzes um totes Recht handelt.409 Dieser Ansicht kann nur bedingt beigetreten werden. Den Landesgesetzge­ bern ist es auch heute weiterhin unbenommen, entsprechende Vorschriften zu erlassen,410 die sich aber nur auf zum 01.01.1900 bestehende altrechtliche Rechtsverhältnisse beziehen und nicht zu einer Neubegründung von Stock­ werkseigentum führen dürfen.411 Eine andere Ansicht in der Literatur inter­ württ.-badischen Gesetzes über das Miteigentum nach Wohneinheiten vom 16.02.1953, Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1953, S. 9, Nr. 3. 407  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S.  317; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betreffend Stockwerkseigentum, Miteigen­ tum und dingliches Wohnungsrecht im Rahmen des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 22, 31; H. Diester, Das Wohnungseigentumsgesetz vom 15. März 1951, MDR 1951, 267, (268); Hornig, Wohnungseigentum und Dauerwohnrecht, DNotZ 1951, 197, (200); W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 f.); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 131 Rn. 9 ff.; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 5; F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 131 Rn. 1. Die beiden letzteren Kommentatoren ordnen aber auch die Vor­ schrift des Art. 62 BayAGBGB dem Art. 131 EGBGB zu. 408  Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betreffend Stockwerks­ eigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rahmen des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 22. 409  So ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 f.). Eine andere Ansicht sieht in Art. 131 EGBGB dagegen eine Norm, die das am 01.01.1900 bestehende uneigentliche Stockwerkseigentum sichert und deshalb einen über einen landesrechtlichen Ausgestaltungsvorbehalt hinausgehenden Rege­ lungsgehalt besitzt.; so F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privat­ recht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetz­ buche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 131 Rn. 1 f.; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145. 410  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; Hornig, Wohnungseigen­ tum und Dauerwohnrecht, DNotZ 1951, 197, (200); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudin­ ger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 8; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungs­ gesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1. 411  H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivat­



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei409

pretiert die Landesgesetzgebungskompetenz dagegen umfassend und möchte den Landesgesetzgebern auf der Grundlage des Art. 131 EGBGB auch die Möglichkeit einräumen, neues Stockwerkseigentum unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch entsprechend der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vor­ schrift zu begründen.412 Die enge Auslegung des Art. 131 EGBGB, wonach sich die Landesgesetzgebungskompetenz nur auf altrechtliche Rechtsverhält­ nisse bezieht, verdient aber im Ergebnis den Vorzug. Zwar ist die Landes­ gesetzgebungsbefugnis auch hier grundsätzlich umfassend zu verstehen.413 Auch ist zu bedenken, dass die Norm des Art. 218 EGBGB bereits eine weitreichende Änderungskompetenz von altrechtlichen Stockwerksrechten gewährt, weshalb die Vorschrift des Art. 131 EGBGB ansonsten eigentlich überhaupt nicht notwendig wäre, wenn sie nicht auch im Sinne einer tat­ bestandlichen Erfassung von nach dem 01.01.1900 begründbarem neuem Stockwerkseigentum verstanden werden würde.414 Auch müssen die tatbe­ recht, Halle a. d. S. 1903, S. 316 f.; E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 150; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28 ff.; nicht ganz eindeutig, aber wohl in diesem Sinne H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 417 f.; F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., Band II/1: Sachenrecht, Berlin 1905, S. 453 mit Fn. 48; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Ein­ führungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1, der davon spricht, dass die Vorschrift des Art. 131 EGBGB der Landesgesetz­ gebung ermöglichte, uneigentliches Stockwerkseigentum einzuführen; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 165 f. 412  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 29 ff.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; Hornig, Wohnungseigentum und Dauerwohnrecht, DNotZ 1951, 197, (200); W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 33; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigen­ tums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 144 ff., 153 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 5. Die Frage, ob Art. 131 EGBGB auch zukünftige Neu­ begründungen von Stockwerkseigentum zulassen kann, war im Rahmen der damali­ gen parlamentarischen Debatte umstritten.; siehe nur H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 187, 701. 413  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; BVerfGE 20, 238, (251). 414  Vgl. zur bayerischen Änderungsgesetzgebung mit Blick auf Art. 218 EGBGB W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (130); G. Freudling, Ech­ tes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

standlichen Modalitäten des in Art. 131 EGBGB angesprochenen unechten Stockwerkseigentums im Sinne einer Miteigentumsgemeinschaft berücksich­ tigt werden, die grundsätzlich mit dem Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs vereinbar sind, so dass auch dies für eine weite Auslegung der Landesgesetz­ gebungskompetenz des Art. 131 EGBGB angeführt werden kann.415 Nur sollte die Neubegründung von Stockwerkseigentum und damit auch der un­ eigentlichen Form dieses Rechtsinstituts nach dem Willen des Reichsgesetz­ gebers ausgeschlossen sein, wenngleich den Landesgesetzgebern die Mög­ lichkeit gegeben werden sollte, die regionalen stockwerkseigentumsrecht­ lichen Erscheinungen und Gestaltungen durch entsprechend eingeräumte Gesetzgebungsvorbehalte angemessen berücksichtigen zu können.416 Dass aber keine Neuzulassungen von unechtem Stockwerkseigentum nach dem 01.01.1900 zulässig sind, ergibt sich bereits aus dem retrospektiven Wortlaut des Art. 131 EGBGB, wonach die landesgesetzgeberische Befugnis voraus­ setzt, dass ausschließliche Benutzungsrechte an entsprechenden Gebäudetei­ len bereits eingeräumt sein müssen. Für diese zum Zeitpunkt des Inkrafttre­ tens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bereits begründeten Rechtsverhältnisse darf der Landesgesetzgeber entsprechende Regelungen schaffen.417 Insbe­ sondere aber zeigt ein Blick auf die systematische Einordnung der Norm des Art. 131 EGBGB im Zusammenhang mit den sonstigen Landesgesetzge­ bungskompetenzen in diesem Abschnitt des Einführungsgesetzes zum Bür­ gerlichen Gesetzbuch eindeutig auf, dass mit den „landesgesetzlichen Vor­ schriften“ nur bereits am 01.01.1900 bestehende Normen gemeint waren, die sich auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs be­ Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (397 f.); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 12; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegen­ schaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195. 415  Vgl. nur W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287  f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 416  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 45 f.; B. Mugdan, Die gesamm­ ten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sa­ chenrecht, Berlin 1899, S. 25, 243 f.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, Mün­ chen 1899, S. 33 f., 700 f.; vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausfüh­ rungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 417  Vgl. auch zu der entsprechenden Reichweite der Änderungskompetenz des Art. 218 EGBGB M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei411

reits begründete Rechtsverhältnisse und Umstände bezogen. Dies ergibt sich vor allem aus Art. 128 EGBGB mit seinem Bezug zu altrechtlichen Dienst­ barkeiten. Folglich unterfiel das württemberg-badische Gesetz über das Mit­ eigentum nach Wohneinheiten auch teilweise dem Verdikt der fehlenden Verfassungskonformität, wenn es ein Miteigentum nach Wohneinheiten auch an Grundstücken gestattete, die vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Ge­ setzbuchs zum 01.01.1900 noch nicht mit Stockwerkseigentum betroffen waren.418 Andererseits ist die Norm des Art. 131 EGBGB für die eigentliche Rechtsanwendung irrelevant, insofern kein konkretisierender Gesetzesakt vorliegt.419 Neben der auf konkrete Modalitäten des altrechtlichen unechten Stockwerkseigentums420 beschränkten Landesgesetzgebungsbefugnis des Art. 131 EGBGB bleibt es den Ländern aber unbenommen, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 bestehende stockwerkseigentumsrechtliche Landesgesetze nach Art. 218 EGBGB zu än­ dern.421

418  § 1 I des Württemberg-badischen Gesetzes über das Miteigentum nach Wohn­ einheiten vom 12.06.1950, Regierungsblatt der Regierung Württemberg-Baden 1950, S. 57, Nr. 275, lautete: „Die Miteigentümer eines Grundstücks, das mit einem Wohn­ haus überbaut ist oder überbaut werden soll, können beschließen, dass ihre Anteile mit dinglicher Wirkung die Rechtsform des Miteigentums nach Wohneinheiten erhal­ ten sollen.“ Ansonsten bestehen gegen ein Gesetz, das ein Miteigentum nach Wohn­ einheiten vorsieht, grundsätzlich keine Bedenken, wenn diese Rechtsform ausschließ­ lich auf dem Boden des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugelassen werden würde, ohne auf die konkreten stockwerkseigentumsrechtlichen Besonderheiten wie den Aus­ schluss der Aufhebung der Gemeinschaft abzustellen. Ein derartiges Gesetz wäre verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenngleich eine derartige Konstruktion aufgrund des heute geltenden Wohnungseigentumsgesetzes nicht mehr notwendig er­ scheint. Vgl. auch W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287  f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 419  Vgl. ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 f.); a. A. F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 131 Rn. 1 f.; H. Grziwotz/R. Saller, Bay­ erisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145. 420  Zur altrechtlichen stockwerkseigentumsrechtlichen Miteigentumsgemeinschaft Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (217 ff.); T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S.  207 f. 421  E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württember­ gischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 42; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 143 f.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

f) Die Norm des Art. 189 I 3 EGBGB Aus Art. 189 I 3 EGBGB ergibt sich eine strikte Grenze stockwerkseigen­ tumsrechtlicher Vorkommen. Es war nach der Entstehungsgeschichte zum Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch übereinstimmende Ansicht, dass die Neubegründung von Stockwerkseigentum mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 ausgeschlossen sein sollte.422 Da­ her normiert Art. 189 I 3 EGBGB ausdrücklich, dass ein nach den Vorschrif­ ten des Bürgerlichen Gesetzbuchs unzulässiges Recht wie auch das Stock­ werkseigentum nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mehr begründet werden kann.423 Es stellt sich damit die bereits angespro­ chene Frage, was unter dem Terminus der Neubegründung zu verstehen ist. Im Ergebnis ist hier eine altrechtliche Inhaltsänderung, die sich bloß auf ein vor dem 01.01.1900 bestehendes Rechtsverhältnis modifizierend auswirkt, von einer gänzlichen neuen Entstehung eines entsprechenden altrechtlichen Rechtsinstituts zu unterscheiden.424 Das in der Norm des Art. 189 I 3 EGBGB enthaltende „Verbot richtet sich nur gegen dingliche Rechte, die ihrer Art nach unzulässig sind, nicht gegen an sich zulässige Rechte, die aber von der alten (Rechtsordnung) mit einem ganz oder teilweise unzulässigen Inhalte 422  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 ff.; H. Becher, Die gesamm­ ten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, München 1899, S. 740 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter beson­ derer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 30 ff.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 57 AGBGB Rn. 9. 423  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommen­ tar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3. 424  Vgl. BGHZ 46, 281  ff.; BVerwG, Urteil vom 29.08.2006, Az.: 8 C 21.05; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 7.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei413

erfüllt (…) (waren).“425 Nach der Theorie der betroffenen Einheitlichkeit beurteilt sich die Grenze einer noch zulässigen altrechtlichen Inhaltsänderung zu dem unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch grundsätzlich nicht mehr be­ gründbaren Rechtsinstitut des Stockwerkseigentums nach dem abgrenzbaren Bereich des Altrechts, der anhand des bestehenden Miteigentums, aber auch der bereits mit Stockwerkseigentum „infizierten“ Grundstücksflächen und Gebäudeteile zu bemessen ist.426 Als Faustformel kann insoweit gelten, dass eine Neubegründung immer dann vorliegt, wenn durch die Erweiterung oder Ergänzung von Grundstücksflächen bzw. eines auf einer Grundfläche errich­ teten Gebäudes in einer neues Stockwerkseigentum mit begründenden Weise das vormalige Rechtsverhältnis denaturiert und damit das Gemeinschaftsver­ hältnis der Teilhaber untereinander nicht unwesentlich erschüttert wird.427 Deshalb überschreiten Auf- und Anbauten an Gebäuden sowie die nachträg­ liche Einbeziehung von Grundstücksflächen die zulässigen Grenzen einer bloßen altrechtlichen Inhaltsänderung, insofern sie sich nicht innerhalb der zum 01.01.1900 bestehenden betroffenen Einheitlichkeit des Stockwerksei­ gentums- bzw. Herbergskomplexes bewegen, während etwa der Umbau eines ausgeschiedenen Gebäudebestandteils als grundsätzlich zulässig eingestuft werden kann.428 Gleiches gilt auch für einen Austausch von einzelnen stock­ werkseigentumsrechtlichen Nutzungseinheiten, wenn sich diese im Rahmen eines in sich abgeschlossenen und einheitlichen altrechtlichen Stockwerksei­ gentums- bzw. Herbergsbestandes bewegen.429

425  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253. 426  Vgl. BGHZ 46, 281, (289 f.); BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.). 427  Vgl. BGHZ 46, 281, (289 f.); BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.). 428  BGHZ 46, 281, (289  f.); BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); zum grundsätzlich zulässigen Umbau OLG Stuttgart, BWNotZ 1955, 165 und J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 9; zur Aufbauproblematik H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche RechtsZeitschrift 1948 (3), 83, (84  f.); Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., München 1972, S. 62; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 149 f.; a. A. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bay­ ern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (402). 429  Vgl. BGHZ 46, 281, (289 f.); BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); OLG Stuttgart, BWNotZ 1955, 165; A. Steiner, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Band III, Nachdruck der 8. Auflage aus dem Jahre 1976, Berlin 2021, S. 2198.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

g) Einzelfragen – Tausch von Sondernutzungsteilen, Umbau, Teilung und Gebäudeaufstockung, Untergang bzw. Abbrand des Gebäudes In BayObLGZ 3, 1023 hat das Bayerische Oberste Landesgericht schließ­ lich die Frage offengelassen, ob die Vorschrift des Art. 182 EGBGB mögli­ cherweise eine Abänderung der Zuordnung der zur ausschließlichen Benut­ zung einem Stockwerkseigentümer im Sinne von Art. 42 BayÜGBGB zuge­ wiesenen Gebäudeteile gestattet, unabhängig davon, ob vormals echtes oder unechtes Stockwerkseigentum vorlag, oder ob auch dies Sache des Landes­ gesetzgebers nach Art. 131 EGBGB gewesen wäre.430 Diese Frage kann nun beantwortet werden. Und zwar ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 182 EGBGB, dass das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Ge­ setzbuchs bestehende Stockwerkseigentum bestehen bleibt und sich das Rechtsverhältnis der Beteiligten untereinander nach den bisherigen Gesetzen richtet.431 Wenn diese Gesetze eine Änderung der Zuordnung der Sonderei­ gentumsanteile gestatten, liegt die allgemeine Zulässigkeit bereits vor, weil Art. 62 BayAGBGB das altrechtlich begründete Sondereigentum im Rahmen einer künftigen Miteigentumsgemeinschaft zwar in Sondernutzungsrechte umwandelt, nach Art. 182 S. 2 EGBGB das Innenverhältnis unter dem Vor­ behalt von mit einer Änderungsnorm wie Art. 42 BayÜGBGB bzw. Art. 62 430  BayObLGZ

3, 1023, (1024). 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Ge­ setzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stutt­ gart 1984, Art. 131 Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrecht­ liches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f.; zu eng dagegen die Ansicht bei F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 182 Rn. 1, Art. 131 Rn. 2; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145, die den allgemeinen Ausgangscharakter des Art. 182 EGBGB nicht sehen und des­ halb die Norm nur auf das echte Stockwerkseigentum anwenden wollen. 431  BGHZ



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei415

BayAGBGB verbundenen Modifikationen, die sich durch die nun geltenden Vorschriften über die Gemeinschaft nach den §§ 741 ff. BGB ergeben, aber grundsätzlich unberührt bleibt, weshalb auch einmal zwischen den einzelnen Teilhabern getroffene Benutzungs- und Verwaltungsvereinbarungen weiter­ bestehen können.432 Mit anderen Worten wird durch die Vorschrift des Art. 62 BayAGBGB für das Innenverhältnis keine ausschließliche Regelung geschaffen, sondern alte Vereinbarungen können auch weiterhin fortgel­ ten.433 Im Übrigen wird man auch hier grundsätzlich darauf abzustellen ha­ ben, dass ein solcher Austausch nur im Rahmen eines in sich abgeschlosse­ nen und einheitlichen Stockwerkseigentumsbestandes erfolgen darf,434 was regelmäßig der Fall sein wird, mit dem Austausch aber keine Erweiterungen bzw. Änderungen des zum 01.01.1900 bestehenden Bestandes erfolgen dür­ fen, die Neubegründungen nach Art. 189 I 3 EGBGB darstellen.435 In die­ 432  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 418; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 197; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 53; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 11; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bay­ ern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 63; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Aus­ führungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 433  Vgl. H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 418; H. v. Schneider, Das Ge­ setz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 197; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 53; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 11; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 63; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 288 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 434  Vgl. BGHZ 46, 281, (289 f.); BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); OLG Stuttgart, BWNotZ 1955, 165. 435  OLG Stuttgart, BWNotZ 1955, 165; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichs­ rechts, Stuttgart 1907, S. 47 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 119; vgl. auch BayObLGZ 11, 713, (716 f.); Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57. A. A. O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 47; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 6, der lediglich schuldrechtlich, nicht aber dinglich eine andere Zuordnung unter Verweis auf BayObLG NJW 1975, 59 zulassen möchte; für eine grundsätzliche Unzulässigkeit N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Ham­ burg 1997, S. 146 ff.; vgl. A. Steiner, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung in

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

sem Sinne hat die Rechtsprechung Renovierungen und den Umbau des Ge­ bäudes gestattet,436 der aber die Grenzen der Vermeidung von neuem Stock­ werkseigentum ebenfalls einzuhalten hat, zudem müssen auch die entspre­ chenden gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen der §§  744  ff. BGB vorliegen, da ein Umbau regelmäßig Folgen für die den sonstigen Beteilig­ ten zur ausschließlichen Benutzung zugeordneten Gebäudeteile sowie das Gebäudeganze haben wird.437 Gleiches gilt für den Durchbruch von regel­ mäßig im gemeinschaftlichen Miteigentum stehenden Außenwänden, oder auch von Innenwänden, die insbesondere im Sinne eines schonenden Inter­ essenausgleichs zwischen den einzelnen Teilhabern nicht zu einer Gefähr­ dung des Gebäudes führen dürfen, im Übrigen aber im Rahmen der betrof­ fenen Einheitlichkeit eines geschlossenen Herbergskomplexes nicht von vornherein ausgeschlossen sind.438 Die Grenze zu einer unzulässigen Neube­ gründung ist dagegen bei einer Teilung von bestehendem Stockwerkseigen­ tum überschritten, nachdem durch die Teilung stockwerkseigentumsrechtli­ che Einzelbestandteile entstehen, die mit dem ursprünglichen Bestand regel­ mäßig nichts zu tun haben und daher nicht mehr nur eine bloße Inhaltsände­ rung des Altrechts begründen.439 Eine weitere Aufstockung des Gebäudes durch den Eigentümer der obersten Etage ist dagegen nicht zulässig, weil damit ein neues Stockwerkseigentum entsteht, unabhängig davon, dass dies auch mit dem aus den Vorschriften der §§ 743, 242 BGB zu entnehmenden gemeinschaftlichen Rücksichtnahmegebot nicht vereinbar sein wird, da ei­ nerseits ein neues Stockwerk die unteren Stockwerke der sonstigen Teilha­ ber der miteigentumsrechtlichen Gemeinschaft und die gemeinschaftlichen Hauptmauern belasten, sowie andererseits dies auch grundsätzlich zu einem gesteigerten Gebrauch der nicht zur ausschließlichen Benutzung zugeordne­ ten Einrichtungen beitragen würde.440 Unmöglich ist unter dem Gedanken der Bundesrepublik Deutschland, Band III, Nachdruck der 8. Auflage aus dem Jahre 1976, Berlin 2021, S. 2198. 436  OLG Stuttgart, BWNotZ 1955, 165; A. Steiner, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Band III, Nachdruck der 8. Auflage aus dem Jahre 1976, Berlin 2021, S. 2198; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudin­ ger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 9. 437  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 f. 438  Umfassend zu dieser Thematik G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 403  f. m.  w.  N. der Rechtsprechung, die regelmäßig eine Interessenabwägung durchführt. 439  Vgl. OLG Stuttgart, RJA 6, 82, (83 f.); H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84). 440  H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84 f.); Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., München 1972, S. 62; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums –



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei417

des begründeten Nachbarschaftsverhältnisses auch der hypothetische Ab­ bruch eines Stockwerks, der den Einsturz des Gebäudes zur Folge hätte.441 Dem Landesgesetzgeber wird man aber nach Art. 218 EGBGB die Befugnis zugestehen müssen, dass er das Gemeinschaftsverhältnis hinsichtlich eines zum 01.01.1900 bestehenden Stockwerkseigentums- bzw. Herbergskomple­ xes auch bezüglich solcher Einzelfragen wie Austausch von Sondernut­ zungsrechten, Umbau o. Ä. regelt.442 Eine insoweit nicht zu überschreitende Grenze ergibt sich bei diesen Fällen aber stets aus der Änderungskompetenz der Norm des Art. 218 EGBGB selbst, die sich ausdrücklich nur auf bereits vor dem 01.01.1900 bestehende Rechtsverhältnisse bezieht,443 zudem aus Art. 189 I 3 EGBGB, der Neubegründungen von Stockwerkseigentum unter­ sagt.444 Davon kann aber im Ergebnis nicht ausgegangen werden, wenn durch Gesetz im Lichte der Umgestaltung von am 01.01.1900 bestehenden Rechtsverhältnissen in unechtes Stockwerkseigentum die Möglichkeit eröff­ net werden soll, die bisherigen Sondereigentumsanteile bzw. die zur aus­ schließlichen Benutzung zugeordneten Gebäudeteile im Rahmen der betrof­ fenen Einheitlichkeit des stockwerkseigentumsrechtlichen Komplexes auszu­ ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 149 f.; a.  A. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (402). Siehe zum Meinungsstand in dieser Rechtsfrage insbesondere auch unter Be­ rücksichtigung des österreichischen Stockwerkseigentums G. Kohl, Stockwerksei­ gentum, Berlin 2007, S. 404 ff. Wenn man eine Aufstockung des Gebäudes entgegen Art. 189 I 3 EGBGB gestatten würde, würde sich auch die Frage stellen, wem dann das neuaufgesetzte Stockwerk eigentumsrechtlich zustehen würde. Dieses würde entsprechend der unechten Miteigentumskonzeption nach Art. 62 BayAGBGB in das Miteigentum sämtlicher Stockwerkseigentümer übergehen. Insoweit wird aber auch die Ansicht vertreten, wonach das aufgebaute Stockwerk im Eigentum dem unmittelbar darunter liegenden Eigentum entsprechen sollte, womit insoweit der Neubau in das Sondereigentum des bisher obersten Stockwerkseigentümers fällt; so G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (401 f.). Damit wird aber die Gesetzeswidrigkeit dieser Ansicht entlarvt. Denn Son­ dereigentum an Stockwerken gibt es in Bayern seit der Umwandlungsvorschrift des Art. 42 BayÜGBGB gemäß Art. 182 EGBGB nur noch ausnahmsweise und kann abgesehen davon gerade unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht mehr begründet werden. 441  H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichti­ gung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 9. 442  M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5. 443  M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3. 444  J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art.  1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

tauschen, oder wenn von Gesetzes wegen die zulässigen Modalitäten eines entsprechenden Umbaus geregelt werden.445 Umstritten ist die Frage, ob Stockwerkseigentum wiederauflebt, wenn das Gebäude zerstört wurde und wieder erbaut wird.446 Insoweit werden im rechtswissenschaftlichen Diskurs mehrere Ansichten vertreten, die teilweise auch den Grundsatz der betroffenen Einheitlichkeit auf die Probe stellen. Neben der Ansicht, die im Falle der Zerstörung des Gebäudes einen unwie­ derbringlichen Untergang des Stockwerkseigentums annimmt,447 wird vor allem eine differenzierte Ansicht vertreten, wonach ein vollständiger Ab­ brand des Hauses den Untergang des bisher bestehenden Stockwerkseigen­ tums zur Folge hat, wenn es sich bei den ausgeschiedenen Gebäudeteilen um Allein- bzw. Sondereigentum handelte, weil diese letztlich als selbstän­ dige Grundstücke anzusehen waren, während bei Stockwerkseigentum auf der Grundlage der Miteigentumstheorie die ausschließlichen Benutzungs­ rechte, die mit der Grundfläche eine feste Einheit bildeten, nur für eine ge­ wisse Zeit suspendiert sind und nach der Neuerrichtung wiederaufleben.448 445  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommen­ tar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 f., 5. 446  Siehe nur W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 ff.; H. Sprau, Justiz­ gesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 13. 447  So OLG Karlsruhe, BWNotZ 1957, 334, (335); OLG Stuttgart, DNotZ 1962, 194; OLG Stuttgart, BWNotZ 1962, 67; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 13; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kom­ mentar, 7. Aufl., München 1986, S. 58; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 9; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416, der aber den Wiederaufbau eines exakt gleichen Stock­ werkseigentums zulassen möchte; in diesem Sinne auch N. Thun, Die rechtsge­ schichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Pri­ vatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 152 f. 448  So nur OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 319; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  46 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berück­ sichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S.  38 f.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 122; zum bayerischen Miteigentumsverband W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 288 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegen­ schaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 198; vgl. auch OLG Stuttgart, DNotZ 1962, 194; OLG Stuttgart, BWNotZ 1962, 67, wo das wieder­



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei419

Eine weitere Ansicht möchte dagegen auf die formale Buchungsposition im Grundbuch abstellen, die durch den Untergang des Hauses nicht berührt worden ist, weshalb ein Wiederaufbau ohne weiteres gestattet ist.449 Von an­ derer Seite wird das Fortleben des Stockwerkseigentums wiederum davon abhängig gemacht, ob genau das gleiche Gebäude wieder errichtet wird, welches sich hypothetisch in den bis zu dem Zeitpunkt des zerstörenden Ereignisses bestehenden stockwerkseigentums- bzw. herbergsrechtlichen Be­ stand einfügt, ihn also substituieren kann.450 Nachdem das bayerische Stock­ werkseigentum von den wenigen Ausnahmen, bei denen es bei der Anwend­ barkeit des Art. 182 EGBGB verbleibt,451 sich als ein in unechtes Stock­ werkseigentum im Sinne von Art. 62 BayAGBGB geändertes Rechtsinstitut darstellt, bei dem die Grundfläche als konstituierendes Moment der unei­ gentlichen Miteigentumsgemeinschaft erscheint,452 bedarf der Meinungs­ streit einer Entscheidung. Der Reichsgesetzgeber hat für den Untergang des Stockwerkseigentumsbzw. Herbergskomplexes und einen möglichen Neubau keine ausdrückliche Norm vorgesehen. Nach der Entstehungsgeschichte zu urteilen, entsprach es aber im Rahmen der Beratungen zu einem gesamtstaatlichen Bürgerlichen Gesetzbuch allgemeiner Ansicht, dass das Stockwerkseigentum für die Zu­ kunft abgeschafft werden und lediglich den Landesgesetzgebern die Mög­ lichkeit gegeben werden sollte, das am 01.01.1900 begründete Stockwerks­ aufgebaute Gebäude sich unter dem WürttAGBGB in Miteigentum nach Bruchteilen umwandelt. 449  OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279  f.). Auf der Grundlage der rö­ mischrechtlichen Ansicht, wonach sich ein Stockwerksrecht als superficies darstellt, wird die grundsätzliche Möglichkeit eines Wiederaufbaus des Gebäudes mit dem Wesen einer superficies begründet; so Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Würt­ tembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Adminis­ trativjustiz 1870, 193, (215). 450  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 319; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  46 f.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 152 f. 451  BayObLGZ 3, 1023, (1024 f.); BayObLGZ 22, 270, (271 f.); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Ab­ teilung 1999 (116), 384, (399). 452  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 319.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

eigentum zu konservieren und zu ändern.453 Im Königreich Bayern wurde später die Skepsis gegenüber den Herbergen als Streithäusern geteilt, wes­ halb das bisher bestehende Stockwerkseigentum auch aus sozialpolitischen Gründen gesichert und in eine mit dem Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs vereinbare Form gebracht werden sollte.454 Nach der Entstehungsgeschichte kann daher gefolgert werden, dass die Gesetzgeber den Wiederaufbau eines abgebrannten Herbergskomplexes nicht gebilligt hätten.455 Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich der Untergang eines stockwerks­ eigentumsrechtlichen Hauses regelmäßig auf eine betroffene Einheitlichkeit eines Grundstücks mit dem auf ihm errichteten Gebäude beziehen wird, weshalb auf den ersten Blick nicht einzusehen ist, warum die erneute Er­ richtung von abgebrannten Herbergen nicht möglich sein soll.456 In diesem Sinne muss auch grundsätzlich den Ansichten zugestimmt werden, wonach durch den Abbrand die im Grundbuch gebuchte Rechtsposition des Stock­ werkseigentums unberührt bleibt, und auch die Grundfläche als bestimmen­ des Element für die Verteilung der ausschließlichen Benutzungsrechte an­ zusehen ist, welche gerade die Einheitlichkeit des abgeschlossenen Her­ bergsrechtskreises in sich trägt und konstituiert, und hier gerade nicht un­ tergeht, sondern bestehen bleibt. Die Frage muss anhand der geltenden Vorschriften des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch gelöst werden. Nach der Vorschrift des Art. 182 S. 1 EGBGB bleibt das zur Zeit des In­ krafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerkseigentum bestehen, wobei der Wortlaut eindeutig davon spricht, dass nur das am 453  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 ff.; B. Mugdan, Die gesamm­ ten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sa­ chenrecht, Berlin 1899, S. 24 f., 243 f.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 33 f., 39 f. 454  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 187 ff., 740 ff.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 30 ff. 455  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 ff.; B. Mugdan, Die ge­ sammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 24 f., 243 f.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 33 f., 39 f., 187 ff., 740 ff.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  30 ff. 456  Vgl. BGHZ 46, 281, (289 f.).



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei421

01.01.1900 bestehende Stockwerkseigentum bestehen bleibt.457 Damit wurde durch den Reichsgesetzgeber die allgemeine Möglichkeit eröffnet, dass vor­ mals begründetes altrechtliches Stockwerkseigentum, das unter dem Bürger­ lichen Gesetzbuch nicht mehr zulässig wäre, aufrechterhalten bleiben kann, ohne dass aber zukünftig noch entstehende Formen dieses Rechtsinstituts legitimiert worden wären.458 Aus Art. 182 S. 2 EGBGB ergibt sich zudem, dass sich das Verhältnis der Stockwerkseigentümer bzw. Herbergsbesitzer untereinander nach den bisherigen Gesetzen richtet.459 Diese bestehen nach 457  Vgl. BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279  f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhält­ nisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S.  257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerli­ chen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürger­ liches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrecht­ liches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f.; zu eng dagegen die Ansichten bei F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationa­ les Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 182 Rn. 1, Art. 131 Rn. 2; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145, jeweils unter Anwendung des Art. 182 EGBGB lediglich auf das echte Stockwerksei­ gentum. 458  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; H. Habicht, Die Einwir­ kung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; vgl. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigen­ tum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). 459  Vgl. H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 418 f.; F. Affolter, Das inter­ temporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257  f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergän­ zungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S.  193 f., 196 f.; E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 151; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 42 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 33; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigen­

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Art. 2 EGBGB in partikulargesetzlichen Normen oder aber wie auch in Bay­ ern in einem materiellen Sinne in gewohnheitsrechtlich anerkannten Übun­ gen, die sich in der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu verbindlichen Rechtsregeln entwickelt haben.460 Daraus kann wiederum abgeleitet werden, dass sich die „bisherigen Gesetze“ auf einen realen histo­ rischen Bestand beziehen, ohne den insbesondere wie im Königreich Bayern die Herausbildung von stockwerkseigentums- bzw. herbergsrechtlichem Ge­ wohnheitsrecht überhaupt nicht möglich gewesen wäre.461 Aus dem gelten­ den Gesetzesrecht lässt sich daher nicht der Gedanke entnehmen, dass ein einmal zerstörtes Stockwerkseigentum an einem Gebäude wiederaufgebaut werden kann, nachdem dieses mit dem Abbrand nicht mehr an dem gesetz­ lich privilegierten Erhaltungsstatus des Art. 182 EGBGB teilnimmt,462 ab­ gesehen davon, dass es angesichts der bautechnischen Besonderheiten der Herbergen oftmals auch praktisch nicht umsetzbar wäre, einen gleichen Substitutionsbau zu errichten.463 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 189 I 1, III EGBGB, wonach der Verlust des Eigentums sowie die Auf­ hebung eines anderen Rechts an einem Grundstück auch nach dem Inkraft­ treten des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach den bisherigen Gesetzen erfolgen, tum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungs­ gesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117 f.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (402); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 142 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 165. 460  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 ff. mit Fn.  14 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S.  287 (zu Art.  42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 1; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S.  10, 16  ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (130 f.). 461  Vgl. Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 71; Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Ge­ setzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 45; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 107 f. 462  E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württember­ gischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 53 f. 463  Vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art.  62 AGBGB Rn. 13.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei423

bis das Grundbuch als angelegt anzusehen ist. Zwar richtet sich ab der Anle­ gung des Grundbuchs, was zeitlich im Landgerichtsbezirk Kempten am 01.05.1909 der Fall war,464 und der Eintragung des Stockwerkseigentums in das eingerichtete Grundbuch die Aufhebung des Altrechts grundsätzlich nach der Vorschrift des § 875 BGB,465 weshalb die mit dem Untergang des Gebäu­ des im Grundbuch übrigbleibende Buchungsposition für ein Bestehenbleiben des Stockwerkseigentums reklamiert werden kann, wenn dieses auf der durch den Abbrand des Gebäudes unangetasteten gemeinschaftlichen Grundfläche konstituierend aufbaute.466 Nur muss insoweit bedacht werden, dass Art. 182 EGBGB den konkreten Bestand an Stockwerkseigentum unter Ausschluss von neuen Stockwerks- bzw. Herbergsrechten sichern möchte und die betrof­ fene Einheitlichkeit des ehemaligen Gebäudekomplexes infolge des Unter­ gangs gerade nicht mehr besteht.467 Auch hier ergibt sich deshalb für einen etwaigen Wiederaufbau eine nicht zu überschreitende Grenze aus Art. 189 I 3 EGBGB, der nur bloße Inhaltsänderungen eines Altrechts gestattet, nicht aber eine Neubegründung eines unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch nun nicht mehr zulässigen Rechtsinstituts.468 Vor dem Hintergrund der Entste­ hungsgeschichte zu dem Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch und dem eindeutigen Wortlaut des Art. 182 EGBGB muss deshalb dem Neu­ bau eines untergegangenen Stockwerkseigentums die Zulässigkeit versagt bleiben, weil die betroffene Einheitlichkeit des Herbergskomplexes durch den Abbrand nicht mehr besteht, so dass sich ein Substitutionsbau von sei­ nem Wesen her als nicht mehr zulässige Neu-, oder anders: Wiederbegrün­ 464  Hypothekenbuch der Gemeinde Sankt Lorenz, Bd. XX, Blatt 443; Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Über 100 Jahre Grundbuch – über 100 Jahre Rechtssicherheit, Stand 05/2008, München 2008, S. 5. 465  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258. 466  Vgl. OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 319; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  46 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berück­ sichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S.  38 f.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 122. Zur Umwandlung des „gebuchten“ Stockwerkseigentums in Miteigentum nach Bruchteilen im Falle der Zerstörung des Gebäudes OLG Stuttgart, DNotZ 1962, 194; OLG Stuttgart, BWNotZ 1962, 67. 467  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Ab­ teilung 1999 (116), 384, (388). 468  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

dung des Altrechts darstellt.469 Würde man das Neuaufleben von Stock­ werkseigentum an einem später errichteten Ersatzgebäude zulassen, würden Bestandteile an der Ausnahmebestimmung des Art. 182 EGBGB partizipie­ ren, die es vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht gab.470 Mit der Zerstörung eines mit Stockwerkseigentum belasteten Gebäu­ des bzw. einer Herberge geht daher das mit dieser verbundene Stockwerksei­ gentum endgültig unter, so dass es für einen Wiederaufbau ausschließlich bei der Regelung des Art. 181 I EGBGB verbleibt.471 Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass es bis zur Anlegung des Grundbuchs aufgrund des inter­ temporären Charakters der Bestimmungen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch auf die Rechtsposition im Grundbuch nicht ankom­ men kann, weil diese bis zur Eintragung des Stockwerkseigentums in die erst später angelegten Grundbücher grundsätzlich noch gar nicht bestehen konn­ te.472 Auch hier gilt deshalb, dass es grundsätzlich Sache des Bundesgesetz­ gebers im Sinne von Art. 72 I, 74 I Nr. 1 GG wäre, den Wiederaufbau von untergegangenem Stockwerks- bzw. Herbergsrecht zu gestatten.473 Insoweit ist der Weg für die jeweiligen Landesgesetzgeber über Art. 218 EGBGB verschlossen, weil dies aus den genannten Gründen auf eine unzulässige Neubegründung von zum 01.01.1900 noch nicht bestehendem Stockwerks­ eigentum hinauslaufen würde.474 Schwieriger zu beantworten ist dagegen die Frage, was gilt, wenn nur eine teilweise Zerstörung des Herbergsgebäudes, 469  In diesem Sinne auch H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 13, der in diesem Zusammenhang auch auf die erhebliche Rechtsunsicherheit hinweist. 470  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; E. Schott, Das Stockwerkseigen­ tum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 54; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bay­ ern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 64; a. A. OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.), das auf die im Grundbuch gebuchte Rechtsposition abstellt, die durch den Untergang des Gebäudes nicht angetastet wird. 471  So auch H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 13; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 58. 472  Vgl. F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 249 f. 473  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; BVerfGE 20, 238, (251); BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25.03.2021, Az.: 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5. 474  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei425

z. B. durch einen Teilabbrand, vorliegt. Hier wird man zu unterscheiden ha­ ben, ob der Brand den Hauptanteil an dem Gebäude zerstört hat, oder nur ein abgrenzbarer Teilbereich den Flammen zum Opfer fiel.475 Im ersten Fall ist das Stockwerkseigentum auch unwiederbringlich untergegangen, im zweiten Fall wird man dagegen, insofern die betroffene Einheitlichkeit des Herbergs­ komplexes durch den Brand nicht angetastet wurde, die Grundsätze eines nicht in die Nähe einer Neubegründung kommenden Umbaus zur Anwen­ dung kommen lassen müssen, womit ein Wiederaufbau gestattet ist.476 Dies überschreitet im Ergebnis nicht die zulässigen Grenzen des Art. 182 EGBGB, weil es sich nur um einen Substitutionsbau im Rahmen eines weiterhin beste­ henden Stockwerkseigentums- bzw. Herbergskomplexes handelt, so dass die von der Vorschrift des Art. 182 EGBGB beanspruchte Schutzfunktion hin­ sichtlich noch bestehender altrechtlicher stockwerkseigentumsrechtlicher Rechtsverhältnisse fortleben kann.477 Dies wäre aber letztlich ausgeschlos­ sen, wenn der wesentliche Teil des Gebäudes und damit die Einheitlichkeit des Herbergsrechtskreises untergegangen wäre. Im Übrigen verdient vergleichsweise Erwähnung, dass im Großherzogtum Baden mit Satz 665 eine ausdrückliche partikulargesetzliche Vorschrift vor­ handen war, die das Wiederaufleben von Stockwerkseigentum ausdrücklich gestattete und die nach Art. 182 S. 2 EGBGB mit dem Inkrafttreten des Bür­ gerlichen Gesetzbuchs als bisheriges Gesetz bestehen blieb, da in Baden auf eine Übergangsvorschrift zunächst verzichtet wurde.478 Der Rechtssatz 665 Rn. 3, 5; H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommen­ tar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 Rn. 1 f., 5. 475  Vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 13; Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 58; A. Steiner, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Band III, Nachdruck der 8. Auflage aus dem Jahre 1976, Berlin 2021, S. 2198. 476  So auch A. Steiner, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung in der Bun­ desrepublik Deutschland, Band III, Nachdruck der 8. Auflage aus dem Jahre 1976, Berlin 2021, S. 2198; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 58; vgl. auch W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayeri­ schen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB), wo aber das Wiederaufleben der Sondernutzungs­ rechte vertreten wird, ohne dass eine Pflicht zum Wiederaufbau bestehen soll. 477  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Ab­ teilung 1999 (116), 384, (388). 478  Vgl. E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906,

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

des Badischen Landrechts lautete: „Werden gemeinschaftliche Mauern oder Häuser wieder aufgebauet, ehe deren Dienstbarkeits-Verhältnisse verjährt sind, so leben diese wieder auf. Sie dürfen aber nicht lästiger gemacht werden.“479 Diese Vorschrift verdeutlichte noch einmal die „servitudes étab­ lies par la loi“ und den französischen Gemeinschaftsgedanken der „mitoy­ enneté“, enthielt aber keine konkreten baulichen Vorgaben für den Wieder­ aufbau.480 Aus der genannten Vorschrift ergab sich aber eindeutig, dass der Wiederaufbau von untergegangenen Häusern, insofern deren durch gesetzli­ che Dienstbarkeiten verbundene Sondereigentumsanteile nicht verjährt wa­ ren, den ursprünglichen Zustand wiederaufleben ließ, ohne dass damit aber ein Anspruch gegen einen Teilhaber auf eine entsprechende Mitwirkung an dem Neubau bestanden hätte.481 Es ist aber zu bedenken, dass heute im vor­ maligen großherzoglich-badischen Herrschaftsgebiet nach der Vorschrift des § 36 BaWüAGBGB die Artikel 226–231 des WürttembergischenAGBGB vom 29.12.1931, die als Anlage dem späteren BaWüAGBGB vom 26.11.1974 angehängt waren, gelten.482 Diese Vorschriften leiten das auf der Sonderei­ gentumstheorie beruhende altrechtliche echte badische Stockwerkseigentum in eine uneigentliche Variante um, wobei nach der Norm des Art. 226 III WürttembergAGBGB konkret aufgeführte Vorschriften der Gemeinschaft nach den §§ 743 ff. BGB entsprechend gelten.483 Hinsichtlich des Unter­ gangs des stockwerkseigentumsrechtlichen Gebäudes gilt die Norm des Art. 229 WürttembergAGBGB, die einen Wiederaufbau eines Gebäudes nach Art. 182 S. 2 EGBGB, Satz 665 des Badischen Landrechts unabhängig da­ von, ob es sich um einen vollständigen oder nur teilweisen Untergang han­ S.  193 f., 197 f.; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84). 479  Vgl. K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1336 f. 480  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1337. 481  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 197 f.; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84). Einen möglichen Anspruch auf Wiederaufbau für das alte badische Recht verneinend auch H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 20 f.; vgl. auch O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 53 f.; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anle­ gung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 198. 482  WürttAGBGB vom 29.12.1931, RegBl. 1931, S. 545; ­H.-W.  Thümmel, Ab­ schied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (125, 131 f.). 483  Vgl. WürttAGBGB vom 29.12.1931, RegBl. 1931, S. 545; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (125, 131 f.).



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei427

delt, ausschließt.484 Damit leben heute auch in Baden die einmal untergegan­ genen Stockwerksrechte nicht wieder auf. 7. Das Verhältnis der Stockwerkseigentümer untereinander – der Weg ins Bürgerliche Gesetzbuch Nach Art.  62 BayAGBGB, der die Übergangsvorschrift des Art.  42 BayÜGBGB abgelöst hat, gilt das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürger­ lichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerkseigentum als Miteigentum an dem Grundstück mit der Maßgabe, dass jedem Miteigentümer die ausschließliche und dauernde Benutzung der Teile des Gebäudes zusteht, die ihm oder sei­ nem Rechtsvorgänger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehörten, und dass er die Kosten für ihre Unterhaltung zu tragen hat, wobei der Anspruch auf Aufhebung der Gemeinschaft ausgeschlossen ist und für die Benutzungsrechte der einzelnen Miteigentümer § 1010 I BGB entsprechend gilt.485 Damit stellt Art. 62 BayAGBGB klar, dass sich das Miteigentum der einzelnen Teilhaber auf das gesamte Grundstück, d. h. die Bodenfläche und die darauf stehenden Gebäude, erstreckt, so dass auch vor­ mals im Sondereigentum stehende ausgeschiedene Teile des Hauses in Mit­ eigentum umgewandelt werden und die sich auf das Miteigentum beziehen­ den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach §§  741–758 und §§ 1008–1011 Anwendung finden, insofern sich aus Art. 62 BayAGBGB nicht etwas anderes ergibt.486 Für die entsprechende Anwendbarkeit dieser bürgerlich-rechtlichen Normen über die Gemeinschaft bzw. das Miteigentum nach Bruchteilen ist zum einen zu bedenken, dass Art. 62 S. 2 BayAGBGB einen gesetzlichen Ausschluss des Anspruchs auf Aufhebung der Gemein­ schaft enthält, der dem Wesen des Herbergsrechts entspricht,487 zum anderen die Vorschrift des Art. 62 BayAGBGB das Rechtsverhältnis zwar auf eine 484  H. Freyer,

(84).

Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83,

485  Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 20.09.1982, GVBl. 1982, S. 803; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 145. 486  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288, 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 53; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 119 ff.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bay­ ern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55 f.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 5; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegen­ schaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 196, 199 f. 487  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB).

428

C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

neue einheitliche Grundlage im Sinne einer mit dem miteigentumsrechtlichen Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs übereinstimmenden Regelung stellen wollte,488 ohne aber die damals bestehenden Rechtsbeziehungen, die sich aus dem ehemaligen alleinigen Sondereigentum an ausgeschiedenen Gebäudebe­ standteilen ergaben, wesentlich zu modifizieren.489 Daraus folgt zunächst, dass jeder Teilhaber an der miteigentumsrechtli­ chen Gemeinschaft, wobei sich der ideelle Bruchteil unter Beachtung der gesetzlichen Vermutung von gleichen Anteilen der Berechtigten nach § 742 BGB grundsätzlich nach der früheren räumlichen Beteiligung bzw. dem vor­ maligen Wertverhältnis vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs richtet, befugt ist, das Grundstück und die einzelnen Teile des Gebäudes im Sinne von § 743 BGB insoweit zu gebrauchen, als das Mitbenutzungsrecht der sonstigen Miteigentümer nicht beeinträchtigt wird.490 Eine Ausnahme bilden aber nach Art. 62 BayAGBGB die Gebäudeteile, die den Teilhabern zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs allein gehörten und ihnen nun zur ausschließlichen Benutzung im Sinne eines Sondernutzungs­ rechts zugewiesen sind, die dem gemeinsamen Gebrauch nicht unterlie­ gen.491 Nach § 748 BGB haben die einzelnen Teilhaber die Lasten des ge­ 488  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288, 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB). 489  Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 58 f., 61 f. 490  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S. 318  f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, Mün­ chen 1899, S. 196 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 28; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 38 f., 57 f.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 5, 9; Meisner/Ring/Götz, Nachbar­ recht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 56. Es gilt im Ergebnis, dass wenn das Gebäude aus einem Erdgeschoss und zwei Obergeschossen besteht, wovon dem einen von den zwei Eigentümern die oberen zwei Stockwerke gehören, das Ver­ hältnis der Anteile 2/3 zu 1/3 ist.; vgl. Meisner/Ring/Götz, ebd., S. 56. Siehe zur Vermutung des § 742 BGB grundsätzlich auch OLG München, Beschluss vom 23.09.2008, Az.: 34 Wx 25/08. 491  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 198 f.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 5; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei429

meinschaftlichen Besitzes und die Kosten der Erhaltung, der Verwaltung und einer gemeinschaftlichen Benutzung nach dem Verhältnis ihrer ideellen Be­ teiligung zu tragen, wobei abweichende Vereinbarungen zulässig sind, etwa­ ige vor dem 01.01.1900 mit Blick auf die vormaligen Sondereigentumsan­ teile getroffenen Abreden beibehalten bleiben und die einzelnen Teilhaber die Lasten und den Aufwand für die Unterhaltung der zur ausschließlichen Benutzung zugeordneten Teile des Gebäudes in Konformität mit dem Rechtsgedanken des Art. 62 BayAGBGB selbst zu tragen haben.492 Den Be­ rechtigten ist nach § 747 BGB eine Verfügung, Veräußerung oder Belastung ihrer Anteile gestattet, wobei eine getrennte Verfügung von Miteigentum und ausschließlichem Benutzungsrecht nicht möglich ist, weil letzteres an ersterem haftet.493 Daraus folgt aber auch, dass der einzelne Anteil zum Gegenstand der Zwangsvollstreckung eines Gläubigers gemacht werden ­

492  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S.  318; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 60 f.; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anle­ gung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 197; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 121; Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 11  f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB); entsprechend zur Rechtslage in Baden nach Art. 182 S. 2 EGBGB, d. h. noch vor der heute beste­ henden Ausführungsvorschrift E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Er­ gänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 197 f. Grundsätzlich zur Vertragsfreiheit und -gestaltung im Rahmen einer Stockwerkseigentumsgemeinschaft R. Weber, Die Stockwerkeigentümergemein­ schaft – Praktische Möglichkeiten und Grenzen vertraglicher Gestaltung im schwei­ zerischen und deutschen Recht, Zürich 1979, S. 17 ff., 30 ff., 44 ff. Zur Thematik der Instandsetzung bei Stockwerkseigentum ausführlich G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 383 ff. 493  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S.  318; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, Mün­ chen 1899, S. 197; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Be­ rücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 28; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 39 ff., 45; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 631; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 121; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 6; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

kann.494 Etwaige Belastungen an ehemaligen Sondereigentumsteilen des Ge­ bäudes wie Hypotheken setzen sich an dem nicht ausgeschiedenen Miteigen­ tum an dem Grundstück einschließlich des ausschließlichen Benutzungs­ rechts fort.495 Eine Verfügung über das ganze Grundstück bzw. das Gebäude durch einen einzelnen Miteigentümer ist unzulässig, hierfür ist vielmehr die gemeinschaftliche Entscheidung von sämtlichen Teilhabern erforderlich, § 747 BGB.496 Die Verwaltung des im Miteigentum stehenden Besitzes steht den einzelnen Berechtigten dagegen gemeinschaftlich zu, wobei jeder Teil­ haber befugt ist, die zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Gebäudes not­ wendigen Maßnahmen ohne Zustimmung der anderen zu treffen und inso­ weit die vorherige Zustimmung zu verlangen, § 744 BGB.497 Nach § 745 BGB sind abweichende willkürliche Vereinbarungen bzw. Mehrheitsbe­ schlüsse nach der anteilsmäßigen Beteilung zur Verwaltung und Benutzung des Grundstücks einschließlich der Gebäude zulässig, was im Einzelfall sei­ tens einzelner Miteigentümer auch verlangt werden kann,498 wobei dies nicht für Konstellationen wesentlicher Änderungen des gemeinschaftlichen Gegenstandes gilt, d. h. hinsichtlich eines Umbaus, eines Wiederaufbaus nach einer brandbedingten Zerstörung des Gebäudes o. Ä., die gerade nicht beschlossen oder verlangt werden können, § 745 III BGB.499 Dies können 494  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 68; Meisner/Ring/Götz, Nachbar­ recht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57. 495  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB). 496  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 42 f.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 6, 8; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bay­ ern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57. 497  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 54 ff.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 56. 498  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB); Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 62. Die Mehrheit entscheidet damit zum Beispiel über die genauen Modalitäten bzw. den Turnus der Treppenreinigung bzw. des Herausstellens der Mülltonnen o. Ä. 499  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 198; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei431

nur sämtliche Miteigentümer gemeinsam entscheiden.500 Im Gegenzug ist es nicht möglich, dass einzelne Berechtigte einen Teilhaber aus der Nutzung des gemeinschaftlichen Gegenstandes derart drängen, dass sein dingliches Recht auf einen seinem Anteil entsprechenden Bruchteil der Nutzungen ohne seine Zustimmung beeinträchtigt wird.501 Das Miteigentum der einzelnen Teilhaber wird durch die ausschließlichen Benutzungsrechte der anderen beschränkt und ist mit diesen zugunsten eines jeden Miteigentümers belastet.502 Folglich wird das Gemeinschaftsverhältnis durch die Benutzung des ausschließlich an einen Teilhaber zugeordneten Gebäudeteils mittelbar mit ausgeübt.503 Da aber das Sondernutzungsrecht des zum alleinigen Gebrauch bestehenden Gebäudeteils sich nach Art. 62 Bay­ AGBGB nicht mehr als Sondereigentum darstellt, sind die gesetzlichen Ei­ gentumsbeschränkungen, insbesondere im Hinblick auf die nachbarschaft­ lichen Vorschriften, nicht direkt anwendbar.504 Richtschnur für das Verhalten der ehemaligen Herbergsbesitzer untereinander sind deshalb die §§ 743, 242 BGB, wonach der Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Gegenstandes durch die übrigen Teilhaber nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der sonstigen Miteigentümer führen darf, womit die gesetzlichen Regelungen zum Nachbarrecht nach §§ 906 ff. BGB entsprechend herangezogen werden können.505 Entscheidend ist stets, was dem jeweiligen Teilhaber unter Beach­ Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  55; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 10. 500  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 198; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  55; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 10. 501  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 502  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 186 ff.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kom­ mentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 5. 503  Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 61. 504  Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 56. 505  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 9; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 56; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein

432

C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

tung der Wertungen des Art. 62 BayAGBGB, der zwar in Bayern eine Um­ wandlung des Stockwerkseigentums in eine unechte Form im Sinne einer Miteigentumsgemeinschaft herbeiführt, ohne aber die zulässigen Einwirkun­ gen auf die zum 01.01.1900 bestehenden Sondereigentumsanteile modifizie­ ren zu wollen, zuzumuten ist, womit stets die individuellen Verhältnisse, d. h. etwaige situations-, bau- und nutzungsbedingte Vorbelastungen usw., in der Abwägung zu berücksichtigen sind.506 Wenn ein einzelner Berechtigter daher seinen ihm zur alleinigen Benutzung zugeordneten Gebäudeteil derart ver­ nachlässigt, dass Schäden an dem gesamten Gebäude oder an sonstigen zur Sondernutzung bestehenden Teilen des Gebäudes entstehen können, schlägt die eigentliche Dispositionshoheit über die Unterhaltung in eine Pflicht zur Ergreifung etwaiger Maßnahmen um,507 die auch gegebenenfalls gerichtlich durchgesetzt werden kann. In diesem Sinne ist auch die Aufstockung mit einem weiteren Stockwerk durch den Eigentümer des obersten Geschosses unzulässig, weil einerseits ein neues Stockwerk die unteren Stockwerke der sonstigen Teilhaber der Miteigentumsgemeinschaft und die gemeinschaftli­ chen Hauptmauern belasten, sowie andererseits dies zu einem gesteigerten Gebrauch der nicht zur ausschließlichen Benutzung zugeordneten Einrichtun­ gen beitragen würde,508 unabhängig davon, dass hier mittelbar gegebenen­ falls auch eine unzulässige Neubegründung eines Stockwerkseigentums nach Art. 189 I 3 EGBGB vorliegen würde.509 Aus diesem Gedanken ergibt sich Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 40; zu diesem Ge­ danken des Nachbarschaftsverhältnisses auch H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerksei­ gentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Ver­ hältnisse, Tübingen 1912, S. 9; vgl. auch O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 58 f. Allgemein zu den nachbarschaftlichen Beschränkungen beim Stockwerksei­ gentum bzw. zu Entscheidungsgrundsätzen bei Interessenkonflikten G. Kohl, Stock­ werkseigentum, Berlin 2007, S. 412 ff.; N. Haas, Der Sonderrechtsgegenstand im System des Stockwerkseigentumsrechts – Unter besonderer Berücksichtigung der Umbauproblematik, Zürich 2015, S. 29 ff. Siehe zu dem Aspekt eines nachbarschaft­ lichen Rücksichtnahmegebots in rechtsgeschichtlicher Hinsicht J. Kuntze, Die Kojen­ genossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsle­ ben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 81 f. 506  Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 61 f.; vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürger­ lichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 507  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB). 508  Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 62. Grundsätzlich zu dem Gedanken der stockwerkseigentumsrechtlichen Rücksicht­ nahme W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB). 509  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei433

im Ergebnis ein umfassend zu verstehendes Rücksichtnahmegebot in Bezug auf den gesamten im Miteigentum stehenden Gegenstand, aber auch hin­ sichtlich der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft.510 Dies ist letztlich umso bedeutsamer, als das Recht auf die Aufhebung der miteigentumsrecht­ lichen Gemeinschaft nach Art. 62 S. 2 BayAGBGB ausgeschlossen ist.511 Da es sich insoweit um einen gesetzlichen Ausschluss dieses Rechts handelt, sind die Normen der §§ 749–751, 758 BGB nach Art. 62 S. 2 BayAGBGB nicht anzuwenden, und die Aufhebung ist auch beim Vorliegen eines wichti­ gen Grundes ausgeschlossen.512 Die Miteigentümer sind aber in ihrer Ge­ samtheit gemeinsam befugt, durch eine entsprechende Übereinkunft die mit­ eigentumsrechtliche Rechtsgemeinschaft aufzuheben, so dass in diesem Fall die Vorschriften der §§ 752 ff. BGB Anwendung finden können.513 Der Aus­ schluss der Aufhebung der Gemeinschaft ist zudem konkursfest, d. h., auch Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253, 257; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsge­ setz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetz­ buch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50– 218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3. 510  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB). 511  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S.  318; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 62 f.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 121; entsprechend zu Art. 20 des Pfälzischen Lie­ genschaftsrechtsgesetzes vom 01.07.1898 H. v. Schneider, Das Gesetz über das Lie­ genschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 200 f. 512  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 62; Meisner/Ring/Götz, Nachbar­ recht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57. 513  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 62 f.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57.

434

C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

der Konkursverwalter kann mit Blick auf das Vermögen eines Miteigentü­ mers die Aufhebung nicht verlangen.514 Der gesetzlich vorgesehene dingliche Aufhebungsausschluss wirkt daher gegen sonstige Miteigentümer wie gegen­ über Dritten absolut, was sich aus der Rechtsnatur des Herbergsrechts als ungeteiltem Eigentumsbestand erschließt.515 Nachdem Art. 62 BayAGBGB dazu beiträgt, dass sich das echte altrecht­ liche Stockwerkseigentum in ein ungeteiltes Miteigentumsverhältnis mit inte­ grierten Sondernutzungsrechten umwandelt, sind die Vorschriften zu einem Miteigentum nach Bruchteilen gemäß §§ 1008 ff. BGB anwendbar.516 Dies bedeutet zunächst, dass die gemeinschaftliche Sache auch zugunsten eines Miteigentümers belastet werden kann, was unschädlich ist, weil der Mitei­ gentumsverband in sich geschlossen bleibt, wobei das Gesetz auch die Mög­ lichkeit zulässt, dass etwaige dingliche Rechte zugunsten eines Miteigen­ tümers als Eigentümer eines Nachbargrundstücks bestellt werden können,

514  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB); Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57 f.; zur Möglichkeit einer Teilungsversteigerung hinsichtlich des bayerischen Stockwerkseigentums A. Steiner, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Band III, Nachdruck der 8. Auflage aus dem Jahre 1976, Berlin 2021, S. 2198. Es ist dabei aber andererseits zu bedenken, dass eine Teilungs­ versteigerung mit der Norm des Art. 62 BayAGBGB unvereinbar sein kann, nachdem dem Wesen des Herbergsrechts ein Ausschluss des Aufhebungsanspruchs gerade ent­ spricht.; vgl. zu den zu beachtenden Wertungen des Art. 62 BayAGBGB Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55 f. 515  Vgl. P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 318; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 62 f.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 121; entsprechend zu Art. 20 des Pfälzischen Lie­ genschaftsrechtsgesetzes vom 01.07.1898 H. v. Schneider, Das Gesetz über das Lie­ genschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 200 f. 516  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S.  318; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 201 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Aus­ führungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Be­ rücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 45 f., 50, 61; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 65; Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 56 f.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 9.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei435

§ 1009 I, II BGB.517 Dass die einzelnen Teilhaber deshalb auch in ihrer Ge­ samtheit nach § 1009 II BGB das gemeinschaftliche Grundstück zugunsten eines Dritten etwa mit einer Grunddienstbarkeit belasten können, bedarf vor diesem Hintergrund keiner weiteren besonderen Begründung, § 1009 II BGB.518 Eine Vereinigung von Stockwerkseigentum durch die Vereinigung mehrerer Anteile in einer Hand ist dagegen nicht möglich, sondern der Er­ werber erhält hier nur einen weiteren, weiterhin aber isoliert veräußerbaren, Sonderanteil an der Gemeinschaft, der mit dem Miteigentum an dem gesam­ ten Gegenstand verbunden bleibt, was sich aus der grundsätzlichen Zulässig­ keit einer entsprechenden Doppelstellung nach §§ 889, 1009 BGB ergibt.519 Nach Art. 62 S. 3 BayAGBGB gilt § 1010 I BGB ausdrücklich entsprechend. Folglich wirken konkrete Regelungen bezüglich der ausschließlichen Benut­ zung eines ausgeschiedenen Gebäudeteils, aber auch sonstige Benutzungs­ vereinbarungen, für einen entsprechenden Sonderrechtsnachfolger nur dann, wenn sie als Belastung in das Grundbuch eingetragen wurden.520 Nach § 1011 BGB kann zudem jeder Miteigentümer die Ansprüche aus dem ­Eigentum Dritten gegenüber in Ansehung der ganzen Sache geltend machen, wobei ein Teilhaber die Herausgabe des gesamten Grundstücks nur an sämtliche Stockwerkseigentumsberechtigte verlangen kann, §§ 1011, 432 ­ BGB.521 8. Belastung der gemeinschaftlichen Grundfläche zugunsten einer Herbergseinheit Eine nachträgliche Teilung einer im Rahmen einer konkreten betroffenen Einheitlichkeit von Stockwerkseigentum bestehenden herbergsrechtlichen 517  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 45 f. 518  Vgl. O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 45 f. 519  Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 65. 520  OLG München, Beschluss vom 23.09.2008, Az.: 34 Wx 25/08; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 318; H. v. Schneider, Das Ge­ setz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S.  201 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 50, 61; H. Sprau, Justizgesetze in Bay­ ern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 9; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 56. 521  Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S.  56 f.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Wohneinheit, die mitunter dem einzelnen Herbergsbesitzer zur ausschließ­ lichen Benutzung zugeordnete Gebäudebestandteile als Sondernutzungsrechte beinhaltet, welche zusammen mit den gemeinschaftlichen Nutzungsrechten hinsichtlich des Gesamtgrundbesitzes mit Blick auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende einzelne Herberge als ausgeschiedenem Gebäudebestandteil eine untrennbare Einheit bilden,522 führt notwendigerweise zu einer Überschreitung einer zulässigen Inhalts­ änderung eines Altrechts und damit zu einer grundsätzlich unzulässigen Neubegründung von Stockwerkseigentum.523 Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Stockwerkseigentümer bzw. ein Herbergsbesitzer einen weiteren Dachbodenraum, welcher der stockwerkseigentumsrechtlichen Ein­ heit des 1. Obergeschosses zugehört, käuflich erwerben möchte, um später dann das Dachgeschoss im Sinne eines neuen Gebäudeteils ausbauen zu können. Durch die dauernde eigentumsrechtliche Zuordnung zu einer ande­ ren Wohneinheit würde insoweit eine andere stockwerkseigentumsrechtliche Einheit entstehen, die mit dem bestehenden Rechtszustand zum 01.01.1900 nichts mehr zu tun hat, und deshalb in der konkreten neuen Gestalt rechtlich nicht mehr begründet werden kann, Art. 189 I 3 EGBGB.524 Etwas anderes 522  P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a.  d.  S. 1903, S.  318; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, Mün­ chen 1899, S. 197; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Be­ rücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 28; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 39 ff., 45; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 631; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 121; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 5 f.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57. 523  Vgl. OLG Stuttgart, RJA 6, 82, (83 f.); F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84). 524  Vgl. H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei437

könnte in Bezug auf den stockwerkseigentumsrechtlichen Altbestand allein nur der Bayerische Gesetzgeber nach der Vorschrift des Art. 218 EGBGB regeln.525 Ein entsprechendes Änderungsgesetz besteht in Bayern aber nicht.526 Es wird aber hervorgehoben, dass mit einer miteigentumsrechtlichen Benutzungsregelung, so wie es die Normen der Art. 62 S. 3 BayAGBGB, § 1010 I BGB vorsehen, das Rechtsproblem praktisch umgangen wird, weil es sich insoweit dann lediglich um eine andere benutzungsrechtliche Zuord­ nung handelt, die auch bei Stockwerkseigentum mit Blick auf die Norm des Art. 189 I 3 EGBGB keinen Bedenken unterliegt, insofern sich die geänder­ ten Benutzungsregelungen auf einen altrechtlichen Stockwerkseigentumsbzw. Herbergsbestand beziehen.527 Wie kann aber einem Miteigentümer ein ausschließliches und dauerndes Nutzungsrecht verschafft werden, das nicht nur durch eine Eintragung im Grundbuch verdinglicht ist, sondern ein echtes dingliches (Stockwerks)recht als Teil seines Miteigentumsanteils darstellt und damit den durch eine bloße Benutzungsregelung begründeten internen Rechtskreis der bestehenden Miteigentümer durchbricht?

1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsge­ setz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetz­ buch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50– 218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3. 525  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5. 526  Vgl. Art. 42 des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerli­ chen Gesetzbuch vom 09.06.1899 betreffend, Bayerisches Gesetz- und Verordnungs­ blatt 1899, Beilage zu Nr. 28, S. 94; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1 ff. In Bayern hat man sich für eine Umwandlung des nach Art. 182 EGBGB grundsätzlich bestehenbleibenden Stockwerkseigentums in eine miteigentumsrechtliche Gemeinschaft entschieden, Art.  218 EGBGB, Art.  42 BayÜGBGB, heute Art. 62 BayAGBGB. Möglich wäre aber auch gewesen, die zum 01.01.1900 bestehenden Rechtszustände beizubehalten und gesetzgeberisch eine Neu­ ordnung der altrechtlichen Sondereigentumsverhältnisse vorzusehen. 527  Vgl. H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor ent­ standene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 421 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Mün­ chen 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 5 ff., v. a. Rn. 9. Zur Reichweite der bundesrechtlich eingeräumten Änderungskompetenz des Art. 218 EGBGB mit Blick auf die ange­ führte Einschränkung auf stockwerkseigentumsrechtlichen Altbestand vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Mit der Norm des Art. 42 BayÜGBGB bzw. mit dem heute geltenden Art. 62 BayAGBGB hat der Bayerische Gesetzgeber das zum 01.01.1900 bestehende Stockwerkseigentum im Sinne einer miteigentumsrechtlichen Gemeinschaft geändert.528 Damit wurde den Teilhabern auch die Möglich­ keit eröffnet, nach Art. 62 S. 3 BayAGBGB, § 1010 I BGB etwaige mitei­ gentumsrechtliche Benutzungsregelungen vorzusehen, die mit der Eintragung in das Grundbuch ein entsprechendes verdinglichtes Rechtsverhältnis be­ gründen.529 Eine verdinglichte Benutzungsregelung bleibt aber schuldrecht­ lich und wird durch die Eintragung in das Grundbuch lediglich verdinglicht, d. h., sie schafft weder Eigentum noch ein sonstiges dingliches Nutzungs­ recht.530 Auch lässt sie die Größe der Miteigentumsanteile unberührt.531 Andererseits kann aber wiederum eine Benutzungsregelung mit einer Kos­ ten- und Lastenregelung verbunden und beides zusammen in das Grundbuch eingetragen werden.532 Das Oberlandesgericht Nürnberg hat in seinem neu­ eren Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19, den entsprechenden Zusammenhang wie folgt konkretisiert: „Zwar mag es sein, dass eine im Grundbuch eingetragene Benutzungsregelung für die Miteigentümer im Ergebnis die gleiche Wirkung entfaltet wie ein Sondernut­ zungsrecht, mithin eine positive Komponente, nämlich die Zuweisung, und eine negative Komponente, nämlich den Ausschluss des Mitgebrauchs, aufweist. Anders als ein Sondernutzungsrecht, das zum Inhalt des dem einzelnen Miteigentümer ausschließlich zugeordneten Sondereigentums wird, schafft § 1010 BGB aber den­ noch lediglich eine interne (schuldrechtliche) Bindung. Bei Sondereigentum be­ steht Eigentum, bei § 1010 BGB kein dingliches Recht, sondern nur ein ‚verding­ lichtes‘ Rechtsverhältnis zwischen den Mitgliedern betreffend die Benutzung, das den einzelnen Miteigentumsanteil durch den (teilweisen) Ausschluss des Mitge­ brauchs belastet.“533

Andererseits ist die Eintragung in das Grundbuch für das entstehende ver­ dinglichte Rechtsverhältnis im Sinne einer miteigentumsrechtlichen Benut­ 528  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3 ff. 529  Vgl. zu Art. 62 S. 3 BayAGBGB, § 1010 I BGB H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 421 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Ge­ setze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 5 ff., v. a. Rn. 9; grundsätzlich zum verdinglichten Rechtsverhältnis OLG Nürn­ berg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19. 530  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19. 531  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19. 532  OLG Hamm, Beschluss vom 20.01.2011, Az.: I-15 W 249/10 m. w. N. zum Meinungsstand. 533  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei439

zungsregelung konstitutiv.534 Grundsätzlich erfordert die Eintragung einer entsprechenden Benutzungsregelung nach § 1010 BGB – wie sich aus § 1008 BGB ergibt – ein Miteigentum an einem Grundstück; die einzelnen Mitei­ gentümer eines Grundstücks bilden eine Bruchteilsgemeinschaft, für welche die §§ 741 ff. BGB gelten.535 Die genannten Normen gelten in Verbindung mit den §§ 1008 ff. BGB auch für eine herbergsrechtliche Miteigentumsge­ meinschaft, insofern sich aus der Vorschrift des Art. 62 BayAGBGB nichts anderes ergibt.536 Nach dem Recht der Bruchteilsgemeinschaft können Re­ gelungen zur Benutzung des gemeinschaftlichen Gegenstandes einzelner Miteigentümer untereinander keine Drittwirkung entfalten, nachdem § 746 BGB ausschließlich nach §§ 744, 745 BGB in kollektiver Entscheidungszu­ ständigkeit gefasste Regelungen der einzelnen Miteigentümer betrifft, und zwar unabhängig davon, ob sie gemeinschaftlich durch eine Vereinbarung nach § 744 I BGB, einen einstimmigen Beschluss oder auch einen Mehr­ heitsbeschluss bzw. ein Urteil getroffen wurden.537 Im Umkehrschluss sind damit nicht kollektiv gefasste Regelungen nur einzelner Miteigentümer un­ tereinander nicht von der Vorschrift des § 746 BGB erfasst, weshalb diese auch nicht im Rahmen von § 1010 BGB eintragungsfähig sind.538 Dies be­ deutet aber dann auch, dass einmal durch sämtliche Miteigentümer zustande gekommene Belastungen im Sinne der benutzungsrechtlichen Norm des § 1010 I BGB nur wieder durch eine neue wirksame Vereinbarung von allen Miteigentümern und deren verdinglichenden Eintragung im Grundbuch geän­ dert werden können.539 Durch eine verdinglichte Benutzungsregelung im 534  OLG München, Beschluss vom 20.02.2018, Az.: 34 Wx 109/17; vgl. zu Art. 62 S. 3 BayAGBGB, § 1010 I BGB H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerli­ chen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S.  421 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 5 ff., v. a. Rn. 9. 535  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19. 536  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288, 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 53; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 119 ff.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bay­ ern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55 f.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 5; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegen­ schaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 196, 199 f. 537  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19. 538  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19. 539  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19; OLG Mün­ chen, Beschluss vom 20.02.2018, Az.: 34 Wx 109/17.

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Sinne von § 1010 BGB entsteht im Ergebnis aber kein dingliches Stock­ werksrecht zugunsten eines Miteigentümers, sondern es wird lediglich eine schuldrechtliche Vereinbarung getroffen, die den einzelnen Miteigentumsan­ teil durch den (teilweisen) Ausschluss des Mitgebrauchs belastet.540 In der französischen Wissenschaft wurden in der neuzeitlichen Jurispru­ denz vor dem Hintergrund des droit coutumier und der späteren darauf auf­ bauenden Vorschrift des Art. 664 des Code Napoléon für eine besondere Wohneinheit im Rahmen eines Gebäudes und die gemeinschaftlichen Ein­ richtungen jeweils Servitute, namentlich ein „servitut privatif“ und ein „ser­ vitut commun“, angenommen,541 die aber noch ganz in dem Gedanken des auch im ehemaligen Fürststift Kempten geltenden dominium directum ver­ haftet blieben und unter dem Code civil mit der Norm des Art. 664 vor dem Hintergrund des nunmehr verwirklichten einheitlichen Eigentumsbegriffs des französischen Zivilgesetzbuchs mittelbar ihre positivrechtliche Anerkennung unter der Überschrift „servitudes établies par la loi“, d. h. als gesetzliche Er­ leichterungen, erhielten.542 Den dogmatischen Hintergrund dieser „Servitu­ tenlehre“ bildete das dominium directum, weil der Obereigentümer über das liegende Gut als disponierende Person neben dem Nutzeigentümer erschien, welcher damit eine Nutzung an einer fremden, nämlich obereigentümlich gebundenen Sache, innehatte.543 Wenn einem Eigentümer schließlich ein Stockwerksrecht zustand, das mit der ausschließlichen Sondernutzungsbefug­ nis des ausgeschiedenen Gebäudebestandteils verbunden war, hatte er als Gegenstück zu dem dinglichen Nutzungsrecht auch die seine Wohneinheit 540  OLG

Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19. La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius pri­ vatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 821 m. w. N.; vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deut­ schen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31; W. Merle, Das Wohnungsei­ gentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 18, 38 f. m. w. N. Siehe zum Stockwerksrecht als Grundgerechtigkeit, d. h. einer Präsidialservitut, nach dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten S. Saar/V. Diedrich, Die Preußi­ sche Teilung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (417 ff.). 542  M. Toullier/Ch. Bonaventura, Le droit civil français – suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a réuni la théorie à la pratique, Band I, Bruxelles 1837, S.  108 ff.; vgl. F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rhei­ nischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 94 ff.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Imma­ nuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 80. Zum einheitlichen Eigentumsbegriff des Code Napoléon K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Civilrechts, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S.  495 ff., 521 ff. 543  A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über ein­ zelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff. 541  J. Limpens,



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei441

betreffenden Kosten und Lasten zu tragen, womit durch die Coutumes bzw. den späteren Code Napoléon gesetzlich begründete Realservitute einhergin­ gen.544 Diese waren in diesem Fall auf eine Trennung von Eigentum unge­ teilter und gemeinsamer Verpflichtung gerichtet, wobei das französische droit coutumier bzw. der Code civil auch bereits die damit einhergehende Kostenund Lastenverteilung hinsichtlich der unterschiedlichen Gebäudebestandteile festlegten.545 Auf der Grundlage des gemeinen ius commune des römischen Rechts wurde das Stockwerksrecht andererseits ab dem 15. Jahrhundert zu­ nehmend dann als superficies aufgefasst, weil nach dem römischrechtlichen Akzessionsprinzip eine Trennung des Eigentums an Boden und Gebäude nicht möglich war und sich das Stockwerkseigentum deshalb nur als be­ schränkt dingliches Recht an einer fremden Sache darstellen konnte.546 An­ dere Autoren deuteten das Stockwerksrecht dagegen bereits früh als aus­ schließliches Sondernutzungsrecht im Rahmen einer unteilbaren Miteigen­ tumsgemeinschaft, womit der germanische Gedanke eines genossenschaft­ lichen Eigentums zur gesamten Hand mitaufgenommen wurde.547 Auf der 544  E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; vgl. I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 444 f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f.; E. Durand, Coutumes de Lorris-Montargis, Saint-Fargeau, pays de Puisaye, Chatillon-surLoing, Sancerre, Gien, Nemours, Chateau-Landon, et autres lieux, régis et gouvernés par lesdites Coutumes, Montargis 1758, S. 397 f. 545  M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S.  4 f. 546  C. v. Wächter, Ueber Theilung und Theilbarkeit der Sachen und Rechte, in: Archiv für die civilistische Praxis 1844 (27), 155, (177 ff. mit Fn. 34, 196 f.); Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren ein­ zelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (220 ff.); H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S.  117 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (211 ff.); R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 17 f., 38 f. m. w. N.; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S.  206 f.; vgl. O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284  ff.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 42 m. w. N. allgemein zur romanistischen Doktrin in diesem Zusammenhang und ablehnend ge­ genüber der Konstruktion eines Stockwerksrechts als superficies J. Kuntze, Die Ko­ jengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechts­ leben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 53 ff., 75 ff., 84. 547  Siehe hierzu die Nachweise bei W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 17 f.; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Grundlage der gelehrten Jurisprudenz zum gemeinen römischen Recht war das Stockwerksrecht folglich einem Superfiziarrecht bzw. einer Dienstbarkeit ähnlich, wobei das gesamte Gebäude, das nun in Bayern nach der geltenden Gesetzeslage zusammen mit der gemeinsamen Grundfläche nach Art. 62 Bay­ AGBGB im Miteigentum steht,548 der rechtliche Ansatzpunkt für das grundstücksgleiche superfiziarische bzw. beschränkt dingliche Recht war.549 Wie auch bereits Savigny nachgewiesen hat, bestand hinsichtlich des Super­ fiziarrechts eigentlich kein Widerspruch zu dem im römischen Recht aner­ kannten Prinzip der Vertikalteilung von Gebäuden, weil das superfiziarische Recht kein Eigentum darstellte, sondern nur eine zum dinglichen Recht er­ starkte Nutzungsbefugnis an einem konkreten Bestandteil auf fremdem Grund und Boden vermittelte.550 Demnach könnte eine Grunddienstbarkeit auf der gemeinschaftlichen Grundfläche in historischer Kontinuität ein ding­ liches Recht an einem ausgeschiedenen Gebäudebestandteil einer anderen herbergsrechtlichen Wohneinheit vermitteln, ohne dass Art. 189 I 3 EGBGB verletzt wäre.551 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Wohnungsei­ gentum im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes Gegenstand einer Belas­ tung mit einer Grunddienstbarkeit sein, wobei diese auch zugunsten des je­ weiligen Eigentümers einer anderen Wohnung bestellt werden kann.552 Dabei eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S. 207 f.; vgl. P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 601. Grundsätzlich zur Teilbarkeit von Sachen auch C. v. Wächter, Ueber Theilung und Theilbarkeit der Sa­ chen und Rechte, in: Archiv für die civilistische Praxis 1844 (27), 155, (181 ff.); W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit be­ sonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 262 ff. 548  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3 ff. 549  Siehe hierzu auch die Definition des Wortes héberge im Rahmen des Werkes „Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris“ aus dem Jahre 1776, wo steht, „(que) c’est la superficie qu’occupe une maison contre un mur mitoyen, ou l’adossement d’un bâtiment contre un mur mitoyen. Un propriétaire n’est tenu de contribuer au mur mitoyen que suivant son héberge ce qui veut dire suivant l’étendue qu’il en occupe.“; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. XX. 550  F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gie­ ßen 1818, S. 286 ff. unter Bezugnahme auf Dig. 43, 17, 3, 7; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Be­ ziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 443. 551  Vgl. F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253. 552  BGH, Beschluss vom 17.01.2019, Az.: V ZB 81/18; vgl. BGH, Urteil vom 19.05.1989, Az.: V ZR 182/87, BGHZ 107, 289, (292).



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei443

wird das Wohnungseigentum als „herrschendes Grundstück“ angesehen, für dessen Nutzung die Grunddienstbarkeit einen Vorteil im Sinne des § 1019 S. 1 BGB zu bieten vermag.553 Voraussetzung hierfür ist, dass sich die beab­ sichtigte Belastung des Wohnungseigentums im Rahmen der dem einzelnen Wohnungseigentümer zustehenden Befugnis bewegt, d. h., dass eine entspre­ chende Belastung der Wohneinheit überhaupt nur insoweit statthaft ist, als dieser zu der Nutzung, zu der Vornahme einer Handlung oder zu der Rechts­ ausübung gemäß § 1018 BGB allein befugt ist.554 In diesem Sinne hat die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits entschieden, dass sich ein Woh­ nungseigentümer auch dinglich verpflichten kann, ein bestimmtes Fenster seiner Wohnung nicht zu öffnen, auch wenn die Fenster zumindest teilweise im gemeinschaftlichen Eigentum stehen, weil er an den in seiner Wohnung befindlichen Gebäudeteilen ein alleiniges Nutzungsrecht hat.555 Eine Belas­ tung des dem einzelnen Wohnungseigentümer zustehenden Wohnungseigen­ tums mit einer Dienstbarkeit, die auf das ausschließliche Gemeinschaftsei­ gentum gerichtet ist, ist dem einzelnen Wohnungseigentümer dagegen nicht gestattet, sondern dies bedarf einer mehrheitsbedingten Belastung des ge­ meinschaftlichen Eigentums.556 Aus diesem Grund kann ein in Wohnungsbzw. Teileigentum aufgeteiltes Grundstück im Ergebnis nur als Ganzes belas­ tet werden, wenn das Recht seiner Natur nach nur an dem Grundstück und nicht an der einzelnen Wohneinheit bestellt werden kann.557 Dem Wesen des bayerischen Stockwerkseigentums im Sinne von Art. 62 BayAGBGB entspricht es gerade, dass die gemeinschaftliche Grundfläche als konstituierendes Moment anzusehen ist und dass nach deren Maßgabe die ausschließlichen Benutzungsteile entsprechend zugeordnet werden.558 Folg­ lich ist die Bestellung einer Grunddienstbarkeit am Grundstück zulasten des Miteigentumsanteils eines Herbergsbesitzers analog der von der höchstrich­ terlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätze möglich.559 Die entsprechende Dienstbarkeit wird an dem Grundstück be­ 553  BGH,

Urteil vom 19.05.1989, Az.: V ZR 182/87. Beschluss vom 17.01.2019, Az.: V ZB 81/18. 555  BGH, Urteil vom 19.05.1989, Az.: V ZR 182/87; BGHZ 107, 289, (293). 556  BGH, Beschluss vom 17.01.2019, Az.: V ZB 81/18; vgl. BGH, Urteil vom 19.05.1989, Az.: V ZR 182/87; BGHZ 107, 289, (294). 557  BGH, Beschluss vom 17.01.2019, Az.: V ZB 81/18; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23.07.2015, Az.: V ZB 1/14; BGH, NJW-RR 2015, 1497 Rn. 19; OLG Rostock, Beschluss vom 02.06.2014, Az.: 3 W 24/13. 558  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 287 f., 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 319. 559  Vgl. BGH, Beschluss vom 17.01.2019, Az.: V ZB 81/18. 554  BGH,

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

stellt, und zwar zulasten einer dienenden Herbergseinheit und zugunsten ei­ ner anderen herrschenden Herbergseinheit eines anderen Teilhabers. Diese rechtliche Möglichkeit sieht die Norm des § 1009 I BGB, der auf Herbergen anwendbar ist, ausdrücklich vor.560 Die Vorschrift des § 1009 I BGB regelt, dass eine gemeinschaftliche Sache wie auch ein gemeinschaftliches Grund­ stück mit einer Gesamtherberge aus mehreren Herbergen zugunsten eines Miteigentümers belastet werden kann, und lässt zudem die Belastung zu­ gunsten eines Miteigentümers ohne jede Einschränkung zu.561 Um aber ei­ nen späteren gutgläubigen lastenfreien Erwerb eines Miteigentumsanteils zu verhindern, der nach einem Teil der Rechtsprechung wieder zu einem Weger­ werb der Dienstbarkeit insgesamt führen könnte,562 muss auch hier nach Art. 62 S. 3, § 1010 I BGB notwendigerweise eine Eintragung der gesonder­ ten Benutzungsregelung in der Form einer Grunddienstbarkeit in das Grund­ buch erfolgen, was das Gesetz mit § 873 I BGB aber sowieso vorschreibt.563 Warum sollte man nun diesen Umweg gehen, der gegenüber einer miteigen­ tumsrechtlichen Benutzungsregelung umständlich wirkt? Eine Grunddienst­ barkeit schafft einen rechtssicheren Zustand eines eigentlichen Stockwerks­ rechts, ohne dass die Gefahr besteht, dass irgendwann eine sonstige anderslau­ tende benutzungsrechtliche Vereinbarung getroffen wird.564 Normalerweise wird ein verdinglichtes Benutzungsrecht mit einem anderen Rechtsgeschäft wie einem Mietvertrag und einem zu zahlenden Nutzungsentgelt verbun­ den.565 In einem solchen Fall kann die schuldrechtliche Benutzungsregelung auch wieder gekündigt bzw. sonst wie obsolet werden.566 Dies kann gerade in Fällen, wo geplante Umbauten verwirklicht werden sollen, zu erheblichen 560  Vgl. O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 45 f. 561  BayObLG, Beschluss vom 18.12.1991, BReg. 2 Z 149, 91 = BayObLG, Mitt­ BayNot 1992, 198, (199). 562  In der Rechtsprechung ist die Frage umstritten, ob von dem Erwerber eines ideellen Grundstücksanteils gutgläubig die Grunddienstbarkeit insgesamt „wegerwor­ ben“ werden kann; insoweit bejahend OLG Thüringen, Beschluss vom 02.02.2012, Az.: 9 W 390/11; verneinend OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2010, Az.: 3 W 246/09, tendenziell in diese Richtung auch OLG Rostock, Beschluss vom 02.06.2014, Az.: 3 W 24/13, mit dem Argument, wonach an einzelnen ideellen Miteigentumsan­ teilen keine Grunddienstbarkeit bestehen kann und insoweit auch ein Gutglaubens­ schutz für den Bruchteilserwerber äußerst fraglich erscheint. 563  Vgl. H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor ent­ standene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 421 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 291 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Mün­ chen 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 5 ff., v. a. Rn. 9. 564  Vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19. 565  Vgl. BGH, Urteil vom 15.09.1997, Az.: II ZR 94/96. 566  Vgl. BGH, Urteil vom 15.09.1997, Az.: II ZR 94/96.



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Rechtsstreitigkeiten führen.567 Entscheidend ist aber andererseits, dass eine einmal durch sämtliche Miteigentümer zustande gekommene Belastung nach § 1010 I BGB nur durch eine neue wirksame Vereinbarung der Miteigentümer und deren Eintragung im Grundbuch geändert werden kann.568 Etwaige Ände­ rungen von getroffenen Miteigentümervereinbarungen kommen dagegen auch durch nur einzelne Miteigentümer in Betracht, wenn und soweit die zu än­ dernde Vereinbarung ausdrücklich oder konkludent eine entsprechende Ände­ rungsbefugnis vorbehalten hat, mithin die kollektive Zuständigkeit durch die individuelle Übertragung der Entscheidungsbefugnis durchbrochen wird.569 Hier könnte nun das größte Problem von Stockwerkseigentum wiederaufle­ ben. Denn die damals auch in Bayern vorherrschende Sondereigentumstheo­ rie570 war nämlich nur dann praktikabel, wenn verschiedenste wechselseitige Reallasten und Grunddienstbarkeiten wie etwa servitus oneris ferendi, tigni immittendi, Wasserleitungsrechte usw. sowie aus der Gemeinschaft entsprin­ gende gesetzliche Pflichten der Stockwerkseigentümer untereinander voraus­ gesetzt wurden.571 Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Nürn­ berg zu einer verdinglichten Benutzungsregelung hinsichtlich etwaiger Stell­ plätze kann eine vereinbarungsimmanente einseitige Befugnis eines Mit­ eigentümers zu einer Durchbrechung einer im Grundbuch eingetragenen Benutzungsregelung jedenfalls dann bestehen, wenn die Größe des Miteigen­ tumsanteils vom Umfang des Benutzungsrechts unabhängig ist und das Benut­ zungsrecht nicht vollständig aufgegeben wird, weil in diesem Fall zum einen die Rechtsstellung der übrigen Miteigentümer dann durch die Übertragung nicht berührt wird, nachdem die Belastung ihres Miteigentums insofern unver­ ändert fortbesteht, zum anderen aber aufgrund der Möglichkeit, das Miteigen­ tum einschließlich des Nutzungsrechts ohne eine Zustimmung der übrigen Miteigentümer zu übertragen, auch kein schutzwürdiges Vertrauen an einem 567  Zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Renovierungen bzw. Umbauten im Rah­ men von Stockwerkseigentum OLG Stuttgart, BWNotZ 1955, 165; A. Steiner, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Band III, Nachdruck der 8. Auflage aus dem Jahre 1976, Berlin 2021, S. 2198; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 9. 568  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19; OLG Mün­ chen, Beschluss vom 20.02.2018, Az.: 34 Wx 109/17. 569  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19. 570  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194. 571  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 f.; H. Freyer, Das Stockwerkseigen­ tum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 20; vgl. Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Ar­ chiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (215).

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Fortbestand der Nutzung durch eine bestimmte Person begründbar ist, wes­ halb im Ergebnis auch aus grundbuchrechtlicher Sicht gemäß § 19 GBO kein Zustimmungsbedürfnis der übrigen Miteigentümer besteht.572 Es ist dabei aber zu bedenken, dass der zitierten Rechtsprechung der Fall zugrunde liegt, in dem der auf die verdinglichte Benutzungsregelung hinsichtlich des Stell­ platzes Verzichtende, d. h. der Betroffene, damit einverstanden war, während der Begünstigte grundsätzlich stets reklamieren könnte und auch über das Zu­ stimmungserfordernis nach § 19 GBO geschützt ist.573 Mit einer Grunddienst­ barkeit aber würde die bloße interne Beziehung zugunsten eines dauerhaft rechtssicheren Zustands durchbrochen werden, so wie wenn der Inhaber der Grunddienstbarkeit selbst ursprünglich Stockwerkseigentümer des einheit­ lichen Dachgeschosses gewesen wäre.574 Im Ergebnis wird mit einer Grund­ dienstbarkeit deshalb das erreicht, was ein ursprüngliches historisches ­Stockwerksrecht beinhaltet hätte, ohne dass damit eine Neubegründung von Stockwerkseigentum einhergehen würde.575 Die Eintragung einer Grund­ dienstbarkeit kann sich gerade dann anbieten, wenn in sich abgeschlossene Wohneinheiten als faktisches Sondereigentum geschaffen werden sollen und gleichzeitig eine dauerhafte Rechtssicherheit beabsichtigt ist, wobei mit der Grunddienstbarkeit gegenüber schuldrechtlichen Benutzungsregelungen mit ihren gesetzlichen bzw. vertraglich bedungenen Aufhebungsmöglichkeiten eine bestandsfeste dingliche Rechtsposition verwirklicht wird. 9. Herbergsrecht und gutgläubiger Erwerb Nach Art. 182 EGBGB bleibt das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürger­ lichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerkseigentum erhalten, wobei für das Rechtsverhältnis der Beteiligten untereinander die bisherigen Gesetze gel­ ten.576 Auch wenn es im 19. Jahrhundert im deutschen Raum das Rechts­ 572  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19; vgl. auch BGH, Urteil vom 15.09.1997, Az.: II ZR 94/96. 573  OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.12.2019, Az.: 15 W 4008/19. 574  Vgl. BGH, Beschluss vom 17.01.2019, Az.: V ZB 81/18; vgl. BGH, Urteil vom 19.05.1989, Az.: V ZR 182/87; BGHZ 107, 289, (292). 575  Vgl. F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253. 576  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerks­ eigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Ein­ führungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau,



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institut des gutgläubigen Erwerbs gab, so gibt es keine ausdrücklichen parti­ kularrechtlichen bzw. gewohnheitsrechtlichen Nachweise eines gutgläubigen Erwerbs bei Herbergen.577 Auch war dem französischen Code Napoléon ein entsprechendes Rechtsinstitut des gutgläubigen Erwerbs bei liegenden Gü­ tern bzw. Stockwerksrechten unbekannt.578 Ein gutgläubiger Erwerb im Rahmen von Herbergshäusern wäre im Ergebnis grundsätzlich auch unprak­ tikabel gewesen und hätte die Eigenschaft als Streithäuser nur bestärkt.579 Andererseits muss aber bedacht werden, dass bereits das klassische römische Recht den Gedanken eines guten Glaubens (bona fides) als Voraussetzung einer Ersitzung kannte.580 In der nachklassischen Periode wurde unter Kai­ ser Justinian I. schließlich das Rechtsinstitut der longi temporis praescriptio auf Liegenschaften bezogen, die im Falle eines guten Glaubens nach zehn bzw. zwanzig Jahren durch Ersitzung erworben werden konnten.581 Im ger­ manischen Recht war dagegen der Grundsatz „Hand wahre Hand“ anerkannt, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einfüh­ rungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Ab­ teilung 1999 (116), 384, (388); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Woh­ nungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3. 577  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 971 f., 975 f.; Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Band III: Sachenrecht, Nachdruck aus dem Jahre 2020, Berlin 2021, S. 208; F. Rödl, Gerechtigkeit unter freien Gleichen – eine normative Rekonstruktion von Delikt, Ei­ gentum und Vertrag, Baden-Baden 2015, S. 241. 578  K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 538 ff., 544 ff., 596; vgl. K. Thorn, Der Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten, Baden-Baden 1996, S. 42 ff. 579  Vgl. J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 45; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deut­ sche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (349 ff.); Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betreffend Stockwerkseigen­ tum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rahmen des kommenden Woh­ nungsbaues, 1950, S. 7 ff., 17 f.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kom­ mentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (60). 580  K. Thorn, Der Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten, Baden-Baden 1996, S.  36 ff. m. w. N. 581  K. Thorn, Der Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten, Baden-Baden 1996, S.  38 f. m. w. N.

