Werner Hegemann (1881-1936): Stadtplanung, Architektur, Politik - ein Arbeitsleben in Europa und den USA 9783110951356, 9783598232282

This title is the first comprehensive biography of the town planner and architecture critic, Werner Hegemann. Since his

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Table of contents :
1 Einleitung
1.1 Gegenstand
1.2 Forschungsstand
1.3 Erkenntnisinteresse
1.4 Methodik
1.5 Aufbau und Quellen
2 Familie
2.1 Vater
2.2 Mutter
2.3 Konflikte
2.4 Scheidung
2.5 Kinder
2.6 Konfligierende Bürgerlichkeit
3 Ausbildung
3.1 Schulen
3.2 Studium
3.3 Bildung und Bürgerlichkeit
4 Amerika 1909
4.1 Philadelphia
4.2 New York
4.3 Boston
4.4 Reflektionen
4.5 Kontrastierende Bürgerlichkeit
5 Berlin 1910 - 1913
5.1 Die Städtebauausstellung Berlin 1910
5.2 Hegemanns Werk und das Fach
5.3 Hegemanns Bezugsrahmen
5.4 Hegemanns Aktivitäten
5.5 Rollensuche und Bürgerlichkeit
6 Amerika 1911 - 1921
6.1 Vortragsreise
6.2 Neuanfang
6.3 Praxis
6.4 „American Vitruvius“
6.5 Selbständigkeit und Bürgerlichkeit
7 Berlin 1922 - 193
7.1 Rückkehr
7.2 Architektur 1924-1927
7.3 „Fridericus“ 1925-1927
7.4 Literatur 1927-1930
7.5 Architekturkritik 1927-1929
7.6 Synthesen 1930-1931
7.7 Konfrontationen 1931-1933
7.8 Profession Bildungsbürger
8 Exil
8.1 Genf 1933
8.2 New York 1933-1936
9 Nachwort oder die Profession ‚Bildungsbürger‘
10 Anhang
10.1 Bildteil
10.2 Kurzbiographien
10.3 Zeittafel
10.4 Schriftenverzeichnis Hegemann
10.5 Literaturverzeichnis
10.6 Register
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Werner Hegemann (1881-1936): Stadtplanung, Architektur, Politik - ein Arbeitsleben in Europa und den USA
 9783110951356, 9783598232282

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E I N Z E L V E R Ö F F E N T L I C H U N G E N DER H I S T O R I S C H E N K O M M I S S I O N ZU B E R L I N

BAND 84

Caroline Flick

Werner Hegemann (1881-1936) Stadtplanung, Architektur, Politik Ein Arbeitsleben in Europa und den USA

Teil 1

K G S a u r München 2005

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Gedruckt auf säurefreiem Papier © 2005 by K. G. Saur Verlag GmbH, München Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. All Rights Strictly Reserved. Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Druck/Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach ISBN 3-598-23228-4 (2 Bände)

Meinem Vater Otto Flick (1925-1999)

Vorbemerkung Zuerst möchte ich Prof. Dr. Wolfgang Ribbe danken, nicht nur für seine Anregung, daß Leben und Werk Werner Hegemanns einer genaueren Betrachtung wert seien, sondern viel mehr für seine Geduld, seine Ermutigungen und Kritiken und vor allem das in mich gesetzte Vertrauen - und nicht zuletzt für die Aufnahme des Werks in die von ihm herausgegebene Reihe. Ich verdanke Prof. Dr. Ilja Mieck und Prof. Dr. Angelika Schaser Ermutigung und Unterstützung, diese in einer Magister-Arbeit begonnene Betrachtung zu der hiermit vorgelegten Untersuchung zu vervollständigen. Die Ausarbeitung ermöglicht zu haben, ist sowohl der Kommission zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen wie auch der Studienstiftung des deutschen Volkes zu verdanken, die diese Arbeit jeweils mit einem Stipendium gefördert haben. Eine außerordentliche Motivation verdanke ich meinen Hauptlesern, Herrn Beat Feer und seiner Frau Ursula Feer, die nicht nur jeden Fortschritt mit Neugier und Interesse erwarteten, sondern mir auch weitere Kontakte vermittelten und darüber zu Freunden geworden sind, die wir nicht missen wollen würden. Eine unschätzbare Motivation war mir auch die unerbittliche Stilkritik meines weiteren geduldigen Lesers, Prof. Dr. Bernd Hey, der mir dazu stets Bestätigung und kritische Forderungen angedeihen ließ. Motivation aber waren auch die kritische Stärkung seitens Prof. Dr. Anke Bennholdt-Thomsen, die unerschütterliche Erwartung seitens Prof. Dr. Wolfgang Schäche und die unverwüstliche Neugier Prof. Dr. Helmut Engels. Nicht zum wenigsten möchte ich Herrn Manfred Hegemann meinen Dank aussprechen, der mit wachsenden Interesse an dieser Untersuchung zum Lebensweg seines Vaters mir Dokumente aus dem Familienbesitz zugänglich machte. Und so seien auch all jene Korrespondenten, Archivare und Bibliothekare mit Dank bedacht, die auf Anfragen mit freundlichen und hilfreichen Nachfragen und Anregungen mir weitere Materialien eröffneten und damit die Arbeit erleichterten. Nicht zuletzt und nicht wenig danke ich meinen Freundinnen und Freunden, die sich nicht nur Werkstattberichte und Lamenti anhörten, sondern mit Rückfragen, Präzisierungen und Ideen auf den Weg halfen - für sie muß Dr. Sigrid Stockei stellvertretend genannt sein. Und ... meinem Mann und meinem Sohn. Caroline Flick Berlin, im Mai 2005

Teil 1 Abkürzungen und Sigel

xxi

1 Einleitung 1.1 Gegenstand Fragmentierte

ι Bekanntheit

1.2 Forschungsstand

3

Stadtplaner - Planning Consultant - Kritiker

1.3 Erkenntnisinteresse

6

Arbeit und Wandel - Anfangsfragen

1.4 Methodik

8

Biographischer Ansatz - Gesellschaftsmodell - Rezeptionsstudien

- Forschungskritik

12

1.5 Aufbau und Quellen Gliederung - Materialien - Berliner Planer - Amerikanische Praxis Kritiker Kulturvermittler

Weimarer

2 Familie 2.1 Vater

19

Beruf - Heiratsverhalten - Branchenwechsel - Produktionstypus

- Prosperität

2.2 Mutter

25

Familie - Verwandtschaft - Heiratsbedingungen - Status

2.3 Konflikte

28

Familienplanung - Rollendifferenzen - Anstaltskarriere - Hospitalisierung - Hort Hausfrieden - Familiensicherung - Verfügungsgewalt - Psychiatriewandel

2.4 Scheidung Rollenbrüche - Sorgepflicht Testament - Erbschaft

38 - Publikationen

-

Vergleichspotential

- Faktoren

-

Alteste - Familienidylle - Jüngere - Religionen - Nationalismus - Nachwirkungen Prägung

-

44

2.5 Kinder 2.6 Konfligierende Bürgerlichkeit

52

Theorierahmen - Wirtschaftsbürger - Geschlechterrollen - Phasenlage - Prozeß

3 Ausbildung 3.1 Schulen Schulwechsel· - Gymnasium - Gastfamilie - Plön - Erziehungsziele - Lernziele Fächer - Sprachen - Militarismus - Idealismus - Rückblick - Eigenständigkeit - Abitur

57

Inhalt

3.2 S t u d i u m 3.2.1 Berlin

70

Ersatzfamilie - Peergroup - Philosophie - Braut

3.2.2 Paris

74

Boheme - Jus - Gide - Reisen

3.2.3 Philadelphia

79

Ökonomie - Patten - Typen

3.2.4 Berlin

82

Staatswirtschaft

- Eheschließung -

Bildungswillen

3.2.5 Straßburg Beruf -

84

Bankpraktikum

3.2.6 München

87

Fachstudium Veröffentlichung

3.3 Bildung

Brentano - Programm Schreibweise

-

Verschiebung

-

Dissertation

-

und Bürgerlichkeit

Deutungsmonopole

93

- Großbürger - Wirtschaftsbürger?

-

Re-Formationen

4 Amerika 1909 100

4.1 Philadelphia Wohnungsinspektor?

- Datenerhebung

- Initiation - Sozialreform

4.2 New York

104

Kontakte - Stadtausstellung Vermittlung - Anstoß

4.3

- Planungsbewegung

- Zahlenfaszination

- Vorbild

-

Boston 4.3.1 Ausstellung

ill

Rundgang - Organisation - Anteil? - Planvorstellungen

- Klammer

4.3.2 Bewegung Reformgruppen

116 - Personal -

Projekte

4.3.3 Progressivism

119

Regionalpolitik - Sekundärziele Herausforderung - Imitation

- Reformrhetorik

- Bewertung

- Abstinenz

-

4.4 Reflektionen

126

Motive - Phänomenologie Wechselwirkung

4.5 Kontrastierende Neigungsbeschäftigung

-

Asthetisierung

-

Schöpfer

-

Berliner

Projekt

-

Bürgerlichkeit

132

- Operationalisierungsmodelle

- Transfer

5 Berlin 1910 - 1913 5.1 Die Städtebauausstellung 5.1.1 Vorgeschichte

Berlin

1910 137

Denkschrift - Werbung - Finanzierung - Vorgaben - Inspiration -

Vorbereitungen

5.1.2 Hegemann als Generalsekretär Sekretär - Finanzplaner - Bilanzen Technischer Direktor Koordinator

X

143 -

Pressereferent

-

Sogwirkung

-

Inhalt

5.1.3 Die S t ä d t e b a u a u s s t e l l u n g Rundgang - Seriosität - Leistungsschau - Grenzen - Absichten

150

5.1.4 H e g e m a n n als V e r m i t t l e r 155 Mittelsmann - Werbung - Propagandist - 'Kulturfrage' - Stufen - Intermediary Außenwirkung - Multiplikator - Agent - Heilserwartung 5.1.5 Transfer: Düsseldorf 1910 164 Region - Konkurrenz - Eigenmächtigkeit - Ausstellungsleiter - 'Schlacht' Assistent - Erfolge - Transferprojekt - Formprägung 5.1.6 Rolle des V e r m i t t l e r s 174 London - Ausstellungsexperte - Individuelle Motivation Kollektive Ambitionen - Indirekte Vermittlung - Nachwirkungen - Funktionenfolge

5.2 Hegemanns Werk und das Fach 5.2.1 „Der S t ä d t e b a u " - eine F ü h r u n g Auftragswerk - Verhandlungen - Format - Vorgriff

181

5.2.1.1 Moralischer Blick Aufreihung - Kulturleistung - Gesetzmäßigkeiten Sozialharmonie - Renovatio 5.2.1.2 Historischer Blick Erfolgsgeschichte - Übertragungen 5.2.1.3 K ü n s t l e r i s c h e r Blick Kunst - Nationaltugend - Überbau 5.2.1.4 E r z ä h l u n g Rede - Nacherzählung - Optische Reproduktion Reduktion - Verschiebung Akzentuierung 5.2.1.5 S t i f t u n g Ahnenreihe - Kulturkampf - Kampf als Kultur

185 - Segensbote

191 193 195

-

Verstärkung

203

5.2.1.6 Rezensionen 205 Lob - Person - Valenzen - Klammer - Nachwirkung 5.2.2 Offenheit des Fachs 211 Gruppen - Großstadtbild - Professionspolitik - Innovationsforen - Integration Regression - Grundmuster

5.3 Hegemanns

Bezugsrahmen

5.3.1 Sozialpolitik Normen - Disziplinierung - Diffusion - Doppelte Integration

218

5.3.2 N a t i o n a l ö k o n o m i e 222 Leitdisziplin - Wachstum - Kultur als Produzent - Regelungskonzepte Abbildungen Ordnungsfunktionen 5.3.3 Liberalismus 227 Stadtgestalt - Bürgertum - Gesellschaftsbild - Frühliberalismus - Staatskritik Modellbürger - Reformideen - Defensive - Interpreten 5.3.4 D e u t s c h e r W e r k b u n d 236 Organisation - Beziehungsnetz - Auftrag - Ausstellungsserie - Posten Professionalisierungsmaßnahme - Ästhetischer Humanismus - Kulturoptimismus Aufgabenerschließung Identitätsstiftung Sicherungsstrategie Künstlerpolitik - Kohäsionsprogramm - Kritik Multifunktionalität

XI

Inhalt

5.3.5 H e g e m a n n als M a n d a r i n Peers - Diplomat - Vermittler - Erzieher - Leitmotive - Interdisziplinär Sozialbindung - Konßguration - Ansatz - Denktraditionen - Idealismus Historismus - Abweichungen - Initiativen - Potentiale - Modernist

252 -

5.4 Hegemanns Aktivitäten 5.4.1 B a u g e n o s s e n s c h a f t „Ideal" Genossenschaft - Typus 5.4.1.1 K l e i n h ä u s e r Projekt - Werbung - Baugrund - Gutachten - Gartenstadt 5.4.1.2 A u s f ü h r u n g Vorstand - Baupraxis - Selbstdarstellung - Öffentlichkeitsarbeit 5.4.1.3 F i n a n z i e r u n g Hypotheken - Geldgeber - Mäzene - Verpßichtung - Interaktion 5.4.2 B e b a u u n g s p l a n Düsseldorf Wachstum - Daseinsfürsorge - Gruppen 5.4.2.1 W e t t b e w e r b Programm - Auffangplanung - Kommunalpolitik - Jury 5.4.2.2 Ergebnisse Verhandlungen Repräsentation Struktur Institutionalisierung - Medien - Reflexe 5.4.3 Der „ P r o p a g a n d a - A u s s c h u ß f ü r G r o ß - B e r l i n " Auftakt - Anwerbung - Anlaß

268 270 275 278 283 286 290

-

Prozeß

5.4.3.1 G r ü n d u n g Gruppe - Signum - Gründungsversammlung - Motive - Argumente Organisation - Fronten 5.4.3.2 V e r s a m m l u n g e n Aufsehen - Reaktionen - Zahlen - Kontroverse - Depolitisierung Etikettierung - Politikferne 5.4.3.3 E s k a l a t i o n Zweite Serie - Einstimmung - Polemik - Plakatverbot - Spott Hohn - Echo - Versanden - Nachwirkungen 5.4.3.4 K a t e g o r i e n Amerikanisches Vorbild - Aktionspotentiale - Bürgerinitiative Inklusivinteressen Vorform Demographischer Wandel Handlungsmuster - Gelehrtenpolitik - Grenzen - Chancen - Vorübung

297 300

307

315

324

5.5 Rollensuche und Bürgerlichkeit 5.5.1 W a n d e l 335 Sinne - Ästhetik - Praxis - Recht - Verrechtlichung - „Städtebau" Zweiter Teil Stadttypen - Parkpolitik - Kommunalpolitik 5.5.2 A r b e i t s p l ä n e 344 Familie - Bildungsarbeit - Fachpolitik - Posten - Arbeitsbeschaffung Wissenschaft - Universität - Habilitationsabsicht Deutungskonkurrenz 5.5.3 B i l d u n g s b ü r g e r u n d Professionalisierung 353 Professionalisierung - Zwischenstellung - Ästhetische Haltung - Paradoxon Transition - Bildungsbürgertum als Bedingungskonstellation - Funktionen des Übergangsprozesses

XII

Inhalt

6 Amerika 1911 - 1921 6.1 Vortragsreise Werbung -

362

Informationen

6.1.1 Städte

364

Uferlagen - Vorgeschichten - Gastgeber - Erwartungen

-

Besuchsverlauf

6.1.2 Empfehlungen

369

Feuilleton - Voraussetzungen

- Bestandsaufnahme

- Lokalinteressen

-

Aufklärung

6.1.3 Oakland und Berkeley Autotour

374

- Datenerhebung

- Rationalismus

- Lehre?

6.1.4 „Report on a City Plan"

377

Bewegungsstruktur - Anverwandlung - Pittoreske Aktionsplan - Zeitverschiebung - Absorption -

- Strukturkonzept Paradoxon

-

6.2 Neuanfang Pazißkroute

386

-

Australien

6.2.1 Internierung Kriegsbeginn

387 - Afrika - Flucht -

Kriegsbewertung

6.2.2 Rückkehr Referenzen

392 - Lehrauftrag

- Ablehnung

-

Tiefpunkt

6.2.3 Milwaukee

395

Kriegseffekte

- Stimmungslagen

- Reformgruppen

-

Interessen

6.2.3.1 „City Planning for Milwaukee" Vorsorge - Förderprogramm

-

400

Stadtentwicklung

6.2.3.2 National Conference on City Planning

403

Anregung - Delegierter - Versagen

6.3 Praxis 6.3.1 Kohler Co

406

Werkssiedlung

6.3.2 Washington

- Idealvorstellung

- Entwurf - Gelände - Teilprojekt

-

Zerwürfnis

Highlands

412

Auftraggeber - Marktveränderung - Entwurf Synthese - Vorbilder Unabhängigkeit

6.3.3 Wyomissing

- Beschaffenheit

- Zielgruppe

-

- Gartenvorstadt

- Sicherung

-

Park

419

Wohngebiet - Topographie Kom binationsleist ung

- Reihenhäuser

6.3.4 Lake Forest

426

Lagunen - Untergang -

Vorstadtraum

6.3.5 Privataufträge Sommersitz

429

- Ufergarten - Gestaltungselemente

-

Bedeutungsaufladung

6.4 „American Vitruvius" 6.4.1 „Civic Art" Intentionen Redesign -

434 - Kompensation Zirkel Option

-

Sehen

-

Konnotationen

6.4.2 Rezeption Galerie - Antikritik

-

Kolonisierung

-

442 - Anachronismus

- Verhallen

XIII

Inhalt

6.5 Selbständigkeit und Bürgerlichkeit

446

Profession - Verbürgerlichung - Regression - Selbstreform

7 Berlin 1922 - 1933 7.1 Rückkehr 7.1.1 Italien

453

Bildungsrausch - Aufnahme - Kontinuum - Fundus

7.1.2 Beruf

457

Amt - Ambitionen - Architekt

7.1.3 Haus Hegemann

460

Grundstück - Landhaus - Klassizismus

7.1.3.1 Ostendorf

463

Intellektuelle Arbeit - Konventionalsystem Affekte

- Gewohnheitsarchitektur

-

7.1.3.2 Geselligkeit und Gesellschaft

466

Lebensführung - Funktionsstaffelung - Systematisierung - Probebühne

7.1.4 Manfred Maria Ellis

471

Persona - Fiktion - Nachahmung - Satire

7.1.4.1 „Iphigenie"

475

Stoffentwicklung - Befriedung - Doppelung - Karikatur - Umwertung

7.1.4.2 Gespräche

480

Opfer - Fridericus - Entsagung - Paradoxe Übertreibung - Zirkel Entmündigung - Glauben - Pragmatismus - Kontingenz

7.1.4.3 Satire

489

Objekte - Dekonstruktion - Evidenz - Transition

7.1.5 Göteborg

492

Exponate - Hoffnungen - Fassaden - Rückfall - Gegenverkehr - Nutzen

7.2 Architektur 1924-1927 7.2.1 Anfänge

499

Verpßichtung - Zeitschrift - Fanal - Antagonist - Metaphysik

7.2.2 „Amerikanische Architektur" Trend - Beherrschung - Inszenierung - Symbolik -

503 Konnotationen

7.2.3 Grundlagen und Anlässe

509

Moral - Mandarin - Initiation - Metaphern - Reize - Imperialismus - Sezession Universalität - Klassik - Kanalisierung

7.2.4 Rezeption und Dogmen

518

Verrisse - Konfrontation - Komplementär - Architekturpolitik - Architektonik Idealismus - Konkordanz - Autonomie - Arretierung - Pseudopolitisierung

-

7.2.5 Klassizismus oder Rationalismus? Axiome - Legitimation - Prozeß - Instrumentierung Rationalismus

529 -

Erkenntnistheoretischer

7.2.6 Monochromatik 1924 Erzählung - Reizworte - Empirie - Pragmatismus - Uberblendung - Verschattung

XIV

534

Inhalt

7.2.7 Audiatur et altera pars 1925

540

Opposition - Historizität - Debatten - Forum - Literarizität - Etikettebruch Ablehnung - Antikritik - Arbeitsbegriff- Relativismus - Maßregelung - Modernist

7.2.8 Stadtbaurat? 1926

551

Anmeldung - Defizite - Abfuhr - Programm - Konkurrenz - Standespolitik Vernetzung - Pragmatik - Kontinuität - Rationalität - Katalysator - Poetik Bresche - Gehör

7.3 „Fridericus" 1925-1927 7.3.1 Bilder Friedrichs II Präsenz - Emblem - Rezeptionsgeschichte Tragik - Parallelisierung

568 - Kulturpessimismus

- Dualismus -

7.3.2 „Fridericus" 1925

575

Verengung - Führer - Obstruktion - Verrat - Staatspädagogik - Festschreibung Emanzipation - Werkzeug

7.3.3 Analyse

583

Diagnose - Objektwahl· - Methodenkritik - Erkenntniskritik - Sinnsetzung Literarische Anregungen - Vorbilder - Rationelle Produktion - Rationalisierung der Funktion - Rationalität im Urteil

7.3.4 Kritiken

592

Wirkungen - Identifier - Realisierung - Orthodoxie - Steigerungen - Vergehen

7.3.5 „Fridericus" 1926: Antikritik Collage - Verarmung - Zuspitzung - „Gattung" - Passagen - Zuspruch Beschwichtigung - Gesinnungsgemeinschaft - Selbstentmündigung - Judas Vergleich - Anerkennung - Wandlungsfähigkeit - Mißerfolg - Katalysator Stat usverwalt ung

599 -

7.4 Literatur 1927-1930 7.4.1 „Napoleon"

615

Personal - These - Verständigung - Persiflage - Rezeption - Mäßigung - Vergleich

7.4.2 „Christus" Collage - Traumata - Humanität - Reklame - Indizierung - Verteidigung Rezeption - Theologen - Partizipation

623 -

7.4.3 „Jugendbuch" Vorwort - Führerprinzip - Biographieparodie - Diskrepanz - Addition Personalisierung - Regression - Kritikerlob - 'Aufgeklärte' Kritik Elitarismus - Abgesang

632 -

7.4.4 „Historische Belletristik"

643

Unvollendete Modernisierung - Emil Ludwig Statusverwaltung Erschütterung - Statusbehauptung - Statusbewirtschaftung - Ausfall Strategie - Scheinaufklärung - Debatte - Kontrolle - Aufklärung - Korrektive Monopole - Schonraum - Erwartungslegitimation - Spezialisierungsmonopol Arbeit - Aneignungen - Strukturen - Segmentierung - Rollenprobe

7.4.5 Kontinuitäten der Fehlinterpretationen

664

Festlegung - Zweifel - Verwerfungen - Segregationen - Ideologiekritik Kritik der Kritik - Generalverdacht - Formexperiment - Reflexive Biographie Inszenierung der Hypothesen - Kritisches Angebot - Zeitkritik - Hürden

XV

Inhalt

Teil 2 7.5 Architekturkritik 1927-1929 7.5.1 Arbeitsalltag

679

Zeitnot - Ansprüche Schriftleiter

- Aktualität

- Etikettebrüche

- Inquisitor - Kreise -

7.5.2 Format der Zeitschrift

687

Konsolidierung - Wachstum - Umfang - Nationen - Architekten - Spannweite Erosion - Öffnung - Vergleiche - Berichtsdichte - Profil

7.5.3 Opposition 1927

697

Grundsatzerklärung - Reizminderung - Ironie - Abfertigungen - Verdruß Korruption - Stille - Majorität - Abrechnung - Anwalt? - Unterschlagung Plagiat - Skandalon - Fundamentalpolitisierung - Externalisierung Mißbrauch Gegenpropaganda

7.5.4 Protektion 1928

715

Polarisierungen - Fundamentalismus - Erzfeind - Gegengründung - Relationen Passatismo - Komparative - Historisches Bewußtsein Wandel Zusammenstoß - Fraktionszwang - Habitus - Einübung - Lernprozeß - Usus

7.5.5 „Block" und „Sachlichkeit" 1929

730

Beitritt - Organ - Anstößigkeiten - Organisation - Ausbleiben der Werbung - Anonymer Artikel - Propagandist - Hauptthemen - Siegesgewißheit Dekadenzvorstellungen - Affekte - Fahrlässigkeit - Spiegelbild - Substitution Botschaftsblindheit - Annäherungen - Dasselbigkeit - Durchsichtigkeit Pluralismus - Krisenbestimmung - Empirie - Flexibilität

7.5.6 Zwischenschritt: Architekturmonographien

751

Historisierung - Pragmatismus - Dichotomie? - Signißkanz der Typographie Funktionsanalyse - Diversifizierung der Gruppenbildung - Vermarktungszwang Diskursgemeinschaft - Bewirtschaftung - Inszenierung - Sonderstellung

-

7.6 Synthesen 1930-1931 7.6.1 Wiederkehr der Themen 1929-1930 Aufbereitung Politisierung

-

Stilisierung

-

764

Versagensängste

-

Ansatzpunkte

-

Zweite

7.6.2 „Das Steinerne Berlin"

770

Anregungen - Motive - Wiederholung - Koordinaten - Revision

7.6.2.1 Kurfürsten, Könige und Künstler

774

Perspektive - Ironische Helden - Symbole - Symbolische Ästhetischer Antiheld - Paxallelrede Bürgerkultur

Helden

-

7.6.2.2 Apologeten, Propheten und 'Neuzeit'

782

Strukturen - Sozialstaat - Klage - Bürgerliche Nacherzählung - Grundrechte - Selbsthilfe Reßexivität - Anstiftung - Pathos

Antihelden Marktkritik

-

7.6.2.3 Systematik

792

Bürgergesellschaft - Literarizität Rückschläge - Scheinideologie

- Gattung - Valenzen - Strategie

-

7.6.2.4 Rezeption des „Steinernen Berlin" Scheidelinien Erkenntnismodell

XVI

Substitution - Spektrum Politische Maßnahme

800 -

Organisation Einübung

-

Inhalt

Begriffswandel - Anschlüsse - Festlegungen - Ambiguitä Mythen - Bürgerliches Projekt

borghese -

7.6.3 K r i t i k 1930-1931 7.6.3.1 A r c h i t e k t u r 1930: K o n t r a s t e Gleichgewicht Relativismus Konvergenz - Triumph Ubereinstimmung - Einpassung - Symbolik - Semipermanenz Rationalisierungskapazitäten - Prozesse

812 813 -

7.6.3.2 E m i l Ludwig Insinuation - Herausforderung - Rückgewinnung - Gemeinschaft

822

7.6.3.3 Politisches Feuilleton 826 Absurde Bilder - Entzerrung - Pragmatismus - Selbstrekrutierung Inszenierungen 7.6.3.4 A r c h i t e k t u r 1931: Leichtigkeit 831 Addition - Nachlassen - Austritt - Dissoziation - Verwilderung Relationen - Aufgaben - Komplementäre - Ästhetische Internationale 7.6.4 Der 50. G e b u r t s t a g u n d die A r c h i t e k t u r p u b l i z i s t i k 840 Anerkennung - Katalysator - Konkurrenz - Mediation - Innovation Demokratisierung - Gewinne der Statusbewirtschaftung - Prozessualisierung 7.6.5 Ein L e h r a u f t r a g ? Motive - Umdeutung - Förderer - Gutachten - Aversionen - Argumente Vergleichbare Vorgänge - Analogie - Ablehnung - Kunstakademie Intervention - Fürsprache - Druck - Unterstützung - Versäumnis Funktionalisierung - Nachspiel - 'Preußenschlag' - Abschluß

849 -

7.6.6 S ü d a m e r i k a 1930-1931 868 Verlauf - Vorgaben - Vorträge 7.6.6.1 P l a n u n g s p e r s p e k t i v e n 871 Opposition - Regulierung - Regeleffekte - Sekundärfunktionen Anstiftung 7.6.6.2 Politische P e r s p e k t i v e n 876 Interesseneinheit - Gleichsetzung - Solidität - Ermutigung - Sicherheit

7.7 Konfrontationen

1931-1933

7.7.1 G o t t f r i e d B e n n Verbindungen - Zugehörigkeit - Reden - Subtexte - Intoleranz - Anmaßung Ausschluß - Radikalisierung - Nachsatz - Diplomatie - Sonderbewußtsein Grenzziehung 7.7.2 Politische I n t e r p r e t a t i o n e n Kommentare - Spektrum - Ausbruch - Thesen - Sicherheiten 7.7.3 G e g e n a u f k l ä r u n g Verdichtung - Modellverfahren - Groteske - Rückwendung - Hoffnungen 7.7.4 Satire Analogien - Erfolg - Profile - Zynismus - Abtrünnigkeit - Schilderung Parallelrede 7.7.5 A r c h i t e k t u r 1932: Krisen Verlagswechsel - 'Paradigmenwechsel' - Kulturbolschewismus - Bandbreite Krisenstimmung - Umbau - Kulturgut Minimalhäuser - Abkanzeln Deßation - Latenz

883 895 900 905 912 -

XVII

Inhalt

7.7.6 Schmitthenner und „Das deutsche Wohnhaus"

922

Plazierung - Partei - Vertretung - Formalismen - Parallelrede - Vorlauf Verweigerungen - Vereinnahmungen - Verunsicherung - Verhinderung Verhöhnung - Verluste - Mühsame Dissoziation - Besiegelung - Schlußbild Abgesang

7.7.7 „Entlarvte Geschichte"

937

Auftakt - Steigerung

7.7.7.1 Von der Serie zum Buch

940

Universalgeschichte - Arbeitsbedingungen - Parabeln - Analogien Brüche - Objektwechsel - Deutungen - Militärdiktatur - Spannweite Kongenialität - Vergewisserung - Satirische Faschismuskritik

7.7.7.2 Vom Buch zur Abreise

951

Verkleidung - Deckmantel - Verkaufserfolge - Hetze - Rezensionen Dokument - Journalismus - Symbolfunktion - Kongreß - 'Dienstreise'

7.8 Profession

-

Bildungsbürger

962

Ökonomie - Ästhetische Vermittlung - Erwerbsmodi - Ideologie - Verbürgerlichung Pluralismus - Asymmetrische Demokratisierung - Teilmodernisierung - Verweigerte Demokratisierung - Modernisierungsgrade - Modernisierungsdeßzit - Funktionen Diskrepanzen Reßexionsmangel Vernunft Desillusionierung Selbstvergewisserung - Bürgerliches Projekt - Transition Ademokratisches Reßexionsdeßzit - Rationalisierungsfähigkeit - 'Zweites' Modernisierungsdilemma

8 Exil

985

Scheinnormalität - Aufbruch - Gewißheiten - Auslagerung - Vorbereitung - Ausreise

8.1 Genf

1933

992

Ökonomische Zwänge - Sicherungsversuch - Kategorienlosigkeit

8.1.1 Indizierung

994

Listen - Bücherverbrennung - Gesamtverbot

8.1.2 Projekte

998

Fortsetzung - Ubersetzungen - Artikelabsatz Verbindungen

8.2 New York

- Journalismus - Kontaktpflege

-

1001

1933-1936

Solidargemeinschaft - Lehrauftrag - Ankunft

8.2.1 Ausbürgerung

1007

Diplomatie - Hörensagen - Beschlagnahme - Zwangsverkauf

8.2.2 Lehre

1011

Kurse - Vorträge

8.2.2.1 Anträge

1013

Hilfsorganisation - Kategorisierung - Verhandlungen - Taktik

8.2.2.2 Dozent Übungen - Siedlungsprojekt der Moderne - Credo

1017 - Ansprüche

- Aufteilung

-

Freiheit

8.2.3 „City Planning Housing" Planungspolitik - Propheten - Propaganda - Überforderung - Widerständigkeit Kritik

XVIII

1022 -

Inhalt

8.2.4 Deutschland aus d e m Exil 1029 Zynismus - Opfer - Einsatz für Ossietzky - Werbung - Befinden - Erkrankung Nachrufe

9 Nachwort oder die Profession 'Bildungsbürger'

1037

Anverwandlungen - Politik - Ästhetik - Modernität - Leistung - Ausblick - Zweites Modernisierungsdilemma - Profession Bildungsbürger - Grundlagen der Postmoderne

10 Anhang 10.1 Bildteil

1017

Eltern - Verwandtschaft - Ausbildung und erste Ehe - Philadelphia 1908 Boston 1909 - Ausstellungsstücke - Chicago-Plan: Reßektionen - Motive Parkbilder - Berlin 1910: Ausstellungsräume - Ausstellungsstücke - Bauepochen Baugenossenschaft "Ideal" - Plakat des Propaganda-Ausschusses - Spielplätze Porträts - Oakland and Berkeley: Stadtentwicklung - Hafenpläne - Berkeley Civic Center - Milwaukee - Kohler - Washington Highlands: Anlage - Wegführung Heute - Wyomissing Park: Pläne - Wegedifferenzierung - Hausgruppen - Bauten Lake Forest: Entwürfe - Vorstadtlage - Garten Meinig - Garten McLaren - American Vitruvius: Beaux Arts - Views and Vistas - Zentralbau - Italien - Haus Hegemann - Binnenräume - Berlin - Amerikanische Architektur: Schein und Sein - Aussichten - Jahrgang 1924: Kontraste - Jahrgang 1925: Gegenüberstellungen Vergleiche - Jahrgang 1926: Neuerungen - Wohnungsbau - Le Pessac - Jahrgang 1927: "Tagesfragen" - Kontrapunkte - Jahrgang 1928: Oppositionen - Fassaden Jahrgang 1929: Reduktion - Sachlichkeit - Neue Werkkunst: Typographie und Pluralismus - Jahrgang 1930: Modelle - Durchsichtigkeit - Jahrgang 1931: Vielfalt - Komplementäre - Der 50. Geburtstag - Südamerikareise - Jahrgang 1932: Werbung - "Kulturbolschewismus" - Jahrgang 1933: Schmitthenner - Abgesang Ausbürgerung - Exil - Lehre 1935

10.2 Kurzbiographien

1117

10.3 Zeittafel

1147

10.4 Schriftenverzeichnis Hegemann

1156

10.4.1 Monographien 10.4.1.1 Autor 10.4.1.2 Koautor 10.4.1.3 Herausgeber 10.4.1.4 Übersetzer

1156 1156 1159 1159 1159

10.4.2 Artikel u n d Miszellen 10.4.2.1 Beiträge in Monographien 10.4.2.2 Zeitschriftenartikel 10.4.2.3 Zeitungsartikel 10.4.2.4 Koautor

1159 1159 1160 1171 1172

10.4.3 Nachdrucke u n d N e u a u s g a b e n 10.4.3.1 Monographien

1173 1173

XIX

Iahalt 10.4.3.2 Koautor 10.4.3.3 Artikel 10.4.4 Besprechungen 10.4.4.1 Rezensionen der Monographien 10.4.4.2 Allgemeine und kleine Formen

1174 1174 1179

10.4.5 Nachrufe und Biographische Literatur 10.4.5.1 Nachrufe 10.4.5.2 Biographische Abrisse 10.4.5.3 Biographische Literatur

1180 1180 1180 1180

10.5 Literaturverzeichnis 10.5.1 Archivalien 10.5.1.1 Gespräche und Korrespondenzen 10.5.1.2 Nachlässe und Sammlungen 10.5.1.3 Archive

1182 1182 1182 1182 1183

10.5.2 Periodika

1185

10.5.3 Nachschlagewerke 10.5.3.1 Bibliographien und Bestandsverzeichnisse 10.5.3.2 Lexika und Handbücher 10.5.3.3 Biographische Handbücher und Personalbibliographien

1191 1191 1194 1196

10.5.4 Monographien und Aufsätze

1198

10.5.5 Abbildungsverzeichnis

1235

10.6 Register

XX

1173 1173

1242

10.6.1 Personen

1242

10.6.2 Orte und Standorte

1256

Abkürzungen und Sigel AA Α LR AP ASG AV AVB BAW BDA BT BTd BVG C CBN CGSD CIAM CPH CPM DAB DBA DBE DBF DBI DBV DBZ DCRL DDP DNB DNVP DWB Ε EG EG2 F F2 FDAS FWU FZ GB Gestapo GfSR GUG GV GWU HDSW HZ IBEE IBZA ICTPE J

Hegemann, Amerikanische Architektur h Stadtbaukunst ... (1924) Allgemeines Landrecht Hegemann, Amerikanische Parkanlagen ... (1911) Archiv für Sozialgeschichte Hegemann/Peets, The American Vitruvius ... (1922) Architekten-Verein zu Berlin Berliner Architekturwelt Bund Deutscher Architekten Berliner Tageblatt Deutscher (Neuer) Gesamtkatalog: Berliner Titeldrucke Berliner Verkehrsgesellschaft Hegemann, Der gerettete Christus ... (1928) Catalogue general des livres imprimes de la Bibliotheque National Catalogue of the Library of the Graduate School of Design Congres International d'Architecture Moderne Hegemann, City Planning Housing ... (1936) Hegemann, City Planning for Milwaukee ... (1916) Dictionary of American Biography Deutsches Biographisches Archiv Deutsche Biographische Enzyklopädie Dictionnaire de biographie frangaise Deutscher biographischer Index Deutsches Bücherverzeichnis Deutsche Bauzeitung Dictionary Catalog of the Research Libraries Deutsche Demokratische Partei The Dictionary of National Biography Deutschnationale Volkspartei Deutscher Werkbund Ellis, Deutsche Schriften ... (1924) Hegemann, Entlarvte Geschichte ... (1933) Hegemann, Entlarvte Geschichte ... (1934) Hegemann, Fridericus oder Das Königsopfer ... (1925) Hegemann, Fridericus oder Das Königsopfer ... (1926) Freie Deutsche Akademie für Städtebau Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin Frankfurter Zeitung Für Groß-Berlin ... (1912) Geheime Staatspolizei Gesellschaft für Soziale Reform Geschichte und Gesellschaft Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Historische Zeitschrift International Biographical Dictionary of Central European Emigres Internationale Bibliographie der Zeitschriftenliteratur International City and Town Planning Exhibition ... (1923) Hegemann, Das Jugendbuch vom großen König ...(1930)

Abkürzungen und Sigel JAIP JDWB JKGP JKAVG JRIBA JSAH KGK KLK KPD LMU MEA Ν NBC NCAB NCCP NDB NDBZ NSDAP NSSR NUC NYT NZZ OB PEN R Rhb RIBA RM S SA SB SBZ SDS SPD SS StVStvD SVfSP TH TLK TPI TPR USA VBA VfSP VSWG WAVB WIWA WLB WMB WWWA WWWL ZDB

XXII

Journal of the American Institute of Planners Jahrbuch des Deutschen Werkbund Jahresbericht des Königlichen Gymnasiums zu Ploen Jahresbericht des Kaiserin Auguste Victoria-Gymnasiums Journal of the Royal Institute of British Architects Journal of the Society of Architectural Historians Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender Kürschners Deutscher Literatur-Kalender Kommunistische Partei Deutschlands Ludwig-Maximilians-Universität München Macmillan Encyclopedia of Architects Hegemann, Napoleon oder „Kniefall vor dem Heros" ... (1927) Hegemann, Der Neue Bebauungsplan für Chicago ... (1910) The National Cyclopedia of American Biography National Conference on City Planning Neue Deutsche Biographie Neudeutsche Bauzeitung Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei New School of Social Research National Union Catalog New York Times Neue Zürcher Zeitung Hegemann, Report on a City Plan for ... Oakland L· Berkeley ... (1915) Poets, Essayists, Novelists Hegemann, Reihenhausfassaden ... (1929) Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft Royal Institute of British Architects Reichsmark Hegemann, Der Städtebau ... (1911, 1913) Sturmabteilung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Hegemann, Das steinerne Berlin ... (1930) Schweizerische Bauzeitung Schutzverband Deutscher Schriftsteller Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffeln der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Stenograph. Verhandlungsberichte der Stadtverordneten-Versammlung zu Düsseldorf Schriften des Vereins für Socialpolitik Technische Hochschule Technischer Literaturkalender Town Planning Institute Town Planning Review United States of America Vereinigung Berliner Architekten Verein für Socialpolitik Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin Who's Who in America Wasmuths Lexikon der Baukunst Wasmuths Monatshefte für Baukunst Who Was Who in America Who Was Who (London) Zentralblatt der Bauverwaltung

1 Einleitung

Anlaß des Interesses an der Person war die Differenz zwischen zwei Büchern über Berlin. Geschrieben im Abstand von zwanzig Jahren, war das erste weniger kaiser- als monarchietreu, wilhelminisch im Geiste und das zweite ein Lehrbuch für die Republik auf der Ebene der Kommune. „Der Städtebau nach den Ergebnissen der Allgemeinen Städtebauausstellung", erschienen in Berlin 1911, wurde als ein 'Gründungsmanifest' der Disziplin Städtebau gehandelt und das 1930 veröffentlichte „Steinerne Berlin" als eines der wichtigsten Werke der Stadtgeschichte, das darüberhinaus ein vom Inhalt des Buches wie dieser Bedeutung bereits gelöstes geflügeltes Wort gestiftet hatte.

1.1 Gegenstand Erste Proben vom Lebensweg des Autors Werner Hegemann (1881-1936), die eine frühere Arbeit der Verfasserin geben konnte, breiteten ein weites Arbeitsfeld aus. Es reichte von Stadtplanung und kommunalpolitischem Engagement in der Vorkriegszeit bis zur Herausgeberschaft einer großen Architekturzeitschrift in der Weimarer Republik. In einer neueren Darstellung eines schweizer Kritikerkollegen konnte Hegemann als der brillanteste und gefürchtetste Architekturkritiker im deutschsprachigen Raum wie eine feste Größe behandelt werden, obgleich wenig über ihn und die Maße dieser Tätigkeit bekannt war 1 . Ein weniger beachteter Strang und noch nicht mit der Architekturkritik verbunden, waren die historisch-politischen Monographien, ergänzt von zahlreichen Arbeiten fürs politische Feuilleton. Schon 1982 wurden die unbeachteten Nachwirkungen des darin von Hegemann gestifteten Interpretationsstrangs zur Untersuchung angemahnt und noch 2001 diese Lücke bestätigt 2 . Es zeigten sich minder bekannte Einflußgrößen, die jedoch schon in systematische Untersuchungen der vergleichenden Planungsgeschichte wie der 'Atlantikquerungen' der Sozialpolitik eingegangen waren 3 : zwei frühe Amerikaaufenthalte in und nach dem Studium, schließlich die Jahre in den USA von 1914 1

Katharina Medici-Mall, Im Durcheinander der Stile. Architektur und Kunst im Urteil von Peter Meyer (1894-1984), Basel-Boston-Berlin 1998, S. 2 und S. 142, konnte ihn etwa noch als Angehörigen der jüdischen Bourgeoisie Berlins ansehen. 2 Gerhard Knoll, Kritische Bemerkungen eines Borussica-Sammlers. In: Aus dem Antiquariat, Beilage zum Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe vom 30. März 1982, S. A 81-A 92. - Heinz Dieter Kittsteiner, Das Komma von Sans, Souci. Ein Forschungsbericht mit Fußnoten, Heidelberg 2001. 3 Anthony Sutcliffe, Towards the Planned City. Germany, Britain, the United States and France (Comparative Studies in Social and Economic History 3), Oxford 1981. - Daniel T. Rodgers, Atlantic Crossings. Social Politics in a Progressive Era, Cambridge MA-London 1998.

1.1 Fragmentierte

Bekanntheit

bis 1921 mit diversen Arbeitsgebieten von Beratung, Praxis und Architekturgeschichte, nicht zuletzt Voraussetzungen für das Exil in New York am Ende des Lebensweges. Die Frage nach dem Wandel der politischen Attitüde des Autors in Parallele zum Wandel in der deutschen Geschichte aufzuklären, hatte demnach weitere Kreise zu ziehen. Weder konnte sie auf das Fachgebiet von Planung oder Architektur beschränkt werden, noch diesen Wandel nur im Wechselverhältnis mit der aktiven schriftstellerischen Teilnahme an politischen Veränderungen betrachten. Ebensowenig konnte sie sich auf den Aktionsradius im Gebiet des Heimatlandes beschränken, sondern hatte Wirkungen der Auslandsaufenthalte nachzuspüren. Das spiegelte sich in den breitgestreuten Aufträgen und Erwartungen an eine Untersuchung über Hegemann, wie sie in Vorgesprächen zum Projekt geäußert wurden. Sie reichten vom 'Vertreter der Gartenstadt' (Geist) über die Expansion der kommunalen Daseinsfürsorge (Hofmann) bis zur 'Aufklärung seines pathologischen Preußenhasses' (Schäche) und zur Frage, 'warum er uns Schlüter und nicht Schinkel als Genie präsentiert' (Engel), schließlich zur Warnung 'Schreiben Sie ein Panorama der Weimarer Republik, dann haben Sie Hegemann' (Escher). Auffallend war nicht nur die ausgeprägt parzellierte Wahrnehmung, in späteren Gesprächen von Historikern bestätigt, die Hegemann 'nur' als 'Friedrich-Biographen' kannten, sondern die Auffassung Hegemanns als eines typischen und doch hochgradig spezifischen Vertreters seiner Fächer und seiner Zeit. Angesichts der nach den Uberlieferungen entweder durch Zeitpunkt oder Option der Äußerungen exponierten Stellung kann dies nicht verwundern. Hegemann stammte wahlweise aus einer Pfarrers- oder Bauernfamilie, galt als Absolvent der Pariser Ecole des Beaux-Arts, reklamierte selbst, Schüler des Architekten Otto March gewesen zu sein, und war promovierter Nationalökonom. Er galt als „Leiter der ersten internationalen Städtebauausstellung" in Boston von 1909, was ihm die Aufgabe eintrug, die erste große deutsche Städtebauausstellung in Berlin 1910 zu „leiten" und dann jenes erste Werk über Berlin als Auftragsarbeit über deren Ergebnisse zu verfassen. Er war Mitarbeiter einer Baugenossenschaft, galt als Initiator eines wohnungs- und sozialpolitischen „Propaganda-Ausschusses für Groß-Berlin", dessen Aktivitäten ihm die Androhung von Gefängnis eintrugen. Er referierte über Stadtplanung in amerikanischen Städten und arbeitete danach mehrere Jahre als Praktiker in den USA. Er wurde nach seiner Rückkehr von deutschen Architekten für seine 'reaktionäre' ästhetische Option angefeindet und konnte gleichzeitig lange Jahre eine einflußreiche Architekturzeitschrift erfolgreich herausgeben und prägen. Er wurde für die antimonarchische und preußenkritische Option seiner historisch-politischen Bücher von den Historikern angefeindet, die ihm gleichzeitig die Anerkennung unter Schriftstellern eintrug. Er war Mitglied der rechten Architektengruppe „Der Block" und hielt in seiner Zeitschrift gleichzeitig die Moderne der Luckhardts und Mendelsohns hoch. Er mahnte den Schriftsteller Benn früh für faschismusfördernde Tendenzen ab und protegierte den Architekten Schmitthenner doch weiterhin. Seine Werke wurden in den inszenierten Autodafes der Nationalsozialisten verbrannt und er 1934 expatriiert. 2

1.2

Stadtplaner

Nicht nur also die Bandbreite der Taten, aus der die segmentierte Wahrnehmung resultierte, sondern die Legenden, Wechselfälle und Widersprüche dieses Arbeitslebens machten eine erste, aus dem Anfangsinteresse stimulierte kritische Gesamtschau überfällig.

1.2 Forschungsstand Das umso mehr, als die bisher vorliegenden Untersuchungen zu Person und Werk verschiedenen disziplingeschichtlichen Erkenntnisinteressen entstammen. Die Machtwechsel der siebziger Jahre in den italienischen Kommunen zur Linken belebten das Interesse an Stadt- und Planungsgeschichte auch im akademischen Sektor. Im Zuge dessen wurden beide Werke Hegemanns ins Italienische übersetzt 4 und die Herausgeberin Donatella Calabi stellte in ihren Einführungen deren Funktion als erste und wichtigste Essays der Stadtentwicklunggeschichte heraus 5 . Analog zu deren Höhepunkten, galten sie 1910 der Transformation der Großstadt, ihrem Wachstum und ihrer Differenzierung, 1930 der kommunalen Machtfülle vor Beginn der ökonomischen und politischen Krisen. Dieser Einordnung als historische Dokumente stellte Calabi 1977 eine historisch-politische Kritik zur Seite, die Hegemanns Entwicklung der Stadtgeschichte als symptomatisch für die Profession ansah 6 . Die ihm hier attestierte ambiguitä boighese wurde als stellvertretend für den Willen zu rationaler Planung bei ideologischer Begrenzung in der Entwicklung der Mittel verstanden, die auf eine phänomenologische Ordnung durch bürgerliche Instrumente abhob. Die von den Defiziten der Disziplin inspirierte Kritik Calabis erwies sich als anregend, denn nach Aufarbeitung der Anlässe politischen Wandels bei Hegemann und des Wechselverhältnisses mit seinen historisch-politischen Schriften konnte dieser Begriff präzisiert und - weniger stellvertretend als spezifisch - für Hegemann neu bestimmt werden. Seit das Interesse eines postmodernen Neo-Konservatismus 1988 den Nachdruck des großen, mit dem amerikanischen Landschaftsplaner Elbert Peets (1886-1968) verfaßten Bilderatlasses „American Vitruvius" von 1922 ermöglichte, hat sich die amerikanische Architekturhistorikerin Christiane Crasemann Collins mit kontinuierlichen Interpretationen Hegemanns Verdienste erworben. Mit der Erarbeitung der Tätigkeiten Hegemanns in den USA beginnend, konnte sie die Stellung und Bedeutung der monumentalen Architekturmonographie in der amerikanischen Planungsgeschichte darstellen 7 . Da ihr der Nachlaß Hegemanns von der Familie zur Verfügung gestellt wurde, konnte Collins ihre Fragestellungen ausweiten und sich auch der Aufklärung der Legenden 4 Catalogo delle esposizioni internazionali di urbanistica. Berlino 1910, Dusseldorf 1911-12, Antologia a cura di Donatella Calabi e Marino Folin, Note introduttive (Struttura e forma urbana 17), Milano 1975. - La Berlino di pietra. Storia della piü grande cittä di caserne d'affito, Presentazione di Donatella Calabi (Planning & design 13), Milano 1975. 5 Donatella Calabi, Note introduttive. La costruzione dell'urbanistica, in: Catalogo delle esposizioni ..., p. 1-28. Donatella Calabi, Presentazione. In: La Berlino di pietra ..., p. I-XIX. 6 Donatella Calabi, Werner Hegemann, ο deH'ambiguitä borghese dell' urbanistica. In: Casabella 428 (1977), p. 54-60. 7 Christiane Crasemann Collins, Hegemann and Peets: Cartographers of an Imaginary Atlas. In: Hegemann/Peets, The American Vitruvius ..., p. XII-XXII.

3

1.2 Planning Consultant

des Lebenslaufs widmen. 1989 stellte sie die Arbeiten Hegemanns bis 1920, erstmals ausführlicher mit den frühen Tätigkeiten in Berlin, als symptomatisch für die Entwicklung der neuen internationalen Disziplin Stadtplanung vor 8 , und konnte diese These leicht erweitert als die „Lehr- und Arbeitsjahre in den USA" auf einem deutschen Kolloquium präsentieren. 1996 konnte sie an einem Beleg aus Boston ergänzend dazu auch Hegemanns reklamierte Rolle in der Ausstellung von 1909 korrigieren9. Währenddessen bekräftigte sie mehrmals Hegemanns Verbundenheit mit der internationalen Planungsbewegung, die auf die Begegnungen und großen Namen Rekurs nahm, jedoch ohne den inhaltlichen Beweis, geschweige denn die Herausarbeitung eines spezifischen Beitrags und dessen Rezeption, auszukommen hatte 10 . Collins konnte anhand des Nachlasses die amerikanische Vortragsreise Hegemanns, zu der das People's Institute ihn 1913 amerikanischen Großstädten vermittelte, rekonstruieren und den Versuch darstellen, zu Kriegsbeginn nach Deutschland zurückzukehren, der mit einer Internierung in Afrika scheiterte. Er führte Hegemann nach Nordamerika zurück, wo er selbständig als Planungsberater arbeiten konnte. Die mit Elbert Peets 1916 gegründete gemeinsame Firma konnte zwei Großaufträge und einige kleinere ausführen. Die Gemeinschaftsarbeit resultierte in dem Architektur-Thesaurus, der sich, wie Collins herausstellt, vor allem auch gegen die zeitgenössische Planungsschule richtete. Diese Arbeiten wirkten anregend, weil sie zu genauerer Betrachtung der amerikanischen Arbeiten als Bindeglieder zwischen den Tätigkeiten im Deutschland vor und nach dem Weltkrieg anhielten. Die ästhetische Option Hegemanns, mit der er nach langjähriger Abwesenheit auf die deutsche Architekturszene - mehr oder minder gezielt - aufprallte, kann nicht ohne diese Erfahrungen erklärt werden. Doch fehlen hier noch die Einflüsse der frühen Amerikaaufenthalte, die politischen Kontexte, die Hegemann als Mitgift aus der Berührung mit dem Progressivism erwarb, als auch der umfangreichste Teil seiner Arbeit, die Kritik der Zwanziger Jahre. Dennoch gelang Collins für eine Enzyklopädie von Architekten des 20. Jahrhunderts ein ausgewogenes Urteil11, das von den weiteren Arbeiten über Hegemann profitierte. 8 Christiane Crasemann Collins, A Visionary Discipline: Werner Hegemann and the Quest for the Pragmatic Ideal. In: Center 5 (1989), p. 74-85. - In bedauerlicher Übersetzung: Christiane Crasemann Collins, Werner Hegemann (1881-1936): The American Experience. Lehr- und Wanderjahre in den USA, in: Architektur als Kunst. Die Entwurfs- und Planungskonzepte Fritz Schumachers und seiner Zeitgenossen, Hamburg 1995, S. 100-119. 9 Vgl. Christiane Crasemann Collins, Werner Hegemann (1881-1936): Formative Years in America. In: Planning Perspectives 11 (1996), p. 1-21. 10 Christiane Crasemann Collins, La presenza di Sitte nelle tendenze contemporanee dell'urbanistica statunitese. In: Camillo Sitte e i suoi interpret!. A cura di Guido Zucconi, Scritti di Armand Brulhart et al., Milano 1992, p. 109-115. - Christiane Crasemann Collins, Urban Interchange in the Southern Cone: Le Corbusier (1929) and Werner Hegemann (1931) in Argentina. In: JSAH 54 (1995), p. 208-227. - Christiane Crasemann Collins, City Planning Exhibitions and Civic Museums: Werner Hegemann and Others. In: Volker Μ. Welter/James Lawson, ed., The City after Patrick Geddes. Oxford etc. 2000, p. 113-130. 11 Christiane Crasemann Collins, Werner Hegemann 1881-1936. German Critic and Historian, in: Encyclopedia of Twentieth Century Architecture (in print) [p. 1-12], - Aufgrund der verschiedenen Fas-

4

1.2 Kritiker

1993 legte der Historiker Christoph Gradmann eine Untersuchung des Phänomens „Historische Belletristik" vor, des 1928/29 aufflammenden Streits zwischen Schriftstellern und Historikern um die „legitime" Deutung der jüngsten deutschen Vergangenheit 12 . Mit Blick auf die These vom „deutschen Sonderweg" angelegt, leuchtete er die Massenerscheinung der populären historischen Biographien am Beispiel Emil Ludwigs und Werner Hegemanns aus, dessen historisch-politische Monographien damit erstmals dargestellt wurden. Unter Verzicht auf literaturwissenschaftliche Deutung, aber dem Einfluß einer großen Studie zur Geschichte der Biographie 13 mußte Gradmann Ludwig und Hegemann gleichsetzen und die beträchtlichen Differenzen hintanstellen. Trotz der Sonderstellung, die Gradmann dem „Steinernen Berlin" als populäre Geschichtsrevision im Sinne republikanischer Erziehung einräumte, lautete der Vorwurf einer abschließenden historischen Kritik, noch immer dem Geniebild und der individualistischen Geschichtsschreibung verhaftet zu sein, die die Krise des Bildungsbürgertums repräsentiere. Trotz der Verdienste einer „hochaktuellen" Kritik antidemokratischer Leitbilder, ein „Aktivposten" der Kultur der Republik, mit denen Gradmann diese Autoren vor der Ideologiekritik bewahren will, konnte so noch kein eigenständiges Bild des historisch-politischen Werks entstehen. Diese Betrachtung der Auseinandersetzungen als eines Konflikts um Geschichtsrevision hat angeregt, die Systematisierung der Betrachtung fortzusetzen. So wird der Konflikt hier zum einen als unvollendete Modernisierung verstanden und zum anderen als Folie des Konflikts um ästhetische Revisionen genutzt, bei dem entgegen anderer Vorzeichen die Integration gelingen konnte. Anläßlich der Frage nach deutsch-amerikanischen 'Ungleichheiten' untersuchte 1993 der schweizer Kunsthistoriker Werner Oechslin Hegemanns Rolle in der Architekturkritik der Zwanziger Jahre 14 . Oechslin hielt fest, daß Hegemann in dem Architekturbetrieb der Zeit Widerstände darstellte. Nicht nur erwies sich seine „Amerikanische Architektur" von 1924 als ungewöhnlich informiert, sondern widersetzte sich den bild- und schlagwortträchtigen Verengungen des Themas. Als Herausgeber von „Wasmuths Monatshefsungen werden die neuen Hinweise und (undankbarerweise) die Korrekturen einzeln vermerkt werden müssen, während die Angaben, die bei Calabi noch auf dem ungenauen und fehlerhaften Lebenslauf der „Neuen Deutschen Biographie" beruhen, wie der späteren, die sich auf Collins berufen, nicht vermerkt werden. 12 Christoph Gradmann, „Historische Belletristik". Populäre historische Biographien in der Weimarer Republik (Historische Studien 10), Prankfurt a.M.-New York 1993. - Christoph Gradmann, „Historische Belletristik". Die historischen Biographien Werner Hegemanns und Emil Ludwigs in der Weimarer Republik, in: Bios 3 (1990), S. 95-112. 13 Helmut Scheuer, Biographie. Studien zur Funktion und zum Wandel einer literarischen Gattung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 1979. 14 Werner Oechslin, Between America and Germany: Werner Hegemann's Approach to Urban Planning. In: Berlin-New York, Like and Unlike. Essays on Architecture and Art from 1870 to the Present, ed. by Josef Paul Kleihues, Christian Rathgeber, New York 1993, p. 281-295. - Dt., bearb. Fassung: Werner Oechslin, Zwischen Amerika und Deutschland: Werner Hegemanns städtebauliche Vorstellungen jenseits der Frage nach der „Moderne". In: Wolfgang Böhm (Hrsg.), Das Bauwerk und die S t a d t / T h e Building and The Town. Aufsätze für/Essays for Eduard F. Sekler, Wien-Köln-Weimar 1994, S. 221-251.

5

1.3 Arbeit und Wandel

ten für Baukunst" überraschte er mit unerwarteten Urteilen und galt als unberechenbar. Seine Artikel wie Bücher breiteten Fakten statt „trendmäßiger Ausrichtungen" aus, gerade bei städtebaulichen Kriterien eine ungewöhnliche Kombinationsleistung Hegemanns. Die Hegemann von Oechslin zugestandene städtebauliche 'Objektivität', inspiriert durch die französische Theorie der Massengliederung, habe ihn Stilfragen als sekundär betrachten lassen, rechtfertige jedoch nicht, ihn als 'Antimodernisten' abzutun. Oechslin bezeichnete daher - auch „in Anbetracht der in den letzten Jahren sich deutlich abzeichnenden Neusichtung der Geschichte der modernen Architektur" - eine kritische Gesamtstudie als überfällig. Um so mehr ist zu begrüßen, daß Detlef Jessen-Klingenberg, dem ich für Austausch und Anregungen danke, eine Gesamtstudie zum architekturkritischen Werk Hegemanns erarbeitet, die aus der Perspektive der Architekturgeschichte Hegemanns Beitrag als Kulturkritik untersuchen wird. Oechslins Beitrag bestärkte darin, sich neben dem historisch-politischen Werk auch der Architekturkritik erstmals insgesamt zu nähern und sie dabei ebensowenig, wie sich das für die 'Biographien' als nützlich erwiesen hatte, über einen Kamm scheren zu sollen, der 'reaktionär' geheißen hätte. Vor allem regte diese Untersuchung an, über die Theorie von Baukörper und -masse, über die These eines wissenschaftlichen Städtebaus, hinaus nach einem roten Faden zu suchen, an den sich diese Oppositionen knüpfen ließen.

1.3 Erkenntnisinteresse Die leitende Fragestellung nach den Anfangsinteressen auszuformulieren, sollte mit Ergebnissen wie bleibenden Fragen der Forschungen zu Hegemann korrespondieren. So schienen sich vier Komplexe herauszubilden - Stadtplanung, amerikanische Arbeiten, historisch-politische Literatur und Architekturkritik wie ihre jeweilige Verortung in Ständen und Zeiten. Für die anfängliche Vorstellung, diese vergleichend behandeln zu können, nämlich im Abgleich mit Lebenslauf, Werk und Standort exponierter Kollegen, erwies sich die außerordentlich verschiedene Berichtsdichte 15 zum Personal der jeweiligen Disziplinen als ausgesprochen ernüchternd. Das hätte bedeutet, den jeweiligen Themenkomplex einer eigenen Untersuchung unterziehen zu müssen, um den Vergleichskontext überhaupt herstellen zu können, was wenig sinnvoll schien. Vor allem aber widersprach dieser anfänglichen Intention der Umstand, daß die Themenkomplexe weiterhin separiert fortgeführt worden wären, wogegen die leitende Frage eben auf Zusammenhänge und politische und gesellschaftliche Verknüpfungen abgehoben hatte. 15 Hier sei dem Text nur in Andeutungen vorgegriffen: Das Umfeld der Städtebauausstellung ist noch kaum ausgeleuchtet. Untersuchungen liegen dort vor, wo die Akteure gleichfalls als Architekten herausragten wie beispielsweise Muthesius. Siehe jetzt aber Karnau über Stübben, außerdem mit anderer Perspektive Jochens/Hünert über die Familie March. Auch die Autoren jener populären historischpolitischen Werke sind kaum erfaßt - außer Emil Ludwig, den West mehrfach darstellte. Die Architekturkritiker erscheinen kaum, auch selten in Arbeiten über Architekten, die deren publizistische Erfolgskurve kaum behandelt. Eigene Untersuchungen erhielten bisher etwa Behne, hrsg. von Bushart, und jüngst Platz und de Fries von Jaeger sowie Peter Meyer von Medici-Mall, die demgemäß ohne systematische Vergleiche auskommen mußten.

6

1.3 Anfängstragen

Daraus ergab sich der Schluß, die Untersuchung als eine biographische anzulegen. Um für Hegemann herausfinden zu können, was seine Arbeiten „im Innersten zusammenhielte", waren diese Zusammenhänge zwischen seinen Themen, ihre Entstehung und Wirkung, aufzuzeigen und zu interpretieren, aus historischer Perspektive die Disziplingeschichten zu verhandeln, um diese Fragen zu gegenseitigen Zugewinnen einbinden zu können. Dafür bedurfte die Untersuchung, weil sie als Teil eines größeren, historischkritisch reflektierten Bildes von Gegenwartsinterpretationen verstanden wird, die sich in solchen Themenkomplexen manifestieren und kulturgeschichtlich faßbar werden, eines größeren Fluchtpunktes, einer übergeordneten Perspektive, die ihre Funde auch zum Zwecke weiterer, vergleichender Ausarbeitung auswerten ließ. Damit ließ sich nach der Anfangsfrage das erkenntnisleitende Interesse folgendermaßen formulieren: am Beispiel der Person und der Arbeiten Hegemanns den gesellschaftspolitischen Wandel zur Republik aufzuklären, indem die Entwicklung, Veränderungen und Wechsel in der Arbeit des Individuums als Intonation und Realisierung des Wandels in verschiedenen Arbeitsgebieten zu zeigen und auf Verknüpfungen, die gegenseitigen Bedingungen, Chancen und Grenzen zu untersuchen war. Im einzelnen bedeutete das, anfangs die sozialhistorischen und bildungssoziologischen Voraussetzungen aufzuklären, um die Zugänge, Anwendungen und Wechsel der scheinbar getrennten Arbeitsfelder auszuloten. So zentrierten sich die Fragen zunächst entsprechend der Disziplinen wie der offensichtlich erkennbaren Auffälligkeiten. Was ermöglichte dem jungen Nationalökonomen den Aufstieg in eine leitende Position eines außergewöhnlichen Vorhabens wie der Städtebauausstellung in Berlin 1910; welchen Meriten verdankte er den Auftrag der literarischen Auswertung? Wie konnte ein in konservativ-wilhelminischer Tendenz verfaßtes Werk in einem modernen Fach derartig reüssieren? Wie fügten sich die erkennbaren modernen Ansätze, eine kommunalpolitische pressure-group zu bilden, in diese Tendenz? Wurden diese Tendenzen von dem in die USA geladenen Planer vor seinem dortigen Publikum genauso vertreten? Wie wirkte sich die spätere praktische Arbeit als Planer auf die Konzeption der Aufgaben von Architektur und Planung aus? Wo war die Bruchstelle zu der sich unmittelbar nach Rückkehr manifestierenden monarchiekritischen und republikfördernden Haltung zu finden? Handelte es sich um eine langfristige Entwicklung kritischen Potentials oder eine Ernüchterung infolge des Weltkriegs; eine eigenständige Selbsterziehung oder ein mehrheitsbedürftiges Umschwenken? Wie beeinflußte sie Ansatz und Form der historisch-politischen Werke? Veränderte sich diese Haltung unter der Anfechtung derer 'Legitimität'? Wie fügte sich eine moderne politische Option zu der ebenfalls unmittelbar geltend gemachten konservativen ästhetischen Option? Waren sie einander entgegengesetzt oder auf einen gemeinsamen kritischen Ansatz zurückzuführen? In welcher Form kam diese konservative ästhetische Option zum Einsatz und veränderte sie sich unter der Antikritik? Was bedingte die Zeitverschiebung in der publizistischen Lossagung von Kollegen, die dem Faschismus nahestanden? Wurden Erklärungsmodelle für die Defizite der Republik 7

1.4 Biographischer Ansatz

entworfen und wie wirkten sie sich in der politischen Kritik aus? Welche Prognosen für die Republik veranlaßten, sie zu verlassen und änderten sich die Diagnosen aus dem Exil? Die Richtung dieser Fragen würde sie zuerst mit den bekannten Interpretationen des Mandarins und des Außenseiters verbinden16. Diese losen Verbindungen galt es, mittels eines gemeinsamen Rahmens sowohl mit der Geschichtsschreibung der Fächer wie mit der deutschen Sozial- und Gesellschaftsgeschichte zu verknüpfen.

1.4 Methodik Die Untersuchung folgt einem biographischen Ansatz. Nicht intendiert ist eine Biographie im Sinne einer geschlossenen Erzählung, nicht als eine exemplarische wie besondere Lebensgeschichte, nicht als eine Darstellungsform der Geschichtswissenschaft17. Der biographische Ansatz wird vielmehr als Probebohrung, Quersumme, als prüfende und ergänzende - korrigierend, differenzierend wie detaillierend - Untersuchung zu Forschungsergebnissen der Geschichtsschreibung von Einzeldisziplinen wie der theoretisch orientierten übergreifenden Geschichtsschreibung der Struktur- und Gesellschaftsgeschichte verstanden 18 . Er mußte die oberflächlichen Bilder von Hegemann als typisch bürgerlichem Stadtplaner, linkem Publizisten und konservativem Architekturkritiker einer Uberprüfung unterziehen. Dabei verwies das grundlegende bildungssoziologische Etikett des Bildungsbürgers auf die strukturanalytische Ausdeutung dieses Gesellschaftssegmentes, die mit 16

Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1933 [1969], München 1987. - Peter Gay, Die Republik der Außenseiter. Geist und Kultur der Weimarer Zeit in 1918-1933 (1968], Frankfurt a.M. 1987. 17 Während zum Untersuchungsbeginn die Biographie noch im Abseits stand, da die Diskussionsfronten zwischen Alltagsgeschichte und Strukturanalyse verliefen, hat sich diese Stellung nicht zuletzt durch die großen Beiträge zur Form von Röhl, Kershaw und Hamann so sehr verbessert, daß die Literaturwissenschaft Anleitungen diskutieren kann (Klein) und die Geschichtswissenschaft die Form nicht nur historisch betrachten (Hähner), sondern in neuen Biographien Treitschkes, Meineckes und Ritters auf die eigene Geschichte bereits wieder anwenden kann. 18 1988 faßte Andreas Gestrich in einem sehr kompakten Uberblick die sich abzeichnende Öffnung. Die historistische Auffassung vom „homo clausus" als einer unabhängigen Welt wurde von historischen Theorien der systematischen Sozialwissenschaften abgelöst. Die Kritik derer als generalisierende Theorien des Systemfunktionalismus war in der historiographischen Debatte mit gesellschaftspolitischen Argumenten beladen worden. Sozialwissenschaftliche Theorien von Interaktion und Kommunikation hielten dagegen, daß menschliche Handlungsmotive nicht in der kausalen Analyse soziostruktureller Fakten aufgehen, sondern aus einen Definitionsprozeß der Handelnden und gemeinsamen Erfahrungs- und Sinnhorizonten hervorgehen wie auf sie zurückwirken. Die hermeneutische Frage nach Sinnadäquanz (Weber) forderte demnach eine exakte Untersuchung von Kontexten von Handlungen. Wenn Wandel mit zunehmender Systemdifferenzierung noch unzureichend erklärt scheint, ist zu beachten, daß Individuen in Selbstentwurf und Handlungen die vorgefundenen Strukturen aufgreifen, handelnd reproduzieren und verändern. Damit also sind Interdependenzen von Selbstverständnis und Handeln wie deren Wechselverhältnisse mit überindividuellen Institutionen und Strukturen aufzugreifen, um eine „wirkliche Gesellschaftsgeschichte" anzustreben. Andreas Gestrich, Einleitung: Sozialhistorische Biographieforschung. In: Andreas Gestrich/Peter Knoch/Helga Merkel (Hrsg.), Biographie - sozialgeschichtlich. Sieben Beiträge, Göttingen 1988, S. 5-28.

8

1.4

Gesellschaftsmodell

der postulierten Auflösung wie den festgestellten Defiziten dieser Formation bereits alle die in den obigen Etiketten angedeuteten Defizite erklärt hätte 1 9 . Dem entgegengesetzt, schälte sich der Bezug zum Stand und zum Projekt der Bürgerlichen Gesellschaft als ein geeigneter Rahmen heraus, mittels dessen sich der zu beobachtende gesellschaftspolitische Wandel interpretieren ließ. Angestoßen von der Familiengeschichte, in deren Auseinandersetzungen die Phasenlage der Kontrahenten zur bürgerlichen Gesellschaft eine erhebliche Rolle spielten, wurde das Konzept für eine Ausdehnung über die Phasen in Hegemanns Arbeitsformen und -feldern geprüft und für fruchtbar befunden. Der Begriff 'Bürgerliche Gesellschaft' umfaßt dabei ein soziologisches Konzept, eine politische Idealvorstellung und ein gesellschaftliches Modernisierungsmodell. Mittels dieser Facetten lassen sich die verschiedenen Dimensionen der Fragestellung verbinden. Das soziologische Konzept stellte die Kategorien für die sozialhistorische Zuordnung, Rollenmodelle und -erwartungen bereit, nach denen nicht nur die konkreten sozialhistorischen Bedingungen, sondern auch die eigene Zuordnung des Subjekts zu ermessen waren. Die politische Idealvorstellung gab die Organisation der gesellschaftlichen Entscheidungsfindungen mit ihren Wandlungserscheinungen von Verrechtlichung, Verwissenschaftlichung und Professionalisierung vor. Daraus ließen sich nicht nur Kriterien gewinnen, die den Rahmen zur Bemessung des konkreten Handelns des Subjekts lieferten, sondern auch die in den Themenfeldern geltend gemachten Konzepte zu betrachten ermöglichten, um die Entfernung oder Annäherung zum Projekt einer bürgerlichen Gesellschaft zu bestimmen. Das Modernisierungsmodell stellte den Bezugspunkt des Übergangs von einer obrigkeitsstaatlich traditionalen, der ständischen in eine pluralistische arbeitsteilige Leistungsgesellschaft. Mit diesem Bezugspunkt ließ sich eine gesellschaftspolitische Anverwandlung dieses Bildungsbürgers unter veränderten Bedingungen zeigen. Der große Fluchtpunkt der Untersuchung sollte dafür sorgen, die gewonnenen Ergebnisse in den Prozeß des „ständigen Integrations- und Segmentierungsverlaufs" zwischen objektbezogener Forschung und struktur-, prozess-, und syntheseorientierter Forschung stellen zu können, ohne stets der feindlichen Abgrenzung zu bedürfen 20 . 19 Damit wurde vor allem auf die Arbeiten zurückgegriffen, die im Umkreis von Conze, Kocka, Koselleck und Lepsius in dem Forschungsprojekt „Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert" nach Lebensführung, Bildungsgütern, politischem Einfluß und gesellschaftlicher Formation der mit dem - im Verdacht des historischen Konstrukts stehenden - Begriff bezeichneten Gruppe fragten, sowie auf die dadurch angestoßenen vergleichenden und systematischen Untersuchungen zur Entwicklung bestimmter Stränge der bürgerlichen Gesellschaft wie des Rechts, der Bildungsgeschichte und Professionalisierung, der Familie, Milieus und politischen Kultur. Siehe als Grundlagen: Jürgen Kocka, Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert. In: Jürgen Kocka (Hrsg.), Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert. Göttingen 1987, S. 21-63; Werner Conze/Jürgen Kocka, Einleitung. In: Werner Conze/Jürgen Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Τ. 1, Bildungsbürgertum und Professionalisierung in internationalen Vergleichen (Industrielle Welt 38), Stuttgart 1985, S. 9-26; Jürgen Kocka, Bildungsbürgertum - Gesellschaftliche Formation oder Historikerkonstrukt. In: Jürgen Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. T. 4, Politischer Einfluß und gesellschaftliche Formation (Industrielle Welt 48), Stuttgart 1989, S. 9-20. 20

Peter Gay, Was ist Kultur? In: Deutschlands Weg in die Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur

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1.4

Rezeptionsstudien

Die Konzeption des biographischen Ansatzes beinhaltet daher sowohl die Absicht, Ergebnisse der theoretisch orientierten Geschichtsschreibung aufzunehmen und zu ergänzen als auch die Absicht, Ergebnisse für systematische Verallgemeinerungen und gesellschaftsgeschichtliche Fragestellungen zur Verfügung zu stellen. Bereits aus dieser Intention ergeben sich Kontraste zur biographischen Erzählung, die zur Suggestion des geschlossenen Lebenswegs wie zwangsläufiger, erklärbarer und konsistenter Entwicklung gezwungen ist 21 . Als Material aber müssen die Darstellung wie die Schlüsse für eine abweichende Interpretation offen und zu überprüfen gehalten werden, durch 'dichte Beschreibung' nachvollziehbar 22 und die Belegung mit dem gewählten Rahmen sprachlich kenntlich gemacht werden, um nicht nur der Kontingenz der historischen Realität, sondern auch der interpretatorischen Maßnahmen Rechnung zu tragen 23 . Die 'Bürgerliche Gesellschaft' zum Fluchtpunkt der Perspektive zu machen, lieferte darüberhinaus einen Ansatz zur Diskussion der zeitgenössischen Rezeption der Hauptfigur. Die beiden größten Arbeitsgebiete Hegemanns gaben personelle samples vor, die nicht unter theoretischen und erkenntnisleitenden Prämissen vorgewählt wurden und daher hinsichtlich ihrer Repräsentanz aufschlußreich zu sein versprachen. Die Reaktionen und Interaktionen von Angehörigen der Berufsgruppen der Architekten und Historiker stellten eine erhebliche Stichprobengröße dar. Ihrem Verhalten ließen sich Aspekte einer vergleichenden Bewertung abgewinnen, die die ursprüngliche vergleichende Absicht zu einem Teil aufzunehmen vermochte. Der Bezug auf den großen Rahmen aber erlaubte auch hier erst, an diesen Vergleichen typologische sozialhistorische Differenzen zu kennzeichnen und als ursächlich für die Konflikte zu erkennen. Sie konnten daraufhin den politischen Konzepten zugeordnet und anhand des Modernisierungsmodells als funktionale Verhaltensweisen erschlossen werden. Ergebnisse dieser Interpretation sollten nicht nur ein weiteres Mal die These vom Versagen der Bildungsbürger in der Republik wiederholen, sondern ein differenzierteres Bild des Unternommenen und Unterlassenen zeichnen und seine Funktionen aufklären. Gleichzeitig erlaubte das, forschungskritische Perspektiven zu entwickeln. Sie sind nicht nur für die späteren Bewertungen der Hauptfigur aufschlußreich - da die Nachkriegsrezeption, mithin deren Fehlen und Funktionen späterer Wiederaufnahmen hier weitim 19. Jahrhundert, Hrsg. von Wolfgang Hardtwig und Harm-Hinrich Brandt, München 1993, S. 45-53, S. 51 f. 21 Einer Suggestion wird die wissenschaftliche Qualifikationsarbeit bei aller Reflektion nicht entgehen, nämlich der Bedingung, wie Helmut Koopmann, Die Biographie. In: Klaus Weissenberger (Hrsg.), Prosakunst ohne Erzählen. Die Gattungen der nicht fiktionalen Kunstprosa (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 34), Tübingen 1985, S. 45-65, dargestellt hat, daß die Würde des Biographierten die des Biographierenden herstellen muß. 22 Dieser auf Clifford Geertz zurückgehende Begriff, ursprünglich aus der Ethnologie gegen theoretische Abstraktion und kulturelle Uberformung durch den Betrachter erhoben, verlangt eine reflektierte Beschreibung, die die Selbstinterpretration festhält, die Fremdinterpretation prüfbar macht und ihre Quellen der späteren Interpretation offenhält. 23 Vgl. dazu das Problem der Konstruktion des perfekten sozialen Artefakts bei Pierre Bourdieu, Die biographische Illusion. In: Bios 3 (1990), S. 75-81 und folgende Kommentare. Vgl. auch Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Prankfurt a.M. 1998, S. 55-74.

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1.4 Forschungskritik

gehend ausgeblendet bleiben mußten sondern auch, um die fachhistorischen Hintergründe im Sinne des kontinuierlichen „Integrations- und Segmentierungsverlaufs" zu befragen und zu erweitern. Eine marxistisch inspirierte Planungskritik tendiert dazu, die Innovationen Hegemanns wieder zu entmachten. Sie aber faßten Planung erstmals als Ausdruck kollektiver Mentalitäten und bürokratischer Amtsführung auf. Mit ihrem Vorwurf an die Disziplin, die ökonomischen Grundlagen verpaßt wie gemieden zu haben, suggeriert diese Kritik anhaltende Ohnmacht vor anonymen strukturellen Kräften, die den organologischen Konzepten vergleichbar ist, deren sich die innovative Auffassung zu erwehren suchte. Jene Stadtplanungsgeschichte, die lediglich Ursprünge zu rekonstruieren sucht, ist gefährdet, zu einer heroisch-idealistischen Geschichtsschreibung zurückzukehren und Paradigmenwechsel als Beweis des Fortschritts zu untermauern statt aufzuklären. Ohne tatsächlich vorliegende schriftliche Werke kritisch zu erfassen, verfällt sie, von Indizien bestärkt, dem Individuum, das eine Idee bewegt, und tendiert zur Summierung unter angedeuteten Tendenzen und Assoziationen mit berühmten Namen, schließlich einer begradigten und widerspruchsfreien Entwicklung des Fachs, das ohne zeitgenössische Einwirkungen umgebender gesellschaftlicher Wirklichkeit auskommen kann. Eine ideologiekritische Literaturwissenschaft sah in der Folge Kracauers in den historisch-politischen Biographien der Weimarer Republik nur spätbürgerliche Abgesänge. Sie begab sich daher eines Instrumentariums, die formalen Neuerungen, die daraus folgende Erkenntniskritik und deren innovative Umsetzung erkennen, schließlich Verbindungen zu gleichzeitigen wie späteren literarischen Innovationen herstellen zu können. Eine gegenüber der eigenen Spezies duldsame Historiographie hat strukturanalytische Kategorien auf die Revolte der Historiker gegen eine populäre Deutungskonkurrenz nicht angewandt. Statt auf eine noch vor den politischen Einwänden gegen Mehrheitsprinzipien liegende, aus sozialen und ökonomischen Gründen verweigerte Modernisierung zu erkennen, hat sie sogar auf einen „Sieg der Zunft" schließen oder aber in der Folge Valentins die Konkurrenten in die fatale Kontinuität der Geniegläubigkeit abschieben können. Eine lange Zeit den Heroen der Moderne verfallene Architekturgeschichtsschreibung hat konträre Positionen wenig wahrgenommen und nicht einmal die Publizisten der Neuerer einer systematischen Untersuchung für würdig befunden. Die ausgebliebene Aufarbeitung der publizistischen wie organisatorischen Rahmenbedingungen der Innovationen in der Architektur der Zwanziger Jahre geht dem marktorientierten Wechselspiel, das zwischen der Bewirtschaftung des Rufs eines Künstlers und dem einer Zeitschrift besteht, aus dem Weg und zeigt sich damit ebenfalls gefährdet vom idealistischen Geschichtsbild, das den Künstler als Genie und progressiven Demiurgen versteht. Die dogmenkritische Revision der Geschichte der modernen Architektur und Zuwahl einer 'Größeren Moderne' sucht sich durch Phänomenologie der politischen Konnotationen zu entledigen, die durch spätere Ausschlachtung seitens Architekten und Kulturpropagandisten den praktizierten Variationen von Modernität auferlegt worden war. Auch ihr fehlt noch die Erschließung der ökonomischen und sozialhistorischen Hinter11

1.5 Gliederung

gründe, sowohl zur mehr und minder offensiv betriebenen Diversifikation der Stile wie den Ursachen moralischer Aufladung. Auf beides kann Dogmenkritik nicht verzichten, um die Macht und die Verkennung der Streitwerte aufzuklären. Der biographische Ansatz mit seinem zur theoretischen Orientierung gesetzten Rahmen verbürgt mithin kritische Distanz. Er verheißt, in objektbezogener Forschung Interpretationsgeschichten und variierende Deutungsmuster aufrollen zu können und sowohl für die Interpretation des Objekts der Neugierde' wie für die Reflektion der theoretischen Ansätze nutzbar zu machen. Die Verflechtung der Geschichte des Subjekts mit der Geschichte seiner Selbst- und Fremdinterpretation verbürgt weiteren Aufklärungswert.

1.5 Aufbau und Quellen Hauptquellen der Untersuchung sind die Publikationen Hegemanns. Ein 1989 im Rahmen einer Magisterarbeit vorgelegtes Schriftenverzeichnis, das eine erste Untersuchung des Lebenslaufs ermöglichte, bildet die Grundlage dafür und wird hier, revidiert und ergänzt, erneut vorgelegt 24 . Die Auswertung folgte drei Prinzipien: zu achten auf die Intonation, die Noten, Bilder und Motive, die damit beanspruchten Kontexte, in denen der Autor sein Material ausbreitete; diesen faktizistisch zu begegnen, sie also mit Nachweisen externer Herkunft zu kontrastieren, um die beanspruchten Legenden zu erkennen; schließlich an Ubereinstimmungen und Differenzen die Interpretation anzusetzen, die nach größeren Themenfeldern, Bezugsrahmen und institutionellen und organisatorischen Bedingungen zu fragen hatte 25 . Der Aufbau der Darstellung setzt zunächst mit dem klassischen der Biographie an Familie, Bildung, Berufsarbeit - , um dann die Gliederung den äußerlich erkennbaren Ortswechseln folgen zu lassen - Amerika 1909, Berlin 1910-12, Amerika 1913-1921, Berlin 1922-1933, Exil die mit einem Wechsel der Arbeitsgebiete einherzugehen schienen. Während es anfangs möglich war, der Chronologie zu folgen, um den individuellen Zuwachs an Kenntnissen und Erfahrungen darzustellen, schien es geboten, im längsten und arbeitsintensivsten Zeitraum des Berlin der Weimarer Republik davon abzuweichen und die Explikation der architektur- und historiographiekritischen Tätigkeit nach Phasen zu verknüpfen, um entgegen der parallelen Tätigkeiten den inhaltlichen Zusammenhängen gerecht werden zu können. Die Materialdichte wie seine im Zuge der Untersuchung aufgezeigte Bedeutung schlägt sich in einem Ungleichgewicht der vorgewählten Abschnitte nieder, das zugleich den 24

Vgl. Caroline Flick, Werner Hegemann (1881-1936). Untersuchungen zu seiner Biographie, Magisterarbeit Geschichte (MS) FU Berlin 1989, S. 189-218, und unten 10.4 Schriftenverzeichnis Hegemann. 25 Diese Ansätze sind von der wohlerwogenen Maximalforderung Gestrichs beeinflußt, die am - auch hier sichtbaren - Unmaß von Dauer der Bearbeitung und Umfang der Darstellung ihre Grenzen finden wird. Sie verlangte, das 'Objekt' von drei Seiten und diese in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu betrachten: von Seiten der Primärgruppe und ihrer Sozialisationsformen, der Sekundärgruppen und der Gesamtgesellschaft mit ihren materiellen, institutionellen und ideologischen Hahmenbedingungen, der impliziten und expliziten Formen von Austausch und Verarbeitung gesellschaftlicher Erfahrungen. Gestrich, Einleitung ..., S. 21. 12

1.5 Materialien

Interessenschwerpunkten der Forschung entspricht und ausführliche Behandlung verlangte. Die Darstellung und Interpretation wird jeweils zum Kapitelende mit der theoretischen Auswertung zusammengefaßt und kontrapunktiert, diese in einer zentralen Diskussion im Hauptteil aufgegriffen und in der These vom „Bildungsbürger als Profession" zusammengeführt. Die externen Quellen waren zwangsläufig begrenzt, da zahlreiche Archive wie die von Hochschulen oder Verlagen, besonders des Wasmuth-Verlags, heute in Tübingen, im Laufe des letzten Jahrhunderts beschädigt oder zerstört wurden. Zeitzeugen waren erwartungsgemäß nur wenige zu finden. Der Lektor, Schriftsteller und Freund Hegemanns Hermann Kesten war bereits schwer erkrankt; Hegemanns Sohn Manfred, dem die Untersuchung Interesse und Ermutigung sowie einige Materialien verdankt, zu jung, um eigene Erinnerungen beitragen zu können. Trotz des Eindrucks einer vielfältigen Briefkorrespondenz Hegemanns haben sich nur wenige Konvolute finden lassen. Zu den bedeutenderen gehören die an seinen dänischen Kollegen Steen Eiler Rasmussen geschriebenen Briefe von 1925-35 und der Briefwechsel mit dem holländischen Architekten J.J.P. Oud 1924-34, ferner kleine Sammlungen aus den Nachlässen des amerikanischen Juristen Erich Cramer Stern, des Bürgermeisters von Milwaukee Daniel W. Hoan, des Sozialwissenschaftlers James Ford. Sie konnten durch vereinzelte Schriftwechsel und Dokumente, nach den Arbeitsgebieten des Autors weit gestreut, ergänzt werden, darunter einzelne Briefe an und von Edward M. Bassett, Paul Bonatz, Daniel H. Burnham, Peter Meyer, Hermann Muthesius, Karl Ernst Osthaus, Rene Schickele und Arnold Zweig. Die Rekonstruktion der Familiengeschichte stützte sich zunächst auf Daten aus Kommunalarchiven und Kirchenbüchern, die ein Gerüst lieferten. Die publizierten Selbstzeugnisse der Mutter erlaubten jedoch, eine außergewöhnliche Familiengeschichte zu erkennen und sie in einem sozialhistorischen Kontext zu interpretieren. Das im Amtsgericht Wiesbaden erhaltene Testament des Vaters bewies die finanzielle Unabhängigkeit Hegemanns, die ihn vom Erwerbszwang befreite - Voraussetzung seines Bildungswegs. Die den akademischen Lebensläufen Hegemanns zu entnehmende Schullaufbahn ließ sich durch einen Glücksfall ausleuchten. Die „Jahresberichte" des Gymnasiums, das er zuletzt besuchte, wurden in einer Berliner Sammlung bewahrt und erlauben, den Lehrstoff und seine nationale Instrumentierung genau zu erfassen. Der Lebenslauf zur Dissertation konnte durch Nachweise der entsprechenden Hochschularchive überprüft und damit die lange kolportierten Irrtümer, insbesondere der von Hegemanns erster Frau berichtete Besuch der Ecole des Beaux-Arts in Paris, ins Reich der Legenden verwiesen werden. Zu Tage trat ein nach Militärdienst und Reisejahren ordnungsgemäßes Fachstudium der Nationalökonomie, mit Promotion in München abgeschlossen. Den von Hegemann reklamierten Einflüssen einiger Hochschullehrer wird mit deren Vorstellung Rechnung getragen, wie sie auch, zusammen mit anderen Kollegen und Freunden, in den Kurzbiographien des Anhangs dargestellt sind. Die von Hegemann reklamierten Tätigkeiten während seines Aufenthalts in den USA von 1909 bildeten die Vorgabe für das vierte Kapitel, dem als Sprungbrett zu Berliner Stadtplanung besondere Aufmerksamkeit galt. Die behauptete Arbeit als „Wohnungs13

1.5 Berliner Planer

Inspektor" in Philadelphia ließ sich in kommunalen Archiven nicht nachweisen, bis den Urban Archives der Temple University in Philadelphia eine zeitgenössische Aussage Hegemanns zu verdanken war, nach der es sich lediglich darum gehandelt hatte, einen Kollegen kurzzeitig zu begleiten. Die Geschichte der Wohnungsinspektion bildete den Anstoß dafür, die Anregungen dieses Jahres den Rahmen der Progressive Era zu legen. Der Katalog für die Bostoner Städteausstellung konnte 1989 nachgewiesen werden und damit Hegemanns Behauptung der Leitung widerlegt, zugleich aber das gesamte Programm dieses städtischen Unterfangens anhand der Forschung als typisch für den zeitgenössischen Progressivism interpretiert werden. Die Förderung Hegemanns durch seinen Onkel, die ihm die Geschäftsführung der Berliner Städtebauausstellung 1910 eintrug, konnte anhand von Briefen im Werkbundarchiv nachgewiesen und das Profil seiner Tätigkeit an einem im Rathausarchiv Neukölln erhaltenen Konvolut vermessen werden, das die Beziehungen zwischen der noch selbständigen Stadt und der Geschäftsleitung zeigt. Aus ihrem Katalog und der Forschung werden Ausstellung und Erfolge dargestellt, Hegemanns Funktion als Vermittler eingestuft, wie sie auch der aus Akten im Stadtarchiv Düsseldorf erstmals erschlossene Transfer der Ausstellung zur Fortsetzung im Rheinland zeigt. Unter diesen Voraussetzungen wird Hegemanns Berlinbuch von 1911 auf seine Funktion als professionspolitische Auftragsarbeit untersucht. Hegemanns Innovation einer Kulturstiftung für das Fach kann an den hier erstmals wie auch weiterhin systematisch gesammelten und ausgewerteten Rezensionen zu seinem Werk als Neuerung von nachhaltiger Wirkung nachgewiesen werden. Entsprechend seiner Mitgliedschaften werden die daxin geltend gemachten Bezugsrahmen am Verein für Sozialpolitik und dem Deutschen Werkbund untersucht, die Vorgaben seiner peers ausgeleuchtet, und Hegemann nach dem Modell Fritz Ringers als modernistischer Mandarin klassifiziert. Hegemanns folgende Mitarbeit konnte in den Akten der Berliner Baugenossenschaft „Ideal" nachgewiesen und zur Korrektur von Thesen der Forschung genutzt werden. Die einzige praktische Tätigkeit der Vorkriegszeit bei einer Wettbewerbsausschreibung war nach den Düsseldorfer Akten von geringem Umfang. Die Aufarbeitung des „Propaganda-Ausschusses für Groß-Berlin" blieb, nachdem die Nachlässe Beteiligter - etwa Bernhard Dernburg, Hermann Muthesius, Hugo Preuß und Albert Südekum - dazu nichts aufwiesen, wesentlich auf die eigenen Publikationen und Stichproben in Berliner Zeitungen angewiesen. Dennoch konnte den Erinnerungen des beteiligten Kunsthistorikers Werner Weisbach entnommen werden, daß Hegemann diese Honoratiorengruppe nach amerikanischen Vorbildern initiierte, und den unveröffentlichten Tagebüchern Käthe Kollwitz', daß ein wirkungsvolles Emblem, eine Lithographie, die sie für die Gruppe anfertigte, auf seine Anregung zurückging. Der Ausschuß wird strukturell als eine frühe Bürgerinitiative interpretiert, die Grenzen und Chancen gesellschaftlichen, parteiübergreifenden Engagements im Kaiserreich zeigt. Der zweite Teil des Auftragswerks zeigte die an der Rezeption einer rechtshistorischen Kritik von Hugo Preuß beginnende Distanz zur Monarchie, parallel zu einer Politisierung von der Ästhetik zum sozialen Wert städtischer Parks. Eine Akte des Preußischen 14

1.5 Amerikanische

Praxis

Kultusministeriums belegt, daß Hegemann eine Habilitation vorbereitete, nach Eigenaussagen aber parallel eine Informationsstelle für das neue Fach plante. Der doppelte Entwurf ist als symptomatisch für den Ubergang in die Leistungsgesellschaft zu verstehen, die dem Bildungsbürger Professionalisierung oder Akademisierung bereithielt. Itinerar und Vorträge der amerikanischen Reise von 1913 konnten durch zahlreiche Zeitungsartikel erschlossen werden, die städtische Archive und Historische Gesellschaften mit dankenswerter Großzügigkeit zur Verfügung stellten, während aus dem vermittelnden People's Institute überlieferte Bestände keine Hinweise dazu enthielten. Aus den pragmatischen Reden und einem Auftragsbericht ließ sich ein reformiertes Planungskonzept erschließen. Die Rückreise mit Kriegsbeginn, Internierung, Flucht und Rückkehr in die USA ist nur aus Hegemanns eigenen Darstellungen bekannt. Eine vermutete Teilnahme an der „Australasian Town Planning Tour" der Londoner Garden Cities and Town Planning Association ließ sich nicht nachweisen, aber auch nicht ausschließen. Verschiedene Briefsammlungen zeigten Versuche, Hegemann zu fördern, seitens Frederic C. Howes und James Fords, ihm zu einer Dozentenstelle zu verhelfen, seitens Daniel W. Hoans, ihn als Delegierten zur Nationalen Konferenz der Planer zu entsenden, Versuche, die fehlschlugen, Hegemann ausschlug oder verspielte. Die Projekte der Praxis konnten nur in unterschiedlichem Maß nachgewiesen werden; Unterlagen der Firma Hegemann & Peets existieren offenbar nicht mehr und der Nachlaß seines Partners, des Landschaftsplaners Elbert Peets, scheint bereinigt. Das erste Projekt, die Planung der Werkssiedlung der Kohler Co. war teilweise erforscht und konnte durch reiches Material, das die Firmenarchive in dankenswerter Weise zur Verfügung stellten, beschrieben werden. Das Archivmaterial umfaßte nicht nur den strukturellen Interessenkonflikt mit dem Auftraggeber, an dem das Projekt schließlich scheiterte, sondern auch das bisher einzig nachgewiesene ungedruckte Manuskript Hegemanns, in dem er seine sozialpolitischen Uberzeugungen bekräftigte. Das zweite Projekt einer Vorstadtsiedlung in Milwaukee steht heute unter Denkmalschutz und wurde wie das dritte, eine Gartenvorstadt bei Reading, Pennsylvania, nach den umfangreichen Eigendarstellungen der Planverfasser erfaßt, desgleichen die wenigen Privataufträge; das vierte ließ sich in der Regionalgeschichtsforschung ermitteln. Die Auswertung des die gemeinsame Arbeit abschließenden Architektur-Thesaurus und seiner Rezensionen zeigt einen neuen Buchtypus zum Fach, aber auch die Resignation der Autoren ob ökonomischer Bedingungen und herrschender Schule, die in die klassizistische ästhetische Option mündet. Die Erprobung des Bildungsbürgers in der Selbständigkeit weist methodische und strukturelle Defizite seinerseits auf, als deren Kompensation diese Regression in einen ureigenen Kompetenzbereich gesehen wird. Die Bearbeitung des großen Zeitraums von 1921 bis 1933 blieb, von wichtigen Ergänzungen abgesehen, wesentlich auf Auswertung der Schriften und der Forschungsliteratur angewiesen. Hegemanns Eigenhaus, für das er als Architekt zeichnete, damit das einzige nachgewiesene Haus seiner Hand, inzwischen abgerissen, konnte in den Bauakten nachgewiesen und nach einer Sammelpublikation gezeigt werden. Da Grundstückserwerb und Bau 15

1.5 Weimarer Kritiker

seine Ressourcen ausschöpften, war er danach auf ein lohnabhängiges Beschäftigungsverhältnis angewiesen. Aus Akten des Stadtarchivs Göteborg konnte gezeigt werden, daß der Auftrag für die Katalogredaktion zur dortigen Ausstellung ihm von einem seit 1910 bekannten Kollegen erteilt wurde, was ihm forthin den Weg ebnete. Da das Archiv des Wasmuth-Verlags 1944 mit dem Verlagshaus abbrannte, mußte Hegemanns Tätigkeit für die verlagseigenen Zeitschriften „Wasmuths Monatshefte für Baukunst" und „Städtebau" aus den Publikationen erschlossen werden. Anhand der Reaktionen auf seinen Arbeitsbeginn und der Rezensionen der deutschen Fassung des Thesaurus als „Amerikanische Architektur" von 1924 wird der Grundsatzkonflikt zwischen den ästhetischen Optionen und die Inszenierung dieses Konflikts untersucht. Für die vermutete Bewerbung Hegemanns um das Amt des Stadtbaurats ließen sich im Landesarchiv Berlin keine Belege finden; die Kollegenreaktionen sowie die politischen Konstellationen machten dies ohnehin unwahrscheinlich. Sein in der Zwischenzeit unter Pseudonym verfaßtes Buch zum Thema Tyrannenmord und „Königsopfer" konnte in literaturwissenschaftlicher Interpretation als Satire ausgewiesen werden. Die fortgesetzten Bearbeitungen des Themas unter dem Titel „Fridericus" wurden mit einem Rückblick auf die politischen Instrumentierungen des FriedrichBildes auf ihre politischen Signalwirkungen untersucht und anhand der Rezensionen als wirkungsvolle Provokationen bewiesen, deren methoden- und erkenntniskritischen Aspekte nicht rezipiert wurden. Die Themenvariationen in drei weiteren Monographien führten zu einer systematischen Interpretation des Streits um die „Historische Belletristik". In dem Konflikt um die Deutungshoheit zwischen dem staatlich sanktionierten und alimentierten Hoheitsanspruch der Professoren und der durch Popularität legitimierten wie finanziell einträglichen Deutungspraxis der Schriftsteller ist eine unvollendete Modernisierung zu sehen. Das Profil der Architekturzeitschrift unter Hegemann wurde mit statistischen Hilfsmitteln als einzigartig bestimmt, während die Briefwechsel mit Rasmussen und Oud Einblicke in den Arbeitsstil ermöglichten. Während die Dokumentation und Interpretation von Hegemanns Beiträgen ihnen die Funktion einer Gegenpropaganda zuordnen kann, die auf einen außertheoretischen Rationalismus zurückgeht, läßt sich an einem Fundstück aus dem CIAM [Congres International d'Architecture Moderne]-Archiv zeigen, daß man ihn zu dem Kongreß der Modernen einzuladen erwogen hat, die Organisation der Avantgarde dies aber strikt ablehnte. Während er das organisatorische Erstarken der Avantgarde mit der Protektion traditionaler Architektur beantwortete, konnte seine Mitgliedschaft in deren Verband aufgrund einer sehr dünnen Materiallage nur äußerst unbefriedigend erschlossen werden. Gleichzeitig hatte sich, wie zu zeigen war, unter der stringenten - von den Briefpartnern auch geförderten - Anwendung der postulierten eigenen Kriterien Hegemanns ästhetisches Votum zugunsten der 'klassischen' Moderne geöffnet, während sich entgegen der klassisch dichotomischen Sicht der Architekturentwicklung Indizien für eine publikumswirksame und belustigte Inszenierung der Antagonismen finden ließen. Während in der Architekturkritik eine pluralistische Ausgewogenheit erreicht schien, 16

1.5

Kulturvermittler

arbeitete Hegemann sein Berlinbuch zur Katharsis früherer Irrtümer und zum republikanischen Lehrstück um, was ihm, sichtbar an Rezensionen und Einladungen, den Weg in die Kreise von Schriftstellern und in das politische Feuilleton öffnete, wie auch die Gratulationen zu seinem 50. Geburtstag eine architekturfrontenübergreifende Anerkennung dokumentieren. Akten des Preußischen Kultusministeriums belegten, daß Hegemann sich um einen Lehrauftrag für Städtebau bemühte, was noch vor einer von ihm stets reklamierten politischen Ablehnung an seiner eigenen Unzuverlässigkeit scheiterte. Die folgende Vortragsreise nach Südamerika war aus Eigenberichten zu erschließen, strukturell eine Neuauflage der Konstellationen von 1913, die Hegemanns Vertrauen in ein ideologieresistentes Bürgertum bestärkte. Die folgenden öffentlichen Abmahnungen Gottfried Benns, und erheblich später, Paul Schmitthenners, mußten in Korrespondenz mit der Forschungsliteratur erarbeitet werden, aber deren Bewertungen teils korrigieren. Die Vergleiche erschließen die Defizite republikanischer Praxis. Im Falle Schmitthenners ließ der Briefwechsel mit Schickele den politischen Temperaturabfall rekonstruieren, der zeigt, wie Peter Gays Rolle des Außenseiters sich um den Akteur schließt. Nach der Ausarbeitung einer Artikelserie zu einer ersten antifaschistischen Satire verließ Hegemann nach Angaben der Familie das Land auf Anraten seines Verlegers. Die Indizierung seiner Bücher wurde aus den publizierten Listen erarbeitet; die 1934 erfolgte Ausbürgerung konnte nach den Akten des Archivs des Auswärtigen Amts rekonstruiert werden, die Enteignung des Hauses nach der Grundbuchakte. Erinnerungen der zweiten Ehefrau, Ida Belle Hegemann, erlaubten einen Einblick in die Rettungsund Ordnungsversuche vor der Ausreise der Familie in die Schweiz, während Hegemann auf Arbeitssuche durch Europa reiste. Ein Briefkonvolut aus der Sammlung des Emergency Committee of Displaced Foreign Scholars in New York zeigte das Problem, weder als Jude noch entlassener Beamter zum Kreis der Hilfsbedürftigen zu gehören, das nur durch die Unterstützung alter Freunde im Zielland überwunden werden konnte. Der in New York erlangte Lehrauftrag ließ sich nach einem publizierten Projekt beschreiben, während Erwerbszwang und politischer Aufklärungswillen Hegemann bei offensichtlich geschwächter Gesundheit ein weiteres dreibändiges Werk zur Wohnungs- und Städtebaupolitik beginnen ließen. In einer zentralen Diskussion wurden Hegemanns individuelle wie lebensgeschichtliche Voraussetzungen und die strukturellen Bedingungen zusammengefaßt, die ihn modernen Meinungspluralismus anerkennen und fördern ließen, sowie die Stadien und Bedeutung dieser erfolgreichen, wenn auch durch Kompensationswünsche beeinträchtigten Transformation von dem universellen und monopolistischen Interpretationsanspruch des Bildungsbürgers zu der spezialisierten Mitsprache des in der öffentlichen Deutungskonkurrenz berechtigten wie geforderten Kulturvermittlers, der Transformation zu „Profession: Bildungsbürger".

17

2 Familie

Werner Hegemann wurde am 15. Juni 1881 als jüngster Sohn von Ottmar und Elise Hegemann, geborene Vorster, in Mannheim geboren. Die Ehe seiner Eltern wurde 1868 in Köln geschlossen und um 1896 geschieden. Aus ihr gingen zehn Kinder hervor, von denen nur sieben das Erwachsenenalter erreichten. Die komplizierte Familiengeschichte wird im folgenden der sozialhistorischen Entwicklung zugeordnet.

2.1 Vater Ottmar Hegemann (1838-1900) war der einzige Sohn eines ausgezeichneten preußischen Pfarrers (Superintendent Hegemann in St. Goar a. Rh.)1, Friedrich Hegemann (18081888), aus einer westfälischen Bauernfamilie, und seiner Ehefrau Amalia Wasum 2 . Sein Vater, mit vollem Namen Johann Dietrich Friedrich Ludolf Hegemann, wurde am 6. Oktober 1808 in Allen bei Hamm an der Lippe als Sohn des Landwirts Otmar Hegemann und dessen Frau Maria Katharina Nüsken geboren 3 . Wahrscheinlich nicht deren ältester Sohn, schlug er eine theologische Laufbahn ein. Nach seiner Ausbildung erhielt er 1835 die zweite (unierte) Pfarrstelle in Winningen, Kreisgemeinde Koblenz und wurde 1837 nach St. Goar versetzt - eine der ältesten Gemeinden im Rheinland, deren Geschichte er später verfaßte auf eine Pfarrstelle, die er bis zu seinem Tod am 7. April 1888 innehatte 4 . 1 Elise Hegemann-Vorster, Was ist Geisteskrankheit? Was ist Irrenanstaltsbedürftigkeit? Was ist Wahrheit? Selbsterlebtes in 7 deutschen Irrenanstalten, o.O. o.J. [1900], S. 11; auch Eugen Bilfinger, Geleitswort. In: Elise Hegemann-Vorster, Irrenhaustragödie in der Anstalt Waldau bei Bern (Schweiz). Nebst Geleitswort von Dr. med. Bilfinger, Königl. Sanitätsrat, Leipzig o.J. [1901], S. 1-8, S. 1: eines vortrefflichen Superintendenten aus der Rheinegend [sie]. 2 Klaus Kratzsch, Werner Hegemann. In: Neue Deutsche Biographie. Hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften [NDB], Bd. 1 ff., Berlin 1953 ff., Bd. 8 [1969], S. 224 f. 3 Albert Rosenkranz, Das evangelische Rheinland. Ein rheinisches Gemeinde- und Pfarrerbuch, i.A. der Evangelischen Kirche im Rheinland hrsg. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 7), Bd. 1.2., Düsseldorf 1956-1958, Bd. 2, S. 195, 245. Kirchenbuch Bacharach (luther.), Kb.-Nr. 126/4, S. 69, Nr. 6 und S. 44 f., Nr. 6. Schreiben von Pfarrer Rolf Finkentey, Evangelische Archivstelle Koblenz, Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, 14. Dezember 1991. 4 Rosenkranz, Rheinland ..., Bd. 1, S. 330 f., 338-340, 355. Die „Chronik und Geschichte der Gemeinde 1732-1928 enthält bes. Geschichte von St. Goar v. Pfr. Hegemann" liegt nach Mitteilung Pfarrer Finkenteys im Archiv der Kirchengemeinde noch vor. Hegemann erhielt im September 1877 den RotenAdler Orden IV. Klasse. Schreiben von Frau Grosche, 7. April 1991, Landeshauptarchiv Karlsruhe.

2.1 Beruf

Schon 1836 hatte er die siebenundzwanzigjährige Tochter des verstorbenen Königlichen Posthalters Franz Christian Wasum und dessen Frau Anna Maria Elisabeth Jaith, Amalia Henrietta Wasum geheiratet. Ihr erstes Kind wurde am 28. Februar 1838 geboren und vom Vater auf den Namen Friedrich Ottmar getauft; nach sieben Jahren kam eine Tochter zur Welt5. Mit achtundvierzig Jahren wurde Friedrich Hegemann Superintendent des Kirchenkreises, von 1860 bis 1866 von einem Koblenzer Pfarrer abgelöst, nach dessen Tod er das Amt erneut übernahm und ebenfalls bis zu seinem Tode behielt. Er erlag mit 79 Jahren einem Herzschlag. Werner Hegemann selbst konnte daher sowohl 1926 behaupten: Ich stamme mütterlicher- und väterlicherseits von westfälischen Bauern-, wie 1928, nachdem er den „Geretteten Christus" diesem Großvater und dem verstorbenen Bruder, der Pfarrer in Laibach war, gewidmet hatte, er stamme aus einer Familie von Geistlichen6. Ottmar Hegemann (Bild 1) wählte als Sohn eines Pfarrers und Superintendenten dennoch einen bürgerlichen Beruf. Er zog im Oktober 1863 in Mannheim zu und wurde als Techniker bezeichnet7. Nach seiner Ausbildung befand der Fünfundzwanzigjährige sich offenbar auf einer Wanderschaft, um bei verschiedenen Arbeitgebern zu lernen, wobei er mit dieser Region einen prosperierenden Wirtschaftsraum aussuchte. Die vage Bezeichnung des Gewerbes gibt dabei nur die handwerkliche statt kaufmännischer Orientierung vor. Die Wanderschaft bestätigt ein Antrag Ottmar Hegemanns von 1864 auf einen Reisepaß, den auszustellen der zuständige Beamte zunächst abriet, weil ihm der Bittsteller „von sehr jugendlicher Art" schien, der sich damit hiesigen Verbindlichkeiten und dem Militärdienst entziehen könne, ferner einen schon ausgestellten Paß verloren habe 8 . Die Grosherzoglich Badische Regierung des Unterrheinkreises erachtete diese Bedenken nicht für erheblich - was scherte es die Badenser, wenn der preußische Militärdienst nicht geleistet wäre? - und befürwortete am 29. Juli 1864 die Ausstellung des Passes9, den Hegemann am 1. August erhielt. Von Mannheim ging er auf weitere Wanderschaft, die Interesse an der chemischen Industrie nachweist. Mehrfache unselbständige Tätigkeit in verschiedenen Betrieben verweist als typisches Kennzeichen späterer Unternehmer des 19. Jahrhunderts auf gezielte Wissensakkumulation. Bei seiner Rückkehr 1868 gab Hegemann Staßfurt bei Magdeburg als letzten Wohnort 5

Kirchenbuch St. Goar, Kb.-Nr. 149/5, S. 65 (1838) und Kb.-Nr. 149/6, Nr. 11 (1845). F2 690 und A 16; ; C 49. 7 Außerdem als ledig und preußischer Unterthan, der zur Untermiete in Rosenstadt bei Böhlitz wohnte; Fremdenblatt des Grosherzoglichen Stadtamts Mannheim Ottmar Hegemann, 7. November 1868 und Familienbogen Ottmar Hegemann, Stadtarchiv Mannheim, Mannheim. 8 Beschluß [des Stadtamts Mannheim] Die Bitte des Ottmar Hegemann von St. Goar um Ertheilung eines Reisepasses betr., 28. Juli 1864, No. 15419, Stadtarchiv Mannheim, Mannheim. Die zitierte Bewertung im Original wieder ausgestrichen; verschärfend wirkte, daß Hegemann sich nicht zum Verlust des vorigen Dokuments äußern konnte. 9 Beschluß der Grosherzoglich Badischen Regierung des Unterrheinkreises Die Bitte des Ottmar Hegemann von St. Goar um Ertheilung eines Reisepasses betr., 29. Juli 1864, No. 15541, Stadtarchiv Mannheim, Mannheim. 6

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2.1 Heiratsverhalten

an 10 . Mit Staßfurt, das in diesem Jahrzehnt einen Wachstumsboom der chemischen Industrie durch die Kalidünger erfuhr 1 1 , wählte Hegemann erneut einen prosperierenden Wirtschaftsraum, in dem es zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten wie Weiterbildungspotential gab. Das bietet genauere Hinweise auf seine Ziele, nämlich Kenntnisse über neu entdeckte chemische Prozesse und Produktionsweisen zu sammeln. Mit der Einübung disziplinierter Weltarbeit, Erfahren des individuell veränderbaren Lebenslaufes, Gestaltungswillen und Herrschaftsdrang sowie Erweiterung der technischen und kaufmännischen Kompetenzen und Aneignung von wirtschaftlichen Urteilskriterien erwächst hier der bürgerliche Typus des Selbständigen. Bereits vorher war Ottmar Hegemann in der Chemischen Fabrik Grüneberg und Vorster in Köln-Kalk beschäftigt, wo er seine spätere Ehefrau kennenlernte 12 . Mit oder ohne technische Schulbildung mehrere Jahre in Werkmeister- oder leitenden unselbständigen Positionen praktisch oder fachspezifisch gearbeitet zu haben, entsprach dabei dem Typus des Techniker-Unternehmers 13 . Mit der anschließenden Wanderung zwecks weiterer Spezialisierung in diesem Sektor konnte Ottmar Hegemann diese mögliche Karriere durchaus vorbereiten. In Köln konnte Hegemann kaum als kleiner Angestellter beschäftigt gewesen sein, wenn er die Chance erhielt, die Tochter seines Arbeitgebers und Firmengründers Julius Vorster (1809-1876) kennenzulernen, die sich schwerlich in der Produktion aufhielt. Eine hochrangige Anstellung entspräche einer gezielten Vorbereitung eigener Selbständigkeit. Für Bayern ist unter den Unternehmern das durchschnittliche Heiratsalter von 28 Jahren verzeichnet worden, welchem Ottmar Hegemann entspricht 14 . Die Heirat folgt der Trainingsphase unmittelbar, wobei die Mitgift Gründungskapital und Impetus wird. Die soziale Bindung an das Herkunftsmilieu und die zunächst ökonomische Emanzipation von ihm waren demnach miteinander verflochten. Die sozialen Kontakte der Trainingsphase bestimmten diese Entscheidungen, die weniger auf 'hochheiraten' verwiesen denn als Bemühen um ein solides Fundament der Lebensplanung erschienen15. 10 Familienbogen ..., Bl. 1. Schreiben von Herrn Plan, Landratsamt Staßfurt, Dezernat III, vom 26.2.1991, nach dem weder im Stadt- und Kreisarchiv noch in der Urkundenstelle Staßfurt Daten zu einem Aufenthalt Hegemanns vorhanden sind. An- und Nachfrage bei der Kirchengemeinde blieben ohne Antwort. 11 Geschichte Sachsen-Anhalts. Hrsg. vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V., Red. Gerlinde Schwenker u.a., Bd. 1-3, Berlin-München 1993-1994, Bd. 2, S. 151. 12 Eugen Bilfinger, Zur Orientirung über den Fall der Frau Hegemann. In: Elise Hegemann-Vorster, Im Lichte der Öffentlichkeit, mein angeblich "unheilbarer Irrsinn". Nebst orientirender Einleitung von Dr. med. Eugen Bilfinger, Königl. Sanitätsrat, Leipzig o.J. [1901]. S. 1-10, S. 4. 13 Jürgen Kocka, Unternehmer in der deutschen Industrialisierung. Göttingen 1975, S. 50 f., S. 64: Von 400 untersuchten rheinisch-westfälischen Unternehmern entsprach die Mehrheit von 212 dem technischen Empiriker. 14 Bei Kocka, Unternehmer ..., S. 68, erscheint die Heiratspolitik erst als Sicherungsmaßnahme der Erfolgreichen. Als differenzierte Folie für ein Sozialprofil steht die Arbeit von Dirk Schumann, Bayerns Unternehmer in Gesellschaft und Staat, 1834-1914. Fallstudien zu Herkunft und Familie, politischer Partizipation und staatlichen Auszeichnungen (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 98), Göttingen 1992, zur Verfügung. 15 Schumann, Bayerns Unternehmer ..., S. 192 f.

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2.1

Branchenwechsel

Als Schwiegersohn empfahl sich Ottmar Hegemann der renommierten Industriellenfamilie zum einen als Pfarrerssohn 16 . Wichtiger waren aber wohl persönlich bewiesene Fähigkeiten. Die technische Intelligenz erfuhr als Verbindung von naturwissenschaftlichem und technischem mit Gewerbewissen eine Aufwertung, die mit der nationalen Fortschrittspropaganda verknüpft war. Das Ansehen individueller Leistung und die Anerkennung für ein individuell bestimmtes Schicksal als Aufstieg wuchsen 17 . War der Beginn der Selbständigkeit nicht stigmatisiert, wird andererseits Ottmar Hegemanns Aufstieg zum Unternehmer Voraussetzung für eine Zustimmung zur Heirat gewesen sein 18 . Die Möglichkeit, ökonomischen Erfolg durch conspicuous consumption (Thorstein Veblen) zu demonstrieren, gehörte zu der Geschichte bürgerlicher Manufacturiers 19 und bildete ein Gegengewicht zum möglicherweise zunächst merklich, aber als begrenzt empfundenen sozialen Abstieg der Tochter. Darin kann die Absicht, das Erwerbsleben zugunsten des Privatiers aufzugeben, bereits angelegt sein und wäre nicht erst aus den späteren, die Berufsausübung erschwerenden Faktoren erwachsen. Als Motive der Unternehmensgründung gelten sichtliche Markt- und Profitchancen sowie die Beurteilung einer ökonomisch-sozialen Situation als drängend und veränderlich; zudem Selbständigkeitsstreben, Gestaltungsdrang, Herrschaftswunsch, die, wie hier unterstellt, schon der Abkehr von einer kirchlichen Laufbahn zugunsten eines bürgerlichen Berufs unterlagen. Dabei sichert die asketisch disziplinierte Weltarbeit mit einer ethisch-religiösen Überhöhung des Arbeitsbegriffs Tugenden, die dem ökonomischen Erfolg objektiv günstig sind 20 . Ottmar Hegemann gründete eine Spiegel und Goldleistenfabrik21 und ließ sich bei der Rückkehr nach Mannheim nach seiner Hochzeit als „Fabrikant" eintragen 22 . Nach Erwartung der Schwiegereltern und deren Kapitalbereitstellung, nach eigenem Unternehmensdrang und der Sicherung eines Anfangskapitals durch die Eheschließung wurde Ottmar Hegemann Unternehmer. Selbständigkeit wie die Wahl des Produktionsbereiches signalisieren mit dem Wechsel von der Grundstoffindustrie zum Luxusgewerbe das Bestreben einer seigneurialen oder white-collar Tätigkeit 23 , mit der ein sozialer Ausgleich zwischen Herkunfts- und erheiratetem Status erfolgt. 16 Schumann, Bayerns Unternehmer ..., S. 151, stellte für Bayern fest, daß die Pfarrer unter den Unternehmervätern nicht so selten sind - 2,5 % von 160 Fällen im Geburtsjahr 1831-1850 - wie Lohnempfänger, Beamte, Gutsbesitzer - je 1,3 % - , jedoch seltener als Freiberufler und Bauern - je 3,1 %. Die Selbstrekrutierungsrate liegt jedoch über 50 %. 17 Kocka, Unternehmer ..., S. 39 f. 18 Schumann, Bayerns Unternehmer ..., S. 195 f., 201, fand eine sich nach 1871 deutlich festigende Absicht, beim Konnubium der Töchter den Status der Familie zu manifestieren. 19 Kocka, Unternehmer ..., S. 41. 20 Kocka, Unternehmer ..., S. 36-38, 57 f. 21 Hegemann-Vorster, Irrenhaustragödie ..., S. 44; Bilderrahmenfabrikant bei Kratzsch nach den Angaben von Hegemanns erster Ehefrau, Alice von Pechmann, und Mannheimer Adressbuch 1891, S. 286; auch Schreiben von Herrn Berger, Stadtarchiv Mannheim, vom 29. Januar 1991 und 8. Februar 1991. 22 Familienbogen ..., Bl. 1. 23 Eindeutige ökonomische Bedingungen wie Nachfrage, höhere Kapitalintensität von Grundstoffproduktionen u.a.m. können dies entscheidender bestimmt haben.

22

2.1

Produktionstypus

Bei der Meldung des Ehepaares in Mannheim am 7. November 1868 gibt das Paar als Wohnung das Haus S II No. 2 24 an, so daß die Zeit zwischen Hochzeit im Mai und Umzug zur standesgemäßen Etablierung genutzt werden konnte. Die Fabrik befand sich im Haus Ο 3 No. 1. Über das Unternehmen des nunmehrigen Fabrikanten Hegemann konnte bisher nicht viel in Erfahrung gebracht werden 25 . Der Standort Mannheim war wiederum gut gewählt, da ein expandierender Handel seit den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts ihn zum Umschlagplatz der Holzindustrie machte, wobei die Holzveredelung seit 1854 zunahm und 1864 bereits 13 Betriebe mit einem seit 1882 erneut verstärkten Wachstum aufwies 26 . Die Lage in der Mannheimer Innenstadt und das Fehlen eines Prokuristen noch 1891 lassen ein kleines Unternehmen des Manufakturtypus vermuten. Das besagt jedoch nichts über die Wirtschaftskraft eines solchen Unternehmens in der Gründerzeit, wo der Verzierungen am Mobiliar kaum genug sein konnten. Die Wahl der Branche erfolgte also im Kontext von Ausbildung und Sozialmilieu. Ottmar Hegemann hatte den Standort bereits vorher ausgesucht. Die Chance zur Betriebsgründung eröffnet jedoch erst das von seiner Ehefrau mitgebrachte Kapital. Dieser Umstand beeinflußt die Wahl entscheidend, weil es deshalb einen Status zu erwirtschaften gilt, der ihrer Herkunft und seinen Wünschen gemäß ist. Statt des in der Fortbildung erkennbaren Schwerpunktes fällt die Wahl, bestimmt außerdem von Kapitalmenge und Investitionspotential, auf ein Luxusgewerbe und damit einen anderen Produktionstypus. Mit dem Typus der Manufaktur übernahm der Gründer die unmittelbare Kontrolle der Produktion und stellte den Kapitalisten, Unternehmer und Manager in einer Person, der die Beschaffung von Kapital, Rohstoffen, die Arbeitsorganisation und Produktion leitete 27 . Für die Ubergangszeit des zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts, in der das Arbeitsleben innovationsbereiter Handwerker und Techniker mit der Tätigkeit des einzelnen Selbständigen beginnen und als Inhaber kleiner bis mittlerer Firmen enden konnte, fehlt ein Begriff für die Gründer dieser Kleinbetriebe 28 . Der Betriebstyp steht zwischen Manufaktur und Fabrik, bei dem der Ubergang durch technische Innovation und das Prinzip der Marktbeschickung entsteht. „Unternehmerisch" tätig sind die Gründer im Experiment mit technischen Innovationen in Verbindung mit der Kapitalbeschaffung, Personal- und Produktionskontrolle. Buchführung und Personalpolitik gelten dabei als essentielle und effizienzbestimmende Faktoren, jedoch auch als Risikofaktoren 29 . 24 Fremdenblatt des Stadtamtes Mannheim ..., „Buchstabe und Nummer des Hauses"; im Familienbogen als „S 2.2". 25 Weder bei der Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar in Mannheim noch dem Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart ließen sich nachgelassene Unterlagen ermitteln. 26 Günther Wybrecht, Die strukturellen Veränderungen der Mannheimer Wirtschaft von 1830-1914. Dissertation (MS) Freiburg 1957, S. 146-152. 27 Kocka, Unternehmer ..., S. 22 f., 27-34 behandelt den Typus nur für das 18. Jahrhundert. 28 Anne J. MacLachlan, Der Übergang vom Handwerker zum Unternehmer in Mainz 1830-1860. In: Ulrich Engelhardt (Hrsg.), Handwerker in der Industrialisierung. Lage, Kultur und Politik vom frühen 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert (Industrielle Welt 37), Stuttgart 1984, S. 146-164, S. 149 und 150 f. 29 Siehe dazu auch: Richard Tilly, Unternehmermoral und -verhalten im 19. Jahrhundert. Indizien

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2.1 Prosperität

Als Schwerpunkt der Produktion dieser Fabrik muß die Weiterverarbeitung von vorgefertigten, halbfertigen Rohlingen oder Halbzeugen als Materialveredlung und Montage zum Endprodukt angenommen werden. Die Arbeitsgänge zur Veredlung der Rohprodukte bestanden in Schleifen, Polieren, Belegen, Schneiden, Facettieren der Spiegel, ähnlich für Leisten und Rahmen 30 . Definitorisch bleibt der Betriebstyp unscharf. Die Urproduktion kann ausgeschlossen werden; ob jedoch in individueller Handarbeit, in der Werkzeuge und Maschinen nur in Ergänzung angewendet werden, oder bereits arbeitsteilig, mit geringem Maschineneinsatz, oder in arbeitsteiliger Kooperation mit Arbeitsmaschineneinsatz produziert wurde, bleibt unklar. Vor allem wird sich dieser Typus im Laufe des Bestehens des Unternehmens gewandelt haben. Diese Tätigkeiten fallen jedoch in ihren Arbeitsprofilen, seien sie handwerklich oder maschinenorientiert, aus den Kompetenzen Ottmar Hegemanns. Seine Berufsausübung war die der leitenden Funktionen des „Manufacturiers" bzw. des „Fabrikanten". Es boten sich also gute Anfangsgrößen an, eine ausbaufähige manufakturielle Produktion, die sich auf Veredelung von Halbzeugen beschränkt, mithin schnellen Umsatz ermöglicht und die Risikofaktoren gering hält, zudem eine „seigneuriale" Berufsausübung des „Fabrikanten" sichert. Weiterhin bieten sich sowohl bezüglich des Standorts wie der allgemeinen Wirtschaftslage infolge der steigenden Prosperität gute Profitchancen. Ottmar Hegemann nimmt am allgemeinen Aufschwung von Stadt und Region erfolgreich teil. Ein einzig vergleichbarer Gewerbestand, die Vergolder, erschienen in einer frühen Zählung in Württemberg mit dem zweithöchsten Gewerbesteueransatz31. Innerhalb der allgemein steigenden Prosperität der Zeit - in Baden wuchs das fixe Kapital von 1860 bis 1875 um 75 %, in Mannheim die Bevölkerung von 1880 bis 1900 auf das Dreifache32 und dem mitwachsenden Repräsentationsbedürfnis des Publikums bot das Luxusgewerbe um so bessere Profitchancen. Dem standen aber Preissteigerungen und Wachstum der Lebenshaltungskosten zwischen 1866 und 1873 bis zu 50% gegenüber. Auch die Wahl des Standorts glückte Hegemann, denn Mannheim erhielt durch Anschluß an die Bahnverbindungen von Frankreich nach Südosteuropa Impulse, die es bis 1870 zur größten und industriell bedeutendsten Stadt Badens werden ließen33. Seit Beginn der deutscher Bürgerlichkeit, in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, Bd. 1-3, München 1988, Bd. 2, S. 35-64, S. 51 ff. 30 Für den Produktionsbereich steht eine Einzeluntersuchung zur Verfügung, die aber das 18. Jahrhundert behandelt, jedoch einen Begriff der Veredelung geben kann: Gabriele Wohlauf, Die Spiegelglasmanufaktur Grünenplan im 18. Jahrhundert. Eine Studie zu ihrer Betriebstechnologie und Arbeiterschaft, Hamburg 1981, S. 70-79, 153-157, 219-251. Grünenplan stellte Rohgläser selbst her; Wohlauf stellt ein Wachstum der Rohglasproduktion und aufkaufender Veredlungswerkstätten fest; produktionsbedingte regionale Unterschiede ermöglichen jedoch keine generalisierende Aussage. 31 Helmut Sedatis, Liberalismus und Handwerk in Südwestdeutschland. Wirtschafts- und Gesellschafts-Konzeptionen des Liberalismus und die Krise des Handwerks im 19. Jahrhundert (Geschichte und Theorie der Politik 4), Stuttgart 1979, S. 125 für 1835/36 mit 14 Meistern und 10 Gehilfen; siehe S. 119-184 zur Entwicklung des gewerblichen Mittelstands zur differenzierten Zwischenschicht. 32 Jürgen Reulecke, Bildungsbürgertum und Kommunalpolitik im 19. Jahrhundert. In: Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum ..., S. 122-145, S. 139; s.a. Wybrecht, Mannheim ..., S. 97. 33 Sedatis, Liberalismus und Handwerk ..., S. 173 f., 159-161; s.a. Wybrecht, Mannheim ..., S. 89-94

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2.2 Familie

Gewerbefreiheit 1862 wuchs die Zahl der Gewerbetreibenden überproportional zu der der Bevölkerung. Der Anteil der Kleinbetriebe mit 1-5 Gehilfen am sekundären Sektor lag bei 34% - unter denen Hegemann mindestens anfing, wenn nicht blieb. Der frühen Krisenwirkung der räumlichen Polarisierung war er durch direkte Ansiedlung im industriellen Zentrum zuvorgekommen, die verzögert einsetzenden Folgen des „Gründerkrachs", die die Verdrängung stärkten, scheint er überstanden zu haben. Die Verteilung im sekundären Sektor Badens Mitte der 70er Jahre weist ihn - so steht zu vermuten als Gewinner der Differenzierung des Mittelstands aus: 1, 5% sind Kapitaleigner, 14% Lohnarbeit nutzender Mittelstand. Ottmar Hegemann gehörte somit bereits wenige Jahre nach seiner Unternehmensgründung zum oberen Sechstel34 und baute diese Stellung möglicherweise noch aus. Im Vergleich mit den bayerischen Unternehmern - die Hälfte der Industriellen hinterließ bei ihrem Tod weniger als 500.000 Mark 35 - gehörte Ottmar Hegemann zu den erfolgreichsten Unternehmern. Wenn auch die spätere Nachrede seiner Ehefrau, daß Hegemann als Millionär starb, zweckmäßig übertrieben scheint, wurde doch von seinem Schwiegersohn das nachgelassene Vermögen auf 650.000 Mark geschätzt 36 .

2.2 Mutter Elise Vorster (1846-1911) war das zweite von sechs Kindern und älteste Tochter (Bild 2, wohl mit einer jüngeren Schwester) aus der 1844 geschlossenen Ehe zwischen Friedrich Julius Vorster (1809-1876) und Anna Wilhelmine Röhrig (18 1 8-1883) 37 , aus einer evangelischen, hochangesehenen, tief religiös gesinnten Fabrikantenfamilie in Köln3B. Julius Vorster entstammte einer Familie von Papierfabrikanten im Hagener Raum. Er begründete 1857 die Chemischen Werke Vorster und Grüneberg, die vorrangig Kunstdünger und Ammoniak produzierten 39 . Seine Ehefrau kam aus einer streng reformierten Wuppertaler Pfarrersfamilie, offenbar ebenfalls wohlhabend 40 . Der älteste Bruder Johann Friedrich Julius Vorster (1845-1932) trat nach einer kaufmännischen Ausbildung in der Schweiz, Holland und England 1867 in die Fabrik des Vaters ein - wie auch sein Neffe Friedrich noch in Nachfolge des jüngeren Bruders Friedrich Wilhelm - , und wurde 1898 freikonservatives Mitglied des Preußischen AbZunahme der Gewerbebetriebe. 34 Sedatis, Liberalismus und Handwerk ..., S. 183 f. 35 Der mittlere Gesamtnachlaßwert lag bei 540.400 Mark, der durchschnittliche bei 1,3 Millionen Mark. Die innere Differenzierung verdankt sich dem Drittel sehr erfolgreicher Unternehmer, der Hälfte der Handelsunternehmer, die gegenüber den Industriellen als Millionäre starben; Schumann, Bayerns Unternehmer ..., S. 218-230, 218. 36 Nachlaßakte Ottmar Hegemann, Amtsgericht Wiesbaden 41 V 124/1900, Bl. 10. 37 Stamm Julius Vorster d.Ä. - Röhrig. Zweig Hegemann, MS, 1968, im Besitz von Frau Ingeborg Vorster, Köln und Dr. Otto Krauß, Starnberg. 38 Bilfinger, Geleitswort ..., S. 1. 39 Schreiben von Inge Vorster, Köln, 8. Februar 1991. 40 Nach einer Bettelanzeige, die Hegemann-Vorster im Juni 1900 öffentlich an vier Brüder ihrer Mutter richtete und um einen Betrag aus der Röhrig'schen Familienstiftung bat, weil die ihr Vermögen verwaltenden Brüder ihr kein Geld zukommen ließen; Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. [251].

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2.2 Verwandtschaft

geordnetenhauses. Werner Hegemann war später aufgrund seiner historisch-politischen Werke im Hause Vorster nicht wohlgelitten, wohl aber im Hause eines anderen Onkels. Die jüngste Schwester Maria41 verheiratete sich 1889 mit dem Berliner Architekten Otto March (Bild 4); dem jüngsten Sohn des Berliner Tonwarenfabrikanten Ernst March und seiner Frau Sophie42. Diese Verbindung wurde wohl durch die 1886 geschlossene Ehe zwischen seinem Neffen Albert und Helene Grüneberg, Tochter von Hermann Julius Grüneberg, des Mitbegründers der Chemischen Fabrik Köln-Kalk, befördert 43 . Werner Hegemann behauptete später gerne, daß es Julius Vorster gewesen sei, der seinen Schwager Otto March zum Studium des Wohnhauses nach England geschickt habe 44 . Zunächst aber trug die Familie Vorster, die sich traditionell in kirchlicher Arbeit engagierte und auch für den Kirchenbau spendete, zu Marchs rheinisch-kölnischen Kirchenbauten in Marienburg, Holweide und Obercassel bei45. March baute ein Landhaus Dr. Grüneberg und schließlich 1908 das Wohnhaus Julius Vorster in Obercassel bei Bonn46. Trotz Öffnung im 19. Jahrhundert zeigt sich im Bürgertum eine anhaltende Tendenz zur Milieugleichheit präsumtiver Ehepartner 47 . Für die Heiratsabsicht von Elise Vorster und 41

Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 222 erwähnt die Brüder Fritz und Julius, S. 225 die jüngste Schwester „Ria" (Maria). 42 Birgit Jochens/Doris Hünert (Hrsg.), Von Tonwaren zum Olympiastadion. Die Berliner Familie March, Eine Erfolgsstory, Berlin 2000, S. 81 ff, S. 83, S. 156-159. 43 Albert, Sohn des ältesten Bruders Paul, übernahm 1899 die Tonwarenfirma, die seit 1865 vom Vater gemeinsam mit dessen Bruder Emil geführt worden war. Jochens/Hünert (Hrsg.), Tonwaren ..., S. 68 f. 44 Überwindung (1924) 246; vgl. Wohnhaus (1932) 560. Seine Datierung auf die achtziger Jahre müßte einen anderen Auftrag meinen und soll vor allem March als Avantgardisten zeichnen. 45 Schreiben Inge Vorster, 14. Mai 1995. Im ersten Werkverzeichnis Otto Marchs, das Jochens/Hünert (Hrsg.), Tonwaren ..., S. 169-182, vorgelegt haben, finden sich nur Köln-Marienburg (1903) und KölnBayenthal (1905). 46 Richard Wrede/Hans von Reinfels (Hrsg.), Das geistige Berlin. Eine Encyklopädie des geistigen Lebens Berlins, Bd. 1 und 3, Berlin 1897-1898, Nachdruck Leipzig 1955, Bd. 1, S. 323 f. Das Modell stellte March später dem Wandermuseum zur Verfügung; Katalog des Wandermuseums Städtebau, Siedelungs- und Wohnungswesen. Hrsg. von Gustav Langen, Leipzig 1914, S. 169. Schreiben von Inge Vorster, Köln, 24. Januar, 8. Februar und 14. Mai 1991. - Vgl. Jochens/Hünert (Hrsg.), Tonwaren ..., S. 171 f., 174: ein früheres Landhaus, Vorster 1907 und vier weitere undatierte Wohnhäuser in Köln, darunter Grüneberg und Landhaus für Fritz Vorster; beide wohl vor 1903. Die „Berliner Architekturwelt" aber gibt als Landhaus Vorster ein 'englisches' Haus in Köln-Marienburg wieder, während das von Inge Vorster zur Verfügung gestellte Bild - auch bei Jochens/Hünert - ein Landhaus zeigt, das eher eines wie Marchs 1898 erbautes eigenes, laut Hegemann, ein „deutsches Renaissance"-Eigenhaus ..., auf das er später nicht mehr stolz war, ist. Uberwindung (1924) 246. 47 Karin Hausen, „... eine Ulme für das schwankende Efeu". Ehepaare im deutschen Bildungsbürgertum, Ideale und Wirklichkeiten im späten 18. und 19. Jahrhundert, in: Ute Frevert (Hrsg.), Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 77), Göttingen 1988, S. 85-117, hier S. 93-95. Die Analyse auf der Basis von 50 Autobiographien bietet Strukturelemente, die als Leitfaden genutzt werden; s.a. Ute Frevert, Bürgerliche Familie und Geschlechterrollen: Modell und Wirklichkeit. In: Bürgerliche Gesellschaft in Deutschland. Historische Einblicke, Fragen, Perspektiven, Mit Beiträgen von Lutz Niethammer u.a., Frankfurt a.M. 1990, S. 9098, mit Gewicht auf dem Wandel während des Jahrhunderts; ferner: Christa Berg, Familie, Kindheit, Jugend. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. IV, 1870-1918, Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Hrsg. von Christa Berg, München 1991, S. 91-145, bes. 100-105. 26

2.2

Heiratsbedingungen

Ottmar Hegemann gilt diese Vergleichbarkeit zunächst nicht. Die Industriellentochter und der Pfarrerssohn, der sich in technischen Berufen profiliert, aber nicht selbständig gemacht hat, sind zwar noch kompatibel, jedoch soweit differierend, daß sich die Frage nach sekundären Absichten stellt. Die Programmatik einer Neigungsheirat galt potentiell für beide Seiten nur beschränkt. Für die Frauen bedeutete steigendes Alter eine Chancenverringerung, während für Männer eine mindere berufliche Position ähnliche Wirkung hatte. Für Elise Vorster kann bei einem Verlobungsalter von 21 Jahren diese Befürchtung bereits zutreffen. Sie hatte, statt wie üblich auf das Urteil der Eltern angewiesen zu sein, wahrscheinlich mindestens die Möglichkeit gehabt, den Bewerber durch dessen Arbeit beim Vater flüchtig zu kennen. Für Ottmar Hegemann stellte sich dieses Problem anders. Da er, wie verbreitet, den Vorteil der Beobachtung und Erwägung der präsumtiven Ehefrau gehabt hatte, sein Alter von 29 Jahren und Bildungsgang unter dem Versorgungsaspekt mindestens Seriosität boten, konnte er bei einem Antrag Liebesprogrammatik mit Erheiratung von Vermögen verbinden. Während die typischen Kennzeichen der Altersdifferenz (von acht Jahren) und kurzer (weniger als ein Jahr) Verlobungszeit zutreffen, wurde eine weitergehende Milieugleichheit erst durch die Heirat erzeugt. Durch Bewirtschaftung des von der Ehefrau eingebrachten Vermögens wird die unternehmerische Selbstständigkeit entweder erst ermöglicht oder entscheidend erleichtert. Das Ungleichgewicht der Beiträge zum Ehestand spiegelt sich in den späteren Wertungen des Arztes der Ehefrau als ein seit Beginn störender und möglicherweise gezielt geltend gemachter Einfluß. Wenn dieses Ungleichgewicht von solchem Gewicht war, ist eine als unzureichend empfundene und beurteilte Erfüllung der damit verbundenen Erwartungen zu vermuten. Schon während der Verlobungszeit entstand eine gewisse Dissonanz, indem, der Bräutigam eine grössere Mitgift, als ihm sein künftiger Schwiegervater augenblicklich zur Verfügung stellen konnte, gefordert hatte.46 Nach der später bei der Scheidung ausge48 Bilfinger, Geleitswort ..., S. 1. Bilfinger, „Naturheilarzt" und nach eigener Darstellung an der „Irrenreform" interessiert, hatte mit Elise Hegemann-Vorster nach der Lektüre ihrer ersten Broschüre Kontakt aufgenommen, um dann zu den drei weiteren Einleitungen zu verfassen. Er ist gewiß parteilicher Berichterstatter, dessen Maß an Parteilichkeit eine unbekannte Größe bleibt. Seine Darlegungen ergeben jedoch eine stringente Motivation des Geschehenen, seine Berichte sind dabei als 'objektivierter' anzusehen als die der Verfasserin selbst. - Fortsetzung der Darstellung in der fünf Tage später datierten Einführung Bilfinger, Orientirung ..., S. 7. - Damit ist deutlich, daß eine 'Wahrheitsfindung' nicht gelingen, die Sicht einer Partei jedoch eine ungefähre Dimension der Ereignisse vermitteln kann. - Vgl. zum Problem der Quellengattung betreffend der Aussagekraft der Selbstäußerungen von Anstaltspatienten die methodischen Überlegungen bei Reinhart Koselleck, Terror und Traum. Methodologische Anmerkungen zu Zeiterfahrungen im Dritten Reich, in: Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Prankfurt a.M. 1989, S. 278-299. Der Bewertung von Träumen vergleichbar, sind sie Zeugnisse unentrinnbarer Faktizität des Fiktiven (284), doch beschränkt durch ihre Existenz am äußersten Ende einer denkbaren Skala historischer Rationalisierbarkeit (283). Erheblich ist m.E. Kosellecks analytische Unterscheidung ihres Stellenwerts in diachronen genetischen Erklärungsverfahren und in synchronen deskriptiven Verfahren. Dort ermöglichen Quellen dieser Art, einen Geschehenszusammenhang unmittelbar aus seinem Vollzug selbst heraus zu erklären ...es mag

27

2.2 Status

zahlten Summe handelte es sich um eine Größenordnung von 300.000 Mark. Der Vater der Braut konnte aber zur Zeit keine so große Summe aus dem Geschäft ziehen und meinte, wenn die Verlobung deswegen aufgelöst würde, so würde sein Kredit dadurch schwer geschädigt. So opferte sich die Tochter und heiratete, teilweise natürlich auch, weil bekanntlich eine Braut nur höchst ungern der Leute wegen eine öffentliche Verlobung wieder auflöst. Forderungen wie Opferperspektive negieren eine Liebesheirat und indizieren erste Rollenkonflikte. Die Hochzeit fand im Mai 1868 statt und Elise Vorster zog zu ihrem Ehemann nach Mannheim. Ein folgender Konflikt kann in der Auslegung der Rolle der Hausfrau bestanden haben. Benötigte in der Etablierungsphase das neue Unternehmen die Einkünfte, hätte der Ehemann eine sparsame und produzierende Hauswirtschafterin erwartet 49 . Ihrer Herkunft gemäß hätte die Ehefrau sich jedoch in der Rolle der Hausherrin, delegierend und dirigistisch, gesehen und an der Beschränkung der demzufolge intendierten Statuswahrnehmung und -darstellung Anstoß genommen. Spätere Hinweise lassen mindestens die Ausgaben für Repräsentation als strittig erscheinen. Die Mutter ist als älteste Tochter des Inhabers einer chemischen Fabrik in eine angesehene und religiöse Familie geboren worden. Sie wurde musisch und literarisch gebildet und auf die Rolle einer Herrin im großbürgerlichen Hause vorbereitet. Die Ehe steht somit von Beginn an unter einer Doppelbelastung. Zum einen müssen zwei divergierende Verhaltensmodelle, die aufstrebende bürgerliche Ressourcenbewirtschaftung und eine ständische Statusverwaltung, miteinander vereinbart werden. Zum anderen beruht die familiäre Zusage zur Heirat auf einem Status, der erst durch die zugesagten Mittel erwirtschaftet werden kann. Dadurch kommt es zu ersten Konflikten, die Höhe der Mitgift betreffend. Sie desavouieren Neigungsprogrammatik und enthüllen die Mitgift als gegenseitige Bewertung der wirtschaftlichen Potentiale beider Partner und schließlich Kränkung aller Beteiligten.