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der eine Klagemöglichkeit des Eigentümers bei einer Aufgabe der Gewere an einem Gut an einen Vertrauensmann ausschloss.582 Insoweit galt das Prinzip: „Wo du deinen Glauben gelassen hast, dort sollst du ihn suchen.“583 Eine etwaige Bösgläubigkeit eines von dem Vertrauensmann erwerbenden Dritten schadete in diesen Fällen grundsätzlich nicht, wobei eine Ausnahme etwa bei einem unfreiwilligen Verlust der Sache durch den Eigentümer gelten konn­ te.584 Vor diesem rechtshistorischen Hintergrund wird man davon ausgehen müssen, dass es auch bei Herbergen nach dem deutschen Land- und Lehens­ recht bzw. entsprechend sich herausgebildeten Rechtsgewohnheiten oder nach dem gemeinen römischen Recht stillschweigende Erwerbsvorgänge im guten Glauben durchaus geben konnte,585 wenngleich sich diese gegenüber dem heutigen gutgläubigen Erwerb bei Liegenschaften vor dem Abbild des öffentlichen Glaubens eines Grundbuchs noch anders darstellten.586 Unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch aber folgt in den Fällen, wo Art. 182 EGBGB anwendbar bleibt und nicht durch eine Übergangsnorm ersetzt wird, grund­ sätzlich nicht, dass ein gutgläubiger Erwerb obgleich der Norm des Art. 181 I EGBGB ausgeschlossen bleibt, weil die Vorschrift des Art. 182 EGBGB un­ ter dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht mehr zulässige Eigentumsformen si­ chern möchte.587 Denn das zum 01.01.1900 bestehende Stockwerkseigentum wird zwar in seinem konkreten Bestand durch Art. 182 EGBGB geschützt, womit aber nicht ein Ewigkeitsschutz unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch einhergeht, sondern auch hier gelten vielmehr die allgemeinen Grundsätze hinsichtlich der Übertragung von unbeweglichen Gütern.588 Dies ergibt sich daraus, dass die Norm des Art. 182 EGBGB zunächst allgemein gilt, d. h., dass im Ausgangspunkt sämtliches altrechtliches Stockwerkseigentum im Bundesgebiet fortgilt und sich dieses hinsichtlich der Rechtsbeziehungen der 582  K. Thorn, Der Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten, Baden-Baden 1996, S.  39 m. w. N. 583  Zitiert nach K. Thorn, Der Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten, Baden-Ba­ den 1996, S. 39 m. w. N. 584  K. Thorn, Der Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten, Baden-Baden 1996, S.  40 ff. m. w. N. 585  Vgl. K. Thorn, Der Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten, Baden-Baden 1996, S.  35 ff. m. w. N. 586  R. Weber, Sachenrecht, Band  II: Grundstücksrecht, 4.  Aufl., Baden-Baden 2015, S.  162 ff.; K. Friedemann, Sachenrecht, Mobiliar- und Immobiliarsachenrecht, Baden-Baden 2021, S. 197 f. 587  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; G. Freudling, Echtes alt­ rechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). 588  Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 8.



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Teilhaber untereinander ausschließlich nach dem bis zum 01.01.1900 gelten­ den Recht beurteilt.589 Dem grammatikalischen Wortlaut des Art.  182 EGBGB ist aber eine Einschränkung zu entnehmen, wonach sich nur das Innenverhältnis der Beteiligten, d. h. die Benutzung und Verwaltung sowie die Lastenverteilung, nach den bisherigen Gesetzen richtet, nicht aber das Außenverhältnis, weshalb es insoweit bei dem Grundsatz des Art. 181 I EGBGB und der Anwendung des Bürgerlichen Gesetzbuchs bleibt.590 Die 589  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Ge­ setzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stutt­ gart 1984, Art. 131 Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrecht­ liches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). E. Dorner/A. Seng, Badi­ sches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f.; zu eng dagegen F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 182 Rn. 1, Art. 131 Rn. 2; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbar­ recht, 3. Aufl., München 2015, S. 145. 590  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 418 f.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S.  257 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S.  193 f., 196 f.; E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grund­ eigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 151; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 42 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 33; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungs­ gesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117 f.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (402); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein

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Übertragung und Belastung von etwaigem Stockwerkseigentum richten sich daher nach den §§ 873 ff. BGB,591 womit auch § 892 BGB grundsätzlich zur Anwendung kommt.592 Bis zu der Anlegung der Grundbücher gelten aber weiterhin die bisherigen Gesetze, Art. 189 I 1, 2, III BGB.593 Es bleibt des­ halb hinsichtlich eines gutgläubigen Erwerbs unter dem Vorbehalt des Zeit­ punkts der erstmaligen Anlegung der Grundbücher bei dem Grundsatz des Art. 181 I EGBGB, wonach auf das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerli­ chen Gesetzbuchs am 01.01.1900 bestehende Eigentum von dieser Zeit an die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung finden, womit ein Gutglaubensschutz im Sinne von § 892 BGB im Anwendungsbereich des Art. 182 EGBGB ohne weiteres möglich ist.594 Die Vorschrift des § 892 BGB bezweckt dabei grundsätzlich mit Blick auf den öffentlichen Glauben des Grundbuchs nach § 891 BGB den Verkehrsschutz.595 In den Fällen dage­ gen, wo eine Überführung des altrechtlichen echten Stockwerkseigentums wie in Bayern mit Art. 62 BayAGBGB erfolgt ist,596 greifen die von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätze eines gutgläubigen Erwerbs eines Miteigentumsanteils,597 d. h., dass auch hier die allgemeinen Regeln anwendbar sind.598 Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 142 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 165. 591  J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art.  1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 8. 592  OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85); in diesem Sinne auch bereits RGZ 61, 195, (201). 593  OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor ent­ standene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419; F. Affolter, Das intertempo­ rale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leip­ zig 1903, S. 258. 594  RGZ 61, 195, (201); OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85). 595  R. Weber, Sachenrecht, Band  II: Grundstücksrecht, 4.  Aufl., Baden-Baden 2015, S.  162 ff.; K. Friedemann, Sachenrecht, Mobiliar- und Immobiliarsachenrecht, Baden-Baden 2021, S. 197 f. Grundsätzlich zur Rechtfertigung des Rechtsinstituts des gutgläubigen Erwerbs bei beweglichen Sachen mit Blick auf die Gedanken des Ver­ kehrsschutzes und der Rechtssicherheit F. Rödl, Gerechtigkeit unter freien Gleichen – eine normative Rekonstruktion von Delikt, Eigentum und Vertrag, Baden-Baden 2015, S.  238 ff., 245 ff. 596  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3 ff. 597  BGH, Urteil vom 29.06.2007, Az.: V ZR 5/07. 598  Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 8.



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Dennoch können sich beim gutgläubigen Erwerb bei Herbergen Einzelfra­ gen stellen. Zum einen wurde in der Rechtsprechung diskutiert, ob ein Stock­ werkseigentum überhaupt durch einen gutgläubigen Erwerb untergehen kann, weil es sich dabei nicht nur um eine bloße Belastung eines Grundstücks wie bei einer kellerrechtlichen Dienstbarkeit handelt, die ohne weiteres einem lastenfreien Erwerb eines Grundstücks unterliegen kann.599 Das Oberlandes­ gericht Stuttgart hat aber dann in Übereinstimmung mit Art. 181 I EGBGB, § 892 BGB und damit zu Recht klargestellt, dass sich die Norm des § 892 BGB nicht nur auf Belastungen des Grundeigentums, sondern insbesondere auch auf den Rechtsbestand des Grundeigentums als solches bezieht, wes­ halb diese Vorschrift allgemein die Richtigkeit des Grundbuchs zugunsten von demjenigen annimmt, der ein Recht an einem Grundstück oder ein Recht an einem solchen Recht durch Rechtsgeschäft erwirbt, es sei denn, dass ein Widerspruch im Grundbuch ausdrücklich eingetragen ist oder der Erwerber positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuchs hat.600 Damit kann ein Stockwerkseigentum durch einen lastenfreien Erwerb des stockwerksei­ gentumsrechtlich betroffenen Grundstücks untergehen, wenn das zu erwer­ bende Grundstück unbelastet und der Erwerber im guten Glauben ist.601 In diesem Zusammenhang aber kann sich vor allem beim Vorliegen von zwei Grundstücken das Problem einer grundbuchmäßigen Doppelbuchung stel­ len.602 „Eine Doppelbuchung ist gegeben, wenn (…) (etwa) eine bestimmte Grundstücksfläche oder ein Teil davon (versehentlich) auf zwei Grundbuch­ blättern gebucht und verschiedenen Eigentümern zugeordnet ist.“603 Bei ei­ nem Stockwerksrecht wäre dies der Fall, wenn sich aus den verschiedenen Grundbuchblättern jeweils ein besonderes Eigentum etwa an einem Raum 599  So OLG Karlsruhe, BWNotZ 1987 (3), 18: „Da Stockwerkseigentum echtes Sondereigentum und keine bloße Belastung eines Grundstücks ist, kann es auch bei (einem) gutgläubigen lastenfreien Erwerb des Grundstücks nicht erlöschen.“ 600  OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85). Grundsätzlich zu den Anforderungen an den guten Glauben des Erwerbers mit Blick auf § 892 BGB R. Weber, Sachenrecht, Band II: Grundstücksrecht, 4. Aufl., Baden-Baden 2015, S. 169; K. Friedemann, Sachenrecht, Mobiliar- und Immobiliar­ sachenrecht, Baden-Baden 2021, S. 200 f. 601  OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85). 602  Zur Thematik von grundbuchmäßigen Doppelbuchungen RGZ 56, 58, (60); 130, 64, (67); BGH, Urteil vom 14.02.1969, Az.: V ZR 130/65; BGH, Urteil vom 19.10.2007, Az.: V ZR 211/06; OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85); R. Weber, Sachenrecht, Band II: Grundstücks­ recht, 4. Aufl., Baden-Baden 2015, S. 171. 603  RGZ 39, 241, (242 f.); 56, 58, (60); OLG Stuttgart, BWNotZ 78, 124, (124 f.); OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85); R. Weber, Sachenrecht, Band II: Grundstücksrecht, 4. Aufl., Baden-Baden 2015, S. 171.

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bzw. Keller für die unterschiedlichen Eigentümer der benachbarten Grund­ stücke ergeben würde.604 Nur in diesem Fall würde der Gutglaubensschutz des § 892 BGB entfallen, so dass ein lastenfreier Erwerb ausgeschlossen wäre.605 Eine Doppelbuchung scheidet nach der Rechtsprechung aber sogar dann aus, wenn ein besonderes Eigentum bezüglich eines auf dem Nachbar­ grundstück gelegenen Raumes zugunsten des Eigentümers des sich direkt daneben befindenden Grundstücks auf dessen Grundstücksblatt ausdrücklich vermerkt ist, dem Grundstücksblatt des Nachbarn dagegen aber keine ent­ sprechende Eintragung im Grundbuch zu entnehmen ist.606 Liegt eine den öffentlichen Glauben des Grundbuchs aufhebende Doppelbuchung hinsicht­ lich einer (stockwerks)eigentumsrechtlichen Rechtsposition dagegen nicht vor, und steht darüber hinaus lediglich ein beschränktes dingliches Recht in Rede, kommt es nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landes­ gerichts für einen lastenfreien Erwerb ausschließlich auf etwaige Eintragun­ gen auf dem dienenden Grundstück an, während dagegen solche auf dem herrschenden Grundstück nur deklaratorischer Natur sind.607 Maßgebend für den Erwerb einer Dienstbarkeit ist damit ausschließlich die Eintragung im Grundbuch des dienenden Grundstücks zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbs des herrschenden Grundstücks. Ohne Bedeutung ist es dagegen, ob das sub­ jektiv-dingliche Recht auch gemäß § 9 GBO auf dem Grundbuchblatt des herrschenden Grundstücks vermerkt ist.608

604  Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, wo eine Doppelbuchung dann aber gerade verneint wird. 605  RGZ 39, 241, (242 f.); 56, 58, (60); 130, 64, (67); BGH, Urteil vom 14.02.1969, Az.: V ZR 130/65; BGH, Urteil vom 19.10.2007, Az.: V ZR 211/06; OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85); R. Weber, Sachenrecht, Band II: Grundstücksrecht, 4. Aufl., Baden-Baden 2015, S. 171. „Ist dies der Fall, dann heben sich beide Eigentumseintragungen in ihren Wirkungen ge­ genseitig auf, da zwei verschiedene Eigentümer eines und desselben Grundstückes wegen der Ausschließlichkeit des Eigentumsrechtes nicht bestehen können. Der Glaube des Grundbuches versagt; keiner der beiden Eigentümer kann sich zum Nach­ weise seines Eigentumsrechtes auf den Inhalt des Grundbuches berufen (…).“; RGZ 39, 241, (243). 606  OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (86). 607  BayObLGZ 1969, 284, (292); BayObLGZ, Der deutsche Rechtspfleger 1979, 381, (381 f.); BayObLG, MittBayNot 1979, 225; OLG München, Beschluss vom 30.05.2016, Az.: 34 Wx 266/15; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 33; H. Schmitt, Die Beschreibung altrechtlicher Kellerrechte im Grundbuche, Zeitschrift für das Notariat, für die freiwillige Gerichtsbarkeit und das Grundbuchwesen in Bayern 1916, S. 231 f. 608  BayObLG, MittBayNot 1979, 225; OLG München, Beschluss vom 30.05.2016, Az.: 34 Wx 266/15.



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Eine weitere Einzelfrage zum gutgläubigen Erwerb kann sich mit Blick auf die Möglichkeit der Bestellung einer Grunddienstbarkeit bzw. einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit an dem gesamten Grundstück zulasten des Mitei­ gentumsanteils eines Stockwerkseigentümers bzw. Herbergsbesitzers im Sinne von Art. 62 BayAGBGB609 analog der von der höchstrichterlichen Rechtspre­ chung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätze stellen.610 Diese rechtliche Option, die von den Vorschriften der Art. 62 BayAGBGB, § 1009 I BGB vorausgesetzt wird,611 entspricht dem Wesen des bayerischen Stock­ werkseigentums nach Art. 62 BayAGBGB, der die gemeinschaftliche Grund­ fläche als konstituierendes Moment ansieht und nach deren Maßgabe die aus­ schließlichen Benutzungsteile entsprechend zugeordnet werden.612 In der Rechtsprechung ist die Frage aber umstritten, ob von dem Erwerber eines ide­ ellen miteigentumsrechtlichen Grundstücksanteils gutgläubig die auf dem ge­ meinschaftlichen Grundstück gebuchte Grunddienstbarkeit insgesamt „weger­ worben“ werden kann.613 Von einem Obergericht wird insoweit gegen einen gutgläubigen Wegerwerb der Grunddienstbarkeit angeführt, dass an einzelnen ideellen Miteigentumsanteilen keine Grunddienstbarkeit bestehen kann und insoweit auch ein Gutglaubensschutz für den Bruchteilserwerber äußerst frag­ lich erscheint.614 Nun ist für einen unechten Miteigentumsverband aus mehre­ ren stockwerkseigentumsrechtlichen Einheiten bzw. Herbergen zunächst an­ zuführen, dass die konkrete Aufteilung der einzelnen Wohneinheiten ein­ schließlich des Grundstücks und auch etwaige auf der Grundfläche lastende Grunddienstbarkeiten für den Erwerber erkennbar sind, weshalb der Erwerber von der Belastung regelmäßig Kenntnis haben wird.615 Sollte aber das Grund­ buch einmal ausnahmsweise die Grunddienstbarkeit nicht enthalten und inso­ 609  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3 ff. 610  Vgl. BGH, Beschluss vom 17.01.2019, Az.: V ZB 81/18. 611  BayObLG, Beschluss vom 18.12.1991, BReg. 2 Z 149/91 = BayObLG, Mitt­ BayNot 1992, 198, (199); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 45 f. 612  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 287 f., 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 319. 613  Siehe hierzu die entsprechenden Nachweise der Rechtsprechung. Bejahend OLG Thüringen, Beschluss vom 02.02.2012, Az.: 9 W 390/11; verneinend dagegen OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2010, Az.: 3 W 246/09, tendenziell in diese Richtung auch OLG Rostock, Beschluss vom 02.06.2014, Az.: 3 W 24/13. 614  OLG Rostock, Beschluss vom 02.06.2014, Az.: 3 W 24/13. 615  Vgl. zur grundbuchmäßigen Behandlung des Stockwerkseigentums in Bayern W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen

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weit unrichtig sein, dann wird man entgegen der Ansicht des Oberlandes­ gerichts Rostock ausschließlich auf objektive Kriterien abzustellen haben und nicht auf die hypothetische Annahme, wonach der Bruchteilserwerber nicht mit einer entsprechenden Belastung rechnen kann, womit schließlich ein las­ tenfreier Erwerb ausscheiden müsste.616 Auch hier ist vielmehr im Ergebnis entscheidend, dass sich die Vorschrift des § 892 BGB auf den Rechtsbestand des Grundeigentums als solchen bezieht und der gutgläubige Erwerber vor nicht eingetragenen Belastungen geschützt werden soll,617 weshalb ein lasten­ freier gutgläubiger Erwerb des Miteigentumsanteils unter Einschluss eines entsprechenden Wegerwerbs der auf dem gesamten Grundstück gebuchten Grunddienstbarkeit möglich ist.618 Eine letzte Einzelfrage stellt sich im Hinblick auf Art. 189 I 3 EGBGB, der eine Neubegründung von Stockwerkseigentum nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs als unzulässig erklärt.619 Ein lastenfreier Er­ werb eines Grundstücks, das vormals mit dem Nachbargrundstück zu einer Grundfläche vereinigt war, kann grundsätzlich dazu führen, dass vormals zu dem heutigen Nachbargrundstück gehörende Stockwerksrechte an dem da­ mals mit einem Wohnhaus bebauten Gesamtgrundstück lastenfrei erworben werden können und damit nun einen Bestandteil des eigenen Stockwerksei­ gentums bilden.620 Ein Kellerraum etwa, der sich ausschließlich auf dem Grundstück des Erwerbers dieses Grundstücks befindet, kann vor dem Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 7 jeweils m. w. N. 616  Vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 02.06.2014, Az.: 3 W 24/13. 617  OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85). 618  So OLG Thüringen, Beschluss vom 02.02.2012, Az.: 9 W 390/11. 619  Vgl. H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253, 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürger­ lichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigen­ tumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50– 218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3. 620  Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84.



I. Herbergsrecht in der Kemptener Fürstabtei455

01.01.1900 Stockwerkseigentum zugunsten einer Wohneinheit des heutigen Nachbargrundstücks gewesen sein.621 Aufgrund eines späteren Übertragungs­ fehlers wird der Kellerraum als Stockwerkseigentum des Nachbarn auf des­ sen Grundbuchblatt aber nicht mehr vermerkt, bei dem anderen Eigentümer findet sich im Grundbuchblatt dagegen nur ein Vermerk auf den Kellerraum ohne eine stockwerkseigentumsrechtliche Erwähnung.622 In diesem Fall geht das Stockwerkseigentum trotz Art. 182 EGBGB aufgrund des lastenfreien Erwerbs des Grundstücks, unter dem sich der Kellerraum befindet, im Sinne von § 892 BGB unter,623 und wird nun aber eigentlich implizit Bestandteil der Nachbarherberge, womit eine Neubegründung von Stockwerkseigentum einhergehen kann, wenn das andere Gebäude vormals Teil der Gesamther­ berge war und heute eine einzelne Herberge darstellt. Auch hier gilt aber wieder, dass nur das zum 01.01.1900 bestehende Stockwerkseigentum beste­ hen bleibt.624 Der dazu erworbene Raum ist deshalb als normales Eigentum ohne stockwerkseigentumsrechtlichen Belastungsstatus zu behandeln, Art. 181 I EGBGB, § 892 BGB.625 Der Schutz des Art. 182 EGBGB begrün­ det keine Ewigkeitsgarantie, sondern findet seine Grenze in den Erwerbsund Übertragungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs.626 621  Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84. 622  So die Fallkonstellation in OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84 in hier abgewandelter Form. 623  OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85). 624  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerks­ eigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Ein­ führungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einfüh­ rungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Ab­ teilung 1999 (116), 384, (388); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Woh­ nungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3. 625  OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85 f.). 626  Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84, (85); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 8.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

II. Kellerrecht 1. Die geltenden Rechtsquellen Das bayerische Herbergsrecht kennt die Unterscheidung von Stockwerks­ eigentum, das sich auf Gebäudeteile und Räume oberhalb der Grundstücks­ fläche beziehen kann, und etwaigen altrechtlichen Kellerrechten, die an be­ stimmten Räumen unterhalb der Erdoberfläche bestehen, wenngleich nach der Geschichte der Kellerrechte in Bayern auch Sondereigentum an Kellern verbreitet war627 und die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landes­ gerichts zudem Stockwerkseigentum an Kellern ausdrücklich als möglich anerkannt hat.628 Daneben kommen als altrechtliche Kellerrechte in Bayern superfiziarische Nutzungsrechte, Platzrechte sowie Dienstbarkeiten in Be­ tracht.629 Für die rechtliche Beurteilung von altrechtlichen Kellerrechten ist es grundsätzlich entscheidend, die entsprechenden Rechtsquellen aufzufin­ den. Denn nach Art. 189 I 1 EGBGB beurteilt sich ein altrechtliches Keller­ recht an einem Grundstück zunächst nach dem vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 bestehenden Rechtszustand.630 Dies läuft konform mit der Vorschrift des Art. 184 EGBGB, die besagt, dass Rechte, mit denen eine Sache oder ein Recht zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs belastet ist, mit dem sich aus den bisherigen Ge­ setzen ergebenden Inhalt und Rang grundsätzlich bestehen bleiben, soweit 627  OAG München, Urteil vom 23.02.1867, Seufferts Blätter für Rechtsanwen­ dung in Bayern, Bd. 32, S. 297 = Seufferts Archiv XXI Nr. 99; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 72; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 25; A. Kreilinger, Das Kellerrecht – Systemati­ sche Darstellung altrechtlicher Kellerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 1; vgl. auch N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerks­ eigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 4 f. Zu Kellerrechten im hohenzollerischen Landesteil von Baden-Württemberg O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BW­ NotZ 2002 (3), 58, (59); zu Kellerrechten nach Württembergischem Landrecht LG Ulm, DNotZ 1971, S. 627; zu Kellerrechten in der bayerischen Pfalz, wo Stockwerks­ eigentum an Kellern neben Superfiziarrechten möglich war H. v. Schneider, Das Ge­ setz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 190 ff.; zu Kellerrecht nach französisch-rheinischem Recht OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14. 628  BayObLGZ 22, 270, (271). 629  BayObLGZ 1967, 397, (399) m.  w.  N.; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 13 m. w. N. 630  BayVerfGH, Beschluss vom 03.06.1960, Az.: Vf. 129 -VI -59, DNotZ 1961, 39; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 146; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 1 ff., 9.



II. Kellerrecht457

sich nicht aus den Artikeln 192 bis 195 ein anderes ergibt.631 Der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, auch bekannt als Baierisches Landrecht,632 galt im ehemaligen Kurfürstentum Bayern als partikularrechtliche Kodifika­ tion und enthielt auch eine Regelung zu einem superfiziarischen Recht, dem aber eine andere Bedeutung als den superficies nach gemeinem römischem Recht zukam, die als vererbliche und veräußerliche dingliche Rechte inhalt­ lich auf eine eigentumsgleiche Benutzung einer auf fremden Grund befindli­ chen Sache gerichtet waren.633 Im vierten Theils, siebentes Kapitel des Codex Maximilianeus Bavaricus civilis war insoweit in § 34 geregelt, dass „das sogenannte Jus superficiarium und libellarium oder Zimmer-Recht in hiesi­ gen Landen von obigem Grund-Zins-Rechte nicht unterschieden (ist), außer soweit etwa die Pacten ein anderes geben.“634 Wie sich bereits dem Wortlaut dieser Vorschrift entnehmen lässt, gelten für diese Art von superfiziarischem Recht die Grundsätze des Grundzinsrechts, § 33 des vierten Theils, siebentes Kapitel des Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, womit sich dieses Rechtsinstitut aus heutiger Sicht als eine frühe Form der Reallast darstellte, weshalb der Superfiziar einen Zins oder auch Naturalien für die Nutzung des Grundstücks erbringen musste und dafür eine eigentümerähnliche Stellung eines quasi dominus an dem konkreten Objekt des superfiziarischen Rechts­ verhältnisses wie der grundzinsbelasteten Grundfläche oder einem noch zu errichtenden Gebäude oder Zimmer innehatte.635 Dieses Jus superficiarium bezog sich aber nur auf die Oberfläche, so dass der dominus superficiarius auf die Oberfläche zwar z. B. ein Gebäude oder einen sonstigen Raum bauen konnte, aber nicht unterhalb der Erdoberfläche, weshalb die Errichtung eines Gebäudes auf einem unterbauten Fundament nicht möglich war.636 Dies ist 631  BayVerfGH, Beschluss vom 03.06.1960, Az.: Vf. 129 -VI -59, DNotZ 1961, 39; BayObLGZ, Der deutsche Rechtspfleger 1979, 381, (381 f.); H. Sprau, Justizge­ setze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 13; F. Säcker, in: Münch­ Komm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Ein­ führungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 1 ff.; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 1 ff. 632  W. v. Kreitmayr, Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, oder: Baierisches Landrecht, München 1821. 633  A. Kreilinger, Das Kellerrecht – systematische Darstellung altrechtlicher Kel­ lerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 3, 29 f. 634  W. v. Kreitmayr, Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, oder Baierisches Landrecht, München 1821, S. 526; vgl. A. Kreilinger, Das Kellerrecht – systemati­ sche Darstellung altrechtlicher Kellerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 29. 635  Siehe hierzu W. v. Kreitmayr, Anmerkungen über den Codex Maximilianeus Bavaricum civilis, Band IV, München 1765, S. 492 f. 636  Siehe W. v. Kreitmayr, Anmerkungen über den Codex Maximilianeus Bavari­ cum civilis, Band IV, München 1765, S. 491 mit weiterem Nachweis der Mindermei­

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

der Grund, warum diese Art von superfiziarischem Recht auch als Flächen-, Platz- oder Zimmerrecht bezeichnet wurde.637 Damit aber war dieses super­ fiziarische Rechtsinstitut nach dem Baierischen Landrecht auf etwaige Kel­ lerrechte nicht anwendbar, so dass insoweit das gemeine Recht galt.638 Ande­ rerseits kannte der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis im siebenten Ka­ pitel des zweiten Theils bereits das Rechtsinstitut der „Servitutibus“, d. h. der Dienstbarkeiten,639 die neben einer Bestellung durch Vertrag auch still­ schweigend entstehen konnten, so dass sich etwaige Kellerrechte daraus, subsidiär aber auch aus dem gemeinen Recht, ergeben konnten.640 Nach dem Baierischen Landrecht wurden zudem Personalservitute, die heute im We­ sentlichen einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit entsprechen, von den sogenannten Realservituten unterschieden, die mit dem Institut der heutigen Grunddienstbarkeit weitgehend übereinstimmten.641 In der Kemptener Fürstabtei dagegen gab es kein Partikularrecht hinsicht­ lich der Kellerrechte.642 Auch hier galt aber neben dem partikularen stiftischzivilrechtlichen Vorschriften, d. h. den Statuten des Fürstentums Kempten, „in subsidium“ das gemeine römische Recht und damit wiederum die Vor­ schriften zu den superficies.643 Auch enthielten die Kemptener Statuten von einer durch reichsfürstliche Verordnung vom 22.09.1741 verfügten Abschaf­ nung; A. Kreilinger, Das Kellerrecht – systematische Darstellung altrechtlicher Kel­ lerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 29 f. 637  So W. v. Kreitmayr, Anmerkungen über den Codex Maximilianeus Bavaricum civilis, Band IV, München 1765, S. 491. 638  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 41; A. Kreilinger, Das Kellerrecht – systematische Darstellung altrechtlicher Kellerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 29 f. 639  W. v. Kreitmayr, Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, oder Baierisches Landrecht, München 1821, S. 177 ff. 640  A. Kreilinger, Das Kellerrecht – systematische Darstellung altrechtlicher Kel­ lerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 34 ff. Dies wird in Bay­ ObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1427), im Ergebnis nicht hinreichend berücksichtigt. 641  BayObLGZ 70, 226, (230); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 16. Daneben gab es noch irreguläre Personalservitute, die in der Regel Gemeinden zustanden; BayObLGZ 70, 226, (230); H. Sprau, ebd., vor Art. 57 AGBGB Rn. 16. 642  Vgl. G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S.  XLVIII f., 36 ff. 643  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S.  XLVIII f., 36 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Mün­ chen 1951, S. 19 f.



II. Kellerrecht459

fung von schädlichen Fahr- und Fußwegen im Stiftsgebiet abgesehen keine besonderen Normen zu Dienstbarkeiten, so dass insoweit ebenfalls das ge­ meine Recht Grundlage der Begründung eines entsprechenden Kellerrechts sein konnte.644 Es ist insoweit daher vielleicht in der Pauschalität kritisch zu sehen, nicht aber unbedingt sachlich unzutreffend, wenn das Bayerische Oberste Landesgericht in einem Fall zum Hochstift Würzburg zu der allge­ meinen Einleitung gelangt, dass die Kellerrechte ihren Ursprung im gemei­ nen Recht haben, das regelmäßig subsidiär gegolten hat.645 Das gemeine rö­ mische Recht war Vorbild für die partikularen Gesetzgebungen der deutschen Staaten im 17. und 18. Jahrhundert.646 Allein es gilt hinsichtlich der altrecht­ lichen Kellerrechte zunächst aber stets das Partikularrecht nach besonderen Normen zu untersuchen, bevor das gemeine Recht in den Mittelpunkt der rechtlichen Beurteilung von Kellerrechten rücken kann.647 2. Entstehung und Aufhebung von altrechtlichen Kellerrechten Für die Entstehung von altrechtlichen Kellerrechten enthält Art. 189 I 3 EGBGB zunächst eine Grenze. Danach kann ein nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs unzulässiges Recht nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mehr begründet werden.648 Diese Vorschrift 644  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. XLVIII f., 36 ff., v. a. S. 112. 645  BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1427). 646  H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Hei­ delberg 2005, S. 59 ff. 647  Vgl. BayObLGZ 70, 226, (229); BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1427); H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S.  59 ff. 648  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/ Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommen­ tar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

verdrängt in ihrem Anwendungsbereich auch den Grundsatz des Art. 189 I 1 EGBGB, wonach der Erwerb und Verlust des Eigentums sowie die Begrün­ dung, Übertragung, Belastung und Aufhebung eines anderen Rechts an einem Grundstück oder eines Rechts an einem solchen Recht auch nach dem In­ krafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach den bisherigen Gesetzen er­ folgen, bis das Grundbuch als angelegt anzusehen ist.649 Abgesehen von der grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Neubegründung von unter dem Bürger­ lichen Gesetzbuch nicht mehr möglichen Rechten wird das Bürgerliche Ge­ setzbuch nach Art. 189 I 1 EGBGB zunächst bis zur Anlegung des Grund­ buchs suspendiert und hat auf die entsprechenden Altrechte auch mit der später dann erfolgenden Anlegung keine rückwirkende Kraft.650 Durch die Bestimmung des Art. 189 I 3 EGBGB hat der Reichsgesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass nach dem 01.01.1900 nur noch die Begründung von Rechtsinstituten möglich sein soll, die unter dem Bürgerlichen Gesetz­ buch zulässig sind, weshalb Stockwerkseigentum und altrechtliche superfi­ ziarische Nutzungs- und Platzrechte an Kellerräumen nach diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht mehr zu begründen sind.651 Für Dienstbarkeiten gilt dies im Grunde aber nicht, weil sich das Verbot des Art. 189 I 3 EGBGB nur gegen dingliche Rechte richtet, die ihrer Art nach unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch unzulässig sind, nicht aber gegen an sich zulässige Rechte, die von der alten Rechtsordnung nur mit einem ganz oder teilweise unzulässigen Inhalt erfüllt worden waren.652 Die Entstehung von etwaigen altrechtlichen Kellerrechten richtete sich deshalb in den Grenzen des Normierungsgehaltes des Art. 189 I 3 EGBGB ausschließlich nach dem alten Recht.653 Nach der Anlegung der Grundbücher können dann nur noch Dienstbarkeiten an frem­ 649  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 (zu Art. 42 BayÜGBGB); Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 184 EGBGB Rn. 1, 3, Art. 189 EGBGB Rn. 1. 650  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 249 ff.; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 184 EGBGB Rn. 1, 3, Art. 189 EGBGB Rn. 1. 651  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253; F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsge­ setz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 2. 652  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253. 653  Vgl. F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 249 ff.; Palandt/Herrler, Bürger­ liches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 184 EGBGB Rn. 1, 3, Art. 189 EGBGB Rn. 1.



II. Kellerrecht461

den Kellern begründet werden, die sich nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch richten.654 Für das ehemalige Hoheitsgebiet des Fürststifts Kempten kann im Ergeb­ nis festgehalten werden, dass partikulare Vorschriften für etwaige Keller­ rechte nicht vorhanden waren.655 Nach der Auflösung der Kemptener Fürst­ abtei im Jahre 1803 ging dieses im Königreich Bayern auf,656 wo der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Ge­ setzbuchs galt.657 Damit war im Bereich des vormaligen Fürststifts Kempten für die Begründung von altrechtlichen Kellerrechten bis Anfang des 19. Jahr­ hunderts ausschließlich das gemeine Recht anwendbar, danach aber das Baierische Landrecht und subsidiär das gemeine Recht.658 Nachdem der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis das Rechtsinstitut der superficies für Kellerräume nicht kannte, galten für die Entstehung von superfiziarischen Nutzungsrechten bzw. auch Platzrechten die allgemeinen Grundsätze des gemeinen römischen Rechts, wonach ein dingliches Superfiziarrecht an ei­ nem Keller durch Vertrag, Ersitzung, wobei der zu ersitzende Raum zu dieser Zeit bereits erbaut gewesen sein musste, um den Tatbestand der Ersitzung begründen zu können, letztwillige Verfügung oder Richterspruch entstehen konnte.659 Altrechtliche Dienstbarkeiten richteten sich hinsichtlich ihrer Ent­ 654  Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.02.1989, Az.: 9 U 193/88 = NJW-RR 1989, 596, (596 f.). 655  Vgl. G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S.  XLVIII f., 36 ff. 656  R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vor­ ort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 36 ff.; F.-R. Böck, Die Säkularisation des Fürststifts Kempten, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 395 ff.; vgl. W. Pötzl, Brauchtum im Landgericht und Bezirksamt Kempten im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Allgäuer Geschichtsfreund 1989 (89), S. 79 m. w. N. 657  M. Danzer, Das bayerische Landrecht (Codex Maximilianeus Bavaricus civi­ lis) vom Jahre 1756 in seiner heutigen Geltung, München 1894, Vorwort, S. III f. 658  Vgl. G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S.  XLVIII f., 36 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, Mün­ chen 1969, S. 41; A. Kreilinger, Das Kellerrecht – systematische Darstellung altrecht­ licher Kellerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 29 f. 659  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 62 ff.; A. Kreilinger, Das Kellerrecht – sys­ tematische Darstellung altrechtlicher Kellerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Re­ gensburg 2003, S. 6 ff.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

stehung im Bereich der ehemaligen Kemptener Fürstabtei dagegen zunächst nach dem gemeinen Recht, nach der Auflösung des Stifts dann nach den entsprechenden Vorschriften des Baierischen Landrechts, wobei sich aus der vormaligen Geltung des gemeinen Rechts in Bezug auf die Entstehungs­ gründe keine wesentlichen Abweichungen ergaben.660 Anerkannt war deshalb allgemein, dass eine altrechtliche Dienstbarkeit durch einen rechtsgeschäft­ lichen Erwerb, d. h. durch Vertrag und die entsprechende Überlassung des dienenden Grundstücks an den Berechtigten, entstehen konnte, wobei dies grundsätzlich die Einhaltung der Schriftform, nach dem späteren Inkrafttre­ ten des Bayerischen Notariatsgesetzes am 01.07.1862 darüber hinaus zudem eine notarielle Urkunde mit der förmlichen Erklärung des Bestellers voraus­ setzte, durch Ersitzung infolge eines ununterbrochenen fehlerlosen Besitz­ stands während einer Besitzungszeit von fünf bis fünfzig Jahren, wobei die Ersitzung zum Zeitpunkt der Anlegung des Grundbuches beendet sein musste, sowie durch eine unverdenkliche Verjährung, wobei für diesen Erwerbstatbe­ stand maßgebend war, dass die altrechtliche Nutzung insgesamt vierzig Jahre angedauert hatte und auch hinsichtlich der davor liegenden vierzig Jahre keine anderslautenden Anhaltspunkte hinsichtlich der vorherigen Generatio­ nen vorlagen, was durch entsprechende Beweismittel bewiesen werden muss.661 Zudem konnte eine altrechtliche Dienstbarkeit auch durch einen 660  BayObLGZ 10, 199, (206 f.); OLG München, Beschluss vom 19.08.2010, Az.: 34 Wx 34/10 in Bezug auf stillschweigende Bestellungen von altrechtlichen Grund­ dienstbarkeiten; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50– 218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 5 f. In BayObLGZ 10, 199, (206 f.) führt das oberste bayerische Zivilgericht aus, dass die unverdenkliche Verjährung auch im ge­ meinen Recht anerkannt war. 661  H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3.  Aufl., München 2015, S.  146 ff.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn.  18 ff.; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., Mün­ chen 2019, Art. 184 EGBGB Rn. 3. Zur notariellen Verlautbarung BayObLGZ 11, 455, (468); Bay-ObLGZ 1962, 70, (73); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 18; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kom­ mentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 6. Zur Ersitzung Bay­ ObLGZ 10, 199, (205 ff.); BayObLGZ 11, 455, (463 ff., 470); BayObLGZ 12, 208, (215 ff.); BayObLGZ 21, 225; (231 f.); BayObLGZ 1959, 478, (480); BayObLGZ 1962, 341, (354); BayObLGZ 1996, 286, (292); BayObLG, NJW-RR 1998, 304, (305); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 21. Zu dem Rechtsinstitut der unverdenklichen Verjährung BayVerfGH, Beschluss vom 03.06.1960, Az.: Vf. 129 -VI -59, DNotZ 1961, 39 ff.; BayObLGZ 10, 199, (205 ff.); BayObLGZ 1962, 70, (78); BayObLGZ 1982, 400, (406); BayObLGZ 1994, 129, (139); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 22; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 6; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 148 mit Nachweis der Gegenansichten in Fn. 278; vgl. auch BGH, NJW 1979, 2614, (2616 f.).



II. Kellerrecht463

entsprechenden Hoheitsakt begründet werden.662 Daneben war im Königreich Bayern aber zudem anerkannt, dass altrechtliche Dienstbarkeiten auch still­ schweigend bestellt werden bzw. entstehen konnten, was insbesondere bei der Teilung von Grundstücken, die in der Hand eines Eigentümers waren, vorkam, indem dieser auch nach der Teilung noch ein wirtschaftliches Inter­ esse an dem nun abgeteilten dienenden Grundstück hatte, was dogmatisch von dem Bayerischen Obersten Landesgericht zu Beginn des 20. Jahrhun­ derts auf einen ergänzenden Rechtssatz als hypothetische Bestimmung des unter vernünftigen Vertragsparteien unter Rekurs auf den bestehenden Kon­ sens Geltenden zurückgeführt wurde,663 oder aber auch auf einer konkluden­ ten Anerkennung durch nachbarschaftliche Nichtreklamation beruhen konn­ te.664 Die Beweislast für das Bestehen altrechtlicher Kellerrechte liegt aber stets bei demjenigen, der sich auf die Rechtsposition beruft,665 wobei es mangels bestehender Zeitzeugen oftmals schwierig sein kann, die entspre­ chenden Beweise zu erbringen, was regelmäßig nur durch entsprechende Eintragungen im Urkataster oder sonstige Urkunden erfolgen kann.666 Für den Verlust und die Aufhebung von altrechtlichen Kellerrechten ist wiederum der intertemporäre Charakter der Normen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch zu beachten.667 Nach Art. 189 I 1, III EGBGB erfolgen sowohl der Verlust des Eigentums wie die Aufhebung eines anderen 662  BayObLGZ 3, 500, (500, 508 f.) zu einem fürstbischöflichen Erbbestandbrief aus dem Jahre 1792; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 19. 663  BayObLGZ 11, 455, (468  f.) m.  w.  N.; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 6. 664  RGZ 13, 249, (252); BGH, NJW 1971, 2071; BayObLGZ 11, 455, (467 ff.); BayObLGZ 1962, 70, (75 f.); OLG München, Beschluss vom 19.08.2010, Az.: 34 Wx 34/10; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 20 m. w. N. zur bayerischen Rechtsprechung; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nach­ barrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 146 ff. 665  BayVerfGH, Beschluss vom 03.06.1960, Az.: Vf. 129 -VI -59, DNotZ 1961, 39, (40 f.); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 24; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 149; F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internatio­ nales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25– 248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetz­ buch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 184 EGBGB Rn. 3. Siehe zum Be­ weis hinsichtlich der Entstehungsgründe BayObLGZ 1970, 226, (234); BayObLGZ 1988, 102, (106); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 9. 666  Vgl. G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bay­ ern, ZfV 1878 (3), S. 145 ff.; K.-H. Zweckerl, Erster urkundlicher Besitznachweis, der Urkataster, in: J. Dietz (Hrsg.), Chronik der Juradörfer, Weiden 2012, S. 32. 667  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 249 ff.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Rechts an einem Grundstück nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Ge­ setzbuchs nach den bisher geltenden Gesetzen, bis das Grundbuch als ange­ legt anzusehen ist und auch noch bis eine altrechtliche Belastung überhaupt eingetragen wird. Im Landgerichtsbezirk Kempten galt das Grundbuch ab dem 01.05.1909 als angelegt.668 Neben der einvernehmlichen Aufhebung von altrechtlichen Kellerrechten können solche daher nach dem Einführungs­ gesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch im Rahmen der zeitlichen Maßstäbe der Vorschrift des Art. 189 EGBGB grundsätzlich auch durch partikularrecht­ liche Löschungsgründe untergehen.669 Aufgrund der mannigfaltigen Erlö­ schungsgründe nach dem altbayerischen Recht hat der Bayerische Gesetzge­ ber nach Art. 218 EGBGB mit den Vorschriften der Art. 11–17 BayÜGBGB aber Änderungsregelungen erlassen, die abschließend festlegten, unter wel­ chen Bedingungen altrechtliche Dienstbarkeiten erlöschen sollten.670 Nach der Norm des Art. 11 BayÜGBGB galten für altrechtliche Grunddienstbar­ keiten, die nach den bestehenden Vorschriften vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs entstanden und nicht in das Grundbuch eingetra­ gen worden sind, von der Zeit der Anlegung des Grundbuchs an ausschließ­ lich die Vorschriften der Art. 12–17 BayÜGBGB.671 Damit ist gesetzlich geregelt worden, dass in Bayern nach der Anlegung des Grundbuchs sonstige Erlöschungsgründe nach partikularrechtlichen Normen keine Anwendung mehr finden sollten, mit Ausnahme der für alle Rechte geltenden allgemei­ nen Erlöschungsgründe.672 Etwaige altrechtliche Erlöschungsgründe wie etwa der heute auch gesetzlich normierte dauernde Nichtgebrauch oder die eintretende Obsoleszenz durch eine auf Dauer unmöglich gewordene Aus­ übung fanden grundsätzlich nur noch bis zur Anlegung des Grundbuchs An­

668  Hypothekenbuch der Gemeinde Sankt Lorenz, Bd. XX, Blatt 443; Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Über 100 Jahre Grundbuch – über 100 Jahre Rechtssicherheit, Stand 05/2008, München 2008, S. 5. 669  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 254. 670  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 242  f. (Vorb. zu Art. 11–17 BayÜGBGB). 671  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 242  f. (Vorb. zu Art. 11–17 BayÜGBGB). Die Vorschrift des Art. 11 BayÜGBGB hatte den folgenden Wortlaut: „Von der Zeit an, zu welcher das Grundbuch als angelegt anzusehen ist, gelten für das Erlöschen von Grunddienstbarkeiten, die nach den bisherigen Vorschriften entstanden und nicht in das Grundbuch eingetragen sind, die Vorschriften der Art. 12–17.“; abge­ druckt bei W. v. Henle/H. v. Schneider, ebd., S. 244. 672  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 243  ff. (Vorb. zu Art. 11–17 BayÜGBGB).



II. Kellerrecht465

wendung.673 Nicht erfasst wird dagegen die Regelung, wonach eine bestellte Personalservitut, wenn der Berechtigte nach § 5 GBBerG hypothetisch ein­ hundertzehn Jahre ist, untergeht.674 Die Normen der Art. 11–17 BayÜGBGB sind von dem Bayerischen Gesetzgeber durch Art. 80 II Nr. 2 BayAGBGB formal aufgehoben worden.675 Inhaltlich entsprachen sie aber weitgehend den heute in Geltung stehenden Vorschriften der Art. 56–60 des Bayerischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 20.09.1982, wes­ halb die ehemaligen Normen der Art. 11–17 des Bayerischen Gesetzes, Über­ gangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuche betreffend, vom 09.06.1899 insoweit gesetzgeberisch nur ersetzt worden sind.676 Es gelten deshalb für altrechtliche Dienstbarkeiten insbesondere die Normen der Art. 57–60 in Verbindung mit Art. 56 II, III BayAGBGB, wonach eine altrechtliche Dienst­ barkeit an einem Grundstück, die nach den vor dem Inkrafttreten des Bürger­ lichen Gesetzbuchs bestehenden Gesetzen entstanden und nicht im Grund­ buch eingetragen ist, infolge der Nichtausübung innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren erlischt, oder aber mit der Vereinigung des belasteten Grundstücks in der Hand des Eigentümers untergeht, wobei bei einem Zu­ sammenfallen von Berechtigung und Eigentum der Erwerb des entsprechen­ den Eigentumsanteils nicht ausreicht, sondern vielmehr das vollständige Ei­ gentum erworben werden muss.677 Mit den genannten Bestimmungen der 673  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 243  f. (Vorb. zu Art. 11–17 BayÜGBGB). Zu den genannten altrechtlichen Erlöschungsgründen H. Grziwotz/ R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 149. 674  Zu § 5 GBBerG H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3.  Aufl., München 2015, S. 149. 675  BayGVBl. 1982, 803; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 15. 676  Mit kleinen redaktionellen Änderungen entsprachen die Normen der Art. 11– 17 BayÜGBGB den heutigen Vorschriften der Art. 56 II, III – 60 BayAGBGB: Art. 12 BayÜGBGB entsprach Art. 57 I, 56 II BayAGBGB; Art. 13 BayÜGBGB entsprach Art. 57 I, 56 III BayAGBGB; Art. 14 BayÜGBGB entsprach Art. 57 II BayAGBGB, Art. 15 BayÜGBGB entsprach Art. 58 I, II BayAGBGB; Art. 16 BayÜGBGB ent­ sprach Art. 59 BayAGBGB; Art. 17 BayÜGBGB entsprach Art. 60 BayAGBGB. Die Vorschriften der Art. 12–17 des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuche betreffend, vom 09.06.1899 sind mit entsprechenden Kom­ mentierungen abgedruckt bei W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausfüh­ rungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 245 ff. 677  BayObLGZ 1991, 139, (144); BayObLG, BayVBl. 1993, 315; BayObLG, MittbayNot 2004, 192 zu einem Eiskeller; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Mün­ chen 1988, Art. 56 AGBGB Rn. 13 ff., Art. 57 AGBGB Rn. 1, 6 ff.; H. Grziwotz/ R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 149 f. Zur Beweis­ frage hinsichtlich der Nichtausübung BayObLG, BayVBl. 1993, 315; vgl. auch BayObLGZ 10, 199, (206 ff.), wonach nach dem Bayerischen Landrecht eine persön­ liche Dienstbarkeit für eine juristische Person auf hundert Jahre beschränkt war, wo­

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Art. 56–60 BayAGBGB hat der Bayerische Gesetzgeber erneut von seiner Änderungsbefugnis nach der Vorschrift des Art. 218 EGBGB Gebrauch ge­ macht.678 Es bleibt aber dabei, dass nach der Norm des Art. 187 I EGBGB eine altrechtliche Grunddienstbarkeit zur Erhaltung ihrer Wirksamkeit gegen­ über dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs grundsätzlich nicht der Ein­ tragung bedarf.679 Für Bayern ergibt sich dies zudem daraus, dass keine Verordnung im Sinne von § 10 II BayÜGBGB ergangen war, die einen ent­ sprechenden Eintragungszwang hätte anordnen können.680 Wenn die Eintra­ gungspflicht durch eine Verordnung im Sinne von Art. 10 II BayÜGBGB begründet worden und eine entsprechende Eintragung in das Grundbuch er­ folgt wäre, hätte die Grunddienstbarkeit gegebenenfalls durch einen gut­ gläubigen Erwerb des dienenden Grundstücks untergehen können.681 Für beschränkt persönliche Dienstbarkeiten gilt Art. 187 I EGBGB dagegen nicht.682 Wenn die Grunddienstbarkeit aber einmal eingetragen wurde, auch wenn dies unrichtigerweise geschehen ist, oder wenn sie später gegebenen­ falls auch zu Unrecht wieder gelöscht wird, nahm bzw. nimmt sie an dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs teil, so dass zugunsten eines Dritten auch ein lastenfreier Erwerb vollzogen werden kann.683 Wird die altrecht­ liche Grunddienstbarkeit dagegen nicht in das Grundbuch eingetragen, schei­ det ein Erlöschen infolge eines gutgläubigen Erwerbs aus.684 Im Übrigen ist bei die entsprechende Vorschrift zur Disposition der Parteien stand; BayObLGZ 12, 208, (216 f.). 678  Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78.  Aufl., München 2019, Art. 189 EGBGB Rn. 2. 679  Vgl. auch W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 241  f. (zu Art. 10 BayÜGBGB). 680  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 241 f. (zu Art. 10 BayÜGBGB). 681  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 412 f. 682  F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internatio­ nales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25– 248), 5. Aufl., München 2010, Art. 187 Rn. 2. 683  So BGH, Urteil vom 08.04.1988, Az.: V ZR 34/87; BayObLG, Der deutsche Rechtspfleger 1979, 381, (381 f.); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommen­ tar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 187 Rn. 3; zum Meinungsstand vor der höchstrichterlichen Klärung der Frage BayObLGZ 1971, 194, (198); 1972, 267, (270); wohl auch H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 33 f.; vgl. in diesem Zusammenhang auch W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., Mün­ chen 1931, S. 293 f. (zu Art. 44 BayÜGBGB). 684  BayObLG, Der deutsche Rechtspfleger 1979, 381; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 34; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudin­ ger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 7; F. Sä-



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in diesem Kontext vor allem die Norm des § 901 BGB zu beachten, wonach, wenn ein Recht an einem fremden Grundstück im Grundbuch mit Unrecht gelöscht ist, dieses endgültig erlischt, wenn der Anspruch des Berechtigten gegen den Eigentümer auf Duldung der Nutzung verjährt ist, wobei insoweit die Rechtsfolge des Erlöschens der Grunddienstbarkeit die Verjährung des Anspruchs aus dem dinglichen Recht voraussetzt und die Verjährungsfrist erst beginnt, wenn der Eigentümer der Dienstbarkeit zuwiderhandelt oder den Berechtigten an der durch das gelöschte, aber materiell noch bestehende Recht gesicherten Nutzung hindert.685 Außerdem kann nach der neueren Rechtsprechung eine wirksam begründete Grunddienstbarkeit nach §§ 1025 S. 2, 1019 BGB auch erlöschen, wenn infolge einer grundlegenden Verände­ rung der tatsächlich gegebenen Verhältnisse oder der Rechtsgrundlage der Vorteil, den sie dem herrschenden Grundstück zunächst geboten hat, objektiv und endgültig wegfällt, wobei die nur vage Möglichkeit, dass die Grund­ dienstbarkeit in Zukunft noch einmal einen Vorteil bietet, zu dem Erhalt der Dienstbarkeit nicht genügt.686 Wird die altrechtliche Grunddienstbarkeit da­ gegen nicht in das Grundbuch eingetragen, scheidet ein Erlöschen infolge eines gutgläubigen Erwerbs aus,687 so dass es in diesem Fall für die Auf­ hebung des Rechts bei der Anwendung der bisherigen Gesetze bleibt, Art. 189 III EGBGB.688 Ab der Eintragung in das Grundbuch aber gelten ausschließlich die Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs.689 cker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirt­ schaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art.  25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 4; a. A. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Baye­ rischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 241 (zu Art. 10 BayÜGBGB). 685  OLG Koblenz, Kellerrecht nach rheinisch-französischem Recht, NJOZ 2017, 557, (557  f.); OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 243 (Vorb. zu Art. 11–17 BayÜGBGB). 686  OLG Celle, Beschluss vom 15.08.2016, Az.: 4 U 55/16. 687  BayObLG, Der deutsche Rechtspfleger 1979, 381, (381 f.); H. Sprau, Justiz­ gesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 34; F. Säcker, in: Münch­ Komm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Ein­ führungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 4, Art. 187 Rn. 3; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kom­ mentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 187 Rn. 1; S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (420). 688  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art.  57 AGBGB Rn. 31; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 5, 7 f.; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 189 EGBGB Rn. 2. 689  BGH, Urteil vom 08.04.1988, Az.: V ZR 34/87; BGH, Wirksamkeit einer im Servitutenbuch eingetragenen Dienstbarkeit, NJW-RR 2012, 346, (347 ff.) zu Bürger­ lichem Gesetzbuch und Grundbuchordnung ab Eintragung m. w. N.; W. v. Henle/

468

C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Für das Erlöschen eines vor dem 01.01.1900 entstandenen altrechtlichen Kellerrechts in der Form eines superfiziarischen Nutzungs- bzw. Platzrechts sind einige Besonderheiten zu beachten. Auch hier richtet sich der Verlust oder die Aufhebung dieses Rechts zunächst nach den bisherigen Gesetzen, Art. 189 I 1 EGBGB. Die Quellen des gemeinen römischen Rechts enthalten aber keine speziellen Vorschriften zu dem Erlöschen eines superfiziarischen Rechts, weshalb insoweit die Normen über das ius in re und damit auch die Regelungen zu den Dienstbarkeiten bzw. zu dem Recht der Emphyteuse her­ anzuziehen sind.690 Dies bedeutet, dass ein superfiziarisches Kellerrecht auch durch Konsolidation, aber auch durch Privation erlöschen kann, wenn die in der entsprechenden Übereinkunft zur Bestellung des Superfiziarrechts festgelegten Verpflichtungen seitens des Rechtsinhabers nicht erfüllt werden, wie dies etwa bei der Nichtzahlung des vereinbarten Solariums der Fall ist.691 Daneben besteht die Möglichkeit der Dereliktion durch den Super­fiziar, inso­ fern die gegenseitigen vertraglichen Pflichten der Aufgabe des eigentums­ ähnlichen Rechts nicht entgegenstehen, der erlöschenden Verjährung, was gleichbedeutend ist mit der Ersitzung des vorbehaltlosen Eigentums, sowie des Untergangs des Kellers, wobei hier zu differenzieren ist, ob dem Super­ fiziar die vertragliche Befugnis eingeräumt ist, den zerstörten Keller wieder zu errichten.692 Nach Art. 196 EGBGB, § 40 II 1 BayAGGVG finden heute in Bayern auf an einem Grundstück bestehende vererbliche und übertragbare Nutzungsrechte die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften und auf den Erwerb eines solchen Rechts die für den Erwerb des Eigentums an ei­ nem Grundstück geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs An­ wendung. Damit gelten für die superfiziarischen Kellerrechte die Vorschriften des Grundstücksrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wobei für die rechts­ H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbu­ che, 3. Aufl., München 1931, S. 241 (zu Art. 10, Vorb. zu Art. 11–17 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 31; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 2; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 189 EGBGB Rn. 2 f. 690  A. Kreilinger, Das Kellerrecht – systematische Darstellung altrechtlicher Kel­ lerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 14 m. w. N. 691  A. Kreilinger, Das Kellerrecht – systematische Darstellung altrechtlicher Kel­ lerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 14 ff. m. w. N. auch zum Meinungsstand; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 425, 444, die aber jeweils die Fälle der Privation kritisch sehen bzw. als Erlöschungsgrund aus­ schließen. 692  A. Kreilinger, Das Kellerrecht – systematische Darstellung altrechtlicher Kel­ lerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 14 ff. m. w. N.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirth­ schaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 425, 444.



II. Kellerrecht469

geschäftliche Aufhebung eines superfiziarischen Kellerrechts die Vorschrift des § 928 BGB nicht gilt, weshalb hierfür kein besonderes Grundbuchblatt anzulegen ist.693 Durch die entsprechende Geltung der Vorschriften über Grundstücke sind superfiziarische Kellerrechte nicht nur eintragungsfähig, sondern sie können, wenn sie eingetragen werden, auch nach den für Grund­ stücke geltenden Bestimmungen im Sinne von Art. 189 III EGBGB gelöscht werden bzw. untergehen, d. h. z. B. nach den §§ 875, 876 BGB.694 Werden sie dagegen in das Grundbuch nicht eingetragen, bleibt es auch nach der Anle­ gung des Grundbuchs bei den dargelegten Erlöschungstatbeständen des vor dem 01.01.1900 geltenden Gesetzesrechts.695 Im Übrigen werden die super­ fiziarischen Nutzungs- und Platzrechte von der Rechtsprechung in rechtlich nicht ganz eindeutigen Konstellationen oftmals in entsprechende Grund­ dienstbarkeiten umgedeutet,696 weshalb in diesem Fall die für altrechtliche Dienstbarkeiten geltenden Grundsätze hinsichtlich Verlust und Aufhebung entsprechend heranzuziehen sind, was im Fall der Eintragung des Altrechts zu einem Erlöschen etwa auch nach § 901 BGB führen kann.697 Im Ergebnis wird in Bayern ein superfiziarisches Kellerrecht deshalb vor allem erlöschen, wenn wie bei den altrechtlichen Dienstbarkeiten ein nicht im Grundbuch eingetragenes Recht über einen längeren Zeitraum von über 10 Jahren nicht mehr ausgeübt wurde.698 3. Das Platzrecht als gelebtes Kellerrecht im Königreich Bayern In den Entwurf für ein Bürgerliches Gesetzbuch im Königreich Bayern aus dem Jahre 1864 wollte die seitens des Bayerischen Staatsministeriums der 693  H. Sprau,

35 f.

Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 40 AGGVG Rn. 23,

694  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 254, 258; F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsge­ setz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 4. 695  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 254; F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsge­ setz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 4. 696  Vgl. BayObLGZ 1967, 397, (399); BayObLGZ 1995, 413, (417). 697  Vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78.  Aufl., München 2019, Art.  189 EGBGB Rn. 3. 698  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 56 AGBGB Rn. 13 ff.; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 149 f.

470

C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Justiz allerhöchst eingesetzte Kommission ausdrücklich Vorschriften zu dem Rechtsinstitut des Platzrechtes aufnehmen, womit inzident zum Ausdruck gebracht wurde, dass es sich hierbei um eine gelebte Rechtspraxis an Kellern in der bayerischen Monarchie handelte, die nun positivrechtlich geregelt werden sollte.699 Die Bayerische Kommission führte insoweit aus, dass das aus dem römischen Recht bekannte Rechtsinstitut der superficies, die dem Berechtigten an einem auf fremdem Boden befindlichen und daher zu dem Eigentum an diesem Boden gehörigen Gebäude ein eigentumsähnliches, ver­ erbliches und veräußerliches Recht einräumt, aufgrund der damit verbunde­ nen Beschränkungen des Eigentums ein höchst anomales Rechtsinstitut ist, das auch in mehreren älteren und neueren Gesetzgebungen wie dem Baieri­ schen Landrecht und dem französischen Code civil keine Aufnahme gefun­ den hat.700 „Demungeachtet (aber) kann seine praktische Brauchbarkeit nicht wohl in Abrede gestellt werden, da in manchen Landestheilen dergleichen Verhältnisse altherge­ bracht sind, und namentlich kleinere Gebäulichkeiten mit superfiziarischer Berech­ tigung in der Umgebung einer Kirche auf dem zu derselben gehörigen Eigenthume oder auf den zum Eigenthume der Gemeinde gehörigen Marktplätze und dgl. bestehen.“701

Wie der Einleitung zu den vorgesehenen Normen zu dem Rechtsinstitut des Platzrechts daher entnommen werden kann, sollte dieses als inhaltsglei­ ches Surrogat für das aus dem römischen Recht bekannte Rechtsinstitut der superficies in Art. 334–340 Eingang in die geplante Kodifikation eines Bür­ gerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern finden, um der Rechtspra­ xis auch im Hinblick auf etwaige zukünftige Neubegründungen solcher Ver­ hältnisse wenigstens in Grundzügen Regelungen an die Hand zu geben.702 Die Artikel 334–340 des Entwurfs hatten den folgenden Wortlaut:703

699  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 68 f., 100 f. 700  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 100 f. 701  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 100. 702  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 100. 703  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 100.



II. Kellerrecht471 Artikel 334

Das Platzrecht ist das an einer fremden Liegenschaft erworbene vererbliche und veräußerliche Recht zur Benützung eines zu derselben gehörigen, bereits bestehenden oder herzustellenden Gebäudes, Kellers oder anderen Werkes. Artikel 335 Ueber den Umfang der Befugnisse des Platzberechtigten, sowie über seine Ver­ bindlichkeiten gegenüber dem Eigenthümer der Liegenschaft ist zuvörderst der Inhalt des Erwerbstitels maßgebend, vorbehaltlich der zur entsprechenden Anwendung kom­ menden Bestimmungen des Art. 221. Die von dem Platzberechtigten übernommene Verpflichtung zu Gegenleistungen wirkt gegen Dritte nur dann, wenn sie aus dem Grundbuche ersichtlich ist. In Ermangelung anderweitiger rechtsgiltiger Festsetzung gelten folgende Vorschrif­ ten. Artikel 336 Der Platzberechtigte kann über den Gegenstand seines Rechtes wie ein Eigenthü­ mer verfügen. Er kann denselben auf die Dauer seines Rechtes mit Dienstbarkeiten, Reallasten und Hypotheken belasten. War der Gegenstand des Platzrechtes zur Zeit der Begründung des letzteren schon vorhanden, oder ist er von dem Eigenthümer der Liegenschaft auf dessen Kosten hergestellt, so kann der Berechtigte keine Veränderungen an diesen Gegenständen eigenmächtig vornehmen, durch welche deren Bestimmung wesentlich geändert oder deren Werth erheblich gemindert wird. Artikel 337 Die Kosten der baulichen Unterhaltung des Gegenstandes, sowie alle darauf ruhen­ den Lasten und Abgaben hat der Berechtigte zu tragen. Für seine Verwendungen auf den Gegenstand hat er nur insoweit einen Ersatzan­ spruch gegen den Eigenthümer der Liegenschaft, als diesem dadurch nothwendige Auslagen erspart sind. Artikel 338 Eine Verpflichtung zur baulichen Unterhaltung des Gegenstandes liegt dem Be­ rechtigten nur dann ob, wenn ohne dieselbe die Liegenschaft des Eigenthümers eine Beschädigung erleiden würde.

472

C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums Artikel 339

Hinsichtlich des Erwerbes, Verlustes und Schutzes des Platzrechtes kommen die Bestimmungen der Art. 303, 304 Ziff. 1, Art. 309, 312, 317, 322, 323, 331, 332 und 333 zur entsprechenden Anwendung. Artikel 340 Das Platzrecht erlischt mit dem Tode des Berechtigten, wenn derselbe keinen Er­ ben hinterläßt und nicht über sein Recht giltig verfügt hat.

Das Platzrecht war danach ein vererbliches und veräußerliches dingliches Nutzungsrecht an einem auf einem fremden Grundstück gehörigen Gebäude, Keller oder sonstigen Werk, wobei es nicht schadete, dass die dinglichen Bezugsobjekte erst noch errichtet werden sollten.704 Der Inhalt des Platz­ rechtes war auf eine eigentümerähnliche Stellung angelegt, so dass der Platz­ berechtigte befugt war, über den Gegenstand des Rechtes wie ein Eigentümer zu verfügen und auch Veränderungen vorzunehmen, wobei insoweit eine Grenze bestand, als der Wert des Gegenstandes nicht vermindert werden durfte bzw. keine wesentlichen Änderungen seitens des Platzrechtinhabers vorgenommen werden konnten.705 Für den Zusammenhang mit herbergs­ rechtlichen Kellerrechten ergibt sich daraus insgesamt, dass ein eigentums­ ähnliches Platzrecht im Sinne der aus dem römischen Recht bekannten su­ perficies in der bayerischen Rechtspraxis ohne weiteres anerkannt war.706 Da das Platzrecht dem Platzberechtigten ein umfassendes dingliches Nutzungs­ recht an einem Keller unter Ausschluss des Eigentümers einräumte, hatte dieser grundsätzlich die gesamten Kosten für die bauliche Unterhaltung so­ wie die auf dem Gegenstande ruhenden ordentlichen wie außerordentlichen Lasten und Abgaben zu tragen.707 Eine Ausnahme galt bezüglich der bauli­ chen Unterhaltung für den Fall der Eigenerrichtung des Gebäudes oder des Kellers durch den Platzberechtigten, weil durch die Einräumung des Platz­ rechts nicht gleichzeitig auch die Pflicht verbunden war, ein Bauwerk zu er­ 704  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 101. 705  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 101. 706  Vgl. Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 100 f. 707  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 101.



II. Kellerrecht473

richten.708 Der Platzberechtigte konnte deshalb ein von ihm errichtetes Bau­ werk auch wieder verwahrlosen lassen.709 Dies galt nur dann nicht, wenn die Integrität der Liegenschaft des Eigentümers selbst durch die Erhaltung des Werkes bedingt war, was insbesondere bei dinglichen Kellerrechten eintreten konnte, wenn die Oberfläche des Grundstücks von dem Eigentümer für Ge­ bäude oder sonstige Einrichtungen benutzt wurde, so dass der Einsturz des Kellers mit Nachteilen für die entsprechend vorhandene Bebauung oberhalb des Grundstücks verbunden gewesen wäre.710 4. Die bayerische Rechtsprechung zu Kellerrechten Ein altrechtliches Kellerrecht aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bür­ gerlichen Gesetzbuchs konnte grundsätzlich wie in anderen deutschen Terri­ torien auch im Königreich Bayern in einer Dienstbarkeit, einem grundstücks­ gleichen superfiziarischen Nutzungsrecht und einem Platzrecht in Bezug auf ein fremdes Grundstück, oder aber auch in einem besonderen Eigentum am Keller bestehen.711 Das Platzrecht wurde im Königreich Bayern als grund­ stücksgleiches Recht im Sinne der aus dem römischen Recht bekannten su­ perficies angesehen, so dass sich die Abgrenzung der einschlägigen altrecht­ 708  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 101. 709  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 101. 710  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 101. 711  OAG München, Urteil vom 23.02.1867, Seufferts Blätter für Rechtsanwen­ dung in Bayern, Bd. 32, S. 297 = Seufferts Archiv XXI Nr. 99; BayObLGZ 22, 270; BayObLGZ 1967, 397, (399) m. w. N.; LG Amberg, MittbayNot 1994, 45, (45 f.) zu einem grundstücksgleichen altrechtlichen Kellerrecht an einem Bierkeller; BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1426 ff.); Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 68 f., 100 f.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 72 ff.; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 144 f.; RGZ 56, 258 – zum rheinischen Kellerrecht –; KG, JW 1933, 1334 – für das Kellerrecht nach dem Code Civil bzw. dem rheinischen Recht –. Zu der grundbuchmäßigen Erfassung altrechtlicher Kellerrechte H. Schmitt, Der Rang der nicht eingetragenen superfiziarischen Rechte, Zeitschrift für das Nota­ riat, für die freiwillige Gerichtsbarkeit und das Grundbuchwesen in Bayern 1915, S.  146 ff.; ders., Die Beschreibung altrechtlicher Kellerrechte im Grundbuche, Zeit­ schrift für das Notariat, für die freiwillige Gerichtsbarkeit und das Grundbuchwesen in Bayern 1916, S. 231 f.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

lichen dinglichen Rechte bei der Rechtsanwendung mangels eines partikular­ gesetzlichen Rechtsaktes nach dem in erster Linie für Kellerrechte geltenden gemeinen römischen Recht grundsätzlich auf die Rechtsinstitute eines super­ fiziarischen Platzrechts, einer Grunddienstbarkeit und einer beschränkt per­ sönlichen Dienstbarkeit bezog.712 Eine Durchbrechung des im römischen Recht verwurzelten Grundsatzes superficies solo cedit zeigte sich aber auch hier bezüglich eines Sondereigentums am Keller, das auch in der Form von Stockwerkseigentum unterhalb der Erdoberfläche bestehen konnte.713 Alt­ rechtlich begründete Grunddienstbarkeiten, die bereits vor der Anlegung des Grundbuchs bestanden, bleiben nach Art. 184 I 1, 187 I 1 EGBGB weiterhin bestehen.714 Für den Landgerichtsbezirk Kempten galt das Grundbuch mit dem 01.05.1909 als angelegt.715 Im altbayerischen Recht wurden die Dienst­ barkeiten als Servitute bezeichnet, wobei eine Realservitut allgemein auf die Nutzung eines Gutes durch einen anderen ausgerichtet und damit grund­ dienstbarkeitsähnlich war, während das Personalservitut einer konkret be­ stimmten Person diente.716 Nach Art. 184 S. 2 EGBGB gelten für eine Grunddienstbarkeit ab dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Vorschriften der §§ 1020 bis 1028 BGB, wobei Satz 2 des Art. 184 EGBGB beschränkt persönliche Dienstbarkeiten nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht erfasst.717 Da der Bayerische Gesetzgeber von Art. 187 II EGBGB keinen Gebrauch gemacht hat, besteht für altrechtliche Grunddienstbarkeiten 712  BayObLG,

NJW-RR 1991, 1426, (1427). München, Urteil vom 23.02.1867, Seufferts Blätter für Rechtsanwen­ dung in Bayern, Bd. 32, S. 297 = Seufferts Archiv XXI Nr. 99; BayObLGZ 22, 270, (271). 714  BayVerfGH, Beschluss vom 03.06.1960, Az.: Vf. 129 -VI -59, DNotZ 1961, 39; BayObLGZ, Der deutsche Rechtspfleger 1979, 381; H. Grziwotz/R. Saller, Baye­ risches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 144. 715  Hypothekenbuch der Gemeinde Sankt Lorenz, Bd. XX, Blatt 443; Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Über 100 Jahre Grundbuch – über 100 Jahre Rechtssicherheit, Stand 05/2008, München 2008, S. 5. Nachweise anderer Landge­ richtsbezirke in Bayern finden sich bei H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbar­ recht, 3. Aufl., München 2015, S. 144: In den Bezirken des Oberlandesgerichts Mün­ chen und der Landgerichte Amberg, Regensburg und Weiden war der maßgebliche Zeitpunkt jeweils der 01.05.1905, in den Bezirken des früheren Oberlandesgerichts Augsburg sowie der Landgerichte Bamberg, Hof, Ansbach, Fürth und Nürnberg dage­ gen jeweils der 01.05.1909 und in den Bezirken der Landgerichte Aschaffenburg, Schweinfurt und Würzburg jeweils der 01.10.1910. 716  BayObLGZ 1959, 478, (480); H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbar­ recht, 3. Aufl., München 2015, S. 144 unter entsprechender Anführung der Nachweise im Codex Maximilianeus Bavaricus civilis. 717  BayObLGZ 1962, 341, (356); F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Interna­ tionales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürger­ lichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 6. 713  OAG



II. Kellerrecht475

keine Pflicht zur Eintragung in das Grundbuch.718 Der Besitzschutz von alt­ rechtlichen Grunddienstbarkeiten richtet sich heute ausschließlich nach den entsprechenden Besitzschutzvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Art. 191 II EGBGB.719 Die superfiziarischen Rechte bzw. die Platzrechte können nach Art. 196 EGBGB durch Landesgesetz als grundstücksgleiche Rechte bestimmt werden, auf welche die sich auf Grundstücke beziehenden bzw. für den Erwerb des Eigentums an Grundstücken geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung finden.720 Von diesem landesge­ setzlichen Vorbehalt hat Bayern im Jahre 1981 mit Art. 40 BayAGGVG unter Ersetzung von bereits bestehenden Landesgesetzen Gebrauch gemacht,721 womit auch für superfiziarische Kellerrechte heute die Vorschriften des Grundstücksrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten, d. h. die Vorschrif­ ten der §§ 873, 925 BGB.722 Es ist aber stets zwischen der Übertragbarkeit des Rechts zu unterscheiden, die zum Inhalt des Rechts gehört und sich bei Altrechten daher stets nach den vor dem 01.01.1900 bestehenden Gesetzen richtet, und der Übertragung des Rechts, die sich in den zeitlichen Grenzen der Norm des Art. 189 I 2 EGBGB heute regelmäßig nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch vollzieht.723 Für die rechtsgeschäftliche Aufhebung eines super­ fiziarischen Kellerrechts gilt § 928 BGB dagegen nicht.724 Die durch § 40 BayAGGVG festgelegte grundbuchmäßige Behandlung ändert aber nichts daran, dass es sich bei solchen superfiziarischen Nutzungsrechten oder Platz­ rechten um unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch unzulässige Rechte handelt, so dass diese weiterhin grundsätzlich in mit dem geltenden Recht vereinbare Rechtsinstitute umzudeuten sind.725 718  BayVerfGH, Beschluss vom 03.06.1960, Az.: Vf. 129 -VI -59, DNotZ 1961, 39, (40); BayObLGZ 1953, 80, (86); OLG München, BayJMBl. 1952, 216, (217); BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1427); H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nach­ barrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 144 f.; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetz­ buch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 184 EGBGB Rn. 2. 719  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 293  f. (zu Art. 44 und 45 BayÜGBGB). 720  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 40 AGGVG Rn. 23; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145. 721  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 40 AGGVG Rn. 23; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145. 722  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 40 AGGVG Rn. 23, 35. 723  F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internatio­ nales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25– 248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 3; vgl. Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 184 EGBGB Rn. 3. 724  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 40 AGGVG Rn. 36. 725  BayObLGZ 1967, 397, (399); BayObLGZ 1995, 413, (417); Meisner/Ring/ Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 59 f.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist die Möglichkeit von Stockwerkseigentum an einem Keller ausdrücklich aner­ kannt worden.726 Dies bedeutet, dass in einem solchen Fall die bereits dar­ gestellten Grundsätze zum Stockwerkseigentum gelten, wenngleich hinsicht­ lich eines Kellerstockwerkseigentums neben dem notwendig bestehenden Miteigentum als zusätzliche Voraussetzung hinzukommen muss, dass die räumliche Sonderberechtigung nicht mit einem anderen Grundstück verbun­ den ist, sondern frei veräußerlich und vererblich ist.727 Wenn das oberste bayerische Gericht insoweit aber ausführt, dass, wenn ein Kellerrecht als Sondereigentum am Keller des fremden Grundstücks begründet worden wäre, dieses dann mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 als solches hinfällig geworden ist, weil nach Art. 181 I EGBGB seitdem auf das Eigentum die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung finden, das ein von dem Eigentum an Grund und Boden ver­ schiedenes Immobiliareigentum an wesentlichen Bestandteilen eines Grund­ stücks grundsätzlich nicht anerkennt, §§ 93, 94 BGB,728 so unterscheidet das Gericht zumindest nicht klar zwischen einem Keller(sonder)eigentum, so wie es grundsätzlich im linksrheinischen Recht anerkannt war,729 und Stock­ werkseigentum, wobei das Kellereigentum der Vorschrift des Art. 181 EGBGB unterfällt, die Norm des Art. 182 EGBGB aber gerade hinsichtlich des Stockwerkseigentums als Ausnahmevorschrift zu Art. 181 I EGBGB das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stock­ werkseigentum unberührt lässt und hinsichtlich des Rechtsverhältnisses der Beteiligten untereinander den bisherigen Gesetzen unterwirft.730 Dies be­ 726  BayObLGZ

22, 270, (271). Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 59 m. w. N.; vgl. auch BayObLGZ 14, 254, (255 f., 258) zum Erbbaurecht als Sonderberechtigung. 728  BayObLGZ 1967, 397, (399); BayObLGZ 1995, 413, (417). 729  Vgl. RG, Urteil vom 25.10.1889, Az.: II. 209/89 = RGZ 24, 339, (339 f.); ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 m. w. N. 730  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Ge­ setzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stutt­ gart 1984, Art. 131 Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrecht­ 727  OLG



II. Kellerrecht477

deutet, dass im Falle eines Stockwerkseigentums an einem Keller heute in Bayern gleichsam die Grundsätze des uneigentlichen bzw. unechten Stock­ werkseigentums nach Art. 62 BayAGBGB zur Anwendung kommen, wobei zum einen zu bedenken ist, dass das Sondereigentum am Keller am 01.01.1900 bereits begründet gewesen sein muss, und zum anderen, dass zunächst überhaupt ein Miteigentum gegeben sein muss, weil die Anwen­ dung der Vorschriften zum Stockwerkseigentum grundsätzlich ein bestehen­ des Miteigentum an der Grundfläche und den gemeinschaftlichen Teilen des Gebäudes voraussetzt.731 Auch hier ist zudem wiederum der eingeschränkte Anwendungsbereich der Norm des Art. 62 BayAGBGB zu beachten, welche das altrechtliche echte Stockwerkseigentum in einem weiteren Sinne nicht erfassen kann, d. h., grundsätzlich voraussetzt, dass die Grundfläche im Mit­ eigentum von sämtlichen Herbergsbesitzern steht, weshalb im Ergebnis ein entsprechendes Miteigentum von sämtlichen Stockwerkseigentümern an der unterkellerten Grundfläche bestehen muss.732 Zu berücksichtigen ist zudem, dass auch die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, wonach die Erstreckung von Stockwerkseigentum in waagerechter Richtung liches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; zu eng dagegen die Ansicht bei F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Interna­ tionales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürger­ lichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 182 Rn. 1, Art. 131 Rn. 2; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145, die den allgemeinen Ausgangscharakter des Art. 182 EGBGB nicht sehen und deshalb die Norm nur auf das echte Stockwerkseigentum anwenden wollen. 731  BayObLGZ 1967, 397, (400); BayObLGZ 1995, 413, (417); vgl. BayObLG, Beschluss vom 13.11.2001, Az.: 5 Z RR 82/00; so zu Recht auch ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 160, 162 m. w. N. 732  BayObLGZ 22, 270, (271 f.); BayObLGZ 1967, 397, (399).; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27, 35; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399) m. w. N.; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 58; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 2, 4, der alle Formen des Stockwerkseigentums in Bayern dem Art. 62 BayAGBGB unterstellt, dann aber mit der herrschenden Meinung doch eine Ausnahme sieht, wenn das Son­ derrecht an einem Gebäudeteil nicht zugleich mit Miteigentum an anderen Grund­ stücksteilen wie auch der Grundfläche einhergeht; vgl. auch H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verord­ nung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 194; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 59.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

auf neue Grundflächen ausgeschlossen ist, da ansonsten eine seit dem 01.01.1900 unzulässige Neubegründung von Stockwerkseigentum vorliegen könnte,733 auch auf Kellergeschosse entsprechend anzuwenden ist, wenn­ gleich der Bundesgerichtshof bei Grundstücken, die bereits vor dem Inkraft­ treten des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Stockwerkseigentum infiziert waren, eine Erweiterung in senkrechter Richtung nicht ausgeschlossen hat.734 Die­ ser von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf­ gestellte Grundsatz findet aber seine Grenzen in der zum 01.01.1900 beste­ henden betroffenen Einheitlichkeit.735 Die notwendigen Voraussetzungen für das Vorliegen von Stockwerkseigentum werden aber grundsätzlich regelmä­ ßig nicht vorliegen, wenn es sich lediglich um einen einzelnen Kellerraum auf dem Nachbargrund handelt.736 Das Bayerische Oberste Landesgericht stellt für diesen Fall zudem fest, dass ein Stockwerkseigentum dann auch schon begrifflich nicht vorliegt, weil ein einzelner Kellerraum kein Stock­ werk im Sinne von Art. 182 EGBGB ist, bei welchem nach Art. 62 Bay­AG­ BGB dann gegebenenfalls Miteigentum der Stockwerkseigentümer an dem ganzen Grundstück und somit auch unechtes Stockwerkseigentum entspre­ chend der Vorschrift des Art. 131 EGBGB begründet worden wäre.737 Auch greift die Norm des Art. 181 II EGBGB in einem solchen Fall nicht ein, weil die genannte Vorschrift, soweit sie sich überhaupt auf ein Miteigentum bezie­ hen kann, nach der bayerischen Rechtsprechung nur auf bereits bestehende Gesamthandsverhältnisse erstreckt werden darf.738 733  BayObLGZ

3, 1023, (1023 f.). 46, 281, (289 f.); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 7; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 35 zum rheinischen Kellerrecht mit ent­ sprechender Erläuterung des dogmatischen Hintergrunds. 735  Vgl. zur Einheitlichkeit eines Stockwerkseigentums- bzw. Herbergskomplexes BGHZ 46, 281, (289 f.); BayObLGZ 3, 1023, (1024); E. Schott, Das Stockwerksei­ gentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 47 ff.; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band  VIII, Stuttgart 1984, Art.  182 Rn.  1 („bisher gemeinschaftliche Teile“); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 7. 736  Vgl. BayObLGZ 22, 270  ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3.  Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 52. 737  BayObLGZ 22, 270 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausfüh­ rungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 52. 738  BayObLGZ 22, 270, (272) m. w. N.; BayObLGZ 1967, 397, (400). 734  BGHZ



II. Kellerrecht479

Als altrechtliche dingliche Kellerrechte kommen in Bayern weiter ein su­ perfiziarisches Recht, ein Platzrecht oder eine sonstige Dienstbarkeit in Be­ tracht, dessen bzw. deren Inhalt als Kellerrecht nach den Grundsätzen des Art. 184 EGBGB ermittelt werden muss, wobei das Recht nicht aufgehoben ist, sondern mit einem veränderten und dem Bürgerlichen Gesetzbuch ange­ passten Inhalt fortbesteht, wenn es bereits vor dem Inkrafttreten des Bürger­ lichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 begründet war.739 Ein superfiziarisches Kellerrecht oder auch ein entsprechendes Platzrecht zeichnet sich dadurch aus, dass es dem Berechtigten eine eigentumsähnliche Stellung vermittelt, d. h., dieser hat ein freies Verfügungsrecht und kann auch die Eintragung im Grundbuch gemäß den geltenden Vorschriften beantragen.740 Ein Nutzungs­ recht am Keller in der Form einer Dienstbarkeit dagegen kann in der Gestalt einer Grunddienstbarkeit oder einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit bestehen.741 Für die erstere ist in historischer Kontinuität mit dem gemeinen römischen Recht nach § 1018 BGB kennzeichnend, dass sie dem jeweiligen Eigentümer eines herrschenden Grundstücks zugestanden hat und mit diesem Grundstück untrennbar verbunden war, und ohne dieses auch nicht veräußert werden konnte.742 Eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit war dagegen wie auch heute nach §§ 1090, 1061 S. 1 BGB auf die Lebenszeit des Berech­ tigten beschränkt.743 Zu bemerken ist zudem, dass es nach der bayerischen Rechtsprechung hinsichtlich etwaiger Belastungen ausschließlich auf Eintra­ gungen auf dem dienenden Grundstück ankommt, während dagegen solche auf dem herrschenden Grundstück nur deklaratorischer Natur sind.744 Maß­ gebend für den (gutgläubigen) Erwerb einer Dienstbarkeit o. Ä. ist deshalb ausschließlich die Eintragung im Grundbuch des dienenden Grundstücks zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbs des herrschenden Grundstücks, wobei ohne Bedeutung ist, ob das dingliche Recht auch gemäß § 9 GBO auf dem Grundbuchblatt des herrschenden Grundstücks vermerkt ist.745 Nach der 739  BayObLGZ 1967, 397, (399); BayObLGZ 1995, 413, (417); vgl. LG Amberg, MittbayNot 1994, 45, (45 f.) zu einem grundstücksgleichen altrechtlichen Kellerrecht an einem Bierkeller. 740  BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1427). 741  BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1426 f.). 742  BayObLG, 1969, 284, (291); BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1427). 743  BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1427); vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bay­ ern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 52. 744  BayObLGZ, Der deutsche Rechtspfleger 1979, 381, (381  f.); BayObLGZ 1969, 284, (292); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 33; H. Schmitt, Die Beschreibung altrechtlicher Kellerrechte im Grund­ buche, Zeitschrift für das Notariat, für die freiwillige Gerichtsbarkeit und das Grund­ buchwesen in Bayern 1916, S. 231 f. 745  BayObLG, MittBayNot 1979, 225; OLG München, Beschluss vom 30.05.2016, Az.: 34 Wx 266/15.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts bleiben Rechte, mit denen eine Sache zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetz­ buchs am 01.01.1900 belastet war, nach der Norm des Art. 184 EGBGB grundsätzlich mit dem sich aus den bisherigen Gesetzen ergebenden Inhalt bestehen, wobei von dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs an aber nach Art. 184 S. 2 EGBGB für eine Grunddienstbarkeit die Regelungen der §§ 1020 ff. BGB gelten.746 Begründet und aufgehoben wurde ein Recht an einem Grundstück gemäß Art. 189 I EGBGB auch noch nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach den bisherigen Gesetzen, bis das Grund­ buch als angelegt anzusehen war,747 wobei für die Aufhebung des Altrechts die zeitliche Ausdehnung dieses Zeitpunkts bis auf die Eintragung in das Grundbuch nach Art. 189 III EGBGB zu beachten ist. Dies war in der Kemp­ tener Fürstabtei schließlich am 01.05.1909 der Fall.748 Insofern es sich daher um ein Benutzungsrecht am Keller handelt, das wie ein superfiziarisches Kellerrecht mit dem Eigentum des herrschenden Nachbargrundstücks ver­ bunden ist, gelten für ein solches Altrecht heute grundsätzlich die Vorschrif­ ten über die Grunddienstbarkeiten.749 In derartigen Fällen ist gegebenenfalls zuvor eine Umdeutung in ein unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch zulässiges Rechtsinstitut vorzunehmen,750 nachdem es sich bei den superfiziarischen Nutzungsrechten oder Platzrechten um unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch grundsätzlich unzulässige Rechte handelt.751 Dies ergibt sich auch grundsätz­ lich aus dem Gedanken, wonach alte Rechte nur dann unter die Vorschriften des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch subsumiert werden können, insofern die neuen Begrifflichkeiten und deren inhaltliche Gehalte mit dem alten Rechtsinstitut übereinstimmen.752 Daraus kann gefolgert wer­ den, dass sich die neben einem Stockwerkseigentum möglichen Kellerrechte, wenn nicht eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit im Sinne eines Nut­ zungsrechts für eine ganz bestimmte Person zu erkennen ist, regelmäßig auf eine dem jeweiligen Eigentümer zustehende Grunddienstbarkeit kanalisieren 746  BayObLG,

NJW-RR 1991, 1426, (1427). 1967, 397, (399); BayObLGZ 1995, 413, (417). 748  Hypothekenbuch der Gemeinde Sankt Lorenz, Bd. XX, Blatt 443; Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Über 100 Jahre Grundbuch – über 100 Jahre Rechtssicherheit, Stand 05/2008, München 2008, S. 5. 749  BayObLG, 1969, 284, (291); BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1427). 750  BayObLGZ 1967, 397, (400) m. w. N.; BayObLGZ 1995, 413, (417); J. Hönle/ U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 2; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 59 f. 751  BayObLGZ 1967, 397, (399); BayObLGZ 1995, 413, (417); Meisner/Ring/ Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 59 f. 752  BayObLGZ 1962, 341, (356); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 15. 747  BayObLGZ



II. Kellerrecht481

werden, insofern ein grundstücksgleiches superfiziarisches Kellerrecht oder ein Platzrecht in Rede stehen.753 Da aber ein Kellerrecht als Grunddienstbar­ keit kein Stockwerkseigentum ist, erlischt dieses grundsätzlich nicht mit der Zerstörung eines auf dem Grundstück errichteten Gebäudes.754 Auch wenn die folgende Konstellation nicht direkt dem bayerischen Kellerrecht zuge­ hört, sondern allgemeine Geltung beansprucht, soll noch darauf hingewiesen werden, dass ein von dem Nachbarn in Ausübung einer Dienstbarkeit errich­ teter Keller auf fremden Grund und Boden nach § 95 I 2 BGB in dessen Eigentum stehen kann, wobei mit dem Erlöschen der Dienstbarkeit das voll­ ständige Grundeigentum unter Einschluss des erbauten Kellers nach § 94 BGB wieder eintreten wird.755 Ein bereits errichteter Keller wird eigentums­ rechtlich dagegen durch die Bestellung einer Dienstbarkeit nicht berührt, d. h., der Keller steht in diesem Fall im Eigentum des Eigentümers des Grundstücks, auf dem sich der Keller befindet.756 Ob dagegen eine nach dem Erlöschen der Gerechtsame wieder neu bestellte Dienstbarkeit auf einen Drit­ ten übergehen kann, der damit ein in Ausübung einer Dienstbarkeit erworbe­ nes Sondereigentum von dem Rechtsvorgänger „erben“ kann, wird im Ergeb­ nis davon abhängen, ob eine Grunddienstbarkeit oder eine beschränkt per­ sönliche Dienstbarkeit vorliegt.757 Im ersteren Fall wird dies mit der herr­ schenden Ansicht möglich sein, nachdem eine Grunddienstbarkeit zugunsten des herrschenden Grundstücks dauerhaft besteht und ohne dieses auch nicht veräußert werden kann, im zweiten Fall dagegen nicht.758 Auch hier ist aber wiederum zu bedenken, dass für einen etwaigen auch gutgläubigen Erwerb der Grunddienstbarkeit nur die Eintragungen auf dem dienenden Grundstück maßgebend sind.759 753  Vgl. H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 51. 754  BayObLGZ 1967, 397, (403  f.); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 2. 755  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 164. 756  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 164. 757  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 164 un­ ter Erläuterung des Meinungsstandes, wonach die herrschende Ansicht dies im Ergeb­ nis bejaht, Dehner dagegen die ablehnende Gegenmeinung vertritt. „Durch die Bin­ dung des Rechts an ein herrschendes Grundstück unterscheidet sich die Grunddienst­ barkeit von (…) (dem Erbbaurecht und der beschränkt persönlichen Dienstbarkeit).“; BayObLGZ 14, 254, (255 f., 258); ­M.-S.-Hodes-Dehner, ebd., S. 163 (dort das Zitat). 758  Vgl. ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S. 163 f. unter Erläuterung des damaligen Meinungsstandes; S. Räfle, Erbbaurechts­ verordnung, Kommentar zur Verordnung über das Erbbaurecht unter besonderer Be­ rücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 7. 759  BayObLG, MittBayNot 1979, 225; OLG München, Beschluss vom 30.05.2016, Az.: 34 Wx 266/15.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Abschließend ist noch zu erwähnen, dass für ein grundstücksgleiches Nut­ zungsrecht im Sinne eines superfiziarischen Rechts oder Platzrechts nach Art. 196 EGBGB, Art. 40 II, III BayAGGVG für die Anlegung eines Grund­ buchblatts die gleichen Vorschriften wie für die Anlegung eines Grundbuch­ blatts für ein bisher noch nicht gebuchtes Grundstück gelten, d. h. die Normen der §§ 8 ff. BayAVOGBO.760 5. Exkurs: Erbbaurechte an Kellern Neben einem altrechtlichen Kellerrecht konnte für einen Keller, der vor dem 01.01.1900 entstanden ist, auch die erbbaurechtliche Begründung in Betracht kommen, wenn sich der Keller nach der Verkehrsauffassung als selbständiges Gebäude und nicht nur als einzelner Gebäudeteil darstellte.761 In dem Rechtsinstitut des grundstücksgleichen Erbbaurechts lebt die aus dem römischen Recht bekannte superficies in veränderter Form auch heute noch weiter.762 Das Erbbaurecht verleiht dem Erbbauberechtigten heute das Eigen­ tum an einem Bauwerk sowie das dingliche Recht zur Nutzung eines Grund­ stücks, das einem anderen gehört, so dass das Erbbaurecht „keine mindere, sondern eine andere Form der Herrschaft über ein Baugrundstück als das Eigentum (ist).“763 Die erbbaurechtliche Voraussetzung eines selbständigen Gebäudes ist im Allgemeinen nur dann anzunehmen, wenn es sich um einen Keller handelt, der wirtschaftlich von dem sich über ihm befindenden Ge­ bäude aus überhaupt nicht benutzt werden kann, weil z. B. kein eigener Zu­ gang vorhanden ist, so dass sich der Keller als wirtschaftlich notwendiger Bestandteil des Nachbargrundstücks darstellt.764 Anhaltspunkte für die recht­ 760  BayObLG,

NJW-RR 1991, 1426, (1427). Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 186, 188; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 60. 762  S. Räfle, Erbbaurechtsverordnung, Kommentar zur Verordnung über das Erb­ baurecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichts­ hofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 3; V. Hustedt, in: H. Ingenstau/ders. (Hrsg.), ErbbauRG, Gesetz über das Erbbaurecht, Kommentar, 11. Aufl., Köln 2018, S.  1 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 13. 763  V. Hustedt, in: H. Ingenstau/ders. (Hrsg.), ErbbauRG, Gesetz über das Erbbau­ recht, Kommentar, 11. Aufl., Köln 2018, S. 1 unter Bezugnahme auf ein Zitat von Klosterberg aus dem Jahre 1950. 764  KG, JW 1933, 1334, (1334 f.) mit Anmerkungen von Justizrat Thewalt; OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.1979, Az.: 9 U 69/78 = Justiz 1980, 46, (46  f.); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 761  H. v. Schneider,



II. Kellerrecht483

liche Eigenständigkeit des Kellers können auch die nachträgliche Errichtung von diesem selbst oder der erst später erfolgende Bau eines Hauses über den bereits seit langem existierenden Keller sein.765 Bildet der Keller dagegen einen konstruktiven und unselbständigen Bestandteil des sich über ihm befin­ denden Gebäudes, scheidet ein Erbbaurecht grundsätzlich aus und Sonder­ rechte an diesem Keller stellen sich dann regelmäßig als altrechtliche Keller­ rechte, oder aber nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs als begründete Dienstbarkeiten dar.766 Das Erbbaurecht ist ein grundstücksglei­ ches Recht, das selbständig vererbt und veräußert werden kann und das seit dem Inkrafttreten der Erbbaurechtsverordnung am 22.01.1919 im Grundsatz wie ein eigenes Grundstück auf einem fremden Grund behandelt wird, wäh­ rend sich die Rechtslage vor dem Jahre 1919 noch nach den altrechtlichen Vorschriften hinsichtlich des Erbbaurechts bzw. dann nach den Normen der §§ 1012 ff. BGB a. F. richtete.767 Das Erbbaurecht ist von der Geltungsdauer nicht auf die Lebenszeit des Berechtigten beschränkt, wie dies etwa bei einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit oder einem Nießbrauch der Fall ist.768 Andererseits ist es auch frei veräußerbar, was es von einer Grunddienstbar­ keit unterscheidet, die nur zusammen mit dem herrschenden Grundstück veräußert werden kann.769 Historisch betrachtet bezog sich die Emphyteuse bzw. Erbleihe in erster Linie auf landwirtschaftliche Grundstücke, während dagegen das Erbbaurecht 1898, München 1899, S. 191; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommen­ tar, 7. Aufl., München 1986, S. 60. 765  Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S.  60 m. w. N. 766  H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 191; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bay­ ern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 60. 767  BayObLGZ 14, 254, (255 f., 258); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Lie­ genschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28.  August 1898, München 1899, S.  186, 188; ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 165 f.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 60; S. Räfle, Erbbaurechtsverordnung, Kommentar zur Verordnung über das Erbbaurecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 2; V. Hustedt, in: H. Ingenstau/ders. (Hrsg.), ErbbauRG, Gesetz über das Erbbaurecht, Kommentar, 11. Aufl., Köln 2018, S. 2 ff. 768  S. Räfle, Erbbaurechtsverordnung, Kommentar zur Verordnung über das Erb­ baurecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichts­ hofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 7. 769  BayObLGZ 14, 254, (255 f.); S. Räfle, Erbbaurechtsverordnung, Kommentar zur Verordnung über das Erbbaurecht unter besonderer Berücksichtigung der Recht­ sprechung des Bundesgerichtshofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 7.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

vorrangig mit Blick auf urbaren Grund und Boden begründet wurde.770 An­ gesichts der Mannigfaltigkeit an individuellen Gestaltungsmöglichkeiten kann dieses Abgrenzungskriterium aber nur als vorläufige Richtschnur die­ nen, der weitere Beweismittel zu folgen haben.771 Das unter dem Bürger­ lichen Gesetzbuch begründete Erbbaurecht beruhte zunächst auf den §§ 1012 ff. BGB, die im Jahre 1919 durch die Erbbaurechtsverordnung er­ setzt wurden, welche wiederum dann im Jahre 2007 in das Erbbaurechtsge­ setz umgewandelt wurde.772 Bei der rechtlichen Beurteilung von Erbbaurech­ ten ist zwischen solchen, die vor dem Erlass der Erbbaurechtsverordnung am 22.01.1919 entstanden sind, und denjenigen, die danach begründet wurden, zu unterscheiden.773 Erstere richteten sich nach den §§ 1012 ff. BGB a. F.774 Der Reichsgesetzgeber hat grundsätzlich davon Abstand genommen, vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs begründete Rechte als Erbbau­ rechte des Bürgerlichen Gesetzbuchs tatbestandlich zu erklären, weshalb hinsichtlich der Altrechte die allgemeinen Grundsätze der Auslegung heran­ zuziehen sind.775 Das Erbbaurecht, das nach diesen Vorschriften an einem bestehenden Keller errichtet wurde, änderte an dem umfassenden Eigentum des Eigentümers an dem Grundstück, auf dem der Keller als wesentlicher Bestandteil von diesem lag, nichts, so dass auch die sich auf das Erbbaurecht 770  S. Räfle, Erbbaurechtsverordnung, Kommentar zur Verordnung über das Erb­ baurecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichts­ hofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 7. 771  Vgl. grundsätzlich zur Frage der Beweislast hinsichtlich von Altrechten an Kellern BayVerfGH, Beschluss vom 03.06.1960, Az.: Vf. 129 -VI -59, DNotZ 1961, 39, (40 f.); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 24; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 149; F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internatio­ nales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25– 248), 5. Aufl., München 2010, Art. 184 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetz­ buch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 184 EGBGB Rn. 3. Siehe zum Be­ weis hinsichtlich der Entstehungsgründe BayObLGZ 1970, 226, (234); BayObLGZ 1988, 102, (106); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 9. 772  S. Räfle, Erbbaurechtsverordnung, Kommentar zur Verordnung über das Erb­ baurecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichts­ hofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 3; V. Hustedt, in: H. Ingenstau/ders. (Hrsg.), ErbbauRG, Gesetz über das Erbbaurecht, Kommentar, 11. Aufl., Köln 2018, S.  2 ff.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 13. 773  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 165. 774  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S. 165; vgl. auch S. Räfle, Erbbaurechtsverordnung, Kommentar zur Verordnung über das Erbbaurecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesge­ richtshofes, Berlin u. a. 1986, Vor § 1 ErbbVO Rn. 3. 775  BayObLGZ 14, 254, (255 ff.).



II. Kellerrecht485

beziehenden Belastungen sich nicht auf den Keller bezogen, während nach überzeugender Ansicht das Eigentum an einem später noch durch den Nach­ barn errichteten Keller wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts geworden ist und damit im Eigentum des Erbbauberechtigten stand.776 Auch im erste­ ren Fall hatte der Erbbauberechtigte aber ein umfassendes Recht, das diesem sogar den Abriss des Kellers ermöglichte.777 Im zweiten Fall partizipierte der Keller kraft „innerer Zusammengehörigkeit“ an dem Erbbaurecht, weshalb der Keller auch für die Belastungen des Erbbaurechts haftete.778 Die Veräu­ ßerung des Kellers war nur zusammen mit dem Erbbaurecht möglich, nach dem Erlöschen des Rechts fiel das Eigentum an dem Keller an den Grund­ stückseigentümer, so dass der ehemalige Erbbaurechtsinhaber auf Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung angewiesen war.779 Ein altrechtlich be­ gründetes Erbbaurecht blieb dagegen auch mit dem Inkrafttreten des Bürger­ lichen Gesetzbuchs nach der Norm des Art. 184 EGBGB bestehen.780 Die Rechtslage hinsichtlich eines vor dem 01.01.1900 an einem Keller bestellten altrechtlichen Erbbaurechts stellt sich deshalb entsprechend den Fällen eines nach den §§ 1012 ff. BGB a. F. begründeten Erbbaurechts dar, Art. 184 S. 2 EGBGB, § 1017 BGB a. F.781 Auch hier wird man grundsätzlich davon aus­ zugehen haben, dass ein in Ausübung des Erbbaurechts durch den Berechtig­ ten errichteter Keller im Eigentum des Erbbauberechtigten stand, nachdem nach § 95 I 2 BGB der Keller keinen wesentlichen Bestandteil des Grund­ stücks, sondern des Erbbaurechts bildete.782 Ein altrechtlich begründetes 776  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S. 165 m. w. N. 777  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S. 165 m. w. N. 778  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 165 zur damaligen Rechtsprechung und zu dem wissenschaftlichen Meinungsstand. 779  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 165 f. m. w. N. 780  RG, Urteil vom 13.01.1904, Az.: Rep. V. 533/03 = RGZ 56, 258, (260); OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.1979, Az.: 9 U 69/78 = Justiz 1980, 46. 781  Vgl. H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 186, 190; ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbar­ recht, 6. Aufl., München 1982, S. 165 f. m. w. N.; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7.  Aufl., München 1986, S.  61; S. Schlinker/ H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 13. 782  H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 186, 190; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7.  Aufl., München 1986, S.  61; vgl. auch S. Schlinker/ H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, §  16 Rn.  13; ­M ­ .-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 165.

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C. Rechtliche Dogmatik des Bayerischen Stockwerkseigentums

Erbbaurecht blieb auch mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Art. 184 EGBGB bestehen.783 Ein entsprechendes Sondereigentum am Keller war im Königreich Bayern allgemein anerkannt, wobei das dahinter stehende Rechtsinstitut konkret festzustellen war.784 Im Gegensatz zu diesen früheren Erbbaurechten nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch hat die Erbbau­ rechtsverordnung schließlich den Grundsatz normiert, wonach die das Erb­ baurecht ausmachende Sache, unabhängig davon, ob der Keller bereits er­ richtet worden war oder erst noch errichtet wurde, wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts ist.785 Der Keller wird also notwendigerweise Eigentum des Erbbauberechtigten und fällt nach dem Erlöschen des Rechts in das Ei­ gentum des Grundstückseigentümers, wobei dem ehemaligen Erbbaurechts­ inhaber nach dem Rechtsverlust keine Beeinträchtigungen des Bauwerks mehr gestattet sind.786 Auch die nach dem heute geltenden Erbbaurechtsge­ setz begründeten Kellerräume stehen als fiktive fremde Grundstücke im Ei­ gentum des Erbbauberechtigten.787 Wenn das altrechtliche oder neu begrün­ dete Erbbaurecht am Keller erlischt, wird der Grundstückseigentümer je nachdem gegebenenfalls kraft Gesetzes Eigentümer des Kellers.788

783  RG, Urteil vom 13.01.1904, Az.: Rep. V. 533/03 = RGZ 56, 258, (260); OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.1979, Az.: 9 U 69/78 = Justiz 1980, 46. 784  Vgl. OAG München, Urteil vom 23.02.1867, Seufferts Blätter für Rechtsan­ wendung in Bayern, Bd. 32, S. 297 = Seufferts Archiv XXI Nr. 99; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 72; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 25; A. Kreilinger, Das Kellerrecht – Systemati­ sche Darstellung altrechtlicher Kellerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 1. 785  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 166. 786  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S. 166 m. w. N. 787  Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 61; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 13. Zur Geschichte und zur Bedeutung des Erbbaurechts unter Be­ rücksichtigung der gesetzgeberischen Aktivitäten in der Form der Erbbaurechtsver­ ordnung und des heute geltenden Erbbaurechtsgesetzes sowie wirtschaftlicher Erwä­ gungen V. Hustedt, in: H. Ingenstau/ders. (Hrsg.), ErbbauRG, Gesetz über das Erb­ baurecht, Kommentar, 11. Aufl., Köln 2018, S. 1 ff., dort auf S. 9 f. auch zu den sonstigen Bestrebungen des Gesetzgebers zur Neuordnung des Erbbaurechts. 788  Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 61; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 13.

D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums im Lichte des Code Napoléon und ihre Brauchbarkeit für das Verständnis des bayerischen Rechtsinstituts I. Das französische Stockwerkseigentum als droit coutumier Im Mittelalter war das Rechtswesen im heutigen Frankreich zweigeteilt, und zwar galt im Süden das droit écrit, d. h. das römische gemeine Recht als ius commune, während die Rechtsordnung im französischen Norden durch die auf fränkischen, burgundischen und normannischen Rechtsgewohnheiten aufbauenden Coutumes, d. h. die entsprechenden Gewohnheiten und Rechts­ sitten, bestimmt war.1 Die Grenze der Rechtsgebiete wurde geografisch quer durch Frankreich von der atlantischen Westküste bei Ile d’Oléron bis zum Genfersee, dem lac Léman, gezogen,2 wenngleich auch die Rechts­ pflege des Südens auf unübersichtlichem und zersplittertem Gewohnheits­ recht aufbaute, das aber zunehmend durch das gelehrte Recht der spätrömi­ schen Jurisprudenz als Hauptquelle des Zivilrechts systematisch ergänzt wurde.3 Trotz der rezeptiven Arbeiten von französischen Rechtsgelehrten 1  K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 16 f.; W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 2 f.; J. Coudert, Das Fortleben französischer Gewohnheits­ rechte aus dem Ancien Régime nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.), Französisches Zi­ vilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 37; H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 225. 2  W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dar­ gestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 3; J. Coudert, Das Fortleben französischer Gewohnheitsrechte aus dem Ancien Régime nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.), Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 37; H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsge­ schichte, 3. Aufl., München 2017, S. 225; zur Geschichte des gemeinen römischen Rechts und dessen territorialer Verbreitung in Frankreich im Lichte der Geltungsbe­ reiche des droit coutumier P. Ourliac/J.-L. Gazzaniga, L’évolution de l’humanité, in: Histoire du droit privé français de l’an mil au code civil, Paris 1985, S. 57 ff. 3  Siehe hierzu W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Na­ poléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Frei­ burg 1869, S. 3; J. Coudert, Das Fortleben französischer Gewohnheitsrechte aus dem Ancien Régime nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.), Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 37; H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 225 f.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

hinsichtlich des gemeinen römischen Rechts blieben aber in Frankreich die Coutumes, d. h. die für ganze Distrikte bzw. Provinzen geltenden coutumes générales und die in einzelnen Städten anwendbaren coutumes locales, die im 13./14. Jahrhundert erstmals erfasst worden waren, die bestimmende Rechtsquelle, die schließlich dann ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch Ordonnances, d. h. die rechtliche Befehlsgewalt der französischen Kö­ nige, die auf den überlieferten Coutumes aufbauten, im Sinne der Rechtstra­ ditionen und Gewohnheiten kodifizierend schriftlich erfasst und fortentwi­ ckelt wurden.4 Dadurch wurde das ius commune, das bereits aufgrund des mos gallicus der Humanisten in der frühen Neuzeit einen Ansehensverlust erlitten hatte, durch eine eigene französische Rechtsetzung in der Form der königlichen Ordonnance-Gesetzgebung verdrängt, deren nun systematische Erfassung in schriftlichen Regelwerken der Geltung der Coutumes in Frank­ reich und der Entstehung einer nationalen Rechtsordnung weiter Vorschub leisteten.5 Das ius commune blieb aber trotz der Herausbildung eines eige­ nen droit français auf der rechtlichen Grundlage der Coutumes und der kö­ niglichen Gesetzgebung auch bei weiteren rechtsvereinheitlichenden Ordan­ nances des 17. Jahrhunderts stets gegenwärtig, nachdem das nationale Recht nicht für die notwendige Rechtseinheit und -sicherheit sorgen konnte.6 Der Code civil bildete deshalb schließlich die symbiotische Kodifikation, die das universelle gemeine Recht mit dem droit coutumier verband, ohne das Ei­ genleben der regionalen Gewohnheiten und Rechtssitten zu sehr zu beschnei­ den, die auch unter dem Code Napoléon weiterhin Einfluss auf das Rechts­ leben der französischen Zivilgesellschaft haben sollten.7 Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts im französischen Zivilgesetzbuch des Code Napoléon verwirklichte Vorschrift des Art. 664, die das Stockwerksei­ 4  W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dar­ gestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S.  3 f.; J. Coudert, Das Fortleben französischer Gewohnheitsrechte aus dem Ancien Régime nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.), Französisches Zivilrecht in Europa wäh­ rend des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 37; H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 226 ff.; vgl. K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 16 f. 5  H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S.  226 ff.; vgl. W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napo­ léon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S.  3 ff. 6  H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S.  228 ff. 7  J. Coudert, Das Fortleben französischer Gewohnheitsrechte aus dem Ancien Régime nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.), Französisches Zivilrecht in Europa wäh­ rend des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 40 ff.; H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 233.



I. Das französische Stockwerkseigentum als droit coutumier489

gentum zu ihrem Regelungsgehalt hatte,8 bestätigte die französische Rechtsgeschichte im Lichte des droit coutumier.9 Das Stockwerkseigentum des Code civil entsprach dem „usage ancien“, der sich bereits vor dem In­ krafttreten des französischen Zivilgesetzbuchs in mehreren partikularen Ge­ wohnheitsrechten und entsprechenden Bestimmungen niedergeschlagen hat­ te.10 Dies beweisen unter anderem die Coutumes d’Auxerre, de Montargis, de Nivernai, de Bourgogne, d’Orléans, de Berry und de Bretagne, die ähn­ liche partikularrechtliche Normen wie den späteren Art. 664 C.c. enthielten, der zwar in materieller Hinsicht gegenüber den älteren Bestimmungen Ab­ weichungen enthielt, ohne aber die regional bereits anerkannten Grundsätze aufzugeben.11 Angesichts der bereits gewohnheitsrechtlichen Anerkennung 8  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. Zoeppritz, Ueber das Stock­ werkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badi­ schen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 18; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stock­ werkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Ent­ wicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 79. 9  Vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 444 f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f.; E. Durand, Coutumes de Lorris-Montargis, Saint-Fargeau, pays de Puisaye, Chatillon-surLoing, Sancerre, Gien, Nemours, Chateau-Landon, et autres lieux, régis et gouvernés par lesdites Coutumes, Montargis 1758, S. 397 f.; J. Marquis de Maleville, Analyse raisonnée de la discussion du Code civil au Conseil d’État, 2. Aufl., Paris 1807, S. 104. 10  E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 444 f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f.; E. Durand, Coutumes de Lorris-Montargis, Saint-Fargeau, pays de Puisaye, Chatillon-surLoing, Sancerre, Gien, Nemours, Chateau-Landon, et autres lieux, régis et gouvernés par lesdites Coutumes, Montargis 1758, S. 397 f; J. Marquis de Maleville, Analyse raisonnée de la discussion du Code civil au Conseil d’État, 2. Aufl., Paris 1807, S. 104. Allgemein zur Fortgeltung althergebrachter Gewohnheitsrechte unter dem Code Napoléon J. Coudert, Das Fortleben französischer Gewohnheitsrechte aus dem Ancien Régime nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.), Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 37 ff. 11  ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u.  a. 1840, S. 142; F. Hadrian/ J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neu­ ere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 96. L’article 216 de la Coutume d’Auxerre: „Si le bas d’une maison appartient à un particulier, et le haut à un autre, celui à qui appartient le bas est tenu de construiere et entretenir tous les mur de cette maison jusqu’à l’étage qui appartient à l’autre, et fournir les poutres, solives et aires ou plancher supérieur de sa dépendance; et le propriétaire du haute est tenu seulement du carreau au-dessus

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

im französischen Ancien Régime kam es insoweit später auch im Conseil d’État und im Tribunat zu keinen wesentlichen redaktionellen Änderungen bezüglich des Art. 664 C.c. mehr,12 womit die grundsätzliche Absicht des französischen Gesetzgebers bestätigt wurde, die regionalen Gewohnheiten und Rechtssitten hinreichend zu berücksichtigen.13 Wenn der Code Napo­ léon aber einen bestimmten Fall nicht erfassen konnte, blieb es bei der Gel­ tung der Regelungen des lokalen Gebrauchs und damit des droit coutumier,14 das damit auch in der Folge für das französische Stockwerkseigentum Be­ deutung behielt und die grundsätzliche Dogmatik mitbestimmte.

II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil – die Rechtsfigur der „servitudes établies par la loi“ Das französische Stockwerkseigentum, das im Code Napoléon mit der auf den französischen Coutumes dogmatisch aufbauenden Vorschrift des Art. 664 eine ausdrückliche gesetzliche Normierung erfahren hat,15 ist der Grund von möglichen linksrheinischen Erscheinungen bei den Formen des Stock­ werkseigentums in der Kemptener Fürstabtei und im sonstigen bayerischen

dudil plancher, et du restant des murs ainsi que de la couverture de ladite maison.“; zitiert nach ­J.-M.  Lahaye, ebd., S. 142. 12  Discussion du Conseil d’État et du Tribunat sur le code civil, avant la rédac­ tion définitive de chacune des lois qui le composent, Paris 1841, S. 315. 13  H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 233. 14  ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 142: „Pour tous les ob­ jets dont le Code ne s’est pas occupé dans cet article, il faut suivre les usages lo­ caux.“ Allgemein zur Kollision von Normen des französischen Code civil bzw. des Badischen Landrechts mit früheren Gesetzen und sonstigen materiellen Vorschriften W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 39 ff.; J. Coudert, Das Fortleben französischer Gewohnheitsrechte aus dem Ancien Régime nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.), Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 41. 15  So F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiede­ nen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 18; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 591; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stock­ werkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Ent­ wicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 79.



II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil491

Raum.16 Zwar wurde das französische Rechtsinstitut später in Entsprechung etwa auch zu dem Stockwerkseigentum in Österreich und in der Schweiz, wo relativ häufig ein besonderes Eigentum an Stockwerken mit entsprechenden Miteigentumsanteilen anzutreffen war,17 auch in der französischen Monar­ chie regelmäßig im Sinne von echtem Stockwerkseigentum interpretiert, d. h. als Sondereigentum an bestimmten Teilen des Gebäudes, verbunden mit ei­ nem gemeinschaftlichen Verhältnis der Nutzung an bestimmten Einrichtun­ gen.18 Dies führte in der Wissenschaft sogar mitunter zu der Ansicht, wo­ nach sich sonstige uneigentliche Ausformungen von Stockwerkseigentum der französischen Dogmatik dieses Rechtsinstituts entziehen und als ausgeschlos­ sen zu gelten haben.19 Allein dieser Rechtsgedanke deutet auf besondere Eigenarten der französischen Dogmatik des zunächst durch das droit coutu­ mier in Erscheinung getretenen und anerkannten Stockwerkseigentums20 hin, die eine grundsätzliche Differenzierung von linksrheinischen Elementen 16  Vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deut­ schen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 f. 17  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 18 f., 22 ff. In der Schweiz und in Österreich ist die Neubegründung von Stockwerkseigentum heute nicht mehr mög­ lich. In einigen Kantonen in der Schweiz wurden Anfang des 19. Jahrhunderts ­Regelungen geschaffen, um das echte Stockwerkseigentum in ein Miteigentum ent­ sprechend der Konzeption des geltenden schweizerischen Zivilgesetzbuchs umzuwan­ deln.; O. v. Feilitzsch, ebd., S. 18  f., 23  f.; R. Weber, Die Stockwerkeigentümer­ gemeinschaft – Praktische Möglichkeiten und Grenzen vertraglicher Gestaltung im schweizerischen und deutschen Recht, Zürich 1979, S. 8. 18  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 16 f., 20; vgl. E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 148; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Be­ stimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 18. 19  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 192 ff.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 20; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 80 ff. 20  Vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 444 f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f.; E. Durand, Coutumes de Lorris-Montargis, Saint-Fargeau, pays de Puisaye, Chatillon-surLoing, Sancerre, Gien, Nemours, Chateau-Landon, et autres lieux, régis et gouvernés par lesdites Coutumes, Montargis 1758, S. 397 f.; J. Marquis de Maleville, Analyse raisonnée de la discussion du Code civil au Conseil d’État, 2. Aufl., Paris 1807, S. 104.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

dieses Rechtsinstituts zu sonstigen rechtsrheinisch bedingten Gewohnheiten und Rechtsübungen nahelegt. Der französische Code civil, der am 21.03.1804 in Kraft trat,21 anerkannte wie auch sonstige deutsche Partikularrechte die horizontale Teilung von Gebäuden22 und enthielt mit den Vorschriften der Art. 664, 553 die rechtliche Grundlage für das linksrheinische Stockwerksei­ gentum, das sich von seinem Geltungsbereich aufgrund des napoleonischen Imperialismus und der allgemeinen Wirkungskraft des Code civil auch auf die Kodifikationen anderer Staaten sowie auf einzelne Gebiete rechts des Rheins erstrecken konnte.23 Der Code Napoléon galt in Frankreich und nach dessen Inkrafttreten im Jahre 1804 auch in sämtlichen von dem französischen Staat im Zuge der napoleonischen Hegemonie annektierten Gebieten wie dem Königreich Westphalen, dem Rheinland und den Großherzogtümern Berg und Frankfurt.24 Die deutschen Einzelstaaten links des Rheins waren nach der französischen Besetzung der Rheinlande bereits seit dem Jahre 1795 völkerrechtlich an Frankreich angegliedert gewesen, so dass in den entspre­ chenden Departements de la Roer, de Rhin et Moselle, de la Sarre und du Mont-Tonnere der Code civil mit dessen Inkrafttreten ohne besondere Ver­ kündung galt.25 Daneben wurde der Code Napoléon in den Jahren 1807– 1812 in mehreren deutschen Territorien im Zuge von weiteren Annexionen Frankreichs bzw. formal unabhängigen Rezeptionen der Landesherren einge­

21  K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 16; H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 233. Allgemein zur Geschichte des Code civil W. Beha­ ghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit beson­ derer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 2 ff. 22  E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentü­ mers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 145 f.; N. Thun, Die rechtsge­ schichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Pri­ vatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 75 f., 79. 23  Allgemein zu den Wirkungen der napoleonischen Gesetzgebung in der Form der cinq codes H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., Mün­ chen 2017, S. 239 ff.; E. Fehrenbach, Der Einfluss des Code Napoléon auf das Rechtsbewusstsein in den Ländern des rheinischen Rechts, in: J. Jurt u. a. (Hrsg.), Wandel von Recht und Rechtsbewusstsein in Frankreich und Deutschland, Berlin 1999, S.  135 ff. 24  J.-L. Halpérin, Code civil, in: A. Cordes u.  a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I: Aachen – Geistliche Bank, 2. Aufl., Berlin 2008, Sp. 861, (865); H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., Mün­ chen 2017, S. 239 f.; E. Fehrenbach, Der Einfluss des Code Napoléon auf das Rechts­ bewusstsein in den Ländern des rheinischen Rechts, in: J. Jurt u. a. (Hrsg.), Wandel von Recht und Rechtsbewusstsein in Frankreich und Deutschland, Berlin 1999, S.  137 f. 25  H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 239.



II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil493

führt.26 Ausdrücklich gegolten hat er auch in Genf in der Schweiz.27 Nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Großreichs wurde der Code civil im gesamten linksrheinischen Deutschland, darunter im Rheinland als Rhei­ nisches Recht, zunächst beibehalten,28 zudem galt er vorerst rechts des Rheins in dem später in der preußischen Rheinprovinz aufgegangenen ehe­ maligen Großherzogtum Berg weiter.29 Der Wiener Kongress der Jahre 1814/15, der zu einer territorialen Neuordnung auf dem europäischen Konti­ nent führte, nahm aber schließlich eine Neuordnung auch der Rheinlande vor.30 Dabei wurden die Länder am Mittel- und Niederrhein als Rheinpreußen dem Königreich Preußen zugeschlagen, während die sonstigen Territorien an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt als Rheinhessen fielen, und die Rheinpfalz dem Königreich Bayern abgetreten wurde.31 Im Ergebnis wurde der Code civil in den rheinpreußischen Ländern, wozu auch das ehemalige Königreich Westphalen gehörte, wieder durch das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten aus dem Jahre 1794 ersetzt, während dagegen in Rheinhessen und der bayerischen Rheinpfalz der Code Napoléon in Geltung blieb.32 Im sonstigen Bereich des Großherzogtums Hessen-Darmstadt, d. h. rechts des Rheins, galt dagegen neben mehreren Stadt- und Landrechten das gemeine Recht, was aber die zumindest gewohnheitsrechtliche Verbreitung

Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, Köln u. a. 2003, S. 160. Code civil, in: A. Cordes u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I: Aachen – Geistliche Bank, 2. Aufl., Berlin 2008, Sp. 861, (865). 28  J.-L. Halpérin, Code civil, in: A. Cordes u.  a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I: Aachen – Geistliche Bank, 2. Aufl., Berlin 2008, Sp. 861, (865). 29  A. Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, Köln u. a. 2003, S. 160; V. Peters, Der „germanische“ Code civil – zur Wahrnehmung des Code civil in den Diskussionen der deutschen Öffentlichkeit, Tübingen 2018, S. 60 f. 30  Vgl. A. Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, Köln u.  a. 2003, S. 160; V. Peters, Der „germanische“ Code civil – zur Wahrnehmung des Code civil in den Diskussionen der deutschen Öffentlichkeit, Tübingen 2018, S. 60 f. 31  H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 240. 32  W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 18; H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 240; V. Peters, Der „germanische“ Code civil – zur Wahrnehmung des Code civil in den Diskussionen der deutschen Öffentlichkeit, Tübingen 2018, S. 60 f. m. w. N.; vgl. auch W. Schubert/M. Schmoeckel, 200 Jahre Code civil – Die napoleo­ nische Kodifikation in Deutschland und Europa, Köln u. a. 2005, S. 66 f. Zur Geltung des französischen Code civil in der preußischen Rheinprovinz gegen Ende des 19. Jahrhunderts OLG Koblenz, Kellerrecht nach rheinisch-französischem Recht, NJOZ 2017, 557. 26  A. Duncker,

27  J.-L. Halpérin,

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

des Rechtsinstituts des Stockwerkseigentums nicht hinderte.33 Das Badische Landrecht dagegen war ein originäres Werk, das nach dem Vorbild des Code Napoléon in einer deutschen Übersetzung und mit etwa 500 Zusätzen als „Landrecht für das Großherzogtum Baden“ entstanden ist.34 Das französische Zivilgesetzbuch sah auf der Grundlage des entsprechenden droit coutumier mit der Norm des Art. 664 gesetzliche Erleichterungen im Sinne von Ausfüh­ rungs- und Auslegungsregelungen vor, um das Zusammenleben der Stock­ werkseigentümer im Hinblick auf Unterhaltung und Instandsetzung ihres Gebäudes zu bestimmen und damit zu erleichtern,35 wobei etwaige schriftli­ che individuelle Vereinbarungen der insoweit dispositiven Norm des Art. 664 C.c. vorgingen.36 Im Großherzogtum Baden wurde die genannte Vorschrift später weitestgehend inhaltsgleich mit Satz 664 in das Badische Landrecht vom 01.01.1810 übernommen,37 womit auch im großherzoglich-badischen Rechtsgebiet das durch entsprechende Rechtsgewohnheiten und -sitten aner­ kannte Stockwerkseigentum ohne Änderungen beibehalten wurde.38 Die Vorschrift des Art. 664 des Code civil lautete:39 33  W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S.  20 m. w. N. 34  W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dar­ gestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 2, 12 f., der aber anhand der Gesetzesmaterialien auch die planmäßige Nachahmung gegenüber dem Code civil hervorhebt; J.-L. Halpérin, Code civil, in: A. Cordes u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I: Aachen – Geistli­ che Bank, 2. Aufl., Berlin 2008, Sp. 861, (865); H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S. 240; A. Duncker, Gleichheit und Un­ gleichheit in der Ehe, Köln u. a. 2003, S. 161; vgl. auch V. Peters, Der „germanische“ Code civil – zur Wahrnehmung des Code civil in den Diskussionen der deutschen Öffentlichkeit, Tübingen 2018, S. 60 f. Allgemein zur Geschichte des badischen Civil­ rechts bis zur Einführung des Badischen Landrechts A. Mayer, Beiträge zur Ge­ schichte des badischen Civilrechtes bis zur Einführung des neuen Landrechtes, Bruchstücke aus der deutschen Staats- u. Rechtsgeschichte, Konstanz 1844, S. 92 ff.; W. Behaghel, ebd., S. 7 ff. 35  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 24 f.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stock­ werkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127). 36  J. B. Sirey/L. M. Villeneuve, Das französische Civilgesetzbuch und Handels­ recht, erläutert aus Urtheilen der französischen Gerichtshöfe, Gesetzen und anderen Quellen, Karlsruhe 1838, S. 393. 37  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1336; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berück­ sichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 18; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Bei­ trag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 134 f.; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83. 38  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 16. Eine Ausnahme galt lediglich



II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil495 Article 664

Lorsque les différents étages d’une maison appartiennent à divers propriétaires, si les titres de propriété ne règlent pas le mode des réparations et reconstructions, elles doivent être faites ainsi qu’il suit: Les gros murs et le toit sont à la charge de tous les propriétaires, chacun en pro­ portion de la valeur de l’étage qui lui appartient; Le propriétaire de chaque étage fait le plancher sur lequel il marche; Le propriétaire du premier étage fait l’escalier qui y conduit, le propriétaire du second étage fait, à partir du premier, l’escalier qui conduit chez lui et ainsi de suite.

Die Vorschrift des Art. 664 C.c. stellte folglich Grundsätze für den Fall auf, dass die Stockwerke eines Gebäudes verschiedenen Eigentümern zuge­ hörten, d. h., ihnen als Sondereigentum zugeordnet waren, und wenn die entsprechenden individuellen Vereinbarungen über das Eigentum keine be­ sonderen Regelungen hinsichtlich Unterhaltung und Instandsetzung beinhal­ teten.40 Die Kosten der Hauptmauern und des Daches verteilten sich danach auf sämtliche Eigentümer nach dem Verhältnis des Werts der Stockwerke, wobei der Eigentümer eines Stockwerks zudem für den Fußboden, worauf er ging, einschließlich seiner oberen Bekleidung und für die Decke bzw. die untere Bekleidung des Fußbodens des höheren Stockwerks zuständig war, und die Stockwerkseigentümer ab dem zweiten Stock jeweils die zu ihrem Stockwerk führende Treppe zu machen hatten.41 Die Lastenregelung galt für unterschiedliche Eigentumsteile im Rahmen eines Stockwerks ent­ im Falle von Erbteilungen, bei denen durch das Edikt über die Vorteilsgerechtigkeit vom 23.03.1808 eine Teilung der „Quere nach“ ausgeschlossen sein sollte.; vgl. E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerli­ che Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194; O. v. Feilitzsch, ebd., S. 16. 39  Abgedruckt bei Code civil des français, Édition stéréotype, conforme à l’édition originale de l’imprimerie de la République, Paris 1804, S. 159 f.; H. Daniels, Code civil des français – Civil-Gesetzbuch der Franzosen, Köln 1805, S. 376; J. Marquis de Maleville, Analyse raisonnée de la discussion du Code civil au Conseil d’État, 2. Aufl., Paris 1807, S. 103; deutsche Übersetzung bei F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 96. An die Stelle des früheren Art. 664 des Code civil ist heute in Frankreich eine moderne Norm zum Wohnungseigentum getreten; vgl. P.-H. Steinauer, 50 ans de propriété par étages – Un bilan, in: G. Bovey, u. a. (Hrsg.), La propriété par étages aujourd’hui – une alerte cinquantenaire, Genf 2015, S. 16 f. 40  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  383 f. 41  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 24 f. Dort findet sich auch eine deut­ sche Übersetzung des Satzes 664 des Badischen Landrechts, der gegenüber der Vor­

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

sprechend,42 womit die Sondereigentumsfähigkeit von einzelnen Räumen implizit vorausgesetzt worden war.43 Nach der französischen Rechtsprechung diente die Vorschrift des Art. 664 C.c. auch sonst als Auslegungsregel, etwa für den Fall, dass zwei Häuser über gemeinsame Treppen und Toiletten ver­ fügten, die von beiden Eigentümern schließlich gemeinsam nach dem Wert ihrer Anteile zu unterhalten waren.44 Im französischen Recht fand sich wie auch in der Schweiz, in SchleswigHolstein und in dem Gebiet des Preußischen Landrechts zudem die Horizon­ talteilung in der Form ausschließlichen Sondereigentums, d. h. ohne einen damit zusammenhängenden Miteigentumsanteil,45 auch wenn dies von der tatsächlichen Handhabe erheblichen Bedenken unterlag, weil die praktische Durchführung notwendigerweise dann von der Bestellung etwaiger Dienst­ barkeiten abhing, ohne die etwa ein Stockwerkseigentümer nicht an seine ausschließliche Sondereigentumseinheit gekommen wäre.46 Diese atypi­ schen Konstruktionen von einem Sondereigentum ohne einen entsprechenden Miteigentumsanteil wurden dennoch allgemein mit Blick auf die Norm des Art. 553 C.c. für zulässig erachtet.47 Die genannte Vorschrift des Art. 553 C.c. beinhaltete ausdrücklich den Gedanken eines geteilten Sondereigentums an Bestandteilen, die sich oberhalb und unterhalb der Erdoberfläche befan­ den:48 schrift des Art. 664 C.c. eine tatbestandliche Erweiterung enthielt. Zur Auslegung des Art. 664 C.c. ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 142. 42  ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 142. 43  Vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deut­ schen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 25. 44  P. Gilbert, Les Codes annotés de Sirey, contenant toute la jurisprudence jusqu’à ce jour, et la doctrine des auteurs, avec le concours, pour la partie criminelle de Faustin Hélie et Cuzon, Paris 1848, S. 286 f. 45  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S.  146 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Be­ rücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 21; H.-W. Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (79); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigen­ tums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 79 f. 46  Überzeugend die Ausführungen bei O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum un­ ter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  17 f., 21 f. 47  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 18 ff. 48  Abgedruckt bei Code civil des français, Édition stéréotype, conforme à l’édition originale de l’imprimerie de la République, Paris 1804, S. 134; H. Daniels, Code civil des français – Civil-Gesetzbuch der Franzosen, Köln 1805, S. 230; J. Mar-



II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil497 Article 553

Toutes constructions, plantations et ouvrages sur un terrain ou dans l’intérieur sont présumés faits par le propriétaire à ses frais et lui appartenir, si le contraire n’est prouvé sans préjudice de la propriété qu’un tiers pourrait avoir acquise ou pourrait acquérir par prescription soit d’un souterrain sous le bâtiment d’autrui, soit de toute autre partie du bâtiment.

Mit der Norm des Art. 553 des Code civil, der dem Rechtssatz 553 des Badischen Landrechts weitgehend entsprach, wollte der französische Gesetz­ geber den aus dem römischen Recht entlehnten Grundsatz superficies solo cedit durch eine Eigentumsvermutung festigen, wonach die oberhalb und unterhalb des Grundstücks errichteten Anlagen grundsätzlich im Eigentum des Eigentümers des Grundstücks stehen, „si le contraire n’est prouvé“.49 Damit stand die Norm zunächst in Übereinstimmung mit dem Geist des ge­ meinen römischen Rechts, aber nur wenn und solange der Gegenbeweis nicht erbracht wurde, womit das französische Recht nicht nur ein Sonderei­ gentum an den Stockwerken eines Hauses, sondern auch ein von dem Eigen­ tum an der Oberfläche verschiedenes Eigentum an auf dem Grundstück er­ richteten Gebäuden und an unter der Erde sich befindenden Räumen kann­ te.50 Der Eigentümer des Grundstücks wurde damit gesetzlich von dem Be­ quis de Maleville, Analyse raisonnée de la discussion du Code civil au Conseil d’État, 2. Aufl., Paris 1807, S. 32; deutsche Übersetzung bei F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S.  81 f. 49  E. Pigeau, Cours élémentaire de code civil, ou exposé méthodique des disposi­ tions du Code civil pour en faciliter l’intelligence, Paris 1818, S. 503 f.; ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 53; K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1145 f.; W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 247 f.; R. Schröder, Ueber eigentüm­ liche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 24, 37 f.; vgl. auch A. Duranton, Le droit civil français, suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a réuni la théorie à la pratique, Band XI, Bruxelles 1836, S. 382; L. Rondonneau, Table générale, par ordre alphabétique de matieres, des codes civil, de procédure civile, de commerce, d’instruction criminelle et pénal, Paris 1822, S. 448; F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rhei­ nischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 81 f. 50  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.02.1989, Az.: 9 U 193/88 = NJW-RR 1989, 596, (597); L. Rondonneau, Table générale, par ordre alphabétique de matieres, des codes civil, de procédure civile, de commerce, d’instruction criminelle et pénal, Paris 1822, S. 448; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Hei­ delberg 1896, S. 25; F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Ge­

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

weis des Gegenteils befreit, d. h., dass die Kraft des Gesetzes zunächst ausreichte, um ihn als Eigentümer zu qualifizieren.51 Gleichzeitig wurde damit in Übereinstimmung mit Art. 552 C.c. partikulargesetzlich noch ein­ mal konkretisiert, dass sich das Eigentum an einem Grundstück auch auf die Bestandteile unter der Erde sowie auf den Luftraum über dem Grundstück erstrecken konnte.52 Ausnahmen im Sinne eines Sondereigentums an einzel­ nen ausgeschiedenen Gebäudeteilen wie Kellern, Stockwerken oder Räumen waren aber durch abweichende Vereinbarungen bzw. durch eine ersitzende Verjährung zulässig,53 womit der Grundsatz superficies solo cedit durch Par­ tikularrecht durchbrochen worden war.54 Aus den Motiven zu Art. 553 des C.c., die aus den Beratungen des französischen Conseil d’État und des Tri­ bunats zu ersehen sind, geht mitunter hervor, dass sich der Staatsrat und die gesetzgebende Versammlung redaktionell eingehend mit den begründeten Erwerbstatbeständen eines Sondereigentums eines Dritten an entsprechenden Sachen unter fremdem Boden auseinandergesetzt haben, ohne dass es aber Diskussionen über den Gegenstand des Sondereigentums gab, das sich von Anfang an auf den Wortlaut „(…) un souterrain sous le bâtiment d’autrui, ou de toute autre partie du bâtiment“ beziehen sollte.55 Dass also ein Sonderei­ gentum eines Dritten an einem unterirdischen Bau bzw. an jedem anderen setzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (49 f.). Aus Art. 553 C.c. wurde auch die Zulässigkeit von gemeinschaftlichen Kon­ struktionen an einem Gebäude hergeleitet, die dann im Miteigentum standen.; vgl. P. Gilbert, Les Codes annotés de Sirey, contenant toute la jurisprudence jusqu’à ce jour, et la doctrine des auteurs, avec le concours, pour la partie criminelle de Faustin Hélie et Cuzon, Paris 1848, S. 251. 51  ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 53. 52  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S.  1145 f. 53  E. Pigeau, Cours élémentaire de code civil, ou exposé méthodique des dispo­ sitions du Code civil pour en faciliter l’intelligence, Paris 1818, S. 503; A. Duranton, Le droit civil français, suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a réuni la théorie à la pratique, Band XI, Bruxelles 1836, S. 382; ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 53: „Au surplus, la loi n’entend point porier alteinte aux droit des tiers résultant de la prescription.“ 54  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S.  1144 ff. 55  Discussion du Conseil d’État et du Tribunat sur le code civil, avant la rédac­ tion définitive de chacune des lois qui le composent, Paris 1841, S. 292. Die Norm des Art. 553 des Code civil hatte in den französischen Coutumes keinen Vorgänger. Hier zeigte sich zumindest in Ansätzen das Rechtsinstitut der superficies.; vgl. Procès-verbaux du Conseil d’État, contenant la discussion du projet de code civil, Paris 1803, S. 94; P. Lecocq, Manuel de droit des biens, Band I: Biens et propriété, Brüssel 2012, Nr. 109; D. Schlimpert, Integrale und funktionale Verbindungen aus Sachen im französischen und deutschen Recht, Göttingen 2015, S. 250; F. Ha­ drian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die



II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil499

Teil eines Gebäudes möglich sein sollte, war im Rahmen der Entstehungsge­ schichte des Art. 553 C.c. nicht umstritten.56 Auch hinsichtlich der Vorschrift des Art. 664 C.c. gab es im Conseil d’État und im Tribunat keine wesentli­ chen redaktionellen Änderungen,57 woraus abgeleitet werden kann, dass das im Rahmen des Code Napoléon kodifizierte Rechtsinstitut des Stockwerks­ eigentums in Bestätigung der überkommenen entsprechenden Coutumes dem französisch-linksrheinischen Geist der Zeit eindeutig entsprach.58 Angesichts des unmissverständlichen Wortlauts des Art. 553 C.c., wonach an jedem an­ deren Teil eines Gebäudes Sondereigentum bestehen konnte, waren der linksrheinischen Architekturkunst damit partikulargesetzlich keine Grenzen gesetzt, womit vom Baustil auch Gestaltungen in der Zwischenebene wie Souterrains bzw. Hochkeller möglich und üblich waren.59 Die Norm des Art. 553 C.c. beinhaltete im Übrigen den allgemeinen Gedanken von ausge­ schiedenen Gebäudeteilen, der dann in Art. 664 C.c. um eine Regelung be­ züglich der Kosten- und Lastentragung hinsichtlich des echten Stockwerks­ eigentums und den damit verbundenen gemeinschaftlichen Einrichtungen konkretisiert wurde,60 womit die Norm nicht auf den Fall abstellte, dass die Stockwerkseigentümer in einem reinen Miteigentumsverhältnis standen.61 Es ist aber noch einmal hervorzuheben, dass die Vorschrift des Art. 553 C.c. neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 81 f., 96. 56  Vgl. Discussion du Conseil d’État et du Tribunat sur le code civil, avant la rédaction définitive de chacune des lois qui le composent, Paris 1841, S. 292. 57  Discussion du Conseil d’État et du Tribunat sur le code civil, avant la rédac­ tion définitive de chacune des lois qui le composent, Paris 1841, S. 315. 58  Vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 444 f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f.; E. Durand, Coutumes de Lorris-Montargis, Saint-Fargeau, pays de Puisaye, Chatillon-surLoing, Sancerre, Gien, Nemours, Chateau-Landon, et autres lieux, régis et gouvernés par lesdites Coutumes, Montargis 1758, S. 397 f.; J. Marquis de Maleville, Analyse raisonnée de la discussion du Code civil au Conseil d’État, 2. Aufl., Paris 1807, S. 104. 59  Vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deut­ schen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 25. 60  Discussion du Conseil d’État et du Tribunat sur le code civil, avant la rédaction définitive de chacune des lois qui le composent, Paris 1841, S. 292, 315; ­J.-M. Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 142; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 25, 37 f. Dies wird an der folgenden Anmerkung zu Art. 664 C.c. offenbar: „Les propriétaires des caves contribuent aux réparations ou reconstruction des gros murs, chacun en proportion de la valeur de sa cave.“; vgl. ­J.-M.  Lahaye, ebd., S. 142. 61  Vgl. K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1336.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

nicht das Stockwerkseigentum an sich regelte, sondern lediglich den Fall von getrenntem Sondereigentum über- und unterhalb der Erdoberfläche er­ fasste.62 Dennoch ist gerade aus dieser Norm die allgemeine Zulässigkeit eines ausschließlichen Sondereigentums auch an einzelnen Gebäudeteilen wie einem Raum abgeleitet worden, ohne dass dies mit einem Gemein­ schaftsverhältnis an bestimmten Einrichtungen des Hauses einhergehen musste.63 Zwar ist insoweit zuzugestehen, dass die Fälle eines ausschließli­ chen Sondereigentums an Stockwerken von der Konzeption des Code Napo­ léon damit nicht direkt erfasst wurden.64 Angesichts des nicht abschließen­ den Ausführungscharakters der Norm des Art. 664 C.c.65 und der Mannigfal­ tigkeit an möglichen stockwerkseigentumsrechtlichen Gestaltungen und Va­ riationen kann daraus aber nicht geschlossen werden, dass es solche anormalen Konstruktionen nicht geben durfte bzw. konnte.66 Dies gilt umso mehr, als mit Art. 553 C.c. gerade eine Vorschrift im französischen Zivilge­ setzbuch enthalten war, die ein auf einem fremden Grundstück bestehendes Sondereigentum, wenn auch ober- und unterhalb der Erdoberfläche, aner­ kannte und damit den Rechtsgedanken eines geteilten Eigentums im Sinne echten Alleineigentums in sich trug.67 Für die Beurteilung von Stockwerks­ 62  Vgl. W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 247; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 25, 37 f.; O. v. Feilitzsch, Stockwerks­ eigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 18 ff. 63  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 25; E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S.  146 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Be­ rücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 21; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 79 f. 64  Vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deut­ schen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 24 f. 65  Vgl. ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 142; P. Gilbert, Les Codes annotés de Sirey, contenant toute la jurisprudence jusqu’à ce jour, et la doc­ trine des auteurs, avec le concours, pour la partie criminelle de Faustin Hélie et Cu­ zon, Paris 1848, S. 286 f. 66  Vgl. O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 18 ff. 67  Vgl. W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 247; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 25, 37 f.; O. v. Feilitzsch, Stockwerks­ eigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 18 ff.



II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil501

eigentum ist diese im französischen Recht gesetzlich anerkannte Ausnahme wesentlich, weil sie atypische Abweichungen erklären kann, die sonstigen gewohnheitsrechtlich anerkannten Formen möglicherweise fremd sind und insoweit linksrheinisch zu interpretieren sind. Mit Blick auf das bayerische Herbergsrecht könnte man geneigt sein, die Grundsätze des französischlinksrheinischen Stockwerkseigentums entsprechend anzuwenden, zumal man im Königreich Bayern der französischen Ausformung des Rechtsinsti­ tuts, wo das Stockwerkseigentum nicht statutarisch durch die Gesetzgebung ausgeschlossen war,68 gewohnheitsrechtliche Geltung zugestehen wollte.69 Es ist aber zu bedenken, dass sich die zur Erarbeitung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern eingesetzte Kommission in ihrem sachenrechtlichen Entwurf des Jahres 1864 zwar der französischen Konzep­ tion anschließen wollte, ohne aber den Rechtsgedanken des Art. 553 des Code civil in Erwägung zu ziehen.70 Eine bedingungslose Übertragung auf rechtsrheinische Formen des Stockwerkseigentums verbietet sich daher, son­ dern es sind stattdessen zunächst stets die regionalen Gewohnheiten und Rechtssitten zu beachten.71 In diesem Sinne gab es z. B. nach dem franzö­ sisch-linksrheinischen Recht Hochkeller in Anlehnung an die Vorschrift des Art. 553 C.c., die von der Rechtsprechung auch anerkannt wurden,72 die dem rechtsrheinischen bayerischen Recht aber nicht ohne weiteres bekannt waren.73 Die rechtliche Behandlung des auf dem Sondereigentumsgedanken beruhenden Stockwerks­eigentums, auch wenn es dem französischen Rechts­ institut entlehnt ist, beurteilt sich unter dem deutschen Bürgerlichen Gesetz­ buch nach Art. 182 EGBGB, so dass es, insofern keine abweichende landes­

68  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 ff. Fn. 15; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 14 ff. Im Fürststift Kempten waren die Herbergen dagegen durch Statut ausdrücklich aner­ kannt; vgl. Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. (Statut Nr. VI): „Art. 11. Die Abtheilung liegender Güter, als Häuser, Herbergen, Felder, Wiesen, Gärten u. ist unter obrigkeitlicher Auctorität zu geschehen, sonst ist sie für nichtig erklärt.“ 69  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 f. 70  Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bür­ gerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 71. 71  Vgl. insoweit zum badischen Recht die Ausführungen bei K. Baurittel, Hand­ buch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1042 ff. 72  OLG Koblenz, Beschluss vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14. 73  Vgl. A. Kreilinger, Das Kellerrecht – systematische Darstellung altrechtlicher Kellerrechte im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2003, S. 23 ff.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

rechtliche Änderungs- bzw. Überleitungsregelung in Geltung ist, zunächst weiter nach dem alten Recht beurteilt wird.74 In diesem Zusammenhang des französischen Stockwerkseigentums soll auch noch einmal auf eine systematische Redaktion bei der Einfügung der stockwerkseigentumsrechtlichen Norm in das sachenrechtliche Regelungsge­ füge des Code civil aufmerksam gemacht werden, der die Vorschrift des Art. 664 unter den Titel „servitudes établies par la loi“ eingeordnet hat.75 Es ist bereits gezeigt worden, dass der französische Gesetzgeber mit dieser Einordnung dem Stockwerkseigentum nicht die Rechtsnatur eines Eigentums nehmen wollte, weil der Wortlaut des Art. 664 C.c. ausdrücklich von „pro­ priété“ und „propriétaires“ sprach und auch sonst der Code civil in den Vorschriften der Art. 544, 552 und 637 ff. streng zwischen Eigentum und ­ sonstigen Dienstbarkeiten unterschied.76 Die systematische Einordnung des Art. 664 C.c. unter den Titel „servitudes établies par la loi“ hat vielmehr ei­ nen anderen Grund, der nur die Entstehungsgeschichte des Stockwerkseigen­ tums auf der Grundlage des droit coutumier und die spätere Sondereigen­ tumstheorie im französischen Recht bestätigt. Denn auch im französischen Raum gab es bis zu der Kodifikation des Code Napoléon ein geteiltes Eigen­ tum aus dominium directum et utile.77 In den altrechtlichen nordfranzösi­ schen Coutumes finden sich andererseits zahlreiche Nachweise der Herber­ gen, wenn die kodifizierten Gewohnheitsrechte auf „heberge“, „héberge“ und „hébergement“ abstellten, die regelmäßig unter dem Titel „De servitudes“ zu finden waren, wo im Rahmen des französischen droit coutumier auch die entsprechenden Normen zu „une maison de plusieurs propriétaires“ bzw. „(ce qui) appartenant à plusieurs par indivis“, d. h. zu dem altrechtlichen Stockwerksrecht, zu finden waren.78 Dies erklärt sich mitunter aus der neu­ 74  E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentü­ mers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 151; vgl. auch O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 21. 75  Zur Rechtsfigur der „servitudes établies par la loi“ M. Toullier/Ch. Bonaventura, Le droit civil français – suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a réuni la théorie à la pratique, Band I, Bruxelles 1837, S. 108 ff.; vgl. F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzge­ bung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S.  94 ff. 76  O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 22; a. A. A. Renaud, Von den Sa­ chen und Beschränkungen des Eigenthums, in: Rechtliche Gutachten, Band II, Mann­ heim 1886, S. 21 f. 77  K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 521 f. 78  Coustumes de la ville de Calais et pays, Calais 1630, S. 17 ff.; I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 442 ff.; J.-B. de Buridan,



II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil503

zeitlichen französischen Wissenschaft und deren Dogmatik, wonach vor dem Hintergrund des droit coutumier für eine besondere Wohneinheit im Rahmen eines Gebäudes und die gemeinschaftlichen Einrichtungen unter anderem jeweils persönliche Servitute, namentlich ein „servitut privatif“ und ein „ser­ vitut commun“, angenommen worden waren,79 die in dogmatischer Hin­ sicht aber noch ganz in dem Gedanken des auch im Fürststift Kempten gel­ tenden dominium directum80 verhaftet geblieben waren und unter dem Code Napoléon mit der Norm des Art. 664 vor dem Hintergrund des nun verwirk­ lichten einheitlichen Eigentumsbegriffs des französischen Zivilgesetzbuchs schließlich ihre positivrechtliche Anerkennung bzw. Ausformung im Sinne von etwaigen „servitudes établies par la loi“ unterliegenden ausgeschiedenen Bestandteilen eines Gebäudes erhielten.81 Den dogmatischen Hintergrund dieser vormaligen „Servitutenlehre“ bildete das dominium directum, weil der Obereigentümer hinsichtlich des liegenden Guts als disponierende Person Coustumes de la cité et ville de Rheims, villes et villages régis selon icelles, Rheims 1665, S.  707 ff.; E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S.  213 ff.; C. Thourette, Coutumes du comte et bailliage de Montfort-Lamaulry, Gam­ bais, Neauphile-le-Chastel, Saint-Liger en Yveline, enclaves et anciens ressorts d’iceux, Paris 1693, S. 120 ff.; L.-A. Sevenet, Coutume du Bailliage de Melun, Sens u. a. 1768, S.  205 ff.; R.-J. Pothier, Coutumes des Duché, Bailliage et Prévôté d’Orléans, et ressort d’iceux, Paris u. a. 1780, S. 389 ff. unter Verwendung des Wortes „héritage“; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 127 ff. unter Verwendung des Wortes „heritage“; M.-A. Lamy, Coutumes des Bail­ lage et Prevosté du Duché Destampes, commenteés, Paris 1710, S. 160 ff. unter Ver­ wendung des Wortes „héritage“; vgl. auch Coutumes générales du Duché de Lorraine, pour les Bailliages de Nancy, Vosges et Allemagne, Nancy 1760, S. 96 f. „de même celuy qui pour avoir sa maison en assiette plus haute que celle de son voisin.“ 79  J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius pri­ vatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 821 m. w. N.; vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deut­ schen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31; W. Merle, Das Wohnungsei­ gentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 18, 38 f. m. w. N. Siehe zum Stockwerksrecht als Grundgerechtigkeit, d. h. einer Präsidialservitut, nach dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten S. Saar/V. Diedrich, Die Preußi­ sche Teilung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (417 ff.). 80  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21. 81  M. Toullier/Ch. Bonaventura, Le droit civil français – suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a réuni la théorie à la pratique, Band I, Bruxelles 1837, S.  108 ff.; F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fort­ bildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheini­ schen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 94 ff.; vgl. auch L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 80. Zum einheitlichen Eigentumsbegriff des Code Na­ poléon K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Civilrechts, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 495 ff., 521 ff.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

neben dem Nutzeigentümer erschien, der damit eine Nutzung an einer frem­ den, nämlich obereigentümlich gebundenen Sache, innehatte.82 Wenn einem Eigentümer schließlich ein Stockwerksrecht zustand, welches mit der aus­ schließlichen Nutzungsbefugnis des ausgeschiedenen Gebäudebestandteils verbunden war, hatte er als Gegenstück zu dem dinglichen Nutzungsrecht auch die seine Wohneinheit betreffenden Kosten und Lasten zu tragen, wo­ mit durch die Coutumes bzw. den späteren Code Napoléon gesetzlich be­ gründete Realservitute einhergingen.83 Diese waren in diesem Fall auf eine Trennung von Eigentum ungeteilter und gemeinsamer Verpflichtung gerich­ tet, wobei das droit coutumier bzw. der Code civil auch bereits die damit einhergehende Kosten- und Lastenverteilung hinsichtlich der unterschied­ lichen Gebäudebestandteile festlegten.84 Vor dem positivistischen Hinter­ grund der Vorschrift des Art. 553 C.c. konnte sich die später herrschende Sondereigentumstheorie bei stockwerkseigentumsrechtlichen Rechtsverhält­ nissen85 nun auch auf dem Boden der geltenden neuen französischen Rechts­ ordnung dogmatisch weiter herausbilden.86 Bis zu diesem Zeitpunkt aber war durch das altfranzösische Gewohnheitsrecht anerkannt, dass besondere Stockwerkseinheiten möglich waren, die den einzelnen Berechtigten unter dem Vorbehalt eines herrschenden Obereigentums gehören konnten.87 Die einzelnen Stockwerkseigentümer hatten das Recht zur vollen Nutzung eines Stockwerks oder Raumes, das nach der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts auch mit einer Dispositionsfreiheit hinsichtlich der diesbezüglichen Unterhal­ tungs- und Instandsetzungsleistungen einherging, ohne dass dadurch aber die anderen Nutzungseinheiten des gegebenenfalls noch einem dominium direc­ 82  A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über ein­ zelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff. 83  E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; vgl. I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 444 f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f.; E. Durand, Coutumes de Lorris-Montargis, Saint-Fargeau, pays de Puisaye, Chatillon-surLoing, Sancerre, Gien, Nemours, Chateau-Landon, et autres lieux, régis et gouvernés par lesdites Coutumes, Montargis 1758, S. 397 f. 84  Vgl. M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S.  4 f. 85  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83. 86  Ein geteiltes Eigentum, das nicht auf einem altrechtlichen Ober- bzw. Nutzei­ gentum beruhte, wurde in unterschiedlichen dogmatischen Konstruktionen auch unter dem französischen Zivilgesetzbuch weiterhin als zulässig angesehen.; vgl. K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidel­ berg 1875, S. 525 m. w. N. in Fn. 11. 87  ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 142.



II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil505

tum unterliegenden Gebäudes materiell beeinträchtigt oder gefährdet werden durften.88 Daraus ergab sich aber mittelbar die Pflicht der Stockwerkseigen­ tümer zur Unterhaltung und Instandsetzung ihres ausgeschiedenen Gebäude­ bestandteils, womit inzident eine Belastung ihres Stockwerksrechts im Sinne des gesamten Gebäudes bestand.89 Diese rechtliche Konstellation entsprach schließlich derjenigen eines Servituts an einer fremden Sache, d. h., der Nut­ zeigentümer durfte die dem Obereigentümer formal noch gehörende Sache in einem bestimmten Sinne ausschließlich nutzen.90 Das stockwerkseigentums­ rechtliche Recht wurde deshalb in der französischen Theorie lange Zeit als Servitut aufgefasst,91 was später unter anderem auch im rechtsrheinischen Königreich Bayern diskutiert wurde.92 Der französische Gesetzgeber hat aus diesem Grund das Stockwerkseigentum vor dem Abbild der altfranzösischen Coutumes unter dem Titel der „servitudes établies par la loi“ verwirklicht, um gesetzliche Erleichterungen mit Blick auf die auch zukünftige Praktikabi­ lität der Rechtsverhältnisse zu schaffen, womit der durch das droit coutumier 88  J. B. Sirey/L. M. Villeneuve, Das französische Civilgesetzbuch und Handels­ recht, erläutert aus Urtheilen der französischen Gerichtshöfe, Gesetzen und anderen Quellen, Karlsruhe 1838, S. 393. 89  J. B. Sirey/L. M. Villeneuve, Das französische Civilgesetzbuch und Handels­ recht, erläutert aus Urtheilen der französischen Gerichtshöfe, Gesetzen und anderen Quellen, Karlsruhe 1838, S. 393. 90  A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über ein­ zelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 86; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S.  95 f.; D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S. 282. 91  A. Renaud, Von den Sachen und Beschränkungen des Eigenthums, in: Recht­ liche Gutachten, Band II, Mannheim 1886, S. 21 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 195 mit Fn. 12; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 417; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stock­ werkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivat­ rechts, München 1920, S. 33 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tü­ bingen 1912, S. 19, 29 f.; J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 821; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 232 ff.; H. Grziwotz/ R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145; J. Hönle/ U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 13. 92  H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 740.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

bereits vorbereitete Rechtsgedanke eines Servituts an einer fremden Sache inzident in die französische Kodifikation aufgenommen wurde.93 Unter dem einheitlichen Eigentumsbegriff des französischen Zivilgesetzbuchs entwi­ ckelte sich dann das Sondereigentum an ausgeschiedenen Bestandteilen eines Gebäudes,94 das in der früheren Wissenschaft auch als altrechtliches „­servitut privatif“ angesehen wurde95 und vor dem positivistischen Hintergrund des Code civil zu Alleineigentum im Sinne eines zu handhabenden selbständigen Grundstücks erstarken konnte.96 Der Bezug auf eine Belastung von Gesetzes wegen war aber auch aus einem anderen Grund geboten, der sich wiederum aus dem untergegangen geteilten Eigentum ergab. Denn die Sondereigen­ tumstheorie ist, worin ihre Schwäche besteht, im Ergebnis nur dann plausi­ bel, wenn verschiedenste wechselseitige Reallasten und Grunddienstbarkeiten wie etwa servitus oneris ferendi, tigni immittendi, Wasserleitungsrechte usw. und aus der Gemeinschaft entspringende gesetzliche Pflichten der Stock­ werkseigentümer untereinander vorausgesetzt werden.97 Aus diesem Grund hat sich schließlich in der späteren Literatur und Praxis unter dem einheit­ 93  Siehe insoweit zur französischen Rechtsprechung J. B. Sirey/L. M. Villeneuve, Das französische Civilgesetzbuch und Handelsrecht, erläutert aus Urtheilen der fran­ zösischen Gerichtshöfe, Gesetzen und anderen Quellen, Karlsruhe 1838, S. 393. 94  J. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou commentaire et complément des codes Français, Band VIII, Paris 1827, S. 389; vgl. auch J. M. Boileux, Die Controversen des französischen Civilrechts nach dem Com­ mentaire sur le Code civil, Stuttgart 1841, S. 164 f. Darin zeigt sich im Ergebnis der germanische Gedanke eines vom Grund und Boden losgelösten Sondereigentums an Gebäuden.; vgl. J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S.  71 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 40 ff. m. w. N.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 153 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3. 95  J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius pri­ vatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 821 m. w. N. 96  Vgl. auch zu einer entsprechenden Parallele hinsichtlich eines aus einem nicht nach Bruchteilen aufgeteilten Recht hervorgehenden Miteigentums E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deut­ schen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 189 mit Fn. 6; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 410 f.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (128). Siehe in diesem Zusammenhang auch J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Fest­ schrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 821, der darauf hinweist, dass die Rechtsnatur der im Rahmen des Stockwerkseigentums anzutreffenden „éléments privatifs et communs“ dogmatisch nicht richtig erfasst werden konnten. 97  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 f.; vgl. H. Zoeppritz, Ueber das



II. Stockwerkseigentum unter dem französischen Code civil507

lichen Eigentumsbegriff des Code Napoléon98 die Theorie einer dogmati­ schen Symbiose aus Sondereigentum und Miteigentum an den gemeinschaft­ lichen Teilen des Hauses wie dem Untergrund, den Umfassungsmauern, dem Dach, den Kaminen, Treppen, Wasserleitungen, dem Haustelegraf sowie ge­ gebenenfalls auch an Kellern, Speichern und der Waschküche entwickeln können.99 Durch den Wegfall des dominium directum und die Durchsetzung des einheitlichen französischen Eigentumsbegriffs aber erstarkten die nicht­ gemeinschaftlichen Servitutsverhältnisse am Gebäude zu entsprechenden Sondereigentumsanteilen,100 indem die vormals durch die Obrigkeiten mit­ ausgeformten Rechtsverhältnisse sukzessive in Privateigentum überführt wurden.101 Mit dem Sondereigentum war notwendigerweise eine Belastung der stockwerkseigentumsrechtlichen Wohneinheit mit Pflichten zur Unterhal­ tung und Instandsetzung verbunden, deren dienstbarkeitsähnlicher Charakter bereits im droit coutumier angelegt war und später durch das Miteigentum an den gemeinschaftlichen Einrichtungen ergänzt wurde.102 Dieses Miteigentum entsprach im Ergebnis der altrechtlichen „servitut commun“,103 die unter dem Code Napoléon zu dem mit dem Sondereigentumsanteil untrennbar ver­ bundenen Miteigentumsanteil erstarkte.104 Deshalb wurde die Norm des Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 9. 98  Vgl. K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 491 ff., 521 ff. 99  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 f. 100  Vgl. J. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou commentaire et complément des codes Français, Band VIII, Paris 1827, S. 389; J. M. Boileux, Die Controversen des französischen Civilrechts nach dem Commen­ taire sur le Code civil, Stuttgart 1841, S. 164 f. 101  M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S.  3 f. 102  Vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 444 f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f.; E. Durand, Coutumes de Lorris-Montargis, Saint-Fargeau, pays de Puisaye, Chatillon-surLoing, Sancerre, Gien, Nemours, Chateau-Landon, et autres lieux, régis et gouvernés par lesdites Coutumes, Montargis 1758, S. 397 f.; J. Marquis de Maleville, Analyse raisonnée de la discussion du Code civil au Conseil d’État, 2. Aufl., Paris 1807, S. 104. 103  Vgl. J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S.  821 m. w. N. 104  Vgl. P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 318; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 289 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. v. Schnei-

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

Art. 664 C.c. in die Kodifikation im Rahmen der Rubrik „servitudes établies par la loi“ aufgenommen, weil der französische Gesetzgeber das Problem auf der Grundlage des bestehenden droit coutumier gesehen hat und daher inso­ weit auch eine gesetzliche Erleichterung in der Gestalt von festgelegten bzw. etablierten Dienstbarkeiten signalisieren und einführen wollte,105 nicht aber, weil er dem Stockwerkseigentum das rechtliche Wesen eines Eigentums neh­ men wollte.106 Die Vorschrift des Art. 664 C.c. bezog sich dabei von ihren tatbestandlichen Voraussetzungen sowohl auf die sachlichen Elemente einer früheren „servitut privatif“ wie auch einer „servitut commun“.107 Mit dem Untergang des disponierenden Obereigentums hingen die stockwerkseigen­ tumsrechtlichen Wohneinheiten der Berechtigten praktisch vollkommen in der Luft, weil die ausgeschiedenen Gebäudeteile durch hoheitliche und regel­ mäßig stillschweigend begründete Servitute miteinander zu einer „mitoyen­ neté“ verbunden waren, ohne dass es entsprechende Aufzeichnungen über die dinglichen Rechte gab.108 Entscheidend ist dabei, dass die Teilung eines Hauses nach dem altfranzösischen Recht als hoheitlicher bzw. zumindest unter Beteiligung der Herrschaft entstandener Titel angesehen wurde, mit welchem ausdrücklich bzw. gegebenenfalls auch stillschweigend die Bestel­ der, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, Mün­ chen 1899, S. 197; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Be­ rücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 28; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 39 ff., 45; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 631; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 121; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 6; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 57. 105  R. Schröder, Über eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Lan­ desprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194 Fn. 9; vgl. auch O. v. Feilitzsch, Stockwerksei­ gentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, Mün­ chen 1920, S. 19. 106  So auch O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichti­ gung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 22; a. A. A. Renaud, Von den Sachen und Beschränkungen des Eigenthums, in: Rechtliche Gutachten, Band II, Mannheim 1886, S. 21 f. 107  J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius pri­ vatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 821. 108  Vgl. K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 545 ff.; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 21 ff., 33 ff. In Frankreich änderte sich dies mit dem Code civil und der Einführung eines tran­ skriptionsfähigen Grundbuchs.; vgl. K. Zachariä v. Lingenthal, ebd., S. 545 ff.



III. Das badische Stockwerkseigentum und das Relikt des Obereigentums509

lung von Servituten einhergehen konnte.109 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bei gemeinschaftlichen Einrichtungen von altrechtlichen Stockwerksei­ gentumsbeständen, wenn ein Miteigentum nicht ausdrücklich vorliegt, stets auch an ein stillschweigend hoheitlich begründetes altrechtliches Servitut gedacht werden muss, aus dem sich Rechte und Pflichten der Stockwerksei­ gentümer ergeben konnten. Dies bestätigt die Dogmatik der herrschenden Sondereigentumstheorie, die ohne die Annahme von konkludenten Dienst­ barkeiten und gegen­seitigen Rechten und Pflichten nicht praktikabel wäre.110 Auch hier ist der Grund im untergegangenen geteilten Eigentum zu suchen, das durch den einheitlichen Eigentumsbegriff nicht vollumfänglich kompen­ siert werden konnte.

III. Das badische Stockwerkseigentum und das Relikt des Obereigentums Im Großherzogtum Baden galt zunächst der mit Art. 664 C.c. weitgehend inhaltsgleiche Satz 664 des Badischen Landrechts vom 01.01.1810,111 der das kraft Gewohnheitsrechts in weiten Landesteilen verbreitete Stockwerks­ eigentum unberührt ließ und auch die weitere Begründung zugelassen hat, der dann im Zuge der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs formal aufgehoben und auch nicht durch eine entsprechende Übergangsnorm wie im Königreich Bayern mit Art. 42 BayÜGBGB ersetzt wurde.112 Damit galt in Baden zunächst ausschließlich die Vorschrift des Art. 182 EGBGB, die be­ stimmt, dass das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerkseigentum mit seinem bisherigen Inhalt bestehen bleibt 109  M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 3 f. Insoweit ist auch eine Regelung in den Coutumes de Metz bemerkenswert: „Art. XXII.: Disposition ou partage de Pere de Famille, rédigé par écrit, sert de titre, si par idelle il a assujetty une partie de son Heritage, ou Maison â l’autre.“; A. Brice, Coutumes générales de la ville de Metz et pays messin, Metz 1730, S. 362. 110  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 f.; vgl. H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 9. 111  BGHZ 46, 281, (286); K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1336; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigen­ tum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhält­ nisse, Tübingen 1912, S. 18; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bür­ gerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 18; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (59). 112  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f.; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (59).

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

und sich das Rechtsverhältnis der Beteiligten untereinander nach den bishe­ rigen Gesetzen bestimmt.113 Das badische Stockwerkseigentum wurde dabei materiellrechtlich wie grundbuchmäßig als eigenständiges Grundstück aufge­ fasst und behandelt.114 Heute gelten dagegen im vormals großherzoglich-­ badischen Gebiet nach § 36 BaWüAGBGB die Artikel 216–231 des Würt­ tembergischenAGBGB vom 29.12.1931, die als Anlage dem BaWüAGBGB vom 26.11.1974 angehängt waren.115 Da hier aber in erster Linie das Her­ bergsrecht in der Kemptener Fürstabtei zur wissenschaftlichen Untersuchung steht und nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich gegebenenfalls über links des Rheins ansässige Herrschergeschlechter, denen einzelne Kemptener Fürstäbte als geistliche Würdenträger angehörten, oder sonstige rezeptive Faktoren auch linksrheinisch-badischer Einfluss im Fürststift Kempten nie­ dergeschlagen hat, ist die Durchdringung der Dogmatik des badischen Stock­ werkseigentums nicht nur von rechtsgeschichtlicher, sondern mit Blick auf die positivrechtlichen Normen der Art. 182 EGBGB, Art. 62 BayAGBGB weiterhin auch von praktischer Bedeutung. Satz 664 des Badischen Landrechts erweiterte den Regelungsgehalt des Art. 664 des Code Napoléon in tatbestandlicher Hinsicht und lautete:116 664. Wenn die verschiedenen Stockwerke eines Hauses verschiedenen Eigenthümmern zugehören, und die Urkunden über das Eigenthum nicht bestimmen, wie es in Absicht auf die Ausbesserungen und das Wiederaufbauen gehalten werden soll; so sind dabei folgende Grundsätze zu beobachten:

113  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 170. 114  W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 20. 115  WürttAGBGB vom 29.12.1931, RegBl. 1931, S. 545; ­H.-W.  Thümmel, Ab­ schied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (125, 131 f.); G. Kohl, Stock­ werkseigentum, Berlin 2007, S. 171. 116  Abgedruckt bei K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1336; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 19 Fn. 21. Der Satz 664 des Badischen Land­ rechts war gegenüber der Regelung im französischen Code civil erweitert; vgl. H.  Zoepp­ritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 18; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deut­ schen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 134 f., wo auch die Unterschiede zu Art. 664 C.c. herausgearbeitet werden; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deut­ sche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83.



III. Das badische Stockwerkseigentum und das Relikt des Obereigentums511

Die Kosten der Hauptmauern und des Dachs sammt seinen Fußböden und dem Theil der Kamine, der durch das Dach lauft, auch der Treppe vom obersten Stock in das Dach, fallen auf alle Eigenthümer nach Verhältniß des Werths des Stockwerks, das jedem zugehört. Der Eigenthümer eines jeden Stockwerks macht den Fußboden, worauf er geht, sammt seiner obern Bekleidung, und die Decke oder untere Bekleidung des Fußbo­ dens eines höhern Stocks. Der Eigenthümer des zweiten Stocks macht die Treppe, welche dahin führt; Der Eigenthümer des dritten Stocks macht, von dem zweiten anzurechnen, die Treppe, die zu ihm führt, und so weiter.

Das Badische Landrecht wurde zwar nach dem Vorbild des Code Napo­ léon entworfen, es war aber ein eigenes Gesetzeswerk mit ca. 500 Zusätzen, welche insbesondere gelebte badische Gewohnheiten und Rechtssitten erfas­ sen sollten.117 Deshalb wurde im Rahmen der landrechtlichen Kodifikation für das Großherzogtum Baden zwar auch das einheitliche volle Eigentum eingeführt, ohne dass aber „die alte Ordnung in Betreff der Eigentumsver­ zweigungen und deutschrechtlichen Servituten und Reallasten durch die lei­ tenden Ideen des L. R. (Landrechts) (…) verdrängt werden sollten.“118 Das „zertheilte“ Eigentum aus dominium directum et utile, in der badischen Ter­ minologie als „Grundeigenthum“ gegenüber dem „Nutzeigenthum“ bezeich­ net, wurde deshalb nicht abgeschafft, sondern gesetzlich mit Satz 544 c des Badischen Landrechts aufrechterhalten, wobei andererseits nun ein „geteiltes Eigentum“ oder auch „Miteigenthum“ nach Satz 544 d des Badischen Land­ rechts eingeführt wurde.119 Vor dem positivistischen Hintergrund, dass das Landrecht für das Großherzogtum Baden mit den Rechtssätzen 664 und 553 117  W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dar­ gestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 2, 12 f.; J.-L. Halpérin, Code civil, in: A. Cordes u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I: Aachen – Geistliche Bank, 2. Aufl., Berlin 2008, Sp. 861, (865); H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., Mün­ chen 2017, S. 240; A. Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, Köln u. a. 2003, S. 161. 118  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1042. 119  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S.  1042 ff.; W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napo­ léon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 262 ff. Der Satz 544 d des Badischen Landrechts lautete: „Ein getheiltes oder Miteigentum hat derjenige, der mit einem Andern eine im innern Umfang durch­ aus gleiche Art der Theilnahme an den einzelnen Gattungen der Eigenthumsbefug­ nisse hat, sey es nun zu gleichen oder ungleichen Antheilen. Man kann am vollen Eigenthum, in gleichen an Grundeigenthum allein, oder am Nutzeigenthum allein das Miteigenthum haben.“

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

auch konkrete Regelungen zum Stockwerkseigentum bzw. zu einem beson­ deren Eigentum ober- und unterhalb eines fremden Grundstücks nach franzö­ sischem Muster enthielt, war damit auch hier der rechtliche Rahmen für die dogmatische Herausbildung der später herrschenden Sondereigentumstheorie gelegt, die auch für das badische Stockwerkseigentum als Wesenskriterium bezeichnet werden kann.120 Folglich können insoweit die zur Dogmatik des französischen Stockwerkseigentums gemachten Erläuterungen entsprechend herangezogen werden.121 Der Rechtssatz 554 d des Badischen Landrechts normierte aber sogar noch ausdrücklich, dass jemand „am Nutzeigenthum allein das Miteigenthum haben (konnte).“122 Damit war für den großherzog­ lich-badischen Raum nun auch gesetzlich der Grundstein für das die stock­ werkseigentumsrechtlichen Sondereigentumsanteile ergänzende Miteigentum gelegt, das sich im französischen Raum später aus servitutsähnlichen Rechts­ verhältnissen entwickelt hatte.123 Der Satz 664 des Landrechts für das Groß­ herzogtum Baden war aber gegenüber seinem auf dem droit coutumier auf­ bauenden Vorgänger aus dem französischen Zivilgesetzbuch des Code Napo­ léon in tatbestandlicher Hinsicht noch umfassender124 und verdeutlichte da­ 120  BGHZ 46, 281, (286); E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Er­ gänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S.  194 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S.  18 ff.; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Ber­ lin 1979, S. 18, 20; vgl. auch W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 247 f., 266. Eine entsprechende Vorschrift enthielt mit Art. 664 auch das Pfälzische Civilgesetzbuch, so dass das Stockwerkseigentum in dessen Geltungs­ bereich ebenfalls linksrheinisch ausgeprägt war.; vgl. H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28.August 1898, München 1899, S. 194 ff.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Bei­ trag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 158. 121  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 18 ff. 122  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S.  1044 f.; W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napo­ léon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 266. 123  Vgl. W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S.  266 ff.; J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 821 m. w. N. 124  H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichti­ gung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 18;



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mit noch klarer den Pflichtenkreis der Beteiligten, der sich später in der Entstehung von einem nun seitens des Badischen Landrechts ausdrücklich anerkannten Miteigentum entlud.125 Die Norm war aber gegenüber individu­ ellen Vereinbarungen der Stockwerkseigentümer hinsichtlich Unterhaltung und Instandsetzung subsidiär und verkörperte damit im Besonderen den Ge­ danken der Privatautonomie.126 Angesichts der Entstehungsgeschichte rühmte sich das Rechtsinstitut des badischen Stockwerkseigentums damit unter dem Vorbehalt gewohnheits­ rechtlicher Besonderheiten der alten badischen Rechtslehre127 einer franzö­ sisch-linksrheinischen Rezeption und formte sich in der Folge nach dem später herrschenden Gedanken eines Sondereigentums, insbesondere auch in der für das badische Rechtsinstitut mitunter typischen Gestalt von Vertikal­ teilungen, aus, wenngleich andere Stockwerkseigentumsformen nicht ausge­ schlossen waren.128 Unter dem Einfluss der nachgeahmten Kodifikation des französischen Code Napoléon war im Großherzogtum Baden deshalb Son­ dereigentum an einzelnen Stockwerken eines Gebäudes üblich.129 Nach die­ sem badischen Modell stellten sich reale Gebäudeteile grundsätzlich als Sondereigentum dar, ohne dass Miteigentum der Stockwerkseigentümer an dem ganzen Gebäude bestand, es konnte aber gemeinschaftlich genutzte Teile wie eine Grundfläche geben, die dann in einem unauflöslichen Mitei­ gentumsverhältnis standen.130 Das badische Stockwerkseigentum gab es N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Bei­ trag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 134 f.; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83. 125  Vgl. K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1044 f.; W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 266. 126  W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 19. 127  Vgl. K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1042 ff. 128  ­H.-W.  Thümmel, Stockwerkseigentum in Baden nach französischem Recht und die Einwirkung des württembergischen Rechts, BWNotZ 1984, 5, (6 f.). Siehe zu den sonstigen Rechtsgebieten, in denen das linksrheinisch-französische Recht Anwendung fand, H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 25 f. 129  ­H.-W.  Thümmel, Stockwerkseigentum in Baden nach französischem Recht und die Einwirkung des württembergischen Rechts, BWNotZ 1984, 5, (6 f.). Die unter­ schiedlichen Gebäudeteile wurden demgemäß nach der Grundbuchordnung auch als selbständige Grundstücke behandelt.; vgl. ­H.-W.  Thümmel, ebd., S. 6 f. 130  W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dar­ gestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 266; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

deshalb als wirkliches Alleineigentum an ausgeschiedenen Bestandteilen ei­ nes Gebäudes, d. h., dass das Sondereigentum auch ein ausschließliches sein konnte, ohne dass dies mit einem gemeinschaftlichen Nutzungsverhältnis an bestimmten Einrichtungen einhergehen musste,131 womit die Dogmatik des französisch-linksrheinischen Stockwerkseigentums deutlich hervorschien, wo ebenfalls ein ausschließliches Sondereigentum anerkannt war.132 Eine beson­ dere Eigenart des badischen Rechtsinstituts bestand in der Vorliebe zu Verti­ kalteilungen, d. h. von vertikal geteilten Gebäuden, bei denen die Grundflä­ che aber regelmäßig im Miteigentum der Teilhaber stand.133 In diesem Sinne können die sogenannten Archen im Südschwarzwald angeführt werden, die in senkrechte Abschnitte zerteilt sind.134 Eine Ausnahme der Möglichkeit von Hausteilungen im Erbfalle enthielt andererseits die Baden-Durlachische Landesordnung von 1715, womit aber wiederum implizit die Präferenz von etwaigen vertikalen Gebäudeteilungen zum Ausdruck gebracht wurde.135 Im Jahre 1808 wurde schließlich die horizontale Teilung eines Gebäudes nach Stockwerken für den Fall der Erbteilungen durch das badische Edikt über die Vorteilsgerechtigkeit verboten.136 1979, S. 20; ­H.-W.  Thümmel, Stockwerkseigentum in Baden nach französischem Recht und die Einwirkung des württembergischen Rechts, BWNotZ 1984, 5, (8 f.). 131  H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S.  21; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (132). 132  E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentü­ mers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 146 ff.; O. v. Feilitzsch, Stock­ werkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivat­ rechts, München 1920, S. 18 ff. 133  ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (132). 134  ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (132). 135  Lands-Ordnung der Fürstenthummer und Landen der Markgraffschafften Ba­ den und Hachberg, In Neun Theil verfasst, gedruckt zu Durlach (Theod. Hecht), Anno MDCCXV: 6. Teil, 1. Titel, § III, S. 122; ­H.-W.  Thümmel, Stockwerkseigentum in Baden nach französischem Recht und die Einwirkung des württembergischen Rechts, BWNotZ 1984, 5, (6); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 58, 133. „Nachdem auch diß anhero in Theylung der Erbfäll/ allerley Un­ richtigkeiten und Zweytracht erfolgt/ so wollen Wir/ zu Abschaffung solches unrich­ tigen Wesens/ daß Unter Ober- und Under-Amtleuth/ auch Burgermeister/ Schultheiß/ Gericht und Raht jedes Orths/ in dergleichen Erbtheilungen/ die Häuser oder andere Güter/ so nicht mit gutem Nutzen zertrennt werden können/ keines wegs zertrennen lassen/ sonder sonsten nach billichen Dingen/ und ihrem vernünftigen Gutbeduncken/ ersprießliche Vergleichung suchen/ dem auch die Erben gebührende Folg und Vollzie­ hung zu thun verbunden seyn sollen.“; Lands-Ordnung der Fürstenthummer und Lan­ den der Markgraffschafften Baden und Hachberg, ebd., S. 122. 136  Edikt über die Vorteilsgerechtigkeit vom 23.03.1808, Regierungsblatt für das Großherzogtum Baden 1808, S. 94, Nr. 11; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen



III. Das badische Stockwerkseigentum und das Relikt des Obereigentums515

Andererseits erscheinen im badischen Zusammenhang regelmäßig der aus dem Französischen stammende Begriff der „mitoyenneté“ und die Rechts­ figur eines Gemeinschaftseigentums besonderer Art.137 Als Ausgangspunkt der dogmatischen Einordnung dieser Rechtsfigur ist der auch im Badischen Landrecht in Satz 544 c und 577 a a bis 577 a r vorzufindende und auf dem Lehenswesen beruhende hochmittelalterliche Gedanke anzusehen, wonach bei Liegenschaften ein geteiltes Eigentum, d. h. die Teilung der im Eigentum enthaltenden Befugnisse unter verschiedenen Personen, möglich war, wobei der einen Person die Proprietätsrechte, d. h. das Grundeigentum, gemein­ rechtlich formuliert das Obereigentum bzw. auch das dominium directum, zustand, die andere Person dagegen die Nutzungsrechte im Sinne eines Nutz­ eigentums, gemeinrechtlich das Untereigentum oder das dominium utile, in­ nehatte.138 Dieses geteilte Eigentum ist der Ursprung von einem mehreren Personen zustehendem Eigentum, das nicht nach Bruchteilen aufgeteilt ist und daher als Gemeinschaftseigentum besonderer Art aufgefasst werden kann, welches seine Weitergeltung im deutschen Recht heute der Norm des Art. 181 II EGBGB verdankt.139 Im französischen Recht wurde diese beson­ dere gemeinschaftliche Eigentumsform auch „copropriété avec indivision forcée“ genannt.140 Gerade im badischen Recht gab es derartige Sonderfor­ men von Gemeinschaftseigentum besonderer Art,141 die aber ohne weiteres auch in der Kemptener Fürstabtei vorkommen konnten, weil auch hier das des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 26 m. w. N. in Fn.  2; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 19. 137  Zur badischen Rechtsprechung, die bei bestimmten Konstellationen wie auch einem Hofraum ein Gemeinschaftseigentum besonderer Art nach Art. 181 II EGBGB anerkennen möchte, J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 12; vgl. aber auch BayObLGZ 22, 270, (272); BayObLGZ 1967, 397, (399 f.), wonach Art. 181 II EGBGB nur auf beste­ hende „Gesamthandsverhältnisse“ anwendbar ist. Ablehnend bei einer gemeinschaft­ lichen Giebelmauer nach dem Rheinischen Bürgerlichen Gesetzbuch BGHZ 27, 197, (202 f.). 138  Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auf­ lage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivil­ rechts, Heidelberg 1824, S. 94 ff.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 189 mit Fn. 6. 139  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 189 mit Fn. 6; vgl. ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (128). 140  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258. 141  Vgl. J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 12.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

Dogma vom geteilten Eigentum anerkannt war142 und gemeinschaftliche Hofräume, Zugänge usw. den Herbergen unabhängig von ihrer links- oder rechtsrheinischen Zuordnung praktisch wesensimmanent waren.143 Abgese­ hen davon konnte das französisch-linksrheinische Stockwerkseigentum auch in den rechtsrheinischen Gebieten gewohnheitsrechtlich entsprechend an­ wendbar sein,144 wobei aber auch grundsätzlich eine systematische Übertra­ gung bei gemeinschaftlichen Einrichtungen wie Hofräumen möglich er­ scheint, weil sie sich den dogmatischen Spezifikationen der entsprechenden Normen des französischen Code civil bzw. des Badischen Landrechts entzie­ hen.145 Möglicherweise lässt sich dieser Erkenntnis im Kontext mit der zu unter­ suchenden Dogmatik des badischen Stockwerkseigentums trotz des besonde­ ren französisch-linksrheinischen Einflusses und der gewohnheitsrechtlichen Eigenheiten des Badischen Landrechts146 nun aber ein allgemeiner Grund­ satz entnehmen, der auf die rechtliche Natur des Stockwerkseigentums zu­ rückwirkt. Die Frage nach dem Wesen des Stockwerkseigentums stellt sich wiederum erneut vor dem Hintergrund, wonach die Sondereigentumstheorie nur dann praktikabel ist, wenn verschiedene wechselseitige Reallasten und Grunddienstbarkeiten wie servitus oneris ferendi, tigni immittendi, Wasser­ leitungsrechte usw. und etwaige aus der Gemeinschaft entspringende gesetz­ liche Pflichten der Stockwerkseigentümer untereinander vorausgesetzt wer­ den.147 Dieser Gedanke, der dem französischen Rechtsinstitut der „servitudes 142  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21. 143  Vgl. StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kemp­ ten Kataster 940 II, fol. 344–347 zu einem gemeinschaftlichen Hofraum in der Kemptener Fürstabtei; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 12. 144  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 f. 145  Vgl. StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kemp­ ten Kataster 940 II, fol. 344–347; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommen­ tar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 12. 146  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S.  1042 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Stockwerkseigentum in Baden nach französischem Recht und die Einwirkung des württembergischen Rechts, BWNotZ 1984, 5, (6 f.). 147  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 f.; H. Freyer, Das Stockwerkseigen­ tum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 20; vgl. Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Ar­ chiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (215).



III. Das badische Stockwerkseigentum und das Relikt des Obereigentums517

établies par la loi“ im Allgemeinen und der Norm des Art. 664 des Code Napoléon im Besonderen zugrunde lag,148 galt bei Satz 664 des Badischen Landrechts entsprechend149 und kann eigentlich generell für den süddeut­ schen Raum angeführt werden, weil die Sondereigentumstheorie auch in Württemberg und in Bayern herrschend war,150 wenngleich immer regional nach den vormals gewohnheitsrechtlich anerkannten Formen des Stock­ werkseigentums differenziert werden muss.151 Lag das Problem von ausge­ schiedenen Gebäudeteilen in horizontaler Teilung aber vielleicht sogar grundsätzlich in der ehemaligen Verfügungshoheit des Obereigentümers be­ gründet, die durch das spätere private Eigentum nicht hinreichend absorbiert werden konnte? Im Zusammenhang mit dem französischen Stockwerksrecht ist bereits auf den Umstand hingewiesen worden, wonach sich die Teilung eines Hauses nach dem altfranzösischen Recht als Titel darstellte, mit wel­ chem ausdrücklich bzw. gegebenenfalls auch stillschweigend die Bestellung von entsprechenden Servituten einhergehen konnte.152 Zur Verdeutlichung soll ein kurzes Fallbeispiel angeführt werden: Der Markgraf von BadenDurlach bzw. – in Anlehnung an das Fürststift Kempten – der Fürstabt ver­ fügten die Erbleihe eines Grundstücks an drei nicht dem Adelsstand angehö­ rende Personen, die jeweils eine Herberge errichten bzw. besitzen wollten. 148  Vgl. M. Toullier/Ch. Bonaventura, Le droit civil français – suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a réuni la théorie à la pratique, Band I, Bruxelles 1837, S.  108 ff.; F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fort­ bildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheini­ schen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 94 ff. 149  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1336; vgl. K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivil­ rechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 511 Fn. 2 m. w. N.; R. Schröder, Über eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Hei­ delberg 1896, S. 24 ff., 31 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergän­ zungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194 ff., v. a. S. 194 Fn. 9; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 19. „Der Grund der Bestimmung ist, um eine billige Ausgleichung da zu haben, wo ein Haus verschiedenen Eigenthümern gehört, die nicht condomini sind.“; K. Baurittel, ebd., S. 1336 zu Satz 664 des Badischen Landrechts. 150  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 f. m. w. N. in Fn. 14; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83. 151  Vgl. zum badischen Recht K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1042 ff. 152  M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S.  3 f.; vgl. A. Brice, Coutumes générales de la ville de Metz et pays messin, Metz 1730, S. 362.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

Die einzelnen Herbergen sollten in der Form von Stockwerken erbaut wer­ den, wobei ein gemeinsamer Aufgang als Hofraumelement vorhanden sein sollte. Anerkannt ist, dass das Obereigentum der Grund dafür sein konnte, dass es zwischen mehreren Personen ungeteilte Flächen gab, auf die als Ge­ meinschaftseigentum besonderer Art heute nach deutschem Recht die Vor­ schrift des Art. 181 II EGBGB Anwendung finden kann.153 Die Rechtsfigur der „servitudes établies par la loi“ hat in einem weiteren Sinne ihren altrecht­ lichen Ursprung in dem dominium directum der fürstlichen Obrigkeiten, nachdem etwaige private Rechtsgeschäfte, die zu einer wesentlichen Ände­ rung des verliehenen Grundbesitzes und von dessen Substanz führen konn­ ten, nur unter der Beteiligung des Herrschers erfolgen konnten, der durch seine hoheitliche Zustimmung zu einem entsprechenden Titel beitrug.154 Im französischen Raum bildeten sich deshalb bereits früh im droit coutumier entsprechende partikulargesetzliche Erleichterungen heraus, um die privaten Rechtsverhältnisse von der obrigkeitlichen Verfügungsmacht abstrahieren zu können, weil das Nutzeigentum, das sich ausschließlich und grundsätzlich unabhängig von dem dominium directum auf die privaten Nutzungen der Beteiligten bezog, ansonsten nicht hinreichend praktikabel gewesen wäre.155 Denn mit der Verleihung eines Grund und Bodens zur Errichtung von Her­ bergen war bei mehreren Empfängern grundsätzlich unweigerlich stillschwei­ gend auch die Bestellung von Servituten verbunden, sei es, dass der oberste Stockwerkseigentümer bzw. Herbergsbesitzer auf bzw. in den ausschließ­ lichen Gebäudeteil des darunter liegenden bauen durfte,156 dass die Wasser­ 153  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 189 mit Fn. 6. Zur entsprechenden badischen bzw. württembergischen Rechtsprechung hin­ sichtlich der Vorschrift des Art. 181 II EGBGB J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 12. 154  M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 3 f.; vgl. auch M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. mit Fn. b; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 34 ff., 258 ff. 155  Vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 444 f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f.; E. Durand, Coutumes de Lorris-Montargis, Saint-Fargeau, pays de Puisaye, Chatillon-surLoing, Sancerre, Gien, Nemours, Chateau-Landon, et autres lieux, régis et gouvernés par lesdites Coutumes, Montargis 1758, S. 397 f.; J. Marquis de Maleville, Analyse raisonnée de la discussion du Code civil au Conseil d’État, 2. Aufl., Paris 1807, S. 104. 156  In diesem Zusammenhang kann auf eine Definition des Wortes „héberge“ im Rahmen des Werkes „Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris“ aus dem Jahre 1776 verwiesen werden, wo steht, „(que) c’est la superficie qu’occupe une mai­



III. Das badische Stockwerkseigentum und das Relikt des Obereigentums519

leitungsrechte durch das ganze Haus führen sollten,157 oder aber bei mehreren Grundstücken, sei es, dass der eine Steine und Balken in der Wand des auf dem Nachbargrundstück an der Grenze zu seinem Grundbesitz errichteten Hauses anbringen und damit anbauen wollte oder dass der andere einen auf dem Grundstück des Nachbarn liegenden Hofraum mitbenutzen wollte.158 Da die Vergabe von Erbleihen in der obrigkeitsstaatlichen Neuzeit als Aus­ übung von Staatsgewalt angesehen werden muss,159 erfolgten durch die Ver­ leihung eines Guts im Rahmen einer Erbleihe regelmäßig stillschweigende Bestellungen von Servituten, die dann vor dem Abbild der sich allmählich herausbildenden stockwerkseigentumsrechtlichen Sondereigentumstheorie zu der Notwendigkeit einer Kompensation führten, als das Obereigentum unter­ gegangen war.160 Die Folge war in einem frühen Stadium bereits die unter dem einheitlichen Eigentumsbegriff des französischen Code civil eingeführte Rechtsfigur der gesetzlich begründeten Dienstbarkeiten, um mit Art. 664 C.c. auch dem Rechtsinstitut des Stockwerkseigentums seine Praktikabilität zu bewahren.161 Dieser Rechtsgedanke führte notwendigerweise dann auch zu son contre un mur mitoyen, ou l’adossement d’un bâtiment contre un mur mitoyen. Un propriétaire n’est tenu de contribuer au mur mitoyen que suivant son héberge ce qui veut dire suivant l’étendue qu’il en occupe.“; M. Desgodets, Les loix des bâti­ ments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. XX. 157  Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (215). 158  F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (102 ff.). Heute würde sich bei der Wiedereinführung des Stockwerkseigen­ tums insoweit etwa die Frage stellen, wem die Wände, die Sondereigentum von Ge­ meineigentum trennen, gehören.; vgl. Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betreffend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungs­ recht im Rahmen des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 14 f. 159  So ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 213; P. Mayr, Hand­ buch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 8 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 4  f., 32  f.; ders., Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 14 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 431; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und öster­ reichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 12. A. A. S. Schlinker/ H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 4. 160  Vgl. K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 492. 161  Vgl. M. Toullier/Ch. Bonaventura, Le droit civil français – suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a réuni la théorie à la pratique, Band I, Bruxelles 1837, S.  108 ff.; F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fort­

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

dem Erfordernis einer Eintragbarkeit von dinglichen Rechten in ein bestimm­ tes Verzeichnis, was dann im französischen Code Napoléon anerkannt war,162 so dass sich die Rechtsfigur der „servitudes établies par la loi“, die im droit coutumier bereits früh ihre Fundierung gefunden hatte, von ihrer Intention dem Sinn und Zweck einer künftigen Berechenbarkeit des dinglichen Rechts­ verkehrs anschloss.163 In der wissenschaftlichen Literatur zum französischen Zivilgesetzbuch wurde dabei angemerkt, dass das Miteigentum gegenüber einem Servitut von den tatsächlichen Wirkungen sehr ähnlich sein kann, wobei ein Servitut durch Nichtgebrauch erlöschen kann, während das Mitei­ gentum dagegen nur untergeht, wenn einer den ausschließlichen Besitz aus­ übt.164 Für die stockwerkseigentumsrechtliche Thematik zeigt sich damit auch hier, dass es nur einleuchtend ist, wenn eine Ansicht in der Literatur später dann dazu tendierte, an den gemeinschaftlichen Einrichtungen Mitei­ gentum anzunehmen,165 zumal das Badische Landrecht das Miteigentum an Nutzeigentum sogar ausdrücklich billigte,166 weil diese Bestandteile des Hauses bzw. des Grundstücks stets gebraucht wurden und eine diesbezügli­ che ausschließliche Besitzgewalt eines Stockwerkseigentümers denklogisch ausgeschlossen sein musste.167 Entsprechendes galt bei Teilungen von Ge­ bäuden, die notwendigerweise mit der Entstehung gemeinschaftlicher Ein­ richtungen einhergehen mussten.168 Bemerkenswert ist eine Definition des bildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheini­ schen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 94 ff. 162  K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 453 ff. 163  K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 448 ff., 453 ff. 164  So K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 511 Fn. 1 a. 165  R. Schröder, Über eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 f. 166  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S.  1044 f. 167  Vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133 f.; I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 444 f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f.; E. Durand, Coutumes de Lorris-Montargis, Saint-Fargeau, pays de Puisaye, Chatillon-surLoing, Sancerre, Gien, Nemours, Chateau-Landon, et autres lieux, régis et gouvernés par lesdites Coutumes, Montargis 1758, S. 397 f.; J. Marquis de Maleville, Analyse raisonnée de la discussion du Code civil au Conseil d’État, 2. Aufl., Paris 1807, S. 104. 168  F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (102 ff.). Siehe hierzu auch eine Norm aus den Coutumes de Bourbonnois: Article CCCCCXIII. mit dem Titel „Des reparations en choses communes“: „Quand



IV. Württembergisches Stockwerkseigentum521

Staatsobereigentums im französischen Recht, welche das grundsätzliche Wesen des vormaligen dominium directum durchaus zu beschreiben scheint, wenn ausgeführt wird, dass das „Staatsobereigenthum (…) nicht ein Eigenthum (…) (des Civilrechts ist), sondern es ist die Staatsgewalt in ihrer Beziehung auf das Nationalvermögen. Der Staatsge­ walt in dieser ihrer Beziehung entspricht die Pflicht der einzelnen Eigenthümer, sich den in dem Interesse aller nothwendigen Beschränkungen des Eigenthums zu unterwerfen, die öffentlichen Ausgaben durch Abgaben decken zu helfen und in Nothfällen die Sache selbst dem Staate zum Opfer zu bringen.“169

Das Obereigentum ist nach alledem der Grund für die defizitäre Regelung des Stockwerkseigentums, weil die Proprietätsrechte des herrschenden Fürs­ ten notwendigerweise zu einer beschränkten Disposition über das Eigentum führten, bzw. die Besitzstände hoheitlich determiniert waren.170 Damit be­ stätigt sich implizit auch die Ansicht, wonach dingliche Rechte von den Obrigkeiten in der Neuzeit regelmäßig stillschweigend verfügt wurden.171 Es mag deshalb auch kein Zufall sein, dass die Entstehung der französischen Coutumes zu den Stockwerksrechten in das 15. Jahrhundert fallen,172 als sich die frühmodernen Staaten allmählich entwickelten.173

IV. Württembergisches Stockwerkseigentum Auch im Königreich Württemberg war das Stockwerkseigentum weit ver­ breitet, was sich daran zeigte, dass auch um das Jahr 1930 noch etwa 15.000 moulin, estang, maison & autres choses sont communes à plusieurs personnes, & il y faut reparations, appoissonnemens, ou refections necessaires, à faute desquelles ledit heritage puisse choir en ruyne & decadence, l’un des personniers peut sommer iudi­ ciellement l’autre de contribuer ausdites reparations necessaires, afin de les entretenir & remettre en leur nature & usage.“; I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 444 f. 169  So K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 492. 170  Vgl. zu den rechtlichen Wirkungen des Obereigentums M. Hoffmann, Entwick­ lung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S.  7 ff. 171  Für das französische Recht K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des franzö­ sischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 453 ff.; für den deutschen Raum N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 21 ff. 172  J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius pri­ vatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820. 173  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 47 ff., 109 ff.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7.  Aufl., München 2013, S.  167 ff.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

Stockwerkseigentumsrechte auf dem ehemaligen königlich-württembergi­ schen Gebiet vorhanden waren.174 Dennoch wurde im Rahmen der Redak­ tion zur Ausführungsgesetzgebung zum Bürgerlichen Gesetzbuch im Jahre 1899 zunächst auf eine entsprechende Regelung dieses überkommenen Rechtsinstituts verzichtet,175 was erst mit dem WürttembergischenAGBGB vom 29.12.1931 mit den nach Art. 36 des BaWüAGBGB vom 26.11.1974 auch heute noch geltenden Normen der Art. 226–231 nachgeholt wurde.176 Die Norm des Art. 36 BaWüAGBGB spricht zudem die Anwendbarkeit die­ ser Vorschriften für das noch bestehende badische Stockwerkseigentum aus und erklärt die Neubegründung von Stockwerkseigentum als unzulässig.177 174  T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civi­ listische Praxis 1938 (144), 343, (343, 350 f.); ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stock­ werkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (131); O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigen­ tum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (59); H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 11, 40; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S.  107; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 4. 175  T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civi­ listische Praxis 1938 (144), 343, (345 f.); E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichs­ rechts, Stuttgart 1907, S. 42, 47; Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denk­ schrift betreffend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rahmen des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 5; N. Thun, Die rechtsge­ schichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Pri­ vatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 159 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 170. 176  WürttAGBGB vom 29.12.1931, RegBl. 1931, S. 515; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksich­ tigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (346); W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 35 f.; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigen­ tumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 4; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudin­ ger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 11; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (131); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Bei­ trag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 159 ff.; G. Kohl, Stock­ werkseigentum, Berlin 2007, S. 170 f.; vgl. auch O. Bogenschütz, Das Stockwerksei­ gentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (59). 177  L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 4; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 11. § 36 Ba­



IV. Württembergisches Stockwerkseigentum523

Mit der Regelung im württembergischen Ausführungsgesetz zum Bürger­ lichen Gesetzbuch hat der Landesgesetzgeber von der Änderungskompetenz des Art. 218 EGBGB Gebrauch gemacht.178 Für die dogmatische Einordnung des württembergischen Stockwerkseigen­ tums lässt Art. 226 des WürttembergischenAGBGB aus dem Jahre 1931 Rückschlüsse zu, weshalb die Vorschrift direkt wiedergegeben wird.179 Artikel 226 Rechte und Pflichten der Stockwerkseigentümer (1) Die mit dem Sondereigentum an einzelnen Gebäudeteilen (Stockwerkseigen­ tum) verbundene Gemeinschaft umfaßt im Zweifel die zum gemeinsamen Gebrauch bestimmten Bestandteile und Rechte. (2) Der Anteil an den gemeinschaftlichen Rechten und Lasten bemißt sich, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach dem Verhältnis des Werts der Stockwerksrechte. (3) Auf das Gemeinschaftsverhältnis finden die §§ 743, 744, 745 Abs. 2 und 3, 746, 748 und auf die sonstigen Beziehungen unter den Stockwerkseigentümern die §§ 745 Abs. 2, 746 BGB entsprechende Anwendung. Im Falle des § 744 Abs. 2 zwei­ ter Halbsatz ist jeder Teilhaber zur Sicherheitsleistung in Höhe des auf ihn entfallen­ den Anteils an den Kosten verpflichtet.