2.3 Konflikte Das erste Kind wurde am 5. Februar 1869 geboren und erhielt als ältester Sohn den Namen Ottmar. Im durchschnittlichen Abstand von 15 Monaten folgten acht weitere Geburten. Zwei der Kinder vollendeten das erste Lebensjahr nicht50 und nur sechs wuchsen heran (Bild 3). Der zweite Sohn hieß Gustav Friedrich Julius (1870-1892), die älteste Tochter Clara Wilhelmine Nanny (1872-1946). Der dritte Sohn erhielt den Namen Ernst Wilhelm (1875-1957) und die jüngste Tochter wurde Paula (1882-1947) gezeigt werden, wie bestimmte Verhaltensweisen von Gruppen ... und den darin handelnden und leidenden Einzelpersonen in eine Wechselwirkung gerieten, kraft derer sich die Ereignisse so und nicht anders vollzogen haben. (298). Sie ergeben die Chance für ein Komplementär, das die zwangsläufige „Rationalisierung des Rückblicks" zu erweitern und beschränken vermag. 49 Siehe dazu die Typologie bürgerlich-städtischer Haushalte bei Margarete Freudenthal, Gestaltwandel der städtischen, bürgerlichen und proletarischen Hauswirtschaft zwischen 1760 und 1910. Hrsg. und mit einem Vorwort von Katharina Rutschky, Frankfurt a.M.-Berlin 1986, S. 95-107, bes. S. 102-105. 50 Frida Louise Wilhelmine (5. September 1871-26. März 1872) und Carl Alfred (11. Oktober 187323. September 1874); Familienbogen ..., Blatt 1 ff. - Der drittälteste Sohn wird als Kind nur einmal erwähnt. Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 198.

28

2.3

Familienplanung

genannt. Die zweite Geburtenphase begann im 35. Lebensjahr der Mutter, so daß die Risiken größer wurden, und endete offenbar mit einer Totgeburt 51 . Ihre Aussagen über den jüngsten, damals 5 Jahre alten Sohn Werner für Januar 1887 und den am 10. Oktober 1900 Neunzehnjährigen 52 korrespondieren mit dessen Geburtsdatum. Die elterliche Ehe war, so hieß es später, durch einen vollständigen Mangel an gegenseitigem Verständnis53 gekennzeichnet. Besonders bestand offenbar Meinungsverschiedenheit über die Zahl der gewünschten Kinder. Ottmar Hegemann wünschte Verhütungsmaßnahmen, die Elise Hegemann äusserst zuwider waren54. Die Ehefrau geriet damit in ein religiöses Dilemma: sie durfte ihren Mann nicht deshalb verlassen; konsequente Geburtenkontrolle jedoch nicht zulassen, weil die Verpflichtung zum Gebären sowohl Mitgift der religiösen Familie war, wie sie durch den Rollenkonflikt verstärkt wurde und zu einer befremdlichen religiösen Überhöhung führte 5 5 . Prägend war dabei die Herkunft: Meine Mutter hätte es für weniger unglückselig gefunden, wenn ich an Wochenbetten zugrunde gegangen wäre, als wenn die sogenannte „französische" Ehe bei uns durchgeführt worden wäre. Nach der Geburt von sechs Kindern erreichte der Konflikt seinen ersten Höhepunkt. Der Ehemann, nun als „brutaler Charakter" bezeichnet, wurde vom Schwiegervater enterbt und Elise Hegemann zog im Sommer 1878 nach Bonn zu ihrer Mutter 5 6 . Der zentrale und störanfällige Bereich war die Familienplanung und später die Kindererziehung 57 . Die Definition der für Elise Vorster durch Heirat zu erlangenden Veränderung ist durch „Einhegung und Aufbruch" zu charakterisieren 58 . Der Aufbruch bedeutete hier die neue Eigenständigkeit als Hausfrau und Mutter, deren Erlangung und Verwirk51 Bilfinger, Orientirung ..., S. 8; mindestens aber mit der Erkenntnis, daß ein nochmaliges Wochenbett den Tod bedeutet hätte; so Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 117; im Familienbogen nicht genannt, obwohl der noch 1885 geführt wurde. 52 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 199; Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 33. 53 Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 51: Ein Gymnasiallehrer und Frau in einem Brief vom November 1900, in dem diese den freundschaftlichen Verkehr der Jahre 1873 bis 1883 bestätigen, indessen keine Anzeichen einer geistigen Krankheit wahrgenommen zu haben angeben und die vielen und recht offenherzigen Klagen über ihren Gemahl der Elise Hegemann-Vorster auf diesen Mangel zurückführen. 54 ... er wollte die Anzahl der Kinder in wenig ästhetischer Weise beschränkt wissen; Bilfinger, Geleitswort ..., S. 2; selbes wurde fünf Tage später als Verwendung von Präservativen bezeichnet. Was den Sinneswandel bei Hegemann-Vorster, die die Einleitungen Bilfingers vermutlich autorisiert hat, von Andeutung zu Klarstellung verursacht hat, bleibt unbekannt; Bilfinger, Orientirung ..., S. 7. 55 Vgl. Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 115 f., S. 118. - 1928 sprach Hegemann von seiner pietistischen Erziehung, aus der ihm die Schriften Zinzendorfs „noch gut in Erinnerung" seien; C 60. 56 Bilfinger, Orientirung ..., S. 7. Hier fehlt der Hinweis auf den Verbleib der Kinder im Gegensatz zur späteren Ausbildung des Topos 'Beraubung' als Klage über die Trennung von den Kindern. 57 Hausen, Ehepaare ..., S. 99-102 stellt die wachsende Teilnahme der Eltern an der Kindesentwicklung heraus, deren Erziehung den Doppelcharakter von Bestätigung und Repräsentation erhält. Siehe auch Yvonne Schütze, Mutterliebe - Vaterliebe. Elternrollen in der bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts, in: Frevert (Hrsg.), Bürgerinnen ..., S. 118-133, S. 123 ff. zum späten 19. Jahrhundert an Beispielen erläutert. Vgl. Berg, Familie ..., S. 102 f. 58 Ute Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt a.M. 1986, benennt so den Abschnitt des 19. Jahrhunderts, bes. S. 104-134.

29

2.3 Rollendifferenzen

lichung zentrales Anliegen ist, während die Einhegung in einer bürgerlichen Ehe die Garantie eines Schutzraumes und ungehinderte Erfüllung dieser Aufgabe bedeutet. Auf einer zweiten Ebene zeigt sich der so benannte Zwiespalt in dem Umstand, daß Elise Vorster ihre Rolle in diesen Aufgaben äußerlich durch ihre soziale Stellung und innerlich durch Religiosität festgeschrieben sah, deren Erfüllung aber entgegen der Restriktionen schließlich einklagte. Familienplanung als Aufgabe in der Ehe kann für Elise Hegemann-Vorster völlig neu gewesen sein59. Da sie selbst aus einer großen Familie stammte 60 , könnten die nach Geschlechtern alters- und klassenübergreifend funktionierenden Uberlieferungsnetze zu diesem Wissen und seinen Mitteln 61 sie nicht erreicht haben. Die ungleiche Vorbereitung der Ehepartner auf Sexualität und ihre Praxis in der Ehe benachteiligte die Frau bei der Erwartungsbestimmung. Für Elise Hegemann-Vorster galt das in doppeltem Maße. Zum einen rührte die Existenz und Forderung nach Familienplanung essentiell an ihr Selbstverständnis als Ehefrau und Mutter, zum zweiten konfrontierte das Medium sie mit dieser ungleichen sexuellen Vorbereitung und stellte Bild und Rolle des Ehemannes in Frage. Der den Kondomen anhaftende Ruch der Prophylaxe assoziierte sie mit Geschlechtskrankheiten, Promiskuität und Prostitution, was Akzeptanz und Gebrauch im 19. Jahrhundert entscheidend beschränkte 62 . Die bei Elise Hegemann sichtbare Indigniertheit ob des Ansinnens, solche zu benutzen, läßt eine Gewichtung der Ursachen jedoch nicht zu63. Gerade die unteilbare Verquickung der Gründe ihrer Ablehnung macht das konfliktverschärfende Potential solcher essentiellen Verunsicherungen deutlich. Der Jungunternehmer erwartete also eine mitwirtschaftende bürgerliche Hausfrau, während die junge Ehefrau sich als dirigierende Hausherrin sieht. Daraus erwächst im Tabubereich der ehelichen Sexualität der sich später manifestierende Konflikt. Während der Ehemann Geburtenplanung verlangt und als Teil der Ressourcenverwaltung ansieht, 59 Hausen, Ehepaare ..., S. 97 ff. geht von einer effizienten Durchführung aufgrund der langfristigen statistischen Belege aus sowie von einem potentiell gemeinsam gefundenen und getragenen Entschluß aus. Hier fehlt es an Untersuchungen. Frevert, Frauen-Geschichte ..., S. 128-132 behandelt Sexualität, Familienplanung nicht; verweist aber auf einen bedeutenden Grundsatz: bürgerliche Frauen hatten sich unabhängig vom Erleben als sexuell desinteressiert zu präsentieren. Die Weiterungen beschränkten in diesem Falle die Möglichkeiten der Konfliktbewältigung entscheidend. 60 Nach Wissen von Ingeborg Vorster bekamen die Eltern entgegen der im Stammbaum verzeichneten fünf tatsächlich zehn Kinder, so daß hier 'Geburtenregelung' allein der Säuglingssterblichkeit übertragen wurde. 61 Angus McLaren, A History of Contraception. From Antiquity to the Present Day, Oxford 1991, p. 202 f. 62 McLaren, Contraception ..., p. 184. So auch James Woycke, Birth Control in Germany 1871-1933. London 1988, p. 39. 63 Für die hypothetische Frage, ob ihr ein speziell zum Schutz der Frau vor einer gesundheitsgefährdenden Schwangerschaft entwickeltes Mittel anzutragen, den Konflikt hätte überbrücken können, gibt es daher keine Entscheidungsgrundlage. Dennoch soll die Möglichkeit einer Entschärfung angemerkt sein. Woycke, Birth Control ..., p. 39, über das Diaphragma; s.a. McLaren, Contraception ..., p. 203: eine der ersten Anwältinnen für Geburtenkontrolle teilte die negativen Assoziationen zu Kondomen.

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2.3 Anstaltskarriere

verweigert die Ehefrau sie vollständig und betrachtet die Kinderzahl als Statusbeweis. Aus diesem Konflikt divergierender Verhaltensmodelle wird auf der Grundlage ihrer Vorbildung ein religiös-mythischer Komplex. Elise Hegemann bezeichnete sich später als nervöse, zu Nervenkrankheiten neigende Frau 64 . Sie hielt sich seit 10. Mai 1879 in der Erlenmeyer'sehen (Privat-) Nervenheilanstalt in Bendorf auf und beendete diesen Aufenthalt nach sechs Wochen durch eine Flucht. Vom 15. August 1879 bis 1. März 1880 befand sie sich in der preußischen Provinzialanstalt Andernach bei Geheimrat Dr. Werner Nasse. Dieser versöhnte die Ehepartner und Elise Hegemann kehrte nach Mannheim zurück, wo sie in den folgenden Jahren zwei weitere Kinder bekam. Der im Juni 1881 geborene Werner erhielt seinen Namen also vermutlich nach dem verehrten Arzt 65 . Die Ehefrau schafft sich mit einem Nervenleiden, Rückzügen zur Mutter und schließlich Aufenthalt in einer privaten Anstalt Schonräume gegen bürgerliche Anforderungen, nicht nur des Ehemannes, sondern der vier lebenden der bereits sieben geborenen Kinder. Eine Versöhnung kommt durch Vermittlung Dritter und zeitweises Nachgeben des Ehemannes zustande und eine zweite Geburtenphase beginnt. Weitere Schwangerschaft gefährdet dann das Leben der Frau. Der Unlösbarkeit des Konflikts begegnet sie mit Unzufriedenheit, offenbar zunehmenden Tabubrüchen freier Erzählungen in Gesellschaft und weiteren Rückzügen in eine Privatanstalt. Ein beliebiger Umgang mit Eintritt und Flucht aus Anstalten kulminiert in der Einweisung in eine Irrenanstalt als Beginn langjähriger Hospitalisierung. Elise Hegemann begab sich vom 22. November 1885 bis 23. Januar 1886 in eine wiederum private Nervenheilanstalt in Endenich am Rhein, geleitet von einem Sanitätsrat Oebecke66. Nach ihrer Rückkehr fühlte sie sich offenbar nicht gesundet, da sie bereit war, mit ihrem Mann einen Arzt aufzusuchen. Ihren Aussagen zufolge erhielt Ottmar Hegemann das Attest zur Einlieferung in eine badische Irrenanstalt jedoch von einem Mannheimer Bezirksarzt, der Elise Hegemann nie gesehen hatte, während der Mannheimer Hausarzt das Attest verweigerte. Am 6. Juli 1886 in die Anstalt Illenau gebracht, setzte sie ihrem Aufenthalt am 5. August durch Flucht ein vorläufiges Ende, worauf der Ehemann die Anstalt beim Karlsruher Verwaltungsgericht verklagte. Am 10. September dort wieder eingeliefert, hatte nach ihrer Darstellung ihr Ehemann sie mit Gewalt in diese Anstalt verschleppt und wurde ausschließlich deshalb badischer Staatsbürger, um den geringeren Preis einer badischen Anstalt wahrnehmen zu können 67 . Die längste 64 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 57; zu Bendorf S. 46, 50. - Siehe zu diesem Komplex jetzt auch: Joachim Radkau, Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München 2000, mit dem Schwerpunkt der „Neurasthenie". 65 Vgl. Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 115-118. In Kiepenheuer (1930) 46 erwähnte Hegemann eine Reise in die Schweiz vom Sommer 1881. Vermutlich war sie der Mutter zur Stärkung angeraten worden. 66 Oebecke nahm im Mai 1886 von einer Wiederaufnahme Abstand; Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 55, 197; und Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 116. Bilfinger, Orientirung ..., S. 8; zu folgendem auch Bilfinger, Geleitswort ..., S. 2 f. 67 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit .... S. 17 und S. 20-26; S. 97. Ottmar Hegemann erhielt am 22. Dezember 1885 die Aufnahme in den badischen Staatsverband; Familienbogen.

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2.3 Hospitalisierung

Zeit verbrachte sie offensichtlich in der Abteilung für Unheilbare, wo sie nur zweimal den Besuch ihres Mannes erhielt. Nach neun Jahren verlegte man sie am 31. Mai 1894 von dort in die badische Staatsanstalt für Unheilbare nach Emmendingen, am 6. November desselben Jahres aber nach Werneck, einer bayerischen Staatsanstalt bei Würzburg. Dort wurde sie am 1. März 1895 entlassen, jedoch ohne ein Gesundheitsattest, so daß die bereits im ersten Halbjahr ihres Anstaltsaufenthaltes verhängte Entmündigung, bei der Ottmar Hegemann als Vermögensverwalter fungierte 68 , zunächst noch gültig blieb. Problematik und Interpretationsbedarf wie -möglichkeiten des Lebenslaufs von Elise Hegemann-Vorster können hier nur angerissen werden69. Die Hospitalisierung geistesgestörter Patienten begann vermehrt mit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts 70 . Sie beruhte auf dem Grundsatz der Trennung des Kranken von der ihm unerträglichen Umgebung71. Elise Hegemann-Vorster scheint in den freiwilligen Aufenthalten ihre zeitweilige Trennung von ihr unerträglich gewordenen Lebensumständen zunächst gezielt beabsichtigt und durchaus als ein großbürgerliches Privileg wahrgenommen zu haben. Für die Entwicklung der rheinischen Anstalten läßt sich unter diesem Grundsatz eine Selektion der Patienten nach Heilungschancen erkennen. Die Selektion beruhte auf den Reintegrationshoffnungen unter dem Aspekt gesellschaftlicher Wiederverwertbarkeit72. Dabei blieben die schwereren Fälle zurück und ein überproportionaler Anteil der Anstaltsinsassen kam aus bürgerlichen Kreisen. Die Akzeptanz der potentiellen Patientin für diese Deutung zeigt die freiwillige Entscheidung zum klinischen Aufenthalt, von dem sie sich eine Wiederherstellung ihrer spezifischen Leistungsfähigkeit versprochen hätte. Der Grundkonflikt ihrer Beeinträchtigung, der Schwangerschaftswunsch und dessen Verweigerung, der in ihren späteren Schriften literarisch und religiös überformt immer 68

Bilfmger, Geleitswort ..., S. 3. Zur Fragestellung von Einweisung und Anstaltskarrieren im Irrenhaus des 19. Jahrhunderts geben die medizinhistorischen Arbeiten wenig differenzierte Auskünfte. Sie teilen sich entweder in medizinhistorische Werke mit dem Gegenstand des medizinischen Erkenntnisfortschritts oder mit dem Gegenstand der Institutionalisierung im Prozeß der bürgerlichen Gesellschaft. Die Sozialgeschichte steht dabei noch zurück; als Forschungsproblem angemerkt bei Dirk Blasius, Der verwaltete Wahnsinn. Eine Sozialgeschichte des Irrenhauses, Frankfurt a.M. 1980, S. 16. Bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellen dar: Klaus Dörner, Bürger und Irre. Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie, Frankfurt a.M. 1975, bes. S. 303-335 zum bürgerlich-naturwissenschaftlichen Liberalismus und S. 337-345 zur Kritik der Psychiatrie-Geschichtsschreibung; sowie vergleichend: Gunter Herzog, Heilung, Erziehung, Sicherung. Englische und deutsche Irrenhäuser in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Kocka (Hrsg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert ..., Bd. 3, S. 418-446 zur Entwicklung der Deutungen, Therapie als „gewalttätige Pädagogik" und folgende Liberalisierung. Radkau erhebt den nicht unbedeutenden Einwand, daß entgegen struktureller Erwägungen das Movens der 'Sorge' für Kranke in der Vorstellung, selbst krank zu werden, einen Hauptantrieb darstellte, der gleichfalls strukturbildend wirkte, etwa in der Entfernung der 'Irren'; Radkau, Zeitalter ..., S. 114 und öfter. 70 Die preußische Volkszählung von 1871 wies von den 55.043 als 'Irre' gezählten Personen 75 % als in den Familien gepflegt aus. Blasius, Wahnsinn ..., S. 75. 71 Zur Entwicklung der Psychiatrie als medizinischer Disziplin und der Therapeutik siehe Blasius, Wahnsinn ..., S. 41-45. 72 Blasius, Wahnsinn ..., S. 27-37, S. 30, 33. 69

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2.3 Hort

wieder zum Ausdruck kommt 73 , wurde von der zeitgenössischen pathologischen Deutung bestätigt. Basierend auf der anhaltenden Tradition der Idee von Menstruation als verschüttetem Zeugungsmaterial verstand die Pathologie sie als krankhafte Erscheinung, also Sündenfall gegen die Natur, mit dem Schluß, gleichzeitig Prämisse, daß die Frau zur bedingungslosen Fortpflanzung bestimmt sei 74 . Die Menstruation wird als chronische Reizung des Nervensystems neurophysiologisch rationalisiert und ein Äquivalent zur Hysterie. Eine wechselseitige Anerkennung zwischen weiblichem Erleben typisierter regelmäßiger Syndrome und ärztlicher Bestätigung eines Leidenszustandes beginnt, die ein Modell für 'periodisches Irresein' entwirft und bilaterale Wirkungen zeitigt: die postulierte Minderwertigkeit bewirkt Schutz und Exkulpationen wie die Zuschreibung von kriminellen Affekten und Affinitäten zur Abweichung. In diesen Deutungskontexten konnte Elise Hegemann-Vorster sich in ihrer strikten und absoluten Gläubigkeit, mit der sie ihren Kinderwunsch begründete, von den medizinischen und alltagswissentlichen Interpretationen bestätigt sehen. Die regelmäßige Präsenz des Konflikts mit hohem emotionalem Potential vermochte die Lage nur zu verschärfen. Ihre eigene Verwendung des Begriffs „Reizung des Nervensystems" verweist nicht nur auf ein sprachliches Regelsystem für Tabus, sondern auch auf Adaption dieser Deutung. Die Lösung, durch ihren Glauben vorgezeichnet, konnte von der pathologischen Interpretation nur bestätigt werden: Besserung durch Schwangerschaft. Sie mußte zur Verfestigung des Konflikts führen. In diesem Licht muß die Entscheidung zum freiwilligen Aufenthalt in Andernach als Fortsetzung der Flucht zur Mutter angesehen werden, und nicht als Verweigerung dieser Sinnbestimmung, sondern als eine 'Kur'. Diese sollte Leistungsfähigkeit insofern wiederherstellen, als die Patientin Schutz und Bestätigung erwartete, um danach den gesellschaftlichen Anforderungen erneut gewachsen zu sein resp. selbige von ihrem Ehemann einzufordern - was Werner Nasse offensichtlich gelang. Soll der Lebenslauf und die Anstaltskarriere dieser Patientin exemplarisch für die Konflikte im Struktur- und Funktionswandel der Familie und den Problemen des Rollenwandels für Frauen in der Entwicklung der kapitalistischen Industriegesellschaft gesehen werden, ließe sich hier feststellen, daß der Institutionalisierung und Differenzierung der Anstalten für Geistesstörungen unter spezifischen Umständen auch ein Schutz- und Hortcharakter zukommen konnte 75 . Die Annahme, daß aufgrund der individuell religiösen und soziologisch-medizinischen Konstellationen der ursächliche Grundkonflikt nicht gelöst werden konnte, scheint be73 Siehe bes. Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 116-118, vgl. S. 20. Hingegen konnte Nasse noch erfolgreich an ihre Eigenverantwortung appellieren. Die retrospektive Spekulation des Emmendinger Direktors unterstellte, daß sie in einer guten Ehe allenfalls kurzzeitig nach Wochenbetten anstaltsbedürftig geworden wäre. 74 Esther Fischer-Homburger, Krankheit Frau und andere Arbeiten zur Medizingeschichte der Frau. Bern-Stuttgart-Wien 1979, S. 68-80, S. 72. 75 Fischer-Homburger, Krankheit Frau ..., S. 48, verweist auf den Zusammenhang der Diagnose mit der soziologischen Situation der Diagnostizierten und bietet ein Beispiel für den mit der soziologischen Situation der Diagnostiker - Hysteriedeutungen als Misogynie. Entsprechend müßte die Situation der nicht-medizinischen und nicht-bürokratischen Verursacher von Anstaltskarrieren erforscht werden.

33

2.3

Hausfrieden

rechtigt. Daß daraus für die Patientin eine Anstaltskarriere wurde, ermöglichte aber erst das zahlenmäßige Wachstum der Anstalten und die überproportionale Zunahme der Anstaltsbedürftigkeit im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum76. Nicht die von einer traditionalen Gesellschaft im Umbruch Verlassenen wurden therapiert, sondern die ausgreifende Bürokratie hob Gewohnheiten der Familien- und Privatpflege auf und definierte öffentliche Fürsorge als staatliche Ausfallbürgschaft für die sozialen Kosten des Umbruchs77. Das waren die Voraussetzungen dafür, daß Elise Hegemann-Vorster mit ihrer spezifischen Beeinträchtigung dauerhaft in eine Anstalt gelangen und daß Ottmar Hegemann das Verhalten seiner Ehefrau als anstaltsbedürftig und -fähig interpretieren und eine dauerhafte Hospitalisierung erreichen konnte. Zu erwägen ist dabei auch eine vom Erleben seiner Frau vollkommen abweichende Erfahrung Ottmar Hegemanns. Durch die Wandlung der Elternrolle im 19. Jahrhundert kann ein intensives Erleben des Kindstodes angenommen werden. Die Erwartung der Familienplanung stützte sich dann nicht allein auf ökonomische Erwägungen, sondern beabsichtigte eine Begrenzung des Schmerzpotentials im eigenen Erleben wie im physischen und psychischen Befinden der Ehefrau. Verbunden wäre damit die Hoffnung, durch Anteilnahme an den Kindern deren Lebenschancen zu erhöhen78. Nicht auszuschließen ist, daß Elise Hegemann die Zeugungsverweigerung bereits im privaten Umfeld referierte, um sozialen Druck zu erzeugen. Sie hätte damit gegen das grundsätzliche Tabu des weiblichen sexuellen Desinteresses verstoßen, aber auch den Ehemann infolge unweigerlicher Assoziationen weiter desavouiert79. Spätestens die Abreise zur Familie denunzierte Ottmar Hegemann als Ehemann und Familienvater, wobei der familieninternen Öffentlichkeit eine potentielle wirtschaftliche Bedrohung folgte. Eine Enterbung hatte zunächst keine unmittelbare Bedeutung, da ein Zugriffsrecht der Familie auf das Vermögen der Frau bis zu einer Scheidung nicht bestand. Daraus ergibt sich mindestens für die Anfangserfahrung der Ehepartner ein vergleichbares Bild. Die Rechtskodifizierung unterstützte die Erwartung einer Gehorsams- und Eigentumsunterwerfung der Ehefrau, so daß Elise Hegemanns Verhalten essentiell an Ottmars Selbstverständnis als Ehemann und Vater rührte, Bild und Rolle der Ehefrau in Frage stellte. Standen diesen festgeschriebenen Rechten auch noch individuelle Verantwortungsgefühle zur Seite, wurde damit ein ebenso großes Konfliktfeld aufgerissen. Wurde die Auseinandersetzung auch mittels dramatischer Inszenierungen geführt, was die Selbstdarstellung Elise Hegemann-Vorsters wahrscheinlich macht 80 , sah sich Ott7 6 Blasius, Wahnsinn ..., S. 77-84, S. 79, 81 f. 1880 befanden sich in preußischen Anstalten 27.000 Insassen, 1910 waren es 143.000. Der Bevölkerungszuwachs betrug im gleichen Zeitraum 4 8 % , der Zuwachs der Anstaltsfälle 4 2 9 % . 7 7 Bemerkenswerterweise waren in Baden diese Wachstumsquoten infolge weniger verstärkender Faktoren geringer: von 1875 bis 1905 wuchs die Bevölkerung um 33,4 %, die Zahl der Insassen um 245 %; von 100.000 Einwohnern waren in Baden 1875 64, 1905 166, in Preußen 1880 98, 1910 356 hospitalisiert. Blasius, Wahnsinn ..., S. 82, 84. 7 8 Aus der Bemerkung Bilfingers geht hervor, daß die Mutter nur die später geborenen Kinder selbst stillte; so hatte auch hier ein weiterer Konflikt vorgelegen. 7 9 Siehe dazu Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 51 und 197. 8 0 Siehe etwa Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 83 und 241 und öfter. Sie versucht sich im

34

2.3

Familiensicherung

mar Hegemann denen, sei es aus sekundären Motiven gesellschaftlicher Regeln oder primären emotionaler Not, nicht mehr gewachsen. Die Bereitschaft zur Definition einer anstaltsbedürftigen Beeinträchtigung wäre nicht nur aus Eigennutz, sondern auch aus einem Fürsorgeverständnis gegenüber den Kindern erwachsen 81 . Betonte Elise später die Ansicht, daß nach der zweiten Geburtenphase, nach 1883 ein weiteres Kindbett sie umgebracht hätte, mußte Ottmar Hegemann umso mehr auf Verhütungsmaßnahmen bestanden haben. Diese Revitalisierung des Konflikts in einer zweiten Phase zeigt an, daß Elise mit der Gefährdung die Erwartung eines sexuellen Ruhestandes verband, der durch Mutterschaft erkauft war, den aber ihr Ehemann verweigerte und das zur Lebenserhaltung notwendige Ende der Gebärfähigkeit einen unlösbaren Seinskonflikt auslöste. Daß dabei eine Besserung zeitweilige Trennung voraussetzte, bildete wie vorher eine zunächst noch gemeinsame Deutung. Der unmittelbar auf ihre freiwillige Hospitalisierung folgende Ubertritt Ottmars in den Geltungsbereich einer anderen Rechtskodifizierung, als die sein Wechsel der Staatsbürgerschaft auch gesehen werden muß, zeigt an, daß seine Bewertung der Situation jedoch darüber hinausging. Er muß nicht, wie seine Ehefrau ihm als alleiniges Motiv unterstellte, den Plan einer dauerhaften Hospitalisierung und Entmündigung verfolgt haben, sondern sicherte sich damit eine andere juristische Verfügungsgewalt. Die wiederholte Flucht Elises, für das Verlassen einer privaten Anstalt nicht zwingend, zeigt sprunghaftes Verhalten an. Sie kann ihn - potentiell bestärkt durch szenisch-dramatisches Ausagieren des Konflikts - veranlaßt haben, eine bürokratisch-medizinische Instanz zu suchen, um für noch mindestens vier unmündige Kinder einen Hausfrieden herzustellen. In zeitlicher Folge gesehen, gab der dritte Versuch seiner Frau, sich einer Institution zu entziehen, für Ottmar Hegemann den Ausschlag, sie in ihren Handlungsmöglichkeiten endgültig zu beschränken und mit der Durchsetzung der Entmündigung auch Interventionen Dritter zu unterbinden, um als Vormund allein verfügungsberechtigt zu sein 82 . Die vermögensrechtliche Stellung der Frau im 19. Jahrhundert war weitgehend eingeschränkt. Herrschaft und Verfügung des Ehemannes sind auf die „Rechtswohltat" eines Schutzverhältnisses gegründet, das das Allgemeine Landrecht (ALR) der preußischen Staaten auch als Pflicht beschreibt 83 . Zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung waren Hungerstreik, den sie nach 1-2 Tagen abbricht oder kündigt in Emmendingen bei Ankunft „Krieg" an. 81 Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt in der Familie und der freiwilligen Selbsteinlieferung legen die Befürwortung durch die Herkunftsfamilie nahe, welche allerdings nun die Grobheit des Ehemanns hervorhob. Bei beiden Einweisungsinstanzen bestand das gemeinsame Interesse an der Korrektur des auffälligen Verhaltens zur mindestens äußerlichen Erfüllung der Vorschriften: die erfolgreich verheiratete Tochter und die funktionierende Ehefrau. 82 Vgl. dazu Hegemann-Vorster, Irrenhaustragödie ..., S. 58, 61, wonach der Rechtsbeistand Elises, ein ehemaliger Amtsrichter, mitteilte, daß mit der Rückverbringung nach Illenau im September 1886 ihm auch jede strafrechtliche Maßnahme gegen Ottmar abgeschnitten war und die Anstalt ihm Kontakte untersagte. Er erklärte die ungestörte Nutzung des Vermögens zum alleinigen Beweggrund der Maßnahme. 83 Ursula Vogel, Patriarchalische Herrschaft, bürgerliche Rechte, bürgerliche Utopie. Eigentumsrechte der Frauen in Deutschland und England, in: Kocka (Hrsg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert ..., Bd. 1, S. 406-438, S. 416 f. und 428; einige Ausnahmen wie Schlüsselgewalt und Notverwaltungsrecht sowie

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2.3 Verfügungsgewalt

beide Eheleute preußische Untertanen, so daß das ALR die für sie gültigen Gesetzesbestimmungen enthielt 84 und Ottmar Hegemann die Verfügungsgewalt, mindestens die Nutznießung des Vermögens seiner Frau innehatte. Mit dem Beitritt Hegemanns zum Badischen Staatsverband vom Dezember 1885 trat er in den Geltungsbereich des Code Napoleon oder Code civil85. Seine Ehefrau sagte ihm nach, den Staat gewechselt zu haben, um ihre Abschiebung zu erleichtern. Tatsächlich stellte Ottmar Hegemann sich damit besser, was die Rechte gegenüber seiner Frau und den Zugriff auf die gemeinsamen Kinder betraf 8 6 . Die Kinder unterstehen hier in der rechtspraktischen Bedeutung ebenso ausschließlich wie die Güter der Ehefrau der väterlichen Gewalt. Hierin den bedeutendsten Anlaß für den Staatswechsel zu sehen, ergibt sich aus der Bestimmung des ALR, daß Kinder unter vier Jahren nicht von der Mutter zu trennen seien. Werner hatte das vierte Lebensjahr vollendet, doch Paulas dritter Geburtstag lag Ende 1885 erst drei Monate zurück. Mit dem Staatenwechsel sicherte sich Ottmar Hegemann vor allem die Verfügung über die Kleinkinder gegen Intervention, wenn er von Seiten der mütterlichen Familie diese erwartete und ausschließen wollte87. Die vom Ehemann veranlaßte Einweisung läßt sich zwischen willkürlicher Entledigung einer mißliebigen Person und Schutz der Familie deuten. Intensives Erleben der frühen Kindstode, Begrenzung des Schmerzpotentials wie Schutz der mütterlichen Gesundheit hätten den Vater zum Verlangen der Geburtenplanung veranlaßt. Temporäre Aufkündigungen der ehelichen Lebensgemeinschaft, mögliche dramatische Konfliktinszenierungen sowie gesellschaftliche Tabubrüche bedeuteten eine wirtschaftliche und soziale Gefährdung. Eine permanente Ungewißheit und Unsicherheit des häuslichen Friedens betraf vor allem die Kinder. Dessen Sicherung veranlaßte seine Toleranz gegenüber den Rückzügen auf der Basis einer noch gemeinsamen Deutung von Genesungs- als Reintegrationschancen. Durch die Kulmination sah der Ehemann diese Chancen nicht mehr gegeben und veranlaßte den Eingriff einer medizinisch-bürokratischen Instanz. Durch vereinbarungsbedürftige Sonderrechte des Vorbehaltsgut sind vorgesehen. 84 Sofern nicht gesonderte städtische Rechtsordnungen und Vorbehaltsvereinbarungen zur Geltung gelangten, dem im einzelnen nachzugehen durch die Komplexität der geltenden und sich überlagernden Kodifizierungen nicht möglich ist. 85 Bis zur Ablösung durch das Bürgerliche Gesetzbuch 1900 als „Landrecht für das Großherzogthum Baden nebst Handelsgesetzen" gültig. Ute Gerhard, Die Rechtsstellung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Frankreich und Deutschland im Vergleich, in: Kocka (Hrsg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert ..., Bd. 1, S. 439-468, S. 445: 1896 gilt der Code civil für etwa 16,6% der deutschen Bevölkerung. 86 Im Code civil ist die Frau zwar eigentumsfähig, aber handlungsunfähig, das Güterrecht ist liberal, doch Vermögen und Arbeit der Frau stehen unter ausschließlicher Verwaltung und Nutznießung des Ehemannes. Gerhard, Rechtsstellung ..., S. 451-453. 87 Eine moderne vergleichende Untersuchung der Rechtsstellung und ihren Konsequenzen in den verschiedenen im Kaiserreich gleichzeitig geltenden Ordnungen steht noch aus, wie Gerhard anmerkt, weil die Konzentration auf das größte Rechtsgebiet dominiert. Die Wirkungsweise des Übertritts und seine Grundlagen können hier nicht aufgearbeitet werden. Nach 1900 wäre eine Trennung wegen Geisteskrankheit ohne Schuldspruch möglich geworden; vgl. Dirk Blasius, Bürgerliche Rechtsgleichheit und die Ungleichheit der Geschlechter. Das Scheidungsrecht im historischen Vergleich, in: Frevert (Hrsg.), Bürgerinnen ..., S. 67-84, bes. 78-80.

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2.3 Psychiatriewandel

einen Wechsel der Staatsbürgerschaft und damit des Rechtskodex erweiterte er seine Verfügungsgewalt und setzte eine Entmündigung der Ehefrau durch. Entfernung und Isolierung des Patienten war die wichtigste therapeutische Maßnahme der zeitgenössischen Psychiatrie. Die Ehefrau war in der Expansion der medizinischen und bürokratischen Deutungen und Zuständigkeiten eine willkommene Patientin, weil ihr Leiden eine Reintegration in ihre gesellschaftliche Aufgabe versprach. Gleichzeitig kollidiert diese Deutung jedoch mit der vergleichsweise statischen Interpretation des Leidens als Hysterie. Dadurch, daß sie dieses Etikett zwanghaft verweigerte, mußte die Ehefrau dazu beitragen, daß sich eben diese Diagnose von 'Hysterie' bestätigen ließ. Aus den langfristigen Tendenzen der fachinternen Entwicklung von Therapeutik zu Deskription und der Ausweitung der Behördenkontrolle entsteht aus diesem Zirkel eine fast zehnjährige Hospitalisierung. Die Dauer muß jedoch wesentlich auf den Wandel der Psychiatrie am Ende des 19. Jahrhunderts zurückgeführt werden. Mit einer Ausdehnung der Behördenkontrolle von Anstalten und Auffälligen und dem gewandelten Erkenntnisinteresse der Psychiatrie von therapeutischer Zuwendung zu psychiatrischer Kasuistik verfällt der Heilsoptimismus zu deskriptiver Psychiatrie. Der Systematisierungsbedarf verformt die Disziplin zur reinen Verwahrungspsychiatrie 88 . Für den dauerhaften Verbleib der Patientin in jener „Trennung" sind weitere Faktoren bedeutend 89 . Da eine medizinische und psychologische Deutung der Krankheitsgeschichte hier nicht erfolgen kann, sei nur auf die für eine Krankheitsdefinition nutzbare Affinität zwischen den Selbstäußerungen der Patientin und einer zeitgenössischen Hysterie-Deskription verwiesen. Der Psychiater und Verfasser des ausschlaggebenden Lehrbuchs, Emil Kraepelin (1856-1926) bezeichnete 1893 als Erscheinungen der Hysterie unter anderem Egoismus, Tyrannei, Intrigieren, Verleumdung, Rachsucht, Schmähungen90. Durch diese kaum exakt definierbaren Symptome konnte Elise Hegemann-Vorster nicht nur leicht unter die Diagnose der Hysterie fallen; sie mußten überdies durch Verweigerung des Etiketts in ihren Schriften zu einer Kontinuität der Diagnose führen. Demgegenüber war die Meinung, wenigstens die Hälfte aller Insassen sei zur Freiheit imstande, wie sie auch ein anderer Patient 1894 äußerte 91 , offensichtlich nicht nur weiter verbreitet und Ausdruck der Hospitalisierung einfacher Beeinträchtigungen, sondern möglicherweise zutreffend. Nach ihrer Entlassung von 1895 unterzog Elise Hegemann sich mehreren ärztlichen Untersuchungen 92 , aufgrund derer die Entmündigung schließlich aufgehoben wurde. Eine 88

Blasius, Wahnsinn ..., S. 93-104. Hier kommt Herzogs vergleichend entwickelter Deutung besondere Bedeutung zu: Rechts- und staatsgeschichtlich entstand im Gegensatz zu England ein patriarchalischer Versorgungstyp, der sich politisch unangefochten fortsetzte und statt eines Schutzes der Bürgerrechte den Schutz der Bürger vor den Patienten begründete. Herzog, Heilung ..., S. 443-446, bes. S. 445. 90 Fischer-Homburger, Krankheit Frau ..., S. 42-44. Vgl. auch Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 170, 230, die Manie der Handarbeiten. 91 Blasius, Wahnsinn ..., S. 82. 92 Dazu war sie vier Wochen im Juli 1895 in der Staatsanstalt Bonn bei Nasses Nachfolger Pelman, bei einem weiteren Bonner Professor und bei drei Berliner Ärzten. Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit 89

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2.4 Rollenbrüche

Alimentenklage einer ehemaligen Haushälterin gegen Ottmar Hegemann, die um 189193 eine uneheliche Tochter bekam, endete mit seiner Verurteilung zur Zahlung von 36.000 Mark. Der Code civil erkannte zwar dem unehelichen Kind wie der Mutter 9 4 keinerlei Rechte zu, doch das Badische Landrecht erlaubte die Feststellung des Vaters 95 . Erst damit war der Haushälterin die Chance gegeben, die Vaterschaft per Klage feststellen zu lassen und eine Alimentierung einzuklagen, um das landläufige Schicksal sozialen Abstiegs mildern zu können.

2.4 Scheidung Dieser Prozeß ermöglichte Elise Hegemann die Ehescheidung zu erlangen. Obwohl sie bezüglich des Scheidungsrechts nach Badischem Landrecht ebenfalls schlechter als im ALR gestellt war 96 , erkannte der Code civil als einzigen Scheidungsgrund Ehebruch beim Mann nur an, wenn dieser 'die Beischläferin' in die eheliche Wohnung brachte. Da dieses mit dem Abschluß der Alimentenklage eindeutig erwiesen war, hätte Elise Hegemann der im Badischen Landrecht vorgenommenen Milderungen der Scheidungsvoraussetzungen nicht bedurft, um die Scheidung erfolgreich durchzusetzen. Das Schuldprinzip erzeugte zwar entwürdigende Szenen vor Gericht, sicherte der Ehefrau aber eine Abfindung i.e. Auszahlung 97 . Anläßlich dieser Scheidung mußte Ottmar Hegemann seiner Frau ihr Vermögen auszahlen, das mit 300.000 Mark beziffert wurde. Ottmar Hegemann zog am 8. April des Jahres 1892 nach Heidelberg um, wo der jüngste Sohn auch eine Schule besuchte. Dieser Umzug ließe sich zeitlich und kausal im Zusammenhang mit dem Vaterschaftsprozeß verstehen, der das gesellschaftliche Ansehen der Restfamilie zerstörte. Sowohl ein absehbarer Verzicht auf eine familiäre Nachfolge im Unternehmen wie der Zwang zur Auszahlung der Vermögenssumme hätten Hegemanns Absicht einer Liquidation der Fabrik beschleunigt, so die Lebensperspektive nicht ohnehin den krönenden Abschluß des Rentierdaseins vorgesehen hätte. 1895 zog er von Heidelberg nach Wiesbaden, damals südlichste Stadt Preußens, mit ..., S. 21, 156. Bilfinger, Geleitswort ..., S. 4. 93 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 196; Hegemann-Vorster, Irrenhaustragödie ..., S. 45 (1890); Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 32 (1891 oder 1892); Bilfinger, Geleitswort ..., S. 4 94 Zur Situation der Dienstboten siehe grundlegend: Rolf Engelsing, Das häusliche Personal in der Epoche der Industrialisierung. In: Rolf Engelsing, Zur Sozialgeschichte deutscher Mittel- und Unterschichten (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 4). Göttingen 1973, S. 225-261. Auch bei Uta Ottmüller, Die Dienstbotenfrage. Zur Sozialgeschichte der doppelten Ausnutzung von Dienstmädchen im deutschen Kaiserreich, Münster 1978, wird das Problemfeld Schwängerung durch den Dienstherren nicht erörtert. Allerdings werfen die dem „Handbuch der Frauenfrage" von Helene Lange entnommenen Daten bei Ottmüller ein Schlaglicht: in Berlin waren ein Drittel der Mütter unehelicher Kinder noch und 60 % der Prostituierten ehemals im Dienstverhältnis. 95 Gerhard, Rechtsstellung ..., S. 455 f. 96 Siehe dazu Dirk Blasius, Ehescheidungen in Deutschland 1794-1945. Scheidung und Scheidungsrecht in historischer Perspektive (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 74), Göttingen 1987, S. 28-31, 117 f., und Beispiele für die Kompliziertheit der Verfahren S. 119-126. 97 Blasius, Ehescheidungen ..., S. 152 f. Ehebruch ist der häufigste Scheidungsgrund, wobei in Baden die Scheidungsquoten niedriger als in Preußen waren. Vgl. zusammenfassend: Blasius, Rechtsgleichheit ..., S. 79 f.

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2.4 Sorgepflicht

ihrem Kur-, Bad- und Casinobetrieb eine beliebte Residenz für Wohlhabende und Rentiers, und erwarb ein Haus in der Kapellenstraße, in einem Villengebiet östlich des Nerobergs. Er lebte dort bis zu seinem Tod am 30. April 1900 im gemeinsamen Haushalt mit seinen beiden Töchtern 98 . Für den Ehemann waren inzwischen weitere männliche Rollenbilder zerbrochen. Der älteste Sohn lebte bei der großelterlichen Familie und schlug die theologische Laufbahn ein. Eine Haushälterin erhob eine erfolgreiche Alimentenklage gegen ihn. Der Zweitälteste und designierte Nachfolger beging Selbstmord. Die entlassene Ehefrau beantragte die Scheidung und erhielt ihr eingebrachtes Vermögen ausgezahlt sowie Verfügungsgewalt über den jüngsten Sohn. Damit war sein gesellschaftliches Ansehen ruiniert wie seine wirtschaftliche Zukunft angegriffen. Ottmar Hegemann gab seinen Betrieb auf und zog als Rentier mit den Töchtern nach Wiesbaden. Infolge der Vermögensauszahlung weitgehend unabhängig, verbrachte Elise HegemannVorster die nächsten fünf Jahre an wechselnden Orten, vornehmlich bei Geistlichen und in christlichen Hospizen, mehr auf Reisen denn in einem eigenen Haushalt". Jedoch führte sie zeitweise einen Haushalt für ihren ältesten Sohn als Pfarrvikar, 1896 in Bruchsal und nach seiner Versetzung Oktober 1898 in Plankstadt 1 0 0 , wobei es auch zur Wiederannäherung mit der ältesten Tochter Clara kam, die sie besuchte und mit ihr reiste. Der Zweitälteste Sohn Gustav beendete am 19. April 1892 mit einundzwanzig Jahren sein Leben durch Selbstmord. Seine Mutter bringt diesen Freitod mit seinem Berufswunsch in Verbindung. Er habe Musiker werden wollen, sei aber mit einer kaufmännischen Ausbildung für die Geschäftsnachfolge vorgesehen worden. Ohne dieser Absicht zu widersprechen, verbindet Elise Hegemann-Vorster in ihrer Erinnerung damit die Vorstellung, daß er noch lebte, hätte sie sich ihm in mütterlicher Liebe widmen können101. Bei der Scheidung wurde ein vor Gericht ungültiger Vergleich vereinbart, der die minderjährigen Kinder bei ihr beließ. Der jüngste Sohn lebte jedoch beim Vater und als Siebzehnjährige weigerte sich auch Paula, „mütterlichen Bestimmungen" zu folgen und vom Vater getrennt zu werden. Daß die Versuche zur Durchsetzung dieser Ansprüche keine Unterstützung fanden, war ein wichtiges Motiv für die Veröffentlichung ihrer Anstaltserfahrungen 102 . Bestärkt wurde diese Absicht durch die abweisende Haltung ihrer 98 Nachlaßakte Ottmar Hegemann, Amtsgericht Wiesbaden 41 V 124/1900; Neues Adressbuch für Wiesbaden, Wiesbaden 7 (1895/96) bis 10 (1898/99): ab 1. September 1895 Mieter in der Kapellenstraße 58, 1896 als Besitzer des Hauses Nr. 70 eingetragen, keine Mieter. Personenstandsunterlagen der Stadt Wiesbaden sind im Februar 1945 vollständig vernichtet worden, so daß eine Bestätigung durch Meldebögen nicht möglich ist. Die polizeiliche Anzeige des Todes notiert, daß der Verstorbene ein minderjähriges und ein großjähriges Kind hinterläßt (Bl. 5). 99 Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 15 f. eine Liste 20 verschiedener Aufenthaltsorte seit ihrer Entlassung, vgl. die S. 48 ff. abgedruckten Briefe. 100 Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 29, 34, 55 und S. 88, 94. 101 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit..., S. 29, 163. Ihrem Aufgehen in der Mutterschaft entspricht die Vorstellung der Mutterliebe als allumfassender Remedur. 102 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 235-239, S. 10: Die Veröffentlichung meiner Illenauer Erlebnisse erfolgt erst jetzt (5 Jahre nach meiner Rückkehr in die Außenwelt) und nur deshalb weil

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2.4 Publikationen

Kinder anläßlich des Todes von Ottmar Hegemann im April 1900, denn in ihrer religiös bestimmten Interpretation Schloß Elise Hegemann-Vorster aus der Kette von Mißerfolgen im Verkehr mit ihren Kindern, daß ohne die Erfüllung ihres Gelübdes, das ihr 'Angetane' zu veröffentlichen, Gott nichts gelingen lassen werde103. Der Entschluß verband sich mit der Vorstellung, daß Druck durch Öffentlichkeit helfe, wieder in bürgerliche Ehrenrechte eingesetzt zu werden. Gleichzeitiges und wohl wichtigstes Movens war die Angst, wieder in eine Heilanstalt gebracht zu werden. Sie sollte im Glauben daran verringert werden, nach der Bekanntmachung der Erlebnisse eine Lobby gewonnen zu haben, die dies verhindern oder gegebenenfalls rückgängig machen könne104. Der Kontakt zu den Ärzten, die sie 1895 für nicht irrsinnig erklärt und ihr Unrechtsempfinden unterstützt hatten 105 , bestärkte sie weiter. Er trug dazu bei, daß Elise Hegemann-Vorster sich in einer weiteren religiösen Überhöhung als Anwalt und Organ der Internierten106 sah, um darin nach Zerstörung ihres Lebensplans eine angemessene Aufgabe zu finden. Das Zerbrechen der Restfamilie Schloß eine integrative Rückkehr der Ehefrau aus. Ihre persönlichen und gesellschaftlichen Verletzungen suchte sie durch wachsende Forderungen an Verfügungsgewalt zu kompensieren und unterzog sich diversen Gutachten zur schließlich erfolgreichen Aufhebung der Entmündigung, um ihren ursprünglichen Status zu reetablieren. Es folgte eine Frontenbildung in der Familie. Die Scheidung sicherte ihr eine finanzielle Unabhängigkeit und ermöglichte die Aufwendungen für ihre Forderungen. Indem sie dem Haushalt des Altesten vorstand, stellte sie schließlich die ihr entgangenen Lebenschancen nach. Von März bis Mai 1900 faßte Elise Hegemann-Vorster ihre Erlebnisse in einer Broschüre zusammen und gab sie selbständig in über 2000 Exemplaren heraus, um sie unentgeltlich an mir passend erscheinende Adressen107 zu versenden. Ihre Brüder Julius und Fritz Vorster versuchten offenbar, dies zu verhindern, indem sie als Vermögensverwalter die Geldzuweisungen beschränkten 108 . mein Wunsch, meine 17jährige Tochter, nicht bei ihrem Vater zu lassen, von meinen Verwandten nicht unterstützt wird [Die eigenwillige Zeichensetzung folgt dem Original und wird nicht gesondert ausgewiesen]: Paula sollte zu den inzwischen dritten Pflegeeltern. 103 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 235. 104 Text des Titelblattes von Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit: Sollten die Leser dieser Mitteilungen keinerlei Irrsinn in denselben entdecken - aber davon hören, daß die Verfasserin wieder in eine Anstalt verbracht wurde, so wollen sie freundlichst dem Direktor der betreffenden Anstalt ihre diesbezügliche Ansicht mitteilen. 105 Der zweite Bonner Gutachter, Dr. Finkelnburg, beabsichtigte, ihren Fall in einer psychiatrischen Zeitschrift zu veröffentlichen, verstarb aber im April 1896; Hegemann-Vorster, Irrenhaustragödie ..., S. 45, Bilfinger, Orientirung ..., S. 31. 106 ... genau weiss, wie tief sie leiden ... und es nicht äussern und darstellen können-, folgt Moses 3.7; Hegemann-Vorster, Irrenhaustragödie ..., S. 31. 107 Hegemann-Vorster, Irrenhaustragödie ..., S. 10, 45 sowie Bilfinger, Geleitswort ..., S. 5 f.; zur Ablehnung durch Druckereien auch Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 44. 108 Vgl. zu deren Einschätzung Bilfinger, Orientirung ..., S. 1-4; Hegemann-Vorster, Irrenhaustragödie ..., S. 46: Meine Brüder, die mir mein Vermögen seither verwalteten, behalten aber meine Einkünfte aus demselben zurück, um mich ... wiederum wehrlos zu machen ... Oer vom Gericht ernannte Vor-

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2.4

Vergleichspotential

Da meine Verwandten sich durch diese Veröffentlichung in ungünstiges Licht gestellt glaubten, wollten sie dieselbe verhindern. Sie beantragten daher meine Entmündigung und veröffentlichten diesen Antrag Ende Juni 1900, in Berner Zeitungen, weil ich mich behufs Drucklegung der Broschüre nach Bern begeben hatte, da zwei Mannheimer Druckereien dieselbe abgelehnt hatten, aus Furcht vor dem Staatsanwalt. Zweck der Entmündigung war, das Recht zu erlangen, mir die Verfügung über mein ziemlich bedeutendes Vermögen zu entziehen, weil dadurch jede weitere Ausbeutung meiner Erlebnisse im Gesamtinteresse sehr erschwert würde. Da ... trat ich anfangs Juli 1900 (gleich nachdem obiges Inserat in Berner Zeitungen erschienen war) in die Anstalt Waldau bei Bern, ohne ärztliches Krankheitsattest freiwillig auch zu 4wöchentlicher Beobachtung ein. Der Direktor dieser Anstalt, Herr v. Speyr, hielt mich aber 3 Monate in qualvoller Weise gewaltsam zurück, und waren diese drei Monate das Entsetzlichste, was ich je erlebt habe. Später erfuhr ich, dass meine Verwandten ihn zu dieser Gewaltsamkeit ermächtigt hatten.109

Im Oktober 1900 verhängte das Amtsgericht Schwetzingen die Entmündigung110 und Elise Hegemann-Vorster wurde in die Anstalt Pützchen bei Bonn gebracht. Dort schrieb sie eine Widerlegung des Entmündigungsantrages111 und nahm nach ihrer Entlassung mit Dr. Eugen Bilfinger Kontakt auf, der ihr nach Waldau geschrieben hatte, um sich ihr Anliegen zu eigen zu machen. Mindestens ein vergleichbares Geschick ist dokumentiert. 1894 erlangte ein ehemaliger Patient vor der Strafkammer des Düsseldorfer Landgerichtes die Aufhebung seiner wegen Geisteskrankheit 1884 verhängten Entmündigung112. Dem ging ebenfalls eine Anstaltskarriere von Einweisung, Entlassung, Rückfall, Neueinweisung, Flucht, Entmündigung voraus. Ebenfalls war dieser Patient zum Aufenthalt in Bonn und Andernach, von wo er auf Intervention Werner Nasses entlassen wurde113. Zwei Psychiater waren offenbar der Ansicht, daß über die Erkrankung zum Zeitpunkt der Entmündigung kaum Zweifel bestanden, diese aber nicht die lange Hospitalisierung und anhaltende Entmündigung rechtfertige. Ebenfalls hielt er sich dann in der Schweiz auf und kämpfte von dort aus drei Jahre gegen seine Entmündigung. Und ebenfalls steht dieser Fall in Verbindung mit ehelicher Untreue, bei der die Ehefrau mit ihrem Geliebten erhebliche finanzielle Mittel unterschlagen hatte. In diesem Fall war auch ein nicht unbedeutendes Presseecho nachzuweisen, das nicht bei der Kommentierung des Prozesses stehenblieb, sondern Kritik an den Anstalten laut werden ließ 114 . mund ist der Geschäftsführer meiner Brüder, die im Verein mit meinen Kindern meine Entmündigung beantragten .... Siehe auch Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 249 f. 1 0 9 Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 161 f. [Hervorhebung, wenn nicht anders vermerkt, jeweils im Text.] 1 1 0 Hegemann-Vorster, Irrenhaustragödie ..., S. 46. 1 1 1 Widerlegung des Rechtsanwalt Dr. Guttmann'schen Entmündigungsantrages, Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 11-32 und S. 162 f., 188 f. Dort wird ihr geraten, der Entmündigung zuzustimmen und sie entlassen, ohne sie für nicht "entmündigungsbedürftig" zu erklären. 1 1 2 Blasius, Wahnsinn ..., S. 124-129 stellt den Prozeß nach den im Archiv der Provinzialstände erhaltenen Akten dar. 1 1 3 Auch hier erscheint die Figur des Psychiaters Finkelnburg, der vor Gericht zugunsten des Patienten intervenierte. 1 1 4 Auch vergleichbar wären die Broschüren als Publikationen der Betroffenen, die in einem weiteren von Blasius dokumentierten Fall bei der gerichtlichen Auseinandersetzung eine Rolle spielten.

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2.4 Faktoren

Eine These zu den Verwerfungen im Prozeß der Institutionalisierung psychiatrischer Versorgung - die mehr Forschungsdesiderat bezeichnet als sie Erkenntnis anzeigt - , hätte zu berücksichtigen, daß im Verlauf solcher Anstaltskarrieren diverse Faktoren wirksam werden. Erheblich scheint weniger die individuelle Disposition und die pathologische Diagnose des potentiellen Patienten zu sein. Vielmehr muß zu einer Abweichung ein Sekundärinteresse der Umgebung treten, das als Ursache und Beginn der Anstaltskarriere wirksam wird. Für den Verlauf sind die bürokratischen Bedingungen, die spezifische Erkenntnislage der psychiatrischen Disziplin und die individuelle Disposition verantwortlicher Mediziner ausschlaggebend. 1901 erschien die zweite Broschüre Elise Hegemann-Vorsters mit ihrem Bericht über den Aufenthalt in Waldau, vorangestellt das Geleitwort Bilfingers. Sie betont nun als Anliegen der vorigen Veröffentlichung die Frage, ob (die Anstalt) „Illenau recht oder unrecht handelte" und setzt damit die Frage nach Beweisen aus. In der Absicht, gegen die zweite Entmündigung zu protestieren, ist hier das Problem von Entmündigungen auf eine allgemeinere Ebene gehoben115 und die Schuldfrage bzw. Anklage der Verwandten damit zum Teil zurückgenommen worden. Das entspricht einer Weiterentwicklung des Problembewußtseins in der Richtung vom Subjektiven zum Gesellschaftlichen, auf das Bilfinger Einfluß gehabt haben dürfte. Zu dem am 30. Januar 1901 anstehenden Verhandlungstermin erschien vermutlich die dritte Schrift der Verfasserin mit ihrer Sammlung von etwa 200 'Laiengutachten', in der die Familienzwistigkeiten im Kontrast zu den dort versammelten positiven Beiträgen wieder offener dargelegt werden116. Der Tod des Ehemannes wurde zu einem zweiten Wendepunkt. Die Mutter versuchte die Möglichkeit zu ergreifen, für die beiden Minderjährigen wieder in ihre Rechte zu treten. Die größere Familie lehnte dies ab und suchte die Minderjährigen und deren ererbten Besitz zu schützen, indem sie der Ehefrau erneut mit Hospitalisierung und Entmündigung drohte. Deshalb führte die Ehefrau ihren Entschluß, öffentlich gegen die Etikettierung und Hospitalisierung vorzugehen, dem sie eine soziale und religiöse Bedeutung verliehen hatte, konsequent durch und publizierte ihre Anstaltsgeschichte in drei Broschüren. Die größere Familie versuchte dies zu unterbinden und erreichte eine zeitweise Rehospitalisierung und erneute Entmündigung. Die Chancen einer integrativen Rückkehr waren damit erloschen. Stattdessen kehrte die Ehefrau in ihren reduzierten Status einer hartnäckiger Präsenz im Haushalt ihres Ältesten zurück und gefährdete damit dessen Familie. Das am 18. Januar 1900 von Ottmar Hegemann eigenhändig verfaßte Testament ist ein letztes Dokument dieser Verwerfungen. Mein ältester Sohn Ottmar hat durch sein unkindliches und eigenwilliges Wesen meine letzten Jahre verbittert. Obgleich m. geschiedene Frau durch ihre hysterische Verrücktheit 115 Hegemann-Vorster, Irrenhaustragödie ..., S. 14 f.: Ob eine einzelne Privatperson gesund oder krank ist, das hat auf die Allgemeinheit keinen Einfluß. 116 Über den Verlauf dieser Verhandlung ist nichts bekannt. Im Generallandesarchiv Karlsruhe wurde lediglich der Eintrag zum Entmündigungsverfahren 1886 ermittelt, dessen zugehörige Akten vom Amtsgericht 1934 vernichtet wurden. Schreiben von Herrn Leonhardt, Generallandesarchiv Karlsruhe, vom 11. März 1991.

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2.4

Testament

zehn Jahre im Irrenhaus (in sechs verschiedenen) zubringen musste, & den hochmüthigen Verhetzungen ihres Bruders Julius haltlos mein Glück & ihren eigenen Frieden geopfert hat; obgleich sie nie verstanden mit Geld umzugehen, wollte sie doch mir dem praktischen Haushalter auf ihres Bruders Betreiben die Verwaltung ihres Vermögens entziehen. In folge dessen hat sie annähernd eine Summe von Μ 100.000 verbraucht, theils in den verschiedenen Irrenhäusern theils durch Verrücktheiten Unter normalen ... [= Verhältnissen ?] wäre eine noch weitere größere Summe von mir erpresst worden & und ich hätte sie bei der Scheidung nicht ersetzen müssen. Trotzdem gab sich der älteste Sohn dazu her, die Entmündigung dieses Weibes & die Scheidung möglichst schnell herbeizuführen, • ·.[?] zu härteren Bedingungen gegen mich zu veranlassen! Schließlich verlangte er außer dem voll ergänzten Vermögen noch weitere Μ 60.000 statt einem die beiden jüngsten Kinder. Ich wünsche ihm, daß er an seinem eigenen Fleisch & Blut den Jamer spürt, den er seinem Vater veranlaßt hat. Ich erwarte, daß er keinen Pfennig meiner Ersparnisse annimmt, sei es direct oder indirect durch seine Mutter, daß ihm bei Mißachtung auch meines letzten Willens schließlich Alles zum Unheil ausschlägt. - Für alle Fälle setze ich diesen ältesten Sohn Ottmar & den zweiten Ernst auf Pflichttheil, auch dieser hat seinen Vater gemieden. Das Haus hier ist bis auf den Betrag von Μ 50.000 abgeschrieben, ich bestime, daß dasselbe mit dem gesamten Inhalt & Mobilien meinen Töchtern Clara & Paula verbleibt, ohne daß denselben der Betrag dafür, den ich hiermit auf Μ 54-000 und Inhalt festsetze, an ihrem Erbe gekürzt werden darf. Ich erwarte daß keine der anderen sich diesem letzten Willen widersetzt. Sollte Werner dies trotzdem thun so setze ich ihn auch auf den Pflichttheil.

Am 3. Mai übergab der Schwiegersohn Dr. Constantin Krauß Hegemanns Testament dem Amtsgericht. Auch die ältesten Söhne befanden sich zu dieser Zeit in Wiesbaden, doch nur im Beisein von Ernst Hegemann - Ottmar und Clara hatten ihre Kenntnis des Inhalts bereits schriftlich erklärt - wurde das Testament am 12. Mai eröffnet und ihm vorgelegt. Krauß gab auf Nachfrage den Wert des Nachlasses mit 650.000 Mark an 117 . Das Wiesbadener richtete sodann eine Anfrage an das Heidelberger Amtsgericht ob der Bestellung eines Vormunds für die unmündigen Kinder, da nach Angaben der Verwandten die in Heidelberg lebende Mutter noch geistig gestört ist. Der Wiesbadener Rechtsanwalt Dr. Guttmann wurde zum Pfleger der jüngsten Kinder bestellt und vertrat die älteste Tochter bei der Abwicklung der Erbschaft. Er beantragte am 23. August einen gemeinschaftlichen Erbschein, den das Amtsgericht Wiesbaden am 29. August 1900 ausstellte und Clara, Paula und Werner Hegemann als Erben zu gleichen Teilen benannte 118 . Ottmar Hegemann Jr. versuchte am 10. Oktober des Jahres durch einen Dresdner Rechtsanwalt, die Vollstreckung anzufechten. Sein Anwalt erklärte, daß der Alteste dem Testament zufolge enterbt sei, falls er sich mit der Enterbung jedoch nicht einverstanden erkläre, weniger als den Pflichtteil erhält, da nach dem Testament bei Berechnung des Pflichtteils das hinterlassene Grundstück nebst Inventar von den hinterlassenen Töchtern für 50.000 Mark anzurechnen ist, während diese Nachlaßobjekte bedeutend 117

Nachlaßakte Hegemann ..., Bl. 6 f., 8-10. Nachlaßakte Hegemann ..., Bl. 15. Urschrift. Ein Frankfurter Notar reichte den Antrag mit den notwendigen Erklärungen der Erben über die Annahme nach. Er bezifferte den Wert des Nachlasses dabei mit 600.000 Mark. 118

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2.4

Erbschaft

mehr wert sind119. O t t m a r Hegemann versuchte, aus der Verknüpfung seiner Benachteiligungen einen juristisch haltbaren Widerspruch zu konstruieren, unterließ aber weitere Schritte, so daß sein Anwalt ihm vermutlich abgeraten hatte. Zum Herbst des Jahres 1900 standen gegenüber den per Pflichtteil ausgegrenzten ältesten Söhnen die Töchter Hegemanns wie auch der Jüngste wohlversorgt resp. gut ausgestattet mit einem Erbteil von nahezu 200.000 Mark im Leben 1 2 0 . Am 15. Oktober 1900, setzte Elise Hegemann-Vorster ein Testament zu Gunsten zweier ihrer Söhne auf, um dieselben wegen einer, väterlicherseits erlittenen letztwilligen Benachteiligung schadlos zu halten121. Sie entschädigte O t t m a r und Ernst inkonsequenterweise damit trotz ihrer Enttäuschung über deren Beteiligung am erneuten Entmündigungsverfahren.

2.5 Kinder Es bleiben die Rahmendaten zusammenzustellen, die Auskunft über die Entwicklung der weiteren Familie geben können. Der Erstgeborene soll Elise Hegemann 1879, mit zehn Jahren, nach Andernach geschrieben haben: Wir freuen uns, daß die Familienverrücktheit bei Dir im Abnehmen begriffen ist.122 Laut seiner Mutter von ihrem Ehemann ihm diktiert, könnte es auch altkluges Reproduzieren sein und zeigte, wie im Hause gesprochen wurde. O t t m a r besuchte Gymnasien in Bonn, Mannheim und Höxter, wo er 1888 das Abitur ablegte und verbrachte damit einen Großteil seiner Kindheit außerhalb der Familie. Anschließend studierte er in Tübingen, Heidelberg und Halle Theologie, um nach der Vorprüfung von 1891 Seminare in Straßburg und Erlangen zu besuchen. Er wurde in Mannheim ordiniert und danach Vikar in Orbigheim, Hohensachsen, Mundingen und Heidelheim. Nach einer fünfmonatigen Beurlaubung, die der Dissertation über Friedrich II. und die Katholische Kirche galt 1 2 3 , war er als Vikar in Bruchsal, dann als Pfarrverwalter in Plankstadt und Durlach tätig 1 2 4 . Von Mundingen aus besuchte O t t m a r seine Mutter wiederholt in Emmendingen 1 2 5 . 1896 lebte er mit Elise Hegemann-Vorster im gemeinsamen Haushalt, den sie führte, zunächst 119 Nachlaßakte Hegemann ..., Bl. 23. Der Urschrift des Erbscheins fehlt ein Vermerk, so daß die Anfechtung folgenlos blieb. 120 Höhe und Abwicklung des Pflichtteils sind als Schuldenrecht nicht Bestandteil der Akte. Die sinkende Veranschlagung des Nachlasses „zwecks Kostenrechnung" läßt auf einen höheren Gesamtwert schließen, so daß die Annahme eines Anteils dieser Höhe zulässig erscheint. 121 Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 83, 199. 122 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 34. 123 Ottmar Hegemann, Friedrich der Große und die Katholische Kirche in den reichsrechtlichen Territorien Preußens. Nach den im Auftrag der Kgl. Archivverwaltung publizierten Akten des Kgl. Preuss. Geheimen Staatsarchivs dargestellt, Phil. Diss., Heidelberg 1904. Er wurde mit dieser Arbeit am 17. April 1904 in der philosophischen Fakultät in Heidelberg promoviert; Schreiben von Herrn Dr. Keßler vom 13. Februar 1989, Universitätsarchiv, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. 124 Schreiben des Badischen Evangelischen Oberkirchenrates Karlsruhe an den K.K. Evangelischen Oberkirchenrat Wien, 17. Juli 1899. Evangelischer Oberkirchenrat A.B. Wien, Personalakt Pfarrer Dr. Ottmar Hegemann. 125 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 21, 72, 128 und S. 228.

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2.5 Älteste

in Bruchsal, nach 1898 in Plankstadt 1 2 6 . Ein gutes Einvernehmen suggerieren nicht nur die veröffentlichten Eintragungen in das gemeinsame Gästebuch, nach dem auch andere Familienmitglieder wie Clara oder die Schwester Ria March Besuche machten, sondern auch die Vollmacht seiner Mutter, während ihrer Abwesenheit alles die minderjährigen Geschwister betreffende an[zu] ordnen. Der gemeinsame Haushalt wurde mit Ottmar Hegemanns Wahl zum Personalvikar in Haida, Bezirk Böhmisch Laipa 127 , im Juni 1899 aufgelöst. Erst mit dem Erscheinen der ersten Broschüre änderte sich das Verhältnis offenbar schlagartig. Im Juni 1900 verweigerte die gesamte Familie Elise Hegemann-Vorster finanzielle Unterstützung. Im Juli wurden Ottmar und sein Schwager in Bern angekündigt, um sie wieder in eine Anstalt zu bringen 128 . Bilfinger berichtet 1901 über ein Gespräch mit Ottmar Hegemann, das von der Entrüstung über die kompromittierende Veröffentlichung beherrscht wurde. Die Familie hielt dieselbe deshalb für einen erneuten Ausbruch von Wahnsinn. Zugleich wollten die Kinder das Vermögen ihrer Mutter für sich auf alle Fälle gesichert wissen. Die älteste Tochter Clara besuchte die Mutter im September 1893 gemeinsam mit den jüngeren Kindern in der Anstalt Illenau, nachdem sie sich sieben Jahre nicht gesehen hatten. Sie sah ihre Mutter nach deren Einweisung wohl nur zweimal, konnte in der Hospitalisierung aber „kein Unrecht" erkennen 129 . Nach deren Entlassung gab es eine Wiederannäherung, da sie ihre Mutter besuchte und mit ihr reiste. Der Tod des Vaters und die Veröffentlichungspläne zerstörten diese jedoch. Clara heiratete am 24. April 1900 in Höchst den Chemiker Dr. Constantin Krauß und brach den Kontakt zur Mutter ab 130 . Krauß hatte seine Schwiegermutter offenbar noch nie gesehen, war aber gemeinsam mit Ottmar an ihrer Entmündigung interessiert. Dennoch muß das Verhältnis zwischenzeitlich ein gutes gewesen sein, wie ein Besuch und eine gemeinsame Reise mit der Mutter darstellen. Insbesondere der Freitod des Zweitältesten bestärkte Elise Hegemann-Vorsters Reinterpretation eines idyllischen Familienlebens. Ihren Vorstellungen von der Macht mütterlicher und ehelicher Liebe entsprechend, hält sie an dem Glauben fest, daß ihre Anwesen126

Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 29, 34, 55 und S. 88; Haushaltsauflösung S. 57; Brief von Friedrich von Bodelschwingh vom 29. Januar 1901 an sie: ... Sie sagten mir, Sie müssten zu Ihrem Sohn, und da haben Sie doch keine Heimat gefunden ... Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 109; Gästebuch S. 88-96, 30. 127 Die Gemeinde Haida wurde erst 1905 selbständig (1912/13 408 Evangelische), gehörte zur Westlichen Superintended Augsburgischen Bekenntnisses. Nach Genehmigung des k.k. Ministeriums für Cultus und Unterricht und Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft Hegemanns bestätigte der Evangelische Oberkirchenrat die Wahl. Hegemann war für zunächst drei Jahre angestellt und zuständig für Seelsorge, Religionsunterricht und pfarramtliche Amtshandlungen auch in weiteren Gerichtsbezirken. Schreiben von Waltraud Stangl, Evangelischer Oberkirchenrat A.B. Wien, vom 3. April 1991 mit Verweis auf OKR ZI. 1715/1899, ZI. 27562, ZI. 3132/1899. 128

Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 130-132, 128, 114; Bilfinger, Orientirung ..., S. 6. Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 73 über den Besuch von 1893; S. 167 f. 130 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 238 f. Elise Hegemann-Vorster schreibt einen Brief an den Briefträger [!] ihrer Tochter, daß sie sich gegen die Einlieferung wehren, sich aber freiwillig einer Beobachtung unterziehen wolle; Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 130 f.; die Tochter S. 88, 94. 129

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2.5 Familienidylle

heit alle Fehlentwicklungen verhindert hätte. So erhebt sie schließlich auch nicht mehr dieselben Vorwürfe gegen ihren Ehemann, den sie am Anfang als den Täter sah, der sie gewaltsam in eine Anstalt verschleppte. Sie verwandelt ihn in dieser Perspektive zum Opfer. Nun sieht sie ihn als Opfer der medizinischen Definition, d.h. also der Arzte und seinem Glauben an deren Befund, gipfelnd in dem Satz: Er ist seelisch gemordet worden, ohne es selbst zu ahnen!131. Dahinter verschwinden alle weiteren potentiellen Differenzen, insbesondere auch die gegenüber Bilfinger so häufig hervorgehobenen finanziellen Interessen, die ihr Ehemann bei seinem Vorgehen gehabt habe und die nach seinem Tod auch auf die Kinder übertragen wurden. Deshalb kann ihre Schlußfolgerung nur lauten, daß (die Anstalt) Illenau dem idyllischen Familienleben ein jähes Ende setzte 132 . Daher wird das, was Elise Hegemann-Vorster über das Familienleben vor ihrem Anstaltsaufenthalt mitteilt, von retrospektiver Interpretation geprägt sein 133 . Dennoch teilt es etwas von der Atmosphäre in einem bildungs- und großbürgerlichen Haushalt mit, in dem sich eine Haushälterin der Organisation annimmt und die Mutter für die musischen und sonstigen Interessen der Kinder Zeit hat. Elise Vorster ist eine belesene und bibelfeste Frau, die ihre Lektüre vorzugsweise in der Lyrik romantischer Naturbeseelung wie der Nikolaus Lenaus und in pietistischen Schriften sucht. Sie liest fließend englisch und verfaßt eigene Gedichte, verfügt über pianistisches Können und musikalisches Interesse und ist sich ihrer gesellschaftlichen Stellung bis zur Arroganz bewußt. In diesen idyllisierenden Schilderungen von „liebevollem Vertrauen" und der „Anhänglichkeit" der Kinder oder den Quartetten und Quintetten, in die sie ihre Kinder musikalisch organisierte, gibt es nur eine Ausnahme. Mit dem bildgerechten Schwelgen der Empfindsamkeit hebt nur ein einziger Hinweis auf eine Entfremdung bereits vor der Einweisung ab 134 . Die Kinder seien um so mehr alles Heimwehs entwöhnt, weil vor dieser 131

Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 125 f. und S. 234 [im Original der gesamte Satz hervorgehoben] . 132 Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 240. 'Die Anstalt als Täter' leitet den oben angeführten Wahrnehmungswandel im Zweck der Veröffentlichung ein. Die Umdeutung erstreckt sich auch auf die Brüder. Obwohl Fritz Vorster am 9. März 1900 bereits einen drohenden Brief (221 f.) schrieb, der die Kinder als Anstifter darstellte, ging doch der Entmündigungsantrag von allen gemeinsam aus. Dennoch Hegemann-Vorster am 23. Juni 1900: Es war und ist mein Stolz und meine Freude, sie [die Brüder] zu den trefflichsten und edelsten Menschen zählen zu dürfen ...; Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 132 und S. 123, noch am 3. Januar 1901: In meiner, aus über 100 Personen bestehenden, nächsten Verwandtschaft, ist aber nicht eine einzige minderwertige, geschweige denn eine nicht achtenswerte Persönlichkeit. Das beweist die Verkehrtheit des Systems, wodurch alle getäuscht und falsch beeinflusst sind und Niemand von den Meinigen mir in diesem Kampfe zur Seite steht. 133 Bezeichnenderweise finden sich solche Schilderungen nur in der ersten Schrift, da die damit erfahrene Ablehnung durch die Kinder diese Erinnerungen im Wert vermindert hat. - Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 202, 239 f., 247, bes. S. 230. 134 Im Zusammenhang mit der Schilderung der Entfremdung durch Illenau erzählt sie: Vorher hingen sie mit so liebevollem Vertrauen an mir, dass zwei meiner Söhne mir ausführliche Tagebücher mit den vertraulichsten Herzensergüssen nach Illenau sandten und lieber die unvermeidliche Kontrolle seitens der Ärzte in Kauf nahmen, als darauf zu verzichten, mich in Alles einzuweihen, was sie bewegte. Hier dient das Bild - als bewußte Handlung von Sieben- bis Zwölfjährigen fragwüdig - zur Verstärkung dessen, wozu vorher noch die Berufung auf die 'Mutter von 10 Kindern' genügte: die Trennung zum Schaden beider Seiten, da sie nun „einsamer als eine Kinderlose" sei; Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit

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2.5 Jüngere

7jährigen Trennung jenes öfter erwähnte Nervenleiden auf mir lastete, durch welches ich meist unharmonisch, gereizt und ungemütlich war und bei den armen Kindern daher die Erinnerung an mich nur unerquicklich sein konnte. So erzählte mir kürzlich noch einer der jüngeren Söhne, daß er sich vom Zusammenleben mit mir vor Rienau nur noch einer schroffen Zurückweisung erinnere, als er mich einst um etwas gebeten habe. Während Ernst Hegemann als der wohl von beiden Elternteilen vernachlässigte kaum erscheint 135 , wurden die beiden jüngsten offensichtlich zum Spielball der Verfügungskonkurrenz der Eltern. Als nach der Scheidung wieder die Mutter zuständig war, bedeutete dies für die jüngste jedoch nur häufige Ortswechsel und führte sie widersetzlich in den Haushalt des Vaters zurück. Die wenigen Feststellungen, die hieraus für die Kindheit Werner Hegemanns 136 ergeben - Abwesenheit der Mutter seit seinem fünften Lebensjahr, wechselnde Bezugspersonen, Selbstmord des älteren Bruders, Scheidung der Eltern, räumliche Trennung der Familienmitglieder und Geschwister und ein erstes Wiedersehen mit der Mutter im Alter von zwölf Jahren - lassen mehr Fragen offen als sie Antworten geben können. Festzuhalten ist, daß es sich in keiner Weise um die unbeschwerte, wohlbehütete Kindheit gehandelt hat, die für den finanziellen und Bildungshintergrund zu erwarten gewesen wäre. Im Gegenteil scheinen sich Person und Persönlichkeit der Mutter wie der Konflikt und auch die Zurückweisung des Vaters im Leben der beiden ältesten Brüder als belastende Hypothek ausgewirkt zu haben. Ernst, für den seine Mutter 1899 ebenfalls von Selbstmordplänen berichtete, schien Schwierigkeiten bei einer Berufsfindung zu haben. 1908 führte er eine „Zeichenstube für Landhausbau, Hausrat und stilisierte Garten" im oberbayerischen Murnau 1 3 7 und ging eine Ehe ein, die 1915 wieder geschieden wurde. Es ist nicht auszuschließen, daß er als Zeichner auch für seinen Bruder Werner tätig war 1 3 8 . Nach Familienerinnerungen sei er Architekt gewesen, habe aber die meiste Zeit mit Untersuchungen zu Kultur- und Religionsgeschichte verbracht, die er in der Bayerischen Staatsbibliothek unternahm, aber „bei ewigen Studien steckenblieb" 139 . ..., S. 126 f. - Der Hinweis im Anschluß an die Schilderung des Besuchs der Kinder im September 1893; Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 167. 135 Er müßte mit dem 'jüngeren' gemeint sein. Nach Gustavs Tod als Zweitältester bezeichnet, besuchte Elise ihn wegen seiner Selbstmordgedanken in Folge der Auflösung seiner Verlobung durch die Braut 1899 in Genf; Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 12, 50; vgl. Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 151 [im Original hervorgehoben]: ... diese Blätter vielleicht einem mir nahestehenden augenblicklich in der Schweiz weilenden jungen Mann in die Hände fallen, der auch schon Selbstmord plante, aber solch feindliche Gesinnung mit gegenüber hegt, daß ich direkt keine Nachricht an ihn gelangen lassen kann. 136 Er wird in den ersten beiden Schriften seiner Mutter nur einmal erwähnt, als Empfänger eines Zügels für sein Schaukelpferd, wobei es sich nicht um Geschenk handelte, sondern eine List, die Kontrolle der Arzte zu unterlaufen. 137 Nachlassakte Hegemann ..., Bl. 27. 138 Im AV finden sich einige Zeichnungen mit stilisierter Signatur, die auf ihn zurückgehen könnten; die Zeichner wurden nicht immer genannt. 139 Schreiben von Dr. Ing. Otto Krauß, Starnberg, 27. April 1992; seines Neffen, Sohn der ältesten

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2.5 Religionen Für ihn wurde offensichtlich die Religion zum Lebensthema. Seit mindestens 1911140 beschäftigte er sich mit einer Neuschaffung altarischer Naturreligion in Erscheinung tretend durch das Naturkultusdrama ..., die zu einer umfangreichen Bearbeitung alter Mythen und religiöser Topoi, nach Familienerinnerung alternativer Kulturtheorien auf der Suche nach einer möglichen Synthese wurde141. Das Bewußtsein, auf Befremden zu stoßen, begleitete ihn offensichtlich früh und steigerte sich in Kombination von Hypertrophie mit unterwürfiger Bescheidenheit142, ohne daß offenbar ihm ein Durchbruch gelingen konnte. Dagegen gelang es dem ältesten Bruder, seine religiösen Bedürfnisse in politischen Aktivismus umzusetzen. Mit seiner Amtseinführung im böhmischen Haida im November 1899 geriet Hegemann in das Gebiet der „Los von Rom"-Bewegung und entfaltete darin seine Aktivitäten. Mit der seitens Osterreich 1897 verordneten Doppelsprachigkeit, die den Nationalitätenkonflikt entschärfen sollte, erhielt diese Bewegung ihr Motto von einem deutschnational beeinflußten „Volkstag". Hinter dieser Parole stand nun die Aufforderung zum Austritt aus der Katholischen Kirche, mit Unterstützung der Alldeutschen eine Bewegung gegen den österreichischen Staatsgedanken zum deutschen Nationalismus. Von Januar 1889 bis März 1900 traten über 10.000 Österreicher aus der Katholischen Kirche aus. Neue protestantische Pfarrstellen wurden eingerichtet, 1898 ein Ausschuß zur Förderung der evangelischen Bewegung, 1902 eine eigene Zeitschrift, „Die Wartburg" gegründet, in der Hegemann auch publizierte. Die österreichische Evangelische Kirche hielt sich dabei jedoch bedeckt und Hegemann wurde 1901 wegen seiner deutschnationalen Äußerungen in einem Aufruf zum Kirchenbau in Haida auf eine Beschwerde des Ministeriums für Cultus und Unterricht hin von der Superintendentur offiziell abgemahnt 143 . Hegemann hatte das Bestreben nach Freiheit von österreichischen staatlichen Eingriffen und Auflagen, die ethisch-religiöse Überhöhung des Nationalismus und die Unvereinbarkeit von Deutsch- und Katholiksein agitatorisch betont. Seine Beredsamkeit auf der Kanzel, die er in dieser Sache weiter einsetzte, war bereits im Schwester. 140 Schreiben von Ernst Hegemann an Michael Georg Conrad, Mitarbeiter der „Täglichen Rundschau" und Herausgeber des „Literaturblattes" in München, 21. und 29. Februar, 27. April, 7. Juli 1911 und 11. März 1916. Stadtbibliothek München, Handschriftenabteilung. Zitat 29. Februar 1911. 141 Nachlaß Ernst Hegemann, Bayerische Staatsbibliothek München, noch ungeordnet. Auszug aus der von Dr. Sigrid von Moisy dankenswerterweise aufgestellten Liste der Mappentitel: ... Aberglaube; Schemata; Tilak; Jungborn; Jahresring, Ringsagen, Sonnenring; ... Allelternlehre, Allwahriwinei; Weltbild der Indo-Arier (Welt-Ei); Zehn Gebote; Schlangensagen der Bibel; ... Biblische Belange...; Entlarvung der Bibel; ... Ergänzungsschriften der Alleinlehre ..., Die künftige arische Religionsform auf arktischer Grundlage. Ein Grundriß.; Tuisto - Gottei; Gottvater und Gottsohn; Ciste. Weltall als Truhe, Bundeslade, Schlangenkorb: Ausgesetzte Schlangensöhne; fen - neph; ... Sonnenpferd, Hirsch und Stier; Sonnenschatz und Sonnenapfel; Sonnengott. Sonnenwagen. Männliche Sonne; Weltmühle; Weltturm ...; Seelenlehre; Zerstückelungssagen. Ymir-Sagen; Dyaus; ... Urgeschichte 142 Vgl. E. Hegemann an Georg, 11. März 1916. 143 Ottmar Hegemann, Die evangelische Heilandskirche in Haida. In: Ostdeutsche Rundschau, 9. April 1901, S. 2. Schreiben von Waltraud Stangl vom 3. April 1991 mit Verweis auf OKR ZI. 1765/1901.

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2.5 Nationalismus

Gutachten der Badischen Kirche gelobt worden. Die erfolgreiche Enthusiasmierung der Gemeinde Haida, die ihn bei seinem Weggang 1904 lobte, stieß bei der Evangelischen Superintendentur Augsburgischen Bekentnisses in Böhmen 1905 auf Skepsis, die seinem, dem Seelsorger schlecht anstehenden Fanatismus galt 144 . Hegemann suchte 1903 um eine dreimonatige Amtsenthebung für wissenschaftliche Arbeit nach, blieb aber bis zum Antritt des Nachfolgers im Juni 1904 im Amt. Er wurde mit seiner auf publizierten Akten, die ihn ortsunabhängig machten, beruhenden Dissertation im April 1904 in Heidelberg promoviert. Vermutlich hatte dieses Gesuch jedoch familiäre Gründe. Am 17. Januar 1901 heiratete Ottmar Hegemann in Dresden Luisita Carl (1877-1967). Die Heirat veränderte ebenso wie bei Clara Hegemann das Verhältnis zur Mutter. Elise Hegemann-Vorster schrieb am 20. November 1900 aus Dresden: Meine Schwestern, welche auch hier sind, sowie mein Sohn und die ganze Familie der Braut sind so felsenfest von der Richtigkeit der Entmündigung überzeugt, dass jedes diesbezügl. Wort zwecklos!145. Die Veröffentlichungen und ihr Auftreten bedeuteten sicherlich keine gute Einführung der Schwiegermutter und klären Ottmar Hegemanns Beteiligung an der erneuten Einlieferung vom Sommer des Vorjahres. Zum Zeitpunkt der Beurlaubung stand es mit der Ehe nicht zum besten. Obwohl das Presbyterium jedwede Kenntnis von sich wies - auch in Dresden hätten die Eheleute bis Ende 1904 zusammengelebt und in Haida stets in bester Eintracht -, kannte die Superintendentur mindestens Gerüchte, die eine Schuld der Ehefrau zuwiesen. Gründe der Mißstimmung können in Luisita Hegemanns Abneigung gegen die Provinz gesehen werden - Hegemann bemühte sich in Dresden erfolglos um die Stelle eines Stadtkrankenhauspredigers - , aber auch in Ottmar Hegemanns freizügigem Umgang mit seinem Besitz, aus dem er große Spenden für den Kirchenbau machte und auch Verwandte dazu anhielt. Als Ottmar Hegemann sich mit Ende des Jahres 1904 von seiner in Dresden verbleibenden Familie trennte, warfen ihm angeheiratete Verwandten Geisteskrankheit vor, während in den Berichten über sein Privatleben alle Schreiber betonten, daß die Hauptschuld an Eheproblemen seine Gattin und nahe Verwandte trugen 146 . Die Krankheitsgeschichte der Mutter stellte das Muster für die Definition des abweichenden Verhaltens. Auch bei Werner Hegemann wird diese Hypothek insofern zur Geltung kommen, als sein späterer Schwiegervater sich aufgrund dessen zunächst gegen eine Verbindung ausspricht. Zu den mitverursachenden Verwandten gehörte jedoch Elise HegemannVorster selbst, die wieder an ihre Stelle als Haushälterin trat und eine Versöhnung kaum gefördert haben wird. 144

Personalakt Hegemann ..., Schreiben des Presbyteriums der Evangelischen Gemeinde A.B. Haida an die Westliche Superintendentur A.B. in Böhmen, Aussig vom 19. Oktober 1905, und Schreiben der Evangelischen Superintendentur A.B. in Böhmen, Aussig an den Evangelischen Oberkirchenrat Wien vom 2. Oktober 1905. 145 Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 114, Brief an Bilfinger. 146 So das Fazit von Waltraud Stangl nach Durchsicht der Akten in ihrem Schreiben vom 3. April 1991.

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2.5 Nachwirkungen

Nach verschiedenen Aushilfstätigkeiten bewarb Hegemann sich um die Stelle eines Pfarrers in der Gemeinde Laibach, dem heutigen Ljubljana, zur Wiener Superintendentur Helvetischen Bekenntnisses gehörig. Vermutlich erwartete Hegemann in der Diaspora der vierhundertjährige Bischofssitz verzeichnete 1912/13 immerhin 600 Evangelische ein vergleichbares Nationalbewußtsein. Im September 1905 gewählt und Januar 1906 ernannt, bestätigte er in seiner Antrittspredigt seine Sicht von der Identität von „deutsch sein und evangelisch sein". Hegemann stößt auch hier sogleich wieder auf Begeisterung in der Gemeinde, die sich durch Teilnahme von Katholiken am Gottesdienst gestärkt sieht, und Skepsis seitens des Superintendenten, der Anlaß zu einer „ernsten Unterredung" sieht 147 . Wie es sich von selbst versteht, kam es auch in Beziehung auf die Wiederherstellung des ehelichen Gemeinschaftslebens des Pfarrers zu einer ernsten Aussprache, und zwar besonders auch mit dessen bei ihm wohnender Mutter. Der Pfarrer hat schon alle Schritte getan und spricht davon, daß seine Frau im Laufe der nächsten Monate mit den Kindern zu ihm kommen werde; die Mutter wird dann die häusliche Gemeinschaft verlassen. Ich drang auch bei ihr mit aller Entschiedenheit darauf, daß die Wiedervereinigung dem gegebenen Worte gemäß erfolgen müsse. Auch in Gemeindekreisen wurde diese Erwartung ernstlich ausgesprochen.

Bei aller Diskretion wird sichtbar, daß nach Meinung des Superintendenten eine übereifrige Elise Hegemann-Vorster im Wege steht. Wenn Luisita Hegemann einer Rückkehr nur zugestimmt hatte, so sie mit Abreise der Schwiegermutter verbunden war, stimmte der Superintendent mit ihr überein. Obwohl zwischenzeitlich eine Scheidung geplant wurde, erfolgte 1909 die Versöhnung und 1910 die Geburt des jüngsten Sohnes. Elise Hegemann-Vorster muß entweder ihre Unterstützung durchgesetzt haben oder nach einer Abwesenheit zurückgekehrt sein, denn sie starb am 18. August 1911 in Laibach. In der Folgezeit arbeitete Hegemann zur Zufriedenheit der Superintendentur. Obwohl seine Fähigkeiten zu Unterricht und Seelsorge als schwächer beurteilt worden waren, fand seine umfangreiche schriftstellerische Arbeit - elf Aufsätze, davon allein fünf in der „Wartburg", sind nachweisbar - Anklang. Auch die größere Familie stützte ihn und bestätigte ihm seine Gabe, denn zur Trauerfeier für Otto March 1913 in Berlin hielt er die Predigt 148 , ohne allerdings etwa seinen jüngsten Bruder bei diesem Anlaß noch einmal gesehen haben zu können, da der bereits auf dem Weg in die Staaten war. Entsprechend seiner politischen Haltung ersuchte Ottmar Hegemann um Beurlaubung, um in den aktiven Heeresdienst einzutreten und erlangte schließlich eine Ernennung zum Feldkuraten der Reserve auf Kriegsdauer, nahm aber 1917 seine Arbeit als Pfarrer in Laibach wieder auf. Gleichzeitig bemühte er sich um eine Stelle im Deutschen Reich, vermutlich im ungebrochenen Glauben an die „deutsche Sache", denn wohl nicht zuletzt 14T

Personalakt Hegemann ..., Schreiben des Wiener Superintendenten H.B. O t t o Schack an den Evangelischen Oberkirchenrat, Wien, vom 3. März 1906 [H.i.T.]. 148 In der Ausstellung „Die Berliner Familie March" des Heimatmuseums Charlottenburg von 2000 wurde der Sonderdruck der Rede gezeigt. Der Katalog von Jochens und Hünert verzeichnet die Exponate nicht.

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2.5 Prägung

investierte die Gemeinde Laibach auf sein Anraten nahezu ihr gesamtes Vermögen in Kriegsanleihen 149 . Am 13. September 1917 machte Hegemann einen Gebirgsausflug in den naheliegenden Steiner Alpen, von dem er nicht zurückkehrte 150 . Auch Ottmar Hegemann war also streitbar und der Worte mächtig. Seine bei der Kritik stets in Rechnung gestellte besondere Begabung zur Rede und zur Predigt - ein Familienerbstück? Es entsteht das Bild eines begabten, belesenen und intelligenten, aber auch hochfahrenden Mannes, dem Toleranz und Einfühlsamkeit fehlen. In seiner politischen Ausrichtung erscheint er als Gegenbild zu seinem jüngsten Bruder. Hier ist es angebracht, zu überlegen, ob das Aufscheinen des Themas Religion als ein bedeutendes im Leben der Brüder auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden kann. Für den einen hieß es, das Engagement in der Kirche zu verknüpfen mit einem quasi außerreligiösen, politischen Fanatismus, den zu verfolgen ihn auch institutionelle Schwierigkeiten und Forderungen nicht abhielten; für den zweiten entwickelte sich daraus eine über die Ursprungsnormen hinausstürzende und diese sprengen wollende Suche, der möglicherweise kaum mehr Frieden abzugewinnen war als die permanente Last der selbstgestellten Aufgabe; beim dritten und jüngsten erscheint das Thema erst spät wieder nach Auseinandersetzung mit politischen Ikonen als ein Plädoyer für ein der Legenden entkleidetes, humanistisches Verständnis seinerseits postulierter Ursprungsideen. Diese Frage kann sicherlich auf der Basis der vorliegenden Dokumente nicht gelöst werden. Aber hinzuweisen ist auf die Bedeutung der Religiosität der Mutter und deren spezifischer Prägung. Dabei spielt weniger noch als die überbetonte Frömmigkeit der Mutter das gestörte Erleben von Religiosität eine entscheidende Rolle. Ihre Erwartungen an die religiöse Praxis der Kinder, die wahrscheinlich nicht zu erfüllen waren, standen einer befreienden Auseinandersetzung mit dieser Ideenwelt ebenso im Wege wie die wiederholt unterbrochene Konfrontation mit der strengen Religion der Mutter. Ein späterer Rezensent Werner Hegemanns vermittelt dazu einen aufschlußreichen Hinweis auf das „Schwelgen im Blut und den Wunden des Erlösers", das die pietistischen Lieder im „Christus" wiedergeben, in dem er einen Auslöser zur Lossagung vermutet. Sieht man darin Exemplare von Bildern, die sich in Kinderköpfen mit Macht festsetzen, erscheint die vergleichbare Prägung wahrscheinlich, wobei aus der Auseinandersetzung mit ihr sehr verschiedene Kämpfe um die eigene Religionsbildung hervorgingen.

149

Schreiben des Presbyteriums der Evangelischen Kirchengemeinde Laibach/Ljubljana an den Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß, Berlin-Charlottenburg, vom 23. 11.1932. EZA 5/890, Evangelisches Zentralarchiv, Berlin. In der Folge verarmte die Gemeinde und litt unter häufigem Pfarrerwechsel. 150 Personalakt Hegemann ..., Schreiben des Wiener Superintendenten H.B. Otto Schack an den Evangelischen Oberkirchenrat, Wien, vom 24. September 1917.

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2.6 Theorierahmen

2.6 Konfligierende Bürgerlichkeit Wo hingegen Werner Hegemann sich im Alter von 40 Jahren - mittels einer literarisch ironischen Darstellung eines stilisierten kulturellen clash zwischen imaginierten Eltern, eines amerikanischen Multimillionärs und einer kultivierten österreichischen Grande Dame -, von solcher Ausgangskonstellation befreit erweist, muß diese hier sozialhistorisch definiert werden. Eine Skizze auf der Grundlage eines idealtypischen Entwurfs bürgerlicher Kultur 151 erschließt Prinzipien der Lebensführung. Sie dient dazu, langfristig die Prägekraft bürgerlicher Kulturen als Mitgift auf Hegemanns Lebensweg zu bestimmen. Dies trägt damit zur Definition von Bürgerlichkeit in der Gesellschaft bei. Ottmar Hegemann bricht mit seiner Entscheidung zu einer freien wirtschaftlichen Betätigung aus dem infolge seiner Eigenschaft als ältestem Sohn eines höheren Geistlichen erwarteten Muster aus. Gründe lassen sich in persönlichen Präferenzen vermuten, bei Abneigung gegen selbstreglementierende Beteiligung am Bildungsprozess bei festgeschriebenem Belohnungshorizont, eine Teilnahme an größerer Dynamik der sozioökonomischen Belohnungserwartung bei erfolgreicher ökonomischer Betätigung vorzuziehen. Seine Wanderjahre lassen die positive Grundhaltung gegenüber regelmäßiger Arbeit, eine typische Neigung zu Rationalität und Methodik der Lebensführung, noch offen. Rationalität und Methodik setzen spätestens beim Aushandeln des Heiratsvertrages mit der Familie Vorster ein, indem die Ausstattungssumme als Grundkapital der selbständigen unternehmerischen Tätigkeit für beide Seiten entscheidend wird. Weist ihn seine Herkunft als geeigneten Kandidaten aus, muß die Familie Vorster mit der Summe für angemessene Lebensführung der Tochter sorgen. Bei Ottmar Hegemann ist das Heiratsverhalten mithin rational ökonomisch und (sekundär) neigungsbestimmt (wenn überhaupt). Seine Braut ist jedoch von Religion, Bildung, Ästhetik und Empfindsamkeit geprägt, für die Führung der bürgerlichen Familie als emotionaler Gemeinschaft unter gesicherten ökonomischen Bedingungen erzogen. Daraus ergibt sich ein erster alltäglicher Konfliktbereich. Auch die Absicht Ottmar Hegemanns, die Zahl der Nachkommen zu begrenzen, kann als rationales Reproduktionsverhalten und ökonomisches Handeln veranschlagt werden, um Besitzstreuung zu vermeiden und dem Nachfolger den Grundbestand zu erhalten. Die Ausdehnung von Vernunftaspekten und methodischen Handelns auf den emotionalen und vor allem unter klerikalem Deutungsmonopol stehenden Lebensbereich familiärer Reproduktion vermag seine Ehefrau nicht zu akzeptieren, zumal es ihre Funktionsbestimmung nicht nur im religiösen, sondern auch im Vertragssinn als Hüterin der „sich selbst begründenden, als Selbstzweck begreifenden" Familiengemeinschaft in Frage stellt. Damit ist der entscheidende Konfliktpunkt konstituiert. Die Auflösung konkurrierender Lebensentwürfe in ein bürgerlich sanktioniertes Krankheitsbild152 erzeugt die beide Teile entlastende Aussetzung der Gemeinschaft und des 151

Kocka, Bürgerlichkeit..., S. 43-44. Das als „Nervosität" gehandelte, sozial akzeptable Bild erübrigt eine weitergehende Intervention der weiblichen Familie. Der Fluchtversuch zurück zu ihr hat damit zur Fügung in die Umstände 152

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2.6

Wirtschaftsbürger

konfliktträchtigen (Sexual-) Handelns. Das Nachgeben Ottmar Hegemanns und die Zeugung weiterer Kinder kann durch eine wirtschaftliche Prosperität vorbereitet worden sein, ebenso Hegemanns folgende restriktive Reaktion Mitte der 80er Jahre durch eine ökonomisch zweifelhafte Lage. Seine Position als patriarchalischer Hausvater mit juristischem und faktischem Zugriffsrecht auf alle wirtschaftlich Abhängigen ist nicht nur durch den Verkehr mit einer Hausangestellten angezeigt 153 . Sie findet ihren schärfsten Ausdruck in der gewaltsam durchgesetzten Internierung der Ehefrau in einer geschlossenen Anstalt mit anschließender Aneignung ihrer wirtschaftlichen Mittel 154 . Die Inanspruchnahme wissenschaftlichmedizinischer Definition zur Auflösung der Gemeinschaft, Entfernung der Betroffenen aus dem sozialen Leben und Verfügung über deren Ressourcen ist unter Wahrung des bürgerlichen Anspruchs eine rationelle Strategie. Die ausbleibende Intervention der weiblichen Familie und Sanktion der Übernahme der finanziellen Mittel ist Indiz einer Lösungsstrategie, bei der jede andere eine Demontage der Kompetenzen der Verantwortlichen bedeutet hätte. Mit methodischer Planung bestimmte Ottmar Hegemann auch die Lebenswege seiner Kinder. Die Zustimmung zur geistlichen Laufbahn des Altesten 155 war mit der Designation des Zweitältesten zum Geschäftsnachfolger und Erben unabhängig von dessen Fähigkeiten verbunden. Die Fehleinschätzung als Grundlage dieser rationellen Planung führte zu Devastation. Der Sohn, geprägt von den ästhetischen Präferenzen der Mutter, verweigerte sich dem durch Tod. Weil der dritte wie der vierte Sohn durch gymnasiale Ausbildung ebenfalls zum Lebenserwerb durch Bildungspatente vorgesehen waren, legitimierte dies die Liquidation des Unternehmens 156 . Weitere Gründe dafür stellten die kurz aufeinander folgenden gerichtlichen Verpflichtungen zur Zahlung von 336.000 Mark. Erst die Öffentlichkeit der Desavouierung der Ehefrau im gerichtlichen Streit um Alimente für die außereheliche Tochter ermöglichte die rechtliche Auflösung der Ehe, von der Familie der Geschädigten sanktioniert, die zur Versorgung ihres Familienmitgliedes die Auszahlung der in den Ehevertrag eingebrachten Summe von 300.000 Mark durchsetzen und die sich damit ihrer Fürsorgepflicht für den nicht wieder in die Schutzgemeinschaft aufgenommenen Problemfall entledigen konnte. In der Liquidation des Unternehmens folgt Ottmar Hegemann mithin nicht nur der sozialen Präferenz, seine erfolgreiche individuelle Leistung durch eine Zeitspanne ohne ökonomischen Erwerbsdruck zu krönen, sondern der finanziellen Notwendigkeit, beigetragen. 153 Deren Motive im Dunkeln bleiben, Folge einer Zwangsmaßnahme ebenso wie gezielter Plan der Einheiratung sein kann. 154 Die von Kocka mit großem Vorbehalt genannten Eigenschaften Toleranz, Konflikt- und Kompromißfähigkeit (44) sind hier offensichtlich ausgereizt. 155 Als Kompensation für den eigenen Ausbruch; auch Akzeptanz der Entfremdung durch dessen Nähe zur Mutter (?); und ein finanzierbarer und gesicherter Weg zu einem auch auf den Vater zurückfallenden Prestige. 156 Der Vater gab Werner zur Zeit seiner Verfügungsgewalt auf ein Realgymnasium, wo die Wendung in eine praktische Tätigkeit noch näher lag. Erst die Mutter setzte die humanistische Bildung durch.

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2.6 Geschlechterrollen

diese Verpflichtungen schlagartig einzulösen157. Trotzdem muß sein Gewinn hoch angesetzt werden, weil das erlöste Kapital ihm nicht nur die Praxis großbürgerlicher Lebensform bis zu seinem Tode erlaubte, sondern einen Teil seiner Erben mit einer für ihre Lebensführung ausreichenden Grundausstattung versorgte. Nach ihren retrospektiven Imaginationen ging Elise Hegemann-Vorster vollkommen in ihrer Aufgabe als Hüterin der von emotionalen Beziehungen konstituierten und als privatem Innenraum geschützten Familie auf. Sie imaginiert sich vortragend im Kreise 'ihrer Lieben' - die organisatorisch methodische Bewältigung der Haushaltsführung, ohnehin nur Delegation, erscheint nicht - als Vermittlerin von 'Bildung' in Wissen, Ästhetik, Religion, und ihre Person als absoluten Bezugspunkt der Emotionen. Deshalb versteht sie ihr Versagen als allein emotionales. Sogar in der späteren Darstellung des Selbstmords ihres Sohnes kollidiert ihr Entwurf nicht mit dem des Vaters. Die rationale Ausbildungsplanung als Vorsorge zur Weiterführung des Lebenserwerbs hat ihre Zustimmung - vorgeprägt durch Strategien in der eigenen Familie doch ihre eigene Rolle der emotionalen Versorgung in dessen Vorbereitung hält sie für unabdingbar. Lediglich über den vom Vater verursachten Entzug fällt Schuld auf ihn. Auch seine rationale Bereitschaft zur Akzeptanz der wissenschaftlich-medizinischen Definition ficht sie nicht an, sondern teilt den Respekt für Wissenschaft158 und entschuldet ihn damit. Dieser Respekt wird lediglich vom Erkennen eines emotionalen Defizits begrenzt. Ihre verbalisierte Kritik resultiert damit allein aus der völligen rollengemäßen Aneignung der Domäne Emotionen und verbleibt damit im Zirkel der Zuschreibungen. Folgerichtig zum vollkommenen Aufgehen in diesem Rollenverständnis gründet Elise Hegemann-Vorster nach Ende ihrer Anstaltslaufbahn keinen eigenen Hausstand mehr, weil er funktionslos wäre. Sie folgt im Wechsel von Hospiz zu Hospiz dem Verhaltensangebot der kirchlichen Organisationen für alleinstehende Frauen. Durch das einzig weitere soziale Verhaltensangebot für diese Lage wird dies aufgebrochen: Haushaltsführung für den unverheirateten Sohn im Pfarrdienst und Aufenthalt in dessen späterer Familie, bei dem es zu Kollisionen über Rolle und Kompetenz mit deren 'Hüterin' kommt. Elise Hegemann-Vorster folgt auch im weiteren Sinn kirchlichen Verhaltensangeboten. Aus der Verweigerung der Etablierung einer Restfamilie - Mutter und Minderjährige - zur Erfüllung ihrer Lebensvorgabe entsteht hoher Leidensdruck. Er wird gelöst, indem die Minderjährigen in die Obhut religiös geprägter und verwandter Familien gegeben werden sollen, also einem erweiterten Privatraum und nicht vorrangig humanistischer Schulbildung überstellt. Ferner wird er in religiöser Interpretation einer 157 Das Ineinandergreifen von Zwangs- und Neigungsbedingungen kann als typisches Kennzeichen dieser Familie angesehen werden. Ihr individueller Erfolg verdankt sich den Kompetenzen, diese Verschränkungen zu meistern - insofern wiederum eine genuin bürgerliche Eigenschaft, die als Kompromißfähigkeit attestiert werden kann. Z.B. kann die Loyalität der Töchter zum Vater, den sie in sein Rentierleben nach Wiesbaden begleiten, und umgekehrt, indem er diese standesgemäß versorgt, auf Rollenkonflikte infolge der Absenz der Mutter und Abschreckung durch deren Attitüde zurückgeführt werden, mündet aber gerade, mindestens im Fall der Ältesten, zur sozial akzeptablen Heirat und Einnahme einer vergleichbaren Position. 158 Kocka, Bürgerlichkeit ..., S. 43; so wie sie sich auch nach Ende ihrer ersten Anstaltskarriere in der Hoffnung auf die richtige, endgültige Definition noch freiwillig in eine Anstalt begibt.

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2.6 Phasenlage

Mission aufgelöst, für Anstaltsinsassen zu reden; dabei auch wirtschaftlich die Form religiöser Traktätchen kopiert, Bekenntnisse im Selbstverlag in amethodisch willkürlicher Verbreitung. Die Formen ihrer Rollenüberschreitungen sind durch die Verankerung im Emotionalen bedingt: die Nutzung neuer Institutionen, die Übertragung sanktionierter Publikationsformen auf einen neuen Sektor. Die Öffentlichungmachung eines individuellen, familiären Konflikts partizipiert jedoch ebenso wie die vorherigen Interventionen an einer entscheidenden Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft: der Verrechtlichung ihrer Beziehungen. Auch an dieser Stelle greifen die Familien erst bei Öffentlichkeit der Desavouierung ein. Ihre finanziellen und juristischen Interventionen gelten sowohl der Verhinderung offener Beschuldigung wie der Sicherstellung des Besitzes, das Ziel beider Familien, wobei die Entmündigung als Entzug der juristisch-finanziellen Vertragsfähigkeit zum zentralen Medium wird. Durch anhaltenden Respekt für Wissenschaft gelingt es Elise HegemannVorster, differierende wissenschaftlich-medizinische Definitionen und Unterstützung zu finden, so daß eine kulminierende juristische Auseinandersetzung unvermeidlich wird. Doch die familienherrschaftliche Dominanz kann wiederhergestellt werden, denn Elise Hegemann-Vorster bleibt bis zu ihrem Tode in der sozialen Rolle Schwiegermutter in der Familie des Ältesten 'aufgehoben'. Konflikt und Bewältigungen werden im Rahmen von Bürgerlichkeit ausagiert. Die Aussagekraft dieser Fallbeschreibung betrifft im Rahmen der Frage nach Bürgerlichkeit die hier erkennbare Phasenverschiebung in den Verhaltenserwartungen und schließlichen Verhaltensformen. Innerhalb des zu bestimmenden Komplexes Bürgerlichkeit gibt es zeitgleich verschiedene Konzepte, die nicht notwendig vereinbar sind. Mit Ottmar und Elise Hegemann treffen Verhaltenserwartungen aufeinander, die für den einen als zu einer Aufbauvorstellung gehörig beschrieben werden können, bei der Rationalität und Methodik im Vordergrund steht, nicht ohne von Herrschaftswillen und Neigungsprinzipien durchbrochen zu werden; die für die andere als zu einer Prosperitätsvorstellung gehörig identifiziert werden können, in der Emotion und Passivität vorrangig werden, nicht ohne durch Bildungswissen reglementiert zu sein. Der Kontrast kann wiederum der Phasenlage ihrer Herkunft im Rahmen jener Bürgerlichkeit zugeordnet werden. Beim einen wird bildungsbürgerliche Sicherheit zugunsten der selbständigen Gestaltung der Lebensumstände aufgegeben, bei der anderen die Sicherheit erfolgreichen Wirtschaftbürgertums als verlängert erwartet. Die Zeitverschiebung im Sicherheitserwerb wird zusätzlich von geschlechtsspezifischem Rollentraining kompliziert. Die entscheidende Aussage der Fallbeschreibung besteht aber darin, daß die Konflikte im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft innovativ ausgetragen werden. Die Kontrahenten überschreiten dabei ihre Rollen, wissen sich unabhängig von der Ausgangsposition kompetent der Mittel der bürgerlichen Gesellschaft zu bedienen, insonderheit innovativ an der Verrechtlichung und Verwissenschaftlichung der gesellschaftlichen Beziehungen zu partizipieren und treiben dadurch Bürgerlichkeit voran, indem diese die Verhaltensfestschreibungen auflöst und Formen, wenn auch keinesfalls gleichberechtigt, für beide Ehepartner zur Verfügung stellt. 55

2.6 Prozeß

Beide Kontrahenten beweisen souveräne Beherrschung spezifischer Mittel der bürgerlichen Gesellschaft, die sie in ihrem Konflikt zur Durchsetzung ihrer Ziele einsetzen. Der eine bedient sich kompetent des Rechtsapparats der Zivilgesetzbücher, um seine Verhaltensformen zu schützen - die Entfernung der Auffälligen zwecks Hausfrieden durch Ordnungmaßnahmen, die Protektion der Minderjährigen durch Staatsbürgerschaftswechsel, Belohnung und Bestrafung der Nachkommen durch Erbschaftsregelung. Die andere bedient sich des Wissenschaftsrespekts und setzt ihn souverän in das Mittel Öffentlichkeit zur Durchsetzung der Verhaltenserwartungen um - Einsatz der medizinischen Definition als Schutzraum und Bestätigung, dann Auffinden der wissenschaftsinhärenten Konkurrenz und Kritik, Publikation mit der Intention privaten, schließlich öffentlichen, ansatzweise politischen Druckmittels. Unabhängig vom individuellen Drama wird Bürgerlichkeit an den phasenverschobenen Verhaltenserwartungen und an den zeitgleichen Konfliktbewältigungsversuchen erkennbar. Unabhängig von den geschlechtsrollenspezifisch bestimmten Handlungsoptionen zeigt sich in den Bewältigungsstrategien und ihren Resultaten bürgerliche Gesellschaft in Aktion: in der Erosion ihrer Ausgangshemmnisse. Möglicherweise indiziert eben dies die grundsätzliche Unmöglichkeit, „Bürgerlichkeit" in Grad und Art eines wie immer gearteten Ausschnitts zu definieren159, weil Bürgerlichkeit nur als eine Bewegung feststellbar ist, die im Sinne des Projekts bürgerliche Gesellschaft gemacht wird.

159

56

Vgl. zum Desiderat der Bestimmung: Kocka, Bürgerlichkeit ..., S. 45.

3 Ausbildung Der Gang durch Hegemanns Ausbildungsjahre kann für seine Schuljahre infolge besonderer Quellenlage ein detailliertes Bild des Lehrprogramms nachzeichnen. Der Blick auf seine Studienjahre hat seinen häufigen Ortswechseln zu folgen. Sie lassen Phasen erkennen, deren Bedeutung für den akademischen Bereich durch Kontrastierung mit autobiographischen Aussagen analytisch erschlossen werden kann.

3.1 Schulen Werner Hegemann besuchte von 1887 bis 1890 eine Privatvorschule in Mannheim 1 . Im Vaterhause lebend, betreut wahrscheinlich vor allem von der neun Jahre älteren Schwester Clara, wurde damit vermutlich eine auf das Gymnasium vorbereitende Schule für ihn gewählt. Von 1890-1901 besuchte ich das Realgymnasium in Mannheim, das Gymnasium in Heidelberg, das Progymnasium in Weinheim, aufs neue das Gymnasium in Heidelberg, das Gymnasium in Büdingen (Oberhessen) und bestand nach vierjährigem Besuch des Gymnasiums in Plön (Holstein) meine Reifeprüfung.2 Die Unterbrechung des Schulbesuchs in Heidelberg um den Besuch eines Progymnasiums 3 könnte auf eine Schulkarriere nicht ohne Probleme verweisen. Wie Hegemann später zynisch kommentierte, nötigten ihn Wissensdurst und verständnisvolle Lehrer zum vergleichenden Studium von sechs verschiedenen Gymnasien in Süd-, Mittel- und Nord-Deutschland, eine empfehlenswerte Erweiterung des Gesichtskreises und wichtige Vorbereitung zum Auslandsstudium.4. Vor allem bilden die Schulwechsel aber das Kind als Spielball im Interessenstreit der Eltern ab. Die Schulkarriere ist eher vom wechselnden Sorgerecht als von den schulischen Leistungen gekennzeichnet. Der Schule wurde ausdrücklich die Bildung des Intellekts überstellt, während die Familienerziehung die Voraussetzungen zum Schulerfolg zu leisten hatte 5 . Die Wahl eines Realgymnasiums für den Anfang der höheren Schulbildung 1 Lebenslauf des Studenten der Staatswirtschaft Werner Hegemann. Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität München, Μ II-32p, Promotionsakte Hegemann. 2 Lebenslauf Hegemann ..., Bl. 1. 3 Synonym für Schulen, die über die Quarta hinaus Mittelstufenunterricht anboten. Detlef K. Müller/Bernd Zymek, Sozialgeschichte und Statistik des Schulsystems in den Staaten des Deutschen Reiches, 1800-1945. Unter Mitarbeit von Ulrich Hermann (Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte 2,1), Göttingen 1987, S. 37 f., 114. 4 Kiepenheuer (1930) 47. 5 Berg, Familie ..., S. 118 f.

3.1 Schulwechsel

durch den Vater reflektiert Hoffnungen auf eine Reservebesetzung des Firmennachfolgers, jedenfalls aber eine Präferenz für verwertungsorientierte Ausbildung, die von Aufsteigern des Wirtschaftsbürgertums gegenüber dem Gymnasium noch bevorzugt wurde6. Der Umzug der Familie Hegemann nach Heidelberg fand Anfang April 1892 statt und am 26. April wurde Werner am Heidelberger Kaiser-Friedrich-Gymnasium angemeldet. Er besuchte das Gymnasium bis Januar 1893 und als Schüler der Quarta b im Schuljahr 1893/4 erneut 7 . Im Herbst 1895 wurde die Entmündigung Elise Hegemann-Vorsters aufgehoben, so daß sie Einfluß erlangen und durchsetzen konnte. Entsprechend läßt sich die Übereinstimmung ihres Wohnorts mit dem nächsten Schulort Werners als Versuch der Etablierung als Restfamilie interpretieren, der Werner den Schulbesuch in Büdingen verdankte, wo er nach Angaben der nächsten Anmeldung die Untersekunda besucht hatte 8 Während Ottmar Hegemann die Prätention der Familie nach Entzug der Minderjährigen mit seinem Umzug nach Wiesbaden 1895 aufgab, scheint diese auch für die Mutter alsbald gescheitert zu sein9. Elise Hegemann-Vorster gab den jüngsten Sohn im Mai 1897 in ein Internat, dessen Auswahl mehr verwandtschaftliche Beziehungen und religiöse Bindung als dessen Bildungsqualitäten bestimmten. Dennoch genügte offenbar der Schulbesuch in Büdingen, dessen Anfangsdatum ungewiß bleibt, erstmals eine lebenslange Freundschaft zu schließen. Nach Familienerinnerungen lernte Hegemann hier Hans Hinrichs kennen, dem er verbunden blieb und der ihm ein Vorbild für einen der Frager in seinen späteren literarischen Dialogen lieferte. Hinrichs stellte der Familie später handschriftliche „Jugenderinnerungen an W.H." zur Verfügung, in denen er seinen Mitschüler beschrieb10. Ostern 1896 trat ich - ljjährig - in die Obertertia des Gymnasiums in Büdingen ein und lernte dort unter den Klassenkameraden den etwa gleichalterigen Werner Hegemann kennen. Er nahm unter dem Mitschülern, die meist aus kleinstädtischen oder bäuerlichen Kreisen stammten, wegen seiner Gewandtheit und selbstsicheren Lebensart eine 6 Gymnasiasten rekrutieren sich aus Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum; letzteres beschickt Realschulen stärker. James C. Albisetti/Peter Lundgreen, Höhere Knabenschulen. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. IV, S. 228-271, S. 249; Vgl. aber die große Diskrepanz zwischen Abiturienten und Studierwilligen: Müller/Zymek, Schulsystem ..., S. 268, 276. Nach einer städtischen Einzelstudie hängt die schichtenspezifische Zuweisung jedoch vom lokalen Schulangebot ab; Margret Kraul, Das deutsche Gymnasium. 1780-1980, Prankfurt a.M. 1984, S. 116. 7 Schreiben von Frau Knauß, Kaiser-Friedrich-Gymnasium, Heidelberg, vom 5. März und 27. Mai 1991. Die Unterbrechung des Schulbesuchs ist nicht dokumentiert, ebensowenig die Dauer des zweiten Besuchs. Die divergierenden Anschriften beider Meldungen können auch einen zwischenzeitlichen Wohnsitzwechsel als Ursache bedeuten. 8 Die Büdinger Schulzeit muß zwischen März 1895 und Mai 1897 gelegen haben; wahrscheinlich umfaßte sie mehr als das eine Jahr der Untersekunda. 9 Paradoxerweise kam im Ergebnis Ottmar Hegemann durch sein Rentierleben in Wiesbaden mit zwei Töchtern im Hause dem wieder näher, während Elise Hegemann-Vorsters Leben als konkurrierende Haushälterin in der Familie des Sohnes dem nur äußerlich zu entsprechen vermochte. 10 Hans Hinrichs, Jugenderinnerungen an W.H. MS, o.D., Fragment. Familienbesitz Manfred Hegemann.

58

3.1

Gymnasium

Sonderstellung ein. Auch den Lehrern gegenüber benahm er sick weit unbefangener als seine Mitschüler, öfters auch wohl ironisch-überlegen widerspenstig und zu Wortgefechten herausfordernd. Ich galt als Primus in den alten Sprachen, während er in Deutsch und Geschichte von keinem zu übertreffen war. Er spielte gern Violine. Eines Tages wollte ich ihn auf seiner „Bude" besuchen, fand ihn aber nicht zu Hause. Ich ging dann mit einem anderen anderen Kameraden stundenweit in den ausgedehnten Büdinger Wald. Plötzlich hörten wir an einer abgelegenen Stelle Geigentöne. Es war Werner Hegemann, der hier ganz in sich versunken Violine spielte. Das war ein romantischer Zug an ihm, den er später bei sich und anderen unermüdlich und scharf bekämpft hat.

Andernorts bemerkte Hinrichs, daß Hegemann als „großer Bücherfreund beim Buchhändler beständig Schulden" gehabt habe. Schon als Tertianer kaufte er sich auf Abzahlung eine vielbändige unverkürzte Goethe-Ausgabe, die ihn sein Leben lang begleitet habe 11 . Während der „romantische Zug" (Bild 6) ein durchaus altersgemäßes Phänomen ist, über dessen Bekämpfung sich Hinrichs einem verklärten Bild hingibt, scheinen die sprachliche Gewandtheit, das literarische Interesse, Ironie und Streitlust Züge zu porträtieren, die lebenslang erkennbar sind und sich so als Mitgift darstellen. Das Plöner Gymnasium kam Elise Hegemann-Vorsters Vorstellungen mehrfach entgegen. Es versprach nicht nur eine große räumliche Entfernung vom Vater - und möglicherweise nicht zuletzt, einen recht selbständigen jungen Erwachsenen zu bändigen - , sondern sicherte auch durch die Aufsicht eines eigenen Familienmitglieds die Einhaltung dieser Distanz und gewünschter Kontrolle. Zugleich dürfte sie aber auch von den Titeln der Gelehrtenschule beeindruckt worden sein, da in Plön durch „Jahresberichte" Tradition und Gelehrsamkeit nachgewiesen und damit auch Leistungsnachweise für das Schulgeld vorgelegt wurden 12 . Diese Entscheidung eröffnete dem Schüler den Zugang zu einer mehrfach privilegierten Minorität. Die Versetzung in die Obersekunda war Voraussetzung für den einjährigfreiwilligen Militärdienst 13 und dem daraus folgenden Sozialprestige. Werner gehörte trotz steigender Gymnasiastenzahlen zur Minderheit der Gymnasialschüler, unter denen die soziale Exklusivität der letzten Schuljahre erhalten blieb 14 . Schließlich Schloß nur 11 Hans Hinrichs, Architekt und Historiker. Werner Hegemann zum Gedächtnis, 4. November 1946; ein Zeitungsausriß ohne Titel der Zeitung aus dem Familienbesitz Manfred Hegemann. Diese der Schreibzeit angemessene hagiographische Würdigung zeigt sich detailliert, doch teilweise ebenso verwirrt informiert wie etwa der Freund Kesten. 12 Mehrheitlich handelte es sich um städtische Volksschulen mit fremdsprachlichem Wahlunterricht; Müller/Zymek, Schulsystem ..., S. 38. Nach Albisetti/Lundgreen, Knabenschulen ..., S. 250 f. wurde die Hälfte der Gymnasien vom Staat finanziert. In den 80er Jahren deckte das erhobene Schulgeld nahezu die Hälfte der Ausgaben; trotz der Erhöhungen des Schulgelds 1892 und 1902 stiegen die Unterhaltskosten der Anstalten schneller. Zur Höhe hier keine Angaben. 13 Lundgreen, Sozialgeschichte ..., S. 68; Albisetti/Lundgreen, Knabenschulen ..., S. 243 f. Regelung 1877-1918, dort zu den folgenden Zugangsberechtigungen. 14 In Preußen besuchten 1900 2,71 % der 10-18jährigen ein Gymnasium; 1901 waren es 92.465 gegenüber 74.126 von 1891. Albisetti/Lundgreen, Knabenschulen ..., S. 247; s.a. die Tabellen bei Müller/Zymek, Schulsystem ..., S. 204: Die Quote der Oberprimaner pro 10.000 Einwohnern stieg in Preußen im selben Zeitraum von 2,8 auf 3,8; Peter Lundgreen, Sozialgeschichte der deutschen Schule

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3.1 Gastfamilie

eine kleine Gruppe das Gymnasium mit dem Abitur ab - 1901 gab es in Preußen 5670 Abiturienten, von denen sich wiederum nur eine kleine Gruppe von 3621 studierwillig zeigte15 - und besuchte anschließend eine Universität. Nach dem Schülerverzeichnis der „Plöner Gelehrtenschule" ist Werner Hegemann zum 1. Mai 1897 dort aufgenommen worden16. An dieser Schule, seit 1866 Kgl. Preußisches Gymnasium, wurde 1889 das erste evangelische Alumnat in Schleswig-Holstein eröffnet 17 . Sein Leiter wurde der Oberlehrer Dr. Gustav Graeber, bisher Dirigent eines christlichen Privatgymnasiums, der dieses Amt zehn Jahre innehatte, bis er zum Schuljahr 1899/1900 das Direktorat des Kgl. Gymnasiums in Husum übernahm 18 . Elise Hegemann-Vorster erwähnt ihre Verwandtschaft Herrn Gymnasialdirektor Graeber und Frau in Husum in Schleswig bei der Begründung ihrer Überlegung, ihre jüngste Tochter zu ihnen geben zu wollen, weil der Verkehr mit dieser Familie meinen 19jährigen Sohn Werner so sehr günstig beeinflußt hatte, und weil ich die Eheleute Graeber für aussergewöhnlich vortreffliche Menschen halte19. Der Passus zeigt Realitätsverluste der Mutter an, infolge derer die nahezu erwachsenen Kinder zum disponiblen Objekt von Rolle und Rache werden. Zum Zeitpunkt dieser Überlegung ist die jüngste Tochter Paula mit ihrer inzwischen verheirateten Schwester Clara Erbin des väterlichen Hauses in Wiesbaden und eines nicht unbeträchtlichen Geldvermögens. Die Mutter tritt zwar in die juristische Verfügungsgewalt, doch dürfte dieser Anspruch kaum durchsetzbar gewesen sein. Paula Hegemann wurde nicht nur vom gegnerischen Anwalt Dr. Guttmann vertreten, sondern stand auch unter Schutz und Einfluß des Ehemannes ihrer Schwester, der offensichtlich wie der Vater unversöhnlich gestimmt war. Diese Attitüde spiegelt mithin eher Statusprätention, Rollenverständnis und Wunschdenken der Mutter, an denen wohl auch der gemeinsame Haushalt schließlich scheiterte. Werner war wahrscheinlich kein Zögling des Alumnats, dessen jährlicher Pensionspreis 1000 Mark betrug 20 , sondern zahlender Gast der Familie Graeber, die vielleicht mit ihm im Überblick. Teil I: 1770-1918, Göttingen 1980, S. 79, 82. 15 Müller/Zymek, Schulsystem ..., S. 268, 276. 16 Album der Plöner Gelehrtenschule. Internatsgymnasium Schloß Plön, Schülernummer 1422. Weitere Unterlagen existieren infolge von Kriegsschäden nicht. Schreiben von Herrn Schießelmann, Internatsgymnasium Schloß Plön, vom 19. Februar 1988. 17 Heinrich Rieper, Aus der Geschichte des Plöner Gymnasiums. In: Festschrift der Staatlichen Internatsoberschule Schloß Plön zur Erinnerung an die Gründung der Plöner Lateinschule vor 250 Jahren 1704-1954. Plön 1954, S. 9-44, S. 34. Der Verfasser war seit 1898 Gehilfe des Alumnatsleiters, 1901 wissenschaftlicher Hilfslehrer. Jahresbericht des Königlichen Gymnasiums zu Ploen [JKGP]. Ostern 1898, S. 19. 18 1897 wurde ihn der Professorentitel verliehen; JKGP 1898, S. 19. Jahresbericht des Kaiserin Auguste Victoria-Gymnasiums zu Ploen [JKAVG]. Ostern 1899, S. 17. 19 Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 29 f.; Hegemann-Vorster, Geisteskrankheit ..., S. 99; ohne Nennung eines - vermutlich weitläufigen - Verwandtschaftsgrades. 20 Der Eintrag im Schülerverzeichnis läßt darüber keinen Aufschluß zu. Nach den Statistiken der JKPG 1898 waren die Hälfte der Schüler Auswärtige: 72 gegenüber 51 Einheimischen bei 25-30 Alumni. Die Mehrheit der Auswärtigen wohnte ohnehin bei Gasteltern, was der Zustimmung des Direktors

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3.1 Plön

auch seinen ersten Ausflug nach Kopenhagen machte, an den Hegemann sich 1928 erinnerte. Das Lob eines Zeitzeugen für Graeber charakterisiert ihn als von seinen Schülern geschätzt und im Gegensatz zu dem damaligen Direktor Fink, wobei Graeber einen offenen Konflikt vermied. Gegen die erkennbar wilhelminische Gesinnung Finks muß deshalb er als wahrer Humanist und engagierter Lehrer erscheinen 21 . Unabhängig davon scheint der Schüler von der stabilen Phase des Unterrichts und der Ortsbindung profitiert zu haben, wobei sich im erkennbaren Schulleben typische Sozialisationspunkte des wilhelminischen Deutschland abzeichnen. Dem Einleben waren die äußeren Zeichen, Initiation und Stigmatisierung durch Schuluniform wahrscheinlich günstig, die eine Identifikation mit der neuen Gruppe erleichterten. Andererseits beförderte die gymnasiale Übung reflektorischer Selbstaussagen und literarischphilosophischer Ambitionen 22 auch Distanz zum neuen Umfeld. Die „Plöner Lateinschule" wurde 1704 gestiftet und 1814 Gelehrtenschule und Staatsanstalt 23 . Seit 1866 preußisch, zog mit den siebziger Jahren des 19. Jahrhundert 'preußischer Geist' ein: Regierungserlasse, Statistiken, reglementierte Prüfungspraxis, formale Zucht, regelmäßiger Turnunterricht. Der Zeitzeuge und Lehrer an der Institution benennt den Wandel: Aus dem Lehrer, der bisher im wesentlichen Gelehrter war, wird ein Staatsbeamter. Als Schulgebäude diente ein 1840 vom dänischen König der Stadt geschenktes Haus am Schloßberg. Wegen der Spezialisierung des Unterrichts und wachsender Schülerzahlen wurde schon 1884 beim Königlichen Provinzial-Schulkollegium ein Neubau beantragt, jedoch erst 1896 genehmigt 24 und im folgenden Frühjahr auf einem Seegrundstück der Neubau begonnen. Die am 1. Mai 1899 offiziell eingeweihte repräsentative Anlage umfaßt nun Schule, Aula, Direktorswohnung in einem Gebäude, dazu eine große Turnhalle, Turn-, Spiel-, und Tennisplätze. Die Vorliebe Hegemanns für das Tennisspiel wird auch später noch in vielen Metaphern sichtbar. Das Ufer wurde zu einer Badeanstalt ausgebaut, Bootshafen und Bootshaus angelegt. Dieser Wandel vom biedermeierlichen Schulhaus zu einer hochklassig ausgestatteten und renommierfähigen Anstalt bebildert den Paradigmenwechsel zur totalen Anstalt. Das gerade vom regierungsamtlichen Architekten erklärte Ziel war, Einrichtungen zu schaffen, die eine weitgehende Einwirkung der Lehrer auf die Schüler auch neben dem eigentlichen Schulunterricht ermöglichen25. Die Lehrpläne von 1892, unter deren Geltung die Mehrheit dieser Schuljahre fällt, folgunterlag. 21

Rieper, Plöner Gymnasium ..., S. 34. Hegemanns spätere Stilisierung Finks stellt hier ein Rätsel; auch das Urteil der Mutter kann kaum geglaubt werden, sondern desgleichen instrumentalen Absichten folgen. 22 Berg, Familie ..., S. 119. 23 J.C. Kinder, Plön. Beiträge zur Stadtgeschichte von Bürgermeister Kinder (Nachdruck der Ausgabe 1904), Kiel 1976, S. 448 f. Rieper, Plöner Gymnasium ..., S. 24 ff. 24 Kinder, Plön ..., S. 454 f. 25 C. Mühlke, Der Neubau des Kaiserin Auguste Victoria-Gymnasiums in Ploen. In: Centraiblatt der Bauverwaltung [ZDB] 19 (1899), S. 366 f., S. 366; auch in JKAVG 1900, S. 3-7. Diese Sorgfalt reichte von Leibesübungen bis zur feierlichen Gestaltung der Aula mit Orgel für die tägliche Morgenandacht. 61

3.1 Erziehungsziele

ten einer Schulkonferenz von 1890, der Wilhelm II. persönlich eine Richtung vorgab. Sie intendiert eine Sozialisationsinstanz, die durch Körper- und Gesinnungsbildung sowie soziale Selektion gesunde, leistungsorientierte, deutsch denkende Schüler hervorbringen soll26. Die Lehrpläne trugen dem in Reduzierung der Gesamtstundenzahl Rechnung, durch Erhöhung des Anteils an Deutschunterricht zu Lasten der ersten Premdsprache, Einführung der Geschichtserzählung in der Unterstufe. Ein deutscher Lektürekanon sollte zum Patriotismus durch 'Schätze' aus Volkstum (Nibelungen) und Literatur (deutsche Klassik) erziehen. Im Geschichtsunterricht wurde das „soziale Königtum" der Hohenzollern und die preußische Herrschergeschichte dargestellt. Die dominierenden Züge waren dabei die borussische Geschichtsinterpretation, preußisch-konservative Grundhaltung, heroische Geschichtsauffassung, Betonung der dynastischen Geschichte; christlicher Traditionalismus und Kaiser und Reich als prägende Kraft zum Nationalismus 27 . Als präventive Politisierung gegen die Sozialdemokratie beabsichtigt, leiten die Lehrpläne einen nationalen Wandel ein, der jedoch den modernen faktischen Anforderungen nicht genügte 28 . In der Amtszeit des Direktors August Fink von 1889 bis 1911 wurde der Anspruch vertreten, den Schülern eine „Lebensgemeinschaft" zu bieten, die sie in Schulfeiern, Gedenktagen und Ausflügen erfahren sollten 29 . Gleichzeitig wurde diese Gemeinschaft dem Obrigkeitsstaat verpflichtet, der in diesen Anlässen inszeniert wird, explizit etwa anläßlich der Bekanntgabe des neu verliehenen Namens Kaiserin Auguste Victoria Gymnasium 1898. Der neue Name soll nicht bloß äußerlich in die Augen fallen ..., sondern will die Arbeit des Tages aus der Enge der Zeit und des Raumes herausführen zu einstiger Bethätigung und zur Beteiligung an den großen Kämpfen der Zeit und der Geschichte. Nur in der Größe und Stärke des Ganzen ist dem Einzelnen ein festes Glück erreichbar. In der monarchischen Idee aber findet dies Ganze seine Verkörperung und Vergegenwärtigung, in der es unser Urteil gewinnen und unsern Willen sich zu eigen machen will. Hier fällt Licht auf unsern Weg durch das Leben.30

Auch ziele. Geist liebe. 26

die Reden zur Einweihung des neuen Schulgebäudes umreißen diese ErziehungsDie ersten Redner, Oberregierungsrat und Provinzial-Schulrat, sprechen vom gottesfürchtig er Zucht, wissenschaftlichen Strebens und hingebender VaterlandsNach dem Freiherrn vom Stein nennen sie Religiosität und Vaterlandsliebe als

Kraul, Gymnasium ..., S. 100-126, 101-104. Horst Schallenberger, Untersuchungen zum Geschichtsbild der Wilhelminischen Ära und der Weimarer Zeit. Eine vergleichende Schulbuchanalyse deutscher Schulgeschichtsbücher aus der Zeit von 1888 bis 1933, Ratingen 1964, S. 55-140, 122-124 mit zahlreichen Dokumenten. Vgl. auch Jürgen Mirow, Das alte Preußen im deutschen Geschichtsbild seit der Reichsgründung. Berlin 1981, S. 104-118, bes. S. 125-127 und S. 132 f. Mirow kommt wie Albisetti/Lundgreen, Knabenschulen ..., S. 258, 260 f. mehrfach zu dem Schluß, daß die Veränderungen der Richtlinien nach Diktum Wilhelms II. faktisch stillgelegt waren. 28 Kraul, Gymnasium ..., S. 107 f. Bezeichnenderweise erhoben Widerspruch jedoch nicht Vertreter der Moderne, Wirtschaft und Militär, sondern Altphilologen. 29 Rieper, Plöner Gymnasium ..., S. 35. 30 J K P G 1898, S. 17. Verfasser vermutlich Fink. 27

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3.1 Lernziele

die einzigen Träger des Charakters, dessen Förderung Hauptaufgabe der Schule sei, ihre zweite die Erweckung vaterländischer Gesinnung31. Direktor Fink setzte deutlichere Akzente: Wer will Gottes Ordnung schelten, daß durch Kampfund Not, durch feste und harte Zucht die Menschen er führen will auf dieser Erde! Der weichliche Traum eines ewigen Friedens darf unsere Arbeit, unsere Vorbereitung auf Kampf und Krieg nicht stören, darf unsere Kraft nicht mindern. Patriotische Empfindungen sprechen neben den sittlich religiösen aus diesem Raum. Liebe zu Gott fordert Liebe zu den Menschen. Diese Liebe aber kann sich nur bethätigen für uns auf der Grundlage des deutschen Volkes, aus den gegebenen Institutionen des Reiches, das uns aus den Kämpfen der Vergangenheit als ein stolzes und verantwortungsvolles Erbe überkommen ist.