Danach stellt sich das Stockwerkseigentum entsprechend der Sondereigen­ tumstheorie als Eigentum an einzelnen Gebäudeteilen dar, mit dem im Zwei­ fel, ohne dass dies aber eine notwendige Bedingung für das württembergische Rechtsinstitut darstellte,180 die Berechtigung an den zum gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmten Bestandteilen und Rechten verbunden ist, wobei sich der Anteil an den gemeinschaftlichen Rechten und Lasten entsprechend dem WüAGBGB: „(1) Das bisher für das Stockwerkseigentum in Württemberg geltende Landesrecht bleibt in der Fassung der Anlage zu diesem Gesetz in Kraft und gilt künftig auch für das nach badischem Landesrecht begründete Stockwerkseigentum. (2) Die Neubegründung von Stockwerkseigentum ist nicht zulässig.“ 178  O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohen­ zollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (59). 179  Ein ausführlicher Überblick zu der stockwerkseigentumsrechtlichen Landes­ gesetzgebung hinsichtlich des Württembergischen Ausführungsgesetzes zum Bürger­ lichen Gesetzbuch unter Erläuterung auch der damaligen parlamentarischen Motive aus dem Jahre 1931 findet sich bei T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (346 ff.). 180  LG Ulm, DNotZ 1971, S. 627; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 8, 17 f.; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 182 Rn. 1.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

bestehenden Verhältnis der Wertanteile des Sondereigentums bestimmt.181 Dies entspricht im Ergebnis der Geschichte des Stockwerkseigentums im Königreich Württemberg, wo das Wesen dieses Rechtsinstituts in Rechtspre­ chung und Literatur lange Zeit nicht einheitlich behandelt wurde, sich die Sondereigentumstheorie aber schließlich durchgesetzt hat.182 Die Unsicher­ heit in der königlich-württembergischen Jurisprudenz lässt aber den Schluss zu, dass anormale und uneigentliche Formen dieses Rechtsinstituts zumindest nicht ausgeschlossen waren.183 Insoweit führte der württembergische Ober­ tribunalrat Krauß im Rahmen einer Abhandlung im Jahre 1869 klarstellend aus: „Bei derartigen Theilungen von Häusern (…) begegnet man (…) einem weit ver­ breiteten Rechtsverhältniß, welches in dem Sinne, wie es von den Betheiligten beabsichtigt und im Leben anerkannt ist, mit den allgemeinen (gemeinen) Rechts­ grundsätzen im Widerspruch steht. (…) Die Anwendung der allgemeinen Grund­ sätze führt (…) entweder, wenn man sich streng an dasjenige hält, was die Kontra­ henten wollten, zu dem Ergebnisse, daß die auf Uebertragung des Sondereigent­ hums gerichteten Veräußerungsverträge als auf etwas rechtlich Unmögliches ge­ richtet ungiltig seien, oder setzt man sich, wenn man sich an das rechtlich Mögliche hält und die Theilung nur auf das Benützungsrecht bezieht, in Widerspruch mit dem, was die Betheiligten wollten. (…) In der Allgemeinheit der Sitte, die Häuser in einer dem Accessionsprinzip zuwiderlaufenden Weise zu theilen, liegt (aber) der Beweis, daß in Hinsicht der Frage von der Theilbarkeit der Häuser ein von jenem Prinzip abweichendes Gewohnheitsrecht besteht, welches als solches (…) aner­ kannt werden muss.“184 181  H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichti­ gung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 15 f.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (131). 182  Obertribunalrath v. Krauß, Von der Theilbarkeit der Häuser, nach Stockwerken und Gelassen, WürttArch. 1869, (12), 329, (342 ff.); H. Zoeppritz, Ueber das Stock­ werkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badi­ schen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 11 ff.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 20 ff.; K. Schneider, Das gesamte Württembergische Landesprivatrecht, Stuttgart 1908, S. 372 f.; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27 ff.; ­H.-W. Thümmel, Stockwerks­ eigentum nach württembergischem Recht, BWNotZ 1980, 97, (98). 183  Obertribunalrath v. Krauß, Von der Theilbarkeit der Häuser, nach Stockwerken und Gelassen, WürttArch. 1869 (12), 329, (342 ff.); K. Schneider, Das gesamte Würt­ tembergische Landesprivatrecht, Stuttgart 1908, S. 372 f.; N. Thun, Die rechtsge­ schichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Pri­ vatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 110 ff. 184  Obertribunalrath v. Krauß, Von der Theilbarkeit der Häuser, nach Stockwerken und Gelassen, WürttArch. 1869, (12), 329, (345 f.); R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 28; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129).



IV. Württembergisches Stockwerkseigentum525

Auch auf dem späteren Territorium des Königreichs Württemberg hatte sich somit die aus dem germanischen Kulturkreis stammende horizontale Gebäudeteilung wie in anderen Regionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nachweisen lassen, wobei das altrechtliche Institut hier später eine besondere Ausbreitung erfahren hat, wie der entsprechende Be­ stand an Stockwerkseigentum in der zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstan­ denen und mit einem erheblichen Vorkommen an stockwerkseigentumsrecht­ lichen Bauten ausgestatteten Residenzstadt Ludwigsburg beweist.185 Von der Dogmatik her blieb auch das württembergische Stockwerkseigentum dem Gedanken von Sondereigentum verhaftet, weshalb es in den später einge­ führten Grundbüchern regelmäßig auch gesondert behandelt wurde, wobei an den gemeinschaftlichen Einrichtungen grundsätzlich ein condominium als Zubehör hinzutrat.186 Ein französisch-linksrheinischer Einfluss war dem Stockwerkseigentum im seit dem Jahre 1806 zur souveränen Monarchie er­ hobenen Königreich Württemberg187 nicht direkt zu entnehmen, insbesondere fehlten im Geltungsbereich des königlich-württembergischen Rechts stets entsprechende Vorschriften nach dem Vorbild des französischen Zivil­ rechts.188 Das württembergische Stockwerkseigentum beruhte deshalb aus­ schließlich auf Gewohnheitsrecht.189 Es ist zwar zu bedenken, dass das Ter­ ritorium des ehemaligen Herzogtums Württemberg auch linksrheinische Ge­ biete umfasste, in denen nach deren Annexion durch Frankreich in den Jahren 1796 und 1802190 später dann auch der Code Napoléon mit seinen auf den 185  H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichti­ gung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 11; ­H.-W.  Thümmel, Stockwerkseigentum nach württembergischem Recht, BWNotZ 1980, 97, (98). 186  Obertribunalrath v. Krauß, Von der Theilbarkeit der Häuser, nach Stockwerken und Gelassen, WürttArch. 1869, (12), 329, (342 ff.); E. Schott, Das Stockwerkseigen­ tum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 35 ff., 44 ff., 54 f.; K. Schneider, Das gesamte Württembergische Landesprivatrecht, Stuttgart 1908, S. 372. 187  M. Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht 1806–1918, Band I: Gesamtdeutsch­ land, Anhaltische Staaten und Baden, Berlin u. a. 2006, S. 15; H. Engisch, Das Kö­ nigreich Württemberg, Stuttgart 2006, S. 29 ff. 188  Obertribunalrath v. Krauß, Von der Theilbarkeit der Häuser, nach Stockwerken und Gelassen, WürttArch. 1869, (12), 329, (339, 346 ff.); vgl. C. v. Wächter, Hand­ buch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Band I, 2. Abtheilung, Stuttgart 1842, S. 695 ff., 714 ff., 847 ff., 995 ff. 189  Siehe in diesem Zusammenhang grundsätzlich zu der Rechtsquelle des Ge­ wohnheitsrechts, welche in ihrem Anwendungsbereich das gemeine Recht verdrängen konnte, C. v. Wächter, Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privat­ rechts, Band I, 2. Abtheilung, Stuttgart 1842, S. 1075. 190  Vgl. C. v. Lancizolle, Uebersicht der deutschen Reichsstandschafts- und Terri­ torial-Verhältnisse vor dem französischen Revolutionskriege, der seitdem eingetrete­ nen Veränderungen und der gegenwärtigen Bestandtheile des deutschen Bundes und

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

entsprechenden Coutumes aufbauenden stockwerkseigentumsrechtlichen Ei­ genheiten gegolten hat.191 Folglich sind in diesen Gebieten links des Rheins mit dem Inkrafttreten des französischen Zivilgesetzbuchs zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Normen der Art. 664, 553 mit ihren linksrheinischen dogmatischen Besonderheiten unmittelbar geltendes Recht geworden.192 Dies bezog sich namentlich auf die linksrheinischen Gebiete im Elsass und um Montbéliard, auch Württemberg-Mömpelgard genannt, die Ende des 18. Jahr­ hunderts noch Teile des Herzogtums Württemberg waren, bis sie von dem revolutionären Frankreich annektiert und durch den Pariser Vertrag des Jah­ res 1802 endgültig an den französischen Staat abgetreten worden sind.193 In diesen linksrheinischen Gebieten galt ab dem Jahre 1804 der Code Napoléon,194 sie gehörten aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr dem Herzog­ tum Württemberg an.195 Vor den ab dem Jahre 1793 den europäischen Kon­ tinent überziehenden Annexionen Frankreichs196 war dort aber der Einfluss des französisch-linksrheinischen Rechts gegeben, so dass dem württember­ gischen Stockwerkseigentum ursprünglich ein gewohnheitsrechtlicher Ge­ der Bundesstaaten, Berlin 1830, S. 64, 68 m. w. N.; vgl. auch H. Engisch, Das König­ reich Württemberg, Stuttgart 2006, S. 21, 27; P. Sauer, Napoleons Adler über Würt­ temberg, Baden und Hohenzollern – Südwestdeutschland in der Rheinbundzeit, Stutt­ gart u. a. 1987, S. 62. 191  C. v. Wächter, Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privat­ rechts, Band I, 2. Abtheilung, Stuttgart 1842, S. 695 ff.; A. Schaumann, Die Kaser­ nenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 67 m. w. N.; vgl. P. Sauer, Napoleons Adler über Württemberg, Baden und Hohenzollern – Südwestdeutschland in der Rhein­ bundzeit, Stuttgart u. a. 1987, S. 13, 62 ff. 192  A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 67. 193  C. v. Lancizolle, Uebersicht der deutschen Reichsstandschafts- und TerritorialVerhältnisse vor dem französischen Revolutionskriege, der seitdem eingetretenen Veränderungen und der gegenwärtigen Bestandtheile des deutschen Bundes und der Bundesstaaten, Berlin 1830, S. 64, 68 m. w. N.; vgl. H. Engisch, Das Königreich Württemberg, Stuttgart 2006, S. 21, 27; P. Sauer, Napoleons Adler über Württem­ berg, Baden und Hohenzollern – Südwestdeutschland in der Rheinbundzeit, Stuttgart u. a. 1987, S. 62. Grundsätzlich zur europäischen Umwälzungspolitik im Zuge des napoleonischen Imperialismus M. Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht 1806–1918, Band I: Gesamtdeutschland, Anhaltische Staaten und Baden, Berlin u.  a. 2006, S.  13 ff. 194  Vgl. H. Schlosser, Neuere europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 2017, S.  239 f. 195  Vgl. C. v. Lancizolle, Uebersicht der deutschen Reichsstandschafts- und Terri­ torial-Verhältnisse vor dem französischen Revolutionskriege, der seitdem eingetrete­ nen Veränderungen und der gegenwärtigen Bestandtheile des deutschen Bundes und der Bundesstaaten, Berlin 1830, S. 64, 68 m. w. N. 196  Vgl. C. v. Lancizolle, Uebersicht der deutschen Reichsstandschafts- und Terri­ torial-Verhältnisse vor dem französischen Revolutionskriege, der seitdem eingetrete­ nen Veränderungen und der gegenwärtigen Bestandtheile des deutschen Bundes und der Bundesstaaten, Berlin 1830, S. 62 ff. m. w. N.



IV. Württembergisches Stockwerkseigentum527

brauch nach dem Vorbild der Gebiete links des Rheins und der dort geltenden altfranzösischen Coutumes bekannt war.197 Nur galt in dem späteren Staats­ gebiet des Königreichs Württemberg nie der Code civil und damit waren dort auch nicht die entsprechenden stockwerkseigentumsrechtlichen Vorschriften in Geltung.198 Dies schließt aber gerade vor dem Hintergrund der ehemaligen linksrheinischen Gebiete des württembergischen Herzogtums und der oftmals gewohnheitsrechtlichen Anerkennung fremder Stockwerkseigentumselemente in anderen Regionen,199 zumal sich das Territorium der württembergischen Monarchie in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem linksrheinischen Raum mit dem Großherzogtum Baden befand, eine Existenz von etwaigen links­ rheinischen Vorkommen im rechtsrheinischen Königreich Württemberg nicht aus,200 wenngleich auch hier die systematische Übertragung ausscheiden muss und die in erster Linie rechtsrheinische Ausformung gegen entspre­ chende Ausnahmen spricht. Dennoch wird man aufgrund der linksrheinischen Vergangenheit und der Nähe zum französisch-badischen Raum der Ansicht in Rechtsprechung und Literatur zustimmen können, wonach das württembergi­ sche Stockwerkseigentum auch ausschließliches Sondereigentum ohne einen entsprechenden Miteigentumsanteil kannte.201 Die Rechtsprechung hat zu­ dem in einer Fallkonstellation auch für das württembergische Stockwerksei­ gentum ein ungeteiltes und nicht nach ideellen Bruchteilen zu bestimmendes Gemeinschaftseigentum besonderer Art an einem Hofraum anerkannt,202 was aber nicht unbedingt die Bestätigung eines besonderen Spezifikums mit Blick 197  Vgl. H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berück­ sichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 8, 17 f.; F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Ver­ waltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (50 f. mit Fn. 4). 198  Obertribunalrath v. Krauß, Von der Theilbarkeit der Häuser, nach Stockwerken und Gelassen, WürttArch. 1869, (12), 329, (339, 346 ff.); vgl. C. v. Wächter, Hand­ buch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Band I, 2. Abtheilung, Stuttgart 1842, S. 695 ff., 714 ff., 847 ff., 995 ff. 199  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 f. 200  Vgl. F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (50 f. mit Fn. 4). 201  LG Ulm, DNotZ 1971, S. 627; J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 46; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S.  8, 17 f.; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 182 Rn. 1. 202  J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art.  1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 181 Rn. 12 unter Verweis auf LG Karlsruhe, BWNotZ 1999, 152.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

auf das französisch-linksrheinische Stockwerkseigentum im Sinne einer in dessen Geltungsbereich allgemein anerkannten „mitoyenneté“ sein musste, sondern vielmehr seinen Grund auch in dem in dem ehemaligen württember­ gischen Herzogtum damals ebenfalls vorherrschenden Dogma eines mit le­ hens- und grundherrlichen Rechten ausgestatteten Obereigentümers finden konnte.203 Andererseits war dann im Königreich Württemberg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch vermehrt ein miteigentumsrechtliches Quo­ teneigentum anzutreffen, das bereits den Übergang zum späteren Bürgerli­ chen Gesetzbuch einzuleiten schien.204 Daneben stellte sich hinsichtlich des württembergischen Stockwerkseigentums bei Kellerräumen die Frage, ob es sich dabei um Stockwerkseigentum, eine Dienstbarkeit oder ein Erbbaurecht handelte, wobei das württembergische Kellerrecht von möglichen Ausnah­ men abgesehen grundsätzlich einer rechtsrheinischen Dogmatik unterlag.205 Eine besondere Bauweise, wie sie sich etwa beim badischen Rechtsinstitut in der Form von Vertikalteilungen manifestierte, war dem württembergischen Stockwerkseigentum dagegen fremd.206 Da der Württembergische Gesetzge­ ber im Zuge der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf eine entspre­ chende Übergangsnorm verzichtet hatte, beurteilte sich das württembergische Stockwerkseigentum zunächst nach der Vorschrift des Art. 182 EGBGB,207 wobei dann später entsprechend der Änderungskompetenz des Landesgesetz­ gebers nach Art. 218 EGBGB eine Überleitung im Sinne von § 36 Ba­ WüAGBGB erfolgt ist.208 203  A. Reyscher, Das gesammte württembergische Privatrecht, Band I, Tübingen 1837, S.  23 ff. 204  Vgl. Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (217 ff.). 205  T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civi­ listische Praxis 1938 (144), 343, (351 ff., v. a. 354). 206  Zum Ganzen ­H.-W.  Thümmel, Stockwerkseigentum nach württembergischem Recht, BWNotZ 1980, S. 97 ff. 207  K. Schneider, Das gesamte Württembergische Landesprivatrecht, Stuttgart 1908, S. 372; ­H.-W.  Thümmel, Stockwerkseigentum nach württembergischem Recht, BWNotZ 1980, 97, (98 f.). 208  Siehe zur württembergischen Ausführungsgesetzgebung WürttAGBGB vom 29.12.1931, RegBl. 1931, S. 515; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (346); W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 35 f.; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 4; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 11; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (131); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche



V. Linksrheinisches Kellerrecht529

V. Linksrheinisches Kellerrecht Das linksrheinische Kellerrecht unterscheidet sich von seinem rechtsrhei­ nischen Pendant in mehreren Einzelheiten und folgt insoweit einer anderen dogmatischen Linie. Den rechtlichen Hintergrund bildet dabei wiederum in ihren Geltungsbereichen die Norm des Art. 553 des Code civil, die ein be­ sonderes Kellereigentum gestattete, das neben das Stockwerkseigentum als echtes Sondereigentum treten konnte.209 Die Ausnahmevorschrift des Art. 553 C.c., die gegenüber Art. 664 C.c. die allgemeinere Norm darstell­ te,210 führte zu Anomalien in bautechnischer, räumlicher und rechtlicher Hinsicht, die es juristisch zu bewältigen gilt.211 Denn nach der Vorschrift des Art. 182 EGBGB bleibt nur das zum 01.01.1900 bestehende Stockwerksei­ gentum bestehen, während eine entsprechende Erhaltungsnorm für ein alt­ rechtliches Kellereigentum nicht vorgesehen ist.212 Ein nach altem Recht begründetes Kellereigentum ist deshalb nach dem heute geltenden deutschen Recht nicht aufrechterhalten, sondern wird in ein entsprechendes unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch zulässiges Recht umgedeutet, einen Keller auf ei­ nem fremden Grundstück zu haben, was mitunter zu der Annahme eines Erbbaurechts führen kann.213 In Österreich gibt es – rechtsvergleichend – heute noch mit § 300 AGBGB eine Norm, die ein Kellereigentum als Durch­ Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 159 ff.; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (59). 209  St. Rspr. KG, JW 1933, 1334; OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14; OLG Koblenz, Kellerrecht nach rheinisch-französischem Recht, NJOZ 2017, 557; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.02.1989, Az.: 9 U 193/88 = NJW-RR 1989, 596, (596 f.); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138; vgl. auch bereits RG, Urteil vom 25.10.1889, Az.: II. 209/89 = RGZ 24, 339, (339 f.); ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bun­ desnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 m. w. N. 210  ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (78). 211  Vgl. W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 247; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 24 f., 37 f.; O. v. Feilitzsch, Stock­ werkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivat­ rechts, München 1920, S. 18 ff. 212  Vgl. RG, Urteil vom 13.01.1904, Az.: Rep. V. 533/03 = RGZ 56, 258, (260); KG, JW 1933, 1334; OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.1979, Az.: 9 U 69/78 = Justiz 1980, 46; OLG Koblenz, Kellerrecht nach rheinisch-französischem Recht, NJOZ 2017, 557; ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S.  161 f. m. w. N. 213  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 f. m. w. N.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

brechung des bürgerlich-rechtlichen Grundsatzes superficies solo cedit ge­ stattet.214 Ein besonderes Kellereigentum bzw. eine entsprechende Normie­ rung sind dem deutschen Recht unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch aber grundsätzlich fremd, sondern hier gilt vielmehr in Übereinstimmung mit dem Grundsatz superficies solo cedit, dass sich nach der Vorschrift des § 905 BGB das Grundeigentum auch auf den Erdkörper unterhalb der Erdoberflä­ che bezieht.215 In einer frühen Entscheidung aus dem Jahre 1889 hat das Reichsgericht zu einem Kellerraum nach rheinischem Recht bereits festgestellt, dass es zur Zeit der Urteilsverkündung, d. h. noch vor dem späteren Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs, keine gesetzliche Vorschrift gab, die eine im Ver­ tragswege begründete Teilung des Eigentums eines Grundstücks derart ver­ boten hätte, dass dem einen Berechtigten die Oberfläche, dem anderen dage­ gen ganz oder teilweise der darunter befindliche Grund und Boden gehörte, sondern dass eine solche Konstruktion ausdrücklich von Art. 553 C.c. erfasst war, wo gegen die Eigentumsvermutung, wonach die im Inneren eines Grundstücks errichteten Anlagen dem Eigentümer der Oberfläche gehörten, der Gegenbeweis und der Beweis der Ersitzung des Eigentums an einem unterirdischen Bau zugelassen war.216 Damit wurde die partikulargesetzliche Berechtigung zu einem auf fremden Grund bestehenden Sondereigentum an einem Keller und die Existenz eines besonderen linksrheinischen Kellerei­ gentums eindeutig bestätigt.217 Im Ansatzpunkt ebenfalls nicht zu beanstan­ den war schließlich eine spätere Entscheidung des Reichsgerichts, wo dieses wiederum zum rheinischen Recht, nun aber unter der Geltung des Bürgerli­ chen Gesetzbuchs, ausführte, dass „das rheinische Kellerrecht (…) teils als Grunddienstbarkeit, teils als selbständige Gerechtigkeit, teils als Bestandteil eines berechtigten Grundstücks, teils als Eigentum an einem Hohlraum unter einem fremden Grundstück aufgefasst worden (ist).“218 Damit deutete das 214  ÖBGBl. I Nr. 100, 2008, 100. Bundesgesetz: Grundbuchs-Novelle 2008 – GBNov 2008, NR: GP XXIII RV 542 AB 582, S. 61; BR: AB 7961, S. 757; OGH, Be­ schluss vom 25.01.2016, Az.: GZ 5 Ob 162/15g. Die Vorschrift des § 300 ABGB lautet: „Kellereigentum § 300. An Räumen und Bauwerken, die sich unter der Erd­ oberfläche der Liegenschaft eines anderen befinden und nicht der Fundierung von über der Erdoberfläche errichteten Bauwerken dienen, wie Kellern, Tiefgaragen und industriellen oder wirtschaftlichen Zwecken gewidmeten Stollen, kann mit Einwilli­ gung des Liegenschaftseigentümers gesondert Eigentum begründet werden.“ 215  ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 f. 216  RG, Urteil vom 25.10.1889, Az.: II. 209/89 = RGZ 24, 339, (339 f.); vgl. auch KG, JW 1933, 1334. 217  Vgl. RG, Urteil vom 25.10.1889, Az.: II. 209/89 = RGZ 24, 339, (339 f.). 218  RG, Urteil vom 13.01.1904, Az.: Rep. V. 533/03 = RGZ 56, 258, (259) m. w. N.; KG, JW 1933, 1334; ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 m. w. N.



V. Linksrheinisches Kellerrecht531

Reichsgericht die Bandbreite an unterschiedlichen Kellerrechten im links­ rheinischen Raum an, die in einem besonderen Kellereigentum, einem Stock­ werkseigentum sowie in sonstigen Kellerrechten wie Grunddienstbarkeiten oder superfiziarischen Rechten bestehen konnten.219 Diese Entscheidung des Reichsgerichts ist auf die bayerischen altrechtlichen Rechtsverhältnisse an Kellerräumen nicht ohne weiteres übertragbar. Im Königreich Bayern gab es grundsätzlich, d. h. abgesehen von möglichen partikulargesetzlichen Ausnah­ men in Anlehnung an den französischen Code Napoléon, nur in seltenen Fällen ein besonderes Kellereigentum, das nicht Stockwerkseigentum war, zudem wurden Kellerrechte in Bayern nicht als eigenständige Gerechtigkei­ ten aufgefasst.220 Davon abgesehen wird man grundsätzlich aber annehmen können, dass in den Geltungsbereichen des Code Napoléon ein besonderes Kellereigentum vorzufinden war, neben dem es nach dem alten Recht aber auch Stockwerkseigentum, selbständige Gerechtigkeiten, superfiziarische Rechte oder auch Servitute als Kellerrechte gab.221 Das Argument, wonach ein einzelner Kellerraum kein Stockwerk im Sinne des in Art. 182 EGBGB enthaltenden Begriffs des Stockwerkseigentums ist, ist grundsätzlich kein taugliches Abgrenzungskriterium zu dem stockwerksei­ gentumsrechtlichen Rechtsinstitut, weil das altrechtliche Stockwerkseigen­ tum nach den überlieferten Rechtsquellen in den unterschiedlichen deutschen Regionen regelmäßig nicht in einem engeren Sinne gesehen bzw. ausgelegt, sondern auch auf sonstige ausgeschiedene Gebäudeteile wie vertikale Tei­ lungen innerhalb eines konkreten Stockwerks, einzelne Räume oder sogar Raumteile bezogen wurde.222 Andererseits ist in der badischen Rechtspre­ 219  Vgl. RG, Urteil vom 13.01.1904, Az.: Rep. V. 533/03 = RGZ 56, 258, (259) m. w. N.; KG, JW 1933, 1334; ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 m. w. N. 220  Vgl. OAG München, Urteil vom 23.02.1867, Seufferts Blätter für Rechtsan­ wendung in Bayern, Bd. 32, S. 297 = Seufferts Archiv XXI Nr. 99; BayObLGZ 1967, 397, (399); vgl. auch ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 m. w. N. Grundsätzlich zum bayerischen Partikularrecht O. v. Völkerndorff, Civilgesetzstatistik des Königreichs Bayern, 2. Aufl., Nördlingen 1880, S. 1 ff., 18 ff. 221  RG, Urteil vom 13.01.1904, Az.: Rep. V. 533/03 = RGZ 56, 258, (259) m. w. N.; KG, JW 1933, 1334; ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 m. w. N. 222  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 70  ff.; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 52 ff.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 1 f.; G. Kohl, Stockwerkseigen­ tum, Berlin 2007, S. 269 ff.; O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein ausster­ bendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Er­

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

chung als Voraussetzung für die Existenz von Stockwerkseigentum an einem Keller angenommen worden, dass hierfür eine konstruktive Verbindung des Kellers mit dem darüberliegenden Gebäude und damit wohl auch ein still­ schweigend mitbegründetes Miteigentum an der Grundfläche bzw. dem dar­ auf errichteten Gebäude vorliegen müssten.223 Nach der linksrheinischen Sondereigentumstheorie war aber ein Miteigentumsanteil an einem Gebäude nie eine notwendige Bedingung für das Vorliegen von Stockwerkseigentum, sondern dieses zeichnete sich zwar grundsätzlich durch Sondereigentum an ausgeschiedenen Bestandteilen eines Gebäudes und Miteigentum an gemein­ schaftlichen Einrichtungen aus, wobei auf der rechtlichen Grundlage des Code Napoléon bzw. des Badischen Landrechts gerade auch ausschließliches Sondereigentum ohne Miteigentum möglich war.224 Im Übrigen wird man für Stockwerkseigentum nicht verlangen können, dass ein Keller im bautech­ nischen Sinne das Fundament, eine tragende Konstruktion bzw. sogar Teil ei­ nes aus mehreren Stockwerken bestehenden Gebäudes sein musste,225 wenn­ gleich diese einzelnen Merkmale als Abgrenzungskriterien zu einem beson­ deren linksrheinischen Kellereigentum im Sinne der Vorschrift des Art. 553 C.c. zumindest dogmatisch den richtigen Weg markieren.226 Auf eine derar­ tige bautechnische Voraussetzung stellen nämlich weder die Art. 553, 664 C.c. ab, noch hat sich diese Ansicht in der badischen Rechtsprechung über eine Mindermeinung hinaus durchgesetzt.227 Es ist vielmehr so, dass auch hier das in Art. 182 S. 2 EGBGB genannte konkrete Rechtsverhältnis und werbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (79); ders., Ab­ schied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126 f.). Vgl. aber zur (rechts­ rheinischen) Gegenansicht BayObLGZ 22, 270 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 52. 223  OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.1979, Az.: 9 U 69/78 = Justiz 1980, 46; in diese Richtung auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.02.1989, Az.: 9 U 193/88 = NJW-RR 1989, 596, (597), das ein Stockwerkseigentum nur für den Fall des Vorlie­ gens eines unteilbaren Miteigentums an Grundfläche, Dach, Hauptmauern usw. aner­ kennen wollte. 224  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Rest­ grundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (79). 225  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Rest­ grundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (79). 226  Vgl. ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S. 161, 163 m. w. N. zu einem „selbständigen“ Keller unterhalb eines Gebäudes. 227  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Rest­ grundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (79).



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damit die betroffene Einheitlichkeit des konkreten stockwerkseigentums­ rechtlichen Komplexes wieder entscheidend sein müssen, d. h., der in Frage stehende Kellerraum muss für die individuelle betroffene Einheitlichkeit funktional eine Zugehörigkeit indizieren, um ihn als zugeordnetes Stock­ werkseigentum erscheinen zu lassen, weshalb als Bedingung eine innere Abhängigkeit der auf demselben Rechtsverhältnis beruhenden räumlichen Zuordnung gegeben sein muss.228 Das Merkmal der funktionalen Zugehörig­ keit, das in erster Linie im Falle einer wirtschaftlichen Konnexität vorliegen wird,229 kompensiert schließlich das im linksrheinischen Raum für das Vor­ liegen von Stockwerkseigentum nicht notwendige Miteigentum, das grund­ sätzlich als Verbindungselement eine Zugehörigkeit zu einer stockwerksei­ gentumsrechtlichen Gemeinschaft indiziert.230 Wenn eine derartige funktio­ nale Anbindung ausscheidet und dennoch aufgrund der historischen und sonstigen tatsächlichen Feststellungen ein Eigentum am Keller in Rede steht, liegt nur ein besonderes Kellereigentum vor, das aber zum 01.01.1900 unter­ gegangen ist.231 Eine notwendige Umdeutung führt hier zu einem sonstigen Kellerrecht.232 Dies ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Konzeption der Normen der Art. 664, 553 C.c.233 Denn Art. 664 C.c. ist spezieller und sieht vom Wortlaut eine besondere Gemeinschaftszugehörigkeit vor, während Art. 553 C.c. nur ganz allgemein Räume unterhalb der Erdoberfläche eines 228  Vgl. ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S.  160 ff., v. a. S.  163 m. w. N. 229  Vgl. ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S.  160 ff., v. a. S.  163 m. w. N. 230  Vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); ­H.-W.  Thümmel, Das „Keller­ recht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (79). 231  KG, JW 1933, 1334; ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., Mün­ chen 1982, S. 161 f. m. w. N.; vgl. auch RG, Urteil vom 13.01.1904, Az.: Rep. V. 533/03 = RGZ 56, 258, (260); BayObLGZ 1967, 397, (399); BayObLGZ 1995, 413, (417). Die zitierte bayerische Rechtsprechung kann insoweit für das linksrheini­ sche Kellerrecht entsprechende Geltung beanspruchen, nachdem sich in rechtlicher Hinsicht für ein gesondertes Kellereigentum mit Blick auf Art. 181 I EGBGB kein Unterschied ergibt. In den vorbezeichneten Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist nicht eindeutig, wie der dort verwendete Begriff Sondereigentum am Keller zu interpretieren ist. Insofern insoweit auch ein besonderes Kellereigentum gesehen wurde, sind die Entscheidungen nicht zu beanstanden. 232  RG, Urteil vom 13.01.1904, Az.: Rep. V. 533/03 = RGZ 56, 258, (260); KG, JW 1933, 1334; OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.1979, Az.: 9 U 69/78 = Justiz 1980, 46; ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 ff. m. w. N. 233  Vgl. ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Ein­ fluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (78).

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

Grundstücks als Sondereigentum zulässt.234 Wie passt dieses Ergebnis nun aber zu dem von der Rechtsprechung anerkannten Abgrenzungskriterium hinsichtlich eines Kellers auf dem Nachbargrundstück, wonach eine Fort­ existenz eines Stockwerkseigentums im Sinne von Art. 182 EGBGB in Ab­ grenzung zu einem sonstigen Kellerrecht voraussetzt, dass es sich um ein frei bzw. selbständig veräußerbares Recht handeln muss, d. h., dass dieses nicht notwendig mit dem Eigentum am Nachbargrundstück verbunden ist, während die gegenteilige Annahme notwendigerweise zu einer Grunddienstbarkeit oder einer ähnlichen bloßen Belastung des dienenden Grundstücks führt.235 Mit anderen Worten muss für den Fall eines Stockwerkseigentums der sich auf dem Nachbargrundstück befindende Kellerraum als selbständiges Grund­ stück beurteilt werden können, das auch unabhängig von dem Nachbargrund­ stück eine eigenständige Existenz hat und aus Sicht des das Kellerrecht be­ anspruchenden Grundstücks nicht nur als Annex in Erscheinung tritt, der nur im Zusammenhang mit dem Eigentum am Nachgrundstück gedacht werden kann.236 Hier bestätigt sich der Grundsatz der betroffenen Einheitlichkeit im Sinne des zum 01.01.1900 und damit zur Zeit des Inkrafttretens des Bürger­ lichen Gesetzbuchs bereits begründeten Rechtsverhältnisses in Anlehnung an die Norm des Art. 182 S. 2 EGBGB erneut. Denn dem Wesen des Eigentums entspricht die freie Veräußerbarkeit und Vererbbarkeit, weshalb ein Stock­ werkseigentum an einem Keller auf dem Grundstück des Nachbarn in Be­ tracht kommen kann, wenn der Keller keine feste Verbindung mit dem Ei­ gentum des Nachbargrundstücks aufweist.237 Erscheint der Keller dagegen als integraler Bestandteil des Eigentums des dienenden Nachbargrundstücks, scheidet ein Sondereigentum am Keller aus und es kommt nur ein Keller­ recht in Betracht.238 Gehört der Kellerraum andererseits – aus der Perspek­ tive des dienenden Grundstücks – zu der betroffenen Einheitlichkeit des 234  ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (78). 235  OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14; OLG Koblenz, Kel­ lerrecht nach rheinisch-französischem Recht, NJOZ 2017, 557; vgl. auch F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Ge­ richtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 81 f. 236  In diesem Sinne OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139). 237  OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14; OLG Koblenz, Kel­ lerrecht nach rheinisch-französischem Recht, NJOZ 2017, 557; vgl. auch F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Ge­ richtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 81 f. 238  OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14, wo im Ausgangs­ punkt richtig argumentiert wird, dann aber auf die feste Verbindung des Kellers mit dem Eigentum des Grundstücks des herrschenden Berechtigten abgestellt wird.



V. Linksrheinisches Kellerrecht535

Stockwerkseigentumskomplexes des berechtigten Grundstücks dazu, was der Fall ist, wenn eine notwendige Verbindung zu dem Eigentum dieses Grund­ stücks und eine funktionale Abhängigkeit besteht, bildet er einen Quasi­ bestandteil, der zusammen mit dem Gebäude dieses Grundstücks, aber auch einzeln frei veräußerbar ist.239 Wenn dagegen der Kellerraum einen festen Bestandteil des dienenden Grundstücks bildet, erscheint der Kellerraum als bloßer Annex des berechtigten Grundstücks, so dass ein irgendwie geartetes Sondereigentum am Keller ausscheiden muss, bzw. dieses wandelt sich als Kellereigentum von Gesetzes wegen in ein sonstiges Kellerrecht um.240 Wenn ein auf dem Nachbargrundstück ansässiger Kellerraum nur über einen Zugang über dieses Nachbargrundstück verfügt, wird grundsätzlich eine not­ wendige Verbindung mit dem Eigentum von diesem Grundstück vorliegen,241 womit zum einen eine funktionale Zuordnung zu dem gegebenenfalls auch stockwerkseigentumsrechtlichen Einheitskomplex des berechtigten Grund­ stücks ausscheiden, zum anderen das Nutzungsrecht hinsichtlich des herr­ schenden Grundstücks bloß als Annex anzusehen sein wird, der mit einem altrechtlichen Stockwerkseigentum nichts zu tun hat und auch im Falle ei­ nes – hier aber abwegigen – vormaligen besonderen Kellereigentums recht­ lich nur noch als Grunddienstbarkeit weiterbestehen kann.242 Dabei muss 239  Vgl. ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S.  163 m. w. N. 240  OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14. In diesem Fall liegt ein bloßes Servitut vor.; vgl. F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetz­ bücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Juris­ prudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 81 f. m. w. N. der damaligen französischen Rechtsprechung zu Art. 553 des Code civil. 241  Vgl. ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S.  163 m. w. N. 242  Im Ergebnis deshalb richtig OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); von der Argumentation im Ansatzpunkt richtig, im Ergebnis aber nicht überzeugend die Entscheidungen OLG Koblenz, Kellerrecht nach rheinisch-französischem Recht, NJOZ 2017, 557; OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14. Denn hat ein Berechtigter eines Kellerraumes auf dem Nachbargrundstück einen Zugang über sein Grundstück, spricht vieles dafür, dass das Kellerrecht gerade nicht mit dem Ei­ gentum des Nachbargrundstücks verbunden und frei veräußerbar ist. In der Entschei­ dung OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.1979, Az.: 9 U 69/78 = Justiz 1980, 46, (46 f.) ist das Gericht trotz eines ausschließlichen Zugangs eines Kellers über das Nachbargrundstück im Ergebnis zu der Verneinung eines Stockwerkseigentums ge­ kommen, obwohl zudem keine konstruktive Verbindung des Kellers mit dem sich darüber befindenden Gebäudes vorlag. Hintergrund war ein fehlendes Miteigentum, was zu der Annahme eines besonderen Kellereigentums führen konnte, das aber als Dienstbarkeit oder Erbbaurecht interpretiert werden musste. Eine Aufhebungsverein­ barung zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin des Beklagten aus dem Jahre 1975 hatte schließlich nach dem alten Badischen Landrecht das sonstige Keller­ recht zum Erlöschen gebracht.

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D. Linksrheinische Dogmatik des Stockwerkseigentums

aber konkretisiert werden, dass ein Erbbaurecht nicht in Betracht kommt, wenn sich der Keller nicht als selbständiges Gebäude, sondern nur als Ge­ bäudebestandteil darstellt, d. h., wenn der Keller einen wesentlichen Bestand­ teil des unterkellerten Hauses bildet und mit diesem fest verbunden ist,243 was systemgerecht ist, weil das Erbbaurecht ein grundstücksgleiches Recht begründet, womit in dogmatischer Hinsicht eine Gleichstellung mit der Argu­ mentation bei dem Stockwerkseigentum angezeigt ist,244 das bei einem Kel­ ler auf dem Nachbargrund auch nur vorliegen kann, wenn keine feste Verbin­ dung mit dem unterkellerten Gebäude besteht.245 Abgesehen davon muss aber noch einmal klargestellt werden, dass ein Stockwerkseigentum am Kel­ ler grundsätzlich Miteigentum an dem unterkellerten Gebäude und der Grundfläche voraussetzt, was für den linksrheinischen Raum vor dem Hinter­ grund des Art. 553 C.c. aber gerade durchbrochen wurde.246 Entscheidend kann daher nur sein, ob eine funktionale Anbindung an die betroffene Ein­ heitlichkeit des den Keller beanspruchenden Grundstücks besteht.247 Die Notwendigkeit einer funktionalen Anbindung ergibt sich zum einen daraus, dass das Stockwerkseigentum in historischer Hinsicht regelmäßig die Fort­ setzung eines ehemaligen einheitlichen lehens- oder grundherrschaftlichen Verbandes ist,248 zum anderen heute auch aus den Vorschriften der Art. 182 243  KG, JW 1933, 1334, (1334 f.) mit Anmerkungen von Justizrat Thewalt; OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.1979, Az.: 9 U 69/78 = Justiz 1980, 46, (46  f.); H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 191; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommen­ tar, 7. Aufl., München 1986, S. 60. 244  Vgl. V. Hustedt, in: H. Ingenstau/ders. (Hrsg.), ErbbauRG, Gesetz über das Erbbaurecht, Kommentar, 11. Aufl., Köln 2018, S. 1 unter Bezugnahme auf ein Zitat von Klosterberg aus dem Jahre 1950. 245  OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14; OLG Koblenz, Kel­ lerrecht nach rheinisch-französischem Recht, NJOZ 2017, 557; vgl. auch F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Ge­ richtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 81 f.; vgl. KG, JW 1933, 1334, (1334 f.) mit Anmerkungen von Justizrat Thewalt. 246  KG, JW 1933, 1334, (1334 f.) mit Anmerkungen von Justizrat Thewalt. Zu dem linksrheinischen Stockwerkseigentum als Sondereigentum ohne einen entsprechenden Miteigentumsanteil OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Er­ werbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (79). 247  Vgl. ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S.  160 ff., v. a. S.  163 m. w. N. 248  Vgl. Entscheidungen des Stuttgarter Obertribunals vom 16.02.1864 und 04.06.1864, Seufferts Archiv XVIII Nr. 242; XXIV Nr. 239; Mandry, Gibt es Son­ dereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelas­ sen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit



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S. 2, 189 I 3 EGBGB, die auf ein zum 01.01.1900 bestehendes konkretes Rechtsverhältnis abstellen. Liegt die funktionale Anbindung nicht vor, die sich im Falle von Miteigentum am unterkellerten Gebäude bzw. an der Grundfläche aus diesem implizit ergibt, kommt nur ein besonderes linksrhei­ nisches Kellereigentum in Betracht, das aber dann mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs untergegangen ist, so dass es heute als sonstiges dingliches Recht fortbesteht.249 Stellt sich der auf dem Nachbargrundstück liegende Kellerraum aber nicht als ein eigenständiges Gebäude dar, bleibt nur die Annahme einer entsprechenden Dienstbarkeit.250

Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (196 ff.); W. Merle, Das Wohnungsei­ gentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27. 249  Vgl. RG, Urteil vom 13.01.1904, Az.: Rep. V. 533/03 = RGZ 56, 258, (260); KG, JW 1933, 1334 mit Anmerkungen von Justizrat Thewalt; OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.1979, Az.: 9 U 69/78 = Justiz 1980, 46; OLG Koblenz, Kellerrecht nach rheinisch-französischem Recht, NJOZ 2017, 557; ­M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnach­ barrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 f. m. w. N. 250  KG, JW 1933, 1334, (1334 f.) mit Anmerkungen von Justizrat Thewalt.

E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, auf welchen histori­ schen Gegebenheiten bzw. rechtlichen Grundlagen die Herbergen entstanden sind. Sind die Herbergshäuser im Ergebnis möglicherweise tatsächlich Erben des Fränkischen Kaisers Karl dem Großen? Worauf beruht die den Herber­ gen zugrunde liegende atypische Symbiose aus Sondereigentum und Miteigentum,1 und wie hängt diese rechtliche Konstruktion mit dem hoch­ mittelalterlich begründeten Dogma vom geteilten Eigentum2 zusammen? Warum ist das Stockwerkseigentum ab dem 12. Jahrhundert zunächst in den werdenden Städten nachgewiesen worden?3 Haben vielleicht bereits die 1  Vgl. M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. XX; H. Schuster, Das Wiener Stadtrechts- oder Weichbildbuch, Wien 1873, S.  122 f.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S.  14 ff., 21, 25 ff.; E. Pacifici-Mazzoni, Codice civile italiano commentato con la legge romana, le sentenze dei dottori e la guirisprudenza, Band II, Modena 1870, S. 313; zu einem Herbergskomplex in der Kemptener Fürstabtei StAA, Grundsteuer­ kataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Her­ bergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Kataster 940 II, fol. 344–347. 2  Zur Lehre vom geteilten Eigentum A. Thibaut, Über dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S.  71 ff.; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 94 ff.; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S.  314 f.; F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., Band II/1: Sachenrecht, Berlin 1905, S. 432 mit Fn. 16; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 325; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 ff.); D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S. 273 ff.; F. Krauss, Das geteilte Eigentum im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1999, S.  19 ff.; Ch. Ulmschneider, Eigentum und Naturrecht im Deutschland des beginnen­ den 19. Jahrhunderts, Berlin 2003, S. 98 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S.  332 f. 3  Zum Vorkommen des Stockwerkseigentums ab dem 12. Jahrhundert O. Stobbe/ H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284 Fn. 4 unter Bezugnahme auf eine Kölner Schreinsurkunde; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Hei­ delberg 1896, S. 26 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, un­ ver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 12; R. Hübner, Grundzüge



E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts539

Franken den rechtlichen Grundstein für die Herausbildung des Stockwerks­ eigentums gelegt? Diesen Fragen gilt es nachzugehen, wenn das wirkliche Wesen der Herbergen bzw. des damit zusammenhängenden Rechtsinstituts des Stockwerkseigentums4 aufgedeckt werden soll. Das Stockwerkseigentum war im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ab dem späten Mittelalter weit verbreitet.5 Es fällt aber auf, dass sich gerade auch im französischen Raum ab dem 15. Jahrhundert bereits schrift­ lich kodifizierte nordfranzösische Coutumes6 bzw. ein Jahrhundert später in Norditalien, namentlich etwa in Mailand und Genua, entsprechende Statute des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; O. v. Feilitzsch, Stock­ werkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivat­ rechts, München 1920, S. 9; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigen­ tums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburts­ tag, Salzburg 1971, S. 584 f.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigen­tum (?), JZ 1980 (4), 125, (126), der davon spricht, dass das Stockwerkseigentum trotz seiner praktischen Schwierigkeiten seit dem 12. Jahrhundert weit verbreitet war; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 53 m. w. N.; vgl. auch J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820. 4  Siehe hierzu nur die Definition einer „héberge“ im Rahmen des Werkes mit dem Titel „Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris“ aus dem Jahre 1776, wo steht, „(que) c’est la superficie qu’occupe une maison contre un mur mitoyen, ou l’adossement d’un bâtiment contre un mur mitoyen. Un propriétaire n’est tenu de contribuer au mur mitoyen que suivant son héberge ce qui veut dire suivant l’étendue qu’il en occupe.“; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. XX. 5  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164  ff. mit Fn.  14 ff.; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S.  53 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 51 ff. m. w. N. 6  Coustumes de la ville de Calais et pays, Calais 1630, S. 19 („herbergé“/„he­ berge“); Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230 f., 234 („heberge“); I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 443 („heberge“); J.-B. de Buridan, Coustumes de la cité et ville de Rheims, villes et villages régis selon icelles, Rheims 1665, S. 734 („hebergement“); C. Thourette, Coutumes du Comté et Bailliage de Montfort-Lamaulry, Gambais, Neauphile-leChastel, Saint-Liger en Yveline, enclaves et anciens ressorts d’iceux, Paris 1693, S. 123, 125 („heberge“/„héberge“); A. Couturier de Fournoue, Coutumes de la Pro­ vince et Comté Pairie de la Marche, Clermont-Ferrand 1744, S. 113 („deux heritages ou hebergemens“); L.-A. Sevenet, Coutume du Bailliage de Melun, Sens u. a. 1768, S. 212 („hébergement“); R.-J. Pothier, Coutumes des Duché, Bailliage et Prévôté d’Orléans, et ressort d’iceux, Paris u. a. 1780, S. 400 f. („héritage“); ebenso T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 129, 133 („heritage“); auch E. Pallu, Coustumes du Duche et Bailliage de Touraine anciens ressorts et en­ claves d’iceluy, Tours 1661, S. 321 („heritage“); dagegen sprechen die Coûtumes du Comte et Baillage d’Auxerre in diesem Zusammenhang von „maison“ und „heritage“,

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

hinsichtlich dieses Rechtsinstituts herausgebildet hatten.7 Entsprechende Vor­ kommen von Stockwerkseigentum sind andererseits auch in Parma und auf Sardinien nachgewiesen worden.8 Das Rechtsinstitut des Stockwerkseigen­ tums gab es aber nicht nur in Oberitalien, sondern auch im süditalienischen Raum, namentlich in Rom und Sizilien.9 Die Statuti di Milano aus dem Jahre 1773 enthielten dabei unter dem Capitolo CCCXLVII. die folgende Regelung: „Se uno avrà la parte superiore di una Casa o Edifizio, e tal’altro avrà di dette Casa la parte inferiore, saranno amendue tenuti a fare a spese comuni, e fatta che sia, a mantenere e riparare, colle debite relazioni, la soffitta esistente tra l’Edifizio superiore e l’inferiore, di buon legname con buon lastrico, o sia pavimento di bu­ one pianelle, o siano mattoni. Quelli però che possiede le stanze superiori sarà te­ nuto a mantenere a sue spese tutto il tetto con i muri, che lo sostengono, quanto sia dal cielo, o sia soffitta comune all’insù; nè potrà di sotto la detta soffitta gettare aqua, nè terra, nè altra cosa; ne permettere che da altri si gettino; e dalla soffitta all’ingiù le riparazioni e la manutenzione saranno a carico di chi possiede le stanze inferiori, e le parti potranno essere costrette a fare le predette cose con tutt’i mezzi più efficaci di ragione.“10

Diese Norm stellte damit darauf ab, dass einer den oberen Teil eines Hauses oder Gebäudes, und der andere den unteren Teil besaß, wobei beide verpflich­ tet waren, die gemeinsamen Zwischenmauern, d. h. „la soffitta esistente tra l’Edifizio superiore e l’inferiore“, auf gemeinsame Kosten zu erhalten und zu reparieren, während diejenigen Teilhaber der oberen Räume, „quelli però che possiede le stanze superiori“, auf ihre Kosten das gesamte Dach mit den Wän­ den pflegen mussten, und vom Dach- bzw. Obergeschoss abwärts Reparaturen und Wartungen von denjenigen zu tragen waren, denen die unteren Räume

vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 231 f.; A. Brice, Coutumes générales de la ville de Metz et pays messin, Metz 1730, S. 362. 7  S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (721.); J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820; C. van der Merwe, International encyclopedia of comparative law, Band 6,5: Property and trust, Chapter 5, Apartment ownership, Tü­ bingen u. a. 1994, S. 4 m. w. N. 8  E. Pacifici-Mazzoni, Codice civile italiano commentato con la legge romana, le sentenze dei dottori e la guirisprudenza, Band II, Modena 1870, S. 317; C. van der Merwe, International encyclopedia of comparative law, Band 6,5: Property and trust, Chapter 5, Apartment ownership, Tübingen u. a. 1994, S. 4 m. w. N. 9  E. Pacifici-Mazzoni, Codice civile italiano commentato con la legge romana, le sentenze dei dottori e la guirisprudenza, Band II, Modena 1870, S. 317 f. 10  Statuti di Milano, 1773; zitiert nach S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeit­ schrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (721).



E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts541

gehörten.11 Damit aber bauten die Statuti di Milano aus dem Jahre 1773 auf dem neuzeitlichen Begriffsverständnis einer Herberge auf, so wie sich dieses unter anderem auch aus den nordfranzösischen Coutumes, oder aber auch aus dem Wiener Stadtrechts- oder Weichbildbuch ergab, wonach Herbergen als ganze Häuser bzw. als ausgeschiedene Gebäudebestandteile über gemein­ schaftliche Mauern konstituiert waren,12 wobei der zitierten Regelung aus den Statuti di Milano eindeutig die Annahme eines Sondereigentums und nicht nur einer miteigentumsrechtlichen Benutzungsregelung zugrunde liegt, nachdem die Norm von „besitzen“ spricht und auch sonst ein geteiltes Eigentumsver­ ständnis erkennen lässt.13 Damit entfaltete sich das Herbergsrecht offensicht­ lich aber in erster Linie in Gebieten, die dem ehemaligen Herrschaftsgebiet des Fränkischen Reiches zugehört hatten.14 Vor diesem Hintergrund scheint es, als ob der Rechtsansicht in der Literatur zugestimmt werden kann, wonach das Stockwerkseigentum aus dem altdeutschen Rechtsleben erwachsen ist,15 wenngleich sich hier auch weitergehende europäische Implikationen erkennen lassen.16 Dies legt wiederum einen direkten Zusammenhang mit dem mittelal­ terlichen Feudalismus des Lehenswesens und dem geteilten Eigentum nahe, zumal sich das Dogma vom geteilten Eigentum aus dominium directum et utile im 12./13. Jahrhundert und damit in etwa zur gleichen Zeit wie frühe Formen des Stockwerkseigentums endgültig herausentwickelt hatte.17 Allein 11  Statuti di Milano, 1773; zitiert nach S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeit­ schrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (721). 12  M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. XX; H. Schuster, Das Wiener Stadtrechts- oder Weichbildbuch, Wien 1873, S.  122 f.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (95 f. Fn. 5); W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 14 ff., 21, 25 ff. 13  Vgl. E. Pacifici-Mazzoni, Codice civile italiano commentato con la legge ro­ mana, le sentenze dei dottori e la guirisprudenza, Band II, Modena 1870, S. 313. 14  Zum territorialen Herrschaftsgebiet des Fränkischen Reiches unter Karl dem Großen W. Rösener, Königshof und Herrschaftsraum: Norm und Praxis der Hof- und Reichsverwaltung im Karolingerreich, in: Uomo e spazia nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2003, S. 444. Zur Stammesgeschichte der Franken R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (2 ff.). 15  H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichti­ gung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 6. 16  Vgl. M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. XX; S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (721) unter Verweis auf die Statuti di Milano aus dem Jahre 1773. 17  Siehe zum Vorkommen des Stockwerkseigentums ab dem 12.  Jahrhundert O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284 Fn. 4; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigen­

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

diese eindeutigen Parallelen deuten darauf hin, dass der Ursprung dieses her­ bergsrechtlichen Rechtsinstituts zunächst in dem germanischen Recht der Franken zu suchen ist und dass die Herbergen bzw. das ihnen zugrundelie­ gende Prinzip des horizontalgeteilten Stockwerkseigentums18 möglicherweise aus dem fränkischen Recht bzw. den urgermanischen Rechtsgewohnheiten und -sitten erwachsen sind.19 Die Reichsorganisation des Fränkischen Reiches beinhaltete Herrschafts­ elemente, die offensichtlich im Kontext mit der fränkischen Herkunft des Wortes Herberge betrachtet werden können.20 Das Wort Herberge ist dem althochdeutschen Wort heriberga entlehnt,21 womit bereits allein genealo­ gisch ein Zusammenhang mit dem Fränkischen Reich hergestellt ist.22 Da­ mals verstand man darunter einen zeitweisen Unterbringungsort für Reisende, tums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 26 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 12; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berück­ sichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 9; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 584 f.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 51 ff. m. w. N.; vgl. auch J. Limpens, La propri­ été horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820; zum hochmittelalterlichen Ur­ sprung des geteilten Eigentums D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u.  a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S. 274 ff.; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 63 f.; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (209). 18  Vgl. M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. XX. 19  In erster Linie ist damit das germanische Grundeigentum angesprochen.; vgl. hierzu B. Rode, Formen des Eigentums bei den Franken im 5./6. Jahrhundert und der Übergang von gentilpolitischen Normen zu Rechtsnormen – dargestellt anhand der Lex Salica, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politi­ schen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 199 ff. 20  Vgl. G. Rohlfs, Germanisches Spracherbe in der Romania, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – Philosophisch-historische Klasse 1944/46 (8), München 1947, S. 9 f. 21  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116. 22  G. Rohlfs, Germanisches Spracherbe in der Romania, Sitzungsberichte der Bay­ erischen Akademie der Wissenschaften – Philosophisch-historische Klasse 1944/ 46 (8), München 1947, S. 9 f.



E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts543

ein Lager oder auch ein Gasthaus.23 Auch die karolingischen Königshöfe fielen unter dieses Muster einer Bewirtschaftung.24 In linguistisch-morpholo­ gischer Hinsicht enthält das Wort Herberge zudem den Wortstamm „Her“, hochdeutsch „Heer“, womit ein Bezug zu einer begrenzten Aufnahme und Versorgung von reisenden Fürsten und ihrem oft zahlreichen Gefolge herge­ stellt ist.25 Hier zeigt sich offenbar eine weitere Affinität zu der frühmittel­ alterlichen Heeresverfassung, welche Karl der Große durch mehrere Kapitu­ larien eingeführt und damit die Freien zu militärischen Kriegsdiensten ver­ pflichtet hat.26 Andererseits kann die Herkunft des Wortes Herberge aber auch mit der heri multitudo, d. h. dem Volk, in Verbindung gebracht werden und insoweit eine private Wohnstätte symbolisieren.27 Nur wie passten sich die Herbergshäuser bzw. das Stockwerkseigentum in den germanischen Kul­ turkreis ein, oder anders gewendet, waren die einfachen Herbergshäuser vielleicht nur die logische Folge der karolingischen Reichsorganisation? Da­ gegen spricht sicher auf den ersten Blick ihre erst seit dem 12./13. Jahrhun­ dert vermehrt auftretende Erscheinung.28 Nur schließt dies nicht aus, dass 23  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116. 24  W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 164. 25  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149  f.; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116. 26  Zur Heeresverfassung unter Karl dem Großen J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S. 271 ff.; A. Meitzen, Volkshufe und Königshufe in ihren alten Massverhältnissen, in: ders. u. a. (Hrsg.), Festgabe für Ge­ org Hanssen zum 21. Mai 1889, Tübingen 1889, S. 20 ff.; J. Haggenmüller, Ge­ schichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 40; Ch. Haack, Die Krie­ ger der Karolinger – Kriegsdienste als Prozesse gemeinschaftlicher Organisation um 800, Berlin u. a. 2020, S. 84 ff., 91 ff., der auf S. 94 das Wort „Wehrpflicht“ im Sinne eines für ihn zu spezifischen juristisch-völkischen Staatsbegriffs noch vermeiden möchte; M. Becher, Karl der Große, 6. Aufl., München 2014, S. 100; S. Weinfurter, Karl der Große – der heilige Barbar, München u. a. 2013, S. 79 ff. 27  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band  I, München 1872, Sp. 1149; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 9. 28  Vgl. O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284 Fn. 4; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 26 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 12; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privat­ rechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 9; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

das entsprechende Gedankengut möglicherweise im germanischen Raum schon früher verwurzelt war und sich erst später im Zuge der Pluralisierung der mittelalterlichen Feudalverfassung entwickeln konnte.29 Im Zusammen­ hang mit der reichsfürstlichen Kemptener Abtei ist dabei auch noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass sich dessen moderne Staatsorganisation bis zu­ letzt gerade auch wegen der partikulargesetzlich bedungenen Geltung des Schwabenspiegels durch eine bewusste Affinität zu der karolingischen Tradi­ tion auszeichnete,30 weshalb es aus verfassungsgeschichtlicher Sicht nicht verwundern würde, wenn sich der Ursprung der Herbergen im Fürststift Kempten, wenn auch in einem weiteren Sinne, auf das fränkische Recht und die dort bereits angelegten germanischen Rechtsinstitute zurückführen ließe. In diesem Zusammenhang soll dabei aber keineswegs vernachlässigt wer­ den, dass auch bereits in den Städten im Römischen Reich entlang der Stra­ ßen für Kaufleute, Handwerker und Ingenieure private Gasthäuser zur Verfü­ gung gestanden haben, während dagegen die Soldaten in militärischen Ein­ richtungen untergebracht waren.31 Solche Gasthäuser befanden sich mit ihren Zimmern insbesondere auch in den römischen Häfen.32 Andererseits gab es im Römischen Reich eine allgemeine Gastungspflicht der civitates für römi­ sche Staatsbeamte und die militärischen Truppen, die in mansiones bzw. mutationes, d. h. in Unterkünften für die umherziehenden Menschen und das Vieh, untergebracht wurden.33 Für den cursus publicus gab es im Imperium Romanum andererseits bereits seit dem 1. Jahrhundert nach Christus die aus (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S.  584 f.; ­H.-W. Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 53 m. w. N.; vgl. auch J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gen­ tium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820. 29  Vgl. R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff., 78 ff.); E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S.  55 ff. 30  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA, Fürststift Kempten, Re­ gierung Bände 5, fol. 30 f. Grundsätzlich zu der Notwendigkeit einer partikulargesetz­ lichen Öffnungsklausel hinsichtlich des Schwabenspiegels P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 67 ff.; F. Chimani, Erläute­ rung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 55 ff. 31  U. Heimberg, Die römische Stadt, Köln 1998, S. 96; M. Klee, Lebensadern des Imperiums – Straßen im Römischen Reich, Darmstadt 2010, S. 107 f. 32  U. Heimberg, Die römische Stadt, Köln 1998, S. 96. 33  F. L. Baumann, Geschichte des Allgäus von den ältesten Zeiten bis zum Be­ ginne des neunzehnten Jahrhunderts, Band I, Kempten 1881, S. 38, 49; M. Klee,



E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts545

Steuergeldern aufgebrachten stationes, die an den viae militares zu finden waren und in der späten römischen Kaiserzeit dann als mansiones und muta­ tiones bezeichnet wurden.34 Die kaiserlichen Unterkünfte hießen in der spä­ ten Antike dagegen dann palatium.35 Nicht abschließend geklärt ist allerdings die Verbindung mit den tabernae bzw. dem praetorium und der stabula.36 Anhand der römischen Quellen liegt es aber nahe, dass zumindest die taber­ nae in erster Linie private Gasthäuser waren, während die mansiones vom Begriff in erster Linie den Unterkunftsstationen des cursus publicus vorbe­ halten waren.37 Andererseits muss wiederum bedacht werden, dass die römi­ schen Militärposten zur Grenzsicherung des limes arabicus wie beispiels­ weise das Praesidium Khirbet el-Khalde unter anderem Kleinkastelle dar­ stellten, bei denen in unmittelbarer Nähe auch orientalische Karawansereien angesiedelt sein konnten,38 welche schließlich die Funktion einer römischen mansio übernahmen.39 Die Römer bauten deshalb unter anderem bereits auf der Baukunst des nabatäischen Karawanenstaates auf und verbanden die er­ richteten römischen Kastelle für ihre Zwecke mit den teilweise bereits vorge­ funden Karawansereien, worin das gleiche Prinzip wie das der römischen mansiones zu erkennen war, die römischen Staatsbeamten und den militäri­ schen Truppen Unterkunft boten.40 Obgleich dieser antiken Vorgänger von Versorgungsstationen soll im Folgenden die Entwicklung im Fränkischen Reich mit den frühmittelalterlichen Königshöfen und ihren heriberga41 im Lebensadern des Imperiums – Straßen im Römischen Reich, Darmstadt 2010, S.  107 ff. 34  M. Klee, Lebensadern des Imperiums – Straßen im Römischen Reich, Darm­ stadt 2010, S. 108. 35  M. Klee, Lebensadern des Imperiums – Straßen im Römischen Reich, Darm­ stadt 2010, S. 108. 36  M. Klee, Lebensadern des Imperiums – Straßen im Römischen Reich, Darm­ stadt 2010, S. 108. 37  K.-W. Weeber, Alltag im Alten Rom – ein Lexikon, Zürich 1995, S. 128 ff.; M. Klee, Lebensadern des Imperiums – Straßen im Römischen Reich, Darmstadt 2010, S.  108 ff. 38  Vgl. O. Stoll, Ehrenwerte Männer – Veteranen im römischen Nahen Osten der Kaiserzeit, Berlin 2015, S. 34 f. 39  M. Klee, Lebensadern des Imperiums – Straßen im Römischen Reich, Darm­ stadt 2010, S. 107 ff. 40  D. Kennedy, The Roman army in Jordan, 2. Aufl., London 2004, S. 198  ff.; M. Klee, Lebensadern des Imperiums – Straßen im Römischen Reich, Darmstadt 2010, S.  107 ff. 41  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band  I, München 1872, Sp. 1149; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116; W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 164; vgl. in sprachwissenschaftlicher Hin­

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

Vordergrund stehen, wobei die sich dahinter bereits verbergende fränkische Benefizialverfassung über das hochmittelalterliche Lehenswesen schließlich zu dem germanischen Rechtsinstitut des Herbergsrechts beigetragen hat.42 Die nachfolgende Analyse der Entstehung der Herbergen in dem Raum des ehemaligen Fränkischen Reiches wird aber in rechtsdogmatischer Hinsicht letztlich dann wieder in Abgrenzung zu dem römischen Privatrechtsbegriff vorgenommen werden, weshalb das Modell der römischen mansiones durch­ aus von vergleichender Bedeutung ist. Im Übrigen muss im fränkischen Kontext noch hervorgehoben werden, dass die „Herberg“ grundsätzlich auch kirchenrechtliche Implikationen enthält.43

I. Fränkische Reichsorganisation – königliche Grundherrschaft Das Fränkische Reich unter Karl dem Großen war ursprünglich ein loser Herrschaftsverband, der mit einem modernen Staat nicht vergleichbar war.44 Es gab mehrere Volksstämme, die unterschiedliche Kulturen besaßen, wie die Franken, Alemannen, Baiern, Burgundern, Sachsen und Thüringer,45 die es unter die Reichseinheit zu integrieren galt. Es bedurfte deshalb eines

sicht auch G. Rohlfs, Germanisches Spracherbe in der Romania, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – Philosophisch-historische Klasse 1944/46 (8), München 1947, S. 9 f. 42  Zur fränkischen Benefizialverfassung G. v. Weber, Handbuch des in Deutsch­ land üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 58 ff.; E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbindungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S. 94 ff., 122 ff., 324 ff.; vgl. zu den Herbergen und ihrer lehens- bzw. grundherrschaftlichen Anbindung an ein dominium directum Coustumes de la ville de Calais et pays, Calais 1630, S. 19 („herbergé“/„heberge“); R.-J. Pothier, Coutumes des Duché, Bailliage et Prévôté d’Orléans, et ressort d’iceux, Paris u. a. 1780, S. 400 f. („héritage“); T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 129, 133 („heritage“); E. Pallu, Coustumes du Duche et Bailliage de Touraine anciens ressorts et enclaves d’iceluy, Tours 1661, S. 321 („he­ ritage“). 43  M. Hagel, Handbuch der katholischen Glaubenslehre für denkende Christen, Augsburg 1838, S. 249. 44  Siehe zum Unterschied eines Reiches gegenüber einem modernen Staat W. Reinhard, Geschichte des modernen Staates – von den Anfängen bis zur Gegen­ wart, München 2007, S. 7 ff., v. a. S. 15 ff. 45  J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S. 277; W. Rösener, Königshof und Herrschaftsraum: Norm und Praxis der Hof- und Reichsverwaltung im Karolingerreich, in: Uomo e spazia nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2003, S. 449 ff.



I. Fränkische Reichsorganisation – königliche Grundherrschaft547

­ indungsmoments, um so etwas wie Reichsgewalt zu organisieren.46 Neben B dem König gab es in der gesellschaftlichen Hierarchie des Fränkischen Rei­ ches Freie und Unfreie, wobei sich gerade bei den Freien der Grad der Frei­ heit bzw. der Abhängigkeit erheblich unterscheiden konnte.47 Durch die all­ gemeine Heerespflicht, d. h. den Heerbann, wurden die Freien in die Reichs­ verfassung integriert und unterstanden damit – vermittelt durch den Grafen, den Centgrafen, den Kirchenvogt oder einen anderen königlichen Beamten – dem Befehl des Kaisers.48 Die Reichsverwaltung wurde im Übrigen von kö­ niglichen Hof- und Reichsbeamten bewerkstelligt, worunter als oberste Be­ amte der Kanzler in geistlichen und der Pfalzgraf in weltlichen Angelegen­ heiten, jeweils mit Ausnahme des Kriegswesens und des Fiskus, anzusehen waren, sowie der Kammermeister oder auch Camerarius, der für den könig­ lichen Haushalt und die Finanzen zuständig war.49 Daneben wurde das Ge­ richtswesen unter dem fränkischen Herrscher ausgebaut und verschärft, so dass der Gemeinde, d. h. dem Volk, die Gerichtshoheit immer mehr entzogen und königlichen Richtern übertragen wurde.50 Während die unfreien Höri­ gen bzw. Grundholden bereits grundsätzlich unter der Gerichtshoheit ihrer Grundherren standen und nach Hofrecht lebten, unterlagen die Freien und solche Bauern, die einer freien Leihe nach Landrecht unterworfen waren, der königlichen Grafengewalt bzw. dem gemeindlichen Gerichtswesen über die familiae.51 Die großen Herzogtümer wurden von den Karolingern in unter 46  Vgl. zum fränkischen Herrschaftsmoment des Benefizialwesens R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff., 78 ff.); J. C. Bluntschli, Deutsches Pri­ vatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f.; E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 55 ff. 47  E. Müller-Mertens, Karl der Grosse, Ludwig der Fromme und die Freien: wer waren die liberi homines der karolingischen Kapitularien (742/743–832)? – ein Bei­ trag zur Sozialgeschichte und Sozialpolitik des Frankenreiches, Berlin 1963, S. 60 ff.; W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 122 f. 48  J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S. 271 ff., 277, 279. Von dem „Heer“ wurde die Eliteeinheit der „Schaaren“ unter­ schieden, die unter Karl dem Großen gegenüber den Heermannen mit Lebensmitteln privilegiert und mit Pferden ausgestattet waren; J. Sporschil, ebd., S. 271 ff. 49  J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S. 279 ff. Allgemein zu der Struktur des Königshofs Karls des Großen W. Rösener, Königshof und Herrschaftsraum: Norm und Praxis der Hof- und Reichsverwaltung im Karolingerreich, in: Uomo e spazia nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2003, S.  453 ff. 50  J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S. 280. 51  S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 2. Zum Gerichtswesen über die familiae A. Dopsch, Die Grundherrlichkeit der Karolingerzeit (Immunität und Vogtei), in: Gesammelte Aufsätze. Verfassungsund Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, Wien 1968, S. 12 f.; P. Riché, Die Karo­

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

der königlichen Gerichts- und Vollzugsgewalt der Grafen stehende Gaue eingeteilt, in denen die Grafen für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung sorgten.52 Die Grafen wie auch die Vögte als Vertreter geistlicher Würdenträger im Rahmen von kirchlichen Immunitätsbezirken waren dabei dem Pfalzgrafen untergeordnet.53 Daneben gab es die missi dominici, d. h. die Königsboten,54 welche die lokalen Beamten, namentlich Grafen, Vögte, Bischöfe und Äbte, im Sinne der Reichszentralverwaltung überwachten und insoweit für die Ausführung der Gesetze, die Gerechtigkeitspflege und die öffentliche Ordnung zuständig waren.55 Mit den vornehmsten Vasallen und wichtigsten weltlichen wie geistlichen Beamten wurden im Herbst eines Jah­ res seitens des Königs Versammlungen abgehalten, aus denen reichsrechtli­ che Gesetzesakte wie die Kapitularien als königlich bestätigte Beschlüsse des hohen Gremiums hervorgingen, die aber von den einzelnen Volksstämmen im Rahmen der von ihnen selbst abzuhaltenden Versammlungen noch bestä­ tigt werden mussten.56 Das gesamte System beruhte aber mehr oder weniger auf dem Prinzip des Grundeigentums, das aus dem römischen Recht bekannt und auch bereits in der fränkischen Lex Salica vorausgesetzt war.57 Das linger, Stuttgart 1987, S. 160 f.; W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S.  149 f. 52  J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S. 279 f.; vgl. W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 126. 53  J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S. 280. 54  P. Riché, Die Karolinger, Stuttgart 1987, S. 159; D. Willoweit, Deutsche Ver­ fassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 49; W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 126 f., 131 f. 55  J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S.  282 f.; A. Meister, Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 14. Jahrhundert, Leipzig 1913, S. 58 f.; W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stutt­ gart 2015, S. 126 f., 131 f. 56  J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S.  278 f.; W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 120 ff. In der Wis­ senschaft ist umstritten, wie die Kapitularien Gesetzeskraft erhielten, namentlich durch die mündliche Verkündung des Königs, die schriftliche Fixierung oder durch die Zustimmung des Volkes.; vgl. W. Hartmann, ebd., S. 121 f., 129 ff. 57  K. Jungbohn Clement, Forschungen über das Recht der Salischen Franken vor und in der Königszeit, Lex Salica und Malbergische Glossen, in: H. Zoepfl (Hrsg.), Bibliothek für Wissenschaft und Literatur, Band III: Staats- und rechtswissenschaftli­ che Abtheilung Band I, Berlin 1876, S. 222 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1881 (2), 1, (49 ff.); G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrundherrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S. 37 ff. „LI. Von sträflicher Güterconfiscation 1. Wenn Jemand den Grafio zur Wegnahme des Eigenthums eines Andern veranlasst und ihn auffordert hinzugehen, und ihn nicht gesetzmässig mittelst Stabwurfs geladen hat, so soll der, der ihn zu der unrechtmässi­



I. Fränkische Reichsorganisation – königliche Grundherrschaft549

Grundeigentum vermittelte eigentumsrechtliche Macht, die sich auf Reichs­ ebene schließlich zugunsten des Königtums und zulasten der Freien durch­ setzen musste.58 In diesem delegierten Grundeigentum ist schließlich der ­Ursprung eines königlichen Prinzips zu sehen, das sich bereits unter den Merowingern ausgeformt hatte und unter Karl dem Großen zu einem Reichs­ gewalt beinhaltenden Herrschaftsmoment weiterentwickeln sollte, und das sich schließlich als konstituierender Baustein der mittelalterlichen Staats- und Volksverfassung des Alten Reiches im Sinne von vogtei-, lehens- und grund­ herrschaftlichen Rechtsverhältnissen erhalten sollte.59 Dass dies das oberste Ziel des Fränkischen Kaisers war, beweist auch der Eid, den alle auf dem Reichsgebiet ansässigen Menschen später dem neu gekrönten Kaiser ableis­ ten mussten.60 Karl dem Großen ging es um eine Delegation von sonstigen weltlichen wie geistlichen Herrschaftsträgern und der Freien unter das Kö­ nigtum des Fränkischen Reiches.61 Zu diesem Zweck wurde nicht nur eine königliche Beamtenschaft eingeführt, die aus Vertretern mächtiger Herr­ schaftsfamilien stammte und die königlichen Aufgaben in loyaler Verbunden­ heit mit dem Königtum auszuführen hatte,62 sondern die bereits bestehenden weltlichen und geistlichen Vasallen wurden durch sonstige Adelsträger, die gen Wegnahme auffordert, ehe er dem Gesetz gemäss geladen oder ihm Sicherheit gegeben ist, für schuldig erkannt werden, 8000 Pfenn. oder 200 Schill. zu zahlen. (…) 2. Wenn aber der Grafio, dazu geladen, mehr als das Gesetz sagt und die Schuld beträgt, wegzunehmen sich herausnimmt, so soll er entweder sich lösen oder mit dem Leben büssen.“ „LII. Von ausgeliehenem Eigenthum. So Jemand einem Andern von seinen Sachen etwas leihet und er es ihm nicht wieder geben will, so soll er ihn so vorladen. (…) Wenn er auch dann wiedergeben und keine Sicherheit für die zurück­ zugebenden Sachen geben will, so ist er für schuldig zu erkennen, zu der Schuld an den Leiher oder zu den 9 Schill., welche durch jedes einzelne Mahnen hinzugekom­ men sind, 600 Pfenn. oder 15 Schill. zu zahlen.“; K. Jungbohn Clement, ebd., S.  222 ff. 58  Vgl. E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbin­ dungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S. 94 ff., 122 ff., 324 ff.; W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 122. 59  R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff.); J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f. 60  J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S. 277; W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 129; vgl. W. Rösener, Königshof und Herrschaftsraum: Norm und Praxis der Hof- und Reichsverwal­ tung im Karolingerreich, in: Uomo e spazia nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2003, S. 461. 61  W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 122. 62  E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 56 f.; W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 122.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

im Fränkischen Reich bereits vorgefunden worden waren und in die Reichs­ verfassung integriert werden mussten,63 nach dem Muster der königlichen Grundherrschaft ergänzt, indem ihnen Königsgut gegen entsprechende Natu­ ralien, Dienste oder Abgaben gegeben wurde.64 Daran schlossen sich die freien Männer an, denen königlich abgeleiteter Grundbesitz zur Bewirtschaf­ tung gegeben wurde, der wiederum über die von Beamten geführten dezen­ tralen Koordinationszentren der Königshöfe verwaltet wurde.65 Dabei wurden insbesondere Klöster und Kirchen neben der kirchlichen Immunität mit Kö­ nigsgütern ausgestattet.66 Dahinter stand grundsätzlich das Prinzip einer 63  J. Hannig, Consensus fidelium – frühfeudale Interpretationen des Verhältnis­ ses von Königtum und Adel am Beispiel des Frankenreiches, Stuttgart 1982, S. 50 ff., 130 ff.; K. Weber, Die Formierung des Elsass im Regnum Francorum – Adel, Kirche und Königtum am Oberrhein in merowingischer und frühkarolingischer Zeit, Ostfil­ dern 2011, S. 99 ff., 157 ff.; W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 122. 64  W. Rösener, Königshof und Herrschaftsraum: Norm und Praxis der Hof- und Reichsverwaltung im Karolingerreich, in: Uomo e spazia nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2003, S. 453 ff., 462 f.; F.-J. Schmale/W. Störmer, Franken vom Zeitalter der Karolinger bis zum Interregnum (716/19–1257) – die politische Entwicklung, in: M. Spindler/A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, Band III/1: Geschichte Frankens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 1997, S.  127 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 1 f.; vgl. auch zu dem früheren System der salischen Franken R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (52). 65  W. Rösener, Königshof und Herrschaftsraum: Norm und Praxis der Hof- und Reichsverwaltung im Karolingerreich, in: Uomo e spazia nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2003, S. 462 ff.; vgl. F.-J. Schmale/W. Störmer, Franken vom Zeitalter der Karolinger bis zum Interregnum (716/19–1257) – die politische Entwicklung, in: M. Spindler/A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, Band III/1: Geschichte Frankens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 1997, S.  127 f.; vgl. S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 1. 66  Vgl. S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 1. Dies entsprach einem der fränkischen Prinzipien des Reichsaufbaus unter Karl dem Großen, wonach die Kirchen und Klöster an das Reich stärker gebun­ den werden sollten. Zur kirchlichen Immunität W. Metz, Das Karolingische Reichs­ gut – eine verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 180 f. Ausführlich zum Rechtsins­ titut der kirchlichen Immunität G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Band I: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 1914, S. 253 ff., A. Waas, Vogtei und Bede in der deutschen Kaiserzeit, Band I, Berlin 1919, S. 99 ff., v. a. S. 117; A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hanno­ ver u. a. 1905, S. 223 f.; L. Santifaller, Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichs­ kirchensystems, Graz u. a. 1964, S. 25; W. Goez, Legitimation weltlicher Herrschaft von Geistlichen im Abendland, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 2004 (90), 192, (199).



I. Fränkische Reichsorganisation – königliche Grundherrschaft551

zweigeteilten Villikationsverfassung, die sich in einem Herrenhof und einem daran angebundenen Fronhof mit entsprechendem Salland zeigte, welcher aus mehr oder weniger abhängigen Bauernhöfen, d. h. Hufen, bestehen konn­ te.67 Ebenfalls gaben unter Karl dem Großen tausende von freien Männern ihren Besitz den Klöstern und Kirchen zu eigen, weil damit eine privilegierte Landwirtschaft möglich war, die auf selbständigem Wege nicht zu bewerk­ stelligen gewesen wäre,68 zum anderen aber auch, weil die freien Bauern damit dem Kriegsdienst entgehen konnten.69 Die freien Männer erhielten diese Güter oftmals seitens der Kirchen gegen bestimmte Vorteile als unter­ täniges grundherrschaftliches Gut wieder zurück, das nun als Gotteshausgut gelten konnte.70 Darin spiegelte sich das grundsätzliche königliche Prinzip, wonach den weltlichen und geistlichen Ständen, aber auch den einfachen freien Männern, grundherrschaftlich abgeleitete Güter und damit ein Nutzen gegeben wurden, im Gegenzug aber damit gegenüber dem Königtum zu er­ bringende Lasten und Pflichten wie Dienste und Zinsen verbunden waren.71 Wenn man diesen Grundsatz im Lichte des Grundeigentums betrachtet, das auch als grundsätzliches Element der mittelalterlichen Grundstücksleihe72 angesehen werden kann, so erscheint bereits hier der Rechtsgedanke eines herrschaftlich gebundenen besonderen Eigentums, das gemeinwohlbezogen delegiert war.73

67  S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 1; vgl. U. Weidinger, Das „Capitulare de villis“ – Die Versorgung des Kö­ nigshofs mit Gütern, in: M. Becher (Hrsg.), Das Reich Karls des Großen, Darmstadt 2011, S.  82 ff. 68  A. Gfrörer, Zur Geschichte deutscher Volksrechte im Mittelalter, Band II, Schaffhausen 1866, S. 374; vgl. auch S. Weinfurter, Karl der Große – der heilige Bar­ bar, München u. a. 2013, S. 80; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsge­ schichte, München 2019, § 16 Rn. 1. 69  W. Rösener, Bauern im Mittelalter, 4. Aufl., München 1991, S. 228 ff. 70  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 40 f., 91, 199; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, Mün­ chen 2019, § 16 Rn. 1. 71  E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbindungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S.  94 ff., 122 ff., 324 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff., 78 ff.); E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 55 ff. 72  S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 1. 73  Vgl. R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (78 ff.).

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

Das königliche Prinzip, welches der unter Karl dem Großen zunehmend herausgebildeten Benefizial- und Senioratsverfassung zugrunde lag,74 kann anhand von zwei fränkischen Rechtssammlungen verdeutlicht werden. Mit dem capitulare de villis vel curtis imperii75 hat Karl der Große eine Landgü­ terverordnung aufgestellt, welche die Versorgung der Königshöfe mit Gütern sicherstellen sollte.76 Als Adressaten des capitulare de villis vel curtis impe­ rii waren in erster Linie die Amtsleute auf den entsprechenden Königsgütern, die eine allgemeine Anweisung zur Bewirtschaftung der Königshöfe an die Hand bekamen, anzusehen.77 Daneben wird im capitulare de villis vel curtis imperii aber auch die familiae angesprochen, die im Sinne von königlich delegierten und damit herrschaftlich gebundenen Gutsherren zu verstehen ist, die bestimmte Königsgüter gegen entsprechende Zinse innehatten.78 Bereits dies zeigt auf, dass der unter Karl dem Großen einsetzenden Reichsorganisa­ tion zunehmend ein aristokratisches Prinzip zugrunde lag, das die Königs­ leute von den freien Bauern unterschied und erstere aus der demokratischen 74  Ausführlich zur Entwicklung des fränkischen Benefizialwesens E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbindungen und Wechselwir­ kungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S. 94 ff., 122 ff., 324 ff. 75  Des Kaisers Karls des Großen Capitulare de Villis, übersetzt und erläutert von J. Reß, Helmstädt 1794; U. Weidinger, Das „Capitulare de villis“ – Die Versorgung des Königshofs mit Gütern, in: M. Becher (Hrsg.), Das Reich Karls des Großen, Darmstadt 2011, S. 79 ff. 76  Des Kaisers Karls des Großen Capitulare de Villis, übersetzt und erläutert von J. Reß, Helmstädt 1794, S. 11 ff.; aus botanischer Sicht J. Regnath/K. Schmuki, Gar­ tenbau im Spiegel karolingischer Quellen – Capitulare de villis, St. Galler Kloster­ plan und Hortulus des Walahfrid Strabo, in: W. Konold (Hrsg.), Gezähmte Natur – Gartenkultur und Obstbau von der Frühzeit bis zur Gegenwart, Ostfildern 2017, S.  52 ff.; Ch. Widmayr, Alte Bauerngärten neu entdeckt, 5. Aufl., München 1990, S. 11 ff. Zu der Bedeutung des capitulare de villis vel curtis imperii „als Inbegriff des fränkischen Reichsguts und seiner Verwaltung“ sowie zu dessen räumlichem Gel­ tungsbereich im gesamten Fränkischen Reich unter Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Meinungsstand W. Metz, Das Karolingische Reichsgut, eine ver­ fassungs- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 77 ff., v. a. S. 84, der auf S. 89 aber auch darauf hinweist, dass Spuren einer auf dem capitulare de villis aufbauenden Gesetzgebung in Italien in bescheidenerem Maße vorhanden waren. 77  Des Kaisers Karls des Großen Capitulare de Villis, übersetzt und erläutert von J. Reß, Helmstädt 1794, S. 12 f.; W. Rösener, Königshof und Herrschaftsraum: Norm und Praxis der Hof- und Reichsverwaltung im Karolingerreich, in: Uomo e spazia nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2003, S. 462 ff. 78  So unter anderem in der Regel Nr. 3 des Capitulare de villis; abgedruckt bei Des Kaisers Karls des Großen Capitulare de Villis, übersetzt und erläutert von J. Reß, Helmstädt 1794, S. 12 f.; W. Rösener, Königshof und Herrschaftsraum: Norm und Praxis der Hof- und Reichsverwaltung im Karolingerreich, in: Uomo e spazia nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2003, S. 466 ff.



I. Fränkische Reichsorganisation – königliche Grundherrschaft553

Volks- und Gauverfassung allmählich herauslöste und der Benefizialverfas­ sung zuordnete.79 Die Bindung, die durch das königliche Grundeigentum erfolgte, enthielt bereits öffentlich-rechtliche Elemente, die sich erst ab dem späten Mittelalter allmählich von dem eigentlichen Privateigentum ablös­ ten.80 Im Kontext mit dem Wergeld wird das aristokratische Prinzip noch deutlicher, wenn in der von Karl dem Großen bereits in hohem Alter in Auf­ trag gegebenen Lex Francorum Chamavorum81 formuliert wurde, dass das Wergeld für einen getöteten Königsmann nicht der Familie des Getöteten, sondern dem König zufallen sollte.82 Dem gesamten karolingischen Reichs­ aufbau lässt sich damit ein allgemeiner Grundsatz entnehmen, der sich mit Nutzen und Lasten charakterisieren lässt und sich später im hohen Mittelalter vor dem Hintergrund des Dogmas eines geteilten Eigentums als konstituie­ render Baustein der mittelalterlichen Volks- und Staatsverfassung des Heili­ gen Römischen Reiches Deutscher Nation in der Form von vogtei-, lehensund grundherrschaftlichen Rechtsverhältnissen auch in den hegemonialen Kreisen unterhalb der königlichen Ebene erhalten sollte.83 Im fränkischen Recht war dieses königliche Prinzip der delegierenden Grundherrschaft be­ reits enthalten,84 das aber unabhängig davon bereits große Teile der frühmit­ telalterlichen Reichsorganisation der Franken durchzogen hatte,85 wenn­ gleich nicht bestritten werden kann, dass es in erster Linie unter dem mäch­ tigen Kaiser Karl dem Großen funktionsfähig erweitert worden war und seine Nachfolger auf dem Thron das System durch ihre Unentschlossenheiten schwächten.86 79  E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 55 ff. 80  J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f. 81  Abgedruckt bei E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintli­ che Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 30 ff. Siehe zum Hintergrund der fränki­ schen Rechtssammlung der Lex Francorum Chamavorum die entsprechende histori­ sche Einleitung E. Gaupp, ebd., S. 1 ff. 82  E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 55 ff. 83  R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff., 78 ff.); J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f.; E. Gaupp, Lex Franco­ rum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 55 ff. 84  R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff., 78 ff.); S. Weinfurter, Karl der Große – der heilige Barbar, München u. a. 2013, S. 80. 85  R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff.). 86  W. Rösener, Königshof und Herrschaftsraum: Norm und Praxis der Hof- und Reichsverwaltung im Karolingerreich, in: Uomo e spazia nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2003, S. 466.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft und die hochmittelalterliche Stadtentwicklung 1. Sondereigen und markeigene Allmende als strukturelle Elemente eines frühgenossenschaftlichen Verbandes aus individuellen Teilhabern Neben die vorherrschende Grundherrschaft trat im Fränkischen Reich aber ein weiteres Organisationsmodell, das mit den Begriffen der freien Markge­ nossenschaft bzw. der Dorf- und Feldgemeinschaft beschrieben werden kann.87 Im Gegensatz dazu gab es Dorfverfassungen, die unter der Grund­ herrschaft einer Kirche oder eines weltlichen Herrschers standen, womit die Gehöfte und das dazugehörende Land im Besitz eines kirchlichen oder welt­ lichen Gutsherrn standen und sich die Männer mit Blick auf den Herrnhof, germanisch sala, als Unfreie bzw. Hörige erweisen konnten.88 Die freie Markgenossenschaft, die entsprechend der frühmittelalterlichen fränkischen Agrarverfassung auch die typische Struktur eines Dorfes besaß,89 bezog sich regelmäßig auf ein durch Marken begrenztes Gebiet, das im Besitz von freien Männern war, die insoweit einen rechtlichen Verband bildeten.90 Den germa­ nischen Genossen vermittelte die Mark Freiheit und Eigen, womit sie prak­ tisch als demokratisches Gegenmodell zu der das gesamte Fränkische Reich umspannenden Grundherrschaft angesehen werden konnte.91 Die Markgenos­ senschaft fand ihre rechtliche Grundlage bereits in der Lex Salica wie in sonstigen germanischen Volksrechten und war insoweit im Fränkischen 87  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 152  ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (50 ff.); G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrundherrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Va­ duz 1965, S. 31 ff. 88  R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (52); S. Schlinker/H. Lu­dyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 1 f. 89  G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band II: Die Deutsche Verfassung im Fränkischen Reich, 2. Aufl., Kiel 1870, S. 309 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Ab­ teilung 1881 (2), 1, (51 ff.); vgl. C. v. Schwerin, Beitrag zu „Die Markgenossenschaft (Holtung) der 17 Dörfer um Amelinghausen“, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1936 (56), 499, (499 f.). 90  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S.  152  ff.; G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band II: Die Deutsche Verfassung im Fränkischen Reich, 2. Aufl., Kiel 1870, S. 309 ff.; H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsfor­ schung 1913 (34), 1, (26 f.). 91  G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrundherrschaft im frühen Mittelal­ ter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S. 31 ff.



II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft555

Reich bereits gesellschaftlich vorausgesetzt.92 Wie aber in der Wissenschaft nachgewiesen werden konnte, bezog sich eine Markgenossenschaft in der Karolingerzeit nicht nur keinesfalls auf das bestimmte Gebiet einer marca wie die Marca Campidonensis, da sich diese einer einheitlichen Begriffsbil­ dung wie Zuordnung in räumlicher Hinsicht entzog und deshalb mit einem markgenossenschaftlichen Gebiet nicht unbedingt identisch sein musste, sondern eine marca vielmehr auch mehrere Dorfgemeinschaften umfassen konnte,93 wobei die im Fränkischen Reich neben der grundherrschaftlich gebundenen Markgenossenschaft anzutreffende freie Markgenossenschaft oftmals auch bereits von sonstigen adeligen bzw. kirchlichen Grundherr­ schaften unterwandert war, so dass sie einem Herrschaftseinfluss in Bezug auf ihre Allmende und den einzelnen Nutzungsanteil eines Markgenossen unterlag.94 Im Zuge der königlichen Grundherrschaft der fränkischen Herr­ 92  H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mittei­ lungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (12 ff.). Die Markgenossenschaft wurde in der Lex Salica in der Bestimmung „XLV. Von Ziehenden“, die das Widerspruchsrecht gegen fremde Einwanderer regelte, vorausge­ setzt: „1. Wenn jemand zu einem Anderen in einem Dorf ziehen will und Einer oder Einige von denen, welche in dem Dorf wohnen, ihn aufnehmen wollen, so wird es ihm nicht erlaubt sein, dahin zu ziehen, wenn auch nur Einer sich findet, der dagegen spricht. Wenn er aber sich herausnimmt, sich in diesem Dorf niederzulassen, während Einer oder Zwei dagegen sind, so soll der ihm solches mit Zeugen zu verstehen ge­ ben. (…) 2. Zieht aber jemand anderswohin und wird ihm innerhalb zwölf Monate keine unter Zeugen geschehende Aufforderung, den Ort zu räumen, so hat er nichts zu befürchten und kann wohnen bleiben, wie seine andern Nachbarn wohnen.“; K. Jungbohn Clement, Forschungen über das Recht der Salischen Franken vor und in der Königszeit, Lex Salica und Malbergische Glossen, in: H. Zoepfl (Hrsg.), Biblio­ thek für Wissenschaft und Literatur, Band III: Staats- und rechtswissenschaftliche Abtheilung Band I, Berlin 1876, S. 204 f.; zu diesem Aspekt auch L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 169: „zur Veräußerung der Wahre (war) die Zustimmung aller Markgenossen erforderlich“. Grundsätzlich zum fränkischen Recht, d. h. zu den Volksrechten der Franken in der Form der Lex Salica, der Lex Ribuaria und der Lex Francorum Chamavorum, sowie den alten germanischen Volksrechten unterworfener Stämme E. Gaupp, Das alte Gesetz der Thüringer oder die Lex Angli­ orum et Werinorum, hoc est Thuringorum in ihrer Verwandtschaft mit der Lex Salica und Lex Ripuaria – dargestellt und mit erklärenden Anmerkungen herausgegeben, Breslau 1834, S. 3 ff., 203 ff. 93  G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band II: Die Deutsche Verfassung im Fränkischen Reich, 2. Aufl., Kiel 1870, S. 309 ff.; A. Dopsch, Die Markgenossen­ schaft der Karolingerzeit, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichts­ forschung 1913 (34), 401, (409); vgl. H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsfor­ schung 1913 (34), 1, (3 f., 40 f.). 94  G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band II: Die Deutsche Verfassung im Fränkischen Reich, 2. Aufl., Kiel 1870, S. 309 ff.; H. Wopfner, Beiträge zur ­Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österrei­ chische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (1 ff., 15, 17 f.); A. Dopsch, Die Markge­

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

scher wurde aus der bäuerlichen Freiheit der Männer bzw. der genossen­ schaftlich organisierten Gemeinde deshalb zunehmend auch hier ein von den königlichen grundherrschaftlichen Strukturen überlagerter Volksraum, wel­ cher der eigenständigen Disposition zugunsten des Fränkischen Königtums im Sinne der „praecepta regis“ immer mehr entgleiten musste.95 Die Grund­ lage des freien Sondereigentums der Markgenossen waren Gehöfte, die im Einzelnen aus einem Wohnhaus, einem Hofraum, einem Stall, einem Keller sowie Gartenland bestanden.96 Den Gehöften wurde jeweils Ackerland zuge­ lost, das als freies Sondereigentum im Sinne eines Sondernutzungsrechts von dem einzelnen Genossen bewirtschaftet wurde.97 Daneben gab es die der nossenschaft der Karolingerzeit, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Ge­ schichtsforschung 1913 (34), 401, (419 ff.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossen­ schaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S.  189 ff. 95  G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band II: Die Deutsche Verfassung im Fränkischen Reich, 2. Aufl., Kiel 1870, S. 314; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1881 (2), 1, (52 ff., v. a. 60 ff.); H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsfor­ schung 1913 (34), 1, (15, 17 f.). 96  Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (152 f.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körper­ schaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 194 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (58 ff.); G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrundherrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S. 35 ff.; H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (5 ff.); A. Dopsch, Die Mark­ genossenschaft der Karolingerzeit, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Ge­ schichtsforschung 1913 (34), 401, (409 f.); C. v. Schwerin, Beitrag zu „Die Markge­ nossenschaft (Holtung) der 17 Dörfer um Amelinghausen“, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1936 (56), 499, (500). Es wird in der Wissenschaft darauf hingewiesen, dass noch unter der Lex Salica das Sondereigen in gewisser Weise auch ein Eigen zur gesamten Hand war. Denn die Gemeinde besaß gegenüber den einzelnen Genossen ein Einziehungsrecht im Todes­ falle und ein Abtretungsrecht, wenn ein Genosse sein Gehöft an einen Ausländer veräußern wollte.; vgl. R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savig­ ny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (58). 97  Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (153 ff.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körper­ schaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 222; G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrund­ herrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S. 35 ff. Siehe in diesem Zusammenhang auch den praktischen Fall BayObLGZ 70, 21, (23 ff.), welcher aus einer ehemaligen Markgenossenschaft abgeleitete Nutzungs­ rechte zum Gegenstand hatte, die regelmäßig mit dem Grund und Boden der Hofstät­



II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft557

gesamten Markgenossenschaft unterliegenden Teile, die Allmende, die im gemeinschaftlichen Eigentum stand und einer gemeinsamen Verwaltung der Genossen unterlag.98 Ein Recht auf Teilung der Mark bestand nicht; der ein­ zelne Markgenosse hatte aber die Befugnis zur Veräußerung seines entspre­ chenden Anteils.99 Der Gedanke eines genossenschaftlichen Verbandes war deshalb im germanischen Denken tief verwurzelt und damit bei den Mächti­ gen und dem Volk gegenwärtig. Es macht deshalb den Eindruck, als ob sich das Prinzip der Markgenossenschaft, wenn auch in der Form von nur noch herrschaftlich gebundenem Sondereigentum der Genossen und etwaigen ei­ ner gemeinen Benutzungsordnung unterliegenden gemeinschaftlichen Nutz­ gütern,100 überdauert und später dann im Rahmen des verfassten mittelalter­ lichen öffentlichen Raumes in einer modifizierten Ausformung, sei es in der Form eines geteilten Allodialvermögens von Vertretern des Adels, der Kir­ chen, der Klöster oder aber von Freien, sei es in der Form von ausgeschiede­ nen Gebäudeteilen im Rahmen grundherrschaftlich gebundenen Besitzes auf dem Land, aber auch in den entstehenden Städten und Dörfern, erschienen ist.101 In Bezug auf den letzteren Gesichtspunkt ist dies vor dem Hintergrund ten verbunden waren und insoweit radizierte Rechte an diesem Grundstück im Sinne von § 96 BGB bildeten. 98  Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (153 ff.); L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 153 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1881 (2), 1, (52 f.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 215  f., 222  ff.; G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrundherrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S. 40 f.; H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österrei­ chische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (5 ff., 28 ff.); C. v. Schwerin, Beitrag zu „Die Markgenossenschaft (Holtung) der 17 Dörfer um Amelinghausen“, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1936 (56), 499, (499 f.); G. v. Bülow, Allmende und Markgenossenschaft, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1903 (1), S. 120 ff. m. w. N., wo auch der damalige Meinungsstand ausgeführt wird, ob bzw. inwieweit ein Unterschied zwischen All­ mende und gemeiner Mark im Rahmen der Markgenossenschaft bestand. 99  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 166 f. 100  Vgl. O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 213 ff., v. a. S. 218 f.; C. v. Schwerin, Beitrag zu „Die Markgenossenschaft (Holtung) der 17 Dörfer um Amelinghau­ sen“, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1936 (56), 499, (500). 101  In diesem Sinne O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 218  f., 230  ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechts­ geschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (51), der davon spricht, dass „selbst die Städte im zwölften und dreizehnten, (…) bis ins vierzehnte Jahrhundert

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

des geteilten Eigentums, das bereits unter den Karolingern in strukturellen Ansätzen praktiziert worden war,102 im Besonderen plausibel. Denn das Le­ hens- und Leihewesen bildete den idealen Nährboden für einen genossen­ schaftlichen Verband unter einer obereigentümlichen Herrschaft, womit sich das Stockwerkseigentum als volksrechtliche und von der Herrschaftsebene abstrahierte Eigenart auf der untersten Stufe der Reichsverfassung entwickeln konnte, die heute den Städten, Dörfern und Gemeinden entspricht.103 Dass aber eine historische Kontinuität zwischen der im fränkischen Recht nor­ mierten germanischen Markgenossenschaft und dem späteren Stockwerksei­ gentum besteht, wird allein daran deutlich, dass sich die gemeinen Nutzungs­ rechte als Zubehör des Sondereigentums darstellten, die nur in Verbindung mit letzterem bestehen und zugeordnet sein konnten.104 Mit anderen Worten konnte einem Markgenossen ein Nutzungsrecht an der Allmende nur dann zustehen, wenn er ein Gehöft im Sondereigen innehatte, womit eine eindeu­ tige Parallele zu der rechtlichen Struktur des Stockwerkseigentums besteht.105 Andererseits ist dabei auch grundsätzlich die besondere Eigenart des germa­ nischen Grundeigentums zu bedenken, das sich im Gegensatz zum römischen (…) noch Spuren (…) eines früheren Zustandes (bewahrt haben), wo alle Bürger das Nutzungsrecht einer gemeinen Almend besassen.“ 102  Vgl. E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbin­ dungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S. 94 ff., 122 ff., 324 ff. 103  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S.  161  ff.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 230 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1881 (2), 1, (51). 104  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 156 ff., 167; Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für ge­ schichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (151 ff.); H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österrei­ chische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (8 f. m. w. N. auf S. 9 mit Fn. 2). 105  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 156  ff., 167; Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeit­ schrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (151 ff.); H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (8 f. m. w. N. auf S. 9 mit Fn. 2). Das Pertinenzrecht als mit der Hofstätte verbundene Berechtigung an der Allmende war aber für sich selbständig veräußerbar; L. Duncker, ebd., S. 167 ff. m. w. N. Zu der Parallele zum Stockwerkseigentum R. Schröder, Ueber eigentümli­ che Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S.  34 ff.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 586 f.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Gan­erbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 184.



II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft559

dominium einer rein privatrechtlichen Anschauung des Eigentums an einer Sache als bloßem Vermögensbestandteil entzog, sondern vielmehr gleichzei­ tig die Elemente Grundherrschaft und Grundvermögen in sich trug, die als Keime im Lichte der im späten Mittelalter aufkommenden Staatsidee in der landesherrschaftlichen Gebietshoheit und in dem privaten Eigentum allmäh­ lich aufgingen und nun auch die zu unterscheidenden Bereiche eines öffent­ lichen und privaten Rechts beinhalten konnten.106 Das Allodialeigentum des Adels, der niederadeligen Ritterschaften, der Kirchen wie auch der weiterhin bestehenden freien Männer und Bauern blieb aber im Rahmen der mittel­ alterlichen Verfassung des germanischen Grundeigentums daneben bestehen und unterfiel insoweit keiner delegierenden Herrschaft, wenngleich sich der königliche und adelige Einfluss auf die allodialen Güter zunehmend auszu­ weiten suchte.107 2. Fränkische Markgenossenschaft und Herbergsrecht Nachdem sich das Fürststift Kempten bis zuletzt als klösterlicher Agrarstaat dargestellt hat,108 auf dessen Territorium auch noch im 17./18. Jahrhundert ein hoher Anteil an freien Bauern vorzufinden war,109 wird dem Zusammenhang von fränkischer Markgenossenschaft und Herbergen noch einmal konkretisie­ rend nachgegangen. Es ist historisch überliefert, dass unter dem fränkischen Herrscher Karl dem Großen auf dessen Veranlassung hin freie Männer dem Benediktinerkloster Kempten Hufen, d. h. landwirtschaft­liche Höfe,110 in mehreren Gauen, namentlich im Illergau, Augustgau, Nibelgau, Gildinstein, 106  O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 141; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f. 107  Vgl. G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band II: Die Deutsche Verfas­ sung im Fränkischen Reich, 2. Aufl., Kiel 1870, S. 314; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (52 ff., v. a. 60 ff.); H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Ge­ schichtsforschung 1913 (34), 1, (15, 17 f.). 108  P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 195 ff.; ders., Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Lan­ desgeschichte 1967 (30), S. 201 ff.; P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grund­ buchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (422). 109  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  17 f. m. w. N. 110  So J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mund­ art, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1301 f.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

Linzgau und im Gau Albinesbara111 schenkten.112 Dieser Vorgang ist zunächst im Lichte der Hufenverfassung des Fränkischen Reiches zu sehen, wo im Rahmen der inneren Reichsorganisation die Gefolgschaften für die königli­ chen Heerfahrten und sonstigen militärischen Dienste gesichert werden soll­ ten, wobei die Größe der Hufen der gemeinen freien Männer für die Rekrutie­ rung ausschlagend war.113 Unter Karl dem Großen gaben tausende von freien Männern ihren Besitz den Klöstern und Kirchen zu eigen, weil damit eine bevorzugte und damit auch effizientere Landwirtschaft möglich war, die auf selbständigem Wege nicht zu bewerkstelligen gewesen wäre,114 zum anderen aber auch, weil die freien Bauern damit dem Kriegsdienst entgehen konn­ ten.115 Die innere Verbindung zwischen der fränkischen Markgenossenschaft und den Herbergshäusern liegt im Ergebnis nicht nur in der ähnlichen recht­ lichen Struktur aus Sondereigen und Gemeineigen,116 sondern gerade insbe­ sondere auch in der Heeresverfassung Karls des Großen begründet, wonach die auf den Gehöften sitzenden Freien entsprechend der Größe ihrer Hufen zum Militärdienst verpflichtet waren.117 Nach einer hochmittelalterlichen Ur­ 111  J. Böhmer Regesta Imperii, Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolin­ gern 751–918, neu bearbeitet von E. Mühlbacher und J. Lechner, Band I, 2. Aufl., Innsbruck 1908, S. 355 f.; J. Moser, Schwäbische Merckwürdigkeiten, oder kleine Abhandlungen, Auszüge und vermischte Nachrichten von Schwäbischen Sachen, Ulm 1765, S. 425; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 3, 5. 112  A. Layer/P. Fried, Die Innere Entwicklung, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 154; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 3, 5. 113  A. Meitzen, Volkshufe und Königshufe in ihren alten Massverhältnissen, in: ders. u. a. (Hrsg.), Festgabe für Georg Hanssen zum 21. Mai 1889, Tübingen 1889, S.  20 ff.; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 40; M. Becher, Karl der Große, 6. Aufl., München 2014, S. 100; Ch. Haack, Die Krieger der Karolinger – Kriegsdienste als Prozesse gemeinschaftlicher Organi­ sation um 800, Berlin u. a. 2020, S. 84 ff., 91 ff. 114  A. Gfrörer, Zur Geschichte deutscher Volksrechte im Mittelalter, Band II, Schaffhausen 1866, S. 374. 115  W. Rösener, Bauern im Mittelalter, 4. Aufl., München 1991, S. 228 ff. 116  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 156 ff., 167 ff.; Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (151 ff.); H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Öster­ reichische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (8 f. m. w. N. auf S. 9 mit Fn. 2). 117  A. Meitzen, Volkshufe und Königshufe in ihren alten Massverhältnissen, in: ders. u. a. (Hrsg.), Festgabe für Georg Hanssen zum 21. Mai 1889, Tübingen 1889, S.  20 ff.; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 40; M. Becher, Karl der Große, 6. Aufl., München 2014, S. 100; Ch. Haack,



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kunde zu dem ehemaligen Herzogtum Crain, das heute zu der Republik Slo­ wenien gehört, hatten in „Crain (…) ein hanntwercher, der zu herwerg ist, 32 pfennig und ain witib halben (Teil) solichs anschlags (…) (,) (sowie) der in einer herberg oder hofstat siczt, 8 pfennig und ein yedes weyb halben tayl ires / man anslag (…)“, als Abgabe an die Landsleute von Krain zu entrich­ ten.118 Nicht nur, dass sich aus dieser hochmittelalterlichen Urkunde auch be­ reits die spätere Bedeutung einer Herberge als Beherbergung eines umherzie­ henden Handwerkers ergibt, stellt die Urkunde die Hofstatt mit einer Herberge von der Abgabenlast her gleich.119 Bemerkenswert ist in diesem Kontext der Dorfgemeinschaften zudem der historisch überlieferte Umstand, dass nach westgotischem Recht ein Vorkaufsrecht für einen einzelnen Markgenossen beim Verkauf von Liegenschaften, die früher Gemeinland waren, galt, wobei etwa nach dem Stadtrecht von Visby und vermutlich auch nach den festländi­ schen skandinavischen Stadtrechten auch die Stadt beim „Verkauf von Grund­ stücken innerhalb der Stadtgemarkung, wenn die Erben des Verkäufers von ihrem Vorkaufsrecht keinen Gebrauch mach(t)en“, entsprechend vorkaufsbe­ rechtigt war.120 Andererseits stand nach dem altschwedischen gemeinen Stadt­ recht wiederum auch einem Stockwerkseigentümer in einem Hause gegen ei­ nen sonstigen Sondereigentümer ein entsprechendes Vorkaufsrecht zu, „wenn der Eigenthümer eines andern Haustheils denselben verkaufen will und dessen Erben nicht einstehen (sollten)“, wobei dies nach einigen überlieferten alt­ schwedischen Handschriften auch für einen Nachbarn galt, wenn eine Hofstatt oder ein Hof verkauft werden sollte.121 Aus den zitierten Rechtsquellen ergibt sich zunächst, dass auch im Raum des heutigen Schwedens das lehens- und grundherrschaftlich gebundene Erbe an Hofstätten wie auch an ausgeschiede­ nen Gebäudebestandteilen herrschend gewesen sein muss, nachdem es zu ent­ sprechenden Kodifikationen im altschwedischen Raum gekommen war und die Vorkaufsrechte noch zu Lebzeiten des Verkaufenden von einem Nichtein­ tritt der Erben abhängig waren.122 Die schwedischen Vorkaufsrechte deuten in Die Krieger der Karolinger – Kriegsdienste als Prozesse gemeinschaftlicher Organi­ sation um 800, Berlin u. a. 2020, S. 84 ff., 91 ff. 118  J. Unrest, Österreichische Chronik, herausgegeben von Karl Grossmann, Mo­ numenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum, NS. 11, Weimar 1957, S.  31 f. 119  Vgl. J. Unrest, Österreichische Chronik, herausgegeben von Karl Grossmann, Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum, NS. 11, Weimar 1957, S.  31 f. 120  K. v. Amira, Nordgermanisches Obligationenrecht, Band I: Altschwedisches Obligationenrecht, Leipzig 1882, S. 573 m. w. N. 121  K. v. Amira, Nordgermanisches Obligationenrecht, Band I: Altschwedisches Obligationenrecht, Leipzig 1882, S. 573 mit Fn. 9. 122  K. v. Amira, Nordgermanisches Obligationenrecht, Band I: Altschwedisches Obligationenrecht, Leipzig 1882, S. 573.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

ihrer sachlichen Parallelität aber auch noch etwas anderes an, das in der Tat nur über einen gedanklichen Umweg zu erkennen ist. Die fränkischen Mark­ genossenschaften wie auch die außerhalb der Grenzmarken des Fränkischen Reiches liegenden Dorfgemeinschaften wurden mit den mittelalterlichen Jahr­ hunderten in unterschiedlichen Intensitätsgraden unter die feudalen Strukturen der Könige, des Adels, aber auch der Klöster und Kirchen delegiert,123 wobei sich bereits im Fränkischen Reich unter Karl dem Großen die Entwicklung abgezeichnet hatte, wonach die freien Markgenossenschaften zunehmend in grundherrschaftlich gebundene übergingen, so dass sich bei wirtschaftlicher Selbständigkeit eine Abhängigkeit der freien Männer wie auch der Bauern ein­ stellte.124 Diese Unterordnungen mussten aber nicht unfreiwillig erfolgt sein, sondern ärmere Freie haben ihre Güter im Fränkischen Reich oftmals an rei­ chere Freie gegeben, wobei sie diese dann als Zinsgut zurückerhielten, womit sie zum einen fortan unter dem Schutz eines Freien standen, und zum anderen auf diese Weise den nach der karolingischen Heeresverfassung jeden Freien treffenden nationalen Militärdienst überhaupt bewältigen konnten.125 Dabei ist in der Wissenschaft anerkannt, dass manche der Freien entweder unmittelbar gegenüber dem König oder dem Vertreter eines Seniorats126 auch Beherber­ gungen für den König, für Adelige oder die Kirchen zu gewähren hatten,127 womit die Verbindung der Höfe und Hofstätten zu der militärischen Kriegs­ verfassung des Mittelalters und den Herbergen hergestellt ist. Die entspre­ chende Abgabe, auch albergue genannt, wurde in der Karolingerzeit praktisch von der gesamten Bevölkerung, d. h. von den Grundholden wie auch den Be­ 123  Vgl. R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff., 78 ff.); J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f.; E. Gaupp, Lex Fran­ corum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S.  55 ff. 124  G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band II: Die Deutsche Verfassung im Fränkischen Reich, 2. Aufl., Kiel 1870, S. 309 ff.; H. Wopfner, Beiträge zur ­Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österrei­ chische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (1 ff., 15, 17 f.); A. Dopsch, Die Mark­ genossenschaft der Karolingerzeit, Mitteilungen des Instituts für Österreichische ­Geschichtsforschung 1913 (34), 401, (419 ff.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossen­ schaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S.  189 ff. 125  E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbindungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S.  129 ff. 126  E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbindungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S. 134. 127  R.-H. Bautier, Lexikon des Mittelalters, Band I: Aachen bis Bettelordenskir­ chen, München u. a. 1980, Sp. 279 f.



II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft563

sitzern von freien Eigen, aber auch der Kirche, im Sinne einer Servitialpflicht zum Unterhalt des fränkischen Königtums und der königlichen Amtsträger gefordert, was sich im frühen Mittelalter auch auf die Versorgung mit Lebens­ mitteln und Pferdefutter erstrecken konnte.128 Eine Beherbergungspflicht be­ stand deshalb nicht nur seitens der Kirche, wenngleich die frühmittelalterli­ chen Königshöfe mit ihren heriberga oftmals bei den Klöstern und Kirchen zu finden waren, sondern auch hinsichtlich sonstiger Grundholden und Freien, was der karolingischen Organisation des Reisekönigtums vom Zweck her ent­ sprach und dieser zugutekam.129 Von hier aber ist es im Ergebnis nur noch ein kleiner Schritt zu der Anerkennung einer Herberge als einer besonderen Wohneinheit, nachdem die Gehöfte der Markgenossen in einem Sondereigen­ tum standen,130 wobei diese als bäuerliche Herbergen das Bezugsobjekt des königlichen, adeligen oder kirchlichen Herbergsrechts sein konnten.131 Ande­ rerseits konnte wie in der nordböhmischen Stadt Liberec eine „herbrige“ auch ein ausgeschiedener Gebäudebestandteil sein, den sich ein erbrechtlich Ver­ fügender hinsichtlich eines lehens- bzw. grundherrschaftlichen Gutes mit der Zustimmung der „öbrigkait“ von den Erben ausbedingen konnte.132 Nach ei­ ner weiteren Kommentierung wurde für den Geltungsbereich der ehemaligen Länder der böhmischen Krone die Herberge andererseits mit dem Wort „weyměnek“ belegt,133 womit „dasjenige, was sich ein Bauer, der seine Wirth­ schaft jemand abgetreten, zu seinem Unterhalte ausbedungen hat, das Ausbe­ dungene, Ausgeschiedene“ verstanden wurde,134 worunter wiederum das Ge­ ding, die Herberge, die Stube oder die Leibzucht fallen konnten.135 Auch hie­ 128  R.-H. Bautier, Lexikon des Mittelalters, Band I: Aachen bis Bettelordenskir­ chen, München u. a. 1980, Sp. 279 f. 129  R.-H. Bautier, Lexikon des Mittelalters, Band I: Aachen bis Bettelordenskir­ chen, München u. a. 1980, Sp. 279 f.; zum karolingischen Reisekönigtum und zu entsprechenden Königspfalzen und -höfen C. Ehlers, Wo der König Station machte, in: M. Becher (Hrsg.), Das Reich Karls des Großen, Darmstadt 2011, S. 71 ff. 130  Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (153 ff.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körper­ schaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 222; G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrund­ herrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S.  35 ff. 131  R.-H. Bautier, Lexikon des Mittelalters, Band I: Aachen bis Bettelordenskir­ chen, München u. a. 1980, Sp. 279 f. 132  W. König-Beyer, Das älteste Reichenberger Stadtbuch – mit einer ortsge­ schichtlichen Einleitung und verschiedenen Anmerkungen versehen von Viktor Lug, Reichenberg 1943, S. 64 f. 133  J. Jungmann, Slownjk česko-německy, Band V: W–Ž, Prag 1839, S. 290. 134  K. Tham, Versuch eines böhmisch-deutschen juristischen, und geschäftsmänni­ schen Lexikons, Prag 1808, S. 72. 135  J. Jungmann, Slownjk česko-německy, Band V: W–Ž, Prag 1839, S. 290.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

ran zeigt sich die geschichtlich bedingte Anknüpfung einer Herberge an etwas Ausbedungenes, das in dem Prinzip einer ausbedungenen Beherbergung in Bezug auf markgenossenschaftliche Gehöfte einen fränkischen Ursprung be­ sitzt und sich über das Mittelalter bis in die Neuzeit unter anderem in dem grundherrschaftlichen Leibgedinge erhalten hat.136 Andererseits ist für die Schweiz hervorzuheben, dass für den Klosterbezirk des Heiliggeist-Spitals St. Gallen die Begriffe „gnossame“ bzw. „genoss“ auch im Kontext mit „hus­ genoz“ überliefert sind, worin eine gemeinsame Nutzung von „Herd und Rauch“ gesehen wurde.137 Auch in Slowenien gab es die „hausarca“ oder „paštǝba“, bei welcher der neue Besitzer eines mit Zustimmung des Grund­ herrn veräußerten Hofes den alten bis zum Lebensende beherbergen muss­ te.138 Die Nähe der bäuerlichen Herberge zu den fränkischen Markgenossen­ schaften lässt aber noch einen weiteren Schluss zu, nämlich dass das Rechts­ institut des salisch-fränkischen Herbergsrechts durchaus im Zusammenhang mit dem germanischen Gesamteigentum zu stehen scheint, und sich auch des­ halb der formalen Dogmatik des römischen Eigentumsbegriffs widersetzen musste.139 Denn wie bei den fränkischen Markgenossenschaften sind auch die Herbergen als Sondereigen an ausgeschiedenen Gebäudebestandteilen wie Sondernutzungsrechte untrennbar mit dem materiellen Grundeigentum ver­ bunden, das früher in Bezug auf den dinglichen Verband des Lehens bzw. der Grundherrschaft eine materielle Nutzeinheit bildete.140 136  Vgl. F. Lütge, Die bayerische Grundherrschaft, Stuttgart 1949, S.  76  ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 42 ff. 137  S. Sonderegger, Landwirtschaftliche Entwicklung in der spätmittelalterlichen Nordostschweiz – eine Untersuchung ausgehend von den wirtschaftlichen Aktivitäten des Heiliggeist-Spitals St. Gallen, St. Gallen 1994, S. 204 f. m. w. N. 138  T. Cevc, Das Bauernhaus in den Karawanken, Klagenfurt 1991, S. 66. 139  Vgl. E. Štaerman, Das römische Bodeneigentum, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigen­ tum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S.  79 ff.; B. Rode, Formen des Eigentums bei den Franken im 5./6. Jahrhundert und der Übergang von gentilpolitischen Normen zu Rechtsnormen – dargestellt anhand der Lex Salica, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 199 ff. 140  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 34 ff.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 586 f.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechts­ gestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 184; vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S.  146 ff., 167 ff.; Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (151 ff.); H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (8 f. m. w. N. auf S. 9 mit Fn. 2).



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3. Die Rechtsinstitute der Ganerbschaft und der Belehnung zur gesamten Hand als Ansatzpunkte eines germanischen Gesamteigentums Was waren aber nun die überlagernden Rechtsinstitute im engeren Sinne, die zur Entstehung des Stockwerkseigentums im Rahmen des germanischen Kulturkreises beigetragen haben? Vor dem historischen Hintergrund der frän­ kischen Rechte an Eigen lebte das Prinzip der Ganerbschaft auf, das bereits in der Lex Salica und sonstigen fränkischen Volksrechten vorgesehen war und im hohen Mittelalter ab dem 12. Jahrhundert in den Land- und Lehens­ büchern vermehrt in Erscheinung trat.141 Als Ganerbschaft, lateinisch con­ dominium, wurde eine Gemeinschaft von mehreren Eigentümern bezeichnet, die ein bestimmtes Objekt wie eine Burg, eine Stadt, ein Dorf oder auch ein ganzes Territorium gemeinschaftlich unterhielt bzw. innehatte und dabei eine politische wie juristische, soziale, wirtschaftliche oder auch militärische Ge­ meinschaft bildete.142 Die einzelnen vom Grundsatz her gleichberechtigten Teilhaber, die miteinander verwandt sein konnten, aber nicht mussten, waren lediglich in ihrer Gesamtheit vollgültig handlungsfähig,143 womit wiederum offensichtlich auch eine gedankliche Verbindung zu den fränkischen Volks141  F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganer­ benburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 43 m. w. N.; A. Flurschütz Da Cruz, Ganerbschaft, publiziert am 01.08.2018, in: Historisches Le­ xikon Bayern. In der Lex Salica steht hierzu unter „LIX. Von Alloden: 1. Wenn Je­ mand stirbt und keine Söhne hinterlässt, so soll die Mutter, wenn sie noch am Leben ist, ihn beerben. 2. Ist die Mutter nicht am Leben und hinterlässt er Bruder oder Schwester, so folgen diese im Erbe. 3. Sind sie nicht vorhanden, dann folget im Erbe die Mutterschwester. Und hierauf folgt als Erbe unter jenen Geschlechtsgliedern, wer dann der nächste Blutsverwandte ist. 4. In Bezug auf das salische Grundeigenthum (d. i. die Heimstätte mit dem Haus und Hofland (…)) findet keine weibliche Erb­ berechtigung statt, sondern dieses ist insgesammt dem männlichen Geschlecht als Brüdern zugehörig.“; K. Jungbohn Clement, Forschungen über das Recht der Sali­ schen Franken vor und in der Königszeit, Lex Salica und Malbergische Glossen, in: H. ­Zoepfl (Hrsg.), Bibliothek für Wissenschaft und Literatur, Band III: Staats- und rechtswissenschaftliche Abtheilung Band I, Berlin 1876, S. 240 f. Auch in der volks­ rechtlichen Lex Francorum Chamavorum finden sich Ansätze des ganerbrechtlichen Prinzips.; vgl. E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xan­ tener Gaurecht, Breslau 1855, S. 80 ff. 142  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 145  ff.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshis­ torische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 44; A. Flurschütz Da Cruz, Ganerb­ schaft, publiziert am 01.08.2018, in: Historisches Lexikon Bayern. 143  A. Flurschütz Da Cruz, Ganerbschaft, publiziert am 01.08.2018, in: Histori­ sches Lexikon Bayern. Zum Begriff des Ganerben als eine Art „Miterbe“ F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshis­ torische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 43 ff. m. w. N.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

und Markgenossenschaften hergestellt ist.144 Die Ganerbschaft zeichnete sich dadurch aus, dass mehrere Personen ein wirtschaftliches Gut gemeinsam im Besitz hatten, wobei die zwischen ihnen herrschenden vertraglichen Rege­ lungen grundsätzlich auch für ihre Nachkommen gültig waren, es sei denn, dass eine Primogenitur vereinbart war.145 Die Teilung des ganerblichen Gutes war indessen wie auch bei der stockwerkseigentumsrechtlichen Gemeinschaft ausgeschlossen, wobei aber der dem einzelnen Ganerben zustehende ideelle Anteil im Falle der schweren Not veräußerbar war, zudem standen die we­ sentlichen Entscheidungen der Verwaltung wie eine Änderung des Burgfrie­ dens, d. h. der vertraglichen Übereinkunft, oder die Aufnahme eines weiteren Ganerben als Mitglied der Gemeinschaft, vorbehaltlich einer sonstigen ver­ traglichen Vereinbarung grundsätzlich unter dem Erfordernis der Einstim­ migkeit, während ansonsten das Mehrheitsprinzip galt.146 Angesichts der eindeutigen Parallelen wird deshalb in dem Prinzip der Ganerbschaft der ei­ gentliche Entstehungsgrund der späteren Herbergen als aus in erster Linie familiären Erbteilungen hervorgegangenen Wohneinheiten zu sehen sein.147 Zwar waren Ganerbschaften zunächst insbesondere auf adelige und ritterli­ che Gemeinschaften etwa hinsichtlich Burgen bezogen, sie zeigten sich aber zunehmend auch in den entstehenden Städten und Dörfern,148 womit eine zeitliche Übereinstimmung mit dem in den Städten für das 12. Jahrhundert sich herausbildenden Stockwerkseigentum besteht.149 Zu betonen ist dabei, 144  Vgl.

L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 161 ff. Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 145 ff.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshis­ torische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 66 ff.; A. Flurschütz Da Cruz, Ga­ nerbschaft, publiziert am 01.08.2018, in: Historisches Lexikon Bayern. Allgemein zu den Entstehungsgründen von Ganerbschaften in Form eines Erbfalles, einer vertrag­ lichen Vereinbarung, eines gemeinschaftlichen Erwerbs oder einer Gesamtbelehnung F. Alsdorf, ebd., S. 66 ff. 146  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 146 ff. 147  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 34 ff.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hell­ bling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 586 f.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 184; vgl. auch L. Duncker, Das Gesammteigent­ hum, Marburg 1843, S. 146 ff. 148  F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganer­ benburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 44 m. w. N.; A. Flurschütz Da Cruz, Ganerbschaft, publiziert am 01.08.2018, in: Historisches Le­ xikon Bayern; vgl. P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 586 f. 149  O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band  II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284 Fn. 4; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des 145  L. Duncker,



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dass sich das Prinzip der Ganerbschaft im südlichen Raum des Heiligen Rö­ mischen Reiches Deutscher Nation, namentlich im heutigen Hessen, Franken, Schwaben und Rheintal, aber auch in Württemberg, in Baden und im Elsass sowie in Frankreich und Italien ausbreitete,150 was zum einen territorial dem vormaligen Herrschaftsgebiet des Fränkischen Reiches,151 zum anderen aber auch dem Raum entsprach, in welchem sich das Stockwerkseigentum heraus­ bildete.152 Andererseits muss an dieser Stelle auch noch einmal auf das Modell der Belehnung zur gesamten Hand abgestellt werden, das eine enge Verbindung zu der Ganerbschaft aufwies und durch das ihm zugrunde lie­ gende Prinzip einer gemeinschaftlichen Belehnung ebenfalls den rechtlichen Grundstein eines an mehrere Teilhaber verliehenen Guts legen konnte, das real in einzelne Wohneinheiten als Herbergen geteilt war und später vor dem Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 26 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 12; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privat­ rechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 9; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S.  584 f.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 51 ff. m. w. N.; vgl. auch J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gen­ tium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820. 150  A. Flurschütz Da Cruz, Ganerbschaft, publiziert am 01.08.2018, in: Histori­ sches Lexikon Bayern. 151  Vgl. W. Rösener, Königshof und Herrschaftsraum: Norm und Praxis der Hofund Reichsverwaltung im Karolingerreich, in: Uomo e spazia nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2003, S. 444. 152  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 44 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 13; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S.  10, 16 ff.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S.  590 ff.; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 18 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (129 ff.) m. w. N.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S.  75 ff., 93 ff., 107 ff., 136 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  53 ff. m. w. N.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 Rn. 1; vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 ff.; J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rhein­ stein, Band II, Tübingen 1969, S. 820.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

Hintergrund der romanistischen Doktrin des römischen Rechts als ein ideel­ les Miteigentum angesehen werden konnte.153 Begünstigt wurde die Entste­ hung von ausgeschiedenen Gebäudeteilen im Rahmen eines Hauses dabei sicher zum einen von der Raumnot in den Ballungszentren der entstehenden Städte,154 aber auch durch geographische Gegebenheiten, weil sich Herber­ gen mit unterschiedlichen Eingängen im Rahmen eines Gesamtgebäudes durchaus in Gebirgsregionen eigneten, wo in Hänge gebaut werden konnte und damit abgestuft unterschiedliche Zugänge zu für sich selbständige Wohneinheiten geschaffen werden konnten.155 Dies kann ein Erklärungsan­ satz dafür sein, dass sich das Stockwerkseigentum in erster Linie in den Re­ gionen des späteren Süddeutschlands und nur ausnahmsweise im norddeut­ schen Raum gebildet hat, wo zudem das Rechtsinstitut einer Belehnung zur gesamten Hand als Ansatzpunkt des Prinzips der Ganerbschaft nicht aner­ kannt war.156 Andererseits ereignete sich die Verbreitung des mehrgeschossi­ gen Stockwerkseigentums schließlich gerade in den Städten und Gemeinden, in denen eine Breitenentwicklung aufgrund der natürlichen Verhältnisse wie auch der künstlichen Vorrichtungen wie Stadtmauern und -gräben nur be­ grenzt möglich war, weshalb zur Überwindung der Raumnot in den einzelnen Stadtvierteln in die Höhe gebaut werden musste.157 Ganerbschaften kamen 153  Zum Ganzen L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 80 ff., 145 ff.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganer­ benburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 107 ff.; vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und fran­ zösischen Recht, Heidelberg 1896, S. 35. 154  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 44; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Sa­ vigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (97 ff.); T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civilisti­ sche Praxis 1938 (144), 343, (350 f., 361); S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Tei­ lung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (415 f.). 155  N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 8 ff.; J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 44 f.; F. Novak, Das Stockwerks­ eigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (100); W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 20 („Hanglage“). 156  A. Flurschütz Da Cruz, Ganerbschaft, publiziert am 01.08.2018, in: Histori­ sches Lexikon Bayern. 157  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 44; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Sa­ vigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (97 ff.);



II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft569

aber zunächst in erster Linie im ländlichen Bereich vor, was mit dem Um­ stand übereinstimmt, dass es auch im Fränkischen Reich bereits Gemeinder­ schaften wie Familiengenossenschaften der freien wie unfreien Bauern gab,158 bevor sich die Städte und Dörfer herausbildeten, womit sich erklären lässt, dass sich später ausgeschiedene Gebäudeteile unter mehreren Verwand­ ten an Gehöften als bäuerliche Gemeinderschaften zeigen konnten,159 wenn­ gleich in erster Linie die einzelnen Ganerbenburgen als gemeinschaftliche Unterkünfte mehrerer Ritter als beeindruckende Belege für das mittelalterli­ che Erbschaftsteilungsprinzip angesehen werden können.160 In diesem Sinne ist unter anderem eine Teilung einer von Otto II. von Pfalz-Mosbach ver­ kauften Burg unter vierundvierzig fränkische Ritter überliefert, die insoweit über abgetrennte und ausgeschiedene Teile an einem einheitlichen Burgei­ gentum verfügten, welches damit die typische Struktur eines in ausschließli­ che Benutzungsrechte an Burgteilen und gemeinschaftliche Rechte aufge­ spaltenen Gesamtbesitzes besaß.161 Nun wurde später im hohen Mittelalter das Wort Herberge unter anderem auch für Mietwohnungen für ärmere Leute auf dem Lande, bzw. dann in den entstandenen Städten und Märkten für Gebäude, bei denen die Stockwerke verschiedenen Besitzern zugeordnet waren, verwendet,162 womit mit der Zeit das dauernde Wohnelement an abgetrennten Einheiten eines Gebäudes, T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civilisti­ sche Praxis 1938 (144), 343, (350 f., 361); S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Tei­ lung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (415 f.). 158  G. v. Maurer, Geschichte der Fronhöfe, der Bauernhöfe und der Hofverfas­ sung in Deutschland, Band IV, Erlangen 1863, S. 281 ff.; H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österrei­ chische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (4 f. mit Fn. 8). 159  F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganer­ benburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 44. 160  Zum Ganzen F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deut­ scher Ganerbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a.  M. 1980, S.  43 f.; A. Flurschütz Da Cruz, Ganerbschaft, publiziert am 01.08.2018, in: Histori­ sches Lexikon Bayern. 161  F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Gan­ erbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 68. 162  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149  f.; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116 f.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S.  9 f.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 4; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 3; P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wandel der Zeit, Norderstedt 2014, S. 43.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

aber auch ein für das Nutzungsrecht zu zahlender Zins in Erscheinung tra­ ten.163 In der Bedeutung einer Herberge als Mietwohnung zeigte sich im germanischen Kulturkreis offenbar gleichsam auch eine frühe Rezeption des aus dem ius commune bekannten und ursprünglich aus dem obligatorischen Rechtsverhältnis der Miete hervorgegangenen Rechtsinstituts der super­ ficies,164 das sich später zu einem dinglichen Recht erstarken sollte,165 wenngleich etwa für Wien nachgewiesen wurde, dass es zwar das Rechtsin­ stitut der Miete im hohen Mittelalter gab, welches sogar im Wiener Stadt­ rechtsbuch verankert war, das Stockwerkseigentum als dingliches Nutzungs­ recht dort aber die Miete als schuldrechtliches Obligo regelmäßig ersetzte.166 Dass das Stockwerkseigentum die Miete in den Städten und Dörfern weitge­ hend verdrängte, kann als eine weitere besondere germanische Rechtssitte angesehen werden, wonach es den Menschen vorrangig darum ging, ein ei­ genes Haus bzw. einen eigenen ausgeschiedenen Gebäudebestandteil zu be­ sitzen und damit als Eigentümer zu gelten, was die Entstehung von weite­ rem Stockwerkseigentum wiederum beförderte.167 Der Obereigentümer, der das dominium directum innehatte, bekam für die Nutzung der Behausung, 163  Vgl. W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Ba­ sel 1861, S. 60 ff., 141 ff.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (106 f.); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerksei­ gentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Ge­ burtstag, Salzburg 1971, S. 589 mit Fn. 33. 164  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 57; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 443; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tü­ bingen 1912, S. 10. 165  A. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürger­ lichen Rechts, Band II, Leipzig 1848, S. 57 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 443. 166  F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (106 f.); allgemein zum Verhältnis von Stockwerkseigentum und Miete P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 589 mit Fn. 33. 167  Zum sozialen Aspekt der Herbergen statt vieler J. Kuntze, Die Kojengenos­ senschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 74; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wie­ ner Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (99); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 589 mit Fn. 33.



II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft571

die im Sinne der mittelalterlichen Lehens- und Grundherrschaft notwendi­ gerweise an den Grund und Boden gebunden war, eine Abgabe in der Form von Naturalien oder eines Zinses, was gleichzeitig der typischen Struktur des geteilten Eigentums entsprach und den Zusammenhang zu der dann spä­ ter ab dem 12. Jahrhundert zu beobachtenden Häuser- und Bodenleihe her­ stellt, die über ein bloßes schuldrechtliches Rechtsverhältnis hinausging und eine dingliche Komponente im Sinne eines Erbbaurechts in sich trug.168 Dem Wort Herberge wurde nun regelmäßig ein dauerndes Nutzungsmoment unterlegt, das sich in einer zu erstattenden Abgabe als Gegenleistung für das Nutzeigentum ausdrückte.169 Dabei konnten die ausgeschiedenen Herbergen mit der Zustimmung des Obereigentümers auch originär entstehen, konnten aber auch das spätere Ergebnis eines erbrechtlichen Prinzips sein, wenn­ gleich auch sonstige Teilungen in Übereinstimmung mit dem Obereigentü­ mer möglich waren.170 Die aus dem Mittelalter bekannten Schichten aus Freien und Unfreien setzten sich auf dem Land, vor allem aber in den wer­ denden Städten fort, wo nun dynastische, administrative, militärische und religiöse Eliten der produzierenden Bevölkerungsschicht „mit (ihrer) Zustän­ digkeit für (die) Gütererzeugung, Güterverarbeitung und Güterverteilung, die in sich ebenfalls geschichtet und gegliedert waren“, gegenüberstanden.171 In den zu Stadtherrschaften entwickelten Städten wurden zu dieser Zeit nun vermehrt auch originäre Zinseigen in Ausübung von Vogteirechten ausgege­ ben, die ein besonderes Nutzeigentum, d. h. ein gebundenes Sondereigen­ tum, unter den herrschaftlichen Proprietätsrechten des Obereigentümers mar­

168  Zur Häuser- und Bodenleihe W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 34 ff.; A. Schwappach, Handbuch der Forst- und Jagdgeschichte Deutschlands, Band I, Berlin 1886, S. 102 ff.; C. v. Schwerin, Grund­ züge des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., Berlin u. a. 1928, S. 149; K. Winkler/ J. Schlögel (Hrsg.), Handbuch des Erbbaurechts, 6. Aufl., München 2016, § 1 Rn. 1; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neuruppin, Berlin 2012, S. 38 f.; S. Schlinker/ H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3. Zu den Kategorien Zins und Rente im Zusammenhang mit der mittelalterlichen Leihe W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 60 ff., 141 ff. 169  Vgl. J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149 f.; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116 f. 170  Siehe hierzu für das Fürststift Kempten Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. (Statut Nr. VI): „Art. 11. Die Abtheilung liegender Güter, als Häuser, Herbergen, Felder, Wiesen, Gärten u. ist unter obrigkeitlicher Auctorität zu geschehen, sonst ist sie für nichtig erklärt.“ 171  W. Reinhard, Geschichte des modernen Staates – von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2007, S. 16.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

kierten.172 Der fränkische Gedanke der dörflichen Markgenossenschaften – vermittelt durch das ganerbschaftlich begründete Teilungsprinzip – wurde dabei im Rahmen der Stadtentwicklung übernommen,173 womit die freien Männer durch die Einbindung in den verfassten öffentlichen Raum weiter an Unabhängigkeit und Selbständigkeit einbüßten, nun aber als gebundene Grundeigentümer in Erscheinung traten, die im Rahmen von integrierten Wohnstätten dem produzierenden Gewerbe nachgehen konnten.174 Der ger­ manische Gedanke eines markgenossenschaftlichen Sondereigentums im Verband blieb aber als volksrechtliches Gewohnheitsrecht gegenwärtig und konnte sich unter dem Obereigentum eines Stadtherrn in der Gestalt eines genossenschaftlich strukturierten Stockwerkseigentums fortsetzen.175 Dass dabei auch Gründe der Rasse bei der Entstehung des horizontal geteilten Stockwerkseigentums an ausgeschiedenen Gebäudeteilen eine Rolle gespielt haben,176 nachdem es gerade auch in den städtischen Judenvierteln weit ver­ breitet war,177 muss am wissenschaftlichen Maßstab abgelehnt werden.178 Vielmehr handelte es sich bei den Horizontalteilungen in den Judenvierteln um Elemente eines fremden Kulturkreises, in welchem gegenüber dem Prin­ zip der Ganerbschaft ähnliche erbrechtliche Modalitäten anerkannt waren,179 so dass sich das Stockwerkseigentum lediglich als erbrechtliche Folge des in 172  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S.  142 f. 173  O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 131 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff.). 174  Siehe etwa zum mittelalterlichen Bäckereigewerbe, das sich mit der Zeit auch von der städtischen Grundherrschaft emanzipierte K. Wernet, Wettbewerbs- und Ab­ satzverhältnisse des Handwerks in historischer Sicht, Band I, Berlin 1967, S. 16. 175  Siehe zum Zusammenhang von fränkischer Markgenossenschaft und Stadtent­ wicklung G. v. Bülow, Allmende und Markgenossenschaft, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1903 (1), 120, (121 ff.); vgl. L. Duncker, Das Ge­ sammteigenthum, Marburg 1843, S. 164 ff., 172 ff.; F. Šmahel, Grundzüge von Herr­ schafts- und Landesausbau, in: T. Schieder/F. Seibt (Hrsg.), Handbuch der europäi­ schen Geschichte, Band II: Europa im Hoch- und Spätmittelalter, Stuttgart 1987, S. 514 hinsichtlich der Entwicklung von böhmischen und mährischen Städten. 176  So S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Privat- und Öffent­ liche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (708, 735 ff.). 177  Nachgewiesen etwa für Wien F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1934 (54), 89, (97 ff.) m. w. N. 178  So auch P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 582 f. 179  P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971,



II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft573

einem anderen Kulturkreis anerkannten und der im germanischen Rechts­ kreis übernommenen Gewohnheiten und Rechtsregeln darstellte.180 Entspre­ chend war die horizontale Gebäudeteilung etwa auch bereits im altbabyloni­ schen Recht, im alten Ägypten und im damaligen Seleukidenreich als einem der hellenistischen Diadochenstaaten aufzufinden,181 womit sich nur bestä­ tigt, dass das germanische Rechtinstitut des Stockwerkseigentums gewisse antike Vorgänger hatte und es grundsätzlich auf die konkreten Rechtstradi­ tionen der verschiedenen Kulturkreise ankam, die sich wie die Germanen die horizontale Gebäudeteilung zu Zwecken der Wohnraumschaffung zu ei­ gen machten, wobei zumindest im germanischen Kulturkreis das erbrechtli­ che Teilungsprinzip den Ausgangspunkt für die Entstehung der Herbergen gebildet hat, an den sich dann später Rechtsgeschäfte über die ausgeschiede­ nen Gebäudebestandteile wie Kauf, Tausch oder Leihe anschließen konn­ ten.182 In diesem Sinne wird man auch dem germanischen Fahrnisgedanken von Entliegenschaften, wonach sich ein Haus als beweglicher und mit dem Grund und Boden nicht fest verbundener Bestandteil darstellte, zumindest eine für die Germanen typische Begleitwirkung für die Herausbildung von eigenen Stockwerken und Räumen als Sondereigen zuerkennen müssen, S. 583 f. mit Fn. 11; vgl. auch A. Flurschütz Da Cruz, Ganerbschaft, publiziert am 01.08.2018, in: Historisches Lexikon Bayern. 180  P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S.  583 f.; vgl. L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römi­ schem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 über­ reicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 77 f. „syrisch-römischen Rechtsbuches“. 181  So S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Privat- und Öffent­ liche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (709 ff.); L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Imma­ nuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 76 ff.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mit­ telalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1934 (54), 89, (89  ff.) m.  w.  N.; J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerksei­ gentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Ge­ burtstag, Salzburg 1971, S. 583; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 16 m. w. N.; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsge­ schichte, Hamburg 1997, S. 16 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 50 m. w. N. 182  F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (105); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 586 ff.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

wenngleich erst die spätmittelalterliche Überwindung der frühen Holzbau­ weise durch Steinbauten zu der Voraussetzung geführt hat, dass nun auch größere abgetrennte Einheiten bei Häusern möglich waren, indem beispiels­ weise durch den Steinbau nun mehrere Feuerstätten usw. in einem Haus ge­ schaffen werden konnten.183 Der germanische Gedanke eines von der area unabhängigen Sondereigentums an dem beweglichen Haus184 war praktisch eine Vorstufe, die sich schließlich in Herbergen als ausgeschiedenen Gebäu­ debestandteilen in der Form eines Sondereigentums fortsetzte.185 Dogma­ tisch steckte hinter dem sich herausbildenden fränkischen bzw. deutschrecht­ lichen Stockwerkseigentum der Gedanke des germanischen Gesamteigen­ tums, das in wechselseitiger Beziehung zu den den einzelnen Genossen zu­ geordneten Sondereigen stand.186 Auch insoweit kann nicht bezweifelt werden, dass hier von den eigentumsrechtlichen Verhältnissen eine klare Parallele zu den durch Ganerbschaften begründeten Teileigentumsstrukturen besteht.187 Durch das städtische Obereigentum wurde die gesamteigentüm­ 183  F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (99  f.); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 585 ff.; S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall prakti­ scher Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (415 f.). 184  Siehe zu dem vom Grund und Boden losgelösten Sondereigentum an Gebäu­ den nach altdeutschen territorialen Rechten J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 71 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachen­ recht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 40 ff. m. w. N.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 153 f.; S. Schlinker/ H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3. 185  Vgl. J. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou commentaire et complément des codes Français, Band VIII, Paris 1827, S. 389; J. M. Boileux, Die Controversen des französischen Civilrechts nach dem Commen­ taire sur le Code civil, Stuttgart 1841, S. 164 f. 186  Vgl. J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 53 f., 59 ff.; F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (51 ff.); P. Putzer, Zur Rechts­ geschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 602 f.; W. Merle, Das Wohnungs­ eigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 40 f.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Wei­ mar 1907, Aalen 1970, S. 80; allgemein J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 156 f.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 130 f., 219. 187  So auch bereits R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 34 ff.; P. Putzer, Zur



II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft575

liche Konstruktion lediglich verdeckt.188 Die einzelnen Herbergsbesitzer hat­ ten einzelne ausgeschiedene Gebäudeeinheiten als Sondereigen, die aber analog der genossenschaftlichen Allmende, d. h. der Gemeinmark, an ein Gesamteigentum angebunden blieben,189 das auf diese Weise das Sonderei­ gentum mit den gesamteigentümlichen Einrichtungen verzahnt und zu einer unaufhebbaren geschlossenen Gemeinschaft verbunden hat.190 Das Ge­ samteigentum stand dabei zum einen den einzelnen Teilberechtigten zu, aber auch der Gemeinde der Genossen bzw. der nun entstehenden Stadt als der genossenschaftlichen Vertretung der Genossen,191 im hohen Mittelalter nun gleichsam durch den Obereigentümer in der Person des Stadtherrn abstrahie­ rend ergänzt, womit drei Rechtssubjekte mit entsprechenden Rechtskreisen und je unterschiedlichen Befugnissen, d. h. die einzelnen Genossen, die Ge­ meinde sowie der Obereigentümer, einhergingen, wobei letzterer mit der Ge­ meinde dann später rechtspersonenidentisch werden konnte.192 Die gesamtei­ gentumsrechtlich gebundenen Einrichtungen unterlagen aber zwei Disposi­ tionshoheiten, namentlich zum einen dem Willen von sämtlichen Beteiligten, die über das Gesamteigentum unter Vermittlung des dominium directum in der Form von billigenden Verfügungen nur durch Mehrheitsbeschlüsse ge­ meinsam entscheiden konnten, zum anderen der Sonderbefugnis der Teilha­ ber, bei denen die Nutzung des Gesamteigentums als entsprechendes Son­ dergut zu dem Sondereigen hinzukam.193 Damit schied sowohl ein Miteigen­ tum wie auch ein ausschließliches Eigentum der obereigentümlichen Stadt­ gemeinde aus.194 Denn ein Miteigentum konnte nicht vorliegen, weil die einzelnen Sondereigentümer keinen festen aliquoten Teil an dem gesamt­ markähnlichen Eigentum hatten, über den sie einseitig und ausschließlich hätten verfügen können, eine entsprechende Klage auf Teilung des Ge­ samteigentums ausgeschlossen war und die Sondereigentümer dem Willen Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 586 f.; F. Alsdorf, Un­ tersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshisto­ rische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 184; vgl. L. Duncker, Das Gesammtei­ genthum, Marburg 1843, S. 146 ff. 188  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 176 ff. 189  Vgl. J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 156 f.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 194 ff., 219 ff. 190  Vgl. J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 162. 191  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S.  164  ff., 172  ff.; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 157. 192  Vgl. O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 131 ff., 189 ff., 222 ff. 193  J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 157. 194  J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 158.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

der Gesamtheit der Genossen und den Mehrheitsbeschlüssen des in der Ge­ meinde beschlossenen hinsichtlich des Gesamteigentums unterlagen.195 Da­ ran wird deutlich, dass das zwar auch obereigentumsrechtlich gebundene Sondereigen den einzelnen Berechtigten zur ausschließlichen Benutzung zu­ geordnet war, während das Gesamteigentum über die rechtliche Anbindung an das dominium directum hinaus noch einer besonderen Bindung an den Willen der Genossen unterlag.196 Hinsichtlich der Nutzungsbefugnis der zur gesamten Hand bestehenden Bestandteile eines Gebäudes kann deshalb fest­ gehalten werden, dass „im vollfreien Gesammteigen jede beliebige Nutzung, in bloßer Gesammtgerech­ tigkeit (dagegen) eine bestimmte nach Qualität und Quantität beschränkte Einzel­ nutzung enthalten (war), während dazwischen die mannichfachsten Verhältniße la­ gen, bei denen das Nutzungsrecht der Gesammtheit um einzelne Nutzungsarten gemindert, durch fremde Mitnutzungsrechte beschränkt oder durch herrschaftliches Mitbestimmungsrecht gebunden war.“197

Es bestand aber auch nie ein ausschließliches Herrscheigentum der Ge­ meinde, sondern diese als Ganzes und die einzelne Herrschaft der Genossen bildeten eine innere Einheit, indem die Gemeinde als Rechtsperson neben die Rechtspersonen der Genossen trat und sich die Herrschaft der Gemeinde auch in den Dispositionen der Genossen zeigte.198 In den modernen Städten aber trat mit dem stadtherrlichen Obereigentümer ab dem 12. Jahrhundert grundsätzlich eine weitere Rechtsperson hinzu, welche die bestehende Kons­ truktion überlagerte.199 Die einzelnen Sondereigentümer konnten ein Son­ dereigen gegen Zins seitens einer Obrigkeit erhalten, zu einem Verkauf oder einer (Erb)Teilung der Wohneinheit wie auch bei einer mehrheitsfähigen Disposition über das Gesamteigentum bedurften sie aber der Zustimmung des Stadtherrn.200 Dies wird etwa zum einen an dem Umstand deutlich, dass sich im späten Mittelalter in manchen Städten behördliche Teilungsverfahren durchgesetzt hatten, die vor allem auch wegen der Beweiskraft der entspre­ Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 158. Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 157  f.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 179 ff. 197  O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 187. 198  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 176  ff.; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 159. 199  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 176 ff. 200  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 258; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 88 f.; zur Erbpacht F. C. v. Savigny, Landrechtsvorlesung 1824, Band I: Einleitung, allgemeine Lehren, Sachenrecht, Frankfurt a. M. 1994, S. 342 ff. 195  J. C. Bluntschli, 196  J. C. Bluntschli,



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chenden Teilungsurkunden etwaige private Teilungen, die schließlich auch deshalb in der Minderzahl waren, ersetzten,201 zum anderen aber auch bei einem mehrere Wohneinheiten bzw. Grundflächen versorgenden gemein­ schaftlichen Hofraum, über den die einzelnen Berechtigten zwar mehrheitlich Entscheidungen treffen konnten, die aber nur mit dem Obereigentümer über­ haupt umgesetzt werden konnten.202 Das Gesamteigentum ging praktisch hier in ein frühes öffentliches Sachenrecht über, das den einzelnen Sonderei­ gentümern die Dispositionshoheit teilweise nahm.203 Insoweit zeigten sich im Besonderen die Proprietätsrechte des dominium directum, aber auch die aufkommende Staatsmacht der Obrigkeiten, die nun anfingen, einseitig ho­ heitlich im Wege des partikularen Gesetzes zu verfügen.204 Die Verfügungen der Obrigkeit erfolgten aber oftmals nur konkludent.205 Im Zusammenhang mit einzelnen Wohneinheiten als Herbergen ist insoweit ein Realservitut als servitutes praediorum urbanorum hervorzuheben, das aus heutiger Sicht grunddienstbarkeitsähnlich ist, damals aber inhaltlich weiter zu verstehen war.206 Die einzelnen Herbergen standen zwar im Sondereigentum, durch das lehens- bzw. grundherrliche dominium directum des Obereigentümers er­ schienen sie aber faktisch als städtische bzw. staatliche Güter auf hoheitlich verfügtem Grund,207 wenngleich die einzelnen Stockwerkseigentümer in Grenzen über die gemeinschaftlichen Einrichtungen unter Vermittlung mit 201  Siehe insoweit für Wien F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanisti­ sche Abteilung 1934 (54), 89, (100 ff.). 202  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 172  ff.; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 259 f. 203  R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3.  Aufl., Leipzig 1919, S. 151. Allgemein zum Recht der öffentlichen Sachen E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 373 ff.; ­H.-J. Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 3. Aufl., Berlin u. a. 1998, S. 1 ff.; W. Erbguth/A. Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Baden-Baden 2020, §§  30 ff. (S.  523 ff.). 204  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 176 ff.; Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. (Statut Nr. VI); M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff., 32. 205  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 21 ff. 206  Vgl. C. Ludovici (Hrsg.), Großes vollständiges Universallexikon der Wissen­ schaften und Künste, 37. Band, Leipzig u. a. 1743, S. 536 f. 207  Vgl. C. Ludovici (Hrsg.), Großes vollständiges Universallexikon der Wissen­ schaften und Künste, 37. Band, Leipzig u. a. 1743, S. 536 f.; L. Duncker, Das Ge­ sammteigenthum, Marburg 1843, S. 174 ff.

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dem Obereigentümer disponieren konnten.208 Der Profit der Herbergen lag in der gemeinschaftlichen Wohnraumschaffung.209 Es ist aber zwischen den wachsenden Städten und den verbleibenden Dorfgemeinden zu unterschei­ den, wo sich das private Interesse der Markgenossen gegenüber dem öffent­ lichen Interesse der Dorfgemeinde oftmals durchsetzen konnte, womit eine weitreichendere Autonomie bestehen blieb.210 4. Herbergen und Zuwege als Frühformen von öffentlichen Sachen Dem Gedanken der Herbergen als einem städtebaulichen Instrument der Wohnraumschaffung im Kontext mit einem Realservitut als servitutes prae­ diorum urbanorum211 wird nun noch einmal vertieft nachgegangen. Dies erscheint auch deshalb angezeigt, weil sich das germanische Grundeigentum im Gegensatz zum römischen dominium einer rein privatrechtlichen An­ schauung des Eigentums an einer Sache als bloßem Vermögensbestandteil entzog, und stattdessen vielmehr auch die Elemente Grundherrschaft und Grundvermögen in sich trug, die als Keime im Lichte der im späten Mittel­ alter aufkommenden Staatsidee in der Gebietshoheit und dem von den öf­ fentlich-rechtlichen Implikationen zunehmend befreiten privaten Eigentum aufgehen konnten.212 Die einzelnen Herbergen standen zwar im Sondereigen­ tum, durch das lehens- bzw. grundherrliche dominium directum des Oberei­ gentümers aber erschienen sie faktisch als städtische bzw. staatliche Güter auf einem hoheitlich verfügten Grund, wenngleich die einzelnen Stockwerks­ eigentümer in Grenzen über die gemeinschaftlichen Einrichtungen unter Vermittlung mit dem Obereigentümer disponieren konnten.213 Wenn man hierauf die Grundsätze des heutigen Rechts an öffentlichen Sachen anwen­ 208  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 176 ff.; M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwi­ schenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff., 32. 209  C. Ludovici (Hrsg.), Großes vollständiges Universallexikon der Wissenschaf­ ten und Künste, 37. Band, Leipzig u. a. 1743, S. 536 f. 210  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 176 ff. 211  C. Ludovici (Hrsg.), Großes vollständiges Universallexikon der Wissenschaf­ ten und Künste, 37. Band, Leipzig u. a. 1743, S. 536 f. 212  O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 141; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f.; vgl. B. Rode, Formen des Eigentums bei den Franken im 5./6. Jahrhundert und der Übergang von gentilpolitischen Normen zu Rechtsnormen – dargestellt anhand der Lex Salica, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigen­ tum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S.  199 ff. 213  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 176 ff.



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det, wird eine entsprechende Parallele erkennbar. Nach der heutigen verwal­ tungsrechtlichen Dogmatik kann die Eigenschaft einer öffentlichen Sache auch an Gebäuden und Wegen bestehen, die einem privaten Eigentümer ge­ hören.214 Die entsprechende Widmung als dinglicher Rechtsakt bezieht sich dabei auf die öffentliche Sache, womit der private Eigentümer nicht Adressat der gegebenenfalls auch konkludent möglichen Widmung als Verwaltungsakt ist.215 In dessen Rechtskreis wird zudem nicht eingegriffen, wenn die Zu­ stimmung seinerseits erteilt wurde.216 Die Sache kann auch erst herzustellen sein, bevor sich die Widmung als öffentliche Sache anschließt.217 Entschei­ dend ist aber, dass „der öffentliche Zweck die gleichzeitige private Nutzung einer öffentlichen Sache nicht aus(schließt) (…). Damit bleibt ein Feld für den privaten Rechtsverkehr in Ansehung öffentlicher Sachen. Auch das Eigentum an ihnen ist übertragbar (…); ebenso sind dingliche Belastungen zugunsten eines Dritten zulässig.“218

Nur darf der öffentliche Widmungszweck durch private Verfügungen nicht vereitelt werden.219 Nach alledem wird offenbar, dass sich bei den Herber­ gen ein ähnliches Muster der rechtlichen Ausformung beobachten lässt. Den einzelnen Stockwerkseigentümern stand das Sondereigentum an ausgeschie­ denen Wohneinheiten zu, daneben gab es ein Gesamteigentum an den ge­ meinschaftlichen Einrichtungen.220 Die Hauptwirkungen des Gesamteigen­ 214  E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 376 f., 382 f.; H.-J. Papier, Recht der öffentlichen Sa­ chen, 3. Aufl., Berlin u. a. 1998, S. 1, 80 ff.; W. Erbguth/A. Guckelberger, Allgemei­ nes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Baden-Baden 2020, § 30 Rn. 1, 3, 5 ff. 215  E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 383 ff.; H.- J. Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 3. Aufl., Berlin u. a. 1998, S. 39 ff.; W. Erbguth/A. Guckelberger, Allgemeines Ver­ waltungsrecht, 10. Aufl., Baden-Baden 2020, § 30 Rn. 9 ff. Zur konkludenten Wid­ mung BayVGH München, BayVBl. 2019, 50, (51). 216  E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 384 f.; W. Erbguth/A. Guckelberger, Allgemeines Ver­ waltungsrecht, 10. Aufl., Baden-Baden 2020, § 30 Rn. 10. 217  E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 383, 387. 218  E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 380 f.; vgl. W. Erbguth/A. Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Baden-Baden 2020, § 30 Rn. 5. 219  E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band  I: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 380; W. Erbguth/A. Guckelberger, Allgemeines Verwal­ tungsrecht, 10. Aufl., Baden-Baden 2020, § 30 Rn. 6. 220  Vgl. J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 53 f., 59 ff.; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 34 ff.; F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deut­

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

tums bestanden darin, dass „die Herrschaft (…) sowohl von der Gesammtheit als von Einzelnen geübt werden (konnte), beides nach Maszgabe der Verfas­ sung der Genossenschaft oder der gemeinen Ordnung.“221 Zu der früheren Allmende der freien Markgenossenschaft gehörten unter anderem der ge­ meine Wald oder die gemeine Weide, aber auch Steinbrüche, Gewässer, Bä­ che und die Gemeindewege.222 Vor diesem Hintergrund wird nachweisbar, dass sich das Stockwerkseigentum in der Tradition des urgermanischen Ge­ dankens der fränkischen Markgenossenschaft entfaltete, und sich die als Sondereigen zugeordnete Wohnstätte schließlich später im Rahmen von Städten und Dörfern in einer gemeinen Ordnung eingebunden fand, die über das geteilte Eigentum in erster Linie zur hoheitlichen Disposition des Stadt­ herrn stand.223 Die Erbteilungen erweiterten die Gemeinschaften auf immer mehr Teilhaber, die sämtlich ausschließliche Benutzungsrechte an ausge­ schiedenen Gebäudeteilen wie auch Rechte zur gesamten Hand besaßen.224 Das Obereigentum vermittelte den Stockwerkseigentümern aber nur ein um­ schen Reich 1936 (60), 49, (51 ff.); W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 40 f.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschafts­ recht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 80; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S.  602 f.; allgemein J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S.  156 f.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 130 f., 219. 221  J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 162. 222  J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 163. 223  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 152 ff., 176 ff.; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 163. 224  Vgl. J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 47 f.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (95 ff.) m. w. N.; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkei­ gentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civilistische Praxis 1938 (144), 343, (345); E. Schott, Das Stockwerksei­ gentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 19; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  9 f.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S.  586 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 27, 29; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); ders., Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen las­ tenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (77); S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsge­ schichte, JA 1983, 415, (416); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des



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fassendes Nutzungsrecht an den besonderen wie gemeinsamen Eigentumsbe­ standteilen, so dass sich Herbergen mit den gemeinschaftlichen Einrichtun­ gen wie dem eigentlichen Grundstück in gewisser Weise als Frühformen von öffentlichen Sachen darstellten, die seitens der Obrigkeit wie auch des Kemptener Fürstabts zu Bau- und Wohnzwecken ausgegeben wurden.225 Dass den Stockwerkseigentümern das private Nutzeigentum zustand, mögli­ cherweise auch das Gebäude mit den ausgeschiedenen Herbergen erst herge­ stellt werden musste, stand einer auch gegebenenfalls nur stillschweigend vorgenommenen „Widmung“226 als lehens- bzw. grundherrlich und damit ab dem späten Mittelalter zunehmend dann hoheitlich gebundene Sachen nicht entgegen.227 Der Zweck der Herbergen bestand dabei in dem öffentlichen Interesse der Wohnraumschaffung.228 Die Hofräume, die Zuwege, die ge­ meinsamen Gärten usw. waren unterdessen ebenfalls nur geliehen und stan­ den folglich unter der Dispositionshoheit der Obrigkeiten.229 Für das Fürst­ stift Kempten wird der Zusammenhang mit dem Recht der öffentlichen Sa­ chen durch eine reichsfürstliche Verordnung vom 22.09.1741 belegt, mit welcher schädliche Fahr- und Fußwege im Stiftsgebiet, die durch Dienstbar­ keiten entstanden waren, trotz der privatrechtlichen Verjährung hoheitlich Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S.  10 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 258 ff. 225  Vgl. nur M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. mit Fn. b, wonach kraft der eigentums­ rechtlichen Proprietät über die Substanz der Sache geordnet wird. 226  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 21 ff. 227  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 176 ff. Dies folgt andererseits aus der staatsrechtlichen Natur des spätmittelalterlichen bzw. neuzeitli­ chen Lehenswesens.; vgl. ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 213; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  8 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 14 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 431; F. Chimani, Erläute­ rung des longobardischen, teutschen, und österreichischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 12. A. A. S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsge­ schichte, München 2019, § 16 Rn. 4. 228  C. Ludovici (Hrsg.), Großes vollständiges Universallexikon der Wissenschaf­ ten und Künste, 37. Band, Leipzig u. a. 1743, S. 536 f. 229  Vgl. nur zur fürststiftischen Kemptener Verordnung vom 22.09.1741 G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 112.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

beseitigt wurden,230 worin wiederum eine ähnliche Rechtswirkung wie bei einer Entwidmung oder Einziehung zu erblicken ist.231 Als sich dann im späten Mittelalter schließlich das feudale Lehenswesen den nicht dem Adels­ stand angehörigen Personen öffnete, wurden die in erster Linie zunächst auf Edelmannsgüter bezogenen Erbteilungen von Gesamtgütern an verschiedene Teilhaber232 durch beutellehensrechtliche Rechtsverhältnisse systematisch ergänzt,233 wobei sich das Problem der Raumnot in den Ballungszentren weiterhin stellte, was auch in der frühen Neuzeit zu Teilungen von Gebäuden und sogar in bestimmten Gebieten wie auch in der Kemptener Fürstabtei zu der faktischen Einführung eines Herbergshandels führte.234 Als das Oberei­ 230  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 112. 231  Siehe zur Entwidmung oder Einziehung bei öffentlichen Straßen E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 388; W. Erbguth/A. Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Ba­ den-Baden 2020, § 30 Rn. 14. 232  E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württember­ gischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 19; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 9 f.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 27, 29; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stock­ werkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); ders., Das „Kellerrecht“ als Stockwerks­ eigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (77); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechts­ geschichte, Hamburg 1997, S. 10  f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  258 ff. 233  G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogma­ tischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 428. Zur Beleh­ nung von auch nicht dem Adelsstand angehörenden Personen in der Form von Beu­ tel- bzw. Bauernlehen im süddeutschen bzw. österreichischen Raum E. Klebel, Terri­ torialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Sigmaringen 1972, S.  215 f.; H. Klein, Ritterlehen und Beutellehen in Salzburg, in: Beiträge zur Sied­ lungs-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte von Salzburg, Gesammelte Aufsätze von Herbert Klein, Festschrift zum 65. Geburtstag von Herbert Klein, Salzburg 1965, S.  325 ff.; P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  106 f.; H. C. Faussner, Vom salmannischen Eigen zum Beutellehen, in: L. Carlen (Hrsg.), Forschungen zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde, Band 12, Zürich u. a. 1990, S. 12 ff. 234  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  210 f.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelal­ ters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (97 ff.); W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 20; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berück­ sichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 3 f.,



II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft583

gentum schließlich später wegfiel und einem einheitlichen Eigentumsbegriff wie beispielsweise unter dem französischen Code Napoléon Platz machte,235 entstanden schließlich auch die nunmehr in Privateigentum überführten ge­ meinschaftlichen Zubehörteile, oder aber gemeindliche Einrichtungen wie die Gemeindewege.236 Das dominium directum, das sich von der Rechtsnatur einer reinen privatrechtlichen Einordnung entzog, sondern vielmehr in den zunehmend obrigkeitsstaatlichen Territorien und Städten vermehrt auch als hoheitliches Substrat erschien,237 konnte sich dabei in einseitigen Verfügun­ gen der Obrigkeiten entladen, womit eine stillschweigende Mitbegründung von Begleitrechten, die dem Nutzeigentum notwendigerweise anhafteten, einhergehen konnte, die sich auf das Grundstück samt des Gebäudes bezo­ gen.238 Dies wird deutlich, wenn die Obrigkeit einen An- bzw. Aufbau oder 6; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127); S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (416); W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 211 ff.; P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wandel der Zeit, Norderstedt 2014, S. 43 f.; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 2; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 267 ff.; N. Thun, Die rechtsge­ schichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Pri­ vatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 8 ff. 235  Zum einheitlichen Eigentumsbegriff des französischen Zivilgesetzbuchs K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 491 ff., 521 ff. 236  Vgl. Stiftkemptener Verordnung vom 22.09.1741, abgedruckt bei G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allge­ meinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 112. Allgemein zum (straßenrechtlichen) Gemeingebrauch E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungs­ rechts, Band I: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 389 ff.; W. Erbguth/ A. Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Baden-Baden 2020, § 31 Rn.  2 ff. 237  Vgl. ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 213; P. Mayr, Hand­ buch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 8 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 14 f.; L. Duncker, Das Gesammteigent­ hum, Marburg 1843, S. 176 ff. G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 431; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österrei­ chischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vor­ lesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 12. 238  Die obereigentümliche Zustimmung zu der Teilung eines Hauses beinhaltete einen (hoheitlichen) Titel, mit welchem ausdrücklich bzw. gegebenenfalls auch still­ schweigend die Bestellung von Servituten einhergehen konnte.; vgl. M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 3 f.; hinsichtlich des Fürststifts Kempten Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Ge­

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

eine entsprechende Teilung hinsichtlich eines bestehenden Gebäudes gestat­ tete, womit regelmäßig die Mitbegründung von gemeinschaftlichen Einrich­ tungen wie gemeinsame Dächer, Treppenhäuser oder Hofräume in Bezug auf den Grund und Boden einschließlich des Hauses verbunden war.239 Davon abgesehen setzte sich das Gesamteigentum der Allmende im Stadtbesitz fort, womit auch diese in obereigentümliche Herrschaft übergehen konnte.240 Dass es sich aber bei dem Prinzip der (Gan)Erbschaftsteilung um den vorrangigen Grund der Entstehung von Stockwerkseigentum handelte, wird für den baye­ rischen Raum unter anderem an den Verbotsgesetzen in Würzburg, Regens­ burg und Nürnberg offenbar, wo die Horizontalteilung von Gebäuden unter­ bunden wurde, nachdem es hier vermutlich aufgrund von Erbteilungen und sonstigen Teilungspraktiken zu nicht mehr nachvollziehbaren Eigentumsbe­ ständen in der Folge von neu begründeten Stockwerksrechten gekommen war.241 Wie auch in anderen Territorien und Städten führte die durch die erbrechtlichen Regelungen und die allgemeine Raumnot bedingte vermehrte Teilung auch im Fürststift Kempten zu einem Herbergshandel, der die Obrig­ keit zu regulierenden Maßnahmen veranlassen musste.242 Dieser Umstand schichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. 239  Dies scheint das historisch bedingte Problem der späteren Sondereigentums­ theorie zu sein, die nämlich nur dann praktikabel ist, wenn verschiedenste wechsel­ seitige Reallasten und Grunddienstbarkeiten wie servitus oneris ferendi, tigni immit­ tendi, Wasserleitungsrechte usw. und etwaige aus der Gemeinschaft entspringende gesetzliche Pflichten der Stockwerkseigentümer untereinander vorausgesetzt werden.; vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 f.; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 20; vgl. Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (215). 240  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 176 ff. 241  Zur Verbotsgesetzgebung in Bayern und sonstigen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 48 ff.; P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 ff. Fn. 15; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, Mün­ chen 1969, S. 14 ff. Ein Teilungsverbot gab es ab dem 15. Jahrhundert auch in Wien.; vgl. F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (100). 242  Vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Mün­ chen 1933, S. 210 f.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mit­ telalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1934 (54), 89, (97 ff.); W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 20; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912,



II. Der demokratische Gedanke der Markgenossenschaft585

wird für den reichsfürstlichen Klosterstaat Kempten durch Art. 11 des Statuts Nr. VI bewiesen, wonach „die Abtheilung liegender Güter, als Häuser, Her­ bergen, Felder, Wiesen, Gärten u. (…) unter obrigkeitlicher Auctorität zu geschehen (war), sonst (…) (war) sie für nichtig erklärt.“243 Herbergen als Form des Stockwerkseigentums waren deshalb in der Kemptener Fürstabtei zulässig, solange die Gebäudeteilungen mit der Zustimmung des Fürststifts Kempten erfolgten.244 Andererseits wurde mit der Vorschrift des Art. 64 der Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee um die Zeit des beginnenden 17. Jahrhunderts eine verbindliche Regelung geschaf­ fen, die das Prinzip der Ganerbschaft ausdrücklich beinhaltete,245 womit sich das Herbergswesen im Fürststift Kempten im Rahmen der stiftisch-kemptener Privatrechtsordnung entfalten konnte. Bei etwaigen Allodialgütern war die ganerbschaftliche Sukzession andererseits dagegen weitgehend unproblema­ tisch möglich.246

S.  3 f., 6; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127); S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsge­ schichte, JA 1983, 415, (416); W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppel­ stadt (1694–1836), München 1998, S. 211 ff.; P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wandel der Zeit, Norderstedt 2014, S. 43 f.; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 2; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 267 ff.; N. Thun, Die rechts­ geschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 8 ff. Siehe zum Nachweis des Herbergshan­ dels in der Kemptener Fürstabtei nur das Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krug­ zell und Martinszell u. a. aus dem 18. Jahrhundert StAA, Fürststift Kempten, Hofkam­ mer Bände 291, Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, Rottach. 243  Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Alt­ stadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. 244  Vgl. Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. 245  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, StAA, Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, fol. 30 f. Siehe zum Land- und Lehensrecht als rechtliche Grundlage der Entstehung von Ga­ nerbschaften F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 49 ff., 103 ff. 246  F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Gan­ erbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 105 ff.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

III. Die Anfänge der rechtsgelehrten Jurisprudenz ab dem 15. Jahrhundert – Stockwerksservitut und einheitliches Sonder- und Miteigentum an Herbergen Das Stockwerkseigentum ist nach alledem die privatrechtliche Fortset­ zung des Lehensverbandes bzw. des durch Erbleihe begründeten Rechtsver­ hältnisses, die jeweils auf dem geteilten Eigentum aus dominium directum et utile beruhten und auf einen bestimmten Grund und Boden ausgerichtet waren.247 Deshalb ist Stockwerkseigentum regelmäßig auf einen konkreten Grund und Boden im Sinne eines untergegangenen lehens- bzw. grundherr­ schaftlich begründeten Verbandes bezogen und entzieht sich systematisch einer atypischen Erstreckung auf sonstige Grundstücke, die bisher zu dem ursprünglichen obereigentümlich gebundenen Verband nicht gehörten, was auf der Grundlage des gemeinen Rechts dem Grundsatz „in communio pro indivisio“, d. h. einem condominium, entsprach.248 Ab dem 15. Jahrhundert bildeten sich schließlich entsprechende Coutumes im französischen Raum sowie Statuti in norditalienischen Städten bezüglich des stockwerkseigen­ tumsrechtlichen In­ stituts heraus,249 während andererseits in bestimmten deutschen Gebieten wie Nürnberg, Würzburg und Regensburg Verbotsge­ setze erlassen wurden, welche die Horizontalteilung von Gebäuden unter­

247  Vgl. J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 53 f., 59 ff.; F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Ver­ waltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (51 ff.); W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 40 f.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 602 f.; allgemein zu diesem Gesichtspunkt J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 156 f.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 130 f., 219. 248  Vgl. Entscheidungen des Stuttgarter Obertribunals vom 16.02.1864 und 04.06.1864, Seufferts Archiv XVIII Nr. 242; XXIV Nr. 239; Mandry, Gibt es Son­ dereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelas­ sen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (196 ff.); W. Merle, Das Wohnungsei­ gentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27. 249  E. Pacifici-Mazzoni, Codice civile italiano commentato con la legge romana, le sentenze dei dottori e la guiris-prudenza, Band II, Modena 1870, S. 317; S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Ge­ genwart 1902 (29), 689, (721); J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caem­ merer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820; C. van der Merwe, International encyclopedia of comparative law, Band 6,5: Property and trust, Chapter 5, Apartment ownership, Tübingen u. a. 1994, S.  4 m. w. N.



III. Die Anfänge der rechtsgelehrten Jurisprudenz ab dem 15. Jahrhundert587

binden sollten,250 nachdem dort mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gebäude­ zertrümmerungen aufgrund der Raumnot in den städtischen Ballungszentren unter Vernachlässigung des anerkannten Obereigentums überhandgenommen hatten.251 Die neuzeitlichen französischen Coutumes enthielten bereits prak­ tikable Regelungen für den Fall, dass ein Gebäude mehreren Berechtigten gehörte.252 Die Rechtsgelehrten versuchten in der Neuzeit die Rechtsnatur des Stockwerkseigentums zu entschlüsseln, nachdem dem deutschen Recht des Mittelalters eine theoretische Reflexion über seine eigenen Institutionen grundsätzlich fremd geblieben war.253 Ein einheitlicher Eigentumsbegriff, wie er dem ius commune zugrunde lag, hatte sich bis in das 19. Jahrhundert im Rahmen der Partikulargesetzgebungen regelmäßig noch nicht durchge­ setzt, war aber dann durch den Code Napoléon eingeführt worden.254 Bis zu diesem Zeitpunkt gab es aber im germanischen Rechtskreis weiterhin in erster Linie nur ein gebundenes Nutzeigentum, dem Pflichten gegenüber dem Obereigentümer korrespondierten.255 In der französischen Wissenschaft wurden insoweit später vor dem Hintergrund des droit coutumier und der Norm des Art. 664 C.c. für die besondere Wohneinheit und die gemein­ schaftlichen Einrichtungen jeweils Servitute, namentlich ein „servitut priva­

250  R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 27 f.; P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 f. Fn. 15; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigen­ tum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 15; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigen­ tums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 56 ff. Weitere partikulargesetzliche Verbotsregelungen anderer deutscher Territorien sind abgedruckt bei O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 283 ff. Fn. 4 f. 251  Vgl. zu der Erscheinung von Gebäudezertrümmerungen W. Dölker, Das Her­ bergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 27 ff., 86 ff.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 20; P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wandel der Zeit, Norderstedt 2014, S. 44; vgl. auch J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 210  f.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126). 252  Vgl. ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 142; F. Hadrian/ J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neu­ ere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 96. 253  W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S.  16 f. 254  Zum einheitlichen Eigentumsbegriff des französischen Zivilgesetzbuchs K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 491 ff., 521 ff., v. a. S. 522 m. w. N. in Fn. 3. 255  Siehe hierzu für das französische Recht K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 521 f.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

tif“ und ein „servitut commun“, angenommen,256 die aber noch ganz in dem Gedanken eines dominium directum verhaftet blieben und unter dem Code Napoléon ihre positivrechtliche Anerkennung unter der Überschrift „servitu­ des établies par la loi“ erhielten.257 Den dogmatischen Hintergrund dieser „Servitutenlehre“ bildete das dominium directum, weil der Obereigentümer als künstliche Person neben dem Nutzeigentümer erschien, welcher damit eine Nutzung an einer fremden obereigentümlich gebundenen Sache inne­ hatte.258 Auf der Grundlage des gemeinen römischen Rechts wurde das Stockwerksrecht andererseits als superficies aufgefasst, weil nach dem Ak­ zessionsprinzip eine Trennung des Eigentums an Boden und Gebäude nicht möglich war und sich das Stockwerkseigentum deshalb nur als beschränkt dingliches Recht darstellen konnte.259 Bemerkenswert ist dabei eine Defini­ 256  J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u.  a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 821 m. w. N.; vgl. R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deut­ schen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31; W. Merle, Das Wohnungsei­ gentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 18, 38 f. m. w. N. Siehe zum Stockwerksrecht als Präsidialservitut nach dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall prakti­ scher Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (417 ff.). 257  M. Toullier/Ch. Bonaventura, Le droit civil français – suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a réuni la théorie à la pratique, Band I, Bruxelles 1837, S.  108 ff.; vgl. F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rhei­ nischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 94 ff.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Imma­ nuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 80. 258  Siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen bei A. Thibaut, Ueber domi­ nium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff. 259  C. v. Wächter, Ueber Theilung und Theilbarkeit der Sachen und Rechte, in: Archiv für die civilistische Praxis 1844 (27), 155, (177 ff. mit Fn. 34, 196 f.); Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren ein­ zelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (220 ff.); H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S.  117 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (211 ff.); R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 17 f., 38 f. m. w. N.; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S.  206 f.; vgl. O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 284  ff.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 42 m. w. N.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bür­



III. Die Anfänge der rechtsgelehrten Jurisprudenz ab dem 15. Jahrhundert589

tion der „héberge“ im Rahmen des Werkes „Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris“ aus dem Jahre 1776, wo steht, „(que) c’est la superfi­ cie qu’occupe une maison contre un mur mitoyen, ou l’adossement d’un bâtiment contre un mur mitoyen. Un propriétaire n’est tenu de contribuer au mur mitoyen que suivant son héberge ce qui veut dire suivant l’étendue qu’il en occupe.“260 Die altfranzösischen Coutumes ließen daher mit der Einordnung des Stockwerksrechts bzw. der Herbergen unter dem Titel „De servitudes“261 auch bereits eine Rezeption des römischen Rechts erkennen, wobei Savigny insoweit später den Nachweis führen sollte, dass bezüglich des Superfiziarrechts eigentlich kein Widerspruch zu dem im römischen Recht anerkannten Prinzip der Vertikalteilung von Gebäuden besteht, weil das superfiziarische Recht kein Eigentum darstellt, sondern nur eine zum dinglichen Recht erstarkte Nutzungsbefugnis an einem konkreten Bestand­ teil auf fremdem Grund und Boden vermittelt.262 Andere romanistisch ori­ entierte Autoren deuteten das Stockwerksrecht dagegen als ein ausschließli­ ches Sondernutzungsrecht im Rahmen einer unteilbaren Miteigentumsge­ meinschaft, womit der germanische Gedanke eines genossenschaftlichen Eigentums zur gesamten Hand mit aufgenommen wurde.263 Daneben blieb gerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nach­ druck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 78, 80 m. w. N.; allgemein zur roma­ nistischen Doktrin in diesem Zusammenhang und ablehnend gegenüber der Konstruk­ tion eines Stockwerksrechts als superficies J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 53 ff., 75 ff., 84. 260  M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. XX. 261  Vgl. Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustu­ mes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230 f., 234 („heberge“); I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 443 („heberge“); J.-B. de Buridan, Coustumes de la cité et ville de Rheims, villes et villages régis selon icelles, Rheims 1665, S. 734 („hebergement“); C. Thourette, Coutumes du Comté et Bailliage de Montfort-Lamaulry, Gambais, Neauphile-le-Chastel, Saint-Liger en Yveline, enclaves et anciens ressorts d’iceux, Paris 1693, S. 123, 125 („heberge“/„héberge“). 262  F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gie­ ßen 1818, S. 286 ff. unter Bezugnahme auf Dig. 43, 17, 3, 7; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Be­ ziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 443. 263  Siehe hierzu die Nachweise bei W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 17 f.; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S. 207 f.; vgl. P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 601. Grundsätzlich zur Teilbarkeit von Sachen auch C. v. Wächter, Ueber Theilung und Theilbarkeit der Sachen und Rechte, in: Archiv für die civilistische Praxis 1844 (27), 155, (181 ff.); vgl. auch W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

aber auch grundsätzlich der Gedanke des Stockwerkseigentums als einer auf der germanischen Rechtstradition beruhenden Einrichtung gegenwärtig, wel­ che die Herbergen als Sondereigen und die gemeinschaftlichen Einrichtun­ gen als Gesamteigen betrachtete.264 Die romanistischen Theorien waren letztlich aber nur einzelne Versuche, das Stockwerkseigentum, das auf dem urgermanischen Gedanken der Markgenossenschaft und dem geteilten Ei­ gentum aufbaute, und in erster Linie die Folge von (gan)erbschaftlichen Teilungen von Gebäuden war, dogmatisch mit dem gemeinen Recht in Ein­ klang zu bringen.265 Diese rechtsdogmatischen Bestrebungen nahmen seit dem ausgehenden Mittelalter immer mehr zu.266 Das gebundene Sonder­ eigentum mit dem angebundenen Gesamteigentum der Beteiligten entzog sich aber weitgehend einer entsprechenden Übertragung auf die rechtlichen Grundsätze des ius commune.267 Denn die Konstruktion eines gesamteigen­ tümlich verstrickten Sondereigentums, das an das dominium directum ge­ Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Frei­ burg 1869, S. 262 ff. 264  Zur stockwerkseigentumsrechtlichen Gesamthandstheorie J. Kuntze, Die Ko­ jengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechts­ leben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 53 f., 59 ff.; F. List, Stockwerkseigen­ tum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (51 ff.); W. Merle, Das Wohnungseigentum im Sys­ tem des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 40 f.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirt­ schaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 80; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: ­ H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 602 f.; allgemein J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., Mün­ chen 1864, S. 156 f.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Ge­ schichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 130 f., 219. 265  Vgl. J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 159 f. 266  Vgl. J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 159 f.; Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (212 ff.); H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S.  114 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (196 ff.). 267  Vgl. J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 159 f.; Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (212 ff.); H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S.  114 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (196 ff.).