Vor diesem Hintergrund gibt die jeweilige Übersicht über die erledigten Lehraufgaben der „Jahresberichte" des Gymnasiums Einsicht in den Bildungsweg. Griechisch und Latein wurden mit den nationalen Tendenzen zu Wurzeln deutschen Kulturguts deklariert, das im Dreiklang von Plato, Goethe, Paulus aufgehoben ist. Der Antike wird Kraft zur Bewahrung vor sittlichen, also auch politischen Verfehlungen zugeschrieben 32 , wobei die Teilung des altsprachlichen Unterrichts in sprachlich-logische und ethisch-ästhetische Bildung mit je eigenen Zielen die konstitutiven Elemente der erhofften Immunisierung stellen. Historisches Denken soll den Lebenskreis der Schüler erschließen, in dem das nationale Denken und das Bewußtsein von den Traditionen des christlichen Abendlandes ineinander übergehen. Die in den Höhepunkten des Schullebens vorgenommene kulturgeschichtliche Inszenierung ist auf patriotische Harmonisierung ausgerichtet. Politische Kontrolle der Schüler wird so überflüssig, weil soziale zum sittlichen Wohlverhalten innerhalb der Institution sie ersetzt 33 und eine „verinnerlichte Fügsamkeit" (Wehler) als Einheit von Defensive und Aggression produziert. Hegemann kam aus der Untersekunda und mußte dieser zugeteilt werden, um nach vier Jahren das Abitur gemacht zu haben. Die Klassengrößen lagen bei 11-14 Schülern 34 . Unterrichtet wurden in den Klassen Untersekunda bis Prima zwei Stunden Religion, drei Deutsch, sieben Latein, sechs Griechisch, zwei Französisch, drei Geschichte/Erdkunde, vier Mathematik und zwei Physik, ab Obersekunda zwei Stunden Englisch 35 . An den obligatorischen drei Stunden Turnen in drei Altersgruppen nahmen seit der Nutzung 31

Fink in JKAVG 1900, S. 14 f. und S. 16. Kraul, Gymnasium ..., S. 120; Albisetti/Lundgreen, Knabenschulen ..., S. 254 f. 33 Kraul, Gymnasium ..., S. 123. Christa Berg/Ulrich Hermann, Industriegesellschaft und Kulturkrise. Ambivalenzen der Epoche des Zweiten Deutschen Kaiserreichs 1870-1918, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. IV, S. 1-32, S. 10 f.; Berg, Familie ..., S. 127. 34 Vgl. die Abschnitte IV: Statistische Nachrichten der JKAVG, nach denen das Durchschnittsalter dem Hegemanns recht genau entsprach: U II 16, 4 Jahre; Ο II 17,4; U I 18, 3; Ο I 19,5. Die Prima wurde wegen der geringen Schülerzahl 1899 gemeinsam unterrichtet. 35 Dazu kam ein wahlfreies Angebot von zwei Stunden Hebräisch, das nur im Sommerhalbjahr 1898 Teilnehmer fand, und zwei Stunden Zeichnen, klassenübergreifend erteilt, an dem aber nur acht bis sechs Schüler teilnahmen, sowie seit dem Schuljahr 1899/1900 drei Stunden Singen. 32

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3.1 Fächer

des neuen Geländes gelegentlich die kaiserlichen Prinzen teil 36 . Der Umstand, daß sie die nahegelegene Kadettenanstalt in Plön besuchten, hatte vermutlich nicht unerheblich dazu beigetragen, daß die Kaiserin Auguste Viktoria das Gymnasium durch ihren Namen auszeichnete, bedeutete aber viel mehr als ein gewichtiges Orientierungsobjekt für den Nationalismus von Lehrern und Schülern. Das Verlangen nach dem mit dieser Schullaufbahn verbundenen Privileg zum Reserveleutnant, der nach Friedrich Meineckes Diktum als Halbgott durch die Welt ging, wurde durch diese Präsenz geschürt. Wo preußische Prinzen dem noch mehr Gewicht verliehen, wurde auch der Verherrlichung und Verharmlosung des Krieges, die in den Selbstfeiern der wilhelminischen Gesellschaft erfolgte, durch die fachgebundene Verhandlung von Kriegsgeschichte im Lateinischen und Griechischen die ethisch-heroische Komponente zugefügt; schließlich ein Superioritätsgefühl des gesinnungsmilitaristischen Wilhelminismus gefestigt 37 . Das Pensum umfaßte damit 28-30 Stunden Pflichtunterricht in der Woche, etwa fünf Schulstunden am Tag, was zusammen mit den Wahlfächern, Sportunterricht und Aufgaben den Schüleralltag weitestgehend gefüllt haben dürfte. Uber die Hälfte des Unterrichts war den Sprachen gewidmet, nur sechs Stunden dem naturwissenschaftlichen Bereich und in den drei weiteren waren Geschichte und Geographie zusammengefaßt 38 . Der ausschließlich evangelische Religionsunterricht 39 verzeichnet noch in der Untersekunda die Wiederholung auswendig gelernter Psalmen, wird mit Evangelien und Kirchengeschichte bis zur Lektüre Luthers und der Confessio Augustana jedoch anspruchsvoller und entspricht so exemplarisch dem Übergang zwischen formaler und ethisch-ästhetischer Bildung. Die Unterrichtsthemen der Geschichte, auch der Geographie wurden kaum spezifiziert, sondern als Wiederholungen Antike, Mittelalter, Neuere Geschichte ausgewiesen. Jedoch lehrte man in der Untersekunda im Jahr 1898 zwei Stunden Deutsche und preußische Geschichte vom Regierungsantritt Friedrichs des Großen bis zur Gegenwart. Hingegen wurden für alle Sprachen wie auch Mathematik - Physik dagegen ähnlich pauschal 40 Themen und Lektüre, die eingeforderten Arbeiten, ja die Themen der Aufgaben, genau aufgeführt. Im Wahlfach Englisch steigen die Anforderungen vom Spracherwerb zur begrenzten Kenntnis von Literatur und zeitgenössischen Werken 41 . Im Französischunterricht jedoch ist bei anspruchsvoller Lektüre - Reden Mirabeaus, Dramen Molieres und Corneilles das Lernziel analog dem altsprachlichen Unterricht eindeutig die Übersetzung aus dem 36

JKAVG 1900, S. 32 und 1901, S. 12; Rieper, Plöner Gymnasium ..., S. 37, 40. Berg/Hermann, Industriegesellschaft ..., S. 15. 38 Vgl. Albisetti/Lundgreen, Knabenschulen ..., S. 253-266. 39 Am 1. Februar 1898 besuchten 122 evangelische Schüler das Gymnasium, doch nur ein einzelner Schüler katholischer Konfession. 40 Sammelbegriffe sind hier Wärmelehre, Elektrizität, Optik, Chemische Erscheinungen, Mechanische Eigenschaften der festen, flüssigen und luftförmigen Körper. Vgl. Albisetti/Lundgreen, Knabenschulen ..., S. 263, zur fehlenden Dignität der Naturwissenschaft, die Mathematik wie Physik noch am meisten zukommt. 41 Die Lektüre führt von Dickens „Sketches" zu „Macbeth" und amerikanischen Kurzgeschichten, dann zu Sidney Whitman, „Teuton Studies" und Green, „Modern England". 37

64

3.1 Sprachen

Französischen. Nachdem in der Untersekunda noch Grammatik und Wortschatzerweiterung betont wurden, liegt das Lernziel der letzten drei Jahre nicht in Sprechkompetenz und Konversationfähigkeit, sondern allein im Verstehen der Sprache 42 . In Latein, wo die Schüler aufgrund des langjährigen Unterrichts Cicero, Vergil, Livius, Horaz und Tacitus lesen, ist Lernziel die Ubersetzung in die Premdsprache. Nicht nur vom Konzept des unterrichtenden Lehrers abhängig fanden in der Untersekunda Exercitien und Extemporalien statt - Graeber ließ in der Obersekunda jede Woche schriftlich aus dem Deutschen übersetzen. Außer im letzten Jahr wurden regelmäßig mündliche Übersetzungen in das Lateinische eingefordert. Diese sprachlich-logische Schulung entsprach der von Friedrich Paulsen als 'Latinitätsdrill' diskreditierten Theorie formaler Bildung. Im Griechischen noch markanter, wurde in der Sekunda Grammatik gelehrt, Lektüreverse auswendig gelernt, Extemporalien und schriftliche Übersetzungen aus dem Griechischen verlangt. Nur zwei außerordentliche Stunden Homer erteilte der Direktor, um das Soll von sechs Stunden zu komplettieren. In der Prima kommt der ästhetischphilosophische Charakter des Griechischunterrichts weit mehr zum Tragen, indem neben der Lektüre - nunmehr Homer, Plato, Sophokles - nicht nur nur Extemporierübungen, sondern Ausarbeitungen aus dem Gebiet der Lektüre verlangt wurden. Daß im Deutschunterricht vor allem in Aufsätzen auch griechische Werke behandelt wurden, zeigt, daß der Anspruch des Fachs auf eine eigenständige und gleichwertige ethisch-ästhetische Bildung noch nicht akzeptiert war. Entgegen der nationalen Erziehungsabsichten durch deutsche Dichtung war der Deutschunterricht der disponible Raum, in dem Themen vertiefend behandelt wurden. Zwei und mehr von acht bis zehn Themenstellungen des Fachs bezogen sich auf dort nicht behandelte Lehrstoffe. Ebenso übertragbar war die historische Bildung, deren nationale Dogmen hier in Aufsätzen eingeübt wurden: Das Aufsteigen Napoleons bis zum Kaisertum; Welchen Einfluß hat die geographische Lage und Beschaffenheit Englands ausgeübt auf die Entwicklung seines Handelns; im folgenden Jahr: Stehen die Friedensjahre in der Regierungszeit Friedrichs des Großen den Kriegsjahren an Bedeutung nach?*3 Darüberhinaus zeigt der Kanon die Auffassung vom Deutschunterricht als Literaturgeschichte. Sie schließt allerdings die Moderne aus und beschränkt sich schon im Sinne der nationalen Erziehung auf die Behandlung von Klassik und deutscher Dichtergröße. Dadurch wird sie 'Geistesgeschichte' und dient - wie auch die Ausstattung der Schülerbibliothek 44 - der Einübung des Patriotismus mittels literarischer, philosophischer und historischer Themen 45 . 42 Vgl. Albisetti/Lundgreen, Knabenschulen ..., S. 256 f. zum Aufstieg der Sprache von moderner Konzession zur Dignität durch Übertragung des altsprachlichen Lehrparadigmas. Konversationsfähigkeit bleibt den Mädchen vorbehalten. 43 JKPG 1898, S. 8 und JKAVG 1899, S. 8. 44 Vgl. dazu auch die Abschnitte Schülerbibliothek der Jahresberichte. Neben patriotischen Werken und für die Jugend erzählten Stoffen kaum ein modernes Werk; in der Lehrerbibliothek vor allem klassische Fachzeitschriften, Nachschlagewerke und allgemeine Darstellungen, aber auch Chamberlains „Grundlagen des 19. Jahrhunderts". JKAVG 1901, S. 17. 45 In der Sekunda noch Anfertigung von Aufsätzen, Lektüre bestand schon hier und weiterhin vorran-

65

3.1

Militarismus

Diese Interdisziplinarität des Deutschunterrichts folgt der Qualifikation der Ausbilder und ist damit weniger Folge des humanistischen Anspruchs als vielmehr der Alltagspraxis 46 . Sie wurde auch zur Aufhebung zwischen Unterricht und pädagogischem Spiel genutzt, wenn die Schüler über Sophokles' „Antigone", die sie nur aus den Proben und Aufführung anläßlich des Einweihungsfests kannten, eine deutsche Klassenarbeit schrieben. Wird hier externe Erfahrung der disziplinierenden und bewertenden Leistungskontrolle unterzogen, wird andernorts die Umsetzung des Stoffes in pädagogisches Spiel versucht, wenn als Teil der Mathematik auf dem neuen Schulgelände die Ausdehnung des Forum Romanum abgemessen und abgesteckt wurde 47 , um so einen allfälligen Kontext mit humanistischen Bildungsinhalten herzustellen. Da im mathematischen Unterricht das Hauptgewicht auf darstellender Geometrie lag 48 , setzte dies Unterfangen verschiedene Instrumente voraus, die es mit Unterstützung wohlgesonnener Institutionen zu erwerben gelang, den sekundären Zweck der Übung zeigend: eines Theodoliten durch das Kgl. Provinzial-Schulkollegium, eines Sextanten und anderem durch die Ksl. Werft Kiel, nautischer Bücher und Karten durch die Marineakademie zu Kiel 49 . Dieser Praxisbezug dient nicht nur der erfolgreichen Motivation von Schülern, sondern zukünftiger Offiziersanwärter und vermittelt ihnen Grundlagen für die militärische Ausbildung. Als Grundlage dessen verteidigt Fink 5 0 das humanistische Gymnasium gegen utilitaristische Kritik, indem er eine durch idealistische Bildung besonders gefestigte Bindung an den Staat und seine Zwecke verheißt. Die alten Sprachen gelten als Arsenal, dem das Gynasium seine Waffen entnimmt. Darauf bauen alle Fächer auf - wobei die modernen Sprachen ohnehin nur als Derivate gelten - und machen erzieherische Arbeit fruchtbar 51 . Erst wenn die Kämpfe, in denen das Recht und die staatliche Ordnung, die das Leben, das Wollen, das Denken und Empfinden der Menschheit regelnden Gesetze geprägt und zur Anerkennung in blutigen Kriegen gebracht sind, der Inhalt der alten Sprachen nämlich, verstanden worden sind, wachsen wir doch allein wahrhaft hinein in die modernen und großen Aufgaben der Gegenwart. gig in Goethe, Schiller, Lessing, überwiegend Dramen; in der Prima wurde dies um Shakespeare, Luther, Klopstock ergänzt; in den litterarhistorische\n] Notizen entsprechend Nibelungen und höfische Epik, später Lebensbilder und Überblick zur Entwicklung deutscher Dichtung. Vgl. Albisetti/Lundgreen, Knabenschulen ..., S. 258 f. 46 Der Fächerkanon der derzeitigen wissenschaftlichen Lehrer umfaßte mit nur einer Ausnahme neben Deutsch immer Griechisch und Latein (Ausnahme: Hebräisch statt Griechisch). 47 JKAVG 1901, S. 13, Rieper, Plöner Gymnasium ..., S. 39; beruhte auf Vorarbeiten eines ehemaligen Schülers, ergänzt durch einen Lichtbildervortrag eines Eombesuchers. 48 Trigonometrie, Berechnungen von räumlichen Körpern und Schnitten, Logarithmen, Stereometrie und Planimetrie. Leitinteresse ist auch hier die Denkübung; berufsvorbereitende Aspekte wurden den Realschulen überlassen. 49 JKAVG 1901, S. 13 und 18. 50 Abdruck seiner Rede zur Einweihung des Neubaus JKAVG 1900, S. 15-20, bes. S. 17 ff. 51 Dabei macht Fink analog der Bildungstheorie seine begründende Unterscheidung zwischen Begriff und Idee und eine zwischen der logisch-grammatischen Zucht und der „dichterischen Auffassung" derer Pädagogik.

66

3.1 Idealismus

Wissen gilt nichts gegenüber Bildung, die damit die normative und emotionale Prägung durch große Vorbilder bezeichnet. Zentral sind Männlichkeit, Heldentum und der Imperativ des Ganzen. Dieser steht, austauschbar und gleichwertig, für Menschheit, Staat, deutsches Volk. Männlichkeit bedeutet Heldentum und das bedingslose Hingabe. Der Held aber ist einfacher, starker, unbedingter Wille, geleitet von der Macht eines Gedankens, einer Idee, eines Ideals. Seine Zielrichtung zeigt folgende Ausführung: So erscheint alles gymnasiale Wissen als Offenbarung aus der psychischen Welt. Das Universum ist erfüllt von Zwecken, Absichten und Aufforderungen für den Menschen, der in der Erkenntnis und Durchführung dieser Absichten seine menschliche Aufgabe verstehen lernt. Selbst die Erdkunde muß sich dem fügen; was uns Deutschen in unserer Lage in Europa als besondere Mission zufällt, welche Widerstände, welche Förderung dieser Mission aus den geographischen Bedingungen erwachsen, was spornt und treibt und was zur Zurückhaltung und Aufsparung der Kräfte mahnt, alles dies muß aus der Erdkunde zur Ergänzung des geschichtlichen Wissens entnommen werden. So erscheinen geographische Namen wie Frankreich, England, Rußland, Italien, ja Amerika und China nach Menschenart uns heute bedrohend, morgen verteidigend, aber immer ausgestattet mit Kräften, mit einem Lebendigen, von dem auch unser eigenes Schicksal abhängt.

Fink setzt seine Leitworte Begriff und Idee nicht systematisch, sondern moralisch gegeneinander ab. Während der Begriff als analytisch, kalt und sachlich suggeriert wird, verheißt die Idee Schöpfung und Bindung. Diese exemplarisch vulgäridealistische Definition reizt alle mandarinische Konnotation der Überlegenheit von Kultur gegen Zivilisation und Geist gegen Vernunft aus. In der Idee dagegen strebt die Sache über sich hinaus, sie wird personifiziert, mit eigenem Wollen ausgerüstet; wir legen mit anderen Worten uns selbst hinein, leihen ihr eine menschliche Seele, statten sie aus mit Liebe und Haß, mit machtvollen Waffen zu Kampf und Streit und Sieg, erhebend, Begeisterung erweckend bei ihren Anhängern und Freunden, das gute Gewissen raubend und dadurch tätlich für ihre Gegner52. Obwohl dieser Vortrag den Prozeß als aktive Sinnverleihung bezeichnet, hebt seine übertragene Bedeutung gerade auf die Etablierung der Sinnsetzung als immanenten Prozeß ab. Uber die Suggestion, die Ideen seien authentischer Teil der Phänomene, werden die Jugendlichen auf bedingungslos selbstverständliche Einordnung in die militante Hierarchie von Wertvorstellungen, Gesellschaft, Obrigkeitsstaat und Nationalstolz eingestimmt. Diese Ausführung spezifiziert jenen Sinn zudem als Imperialismus aus dem Recht der Defensive. Das war jedoch, gilt es zu bedenken, nicht allein Werk der Schule. Hegemann berichtete 1930 zynisch, daß er mit neun Jahren zum erstenmal deutsche Politik im kriegerischen Ausland studierte habe. Er sei eifriger Teilnehmer an den blutigen Schlachten, die sich belgische, deutsche und englische Knaben um 1890 am Strande belgischer Seebäder lieferten, gewesen53. Die Kinder agierten, wie die Eltern und ihre sozialen Umgebungen ihnen vorgaben und dabei Grenzen übergreifend, gleich. 52 53

JKAVG 1900, S. 18. Kiepenheuer (1930) 47.

67

3.1 Rückblick

Hier zeichnen sich die Vorprägungen dessen ab, was Hegemann später als Irrtum identifizierte und verhöhnte: die der Erscheinung inhärente Sinnbedeutung. Die Vehemenz seines Streitens geht vielleicht zu einem nicht geringen Teil auf die Enttäuschung eines kindlichen Vertrauens zurück, wie dann auch die in seinen späteren Schriften zum Humanisten idealisierte Figur des Fink nur noch als sarkastische Karikatur verstanden werden kann. In einer Schilderung von 1924 scheint Hegemann dies zu bestätigen 54 : So habe ich denn während, meiner bewegten Lehrjahre auch einmal, in einer kleinen Stadt, die Oberprima des deutschen humanistischen Gymnasiums besucht und mir das sogenannte Reifezeugnis erworben. Eine sonderbare Erfahrung! Unter den Lehrern gab es reizende und tüchtige Menschen, von denen mir einige bis heute wertvolle Freunde geblieben sind. Aber unter meinen Kameraden waren wenige, zu denen ich eine Brücke fand. Die mir so willkommene Kunde von den Wundern alter und neuerer Literatur erschien ihnen meist verdächtig oder gar widerwärtig, jedenfalls unvereinbar mit dem Lebensziel, das gerade die aufgewecktesten unter ihnen im burschenherrlichen Biertrinken und Rauchen, im Dienste der Venus vulgaris und in dem Schlägerfechten suchten, das mir so geistlos vorkommt, weil es nicht wie Degen, Säbel und Florett, und wie jeder tüchtige Sport, den ganzen Leib, sondern nur einen Arm entwickelt. Mit diesen Schülern sollte Goethes Iphigenie „durchgenommen" werden. Versuchen Sie, junge Menschen, die entweder verkatert sind oder von Kneipe, Zigarren und „höheren oder niederen Töchtern" träumen, in die Mystik der Goetheschen Freundschaft zu Frau von Stein einzuweihen! Was blieb dem armen Lehrer schließlich übrig als die unablässige, treue Wiederholung einiger Stichwörter? Unter diesen Schlagworten spielte die „reine Menschlichkeit" eine Hauptrolle. Wenn ein Schüler, aus dem Halbschlaf erwachend, eine überhörte Frage beantworten sollte, stotterte er: „Reine Menschlichkeit". Und „Reine Menschlichkeit" wurde dem Lehrer bald als Spitznamen angehängt. Diese Bengel glaubten dabei umso witziger zu sein, als der ausgezeichnete Mann infolge eines Naturfehlers an einer meist sichtbaren Unreinlichkeit der Nase litt. Selbst für lernbegierige Schüler war es schwer, eine säuberliche Grenze zwischen Ernst und Scherz zu ziehen, und der „mit stillem Widerwillen dienenden" Iphigenie wurde übel mitgespielt.

Doch Hegemann läßt hier sein fiktives Alter Ego erzählen. Damit ist der Bericht von einer komplexen literarischen Motivationskonstellation gezeichnet. Aber er benennt die Konflikte des Schulalltags, in dem sich Pseudomilitarismus und Spätpubertät mit Idealismus und Disziplin nicht vereinbaren lassen. Die Beschreibung bildet auch die zwiespältige Privilegierung der Gymnasiasten ab. Durch äußerliche Kennzeichnung partizipieren sie am Ansehen des Akademischen und haben durch außerfamiliäres Wohnen größere Möglichkeiten der Welterfahrung, während die Festschreibung einer langen Puerilität wie die finanzielle Abhängigkeit von der Familie dem strikte Grenzen ziehen55. Hier wurde der Zwiespalt mit kompensatorischer Nachahmung statt des literarisch häufig belegten Leidens und Ekels aufgefangen, offensichtlich von der militärisch besetzten Mentalität geprägt 56 . 54 55 56

68

Ε 149 f. Berg, Familie ..., S. 125-127; s.a. Kraul, Gymnasium ..., S. 123 f. Siehe dazu Berg/Hermann, Industriegesellschaft ..., S. 10-13.

3.1

Eigenständigkeit

Der fiktive Rahmen, mit dem Hegemann seine eigene „Iphigenie" umgab, zeichnet solche Erfahrungen satirisch nach. Die Behauptung, dieses eigene Theaterstück 1899 auf einer Reise nach Griechenland in Begleitung Finks 57 infolge der Inspiration durch eine lebendigere Vorstellung vom klassischen Altertum ..., als das humanistische Gymnasium zu vermitteln vermag, geschrieben zu haben, entspringt einem retrospektiven Sarkasmus und dem Wunsch nach früherem Widerspruchsgeist 58 , während er als Unterprimaner Goethes „Iphigenie" wie auch den „Tasso" lesen und dazu in Aufsätzen die Fragen Welche Befürchtungen und Hoffnungen erweckt die Exposition in Goethes Iphigenie? und Welche Stufen der Gottesanschauung zeigt Goethes Iphigenie? beantworten mußte. Seine Behauptung der frühen Schreibzeit und ihres frühreifen literarischen Genius ist, weil die Umformung der Motivkomplexe der „Iphigenie" nicht zuletzt den Ersten Weltkrieg verarbeiteten, deutlich erkennbar falsch. Damit erscheint auch die jugendliche Erfahrung des Auseinanderfallens von Welt und Sinn hinfällig; ist Kompensation und literarisches Mittel zugleich. Diese von preußisch-deutscher imperialer Weltsicht überschattete Bildung stattete Hegemann dennoch mit einem literarisch-ästhetischen Fundus aus, den er nach seiner Emanzipation von diesen Defiziten in eine eigene und eigenwillige Literaturform umsetzte, um jenen Bildungsbesitz zu unterminieren. Eine andere Einsicht in diesen Lebenszeitraum vermittelt eine weitere Erwähnung Werners durch seine Mutter. Da mein 19jähriger Sohn Werner mir am 10. Oktober 1900 ... eine von ihm entworfene Mitteilung an die Antragsteller der Entmündigung vorgelesen hatte, des Inhaltes, dass er (Werner) seine Unterschrift zum Antrag Guttmann zurückziehe und der Entmündigung nicht zustimme, sofern sie nur durch Irrsinns-Begründung möglich wäre 59 , während sie vergeblich auf eine Stellungnahme der anderen Kinder wartete, war Elise Hegemann-Vorster ihrem jüngsten Sohn dankbar. Werner gelang es also, in der verwickelten Familiensituation eine eigenständige Position zu finden und zu vertreten, dabei seinen Widerspruchsgeist zu behaupten. Danach beurteilte seine Mutter 1901 den Einfluß der Graebers als so günstig. Obwohl Graeber auch ein Jahr Klassenlehrer Werners gewesen war, war sein Einfluß inzwischen durch sein neues Amt beschränkt. Doch auch diese Episode gibt wenig Aufschluß darüber, in welchem Verhältnis Werner zu seiner Familie und den weiteren Verwandten stand, wie er die Krankheitsgeschichte seiner Mutter beurteilte und sich dies auf die familiären 57 Sollte die Gestalt des „weltklugen Altphilologen", als den Hegemann August Fink auftreten ließ und durch ein herzliches Verhältnis zu seinem Lieblingsschüler kennzeichnete, dem realen nachgebildet und nicht Opfer einer Satire geworden sein, die ihn Eingeweihten als gewünschtes Gegenbild zeigte, hätte Hegemann seine Persönlichkeit als Schüler gänzlich anders erlebt als sie in den Quellen erscheint. Aufzulösen ist dies Problem nicht. 58 Beachte auch hier die Umformung: Am Ende dieses unerquicklichen Schuljahres begleitete mich rettend Dr. Fink ... nach Athen ... Während dieses Aufenthaltes schrieb ich das Lustspiel Iphigenie und ich muß gestehen, ich war noch nicht ganz frei von übermütigem Widerspruchsgeiste. Ε 150. Sowohl im Lebenslauf wie im späteren Memorandum fehlt Griechenland unter den zahlreichen Reisezielen. Hinrichs berichtet in seiner Würdigung, daß Hegemann eineinhalb Jahre nach Kriegsende, nach seiner Rückkehr aus den USA, ihm das Stück vorlas. 59

Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 33, 189 (die einzige weitere und namentliche Erwähnung).

69

3.1 Abitur

Verbindungen auswirkte. Die ihm noch als Schüler zur finanziellen Unabhängigkeit verhelfende Erbschaft vom Vater zeigt lediglich, daß es ihm gelang, durch die Entfernungen begünstigt, nicht zwischen die Fronten zu geraten 60 . Sein Abitur machte Hegemann gemeinsam mit drei gleichaltrigen Mitschülern. Durch den gemeinsamen Unterricht der Prima war er aber auch mit einem Schüler vertraut, der später als Kollege erschien: Albert Erich Brinckmann machte im folgenden Jahr sein Abitur am Plöner Gymnasium 61 . Die anderen drei der vier Abiturienten vom 7. April 1901 stammten aus Plön. Der Sohn des Besitzers der örtlichen Buchdruckerei, Oskar Kaven, beabsichtigte, ins Baufach zu gehen und die Zwillinge eines Plöner Sanitätsrates gaben ihrerseits Medizin als Berufswunsch an. Hegemann ging ab mit Reifezeugnis Ostern 1901, um Philosophie zu studieren62. Sprünge erlaubte trotz finanzieller Ausstattung die noch fehlende Volljährigkeit nicht.

3.2 Studium In der Untersuchung der folgenden Ausbildungszeit ist zwischen den nachweisbaren Studien und den späteren Reklamationen Hegemanns zu unterscheiden. Entgegen der Retrospektive zeigt sich eine offene, zunächst wenig fachgebundene Bildung; präfigurierende Einflüsse von Hochschullehrern deuten sich an. 3.2.1 Berlin Obwohl der Student Hegemann in Berlin ein eigenes Zimmer - in der Bauhofstr. 2, direkt hinter dem Universitätsgebäude - bezog, war er aufgrund seiner Minderjährigkeit seiner Tante Ria March 63 und seinem Onkel in Charlottenburg anempfohlen, in deren Haus 64 er freundlich empfangen wurde. Hegemann sprach später davon, wie ein Sohn aufgenommen worden zu sein. Das Wohnhaus der Marchs an der Sophienstraße lag an einer „reinen Verwandtenstraße", die von mehreren Generationen auch weiterer Verwandter bewohnt wurde, deren Kinder die verbundenen Gärten als Spielplatz nutzen konnten 65 . In den Söhnen der Marchs (Bild 5) fand Hegemann vier Cousins, deren Jüngsten er sich vielleicht beson60 Da Elise Hegemann-Vorster fünf Tage später ein Testament zugunsten der von ihrem Vater enterbten Söhne aufsetzte, betrachtete sie Werner als hinreichend entschädigt und versorgt. HegemannVorster, Öffentlichkeit ..., S. 83, 199. 61 Albert Erich Brinckmann. Verzeichnis der Schriften, Aufgestellt im Kunsthistorischen Institut der Universität Köln, Hrsg. von Heinz Ladendorf und Hildegard Brinckmann, Köln 1961, S. 65. Auch der spätere Fachkollege Friedrich Paulsen war dort Schüler gewesen. 62 Album der Plöner Gelehrtenschule, Internatsgymnasium Plön; JKAVG 1901, S. 16. 63 Sie hatte Elise mehrfach besucht, war aber 1900 ebenfalls von einer notwendigen erneuten Entmündigung überzeugt, so daß dies ihre Hilfsbereitschaft für den Sohn bestärkte. Hegemann-Vorster, Öffentlichkeit ..., S. 90, 114. 64 Laut Adreßbuch residierte March als Kgl. Baurat mit seinem Büro Marchstr. 9 und bewohnte mit seiner Familie das Haus Sophienstr. 26.27 nahe der Thonwaarenfabrik Ernst March Söhne. Vgl. die Abbildungen in Werner March (Hrsg.), Otto March 1845-1912. Ein schöpferischer Berliner Architekt an der Jahrhundertwende, Aufsätze und Reden, Tübingen 1972. 65 Jochens/Hünert (Hrsg.), Tonwaren ..., S. 90.

70

3.2.1

Ersatzfamilie

ders zuwandte, denn der 1897 geborene Walter March wurde später zum Freund und Helfer der Familie 66 . Hegemann schätzte es, seine Umgebung über seinen genauen Werdegang im Ungewissen zu lassen. Daher erklärte Ruth Nanda Anshen ihn als im Atelier Marchs ausgebildet, seine erste Frau ihn zum Studenten der Ecole des Beaux-Arts Paris, Hermann Kesten dichtete ihm die Leitung der ersten Weltausstellung für Städtebau in San Francisco an und sogar Arnold Zweig kam durcheinander, als er in seinem Nachruf Hegemann zuerst aus westfälischem Förstergeschlecht, dann aus rheinischem Pastorengeschlecht67 stammen ließ, weil Hegemann sich bei seiner Herkunftserklärung wählerisch zeigte 68 . Hegemanns eigene, bewußt mehrdeutige Formulierung über den Beginn seines Bildungswegs hieß „Schüler von Otto March" 69 . Als Bezeichnung einer prägenden Lehrbeziehung ist diese Formel zutreffend. Sie enthält jedoch die bewußt darüber hinausreichende Suggestion einer akademischen oder handwerklichen Lehre, die ganz offensichtlich nicht zutrifft 70 . Neugier und Interesse an Kunst und Architektur aber waren zu Studienbeginn durchaus vorhanden. 1925 erzählte Hegemann mit Erröten, nach seiner Ankunft in Berlin nicht etwa Schinkels Altes Museum, sondern den von Henry van de Velde im Jugendstil entworfenen Friseursalon Haby zuerst besichtigt zu haben 71 . March förderte demzufolge diese Interessen. Im Hause seines Onkels konnte Hegemann jene Männer kennenlernen, die in der architektonischen und städtebaulichen Bewegung Rang und Namen hatten. 66 Wenn Thomas Schmidt, Werner March. Architekt des Berliner Olympia-Stadions, Mit einem Nachwort von Anna Teut, Basel-Berlin-Boston 1992, S. 10, anmerkt, daß die Städtebauausstellung 1910 Werner March zum Wunsch angestiftet habe, wie sein Vater Architekt werden zu wollen, darf man vermuten, daß auch hier das Bild des mit dem Vater arbeitenden Cousins eine Rolle gespielt hat. 67 Arnold Zweig, Auch Werner Hegemann ... MS, AZA 1209, Arnold Zweig-Archiv, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Hermann Kesten, Werner Hegemann. In: Hermann Kesten, Meine Freunde, die Poeten (1959] (Werkausgabe). Frankfurt a.M.-Berlin-Wien 1983, S. 89-92, S. 91 und S. 90: aus einer Mannheimer Pastorenfamilie. Dagegen Rudolf Olden, Werner Hegemann. Dem Freund und dem Kämpfer, Pariser Tageblatt 4 (1936), Nr. 866, 26. April 1936, S. 3: ein Abkömmling westfälischer Bauern. 68 Zur Tradierung siehe Flick, Hegemann ..., S. 27 f. In den Aufsätzen von C.C. Collins wird die allmähliche Erosion der anfangs akzeptierten Verklärungen durch ergänzende Funde beispielhaft sichtbar (in die allerdings ein neuer Fehler eingeht, indem Brentano Hegemann zu Gide geschickt habe; Collins, Formative Years ..., p. 2 und Collins, German Critic ..., p. 2.). 69 Zuerst: Wer ist's 9 (1928), S. 606 f. nach Eigenangaben; Wasmuths Lexikon der Baukunst. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachleute hrsg. von Günther Wasmuth [WLB], Bd. 1-5, Berlin 1929-1937, Bd. 3, S. 75 unter der Redaktion von Leo Adler; und die zentrale eigene Legende SB 450. Vgl. nahezu zeitgleich Kiepenheuer (1930) 47, wonach March die Vorliebe für den friedlichen Städtebau und die Hoffnung auf die bauliche Neugestaltung Berlins ... gepflanzt habe und der akademische Lebenslauf von 1930, nach dem der Oheim ... Hegemanns Studien die endgültige Richtung gab. 70 Vgl. dazu 1916: My studies from their beginning had the good fortune of standing under the personal influence of the late Otto March, in whose house in Berlin I was received like a son when studying at the University ofthat city. Memorandum [Werner Hegemann to James Ford, 1916], n.d., MS, p. 1. UA V 800.5, James Ford Papers, Department of Social Ethics, Harvard University Archives, Cambridge MA. 71 Auch selbst ein Regal im 'Neuen Stil' gebaut zu haben; Van de Velde (1925) 521 f.

71

3.2.1

Peergroup

M a r c h f ö r d e r t e d a b e i a u c h die gesellschaftlichen V e r b i n d u n g e n H e g e m a n n s , w e n n er i h m 1901 bei einer Reise nach L o n d o n den Besuch bei H e r m a n n M u t h e s i u s a n e m p f a h l . So stellte H e g e m a n n sich im S e p t e m b e r 1901 bei M u t h e s i u s vor. Sehr geehrter Herr! Nachdem ich im Hause meines Onkels, Herrn Baurat Otto March in Charlottenburg, öfters von Ihnen gehört habe, würde ich mich glücklich schätzen Ihnen jetzt während meines Aufenthaltes in London eine Aufwartung machen zu dürfen. Geben Sie mir vielleicht eine Stunde an, in der ich Ihnen am wenigsten lästig fallen würde ? In der Hoffnung auf eine gütige Antwort verbleibe ich ganz ergebenst Werner Hegemann stud, phil.72 M u t h e s i u s v e r f ü g t e zu d e m Z e i t p u n k t noch ü b e r keinen offiziellen Titel, w a r a b e r seit 1896 als A t t a c h e bei der d e u t s c h e n G e s a n d t s c h a f t in L o n d o n ein b e d e u t e n d e r M a n n . D e s h a l b wird bei E i n h a l t u n g der höflichen F o r m d a s K o m p l i m e n t m i t d e m Ausspielen der v e r w a n d t s c h a f t l i c h e n E m p f e h l u n g v e r k n ü p f t , u m sich als j u n g e r , e b e n d e m Schulalt e r entwachsener M a n n ü b e r h a u p t dessen A u f m e r k s a m k e i t w ü r d i g zu erweisen. A u c h dieses Z u s a m m e n t r e f f e n diente H e g e m a n n s p ä t e r als Beweis seines E n g a g e m e n t s f ü r A r c h i t e k t u r ab ovo73. Tatsächlich verwirklichte H e g e m a n n z u n ä c h s t seine bei S c h u l a b g a n g a n g e g e b e n e A b sicht, in Berlin P h i l o s o p h i e zu s t u d i e r e n 7 4 . Die in der b i o g r a p h i s c h e n L i t e r a t u r s t e t i g t r a d i e r t e A n g a b e , H e g e m a n n h a b e sein S t u d i u m a n d e r Technischen Hochschule C h a r l o t t e n b u r g b e g o n n e n 7 5 , m i n d e s t e n s a b e r A r c h i t e k t u r u n d / o d e r S t ä d t e b a u 7 6 - ein Fach, d a s es noch gar nicht g a b 7 7 - s t u d i e r t , trifft nicht z u 7 8 . 72 (Einziges) Schreiben von Werner Hegemann an Hermann Muthesius vom 9. September 1901, NM/WBA 2.1. Nachlaß Hermann Muthesius, Werkbundarchiv Berlin. 73 Siehe Vorbemerkung Muthesius (1927) 496; ein Beispiel für Hegemanns Retrospektive: in Überwindung (1927) 246 präsentierte er 1924 March als von Vorster zum Studium nach England gesandt, der 1932 laut Wohnhaus (1932) 560 dann seinerseits Muthesius das Wohnhausstudium in England anriet: er baute sich dazu noch eine Ahnenreihe. 74 Abgangszeugnis Werner Hegemann, Matrikelnr. 3091/91, vom 3. Oktober 1901. Universitätsarchiv, Humboldt-Universität Berlin und Schreiben von Herrn Dr. W. Schultze vom 31. Oktober 1988, Universitätsarchiv. 75 Vgl. unten 10.5.5 Nachrufe und Biographische Literatur: Dressler, Vollmer, Kratzsch, Cullen, Macmillan Encyclopedia of Architects [MEA], International Biographical Dictionary of Central European Emigres [IBEE]. 76 Vgl. unten 10.5.5 Nachrufe und Biographische Literatur: New York Times [NYT], Architectural Forum, Anshen, Calabi. 77 Dieter Prick, Zu Entwicklung von Forschung und Lehre auf dem Gebiet des Städtebaus und der Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin. In: Reinhard Rürup (Hrsg.), Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979, Im Auftrag des Präsidenten der Technischen Universität Berlin hrsg., Bd. 1.2., Berlin-Heidelberg-New York 1979, Bd. 2, S. 215-237. Hegemann hätte im Sommersemester lediglich Landesbaurat und Privatdozent Theodor Goecke über Gebäude- und Städtebaulehre, das kommunale und soziale Bauwesen betreffend hören können. Hegemanns einzige Verbindung zur TH war sein dort seit dem 23. April für Maschinenbau eingeschriebener Schulfreund Oskar Kaven. Matrikelbücher der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg 1901-1904, Matrikelnr. 13089. 78 In ihren neueren Aufsätzen nennt auch Collins seit 1988 Hegemann als Studenten der Universität

72

3.2.1 Philosophie

Er immatrikulierte sich schon am 13. April 1901 an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität für ein Semester philosophischer Studien in Berlin. Seine Formulierung beinhaltet, daß es sich hierbei um ein Orientierungssemester handelte, dem dann zunächst der Militärdienst folgen sollte. Die Auswahl der Vorlesungen bestätigt das. Hegemanns Wahl entspricht damit dem üblichen Modell: fast ein Viertel der Studierwilligen begannen ihre Ausbildung an einer Philosophischen Fakultät 79 . Diese Entscheidungen verlängerten vor allem die soziale Exklusivität seines Bildungsganges. Lag die Abiturquote 1901 im Jahrgang bei 1,77%, kamen in der Altersgruppe der 19-23jährigen auf 1.000 nur 6,8 Studenten 80 . Unter denen befand Hegemann sich in dem Drittel der Studenten, deren Väter ebenfalls Handel- oder Gewerbetreibende waren. Eine weitere Exklusivität begründete dabei seine finanzielle Unabhängigkeit, die ihm eine mehr als standesgemäße Lebensführung erlaubte und ihn nicht zwang, die Fachwahl an eine Erwerbsplanung zu koppeln. Weniger die Zahl der im Sommersemester neu Immatrikulierten von 2.290, sondern die Gesamtzahl der Studenten an der Friedrich-Wilhelms-Universität von 10.430, doppelt so hoch wie die Zahl der preußischen Abiturienten von 1901, führt diese Exklusivität vor Augen 81 . Bei einem Wochenpensum von 10 Stunden hörte Hegemann den Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff über Plato, den Historiker Adolf von Harnack über Geschichte der Kirche im Mittelalter, außerdem die Elemente der Abstammungslehre (Darwinismus) des Rassentheoretikers Ludwig Hermann Plate. Lediglich Ignaz Jastrows Encyclopädie der gesammten Staats- und Cameralwissenschaften (für Anfänger) vermittelte einen Eindruck von dem Fach, für das er sich später entscheiden würde. Mit den Vorlesungen Geschichte der Ostsee seit dem Jahre 1000 (als Paradigma historischgeographischer Betrachtung) von Hermann Oncken und Hans Delbrücks drittem Teil der „Weltgeschichte" vom Jahre 1400 bis zum Tode Friedrichs des Großen lag der Interessenschwerpunkt des ersten Semesters eindeutig bei den Geschichtswissenschaften 82 . In Anschluß an das Semester reiste Hegemann nach London, was er später als seine erste Studienreise zu englischer Architektur verkaufte und exmatrikulierte sich am 3. Oktober in Berlin. Vermutlich zum November 1901 begann er seinen Militärdienst und diente ein Jahr als Artillerist in Brandenburg a/H. Hegemann diente als Einjährig-Freiwillliger und leistete sowohl 1908 in Hammelburg wie 1910 in Lechfeld Übungen als Leutnant der Reserve ab. In Brandenburg lag das Feldartillerie-Regiment Nr. 3 83 . Berlin, allerdings sieht sie ihn immer noch „auf der Suche nach seinem Fach", den Genius auf dem Weg zum Durchbruch; vgl. Collins, German Critic ..., p. 1. 79 Hartmut Titze u.a., Das Hochschulstudium in Preußen und Deutschland (Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte 1,1). Göttingen 1987, S. 173 f., 177; S. 88, 92. Im Sommersemester 1901 betrug der Anteil jedoch nur 15,12%. 80 Titze u.a., Hochschulstudium ..., S. 70, 73 und 238 f. zur sozialen Herkunft. 81 Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Bd. 1-4, Halle 1910, Bd. 3, S. 498. 82 Verzeichniss der Vorlesungen, welche auf der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im SommerSemester vom 16. April bis 15. August 1901 gehalten werden, S. 2, 25-27, 31. 83 Lebenslauf Hegemann ..., Bl. 1. Eine Bestätigung dieser Daten aus amtlichen Quellen scheint aus-

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3.2.1 Braut

Während des Militärdienstes in Brandenburg lernte er seine spätere Frau Alice Hesse (Bild 7) kennen. Die 1882 geborene Tochter des Amtsgerichtsrats Moritz Hesse und seiner Frau Maria, geborene Pesch, hatte eine Ausbildung am städtischen Lehrerinnenseminar in Brandenburg absolviert. Sie besuchte darauf für ein Jahr ein Privatseminar in Berlin, um am 12. November 1901 das Lehrerinnenexamen für mittlere und höhere Schulen erfolgreich abzulegen. Alice Hesse kehrte daraufhin in das Haus ihrer Eltern zurück, wo sie bis zu ihrer Verheiratung lebte 84 . Obschon sie bereits Protestantin war 8 5 , repräsentiert Alice Hesses Ausbildung einen typischen Lebenslauf früher Studentinnen, die in überwiegender Zahl aus dem jüdischen Großbürgertum kamen, das sich durch seine frühe Kleinfamilienstruktur dem Bildungswunsch der Frauen am ehesten öffnete. Unter den Studien überwiegen Lehramtsstudien - wie Alice Hesse sie bereits abgeschlossen hatte - , im universitären Bereich jedoch Medizin, wobei die Berufsausübung gering blieb und lediglich bei ausbleibender Verheiratung eintrat 86 . Alice Hegemann wich jedoch von diesem Muster ab, indem sie ihre Studien auch nach Eheschließung und Familiengründung fortsetzte. 3.2.2 Paris Nach seinem Militärdienst verbrachte Hegemann jedoch erst einmal zwei Jahre in Paris. Die im Lebenslauf dafür gefundene Formulierung lautete, zunächst 2 Semester Kunstgeschichte in Paris studiert zu haben 87 . Alice Hegemann gab später zu Protokoll, er habe die Ecole nationale et speciale des Beaux-Arts besucht 88 . Die renommierte Architekturschule, aus der berühmte neoklassische Architekten - vor allem die amerikanischen, auf die Hegemann später traf - hervorgingen, bot theoretischen und praktischen Unterricht in den klassischen bildenden Künsten, verzeichnet aber Hegemann nicht unter ihren Schülern 89 . Vielleicht hatte March auch bei Studien in Paris zugeraten, wie es sein Neffe für London behauptete. Hielt Hegemann sich aber auch gegenüber seiner späteren geschlossen, da Stammrollen und weitere Karteimittel der ehemaligen preußischen Armee im Februar 1945 verbrannten. Schreiben von Herrn Dr. Fleischer, Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br., vom 29. April 1988. Die erhaltenen Akten des Krankenbuchlagers liefern keine Nachweise zu Hegemann. In den Unterlagen des XIV. Armeekorps, zu dem Mannheim gehörte, ebenfalls keine zu Hegemann. Schreiben von Herrn Raab, Generallandesarchiv Karlsruhe, vom 19. Juli 1988. 84 Mitteilung von Sibylle Schwarz, München, jüngste Tochter Alice Hesses, vom 23. März 1992. Schreiben von Adalbert von Pechmann, Starnberg, vom 8. April 1991. Gesuch und Lebenslauf Alice Hegemann, geb. Hesse, Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität München, Sign. Sen 110. 85 Meldebogen Werner Hegemann, Stadtarchiv München. Bl. 1. 86 Claudia Huerkamp, Frauen, Universitäten und Bildungsbürgertum. Zur Lage studierender Frauen 1900-1930, in: Hannes Siegrist (Hrsg.), Bürgerliche Berufe. Zur Sozialgeschichte der freien und akademischen Berufe im internationalen Vergleich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 80), S. 200-222, S. 206-208. 87 Baugeschichte in Kiepenheuer (1930) 47 und im akademischen Lebenslauf von 1930 Architekturund Kunstgeschichte in Paris, so auch vom Freund Steen Eiler Rasmussen wiedergegeben. 88 Mitteilung von Dr. Klaus Kratzsch, der seinen Artikel für die NDB in den sechziger Jahren auf ein Gespräch mit ihr gründen konnte. 89 Registre d'inscription des eleves architectes ä l'ecole des Beaux-Arts; Schreiben von Monsieur G. Ermisse, Direction des Archives de France, Paris, vom 28. Juni 1988. - Zuerst bei Vollmer, angeblich nach Dressler, wo diese Angabe fehlt; danach von Kratzsch, Calabi, MEA, IBEE fortgeschrieben.

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3.2.2 Boheme

Frau bedeckt, ist wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit - nach Erreichen von Volljährigkeit und damit uneingeschränkter Selbständigkeit - ein Ausflug ins Bohemeleben mit alters- und modegemäßen Exzessen anzunehmen. Vermutete man stattdessen, wie von Hegemann andernorts nahegelegt, einen Besuch der Universite de Paris, der aber auch nicht zu belegen ist90, hätte er an der Faculte des Lettres der Sorbonne Kunstgeschichte studieren können. Dort findet sich ein Kurs zur Kunstgeschichte: Henry Lemonnier las über Notre Dame et le Louvre91. Und 1913 bemerkte Hegemann in einer Danksagung, Lemonniers Seminar ein Jahr lang besucht zu haben 92 . Er besuchte das Seminar des Kunsthistorikers, der seit 1893 Privatdozent, 1899 Professor an der Sorbonne war, demnach allenfalls privat als Gast. In seiner Selbstdarstellung von 1930, seiner 'Königslegende', hieß es dann: Er lernte als Schüler des Berliner Baumeisters Otto March, der lange Führer der Bewegung für Groß Berlin gewesen ist, die Groß Berliner Probleme ursprünglich besonders von der künstlerischen Seite her kennen. In demselben Sinne widmete er sich dann der Baugeschichte von Paris. Bei der französischen Revolution angelangt kam er jedoch unter den Einfluß des Sozialpolitikers Charles Gide und verfolgte auch später in Amerika und wieder in der Heimat (als Schüler Lujo Brentano's) die großstädtischen Fragen von der volks-wirtschaftlichen und sozialpolitischen Seite93.

An der Sorbonne wurde jedoch lediglich Histoire interieure du Premier Empire aus der Histoire de la Revolution Frangaise angeboten. Die späte Beschreibung relativiert jenes angebliche Studium und scheint damit der Wirklichkeit näher zu kommen, insofern als Hegemann sich in diesem Jahr vor allem Paris widmete. In der Fassung des Lebenslaufs zur Dissertation, der den akademischen Ansprüchen zu genügen hatte, hieß es: ... 2 Semester Kunstgeschichte und entschloss mich dann für das Studium der Nationalökonomie. Während zweier weiterer Semester in Paris hörte ich die Vorlesungen der Herren Professoren Cauwes, Bourguin, Chenon, Deschamps, wurde aber besonders beeinflusst durch die Vorlesungen von Herrn Prof. Gide über das Salariat und von Herrn Prof. Em. Alglave über Finanzwissenschaft.

Im Lebenslauf für seine Bewerbung von 1916 kam es Hegemann darauf an, einen unterstellten Zusammenhang plausibler darzustellen. From the history of architecture and fine arts my studies were directed towards economic, social and political subjects when as a member of the seminary (Histoire de l'Art) of Prof. Lemonnier of the Sorbonne, 1902/3, I had research work to do in connection with a subject 90 Schreiben von Monsieur G. Ermisse, Direction des Archives de France, Paris, vom 18. August 1988; nach dem Hegemann an der Faculte des Lettres nicht nachzuweisen ist. 91 Le Livret de l'etudiant de Paris, publie sous les auspices du Conseil de l'Universite de Paris. Universite de Paris 1902-1903, p. 24-27. 92 S 162, Anm. 126; in der Folge mehrfach auf Werke Lemonniers verwiesen. 93 Vgl. die zeitnahe Fassung Kiepenheuer (1930) 47 f., die den Weg über die Französische Revolution zu den Assignaten und Gide rekonstruiert, aber dem noch den Einfluß des städtebaulichen Romans „Arbeit" von Zola zufügt.

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3.2.2 Jus

taken from the history of art during the first revolution. Startled by the phenomenon of the revolutionary Assignates I pursued monetary studies ... Since 1903 Prof. Gide, of the University of Paris, directed my interest towards sociological subjects, especially the housing of the laboring classes .. .94

Die Verschiebungen dienen jeweils besonderen Ansprüchen an die Selbstdarstellung. Während der Lebenslauf zur Dissertation ein Nachweis sein mußte, konnte Hegemann 1930 mit der Verschiebung von Baugeschichte zu Ökonomie einen umfassenden, lokalen und internationalen Hintergrund belegen. In der Bewerbung von 1916 war die Plausibilität am wichtigsten, eine umfassende wissenschaftliche Ausbildung zu belegen wie gleichzeitig eine daraus folgende Sonderstellung durch die Bandbreite der Studien zu begründen. Deshalb galt der Einfluß Gides nicht mehr - in den USA ohnehin unter Sozialismus-Verdacht - der Lohnfrage, sondern der Wohnfrage - Thema der Sozialreformer. Hegemanns damit glaubwürdig erklärtes Interesse an Währung und Geldschöpfung konnte jedoch kaum in den Vorlesungen der aufgezählten Pariser Professoren aufgehen. Da er weder an der Faculte de Droit der Sorbonne noch für dieses Studienjahr überhaupt nachweislich eingetragen war, sollte auch dieser Liste mit Skepsis begegnet werden. Die Ansiedlung der Ökonomie bei den Rechtswissenschaften - sowohl Deschamps wie Gide besetzten erste Lehrstühle in diesem Fachgebiet - und ihre Themen verweisen auf politische Wissenschaften. Hingegen galt die noch im Sinne der Kameralistik vertretene Staatswirtschaft in Deutschland der Ausbildung künftiger Staatsbeamter. In den Cours de premiere annee bot der Rechtshistoriker Emile Chenon die Vorlesung Depuis l 'epoque romaine jusqu'en 1815 an, später Titel seines Hauptwerks, und befaßte sich im zweiten Semester des Studienjahres mit Grundzügen des Verfassungsrechts. Bourguin las als Lehrbeauftragter eine Einführung in das Ensemble de l'economie politique95. Um die Vorlesungen der übrigen Professoren zu hören, mußte Hegemann Veranstaltungen aus den Cours de doctorat (Sciences economiques) belegen; ob diese frei zugänglich waren, geht aus den Reglements scolaires nicht hervor. Dort las Paul Emil Cauwes über die nationale Volkswirtschaft im Rahmen der Cours d'economie politique, so auch der Titel seines 1893 erschienenen vierbändigen Werks. Im Fach Geschichte der Wirtschaftsdoktrinen, das Auguste Deschamps seit 1897 als erster lehrte, las er in diesem Studienjahr Histoire de la doctrine liberale. Trotz dieser denkbaren Ansatzpunkte beginnenden kritischen Interesses hob Hegemann Gide und Alglave besonders hervor und benannte zwecks Nachdruck ihre Vorlesungen umfassender, als er sie gehört haben konnte. Der vormals wegen seines Liberalismus angefeindete Finanzwissenschaftler Emile Alglave las über Anleihen und Staatshaushalt im Rahmen der Legislation frangaise des 94 Collins erwähnt ohne Quellenangabe biographical notes, in denen Hegemann reklamierte, daß Gide sein Interesse an der Wohnungsfrage weckte. Das stimmt mit dieser Formulierung des Memorandums von 1916 überein. Collins, Discipline ..., p. 9. 95 Production et consommation des richesses. - Circulation et repartition des valeurs. - Le socialisme. Le Livret de l'etudiant. Programmes des cours de l'universite et des grands ecoles, Universite de Paris 1903-1904, p. 8-11. Zu Bourguin bisher keine biographischen Angaben.

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3.2.2 Gide

finances et sciences financiere. Seine einzige Nennung verdankt sich offenbar der Prätention eines intensiven Studiums des Teilgebiets, dem auch die Dissertation entstammte. Der Nationalökonom und spätere Theoretiker der Genossenschaftsbewegung Charles Gide war 1904 noch Privatdozent für Cours d'iconomie sociale comparee an der Sorbonne. Hegemann hörte ihn über Les causes sociales de la natalite et de la mortalite. Gide war Mitbegründer einer ökonomischen Schule, die eine Umgestaltung der politischen Ökonomie nach solidaristischen Thesen postulierte 96 . Noch 1923 faßte er Solidarität als „nachgewiesene Tatsache" gegenüber den übrigen an „Idealen" wie Freiheit, Autorität oder Gleichheit orientierten Schulen auf. Diese Auffassung beruhte auf der von Solidarität als eines „ Quasi-Konstruktes", mit dem die aus Assoziationen und Arbeitsteilungen sich ergebenden Verpflichtungen kodifiziert waren. Dem stand ein „QuasiDelikt", die Bereicherung durch Vorenthalten des Anteils an der durch soziale Kooperation geschaffenen Gütermenge, gegenüber, das durch freiwillige Beiträge und obligatorische progressive Steuern zu tilgen sei. Statt vollständiger Umsetzung in Kommunismus oder Staatsozialismus sprach Gide unter Einfluß von Assozialisten und Syndikalismus 97 sich für die freiwillige Solidarität, die Genossenschaft aus. Er verfolgte gegen die solidaristischen Programme ein ganz anderes Ziel, und zwar ist das Ziel der Produktionsgenossenschaften die Abschaffung des Lohnsystems, das der Konsumgenossenschaft die Verwirklichung des gerechten Preises98. Der von Gide vertretene Kooperatismus beabsichtigt die Umformung der Wirtschaftsordnung. Anders als der Sozialismus sieht er dabei aber im Konsumenten das Objekt der Ausbeutung. Die Abschaffung des Profits als Aufschlag bei Produktionskosten wird zur ökonomischen Revolution, weil die Führung der Wirtschaft an die Konsumenten übergeht. Die Übernahme eines schon 'bestens organisierten' Wirtschaftssystems berührt sich mit dem Syndikalismus auch in der Herausbildung einer Interessengemeinschaft, die Berufsehre, Solidaritätsgefühl, Leistungsbewußtsein und Fortschrittsbegeisterung stärkt, sowie mit dem Individualismus, da diese Umformung ohne Klassenkampf stattfindet, weil alle Konsumenten sind und individuelles Eigentum, Erbrecht und Zins bestehen bleiben 99 . Ganz offensichtlich war Gide für Hegemann der erste Typus des Wissenschaftlers und Politikers, der professorale Tätigkeit mit aktuellen politischen Ideen verknüpfte. Angesprochen von der Universalität der Ideen Gides, konnte die Verheißung der Uberführung in eine logisch-gerechte Organisation des Wirtschaftssystems, die individuellen Nutzen und bürgerliche Tugenden stärkte, ohne die soziale Ordnung umzustürzen, den 96 Charles Gide/Charles Rist, Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen. Hrsg. von Franz Oppenheimer, 3. Aufl. nach der 4., durchges. und verb, franz. Ausgabe, Jena 1923, S. 649 ff.; Ecole des Nimes, 1889. 97 Gide/Rist, Lehrmeinungen ..., S. 272-274, nach Fourier, und S. 527-531 sowie S. 661 (Zitat). 98 Den Produktivgenossenschaften räumte er inzwischen geringere Chancen ein, obwohl er sie in Fourierscher Prägung ansatzweise in den von Ruskin und Morris inspirierten Gartenstädten begonnen sah. 99 Vgl. dazu auch die lebhafte Kritik und Antikritik, wie Gide/Rist, Lehrmeinungen ..., S. 663-671, sie selbst vorstellen.

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3.2.2 Reisen

Studierenden durch Simplizität und Optimismus faszinieren 100 . Die Konstruktion des „Delikts", nicht als eines strafrechtlichen, sondern logischen Fehlers, den es durch Umverteilung abzutragen gilt, wird wie ein roter Faden immer wieder in Hegemanns Interpretation der Stadtproduktion auftauchen. Auch das Konzept der mächtigen Konsumenten, denen Interessenidentität und das Potential zur Marktbeherrschung unterstellt wird, prägt seine ersten Reformideen entscheidend. Da Hegemann Gide lediglich über die „Sozialen Ursachen von Geburten- und Sterblichkeitsraten" hat sprechen hören, bedeutete die Einführung soziologischer Daten in die ökonomische Wissenschaft eine neue Erfahrung. Es erschlossen sich unter bisher vernachlässigten Gesichtspunkten und Faktoren erstmals Wirtschaft und Gesellschaft als ein intrikates Gesamtsystem. In diesem Kontext ließen sich seine - entgegen der Selbstdarstellungen - folgenden Interessen an weniger sozialmoralisch ausgerichteten Fachgebieten verstehen. Die Präsentation Gides als besonders einflußreich verweist damit lediglich auf den als unauflöslich erkannten Zusammenhang zwischen Wissen über Ökonomie und deren politischer Organisation. Die verschiedenen Fassungen dieses Einflusses belegen ein allgemein prägendes Ideenfeld, während die Wohnungsfrage erst in der Retrospektive zum Dreh- und Angelpunkt dieser Verknüpfung wurde. Die Studienzeit bis 1903, so Hegemann 1916, diente außerdem dazu, ausgedehnte Reisen zu unternehmen, die er später gern als Studienreisen in Sachen Architektur ausgab. Die Liste der bereisten Länder umfaßte Frankreich, England, Spanien, Portugal, Italien und die französischen Länder Nordafrikas 101 . Seine Erzählung vom ersten Betreten spanischen Bodens von 1932 beschreibt den jungen großbürgerlichen Abenteurer, der schon vor dem Studium mit dem Zweirad von Marokko nach Tunis gefahren war und vor einem französischen Fort als deutscher Spion festgenommen worden war 1 0 2 . Doch nicht nur dort: Im Jahre 1903 [, zur Zeit] ... des gerade mündig gesprochenen König Alfons XIII. ... [trug] mich fleissigen Architektur-Studenten ein Maulesel von Norden her über die Pyrenäen ..., als gerade am selben Tage dort Alfons, von Süden her, im Luxuszug seinen Pyrenäenvölkern einen ersten Besuch abstattete. Alfons und ich: unser gleichzeitiges Eintreffen im entlegenen Kathedralstädtchen Hess die Geheimpolizei so sicher eine abgekartete Sache und meine königsmörderischen Absichten wittern, dass ich während der Anwesenheit des Königs von zwei wohlwollenden Karabineros in Schutzhaft genommen werden musste.

Die Verschiebungen zwischen dem eifrigen Studenten der Nationalökonomie, der politischen Wissenschaften und der Architektur je nach Zweck der Erzählung - hier ein Ta100 Gide war genauso wenig wie Hegemann ein Sozialist, wie Collins annimmt, nach der Gide des Studenten sozialistische Überzeugung stärkte und auch den Wechsel zu Patten vorschlug. Auch das ist nicht zutreffend, weil Gide Pattens Theoriegebäude nicht ausstehen konnte. Collins, Discipline ..., p. 9 und folgende bis Collins, German Critic ..., p. 2. 101 Lebenslauf Hegemann ... Bl. 3; Memorandum (1916) 1 bereits: From 1898 to 1903 I undertook α series of travels, studying the civic and private architecture of the Hanseatic cities of Northern Germany, the Roman and Mohametan settlements of French Northern Africa, the cities of Spain and the French Bretagne. 102 Kiepenheuer (1930) 47. Ein deutscher Städtebauer in Südamerika (5. Juli 1932).

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3.2.3 Ökonomie

geszeitungsbericht von den Erfahrungen als Stadtplaner in Südamerika - sollten davor bewahren, im Nachhinein ein zielgerichtetes Ausbildungsbegehren als Motiv Hegemanns anzunehmen. Zu gern spielte er mit dem eigenen Lebenslauf - und zu wenig hatte er aufgrund seiner unabhängigen Position finanziell nötig, zu wenig auch hatte er bei dem sich tatsächlich erst 1909 manifestierenden Interesse an Städtebau auch Bedarf, sich eine zielgerichtete Ausbildung zuzulegen. 3.2.3 Philadelphia Der Besuch einer ausländischen Hochschule gehörte in diesen Jahren keineswegs in das Muster erfolgreicher akademischer Bildung 103 . Die Vereinigten Staaten von Amerika fehlten durchaus noch in der Liste der bereisten Länder und Hegemanns Beschreibung von 1931 zum Ortswechsel klingt wiederum nach Unternehmungs- und Abenteuerlust: Im Jahre 1904 fuhr ich im Zwischendeck mit zweitausend galizischen Juden für vierzig Mark und ohne Paß hinüber.104 Sollte der Ruf der an der Universität Pennsylvania 1881 gegründeten Wharton School of Political Science105 auch bis nach Europa gedrungen sein 106 , weil sie als erste betriebswirtschaftliche Bildung im akademischen Rahmen anbot 107 , empfahl Gide sie Hegemann kaum, weil er ganz offensichtlich nicht viel von deren Ideen hielt 108 . Ebensowenig hatte Hegemann danach gesucht, sondern entschied sich offenbar vor Ort für einen Besuch und konnte ihn später bruchlos in seine akademische Laufbahn integrieren. Dafür spricht, daß er zwar immatrikuliert, aber nur partial student war, doch im Studentenheim lebte 109 . Collins berichtet, daß Hegemann an den Kursen „Advanced Accounting", „Industrial Processes" und „Seminar in Economics" wie „Development in English Thought" bei Simon N. Patten teilnahm 110 . Er selbst gab 1908 an, daß er den 103

Siehe Lenz, Friedrich-Wilhelms-Universität ..., Bd. 3, S. 528. Im akademischen Lebenslauf von 1930 hieß das natürlich Studium der Volkswirtschaftslehre und Sozialpolitik an der Universität Pennsylvanien 1904-1905. 105 Lebenslauf Hegemann ..., Bl. 2. Die Benennungen variieren; auch „Finance and Economy" und „Finance and Commerce". Die im „National Union Catalog" [NUC] nachgewiesene Festschrift von 1931 stand bisher nicht zur Verfügung. 106 Vgl. Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 84-86 zur Wharton School als Teil der transatlantischen Gemeinschaft mit regulären Importen akademischer Anregungen. 107 David F. Lindenfeld, The Professionalization of Applied Economics: German Counterparts to Business Administration. In: Geoffrey Cocks/Konrad H. Jarausch, ed., German Professions, 18001950. Oxford 1990, p. 213-231, p. 215, vergleicht Joseph Whartons Gründung 1881 in Philadelphia mit den Intentionen Gustav von Mevissens in der Schulung von Kaufleuten und Bankkaufleuten. Damit hatte Wharton ein spezifisches Ausbildungsprofil, das sich mehr dem professionellen Training zuneigte denn der offensichtlich durch Patten gestärkten sozialwissenschaftlichen Erweiterung der Ökonomie. 108 Vgl. Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 105 f. zu dem (auch in der Wharton School vertretenen) Äquivalent einer Revision des Individualismus zu Sozialpolitik, weitgehend parallel zum Kathedersozialismus verlaufend. 109 Catalogue of the University of Pennsylvania. 1904-1905, Philadelphia 1904, p. 558. Nach Schreiben von Maryellen C. Kaminski, The University Archives and Records Center, University of Philadelphia. Pennsylvania, vom 21. November 1988, sind die Matrikel der Wharton School nicht erhalten, Zeugnisse liegen nicht vor. 110 Collins, Discipline ..., p. 9, ohne Quellenangabe. 104

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3.2.3 Patten

meisten Nutzen aus Herrn Prof. Pattens Vorlesung über die Entwicklung des englischen Denkens und aus Herrn Prof. Meades Vorlesungen über Trust-Finanzen gezogen zu haben glaube. (Prof. Patten weist die Zusammenhänge zwischen den Veränderungen im ökonomischen und geistigen Leben nach.)111. Patten verkörperte einen anderen Typus des Wissenschaftlers. Trotz zahlreicher Bücher brillierte er als Redner und Lehrer durch Griffigkeit und Verständlichkeit seiner Thesen und Offenheit für Debatten 112 . Als erklärter Interventionist war aber er nicht in einer politischen Bewegung aktiv, sondern wandte sich an ein breites Publikum 113 . Optimismus ob der Lösbarkeit menschlicher Existenzprobleme bestimmte sein erstes Werk gegen den Pessimismus der klassischen Nationalökonomie. Differenzen in ökonomischer Entwicklung führten ihn am Beispiel der USA und Großbritanniens zu der Interpretation, daß nicht nur nationale und lokale Bedingungen Wirtschaftspolitik bestimmen, sondern auch Ideen. Diesen Zusammenhang legte er am Beispiel Englands 1899 in „Development of English Thought" dar. Er faßte Fortschritt als Resultat des Kampfes um defizitäre Güter auf, deren ökonomisches Umfeld sich in dem Maße ändere, wie sie Interessenobjekte der Gemeinschaft werden. Sie verursachen daher entsprechende Anpassungen in den Aktivitäten, schließlich auch bei Motiven, Instituten, Gewohnheiten und Institutionen, Idealen, Sitten. Diese Interpretation ergänzte er 1902 um eine „Theory of Prosperity". Sie besagte, daß Ursachen der sozialen Präge nicht in objektiven Umständen, sondern im subjektiven Verhalten der Lohnarbeiter zu finden seien. Demzufolge entwarf Patten einen idealen Kreislauf, in welchem die Lohnarbeiter ihre Energie in der Produktion betätigen und deren Wiederherstellung per Konsum leisten, dabei im Wechsel von Arbeit und Konsum von ihrer Substitutionsmacht Gebrauch machen 114 . Die Entwürfe Gides und Pattens berühren sich trotz unterschiedlicher Herkunft in Umformungen eines bestehenden Wirtschaftssystems durch gezielt angewendete Macht der unterprivilegierten Systemteilnehmer. 111 Lebenslauf Hegemann ..., Bl. 2; vgl. S 395 Pattens Buch zitiert. 1916 schlägt er Pattens Einfluß wie auch Brentanos schlicht dem von Gide bewirkten Interesse für Arbeiterwohnungswesen zu; 1930 wurde der ganz heruntergespielt zu einem „einjährigen Studium der amerikanischen Sprache, Verfassung und Sozialpolitik". Kiepenheuer (1930) 48. 112 Tribute of the American Academy of Political and Social Science to the Memory of Dr. Simon N. Patten. In: Annals of the American Academy of Political and Social Science 107 (1923), p. 335-367, p. 338, 342, 334. 113 Tribute ..., p. 352, 354. Vgl. als Abriß über sein Hauptthema zu der Zeit, als Hegemann bei ihm hörte: Simon N. Patten, The Present Problems in the Economic Interpretation of History. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science 24 (1904), p. 540-555. - In seiner Formation gibt es eine spiegelbildliche Erfahrung zu der Hegemanns. Patten studierte drei Jahre in Deutschland und der Kontrast zwischen Lebensbedingungen amerikanischer Farmer und deutscher Arbeiter leitete ihn bei der Idee an, daß Wohlstand nicht nur durch sein Maß, sondern seine Verwendung bestimmt sei und die gezielte Anpassung ökonomischer Aktivitäten in wirtschaftlichen wie sozialen Gewinnen resultiere; Tribute ..., p. 349; s.a. Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 85 f. 114 Den deutschen Rezensenten erinnerte das an das Gesetz der Erhaltung der Kraft und ihn mutete so manches etwas - amerikanisch an. Georg Brodnitz, Simon N. Patten, The Theory of Prosperity. In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 86 (1906), S. 398-401, S. 400.

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3.2.3 Typen

Pattens postulierte Grundrechte des Arbeiters transportieren spezifische bürgerliche Tugenden 115 ; umfaßten in einem right to scenery auch eine phänomenologisch-ästhetische Ordnung 116 . Von Bedeutung ist auch der methodische Standpunkt Pattens. Seine Vorgehensweise wird mit modernem Ingenieurwissen verglichen, aber auch als inkonsistent abgelehnt, weil sie mittels der Selektion relevant erscheinender Faktoren komplexe Wirkungen analysiere, um gegen traditionelle Auffassungen Entwicklungslinien aufzuzeigen 117 . Dieser reduktionistische Ansatz erlaubt simplifizierende Ordnungsentwürfe, die im Ergebnis einem social engineering nahestehen - nicht zufällig waren auch die kommenden Planer John Nolen und Rexford Guy Tugwell 118 seine Studenten. Patten war kein Theoretiker; sowohl gegen Deduktionen wie induktive Generalisierungen, machte er dennoch in der Begründung praktischer Konsequenzen seiner Ideen von beidem Gebrauch. In diesem Pragmatismus wird eine willentliche Wertbindung manifest, die auf moralischem Empfinden basiert. Trotz seiner Kritik von der utilitaristischen Ethik John Stuart Mills beeinflußt, äußerte er sich in zahlreichen Artikeln zugunsten der Progressiven in Reformzeitschriften wie „Charities", dann „Survey". Für Hegemann tritt damit neben den Wissenschaftler-Politiker Gide ein weiterer Typus, der gemeinschaftliche Interessen im Sinne der Aufklärung und Bekehrung einer großen Bevölkerungsgruppe durch 'moralische' gesamtbürgerliche Interessen zu vertreten beansprucht. Dieser Einblick in Prägung ökonomischer Verhaltensweisen durch Ideen und Ideale ersetzt Hegemann die Lektüre Max Webers, den er überhaupt erst im Exil zur Kenntnis genommen zu haben erkennen läßt. Insofern ist der methodische Ort dieser Phänomenologie prägend, als auch Hegemann später darin brilliert, selektiv Erscheinungen als Indizien größerer Zusammenhänge zu interpretieren. Diese Phänomenologie enthält eine zweite prägende Dimension: sie imaginiert eine durch ausreichend effiziente äußere Ordnung erlangte, zwangsläufig folgende innere Ordnung. Dennoch bedeutet sie für Hegemann im Vergleich zu seinen Zeitgenossen emanzipatorische Impulse, weil die Phänomenologie durch Kombination dieser divergierenden Ansätze seine Überzeugung festigt, daß die wirtschaftliche Zugänglichkeit eines kulturellen Leitideals individuellen und gemeinen Wohlstand fördere.

115 Seine Forderung materieller Sicherung der Frauen diente der Perpetuierung der Gesellschaftsform; das Recht auf Entwicklung von Fähigkeiten, auf Heim und Familie der Mimesis bürgerlicher Lebensführung als integrativem Faktor, während ein „Recht auf Homogenität" Patten als zeittypischen Rassisten zeigt, der die schwarze Bevölkerung auf den Süden beschränken, Immigration aus Asien ausschließen wollte. 116 Das Auge bedarf des Schutzes wie jedes andere Organ, deshalf darf es nicht durch häßliche Straßen, unschöne Gebäude und aufdringliche Reklame gestört werden, denn all das mindert das Wohlbefinden, den Energiekreislauf, das Verschwinden der misery!, spottet der Rezensent. Brodnitz, Patten ..., S. 400. 117 Tribute ..., p. 353, 356 f. 118 Jetzt auch bei Collins, Formative Years ..., p. 3.

81

3.2.4

Staatswirtschaft

3.2.4 Berlin Im Sinne eines solchen sozialpolitischen Interesses scheint die Rückkehr Hegemanns an die Friedrich-Wilhelms-Universität folgerichtig, bedeutete sie doch die Gelegenheit, jene Sozialwissenschaftler Gustav Schmoller, Adolph Wagner und Rudolf Eberstadt, die er später in den Begründungen seiner Vorstellungen so gewichtig anführte, selbst zu hören 119 . Er wurde am 6. Juni 1905 an der Berliner Universität mit einem Abgangszeugnis der Universität Philadelphia immatrikuliert 120 . Die Umverteilung der Studenten der philosophischen Fakultäten nimmt mit der Ausbildungsdauer zu: für 1905 läßt sich ein Wechsel zum Fach Jura - das statt der Staatswissenschaften heranzuziehen ist - erkennen, von dessen 446 Studenten 257 aus der Philosophischen Fakultät kommen 121 . Der offene Studienbeginn, der eine anhaltende und erwerbsorientierte Fachbindung noch aussetzte, scheint demnach gängige Praxis gewesen zu sein. Hegemann lag mit diesem Wechsel in der üblichen Verteilung, fiel aber aus dem sozialen Alter der Studenten bereits heraus. In dem Sommersemester, in dem er das 24. Lebensjahr vollendet, sind ein Fünftel der Studenten in seinem Alter, die übrigen aber jünger. Das Herauswachsen aus dem sozialen Alter der Studenten setzt sich bis zum Abschluß seines Studiums fort - 1908 sind in Preußen nur noch ein Zehntel der Studenten in seiner Altersgruppe 122 - und zeigt an, daß sein Bildungsgang schließlich nicht mehr der üblichen Praxis entsprach. Neben einer Vorlesung des Privatdozenten Günther Thiele über Kants System der Philosophie belegte Hegemann 17,5 Semesterwochenstunden in Staats-, Kamerai- und Gewerbe- Wissenschaft123, nun das Fach offenbar entschieden verfolgend. Er hörte Allgemeine oder theoretische Nationalökonomie bei Schmoller, Spezielle und praktische Nationalökonomie bei Wagner, beide Vorlesungen vierstündig. Ebenso Max Serings Finanzwissenschaft, dessen zweistündiges Seminar Hegemann ebenfalls belegte: Übungen im staatswissenschaftlich-statistischen Seminar, verbunden mit Ausflügen. Darüberhinaus belegte Hegemann drei speziellere Vorlesungen. Wagner sprach freitags über Auswärtige Handelspolitik und Schmoller mittwochs Uber die wirtschaftliche und 119 Jene Lehrer, inklusive Delbrück und Knapp, firmieren später lediglich ein einziges Mal, jedoch an prominenter Stelle: Kiepenheuer (1930) 48. 120 Obwohl vom laufenden Sommersemester bereits sechs Wochen verstrichen waren, wurden laut Abgangszeugnis nach den vorgelegten Zeugnissen die nachstehend verzeichneten Vorlesungen vorschriftsmäßig an- und abgemeldet benannt. Abgangszeugnis Werner Hegemann der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin vom 16. August 1905. Humboldt-Universität Berlin, Universitätsarchiv, Bestand Rektor und Senat, Abgangszeugnisse 14.-18. August 1905, Abschrift, Blatt 48 f. Der späte Zeitpunkt erklärt das Fehlen eines Eintrags in das amtliche Verzeichnis auch unter Nachträgen. 121 Titze u.a., Hochschulstudium ..., S. 293. Da die differenzierten Zahlen über das Hochschulstudium jedoch keine Unterbrechungen und Auslandsaufenthalte verzeichnen, ist es nicht möglich, diese Erscheinung mit Einschub des Militärdienstes und nachmaliger Fachbindung oder mit Bildungs- und Studienreisen kausal und zeitlich zu verknüpfen. 122 25 bis 29 Jahre; siehe Titze u.a., Hochschulstudium ..., S. 203. Vgl. Konrad Jarausch, Universität und Hochschule. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. IV, S. 313-345, S. 324 ff. zum steigenden Alter, Mobilität und Herkunftswandel. 123 Vorlesungen Friedrich-Wilhelms-Universität ... 1905, S. 28-30.

82

3.2.4

Eheschließung

rechtliche Lage des heutigen Arbeiterstandes. Außerdem hörte Hegemann Eberstadts einstündige Vorlesung Börsengeschäfte und dokumentierte damit ein wachsendes Interesse an Finanz Wissenschaften. Trotz des umfangreichen Lehrangebots scheint dieses Berliner Semester - durch seine Kürze? - wenig Eindruck hinterlassen zu haben. Bereits im Lebenslauf handelte Hegemann es durch die einfache Reihung ab und hatte die Mitgliedschaft in Serings Seminar auch noch nachträglich zwischen die Zeilen schieben müssen. Statt sich im Anschluß an Gides Einfluß mit Lehren der Kathedersozialisten zu brüsten, verschwanden diese Lehrer schon 1916 völlig aus seiner Auflistung. Weder in ihren literarischen Fußstapfen noch bei der späteren Kritik an ihnen erwähnte Hegemann seine Hörerschaft jemals. Wahrscheinlicher ist, daß diese Rückkehr nicht Berlin galt und gar nicht diesem Studium - besuchte er die Veranstaltungen regelmäßig? sondern seiner Braut. Da ihr Vater aufgrund der Krankengeschichte von Elise Hegemann-Vorster zunächst ganz gegen die Verbindung war 1 2 4 , ließen sich diese Wanderjahre auch als Uberbrückung einer deshalb vereinbarten Wartezeit verstehen, zumal nach der väterlichen Zustimmung der Wechsel in ein berufsvorbereitendes Praktikum und ein zügiger Abschluß der Studien folgte. Nach einer dreijährigen Wartezeit hätte sein Antrag eine günstigere Aufnahme erfahren. Eine Hochzeit noch während des Studiums des zukünftigen Ehemanns konnte hier als zulässig gelten, da die Brauteltern Hegemanns Erbschaft wegen die finanzielle Zukunft des Paares als gesichert ansehen konnten, den Bräutigam das jedoch nicht von der Erwartung eines ordnungs- und standesgemäßen akademischen Abschlusses entband. Die Heirat von Alice Hesse und Werner Hegemann fand am 9. Dezember 1905 statt 1 2 5 . Es folgte eine Hochzeitsreise nach Florenz. Das Ereignis fiel mitten in ein halbjähriges Bankpraktikum, das Hegemann in Straßburg absolvierte. Diese Ehe hatte erheblich bessere Voraussetzungen zum Gelingen als die vormals betrachtete. Die Partner entstammten einander angemessenen Sozialgruppen und verfügten über eine typologisch ähnliche Ausbildung. Die Verbindung mußte nicht einen Status erwirtschaften, sondern konnte sich auf eine gesicherte und präsumtiv gleichbleibende Lebensumstände garantierende Ausstattung stützen. Damit war sie allerdings mit der Erfüllung des alleinigen Programms einer Neigungsheirat belastet. Abgesehen von der anhaltenden Benachteiligung durch Wissens- und Erfahrungsunterschiede im Geschlechterverhältnis bestand eine gravierende Differenz im Unterschied der familiären Erfahrungen. Während die Ehefrau offenbar einer funktionierenden Familiengemeinschaft entstammte, hatte der Ehemann eine solche nicht gekannt. Die konstitutive Differenz der Rollenzuschreibungen, in der der Ehefrau die Binnenstrukturen und Emotionen, dem Mann die Außenwelt zugewiesen wurde, war durch die Statusbedingungen jedoch gemindert. Während Werner Hegemann durch fehlenden Erwerbszwang auch von dieser Zwangslage entsetzt wurde, konnte Alice Hegemann eine doppelte Distanzierung wahrnehmen, in der sie von Familienarbeit freigesetzt und Erziehungsarbeit 124

Mitteilung von Sibylle Schwarz, 23. März 1992. Lebenslauf Hegemann ..., Bl. 3. Nach dem Stammbaum Vorster-Röhrig fand die Eheschließung in Brandenburg statt (mit falschem Datum eingetragen: 10. Dezember 1904); nachweisen ließ sich dies bisher nicht. 125

83

3.2.4 Bildungswillen

durch Ausbildung und Mitarbeit strukturiert wurde. Daß sie infolgedessen ihre Studien als universitäre fortsetzte, tendiert zu einer partnerschaftlichen Angleichung, während die wirtschaftlichen und juristischen Definitionen unverändert bestanden. Alice Hegemann besuchte bis zum März 1906 daraufhin ebenfalls als Hörerin die KaiserWilhelms-Universität Straßburg 126 . In München ersuchte sie am 1. November 1906, sechs Wochen nach Geburt ihrer Tochter, das Rektorat der Münchner Universität um Zulassung als Hörerin der staatswirtschaftlichen und philosophischen Fakultät. Sie wurde gewährt und ihr damit der Besuch der angemeldeten Vorlesungen von Brentano über „Ökonomische Politik" und Theodor Lipps' über Psychologie ermöglicht 127 . Da Bayern ab 1903 über volles Immatrikulationsrecht für Frauen verfügte und Alice Hegemann dennoch Gasthörerin bleibt, erfüllt sie weiter und gerade in dieser emanzipierten Geste den bildungsbürgerlichen und assimilatorischen Auftrag, daß die großbürgerliche Ehefrau vom Arbeitsgebiet des Mannes etwas zu verstehen habe. Der Auftrag trägt jedoch bereits die Tendenz des darüberhinaus Greifenden in sich, weil auch eigene und unabhängige Meinung entstehen soll und darf. Im Effekt führte dieses Bestreben Alice Hegemann weit darüber hinaus, als der Einstieg in Nationalökonomie wie das damit bekundete Interesse an Psychologie über den Kontakt mit Günther von Pechmann sie später zum Engagement für Kunstreform bringt. In dessen Folge wird sie in Zusammenführung jener Interessen und spezifischer Begabungen für die Deutschen Werkstätten und die Kgl. Porzellanmanufaktur Berlin tätig werden. Die Voraussetzungen dieser Ehe scheinen aussichtsreich, weil Milieu, Bildung und Erwartungen zueinander passen. Die Bewirtschaftung des ererbten Kapitals genügt für die Freisetzung beider Partner, seiner von erwerbsorientierter und ihrer von hauswirtschaftlicher wie erzieherischer und pflegerischer Arbeit. In einer offensichtlich durch Dienstboten geordneten großbürgerlichen Lebensweise kann der Status gepflegt werden. Er sieht - bereits wieder Statusausweis - die Partizipation der Ehefrau an Bildung vor, die Selbstzweck und Persönlichkeitsbildung ist. Innerhalb dieser Gestik verbleibt die Definitionsmacht beim Ehemann, ein potentieller Konfliktpunkt. 3.2.5 Straßburg Um die Jahrhundertwende wird der Studienabschluß per Promotion ohne ein juristisches Examen zunehmend praktiziert 128 . Statt eine dezidierte bildungsbürgerliche Erwerbsabsicht aufgrund nationalökonomischen Expertenwissens außerhalb des Staatsapparats 126 Lebenslauf Alice Hegemann ..., Bl. 2. Die besuchten Vorlesungen sind im Gesuch um Zulassung in München nicht verzeichnet. 127 Mit ihr wurde die „Studierende Frau Rachel Bernstein aus Ternaka (Galizien)" zur philosophischen Fakultät zugelassen. K. bayerische Staatsministerium des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten an das Rektorat der K. Universität München am 7. November 1906, Archiv der LudwigsMaximilian-Universität München, Sen. 110. 128 Rüdiger vom Bruch, Die Professionalisierung der akademisch gebildeten Volkswirte in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Bildung, Staat, Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Mobilisierung und Disziplinierung, Im Auftrage der Freiherr vom Stein-Gesellschaft hrsg. von Karl Ernst Jeismann (Nassauer Gespräche der Freiherr vom Stein-Gesellschaft 2), Stuttgart-Wiesbaden 1989, S. 361-386, S. 371. In der Hochschulstatistik fehlen diese Kriterien bis heute.

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3.2.5 Beruf

zu belegen 129 , deuten Hegemanns Lebenslauf wie die Studien einer später erscheinenden Vergleichsgruppe an, daß eine frei gewählte, von Neigungen bestimmte und nach Tätigkeitschancen realisierte zeitweilige Beschäftigung unter Anwendung des volkswirtschaftlichen Spezialwissens zugunsten speziellerer Intentionen das leitende Ziel war. Mit dieser Verschiebung wurde gemäß des bildungsbürgerlichen Deutungsanspruchs die Aura und Autorität staatlichen Herrschaftswissens auf kulturelle Intentionen mit gesamtgesellschaftlichem Anspruch transponiert 1 3 0 . Die Berufschancen für 1908/09 lassen sich an 882 organisierten Volkswirten erheben 1 3 1 . Jeweils 120 bis 130 sind bei Handelskammern und privatwirtschaftlichen Fachverbänden beschäftigt, die damit die beiden größten Arbeitgeber stellten 132 . Je 30 bis 40 arbeiten für Handwerks-, Landwirtschaftskammern, in der Amtsstatistik, in Firmen und Banken, im Hochschulwesen und wissenschaftlichen Gesellschaften wie schließlich in den höheren Behörden. Aber die größte Gruppe von 182 bleibt ohne Berufsangabe, während drittgrößtes Arbeitsfeld Publizistik und Verlagswesen sind. Je 10 bis 20 Volkswirte arbeiten bei Berufsverbänden, Vereinen, Genossenschaften, Kommunen und als Schriftsteller. Hegemanns Bankpraktikum bedeutete keinen automatischen Zugang zu einer Beschäftigung in diesem Sektor. Bereits 1908 zeichnete sich die wachsende Differenzierung eines Tätigkeitsfeldes für die staatswirtschaftliche Ausbildung ab. Nur wenige Berufe scheiden wegen der unterlassenen juristischen Examen aus. Zum Zeitpunkt des Entschlusses zum Abschluß durch Promotion kann jedenfalls nicht von einer daraus resultierenden Beschränkung der Erwerbschancen ausgegangen werden. Der amerikanische Exkurs kann Hegemann überdies von Notwendigkeit und Sinn der Staatsbindung einer Ausübung des Spezialwissens abgebracht haben. Vielmehr scheint sich die Nationalökonomie als Modell zu präsentieren, in dem ein Interesse im Sinne eines Leistungswissens vertieft, dies aber durch Auslassung des juristischen Ausbildungsteils nicht überbeansprucht wurde und gegebenenfalls in diversen Tätigkeitsfeldern auch gewinnbringend - sowohl zur Beförderung einer allgemeinen Sache wie zur individuellen Einkommenssteigerung - einzusetzen war. Hegemann meldete sich am 16. August 1905, schon am Tag nach dem offiziellen Semesterende in Berlin, in Straßburg an und bezog eine Wohnung in der Schweighäuserstraße 24, nahe der Universität 1 3 3 . Er mußte also unmittelbar mit der Arbeit in der Bank begonnen und dieses Volontariat seit längerem geplant haben. Um während des Semesters 129

So nämlich Vom Bruch, Professionalisierung ..., S. 371. Vergleichsgruppe Günther von Pechmann, Alfons Paquet, Theodor Heuss - vgl. unten 5.3.4 Deutscher Werkbund -; weitere Beispiele wie den Autor Franz Jung ließen sich finden und müßten für eine Untersuchung dieser These nach Alter, Ausbildung und Tätigkeiten systematisch betrachtet werden. 131 Vom Bruch, Professionalisierung ..., S. 380, Anlage 2. Verteilung der Mitglieder des Deutschen Volkswirtschaftlichen Verbandes nach Berufsgruppen; Organisationsgrad etwa 30%. Die Verteilung 1906/7, Zeitpunkt von Hegemanns Fachwahl, zeigt keine absoluten Unterschiede. Siehe auch die Beschäftigung deutscher Ökonomen 1919 nach Jastrow mit weniger differenzierten Berufsgruppen bei Lindenfeld, Applied Economics ..., p. 226. 132 Zu letzteren wird hier auch das Ausstellungswesen gerechnet, in dem Hegemann reüssieren sollte. 133 Certificat de Residence. Archives Ville de Strasbourg; ausgestellt am 22. April 1988. 130

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3.2.5

Bankpraktikum

dennoch Veranstaltungen zu besuchen, immatrikulierte er sich am 2. November 1905134. Im Wintersemester 1905/06 arbeitete ich 6 Monate lang in einer Bank in Strassburg i/E und folgte nebenbei den Vorlesungen von Herrn Prof. Laband über Handelsrecht und beteiligte mich an den Seminarübungen von Herrn Prof. Knapp. Im Rückblick gehörte dieses Praktikum 1916 für Hegemann zu seinen „theoretischen und praktischen" Studien, die ihm Einblick in „die moderne Verwaltung von öffentlichen und privaten Geldern und Geschäften" verschafften, die er sich auch sicherte, especially by going through the various branches of a modern banking establishment135. Demnach handelte es sich durchaus um ein berufsvorbereitendes, da über das Berufsfeld orientierendes Praktikum. Dennoch belegte Hegemann gleichzeitig so viele Lehrveranstaltungen, daß es sich tatsächlich allenfalls um Zuschauen, nicht um ein Berufstraining gehandelt haben kann. Er verfolgte konsequent die Fachgebiete Finanzwissenschaft und Währungstheorie. Der Wechsel nach Straßburg war dabei insofern folgerichtig, als der Nationalökonom und Agrarhistoriker Georg Friedrich Knapp 1905 mit seiner Veröffentlichung „Staatliche Theorie des Geldes" Aufhebens gemacht hatte und der Rechtshistoriker Paul Laband, Begründer der Staatsrechtswissenschaft, seit 1872 in Straßburg lehrte. Hegemann belegte entsprechend bei Laband nicht Rechtsgeschichte, sondern Handels-, Wechselund Seerecht, bei Knapp nicht Praktische Nationalökonomie (Ackerbau, Gewerbe, Handel), sondern besuchte das zweistündige Seminar Nationalökonomische und statistische Übungen, das Knapp mit dem Finanzwissenschaftler Werner Wittich hielt136. Dabei dürfte die Auswahl aber auch von den Geschäftszeiten der Bank bestimmt worden sein, weil die Handelsrechtsvorlesung Labands Montag bis Samstag von 11 bis 12 Uhr stattfand, so daß die Mittagspause dazu verwendet werden konnte, während Knapps Seminar nur Donnerstags in den Abendstunden von 7 bis 9 Uhr, nach Geschäftsschluß, stattfand. Damit hatte das Praktikum ingesamt doch Vorrang vor weiteren Studien. Hegemann meldete sich bereits am 3. März 1906 nach München ab, exmatrikulierte sich in Straßburg aber erst am 2. Mai 1906. Die Zeit bis zur Meldung in München konnte für die eigentliche Hochzeitsreise genutzt worden sein, stand die Heirat doch ebenfalls im Schatten des Praktikums. Das Ehepaar zog in München am 1. Mai 1906 zu (Bild 200). Der folgende Umzug von der Barerstraße in die Königinstraße schon am 2. August verdankte sich offensichtlich der Schwangerschaft Alice Hegemanns. Am 20. September 1906 wurde eine Tochter geboren, die den Namen Ellis (Bild 8) erhielt.

134 Für Jura, an der Kaiser-Wilhelms-Universität mit Staatswissenschaft eine gemeinsame Fakultät. Registre Matricule de l'universite de Strasbourg (1905-1911), fol. 43 v. Winter-sommer 1905-1906, No. 299; Schreiben von Jacques d'Orleans, Direction des services d'archives Departement du Bas-Rhin, Strasbourg, vom 29. Juli 1988. Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studenten der KaiserWilhelms-Universität Straßburg. Winter-Halbjahr 1905/1906, S. 36. 135 Memorandum (1916) 1. 136 y e r z e i c h n i s der Vorlesungen welche an der Kaiser-Wilhelms-Universität im Winter-Halbjahr 1905/1906 vom 16. Oktober bis zum 24. März 1906 gehalten werden, S. 6-9.

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3.2.6 Fachstudium

3.2.6 München Das Staatswirtschaftliche Seminar an der Universität München war 1892 gegründet worden, 1901 kam das Statistische Seminar hinzu. Die Staatswirtschaftliche Fakultät hatte ihren Schwerpunkt in der Staats Wirtschaft, indem diese Seminare mit den forstund agrarwissenschaftlichen wie botanischen Instituten vereint waren 137 . Die Studierenden der wirtschaftswissenschaftlichen Fächer stellten daher nur einen kleinen Teil der Gesamtzahl, von 1906 bis 1908 um 4 %. In der Volkswirtschaft bedeutete dies, die Kommilitonen persönlich kennen zu können: ihre Zahl stieg von 164 im Sommer 1906 auf 196 im Sommer 1908. Unter ihnen gab es im Zeichen erfolgreicher Differenzierung der Fachausbildungen 138 mit einem Viertel eine große Gruppe ausländischer Studenten 139 , und nur wenige Frauen, unter denen Alice Hegemann als Hörerin auffallen mußte. Im persönlichen Austausch, den die geringe Gruppengröße begünstigte, ist möglicherweise die Idee Hegemanns aufgekommen, die seine Frau wohl teilte, erneut Studien in den USA zu treiben. In den folgenden Semestern verfolgte Hegemann sein Studienziel offenbar konsequent. Zur Dissertation gab er lediglich an, an den verschiedenen Vorlesungen der Herren Prof. v. Mayr, Brentano und Lötz und ihren Seminarübungen teilgenommen zu haben. Er hatte damit eine große staatswirtschaftliche Fakultät gewählt, denn neben den naturwissenschaftlichen und praktischen Lehrveranstaltungen, die er nie belegte, standen sechs Professoren und Dozenten zur Verfügung, deren Angebote 24 bis 32 Stunden im Semester umfaßten. Die Dozenten kündigten in regelmäßigem Turnus die gleichen Themen an, so daß sich das Pensum verkleinerte und Raum für wissenschaftliche Arbeit ließ. So las Lujo Brentano in jedem Sommer fünfstündig Wirtschaftsgeschichte, einen historischen Überblick über die Entwicklung der Volkswirtschaft und ihrer Organisation seit dem Untergang des römischen Reichs bis ins 19. Jahrhundert140, im Wintersemester fünf Stunden über Allgemeine Volkswirtschaftslehre und ergänzend, ebenfalls fünfstündig, ökonomische Politik (spezielle Volkswirtschaftslehre) - die Veranstaltung, die auch Alice Hegemann besuchte. Dazu hielt er gemeinsam mit Walther Lötz in jedem Semester das Staatswirtschaftliche Seminar zur gleichbleibenden Zeit am Dienstag von 5 bis 7 Uhr. Es wurde nie thematisch bezeichnet und wird daher als Colloquium zu verstehen sein, das Hegemann besuchte. Walther Lötz las die Allgemeine Volkswirtschaftslehre in den Sommersemestern, ebenfalls fünfstündig; dazu ergänzend zu Brentanos Winterprogramm vierstündig über Bankund Börsenwesen sowie Handels- und Verkehrspolitik. Im Winter beschränkte er sich auf 137 Hartmut Titze u.a., Wachstum und Differenzierung der deutschen Universitäten 1830-1945 (Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte 1,2). Göttingen 1995, S. 448-452, 447 f. zur Geschichte. 138 Vgl. Jarausch, Universität ..., S. 330 f. 139 Titze u.a., Wachstum ..., S. 456. Ihr Anteil ging von 28,66% 1906 auf 22, 96% im Jahr 1908 zurück. Darunter waren fünf bis zwölf ausländische Studentinnen; deutsche Studentinnen waren nicht eingeschrieben. 140 Verzeichnis der Vorlesungen an der Königlichen Ludwig-Maximilians-Universität zu München im Sommer-Semester 1906, S. 7.

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3.2.6 Brentano

die fünfstündige Finanzwissenschaft und das Seminar. Seine einmalige, einstündige und öffentliche Vorlesung über die Lehre vom Geld und die Währungsfrage141 vom Wintersemester 1907/1908 hatte mit Sicherheit Einfluß auf Hegemanns Themenwahl zur Dissertation oder die Ausarbeitung der bereits gewählten Frage. Insofern scheint sich hier der reklamierte hauptsächliche Einfluß Lötz' und Brentanos zu bestätigen, obgleich weitere Dozenten auch seinen späteren Interessen näherliegende Themen anboten. Georg von Mayr las jedes Semester Allgemeine Nationalökonomie im Wechsel mit Praktischer, letztere mit Einschluss der Wirtschaftspolitik, sowie regelmäßig über Statistik, der auch sein Seminar galt. Außerdem hätte Hegemann ihn über Finanzwissenschaft und Versicherungswesen hören können. Nicht besucht hat er aber offenbar Vorlesungen eines Honorarprofessors über Sozialpolitik, Soziologie und Soziale Frage oder die Übungen des Privatdozenten Sinzheimer zur Einführung in den wirtschaftlichen Teil der Kommunalverwaltung, wie nach späteren Interessen zu erwarten gewesen wäre. Die Frage nach dem zu dieser Zeit angestrebten Arbeitsbereich bleibt daher offen. Die Orientierung an wissenschaftlich theoretischen Fragen scheinen sowohl den Staatsdienst wie die Finanzwirtschaft als Ziel der Ausbildung auszuschließen. Studien und Aktivitäten, die auf die späteren Arbeitsgebiete Architektur, Geschichte, Kunst- oder Kommunalgeschichte vorausweisen, sind nicht erkennbar oder sogar eingestellt worden. Das Bankpraktikum und die Wahl Walther Lötz' zum Doktorvater, der selbst nach seiner Promotion zwei Jahre in Banken in Berlin und Wien gearbeitet hatte, lassen die Erwägung einer finanzwirtschaftlichen Laufbahn mit eventuellen späteren wissenschaftlichen Ambitionen zu. Die spätere Selbstbezeichnung als Schüler Lujo Brentano's von 1930142 erschließt Hegemann erst in Retrospektive die Bedeutung von dessen Lehre für die eigene weitere Formierung - 1916 erwähnte er nur, daß auch Brentano ihn in dem Interesse an Wohnungspolitik bestärkt habe. Brentano stellte wiederum ein weiteren Typus des Wissenschaftler-Politikers dar. Er brillierte als Universitätslehrer in stets überfüllten Vorlesungen, bei denen er seine Studenten zum offenen Beifall veranlaßte, und weniger mit seinem wissenschaftlichen Werk als durch zahllose Polemiken und Streitschriften, auf die er bei diesen Anlässen anspielte 143 . Tatsächlich hatte Brentano als einziger der von Hegemann genannten Professoren über die Wohnungslage gearbeitet und statt Wohngeld höhere Löhne gefordert, die Besiedlung des Stadtrandes mittels verbessertem Vorortverkehr, die Besteuerung von Spekulationsgewinnen für Infrastrukturverbesserungen und vereinfachte Enteignung. Dabei 141

Vorlesungen Ludwig-Maximilians-Universität ... 1907/1908, S. 7. SB 450, auch Kiepenheuer (1930) 48, ergänzt: Schüler des Freihändlers Lujo Brentano und des Bauernbefreiers und Währungstheoretikers Friedrich Knapp in Straßburg. 143 James J. Sheehan, Lujo Brentano. In: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche Historiker, Bd. 8, Göttingen 1982, S. 24-39, S. 32, 35 f. Lujo Brentano, Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands. Jena 1931, S. 257 f. Im Sinne von Jarausch, Universität ..., S. 329, kann dies auch als Folge steigender Studentenzahlen, die im Zeichen der Reduktion studentischer Lernfreiheit zur unsystematischen Anhörung lokaler Größen führten, gedeutet werden. 142

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3.2.6 Programm

betrafen seine Forderungen weniger staatliche Maßnahmen, sondern eine Angebotsvermehrung durch private und genossenschaftliche Initiativen 144 . Eine Studienreise nach England brachte Brentano zum Thema der Arbeitervereinigungen 145 , das seine liberalen Auffassungen stärkte, insofern er Gleichberechtigung und größtmögliche Partizipation der Arbeiter als liberales Prinzip der Sozialpolitik verstand 146 . Er entfernte sich damit von Schmollers preußischem 'Absolutismus' und dessen sittlicher Verantwortung als Begründug einer Umverteilung, begründete dennoch mit ihm und anderen den „Verein für Socialpolitik" (VfSP). Er vertrat gegen den moralisch staatsorientierten Standpunkt einen liberalen funktionsorientierten Standpunkt wissenschaftlich beeinflußter Politik, der für Hegemann die logischen Defekte nach Gide und die kollektive Anpassung nach Patten zusammenschließt. Brentanos Konzept beschrieb Stetigkeit von Beschäftigung und Einkommen als Ziel, wofür gegen die in der klassischen Nationalökonomie unterstellte gleiche Stärke aller ökonomischen Partner die schwächeren Teilnehmer durch Verbände gestärkt werden sollten. Freiheit und Gleichberechtigung galten ihm als ungenügend durchgesetzt; er begründete sie jedoch nicht mit einer philanthropischen Humanität, sondern mit einer Sozialpolitik als Instrumentarium zur Stabilisierung der Wirtschaft 147 . Sein selbstformuliertes Ziel, Arbeitern die Möglichkeit zu geben, bei Fortbestehen der heutigen Wirtschaftsordnung zu größerer Teilnahme an den Segnungen der Kultur aufzusteigen148, wird bei Hegemann sowohl als Voraussetzung wie Intention als Echo nachklingen, weil es die Umformung des Wirtschaftssystems durch gezielt eingesetzte Macht der unterprivilegierten Systemteilnehmer wiederaufnimmt 149 . Methodisch war Brentanos Interesse an Geschichte infolge seines grundsätzlichen Einwands gegen die Wirklichkeitsferne theoretisch-mathematischer Nationalökonomie von zeitgenössischen Parallelen geprägt. Statt einer allgemeinen Theorie verlangte er genaue Beobachtung, wobei in der praktischen Fragestellung der historischen Analyse besonderer Rang zukam. Er wehrte sich jedoch ebenso gegen die Reduktion auf eine rein historische Wissenschaft als Nivellierung. Insofern leitete sich für ihn die Bedeutung der Vergangenheit aus ihrer Nützlichkeit in der Gegenwart ab150, wie sein Buch über die 144 Otto Tiefelstorf, Die sozialpolitischen Vorstellungen Lujo Brentanos. Dissertation (MS) Köln 1973, S. 186 f., 26 ff. Zur Grundrente formulierte Brentano bereits 1893, daß deren Höhe nicht nur Folge des Monopolcharakters des Bodenbesitzes, sondern der Steigerung der Bodeneigenschaften durch Tätigkeiten war; Voraussetzung der Besteuerungsforderung. 145 James J. Sheehan, The Career of Lujo Brentano. Α Study of Liberalism and Social Reform in Imperial Germany, Chicago 1966 und Brentano, Leben ..., S. 26-28. 146 Sheehan, Brentano ..., S. 27 ff.; Tiefelstorff, Brentano ..., S. 34 ff. 147 Siehe Tiefelstorff, Brentano ..., S. 43-70. 148 Brentano, Leben ..., S. 50. 149 Seine Renovatio von 1911 setzt insbesondere die auch von Architekten postulierte staatliche Intervention zugunsten einer Stärkung der Verbrauchermacht zurück, deren Antrieb das orginäre Bedürfnis nach Kulturteilnahme ist, wie es sich bei entsprechenden Angebot selbstverständlich einstellt. Trotz der ethisch-moralischen Begründung stand Hegemann schon dabei - wie eben Brentano - in gewisser Entfernung von Schmoller und den um Staatsaufgaben konkurrierenden und deshalb staatstragenden Architekten. 150 Sheehan, Brentano ..., S. 31, vgl. S. 36 zum damit ebenfalls vermittelten Zwang zur Zeitgenossen-

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3.2.6 Verschiebung

Arbeitergilden am meisten zeigt, die als Vorläufer und Begründer der Lösung der Sozialen Frage durch Gewerkschaften gelten und weniger in der wissenschaftlichen als in der sozialpolitischen Diskussion Furore machten. Die eigentlichen Innovationen waren sein Blick auf historische Wurzeln sozialer Probleme und Lösungsanregungen nach historischen Untersuchungen. Daher ist 1930 Hegemanns Berufung auf Brentano treffend, weil er ebenfalls historische Wurzeln unter einem gezielten Gegenwartsinteresse freilegt und Reformvorschläge fundiert 151 . Entscheidend an der Formation dieses Studenten war neben der wissenschaftlichen Grundausstattung bei methodisch unsicherem Standpunkt die Einstimmung auf eine Optimierung der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsorganisation, die nicht den (Obrigkeits-) Staat als Agenten in den Mittelpunkt stellte152, sondern gezielte Stärkung von Rechten ihrer benachteiligten Teilnehmer intendierte, die Hegemann weniger moralisch als logisch begründet schien. Vor Hegemanns späterer Berufung auf eine sozialpolitische 'Erweckung' durch Gide, Patten und Brentano wirkt die Wahl des Dissertationsthemas - die Einführung der Goldwährung in Mexiko - wie Kalkül153. Da jedoch mehrfach sichtbar wurde, daß sich diese Berufung einer funktionalistischen Reinterpretation der Ausbildungsjahre verdankte, die im Kontext mit dem Kaschieren des eigentlichen Studiengangs und des Makels fehlender Qualifikationen in Architektur und Kunst stand, wird auch sichtbar, daß dieser Eindruck unberechtigt entsteht. Chronologisch gesehen, bedeutete das Dissertationsthema eine konsequente Anwendung im Fachgebiet Finanzwissenschaft154, das durch die internationale Fassung Hegemann entsprechend seines Bildungsganges als Kenner nicht nur nationaler Vorgänge auswies, dabei auch den frühest möglichen Zeitpunkt für diesen Abschluß wählte155 und damit Chancen einer vorläufig noch unbestimmten Karriere eröffnete. Die schien tatsächlich noch ungewisser, als die Chronologie vorstellt. 1930 gab Heschaft, die Hegemann in seinen satirischen Auffassungen weiterführt. 151 Die Berufung auf Brentano folgte offenbar einem Briefwechsel - im Nachlaß Brentanos im Bundesarchiv Koblenz nicht nachweisbar Agrarpolitik (1932) 1788; dem schließlich die Widmung eines Aufsatzes nach dessen Ableben, Friedellsche Kulturgeschichte (1932) 451. 152 Hegemanns methodische Unsicherheit wird nicht zuletzt daran erkennbar, daß bei seinen Reformvorstellungen diese Kategorien ineinanderfließen. 153 Als „überraschend" und „unrelated" bei Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 102; Collins, Formative Years ..., p. 3. 154 Kiepenheuer (1930) 48 stellt retrospektiv einen gesuchten Zusammenhang über die Erinnerung meiner Pariser Papiergeld-Studien ... vielleicht in Vorahnung der deutschen Inflation her. 155 Voraussetzung waren neben 308 Mark Gebühren Lebenslauf, Reifezeugnis und Studiennachweise, davon drei ordentliche Studienjahre, wovon zum ausreichenden Nachweis der Fähigkeiten ein Teil an der Münchner Fakultät abgeleistet worden sein mußte. Wurde dabei als erster Nachweis das Berliner Abgangszeugnis vom Sommer 1905 anerkannt, ergab sich daraus der erste mögliche Zeitpunkt der Promotion. Max Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden. Grundsätze und Bedingungen der Erteilung der Doktor- und Lizentiaten-Würde bei allen Universitäten und Hochschulen des Deutschen Reiches und der Universitäten und Hochschulen der Schweiz und Österreichs mit deutscher Unterrichtssprache, Nach amtlichen Quellen zusammengestellt und hrsg. von Ernst Lommatzsch und Karl Lommatzsch, 6., durchges. und verm. Aufl., Berlin 1905, S. 98-100.

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3.2.6

Dissertation

gemann zu, daß mich vor dem Doktorat der Staatswissenschaften einige befreundete Armeeoffiziere mit so warmer Bewunderung für altpreußische Sinnesart erfüllten, daß ich monatelang mit dem Plane umging, Berufssoldat zu werden. Da ich aber von der Sicherheit des Weltfriedens unvorsichtig überzeugt war, begnügte ich mich mit dem bequemeren „ Reserveleutnant"156. Nunmehr nur noch als Ankedote tauglich, beweist sie, daß um 1908 keinerlei nationale wie gesellschaftliche Entfremdung bestand: auch dieses Vorhaben wäre einer späteren Laufbahn etwa in einer Bank nur förderlich gewesen. Der Abschluß des Studiums mit Dissertation statt Staatsprüfung bildete einerseits eine Ausnahme - unter den Juristen wurden die wenigsten Promotionen vorgelegt 157 ; andererseits im Verhältnis zur persönlichen Vergleichsgruppe das übliche Modell, indem ein unabhängiger Abschluß erworben wurde. Diese höchste Stufe im hierarchischen Berechtigungswesen bedeutete einen objektivierten Leistungsnachweis, gleichzeitig Standessicherung und bestätigte den gehobenen Berufsanspruch wie den Status sozialer Exklusivität 158 . Hegemann reichte als Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde eine siebenundvierzigseitige Fassung von Mexikos Ubergang zur Goldwährung ein, die gleichzeitig in einer Langfassung von 189 Seiten in der Reihe „Münchner Volkswirtschaftliche Studien", von Brentano und Lötz herausgegeben, bei Cotta erschien. Die Reihenveröffentlichung wurde zuerst gesetzt und gedruckt, daraus das fünfte und sechste Kapitel über Die Währungsreform von 1904/1905 und Beurteilung der Reform gesondert als Dissertation gedruckt 159 . Die Studie enthält weitere umfangreiche Kapitel über die Währung Mexikos seit 1867, Entwicklung des Silberbergbaus und der ausländischen Investitionen im Land. Die der Dissertation fehlende zweieinhalbseitige Literaturliste umfaßt nur Spezialquellen, die von Humboldt über Standardwerke bis zu Zeitungsartikeln und amtlichen Meldungen reichen. Der neueste zitierte Artikel datiert vom 31. Mai 1908, zu dem die Arbeit offenbar abgeschlossen wurde. Bis zum Rigorosum am 17. Juli hätte die Dissertation nach den Vorschriften gedruckt vorliegen sollen, jedoch wurde hier offenbar eine Ausnahme gemacht und die Erlaubnis zur Promotion am selben Tag vom Rektor erteilt. Die mündliche Prüfung vor der versammelten Fakultät dauerte zwei Stunden, in denen der Doktorand in vier Fächern, Nationalökonomie, Finanzwissenschaft, Statistik und einem weiteren staatswirtschaftlichen oder einem benachbarten Fach zu antworten hatte 1 6 0 . Hegemanns Gutachter waren die Professoren Brentano, Lötz und von Mayr. Die Promotion wurde mit magna cum laude abgeschlossen 161 . 156

Kiepenheuer (1930) 48. Bei Titze u.a. fehlt die Kategorie des Studienabschlusses, vgl. daher Lenz, Friedrich-WilhelmsUniversität ..., Bd. 3, S. 526: 1900-1909 kam eine Promotion auf 22 Philosophen, aber auf 301 Juristen. 158 Vgl. Jarausch, Universität ..., S. 332. 159 Mexikos Übergang I 142-189 = II 1-47; formale Korrekturen 153/12, 166/24; angepaßte Binnenverweise. 160 Baumgart, Wegweiser ..., S. 99 f. 161 Schreiben von Prof. Dr. Lactitia Boehm, 14. Juli 1988. - 1916 gab Hegemann die Note als Auszeichnung und höchste der von dieser Universität vergebenen an. 157

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3.2.6 Veröffentlichung

Am 28. Juli 1908, neun Tage nach dem Rigorosum, schrieb Hegemann an die J.G. Cotta'sche Buchhandlung in Stuttgart um Veröffentlichung seiner Dissertation. Ich werde von der Staatswirtschaftlichen Fakultät die Erlaubnis erhalten als Dissertation nur die beiden letzten Kapitel meiner Arbeit in 110 Exemplaren einzureichen, die gesammte Arbeit jedoch in den Volkswirtschaftlichen Studien zu veröffentlichen. Hierdurch sollen sowohl die Druckkosten ermässigt werden als auch andererseits die Verkaufswahrscheinlichkeit für die ganze Arbeit erhöht werden162.

Die Vorschriften waren zugunsten des Probanden auslegbar und konnten den Absatz der wissenschaftlichen Schriftenreihe sichern. Die Aufnahme des Werks in die Reihe zeigt die auch in der Note ausgedrückte Einschätzung als wertvollen Beitrag wie auch, daß die öffentliche Zugänglichkeit der Erfüllung der formalen Ansprüche übergeordnet wurde, denen mit der Kurzfassung Genüge getan war. Erst wesentlich später, 1909, im Januar 1910 und im April 1911, wurde das Werk von der fachwissenschaftlichen Kritik neutral bis freundlich aufgenommen und referiert163. Zu einem Vertragsabschluß mit Cotta kam es erst, als Hegemann während des Monats August in einer Reserveübung in Hammelburg stand. Er trat die Rechte für alle Auflagen an Cotta ab und verpflichtete sich, 35 Mark pro Druckbogen zu zahlen. Bis zur Deckung der Kosten blieben alle Einkünfte beim Verlag. Danach fielen bei der jährlichen Abrechnung 18% für Spesen an den Verlag, alle weiteren Einkünfte wurden zu gleichen Teilen verteilt164. Die Herstellungskosten betrugen schließlich Μ 1005,04 für 790 Exemplare, von denen der Autor Μ 441,90 zahlte. Neben 87 Freiexemplaren wurden 209 Exemplare für Μ 691,75 verkauft, so daß abzüglich der Spesen ein Gewinn von Μ 401 übrigblieb, von dem Hegemann seinen Anteil von 2,01 Mark 1915 erhielt165. Eine Woche nach Schluß der Reserveübung, am 6. September, drängte Hegemann den Verlag zu Eile, übersandte aber selbst erst jetzt die für den Reihentitel verfaßte Vorrede sowie die Bitte um die Widmung „Meiner Frau" auf dem Vorblatt. Er erklärte seine Absicht, in drei Wochen ins Ausland gehen zu wollen und daher des Drucks zur Aushändigung seiner Urkunde zu bedürfen. Da Lötz sich als Herausgeber die dritte Korrektur vorbehielt, waren die 110 Drucke auch Ende September noch nicht ausgeliefert, was wenige Tage später jedoch erfolgen konnte. In diesen (ersten nachweisbaren) Briefen wird nicht nur zwischen den Zeilen die Attitüde des forschen, finanziell gut gestellten jungen Mannes sichtbar, der gewöhnt ist, daß alles nach seinen Vorstellungen verläuft. Seine Schreiben und Karten an Cotta, sechzehn insgesamt, machen Hegemann außerdem als ausgesprochen schlampig kenntlich. Er kann, 162 Schreiben von Werner Hegemann an die J.G. Cotta'sche Buchhandlung, 28. Juli 1908. Deutsches Literaturarchiv, Schiller Nationalmuseum, Cotta-Archiv (Stiftung der Stuttgarter Zeitung), Marbach. 163 Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 28 (1909), S. 853 f.; Fritz Schumann in: Volkswirtschaftliche Blätter 9 (1910), S. 10 (26. Januar); Wilhelm Lexis in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 41 (1911), S. 540 f. (April). 164 Cotta-Verträge 7 G 70, Cotta-Archiv. Nach fünf Jahren gingen die Restexemplare zu Herstellungskosten an den Verfasser, falls dieser ablehne, würden sie antiquarisch verwertet oder makuliert. 165 Jährliche Abrechnungen von 1910-1912, 1915, Schlußbriefwechsel Hegemann an Cotta, Juni 1931, Cotta-Archiv, nach dem er 400 Restexemplare aufkaufte.

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3.2.6 Schreibweise

wenn er mit der Hand schreibt, keine Zeile einteilen, häufig ragen die letzten Worte über den Rand hinaus, fallen nach unten ab. Er unterstreicht, gerade und gewellt zur nachträglichen, nachdrücklichen Betonung; fügt Vergessenes wie ja auch im Lebenslauf zur Dissertation zwischen die Zeilen und streicht, wenn der Satz grammatisch nicht paßt, aus und schreibt weiter, statt den begonnenen Anfang durchzuführen. Er macht den Eindruck eines Schreibers, der schneller, fast hektisch, denkt, als er schreiben kann und vorher nie erwägt, was er mitgeteilt haben will. Das bestätigen Briefen nachgeschobene Postkarten vom nächsten Tag 166 , auf denen er vergessene Kleinigkeiten nachträgt. Sie werden zu einem lebensumspannenden Motiv - auch noch im letzten Briefwechsel mit Zweig; ebenso wie der großzügige Umgang mit Geldsummen, bei denen er sich nicht mehr genau an die geforderte Summe - hier für die Autorenexemplare, dann 1935 an eine, die ein Freund ihm lieh - erinnern kann 167 . Nach der Teilnahme an der Reserveübung in Hammelburg als Vizewachtmeister der Reserve im 9. Feldartillerie-Regiment 168 - die zu leisten wahrscheinlich Voraussetzung des längeren Auslandsaufenthalts war diente der September den Vorbereitungen der Abreise. Am 1. Oktober wurden die Hegemanns als nach Philadelphia verzogen gemeldet 169 . Die Familie schiffte sich vermutlich in Bremen ein und hatte am 22. Oktober 1908 in Philadelphia bereits Quartier bezogen 170 .

3.3 Bildung und Bürgerlichkeit Hegemanns Schulkarriere wurde vorrangig von der sozialen Situation seiner Eltern bestimmt. Dabei lassen sich zwei Einflüsse erkennen. Die Anfangswahl des Vaters, das Realgymnasium, zielte auf den Erwerb eines Bildungsdiploms zu marktbezogener Wirtschaftsverwertung im Rahmen des väterlichen Unternehmens oder einem vergleichbaren. Die - schließlich endgültige - Wahl der Mutter zielte auf den Bildungaufenthalt in einer religiös und verwandtschaftlich abgesicherten Extension der verlorenen Privatsphäre der Familie und hatte die Aneignung der Allgemeinbildungsideologie im humanistischen Gymnasium zwangsläufig zur Folge. Damit rezipiert der Schüler deren zeitgenössischen Stand. Er partizipiert am Emanzipationsprozeß des Bildungsbürgertums gegen feudale politische hierokratische Wertin166

Hier vor allem eine nachgetragene, dritte Auslandsanschrift, die für den Bearbeiter, der am 30. Oktober die Exemplare versendet, zu spät eintrifft. Hegemann an Cotta, 21. Oktober 1908, CottaArchiv. 167 Hegemann an Cotta, 2. Oktober 1908, Cotta-Archiv. Desgleichen würfelte er in seiner Liste derer, die ein Exemplar der Dissertation erhalten sollten, Freunde, Ansprechpartner, Verwandte durcheinander: Zavitzianos, Lievre, Sering, das deutsche Konsulat in Mexiko, Konsul Kustermann in München, Ward Wright Pierson, Patten und Meade in Philadelphia, Elise Hegemann in Laibach, Fink in Plön, Alglave, der Herausgeber eines mexikanischen Finanzblattes, Zapeta Vera, Knapp, March, erster Nachtrag: Bertrand Nogaro, Rechtsfakultät der Sorbonne, zweiter Nachtrag: Julius Vorster, Bankdirektor Kossmann, Frankfurt, Baron Günther von Pechmann, München. 168 Hegemann an Cotta, 9., 11., 30. August, Cotta-Archiv. 169 Meldebogen Hegemann ..., Bl. 2. 170 Hegemann an Cotta, 22., 23. Oktober 1908, Cotta-Archiv; zuerst 3804 Locust Street, dann 4119 Pine Street.

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3.3

Deutungsmonopole

terpretationsmonopole (Lepsius). Dieser Prozeß beinhaltet und verursacht fundamentale Veränderungen: α) die Begründung und Ausfeilung einer betont diesseitig-human(istisch), also nicht mehr transzendental ausgerichteten Bildungsidee als autonomem und höchstem, durch geistlich-theologische Werte nicht mehr kontrollierten Kulturgut; b) das Postulat ihrer allumfassenden, nicht mehr durch politische Herrschaftsansprüche begrenzten Geltung; c) eine potentiell vollständige Isolierung des kultur- und gesellschaftspolitischen (im weitesten Sinne philosophisch-literarisch akzentuierten) Bildungswissens vom staats- und verwaltungspolitischen Herrschaftswissen und vom ökonomischtechnischen Leistungswissen171. Die vollständige Aneignung dieser Fundamentalwerte von Bildung als Kulturgut mit isolierter Geltung belegt und verlängert der Plan des Abiturienten, Philosophie zu studieren. Sie bedingt die zunächst anhaltende Kritiklosigkeit gegenüber der nationalpolitischen Bindung dieser Werte und ihren Operationalisierungsversuchen 172 . Der Abiturient hat damit die Grundlagen der „bürgerlichen Kultur" erworben, die anhaltende Anleitung zu regelmäßiger Arbeit, Rationalität und Methodik - wobei eine positive Grundhaltung dazu noch nicht festgeschrieben ist - sowie das Welt- und Selbstverständnis über Bildung, das die Lebensformen konstituiert, und die Referenz an Künste und Wissenschaft 173 . Als Zeichen, Insignum und Identißer (Goffman) nutzt er den stud.phil. und cand. cam. wie das preußische Privileg der verkürzten Dienstzeit mit Qualifikation zum Reserveoffizier. Voraussetzung dieser vollständigen Aneignung war die Unabhängigkeit vom Zwang zu marktbezogener Eigenerwirtschaftung seiner Subsistenzmittel17i. Das Erbe des Vaters setzte jede Notwendigkeit zur Veräußerung der Arbeitskraft aus. Weder in öffentlicher Besoldung noch im freien Beruf galt es, Einkünfte zu erzielen. Das Erbe verpflichtete nur zu rationaler und methodischer Bewirtschaftung dieser Ressource zu Lebenshaltungszwecken. Damit waren weitere Voraussetzung zur Teilnahme an bürgerlicher Kultur gegeben, ein regelmäßiges überdurchschnittliches Einkommen, welches Planungssicherheit und Freisetzung von Erwerbstätigkeit verbürgte. Ein Studienziel konnte mithin absolut der Allgemeinbildungsideologie untergeordnet werden, während in der Vergleichsgruppe der Mitabiturienten die wirtschaftliche Verwertbarkeit eines Bildungsdiploms als Ziel erkennbar ist. Dieser Bildungstradition als einem modernen Glauben mit eigenen Symbolen ..., als ein Kriterium kultureller Zugehörigkeit und Definition, als ein Mittel zu kollektiver Identitätsbestimmung entsprachen die folgenden Bildungs- und Abenteuerreisen und besonders der Aufenthalt in Paris. Sie galten nicht systematischer Akkumulation von 171 Ulrich Engelhardt, „Bildungsbürgertum". Begriffs- und Dogmengeschichte eines Etiketts (Industrielle Welt 43), Stuttgart 1986, S. 28. 172 Daß Hegemann seine „betont diesseitig-humane" Umarbeitung des Tragödienstoffes der Iphigenie nur den „literarisch-akzentuierten" Fertigkeiten des Bildungserwerbs zugeschrieben beläßt, bezeichnet auch hier die späte sarkastische Absetzung. 173 Kocka, Bürgerlichkeit ..., S. 43. 174 Engelhardt, Bildungsbürgertum ..., S. 26; Kocka, Bürgerlichkeit ..., S. 43; Kocka, Formation ..., S. 18.

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3.3

Großbürger

Leistungswissen, sondern der 'Bildung' der Individualität. Als Symbole konnten die Konversationsfähigkeiten in Fremdsprachen und ein Reservoir an Anekdoten davongetragen werden. Ironischer- wie konsequenterweise - analog zum Prozeß „Bürgerliche Gesellschaft" sprengt gerade diese Vervollkommnung zur einzigartigen autonomen Persönlichkeit die Isolierung des „philosophisch-literarisch akzentuierten Bildungswissens". An der Nahtstelle zu staatspolitischem Herrschaftswissen und ökonomischem Leistungswissen entsteht eine Reflexionsbewegung über - nach eigenen Worten - „Zusammenhänge zwischen den Veränderungen im ökonomischen und geistigen Leben". In der gegenseitigen Verknüpfung enthebt sie zunächst das „Kulturgut" seiner Autonomie, um durch Extension des Geltungspostulats als nicht mehr durch ökonomische Herrschaftsansprüche deformierbar wiederhergestellt zu werden. Damit ist eine Funktion jenes Phänomens bestimmbar, das bei der Rekonstruktion des Bildungsbürgertums solche Schwierigkeiten bereitet, daß nämlich die Kandidaten der Allgemeinbildungsideologie aufsitzen, mit der sich selbst noch das spezialisierteste Ausbildungsprogramm gern schmückte, um seine Dignität zu bekräftigen175. Denn hier wird erst durch Erkenntnis seiner Relevanz innerhalb der Bildungsideale und des Bildungswissens dem der Allgemeinbildungsideologie Verfallenen der Zugang zu einem Fachwissen möglich. Diese Funktion ist die Bindung, Beschränkung und Kontrolle durch die in der Allgemeinbildungsideologie verkörperten Werte, weil das Bildungsbürgertum für sich reklamiert, Bildungswerte und Kulturstandards zu vertreten, die uneingeschränkte Gültigkeit für alle Gesellschaftsformationen beanspruchen (dürfen) und deshalb u.U. zum Konflikt mit potentiell konkurrierenden Verfügungsgewalten und Interpretationsinstanzen führen176. Universelle Bändigung utilitaristischer Modernisierung wie traditionalistischer Konservierung resultieren in dem Effekt, daß der neue monopolistische Deutungsanspruch auf diesem Hintergrund Sprengkraft und erodierende Wirkung entfaltet. Demnach wäre für das problematische Phänomen Bildungsbürgertum eine Fassung als „bildungsbürgerliche Kultur" denkbar, die in idealtypischer Beschreibung das Konzept „bürgerliche Kultur" zu erweitern und dann abzugrenzen hätte, um nach dem restringierenden oder emanzipatorischen Verhältnis des einen zum anderen zu suchen und anhand dessen auf verschiedenen Wegen die Realitätsnähe dieses Konzepts von Bildungsbürgertum zu überprüfen. Die Ausbildungswahl des Studenten rekurriert an dieser Nahtstelle auf eben beides, „staats- und verwaltungspolitisches Herrschaftswissen" wie „ökonomisch-technisches Leistungswissen". Sie entfaltet dabei spezifische Eigenschaften der deutschen akademischen Bildungstradition: Nähe zur Macht der Bürokratie, Kompatibilität mit beruflicher Qualifikation und Leistungsfähigkeit, in der Tradition von Aufklärung und Säkularisation anti-traditional und nicht innovationsfeindlich, mit dem sich verstärkt geltend machenden Leistungsprinzip harmonierend 177 . Diese Anforderungen werden an Kocka, Formation ..., S. 20 als Warnung, dem in der terminologischen Entscheidung zu erliegen. Engelhardt, Bildungsbürgertum ..., S. 26 über die typologische Annäherung an einen hierokratischen Stand, also Reklamation eines neuen „Wertinterpretationsmonopols". 1 7 7 Kocka, Bürgerlichkeit ..., S. 35. 175

176

95

3.3

Wirtschaftsbürger?

der präsumtiven Schnittstelle Nationalökonomie realisiert. Die Universalgeltung verleibt sich das spezifische Leistungswissen ein und usurpiert die Autorität staatsnahen Herrschaftswissens. Die Affinität zu Konzepten kultureller Homogenisierung durch Umformung von Wirtschaftsbedingungen ist Spiegel dieser Usurpation und nach ihrer Herkunft zunächst eine lediglich ästhetische Figur. Ein Ausnahmeinteresse an Modellen ökonomisch erfolgreicher Verwertbarkeit des erwarteten Bildungsdiploms zeigt der experimentelle Einsatz des Leistungswissens im tertiären Sektor. Diese Exploration einer marktbezogenen Verwertung in einem Angestelltenverhältnis, also außerhalb der Fremdalimentierung durch Besoldung aus öffentlicher Hand oder eines staatlich-professionspolitisch legitimierten Einkommens, ist mit dem sozialen und ökonomischen Auftrag aus der Familiengründung in Zusammenhang zu setzen. Galt es dabei, das Einkommen zu erhöhen, um die Freisetzung von Erwerbsarbeit auch für eine künftig größere Zahl von Partizipienten zu gewährleisten, war die Wahl des tertiären Sektors die größere Dynamik verheißende, in der finanzielle und gesellschaftliche Belohnung steigerungsfähiger schienen. Das kann als Vermächtnis des Vaters beansprucht werden. Der Versuch endete mit einem negativen handlungsleitenden Ergebnis, insofern eine weitere Annäherung nicht erkennbar wird. Das Ergebnis diskreditiert nicht das Ausbildungsthema. Im folgenden wird schließlich eine systematisch-methodische Aneignung des Stoffes nach Vorschriften des staatlich sanktionierten Ausbildungsgangs unternommen. Das Wirtschaftsziel ist ausgesetzt worden, weil entweder das durch Ressourcenbewirtschaftung erzielte Einkommen effizienter organisiert, als genügend bestimmt oder durch ein anderes mögliches Legat erhöht wurde. Nach der negativen Bestimmung erfolgte keine positiv pragmatische Zielsetzung. Art und Thema des Bildungspatents verweisen auf offene Gestaltung, bei der der stets sichtbare Nachweis des Titels im Vordergrund steht und die Anwendung nachrangig ist. Konsequent zur Extension partizipiert auch die Frau an der verwertungsfreien persönlichen Bildung. Analog zur Freisetzung von Erwerbsarbeit beim Mann erlaubt eine großbürgerliche Haushaltsführung durch überdurchschnittliches Einkommen weitgehende Aufgabendelegation. Während an Definitionsmacht und Verfügungsgewalt des Mannes kein Zweifel besteht, ist ihre Teilhabe an institutionalisierter Ausbildung nur eine partielle. Dabei bleibt jede Außenwendung oder Verwertung der Bildung vorvereinbart ausgesetzt. Als eine selbstzweckhaft ästhetische Figur wird sie dadurch zum neuerlichen Statusausweis - sie kann hier individuell dem Konzept kultureller Homogenisierung zugeordnet werden drängt aber tendenziell darüber hinaus. Die großbürgerliche Freisetzung wie die Allgemeinbildungsideologie im Sinne der individuellen Vervollkommnung stehen der effizienten bürgerlichen Aneignung eines primär instrumentellen und spezialisierten Wissens im Wege. Hegemann war zuerst Großbürger, dann Bildungsbürger und wurde zuletzt Dr. der Staatswirtschaft. Ubergänge und Anlässe geschahen zufällig und blieben in Hinsicht auf Lebensführung und -planung weitgehend bedeutungslos. Weder handelt es sich bei diesem Werdegang um einen - in der Sekundärliteratur so beliebten - vom Objekt präformierten Ausbildungsweg noch um 96

3.3 Re-Formationen

eine - von den Konzepten der Bildungs- und Bürgerlichkeit vorgesehene - rationale, systematisch-methodische Aneignung nach Verfahrensregeln. Hegemann wurde, was er 1908 war, eher durch externe Impulse denn interne Selbsterziehungsmechanismen, und ohne jede Verbindung zu seinen späteren Arbeitsgebieten. Die Ee-Formation des Bildungsgangs in den Selbstpräsentationen indizieren eine bereits defizitäre Legitimationskraft der „Allgemeinbildung" an sich. In der akademischen Präsentation konstruiert Hegemann akademische Lehrlings-, Gesellen- und Wanderjahre, um eine akademische kontinuierliche fachspezifische Fortbildung zu belegen. Die Variation bei der nächsten akademischen Präsentation suggeriert einen bedeutungsschweren Kontext zwischen Gesellen- und Wanderjahren zwecks Legitimationszugewinn und Vorsprung durch Vielseitigkeit und Leistungsbereitschaft bei Konkurrenz. Fast zwanzig Jahre später ist in der populären Selbstpräsentation die fachspezifische akademische Bildung als Legitimation schon wieder hinfällig. Unter Rekurs auf außerakademische Einflüsse wird unter dem Nebenaspekt der Fachwissenschaft die Formation eines übergeordneten ethisch-politischen Interesses als Legitimation dargeboten und damit ein Transfer der Allgemeinbildungsideologie in die Moderne vollzogen.

97

4 Amerika 1909 Das Jahr, das Hegemann nach seinem Studienabschluß in den Vereinigten Staaten verbringt, wird für ihn trotz der Kürze durch seine Einflüsse zu einem richtungsweisenden Jahr. Aus dem Kontrast zwischen seinen eigenen, zur Zweckdienlichkeit vernebelten Angaben und den erst nach Quellen und Sekundärliteratur identifizierbaren Entwicklungen lassen sich nicht nur die tatsächlichen Umstände aufklären, sondern auch hier im Verfolg der - analytisch typisierbaren - Ortswechsel weitreichende Einflüsse herausfiltern. Nachdem er mit seiner Familie Quartier in Philadelphia, 4119 Pine Street bezogen hatte, schrieb Hegemann sich an der Graduate School der University of Pennsylvania ein, wobei er nur angab: Enters to pursue certain special work.1 Ob er weitere wissenschaftliche Arbeit plante oder diese Angabe nur als Etikett für allgemeine Weiterbildung verwendete, muß offen bleiben. Da er erneut die Universität Pattens aufsuchte, liegt zunächst eine Absicht weiterer Beschäftigung mit Nationalökonomie nahe 2 . In seiner Königslegende kolportierte Hegemann, in Philadelphia städtischer Wohnungsinspektor geworden zu sein, was nicht nur eine reguläre Amtsbestellung suggeriert, sondern auch, daß er mit diesem Ziel in die Vereinigten Staaten gefahren sei. Wie schon für frühere festgestellt, wurde auch diese Angabe in vergleichbarer Weise zu einer bemerkenswerten und weitreichenden, die sich bis in die Nachrufe fortsetzte und bis heute tradiert wird 3 .

1 Catalogue of the University of Pennsylvania. 1908-1909, Philadelphia 1909, p. 697. Abschluß und Studienorte angegeben sowie diese, bereits in der Korrespondenz mit Cotta genannte Anschrift; Angaben vom Januar. Weitere liegen nach Schreiben von Mrs. Kaminski, 21. November 1988 nicht vor, da Hegemann auch keinen Abschluß erwarb. 2 Eine spätere Angabe weiterer Hochschulen hätte Recherchen gegolten: Vgl. die Eigenangaben in Wer ist's 9 (1928), S. 606: unter besuchten Hochschulen Berl, Paris, Philadel., Columbia, Harvard, Straßbg., Münch., Ann Arbor (Mich.). Danach wären sie jedoch während des ersten Amerikajahres besucht (besichtigt?) worden, lediglich Ann Arbor in späterer Zeit. Wahrscheinlicher ist die Auflistung der Bibliotheken, in denen Hegemann und Peets für den AV gearbeitet hatten; vgl. unten 6.4. „American Vitruvius" 3 SB 450, auch Kiepenheuer (1930) 48. NYT 1936: In 1905, upon his first visit to this country, he became housing inspector for Philadelphia., darauf Architectural Forum: He first came to America in 1905 to fill an appointment as housing inspector for Philadelphia. Die zeitliche Verschiebung belegt bereits die nebulöse Angabe, auf die zwecks Auszeichnung aber nicht verzichtet werden kann. - In der Folge Architectural Record und Anshen und alle weiteren noch bis Collins, German Critic ..., p. 2.

4.1 Wohnungsinspektor?

4.1 Philadelphia Noch 1913 berichtet Hegemann vor amerikanischen Zuhörern wahrheitsgemäßer über die Umstände, aus denen er später diese Behauptung konstruierte. Five years ago I had been housing inspector for a few days in the city of Philadelphia, with a badge of authority that Mr. Buchholz, the leading tenement house inspector of the city, had kindly given me. I made investigations in the downtown slum districts for one of the settlements, and my general impression at that time was that the evil of the Philadelphia slum was slight compared with the great advantages secured by your system to home-building. I frankly confess that this time my impression is less favorable. I do not believe that the evil has increased during the last five years, and I think that I have to account for this unfavorable change by the sharpening of my eyes for the city planning possibilities by five more years of continued visiting of different cities and studying their plans.4

Zweck der Präsentation ist wie jedesmal Vertrauenswerbung für spezifische und nun systematisch angeeignete Kenntnisse. Hegemann entwickelt besondere diplomatische Talente der Anpassung an Empfängerbedürfnisse. Wo ihm in Philadelphia 1913 vor einem zahlenden Publikum noch Bescheidenheit gut zu Gesicht stand, wertet er 1916 dieselbe Tätigkeit zur langwierigen wissenschaftlichen Datenerhebung auf und präsentiert sich 1930 damit als 'alter Hase' in der Wohnungsfrage. Die Stadt Philadelphia hatte bezüglich der Wohnungssituation lange einen guten Ruf, denn im Vergleich zu New York oder Chicago kannte man kaum vielgeschossige Mietshäuser. Durch die Lage am Delaware hatte im Wachstum der Stadt die vertikale Expansion Vorrang. Die vorherrschenden zwei- bis dreistöckigen Wohnhäuser brachten der Stadt den Ruf der „City of Homes" ein. Aus dem Einwanderungsschub der Jahre 1870 bis 1910 ergaben sich innerstädtische Verdrängungsprozesse, die auch aus dem Süden zuwandernde Schwarze trafen. Sie resultierten in Slumbildung (Bild 10 f.) durch den Bau provisorischer, billiger Häuser im Innern der Blöcke, die ohne Kanalisation, mit ungepflasterten Wegen, Wasserstellen im Hof und wenigen, schmutzigen Aborten für Krankheit, Armut und Aufruhr prädestinierten 5 . Ein erstes städtisches Gesetz über Mietshausbau, das 1895 verabschiedet wurde, war lediglich auf die Verhinderung solcher Bauten zugeschnitten, wie man sie aus New York kannte: die vielgeschossige Mietskaserne um einen engen Lichthof herum, die Bebauungsdichten bis zu 97 % hervorbrachte. Damit konnte dieses Gesetz gegen die bestehenden Slums nicht greifen. 4 Homes and Parks April 15, 1913; im Zusammenhang mit den Vorträgen, die Hegemann auf der Tour von 1913 in Philadelphia hielt. Vgl. auch Memorandum (1916): During α second visit to the United States 1908/91 volunteered in the service of the Housing Inspector of the City of Philadelphia, making a special investigation of slum conditions. Der Vergleich enthüllt die Kriterien der Entwicklung: je näher an möglichen Kontrolleuren, desto weniger überformt und spezifisch auf Bedürfnisse des Empfängers abgestellt. 5 John F. Sutherland, The Origins of Philadelphia's Octavia Hill Association: Social Reform in the 'Contented City'. In: Pennsylvania Magazine of History and Biography 99 (1975), p. 20-44, p. 22; s.a. John F. Sutherland, Housing the Poor in the City of Homes: Philadelphia at the Turn of the Century. In: Allen F. Davis/Mark H. Haller, ed., The Peoples of Philadelphia. A History of Ethnic Groups and Lower-Class-Life, 1790-1940, Philadelphia PA 1973, p. 175-201.

100

4.1

Datenerhebung

Die Einrichtung des Amtes eines städtischen Wohnungsinspektors von 1907 in Philadelphia ist im wesentlichen das Verdienst der Octavia Hill Association, die 1896 gegründet, sich mit dem Wohnungselend in der Stadt befaßte. Sie entsprang der Initiative zweier Frauen aus der Oberschicht, die nach dem namensgebenden Londoner Modell - Octavia Hill hatte unter Einfluß der Christlichen Sozialisten und mit Hilfe John Ruskins 1864 eine solche Organisation in London begründet - Mietshäuser erwarb und für Investoren zu einem festen Prozentsatz bewirtschaftete6. Die Organisation entwickelte das Modell des friendly rent collector, der bei der Mieteinnahme als Berater und Helfer der Unterschichtsfamilien agieren sollte. Mittels seines Einflusses sollten die Bewohner ihre Probleme besser bewältigen, wobei die Organisation neben Kenntnissen über Ernährung oder Babypflege die Ordnungswerte des Mittelstandes transportieren wollte. Dahinter stand die Absicht, Tugenden der Mittelklasse, besonders die Zahlungsmoral, durchzusetzen, aber auch deren Angebote zur Verfügung zu stellen: Büchereien, Gärten, Spielplätze (Bild 12). Die Wissensakkumulation durch stetigen Kontakt macht aus den Akteuren der factual generation7 schließlich environmentalists. Persönliche, zunehmende Kenntnis von Lebensumständen der Unterschichten trägt zur Erosion des Axioms des 19. Jahrhunderts bei, daß Armut Ausdruck von Charakterfehlern sei, und stärkt die Erkenntnisse über die Bedeutung der Umwelteinflüsse für die Prägung und Chancen des Individuums und stößt den Wandel zum Axiom sozialer Gerechtigkeit an8. Die Organisation unternahm eigene slum investigations und sammelte Daten zu Belegung und Zustand der Häuser. Die freiwilligen Helferinnen sammelten Spezialwissen an, formulierten Anforderungen an den bezahlten rent collector, Teil des Umbruchs zur Professionalisierung der Sozialberufe, die in der Progressive Era begann9. Seit 1905 bemühten sich die Initiatorinnen um die gesetzliche Verankerung einer Genehmigungspflicht für Mietshäuser mit Mindestvorschriften der Ausstattung. Erst 1907 aber, nach kompliziertem Lavieren durch verschiedene politische Interessengruppen, wurde ein sehr reduziertes Gesetz verabschiedet. Es enthielt keinerlei Mindestbedingungen mehr, sondern sah lediglich Registrierung und Genehmigung von Mietshäusern sowie eine vierteljährliche Kontrolle durch housing inspectors vor, galt überdies nur für größere Mietshäuser, nicht für den häufigeren Typ des Zweifamilienhauses. Es gab somit keine Vorschriften, auf deren Einhaltung zu dringen die Inspektoren Rechte hatten, Vgl. Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 192, zum ersten Import im Wohnungsbau. Robert Bremner, From the Depths: The Discovery of Poverty in the United States. 4. ed., New York 1967, p. 140-163; nach dem sich der neue Realismus in allen Lebensbereichen durch Sammlung von Fakten bemerkbar machte, ohne automatisch Wirkung zu erzeugen, aber den Eifer zur Wohltat und Willen zur Verbesserung durch wachsendes Wissen leitete. 8 Siehe auch Christoph Sachße/Florian Tennstedt, Sicherheit und Disziplin. Eine Skizze zur Einführung, in: Christoph Sachße/Florian Tennstedt (Hrsg.), Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung. Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik, Frankfurt a.M. 1986, S. 11-44, S. 34 f. 9 Sutherland, Origins ..., p. 33, 35 ff. Siehe beispielhaft: Gustavus A. Weber, The Improvement of Housing Conditions in Philadelphia. In: American City 1 (1909), p. 123-128: sowie grundsätzlich Don S. Kirschner, The Ambigous Legacy. Social Justice and Social Control in the Progressive Era (Historical Reflections 2), Waterloo, Ontario 1975. 6 7

101

4.1 Initiation

wobei nur zwei Inspektoren für die gesamte Stadt bestellt wurden10. Diese ersten beiden Inspektoren, Carol Manning und Arthur Buchholz, standen damit vor einer Herkulesaufgabe, weil 1907-1909 2.000 dem Gesetz unterliegende Miethäuser genehmigt wurden, die kaum zu inspizieren waren11. Weiterhin fiel die Verdichtung der alten Innenhöfe mit ihren kleineren Haustypen nicht in ihre Zuständigkeit, obwohl sie nach Ansicht des ehrenamtlichen Sekretärs der Octavia Hill Association, Gustavus A. Weber, der sanitären Verhältnisse wegen besonders gesundheitsgefährdend waren12. Deshalb gründeten 18 Initiatoren aus 40 sozialen Organisationen im September 1909 die Philadelphia Housing Commission, ein Kommittee, das sich für die Gesetzesverschärfung einsetzen sollte, indem es Datensammlung, Statistik und gezielte Öffentlichkeitsarbeit betrieb 13 . Die Arbeiten zur Archivierung und Kartierung der Wohnungsverhältnisse wie deren stetige Wiedervorlage bei amtlichen Stellen, seit 1911 geleitet von einem hauptamtlichen Sekretär mit wissenschaftlich-verwaltungstechnischer Ausbildung, Bernard J. Newman, sowie die Öffentlichkeitsarbeit mit Pressemitteilungen, Broschüren und Lichtbildvorträgen erreichten schließlich 1911 eine Gesetzesverschärfung. Erst 1913 verabschiedet, sah sie ein effizientes System administrativer Kontrolle der neuen Standards und Interventionspotentiale vor - Inspektionsrechte und Belegungsverbote galten allgemein - , wurde aber bereits 1915 infolge veränderter politischer Konstellationen wieder verwässert. Verwissenschaftlichung und Bürokratisierung wurden als ein typisches Ziel progressiver Reformer mindestens zeitweise verwirklicht14. Für diese Expedition Hegemanns als housing inspector, in deren Bericht die ursächliche Abenteuerlust noch anklingt, wäre also ein Initiationsschock geltend zu machen, der aus der Konfrontation mit katastrophalen Lebensbedingungen der Slumgebiete entstand 15 . Webers beredte Schilderung der mangelhaften Sanitärausstattung - weder Anschlüsse an Wasser- und Kanalsysteme noch geregelte Müllabfuhr der zwangsläufigen Über10 Die Anforderungen sollten vom städtischen Board of Health bestimmt werden und waren damit unmittelbar von Wahlergebnissen und Persönlichkeiten abhängig; Sutherland, Origins ..., p. 38-42. 11 John Baumann, Disinfecting the Industrial City. The Philadelphia Housing Commission and Scientific Efficiency, 1909-1916. In: Michael H. Ebner/ Eugene M. Tobin, ed., The Age of Urban Reform: New Perspectives on the Progressive Era. Port Washington NY-London 1977, p. 117-130, p. 120 f. Weber, Improvement ..., p. 124, nennt für 1909 bereits fünf Inspektoren, die jedoch insgesamt für über 4.000 Häuser zuständig seien. 12 Weber, Improvement ..., p. 123, 125 ff. 13 Baumann, Disinfecting ..., p. 123; Weber, Improvement ..., p. 128. 14 Baumann sieht darin eine Kombination der in früherer Forschung festgestellten Antriebe von Konservierung durch Effizienz (Hays), Welle der Bürokratiebegeisterung (Wiebe) und Einführung der wissenschaftlicher Effizienz in soziale und politische Reform (Lubove u.a.). Sie bleibt dabei trotz entsprechender Ergebnisse - von Philantropie zur Methodik, Koordination der Sozialorganisationen und Schlüsselrollen der Experten als Vorlauf bürokratischer Effizienz, Öffentlichkeitsarbeit als Druckmittel über Sozialharmonie und Mittelklassenwerte - direkt von politischen Konstellationen der Interessengruppen abhängig und wird von nur einer kleinen Gruppe der städtischen Gesellschaft getragen. 15 Siehe dazu den Bildband Fredric M. Miller/Morris J. Vogel/Allen F. Davis, Still Philadelphia. A Photographie History, 1890-1940, Philadelphia PA 1983, p. 140 ein Foto ohne Jahr aus der Octavia Hill Association, das im Hintergrund eine Tafel mit der Auszeichnung der Organisation bei einer Ausstellung in Berlin zeigt und damit eine Verbindung nahelegt.

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4.1 Sozialreform

belegung von Wohnungen, der Räume ohne Licht und Luft, gibt einen Eindruck von den Ursachen der hohen Todesrate. Der persönliche Eindruck, den man für einen praktisch unbedarften, bisher nur theoretisch mit einer 'Wohnungsfrage' befaßten Universitätsabsolventen erwarten konnte, der aus gehobenen Verhältnissen vorher kaum mit solchen Lebensumständen in Kontakt gekommen war, ist durchaus hoch zu veranschlagen. Er verliehe Hegemanns Kolportage eine dichterische Wahrheit. Denn auffällig bleibt der Umstand, daß Hegemann für seine späteren hochlodernden Empörungen gegen die Mietskaserne nie eigene Anschauung als Beleg anführt. Er beschreibt 1911 nur die Meinungen Dritter über diese Wohnverhältnisse; literarischer Rückzug auf Autoritäten. Im Sinne jener factual generation wurden solche Emotionen in Datenmengen transformiert, wie sie Hegemann 1910 in den Bildern der Wohnungsaufnahme der Krankenkasse und Tafeln der Statistischen Ämter genügten. Auch 1913 würdigt er das Werk der Philadelphia Housing Commission gerade dadurch, daß er die Arbeit ihres Sekretärs Bernard J. Newman vorstellt als very thorough investigation of one of the blocks where 311 people are crowded on every acre in small houses and rear houses along horrible allies, the back yards filled with privy vaults and cesspools16. Diese Eindrücke eignen sich nicht für jenen Rausch an Empfindsamkeit, mit dem Hegemann bald darauf das Loblied der Parkanlagen verfaßt. Bedeutsam war, daß mit dieser Initiation zugleich auch eine Einführung in den Diskurs zur Abhilfe erfolgte, der sowohl Wahrnehmung, Erfassung wie Verfahren und Methoden betraf. Eine wichtige Voraussetzung dafür bildete das grundsätzlich andere akademische Selbstverständnis. Die amerikanische scientific community war gegenüber der deutschen von deutlich pragmatischerer Prägung. Statt der Zielvorstellung vom Staatsdiener erbte sie das Ethos einer Berufung zum public service, zur gemeinnützigen Arbeit. Mittels eines durch Staat und Kirche ungebundenen Protestantismus der brahmins war sie für einen Social Gospel und dem daraus folgenden social activism offen 17 . Für diese Initiation war gerade die Schwellensituation von Bedeutung. Amerikanische philanthropy, umfassend anerkannt und von hohem kulturellem Wert, befaßt sich mit allem Öffentlichen von der Förderung der Lesekultur bis zu sozialen Besserungsanstalten. Sie geht über die Bewegung der settlements, deren Gründerin und spätere Nobelpreisträgerin Jane Addams die moralische Verpflichtung einforderte, nicht nur nachbessernd, sondern fördernd tätig zu werden, zur Einrichtung von sozialen Institutionen über, die nicht nur von immer spezifischeren Aufgaben gezeichnet sind, sondern unter ökonomischen Bedingungen arbeiten und die Professionalisierung der Sozialberufe mit sich bringen. Deren Aufgaben werden langfristig in Verordnungen und Gesetzgebungen verankert und zum Teil auch von neuen kommunalen und staatlichen Instanzen ausgeführt. Damit wären Bausteine in Richtung Sozialreform für Hegemann bereitgelegt: die der 16

Homes and Parks April 15, 1913. Harry Liebersohn, The American Academic Community before the First World War. A Comparison with the German „Bildungsbürgertum", in: Conze/Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum ..., S. 163-185, bes. S. 180-183. In einer umfassenderen Untersuchung wäre die spezifische Ausformung in Philadelphia als Stadt der Quäker zu berücksichtigen. 17

103

4.2

Kontakte

nüchternen Untersuchung und der moralischen Überzeugungskraft, die man mittels eben der nüchternen Untersuchung gewinnen kann18.

4.2 New York Aus New York stammt das erste dokumentierte Interesse Hegemanns an kommunaler Wirtschaft und Planung. Er besuchte dort im Mai 1909 eine City Planning Exhibition, über die er einen Artikel verfaßte19, der im Herbst des Jahres in Theodor Goeckes „Städtebau" in Berlin erschien. Diese City Plan Exhibition veranstaltete die Municipal Art Society gemeinsam mit dem Committee on Congestion von New York. Sekretär des letzteren und damit Organisator der Ausstellung war Benjamin C. Marsh. Ihn kannte Hegemann wahrscheinlich persönlich, denn Marsh studierte von 1902 bis 1905 an der Graduate School der University of Pennsylvania bei Patten 20 . Marsh machte 1907 und 1908 Europareisen, um in England, Deutschland, Prankreich, der Schweiz und Belgien Material zu sammeln. Er hätte dabei auch mit Hegemann Kontakt aufnehmen und dessen Interesse an einem weiteren amerikanischen Studienaufenthalt angestiftet haben können. Marsh veröffentlichte im Mai 1909 eine Introduction to City Planning, angelegt als manual for actionists. Der Freund, Architekt und später einer der bekanntesten Planer, George B. Ford schrieb dazu ein Kapitel über die technischen Fragen. Marsh propagierte eine umfassende Planungspraxis nach dem Vorbild Frankfurt am Mains und nutzte diese Ausstellung propagandistisch für eine Reform der Grundsteuer als Mittel gegen Spekulation, womit er sich als Radikaler unbeliebt machte21. Hegemann kannte dieses 18 Der Uberhang an Faktizität täuscht - nicht zuletzt aufgrund seiner methodischen Unsicherheit - Hegemann über die Doppeldeutigkeit des Auftrags hinweg, weil die Abstraktion der Zahlen die Intentionen offenhält: richtet sich der moralische Appell darauf, das Elend aus Menschenfreundlichkeit lindern zu wollen, oder einen geordneten, gesunden Verband von Staatsbürgern schaffen zu wollen? Diese Offenheit wird strategisch und naiv erhalten werden; ein importiertes Kennzeichen der Progressive Era. 19 Calabi, Ambiguitä ..., p. 54 nimmt offenbar allein infolge des Artikels an, daß Hegemann auch an dieser Ausstellung mitgearbeitet habe. In dieser Folge Sutcliffe, Planned City ..., p. 174; das 6. Kapitel auch als Anthony Sutcliffe, Urban Planning in Europe and North America before 1914: International Aspects of a Prophetic Movement. In: Hans Jürgen Teuteberg (Hrsg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte (Städteforschung A 16), Köln-Wien 1983, S. 441-474, S. 452 f. 2 0 Benjamin C. Marsh, Lobbyist for the People. A Record of Fifty Years, Washington, D.C. 1953, p. 13 f., p. 27. In den Erinnerungen erscheint Hegemann nicht, jedoch widmete Marsh der frühen Arbeit nur wenig Raum und erwähnte auch den gemeinsamen Freund (?) Paul Kellogg nur beiläufig. Mel Scott, American City Planning since 1890. A History Commemorating the Fiftieth Anniversary of the American Institute of Planners, Los Angeles 1969, p. 83; Harvey S. Kantor, Benjamin C. Marsh and the Fight over Population Congestion. In: Journal of the American Institute of Planners [JAIP] 40 (1974), p. 422-429, p. 423 f. Siehe auch Richard Ε. Foglesong, Planning the Capitalist City: The Colonial Era to the 1920s, Princeton NJ 1986, p. 168-179. Auch Collins geht von einer persönlichen Verbindung der beiden aus. 2 1 Scott, City Planning ..., p. 92; Kantor, Marsh ..., p. 425 f. Vgl. die Kritik bei Charles Mulford Robinson, The City Plan Exhibition. In: Survey 22 (1909), p. 313-318, p. 314, 317 f. Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 183, vergleicht Marshs radikale ökonomische Forderungen mit der rüden Unterbrechung

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4.2 Stadtausstellung

Handbuch nachweislich, benutzte nicht nur 1910 eine populäre Graphik daraus, sondern zitierte wiederholt auch dessen Grundsatz: Eine Stadt ist nie schöner oder gesunder als ihre häßlichste und ungesundeste Mietskaserne.22 Die Ausstellung fand vom 3. bis 16. Mai in einer ehemaligen Exerzierhalle statt. Die beiden federführenden Gruppen beteiligten zahlreiche weitere Initativen. In dem provisorisch eingerichteten Raum zeigten sie an den Außenwänden vor allem Exponate der Municipal Art Society: Entwürfe und Fotografien von Straßenbeleuchtung, Schulraumausstattungen, Grünanlagen und Baumpflanzungen. In vier Gängen präsentierten sich die anderen Gruppen unter großen Schrifttafeln mit ihren Leitmotiven. Im ersten Gang zeigte das Board of Education Schulen und deren Raumnot; im zweiten das Committee on Congestion Karten und Diagramme von Grundbesitz und Steuern unter agitatorischen Leitsätzen wie Taxation Is Democracy 's Most Effective Method of Securing Social Justice. Im dritten Gang wurden Industrie und Produktionsbedingungen mit Ansichten und Karten von Verteilung und Dichte der Produktionsstätten, Krankheitsaufkommen und Uberbelegung ausgestellt sowie Bauordnungsforderungen formuliert. Der vierte Gang zeigte Exponate des Brooklyn Committee on Prevention of Tuberculosis, die unter Verwendung von Material des Pittsburgh Survey Zusammenhänge zwischen Mietausgaben und Ernährung zeigten23. An den Außenwänden fanden sich außerdem Planungsbeispiele amerikanischer und europäischer Städte, darunter Berlins kommunaler Grundbesitz und Flächenplanung, sowie englische Städtebauprojekte und Projekte für New Yorks Bahn- und Schiffsverkehr. Teile der Ausstellung reisten nach Washington, wo sie Ende Mai zur ersten National Conference on City Planning erneut gezeigt wurden. Hegemann traf damit auf eines der Ereignisse, die das Jahr 1909 zu einem Kulminationspunkt der amerikanischen Stadtplanungsgeschichte machten 24 . Die Bewegung erhielt mit der Zeitschrift „American City" ein erstes eigenes Publikationsorgan, in New York wurde diese erste große Planungsausstellung gezeigt, in Washington fand kurz darauf die erste National Conference on City Planning statt 25 , der Architekt Daniel H. Burnham veröffentlichte im Auftrag des City Clubs von Chicago einen der größten Umbaupläne für eine Großstadt, und Stadtplanung erhielt mit der ersten in Harvard gehaltenen Universitätsvorlesung einen Platz in der akademischen Ausbildung26. einer Teeparty von Ästheten. 22 S 114, 350; SB 179; Bauausstellung (1931) 821. 23 Robinson, City Plan Exhibition ..., p. 313-318. 24 Auch schon als zeitgenössischer Eindruck bei Robinson, City Plan Exhibition ..., p. 313. 25 Collins geht - ohne allerdings Belege zu bieten - davon aus, daß Hegemann an dieser Veranstaltung teilgenommen hat, gar, daß ihn dies nach Boston gebracht habe. Collins, Formative Years ..., p. 4; vgl. auch Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 118. 26 Siehe Scott, City Planning ..., p. 83-93. Es fehlt hier offenbar immer noch an einer Darstellung, die die Vielfalt und divergierenden Impulse dieser Entwicklung würdigt. Nationalgeschichtlich: John W. Reps, The Making of Urban America. A History of City Planning in the United States, Princeton, N.J. 1965, auch die Arbeiten Blake McKelveys; ästhetische Aspekte: George R. Collins/Christiane Crasemann Collins, Camillo Sitte and the Birth of Modern City Planning. Rev. ed., New York 1986; standesgeschichtlich: Scott, City Planning ...; auch Donald Krueckeberg und Eugenie Ladner Birch; so-

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4.2 Planungsbewegung

Diese Anfangsphase erhielt nach ihren Vorbildern neoklassizistischer Architektur unter Einfluß der Pariser Ecole des Beaux-Arts den Namen der City Beautiful Bewegung. Sie zentrierte sich durch die große Architektur der World's Columbian Exposition von 1893 in Chicago unter architektonischer Leitung Burnhams, die von Millionen Amerikanern besucht wurde, und den seit 1902 wiederbelebten Plänen für Washington, die die McMillan Commission nach den Vorgaben des Planers Pierre L'Enfant verfolgte, auf diese Vorbilder 27 . Dennoch reicht ihr Ertrag bereits mit den Veranstaltungen des Jahres 1909 darüber hinaus. Er entstand aus durchaus verschiedenen Bewegungen, die sich unter diesem Namen um die Jahrhundert formierten 28 . Ihre Wurzeln lassen sich zu drei Vorläufern und mit diesen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Die Bestrebungen um outdoor art and landscaping, municipal art und civic improvement, die sich in unzähligen kleinen, privaten Vereinen organisierten, fanden in dem Journalisten und späteren ersten Lehrstuhlinhaber für Civic Design, Charles Mulford Robinson, einen landesweiten Sprecher, der über die partielle Verschönerung von Stadtbild und Privatbesitz hinaus nun auch den Entwurf eines Stadtentwicklungsplans als Expertenarbeit zum Ziel setzte. Wie der erste Jahrgang der „American City" mit seinem Nebeneinander vom Design der Laternenpfosten, Aufgaben der Frauenvereine, philanthropischer Wohnreform und monumentalem Stadtumbau bezeugen ebenso die diversen Gruppen, die jene New Yorker Ausstellung gemeinsam beschickten, die Integrationsfähigkeit dieser Impulse. Deren Impetus ließ sich mit einem optimistischen Sozialreformertum vereinigen. Hegemann nannte diese Aktivisten 1909 die Vertreter der sozialen Renaissance in Amerika. Gerade in New York ging das Engagement kirchennaher und radikaldemokratischer Bürger auf das in der Folge von Jakob Riis entdeckte Elend zurück und führte unter der Leitung von Lawrence Veiller, dem Gründer der National Housing Association, zu einer erfolgreichen Kampagne für die Reform der Miethausgesetzgebung von 190129. Auf die verzögerte Durchsetzung jenes „New Law" nahm auch Hegemann in seinem Artikel Bezug. Im Winter 1907 wurde in New York ein Committee on Congestion of Population gegründet, das im folgenden Jahr bereits seine erste Ausstellung über Wohnwie die instruktive Übersicht Lawrence C. Gerkens, Historical Development of American City Planning. In: Prank S. So/Judith Getzels, ed., The Practice of Local Government Planning (Municipal management series). 2. ed., Washington DC 1988, p. 20-59, führt auch die juristischen Vorbedingungen der Expansion an. 27 Dazu am ausführlichsten Norman T. Newton, Design on the Land. The Development of Landscape Architecture, Cambridge MA 1971, p. 353-371, 400-412. 28 Jon A. Peterson, The City Beautiful Movement. Forgotten Origins and Lost Meanings, in: Donald A. Krueckeberg, ed., Introduction to Planning History in the United States. New Brunswick NJ 1983, p. 40-57. William H. Wilson, The City Beautiful Movement. Baltimore-London 1989, p. 297 ff.; und William H. Wilson, The Ideology, Aesthetics and Politics of the City Beautiful Movement. In: Anthony Sutcliffe, ed., The Rise of Modern Urban Planning (Studies in History, Planning and the Environment). London 1980, p. 165-198. 29 Siehe dazu auch Peter Hall, Cities of Tomorrow. An Intellectual History of Urban Planning and Design in the Twentieth Century, Oxford-New York 1988, p. 37-41 und Rodgers, Atlantic Crossings..., p. 181 if.

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4.2

Zahlenfaszination

und Hygienebedingungen der Stadt und ihre Vorbilder präsentierte: die europäischen, besonders deutschen Großstädte mit eigenem Grundbesitz, Planwerken und Verkehr. Entscheidenden Auftrieb erhielt diese Bewegung aus den Veröffentlichungen des Pittsburgh Survey 1908, der ersten umfassenden soziologischen Untersuchung städtischer Lebensbedingungen, dessen Ergebnisse die Öffentlichkeit aufrüttelten und den sozialen Impetus der Bewegung stärkten 30 . Über Hegemanns Bericht von der New Yorker Ausstellung 1909 liegt jedoch statt des späteren sozialen Pathos eine Faszination der Zahlen, die über eine Großstadt Auskunft geben. Diese Faszination fügt sich vielmehr zu seinen Studieninteressen. So gilt auch seine Indignation hier der ineffizienten und als zynisch empfundenen Organisation der Großstadt. Dabei kennt er sehr wohl die Herkunft der Bewegungen. Als städtische Verschönerung per Laternenmasten erfüllt sie ihn mit gewissem Spott, mit Bedauern aber, daß die vorige Ausstellung gegen Tuberkulose mehr Zulauf fand als die jetzige. Dabei sieht er die Metropolen, besonders Berlin und New York, einander Mut machen wie zwei zaghafte Riesen vor dem Drachenkampfe. Hegemann rezipiert jedoch Zahlen. Sie geben vielsagende Auskünfte über städtische Ausgaben für Parks, Schulen, Wohlfahrt, über Grundsteuereinkünfte, Bevölkerungsund Bebauungsdichten, Einkommen und Sterblichkeit. Sie bezeugen ihm weniger soziales Elend denn eine spezifische Organisation der Kommunalwirtschaft. Er begreift hier Stadt als von wirtschaftlichen Mechanismen bedingten Organismus. Verschiedene Strategien sollen den umformen: kommunale Landbevorratung statt teuren Aufkaufs, progressive Besteuerung privaten Grundbesitzes zur Teilhabe an Wertsteigerungen, Interventions- und Enteignungsrechte nach Londoner Vorbild, die dem Durchschnittsamerikaner noch unerhört, beinahe sozialistisch und verfassungswidrig erscheinen, Nutzungsplanung zur Bauhöhen- und Baudichtebegrenzung und Verhinderung absurder Bodenpreise wie immenser Baumassen. Daher vermag Hegemanns Blick den prominentesten Vorschlägen der Ausstellung zu folgen. Nur so erhält er Einblick in soziologische Strukturen dieses Geflechts. Die extreme Produktionsdichte einiger Viertel Manhattans wird durch die nahen Arbeitskräfte aus den Armenquartieren profitabel, die weder andernorts wohnen noch arbeiten können, jede Wohnbedingung akzeptieren und noch durch Heimarbeit finanzieren müssen. Dieses für Hegemann ekelerregendste Schauspiel, das einen optimistischen Weltbetrachter auf die Probe stellen kann, verweist auf jenen Initationsschock zurück, der in den Slums von Philadelphia einsetzte und von diesen Lebensbedingungen eher noch übertroffen wird. Sein Befremden gilt dabei absurden Effekten wie den 175 Millionen, die bei der Bebauung in der größtzulässigen Dichte untergebracht werden können 31 , Steuerwerten von 3,4 Mio. Mark pro Hektar oder der Konzentration von 12 % der Fabriken mit 12 % der 30

Scott, City Planning ..., p. 83-93. Hegemann kannte die Untersuchung wie das Publikationsorgan, den „Survey", vormals „Charities and the Commons", als führendes Organ der Sozialreformer unter Paul U. Kellogg seit 1912; er erwähnte es 1913 als „verdienstvoll"; S 354. 31 Vorbild des später oft wiederholten Wortes von der 'Bevölkerung Chinas, die in New York Platz finde', hier noch die der Staaten, Englands und Deutschlands.

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4.2 Vorbild

Arbeiter auf nur 1,3% der Stadtfläche Manhattans. Hegemann zitiert in seinem Bericht im Sinne jener Faktizität umfangreich aus dem Zahlenmaterial der Ausstellung. Schließlich erscheint ihm der Zusammenhang von Willigkeit und Bedürftigkeit der Bewohner, ihrer Heimarbeit, Krankheit und hoher Sterblichkeit zynisch, weil die Zahlen durch steten Zuzug von Immigranten geschönt und die Quartiere allein durch deren Zustrom funktionsfähig bleiben. Aber er setzt hier mit den Kommittees - und der Zielgruppe seines Artikels - ganz auf die Rationale. Er erwartet als das einzig Hoffnungsvolle in diesem schwarzen Bilde ..., daß die Grundbesitzer schließlich selber zu ihrem eigenen Vorteil einen städtischen Bebauungsplan fördern müssen32. Nur ihre Interessen hätten bisher, wie in Buffalo, Cincinnati und Cleveland, einen Bebauungsplan initiiert und: Die Lage der unteren Klassen ist bisher noch wenig davon berührt worden. Trotz dieser klaren Sicht überwiegt die Erwartung, daß Effizienz überzeugende Lösungen antreiben, etwa systematische Kanalisierung oder differenzierte Transportsysteme durchsetzen und schließlich Wohlfahrtsausgaben sparen werde. Im Gegensatz zu der angenommenen Initiationserfahrung appelliert diese Aufbereitung an das Spezialwissen des Interessierten und wird zu deren Ergänzung 33 . Über diese Aufbereitung erfährt Hegemann Stadt als national- und kommunalwirtschaftlich bedingten Komplex, logisch-rationaler Interpretation und Verbesserung und simplizistischoptimistischen Konzepten zugänglich. Dabei besuchte Hegemann die New Yorker Ausstellung offenbar gemeinsam mit seinem Onkel Otto March. March soll im Jahr 1909 eine Reise in die Vereinigten Staaten von Amerika unternommen haben und dabei im Mai die Ausstellung in New York besichtigt haben 34 . In seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Architektenausschüsse hatte March in einer Rede anläßlich des Städtebauwettbewerbs in Berlin bereits die Überlegung ausgesprochen, daß der Wettbewerb ein „Gesamtbild der Lage der Stadt" gebe. Daher muß die Städtebau-Ausstellung in New York March die Idee eingegeben haben, die Wettbewerbsergebnisse in ähnlicher Weise nutzbar zu machen: Schon im Juni 1909 lassen sich erste Schritte zur Vorbereitung einer Berliner Ausstellung nachweisen. 32

Ausstellung New York (1909) 146. Vgl. die abweichende Bewertung bei Collins, Formative Years ..., p. 5, die über einen Kommentar von 1913 auf die Bildungsziele und Collins, City Planning Exhibition ..., p. 117 f. mehr noch auf die demokratischen Ziele abhebt, eine lineare Motivation des Helden unterstellend. 34 Persönliche Mitteilung von Günther Kühne, Berlin, vom 1. Dezember 1990, der davon ausging, daß Otto March auch die Bostoner Ausstellung gesehen habe. March war jedoch im Juni 1909 schon zurück in Berlin. - In den Briefen von March an Muthesius im Werkbund-Archiv findet sich 1904 nur die Marginalie „dieses Jahr wieder nichts mit Amerika!", aber kein konkreter Hinweis auf eine geplante oder gemachte Reise. Bei einem solch langgehegten Vorhaben hätte sich angeboten, die Gelegenheit der Führung durch den Neffen wahrzunehmen. - Nach einer Mitteilung von Dr. Thomas Schmidt, Berlin, vom 8. Januar 1991, erwähnte Werner March in den sechziger Jahren in einen Interview das Vorhaben, ein mehrbändiges Werk über seinen Vater zu schreiben. Ein Nachlaß Werner Marchs, in dem etwaige Vorarbeiten zu erwarten wären, existiert nach Schreiben von Wolfgang March, Berlin, vom 17. November 1990, nicht mehr (der zeichnerische in der Plansammlung der TU Berlin). Daher muß auch der seines Vaters als wahrscheinlicher Bestandteil dessen als verloren gelten. 33

108

4.2

Vermittlung

Da offenbar eine Liste von Hegemanns Hand existiert, in der er die Präsentation der Stücke in New York kritisiert, haben beide Besucher die Ausstellung schon unter diesem Aspekt betrachtet. Hegemann war also in die Pläne Marchs eingeweiht, wenn er nicht gar einen entscheidenden Anteil an deren Anstiftung hatte 35 . Die systematische Betrachtung - somit auch der Artikel Hegemanns - galt der Absicht, Vorstellungen und Konzepte für eine vergleichbare Veranstaltung in Berlin zu entwickeln. Hegemanns Kritik ähnelte offenbar der Charles M. Robinsons, der die Ausstellung als epoch-marking bezeichnete 36 , jedoch aus pädagogischen Gründen die agitatorischen Leitmotive ablehnte, weil sie den Besucher entgegen der großen erzieherischen Leistung unverdient in die Defensive treibe. Begleitumstände wie Programmpunkte lassen sich später in Berlin wiedererkennen. Das Ausstellungskommittee repräsentiert die beteiligten Gruppen 37 , zahlreiche Zeitungsartikel und ein umfangreiches Angebot von Vorträgen und Fachreferaten begleiten die Ausstellung 38 . Ein vorbereitender Artikel der „New York Times" bringt gerade den Optimismus ob der Stadt als Menschenwerk zum Ausdruck, das ebenso gut richtig getan werden könne - dessen Echo dann auch in Hegemanns Artikeln zu finden sein wird 39 . Der Zuschnitt seiner Präsentation ist jedoch eine unabhängige Eigenleistung. Die Perzeption der Stadtgestalt als Funktion wirtschaftlicher Bedingungen geht über das Anliegen der Berliner Initiatoren weit hinaus. Sie hatten in den Vorgaben der Architektenvereine für den Wettbewerb auf das Vorbild der Pläne der McMillan Commission für Washington rekurriert. Die amerikanische Initiative gehörte somit zur selbstgewählten Vergleichsgruppe, allerdings in ihrer amtlichen Erscheinung, und Hegemann stellt diesen Bezug auch ausdrücklich her 4 0 . Doch die propagandistische Verve, mit der die weiteren Gruppen ihre Ziele vertraten, würde ein deutsches, auf staatliche Regelung des Fortschritts bedachtes Publikum irritiert haben. Die Faktizität von Hegemanns Bericht ist demzufolge auch eine Nivellierung zugunsten des hiesigen Anliegens. Er nimmt seine Perspektive bereits im Sinne der präsumtiven Berliner Veranstalter ein, die sich unmerklich als Ersatz staatlicher Regulierer durch Expertenleistung präsentieren wollen. Die Darstellung ungeregelter Kommunalbefug35 Nicht also studierte Hegemann die amerikanischen Veranstaltungen zum Zwecke der Berliner, so Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 117, 118, sondern die Sichtung regte die Übertragung an (Die Düsseldorfer Ausstellung war zum Erscheinungszeitpunkt von Hegemanns Artikel über New York noch nicht einmal geplant.). 36 Robinson, City Plan Exhibition ..., p. 318, 314 ff. 37 Darunter etwa der Verbraucherschutz, aber auch der Präsident des City College, Mäzene wie Henry Morgenthau, neben Marsh der spätere Herausgeber des „Survey" Paul Kellogg, Sozialarbeiterinnen, darunter Mary K. Simkhovitch, spätere Präsidentin der National Housing Conference, sowie der Architekt Henry C. Wright, später Hegemanns Kollege. NYT February 7, 1909, 1, p. 5. 38 Etwa Frank Miles Day über Washington und andere Städte, Hegemanns späterer Gönner Edward A. Filene über Handel und Planung, Henry Morgenthau zur Uberbelegung; Podiumsdiskussionen; siehe NYT May 2, 1909, 1, p. 4 f; May 3, p. 5; May 4, p. 18; May 14, p. 7; May 16, p. 3. 39 NYT May 2, 1909, p. 10; February 21, 5, p. 5; hier wie auch bei Robinson, City Plan Exhibition ..., p. 318, die europäischen Städte als Vorbilder herausgestellt. 40 Ausstellung New York (1909) 127.

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4.2 Anstoß

nisse ist diesem Vorhaben kongenial. So kann Hegemanns meistgebrauchtes Beispiel durchaus als Zeichen dieser Intentionsüberlagerungen angesehen werden: der Vergleich der 340 Hektar für den Central Park und der 4 Hektar weiteren Parklands, die New York im Abstand von fünfzig Jahren für denselben Betrag von jeweils $ 5 Mio. ankaufen konnte. So fällt Hegemanns Bericht mit seiner volkswirtschaftlichen Auffassung wie dem Zahlenmaterial aus dem Rahmen der zu dieser Zeit von Theodor Goecke noch ganz im Sinne der Schönen Künste betriebenen Zeitschrift „Städtebau" heraus. Mit der Darstellung der größeren kommunalen Widrigkeiten und der europäischen Vorbildfunktion spornt Hegemann jedoch den Eifer an. Ebenso setzte er gegen die belächelten „so vielfach eigenmächtig" sich bildenden amerikanischen Kommittees die deutschen Architektenhonoratioren ab und schwor so das Publikum geschickt auf eine Zustimmung zu den Plänen der besten Fachleute ein. Dem 1931 in der Königslegende behaupteten großen Eindruck, den die New Yorker Ausstellung Hegemann machte, kommt somit eine dichterische Wahrheit zu 41 . Der moralische Impetus des Initiationsschocks konnte sich hier mit theoretischem Wissen der Studienzeit, überzeugender Logik und plastischem Ausdruck verbinden. Zu den Bausteinen für Sozialreform von Untersuchung und Uberzeugung kommen Bausteine für Stadtreform. Die Aufdeckung eines Wirkungsgeflechts zwischen Boden, Bauordnung, Wirtschafts- und Lebensweise läßt Sozialreform von städtischer Seite zugänglich erscheinen und macht sie so vernünftig wie dringlich. Die faktizistische Perzeption bedeutete eine weitreichende Offenheit für programmatische Anschlüsse, die zwischen gesundheitspolitisch-menschenfreundlichen und ästhetisch-kommerziellen Ordnungen der Stadt ebenso oszillieren wie zwischen sozialemanzipatorischen und paternalistischen Intentionen. Die Verflechtung der Eindrücke mit einem konkreten Vorhaben, das seinen Lebenslauf beeinflussen würde, machen im Nachhinein dieses Bild plausibel. Mit ihrem Plan hatten March und Hegemann offensichtlich gleichfalls konkrete Vorstellungen einer Beteiligung Hegemanns daran verbunden. Sie bestimmten seinen weiteren Aufenthalt in den USA.

4.3 B o s t o n Hegemanns Angabe aus seiner Königslegende, darauf Leiter der ersten Internationalen Städtebau-Ausstellung in Boston 1909 geworden zu sein, ist allein der eigenen Legendenbildung zuzuschreiben. Erneut von effektvoller Wirkung, reichte sie bis zu Hermann 41 Hegemann (er-)findet 1931 eine weitere Erklärung dazu: Die [New Yorker] Ausstellung machte auf mich einen so großen Eindruck, daß ich Berichte darüber für einflußreiche Freunde und Zeitschriften in Deutschland und Amerika verfaßte. Das Ergebnis war, daß ich kurz hintereinander mit der Organisation umfassenderer Städtebau-Ausstellungen in Boston und Berlin betraut wurde. Bauausstellung (1931) 821. Diese Beugung in eine meritokratische Entwicklung - weitere Artikel konnten bisher nicht nachgewiesen werden; jedoch auch bei George B. Ford, City Planning Exhibition in Berlin. In: American City 3 (1910), p. 120-124, p. 120 genannt (auf Information Hegemanns? Hegemanns einzige weitere Nennung S 308, Anm. 420.) - soll die Protektion verdecken. Mehr als der Uberzeugung Marchs und seines Einsatzes bedurfte es für eine Stellung in der Berliner Ausstellung nicht.

110

4.3.1

Rundgang

Kestens Phantom „der ersten Weltausstellung für Städtebau in San Francisco zur Jahrhundertwende" 42 . Die Ausstellung wurde in Deutschland gar nicht, in den Vereinigten Staaten nur von wenigen Zeitschriften und Magazinen rezipiert 43 . Auch die Fachzeitschriften beachteten sie kaum 44 . Erst der Rückgriff auf die Tageszeitung „Boston Daily Globe" enthüllt den Grund dafür: Diese Ausstellung war weder eine internationale noch eine StädtebauAusstellung, sondern eine Städteschau und Werbung für das Ziel, Boston bis 1915 zu einer Musterstadt zu machen 45 . Selbst in diesem Blatt wird der eben eröffneten Neuen Oper mehr Berichterstattung zugestanden als der Boston-1915 Exposition46. 4.3.1 Ausstellung Die Ausstellung fand im vormaligen Kunstmuseum am Copley Square (Bild 97, links das Museum) statt und wurde vom 1. bis 27. November, wegen ihres Erfolges dann zwei Wochen länger gezeigt. Große Anzeigen stellten die Attraktionen vor - Flugzeuge, Filmvorführungen, Marionettentheater, Damenorchester (Bild 17) - und nannten eher am Rande ihre Themen - Modelle der Stadt, Exponate über Chicago, Wohnungsfragen, Schulen, Untergrundbahnen und Vorträge 47 . 42 Kesten, Hegemann ..., S. 91. - SB 450, auch Kiepenheuer (1930) 48 und der akademische Lebenslauf von 1930; auch wieder bei Rasmussen. Die Bezeichnung „international" sonst nur, wo Berliner und Düsseldorfer mitbezeichnet (Anshen, Kratzsch, auch Hinrichs); die „erste" Städtebauausstellung in amerikanischen Nachrufen (NYT, Architectural Record, Architectural Forum, Architecture). Dies beweist das kurze Gedächtnis der Disziplin, das nur bis 1915 reichte, als Frederic C. Howe Hegemann einigermaßen korrekt als Director of the Division of City-Planning of the Boston Exhibit of 1909 einführte. Zeitgenössische Darstellungen bezeichnen Bostoner und Berliner gemeinsam als erste und gestehen Hegemann die Leitung zu (TLK, WLB, Dressler, nachfolgend variiert). 43 Everett Β. Mero, An Exposition T h a t Mirrors a City. In: American City 1 (1909), p. 95-106; Paul U. Kellogg, Boston's Level Best. In: Survey 22 (1909), p. 382-396; Paul U. Kellogg, The 1915 Boston Exposition. In: Survey 23 (1909), p. 328-334. Siehe außerdem ohne Bezug auf die Ausstellung Frank Chouteau Brown, Civic Improvement in Boston, Present and Future. In: Craftsman 19 (1911), p. 273-283. 44 Im Reader's Guide to Periodical Literature. An Author and Subject Index, Cumulated Volumes [RGPL], vol. 1 (1900/04) ff., New York 1905 ff., vol. 2 (1905/09) und 3 (1910/14) keine Nachweise. Autopsie erbrachte zwei knappe Erwähnungen in der Rubrik Notes L· Comments in Architectural Record 26 (1909), p. 305; 27 (1910), p. 126. - Gespiegelt noch in der beschönigenden Mitteilung Collins, Formative Years ..., p. 4: Unfortunately, not very much is known about the event ... Obwohl Collins inzwischen den Katalog bearbeitete - der Unterschied zwischen der deutschen und der englischen Fassung des Aufsatzes über die „Lehr- und Wanderjahre" wurde er kaum ausgewertet. Die Aufwertung der Ausstellung erfolgt hier über eine Ankündigung des „Survey", dort über ein anonymes Zitat von der 1. NCCP (das dann für Hegemann relevant erklärt wird); Collins, City Planning Exhibitions ...,

p. 1 2 0 . 45 Der Niederschlag, den diese Ausstellung durch Hegemanns Prägung in der Forschung gefunden hat, ist damit hinfällig; Beispiel: Giorgio Piccinato, Städtebau in Deutschland 1871-1914 [it. 1977], Genese einer wissenschaftlichen Disziplin (Bauwelt Fundamente 62), Braunschweig-Wiesbaden 1983, S. 48. 46 Boston Daily Globe November 16, 1909, p. 8; eine Viertelspalte Vortragskritiken zur Ausstellung, zweieinhalb Spalten über die Oper, allein eineinhalb Last Night's Opera Costumes ... Much Costly Lace Displayed. 47 Boston Daily Globe October 31, 1909, p. 11; November 7, 1909, p. 31. Eintrittskarten für Erwach-

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4.3.1 Organisation

Der Rundgang durch die Ausstellung begann mit den großformatigen Bildern Jules Guerins (Bild 19) von den Projekten für Chicago. Denen folgten die Exponate von Städtebauprojekten in Cleveland, Washington, Philadelphia, weiteren amerikanischen und auch deutschen Städten, darauf die Selbstdarstellung kleiner Projekte und Vereine aus Vierteln und Vorstädten Bostons. Der fünfte Raum war den Gewerkschaften, der sechste den Versicherungen gewidmet, die union shops den sweat shops gegenüberstellten und für ihre Versorgungsleistungen warben. Im nächsten Raum stellte sich der Boston Architectural Club mit Kirchenarchitektur und neueren Arbeiten der Mitglieder vor 48 . Raum sieben und acht zeigten unter anderem Mietskasernen im Norden der Stadt, dazu zahlreiche Modelle für Arbeiterwohnhäuser aus England und Amerika; ferner warben diverse Gesundheitsinstitute für Vorsorge; die Metropolitan Park Commission zeigte ihre Anlagen am Ufer des Charles River, Parks der Vororte und das Werk Frederick Law Olmsteds Sr. Einen eigenen Raum nahm das große Modell (Bild 29) der Pennsylvania Railroad vom unterirdischen Bahnhof in New York mit der Unterquerung des Hudson ein. Das Boston Chamber of Commerce stellte historische Ansichten von Stadt und Hafen sowie Gewerbegraphiken aus; daneben unterhielt Boston-1915 sein Informationsbüro. Gemeinsam zeigten die verschiedenen Kirchen ihre Arbeit; Pfadfinder, Jugend-, Frauenvereine, Kinderschutzbünde, Bildungsinstitutionen und weitere Vereine erhielten Raum zur Selbstdarstellung49. Die Boston-1915 Exposition vom November 1909, die den Engel 'Fortschritt' als Signum führte (Bild 13), war für die dahinter stehende Bewegung Werbekampagne, Geldquelle und Selbstzweck zugleich. Ein Direktorenausschuß bestellte einen experienced exposition manager, behielt aber in den drei Monaten Vorbereitungszeit selbst die Federführung 50 . Für das Advisory Committee gewann er Koryphäen wie den Architekten J. Randolph Coolidge, die Landschaftsarchitekten Arthur A. Shurtleff und Frederick Law Olmsted Jr. und den Soziologieprofessor und ehemaligen Präsidenten der American League for Civic Improvement, Charles Zueblin. Unter der Leitung des Managers stand das Exhibit Committee, das gleichzeitig dem beratenden Ausschuß angehörte. Seine drei Mitglieder waren jeweils für einen der drei Bereiche des Ausstellungskonzepts zuständig: C. Bertrand Thompson, Chairman (Civic, Educational and Philanthropic Organizations) Werner Hegemann (Visible City) Myron C. Leckner (Economic Organizations)51. Thompson hatte soeben in Harvard den Master of Arts abgelegt, über Leckner ist nichts bekannt. Das Studium wurde hier sene 25c, Kinder 15c; zum Vergleich kosteten jene für Isadora Duncan in der Symphony Hall $ 1 bis 2. 48 Laut Kellogg, 1915 Boston Exposition ..., p. 332 schlossen sich Boston Society of Architects und Boston Architectural Club als reputed rivals dafür zusammen: die Etablierung des Expertenwesens. 49 Dank der Bostonian Society, Boston MA, konnte 1989 der Ausstellungskatalog nachgewiesen werden: „1915" Boston Exposition. Official Catalogue and the Boston-1915 Year Book, Boston n.d. [1909], p. 19-61. - Die Tageszeitung, die diesen Rundgang zur Eröffnung vorstellte, plädierte sogleich für eine dauerhafte Einrichtung dieser Ausstellung; Boston Daily Globe November 1, 1909, p. 1, 7. 50 Kellogg, Boston Exposition ..., p. 330; Mero, Exposition ..., p. 95. 51 „1915" Boston Exposition..., p. VI.

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4.3.1 Anteil?

als Ausbildung zu methodischem und wissenschaftlichem Arbeiten generell verstanden, das als universell einsetzbar galt 52 . Die Tätigkeit nach diesen Maßgaben war eine Assistenz und praktisch-organisatorische in der Beschaffung und Aufbereitung von Ausstellungsstücken. Für diese hatte Hegemann bei einer Bewerbung, nicht zuletzt aufgrund seiner vielversprechenden Verbindungen nach Berlin, gute Chancen gehabt. Brachte er neben seinem Studium noch sein Interesse an Wohnungsreform und neuerdings am Städtebau zur Geltung, hatte man ihm daher den Bereich Visible City übertragen. Er gehörte damit auch dem City Planning Committee an, das laut Katalog City Plan, Streets, Parks, Harbor, Docks, Transportation, Housing, Public Buildings behandelte und damit vermutlich Vorgaben zu den Exponaten machte. Unter Vorsitz von Lewis C. Newhall bildeten diesen Ausschuß die Architekten Robert P. Bellows und Ralph A. Cram - Schüler der Pariser Ecole des Beaux-Arts - , der Journalist und Sekretär der Metropolitan Improvement Commission Sylvester Baxter, die Landschaftsarchitekten Herbert J. Kellaway und Shurtleff sowie der Philanthrop Philip Cabot. Die Arbeit des beratenden Komitees für die Gestaltung des Ausstellungsbereiches Visible City ist nur an den Ergebnissen zu erkennen und damit Hegemanns Anteil nicht auszumachen. Collins erwähnt ein six-page typewritten memo by Werner Hegemann, „Plans for City Planning Expositions " aus dem Nachlaß Hegemanns, das sich mit dem Arrangement der Ausstellungsstücke in New York befaßt und nach ihrer Ansicht einen Vorschlag für die Bostoner Ausstellung darstellt 53 . Außerdem erhalten sei ein Expose vom 9. September 1909 mit dem Titel 1915 Boston Exposition. Public Buildings. Division I of Department I, The Visible City, wahrscheinlich unvollständig. Das Schriftstück listet Architekturtypen und Gebäude auf, mehrheitlich in Boston, und ist vom Kopf der Bewegung, Edward A. Filene am 13. September zustimmend abgezeichnet worden; ferner ein Memorandum „Plans for City Planning Exhibitions" mit Vorschlägen für eine wirkungsvolle Präsentation der Objekte 54 . Dessen referierte Vorschläge - Vergleiche in einem strukturierten Aufbau zu bieten und sämtliche kommunalen und sozialen Belange einzubeziehen - sind in Berlin keineswegs und in Boston allenfalls im zweiten Punkt verwirklicht worden. Hegemann mußte sich offenbar mit einem Vorschlagsrecht begnügen, dessen Umsetzungen von der Gegenzeichnung des Ausschusses oder eines Direktors abhängig war. Weil darüber hinaus the essential features of the city planning exhibit that has been shown in New York and Washington55 ebenfalls in den Ausstellungsplan integriert werden mußten, ist ein Anteil Hegemanns nicht festzustellen 56 . 52 Nach Constance Κ. Burns, The Irony of Progressive Reform: Boston 1898-1910. In: Ronald Formisano/Constance K. Burns, ed., Boston 1700-1980. The Evolution of Urban Politics, Westport CT 1984, p. 133-164, p. 146, setzte schon die Good Government Association systematisch Studenten und junge Absolventen im Stab ein. 53 Collins, Discipline ..., p. 14, 30; p. 28. 54 Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 120 f. 55 Mero, Exposition ..., p. 96, auch Architectural Record 26 (1909), p. 305. 56 Nach Einsicht in den Katalog muß auch Collins, Formative Years ..., p. 5, Hegemann Leitungseinspruch als somewhat exaggerated ansehen; allerdings Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 120, bereits wieder zu arguable beschönigt. Daß Hegemann zeitlebens diesen Anspruch aufrechterhalten konnte, den er wie Collins zutreffend anmerkt, stets mit Stolz vortrug, ist in der typischen, von Sut-

113

4.3.1

Planvorstellungen

Daß somit die Stadtplanung eine durchaus untergeordnete Stellung einnahm, bestätigen auch die Themen der Vorträge. Staatsbürgerliche und finanzpolitische sowie Wirtschaftsförderung spiegeln angrenzende Belange. Zur Stadtplanung gab es lediglich Bildvorträge über Gartenstädte und Parks, den Vortrag Benjamin C. Marshs über The Economic Causes of Congestion of Population und die Eröffnungsansprache Daniel Η. Burnhams. Nur im Katalog zur Ausstellung werden planerische Fragen mit den Themen City Planning, Public Buildings, Housing, Transport, Parks and Playgrounds in einführenden Referaten behandelt. Frederick L. Olmsted Jr. erklärt, What City Planning Means57. Er wirbt für Planung als Regulierung zur Einsparung und Gewinnsicherung. Effizienz heißt das Leitbild, das durch Logik auch Bauherren überzeugt und nebenbei ein imposantes Stadtbild erzeugt. Im selben Sinne behandelt Robert P. Bellows Public Buildings nur aus ästhetischer Sicht als sich auszahlende Statusobjekte einer Stadt 58 . Diese Argumente sind ganz auf den Chicago-Plan abgestellt, gegen den das Modell des Metropolitan Districts von Boston als Studienobjekt für Bebauungspläne ins Hintertreffen gerät. Die 59 Gemälde Guerins mit ihrer paradoxen Überblendung unerreichter Vergangenheit und möglicher Zukunft59 zielen auf die Emotionen des Publikums. Für den Plan wird aber mit effektvollen Kalkulationen geworben60 und so romantische Sehnsüchte mit nüchternem Kalkül verschnitten - so etwa auch in venezianisch anmutenden Erscheinungen eines innerstädtischen Ausbaus von Wasserfrachtwegen (Bild 16) zu erkennen. Neben diesem überragenden Vorbild können nur Washingtons und Clevelands Großprojekte bestehen. Auswärtige Beispiele wurden nur aus Deutschland gezeigt61: An cliffe definierten Konstellation begründet: der Anspruch hebt Professionalität und Prestige, während das Publikum nicht in der Lage ist, ihn zu kontrollieren. 5 7 „1915" Boston Exposition ..., p. 19 f. 5 8 Diese Abteilung wurde vom Architectural Club betreut, der einen eigenen Katalog herausgab, hier nur die Hauptgruppen gelistet: The working city (commercial). The learning city (educational). The devotional city (religious). The executive city (civic buildings). Domestic work. „1915" Boston Exposition ..., p. 24. Das hätte Hegemanns Arbeitsfeld weiter verkleinert. 5 9 Scott, City Planning ..., p. 107. 6 0 Das auftraggebende Chamber of Commerce von Chicago wird als an association of cool-headed business men bezeichnet, das $80.000 für ihn ausgegeben habe. Wenn die Durchführung über 35 Jahre $ 7,5 Mio. kostet, ist das eine Ersparnis, da die Stadt in den letzten 25 Jahren jährlich $ 9 Mio. für Nachbesserungen aufwenden mußte; das ist effizient - und selbstverständlich unmöglich. Der Optimismus läßt also auch rein mathematische Widersprüche vergessen. 6 1 Prankfurt/Main, Düsseldorf, Köln, München, Ulm, Wien, Berlin; Leihgeber werden nicht genannt. Die Ausstellungsobjekte müssen dem Fundus eines Sammlers entstammen (Filene? Baxter? Marsh?), weitere aus dem Social Museum of Harvard University; „1915" Boston Exposition ..., p. 21, 27. Daß Hegemann so das Museum als Leihgeber schätzte, Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 122 f., kann nicht verwundern, stellte es doch im folgenden Jahr in Berlin 100 Blatt Photographien zur Darstellung amerikanischer Wohlfahrtsbestrebungen auf dem Gebiete des Wohnungswesens aus. Der von Collins unterstellte Zusammenhang, daß Sozialmuseen eine Keimzelle der Stadtplanung seien, wird mit Wertungen - hier etwa Le Corbusiers und James Fords - suggeriert, nicht aber mit Zahlen belegt. 114

4.3.1 Klammer

diesen Städten interessierten vor allem kommunaler Grundbesitz 62 , dessen Vorhalten zusammen mit Bauzonenplanung und Staffelbauordnung die einzigen hier thematisierten Planungsinstrumente darstellten. Im Katalog schreibt Shurtleff über Verkehr. Statt des Asthetizismus großer Radialen fordert er Infrastrukturplanung für die Funktionsfähigkeit eines wirtschaftlichen Organismus. Gegen diese klare Effizienzforderung nähert sich Cabot seinem Thema Housing von der Philanthropie. Statt wirtschaftliche Zusammenhänge zu betrachten, sucht er Abhilfe und findet sie in einem Mittlermodell nach britischem Vorbild der co-partnership in housing63. Die zugeordneten Exponate stellen den verdichteten Nordbezirken Bostons mit Bebauungsdichten von bis zu 85% Modellwohnungen und -rechnungen gegenüber 64 . Diese Vorführung zielt nicht auf die Ermittlung von Ursachen, sondern steht im Zeichen einer ökonomischeren, 'effizienteren' Bewirtschaftung des Wohnens 65 , von der Nachbesserung zur vorausschauenden Förderung. Da Boston im Vergleich zu den drei größeren Städten New York, Chicago und Philadelphia bereits das größte Parksystem hat, kann der Olmsted-Schüler Kellaway im Katalog nur die Erziehung zur richtigen Nutzung fordern. Das steht unter dem von Hegemann später so oft kolportierten Motto - The boy without a playground is the father of the man without a job. - von Joseph Lee66. Wo Kellaway die Verkehrsanbindung und Ausstattung mit Sport- und Freizeitanlagen fordert, standen Lees Absichten als Vizepräsident der Massachusetts Civic League ganz im Zeichen einer normativen physischen und moralischen Erziehung 67 . Die Idee von Effizienz erweist sich als große Klammer, die zum einen das Interesse an einer gegen grundlegende Dogmen verstoßenden Planung bestimmt und zum anderen dabei die divergierenden, von Stabilisierung bis Sozialpaternalismus reichenden Einzelinteressen zusammenzufassen vermag.

62 Siehe zur amerikanischen Wahrnehmung der deutschen Kommunalverwaltung: John Robert Mullin, American Perceptions of German City Planning at the Turn of the Century. In: Urbanism Past and Present 3 (1976), p. 5-15; vgl. Paul Nolte, Effizienz oder self-government. Amerikanische Wahrnehmung deutscher Städte und das Problem der Demokratie 1900-1930, in: Die alte Stadt 15 (1988), S. 261-288. Für diese Instrumente wird hier der Schutz der Arbeiterwohngebiete als Argument angeführt; eine weitere Uberblendung. 63 „1915" Boston Exposition ..., p. 34 f., p. 26-27. 64 Dort auch Arbeiterwohnungsbau der Krupp Werke, Essen sowie Wohnbauten in Berlin, Prankfurt, Düsseldorf und Köln mit insgesamt 48 Fotos gezeigt. 65 Auf den über ökonomische Effizienz hinausgehenden Ansatz, mit John Deweys constructive social engineering im Wohnen wachsende soziale Gerechtigkeit zu erzeugen, verweist John L. Hancock, Planners in the Changing American City. In: JAIP 33 (1967), p. 290-303, p. 293. 66 Ganz offensichtlich nach Wordsworth gebildet: The child is the father of the man. S 383. 67 Lee verfügte über ein ausgearbeitetes Konzept, mit welchen Spielen Kinder in welchem Alter zu beschäftigen seien, um ihnen nicht nur staatsbürgerliche Tugenden anzutrainieren. So stand Lee auch für eine rigide Beschränkung der Einwanderungszahlen, s.a. Don S. Kirschner, The Paradox of Professionalism. Reform and Public Servies in Urban America 1900-1940 (Contributions in American History 119), New York 1986, p. 29, 37-39.

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4.3.2 Reformgruppen

4.3.2 Bewegung Während eine Architekturzeitschrift die Ausstellung als Municipal Exposition bewertete, beurteilte der Kritiker der „American City" sie als a new type of public exposition mit einem neuen Typus von Veranstalter und Zielen. Vorausgegangen waren verschiedene Anlässe. 1908 holte der Kaufhausbesitzer Edward A. Filene, treibende Kraft dieses Unterfangens, den muckraker Lincoln Steffens nach Boston. Steffens sollte auch hier, wie es ihm sensationell für andere Großstädte gelungen war, Korruption und Erpressung in der Stadtverwaltung aufdecken, wurde aber nicht fündig. Er habe daher, behauptete er später, einer repräsentativen Gruppe vorgeschlagen, ein integratives Projekt zu entwerfen, das alle Bürger engagiere und an die Stadt binde. Steffens plädierte damit für die Offenheit einer Interessenpolitik, um auch angefochtene politische Kräfte zu integrieren68. Eine frühere Reformgruppe hatte sich der Schulpolitik bemächtigt und riß dabei eine gewohnheitsmäßig tolerierte Kluft zwischen protestantischen Yankees und irischen Katholiken auf, bis sich unter dem Bankier und Philanthropen James J. Storrow 1904 mittels paritätischer Besetzungen ein Konsens wiederherstellen ließ. Auch zwei weitere Gruppen erreichten eher das Gegenteil. Eine Good Government Association machte sich auf der Suche nach Korruption selbst zum Spott. Die 1907 vom angeschlagenen irischdemokratischen Bürgermeister John F. Fitzgerald selbst geforderte Finance Commission vermochte nur kleine Unterschlagungen aufzudecken, dennoch den Bürgermeister zu stürzen, und bestätigte erneut jene ethnisch-religösen Spannungen. Innerhalb dieses für die Reformära typischen Aktivismus führte das Wachstum der Stadt an Bevölkerung und Industrie zur zunehmenden Segregation zwischen eingesessenen Yankees in Vorstädten und irischen, italienischen und jüdischen Immigranten der übervölkerten Quartiere, die rassistische, religiöse und wirtschaftliche Vorurteile bestärkte. Filene versuchte dem mit der Gründung eines City Clubs einen Ort für Kontakte, Annäherung und Diskussionen entgegenzusetzen, der sich überaus erfolgreich entwickelte. In einem zweiten Schritt reorganisierten Filene und Storrow die durch Konflikte blockierten Vertretungen der Geschäftsleute zu einem arbeitsfähigen Chamber of Commerce. Damit verfügte die Stadt über zwei typische Reformagenten, flankiert von über dreißig kleineren Civic Improvement Associations. Der Antrieb, diese Gruppe in einer Bewegung zusammenzuschließen, stammte offensichtlich von Filene. Er hielt am 29. März 1909 im City Club die Gründungsrede des Boston-1915 Movement69. Boston-1915 is α simple, practical proposition to apply to the activities of the city what every well-managed business partnership applies to its factory, shop or store - to have 68

Lincoln Steffens, The Autobiography of Lincoln Steffens. New York 1931, p. 599 ff. Vgl. Merino, Schemes ..., p. 214; Burns, Irony ..., p. 134, 145, 149. Das Projekt als Steffens' Idee auch bei Gerald White Johnson, Liberal's Progress. New York 1948, p. 99 ff. - Nach Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 121, empfahl Steffens auch früh eine Dauerinstallation der Ausstellung. 69 Das am selben Tag verabschiedete 16-Punkte-Programm bei Kellogg, Level ..., p. 396. Aussagekräftiger hierfür die Einführung des Katalogs, die aufgrund der Vergleiche, für die er bekannt war, Filene zugeschrieben werden kann; „1915" Boston Exposition ..., p. IV f.

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4.3.2 Personal

every department working in close co-operation with every other, in order that results may be produced most quickly, economically and satisfactory. ... Boston-1915 proposes to help all the partners in the great business of making a community ... to work together with the least waste of time, energy and money, and it proposes to help them increase the efficiency of their work.

Die Initiative will Koordinator und Katalysator für die Organisation der Gruppen nach klassischen Geschäftsprinzipien sein, um die Wirksamkeit ihrer Arbeit zu erhöhen. Das beinhaltet einen Qualitätssprung, weil eine Reform angestrebt wird, die bereits mit Ergebnissen der Reformbewegungen umzugehen sucht. Unter dem Leitmotiv der Vermeidung von Verschwendung wird auch das wachsende Expertenwissen respektiert und eingebunden. Insofern handelt es sich um eine Modernisierungsvorstellung. Die Gründungsmitglieder, insbesondere die Direktoren des Boston-1915 Movement gehörten sämtlich zur städtischen Elite. Neben Filene amtierten der Jurist Louis D. Brandeis, die einander von der Arbeit in der Public Franchise League vertraut waren 70 , der Vorsitzende der Massachusetts Gas Company James L. Richards als neuer Typus des Managers, der Arzt (und Bruder Philips) Richard C. Cabot als Organisator von Sozialfürsorge am Massachusetts General Hospital, und der in der Schulpolitik bewährte James J. Storrow aus einer alten Familie Neuenglands und republikanischer Kandidat für das Bürgermeisteramt, weiter der Universitätspräsident A. Lawrence Lowell, der Schatzmeister einer Wohnungsgesellschaft Philip Cabot, der für seine Kirchenbauten berühmte Architekt Ralph A. Cram und schließlich der Präsident des Chamber of Commerce Bernard J. Rothwell. Die Direktoren behielten die Kontrolle über Personal- 71 und Sachfragen. Es sollte kein Parallelgremium zu bestehenden Organisationen eingerichtet werden. Die einzige Ausnahme jedoch bezeichnend: weil die Verkehrskommission des Chamber of Commerce nur noch eine fighting organization der Reeder und Großhändler um Frachtgebühren war, richtete das Movement einen eigenen Ausschuß für Transportfragen ein. Der Antrieb durch Konkurrenz zeichnete eine Utopie der Versöhnung individueller bzw. korporativer Gewinnmaximierung mit Maximierung des Nutzens für die Gemeinschaft nach alten Prinzipien klassischen Liberalismus 72 . Durch einen Mitgliedsanteil, der schon für $ 1 zu erwerben war, sollte dem Unternehmen eine breite Basis geschaffen werden. Sie sprach auch der breitgestreute Forderungskatalog an: Boston-1915 will die Wohnbedingungen, Gesundheits- und Erziehungssysteme 70 Hier entspricht die Konstellation dem von Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 160 f. festgestellten aufsteigenden Anspruch vom Besitz der Infrastruktur zur städtischen Formprägung. 71 Der Aufnahme gingen Erkundigungen und drei Fragen voraus: 1. Is the man efficient in his vocation? 2. Has he shown public spirit? 3. Can he work with other men? Das galt ausdrücklich nicht der Bedeutung des Berufs; handele es sich um einen Schuhputzer, laute die FYage: Hat er mindestens so viele Stühle wie jeder andere Schuhputzer? Kellogg, Level ..., p. 388. Die Effizienzvorstellung kommt hier kalvinistischer Ethik gleich. 72 Vgl. dazu auch Brown, Improvement ..., p. 282 f. Er bekannte sich gegen die Kritik am größten Nutzen für die Initiatoren explizit zur einzig effizienten Realisierung infolge individualistischen Gewinns, aus dem gemeinschaftlicher Nutzen erwachse.

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4.3.2

Projekte

verbessern, mehr Grünflächen, Civic Centers mit Bibliotheken, Sporthallen, Versammlungsräumen und Kulturveranstaltungen schaffen. Diese mittelständischen Werte changieren zwischen restriktiver Ordnung und Bewahrung und emanzipatorischer Erneuerung und Verbesserung. Auch das stolze Referat der drei seit Gründung im März gelungenen Projekte zur Ausstellungseröffnung kann das nur bestätigen. Eines war die erfolgreiche Organisation von Sportveranstaltungen für Zuhausgebliebene in der Ferienzeit, Training gegen gefährlichen Müßiggang anzubieten, gang spirit zu begründen und zur Konkurrenz der Distrikte Bostons untereinander um die Anlage neuer Spielplätze beizutragen. Während hier normative physische und moralische Erziehung im Vordergrund stand, war das zweite Projekt, die Einführung und Finanzierung einer Gesundheitsuntersuchung bei der Einschulung, für die 30 bedeutende Mediziner gewonnen werden konnten, grundlegender. Das dritte Projekt war schließlich die von Frauenvereinigungen getragene Anregung, die Bänke öffentlicher Parks zur Mittagszeit für Verkäuferinnen zu reservieren. Trotz der Schwierigkeit, daß verfassungsgemäß niemand von der Nutzung öffentlicher Parkbänke ausgeschlossen werden dürfe, sei es in Abstimmung mit dem Public Grounds Department gelungen, dafür einen Mann anzustellen, der diesem Ansinnen Sorge trage. Keinerlei Kriterien an die Anregungen anzulegen, zeigte den unbedingten Willen, alle Interessen zu integrieren73, und die die außerordentliche Fähigkeit, selbst kleinste Ausführungen als Erfolge zu bewerten74. Ein zeitgenössischer Kritiker bescheinigte dem Unternehmen dann auch, es sei considerable of the „hurrah, hoys " element in the project und the zest of a group of school boys turned loose in apple orchard75. Ziele wurden nicht aufgrund von Gesellschafts- oder Gemeinschaftskritik gebildet, sondern ex positivo, aus Vorstellungen von Regeneration, Kooperation, Optimierung. In den Wahlkampfreden des Präsidentschaftskandidaten Woodrow Wilson tauchte 1912 das Bild der reibungsfrei arbeitenden Maschine auf 76 . Sie wurde in Boston 1909 vorweggenommen (Bild 18) und war in der Ausstellung zu sehen: eine Sammlung von Antriebsrädern im Freilauf, direkt daneben das gleiche Modell im Zusammenspiel, die Zeiger drehend. Das durchaus Neue dieser Bewegung, ihre Organisation und Bandbreite sowohl der Erscheinungsform wie ihrer programmatischen Offenheit und ihre Publikumswirksamkeit geht in keinem der bekannten Anliegen, weder in der Regionalpolitik noch strukturellen Tendenzen der Progressive Era eindeutig auf. 7 3 Vgl. auch den Wortlaut der Eigenanzeige „1915" Boston Exposition ..., p. 62, der gerade auf Toleranz abhebt. 7 4 Peterson interpretierte die Arbeiten der City Beautiful Bewegungen als unter anderem so erfolgreich, weil sie durch die Einübung in den städtischen Verschönerungskampagnen in der Lage waren, sich mit piecemeal projects zufriedenzugeben. 7 5 Kellogg, Level..., p. 383, 394. 7 6 Daniel T. Rodgers, In Search of Progressivism. In: Reviews in American History 10 (1982), p. 113-132, p. 125; „1915" Boston Exposition ..., p. 37: „1915" Clock, Abbildung bei Kellogg, Exposition ..., p. 328.

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4.3.3

Regionalpolitik

4.3.3 Progressivism Die regionalpolitische Situation läßt dabei weitere Ursachen für den Erfolg einer solchen Bewegung erkennen 77 . Strukturelle Verschiebungen bescherten der Stadt ein florierendes Bank- und Erziehungswesen. Ihm standen ein stagnierendes Handelsaufkommen des Hafens und schwacher Immobilienmarkt wie Baugewerbe gegenüber. Die verarbeitende Industrie und der Umschlag für Industriegüter galten jedoch als entwicklungsfähig. Händler wie Produzenten stimmten daher überein, daß in der Besserstellung der Arbeiterschaft und Förderung der Produktion Ressourcen lagen, Boston als Handelszentrum zu etablieren. Sie erwarteten dafür Unterstützung von der Stadtverwaltung. Diese Erwartung basierte nicht zuletzt auf den zum Wachstum überproportionalen Verwaltungsausgaben der Kommune und ihren hohen Steuersätzen. Das Boston-1915 Movement vertrat - seiner Herkunftsstrata angemessen - dabei die Position, die städtischen Ausgaben zwecks Steigerung von Produktivität, Einkommen und Konsum gegebenenfalls zu erhöhen 78 . Die Bewegung kann so als offenes Sprachrohr für erwartete Wirtschaftsförderung angesehen werden, die aber als quasi gemeinnützige Umverteilung verstanden wurde. Aus einer Verfassungsänderung entstand ein weiterer, direkter Anlaß. Infolge ihrer unsystematischen Untersuchungstätigkeit konnte die Finance Commission ihre Kritik an den Verwaltungsausgaben nicht erhärten. Sie drängte daher auf eine Strukturänderung der Kommunalverfassung zugunsten eines machtvollen Bürgermeisteramtes, die im November 1909 angenommen wurde. Abgesehen von neuerlich auflebenden ethnischen Spannungen, in denen sich der gestürzte Fitzgerald gegen den neuen Kandidaten Storrow als einfacher self-made man gegen traditionelle, elitäre Yankee-Macht präsentieren konnte, bedeutete diese Machtverschiebung eine Leerstelle 79 , die eine Ausstellung des Boston-1915 Movement auch zugunsten ihres Mitglieds und Kandidaten Storrow populär besetzen konnte. Im Wahlkampf für die im Januar 1910 stattfindende Bürgermeisterwahl gelang es Storrow im Gegensatz zu Fitzgerald nicht, sich den Wählern erfolgreich darzustellen. Jedoch im November und Dezember 1909 - also zeitgleich zur Ausstellung - gewann er durch 77 Es ergibt sich die paradoxe Situation, daß der zeitgenössische Kritiker Paul U. Kellogg einen dichteren analytischen Beitrag als die historische Forschung liefert. Vgl. Kelloggs Boston's Level Best vom Juni 1909, von Brandeis authorisiert; Letters of Louis D. Brandeis. Ed. by Melvin I. Urofsky and David W. Levy, vol. 1-4, Albany 1971-1975, vol. 2, p. 267 f.; zu Burns, Irony ..., p. 133-164; James A. Merino, Cooperative Schemes for Greater Boston 1890-1920. In: New England Quarterly 45 (1972), p. 196-226; M. Christine Boyer, Dreaming the Rational City. The Myth of American City Planning, Cambridge MA 1983, p. 121-126; und Scott, City Planning ..., p. 110-117. 78 Kellog, Level ..., p. 393 f. Entgegen Hofstadters These von einer sich verstärkenden Reformbereitschaft in der Periode der Prosperität hatten einzelne Untersuchung bereits gezeigt, daß sich viele der Reformen vor einem Hintergrund drohender Rezession bewegten. Dies gälte es für Boston ebenfalls zu untersuchen, um festzustellen, wie weit die Ziele der Reformbewegung mit den direkten wirtschaftlichen Interessen übereinstimmten resp. von einer Reformrhetorik absorbiert oder überformt wurden. 79 Burns, Irony ..., p. 151-153, 156. Burns erwähnt weder Bewegung noch Ausstellung, auch nicht wirtschaftliche Fragen. Siehe auch - ähnlich - Gerald Blodgett, Yankee Leadership in a Divided City, 1860-1910. In: Formisano/Burns, ed., Boston 1700-1980 ..., p. 87-110.

119

4.3.3 Sekundärziele

Hervorhebung seiner Konsensposition in der umstrittenen Schulpolitik und seiner Leistungen in der Wirtschaftsförderung - die Rhetorik des Movement spiegelnd80 - an Popularität. Die Wahl mobilisierte erstaunliche 90 % der Wählerschaft, wobei Storrow Fitzgerald nur knapp unterlag. Die Veranstaltung der Ausstellung muß also nicht nur als Wirtschaftsförderung, sondern als flankierende Wahlkampfmaßnahme für Storrow wie als Politisierungskampagne überhaupt verstanden werden81. Ferner stand ein Teil des Programms im Kontext einer größeren regionalpolitischen Bewegung. Sie galt der seit 1890 betriebenen Zusammenlegung von nahezu 40 Städten, Vororten und Counties der Region zu einer Metropolitan Region. Sie stand ebensosehr im Zeichen der Reintegration der in die Vorstädte abgewanderten mittelständischen Wähler wie sie als Wirtschaftsförderung und zeitgemäße Vereinheitlichung und Reform der Verwaltung angesehen wurde. Entwürfe zum Zusammenschluß scheiterten mehrfach am Autonomiewillen der Vorstädte, die ihre antistädtische Voreingenommenheit bestätigten. 1907 wurde eine Metropolitan Improvement Commission mit einer Studie beauftragt, die nach zweijährigen Anhörungen auf 300 Seiten die Erwartungen und Anforderungen an die Region darstellte. Bewegung wie Ausstellung nahmen die dabei sichtbaren Wünsche mit dem Appell an integrativen nationalen wie lokalpatriotischen Ehrgeiz auf, Boston zur viertgrößten amerikanischen Stadt zu machen und damit seiner Bedeutung zu entsprechen. An der Versandung der Gründungsversuche einer Metropolitan Region scheiterte schließlich auch die Bewegung82. Jene Intentionen erfassen aber nicht den Uberschuß der zahlreichen und divergierenden Teilnehmer, die Ausstellung wie Bewegung hauptsächlich tragen 83 . Bei divergierenden bis kontraproduktiven Anliegen zeigen sie sich vereint: Arbeitgebervertreter und Gewerkschaften, Frauenwahlrecht und Babypflege; von Erbauungsvereinen bis Besserungsanstalten: in Aufklärung, Erziehung und Weiterbildung werden alle sozialmoralischen Milieus abgebildet und eingebunden. Trotz eines gemeinsamen Hintergrundes von Progressivisrn dokumentiert die Forschung keine gemeinsame Ideologie, Struktur, Profil, Agenda oder Ethos für eine im Nachhinein darauf getaufte Bewegung84. So geht Boston-1915 weder in den Thesen vom Organisationsschub oder von der Entscheidungsverschiebung infolge technizistischer Funktionalisierung auf 85 . 80 Gerade die in diesem Wahlkampf erstmals anfallenden, gegenseitigen persönlichen Diffamierungen von Unfähigkeit und Verdächtigungen von Korruption geben diese wieder und beweisen die Popularität der Effizienz-Rhetorik. 81 Auch hier die Notwendigkeit einer genaueren Untersuchung zur Beteiligung der entfremdeten Bevölkerungsgruppen - die anzuwerben die Ausstellung von Wohnbedingungen des North End, dem Bezirk Fitzgeralds, beabsichtigt. Merino, Schemes ..., p. 215, geht von einem unüberbrückbaren gegenseitigen Mißtrauen zwischen den brahmins und den bosses aus, die jede Beteiligung ausgeschlossen hätte. 82 Merino, Schemes ...,p. 201-211, 212; p. 215, 220. 83 Das Verzeichnis der wohltätigen und gemeinnützigen Gruppen im Jahrbuch für 1909 umfaßt neun engbedruckte Seiten: etwa 220 sind beteiligt. 84 Rodgers, Search ..., p. 112, 127. 85 Richard Hofstadter, The Age of Reform. New York 1955; Robert H. Wiebe, The Search for Order.

120

4.3.3 Reformrhetorik

Ein erster Ansatzpunkt für eine differenzierte Bewertung findet sich in der These einer Dichotomie zwischen old-stock, patrician reformers und new-stock, urban liberals86. Diese Teilung war hier paradoxerweise nicht nur Voraussetzung der Initiative, sondern die Uberwindung durch organisatorische Verbündung der Gegenüber ihr Anliegen. Die pluralistische Lesart des Progressivism identifiziert eine Eruption politisch aktiver Gruppenbewegungen im Vakuum der nach der Jahrhundertwende sich auflösenden traditionellen Parteiloyalitäten. Auch darein fügt sich Boston-1915 nur grob. Ohne eine formulierte gemeinschaftliche Politik wird eine offene, außerparteiliche, scheinbar apolitische Bewegung gegründet, die versucht, Honoratiorenpolitik zum Zeitpunkt ihrer zunehmenden Bedrohung durch die sozial aktiven Strata der neuen Mittelklassen zu verbreitern und zu einer umfassenden Erziehungskampagne zu machen87. Ein weiterer Ansatzpunkt findet sich in veränderten Konstellationen von ökonomischer und sozialer Macht und der These vom Paradigmenwechsel vom ausbeuterischen zum korporativen Kapitalismus zum Zwecke der stabilen Sozialordnung, der im Traum von sozialer Effizienz als idealer Reaktion von Produzenten und Konsumenten resultiert 88 . Er ließe sich für Boston-1915 als Ansporn individueller wie korporativer ökonomischer Zwecke, wie auch als mächtiges moralisches Ideal persönlicher wie organisierter Moralität annehmen und stünde zu genauerer Untersuchung an 89 . Die Forschungsinterpretationen lassen sich über die These zusammenführen, nach der sowohl das Gesamtphänomen Progressivism wie die einzelne Unternehmung unter drei Mustern verfügbarer und aktueller Rhetorik aufzufassen seien. Diese Muster begünstigten jene mehrfach konstatierte muddle mindedness des Phänomens. Die genannten Maschinenvorstellungen hatten durchaus divergierende Bedeutungen, die Nation, Staat, Gemeinschaft (Theodore Roosevelt), Familie, Gemeinde, Nachbarschaft (Jane Addams) oder Freiheit, Macht (Woodrow Wilson) bezeichneten. Sie geben die rhetorischen Muster vor, in denen Unzufriedenheit und zugleich Visionen artikuliert wurden. Ohne Kohärenz erzeugt ihre gleichzeitige Präsenz nicht ein intellektuelles System, sondern eine Werkzeugsammlung, mittels derer die Progressiven users rather than shapers of ideas wurden 90 . 1877-1920, New York 1967; Samuel T. Hays, The Politics of Reform in Municipal Government in the Progressive Era. In: Pacific Northwest Quarterly 55 (1964), p. 157-169; vgl. Rodgers, Search ..., p. 117-119. 86 John D. Buenker, Urban Liberalism and Progressive Reform. New York 1973. 87 Vgl. Rodgers, Search ..., p. 117; s.a. Friedrich Jäger, Bürgerlichkeit. Deutsche und amerikanische Philosophien einer Lebensform zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Klaus Tenfelde/Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Wege zur Geschichte des Bürgertums. Vierzehn Beiträge (Bürgertum 8), Göttingen 1994, S. 171-206, S. 172-174. 88 James Weinstein, The Corporate Ideal in the Liberal State. 1900-1918, Boston MA 1968; vgl. Rodgers, Search ..., p. 119 f. 89 Rodgers, Search ..., p. 121, merkt an, daß Einzelrecherchen zur Frage which social and economic gro-up won precisely what from the era's politics überfällig sind. Die hiesigen Querverweise gegen die schematische bisherige Berücksichtigung von Boston-1915 in verschiedenen Sektoren, die ohne jeden Zusammenschluß der Einzelaktivitäten sowie mit der umgebenden Lokalpolitik auskam, zeigen, daß eine solche sich lohnte. 90 Rodgers, Search ..., p. 122-127, 127. 121

4.3.3 Bewertung

Der Antimonopolisraus ist unter den dreien die älteste Rhetorik. Als Attacke gegen das Privileg des Reichtums geht sie auf die frühen Populisten zurück, deren Argumente wie in der New Yorker Ausstellung - von den Single Taxers wiederbelebt wurden. Durch den Finanzkapitalismus der Jahrhundertwende, die neue Begegnung mit dem Monopol städtischer Versorgungsbetriebe - offenbar für Filene prägend - und die Enthüllungskampagnen der muckraker wie Steffens wird dieses Rhetorikmuster zum Allgemeinbesitz. Es spiegelt sich hier nur indirekt, in der Hoffnung auf Aufbau eines mächtigen Gegners gegen kommende Übergriffe. Die Reformrhetorik der social bonds entdeckt gesellschaftliche Interdependenz und beinhaltet die Abwendung von der Auffassung vom autonomen Individuum des klassischen Liberalismus. Sie wandelt die Ressentiments gegen antisoziales Handeln der älteren Muster zum Ziel bewußt beförderter Harmonie. Sie muß so durch das neue Interesse an physischer und sozialer Umgebung, an Sympathie und Kontrolle, Streben nach sozialem Frieden und Gemeinwohl gerade die Stadt berühren. Diesen Mustern entspricht die unzensierte Offenheit von Boston-1915 für aktive Gruppen, die in der Vernetzung untereinander und mit dem Publikum zu einer gegenseitigen ideellen Prosperität gelangen sollen. Das rhetorische Muster social efficiency stellt somit einen Kulminationspunkt beider dar. Es verspricht Reglementierungen gegen individuelle Exzesse, dabei die gesuchte Harmonie, und das Prestige der Wissenschaft mit dem guter Geschäftsordnung zu koppeln; dient dabei als Bezugspunkt einer activist coalition, deren Energien von weiteren Projekten angestachelt statt befriedigt werden. Diese Rhetorik erfüllt den Traum von der stabilen Sozialordnung, wie ihn Produzenten und Konsumenten teilen, und erlaubt, von gefühlsbetonten Argumenten zur sozialwissenschaftlichen Sprache zu wechseln. Sie steht zur Kritik eines Chaos zur Verfügung, das sowohl Resultat des laissez faire wie noch ausstehender ökonomischer Organisation sein kann. Social efficiency verbindet in Boston-1915 ideal die Intentionen der Flanken - Wirtschaftsförderung, Wahlkampf, Region - wie die sozialen, korporativen Hoffnungen der Individuen und die Absicht einer Wiederaneignung der Stadt 91 . Obwohl diese Bewegung strenggenommen nicht zu den Stadtplanungsinitiativen gehört, gilt also auch für sie: planning began in a city because the commercial-industrial-professional elite became aware of the need for it. Auch kopierte sie die Mittel, die für solche Kampagnen bereits eingeübt waren92. Dabei beschrieb die Orientierung an ökonomischer Effizienz nur scheinbar eine Systematik als Methode des Vorhabens93. Aber sie 91

Der von Rodgers, Search ..., p. 127, bereits 1982 angeregte Verzicht auf die Analyse einer vermuteten „Essenz" der Ideen zugunsten einer Analyse der Strukturen ergibt hier exemplarisch deren Gewinn. 92 Wilson, Ideology ..., p. 187. Eine Interessengruppe arbeitete durch einen Ausschuß, der Überzeugungsarbeit leistete, mit Experten verhandelte, durch Spenden, Subskriptionen, Kampagnen Geld aufbrachte. Bei Cynthia Zaitzevsky, Frederick Law Olmsted and the Boston Park System. Cambridge MA 1982, p. 33-47, wird deutlich, daß Öffentlichkeitsarbeit und Rhetorik auch vor Ort bereits eine eigene Tradition hatten, an die Boston-1915 anknüpfen konnte. 93 Siehe dazu wiederum Kellogg, Level ..., p. 383 f. 122

4.3.3

Abstinenz

war die geringste gemeinsame Grundlage, die ohne politische Widerstände zu mobilisieren war. Ökonomische Effizienz beschrieb eine neue Rationalität, in der der Prozeß der Organisation bereits das Ergebnis war. Sie galt eben nicht nur der technisch-produktiven Effizienz 94 , sondern der sozial-administrativen, weil sie ohne die Muster der social bonds nicht zu ihrer komplexen Verflechtung gelangte 95 . Damit liegt hier eine ideale Reaktion für korporativen Kapitalismus und stabile Sozialordnung vor, aber darüber hinaus ein innovatives Bekenntnis zu einer renovierten Form des klassischen Liberalismus. In ihm muß selbst nach der aufgegebenen Fiktion von autonomen Subjekt auf die Freiheit rationalen ökonomischen Handelns nicht verzichtet werden. Das Handeln muß lediglich zum Zwecke seiner Optimierung in ein System von Bedingungen und Folgen eingepaßt werden, um noch größere Erfolge und eine truly civilized polity zu erzielen 96 . Thematische Differenzen waren durch die gesellschaftlichen Verflechtungen des tragenden Personals verblichen. Dem Aufbau Storrows zum Kandidaten entsprach keine lineare Durchsetzung von Klasseninteressen, und die Offenheit für Laien und Experten, die ihr umhegtes Gärtchen zum unabdingbaren Teil der Initiative machen konnten, ließen Unvereinbarkeit, Relationen und Widersprüche übersehen 97 . Die Drift zwischen dem Beaux-Arts Schüler Bellows, dem Olmsted-Schüler Kellaway und dem Philanthropen Cabot wäre ein Beispiel für die reale Unfähigkeit zu einem realistischen Entwicklungsplan. Sie mündete in eine vorgezogene Abstinenz. Der Ansatzpunkt der Kampagne war die Herausforderung des Einzelnen, zutiefst dem amerikanischen Individualismus verpflichtet, und verzichtete auf Einbindung in ein komplexes Planwerk. Sie war als Regelung durch Wettbewerb Appell an den genius of American progress98. Der Schreitende, Engel und Mars (Bild 13) zugleich, führte den Ausstellungskatalog mit einer Friedensfackel an, die auch Hochöfen entzünden könnte. Hegemann nimmt das Bild 1913 in einem Emblem auf, in dem aus dem Engel ein antiker Kriegsgott (Bild 14) wird, der eine Taube wirft, und die ikonographische Verschiebung bildet unweigerlich den deutschen militanten Hintergrund der Sozialen Frage ab. Boston-1915 ist insgesamt als Versuch zu sehen, sich einer diffus ausgemachten Problemstellung „Stadt" zu nähern. Der Bewußtheitsgrad ist gewissermaßen archaisch 99 . 94

Hier sieht Boyer, Dreaming ..., p. 125 das Hauptanliegen. So äußerte Brandeis das Anliegen, als er Kellogg seinen Artikel zurücksandte, er möge the social regeneration on which we are working mehr herausstellen, definierte sie aber als sozialen Frieden: which is manifested in the effort to improve the relations between employers and employees, the industrial education, and the wage earner's insurance. Brandeis, Letters ..., p. 267 f., May 25, 1909. Beteiligung und Intentionen von Produzenten müßte weiter nachgegangen werden. 96 Ihre Perfektion wird akkurat meßbar; Richard M. Abrams, Conservatism in a Progressive Era. Massachusetts Politics 1900-1912, Cambridge 1964, p. 131-149, p. 142; Boston-1915 hier nur als SixYear-Plan erwähnt. 97 Kellogg beispielsweise sah sehr wohl, daß die Wohlfahrtsarbeit, bisher Tätigkeit der Frauen Bostons, auf einmal in die Hände der Männer überging; erkannte auch die potentielle Einseitigkeit infolge der Prägung durch Geschäftsleute; und blieb doch optimistisch. Vgl. Kellogg, Level ..., p. 394 f. 98 Kellogg, Level ..., p. 395. 99 Vgl. dazu auch Eugenie Ladner Birch, Four Perspectives on the History of Urban Planning. In: Trends in History 2 (1981), p. 79-92, p. 88. Ladner Birch konstatiert, daß die differierenden Tendenzen der Planungsentwürfe (wie auch die Kritik der Forschung) das Fehlen einer einheitlichen und 95

123

4.3.3 Herausforderung

Außer dem vereinten Unbehagen, getragen von den Themenmustern des Progressivism, sind Differenzen und Dissonanzen noch gar nicht entdeckt, geschweige denn Lösungsvorschläge formuliert. Eine weitere Vergewisserung über die wenig tragende Basis würde ebenso wie ein komplexes Planwerk dem Projekt die Uberlebensmöglichkeit nehmen und es im Sande verlaufen lassen, wie auch geschehen. Die Bewegung scheiterte mit der Ablehnung der Inkorporation eines Metropolitan Planning Board, nicht zuletzt auch an ihrer improvisierten Organisationsstruktur und den Führungsschwächen insbesondere Filenes100. Das Scheitern bedeutete auch eine Einsicht in das Utopische dieser Planungsversion101, so sie nicht von etablierenden Verwaltungsmaßnahmen gestützt würde102. Die Qualifikation des Bostoner Unternehmens als The Business Men's Voice greift also zu kurz. Trotz der Zuordnung zum gesellschaftlichen Strukturwandel, in dem Boston1915 die umfassendere Utopie zum Chicago-Plan bedeutet, läßt diese Qualifizierung103 die entscheidenden Sozialrhetoriken außer acht, die erst die publikumswirksame und bergende Einheitlichkeit erzeugen. Nur damit wird dieses Unternehmen zu einem archetypischen Beispiel des „Traums von der rationalen Stadt". Für die Stadtplanungsgeschichte lieferte Boston-1915 die Utopie des vollkommenen Planungsprogramms von totaler Vernetzung, die durch das frühe Scheitern nicht widerlegt, sondern als Aufgabe gestellt blieb104. Boston-1915 sollte daher mit Recht als Vorläufer der City Functional angesehen werden, die die ästhetische Prävalenz der City Beautiful ablösen wird105. In der Verschränkung einer emanzipatorischen Modernisierung durch Teilnahme und Teilhabe an konstitutiven städtischen Prozessen und restriktiver Bewahrung mittels gemeinsamen Vision der Stadt belegen. 100 Kellogg, Level..., p. 302, kannte schon 1909 den Spott von „Filenethropy" und „1915-Filennium"·, Scott, City Planning ..., p. 116 f.; Boyer, Dreaming ..., p. 124; Merino, Schemes ..., p. 223 f.; Johnson, Progress ..., p. 101, 108 f. 101 Vgl. dazu Hegemanns Kommentar von 1931: Es war nicht nur der Weltkrieg, der diesen ersten Fünfjahrplan zum Scheitern brachte. Bei manchem begeisterten Mitarbeiter hat diese bittere Enttäuschung einen moralischen Knacks hinterlassen. Abgesehen vom literarischen Kunstgriff des „Fünfjahrplans" für die aktuelle Argumentation zeigt dies auch die Selbsttäuschung über die Ursachen des Scheiterns als Teil seiner Prägung. Bauausstellung (1931) 821; Kapitalismus (1931) 241; s.a. Lloyd George (1929) 812. Vgl. auch den Heinrich Mann zugeschriebenen Import der „sozialen Passion" aus den angelsächsischen Ländern, Mann? Hitler? Benn? (1931) 586; aber auch die letzte desillusionierte (Selbst-) Klassifikation: ... intermittent campaigns for social education and public improvement which furnish the periodically required outlets for some of the surplus energy and money of America's well-to-do-citizens; CPH 163. 102 Vgl. das Fazit bei Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 172 f. Die Planungsvisionen scheiterten weniger noch am ideologischen Konflikt um Besitz als vielmehr am Mangel an juristischen Mitteln, die in die Dogmen der Besitzrechte eingepaßt werden konnten. 103 Boyer, Dreaming ..., p. 123-126. Die knappe Behandlung verschenkt die Chance, Boston-1915 für die titelstiftende These auszuwerten. 104 So Scott, City Planning ..., p. 110-117 (ohne die Ausstellung zu berücksichtigen). 105 Das Porträt des New Boston, das die Bewegung auf ihrer Höhe als eigene Zeitschrift herausgab, bildet die Verschränkung dieser Anliegen ab: eine Uferszene mit Güterverkehr, Flanierweg und modernem Geschäftshochhaus. Auf den Gleichklang des Titels mit deutschen modernen Zeitschriften der Zwanziger Jahre verweist Collins, Discipline ..., p. 27.

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4.3.3 Imitation

ausgedehnter sozialer Kontrolle und reformiertem Bekenntnis zum ökonomischen Liberalismus ist Boston-1915 mit seiner Ausstellung und Zielsetzung eine kurz auflodernde Illumination des Progressivism. Hegemann hat von diesem Aufenthalt - im Gegensatz zu den vorigen und entgegen dem Anschein - weniger durch inhaltliche Weiterbildung als durch eine mentale Prägung profitiert. Das aber so sehr, daß Alfred Lichtwark 1911 über ihn sagen konnte: Er ist in seinem Herzen dem amerikanischen Ideal der Lebensgestaltung und Menschenzukunft gewonnen worden. Diese Prägung verdankte er der Arbeit mit Edward A. Filene und dem Aufenthalt im Hause des Philanthropen und Millionärs Philip Cabot. Nicht nur kopierte er ihre Arbeit, Filenes Engagement in der Gründung des Propaganda-Ausschusses als „großartigem amerikanischen Werbefeldzug" und Cabots Tätigkeit bei seiner Arbeit für die Baugenossenschaft „Ideal". Er setzte 1924 mit den charakteristischen Eigenschaften seiner fiktiven Figur, des Deutsch-Amerikaners Ellis, der unorthodoxen Denkweise und schnellen Auffassungsgabe Filenes und dem liebenswürdigen Rationalismus Cabots ein Denkmal. Filene war Sohn deutscher Einwanderer und ein self-made man. Er machte aus dem väterlichen Laden ein erfolgreiches Kaufhaus neuen Typs, noch heute ein Begriff in der Region, das unter Beteiligung der Angestellten geführt wurde. Filene wollte für den Einzelhandel werden, was Ford im Automobilbau war. Seit 1890 engagierte er sich für Verbraucherrechte, später in der Friedensliga und unterstützte den Dawes-Plan 106 . Cabot dagegen wax einer der Boston brahmins aus einer der alteingesessenen begüterten Familien, der seiner Arbeit im Immobilienhandel und für Wohnungsgesellschaften im Sinne einer Neigungstätigkeit nachging. Hegemann traf bei ihnen nicht nur auf andere und freiere gesellschaftliche Umgangsformen als gewohnt, sondern auch auf die Vorstellung, mit gemeinnütziger Arbeit für Wohlstand und Privilegien der Gemeinschaft zurückzugeben. Zu den entscheidenden Lehren aus Boston gehört das vorbehaltlose Engagement für einen sozialen Zweck als statusunabhängige Selbstverständlichkeit wie als bereitwillige Selbstverpflichtung der Eliten 107 . Diese Auffassungen beeinflussen Hegemanns späteres Programm einer Renovatio der Wohnungsprobleme durch Eliten und bilden die Förderung benachteiligter Systemteilnehmer zum Credo von 1916 um, in dem Hegemann sich zum Einsatz in dieser Absicht bekennt. Den in Boston erlernten Glauben an einen unbedingten originären Assimilations- und Aufstiegswillen der Massen hat Hegemann seinen Zeitgenossen in Deutschland voraus. Er bedingt seine Perspektive auf die Soziale Frage und seine fehlenden Berührungsängste. Hegemanns früher Impetus ist ein sozialer zum 106 Siehe zur Person Johnson, Progress ..., p. 11-33. In Deutschland ist sein Werk „Weg aus dem Wirrwarr" (The way out, 1924) zugänglich, mit dem er sich als Wirtschaftspolitiker zu profilieren suchte, nach Johnson stets mit Ghostwriter, aber eigenen Ideen. 107 Insofern ist festzuhalten, daß trotz der Asthetisierung der Präsentation in Deutschland Hegemanns Anfänge nicht bei der Verschönerung der Städte lagen, wie Collins in einer der revidierten Wertungen seines Bildungsweges vorträgt, sondern in der von Calabi - trotz des insgesamt unzutreffend wiedergegebenen Hintergrundes - stimmig bewerteten Begegnung mit einem ingenuo riformismo im Boston-1915 Movement. Collins, Presenza ..., p. 111. Calabi, Note ..., p. 17.

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4.4 Motive

Prinzip der Distribution zwecks Befähigung. Über die Sozialarbeit aus Philadelphia und die Kommunalwirtschaft aus New York wird mit dem social gospel aus Boston aus dem springenden studentischen Interesse 108 überhaupt erst ein Handlungsprogramm. Sprach, kurz gefaßt, New York die Vernunft an, füllte Boston dies mit Emotionen. Erst die Verschiebung einer präsumtiven Unterordnung unter Fach und Sache zur Uberordnung des moralischen und autoritativen Individuums ermöglichte es, diese Aufgabe anzunehmen.

4.4 Reflektionen Hegemann sammelte indes eigene Lichtbilder besonders von Parkanlagen in Großstädten (Bild 24-26) und informierte sich auch über amerikanische Landschaftsarchitektur 109 . Im Hinblick auf das mit March für Berlin geplante Vorhaben verfolgte er nun Planungsinitiativen und bereiste wohl auch weitere amerikanische Städte 110 . Seine Darstellung „Amerikanische Parkanlagen", die er 1910 für eine Wanderausstellung verfaßte, läßt einen wiederum gewandelten Ansatz erkennen. Mit zahlreichen Fotografien ausgestattet, berichtet Hegemann hier von amerikanischen Parks und hebt dabei auf ihre ästhetische und emotionale Wirkung ab. Er versucht zwar, landschaftsplanerisch die Anlagetypen zu charakterisieren, verfängt sich aber im Lob der 'Schöpferpersönlichkeiten' Olmsted, Eliot und Burnham wie der antreibenden Privatinitiativen. Das Vokabular der Beschreibungen - „sehnsüchtig-beseligend", „etwas traumhaftes", „Milchstraße" (Bild 24), „Sonderwelten" - beweist, daß Hegemann sie als ideelle Gegenwelten auffaßte. Der soziale Impetus geht verloren. Die Funktionen im Großstadtgefüge und Integrationsprozeß werden nur für Chicago kurz gestreift (Bild 26). Hegemann neigt sich vom amerikanischen Pragmatismus des steten Vermittlungsprozesses zwischen Individuum und Gesellschaft zur deutschen negativen Auffassung der Modernisierung, die auf die subjektive Kultur der Transzendierungserfahrung abhebt 111 . Die Wendung könnte der Werbungsabsicht zugeschrieben werden 112 . Allein die naive Einheit von Sprache und Anliegen, die sich auch am nächsten Beispiel zeigen wird, bezeugt, daß diese Empfäng108 Die universitäre Ausbildung in Nationalökonomie in volkswirtschaftlichen Schulen, die sich gegen Laissez-faire richteten, verallgemeinernd als Grundlage von Hegemanns Planungsideen anzusehen, ist ein gemeinsamer Irrtum Calabis und Collins'. Sich mit dieser groben Auflösung zufrieden zu geben, heißt die Spezifität zu verpassen, die als Kombination großer Interventionen und reduktionistischer Vorschriften schon für den frühen Hegemann kennzeichnend sind und dieser unorthodoxen Inspiration entspringen. 109 S 337 erwähnt die Sammlung kleiner Lichtbilder, die der Verfasser aus Amerika mitgebracht hat-, S 319 ff., 331 ff., 346-357 nutzt 'graue' Literatur, die er selbst mitbrachte. 110 S 152 gab er an, in New York, Philadelphia, Boston, Chicago, Washington zusammen zwei Jahre verbracht zu haben, rechnete dabei also das Studienjahr 1904 mit. Aus der Schrift über den ChicagoPlan Burnhams geht hervor, daß er auch den Architekten persönlich gesprochen haben muß; NBC 5, Bebauungsplan (1910) 306. 111 Jäger, Bürgerlichkeit ..., S. 177. 112 Er eröffnet seine Darstellung mit der Analogie: Wer die Entwicklung des Parkgedankens in Amerika überblickt, muß überrascht sein über die Ähnlichkeit dieser Entwicklung mit europäischen Verhältnissen-, jedoch nur, um die europäischen mit plumpen Kunstgriffen stets von amerikanischen Entwürfen übertreffen zu lassen.

126

4.4

Phänomenologie

lichkeiten die des Publikums und Hegemanns sind, die einige Einflüsse dieses Jahres zunächst ihrer Wirkung entheben. Hegemann ist auch nach diesem Jahr keineswegs fachlich versiert. Sein Standpunkt ist weder von Sozialarbeit noch Kommunalwirtschaft geleitet noch von planerischen Fachkriterien. Im Gegenteil hat gerade sich mit der Visible City zu befassen trotz lehrreicher Begleitumstände ihn im Rausch an der Phänomenologie bestärkt. Hier ergeben sich paradoxe Effekte. Im Ausland darauf gestoßen, rezipierte Hegemann in New York einen Ansatz, der bereits Ergebnis eines Imports nicht nur aus Deutschland war. Die Ambition städtischer Formbildung kann als Folge der aesthetic grand tour gesehen werden, die als Bildungsabschluß und Statusausweis verbreitet, langfristig anregte, Bauformen und Bebauungsmuster nicht nur symbolisch, sondern als Ausdruck sozialer Verhältnisse zu lesen. Als Reflex der unterschiedlichen Zusammensetzungen von Besitz, Verfassung und Politik wurden sie Ausdruck einer property culture, die in der heimischen Stadt, der betriebsamen, aber inkohärenten Akkumulation privaten Besitzes, einer wagemutigen Reform unterworfen werden sollte 113 . Diese Phänomenologie wurde in New York nüchtern bedient, als ein Einblick in soziologische Strukturen des städtischen Geflechts, den Hegemann auch transportierte. Sie inspirierte ihn langfristig, die Stadt als 'Versteinerung' von Geschichte und Gesellschaft zu lesen, somit ein Re-Import, eine weitere Idee, die bei der Atlantiküberquerung umgestaltet wurde. Zunächst aber schlägt sich der soziale Uberschwang in einem Idealismus nieder, der die Phänomenologie symbolisch sieht und eine schwärmerische Asthetisierung bedient. Sie macht nicht nur dem Zielpublikum die Planungsidee schmackhaft, sondern ermöglicht ihrem Initiator, sich mittels Erbauung und Erziehung als Wohltäter und Agitator in Sachen Städtebau diese Aufgabe anzueignen. Schon vor den Parks nämlich berichtete Hegemann in Deutschland im Mai 1910 von den Plänen für Chicago. Dem Chicago-Plan verhalf nicht nur seine Entstehungsart - im Auftrag des ansässigen Commercial Clubs und vom Stararchitekten Daniel H. Burnham entworfen - zu besonderer Popularität, sondern vor allem seine Gemälde, auf denen Jules Guerin die Erhabenheit des zentralen 'Bürger-Domes' (Bild 19) dramatisch abbildete, dem der Himmel in der Reflektion auf regennasser Straße zu Füßen lag 114 . Entgegen der weiteren Bedeutung des Plans standen diese Bilder auch in Boston im Mittelpunkt. Neben ihnen gerieten die außerordentlichen Kennzeichen, die Größe des erstmals in einem Plan erfaßten Gebiets, die Verkehrsregulierung und Infrastrukturplanung, die großflächigen Grünanlagen ins Abseits, weil das vorgeschlagene Stadtzentrum mit seiner neoklassizistischen Architektur als Zeichen des wirtschaftlichen Aufstiegs des Mittleren Westens zum Inbegriff der City Beautiful werden konnte, der Stadt der merchant princes116. 113

Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 161 f. Wilson, City Beautiful ..., p. 302-305, zur Bewertung p. 281-285 und Thomas S. Hines, Burnham of Chicago. Architect and Planner, New York 1974. 115 Scott, City Planning ..., p. 102-109; Foglesong, Planning ..., p. 161-166, 207-214. Foglesong zählt Chicago infolge eines sichtbaren Wechsels in der Propaganda um 1913 bereits zu den Projekten der City Practical, bei denen die Stadt als kollektiver zu rationalisierender Geschäftsplatz aufgefaßt ist. 114

127

4.4 Ästhetisierung

Hegemann aber bewundert die Genien. Die städtische Problemstellung kann für ihn nur unter der Leitung starker siegesgewisser Schöpfergeister überbrückt werden116. Darwins fittest assoziieren sich mit absolutistischen Fürsten, um die Großstadtbildung der Kunst zu unterwerfen. Sein Blick hinauf erfaßt die Trennung von Punktion und Ästhetik nicht. Hegemann heißt alles gut. Wenn die Eisenbahnen die Seeufer dominieren, schüttet man eben davor einen Park (Bild 21) auf, als Müllentsorgung beinahe kostenlos. Soll die Geschäftsstraße mit ihren Läden repräsentativ sein, legt man den Ladeverkehr am Flußufer tiefer. Der bleibt ungestört und die Flaneure erbaut der Blick (Bild 22) auf die geschäftigen Arbeiter. Die Straßenplanung ist - nach Hegemann mit „besonderer Liebe" und „Hingabe" - auf das Geschäftsviertel zwischen Foren der Verwaltung und Kultur zentriert. Dem monumentalen Rathaus mit traditionsgemässer Kuppel haben sich die Foren unterzuordnen. Ihre Architektur ist gleichmäßig, formal, neoklassizistisch, die Straßenwände eine vergrößerte Abwicklung europäischer Hauptstraßen und das Zentrum (Bild 20) mit den Mitteln französischer absolutistischer Baukunst gestaltet. Die in den Plänen dargestellte Entwicklung der Transportsysteme und der Industrie wird von Hegemann nicht besprochen oder nur gestreift. Sein Text ist eine Erläuterung der Gemälde; allein hat er keinen Erklärungswert. Ungebremster Enthusiasmus ob der Ästhetisierung unscheinbarer Umgebung trägt ihn. Lange glatte Wasserstrecken für die Ruderregatten der beiden Universitäten Chicagos, gewundene schattige Buchten für das bunte amerikanische Sonntagsleben auf den Canoes mit Picknicks und Mandolinen, überall kleine Zufluchtshäfen für den regen Segelsport des großen Sees, die Ufer als Badestrand eingerichtet, mit Klubhäusern und kleinen Restaurants eingefaßt oder verteilt zwischen formal gehaltenen Parkanlagen.

Der aufgeschüttete Lagunenpark am Ufer des Lake Michigan ist für Hegemann einer der genialsten Gedanken des ganzen Entwurfes117. Diese Garnitur und Selbstfeier des Stadtbildes überwältigt ihn in einem ästhetischen Entzücken an der Einstreuung idyllischer Orte. Es entgeht ihm, daß dieser Park von den Freizeitbedürfnissen der Oberschichten formiert wird. Es entgeht ihm beinahe dessen klimatische Funktion für die Stadt, völlig die Frage nach technischer und sozialer Zugänglichkeit. Daß die Anlage Zuflucht der ärmeren Bevölkerung oft für ganze Nächte sein werde, ist ihm genügender Nachweis ihres Nutzens für die Allgemeinheit118. Und die unüberbotene Höhe des Rathauses ist ihm Triumph des Bürgersinnes und des gemeinen Interesses über alle Einzelinteressen. Die monumentale Ästhetik ist dem Berliner Anliegen als Sakralisierung des profanen Kapitals der Industriegesellschaft kongenial. Hegemann verstand sie als Formung und Stützung bürgerlicher Tugenden und daher 116 NBC 3; dazu die dauerhaft wiederholte Anekdote von der Eigenbewunderung der Künstler der Weltausstellung von 1893. 117 Alle Zitate dieses Abschnitts NBC 9-11. 118 Auf die Kurzbeschreibung der Vergnügungspiers mit Yachthafen folgen zwei Sätze über künftige, den Blicken entzogene Industriehäfen. Hegemann zitiert aus der Denkschrift des Commercial Club: „Das Seeufer ... gehört rechtmäßigerweise dem Volk. Es gibt ihm die einzige Möglichkeit einer großen, ungehinderten Aussicht bis zum Horizont". Das Volk wird mit der Aussicht auf einen unerreichbaren Horizont abgespeist; ein Versprechen, das die Stadt, sollte das Volk sich umwenden, nicht mehr erfüllt. Und wir hören von Hegemann keinen Protest.

128

4.4 Schöpfer

als demokratische Errungenschaften und Gemeinwohl. Er konnte den Chicago-Plan für ein demokratisches Vorbild halten, weil eine Kommunal wähl über die Realisierung befinden sollte und die Öffentlichkeitsarbeit in einem Ausschuß organisiert wurde, in dem jeder Sitz und Stimme hat, der irgend dazu beitragen kann die öffentliche Meinung zu bearbeiten. Die propagandistischen Mittel sind ihm nicht nur legitim, sondern für Europa vorbildlich. Gegen die deutsche Besetzung der Aufgabe durch Bürokratie wird bereits die Utopie eines Plans zum Fortschritt, eine Massenbeteiligung ein weiterer Fortschritt. Den Austausch eines Deutungsmonopols gegen ein anderes, das der Bürokratie gegen das einer selbsternannten Elite, erkennt Hegemann nicht, weil er unter dem vorpolitischen Argument von Effizienz keine Frage nach den Zwecken zu stellen braucht. Daß der Plan sozialer Segregation und ökonomischen Vorteilen entgegenkommt, entgeht ihm ebenso wie die Prägung durch die Ästhetik der oberen Klassen und die Orientierung an ihren Aufenthaltsweisen in der Stadt - weil es auch die seinen sind. Dazu fügt sich nun das Lob für die feingeistige Lebenshaltung der Parkschöpfer; das immer wieder herausgestellte Engagement der einflußreichsten Männer und seine Bewunderung für die Fähigkeit, die ganze Angelegenheit zur populärsten Tagesfrage zu gestalten119. Der präsumtive Initiator berauscht sich in seinen Betrachtungen an der Vorstellung der Wohltaten, die von ihm ausgehen 120 . Seine vormals aufklärerische Position wird durch eine Empfindsamkeit gebrochen, wie sie als moralischer Charakter, der sich zur Ursache so vieler künftiger Wohltaten macht, hundert Jahre früher begegnet. Statt volkswirtschaftlicher Argumente und dem Effizienz-Prinzip kommt eine Asthetisierung und Transzendierung der Phänomenologie zum Tragen, die allein schon eine Nachstellung wünschenswert machen. Zweifellos entspricht diese scheinbar aufgesattelte, tatsächlich aber vor der rationalen liegende Erfahrungsstruktur Hegemanns eigenem Empfinden. Und so gestaltet er in einer Rücknahme des Pragmatismus diesen Appell als kulturelle Herausforderung, die die Selbstzufriedenheit des deutschen Bürgertums eher anzunehmen bereit ist, weil ihr Nutzen auf es zurückfällt. Im Bild der „einflußreichsten Männer" teilt Hegemann nun sein Credo und Ziel mit. Die Bauelemente der Sozial- und Stadtreform sind von Wohlgefallen verwässert worden und in der Phänomenologie von Boston untergegangen. Geweckt wurde ein persönliches Element, das in der beflügelnden Utopie der Gemeinschaftsarbeit noch die Reformbausteine enthält, aber von führenden Persönlichkeiten geprägt ist. Bildung heißt für Hegemann Kompetenz, die nach amerikanischem Vorbild: verpflichtet und nach deutschen Vorstellungen: ermächtigt, weltbesetzend zu handeln. 119 AP 8; Vorarbeiten (1910) 211. Die treibenden Kräfte bei diesem erfolgreichen und einzigartigen Unternehmen waren auf der einen Seite die überlegene Bildung der alteingesessenen neuenglischen Bürgerfamilien, und auf der anderen Seite die vorurteilslos für ihr physisches Wohlbefinden eintretende und einer weitsichtigen Führung gern folgende öffentliche Meinung einer Bevölkerung, deren aus aller Welt zusammengeströmte Elemente in einer, wie der Parkfrage, allgemein verständlichen Angelegenheit sich gern und schnell zusammenschließen. 120 ... beim Zuschauer kommen Walt Whitman'sehe Stimmungen auf: Ο my breast aches with tender love for all (ach, meine Brust schmerzt vor heißer Liebe für sie alle). Vgl. AP 8, 10, 11.

129

4.4 Berliner Projekt

Das Potential der Phänomenologie wandelte sich also bei seinen Überquerungen des Atlantiks mehrfach. Und daß es bei der Vermittlung einer Asthetisierung bedurfte, zeichnet im kleinen bereits die spätere Transformation des Habitus vor. Noch immer ist Hegemanns Befassen mit Planung völlig unsubstantiiert. Egalitäre Aktionsformen, sentimentalische Reize und monumentale Ästhetik erregten seine Neugier. Auch als Vermittler amerikanischer Exponate tat er sich nach seiner Rückkehr nicht hervor. Für Berlin wurden fünfzehn amerikanische Aussteller gewonnen und fast alle hatten schon in Boston ausgestellt. Die 120 amerikanischen Exponate, ein Zwölftel der Berliner Gesamtmenge, waren vor allem bei „Gebäudegruppierungen" und Grünflächen vertreten, durchaus repräsentativ für die zeitgenössische Planung. Damit aber reproduzierte Hegemann nur. Er reagierte auf ein vorhandenes Interesse und baute es erst in der Folge mit der Setzung eigener Schwerpunkte aus. Seine eigenen Lehrjahre in der Disziplin Stadtplanung beginnen erst mit der fachwissenschaftlichen Aufarbeitung nach der Berliner Ausstellung. Er kehrt aus dem nordamerikanischen Jahr lediglich mit einem Praktikum in Öffentlichkeitsarbeit zurück. Dort leitete Otto March schon im Juni 1909, unmittelbar nach seiner Rückkehr, konkrete Vorbereitungen für eine Ausstellung in Berlin ein. Am 12. Juni hatte er seine Vorstellungen bereits im preußischen Innenministerium vorgetragen und den warmen Beifall des Herrn Ministers des Innern gefunden121. Darauf lud er zum 23. Juni eine kleine Anzahl für die Bebauung Groß-Berlins interessirter Herren zu einer privaten Vorbesprechung in seine Wohnung. Ihnen kündigte er lediglich an: Es ist ein Plan aufgetaucht, dessen Verwirklichung im Stande ist, das Interesse an der städtebaulichen Entwicklung Gross-Berlins sehr wirksam zu beleben. Bei seinen Gästen dürfte es sich mehrheitlich um bekannte und befreundete Kollegen gehandelt haben, denn eine Abendeinladung Schloß sich an. March bat sie wahrscheinlich um gemeinsame Überlegungen zu Organisation und Aufbau. Dennoch hatte er sich vorher höheren Wohlwollens versichert, um nicht mit einem zu demokratischen Projekt anzuecken, als das ihm das amerikanische erschienen sein mußte. Dennoch schien er bei einem Teil der Kollegen auf Skepsis zu stoßen. Lieber Herr Muthesius! Könnten Sie es möglich machen, am Sonnabend um 11 Uhr sich mit Gocke [sie] u. Jansen bei mir Marchstr zu treffen? Die Herren haben zugesagt u. ich möchte sie sehr bitten, sich an der Ausstellungsbesprechung zu beteiligen, die dem Plane zu festerer Gestalt verhelfen soll. Ich habe viel interessantes Material aus Boston vorzulegen, das uns in vielen Punkten als Beispiel dienen kann. Ich möchte Sie persönlich für den ganzen Gedanken erwärmen, der mir immer fruchtbarer erscheint. Ja, ich hatt den stillen Traum, Sie an der Spitze des Unternehmens zu sehen. Kann Sie die Laufbahn des Geh. Rats [?] Richter mit der Unterstaatssekretär-Perspektive garnicht reizen? Einen ganz ausgezeichneten Gehilfen als Generalsekretär der Ausstellung könnte ich in Vorschlag bringen, Dr. Werner Hegemann, der sich studienhalber zur Zeit in Amerika aufhält, sprachgewandt, sehr intelligent u. arbeitsfreudig ist. ... 122 121

Schreiben von Otto March an Hermann Muthesius vom 12. Juni 1909, N M / W B A 2.1. Briefe von Muthesius an March sind aus diesem Zeitraum nicht erhalten. 122 March an Muthesius am 5. August 1909, N M / W B A 2.1. [H.i.T.] (folgen noch wenige Zeilen über

130

4.4

Wechselwirkung

Muthesius schien sich nur mäßig für das Unternehmen zu interessieren, während March sich offensichtlich mit Bedenken trug, ob der Einfluß von Kollegen wie Hermann Jansen und Theodor Goecke zur Durchsetzung und Bekanntmachung des Projekts genügen würde. Ihm schien, als bedürfe es eines Leiters von größerer öffentlicher Bekanntheit und dem Hintergrund offizieller Anerkennung. Die Werbung mit der Beförderung, ebenso der Anpreisung Hegemanns, um Muthesius eine Sinekure in Aussicht zu stellen, zielte ganz auf eine sekundäre Motivation. March bewies damit, wie viel ihm bereits an der Idee lag. Er wird offensichtlich zu Recht als spiritus rector des Unternehmens bezeichnet. Daß er bereits im August über Anschauungsmaterial aus Boston verfügte, zeigt den engen Austausch zwischen March und Hegemann, die die Ausstellung in Boston zur Inspiration nutzen 123 . Die Protektion Marchs, der Hegemann als Berliner Organisator avisiert, rührte somit nicht aus der verwandtschaftlichen Verbindung, einem buchstäblichen Nepotismus, sondern der geistigen Verbindung bei der Entwicklung dieser Idee 124 . In der Folge wird der Zusammenhang zwischen der Bostoner und Berliner Ausstellung durch die Person Hegemanns auch erfolgreich in der Presse lanciert. Es gereicht später sogar amerikanischen Berichtern zum Stolz und zum Beweis der Verbreitung städtischer Ausstellungen nach dem Vorbild der USA, daß ein Mitarbeiter der Bostoner Ausstellung kurz nach deren Eröffnung zur Vorbereitung einer weiteren solchen Ausstellung nach Berlin berufen wird 125 . Entsprechend kam Hegemann auch beim deutschen Fachpublikum an. Die „Bauwelt" folgerte - ganz im Gegensatz zum Nachweisbaren spiele gelenkt zu haben, sei namentlich gemann,

ein reichhaltiges

Material

den Blick auf ausländische Bei-

ein Verdienst ihres Generalsekretärs

zusammengestellt

und uns zugänglich

Dr.

He-

gemacht zu

haben. Theodor Goecke urteilte im Januar 1910 mit dem Recht des Älteren noch skeptischer: In dem Teil der Bostoner Ausstellung „The visible city" in dem das gesamte Gebiet des Städtebaus behandelt wurde; in diesem Teil hat sich unser deutscher der jetzt für die Allgemeine

Städtebau-Ausstellung

gewonnene Herr Dr. Hegeman [sie] die Sporen

in Berlin

1910 als

Landsmann

Generalsekretär

verdient126.

Hegemann kehrte demnach Mitte November nach Berlin zurück, um dort für die nächste Ausstellung zu arbeiten.

den Urlaub der Familie); damit endet der im Werkbund-Archiv erhaltene Briefwechsel bis auf zwei Karten von 1909 bzw. 1910. 123 So zeigen die ersten Meldungen weniger Hegemanns Einfluß in der Planung - so Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 124 - als sie vielmehr diesen Austausch belegen, in dem nämlich March selbst Zeuge der Neuerungen geworden war. 124 Das Verwandtschaftsverhältnis bedingte den Kontakt zum entscheidenden Zeitpunkt und erleichterte die Hierarchie der Aufgabenverteilung. 125 George B. Ford, The City Plan Exhibit in Berlin. In: Survey 24 (1910), p. 643-645, p. 643; Architectural Record 27 (1910), p. 126. Von Ford, wahrscheinlich mit Hegemann bereits persönlich bekannt, als leitender Mitarbeiter, von der Zeitschrift lediglich als Assistent angesprochen. 126 Bauwelt 1 (1910), S. 7. - Theodor Goecke, Vom nordamerikanischen Städtebau. In: Städtebau 7 (1910), S. 2-4, S. 4.

131

4.5

Neigungsbeschäüigung

4.5 Kontrastierende Bürgerlichkeit Die nach Erwerb des akademischen Grades angetretene Reise steht wie ein Gegengewicht zur Phase regelmäßiger methodischer Arbeit. Sie gilt ganz zu großbürgerlicher Boheme tendierender Neigungsbeschäftigung, die sich auch die Anforderungen der Kleinfamilie unterordnet. Nur äußerlich als Graduiertenbildung abgestimmt, erfolgen weder Erwerb von Leistungswissen noch Nachweisen, sondern zunächst planlose Bildungsaufenthalte an verschiedenen Orten. Brisanz entfaltet dieser Aufenthalt langfristig mit der Sprengung der Isolierung des „philosophisch-literarisch akzentuierten Bildungswissens" zu einem aktiven Geltendmachen jener „uneingeschränkten Gültigkeit der Bildungswerte und Kulturstandards für alle Gesellschaftsformen". Grundlage dessen ist das Kennenlernen einer für Hegemann entschieden anderen Bürgerlichen Gesellschaft. Die Bereitschaft zur aktiven Aneignung der Kulturstandards ist dort durch das Verbürgerlichungsstreben der Immigranten wesentlich höher; die zur aktiven Vertretung und Verbreitung jener Werte und Standards in den oligaxchischen Gruppen erheblich offensiver. Das Aufeinandertreffen beider Grundhaltungen erzeugt durch geplantes Handeln erkennbare gesellschaftliche und politische Wirkung. Hegemann trifft damit auf kontrastierende Gesellschaftskonzeptionen. Im amerikanischen Pragmatismus wird die bürgerliche Gesellschaft als eine sich fortwährend regenerierende angesehen, in der Wissenschaft und Philosophie die Selbstanalyse zum Zwecke „einer größeren Verfügungsgewalt gegenüber Umweltbedingungen" leisten und zur Erneuerung durch Erziehung und Kommunikation systematisch in die gesellschaftlichen Prozesse kultureller Orientierung eingebracht werden. Dieser optimistischen Perspektive stand ein spezifischer deutscher Blick auf Modernisierung als Tragödie der (bildungs-) bürgerlichen Gesellschaft gegenüber. Hier haftete wissenschaftlicher Rationalität die Negation des Utilitarismus an. Die Philosophie vollzog eine Trennung von Subjekt und Objekt, mit der die subjektive Kultur unter Verabschiedung von Geschichte und Gesellschaft die objektive Kultur transzendierte. Ästhetisierung kompensierte die verlorene Zukunft der bürgerlichen Gesellschaft 127 . Die in verschiedenen Gruppen für Hegemann erfahrbare Auslegung jener pragmatischen Kulturwerte gab potentielle Aneignungen vor. Sie können perspektivisch und in mehrfachem Sinn als 'Verbürgerlichung' gefaßt werden: die Überführung eines moralisch bewerteten gesellschaftlichen Defekts in ein nach wissenschaftlichen Maßstäben beschreibbares und veränderbares Ubergangsphänomen; die Überführung eines omnipräsent chaotischen Zustande der Umgebung in einen methodisch planbaren und rationell arbeitenden Funktionenverlauf; die Überführung unkoordinierter, moralisch begründeter Einzelanstrengungen in eine planende, effiziente und harmonisch selbständige Gemeinschaftsarbeit. Mit den Erfahrungen wandelt sich die praktische Teilnahme: von einer nicht zweckgebundenen Anschauung zur systematischen und absichtsvollen Betrachtung, schließlich zu einer projektbezogenen Auftragsarbeit innerhalb eines Sachgebiets und einer 127

132

Jäger, Bürgerlichkeit ..., S. 174-176, 180 f. , 176-179.

4.5

Operationalisierungsmodelle

Führungshierarchie. Die Mediation neigungsgebundener Projektarbeit ebnet den Weg zu Berufsarbeit. Diese Aneignungsmodelle kommen den Wertsetzungen bürgerlicher Kultur entgegen, insbesondere dem „Streben nach selbständiger Gestaltung der individuellen und gemeinschaftlichen Aufgaben" 128 . Sie ermöglichen eine Operationalisierung des Anspruchs auf die „uneingeschränkte Gültigkeit" der Kulturstandards und erzwingen sie geradezu. Hegemann nimmt die Aneignungsmodelle trotz ihrer divergierenden Aspekte als eines wahr. Unter diesem Anspruch erscheint es ihm als Handlungsmodell für ein aktives Geltendmachen bildungsbürgerlicher Interpretationen, nach dem nun „potentiell konkurrierende" Deutungen gegen „Verfügungsgewalten und Interpretationsinstanzen" eröffnet werden können. Sie richten sich sowohl gegen „staats- und verwaltungspolitisches Herrschaftswissen" wie gegen „ökonomisch-technisches Leistungswissen", gegen deren defizitäre Interpretation der Welt die philosophisch-künstlerisch bestimmten Standards durchzusetzen legitim möglich wird. Mißachtet wird dabei, daß deren Träger über die Allgemeinbildungsideologie in die Gültigkeit des Deutungsmonopols längst inkorporiert sind - weshalb die Initiative einer Politisierung verlustig geht, aber kohärent zum vertrauten Gesellschaftsbild erst deshalb Erfolg verspricht. Den Aneignungen leistet die Ansprache der verschiedenen Kenntnisse Vorschub. Die verquickte Qualifikation von Bildungswissen, fachlichem Leistungswissen und Spezialkenntnissen auch wirtschaftlich ergiebig verwerten und dabei einen darauf zugeschnittenen Markt als möglichen dynamischen eröffnen zu können, hat für Hegemann die Adaption des Modells vorangetrieben. Von der Empathie der ersten Rezeption zum Anstoß des Fachwissens verflacht die Aneignung zunächst noch in einem Asthetisierungsprogramm. Das aber rekurriert bezeichnenderweise mit der Verschiebung vom Objekt zum Subjekt auf die spezifisch deutsche Perspektive der Modernisierung bei Autor und Publikum. Seine Intentionen von Transzendierung machen die Öffentlichkeit der auszutragenden Konkurrenz dieses Deutungsanspruchs zulässig und erfolgversprechend. Der universelle Geltungsanspruch hat sich ein spezifisches Erfahrungswissen einverleibt. Die dabei neu entworfenen Wege zu kultureller Homogenisierung greifen aus einer anderen Ecke nach einer staatsgleichen Autorität, weil sie nun eine neue Kompetenz zur Definition des Gemeinwohls besetzt haben. Uber die Asthetisierung kann die Konkurrenz vermittelt werden wie auch der Utilitarismus der Arbeit zur selbstlosen Hingabe geschönt. Immer noch vorrangig eine ästhetische Figur, mittels derer die konkurrierende Autorität des Bildungsideals auf ihr entgegenstehende Felder ausgebreitet werden kann, entfaltet sich die Aneignung dennoch als Modernisierungsimpuls. Die Aneignung ist trotz ihrer Beschränkungen anti-traditional und innovationsfreundlich und sie korrespondiert mit dem verstärkt geltend gemachten Leistungsprinzip. Der Transfer schließlich ist nicht nur kompatibel mit beruflicher Qualifikation und Leistungsfähigkeit, sondern bedarf ihrer bereits als Voraussetzungen. Statt der Nähe zur Macht von Bürokratie und Technokratie suggeriert er konkurrierende Distanz und erhält so die Fiktion eines eigenständigen, 128

Kocka, Bürgerlichkeit ..., S. 43.

133

4.5 Transfer

sich durch unabhängige Allgemeingültigkeit selbstlegitimierenden Weltinterpretationsmonopols bildungsbürgerlichen Ursprungs. Die Selbstpräsentation nimmt auf diese Formation keinen Bezug. Ihre Umformungen sind ganz darauf abgestimmt, daß neben dem Fachwissenserwerb die Präsentation einer leitenden Tätigkeit wesentlich häufiger auftrete und damit eine Legitimation durch Praxis und Erfahrungswissen als zielgerichtet und methodisch erworbenes Leistungswissen behaupte. Die zunehmend defizitäre Legitimationskraft der Allgemeinbildung wird mit diesen Re-Formationen bestätigt. Das ist sowohl Konstrukt wie im Selbstverständnis infolge der verquickten Qualifikation kohärent. Die damit unterschlagenen Neigungsbeschäftigungen als Anteil der Qualifikation treten später in dekouvrierender Umdeutung zutage, indem eine Tätigkeit in behördlichem Auftrag und Besoldung aus öffentlicher Hand vorgegeben wird. Bildungsakkumulation als Selbstzweck - hier der Ausgangspunkt - ist als hinreichende Legitimation in der Zwischenzeit erloschen. Es bedarf dann, nach der über Ästhetisierung vermittelten Transformation, des bürgerlichen und sanktionierten Arbeitsethos und des professionell wie politisch akzentuierten Spezialwissens, um die Stimme zu erheben.

134

5 Berlin 1910 - 1913

Die Untersuchung der ersten Berliner Arbeitszeit Hegemanns hatte zunächst die widersprüchlichen und auch fehlerhaft tradierten Beschäftigungen und Tätigkeiten und ihre Umstände zu erschließen und, soweit anhand bisher unbeachteter Quellen und Dokumente möglich, zu korrigieren. Erst seinen tatsächlichen Anteil an diversen städtischen Veranstaltungen und die Bedingungen seiner Arbeit zu erschließen, erlaubt, ein Gesamtbild zu zeichnen und Thesen zu bilden. Am Anfang steht daher die Berliner Städtebauausstellung und ihre nachfolgenden Veranstaltungen, die, in diesem Kontext erstmals systematisch erschlossen, bisher unbekannte Verkettungen zeigen. Dabei werden die von Hegemann reklamierten Funktionen überprüft und korrigiert, das in der Forschung ihm zugeordnete Bild kritisch ergänzt. Die städtischen Veranstaltungen und ihr Personal bilden den Hintergrund für Hegemanns erstes großes Werk, das eine Auftragsarbeit über die Städtebauausstellung war. Es wird im Verhältnis zu seiner Aufgabenstellung betrachtet und erweist sich dabei als eine eigenständige Erzählung, die dem neuen Fach Ahnen und Geschichte stiftet. Zur Erklärung dieser Diskrepanz zwischen Auftrag und Erzählung wird Hegemanns Umfeld ausgeleuchtet. Die Begriffe und Gruppen, mit denen Hegemann sich assoziierte, zeigen die Ubergänge und Ubernahmen, die das Themenfeld von Städtebau beeinflussen und den Ausbau zur Kulturfrage prägten. Die gesellschaftspolitischen Themenfelder, aus denen Hegemann die Anregungen zu dieser Auslegung bezog, werden als inhaltlicher und organisatorischer Rahmen seiner weiteren Aktivitäten kenntlich gemacht. Seine Arbeiten für Gruppen und Vereine werden untersucht und auf ihre Bedeutung in Hegemanns Formation betrachtet. Diese Gliederung aus der Retrospektive führt zu einer abschließenden systematischen Betrachtung, die nach dem erkennbaren Wandel in Hegemanns gesellschaftspolitischer Haltung und dessen struktureller Signifikanz zu fragen hat. Die übergreifenden Fragen werden so schrittweise beantwortet: Wenn seine inhaltliche Beteiligung an den Gründungsveranstaltungen der neuen Disziplin kleiner als vermutet war, lag sein herausragender Beitrag in der Vermittlung ihrer Anliegen. Wenn sein Buch zum Fach eine exemplarische Realisierung bildungsbürgerlicher Deutungshoheit war, bedeutete die Kollision, die sich bei ihrer öffentlichen Anmeldung ereignete, einen für die spätere Distanz notwendigen Bruch. Die Anfänge praktischer Umsetzung gesellschaftspolitischer Positionen wie die beginnende Kritik ihrer theoretischen Voraussetzungen lassen sich aus der Retrospektive als Anfänge eines Prozesses der Selbstreformation bestimmen, der sich hier erst andeutet.

5.1 Initiatoren

5.1 Die Städtebauausstellung Berlin 1910 Die Initiative zu einer Städtebauausstellung übernahmen in Berlin die berufsständischen Vereinigungen der Architekten 1 . Damit meldete sich eine professionelle Elite zu Wort, die auch noch Beteiligung weiterer Gruppen forderte: Zur Aufstellung eines Programmes für den Wettbewerb bedarf es des Zusammenwirkens der Staats- und Gemeindebehörden einerseits, von Architekten und Ingenieuren, Hygienikern, Volkswirten und sonstigen Sachverständigen.2 Die Interessengruppe bestimmte Planungsbedarf als kulturelle Problemstellung, die mit professionellen und verwaltungstechnischen Mitteln zu lösen war. Eine Anbindung an privatwirtschaftliche Fragen lag außerhalb der Vorstellungen und so wurde eine Einbindung der Wirtschaftselite gar nicht erst vorgenommen. Ihre Darlegungen kennzeichnen kultur- und nationalpolitische Argumente: ein 'Verantwortungsbewußtsein für die Kultur des Volkes'. Die Selbsterhöhung, in der sich die Architekten als Schöpfer und Verteidiger der Kultur sehen, resultiert aus einem wilhelminischen Elitebewußtsein und legitimiert die Eroberung eines Arbeitsfeldes. Im Vergleich mit den Vereinigungen in amerikanischen Großstädten zeigen sich nicht die Träger, sondern lediglich die Mittel als ähnlich. Die hiesige Interessengruppe arbeitete ebenfalls durch einen gewählten Ausschuß, der Richtlinien festlegte und publizierte, dann Gelder aufbrachte, um seine Arbeit zu finanzieren. Sie stand nur insofern einer Bürgerinitiative nahe, als sie auf ein Defizit im politischen Handeln mit der Bildung einer außerparteilichen Gruppe reagierte und durch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen die Schließung der von ihnen erkannten Lücke im Verwaltungshandeln bewirken wollte. Sie unterschied sich signifikant, weil sie ihre Aktionsgruppe nicht massenhaft und demokratisch vergrößerte, sondern ein elitärer Kreis blieb; nur das Anliegen sollte massenhaft publik werden. Die amerikanischen Gruppen waren den Initiatoren dabei als Vorbild bekannt.

1 Eine umfassende Darstellung und Bewertung fehlt bisher. Die Anregungen und der daraus folgende Wettbewerb werden entweder im Zusammenhang mit der politischen Entwicklung verhandelt oder dessen Ergebnisse in städteplanerisch-künstlerischer Sicht bewertet. Siehe zu ersterem Ernst Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Steinschen Städteordnung (1927). In: Ernst Kaeber, Beiträge zur Berliner Geschichte. Ausgewählte Aufsätze (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 14), Berlin 1964, S. 234-376 und Felix Escher, Berlin und sein Umland. Zur Genese der Berliner Stadtlandschaft bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 47), Berlin 1985. Zweites bei Helge Pitz/Wolfgang Hofmann/Jürgen Tomisch, Berlin-W. Geschichte und Schicksal einer Stadtmitte, Bd. 1.2., Berlin 1983, S. 153-185 und Julius Posener, Berlin auf dem Wege zu einer neuen Architektur. Das Zeitalter Wilhelms II., München 1979, bes. S. 245 ff. So auch bewertet von Harald Bodenschatz/Dieter Radicke, Das 'Großstadtungeheuer' Berlin: Städtebauausstellung Berlin 1910. In: Arch+ 78 (1984), S. 68-72, S. 72; Thema ist die Bewertung der Ausstellung in zeitgenössischen Fachurteilen. Hegemann wird nur registriert, Abwicklung und Finanzierung des Unternehmens nicht erfragt. Wenig mehr: Harald Bodenschatz, Platz frei für das neue Berlin! Geschichte der Stadterneuerung in der „größten Mietskasernenstadt der Welt" seit 1871 (Studien zur neueren Planungsgeschichte 1), Berlin 1987, S. 35-38. 2

Anregungen zur Erlangung eines Grundplanes für die städtebauliche Entwicklung von Groß-Berlin. Gegeben von der Vereinigung Berliner Architekten und dem Architekten-Verein zu Berlin, Berlin o.J. [1907], S. 5.

136

5.1.1 Denkschrift

5.1.1 Vorgeschichte In der Vereinigung Berliner Architekten (VBA), 1879 gegründet, hielten im Jahr 1905 die Architekten Albert Hofmann, Theodor Goecke und Emanuel Heimann städtebauliche Vorträge 3 . Daraus entstand die Idee zur Gründung eines „Ausschuß für GroßBerlin", der sich am 15. März 1906 diesen Namen gab. Der Architekten-Verein zu Berlin (AVB) von 1824 wurde bald am Ausschuß beteiligt, der damit unter dem Vorsitz Otto Marchs fünfzehn Mitglieder umfaßte 4 . Erst 1912 deklarierte der Ausschuß sich zum „Architekten-Ausschuß", um sich von der bekannten Propaganda-Gruppe zu unterscheiden, der späteren Gruppe Hegemanns. Der Gesamttitel betonte somit Expertentum und Seriosität und bestätigt die Aversion gegen Populismus. Der Ausschuß beriet Leitsätze und eine Programm-Skizze für einen Bebauungsplan des Groß-Berliner Gebietes. Er veröffentlichte sie mit den drei vermutlich überarbeiteten Vorträgen als Anregungen zur Erlangung eines Grundplanes für die städtebauliche Entwicklung von Groß-Berlin. Die Publikation bedeutete eine Herausforderung an das kommunale Verwaltungshandeln und der professionellen Beteiligung der Gruppe. Die „Anregungen" machten die Vorgaben, innerhalb derer sich darauf Wettbewerb und Ausstellung entfalteten. Anlaß war, so bei Heimann, die bekannte Größen sprengende Wanderungsbewegung in die Großstädte, deren Verstärkung er noch erwartete: Haben wir vorgesorgt, alles das zu tun, was eine solche Menschenansammlung erträglich machen kann? Ziel ist jedoch nicht ein Beitrag zur Sozialen Frage, sondern aus dem ungeordneten Agglomerat ... eine großzügig geplante, künstlerisch gestaltete Großstadt zu machen. Das Defizit von Politik und Verwaltung wird festgestellt und Behebung gefordert. Zur Begründung verweist man auf die Hauptstadt als Identifikationsobjekt der Staatsbürger und fremder Besucher 5 . Während Goecke sich auf die auswärtigen Vorbilder für Grüngürtel und Berliner Möglichkeiten konzentrierte, tritt in Hofmanns Begründungen der nationalistische Konkurrenzgedanke stärker hervor. Die Verantwortung des Staates für Bevölkerung und Gewerbe verpflichte im Vergleich mit dem Ausland zum Handeln. Um aus dem GroßBerlin des XX. Jahrhunderts eine wirtschaftlich-technische und künstlerische Einheit zu machen, nahm er das Berlin des 18. Jahrhunderts und die amerikanische Hauptstadt zum Vorbild. In Washington war anläßlich der Hundert-Jahr-Feier eine Kommission aus zwei Architekten, einem Landschaftsarchitekten und einem Bildhauer berufen worden. 3 Bodo Ebhardt, Bericht über die Tätigkeit des Architekten-Ausschusses Groß-Berlin, gebildet im Jahre 1906 durch die Vereinigung Berliner Architekten und den Architekten-Verein zu Berlin, BerlinGrunewald 1912, S. 3. Die in den „Anregungen" publizierten Vorträge dieser drei sind zwar mit dem Datum 18. Januar 1906 versehen, dürften aber mit den genannten zu identifizieren sein. 4 Ebhardt, Bericht ..., S. 4; Anregungen ..., Vorwort. Vom VBA: Ebhardt, Genzmer, Goecke, Heimann, Hofmann, Jansen, Schwechten; vom AVB: Bredtschneider, Eiselen, Körte, Krause, Schulze, Stübben, Wieck. March und sieben weitere waren ohnehin Mitglieder beider Vereine. Nach Ebhardts Liste von 1912 herrschte eine große Kontinuität im inzwischen auf 21 Mitglieder erweiterten Ausschuß. 5 Emanuel Heimann, Berlins Wachstum und seine bauliche Zukunft. In: Anregungen ..., S. 7-12, und mit Abweichungen, möglicherweise Fassung des Erstvortrags, in: Wochenschrift des ArchitektenVereins zu Berlin [WAVB] 1 (1906), S. 214 f. und S. 223 f. Theodor Goecke, Wald- und Parkgürtel, eine Anregung für Groß-Berlin. In: Anregungen ..., S. 13-18.

137

5.1.1 Werbung

einen neuen Bebauungsplan zu bearbeiten: die McMillan Commission 6 . So ausgestattet, mit autokratischen Befugnissen, mochte sich der Ausschuß gerne sehen. Der konkurrierende Deutungsanspruch der Künstler-Bildungsbürger kommt darin exemplarisch zum Ausdruck. Weit entfernt von pluralistischen Vorstellungen, bedeutete er durch Anfechtung des staatlichen Monopols dennoch eine Innovation. Im Frühjahr 1907 wurde die Denkschrift herausgegeben und den Berliner Gemeinden zur Verfügung gestellt. Im weiteren beschränkte sich der Architekten-Ausschuß offenbar mehrheitlich auf Eingaben und Gutachten 7 , verfolgte jedoch seine Ziele per Honoratiorenpolitik weiter. Architekten hielten in Gruppen wie dem Verein der Berliner Kaufleute und Industriellen oder dem Berliner Bezirksverein Deutscher Ingenieure Vorträge, zu denen diese wiederum Stadtverordnete einluden 8 . Schon im Herbst stellte sich der Erfolg ein. Am 17. Oktober 1907 konnte March in der Sitzung des Vereins Berliner Architekten berichten, daß die Denkschrift mit Sympathie aufgenommen worden sei, von Oberbürgermeister Kirschner sogar mit „Eifer". Damit sei die Ausschreibung eines Wettbewerbs schon beschlossen9. Die Stadt Berlin wolle das Geschäftliche übernehmen, was Kirschner so begründete: Mit Rücksicht auf die bedeutende Tragweite, die dem Wettbewerb beigemessen werden muß, und auf die Vorteile, die für die Bürgerschaft Berlins und die Stadtgemeinde als Grundeigentümerin für die Zukunft erhofft werden, haben wir ... zugestimmt. Der Oberbürgermeister erkannte auf eine Vorreiterrolle Berlins und potentiellen fiskalischen Nutzen. Die Hürde der Finanzierung wurde am 2. April 1908 genommen 10 . Die Verteilung der Kosten unter die beteiligten Gemeinden und Kreise sollte, nachdem die Umlegung nach dem Maßstabe des Flächeninhalts seitens der Vertreter der Kreise 6

Albert Hofmann, Groß-Berlin als wirtschaftspolitischer, verkehrstechnischer und baukünstlerischer Organismus. In: Anregungen ..., S. 19-32, bes. S. 30. 7 Die Ausschußdebatten nicht dokumentiert; Eingaben und Gutachten im „Zweiten Tätigkeitsbericht". Hans Nowack, Das Werden von Groß-Berlin (1890-1920). Dissertation (MS) Berlin 1953, S. 121, Schreiben zum Zweckverbandsvorhaben; Proteste: Berliner Architekturwelt [BAWj 12 (1910), S. 325; gedruckt in WAVB 4 (1909), S. A 532-534. 8 Rep. 00-0211, Nr. 1566, Landesarchiv Berlin, Stadtarchiv, Berlin. Die dünne Akte, eine der wenigen, die sich trotz intensiver Suche mit dankenswerter Unterstützung von Herrn Dr. Hans Czihak zu diesem Problemkreis hat ermitteln lassen, enthält zwei solcher Einladungen an den Vorsitzenden der Berliner Stadtverordneten. Heimann sprach im November 1907 vor den Kaufleuten über die bauliche Entwicklung Groß-Berlins und Blum im März 1908 vor dem Verein deutscher Ingenieure über Verkehrspolitik der Großstädte. Auch im Archiv des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin keine Materialien zur Ausstellung; Gespräch mit Herrn Hoffmann, Archiv des Architekten- und Ingenieurvereins Berlin, 17. Juli 1992. 9 BAW 10 (1908), S. 360. Die Jahreszahlen bei Ebhardt sind nicht zuverlässig. Über die Daten scheint auch in den Vereinen Verwirrung zu herrschen und die eigene Geschichte schnell in Vergessenheit zu geraten. Zweiter Tätigkeitsbericht des Architekten-Ausschusses Groß-Berlin. Dem Architektenverein zu Berlin und der Vereinigung Berliner Architekten im Auftrage des Ausschusses erstattet vom Vorsitzenden desselben, Berlin 1918, S. 3, datiert die „Anregungen" auf das Frühjahr 1908. Bei Kaeber, Weichbild ..., S. 353, Januar 1907; tatsächlich spätestens im Frühjahr 1907 erschienen. 10 Collins, Discipline ..., p. 15, konnte noch davon ausgehen, daß Wettbewerb wie Ausstellung ohne finanzielle Beteiligung der Stadt gehalten wurden und die Ausschreibung allein von den Vereinen ausging.