III. Die Anfänge der rechtsgelehrten Jurisprudenz ab dem 15. Jahrhundert591

bunden war, führte dazu, dass die einzelnen Stockwerkseigentümer, die Ge­ nossenschaft wie auch der Obereigentümer sämtlich Herrschaft über die Sachen innehatten, so dass ein ausschließliches beschränkt dingliches Recht an einer fremden Sache nicht anzunehmen war.268 Es handelte sich lediglich um Parallelen, die eine analoge Auslegung gestatteten.269 Der französische Code civil verwirklichte schließlich dann ein volles Eigentumsrecht und enthielt mit der Vorschrift des Art. 553 zudem indirekt den Gedanken eines Sondereigentums an ausgeschiedenen Gebäudeteilen,270 so dass sich das vormals auf dem geteilten Eigentum aufbauende und unter den Proprietäts­ rechten des dominium directum stehende Nutzeigentum, dem Bau-, Unter­ haltungs- und Instandsetzungspflichten gegenüber dem Obereigentümer als Gegenleistungen entsprechen konnten,271 vermittelt durch den späteren dog­ matischen Gedanken von Servituten, die auf das gesamte Grundstück und das Gebäude bezogen blieben und das untergegangene hoheitliche Ober­ eigentum nun privatrechtlich kompensieren sollten,272 allmählich zu einem Sondereigentumsanteil mit entsprechenden Miteigentumsrechten ausformie­ ren konnte, wie es der später dann herrschenden Sondereigentumstheorie entsprach.273 Nach dem Badischen Landrecht, welches das geteilte Eigen­ tum beibehielt, war diese dogmatische Herausbildung gesetzlich sogar noch vorgezeichneter, weil das Landrecht des Großherzogtums Baden mit Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 159. A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff., 86; F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gießen 1818, S. 257 f., 286 ff. 270  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.02.1989, Az.: 9 U 193/88 = NJW-RR 1989, 596, (597); L. Rondonneau, Table générale, par ordre alphabétique de matieres, des codes civil, de procédure civile, de commerce, d’instruction criminelle et pénal, Paris 1822, S. 448; R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Hei­ delberg 1896, S. 25. 271  Vgl. nur M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. mit Fn. b. 272  Vgl. M. Toullier/Ch. Bonaventura, Le droit civil français – suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a réuni la théorie à la pratique, Band I, Bruxelles 1837, S.  108 ff.; F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fort­ bildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheini­ schen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 94 ff.; J. Limpens, La propriété hori­ zontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 821 m. w. N. 273  Vgl. J. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou commentaire et complément des codes Français, Band VIII, Paris 1827, S. 389; J. M. Boileux, Die Controversen des französischen Civilrechts nach dem Commen­ taire sur le Code civil, Stuttgart 1841, S. 164 f. 268  J. C. Bluntschli, 269  Vgl.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

Satz 553 nicht nur ein Sondereigentum an ausgeschiedenen Gebäudebe­ standteilen kannte, sondern in Satz 554 d sogar Miteigentum am geteilten Nutzeigentum für möglich hielt.274 Den Hintergrund für die Entwicklung bildete aber im Ausgang das geteilte Eigentum aus dominium directum et utile, dem ein Nutzen-Lasten-Prinzip entsprach,275 das sich nach dem Un­ tergang des Obereigentums und der Durchsetzung des einheitlichen Eigen­ tumsbegriffs zu dem heute anerkannten Stockwerkseigentum entwickeln konnte.

IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen Vor dem Hintergrund, dass sich das aristokratische Reichsaufbaumoment der Grundherrschaft im Fränkischen Reich unter Karl dem Großen zuneh­ mend ausbreitete, indem die Königsleute von den freien Bauern unterschie­ den und erstere aus der demokratischen Volks- und Gauverfassung allmählich herausgelöst und der Benefizialverfassung untergeordnet wurden,276 entwi­ ckelte sich ein Reichsgewalt indizierendes königliches System, dem – ver­ einfacht formuliert – ein Prinzip des „Gebens und Nehmens“ entsprach, d. h., dass die Beliehenen ein besonderes Krongut als Nutzeigentum gegen be­ stimmte Pflichten und Lasten bekamen.277 Das gesamte System baute prak­ tisch auf dem salisch-fränkischen Grundeigentum auf, das bereits aus dem römischen Recht bekannt und auch bereits in der fränkischen Lex Salica vorausgesetzt war.278 In diesem Grundeigentum bündelte sich im Ergebnis 274  K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S.  1042 ff., 1144 ff.; W. Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon – dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, Freiburg 1869, S. 247 f., 266. 275  Vgl. nur M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. 276  E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 55 ff. 277  E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbindungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S.  94 ff., 122 ff., 324 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff., 78 ff.); E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 55 ff. 278  K. Jungbohn Clement, Forschungen über das Recht der Salischen Franken vor und in der Königszeit, Lex Salica und Malbergische Glossen, in: H. Zoepfl (Hrsg.), Bibliothek für Wissenschaft und Literatur, Band III: Staats- und rechtswissenschaft­ liche Abtheilung Band I, Berlin 1876, S. 222 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­



IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen593

ein fränkisches Herrschaftsmoment, das sich bereits unter den Merowingern ausgeformt hatte und sich unter Karl dem Großen zu einem Reichsgewalt begründenden Benefizial- und Senioratswesen weiterentwickelte, welches sich als konstituierender Baustein der mittelalterlichen Staats- und Volksver­ fassung des Alten Reiches im Sinne von vogtei-, lehens- und grundherr­ schaftlichen Rechtsverhältnissen erhalten sollte.279 Dass das Stockwerks­ eigentum in den werdenden Städten seit dem 12. Jahrhundert bereits in Frühformen vorzufinden war, ist wissenschaftlich belegt.280 Auch ist aner­ kannt, dass sich das mittelalterliche Dogma vom geteilten Eigentum aus do­ minium directum et utile in etwa zu derselben Zeit endgültig herausentwi­ ckelt hatte.281 Nicht zu bestreiten ist zudem, dass sich Stockwerkseigentum gerade in den ehemaligen Territorien des Fränkischen Reiches hat nachwei­ sen lassen.282 In der königlichen Grundherrschaft spiegelte sich das Prinzip des privilegierten Nutzeigentums, dem ein an die Beliehenen gegebenes „Sondereigen“ entsprach, das aber königlich bzw. aristokratisch gebunden war und damit Reichsgewalt erzeugen konnte.283 Auch im Modell der demo­ kratischen Markgenossenschaft war der fränkische Gedanke von einem freien lung 1881 (2), 1, (49 ff.); G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrundherrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S. 37 ff. 279  R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff., 78 ff.); J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f.; E. Gaupp, Lex Fran­ corum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S.  55 ff. 280  O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 41 mit Fn. 12; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 9; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 53 m. w. N. 281  D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baum­ gärtel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. Novem­ ber 1984, Berlin u. a. 1984, S. 274 ff.; H. Schlosser, Grundzüge der neueren Privat­ rechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 63 f.; G. Deter, Allodifikation, Grun­ dablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (209). 282  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 ff.; J. Limpens, La propriété horizontale, in: E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.), Ius privatum gentium, Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 820; C. van der Merwe, International encyclopedia of comparative law, Band 6,5: Property and trust, Chapter 5, Apartment ownership, Tübingen u. a. 1994, S. 3 ff. m. w. N. 283  Vgl. nur R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (49 ff., 78 ff.); J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f.; E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S.  55 ff.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

Sondereigen und gemeinschaftlichen Einrichtungen vorzufinden,284 wobei bemerkenswerterweise auch die Gehöfte mit Wohnhaus, Hofraum, Stall, Gar­ ten und Keller die gleiche Struktur aufwiesen wie die späteren Herbergshäu­ ser.285 Nachdem die demokratisch strukturierten Markgenossenschaften dann im hohen Mittelalter in die aufkommende Entwicklung der Städte einbezogen worden waren, kann die erstmalige Erscheinung des Stockwerkseigentums als Übernahme des entsprechenden genossenschaftlichen Siedlungsverbandes in den nun stadtherrlich verfassten Raum angesehen werden, wobei dem Stockwerkseigentum in struktureller Hinsicht ein gebundenes Sondereigen und ein herrschaftlich delegiertes gemeinschaftliches Eigen zugrunde lag.286 Das mittelalterliche geteilte Eigentum überlagerte dabei das gesamte Recht der liegenden Güter und gab die Dogmatik für die aus den entsprechenden Proprietätsrechten entspringenden und durch diese bedingten Anordnungen und Verfügungen der Obrigkeiten vor, die auf kleinerem Raum das Modell des genossenschaftlichen Verbandes in den Rechtsformen eines Lehens oder einer grundherrschaftlichen Erbleihe fortsetzten.287 Etwaige Erbteilungen bzw. sonstige Teilungen von liegenden Edelmanns- und Beutelgütern sowie in der früheren Neuzeit zunehmend anzutreffende Gebäudezertrümmerungen führten im Ergebnis schließlich zu weiteren ausgeschiedenen Gebäudebe­ 284  Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (153 ff.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körper­ schaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 215 f., 222 ff.; G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrundherrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Va­ duz 1965, S. 35 ff.; L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 153 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechts­ geschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (52 ff.); H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österrei­ chische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (5 ff., 28 ff.); C. v. Schwerin, Beitrag zu „Die Markgenossenschaft (Holtung) der 17 Dörfer um Amelinghausen“, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1936 (56), 499, (499 f.); G. v. Bülow, Allmende und Markgenossenschaft, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1903 (1), S. 120 ff. m. w. N. 285  G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrundherrschaft im frühen Mittelal­ ter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S. 31 ff. 286  So auch O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 218 f., 230 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germa­ nistische Abteilung 1881 (2), 1, (51). 287  Zu den Bestandteilen des altrechtlichen geteilten Eigentums und den daraus sich ergebenden Befugnissen M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulations­ rechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff.; zu der mittelalterlichen Leihe W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S.  34 ff., 141 ff.



IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen595

standteilen, die dann später als einzelne Herbergen bezeichnet wurden.288 Dies entsprach auch dem Begriffsverständnis im nordfranzösischen Raum, wo die „heberges“, „héberges“ oder „hébergments“ als ausgeschiedene Ge­ bäudebestandteile im Rahmen von mehreren Nutzeigentümern zustehenden Gebäuden bestehen konnten,289 während eine Herberge aber stets auch ein ganzes Haus sein konnte, das im Sinne einer Vertikalteilung von dem unmit­ telbar anschließenden Nachbarhaus getrennt war, mit diesem aber auch über eine gemeinschaftliche Wand eine Einheit bilden konnte.290 Dabei ist auffäl­ lig, dass sich die Herbergen im nordfranzösischen Raum regelmäßig durch eine Anbindung an ein dominium directum und damit als unfreies Erbe, d. h. als „héritage“, darstellten,291 was aber auch sonst für den Herrschaftsbereich 288  E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württember­ gischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 19; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 9 f.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 27 ff., 86 ff.; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); ders., Das „Kellerrecht“ als Stock­ werkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrund­ stücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (77); N. Thun, Die rechtsge­ schichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Pri­ vatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 10 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S.  258 ff.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 20; P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wandel der Zeit, Norderstedt 2014, S. 44. 289  Vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133  f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem Article CXCVII. mit dem Titel „Charges qui se payent au voisin“ der Coutumes de Paris: Article CXCVII. mit dem Titel „Charges qui se payent au voisin.“: „Les charges sont de payer & rembourser par celuy qui se loge & heberge sur & contre le mur mitoyen, de six roises, l’une de ce qui sera basti au dessus de six pieds.“; Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 231. 290  Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230, 234: Article CXCIV. mit dem Titel „Basttisant contre mur non moitoyen, que doit, & quand.“: „Si aucun veut bastir contre un mur moitoyen, faire le peut, en payant moi­ tié tant dudit mur que fondation d’iceluy, iusques a son heberge.“ und Article CCVI. mit dem Titel „Poutres & soliues ne se mettent dans le mur non moitoyen.“: „N’est loisible à un voisin de mettre ou faire mettre & loger les poutres & soliues de sa maison dans le mur d’entre luy & sondit voisin, si ledit mur n’est moitoyen.“ 291  Coustumes de la ville de Calais et pays, Calais 1630, S. 19 („herbergé“/„he­ berge“); Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230 f., 234 („heberge“); I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 443 („heberge“); J.-B. de Buridan, Coustumes de la cité et ville de Rheims, villes

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

des ehemaligen Fränkischen Reiches galt.292 Über die Konstruktion des Stockwerksservituts293 wurde der Gedanke eines besonderen und ausschließ­ lichen Nutzeigentums gegen etwaige Pflichten zum Bau, zur Unterhaltung und zur Instandsetzung in Relation zu dem fremden Obereigentum dogma­ tisch im Sinne der römischrechtlichen Doktrin als beschränkt dingliches Recht vorbereitet, das sich unter dem einheitlichen Eigentumsbegriff zu der später herrschenden Sondereigentumstheorie ausformen konnte.294 Eine ab­ schließende Beantwortung der Frage nach der eigentlichen Rechtsnatur der et villages régis selon icelles, Rheims 1665, S. 734 („hebergement“); C. Thourette, Coutumes du Comté et Bailliage de Montfort-Lamaulry, Gambais, Neauphile-leChastel, Saint-Liger en Yveline, enclaves et anciens ressorts d’iceux, Paris 1693, S. 123, 125 („heberge“/„héberge“); A. Couturier de Fournoue, Coutumes de la Pro­ vince et Comté Pairie de la Marche, Clermont-Ferrand 1744, S. 113 („deux heritages ou hebergemens“); L.-A. Sevenet, Coutume du Bailliage de Melun, Sens u. a. 1768, S. 212 („hébergement“); R.-J. Pothier, Coutumes des Duché, Bailliage et Prévôté d’Orléans, et ressort d’iceux, Paris u. a. 1780, S. 400 f. („héritage“); T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 129, 133 („heritage“); E. Pallu, Coustumes du Duche et Bailliage de Touraine anciens ressorts et enclaves d’iceluy, Tours 1661, S. 321 („heritage“); dagegen sprechen andere Coutumes von „maison“ und „heritage“.; vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 231 f. („maison“ und „heritage“); A. Brice, Coutumes générales de la ville de Metz et pays messin, Metz 1730, S. 362 („maison“ und „heritage“). 292  Vgl. etwa für Wien H. Schuster, Das Wiener Stadtrechts- oder Weichbildbuch, Wien 1873, S. 122 f. 293  Die Ansicht, wonach das Stockwerksrecht als dingliche Belastung an einer obereigentümlichen Sache anzusehen ist, ist der Hintergrund, warum das Stockwerks­ eigentum im französischen Raum und auch in den deutschen Territorien später noch als Servitut bzw. Dienstbarkeit aufgefasst wurde. Siehe zu dieser Ansicht A. Renaud, Von den Sachen und Beschränkungen des Eigenthums, in: Rechtliche Gutachten, Band II, Mannheim 1886, S. 21 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 195 mit Fn. 12; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 417; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechts­ ordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  33 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berück­ sichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 19, 29 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 232 ff.; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 184 Rn. 13. 294  A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über ein­ zelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff., 86; F. C. v. Savig­ny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gießen 1818, S. 257 f., 286 ff.; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auf­ lage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivil­ rechts, Heidelberg 1824, S. 95 f.



IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen597

Herbergen kann daher nur in Abgrenzung zu dem römischen Eigentumsbe­ griff und dessen Dogmatik erfolgen. In der geschichtlichen Wissenschaft wurde das unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsordnung angesprochene Verhältnis der spätrömischen zu den fränkisch-germanischen Rechtsinstituten und Einrichtungen bereits umfas­ send untersucht.295 Während die einzelnen Vertreter der Markgenossen­ schaftstheorie eine zeitliche Zäsur mit Blick auf die späteren germanischen Dorfgemeinschaften sehen, welche die spätrömischen Einrichtungen grund­ sätzlich als etwas anderes erscheinen lassen,296 wobei insoweit unter ande­ rem vertreten wird, dass die germanische Wirtschaft eine genossenschaftli­ che Gemeinwirtschaft war, deren Dörfer ein staatliches wie agrarrechtliches Rechtsinstitut repräsentierten, während sich die römische Wirtschaft als pri­ vate Individualwirtschaft auszeichnete und über keine eigentlichen Dörfer verfügte.297 Die germanischen Markgenossenschaften bezogen sich nach dieser Ansicht im Gegensatz zu den spätrömischen Einrichtungen, deren ter­ ritoriale Ansatzpunkte städtische Siedlungen waren, auf umfassende Territo­ rien, die für sich als „universitas agrorum“ angesehen werden konnten, wel­ che sich von der spätrömischen civitas wesentlich unterschieden.298 Gegen 295  Zum Meinungsstand der älteren Forschung A. Dopsch, Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung, Band I, Wien 1923, S.  382 ff. 296  Zur germanischen Markgenossenschaftstheorie zusammenfassend A. Dopsch, Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung, Band I, Wien 1923, S. 383 ff. 297  So A. Schulten, Die Landgemeinden im römischen Reich, Philologus 1894 (53), 629, (656 ff.) m. w. N. „(…) war die germanische Wirthschaft eine genossen­ schaftliche. Diese Gemeinwirthschaft machte den Flurzwang, machte es nothwendig, daß das Land gleichzeitig mit derselben Frucht bestellt oder gleichzeitig in Brache gelassen wurde, der Flurzwang aber machte ein Zusammenliegen der Grundstücke nothwendig. Die römische Flurtheilung, die wir nur als Theilung der Stadtflur unter die Bürger kennen, beruht auf der Individualwirthschaft. (…) Das (römische) Dorf ist (als Ausnahme von dem von der Individualwirtschaft grundsätzlich zu unterscheiden­ den Dorfsystem) (…) nicht (…) wie das germanische ein staatliches und agrarrecht­ liches Institut.“; A. Schulten, ebd., S. 656 f., der aber dann auf S. 658 ff. seine Ausfüh­ rungen weiter relativiert, wenn ausgeführt wird, dass „ist nun gleich das Dorf ein unrömisches Siedlungselement, so gründet(e) unter besonderen Umständen doch auch Rom Dörfer.“; letzteres auf S. 660. 298  A. Schulten, Flurteilung und Territorien in den römischen Rheinlanden, Bon­ ner Jahrbuch 1898 (103), 12, (27 ff.), „universitas agrorum“ auf S. 28; a. A. A. Dopsch, Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung, Band I, Wien 1923, S. 385 ff. „Nichts ist verkehrter, als den Begriff der deutschen Dorfge­ meinde, von jeher des vollberechtigten Correlats der Stadtgemeinde – abgesehen na­ türlich von gutsherrlichen und in städtischem Banne befindlichen Dörfern – auf den römischen vicus zu übertragen: im römischen Reich gibt es Landgemeinden nicht; was dergleichen vorkommt, ist Ausnahme.“; Schulten, ebd., S. 28.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

Ende der Römischen Republik war vor dem Hintergrund des bereits hohen Entwicklungsstandes der etablierten Kapitalwirtschaft das Prinzip der civitas als umverteilender Instanz des insoweit gebundenen privaten Eigentums der über den pater familias organisierten Mitglieder der dörflichen Gemeinde in Widerspruch zu dem Grundsatz der besten Bodenbearbeitung getreten, wo­ mit sich die Interessen auf einen weiter individualisierten Eigentumsbegriff konzentrieren sollten, was sich dann unter dem Römischen Kaiser Augustus zu dem mehr der selbständigen Privatwirtschaft entsprechenden dominium als einem vollen Privateigentum entwickelte.299 Denn in der römischen Kai­ serzeit machte sich bei der provinzialrömischen Bevölkerung vor dem Ab­ bild eines nunmehr wieder erscheinenden materiellen Obereigentums in der Person des Römischen Kaisers das Rechtsinstitut des usufructus breit, wel­ chem kein Eigentum, sondern nur der Besitz eines Grund und Bodens zur Nutzung gegen eine Abgabe zukam, wenngleich dem Usufructus aber grund­ sätzlich eine freie Veräußerbarkeit des Gutes zustehen sollte.300 Die Provin­ zialgrundstücke unterstanden in den Senatsprovinzen, d. h. den agri stipendi­ arii, unter der Abgabenlast einer Grundsteuer in der Form des stipendium, während in den Kaiserprovinzen ein tributum zu entrichten war.301 Zeigten sich hier aber nicht bereits klare Tendenzen hin zu einem dominium direc­ tum, dem ein bloßes Nutzeigentum mit einer entsprechenden Abgabenlast korrespondier­te,302 wie es sich dann im Fränkischen Reich unter Karl dem 299  E. Štaerman, Das römische Bodeneigentum, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 96 ff.; vgl. S. Lohsse/M. Kaser, Römisches Privatrecht – ein Studienbuch, 22. Aufl., Mün­ chen 2021, S. 179 ff. 300  E. Štaerman, Das römische Bodeneigentum, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 101 ff., 109; S. Lohsse/M. Kaser, Römisches Privatrecht – ein Studienbuch, 22. Aufl., Mün­ chen 2021, S. 181. 301  S. Lohsse/M. Kaser, Römisches Privatrecht – ein Studienbuch, 22.  Aufl., München 2021, S. 181 m. w. N. 302  Zur Lehre vom geteilten Eigentum A. Thibaut, Über dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S.  71 ff.; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 94 ff.; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S.  314 f.; F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., Band II/1: Sachenrecht, Berlin 1905, S. 432 mit Fn. 16; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 325; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 ff.); D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S. 273 ff.; F. Krauss, Das geteilte Eigentum im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1999,



IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen599

Großen mit der Etablierung der Benefizialverfassung ausformen und zeigen sollte? Dabei ist auch hervorzuheben, dass bis in die spätantike Zeit im Rö­ mischen Reich wie bei der deutschen Allmende ein gemeindlicher Überrest an der Gemeindeweide im Sinne eines Gemeinschaftsbodens, als ager com­ pascuus bezeichnet, verblieben war.303 Mit den römischrechtlichen Rechtsin­ stituten der Pacht, dem Usufrukt, dem Prekarium oder der Nutzung gab es auch dogmatisch Berührungen zu einem geteilten Eigentum, das dem römi­ schen Recht eigentlich nicht bekannt war, aber durch den Gedanken eines kaiserlichen Obereigentums bestärkt wurde.304 Andererseits bedingte der im antiken Rom stets gelebte Grundsatz der besten Bodenverarbeitung die Ent­ stehung von Servituten.305 Gerade aber die Reformen des Römischen Kai­ sers Augustus in den römischen Provinzen führten in gewisser Weise zu ei­ ner Feudalisierung des Eigentums.306 Nach der Geschichte des römischen Eigentumsbegriffs, der sich erst am Ende der Römischen Republik zu einem vollen Privateigentum entwickelt hatte,307 muss zudem bedacht werden, dass in den griechisch-römischen Stockwerksrechten durchaus auch bereits eine Vorstufe eines „Eigen“ gesehen werden konnte, auch wenn sich die rö­ mischrechtliche Dogmatik des späteren klassischen Pandektenrechts aus­ schließlich dann auf formale Konstruktionen der entsprechenden Rechts­ institute beschränken sollte und Nutzungsrechte an einem rechtlich als Ein­ heit zu betrachtenden Grundbesitz als Servitute bzw. Erbbaurechte ansah.308 S.  19 ff.; Ch. Ulmschneider, Eigentum und Naturrecht im Deutschland des beginnen­ den 19. Jahrhunderts, Berlin 2003, S. 98 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S.  332 f. 303  S. Lohsse/M. Kaser, Römisches Privatrecht – ein Studienbuch, 22. Aufl., Mün­ chen 2021, S. 180. 304  E. Štaerman, Das römische Bodeneigentum, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 82 f., 109 ff. 305  E. Štaerman, Das römische Bodeneigentum, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 105. 306  E. Štaerman, Das römische Bodeneigentum, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 114. 307  E. Štaerman, Das römische Bodeneigentum, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 88, 91, 97 ff.; S. Lohsse/M. Kaser, Römisches Privatrecht – ein Studienbuch, 22. Aufl., München 2021, S. 180 ff. 308  Zum Ganzen E. Štaerman, Das römische Bodeneigentum, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 82 f., 88 f., 109 ff., 105; vgl. hierzu in Bezug auf das Stockwerkseigentum auch L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nach­ druck der Ausgabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 76 ff., der auf S. 80 von superficies und Servituten als Ausnahmekonstruktionen gegenüber dem von ihm in diesem Zu­ sammenhang vertretenen wahren und echten Eigentum hinsichtlich der altertümlichen

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

Die sich erst allmählich vollziehende und endgültige Formung des römi­ schen Eigentumsbegriffs als reiner Vermögensbegriff scheint aber im Ergeb­ nis der eigentliche Grund dafür zu sein, warum sich das griechisch-römische Stockwerkseigentum einer eindeutigen rechtlichen Einordnung entzog und erst am Maßstab des spätantiken klassischen Rechts der römischen Jurispru­ denz als communio indiviso, superfiziarisches Recht, Servitut oder Erbbau­ recht beschrieben werden konnte,309 während man für die Zeit der Römi­ schen Republik durchaus auf Transaktionen trifft, die aus heutiger Sicht im Sinne eines Sondereigentums nach dem Muster einer communio pro diviso ausgelegt werden könnten.310 Die Franken nutzten das Grundeigentum bereits früh als Herrschaftsmo­ ment, an das bestimmte Leistungen geknüpft waren.311 Das sich hinter die­ sem Axiom eines abzuschöpfenden Grundeigentums bildende Benefizialwe­ sen zeigte sich in gefestigten Konturen bereits früh an der Kriegs- und Hee­ resverfassung des Fränkischen Reiches, wo unter Karl dem Großen zuneh­ mend die persönliche Abhängigkeit der Kriegsmannen mit der Verleihung von einzelnen Benefizien einherging,312 wobei im Grundsatz zunächst die freien Männer zum militärischen Dienst verpflichtet und die Größe von de­ Stockwerksrechte spricht; ähnlich D. Pappulias, Zur Geschichte der Superficies und des Stockwerkseigentums, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ro­ manische Abteilung 1906 (27), 363, (363 f.), der für das altgriechische Stockwerks­ recht wiederum die Konstruktion eines Erbbaurechts bemüht. 309  Zu der Entwicklung des Eigentumsbegriffs des römischen Rechts E. Štaerman, Das römische Bodeneigentum, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 79 ff.; S. Lohsse/M. Kaser, Römisches Privatrecht – ein Studienbuch, 22. Aufl., München 2021, S. 179 ff. 310  In diesem Sinne S. Pineles, Die communio pro diviso, Zeitschrift für das Pri­ vat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 1902 (29), 689, (705 ff.); vgl. L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Aus­ gabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 76 ff. 311  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 62 ff.; vgl. B. Rode, Formen des Eigentums bei den Franken im 5./6. Jahrhundert und der Übergang von gentilpolitischen Normen zu Rechtsnormen – dargestellt anhand der Lex Salica, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesell­ schaften, Weimar 1987, S. 199. 312  G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 62 ff.; E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbindungen und Wechselwir­ kungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S. 129 ff.; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (206 ff.) m. w. N.



IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen601

ren Hufen für die allgemeine Wehrpflicht entscheidend waren.313 Durch das Seniorat wurde die mit der Vergabe von Benefizien einhergehende persön­ liche Abhängigkeit als Vorstufe der späteren dinglichen und auf ein Lehen bzw. ein grundherrschaftliches Gut ausgerichteten Herrschaft auch auf die Adeligen und sonstigen Machtträger im Fränkischen Reich ausgeweitet, so dass sich durch das Benefizialwesen und das sich daran anschließende Senio­ rat eine materielle Gesellschaftsordnung ergab, deren konstituierender und dogmatischer Ansatzpunkt zunehmend in dem Grundeigentum begründet lag.314 Unter diesem Grundeigentum entwickelten sich auf diese Weise herr­ schaftsrechtliche Implikationen, die sich heute dem öffentlichen Recht zu­ ordnen lassen.315 Der spiegelbildliche Akzent zeigte sich im hohen Mittelalter grundsätzlich in einem gebundenen Nutzeigentum des Vasallen bzw. Beliehe­ nen, das sich in den Rechtsinstituten der liegenden Güter als ausbedungenem Substrat zeigte, wobei deren materieller Ansatzpunkt das germanische Grundeigentum bis zur Überwindung des mittelalterlichen Feudalismus mit seiner lehensrechtlichen Kriegsverfassung und der darauf aufbauenden alten Ordnung des europäischen Ancien Régime bleiben sollte.316 Mit dem Bene­ fizialwesen und dem Seniorat aber hatte die fränkische Investitur als feierli­ che und rechtsförmliche Besitzeinweisung in ein feudales Gut sämtliche 313  A. Meitzen, Volkshufe und Königshufe in ihren alten Massverhältnissen, in: ders. u. a. (Hrsg.), Festgabe für Georg Hanssen zum 21. Mai 1889, Tübingen 1889, S.  20 ff.; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 40; M. Becher, Karl der Große, 6. Aufl., München 2014, S. 100; Ch. Haack, Die Krieger der Karolinger – Kriegsdienste als Prozesse gemeinschaftlicher Organi­ sation um 800, Berlin u. a. 2020, S. 84 ff., 91 ff. 314  E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbindungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S.  129 ff.; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungspro­ blem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 2013 (130), 205, (206 ff.). 315  R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deut­ schen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1880 (1), 1, (21 ff.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossen­ schaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 141; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f.; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (206 ff.). 316  G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (206 ff.); B. Rode, Formen des Eigentums bei den Franken im 5./6. Jahr­ hundert und der Übergang von gentilpolitischen Normen zu Rechtsnormen – darge­ stellt anhand der Lex Salica, in: J. Köhn (Hrsg.), Eigentum – Beiträge zu seiner Entwicklung in politischen Gesellschaften, Weimar 1987, S. 199 ff.

602

E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

Herrschaftseinheiten wie Herzogtümer, Grafschaften, Klöster und Kirchen wie auch den adeligen Grundbesitz ergriffen und implizierte über das Gesin­ dewesen der Franken und das Benefizium als in erster Linie zunächst unent­ geltlicher Leihe eine öffentlich-rechtliche Gesellschaftsordnung, die sich über das gesamte westliche Europa und darüber hinaus erstreckte und dabei den ausschließlichen privaten Rechtskreis verließ.317 Dies zeigte sich insbe­ sondere an den fränkischen Markgenossen, die zwar als Sondereigentümer ihrer Gehöfte erschienen, aber im späten Frühmittelalter bereits regelmäßig einem übergeordneten Grundherrn und über die markeigene Allmende den Beschlüssen der Gesamtvertretung der Genossen unterstanden.318 Die Frage war hier weniger, was dem in der Mark ansässigen Genossen gehörte, als vielmehr, was ihm aus dem einzelnen Gehöft als Sondereigen bzw. den ihm zugeteilten Acker-, Wald- oder Weideflächen an Nutzungsrechten konkret zustand.319 Die herrschaftlichen Implikationen des salisch-fränkischen Rechts zeigten sich weiter in der vorherrschenden Form der Auflassung im hohen Mittelalter, die grundsätzlich als gerichtliche Auflassung in einer förmlichen Besitzeinweisung bestand.320 Dies zeigte sich auch daran, dass bis in das 317  R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deut­ schen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1880 (1), 1, (26 ff.). 318  G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band II: Die Deutsche Verfassung im Fränkischen Reich, 2. Aufl., Kiel 1870, S. 309 ff.; H. Wopfner, Beiträge zur Ge­ schichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (1 ff., 15, 17 f.); A. Dopsch, Die Markgenossen­ schaft der Karolingerzeit, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsfor­ schung 1913 (34), 401, (419 ff.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 189 ff.; L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 164 ff., 172 ff.; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 157. 319  Grundsätzlich zur markeigenen Allmende Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissen­ schaft 1815 (1), 147, (153 ff.); L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S.  153 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (52 f.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbe­ griffs, Berlin 1873, S. 215 f., 222 ff.; G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrund­ herrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S.  40 f.; H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mittei­ lungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (5 ff., 28 ff.); C. v. Schwerin, Beitrag zu „Die Markgenossenschaft (Holtung) der 17 Dörfer um Ame­ linghausen“, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1936 (56), 499, (499 f.); G. v. Bülow, Allmende und Markgenossenschaft, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1903 (1), S. 120 ff. m. w. N. 320  R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deut­ schen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1880 (1), 1, (34 f.) m. w. N.



IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen603

späte Hochmittelalter bei der Veräußerung eines Lehensguts bzw. eines bäu­ erlichen Leiheguts eine neue Verleihungshandlung des Herrn in der Form einer gerichtlichen Auflassung notwendig war, die dann später zunehmend durch eine Zustimmung des Herrn ersetzt wurde.321 Dies war dann auch der Grund dafür, warum später dann die Teilung eines Gebäudes grundsätzlich der Zustimmung des Lehens- oder Grundherrn bedurfte,322 aber auch warum ein Sondereigentum an erbauten Häusern auf fremdem Grund möglich war, das im germanischen Raum zudem lediglich als Fahrnis im Sinne einer be­ weglichen Entliegenschaft angesehen wurde,323 was wiederum dem Gedan­ ken eines Nutzeigentums entsprach, dessen inhaltliche Reichweite konkret bestimmt war und unter dem Vorbehalt der Proprietätsrechte des Obereigen­ tümers stand.324 Andererseits zeigte sich die öffentlich-rechtliche Dimension des germanischen Grundeigentums gerade auch an der hochmittelalterlichen Pflege, die als Abgabe auf den bäuerlichen Gütern liegen und auch in der Gestalt des Heerbanns bestehen konnte.325 Zwar gab es auch im römischen Byzanz einen Feudalismus, der aber über etwaige Elemente wie der persönlichen und dinglichen Abhängigkeit des Vasallen bzw. des Beliehenen nie die stringente Anbindung des privaten Ei­ gentums an materielle Herrschafts- und Nutzungsrechte wie bei dem salischfränkischen Grundeigentum erlangte, was bereits daran zu erkennen ist, dass der Lehensnexus im Byzantinischen Reich oftmals nicht eingehalten bzw.

321  R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deut­ schen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1880 (1), 1, (39 ff.). 322  So zum Beispiel auch im ehemaligen Fürststift Kempten Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Ent­ stehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. (Statut Nr. VI). Die obereigentümlichen Proprietätsrechte bezogen sich auf die Substanz der Sache.; vgl. M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grund­ herrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teut­ schen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. mit Fn. b. 323  F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (99  f.); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salz­ burg 1971, S. 585 ff.; S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall prakti­ scher Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (415 f.). 324  M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherr­ schaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. 325  R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deut­ schen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 1880 (1), 1, (49 f.) m. w. N.

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

vernachlässigt wurde.326 Im oströmischen Byzanz wurde der private Rechts­ kreis im Sinne einer grundeigentumsrechtlich überlagernden materiellen Staatsverfassung, wie es bei den Franken der Fall war, nur ausnahmsweise verlassen, womit dem römischen Recht das Dogma eines dominium directum et utile fremd bleiben musste, wenngleich es den entsprechenden Rechtsge­ danken kannte,327 womit aber im römischen Recht im Gegensatz zum ger­ manischen Rechtskreis wiederum eine frühe Trennung von privatem und öf­ fentlichem Recht einhergehen konnte.328 Es mag ein feiner Unterschied sein, aber während die Kaiser des Byzantinischen Reiches des späten Frühmittel­ alters durch die Gesetzgebung versuchten, den Aufkauf kleinerer Grundbe­ sitzbestände durch Großgrundbesitzer zu unterbinden, um die an den Grund­ besitz gekoppelte Militärpflicht zu erhalten,329 organisierten die Germanen dieses durch das materielle Grundeigentum selbst, indem der Nutzen eines Guts über das eigentumsrechtliche System unmittelbar mit der auf dem Gut liegenden Militärpflicht verbunden war, ohne dass der Kaiser noch gesondert über die Gesetzgebung hätte einwirken müssen, auch wenn Karl der Große die grundsätzlichen Normen zu den militärischen Diensten mit den Kapitula­ rien selbst festgelegt hatte.330 In dem mittelalterlichen Feudalrecht und den damit verbundenen Herrschaftsrechten, welche aus der karolingischen Bene­ fizialverfassung und dem Seniorat erwachsen sind und sich im hohen Mittel­ alter über das lehens- und grundherrschaftliche dominium directum entfalte­ ten, wurzelte das spätere droit public, das über das germanische Grundeigen­ tum in den feudalen Einrichtungen und Adelsprivilegien wirksam war und sich erst mit der Entstehung des modernen Staates von diesen allmählich emanzipierte.331 Das Eigentum des klassischen römischen Rechts ist dage­ gen formal und in seiner rechtsdogmatischen Ausformung ein reiner privat­ rechtlicher Vermögensbegriff, der sich im Gegensatz zum germanischen 326  F. Dölger, Der Feudalismus in Byzanz, in: Studien zum mittelalterlichen Le­ henswesen – Vorträge gehalten in Lindau am 10.–13. Oktober 1956, Konstanz 1960, S.  185 ff. 327  H. Pierer, Universal-Lexikon oder vollständiges encyclopädisches Wörterbuch, Band VI, Altenburg 1835, S. 454; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 f.) m. w. N. 328  O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 141; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f. 329  G. Ostrogorski, Byzantinische Geschichte – 324–1453, 3. Aufl., München 2019, S.  222 ff. 330  Ch. Haack, Die Krieger der Karolinger – Kriegsdienste als Prozesse gemein­ schaftlicher Organisation um 800, Berlin u. a. 2020, S. 84 ff. 331  Ph. de Beaumanoir, Les coutumes du Beauvoisis, Band  I, Paris 1842, S. XXXVI.



IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen605

Grundeigentum etwaiger Implikationen hoheitlicher Herrschaftselemente entzieht.332 Gerade darin liegt aber der wesentliche Unterschied, der auch in dem obereigentumsrechtlich geprägten Herbergsrecht als selbstverständlich mitschwingt, und auf dem die kontinentaleuropäische Rechtstradition aufge­ baut ist. In den fränkischen Herbergen lebte das Prinzip eines obereigentüm­ lich delegierten Nutzeigentums, welches sich in den nordfranzösischen Cou­ tumes mit den Begriffen „héberge“, „heberge“ oder „hébergement“ als syno­ nyme Bezeichnungen für „héritage“, das vom freien Eigen, dem Allod,333 unterschieden war, manifestierte.334 Im germanischen Kulturkreis kam hin­ sichtlich der Herbergen mit dem genossenschaftlichen Gedanken noch ein weiteres Moment hinzu, das aus den Attributen der Volksgemeinde sowie der Stammesgemeinschaft entstammte und die kulturelle Grundlage für das Dogma eines Gesamteigentums hergab, welches auch den Prinzipien der Ganerbschaft und der Belehnung zur gesamten Hand zugrunde lag, womit auch insoweit ein wesentlicher Unterschied zu dem römischen Recht be­ stand.335 Bereits bei den Markgenossenschaften war ein solches Gesamt­ eigentum zu erkennen gewesen, indem den einzelnen Markgenossen ein Sondereigen an den Gehöften als Sondernutzungsrecht zugekommen war, 332  O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 141; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 153 f.; S. Lohsse/M. Kaser, Römisches Privat­ recht – ein Studienbuch, 22. Aufl., München 2021, S. 179 ff. 333  W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 34, 144 ff., 258 ff. 334  Coustumes de la ville de Calais et pays, Calais 1630, S. 19 („herbergé“/„he­ berge“); Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230 f., 234 („heberge“); I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 443 („heberge“); J.-B. de Buridan, Coustumes de la cité et ville de Rheims, villes et villages régis selon icelles, Rheims 1665, S. 734 („hebergement“); C. Thourette, Coutumes du Comté et Bailliage de Montfort-Lamaulry, Gambais, Neauphile-leChastel, Saint-Liger en Yveline, enclaves et anciens ressorts d’iceux, Paris 1693, S. 123, 125 („heberge“/„héberge“); A. Couturier de Fournoue, Coutumes de la Pro­ vince et Comté Pairie de la Marche, Clermont-Ferrand 1744, S. 113 („deux heritages ou hebergemens“); L.-A. Sevenet, Coutume du Bailliage de Melun, Sens u. a. 1768, S. 212 („hébergement“); R.-J. Pothier, Coutumes des Duché, Bailliage et Prévôté d’Orléans, et ressort d’iceux, Paris u. a. 1780, S. 400 f. („héritage“); T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 129, 133 („heritage“); E. Pallu, Coustumes du Duche et Bailliage de Touraine anciens ressorts et enclaves d’iceluy, Tours 1661, S. 321 („heritage“); dagegen sprechen andere Coutumes in die­ sem Zusammenhang von „maison“ und „heritage“, vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 231 f.; A. Brice, Coutumes générales de la ville de Metz et pays messin, Metz 1730, S. 362. 335  Zum germanischen Gesamteigentum im Zusammenhang mit der Markgenos­ senschaft, der Belehnung zur gesamten Hand wie dem Prinzip der Ganerbschaft L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 80 ff., 145 ff., 152 ff.

606

E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

während dagegen die markeigene Allmende im Gesamteigentum der Mark­ genossen als Gesamtheit gestanden hatte.336 Den Anteil an der Allmende konnte dabei nur der Teilhaber beanspruchen, der auch über ein eigenes Ge­ höft verfügte.337 Diese gewohnheitsrechtliche Pertinenz wie sie auch bei den Ganerbschaften zum Vorschein kam, konservierte sich und lebte in den Her­ bergen als ausgeschiedenen Gebäudebestandteilen in der Form des Stock­ werkseigentums wieder auf.338 Dabei bildeten familien- und erbrechtliche Teilungen,339 aber auch die zunehmende Raumnot in den Ballungszentren340 336  Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (153 ff.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körper­ schaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 215 f., 222. 337  L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 156  ff., 167; Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (151 ff.); H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österrei­ chische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (8 f. m. w. N. auf S. 9 mit Fn. 2). 338  So auch bereits R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 34 ff.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 586 f.; F. Alsdorf, Un­ tersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshisto­ rische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 184; vgl. L. Duncker, Das Gesammt­ eigenthum, Marburg 1843, S. 146 ff. 339  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 47 f.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Sa­ vigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (95 ff.) m. w. N.; T. Steimle, Empfiehlt sich die Wiedereinführung des Stockwerkeigentums? – Unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Württemberg, Archiv für civi­ listische Praxis 1938 (144), 343, (345); E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 19; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berück­ sichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 9 f.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 586 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 27, 29; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126); ders., Das „Keller­ recht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987 (18), 76, (77); S. Saar/V. Diedrich, Die Preußische Teilung – ein Fall praktischer Rechtsgeschichte, JA 1983, 415, (416); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerks­ eigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 10 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 258 ff. 340  H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichti­ gung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 3 f., 6; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 20; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Fest­



IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen607

die wesentlichen Gründe für das Entstehen neuer genossenschaftlicher Ver­ bandsstrukturen. Wie sich unter anderem aus dem altfranzösischen droit coutumier ergibt, standen die Herbergen später weiterhin im delegierenden Zusammenhang mit einem lehens- oder grundherrschaftlich bedingten domi­ nium directum, dessen Kehrseite ein gebundenes Erbe als „héritage“ war.341 Es ging nun aber in der früheren Neuzeit in erster Linie um eine Beherber­ gung der heri multitudo, d. h. des Volkes, durch den Landes- bzw. Grundherrn als Obereigentümer.342 Dies bestätigt erneut die These, dass dem salischfränkischen Rechtsinstitut des Herbergsrechts eine obereigentümliche Anbin­ dung immanent war, womit sich ein Abgrenzungskriterium zu dem grie­ chisch-römischen Stockwerksrecht ergibt, nachdem im klassischen römischen Recht das Dogma eines dominium directum bis zuletzt nicht anerkannt war.343 Als positivrechtliche Ausformung erschien später die Vorschrift des Art. 664 des Code Napoléon,344 die in zahlreiche kodifizierte Privatrechts­

schrift für Ernst Carl Hellbling zum 70.  Geburtstag, Salzburg 1971, S.  587; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127). 341  R.-J. Pothier, Coutumes des Duché, Bailliage et Prévôté d’Orléans, et ressort d’iceux, Paris u. a. 1780, S. 400 f. („héritage“); T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 129, 133 („heritage“); E. Pallu, Coustumes du Duche et Bailliage de Touraine anciens ressorts et enclaves d’iceluy, Tours 1661, S. 321 („heritage“); dagegen sprechen andere Coutumes in diesem Zusammenhang von „maison“ und „heritage“, vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 231 f.; A. Brice, Coutumes générales de la ville de Metz et pays messin, Metz 1730, S. 362. 342  Vgl. J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149. 343  H. Pierer, Universal-Lexikon oder vollständiges encyclopädisches Wörterbuch, Band VI, Altenburg 1835, S. 454; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 f.) m. w. N. 344  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. Zoeppritz, Ueber das Stock­ werkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badi­ schen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 18; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Pri­ vatrechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 155; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stock­ werkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 591; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerksei­ gentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Ham­ burg 1997, S. 79. Die Norm des Art. 553 des Code civil enthielt andererseits mit der Anerkennung eines Sondereigentums an ausgeschiedenen Bestandteilen einer Sache, das auch einem anderen als dem Grundstückseigentümer zustehen konnte, eine posi­ tivrechtliche Ausnahme von dem römischen Grundsatz superficies solo cedit, die zu­ mindest in die Nähe der superficies kam.; vgl. Procès-verbaux du Conseil d’État, contenant la discussion du projet de code civil, Paris 1803, S. 94; P. Lecocq, Manuel de droit des biens, Band I: Biens et propriété, Brüssel 2012, Nr. 109; D. Schlimpert,

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

ordnungen Europas übernommen wurde.345 Denn diese Norm hat von ihrem materiellen Gehalt ihre Vorläufer in den nordfranzösischen Coutumes und beruht daher auf germanischem Gewohnheitsrecht.346 Aus dieser Vorschrift ergab sich implizit die Anerkennung eines Sondereigentums an einzelnen Einheiten eines Gebäudes, die auf einem fremden oder gemeinschaftlichen Grund und Boden bestehen konnten, womit der Rechtsgedanke eines Son­ dereigentums mit gemeinschaftlichem Miteigentum im Sinne der „mi­ toyenneté“ gesetzlich geregelt worden war, der dem römischen Recht fremd ist.347 Hintergrund ist der römischrechtliche Grundsatz superficies solo ce­ dit.348 Zudem ist der formale römische Rechtsbegriff absolut und lässt eine Integrale und funktionale Verbindungen aus Sachen im französischen und deutschen Recht, Göttingen 2015, S. 250. 345  C. van der Merwe, International encyclopedia of comparative law, Band 6,5: Property and trust, Chapter 5, Apartment ownership, Tübingen u. a. 1994, S. 6 m. w. N. 346  ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u.  a. 1840, S. 142; F. Hadrian/ J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neu­ ere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 96. L’article 216 de la Coutume d’Auxerre: „Si le bas d’une maison appartient à un particulier, et le haut à un autre, celui à qui appartient le bas est tenu de construiere et entretenir tous les mur de cette maison jusqu’à l’étage qui appartient à l’autre, et fournir les poutres, solives et aires ou plancher supérieur de sa dépendance; et le propriétaire du haute est tenu seulement du carreau au-dessus dudil plancher, et du restant des murs ainsi que de la couverture de ladite maison.“; zitiert nach ­J.-M.  Lahaye, ebd., S. 142. 347  J. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou commentaire et complément des codes Français, Band VIII, Paris 1827, S. 389; vgl. auch J. M. Boileux, Die Controversen des französischen Civilrechts nach dem Com­ mentaire sur le Code civil, Stuttgart 1841, S. 164 f. Siehe zu dem vom Grund und Boden losgelösten Sondereigentum an Gebäuden nach altdeutschen territorialen Rechten J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 71 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 40 ff. m. w. N.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privat­ rechts, 3. Aufl., Leipzig 1919, S. 153 f.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privat­ rechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 3. 348  H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und The­ orie, Berlin 1867, S. 114 ff.; Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), S.  211 ff.; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 415 f.; O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 283 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S. 40 ff. m. w. N.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter be­ sonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  11 ff.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württem­ bergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 10 ff., 40 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung



IV. Der urgermanische Ursprung des Stockwerksrechts als Sondereigen609

materielle Durchdringung nicht zu, weshalb auch bezüglich etwaiger Nut­ zungsrechte an einer Sache ausschließlich auf formale rechtliche Konstruk­ tionen abgestellt werden muss.349 Es wird von einer verbreiteten Ansicht dabei auch vertreten, dass der formale römische Rechtsbegriff der spätantiken Klassik in erster Linie auf eine individualistische Privatwirtschaft angelegt ist, während das germanische Grundeigentum mehr gemeinschaftlichen und sozialen Elementen zugänglich war.350 In diesem Sinne trat etwa bei den Germanen anstelle der individuellen privaten Wirts- und Gasthauskultur aus dem Römischen Reich die kollektive und gemeinbezogene Gemeinwirtschaft, die öffentlich-rechtliche Implikationen beinhaltete und deshalb auch in erster Linie von den Kirchen ausgeübt wurde, während das römische Gastwirt­ schaftsgewerbe trotz einzelner administrativer Maßnahmen in erster Linie im Rahmen des privaten Rechtskreises verhaftet blieb.351 Aufgrund der unter­ schiedlichen Rechtsdogmatik kann sich das römische Recht hinsichtlich des urfränkischen Herbergsrechts aber praktisch nur mit Hilfskonstruktionen wie einem Servitut, einem Superfiziarrecht, einem Erbbaurecht oder einer com­ munio indiviso im Sinne einer Miteigentumsgemeinschaft behelfen.352 Die der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 10; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sa­ chenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 13 f., 22 ff., 30 ff., 116; G. Freudling, Echtes alt­ rechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 f.); O. Bogenschütz, Das Stockwerkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126 ff.); R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 10 ff.; Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift betreffend Stockwerkseigen­ tum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rahmen des kommenden Woh­ nungsbaues, 1950, S. 4 f. 349  C. van der Merwe, International encyclopedia of comparative law, Band 6,5: Property and trust, Chapter 5, Apartment ownership, Tübingen u. a. 1994, S. 3 m. w. N.; S. Lohsse/M. Kaser, Römisches Privatrecht – ein Studienbuch, 22. Aufl., München 2021, S. 180. 350  Zum gegenwärtigen Meinungsstand und im Ergebnis die herrschende Ansicht relativierend S. Lohsse/M. Kaser, Römisches Privatrecht – ein Studienbuch, 22. Aufl., München 2021, S. 182. 351  W. Gerster, Beitrag zur Geschichte einiger Bezeichnungen für Gasthaus, be­ sonders fr. taverne – hôtel – auberge, in: Vox Romanica 1946, 47 (9), S. 76 ff. 352  C. v. Wächter, Ueber Theilung und Theilbarkeit der Sachen und Rechte, in: Archiv für die civilistische Praxis 1844 (27), 155, (177 ff. mit Fn. 34, 196 f.); Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren ein­ zelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (220 ff.); H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S.  117 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzelnen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für

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E. Die Herbergen im Lichte des Fränkischen Rechts

Existenz der früheren Norm des Art. 664 C.c. wie seine Verbreitung in ande­ ren europäischen Staaten bestätigt aber die Kraft des salisch-fränkischen Rechts, das sich als eigene Rechtsordnung über Europa verbreitet hatte.353 Der hinter dieser Vorschrift stehende Rechtsgedanke erwuchs aus den germa­ nischen Dorfgemeinschaften und ihren zunehmenden Verquickungen mit ei­ nem salisch-fränkischen Grundeigentum, das mehr war als eine formale Rechtsposition, nämlich ein umspannender Rechtsfaktor im Sinne eines herrschaftlich delegierten Nutzungsverbandes, dessen implizierte öffentlichrechtliche Elemente einschließlich eines konkreten Mitbestimmungsrechts des Obereigentümers zu einer Aufrechterhaltung der konkreten lehens- oder grundherrschaftlichen Form eines Guts führte und auf diese Weise zu dem genossenschaftlich strukturierten Gesamteigentum beitrug.354 Im Ergebnis sind die Herbergen aus der salisch-fränkischen Rechtstradition erwachsen, wie sie unter Karl dem Großen zu der Grundlage einer nationalen Verfas­ sungsordnung gemacht worden ist.355

Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (211 ff.); R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 17 f., 38 f. m. w. N.; T. Korn, Emil Kuntze – Leben und Werk eines Leipziger Juristen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2002, S.  206 ff. 353  Siehe zum Ganzen auch C. van der Merwe, International encyclopedia of comparative law, Band 6,5: Property and trust, Chapter 5, Apartment ownership, Tü­ bingen u. a. 1994, S. 3 ff. 354  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S.  176  ff.; J. C. Blunt­schli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S. 156 ff. Grundsätz­ lich zur Wirkkraft des salisch-fränkischen Rechts R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deutschen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savig­ny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1880 (1), 1, (11 ff.). 355  Vgl. R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deutschen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1880 (1), 1, (7 ff.).

F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern I. Die Kemptener Landtafeln aus dem Jahre 1738 Eine bedeutende Maßnahme auf dem Weg zu einem modernen Grund­ buchwesen stellten die unter dem Fürstabt Anselm Reichlin von Meldegg im Jahre 1738 eingeführten Landtafeln dar.1 Rechtsgrundlage für diese Neue­ rung war das von der Hochfürstlich Kemptischen Kanzlei verfügte Patent die Errichtung des Landtafelamts betreffend vom 15.04.1738, aus dem sich die dahinterstehende Intention ausdrücklich entnehmen lässt: „Auch und zu wissen seye andurch jedermänniglich, besonders denen, welchen daran gelegen, daß abseiten der Hochfürstlich Kemptischen Regierung die Nothwendigkeit zu seyn errachtet worden, in dasigem Fürstenthum zu mehrerer Sicherheit aller deren, so mit den Kemptischen Unterthanen zu handeln, oder auf andere Wege zu thun haben, eine ordentliche Landtafel oder Universal-SchuldBuch aufzustellen, und dabey eines jeden Unterthans-Vermögen entwerfen zu las­ sen, damit ein jeder wissen, und erfahren könne, ob und wieviel er diesem oder jenem ohne Gefahr und Bedenken darleihen, Creditiren und borgen durfte.“2

Die Landtafeln waren deshalb ein unter staatlicher Aufsicht stehendes öf­ fentliches Schuldbuch über unbewegliche Güter, in dem das Vermögen der Untertanen wie auch die Schulden vermerkt waren,3 um den Rechts- und

1  P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grundbuchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (422); G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (46); E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 85; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kemp­ ten, München 1951, S. 30. 2  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bür­ gerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 38 (Nro. V). 3  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bür­ gerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XXXIX; N. Th. v. Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 85; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 30 ff.

612 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

Kapitalverkehr in Bezug auf liegende Güter sicherer zu gestalten.4 Daneben trat das Todtenbuch, in das die beweglichen Sachen der Untertanen eingetra­ gen wurden, um auch insoweit die Kreditfähigkeit der Untertanen zu verbes­ sern.5 Mit dem Institut der Landtafeln war der Klosterstaat Kempten der erste moderne Staat, der ein umfassendes Immobiliarverzeichnis eingeführt hat, das zwar als Bestandsbuch der Liegenschaften den bereits seit dem 13. Jahrhundert bestehenden Vorbildern in den Landen der Wenzelskrone, d. h. im Königreich Böhmen und in der Markgrafschaft Mähren, von der Idee her entsprach, über diese aber aufgrund des eintragungsfähigen Vermögens­ bestandes sämtlicher Untertanen hinausging, während in die Verzeichnisse in Böhmen und Mähren lediglich die „unmittelbar der Hoheit des Reiches un­ terworfenen Güter“ eingetragen worden waren.6 Für diese Aufgabe „der un­ tergerichtlichen Geschäfte der freywilligen Gerichtsbarkeit“ wurde ein be­ sonderes unmittelbar der Regierung unterstelltes Landtafelamt eingeführt, 4  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 30 f.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  60 ff. 5  Siehe hierzu L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  33 f.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 62; N. Th. v. Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 89; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 87. 6  P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grundbuchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (410 f., 422). Zu den Landtafeln im Königreich Böhmen und in der Markgrafschaft Mähren L. v. Haan, Studien über Landtafelwesen, Wien 1866, S.  2 ff.; H. Bartsch, Die Landtafel in ihrer gegenwärtigen Gestalt, Wien 1890, S. 2 ff.; vgl. auch N. Th. v. Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 86; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 85. Ab dem Jahre 1484 gab es bereits ein Münchener Grundbuch, welches insbesondere der Ein­ tragung von Ewiggeldern, Leibgedingen und persönlichen Servituten diente. „Für jedes Haus war darin vermerkt: Straßenname, Eigentümer, Eigentumsübertragungen und Belastungen, z. B. Ewiggelder (= Kauf eines Grundstücks gegen Zahlung einer Rente), Leibgedinge (= Nießbrauch mit Wohnrecht) und Servitute (= Dienstbarkei­ ten).“; Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Über 100 Jahre Grund­ buch – über 100 Jahre Rechtssicherheit, Stand 05/2008, München 2008, S. 4, 7, Zitat auf S. 7. Das Münchener Grundbuch blieb aber mit seinem Buchsystem wie auch die Kölner Schreinsakten als „Urkundensammlung über Verträge an Grundstücken“, die um das Jahr 1135 entstanden sind, auf den städtischen Kreis beschränkt und blieben deshalb auch gegenüber den im 18. Jahrhundert entstandenen Kemptener Landtafeln in ihrem Erfassungssystem begrenzt.; Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), ebd., S. 4, 6 f.; H. Bickmann, Grundstückserwerb nach deutschem, spani­ schem und italienischem Recht – eine rechtsvergleichende Untersuchung, Göttingen 2012, S.  36 ff. m. w. N.



I. Die Kemptener Landtafeln aus dem Jahre 1738613

dem fortan zunächst mit Ausnahme der erworbenen Herrschaften Binswan­ gen, Stein, Apfeltrang, Hezlinshofen und des unter österreichischer Herr­ schaft stehenden Ronsberg alle Einwohner und Untertanen sowie sämtliche im reichsfürstlichen Stift Kempten gerichtbaren Güter unterworfen waren.7 Ausgenommen von der Eintragungsobliegenheit waren zudem die gnädigste Herrschaft selbst sowie die fürstlichen Räte und Geistlichen, insofern die Räte und Geistlichen kein unter der Niedergerichtsbarkeit des Stifts stehen­ des unbewegliches Vermögen hatten.8 Befreit von der Intabulierung in die Landtafeln waren außerdem die herrschaftlichen eigentlichen Pachtgüter.9 Die Landtafeln im Fürststift Kempten waren in einen Nachweis des untertä­ nigen Aktivvermögens sowie ein Verzeichnis der auf dem Besitz lastenden Schulden gegliedert.10 Das Immobiliarvermögen wurde für jeden Untertanen nach dem Grundsatz der Gesamtmasse aufgelistet, d. h., wenn bereits meh­ rere Grundstücke und Häuser vorhanden waren, wurden diese als unzertrenn­ bare Masse in der Landtafel vermerkt, wobei der entsprechende Steueran­ schlag mit angezeigt und in den Fällen des Zuerwerbs bzw. der Veräußerung die entsprechende Steuer angepasst wurde.11 Die Landtafeln waren im Ergeb­ nis eine Übersicht der bisherigen Besitzer mit ihren Gütern und nach diesem Prinzip auch geordnet.12 Da diese Besitz- und Hypothekenbücher der Sicher­ heit des Rechts- und Kapitalverkehrs dienen sollten, waren die Untertanen als Gläubiger sogar ohne Angabe eines berechtigten Interesses und auch ohne Vorwissen des Schuldners berechtigt, Einsicht in die jeweilige Land­ 7  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XXXIX; N. Th. v. Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 85; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 34, 37. Zum Geschäftsbe­ reich des Kemptener Landtafelamtes J. B. Renz, ebd., S. IV f.; E. Hammer, Die Ge­ schichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 87. 8  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XL. 9  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XL. 10  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XL ff. 11  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XLIII. 12  N. Th. v. Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 91 f.

614 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

tafel zu nehmen.13 Diese im modernen Sinne als Akteneinsichtsrecht zu be­ zeichnende Befugnis der Gläubiger wurde dann von der Möglichkeit beglei­ tet, Forderungen auch ohne die Beiziehung des Schuldners und einen ent­ sprechenden Eintragungskonsens anzumelden, wobei die erstangemeldete im Rang den sonstigen vorging.14 Bei lehensbedingten Herbergen bestand inso­ weit die Besonderheit, dass sie oftmals nur teilweise mit dem Lehensverband behaftet waren, was vor allem für die später regelmäßig in einem gebundenen freien Eigentum stehenden Herbergen selbst galt, die fürstliche Herrschaft sich aber dennoch als berechtigt ansah, die Intabulierung erst nach dem Vor­ liegen des lehensherrlichen Konsenses mit der obereigentümlichen Obrigkeit zuzulassen.15 Dahinter stand der Gedanke, dass die Herrschaft ihre an dem Grund und Boden haftende Steuerlast gesichert wissen wollte, weshalb auch die formal von der Anmeldung befreiten herrschaftlichen Erbpachtgüter gleichwohl in der Praxis erfasst wurden, indem die zuständigen Finanzstellen das mit diesen verbundene Pfandrecht regelmäßig haben eintragen lassen.16 Bei einem Lehen konnte deshalb, wenn der Steueranschlag aus 500 fl. Eigen, 300 fl. Lehen und 200 fl. Emphyteuse bestand, zunächst auf das Eigen und die Emphyteuse, dann erst auf das Lehen mit dem entsprechenden Lehens­ konsens intabuliert werden, während der Konsens von Beginn an vorliegen musste, wenn es sich um ein reines Lehensgut handelte.17 Neben der Verbes­ serung des untertänigen Rechtsverkehrs mit liegenden Gütern stand bei den Landtafeln auch das staatliche Ziel im Vordergrund, einen genauen Überblick über Vermögen, Besitzstände und entsprechende Lasten zu besitzen, um die Boden- und Siedlungspolitik in der Kemptener Fürstabtei auch mit Blick auf das Erfordernis einer ländlichen Vereinödungspolitik voranzutreiben.18 Aus 13  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, XLIV. 14  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, XLV; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 88 f. 15  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, CL ff. 16  N. Th. v. Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 98 f. 17  N. Th. v. Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 98 f. 18  P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grundbuchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (422); H. Troll, Die Landtafel des Fürststifts Kempten – ein Vorläufer des modernen Grundbuchs, Allgäuer Geschichtsfreund 1973, S. 81 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 60 ff.; vgl.



I. Die Kemptener Landtafeln aus dem Jahre 1738615

diesem Grund bestanden später gesetzliche Pflichten der Untertanen, die Landtafeln auf dem aktuellen Stand zu halten, aber auch hoheitliche Anwei­ sungen, unter bestimmten Umständen von Amts wegen einzuschreiten, wenn dies nicht der Fall war.19 Die Landtafelverordnung der reichsfürstlichen Re­ gierung vom 06.08.1768 brachte zwar Änderungen, sie wurde aber wenige Jahre nach ihrer Einführung teilweise wieder aufgehoben, so dass das Land­ tafelwesen in der Kemptener Fürstabtei bis zur Auflösung des Stifts in erster Linie auf der Gesetzgebung des Jahres 1738 beruhte.20 Dieser Vorläufer des modernen Grundbuchwesens galt unter der Herrschaft des Königreichs Bay­ ern zunächst fort.21 Im Zusammenhang mit den Herbergen sind die Land­ tafeln heute eine bedeutende Erkenntnisquelle, wenn die vormaligen Besitz­ stände, aber auch der eigentumsrechtliche Status des oftmals noch auf unter­ schiedlichen Rechtsinstituten wie Lehen, Emphyteuse oder superfiziarischem Recht beruhenden Grund- und Gebäudebesitzes aufgeklärt werden sollen.22 Zwar sind die Landtafeln nicht vollständig überliefert.23 Dennoch können sie

T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (28 ff.); G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahr­ hundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u.  a. 2018, S. 357 ff. In funktionaler Hinsicht musste ein entsprechender Antrag auf Vereinödung im Fürststift Kempten bei der fürstlichen Hofkammer gestellt werden.; so T. Horst, ebd., S.  30 m. w. N. 19  N. Th. v. Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 92 ff. 20  N. Th. v. Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 88 ff.; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 86 ff. 21  P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grundbuchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (425). 22  Siehe hierzu etwa die Eintragungen in den Landtafeln zu den damaligen im Fürststift Kempten angesiedelten Herbergen 8 a, b und c uff der Rotach, wo in den Landtafeln der Gemeinde St. Lorenz vermerkt war, dass es sich bei den Herbergen 8 a und b um zwei „aigen 1/2 Haus“ handelte, während die Herberge 8 c mit „1 Häusle“ beschrieben wurde. Die geteilten Stockwerke der Herbergen 8 a und b wur­ den im 19. Jahrhundert auch als einzelne Wohneinheiten mit „hat eigne Hörberg“ beschrieben, woraus sich im Ergebnis auch Anhaltspunkte für die rechtliche Eigen­ schaft der Herbergen als „Eigen“ ergibt.; vgl. StAA, Fürststift Kempten, Landtafel­ amt, Bände 152; StAA, Fürststift Kempten, Landtafelamt, Bände 164, Eintragsnum­ mer 82. 23  P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grundbuchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (424 f.).

616 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

zur Überprüfung der später im Grundsteuerkataster mit seinen Nebenkatas­ tern vorgenommenen Eintragungen beitragen.24

II. Die Urkatastervermessung Mit der Auflösung der Kemptener Fürstabtei im Zuge der Säkularisation im Jahre 1803 fiel das ehemalige reichsfürstliche Hoheitsgebiet an das spä­ tere Königreich Bayern.25 Noch am Ende des 18. Jahrhunderts war der bayerische Staat lediglich ein uneinheitliches Konglomerat aus über 70 Ter­ ritorien, was sich mit dem Reichsdeputationshauptschluss im Jahre 1803 noch verschärfte, als die für den Verlust der ehemaligen linksrheinischen bayerischen Gebiete von Frankreich als Kompensation zugesicherten ehema­ ligen geistlichen Gebiete wie etwa auch des Hochstifts Augsburg und des Fürststifts Kempten hinzukamen.26 Das Kurfürstentum Bayern und ab dem Jahre 1806 dann das Königreich Bayern standen deshalb bereits am Ausgang des 18. Jahrhunderts vor der Aufgabe einer staatsrechtlichen wie territorialen Reform, die in ein einheitliches und zentralisiertes Staatswesen münden ­sollte.27 Hintergrund für die Bestrebungen, aus dem „Fleckerlteppich“ aus verschiedenen Territorien, Rechten, Traditionen und Gewohnheiten einen einheitlichen und gemeinsamen Staat zu formen, waren nicht zuletzt finan­ zielle Gründe, weil die bayerische Monarchie aufgrund der entstandenen Kriegslasten im napoleonischen Europa auf Geldmittel dringend angewiesen war.28 Damit aber ein einheitliches Steuersystem eingeführt werden konnte, bedurfte es zunächst einheitlicher Bemessungsgrundlagen, womit die Lan­ 24  Vgl. G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bay­ ern, ZfV 1878 (3), 145, (156 ff.). 25  F.-R. Böck, Die Säkularisation des Fürststifts Kempten, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 398 ff.; vgl. W. Pötzl, Brauchtum im Landgericht und Bezirksamt Kempten im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Allgäuer Geschichtsfreund 1989 (89), S. 79 m. w. N.; zum Reichsdeputationshauptschluss aus der Sicht der bay­ erischen Monarchie M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Haus der Bayeri­ schen Geschichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Band 26, Augsburg 2001, S. 9  ff.; allgemein Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S.  119 ff. 26  M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Haus der Bayerischen Ge­ schichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Band 26, Augsburg 2001, S. 11; vgl. auch Ch. Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2009, S. 119 ff. 27  M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Haus der Bayerischen Ge­ schichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Band 26, Augsburg 2001, S. 11. 28  M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Haus der Bayerischen Ge­ schichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Band 26, Augsburg 2001, S.  11 f.



II. Die Urkatastervermessung617

desvermessung in den Mittelpunkt des Interesses rückte.29 Erste wissen­ schaftliche Ansätze hierzu hatte es im Kurfürstentum Bayern schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gegeben.30 Erst aber unter französischnapoleonischem Einfluss wurden dann schließlich im späteren Königreich Bayern um die Wende zum 19. Jahrhundert die ersten wesentlichen Vorberei­ tungen für eine katastermäßige Erfassung von Liegenschaften getroffen, die unter den Verwaltungsreformen des im Geiste der Aufklärung stehenden Bayerischen Staatsministers Maximilian Graf von Montgelas den Grundstein für eine einheitliche Landesvermessung und Katastrierung des gesamten bay­ erischen Staatsgebiets legen sollten.31 Angelehnt an die französischen Ideen einer messtechnischen territorialen Erfassung des Raumes32 und unter Verwendung eigener wissenschaftlicher Methoden entwickelte sich im Königreich Bayern eine auf der Grundlage der trigonometrischen Geometrie33 beruhende einheitliche Landesvermessung, 29  C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S.  11 ff.; A. Fuchs, Wie alles begann, in: Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, Abteilung Vermessung, Informations- und Kommunikationstechnik (Hrsg.), Es ist ein Maß in allen Dingen – 200 Jahre Bayerische Vermessungsverwaltung 1801–2001, München 2001, S. 35; vgl. J. v. Koch-Sternfeld, Über das Urkataster des Königrei­ ches Bayern behufs der allgemeinen Grund- und Häuser-Steuer; zunächst in seiner historisch-topographischen Begründung, München 1828, S. 1 ff. 30  A. Kraus, Die naturwissenschaftliche Forschung an der Bayerischen Akade­ mie der Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung, München 1978, S. 166 ff.; A. Fuchs, Wie alles begann, in: Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, Abtei­ lung Vermessung, Informations- und Kommunikationstechnik (Hrsg.), Es ist ein Maß in allen Dingen – 200 Jahre Bayerische Vermessungsverwaltung 1801–2001, Mün­ chen 2001, S. 26 ff. 31  M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Haus der Bayerischen Ge­ schichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Band 26, Augsburg 2001, S.  9 ff.; A. Fuchs, Wie alles begann, in: Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, Abteilung Vermessung, Informations- und Kommunikationstechnik (Hrsg.), Es ist ein Maß in allen Dingen – 200 Jahre Bayerische Vermessungsverwaltung 1801–2001, München 2001, S. 26 ff; vgl. G. Nagel/A. Pfannenstein, Das Bayerische Landesver­ messungsamt – Gegenwart und Perspektiven, in: Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, Abteilung Vermessung, Informations- und Kommunikationstechnik (Hrsg.), Es ist ein Maß in allen Dingen – 200 Jahre Bayerische Vermessungsverwaltung 1801–2001, München 2001, S. 16. 32  Zur für andere Staaten vorbildlichen Landesvermessung in Frankreich W. Torge, Geschichte der Geodäsie in Deutschland, 2. Aufl., Berlin u. a. 2009, S. 111 f. 33  Zum Ganzen J. G. Stenglein, Erläuterungen über das definitive GrundsteuerKataster im Königreiche Bayern, Bamberg 1855, S. 7 ff. Siehe hierzu auch die spätere Instruction für die allgemeine Landesvermessung zum Vollzuge des Grundsteuerge­ setzes betreffend, Königliche Verordnung von Ludwig I. von Gottes Gnaden König von Bayern vom 20.02.1830, Baierisch-Königliches Regierungsblatt 1830, Bei­ lage VIII. Zur Bedeutung der Geodäsie für die bayerische Landesvermessung

618 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

die anfangs in erster Linie auf die Erstellung von Katasteraufnahmen hin­ sichtlich des gesamten bayerischen Staatsgebiets ausgerichtet war.34 Bereits mit landesherrlichem Dekret vom 19.06.1801 hatte der Kurfürst Maximi­ lian IV. Joseph und spätere Bayerische König Maximilian Joseph I. das To­ pographische Büro eingerichtet und dieses mit der topographischen Auf­ nahme des Landes beauftragt.35 Dem Topographischen Büro war das unselb­ ständige Bureau de Cadastre angeschlossen, das ab dem Jahre 1808 zu einer eigenen Behörde in der Form der Steuervermessungskommission geworden war und dann später ab dem Jahre 1811 den Namen Steuerkatasterkommis­ sion führte.36 Diese neue Kommission hatte die Aufgabe, sämtliche Grund­ stücke des Königreichs Bayern zu vermessen und das Steuerkataster aufzu­ F. Past/M. Seeberger, Streiflichter über technische Wechselwirkungen im Bereich des Vermessungswesens, in: Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, Abteilung Ver­ messung, Informations- und Kommunikationstechnik (Hrsg.), Es ist ein Maß in allen Dingen – 200 Jahre Bayerische Vermessungsverwaltung 1801–2001, München 2001, S.  38 ff. 34  Siehe allgemein zur Entstehungsgeschichte des bayerischen Vermessungswe­ sens A. Kraus, Die naturwissenschaftliche Forschung an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung, München 1978, S. 166 ff.; M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Haus der Bayerischen Geschichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Band 26, Augsburg 2001, S. 9 ff.; W. Torge, Ge­ schichte der Geodäsie in Deutschland, 2. Aufl., Berlin u. a. 2009, S. 113 ff.; F. Past, Dr. Johann Georg von Soldner, Schöpfer der wissenschaftlichen Grundlagen der bayerischen Landesvermessung, in: K. Kröger (Hrsg.), Wegbereiter in der deutschen Landesvermessung, Stuttgart 1999, S. 93 ff.; K.-H. Zweckerl, Erster urkundlicher Be­ sitznachweis, der Urkataster, in: J. Dietz (Hrsg.), Chronik der Juradörfer, Weiden 2012, S. 32 ff. Grundsätzlich zu den Anforderungen an die Erstellung eines Urkatas­ ters mit Blick auf die historisch indizierten Bedingungen und unter Berücksichtigung des damaligen Stands der Wissenschaft J. v. Koch-Sternfeld, Über das Urkataster des Königreiches Bayern behufs der allgemeinen Grund- und Häuser-Steuer; zunächst in seiner historisch-topographischen Begründung, München 1828, S. 1 ff., zu den „sich gegenseitig fördernde(n) und bedingende(n) Geschäftskreise (Competenzen)“ S. 4 ff. 35  F. Past, Dr. Johann Georg von Soldner, Schöpfer der wissenschaftlichen Grundlagen der bayerischen Landesvermessung, in: K. Kröger (Hrsg.), Wegbereiter in der deutschen Landesvermessung, Stuttgart 1999, S. 93; A. Fuchs, Wie alles be­ gann, in: Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, Abteilung Vermessung, Infor­ mations- und Kommunikationstechnik (Hrsg.), Es ist ein Maß in allen Dingen – 200 Jahre Bayerische Vermessungsverwaltung 1801–2001, München 2001, S. 35 ff; G. Nagel/A. Pfannenstein, Das Bayerische Landesvermessungsamt – Gegenwart und Perspektiven, in: Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, Abteilung Vermessung, Informations- und Kommunikationstechnik (Hrsg.), Es ist ein Maß in allen Dingen – 200 Jahre Bayerische Vermessungsverwaltung 1801–2001, München 2001, S. 16. 36  F. Past, Dr. Johann Georg von Soldner, Schöpfer der wissenschaftlichen Grundlagen der bayerischen Landesvermessung, in: K. Kröger (Hrsg.), Wegbereiter in der deutschen Landesvermessung, Stuttgart 1999, S. 93 f.; vgl. C. Finweg, Aus­ führliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S. 13 ff.



II. Die Urkatastervermessung619

stellen.37 Dies war notwendig, um einen einheitlichen Maßstab für die wichtigste Einnahmequelle der Grundsteuer zu erhalten, nachdem es bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 114 inkohärente Besteuerungssysteme in den unterschiedlichen Territorien gegeben hatte, die zu Ungerechtigkeiten bei der Erhebung der Steuer geführt haben.38 Als im Jahre 1865 die Steuerkataster­ kommission ihre Aufgabe verwirklicht hatte, waren für das gesamte König­ reich Bayern einschließlich der bayerischen Pfalz „über 21 Millionen Grund­ stücksparzellen in den Maßstäben 1:5000 und 1:2500 zeichnerisch vermes­ sen, deren Nutzungsart, Ertragsfähigkeit, Flächengröße und Eigentümer er­ mittelt, in den Katasterbüchern von damals 8.493 Steuergemeinden registriert und auf 25.764 Messtischblättern“ als den sogenannten Uraufnahmen do­ kumentiert.39 Dieser Urkataster, oder auch Grundsteuerkataster,40 der die Besitzstände detailliert wiedergibt und auch als Verfassung des modernen bayerischen Grundbuchwesens bezeichnet werden kann, beruhte letztlich auf Liquidationsverhandlungen bei den Königlichen Rentämtern, in deren Rah­ men die Eigentümer die detaillierten Beschreibungen ihres Eigentums ange­ ben und anerkennen mussten,41 wobei sie innerhalb bestimmter Fristen auch etwaige Reklamationen erheben konnten, nachdem die dem Urkataster zukommende Beweiskraft später in Bezug auf die Richtigkeit der Eintragun­ gen als unantastbar vorausgesetzt wurde.42 Daneben gab es noch einen 37  F. Past, Dr. Johann Georg von Soldner, Schöpfer der wissenschaftlichen Grundlagen der bayerischen Landesvermessung, in: K. Kröger (Hrsg.), Wegbereiter in der deutschen Landesvermessung, Stuttgart 1999, S. 93 f. Siehe zur Anfertigung der Steuergemeindepläne G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerka­ taster in Bayern, ZfV 1878 (3), 145, (145 f.). 38  Siehe nur M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Haus der Bayerischen Geschichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Band 26, Augsburg 2001, S.  11 f.; W. Torge, Geschichte der Geodäsie in Deutschland, 2. Aufl., Berlin u. a. 2009, S.  113 f. 39  K.-H. Zweckerl, Erster urkundlicher Besitznachweis, der Urkataster, in: J. Dietz (Hrsg.), Chronik der Juradörfer, Weiden 2012, S. 32. 40  C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S. 67; G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), S. 145. 41  Umfassend zur Liquidation und zu den entsprechenden Reklamationen gegen diese C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S.  65 ff.; vgl. G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bay­ ern, ZfV 1878 (3), 145, (154 ff.). 42  Zu den Liquidationsverhandlungen J. G. Stenglein, Erläuterungen über das defi­ nitive Grundsteuer-Kataster im Königreiche Bayern, Bamberg 1855, S. 38 ff. Zu der Beweiskraft des Urkatasters C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zuläs­ sigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Ka­ taster, Kempten 1837, S. 65  ff., v.  a. S. 67; J. G. Stenglein, Erläuterungen, ebd.,

620 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

Umschreibkataster.43 In der damaligen vermessungsrechtlichen Terminologie wurde eine Umschreibung allgemein definiert als „die immerwährende materielle und formelle Fortführung und Evidenthaltung des Catasters für jeden gültigen Veränderungs-Fall, welcher sich, vom Tage des Ab­ schlusses und der völligen Richtigstellung des Catasters anfangend, auf was immer für eine Art u. Weise hinsichtlich der wechselnden Besitzer, des Umfanges, des Besitzstandes oder der Reallasten und der besonderen Eigenthümlichkeit der Steuer-Objekte, in der Zeit-Folge (…) (ergeben sollte); – dergestalt, daß das UrCataster die erste Gegenwart, das Umschreib-Cataster das geschichtliche Ergebniß der Aenderungen; beyde zusammen aber demnach den Stand der jedesmaligen letzten Gegenwart im Ganzen und in den Theilen klar und anschaulich darstellen (sollten).“44

Nach § 73 der Instruction für die Liquidierung, Catastrierung und Um­ schreibung der definitiven Grundsteuer als Anlage der Königlichen Verord­ nung von Ludwig von Gottes Gnaden König von Bayern vom 19.01.1830 bildeten die Grundlage für Umschreibungen die von den Königlichen Rentoder Steuerkontrollämtern zu führenden Umschreibungsprotokolle.45 Ent­ scheidend war aber, dass nicht sämtliche Änderungen in den Urkataster, dessen Richtigkeit mit Beweiskraft vermutet wurde, übernommen werden konnten bzw. durften, sondern nach § 70 der vorbezeichneten königlichen Instruktion S.  68 ff.; E. Kumpf, Der § 95 des Bayerischen Grundsteuergesetzes vom 15.08.1828 und die Beweiskraft des Grundsteuerkatasters, J. Seuffert’s Blätter für Rechtsanwen­ dung zunächst in Bayern, Band XII, Erlangen 1847, S. 188 ff.; vgl. zum Ganzen auch G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), 145, (145 ff.). „(…) als nach Umfluß dieses Termines nach dem gedachten § 95 des (…) Gesetzes das Grundsteuerkataster so wie das mit demselben in Verbindung stehende Umschreibkataster, in so ferne sie die gesetzlichen Erfordernisse haben, als Saal- und Lagerbuch mit Beweiskraft, nicht nur in Anlehnung der Steuerverhältnisse, sondern auch über die Rechte und Verbindlichkeiten der Betheiligten für die Zukunft gelten; und sonach durch die Versäumung dieses Termines unwiderbringliche Nach­ theile entstehen würden.“; C. Finweg, ebd., S. 67, Hervorhebungen im Original. 43  C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S. 67; G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), 145, (158 f.). 44  Siehe hierzu die Instruction für die Liquidierung, Catastrierung und Um­ schreibung der definitiven Grundsteuer als Anlage zur Königlichen Verordnung von Ludwig von Gottes Gnaden König von Bayern; Instructionen zum Vollzug des Grundsteuer-Gesetzes betreffend, vom 19.01.1830, Baierisch-königliches Regierungs­ blatt, S. 352. 45  Instruction für die Liquidierung, Catastrierung und Umschreibung der defini­ tiven Grundsteuer als Anlage zur Königlichen Verordnung von Ludwig von Gottes Gnaden König von Bayern; Instructionen zum Vollzug des Grundsteuer-Gesetzes be­ treffend, vom 19.01.1830, Baierisch-königliches Regierungsblatt, S. 354 ff.



II. Die Urkatastervermessung621 „blos die Berichtigungen der Steuermehrungen oder Minderungen durch Reclama­ tions Bescheidung, indem das Urkataster, wenn gleich an sich völlig zur Perception abgeschlossen, hinsichtlich der Steuer erst nach Bescheidung der Reclamationen als bleibend und fest berichtigt (…) (erschienen ist).“46

Diese im Wege der Reklamation herbeigeführten Berichtigungen mussten aber „in gleichförmiger Cataster-Normalschrift mit rother Tinte“ durchge­ führt werden.47 Im Zusammenhang mit den Herbergen in der Kemptener Fürstabtei sind die damals angefertigten Uraufnahmen ein bedeutendes Erkenntnismittel, weil sie topographisch den konkreten Standort der auf ­ ­einem konkreten Grundstück erbauten Herberge wiedergeben, der vor der Landesvermessung, als es noch keine Grundstücks-, Plan- und Hausnummern gab,48 nur ganz unzureichend ermittelt werden konnte.49 Der vollständige Grundsteuerkataster gibt andererseits auch die Besitzstände wieder, wie sie sich unter Anerkennung der damaligen Eigentümer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Abschluss der Katasterarbeiten im Königreich Bay­ ern im Jahre 1865 darstellten.50 Neben sonstigen Urkunden, die über etwa­ ige Rechtsgeschäfte in Bezug auf die Herbergen Auskunft geben können, wie beispielsweise alte Kaufverträge, Schenkungsurkunden u.  Ä., stellt der 46  Instruction für die Liquidierung, Catastrierung und Umschreibung der defini­ tiven Grundsteuer als Anlage zur Königlichen Verordnung von Ludwig von Gottes Gnaden König von Bayern; Instructionen zum Vollzug des Grundsteuer-Gesetzes be­ treffend, vom 19.01.1830, Baierisch-königliches Regierungsblatt, S. 354. 47  Die Berichtigungen erfolgten in roter Farbe (Karmin); Instruction für die Li­ quidierung, Catastrierung und Umschreibung der definitiven Grundsteuer als Anlage zur Königlichen Verordnung von Ludwig von Gottes Gnaden König von Bayern; Instructionen zum Vollzug des Grundsteuer-Gesetzes betreffend, vom 19.01.1830, ­ Baierisch-königliches Regierungsblatt, S. 354. 48  Vgl. J. G. Stenglein, Erläuterungen über das definitive Grundsteuer-Kataster im Königreiche Bayern, Bamberg 1855, S. 11 ff. 49  Vgl. G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bay­ ern, ZfV 1878 (3), S. 145 ff. 50  C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S.  65 ff.; G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), S. 145 ff. Die Herbergen 8 a, b und c uff der Rotach im ehemaligen Fürststift Kempten wurden im Grundsteuerkataster (StAA, Grundsteuerkataster (Urka­ taster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837, Rentamt Kempten Katas­ ter 940 II, fol. 344–347) wie folgt beschrieben: Herberge 8 a: „Lit. A Ein Herberge Gebäude Pl.-Nr. 1718* ein Hausantheil mit gemeinschaftlichem Hofraum bestehend zu ebe­ ner Erde aus einer Stube, zwei Kammern, einem Hausgang, Holzschupfe und Keller 1/2 Antheil mit HsNr. 8 b und c g.Fl. 0 Tgw 05 Dezm Pl.-Nr. 1716 Würzgarten“ Herberge 8 b: „Lit. A Ein Herberge

622 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

Grundsteuerkataster die historische Grundlage dar, auf welche die konkreten Eigentumsbestände im gerichtlichen Streitfalle zurückbezogen werden kön­ nen.51 Das Grundsteuer-Definitivum im Königreich Bayern, d. h., dass das einmal vorhandene Steuersimplum festgestellt war und als Bemessungsgrundlage Bestand hatte, und dessen Durchführung auf der Grundlage der königlich erlassenen Verordnungen und Instruktionen der Steuerkatasterkommission oblag, beruhte im Ergebnis auf bestimmten Grundsätzen hinsichtlich der Er­ fassung der Besitzstände im Urkataster.52 Danach wurde ein Gesamtbesitz von mehreren Teilhabern eines mit Herbergen ausgestatteten Gebäudes in Bezug auf die Nummerierung mit entsprechenden Hausnummern mit den Buchstaben a, b, c usw. gekennzeichnet, während ein geteilter Besitz dage­ gen durch Bruchzahlen wie ½ markiert wurde.53 Ein gemeinschaftlicher Besitz wurde regelmäßig mit einer verhältnismäßigen Zuordnung erfasst, d. h. z. B. mit Gebäude oder Haus zu 1/2, konnte aber auch mit einem adjek­ tivischen Zusatz erläutert werden, so dass ein gemeinschaftlicher Hofraum etwa abgekürzt als Hofraum zu 1/3 oder 1/3 Hofraum, aber auch als gemein­ schaftlicher Hofraum beschrieben werden konnte.54 Da Stockwerkseigen­ tum stets Miteigentum voraussetzt, sind die verhältnismäßigen Beteiligungen eine Bedingung für die Anwendbarkeit stockwerkseigentums- bzw. herbergs­ rechtlicher Normen.55 Von den einzelnen Herbergsbesitzern dagegen ge­ Pl.-Nr. 1718* Ein Hausantheil mit gemeinschaftlichem Hofraum und Holzlege, besteht im oberen Stock aus einer Stube, einer Stubenkammer, Nebenkammer und einem Keller und dem Dachboden, 1/2 Anteil mit Pl.Nr. 8 a c g. Fl. 0 Tgw. 0,5 Dez. Pl.-Nr. 1717 Würzgarten“ Herberge 8 c: „Lit. A Ein Herberge Gebäude Pl.-Nr. 1719 a Hausanteil mit gemeinschaftlichem Hofraum, bestehend in dem An­ bau aus einer Stube, zwei Kammern, einem Keller, Holzlege und Dachboden Gärten Pl.-Nr. 1719 b Würzgarten Pl.-Nr. 1209 Würzgarten in den Stöcken“. 51  Vgl. G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bay­ ern, ZfV 1878 (3), 145, (145 f.). 52  J. G. Stenglein, Erläuterungen über das definitive Grundsteuer-Kataster im Kö­ nigreiche Bayern, Bamberg 1855, S. 6; vgl. G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), S. 145 ff. 53  J. G. Stenglein, Das Grundsteuer-Definitivum im Königreiche Bayern nach sei­ ner neueren Einrichtung, Ein Hilfsbuch zur praktischen Fortführung, Bamberg 1855, S.  48 f.; G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), 145, (145 f.). 54  J. G. Stenglein, Das Grundsteuer-Definitivum im Königreiche Bayern nach sei­ ner neueren Einrichtung, Ein Hilfsbuch zur praktischen Fortführung, Bamberg 1855, S.  48 f. 55  Vgl. BayObLGZ 1967, 397, (400); BayOblGZ 1995, 413, (417).



II. Die Urkatastervermessung623

meinsam genutzte Flächen wurden im Urkataster und auch im späteren Hy­ pothekenbuch regelmäßig mit einem Stern an der Plannummer markiert.56 Die alten Sternplannummern konnten aber auch andere rechtliche Bedeutun­ gen haben, die sich oftmals nur im Gesamtzusammenhang der katastermäßi­ gen Eintragungen ermitteln ließen.57 In diesem Sinne wurde zu den an die Plannummern anzubringenden Sternen beispielsweise im Grundsteuerkataster der Steuergemeinde Waltenhofen aus dem Jahre 1837 ausgeführt, dass „Wechselgründe oder solche Objekte, welche gemeinschaftlich benützt und besessen werden, (…) mit einem Sternchen (*) bezeichnet und den Besitzer nach Maßgabe ihrer Antheile zugeschrieben (sind).“58 Der Stern zeigte folg­ lich an, dass ein Grundstück mehrfach gebucht war, wobei sich echtes Mitei­ gentum, ein Überbau, Stockwerkseigentum, etwaige Anteile an altrechtlichen Genossenschaften, ein Erbbaurecht, Dienstbarkeiten und auch rein schuld­ rechtliche Verhältnisse dahinter verbergen konnten.59 Anhaltspunkte für die Besitzverhältnisse können auch die Liquidationsprotokolle liefern, auch wenn diese gegenüber der Beweiskraft des Urkatasters nur subsidiär sind, d. h., bestehen etwaige Widersprüche zwischen Urkataster und Liquidations­ protokoll, geht der Urkataster vor, weil der Urkataster auf den Liquidations­ verhandlungen beruht und etwaige Reklamationen beispielsweise wegen der Nichteinhaltung der entsprechenden Anfechtungsfrist nicht unbedingt beach­ tet werden mussten.60 Die königliche Steuer-Kataster-Kommission hatte be­ reits am 02.08.1835 beschlossen, dass „(…) wenn Zwei oder Drei ein Haus abgetheilt oder unabgetheilt besitzen, jeder nur den ihn treffenden Theil der Steuer bezahlt, so kann bei der Arealbesteuerung 56  Siehe hierzu die Erklärung bei J. G. Stenglein, Das Grundsteuer-Definitivum im Königreiche Bayern nach seiner neueren Einrichtung, Ein Hilfsbuch zur praktischen Fortführung, Bamberg 1855, S. 48 f. 57  Vgl. Bayerische Dienstanweisung für die Grundbuchämter rechts des Rheins vom 27.02.1905; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 35. 58  Grundsteuerkataster der Steuergemeinde Waltenhofen aus dem Jahre 1837, StAA, Rentamt Kempten Kataster 950 I, S. 72. 59  Bayerische Dienstanweisung für die Grundbuchämter rechts des Rheins vom 27.02.1905; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 35. 60  E. Kumpf, Der § 95 des Bayerischen Grundsteuergesetzes vom 15.08.1828 und die Beweiskraft des Grundsteuerkatasters, J. Seuffert’s Blätter für Rechtsanwen­ dung zunächst in Bayern, Band XII, Erlangen 1847, S. 188 ff.; C. Finweg, Ausführli­ che Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S. 65 ff.; grundsätzlich zu der Liquidierung des Grundbesitzes und den geltenden Grundsätzen G. Kerschbaum, Ue­ ber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), 145, (154 ff.).

624 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern von zwei oder mehreren Besitzern eines Hauses nicht mehr, als die für das ganze Haus treffende Steuer abgefordert werden, es theilt sich sohin auch die Steuer nach Verhältnis der Antheile.“61

Hier zeigten sich bereits erste Ansätze einer Steuergerechtigkeit im König­ reich Bayern in der Form eines Prinzips der gleichen Besteuerung,62 so dass unter anderem auch über die konkreten von den Herbergsbesitzern zu ent­ richtenden Steuerbeträge Rückschlüsse auf einen gemeinschaftlichen Eigen­ tumsbestand gemacht werden können.63 Der Urkataster enthielt aber regelmäßig auch einen allgemeinen Vermerk zu den auf dem konkreten Besitzstand lastenden Steuern.64 Durch das Edikt das allgemeine Steuerprovisorium in der Provinz Baiern betreffend vom 13.05.1808, verordnet von Maximilian Joseph von Gottes Gnaden König von Baiern,65 wurde im Königreich Bayern eine erste Vereinheitlichung des bay­ erischen Steuerwesens eingeleitet, nachdem in den unterschiedlichen Territo­ rien mehrere Besteuerungssysteme mit verschiedenen Maßstäben vorge­ herrscht hatten.66 Danach sollte es ab dem 01.10.1808 in den bayerischen 61  Abgedruckt bei J. G. Stenglein, Das Grundsteuer-Definitivum im Königreiche Bayern nach seiner neueren Einrichtung, Ein Hilfsbuch zur praktischen Fortführung, Bamberg 1855, S. 50. 62  A. Barth, Lexikon der Bayerischen Gesetze, Verordnungen, Instruktionen und Reglementarverfügungen, Band XXXVIII: Steuer – Steuerprovisorium, Augsburg 1835, S. 13753; C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S.  11 ff. 63  Vgl. J. G. Stenglein, Das Grundsteuer-Definitivum im Königreiche Bayern nach seiner neueren Einrichtung, Ein Hilfsbuch zur praktischen Fortführung, Bamberg 1855, S. 50. Zu den Anforderungen an die Landesvermessung vor dem Hintergrund der heutigen Digitalisierung J. Frankenberger, Verantwortung und Subsidiarität – der Bayerische Weg im Vermessungswesen, in: Bayerisches Staatsministerium der Finan­ zen, Abteilung Vermessung, Informations- und Kommunikationstechnik (Hrsg.), Es ist ein Maß in allen Dingen – 200 Jahre Bayerische Vermessungsverwaltung 1801– 2001, München 2001, S. 10 ff. 64  Vgl. G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bay­ ern, ZfV 1878 (3), 145, (156 ff.), dort auch mit Ausführungen zum Haussteuerkatas­ ter; StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Katas­ ter 940 II, fol. 344–347. 65  Edikt das allgemeine Steuerprovisorium in der Provinz Baiern betreffend vom 13.05.1808, Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern, KöniglichBaierisches Regierungsblatt 1808, S. 1088; C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S. 13. 66  C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S.  11 ff.; M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Haus der Bayerischen Ge­



II. Die Urkatastervermessung625

Territorien statt der bisherigen Steuerarten nur noch vier Steuerkategorien geben, namentlich die Grund- oder Rustikalsteuer, die Haussteuer, die Domi­ nikalsteuer und die Gewerbesteuer.67 Insoweit unterlagen der Grund- oder Rustikalsteuer mitunter der Besitz an Gärten, Äckern, Weinbergen und Wie­ sen, wobei die öffentlichen Plätze, Straßen, Leinpfade, Kirchen- und Fried­ hofsgrundstücke sowie Hofräume von solchen Gebäuden, die auch nach § IV des Steuerediktes von der Haussteuer ausgenommen waren, nicht der Besteu­ erung im Sinne des Tatbestandes der Grund- und Rustikalsteuer unterfielen.68 Die Haussteuer fiel für sämtliche Wohngebäude in den Städten, in den Märk­ ten und auf dem Lande an, wenn sie nicht durch einen Komplexualanschlag, d. h. eine Gesamtveranlagung, im Rahmen einer anderen Steuerart mit erfasst wurde.69 Auch gab es im Königreich Bayern bis in das Jahr 1848 die Dominikalsteuer,70 der unter anderem die grundherrlichen Renten, die le­ hensherrlichen Gefälle sowie Grund- oder Bodenzinse unterlagen, und von den Herbergsbesitzern zusätzlich zur Rusikalsteuer an den lehens- oder grundherrschaftlichen Verleiher entrichtet werden mussten, der zunächst das

schichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Band 26, Augsburg 2001, S.  11 f.; W. Torge, Geschichte der Geodäsie in Deutschland, 2. Aufl., Berlin u. a. 2009, S.  113 f. 67  Edikt das allgemeine Steuerprovisorium in der Provinz Baiern betreffend vom 13.05.1808, Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern, KöniglichBaierisches Regierungsblatt 1808, 1088, (1093); vgl. C. Finweg, Ausführliche Erläu­ terungen über Art, Zulässigkeit und Entscheidung der Reklamationen gegen das defi­ nitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S. 12, 69. 68  Edikt das allgemeine Steuerprovisorium in der Provinz Baiern betreffend vom 13.05.1808, Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern, KöniglichBaierisches Regierungsblatt 1808, 1088, (1093 f.). 69  Edikt das allgemeine Steuerprovisorium in der Provinz Baiern betreffend vom 13.05.1808, Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern, KöniglichBaierisches Regierungsblatt 1808, 1088, (1094); A. Barth, Lexikon der Bayerischen Gesetze, Verordnungen, Instruktionen und Reglementarverfügungen, Band XXXVIII: Steuer – Steuerprovisorium, Augsburg 1835, S. 13752 f. Siehe zur Komplexualschät­ zung Instruktion zur Erhebung des Werths der steuerbaren Gegenstände, KöniglichBaierisches Regierungsblatt 1808, 1155, (1159 ff.). Siehe zum Haussteuerkataster G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), 145, (157 ff.). 70  J. G. Stenglein, Das Grundsteuer-Definitivum im Königreiche Bayern nach sei­ ner neueren Einrichtung, Ein Hilfsbuch zur praktischen Fortführung, Bamberg 1855, S. 21; C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entschei­ dung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S.  65 ff.; G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), 145, (154); vgl. T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Verein­ ödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (31).