138

5.1.1 Finanzierung

abgelehnt worden war, je zur Hälfte nach der Einwohnerzahl und der Summe der staatlich veranlagten Steuern vorgenommen werden. Bei diesem Maßstabe wäre auf Berlin ein Kostenanteil von 104.280 Mark entfallen. Es wurde anerkannt, daß dieser Anteil zu hoch wäre und schließlich kam eine Einigung dahin zu stände, daß Berlin die Hälfte der Kosten übernehmen, die andere Hälfte auf die übrigen Beteiligten nach dem oben bezeichneten Maßstabe der Einwohnerzahl und staatlich veranlagten Steuern verteilt werden sollte. Danach ergaben sich folgende auf 1000 Mark abgerundete für

Berlin Charlottenburg Schöneberg Rixdorf Wilmersdorf Spandau Potsdam Kreis Niederbarnim Kreis Teltow

inkl. Lichtenberg

Anteile: 82 21 10 7 6 3 J, 15 17

000 000 000 000 000 000 000 000 000

Mark

Es ergab sich eine Summe von 165.000 Mark, von der 115.000 Mark für die Preise und der übrige Teil für Vorarbeiten, Preisgericht und weitere Kosten vorgesehen waren 11 . Der Vorschlag, einen Wettbewerb für einen Bebauungsplan zu veranstalten, wax nicht strittig. Die Vorbildlichkeit, die der Hauptstadt und ihren Nachbarstädten anstand, und die Fortschrittlichkeit, die sie damit dokumentierten, überzeugten. Die praktische Durchführung warf die Städte jedoch auf das zurück, was sie dadurch einzudämmen hofften: die Zersplitterung in selbständige Verwaltungseinheiten. Die Kostenverteilung war ein Politikum, das erzeugte, was ein Bebauungsplan auch überwinden sollte: die eifrige Beachtung der Gemeinden, nicht übervorteilt zu werden und selbständige Interessen zu bewahren 12 . Für die Initiatoren war diese Einigung ein gutes Omen. Im Nachhinein deutet sie schon auf die Hoffnungslosigkeit des Unterfangens. Der Wettbewerb zur Erlangung eines Grundplanes wurde zum 15. Oktober 1908 ausgeschrieben und der Ausschuß formulierte in einer Debatte, daß dabei alle Fragen materieller Natur, wie die Verkehrs- und sozialwirtschaftlichen Fragen, sich den baukünstlerischen Fragen anzupassen hätten13. 11 Rep. 00-0211, Nr. 1566, Landesarchiv Berlin, Stadtarchiv. Siehe auch Nowack, Werden ..., S. 121 f. - Kreise und Gemeinden wurden mit je einem Vertreter am Preisgericht beteiligt. Änderungen in der Zusammensetzung der Jury erregten offenbar Unmut, siehe WAVB 3 (1908), S. A 276; BAW 11 (1909), S. 159 und S. 318. Liste bei Ebhardt, Bericht ..., S. 7. 12 Der Wettbewerb löste offenbar eine hektische Aktivität in den Gemeinden aus, offene Planungsfragen zu bearbeiten, um auf ihre Weise einem äußeren Einfluß entgegenzuwirken; WAVB 4 (1909), S. 532 f. (27. Oktober 1909). 13 BAW 11 (1909), S. 79 über die Sitzung vom März 1908. - Zu den programmatischen Aspekten der Ergebnisse des Wettbewerbs liegt jetzt vor: Wolfgang Sonne, Ideen für die Großstadt: Der Wettbewerb Groß-Berlin 1910. In: Stadt der Architektur - Architektur der Stadt. Berlin 1900-2000, Hrsg. von Thorsten Scheer, Josef Paul Kleihues, Paul Kahlfeldt, Berlin 2000, S. 67-77. Sonne geht noch davon aus, daß die Ausstellung parallel zum Wettbewerb geplant wurde und sich unter der

139

5.1.1 Vorgaben

Am 22. März 1909 hielt Otto March in der öffentlichen Sitzung der Akademie des Bauwesens eine Rede über Das ehemalige und zukünftige Berlin in seiner städtebaulichen Entwicklung. Diese Rede muß als Vorgabe und Richtlinie zur Behandlung des Wettbewerbsthemas angesehen werden14. Marchs Darstellung des Städtebaus der Hohenzollern ist von der Bewunderung für Interventionsfreiheit und dekretierte Ästhetik geprägt, die aus zeitgenössischer Ohnmacht resultiert. Sie prägt auch Hegemanns frühen Ansatz, der in seinem ersten Artikel für Berlin ausdrücklich auf diese Rede verwies. Der folgenden Entwicklung hätten sich, laut March, unsere Organisationen städtebaulich nicht gewachsen gezeigt. Das gleichmäßige Steinmeer ließe jede Zentrierung und Hierarchisierung des Bauens vermissen. Dies lediglich als Folge der fehlenden politischen Einheit Berlins deutend, forderte March deshalb ein Stadterweiterungsamt als selbständige Körperschaft mit besonderen Rechten und prägte dafür nach Bismarck das Wort von der Blut- und Eisenpolitik15. Der Städtebau sei wie die Architektur eine raumbildende Kunst, deren Schönheit in erster Linie in höchster Zweckmäßigkeit besteht. March berief sich auf Camillo Sitte und das Studium alter Vorbilder. Sein besonderes Thema - entsprechend der unaufhaltbaren und unangefochtenen Privatisierung der Stadt - sind die Plätze Berlins, für die er eine Wiederherstellung oder Erhöhung der Raumwirkung forderte. Die Gestaltung eines grünen Ringes und die Lösung der Verkehrsfragen im Wettbewerb erachtete March ohne breite Erörterung quasi als selbstverständlich. Ausführlicher äußerte er sich zur Wohnhausfrage. Das Miethaus soll eine ästhetische Reform erfahren, die sich aber auf Fassadenbehandlung und Straßenraumgestaltung beschränkt. Vorrang hatte die Versorgung mit Einfamilienhäusern; 'Dezentralisierung' als Verbreitung der Siedlungen über das Umland 16 . Das damit beschriebene Ziel qualitätvoller Erfüllung schichtenspezifischer AnforderunLeitung von Otto Marchs Schwager [!] Werner Hegemann (67) zur publikumswirksamen Präsentation auswuchs, unterstellt mithin inhaltliche Gestaltung. Vgl. Christoph Bernhardt, Bauplatz Groß-Berlin. Wohnungsmärkte, Terraingewerbe und Kommunalpolitik im Städtewachstum (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 93), Berlin-New York 1998, S. 271-279 und Erich Konter, Verheißungen einer Weltstadtcity. Vorschläge zum Umbau „Alt-Berlins" in den preisgekrönten Entwürfen des Wettbewerbs Gross-Berlin von 1910, in: Gerhard Fehl/Juan Rodrigues-Lores (Hrsg.), Stadt-Umbau. Die planmäßige Erneuerung europäischer Großstädte zwischen Wiener Kongress und Weimarer Republik, Basel-Berlin-Boston 1995, S. 249-272. 14 Otto March, Das ehemalige und zukünftige Berlin. In: WAVB 4 (1909), S. 164-170. Auch als Sonderdruck und in anderen Zeitschriften; außerdem in: Werner March (Hrsg.), Otto March 1845-1912 [!]. Ein schöpferischer Berliner Architekt an der Jahrhundertwende, Reden und Aufsätze, Tübingen 1972, S. 65-83. 15 ..., wobei das erstere durch schmerzliche, unfreiwillige Opfer dargestellt wird, letzteres durch die Spitzhacke, die heilsame Durchbrüche für die vordringenden Verkehrswogen schaffen muß, das Hegemann später so gern aufgriff. March, Das ehemalige und zukünftige Berlin ..., S. 170. 16 Das Miethaus ist für ihn ohnehin „kulturell minderwertig", weil das deutsche Wohnempfinden ... individualisierende Absonderung und malerisch gruppierte Gestaltungen bevorzugt. Die Priorität des Einzelhauses ist von englischen Eindrücken beeinflußt. Das unverzichtbare Miethaus bedarf aber der angemessenen Gestaltung. Dabei ist vom ästhetische[n] Sinn der Romanen zu einer planmäßigeren symmetrischen Anordung zu lernen. Statt einer falscher Individualisierung ist das Mietshaus einzuordnen und als Hintergrund für wirkungsvolle Monumentalbauten zu nutzen. 140

5.1.1 Inspiration

gen an das Stadtleben verstand March als gesellschaftliche Befriedung und Vorsorge 17 . Städtebau wird als Präge der Kultur zur Pflicht. March sah dabei den Wettbewerb als Möglichkeit, zum ersten Male durch Zusammentragen der sämtlichen genehmigten Bebauungspläne ein Gesamtbild der geschaffenen Lage zu geben. Davon ausgehend, ist die Überlegung, deren Präsentation mit einem Gesamtbild der Errungenschaften des Städtebaus zu verbinden, ebenso einfach wie genial. Otto March wird auch von Zeitgenossen stets als derjenige gewürdigt, der Idee und Anregung zu der Städtebauausstellung 1910 gegeben hat 1 8 . Die Inspiration Marchs beim Besuch der New Yorker Ausstellung erklärte den Ursprung dieser genialen Idee für ein in Deutschland vorbildloses Unternehmen 19 . Lediglich die Abteilung „Städte" der großen Dresdner Ausstellung von 1903 stellte einen vorigen Versuch dar. Marchs Umsicht, mit der er zunächst im Ministerium ventilierte, dann seine Kollegen als Ansprechpartner umwarb, um niemanden zu verstimmen, zeigen, daß die New Yorker Ausstellung und ihre drastischeren und aufrührerischen Elemente auch eine Negativfolie bildeten. Die hiesige Ausstellung sollte, dem Anliegen des Architekten-Ausschusses entsprechend, vor allem seriös sein und im Einvernehmen mit den institutionellen Kräften Zustandekommen. Dabei erfüllte der Plan, das Interesse an der städtebaulichen Entwicklung Gross-Berlins sehr wirksam zu beleben, ideal die ursprüngliche Absicht, der konkurrierenden Deutung durch Öffentlichkeit Macht zu verleihen 20 . Die Frist des Wettbewerbs endete erst Mitte Dezember 1909 und eine Entscheidung der 17 Die in solchen Massen kasernierten Stadtbewohner bilden eine ständige gesundheitliche und gesellschaftliche Gefahr. Sie fühlen sich von ihren rohen Wohnverhältnissen abgestoßen, und mit der Abgeschlossenheit von der Natur und dem Angewiesensein auf Anregungen durch Zeitungen und Wirtshausleben stellt sich jene unfrohe Stumpfheit und Phantasielosigkeit ein, die mit Recht als das größte Unglück des Volkes bezeichnet worden sind, da sie dem Familienleben, unserm Rechtsleben und dem Staate entfremden. Hier wird die friedlose Kritik gezüchtet, die für das politische Gesamtbild der deutschen Großstädte charakteristisch ist. Neben der Berufung auf England zeigt aber sein Lob Eberstadts und Mangoldts, daß March bewußt ist, daß die Massenverbreitung des Einfamilienhauses politische Reformen zur Voraussetzung hat, nicht sie ersetzen kann. - Kennzeichnend ist Marchs maßvolle Sprache, die zwar die Auffassung einer politischen Bedrohung durch Unterschichten, doch auch die Anerkennung eines Rechtes auf bessere Wohnverhältnisse belegt. 18 Albert Erich Brinckmann, Allgemeine Städtebau-Ausstellung Berlin 1910. In: Neudeutsche Bauzeitung [NDBZ] 5 (1909), S. 520 f., S. 521 als früheste Aussage, sonst angedeutet und in den Nachrufen explizit: Joseph Stubben, Otto March. In: Zentralblatt der Bauverwaltung [ZDBJ 33 (1913), S. 199 f.; Hans Schliepmann, Otto March. In: BAW 15 (1913), S. 45-49, S. 49; Emil Högg, Otto March. In: Kunstwart 26 (1913), S. 222 f. - Jansen sah March wie Goecke gleichermaßen verdient an; Schumacher später March und Hegemann. 19 Brinckmann, als ehemaliger Mitschüler Hegemanns gut unterrichtet, kannte den Zusammenhang offenbar: Er sprach in einer Ankündigung von „Kräften" in Berlin, die ein leichter Anstoß zu machtvoller Wirkung bringen kann, bringen muß. In New- York fand in diesem Mai eine derartige Veranstaltung statt, für den November ist eine ausgedehntere und besser organisierte in Boston geplant, die durch geschicktes Heranziehen von Presse und Vereinen eine wahrhaft volkstümliche werden wird; Brinckmann, Städtebau-Ausstellung ..., S. 521 f. (etwa Ende Oktober 1909). 20 March an Muthesius, 12. Juni 1909, N M / W B A 2.1. Nach Bodenschatz, Platz frei..., S. 35, „zündet" March „eine zweite Stufe" in der „rührigen Public-Relations-Aktion" des AVB.

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5.1.1 Vorbereitungen Jury sollte im Frühjahr des folgenden Jahres fallen21. Eine verbindende Präsentation vorzubereiten, blieb also ein halbes Jahr lang Zeit. March bildete zur Erarbeitung der geplanten Ausstellung ein neues Komitee, dem Goecke, Heimann, Hermann Jansen und Joseph Stübben, alle bereits Mitglieder der Architekten-Ausschusses, und weiter der Gartenbaudirektor Albert Brodersen und nun auch Rudolf Eberstadt und Hermann Muthesius angehörten. Im späteren Arbeitsausschuß kamen zwei Stadtbauräte dazu. Bei den zahlreichen latenten Verfeindungen zwischen Schulen, die sich auch innerhalb der Berliner Architektenschaft - etwa zwischen Jansen und Stübben - auswirkten, muß dieses als außerordentliche Leistung Marchs anerkannt werden, der als Mann unbedingten Vertrauens aller22 dies offenbar als einziger überhaupt vermocht hatte. Im September richtete March eine Eingabe an den Berliner Magistrat, in der er für die Verbindung der Ausstellung der Wettbewerbsentwürfe mit einer der „Gegenwartsbestrebungen" des Städtebaus warb. Er bat die Behörde der Reichshauptstadt die Organisation und Leitung ...in die Hand nehmen zu wollen23. Mit diesem diplomatischen Geschick erreichte March offizielle Zustimmung, ohne die Leitungsfunktion aus der Hand geben zu müssen und gewann gerade Oberbürgermeister Kirschner als „Präsidenten". Er schlug auch im Januar 1910 den Gemeinden vor, bei der Vorfinanzierung der Städtebauausstellung durch einen Garantiefonds in derselben Weise wie beim Wettbewerb zu verfahren. Die kleineren Städte stimmten schnell zu, während die Stadt Berlin bis April zögerte, die Landkreise aber ausscherten24. Im November 1909 erschienen die ersten Pressemeldungen über eine geplante Städtebauausstellung 25. Der Name Hegemanns fiel nicht vor Januar 1910. Das zunächst entworfene Programm gliederte sich in zehn Ausstellungsgruppen: Pläne des Wettbewerbs, Stadtpläne aus dem In- und Ausland, Verkehr, Statistik zu Gesundheit und Volkswirtschaft, Bebau21

Am 19. März 1910 fällten die Preisrichter über die 27 eingereichten Entwürfe schließlich ihr Urteil. Der Wettbewerb und seine weiteren Zusammenhänge werden hier nicht debattiert. Siehe dazu: Wettbewerb Groß-Berlin 1910. Die preisgekrönten Entwürfe mit Erläuterungsberichten, Berlin 1911. Zur zeitgenössischen Debatte siehe den Jahrgang 1910 der benutzten Zeitschriften, in denen sich mehr Literatur findet als hier genannt werden kann, sowie Stephan Waetzold (Hrsg.), Bibliographie zur Architektur im 19. Jahrhundert. Die Aufsätze in den deutschsprachigen Architektur-Zeitschriften 17891918, Bd. 1-8, Nendeln 1977, Titel 5029-5295 zu Berliner Bebauungsplänen und Wettbewerb. 22 Högg, March ..., S. 222 f. 23 Abschrift der Eingabe vom 2. September 1909 in Akten betr. Allgemeine Städtebau-Ausstellung 1910 in Berlin, 1909-1911, 34R-7-12, Rathausarchiv Neukölln, Berlin. - Marchs Geschick wird erst dann in vollem Umfang deutlich, wenn man neben den Aktivitäten der Gemeinden bedenkt, daß der Berliner Oberbürgermeister Martin Kirschner sich bereits während des laufenden Wettbewerbs gegen die Etablierung eines Künstlerischen Beirats für Städte ausgesprochen hatte. Er sah darin eine Regierungsbehörde, die die Kommunalverwaltung einschränken mußte. WAVB 4 (1909), S. 532 f. (27. Oktober 1909). 24 Landrat von Achenbach war offensichtlich beleidigt, daß er nicht in einen der Ausschüsse berufen wurde und Graf Roedern behauptete jetzt, daß der Verteilungsschlüssel die Kreise gegenüber den steuerkräftigeren Gemeinden zu stark belaste. Berliner Morgen-Post, 8. Mai 1910. 25 Städtebau 6 (1909), S. 154 (November).

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5.1.2 Sekretär

ungsentwürfe, Grünanlagen, Gebäudegruppen, Plätze und Straßen, Kunst der Straße, Literatur. Dies Programm überreichte March im November dem Berliner Magistrat und begegnete erneut sowohl im Ministerium wie im Rathaus großem Wohlwollen, wie Albert Erich Brinckmann, stets gut unterrichtet, wußte 26 . Am 31. Oktober befürwortete der Berliner Magistrat Marchs Eingabe. March lud daraufhin unter einem Briefkopf, der Kirschner als Präsidenten führte, weitere Prominente zur Mitarbeit ein, nicht ohne zu versichern, dass mit dem Beitritt in den großen Ausschuss zeitraubende Arbeitsleistungen nicht verbunden sein werden27 - Hegemann sprach später in seinen Empfehlungen an die Düsseldorfer von einem „Renommierkomitee". Keiner der 49 Geladenen lehnte ab, die Auszeichnung war ganz auf Gegenseitigkeit angelegt 28 . In einer Sitzung am 8. Dezember klärten diesen Großen Ausschuß Eberstadt über „Was wir wollen" und Stübben über „Deutschland und das Ausland" auf. Seine Mitglieder erschienen sodann mit sämtlichen Titeln in einer stattlichen Aufzählung auf den offiziellen, nunmehr gewichtigen Briefbögen. Eine exakte Nachstellung in Düsseldorf läßt vermuten, daß es sich bereits um eine amerikanisch inspirierte Idee Hegemanns zur Öffentlichkeitsarbeit handelte 29 . Bis zum Ende des Jahres standen sowohl der Ausstellungsort - die Hochschule der Künste in Charlottenburg - wie der Zeitraum von Mai bis Mitte Juni fest. Die Absicht, sofort an die Städte Deutschlands und die bedeutendsten Städte von Osterreich, England, Amerika, Schweden und Norwegen, den Niederlanden, Dänemark etc. die Einladung zur Beschickung der Ausstellung zu senden, war am 22. Dezember bereits ausgeführt, die Veröffentlichung eines Ausstellungsführers als Städte-Handbuch von dauerndem Wert und die Veranstaltung öffentlicher Vorträge beschlossen 30 . 5.1.2 H e g e m a n n als Generalsekretär Es wird hinreichend deutlich, daß der Plan, auf den der „jetzt gewonnene Generalsekretär" Hegemann im Dezember 1909 trat, schon abgesteckt war. Die inhaltliche und formelle Konzeption der Ausstellung war abgeschlossen. Wenn Hegemann auch in der Vorbereitungszeit mit Otto March in Austausch stand, hat das Konzept doch der Berliner Arbeitsausschuß erarbeitet 31 . Mit Hegemann war jemand gesucht, bei dem die 26

Weit vor den knappen Meldungen, die erst ab Januar 1910 erschienen, wußte Brinckmann auch schon von der Beschränkung auf das „eigentlich Städtebauliche", der Idee eines gedruckten Führers und der geplanten Vergrößerung des Komitees. Und er sprach sich nachdrücklich dafür aus, daß Hauptstadt, Nachbarstädte und Staatsbehörden den Garantiefonds bewilligten. 27 34R-7-12, Rathausarchiv Neukölln, Bl. 1. 28 Vorgestellt in Deutsche Bauzeitung [DBZ] 44 (1910), S. 3-6. Eine Durchsicht - die titelträchtigen Funktionsbezeichnungen sind selten eindeutig - ergibt 6 Mitglieder aus der Wirtschaft, 8 aus Kunst und Wissenschaft, 6 Bürgermeister, 16 städtische oder Staatsbeamte. 29 Ob es dafür ein Bostoner Vorbild gab, hat sich bisher nicht feststellen lassen, da kein Briefbogen des "Boston-1915" bekannt ist. Aber es gab eine weitere Nachstellung im Propaganda-Ausschuß, so daß, auch wenn es nicht seine Idee war, Hegemann sie sehr schätzte. 30 NDBZ 5 (1909), S. 587 und WAVB 5 (1910), S. A 642. 31 Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 125, sieht ihn noch immer als Kurator, während er nicht einmal nachweisbar - erst in Düsseldorf - amerikanische Exponate beschaffte.

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5.1.2 Finanzplaner organisatorischen Fäden zusammenlaufen konnten32. So hatte Otto March in seinem Schreiben an die Kollegen ja auch für ihn geworben und ihn damit offensichtlich bestellen können und dafür war Hegemann mit seinen in Boston erworbenen Erfahrungen auch qualifiziert33. Das Ausstellungsbüro wurde am 1. Dezember im Hause Marchs eröffnet. Erstmals nahm Hegemann an der zweiten Sitzung des Arbeitsausschusses am 11. Dezember teil. Damit setzte eine Binnendifferenzierung von Aufgaben und Organisation ein. Aufgrund der Menge der verschiedenen Aufgaben wies der Ausschuß sie nun einzelnen Mitgliedern zu, damit dieselben ihre Behandlung mit dem Geschäftsführer Hegemann gesondert vornehmen. Um mit Kleinigkeiten wie Eberstadts Absicht, eine Gruppe von 80 englischen Besuchern gesondert zu führen, nicht wie hier noch den gesamten Ausschuß beschäftigten, machte der Hegemann zum Organisator und Koordinator. Im Interesse der Übersichtlichkeit der Geschäftsführung erklären sich die Mitglieder des Arbeitsausschusses bereit, der Geschäftsstelle Gopten der Briefe zugehen zu lassen, die von ihnen in der Ausstellungssache geschrieben werden.34 Von der Zuordnung der Arbeitsbereiche an Ausschußmitglieder und den Programmbesprechungen wurde Hegemann ausgenommen. Ebensowenig hatte er Teil an der Auswahl der Ausstellungsobjekte, wofür Jansen und Goecke einzelne Städte bereisten35. Der Generalsekretär erhielt damit zum ersten eine seinem Titel ganz wörtlich entsprechende Funktion. In dieser Funktion war Hegemann nicht sonderlich effizient. Wie der Schriftverkehr zur Ausstellung mit der Kommune Rixdorf zeigt, ging jedes Schriftstück über Hegemanns Schreibtisch36. Er entfaltete einen großen Fleiß und lebte vermutlich mehr in der Marchund Hardenbergstraße als bei seiner Familie. Er mußte, wie seine späteren Beschwerden in Düsseldorf beweisen, alles wissen und kontrollieren. Dabei stand er ständig in der Gefahr, sich zu verzetteln. So wurde beispielsweise die Umsicht, die Ausstellungsplakate gleich mit Leisten und Aufhänger präparieren zu lassen, durch ihre Verteilung nach Bestellungen zunichte gemacht. Hegemann mußte weitere Briefe schreiben und mit finanziellen Konsequenzen drohen37, während eine großzügige Versendung der Plakate einen reibungslosen Ab32 Im Gegensatz zu späteren Zeiten sind die Meldungen der Tagespresse dazu korrekt: An die Spitze ist als Geschäftsleiter Dr. Werner Hegemann getreten, der auch an der Leitung der diesjährigen Bostoner Städtebau-Ausstellung beteiligt war. Berliner Morgen-Post, 2. Dezember 1909. 33 In seinem akademischen Lebenslauf gab Hegemann 1930 zu Protokoll, daß der „Erfolg" der Bostoner Ausstellung ihm das Generalsekretariat „verschafft" habe. 34 34R-7-12, Rathausarchiv Neukölln, Bl. 18, 21, 25. 35 Berliner Lokal-Anzeiger, 5. Januar 1910, nach dem zwei Herren persönlich mit den Gemeindevorständen einzelner Städte wegen Beschickung der Ausstellung verhandelten; bei Hegemann in NDBZ 6 (1910), S. 51, genauer; vermutlich die Vorlage. 36 Nur die Mitteilung über die Verlängerung der Ausstellungsdauer unterzeichnete Hegemann nicht persönlich; erstmals wurden mechanische Hilfsmittel eingesetzt. 37 Da ein etwaiges Defizit der Ausstellung auf einen Garantiefonds zurückfällt, dessen Uebernahme zum Teil auch von der Stadt Rixdorf erhofft wird, kommt jede Propaganda für die Ausstellung auch

144

5.1.2 Bilanzen

lauf und effiziente Verbreitung garantiert hätte. Delegieren war - so scheint es - nicht Hegemanns Stärke. Zum zweiten erhielt Hegemann die Funktion des Finanzplaners. Für Kostenschätzungen griff der Ausstellungsausschuß aufgrund fehlender Erfahrung auf Hegemanns praktische Kenntnisse zurück. Er teilte ihm, wie der weitere Titel „Geschäftsführer" auch anzeigt, die finanzielle Abwicklung der Ausstellung zu 38 . In seiner Sitzung am 11. Dezember 1909 beschloß der Auschuß die Beantragung eines Garantiefonds bei der Stadt Berlin in Höhe von 30.000 Mark. Diese Kostenschätzung basierte auf einer Unkostenverteilung α)

b)

c) d) e)

wie folgt

Ein Geschäftsführer für 7 Monate 2 Schreibhilfen, 1 Bürogehilfe desgl. Büro Miete, Licht, Heizung etc Büroeinrichtung, Utensilien Reisekosten der Ausschussmitglieder und des Geschäftsführers Drucksachen und Porti Einrichtung Auditorium Herstellung Führer Einrichtung Ausstellung Transportkosten Bewachung, Versicherung Ausschmückung, Licht, Heizung, Plakate

Einnahmen Eintrittsgeld und Verkauf des Führers geschätzt Gesamtkosten

5000 2500 1000 1000

Mark

4500 2000 1000 1000 12000 5000 35.000

5000 30.000

Bisher und noch bis zum 8. April 1910, als mit der Zustimmung Berlins der Garantiefonds bewilligt wurde, waren alle Gelder „aus privaten Mitteln" verauslagt worden 39 . Ob March, die Gruppe oder die Vereine oder alle gemeinsam Gelder vorschossen, ist nicht bekannt. Hegemann hatte sich ein gutes Gehalt ausgesetzt, das der Erfolg rechtfertigte 40 . Werden die Positionen der Schlußbilanz vom 20. Oktober 1910 den vorigen Kategorien zugeordnet, ergibt sich folgendes Bild: a) b) c)

Angestellte und Büro Reisen, Porti, Auditorium „Führer"

16.997,67 5.483,52 3.000,00

Mark

der Stadt Rixdorf direkt wieder zugute. 34R-7-12, Rathausarchiv Neukölln, Bl. 58. 38 Protokoll der 2. Sitzung des Arbeitsausschusses in 34R-7-12, Rathausarchiv Neukölln, Bl. 18. 39 Berliner Morgen-Post, 9. April 1910. 40 Der spätere Städtebauer des Zweckverbands etwa erhielt ein Jahresgehalt von 15.000-18.000 Mark; Kommunale Praxis 12 (1912), Sp. 887.

145

5.1.2

Pressereferent

d-e)

Einrichtung, Mieten, Nebenkosten, Pracht Betrieb und Dekoration Plakate und Werbung Sonstiges (Zinsen) Summe

19.642,46 4.058,55 10.042,44 202,90 59.427,54

Mark

Das erschiene als Desaster, belegte die Bilanz nicht auch folgende Einnahmen: Vorverkauf Tageskarten Vorträge Verkauf des „Führers' Bücherverkauf Rekapitalisierungen u.a zu beanspruchende Summe aus dem Garantiefonds Summe

19.771,85 20.394,00 4.827,73 1.408,40 3.357,34 3.095,26 6.571,96 59.427,54

Mark

Mark

Die erheblichen Verschiebungen gegenüber der Kostenschätzung scheinen zunächst kein Geschick Hegemanns zu belegen. Die Höhe der Aufwendungen, obwohl die Beschickung weitestgehend von den Leihgebern finanziert wurde, war immens. Die Ausgaben für Büromaterialien und Arbeitskräfte, eine Verdoppelung des Gesamtpostens, zeigten, daß Hegemann die Arbeitsorganisation kaum im Griff hatte. Die Ansprüche an die Präsentation - allein die Eröffnungsfeier kostete 900 Mark extra - waren aber kaum seine alleinige Verantwortung. Uberraschend hatte Hegemann die Werbekosten völlig unterbewertet. Der Ausstellungsführer, in der Auflage von 50.000 und drucktechnisch aufwendig, war ohne Anzeigen ein teures Verlustgeschäft, ebenfalls den ideellen Ansprüchen geschuldet41. So hatte er wahrscheinlich nach dem Vorbild von Boston kostenlose Dienstleistungen erwartet, mindestens Werbung und Anzeigen42. Die Zahl der Objekte sowie die Repräsentationsansprüche bildeten vermutlich die kostentreibenden Faktoren. Der Ausschuß war jedoch zufrieden und bewilligte Hegemann höhere Ausgaben, als sich an Besucherzahlen abzeichnete, daß sein Werbekonzept erfolgreich war. Die dritte Funktion des Generalsekretärs, die des Pressereferenten, füllte Hegemann besonders wirkungsvoll aus. Schon im Januar verfaßte Hegemann seinen ersten Werbeartikel. „Die Bedeutung der Städtebauausstellung für Groß-Berlin" erschien im „Berliner Tageblatt" und sang ein Loblied auf „modernes Ausstellungswesen". ... ein weiterer Schritt in Richtung heilsamer Demokratisierung des Wissens ..., um eine große Zahl von Menschen in wichtigen Fragen auf dem Laufenden zu halten ... Es gibt 41 S 380. Hegemann riet in Düsseldorf, den Führer möglichst früh in Auftrag zu geben, damit Anzeigen aufgenommen werden konnten; wahrscheinlich auch für Berlin ursprünglich geplant, konnte es aus Zeitnot nicht mehr verwirklicht werden. Hegemann empfahl auch in Düsseldorf den Verlag Wasmuth. 42 Nirgendwo war, was für den Nationalökonomen doch erstaunt, eine Rubrik für Kapitalkosten vorgesehen, die in der Abrechnung mit 202,90 Soll und 41,75 Haben erschienen.

146

5.1.2

Sogwirkung

kaum etwas, das sich nicht ausstellen ließe, und selbst Schwerverständliches läßt sich mit Ernst und Geschick aus der Sphäre des Körperlosen und des Druckpapiers in zwei oder drei Dimensionen und damit in die Welt des Ausstellbaren zwingen, so daß es fesselt, interessiert, amüsiert und zum Nachdenken anregt. Eine solche Demokratisierung des Wissens ist ganz besonders notwendig in Fragen, die der gesetzgeberischen Regelung durch Majoritäten unterstellt sind, und da im Deutschen Reiche eine derartige gesetzgeberische Regelung sich in den Städten am weitesten entwickelt hat, liegt der Gedanke einer ausstellungsmäßigen Behandlung der Probleme des Städtebaus besonders nahe. ...

Hegemann versteht sich hier als Ausstellungsfachmann. Er wirbt für Städtebau ganz im Sinne seiner Auftraggeber mit Schönheit als Wirtschafts- und Kulturfaktor. Er ordnet jedoch nach seinem amerikanischen Vorbild der Ausstellung eine politische Aufgabe der Aufklärung und Erziehung zu. Wissensverbreitung ist demokratisch und soll massenhaft zugänglich und allgemeinverständlich sein. Weil Gesetze von Mehrheiten beschlossen werden, bedarf es der Aufklärung dieser. Ob dieser Aspekt auf eine gesellschaftliche Demokratisierung zielt oder sich aus dem Bewußtsein ableitet, daß die Fachelite durch Mehrheitsprinzipien Einfluß verloren hat und nur durch Wissensverbreitung zurückgewinnen kann, steht noch dahin. Hegemann verstand es als Teil seiner Aufgabe, die Ausstellung zum Publikumserfolg zu machen und gab daher regelrechte Pressemitteilungen heraus 43 . Die Mitteilungen hatten für die Berliner Tageszeitungen Nachrichtenwert und die Architekturzeitschriften schlossen sich an. Auch persönliche Verbindungen machte Hegemann sich zunutze. Wie Brinckmann stets gut unterrichtet wax, veröffentlichte auch Walter Curt Behrendt, Redakteur der „Neudeutschen Bauzeitung", von Hegemann gezeichnete Berichte über den Stand der Vorarbeiten 44 . Hegemanns Konzept ging damit auf. Stets darauf bedacht, den Wert der Ausstellung zu heben, geizte er nicht mit Superlativen: von „besonders wertvoll" über „umso wertvoller" bis „äußerst wertvoll" sind „gewaltige Anregungen" und „gigantische Zukunftsprojekte" . Es handelte sich grundsätzlich immer um die wichtigsten Probleme, die hingehendste Arbeit der besten Kräfte, und die erfreulichsten Fortschritte, bei denen noch die Absagen „überaus herzlich gehalten" waren. Sein zweites Stilmittel war die Masse. Er füllte Spalten mit bedeutenden Namen, er führte Experten mit Aufzählungen ihrer Werke ein und nannte große Geldsummen, die im Ausland für die Beteiligung aufgebracht würden. Damit gelang es aber Hegemann, Ehrgeiz und Begeisterung anzufachen. In einigen Städten bildeten sich Unterkomitees, die Exponate sammelten, etwa in München oder Budapest. Hegemann nutzte auch hier seine Verbindungen. Eine „Werbe- und Sammelstelle Bayern für die Allgemeine Städtebauausstellung" trug wohl er selbst seinem 43 Es wäre sicher gut jetzt gleich mit regelmässigen Zeitungsnotizen zu beginnen, um die Neugier auf lange Hand zu reizen. Werner H e g e m a n n an Carl Geusen, 17. J u n i 1910, III 660, S t a d t a r c h i v Düsseldorf, Düsseldorf. - Zahlreiche Meldungen der Tageszeitungen beginnen m i t der Einleitung: „Die Geschäftsstelle teilt mit ..." 44 N D B Z 6 (1910), Nr. 4 bis 8 unter der R u b r i k „ R u n d s c h a u " . A b Nr. 9 Ludwig von Weckbecker, München wieder R e d a k t e u r . B e h r e n d t h a t t e bereits Mitte 1909 einmal die Leitung der Zeitschrift niedergelegt, weil eine A u s g a b e ohne seine K e n n t n i s herausgebracht wurde, u n d g a b die Leitung offenbar endgültig ab. Hegemanns Berichte brechen d a m i t ebenfalls ab.

147

5.1.2 Technischer Direktor

Studienfreund Günther von Pechmann an, der in München von 1908 bis 1914 die Vermittlungsstelle für angewandte Kunst leitete45. In diesem Sog erklärten sich auch andernorts bekannte Persönlichkeiten zur Sammlung von Exponaten bereit, wie Eugene Henard in Paris, der Verbindungen zum Französischen Museum der Schönen Künste knüpfte, oder Raymond Unwin in London, der seine Verbindungen mit englischen Gartenstädten nutzte. Die Stadtverwaltung Helsinki etwa bewertete die Ausstellung als ein Forum, auf dem verschiedene Länder mit ihren Projekten wetteiferten und sandte zwei Beamte zum Studium der Exponate. Der Sog funktionierte auch international 46 . Hegemanns größter Trumpf war dabei das Ausspielen des nicht-geschäftsmäßigen Charakters der Ausstellung. Man hört förmlich die Häme in seiner Stimme, wenn er ausführt 47 : Die Geschäftsstelle teilt mit, daß sie immer aufs Neue zahllose Angebote von Geschäftsfirmen aller Art und selbst Behörden erhält, die die Ausstellung beschicken möchten. Es gibt kaum eine Industriegattung, die nicht nachzuweisen sucht, daß ihre Erzeugnisse in engstem Zusammenhang mit dem Städtebau stehen. Derartigen geschäftlichen Angeboten gegenüber kann nur wiederholt werden, daß die Ausstellung keinen geschäftlichen Charakter hat, daß der Platz in ihr nicht erkauft werden kann. Einladungen erfolgen auf Beschluß des Arbeitsausschusses und haben den Charakter einer Ehrung.

Schon im Januar konnte ein Ansturm auf die Ausstellung verzeichnet werden. Städtebau galt jetzt als „modern" und man konnte sich damit profilieren. Gaben sogar schon Behörden ihre Zurückhaltung auf und fragten um Beteiligung nach48, beweist das deutlicher als Nachfragen aus der Wirtschaft, daß es der Ausstellungsleitung gelungen war, einen Sog zu erzeugen. Hegemann hatte damit die Mittel, die er in Boston kennengelernt hatte, erfolgreich angepaßt. Statt marktschreierischer Annoncen gab er Pressemitteilungen heraus. Er lud die Presse zur Vorbesichtigung und bezog von den Ausstellern Adressen von Gemeindemitgliedern, an die er Sondereinladungen verschickte. Die Eintrittskarte kostete 50 Pfennige, bei Abnahme von 100 Stück die Hälfte. Damit waren Großgruppen und Vereine besonders angesprochen, Kreise, die als weitere Werbeträger auftreten konnten. 45 Pechmann gab dies in seinem Lebenslauf an, der im Germanischen Nationalmuseum verwahrt wird. Weitere Hinweise oder Unterlagen dazu haben sich trotz vielfacher Anfragen nicht ermitteln lassen. Margarete Jarchow, Die Staatliche Porzellanmanufaktur Berlin (KPM) 1918-1938. Institution und Produktion, Bd. 1.2., Dissertation (MS) Hamburg 1984, Bd. 1, S. 112. 46 Marjatta Hietala, Berlin und andere deutsche Städte als Vorbild für die Stadtverwaltungen von Helsinki und Stockholm um die Jahrhundertwende. In: Gerhard Brunn/Jürgen Reulecke (Hrsg.), Berlin ... Blicke auf die deutsche Metropole. Essen 1988, S. 201-220, S. 202. - Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 129, nennt etwa auch den Bibliothekar des Sozialmuseums Barcelona Cebriä de Montoliu als Besucher, der 1913 eine Monographie zum Thema verfaßte, die im spanischen Sprachraum Einfluß gewann. 47 Hegemann in NDBZ 6 (1910), S. 51, ähnlich nach selber Vorlage in Berliner Tageblatt [BT], 18. Januar 1910. 48 Im „Baumeister" war im Dezember deutlich festgestellt worden, daß durch Beschränkung per Ladung zur Beteiligung einem uferlosen Ausstellungsbedürfnis so und so vieler Stadtbaubeamten mit den üblichen Durchschnittsleistungen von vornherein die Spitze abgebrochen werde. Baumeister 8 (1910), S. Β 25.

148

5.1.2

Koordinator

Die Gesamtzahl der Besucher lag zwischen 60.000 und 65.000. Nach Zahlen von 1905 hätte etwa jeder Wilmersdorfer Bürger oder jeder dritte aus Charlottenburg oder jeder fünfzigste Einwohner des Groß-Berliner Gebiets die Ausstellung gesehen 49 . Die Aufgaben des vierten Arbeitsbereichs des Generalsekretärs lassen sich am Beispiel des Verfahrens der Ausstellungsbeteiligung der Kommune Rixdorf exemplarisch verfolgen. Am 14. Februar schrieb Hegemann an den Bürgermeister Kurt Kaiser, daß der Ausstellungsausschuß großen Wert auf die Vertretung Rixdorfs lege und das dortige Bauamt Vorschläge vorlegen möge. Der Bürgermeister bat den Stadtbaurat Reinhold Kiehl, sich direkt mit der Geschäftsleitung in Verbindung zu setzen. Kiehl sprach am 12. März über Beteiligung und Objekte mit Otto March. Er unterbreitete Kaiser eine Liste der mit March abgestimmten Exponate und wenige Tage später bewilligte der Rixdorfer Magistrat die Liste sowie 1500 Mark für die Beschickung der Ausstellung. Das Bauamt stellte eine Liste über 13 Exponate zusammen, die technische Daten verzeichnete, sowie eine zweite mit Erläuterungstexten. Sie enthielt historische Beispiele, alte Stadtpläne, und neue gelungene Beispiele städtischer Baupolitik, hintere Fluchtlinienfestlegung, Grundstücksteilungen mit Weiterverkauf, Arbeit der Bauberatungsstellen, städtische Hochbauten 50 . Die Exponate gingen am 8. April bei der Städtebauausstellung in der Hardenbergstraße ein. Der dazwischenliegende Schriftverkehr wurde zwar über Hegemann abgewickelt, doch mit Auswahl und Erläuterung hatte er nichts zu tun. Nach Eintreffen aber gingen die Exponate durch seine Hände. Die Liste aller eintreffenden Ausstellungsstücke ist, in Düsseldorf erhalten, ein eigenhändiges Verzeichnis Hegemanns. Er listete bei Eingang Nummer, Bezeichnung, Außenmaße und Fläche auf und fügte bei Modellen eine Umfangsskizze bei. Sie diente gleichermaßen als Inventar wie als Hilfsmittel für das Arrangement der Exponate. Als Unwin im Juni für die Londoner Ausstellung um eine Schätzung der benötigten Wandflächen bat, erwartete er eine ähnliche Liste. Hegemann konnte anhand der Liste kalkulieren, WEIS sich in einer Abteilung oder Ausstellungskoje, einem Wandabschnitt und Saal unterbringen ließ und den technischen Aufbau anleiten und überwachen. Für die Neuzusammenstellung von Exponaten in folgenden Ausstellungen bildete diese Liste ein unverzichtbares Hilfsmittel. Ab April residierte die Geschäftsstelle in den Räumen der Hochschule der Künste. Zu diesem Zeitpunkt war Hegemann der Adressat für Anfragen, Zeichnungen und Gelder 5 1 . Mitte des Monats begann man mit dem Hängen der Ausstellungsstücke. Laut Ausstellungsführer bearbeiteten Goecke und Hegemann mit Walter Lehweß nach den Vorgaben der jeweiligen Aussteller die Erläuterungstexte. Oskar Werner Hermann Ha49 Heute gilt eine Ausstellung von etwa drei Monaten Dauer ab etwa 150.000 Besuchern als sehr erfolgreich („Kolumbus" in Berlin, „Museum of Modern Art" in Bonn). 50 Vgl. Führer durch die Allgemeine Städtebau-Ausstellung in Berlin 1910. Berlin o.J. [1910], Nr. 1273-1287 und Nr. 526. Letzterer gezeigt von Bauinspektor Redlich, der Entwurf für Miethäuser ohne Seitenflügel, gebaut von den Architekten Kind. 51 ZDB 30 (1910), S. 204, WAVB 5 (1910), S. A 168, Baumeister 8 (1910), S. Β 73. Er hatte frachtfreie oder ermäßigte Beförderungen der Objekte bei verschiedenen Organisationen erwirkt; WAVB 5 (1910), S. A 168.

149

5.1.3

Rundgang

dank entwarf ein streng graphisches Plakat ohne jede gegenständliche Darstellung, das zweifarbig, grün und schwarz, Titel und Ort der Veranstaltung zur Kenntnis brachte und ab Ende Februar öffentlich angeschlagen wurde52. Von „Marchs Adjutant", wie Theodor Goecke ihn Anfang des Jahres genannt hatte 53 , war Hegemann zu einer zentralen Figur für das Gelingen der Ausstellung geworden. 5.1.3 Die Städtebauausstellung Die Ausstellung öffnete am 1. Mai 1910 ihre Pforten für die Dauer von drei Monaten 54 und bot dabei in mehr als zwölf Sälen und Nebenräumen ein umfangreiches Anschauungsmaterial. Der Ausstellungsführer verzeichnet ungefähr 200 Aussteller, darunter 48 Kommunen, 11 Behörden, 87 Einzelaussteller, 21 Verbände, 6 Institutionen, und 26 weitere Leihgeber. Die technische Leitung hatte über 1500 Objekte zu piazieren55. In der Mehrzahl zweidimensionale Ausstellungsstücke wie Pläne, Zeichnungen, Fotos, waren diese leichter zu handhaben als die wenigen großen Modelle. Der Aufbau der Aufstellung innerhalb von drei Wochen ist eine beachtenswerte Leistung. Das Erdgeschoß nahmen die Wettbewerbsentwürfe für Groß-Berlin ein, eingeführt von Darstellungen Wiens (Bild 28), die in den ersten beiden Wochen kostenlos besichtigt werden durften. Im Obergeschoß begann die eigentliche Städtebauausstellung mit ihrer Gruppierung nach Themen. Man betrat nach einem Zwischenspiel auf der Treppe über Friedhofsanlagen den ersten Saal „I. Großstädtisches Verkehrs- und Transportwesen" mit etwa 65 Positionen zu Bahnanlagen verschiedener Städte in Plänen, Statistiken und vergleichender Graphik. Dazu gehörte auch das von Hegemann später als „Schlager" bezeichnete Modell (Bild 29) der Pennsylvania Railroads von New York, das die Unterquerung des Hudson River zeigte56. Abteilung II führte 90 Parks, Spiel- und Sportplätze vor. Von dort konnte man einen Abstecher in die historische Abteilung unternehmen, in der Paris, Budapest und Berlin 52 Format 69 χ 44,5 cm, gedruckt bei Reuter und Siecke, Berlin; erhalten in der Gebrauchsgraphischen Sammlung der Kunstbibliothek Berlin: Europäische Moderne. Buch und Graphik aus Berliner Kunstverlagen 1890-1933, Berlin 1983, S. 184; in der gleichnamigen Ausstellung aus technischen Gründen nicht gezeigt; dafür aber in „Ausstellungen zum 'Neuen Berlin' - 1910, 1927, 1931, 1933, 1935 - Wege zu 'Berlin plant' 1946" von Jonas Geist und Dieter Rausch, 1991 in der Akademie der Künste, Berlin. 53 Städtebau 7 (1910), S. 74. 54 Es fehlen Hinweise auf die Teilnahme großer Persönlichkeiten bei den Eröffnungsfeierlichkeiten, die sich offenbar mit einer Ansprache von Otto March begnügen mußten. 55 Mengen und Formate können nach den Listen des „Führers" nur geschätzt werden, weil einzelne Positionen auch mehrere Exponate unbekannter Größe verzeichnen. 56 1911 nannte er ein Modell Wiens als größtes Schaustück; S 136 Anm. 33; Düsseldorf empfahl er jedoch das amerikanische Modell wegen seiner technischen Sensation. Vgl. S Abb. 255. Als einflußreicher identifiziert Jean-Louis Cohen, Scenes of the World to Come. European Architecture and the American Challenge 1893-1960, Paris 1995, p. 33, die Darstellungen gestaffelter Verkehrsebenen S 280 [aber von der Hochbahngesellschaft Berlin ausgestellt!], die über die späteren Zeichnungen (Bild 118) von Ferris und Corbett in den „Regional Plan" eingehen. - Daß die Karte des Stockholmer gemeindeeigenen Bodenbesitzes die Attraktion der Veranstaltung gewesen sei, führt Karl-Heinz Hüter, Architektur in Berlin 1900-1933. Dresden 1987, S. 150, ohne Quellenangabe an.

150

5.1.3

Seriosität

die 117 Exponate dominierten. Eine Durchquerung des „Lesezimmers", für das Verlage Fachliteratur zur Verfügung stellten, führte zu „V. Gartenstädte". Hier wurden mit etwa 130 Exponaten kommunale, genossenschaftliche und Werkssiedlungen sowie deutsche und englische Gartenstädte vorgestellt. Als einzigen propagandistischen Kontrast setzte die Ausstellungsleitung hier die Statistiken, die Graphik zur Wohnungsaufnahme von 1905 in Berlin, die Tabellen von Robert R. Kuczynski zu Einkommen und Mietanteil (Schwabesches Gesetz), Wohnungsgröße und Miethöhe. Die ihnen beigemessene Bedeutung läßt sich auch daran ablesen, daß diese Tabellen auch im Katalog abgedruckt wurden, sogar mit einer farbigen Falteinlage, damit das Publikum sie auch beachte 57 . Dagegen verblassen die zwölf Fotos (Bild 30) der Wohnungsaufnahme der Ortskrankenkasse. Es folgte Saal VI mit 39 Positionen „Aufgelassene Festungen, Neugestaltung von Innenstädten" und VII mit mehr als doppelt so vielen Darstellungen von Stadterweiterungen. Die Trennung fiel schwer, denn unter diesem summarischen Begriff finden sich sowohl „Arbeiterkolonien" (Jansen) wie „Gartenstädte" (Buxbaum) als Vorstadtsiedlungen, während andere Erweiterungspläne unter „XIII. Gebäudegruppierung" (Berlage) erschienen. Durch Abteilung VIII, eine schwedische Präsentation mit Schwerpunkt Stockholm, gelangte man über die Treppe mit mehr als 100 Städtebildern aus der Sammlung Brinckmanns58 zu den Abteilungen X und XI mit fast 140 Stadtplänen. Sie zeigten frühere Bebauungsregulierungen, historische Aufnahmen vieler verschiedener Städte, unter denen Brünn mit 34, Stockholm mit 30, das historische Baalbeck, Köln und München mit je fünfzehn Plänen ins Auge fielen. Die „Kunst der Straße" stellte als XII. Abteilung für den Besucher eine Abwechslung dar, weil sie 86 Beispiele von Brunnen bis Bedürfnisanstalt, von Straßenbahnhaltestelle bis Beleuchtungsmasten ausstellte. Auch wenn er schon erschöpft gewesen sein sollte, näherte sich der Besucher erst jetzt der gewichtigsten Abteilung „XIII. Gebäudegruppierung" mit über 200 Objekten. Hier bekam er Repräsentationsbauten, Plätze und Zentren zu sehen. Darunter fanden sich die meisten Präsentationen von Privatarchitekten und auch die amerikanischen Exponate, unter anderem die Bilder aus Chicago. Auch dabei fiel die Grenzziehung offensichtlich schwer, denn von 22 Ausstellungsstücken John Nolens hätten wie von Bebauungsplänen anderer Landschaftsarchitekten einige zu den Stadterweiterungen gehört. Den Schluß des Rundgangs bildeten 24 Exponate der Tiefbau- und Verkehrsdeputation Berlin in der Vorhalle, wobei der Besucher auf der Treppe noch 'Verschiedenes' an Nachträgen sehen konnte, wie sie etwa das Königliche Kriegsministerium nach Einrichtung der Ausstellung in 24 Festungsplänen zur Verfügung gestellt hatte. Auch ein solch knapper Gang durch die Ausstellungsräume kann nicht darüber hinwegsehen lassen, daß die Wettbewerbsentwürfe durch die Fülle architektonischer Einzelbeispiele in ihrer Bedeutung erdrückt werden. Die Objekte sind mehrheitlich zweidimenFührer ..., Nr. 522, 524, 527-529 und S. 87 f. sowie Falteinlage. Solche Konvolute, neben Brinckmanns etwa auch für das „Museum für soziale Ethik der Harvard Universität" genannt, verbargen sich hinter wenigen Zahlen im Ausstellungsführer; vgl. Führer ..., Nr. 757-763, 783-866 und Nr. 1241-1255; und mußten den Besucher bereits an sich sättigen. 57 68

151

5.1.3 Leistungsschau

sional - Schrecken der Museumspädagogik - und verlangen Stehen und aufmerksames Betrachten, so daß der Besucher des strategisch günstig piazierten „Lesezimmers" zum Verschnaufen bedarf 59 . Es gab keine propagandistischen, populären Objekte, keine Hände oder Räder, die die Ziele veranschaulichten, keine begehbaren Modelle, keine spektakulären oder provozierenden Plakate und Schriftbänder wie in New York oder Boston. So wird ein schlichtes Plakat zur einzigen Ausnahme: eine wahrscheinlich von Hegemann nach Vorbild Benjamin C. Marshs für New York entworfene Graphik. Sie stellt in schlichten Rechtecklinien maßstabsgerecht die in New York für jeweils etwa 21 Millionen Mark erworbenen Parkflächen dar. Die Summe war 1863 noch 340 Hektar - der Central Park - wert, 1895-1905 aber nurmehr insgesamt vier Hektar. Doch Hegemanns Verschönerung in Wald- und Geldandeutung und Ausführlichkeit des erklärenden Textes nahm dem Maßstab seine eindrückliche Wirkung, eine weitere Anpassung an sein Publikum 60 . Im Gegensatz zu den New Yorker und Bostoner Vorbildern ist die Ausstellung ungemein seriös. Des Kriegsministeriums Beschickung nach Vorbesichtigung spricht Bände. Sie ist eine Fachausstellung zur Wissensvermittlung. Von Fachleuten als Selbstdarstellung und Leistungsbeweis zusammengestellt, will sie Fachbesuchern wie Laien genügen. Die Besucherzahlen scheinen ein Gelingen zu belegen, doch mit etwas Entgegenkommen für das Laienpublikum hätten sie erhöht werden können. Aber dem steht das Selbstverständnis des neuen „Gewerbes" und seiner Angehörigen entgegen. Sie sind KünstlerWissenschaftler, Vertreter der bildungsbürgerlichen Elite, sind Träger staatlicher und kommunaler Funktionen, keine Propagandisten oder Parteipolitiker. Die Inititativgruppe für Wettbewerb und Städtebauausstellung ist mit den amerikanischen Gruppen verglichen worden, die auf privater Basis Planungsstudien finanzierten und für deren Verwirklichung agierten. Die hiesige Gruppe hatte auch eine Planungsstudie initiiert, aber kommunal finanzieren lassen. Sie sucht keine privatwirtschaftlichen Kooperationspartner, denn ihr Adressat sind die Kommunen, von denen sie die Adaption der Ergebnisse erwartete. Gemeinsames Merkmal - und zwar, wie gezeigt werden konnte, ein bewußt nach amerikanischem Vorbild importiertes - ist die Strategie, über Öffentlichkeit diese Adaption zu erzeugen oder wenigstens zu fordern. Die Ergänzung der Präsentation der Planungsstudien um städtebauliche Beispiele soll den Handlungsdruck erhöhen. Die Präsentation stellt nur vermeintlich den „einheitlichen Bebauungsplan" in den Mittelpunkt. Er war die Formel für das raumgreifende Programm der Aneignung und Ordnung der gesamten Stadt 61 . Aber die Präsentation will vielmehr beweisen, so Otto 59 Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 125, stellt fest: Berlin 1910 does not measure up visually to the renown it achieved, und nennt den Bericht eines finnischen Fachbesuchers, der diesen Leseraum ausdrücklich lobte. 60 Vgl. American City 1 (1909), p. 46, Marshs Graphik „A Dollar in Time Saves Ninety", und Führer ..., Nr. 244; vgl. AP [1]. Hegemanns Version wurde bezeichnenderweise ohne Aussteller verzeichnet und „Eine Warnung" betitelt. 61 Vgl. Bodenschatz, Platz frei ..., S. 35 und vorher Bodenschatz/Radicke, Großstadtungeheuer ..., S. 68-72.

152

5.1.3 Grenzen

March, daß die in den Planungsstudien niedergelegten Wünsche und Hoffnungen nicht völlig in das Gebiet unmöglicher Phantastereien verwiesen werden dürfen62. Doch auch das ist nicht das Thema der Präsentation. Wohl wissend, daß der einheitliche Bebauungsplan phantastisch ist - Hegemanns zynischer Kommentar, daß die Ausstellungswiederholung in Düsseldorf die Stadt Berlin von den Plänen befreie, zeigt dieses Wissen63 - organisieren die Initiatoren eine Leistungsschau des neuen Gewerbes64. Ihr Thema sind gerade die einzig realistischen, die einzelnen und Teilprojekte, die Modellbeispiele (Bild 33-35), die Siedlungen und Stadterweiterungen 65 . Vorgeführt wird, was der architektonischen Prüfung standhält und mit kommunalem Rückhalt getan werden kann, ohne in die private Stadt einzugreifen. Zwangsläufig handelt die größte Abteilung von Repräsentationsbauten und Platzanlagen, über die March in seiner März-Rede schon gesprochen hatte, als seien sie das dringlichste Unterfangen. Der Angriff auf die private Produktion der Stadt unterbleibt. Selbst wo Mechanismen der Bauproduktion entschlüsselt werden, ergeht die Handlungsaufforderung an die Kommune. Industrielle Arbeitsbedingungen sind soweit ausgeschlossen, daß sie nicht nur als Ursachen physischer und psychischer Not bei der Schadensbestimmung nie erscheinen, sondern auch als Bauaufgabe im gesamten Programm nicht vorkommen. Auch hat keine Zusammenfassung der Kritik an der Wohnstadt und der Mietskaserne stattgefunden 66 . Zwölf Bilder und tabellarische Statistik können kaum die Kritik der Mietskasernenstadt darstellen. Es bedurfte ihrer nicht mehr. Bei Ausstellern und Publikum herrscht Einigkeit über diesen Punkt. Diese wenigen Exponate setzen den Schlußpunkt unter eine kaum geführte und nicht notwendige Diskussion. Daraus erwächst das breite öffentliche Interesse, das mit der Mietskaserne schon abgeschlossen hat, sich für Gegenbilder interessiert und dabei mit Fachleuten einig weiß; daher auch das mas62

Otto March, Städtebau-Ausstellung. In: Bauwelt 1 (1910), Beilage 27. April. Hegemann an Geusen, 5. Juni 1910, III 660, Stadtarchiv Düsseldorf. 64 Der Begriff jetzt auch bei Sonne, Ideen ..., S. 67. - Daß die Ausstellung „konzeptionell auf dem Wettbewerb basierte" oder die „positive Resonanz auf die detaillierten Wettbewerbsvorgaben die Architekten ermutigte", die Entwürfe „zusammen mit internationalen Vergleichsbeispielen öffentlich auszustellen", wie es bei Brigitte Jacob/Wolfgang Schäche, Eine bewegte Stadt. Zur Geschichte Berlins mit Exkursionen zu den Bauausstellungen 1910, 1931 und 1957, in: Leitfaden, Projekte, Daten, Geschichte, Berichtsjahr 1984, Internationale Bauausstellung Berlin 1987, Berlin 1984, S. 5-22, S. 10 f. heißt, muß nach der hier erkennbaren Vorgeschichte und den Exponaten mindestens bezweifelt werden. - Calabi, Note ..., p. 14, betont die wirkungsvolle Doppelrolle der frühen Ausstellungen: mit gegebenen Lösungen zu konfrontieren und realisierbare Vorschläge zu verbreiten. 63

65 Siehe dazu die Spiegelungen in der Fachpresse, z.B. die Besprechung und Abbildung von Einzelobjekten bei Walter Kornick, Die Städtebauausstellung Berlin 1910. In: NDBZ 6 (1910), S. 325334. Julius Posener/Christine Becker/Brigitte Jacob, Die Zeit Wilhelms des Zweiten. In: Josef Paul Kleihues (Hrsg.), 750 Jahre Architektur und Städtebau in Berlin. Die internationale Bauausstellung im Kontext der Baugeschichte Berlins, Stuttgart 1987, S. 125-152, S. 138 betonen gerade, daß Thema dieses Städtebaus nicht die Großstadt, sondern die Satelliten waren. 66 So bei Bodenschatz, Platz frei ..., S. 58; zutreffender Bodenschatz/Radicke, Großstadtungeheuer ..., S. 69, wonach die Kritik nur in Statistik formuliert wird und ohne planerische Umsetzung bleibt. Entscheidend ist, wie Bodenschatz anmerkt, daß dort die kulturelle Entwertung der Mietskasernenstadt einem breiteren Publikum vor Augen geführt worden ist.

153

5.1.3 Absichten

senhafte Interesse von Vereinen, die als potentielle Bauherren und Nutznießer wie als Propagandisten neugierig sind. Diese Exponate ziehen der sozialen Kritik der Mietskaserne den bildlichen Schlußstrich. Der Bautypus unterliegt hier weder ästhetischer Kritik noch planerischer Analyse 67 , sondern Kriterien der „Volksgesundheit". Die Sozialkritik ergibt sich allein aus der Bestandsaufnahme. Analysen und Folgerungen sind überflüssig. Die Zunft legt nichts Strittiges vor - Stübben, Henrici, Fischer und Jansen, alle sind vertreten. Sie steht wie einig und will gegen den gemeinsamen Feind, das 'Großstadtungeheuer' mobilisieren68. Sie sucht Arbeit, denn Großstadtungeheuer und Mietskasernen wurden weitgehend ohne sie produziert. Und das Publikum sucht Gegenbilder zur bekannten Stadt. Deshalb werden für die Wohnstadt nicht Alternativen angeboten, sondern Utopien aufgeschlagen. Die gemischte Bauweise und die Randbebauung mit Wohnstraßen (Bild 31) appellieren an das Publikum, bleiben Utopien, weil Bauträger für eine Massenausführung nicht zur Verfügung stehen - die realen Beispiele sind sämtlich von Wohnungsbauvereinen, Werkssiedlungen, kommunalen Trägern und ausländischen Organisationen. Diese Präsentation war also Gewerbeschau, Arbeitsbeschaffungs- und vertrauensbildende Maßnahme zur Rückgewinnung einer ästhetischen Prägung der Stadt. Dieser Modernisierungsausgriff war Folge einer doppelten Verdrängung. Sie resultierte aus dem raschen Wachstum des eigentlichen Arbeitsfeldes der Gruppe, des Bauens, das anonym und massenhaft ausgeführt wurde. Nicht nur das Hinausdrängen war dabei bedrohlich, sondern die Ergebnisse, die ihrer Kompetenz Hohn sprachen und täglich vor Augen standen. Sie resultierte zum zweiten aus der rudimentären Demokratisierung der kommunalen Gremien, wo durch dominierenden Einfluß der Hausbesitzer für das verbleibende Arbeitsfeld der öffentlichen Bauaufgaben weitere Einschränkung von Einflußund Arbeitsmöglichkeiten befürchtet wurden. Das Idealbild der kultivierten, rationalisierten Großstadt übertrug das Bild der vorindustriellen, feudalen Stadt (Bild 32). Es erstreckte sich auf Ästhetik und Funktionen. Gerade die Ablösung der vorindustriellen Maßstäbe in Innenstadtgebieten und Besetzung mit monumentalen Bauten zur Sakralisierung des tertiären Sektors, versetzt mit alten Dekorationsstücken, war Nachahmung einer landesherrlichen Hauptstadt mit der dekre67 Die Kritik hat jedoch die großbürgerliche Variante der Mietskaserne nicht erfaßt. Wolfgang Voigt, Das Bremer Haus. Städtebau und Wohnungsreform in Bremen 1880-1940 (Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs), Hamburg 1992, S. 50, nennt eine Werbung für die in Bremen wenig geschätzten Etagenwohnhäuser, die 1910 die „vornehme Etage nach Berliner Art" anpries. Niemand stutzt bei Eberstadts Feststellung, daß der Grundriß der Mietskaserne ... für die Kleinwohnung [Hervorhebung C.F.] ... untauglich und schlechthin unverbesserlich ist; auf die herrschaftliche Vorderwohnung zugeschnitten, ist er für großbürgerliche, großstädtische Haushaltsführung tauglich, auch für den professoralen Junggesellen Eberstadt. Rudolf Eberstadt, Handbuch des Wohnungswesens und der Wohnungsfrage. Jena 1909, S. 207, vgl. in der vierten, erheblich erweiterten Auflage gleichen Titels S. 305. 68 Bodenschatz/Radicke, Großstadtungeheuer ..., S. 68 und 72, erkennen auf eine Propagandaschau mit dem Anspruch auf Aufträge. Das Bild der Kriegsführung - vgl. Marchs „Blut und Eisen" nach Bismarck -, auch von Bodenschatz, Platz frei ..., S. 73 f. hervorgehoben, verdiente dabei weitere Bearbeitung.

154

5.1.4

Mittelsmann

tierten Ästhetik des Zentrums, Vorbild der modernen Großstadt, die eines Imperiums würdig sein sollte. Sie wurde umgeben mit wohlwollend geschaffenen Idealsiedlungen zur Versorgung der Untertanen-Bürger. Die Räume dazwischen wurden pragmatisch ignoriert und als Platz für Verkehr und diesen in der Hierarchie äquivalente Industriegebiete genutzt. Die Konzentration auf Zentrum und Siedlung war Folge eines nicht nur ästhetisch konservativen Leitbildes, das sich somit der Wahrnehmung eines Komplexes Großstadt noch immer geradezu verweigerte. Die Ideen für die ästhetische Stadtgestalt verdankten sich den demiurgischen Phantasien, die despotische Städtebauer inspiriert hatten. Die Zentren wurden Arbeitsbeschaffung für Privat- wie Verwaltungsarchitekten gleichermaßen, in denen Selbstdarstellung der Zunft getreu ihrer Herkunft mit der von Nation und Staat zusammenfiel. Historische Stadtteile wurden aus dem Wunsch nach Demonstration der Deutungsmacht zur Verfügungsmasse. Der programmatische Aspekt der Städtebauausstellung war die selektive Wahrnehmung der Großstadt und und die selektive Erweiterung der Architektenaufgaben 69 . 5.1.4 Hegemann als Vermittler Hegemann reklamierte seine Funktion später stets als „Leiter" der Städtebauausstellung. Die inhärente Bedeutung der inhaltlichen Gestaltungsbefugnis muß nun als widerlegt gelten. Er war als Generalsekretär ein im Ergebnis erfolgreicher technischpraktischer Ausstellungsleiter. Die Untersuchung zeigt jedoch, daß er der Ausstellung und ihren Initiatoren weitere, nicht zu unterschätzende Dienste leistete. Der einzige, seinem inhaltlichen Einfluß offenstehende Bereich war die Darstellung der Vereinigten Staaten. Entsprechend versuchte Hegemann, sich dabei in den Mittelpunkt zu stellen. Er betonte vielfach, die amerikanischen Beiträge verdankten sich den von ihm „persönlich angeknüpften Beziehungen" und seien „beinah ausschließlich auf seine Veranlassung" in die Ausstellung aufgenommen worden 70 . Als erfolgreicher Werber macht er das mehreren Zwecken dienstbar, der Hebung der Ausstellung wie dem Ausweis seines Fachwissens. Ein Leihverfahren, das sich rekonstruieren läßt, beweist jedoch exemplarisch eine nüchtern professionelle Abwicklung. Daniel H. Burnham beantwortete im März 1910 Hegemanns Anfrage nach Leihgaben 71 . Er führte die abgefragten Projekte auf und konnte 69 Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 126, sieht in Berlin den Antrieb internationalen Fortschritts, den sie Hegemann und seinen demokratischen Ansprüchen zuschreiben möchte. Das zeugt nicht nur von einer ahistorischen Sichtweise gegenüber dem Subjekt, sondern ignoriert in selber Art die kulturellen und professionspolitischen Absichten der Gruppe, der nationale und stilistische Toleranz zur Einigung der Profession dienen und deren öffentliche Appelle mehr dem Selbstbild der Akteure als Inhaber der Deutungskompetenzen als einem originär demokratischen Impetus entstammen. 70 Berliner Lokal-Anzeiger, 18. Januar 1910; Berliner Morgen-Post, 18. Januar 1910; Hegemann in NDBZ 6 (1910), S. 51. Der Pressemitteilung zufolge wurden die Einladungen danach dem deutschen Botschafter in Washington zugeleitet. Hegemann an Geusen, 5. Juni 1910, III 660, Stadtarchiv Düsseldorf. 71 Daniel H. Burnham to Werner Hegemann, March 21st, 1910. Daniel H. Burnham Collection, Letterpress Copybooks. Burnham Library of Architecture, The Art Institute of Chicago, Chicago.

155

5.1.4 Werbung

nur für einen Teil Pläne zur Verfügung stellen. Hegemann bewies mit seiner Anfrage nach Plänen aus Cleveland, San Francisco, Washington, Chicago und Manila zwar Sachkenntnis, konnte sich aber trotz einer Berufung auf eine mögliche persönliche Begegnung in Boston keine Vorteile verschaffen. Die Chicago-Bilder standen nicht zur Disposition und die Berliner Ausstellung mußte sich mit Lichtbildern bescheiden. Der Arbeitsausschuß übernahm nicht alle eingegangenen Materialien und drückte mit seiner Zuordnung auch Bewertungen aus 72 . Burnhams Pläne für Washington und Chicago landeten in der Abteilung „Gebäudegruppierung", eine Einschätzung, die Hegemann für Chicago kaum teilte. Da die Ausstellungsinitiatoren schon zuvor Interesse am Vorbild Washingtons entwickelt hatten, kann Hegemann nicht als Entdecker eines neuen Interessengebiets angesehen werden. Er bleibt Mittelsmann zwischen zwei interessierten Parteien. Er versuchte jedoch auch, eigene Entdeckungen einzubringen. Hegemann hoffte mindestens, die Miethäuser-Inspektion in Philadelphia (Nord-Amerika) werde sich mit Exponaten beteiligen - was er tatsächlich aufgrund seiner Beziehungen angeregt hatte 73 . Möglicherweise mißbilligte die Stadt eine nachteilige Repräsentation, denn vertreten wurde sie von der City Pare Association, deren Geschäftsführer Andrew W. Crawford Hegemann ebenfalls (schon?) kannte. Hegemann mußte sich daher mit zwei propagandistischen Versuchen begnügen. Er hatte die Graphik Marshs über die Kosten des New Yorker Parkgeländes übereifrig verschönert und konnte außerdem den Satz Joseph Lees „Ein Knabe ohne Spielplatz ist der Vater des Mannes ohne Arbeit" als Motto der Parkabteilung unterbringen 74 . Das Ergebnis seiner großen Worte ist also dünn. Die fünfzehn amerikanischen Aussteller hatten fast alle bereits in Boston ausgestellt, so daß Hegemann lediglich Mittelsmann blieb. Obwohl die 120 Exponate ein Zwölftel der Gesamtmenge stellten, traten sie durch Verteilung auf mehrere Abteilungen weniger in den Vordergrund als etwa die Präsentationen Wiens oder Stockholms. Von den 120 Stücken entfielen 55 auf die Abteilung „Gebäudegruppierung", in der sie ein Viertel stellten. Die 49 Parkexponate fielen weit mehr auf, nahmen sie doch dort die Hälfte der Abteilung ein75. Parkbewegung, Civic Centers, groß- und mittelstädtische Planungsstudien können als repräsentativer Einblick 72 Burnham zeigte in der Ausstellung Pläne der Senate Park Commission für Washington (Parks), den Bebauungsplan für Manila im Auftrag des Verteidigungsministeriums in Vergrößerungen nach Diapositiven (Stadtpläne), neue Bebauungspläne für Washington und den Chicago-Plan (Gebäudegruppierung) . 73 Berliner Lokal-Anzeiger, 25. Januar 1910; sie habe beim Stadtrat $ 5000 zur Finanzierung beantragt. Diese Summe ist nicht plausibel, sie soll die laxe Haltung des Berliner Magistrats brandmarken. 74 Variation eines Wordsworth-Zitats; im „Führer" selbstverständlich nicht aufgeführt, Lehren (1910) 902; AP 9: ... ein Mensch der in seiner Jugend keine Gelegenheit zu herzhaftem gesundem, Spiel gehabt hat, ist meistens sein Lebtag wirtschaftlich unbrauchbar. 75 Vierzehn weitere Beiträge erscheinen in verschiedenen Gruppen, darunter fünf Beiträge zu Verkehr, drei zu Innenstädten, eine Siedlung in Boston, entworfen von Parker/Unwin und zwei Beiträge Hegemanns: Karten des Bahngeländes und des Waldgürtels, beide Boston, vermutlich dort selbst erworben. Führer ..., Nr. 175 d und 233.

156

5.1.4

Propagandist

in die zeitgenössische amerikanische Stadtplanung gelten 76 . Sie erfuhren hier jedoch eine Rezeption, die daraus Anregungen nur für zwei Gebiete deduzierte: Freiflächenplanung und Gebäudegruppierung. Das entsprach wiederum recht genau den Planungsvorgaben des Architekten-Ausschusses. Hegemann reagierte also lediglich als Mittelsmann auf vorhandenes Interesse. Im Verlauf der Ausstellung nutzte er dieses zur Einführung in Fach und Öffentlichkeit unter Setzung eigener Schwerpunkte. Zur Kompensation des Verzichts auf die großen Bilder Guerins konnte Hegemann ab dem 18. Mai in vier Folgen einen ausführlichen, großzügig bebilderten Bericht über den Chicago-Plan in der „Deutschen Bauzeitung" veröffentlichen, der auch als Sonderdruck erschien. Die oben bereits festgestellte Reduktion auf die Ästhetik korrespondierte nun ideal mit den nationalen Zwecken der Ästhetik in der Berliner Programmatik. Hegemann hob nun ebenfalls nicht auf die Rationalisierung der Großstadt in den großangelegten Infrastrukturmaßnahmen Chicagos ab. Mit seinem Bericht, der die bürgerlichen Tugenden des Planaufstellens und ihre Propaganda betonte, konterkarierte er jedoch die Klassifikation dieser Exponate als „Gebäudegruppierung". Außerdem hielt Hegemann am 18. Mai in der zweiten Vortragsreihe der Städtebauausstellung einen eigenen Vortrag über „Bestrebungen des amerikanischen Städtebaues". Es war der einzige Vortrag, der sich ausdrücklich mit einem ausländischen Thema befaßte, und er verkaufte sich - trotz oder wegen der Ankündigung - schlecht 77 . Der Redner wird seine, im zweijährigen Aufenthalt in Amerika gesammelten Eindrücke unter Vorführung von 100 Lichtbildern schildern ...78. Anzunehmen ist, daß der Vortrag mit den beiden fertiggestellten Aufsätzen über Chicago und die amerikanischen Parkanlagen übereinstimmte 79 . Auch hier korrespondierte die Reduktion auf die Ästhetik mit Anforderungen der Wettbewerbsinitiatoren und die bürgerlichen Tugenden der Empfindsamkeit und Empathie. Dabei warb Hegemann mit dem immer wieder herausgestellten Engagement der einflußreichsten Männer und ihrer Fähigkeit, die ganze Angelegenheit zur populärsten Tagesfrage zu gestalten, hervorragend für sich und seine Auftraggeber 8 0 . 76 George B. Ford äußerte sich in seinen Berichten dazu nicht, sondern befand als Ergebnis auf „vergleichsweise Unzulänglichkeit" der amerikanischen Planung als Folge der differenzierteren Mittel deutscher Kommunen für Eingriffe in den Stadtbau überhaupt. Ford, Exhibition in Berlin ..., p. 124. Cohen, Scenes ..., p. 50, zählt Ford gar zu den hier für Städtebau Gewonnenen. 77 Die Abrechnung der Kartenabnahme in Rixdorf zeigt, daß am 18. Mai nur 4 Karten für Hegemann verkauft worden waren, bestverkaufter Vortrag mit 45 Karten war Jansens „Groß-Berlin der Zukunft". 34R-7-12, Rathausarchiv Neukölln. Nur Eberstadt behandelte bei „Arbeiterwohnungen" auch englische Beispiele. 78 Vossische Zeitung, 19. Mai 1910. Ihr war bei der Ankündigung ein Fehler unterlaufen, der Vortrag fand am 18. Mai statt, eine Kritik brachte sie nicht. - Hegemanns „zweijähriger Aufenthalt" ist eine typische Entkopplung exakter Zeiträume zum gesteigerten Bildungsnachweis. 79 AP 11 teilweise textgleich mit NBC 9. Das erklärte auch, daß der Vortragstext dem „Städtebau" zwar vorlag, aber nie gedruckt wurde. 80 AP 8 und Vorarbeiten (1910) 211. Die treibenden Kräfte bei diesem erfolgreichen und einzigartigen Unternehmen waren auf der einen Seite die überlegene Bildung der alteingesessenen neuenglischen Bürgerfamilien, und auf der anderen Seite die vorurteilslos für ihr physisches Wohlbefinden eintre-

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5.1.4

'Kulturfrage'

Die Überblendung der Intentionen setzt sich fort. Hatte Hegemann mit seiner propagandistischen Graphik schon die kommunale Vorsorge herausgefordert und mit dem Spielplatz-Motto den volks- und wehrwirtschaftlichen Nutzen von Ästhetik akzentuiert, versuchte er auch Vorbehalten gegen auswärtige Anregungen zu begegnen. Mit seinen „Drei Hauptstücken großstädtischer Parkpolitik" von 1911 kategorisierte Hegemann die Vorbilder: New Yorks kommunalen Landankauf, Bostons Parksystem und Chicagos Nutzungsdifferenzierung auch sehr kleiner Anlagen. Er bemühte konstruierte europäische „Wurzeln", um für die Parks in „Kinderwagen-Entfernung" mittels des Sandhaufens deutscher Kindergärten bescheiden Großvaterschaft anzumelden. Diese Anreicherungen ermöglichten Hegemann sein Studien- und Reisejahr 1911. Er verstärkte den kulturellen Appell, indem er die amerikanische Tradition zu einem Zwischenstück „internationaler Ideenbefruchtungen" machte und die geforderte deutsche Parkpolitik zur Fortsetzung einer glorreichen Tradition umbildete 81 . Er argumentierte nicht mit sozialen oder volkswirtschaftlichen oder nationalen Kategorien. Die 'Parkmission', eine Mission von höchster kultureller Bedeutung, eine geradezu heilige Mission, betrifft die Wiederherstellung eines Bezugs zur Natur durch ein Kultursubstitut, die künstliche Vervollkommnung der menschlichen Erfahrung und Wiederherstellung des Städters zum 'ganzen' Menschen. Diese fällt naiv und natürlich mit den Zielen der nationalen Kategorie überein. George B. Ford registrierte den Beitrag der Vereinigten Staaten zu Parks und Spielplätzen als aufsehenerregendsten der deutschen Ausstellung. Er unterschied zwischen englischen Anregungen für Parks und dem Vorbild amerikanischer Spielplätze, die auch das Interesse der Kommunen erregten. Most of the ideas contained in these were new to the Germans, which was not surprising since the whole idea of organized play under guidance is something entirely foreign to German custom and temperament^2. Aus dem Publikumsinteresse schloß er, daß die Alternativen zum Spiel in freier Natur in den verdichteten Stadtgebieten zunehmend erkannt würden. Die Vorstellung amerikanischer Importe löste Befremden aus. Die „Bauwelt" mußte ihrem Bericht über Hegemanns Vortrag noch voranstellen, daß in den Vereinigten Staaten Probleme der Großstadtentwicklung mit der dort bekannten Energie gelöst seien. Nichts ist darum natürlicher, als daß wir vor der Bahnung neuer und eigener Wege im Städtebau uns anschauen, welche Lösungen drüben gefunden worden sind. Gerade bei Grünanlagen zeigte sie sich von den Neuerungen überzeugt: Im ganzen bieten diese Plätze ein Beispiel sozialer Fürsorge, das unser Staunen erregt und sich in einer Richtung bewegt, die bei uns kaum gekannt ist83. Alfred Kerr dagegen verstand eine kulturelle Herausforderung und damit des Redners tende und einer weitsichtigen Führung gern folgende öffentliche Meinung einer Bevölkerung, deren aus aller Welt zusammengeströmte Elemente in einer, wie der Parkfrage, allgemein verständlichen Angelegenheiten sich gern und schnell zusammenschließen. 81 Hauptstücke (1911) 23. 82 Ford, Exhibition in Berlin ..., p. 123; Ford, City Plan Exhibit ..., p. 645. 83 Bauwelt 1 (1910), S. 7. Eine leichte Reserviertheit bleibt, ob gegenüber der Größe der Vorhaben oder der Detailliertheit der Vorgaben, ist noch offen.

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5.1.4 Stufen

Antrieb und Antreiben. Er stellte ihm ein Zeugnis aus, das Hegemanns Erfolg als Propagandist nachdrücklich beweist: Hegemann hielt uns Bewohnern von Groß-Berlin die Bestrebungen des amerikanischen Städtebaus unter die Nase, und in diesen Vorführungen lag ein aufreizender Zug, etwas zur Tat Anstachelndes. Hier waren die Wunder der Zukunft ,..84. Untersuchungen zum gleichzeitigen Ausgreifen einer internationalen Planungsbewegung zeigen, daß bei der Innovationsdiffusion und Wissensvermittlung Einzelpersonen eine erhebliche Funktion zukam 85 . Wirkungen auswärtiger Projekte entfalteten sich vor allem in drei Kategorien: Neuerungen in der künstlerischen Auffassung, Innovationen bei Planungsinstrumenten und nationale Konkurrenz. Ursachen für eine aktive Aufnahme solcher Anregungen waren weniger deutlich zu scheiden, weil sie rationale Gründe, soziale Anliegen und emotionale Antriebe sowohl subjektiv wie gruppen- resp. publikumsbezogen verklammerten. Erkennbar wurden im untersuchten internationalen Austausch jedoch vier Typen von Mittelsmännern: der Xenophobe, der alle auswärtigen Beispiele als ungeeignet für lokale Bedingungen ablehnte, der 'Einheimische' mit einer Bereitschaft, Anregungen zu empfangen, der Vermittler als intermediary, der sich durch Import im Ausland erfahrener Anregungen und deren Verbreitung auszeichnet, und der kosmopolitische Planer, der Vorbilder nach mehreren Seiten zu tragen imstande ist. Hegemann wurde in diesem analytischen Konzept als kosmopolitischer Planer eingeordnet 86 . Aufgrund seiner Anfänge können nun dem synchronen Konzept diachrone Aspekte zugefügt werden, die klären, wie sich der Typus herausbildete. Unter den Antrieben schlägt sich der Aspekt künstlerischer Einflüsse für Hegemann in dem überwältigenden sensorischen Eindruck nieder, den er in vielen eigenen Fotos festzuhalten und durch Ausstellung und Parkbuch weiterzugeben suchte. Kriterien der Unterscheidung zur künstlerischen Grünanlagengestaltung finden sich erst nach seiner Lesephase; er stellt seine Erfahrungen nicht aufgrund einer vergleichenden Beurteilung künstlerischer Mittel vor. Auch das Ziel erweiterter Planungsinstrumente schlägt sich bei Hegemann kaum nieder. Es finden sich durchaus einige als einer Parkpolitik günstig erwähnt - privat initiierte Finanzierung, andere Bodenbesteuerung, Verwaltung durch neu geschaffene Behörden, ohne daß Hegemann sich systematisch mit Instrumenten und Implementierung befaßte. Aber die Antriebe internationaler Erfahrungen und nationaler Konkurrenz treffen ihn 84 Alfred Kerr in einer undatierten Rezension in der „Königsberger Allgemeinen Zeitung", zitiert nach der Anzeige in Ellis' „Deutschen Schriften" im Exemplar Heinrich Manns. 85 Erste Skizze bei Anthony Sutcliffe, Zur Entfaltung von Stadtplanung vor 1914: Verbindungslinien zwischen Deutschland und Großbritannien. In: Fehl/Rodriguez-Lores (Hrsg.), Städtebau um die Jahrhundertwende ..., S. 139-170, S. 145 f. Der 1980 vorgetragene Ansatz wurde im weiteren um theoretische Überlegungen und Beispiele erweitert: Sutcliffe, Planned City ..., p. 173-179, entspricht Sutcliffe. Urban Planning ..., S. 452-456. 86 Sutcliffe nennt ihn sogar einen outstanding Odysseus·, Sutcliffe, Planned City ..., p. 174; Sutcliffe, Urban Planning ..., p. 452. Auch Cohen, Scenes ..., p. 29, attestiert Hegemann, weil er auf Burnhams Chicago und die amerikanischen Parks aufmerksam machte, bereits zu Beginn eine eminently transAtlantic figure.

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5.1.4 Intermediary

genau. Finally, in a world divided into competing nation-states, conditions abroad could help persuade, or could be used to persuade, individuals to make decisions which they might not have made in response to national conditions aloneP Das Kennenlernen fremder Möglichkeiten hatte ihm Mängel heimatlicher, als gegeben hingenommener Umstände vor Augen geführt. Er benutzte sie, um in Deutschland ähnliche Entwicklungen zu fordern. Wenn er das als „kulturelle Herausforderung" bezeichnete, galt sie ihm selbst zuerst. Er forderte zum Vergleich mit amerikanischen Planungsbestrebungen in der Gewißheit heraus, daß diese Leistungen in Deutschland ebenso möglich seien, um sich und dem Publikum eben dieses zu beweisen. Dieser Motivationskomplex schlägt sich in in den frühen Schriften als „Kulturfrage" nieder. In ihm sind verschiedene Ursachen einer Verhaltensänderung zu aktiver Aufnahme auswärtiger Einflüsse aufgehoben. Die rationalen Ursachen stellen für Hegemann, durch seine Ausbildung begünstigt, die volkswirtschaftlichen, statistischen, die rechenbaren Gründe. Als soziale Anlässe sind die Assoziation zum bewunderten Onkel und weiteren peers, die Imitation der „feingeistigen" Neuengländer und das Streben nach anerkanntem gesellschaftlichen Status zu veranschlagen. Als emotionale Ursachen vorbehaltloser Aneignung werden die Empfänglichkeit für ästhetische Reize, Empfindsamkeit und Selbstprojektion als Wohltäter zur Selbstbestätigung wirksam88. Selbstbestätigung und 'Kulturbestätigung' gehen somit ineinander auf. Hegemann erscheint in der Städtebauausstellung und ihrem neuen Umfeld als Vermittler von Eindrücken, die er selbst gewonnen, importiert und präsentiert hat. Er agiert als intermediary, Mittelsmann für Einflüsse aus einer Richtung und nicht als cosmopolitan planner im Sinne eines beidseitigen Austausches. Für diesen aber bereitet die Führung auswärtiger Besucher ihn vor. Er trifft auf eine Bereitschaft des Publikums, von auswärtigen Entwicklungen zu hören. Es ist nicht ganz ohne Befremden, aber neugierig und fühlt sich durch diese „Vergleiche" zu Staunen oder Taten aufgefordert. Der Neugier des Publikums scheint vor allem die Konkurrenz der Nationen unterlegt, aber auch die Herausforderung demographischer Veränderung, sichtbar im Städtewachstum, das jetzt als gestaltbar dargestellt und begriffen wird89. Die Akzeptanz des Vermittlers erhöhte sich durch die den Zuhörern fehlende Fähigkeit, Überschätzungen und Fehler zu erkennen, weshalb Hegemann Übertreibungen nicht zu fürchten braucht 90 . Durch diese unabdingbare Voraussetzung - die sich hier auch auf das einheimische Gebiet erstreckt - konnte Hegemann überhaupt in die Position eines ersten öffentlich wirksamen Mittlers des Sektors gelangen91. Die Anerkennung des Fachblatts, Blicke auf ausländische Beispiele gelenkt zu haben, sei 87

Sutcliffe, Urban Planning ... p. 457. Sutcliffe, Urban Planning ..., p. 460 f. 89 Sutcliffe will auch die Hoffnung auf Gestaltung trotz militärischer Konkurrenz und ökonomischer Rivalität nicht vernachlässigt sehen. Das Gestaltungspotential erscheint als ein neuer Aspekt kultureller Konkurrenz. 90 Sutcliffe, Planned City ..., p. 176; Sutcliffe, Urban Planning ..., p. 454. 91 Die Bereitung des Bodens durch frühere Blicke sowie durch Vernetzung in anderen Sektoren wie der Sozialarbeit wären eigens aufzuarbeiten. 88

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5.1.4

Außenwirkung

namentlich ein Verdienst ihres Generalsekretärs Dr. Hegemann, ein reichhaltiges Material zusammengestellt und uns zugänglich gemacht zu haben92, bestätigt diese Wirkung, obgleich sie für die Präsenz auswärtiger Aussteller faktisch keineswegs zutreffend war. Hegemann vermittelte dem Fach so seine auswärtigen Kenntnisse und in Ansätzen bereits auswärtigen Besuchern ein Wissen über deutsche Entwicklungen. Bedeutsamer war jedoch die Punktion als Ausstellungsführer durch die umfängliche Wissensvermittlung an ein breites Publikum. Die Veranstaltung von Führungen der verschiedensten Gewerkschaften [und anderen Gruppen] haben zu den beinah täglich wiederkehrenden Aufgaben der Ausstellungsleitung gehört, schrieb Hegemann später 9 3 . Ein bedeutendes Kontingent stellten neben den Berliner Besuchern die Delegationen ausstellender Städte, die sich eigens Führungen bestellten und wegen Uberfüllung der Räume auf die frühen Morgenstunden von 7 bis 10 Uhr ausweichen mußten. Hamburg etwa schickte sogar 80 Delegierte; die Düsseldorfer Gruppe, die so auf die Idee kam, die Ausstellung zu Hause zu wiederholen, bestand aus neun Kommunalpolitikern. Unter den Auswärtigen rangierte eine achtzigköpfige Gruppe englischer Architekten unter Henry R. Aldridge an der Spitze. Städte entsandten Beamte eigens zum Studium der Ausstellung zwecks Fortbildung und systematischer Aneignung von Neuerungen 94 . Gewicht hatten auch einzelne Besucher wie George B. Fords, der seine Reise zum Wiener Wohnungskongress dafür nutzte und mehrfach berichtete, oder auch der New Yorker Bürgermeister Seth Low. Keinen anderen Führer duldete mit Sicherheit die Deputation aus Boston ... vier Herren, an deren Spitze Herr Filene, der Veranstalter der Städtebauausstellung in Boston 1909, stand 95 . Eine weitaus größere Gruppe, die von der Veranstaltung angesprochen wurde, waxen Vereine und Gewerkschaften. Hegemann zählte 1911 fast ein Viertel der gesamten Besucher zu den Mitgliedern der freien Gewerkschaften. Aber auch Verbände, deren Ziele in besonderem Bezug zum Thema standen - oder auch nicht: der Flottenverein kam 92 Bauwelt 1 (1910), S. 7. Vgl. auch Werner Weisbach, Geist und Gewalt. Wien-München 1956, S. 71 f. Man war in der Lage, sich über städtebauliche Maßnahmen und Pläne, Verkehrsmittel, soziale Einrichtungen, wirtschaßliche Erwägungen und Berechnungen in den verschiedensten Ländern zu unterrichten, und vor allem war auch Nordamerika beteiligt, das bisher ganz außerhalb meines Gesichtskreises gelegen hatte. ... Hegemann ist die Seele der Ausstellung gewesen und hat sich namentlich auch um die Beibringung des amerikanischen Materials verdient gemacht. 93 S 88. 94 Hietala, Berlin ..., S. 201 ff. beschreibt dieses systematische Studium vorbildlicher kommunaler Modelle in Finnland, bei dem auch zwei Beamte zur Städtebauausstellung gesandt wurden. Die Frage nach der diffusion of innovation, die der nach Vermittlern zugrundeliegt, beantwortet sie mit dem Verweis auf die aus der Tradition der Studienaufhalte des 19. Jahrhunderts aufgebaute Erschließung durch gezielte Auslandsreisen. - Auch für Karl Ernst Osthaus ist die Aufnahme und Integration von Material der Städtebauausstellung in eine eigene Sammlung belegt; Sabine Röder, Propaganda für ein neues Bauen: Die „Photographien- und Diapositivzentrale" des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe. In: Moderne Baukunst 1900-1914. Die Photosammlung des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe, Kaiser Wilhelm-Museum Krefeld, Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen, Werkbund-Archiv Berlin, o.O. 1993, S. 8-17, S. 17. 95 Vossische Zeitung, 13. Mai 1910, 15. Juni 1910.

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5.1.4 Multiplikator mit 140 Mitgliedern zur Besichtigung - , erschienen in großer Zahl96. Am 9. Juni besichtigten allein 1200 Mitglieder der Groß-Berliner Vorortvereine und 800 Mitglieder der Ortskrankenkassen die Ausstellung mit Führungen, und die „nötige Anzahl von Führern konnte nur mit größter Mühe beschafft" werden97. In der Vermittlung von Städtebau an dieses breite Publikum, persönlich oder durch seine Schriften, liegt Hegemanns Leistung für die Fachentwicklung in Deutschland. Das attestierte Hermann Jansen, als er in einer Schlußbewertung die Vermittlung gar der Ausstellung selbst an Bedeutung gleichstellte98. ... auch die Laienkreise und vor allem die Behörden für die spröde Materie zu interessieren, sie aufzurütteln und aufzuklären ... war ... von großem Werte - und dafür dürften sich die Fachleute am meisten dankbar zeigen - dass in Dr. Hegemann, dem Generalsekretär der Ausstellung, sich ein Interpret fand, gleich gewandt in der Vermittlung all der Ideen des wirklich neu zeitlichen Städtebaus an die Tausende Besucher, wie rastlos bemüht weiteste Kreise der Bevölkerung mobil zu machen.

Auch Fachbesucher konnten sich dem anschließen: Die Führung des Herrn Dr. Hegemann war ausserordentlich instruktiv, da Herr Hegemann überaus gut über die Ausstellung und über die einzelnen Pläne unterrichtet ist. Ohne seine Führung würde es uns unmöglich gewesen sein, in der kurzen Zeit eine so gute Ubersicht über das Ausgestellte zu erlangen." Hegemanns Arbeit war die eines Multiplikators100, der sein erworbenes Wissen an große Gruppen weitergab und es dadurch vervielfachte. Das gelang ihm durch Vereinfachung, plakativ und populistisch, durch Propaganda für Städtebau ganz allgemein. Der "ökonomischen Versorgung der Großstädte" genüge die "klassische Lösung" nicht mehr - gemeint ist Haussmanns Paris. Die Ausstellung zeige deshalb eine möglichst vollständige Sammlung von Musterbeispielen guter Lösungen101, jeden betreffend, denn: der bauliche Habitus einer Stadt drückt ihren Einwohnern unweigerlich seine Physiognomie auf102. 96 Auch der „Verein für die Geschichte Berlins" etwa nahm einen festen Satz von Eintrittskarten ab, die dann über ein Mitglied zum ermäßigten Preis zu erwerben waren; Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 27 (1910), S. 79. 97 Vossische Zeitung, 11. Juni 1910. 98 Jansen in Baumeister 8 (1910), S. 125. Das Motiv hat Wirkung bis in den amerikanischen Nachruf American Architect 148 (1936), p. 110, nach dem Hegemann 'persönlich 35.000 Gewerkschafter durch die Ausstellung' führte; wahrscheinlich vermittelt durch Ford, City Plan Exhibition ..., p. 120, der 15.000 an Gewerkschaften verkaufte Eintrittskarten nannte. 99 Geusen für die Düsseldorfer Delegation; III 660, Stadtarchiv Düsseldorf. Jansens Urteil beruhte offenbar auch auf direkten Rückmeldungen, denn er hatte mindestens der Düsseldorfer Delegation seinen Beitrag persönlich erläutert. 100 Diese Funktion nun auch bei Collins, German Critic ..., p. 3, hervorgehoben. 101 Vorarbeiten (1910) 211. Offenbar Pressemitteilungen, da Teil dessen auch in Teltower Kreisblatt, 15. Mai 1910; mehrheitlich Aufzählung und Beschreibung der Aussteller und Exponate; bestes Beispiel für Populismus: Ziele (21. April 1910). 102 Mit einer fortgesetzten Metapher der vergleichende[n] Maß- und Konfektionsausstellung deklarierte er den Besuch zur Frage der Kultiviertheit und die Architektur zur handwerklichen Dienstleistung.

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5.1.4 Agent

Sein Tenor ist eine lineare Verknüpfung individuellen Aufstiegs mit ökonomischem Aufschwung, für den Hegemann den Städtebauer zum Agenten und Erfolgsgaranten macht. Das Einkommen jedes einzelnen und die Schnelligkeit, mit der er vorwärtskommen kann im Leben, um sich und den Seinen Behagen und Bildungsmöglichkeiten zu verschaffen, hängen unmittelbar ab von der wirtschaftlichen Prosperität des ganzen Gemeinwesens. Mit einem Schlage wird der Aktionsradius der Industriegelände einer Stadt durch Einrichtung von guten Schienen- und Wasserverbindungen erhöht; die Einstellung von Tausenden neuer Arbeiter, von Kommis, Direktoren nebst Ausschüttung entsprechender Dividenden, Neuanschaffung von Maschinen usw. usw., all das hängt wesentlich mit davon ab, ob der Städtebauer verstanden hat, das richtige Gleichgewicht, den richtigen Rhythmus in die Verteilung der Industrieviertel und ihre Aufschließung zu bringen. Die Gesundheit und Moral der Millionenstadt ist in Frage gestellt, wenn nicht schließlich jeder Arbeitende auch wieder rechtzeitig Ruhe vom Lärm und Erholung in der grünen Natur findet.

Der Aufschwung wird nach bürgerlichen Werten definiert: Bildung, Einkommenszuwachs, Aufstieg, Privatheit. Stadtplanerische Arbeit ist eine spezialisierte Wirtschaftsförderung zwecks Wohlstandswachstum. Die Städtebaumaxime segmentiert die Stadt, koppelt das Umland ab und erzeugt eine Produktivitätsexplosion. Damit steht eine volkswirtschaftliche Ordnungsvorstellung im Vordergrund, die Hegemann seit der Zahlenfaszination in New York beschäftigt. Der Abbau von Energie- und Reibungsverlusten, im Modell der Bostoner Zahnräder verkörpert, erweist sich als langanhaltendes Motiv 103 . In einem exklusiv für die „Bauwelt" verfaßten Vorbericht 104 stellte er die Wohnungsfrage voran - für viele Besucher von vorrangigem Interesse und ordnete alternativen Bodenaufteilungen und Bauträgern eine Schlüsselrolle für Reformen zu 105 . Nach zwanzig Ausstellungstagen und ersten didaktischen Erfahrungen erklärte Hegemann als „Lehren der Städtebauausstellung" eine klare Hierarchie 106 . Sein Schlagwort ist Die Stadt als Werkzeug! Es macht sie zum Instrument der Staatsführung, um einen Entwicklungsanschub seitens der Regierung zu provozieren. Einer wirtschaftlichen Funktion der Stadt geht die Hygieneforderung konform, die Kunst ist nachgeordnet. Hegemann erweitert die vorherrschende Ansicht von der künstlerischen als einziger Aufgabe des Städtebaus. In der Abwägung von Leistungsbilanzen bietet Stadtbaukunst für 103

U m ... langsam die notwendige Ausdehnung zu schaffen, ist eine endlose Fülle treuer, zielbewusster künstlerischer Kleinarbeit nötig - die R ä d e r führen schließlich auch zur künstlerischen Vervollkommnung. Streifzug (1910) [16]. 104 Der „Streifzug" bricht unvermittelt ab, so daß a n z u n e h m e n bleibt, daß Hegemanns Mitteilungen fortgesetzt werden sollten. 105 Er präsentierte vor allem Redlichs Miethäuser ohne Seitenflügel u n d Kuczynski/Lehweß' Modell gemischter Bauweise, aber auch Bergs Beispiele aus F r a n k f u r t u n d Breslau, Industriesiedlungen aus England u n d USA, wobei er die Kruppsiedlungen z u m deutschen Äquivalent philanthropischer Untern e h m u n g e n aufbauschte. 106 Sein spezielles P a t h o s läßt dies leicht übersehen: Vgl. Ein vollkommenes Werkzeug ist die Lust dessen, der es zu handhaben versteht, und der Anblick eines guten Tennisplatzes läßt das Herz des Sportsfreundes höher schlagen. Oder: Die Stadt als Symbol, als steinerne Verklärung des gemeinsam Erstrebten, des gemeinsam Erreichten, der triumphale Ausdruck der wirtschaftlichen Vollkommenheit und der hygienischen Zulänglichkeit!

163

5.1.4 Heilserwartung

Hegemann ein identitätsstiftendes Medium, Museum der nationalen Geschichte. Kunst kittet und versteckt die historischen und wirtschaftlichen Brüche im Stadtbild 107 . Für den ästhetischen Bereich wird eine graduelle Vervollkommnung erwartet, wird für den wirtschaftlichen ein Zielzustand kontinuierlicher reibungsfreier Punktion imaginiert eine Heilserwartung für ein säkulares Zeitalter. Die Einübungen der Darstellung des Themas mit ihren Einstimmungen auf das Publikum von Fach- bis Laienbesuchern ließ die Leitung Hegemann auch das nächste Projekt, die wissenschaftliche Aufarbeitung, anvertrauen, obwohl seine Vorbildung dem nicht entsprach. Zunächst aber erwuchs aus der Kombination erfolgreicher Ausstellungsleitung und -interpretation die Rolle eines Experten für Städtebauausstellungen. 5.1.5 Transfer: Düsseldorf 1910 Die Absicht, für Düsseldorf einen Bebauungsplan resp. Stadterweiterungsplan108 aufzustellen, entstand nach den Eingemeindungen großer Vororte, die im Jahr 1909 abgeschlossen worden waren. Bei der Entwicklung dieser Vorstellungen schaute man bewußt nach Berlin, nicht nur auf den Wettbewerb, sondern auch auf das Material der Städtebauausstellung, das vor dem Einsetzen einer besonderen Kommission gesichtet werden sollte. Einer diesbezüglichen Empfehlung des Regierungspräsidenten an den Oberbürgermeister bedurfte es nicht erst. Sie besagt jedoch, wie gründlich die Berliner für eine Kenntnisnahme gesorgt hatten. Die Entsendung von drei Beigeordneten und sechs Stadtverordneten ist Beleg dafür, daß Städtebau nicht den Baufachbeamten überlassen werden sollte, sondern als Teil künftiger Kommunalpolitik begriffen wurde 109 . Die Abordnung, vom 26. bis 28. Mai in Berlin, sprach bei Oberbürgermeister Kirschner vor, der seinem Magistratsbaurat die Stadtführung überließ. Diese von den Düsseldorfern erbetene Besichtigung wurde, so der technische Beigeordnete Carl Geusen, als banal und dürftig empfunden 110 . Einen umso besseren Eindruck machte daher die Ausstellung. Der Generalsekretär führte die Besucher und der Preisträger Hermann Jansen persönlich erläuterte seinen Beitrag. 107

Vorarbeiten (1910) 230, 229, 212. Ein von Geschäftshäusern erobertes Wohnviertel oder ein von landhausmäßiger Bebauung zur Mietskaserne übergehendes Wohnviertel wirken meist peinlich. Oder: Einheitliche Wirkungen sind dann noch besonders dadurch erschwert, daß fast überall Bauwerke aus verschiedenen wirtschaftlichen Epochen zusammenstehen, deren ungleichmäßige Höhen zu den häßlichen Seitengiebeln führen. 108 Stenographische Verhandlungsberichte der Stadtverordneten-Versammlung zu Düsseldorf [StVStvD] 1910, S. 142. Vgl. unten 5.4.2 Bebauungsplan Düsseldorf. 109 Nach der ersten internen Verwaltungsvorlage sollten nur die Beigeordneten nach Berlin fahren. Doch die Düsseldorfer Stadtverordnetenversammlung entschied zwei Tage später, daß die Stadtverordneten mit ihnen reisen sollten. 110 Magistratsbaurat Gottheiner war seinerseits Mitglied des Arbeitsausschusses, aber offenbar kein Advokat der Ausstellung. Der Regierungsbaumeister a.D. Carl Geusen, seit 1901 technischer Beigeordneter, stellte in der Städtebauausstellung mit Gartenbaudirektor von Engelhardt Parks und Plätze aus. Führer ..., Nr. 213-217; von Hegemann S Abb. 351 war das Rhein-Freibad unter seinem Namen wiedergegeben, Abb. 373-379 die Platzbeispiele positiv bewertet. III 660, Stadtarchiv Düsseldorf. Zitate dieses Abschnitts, soweit nicht anders vermerkt, aus dieser Akte.

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5.1.5 Region

Die Führung des Herrn Dr. Hegemann war ausserordentlich instruktiv, da Herr Hegemann überaus gut über die ganze Ausstellung und über die einzelnen Pläne unterrichtet ist. Ohne seine Führung würde es uns unmöglich gewesen sein, in der kurzen Zeit eine so gute Ubersicht über das Ausgestellte zu erlangen. Herr Dr. Hegemann regte an, ihn zu einem Vortrag nach Düsseldorf einzuladen, der mit Vorführungen von Lichtbildern verbunden sein würde. Herr Dr. Hegemann ist besonders über die Einrichtung amerikanischer Städte, die auf dem Gebiete der Parkgartenanlage hervorragendes geleistet haben, gut unterrichtet und sein Vortrag würde in den weitesten Kreisen von Interesse sein.

Geusen ist hier ein Echo Hegemanns, der die Ausstellung glänzen ließ, durch Kompetenz und Detailkenntnisse überzeugte und zugleich noch Eigenwerbung betrieb. Ob die Delegation schon vor Ort auf den Gedanken verfiel, die Ausstellung nach Düsseldorf zu bringen, ist nicht festzustellen. Man sprach es noch nicht offen an. Geusen fügte seinem Bericht für Oberbürgermeister Wilhelm Marx bereits eine handschriftliche Notiz zum Plan einer Düsseldorfer Wiederholung inklusive Schätzung von Kosten und Einnahmen an 111 . Am selben Tag schrieb er in seinem Dankesbrief an Hegemann: Es drängt sich mir die Frage auf, ob es nicht zweckmäßig ist, einen Teil ... des Materials ... nochmals in der Rheinprovinz auszustellen, bat aber Hegemann, dies vorläufig vertraulich zu behandeln. Wegen der Dichte der Städte und Industriegebiete herrsche großes Interesse; Düsseldorf biete sich durch seine zentrale Lage als Ort der Veranstaltung an. Kurz darauf wandte Geusen sich auch an einen persönlichen Freund Otto Marchs in Düsseldorf, Justizrat Wilhelm Lohe, und bat ihn, bei March in diesem Sinne anzufragen. Er schuf damit eine Konstellation der Ansprechpartner - Hegemann fürs Praktische, March für das Fach die bis zur Teilnahme beider am Preisgericht von 1912 Geltung hatte. Hegemann begrüßte das Düsseldorfer Vorhaben als einen fruchtbaren Austausch zwischen Hauptstadt und Provinz. Trotz Skepsis betreffend eine Berliner Beteiligung sah er keine Schwierigkeiten, da die ursprünglich anschließende Londoner Ausstellung verschoben worden sei. Die Düsseldorfer verdankten ihre Ausstellung einem Trauerfall, dem Tod des englischen Königs Eduard VII. am 6. Mai des Jahres, in dessen Folge die Veranstaltungen der Town Planning Conference in den Oktober verschoben wurden 112 . Hegemann erwähnte hier auch eine - nicht nachweisbare - Ausstellungsplanung für Amsterdam und benutzte die Konkurrenz, um den Eifer anzustacheln. Das Konkurrenzprinzip, hier zwischen Hauptstadt und Provinz (-hauptstadt), und seine Wirksamkeit zeigt sich in der Weigerung der Berliner, die Wettbewerbsarbeiten zu verleihen. Kirschner strich in einem Schreiben an Marx vom 7. Juni den Vorrang der Hauptstadt heraus und verwies die Düsseldorfer auf die ferneren Ränge. Er bestand darauf, daß die Städtebauausstellung und der Wettbewerb zwei verschiedene Dinge seien. Die Ausstellungsleitung sei ein Privatkomitee, die Pläne dagegen Eigentum der 111 Ein Schreiben des mitgereisten Stadtverordneten Dücker an Geusen vom 9. Juni 1910, die Ausstellung solle „unbedingt" und „unverzüglich" gesichert werden, zeigt die Zustimmung derer bei solchem Vorgehen. 112 Der Briefkopf der Town Planning Conference unter dem Patronat des Königs, auf dem Unwin am 22. Juni 1910 an Hegemann nach Düsseldorf über die geplante Eröffnung am 10. Oktober schrieb, enthält noch die Daten 11-16 July 1910.

165

5.1.5

Konkurrenz

beteiligten Kreise und Städte, die mit den Entwürfen arbeiten wollten. Kirschner Schloß mit der süffisanten Präge, ob die Ausstellung ohne die Wettbewerbspläne für Sie noch ausreichenden Wert hat?113. Diese Ablehnung bestätigt, daß man sich in der Berliner Verwaltung über den Popularitätswert der Arbeiten im klaren war. Nicht zu praktischer Auswertung, die in dem zersplitterten Einzugsbereich ohnehin kaum konsensfähig war, sollten sie zurückgehalten, sondern einer vorbildlichen Aneignung durch eine tatendurstige Kommune sollten sie vorenthalten werden 114 . Düsseldorf wollte den zugewiesenen Rang jedoch nicht einnehmen. Marx machte zur Vorbedingung seiner Zustimmung, daß die Berliner Aussteller und ihre ausgezeichneten Arbeiten präsentiert würden. Die Beschaffung von Ersatz durch von den Verfassern erbetene (honorierte) Kopien wurde unverzüglich in die Wege geleitet und von diesen gern akzeptiert. Das bereitete den Boden für Hegemanns wiederholtes Drängen, Originalpläne und Gemälde aus Chicago auszustellen, die in Berlin nicht gezeigt werden konnten. Er ging dabei gekonnt mit den Empfänglichkeiten der Veranstalter um, die Düsseldorfer Ausstellung damit über das Niveau einer Wiederholung heben und eine Vorschau auf die große Dresdner Hygieneausstellung des folgenden Jahres geben zu können. Hegemann machte sich so unentbehrlich, daß trotz Widrigkeiten ein anderer Leiter der Veranstaltung nicht denkbar war. Geusen, der sich insonderheit um ihn bemühte 115 , konnte am 13. Juni Marx mitteilen: Der General-Secretär der Ausstellung Herr Dr. Hegemann hat sich bereit erklärt, auch die Einrichtung und Verwaltung der Ausstellung in Düsseldorf zu übernehmen gegen eine Entschädigung von 1000 Mark für den Monat. Jedoch ist Herr Dr. Hegemann erst vom 15. August in der Lage, nach Düsseldorf zu kommen, da er bis zu dieser Zeit eine militärische Uebung ableisten muß.

Die Mitte Juni gebildete Kommission aus den Berlin-Reisenden und Gartenbaudirektor von Engelhardt unter Vorsitz von Marx akzeptierte diese Einschränkungen, um den Leiter zu behalten, und bestätigte damit dessen Bedeutung. In dieser Funktion entwickelte Hegemann große Beharrlichkeit und auch Eigenmächtigkeit. Er maß der Wirkung der Originalbilder für den Chicago-Plan eine außerordentliche Bedeutung zu. In Boston hatte er die Bilder gesehen und vertraute daher so sehr auf 113 Vier Tage darauf erhielt Geusen eine Postkarte aus dem Sekretariat Kirschners, daß der Magistrat beschlossen habe, die Pläne dieses Jahr nicht, nächstes Jahr vielleicht zu verleihen. March hatte die Ablehnung wohl vorausgesehen und wollte deshalb erneut bei der Stadt Berlin vorsprechen. 114 Darin liegt auch die Lösung für die von Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 127, monierte fehlende Antwort, warum die Ausstellung nicht zu einem Studieninstitut umgewandelt worden sei die Stadt Berlin wünschte kein Instrument, mit dem Druck auf die kommunale Aufgabenauslegung auszuüben war. 115 Trotz gestiegenen Honorars beschwerte sich Hegemann später bei Geusen: Ich bitte zum Schluß noch darauf hinweisen zu dürfen, dass das von Ihnen, Herr Baurat, mir gegenüber wiederholt an den Tag gelegte Entgegenkommen bei der Besprechung der Vergütungsfrage, neben der wiederholten Versicherung dass die Stellung keine Anstrengende für mich sein werde, hauptsächlich dazu beigetragen hat mich zur Annahme der Stellung zu bewegen, nach dem ich durch die Leitung der Ausstellungen in Boston und Berlin bereits über die Maassen angestrengt war.

166

5.1.5

Eigenmächtigkeit

deren Wirkung, daß er sie trotz der Düsseldorfer Finanzierungsverweigerung einfach kommen ließ. Die Finanziellen Fragen werden dann am besten angesichts der Bilder entschieden werden können.116 Hegemanns erste Kontaktaufnahme mit Daniel Burnham brachte ihm noch einen negativen Bescheid ein 117 . My dear Dr. Hageman [sic]: It seems that fate is against a display of the Chicago drawings in Germany, at least until after October. They now occupy four walls of a room 60 χ 40 feet, and they would not be effective unless by themselves and placed just as we have them. Our contractor estimates that they must have six or seven weeks, to take down, box, transmit and set-up in Europe, which would be too late for Dusseldorf. I am very sorry as is my commitee, and we desire to express our sense of your great courtesy, and our very deep regret that we cannot comply with your request. With high respect, Very truly yours, D.H. Burnham

Hegemann ließ sich nicht entmutigen. Er hakte nach und erhielt von Burnham ein Angebot über drei- bis viertausend Dollar inklusive London. Er riet also in Düsseldorf die Übernahme der Exponate eindringlich an und befand sich dabei im Einvernehmen mit Raymond Unwin, der bereits die am 10. Oktober zu eröffnende Londoner Ausstellung vorbereitete 118 . Hegemann bot die Zusage, in Düsseldorf am 25. September zu schließen, gegen eine Beteiligung an den Transportkosten an. Und Geusen stimmte zu. Doch Marx telegrafierte nach Charlottenburg, davon Abstand zu nehmen, da eine Kostenübernahme nur bis 2000 Mark möglich sei. Geusen schrieb ob der Gesamtsumme einen entsetzten Brief in das Lager Lechfeld, wo Hegemann seine Übung als Leutnant der Reserve ableistete. Auf Burnhams zweites Angebot vom 18. Juli über $ 3000 hatte Hegemann eine kommentarlose Zusage von „Fifteen hundred" telegrafiert. Er hatte also eigenmächtig, ohne offizielle Kostenübernahme und nach Widerspruch eine Zusage über fast 6000 Mark gemacht 1 1 9 . Burnham teilte am nächsten Tag sein Einverständnis mit und veranlaßte eine Express Versendung. Der Arbeitsausschuß hieß zwar Hegemanns Bemühen gut, blieb aber bei der Zusage von nur 2000 Mark. Damit saß Hegemann in einer Klemme. Er ging davon aus, die Stücke zwischenzeitlich erneut in Deutschland ausstellen zu können, um so die fehlende Summe aufzubringen. Dieses Ansinnen traf aber in Chicago auf einen konsternierten Burnham, der am 8. August antwortete: 116 Damit kann eindeutig klargestellt werden, daß diese Originale, wie bei Collins u.a. angenommen, nicht den Weg von Boston über Berlin nach Düsseldorf nahmen. Es handelte sich in Berlin nur um Vergrößerungen von Diapositiven, die eine Photographische Gesellschaft als Werbung kostenlos angefertigt hatte, und Hegemann war der Umfang ihrer Ausstellung in Berlin nicht ausreichend. 117 Daniel H. Burnham to Werner Hegemann, July 12 (?), 1910, Burnham Collection, Letterpress Copybooks. With thanks to Ms. Regan Pritzker who succeeded in unearthing them. 118 In einem Brief zur Terminabstimmung schrieb Unwin, nach London käme the whole of Burnham's Chicago exhibit which he has promised to send us ... Our securing them should make it possible for you to have them if the dates fit. 119 Die später bewilligte Gesamtsumme von 3800 Mark wurde Burnham 1911 als $899,15 überwiesen, also zu einem Kurs von etwa 4,22 Mark.

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5.1.5 Ausstellungsleiter

You agreed with me by wire to pay $1500,00, on receipt of which, supposing I could rely upon you, I forwarded the drawings and they are nearly there. It is therefore too late for you to change, and you must keep to your agreement with me. I am sorry if you cannot get from others the help you expected, but this has nothing to do with the contract you made with me. I am not willing to send the drawings to Berlin. Mr. Ben Holden will pack and send them to London, as agreed, in time for their exhibition.120

Marx' Verärgerung über solche Eigenmächtigkeit führte zu dem Schluß, daß Hegemann mit allen Kosten zu belasten sei und er für dieses Privatunternehmen Deckung finden könnte durch weitere Ausstellung der Pläne in Berlin und anderswo. Der Arbeitsausschuß erhöhte seine Zusage lediglich um 300 Mark. Der Hergang zeigt den Zusammenprall zwischen professionellen Ausstellern und enthusiasmiertem Amateur auf der einen Seite, den Zusammenprall zwischen kommunaler Bürokratie und dem selbstgefälligen Bildungsbürger auf der anderen Seite. Daß dem Vorhaben dennoch Erfolg beschieden war, resultiert aus der Schwellensituation zum neuen Arbeits- und Aufgabensektor. Im Vorfeld wickelte Hegemann all die Rituale ab, die er als verläßliche Aufhänger kannte. Er empfahl, ein Renommierkomite zu bilden, den Namen der Ausstellung festzulegen121, Briefbögen drucken zu lassen, den Katalog zu vergeben122. Sobald alles bestimmt ist würde ich bitten mir möglichst freie Hand zu geben namentlich in Sachen die nichts kosten. Geusen und Hegemann hatten bereits beim zweiten Berlinbesuch Geusens im Juni das Material besprochen. Hegemann wollte nach einer Liste Geusens und seiner eigenen Aufnahme der Exponate Aussteller und Raumbedarf ermitteln 123 . Der optischen Präsentation der Stücke nahm er sich selbst an, hatte auch schon früh seinerseits die in Düsseldorf im Kunstpalast zur Verfügung stehenden Räume besichtigt. Besonders meinte er, für die Chicago-Exponate „beim Hängen zugegen" sein zu müssen. Hegemanns verpflichtende Reserveübung des 9. Artillerie-Regiments im Lager Lechfeld dauerte vom 1. Juli bis 15. August. Das ließ ihm keinen Raum für eine Erholung zwischen den Ausstellungen, was er bei den Honorarverhandlungen mit Geusen mehrfach 120 Holden war von Burnham als sein Assistent und „Ecole des Beaux Arts-Mann" angekündigt worden, der die Exponate begleiten und erläutern sollte. Er hatte sich bereits gemeldet und um genaue Angaben über den Ausstellungsraum gebeten, damit er schon vor Ankunft das Arrangement prüfen könne. 121 Er schlug Düsseldorfer oder Rheinische Staedtebau Ausstellung oder Staedtebau Ausstellung der Rheinprovinz oder Rheinische Staedtebau Ausstellung - Düsseldorf vor. Schließlich „International" als einzigen Zusatz zu wählen, zeigt gezielte Aufwertung und Anspruch. 122 Hegemann hatte schon in seinen ersten Briefen angemahnt, über die Vergabe früh zu entscheiden, damit durch Sammeln von Anzeigen seitens des Verlages der Preis gesenkt werden könne. Der Verlag Bagel bot 10.000 Stück für 1.800 Mark an, Wasmuth dieselbe Menge zu 2.500 Mark, die Düsseldorfer Verlagsanstalt kalkulierte bei verändertem Format 1.680 Mark. Bagel erhielt den Zuschlag für 20.000 Exemplare ä 16,5 Pfg Mitte Juli. 123 Die in den Düsseldorfer Akten erhaltenen Listen zeigen nicht an, ob eine geschlossene Übernahme stattfand. Darunter befindet sich auch die eigenhändige Liste Hegemanns über 14 Blätter mit Maßaufnahmen aller (?) Exponate, die er offenbar bei Eingang verzeichnete.

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5.1.5 'Schlacht'

herausstrich. Dennoch mischte er sich auch von dort aus stetig in das Geschehen in Düsseldorf ein und bemängelte, nicht ausreichend unterrichtet zu sein. Aber er setzte sich in der Folge auch wieder überdurchschnittlich ein, und als nach Schluß der Ausstellung das Komitee durch ein Geschenk an die Ehefrau dies würdigte, bedankte Alice Hegemann sich, indem sie ihren Stolz mit dem des jüngsten Leutnants über seinen ersten Orden verglich 124 . Die Metapher der geschlagenen Schlacht kennzeichnet die Arbeitsatmosphäre einer Ausstellung. Noch bevor die Stadtverordnetenversammlung am 5. Juli über die Kostenregelung und damit die Veranstaltung abstimmen konnte, war die Planung schon soweit gediehen, daß deren Zustimmung eine nominelle wax. Geusen warb bei ihnen mit der Unterstützung der Berliner Veranstalter, die sich davon einen weiteren Einfluß der neueren Methoden des Städtebaus auf die großen Städte, insbesondere im Westen unseres Vaterlandes versprachen 125 . Er stellte damit in Aussicht, nicht nur kommunalpolitischer Schrittmacher, sondern auch regionaler Vorreiter zu werden, wobei der schließlich gewählte Namenszusatz „International" alle abhängte. Erläuterungen Hegemanns, die Geusen den Stadtverordneten ankündigte, erweisen sich im undatierten Manuskript als hingeworfene Notizen. Das Schriftbild läßt die Versatzstücke erkennen, die Hegemann im Juni 1910 nunmehr flüssig über die Lippen gehen bzw. aus der Feder fließen. Er postuliert eine Agenda, an der die Progressivität der Städte zu messen ist. Dem öffentlichen Interesse - nun schon der allerweitesten Kreise - und den Aktivitäten der Konkurrenten können sich die Stadtverordneten nicht verweigern, ebenso wenig den Versprechungen: ... zu einer Ausstellung vereint werden können, die nicht nur den localen Stolz an der Schönheit der Stadt u. an ihrer Entwicklung steigert u. die öffentliche Meinung in Düsseldorf vorbereitet auf die umfangreichen Arbeiten, die für die gedeihliche Ausbildung des Stadtplanes in nächster Zeit geleistet werden müssen - mehr als das, die Düsseldorfer Staedtebau Ausstellung wird für die westliche Hälfle des Reiches und ganz besonders für die sich rasch entwickelnden Staedte des Industriegebiets eine ähnliche vorbildliche Bedeutung gewinnen können wie die Berliner Ausstellung sie für den Osten gehabt hat.126

Der Rekurs auf den Lokalstolz ist den Anliegen der City Beautiful entliehen, durch die monumentalen städtischen Zentren den civic pride zu heben - hier gilt es auch, der ewigen Konkurrentin Köln zu trotzen die Stadt zum Objekt der Identifikation und Integration zu machen. Das benutzt Hegemann, um für die Stadtgestalt als Gemeinwohl 124 Von den Extravergütungen für Mitarbeiter erhielt Hegemanns Sekretärin 80 Mark, Alice Hegemann - die gesellschaftliche Stellung der Hegemanns Schloß eine Barvergütung aus - eine Halskette im Wert von etwa 100 Mark. Alice Hegemann im Dankesbrief an Geusen vom 31. Dezember 1910, der die automatische Einbeziehung beider Ehefrauen in die beruflichen Pflichten zeigt. 125 Der Hinweis auf die „neueren Methoden" läßt annehmen, daß Geusen als Bearbeiter älterer Pläne Stübbens ä ia mode Haussmann zu Plänen ä la mode Sitte sich einen Zugewinn an Unterstützung in dieser Sache versprach. Vgl. Carl Geusen, Die Entwicklung der Stadt Düsseldorf im 19. Jahrhundert, dargestellt nach den Stadterweiterungsplänen. In: Düsseldorf und seine Bauten. Hrsg. vom Architektenund Ingenieurverein zu Düsseldorf, Düsseldorf 1904, S. 17-36. 126 Manuskript Hegemanns, undatiert [Juni 1910], III 660, Bl. 81, Stadtarchiv Düsseldorf.

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5.1.5 Assistent

zu werben, indem wirtschaftlicher Nutzen die betroffenen Gruppen an diese solidarische Sicht binden soll. Hegemanns Abwesenheit in der Vorbereitungsphase kompensierte man durch Anstellung eines Assistenten. Wer dabei den Namen Gustav Langens ins Spiel gebracht hatte, ist nicht auszumachen. Hegemann meldete am 17. Juni nach Düsseldorf: Ich sprach mit Reg. Baumeister Langen u. bin mit ihm einig. Für das mir zugesicherte Gehalt würde ich ihn mitarbeiten lassen um mehr Zeit zu haben für die Werke über die Berliner Ausstellung zu arbeiten. Hegemann überließ das Feld nur anderen, um sich derweil ein neues abzustecken. Er führte den drei Jahre älteren Fachwissenschaftler - Langen war seit 1909 Assistent am Städtebaulichen Seminar der Technischen Hochschule bei Brix und Genzmer - damit in das neue Metier ein. Dieser Umstand wurde für Langens weiteren Berufsweg ähnlich bestimmend wie Boston für Hegemann. Für die Leipziger Baufachausstellung 1913 wurde er wissenschaftlicher Leiter der Abteilung Städtebau, Siedlungs- und Wohnungswesen. Auf deren Grundlage gründete Langen eine Wanderausstellung für Städtebau, als „Wandermuseum" gezeigt und seit 1914 als wissenschaftliches „Archiv für Städtebau" 127 . Inspiriert war dies nicht nur durch die schon in Berlin eingehenden zahlreichen Anfragen zur Weiterleitung der Exponate 128 , sondern ging wahrscheinlich auf eine Idee von Hegemann mit Langen von 1912 zurück 129 . In Göteborg traf man sich 1922 wieder: Hegemann verfaßte den Katalog, Langen präsentierte als deutschen Beitrag das Archiv für Siedlungswesen. Langen arbeitete seit der zweiten Juliwoche in Düsseldorf, an Details wie Versicherungen, Transport- und Personalfragen, während in Berlin noch die Rechnungen abzuschließen waren. Das übernahm in Abwesenheit Hegemanns seine Sekretärin Clara Steffeck, auch in Düsseldorf und London dabei und als seine Privatsekretärin anzusehen. Der von den Stadtverordneten angenommene Kostenanschlag bewilligte 30.000 Mark, wovon allein die Hälfte auf Transporte und Honorare des Generalsekretärs und dessen Stellvertreter (zusammen 3.000 Mark) entfielen130. Diese Summe reichte nach Schluß der Ausstellung nicht aus. Trotz Einnahmen von knapp 16.500 Mark blieb ein Defizit von 20.000 Mark, das aus der Stadtkasse zu decken war. Man hatte die Transportkosten 127 Siehe Gustav Langen, Über die Begründung eines Archivs für Städtebau, Siedlungswesen und Wohnwesen (Sonderdruck des Technischen Gemeindeblatt 18 (1915), Nr. 4). Berlin 1915; jedoch ohne genauere Angaben. 128 Neben deutschen Bewerbern - Frankfurt, Barmen werden genannt, andere nur angedeutet - und ausländischen - Antwerpen erscheint wie Amsterdam (Verwechselung?; beide nicht nachweisbar) - wie London und Zürich, fragte auch Unwin am 26. Oktober an, ob das in London versammelte Material an mehrere englische Städte, die Interesse bekundet hätten, weitergeleitet werden könne. 129 Vgl. dazu unten 5.5.2 Arbeitspläne. - Langens Anschrift wurde 1911 mit Trabener Str. 25 angegeben, das Haus, in dem Hegemann 1911 wohl Büroräume zugemietet hatte - für eine „Zentralstelle"? Langen führte noch 1928 das Archiv für Siedlungswesen, das dem Zentralinstitut für Unterrichtswesen angebunden wurde, in der Trabener Str. 21, im Haus der ehemaligen Wohnung Hegemanns. Ein Tausch oder zeitweilige gemeinsame Nutzung von Räumen scheint damit belegt. 130 Nach Geusen hatten sowohl March wie Hegemann diesen Betrag als ausreichend erklärt. Diese beiden werden als Autoritäten für Ausstellungsfragen öffentlich benannt und die oben erwähnte Konstellation bestätigt.

170

5.1.5 Erfolge

zu hoch, die für Verwaltung und Werbung - schließlich fast 20.000 Mark - zu gering geschätzt 1 3 1 . Die Ausstellung war vom 5. August bis 25. September geöffnet und verzeichnete insgesamt 24.000 Besucher (in Berlin 65.000), für Geusen ein Erfolg. Wenn auch der materielle Erfolg der Ausstellung kein sehr erfreulicher gewesen ist, so ist jedenfalls der ideelle Erfolg, den wir erhofft haben, in vollem Maße eingetreten. ... Ihre günstige Wirkung gerade in unserem Industriegebiet wird nicht ausbleiben. Die Akten dokumentieren das Interesse tatsächlich 'allerweitester Kreise' 132 . Die Gesamtzahlen mögen für die Veranstalter nicht befriedigend gewesen sein, doch war die Zahl der Besucher an den Sonntagen des September stets vierstellig, am letzten kamen 1794 Interessierte 133 . Der Ausstellung Schloß sich eine von noch einmal fast 500 Zuhörern besuchte „Städtebauwoche" an, die kurzfristig angesetzt wurde. Sie bot eine Reihe von Vorträgen von Hegemann eingeladener Redner, die sich offenbar mehr an ein Laienpublikum richteten, aber sich als Veranstaltungsform nicht durchsetzen konnte 134 . Auch aus Hegemanns mißlicher Lage bei der Finanzierung der Exponate aus Chicago entwickelte sich ein überraschender Erfolg. Wie sich der nachfolgende Kompromiß anbahnte, ist nicht feststellbar. Jedoch wurde am 19. August eine zweite, eine Teilausstellung eröffnet, zu der gesondert eingeladen wurde und Hegemann einen kurzen (unbekannten) Vortrag hielt. Sie zeigte die Berliner Exponate und die inzwischen eingetroffenen Originale aus Chicago. Dazu erhielten die Plakate der Ausstellung einen Aufkleber mit dem Aufdruck: Sonderausstellung 2 Weltstädte der Zukunft Groß Berlin und Groß Chicago. Nach deren Schließung, nach Abreise Hegemanns, gab der Arbeitsausschuß ihm mit der Bewilligung von 1500 Mark als weiteren Zuschuß für die Pläne von Groß-Chicago Recht 1 3 5 . 131 Der mit 6.100 Mark schon großzügig ausgelegte Posten „Unvorhergesehenes" wurde noch einmal um 3.000 Mark überzogen; so Geusen in der Sitzung der Stadtverordneten vom 7. März 1911. 132 Die Zahl der Zusagen zum Ehrenkomitee, der Reaktionen und Anfragen auf die Einladungen spezieller Gruppen, Vereine, Stadtverordnete, technische Oberbeamte steht der in Berlin kaum nach. 133 Brinckmann allerdings fehlte hier der enthusiastische Schwung, mit dem in Berlin begonnen wurde. Albert Erich Brinckmann, Internationale Städtebau-Ausstellung Düsseldorf 1910. In: NDBZ 6 (1910), S. 446. 134 Sie sollte die "Lehren" für Besucher und Einwohner nutzbarer machen, so Geusen vor den Stadtverordneten am 1. September 1910. Nachrichten oder Veröffentlichungen der Veranstaltung waren nicht zu finden. Sie wurde wahrscheinlich nur regional rezipiert - 1912 wurde die Wiederholung deswegen durch eine zweiteilige große Publikation bekanntgemacht. In den Beschlüssen des Arbeitsausschusses findet sich am 1. September der Eintrag: dem von General-Sekretär Dr. Hegemann vorgetragenen Entwurf des Programmes für die Städtebauwoche wird im allgemeinen zugestimmt. Demnach muß Hegemann das Programm allein entworfen haben, und der Arbeitsausschuss stimmte damit auch seiner Schwerpunktsetzung etwa durch Einladung Adolf Damaschkes vom Bund der Bodenreformer zu. Weitere Nachrichten (außer über den entstandenen finanziellen Verlust von 1292,70 Mark und die Teilnahme von 483 Zuhörern) fehlen, daher die Annahme einer Vortragsreihe, die sich ähnlich der Berliner Vorträge (und des Bostoner Vorbilds) an Laien wendete. Mit der späteren Aufwertung zum Fachkongreß von 1912 scheint diese Vermittlungsform aufgegeben worden zu sein. 135

Die Gesamtsumme betrug damit 3800 Mark, deren Auszahlung sich durch fehlgeleitete Schecks bis zum Mai 1911 hinzog und noch viele verärgerte Nachfragen kostete. Da Burnham diese Summe akzeptierte, steht zu vermuten, daß ein weiterer Teil von der Londoner Ausstellung getragen wurde.

171

5.1.5

Transferprojekt

Die Bilder hatten tatsächlich die von Hegemann erhoffte Wirkung getan. Ihr Eindruck war so mächtig, daß den Ausstellungsveranstaltern die Aufwendungen gerechtfertigt schienen. Ihre Wirkung reichte aber noch weiter. Die für den späteren Wettbewerb gefundene Prägung "Groß-Düsseldorf" geht ganz offensichtlich auf diese Anregung zurück. Sie belegt eine Verschiebung im Stadtraumkonzept, die in den Titeln ihr ehrgeiziges Ziel beschreibt 136 und nach der erneuten Ausstellung von 1912 in der Anstiftung des Ruhrsiedlungsverbands weitere Wirkung entfaltet. Eine weitere Wirkung läßt sich an einer Passage eines Briefes ablesen, den Hegemann aus London im Oktober an Geusen schrieb. Sie bedeutete Hegemanns spektakulärsten, wenn auch ergebnislosen Erfolg. Betreffend ihre Frage über Herrn Robinson, teile ich Ihnen mit dass mir dieser Herr schon von Amerika bekannt ist, er hatte auch in Düsseldorf etwas ausgestellt und habe ich seinen Namen auch Ihnen gegenüber bereits genannt. Ich halte ihn für eine sehr tüchtige u. ernst zu nehmende Kraft. Trotzdem würde ich ihn für Düsseldorf nicht empfehlen aus Gründen die ich Ihnen hoffentlich bald mündlich erklären darf. Nach reiflicher Überlegung und eingehender Rücksprache mit D.H. Burnham (Chicago) würde ich den Herrn Bennett, den Mitarbeiter Burnhams für Chicago u. San Francisco vorschlagen. Ich kenne diesen Herrn zwar nicht persönlich, bin aber durch die Art wie Burnham seine Mitarbeit schilderte überzeugt worden. Ich denke mir dass er, u. ausser Burnham vielleicht nur er, in der Lage ist das eine Element der Grosszügigkeit zu bringen, das Herrn Oberbürgermeister Marx in den Chicagoer Plänen gefiel. Neben d.h. nach Bennett würde ich Fr.L. Olmsted empfehlen.

Das kann nur bedeuten, daß Wilhelm Marx mit dem Gedanken spielte, eine Chicagos ähnliche Bebauungsplanstudie bei einem Amerikaner in Auftrag zu geben 137 . Aus der Anspielung auf die „Großzügigkeit" ergibt sich als Motiv dieser Überlegung die Vision des Anschlusses an die ganz große Planung, die Düsseldorf mit Weltstädten gleichstellen sollte, der Rausch des homo faber138. Marx näherte sich - in Ubereinstimmung mit Hegemann - Burnhams Prinzip Make no little plans! Hegemann kam dem lediglich entgegen, indem er Robinson wie eine Schreibkraft behandelte und Bennett als Mitarbeiter der Visionen von Chicago bevorzugte. Eine solche Idee tatsächlich durchzusetzen, konnten die Beteiligten kaum glauben. Trotzdem muß Hegemann auf der Londoner Konferenz mit Daniel Burnham ernstlich darüber konferiert haben, bot die Andeutung eines von ihm vermittelten großen 136 Eine Sichtung des „Gesamtverzeichnis deutschsprachigen Schrifttums" 1911-1965 [GV II] zeigte, daß die übrigen "Gross-..." Benennungen erst später, in den Zwanziger und dreißiger Jahren, wesentlich bei Plan- und Kartenmaterial, erscheinen. 137 Hegemann an Geusen, 17. Oktober 1910, III 660, Stadtarchiv Düsseldorf [H.i.T.]. Das Marx "ergebenst vom Verfasser überreichte" Exemplar des Sonderdrucks "Der Bebauungsplan von Chicago" hatte dieser nicht behalten, sondern zu den Akten gegeben, wo es sich heute noch befindet, dabei aber im Konvolut mit der oben genannten Vorlage Marx', die dessen Verärgerung über Hegemann bezeichnete - eine voreilige Entscheidung? 138 Wolfgang Hofmann, Oberbürgermeister als politische Elite im wilhelminischen Reich und in der Weimarer Republik. In: Klaus Schwabe (Hrsg.), Oberbürgermeister (Deutsche Führungsschichten der Neuzeit 13). Boppard 1981, S. 17-38, S. 19.

172

5.1.5

Formprägung

Auftrags doch Chancen, vorherige Mißtöne abzugleichen. Bei der Vergabe eines Planungsauftrags dieser Größe und Bedeutung nach Amerika hätte nicht nur die nationale Fachwelt aufgeschrieen, auch die regionale hätte dies kaum akzeptieren können. Die „Düsseldorfer Bauzeitung", Organ des Haus- und Grundbesitzervereins, hatte schon genügend die Chicago-Pläne als „Befriedigung lokalpatriotischer Eitelkeit" und „echt amerikanische Sensationsmache" bemäkelt 139 . Der Erfolg der Ausstellung lag, wie Geusens Bewertung schon ausdrückte, im „ideellen Erfolg". Die Argumente der Werbung für Stadtplanung waren angenommen worden. Jedermann war inzwischen überzeugt, daß „Städtebau" betrieben werden sollte. Das war das Wichtigste. Das Wie blieb offen, man hoffte auf eine 'sich ergebende' „günstige Wirkung". Das ist ebenso Widerhall der Uneindeutigkeit des Fachs, dessen verschiedene Ansätze nicht zu einer einheitlichen Empfehlung führen, wie des grundsätzlichen, wirtschaftlich bedingten wie politisch sanktionierten Unwillens zu Eingriffen in die Verfügungsgewalt über privaten Grundbesitz. Dem hatten die Ausstellungen durch Propagieren vielfältiger Modelle in aller Unverbindlichkeit Rechnung getragen, sich mit dem Erfolg der Popularisierung begnügend und auf die individuelle Adaption des Vorbildhaften im Gefüge privatwirtschaftlichen Bauens hoffend. Und Hegemann hat ihre Form geprägt. Er hat dem Berufsfeld Städtebau eine neue Facette zugefügt: dem des Praktikers nicht der Ausführung, sondern der Vermittlung im Spektrum der Öffentlichkeitsarbeit, des 'Ausstellungsmachers' als eines Modells des Wissenstransfers 140 . Seine 1916 aufgestellte Behauptung, daß alle Berlin folgenden Städtebauausstellungen von ihm oder Leuten, die unter ihm gearbeitet hätten, geleitet wurden, beinhaltet, auch wenn er an seiner Legendenbildung werkelte, eine ideelle Wahrheit. Die anfängliche Darstellungsform für den Städtebau in Deutschland prägte eben Hegemann und damit auch die unmittelbar folgenden Adaptionen. Unabhängig von seiner Stellung zum Fach hat er damit dem Städtebau eine Aktionsform eröffnet, die dessen Vertreter - sowohl die Architekten wie die Beamten - aufgenommen haben. An diesem Vermittlungsfall, der Wirkung der Chicago-Bilder in Düsseldorf, beweist sich die enge Wechselwirkung weniger der Mittel als vielmehr des Eifers, mit dem Stadtprojekte betrachtet wurden, zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Die Anregung der Phantasie, die eine Adaption kurzfristig möglich erscheinen ließ, ist wie der Berliner Blick auf Washington ein Beleg für direkte Wirkungen amerikanischer Planung in Deutschland. Dabei stand nicht die Arbeit der Planer im Vordergrund und wurde die Tätigkeit der Vermittler nicht Grund, sondern höchstens Anlaß. Das entworfene Bild der Stadt war der Anreiz; nicht die Vermittlung des Prozesses, sondern die Beschaffenheit des Objekts erzeugte die Utopie. Doch die Kenntnis dieser Utopie verdankte sich hier allein Hegemanns Rührigkeit und Unverfrorenheit. 139 Und dagegen gelobt, daß "deutsche Städte mit Rücksicht auf historisch Gewachsenes und finanzielle Leistungsfähigkeit keinen Utopien nachjagten und Sprunghaftes vermieden". Sabina Gierschner, Groß-Düsseldorf. Ein Beitrag zur ungebauten modernen Architektur in Deutschland, Dissertation (MS) Bonn 1988, S. 49 f. 140 Arbeiten zum Ausstellungswesen betreffen bisher Kunstexpositionen und vernachlässigen diesen Aspekt, der ein weiteres Forschungsfeld eröffnet.

173

5.1.6

London

5.1.6 Rolle des Vermittlers Der folgende Ausstellungsort zahlreicher Exponate macht den Sprung zum internationalen Austausch sichtbar. Eine Einladung zur der für Mitte 1910 geplanten Town Planning Conference des Royal Institute of British Architects (RIBA) in London war den Mitgliedern des Berliner Arbeitsausschusses schon sehr früh zugegangen141. Die nationale Architektenvereinigung richtete diese Städteplanungskonferenz aus, um den durch Verabschiedung des Town Planning Act 1909 eröffneten Handlungsspielraum zu besetzen. Nicht ein eigens inszenierter Wettbewerb, sondern ein bereits erlassenes Gesetz stieß hier systematische Studien an 142 . Die als erste internationale deklarierte Konferenz war ein repräsentatives Ereignis zur Selbstbestätigung und Vergewisserung über Erreichtes und Projektiertes des Fachs 143 . Stadtentwicklung und -erweiterung, Gartenstädte und die Rolle der Legislative - dem Spielraum des Gesetzes folgend - bildeten in den großen Sektionen die zentralen Themen. Dem standen wesentlich architektonisch-künstlerische Fragen zur Seite, den spezifischen professionellen Charakter des Royal Institutes widerspiegelnd, mit einer Absage an jegliche Vorträge über Hygiene, Wohnbedingungen, Verwaltung, Verkehr und Bodenwerte 144 . Einzigartig an dieser Konferenz war, daß sie - am Beispiel der amerikanischen Besucher deutlich sichtbar: vom Architekten Burnham über den City-ImprovementExperten Robinson bis zum kommenden Wissenschaftler Ford und Philanthropen Filene - das gesamte zeitgenössische Spektrum des Fachs vereinigen konnte 145 . Zu der Konferenz fand in der Royal Academy bis zum 29. Oktober eine Städtebauausstellung statt. Für die über 1.000 Exponate wurde angekündigt: Germany, as the leading nation in modern town-planning work, will be exceptionally well represented.146 Die Ausstellung wird ausdrücklich in den Dienst systematischen Studiums gestellt und darüber hinaus Hegemann dafür gewürdigt, daß solches Material erstmals in solcher Hegemann in NDBZ 6 (1910), S. 98; Konferenzzeit noch 11.-16. Juli. Sutcliffe, Planned City ..., p. 171. Das R I B A warb unter Verweis auf die durch den Town Planning Act für Regionalbehörden eröffneten Möglichkeiten um Teilnahme ihrer Repräsentanten zum Studium der Materie. Journal of the Royal Institute of British Architects [JRIBA] 17 (1910), p. 769. 1 4 3 Siehe etwa Beresford Pite, The Architect and Town Planning. In: J R I B A 17 (1910), p. 773775, als Positionsbestimmung. Vgl. Town Planning Conference, London, October 1910. Transactions, London 1911, p. 403-405, sowie die Bankettansprachen, besonders Burnhams, p. 106 f. Auch das Rahmenprogramm mit Empfang beim Lord Mayor, Banketten und Besichtigungen, vor allem der Gartenstädte, und in London, hatte den Charakter eines gesellschaftlichen Ereignisses (Ehefrauen erwünscht). Ein eigener Führer durch London war bereits zur Konferenz als „Members Handbook" erschienen. 141

142

1 4 4 Transactions ..., p. 8; Sutcliffe, Planned City ..., p. 172. Das bei Sutcliffe genannte Unbehagen Eberstadts als einer der wenigen, die Städtebau für eine Wissenschaft hielten, fand darin seinen Grund. Eberstadt erhielt dafür beim Bankett die Verteidigung der science zugewiesen und brillierte bei diesem Toast mit süffisantem Unterton. Transactions ..., p. 103-105. 1 4 5 Von 18 deutschen Teilnehmern kamen sieben aus Berlin: Jansen, Kuczynski, March, Möhring, Hegemann und die beiden Vortragenden Eberstadt und Stübben. Transactions ..., p. 30-57. 1 4 6 J R I B A 17 (1910), p. 785, p. 769: The greater number of the chief exhibits der Berliner Ausstellung werden gezeigt.

174

5.1.6

Ausstellungsexperte

Fülle dafür zur Verfügung stehe. The fine collections brought together by Dr. Hegemann for the Berlin and Düsseldorf Exhibitions have made it possible at this time to gather such a comprehensive Exhibition as will afford a unique opportunity for studying and comparing the best town-planning work that has been carried out in the past or is being now done.147 Die Ausstellungskritik hob hervor, daß in London die Präsentation der beteiligten Nationen zueinander angemessener sei als in Berlin. Doch trotz dieses Seitenhiebs auf deutsche Gründlichkeit waren Unwin und sein Koautor vom Material so angetan, daß sie nicht einmal mehr die französischen Exponate besprachen 148 . Dabei waren die deutschen Ausstellungsstücke erst drei Tage vor Eröffnung in London eingetroffen. Unwin als Ausstellungsleiter und seine Mitarbeiter were ... working by night als well as by day in order to get the works arranged and hung. Wenn Hegemann sich daran beteiligte, konnte dies sehr wohl die Grundlage einer lebenslangen freundschaftlichen Verbindung mit Unwin geworden sein, den er später auch mehrmals besuchte 149 . Die Bedeutung dieser Konferenz lag für Hegemann darin, englische Experten kennenzulernen, die amerikanischen wiederzutreffen und sich mit der Wahl zum Vice-Chairman der Sitzung Cities of the Present in Anerkennung seiner Ausstellungsarbeiten ehren zu lassen 150 . Profilierte er sich auch nicht sonderlich mit seinen Diskussionsbeiträgen als stellvertretender Sitzungsleiter, konnte er doch Kontakte beim Dinner - ebenfalls mit Ehefrau - und bei den Besichtigungen knüpfen, die ihm bei seinen folgenden Reisen zugute kamen 151 . Diese erstmals erfaßten Konstellationen können Funktion und Rolle des Vermittlers weiter aufklären. Das Prozedere des Transfers zeigt den Weg Hegemanns deutlicher. Sein Kurs ist zunächst darauf ausgerichtet, sich als Experte für amerikanische Planung zu etablieren: Vortragsangebote, persönliche Verbindungen, literarische Arbeit, Bewertung aus eigener Kenntnis, persönliche Verhandlungen und Monopolisierung von Materialbeschaffung und Kontaktvermittlungen. Hegemann erklimmt dabei die Stufe des intermediary, weil die Zuhörer bereitwillig folgen, wenig kritisch sind oder eigene Initiative zeigten. Hegemann bringt dabei Voraussetzungen für den folgenden Status des cosmopolitan planner mit. Seine Herkunft und Bildung sichern finanzielle Unabhängigkeit, adäquates gesellschaftliches Auftreten und überragende Sprachkenntnisse. Er ist nicht von Dritten in die zu vermittelnde Arbeit eingeführt worden; sie beruht auf eigener Entdeckung. Er hat sie sich selbst angeeignet und trägt sie von außen in den Sektor. 147

JRIBA 17 (1910), p. 770. Transactions ..., p. 734, p. 742-744. „Transactions" und „Handbook" sind aus der Bibliothek des Architektenvereins erhalten; der zugehörige Katalog konnte bisher nicht nachgewiesen werden. 149 Telegramm vom 6. und Brief vom 17. Oktober 1910, Hegemanns nach Düsseldorf, III 661 und III 807, Stadtarchiv Düsseldorf, belegen, daß er beim Auspacken der Exponate und Einrichten der Ausstellung in London zugegen war. - Die Raymond Unwin Collection. Kantorowich Library, Department of Planning and Landscape, University of Manchester, verfügt über keinerlei Belege dieser Verbindung. 150 Transactions ..., p. 9. Vgl. Collins/Collins, Sitte ..., p. 93 f. 151 Transactions ..., p. 239 f. Hegemann über die Behandlung der Straßen im Berliner Wettbewerb. Leonard Stokes, The Conference Banquet and RIBA Annual Dinner. In: JRIBA 17 (1910), p. 785-797, p. 788; Transactions ..., p. 41. 148

175

5.1.6 Individuelle Motivation

Weiter zielte Hegemanns Kurs darauf, sich als Städtebauausstellungsexperte zu etablieren. Autorität und Bekanntheitsgrad resultieren aus der Innovation der Form und ihrem Erfolg. Er kann und will diese Autorität mit der Absicht eines Monopols verteidigen. Damit bereits eine Figur in der nationalen Stadtplanung, kann er Einfluß auf personelle und inhaltliche Entscheidungen erlangen: Einführung Langens, Personal- und Themenplanung einer populären Tagung, später Redaktion einer Wettbewerbsausschreibung, Mitglied der Jury. Er kann diese Position mit dem Auftragswerk über die Ausstellungen bekräftigen, für das er im folgenden sich auf Auslandsreisen präsentiert. Das analytische Konzept zur Funktionsweise internationalen Austauschs in der Planung beschrieb divergierende Arbeitsformen von Individuen. Hier aber zeigt sich, daß sich damit Entwicklungsstufen innerhalb eines Arbeitslebens beschreiben lassen152. Vorstufen der Entwicklung zur full international figure eines cosmopolitan planner (Sutcliffe) hat Hegemann bereits genommen. Bei den Führungen der auswärtigen Delegationen und Besuchern fiel ein erster Abglanz des Bestehens in an alien ambience auf ihn, zumal er sie nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich meistern konnte. Der Auftritt in London brachte die offizielle Form der hier erst angedeuteten Repräsentation des deutschen Fachs nach außen. Geschlossen wird diese Entwicklung mit nicht nur der Darstellung deutscher Planung im Ausland, sondern in Hegemanns Fall mit der Anpassung von Empfehlungen an den Erwartungshorizont und das Handlungspotential seines Publikums in den USA. Die Frage nach dem Verhältnis des Einzelnen zum internationalen Austausch vernachlässigte bisher die subjektive Motivation der Beteiligung und ihre sozialhistorischen Untergründe. Hegemanns Teilnahme ist kein altruistisches Unterfangen, keine Verausgabung zum Wohle der Menschheit. Im Rahmen seiner persönlichen, bildungssoziologisch geprägten Uberzeugungen ist sein Kurs der unbeirrte Aufbau einer unumgehbaren Instanz, eines Expertenstatus, und, modern, einer professionell zu verwendenden Position. Wichtige Voraussetzung ist die Interaktion mit Gleichen, Bildungsbürgern und Akademikern mit universalistischem Weltdeutungsanspruch. Die Honorarforderungen bei Zeitverträgen und Einzelleistungen schaffen Distanz zum Zwecke einer Professionalisierung. Hegemanns quengelige Nachforderungen153 dokumentieren Statusabsicherung und Lebensstil; auch zeitigt die Willigkeit der Geldgeber eine ergiebige Wechselwirkung. Seinen Expertenstatus dokumentiert Hegemann durch Habitus, einem sich in Stil und Ton der Anweisung nähernden Rat, den die Beratenen annehmen und fördern. Die Abwicklung von Aufgaben über persönliche Verbindungen ist vorprofessionell und folgt 152 The planning movement, of course, was never more than a collection of individuals and the most enlightening way to approach the problem is to distinguish the varying levels of international consciousness visible in those individuals. Sutcliffe, Urban planning ..., p. 452. - Zur weiteren Klärung des Konzepts bedarf es etwa noch der Korrelation der Arbeitsläufe mit den Chancen zum Amtserwerb, um die Gradienten internationaler Beteiligung und Wirksamkeit in ihren strukturellen Bedingungen zu klären - wo etwa scheidet sich der Lebenslauf eines Thomas Adams von dem seiner Kollegen? 153 Er verzichtete auch nicht auf 50 Mark bei 250 erhaltenen; galt privat als kleinlich. Seine Mißstimmung, weil er auch nach Anstellung Langens die versprochenen 2000 Mark für sich beanspruchte, wurde erst durch Bewilligung derer durch den Arbeitsausschuß vom 28. November 1910 beendet.

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5.1.6 Kollektive

Ambitionen

dem Honoratiorenprinzip. Der Versuch zur Monopolisierung von Kontakten strebt eine Herrschaftsposition an. Wo sich Interesse zeigt, eignet Hegemann sich dieses an 154 . Nichts soll und darf an ihm vorbeigehen. Dabei eröffnet die Episode vom amerikanischen Plan für Düsseldorf die Chance weiterer Monetarisierung durch Wandel des intellektuellen Austauschs zu Geschäftsbeziehungen. Diese krasse Zusammenfassung widerspricht der bisherigen Untersuchungen unterliegenden Vorstellung von selbstlosen Aufklärern, die um der intellektuellen Herausforderung oder selbstzufriedenen Vergnügens willen internationale Kontakte pflegen und ausbauen 155 . Individuelles Handeln hat auch in diesem Rahmen stets einen Bezug zum Subjekt. Dieser Bezug wird konstituiert durch Chancen individuellen, nicht notwendig monetären, auch kulturellen und sozialen Profits und fördert, prägt, beeinträchtigt Wirkungen des internationalen Austausches. Teil des analytischen Konzepts zur Planungsbewegung war die öffentliche Bereitschaft, die Vermittler anzuhören. Auch hier ergeben sich Differenzierungen. In diesem Fall wird die außerordentliche Bereitschaft erkennbar, Expertentum für spezielle Arbeitsaufgaben anzunehmen. Die arbeitsteilige Besetzung des Themas Stadtplanung - Universitätsprofessoren mit Nebentätigkeit in der Stadterweiterungsplanung, Regierungsbaumeister mit literarischen Arbeiten, Kunsthistoriker mit gegenwartsbezogenen theoretischen Werken, kommunale Fachbeamte mit technische Möglichkeiten übersteigenden künstlerischen Ambitionen - weist niemanden auf, in dessen Zuständigkeit sowohl Öffentlichkeitsarbeit wie internationale Kenntnisse fallen. Diese Lücke eröffnet ein Arbeitsspektrum, das der Vermittler besetzen kann, und eine Erwartungshaltung, die zu der Bereitschaft führt, angeleitet zu werden. Für die Wirkungen auswärtiger Projekte sieht das Konzept drei Kategorien vor, von künstlerischem Einfluß über Verbreitung instrumenteller Innovationen zum Anstoß durch nationale Vergleiche. Der Nachhall der Chicago-Exposition muß infolge des Mediums der Originalgemälde als Ausfluß künstlerischer Arbeit verstanden werden - es steht zu zweifeln an, ob die Betrachter den Umfang technischer und politischer Eingriffe zur Verwirklichung überhaupt wahrnahmen. Uberzeugungskraft sollten laut Konzept die Vorbilder aus klaren Alternativen zu vorhandenen Kenntnissen und heimatlichen Belangen beziehen, verbunden mit emotionalen Werten von Neid bis Angst, sowie aus der Vermittlung durch hoch statusbehaftete Angehörige der eigenen Elite 156 . Für die unmittelbaren Akteure in Düsseldorf kann die Eröffnung einer Alternative tatsächlich geltend gemacht werden, deren Präsentation geradezu auf emotionale Werte angelegt war. Maß war Groß-Berlin, auch die Konkurrenz zu Köln seit jeher. Ein 154 Noch im Briefwechsel zur Städtebauausstellung 1912, mit der Hegemann an sich nichts zu tun hat, finden sich Belege solch nachdrücklicher Ratschläge. 155 Was it really more than a permanent, circulating beano for people with independent means or expense accounts? Sutcliffe, Urban Planning ..., p. 457; vgl. auch Sutcliffe, Entfaltung ..., S. 143. 156 Sutcliffe, Urban Planning ..., p. 461. Sutcliffes Rückgriff auf Elemente der Sozialpsychologie als drei Kategorien (rational-objektive, soziale, emotionale) der Beeinflußung von Verhaltensänderungen, die er auf die Wirkung fremder Beispiele anzuwenden vorschlägt, müssen auch auf Interessengruppen übertragen werden.

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5.1.6 Indirekte

Vermittlung

potentieller Transfer stieg durch die Vorgeschichte, schließlich durch Verhandlungen über Hegemann - mit dem Urheber des Vorbilds im Status. Das Gedankenspiel um eine ähnliche Ausführung war mit persönlichem wie lokalem Prestige-Gewinn gekoppelt. Dieser Gewinn hat ein komplexes Motiv. Das Chicago des Plans war als City of the merchant princes (Scott) ein idealer Bezugspunkt der „amerikanischen Stadt" Düsseldorf (Hüttenberger) 157 . Solche Stadt stellt das Groß-Berlin des Wettbewerbs weit in den Schatten. Gemeinsam war die Anziehungskraft einer durchführbaren Zusammenfassung der (Innen-) Stadt in ein prachtvolles Gesamtkunstwerk. Die Bilder der Sonderausstellung evozierten so ungehemmt die mögliche Nachschöpfung einer imperialen Stadt, größer und prächtiger, geschaffen von den (Groß-) Bürgern zum Lob der Kommune und ihrer selbst, nach dem Vorbild Chicagos bedeutender als selbst die preußisch-deutsche Hauptstadt. Wo ein Begehren geweckt wird, mangels instrumenteller Möglichkeiten aber der Entwurf einer konkreten Agenda verzögert wird, entsteht Raum für die Begeisterung an einer Utopie, die jene Verzögerung aufzuheben gerade nicht geeignet ist. Damit zeigt sich, daß - selbst wo es nur ein Vorschlag auf schmaler Quellenbasis sein kann - die Wirksamkeiten internationaler Beispiele noch stets auf konkrete politische Situationen, persönliche und kollektive Ambitionen zu beziehen sind. Auch die Bereitschaft der Öffentlichkeit, von mittelbaren und unmittelbaren Akteuren zu lernen, verknüpft sich stets mit ideellen und materiellen Profiterwartungen. Das bestätigen zwei weithin unbekannte Vermittlungserfolge. Zum einen gilt das Jahr 1910 mit seinen beiden Städtebauausstellungen als ideelle Geburtsstunde des Ruhrsiedlungsverbands158. Zum anderen leitete die Weiterreise der Exponate nach Zürich den dortigen Wettbewerb für einen Generalplan ein. In der Düsseldorfer Ausstellung mit den Ausmaßen der industriellen Uberwucherung alter Gewerbegebiete und der kommenden Agglomeration konfrontiert 159 , verfiel der Regierungspräsident Francis Kruse auf die Idee, die Landschaftsbestände der Region in einem dezentralisierten Nationalpark zu sichern. In den Vorgaben, die er Robert Schmidt für eine Denkschrift machte, spiegeln sich die von Hegemann propagierten Exponate. So sollte der Nationalpark ein leicht erreichbarer Grüngürtel sein, der Bachtäler und Wiesen bewahrte, mit vorhandenen und geplanten Verkehrsadern verbunden, und folgte damit den Modellen der Pare Associations mit ihrem langfristigen Ausbau einer zusammenhängenden Parklandschaft in städtischen Großräumen160. Das traditionelle Bild vom 'menschenfressenden Moloch' traf darin erstmals auf positive Handlungsvor157

Vgl. dazu unten 5.4.2 Bebauungsplan Düsseldorf. Heinz Günter Steinberg, Geschichte des Siedlungverbandes Ruhrkohlenbezirk. In: Verwaltung 1 (1968), S. 165-183, S. 166, S. 167 f. - Da die Konfrontation mit Städtebau in den Düsseldorfer Ausstellungen als wesentlicher Impuls zum Verband veranschlagt wird, kann auch für den Berliner Zweckverband eine solche Wirkung geltend gemacht werden, der jedoch kaum ein „Ergebnis der Ausstellung" war, wie bei Jacob/Schäche, Bewegte Stadt ..., S. 10 f. Die Berliner Ausstellung zeitigte j a gerade andernorts praktische Ergebnisse. 159 Jürgen Reulecke, Metropolis Ruhr? In: Die alte Stadt 8 (1981), S. 13-20, S. 17. 160 Hegemann hatte zum Bild des Badestrands Revere in Groß-Boston darauf hingewiesen, daß der Strand „vom Herzen der Stadt aus mittels einer einfachen Trambahnfahrt erreicht werden" könne. AP 6a, S Abb. 303 (Bild 25). 158

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5.1.6 Nachwirkungen

gaben, die aus dem Versuch der Bewahrung ländlicher Gegenwelten über politische Widerstände hinaus zu einer Großraumplanung wachsen konnte. Schmidts Entwurf eines Generalsiedlungsplanes, den er als Kunst- und Kulturwerk sah 161 , ging über die Vorgaben des Regierungspräsidenten weit hinaus. Kruse lehnte ihn jedoch deshalb ab, weil er die gemeindeübergreifende Planung als „staatspolitisch gefährlich" ansah 162 . Als Schmidt 1921 erster Direktor des SiedlungsVerbands Ruhr wurde, war der Verband noch für die Reparationen und Ansiedlung von 600.000 Vertriebenen zuständig. Erst die Entkräftung staatlicher Verwaltungshierarchien ermöglichte eine Verwirklichung, die auf die sozial- und kunstreformerischen Programme, nicht zuletzt auf das auch von Hegemann übermittelte Wissen zurückging. Gleichzeitig berichtete im Dezember 1910 der Zürcher Architekt Carl Jegher, daß er mit einem Kollegen die Städtebauwoche in Düsseldorf besucht habe, um Bebauungspläne zu studieren. Vorausgegangen war in Zürich eine öffentliche Debatte um die Vereinbarkeit künstlerischer Entwürfe mit wirtschaftlichen und tiefbautechnischen Voraussetzungen, wofür man „unanfechtbare Beweisstücke" suchte 163 . Während ein Teil der Düsseldorfer Ausstellung als „Dr. Hegemannsche Sammlung" nach Prankfurt wanderte, konnte dank der Unterstützung der Düsseldorfer, insbesondere auch Langens, des Zürcher Bauvorstands und des Kunstgewerbe-Museums am 5. Februar eine Städtebauausstellung Zürich eröffnet werden 164 . Neben weiterem Schweizer Material zeigte sie aus den vorigen Ausstellungen Bebauungspläne der Ruhr- und Rheinstädte, von Koryphäen wie Sitte, Stübben, Jansen u.a., neue und historische Kleinwohnungsanlagen, Parks, eine Sammlung alter Pläne und die Berliner Wettbewerbsentwürfe als „Hauptstück". Die Diagnose des Bedarfs und der Optimismus für Städtebau sind so im Sog der Ausstellungen allgemein verbreitet worden, wie die einführenden Worte des Vermittlers Carl Jegher zeigen165. Die Ausstellung wurde rege besucht, es entstand Bedarf an regelmäßigen Führungen, die dann dreimal wöchentlich angeboten wurden. Täglich wurden Lichtbilder-Vorführungen gezeigt, die Vorträge, darunter zwei von Gustav Langen, 161 Steinberg, Geschichte ..., S. 170. Schmidt dehnte Grünflächenplanung zu Siedlungsplanung als „Kulturaufgabe", die Wohnungsfrage zu lösen, Verkehr und Funktionen zu sichern und ein Kunstwerk aufzubauen. Darin ist unschwer das praktische Kunstwerk des Deutschen Werkbunds (DWB) und der Fortschrittsoptimismus eines Wachstums ohne Dynamik zu erkennen. Nach Ablehnung reichte er seine Denkschrift als Dissertation an der TH Aachen ein. 162 Schmidts Regierungsausschüsse und Verwaltungskommissionen versuchten, die Vorbilder an deutsche Verhältnisse anzupassen. Wo das Präsidium eine Änderung der administrativen Zuschnitte ablehnte, widersetzten sich bereits die Bürgermeister einer Beschneidung ihrer Zuständigkeiten. Schmidt strebte eine freiwillige Vereinigung an, da der Berliner Zweckverband bereits ein warnendes Beispiel bildete. 163 Schweizerische Bauzeitung [SBZ] 56 (1910), S. 309. 164 SBZ 57 (1911), S. 73, S. 55 f. Vgl. dazu auch Daniel Kurz, Zürich lernt von Groß-Berlin. Der Züricher Bebauungsplanwettbewerb 1915-1918 und seine Auswirkungen auf den Wohnungsbau, in: Wolfgang Hofmann/Gerhard Kuhn (Hrsg.), Wohnungspolitik und Städtebau 1900-1930 (Arbeitshefte des Instituts für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin 48), Berlin 1993, S. 89-108, S. 92 ff., der diese Vorgeschichte nicht erwähnt. - Zur Frankfurter Schau bisher keine weiteren Funde. 165 SBZ 57 (1911), S. 61.

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5.1.6 Funktionenfolge

erfuhren großen Zuspruch166. Die Erfolgskurve war der Berliner vergleichbar. In fünf Wochen sahen 6.651 Besucher die Exposition, darunter zahlreiche Laien und Studierende, aber auch Vereine und Fachverbände, der Schweizerische Städteverband, Delegationen von Stadtverwaltungen. Nach Schluß der Ausstellung am 12. März beschloß das Städtische Baukollegium einstimmig, die Veranstaltung eines Wettbewerbs zu empfehlen. Die Auslobung zog sich bis 1915, doch das Personal des Preisgerichts verwies unter anderen mit Brix, Jansen, Petersen, Bernoulli, Genzmer und dem Kölner Carl Rehorst auf die ursprünglichen Anregungen167. Diese Nachwirkungen zeigen, daß sich die Vermittlung verselbständigen kann. Sie kann ohne persönlichen Kontakt, dennoch von der Figur des Mittlers bestimmt, durch Material weitere Effekte auslösen. Sie kann als Transferform kopiert werden und, dadurch weitergetragen, neue Vermittler hervorbringen. Sie bedarf dennoch, wie auch diese Nachwirkungen beweisen, eines Interesses, das sich persönlichen und kollektiven Ambitionen, ideellen und materiellen Profiterwartungen verdankt.

166

Auch Langen wird als Vermittler für seine „sachkundigen wie liebenswürdigen Ausführungen und

sein anspruchsloses Auftreten" gesondert ausgezeichnet; SBZ 57 (1911), S. 86, 101 f., 114 f., 155 f. 167

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SBZ 66 (1915), S. 297.

5.2.1 Auftragswerk

5.2 Hegemanns Werk und das Fach Der nächste Schritt auf Hegemanns Weg bedeutete, ein Auftragswerk über die Städtebauausstellung zu verfassen. Er ließ sich dafür über ein Jahr Zeit und unternahm zahlreiche Reisen, um ein Buch vorzulegen, dessen Inhalt mit seinem Auftrag zu kollidieren schien. Dennoch war dem ein großer Erfolg beschieden, dessen Ursachen im Buch selbst wie in der Verfassung des Fachs lagen. 5.2.1 „Der Städtebau" - eine Führung Schon kurz nach der Eröffnung war beschlossen worden, ein eigenes Werk über die Städtebauausstellung zu publizieren. Der große Studienwert des in diesem Umfange zum ersten Male zusammengetragenen Materials lässt nun den Wunsch in hohem Maasse berechtigt erscheinen, das in der Ausstellung Gebotene in Wort und Bild festzuhalten, um damit ein Dokument und ein Nachschlagewerk von dauerndem Wert zu schaffen.1 Für Abfassung und Drucklegung sollten, so March, nicht benötigte Gelder des Garantiefonds verwendet werden. Dem stimmte man in den Rathäusern zu. Geplant war damit eine Monographie, die zum einen Nachweis der Berliner Anstrengungen und Erfolge sein sollte, eine Dokumentation der Ausstellung; zum anderen eine systematische Sammlung mit dem Charakter eines Studienbuchs; aber auch ein den Stand des Fachs beweisendes Nachschlagewerk. Es sollte als Auftragsarbeit vergeben werden, was einen jüngeren Kollegen erforderte - was lag näher, als diese Arbeit ebenfalls dem Generalsekretär zu übergeben? Die näheren Umstände sind nicht bekannt. Vermutlich stimmte Hegemann erfreut zu, standen doch 13.500 Mark aus dem Garantiefonds für eine üppige Alimentierung zur Verfügung. Er bedingte sich aus, zwecks Studien extensiv zu reisen, und holte damit seine nicht vorhandene Fachausbildung auf Kosten der Herausgeber nach. The committees of the exhibitions in Berlin and Dusseldorf also appointed me to lay down the results of the two exhibitions in a book and secured subsidies for this publication from thirteen German cities and three departments of the Prussian Government. I accepted this commission under the condition that I was permitted to study on the spot everything that I was to describe in the book, i.e. that I was to visit all the municipalities that had exhibited. ... After another year (1911) of study and travel entirely dedicated to this object, I published the first volume ... The kind reception granted to this volume by the leading experts and the press encouraged me to plan the following two volumes on an even broader basis of careful practical and literary investigation. The second volume appeared in 1913 and was equally well received; the third one is still outstanding and delayed by the war. The subjects dealt with in these volumes are investigated on the field and in the libraries of the respective cities and in continuous exchange of ideas with the best men posted to give the desired information. I paid prolonged visits, especially to Berlin, Paris, London, Vienna, Budapest, Munich and Stockholm, shorter visits to all European capitals, excepting the Balkans. The aim of the publication in question is to help creating an scientific basis for the wide city-planning discussion, which so far was largely in the hands of men with a training either mainly technical (engineers, architects) or specializing in one single phase 1 Otto March an den Magistrat von Rixdorf, 18. Mai 1910, 34R-7-12, Rathausarchiv Neukölln. Zwei Ministerien hatten bereits je 1.000 Mark zur Finanzierung des Werks bewilligt.

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5.2.1

Verhandlungen

(e.g. housing, transportation) of the many phases which in their coordination only make up city planning.2

Hegemann stellte sich damit 1916 an einer amerikanischen Universität vor. Sind daher auch Abstriche zu machen, legte er als Absicht dar, die auch gelungen sei, die gezeigten Arbeiten durch Situations- und Projektbeschreibungen zu ergänzen, sie nach Recherchen historisch zu erläutern und eine wissenschaftliche Darstellung abzuliefern. Erklärtes Ziel war ein wissenschaftliches Grundlagenwerk, das den verschiedenen Ansätzen des Fachs gleichermaßen nutzen sollte. Noch bevor Hegemann im Dezember 1910 mit dem Verlag Ernst Wasmuth über die Ausstattung des Werks verhandelte, war in Düsseldorf der Entschluß gefaßt, sich dem anzuschließen. Man hatte zunächst die Herausgabe einer eigenen Monographie über die Ausstellung erwogen, die dem 1904 erschienen Band „Düsseldorf und seine Bauten" angeglichen werden sollte. Das bestätigt die Tendenz, einerseits einen Erinnerungs- und Prachtband, andererseits eine Städtemonographie vorzulegen, wie in diesem Jahrzehnt beliebt. Durch eine gleichberechtigte Beteiligung schien die Gefahr, zu Beiwerk herabzusinken, so Geusen, gebannt, so daß die Düsseldorfer Stadtverordneten nach Geusens Beschlußvorlage im Januar 1911 entschieden, sich an dem Berliner Werk zu beteiligen. Der Verlag erhielt 4.500 Mark 3 und Hegemann weitere 1.000 Mark zuzüglich Reisespesen für seine Arbeiten. Für Hegemann bedeutete dies einen weiteren Schritt zu einer Monopolstellung, deren technische Expertise in Sachen Drucklegung er Geusen einschüchternd demonstriert hatte 4 . Der fügte man sich und bot schließlich auch 1912 Hegemann an, die neuerliche Städteausstellung in sein Werk aufzunehmen 5 . So erhielt der erste Band den irreführenden Untertitel nebst einem Anhang: Die Internationale Städtebau-Ausstellung in Düsseldorf, der im Aufbau keine Entsprechung fand. Der zweite Band wurde Erweitert durch das Material der Städteausstellung Düsseldorf 1912, so daß der Autor Material offen einstreuen konnte. Der dritte Band mit der eigentlich erwarteten Würdigung Düsseldorfs erschien nie 6 . Hegemanns Studienreisen zur Vorbereitung sind bisher nur durch Zufälle dokumentiert. Sein Vorbild für die Bedingung, die Städte auch persönlich aufzusuchen, die er für den Ausstellungsbericht zu besprechen hatte, war möglicherweise Camillo Sitte. Sitte selbst 2

Memorandum (1916) 2. Das Angebot Wasmuths umfaßte inklusive Transporte 32 Seiten Abbildungen, 24 Seiten Autotypien, 8 Seiten Strichätzungen und 4 Blatt Dreifarbendruck sowie „entsprechenden Text", durch „Hegemann zu verfassen"; StVStvD 3. Januar 1911, S. 7 f. 4 Hegemann an Geusen, 17. Oktober 1910, III 661, Stadtarchiv Düsseldorf: Liste technischer Fragen zu Druck und Vertrieb; Wissen, das Hegemann bisher nur aus der Vorbereitung des Berliner Ausstellungsführer bezogen haben konnte. 5 Nicht ohne Anstiftung; Geusen schrieb nach Beschluß des Arbeitsausschusses an Hegemann, 3. Oktober 1912, XVIII575, Stadtarchiv Düsseldorf: Sie hatten seinerzeit einmal angeregt, ob es sich nicht empfehlen würde, einige Pläne der diesjährigen Städteausstellung in das Werk der Städteausstellung 1910 mit aufzunehmen und zwar in den besonders die Düsseldorfer Ausstellung behandelnden 3. Teil Ihres Werkes. Dem stimmte Hegemann am 7. Oktober sehr gerne zu. 6 Raymond Unwin, An Architect's Handbook of Civic Art. In: JRIBA 30 (1922/23), p. 416 f. ging noch 1923 davon aus, daß der „Städtebau" schließlich drei Teile haben würde. 3

182

5.2.1 Format

besprach nur Orte, die er selbst gesehen hatte. Sitte soll nach Ankunft jeweils mit einem Taxi zum Hauptplatz gefahren sein, um von dort in den führenden Buchladen zu eilen, sich nach dem höchsten Turm, der besten Karte und dem angesehendsten Hotel zu erkundigen. Nach Besichtigung vom Turm studierte er anhand der Karte die Stadt und fertigte eigene Skizzen an 7 . So läßt sich auch Hegemann vorstellen, für den eine solche Besichtigung 1913 in Berkeley beschrieben worden ist. Seine Reisen begann er wahrscheinlich im Anschluß an die Londoner Konferenz mit einer Fahrt durch England, so an Geusen, während derer er auch die Gartenstadt Letchworth und Raymond Unwin besuchte. Er nutzte sicher auch andere Anlässe zu diesem Zweck, wenn er im August 1911 Alfred Lichtwark in Hamburg traf oder sich im Oktober zu einem Kongreß des Vereins für Socialpolitik in Nürnberg aufhielt. Die einzig nachweisbare größere Reise ist eine nach Skandinavien, die ihn bis in das „Grand Hotel Fennia Helsingfors" führte, nebenbei Dokument seiner Lebensführung, wo er am 18. April 1911 seine Reise nach Sankt Petersburg und Moskau abbrechen wollte, um im FolkwangMuseum einen Vortrag zu halten 8 . Ob der Vortrag zustande kam, ist nicht ermittelbar. Die Vermischung der Zwecke zeigt, daß Hegemann seine Verbindungen aktiv pflegte und mit der auswärtigen Fortbildung zu vereinen suchte. Zum Weihnachtsgeschäft 1911 konnte Hegemann den ersten Teil des nunmehr dreiteilig geplanten Werks vorlegen 9 . Er erschien in der 40. Woche 1911, vom Verlag angekündigt als ein auf genauen Quellenstudien fußender Text, der die wichtigsten Gesichtspunkte der in ihrer Vielseitigkeit schwer übersehbaren Ausstellung heraushebe. Bei einer Auflage von 3.000 Stück betrug der Subskriptionspreis 13 M, nach Erscheinen 18 Mark für drei Bände. Das Werk erhielt den Titel Der Städtebau nach den Ergebnissen der Allgemeinen Städtebauausstellung in Berlin ... 10 . Seine Ausstattung sollte laut Hegemann der des Buches von Eberstadt Möhring Petersen: "Gross Berlin" angeglichen sein, ebenfalls bei Wasmuth erschienen 11 , weist aber stilistische Ähnlichkeit auch mit anderen bekannten Publikationen wie etwa der deutschen Ausgabe von Unwins „Grundlagen 7 Eine Schilderung dieses Vorgehens stammt von dem amerikanischen Architekten George E. Hooker, so daß sie Hegemann über diesen Vertreter des Chicago-Plans schon vor Kenntnis Sittes, und damit mehrfach eindrucksvoll, erreichen konnte. Vgl. Collins/Collins, Sitte ..., p. 62 f. und unten 6.1.3 Oakland und Berkeley. 8 Hegemann an Karl Ernst Osthaus, 18. April 1911, Ρ 318, Karl Ernst Osthaus-Archiv im Karl Ernst Osthaus-Museum, Hagen. 9 Der erste Teil wurde nicht vor dem 11. November 1911 abgeschlossen; S 142, Anm. 95. Zu Weihnachten angekündigt: NDBZ 7 (1911), S. 566; Baumeister 10 (1912), S. Β 13 f. (Oktoberheft, gleichlautend). 10 ... nebst einem Anhang: Die Internationale Städtebau-Ausstellung in Düsseldorf. 600 Wiedergaben des Bilder- und Planmaterials der beiden Ausstellungen, Mit Förderung durch die Königlichen Preussischen Ministerien des Innern, des Handels und der Öffentlichen Arbeiten, sowie durch die Städte Berlin, Charlottenburg, RixdorJ, Schöneberg, Wilmersdorf, Potsdam, Spandau, Lichtenberg und Düsseldorf herausgegeben im Auftrage der Arbeitsausschüsse von Dr. Werner Hegemann, Generalsekretär der Städtebau-Ausstellungen in Berlin und Düsseldorf, Erster Teil und war Dem Träger des Gedankens Groß-Berlin Herrn Geh. Baurat Dr.-Ing. h.c. Otto March in Verehrung gewidmet vom Verfasser. 11 Hegemann an Geusen, 17. Oktober 1910, III 661, Stadtarchiv Düsseldorf.

183

5.2.1 Vorgriff

des Städtebaus" von 1910 auf. Der erste Teil enthält 107 der 600 avisierten Abbildungen, mit jeweiligem Aussteller und Besitzer genannt, davon zahlreiche ganzseitig, dazu zwanzig farbige Kunstdruckblätter und zwei Faltblätter. Der Titel gibt in der Formulierung „nach den Ergebnissen der Städtebauausstellung" der Erwartung eines stetigen Wandels und beschleunigter Entwicklung Ausdruck 12 . Hegemann hätte seiner Arbeit kaum einen weniger irreführenden Titel verleihen können. Sein Text spricht sich nichts weniger als frei von seinem Anlass. Sein Aufbau ignoriert die Ausstellung nicht nur in ihrer Anlage, sondern auch als Veranstaltung. Hegemann schreibt hier die Vorgeschichte zu einem dem Titel nach zu erwartenden Werk. Von den 144 Seiten des ersten Teils sind drei Fünftel der Einleitung, ein Zehntel den Anmerkungen vorbehalten und vierzig Seiten liefern einen historischen Blick allein auf Berlin13. Die Erzählung ist von den Bildern unabhängig. Lediglich der Typus der Abbildungen, die überwiegend aus Planzeichnungen, Statistiken zu Wohnen und Verkehr und im zweiten Abschnitt aus historischen Plänen und Ansichten bestehen, ordnet sie äußerlich zu. Ein Vorgriff ist nützlich, um den Tenor dieser Erzählung zu erschließen. Im August 1912, während der Arbeiten am zweiten Band, sprach Hegemann vor der Gesellschaft für Soziale Reform (GfSR) über „Die Entwicklung des städtebaulichen Gedankens in GroßBerlin seit 1848". Seinen ersten Band des „Städtebau" versteht er als eine ausführliche Behandlung desselben Themas14. Er periodisierte die Geschichte des Städtebaus. Auf die „großartigen Traditionen" des 18. Jahrhunderts folgte nach 1806 „Verantwortungslosigkeit", dominiert von „wirtschaftlichem Stillstand" und partikularen Interessen. Die liberal-freiheitliche Phase brachte einen „Höhepunkt sozialen Denkens" um 1848 und erste „edle Bestrebungen" hervor, die in der Restauration der 50er Jahre von sozialer und militärischer Kontrolle und „sozialpolitischem Dilettantismus" abgelöst wurden. Durch das Wirken von Schriftstellern und Verbänden gab es im folgenden Jahrzehnt einen Aufschwung, der in den 70ern mit „selbstsicherer Gleichgültigkeit" und „egoistischen Interessen" kollidierte. Der „Erkenntnissturz" der 80er und folgenden Jahre wurde in der Hochindustrialisierung durch den „Besitz- und Erwerbssinn" und das Privateigentumsprinzip verursacht, welche das „soziale Denken entwurzelten". Statt einer sachbezogenen Analyse gibt Hegemann eine kulturelle Verfallsdiagnose. Sie bezieht sich auf das idealistische Konzept stetiger Höherentwicklung und verweist sprachlich durch zahlreiche botanische und anatomische Metaphern auf den Prozeß 'natürlichen' Wachstums. Die positiv besetzten Begriffe häufen sich um Moral, Geist, Stolz, Einheit, Tiefe, Kultur, Zukunft. Der Kampf erfordert Kraft, Pflicht, Glauben, 12

Er kann - wenn Oliver Karnau mir darin auch nicht zustimmen konnte - auch als Hommage an Camillo Sitte verstanden werden, der damit bereits wieder als überholt gilt. 13 S 7-90 Einleitung-, S 91-113 Erstes Kapitel. Berliner Pläne. Die großen brandenburgisch-preußischen Städtebauer.·, S 114-129 Die Monumentalstadt. 14 Entwicklung (1912) 98 f. Dieser Vortrag diente auch dazu, die Diffamierungen zu erörtern, mit denen der Propaganda-Ausschuß überzogen wurde, stimmt in der Argumentation aber auch mit dem Vortrag „Das Wachsen Groß-Berlins" von 1912 überein.

184

5.2.1.1 Aufreihung

Ringen, Prüfungen wegen der Gefahren von Gleichgültigkeit, Erstarrung, Barbarentum, Entwurzelung, Wirtschaft und Materialismus. Die zu bewahrenden wie zu erringenden immateriellen Güter können als spezifisch deutsche Kulturwerte bezeichnet werden. Sie zu schützen oblag laut Hegemann den „gebildeten Ständen" wie dem Staat. Partikularismus, Egoismus und Utilitarismus verursachten deren Versagen. Bezeichnenderweise fehlt jegliche Beleuchtung des unterstellten Zusammenhangs, wie mit Städtebau jene Kulturwerte zu erhalten waren. Dennoch erhebt Hegemann durchaus politische Forderungen wie die nach freien Kommunalwahlen. 1912 forderte er eine Gesamtrepräsentation als Korrektiv der Sonderinteressen und dazu eine allgemeine Aufklärung des Publikums und einen aufklärerischen 'öffentlichen Gebrauch der Vernunft', um die geradezu allmächtigen Interessengruppen zum Anerkennen sozialer Mindestforderungen zu zwingen15. Zur Begründung dieser Forderungen ist der Anschluß an die „großen Traditionen" dienlich, auch an die deutsche Tugend der Rettung durch Reform von oben. So schließt sich der Zirkel. 5.2.1.1 Moralischer Blick Unter diesen Vorzeichen beginnt Hegemann sein Buch. Zu Beginn mahnt er das Wohnungselend (Bild 30) an und deklariert die Städtbauausstellung zum Teil eines Kampfes. Er stellt die Frage, Nach welcher Moral die Stadt gestaltet werden solle und bietet sodann eine Geschichte des Städtebaus als Folge verkannter Reformer: Huber, Faucher, Carstenn, Hobrecht, Bruch, Orth, Baumeister, Arminius, Schmoller, Kuczynski, Muthesius. Deren Diagnosen und Reformvorschläge geben Hegemann die Gelegenheit, erzählerisch und ohne jede Systematik fiskalische und juristische Regelungsinstrumente, Baurecht und -Ordnungen, Mentalität und Ästhetik zu erläutern und Verweise auf aktuelle Fragen einzuflechten 16 . Bereits bei der Vorführung Victor Aime Hubers spricht Hegemann alle Verbindungen an, die zu einer Geschichtsstiftung notwendig sind: preußisch-monarchische Tradition, Paternalismus und ständische Neubegründung, Selbsthilfe und Sozialismus, Staatsintervention. Huber sah eine kompensatorische Mitwirkung „oberer Stände", des sozialpflichtigen Bürgers vor, um den von der Wirtschaftsentwicklung unfähig gemachten Arbeitern Hilfe zu gewähren und den Wohnungsmarkt anzustoßen. Die Verquickung gereicht zu einem kurzen Auftritt auch des ersten deutschen Kaisers bei der „Berliner gemeinnützigen Baugesellschaft" 17. Das Scheitern einer solchen Initiative beweist für Hegemann nicht die Ungültigkeit des Programms, sondern, quasi mentalitätsgeschichtlich, die Signatur der Epoche. Hegemanns städtebauliches Deutungsmuster beschränkt sich auf zwei Kategorien: Bauwirtschaft und Raumbildung. Die Bauwirtschaft ist in der freien Verfassung infolge des 15

Entwicklung (1912) 124, s.a. 115-118. S 10 Victor Aime Huber; S 18 Julius Faucher; S 27 Johann A.W. Carstenn; S 33 Arthur Hobrecht; S 36 Ernst Bruch; S 42 August Orth; S 58 Reinhard Baumeister; S 62 Arminius, vgl. S 142 Gräfin Dohna-Poninski; S 71 Heinrich von Treitschke contra Gustav von Schmoller; S 79 Robert R. Kuczynski; S 84 Hermann Muthesius. 17 S 12. Er wird nur vage als „nicht politisch unbefangen" kritisiert. 16

185

5.2.1.1

Kulturleistung

Sittenverfalls nicht leistungsfähig. Die Raumbildung, die vor allem die zweidimensionale Ausweitung der Stadt meint, bleibt daher unzureichend. In Erwartung eines in der kommunalen Regelung neutralen Staates findet Hegemann nur Partikularinteressen wegen ihrer Überrepräsentation durch das Zensus Wahlrecht. Er belegt diese Urteile mit historischen und auswärtigen Vergleichen, hohenzollerscher Bauförderung und angelsächsischer Kommunalverwaltung. Das Scheitern des Berliner Bebauungsplans führt er auf das untaugliche französische Vorbild militärischen und repräsentativen Städtebaus zurück. Damit ist für ihn das erste Stadium des neuzeitlichen Kampfes um die städtebauliche Gestaltung Berlins erreicht. Für die meisten Reformer sind ausländische Anregungen Anlaß ihrer Arbeit, worin Hegemann eigene Erfahrungen bestätigt sieht. Trotz Ernst Engels Begriff vom „Bodenmonopol" führt Hegemann die steigende Wohndichte nicht auf die privatwirtschaftliche Wohnungsproduktion zurück, sondern auf historische Gewohnheiten und soziale Prägung, wie auch Julius Faucher es nach seinen auswärtigen Einsichten vorgab. Hegemann folgt Faucher auch im Festhalten an Wohnsitte und Steuerpolitik als Ursachen steigender Bodenpreise wie bei der Abhilfe: Staatsintervention, Vorbild der Elite, raumgreifender Stadtausbau. Mit dem behaupteten 'Rückzug des gebildeten Unternehmergeistes' vollzieht sich nur noch die dichte Bebauung; der Bauunternehmer Carstenn, dient dabei als Gegenbeispiel und Beweis. Untersucht werden nicht Renditen und Marktentwicklungen, die zu „Wohnungsfeudalismus" führen, sondern kulturelle Fehlleistungen postuliert, um den Kernbestand der bürgerlichen Gesellschaft nicht anzugreifen. Als Fehlleistung gilt insbesondere der Berliner Bebauungsplan von 1862. Die fehlende Differenzierung der Planung wird von Hegemann in ein intentionales Festsetzen des späteren dichten Ausbaus umgedeutet. Er liefert hier eine, seine einzige These zur Stadtentwicklung: Als Ursache der fehlenden Wegedifferenzierung und folgenden Großblockbildung identifiziert er die Kostenreduktion im Straßenbau, verantwortet vom Polizeipräsidium 18 . Die folgenden Bodenpreissteigerungen wertet Hegemann nicht als marktwirtschaftlich rationalen Prozeß, sondern nach den Worten Friedrichs II. erneut als kulturelle Fehlleistung: die „ sich von ihrem Grundbesitz einen übertriebenen Wert einbildenden Eigentümer"19. Mit dieser Überlegung erweist sich Hegemann als naiver liberaler Kritiker. Eine programmatische Vorlage zum Stadtausbau Arthur Hobrechts von 1872 setzt er in die Nähe der sogenannten „kathedersozialistischen" Umgestaltung des volkswirtschaftlichen Denkens, sogar würdig der Hohenzollerschen Städtebauer. Weiteres Lob erfährt dessen Absicht, eine Provinz Berlin verwaltungstechnisch zu vereinen. Hegemann sucht 18 S 132-134, Anm. 13. Diese These nimmt die behauptete alleinige Verantwortung James Hobrechts zurück, der im Text noch als ungebildeter Verursacher fungiert. Die Differenz zwischen Fußnote und Haupttext bringt die methodisch unreflektierte Haltung charakteristisch zum Ausdruck, bei der die Erzählung mit plakativer Erklärung der Leserbindung dient, der Auftrag aber neuere wissenschaftliche Erklärung verlangt. 19 S 33. Die Ausdehnung einer gemilderten Bauordnung auf das größere Stadtgebiet von 1878 kann er nur als staatliche Sanktion dieser Fehlleistung ansehen.

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5.2.1.1

Gesetzmäßigkeiten

ein Kontinuum von Markteingriffen und Fördermaßnahmen, das den zeitgenössischen Reformern Rückhalt bieten kann 20 . Anhand der Kritik Ernst Bruchs von 1870 kehrt Hegemann zur Behördenplanung zurück. Statt einer systematischen Ausführung 21 erwartet den Leser aber eine Verquickung mit dem 'Freilegungswahn' 22 , mit Platz- und Verkehrsbau, um darüber zu August Orth und seiner Eisenbahnplanung zu gelangen. Diese Themenhäufung schließt mit dem hilflosen Befund über viele treffliche Gedanken ..., die im einzelnen hier nicht näher behandelt werden können. Die Suggestion selbstverständlicher Forderungen zielt auf unabänderliche Gesetzmäßigkeiten der Stadtentwicklung, denen es jetzt zu folgen gilt. Gleichzeitig grenzt sie in ihren Urteilen an Überheblichkeit, die Hegemann als Neuling kaum anstand und sein Erstaunen kaschiert, daß auch unter dem „Kultursturz" wichtige Entdeckungen gemacht wurden 23 . Diese selbstherrliche Attitüde vermag die Suggestion einer traditionsgesättigten Geschichte zu stärken. In diesem Sinne referiert Hegemann August Orth, dessen Forderungen er kurzerhand mit den Erwartungen an einen Zweckverband gleichsetzt. Diese Erörterungen sind Beispiele der querulatorischen Retrospektive, die nachzuweisen sucht, daß man stets hätte besser wissen können und besser handeln müssen. Sie unterstützt eine Zwangsläufigkeit der Forderungen und Uberfälligkeit der Erfüllung. Die Uberlagerungen zahlreicher Aspekte, die in Zitaten aufgenommen und langatmig aufgeführt werden, resultiert aus halbbewußtem Wiedererkennen von Argumenten. Hegemann gliedert nicht und arbeitet nicht systematisch aus. Die Abhandlung der Fernund Nahverkehrsanlagen wirft den Behörden kurzsichtige militärische und finanzielle Interessenbefriedigung vor. Die Forderung nach Ausbau des Personennahverkehrs, selbstverständliches Gebot gesunder Wirtschaftlichkeit, zeigt die Wendung von staatlicher Neutralität zu staatlicher Kompensation. Weil eine spätere Intervention aufgrund tausendfach sich kreuzender Interessen und ungeheuerer realer oder spekulativer Bodenwerte für unmöglich gehalten wird, verschieben sich mit der Forderung nach gebührender Unterordnung des fiskalischen Gesichtspunktes unter das höhere städtebauliche Interesse die Handlungserwartungen an den Staat 2 4 . 20 Beachte dabei auch das Lob der „heute lebenden Städtebauer", wichtige Grundzüge „unabhängig" von ihren Vorläufern erkannt zu haben, das auf unabänderlich geltende Gesetzmäßigkeiten zielt; S 37. 21 Hegemann erkennt die Gesamtheit von Bruchs Konzept gar nicht, nach dem aus der optimierten Bodenwertverteilung die rationale Ordnung der Stadt folgen soll; vgl. Juan Rodriguez-Lores, "Gerade oder krumme Straßen?" Zu den irrationalen Ursprüngen des modernen Städtebaus, in: Gerhard Fehl/Juan Rodriguez-Lores (Hrsg.), Stadterweiterungen 1800-1875. Von den Anfängen des modernen Städtebaues in Deutschland (Stadt Planung Geschichte 2), Hamburg 1983, S. 101-134, S. 124 f. 22 Dabei zeigt Hegemann seine Fähigkeit zu flinkem feuilletonistischem Anschluß an Themen des Tages. Er bringt hier Sitte, Brinckmann und Stübben auf einer Seite unter und macht sich durch exzessives namedropping als Fachmann anheischig; S 40 f. 23 Siehe etwa das Urteil über Bruchs vorzügliche, für den damaligen Stand städtebaulicher Erkenntnis geradezu erstaunliche Leistung oder Orths tiefes Verständnis für diesen von ihm vertretenen städtebaulichen Grundsatz erster Ordnung-, S 41 und 42. 24 S 50 ff. Es folgen detailversessene Aufreihungen, die für Leser ohne Ortskenntnisse kaum von Wert sind. Weiter versucht er durch pädagogische, redundante Einstreuungen Kumulation und Steigerungen aufzubauen, die wie die Vergewisserungen des Plauderers erscheinen, noch beim Thema geblieben zu

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5.2.1.1 Segensbote

Hegemanns Interesse an Bahnen als Instrumenten kommunaler Bodenpolitik gilt nicht nur dem Wohnungsbau, sondern auch der Repräsentation und der Geschäftsstadt. Aufgabe kommunaler Bodenpolitik ist mithin nicht nur Baulanderschließung für Wohnraum, sondern auch eine funktionelle Gliederung mit effektiver Anordnung der Punktionsbereiche zur Prosperität der Kommune. Dafür fordert er, vermeintlich gestützt durch Orths Kritik, eine „machtvolle städtebauliche Zentralbehörde" 25. Sie soll Beamte der Reichs-, Staats- und Kommunalbehörden zusammenschließen und um einen Sachverständigenbeirat ergänzen. Das ist der Ort für die Architekten, Revolte gegen den Ausschluß der Bildungsbürger im Prozeß der Stadtgestaltung, die mit der negativen Beurteilung des Beamtenstandes zusammenfällt. Private Kampagnen wie die Städtebauausstellung erscheinen dagegen als überparteiliche pressure groups26. „Uber den Parteien" zu stehen ist zentraler liberaler Glaubenssatz wie Ausfluß bildungsbürgerlicher Interpretationsmonopole. Ausführungen über Reinhard Baumeister stützen einen weiteren liberalen Kernsatz: die Reduktion von Regulierung zum Nutzen des Marktes und der Verbraucher 27 . Dabei handelt es sich nicht um politisches Bekenntnis, sondern den Ausdruck eines Selbstverständnisses von Expertentum in moderner technisierter Welt. Dieses Selbstverständnis glaubt in der Erfüllung 'objektiver' Anforderungen unparteilich, quasi wissenschaftlich zu sein. Es erkennt weder Abhängigkeiten von persönlichen noch gesellschaftlichen Vorprägungen: das Selbstbild des Bildungsbürgertums, aus dessen „uneigennützigem Wirken" ein „unschätzbarer Segen" erwüchse. Der Bezug auf die größere Entität 'Segen' bindet an immaterielle Werte, die sich vom Objekt der Nation bis zum Subjekt als Heilsbringer spannen. Wie schon bei den Parks, imaginiert Hegemann sich als Bote dieses Segens. Ablesbar auch an Hegemanns Urteil über den „selbstherrlichen Techniker" 28: Zwar ein in seinem Innersten menschenfreundlicher Kultus, fehle der Technik die „künstlerische Durchbildung". Verfügbar zur ungezügelten Verwertung, werde sie bei ausreichenden Mitteln alle Menschen mit Asphalt, Kanalisation, Gas und Dampf, Untergrundbahn und Rohrpost beglücken. Technische Ausstattung verächtlich zu machen, fällt mit schichtenspezifischer Zuordnung zusammen. Mit dem Kontrast von „anspruchsloser ländlicher Siedlung" und städsein: Hegemann kopiert seine Führungen für ein Berliner Publikum. 25 S 53 f., 51. 26 Vgl. S 58 zum Scheitern eines Beirats im Zweckverband: von dessen über den Parteien stehendem uneigennützigen Wirken dem Groß-Berliner Städtebau unschätzbarer Segen erwachsen wäre. 27 Sie betreffen Baumeisters Annahme, daß den Urhebern einer dem öffentlichen Wohl an ihrem Teil nützlichen Anlage durch den behördlichen Geschäftsgang auch bei bester Organisation endlose Schwierigkeiten bis zu einem unberechenbaren Schaden entstehe. Deshalb sei, so Hegemann - gesperrt gesetzt die Erledigung durch eine Zentralbehörde richtig, leidenschaftslos und rasch. Die Affinität zwischen Liberalismus und Professionalisierung fehlt bisher in der Rezeption. 28 S 61 f. An dieser Stelle gesteht Hegemann auch James Hobrecht Verdienste zu. Trotz Anerkennung - Hobrecht habe ein gutes Teil pfahlbürgerlichen Stumpfsinns zu überwinden gehabt - ist er jedoch nicht in der Lage, ihn nicht der Lächerlichkeit preiszugeben: ein feuriger Apostel der modernen englischen Kanalisation.

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5.2.1.1

Sozialharmonie

tischer „Stockwerkshäufung" (Bild 32) lehnt Hegemann die Ausweitung identischer Lebenswelten auf alle ab. Daß eine schichtenspezifische Zuordnung von Grundbedürfnissen zum Zwecke des „sozialen Friedens" genüge, belegt seine Begeisterung am Konzept des Arminius29. Das Programm von Dohna-Poninski ist das einer ständischen Wiederbegründung. Statt die neuen Arbeiterbewegungen zu unterdrücken, solle man sich ihrer führend annehmen und sie im Stadtbild entsprechend einer standesspezifischen Inanspruchnahme „organisch" piazieren. Das Programm für Grün- und Nutzflächen, das die Verfasserin unter dem Pseudonym Arminius vorstellte, dient mit einem umschließenden Grüngürtel der Nachstellung ländlichen Lebens in „naturgemäßen Bedürfnissen". Die speziellen Gärten für bestimmte Stände dienen der Separation und Segregation der städtischen Gesellschaften, sorgen für optimierte Reproduktion und eine Gemeinschaft der ständischen Selbstbescheidung, in der jeder seinen standesgemäßen Platz anerkennt. Andererseits ist ein Konzept mit festgelegten Grünanteilen per Stadtfläche, mit nach gruppenspezifischen Bedürfnissen zu entwerfenden Grünanlagen und den Forderungen zu Selbsthilfe und Besteuerung sozialpolitisch innovativ. Das sozialharmonische Konzept liegt Hegemann, weil es Ausgleich zugunsten des Gemeinwohls suggeriert. Jedoch verkündet er den heilige[n] Zorn der Tat gegen die selbstzufriedenen Begründungen „gerechter Ordnung" eines Heinrich von Treitschke. Hegemann widerlegt Treitschkes Behauptung, daß jeder „im engen Kämmerlein die Stimme seines Gottes vernehmen könne", mit zeitgenössischer Statistik: Für über eine halbe Million Menschen steht das „Kämmerlein" nicht zur Verfügung. Hegemann postuliert damit nebenbei eine christliche Verpflichtung zur Wohnungspolitik. Er kontrastiert sie darüberhinaus mit einer über 20 Jahre alten Quelle aus zweiter Hand, die auf den Verfall der Institution Ehe abhebt 30 . An dieser Stelle wird manifest, daß Hegemann persönliche Explorationen des Wohnungselends in Berlin nie vorgenommen hat - man darf darauf vertrauen, daß solche Beobachtungen dem Leser mindestens an dieser Stelle nicht vorenthalten worden wären als habe der einmalige Abstieg in die Unterwelt der vier Tage von Philadelphia genügt, alles Wissenswerte zu erfassen31. Die Empfindung gerechter Empörung gegen Argumentation und Fakten hervorzuheben, spiegelt Hegemanns eigenen Zugang. Sein Argumentationsverlauf stellt die eigene Erfahrung nach. Das Lob einer Reihe deutscher Gelehrter, der sogenannten Katheder2 9 Diese Schrift einer Verfasserin zuordnen zu müssen, verursacht ihm Schwierigkeiten und bedarf mehrfacher Absicherung, der Linie zu den sozial engagierten Frauen Nordamerikas, der „wahren Bildung" und der Aristokratie als Legitimationen. Entlarvend ist an seiner Begeisterung vor allem die Faszination durch „im edelsten Sinne konservativen Geist", durch freiwillige, „pflichtgemäße, rettend heilsame" Selbstbeschränkung der Standesansprüche. S 62 f., 70, 142, Anm. 91a. 3 0 Angaben eines Stadtmissionars über ein Haus von 250 Familien, darunter 17 Frauen in wilder Ehe, 22 Dirnen, 17 ungetraute Paare und vier von ihren Männern geschiedene Frauen seien, aus Schmollers „Sozial- und Gewerbepolitik" von 1890 gegen Treitschkes „Sozialismus und seine Gönner" von 1874. S 71 f. 3 1 Stattdessen fungieren Fotografien der Wohnungsaufnahme der Ortkrankenkassen an prominenter Stelle: S Abb. 9-16 (auch ausgestellt), leiten mit statistischen Darstellungen der Wohnungsnot den Band ein.

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5.2.1.1

Renovatio

Sozialisten, denen es gelang, das Gut zu retten, das eine Gemeinschaft von Menschen in einer edlen, brüderlichen Weltanschauung besitzt, verweist auf die schon vorher angetroffene Selbstbespiegelung32. Hegemann diagnostiziert anläßlich des Auftretens des Vereins für Socialpolitik und Schmollers „Mahnruf in der Wohnungsfrage" einen Umschwung, mit dem der Standpunkt des sich selbst heilenden Marktes aufgegeben worden sei. Die Aufzählung der darauf folgenden Tätigkeiten von Praktikern und Theoretikern der Städtebauer, die keinen Bekannten ausläßt33, untermauert den Anspruch des Fachs, durch Diversifizierung ein Mitspracherecht erworben zu haben. Statistiken von 1875-1910 folgen Schmollers Vorgaben. Hegemann betont die Perpetuierung des Prozesses, den volkswirtschaftlichen Schaden, die kriminelle und revolutionäre Gefahr, und schließlich den Schandfleck auf der Ehre der Nation 34. Im Anschluß erfolgt eine emotionale Einschwörung auf Abhilfe. Hegemann droht mit der nächsten Revolte, bei der auch die Elite der Arbeiterschaft mit in den Strudel gezogen würde35. Er steigert sich mit der Drohung, es fielen auch einige angesehene bürgerliche Persönlichkeiten dem zum Opfer, so daß schließlich vielleicht dann Opfer gebracht werden müßten, die viel weiter gehen, als bei ruhiger Überlegung wünschenswert erscheint. Er schließt mit der Beschwörung deutscher Tradition, in der die notwendigen Revolutionen durch einsichtige Regierungen von oben her mit den geringsten wirtschaftlichen und moralischen Einbußen gemacht worden sind36. Die heilige Mission, den unseligen Brüdern zu helfen, ist nach Hegemann für eine bahnbrechende Elite nicht mehr als die Erfüllung ihrer Pflichten. In langen Zitaten aus Hermann Muthesius' Kritik der Wohnkultur schält sich schließlich ein Wirkungszusammenhang heraus. Hegemann erwartet von der Durchkultivierung der Bedürfnisse jener Elite, der wohlhabenden Klassen, ihre Funktion als Qualitätskontrolle. Sie wird Kontrollinstrument des freien Marktes - der Autor und seine Kollegen ihre Erzieher - und die Entwicklung der individuellen Ansprüche zur 'Kulturarbeit' - eine ungenannte Anlehnung an die seit 1902 erscheinenden populären Werke Paul Schultze-Naumburgs37 3 2 S 70. Vgl. auch die Rechtfertigungen des Vereins für Socialpolitik; S 71 f. Da den heilige{n] Zorn der Tat ... Arminius viel schöner verkörpert als Treitschke, handelt es sich um eine auch ästhetische Figur, deren genießerische Betrachtung einen quietistischen Zug enthält. 3 3 Albrecht, Puchs, Sombart, Stübben, Voigt, Eberstadt, Goecke, Kemmann, Petersen, Blum, Adickes, Wagner, Schmidt, Rehorst, Mangold, Sitte und eine Hommage an March; S 74. 3 4 S 73 ff., Zitat S 80. Bodenschatz, Platz frei ..., S. 65 f., versteht den Appell als nur an den Besitz gerichtet, wohl weil Hegemann S 82 f. die revolutionäre Bedrohung verstärkt. Hier aber gelten als Elite auch die Gebildeten: das eingeschränkte Verständnis verpaßt den Reformkontext der Bildungselite. Auch Schmollers Uberwindung durch sittliche Größe ist eine ästhetische Figur. 3 5 Hier erscheint jener amerikanische Kommentator, mit dem Hegemann zu bedenken gibt, daß die Kgl. preußische Sozialdemokratie ... dem einflußreichsten Teil der Arbeiterschaft von unten her poliziert; S 82. Er wirft den Schatten des Manfred Maria Ellis voraus. 3 6 S 82 f. Die deutsche Reformfähigkeit beanspruchte den Wilhelm II. von 1889: Revolutionen ließen sich auf das Versäumen rechtzeitiger Reformen zurückführen. Florian Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, Göttingen 1981, S. 195. 3 7 S 84. Hegemann versichert sogleich, daß dessen der Deutsche in höchstem Maße fähig ist, was Schultze-Naumburg durch seine Bildpropaganda vom bürgerlich-biedermeierlichen Stil in mehreren

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5.2.1.2

Erfolgsgeschichte

und den Reformwillen des Deutschen Werkbundes. Das freie Individuum, das gegen den Usus eigene ästhetische Werte zu postulieren und zu realisieren vermag, soll durch Gewohnheit, Vorschrift und Markt perpetuierte Wohnbedingungen reformieren. Die Vorstellung einer solchen Renovatio durch Umkehrung eines Marktmechanismus ist idealistisch und liberal. Hegemann polemisiert jedoch treffend gegen bildungsbürgerliche Kunstbedürfnisse. Daß jene Kunstbedürfnisse in Italien oder Nürnberg, die Naturbedürfnisse aber in Tirol befriedigt würden, stellt den wesentlichen Aspekt heraus: die Gleichgültigkeit der Eliten gegenüber der Stadt, der eigenen formbaren Umgebung. Das folgende Programm will jedoch nur reformierten Wohnungsbau 38 , Chancen eines zweiten Marktes und das gewünschte Machtinstrument des Fachs: ein durch das Vertrauen der Mitbürger und der Staatsregierung allmächtiger erstklassiger Stab von Politikern, Künstlern und Ingenieuren, der fähig ist, die weittragenden Maßnahmen nicht nur zu planen, sondern auch siegreich durchzuführen. Das damit ausgegebene Förderprogramm will die Marktgesetze nicht ändern, sondern Produktivität und Wohlstand dienen und endlich Instrument zur geistigen und wirtschaftlichen Weltmacht sein. 5.2.1.2 Historischer Blick Nach zwei Dritteln dieser Erzählung widmet Hegemann sich schließlich dem Rückblick auf die Berliner Stadtentwicklung. Sein Ausgangspunkt ist die Annahme, daß die Zersplitterung, ja geradezu Verflüchtigung der städtebaulichen Verantwortung einzige Ursache städtischer Mißstände sei. Daß die Schaffung der Existenzgrundlage der ganzen Bevölkerung der privaten, durch die Gemeindeverfassung gestärkten Spekulation überantwortet ist, weiß Hegemann genau. Doch Spekulation gilt als nicht 'naturgemäß' mit dem freien Markt verbundenes Phänomen, sondern, Rudolf Eberstadt folgend, durch die Kommunalverfassung erzeugt. Diese Hypothese stützt die Forderung einer zentralen Autorität. Demgemäß wird die Geschichte der großen brandenburgisch-preußischen Städtebauer als eine einzige Erfolgsgeschichte gelesen. Die idealisierende Deutung früherer Stadtverfassungen erkennt auf Mittel der Bauförderung und Baulenkung, über die der Rechtsstaat nicht mehr verfügt. Einen Begriff davon gibt Hegemanns Darstellung des Rates im 14. Jahrhundert als Inhaber des Stadtgrundes, der Bauaufsichtsrechte und eines Materialmonopols. Diese Interpretation wiederholt sich in vielerlei Facetten als lobende Aufzählung von Kurfürsten und Königen und ihrer Bauförderung, Landvergabe, Bauprivilegien, Materialstiftungen, Schenkungen, Separationen, Enteignungen 39 . Hegemanns alleiniger Maßstab städtischer Politik ist die Förderung städtischen Wachstums und Prosperität 40 . Die Erwartung unbeschränkter Expansion behandelt die Stadt Bänden unter dem Titel der „Kulturarbeiten" beweisen wollte. 38 Die klassische Gegenbehauptung, daß die Massen die Wohnungsverhältnisse akzeptierten und das Marktangebot keiner Korrektur bedürfe, lehnt Hegemann rundweg ab und weiß sie bereits mit Umfrageergebnissen der Baugenossenschaft „Ideal" und dem großen Interesse von Vereinen und Gesellschaften auf der Städtebauausstellung zu widerlegen. S 87-89. 39 Großer Kurfürst S 94, Dorothea S 95, Friedrich I. S 95 f., Friedrich Wilhelm I. S 99, Friedrich II. S 101 f., siehe auch S 120 ff. 40 Siehe als typisches Beispiel seine Beurteilung der Steuern und Kontributionen im Dreißigjährigen

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5.2.1.2 Übertragungen

wie eine unabhängige Entität mit Recht auf Wachstum41. Die bedingungslose Bejahung der Urbanisierung basiert auf der Erwartung gesteigerter Wirtschaftskraft, Macht und Kultur aufgrund der Arbeitsteilung der Industriegesellschaft. An der Stadt kann der Grad nationaler Kultur und Geltung abgelesen werden - nicht zufällig zeigt Hegemann die auch ausgestellte Statistik zur Wohndichte in Deutschland und Europa (Bild 36). Das unerschütterte Vertrauen in eine lineare bis progressive Wirtschaftsexpansion und damit das Wachsen der Städte wird von Hegemann erbarmungslos rückwärtsgewandt und der Städtebau als volkswirtschaftlicher Faktor dem einverleibt. In dieser querulatorischen Retrospektive weiß Hegemann viele Gelegenheiten zum Anschluß „heutiger Forderungen" an vermeintliche Vorbilder: Die Genehmigung von Bauzeichnungen durch königliche Baumeister eine Bauberatungsstelle!, das Verbot von Scheunen und Schweinen Citybildung. Die steigenden Bevölkerungszahlen wie die Belegungsziffern werden durchgängig positiv beurteilt. Erst nach 1740 habe die Bevölkerungs- zur Wohndichte unverhältnismäßig zugenommen, doch im Vergleich mit den Gründerjahren fanden die Spekulanten nach dem. Siebenjährigen Kriege in Friedrich dem Großen ihren Meister42. Friedrich II. wird ganz in der vorteilhaften Rolle des kontinuierlichen Städtebauers gezeigt. Die Städteordnung des 19. Jahrhunderts wird, getreu des weiteren Deutungsmusters 'Raumbildung', zur wesentlichen Ursache für die folgende Entwicklung von Wohndichte, Mietsteigerungen und Wohnungsknappheit. Die Festsetzung eines engen Stadtgebiets schließe das Weichbild von baulicher Entwicklung aus und zwinge zu intensivem Ausbau. Mit dem Ende der zentralen Autorität beklagt Hegemann das Ausbleiben kompetenten Eingreifens der preußischen Regierung und Kommunen als eine schildbürgerliche Misere43. Konnte unter der „verhängnisvollen Reaktion" 44 keine verantwortliche und selbstverwaltete Bürgerschaft wachsen, erwartet Hegemann deshalb Leitung durch die allerersten Männer, die die Nation in Politik, Kunst und Technik hervorbringt. Diese Elite soll nicht nur die Zentralbehörde, sondern gleich auch noch eine Bürgerschaft prägen.

Krieg; S 93. 41 Getragen wird dies von emotionaler Bejahung der Großstadt - etwa: jener passionierende Anblick, den nur die wirkliche Großstadt darbietet, S 144, Anm. 115 - und der Überzeugung, daß die Städte als Konsumenten der landwirtschaftlichen Erzeugnisse unverzichtbar sind - wie Hegemann mit Wiederholungen, auch mit Spitzen gegen Schutzzollforderer großagrarischer Herkunft, vorträgt; S 97 in denen die ökonomische Einsicht in das irreversible Großstadtwachstum in der Industriegesellschaft und die idealistische Auffassung von der 'Kulturkrone' zusammenfließen. 42 S 96, 102; Der König hatte sich damals der wohnungspolitischen Machtbefugnisse seiner Vorgänger noch keineswegs begeben .... Vgl. aber SB 163. 43 S 106 ff., 110. Hegemann vereinnahmt wiederholt Oberbürgermeister Kirschner, nach dem die 'Verhältnisse des Reiches dagegen einfach und geregelt waren', als Kronzeugen wider Willen. 44 Mittels eines Goethe-Exkurses appelliert Hegemann erneut an bildungsbürgerliche Werte und warnt - in Analogie zur Revolutionsdrohung - vor dem Kulturverlust durch Auswanderung; S 111 f. Es bedarf Goethes, um die „unbegrenzte Produktivität" als (entfremdetes) Eigentum der Gebildeten zu reklamieren.

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5.2.1.3 Kunst

5.2.1.3 Künstlerischer Blick Schließlich wendet Hegemann sich der „Monumentalstadt" zu 45 . Durch Gliederung der Stadt entsteht Schönheit und Wirkung. Die Großstadt bedarf eines „monumentalen Zentrums", da sie sonst in amorphe Massen sich auflöst, im architektonischen Chaos sich verliert. Es geht Hegemann um ein erinnerungswürdiges, ein Identifikationsobjekt für „Bürger" und „Fremde". Die elegischen Worte, in denen er die Hauptachse der Innenstadt Berlins feiert 46 , illustrieren, wie Hegemann als Betrachter in den Baumassen menschliche Gestaltungskraft zu einer säkularen Transzendenz des individuellen Lebens symbolisiert findet und inszeniert sehen will. Kunst gilt als menschliche Äußerung, die sich nicht in der praktischen Organisation erschöpfen darf, sondern (kantianisch) des zweckfreien Genusses als Teilhabe am Glückszustand 47 bedarf wie der Selbstüberhebung als Teilhabe an zivilisierter Gemeinschaft und nationaler Identität 48 . Deutlich historisch entzifferbare Teilstücke wie ein aus dem, vorköniglichen Mittelalter stammender Teil Berlins oder das Brandgiebel- und Stilgewirr der Linden stehen als Zeugen prosaischer Entwicklung einer künstlerischen Vollendung entgegen. Sie historisieren, prozessualisieren den Weg zu jener Vollendung und relativieren ihn. Die Beispiele „höchster Vollendung" einer jeden künstlerischen Epoche dagegen - hier Schlüter und Schinkel - sind zeitlos. Daraus nährt sich die suggestive Hoffnung auf „etwas Endgültiges", den Zielzustand einer Kumulation 'glücklicher Vollendungen'. Diese Haltung verweigert sich nicht nur grundsätzlich jeder Relativität des eigenen künstlerischen Urteils, sondern kennt keine Beschränkung subjektiver Erkenntnismöglichkeiten; die Urteile sind absolut 49 . Uber den postulierten überzeitlichen Wert des Darstellenden und des Dargestelltem 45

Benjamin C. Marshs Zitat über Hinterhöfe als Maßstab einer Stadt wird von Hegemann zum Zwecke der Traditionsbildung mißverständlich mit Friedrich Wilhelms II. Stadtverschönerung gleichgesetzt; S 114. 46 Das Wesen der Monumentalstadt Berlin findet seinen bedeutenden Ausdruck ... über die mächtige und lebensspendende Kreuzung ... fließt der Zug ... mit der triumphalen Kadenz ..., dann ebbt der „geordnete Pomp" ins Baummeer ..., ohne jedoch seine Kraft zu verlieren; ... schwillt er wieder ... und sendet ... seinen königlichen Strahl...; ... flutet er, neu gesammelt... zur Hauptader zurück. Mit neuer ungeheurer Kraft bricht sich diese Haupt- und Königsader Bahn hinauf zum letzten Sammelbecken ..., um von diesem letzten Ruhepunkt hinauszustoßen ins Unendliche der märkischen Landschaft, wie sich ein Hochwasserstrahl nach ungeheurem Aufschwung träumerisch im leichten Blau verliert. S 117. 47 Beachte die stete Verwendung des Adjektivs „glücklich" für „gelungen" in der Beurteilung künstlerischer Werke; S 120 allein dreimal; wie auch die Verwendung des „köstlich" für „kostbar" als Zeichen des Glückszustands. 48 Stellvertretend für das Fach ganz ... mit Sittes Absicht, den „Kunstkenner" durch Stadtbaukunst zu erfreuen und gleichzeitig das „Volk" durch Stadtbaukunst zu erziehen. Siehe Gerhard Fehl, Camillo Sitte als „Volkserzieher" - Anmerkungen zum deterministischen Denken in der Stadtbaukunst des 19. Jahrhunderts. In: Gerhard Fehl/Juan Rodriguez-Lores (Hrsg.), Städtebau um die Jahrhundertwende. Materialien zur Entstehung der Disziplin Städtebau (Schriftenreihe Politik und Planung 10), Köln u.a. 1980, S. 173-221, S. 173 ff. 49 Die vorkritische Naivität ist eine wichtige Voraussetzung für die Form der späteren Distanz, der Entfremdung.

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5.2.1.3 Nationaltugend

ist es Hegemann möglich, Schinkelsche Werke mit dem monumentalen Entwurf Bruno Schmitz' für die Tertiarisierung der Innenstadt gleichzusetzen. Als Ableitung der übergeordneten Punktionen Glück und Erhebung bleibt ein identischer Wert und kann von architektonischen Formelementen, Säulen und Symmetrien transportiert werden; eine Wurzel für Hegemanns Liebe zu architektonischen Versatzstücken50. Wie er 1922 ausführen wird, passen klassisch zeitlose architektonische Elemente in jeden Kontext, unabhängig von Bauherr und Künstler, Zeit und Politik. Monumentale repräsentative Gestaltung ist operationalisierbar. Sie steht der Kapitalisierung zur Verfügung, und Hegemann will sie zum Standortvorteil und Umsatzsteigerung für eine mondäne Geschäftsstadt einsetzen. Sie steht weniger im Zeichen sozialpsychologischer Punktionen denn in der Punktion der Nationalbindung. Die Geschäftsais Innenstadt steht in direktem wie übertragenen Sinn immer in Konkurrenz zum 'Erzvorbild' Paris 51 . Städtebau interpretiert Hegemann als Nationaltugend: preußisch im besten Sinne des Wortes52. So beansprucht, mußte die Stadtbaukunst in echt preußischem Sinne in den segensreichen Dienst des Staatsgedankens treten. Entsprechend versteht Hegmann auch die beiden Künstler-Architekten, die er eingehender bespricht. Der Künstler gilt Hegemann als Repräsentant der Gesellschaft. Er erlebt und gestaltet stellvertretend und repräsentativ: Schlüter hat den echt deutschen Kampf zwischen nicht zu bändigender Formenfreude und klassischer Strenge gekämpft53. Beiden Genies ist der tragische Zug gemein, daß sie ihre Möglichkeiten nicht auschöpfen durften, eine Hauptstadt prägen wollten, ihre Arbeit in Berlin aber jäh beendet wurde54. In diesem Bedauern äußert sich der Glaube an Determinismus, die Erhebung zum Höheren und die Heilswirkung der Kunst, der bei Hegemann zur trotzigen Beschwörung wird55. Durch Schinkel sieht Hegemann sich darin bestärkt. Er würdigt ihn als Organisator sowohl in der Verwaltung, der in heroischer Selbstverleugnung seine Aufgaben als preußischer Beamter erfüllte, wie als Organisator in der Kunst, der in der scheinbar nur architektonischen Arbeit des Künstlers am Bau dem Ausdruck gab, was die Bewohner dieser Häuser dächten. Seine Größe erwächst für Hegemann aus der Kombination von zeitloser Gestalt mit endgültigem Ausdruck (deutschen) Empfindens. Schinkel gilt als Bewahrer der Tradition, allein seine Entwürfe zum Denkmal Friedrichs 50 Weshalb sie hier - im Gegensatz zu den Spittelkolonnaden 1928 - auch noch versetzbar waren: die Königskolonnaden würden in einer anderen Umgebung vielleicht sehr glücklich wirken. S 120. 51 Siehe bes. S 115, 117 f., 120, 123 f. 52 Und die von allen Seiten herangezogenen [ausländischen] Kräfte haben nur mitgewirkt an der Schaffung eines spezifischen berlinischen Stils ...; S 114, 116, 124. 53 ... diesen Kampf zwischen überschäumender Lust an tausendfach „gekrausten gotischen Bildwerke" des deutschen Barockkünstlers und dem bis ins letzte Glied durchdachten Ernste Palladios, diesen Kampf, der auch im Leben Goethes eine so große Rolle gespielt hat. S 119. 54 Vgl. S 116, 118 f. und 124, 128. 55 Schlüters Platzprojekte sind einerseits Beweis des Niedergangs, weil die zerstörenden Kräfte unserer Zeit gänzlich unaufhaltsam waren, wie andererseits Dokument der Größe, wo ihr „stolzer Maßstab" und „herrlichste Vollendung" für die künstlerischen Schaffenskräfte der Hauptstadt ein ewiges Ziel sein muß; S 118.

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5.2.1.3

Überbau

II. stellen gleichsam eine ganze Denkmalkunde dar. Seine „völlige Unbefangenheit" ist in antikem Sinn verstanden, die Verbindung zu Goethes „Iphigenie" allfällig56. Aus dem bekannten Kanon hatten diese Künstler - so Hegemann nach Schinkel - den „für jede Zeit nützlich anzuwendenden Zuwachs" als stilbildend für den zeitlosen Ausdruck zu finden. Überaus verschiedene Formensprachen enthalten so für Hegemann den Ausdruck der Empfindungen57. Über den korinthischen Tempel kann kaum Festlicheres, Sieg und Ruhm mehr verkündendes gedacht werden; die gotische Siegeskirche für die Freiheitskriege ist die grandiose, letzte künstlerische Ausbildung eines Siegestempels und verkörpert die neue deutsche Geisteswelt. Die heutigen Bauten der industriellen Welt, von denen Schinkel angeblich noch nichts ahnte, seien jedoch das echte Material der Städte. Schinkel, so verurteilt und bewundert ihn doch Hegemann, wollte Berlin zu seinem Ideale einer deutschen Hauptstadt erheben, wo Handel und Fabriktätigkeit kaum vertreten sind, während Universität und Akademie neben der im Verborgenen fast geräuschlos arbeitenden Staatsmaschine die entscheidenden Momente bilden. Was anderes will Hegemann, wenn er eine der Zentralen der Weltwirtschaft zu einem der großen Ziele der Sehnsucht der Welt machen will? Seine Geschäftsstadt kaschiert das „echte Material", aus dem die Industriegesellschaft besteht. Sie will er mit den bekannten Formen überwölben, um sie vertrauten und idealisierten vergangenen Welten anzugleichen, um der neuen Zeit und dem deutschen Wert gerecht [zu] werden. Sein Schlußbekenntnis hebt die Hierarchie von Wirtschaft, Technik und Kunst auf und entlarvt die Bindung der Transzendenz an Staat und Nation: ... ist wahre, frei sich entwickelnde Kunst eines der gewaltigen Instrumente zur freudigen Organisation der Geister. 5.2.1.4 Erzählung Hegemanns Sprache ist jederzeit pathetisch. Die Substantive übertreiben - 'Kampf gegen Chaos'. Die Adjektive, weniger zur exakten Bestimmung denn zur qualitativen Erhöhung benutzt, werden aufgehäuft - 'bedeutsame Erscheinung für die segensreiche Gestaltung gegen die schmerzlichen Episoden des verhängnisvollsten laissez-Iaire'. Die Superlative überwiegen - die 'Feingebildetsten' und 'Vertrauenwürdigsten' gegen die 'blutigsten Gründer'. Die Umstände haben ihre festen Floskeln erhalten - 'das richtige Verständnis für den wirklich modernen Geist' und die 'würdige Ausgestaltung der wahren Bedürfnisse und köstlichen Bauschätze'. Der Text ist vom Reden, nicht vom Schreiben bestimmt. Das zeigen sowohl Satzstellungen wie viele Interjektionen. Wenn die Ankündigung versprach, die wichtigsten Aspekte 5 6 Zu dem Gesang über Iphigenies Hain und Schinkels Berlin eines „idealisierten Waldes" gehört ein für Hegernann stilbildendes Projekt der Umgestaltung des Opernplatzes: statt der Bibliothek sollte ein streng formaler, in vier Terrassen ansteigender Garten den Platzraum erweitern und ausklingen lassen in eine bis dahin unerforschte, gleichsam vierte Dimension. Es wird in Oakland and Berkeley wiederkehren. S 127 f. und 126. 5 7 Hier die einzige Abschwächung des absoluten Urteils: Bei der Abwertung dessen, was für die Zukunft übernommen werden sollte, spielten allgemeine Bildungs- und Gefühlswerte eine große Rolle, sagt Hegemann, ohne es anzuwenden.

195

5.2.1.4 Rede

des Themas in ähnlicher Weise heraus[zu}heben, wie dies zur Zeit der Ausstellung gelegentlich der Führungen ... geschehen ist, wurde damit die Herkunft dieser Eigenschaft schon genannt. Hegemanns Praxis als Ausstellungsführer stellt die Quelle des Textes, den Fundus bis zur einfachen Reproduktion. In erhaltenen Handschriften zeigte sich Hegemann als unkonzentrierter, spontaner Schreiber, dem die Geduld zur Formulierung fehlte und noch mehr zur Nachbesserung 58 . Seine wirtschaftliche Stellung und gesellschaftliche Position ermöglichte die Beschäftigung einer Privatsekretärin. So wird Hegemann sein Buch diktiert haben. Das begünstigte die schnelle und umfangreiche Textproduktion, später auch die Wiederverwertung niedergelegter Texte. Das Diktieren förderte die Eigenart der gesprochenen Rede weiter; stiftete zu ausgiebigem Zitieren und Uberdehnung der Zitate an. Sie nehmen bei Hegemann gelegentlich ganze Seiten ein, überwiegen im jeweiligen Kontext häufig die eigene Textquantität und färben auf die Sprachgestaltung der Umgebung ab 59 . Das führt in der Erzählung zu einer ganz eigenen Form, die im zweiten Teil des Werks noch gesteigert erscheint: eine Mischung verschiedener Text-, Form-, Zeit- und Erzählebenen. Das Zitat erstreckt sich über Aussagen des Zitierten und Zusammenfassungen des Verfassers, optisch in der Zitierebene präsentiert, sowie in das Überlaufen des Zitierten in den Text des Verfassers außerhalb der Zitierebene. In dieser weniger poetisch als hastig geschaffenen Entgrenzung und Verwischung zeichnet sich der Weg ab, den Hegemann mit seinen literarischen Werken später einschlagen wird. Die durchaus eingestandene Anlehnung an Schriften Dritter ist eine überaus enge. Die Erinnerung an ausdrucksstarke Prägungen bringen Hegemann auf einen Autor, den er reproduziert und dessen Tenor seine Sprachauslegung beeinflußt60. Die Produktionsweise der Texte beförderte dieses assoziative Verfahren. Das Resultat sind ungezeichnete Übernahmen und verdeckte Zitate 61 . Einen detaillierten Nachweis solcher Textzusammenhänge kann nur eine historisch-kritische Textausgabe leisten. Neben Fragen der Durchführ- und Darstellbarkeit schiene deren Wert für dies frühe Werk akademisch62, weil es erst den Beginn einer spezifischen synthetischen Literaturform darstellt. 58 Das erklärt die trotz deklarierter Nachkorrektur erhaltenen Nachlässigkeiten: Rudolf Baumeister S 152, 262; Übersetzungsfehler Slum S 81; Axe S 215; Silent Highway S 292; forteskamotiert S 388; Schöpfungen wie „vollschloß" S 110; und „präeisenbahnhistorisch" S 288; intern inkonsistente Argumentation, siehe z.B. zu Stockholm S 315 f. 59 Siehe bes. S 63-70 über Arminius, nur teilweise die Wiederaufnahmen mit Anführungen gekennzeichnet; Überlauf bes. S 246-248 Anatole Prance. 60 Vgl. die Formen der 'sich von ihrem Grundbesitz übertriebenen Wert einbildenden Eigentümer' S 33, 101 und SB 364, 159 nach Paul Voigt, Grundrente und Wohnungsfrage in Berlin und seinen Vororten. Eine Untersuchung ihrer Geschichte und ihres gegenwärtigen Standes, Τ. 1, Hrsg. vom Institut für Gemeinwohl zu Frankfurt a.M., Jena 1901, S. 75-77, und unten die Synopse. 61 Außer für die unten dokumentierte Vorlage kann dies gewiß auch für Schriften Eberstadts angenommen werden und müßte außerdem für Muthesius, Lichtwark, aber auch Bruch und andere zitierte Autoren untersucht werden. 62 Angesichts neuerer Ansätze zur historischen Entschlüsselung der Berlin-Bilder als politische Absicht und Anregung (Projektarbeiten bei Brunn/Reulecke) ließe sich hier jedoch eine exemplarische Dekonstruktion der Ahnenreihe dieser Bildelemente durchführen.

196

5.2.1.4 Nacherzählung

Eine solche enge Textverwandtschaft kann für eines der Werke, die Hegemann insbesondere beeinflußt haben, im folgenden exemplarisch an einigen herausragenden Textstellen kenntlich gemacht werden. Paul Voigts „Grundrente und Wohnungsfrage in Berlin und seinen Vororten" erschien 1901. Ihm dankt Hegemann die „Klarstellung" der städtebaulichen Verdienste der Hohenzollern 63 . In Voigt muß auch eine Identifikationsfigur für Hegemann gesehen werden. Er war als Nationalökonom publizistisch tätig und parteilich engagiert; sein früher Tod noch vor Abschluß dieser Habilitationsschrift gab dem Lebenswerk einen tragischen Akzent. Sein Einfluß liegt deutlich oberhalb der von Hegemann gegebenen Hinweise, der ihn angeblich nur zweimal zitiert. Voigts Darstellung des hohenzollerschen Städtebaus prägt Hegemanns Auffassung, die sie als Gegenfolie der Defizite des 19. Jahrhunderts funktionalisiert. Darin zeigt Hegemann seine Stärke, die ihn auch für die Führungen prädestinierte. Indem er wesentliches Material ausläßt und den Tenor überzeichnet, kann er populäre Erfolge erzielen. Obwohl Hegemann durchaus über ein eigenes fachliches und auch politisches Urteil verfügt 64 , geht eine letztlich unbestimmbare Menge von Voigts Ergebnissen in seine Arbeit ein. Dabei kommt es zu Textüberschneidungen, für die nicht zu klären ist, ob sie nicht gekennzeichnete Abschriften darstellen oder nach der Erinnerung oder einem Exzerpt wiedergegeben sind. Ein grundlegender Einfluß wird zunächst an der Einmischung von Ergebnissen Voigts in neue Konstellationen bei Hegemann kenntlich 65 . Voigt (94) Aber was ... in der ganzen preußischen Politik des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck kommt, ist im Grunde nichts anderes, als die klare Erkenntnis, daß eine kraftvolle äußere Politik finanziell wie militärisch auf die Dauer nur mit der Basis einer umsichtigen Wirtschafts- und Sozialpolitik im Innern möglich ist: Und nur durch die aus dieser Erkenntnis entspringende innere Politik, in der die königliche Baupolitik einen durchaus nicht unwichtigen Platz einnimmt, wurde es möglich, dieses arme kümmerliehe Preußen ... zu einer europäischen Großmacht ... emporzuheben.

Hegemann (94) ... die Unterbringung der ... starken Garnison ... lenkte die Aufmerksamkeit des Kurfürsten geradenwegs auf die städtische Wohnungsfrage und Baupolitik. Außer den militärischen Rücksichten machte auch die Erkenntnis, daß eine kraftvolle äußere Politik nur auf der Basis einer umsichtigen Wirtschafts- und Sozialpolitik im Inneren möglich ist, und daß eine blühende Hauptstadt eines der wirksamsten Instrumente der inneren und äußeren Politik darstellt, den Großen Kurfürsten zu dem großen Initiator des Berliner Städtebaues,

Aus Voigts preußenzentriertem Fazit, das nicht ohne Spitze gegen die Politik seiner Zeit ist, zieht sein Leser Hegemann eine Umdeutung in eine gezielte frühe, ruhmreiche politische Strategie preußischer Fürsten. 63

S 74 mit einer Würdigung des Autors. Vgl. aber dazu unten 5.5.1 Wandel. Vgl. die Bewertung der Akzise bei Voigt als sinnvolle, bei Hegemann verhängnisvolle Maßnahme; zum zweiten Voigts Sicht einer das Königshaus festigenden Sozialpolitik, Nachhall Schmollers, für die es bei Hegemann kein Pendant gibt; Voigt, Grundrente ..., S. 35 und S. 41 zu S 93. 65 Die Seitenzahl zu Voigt, Grundrente und Wohnungsfrage ..., im Original gesperrte Passagen sind in Versalien gesetzt. Auf Kennzeichnungen der Schreibweise wurde verzichtet, um den Text lesbar zu halten. 64

197

5.2.1.4 Optische

Reproduktion

Voigt (92) Fassen wir das Ergebnis der bisherigen Untersuchung zusammen: Vom Mittelalter bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts hat DIE ANLAGE UND ERWEITERUNG EINER STADT, die Schaffung der Existenzgrundlage für die städtische Bevölkerung, als eine im eminentesten Sinne öffentlichrechtliche Angelegenheit und deshalb auch stets

Hegemann (91 f.) Die geschilderten schweren Mißstände ... sind durchaus nichts Notwendiges ... Erst dem 19. Jahrhundert blieb es vorbehalten, die städtebauliehen Machtvollkommenheiten ... zu zersplittern zwischen ... und manch anderer Instanz, die sich alle wechselseitig vorwurfsvolle Blicke zuwerfen, deren berechtigter Vorwurf aber nichts

als A U F G A B E D E R STÄDTISCHEN O D E R STAAT-

daran

LICHEN

Stenzgrundlage

GEWALT

GEGOLTEN;

E R S T DEM

19.

JAHRHUNDERT BLIEB ES VORBEHALTEN, DIE SCHAFFUNG DER EXISTENZGRUNDLAGE DER GANZEN BEVÖLKERUNG DER PRIVATEN SPEKULATION zu ÜBERANTWORTEN.

ändern

kann,

daß

der ganzen

die Schaffung Bevölkerung

der der

Exipri-

vaten, durch die Gemeindeverfassung gestärkten Spekulation überanwortet ist, über die in letzter Linie keine Instanz mit wirklicher städtebaulieher Verantwortung und Pflichtgefühl wacht.

Die These vom Niedergang im 19. Jahrhundert durch Gegenüberstellung einer früheren und erstrebenswerten benevolenten Zentralgewalt zu bekräftigen, hat Hegemann von Voigt übernommen. Die Art der Textüberschneidung legt eine bestimmte Entstehung nahe. Die typische Struktur von Hegemanns Reproduktion betrifft nicht nur der Aussage, sondern die spezifische Wortwahl, verknüpft mit Ausschmückungen. Statt Produkte einfacher Abschrift waren sie offenbar Resultate seiner Art des Sehens und Erinnerns. Sehen und Anschauung waren für Hegemann besonders einprägsame Erfahrungen. Auf die optische Erfahrung der Parkszenen als Grund des Entzückens und die Wiedergabe der optischen Eindrücke der Stadt per Emotionen wurde bereits hingewiesen. Anschauung wird eine wichtige Voraussetzung für Hegemanns praktische Arbeit werden und die Ausstattung seiner Kunstfigur Manfred Maria Ellis66 mit einem absurden optischen Gedächtnis verweist darauf, daß auch Hegemann über ein optisches Gedächtnis verfügte 67 . War das Auge sein dominantes sensorisches Organ, speicherten sich bei Lektüre Aussagen, Formulierungen und Bruchstücke in seinem Gedächtnis und erschienen nun bei erneuter Beanspruchung des Kontexts in eigener Wiedergabe. Dieser Vorgang erfolgte womöglich unwillentlich, wurde aber mindestens unrestringiert und bedenkenlos genutzt, weil bei der Neuformulierung durch eigene Zugaben die Fähigkeit zum Wiedererkennen ausgeschaltet wurde. Einige symptomatische Beispiele zeigen das Verfahren und seine Intentionen. Voigt (37 f.) Praktisch bedeutsamer als dieses Heimfallsrecht unbenutzter vorhandener Baustellen war das unbedingte

ENTEIGNUNGSRECHT

ZU

BAU-

ZWECKEN, das die landesherrliche Regierung aus Gründen des öffentlichen Wohles in analo-

66

Hegemann (94) Uber das Gelände, das dem Landesherrn nicht gehörte, übte er UNBEDINGTES ENTEIGNUNGSR E C H T ZU B A U Z W E C K E N aus.

Die

Enteignung

fand in einem sehr formlosen und abgekürzten Verfahren auf der Basis obrigkeitlich fest-

Daß Ellis dadurch charakterisiert wird, daß er in den Diskussionen nach Gehörtem stets zu seinem Bücherschrank läuft und das Gehörte als Zitat zu finden weiß, muß als ironischer Kommentar dieser Konstellation angesehen werden. 67 Diese These wurde durch das optische Gedächtnis der Verfasserin begünstigt. Andernfalls h ä t t e die Identifikation der sprachlichen Parallelen kaum erfolgen können.

198

5.2.1.4 Verstärkung

ger Weise auch den Besitzern der zur baulichen Erweiterung einer Stadt erforderlichen ... Grundstücke gegenüber in Anspruch nahm. Das Enteignungsrecht galt der damaligen Theorie und Praxis als Ausfluß des staatlichen dominium eminens ... Die Enteignung fand in einem sehr formlosen und abgekürzten Verfahren auf der Basis des obrigkeitlich festgestellten Ackerwertes statt. Es ist wohl am richtigsten, sie einfach als staatlichen Zwangskauf zu bezeichnen. Nicht nur die Aufstellung eines Bebauungsplanes und die Anlage der Straßen, auch die Bereitstellung des ganzen erforderlichen Baulandes, die Ausmessung und Zuteilung der einzelnen Baustellen, die entweder sehr billig oder völlig unentgeltlich abgegeben wurden, galt als Aufgabe der städtischen Baupolizei, über deren Erfüllung der Commissarius loci unermüdlich wachte.

gestellten Ackerwertes statt. Es ist wohl am richtigsten, sie einfach als staatlichen Zwangskauf zu bezeichnen. Nicht nur die Aufstellung eines Bebauungsplanes und die Anlage der Straßen, auch die Bereitstellung des ganzen erforderlichen Baulandes, die Ausmessung und Zuteilung der einzelnen Baustellen, die entweder sehr billig oder vollständig unentgeltlich abgegeben wurden, galt als Aufgabe der städtischen Baupolizei, über deren Erfüllung ein kurfürstlicher Kommissarius unermüdlich wachte.

Hegemann verstärkt den Grundtenor, kür zt seine Vorlage und nimmt dafür didaktische und plakative Vereinfachungen vor. Doch dabei beläßt er es nicht. Voigt (43-46) Der Kurfürst hatte 1670 seiner zweiten Gemahlin Dorothea die Meierei im Tiergarten samt dem zugehörigen ... vorderen Tiergarten ... geschenkt. ... Schon 1673 ließ sie einen Bebauungsplan aufstellen, die Grundstücke abmessen und an Baulustige gegen einen Grundzins von nur 1 J/2 Silbergroschen für die Quadratrute, also um die Hälfte billiger als auf dem Friedrichswerder, austeilen. ... Der neuen Ansiedlung wurde schon 1674 durch besonderes Edikt des Kurfürsten über die übliche 10-jährige Baufreiheit hinaus dauernde Befreiung von Einquartierung, Servis, Wachtdienst etc. zugesichert; außerdem erhielten die Neuanbauenden auch hier Bauholz „an einem bequemen Orte" unentgeltlich angewiesen. ... Die Dorotheenstadt lag außerhalb der eigentlichen Festungswerke, erhielt aber ... Wall und Graben, der sich etwa im Zuge der heutigen Behren- und Schadowstraße erstreckte, während sie im Norden von der Spree begrenzt wurde. ... Das rasche Außlühen der Dorotheenstadt fällt in die 80er Jahre und wurde hauptsächlich durch die französische Einwanderung veranlaßt. Namentlich die vornehmeren Franzosen wandten sich mit besonderer Vorliebe dem Lindenviertel zu, das schon damals seinen vornehmen Charakter und den bezeichnenden Na-

Hegemann (95) Für die Dorotheenstadt ließ die Kurfürstin Dorothea, der der Grund und Boden vom Kurfürsten geschenkt war, einen Bebauungsplan aufstellen, die Grundstücke abmessen und an Baulustige gegen einen Grundzins von 1 1 fa Silbergroschen für die Quadratrute, also um die Hälfte billiger als auf dem Friedrichswerder, austeilen. Dazu gab es eine besondere, über die übliche zehnjährige Baufreiheit hinaus dauernde Befreiung von Einquartierung, Service, Wachdienst usw. und unentgeltliche Überweisung von Bauholz. Die neue Vorstadt wurde mit einem neuen Walle und Graben im Zuge der Behren- und Schadowstraße umgeben; im Norden war sie durch die Spree geschützt. Die Einwanderer strömten herbei. Zuerst waren es hauptsächlich Holländer; 1671 fand eine Reihe österreichischer Judenfamilien Aufnahme. In demselben Jahre beginnt die französische Einwanderung. 1677 hatte die französische Gemeinde schon fast 600, zwanzig Jahre später 4292 Angehörige. Dazu kamen die zahlreichen Franzosen in der Armee, so daß fast ein Sechstel der Gesamtbevölkerung Berlins damals Franzosen waren. Die vornehmeren Franzosen wandten sich mit Vorliebe der neuen Dorotheenstadt zu, die schon damals anfing den vornehmen Charakter zu erhalten, den

199

5.2.1.4

Reduktion

men „le quartier des nobles" erhielt. ... Der die Linden noch heute bewahrt haben, und die neue Stadtteil war also bereits zum größten Teil mit dem Namen „le quartier des nobles" bebebaut; trotzdem muß es damals noch ziemlich zeichnet wurde. Der Kurfürst drang darauf, daß wüst im „Quartier des nobles" ausgesehen hadie Misthaufen vor den Häusern auf beiden Seiben, da der Kurfürst sich zu einer Verordnung ten der Linden fortgeschafft und die Schweine gezwungen sah, man solle doch endlich die Mistnicht länger geduldet wurden, die den Mittelhaufen vor den Häusern auf beiden Seiten der gang der Allee aufwühlten. Linden fortschaffen und nicht mehr dulden, daß die Schweine den Mittelgang der Allee aufwühlten. Mit der Reduktion bringt Hegemann auch neue, von Voigt nicht gegebene Daten ein. E r setzt neue Akzente, die hier bezüglich des Stadtteilcharakters Ursache und Wirkung verschieben oder bei der Tierhaltung aus Vermutung Gewißheit machen. Diese Textparallelen ließen sich für mehrere Seiten Hegemanns nachweisen 68 . Stattdessen soll gezeigt werden, wie Hegemann, durch weitere Lektüre beeinflußt, eine andere Beurteilung beginnt, während er noch Voigt zuzustimmen meint. Voigt (75-77) Erst nach dem siebenjährigen Kriege reckt zum ersten Mal das Spekulantentum in Berlin sein Haupt empor, eifrig bemüht, die Mietpreise in die Höhe zu treiben: sofort aber schreitet der König dagegen ein, und die Baupolitik der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit läßt sich mit Pag

und

Recht

als BEWUSSTEN KAMPF GEGEN

DAS SPEKULANTENTUM charakterisiren. ... Der König war nicht gesonnen, vor den Spekulanten, die durch ihre Mietsteigerungen die üble wirtschaftliche Lage der Berliner Bevölkerung noch verschlechterten, die Waffen zu strecken. erging unter dem 15. April 1765 eine Verordnung an das Kammergericht, die gleichzeitig in allen Berliner Kirchen von den Kanzeln proklamirt wurde ... „... Da Wir nun eine längere, den sich von ihren Häusern einen übertriebenen Werth einbildenden Eigenthümern am Ende selbst nachtheilige Nachsicht zu gestatten nicht gemeinet sind, so haben Wir nöthig gefunden,

bis W I R ALLENFALS NOCH WÜRKSAMERE

MASSREGELN ERGREIFEN, indessen in Unserer Residenz Berlin, die bis hero beobachtete GEMEINE R E C H T S - R E G U L : K A U F BRICHT M I E T E ,

Hegemann (102) Während des Siebenjährigen Krieges war dann die Bautätigkeit begreiflicherweise erst recht erlahmt, was namentlich gegen Ende des siegreichen Krieges eine weitere Steigerung der Mieten ermöglichte und den Boden für die damals einsetzende wilde Spekulation schuf. fanden die Spekulanten nach dem Siebenjährigen Kriege in FHedrich dem Großen ihren Meister. Der König hatte sich damals der wohnungspolitischen Machtbefugnisse seiner Vorgänger noch keineswegs begeben; im Gegenteil, er nahm den Kampf „für gute Polizei" und gegen lokale „Lotter- und Gevatterwirtschaft" mit der Vehemenz auf, die ihm eigen war, und die seine kriegerischen Erfolge gesichert hatte. Wie ein Edikt von 1765 proklamierte, das von allen Kanzeln verlesen wurde - ein für das damalige Berlin ganz ungewöhnlicher Vorgang a - war der König „nicht gemeinet eine längere, den sich von ihren Häusern einen übertriebenen Wert einbildenden Eigentümern am Ende selbst nachteilige Nachsicht zu gestatten". Durch eine Verordnung an das Kammergericht schützte er die rechtliche Stellung der Mieter gegen die Vermieter.

AUFZUHEBEN."

" Die Verlesung in Kirchen hatte bei Voigt im damaligen Berlin sicherlich noch eine ziemlich große Bedeutung (78) - Hegemanns Gewißheit. 6 8 Vgl. jeweils S zu Voigt, Grundrente ..., S.: 96/48 ff.,55; 97/56 f., 262-270; 98/65; 99/66, 67(nahezu vollständig); 100/68,69,70; 101/70,71; 102/75,77,78,79; 103/79,80,81,82; 104/83,85,89; aber auch Abschnitte über Vororte, Gründerjahre und Terraingesellschaften. Der Widerschein ist weniger deutlich; vgl. 27 ff./113ff., 219 ff.

200

5.2.1.4

Verschiebung

Die Bewunderung für die Reaktion Friedrichs II. teilen beide Autoren. Während Hegemann aber im Sinne der Genie-Deutung ganz auf eine individuelle Eigenschaft des Königs abhebt, stellt Voigt die Innovation der Rechtsprioritäten voran. Hegemann zielt auf die für seine Renovatio unabdingbare psychologische Begründung einer Warenknappheit und Preissteigerung. Voigt (78 f.) ... vor allem aber begann Friedrich nunmehr, einen großen Teil der Militärbevölkerung in Kasernen unterzubringen, um für die Civilbevölkerung Raum zu schaffen; 1763 und 1765 wurden 2 Artilleriekasernen und 1767 auf einmal 6 Infanteriekasernen errichtet ... die Spekulationskrisis ... bildete aber trotzdem für Friedrich den Großen den Ausgangspunkt zu einer umfassenden eigenartigen Baupolitik, zu deren Verständnis ein Blick auf den Plan des damaligen Berlin notwendig ist. Die Stadt nahm ... schon einen recht erheblichen Raum ein die Anlage neuer Vorstädte hätte beim Fehlen aller öffentlichen Verkehrsmittel eine Abhilfe gegen die in der Innenstadt drohende Wohnungsnot und Mietpreissteigerung nur in geringem Umfang gebracht, der König ... begann ... die Wohnungen in der Innenstadt direkt zu vermehren, in dem

er DIE HIER NOCH ZAHLREICH V O R H A N -

DENEN KLEINEN 1 - 2 - S T Ö C K I G E N H Ä U S E R AUF STAATSKOSTEN DURCH GROSSE 3 - 4 - S T Ö C K I G E G E B Ä U D E ERSETZEN LIESS. Neben

der

Absicht,

die Zahl der Wohnungen zu vermehren, leitete ihn dabei auch der Wunsch, den Hauptstraßen der Residenz ein stattlichen Aussehen zu geben, weshalb auch die Baupläne meistens von ihm persönlich gebilligt werden mußten; in vielen Fällen hat der König die Entwürfe sogar selbst angefertigt, da er überhaupt mit besonderer Vorliebe Häuserfassaden zeichnete.

Hegemann (Fortsetzung 102) Er bekämpfte ferner die Steigerung der Mieten durch eine ganz neue Maßregel, er baute nämlich Kasernen (von 1763-67 allein 8 Kasernen), wodurch ein großer Teil der Garnison aus den Privathäusern zurückgezogen werden konnte, wo er bisher eingemietet war, sodaß plötzlich viele Wohnungen frei wurden. Von dieser Abhilfe der Wohnungsnot durch Kasernierung machte der König dann in gewissem Sinne auch für die Unterbringung der Zivilbevölkerung Gebrauch; statt nämlich, wie seine Vorgänger, für eine Stadterweiterung Sorge zu tragen, baute er auf eigene Kosten in den alten Stadtteilen ungefähr 300 drei- bis vierstöckige Häuser, die sog. „Immediatbauten ". Diese Erweiterung der Stadt nach oben, in die Luft, statt in die Ebene, durch Massenquartiere statt durch Erschließung neuen Baulandes, war wohl nicht nur durch die Analogie mit den gleichzeitigen militärischen Kasernenbauten, sondern melleicht auch durch den regen Pariser Einfluß am Hofe des Königs und wohl nicht zum wenigsten durch gefährliche Steigerung der Bodenpreise über den landwirtschaftlichen Wert angeregt, die die lange Verzögerung der Stadterweiterung erzeugt hatte.

Nicht nur in der Zusammenziehung von Details macht Hegemann sich zum Propagandisten. Wo Voigt in der Wohnverdichtung eine angemessene Reaktion auf lokale Bedingungen sieht und ein abwägendes Urteil fällt, findet Hegemann eine monokausale Gesamterklärung. Der Kasernenbau als Reaktion auf Mietsteigerungen im Interesse der eigenen Ausgaben gibt für ihn die Übertragung der Verdichtung auf den Wohnungsbau vor. Wiederum auf Psychologie und Gewohnheit als Marktfaktoren abhebend - Patten verpflichtet - , gebärdet Hegemann sich als Anhänger der Flächenstadt, der den Punkt des Unumkehrbaren gefunden zu haben glaubt. Voigt (79-81) Mit diesem eigenartigen Vorgehen begann der König, sobald ihm die Steigerung

Hegemann (Fortsetzung 102 f.) Bei derartig gestiegenen Bodenpreisen der obrigkeitliche Zwangskauf zu

mußte Stadt-

201

5.2.1.4

Akzentuierung

der Staatseinnahmen infolge Finanzreformen von 1765 ... die erforderlichen Mittel für außerordentliche Aufwendungen gegeben hatte. ... schon von 1769-77 in der Innenstadt 149 Bürgerhäuser aus Staatskosten neu errichtet und sämtlich an die bisherigen Besitzer der Grundstücke BEDINGUNGSLOS verschenkt. ... Im Ganzen sind von 1769-1786 nachweislich 249 große Wohnhäuser auf Staatskosten erbaut worden, deren Zahl sich aber wahrscheinlich in Wahrheit auf rund 300 erhöhen dürfte. Die Bauten entfallen ganz überwiegend auf die Innenstadt; in den letzten Jahren ging der König jedoch auch bereits zum Ausbau anderer Gegenden über: am Hacke'sehen Markt, in der Rosenthaler Straße, am Alexanderplatz und in der Münzstraße wurden gegen 30 Häuser errichtet. Unter den beschenkten Hausbesitzern finden sich alle möglichen Berufe, meistens aber waren es Handwerker; Beamte und Militärpersonen machten nur etwa den zehnten Teil aus. ... Obwohl die Häuser einfach verschenkt und keinerlei Bedingungen hinsichtlich der Höhe der Mietpreise an die Schenkung geknüpft wurden, so übten sie doch einen starken Druck auf die Preisgestaltung aus; BÜSCHING berichtet ausdrücklich, daß die Mieten und Häuserpreise mit dem Beginn der königlichen Bauten zu fallen begannen. Später scheinen sie sich nach NLCOLAL'S Angaben allerdings wieder aufwärts bewegt zu haben, ...

erweiterungszwecken ... schwieriger sein wie früher, und der König unternahm es, diese Schwierigkeit auf eine ganz eigene, recht kaustische Art zu umgehen. Er verschaffte sich nämlich den für seine drei- und vierstöckigen Miethäuser erforderlichen Grund und Boden zwangsweise und kostenlos, indem er vorhandene ein- und zweistöckige Privathäuser, mit oder ohne Einstimmung der Besitzer, niederreißen und umbauen ließ; der Widerspruch der Besitzer besänftigte sich dann meist durch das Geschenk des neuen Hauses. Je mehr Geschosse der König auf derartig kostenlosem Boden errichtete, um so billiger mußten die Wohungen werden, da von einem Ausgleich der Ersparnis an Grundfläche durch gesteigerten Bodenpreis eben wegen der Kostenlosigkeit des Bodens nicht die Rede sein konnte. Da der König obendrein die auf seine Kosten erbauten Häuser bedingungslos verschenkte, und somit Wohnungen plötzlich massenhaft und gratis auf den Wohnungsmarkt warf, bedeutete sein Vorgehen in der Tat eine momentan wirksame Bekämpfung der Wohnungsnot. Diese Übertragung des Kasernierungsgedankens von der Garnison auf die Zivilbevölkerung konnte erst dann anfangen ungünstig auf die Wohnungsverhältnisse einzuwirken, wenn nach Aufhören der obrigkeitlich forcierten Bautätigkeit das plötzliche Wohnungsangebot absorbiert war, ohne daß gleichzeitig der anwachsenden Bevölkerung durch eine neue Stadterweiterung neuer, billiger Boden erschlossen wurde.

Diese Propaganda setzt Hegemann hier fort. Er vermeidet genaue Angaben, dichtet plakative Ergänzungen und bestärkt seine neue Akzentuierung, daß Wohnungen nur kurzzeitig und nur aufgrund kostenlosen Grundes billiger wurden. Während Voigt von den Mißstimmungen der Bürger und der Einstellung des Verfahrens berichtet 69 , malt Hegemann im folgenden den unumkehrbaren Zwang zum Hochbau aus. Hegemanns Nacherzählung zwängt wissenschaftliche Ergebnisse und historische Begebenheiten in das Korsett eines populären Deutungsmusters. Durch plakative Zugaben, pathetische Ausmalung und propagandistische Akzentverschiebung erzielt Hegemann eine eingängige Geschichtsstiftung. Für eine wissenschaftliche Arbeit, als die Hegemann sein Werk verwenden zu können glaubte, sind dies schwerwiegende Mängel. Der Text ist dem einleitenden Bekenntnis, 69 Die Friedrich-Interpretation spielt dabei nur am Rande eine Rolle; vgl. Voigt, Grundrente ..., S. 93 zur „eudämonistischen Wohlfahrtspolitik". Hegemann muß um seines propagandistischen Arguments willen einem gerechten und wohltätigen König eine Versagensdiagnose stellen. Vgl. dann aber SB 159 f., 163 f., 166 f., 177.

202

5.2.1.5

Ahnenreihe

das eigentlich eine Untertreibung sein sollte, nur zu adäquat: Die Geschichte dieses tragischen Kampfes ... kann hier nicht aus dem Stegreif geschrieben werden. Das Werk ist aus dem Stegreif geschrieben und will keine wissenschaftliche Systematik oder Geschichte des Städtebaus sein, sondern eine populäre Anstiftung. Das publizistische Echo aber zeigte Anerkennung gerade für die Charakteristiken von Pathos, Popularisierung und Parteilichkeit. 5.2.1.5 Stiftung Hegemann gibt sich Ahnen und Geschichte. Sein Kunstgriff ist die Traditionsstiftung. Er historisiert das Anliegen der Städtebauausstellung. Geradezu abschnittsweise vermittelt er den beteiligten Gruppen von Wohnungsreformern, Verkehrstechnikern, Planern und Künstlern eine Tradition der Reformarbeit. Damit ist sein Buch eine groß angelegte Popularisierung des Städtebaus, die eben nicht über einen Fachtext zu Ausstellungsobjekten erfolgen kann, sondern den Begleittext in einer historischen Erzählung bietet. Die Wohnungsreformer erhalten eine Ahnenreihe herausstehender Persönlichkeiten von Mahnern, die Verkehrstechniker die Legitimation lang begleitender Kritik, die Städtebauer die historische Autorität königlicher Abstammung und die Künstler die Aufgabe einer Weiterführung großer Vergangenheit. Uber diese Historisierung schafft Hegemann den Zusammenschluß zu einem einzigartigen Kulturauftrag. Das Buch gilt in der Stadtplanungsgeschichte als Gründungsmythos, vorzüglich für das Glaubensbekenntnis, mit dem der moderne Städtebau geboren wurde70, die Stadt bei Marktfreiheit und unangetasteten Eigentumsrechten durch ordnende Vermittlung in einer teleologischen Heilserwartung zur schönen und rationalen Ordnung führen zu können. Soweit die Grundzüge zutreffen, greift diese Sicht dennoch zu kurz, weil sie nicht nach der Herkunft jener Grundzüge fragt. Denn Hegemann legt dabei einen wichtigen, wenn nicht gar den wichtigsten Grundstein für den eigenartigen Motivationskomplex des neuen Fachs und das eigentümliche Selbstbild der Planer. So ist jener Vorwurf der Kurzsichtigkeit ob der Wandlungspotentiale ohne materielle Interventionen ebenfalls kurzsichtig, beruht er doch gerade auf dem Ideal allgemeiner Wohltätigkeit durch Vermittlung und dem Bild des Glücksbringers, beschuldigt dabei Frühere in Fortsetzung eben solcher Heilserwartung, durch ungenügende Kenntnis von Voraussetzungen diese Wohltaten verhindert zu haben. Hegemann aber übt, worin er firm ist. Zunächst folgt er soziologischen Bedingungen. Er hat keine Fachausbildung, ist materiell und mit einem Auftragswerk auch ideell von seinen peers abhängig. Deshalb zieht er sich auf seine Eigenschaft als Akademiker zurück. Er bearbeitet die Fragestellung nach dem ihm zugänglichsten und vertrautesten Bereich und liefert eine historisierende Ausarbeitung. Damit meldet er den Deutungsanspruch des Bildungsbürgers an. Die Historisierung der Stadtreformation macht sie zu einem immanenten Teil jenes Kulturguts, wie sie die Bildungsidee für das Individuum darstellt. Der Bildungsbürger 70

Hier zum Beispiel Rodriguez-Lores, Straßen ..., S. 130; vgl. auch Gerhard Fehl/Juan RodriguezLores, Einleitung der Herausgeber. In: Fehl/Rodriguez-Lores (Hrsg.), Stadterweiterungen ..., S. 11-23.

203

5.2.1.5

Kulturkampf

verfügt daher über eine Legitimation zur Interpretation der Stadtreformation. Sie ist humanistisch fundiert und beansprucht eine politisch unanfechtbare Geltung. Diese Hebung stellt sie in eine gewisse Konkurrenz zu einer staats- oder verwaltungspolitischen Deutung der Stadt sowie zu einer ökonomisch-technischen Leistungsinterpretation. Uber diese kulturelle Besetzung der Stadtreformation kann Hegemann damit reüssieren, die Gruppen zusammenzuschließen. Denn die divergierenden Vertreter, die Sozialreformer und Nationalökonomen, die Techniker und Verkehrsplaner, die Architekten und Künstler entstammen als Akademiker und Bildungsbürger alle derselben Strata und haben Teil an dieser bildungsbürgerlichen Ideologie und Identität. Sie teilen den Anspruch auf eine universell gültige Weltdeutung. In der historisch legitimierten Erhebung der Stadtreformation zum Kulturgut werden sie für einen kurzen Moment zusammengefaßt, bevor Konkurrenzen und Divergenzen aufbrechen können 71 . Hegemann übt diese Deutung in einer vorkritischen Naivität aus. Seine ausgebreitete Geschichte dient einer spezifischen Aneignung. Er nivelliert nicht nur Unterschiede und Differenzen zwischen seinen planenden Zeitgenossen, sondern ebenso zwischen historischen Reformern, die er zu Modell(bildungs)bürgern vereinfacht. Er überschätzt individuelle Autorität und Verantwortung bei königlichen Vorbildern und überzeichnet eine effiziente Bauförderung gegen restriktive Bürokratie. Er überzeichnet die KünstlerGenies als Repräsentanten der Gesellschaft und mit ihren Werken als Träger nationaler Identität. Seine spezifische Auslegung macht Stadtreformation zum Kulturauftrag. Deshalb präsentiert Hegemann ihre Geschichte als eine Geschichte vorrangig der Mentalitäten. Vielfältig versucht er, komplexe Sachverhalte auf Entscheidungen, Gewohnheiten und Usus zurückzuführen und hält so seine Idee einer Renovatio durch kritisches Konsumentenverhalten hoch. Stadtreformation wird zu einem Kampf um Kultur 7 2 . Dieser Kulturkampf enthält eine spezifisch deutsche Note. Nicht nur ist er ein Kampf gegen die pure Zivilisation der Stadt mittels abschätzig bewerteter Technik. Es gilt vielmehr, die Ordnung gegen das Chaos, die Gestaltungskraft gegen formdurstige wirtschaftliche Neukraft, gegen die den Tag beherrschenden Gewalten der Interessenpolitik des Bureaukratismus und des wohlfeilen privaten Augenblicksgewinns durchzusetzen, mithin den Geist gegen Materie73. Es ist ein Kulturkampf gegen Utilitarismus, der die „großen Traditionen" wegzuwaschen droht. Die sich in folgenden Jahren verschärfende Frontstellung einer dualen Auffassung von Rationalität und Zivilisation gegen Geist und Kultur ist integraler Bestandteil dieses 71 Auch von daher scheint es verfehlt, wenn Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 117, Hegemann als Intention nicht die Hebung eines nationalen Kulturniveaus, sondern in monolithischer Sicht die Ausweitung bürgerlich-demokratischer Teilnahme zuschreiben möchte. 72 Beachte dabei das zahlreich erscheinende Epitheton in den Nachrufen auf Otto March; etwa in der Fassung Α. E. Brinckmanns als Widmung seiner „Deutsche Stadtbaukunst in der Vergangenheit": Otto March/ Herrnann Muthesius/Den Förderern unserer architektonischen Kultur. (Hegemann widmete den ersten Teil March aber als Dem Träger des Gedankens Groß-Berlin.) 73 S 8; Rodriguez-Lores bezieht sich auf eben diese Seite und Willenserklärung. - Hier ist erneut daraufhinzuweisen, daß die Verurteilung der Mietskasernenstadt, als die Bodenschatz Hegemann liest, nur noch einen sehr schwachen Aspekt in diesem Gefüge stellt.

204

5.2.1.5 Kampf als Kultur

Kulturkampfes. Auch mit dem Städtebau soll eine deutsche Identität bewahrt werden, was den stets so selbstverständlichen Anschluß an nationale Zwecke erlaubt. Die kulturelle Besetzung von Städtebau richtet sich gegen eine Marginalisierung durch Wachstumsquoten der Industriegesellschaft. Die Marginalisierung erstreckt sich in den Augen der Betrachter auf ihre ureigensten Werte von Schönheit, Bildung, Gestaltung, Geist und Ethik, aber auch auf die Masse der 'Schutzbefohlenen' und nicht zuletzt auf sie selbst. Die Aneignung der Stadtgestaltung schafft so zuerst einen Platz für ihr Wirken, für ihre Verteidigung gegen Bedeutungsverschiebungen der Moderne durch ihre Verteidigung der ihnen aufgetragenen Werte. Dabei ist nicht die Form, sondern der Akt der Formung das Ziel, nicht die Stadt der Hohenzollern ist die bewunderte, sondern der „gewaltige Willensakt" der Hohenzollern ist das Ideal. Der Kulturkampf ist selbst Kultur; Kultur nicht ein Ziel, sondern eine Tätigkeit. Die Feier der großen Männer, des „heiligen Gewissens", des „reinen Strebens" verweist dabei auf die schon vorher angetroffene Empfindsamkeit. Dieser Kultur haftet ein Zug des 1'art pour l'art an, die Selbstbetrachtung des Wohltäters und Glücksbringers, der ästhetische Genuß an der eigenen 'schönen' Haltung, eine Autoreferentialität, die auch die Gefahr des Quietismus birgt. Der paradoxe Effekt ist jedoch eine Prozessualisierung von Kultur, eine Prozessualisierung im Handeln und Verhandeln schließlich auch politischer Entscheidungen. Soweit dieses Konzept eines Kulturkampfes mit Absicht in einem vorpolitischen Raum verbleibt - weiteres Element des Dualismus von Geist und Rationalität - , haben seine Teilnehmer dennoch teil an der Prozessualisierung als Entwicklungsstrang der Bürgerlichen Gesellschaft. Damit wird kenntlich, daß sie deren Voraussetzungen von Verrechtlichung und Eigentum - nicht etwa aus Unkenntnis - nicht verlassen wollten. Im Gegenteil, wollten sie doch gerade über die Marginalisierungseffekte ihren Platz behaupten und die Bürgergesellschaft teilen und ihre Prozesse neu aufteilen. Hegemann hat dem Städtebau damit einen kaum zu erschöpfenden Fundus an Tradition und daraus resultierender Legitimität erschlossen, eine Momentaufnahme im Wechselspiel von Reaktion und Progressivität. 5.2.1.6 Rezensionen Wie diese eigenwillige Auslegung zum einen des Buchauftrags, zum anderen des Faches selbst, von dessen Vertretern aufgenommen wurde, bildet die anschließende Frage. Infolge der Abschweifungen und moralischen Verhandlung wäre Skepsis oder Kritik zu erwarten gewesen - die überwiegend positiven Rezensionen lassen jedoch erkennen, daß die Programmatik des neuen Fachgebiets von größerer Offenheit war als angenommen. Von der Kritik wurde Hegemanns Buch aufmerksam und zahlreich angenommen, dabei bis zum Uberschwang gelobt. Auffallend ist, daß mit den Motiven der Sprache und der Beherrschung des Stoffes gerade sein Pathos und die Erzählung das größte Lob erhalten. Walter Lehweß spricht von „fesselnd geschriebener Darstellung" und „staunenswerter Beherrschung einer weit auseinandergehenden Materie" 74. Diesem Zweiklang folgen die 74

Er referiert statt zu rezensieren: Walter Lehweß, Die städtebaulichen Aufgaben des Zweckverban-

205

5.2.1.6 Lob

Rezensenten und überbieten sich geradezu. Der Bogen reicht vom „glänzend geschrieben" bei Goecke über die „gepflegte, dramatisch zugespitzte Form" bei Behrendt zu einem „mit Spannung lesbaren Werk" bei Langen, sogar „unausgesetzter Spannung" für Weisbach 75 . Das Lob wird von auffallender Würdigung der Person begleitet. Behrendt, für den der Schreiber seiner Aufgabe nicht nur wissenschaftlich, ... auch menschlich gewachsen war, war als Freund voreingenommen. Gustav Langen als ehemaliger Mitarbeiter beschreibt ... die Wärme einer ganz in den kulturellen und humanen Bestrebungen des Städtebaues lebenden Persönlichkeit, die ... eine verhaltene Leidenschaft und eine fast revolutionäre Sprache kaum zu dämpfen vermag.76. Bei Karl Seutemann heißt es sodann: Diesen „Erguß einer leidenschaftlichen Seele" (um mit A. Lichtwark zu reden) muß man selbst lesen.77 Damit ist der Stifter des Bildes 78 wie seine Ursache gefunden. Der Kontext von Beredsamkeit und Leidenschaft trat umso stärker hervor, je näher die Autoren mit Hegemann bekannt waren. Eine Begegnung mit ihm als Führer oder Leiter der Ausstellung kann für diese Autoren angenommen werden, so daß das Motiv persönliche Eindrücke fixiert. Daraus erklärt sich auch die Aufmerksamkeit für die Nachwuchskraft. Antrieb und Redegewandtheit des Groß-Berlin. In: NDBZ 8 (1912), S. 136-138. 75 Theodor Goecke in: Städtebau 11 (1914), S. 49 f., anläßlich des zweiten Teils: Ich muß es mir versagen, daraus einzelne Stellen anzuführen - man könnte sonst in Versuchung kommen, den ganzen Abschnitt abzuschreiben. Diese Ausführungen haben bleibenden Wert. ... bei voller Beherrschung des gewaltigen Stoffes ... Vorher skeptischer Theodor Goecke, Denkschrift über die Berliner StädtebauAusstellung von 1910. In: Städtebau 9 (1912), S. 69 f. M.H. in: Baumeister 12 (1914), S. Β 321-323: sehr gute sprachliche Form ... der riesige Stoff mit Gelehrtenfleiss zusammengetragen, mit Sachkunde gesichtet und mit derjenigen Eindringlichkeit verarbeitet worden, die der Sache würdig ist. Walter Curt Behrendt in: Kunst und Künstler 11 (1913), S. 484: in einer sehr gepflegten, dramatisch zugespitzten Form dargeboten, die die Lektüre ...zu einem literarischen Genuss macht. ...In jeder Zeile spürt man die Durchdringung und Beherrschung des umfangreichen Materials ... Gustav Langen, Die Ergebnisse der Städtebau-Ausstellung. In: Kunstwart 25 (1912), S. 246 f.: ... hat es verstanden, das spröde und sehr verschiedenartige Material zu einem Ganzen zusammenwachsen zu lassen ... macht das Buch, in welchem man einen ausführlichen trocknen Katalog erwarten könnte, zu einem gut, ja geradezu mit Spannung lesbaren Werk ... Werner Weißbach, Die Städtebau-Ausstellung und Groß-Berlin. In: Preußische Jahrbücher 148 (1912), S. 109-124: ... durch die literarischen Fähigkeiten ... in unausgesetzter Spannung gehalten... Nüchterner: Kommunales Jahrbuch 5 (1912), S. 306 f.: ... in beredten Worten geschildert. 76 Auch bei Weisbach aus eigener Kenntnis: ... eine Persönlichkeit von ethischem Schwung, die den Gang der Begebenheiten mit leidenschaftlichem Anteil begleitet. Ebenso M.H.: ... trat mit einer seltenen Uberzeugungsgabe und Ausdauer für diese Auffassung tapfer in die Schranken gegen veraltete, unhaltbare Anschauungen; schließlich Willy Hahn in: Baurundschau 4 (1913), S. 153-156 (17. April): ... das leidenschaftliche Wollen einer Persönlichkeit, der alle diese Vorgänge tiefgefühlte Erlebnisse sind 77 Karl Seutemann in: Schmollers Jahrbuch 36 (1912), S. 1973-1976: ... ein Werk ersten Ranges .., das durch den Reichtum des Tatsachenmaterials, durch die Klugheit des Urteils und durch die hinreißende Beredtsamkeit die tätige Teilnahme des Lesers gleichsam erzwingt... 78 Die Rezension Lichtwarks, die nach der Verlagsanzeige in AA 152 im „Hamburger Fremdenblatt" erschienen sein soll, konnte trotz vielfältiger Mithilfe nicht ermittelt werden. Sowohl den Bearbeitern der Personalbibliographie wie dem Kenner Lichtwarks, Herrn Dr. W. Kayser, ist sie unbekannt.

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5.2.1.6 Person

haben Hegemann eingeführt und sein erstes vorgelegtes Werk bestätigt ihn. Lob wird ihm für eine als redlich empfundene Parteilichkeit gezollt, über die sich seine Aufnahme in den Kreis vollzieht. Damit wird die persönliche und die schriftstellerische Leistung des Autors gewürdigt und nicht eine fachliche. So gab 1914 der „Baumeister" zu bedenken, daß Hegemann mehr wie einer das sozial-hygiene Moment betont habe und mit seiner Abreise in die USA auf seine Arbeit zu verzichten, bedeute nichts anderes, als eine bewusste Schädigung der Interessen der Allgemeinheit. Auch Viktor Noack nutzte in seinem kleinen Sozialrevolutionären Essay, in dem er Spekulation mit Goldgräberwahn verglich, die Person Hegemanns als Aufhänger: Kühnheit, Festigkeit und Zuverlässigkeit, gepaart mit der Bedachtsamkeit des Realpolitikers, der sich sein Ziel im Rahmen des Möglichen steckt79. Der Kontext von Leidenschaft und Persönlichkeit trat jedoch am stärksten hervor, wo der Autor ebenfalls einen Kulturkampf führte. Die pathetische Rede Lichtwarks als Kunstreformer hebt gerade auf die moralischen Anreize zu Reformen und Taten ab: Das Buch wird eine Umwälzung in den Gedanken und Empfindungen aller Deutschen bewirken, ... denn es ist mehr als das Erzeugnis einer erstaunlichen Gelehrsamkeit und Sachkenntnis, es ist der Erguß einer leidenschaftlichen Seele. ... Das Buch ist eine Tat und wird Taten entzünden. Ich möchte der nicht sein, der mit seinem Gewissen daran vorbeikommt.80 Lichtwark stützt die beiden tragenden Säulen, die Geschichtsstiftung und die schöne Haltung. Von dort wird auf ein Gelingen der Stofforganisation rückprojiziert. Das Motiv der Stoffbeherrschung zeigt, daß auch der Dreiklang von Wohnen, Kunst und Volkswirtschaft angenommen wird. Dafür bietet Lehweß das beste Beispiel, der Hegemann ausdrücklich politisch las, um die Aufgaben des Zweckverbands zu bestimmen. Er vermochte ihm unbedingt zu folgen, wenn er die Fürsorge für die Schaffung billiger und guter Kleinwohnungen und die Aufnahme der Tradition der Hohenzollernfürsten vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm II. hin in der Behandlung städtebaulicher Fragen gesperrt in den Mittelpunkt seiner Abhandlung setzte. (Die Widerlegung jener Tradition durch Preuß stand noch aus.) Ebenso behauptet der Rezensent Willy Hahn, daß die „Leitmotive" des neuen Städtebaus schon damals in den Grundzügen klar erkannt und ausgesprochen waren und Deutschland dem folgen müsse, wenn es durch seine Volkskraft unter den Nationen seinen Platz behaupten wolle. Auch Behrendt stimmt dem Interpretationsschema stetiger Niederlagen zu. Gustav Langen setzt die Geschichtsstiftung fort. Indem er glaubt, sobald die elementaren Gewalten unsrer übrigen technisch-politischen Entwicklung sich selbst überlassen bleiben, kommen die Störungen, setzt er die Wiederanknüpfung an eine zentrale Autorität als Ideal, für das dieser Abgrund stets wachsenden Wohnungselendes nationale 79

Victor Noack, Werner Hegemann. In: Die Aktion 4 (1914), Sp. 386-391, Sp. 386, 387. Zitiert nach AA 152. Wahrscheinlich erschien die Rezension in der Tageszeitung sehr früh, so daß Lichtwark den Ton vorgeben konnte: Und Hegemann spricht nicht allein, er führt den Chor aller getreuen Eckarde herauf, die seit Menschenaltern und bei allen Kulturvölkern zürnend und anklagend ihre Stimmen erhoben haben und vom Stumpfsinn nicht angehört oder nicht begriffen worden sind ... 80

207

5.2.1.6 Valenzen

Bedrohung bedeutet. Auch Weisbach begrüßt die Aufdeckung von Traditionslinien. Hegemanns Hauptverdienst sei die Entdeckung der Mahner, deren Auftrag er als politische Befriedung deutet: Wer auch nur auf einem kleinen Stück Boden im Eigenhause lebt, der wird aus einem radikalen Fahrwasser gedrängt und in ein anderes Verhältnis zu den konservierenden Staats dementen gebracht werden. Das „Kommunale Jahrbuch" registriert ebenfalls erfreut die Entdeckung der Vorkämpfer der Wohnungsreform. Es folgt jedoch nicht der Hohenzollernlegende, sondern ermittelt die Feinde in Trägheit der Bureaukratie und dem Einfluß der Bodenspekulation. Eben auch das findet sich bei Hegemann. Es bestätigte ihn mit der Forderung eines energischen Willens zu helfen und einer mit der nötigen Machtvollkommenheit ausgerüsteten Organisation. Hegemanns Erzählung entfaltet so ihre Valenzen. Carl J. Fuchs liest das Werk als Eberstadt folgende Bestätigung der These, daß Bauordnung Wohnungsnot verursache. Er sieht sie durch Hegemanns neue, sehr beachtenswerte Theorie über den Ursprung des berüchtigten Berliner Bebauungsplanes in einer fiskalischen Maßnahme weiter bestätigt, die er als „wichtigen historisch-induktiven Beitrag" würdigt 81 . Das Buch kann einerseits als volkswirtschaftlich wissenschaftlicher Beitrag gelesen werden, aber auch etwa von Karl Seutemann als kulturgeschichtliches Werk. Er nimmt die hohenzollersche Stadtbaupolitik differenzierter wahr und würdigt als Leistung Hegemanns die Verknüpfung wirtschaftlicher, historischer und verwaltungstechnischer mit ästhetischen und kulturellen Aspekten. Die Schwerpunkte der Wahrnehmung differieren gemäß der Bandbreite der Fachzeitschriften und der Arbeitsgebiete der Kritiker 82 . Erheblich ist, daß alle Rezensenten gemäß ihres Fachs sich in Erzählung und Stiftung aufgehoben sehen und ihre Themen an Hegemanns Multivalenzen anzuschließen vermögen. Nur ein Kritiker reagierte verschnupft. Obwohl Theodor Goecke zugeben mußte, daß es sich um eine selbständige Arbeit handle, machte er eine schwerwiegende Einschränkung. Hegemanns Begabung liege offenbar in der geschichtlichen Betrachtung, und zwar vorwiegend der sozial-wirtschaftlichen Fragen, und von diesen wieder mehr des Wohnungswesens als des eigentlichen Städtebaus. Er sah sich - auch als früher Förderer Hegemanns? - nicht genügend berücksichtigt, nämlich den Verdienst der Architekten um die moderne Städtebaubewegungs3. Deshalb Schloß er mit der vernichtenden Feststellung, das Beste und Wesentlichste böten die Abbildungen, zumal der Verlag (!) sie exzellent wiedergegeben habe. Als einziger Rezensent deutet er damit das Defizit systematischer Bearbeitung an. Doch 81 C.J. Fuchs, Zur Politik und Literatur der Wohnungsfrage. In: Annalen für Soziale Politik und Gesetzgebung 1 (1912), S. 724-736, S. 728 f. 82 Dem Publikationsort gemäß ist etwa Seutemanns Hinweis auf den in dem Buche mit besonderem Enthusiasmus gefeierten Gustav von Schmoller wie auch die Hervorhebung „konservierender Staatselemente" in den „Preußischen Jahrbüchern". 83 Darauf müßte sich dann die Beobachtung gründen, daß die Architekten sich von Hegemanns Geringachtung bedroht fühlten, wie Collins, German Critic ..., p. 4, meint, was dann wiederum Hegemann Sicht der Avantgarde nachteilig beeinflußt habe.

208

5.2.1.6

Klammer

schon 1914, nach Erscheinen des zweiten Teils zeigt er sich versöhnt, da die Stoffülle nicht immer wie in einem Lehrbuch methodisch geordnet sein könne, Hegemann sie aber stets zu fruchtbaren Vergleichen nutze 84 . Nach dieser Zustimmung zu schließen, ist dies ein Opus, das bisher fehlte. Vorhanden sind mit Reinhard Baumeisters Werk Regeln der Stadterweiterung für die privatwirtschaftliche organisierte Stadt; mit Joseph Stübbens Buch ein Korpus möglicher Formenelemente; mit Camillo Sittes Buch der Protest gegen damalige Praxis und Plädoyer für vermeintliche alte, gewachsene Regeln; mit Rudolf Eberstadts Werk ökonomische, theoretische und praktische Grundlagen des Wohnungswesens. Meyers Konversations-Lexikon, 1908 abgeschlossen, kennt noch keinen Städtebau. Erst im Nachtragsband erscheint 1910 eine pragmatische Abhandlung in der Tradition des Stübbenschen Handbuchs, ähnlich der Abhandlung von Joseph Brix für das spätere „Handbuch der Kommunalwissenschaften". Zwischen den differierenden Ansätzen und dem Eingang in das Allgemeinwissen gleichermaßen bildet Hegemann die Klammer. Es fehlte die Legitimation durch Sinnstiftung und Tradition, um diese Elemente zu einem Kanon zusammenzuschließen. Diese liefert Hegemann. Seine Sozialbindung wird ohne Proteste gelobt, seine Geschichtsstiftung bewundert. Sie ersetzen die Anforderung einer systematischen Lösung der Aufgabe, in der die Ergebnisse der Städtebauausstellung nicht besprochen werden und dies nicht beanstandet wird. Die systematische Darstellung aber fehlt den Rezipienten nicht. Lediglich einer, und nur vorübergehend, bemängelt die fehlende Auslegung der architektonisch-künstlerischen Aspekte des Städtebaus. Gerade auch die Architekten unter den Kritikern nehmen die sozialpolitische Auslegung an. Übereinstimmung entsteht in der Auffassung von Städtebau als national-, kommunal- und sozialpolitischem Auftrag an die Profession. Die Akzeptanz dieser Lesart basiert auf Hegemanns Ausformung und spezifischer Leistung. Sie stellt eine Versöhnung zwischen monarchisch-hierarchischem Prinzip mit demokratischen, sozialen Ansätzen in Aussicht. Indem königliche Stadtentwicklungspolitik als ein in einer modernen Zentralbehörde wiederaufzunehmendes politisches Instrument herhalten muß, wird der Vorwurf vom „Eingriff in Herrenrechte" und der daxwinistische von 'Verhätschelung' der Schwachen umgangen. In der Ausweisung jener klugen und erfolglosen „Vorkämpfer" erhalten die jetzigen Streiter Ahnen in einem Kulturkampf, in dem sie durch professionspolitisch zu schaffende Strukturen am Planungsprozeß beteiligt werden sollen. Dieser Kontext ist einer politischen Diffamierung kaum zugänglich, aber die Fachleute verschiedener Bereiche können, wie die Rezensionen belegen, ihre Ziele darin aufgehoben sehen. Das macht den Erfolg des Buches aus. Mit der angestrebten Expansion des Aufgabengebiets für Privatarchitekten sollte Planung nicht allein den Beamten der Baubehörden überlassen werden. Die Aufgabenbeschreibung mußte das Expertentum hervorheben, um erfolgreich zu sein, und durf84 Auch 1914 nicht ohne Seitenhieb zu später Veröffentlichung und überflüssiger Aufnahme der Düsseldorfer Ausstellung, aber nun gleiche Motive des Lobes. Dieser Arbeit prophezeite Goecke, auf lange Zeit hinaus ein Born der Belehrung und Anregung zu sein.

209

5.2.1.6 Nachwirkung

te politisch nicht anecken. Die dazu unabdingbare Vereinbarkeit der Arbeitskonzepte von Privatarchitekten und Kommunalbürokratie erwuchs aus der Aufgabenerweiterung von Planung. Hier setzt Hegemanns besondere Leistung an: zur Versöhnung der Gruppen rekurriert er auf ihre gemeinsame Herkunft aus dem Bildungsbürgertum, dessen Geschichtsbewußtsein, staatstragende Funktionen und Expertenwissen, vor allem ihr Selbstbild als Kulturträger. Die bedingungslose Annahme von Sozialverpflichtung und Kulturkampf, wie sie die Rezensenten zeigen, hätte eine systematische Arbeit nicht leisten können. Ein zutreffendes Urteil über das Buch kam erst 1915/16 aus der Ferne. Patrick Abercrombie bemerkte im „Town Planning Review": It appears as though the author had been unable to make up his mind whether to write a memoir of two exhibitions, a general treatise, or a propagandist manifesto.85 Die zu Recht beanstandete Gemengelage aber ist Voraussetzung des Erfolgs. Zu ihr gehört ein weiteres Motiv. Nach den Verlagsanzeigen unbestätigter Rezensionen beeindruckte es Alfred Kerr oder die Wiener „Ostdeutsche Rundschau" nachhaltig: Der aus den Vereinigten Staaten importierte Optimismus, mit dem allein der Aufriß ungeahnter Möglichkeiten fasziniert und inspiriert. So steht auch noch 1926 etwa Heinrich Bechtel in seinem Abriß für das „Handwörterbuch der Staatswissenschaften" so sehr im Banne Hegemanns, daß er sogar das von diesem erfundene Wort der „Verschlammung" der Stadt übernimmt 86 . Für Rudolf Eberstadt gehörte schon 1911 die Apotheose imperialer Planung, Hegemanns „Chicago-Plan" zur grundlegenden Literatur über „Wohnungsfrage und Wohnungswesen" 87 und für Martin Mächler noch 1930 der „Städtebau" zu den Grundlagen der Konzepte zur „Citybildung" 88. In diesem Sinne zählt Hegemanns Werk zu den Gründungsdokumenten des Fachs. Sie zeigen die Versuche, als Interpreten der Industriegesellschaft zu arbeiten 89 , denen die spätere fachhistorische Reduktion auf Vollstrecker der kapitalistischen Stadtproduktion nicht angemessen ist. 85 Patrick Abercrombie, Town Planning Literature. A Brief Summary of its Present Extent, in: Town Planning Review [TPR] 6 (1915/16), p. 77-100, p. 88. 86 Heinrich Bechtel, Städtebau. In: Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Hrsg. von Ludwig Elster, 4., gänzlich umgearb. Aufl., Bd. 1-8, Erg.-Bd., Jena 1923-1929, Bd. 7 (1926), S. 830-846. Da Bechtel inzwischen Extraordinarius mit Schwerpunkt Wohnungswesen in Breslau war, kann man annehmen, daß hier Hegemanns Verve auch in die akademische Bildung einging. 87 Rudolf Eberstadt, Neuere Literatur über Städtebau und Wohnungswesen. Literaturbericht No. 2, Sonderbeilage des Städtebau 9 (1912), 5 f. nur zwei referierende Sätze; aber vgl. Rudolf Eberstadt, Wohnungsfrage und Wohnungswesen. In: Wörterbuch der Volkswirtschaft. Hrsg. von Ludwig Elster, Bd. 1.2., 3. Aufl., Jena 1911, S. 1392-1414. 88 Martin Mächler, Citybildung. In: Handwörterbuch des Wohnungswesens. Im Auftrag des Deutschen Vereins für Wohnungsreform hrsg. von Gerhard Albrecht, Albert Gut u.a., Jena 1930, S. 179 f. Sein Exemplar des „Chicago-Plans" befindet sich heute in der Bibliothek der TU Berlin. 89 Sicherlich nicht ist Hegemanns Buch ein virtuelles Museum, das Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 127 f., vom AV rückprojiziert - eine Qualität, die auch das lediglich durch die Abbildungen haben kann und a 'state of the art' survey of broad principles wird allenfalls der 1913 erscheinende zweite Teil. Die spätere Bewertung, two innovative disciplines - city planning and urban history angewandt zu haben, sehr viel treffender; Collins, German Critic ..., p. 3.

210

5.2.2 Gruppen

5.2.2 Offenheit des Fachs Die Beteiligung von Rezensenten verschiedenster Herkunft zeigt, wie auch schon die Städtebauausstellung selbst, die Offenheit ihres Themas. Eine Einheit der Periode bis 1914 läßt sich mit allgemeinen Grundsätzen beschreiben. Die Stadt gilt als alleiniger Anwendungsbereich für Städtebau. Sie wächst unendlich, dabei monozentrisch, gleichmäßig in alle Richtungen, wird von verschiedenen Gruppen unterschiedlich genutzt. Diese Nutzungen sollen erhalten und gesichert werden. Dabei bleibt die Baufreiheit wichtigstes Recht und Eingriffe dienen der Sicherung einer 'natürlichen' Entwicklung 90 . Diese Grundsätze teilen die Akteure, weil sie vor allem dem demographischen Wandel seit der Jahrhundertwende und damit greifbaren sozialen Veränderungen Rechnung tragen 91 . Uber Mittel und Wege anschließender Interventionen aber gibt die Gruppierung der Akteure Aufschluß. Es ließen sich „Techniker" unterscheiden, die mit Hilfe von Planung und freien Kräften Schwachstellen beheben und natürliche Entwicklung und Wachstum der Stadt mit weiträumiger Bebauung sichern wollten. Ihnen sollte ein Rahmenplan für Verkehr und Funktionstrennung genügen, der durch Zonenbauordnungen und kleinere Bebauungspläne ergänzt wurde. Dagegen sahen „Arbeiterfreunde" in der Wohnungsnot politische, ökonomische und psycho-soziale Gefährdungen. Ein Bebauungsplan sollte deshalb neben Verkehr und Funktionstrennung die Bauweise individualisieren, um eine ausreichende Wohnungsversorgung festzulegen. Zum dritten sahen „Künstler" Gefahr vor allem im Kulturverfall und beabsichtigten deshalb den öffentlichen Raum mittels großer Architektur ästhetisch-erzieherisch zu gestalten. Ein Bebauungsplan bedurfte für sie außer dieser Sicherung keiner weiteren Ergänzungen 92 . Das mit Wohnungsbau, Stadtplanung und Stadtbaukunst aufgerissene Themenfeld hat gegenüber den ersten Ansätzen bereits eine themen- und fachimmanente Entwicklung durchlaufen. Nach Entdeckung, Bearbeitung und Propagierung historischer Vorbilder durch Camillo Sitte entstanden ästhetische Schulen, die als Stadtbaukunst an den Architekturfakultäten verankert waren. Als einflußreichste rief die „romantische" Schule, die in den neunziger Jahren vor allem in Stadterweiterungsprojekten zum Tragen kam, bereits erste Gegenprogramme hervor, die zu komplizierten Frontstellungen zwischen ihren wichtigsten Vertretern führten 93 . Aufzeigen und Auswerten historischer Stadtanlage blieb ein wichtiger Strang im Ausbau des Themenfeldes. Der Bereich Städtebau ist somit kein präfiguriertes Fach, sondern ein Themen- und Problemfeld, und das bedeutet vor allem Aufgabenfeld, das soeben das öffentliche Bewußt90 Piccinato, Städtebau ..., S. 62-64. Der ursprüngliche Titel La costruzione dell'urbanistica nahm entgegen passiver Entwicklung deutlich Bezug auf eine Konstruktion des Konzepts. 91 Vgl. dazu Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1-3, München 1987-1995, Bd. 3, S. 510-543. 92 Gerhard Fehl, Stadtbaukunst contra Stadtplanung. Zur Auseinandersetzung Camillo Sittes mit Reinhard Baumeister, in: Stadtbauwelt 65 (1980), S. 37-47, bes. S. 38-42. 93 Collins/Collins, Sitte ..., p. 35-51, 91-99. Der Bewertung, daß Sitte und sein Werk in der Ausstellung great emphasis erfuhren, so Collins/Collins, Sitte ..., p. 108 fn. 104, kann allerdings nur mit Reserve begegnet werden; offenbar erschien er nur durch das umfangreich vertretene Werk Brinckmanns.