626 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

Königreich Bayern war.71 Mit dem späteren Wegfall der Dominikalsteuer war dann der Eigentümer zur Entrichtung des vollen Grundsteuerbetrages verpflichtet.72 Die lehensherrlichen Gefälle waren ständige Abgaben in der Form von gemeinen Zinslehen, oder aber auch im Lehensvertrag individuell vereinbarte Lasten, wobei darunter auch unregelmäßig anfallende Lehenfallsoder Konsensgelder subsumiert werden konnten.73 Dabei ist zu berücksichti­ gen, dass durch das Edikt über die Lehen-Verhältnisse im Königreiche Baiern vom 07.07.1808 festgelegt worden war, dass fortan Lehen nur noch von der Krone in der Form von Mannslehen vergeben werden durften.74 Die Manns­ lehen unterschieden sich wiederum in Thronlehen, die von dem König selbst gegeben wurden, und in vom königlichen Lehenhofe im Namen des Königs verliehene Kanzleilehen.75 Für den herbergsrechtlichen Kontext ist aber ent­ scheidend, dass nach § 9 des Lehensedikts aus dem Jahre 1808 diejenigen Lehen, die bisher die Natur der Beutel-, Gemeinen-, Bauern- und Zinslehen hatten, zur weiteren Behandlung dem königlich-bayerischen Finanzministe­ rium übergeben wurden.76 Dabei sollten entsprechend § 11 solche Lehen, die sich nicht in die Kategorien der Thron- und Kanzleilehen einordnen ließen, die konkrete Lehenseigenschaft verlieren und in andere Grundverträge umge­ ändert bzw. alternativ auch vollständig allodifiziert werden.77 Für den Fall der gütlichen Ausgleichung bis zum 01.01.1810 wurde das Lehen schließlich 71  Edikt das allgemeine Steuerprovisorium in der Provinz Baiern betreffend vom 13.05.1808, Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern, KöniglichesBaierisches Regierungsblatt 1808, 1088, (1094). 72  J. G. Stenglein, Das Grundsteuer-Definitivum im Königreiche Bayern nach sei­ ner neueren Einrichtung, Ein Hilfsbuch zur praktischen Fortführung, Bamberg 1855, S. 21. 73  Siehe nur K. von Moy de Sons, Das Staatsrecht des Königreichs Bayern, Teil II: Verwaltungsrecht, Regensburg 1846, S. 250 f. 74  Edikt über die Lehenverhältnisse im Königreiche Baiern vom 07.07.1808, in: G. Döllinger, Verfassung des Königreichs Baiern mit den darin angeführten früheren königlichen Edikten und Verordnungen, Band  I, München 1818, S.  CXLI; L. v. Dresch, Grundzüge des bayerischen Staatsrechts, Ulm 1835, S. 465. 75  Edikt über die Lehenverhältnisse im Königreiche Baiern vom 07.07.1808, in: G. Döllinger, Verfassung des Königreichs Baiern mit den darin angeführten früheren königlichen Edikten und Verordnungen, Band  I, München 1818, S.  CXLI; L. v. Dresch, Grundzüge des bayerischen Staatsrechts, Ulm 1835, S. 465. Eine aus­ führliche Darstellung der Lehensgesetzgebung im Königreich Bayern aus dem Jahre 1808 findet sich bei Ph. Becker, Süddeutsche Lehensrechtsgesetzgebung im 19. Jahrhundert, Tübingen 2014, S. 78 ff. 76  Edikt über die Lehenverhältnisse im Königreiche Baiern vom 07.07.1808, in: G. Döllinger, Verfassung des Königreichs Baiern mit den darin angeführten früheren königlichen Edikten und Verordnungen, Band I, München 1818, S. CXLI f.; vgl. L. v. Dresch, Grundzüge des bayerischen Staatsrechts, Ulm 1835, S. 465 f. 77  Edikt über die Lehenverhältnisse im Königreiche Baiern vom 07.07.1808, in: G. Döllinger, Verfassung des Königreichs Baiern mit den darin angeführten früheren



II. Die Urkatastervermessung627

in bodenzinsiges Eigentum umgewandelt, was im Hypothekenbuch vermerkt wurde, wobei der Eigentümer den festgesetzten Bodenzins auch ablösen konnte.78 Der Bezugspunkt der provisorischen Dominikalsteuer war fortan der Bodenzins als Kompensation für das untergegangene lehensrechtliche Obereigentum des Königreichs Bayern.79 Mit dem späteren Gesetz, die Revi­ sion des Lehen-Edictes betreffend vom 15.08.182880 wurde die ausschließli­ che Umwandlungspflicht, insofern sich die in § 9 des Lehensedikts aus dem Jahre 1808 aufgeführten Beutel-, Gemeinen-, Bauern- und Zinslehen nicht in Thron- bzw. Kanzleilehen einordnen ließen, relativiert, so dass auch derartige Lehen aufrechterhalten bleiben konnten, nachdem es bis zu diesem Zeitpunkt Ausnahmen nur für bestimmte Arten von Lehen wie kleinere Ritterlehen ohne Gerichtsbarkeit gegeben hatte.81 In diesem Fall blieben die auf dem beibehaltenen Lehen lastenden Abgaben erhalten und waren dann die Grund­ lage der Dominikalsteuer, bis diese in der Folge des Ablösungsgesetzes aus dem Jahre 1848 aufgehoben wurde.82 Für den größten Teil der grundsätzlich für die ärmere Bevölkerungsschicht vorgesehenen Herbergen mit ihren Grundflächen83 galt aber damit, dass sie Anfang des 19. Jahrhunderts in der Folge des Lehensedikts aus dem Jahre 1808 regelmäßig in bodenzinsiges oder freies Eigentum umgewandelt wurden.84 Da die Horizontalteilung für königlichen Edikten und Verordnungen, Band I, München 1818, S. CXLII; vgl. L. v. Dresch, Grundzüge des bayerischen Staatsrechts, Ulm 1835, S. 465 f. 78  Edikt über die Lehenverhältnisse im Königreiche Baiern vom 07.07.1808, in: G. Döllinger, Verfassung des Königreichs Baiern mit den darin angeführten früheren königlichen Edikten und Verordnungen, Band I, München 1818, S. CXLII f.; vgl. auch L. v. Dresch, Grundzüge des bayerischen Staatsrechts, Ulm 1835, S. 465 f. 79  Beleuchtung des Ablösungsgesetzes vom 04.  Juni 1848, Augsburg 1848, S. 17. 80  Gesetz, die Revision des Lehen-Edictes betreffend vom 15.08.1828, Gesetzblatt für das Königreich Baiern 1828, Sp. 353 ff. 81  L. v. Dresch, Grundzüge des bayerischen Staatsrechts, Ulm 1835, S.  465  f. Siehe zur Revisionsgesetzgebung aus dem Jahre 1828 im Königreich Bayern hin­ sichtlich des Lehenediktes auch Ph. Becker, Süddeutsche Lehensrechtsgesetzgebung im 19. Jahrhundert, Tübingen 2014, S. 98 ff. 82  G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), 145, (154); vgl. T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Verein­ ödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (31) zur endgültigen Bauernbefreiung in Bayern im Jahre 1848. 83  P. Klimesch, Drunt in der grünen Au – Die Nockherstraße im Wandel der Zeit, Norderstedt 2014, S. 43. 84  Vgl. Edikt über die Lehenverhältnisse im Königreiche Baiern vom 07.07.1808, in: G. Döllinger, Verfassung des Königreichs Baiern mit den darin angeführten frühe­ ren königlichen Edikten und Verordnungen, Band I, München 1818, S. CXLI ff.; L. v. Dresch, Grundzüge des bayerischen Staatsrechts, Ulm 1835, S. 465 f. Zur allodi­ fizierten Lehensform K.-H. Spieß, Lehn(s)recht, Lehnswesen, in: A. Erler u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band II, Berlin 1978, Sp. 1737 f.;

628 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

gewerblich genutzte Gebäude zudem nicht ausgeschlossen war, war die Er­ hebung einer entsprechenden nach dem Steuerprovisorium vorgesehenen Gewerbesteuer in solchen Konstellationen möglich.85

III. Das Hypothekenbuch als Vorgänger des Grundbuchs (Art. 189 I EGBGB) Die wichtigste Erkenntnisquelle für die positivrechtliche Beurteilung von Stockwerkseigentum unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs bildet das im Königreich Bayern aufgrund des Hypotheken-Gesetzes vom 01.06.182286 eingeführte Hypothekenbuch.87 Dies ergibt sich bereits aus den entsprechenden bürgerlich-rechtlichen Vorschriften selbst, wenn Art. 182 EGBGB und Art. 62 BayAGBGB auf das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Stockwerkseigentum abstellen und letztere Norm für die Umwandlung in das mit dem Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs vereinbare unechte Stockwerkseigentum als maßgebend anführt, dass dem einzelnen Miteigentümer die ausschließliche und dauernde Benut­ zung der Teile des Gebäudes zusteht, die ihm oder seinem Rechtsvorgänger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehörten.88 G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (212 ff.). 85  Edikt das allgemeine Steuerprovisorium in der Provinz Baiern betreffend vom 13.05.1808, Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern, KöniglichBaierisches Regierungsblatt 1808, 1089, (1094 f.); vgl. G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 263. 86  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 1. 87  Gesetz, die Einführung des Hypothekengesetzes und der Prioritätsordnung be­ treffend, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Pri­ oritäts-Ordnung, der Instruction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilli­ gung, München 1848, S. 67. Zur Geschichte des bayerischen Hypothekenbuches vom 01.06.1822 E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 95 ff. Der Geltungsbereich des bayerischen Hypothekenbuchs erstreckte sich nicht auf die bayerische Pfalz, wo das französische Recht anwendbar blieb; vgl. E. Hammer, ebd., S. 106 f. 88  Vgl. BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279  f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhält­ nisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S.  257;



III. Das Hypothekenbuch als Vorgänger des Grundbuchs629

Damit wird im Ergebnis auf die am 01.01.1900 bestehenden Eigentumsbe­ stände Bezug genommen, womit das Hypothekenbuch zum Ansatzpunkt der stockwerkseigentumsrechtlichen Beurteilung wird. Die Landtafeln in der ehemaligen Kemptener Fürstabtei galten im Königreich Bayern für den ehe­ maligen Raum des Kemptener Reichsfürstentums zunächst fort und traten mit der Einführung des Hypothekenbuchs zum 01.01.1827 außer Kraft.89 In sachlicher Hinsicht war das Hypothekenbuch ein Vorgänger des heutigen Grundbuchs, es blieb aber hinter diesem zurück.90 Dies ergibt sich bereits aus dem Namen des entsprechenden Hypothekengesetzes selbst, weil nach § 1 des Hypotheken-Gesetzes vom 01.06.1822 der Anwendungsbereich auf eine Hypothek, d. h. „das dingliche Recht, welches ein Gläubiger zur Siche­ rung seiner Forderung auf eine fremde unbewegliche Sache durch Eintragung in das dafür angeordnete Buch erwirbt“, beschränkt blieb, wobei nach § 2 der akzessorische Charakter bezüglich der gesicherten Forderung betont wur­

O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Ge­ setzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stutt­ gart 1984, Art. 131 Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 193 f.; F. Säcker, in: MünchKomm, Band 11: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht, Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 25–248), 5. Aufl., München 2010, Art. 182 Rn. 1, Art. 131 Rn. 2; H. Grziwotz/R. Saller, Baye­ risches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145. 89  Gesetz, die Einführung des Hypothekengesetzes und der Prioritätsordnung vom 01.06.1822 betreffend, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der Instruction über den Vollzug des Hypotheken-Ge­ setzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich aller­ höchster Bewilligung, München 1848, S. 67; E. Hammer, Die Geschichte des Grund­ buches in Bayern, München 1960, S. 107. 90  Vgl. Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abge­ druckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der Instruction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 1; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das König­ reich Baiern, Band I, München 1823, S. 259 f.

630 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

de.91 Folglich wurden noch nicht sämtliche dinglichen Rechte in das Hypo­ thekenbuch eingetragen, sondern lediglich Hypotheken und die für deren Bewertung wesentlichen Umstände, d. h. „alles, was auf die Gültigkeit eines das Hypothekenwesen betreffenden Geschäfts und auf die Sicherheit Einfluss hat(te), welche sie für eine Forderung leistet(e) (…).“92 Eingetragen werden mussten daher die Sache oder das Realrecht, worauf eine Hypothek erlangt werden sollte, deren Rechtsqualität, insoweit diese nach dem Lehens-, Grundbarkeits- oder Fideikommissverband auf die Gültigkeit der Hypothek selbst Einfluss haben konnte, die auf bloßen Willenserklärungen beruhenden Zugehörigkeiten der Sache, etwaige Veränderungen der Sache, insoweit diese Auswirkungen auf die hypothekarischen Gegebenheiten haben konnten, die auf einem besonderen Rechtstitel gründenden Lasten wie Boden- oder Erb­ zinsen, der Name des Eigentümers sowie dessen Besitztitel einschließlich etwaiger Änderungen, rechtsgeschäftliche und sonstige die Verfügungsbefug­ nis des Eigentümers einschränkende Umstände wie die einem Dritten zuste­ hende Nutznießung oder gerichtliche Verbote, schließlich der Betrag der Forderung mit dem dazugehörigen Zins, die mit der Hypothek abgesichert werden sollte.93 Mit dem Erfordernis der Eintragung der hypothekarisch abgesicherten Geldsumme wurde das Prinzip der Spezialität eingeführt, das bei den frühen Kemptener Landtafeln noch nicht realisiert war.94 Damit zeigt sich einerseits für den herbergsrechtlichen Zusammenhang, dass der Eigentumsbestand umfassend im Hypothekenbuch eingetragen werden musste, so dass auch ein etwaiges Stockwerkseigentum regelmäßig angemes­ sen dokumentiert wurde.95 Andererseits muss diese Erkenntnis aber wiede­ rum insoweit einer Einschränkung unterzogen werden, als nur die Besitz­ stände eingetragen werden mussten, denen eine kreditäre Bedeutung hin­ 91  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 1. 92  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 261. 93  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848 S.  8 f.; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 256 ff., v. a. S. 261 f. 94  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 167 f.; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbu­ ches in Bayern, München 1960, S. 88, 113. 95  Vgl. N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das König­ reich Baiern, Band I, München 1823, S. 124 ff., 261 ff.



III. Das Hypothekenbuch als Vorgänger des Grundbuchs631

sichtlich der Eintragung einer hypothekarischen Belastung zukamen.96 Eine Ausnahme galt zudem für die Realservitute.97 Die bayerische Gesetzgebung wollte eine Überfüllung des Hypothekenbuchs aus Kostengründen und we­ gen der Sorge eines wachsenden Bürokratismus vermeiden, aber auch die Berechtigten vor unnötigen Belästigungen und Gerichtsprozessen schützen, so dass man hinsichtlich der Realdienstbarkeiten, die oftmals unbekannt wa­ ren und regelmäßig auch keinen großen Einfluss auf die Realsicherheiten hatten, nach § 22 I Nr. 5 des Hypotheken-Gesetzes vom 01.06.1822 von Gesetzes wegen einen Ausschluss bezüglich der Eintragungsnotwendigkeit verordnet hatte.98 In gewisser Weise deckt sich diese Gesetzesbegründung mit dem Umstand, dass etwaige Dienstbarkeiten noch im 19. Jahrhundert nach dem partikularen bzw. gemeinen Recht oftmals noch auf einer einfa­ chen Übereinkunft, d. h. auf einem Vertrag oder einer stillschweigenden Ge­ stattung, beruhen konnten.99 Bis ins 19. Jahrhundert entsprach es zudem all­ gemeiner Praxis, dass die Landesherrn, städtischen Obrigkeiten und sonstigen Herrschaftsträger dingliche Rechte an Grundstücken nicht selten nur still­ schweigend verfügt haben.100 Insoweit kann auf die Situation im Fürststift Kempten Bezug genommen werden, wo durch eine reichsfürstliche Verord­ nung vom 22.09.1741 alle schädlichen Fahr- und Fußwege ohne Rücksicht auf die nach dem gemeinen Recht vorwaltende Verjährung abgeschafft wer­

96  E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S.  101 ff. 97  BayObLGZ 70, 226, (229); N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothe­ kengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 262. 98  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der Ins­ truction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Taxund Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848 S. 8; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 262; vgl. auch E. Hammer, Die Geschichte des Grundbu­ ches in Bayern, München 1960, S. 101 ff. 99  RGZ 132, 145, (146 ff.) zu einer vertraglichen Verfügungsbeschränkung, der nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht dingliche Wirkung zukam, so dass sie wie eine Dienstbarkeit wirkte; BGH NJW 64, 2016, (2016 f.) zu der Entstehung ge­ meinrechtlicher Servitute m. w. N. („formlose(r) Vertrag“ nach gemeinem Recht); BGH, Wirksamkeit einer im Servitutenbuch eingetragenen Dienstbarkeit, NJW-RR 2012, 346, (347) zur Begründung einer Dienstbarkeit durch Vertrag und die Zustim­ mung des Gemeinderats nach dem Zivilrecht des Königreichs Württemberg m. w. N.; BayObLG 70, 226, (229 f.) zur Begründung eines Bauverbots in der Form eines gemeinrechtlichen Servituts durch notarielle Kaufvertragsurkunde m.  ­ w.  N.; vgl. N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 262. 100  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 21 ff.

632 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

den sollten,101 woraus sich implizit die hoheitliche Verfügung hinsichtlich des herrschaftlichen Grund und Bodens ergab.102 Dies läuft andererseits konform mit den Herbergen als ausgeschiedene Gebäudebestandteile, die auf der Grundlage der Sondereigentumstheorie auf stillschweigend seitens der Obrigkeiten durch die lehens- oder grundherrschaftlichen Verfügungsakte mit bestellte Servitute sowie gesetzliche Mitwirkungs- und Rücksichtnahme­ pflichten der Stockwerkseigentümer untereinander angewiesen waren, was im französischen Recht später mit der Rechtsfigur der „servitudes établies par la loi“ versucht wurde aufzufangen.103 Das Hypothekenbuch war deshalb nur ein eingeschränktes Grundbuch, das zwar den Eigentumsbestand umfas­ send darstellen konnte, hinsichtlich der Realservitute aber noch rückständig blieb.104 In der Kemptener Fürstabtei galt das Grundbuch schließlich ab dem 01.05.1909 als angelegt, wobei die Eintragungen im Hypothekenbuch erhal­ ten blieben.105 Dieser Zeitpunkt ist mit Blick auf die Vorschrift des Art. 189 I 1, 2 EGBGB von Bedeutung, wonach der Erwerb und der Verlust des Eigen­ tums sowie die Begründung, Übertragung, Belastung und Aufhebung eines anderen Rechts an einem Grundstück oder eines Rechts an einem solchen Recht auch noch nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach den bisherigen Gesetzen erfolgte, bis das Grundbuch als angelegt anzusehen war, was auch für die Änderung des Inhalts und des Rangs der Rechte ent­

101  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 112. 102  Vgl. G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 112. 103  R. Schröder, Über eigentümliche Formen des Miteigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S. 31 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Lan­ desprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194 Fn. 9; vgl. auch O. v. Feilitzsch, Stockwerksei­ gentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, Mün­ chen 1920, S. 19. Zur Rechtsfigur der „servitudes établies par la loi“ M. Toullier/ Ch. Bonaventura, Le droit civil français – suivant l’ordre du code, ouvrage dans le­ quel on a réuni la théorie à la pratique, Band I, Bruxelles 1837, S. 108 ff.; vgl. auch F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Ge­ richtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 94 ff. 104  Vgl. N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das König­ reich Baiern, Band I, München 1823, S. 256 ff. 105  Hypothekenbuch der Gemeinde Sankt Lorenz, Bd. XX, Blatt 443; Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Über 100 Jahre Grundbuch – über 100 Jahre Rechtssicherheit, Stand 05/2008, München 2008, S. 5.



III. Das Hypothekenbuch als Vorgänger des Grundbuchs633

sprechend galt.106 Dies ändert aber nichts daran, dass ein nach den Vorschrif­ ten des Bürgerlichen Gesetzbuchs unzulässiges Recht nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Art. 189 I 3 EGBGB nicht mehr begrün­ det werden kann, d. h., dass die bisherigen Gesetze zwar in Bezug auf die geltenden rechtsgeschäftlichen Modalitäten bestehen blieben, diese sich aber nur auf die am 01.01.1900 bereits bestehenden Rechtsverhältnisse beziehen durften, ohne dass aber eine Neubegründung von Stockwerkseigentum oder sonstigen Altrechten wie superfiziarischen Rechten gestattet war.107 Im Fall der unzulässigen und damit auch nichtigen Neubegründung eines entspre­ chenden Altrechts wird daher die Vorschrift des § 140 BGB zur Anwendung kommen, wonach, wenn ein nichtiges Rechtsgeschäft den gesetzlichen Erfor­ dernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht, letzteres gilt, wenn anzu­ nehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde.108 Die vorzunehmende Umdeutung in ein unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch zulässiges Recht wird dann regelmäßig zu der Anwendbarkeit der Vorschriften über die Dienstbarkeiten führen, weil ein Eigentum an unbe­ weglichen Sachen bzw. deren wesentlichen Bestandteilen auf fremdem Grund

106  F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 249 ff.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 (zu Art. 42 BayÜGBGB); Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 184 EGBGB Rn. 1, 3, Art. 189 EGBGB Rn. 1. 107  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Lan­ desprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Aus­ führungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 (zu Art. 42 BayÜGBGB); Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Ein­ führungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3. 108  Vgl. F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253. Vgl. zu § 140 BGB die Entscheidungen BGH, Urteil vom 27.06.2014, Az.: V ZR 51/13; BGH, Beschluss vom 20.06.2018, Az.: XII ZB 573/17.

634 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

mit dem Grundsatz superficies solo cedit, auf dem das Bürgerliche Gesetz­ buch aufbaut, nicht vereinbar ist.109 Das Hypothekenbuch wurde in drei Hauptrubriken eingeteilt, wobei nach den Vorschriften der §§ 3, 129 des Hypotheken-Gesetzes vom 01.06.1822 in der ersten Rubrik die unbewegliche Sache, worauf etwaige Hypotheken ein­ getragen werden konnten, nebst den darauf haftenden besonderen Reallasten, in der zweiten Rubrik der Besitzer und der Besitztitel nebst den vorhandenen Beschränkungen des Eigentümers in der Disposition, sowie in der dritten Rubrik die eigentlichen Hypotheken mit deren Zessionen und Löschungen eingetragen wurden.110 Den Gegenstand, an dem eine Hypothek bestellt wer­ den konnte, bildeten nach der Norm des § 3 des Hypotheken-Gesetzes aus­ schließlich unbewegliche Sachen, wobei fruchtbringende dinglich Rechte diesen gleichgestellt und auch bewegliche Güter in den Haftungsverband einbezogen wurden, wenn es sich bei diesen um Zugehörungen zu der unbe­ weglichen Sache handelte.111 Der Entstehungsgrund für eine Hypothek war nach den § 9  ff. des Hypotheken-Gesetzes ein besonderer gesetzlicher Rechtstitel wie etwa nach § 12 I Nr. 1 rückständige ordentliche und außeror­ dentliche Steuerlasten beim Staat, oder eine vertragliche Übereinkunft bzw. testamentarische Verfügungen, wobei die Eintragung des hypothekarischen Sicherungsmittels in das Hypothekenbuch als weitere Voraussetzung vorge­ schrieben war.112 Die Eintragung in das öffentliche und unter amtlichem 109  Vgl. BayObLGZ 1962, 341, (356); BayObLGZ 1967, 397, (400) m.  w. N.; BayObLGZ 1995, 413, (417); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 2; Meisner/Ring/Götz, Nachbar­ recht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 59 f.; H. Sprau, Justizge­ setze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 15. 110  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 1, 38 f., zu den einzelnen Rubriken S. 39 ff.; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 103 ff., 110 ff. Auszüge von Eintragungen in das Hypothekenbuch finden sich bei H. Reitmeier, Das Hypothekenbuch – Ein Beitrag zur Quellenkunde, Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde 2008 (71), 112, (113 ff.). 111  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 1; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 116 ff. Für Lehens- und gutsherrschaftliche Güter galten nach § 8 des Hypotheken-Gesetzes Ausnahmevorschriften.; vgl. N. Th. v. Gönner, ebd., S. 121. 112  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­



III. Das Hypothekenbuch als Vorgänger des Grundbuchs635

Glauben geführte Hypothekenbuch war daher ein konstitutives Moment, ohne die eine Hypothek nicht entstehen konnte, § 21 Hypotheken-Gesetz.113 Das Hypothekenbuch genoss deshalb wie das heutige Grundbuch einen öf­ fentlichen Glauben, der sich entsprechend auch gegen einen Berechtigten auswirken konnte.114 In diesem Sinne ordnete das Hypotheken-Gesetz in § 25 an, dass „aus dieser Öffentlichkeit des Hypothekenbuchs (…) die Folge (entsteht), daß jede im Vertrauen auf dasselbe vorgenommene Handlung, soweit sie mit dem Hypothe­ kenwesen in Verbindung steht, in Ansehung desjenigen, welcher nach den im Hy­ pothekenbuche befindlichen Einträgen, und im guten Glauben gehandelt hat, alle jene rechtlichen Wirkungen hervorbringt, welche der Handlung nach jenen Einträ­ gen angemessen sind. Auch kann Niemand die Unwissenheit dessen, was im Hy­ pothekenbuche eingetragen ist, zu seinem Vortheile anführen.“115

Deshalb hinderte nach § 26 Nr. 1, 2 des Hypotheken-Gesetzes die Veräu­ ßerung einer unbeweglichen Sache nicht die Entstehung der Hypothek, wenn der bisherige Eigentümer im Hypothekenbuch wirksam eingetragen war, auch waren eingetragene Hypotheken gegenüber dem neuen Erwerber des Grundstücks wirksam, wenn dieser bereits vor der Eintragung vorhanden war, der Rechtstitel zur Eigentumsübertragung aber noch nicht im Hypothe­ kenbuch vermerkt war.116 Damit galt ein Grundsatz der beschränkten Publi­ zität, wonach der konkrete Inhalt des Hypothekenbuches für die mit dem Hypothekenwesen in Verbindung stehenden Handlungen Dritter im Hinblick auf einen Gutglaubensschutz maßgebend waren, weshalb die Einträge in der ersten und zweiten Rubrik in erster Linie für die Rangstelle der einzelnen Hypotheken Bedeutung hatten und auch nur insoweit an den Rechtswirkun­ gen der Publizität teilnehmen konnten.117 Dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs entsprachen nach § 24 des Hypotheken-Gesetzes ein Aktenein­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S.  3 ff. 113  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 138 f. 114  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 270 ff., 273 ff. 115  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 10. 116  Vgl. zum Ganzen N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 273 ff. 117  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 276; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbu­ ches in Bayern, München 1960, S. 113.

636 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

sichtsrecht, das den Besitzern, Gläubigern und Dritten zustand, wenn sie „ein Interesse glaubhaft nachweiset (konnten)“, während sonstigen Personen die Einsicht in das Hypothekenbuch nicht gewährt wurde, aber auch der Rechts­ behelf der Protestation, mit dem Rechte mit Blick auf etwaige fremde Dispo­ sitionen über eine Sache bewahrt werden konnten, wenn die Protestation im Hypothekenbuch eingetragen war, §§ 27 ff. Hypotheken-Gesetz.118 Die ein­ getragenen Hypotheken wurden nach §§ 71  ff. des Hypotheken-Gesetzes mitunter gelöscht, wenn die Hypothek durch Zeitablauf obsolet geworden war, die Sache untergegangen war, wie z. B. im Falle des Abbrandes eines Gebäudes, der Gläubiger auf sie verzichtet hatte oder die Schuld getilgt wor­ den war, eine öffentliche Versteigerung stattgefunden hatte, die zur hypothe­ kenfreien Verfügbarkeit der Sache für den Erwerber geführt hatte, es sei denn, dass die Hypothek auf ihn als fortbestehend überwiesen worden war, oder wenn sich die Forderung durch Amortisation nach 30 Jahren erledigt hatte.119 Die Hypothekenbücher wurden von dem Gericht geführt, dem die Gerichtsbarkeit in nichtstreitigen Rechtsgeschäften über die unbewegliche Sache, an der die Hypothek bestand, zustand, wobei es auch besondere Ge­ richtsstände, allen voran im Fall der gutsherrschaftlichen Gerichtsbarkeit, gab.120 Im ehemaligen Fürststift Kempten wurde das Hypothekenbuch beim Hypothekenamt des Königlichen Amtsgerichts Kempten geführt.121 Nach 118  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S.  10 ff.; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das König­ reich Baiern, Band I, München 1823, S. 270 ff., 299 ff. Zur Protestation allgemein G. v. Weber, Über das Baierische Kredit- und Schuldenwesen, Sulzbach 1809, S. 91; J. Merckel, Neuer Commentar zur allgemeinen Gerichts-, Deposital- und Hypothe­ ken-Ordnung nebst Bemerkungen zur Theorie von Protestationen, Band II, Breslau u. a. 1817, S.  305 ff. 119  Siehe zu den Gründen für das Erlöschen einer Hypothek Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der Instruction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 23 ff.; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S.  553 ff. 120  §§ 86 ff. des Hypotheken-Gesetzes für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der PrioritätsOrdnung, der Instruction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regu­ lativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 26 f.; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 107. 121  BayObLGZ 3, 1023 zu einem entsprechenden Herbergsrechtsfall im Raum des ehemaligen Fürststift Kempten.



III. Das Hypothekenbuch als Vorgänger des Grundbuchs637

§ 91 des Hypotheken-Gesetzes geschahen die Handlungen und Ausfertigun­ gen in Hypothekensachen im Namen des Gerichts und in der entsprechenden gewöhnlichen Form.122 Gegen die Amtshandlungen des Hypothekenamtes, die sämtlich dem öffentlichen Glauben unterworfen waren, stand Verfahrens­ beteiligten mit entsprechenden mit gerichtlicher Kraft ausgestatteten Proto­ kollen, Ausfertigungen und Urkunden das Rechtsmittel der Beschwerde an das vorgesetzte Obergericht, namentlich im ehemaligen Herrschaftsbereich des Fürststifts Kempten an das Königliche Landgericht zu, wobei für die weitere Beschwerde dann das Königliche Oberste Landesgericht zuständig war, § 94 Hypotheken-Gesetz.123 Auch wenn das im Königreich Bayern ein­ geführte Hypothekenbuch von seinem sachlichen Anwendungsbereich hinter dem heutigen Grundbuch noch zurückblieb, so sind die Parallelen in Bezug auf die gesetzlichen Regelungen und das Verfahren unverkennbar.124 Dies zeigt auch der Umstand, dass mit dem Hypotheken-Gesetz gleichzeitig auch die Einführung einer Prioritätsordnung verbunden war, welche die Ordnung der Gläubiger zum Gegenstand hatte.125 Für die historische Aufklärung von Herbergen im ehemaligen Raum der Kemptener Fürstabtei kann deshalb festgehalten werden, dass Einträgen im Hypothekenbuch ein öffentlicher Glaube zukam.126 Es ist aber zu bedenken, dass ein bestimmter Grundbesitz in das Hypothekenbuch nur dann eingetragen wurde, wenn hierfür zur Siche­ rung eines Immobiliarkredits ein Bedürfnis bestand.127 Wenn aber ein Anwe­ sen in das Hypothekenbuch eingetragen worden war, was vor dem Hinter­ 122  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 27. 123  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 28; BayObLGZ 3, 1023 zu einem entsprechenden Herbergsrechtsfall im Raum des ehemaligen Fürststift Kempten. 124  Vgl. hierzu die Ausführungen bei N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hy­ pothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 259 f. 125  Prioritäts-Ordnung für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S.  54 ff. 126  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 270 ff. 127  E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S.  101 ff.

638 F. Die Entstehung des modernen Grundbuchwesens im Königreich Bayern

grund der im 19. Jahrhundert typischen Schuldenwirtschaft regelmäßig der Fall war,128 müssen für die positivrechtliche Beurteilung von Stockwerksei­ gentum behauptete Besitzstände unberücksichtigt bleiben, wenn sie damals im Hypothekenbuch nicht vermerkt waren und damit zu dem bestehenden Rechtszustand am 01.01.1900 formal nicht gehörten.129 Zwar konnte die nur beschränkte Publizität des Hypothekenbuches einen gutgläubigen Eigentums­ erwerb noch nicht leisten bzw. legitimieren.130 Dies ändert aber nichts an dem rechtlichen Umstand, dass Besitzstände, insofern sie für den Hypothe­ kenverkehr eingetragen waren, an dem öffentlichen Glauben des Hypothe­ kenbuches teilnahmen,131 womit sie zu einer herbergsrechtlichen Erkennt­ nisquelle werden. Eine Ausnahme bildeten aber die Dienstbarkeiten, die in das Hypothekenbuch nicht eingetragen werden mussten, deren Beweis damit der klagenden Partei nach den herkömmlichen Beweismitteln obliegt.132 Bei der späteren Anlegung der Grundbücher im rechtsrheinischen Bayern knüpfte man an die bestehenden Hypothekenbücher an und verordnete, dass mit Aus­ nahme der buchungsfreien Grundstücke die bisher buchungsmäßig nicht ­erfassten Grundstücke von Amts wegen unter Angabe des Eigentümers ein­ zutragen waren.133 Die Anlegung der Grundbücher konnte für ganz Bayern am 01.10.1910 für abgeschlossen erklärt werden.134 Bei der Anlegung der Grundbücher wurden dabei die stockwerkseigentumsrechtlichen Anteile, d. h. die Miteigentumsanteile, den Grundstücken grundsätzlich gleichbehandelt, so dass diese auf eigene Grundbuchblätter bzw. mit eigenen Nummern verbucht wurden, wobei mit Blick auf andere Grundstücke des Berechtigten auch ge­ meinschaftliche Blätter angelegt werden konnten.135 Der Umfang des Nut­ 128  H. Reitmeier, Das Hypothekenbuch – Ein Beitrag zur Quellenkunde, Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde 2008 (71), S. 112. 129  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 270 ff. 130  E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 113. 131  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 273 ff. 132  Vgl. N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das König­ reich Baiern, Band I, München 1823, S. 262. 133  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 57 AGBGB Rn. 5; Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Über 100 Jahre Grundbuch – über 100 Jahre Rechtssicherheit, Stand 05/2008, München 2008, S. 9. 134  Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Über 100 Jahre Grundbuch – über 100 Jahre Rechtssicherheit, Stand 05/2008, München 2008, S. 9. 135  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 290 (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB, Rn. 7 jeweils m. w. N.; allgemein zur Bedeutung des Grundbuchs H. Bickmann, Grundstückserwerb



III. Das Hypothekenbuch als Vorgänger des Grundbuchs639

zungsrechts wurde im Bestandsverzeichnis vermerkt.136 Diese Regeln gelten heute noch fort, wobei die Eintragungen insbesondere Bedeutung für die Sonderrechtsnachfolger haben können, Art. 62 S. 3, § 1010 I BGB.137

nach deutschem, spanischem und italienischem Recht – eine rechtsvergleichende Un­ tersuchung, Göttingen 2012, S. 35 ff. 136  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 7 m. w. N. 137  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 7.

G. Die Überleitung von Stockwerkseigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz Das Wohnungseigentumsgesetz aus dem Jahre 1951 ließ die bestehenden gesetzlichen Regelungen hinsichtlich des Stockwerkseigentums grundsätzlich unberührt, begünstigte aber kostenrechtlich entsprechende Umwandlungen von altrechtlichem Stockwerkseigentum in Wohnungseigentum.1 Nach § 63 I WEG a. F. war als Geschäftswert für die Berechnung der hierdurch veran­ lassten Gebühren der Gerichte und Notare im Falle des Wohnungseigentums ein Fünfundzwanzigstel des Einheitswertes des Grundstücks, im Falle des Dauerwohnrechts ein Fünfundzwanzigstel des Wertes des Rechtes anzuneh­ men, wenn Rechtsverhältnisse, mit denen ein Rechtserfolg bezweckt wurde, der den durch das Wohnungseigentumsgesetz geschaffenen Rechtsformen entsprach, in solche Rechtsformen umgewandelt wurden. Damit wurde ge­ setzlich ein gebührenrechtlicher Anreiz zur Überleitung von dem Wohnungs­ eigentum ähnlichen Rechtsverhältnissen in die Rechtsformen des Wohnungs­ eigentumsgesetzes geschaffen.2 Die Vorschrift des § 63 WEG a. F. war auf das Stockwerkseigentum anwendbar,3 wenngleich Bayern von der Öffnungs­ klausel des § 63 III WEG a. F. keinen Gebrauch gemacht hatte.4 Die Vor­ 1  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art.  62 AGBGB Rn. 2; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (389). 2  BGH, NJW 1958, 1289; BayObLGZ 1957, 168, (172); H. Sprau, Justizge­ setze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2; G. Freudling, Echtes alt­ rechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (389); S. Hügel/O. Elzer, Wohnungseigentumsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., München 2018, § 63 Rn. 1. 3  BayObLGZ 1957, 168, (172); Hornig, Wohnungseigentum und Dauerwohn­ recht, DNotZ 1951, 197, (200); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2; S. Hügel/O. Elzer, Wohnungseigentumsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., München 2018, § 63 Rn. 2; G. Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, Kom­ mentar, 6. Aufl., Köln 2019, § 63 Rn. 1. 4  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art.  62 AGBGB Rn. 2 m. w. N.; S. Hügel/O. Elzer, Wohnungseigentumsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., Mün­ chen 2018, § 63 Rn. 3. In Hessen wurden mit § 4 des Hessischen Gesetzes zur Überleitung des Stock­ werkseigentums vom 06.02.1962 die vormaligen Normen der Art. 216–219 Hess­ AGBGB aufgehoben, wobei der Landesgesetzgeber entsprechend § 63 III WEG von



G. Überleitung von Stockwerkseigentum nach dem WEG641

schrift des § 63 WEG a. F. entspricht heute weitgehend inhaltsgleich § 49 WEG.

der

Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, das Stockwerkseigentum in Wohnungseigen­ tum überzuleiten.; hierzu nur W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bür­ gerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 35; A. Schaumann, Die Kasernenstuben in Neurup­ pin, Berlin 2012, S. 160 f.; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 5, 13. Die Norm des Art. 216 des Gesetzes des Großherzogtums Hessen, die Ausführung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs betreffend, vom 17.07.1899 lautete: „(1) Bei einem zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehendem Stockwerkseigenthume stehen der Grund und Boden, die Hauptmauern und das Dach und, sofern rechtsgeschäftlich nicht ein Anderes bestimmt ist, auch der zum gemeinschaftlichen Gebrauche dienende Hof­ raum und die anderen zum gemeinschaftlichen Gebrauche dienenden Bestandtheile des Gebäudes im Miteigenthume der Stockwerkseigenthümer nach dem Verhältnisse des Werthes der Stockwerke. (2) Der Antheil an der Gemeinschaft gilt als wesentli­ cher Bestandtheil des Alleineigenthums an dem Stockwerke.“ Zu der grundsätzlichen Dogmatik des hessischen Stockwerkseigentums und den hessischen Ausführungsrege­ lungen aus rechtsgeschichtlicher Sicht H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 f.; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84); W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 34; N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 156 ff. In Thüringen dagegen ist durch Gesetz vom 10.09.1946, Thüringische Gesetzes­ sammlung, S. 153, das Stockwerkseigentum mit Wirkung zum 01.01.1947 in Mitei­ gentum des Hausgrundstücks zu ideellen Teilen umgewandelt worden.; vgl. H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84); L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsgesetz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 4. Einen guten Überblick über die bestehenden Rechtsverhältnisse hinsichtlich des Stockwerkseigentums im gesamten Bundesgebiet geben in der 2. Auflage ihres Wer­ kes Meisner/Stern/Hodes, Nachbarrecht im Bundesgebiet und Westberlin mit Aus­ nahme des Landes Bayern, 2. Aufl., Berlin 1955, S. 44 ff.

H. Schluss Die Kemptener Fürstabtei, topographisch gelegen zwischen den Bistümern Augsburg und Konstanz,1 war nach dem Hochstift Augsburg der zweitgrößte geistige Staat im schwäbischen Reichskreis des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation,2 der im späteren Hochmittelalter auch den Rang eines Reichsfürstentums bekleidete.3 Im Jahre 1348 titulierte sich Abt Heinrich von Mittelberg erstmals als Fürstabt, unter seinem Nachfolger Friedrich von Hirschdorf wurde das Kloster unter anderem aufgrund seines bedeutenden Grundbesitzes und der selbständigen korporativen Verfassung dann erstmals als Stift bezeichnet.4 Den Grundstein für die Entwicklung des ehemaligen Fürststifts Kempten zu einem modernen Klosterstaat legte im 8. Jahrhundert 1  K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Benedikti­ nerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 6; E. Gatz, Atlas zur Kirche in Geschichte und Gegenwart, Regensburg 2009, S. 68 f., 90 f. mit entspre­ chenden Karten zu den Bistümern Augsburg und Konstanz sowie inmitten von diesen dem späteren Fürststift Kempten; vgl. auch A. Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità civili, Rom 1919, S. 591; Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 4; J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 3; F. Zoepfl/W. Volkert, Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, Band I: von den Anfängen bis 1152, in: Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft 2b/1, Augsburg 1955, S. 18 Nr. 5; H. Schwarzmaier, Königtum, Adel und Klöster im Gebiet zwischen obe­ rer Iller und Lech, Augsburg 1961, S. 8 ff. m. w. N. 2  Regiments-Ordnung Maximilians I. (Augsburger Reichstag) vom 02.07.1500, abgedruckt bei K. Zeumer (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., Tübingen 1913, S. 299; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 102; W. Dotzauer, Die deutschen Reichskreise (1383–1806) – Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998, S.  142 ff.; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publi­ ziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern, vgl. P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 195. 3  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 199; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 101; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 4  K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Benedikti­ nerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 5; M. Walter, Das Fürst­ stift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 m. w. N.



H. Schluss643

aber bereits der Fränkische König Karl der Große, welcher der Kemptener Abtei die kirchliche Immunität verliehen hatte, womit dem Abt die Vogteige­ walt über den Immunitätsbezirk zugekommen war, welche den Grafen mit Ausnahme der Blutgerichtsbarkeit aus seiner gerichtlichen Zuständigkeit verdrängt hatte.5 Der Verfügungsbereich der Kemptener Benediktinerabtei hatte sich dabei auf die Marca Campidonensis bezogen, die in etwa dem Gebiet der späteren Grafschaft Kempten entsprochen hat und auf die sich im hohen Mittelalter dann auch die territorialitätsbezogene Landesherrschaft der Kemptener Fürstabtei erstrecken sollte.6 Mit der Verleihung der Grafschafts­ rechte als Reichslehen durch den späteren Kaiser Friedrich II. im Jahre 12137 war schließlich die rechtliche Grundlage zur Ausübung von weltlicher Ge­ walt gelegt worden, worin gleichzeitig auch die grundeigentümliche Keim­ zelle für die Entstehung des modernen Klosterstaates begründet lag.8 Zwar verlief die Entwicklung im Stift Kempten vor dem Hintergrund des Allgäui­ schen Gebrauchs, der die Gerichts-, Steuer- und Wehrhoheit personalitätsbe­ zogen den auf dem Territorium des Fürststifts Kempten zerstreuten Adelsver­ tretern und Grundherren zugewiesen hatte, zunächst über den Umweg der Inanspruchnahme der Leibherrschaft über die Untertanen, was seitens des 5  G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 72 m. w. N.; W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Un­ tersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 180 f. Ausführlich zum Rechtsinstitut der kirchlichen Immunität G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Band I: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 1914, S. 253 ff.; im direkten Zusammenhang mit der Vogtei A. Waas, Vogtei und Bede in der deutschen Kaiserzeit, Band I, Berlin 1919, S. 99 ff., v. a. S. 117; A. Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, Band I, Hannover u. a. 1905, S. 223 f. 6  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 20, 24 f.; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittel­ alter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 7  StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 18, Urkunde König Friedrichs II. über die Belehnung des Abts mit den Grafschaftsrechten aus dem Jahre 1213; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 83 f.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Histori­ schen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 ff.); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 32 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 7 f.; A. Layer/ G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhun­ derts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. 8  Vgl. B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Mar­ burg 1986, S.  10 f. m. w. N.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., Mün­ chen 2002, S. 52 ff., v. a. S. 56; A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichsfürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 554, 556 f. m. w. N. unter Erläuterung der Ansicht Kriegers.

644

H. Schluss

Kemptener Stifts insbesondere durch den vertraglichen Austausch von Leib­ eigenen erreicht wurde, die landesherrschaftlichen Bestrebungen waren aber zunehmend territorialitätsbezogen auf das eigentliche Gebiet der Grafschaft Kempten ausgerichtet, so dass sich auf diesem Wege der institutionelle Flä­ chenstaat der Kemptener Fürstabtei entwickeln konnte.9 Gleichzeitig war dabei die Zentralmacht des werdenden Klosterstaates gestärkt worden, indem ein im 18. Jahrhundert dann als Regierung bezeichneter Hofrat eingeführt worden war, aber auch das Gerichtswesen unter Beanspruchung der nun un­ beschränkten Hochgerichtsbarkeit und der Einführung eines zunehmend de­ zentral gesteuerten Gerichtsnetzes neu organisiert worden war, um eine ge­ bietsbezogene Landeshoheit zu etablieren.10 Andererseits wurde der beson­ dere Allgäuische Gebrauch durch die Kemptener Fürstabtei aber nicht nur bekämpft, sondern auch zu beabsichtigten territorialen Erweiterungen und damit auch zu einer Begründung der Gerichts-, Steuer- und Wehrhoheit hin­ sichtlich der sich zunächst noch auf fremden Territorien befindenden Leibei­ genen genutzt, womit sich der Allgäuische Gebrauch im Ergebnis als ein zweischneidiges Schwert entpuppte.11 Die Fürstäbte strebten indessen seit der frühen Neuzeit zunehmend der absolutistischen Staatsform entgegen,12 so dass sich letzten Endes eine auf einem besonderen Staatskirchentum aufge­ richtete Kirchenherrschaft herausbilden konnte, die mit ihrer unbedingten Intoleranz gegenüber anderen Religionen und dem damit verbundenen Fun­ damentalkonsens auf die katholische Confessio als moralisches Bindemittel zurückgriff, worin ebenfalls ein wesentliches Moment für die Entstehung des 9  P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S. 6 ff, 15 ff. m. w. N.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 18 ff.; J. Merz, Das Herrschaftsmodell der Fürst­ abtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 181 f. 10  L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 16 f., 52 f., 89; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stutt­ gart 1995, S. 24  ff.; P. Kreutz, Hochgerichtsbarkeit in Schwaben, publiziert am 21.06.2016, in: Historisches Lexikon Bayern; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Terri­ torium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; P. Blickle, Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 192 f. 11  K. v. Andrian-Werburg, Das Territorium des vormaligen fürstlichen Benedikti­ nerstiftes Kempten im Allgäu, Neustadt a. d. Aisch 1966, S. 5 ff.; J. Merz, Das Herr­ schaftsmodell der Fürstabtei Kempten um 1500: Sonderfall einer Territorialisierung in Schwaben, in: B. Kata (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwi­ schen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 183 ff. 12  M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 20, 24 f.



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obrigkeitsstaatlichen Territorialstaats des Fürststifts Kempten begründet lag.13 Dabei galt es grundsätzlich auch, den Status als Reichsfürstentum zu verteidigen und angemessen zu repräsentieren, was im 17. Jahrhundert schließlich auch zu absolutistisch-despotischen Herrschaften geführt hatte, als deren ausdrucksstarker Beleg noch heute unter anderem die in der späte­ ren Stiftsstadt der Fürstabtei thronende und im Stile des Barock errichtete Residenz mit im Rokokostil verzierten Prunkräumen sowie die unmittelbar sich daneben befindende Basilika St. Lorenz angesehen werden können.14 Bemerkenswert ist aber, dass es gerade der gegenüber seinen Untertanen als unbarmherziger Despot verschriene Fürstabt Roman Giel von Gielsberg, auf den die Wiedererrichtung des Klosters nach den Vernichtungen des Dreißig­ jährigen Krieges zurückging,15 war, der mit einer Verordnung aus dem Jahre 1641 entscheidend zu einer frühen Liberalisierung des im Fürststift Kempten geltenden lehensrechtlichen Anfall- und Sukzessionsrecht beigetra­ gen hat, indem er mit dem partikulargesetzlichen Akt entgegen des auch in der Kemptener Fürstabtei anerkannten und mit den Regelungen zur Allodial­ erbfolge grundsätzlich in keinem Zusammenhang stehenden Grundsatzes successio ex pacto et providentia maiorum16 eine bedeutende Annäherung an 13  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3.  Aufl., München 2002, S. 268; D. Willoweit, Das landesherrliche Kirchenregiment, in: K. Jeserich u.  a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band II, Stuttgart 1983, S. 363; vgl. W. Petz, Zwei­ mal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 398, 402, 418. 14  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Kempten 1933, S.  136 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 20, 25, 42 ff.; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (47, 56); W. Petz, Zweimal Kempten: Ge­ schichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 238, 240 f. Zu den Prunk­ räumen der Kemptener Residenz J. Rottenkolber, ebd., S. 172, 177; L. Zenetti, Die Sürgen – Geschichte der Freiherren von Syrgenstein, Augsburg 1965, S. 105; B. Bushart/G. Paula (Hrsg.), Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Band III: Schwaben, 2. Aufl., München 2008, S. 566; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus; in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752– 1802, Friedberg 2006, S. 33; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppel­ stadt (1694–1836), München 1998, S. 239. 15  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Kempten 1933, S.  136 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 42 ff. 16  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 2, 13 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 341 ff.; C. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, S. 650 ff.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 441 f.; vgl. S. Schlinker/ H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 5.

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die allodiale Erbfolge eingeführt hat, so dass fortan auch Töchter, die in häuslicher Gemeinschaft mit den Eltern lebten, vor etwaigen männlichen Nachkommen bevorzugt zur Erbfolge berufen sein konnten.17 Im Ergebnis galt im Fürststift Kempten deshalb nach einem um das Jahr 1700 erstellten Rechtsgutachten „(…) die spezielle Lehenerbfolge bei den Lehen ex pacto et providentia (maiorum), bei den Erblehen (feuda haereditaria) (dagegen aber) die zivilrechtliche“, womit nach dem Gutachter die „allgeyische(n) lehen“ grundsätzlich die Eigenschaft als „feuda ignobilia censualia haereditaria“ besessen haben sollen.18 Dabei ist aber zu bedenken, dass die partikulare Gesetzgebung implizit zu einer gesetzlichen Modifikation der lehensvertrag­ lich vereinbarten Erblehen führte, die damit einzeln als „feudum hereditarium mixtum“ erscheinen mussten, bei denen von Gesetzes wegen nur einzelne Teile der Allodialerbfolge entlehnt sein konnten.19 Während sich aber die Kemptener Abtei in den frühesten Zeiten unter Einschluss der ältesten Pfar­ reien St. Lorenz, Krugzell und Buchenberg eines exemten Status rühmen konnte und damit unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt war,20 kam dem in der Wissenschaft später als „exempto Territorio Campidunensi“21 bezeich­ 17  Vgl. Verordnung des Fürstabts Roman Giel von Gielsberg vom 18.11.1641 die Auslösungen, das Anfallrecht und die Ganten betreffend, abgedruckt bei J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichts­ verfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. 278 ff. (Nro. CIX). 18  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geist­ licher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 19  Vgl. G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 343. 20  Vgl. M. Crusius, Schwäbische Chronick, Band I, Franckfurt 1733, S. 269 ff., wo auch das Jahr 776 als mögliches Jahr für die päpstliche Einsetzung der Kon­ventualen benannt wird; J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 3 f.; L. Boxler, Sammlung der merkwürdigs­ ten Ereignisse in dem ehemaligen fürstlichen Reichsstifte Kempten seit dessen Ent­ stehung, bis zur Auflösung im Jahre 1802, mit angehängten topographisch-statisti­ schen Notizen, Kempten 1822, S. 19; zur räumlichen Abgrenzung des exemten Ge­ biets im frühen Mittelalter vgl. Monumenta Germaniae Historica, Die Urkunden der deutschen Karolinger, hrsg. von der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Band I: Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jünge­ ren, Berlin 1934, DDLD, S. 90 ff., Nr. 66; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bay­ ern; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 22, der hier auch die Pfarrei St. Mang benennt. 21  A. Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità civili, Rom 1919, S. 591.



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neten Gebiet in der Neuzeit keine eine geistliche Gebietshoheit indizierende volle Exemtion zu,22 sondern dem Fürstabt stand in der Folge der Bulle von Papst Sixtus IV. aus dem Jahre 1483 und der Verleihung weiterer Privilegien seitens des Papsttums lediglich die Verbandshoheit über das Kloster und die Klosterfamilie sowie nach der Inkorporation der Pfarrei St. Lorenz auch dort die Stellung eines Quasibischofs zu, der die geistlichen Aufgaben insoweit ausübte, als die Bischofsweihe hierfür nicht Voraussetzung war.23 Bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts hatte sich andererseits neben den Hofstaat mit dem Fürstabt als Monarchen die bäuerliche Landstandschaft als früher Vorbote der späteren Landstände gestellt, die dann in den folgenden Jahrhun­ derten zu einem institutionellen Gegenpol im Rahmen des Verfassungsgefü­ ges der Kemptener Fürstabtei werden sollte.24 Die europäische Aufklärung führte im 18. Jahrhundert in der Kemptener Fürstabtei schließlich dann zu 22  Zum Begriff der vollen Exemtion E. Fischer, Zur kirchlichen Verfassung des Ellwanger Stifts, Sonderdruck, Ellwangen 1957, S. 63 f. m. w. N. 23  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  131 f.; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  383 f. m. w. N.; ders., Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baierischen Staat, Kempten 1847, S. 295 m. w. N.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 91, 97 f.; D. Willoweit, Das landesherrliche Kirchenregiment, in: K. Jeserich u.  a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band II, Stuttgart 1983, S. 365; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Geschichtsfreund 2000 (100), 43, (43 f.); ders., Katholische Aufklärung und Staatskirchentum im geistlichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Dominikus von Brentano, Trier 1997, S. 91 f.; ders., Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwal­ tung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; H. Immenkötter, Adelsprivileg und Exemtion gegen Benediktinertum und Tridentinum, in: W. Jahn u. a. (Hrsg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Augsburg 1998, S. 57 f.; vgl. W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 263 ff. Zur Exemtion der mittelalterlichen Klöster und zu den Folgen des Tridentinums grundsätzlich J. Freisen, Verfassungsgeschichte der katholischen Kirche Deutschlands in der Neuzeit, Leipzig u. a. 1916, S. 3 ff., 32 f., 39 ff. 24  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  203 f.; P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), S. 201 ff.; ders., Das Fürststift Kempten: ein typischer Kleinstaat in der Frühneuzeit, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Ge­ schichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 188 ff.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 226; E. Kuhn, Der Bauernkrieg von 1525 in Oberschwaben. Bildung, Organisation und Programmatik der Haufen, Vortragsreihe 475 Jahre Bauernkrieg in Oberschwaben, S. 16 f.; T. Horst, Historische Aspekte der Kemptener Vereinödung – Zur Geschichte einer Vorform der Flurbereinigung in der Frühen Neuzeit, ZfV 2015 (1), 27, (29) m. w. N. Zu der im 15. Jahrhundert entstehenden Interessenvertretung in der Form der Landstände grund­ sätzlich D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S.  133 f.

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reformkatholischen und wohlfahrtsstaatlichen Bestrebungen,25 was sich etwa unter der Regentschaft des Fürstabts Honorius Roth von Schreckenstein an der Nichtvollstreckung des Urteils gegen die als Hexe verurteilte Anna Maria Schwägelin zeigen sollte,26 wenngleich die innerhalb der benediktinischen Kemptener Klostergemeinschaft herrschende systemimmanente Abwehrhal­ tung weitergehende Reformen gerade unter dem Fürstabt Rupert von Neuen­ stein an dem konservativen Widerstand des Konvents scheitern ließ.27 Die Herbergen standen unterdessen im Schatten dieser kirchlichen Fürstenherr­ schaft, waren aber dennoch ein nicht nur unwesentliches Element der Entste­ hung des frühmodernen Kemptener Klosterstaates, der in der Neuzeit instru­ mentell mit Blick auf das staatliche Wachstum auf das herbergsrecht­liche Institut zurückgreifen konnte.28 Das Fürststift Kempten war bis zuletzt ein moderner Staat, der auf dem karolingischen Herkommen des Fränkischen Kaisers Karl dem Großen auf­ baute, was sich auch an den Herbergshäusern bzw. den Herbergen als ausge­ schiedenen Gebäudebestandteilen zeigte, die auf dem königlichen Prinzip der Grundherrschaft wie den fränkischen Markgenossenschaften aufbauten und insoweit urgermanischer Herkunft waren. Nicht umsonst hatten die Her­ bergen eine ähnliche Gestalt wie die damaligen Gehöfte der fränkischen Markgenossen, die regelmäßig aus einem Wohnhaus, einem Stall, einem 25  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band II: Von Beendigung des Bauernkriegs bis zur Einverleibung in den baierischen Staat, Kempten 1847, S. 297; J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürst­ lichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 177 f., 182 ff.; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 64; L. Zenetti, Die Sür­ gen – Geschichte der Freiherren von Syrgenstein, Augsburg 1965, S. 105; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S.  230 f., 249 f., 421 ff. 26  W. Petz, Die letzte Hexe – Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin, Frank­ furt a. M. u. a. 2007, S. 163 ff. 27  J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S.  186 ff.; W. Brandmüller, Aufklärung im Fürststift Kempten, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1991 (54), 239, (249); G. Immler, Katholische Aufklä­ rung und Staatskirchentum im geistlichen Fürstentum, in: R. Bohlen (Hrsg.), Domini­ kus von Brentano, Trier 1997, S. 104 f.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 438 ff. 28  Vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, Mün­ chen 1933, S. 210; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kemp­ ten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S.  33 f.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S. 215, 233 ff. m. w. N.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S.  20 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S.  5 ff.



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Hofraum sowie aus etwaigen Kellern und Gärten bestanden.29 Als Kaiser Karl der Große das Fränkische Reich regierte, ging es ihm um die Erzeu­ gung von Reichsgewalt und um die Festigung seiner Macht, die in erster Linie über eine königliche Beamtenschaft sowie das von den Franken und den sonstigen Volksstämmen im Reich bereits vorgefundene Grundeigentum organisiert werden konnte.30 Die Herzogtümer wurden dabei in kleinere Grafschaften eingeteilt, die sich im Rahmen der vorhandenen Gauverfassun­ gen langsam herausbildeten.31 Mächtige Herrscher im Reich wurden entwe­ der unterworfen, oder aber mussten sich mit dem Stamm der Franken ver­ bünden, zum anderen wurden weltliche Herrscher wie auch Klöster und Kirchen durch die Vergabe von Krongut an das Reich gebunden.32 Diesem aristokratischen Prinzip, das sich in der königlichen Grundherrschaft und der Vollzugsgewalt einer Beamtenschaft zeigte, stand im Bereich der Volks- und Gauverfassung das demokratische Prinzip der Markgenossenschaft gegen­ über, in deren Rahmen freie Männer Sondereigen und zur gesamten Hand die markgemeine Allmende innehatten, die unter anderem aus Wäldern und Weiden bestehen konnte.33 Die Mark wurde von den königlichen Amtsleuten über die frühmittelalterlichen karolingischen Königshöfe als ministerien34 29  Eichhorn, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1815 (1), 147, (152 f.); O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körper­ schaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 194 ff.; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeit­ schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (58 ff.); G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrundherrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S. 35 ff.; H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1913 (34), 1, (5 ff.); A. Dopsch, Die Mark­ genossenschaft der Karolingerzeit, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Ge­ schichtsforschung 1913 (34), 401, (409 f.); C. v. Schwerin, Beitrag zu „Die Markge­ nossenschaft (Holtung) der 17 Dörfer um Amelinghausen“, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1936 (56), 499, (500). 30  Vgl. J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S. 271 ff., 277, 279 ff.; E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbindungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S. 94 ff., 122 ff., 324 ff.; W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 122. 31  J. Sporschil, Karl der Große, sein Reich und sein Haus, Braunschweig 1846, S.  279 f.; vgl. W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 126. 32  W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 122. 33  E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 55 ff.; G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrund­ herrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S.  31 ff. 34  A. Dopsch, Die Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, Band I, 2.  Aufl., Weimar 1921, S. 163 f.

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verwaltet, die damit auch als Koordinationszentren für die königliche Grund­ herrschaft anzusehen waren.35 Die neuzeitlichen Herbergen, die im Fürststift Kempten wie in anderen deutschen Territorien zunehmend dann als ausge­ schiedene Gebäudebestandteile in Erscheinung traten und zu dieser Zeit be­ reits eine klare Affinität zu den Volksstuben erkennen ließen,36 standen letzt­ lich am Ende einer historischen Kontinuitätslinie, welche die Herbergshäu­ ser als legitimierte Erben Karls des Großen erscheinen lassen. Bereits im Jahre 774 hatte der Kaiser des Fränkischen Reiches der Benediktinerabtei Kempten die kirchliche Immunität verliehen, nachdem dessen Gemahlin Hil­ degard, die aus einem alemannischen Herrschergeschlecht stammte, das ge­ gründete Kloster Kempten von Beginn an unterstützt hatte.37 Unter der ka­ rolingischen Königsfamilie entwickelte sich das Benediktinerkloster Kemp­ ten zu einem privilegierten königlichen Eigenkloster.38 Der mit der kirchli­ chen Immunität verbundene unantastbare königliche Schutz- und Amtsbereich hatte sich dabei räumlich auf die Marca Campidonensis bezogen, die fortan unter der Verwaltung eines Stiftsvogts gestanden hatte.39 Im Rahmen der Gauverfassung des Illergaus befand sich zudem im Raum der späteren 35  K. Strank/K. Schultheis, Die Landgüterverordnung Karls des Großen: Das Capitulare de villis vel curtis imperii, in: K. Strank (Hrsg.), Obst, Gemüse und Kräu­ ter Karls des Großen, Mainz 2008, S. 12. 36  Vgl. StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kemp­ ten Kataster 940 II, fol. 344–347; G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistorische Studie, Stockholm 1971, S. 7 f., 130 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 14 ff., 21, 25 ff. 37  F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (231 ff., 238 ff., 249 ff.); M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234; G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dotterweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S.  71 ff. 38  J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kemp­ ten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 19; P. Blickle, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik im Allgäu, in: ders., Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart u. a. 1989, S.  4 f.; G. Kreuzer, Gründung und Frühgeschichte des Klosters, in: V. Dot­ terweich u. a. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989, S. 71 ff. 39  Monumenta Germaniae Historica, Die Urkunden der deutschen Karolinger, hrsg. von der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Band I: Die Urkun­ den Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren, Berlin 1934, DDLD, S. 90 ff., Nr. 66; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (249 ff.); L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  2 ff.; G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), pub­ liziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern.



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reichsfürstlichen Siedlung uff der Rotach bereits zur Zeit Karls des Großen ein frühmittelalterlicher Königshof als Amtssitz, der im 8. Jahrhundert unter der Leitung eines klösterlichen Konventherrn namens Renobald Reinstetter von Hilgartisberg als praefectus gestanden hatte und an der verkehrsstrate­ gisch bedeutsamen Abzweigung zum Mariaberg und nach Heiligkreutz gele­ gen war.40 Der Königshof Hildegardisberg bestand aus der Hildegardisburg und einem sich direkt daneben befindenden Fronhof, auf dessen damaligem Gut auch heute noch zwei Herbergen angesiedelt sind,41 wobei sich dort im frühen Mittelalter in unmittelbarer Nähe auch die Richtstätte mit entspre­ chenden Galgen befunden hat, wo Gericht unter freiem Himmel gehalten wurde.42 Dieser Königshof, der auch mit einer heriberga ausgestattet war,43 liefert mitunter den ersten Berührungspunkt zu den späteren Herbergen in der Kemptener Fürstabtei. Denn das Wort heriberga stand im frühen Mittel­ alter unter anderem für eine vorübergehende Unterbringungsstätte für rei­ sende Fürsten und ihr Gefolge, beinhaltete mit der Silbe „Her“ aber auch einen grammatikalischen Bezug zu der kriegerischen Heeresverfassung bzw. zu der heri multitudo, d. h. dem Volk, womit eine private Wohnstätte verbun­ den sein konnte.44 Damit aber beschrieb das Wort heriberga genealogisch nichts anderes als die damalige Verfassung des Fränkischen Reiches, die sich sowohl durch aristokratische wie auch demokratische Elemente ausge­

40  Vgl. J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 3 f., 13; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 37 f.; J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), S. 87 ff.; A. Meister, Deutsche Verfassungsge­ schichte von den Anfängen bis ins 14. Jahrhundert, Leipzig 1913, S. 49 ff.; R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus Allgäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30. 41  Vgl. J. Buck, Die Hildegardisburg, Allgäuer Geschichtsfreund 1892 (5), S.  87 ff.; R. Dertsch, Das Stiftkemptische Salbuch von 1394, Sonderdruck aus All­ gäuer Geschichtsfreund Kempten, Neue Folge 31, Kempten 1930, S. 13, 21 ff., v. a. S. 25 und 30; StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kemp­ ten Kataster 940 II, fol. 344–347. 42  Vgl. J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S. 571; J. Zorn, Sammlung der merkwürdigsten Ereignisse in der ehemaligen Reichsstadt Kempten, Kempten 1820, S. 7. 43  Vgl. W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwal­ tungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Ber­ lin u. a. 2019, S. 164. 44  J. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Band I, München 1872, Sp. 1149  f.; J. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band II: F–L, Leipzig 1796, Sp. 1116.

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zeichnet hat,45 wobei die Markgenossenschaft das volksrechtliche Moment gebildet und mitunter über die Königshöfe zunehmend unter dem Einfluss der „praecepta regis“ gestanden hatte.46 In diesem Sinne war die Marca Campidonensis ein klösterlicher Immunitätsbereich, der unmittelbar dem König unterstellt war, wobei die freien Männer mit der Zeit zugunsten des Fränkischen Königtums zunehmend aus der märkischen Volks- und Gauver­ fassung herausgelöst worden waren.47 Die Klosterkirche in der Hand der fränkischen Königin Hildegard, so wie dies auf einem angefertigten Ge­ mälde im Fürstensaal der Kemptener Residenz aus dem 18. Jahrhundert dar­ gestellt ist,48 spiegelt deshalb die Frühgeschichte des früheren modernen Klosterstaates Kempten authentisch wider. Die auch heute noch anzutreffenden Herbergen sind dabei in einem weite­ ren Sinne als Relikte dieser fränkischen Reichsorganisation anzusehen. Dies belegen unter anderem auch die zahlreichen Nachweise der Wörter „­héberge“, „herberge“ und „hebergement“ in den nordfranzösischen Coutumes,49 wobei 45  E. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, Breslau 1855, S. 55 ff.; G. Grosch, Markgenossenschaft und Großgrund­ herrschaft im frühen Mittelalter, Nachdruck des Werkes Berlin 1911, Vaduz 1965, S.  31 ff. 46  G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band II: Die Deutsche Verfassung im Fränkischen Reich, 2. Aufl., Kiel 1870, S. 314; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtei­ lung 1881 (2), 1, (52 ff., v. a. 60 ff.); H. Wopfner, Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsfor­ schung 1913 (34), 1, (15, 17 f.). 47  Vgl. G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band II: Die Deutsche Ver­ fassung im Fränkischen Reich, 2. Aufl., Kiel 1870, S. 314; R. Schröder, Die Franken und ihr Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1881 (2), 1, (52 ff., v. a. 60 ff.); W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Aus­ gabe aus dem Jahre 1960, Berlin u. a. 2019, S. 180 f. 48  Abgedruckt bei R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 19. 49  Coustumes de la ville de Calais et pays, Calais 1630, S. 19 („herbergé“/„he­ berge“); Ch. Dumoulin, La Coustume de Paris, conférée avec les autres coustumes de France et expliquée par les notes de M. Charles Du Molin, Paris 1666, S. 230 f., 234 („heberge“); I. Potier, Les Coustumes du pays et duche de Bourbonnois, Paris 1654, S. 443 („heberge“); J.-B. de Buridan, Coustumes de la cité et ville de Rheims, villes et villages régis selon icelles, Rheims 1665, S. 734 („hebergement“); C. Thourette, Coutumes du Comté et Bailliage de Montfort-Lamaulry, Gambais, Neauphile-leChastel, Saint-Liger en Yveline, enclaves et anciens ressorts d’iceux, Paris 1693, S. 123, 125 („heberge“/„héberge“); A. Couturier de Fournoue, Coutumes de la Pro­ vince et Comté Pairie de la Marche, Clermont-Ferrand 1744, S. 113 („deux heritages



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in der sprachwissenschaftlichen Forschung zu Recht vertreten wird, dass die reinsten Formen von fränkischen Begriffen gerade im nordfranzösischen Raum anzutreffen sind.50 Insoweit waren die Herbergen in der Tat historische Zeitzeugen des Ancien Régime, hier verstanden als die europäische Epoche der frühen Neuzeit bis zur Französischen Revolution.51 Andererseits lassen die Herbergen, die grundsätzlich sowohl in ganzen Häusern wie insbesondere dann im hohen Mittelalter auch in Hausteilen, einzelnen Raumteilen oder Räumen bestehen konnten,52 mit der regelmäßigen strukturellen Beschrei­ bung aus Stuben und Kammern eine klare Verbindung zu dem fränkischen Haustypus des fränkischen Flurküchenhauses erkennen.53 Unter dem fränki­ schen Herrscher Karl dem Großen wurde die Verfassung des Fränkischen Reiches zu einer einheitlichen nationalen Reichsverfassung, die sich unter anderem auf das germanische Grundeigentum stützte.54 Die nun entstehende fränkische Benefizialverfassung mit dem zunehmend angeschlossenen Senio­ rat durchzog fortan den verfassten Herrschaftsraum, indem bestimmte Bene­ fizien gegen persönliche Pflichten vergeben wurden, die zunächst in erster Linie in Kriegsdiensten, aber auch in entsprechenden kriegsbedingten Her­ ou hebergemens“); L.-A. Sevenet, Coutume du Bailliage de Melun, Sens u. a. 1768, S. 212 („hébergement“). 50  G. Rohlfs, Germanisches Spracherbe in der Romania, Sitzungsberichte der Bay­ erischen Akademie der Wissenschaften – Philosophisch-historische Klasse 1944/46 (8), München 1947, S. 9 f. 51  Zum Begriff Ancien Régime R. Reichardt, in: F. Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. 1. Abendland – Beleuchtung, Band I, Darmstadt 2005, Sp. 375 f. 52  Vgl. E. Billon, Coûtume du Comte et Baillage d’Auxerre, Paris 1693, S. 232; T. de la Thaumassiere, Maximes du droit coustumier, Bourges 1691, S. 133  f.; M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 4 f.; G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistorische Studie, Stockholm 1971, S. 7 f., 130 ff.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 14 ff., 21, 25 ff. 53  Vgl. StAA, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kemp­ ten Kataster 940 II, fol. 344–347; H. Rüthing, Höxter um 1500 – Analyse einer Stadt­ gesellschaft, Paderborn 1986, S. 379 f.; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münche­ ner Au, München 1969, S. 14 ff., 21, 25 ff.; F. Novak, Das Stockwerkseigentum im Wiener Rechte des Mittelalters, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1934 (54), 89, (96 f. Fn. 1, 97 Fn. 2); G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistorische Studie, Stockholm 1971, S.  86 f., 130 ff. 54  E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbindungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S.  94 ff., 122 ff., 324 ff.; R. Sohm, Fränkisches Recht und römisches Recht – Prolegomena zur deutschen Rechtsgeschichte, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1880, 1, (7 ff.); W. Hartmann, Karl der Große, 2. Aufl., Stuttgart 2015, S. 122.

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bergspflichten und Abgaben sowie sonstigen Leistungen bestehen konnten.55 Insoweit waren die Klöster und Kirchen, aber auch der verbeamtete Adel und Freie zur entsprechenden Beherbergung des königlichen Gefolges verpflich­ tet.56 In diesem Sinne enthielten die frühmittelalterlichen karolingischen Königshöfe regelmäßig auch Fronhöfe, die unter anderem eine heriberga als Lager für das königliche Gefolge beinhalten konnten.57 Im wissenschaftli­ chen Diskurs wird daher auch zu Recht die Ansicht vertreten, dass „die“ Herberge ursprünglich eine herrenhausähnliche Behausung des Verwalters im Sinne eines Wirtschafts- oder Verwaltungsgebäudes, oder aber eine Behau­ sung für die Hofsweber, Bediensteten und Spinnmägde war, und dass das Wort Herberge später dann zunehmend synonym für einfachere Häuser Ver­ wendung fand.58 Im hohen Mittelalter verdinglichte sich das Benefizialsys­ tem zunehmend und formte sich zu dem feudalen Lehenswesen aus, dessen dogmatische Grundlage in dem geteilten Eigentum aus dominium directum et utile bestand.59 Durch Erbteilungen, Ganerbschaften oder Belehnungen zur gesamten Hand entstanden auf diese Weise zunehmend die ausgeschiedenen Bestandteile an Gebäuden.60 Doktrinär aber beruhte diese Rechtsordnung auf 55  Vgl. E. v. Peuker, Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten – in seinen Verbin­ dungen und Wechselwirkungen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volksleben, Teil I, Berlin 1860, S. 94 ff., 122 ff., 324 ff.; R.-H. Bautier, Lexikon des Mittelalters, Band I, Aachen bis Bettelordenskirchen, München u. a. 1980, Sp. 279 f. 56  Vgl. hierzu R.-H. Bautier, Lexikon des Mittelalters, Band I: Aachen bis Bettel­ ordenskirchen, München u. a. 1980, Sp. 279 f. 57  Vgl. W. Metz, Das Karolingische Reichsgut – eine verfassungs- und verwal­ tungsgeschichtliche Untersuchung, Neudruck der Ausgabe aus dem Jahre 1960, Ber­ lin u. a. 2019, S. 164. 58  G. Ränk, Die älteren baltischen Herrenhöfe in Estland – eine bauhistorische Studie, Stockholm 1971, S. 7 f., 130 ff., A. Hupel, Oekonomisches Handbuch für Liefund ehstländische Guthsherren, wie auch für deren Disponenten, Band I, Riga 1796, S. 222; H. Ojansuu, Altes und Neues zu den germanisch-finnischen Berührungen, in: Neuphilologische Mitteilungen 1918 (7/8), 49, (51). 59  Vgl. A. Thibaut, Über dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 71 ff.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 62 ff.; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 94 ff.; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 ff.); D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S. 273 ff. 60  Vgl. L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 80  ff., 145 ff.; F. Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen, Rechtshistorische Reihe Band IX, Frankfurt a. M. 1980, S. 66 ff.



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dem Rechtsinstitut des germanischen Gesamteigentums, das zusammen mit dem in den deutschen Land- und Lehensrechten enthaltenden Rechtsinstitut eines Sondereigen auf nur geliehenem und damit fremdem Grund und Boden das rechtliche Fundament für die Entstehung der Herbergen als Stockwerks­ eigentum bilden konnte.61 Das römische Recht stand den germanischen Rechtstraditionen zwar dabei nicht ohnmächtig gegenüber, die gelehrte römi­ sche Jurisprudenz war aber mehr oder weniger auf Hilfskonstruktion wie Servitute oder superficies angewiesen, um die besondere germanische Sym­ biose aus Sondereigen und Gesamteigen vor dem Hintergrund eines ober­ eigentümlich gebundenen Grund und Bodens und des im germanischen Kulturkreis anerkannten Gedankens eines möglichen Sondereigentums auf einem geliehenen Gut angemessen zu erfassen.62 Dagegen wurzelten in dem deutschrechtlichen Grundeigentum bereits hinreichende Implikationen für die entstehenden hoheitlichen Landesgewalten, welche die Herbergen vor dem Hintergrund der werdenden modernen Staaten der Neuzeit in ihrem lehensund grundherrschaftlich gebundenen Wesen bereits als öffentliche Sachen in Erscheinung treten ließen.63 Die neuzeitlichen Herbergen in der Kemptener Fürstabtei standen deshalb in erster Linie unter dem Eindruck der obrigkeits­ 61  Zur stockwerkseigentumsrechtlichen Gesamthandstheorie J. Kuntze, Die Ko­ jengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Abhandlungen aus dem Rechts­ leben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 53 f., 59 ff.; F. List, Stockwerkseigen­ tum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (51 ff.); P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stock­ werkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 602 f.; W. Merle, Das Wohnungseigentum im Sys­ tem des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 40 f.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirt­ schaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Ausgabe Weimar 1907, ­Aalen 1970, S. 80; allgemein J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., Mün­ chen 1864, S. 156 f.; O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band II: Ge­ schichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 130 f., 219. 62  Vgl. A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff.; C. v. Wächter, Ueber Theilung und Theilbarkeit der Sachen und Rechte, in: Archiv für die civilisti­ sche Praxis 1844 (27), 155, (177 ff. mit Fn. 34, 196 f.); Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (220 ff.); H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S. 117 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzel­ nen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwal­ tung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (211 ff.). 63  Vgl. C. Ludovici (Hrsg.), Großes vollständiges Universallexikon der Wissen­ schaften und Künste, 37. Band, Leipzig u. a. 1743, S. 536 f.; O. v. Gierke, Das deut­ sche Genossenschaftsrecht, Band II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Berlin 1873, S. 141; J. C. Bluntschli, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl., München 1864, S.  153 f.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 56.

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staatlichen Entwicklungen und einer absolutistisch-merkantilistischen Staats­ raison, die auf den weiteren Ausbau und das Wachstum der reichsfürstlichen Abtei ausgerichtet waren, aber auch unter dem Zeichen der Behebung des Wohnungs- und Raummangels, der infolge der bäuerlichen Migration ab dem 16. Jahrhundert und der zunehmenden Ansiedlung von Handwerkern, Klein­ gewerbetreibenden, Tagelöhnern usw. entstanden war.64 Damit ist der Entste­ hungsgrund der Gebäudezertrümmerungen angesprochen, wie sie unter ande­ rem auch in München, Regensburg, Nürnberg und Würzburg anzutreffen waren.65 Dort waren Verbotsstatute erlassen worden, um im Wege der guten Policey die Entstehung von Streit- und Händelhäusern zu verhindern, aber auch, um die für die Obrigkeit entstandene Unübersichtlichkeit hinsichtlich des Eigentumsbestandes zu unterbinden.66 Die Herbergen konnten deshalb durch fürstliche Verfügungen in der Form eines Lehens oder einer Emphy­ teuse, aber auch derivativ über die Teilung von bereits bestehenden Häusern entstehen, was in der späteren Zeit oftmals auch an dem Obereigentum des Fürststifts Kempten vorbei erfolgte.67 Unter dem staufischen Kaisertum kam dann im Jahre 1213 die Reichsbe­ lehnung mit den Grafschaftsrechten sowie unter dem Vorbehalt der beibehal­ tenen Hochvogtei der königliche Verzicht auf die Stiftsvogtei dazu, was als Ausdruck einer bewussten staufischen Reichsreform im Sinne einer „Feuda­ lisierung der Verfassung“68 des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Na­ 64  Vgl. J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 210; R. Kießling, Kloster, Stadt und Region im ‚Alten Reich‘ – Kempten als ‚Vorort‘ des Allgäus, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 33 f.; W. Petz, Zweimal Kempten: Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836), München 1998, S.  215, 233 ff. m. w. N.; R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 13 ff. 65  P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164  f. Fn. 15; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 15; N. Thun, Die rechtsgeschicht­ liche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechts­ geschichte, Hamburg 1997, S. 56 ff. 66  W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 23; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (127); vgl. auch H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichti­ gung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 4. 67  Vgl. Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. (Statut Nr. VI). Zum Problem der Entstehung von Herber­ gen ohne obereigentümliche Beteiligung W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Mün­ chener Au, München 1969, S. 86 ff. Ansonsten wären auch die entsprechenden Ver­ bote in den deutschen Territorien und Städten nicht notwendig gewesen; vgl. P. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, Band II, 2. Aufl., Tübingen 1897, S. 164 f. Fn. 15. 68  G. Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Sa­liern und Staufern, in: Il feudalesimo nell’alto medioevo, Band I, Spoleto 2000, S. 288.



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tion angesehen werden kann, indem die bereits über einen abgeschlossenen Machtbereich und damit nicht in territoriale Dynastiekämpfe verwickelte spätere Kemptener Fürstabtei durch die Reichsbelehnung in den Rang eines Reichsfürstentums erhoben wurde.69 Den Grundstein für diese Entwicklung hatte aber mit der Verleihung der kirchlichen Immunität wiederum bereits der Fränkische Kaiser Karl der Große gelegt, nachdem in den Grafschafts­ rechten bereits ein Teil der Herrschaftsrechte gebündelt war, die auch schon in den Rechten, welche mit der in den frühesten Zeiten der Abtei verliehenen kirchlichen Immunität einhergegangen und damit der Grafengewalt entzogen worden waren, enthalten waren.70 Das Prinzip der staufischen Reichsorga­ nisation, welches in der reichslehensrechtlichen Regalienleihe bestand und für die im späteren Mittelalter entstehenden Landesherrschaften die Grund­ lage zur Ausübung weltlicher Gewalt begründete,71 wurde im Fürststift Kempten in der frühen Neuzeit dann bewusst auch landesrechtlich übernom­ men, um die durch die stiftischen Bestrebungen dem Allgäuischen Gebrauch und damit einer fremden Gerichts-, Steuer- und Wehrhoheit entzogenen Un­ tertanen durch den lehensrechtlichen Treueid auch moralisch an den werden­ den Kemptener Territorialstaat zu binden.72 Darin liegt zum einen der Grund 69  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 18, Urkunde König Fried­ richs II. über die Belehnung des Abts mit den Grafschaftsrechten aus dem Jahre 1213; J. Haggenmüller, Geschichte der Stadt und der gefürsteten Grafschaft Kempten, Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des Bauernkriegs, Kempten 1840, S.  83 f.; F. L. Baumann, Zur ältern Geschichte des Stiftes Kempten, Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Augsburg 1876 (2), 219, (248 ff.); J. Rottenkolber, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten, München 1933, S. 32 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  7  f.; A. Layer/G. Immler, Das Fürststift Kempten, in: A. Kraus (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band III/2: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, 3. Aufl., München 2001, S. 312. Zur königlichen Obervogtei, die sich ab dem 12. Jahrhundert auch hinsichtlich der Kemptener Abtei durchgesetzt hatte, O. v. Dungern, Die Staatsreform der Hohenstaufen, in: Festschrift für Ernst Zitelmann, Dritte Abteilung. Zum öffentlichen Recht, München u. a. 1913, S. 21; M. Weis, Das ehemalige Fürststift Kempten, in: W. Schiedermair (Hrsg.), Klosterland Bayerisch Schwaben – Zur Erinnerung an die Säkularisation der Jahre 1802/1803, Lindenberg 2003, S. 234 ff. Zum geschlossenen Herrschaftsraum der Marca Campido­ nensis G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Politische Geschichte (Spätmittelalter), publi­ ziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 24 f. m. w. N. 70  So zu Recht L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  8 f. 71  Vgl. A. Schmidt, Bischof bist Du und Fürst – die Erhebung geistlicher Reichs­ fürsten im Spätmittelalter; Trier, Bamberg, Augsburg, Heidelberg 2015, S. 554, 556 f. m. w. N. unter Erläuterung der Ansicht Kriegers. 72  Zum lehensrechtlichen Treueid G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leip­ zig 1807, S. 3 ff.

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H. Schluss

dafür begründet, dass der Grundherrschaft gegenüber dem Lehenswesen im Fürststift Kempten im Ergebnis bis zuletzt nur eine geringe Bedeutung zuge­ kommen ist, zum anderen aber auch, dass die Eigenschaft der Bauernlehen als rechte Lehen in der Kemptener Fürstabtei ohne weiteres anerkannt war.73 Eine weitere Kontinuität zu dem Fränkischen Kaiser Karl dem Großen zeigte sich aber auch an den im Fürststift Kempten für das Lehenswesen anwend­ baren Rechtsquellen, zu denen als die „gemaine(n) kayserlichen Satzungen“74 auch der Schwabenspiegel gehörte.75 Die Norm des Art. 64 der Landesord­ nung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwi­ schen 1593 und 1641 enthielt insoweit eine partikulargesetzliche Öffnungs­ klausel, die auf die gemeinen kaiserlichen Satzungen als Rechtsquelle ab­ stellte, womit der Schwabenspiegel, auch als „Kunic Karls Reht“ bezeichnet,76 mit Gesetzeskraft im Fürststift Kempten anerkannt war.77 Der Schwabenspie­ gel enthielt dabei ausdrücklich die Rechtsinstitute eines Sondereigentums an einem auf fremden Grund errichteten Hauses und einer Belehnung zur ge­ samten Hand sowie Regelungen zu den Lehensarten der Erb- und Zinslehen, weshalb sich das Lehenswesen im neuzeitlichen Klosterstaat Kempten ent­ sprechend ausformen konnte.78 Nachdem der Schwabenspiegel die Kategorie der Zinslehen ausdrücklich regelte, wurden liegende Güter im Fürststift 73  ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 215 ff.; L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S. 100; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 89. 74  Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, StAA Fürststift Kempten, Re­ gierung Bände 5, fol. 30 f.; vgl. J. Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, Argen­ torati 1728, S. XV; N. Grundlings, Die Geschichte der noch Uebrigen Wissenschaf­ ten, Fürnehmlich Der Gottes-Gelahrheit, wie auch besonders eine umständliche His­ torie aller und jeder Theile der Rechts-Gelahrheit bis 1742, Bremen 1742, S. 772. 75  Vgl. P. Blickle, Die Landstandschaft der Kemptner Bauern, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 1967 (30), 201, (204 ff.); G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/ D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 ff. m. w. N.; vgl. M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S. 17 f. 76  Ch. Bertelsmeier-Kierst, ‚Schwabenspiegel‘ oder Kunic Karls Reht, in: dies. (Hrsg.), Kommunikation und Herrschaft, Stuttgart 2008, S. 125 ff. 77  Vgl. P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  67 ff.; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österrei­ chischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vor­ lesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 55 ff. 78  Vgl. H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LandR II Art. 189, S. 129, LehenR Art. 56, S. 259, LehenR Art. 61, S. 260 f., LehenR Art. 66, S. 263, LehenR Art. 125, S. 291 f.



H. Schluss659

Kempten oftmals als Zinslehensgüter vergeben.79 In Abkehr von der adels­ privilegierten Feudalverfassung des Mittelalters setzte sich auch in der Kemptener Fürstabtei zudem ab dem 15. Jahrhundert die für den bayerischösterreichischen Raum bereits wissenschaftlich nachgewiesene Belehnung von nicht dem Adelsstand angehörigen Personen mit entsprechenden Beutel­ lehen durch, wie die Lehensbücher der frühneuzeitlichen Fürstäbte des Kemptener Reichsfürstentums beweisen.80 Außerdem setzte sich neben den Zinslehen im Lichte des partikulargesetzlich als geltend angeordneten Schwabenspiegels auch die Kategorie der Erblehen durch, was sich schließ­ lich in der allgemeinen Anerkennung eines Regelfalls ausdrückte, d. h., dass später sämtliche Lehensgüter Erblehen waren, und zwar unabhängig von dem Umstand, ob die Vererbbarkeit auf den speziellen Bedingungen des Le­ hensvertrages, so wie im Sinne der lex investiturae, oder auf der gesetzlichen Sukzessionsordnung beruhte.81 Deshalb kam ein Rechtsgutachten um das Jahr 1700 auch zu dem Ergebnis, „daß unser quaestioniert allgeyische lehen seyen und müssen genennet werden feuda ignobilia censualia haereditaria.“82 Daneben führte die Häuser- und Bodenleihe im Lichte des Gedankens der Zinslehen als Lehensart sui generis wie in der Münchener Au auch in der Kemptener Fürstabtei zu einer lokalen Herausbildung einer emphyteutischen Bodenzinsgerechtigkeit bei Herbergen.83 Die Bodenzinspflicht war unterdes­ 79  H. Derschka, Der Schwabenspiegel – übertragen in heutiges Deutsch mit Il­ lustrationen aus alten Handschriften, München 2002, LehenR Art. 125, S. 291 f. Zum Vorkommen von Zinslehen im Fürststift Kempten StAA, Fürststift Kempten, Lehen­ hof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; F. Lütge, Die bayerische Grund­ herrschaft, Stuttgart 1949, S. 77; E. Klebel, Territorialstaat und Lehen, Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Sigmaringen 1972, S. 216. 80  Vgl. P. Mayr, Handbuch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S.  106 m. w. N.; StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 1; abrufbar unter www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/ (letzter Abruf: 02.03.2022). 81  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 8; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XLIX f.; G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des König­ reichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 109. 82  StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S.  7 ff.; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geist­ licher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 355 Fn. 18. 83  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Urbarbuch der Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Martinszell u. a., Laufzeit 1717–1744, Hofkammer Bände 291, Rottach; Stadtarchiv Kempten, Landtafelbände der Gemeinde Sankt Lorenz II, Einträge zu Gemeinde

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H. Schluss

sen in Kombination mit dem bis zuletzt bestehenden Genehmigungsvorbehalt bei der Veräußerung von ganzen Häusern und Herbergen das fortschrittliche Korrektiv des bis zur Auflösung des Stifts im Jahre 1803 beibehaltenen Obereigentums, das bis zur vollständigen Allodifikation als eine Legitimi­ tätsreserve im Sinne der patrimonialen Staatstheorie angesehen werden konnte,84 wenngleich mit der Zeit auch hier das ausschließliche Motiv einer Steigerung der Staatsfinanzen dominiert hatte.85 Der Grund für den rechtlich defizitären Zustand des Stockwerkseigen­ tums aber liegt in der in dogmatischer Hinsicht aus dem römischen Recht entlehnten Rechtsfigur des geteilten Eigentums aus dominium directum et utile sowie der unzureichenden absorbierenden Kraft des sich im Zuge der Allodifikation durchsetzenden einheitlichen Eigentumsbegriffs unter den ­europäischen Privatrechtskodifikationen wie auch dem Bürgerlichen Gesetz­ buch.86 Unter dem französischen Code Napoléon bzw. dem Badischen St. Lorenz, Rottach, unter dem Vorbehalt späterer Änderungen im Königreich Bay­ ern; zu letzterem auch Stadtarchiv Kempten, Landtafelbände der Gemeinde Sankt Lorenz I, Blatt 5 zu den Dominical-Verhältnissen. Grundsätzlich zu den Urbaren M. Bader, Urbare, publiziert am 19.11.2014, in: Historisches Lexikon Bayern; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 46 ff., 57 ff., 65 ff.; S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privatrechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 2 f. 84  Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1920, S. 199  ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S. 332 f. 85  Vgl. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof B 409, Rechtsgutachten erstattet um 1700, S. 3, 5, 9 ff., 21; J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hoch­ fürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privat­ recht betreffenden Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S.  LIII ff.; G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 111; W. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, Basel 1861, S. 285; zur entsprechenden finanzpolitischen Bedeutung T. Mayer, Ge­ schichte der Finanzwissenschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. Gerloff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, Band I, Tübingen 1952, S. 247 ff.; zu den Einnahmequellen der Kemptener Fürstabtei auch im Zusam­ menhang mit den Gotteshaushubern G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Germania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 329 ff., v. a. S. 347 ff. 86  Zur Lehre vom geteilten Eigentum A. Thibaut, Über dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S.  71 ff.; Ch. Trefurt, System des Badischen Zivilrechts in Zusätzen zur zweiten Auflage von Geheimen Hofrath Dr. K. S. Zachariae’s Handbuch des Französischen Zivilrechts, Heidelberg 1824, S. 94 ff.; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S.  314 f.; F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., Band II/1: Sachenrecht, Berlin 1905, S. 432 mit Fn. 16; Planck’s Kommentar



H. Schluss661

Landrecht zeigte sich vor diesem Hintergrund deshalb mit der Vorschrift des Art. 664 C.c. und dem Satz 664 des Badischen Landrechts das Rechts­ institut der „servitudes établies par la loi“, deren stockwerksbezogene Grundsätze hinsichtlich Unterhaltung, Instandsetzung und entsprechender Kostentragung auch im Königreich Bayern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Rahmen eines Entwurfs für ein eigenes bayerisches Bür­ gerliches Gesetzbuch angeführt worden war.87 Die linksrheinische Rechts­ figur der „servitudes établies par la loi“ baute auf dem französischen droit coutumier auf, das bereits frühzeitig entsprechende Belastungen der einzel­ nen im Rahmen eines Hauses bzw. einer Herberge anzutreffenden Stock­ werke anerkannt hatte, woraus sich spiegelbildlich konkrete Leistungspflich­ ten der einzelnen Teilhaber ergaben,88 und setzte damit die dogmatischen Versuche der gelehrten Jurisprudenz fort, die ab dem 15. Jahrhundert zuneh­ mend versucht hatte, die überkommene Erscheinung des Stockwerkseigen­ tums rechtlich zu erfassen, indem mitunter dienstbarkeitsähnliche Rechts­ verhältnisse an der obereigentümlich gebundenen und damit insoweit frem­ zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 325; G. Deter, Allodifikation, Grundablösung und das Entschädigungsproblem, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger­ manistische Abteilung 2013 (130), 205, (209 ff.); D. Strauch, Das geteilte Eigentum in Geschichte und Gegenwart, in: G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 07. November 1984, Berlin u. a. 1984, S. 273 ff.; F. Krauss, Das geteilte Eigentum im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1999, S.  19 ff.; Ch. Ulmschneider, Eigentum und Naturrecht im Deutschland des beginnen­ den 19. Jahrhunderts, Berlin 2003, S. 98 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Wien 1925, S. 332 f. Zur Allodifikation G. Deter, ebd., S. 212 ff. Zum einheitlichen Eigen­ tumsbegriff unter dem französischen Recht K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 491 ff., 521 ff.; zur Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Abgrenzung zu dem germa­ nischen Rechtsinstitut des Stockwerkseigentums auch O. v. Feilitzsch, Stockwerksei­ gentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, Mün­ chen 1920, S. 24 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 166 ff. 87  Zur Rechtsfigur der „servitudes établies par la loi“ M. Toullier/Ch. Bonaventura, Le droit civil français – suivant l’ordre du code, ouvrage dans lequel on a réuni la théorie à la pratique, Band I, Bruxelles 1837, S. 108 ff.; vgl. F. Hadrian/J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzge­ bung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S.  94 ff.; K. Baurittel, Handbuch des badischen bürgerlichen Rechts, Band II, Carlsruhe 1839, S. 1336; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürger­ lichen Rechts, Berlin 1979, S. 19 Fn. 21; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 740. 88  Vgl. ­J.-M.  Lahaye, Le code civil annoté, Paris u. a. 1840, S. 142; F. Hadrian/ J. Thesmar, Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neu­ ere Gesetzgebung, so wie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, Band I, Elberfeld 1845, S. 96.