211

5.2.2 Großstadtbild

sein erreicht. Zahlreiche Sonderaufgaben und Problemauffassungen gehen als Lasten und Chancen in seine Aufgabenbeschreibungen ein 94 . Die Wahrnehmung der Großstadt Berlin war durch ihre exemplarische Entwicklung geprägt; als Stadtindividuum war sie kaum zu erkennen 95 . In dieser Verschiebung wurde die Vorstellung beherrschend, daß mit Berlin sich die Moderne selbst regulieren, aktivieren oder außer Kraft setzen lasse96. Die sich wandelnde Auffassung von Großstadt als einer 'kurierbaren Ubergangserscheinung' mit Hoffnung auf Modernisierung gegen den verbreiteten biologistischen Pessimismus war durch die Dresdner Stadtausstellung von 1903 vorbereitet, zu der Georg Simmel in einem einflußreichen Essay eine Sicht auf die Großstadt im historischen Prozeß vorgegeben hatte, frei von absolutem Fortschrittsoptimismus wie auch der negativen Geschichtsspekulation 97 . Hegemanns erfolgreiche Umwertung zu einer moralischen Aufgabe versucht also das Hauptargument zu unterlaufen, man sei von der Entwicklung überrannt worden 98 , indem er zur Behauptung des Individuums gegen die Veränderungen auffordert. Er versteht damit Städtebau als Spezialfall bürgerlicher Sozialreform zum Zwecke der Gesellschaftsverbesserung 99 . Dieses Rahmenwerk wurde von der Rezeption angenommen, weil es Raum und Legimität für die speziellen Interessen bot 100 . Neben dem städtischen Gesamtbebauungsplan der Architektenverbände, von internationalen Vorbildern angeregt, standen Innenstadtumbauten der Großarchitekten, eine Imperialisierung der neuen Wirtschaftssektoren suchend, daneben die Statistiken kommunaler Amter, moderner Sicherung von Gesundheit und Wirtschaft verpflichtet, weiters Gemeindebauten und Grünanlagen der kommunalen Beamten und Räte im Rahmen 94

Deren weiterer Aufklärung dient der folgende Blick auf Hegemanns Bezugsrahmen. Jürgen Reulecke, Das Berlinbild: Was ist Imagination, was Wirklichkeit? Einige abschließende Überlegungen, Gerhard Brunn/Jürgen Reulecke (Hrsg.), Berlin ... Blicke auf die deutsche Metropole. Essen 1988, S. 251-263, S. 255. Zum zivilisationspessimistischen Topos der Großstadt als menschenfressendem Moloch: Klaus Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindschaft (Marburger Abhandlungen zur Politischen Wissenschaft 20), Meisenheim a.G. 1970, S. 33 ff. und 70-85 als Ideologie mit zeitbedingten Funktionen. 96 Ralf Stremmel, Berlin - Aspekte und Punktionen der Metropolenwahrnehmung auf Seiten der politischen 'Linken' (1890-1933). In: Gerhard Brunn/Jürgen Reulecke (Hrsg.), Metropolis Berlin. Berlin als deutsche Hauptstadt im Vergleich europäischer Hauptstädte 1871-1939, Bonn-Berlin 1992, S. 79125, S. 117 f. 97 Elisabeth Pfeil, Großstadtforschung. Entwicklung und gegenwärtiger Stand, 2. Aufl., Hannover 1972, S. 57. Gerd Albers, Stadtplanung. Eine praxisorientierte Einführung, 2., durchges. und erw. Aufl., Darmstadt 1992, S. 33 ff. 98 Es reicht von K.E.O. Fritsch bis Corbusier; Pfeil, Großstadtforschung ..., S. 206; vgl. Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland. Frankfurt a.M. 1985, S. 89. 99 Vgl. dazu Brian Ladd, Urban Planning and Civic Order in Germany 1860-1914. Cambridge MA 1990, p. 2 ff. Die unteilbare Kombination von ökonomischen, politischen und moralischen Motiven to improve society in general, and the poorer classes in particular versuchte, so Ladd, einen ambitious attempt to define the social and geographical relationship of the different social classes, in dem das management der Stadtentwicklung zum Ziel wurde. 100 Wie Wolfgang T. Kantzow, Sozialgeschichte der deutschen Städte und ihres Boden- und Baurechts bis 1918. Frankfurt a.M.-New York 1980, S. 164-172, belegt, behinderte die ethische Auslegung einen finanztheoretisch fundierten Ausbau der Steuern zum wohnungspolitischen Steuerungsinstrument. 95

212

5.2.2 Professionspolitik

einer ausgeweiteten Daseinsfürsorge, und besonders anregend, Modelle für Wohnungsreformen von seiten sozialer Architekten, der Genossenschaften und Verbände. Diese Bestrebungen zu Modernisierung umfassen verschiedene Sparten, die sich in diesem Fach aufgehoben sehen und im einzelnen weiter zu untersuchen wären. Für die Architekten etwa läßt sich eine Verengung der Erwerbsmöglichkeiten feststellen, die sowohl in eine prokapitalistische Kritik zum Zwecke der Effektivierung von Stadt, Raumnutzung und Transport ausschlagen kann wie in antikapitalistische Affekte von Stadtkritik und Forderungen der Wohn- und Sozialpolitik münden 101 . Dokumentation und Selbstdarstellung der Städtebauausstellung dienen also dem Aufrollen eines neuen Arbeitsgebietes 102 . Die Uberrepräsentation der Privatarchitekten in der Ausstellung bildet ihre steigende Quote unter der deutschen Architektenschaft ab 103 . Im Professionalisierungsprozeß aber befanden sich Architekten, die zwar seit 1903 über eine Standesorganisation verfügten, wie auch Städteplaner noch im ersten Stadium von Ungewißheit und Diskussion über Wesen und künftige Ausformung des Berufs 104 . Darin erscheint um 1905 der „neue Typus des sozial engagierten Architekten" im Milieu der Reformbewegungen der frühen Moderne mit dem Plädoyer für Wohnungsbau als öffentliche Aufgabe 105 . Hegemann liefert auch dafür eine Klammer. In den Sparten wird ein durch wirtschaftlichen und demographischen Wandel entstandenes Problemfeld umrissen, das in ein Aufgabenfeld münden soll, mittels dessen die konfliktträchtigen Phänomene dieses Wandels behoben werden können. Von der Hoffnung einer endlichen Regelung genährt 106 , führte das zur teleologischen Erwartung des 101 Erich Konter, „Architekten-Ausbildung" im Deutschen Reich. In: Ekkehard Mai/Hans Pohl/Stephan Waetzoldt (Hrsg.), Kunstpolitik und Kunstförderung im Kaiserreich. Kunst im Wandel der Sozialund Wirtschaftsgeschichte (Kunst, Kultur und Politik im Deutschen Kaiserreich 2), Berlin 1982, S. 285-308, S. 300 f. Obwohl laut Konter sich in diesem Kontext das zum Teil noch heute gültige Selbstverständnis der Architekten herausbildet, ist diese Gemengelage bisher nicht weiter aufgeklärt. 102 So sieht Bodenschatz, Platz frei ..., S. 68 auch die ästhetische Kritik des Mietswohnungsbau als Versuch, einen Arbeitsbereich zu eröffnen, der bisher weitgehend ohne Architekten auskam. 103 Sie erreicht erstmals 1860-1885 mit 42 % eine bemerkenswerte Gruppengröße: Vincent Alan Clark, Entstehung und Professionalisierung der Architektenberufe in England und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. In: Conze/Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum ..., S. 529-542, S. 521, eine Prosopographie von 268 Architekten nach Berufseinstritt: vor 1845 15%, 1840-65 20%, 1860-85 42%, 1880-95 39% privat tätig. 104 Clark, Architektenberufe ..., S. 538, über den Professionalisierungsverlauf der Architekten in Großbritannien und im Deutschen Reich: nach dieser Phase a) folgte Phase b) der Entscheidung, eine Wandlung zum abgegrenzten Beruf, der Profession, einzuleiten und staatliche Regulierung zu verlangen; c) der Verhandlungen seitens des organisierten Berufsstandes um Staatskontrolle und Professionalisierung; d) der Bildung der staatlichen und beruflichen Organe mit Erwerb des Monopols. Für die Stadtplaner ziehen sich die folgenden Phasen länger hin, wie sich an Verzögerungen bis zur Gründung erster Berufsorganisationen um 1922 zeigt. 105 Voigt, Bremer Haus ..., S. 9. Diese Sozialbindung der Aktivisten ist verschieden zu füllen: Stübben ist Vorsitzender der GfSR Düsseldorf; Kuczynski schreibt für die sozialdemokratische Partei; Eberstadt berät eine Baugenossenschaft. 106 Die Hypothese von der zeitlichen Begrenztheit des Planungsaktes hat Stefan Fisch, Theodor Fischer in München (1893-1901) - der Stadtplaner auf dem Weg zum Beamten. In: Mai/Pohl/Waetzoldt (Hrsg.), Kunstpolitik ..., S. 245-259, S. 249 f., nachgewiesen. Diese Annahme löste sich in der Arbeit

213

5.2.2

Innovationsforen

geordneten Endzustands. Die Wiedergewinnung einer imperialen Stadt durch Monumentalisierung und Vergrößerung einer alten Ästhetik waren bildnerischer Ausdruck dieser Erwartung, die sich in einer Exekution des in der Vergangenheit Angelegten und Vorentworfenen und Verlorenen versuchte und historische Studien anregte. Auf der anderen Seite stand eine großbürgerliche Vorortideologie (Posener) 107 , die die Aufgabe des Privatarchitekten so auslegte, daß er an ökonomischen und behördlichen Zwängen vorbei 'ästhetische' Mietshäuser entwerfe (Bild 33-35). Diese Vorortideologie versteht Unwins Bodenaufteilung für die Gartenstadt künstlerisch 108 und reduziert die Kooperative in entsprechender Verkleinerung einer alten Ästhetik - Goethes Gartenhaus für Jedermann - auf eine Bauform 109 . Mit dem Zentrum als nationaler, den Kleinhaussiedlungen als sozialer Anbindung greifen dazwischen Grünplanungen in die räumliche Organisation der Stadtbewohner zueinander ein, ohne daß eine Industrieplanung zur Effizienz oder eine Landesplanung zum Anschluß des Umlands beitragen. Hegemann selbst sah diese Offenheit als Stärke. Sein Lob für die Düsseldorfer Preisrichter, die, dem künstlerischen Städtebau nahestehend, eine Verkehrsplanung kürten, beweist die besondere Verständnisfähigkeit der Künstler-Architekten und zielt auf die für Modernität zu beweisende Integrationsfähigkeit des neuen Fachs. Die Ausstellungen wurden Objekt gezielter Studienreisen, die zum Aufbau eigener Apparate und eines Netzes internationaler Kontakte führten, sie erhöhten die Aufmerksamkeit für Anregungen und systematische Aneignungen. Insofern erweist sich der Städtebau als ein Innovationsforum gerade für die verschiedenen Sektoren, die sich in der Offenheit wiederfinden. Sie wurden als Foren langfristiger Innovationen wirksam, stießen sie doch so weitreichende Planungen wie den Ruhrsiedlungsverband an. Insofern geht der Stand des 'Städtebau' nicht in der reduktionistischen Erklärung seiner des Münchner Stadterweiterungsbüros nur allmählich auf. Sie stützte anhaltend Vorstellungen, bei 'richtiger Planung' ohne Zerstörungen (Robert Schmidt) oder ohne Geldverschwendung (Hegemann) ein Kunstwerk aufbauen zu können. 107 Julius Posener, Berliner Gartenvororte. In: Ludwig Grote (Hrsg.), Die deutsche Stadt im 19. Jahrhundert. Stadtpläne und Baugestaltung im industriellen Zeitalter (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 24), München 1974, S. 66-76, S. 75 f. Die Rezeption der englischen Vorbilder war vom deutschen Großbürgertum geprägt. Die „kultivierte Stadtfeindlichkeit" einer Oberklasse zeichnete so nicht nur ästhetisch die Lebenform für weniger Bemittelte vor, sondern auch im Bezug auf Familienund Sozialwerte. 108 Ford, Exhibition ..., p. 124. Unwins „Grundlagen" erleichtern den Übergang zur Kleinstadtnachstellung und machen für die spätere Polarisierung Großsiedlung vs. Gartenstadt anfällig: Franziska Bollerey/Gerhard Fehl/Kristiana Hartmann (Hrsg.), Im Grünen wohnen - im Blauen planen. Ein Lesebuch zur Gartenstadt mit Beiträgen und Zeitdokumenten (Stadt Planung Geschichte 12), Hamburg 1990, S. 16-95, S. 35 f. Vgl. auch Steen Eiler Rasmussen, Kleinwohnungen und Wohnviertel. In: Städtebau 22 (1927), S. 75-80. 109 Hall, Cities ..., p. 87 ff., sieht dies von Unwin selbst verschuldet, in der Folge realisiert von einer staatlichen Bürokratie. - Die vielfache Behauptung von Hegemann als Vertreter der Gartenstadt mißachtet, daß sein Text nicht davon spricht - nur der Kontext! Seine praktische Arbeit weist viel mehr in Richtung der Gartenstadt als seine Schriften überhaupt je - und dort ist die Gartenstadt nicht zuerst ästhetisches Programm, sondern was die Genossenschaft praktiziert: Wohnung, bestenfalls Haus, mit Garten und Besitzanteil. Sie steht also, ohne je Bezug auf ihn zu nehmen, Ebenezer Howard noch näher als die ästhetischen Objekte 'Gartenstadt'.

214

5.2.2 Integration

Fachhistorie vom verfehlten Stadtbau aufgrund unveränderter Produktionsstrukturen auf. Der neue Bereich entsteht an einer Schwellensituation des Ubergangs von einer zwar baurechtlich kodifizierten, aber privatwirtschaftlichen Bauproduktion zu einer zunehmend sozialwirtschaftlichen (Wohnungs-) Bauproduktion innerhalb eines exponential wachsenden Bauordnungssystems 110 , dessen Lehrzeit die Kriegsjahre wurden. Dem geht ein ästhetischer Formenwandel parallel, der vom Aufbrechen des Historismus 111 zum kurzzeitigen Stilpluralismus vor 1914 führt 1 1 2 . Um 1910 wird die Schwellensituation erst an dem Versuch kenntlich, die Probleme im öffentlichen Raum zu verankern, wie sie die professionspolitische Initiative der Ausstellung erfolgreich leisten konnte und die begleitenden publizistischen Niederschläge als gelungen erweisen. Vor diesem Hintergrund stellt sich der Bedarf nach einer Klammer, wie sie Hegemann in der Stiftung des historischen und kulturellen Auftrags zur Verfügung stellt, deutlicher dar. Uber diese Klammer gelangt das Themenfeld in öffentlichen Besitz, indem Wissen geliefert und Anteilnahme gesichert wird. Die Kulturtraditionsstiftung bietet somit die Chance, Sonderaufgaben wie Fachinteressen in einem Allgemeinwohl integriert zu sehen, das sowohl soziale Gemeinschaft wie nationale Größe umfaßt, ohne sich dabei über individuelle Profilierungs- und wie gemeinschaftliche Professionsinteressen Rechnung ablegen zu müssen. Die Stiftung ist wirksam, weil sie auf der gemeinsamen Herkunft der Akteure aus dem Bildungsbürgertum beruht. Uber diesen bildungssoziologischen Hintergrund hinaus wird sie in diesem Themenfeld wirksam, weil sie Denkrichtungen und Problemlösungsansätze aus älteren und gleichzeitig wirksamen Einübungen und Reformwünschen übernimmt. Themenfeld wie Stiftung sind darin als Teilhaber der Gemengelage im Kaiserreich zu erkennen, indem Reformpotentiale mit Beharrungstendenzen eine komplexe Verbindung eingehen. Ein Erbe der offenen Programmatik war die Umkehrung der Planungsgegenstände vom Kaiserreich zur Republik 113 . Die brisante Kompetenzerweiterung der 'Hegemann-Zeit' war der Ausgriff von künstlerischem Stadtbau auf sozialpolitische, gesellschaftsreformierende und kulturerneuernde Funktionen, denen volkswirtschaftliche Ansätze dienlich gemacht werden sollten. Dieser große Anspruch, dem wenig Zeit zur Erprobung blieb, 110 Phasen und Vorgaben des Ubergangs vom staatlichen zum kommunalen Städtebau in knapper Ubersicht bei Hans Böhm, Stadtplanung und städtische Bodenpolitik. In: Hans Heinrich Blotevogel (Hrsg.), Kommunale Leistungsverwaltung und Stadtentwicklung vom Vormärz bis zur Weimarer Republik (Städteforschung A 30), Köln-Wien 1990, S. 139-157, S. 151-155; Wolfgang Hofmann/Gerhard Kuhn, Einleitung: Die Wohnungsgeschichtliche Periode 1900-1930 und ihre Erforschung. In: Hofmann/ Kuhn (Hrsg.), Wohnungspolitik ..., S. 1-16, S. 1-4, 11 f. 111 Posener/Becker/Jacob, Zeit ..., S. 137 f., betonen, daß die Trennung vom Historismus von der Suche des Grundsätzlichen und Sachlichen bestimmt war und weitere Differenzen vorbereitete, weil nach diesem Erziehungsprinzip Expressionismus und Neues Bauen für stilistisch angesehen werden konnten. 112 Vgl. dazu die wenig beachteten großen Dokumentationen der Architekturzeitschriften zur Werkbundausstellung von 1914. 113 Norbert Huse, "Neues Bauen" 1918 bis 1933. Moderne Architektur in der Weimarer Republik, 2. Aufl., München 1985, S. 105. Es wäre zu ergänzen, daß auch die Planungsinstrumente für Verkehr wie die Wohnungsgroßproduzenten vor 1914 fehlten und diese Sektoren mit Energie besetzt werden konnten.

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5.2.2 Regression

wurde in der Weimarer Republik auf sozial- und wohlfahrtsstaatliche Wohnungsproduktion gedrückt und auch ihm blieb aufgrund wirtschaftlicher Bedingungen nur wenig Zeit und der Handel mit dem Minimum. Die erst hier wirksam werdende Abtrennung von der Privatwirtschaft - von vorauseilender Resignation vor 1914 zum ideologischen Vorbehalt gereift - reduziert die Stadtgestaltung auf exponierte Architekturobjekte, Verkehrsplanung und Großsiedlungsbau. Der Gedächtnisverlust setzt früh ein - Martin Wagner erinnerte sich schon 1929 nicht mehr an den Propaganda-Ausschuß 114 während gleichzeitig die erwartete Steigerung großstädtischer Entwicklung - Martin Mächler sieht die Großstadt als Mittelpunktinstrument115 - sich auf sozialliberale Urbanisierungshoffnungen stützt, die unter den Planern zu verbreiten auch Hegemann anzurechnen ist 116 . Die Kluft zwischen frühen Gemeinwohlforderungen wie Hegemanns und der technischen Expertise der Republik zeigt exemplarisch W.C. Behrendts Forderung von 1921, daß Städtebaudirektor nur ein Techniker, nicht eine politische Persönlichkeit werde. Sie ist fatale Nachwirkung der bildungsbürgerlichen Definition, indem die Wirkungsabsicht nach wie vor einem politischen Streit enthoben bleibt, allein durch Wissenschaft und Technik und unstrittig lösbar. Die Enthebung in einen physikalischen Bereich macht Städtebau zur Naturwissenschaft. Diese Strategie entwickelt sich zu einem Bärendienst am Fach, weil die damit begonnene Entfremdung von der Sozialbindung zum 'echten' Erben des technischen Machbarkeitswahns vor 1914 und seinen Folgen nach 1933 wird. Von offener Programmatik führte der Weg zu Daseinsfürsorge der Republik und nach dem Sündenfall megalomaner Großplanung des Nationalsozialismus in einen gezielt enthistorisierten Strukturalismus, der sich im Konstrukt wissenschaftlicher Ansätze niederschlägt, ohne nach vorwissenschaftlichen Präferenzen zu fragen, und schließlich mit erneuertem gesellschaftlichen Sendungsbewußtsein in die Diagnose bürgerlicher Ohnmacht durch marxistisch vorgeprägte Renegaten. Der Vorwurf, frühe Praktiker und Theoretiker hätten die Verhältnisse nur falsch interpretiert 117 , sitzt derselben Mythologie auf, die er zum Vorwurf macht. Nach der Dekonstruktion der Erinnerung bedarf es für eine Beurteilung die Paradigmenwechsel der Fachgeschichte zuvörderst zu betrachten. 114

Und scheint in den Fünfziger Jahren nahezu abgeschlossen: Heinrich Hoffmann verlegte in: Medizin und Städtebau. Ein Handbuch für gesundheitlichen Städtebau, Hrsg. von Paul Vogler und Erich Kühn, Bd. 1.2., München-Berlin-Wien 1957, S. 218, dem Berliner Wettbewerb folgend einen „Städtebaukongreß" 1912 nach Göteborg. Zu Wagner vgl. unten 5.4.3 Propaganda-Ausschuß. 115 Er stellt diese Funktion in seinem ausdrücklich Hegemann 1911 verpflichteten Beitrag über „Citybildung" am Beispiel Londons als Mittelpunktinstrument des britischen Imperiums vor; Handwörterbuch des Wohnungswesens ..., S. 179 f. (1930). 116 Für Hegemann ist die Großstadt Ort des ungeheueren Auftriebes neuer Kräfte und zum Äußersten entschlossener junger Talente; S 144, Anm. 115, vgl. S 196 ein Katalysator, s.a. S 371 mit der Selbstbezeichnung „dezidierter Berliner". - Um aus einer Millionenstadt den stolzen Ausdruck der ungeheuren wirtschaftlichen und idealen Kräfte ihrer Bewohner [merke: nicht „der Nation" und nicht „des Volkes"] zu machen, bedarf es der allerersten Männer, die die Nation in Politik, Kunst und Technik hervorbringt. S 113. 117 Zur Kritik des Konzepts von Planung als Systemkorrespondenz vgl. Hall, Cities ..., p. 4 f.; 7 ff.

216

5.2.2

Grundmuster

Hegemanns Buch also war im Verhältnis zum Zeitgeschehen - Arbeitsteilung, Professionalisierung, Technisierung, Methodik - ein rückschrittliches Werk; durch die Ausweitung per Tradition und Moral zum Anspruch eines gesamtgesellschaftlichen Anliegens aber ein fortschrittliches Unternehmen. Dieses Paradoxon zwischen regressiven Motiven und progressiven Effekten wird zu einem Grundmuster.

217

5.3.1 Normen

5.3 Hegemanns Bezugsrahmen Der Aufhebung der „Sozialen Frage" in einer „kulturellen Frage" im Bürgertum begegnete Hegemann vorprägend schon in den Ansichten Otto Marchs 1 . Marchs Diagnose ist die Variation einer Aussage Hans Delbrücks, Besitz und Bildung hätten bisher in Deutschland die Herrschaft geführt; beide Elemente begännen sich von einander zu trennen (1895). Sie skizziert in einer überaus populären Fassung den Begriff vom Inhalt der „kulturellen Frage" 2 . Die Begriffe und Gruppen, mit denen Hegemann sich assoziiert, zeigen die Übergänge und Ubernahmen, die das Themenfeld von Städtebau beeinflussen und den Ausbau zur Kulturfrage prägen. 5.3.1 Sozialpolitik Für Hegemann ist der Städtebau ein „sozialpolitisches Wirkungsfeld par excellence". Durch das grauenvolle laissez-faire von manchesterlicher Gleichgültigkeit ist Städtebau zu dem Ort geworden, an dem Sozialpolitik Pflichten erfüllen soll3. Sozialpolitik wird bei Hegemann zu einem normativen Akt der Entwicklung der normalen Lebensform. Dabei ist seine Frage Nach welcher Moral... dies geschehen soll, schon beantwortet: Nach bürgerlicher Moral. Seine Verweise auf „Laster und Gemeinheiten" und ihre Gefahren für die Abhängigen führen notwendig zum Ziel der abgeschlossenen Familienwohnung. Die Steigerung zum eigenen Haus mit Garten ist ihr letztes Ziel, weil es die Unabhängigkeit vom Wohnungsmarkt darstellt und die Bindung des Staatsbürgers durch Besitz verheißt. Es geht um die Verbreitung der bürgerlichen Lebensweise mit ihren Ordnungs- und Disziplinvorgaben. Seine Bezeichnung eben dieser Auffassung des Städtebaus als wahrhaft sittliche bestärkt die normative Vorgabe. Dabei lehnt Hegemann im Einklang mit Sozialreformern die Schuld des Individuums für diese Lebensumstände ab und beruft sich dabei besonders auf Adolf Wagner und Gustav Schmoller 4 , ihnen zufolge auf die Notwendigkeit staatlicher Intervention und Daseinsordnung. Hegemann begründet sie mit Präventionsabsichten. Die Androhung einer Revolte der Deprivierten erhöht den Druck, Vorsorge statt polizeilich-militärischer Kontrolle zu betreiben. Die volkswirtschaftlichen Kosten solcher Schäden stellten eine reibungsfreie Weiterentwicklung des Industriestaats in Frage, dessen Prosperität eine Mindestversorgung garantieren könnte. 1

In der Vergangenheit wurden geschlossene städtebauliche Kunstschöpfungen dadurch erleichtert, daß Macht, Bildung und Reichtum in derselben Volksschicht vertreten waren. Bei uns sind die Bestätigungen der Macht von den Entschließungen mannigfach zusammengesetzter Körperschaften abhängig, der Reichtum befindet sich in den Händen weniger, deren Bereitwilligkeit, öffentlichen Kulturaufgaben pflichtmäßige Opfer in großem Stil zu bringen, fast völlig versagt, und die Menge der ringenden Mehrer und Wahrer unserer Bildung besitzt weder Macht noch Mittel, sich und seine Anschauungen schöpferisch öffentlich zur Geltung zu bringen. March, Das ehemalige und künftige Berlin ..., S. 170. 2 Rüdiger Vom Bruch, Bürgerliche Sozialreform im deutschen Kaiserreich. In: Rüdiger Vom Bruch (Hrsg.), „Weder Kommunismus noch Kapitalismus". Bürgerliche Sozialreform in Deutschland bis zur Ära Adenauer, München 1985, S. 61-179, S. 169 A 238. 3 Vgl. S 78, 19, 8, 62. 4 Siehe S 81, 96, 143. 218

5.3.1

Disziplinierung

Mit der Erkenntnis, daß eine kraftvolle äußere Politik nur auf der Basis einer umsichtigen Wirtschafts- und Sozialpolitik im Innern möglich ist, und daß eine blühende Hauptstadt eines der wirksamsten Instrumente der inneren und äußern Politik darstellt, gesellt Hegemann sich anscheinend den Imperialisten zu, die soziale Innenpolitik funktionalisieren wollen5. Hegemanns vereinzelter Anschluß an Weltmachtpolitik 6 ist zeitgenössisch nicht mehr als ein Allgemeinplatz und verweist auf die selbstverständliche Identität von nationaler Wohlfahrt und Staatsmacht mit Zielen der Sozialreform und Nationalökonomie. Erheblicher ist sein kurzes, aber ausdrucksstarkes Plädoyer gegen Lebens- und Wohnbedingungen der Unterschicht, das den typischen Besserungsvorstellungen entspricht: Hygiene, Reproduktionsverhalten, Beschäftigungskontinuität. Dem wird ein Raumprogramm zugeordnet, das er unter dem Titel des „Kämmerlein" propagiert: Abschluß der Küche, Stube als Lebensraum, getrennte Schlafräume nach Geschlechtern und Generationen, Isolierung nach außen zum Selbstbegriff als Familie und Individuum. In seinen Forderungen nach hochentwickelten Spielplätzen und Grünanlagen tritt dem ein komplementäres Außenprogramm zur Seite. Am deutlichsten wird seine Erwartung in dem Lob des ständischen Rekreationsprogramms der Gräfin Dohna. In umfassender Versorgung mit angepaßtem Wohnraum, Spiel, Erholung und gärtnerischer Tätigkeit im Grünen bei Segregation der Gesellschaftsgruppen, die durch die transzendente Erhebung und nationale Erbauung mittels innerstädtischer und historischer Architektur ergänzt wird, zeigt sich die angestrebte Befriedung und Disziplinierung durch Raumordnung. Diese Vorstellungen entsprechen einer umfassenderen Normproduktion, die auf sicherheitsstiftende Organisation des städtischen Zusammenlebens abzielten7. Formen der Raum- und Körperdisziplin aus dem Anstaltsleben gehen in funktionale Raumnutzungen und Wohnkonzepte ein. Eben deshalb strahlt das Modell Kleinhaus mit Garten die höchste Faszination aus, weil die komplementären Außennutzungen mit dem Tätigkeitsentwurf von Gartenarbeit mit Beitrag zur Subsistenz den Disziplinwert erhöhen. Damit ist Hegemanns Beitrag Teil des Paradigmenwechsels von christlich-moralisch legitimierter Intervention zu einer wissenschaftlichen und steht parallel zu differenzierender Arbeiterpolitik. Der Wechsel wird am Begriff 'Gesundheit' offenbar, weil die dafür deduzierten Verhaltenspostulate den von Sittlichkeit abgeleiteten entsprachen, die Desiderate Demut, Fleiß, Ordnung, Reinlichkeit und Mäßigung aber zwingender 5 Vgl. Ursula Ratz, Sozialreform und Arbeiterschaft. Die „Gesellschaft für Soziale Reform" von der Jahrhundertwende bis zum Anfang des Ersten Weltkriegs (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 27), Berlin 1980, S. 17 f. Die GfSR hatte zwischen 1910 und 1912 etwa 1.500 Einzel- und 250 korporative Mitglieder, die 1,5 Mio. organisierte Arbeitnehmer vertraten; Mitgliederlisten existieren nicht mehr. Ratz geht auf Interessen und Aktivitäten Gesellschaft an stadtplanerischen Fragen nicht ein; die Frage der Verbindung dieser Themen und ihrer Akteure stellt eine weitere Forschungslücke dar. 6 Vgl. zum Vorbild des Großen Kurfürsten S 94 und S 90 Stadt als Instrument der Weltmacht, S 129 Kunst als Helfershelfer. 7 Christoph Sachße/Florian Tennstedt, Sicherheit und Disziplin: Eine Skizze zur Einführung. In: Christoph Sachße/Florian Tennstedt (Hrsg.), Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung. Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik, Frankfurt a.M. 1986, S. 11-44, S. 16; S. 21, 32.

219

5.3.1 Diffusion

motivierten 8 . In diesem Prozeß werden religiöse durch philosophische Welterklärungen ersetzt, schließlich philosophische durch wissenschaftliche und Hegemanns Entwurf wird zum Beispiel für den Umbruch, weil er sich noch nicht auf Wissenschaft zu verlassen vermag und sowohl christliche wie staatsphilosophische Argumente benutzt. Hegemanns Vorstellung von einer Sozialpolitik via Städtebau muß als eine Etappe des Vermittlungsprozesses von Kontrollsätzen in wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Initiativen gesehen werden. Es handelt sich um eine Diffusion solcher Kontrollsätze in einen angrenzenden Bereich, in dem diese eigenständig unter Einflüssen wie auch Rückwirkungen auf gesellschaftliche Entwicklung und außerwissenschaftlichen Initiativen weiterentwickelt wurden 9 . Sie trugen nicht zuletzt zum Erziehungsauftrag der Architektur der Moderne bei. Von besonderer Bedeutung ist dabei Hegemanns gespiegeltes Elitenkonzept. Die sozialpolitische Trennung der Bevölkerung in Arbeiter und Arme, die den diszipliniert und qualifiziert arbeitenden, zunehmend klassenbewußten Arbeiter mit einem relativ stetigen Arbeitsverhältnis als im Normalfall nicht arm im Sinne von „bedürftig" bestimmt 10 , hat bei ihm Eingang gefunden. Er beschreibt diese Arbeiter mit der charakteristischen Formulierung von der „Elite der Arbeiterschaft". Wenn der 'Normalarbeiter' zur Bedarfsdeckung 'Wohnen' nicht in der Lage ist oder dabei stets gefährdet, in die Armenbevölkerung überzutreten, wird dies - auch für Hegemann - Grund der Intervention. Erst mit dieser Auffassung zeigt sich Hegemanns Idee von Sozialpolitik als weitgehend progressives Konzept von Sozialpolitik. Er hat Schmollers Definition von der „Schlichtung des Staates, der den vierten Stand wieder in die Gesellschaft einfügt", ebenso integriert wie Wagners Auffassung der staatlichen Bekämpfung der Mißstände im Verteilungsprozeß. Das Konzept nähert sich jedoch einem moderneren von Sozialpolitik als Funktion der Wirtschaftssysteme nach Sombart und durch die weitreichendere Bestimmung der Akteure einer Definition Zwiedineck-Südenhorsts. Danach ist jedes planmäßige Handeln mit dem Zweck der Gesellschaftsverhältnisse Sozialpolitik, gleich ob es sich beim Träger um freie Gruppen oder staatliche Institutionen handele 11 . Die Vorstellung der „Elite der Arbeiterschaft" findet sich in Hegemanns Idee einer von zwei Seiten unter Druck geratenen Elite der Gesellschaft gespiegelt. Von der wirtschaft8 Sachße/Tennstedt, Sicherheit ..., S. 35 f. Bestes Beispiel für die weitere Verquickung auch mit nationalpolitischen Zielen ist das stets wiederkehrende Argument der Tauglichkeitsraten. 9 Die Geschichtsschreibung der Sozialpolitik - die meisten Arbeiten zu Sozialpolitik befassen sich mit einem Milieu, innerhalb des bürgerlichen mit einem Verband oder ausgewählten Reformsträngen - hat sich damit noch wenig befaßt, siehe Florian Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, Göttingen 1981, S. 194-197 und S. 197-211 zur Arbeiterpolitik in den Großstädten als „verzögerte". Vgl. Albin Gladen, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Eine Analyse ihrer Bedingungen, Formen, Zielsetzungen und Auswirkungen, Wiesbaden 1974, S. 85-88 zur Regierungspolitik. Siehe andererseits den architekturhistorischen Ansatz, die künstlerische Innovation als Normenproduktion zu behandeln: Marianne Rodenstein, „Mehr Licht, mehr Luft". Gesundheitskonzepte im Städtebau seit 1750, Frankfurt a.M. 1988. 10

Sachße/Tennstedt, Sicherheit ..., S. 28 f. Gerhard Kleinhenz, Probleme wissenschaftlicher Beschäftigung mit der Sozialpolitik. Dogmengeschichtlicher Uberblick und Entwurf eines Wissenschaftsprogrammes für die Theorie der Sozialpolitik (Sozialpolitische Schriften 23), Berlin 1970, S. 28-39. 11

220

5.3.1 Doppelte

Integration

liehen Dynamik entmachtet, hat sie auch dem damit einhergehenden Moralverfall nicht standhalten können. So ist beiden Gruppen Selbsthilfe angeraten. Die Bildungselite soll aus eigener Kraft ihre ursprüngliche Funktion der Definitionen der Lebensformen und die Kontrolle der Lebensqualität wiederaufnehmen. Darin wird die Erhebung der Arbeiterelite aus entwürdigenden Verhältnissen, die Förderung und Organisation derer Selbsthilfe, sowohl Zweck wie auch Mittel. Für Hegemann hebt sich darin die Soziale Frage in der kulturellen auf. In diesem unauflösbaren Zirkel entsteht also aus einer rückwärtsgewandten Interpretation ein modernes Handlungspotential. Die diffuse Vorstellung von Sozialpolitik, gepaart mit ihrer entschiedenen Bejahung, die freie gesellschaftliche Gruppen zu aktivieren sucht, stellte für Hegemann eine Ergänzung zu den Emanzipationsbemühungen der Arbeiterverbände dar, mit welchen er sich bei Gide und Brentano befaßt hatte. Ideengeschichte in Relation zu ökonomischem Handeln mit den durch Patten angestoßenen Interessen münden in der Vorstellung, daß entgegengesetzte gesellschaftliche Gruppen sich durch fortschreitende Verpflichtung unter ein Gemeinwesen aufeinander zu bewegen. Dadurch wurde ein sozialharmonisches Gesellschaftsbild bestärkt, das auch von dieser Seite auf die liberale Utopie einer an Gleichartigkeit wachsenden Staatsbürgergesellschaft zutrieb. Ausgeblendet bleibt bei Hegemann die kommunalpolitisch-praktische Seite der Sozialpolitik, die die Daseinsvorsorge von Armenfürsorge, Gesundheits- und Schulpolitik betrifft. Als Steuerungsinstrument einer geordneten, wirtschaftlich funktionalen und moralisch einheitlichen Stadt - wie sie ihm etwa in der Düsseldorfer Absicht der Angleichung der Eingemeindungen begegnet wäre - , auch als Vorprägung sozialstaatlicher Regeln begriff er kommunale Sozialpolitik noch weniger 12 . Offenheit beweist aber die Assoziation mit der Gesellschaft für Soziale Reform, in deren Vortragsreihe „Aufgaben des Zweckverbands" Hegemann am 25. April 1912 seine Interpretation der Berliner Stadtgeschichte mit seiner Kulturtraditionsstiftung vorträgt 13 . Seine konkreten kommunalpolitischen Forderungen betreffen lediglich die Reduzierung der Macht der Grundbesitzer, in der Hoffnung, ein sich selbst regelndes Gleichgewicht an Gerechtigkeit stelle sich durch angemessene Repräsentation der verschiedenen Gruppen ein. Damit geht die liberale Ausblendung der Industrie und Produktion in der Stadt einher, die auch deshalb nicht reglementiert wird, weil sie die weitere Disziplinierung und damit die Sicherung der Stadt trägt. Das Ziel ist die Anpassung der Masse an die Industriegesellschaft. Das Erbstück der Sozialpolitik an den Städtebau, das Hegemann aufnimmt und weiterträgt, ist die Korrektur des Individuums.

12

Reulecke, Urbanisierung ..., S. 118-131. Eine weitere Verbindung zur GfSR und deren (personeller?) Ursprung konnte nicht nachgewiesen werden. - Ein Kurzreferat seines Vortrage zeigt das gemeinsame Interesse von Autor und Publikum, die städtebauliche Agenda als Sozialpolitik zu besetzen. Diese Gruppe ist nur zu gern bereit, sich als Legitimation einerseits die progressive Verbindung zu den revolutionären Demokraten von 1848 reichen zu lassen wie andererseits die konservative zu vermeintlich traditionellen Ordnungsmaßnahmen aus großer preußischer Zeit. Soziale Praxis 21 (1911/12), Sp. 940. 13

221

5.3.2 Leitdisziplin

5.3.2 Nationalökonomie Hegemann war seit 1911 eingetragenes Mitglied im 1873 gegründeten Verein für Socialpolitik 14 . Er ordnete sich damit nicht nur einer seiner akademischen Bildung entsprechenden Fachwissenschaft zu, sondern auch der mächtigsten zeitgenössischen Wissenschaft und ihrer monopolgleichen Vertretung 15 . Mitte des 19. Jahrhunderts initiierte die jüngere Historische Schule die Abkehr des Fachs von der klassischen individualistischen Lehre. Sie wies nationale Eigenentwicklungen der Volkswirtschaft historisch und empirisch nach und änderte das Erkenntnisinteresse von gesetzmäßig deduzierbaren Regeln des Wirtschaftsgeschehens zum Ziel optimierter Produktivität. Die Bestimmung exakter singulärer Voraussetzungen und Bedingungen der Distribution vermochte Reformbedarf wissenschaftlich zu begründen. Resultat war die Betonung eines an ethischen Prinzipien wie Gemeinwohl und Gerechtigkeit orientierten Kulturstaates, dem die Verantwortung regulierenden Eingreifens aufgetragen wurde 16 . Darin fielen die bürgerlichen Orientierungen an Wissenschaft und Kultur ideal zusammen und fundierten eine Auffassung von Nationalökonomie als gesellschaftspolitischer Leitdisziplin 17 . Der gleichzeitigen Kritik an der Wertgebundenheit der Forschers seitens Max Webers stand ein Infragestellen des Axioms von der Identität wirtschaftlichtechnischen Fortschritts mit dem von Kultur und individueller Entfaltung gegenüber. Ökonomische Eigendynamik, Staatsreformen und Bürokratisierung leiteten zu kulturkritischen Diagnosen mit Bezug auf die Ethik des deutschen Idealismus 18 . Gegenüber Forderungen weitergehender staatlicher Regelung seitens der „Staatssozialisten" entstanden die nach Selbstverwaltung und Selbstorganisation, die Weber als „Kulturwert an sich" sah und etwa Brentano und Naumann als Ergänzungsstrategien verfolgten. Die Doppelung der Entwicklungsziele, gesamtwirtschaftliche Produktivitätssteigerung und staatlich gestützter Gesellschaftspolitik wie freier Gesellschaftsorganisation 19 , bedeutete nicht Ablegen, sondern Wandel der ethischen Motivation, indem der Rekurs nun dem Individuum galt. Hegemann folgt diesen Vorgaben. Dem Aufbrechen der einheitlichen Deutung folgt seine 14

Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik in Nürnberg 1911 (Schriften des Vereins für Socialpolitik [= SVfSP] 138), S. 210, Stand vom 15. Dezember 1911. Im Februar 1910 war Hegemann noch nicht eingetragen; am 1. Dezember 1919 nicht mehr. 15 1910 verzeichnete der Verein 760 Mitglieder, darunter 132 Professoren, die den Vorstand mit 57 von 87 Mitgliedern dominierten. Das gesamte Lehrpersonal der Nationalökonomie, von etwa 100 Dozenten 45 Ordinariate, war Mitglied des Vereins. Rüdiger Vom Bruch, Historiker und Nationalökonomen im Wilhelminischen Deutschland. In: Klaus Schwabe (Hrsg.), Deutsche Hochschullehrer als Elite 18151945. (Deutsche Führungsschichten der Neuzeit 17), Boppard 1988, S. 105-150, S. 136 f. 16 Vom Bruch, Bürgerliche Sozialreform ..., S. 63, 65. - Siehe dazu auch Rüdiger Vom Bruch, Kulturstaat - Sinndeutung von oben? In: Rüdiger Vom Bruch/Friedrich Wilhelm Graf/Gangolf Hübinger (Hrsg.), Kultur und Kulturwissenschaft um 1900. Krise der Moderne und Glaube an die Wissenschaft, Stuttgart 1989, S. 63-101, zur Bestimmung kulturkonservativer und -aristokratischer Standpunkte. 17 Rita AldenhofT, Nationalökonomie und Kulturwerte um 1900. In: Vom Bruch/Graf/Hübinger (Hrsg.), Kultur und Kulturwissenschaft ..., S. 45-62, S. 45 f. und S. 47-51 zu Max Webers Kritik. 18 AldenhofT, Nationalökonomie .., S. 53-58, am Beispiel von Eugen von Phillipovich, Wilhelm Lexis, Gerhard Schulze-Gävernitz. 19 Vom Bruch, Bürgerliche Sozialreform ..., S. 66.

222

5.3.2 Wachstum

Doppelstrategie, einerseits staatlich-bürokratische Regelwerke festschreiben zu lassen, andererseits Selbstorganisation in verschiedenen Schichten der Gesellschaft zu fordern 20 . Er folgt auch methodisch der Historischen Schule. Es geht ihm darum, die nationale Eigenentwicklung in der städtischen Gestaltbildung aufzuspüren. Sie soll am Beispiel der Staats- und Reichshauptstadt exemplarisch für Deutschland gefunden werden, wird aber auch als Beitrag zum universalen Prozeß der Großstadtbildung unternommen. Dabei beschränkt er sich gerade nicht auf Verkettung ökonomischer Prozesse, sondern zielt auf deren Einbettung in ihre zeitlichen Bedingungen, in „volkswirtschaftliche Anschauungen der Zeit", in landesherrliche, behördliche Tätigkeit, in Usus und Moden der Produzenten und Konsumenten. Diese Reflektion folgt den Vorgaben des deutschen Idealismus von den Dingen als Erzeugnissen des Bewußtseins. Darin Schmoller nahe, nach dessen Diktum „kein Nagel in die Wand geschlagen werde ohne ethische Motive", steht sie Patten noch näher, weil ihr Ergebnis die Auffassung von ökonomischen Varianten als Produkten der Ethik ist. Hegemanns zentrales Urteilskriterium ist die gesamtwirtschaftliche Produktionssteigerung. Seine historischen Bewertungen weisen die Mehrung gesellschaftlichen Wohlstands immer wieder als normative Entwicklung und Hauptziel aus 21 . Innerhalb dessen findet Hegemann ein Entwicklungsgesetz der Großstädte anläßlich der Typenbildung der „dezentralisierenden" und „konzentrierenden" Stadt, zu der er 1913 gelangt ist 22 . Danach hat stets eine Öffnung des Stadtgebiets zur Erweiterung des Kreises von Produzenten und Konsumenten geführt und war als Wohlstandsmehrung erfolgreich. Seine Wirkung sieht er als historisch belegt und international, unabhängig von nationalen Eigenentwicklungen an. Damit hebt Hegemann auf die Rationalität des Eigennutzes der klassischen Theorie und ihrer Gleichsetzung von maximaler Aktivität mit maximalem Nutzen ab. Die Aufgabe maximaler Distribution, wie Hegemann sie vom Wirtschaftsgeschehen erwartet, verlangt eine Verkehrswirtschaft, die um so besser funktioniert, je mehr Produzierende und Konsumierende eintreten und partizipieren. Die Regeln eines Wirtschaftsgeschehens mit maximaler Produktivität werden durch einen Komplex von Usus, Moral, Ethik und Kultur verletzt. Die kulturell verformte Reaktion auf ökonomische Phänomene wird zum Produzenten weiterer Phänomene erklärt, mit der sich die nationale Entwicklung zunehmend sondert. Treten die Auswirkungen des Komplexes Kultur und die Phänomene 20 Nicht also wie noch Cohen, Scenes ..., p. 31, in der Folge Collins', der Ausbildung allein, die Hegemann with α sharp appreciation of public intervention and economic realism ausgerüstet habe, kann man diese doppelte Mitgift zuschreiben. 21 Diese Auffassung von Volkswohlstand läßt sich mit der Definition Philippovichs in der ersten theoretischen Debatte des Vereins 1909 vergleichen: „Mehrung des Nutzens in der Volkswirtschaft"; SVfSP 132 (1910), S. 358, 362. Dieter Lindenlaub, Richtungskämpfe im Verein für Socialpolitik. Wissenschaft und Sozialpolitik im Kaiserreich, vornehmlich vom Beginn des „Neuen Kurses" bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1890-1914 (Beihefte der Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 52/53), Wiesbaden 1967, S. 433. Irmela Gorges, Sozialforschung in Deutschland 1872-1914. Gesellschaftliche Einflüsse auf Themen- und Methodenwahl des Vereins für Sozialpolitik (Schriften des Wissenschaftszentrums Berlin 14), Königstein 1980, S. 437, 439. 22 Vgl. S 156.

223

5.3.2 Kultur als

Produzent

ökonomischen Handelns in wechselseitiges Produzentenverhältnis, bedarf es gemäß der idealistischen, liberal wie klassisch beeinflußten Vorentscheidung lediglich einer 'Kulturkorrektur', um dieses Produzentenverhältnis in seinem Nutzen zu optimieren. Den Nutzen bemißt Hegemann am Maßstab des Konsumenten nach den bildungsbürgerlichen Lebensanforderungen. Deshalb aktiviert er als Planungs- und Ordnungsinstanzen, als Kontrolle für Produzenten und Konsumenten, die Kulturwerte gesellschaftlicher Gruppen, um ökonomisches Handeln zu verändern. Die Art, in der Hegemann Grundlagen klassischer Theorie mit liberalen Wertsetzungen vermischt, zeigt, daß er kein kritisches Verhältnis zur „optischen Täuschung" (Weber) wissenschaftlich begründeter Ideale gewonnen hat 23 und am Geltungspostulat der Gegenwartsdiagnose seiner Leitdisziplin festhalten kann 24 . Deutlich zeigt das sein unrestringierter Debattenbeitrag bei den Verhandlungen des Vereins 1911, an denen er teilnahm und die Potentiale amerikanischer Kommunalsteuern überschwenglich lobte25. Die Forderung nach methodisch exakter Wirtschafts- und Sozialwissenschaft zeigt sich innerhalb des Vereins auch an einem Generationenwechsel, ohne daß damit eine stringente Zuordnung von politischer und wissenschaftlicher „Modernität" gegeben war. Um den Wissenschaftsanspruch eröffnen sich divergierende politische Optionen. Den älteren Forderungen mit antikapitalistischer Note stehen die nach wirtschaftlich-politischer Modernisierung des Staates (Brentano, Tönnies), die Kritiker der Bürokratisierung (die Webers), und prokapitalistische Wirtschaftswissenschaftler (Andreas Voigt) gegenüber. So zeichnet sich eine Unterscheidung zwischen Sozialkonservatismus und Soziallibera2 3 Die differenzierten Untersuchungen gerade des VfSP vermögen dies nicht weiter aufzuklären - ob die Polarisierung im Werturteilsstreit zwischen Schmoller und Weber zu einer geringfügigen methodologischen Differenz als Ergänzung der philosophischen Grundemsteilungen Ausgleich versus Kampf gemindert oder die Neutralisierung der Sozialforschung als Funktion der Festigung des bürgerlich kapitalistischen Staates und seiner Gesellschaftsordnung interpretiert oder als Paralyse infolge anhaltend virulenter Differenzen in der Bewältigung des Grundwiderspruchs zwischen modernem Wirtschaftssystem und anachronistischem Politischen registriert wird; Lindenlaub, Richtungskämpfe ..., S. 434; Gorges, Sozialforschung ..., S. 488; Dieter Krüger, Nationalökonomen im wilhelminischen Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 58). Göttingen 1983, S. 110. Auch hier ist die Diffusion von Grundsätzen in Rand- und externe Bereiche noch nicht in den kritischen Blick genommen worden. 2 4 Das spezifische Kommunikationssystem, wie es in der Teilnahme an Generalversammlungen zum Ausdruck kommt, strahlt eine Bestätigung aus, das die Uberzeugung einer gesamtgesellschaftlichen Steuerungskapazität von Bildung und Wissenschaft weiterhin trägt; Rüdiger Vom Bruch, Gesellschaftliche Funktionen und politische Rollen des Bildungsbürgertums im Wilhelminischen Reich. Zum Wandel von Milieu und politischer Kultur, in: Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum ..., S. 146-179, S. 174 f. 2 5 Er sprach im Anschluß an Richard Ely, Vereinsmitglied und Professor für Politische Ökonomie an der Universität Wisconsin in Madison, über das System der amerikanischen kommunalen Bodensteuern. Hegemann hatte nur eigene Erinnerungen beizusteuern: Bedenken Sie, was für einen Einfluß das auf die Fähigkeit hat, Boden zurückzuhalten und von der Bebauung auszuschließen und wie das die Wohnfrage neu orientiert. ... welche Wirkungen ... auf die Gemeindebudgets ... !... Ich habe nach meinem längeren Aufenthalt in Amerika den Eindruck, daß wir die amerikanische Gemeindebesteuerung in Deutschland noch nicht genug gewürdigt haben. SVfSP 138 (1912), S. 103 f.; vgl. auch S 77, 141. Hegemann mußte Ely aus dem Gedächtnis zitieren, denn er sah sich in seinen Reformforderungen bestärkt, weil Ely 1911 die Wohnungsnot als „notwendige Folge der deutschen kommunalen Besteuerungen" bezeichnet hatte. SVfSP 138 (1912), S. 97.

224

5.3.2

Regelungskonzepte

lismus als nicht partei-, sondern gesellschaftpolitischer Richtung ab 26 . Grundlage war der Konflikt zwischen modernem Industriesystem und inadäquater politischer wie sozialer Verfassung, die Polarisierung zwischen staatsprägendem Großbürgertum, Agrariern, Beamten und wachsender Arbeiterbewegung mit programmatischer Verpflichtung zum Umsturz. Politisch gestützte Machterhaltung und Privilegien ließen die innere Spannung steigen und beschleunigten Desintegration. Diese Lage konstituierte die doppelte Stoßrichtung der Reformer gegen Reaktion und Revolution. Bei durchaus gemeinsamem moralischen Pathos unterschieden sich die Konzepte. Sozialkonservative erwarteten vom starken Staat ausgleichende Gerechtigkeit gegen Gruppeninteressen, die auch die Integrationsmaßnahmen für Arbeiter begrenzten. Kritik an den Eliten setzte an Machterhaltungsstrategien ein, während zwar die Diskrimminierung der Sozialdemokraten abgelehnt, von ihnen aber die Absage an die revolutionäre Programmatik erwartet wurde. Die positive Haltung zum politischen System zeigte sich an den antikapitalistischen Akzenten, am Bestreben, die ökonomische Entwicklung an das System anzupassen. Sozialliberale suchten über das Instrument der Rechtsgleichheit die Integration aller Gesellschaftsgruppen und die Dysfunktionalität des politischen Systems durch Modernisierung und Anpassung an ökonomischen Wandel aufzuheben. Die Leitvorstellungen geregelter Konkurrenz und politischer Partizipation kollektiv organisierter Interessen unter Erhalt der bürgerlichen Dominanz zielte auf einen regelfähigen Konflikt gesellschaftlicher Interessen, den StaatseingrifFe wahrten, ohne wirtschaftliche Entwicklungen zu behindern. Hauptgebiet beider war Konfliktregelung zwischen Kapital und Arbeit, in der die Sozialliberalen dezidierter gegen Privilegien vorgingen, um über allmähliche Umverteilung den Reformismus der Arbeiterschaft zu stärken. Dabei gelang es zunehmend weniger, gemeinsame Zielvorstellungen zu formulieren und mit dem Scheitern weiterer Initiativen wurden 1912 auch Interpretationskonflikte unter den Sozialliberalen unüberbrückbar. Die Gegensätze im sozialliberalen Flügel zentrierten sich um Antibürokratismus und Selbstorganisation versus Staatseingriff und sozialdemokratische Beteiligung, in der auch Gegensätze wissenschaftlicher und politischer Auslegung zum Tragen kamen. Sie können um Weber und Brentano polarisiert werden 27 . Brentano sah nur noch in einer von taktischen Bedenken freien Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie die Möglichkeit, die gesellschaftliche und politische Modernisierung des Reiches voranzutreiben. Dagegen hoffte Max Weber immer noch auf eine Bewußtseinsänderung des deutschen Bürgertums zugunsten seiner langfristigen Interessen.28 26 Vom Bruch, Bürgerliche Sozialreform ..., S. 125. - Dieser Unterschied führt analytisch weiter als die Generationenkategorie; vgl. Krüger, Nationalökonomen ..., S. 15 ff. 27 Siehe dazu auch Wolfgang J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920. 2., Überarb. und erw. Aufl., Tübingen 1974, S. 127 ff. James J. Sheehan, The Career of Lujo Brentano. A Study of Liberalism and Social Reform in Imperial Germany, Chicago 1966, p. 174 ff. Peter Theiner, Sozialer Liberalismus und deutsche Weltpolitik. Friedrich Naumann im Wilhelminischen Deutschland (1860-1919), Baden-Baden 1983, S. 205 ff. 28 Krüger, Nationalökonomen ..., S. 114. Krügers Bewertung, Brentano habe mit freihändlerischem

225

5.3.2

Abbildungen

Der Sozialliberalismus zerfällt in eine marktwirtschaftliche und eine staatsinterventionistische Position 29 . Die erstere sieht keine öffentlichen Unternehmen und gesetzlichen Marktregelungen per sozialpolitischem Sicherungssystem oder progressiver Steuerpolitik vor. Die zweite entwickelt mit dem Ziel soziokultureller Integration der Lohnarbeiter eine systematische Interventionspolitik zur Einkommensverteilung, schließlich einem umfassenden Gesellschaftsprogramm. Hegemann verfehlt auch hier eine fachwissenschaftliche Differenzierung. Tatsächlich hat er zahlreiche Elemente ihres Spektrums aufgenommen, so daß sich die zeitgenössischen Strömungen in seiner Interpretation spiegeln und dieser ihre Valenzen verleihen. Seine Bewunderung für den Verein hat er in den Worten von der „Rettung der brüderlichen Weltanschauung" Ausdruck gegeben. Deshalb nimmt er auch auf, wessen der Verein verlustig gegangen ist: die gelehrte Agitation. Beginnend bei den Staatssozialisten bekennt Hegemann sich zum Kulturstaat mit moralischen Aufgaben und einer antikapitalistischen Note. Sie genügt, um Heinrich Herkner, der aus seinen „antiimperialistischen oder antikapitalistischen Empfindungen keinen Hehl" machte (1905 an Schmoller) 30 , die Arbeit von diesem Impetus getragen und sie als Habilitationsschrift akzeptabel sehen zu lassen. Hegemann fährt doppelgleisig. Die Rezeption der hohenzollerschen Stadtpolitik hat ihn mit den konservativen Sozialpolitikern zunächst an der Fiktion des klassenneutralen bürokratischen Staates festhalten lassen 31 . Sozialkonservativ zeigt er sich bei den Intentionen eines autoritär verordneten Ausgleichs, der neoständischen Raumordnung und erwartet, wie sein Spott über die „Polizierung der Arbeiter von unten" seitens der Sozialdemokratie beweist, die Abkehr von der Revolutionsprogrammatik. Die politische Verurteilung der Kommunalvertretungen und moralische Verdammung der Bodenspekulation nimmt hier antikapitalistische Akzente an. Gleichzeitig wird die Reformergeschichte zum Lob der Selbstorganisation in Genossenschaften und dem Konzept der Selbstorganisation als Kulturwert, in den auch die Programmatik einer Wohlstandsumverteilung bzw. geförderter Partizipation eingeht, was wiederum einer sozialliberalen Linie entspricht. Dem Kern des Konflikts zwischen Modernisierung und Bewußtseinsänderung trägt nun Hegemanns Konzept einer Renovatio Rechnung. Es stellt das Ende der Ausgrenzung und sozialiberalem Kurs und bewußter Bündnissuche zum sozialdemokratischen Reformismus die künftigen Notwendigkeiten viel eher als Weber und die Jüngeren erkannt, ist allerdings eine ideologische Bewertung nach der langfristigen Funktionalität für eine der „kapitalistischen Industriegesellschaft adäquate Ordnung". 29 Günter Trautmann, Die industriegesellschaftliche Herausforderung des Liberalismus. Staatsintervention und Sozialreform in der Politökonomie des 18./19. Jahrhunderts, in: Karl Holl/Günter Trautmann/Hans Vorländer (Hrsg.), Sozialer Liberalismus. Göttingen 1986, S. 34-56, S. 52 f. stellt für erstere Brentano, für die zweite Phillipovich vor. 30 Und daher Schmollers Abneigung gegen Brentano und Naumann teilte; Krüger, Nationalökonomen ..., S. 109. 31 Vgl. Krüger, Nationalökonomie ..., S. 78; Lindenlaub, Richtungskämpfe ..., S. 86. Während unter den Liberalen die gleichberechtigte Teilhabe an politischer Willensbildung bereits als notwendig erkannt ist, gelangt Hegemann erst aufgrund konkreter Erfahrungen mit Verwaltung dahin.

226

5.3.2

Ordnungsfunktionen

der Unterschichten in Aussicht wie eine innovative Beteiligung des gesamten Bürgertums. Hier kommt es zu den multivalenten Uberkreuzungen der Stränge. Mit dem Konzept sollen staatsinterventionistisch Bedingungen für eine Selbstorganisation der Arbeiter in Genossenschaften geschaffen werden, gleichzeitig die Selbstorganisation der Elite gefördert, schließlich auch der Bürger, die als kulturkritische Konsumenten den R a h m e n für die Staatinterventionen abstecken wie den Markt direkt beeinflussen. Hegemann nähert sich so einem staatsinterventionistischen Sozialliberalismus. Seine Haltung ist dabei eine vorkritische, weil die Einheit von Ökonomie und Kultur für ihn eine letzlich unauflösliche darstellt. Die Rationalität ökonomischen Handelns ist unter seinen Kulturidealen eine Funktion der idealen Vernunft und damit eine kulturell geformte, ebenso wie die Rationalität wissenschaftlicher Erkenntnis an sich sie darstellte. Beide sind unmittelbar an Wohlergehen des S u b j e k t s wie der Gemeinschaft angebunden und werden von Wertfreiheitsforderungen nicht berührt. Die (noch) unerschütterliche Zuversicht in eine anhaltende Formationsmacht dieser idealen Vernunft liegt dem zugrunde. Das Erbstück der Nationalökonomie an den Städtebau, das Hegemann aufnimmt und weiterträgt, ist die Ordnungsfunktion. Die Rechtfertigung der Planung besteht in der Sicherung der Wirtschaftsordnung durch Erhalt der (Arbeits-) Kraft in der Volkswirtschaft. Daraus wird der Staatsdirigismus abgeleitet, nicht Vermittlung, institutionalisierte Gremien zur Regelung und paritätische Besetzungen gesucht, sondern Planung als Funktion der Ordnungsmacht und Zuweisung der Autorität nach oben.

5.3.3 Liberalismus Während Sozialreform und Nationalökonomie Vergesellschaftungsformen stellten, legt der Blick auf die Stadtgestalt Hegemanns politisches Bild der Gesellschaft frei. Ebensowenig wie die Mietskaserne selbst wurden die Lebensbedingungen, die deren Wohnwert weiter einschränkten, zum T h e m a der Stadtbaudebatte. Der Zwang zur Heimarbeit und Untervermietung fand zwar Eingang in die Statistik, jedoch keinen Ausdruck in Modellreformen. Sie wurden vom Gegenbild Haus & Garten vollständig aufgesogen, das als Residuum des Ganzen Hauses im Sinn der autonomen Wirtschaftseinheit alle diese Defekte aufhob. Das entspricht einem vorindustriellen Bild. Haus & Garten blenden also weiterhin Lohn- und Berufsarbeit aus und bilden Privatheit im Gegensatz zu einer innerstädtischen Öffentlichkeit. An ihr nimmt der Hausherr und Bürger tagsüber durch Berufsarbeit oder Honoratiorentätigkeit teil, um in die abgeschlossene Privatsphäre von Familie und Erbauung zurückzukehren. Daraus ergibt sich das endlose monozentrische Wachstum der S t a d t , das der Bedeutungssteigerung der Innenstadt mit der Anlagerung zahlreicher, vielfach auf ein Minimum reduzierter Privaträume folgt. Hegemann betrachtet den Handel als Ursprung der S t a d t . Erscheinen wird nur der Luxushandel, dem als Ausweis von Leistungsfähigkeit verstärkte Repräsentation zugeordnet wird 3 2 . Die Einkleidung des - ähnlich der Industrie verkannten - tertiären Sektors in historisch herrschaftliche Architekturformen entspricht 32 Die Idee Berlins als einer der größten Märkte der Welt, einer der Zentralen der (S 128) bleibt bemerkenswert körperlos.

Weltwirtschaft

227

5.3.3 Stadtgestalt der vorindustriellen Residenzstadt 33 . Neben diesem Wohnbedürfnisse ... sind dann die Bedürfnisse des Kultus, der Verwaltung, des Unterrichts, die repräsentativen Gebäude der Großstadt und ihre Gruppierung zu berücksichtigen. Die Idealstadt bleibt trotz allen Abstreitens doch die Schinkels. Industrie und Produktion wurden demnach vom Stadtbau nicht in den Blick genommen. Sie stellten keine Bau- und Gestaltungsaufgabe. Zugleich entspricht diese Ausgrenzung einem liberalen Interventionsverbot, Resultat eines Denkverbots aufgrund der noch relativ jungen Erwerbs- und Gewerbefreiheit, zu erkennen an der sehr wohl erfolgenden äußeren Optimierung mit Entflechtung und Separation sowie verkehrstechnischen Anbindung, die geboten ist. Die Fehleinschätzung industrieller Produktion, die an Begrenzbarkeit und Vereinbarkeit industrieller Nutzungen glaubt, geht neuerlich auf ein Leitbild aus der vorindustriellen Welt zurück. Industrie und Wohnen in Randwanderung zusammenzubinden und die Arbeitersiedlung als Mischung von Wohnen und Arbeiten anzulegen, ist eine teils vergröberte, teils idealisierte Nachstellung der vorindustriellen Stadt kleiner Produzenten 34 , aber auch Nachschöpfung der dörflichen Lebensform eines anderen vermeintlich traditionslosen Standes, der Tagelöhnerkaten mit Subsistenzwirtschaft. Diese Vorstellung gilt der Bewahrung vor der industriellen Gegenwart und einer nur äußerlich statthabenden Ordnung der Stadtphänomene 35 . Die vorindustriellen Harmoniehoffnungen werden auch dort manifest, wo die Stadtgestalt ein Gesellschaftsbild nicht nur wiedergibt, sondern formen soll. Das wird, wie die Details zeigen, einem Zukunftsbild einer klassenlosen Bürgergesellschaft „mittlerer Existenzen", einer ... vorindustriellen berufsständisch organisierten Mittelstandsgesellschaft auf patriarchalischer Grundlage entlehnt, wie es im Frühliberalismus entworfen wurde36. „Mittelständisch" wird dabei ein Richtwert, jedoch nur nach unten. Hegemanns Ziel ist die segensreiche Zusammenfassung der Wohnungen materiell Gleichstehender in Straßen und Stadtvierteln, die aus etwa gleichwertigen Haustypen zusammengesetzt 33 Vgl. die Fassung der Fabriken, Paläste großer Industrie- und Geldgesellschaften, Bureau- und Warenhäuser als gleichartige Objekte; S 64. 34 Vgl. dazu auch Nicolas Bullock/James Read, The Movement for Housing Reform in Germany and France 1840-1914. Cambridge 1985, p. 71-81, über das Ideal des Einfamilienhauses, seit 1850 Ort des Gedeihens der christlichen Familie - dessen deutsches Vorbild dann die Krupp-Siedlung Margarethenhöhe in Essen wird. 35 So verkörpert etwa der von Hegemann abgebildete und gelobte gemeindliche Bebauungsplan für Johannistal diese Ordnung beispielhaft: freies Industriegelände wird von Mietskasernen umschlossen, die zentrale Verkehrsstraße soll als Promenade erhalten bleiben-, S Abb. 95. Die Anlage stellt eine verharmlosende Kopie großbürgerlichen Wohnens dar, dessen Repräsentationsräume sich einer großstädtisch harmonischen Welt, die Wirtschaftsräume aber zur realen Gegenwartswelt öffnen. Wenn Eberstadt solche Nachstellungen vermied und sein zeitgenössisches Projekt das gleichmäßig gegliederte, homogene Arbeiterwohngebiet durch Bahn. Böschung und Straße von der Industrieansiedlung abschirmte und das der leitende Entwurf für die Baugenossenschaft „Ideal" wurde, waren die Betroffenen klüger als Hegemann. 36 Lothar Gall, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft". Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland (1975), in: Lothar Gall (Hrsg.), Liberalismus (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 85). Köln 1976, S. 162-186, S. 176.

228

5.3.3 Bürger tum

sind37. Entflechtung und Sicherung des schichtenspezifischen Gebrauchs der Stadt versuchen, den geschützten Privatraum für die individuelle Entfaltung in der Oberschicht zu garantieren und für potentielle Mittelschichten zu schaffen. Hegemann entfernt jedoch ihr Vorbild räumlich, weil auch er in dem konservativen Argument verfangen ist, daß eine 'Begehrlichkeit' der Unterschichten nicht unterstützt werden dürfe 38 . Doch ihrem Aufstieg kommt der leichte, schnelle und dem Aufstreben der Minderbemittelten so günstige Gang der kleinhausmäßigen Stadterweiterungen entgegen. Für Hegemann verfügen die Unterschichten selbstverständlich über originären Besserungswillen des Selbst und seiner Lebensverhältnisse. Wenn er die Teilnahme in der Elite der Arbeiterschaft und überhaupt im Mittelstande für die Verbesserungen der furchtbaren Wohnungsverhältnisse als das Hoffnungsvollste für die städtebauliche Zukunft Berlins bezeichnet39, bewertet er den individuellen Kulturtrieb und Bildungswillen als eine formationsmächtige Gesellschaftskraft. Dafür fehle jedoch ein „stolzes, machtvolles Bürgertum". Hegemann folgt damit einer essentiell liberalen Idee, die das Bürgertum zum Gegenpol des Obrigkeitsstaats bestellt. Das Bürgertum soll die Unterschichten mittels Angleichung aufsaugen und aus sich heraus den Staat bilden, als Ordnungsmacht der wirtschaftlichen Entwicklung fungieren und geistig-sittliche Instanz sein. Die Berufung wieder auf eine vorindustrielle Ordnungform, die Städteordnung von 1808, macht dies deutlich. Hegemann sucht sie als angemessene Regelung des Gemeinwesen mit politischen Pflichten geltend zu machen. Nach der frühen Verfassung ihren Aufgaben gewachsen, sei die Gemeinde heute jedoch ein wesentlich wirtschaftlicher Verband, der seine großen sozialpolitischen Pflichten ungestraft vernachlässigen kann. Hegemann verlangt mit den Worten Otto von Gierkes eine „überindividuelle Daseinsordnung", die als Ableitung der ethischen Pflichten des „Kulturstaats" gelten kann 40 . Liberalismus beinhaltet nach wie vor ein kritisches Potential 41 . Die zeitgenössische 37 S 24, 64 f. Vgl. dazu den Spott über James Hobrechts Rechtfertigung sozialer Durchmischung. Er habe geglaubt, die Berliner Mietskasernen könnten die soziale Frage dadurch lösen, daß die sogenannte bessere Familie in der Vorderwohnung den kleinen Leuten in der Hofwohnung einen Teller Suppe oder eine alte Hose hinüberschickt; S 24, vgl. S 81 und unten 7.6.2.4 Rezeption des „Steinernen Berlin". 38 In der räumlichen Entfernung schlägt sich jedoch das weitere alte Vorbild nieder: die Arbeiterhäuser stehen als Kopie ländlicher Siedlungsformen gegen die Villenviertel kopierter Gutsherrenhäuser. 39 S 103, 89; vgl. zur Lösung parteipolitischer Disziplinierung S 82, auch S 65. 40 Die Aufgabe heißt für Hegemann nach Gierke, die Städte „mit dem Geiste eines sittlichen Organismus zu erfüllen, dessen Lebensberuf jenseits des Tagesnutzens in der überindividuellen Daseinsordnung des Ganzen liegt"\ S 106. Vgl. unten 5.5.1 Wandel. 41 Die Revitalisierung des liberalen Wertekanons seit 1890 sei zwar in unübersehbarer Forschungsliteratur in institutionellen Aspekten untersucht, jedoch bestehe ein Defizit, die eher bildungsbürgerlichen als parteipolitischen Initiativen im Zusammenhang mit politisch-kultureller Erfahrung und individuellen Welt- und Gesellschaftsdeutungen zu interpretieren, betont Gangolf Hübinger, Hochindustrialisierung und die Kulturwerte des deutschen Liberalismus. In: Dieter Langewiesche (Hrsg.), Liberalismus im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 79), Göttingen 1988, S. 193-208, S. 197; ein Defizit, das diese Überlegungen nicht füllen, sondern nur gleichfalls betonen können.

229

5.3.3

Gesellschaftsbild

Prägnanz des Begriffs legt eine Distributionsgerechtigkeit der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritte als Maß an 4 2 . Der Wirtschaftsliberalismus wird, wie eine zeitgenössische Definition zeigt 43 , in seinen Errungenschaften von einheitlichem Wirtschaftsraum und Gewerbefreiheit positiv, im aktuellen Stand als „Auslieferung der wirtschaftlich Schwachen an die wirtschaftlich Starken" jedoch negativ bewertet. Die Sicherung der Freiheitssphäre gegen die Staatsgewalt und die Gleichheit vor dem Gesetz gelten als teilweise, die Partizipation der Staatsbürger mit eigenen Rechten und Souveränität als noch unvollständig erfüllt. Hegemann bleibt dabei Anhänger der freien Wirtschafts Verfassung. Spekulation ist ein vorübergehender Defekt des Baugewerbes, staatliche Reglementierung von Schaden. Die äußere Freiheit ökonomischen Handelns unter geringster Beschränkung entwickelt nach wie vor den meisten Nutzen für Individuum und Allgemeinheit. Von der „neuen" Wirtschaftsepoche erhofft er sich Bedarfsdeckung, ebenfalls ein vorkapitalistisches Motiv, die Ausgestaltung im Sinne wirtschaftlicher Befriedigung aller berechtigten Interessen der Gesamtheit, schließlich „unbegrenzte Produktivität" durch „unaufhaltsam fortschreitende" Industrialisierung, beeinträchtigt nur durch Verzerrungen des Marktes 44 . Solche verzerrenden Interventionen wie die Schutzzollpolitik auszusetzen sowie positive Maßnahmen nach dem typischen Vorbild der Preußischen Bauernbefreiung zu fordern, erwartet die Rückführung der Rechtsverhältnisse auf ein gerechtes Maß seitens eines neutralen Staates. Hegemann versteht mit den Frühliberalen die Sicherung des Eigentums als Schutz gegen Willkür, nicht aber, es gegen Zwecke des Einzelnen oder der Gesellschaft verwenden zu können. Er reflektiert auf eine auf Rationalität gegründete Selbstbeschränkung des Individuums. Aktive Sozialpolitik antwortet in Hegemanns Sicht nur auf die in der Ökonomisierung verfestigten Machtprivilegien der Gruppeninteressen. Zugrunde liegt die frühliberale Uberzeugung, eine auf Vernunft gegründete, Willkür und Privilegien ausschließende Gesellschaft freier Individuen werde ... aus sich heraus die materielle 42 Zum Interpretationsansatz siehe Gall, Liberalismus ..., S. 162 f. als „politisch-soziale Reformbewegung" zum repräsentativen Verfassungsstaat. Dagegen Wolfgang J. Mommsen, Der deutsche Liberalismus zwischen „klassenloser Bürgergesellschaft"und „Organisiertem Kapitalismus". Zu einigen Liberalismusinterpretationen, in: GUG 4 (1978), S. 77-90 kritisch zur „sozialgeschichtlich drapierten ideengeschichtlichen Betrachtung"; vgl. Wolfgang J. Mommsen, Wandlungen der liberalen Idee im Zeitalter des Imperialismus. In: Karl Holl/Günther List (Hrsg.), Liberalismus und imperialistischer Staat. Göttingen 1975, S. 109-147, S. 122-124 und 133-137. Für sozialgeschichtlichen Hintergrund und aktive Verwendung seitens eines Subjekts genügen Mommsens Klassifikationen nicht, zumal Hartwig Brandt, Zu einigen Liberalismusdeutungen der siebziger und achtziger Jahre. In: GUG 17 (1991), S. 512-530, in umfassender Debatte der Kontroversen um Bewertungen des Liberalismus des 19. Jahrhunderts belegt, daß einige Themen wie auch der Zeitraum nach der Jahrhundertwende weitgehend unbeachtet blieben. 43 Als Beispiel Adolf Ott, Liberalismus. In: Staatslexikon. Im Auftrag der Görres-Gesellschaft hrsg. von Julius Bachem, 3. neubearb. [= 4.] Aufl., Bd. 1-5, Freiburg i.B. 1909-1912, Bd. 3 (1910), Sp. 842-850. Das „Handwörterbuch der Staatswissenschaften" der 3. Auflage verzeichnet zeitgleich kein solches Stichwort. Vgl. dazu Rudolf Vierhaus, Liberalismus. In: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, S. 741-785 und S. 787-815 der Exkurs: wirtschaftlicher Liberalismus von Rudolf Walter. 44 S 68, 112, 91 und Ausfälle gegen die Agrarier S 98, 81.

230

5.3.3

Frühliberalismus

Ungleichheit so weit begrenzen, daß die Freiheit des einzelnen nicht gefährdet ist45. Damit sind grundsätzliche bürgerliche Kulturwerte als funktional für eine geregelte Gesellschaftsordnung bestimmt und können von Hegemann wiederum als Ordnungsfaktoren eines freien Wirtschaftssystems beansprucht werden. Ein Bruch mit traditionellen Ordnungsvorstellungen war nicht erforderlich. Da im deutschen Frühliberalismus dem Wandel durch politische Emanzipation die Reform durch Bürokratie integriert oder der gar ersetzt werden konnte, wurde die Harmonievorstellung einer allgemeinen verantwortlichen politischen Beteiligung am reorganisierten Staatswesen bekräftigt. Der Wunsch nach sozialer Kontinuität wird in der evolutionären Entwicklung aufgehoben. Ökonomische Fortschritte und kontinuierliche Aufklärung, und zwar auch in einem sehr nüchtern-pragmatischen Sinne, der Verbesserung der Berufsqualifikation und der leistungsbezogenen intellektuellen Mobilität, lösen soziale Ungleichheiten durch Zuwachs an geistig und materiell selbständigen Bürgern auf. Da die Industrialisierung stattdessen aber eine Klassengesellschaft freisetzte, konstatierten dogmatische Interpretationen eine Fehlentwicklung infolge von Teilmodernisierungen, mit denen der Staat die Formationsmächte der gesellschaftlichen Kräfte unterdrücke. Die Emanzipation zu politischer Partizipation sollte dies korrigieren. Diese Polarisierung benutzte Hegemann in dem Bild des von Staatsseite niedergehaltenen idealisierten Bürgertums, dessen doch vorhandene Stärke sich gegen die Ökonomisierung nicht mehr durchzusetzen vermag. Zugleich benutzte Hegemann jedoch revisionistische Interpretationen. Sie gaben die Evolutionserwartung auf und verlangten positive Eingriffe in gesamtgesellschaftliche Ordnungsverhältnisse, bei denen nicht die Partikularvertretung des Wirtschaftsbürgertums, sondern die Teilnahmeberechtigung unterbürgerlicher Schichten Maßgabe sein sollte 47 . Statt, wie es das liberale Konzept vorsieht, durch eine bereits geistig wie materiell selbständige Existenz sozusagen das Entreebillet in die „bürgerliche Gesellschaft"48 erwerben zu lassen, will Hegemann den Wirkungszusammenhang umkehren. Da er schon 1910 originären Bildungswillen und autogenen Kulturtrieb festgestellt hatte, die eine individuelle Aufstiegsfähigkeit konstituierten 49 , will er die äußeren Voraussetzungen der „geistig und materiell selbständigen Existenz" fördern. Wo Naumann vom „Industrie45 Dieter Langewiesche, Liberalismus in Deutschland. Frankfurt a.M. 1988, S. 15-27, S. 31 über Welcker. 46 Gall, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft" ..., S. 172. Hegemann Konzept autogenen Bildungswillens rekurriert also auch auf Ausschöpfung eines qualifizierten Arbeitskräftepotentials. 47 Vgl. Gall, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft" ..., S. 174. - Hegemann projiziert diese Haltung bezeichnenderweise auf die Kathedersozialisten und nicht auf den Sozialliberalismus. Er versteht sie als eine wissenschaftlich begründete außerhalb politischen Legitimationsbedarfs, um seinem Themenbereich Chancen für eine verbürgerlichte Gesellschaft abzugewinnen. 48 Gall, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft" ..., S. 172. 49 Liberale Gesellschaftskritik gilt der Erhaltung von Persönlichkeit: den Spielraum gesellschaftlicher Selbsterneuerung gegenüber den Nivellierungstendenzen der Massengesellschaft zu erhöhen, so Hübinger, Hochindustrialisierung ..., S. 204. Zu Selbsterneuerung beabsichtigt Hegemann nicht, Nivellierungstendenzen aufzuheben, sondern auszunutzen; DifFerenzierungsmöglichkeiten für die von der Industriegesellschaft Gleichgemachten zu gewinnen, und zwar den unterbürgerlichen wie den bildungsbürgerlichen Gruppen gleichermaßen, die als ausgeschlossen oder vom Ausschluß bedroht gelten.

231

5.3.3 Staatskritik

feudalismus" spricht, sieht Hegemann „Wohnungsfeudalismus" und will den Staat zugunsten gerechterer Verteilung der materiellen Lebenschancen intervenieren sehen50. Doch auch er mißtraut dem Interventionsstaat und setzt gleichzeitig auf Emanzipation durch Genossenschaften, wie sie bei Brentano und Naumann durch verbriefte Entfaltung der Gewerkschaften geschehen soll. Genossenschaften leiten nicht nur zur Tätigkeit an, sondern produzieren Besitzer, die sich der selbständigen Existenzweise annähern. Die industrialisierte Gesellschaft erzeugt über die Bedarfsdeckung hinaus eine Prosperität, die mit zunehmender Gleichheit in politischer Ubereinstimmung der Interessen resultiert. Hegemann teilt einen Standpunkt, wie er auch bei Weber und Naumann zu finden ist, von der Unumkehrbarkeit des Ubergangs zur Industriegesellschaft und ihrer spezifischen sozialen Formationen. Er ist jedoch nicht in der Lage, Webers Forderung zu entsprechen und den bürgerlichen Klassenstandpunkt zu erkennen und bewußt vertreten zu können51. Desgleichen hätte er Naumanns Forderung nach Politisierung der Kommune verneint, weil die eigene Zielbeschreibung noch immer auf die Gesamtvertretung gelautet hätte. Modernisierung durch politische Teilhabe und freie Organisation betrachtet er vor allem als Korrektur nach historischen Vorbildern. So leitet sich das Gesamtvertretungspostulat aus den Kulturwerten des Bildungsbürgers ab und Hegemann bleibt Exponent einer defensiven Haltung, die innovatorische Leistungen erlangt, ohne im Gesamtentwurf eine moderne Gesellschaft zu skizzieren52. Hegemanns Kritik des Staats ist zuerst eine der (Reichs-, Staats-, Kommunal-) Behörden ob sich überschneidender Kompetenzen, mithin mangelnder Effizienz. Der Vorwurf reiner Eigenvertretung in fiskalischen und militärischen Interessen, der es an Legitimation mangele, wiegt jedoch schwerer. Hier wird nicht nur Neutralität des Staats erwartet, sondern eine Staatspersönlichkeit, vormals König und beamtete Staatsdiener, nun „Bürgersinn und Gemeingeist". Diese Vorstellung greift auf die frühliberale Idee vom Aufgehen des Staatshandelns in Bürgertugenden zurück. Hegemann kann deshalb in der Rückprojektion seine Verfallsdiagnose an den Stand der allgemeinen Bildung, der öffentlichen Moral richten53. Das Selbstverständnis liberaler Reformbeamter ließ sie mit ihrer „Arbeit für das Allgemeine" als ständisch unabhängige und politisch handlungsfähige Modellstaatsbürger erscheinen54. Diese Identifikation ihres Wirkens mit dem Gemeinwohl mißachtete den 50 Peter Theiner, Friedrich Naumann und der soziale Liberalismus im Kaiserreich. In: Sozialer Liberalismus. Hrsg. von Karl Holl, Günter Trautmann, Hans Vorländer, Göttingen 1986, S. 72-83, S. 78. 51 Sich auf die Nation als interessenpolitische Clearingstelle, vor allem aber als Legitimitätsquell zu berufen, hinderte eine klassenbewußte Parteipolitik; Langewiesche, Liberalismus ..., S. 211-227, S. 217; vgl. Gall, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft" ..., S. 175-177. Theiner, Naumann ..., S. 81. 52 Von anderer Seite behinderte das bildungsbürgerliche Selbstverständnis: Der Liberalismus sollte politisch und sozial geöffnet werden, um ihn der gesellschaftlichen Fundamentalpolitisierung und ihren veränderten politischen Handlungsbedingungen anzupassen, ohne die bildungsbürgerlich geprägten liberalen Kulturwerte preiszugeben. Dieter Langewiesche, Bildungsbürgertum und Liberalismus im 19. Jahrhundert. In: Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum ..., S. 95-121, S. 108. 53 S 84, vgl. S 10, 89, 105 f. 54 Langewiesche, Liberalismus ..., S. 15-27, S. 17 f.

232

5.3.3

Modellbürger

Wandel von der Staatsbürgergesellschaft zum handlungsfähigen Staat, von freien zu verwalteten Bürgern. Hegemanns „Geheimratsliberalismus" meint das Feindbild einer Veränderung der Gesellschaft von außen nach einem rationalen, gesamtgesellschaftlichen-utilitaristisch orientierten Planungskonzept mit Hilfe des monarchisch-bürokratischen Anstaltsstaates55. Die Ökonomisierung der Politik nach der Wirtschaftskrise von 1873 stellte die Priorität des Politischen in Frage 56 , weil sie die kausale Verbindung zwischen politischem und wirtschaftlichem Fortschritt auflöste. Mit dem Ubergang vom linken zum rechten Nationalismus nach der Reichsgründung 1871, der die Kultur weit der Nationalstaatsidee aufkündigte, entstand die zeitgenössische Deutung, „an Stelle eines politischen Kulturinhalts gemeinen Interessenstreit gesetzt" zu haben 57 . Dieser Kulturschock ist Hegemanns „Kultursturz" 5 8 . Deshalb kann Hegemann in Anlehnung an jene Reformbeamten und Modellstaatsbürger den jetzigen die tüchtigen Sachverständigen und die höchsten Beamten des 17. Jahrhunderts als vorbildlich entgegenhalten, weil er sie als Vertreter der Fachkenntnis und der Neutralität versteht. Der Kulturschock der Ökonomisierung eröffnete eine tiefe Sinnkrise des Liberalismus 59 . Ein kulturprotestantisch geprägter innerweltlicher Fortschrittsglaube löste den Evolutionsoptimismus ab und baute auf Vernunft und Gestaltung unter dem Leitbegriff Wissenschaft 60 . Die ständisch-traditionellen sozialen Ordnungsvorstellungen waren durch bildungsbürgerliche substituiert worden, die eine auf sozialer Ungleichheit errichtete Kulturgesellschaft historisch und funktional begründet wußten 61 . Wo Hegemann alte Rechte als Protektion erkannte und nicht eingelöste historische einforderte, brachte er einen typisch bildungsbürgerlichen Rahmen zur Geltung und konnte damit zugleich an ein kritisches Potential des Frühliberalismus anknüpfen, das der Staatsidec die Schaffung gerechter und gleicher Rahmenbedingungen aufgegeben hatte, was wiederum mit der Bildungsidee korrelierte. Die Honoratiorenparteien des frühen Liberalismus entsprachen durch bildungsbürgerliche Herkunft, wirtschaftliche Unabhängigkeit und dichte Vernetzung in vorpolitischen Milieus den Vorstellungen von bürgerlichen Gesamtvertretern. Nach ihrem Vorbild ergeht Hegemanns Auftrag an die bürgerlichen Eliten zur Beteiligung für das Gemeinwohl. Honoratioren waren immer mehr von Parteipolitikern abgelöst und mit wirt55

Gall, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft"..., S. 164. Langewiesche, Liberalismus ..., S. 177 ff. 57 Langewiesche, Bildungsbürgertum und Liberalismus ..., S. 100 ff. (Ludwig Bamberger 1881). 58 Vgl. bes. Entwicklung (1912) 109 vor der GfSR, wo Hegemann dieses verhängnisvollen Sturzes der Erkenntnis, wie man analog dem Worte Temperatursturz sagen müßte, ausführlich gedachte. 59 Siehe dazu etwa auch Theodor Schieder, Die Krise des bürgerlichen Liberalismus. Ein Beitrag zum Verhältnis von politischer und gesellschaftlicher Verfassung (1958/1970), in: Gall (Hrsg.), Liberalismus ..., S. S. 187-207, nach dem der Liberalismus erst zur Geltung kam, als in dem ihn tragenden Bürgertum unter gesellschaftlicher Differenzierung bereits die Dekomposition eingesetzt hatte. 60 Langewiesche, Liberalismus ..., S. 180-182. 61 Zieht man mit Langewiesche, Liberalismus ..., S. 188 f., Treitschkes von Hegemann kritisierte Schrift als Beispiel eines bildungsbürgerlichen Gesellschaftsbilds heran, ergeben sich die Parallelen, die erklären, warum Hegemann ihn einerseits angriff, andererseits seine Äußerungen als Motti verwendete. 56

233

5.3.3

Reformideen

schaftsbürgerlichen Gruppeninteressen und Großkapital identifiziert worden62. Imperialistische Weltpolitik fungierte als der neue integrative Faktor gegen gesellschaftliche Differenzierung63, während personale Gräben bestehen blieben 64 . Hegemanns Forderungen erheben somit den Anspruch, die Prioriät (außenpolitischer) staatlicher Handlungsfähigkeit durch die Direktive des (innenpolitischen) Gemeinwohls zu ersetzen, und Gesellschaftsreform nicht dem Anstaltsstaat, sondern den Gemeinschaft bildenden Bürgern zu überlassen. Seine politischen Reformwünsche zentrieren sich zwangsläufig um die Kommune. Eine Wahlreform und die kommunale Einheit des Siedlungsgebiets wie der Verwaltung GroßBerlins als notwendige Vorbedingung für kommunale Freiheit und gesundes self-government65, wären die Reformen, die Reich und Staat von oben vorzuleisten hätten. Die engmaschigen Kontrollfunktionen - Planungsbehörde mit Exekutive, Grundsteuerreformen, aktive Bodenpolitik, Ausbau der Infrastruktur - geben das Netz zur Beteiligung von 'unten', der einzelnen Bürger, vor. Keine mit dem Eigentumsrecht konfligierenden Maßnahmen, wie er sie im Absolutismus bewundert hatte, sind geplant, sondern Aufklärung und Durchsetzung im Kulturkampf - unter der Devise „Berlin für die Berliner". Die ausgebliebene Wahlrechtsreform sicherte gerade den Liberalen in den Städten bis 1918 eine überproportionale Repräsentanz, mit der sie Reform und Demokratisierung blockieren konnten 66 . Gleichzeitig wurden in diesen Städten Modelle für einen Interventions- und Sozialstaat entworfen, die die Kommunen bei der Daseinsvorsorge zu einem Experimentierfeld für die Vereinbarkeit von bürgerlichen Interessen und Sozialpolitik machten 67 . Mittels des wiederbelebten älteren Konzepts der Selbstverwaltung, dessen Ausformung Hugo Preuß in Anlehnung an Otto von Gierkes Genossenschaftslehre entschieden vertrat und Hegemann mit angemessener moralischer Entrüstung wiederge62Langewiesche, Liberalismus ..., S. 145 ff., Jürgen Reulecke, Bildungsbürgertum und Kommunalpolitik im 19. Jahrhundert. In: Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum ..., S. 122-145, S. 127. 6 3 Siehe dazu Mommsen, Wandlungen ..., S. 133-137, S. 134: Objektiv gesehen hatte die nationale Idee in ihrer imperialistischen Steigerung für die liberale Bewegung gleichzeitig die Funktion einer Integrations- und einer Modernisierungsideologie [H.i.T.]. Sie trug entscheidend zur Polarisierung von Nationalliberalen gegen Sozialdemokraten, damit gegen Linksliberale, bei. - Bei solcher Funktionalität und Kongruenz des Handelns erscheint Mommsens Deutung der imperialistischen Bindung als „Sündenfall" problematisch. 6 4 Siehe dazu: James J . Sheehan, Deutscher Liberalismus im postliberalen Zeitalter. In: GUG 4 (1978), S. 29-48, S. 46. Sheehan geht davon aus, daß trotz taktischer Arrangements und persönlicher Zusammenarbeit der Bruch zwischen Liberalen und Sozialdemokraten zu groß war. Gerade in Rahmen der Kommunalpolitik, auf der untersten Ebene der politischen und sozialen Interaktion bildeten tiefliegende Verhaltensmuster der Feindseligkeit und der Diskrimminierung eine unüberwindliche Barriere. 6 5 S 106; 48. Der Gebrauch des englischen Begriffs ist Verweis auf das häufig zitierte Londoner Vorbild, S 10, 16, 59 u.ö. Es deutet aber auch auf Rudolf von Gneist, der darin ebenfalls ein - allerdings eigenwillig interpretiertes - Vorbild sah. Reulecke, Bildungsbürgertum und Kommunalpolitik ..., S. 127. 6 6 Laut James J . Sheehan, Liberalism and the City in Nineteenth-Century Germany. In: Past and Present 51 (1971), p. 116-137, p. 137, eine ironische Wirkung der Geschichte, weil die Forderungen nationaler Repräsentanz sie ausgerechnet auf die letzte Bastion kommunaler Repräsentanz zurückwarfen. 67 Reulecke, Urbanisierung ..., bes. S. 125-131; Langewiesche, Liberalismus ..., S. 210.

234

5.3.3 Defensive

geben hatte, sollte die Gemeinde in einer Komplementärfunktion zum Staat zu einem gleichgestellten Organisationsverband werden. Preuß erhoffte sich von dieser Reform eine politische Fortschrittlichkeit als „Urbanisierung" der gesamten Gesellschaft und Hegemann folgt ihm darin 68 . Hegemanns demokratische Forderungen erliegen aber auch der Defensive. Seine Wahlrechtsreform wollte vor allem Kanäle der Partikularinteressen zuschütten: das Hausbesitzerprivileg, das die Kapitalisierung städtischen Wachstums Minderheiten vorbehielt, den Zensus, der den Interessenüberhang der Wirtschaft garantierte. Er wollte durch einen Gemeinwillen eine neutrale, mindestens mehrheitsgebundene Verwaltung etablieren. Auch ihn treibt bei der „Erneuerung demokratischen Denkens" nicht die Ermittlung eines Mehrheitswillens, sondern der Einsatz als Korrektiv gegen Gruppeninteressen 69 . Wenn die fortschreitende Industriegesellschaft, wie bei Weber und bei Naumann, plebiszitärer Zusätze zur parlamentarischen Willensbildung bedürfe70, überwiegt korrigierende Ergänzung reformierende Erneuerung. Auch im Verhältnis zu Leitfiguren zeigt sich die Defensive. Hegemann teilt die vielstimmige Besorgnis zur Rekrutierung politischen Führungspersonals. Seine häufig beschworenen „ersten Männer der Nation" geben die Aufgabenverschiebung des parlamentarischen Systems wieder, die von der Willensermittlung zur Auslese und Begründung der Demokratie als der Herrschaft innerlich unabhängiger Führer verlagert wird. Die liberale Idee staatlicher Autorität war damit imperialistisch modifiziert worden, was zwar eine realistische Einschätzung von Herrschaftsprozessen bedeutete 71 , aber auch das Unverständnis gegenüber demokratischen Systemen anzeigte, das auf die mangelnde Alltagspraxis und beschränkte Reflektionsfähigkeit der Republikaner vorausdeutet. Die demokratischen Forderungen Hegemanns erwachsen demnach einer verschränkten Motivation. Wo der Zugang unterbürgerlicher Schichten zur politischen Partizipation forciert werden soll, da auch der der Eliten. Die Renovatio muß als Versuch gedeutet werden, die bereits auseinandergefallene Einheit von Bildungsbürgern und Politikbesetzung wieder zu vereinnahmen und damit auf gesellschaftliche Hierarchie nicht zu verzichten, sondern Elite über eine leistungsbezogene Legitimation fortschrittlich zu fundieren. Erbstücke, die Hegemann damit vom Liberalismus an den Städtebau weiterreicht, sind weniger exakt zu fassen als vorige. Sie machen Städtebau zum Teil einer liberalen Verortung des Individuums zwischen Gesellschaft und Staat 7 2 . Ein vorindustrielles Leitbild 68 Sheehan, Liberalism and the City ..., p. 133. Vgl. Peter Gilg, Die Erneuerung des demokratischen Denkens im wilheminischen Deutschland. Eine ideengeschichtliche Studie zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, Wiesbaden 1965, S. 227 ff. 69 Gilg, Erneuerung ..., S. 170 f. Auch dies eine ironische Wirkung, war doch die Begünstigung der Eigentümer von Stein in der Städteordnung 1808 als Korrektiv gegen eine „Unstetigkeit" der Verwaltung eingesetzt worden, siehe Reulecke, Bildungsbürgertum und Kommunalpolitik ..., S. 123. 70 Theiner, Naumann ..., S. 75; vgl. Gall, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft"..., S. 176. 71 Mommsen, Wandlungen ..., S. 140 f. 72 Dabei ist die Gefahr einer allgemeinen Veranschlagung „des" Liberalismus - Langewiesche, Liberalismus ..., S. 284 - auch durch den Versuch einer biographischen Untersuchung nur bedingt gebannt, als eine zur Bewertung des prokapitalistischen Umgangs der Planer mit der Stadt vorauszusetzende Dif-

235

5.3.3 Interpreten

dirigiert nicht nur Gesellschafts- und Stadtbild, sondern auch die Wahrnehmung des bewußt bejahten freien Eigentums, dessen rationale Nutzung größtes Wohl, und seiner Dynamik enthoben, beste Ordnung verspricht. Dieses Leitbild vermag nicht nur die Stadtgestalt sozialharmonisch zu ordnen, sondern auch deren Gesellschaft stabil zu verwalten. Insofern sehen frühe Planer sich als Interpreten des städtischen Lebens, wobei sie ein retrospektives ästhetisches und politisches Bild auf die Potentiale der Moderne anwenden73. Hegemann steht dabei für eine typische Verschränkung in der Modernisierung74. Während die Ausweitung demokratischer Teilhabe einem älteren, aber progressiven Leitbild entspricht, verzichtet sie aber gemäß der wirtschaftsliberalen Denkverbote auf eine Organisation der Nutzerinteressen und bereitet eine Enteignung durch vollständige Übereignung gestalterischer Autorität auf Gremien vor, die demokratisch sanktioniert sind, aber kraft Kunst autoritär arbeiten. In die Schnittpunkte von Staatsbürgergesellschaft und Staatsautorität, von Bauherren und Bewohnern schiebt sich eine Mittlerinstanz, deren Motive ebenso ambivalent sind wie ihre Effekte. 5.3.4 Deutscher Werkbund Dem Deutschen Werkbund (DWB) trat Hegemann schon 1910 bei75. Diese Assoziation folgte unmittelbar der Aufnahme der Arbeiten für die Ausstellung. Sie war von denen vorgegeben, deren Bekanntschaft Hegemann im Zuge der Ausstellung machte 76 , und stimmte auch mit derjenigen der persönlichen Bekannten überein, die sich in einer ähnlich offenen beruflichen Positionen befanden wie Brinckmann, Behrendt und von Pechmann. Obwohl der Werkbund zuerst eine Vergesellschaftungsform stellte, liegt seine Bedeutung für Hegemann wesentlich höher, versorgte er ihn doch mit einem einzigartig kohärenten Wirkungsbild, das die divergierenden Elemente zusammenführte. ferenzierung wie auch die von Hübinger geforderte sozial- und individualgeschichtliche Interpretation noch aussteht. 73 Städtebau ist in dieser Vorstellung nicht, wie etwa Piccinato, Städtebau ..., S. 28 f. unterstellt, nur der Erfüllungsgehilfe des Liberalismus, sondern auch Medium der Kritik der liberalen Wirtschaftsgesellschaft. 74 Wie in Nationalökonomie politische und wissenschaftliche Modernität nicht deckungsgleich waren, gilt auch hier: Politische und sozialpolitische „Progressivität" deckten sich nicht. Langewiesche, Liberalismus ..., S. 195. 75 Im Jahrbuch des Deutschen Werkbundes [JDWB] 1 (1912) und 2 (1913) als Dr. rer. pol. in der (unpaginierten) Mitgliederliste. Da die Archivalien des DWB 1944 verbrannt sind, lassen sich keine genaueren Angaben ermitteln. In der vom Werkbundarchiv angefertigten Konkordanz erscheint Hegemann zuerst 1910, noch unter der Anschrift seines Onkels, und 1913 mit der Anschriftenänderung Trabener Str. Der letzte Eintrag datiert von 1919, so daß Hegemann auch nach seinem Aufbruch in die Staaten diese Organisation weiterhin als seine geistige Heimat betrachtete. Ob es sich um Austritt oder Streichung aufgrund fehlender Rückmeldung handelt, bleibt offen. - Offenbar ungeklärt ist, ob der DWB nur kooptierte; Jäckh stellte im J D W B 2 (1913), S. 97, eine entsprechende Einladung vor. Diese Schranke hätte Hegemann aufgrund seiner Tätigkeit für die Ausstellung passiert. 76 Für 1913 wären etwa zu nennen: Behne, Bernoulli, Eberstadt, Puchs, Geßner, Heuß, Robert Breuer, Högg, Kerschensteiner, Harry Keßler, Wilhelm Merton, Leberecht Migge, Jakob Ochs, Max Osborn, Alfons Paquet, Max Sering, Paul Wynand.

236

5.3.4 Organisation

Die Gründung des Deutschen Werkbundes im Oktober 1907 bedeutete eine neue Organisationsform für einen Kunst- und Förderverein. Zwölf Industrielle und zwölf Künstler riefen hundert weitere zur Vereinigung auf. Ihre Absicht, einen organisierten Austausch zwischen Kunst und Produktion zu fördern, stand von Beginn an zwischen Modernisierung und Retrospektive 77 . An den wichtigsten Persönlichkeiten der Gründungsphase zeichneten sich kommende Konflikte ab. Wenn Henry van de Velde für eine Reform der Künstlerausbildung eintrat, in der Künstler mit Handwerkern zu einer angewandten Kunst fanden, war der spätere Streit um Maschinenform bereits vorprogrammiert. Denn für Hermann Muthesius war die Reform des Kunstgewerbes, mit der Manufaktur- und Industrieprodukte zu ästhetisch und materiell hochwertigen Gebrauchsgegenständen entwickelt werden sollten, ein nationales Wirtschafts- und Sozialprogramm, das Typenbildung erforderte. Für den Politiker Friedrich Naumann wurde die „Qualitätsarbeit" zum Schlüsselbegriff, die sowohl ein soziales Programm gegen Entfremdung und Proletarisierung wie ein Wirtschaftsprogramm für Export und Weltpolitik verhieß. Sich bei staatlicher Unabhängigkeit privat zu organisieren, war damit programmatisch. Naumann etwa verglich den neuen Verband sowohl mit Gewerkschaft wie Industrieverband. Im Unterschied zu anderen Bildungsvereinen sollten die Mitglieder ausnahmslos auch für ihre Ziele tätig sein. Am 1. März 1911 waren von 922 Mitgliedern 494 Künstler, 290 Gewerbetreibende und 138 Sachverständige 78 . Das Gewerbe repräsentierten häufig Direktoren mittlerer Industrieunternehmen - der Gründungsversammlung saß der Direktor einer Porzellanmanufaktur vor. Die Verpflichtung Peter Behrens' durch die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft, die AEG, war ein nachhaltiges Zeichen für künstlerisches Design als Marktfaktor geworden 79 . Die Künstler waren bezüglich ihrer Arbeitsgebiete eine breitgestreute Gruppe - zum ersten Vorsitzenden wurde der Architekt Theodor Fischer gewählt, langjähriger Stadtplaner in München. Die Ziele sollten somit auch an den staatlichen Produktionsbereich herangetragen werden. Den Sachverständigen kam vor allem die propagandistische Funktion zu 80 . Ihre Fachgebiete sind breit gestreut: die Kunsthistoriker Adolf Behne und Brinckmann, die Nationalökonomen Eberstadt, C.J. Fuchs und Max Sering, der Pädagoge Georg Kerschensteiner, der 77 Siehe dazu vor allem: Joan Campbell, Der Deutsche Werkbund 1907-1934. München 1989, S. 14-42, S. 17. Campbell betont, daß die erste Absicht, die Gründungsversammlung in der Katharinenkirche Nürnberg, in Anspielung auf die Meistersinger und mittelalterliche Handwerkstradition abzuhalten, exemplarischer Ausdruck dieses Konflikts ist. Mehr noch ist auffällig, daß an ein Bild des Bildes angeknüpft werden sollte. Siehe auch Hans Eckstein, Idee und Geschichte des Deutschen Werkbundes 1907-1957. In: 50 Jahre Deutscher Werkbund. Im Auftrage des DWB hrsg. von der Landesgruppe Hessen, bearb. von Hans Eckstein, Prankfurt a.M.-Berlin 1958, S. 7-18, S. 10 zur Gründungsszenerie. Außerdem: Julius Posener, Anfänge des Punktionalismus. Von Arts and Crafts zum Deutschen Werkbund (Bauwelt Fundamente 11), Prankfurt a.M.-Wien 1964 und Kurt Junghanns, Der Deutsche Werkbund. Sein erstes Jahrzehnt, Berlin (Ost) 1982. 78

3. Jahresbericht des Deutschen Werkbund, Geschäftsjahr 1910/11, S. 5. Ohne daß allerdings die Beteiligung der Rathenaus am DWB nachweisbar wäre; Campbell, Werkbund ..., S. 38. 80 Die Herkunft aus der Kunsterziehung belegt die Bedeutung der Museumsleiter; 1913 saßen allein zehn Museumsdirektoren im Vorstand. Nach Campbell, Werkbund ..., S. 50, 18, 34 ist die Rolle Lichtwarks bei der Gründung peripher, sein Reformimpetus jedoch Mitgift. 79

237

5.3.4 Beziehungsnetz Gründer des Büros für Sozialpolitik, Wilhelm Merton 81 . Die Tätigkeiten der Mitglieder für den Verband gliederten sich in drei Bereiche: allgemeine Propaganda, Konsumentenerziehung und Fabrikatgestaltung. An den Jahresversammlungen des DWB teilnehmen zu können, bedeutete für Hegemann zunächst, persönliche Verbindungen ausbauen und seine Chancen erhöhen zu können82. So war etwa der Herausgeber der „Dokumente des Fortschritts", Dr. Hermann Beck, Mitglied des DWB und mag Hegemann 1912 die Möglichkeit zur Veröffentlichung eines Artikels geboten haben, der die politisch fortschrittliche Organisation einer Einheitsgemeinde anmahnte 83 . Auch die erste Einladung zu einem Vortrag stammt aus diesem Umfeld. Friedrich Seesselberg, dessen Vorlesungen zu den populärsten Veranstaltungen der Architekturabteilung der Technischen Hochschule gehörten, praktizierte einen reformierten Unterricht, indem er Exkursionen zu neuen Bauten in der Stadt durchführte und außerdem Architekten, Kunstschriftsteller, Maler und schließlich Hegemann wie Johannes Altenrath als Nationalökonomen und Mitwirkende in seine Vorlesungen einlud84. Diese Assoziation ebnete den Weg zu weiteren Tätigkeiten und prägte Hegemanns Vorstellungen der eigenen Aktionspotentiale. Die Vortragstätigkeit der Mitglieder diente der Werbung von Unterstützung gleichermaßen wie der Fortbildung als Konsumentenerziehung. Sie basierte auf freiwilliger Meldung. Hegemann gelang es gleich im Januar 1911, sich auf die neue Rednerliste setzen zu lassen, die ihn mit Walter Gropius, Wolf Dohm und Alfons Paquet, Karl Ernst Osthaus und Peter Jessen verzeichnete. Schon im Frühjahr 1911 lud Osthaus Hegemann ein, im von ihm gegründeten Folkwang-Museum Hagen einen Vortrag zu halten 85 . Das 1902 eröffnete Museum Folkwang diente der Volkserziehung mit kunstpädagogischen Vor81 Auffällig ist die Nähe ehemaliger Studenten Brentanos zu diesem Unternehmen: Mitglieder sind nicht nur Günther von Pechmann, zur Zeit Leiter der Vermittlungsstelle für angewandte Kunst, sondern auch Theodor Heuß und der erste Geschäftsführer des DWB, Wolf Dohm. 82 Stets Anfang Juni hätte Hegemann 1911 in Dresden, 1912 in Wien teilnehmen können; 1913 in Leipzig war er bereits abgereist. 83 Demokratie ? (1912) 372-377, bildet die Phase der Abwendung vom „Spreepräfekten" ab und faßt exemplarisch die Konsumentenerziehung als Ergänzung zum allgemeinen Kommunalwahlrecht zusammen. 84 NDBZ 7 (1911), S. 328. (Ende Juni/Anfang Juli). Die Kombination erklärt sich nicht nur aus gemeinsamer Mitgliedschaft im DWB, sondern derer Seesselbergs und Altenraths im Ausschuß für Bauberatungsstellen. Diese frühe Schuld zahlt Hegemann als Herausgeber der WMB ab, indem er Seesselberg, der nun nicht mehr dazugehört, mindestens anfangs aufnimmt. 85 Im Folkwang-Museum fanden von Januar bis April 1911 vierzehntägig Vorträge statt. Siehe Herta Hesse-Frielinghaus, Folkwang 1. Teil. In: Karl Ernst Osthaus. Leben und Werk, Recklinghausen 1971, S. 119-241, S. 192-203 zu Programm und Ausstellung; Faksimileeinlage des Programms, Themen und Redner noch nicht alle genannt. Die in der späteren Literatur durch den Hinweis „in Hagen" aufgelöste Verwirrung zwischen den Institutionen Folkwang und dem 1909 von Folkwang und DWB gegründeten Deutschen Museum für Kunst in Handel und Gewerbe kann hier nicht erörtert werden. Hegemann spricht in seinem Schreiben an Osthaus von „Ihrem Museum", weshalb von Folkwang als Veranstaltungsort ausgegangen werden muß.

238

5.3.4 Auftrag

trägen 86 und einem Fundus ausleihbarer Bildersammlungen 87 . Osthaus' frühe Tätigkeiten zeigen enge Verwandtschaft zum Werkbund. Sein Zugang zur Kunst, bestärkt durch die Begegnung mit Van de Velde, suchte „Volkserhebung und -Veredelung" durch Erziehung zum Schönen. Die bürgerliche Programmatik, über Öffentlichkeit für Industrie und Handwerk vorbildlich zu sein, um in einem Sickereffekt alle Schichten und Lebensbereiche zu durchdringen, dabei stets dem Marktgesetz der Nachfrage verpflichtet, zeigt die neue Totalität des Ansatzes. Hegemann überließ es Osthaus, den Titel des geplanten Vortrage nach eigenem Ermessen zu fassen. Er werde hauptsächlich „Amerikanische Parkanlagen u. Spielplätze" behandeln, wobei ich auf Ihre Intentionen in der von Ihnen angedeuteten Art nach besten Kräften eingehen werde&s. Noch ist Hegemann deutlich nur Spezialist für diese eine Frage und dankbar für jeden Auftrag, für den er hier sogar seine Bildungsreise abzubrechen verspricht 89 . Ob dieser Vortrag stattfand, ist nicht bekannt. In dieser Serie 1911 aber hielt Walter Gropius einen Vortrag über die im DWB-Jahrbuch 1913 abgebildeten amerikanischen Fabrikbauten, die später als Schlüssel zur Moderne galten 90 ; Indiz des (noch) im Werkbund geeinten Pluralismus. So kann auch angenommen werden, daß die Einrichtung von Hegemanns Fotosammlung als Wanderausstellung vom Werkbund angeregt und gefördert wurde. Der DWB hatte die eigene Sammlung, die Illustrationszentrale, als unrentabel aufgelöst und mit dem Hagener Museum eine neue Lichtbilder-Zentrale gegründet. Das Folkwang-Museum verwaltete sie, um Autoren und Zeitschriften systematisch mit Material versorgen zu können 91 . Es gab bereits eine Wanderausstellung von Vorbildmaterial, deren Fassung „Fabrikbauten" im März 1911 aufgelöst und als neue Sammlung „Versorgungsanlagen" zusammengestellt worden war. Diese beiden Präsentationen dienten im Unterschied zum 86 Johann Heinrich Müller, Karl Ernst Osthaus und seine Hagener Folkwang Idee, in: Der westdeutsche Impuls 1900-1914. Kunst und Umweltgestaltung im Industriegebiet, Die Folkwang-Idee des Karl Ernst Osthaus, Hagen 1984, S. 11-28, bes. 24 ff. 87 Röder, Propaganda ..., S. 8-17 und Rolf Sachsse, Mappen, Muster und Motive. Über den Gebrauch von architektonischen Photosammlungen am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Moderne Baukunst 1900-1914 ..., S. 18-25. 88 Werner Hegemann an Karl Ernst Osthaus, 18. April 1911. Ρ 318, Karl Ernst Osthaus-Archiv im Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen, Hagen; nach Mitteilung der Kustodin, Dr. Birgit Schulte, das einzig erhaltene Dokument, in dem der Name Hegemann erscheint. Es Iäßt sich daher auch nicht feststellen, ob, wann und unter welchem Titel der Vortrag stattgefunden hat. - Nach der Formulierung müssen weitere Briefe existiert haben. Aus dem Research Libraries Groups Online Catalog of Manuscripts - thanks to Mr. Alan Morrison, Fisher Fine Arts Library, University of Pennsylvania, Philadelphia - ist ein [?] weiterer Brief Hegemanns an Osthaus bekannt, der sich im Getty Center, Malibu CA befindet. Die wiederholte Anfrage wurde dort keinerlei Antwort für würdig befunden. 89 Durchaus kokett: Wie sehr ich die Ehre in Ihrem Museum sprechen zu dürfen, schätze bitte ich Sie daraus zu ersehen, dass ich diesem Vortrage St Petersburg Moskau opfere, da ich doch nicht so schnell reisen konnte wie ich hoffte. Interpunktion und Erscheinungsbild entsprechen der üblichen, schnell hingeworfenen Form, die aus Hegemanns Briefen inzwischen bekannt ist. Er schreibt aus Helsingfors (Helsinki), einer Etappe auf seiner Europareise zur Materialsammlung. 90 Reyner Banham, A Concrete Atlantis. U.S. Industrial Building and European Modern Architecture 1900-1925, London 1986; Karin Wilhelm, Walter Gropius. Industriearchitekt, Braunschweig 1983. 91 3. Jahresbericht des DWB, S. 10 und 11 f. Siehe auch Campbell, Werkbund ..., S. 50 f.

239

5.3.4

Ausstellungsserie

propagandistischen Aspekt der fachlichen Fortbildung im Rahmen der Produktgestaltung. Hegemanns Fotoserie der amerikanischen Parkanlagen wurde ganz offensichtlich nach diesem Vorbild zur Wanderausstellung gemacht. Man muß Jakob Ochs, Mitglied des DWB und Besitzer einer Hamburger Gartenbaufirma, für die auch Leberecht Migge zeitweise arbeitete, für den Sponsor des Unternehmens halten. Seine Aufwendungen deckte auch der Verkauf von Hegemanns Broschüre und einige Exponate gingen in seinen Besitz über, die Ochs wiederum an das Wandermuseum für Städtebau auslieh 92 . In einer offenbar erweiterten Fassung wurde diese Wanderausstellung vom 15. Januar bis 11. Februar 1911 in Frankfurt sogar mit dem Untertitel Dr. Hegemannsche Sammlung gezeigt 93 . Alfred Lichtwarks großes Bedauern, daß nach Bremen in Hamburg kein geeigneter Raum für sie gefunden wurde, zeigt die Popularität dieser Veranstaltung für Laien und Fachleute. Gustav Adolf Platz konnte anläßlich von Migges Parkplan für Fuhlsbüttel 1912 auf Hegemanns Broschüre verweisen, um dabei Fritz Schumachers Arbeiten für einen Hamburger Stadtpark (Bild 27) zu fördern 94 . Das wie auch der Erwerb der Broschüre durch Martin Mächler belegt, daß kein Fachmann sie ignorierte 95 . Die grundsätzliche Bedeutung dieser Fotosammlungen, die seit Beginn des Jahrhunderts zunehmend erschienen, liegt in der Bildung eines Motivschatzes. In der architektonischen Ausbildung zumeist zeichnerisch erarbeitet, hat dieser Formenschatz eine fundamentale Wirkung durch vordiskursive Wahrnehmungsselektion mittels Bildsequenzen. Durch Wiederholung und Vergleich stellt sich eine Vorbild Wirkung ein, die allein das Motiv übrig läßt 96 . Die Wirkung dieser speziellen Sammlungen fußt auf der kanonischen Kategorisierung, wie sie hier Gropius und Osthaus vornahmen. Die Sammlungs-Ausstellungen stellten prägende Formen der stadtplanerischen Öffentlichkeitsarbeit, deren Bestand in die institutionellen Umwandlungen einging 97 . Hege92 Die Firma Ochs hat besonders die beträchtlichen Kosten für die Ausgestaltung eines beschreibenden Führers durch die Parkausstellung getragen; S 337. Katalog des Wandermuseum Städtebau ..., S. 164, nennt ein Foto einer Planschwiese von Hegemann als Leihgabe der Firma Ochs. 93 In den Seuchenbergschen Sälen in Frankfurt a.M. wurde die Dr. Hegemannsche Sammlung amerikanischer und englischer Stadterweiterungsund Bebauungspläne, ferner die Pläne und Ansichten bestehender und projektierter Parkanlagen, Sport- und Spielplätze, Promenaden u. dergl. gezeigt. SBZ 57 (1911), S. 27 f. 94 Roland Jaeger, Gustaf Adolf Platz und sein Beitrag zur Architekturhistoriographie der Moderne (Architektur-Archiv 1). Berlin 2000, S. 12, S. 56. Wenn Platz in seiner „Baukunst der neuesten Zeit" 1927 das Parkbuch aber Gurlitt zuschrieb, wiewohl er Zeuge der Geburt des Themas war, indiziert das seine spätere Entfernung zu Hegemann, die auf die AA zurückgeht. 95 Ihre einzige nachweisbare Rezension, die lobende Erwähnung seitens der österreichischen LeoGesellschaft, verdankt die Broschüre der Heraushebung der Wiener Erfolge, die den Rezensenten zufrieden feststellen läßt: der Anfang einer großzügigen Parkpolitik ist also bei uns gemacht. Die Aufnahme in die Rubrik „Kunstwissenschaft", zeigt, daß das Publikum hier noch nicht so recht weiß, wohin mit dieser Art Literatur. Die Befremdlichkeit einer Vereinbarung von Kunst und Nutzen spiegelt sich in der Feststellung, das Heft sei „mit zahlreichen instruktiven Abbildungen geziert". Allgemeines Literaturblatt 21 (1912), Sp. 275 (15. Mai). 96 Sachsse, Mappen ..., S. 19. 97 Das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe zeigte auf der Weltausstellung in Gent 1913 eine „Städtebauausstellung" von über 200 Fotos: die vorrangig historischen Bauten nicht in to-

240

5.3.4 Posten

mann konnte mit seinem Anliegen von dieser neuen Vermittlungsform profitieren. Ihm ist diese Präsentation kongenial, weil sie das eigene Erleben, die betrachtende statt nutzende Erfahrung nachstellt. Sie nimmt das in einem Medium auf, das ihm mit der Fotografie auch als eigene Ausdrucksform zur Verfügung steht. Hegemann wiederholt ein eigenes Wahrnehmungsmuster in der Hoffnung, einen prägenden Beitrag zum Motivschatz des bildnerischen Bereichs der Parkanlagen liefern zu können, dessen Umfang gesondert zu erforschen wäre. Auch als Sachverständiger gelang es Hegemann, sich gewinnbringend in die Organisationsstrukturen zu integrieren 98 . Schon im Geschäftsjahr 1910/11 wurde er zu einem von 24 Mitgliedern des zentralen Ausschusses gewählt. Ihm gehörten die Ortsgruppenvorsitzenden an, für Berlin Bruno Möhring; vier Künstler, die als Architekten, aber auch Graphiker und Designer arbeiteten: Peter Behrens, Wilhelm Kreis, Bernhard Pankok und Bruno Paul; der Verleger Eugen Diederichs, ein Vertreter der Badischen Anilinund Soda-Fabriken, der BASF, der AEG, der Deutschen Werkstätten. Unter den Sachverständigen, Professoren, Schriftstellern und Journalisten waren auch der Pädagoge Georg Kerschensteiner und der Nationalökonom Gerhard Schulze-Gävernitz. Angesichts aller dieser Namen wird deutlich, daß diese Verbindungen zu einer Akkreditierung als Herausgeber einer Architekturzeitschrift auch nach langer Abwesenheit beigetragen haben werden, denn Hegemann kannte damit Hinz und Kunz quasi aus dem Sandkasten. So selbstverständlich Hegemann sich in diesem Rahmen bewegte, so klar war aber offenbar seine Ablehnung eines ihm im Werkbund offerierten Postens. Nach seinen eigenen Angaben bot Hermann Muthesius ihm 1910 die freiwerdende Stelle des Geschäftsführers an". Muthesius besaß, obwohl nicht Vorsitzender, überaus großen Einfluß und hätte, nachdem Wolf Dohrn im November 1910 ausschied, mit Hegemann einen energischen und erfolgreichen Organisator präsentieren können, wie die eben abgeschlossene Städtebauausstellung bewiesen hatte. Darauf kam es in dieser Position mehr als auf eine Spezialbildung an und Muthesius hätte durch einen ihm verpflichteten jungen Mann seinen Einfluß bemerkbar gemacht 100 . Die nach interimistischer Geschäftsführung durch Alfons Paquet erfolgte Wahl Ernst Jäckhs, der als politischer Journalist an der Kampagne für Friedrich Naumann mitgewirkt hatte und als phantasievoll, energisch und ehrgeizig galt. pographischen oder historischen, sondern in städtebaulich-didaktischen Zusammenhängen vorgestellt, Röder, Propaganda ..., S. 13 Anm. 19. (Diese Ausstellung soll demnächst dokumentiert werden.) Sie folgte vom Material her also Sitte/Brinckmann und vom pädagogischen Impuls her Lichtwark. 98 Zum Ausbau bis 1914 Campbell, Werkbund ..., S. 44 ff. Hier 3. Jahresbericht des DWB, S. 3. 99 Vorbemerkung Muthesius (1927) 496 f. Junghanns, Werkbund ..., S. 25, geht davon aus, daß Friedrich Naumann sich seinen Einfluß in der Organisation sicherte, indem er die „Sekretärsstelle stets mit seinen Schülern besetzen ließ". Diese, erst seit Jäckh geltende Wertung kann insofern Erklärungswert haben, als sich Muthesius mit seiner Idee dieser Strömung entgegenzustellen beabsichtigte. 100 Dem Nachfolger Alfons Paquet, Dohms vormaligem Assistenten, mangelte es offenbar an Organisationstalent, während er über eine wissenschaftliche Ausbildung verfügte. Siehe auch Theodor Heuss, Notizen und Exkurse zur Geschichte des Deutschen Werkbundes. In: 50 Jahre DWB ..., S. 19-26, S. 19 zu Paquet und Jäckh. Campbell, Werkbund ..., S. 45 und S. 23 zu Muthesius' Einfluß.

241

5.3.4

Professionalisierungsmaßnahme

zeigt, daß der nicht nachweisbare Vorgang durchaus wahrscheinlich und Hegemann in einer Wahl nicht ohne Chancen war 1 0 1 . Hegemann aber wollte sich offensichtlich nicht langfristig auf die organisatorische Arbeit festlegen lassen. Die durch den Buchauftrag alimentierte Weiterbildung bestärkte seine wissenschaftlich-literarischen Ambitionen. So selbstverständlich er die äußere Form des Werkbundes annahm, so sehr hatte er die innere der Ideen übernommen. Das verbot eine Beschränkung auf reine Organisationstätigkeit. Die erfolgreiche Integration Hegemanns beruht auf einem bisher offenbar weniger beachteten Moment des Werkbund-Impetus. Der ist zuvorderst als Professionalisierungsmaßnahme anzusehen. Deren Nichtachtung geht auf die konservativen Ursachen zurück, die dieses Moment verbargen, und dem daraus erwachsenen progressiven Entwicklungsschub, eine der für die Vorkriegszeit typischen Friktionen. So weit der Verband der idealistischen Perspektive entsprang, die Welt durch Schönheit zu bessern, so sehr modernisierte er das Handeln, indem er die Künstlertätigkeit vom Unikat zur Ware ummodelte. Dieses Paradoxon entspricht dem der Planungsbewegung, in der nach Otto Marchs Wort von 'Blut und Eisen' der Kunstdiktator erwartet, aber eine breite Integration der Ziele und Tätigkeiten in bestehende Institutionen initiiert wurde. Der Wandel der Tätigkeit zur Ware erforderte begleitende Maßnahmen, mit denen auch 'Sachverständigenarbeit' in diesen Warentypus integriert und dem ein Markt erschlossen wurde 102 . Der zugrundeliegende Glaube vermeinte, es könne die Kunst, angewandt auf die tagtägliche Praxis, die Idealität der Praxis selbst herstellen103. Die Kultivierung der Wirklichkeit berief sich etwa bei Karl Ernst Osthaus auf einen Begriff von Schönheit als zentraler Norm menschlichen Handelns. Wo Heilserwartungen durch materielle, politische und gesellschaftliche Fortschritte ausgeschlossen waren, wird dieser Ansatz auf die grundsätzliche Überlegenheit des Bildungswissens zurückverwiesen. Kunst wird zu einer objektiv verändernden Anwendung funktionalisiert. Sie spekuliert auf das subjektive Bewußtsein von der Praxis verändernden Bildung durch Kunst, in der die Dualität von Kunsterziehung und Kunstgewerbereform zum Zuge kommt, hoffend, daß individuelle Bildungsvorgänge auf die Lebenspraxis einwirken. Diese idealistische Wirkungskonzep101 Hegemann blieb aber offenbar in Verbindung mit Muthesius, denn er wollte 1915 aus San Francisco über eine Ausstellung an Muthesius berichtet haben, die seitens des DWB zu beschicken im J D W B 2 (1913), S. 105, erwähnt wurde, obwohl sich noch nichts bestimmtes mitteilen ließe. 102 Eckhard Bolenz, Vom Baubeamten zum freiberuflichen Architekten. Technische Berufe im Bauwesen (Preußen/Deutschland 1799-1931), Frankfurt a.M. u.a. 1991, S. 230-234, verhandelt im Anschluß an McClelland zwar die Ausbildung unter Professionalisierungsgesichtspunkten, sieht den DWB allerdings mehr in künstlerischen als in Standesfragen (230) von Bedeutung. Er bleibt dann ein „avantgardistischer Künstlerverein", weil die Innovation der Organisation folgte, nicht ihr vorausging, und lediglich der zeitgenössischen Vorkriegsprosperität korrespondierte, die den Stilpluralismus des Bürgertums wiedergab. 103 Nach Sebastian Müller, Deutsches Museum für Kunst in Handel und Gewerbe. In: Karl Ernst Osthaus. Leben und Werk, Recklinghausen 1971, S. 259-342, bes. S. 259-263 und 318-335; über Osthaus' zweite Museumsgründung als exemplarischer Realisierung dieses Impetus. Vgl. auch Sebastian Müller, Kunst und Industrie. Ideologie und Organisation des Funktionalismus in der Architektur (Kunstwissenschaftliche Untersuchungen des Ulmer Vereins für Kunstwissenschaft 2), München 1974.

242

5.3.4 Ästhetischer

Humanismus

tion erwartet von Bildung Handlungsorientierung. Die Versöhnung von Kunst und Realität ist von einer Art Dialektik gezeichnet, die eine Vernunft der Kunst praktisch und die Unvernunft der Praxis schön machen soll 104 . Der zweite Strang dieser Funktionalisierung gilt praktisch verwertbarer angewandter Kunst, die im Einsatz beim Entwurfs- und Produktionsprozeß der Dingwelt die Wirklichkeit bereits objektiv verändert. Der objektiv erkennbare Wandel ist dabei stets mit sekundären Funktionen behaftet, die Identitäten beweisen sollen 105 . Dieser „ästhetische Humanismus", der auch Hegemanns Parkgesänge kennzeichnet, verfolgt keine systematische Analyse der Realität. Er besteht in der Hoffnung, daß die Wirklichkeit, wenn sie durch einen Bereich ästhetischer Kontrolle hindurchgegangen ist, als andere und gute wieder erscheint106. Dieses Konzept angewandter Ästhetik mußte auf Hegemann wie ein Stein der Weisen wirken. Die bekannteste Ausführung hat auch Hegemann ihren Stempel aufgedrückt. Sie nämlich lenkte die idealistische Wirkungskonzeption auf Architektur als Schlüssel und ermächtigte ihn, das Konzept im Städtebau anzuwenden. Hermann Muthesius hielt bei der Jahresversammlung des DWB im Juni 1911 in Dresden, zu einem Zeitpunkt, zu dem Hegemann für sein Buch sammelte, eine vielbeachtete Rede zur Frage „Wo stehen wir?". Ausgangspunkt ist die Diagnose vom Kulturverfall des 19. Jahrhunderts, das zwar Dynamik freisetzte, doch das „Kunstempfinden" minderte. Das Gegenstück bildet eine „uneingeschränkte" Formkraft, die noch das 18. Jahrhundert beherrscht habe und mit der beliebigen Reproduktion der Stile geschwunden sei, für die das „Heilserum 1830" nur ein Surrogat sei, in der Notlage zu akzeptieren. Form ist für Muthesius ein Synonym für Geist und Kultur 1 0 7 . Er benutzt damit den kulturpessimistischen Gegensatz von Geist und Wissen, bei dem Wissen für materiellen Fortschritt und industrielle Revolution steht. Diese pessimistische Sicht schlägt jedoch mit dem Aufschwung der Kunstgewerbereformen um. Der Glaube, den Fortschritt mit Form durchdringen zu können, rekurriert auf die Überlegenheit des Sakralen gegenüber dem Profanen. Diese Erfolgsgewißheit 104

Müller, Deutsches Museum ..., S. 261, behandelt - in der Monographie ausführlich - Funktionalität als ästhetische Kategorie. Sie muß hier ausgeblendet bleiben, zumal deutlich wird, daß sie kein einigendes Kennzeichen der Träger ist - Osthaus teilt die Ansicht vom Zusammenfall logischer Funktionalität mit Schönheit nicht, dagegen Muthesius. Posener hat allerdings wiederholt darauf hingewiesen, daß Muthesius gerade 1912 die Form wieder höher zu bewerten beginnt. Posener, Anfänge ..., S. 176. 105 Eine beispielhafte Ausführung dieser Kausalverbindung bei Friedrich Naumann, Werkbund und Handel. In: J D W B 2 (1913), S. 5-16: Bekenntnis zum Wirtschaftsliberalismus, Zwang zur Effizienz, Handel als Vermittler, „Volkskultur" als markt- und identitätsbildend. Die geforderte Herausarbeitung unserer geistigen Eigenart bedient sowohl das individuelle wie gruppentypische Bestehen in der modernen Industriegesellschaft wie durch Verweis auf das französische Vorbild das nationale Bestehen als sekundäres Identifikationsangebot. 106 Julius Posener, Berlin auf dem Wege zu einer neuen Architektur. Das Zeitalter Wilhelms II., München 1979, S. 49-53, S. 53, mit dem ausdrücklichen Verweis, daß die Reformen unabdingbar mit dem „Prinzip Wachstum" verbunden waren. 107 Hermann Muthesius, Wo stehen wir? In: JDWB 1 (1912), S. 11-26, S. 12: Die Form ... die nicht erfüllt ist mit der Zweckmäßigkeit ist jene höhere Architektonik, die zu erzeugen ein Geheimnis des menschlichen Geistes ist, wie dessen poetische und religiöse Vorstellungen.

243

5.3.4

Kulturoptimismus

ermöglicht einen kulturoptimistischen Glauben. Muthesius skizziert eine große allgemeine Wiedererziehung zur Form, die an Bildungs- wie Wirtschaftszwecke gleichermaßen angeschlossen ist, Absatz, Export, Spezialgewerbe steigert wie weiteste Kreise anspricht - Vorlage für Hegemann. Er setzt dabei Architektur mit Form und Kultur gleich. Sie wird als eine soziale Kunst in sekundäre Funktionen eingebunden und ihr Künstler ist berufen, die Zukunft von Nation und Zeit zu entscheiden. So schließt der Begriff „Kultur" die Aspekte Wirtschaft, Leistung und Nation zusammen. Die geforderte Reform, die soziale und wirtschaftliche Organisationstendenz, verwandt mit der formalen Organisationstendenz unserer künstlerischen Bewegung, ordnet Muthesius der industriellen Entwicklung zu. Er beansprucht eine überfällige Modernisierung, die die Bedeutung der Künstler und ihrer Arbeit wiederherstellen soll. Der Architektur fällt über Form und Geist dabei die Führung zu. Ihr sei das Stetige, Ruhige, Dauernde zu eigen, das das Ewige der Menschheitsgeschichte repräsentiere. Sie strebe nach dem Typischen, bedeute die Sicherheit, die wir an den Leistungen vergangener, in einheitlichen Bahnen marschierender Zeiten bewundern. Ihr kommt das Primat zu, weil die „Durchgeistigung" 108 der modernen Welt das Ziel ist. Die Architektur wird für Muthesius zur Grundbedingung ... für einen ... allgemein-künstlerischen Regenerationsprozeß mit der Bedeutung eines Zeitenschicksals, das nur mit einer einzig möglichen, der dem eigenen Zeitempfinden entstammenden Leistung zu entscheiden ist. In der Idee der Kultureinheit gehen künstlerischer Entwurf und moderne Fertigungsmethoden, also Geist und Wissen, eine unlösbare Einheit ein, um zum Ausdruck einer zeitgemäßen Kunst zu werden. Dieser Versuch einer Aneignung der Phänomene der Moderne löst die eigentliche ästhetische Revolution aus, der, obwohl in einem idealistischen Denkmuster formuliert, mit Muthesius' moderner Forderung nach Identität von Zeit und Kunst darüber hinausweist. Hegemanns Ausführungen zum Städtebau zeigen sich so zunächst als historische Ergänzung zu Muthesius' über Architektur. Er behandelt die historischen Bauten als „Ewige der Menschheitsgeschichte". Den Auftrag der Wiedererweckung des Verständnisses für die Form und die Neubelebung des architektonischen Empfindens109 interpretiert Hegemann historisch. Er trägt dem Bedeutungsverlust innerstädtischer Kunstwerke durch Rearrangements Rechnung und erwartet ein Zusammenspiel der Baukunst aus 'intakter Zeit' mit der der neuen Prosperität. Und er überträgt die Forderung „architektonischen Empfindens" auf ein neues Objekt, die vernachlässigten Wohnbedingungen der Masse und der Schwachen, eine Geschichte der Verfehlungen nach 1800 und den Verfall des Geistes im technischen Jahrhundert nachzeichnend. Der Konsumentenerziehung folgend, die seine Interpretation der frühen Theoretiker prägt, unterstützt er mit den Wechselwirkungen zwischen Verwaltungsvorgaben und Publikumsakzeptanz und der Renovatio Muthesius' Vorgaben. Gemäß der Berufung der Eliten, basiert das Konzept 108 Der programmatische Titel des ersten Jahrbuchs lautete: „Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit. Wege und Ziele in Zusammenhang von Industrie/Handwerk und Kunst". 109 Muthesius, Wo stehen wir? ..., S. 19.

244

5.3.4

Aufgabenerschließung

auf dem im Werkbund erhofften Sickereffekt. Der ist wie im Werkbund mit sekundären Zielen verflochten. Die Reetablierung der Form ist sowohl Siegeszug des Geistes wie Absatzpolitik und Wirtschaftsfaktor, Entschärfung der sozialen Frage, wie sie ideell und materiell die Größe der Nation beweist. Die Funktionalität des Konzepts läßt sich am Beispiel der Bauberatungsstellen augenfällig demonstrieren. Hegemann verschaffte ihnen mit der Re-Konstruktion baumeisterlicher Abzeichnung unter Friedrich II. zeitgerecht eine historische Tradition. Die Bauberatung wurde in Bremen entwickelt und galt um 1910 als der Zugang für Reformer der ersten Generation, Reformansätze durchzusetzen 110 . Im Dezember 1910 stellte eine zentrale Kommission unter Beteiligung des DWB ihr Programm vor: die Baupraxis für die weniger gut situierten Bevölkerungskreise einer in technisch-wirtschaftlicher wie auch in hygienischer und ästhetischer Beziehung befriedigenden Lösung entgegenzuführen111. Gefordert wird die Etablierung einer Kontrollinstanz zwischen Bauherren und Produkt. Auch eine Forderung nach staatlicher Alimentierung aus Ressourcen der Versicherungsanstalten ist enthalten, so daß die Schaffung dieser Instanz als Maßnahme zur Beschäftigungssicherung und als Professionalisierungsstrategie verstanden werden muß 112 . Diese Instanz richtet sich gegen die Usurpation architektonischer Aufgaben durch Verwaltungsbeamte, die beginnen, eine ästhetische Baupolizei einzuführen und selbst auszuüben, während der Architekt selbst als Heiler auftreten kann. Gibt es ein treffenderes Zeugnis für den Stand des Geschmackes eines Volkes als die Architekturgebilde, mit denen es seine Straßen und Ortschaften besetzt? Was wollte es demgegenüber heißen, wenn wir beweisen könnten, daß heute bereits die Kräfte für eine anständige architektonische Gestaltung vorhanden seien, daß diese Kräfte nur nicht an die Aufgaben herangelangten? Eben daß sie nicht herangelangen, bezeichnet den Kulturzustand der Zeit. Eben daß Tausende und aber Tausende unseres Volkes nicht nur an diesem Verbrechen gegen die Form, empfindungslos vorübergehen, sondern daß sie als Bauherren durch die Wahl ungeeigneter Berater noch zu ihrer Vermehrung beitragen, eben das ist das untrügliche Zeugnis für den Tiefstand unseres Formgefühls und damit unserer künstlerischen Kultur überhaupt. ... Der deutsche Baulustige hat kein Bedürfnis, sich geschulter Hilfskräfte zu bedienen, der Bauunternehmer scheint ihm die kongeniale Instanz. Und derselbe Mann, der sich für seinen Anzug nur an den besten Schneider wendet ..., er stellt an seine Behausung so mindere Ansprüche, daß ihm der erste beste gewesene Maurerpolier gut genug erscheint, sein Bedürfnis zu befriedigen. Das ist der fast allgemein herrschende Zustand in Deutschland, zum Unterschied von England und Frankreich, wo sich der Gebildete mit voller Selbstverständlichkeit an den guten Architekten wendet, ebenso wie er im Krankheitsfalle nicht den Lazarettgehilfen zu Rate zieht, 110 Voigt, Bremer Haus ..., S. 9. Eine Institutionalisierung gelang erst mit dem Wiederaufbau in Ostpreußen. Die strukturelle Verknüpfung mit dem Wohnungsbau der Zwanziger Jahre sieht Voigt in der Stärkung der öffentlichen Bauverwaltung; diese sieht die Anfangskonzeption keineswegs vor, eher ihr Gegenteil. 111 H. Wagner, Bauberatungsstellen. In: J D W B 1 (1912), S. 100-105, S. 101. 112 Vgl. Gustav Wolf, Bauberatung. In: WLB, Bd. 1, S. 54-56, der 1929 das Einschalten eines Beraters für nicht angebracht hält, sobald der Bauherr in seinem Planverfasser ohnehin schon einen Anwalt besitzt, der zwischen öffentlichen und privaten Interessen einen Ausgleich zu finden weiß! Sie wird also gleichzeitig gegen innere Konkurrenz abgesichert.

245

5.3.4

Identitätsstiftung

sondern einen möglichst guten Arzt. Der gebildete Deutsche vermeidet den Architekten, aber er sitzt in einem Komittee für Kulturbestrebungen und ist in Bauberatungsstellen tätig.113

Somit sollen die Beratungsstellen nach Muthesius langfristig den Einbruch der Architekten in den Monopolbereich der Bauhandwerker vorbereiten. Sie erscheinen als ideales Mittel des Kulturaufbaus von unten, dabei als dezentrale und demokratische Instanzen, die zunächst den Zugang zu Informationen für jedermann offenhalten und die Betroffenen ermutigen, Mißstände abzutragen und dabei Hilfe anbieten. Für Hegemann ist das ein Muster, das ihm nach seinen amerikanischen Erfahrungen als wichtiges Förderinstrument gilt. Die professionell nützliche Verkettung zwischen Konsumentenerziehung und Produktgestaltung verspricht am Bau objektive Wirklichkeitsänderung und subjektive Bewußtseinsbildung, die durch Koppelungen und Sickereffekte nachhaltigen Wandel erzeugen und dem Berufsstand sein Einsatzgebiet erweitern. Die Initiatoren verteidigen sich gegen ein utilitaristisches und mechanistisches Maschinenzeitalter. Sie sind dazu berufen, weil die Kompetenz des Künstlers in der Vermittlung zwischen Geist und Materie durch Ästhetik besteht. Dieses Selbstbild ist von der deutschen Selbstwahrnehmung als Verteidiger des Geistes geprägt, weshalb die Nation immer wieder als gegebener Bezugsrahmen erscheint. Mit dem Beweis der Überlegenheit des Geistvollen gegenüber dem Mechanistischen durch subjektiven Bewußtseinswandel und objektiven Güterwandel wird auch die Selbstwahrnehmung im Innern bestätigt. Die Bedeutung des Werkbundprogramms liegt daher zuerst in einer Identitätsstiftung, die auf die Interpretationshoheiten der Bildungsidee abhebt 114 . Sie gilt vorrangig den Initiatoren, dann den Rezipienten der Bildung, den bereitwilligen Produzenten, den Multiplikatoren, schließlich den Massen, denen durch Erhebung und Wandel der Dinge ein stabilisierendes Identifikationsangebot gemacht wird, das durch Rückkopplungseffekte noch tragfähiger wird und ein rein formales Angebot des Wandels ohne gesellschaftliche und politische Veränderungen sinnstiftend zu einer Reform erhebt 115 . Diese Erweiterung der Künstlertätigkeit rekurriert bei konservativer Herkunft bereits auf moderne Phänomene. Das dermaßen gebildete Individuum soll die Produktqualitäten durch Revision seiner eigener Anforderungen und die Objektwelt durch seine kritische Abnahmebereitschaft verändern. Das Konzept macht sich zur Modernisierung bereits die Massengesellschaft dienlich. Es spricht dem Künstler die Gebildeten 113

Muthesius, Wo stehen wir? ..., S. 18, 20. Beachte die Steigerung der Metaphern vom Ausstatter zum Facharzt. Diese strategischen Argumenten einer Professionalisierungsmaßnahme sind bisher offenbar stets überlesen worden, weil sie noch immer Bestandteil des Selbstbildes sind. 114 Auch in diesem Kontext scheint es verfehlt, mit Collins, City Planning Exhibtions ..., p. 117, den Bildungsansatz in Hegemanns Programmatik einer Vorstellung zuzuordnen, die mit der 'offenen Universität' des (ungenannten) Progressivism gleichgesetzt wird - zutreffend hingegen ist die Offenheit der Mittel, die sich an Experten wie allgemeines Publikum gleichermaßen richten sollten. 115 Domanskys Interpretation des Werkbunds als Versuch, die Gesellschaft des Kaiserreichs zu einer „ganz und gar bürgerlichen" umzuformen, der unübersehbare „Tendenzen zur Modernisierung" enthielt, bedarf der Differenzierung zur Herkunft dieser Ansprüche: nicht einem gesamtbürgerlichen Fundus, sondern der Bildungsideologie entspringend. Elisabeth Domansky, Der Deutsche Werkbund. In: Bürgerliche Gesellschaft in Deutschland ..., S. 268-274, S. 273 f.