662

H. Schluss

den Sache konstruiert worden waren, andererseits das Stockwerksrecht auf der Grundlage des gemeinen römischen Rechts als superficies angesehen worden war.89 Diese Versuche waren aber mehr oder weniger ungeeignet, die besondere Eigenart des Stockwerkseigentums zu fassen, nachdem sich dieses als germanisches Rechtsinstitut durch eine spezifische Symbiose aus Sondereigen und darauf bezogenem Gesamteigen auszeichnete und in seiner herrschaftlichen Verwurzelung nach den Grundsätzen des materiellen ger­ manischen Eigentumsbegriffs an ein die privatrechtliche Sphäre überlagern­ des dominium directum angebunden war.90 Wenn herrschaftlicher Grund und Boden als Lehen oder emphyteutisches Gut vergeben wurde, geschah dies mit der neuzeitlichen Entstehung eines Obrigkeitsstaates durch einen hoheitlichen Rechtsakt des Fürststifts Kempten.91 Der Fürstabt übte inso­ weit die weltliche Herrschaft über die in seinem Territorium angesiedelten 89  Vgl. A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff.; C. v. Wächter, Ueber Theilung und Theilbarkeit der Sachen und Rechte, in: Archiv für die civilisti­ sche Praxis 1844 (27), 155, (177 ff. mit Fn. 34, 196 f.); Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (220 ff.); H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Berlin 1867, S. 117 ff.; Mandry, Gibt es Sondereigenthum (dominium divisum) an einzelnen Stockwerken oder einzel­ nen Gelassen eines Hauses?, Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwal­ tung mit Einschluss der Administrativjustiz 1870, 193, (211 ff.). 90  J. Kuntze, Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum – zwei Ab­ handlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes, Leipzig 1888, S. 53 f., 59 ff.; F. List, Stockwerkseigentum, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1936 (60), 49, (51 ff.); W. Merle, Das Woh­ nungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 40 f.; L. Wenger, Zum Wohn- und Wirtschaftsrecht in den Papyri, Aus römischem und bürgerlichem Recht, Ernst Immanuel Bekker zum 16. August 1907 überreicht, Nachdruck der Aus­ gabe Weimar 1907, Aalen 1970, S. 80; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stock­ werkseigentums, in: H. Lentze/ders. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Carl Hellbling zum 70. Geburtstag, Salzburg 1971, S. 602 f. 91  Vgl. ­K.-F.  Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts – nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, 3 Bände, Berlin 1797, S. 213; P. Mayr, Hand­ buch des gemeinen und Bayerischen Lehnrechts, Landshut 1831, S. 8 f.; G. v. Weber, Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band I, Leipzig 1807, S. 4  f., 32  f.; ders., Handbuch des in Deutschland üblichen Lehenrechts nach den Grundsätzen Georg Ludwig Böhmer’s, Band III, Leipzig 1810, S. 14 f.; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 431; F. Chimani, Erläuterung des longobardischen, teutschen, und österrei­ chischen Lehenrechtes. Nach des Herrn Justizraths Böhmers Prinzipien und den Vor­ lesungen an der Wiener hohen Schule, Wien 1801, S. 12, wenngleich dieser noch den Lehensvertrag betont. A.  A. dagegen S. Schlinker/H. Ludyga/A. Bergmann, Privat­ rechtsgeschichte, München 2019, § 16 Rn. 4.



H. Schluss663

liegenden Güter aus.92 In funktionaler Hinsicht war hierfür in der Kempte­ ner Fürstabtei hinsichtlich des Lehenswesens zunächst die Lehensstube, später dann der Lehenhof, zuständig, dem die Verteilung und Verwaltung der Lehensgüter oblagen.93 Die Vergabe der unbeweglichen Güter war dabei unter anderem durch das Wachstum des modernen Klosterstaates Kempten motiviert und damit subventionsähnlich.94 Die erste Stufe des zweigliedri­ gen Rechtsverhältnisses aus der Entscheidung über die Vergabe des liegen­ den Guts und dem eigentlichen Lehens- und Leihevertrag war deshalb staatsrechtlicher Natur, womit durch die entsprechende reichsfürstliche Ver­ fügung eines Anbaus an oder der Aufstockung auf ein Haus bzw. die Zu­ stimmung zu einer Teilung eines bestehenden Gebäudes in mehrere Herber­ gen notwendigerweise auch die stillschweigende Bestellung von Servituten wie servitus oneris ferendi, tigni immittendi, Wasserleitungsrechte usw. oder auch ein gemeinschaftlicher Hofraum einhergingen, wobei eine mehreren angrenzenden Nachbarn zustehende Fläche ein ungeteiltes Eigentum im Sinne des späteren Art. 181 II EGBGB markieren konnte.95 Gerade über die 92  Vgl. nur M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senats- und Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 31 f.; B. Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, Marburg 1986, S. 10 f. m. w. N.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 52 ff., v. a. S. 56. 93  G. Immler, Kempten, Fürstabtei: Territorium und Verwaltung, publiziert am 15.09.2009, in: Historisches Lexikon Bayern. 94  Vgl. T. Mayer, Geschichte der Finanzwissenschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. Gerloff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissen­ schaft, Band I, Tübingen 1952, S. 236 ff., v. a. S. 244 ff.; M. Körner, Steuern und Abgaben in Theorie und Praxis im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: E. Schremmer (Hrsg.), Steuern, Abgaben und Dienste vom Mittelalter bis zur Gegen­ wart, Stuttgart 1994, S. 60 ff., 70 f. Zur neuzeitlichen Finanzverfassung im Fürststift Kempten L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  39 ff., 45; G. Immler, Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Fürstabtei Kempten im 18. Jahrhundert, in: H. Röckelein/D. Schiersner (Hrsg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand – Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Studien zur Ger­ mania Sacra, Neue Folge 6, Berlin u. a. 2018, S. 329 ff. 95  Zur Sondereigentumstheorie und zu der Notwendigkeit von immanenten sons­ tigen Dienstbarkeitsverhältnissen R. Schröder, Ueber eigentümliche Formen des Mit­ eigentums im deutschen und französischen Recht, Heidelberg 1896, S.  31  f.; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 20; Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), 211, (215). Zu den hoheitlichen Teilungsverfügungen als Titel M. Desgodets, Les loix des bâtiments suivant la coutume de Paris, Paris 1776, S. 3 f.; M. Hoffmann, Entwicklung der Hauptbegriffe der Lehre von der Grundherrschaft, den Zwischenregierungs-, Senatsund Wahlkapitulationsrechten der teutschen Domkapitel, Kempten 1790, S. 7 ff. mit Fn. b. Zu den regelmäßig stillschweigenden hoheitlichen Verfügungen durch die Ob­

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H. Schluss

Zuwege übte der Fürstabt seine Hoheitsgewalt aus, wie eine reichsfürstliche Verordnung vom 22.09.1741 beweist, mit der die schädlichen Fahr- und Fußwege ohne Rücksicht auf die nach gemeinem Recht vorwaltende Ver­ jährung abgeschafft wurden.96 Den Stockwerkseigentümern standen die ge­ meinschaftlichen Einrichtungen einzeln sowie im genossenschaftlichen Ver­ band zur Nutzung zu, etwaige durch Mehrheitsbeschluss gefasste Entschei­ dungen über Änderungen bedurften aber der Zustimmung des Obereigentü­ mers.97 Damit aber erschien die Nutzung eines Stockwerks gleich einer Dienstbarkeit an der obereigentümlichen und damit insoweit fremden Sa­ che.98 Als dann im 19. Jahrhundert das Obereigentum durch die Allodifika­ tion zunehmend abgelöst wurde und sich langsam der einheitliche Eigen­ tumsbegriff in den europäischen Rechtsordnungen durchsetzen konnte, er­ starkten die ausschließlichen Benutzungsrechte an ausgeschiedenen Gebäu­ debestandteilen zu Sondereigentum, dem nun ein ungeteiltes Miteigentum angebunden war,99 womit die Sondereigentumstheorie im französischen Raum, in Baden, Württemberg und Bayern herrschend werden konnte.100 Die von den Obrigkeiten regelmäßig stillschweigend mitbestellten Servitute rigkeiten K. Zachariä v. Lingenthal, Handbuch des französischen Zivilrechts, Band I, 6. Aufl., Heidelberg 1875, S. 453 ff. für das französische Recht; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 21 ff. für Bayern. Zu dem ungeteilten Miteigentum im Sinne von Art. 181 II EGBGB E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 189 mit Fn. 6; ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (128). 96  G. v. Weber, Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statutar-Rechte des Königreichs Bayern mit Ausschluss des gemeinen, preußischen und französischen Rechts, nebst den allgemeinen, dieselben abändernden, neueren Gesetzen, Augsburg 1841, S. 112. Zur Begründung von altrechtlichen Servituten durch Hoheitsakt BayObLGZ 3, 500, (500, 508 f.) zu einem fürstbischöflichen Erbbestandbrief aus dem Jahre 1792; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das König­ reich Baiern, Band I, München 1823, S. 21 ff.; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 19. 97  Vgl. Ph. Karrer, Getreue und vollständige Beschreibung und Geschichte der Altstadt Kempten – seit ihrer Entstehung bis auf den Tod des Königs Maximilian I., Kempten 1828, S. 356 ff. (Statut Nr. VI); G. v. Bülow, Allmende und Markgenossen­ schaft, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1903 (1), 120, (121 ff.); L. Duncker, Das Gesammteigenthum, Marburg 1843, S. 164 ff., 172 ff. 98  A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über ein­ zelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 67 ff. 99  Vgl. J. Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France, ou commentaire et complément des codes Français, Band VIII, Paris 1827, S. 389; J. M. Boileux, Die Controversen des französischen Civilrechts nach dem Commen­ taire sur le Code civil, Stuttgart 1841, S. 164 f. 100  E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S. 194.



H. Schluss665

mussten dabei kompensiert werden, was aber oftmals nicht gelang, womit das Rechtsinstitut des Stockwerkseigentums, das auf einer urgermanischen Rechtstradition aufbaut und sich mit dem Prinzip der Horizontalteilung in Gegensatz zu dem aus dem römischen Recht stammenden Grundsatz super­ ficies solo cedit stellt, unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu einer anorma­ len Eigentumserscheinung wurde, die nur ausnahmsweise in ihrem Altbe­ stand geduldet wird.101 Das Bürgerliche Gesetzbuch baut auf dem aus dem römischen Recht stam­ menden Grundsatz superficies solo cedit auf und stellt mit dem damit ver­ bundenen Akzessionsprinzip, wonach lediglich vertikal geteilte Gebäude Gegenstand besonderer Rechte sein können, einen Gegenentwurf zu der sich im germanischen Rechtskreis gebildeten stockwerkseigentumsrechtlichen Konzeption mit einem Sondereigentum unterschiedlicher Teilhaber an hori­ zontal geteilten und ausgeschiedenen Bestandteilen eines Gebäudes dar.102 101  Vgl. F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gießen 1818, S. 286 ff. unter Bezug auf Dig. 43, 17, 3, 7; G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Be­ ziehung, Band I, Berlin u. a. 1888, S. 443; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S.  24 ff.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 166 ff. 102  H. Degenkolb, Platzrecht und Miethe – Beiträge zu ihrer Geschichte und The­ orie, Berlin 1867, S. 114 ff.; Baun, Ueber das Princip des einheitlichen Eigenthums an Boden, Gebäude und deren einzelnen Theilen, Archiv für die civilistische Praxis 1860 (43), S.  211 ff.; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 415 f.; O. Stobbe/H. Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Band II/1, 2. Aufl., Berlin 1896, S. 283 f.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, unver. Nachdr. der 1. Aufl. 1905, Berlin 2010, S.  40 ff. m. w. N.; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 (zu Art. 42 BayÜGBGB); O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 11  ­ ff.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 10  ff., 40  ff.; H.  Zoep­pritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 10; Planck’s Kom­ mentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachen­ recht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deut­ sche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münche­ ner Au, München 1969, S. 13 f., 22 ff., 30 ff., 116; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 1; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stock­ werkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (387 f.); O. Bogenschütz, Das Stock­ werkseigentum, ein aussterbendes Recht in Hohenzollern, BWNotZ 2002 (3), 58, (58 f.); ­H.-W.  Thümmel, Abschied vom Stockwerkseigentum (?), JZ 1980 (4), 125, (126 ff.); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 21 ff., 137 ff.;

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H. Schluss

Nach dem im römischen Recht naturrechtlich anerkannten Grundsatz super­ ficies solo cedit ist maßgebend, dass das Gebäude mit dem Boden eine un­ zertrennbare Einheit bildet, weshalb auch das Gebäude oder abgeteilte we­ sentliche Bestandteile von diesem nicht ohne den Boden besessen werden können, so dass daraus auch bereits Savigny folgerte, dass es bei einem Haus mit mehreren Stockwerken als unmöglich vorausgesetzt ist, dass es verschie­ dene Eigentümer der Stockwerke gibt, sondern es muss – so Savigny – viel­ mehr einen Hausbesitzer, einen Eigentümer, geben.103 Aus diesem Grund waren im Zuge der späteren Einführung eines reichseinheitlichen Bürgerli­ chen Gesetzbuchs überleitende Vorschriften für das überkommene Rechtsin­ stitut des Stockwerkseigentums notwendig, die das Rechtsinstitut für die Rechtspraxis weiterhin handhabbar machten, aber auch die einzelnen Lan­ desgesetzgeber ermächtigten, in ihrem Sinne die bestehenden altrechtlichen stockwerkseigentumsrechtlichen Vorkommen durch Gesetze zu ändern.104 Nach der Vorschrift des Art. 182 EGBGB bleibt das beim Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 bereits begründete Stockwerksei­ gentum bestehen, wobei sich das Rechtsverhältnis der einzelnen Beteiligten nach den bisherigen Gesetzen richtet.105 Aus dem klaren Wortlaut der Norm R. Bauer, Verlorene Lebenswelten, München 2015, S. 10 ff.; Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 42 f.; Bundesminister für Wohnungsbau (Hrsg.), Denkschrift be­ treffend Stockwerkseigentum, Miteigentum und dingliches Wohnungsrecht im Rah­ men des kommenden Wohnungsbaues, 1950, S. 4 f. 103  F. C. v. Savigny, Das Recht des Besitzes – eine civilistische Abhandlung, Gie­ ßen 1818, S. 258, 286 ff.; Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 42 f., 45; B. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deut­ sche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25; vgl. auch A. Thibaut, Ueber dominium directum und utile, in: ders., Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Band II, Jena 1801, S. 86. 104  Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, Band III/2: Sachenrecht, Berlin u. a. 1888, S. 45 f.; B. Mugdan, Die ge­ sammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III: Sachenrecht, Berlin 1899, S. 25, 243 f.; H. Becher, Die gesammten Materialien zu dem Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 09.06.1899, Band I, München 1899, S. 33 f., 39 f.; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestim­ mungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stutt­ gart 1907, S. 9. 105  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Lan­ desprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933,



H. Schluss667

kann ersehen werden, dass auf das Außenverhältnis zukünftig ausschließlich das Bürgerliche Gesetzbuch anwendbar ist, während es hinsichtlich des In­ nenverhältnisses bei den bisherigen Regelungen verbleibt.106 Aus diesem Grund ist auch ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb eines mit Stockwerk­s­ eigentum belasteten Grundstücks nach den Vorschriften der §§ 891 ff. BGB möglich, wenn das entsprechende Erwerbsgrundstück keine Eintragung bzw. Belastung im Grundbuch aufweist.107 Mit den Normen des Art. 42 Bay­ ÜGBGB bzw. des heute geltenden Art. 62 BayAGBGB hat der Bayerische Gesetzgeber von seiner Änderungskompetenz nach Art. 218 EGBGB Ge­ brauch gemacht und das zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetz­ buchs bestehende Stockwerkseigentum einer dem Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechenden Miteigentumsregelung im Sinne von unechtem Stockwerkseigentum angepasst.108 Diese Vorschrift erfasst aber neben den S. 323; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürgerliches Ge­ setzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stutt­ gart 1984, Art. 131 Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrecht­ liches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). 106  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 418 f.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S.  257 f.; E. Dorner/A. Seng, Badisches Landesprivatrecht, Ergänzungsband IV: Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preussens, Halle a. d. S. 1906, S.  193 f., 196 f.; E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grund­ eigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S. 151; E. Schott, Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter der Einwirkung des Reichsrechts, Stuttgart 1907, S. 42 f.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 33; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungs­ gesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), S. 83; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117 f.; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (402); N. Thun, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Stockwerkseigentums – ein Beitrag zur deutschen Privatrechtsgeschichte, Hamburg 1997, S. 142 f.; G. Kohl, Stockwerkseigentum, Berlin 2007, S. 165. 107  Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.1988, Az.: 12 U 110/88 = BWNotZ 1989 (3), 84. 108  W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayAGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 3 ff.

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H. Schluss

uneigentlichen Formen dieses Rechtsinstituts nur das altrechtliche echte Stockwerkseigentum im engeren Sinne, d. h. die Fälle, wo die Grundfläche sämtlichen Teilhabern gemeinschaftlich zusteht, während es für das altrecht­ liche echte Stockwerkseigentum im weiteren Sinne wie auch bei einzelnen Räumen ohne entsprechendes Miteigentum an der Grundfläche oder den sonstigen gemeinschaftlichen Einrichtungen, für real geteilte Haushälften oder besondere Mischformen aus Allein- und Miteigentum bei der Anwend­ barkeit der Norm des Art. 182 EGBGB verbleibt,109 die von ihrem Telos unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch nach Art. 189 I 3 EGBGB nicht mehr zulässige Eigentumsformen sichern möchte.110 Dieses Ergebnis wird auch verfassungsrechtlich bestätigt, weil sich die Änderungskompetenz des Art. 218 EGBGB nur auf altrechtliche Rechtsverhältnisse bezieht, die vor dem 01.01.1900 bereits begründet waren.111 Im Mittelpunkt des Regelungs­ komplexes des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch steht da­ bei in dogmatischer Hinsicht der Grundsatz der betroffenen Einheitlichkeit, der als abgrenzender Parameter einer unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch noch zulässigen Inhaltsänderung eines Altrechts zu einer nun unzulässigen Neubegründung von Stockwerkseigentum angesehen werden kann.112 Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die landesgesetzgeberische Kompetenz des Art. 218 EGBGB aber umfassend zu verstehen, weshalb durch den Gesetzgeber im Rahmen seiner umfassenden 109  Vgl. zur Anwendbarkeit des Art. 62 BayAGBGB auf das echte Stockwerksei­ gentum im engeren Sinne Bay-ObLGZ 3, 1023 ff.; BayObLGZ 22, 270 ff.; BayOb­ LGZ 1967, 397, (399); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 419 ff.; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 258; W. Merle, Das Wohnungseigentum im System des bürgerlichen Rechts, Berlin 1979, S. 27, 35; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (399) m. w. N.; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bayern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 58; vgl. auch H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verord­ nung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 194. 110  BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; H. Habicht, Die Einwir­ kung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; vgl. G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigen­ tum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388). 111  Vgl. M. Mittelstadt, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art.  1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 218 Rn. 3, 5; zu den rechtlichen Folgen kompetenzwidrig erlassenen Landesrechts H. Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Handkommentar, 13. Aufl., Baden-Baden 2022, Art. 31 GG Rn. 1 ff., 5 m. w. N. 112  Vgl. F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253.



H. Schluss669

Einschätzungsprärogative in Bezug auf altrechtliche Rechtsverhältnisse an Stockwerkseigentum auch Modifikationen gebilligt werden müssen, die in die Nähe einer Neubegründung von Stockwerkseigentum kommen können.113 Fehlt es dagegen an einem entsprechenden Akt des Landesgesetzgebers bleibt es bei dem Grundsatz des Art. 189 I 3 EGBGB, wonach die Neube­ gründung von Stockwerkseigentum ausgeschlossen ist.114 Dementsprechend schützt Art. 182 EGBGB bestimmte Formen von Stockwerksrechten, ohne diese aber einer Bestandsgarantie für die Ewigkeit zu unterstellen.115 Bei den einzelnen Ausnahmen, bei denen es bei der Anwendbarkeit des Art. 182 EGBGB verbleibt, gelten weiterhin im Innenverhältnis die bisherigen Ge­ setze, während sich das in eine Miteigentumsgemeinschaft geänderte bayeri­ sche Stockwerkseigentum unter Ausschluss der Gemeinschaft grundsätzlich nach den §§ 741 ff., 1008 ff. BGB bemisst.116 Einzelne altrechtliche Benut­ zungs- und Verwaltungsregelungen, die von den Teilhabern gemeinschaftlich beschlossen wurden, können aber fortgelten.117 Im Übrigen lassen sich sämt­ 113  Vgl.

BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64. H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, Halle a. d. S. 1903, S. 317; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 195 f.; Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; W. Dölker, Das Herbergsrecht in der Münchener Au, München 1969, S. 117; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S. 55; L. Briesemeister, in: H. Weitnauer/C. Wirths, Wohnungseigentumsge­ setz, 9. Aufl., München 2004, Vor § 1 Rn. 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetz­ buch, Kommentar, 78. Aufl., München 2019, Art. 182 EGBGB Rn. 1, Art. 189 EGBGB Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50– 218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 189 Rn. 3. 115  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az.: 1 BvR 638/64; H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 407; G. Freudling, Echtes altrechtliches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Ab­ teilung 1999 (116), 384, (388). 116  Vgl. W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 ff.; H. Sprau, Justizge­ setze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2 ff. 117  H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstan­ dene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 418; H. v. Schneider, Das Gesetz über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz vom 01. Juli 1898 und die Verordnung, die Anlegung des Grundbuchs betreffend, vom 28. August 1898, München 1899, S. 197; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 53; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 11; Ch. Meisner/W. Ring, Nachbarrecht in Bay­ 114  Vgl.

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H. Schluss

liche rechtlichen Probleme des Stockwerkseigentums nach dem Prinzip der betroffenen Einheitlichkeit lösen, das sich mittelbar aus Art. 182 S. 2, 189 I 3 EGBGB ergibt. Die betroffene Einheitlichkeit der bestehenden Rechtsver­ hältnisse richtet sich nach dem abgeschlossenen Rechtskreis des bestehenden Stockwerkseigentums- bzw. Herbergskomplexes, der im Hinblick auf die festgelegte Grenze der Vorschrift des Art. 189 I 3 EGBGB zwar altrechtliche Inhaltsänderungen, aber keine das bereits bestehende Rechtsverhältnis dena­ turierende Änderungen erfahren darf, die sich faktisch oder rechtlich als Neubegründungen erweisen.118 Deshalb sind Änderungen in der konkreten Zuordnung der Sondernutzungsrechte an Gebäudeteilen wie auch Umbauten vorbehaltlich der Regelungen im Innenverhältnis zulässig, wenn sie den Rah­ men des am 01.01.1900 bereits bestehenden Rechtsverhältnisses nicht über­ schreiten, während spätere Aufstockungen des Gebäudes auch mit Blick auf das herbergsrechtliche Rücksichtnahmegebot nach §§ 743, 242, 906 ff. BGB wie auch der Neubau des Hauses nach einem entsprechenden vollständigen Abbrand nicht gestattet sind, weil sie zu einer Neubegründung von Teilen beitragen würden, die es vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 noch nicht gab.119 Hinsichtlich der Dogmatik des linksrheini­ schen Stockwerkseigentums ist hervorzuheben, dass dieses vor dem Hinter­ grund des Art. 553 des Code civil bzw. des Satzes 553 des Badischen Land­ rechts auch ein ausschließliches Sondereigentum ohne einen entsprechenden gemeinschaftlichen Anteil kannte, was in Bayern die Ausnahme bildete.120 Um die Praktikabilität der Herbergshäuser aber heute grundsätzlich zu stei­ gern, ist die Belastung der Grundfläche mit einer Grunddienstbarkeit zulasten

ern, 6. Aufl., Berlin 1972, S. 63; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Aus­ führungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 288 ff. (zu Art. 42 BayÜGBGB). 118  Vgl. F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschie­ denen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253. 119  Vgl. OLG Stuttgart, BWNotZ 1955, 165; OLG Stuttgart, RJA 6, 82, (83 f.); F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechts­ ordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 253; H. Freyer, Das Stockwerkseigentum, Deutsche Rechts-Zeitschrift 1948 (3), 83, (84); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 9; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 13. 120  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 138, (139); E. Sehling, Die Rechtsverhältnisse an den der Verfügung des Grundeigentümers nicht entzogenen Mineralien, Leipzig 1904, S.  146 ff.; H. Zoeppritz, Ueber das Stockwerkseigentum mit besonderer Be­ rücksichtigung der württembergischen und badischen Verhältnisse, Tübingen 1912, S. 21; ­H.-W.  Thümmel, Das „Kellerrecht“ als Stockwerkseigentum und der Einfluss gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Restgrundstücks auf seinen Bestand, BWNotZ 1987, 76, (79); zum entsprechend möglichen Vorkommen in Bayern vgl. BayObLGZ 22, 270, (271 f.).



H. Schluss671

einer stockwerksrechtlichen Wohneinheit und zugunsten einer anderen am Maßstab der Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Wohnungseigentumsrecht ein probates Mittel, um unzulässige Neubegrün­ dungen von Stockwerkseigentum zu verhindern.121 Abzugrenzen ist das Stockwerkseigentum grundsätzlich von den Keller­ rechten, wobei nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landes­ gerichts auch ein Stockwerkseigentum an Kellern in Bayern möglich ist, wenn sich der Keller als Stockwerk und nicht nur als einzelner Kellerraum darstellt, und die weiteren Kriterien von Stockwerkseigentum wie ein not­ wendiges Miteigentum vorliegen.122 Daneben gibt es an Formen von Keller­ rechten in Bayern die nach Art. 196 EGBGB, 40 BayAGGVG grundbuchmä­ ßig als grundstücksgleiche Rechte einzustufenden superfiziarischen Nut­ zungsrechte bzw. Platzrechte123 sowie Grunddienstbarkeiten und beschränkt persönliche Dienstbarkeiten,124 wobei sich die alten Kellerrechte inhaltlich bis zur Anlegung der Grundbücher in den bayerischen Landgerichtsbezirken nach Art. 184, 189 I 1 EGBGB stets nach den vor dem 01.01.1900 bestehen­ den Gesetzen richten und deshalb gegebenenfalls in ein unter dem Bürger­ lichen Gesetzbuch zulässiges Recht umzudeuten sind.125 Das linksrheinische Kellerrecht unterscheidet sich dagegen von seinem rechtsrheinischen Pendant dogmatisch in mehreren Einzelheiten. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass im französischen bzw. großherzoglich-badischen Raum auch ein beson­ deres Kellereigentum ohne weiteres anerkannt war, das sich von Stockwerks­

121  Vgl. BGH, Beschluss vom 17.01.2019, Az.: V ZB 81/18; BGH, Urteil vom 19.05.1989, Az.: V ZR 182/87; BGHZ 107, 289, (292). 122  BayObLGZ 22, 270 ff.; BayObLGZ 1967, 397, (399); BayObLGZ 1995, 413, (417); W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausführungs-Gesetze zum Bür­ gerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 52. 123  H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 40 AGGVG Rn. 23, 35; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 145. 124  OAG München, Urteil vom 23.02.1867, Seufferts Blätter für Rechtsanwendung in Bayern, Bd. 32, S. 297 = Seufferts Archiv XXI Nr. 99; BayObLGZ 22, 270 ff.; BayObLGZ 1967, 397, (399) m. w. N.; LG Amberg, MittBayNot 1994, 45; BayObLG, NJW-RR 1991, 1426, (1426 ff.); Königlich Bayerisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Theil III: Besitz und Rechte an Sachen, München 1864, S. 68 f., 100 f.; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayerischen Landespri­ vatrechts, München 1920, S. 72 ff.; H. Grziwotz/R. Saller, Bayerisches Nachbarrecht, 3. Aufl., München 2015, S. 144 f. 125  BayObLGZ 1967, 397, (400); BayObLGZ 1995, 413, (417); J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 2; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, Kommentar, 7. Aufl., München 1986, S.  59 f.

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eigentum am Keller unterscheiden konnte.126 Die Abgrenzung kann aber rechtlich bedeutsam sein, weil nach Art. 182 EGBGB nur das zum 01.01.1900 bestehende Stockwerkseigentum bestehen bleibt, während eine entsprechende Erhaltungsnorm für ein Kellereigentum nicht vorgesehen ist, das in der Folge nur als ein umgedeutetes Kellerrecht, d. h. als Dienstbarkeit oder Erbbau­ recht, fortgelten kann.127 Nachdem aber das linksrheinische Recht auch ein ausschließliches Sondereigentum kannte, d. h. ein Stockwerkseigentum ohne einen dazugehörenden Miteigentumsanteil, kann sich die Abgrenzung zu ei­ nem Kellereigentum als schwierig erweisen. Hier wird man bei einem einzel­ nen Raum auf dem Nachbargrundstück auf eine funktionale Zugehörigkeit zum stockwerkseigentumsrechtlichen Stammgrundstück abzustellen haben, womit gleichzeitig auch eine freie Veräußerbarkeit des Kellerraumes und eine Nichtverbundenheit mit dem Eigentum des Nachbargrundstücks vorlie­ gen werden.128 Für die rechtliche Beurteilung von Stockwerkseigentum sind grundsätzlich die konkreten Verhältnisse zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 01.01.1900 maßgebend,129 wie sich allein auch aus dem Wortlaut der Vorschriften des Art. 182 EGBGB, der auf das bestehende Stockwerkseigentum abstellt,130 aber auch des Art. 62 BayAGBGB ergibt, der für maßgebend erklärt, dass jedem Miteigentümer die ausschließliche 126  Vgl. RG, Urteil vom 25.10.1889, Az.: II. 209/89 = RGZ 24, 339, (339 f.); ­M./S./Hodes/Dehner, Bundesnachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 m. w. N. 127  Vgl. RG, Urteil vom 13.01.1904, Az.: Rep. V. 533/03 = RGZ 56, 258, (260); OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.1979, Az.: 9 U 69/78 = Justiz 1980, 46; OLG Koblenz, Kellerrecht nach rheinisch-französischem Recht, NJOZ 2017, 557; OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2016, Az.: 10 U 640/14; ­M./S./Hodes/Dehner, Bundes­ nachbarrecht, 6. Aufl., München 1982, S. 161 ff. m. w. N. 128  Vgl. ­M./S./Hodes/Dehner, Bundesnachbarrecht, 6.  Aufl., München 1982, S.  160 ff., v. a. S.  163 m. w. N. 129  BayObLGZ 1995, 413, (416). 130  BGHZ 46, 281, (286); OLG Jena, SächsArchiv 1935, 278, (279 f.); H. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf zuvor entstandene Rechts­ verhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901, S. 416; F. Affolter, Das intertemporale Recht – Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen, Band I/2, Leipzig 1903, S. 257; O. v. Feilitzsch, Stockwerkseigentum unter besonderer Berücksichtigung des bayeri­ schen Landesprivatrechts, München 1920, S. 28; Planck’s Kommentar zum Bürger­ lichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Band III: Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin u. a. 1933, S. 323; H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn. 2, vor Art. 57 AGBGB Rn. 12; W. Hartmann, in: T. Soergel u. a. (Hrsg.), Bürger­ liches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, Band VIII, Stuttgart 1984, Art. 131 Rn. 1; J. Hönle/U. Hönle, in: Staudinger, BGB, Kommentar, Art. 1, 2, 50–218 EGBGB, Berlin 2018, Art. 182 Rn. 3; G. Freudling, Echtes altrecht­ liches Stockwerkseigentum in Bayern, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge­ schichte. Germanistische Abteilung 1999 (116), 384, (388).



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und dauernde Benutzung der Teile des Gebäudes zusteht, die ihm oder sei­ nem Rechtsvorgänger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehörten.131 Damit sind neben den heute eingeführten Grund­ büchern historische Erkenntnisquellen von rechtlicher Bedeutung. Mit den Landtafeln aus dem Jahre 1738 wurde im Klosterstaat Kempten unter dem Fürstabt Anselm Reichlin von Meldegg ein Immobiliarverzeichnis eingeführt, welches die konkreten Eigentumsbestände der Untertanen an liegenden Gü­ tern erfassen sollte.132 Mit dem Institut der Landtafeln war der Klosterstaat Kempten der erste moderne Staat, der ein umfassendes Immobiliarverzeich­ nis eingeführt hat, das zwar dem bereits seit dem 13. Jahrhundert bestehen­ den Vorbild in den Landen der Wenzelskrone, d. h. im Königreich Böhmen und in der Markgrafschaft Mähren, als ein Verzeichnis der Liegenschaften von der Idee her entsprach, über seine Vorgänger aber aufgrund des eintra­ gungsfähigen Vermögensbestands sämtlicher Untertanen hinausging, wäh­ rend in Böhmen und Mähren nur die „unmittelbar der Hoheit des Reiches unterworfenen Güter“ eingetragen wurden.133 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann im Königreich Bayern, zu welchem nach der Auflö­ sung des Stifts im Zuge der Säkularisation im Jahre 1803134 nunmehr auch 131  Vgl. Art. 42 des Bayerischen Gesetzes, Übergangsvorschriften zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 09.06.1899 betreffend, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1899, Beilage zu Nr. 28, S. 94; W. v. Henle/H. v. Schneider, Die Bayerischen Ausfüh­ rungs-Gesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl., München 1931, S. 287 f. (zu Art. 42 BayÜGBGB); H. Sprau, Justizgesetze in Bayern, München 1988, Art. 62 AGBGB Rn.  1 ff. 132  J. B. Renz, Sammlung aller noch jetzt brauchbaren die Hochfürstl. kempt. bürgerliche Gerichtsverfassung, und das kemptische bürgerliche Privatrecht betreffen­ den Verordnungen, samt einer Einleitung dazu, Stift Kempten 1793, S. XXXIX, 38 (Nro. V); L. Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, München 1951, S.  30 f.; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 85; M. Walter, Das Fürststift Kempten im Zeitalter des Merkantilismus, Stuttgart 1995, S.  60 ff.; G. Immler, Der Hofstaat der Fürstäbte von Kempten, Allgäuer Ge­ schichtsfreund 2000 (100), 43, (46); P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grund­ buchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (422). 133  P. Kreutz, Auf dem Weg zu modernem Grundbuchwesen – die Landtafeln des Fürststifts Kempten, Zeitschrift für Schwäbische und Bayerische Rechtsgeschichte 2017 (1), 407, (410 f., 422). Zu den Landtafeln im Königreich Böhmen und in der Markgrafschaft Mähren L. v. Haan, Studien über Landtafelwesen, Wien 1866, S. 2 ff.; H. Bartsch, Die Landtafel in ihrer gegenwärtigen Gestalt, Wien 1890, S. 2 ff.; vgl. auch N. Th. von Gönner/Ph. v. Schmidtlein (Hrsg.), Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreiche Baiern, Band II, Erlangen 1819, S. 86; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbuches in Bayern, München 1960, S. 85. 134  F.-R. Böck, Die Säkularisation des Fürststifts Kempten, in: B. Kata u. a. (Hrsg.), „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802, Friedberg 2006, S. 391 ff.

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das Gebiet der ehemaligen Kemptener Fürstabtei zugehörte, unter napoleo­ nisch-französischem Einfluss die Landesvermessung durch die gegründete Bayerische Steuerkatasterkommission, die zu entsprechenden kartographi­ schen Uraufnahmen und detaillierten Urkatastern geführt hat.135 Die Ur­ kataster beruhten unter anderem auf Liquidationsverhandlungen mit den Herbergsbesitzern, die den Besitzstand und die zu zahlende Steuer schließlich anerkannten.136 Damit stellt der Urkataster die eigentliche Verfassung des modernen Grundbuchwesens dar, was ihn zu der vielleicht bedeutendsten Erkenntnisquelle für das herbergsrechtliche Herkommen macht.137 Daneben ist insbesondere das Hypothekenbuch zu erwähnen, welches die Eigentums­ bestände an unbeweglichen Gütern enthielt, insofern diese für die Eintragung einer Hypothek als Grundpfandrecht von Bedeutung waren.138 Das Hypothe­ kenbuch war aber von seinem sachlichen Anwendungsbereich und namenge­ benden Sinn und Zweck auf das Hypothekenwesen beschränkt, weshalb nicht sämtliche Grundstücke erfasst waren.139 Dies führte im Ergebnis auch dazu, dass dem Hypothekenbuch entgegen dem heute gesetzlich in § 891 BGB 135  M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Haus der Bayerischen Ge­ schichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Band 26, Augsburg 2001, S.  9 ff.; W. Torge, Geschichte der Geodäsie in Deutschland, 2. Aufl., Berlin u. a. 2009, S.  113 ff.; F. Past, Dr. Johann Georg von Soldner, Schöpfer der wissenschaftlichen Grundlagen der bayerischen Landesvermessung, in: K. Kröger (Hrsg.), Wegbereiter in der deutschen Landesvermessung, Stuttgart 1999, S. 93 ff. Grundsätzlich zum Grundsteuerkataster unter Berücksichtigung seiner historischen Entstehung G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), S.  145 ff.; K.-H. Zweckerl, Erster urkundlicher Besitznachweis, der Urkataster, in: J. Dietz (Hrsg.), Chronik der Juradörfer, Weiden 2012, S. 32 ff. 136  C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Entschei­ dung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S.  65 ff.; vgl. G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bay­ ern, ZfV 1878 (3), 145, (154 ff.). 137  Vgl. C. Finweg, Ausführliche Erläuterungen über Art, Zulässigkeit und Ent­ scheidung der Reklamationen gegen das definitive Grundsteuer-Kataster, Kempten 1837, S.  11 ff., 65 ff.; G. Kerschbaum, Ueber die Anfertigung der Grundsteuerkataster in Bayern, ZfV 1878 (3), S. 145 ff. 138  Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 1; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 261. 139  Vgl. Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abge­ druckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der Instruction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S. 1; N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das König­ reich Baiern, Band I, München 1823, S. 261.



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verankerten öffentlichen Glauben des Grundbuchs nur eine eingeschränkte Publizität zukam.140 Dennoch kann dieser Vorläufer des späteren Grundbuchs als historische Erkenntnisquelle herangezogen werden, wenn damals entspre­ chende Eintragungen im Wege der hypothekarischen Erfassung vorgenom­ men worden waren,141 was aufgrund der Schuldenwirtschaft des 19. Jahrhun­ derts regelmäßig der Fall war.142 Nicht eingetragen waren dagegen Servitute, die seitens des Bayerischen Gesetzgebers von vornherein aus dem Kreis der in das Hypothekenbuch eintragungsfähigen Sachen und Rechte ausgenom­ men worden waren.143

140  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 276; E. Hammer, Die Geschichte des Grundbu­ ches in Bayern, München 1960, S. 113. 141  Vgl. N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das König­ reich Baiern, Band I, München 1823, S. 273 ff. 142  H. Reitmeier, Das Hypothekenbuch – Ein Beitrag zur Quellenkunde, Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde 2008 (71), S. 112. 143  N. Th. v. Gönner, Commentar über das Hypothekengesetz für das Königreich Baiern, Band I, München 1823, S. 262.

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Bayerisch-königliche Gesetze und Verordnungen Bayerische Dienstanweisung für die Grundbuchämter rechts des Rheins vom 27.02.1905. Beleuchtung des Ablösungsgesetzes vom 04. Juni 1848, Augsburg 1848. Edikt das allgemeine Steuerprovisorium in der Provinz Baiern betreffend vom 13.05.1808, Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern, KöniglichBaierisches Regierungsblatt 1808, S. 1088 ff. Edikt über die Lehenverhältnisse im Königreiche Baiern vom 07.07.1808, in: Döllin­ ger, Georg Ferdinand, Verfassung des Königreichs Baiern mit den darin angeführ­ ten früheren königlichen Edikten und Verordnungen, Band I, München 1818, S. CXLI. Edikt über die Vorteilsgerechtigkeit vom 23.03.1808, Regierungsblatt für das Groß­ herzogtum Baden 1808, S. 94, Nr. 11. Gesetz, die Einführung des Hypothekengesetzes und der Prioritätsordnung betreffend, abgedruckt in Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der PrioritätsOrdnung, der Instruction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewil­ ligung, München 1848, S. 67 ff. Gesetz, die Revision des Lehen-Edictes betreffend vom 15.08.1828, Gesetzblatt für das Königreich Baiern 1828, Sp. 353 ff. Hypotheken-Gesetz für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypo­ theken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S.  2 ff. Instruction für die allgemeine Landesvermessung zum Vollzuge des Grundsteuerge­ setzes betreffend, Königliche Verordnung von Ludwig I. von Gottes Gnaden Kö­ nig von Bayern vom 20.02.1830, Baierisch-Königliches Regierungsblatt 1830, Beilage VIII. Instruction für die Liquidierung, Catastrierung und Umschreibung der definitiven Grundsteuer als Anlage zur Königlichen Verordnung von Ludwig von Gottes Gna­

712 Literaturverzeichnis den König von Bayern; Instructionen zum Vollzug des Grundsteuer-Gesetzes be­ treffend, vom 19.01.1830, Baierisch-königliches Regierungsblatt 1830, S. 352 ff. Instruktion zur Erhebung des Werths der steuerbaren Gegenstände, Königlich-Baieri­ sches Regierungsblatt 1808, S. 1155 ff. Prioritäts-Ordnung für das Königreich Bayern vom 01.06.1822, abgedruckt in Hypo­ theken-Gesetz für das Königreich Bayern nebst der Prioritäts-Ordnung, der In­ struction über den Vollzug des Hypotheken-Gesetzes und dem Regulativ über die Tax- und Stempelgebühren, Mit königlich allerhöchster Bewilligung, München 1848, S.  54 ff.

Archivbestand Staatsarchiv Augsburg und Stadtarchiv Kempten Immler, Gerhard: Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997. StAA: Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 5, Schutzprivileg Kaiser Ludwigs des Frommen aus dem Jahre 815. StAA: Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 8, Urkunde Kaiser Ludwigs des From­ men über die Bestätigung verschiedener Schenkungen aus dem Jahre 832. StAA: Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 9/2, Privileg Kaiser Ludwigs des From­ men über die Befreiung des Klosters Kempten von allen öffentlichen und Kriegs­ diensten aus dem Jahre 834. StAA: Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 18, Urkunde König Friedrichs II. über die Belehnung des Abts mit den Grafschaftsrechten aus dem Jahre 1213. StAA: Fürststift Kempten, Archiv Urkunden 19, Urkunde König Friedrichs II. über die Vergabe der Vogtei über das Stift Kempten an dieses selbst gegen eine jähr­ liche Zahlung von 50 Mark Silber aus dem Jahre 1218. StAA: Fürststift Kempten, Archiv Urkunde 1122 zur Verleihung des Konventhauses uff der Rotach im Jahre 1480. StAA: Fürststift Kempten, Landtafelamt, Bände 152. StAA: Fürststift Kempten, Landtafelamt, Bände 164. StAA: Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 63, Lehenbuch des Fürstabts Johann Adam Renner von Allmendingen für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Wiggensbach und Krugzell. StAA: Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 83, Lehenbuch des Fürstabts Johann Eu­ char von Wolfurt für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Krugzell und Altusried 1616–1631. StAA: Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 98, Lehenbuch des Fürstabts Kardinal Bernhard Gustav von Baden-Durlach für die bäuerlichen Lehen in den Pfarreien St. Lorenz, Wiggensbach, Krugzell und Altusried. StAA: Fürststift Kempten, Regierung Bände 5, Landesordnung des Fürstabts Johann Erhard Blarer von Wartensee aus der Zeit zwischen 1593 und 1641, Abschrift von ca. 1725, fol. 30 f.

Literaturverzeichnis713 StAA: Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 409, Rechtsgutachten, erstattet um das Jahr 1700. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 200, in: Immler, Gerhard (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14.  Jh.–18.  Jh., 1997, Nr. 200. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 202, in: Immler, Gerhard (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 202. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 203, in: Immler, Gerhard (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 203. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 204, in: Immler, Gerhard (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 204. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 380, in: Immler, Gerhard (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 380. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 391, in: Immler, Gerhard (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 391. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 392, in: Immler, Gerhard (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 392. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 398; in: Immler, Gerhard (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 398. StAA, Fürststift Kempten, Lehenhof Urkunden 401, in: Immler, Gerhard (Bearb.), Findmittel der Staatlichen Archive Bayerns, Staatsarchiv Augsburg, Fürststift Kempten – Lehenhof Urkunden, Repertorium Nr. 66, 14. Jh.–18. Jh., 1997, Nr. 401. StAA: Fürststift Kempten, Archiv Akten 1123, Güter, Häuser, Herbergen und Grund­ stücke zu Rottach, Urkunde vom 07.03.1596, fol. 2–5. StAA: Fürststift Kempten, Archiv Bände 1274, Landamman Ambts Protocolle dato 4ten gbris 1671 bis 4t. Aprilis 1674. StAA: Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 1 (1729), Rottach; Ac­ tum vom 17.10.1729.

714 Literaturverzeichnis StAA: Fürststift Kempten, Pflegamt diesseits der Iller, Bände 3, Confirmatio Caesarea über den Haubt-Verglich und Neben-Recess zwischen dem Hoch-Fürstl. Stifft Kempten, und dessen Unterthanen de Anno 1732 & 1737. StAA: Fürststift Kempten, Pflegamt Diesseits der Iller, Bände 50, Kaufvertragsurkun­ de vom 18.03.1778 zu der Herberge 8 c, fol. 65–67. StAA: Fürststift Kempten, Grundsteuerkataster (Urkataster) der Steuergemeinde St. Lorenz aus dem Jahre 1837 zu den Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Rentamt Kempten Kataster 940 II, fol. 344–347. StAA: Fürststift Kempten, Grundsteuerkataster der Steuergemeinde Kempten (All­ gäu), Rentamt Kempten Kataster 935 I, fol. 236–238. StAA: Grundsteuerkataster der Steuergemeinde Waltenhofen aus dem Jahre 1837, Rentamt Kempten Kataster 950 I, fol. 72. StAA: Fürststift Kempten, Hypothekenbuch der Gemeinde Sankt Lorenz, Bd. XX, Blatt 443. StAA: Fürststift Kempten, Hofkammer Bände 291, Urbarbuch der Pfarreien St. Lo­ renz, Krugzell und Martinszell, der ehemals Langenegg’schen und Lauben­ berg’schen Güter und Renten, der Pfarreien Waltenhofen, Memhölz, Hellengerst und Rechtis, der Pfarrei Buchenberg unter Einschluß der Abgaben des Klosters Isny und der ehemals montfortischen Gülten, Zinse und Vogtsteuern in den Pfar­ reien Hellengerst und Rechtis, der Pfarreien Kreuzthal, Wiggensbach, Altusried und Kimratshofen, der ehemals reichsstadt-kemptischen Güter und Renten in und um Weitenau, der Pfarreien Muthmannshofen, Frauenzell und Legau, der ehemals Giel’schen Güter und Renten, der Pfarrei Lautrach und der Gülten und Zinse zu Erolzheim, Laufzeit 1717–1744. StAA: Fürststift Kempten, Steuerregister des Pflegamtes diesseits der Iller der Pfarrei St. Lorenz aus dem Jahre 1742. StAA: Fürststift Kempten, Steuerliste Pfarrei St. Lorenz die Fastnacht Henne betref­ fend aus dem Jahre 1743. Stadtarchiv Kempten: Landtafelbände der Gemeinde Sankt Lorenz I und II.

Internetquellen Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat: BayernAtlas, Uraufnah­ me zu Äußere Rottach, Kempten (Allgäu) – Lotterberg, abrufbar unter www. geoportal.bayern.de/bayernatlas. Glosse Königshufe, Haus der Bayerischen Geschichte, abrufbar unter www.hdbg.eu/ glossare/eintrag/k %E3 %B6nigshufe/860. Google Maps Äußere Rottach. StAA: Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 1; abrufbar unter www.deutsche-digitalebibliothek.de/item/. StAA: Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 2; abrufbar unter www.deutsche-digitalebibliothek.de/item/.

Literaturverzeichnis715 StAA: Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 14; abrufbar unter www.deutsche-digitalebibliothek.de/item/. StAA: Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 16; abrufbar unter www.deutsche-digitalebibliothek.de/item/. StAA: Fürststift Kempten, Lehenhof Bände 22; abrufbar unter www.deutsche-digitalebibliothek.de/item/. Wort aufsenden Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch (FWB), abrufbar unter www.fwb-online.de/lemma/aufsenden.s.3v. Wort Beunde Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch (FWB), abrufbar unter www.fwb-online.de/lemma/beunde.s.1f?q= beunde&page=1. Wort herberge, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch (FWB), abrufbar unter www.fwb-online.de/lemma/herberge.s.1f. Wort lotter Duden, abrufbar unter www.duden.de/rechtschreibung/Lotter.

Sonstiges Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu): Protokolle zu den Liquidationsver­ handlungen der Steuergemeinde St. Lorenz in 4 Bänden – mit Vormerkungen in Band I, Band II, Liquidationsprotokolle vom 04.06.1832 zu den Herbergen 8 a, b und c uff der Rotach, S. 1005 ff. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu): Uraufnahme aus dem Jahre 1823 der Siedlung auf der Rottach. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu): Uraufnahme der Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach mit Einzeichnung der zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch bestehenden Brunnen. Staatliches Vermessungsamt Kempten (Allgäu): Vermessungsplan aus dem Verände­ rungsnachweis 6/1953 hinsichtlich der ehemaligen Herbergen 8 a, b und c auf der Rottach, Kempten, Fortführungsriss Nr. 2081/2, Messverzeichnis von 1953, Ab­ markungsprotokoll 1442. Weiß, J. B.: „Die untere Rotach bey Kempten“ – Blick über die Rottach mit Steg auf mehrere Häuser und Höfe, vorne Gebüsch, Federzeichnung, nach der Natur ge­ zeichnet, 1827.

Stichwortverzeichnis Abgrenzung einer Inhaltsänderung eines Altrechts von einer Neubegründung von Stockwerkseigentum  372 ff., 378 ff., 412 f., 423, 435 f., 460, 670 Abgrenzung von Miteigentum und Servitut  520 Absolutismus  100, 139 ff., 272 f., 644 f., 655 f. Abtswahl, freie  43 f., 75, 102 f., 118 f. Ackerland als Sondernutzungsrecht bei der fränkischen Markgenossenschaft  556 Adrian II., Papst  121 Afterlehen  194, 211 Afterleihe  300 f. Afterzins  249 f., 289 Ager compascuus  599 Agrarstaat, klösterlicher  37, 157, 276 f., 306, 559 Akzessionsprinzip, römisches  313 ff., 665 albergue  562 f. Alemannen  41 f., 64, 68, 116 Allgäuer Haufen  18 f., 161 f. Allgäuischer Gebrauch  20 f., 95 f., 100, 125 ff., 134, 160 f., 196 f., 257, 278 f., 304 f., 643 f., 657 Allgemeines Landrecht für die Preußi­ schen Staaten  337, 340 f., 493 Allmende  555 ff., 575, 580, 584, 599, 602, 605 f., 649 Allmendingen, Fürstabt Johann Adam Renner von  19 Allod  249 f., 256, 285, 288, 557, 559, 605 Allodialerbfolge  253 f., 257 ff., 264 ff., 645 f. Allodifikation  198, 295 ff., 659 f., 664

Ancien Régime  17, 489 f., 601, 653 Anfallrecht  216 f., 267, 269 ff., 299, 645 f. Anna Maria Schwägelin  22 f., 647 f. Anwendungsbereich –– des Art. 62 BayAGBGB  33 ff., 318 ff., 349 ff., 353 ff., 361 ff., 372, 379 ff., 392 ff., 414 f., 419, 427 ff., 437 f., 444, 450, 453, 476 ff., 628, 667 f., 672 f. –– des Art.  131 EGBGB  333 f., 349, 351 ff., 361 f., 367, 373, 394 ff., 407 ff., 414, 478 –– des Art.  181 II EGBGB  35, 398, 402 ff., 515, 518, 663 –– des Art.  182 EGBGB  33 ff., 318 ff., 343 f., 351, 354 ff., 361 ff., 379 ff., 392 ff., 402, 414, 419 ff., 446 ff., 455, 476 ff., 501 f., 509 f., 528 f., 531 ff., 628, 666 ff., 672 f. –– des Art.  189 I 3 EGBGB  353, 355 ff., 374 ff., 380 ff., 396, 398, 406, 408, 410 ff., 415 ff., 423 f., 432, 435 f., 442, 454 f., 459 f., 477 f., 522, 536 f., 633, 668 ff. –– des Art.  218 EGBGB  352, 354, 360 ff., 372 ff., 380 ff., 395, 409, 411, 417, 424 f., 436 f., 464 ff., 523, 528, 667 ff. auctoritas dei, Fürstabt als  139 Audogar, Abt  38, 40 f., 114 Auergerius Randecker von Grundstein  75 Aufgeklärter Absolutismus  147 ff. Aufhebung eines Altrechts  422 f., 467 ff., 480 Aufklärung  105 f., 140, 147 ff., 272 f., 617, 647 f.

Stichwortverzeichnis717 Aufstockung/Abbruch des Gebäudes  416 f., 432, 670 Augsburger Stadtrecht  229, 243 Augustus, Römischer Kaiser  597 f. Ausschluss der Aufhebung der Gemein­ schaft bei Herbergen  427 f., 433 f. Austausch von Leibeigenen, vertragli­ cher  129, 160 f., 643 f. Baden-Durlach, Fürstabt Bernhard Gustav von  143 f. Baden-Durlachische Landesordnung von  1715 514 Badisches Landrecht  34 f., 336 f., 340, 425 ff., 494, 497, 509 ff., 532, 591 f., 660 f., 670 Badisches Stockwerkseigentum  335, 378 ff., 426 f., 509 ff., 522 Baierisches Landrecht  339, 457 f., 461, 470 Basilika St. Lorenz, Kempten  18, 118, 124, 142, 645 Bauern, freie und hörige  278 ff., 305 f., 547, 551 ff., 559 f., 562, 568 f., 592 Bauernbefreiung  18 f., 133 f., 161 f. Bauernlehen  238 ff., 290, 306, 311, 626 f., 657 f. Bayerische Rechtsprechung zum Herbergsrecht  319 f., 325 f., 332 f., 356 ff., 369 f., 473 ff. Bayerisches Gesetzesrecht zum Herbergsrecht  318, 334 f., 345 f., 349 ff., 361 ff., 378 ff., 427 ff., 667 ff. Bayerisches Konkordat aus dem Jahre 1817  110, 125 Bayerisches Notariatsgesetz aus dem Jahre 1862 462 Bede  83 begrenzte Publizität, Hypothekenbuch  36, 635, 637 f., 674 f. Beherbergungspflicht, historisch  562 ff., 653 f. Belastung von Stockwerkseigentum  392 f., 430, 434 f., 439, 444 f., 449 f., 666 f., 670 f.

Belastung von Wohnungseigentum  442 f., 670 f. Belehnung zur gesamten Hand  211 f., 235 f., 567 f., 605, 654, 658 Benedikt XIV., Papst  125 Benediktinerkloster Kempten  27, 36, 38 ff., 55 f., 59 f., 75, 79, 83 f., 93, 116 ff., 227 f., 559, 643, 650 –– als königliches Eigenkloster  39, 650 beneficium  82, 190, 201, 601 f., 653 f. Benefizialverfassung, fränkische  30, 201, 545 f., 549 ff., 592 f., 598 ff., 604, 653 f. Benutzungsregelungen, miteigentumsrechtliche  437 ff., 444 ff. Benutzungsregelungen bei Stockwerks­ eigentum, Innenverhältnis  428 ff., 439, 444 ff., 449 Besitzschutz bei altrechtlichen Grund­ dienstbarkeiten  475 Beunde  78, 311 Beutellehen  238 ff., 244 f., 261, 264 f., 297, 308, 310, 582, 594 f., 626 f., 659 Bistum Augsburg  38 f., 41, 106 f., 110, 112 f., 116 f., 125, 138, 642 Bistum Konstanz  106 f., 110, 112, 115, 119 ff., 138, 642 Bodenzinsfelder und -güter im Fürststift Kempten  247 Bodenzinsgerechtigkeit bei Herbergen  30 f., 288 ff., 659 Bodin, Jean  97 f., 140 Bodman, Fürstabt Rupert von  27, 144 ff., 242 Breitenstein, Fürstabt Sebastian von  308 Brentano, Dominikus von  148, 150 f. Bulle Papst Sixtusʼ IV. aus dem Jahre 1483  22, 110, 120 ff., 138, 646 f. Bürgermeisterlehen nach dem Schwa­ benspiegel  230, 239 f. Burgrecht  285, 307 Campidona sola judicat ense et stola  131

718 Stichwortverzeichnis Canon  286 f., 298, 302 f. capitulare de villis vel curtis imperii  75 f., 78, 552 Castell, Johann Willibald Schenk von  311 Code Napoléon  34 f., 318, 324, 326 ff., 336 f., 340, 347, 379, 440 f., 447, 470, 488 ff., 509 ff., 525 ff., 531 f., 582 f., 587 f., 591, 607 ff., 660 f., 670 –– Article  553 492, 496 ff., 511 f., 526, 529 ff., 591 f., 670 –– Article  664  34 f., 324, 326 ff., 340, 440 f., 488 ff., 494 ff., 516 f., 519, 526, 529, 532 ff., 587 f., 607 ff., 660 f. –– Geltungsbereich  492 ff., 525 f. Codex Maximilianeus Bavaricus civilis  457 Common Law  167 communio indiviso  165 f., 177 f., 586, 600, 609 communio pro diviso  176 f., 600 condominium  323, 525, 565, 586 Confoederatio cum principibus  48 Consolidationsrecht  275 Constitutio Criminalis Carolina  154 contractus emphyteuticarius  287, 299 copropriété avec indivision forcée  35, 515 Coutumes  164 ff., 168 ff., 440 f., 487 ff., 499, 502 ff., 512 f., 518 ff., 525 ff., 539 f., 586 ff., 605, 607 f., 652 f. –– coutumes générales et coutumes locales  487 f. curia, Hofrat  98, 128, 157 f., 160, 644 curtes regiae  76 curticula, Fronhof  66 ff., 76 ff., 550 f., 651, 654 cymitherio Kampidonensis monasterii  118 Dereliktion  468 Diener des Staates, erster  150 Dienstbarkeiten, altrechtliche  404 ff., 461 ff., 469, 473 ff.

Digesten  314 f. Dogmatik des Stockwerkseigentums nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts  360 f. Dominikalsteuer im Königreich Bayern  624 ff. dominium directum et utile  23, 30 f., 34 f., 69 f., 190 ff., 216 ff., 242, 256, 267 f., 281, 283 ff., 291 f., 295 ff., 311 f., 402, 440, 502 ff., 511, 515, 518 f., 527 f., 541, 557 f., 570 ff., 578 ff., 586 ff., 598 ff., 654, 660 ff. dominium eclessiæ universalis  107 ff. Doppelbuchung, Grundbuch  451 f. Dorf- und Feldgemeinschaft, fränkische  554 droit coutumier, französisches  164 ff., 168 ff., 440 f., 487 ff., 499, 502 ff., 512 f., 518 ff., 525 ff., 539 f., 586 ff., 605, 607 f., 652 f. droit public  604 Durchbruch von Innen- und Außenwän­ den bei Herbergen  416 ecclesia sancti Laurentii in Monte Campidonensi  120 Edelmannslehen  238 f., 241, 308, 582, 594 f. Edikt über die Vorteilsgerechtigkeit, badisches  514 Ehrschatz  309 Eigen und Erbe  285 Eigentum, allodifiziertes  285 f., 291 f., 296 f. Eigentumsbegriff, römischer  313 ff., 564, 597 ff. Einheitlichkeit, betroffene  33, 378 ff., 413, 415 ff., 418, 420, 423 ff., 435 f., 478, 532 ff., 668 ff. Eintragung einer Belastung auf dem dienenden Grundstück maßgebend  452, 479, 481 Emphyteuse, Erbleihe, Erbpacht  28, 30, 191 f., 195 ff., 248 ff., 259 f., 270,

Stichwortverzeichnis719 276, 284 ff., 298 ff., 303, 468, 483 f., 586, 594, 614 f., 656 –– Emphyteuse, kirchliche  286 ff., 303 –– Unterschied zur superficies  292 f., 316 Entliegenschaften, germanisch  26, 180, 235, 573 f., 603 Entstehungsgeschichte der stockwerksei­ gentumsrechtlichen Konzeption des EG-BGB  340 ff., 389, 394, 407, 410, 412, 419 ff. Entstehungsgeschichte des bayerischen Stockwerkseigentumsrechts  345 ff., 365 ff., 373 f., 400, 420, 422 Entstehungsgeschichte zu Art. 553 und 664 des Code Napoléon  498 f. Entwidmung, Einziehung bei öffentli­ chen Sachen  581 f. Entwurf für ein bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahr 1864  345 ff., 350, 469 f., 501, 660 f. Epimach und Gordian, Märtyrer  43, 113 f. Erbbaurecht  276, 292 f., 315 f., 353, 482 ff., 529, 535 f., 570 f., 600, 609, 623, 672 Erbbaurechtsgesetz  484 Erbbaurechtsverordnung  483 f., 486 Erblehen  192, 216 f., 230, 237, 247, 260 ff., 310, 646, 658 ff. –– reines und gemischtes  261 f., 265 ff., 273 ff., 646 Erbzinsgüter  192, 244, 247 ff., 285, 290 f. erlöschende Verjährung  468 Ersitzung  447, 461 f., 468, 530 essentialia negotii, lehensrechtlich  208 Etagen-, Geschoss- und Gelasseigentum als andere Bezeichnung von Stock­ werkseigentum  318 f. Eventualbelehnung  212 exempto Territorio Campidunensi  22, 110 ff., 124 f., 646 f. Exemtion, Stufen der  110 f., 124 f.

Fahrnis, germanisch  26, 180, 235, 573 f., 603 Familienfideikomiss  263 Familiengenossenschaften  568 f. feuda ignobilia censualia haereditaria  30 f., 248 f., 646, 659 Feudalisierung des Eigentums unter dem Römischen Kaiser Augustus  599 Feudalismus, mittelalterlicher  133, 186, 201 ff., 541, 543 f., 582, 601, 603 f., 654, 659 Feudalismus im Byzantinischen Reich  603 f. feudum  206, 209, 298, 614 f., 625 ff., 630, 656 Flächenrecht nach dem Codex Maximi­ lianeus Bavaricus civilis  457 f. Flechtwerkstein aus der Zeit um 800 aus der Abtei Kempten  117 f. Flurküchenhaus als fränkischer Haus­ typus  172 ff., 653 Französische Revolution  653 Freie und Unfreie  547, 554, 557 ff., 562 f., 571 Freieigentum  30 f., 289, 303 f., 627 Freistiftrecht  287, 290 f. Freiung  111 Friedrich I. Barbarossa, deutscher Kaiser  80 ff., 85 ff., 90, 93 f. Friedrich II., deutscher König und Kaiser  21, 85 f., 107, 123, 643 Friedrich II. der Große, König von Preußen  148, 150 Fronhof  66 ff., 76 ff., 550 f., 651, 654 Frönung  300 Fürstensaal der Residenz, Kempten  27, 150, 652 fürstlich-kemptener Statut zur Zulässig­ keit von Herbergen  25, 275 Ganerbschaft  26 f., 180 f., 236, 565 ff., 572 ff., 584 f., 590, 605 f., 654 Gauverfassung, frühmittelalterliche  56 f., 59, 547 f., 552 f., 592, 649, 652

720 Stichwortverzeichnis Gebäudezertrümmerungen  183 ff., 298, 339, 586 f., 594 f., 656 Gebhard III., Bischof von Regens­ burg119 Gefolgschaften  200, 204 f., 215 f. Gehöft  554 ff., 593 f., 602, 605 f., 648 f. Gehöfte als Sondereigen der Markgenos­ sen  556, 602, 605 f. Gemeinderschaften  568 f. Gemeinschaftseigentum besonderer Art  35, 69 f., 402, 515 f., 518, 527 f. Gemeinwirtschaft, germanische  597, 609 Geometrie, trigonometrische  617 f. Gerechtigkeiten, Gerechtsame  282, 286 ff., 481, 530 f. gerichtliche Auflassung, germanisch  602 Gerichtsbarkeit in der Kemptener Fürstabtei  129 ff. Germania Sacra  136 ff. Gesamteigentum  26 f., 235 f., 330, 574 ff., 584, 589 ff., 605 f., 610, 654 f. Gesamteigentumstheorie, Gesamthands­ theorie  323 f., 328 f., 441, 574 ff., 579 f., 589 f. Gesetzesstaat, aufgeklärter Geist  147 f., 153, 272 ff. geteiltes Eigentum aus dominium directum et utile  190 ff., 283 f., 296 f., 301, 317, 320, 331, 400 f., 500, 509, 511, 541, 553, 557 f., 586, 590 ff., 599 Gewerbesteuer im Königreich Bayern  624 f., 627 f. Gewere, lehensrechtlich  236 f., 447 f. Gewohnheitsrecht, lehensrechtliches  223 ff., 229 f. Gielsberg, Fürstabt Roman Giel von  18, 141 ff., 145, 216 f., 267, 269, 273, 299, 310 f., 645 f. Gottesgnadentum  140 Gotteshausgut  56, 72 ff., 308 f., 551 Gotteshaushuber  280, 291

Graf von Markstetten  91 Grafenegg, Fürstabt Georg von  128 f. Grafschaft Kempten  46, 91, 116 f., 123, 130, 135, 279, 643 f. Grafschaftsrechte, verliehen an die Abtei Kempten als Reichslehen im Jahre 1213  21 f., 29, 47, 73, 84, 91 f., 94 ff., 107 f., 123, 127 ff., 221 f., 643, 656 f. Gregor IX., Papst  121 Grundbuchwesen, Geschichte  519 f., 611 ff., 673 ff. Grunddienstbarkeiten, altrechtliche  404 ff., 464 ff., 469, 473 ff. Grundeigentum, germanisches  26, 237, 558 f., 564, 578, 592 ff., 653, 662 Grundherrschaft, fränkische  65 f., 76, 546 ff., 554 ff., 564, 592 ff., 648 ff. Grundherrschaft des Fürststifts Kempten  278 ff., 304 ff., 657 f. Grundholden  280, 286 ff., 291, 547, 562 f. Grundsatz der betroffenen Einheitlich­ keit  33, 378 ff., 413, 415 ff., 418, 420, 423 ff., 435 f., 478, 532 ff., 668 ff. Grundsteuer im Königreich Bayern  616 ff. Grundsteuerkataster  404, 463, 615 f., 619 ff., 673 f. gutgläubiger Erwerb bei Herbergen  446 ff., 667 gutgläubiger Erwerb bei später im Grundbuch nicht mehr eingetragenen altrechtlichen Grunddienstbarkeiten  404 f., 466 f. gutgläubiger Erwerb bei unbeweglichen Gütern  448 gutgläubiger Erwerb eines Miteigentum­ santeils  444, 450 Hadrian, Papst  40 f., 60, 113 f. Hand wahre Hand, germanisches Rechtsprinzip  447 f. Hauptmannschaften im Fürststift Kempten  158

Stichwortverzeichnis721 Häuser-, Boden- und Bauleihe  198, 276 ff., 293, 306, 551, 570 f., 659 Haussteuer im Königreich Bayern  624 f. Heeresverfassung, karolingische  56, 543, 547, 559 f., 562, 600 f., 604, 651 Heerschild  230 Heimfall bei Zinslehen  249 f. Heimfallordnung  216 f., 251, 253 f., 257, 300 Heinrich der Löwe, Herzog von Bayern und Sachsen  90 Heinrich III., König  119 Herbergen  23 ff., 66 f., 163 ff., 350, 353, 420, 538 ff., 559 ff., 578 ff., 592 ff., 651, 655 –– als öffentliche Sachen  578 ff., 655 –– Aufbau und Baustruktur  172 ff. –– Etymologie  163 ff., 542 ff., 569 f., 607, 651 –– Geschichte  165 ff., 539 ff., 560 ff., 595 f., 605 ff., 648 ff. –– soziologische Einordnung  188 ff., 350, 353, 420 Herbergshandel  582 Herbergsrecht  562 f. heriberga, fränkisch  164 f., 542, 563, 651 f., 654 héritage als unfreies Erbe  595 f., 607 Herren- bzw. Salhof  66 f., 76, 550 f., 651 Hexenprozess von Anna Maria ­Schwägelin  22 f., 153 ff. Hildegard, fränkische Königin und Gemahlin Karls des Großen  18 f., 27, 36 f., 40 ff., 49, 55, 60 f., 64, 72, 114, 116, 227 f., 650, 652 Hildegardisburg  53 f., 59 f., 62, 66 ff., 73 ff., 651 Hildegardiskult  72 f. Hirschdorf, Fürstabt Friedrich von  20, 99 Hobbes, Thomas  140 Hochgerichtsbarkeit  129 f., 644

Hochkeller  500 f. Hochstift Augsburg  17 f., 98 f., 616, 642 Hochstift Würzburg  459 Hochvogtei  47 f., 656 f. Hofämter  159, 202 Hofgericht des Fürststifts Kempten  131 f. Hofkammer in der Kemptener Fürstabtei  158 ff., 219, 290 Hofmarschall der Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation  83 Hofrat  98, 128, 157 f., 160, 644 Hofraths-Ordnung  131 Hofstaat und Landstandschaft  160 ff. Horizontalteilung, germanische  24 f., 31 f., 175 f., 313 ff., 320 f., 338 ff., 357, 491 f., 496, 525, 541 f., 572 f., 586 f., 627 f., 664 f. Hufenverfassung, fränkische  56, 559 f., 600 f. Hypothekenamt  636 Hypothekenbuch  35 f., 626 f., 628 ff., 674 f. –– Akteneinsichtsrecht  635 f. –– Beschwerde  637 –– eintragungsfähige Tatsachen  629 ff., 674 –– Hauptrubriken  634 –– Protestation  635 f. Illergau  54 ff., 63, 112, 559 Immobiliarrecht im Fürststift Kempten  30 f., 141, 190 ff., 283 f. Individualwirtschaft, römische  597, 609 indivision forcée  341 f. Inhaltsänderung eines Altrechts  380 ff., 412 f., 423, 435 f., 460, 633, 670 Innenverhältnis, herbergs- bzw. stock­ werkseigentumsgemeinschaftliches  392 f., 414 ff., 427 ff. Intabulierung  613 f.

722 Stichwortverzeichnis Interessenabwägung bei Herbergen, nachbarschaftliche  427 f., 431 f. Investitur, lehensrechtliche  205 ff., 237, 253 f., 257 ff., 261, 272 f., 300, 601 f. Investiturstreit  102 f. iure beneficiario  201 ius commune  165, 441, 487 f., 570, 587 ius in re aliena  326 ius retractus  259 f., 270 Josephinismus, österreichischer  155 f. Justinian I., römischer Kaiser  447 Kaiserprovinzen, römische  598 Kalbsangsttobel, Burg  79 Kameralismus  144 Kanzleilehen im Königreich Bayern  626 f. Kapitularien  548, 604 Karawanserei  545 Karl IV., König  96 f. Karl VI., König  144 Karl Albrecht, bayerischer Kurfürst  146 f. Karl der Große, fränkischer Kaiser  27 ff., 37, 40 ff., 49, 54 ff., 73, 75 f., 114, 116 f., 119, 127 f., 199, 227 f., 235, 538, 543, 546, 549, 551 ff., 559, 592 f., 598 ff., 604, 610, 642 f., 648 ff., 653, 657 f. Karlmann  41 f., 115 f. Kellereigentum  46, 476, 486, 498, 529 ff., 671 f. Kellerrecht  294, 315, 319 f., 456 ff., 671 –– Arten von Kellerrechten  456 ff., 528 ff. –– Bayerische Rechtsprechung zu Kellerrechten  473 ff. –– Entstehung und Aufhebung  459 ff. –– Erbbaurecht an Kellern  482 ff. –– linksrheinisches  529 ff., 671 f. –– Rechtsquellen in der Kemptener Fürstabtei  458 f., 461 f., 658 f.

–– Stockwerkseigentum an Kellern  456, 474, 476, 480 f., 486, 530 f., 535 f., 671 Kempten, Fürstabt Heinrich III. von  73, 84 Kempten, Fürstabt Johann von  307 f., 310 Kirchliche Immunität  28 f., 43 ff., 61 f., 73 ff., 83 f., 89, 91 f., 94 f., 127 f., 548, 550, 642 f., 650, 657 Kirchliches Allodialvermögen  107 f., 219 f. Kodifikationsstreit zwischen Savigny und Thibaut  339 f. Kölner Schreinsurkunden  178 f. Kommentierung zum bayerischen Stockwerkseigentum  353 ff. Königsboten, missi dominici  61 f., 548 Königshof Hildegardisberg  49 ff., 179 f., 651 Königshof, ministerium  54, 64 ff., 77, 164 f., 167, 543, 550, 552, 649 ff. Konrad IV., König  84 f. Konradin  84 f. Konsolidation  468 Konvent  158 Kostentragungsregelung des Art. 664 des Code Napoléon  34 f., 324, 326 ff., 340, 440 f., 488 ff., 494 ff., 516 f., 519, 525 f., 529, 532 ff., 587 f., 607 ff., 660 f. Kostentragungsregelung des Satzes  664 des Badischen Landrechts  34 f., 510 f., 516 f., 660 f. Kreuzzüge, mittelalterliche  90 Kriegsverfassung, mittelalterliche  202 f., 210, 215 f., 241 f., 248, 562, 601 Kronvasallität  201 f. Kunic Karls Reht  29 f., 228, 234 f., 658 Kunkellehen  213 Kurfürstenkollegium im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation  136 f. Kurialismus  100 f.

Stichwortverzeichnis723 Landeshauptrezess  162 Landeskirchentum, fränkisches  39, 115 Landesordnung von Fürstabt Georg von Grafenegg  128 f. Landesordnung von Fürstabt Johann Erhard Blarer von Wartensee  29, 128 f., 216 f., 222, 224, 226, 229, 251, 253, 255 ff., 266 f., 585, 658 Landesvermessung im Königreich Bayern  616 ff., 673 f. Landgericht, kaiserliches  130 ff., 160 Landgericht, schwäbisches  132 f. Landstandschaft  140, 145 f., 156 ff., 647 Landtafelamt  612 f. Landtafeln, Kemptener des Jahres 1738  35 f., 146, 170, 290, 611 ff., 629, 673 –– Akteneinsichtsrecht  613 f. Landtafelverordnung  615 Landwehr des Fürststifts Kempten  134 f. Laudemium  281 f., 288 Lehen, feudum  206, 209, 298, 614 f., 625 ff., 630, 656 Lehen, rechtes  207, 241, 289, 657 f. Lehenbücher  239 f., 255, 257, 659 Lehenhof  196, 217, 219, 223, 256, 307, 311 f., 663 Lehensbrief/-vertrag  206 ff., 212 ff., 222 f., 237, 249 f., 253 f., 257 ff., 265 ff., 272 f., 299, 626, 659, 663 Lehenserbfolge  253 f., 257 ff., 267, 646 Lehensfähigkeit, aktive und passive  209 f., 212, 253 f., 262, 272 Lehensgericht  130, 219, 270, 272 Lehenshoheit  208 Lehensordnung  258 f. Lehenstaxe  302 f. Lehenswesen  30 f., 123, 133 ff., 191 ff., 199 ff., 215 ff., 242 f., 304 ff., 515, 541, 549 f., 553, 558, 561, 564, 578, 581 f., 586, 592 ff., 601 ff., 654, 657 ff., 663

–– mittelalterliches  30, 199 ff., 215 f., 289, 541, 549 f., 553 –– neuzeitliches  30 f., 134, 203 ff., 215 ff., 242 f., 519, 663 Lehre von der potestas directa in temporalibus, päpstliche  100 f. Lehre von der potestas indirecta bzw. directiva, jesuitische  101 Leibgedinge  286 f., 290, 563 f. Leibherrschaft des Fürststifts Kempten, territorialitätsbezogene  100, 221 f., 643 f. Leibrecht  280, 284, 287, 290 f. Leibzucht  563 Les six livres de la république  97 f. Leviathan  140 Lex Francorum Chamavorum  553 lex investiturae  265, 268 ff., 659 Lex Salica  548, 554 f., 565, 592 libri feudorum  225 ff., 260 Liquidationsverhandlungen  70 f., 619, 623, 674 longi temporis praescriptio  447 Lotterberg  53 f., 59 ff., 67 f., 73, 77 f., 310 f. Ludwig der Deutsche, König  46, 57 f., 116 f. Ludwig der Fromme, deutscher Kaiser  43 f., 57 ff., 65, 74 f. Ludwig von Rotache, Ritter  73 Magnus, Heiliger  38, 112 Mannlehen  230, 308 Mannslehen im Königreich Bayern  626 f. mansiones, mutationes  544 ff. Marca  554 f., 602, 649 f. Marca Campidonensis  20, 28 f., 46 f., 62, 79, 83 f., 91, 98 ff., 112, 116 f., 555, 643, 652 Mariä Heimsuchung, Kempten  18 Marienmünster, Kempten  18, 142 Marienpatrozinium  46 f. Mark, Marken  554 f., 602, 649 f.

724 Stichwortverzeichnis Markgenossenschaft, fränkische  26 f., 554 ff., 559 ff., 565 f., 572, 580, 590, 593 f., 602, 605 f., 648 f., 651 f. –– freie und gebundene  554 ff. –– ihr Verhältnis zum Herbergsrecht  559 ff. Markgenossenschaftstheorie  597 Maximilian I., König von Bayern  276 f., 307, 618 Maximilian IV. Joseph, König von Bayern  618 Maximilian Graf von Montgelas  617 Meinungsstand zum Wiederaufleben von Stockwerkseigentum nach einem Abbrand bzw. einer sonstigen Zerstörung  418 f. Meldegg, Castolus Reichlin von  156 Meldegg, Fürstabt Anselm Reichlin von  35 f., 125, 146 f., 282 f., 611, 673 Menschen-, Grund- und Bürgerrechte  105 f., 147 f., 161 f. Merkantilismus  143 ff., 655 f. Mischformen von Stockwerkseigentum  378 ff., 398 f. missi dominici, Königsboten  61 f., 548 Miteigentum als Voraussetzung von Stockwerkseigentum  357 ff. Miteigentum nach Quoten im König­ reich Württemberg  330, 528 Miteigentumsgemeinschaft, stockwerks­ eigentumsrechtliche  332 ff., 353 ff., 363, 414 f., 669 Miteigentumstheorie  323, 325 f., 328 f., 333, 418, 441, 491, 589 mitoyenneté  35, 402, 426, 508, 515, 527 f., 608 Mittelberg, Fürstabt Heinrich von  20, 99 Monarchie, absolute  17, 22 Monarchie, konstitutionelle  162 Monarchiediskurs  20 Monte Hildegardis, Hildegardisberg  53 f., 64 Morgengabe  300 mos gallicus  488

Münchner Au  174, 184, 288, 294, 659 Naturrechtslehre  147 Neubegründungsverbot von Stockwerks­ eigentum  353, 355 ff., 374 ff., 380 ff., 396, 398, 406, 408, 410 ff., 415 ff., 423 f., 432, 435 f., 442, 454 f., 459 f., 477 f., 522, 536 f., 633, 668 ff. Neuenstein, Fürstabt Rupert von  17, 22, 152, 154 ff., 311 f., 647 f. Neustiftrecht  287 Normenhierarchie in der Kemptener Fürstabtei, lehensrechtliche  223 ff. Nuntien  111 Ober- und Untervogtei  89, 92, 120 f. Obereigentum, Entwicklungsstufen  297 ff., 311 f. Oberstheiligenpflegamt  106 f., 124 f. Obrigkeitsstaat, neuzeitlicher  97 ff., 216 f., 257, 274 f. Obskurationssystem, katholisches  151 Ochsenbach, Fürstabt Friedrich ­Gremlich von  61 öffentlicher Glaube des Grundbuchs  405, 448, 450, 466, 635 f., 674 f. Öffnungsklausel, lehensrechtliche  226 f., 229, 658 Ordonnances  487 f. Österreichischer Erbfolgekrieg  149 Otmar, Abt von St. Gallen  40 Otto I., deutscher Kaiser  118 Otto II. von Pfalz-Mosbach  569 Ottonisch-salisches Reichskirchensys­ tem  90 f. Patrimonium, reichsfürstliches  304 ff. Paulus  314 Pelagius, Papst  39 f., 115 f. Personalservitut  458, 465, 474 Pest  279 f. Pfarrei St. Lorenz im Fürststift Kempten  114 f., 120 ff. Pflegämter der Kemptener Fürstabtei  128, 130, 157, 160

Stichwortverzeichnis725 Pflegamtsordnung  131 Pflege  603 Piaristenorden  149 Pippin  39 ff., 112, 115 f. Pippinsche Schenkung  114 Platzrecht  294, 315 ff., 456 ff., 468 ff., 473 ff., 671 Politologie, spätaristotelische  147 Polizeidirektorium im Fürststift Kempten  153 praecepta regis  555 ff., 562, 651 f. Präfektur, karolingische  62 Prekarium  599 Primogenitur  263, 566 Primogenitur, cognatische  212 f. princeps, Reichsfürst  83 Prinzip der ärgeren Hand  160 f. Prinzip der Gnade  23 f., 139, 268 Prioritätsordnung, im Zusammenhang mit dem Hypothekenbuch  637 Privation  468 privilegia de non evocando et non appellando  135 Protestation  635 f. Prunkräume der Kemptener Residenz  147, 150, 645 Realservitut  440 f., 458, 474, 504, 577 f., 631, 675 Rechtfertigung von Herrschaft, absolu­ tistisch-theokratische  139 Rechtsnatur des Lehenswesens  213 ff. Rechtsquellen im Fürststift Kempten, lehensrechtliche  223 ff., 254 f. Rechtstatsachenforschung, historische  331 f. Rechtsverhältnis, verdinglichtes  438 ff. Reformkatholizismus  22, 147 ff., 647 f. Regalienleihe, königliche  107 ff., 127 f., 219 f., 657 Regensburger Wachtgerichtsordnung  174, 183 f., 338 Regula Benedicti  75, 102 f., 113 f.

Reichsbelehnung, staufische  82 f., 89 f., 93 f., 107 ff. Reichsdeputationshauptschluss  616 Reichsfürstenrat im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation  48, 136 ff. Reichsfürstentum, Fürststift Kempten  19 ff., 29, 36, 47 f., 55, 73, 80 ff., 91 f., 94 ff., 107 f., 123, 127, 141 f., 221 f., 294, 306 f., 642 f., 656 f., 659 Reichskammergericht  135 f. Reichskirche  44 f., 101 f., 116 ff. Reichskloster, Stift Kempten  40 Reichsorganisation des Fränkischen Reiches  542 ff., 592 ff., 649, 651 ff. - aristokratische und demokratische Strukturelemente  552, 554, 592 ff., 649, 651 f. Reichsreform, staufische  80 ff., 305, 656 f. Reichsstadt Kempten  149, 153, 309, 319 Renobald Reinstetter von Hilgartisberg  60, 77, 179 f., 650 f. Renovierungen bei Herbergen bzw. beim Stockwerkseigentum  415 f. Residenz, Kempten  18, 118, 142, 645 Residenzstadt, fürstäbtliche  276 f. Ritterlehen  238 f., 244 f., 627 Rokoko  147, 150, 645 römisch-kanonisches Recht  81, 87 f. Ronsberger, Herrschergeschlecht  47, 84 f., 148 Rücksichtnahmegebot, stockwerkseigen­ tumsrechtliches  335 f., 416 f., 431 ff., 504 f., 670 Rudolf I., deutscher Kaiser  96 Rustikalsteuer im Königreich Bayern  624 ff. Sachenrecht, öffentliches  577 ff. Säckellehen  244 f. Säkularisation der Kemptener Fürstabtei im Jahre 1803  27, 103 f., 110, 139, 141, 156, 160, 162 f., 195, 275, 291 f., 302, 615 f., 659 f., 673 f.

726 Stichwortverzeichnis Savigny, Carl Friedrich von  298, 317, 339 f., 442, 589, 666 Schanze, Königshof  62, 71, 76 ff. Schleiherlehen  213, 308 Schloss zu Thingau, Unterthingau  19 Schranken des Stockwerkseigentums, verfassungsrechtliche  378 ff., 410 f. Schreckenstein, Fürstabt Honorius Roth von  18, 22, 150 ff., 647 f. Schwabenspiegel  30, 225 ff., 234 ff., 239 f., 243 ff., 255, 263 f., 289 ff., 544, 658 f. Schwäbischer Reichskreis  17 f., 36 f., 98 f., 239 f., 243, 276 f., 642 Senatsprovinzen, römische  598 Senioratsverfassung, fränkische  552, 562, 592 f., 600 ff., 653 f. Servitialpflicht  562 f. servitudes établies par la loi  34 f., 326 f., 426, 440, 502 ff., 516 ff., 587 f., 632, 660 ff. servitut privatif et servitut commun  440, 502 ff., 587 f. Servitutentheorie  324, 503 ff., 512, 518 f., 588, 596 servitutes praediorum urbanorum  577 f. Siebenjähriger Krieg  149 Sixtus IV., Papst  22, 110, 120 ff., 646 f. Societas Literaria Germano Benedictina  149 f. Solarium  468 Sondereigen und Gesamteigen, Symbio­ se im germanischen Rechtskreis  27, 66, 236, 538, 556 ff., 569, 572 ff., 579 ff., 589 f., 593 f., 649, 662 Sondereigentum, ausschließliches  335, 343 f., 358, 379, 496 ff., 513 f., 527, 670, 672 Sondereigentum an Bäumen und sonstigen stehenden Erzeugnissen  402 f., 406 Sondereigentum auf fremdem Grund  180, 235 f., 249, 293, 297, 654 f., 658 Sondereigentumstheorie, engere und weitere  34 f., 322, 325 ff., 335,

378 ff., 418, 426, 445, 491, 504, 506 ff., 511 ff., 516 f., 519, 523 ff., 532, 591, 596, 632, 664 Spiritualia und Temporalia  106 ff. Staatsdiskurs, moderner  20, 97 f., 118, 140, 147 f. Staatskirchentum, katholisches  101 ff., 644 f. Staatslehre, patrimoniale  139, 204 f., 303, 659 f. Staatslehre, theokratische  139 Staatsorganisation, germanische  88 f. Staatsorganisation des Fürststifts Kempten, neuzeitliche  98, 106 f., 128 ff., 156 ff. Staatswirtschaft im Fürststift Kempten  144 f. Stammlehen  259 ff. stationes  544 f. statuti italiani  168 f., 539 ff. Sternplannummer  622 f. Steuergerechtigkeit im Königreich Bayern  624 Stiftskapitel  139, 145 f., 158 Stiftsstadt  144, 185, 242, 277 f., 280, 282 Stiftsvogt  45 f., 61 f., 74 f., 82, 91 f. stipendium  598 St. Marien zu St. Mang  38 ff., 112 f., 116 ff. Stockwerkseigentum  24 f., 31 ff., 298, 313 ff., 318 ff., 336 ff., 353 ff., 356 ff., 361 ff., 427 ff., 435 ff., 446 ff., 456 ff., 538 ff., 622 f., 630, 638 ff., 660 ff. –– Begriff  318 ff., 326 f., 478, 531, 671 –– Bezugsobjekte  319 f. –– Dogmatik  321 ff., 660 ff. –– echtes und unechtes  325 f., 332 ff., 360 ff., 426 –– germanisches Rechtsinstitut  331 f., 538 ff., 592 ff. –– Geschichte  330, 333 ff., 340 ff., 345 ff., 349 ff., 538 ff. –– heutige grundbuchmäßige Behandlung  638 f.

Stichwortverzeichnis727 –– linksrheinisches  34, 487 ff. –– Rechtsnatur  318 ff. –– Überleitung nach dem Wohnungsei­ gentumsgesetz  640 f. Stockwerksrecht, altertümliches  176 ff., 573, 599 f., 607 Streithäuser  186 f., 341 f., 420, 447, 656 Stufenbau der Rechtsordnung  372, 377 successio ex pacto et providentia maiorum  259, 263, 265, 645 f. Sukzessionsordnung  251, 253, 256 f., 262, 265, 270, 273, 659 Sulmetingen, Fürstabt Gerwig von  50 f., 240 summus episcopus  117 superficies  30, 191 f., 292 ff., 315 ff., 324, 326 f., 344, 441 f., 456 ff., 460 f., 468 ff., 473 ff., 482, 530 f., 570, 588 f., 600, 609, 615 f., 655, 661 f., 671 superficies solo cedit  31 f., 177 f., 294, 297, 313 ff., 320 f., 325, 331, 335, 341, 370, 399 ff., 474, 497 f., 529 f., 608, 664 ff. superioritas territorialis  97, 100 Syrgenstein, Fürstabt Engelbert von  22, 125, 148 ff. Systematik des EGBGB in Bezug auf das Stockwerkseigentum  394 ff., 420 ff. Tatto, Fürstabt  57 Tausch von Sondernutzungsbestandtei­ len an Herbergen bzw. Stockwerks­ eigentum  414 f. Teck, Herzog Friedrich von  96 Teilung eines Gebäudes in Herbergen als Hoheitsakt  508 f., 517 f., 521, 583 ff., 602 f., 662 f. Teilung von Stockwerkseigentum in einzelne Bestandteile  416 Teilungsverfahren, mittelalterliche  576 f. Theodor  38 ff., 112 f. Thibaut, Anton Friedrich Justus  296, 339 f.

Thronlehen im Königreich Bayern  626 f. Todtenbuch  612 Topographie des Fürststifts Kempten  19 f., 642 Topographisches Bureau, Königreich Bayern  618 Trennung von Staat und Gesellschaft, staatstheoretisch  157 Treueid, lehensrechtlicher  201 f., 205 ff., 216 ff., 247 f., 256, 289, 304, 306, 549, 657 tributum in den römischen Kaiserpro­ vinzen  598 Übertragung von Stockwerkseigentum  392 f., 429 f., 448 ff., 475, 666 f. Ulm, Fürstabt Heinrich von  207 Ulpian  314 f. Ulrich von Augsburg, Bischof  118 f. Umbau bei Herbergen bzw. Stockwerks­ eigentum  415 f., 430 f. Umdeutung von Altrechten in unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch zulässige Rechtsinstitute  469, 475, 479 ff., 529, 633 f., 671 Umschreibkataster  619 f. Umschreibung, Definition im Sinne der Katastervermessung  620 universitas agrorum  597 Untrennbarkeit von ausschließlichem Benutzungsrecht und gemeinschaft­ lichen Nutzungsrechten  429, 435 f. unverdenkliche Verjährung  462 Unzulässigkeit einer nachträglichen Teilung bei Stockwerkseigentum  359 f. Uraufnahme, bayerische Landesvermes­ sung  619, 621, 673 f. Urbarbuch  290 Urkataster, Grundsteuerkataster  404, 463, 615 f., 619 ff., 673 f. usufructus, römisches Rechtsinstitut  598 f.

728 Stichwortverzeichnis Verbot der ungenossamen Ehe  160 f. Verbotsgesetzgebung hinsichtlich Herbergen, neuzeitliche  182, 184, 338 f., 584, 586 f., 656 Vereinödungspolitik des Fürststifts Kempten  282 f., 614 Verfassung des Fürststifts Kempten, neuzeitliche  156 ff. Verfassungsnorm Friedrichs I. Barbaros­ sa hinsichtlich der Reichsbelehnung unter den Staufern  86 f., 93 f. Verfassungswandel  88 Vertikalteilungen, badisches Stock­ werkseigentum  513 f., 528 Verwaltungsregelungen bei Stockwerks­ eigentum, Innenverhältnis  428 ff., 449 Villikationsverfassung, mittelalterliche  66, 76, 550 f. Virilstimme für das Fürststift Kempten im Reichsfürstenrat im Jahre 1453 48, 136 f. Vita Sancti Magni  112 Vogtei, Vogt  82, 571 f. Vogteizins  285 Volksstube  181, 189 f., 650 Voltaire, François-Marie Arouet  148 Vormundschaftsrecht, Kemptener Fürstabtei  210 Votum decisivum der Fürstäbte  125 Wahl des Fürstabts durch das Kapitel  139, 145 f. Wartensee, Fürstabt Johann Erhard Blarer von  29, 128 f., 216 f., 222, 224, 226, 229, 251, 253, 255 ff., 266 f., 308, 585, 658 Weiberlehen  213, 308 Wergeld  553 Wernau, Fürstabt Johann I. von  72, 135 Widerspruch im Grundbuch, eingetrage­ ner  451

Widmung  579, 581 Wiederaufleben von Stockwerkseigen­ tum nach einem Abbrand bzw. einer sonstigen Zerstörung  418 ff., 430 f., 670 Wiener Kongress  493 Wiener Stadtrechts- und Weichbildbuch  168, 541 Wikterp, Bischof von Augsburg  38, 41, 112 f. Wohnungseigentumsgesetz  408, 442, 640 Wolffurt, Fürstabt Johann Eucharius von  310 f. Wormser Konkordat  102 f., 107 f. Württembergisches Stockwerkseigentum  426 f., 510, 521 ff. Würzburger Stadtbauordnung  182 f., 338 Zacharias, Papst  39 f., 115 f. Zehnten  290, 311 Zeitpunkt der Anlegung des Grundbuchs im Landgerichtsbezirk Kempten  422 f., 464, 474, 480, 632 Zerstörung des Stockwerkseigentums  418 ff., 430 f., 670 zertheiltes Eigentum, Großherzogtum Baden  511 Zimmer-Recht nach dem Codex Maximilianeus Bavaricus civilis  457 f. Zinseigen  247 ff., 289, 311 Zinslehen  197, 226 f., 230, 237 f., 243 ff., 278, 289 ff., 297, 303, 310, 626 f., 658 ff. Zustimmungserfordernis nach § 19 GBO  445 f. Zwangsvollstreckung bei Stockwerks­ eigentum  429 f. Zweikammersystem  162 Zweistufentheorie  218 f.