246

5.3.4

Sicherungsstrategie

als Stellvertreter zu, die als weitere Multiplikatoren wirken und die Konsumenten weiterer Schichten massenwirksam beeinflussen, während die unmittelbaren Veränderungen der Objektwelt aus dem direkten Einsatz der Künstlerkompetenz bei der Produktion von Gebrauchsgütern entstehen. Ineinandergreifend, treiben sie die alltags- und bewußtseinsbildende Kraft des Wandels exponential in die Höhe. Das Konzept rechnet demnach bereits mit Rückwirkungen der Modernisierung, sowohl ideellen wie materiellen. Die primäre Identitätsstiftung geht damit in einer Arbeitssicherungsstrategie auf. Künstlertätigkeit wird zum Wirtschaftsfaktor funktionalisiert. Binnenhandel und Konsum werden mit Erziehungsprozessen und Produktwandel angeheizt. Eine potentiell bremsende konjunkturelle Wirkung von Haltbarkeit und Qualität wird durch die Intensivierung des Außenhandels ausgeglichen, so daß Wachstum als objektiver Niederschlag der Identitätsfindung erscheint. Dabei überschneidet sich das Bestehen in der Internationalität des Kapitalismus durch eine eigene und typische Qualität der Produkte mit dem Erschließen neuer Absatzmärkte und dem Nachweis einer überlegenen Nation. Die Umbildung der Alltagswelt der Hochindustrialisierung wird als Sozialfaktor wirksam. Die Erziehungsarbeit bildet einen potentiell 'gleicheren' Verbraucher aus, dessen gesellschaftliche Verfaßtheit stabiler ist. Die Durchdringung der Alltagswelt bringt unerwünschte Phänomene der Moderne zum Verschwinden und soll die gesellschaftliche Verfassung befrieden und stabilisieren. Analog zum Wirtschaftswachstum wird soziale Angleichung objektiver Effekt und Teil der Identitätsfindung. Die Funktionalisierung der Künstlertätigkeit stellt das Regulativ einer Wachstumsgesellschaft dar, das Verteilung und Anverwandlung sichern, tiefgreifende Umwälzungen aber ausschließen soll. Die Funktionalität des Konzepts liegt in der Neudefinition der Ware: nicht mehr das Unikat, sondern die Künstlertätigkeit stellt die Ware dar 1 1 6 . Im alten Vorbild vom Künstler und seinem Handwerker angedeutet, wird es zur Lenkung der kapitalistischen Produktion auf die Industriegesellschaft übertragen. Die Neudefinition vermag den alleinigen Deutungsanspruch des Künstlers als autokratische Kompetenz, in einer entfremdeten Welt eine authentische Interpretation zu leisten, zu behaupten und ihn dennoch in ein komplizierteres Wirkungsgefüge zu integrieren. Diese Integration in einen wirklichkeitsnäheren komplexen Produktions- und Wirkungszusammenhang dient der Arbeitsbeschaffung. Bildungsarbeit wertet die Tätigkeit auf und erhöht die Nachfrage in einem expandierenden Prozeß. Die qualitative wie quantitative Bedeutungsexpansion begegnet Marginalisierungsbefürchtungen wie konkreten Verdrängungsmechanismen durch Konsum von Industrieprodukten einerseits und eine ihren Einflußbereich vergrößernde bürokratische Regulierung andererseits. Diese Arbeitssuchbewegung wird von der infolge der Ausbildungsaufwertung wachsenden Zahl akademischer Künstler weitergetragen und ihrem Berufsbild inkorporiert. 116 Zum Problem des Originals in industrieller Produktion verweist Sachsse, Mappen .... S. 23, auf Gropius' Umgang mit archivierten Bildern und daran erkennbarem Wandel; vgl. Wilhelm, Gropius .... S. 34. Als kategorialer Ursprung einer Formfindung wird nicht mehr die Originarität des Kunstwerks, sondern die Authentizität des Entwurfs im dialektischen Prozeß der Industralisierung künstlerischer Arbeit verstanden. Die Verschiebung entspricht zugleich der Forderung nach der Zeit-Stil-Einheit und eröffnet ein weiteres, hier nicht zu behandelndes Forschungsfeld.

247

5.3.4

Künstlerpolitik

Das Konzept erschließt Einkommenspotentiale. Durch Aufwertung privatwirtschaftlicher Unternehmen zu stetigen Arbeitgebern wird eine als perpetuum mobile imaginierte Auftrags- und Einkommensquelle erschlossen, weil die steigende Konsumentenzahl zu einer erfolgreichen Expansion der Ressourcen führt. Maschinenarbeit ist in der Reproduktion des Kunstwerks daher notwendig und akzeptabel. Dem konkurrierenden Bereich zu staatlichen Monopolen werden Zwischeninstanzen erschlossen, die den Ansatzpunkt für Produktgestaltung und Erziehung erweitern. Sie haben die Kontinuität der Beteiligung am Herrschaftswissen und der alimentierten Beschäftigung zum Ziel. Wo das Konzept auf eine Wiederherstellung künstlerischer Freiheit hinauslaufen soll, stellt sich faktisch eine Verbürgerlichung durch kontinuierliche Erwerbsarbeit ein117. Die Punktion des Konzepts, den Partizipationsanspruch an die wachsenden Sektoren der hochindustrialisierten Gesellschaft zu untermauern, greift deshalb in den industriellen und den verwaltungstechnischen Sektor über. Die Wachstumserfahrung der letzten Jahrzehnte wird dem eigenen Arbeitsbereich systematisch nutzbar gemacht. Die Funktionalität des Konzepts besteht darin, Bildungsideologie und Wirtschaftswachstum zum gegenseitigen Profit zur Deckung zu bringen. Seine Funktion wird dazu über die Arbeitsbeschaffung und Professionalisierung hinaus zum Politikersatz erweitert. Schließlich soll der Künstler Führer gegenüber Industrie und Handel sein, das Diktat der Künstler das Diktat der Unternehmer und Händler ablösen, so daß sich Widersprüche von Ökonomie und Kultur auflösen. In der gesteigerten Form nach 1918 wird die Architektur die Revolution überflüssig machen. Es handelt sich um eine Politik durch Künstler 118 . Am Bild der Gelehrtenpolitik, in der die Wissenschaft zur Erziehung der öffentlichen Meinung, die Universitäten zum Gewissen der Nation und die Akademiker zur natürlichen Volksvertretung berufen waren, partizipierten die akademisch gebildeten Künstler als stellvertretende Bildner von Erziehung, Nation und Volk und beanspruchten damit ebenfalls eine gesellschaftsbildende, sinnstiftende Funktion119. Trotz der Verbindung mit Industrie und Handwerk will man sich vorrangig staatlicher Institutionen bedienen120: in schulischer Kunsterziehung, Künstlerausbildung, akademischen Institutionen; als Arbeit- und Auftraggeber für Produkte zur Eigendarstellung; zur Integration der Monopole in das Verwaltungshandeln, besonders im Gesetz- und 117 Die Verkennung der potentiellen Erosion belegt die konzeptuelle Entfernung einer wirklichkeitsnahen Industriegesellschaft. Massenhafter Einsatz würde eine Konkurrenz von Künstlerprodukten entfalten, die eine Beliebigkeit der Form augenfällig machte. Die breite Adaption hätte den Kostenfaktor Künstlerarbeit durch Plagiat und Imitation ersetzt, der Einsatz in der Industriegestaltung den Künstler zum Designer gemacht, der nach außerkünstlerischen, wirtschaftlichen und technischen Vorgaben arbeiten muß. Als progressiver Effekt entsteht ein Berufswandel, in der die Relevanz der künstlerischen Deutung in einem gemäß der liberalen Wirtschaftsverfassung konkurrierenden Verhältnis stetig legitimiert werden muß. Die autokratische Kompetenz erzeugte ihre progressive Entwertung. 118 Campbell, Werkbund ..., S. 362, kommt zu dem Schluß, daß dem Werkbund eine Umdeutung der Rolle des Künstlers im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft mißlungen sei: die Umdeutung einer möglichen Rolle ist durchaus nicht mißlungen, zwangsläufig jedoch die Umsetzung. 119 Vgl. dazu auch unten 5.4.3.4 Kategorien. 120 Vgl. Campbell, Werkbund ..., S. 58 f. zum Staat als Multiplikator des künstlerischen Programms. Auch Hegemanns gesuchte Agenten werden vom Staat vermittelt.

248

5.3.4

Kohäsionsprogramm

Verordnungsbereich. Der Verband setzt sich stets im Rekurs auf eine staatstragende Rolle in der Kulturnation in Bezug zum Staats-, nicht zum Allgemeinwohl. Zahlreiche Initiatoren betreiben eine gouvernementale Künstlerpolitik, insbesondere Muthesius 121 , in der die Hoheit der Bildungsidee ihnen erlaubt, sich als staatliche Interessenvertreter gegenüber dem Primarsektor und gleichzeitig als Konsumentenvertreter gegenüber beiden zu gerieren. Analog der Idee von Gelehrtenpolitik geht das Konzept infolge seiner Funktionalität in der Gewißheit eindeutiger Lösungen und daraus zwingend folgender Reformen vollkommen auf. Der Reformimpetus geht jedoch über das Gruppeninteresse hinaus, weil er unteilbar mit der Validierung des Grundsatzes von Geist vor Wissen verbunden ist. Von dort mit einem sozialen und wirtschaftlichen Förderprogramm verflochten, ist er spezifisch apolitisch, um dennoch gesellschaftlichen Wandel zu erzeugen. Uber die Begriffe von Kultur und Einheit entsteht ein sittlicher Imperativ, Movens einer humanistischen Entwicklung. Das Werkbundprogramm war ein Kohäsionsprogramm. Es gründete sich auf die Zugehörigkeit seiner Träger zur gesellschaftlichen Formation des Bildungsbürgertums, die es zusammenführen sollte, ihre Überlegenheit zu beweisen und kraft einer Integration in die konkurrierenden, sowohl als übermächtig wie profan diagnostizierten Bereiche jene umzubilden. Es hielt zunächst seine Träger durch Funktionalität des Konzepts zusammen, bildungsbürgerliches Selbstbild und wirklichkeitsnäheres Bild der kapitalistischen Gesellschaft ohne Einbußen zur Deckung zu bringen 122 . Es verklammerte dabei die Deutungsträger mit den zunehmend als disparat und in bedrohlicher Weise anwachsend empfundenen Bereichen der Wirtschaft - indem es durch Ausübung der Deutungsmacht deren Unterlegenheit bewies - und der Bürokratie - indem es durch Anmeldung der Konkurrenz dessen Bedürftigkeit belegte. Indem Arbeitsbeschaffung und Politikersatz geltend gemacht wurden, konnten Gruppen wie Ziele unter dem Begriff der Kultureinheit zusammengeschweißt werden, der ideal verbundene ökonomisch, bürokratisch, sozial wie national wünschenswerte Leistungssteigerungen versprach. Die eigentliche Modernisierung ist der Versuch, aus dem idealistischen Weltbild herauszutreten, ohne sich dessen zu begeben, und sich ohne objektiven Wandel der Bedingungen für wirkungsmächtig zu erklären. Sie macht die Anziehungskraft des Programms aus, bedingt aber auch sein Scheitern, weil die Gesellschaftskritik zugleich das 121 Vgl. Angelika Thiekötter, Hermann Muthesius und der Werkbund - Fragmente, Dokumente. In: Hermann Muthesius im Werkbund-Archiv. Eine Ausstellung des Werkbund-Archivs im MartinGropius-Bau vom 11. Oktober bis 11. November 1990, Berlin o.J., S. 20-104, S. 38-41, die nachdrücklich den Impetus als Revolte gegen den herrschenden Fachverband hervorhebt. Beachte auch Orts(Handelshochschule) und Argumentationswahl (Wirtschaft, besonders Export) der anstiftenden Rede Muthesius', die dabei auf die konstitutive Vermittlung zwischen Partikular- und Allgemeininteressen per Verbindung mit wirtschaftlichen und staatlichen Interessen zielt. Auch Eckstein, Idee ..., S. 8, stellt den D W B als Gegenbewegung zum „Schutz künstlerischer Interessen" dar und deutet damit den Berufsverband an. 122 Eckstein, Idee ..., S. 11, nennt den D W B eine Gesinnungsgemeinschaft. Seine Angehörigen, so Heuss, Notizen ..., S. 19, waren auf Programmatik nicht vorbereitet. Deren starke Wirkung geht demnach auf einen naiven Modernismus zurück.

249

5.3.4 Kritik

Gesellschaftsprogramm darstellt. Über Diffusion versuchen Künstler eine verloren geglaubte gesellschaftliche Kohäsion herzustellen. Diese Abwehrstrategie im Zeichen der Marginalisierung durch die hochentwickelte Industriegesellschaft bestätigt die nachhaltige Wirksamkeit des Modells „Bildungsbürger" und seine kreativen Potentiale. Die berufspolitische Maßnahme bringt ästhetische Theorien zu gesellschaftlichem Wandel ein. „Kultureinheit" wird zu einer Marketingstrategie, zu einem ästhetisch, dogmatisch, bürgerlich und schließlich national hoch besetzten Begriffsinstrument, das keine Differenz zwischen Ästhetik und Politik kennt, weil es eine aus Vor-Bildern generierte Einheit meint 123 . Der Werkbund war eine nicht nur ästhetische Bewegung. Daß er immer wieder als solche gesehen wird124, verdankt sich dem Maß seiner Wirkung in der Ästhetik und dem rückwärts gerichteten Blick, die „Anfänge des Funktionalismus" und den Beginn der Moderne als Einheit von Zeit und Stil zu finden, der dem Giedionschen Space-Time Konzept aufsitzt 125 , und zum wenigsten den Pluralismus des Werkbunds ignoriert, wie er noch 1914 deutlich sichtbar war und gemeinhin als Schwäche der Bewegung verstanden wird126. Es handelt sich weder um einen Betriebsunfall des Humanismus (Junghanns), weil der formale Wirkungsansatz zwangsweise eines Expansionsprogramms bedarf. Noch handelt es sich um die ästhetische Anpassung an den Monopolkapitalismus (Posener), 123 Die darin enthaltene Leugnung politischer Institutionen im Sinne der Willensermittlung läßt diesen Kulturoptimismus sich als eine Anwandlung des Kulturpessimismus als politischer Gefahr (Stern) entpuppen. Nicht zufällig hatte Muthesius im „Rembrandtdeutschen" eine bedeutende Anregung gesehen; Muthesius, Wo stehen wir ..., S. 22, S. 14 f. Deshalb ist die Bewertung des Werkbunds bei Campbell, Werkbund ..., S. 39, es sei verfehlt, anzunehmen, er sei ein zwingendes Produkt seiner Zeit gewesen, dahingehend einzuschränken, daß der DWB in dieser Form weder Produkt einer anderen Zeit noch eines anderen Ortes sein konnte. 124 Die Ausnahme bestätigende Regel ist Junghanns, Erstes Jahrzehnt ..., S. 50-53: der Werkbund als humanistische Leistung innerhalb des Umbruchs vom Imperialismus zum Sozialismus, der zwar imperialistischer Expansion entspricht, dem aber erst durch Naumann Imperialismus oktroyiert wird, ein „imperialistischer Betriebsunfall des Humanismus". 125 Vgl. dazu auch Posener, Berlin ..., S. 226, 229, 232: Die Vereinfachung als architektonische Stilkennzeichen der Abwendung vom Jugendstil in der Formensprache entspreche dem Ausdruck neuer gesellschaftlicher Ordnung, weil der imperialistische Monopolkapitalismus für Künstler eine bestimmende Macht geworden sei; damit sei zum ersten Male Kongruenz von Ordnung und Ausdruck erreicht. Dies die exemplarische Reduktion in der ästhetischen Interpretation der Werkbundideen. Diese Sicht setzt eine Zeit-Stil-Einheit, die Giedionsche Space-time, und blendet auf der Suche nach ihrem reaktiven Niederschlag in materieller Veränderung das differenzierte Zusammenspiel von Aneignungsstrategien nahezu aus. 126 Die Rekonstruktion der „Lehrsammlung" - Moderne Baukunst ..., S. 55-205 - demonstriert eindrucksvoll die Einengung des „Vorbildlichen", von der spätere Interpreten sich leiten ließen, während die Kanonisierung erst allmählich in den kritischen Blick genommen wird. Typisch sind bisher die eingefahrenen Muster der Reduktion auf Eskapismus durch Veredelung, die Wertschätzung der ästhetischen Arbeit des DWB gegenüber vernichtender Beurteilung seiner gesellschaftlichen Absichten, die Ignoranz gegenüber den berufsstrategischen Elementen, Akzeptanz der Stilisierung vom Ausbruch der Moderne wesentlich durch Osthaus und Gropius, die Ausblendung des Pluralismus von 1914, mit dem der ästhetisch offene Totalitätsanspruch, Wandel sichtbar zu machen ebenso übergangen wird wie das Paradoxon, das die Vertretung der Typenbildung durch 'Wilhelminer' und der Individualität durch 'Avantgardisten' darstellt.

250

5.3.4

Multifunktionalität

weil die professionspolitische Anverwandlung die Ursache und der Stilwandel ihr Mittel war. Es kann von einer bildungsbürgerlichen Modernisierungsinitiative gesprochen werden, die von der Idee der Eigenständigkeit neben Staat und Wirtschaft (Kultur) getragen wurde, von der Intention, diese zu bewahren (Kulturnation) und die konkurrierenden Mächte Wissen, Leistung und Technik sowie Staat, Herrschaft und Verwaltung zu durchdringen, sich Untertan und dies in sich anschaulich zu machen (Kultureinheit). Somit waxen diese Künstler nicht zu naiv, ihre gesellschaftlichen, ästhetischen, philosophischen Kategorien auseinanderzuhalten (Banham), weil deren Ineinandergreifen für das Konzept konstitutiv und funktional ist. Noch haben sie realpolitische Reformen verfehlt (Fehl), weil sie gerade die Aneignung und Anverwandlung der bestehenden Verfaßtheit als Beweis ihrer Identität anstrebten 127 . Unter diesem Überbau fällt die Lektüre Hegemanns endgültig an ihren Platz. Mit diesem Impetus interpretiert er die Elite als Konsumentenerzieher zwecks Marktregulierung durch kritische Nachfrage; sieht in Reformern und Theoretikern zu Behörden konkurrierende Produktgestalter. Er fügt seine Belege zu einer historischen Interpretation des Auftrags zur „Wiedererziehung zur Form". Sein Bericht beweist nichts weniger als die Reformfähigkeit im Sinne des Siegeszuges des Geistes über das Wissen und stärkt die Legitimität des solchermaßen zur „Kultureinheit", bei ihm zum „Kulturkampf" zusammengeschweißten Auftrags. Schon mit der eingangs gestellten Frage: „Nach welcher Moral sollen wir ...?" hat Hegemann sich in die Multifunktionalität der Argumente eingeschaltet. In den seinen spiegelt sich deren stete Doppeldeutigkeit 128 . Der Aufbau der Hohenzollern zu vorbildlichen Städtebauern und sein häufiger Ruf nach „den ersten Männern der Nation" hoffen auf Kunstdiktatoren, die das Unbehagen an der modernen Großstadt verbindlich auflösen. Die Verdammung der Wohnbedingungen aber zielt auf massenhafte Verbesserungen und auf neue, teilweise demokratisch gesicherte Instanzen. Das stete Ineinandergreifen von praktischen und theoretischen Zwecken zielt auf einen gestrafften Status quo, in dem der Bildungsbürger und die ihm Anverwandelten die Personifizierungen der Gesellschaft darstellen. Das Erbstück, das Hegemann vom Werkbundprogramm in den Städtbau trägt, ist die Gestaltwerdung von Wandel in einem reziproken Prozeß - Form verursacht Wandel; Wandel verändert Form. Es schweißt in seiner Funktionalität die anderen Erblasten - die Korrektur des Individuums, den Dirigismus der Ordnungsfunktion, die mit modernen Mitteln zu installierende, aber kraft alter Autokratie deutende Mittlerinstanz - zu einer 127 Die These Reuleckes, nach der die Multifunktionalität der Planungsansätze in der Urbanisierung den fließenden Grenzen zwischen sozial-ästhetischer Umweltgestaltung und Statusverteidigung bestehender Gesellschaftsstrukturen folgt, bedürfte also einer umfassenden kritischen Erweiterung. Reulecke, Urbanisierung ..., S. 89-91. 128 Auch mit ästhetischen Zielen findet eine vortheoretische Identifikation statt. Hegemann meidet in seiner Monographie jede ästhetische Fixierung, die er durch die ethische und volkswirtschaftliche auflöst und gemäß dem Werkbundkonzept der Expertenlösung anheimstellt. Hegemann hat mithin am ästhetischen Erziehungsprozeß teil, nach dem laut Posener im Anschluß an die „Kulturarbeiten" und „Um 1800" der Werkbund die 'Überlebenden' derart auf Funktionalismus vorbereitet, daß sie Expressionismus und Neue Sachlichkeit für stilistisch halten. Posener/Becker/Jacob, Zeit ..., S. 138.

251

5.3.5 Peers

einzigartigen Wirkungsidee zusammen. Sie begünstigt vor allem das Selbstverständnis der Architekten, sich als Demiurgen zu sehen - gegen das Hegemann, ursprünglich mit derselben Ausstattung versehen, später sich so vehement stellen wird. Noch aber zeichnen sich in Funktionalität und Funktionen des Werkbundprogramms für ihn Chancen einer Tätigkeit ab, die mit der Dignität philosophischer und nationaler Fragen ausgestattet, einen Weg zu Markt und Bürgerlichkeit darstellen - ein wichtiges, den Ubergang einleitendes Phänomen. 5.3.5 Hegemann als Mandarin Die additive Aufschlüsselung der Einflüsse in Hegemanns hat über die Analyse der Leitthemen hinaus auch die Vorbildfunktion von Persönlichkeiten und Lebensmodellen zu berücksichtigen, um sie dann einem größeren Modell zuzuordnen. Wie am Beispiel Paul Voigts sichtbar wurde, reichte die Funktion einer Identifikationsfigur über deren schriftliches Werk hinaus. Der Umgang im geselligen Verkehr im Sinne einer Vergemeinschaftung machte auf Hegemann nachhaltigeren Eindruck als Buchwissen. Das zeigt auch das umgekehrte Beispiel Camillo Sittes, dessen Werk vor seiner Verteidigung gegen Brinckmann Hegemann offenbar weniger berührte. Zu diesen peers gehörte zuerst sein Onkel. Der 1845 als jüngster Sohn eines Tonwarenfabrikanten geborene Otto March schloß 1858 das Gymnasium ab, um 1860 an der Berliner Bauakademie das Studium der Architektur aufzunehmen. Nach 1874 für vier Jahre in der Preußischen Ministerial-Baukommission, begann er 1880 seine Laufbahn als Privatarchitekt, deren zahlreiche und prestigeträchtige Aufträge ihn angesehen und einflußreich machten 129 , obwohl er nie öffentlich lehrte. Die kultivierte Lebensweise des Elternhauses, das in steter geselliger Verbindung mit Künstlern und Schriftstellern stand, setzte March fort, zu dessen Klassenkameraden etwa Max Liebermann gehörte. Sein eigenes Haus, gebaut unter dem Eindruck englischer Wohnsitten, war Ausdruck des Bestrebens, aus dem Dasein selbst ein Kunstwerk zu schaffen130. Hegemann wurde in diesen Kreisen mit der Auffassung vom Wohnen als Schnittpunkt aller Kultur- und Reformbemühungen geradezu 'getauft'. March selbst sprach bissig über den sinnentleerten Aufputz des Wohnens und plädierte für eine moderne Reizreduktion131. Er richtete sich jedoch gegen eine totale Interpretation des Künstlers; so behielten etwa die narrativen Elemente der Wohnungsdekoration ihren Eigenwert. Seine Abneigung gegen die allgemeine Mobilität revoltierte gegen die räumliche und individualgeschichtliche Entwurzelung in der Industriegesellschaft und zog die Wertschätzung des Einfamilienhauses nach sich, von dem er durch Ansässigkeit und Traditionsbildung sedative Effekte erwartete. 129

Vgl. das erste Werkverzeichnis in Jochens/Hünert (Hrsg.), Tonwaren ..., S. 169-182. Schliepmann, March ..., S. 46, kennzeichnete ihn als Angehörigen einer „älteren" Generation. Diese Differenz zur einer „Jüngeren" gibt den oben genannten Marginalisierungsängsten eine weitere Dimension. 131 Otto March, Unsere Wohnung (1903). In: March (Hrsg.), Otto March ..., S. 44-49, S. 44 und 46: Bei dem Betreten der Wohnung selbst befällt uns nun wohl die Lust, mit Cromwell'schem Reinigungseifer zu verfahren ... ; explizit gegen die Darmstädter Kolonie, van de Velde, Baillie Scott und Mackintosh. 130

252

5.3.5 Diplomat

March gab auch die Bewunderung Friedrich des Großen vor, die Kritik an der Tatenlosigkeit des Kaisers vermittelte 132 . Hintergrund der Bewunderung ist die Orientierungssuche während eines einzigartigen Wandels der Stadt in der Hochkonjunktur. Dabei spiegelt die Wertschätzung von Potsdams Traulichkeit mit vornehmer Größe einen Bedarf an Heimatgefühl wie an symbolischen Verkörperungen der Geschichte, derer die Stadt verlustig geht, so daß städtebauliche Anstrengungen sich auf die Wiedergewinnung eines vertrauten Stadtbilds richten. Gegen die Baubeamten, als erlahmende Kaste kritisiert, steht der Privatarchitekt, zu Höchstleistungen herausgefordert. Doch der „Polytechnischen Kunst" gescholten, wird er zur Anlehnung an die überkommene Formensprache aufgefordert, aber die Mehrheitsherrschaft ... als gefahrbringend befürchtet, was mit der Hoffnung auf den Kunstdiktator, nach dem Bismarck-Wort von „Blut und Eisen" formuliert, übereinfällt. Das Deutungsmonopol des Künstlers war vom Kulturverfall, vom verwaltungstechnischen Anspruch, von der Nivellierung der Massengesellschaft bedroht und wurde von March zur Rettung in den Dienst eines „sozialen Organismus" gestellt 133 . Marchs Nachrufe heben seine Integrität als Einheit und Wahrheit im Handeln und Wesen hervor. Sie machte ihn für Hegemann zu einem Vorbild, das mit seiner Bewunderung für die amerikanischen brahmins zusammenfällt, von denen sich vielleicht auch March zur Umsetzung seines kulturellen Ideals in die „Kulturgroßtat" (Högg) der Städtebauausstellung anregen ließ. Nicht nur in Hegemanns Augen brillierte er durch die umsichtige honoratiorenpolitische Vorbereitung des Unternehmens, indem er vorsprach und ventilierte und sich so die Unterstützung zahlreicher divergierender Instanzen und Interessen durch „stille zielbewußte zähe Tätigkeit" (Stübben) sicherte. Als Verkörperung einer Kultureinheit in Leben und Arbeit bestand der Unterschied zu einer 'schöngeistigen', nämlich rezeptiven und einklagenden Kulturpraxis in den Versuchen, sie in praktische Arbeit und öffentliche Impulse umzusetzen, wie March es mit den Architektenausschüssen und der Ausstellung unternahm. Das mag neben fachlichen Leitmotiven das wichtigste gewesen sein, das Otto March Hegemann mitgab. Daß er ihn schon 1910 zu Hermann Muthesius schickte, machte aus diesem ein weiteres Vorbild. Muthesius, 1861 in Thüringen geboren, studierte nach einer Maurerlehre zunächst Kunstgeschichte, dann Architektur an der Technischen Hochschule Charlottenburg. 1893 arbeitete er für das Preußische Ministerium für öffentliche Arbeiten und wurde 1896 der Deutschen Botschaft in London als Technischer Berichterstatter zugeteilt. Hegemann lernte ihn dort als Vermittler englischer Einflüsse nach Deutschland kennen, die sich erst nach seiner Rückkehr in zahlreichen bekannten und einflußreichen 132

Otto March, Friedrich der Grosse im Städtebau. In: Kunstwelt 1 (1911/12), S. 258-286; Themenheft zum 200. Geburtstag Friedrich II. mit 48 Abbildungen, vor allem aus Brinckmanns „Deutsche Stadtbaukunst in der Vergangenheit", woraus auch Exponate in der Ausstellung gezeigt wurden. 133 Otto March, Monumentale Baukunst. In: March (Hrsg.), Otto March ..., S. 98-101; 1912 sowohl in „Architektonische Rundschau" wie im „Baumeister" veröffentlicht, zeigt dies die Popularität seiner Meinung. - March, Das ehemalige und zukünftige Berlin ..., S. 170. Ein Nachhall bei Hegemann 1931 in der Formulierung vom „großen Maß an Vorsicht mit ebensoviel radikaler Rücksichtslosigkeit".

253

5.3.5

Vermittler

Publikationen zur Wohnarchitektur niederschlugen, aber auch als Vermittler technischer Neuerungen, von Informationen und Waren 134 . Nach seiner Rückkehr 1904 arbeitete Muthesius im Preußischen Handelsministerium in der Ausbildungsreform der Kunst- und Fachschulen, gleichzeitig als zunehmend bekannter Privatarchitekt, der neben einigen Fabrikanlagen ebenfalls mehrheitlich Villen und Landhäuser baute. Hegemann traf ihn bei seiner Rückkehr als arriviertes Mitglied der Berliner großbürgerlichen Kreise, der, wiewohl persönlich schwierig, nicht nur seine englischen Erfahrungen und die Tätigkeit im Ministerium hinter sich wußte, sondern auch seine einflußreichen Schriften zur Architekturreform und mit dem Werkbund ein wichtiges Reforminstrument. Muthesius' Ideen zum Städtebau erweiterten Hegemanns Blick in der Nachfolge Pattens zum Verhältnis von Gewohnheit und Wirtschaft. Muthesius stellte den Zusammenhang zwischen staatlich-kommunalen Verordnungen, ästhetischen Prinzipien einer eigentümlichen Bebauungsgeometrie und der Bodenpreisentwicklung her 1 3 5 . Er verlangte nach Auffangen der Schäden seitens staatlicher Institutionen, deren Kooperation statt Konkurrenz von Staats- und Stadtbehörden. Die Arbeit der Ingenieure als minderwertig und die Adaption künstlerischer Ideen durch Unternehmen als Deformation anzusehen, entspricht der Verfallsdiagnose, nach der sich die Praxis von der „ausgeübten Kultur" entfernt hat. Daß 'künstlerische' Gestaltung als Marketingfaktor benutzt wird, macht Konsumentenerziehung zum wichtigsten Motiv. So hebt Hegemann in seinen seitenlangen Zitaten aus Muthesius' „Landhaus und Garten" von 1907 auf die Passivität gegenüber behördlichen Vorschriften wie den Gehorsam gegen Wohnmoden ab. Wie Lichtwark gehörte aber Muthesius bereits zu den Skeptikern, was die Schule der Sitte-Nachfolge betraf. Sittes Forderung der Rückübereignung des Städtebaus an die Künstler sei für seine Zeit vollständig überzeugend gewesen, doch bedürften die Folgen weiterer Revision. Muthesius wendete sich damit gegen die 'Romantiker', gegen ein „Anheften alter Äußerlichkeiten". Für Hegemann bekräftigt dieses ästhetische Urteil das Bekenntnis Marchs zu evolutionärer Entwicklung der Architektur in der „Suche nach künstlerischen Urgestalten", die der Kultureinheit, der „höheren Ubereinstimmung von Form und Zweck", entsprechen. Eine weitere wichtige Mitgift dürfte jedoch das Lebensmodell von Muthesius gewesen sein: die Sammlung von Material im Ausland, das zu einem Spiegel der heimatlichen Verhältnisse gebündelt wird, die Erziehungsarbeit im klassischen Medium des schönen Buches, die öffentliche Wirkung durch Vorträge und Beteiligungen an Vereinen und Verbänden und der Wille zum Einfluß durch hervorstechende Teilnahme an einer Interessengruppe neuer Art. Obwohl Alfred Lichtwark von diesen Hegemann am fernsten stand, ist sein Anteil an der vortheoretischen Prägung nicht zu unterschätzen. Als Hegemann 1911 an Lichtwark 134 Wiltrud Petsch-Bahr, Hermann Muthesius. In: Wolfgang Ribbe/Wolfgang Schäche (Hrsg.), Baumeister, Architekten, Stadtplaner. Biographien zur baulichen Entwicklung Berlins, Berlin 1987, S. 321-340, S. 326. 135 Eine zeitgleiche Publikation als Beispiel: Hermann Muthesius, Städtebau. In: Kunst und Künstler 8 (1910), S. 531-535, klassifiziert das Fach eindeutig als Ordnung unseres Wohnungswesens.

254

5.3.5 Erzieher

schrieb, er verdanke ihm viel, mußte er dessen wichtigstes Werk „Deutsche Königsstädte" schon 1901 unter Anleitung Otto Marchs gelesen haben 136 . Ihm entstammten wichtige Grundzüge seiner Interpretation der Berliner Baugeschichte, sie auf Paris zu beziehen und die fehlende Kultur als Fehlen von Hochadel und ausgeprägter Bürgerkultur zu deuten. Lichtwark verkörperte den autodidaktischen Aufstieg zum kultivierten Großbürger, der Gentleman, Pädagoge, Weltmann, Gelehrter, Enthusiast, Hanseat und Europäer gleichzeitig war. 1852 als Sohn eines Müllers in den Vierlanden geboren, gelangte er über die Arbeit als Hilfslehrer zur bildenden Kunst und begann sein Studium mit 27 Jahren. Nach einer Assistenzzeit am Berliner Kunstgewerbemuseum wurde ihm 1886 die Leitung der Hamburger Kunsthalle angetragen. Als ihr Direktor baute Lichtwark die Kunsthalle zu einer bedeutenden Sammlung aus, unterrichtete erstmals Schüler im Museum vor den Kunstwerken und erzielte mit zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen über große und kleine Alltagserscheinungen populäre Wirkungen der Kunsterziehung 137 . Lichtwark votierte stetig gegen „törichte Auswüchse" im Städtebau und meinte nicht Stilfragen, sondern die Vernachlässigung des Raumes und der Nutzerbedürfnisse. Für ihn waren die illusionistischen Prinzipien des Hügelcharakters, der „ Unberührtheit" und der Unendlichkeit und Grenzenlosigkeit reine Romantik 1 3 8 , eine Aversion, die Hegemann noch den Central Park in New York mißdeuten ließ. Lichtwarks prompte Antwort auf Hegemanns Schreiben erwähnte dessen Führungen durch die Ausstellung, um seine „nachwirkenden Anregungen" zu loben. Er schickte ihm nicht nur ein Manuskript 139 , sondern führte bei mindestens zwei folgenden Begegnungen Hegemann durch Hamburg, um ihm den von ihm hochgeschätzten Hamburger Städtebau nach 1842 zu zeigen 140 . Sowohl Hegemanns Absicht, die Geschichte der Städtebauwissenschaft kurz [zu] erzählen. wie seine Reisen zu diesem Zweck fand er bemerkenswert 141 . 136 March selbst schätzte Lichtwarks Werke hoch: Meines Wissens hat Lichtwark zum ersten Male auf die nahe Verwandtschaft der großen Parkanlagen mit den städtebaulichen Planungen des 17. und 18. Jahrhunderts hingewiesen, die sich damals das gesteigerte Selbstgefühl der Herrscher zu schaffen liebte. March, Friedrich der Große ..., S. 266. - Alfred Lichtwark, Deutsche Königsstädte. Berlin Potsdam - Dresden - München - Stuttgart, Dresden 1898 und in: Alfred Lichtwark, Eine Auswahl seiner Schriften. Besorgt von Wolf Mannhardt, Bd. 1.2., Berlin 1917, Bd. 1, S. 173-226, bes. S. 175-182. 137 Eckhard Schaar, Zustände. In: Alfred Lichtwark, Erziehung des Auges. Ausgewählte Schriften, Hrsg. von Eckhard Schaar, Frankfurt a.M. 1991, S. 7-18. Karl Scheffler, Alfred Lichtwark. In: Lichtwark, Auswahl ..., Bd. 1, S. VII-XXVIII; beruft sich auf ein Urteil Wilhelm Waetzoldts. 138 Alfred Lichtwark, Von der Übertragung des landschaftlichen Gartenstils auf den Städtebau [1911]. In: Lichtwark, Auswahl..., Bd. 1, S. 166-172, S. 172. Hans Präffke, Der Kunstbegriff Alfred Lichtwarks. Hildesheim 1986, S. 185-199, bes. S. 165 f. zu seinen Arbeiten über Städtebau. 139 f e r n e r Hegemann an Alfred Lichtwark, 8. Februar 1911, und Lichtwark an Hegemann, 9. Februar 1911, Nachlaß Alfred Lichtwark, Hamburger Kunsthalle, Hamburg. Bei dem Manuskript handelte sich um ein „Gutachten für den Bürgerschaftsausschuß zum Projekt der Alsterregulierung", später ergänzt um „Hamburgischen Städtebau im 19. Jahrhundert", den Trägern der Kunsthalle vorgetragen, publiziert im Oktober des Jahres. Präffke, Kunstbegriff ..., S. 186 und 198 f. 140 Alfred Lichtwark, Briefe an die Commission für die Verwaltung der Kunsthalle, Bd. 2-20 (MS gedruckt), Hamburg 1896-1920, Bd. 19, S. 126 f., Brief vom 14. August 1911. 141 Daß Hegemann Rudolf von Eitelberger für den ersten Städtebautheoretiker hielt - eine heute gängige Ansicht; vgl. Albers, Stadtplanung ..., S. 30 f. - , überraschte ihn. Hegemann hatte sich dies

255

5.3.5 Leitmotive

Sein Manuskript, dessen Verve in den „Städtebau" bereits einging, stellte die Leitbilder des Fachs in Kürze dar 142 . Vor dem Kriterium „des praktischen Bedürfnis" konnte der Städtebau bis zur Frühen Neuzeit mit angepaßten Normalplänen bestehen. In der folgenden Phase machten jedoch herrscherliche Residenzstädte den architektonischen Garten nach dem Vorbild von Versailles zur maßgeblichen Formenressource. Ihre stilisierte Landschaft sprach laut Lichtwark „jedem praktischen Bedürfnis Hohn" und verursachte die Tendenz vieler Städtebauer, unvernünftig breite Strassen, Sternplätze und Plätze mit vielfach durchbrochenen Wänden anzulegen. In der nächsten Phase des schnellen Wachstums bildete sich ein neues Paradigma heraus: der naturalistische, „sogenannte englische" Landschaftsstil. Der Ingenieur machte sich bei allem, was nicht technisch zu lösen war, zum Romantiker: die freie Landschaft sollte zu erkennen sein. Paradebeispiel ist die von March und dann Hegemann gegeißelte „Gartenanlage" des Opernplatzes. Wo im Stadtplan des Ingenieurs ein Dreieck oder sonst ein Abschnitt übrig bleibt, da wird es nach der Theorie behandelt, dass es aussehen müsse, als wäre ein Stück der ursprünglichen Landschaft stehen geblieben. Der englische Gartenstil habe den Städtebau zerstört, indem er ihm seine architektonischen Mittel nahm. Weiteres historisches Studium, für das es neben Sittes zahlreiche Anregungen gebe, sei geboten, es aber dabei durchaus verkehrt, beim heutigen Städtebau von künstlerischen Anforderungen auszugehen. Es ist absolut geboten, das praktische Bedürfnis zu studieren, um es vollauf befriedigen zu können, so Lichtwark 143 . Als übergreifende Leitmotive erscheinen Kulturverfall, falsche Romantik und eine Suche nach Sachlichkeit. Hegemann wurde eine Aversion gegen 'künstlerische' Planungselemente an die Hand gegeben, die sich in der Titulatur der „irren Schachbretter" und „Brezelwege" äußerte 144 . Zum Zeitpunkt der ersten Niederschrift von Sitte noch weitgehend ungerührt, waren Hegemanns persönliche Eindrücke wichtiger 145 . Tragendes von Siegfried Sitte bestätigen lassen; weiterer Beleg dafür, daß Hegemann dem persönlichen, durch Honoratiorenprinzip abgesicherten Austausch mehr vertraute als Büchern. 142 Nach dem Wiederabdruck Alfred Lichtwark, Die drei Entwicklungsphasen des deutschen Städtebaus [1911]. In: Kunst und Künstler 11 (1913), S. 239-243, auch in: Lichtwark, Auswahl ..., Bd. 1, S. 153-163. 143 Collins/Collins, Sitte ..., p. 343, 408, verweisen darauf, daß Lichtwarks Ideen trotz deren Bekanntschaft nicht von Sitte stammen und sein Widerspruch gegen die „hartnäckigsten Sünden" von Hügel, Raum und Natürlichkeit, schon auf den neuesten Paradigmenwechsel reagiert, während Sitte noch vielfach gegen die Geometrie opponiert. 144 Brinckmann (1911) 105. War hier noch von vielfach auf den eingezäunten und nach wenigen Windungen in eine Bierwirtschaft führenden Wegen unseres veralteten Zierparks die Rede, Hauptstücke (1912) 24; erschienen die „Brezelwege" Le Corbusiers dann in Vorbemerkung Brandt (1930) 160. Vgl. dazu oben zur Erziehung, die später Expressionismus und Neue Sachlichkeit für stilistisch hält; Posener/Becker/Jacob, Zeit ..., S. 138. 145 Vorgegriffen sei hier auf die schon Zeitgenossen wie Behne beschäftigende Äußerung Hegemanns über die „romantische Verwilderung" des Städtebau bei Schinkel. Sie wird besonders von Posener, Berlin ..., S. 224, als Folge seiner Identifikation mit Ostendorf gewertet. M.E. handelt es sich jedoch um einen von Lichtwark gestifteten Interpretationsstrang, für den die Ostendorf-Rezeption nicht notwendig war. Die Kritik ist in dem Lob Schinkels von 1911 bereits angelegt: Aber bei allen Bauten Schinkels findet sich eine wahre Romantikerfreude an reichem Baumwerk, wie sie die Renaissance nicht ge-

256

5.3.5

Interdisziplinär

Element des Leitmotivs ist die Einschwörung auf den praktischen Aspekt der Leistungsfähigkeit des Geplanten. Lichtwark muß bei seiner Führung durch Hamburg für Hegemann den Keim für eine neue Beurteilung des bürgerlichen Städtebaus gelegt haben, der bei allen Planbesonderheiten angemessene Gründe anzuführen wußte. Dieser Keim wird nach Erkenntnis des Irrtums über glorreiche hohenzollersche Bautradition für die Reinterpretation der Baugeschichte bei Hegemann von großer Bedeutung sein. Aus dem von Lichtwark vermittelten Blick, der ästhetische Phänomene für den Zustand der Gesellschaft liest, wird ein Sehen, das das Gesehene an einer aktuellen Norm mißt; eine kumulative Mitgift dieser peers, die Hegemann kultiviert. In diese Reihe gehörten gewiß auch Rudolf Eberstadt und Hugo Preuß, deren Zuordnung jedoch schwerer fällt, da Hinweise auf die persönliche Verbindung fehlen. Der 1856 geborene Eberstadt hatte eine verwickelte Laufbahn durchlaufen, und nach Bankausbildung und Auslandserfahrungen erst mit 38 Jahren sein Studium der Nationalökonomie begonnen, um seit 1902 als Privatdozent an der Universität Berlin zu lehren. Seine grundlegenden Schriften zum Wohnungswesen, die selbstverständlich in Hegemanns eingingen, befaßten sich vor allem mit den Auswirkungen der Bodenspekulation auf die Städtebildung, jedoch auch stets mit den historischen Anteilen. Offenbar ein glänzender Redner und beliebter Lehrer, bestach er Hegemann vermutlich mit der Selbstverständlichkeit eines 'interdisziplinären' Anspruchs. Er arbeitete nicht nur theoretisch, sondern beteiligte sich auch an der weiteren Lehre des Fachs, reichte mit Bruno Möhring und Richard Petersen einen Entwurf zum Berliner Wettbewerb ein, stellte mit Kollegen Bebauungspläne auf und seine praktische Unterstützung einer Baugenossenschaft zur Verfügung. In dem Umstand, daß ihm eine Lehrstelle an einer technischen Hochschule zeitlebens versagt blieb 146 , konnte Hegemann sich erst später wiedererkennen. Hugo Preuß' Einfluß erschloß sich ihm jedenfalls erst aus der Retrospektive. Nachdem dessen Kritik an Hegemanns Verherrlichung der Hohenzollern eine Politisierung anstieß, kam Hegemann dieser Anstoß offenbar erst durch eine in nachhinein gradlinig zu ziehende Verbindung zur Verfassung der Weimarer Republik zu Bewußtsein, der er in seiner Widmung des „Steinernen Berlin" Ausdruck verlieh 147 . Zu den peers wären auch Jüngere zu zählen, wie etwa am Beispiel Robert Kuczynskis zu erkennen, dessen Sohn Jürgen, Historiker, sich erinnert, daß Hegemann und kannt hat. (S 127). Diese Erkenntnis folgt Lichtwarks 'Sünden' des Illusionismus, kann aber hier noch zu „streng formal verwendeten Ingredienzen" umgedeutet werden. Gerade die Preisung Schinkelscher Raumwirkungen (S 126) zeigt den Einfluß von Lichtwarks Vorgaben. Daraus entwickelt sich über die Entwertung des Individualbaus im Kapitalismus und der Banalisierung der „formalen Ingredienzen" das Diktum von Verwilderung, ohne daß es dazu Ostendorfs bedarf. Denn Zielpunkt ist weniger die geschlossene Stadtwand, wie Posener meint, obschon stets gewünscht, sondern der durchsichtige Bau statt der Besetzung durch allgemeine Büdungs- und Gefühlswerte (S 127), von denen Hegemann sich abwendet. Er leistet dem Mißverständnis, seine Einsprüche formal statt politisch zu lesen, stets mit Freude Vorschub. 146 Thomas Rönnebeck, Eberstadt, Rudolf. In: Handwörterbuch der Raumforschung und der Raumordnung. Bd. 1-3, 2. Aufl., Hannover 1970, Sp. 511-517. 147 Vgl. dazu unten 5.5.1 Wandel und 7.6.2 „Das Steinerne Berlin".

257

5.3.5 Sozialbindung

sein Vater zeitweise eng zusammenarbeiteten und gut miteinander standen148. Auch hier war der selbstverständliche Ubergang zwischen Geselligkeit und Gesellschaft zu sehen, wenn Familienmitglieder und Bankiers sich als Förderer einer Baugenossenschaft und gesellschaftspolitisch engagierte Mäzene kenntlich machten oder verwandtschaftliche Bindungen zu den Familien Knapp, Hensel und Du Bois-Reymond sich in der Gründungsliste des Propaganda-Ausschusses niederschlugen. Die Wohnung der Familie Robert Kuczynski in Friedenau war ein Ort zahlreicher geselliger Veranstaltungen und Kreuzungspunkt verschiedener Kreise von Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern, der seinen entsprechenden äußeren Ausdruck in der 1913 bezogenen Villa am Schlachtensee fand, gebaut vom mit der Familie befreundeten Muthesius 149 . Hegemann traf in Kuczynski einen vorbildlichen Kollegen. Der fünf Jahre Ältere studierte ebenfalls Nationalökonomie und promovierte bei Brentano über Bevölkerungsbewegungen zwischen Stadt und Land. Die wissenschaftliche Untersuchung mit sozialpolitischen Absichten verband Kuczynski und Brentano, die 1900 in das gemeinsame Werk über die „Grundlage der deutschen Wehrkraft" mündete und sich gegen die interessenpolitische Dekadenzthese der Großagrarier richtete. Kuczynski arbeitete währenddessen als Volontär am Statistischen Amt Berlin und 1900 bis 1903 beim statistischen Bundesamt der Vereinigten Staaten bei Carroll D. Wright. Diese Auslandsstudien stellen mit der Distanz zu obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen und Impulsen zu sozialpolitischen Initiativen ein wichtiges Bindeglied bereit. Nach seiner Rückkehr wurde Kuczynski 1904 Direktor des Statistischen Amtes Elberfeld, um 1906 nach Schöneberg zu wechseln, wo er bis 1921 in dieser Position verblieb. Die Arbeit in Schöneberg, wo er die Grundstücks-, Wohnungs- und Bevölkerungsaufnahmen von 1905 auswertete, führte Kuczynski zum Wohnungswesen. Sein Material bestätigte das Schwabesche Gesetz über Zusammenhänge zwischen Einkommen, Miete und Wohnungsgröße. Auch unter Einfluß von Eberstadt kam er zu der Diagnose, daß die Mietskaserne also das notwendige Produkt des heute herrschenden Systems der Bodenaufteilung sei150, und auch ihm ermöglichten seine Kontakte, disziplinübergreifend zu arbeiten. Gemeinsam mit dem Architekten Walter Lehweß erarbeitete er den Plan „Zweifamilienhäuser für Großstädte", der in Ergänzung zum Wettbewerbsprojekt von Eberstadt, Möhring und Petersen Bodenaufteilung und Bauskizzen zeigte und aufgrund der Straßendifferenzierung bei üblichen Bodenpreisen den Bau von Kleinhäusern als rentabel nachwies. Zugleich waren seine Daten ein wichtiger Teil der Städtebauausstellung, die Schautafeln 148 Schreiben von Prof. Dr. Jürgen Kuczynski vom 17. Oktober 1994. Unterlagen sind in dessen Besitz jedoch nicht erhalten, daher beruht die Darstellung auf dessen Biographie: Jürgen Kuczynski, Rene Kuczynski. Ein fortschrittlicher Wissenschaftler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Berlin (Ost) 1957. Die eigenen Memoiren des Sohnes von 1975 und 1991 gehen über diese Würdigung und ihre zeitgemäßen Beschränkungen nicht hinaus. 149 Jürgen Kuczynski, Memoiren. Die Erziehung des J.K. zum Kommunisten und Wissenschaftler, 2. Aufl., Berlin-Weimar 1975, S. 21-27. 150 Robert Kuczynski, Kleine Häuser für große Städte. In: Jahrbuch der Bodenreform 8 (1912), S. 81-98, S. 83, im Original hervorgehoben.

258

5.3.5

Konfiguration

und Tabellen groß präsentierte 151 . Seine Zahlen liefen bereits auf die griffige Formulierung über die 600.000 zu, die im März 1912 Furore machte, aber, wie Kuczynski selbst anmerkte, von Hegemann bereits unwidersprochen publiziert worden war. Das Kleinhausprojekt bildete den positiven Pol, weil es, wie Kuczynski immer wieder betonte, für die Reformer den Nachweis bedeutete, daß der von den Interessengruppen stets bestrittene Bau rentabler Familienhäuser möglich war 1 5 2 . Beim Einsatz für den Propaganda-Ausschuß kam eine weitere Verwandtschaft der Haltungen zum Tragen, die sein Sohn in einer Skizze des Redners andeutete, der mit kurzer, schlagender Trockenheit und selbstgewählter Groteske des Gesichtsausdrucks die Versammlung hinriß153. Diese Verwandtschaft bestimmte auch den hinterlistigen Stil, in dem Kuczynski 1924 Hegemanns Pseudonym aufdeckte. Er belegt nicht nur fortgesetzte freundschaftliche Beziehungen nach Hegemanns Rückkehr, sondern verursachte die Nichtbeachtung dieser Enthüllung und dürfte beiden Autoren Vergnügen bereitet haben. Trotz ungleicher Herkunftsmilieus zeigen sich vergleichbare Studien- und Auslandserfahrungen als verbindendes Potential, fachliche und gesellschaftliche Grenzen für die Umsetzung theoretischen Wissens in praktische politische Projekte zu überqueren. In diesem Sinne waren beide „bürgerliche Radikale" 154 , was Kuczynski 1925/26 mit der Gründung des „Ausschusses zur Durchführung des Volksentscheides für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten" fortsetzte 155 und Hegemann gleichzeitig literarischsatirisch versuchte. Eine Zusammenfassung des gemeinsamen Selbstverständnisses gab Karl Scheffler 1913: die neue Zeit kulturell zu legitimieren und in einer neuen Großbürgerkultur das sozialökonomisch Notwendige als sittliche Freiheit zu etablieren 156 . Damit kann auf eine „Krise des Großbürgertums" geschlossen werden, die auf Zeichen dessen reagiert, was als „Enteignung der kulturellen Kompetenz schon vor 1919" (Langewiesche) bezeichnet worden ist. Noch schwindet die Kompetenz weniger vor Werken der Künstler, sondern vielmehr vor Erscheinungsformen der Wirklichkeit, die scheinbar ohne Zutun von Kultur zustandegekommen sind. Im Schatten dieses Signifikanzverlustes werden die gesammelten Reformabsichten zu einem weitausholenden Wiederherstellungsversuch. 151

Führer..., S. 87 f. Exponate 521, 527-529. Vgl. S 79 und Abb. 28 und 57. Robert Kuczynski, Die Aufgaben der Groß-Berliner Wohnungspolitik. In: Fragen der kommunalen Sozialpolitik II ..., S. 1-15, S. 11. Der Vortrag vor der GfSR vom 13. November 1911 erschien zuerst in den „Annalen für Soziale Politik und Gesetzgebung" 1 (1912) und bezeichnet das weitere Zielpublikum. 153 Kuczynski, Rene Kuczynski ..., S. 38 nach der „Königsberger Allgemeinen Zeitung" vom 17. März 1912; der Abschnitt sonst gänzlich unpersönlich dargestellt. 154 Kuczynski, Rene Kuczynski ..., S. 29, vgl. S. 42, benutzt diesen Begriff aus marxistischer Sicht, damit abwertend. 155 Siehe dazu Kuczynski, Rene Kuczynski ..., S. 83-114, Dokumentation S. 155-164. 156 Karl Scheffler, Die Architektur der Großstadt. Berlin 1913, S. 86 f. - Von Huse, Neues Bauen ..., S. 121 f., als „Erkenntnis" bezeichnet, die es ohne Zweifel nicht ist, sondern die Beschreibung eines Selbstbildes, an dem Scheffler partizipiert. Huse verweist auf das darin anklingende ..Pathos der Unterwerfung". Scheffler führte dieses Pathos mit seiner Parteinahme für die Irrationalisten konsequent fort. Vgl. auch Posener, Berlin ..., S. 252 zum „Protofaschismus" Schefflers. 152

259

5.3.5 Ansatz

Statt einer Abwehrideologie transportieren die hiesigen Absichten Entwürfe, in denen - wie in Programmentwürfen üblich - der Platz der Entwerfer zuerst beschrieben wird und zu den wichtigsten gehört. Schefflers Beschreibung umfaßt diesen Konflikt. Das sittliche Gebot steht für ein Elitebewußtsein, das als Kulturträger der Nation, aber auch christlicher Ethik und individueller Freiheit verpflichtet ist. Jene ökonomischen Notwendigkeiten bedeuten die Einsicht in Unumkehrbarkeit der Hochindustrialisierung. Der Versuch, beides zur Deckung zu bringen, mündet im letzten substantiellen Kompetenzbereich, der Kultur. So werden idealistische Wirkungsvorstellungen auf eine neue Stufe gehoben, um Wandel zu begrenzen, zu kanalisieren und zu reglementieren, werden seine Faktoren in die Gesetze des Marktes eingebunden, als Einheit der Kultur proklamiert und eine Identität von Arbeit, Lebensführung und Persönlichkeit erwartet. Der Versuch einer Vergesellschaftung des als autonom verstandenen und absichtsvoll wider die Vorgaben von Staat und Wirtschaft gebildeten Selbstverständnisses soll dessen Wirkungswillen in eine dem entgegenstehende gesellschaftliche Wirklichkeit funktional einbinden. In diesen ethisch eingebetteten Mechanismen der Funktionalisierung ist ein Partikel des „Prozesses der Zivilisation" (Norbert Elias) zu erkennen, mittels dessen externe Zwänge internalisiert werden. Darin liegt die Bedeutung der Schefflerschen Beschreibung157. Seine Vorbilder wie auch Hegemann waren in einer Ideologie des Mandarinentums15S fest verankert. Der Typus des Mandarins ist für eine biographische Untersuchung geeignet, weil er über das Konzept des „Bildungsbürgers" hinaus einen Habitus erfaßt 159 und seine deskriptiven Kategorien die Verschränkung von Denkmustern mit Handlungsentwürfen, die sich in den Themenanalysen abzeichneten, wieder zusammenführen und dabei nach dem sozialgeschichtlichen Rahmen fragen 160 . 157 Nach dieser Perspektive bedürfte es einer kritisch komparativen Untersuchung ähnlich strukturierter Ansätze zu Gesellschaftsreformen über subjektive Erziehungs- und Aufklärungsprozesse in verfassungskonformer Absicht. 158 Ideologie verwendet Ringer als Gegensatz zu einer strengen Logik in der Organisation bewußter und reflektierter Ideen. Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 18901933, München 1987, S. 9; der englische Originaltitel stellte den Kernbegriff deutlicher heraus. - Eine Stütze für den mehrfach kritisierten Begriff böte die von Clark, Architektenberufe ..., S. 536, gefundene Diagnose eines Anonymos von 1899, der die Abneigung, „nicht an Gymnasien ausgebildete Techniker" als gleichwertig anzuerkennen, mit dem Fanatismus der „Mandarine" verglich. S.a. Fritz Ringer, Fields of Knowledge. French Academic Culture in Comparative Perspective, 1890-1920. Cambridge-Paris 1992, p. 1-25, bes. 1-3. 159 Zum Habitus siehe auch Martin Schmeiser, Akademischer Hasard. Das Berufsschicksal des Professors und das Schicksal der deutschen Universität 1870-1920, Eine verstehend soziologische Untersuchung, Stuttgart 1994. 160 Vgl. auch Rüdiger Vom Bruch, Bildungssystem, Universitäten, Wissenschaften, Gelehrte. Neuere Arbeiten und Ansätze, in: ASG 29 (1989), S. 439-481. Ringers Klassifizierung besitzt neben den materialreichen Nachfolgewerke wie Vom Bruchs anhaltenden Wert, weil sich seine Klassifizierung auf die (idealtypische) Trennung zwischen hierarchisch-traditionaler Argumentation und leistungsbezogenmodifizierender bezieht, innerhalb deren letzterer Vom Bruch eine fast nicht mehr zu übersehende Diversifizierung bietet, die den politischen Optionen folgt und die bildungssoziologische Formation

260

5.3.5

Denktraditionen

Hegemanns Formation und seine eigenen Ambitionen gaben die Zuordnung zur Gelehrtenwelt vor 161 . Ihre orthodoxe Interpretation von „Bildung" resultierte in Denkmustern und Elitebewußtsein, die als wesentlich für die Zerstörung in ihr angelegter humanistischer Traditionen und das Versagen der Gelehrtenwelt vor einer gesellschaftlichen und kulturellen Anpassung an die Moderne anzusehen sind, ihr schließlich eine „indirekte, negative Verantwortung" (Ringer) für die Durchsetzung des Nationalsozialismus zuteilen lassen. Der Typus stellt mithin für Hegemann einen zunächst zutreffenden, später abweichenden Rahmen. Mittels dessen kann das unscharfe und sich kreuzende Miteinander konservativer, liberaler und sozialer Elemente, das die Themenanalysen zeigten, charakterisiert und die Herkunft und Wirksamkeit von Residuen, schließlich ein Potential zur Abweichung vom Typus bestimmt werden 162 . Die Aufklärung war in Deutschland mit einer kritischen Erneuerung des Protestantismus zur Begründung moralischer Werte außerhalb der Konfessionen verbunden, statt wie im angelsächsischem Raum mit einem empirischen Rationalismus. In engem Zusammenhang mit pietistisch beeinflußten Erziehungsvorstellungen wurde die geistige Bedeutung des Individuums für dessen Selbstgewißheit wichtiger als die praktische Bedeutung seines Wissens 163 . Bildung umfaßte so die einzigartige zu entfaltende Individualität, ihr Wachstum durch Erleben und Erkennen zu vollständiger Selbstentwicklung, zu Universalität und Totalität. Die darin angelegte Differenz von weltlichem Wissen und geistiger Gelehrsamkeit fand ihre Entsprechung in der Auffassung von Rationalität als praktischem, technischen Gehalt gegenüber der Vernunft als moralischem, intellektuellen Gehalt von Bildung, schließlich in den vermeintlichen Gegensätzen von Zivilisation und Kultur. Die Philosophie des Idealismus, neuhumanistisches und neukantianisches Denken prägten diese Bildungsvorstellungen. Die Aufhebung des Gegensatzes zwischen objektiver Wirklichkeit und subjektivem Bewußtsein erfolgt im Idealismus durch Ableitung des ersten vom zweiten. Im Gegensatz zum Materialismus sieht der Idealismus in den Dingen ein Produkt des freien Bewußtseins. Die moralphilosophische Verknüpfung des Idealishintanstellt. 161 Die unterstellte Nähe zum Gelehrtenmilieu basiert auf der Umgebung der Disziplin, die zu dieser Zeit aus Universitätsangehörigen, akademischen und staatsgeprüften Architekten wie Fachbeamten bestand. Ringers engere (und beanstandete) Eingrenzung macht die Übertragung auf einen weiteren Bereich wie den der Architektur problematisch - obschon wenig andere Ergebnisse zu erwarten wären doch Hegemanns eigene Zuordnung zu Ringers Hauptgruppe des VfSP läßt sie zu. 162 Die Befreiung aus den propagierten Denkmodellen und dem orthodoxen geistigen Habitus ist eine singulare und, auch in ihrer Form nach, sehr spezifische Leistung. Eine in diesem Bereich stärkere Resistenz gegen orthodoxen Habitus kann damit nicht unterstellt werden. Dem steht etwa die Option Brinckmanns für den Nationalsozialismus entgegen, der als Städtebauaktivist zum Außenbereich, als Kunsthistoriker zur von Ringer ausgesparten Gruppe der Kulturwissenschaften gehört. Hier böte sich die exemplarische Möglichkeit, eine Gegenposition von vergleichbarer Herkunft zu untersuchen, insonderheit, da dieses später mißliebige Votum durch solch 'objektive' Werke wie eine Personalbibliographie zum Verschwinden gebracht wurde. 163 Siehe dazu jetzt auch Georg Bollenbeck, Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt a.M.-Leipzig 1994, bes. S. 96 ff. Ringer, Gelehrte ..., S. 78 ff.

261

5.3.5 Idealismus

mus mit Freiheit begründete eine ethische Pflicht zu dieser Weltanschauung, die praktisch bedeutete, Idealismus mit moralischen Bekenntnissen gleichzusetzen. Auf dieser Basis wurde zum Jahrhundertende aus Kulturkritik die den Mandarinen gemeinsame Diagnose des Kulturverfalls, die auch Hegemanns Vorbilder teilten und er im „Kultursturz" benannte. Uber die Zeiträume - um 1850 und 1890 - und den wichtigsten Effekt, den Verlust der Führung seitens der Eliten, gab es bei der Diagnose einhellige Ubereinstimmung. Ursachen wurden breit benannt, doch nicht ermittelt, weil sie eine Unterscheidung zwischen den rein intellektuellen Aspekten des angeblichen Niedergangs der Kultur und deren sozio ökonomischen Wurzeln oder Parallelen verlangt hätten 1 6 4 . Hegemann hat an der typischen Interpretation teil, indem er den Intellekt als von der soziökonomischen Entwicklung nachteilig beeinflußt und ihr unterlegen sieht, gleichzeitig aber die Überlegenheit und Kontrollfähigkeit des Unterlegenen über Ökonomie und soziale Entwicklung postuliert. Diese Interpretation reflektiert das Unvermögen des Mandarinentums, sich ein komplexeres und indirekteres Verhältnis zwischen dem Wissen und der gesellschaftlichen Praxis vorzustellen, als eben das Verhältnis, welches in seiner eigenen Tradition gegeben war. Es betrachtete sich stets als eine Priesterklasse, die einer bäuerlichen Bevölkerung letzte Werte vorschreiben konnte. Es beharrte mithin unverändert auf seinem alleinigen Deutungsmonopol. Infolge der idealistischen Vorentscheidungen und der analytischen Defizite konnte Erneuerung nur in einer Erneuerung des Geistes bestehen, einer Reaktivierung der moralischen Führerschaft des Mandarinentums, der gemeinsamen orthodoxen Vorgabe 165 . Doch die Reaktionen auf die gemeinsame Diagnose unterschieden sich. Die Orthodoxie zeigte sich als antidemokratisch, gegen parlamentarische und gesellschaftliche Reformen, beharrte auf der Bildungstradition und trat in ihren Deutungen und Folgerungen doktrinär, zielbewußt und logisch unkompliziert auf. Modernisten erkannten bei den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen jedoch auf eine Unumkehrbarkeit sowie auf potentiell positive Wandlungsmöglichkeiten. Sie gelangten zu der Uberzeugung, daß eine Anpassung an moderne Verhältnisse notwendig sein und den Mandarinen weiteren Einfluß sichern könne 166 . Wie selbstverständlich Hegemann in diesen Denktraditionen verwurzelt ist, zeigt ein Blick auf seine Kunstauffassung. Die von ihm heraufbeschworene Vorstellung von Schlüter und Schinkel als Schöpfer-Repräsentanten verdankt sich der Kunstauffassung unter dem Einfluß der idealistischen Philosophie. Sie wurde Träger ästhetischer und menschlicher Ideale, die sie auf Grund der freien schöpferischen Gestaltung durch den Künstler in sich aufnimmt und verkündet167. So vermag Hegemann, die geniale Schöpfungslei164

Ringer, Gelehrte ..., S. 229 ff., S. 236. Ringer, Gelehrte ..., S. 243, S. 234-243, S. 242. Auch die Modernisten zielen trotz Differenzen bei Ergründung und Entwürfen auf die Wiedergewinnung des Einflusses, so daß die Schlußfolgerung aus der Krisenbestimmung in jedem Falle als orthodox zu bezeichnen ist. 166 Ringer, Gelehrte ..., S. 120-123, s.a. S. 152 ff. 167 Ulrich Scheuner, Die Kunst als Staatsaufgabe im 19. Jahrhundert. In: Ekkehard Mai/Stephan Waetzoldt (Hrsg.), Kunstverwaltung, Bau- und Denkmalpolitik im Kaiserreich (Kunst, Kultur und Politik im Deutschen Kaiserreich 1). Berlin 1981, S. 13-46, S. 14. 165

262

5.3.5

Historismus

stung als endgültige anzusehen, in der gleichzeitig durch den singulären Akt des Künstlers die Repräsentanz der gesellschaftlichen Kraft gegeben ist. Das Einzelkunstwerk bezeichnet den Gesellschaftszustand, während der Künstler Konflikte exemplarisch durchlebt. Der Idealismus fügt Kunst in die Bildung als Teil der sittlichen Entwicklung der Individualität ein, Bildung durch objektive Kulturwerte. Im 19. Jahrhundert wird dies in staatstheoretischen Schriften aufgenommen und als „Veredelung und Versittlichung des Volkes" dem Kulturstaat als Aufgabe angedient, eine Aufgabe, die Wilhelm II. als Kunst im patriotisch-idealistischen Sinn mehrfach einforderte. In diese Reihe stellt sich auch Hegemann, wenn er die Transzendenz der räumlichen Dimension feiert, die nationale Erziehung durch symbolhaltige historische Bauwerke und mehr noch, die historistisch monumentale Einkleidung der Innenstadtbüros und -Warenlager fordert. Die idealistische Ästhetik Theodor Vischers entwickelte einen Determinismus, um durch staatliche Kunstpflege einen Einheitsgedanken zu stärken, zu einer „ästhetischen Kultur" zu gelangen, in der Klassenkampf ausgeschlossen, das Nationalgefühl gestärkt wurde. Die Zuschreibung sozialpsychologischer Wirkungen an die Kunst förderte die Übertragung naturwissenschaftlicher Vorstellungen, in der Theodor Fechner und Theodor Lipps 168 zu einer empirischen mechanistischen Ästhetik gelangten, die Regeln zur Erzeugung von Schönheit und zur Wirkung auf die Seele aufstellte. Hermann Maertens entwarf eine „Praktische Ästhetik der Baukunst", in der er den Zusammenhang zwischen ideeller vom Bauwerk ausgehender Wirkung und der Bauform herstellte, um eine möglichst effiziente „formenlogische Kunstsprache" zu finden, die die Seele des Betrachters ansprach 1 6 9 . Entscheidend ist, daß die Baukunst zum Medium einer Sender-Empfänger-Beziehung funktionalisiert wird, deren Empfänger-Betrachter stets eine sittliche und moralische Hebung erfährt. An diesem genuin mandarinischen Selbstbild der Sender haben die Städtebauaktivisten regen Anteil. Die Verbreitung des Determinismus wird von zunehmendem Irrationalismus, etwa in der Konstruktion des Zusammenfallens bestimmter Bauperioden mit deutschen Wesenszügen 170 , begleitet. Mit steigender Hoffnung auf eine Bildungswirkung wird der Wirkungszusammenhang auf assoziative und Gefühlsproduktion reduziert. Die emotionale Wirkung des Schönen soll die Wertempfindung des Lebens steigern und dadurch Bewußtsein und Stolz auf die Gemeinschaft und Nation bilden 171 ; Teil der nur emotionalen Reaktion der Mandarine auf das Massenzeitalter. Da an dem Umbruchspunkt dieser Linie idealistisch-deterministischen Denkens ... die rationale Welt des an der Klassik ausgerichteten Humanismus und die irrationale Welt des „deutschen Wesens"172 aufeinanderstießen, spiegeln sich diese Funktionen bei He168

Deren Popularität zeigt sich etwa daran, daß sowohl Alice Hegemann wie Robert Kuczynski bei dem Philosophen und Psychologen Lipps (1851-1914) eine Vorlesung belegten. 169 Fehl, Sitte als Volkserzieher ..., S. 192 ff.; vgl. auch Collins/Collins, Sitte .... p. 48 f. Maertens erscheint bei Hegemann erst im „American Vitruvius". 170 Vgl. unter diesem Aspekt erneut Hegemanns Bewertung Schlüters; S 119. 171 Fehl, Sitte als Volkserzieher ..., S. 208-212. Ringer, Gelehrte ..., S. 393. 172 Fehl, Sitte als Volkserzieher ..., S. 216, nennt die bei Sitte widersprüchliche Begeisterung für die

263

5.3.5 Abweichungen

gemann besonders deutlich. Wo die Innenstadt, deren rationale symmetrische Ordnung sich längst vom Humanismus gelöst hat, sich in Größe, Symmetrie und Ordnung erschöpft, steht sie für dauer- und werthafte Gestalt, inkorporiert und vermittelt Nationalstolz. Die einzelne monumentale Bauform ist durch den tertiären Sektor besetzbar, solange er sich nur der werthaften Form unterordnet: die klassisch monumentale Anlage ordnet und bildet. Die Wohnstadt dagegen befriedet. Als irrationale gewachsene Binnenwelt kopiert sie unter Rückgriff auf frühere Zeiten und Stände dörfliche und kleinstädtische Anlagen von Haus & Garten, den Binnenraum der Entfaltung. Dem „deutschen Wesen" wird mit einer 'ursprünglichen' Wohnform Rechnung getragen, ausgerichtet am Bauernstand, dem traditionslosen Stand der Arbeiter am nächsten, und dem Idealbild des Hausvaters, in der der Idealismus in einen praktischen umschlägt, der moralische Festigung erreichen will. Vulgarisierte Auffassungen des Historismus bestärken diese Interpretation. Die 'Stadt' wird als objektivierter Geist metaphysisch. Analogien zum Organischen sind überaus häufig. Das damit unterstellte Recht auf Wachstum und Drängen zur Vollendung beruht auf dem Prinzip der historischen Individualität. Sie bezeichnet inzwischen weniger eine methodologische Einstellung der Historischen Schule als vielmehr einen metaphysischen Sinn: die Verkörperung eines einzigartigen Geistes. Die methodische Schwierigkeit, den Prinzipien der Einfühlung und der Individualität in historischer Betrachtung unter dem Vorsatz der „Vergangenheitstreue" zu folgen, bestärkt die Tendenz, historischen Wandel als „immanenten Prozeß sich entfaltender Entwicklungsbestrebungen" aufzufassen 173 . Gegen eine passive Auffassung der Stadtentwicklung ohne handelnde Verursacher erhalten die historischen Eingriffe einiger Weniger einen überaus individuellen Zug. Ihre persönlichen Qualitäten erklären Innovationen, die einem Zeitgeist zuwiderlaufen. Daran bestätigt sich der Sieg des Geistes über die Materie. Die verflachende Konstruktion zweier gegensätzlicher Entitäten, eines anonymen zur Vollendung drängenden Prozesses und eines herausragenden Individuums, kann Hegemann aus den Denkmustern des Historismus beziehen. Sie verfestigt das Interpretationsmuster vom Bedarf der Führung durch geistige Elite. Während sich die Orthodoxen vor Stagnation oder Revolution als unabänderliche Alternativen gestellt sahen, zeichnete sich für die Modernisten ein dritter Weg ab. Für den galt es die durch Industrialisierung freigesetzten Kräfte zu lenken. Das bedeutete insbesondere, die Arbeiterbewegungen zu vereinnahmen und die Massen zu einem minimalen Respekt vor den kulturellen Traditionen und nationalen Idealen des Mandarinentums zu veranlassen174. Die Entwürfe der Modernisten kannten drei Grundmuster zur Wiederherstellung mandarinischen Einflusses. Sie sprachen sich für bestimmte institutionelle Reformen ... aus; sie wollten die pädagogischen Theorien des Mandarinentums den Anforderungen des Massen- und Maschinenzeitalters anpassen, und sie versuchten mittels einer Synthese neue kulturelle Ideale zu schaffen, die zugleich ihren eigenen Traditionen klassische Einzelanlage einerseits und das mittelalterlich Eingewachsene andererseits. 173 Ringer, Gelehrte ..., S. 92-96. 174 Ringer, Gelehrte ..., S. 120-123, S. 123 und S. 152 ff.

264

5.3.5

Initiativen

gerecht wurden und dem 20. Jahrhundert angemessen sein sollten175; Muster, die für alle Vorbilder Hegemanns nur zu sehr zutrafen. Den Anstoß zu seiner eigenen Abweichung von der Orthodoxie liefert Hegemann der von ihm unterstellte originäre Besserungs- und Bildungswille der Massen. Er hat ihn nach den integrationssuchenden Angleichungsbemühungen amerikanischer Immigranten aus den Vereinigten Staaten als eine Selbstverständlichkeit importiert, die im mandarinischen Weltbild keinen Faktor bildet. Daraus resultiert seine Verachtung quietistischer Parteipolitik, die eine „polizierende" Sozialdemokratie ebenso für ihn verkörpert ebenso wie das liberale und verwaltungstechnische Laissez-faire oder die gelehrte Indolenz. Die potentielle Integrationsfähigkeit der Massen beruht auf Zuerkennung einer - wenn auch in minderen Graden - bildungsfähigen Individualität. Hier wird die Einschaltung der Mandarine in den Verlauf der Entwicklung zur ethischen Pflicht. Den Schlüssel zu praktischem Wirken bilden die Konzepte, die es erlauben, sich einzuschalten, ohne Haltung, Weltbild und Status aufzugeben. Auch hier spielt bei Hegemann der Import eine entscheidende Rolle, insofern er in der praktischen privaten sozialpolitischen Arbeit eine selbstverständliche Kulturausübung und Kulturanwendung der brahmins erfahren hat. Der Werkbund stellte mit dem Versuch, ästhetisches Vermögen in die Prozesse ökonomischer Rationalität einzufügen, einen weiteren Prototyp dar. Hegemanns Idee der Renovatio fordert von Großbürgern und Mandarinen die aktive Einschaltung in eine praktischen Kulturanwendung, die zunächst nicht die ökonomische Rationalität, sondern ihre Subjekte verändern soll. Durch Selbsterziehung zum kritischen Verbraucher und belehrende Vervielfältigung der Ansprüche schlägt sich die Reform im Wandel der objektiven modernen Lebenswelt nieder und bestätigt den idealistischen Ansatz. Hegemanns Abweichung beginnt da, wo er den Posten des Beobachters jenes Verfalls verläßt und aktiv einzugreifen sucht. Das bedeutete, ein „komplexeres Verhältnis zwischen eigenem Wissen und gesellschaftlicher Praxis" herzustellen, wie es der Werkbund idealtypisch produzierte. Hegemanns Vorsätze können so nach dem Grundmuster der Modernisten unter den Mandarinen interpretiert werden. Sie betrafen institutionelle Reformen, die Anpassung pädagogischer Konzepte und die Synthese eines neuen kulturellen Ideals, wenn sie auch auf simplifizierenden Vorstellungen gesellschaftlicher Realität beruhen. Zu den institutionellen Reformen gehörte für Hegemann vorrangig die der Kommunalverfassung. Seine Forderung allgemeinen Wahlrechts auf Ebene der Gemeinden und Kreise beruht auf der Idee eines mehrheitsgebundenen Korrektivs der Interessengruppenvertretung. Sie dokumentiert aber auch den Anspruch demokratischer Partizipation, wenn auch das Problem der Führungsrekrutierung noch weniger fortschrittlich entschieden ist. Die historisierenden Neuerungen in der Planungshoheit der Gemeinden dienen vorrangig der besoldeten Integration mandarinischer Deutungen in den Aufgabenbereich. Der Entwurf des Städtebau als einer allgemeinen Kulturaufgabe versucht dabei 175 Ringer, Gelehrte ..., S. 243-254, S. 243 f.; am Beispiel der Bildungspolitik. Auffallend ist, daß der erste von Ringers modernen Reformern, Georg Kerschensteiner, hier als Mitglied des DWB erschienen, eine unübliche Laufbahn aufwies und starke Impulse aus Aufenthalt und Studien in den USA erhielt.

265

5.3.5 Potentiale

einen Bereich zu besetzen, der als Domäne praktischen und rationalen Wissens galt. Darüberhinaus gehen jedoch seine Forderungen, die Selbstverwaltungsinitiativen von Genossenschaften und Bauvereinen zu stärken, denen eine Integration von unten aufgetragen wird. Die modernistische Anpassung pädagogischer Konzepte spiegelt sich in der Eigenheimförderung, die den Binnenraum für die Entwicklung individueller Bildung stellen soll. Hegemanns Aufforderung zu eigener kritischer Bedürfnisbildung, zur Anteilnahme am Stadt (entwicklungs)geschehen und Einforderung praktischer Betätigung zielt zunächst nur auf Verhaltensänderung der Elite, langfristig aber auf einen massenwirksamen Sickereffekt. Für einen autogenen Bildungswillen der unterbürgerlichen Schichten einzutreten, für deren individuelle Entwicklung und Möglichkeiten sozialen Aufstiegs, sucht Axiome zu ändern, nach denen diese als Erziehungsobjekte bisher ausgeschlossen blieben, und über die Vorbildfunktion, diese Antagonisten in einer Gesamtbildungsbewegung zusammenzufassen. Als „Synthese neuer kultureller Ideale" wird so eine gegenseitige Durchdringung von Geist und Rationalität skizziert. Geist soll per Ästhetik mittels ökonomischer Rationalität vermittelt werden; die Rationalität den Geist vitalisieren. Die Erweiterung der Geltungsbereiche des Bildungs- und Individualitätsideals auf neue gesellschaftliche Gruppen und andere gesellschaftliche Themen will das mandarinische Weltbild durch Öffnung erhalten. Im Ausgreifen auf neue gesellschaftliche Phänomene ist ein Entwurf modifizierter Axiome des Mandarinentums entstanden, der unter den Titeln von „Kulturkampf" oder „Kultureinheit" zur Praxis führt und aktive Partizipation an kulturellen Werten und Praktiken einfordert. Diese Vorstellung von einer praxisrelevanten Funktion einer Elite beraubt sie letzlich ihrer traditionellen Privilegien. Sie hat sich als solche zu bewähren in der Ausübung der zur Elite bestimmenden Definitionsfähigkeiten, woraus erst ihre Exklusivität resultiert. Sie fügt die Idee die Elite schließlich in eine Leistungsgesellschaft ein. Dabei wird auch der Zugang verbreitert und die Rekrutierung geöffnet. Sowohl das Konzept wie die praktischen Effekte verbreitern die Teilnahmechance durch Generalisierung des Anspruchs auf individuelle Bildung und soziale Mobilität. Die sklerotischen Befürchtungen vor dem „Aufkommen der Massen" 176 werden paradox mit einer Öffnung konterkariert, um den „Respekt vor den kulturellen Traditionen" zu erhalten. Der Schlüssel dazu ist die öffentliche Werbung. Die Städtebauausstellung warb erstmals durch öffentliche Selbstdarstellung für die Einschaltung von Mandarinen in die Stadtentwicklung. Sie sollte eine pressure-group außerhalb der Kanäle wilhelminischer Politik erzeugen. Hegemann bricht in der Folge noch weiter mit traditionellen Verhaltensmustern. Der Aufruf zur Gründung einer nichtparteipolitischen und außerparlamentarischen Initiative setzte auf Korrektur politischer Gremien durch die Formulierung potentiell mehrheitsfähiger politischer Forderungen. Dabei wird die Trennung der gesellschaftlichen Schichten aufgebrochen, zwar die Führungskraft der Privilegierten in Anspruch genommen, aber auch Fähigkeiten der Unterprivilegierten in Rechnung ge176

266

Ringer, Gelehrte ..., S. 47-61.

5.3.5 Modernist

stellt. Darin kommt ein bürgerlich-liberales, sozialharmonisches Gesellschaftsbild zum Tragen. Als Modell zur Übung sozialer Interaktion an der Basis und Vorform demokratischer institutionalisierter Konfliktregelung ist es ein innovatives Modell. Hegemann ergänzt es durch die persönliche Mitarbeit in einer Genossenschaft, indem er seine Fachqualifikation zur Verfügung stellt, um ein Selbsthilfemodell Minderprivilegierter zu fördern. Ausgangspunkt und Zielsetzung bleiben für Hegemann orthodox geprägt. Unerschütterlich gilt, daß eine von den kulturellen Traditionen geprägte Elite die Definitionsmacht in der Gesellschaft behalten und die Gestaltung der massenwirksamen, amorphen und gefährdenden Auswirkungen der hochindustrialisierten Wirtschaftsorganisation gewinnen muß. Doch diese Wirkungen sind für Hegemann nicht durchgehend negativ besetzt. Das umschreibt seine Potentiale 177 . Er kann den vom freien Markt entfesselten Kräften positiven Gehalt abgewinnen. Sie versprechen, durch Produktivitätssteigerungen unterbürgerliche Schichten zu einem verbreiterten Mittelstandsanteil der Gesellschaft zu heben. Indem er den kulturellen Traditionen gesellschaftsregulierende Funktion zuerkennt, bleibt er dem bildungsbürgerlichen und mandarinischen Habitus verhaftet. Indem er aber auf Verluste durch Vernachlässigung der Ausübung diagnostiziert, fügt er den Aspekt der Leistungsbemessung ein 178 . Durch diese Leistungsmessung fließt das Prinzip individueller Bewährung ein, das langfristig Prärogative untergräbt und zur Wählbarkeit mit Vertretungsanspruch führt. Der Widerwillen gegen parteipolitische Besetzung des Gemeinwohls wird davon aufgebrochen und zur Bejahung des Parteiensystems einer Republik leiten. Die relative Öffnung der Zugänge zu gesellschaftsregulierenden Funktionen erweitert die Rekrutierungsgruppe und bereitet die Anerkennung eines demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsentwurfs vor. In Hegemanns folgenden Versuchen, eine Öffentlichkeit zu erzeugen, die als „Gegenöffentlichkeit" wirkt, indem sie Aufklärung leistet, Handlungsentwürfe erörtert und Handlungsbedarf zu bestimmen sucht, wird dieses Prinzip bereits angewandt.

177 Hegemann läßt in seinem weiteren Handeln diesen Kategorien hinter sich und muß, als Gegner des Nationalsozialismus und machtloser Befürworter der Republik, als Outsider as Insider (Peter Gay) gezählt werden, der an der Uberschätzung der eigenen Wirkungsmöglichkeiten wie der gemeinsamen öffentlichen Vernunft scheitert. Indiz dafür ist etwa die Absenz des Antisemitismus bei Hegemann; vgl. Ringer, Gelehrte ..., S. 128. Modernistisches Potential führt jedoch nicht geradlinig in Emigration. Zum einen war die modernistische Richtung nicht so prononciert vertreten ..., wie Ringer es an den Sozialwissenschaften zu zeigen vermag, so Dietrich Goldschmidt im Nachwort zur deutschen Ausgabe. Zum anderen war die Emigration nicht so prononciert modernistisch. Lederers Ablehnung Hegemanns im Exil zeigte eine marxistisch inspirierte, doch zutiefst bürgerliche, vom mandarinischen Gelehrtenhabitus durchdrungene Kritik. 178 Ein typisches Muster, in dem die orthodoxe Bindung sich gegen moderne Entwurfsmuster behauptete und das Dilemma zwischen intellektuellen und sozioökonomischen Aspekten sich nur individuell beantworten ließ. Ringer, Gelehrte ..., S. 151.

267

5.4.1 Genossenschaft

5.4 Hegemanns Aktivitäten Schon während des Schreibens und mehr noch nach Abschluß seines Buches über die Städtebauausstellung engagierte Hegemann sich in praktischen Belangen des Faches. Neben der Mitarbeit in einer Baugenossenschaft, der Mitgliedschaft in der Jury für einen Düsseldorfer Bebauungsplan war die Gründung und Organisation eines „PropagandaAusschusses für Groß-Berlin" die wichtigste dieser Aktivitäten. Sie bilden die Lehrzeit der nachzuholenden Fachbildung und ihre Einsichten und Erfahrungen sind weiter prägend. 5.4.1 Baugenossenschaft „Ideal" Die Baugenossenschaft „Ideal" bestand seit 1907. Auf Initiative und mit Mitgliedern der Ortskrankenkasse Rixdorf gegründet, hatte sie sich zwecks gesunden Wohnens auf den Bau reformierter Mietshäuser konzentriert. Mit drei größeren Bauten - einer davon die vielbeachtete „Ideal-Passage" - erfolgreich, wandte sie sich um 1910 einem anspruchsvollen neuen Projekt zu, dem Bau von erschwinglichen Kleinhäusern in der Großstadt 1 . In der großen Zahl der Selbsthilfegemeinschaften in Berlin gilt die „Ideal" als eine der oppositionell-reformerischen Genossenschaften, die sich gegen die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen formierten. Sie vertrat aber nicht wie andere dieses Typus ein umfassendes Programm alternativen Lebens, sondern bezog ihre Ziele aus einem Programm, das dem paternalistischsozialreformerischen Typus zugerechnet wird: Gemeinschaftseigentum, umfassende Gemeinschaftseinrichtungen, soziale Mischung der Mitglieder, Pflege der genossenschaftlichen Selbstverwaltung und des „Genossenschaftsgeistes". So stellt diese Baugenossenschaft eher einen Mischtyp beider Gruppen dar 2 . 1 Siehe dazu die Festschriften der Genossenschaft, zuletzt: 75 Jahre Ideal. Gemeinnütziges Wohnungsunternehmen e.G. 1907-1982, Berlin 1982, S. 17-41. Ralf Michael Kania, Tradition und Entwicklung der Wohnungsbaugenossenschaft Ideal am Beispiel der Entstehungsgeschichte der Siedlung Britz. Diplomarbeit Bd. A, TU Berlin 1986, S. 47 ff. Christine Becker, Die Ideal-Passage. Fortschritt durch Selbsthilfe, in: Vom Ilsenhof zum Highdeck. Modelle sozialen Wohnens in Neukölln, Neuköllner Kulturverein e.V., hrsg. von Brigitte Jacob und Harald Ramm, Berlin 1987, S. 51-65. Zu Rixdorf, seit 1912 Neukölln: Felix Escher, Neukölln (Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke 3). Berlin 1988. Zur Rolle der Krankenkassen: Christoph Sachße/Florian Tennstedt, Krankenversicherung und Wohnungsfrage. Die Wohnungsenquete der Ortskrankenkasse für den Gewerbebetrieb der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker, in: Gesine Asmus (Hrsg.), Hinterhof, Keller und Mansarde. Einblicke in Berliner Wohnungselend 1901-1920, Reinbeck 1982, S. 271-297. 2 Klaus Novy, Hochburg der Wohnreform. In: Die Metropole. Industriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert, Hrsg. von Jochen Boberg, Tilman Fichter und Eckhart Gillen, München 1986, S. 120-124, S. 120. Klaus Novy, Die veralltäglichte Utopie - Richtungen genossenschaftlicher Wohnreformen in Berlin vor 1984. In: Die Zukunft der Metropolen. Paris, London, New York, Berlin, Ein Beitrag der Technischen Universität Berlin zur Internationalen Bauausstellung Berlin, Berichtsjahr 1984, Bd. 1-3, Berlin 1984, Bd. 1, S. 385-395, S. 393 diese Genossenschaft zwischen beiden Typen wegen des Ausschlusses staatlicher Förderung und bürgerlicher Gründungsunterstützung. Klaus Novy, „Berlinischer als in Berlin" - Aufstieg und Niedergang der Wohnreformträger in Rixdorf/Neukölln. In: Ilsenhof ..., S. 20-37 aber 1987 wieder als oppositionell-reformerisch.

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5.4.1 Typus

Auch für die „Ideal" trifft zu, daß Wohnreform, nicht Wohnungsreform ihr Anliegen war. Abgesehen vom anderen Besitzverhältnis belegen die Ausstattungen der Bauten, besonders der „Ideal-Passage", daß nicht Qualitätsverbesserung des Raumes ihre Absicht war, sondern in Alltag und Tagesabläufe einzugreifen und die Lebensweise durch Angebote in der Binnenwelt außerhalb der Wohnung zu verbessern 3 . Diese vom „Genossenschaftsgeist" geprägten Angebote machen den zum Kleinhausprojekt gehörenden Garten nicht nur wirtschaftlich und gesundheitlich, sondern für die Alltagskultur bedeutsam 4 . Gemeinsam mit oppositionellen Reformgruppen hatte die „Ideal" jedoch, wegen unverhohlener Nähe zur Sozialdemokratie keinerlei staatliche Gelder zu erhalten 5 . Solche Baugenossenschaften waren bei der Finanzierung ihrer Projekte allein auf Mitglieder angewiesen. Sie mußten eine Gratwanderung zwischen „utopischem Entwurf", „struktureller Überforderung" bei der Ausführung und den wirtschaftlichen „Zwängen der Suche nach Förderern" unternehmen 6 .

3 Novy faßt baugenossenschaftliche Tätigkeit als „Aktionsform" auf und kritisiert daher zu Recht, daß die Forschung Hausgeschichte schriebe, ohne Bauträger, Motive und Arbeitsweise zu berücksichtigen. Gerade für die „Ideal" hat das zu einem Kanon von 'in Lage und Ausstattung vorbildlich' geführt, der kaum je durchbrochen wird. Exemplarisch: Ursula Herzberg, Geschichte der Berliner Wohnungswirtschaft unter besonderer Berücksichtigung der gemeinnützigen (Klein-) Wohnungswirtschaft. Dissertation (MS) FU Berlin 1957, S. 100 f., und darauf aufbauend: Geschichte der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in Berlin. Hrsg. vom Verband Berliner Wohnungsbaugenossenschaften und -gesellschaften e.V., Berlin 1957, S. 75. - Seinerseits erfüllt Novy den Anspruch ebenfalls unzureichend. Die Genossenschaft wird auf eine 'Kooperationsform' sozialdemokratisch-bürgerlichen Schulterschlusses reduziert. Über Planentwicklung und Finanzierung als Teil der „Aktionsform" fällt kein Wort und die Form der Bebauung ist desgleichen nicht erwähnenswert. 4 Die Tendenz, ... kulturelle, sprich bürgerliche Erziehung in die Haushalte zu tragen - Becker, Ideal-Passage ..., S. 54 - , sollte nicht nur negativ beurteilt werden. Etwa in der Form einer Reihe „Wie erhalte ich schöne Balkonblumen?" in den Genossenschaftsmitteilungen als Serviceleistung des von der „Ideal" angestellten Hausgärtners, vergleichbar der Absicht, einen Arzt genossenschaftlich anzustellen, handelt es sich um Teilen von Wissen und Mitteln, nicht nur um Statussymbole. 5 Novy geht davon aus, daß wie die Oppositionellen die „Ideal" Beamte von der Mitgliedschaft ausschloß. Dafür konnte kein Beleg gefunden werden. Im Gegenteil: In der eigenen Tabelle Soziale Gliederung der Mitglieder sind zur Zeit der höchsten Mitgliedszahlen Ende 1912 Arbeiter aller Berufe 1157; Staats- und Gemeindebeamte und andere Angestellte 319; Fabrikanten, Industrielle und andere selbständige Gewerbetreibende 178; Künstler, Ärzte Schriftsteller und andere Akademiker 111; Rentiers und Privatiers 95 aufgeführt. - Die Selbstverpflichtung der Genossenschaft, zwecks „Anstellungen die gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeitsnachweise zu nutzen", die zahlreichen Gewerkschaftsangestellten unter den Mitgliedern und Gewerkschaften als Geldgeber sind ein sichereres Indiz für die Nähe zur SPD als Kanias Liste der Zeitungen, in denen inseriert wurde. 6 Novy, Hochburg ..., S. 121.

269

5.4.1.1 Projekt

5.4.1.1 Kleinhäuser Schon im Herbst 1910 kündigte die „Ideal" ein Projekt an, das vom bisherigen Kasernensystem abweicht7. Überlegungen dazu müssen bei der Genossenschaft unmittelbar im Anschluß an die Städtebauausstellung begonnen haben. In den hauseigenen „Mitteilungen" waren die Baugenossen trotz aller Kritik an der dort fehlenden Darstellung genossenschaftlicher Arbeit aufgefordert worden, die Ausstellung zu besuchen. Man empfahl die Dokumentationen zur Wohnungslage zur besonderen Beachtung, so daß die Tragweite der gezeigten Modelle noch nicht im Vordergrund stand 8 . In diesem Zusammenhang muß man sich von der Vorstellung trennen, Hegemann habe die Übernahme des Kleinhausprojektes sowie die Ausstellung der „Ideal" von 1911 zur Mitgliederwerbung prägend beeinflußt 9 . Dem 'utopischen Entwurf' vorstädtischer Erschließung in genossenschaftlicher Weise fehlte zu dieser Zeit ein Modell, das sowohl die Bauträger gering belastete wie reformerische Breitenwirkung erzeugen konnte, dabei sparsame Landerschließung und preisgünstige Bebauung erlaubte. Die von Eberstadt und Goecke eingeführte Unterscheidung nach Verkehrs- und Wohnstraße mit „gemischer Bauweise" ergab zwar eine rationelle Bodenaufteilung mit Reihenhäusern und Individualgarten, doch um den Preis, lediglich vergleichbar teure Wohnungen zu bauen. Insbesondere das Problem der Weiträumigkeit, in der Nutzgärten erst ertragreich werden, blieb ungelöst 10 . Ku7 Rixdorfer Baugenossenschaft „Ideal", Bericht der Verwaltung für das 4. Geschäftsjahr, 1. Oktober 1909 bis 30. September 1910. O.O., o.J., S. 6; aus taktischen Gründen könne noch nichts genaueres berichtet werden, aber die Absicht solle den Genossen die Mitgliederwerbung erleichtern. - Der Bericht ist auf dem Titel erstmals mit der Zeichnung einer idyllischen Eingangstür versehen. 8 Mitteilungen der Rixdorfer Baugenossenschaft Ideal 1 (1910), Nr. 3. Die „Mitteilungen" erschienen seit dem 1. April 1910 monatlich, zunächst unpaginiert. Als Autor der meist ungezeichneten Artikel kann Franz Gutschmidt gelten, der die Redaktion bis zur Übernahme durch den ersten hauptamtlichen Geschäftsführer Paul Schlegel Mitte 1911 innehatte. Der „Gewerkschaftssekretär" Gutschmidt war seit 1909 im Aufsichtsrat, später erstes besoldetes Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der „Ideal", in den Zwanziger Jahren dann der in der GEHAG zusammengeschlossenen Gesellschaften. 9 Offener bei Novy, Wohnreformträger ..., S. 30; deutlicher bei Escher, Neukölln ..., S. 55 und Felix Escher, Ortsbehörde, Wohnungsreform und Staatsverwaltung. Von den Problemen einer Straßenbenennung im Kreis Teltow 1914, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 41 (1990), S. 283-290, S. 285. Die Konnotationen eines bekannten Namens überdecken häufig die faktische Rolle oder zeitgenössische Bedeutung der Person. - Im Gegensatz dazu zeichnet sich ab, daß Hegemann gerade eine repräsentative Funktion einnimmt. An dieser praktischen Arbeit läßt sich erkennen, daß die Grundlagen für die Themen, die etwa von Calabi, Presentazione ..., p. XVII, als typisch für die 30er Jahre und die sozialdemokratische Stadtregierung gesehen werden - Kampf gegen Grundrendite, kooperativer Wohnungsbau und technische Neuerungen - wesentlich früher und auch mit Hegemann gelegt wurden. Zum zweiten, daß für den Typus des sozial engagierten Architekten, wie Voigt, Bremer Haus ..., S. 77, ihn darstellt, der neue Kompetenzen in der finanziellen Organisation und der Übernahme juristischer und verwaltungstechnischer Verhandlungen aufweist, für ihn aber nur von Martin Wagner und Bruno Taut verkörpert wird, ebenfalls schon viel früher Grundlagen gelegt wurden. 10 Gerhard Fehl/Juan Rodriguez-Lores, Die „Gartenstadt-Bebauung". Ein Blick auf die Reform von Bebauungsplan und Bebauungsweise in deutschen Vorstadt-Siedlungen zwischen 1910 und 1918, In : Stadtbauwelt 77 (1983), S. 462-471, bes. S. 464 und Gerhard Fehl/Juan Rodriguez-Lores, Die gemischte Bauweise. In: Stadtbauwelt 71 (1981), S. 273-284.

270

5.4.1.1 Werbung

czynski und Lehweß' Vergleichsrechnung auf der Basis des Eberstadt-Möhring-Modells von Blockrandbebauung im Hochbau und innenliegenden Ein- und Zweifamilienhäusern (Bild 31), wie auf der Städtebauausstellung gezeigt u , bot erstmals eine Mischbebauung, die ebenso rentabel wie eine von Massenmietshäusern mit üblicher Dichte sein konnte. Dieses von Grundbesitzerseite heftig bestrittenen Belegs bedurfte es zweifelsohne, damit die Genossenschaft, die im reformierten Mietshausbau erfolgreich war, ein KleinhausProjekt als durchführbar einschätzen konnte. Ihre erste ausführliche Ankündigung des Vorhabens hob auf die Verabschiedung der schematischen Aufteilung des Geländes ab, um auch in Groß-Berlin trotz der teuren Bodenpreise billige Kleinhäuser stellen zu können. Die Funktionstrennung scheint der Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit. Diese „IdeaP'-Siedlung markiert den Paradigmenwechsel über die „gemischte Bauweise" zur „Gartenstadt-Bebauung", den Beginn städtebaulicher Theorie in der Praxis genossenschaftlicher Bautätigkeit 12 . Den Baugenossen galt Rudolf Eberstadt als Urheber des Modells. Sie führten es nicht nur mit einem Bild (Bild 37) aus seinem „Handbuch des Wohnungswesens" ein. das für die Genossenschaftsbibliothek angeschafft und in den „Mitteilungen" zur Lektüre empfohlen wurde. Der Geschäftsführer Paul Schlegel behauptete vielmehr später, als Eberstadts Gasthörer an der TH erstmals auf das Modell aufmerksam geworden zu sein 13 . Zeitgenössische Beobachter aber vermerkten den großen Einfluß. den das Exponat von Kuczynski und Lehweß (Bild 31) auf die Pläne gehabt habe 14 . Eberstadt leistete am meisten für die Vermittlung, weil er das Projekt in allen drei Phasen begleitete 15 . Anfang 1911 begann die Suche nach geeignetem Bauland, gleichzeitig die Vorbereitung einer Ausstellung zur Mitgliederwerbung als Voraussetzung zur Durchführung des Bauvorhabens. Die einwöchige Ausstellung in Kliems Festsälen sahen 29.000 Besucher, die bekanntesten Redner waren Eberstadt, Kuczynski, der Reichstagsabgeordnete Albert 11 Führer ..., Nr. 521 mit zweigeschossigen Zweifamilienhäusern im Blockinnern und S Abb. 28. Das in den „Mitteilungen" abgebildete Modell Eberstadts mit Einfriedung der Siedlung, Trennung von Fabriken durch gegliedertes Zwischenband, abgeschnittenen Straßenverläufen, gestufter Bebauung mit Mietshäusern außen und Einfamilienhäusern innen war Element des Wettbewerbsentwurfs von 1910: Rudolf Eberstadt, Gross-Berlin. Ein Programm für die Planung der neuzeitlichen Großstadt von Rudolf Eberstadt, Bruno Möhrung, Richard Petersen, Berlin 1910, S. 11, abgebildet auch Eberstadt. Handbuch ... 1920, S. 244. Es fungiert bei Sonne, Ideen ..., S. 73, als eher kuriose Sonderform\ weiterer Beweis für das kurze Gedächtnis der Disziplin. 12 Um so erstaunlicher, i.e. erklärlicher, daß sie im Kanon entweder werkssiedlungs- oder baumeisterorientierter Übersichtswerke nicht erscheint. 13 Mitteilungen der Ideal 3 (1912), S. 49 f. unter seiner Redaktion über „Die Taufe der Wohnstraßen" : Eberstadt ... gab in einem Kursus im Städtebau Seminar an der Technischen Hochschule zu Berlin unserem Geschäftsführer P. Schlegel die direkte Anregung zu unserer Kleinhaussiedlung ... Nachdem er einen Vortrag im Städtebaulichen Seminar bei Brix und Genzmer gehalten hatte, stellte Schlegel das Projekt auch im Organ der GfSR vor: Paul Schlegel, Arbeiter-Einfamilienhäuser auf teurem Großstadtboden. In: Soziale Praxis 21 (1911/12), Sp. 682-687. Schlegel kam von der Gartenstadt-Genossenschaft Nürnberg und war zum 1. Oktober 1911 als erster hauptamtlicher Geschäftsführer eingestellt worden. Er schied nach einem Jahr wieder aus, sein Nachfolger kam aus der Konsumgenossenschaftsbewegung. 14 Walter Kornick in NBDZ 7 (1911), S. 278, der die „Ideal"-Ausstellung lobte und die Urheber des theoretischen Modells am deutlichsten benannte. Deutlich auch S 88 und GB 73. 15 Siehe dazu Kania, Wohnungsbaugenossenschaft Ideal ..., S. 63 ff.

271

5.4.1.1 Baugrund

Südekum, die Kunstkritiker Max Osborn und Robert Breuer. Jeder Besucher erhielt für 10 Pfennig Eintritt auch die Broschüre „Wohnungselend - Wohnungsreform!". Sie stellte die Wohnungslage nach den gängigen Kritiken dar, beeinflußt von sozialdemokratischen, bodenreformerischen und gesundheitspolitischen Argumenten gegen Spekulation, Hypothekenrecht, Bauordnung, und vom geringen Nutzen einer Sozialversicherung ohne Wohnungspolitik. Die Genossenschaft stellte sich hier in den Dienst an der Nation und sah sich als Wegbereiter: Die Rixdorfer Baugenossenschaft Ideal will aber als Pionier den gesetzgebenden Organen vorarbeiten! Sie schreibt sich statt einer oppositionellen Rolle die gemeinnützige Aufgabe eines Vorreiters zu: War unsere Genossenschaft bisher schon mit Erfolg bestrebt, im Rahmen der Möglichkeit die Mietskaserne zu ästhetisieren, ihr edlere Formen zu geben, so wirft sie nun das ganze System völlig übern Haufen.16 Dazu wurden die einzelnen geplanten Wohnungen beschrieben, nicht aber der Bebauungsplan, ganz nach den Interessen potentieller Mitglieder, denen an grundsätzlichen Ausführungen weniger gelegen war. Die Besucherzahl belegt den Erfolg des Ansatzes, und das PresseEcho zeigt, daß der nationale Anspruch angenommen wurde. Nicht nur waren zahlreiche Staats- und Kommunalbeamte unter den Besuchern, sondern auch die konservative Presse nahm das Bauvorhaben begeistert auf 17 . Ende Juli 1911 konnte die Baugenossenschaft 45.000 qm Baugelände in Rixdorf erwerben, das mit einem Quadratmeterpreis von 18 Mark erschwinglich war und dennoch von der nahen Ringbahn erschlossen wurde. Die Firma Franz Körner zeigte sich entgegenkommend, weil sie sich mit diesem Verkauf der Bauverpflichtung nach Ausbeutung der Kiesgruben auf dem Grund entledigte18. Dem Architekten und Vorstandsmitglied Deute und seinem Partner übergab man die Aufstellung eines Bebauungsplans, der im September in den „Mitteilungen" publiziert wurde (Bild 38). Eine dreigeschossige Randbebauung des Geländes, nicht ganz geschlossen, sah auch Läden vor. Im Blockinnern waren in Reihen Mietergärten, ein Spielplatz, schmale Wohngänge und Wohnstraßen ohne Durchgangsverkehr vorgesehen. Für die Kleinhäuser mit Laube und Garten von etwa 60 qm waren Größen von 58 bis 82 qm in fünf verschiedenen Grundrissen geplant. Der erste Bauabschnitt östlich der Rungiusstraße wurde dahingehend verändert, daß er nur dreigeschossige Eckbauten vorsah, verbunden von Reihenhäusern, dazu drei weitere Reihen im Innern. Der Name Hegemann erscheint bei der „Ideal" nun erstmals am 8. August 1911, als eine Vorstandssitzung beschloß, von den Herren Eberstadt, Muthesius, Mehring, Riehl, Red16

Wohnungselend-Wohnungsreform! Zur Ausstellung für Kleinhausbau und Eigenwohnung, Hrsg. von der Rixdorfer Baugenossenschaft Ideal, Berlin o.J., S. 4 ff. Die folgenden Seiten geben auch praktische Anleitungen, etwa zur guten Wohnungseinrichtung mit Rechenbeispielen, für die Waren in einem Geschäft der „Ideal-Passage" zu erwerben waren. 17 Siehe Mitteilungen der Ideal 2 (1911), S. 42-45 dreizehn Auszüge. 18 Siehe Kania, Wohnungsbaugenossenschaft Ideal ..., S. 67. Der Verteuerung der Baumaßnahmen wegen Ausgleichs des Gefälles durch mehrere Kellergeschosse stand so die vorteilhafte Übernahme einer zweitstelligen Hypothek von 220.000 Mark sowie der Erschließungskosten durch die Firma Körner gegenüber.

272

5.4.1.1

Gutachten

lieh und Hegemann und Goecke ein Gutachten über diesen Bebauungsplan einzuholen 19 . Wenn der Vorstand damit Hegemann einerseits den Urhebern des Plans, andererseits den Neuköllner Baubeamten gleichstellte, mußte dies auf einem persönlichen Eindruck beruhen. Wahrscheinlich hatte Hegemann bei seinen Führungen durch die Ausstellung auch einige Mitglieder der Genossenschaft unter seinen Zuhörern gehabt 2 0 , die nun mit ihm eine Fachkenntnis und einen Einfluß assoziierten, deren beide er noch gar nicht besaß. Die Gutachten basierten auf vorgegebenen Fragen, zum Teil technischer wie Straßenoder Treppenbreiten, Geschoßhöhen, zum größeren rhetorischer Art wie nach dem Vorteil der Gemeinde oder der künstlerischen Wirkung. Gefragt waren nur potentielle Befürworter, so daß die Antworten überschwenglich bis nüchtern vorteilhaft ausfielen. Der gesundheitliche, steuerpolitische und ästhetische Nutzen für die Gemeinde durch die beschränkten Maße im Straßenbau und Hochbau wurde am meisten hervorgehoben 21 . Mit Hilfe der Gutachten erreichte die Baugenossenschaft mit einem Dispensgesuch, das von Muthesius befürwortet worden war, die Befreiung von diversen Bauvorschriften, unter denen insbesondere die Brandschutzbestimmungen eine wirtschaftliche Ausführung erschwerten. Hegemann, seiner noch geringen Autorität entsprechend, zeigte sich „geehrt" und baute sein Gutachten sorgfältig auf. Stets berief er sich auf Fachleute mit vollem Titel, soeben gelesene Literatur, selbst gesehene Beispiele, auswärts und in Berlin. Darin spiegelt sich seine eben beendete Reise ebenso wie die Tendenz des ersten Teil seines Buches: Die Verwendung zu vieler und gänzlich ungerechtfertigter breiter Verkehrsstraßen ist ein Fehler beinahe aller Groß-Berliner Bebauungspläne, der seit Ende der sechziger Jahre immer aufs neue von den ersten Fachmännern aufs schärfste getadelt wurde. Er konnte die Frage nach kommunalem Nutzen mit Statistik aus Schöneberg beantworten und die nach Harmonie mit Großbauten mit dem Fensterrecht für Brandgiebel nach Vorbild Robert Schmidts in Essen. Damit trug Hegemann durch konkrete Beispiele mehr bei als manches Allgemeinlob. Er erlaubte sich nur eine indirekte Gesamtwertung.· Die Durchführung Ihres Projektes würde also in städtebaulicher und gesundheitlicher Beziehung den modernsten Anforderungen entsprechen und eine bedeutsame Etappe im Groß-Berliner Städtebau darstellen. Das hob die Redaktion im Abdruck hervor. Hegemann ist der einzige, der expressis verbis einen Bezug zur englischen Gartenstadt herstellt, an deren glückliche Gruppierung der Kleinhäuser zueinander anzuknüpfen sei. Weil durch den Rentabilitätszwang die Reduktion der Straßen im Vordergrund stand, 19

Vorstands-Beschlüsse vom 20. April 1909 bis 30. September 1912. Baugenossenschaft Ideal, Berlin. Nach seinem Bericht hatte die Veranstaltung von Führungen der verschiedenen Gewerkschaften ... zu den beinah täglich wiederkehrenden Aufgaben der Ausstellungsleitung gehört; das Interesse „gerade in Arbeiterkreisen" sei „hocherfreulich" gewesen. S 88. 21 Mitteilungen der Ideal 2 (1911), S. 69 ff. Originale, weder der Anfragen noch der Gutachten, sind nicht erhalten. Neben den Maßabweichungen stellte die Auflassung einer von der Gemeinde auf dem Gelände vorgesehenen Straße ein erhebliches praktisches Problem dar. Sie sollte durch eine Wohnstraße, die spätere Eberstadt-Allee, ersetzt werden, die nur Zugang zu den Einfamilienhäusern im Blockinneren bot. Goecke mahnte an, daß er seit 1893 die Punktionstrennung im Straßenbau predige, doch der Leiter des Rixdorfer Hochbauamtes wollte einem Frontenabstand unter 10 m nicht zustimmen. 20

273

5.4.1.1

Gartenstadt

entging den Beobachtern, daß in diesem Entwurf einfache Drehungen der Reihenrichtung kleine Innenplätze - unter Einbeziehung der Vorgärten - gebildet hätten 2 2 . Statt abrupter Wechsel wäre eine Gruppe entstanden, eine Annäherung an den von Raymond Unwin geprägten Wohnhof, der als dreiseitig umbauter Platz zu einem Kennzeichen der Gartenstadt-Bebauung wurde. Ob Hegemann bereits so konkrete Vorstellungen hatte, wie sie seine späteren Variationen des Themas nahelegen, oder einfach die „Gruppierung" vermißte, bleibt dabei offen. Hier bestand stets die Gefahr, Unwins Bodenaufteilung als rein künstlerische zu verstehen 23 , in der auch Hegemann sich trotz seiner Reise in England befand. So sah er im Reihenhaus vorrangig eine „sehr empfehlenswerte Hausform" 24 . Gerade diese Kontamination eröffnete stil- und traditionsbildende Chancen, die vom Weltkrieg beschnitten wurden. Die ästhetische Auffassung der „Ideal"-Reihenhäuser war vom Umfang der Mittel bestimmt. Ihre rückwärtige Zusammenfassung etwa gleicht Heinrich Tessenows Reihenhäusern für Hellerau 1910-1912, so daß hier eine pragmatisch bestätigte Stilbildung zur Entwicklung angestanden hätte 2 5 . Gleichermaßen zeichnet sich das beim Aufteilungswie Arbeitsmodell ab, wie es ein Entwurf von Eberstadt und Muthesius für die „Freie Scholle" in Hermsdorf zeigt, der nach diesen Anregungen in Auftrag gegeben wurde. Er sticht durch Bezug auf die Landschaft, durch Verwendung von Wohnhöfen und Ausschluß von Durchgangsstraßen hervor 2 6 . Die somit freigesetzten Möglichkeiten hätten eine alternativenreichere Entwicklung des Kleinwohnungsbaus ermöglicht, als es die Zwanziger Jahre dann erlaubten.

22 Mitteilungen der Ideal 2 (1911), S. 71, im Entwurf (spätere Ausführung geändert) im westlich der Rungiusstraße gelegenen Bauteil eine kleine Platzbildung versucht. Die Drehung der mit Brand wand auf den Zugang stoßenden Hausreihe hätte diesem eine Blickrichtung und der Wegausweitung einen Vorplatzcharakter gewährt. Ahnliches hätte sich im östlichen Teil bei den drei inneren Hausreihen anwenden lassen, die mit mittig zurückgesetzten Fluchtlinien die Aufreihung zu brechen suchten. 23 So etwa Ford, Exhibition ..., p. 124. Vgl. Fehl/Rodriguez-Lores, Bauweise ..., S. 273. Auch die Rezeption von Unwins „Grundlagen" als Bilder 'Englischer Häuser' leistete dem Vorschub. 24 S Abb. 91 über Jansens Pläne für die Domäne Dahlem, wo die Lehrgebäude mit kleinen Reihenhäusern umgeben werden sollten. 25 Stattdessen wird der „Purismus" der Häuser von Hellerau der bescheidenen Persönlichkeit ihres Architekten zugeschrieben; Karl Kiem, Die Gartenstadt Staaken als Prototyp der modernen deutschen Siedlung. In: Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 1950. Reform und Tradition, Hrsg. von Vittorio Magnago Lampugnani und Romana Schneider, Stuttgart 1992, S. 133-149, S. 142 und Abb. 7 26 Zeitschrift für Wohnungswesen 11 (1912/13), S. 17 f. Der Plan zeigt eine Randbebauung in Reihenund Doppelhäusern an Wohnstraßen und drei Höfen, davon zwei durch Tore betont; 262 Häuser auf 6 ha Grund mit rechteckigen Gärten, zu einem Aussichtspunkt über ein nicht bebautes Wiesengelände (weshalb ein Spielplatz fehlt) verdichtet. Ein Schnellbahnsystem, mittels dessen sich die Ausführungsschwierigkeiten der Genossenschaften durch besseren Anschluß und größere Attraktivität überwinden lassen, wäre in friedlichen Jahren wahrscheinlich und eine Expansion dieser Modelle seine Folge gewesen.

274

5.4.1.2 Vorstand

5.4.1.2 Ausführung Die außerordentliche Generalversammlung der Genossenschaftsmitglieder vom 16. Oktober 1911 nahm mit nur zwei Gegenstimmen das Britzer Bauprojekt an 27 . Während die Verfüllung und Fundamentierung auf diesem Baugrund sich als langwierig und teuer erwies, begann bereits der Bau der ersten 86 Wohnungen in eigener Regie, davon 50 Einfamilienreihenhäuser 28 . Auf der Generalversammlung vom 7. Februar 1912 wählten 250 anwesende Mitglieder verschiedene Gremien neu. Der Vorstand, der neben Schlegel als wiedergewähltem Geschäftsführer aus Kassierer und drei Beisitzern bestand, mußte neu besetzt werden. Hier erschien als Kandidat Dr. Werner Hegemann, der sich neben vier Mitgliedern zur Wahl stellte. Er wurde als erster vorgeschlagen und erhielt mit Abstand die meisten - 212 von 226 - Stimmen 29 . Zu Anlaß und Vorgeschichte für Hegemanns Engagement lassen sich diesen Quellen keine Hinweise entnehmen. Es steht offenbar in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen weiteren Tätigkeiten. Sein Buch war abgeschlossen und zum Jahresende veröffentlicht worden. Seit Januar 1912 warb Hegemann bei bekannten Persönlichkeiten um die Teilnahme an einem Ausschuß, der auf die fatalen Wohnverhältnisse in Berlin aufmerksam machen sollte. Denkbar ist, daß er bei diesen Gesprächen von Eberstadt erneut auf die Genossenschaft und ihr Projekt hingewiesen wurde. Um sich praktisch zu betätigen, suchte er die Mitarbeit, weil dieses Kleinhausprojekt eine vielversprechende Alternative zu den angeprangerten Zuständen bot. Zumal hatte Hegemann schon in seinem Buch angekündigt, daß diese Innovation verwirklicht werden sollte und damit gegen die unterstellte Gleichgültigkeit beweisen wollen, daß auch Arbeiter für Kleinhäuser mit Garten mehr zu zahlen bereit und in der Lage seien. Die in den Stimmen ausgedrückte hohe Akzeptanz der Genossenschaftsmitglieder für Hegemann wäre durch diese Repräsentanz erklärbar. Diese „Kooperationsformen zwischen Sozialdemokraten und fortschrittlichem Reformbürgertum" sind aus intellektuellen Interessen oder der Neuköllner Sozialstruktur kaum allein zu verstehen 30 . Vielmehr entstehen sie über das spezifische gemeinsame Projekt. Die Formen sind deutlich verschiedene. Die Uberbrückung der gesellschaftlichen Kluft löste Muthesius mit großzügig gönnerhafter Haltung der künstlerischen Begutachtung; Eberstadt und Goecke etwa besichtigten das Projekt mit Studenten als Studien- und Lehrobjekt. So ist es kein Zufall, daß die große finanzielle Unterstützung von dem Wissenschaftler und sozialdemokrati27 Generalversammlungen [Protokollbuch]. Baugenossenschaft Ideal, Berlin. Die folgende im Dezember 1911 nahm die Planänderung über dreigeschossige Eckbauten an. Die zugehörigen „Mitteilungen" Nr. 11 und 12 der Jahre 1911 und 1912 sind auch bei der Genossenschaft nicht mehr vorhanden und müssen daher als verloren gelten. 28 Siehe dazu Kania, Wohnungsbaugenossenschaft Ideal ..., S. 68 ff. und S. 71 seine Karte der Bauabschnitte. 29 Die anderen Kandidaten erhielten jeweils 151, 146, 77 und 60 Stimmen. Weitere Wahlen betrafen den Aufsichtsrat (15 und 6 Mitglieder), den Genossenschaftsrat (Vorstand, Aufsichtsrat, Delegierte weiterer Kommissionen und 15 Delegierte der Generalversammlung; ein neu geschaffenes, beratendes Gremium) und die Hauskommissionen. - Hegemanns Wahl ist der Bauwelt 3 (1912), S. 17 (vom 9. März) sogar eine Meldung wert. 30 Novy, Wohnreformträger ..., S. 30 f.

275

5.4.1.2 Baupraxis

sehen Abgeordneten Leo Arons kam und den Genossen wohl am meisten bedeutete 31 . Daß gerade Hegemann die Form persönlicher Mitarbeit wählte, dafür sind seine Bostoner Erfahrungen unabdingbar. Die exemplarische Zusammenarbeit verschiedenster gesellschaftlicher und politischer Gruppen unter einer konkreten Maxime konnte die für das wilhelminische Deutschland konstitutive Berührungsangst der Milieus aussetzen. Der Umstand, daß Hegemann in einem von ihm geschriebenen Vorstandsprotokoll „Kassierer Kampe" schrieb, es ausstrich und „Genösse" darübersetzte, mag anzeigen, daß ihm das Milieu fremd war, aber nicht befremdlich. Dennoch setzte ihn die Entscheidung, trotz finanzieller Unterstützung nicht Mitglied der Genossenschaft zu werden32, von seiner Umgebung ab. Eine bewußte Unterscheidung der Positionen wurde ganz offensichtlich beibehalten. Das Angebot bestand in Unterstützung und Mitarbeit. Gleichwohl ließ Hegemann sich im Protokollbuch als „Genösse" verzeichnen. Daß dies den Baugenossen nicht selbstverständlich war, zeigt an anderer Stelle die Marginalie „macht Dr. Hegemann"33. Diese Distanz, so unscharf sie sich auch nur rekonstruieren läßt, widerspricht der Vereinnahmung Hegemanns als „Sozialist", wie sie sich nach wie vor in der amerikanischen Forschung niederschlägt 34 . Auch davon wird man sich endgültig verabschieden müssen. Der Beginn des ersten Bauabschnitts konfrontierte die Baugenossenschaft mit jener „strukturellen Uberforderung", die aus der Ausführung des innovativen Projekts resultierte. Durch seine Funktion im Vorstand hatte Hegemann daran teil35. Dies stellt seine erste und bis zur Aufnahme der eigenen praktischen Arbeit seine einzige persönliche Erfahrung mit Baupraxisfragen dar. Die Verhandlungen über auftretende Probleme am Bau wurden auch in der Baukantine des Britzer Geländes abgehalten. Die zu entscheidenden Fragen reichten von Angeboten, Materialien, Personalproblemen, Ausstattungsmöglichkeiten bis Zahlungen. Von Auftragsvergabe, Verhandlung über die Entlassung zweier des Diebstahls beschuldigter Arbeiter nach Anhörung von neun Zeugen, bis zur Montage von Fensterfeststellha31 Mitteilungen der Ideal 2 (1911), S. 74 und 3 (1912), S. 49: „ohne die Verdienste anderer schmälern zu wollen". - Siehe zu dem Eklat über die nach ihm benannte Wohnstraße in der Siedlung Escher, Ortsbehörde ..., S. 288 ff. 32 Die als vollständig geltende Mitgliederkartei der Baugenossenschaft „Ideal" ist von ihren Mitarbeitern zweimal unabhängig auf diese Frage geprüft worden. 33 Vorstands-Beschlüsse ..., 20. Mai 1912 und Vorstandsprotokolle ab 1. Oktober 1912 bis 11. Juni 1915, Baugenossenschaft Ideal, Berlin, 9. Oktober 1912. 34 Kern dessen muß die seit dem Nachruf der „New York Times" tradierte Fassung sein, Hegemann sei zum Direktor der socialist Cooperative Building Association Ideal ernannt worden. Vgl. (unten 10.5.5) NYT und folgend Architectural Forum, Architecture, Anshen, Introduction ..., p. XVII, und schließlich verfestigt und ohne Quellenangaben in den Einführungen von Krier, Plattus und Collins zum Reprint des „American Vitruvius". 35 Von den 54 Vorstandssitzungen zwischen dem 7. Februar und dem 13. November 1912 nahm Hegemann an 26 Sitzungen teil und führte in dem turnusmäßigen Wechsel sechsmal eigenhändig Protokoll. In den meisten Fällen seiner Abwesenheit wurde er als entschuldigt verzeichnet. Die verhandelten Themen lassen sich nur aus protokollierten Beschlußnotizen erschließen. Nur bei außerordentlich langen Debatten wurde dieser Umstand notiert, wie etwa am 19. Februar 1912: Es findet eine Sstündige Generaldebatte über Angelegenheiten der inneren Verwaltung statt.

276

5.4.1.2

Selbstdarstellung

ken und Genehmigung eines „Richteschmauß" lagen Probleme jeder Größenordnung vor. Hegemann unterzeichnete ex officio auch Zeichnungen zum Bauantrag. Den Mitte des Jahres auftretenden Schwierigkeiten mit der Bauleitung, die als nicht energisch genug galt, begegnete der Vorstand mit der Wahl von zwei Baukontrolleuren, deren einer Hegemann wurde. Nach Beratungen und Besichtigungen drohte der Vorstand den Architekten mit Vertragsauflösung, um schließlich im September die Arbeiten für den folgenden Bauabschnitt anderweitig zu vergeben. Die Mißstimmigkeiten der Generalversammlung am Ende des Jahres bilden die strukturelle Uberforderung der Genossenschaft ab. Trotz der erfolgreichen Fertigstellung und Einweihung des Siedlungsteils im September 1912 brachten Mitglieder heftige Kritik an der Bauaufsicht der Geschäftsführung vor, die unsolide Handwerkerarbeit zu verantworten hätte. Der ausgeschiedene, aber anwesende Paul Schlegel verteidigte sich mit technischen Schwierigkeiten, sprach aber die Geschäftsführung nicht frei von Schuld. Aufsichtsratsmitglieder versprachen die Bestellung eines eigenen Bauleiters der Genossenschaft. Obwohl der Vorstand einstimmig entlastet wurde, blieb die grundsätzliche Kritik der Mitglieder bestehen, daß die fertiggestellten Häuser inzwischen viel zu teuer und damit keine Arbeiterhäuser mehr seien. In diesem Lernprozeß hatte die Genossenschaft Lehrgeld zu zahlen. Allein Fundamente und Keller verschlangen 83.000 Mark, die Kostenvoranschläge für den ersten Bauabschnitt waren überschritten, dazu Materialfehler aufgetreten. Die Struktur der Entscheidungsfindung durch Gremien erwies sich als zu langwierig und zu wenig sachverständig, um akuten Problemen gewachsen zu sein. Hegemann ist in diesem Sektor lediglich ein Teil dieses Problems. Einen wirksamen Einfluß konnte er aber in der Selbstdarstellung der Baugenossenschaft ausüben. So besprach am 11. März 1912 der Vorstand genauestens die Rentabilitätsrechnung „wegen Diskussion derer vor dem Berliner Architektenverein", eine Verbindung, die Hegemann über March hergestellt haben konnte. Auch der Text einer neuen Werbebroschüre (Bild 39), eine zweite Ausgabe der Ende 1911 erschienenen „Einfamilienhäuser für die Masse der Großstadtbevölkerung", bildet seinen Einfluß ab 36 . Die Änderungen zeigen Hegemanns Handschrift. Er stellte für den Text Zitate aus seinem Fundus zur Verfügung, die Gegner zu Anhängern zwang 37 . Vor allem aber erhielt 36 Beide ohne Jahr erschienen. Die neue Fassung wurde am 19. August vom Vorstand gebilligt und galt als vom Geschäftführer entworfen. Sie enthielt gegenüber der ersten einen Anhang zur Hypothekenfinanzierung. Einfamilienhäuser für die Masse der Großstadt-Bevölkerung. Ein gelungener Versuch der Baugenossenschaft „Ideal", Neukölln, Berlin o.J. [1912]. Diese Ausgabe befindet sich in der Akte 32L-75-28 des Rathausarchivs Neukölln, während die „Ideal" selbst nur noch die erste Ausgabe von Ende 1911 besitzt. Faksimile des ersten Titels siehe: 75 Jahre Ideal ..., S. 28. 37 Aus der konservativen Berliner Tageszeitung „Die Post", von Gräfin Dohna-Poninsky, besonders aber Justizrat Dr. Baumert, Vorsitzender der deutschen Hausbesitzervereine, als Eingangszitat: Ich selbst bin immer für das Eigenhaus (Kleinhaus) eingetreten und werde dafür eintreten als das Ideal der Wohnung. Ich halte z.B. Reihenhäuser mit einem gemeinsamen Hofraum, jedenfalls für erheblich besser als die heutige Bauweise mit ihrem zu gering bemessenen, von allen Seiten mit hohen Gebäuden umgebenen Hofraum.

277

5.4.1.2

Öffentlichkeitsarbeit

die Schrift ein überaus publikumswirksames Titelbild 38 . Die Gartenpforte mit rosenumwachsenem Torbogen und Zaun nimmt das Motiv einer idyllischen Haustür vom Titel des Verwaltungsberichts mit seiner Suggestion von Privatheit und Selbstbestimmung wieder auf. Diese Miniaturisierung der Bildungsidee 39 wird für Hegemann prägendes Motiv und Metapher (Bild 53 und 187). Sie wurde auch der ersten Ankündigung des Projekts in den Genossenschaftsmitteilungen vorangestellt 40 . Dieses Motiv machte die Broschüre wesentlich attraktiver als das bildlose letternhaltige Titelblatt der ersten Ausgabe. Da Hegemann für den Propaganda-Ausschuß Geschick im Aufbau von Blickfängern auf Titeln und Plakaten bewiesen hatte, kann ihm diese Auswahl ebenfalls zugeschrieben werden. Zumal am 9. Oktober 1912 der Beschluß gefaßt wurde, von dem fertiggestellten Siedlungsteil Ansichtspostkarten (Bild 40) herstellen und verkaufen zu lassen, und zum nächsten Beschluß: Es sollen von den Britzer Bauten Diapositive für einen Lichtbildervortrag angefertigt werden, in seiner Abwesenheit vermerkt wurde: „macht Dr. Hegemann". So ist zu vermuten, daß diese 'Bildvermarktung' auf seine Initiative erfolgte 41 . Wie schon für die Städtebauausstellung, beeinflußte bzw. erfand Hegemann hier Öffentlichkeitsarbeit, um Parteigänger zu finden, wie auch an der folgenden Bekanntmachung und Einladung an Gewerkschafts-, Partei-, und Konsumvereinsvorsitzende zu einer Besichtigung mit anschließendem Lichtbildervortrag zu erkennen ist. 5.4.1.3 Finanzierung Der bedeutendste Beitrag Hegemanns war jedoch die Unterstützung des Finanzierungsmodells. Seine Mitarbeit galt also wesentlich den „Zwängen bei der Suche nach Förderern". Schon im ersten von ihm verfertigten Protokoll ist sichtbar, daß hier seine Sachkenntnis außerordentlich hilfreich war 4 2 . Hegemann beeinflußte und leitete die praktische Geldpolitik dieses Zeitraums. 38

Die Zeichnung der Architekten Deute & Paul erschien bereits im Augustheft der „Mitteilungen" und stand somit druckfertig zur Verfügung. 39 Das Titelblatt der „Volkswohnung", herausgegeben von Behrendt unter Mitwirkung von Bartning, Bernoulli, Glass, Jobst, Mebes und Schmitthenner, zeigt im ersten Jahrgang 1919 eine rosenberankte Laube mit einer Bank. Es zehrt vom selben Mythos, jetzt für eine Vielzahl geöffnet, während seine Initiatoren sich noch nicht in den kommenden Grabenkämpfen um ästhetische Optionen festlegen und befehden mußten. - Im Lichte der Bedeutung, die Adalbert Stifters „Nachsommer" mit seinem Rosenhaus für die Traditionalisten und ihre Wohnhäuser erlangte, wie Wolfgang Voigt, Vom Ur-Haus zum Typ. Paul Schmitthenners 'deutsches Wohnhaus' und seine Vorbilder, in: Reform und Tradition ..., S. 245-265, S. 252, sie erschlossen hat, muß darin eine zunächst allgemein verfügbare Miniatur und Chiffre gesehen werden. 40 Mitteilungen der Ideal 3 (1912), S. 58: Der Vorstand will überhaupt bei allen Anpflanzungen der Rose den Vorrang lassen. Das Motiv der Rose verbindet hier die individuelle Erhebung mit der öffentlichen Attraktion der Anlage. Von hier läßt sich eine Linie zu Hegemanns späterem Plädoyer für Rosen in Oakland und Berkeley ziehen. 41 Im Besitz der Baugenossenschaft befinden sich noch einige alte Diapositive, die einen entsprechenden Bauzustand zeigen. Vorstandsprotokolle ..., 9. Oktober 1912. 42 Am 26. Februar, also 14 Tage nach seiner Wahl beschließt der Vorstand, die Bank zu wechseln: ... soll Bankverbindung mit der Dresdner Bank gesucht werden, die auch als Zahlstelle für die in Aussicht genommene Bankverbindung mit der Gross-Einkauf-Genossenschaftsbank in Frage kommt. 278

5.4.1.3

Hypotheken

Die Genossenschaft verfügte über Einlagen in Höhe von 300.000 Mark, davon waren 220.000 Mark Geschäftsanteile und 80.000 Mark Spareinlagen, verzinst zu 4,5%. Nicht erst nach dem ungünstigen Abschluß des Geschäftsjahres 1911/1912 43 , sondern sogleich wurde an dem unter der Regie von Rudolf Eberstadt entworfenen Finanzierungsmodell gearbeitet. Dieses Modell sah die Eintragung einer Ersthypothek durch einen Großgeldgeber vor, darauf die Eintragung einer Grundschuld für die „Ideal" bzw. einer treuhänderisch aufgenommenen zweiten Hypothek durch ein Genossenschaftsmitglied, die dann per Darlehenserklärungen der „Ideal" zu einzelnen Hypothekenbriefen für Kleingeldgeber umgewandelt wurden. Das stellte offensichtlich ein neues Verfahren dar. Damit konnten nun nicht nur Sparer Summen ab 500 Mark zu 4,5 % fest anlegen und sich so die Genossenschaft das nicht zu unterschätzende Potential ihrer Mitglieder zu Nutze machen. Sondern es konnte damit eine konkurrenzfähige Kapitalanlage angeboten werden, die auch weniger begüterten Förderern eine Beteiligung ermöglichte und auch für Externe attraktiv war. Aus dem zeitlichen Zusammenfall läßt sich ableiten, daß Hegemann seine Arbeit unter diesem Aspekt anbot. Vielleicht erläuterte Eberstadt selbst ihm das Vorhaben und legte ihm die Unterstützung nahe. Dabei wird die Erwägung, daß eine Vorstandsmitgliedschaft des Nationalökonomen Dr. Hegemann die Kreditwürdigkeit der Genossenschaft erhöhte und ihre Verhandlungsposition stärkte, eine wesentliche Rolle gespielt haben. Für die potentiellen (Groß-) Geldgeber wurde ein Expose verfaßt und ihnen mit weiteren Unterlagen übersandt. Auch hier zeigt sich wieder Hegemanns Beteiligung 44 . Sechs Grundstücke waren zu beleihen (Grundbuchblatt 1287-1292) und das benötigte Aufkommen für die erste Hypothek wurde hier auf 420.000 Mark geschätzt. Von größerer Wirkung war eine Werbeanzeige über die Kapitals-Anlage, die gewiß nicht nur in den „Mitteilungen" erschien 45 . Der Verlauf der Finanzierung läßt sich nur bruchstückhaft erschließen 46 . Am 20. April konnte der Vorstand als ersten Erfolg die Übernahme der ersten Hypothek durch die Nordstern-Versicherungsgesellschaft über 380.000 Mark zu 4,5 bis 5,5 % Verzinsung verbuchen 47 . Die Grundschuld der „Ideal" wurde ab Juni des Jahres eingetragen und belief Und weiter: Die vom Deutschen Buchbinder Verband angebotene erste Hypothek von 60-70.000 Mark ... wird angenommen ebenso wie die Klausel das Geld wieder flüssig machen zu müssen, falls der Verband das Geld für Zwecke der Organisation braucht. Die Annahme erfolgt, da die Nationalbank sich prinzipiell mit der Lombardierung der Hypothek einverstanden erklärt hat. 43 Siehe Kania, Wohnungsbaugenossenschaft Ideal ..., S. 70 f. 44 Teilabdruck (Original nicht erhalten) in Mitteilungen der Ideal 3 (1912), S. 14 f. Es bezieht das Bauprojekt auf die Städtebauausstellung, gibt bei knapper Darstellung alle notwendigen Zahlen; stellte auch alle Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat (nicht abgedruckt) vor, da Geldgeber auch darüber „Bescheid wissen" müßten, weil Kreditvergabe Vertrauenssache sei. 45 Sie sagte einen festen Zinssatz von 4,5% zu; Anlage ab 500 Mark auf mindestens 5 Jahre fest bei gleichen Bedingungen für Nichtmitglieder; gezeichnet am 1. März 1912 von Bruno Fiedler für den Aufsichtsrat, Schlegel und Hegemann für den Vorstand. 46 Alle erhaltenen Akten sind unvollständig und unsortiert gesammelt in einem Ordner „Britz I Sämtliche Dokumente", Baugenossenschaft Ideal, Berlin. Er enthält ebenso Bauscheine, GebrauchsabnahmeScheine, Grundbuchauszüge, Katasterauszüge, Mietaufstellungen und Zeichnungen zur Statik. 47 Belegen lassen sich bisher Einträge dieser Hypotheken auf vier der sechs Grundbuchblätter, die am

279

5.4.1.3 Geldgeber

sich auf 50.000 bis 60.000 Mark pro Blatt. Die Umwandlung der Grundschuld zu Hypotheken per Hypothekenbrief brauchte wegen der Sammlung der Geldgeber und Zusammenstellung der Einlagen zu einer lohnenden Summe geraume Zeit. Die Ausführung oblag dem Notar und Justizrat Jacobsohn in Neukölln, der dabei in dauerndem Kontakt zu Eberstadt stand und Besprechungen beider dem Vorstand referierte 48 . Hegemann übernahm in diesem Dreieck auch noch weitere Hilfestellungen wie etwa eine Treuhänderfunktion 49 . Die zweite Eintragung einer Umwandlung, mit der die „Ideal" bekannte, „von folgenden Personen Darlehen erhalten zu haben" und eine Ausfertigung von Hypothekenbriefen beantragte, erfolgte am 13. September 1912: 3000 350 1500 500 1500 3000 3000 500 4000 3000 500 500 2300 500 1000 500 500 500

Schriftsteller Dr. Werner Hegemann Buchhalter Emil Roll Schmied Carl Kuhnert Gewerkschaftsbeamten Bruno Fiedler Dreher Carl Bullmann Dreher Herbert Bullmann Ehefrau Bertha Bullmann Schlosser Otto Wolf Frau Mathilde Gürke Metalldrücker Otto Schmitz Mechaniker Carl Gleichfeld Kaufmann Max Petsch Ehefrau Helene Höfig, geb. Fächert Mechaniker Albert Gädgens Kassenboten Paul Fett Maler Ernst Ott Malerehefrau Wilhelmine Ott Klempner Arthur Wittig

Diese Liste beweist nicht nur, daß Hegemann Geld beitrug, sondern das Modell un17. und 24. Mai über eine Gesamtsumme von 260.000 Mark erfolgten. Hegemann drang auch darauf, daß im weiteren Versicherungen bei der Nordstern abzuschließen seien, um bessere Konditionen zu erhalten. Ob allerdings der Abschluß von Lebensversicherungen für 9 Gremienmitglieder zu 113 Mark plus 9 Mark für den radfahrenden Geschäftsführer diese Wirkung erzielen konnte, bleibt fraglich. Daß er anriet, auch den Eltern in den „Mitteilungen" zu empfehlen, eine Unfallversicherung für die Kinder auf den genossenschaftseigenen Spielplatz abzuschließen, macht ihn nicht zum Werber, sondern betrifft einen konkreten Vorfall: Die vorgesehene Feier für die Ausstellungshelfer von 1911 wurde abgesagt, um das Geld einem Jungen zu spenden, dem nach einem Unfall auf dem Spielplatz der Arm abgenommen werden mußte. 48 Siehe etwa Vorstands-Beschlüsse ..., 27. September 1912. Jacobsohn und Eberstadt stimmten sich auch über Zuordnung der Summen ab. 49 Siehe z.B. einen Brief Jacobsohns vom 12. Oktober 1912: In der Grundbuchsache von Britz habe ich die Hypothek von 35000 Mark auf Blatt 1287 für Herrn Dr. Werner Hegemann nicht eintragen lassen, diese Urkunde vielmehr zurückbehalten, da auf diesem Grundbuchblatt die 45000 Mark für Frau Liebmann eingetragen sind. Die 35000 Mark, welche zur Verfügung des Herrn Professor Eberstadt bleiben, werden auf Blatt 1288 eingetragen. - Frau Liebmann war eine Professorenwitwe, die sich wie Leo Arons mit 3,5 % Verzinsung beschied. Schließlich eingetragen wurde die Hypothek auf Franz Gutschmidt, der im Februar 1913 - Hegemann reist bereits ab - eine Bescheinigung darüber erhielt, daß er nicht Eigentümer, sondern nur Treuhänder war. 280

5.4.1.3 Mäzene

erwartete Reserven mobilisierte. Die Hälfte dieser Geldgeber kam aus Neukölln, somit wohl aus den eigenen Reihen, die meisten anderen aus Berlin. Sie sind mehrheitlich als Handwerker und Arbeiter einzustufen und bringen doch große Beträge ein. Aber dabei zeigt diese Liste auch die Schwäche des Modells: wenn achtzehn Geldgeber mit 26.650 Mark erst die Hälfte der Grundschuld ablösen, mußte die Suche fortgesetzt werden, während der Interessentenkreis begrenzt war. Für Blatt 1291 etwa brachten schließlich 31 Beteiligte 42.800 Mark auf. So wird die wiedergegebene Liste im weiteren Verlauf zu einer untypischen. Die große Zahl der Genossenschaftsmitglieder resultiert aus dem Ansturm derer, die auf das Unternehmen gewartet haben. Es fehlen hier jene Geldgeber, die nach Namen und Stand nicht als Wohnungssuchende, sondern als ideelle Förderer gelten müssen. Die, die sich in der Folge beteiligten, kamen mehrheitlich aus Berlin und dem akademischen und/oder jüdischen (Groß-) Bürgertum. Die Rolle der brahmins, der protestantischen Oberschichten Neuenglands mit langjähriger Familientradition und wohltätigem Engagement, übernahmen in der preußischen Hauptstadt diese Gruppen 50 . Ihre philanthropischen Investitionen sind gekennzeichnet von verringerten Zinssätzen - Rudolf Eberstadt, Leo Arons, Frau Liebmann zu 3,5 % statt der angebotenen 4,5 %, Walter Fürst zu 1 %, Paul von Mendelsohn-Bartholdy zu 0,5 % - , von Verzicht auf Vorrang gegenüber späteren Gläubigern - Johanna Arons von einem generellen Verzicht auf Ansprüche - Alexander Dominicus - , oder durch Vererben an eine gemeinnützige Institution - Carl Schräder an das Pestalozzi-Fröbelhaus. Die Anteile werden lange gehalten, dann auch vererbt 5 1 . So bilden diese Listen eine noch nicht ausgeschöpfte Quelle nicht nur zur bisher nicht erforschten Frage gesellschaftspolitischen Mäzenatentums als Ergänzung zum künstlerischen, aber auch zur Geschichte der Selbsthilfeorganisationen, zur Vermögensbildung von Unterschichten und Förderbereitschaft bürgerlicher Gruppen. Aus dem hiesigem Kontext sind Otto March, Hedwig Weisbach, Paul von Mendelssohn-Bartholdy, Werner Weisbach, Wilhelm Kuczynski, Hermann Dernburg, Alexander Dominicus, Rudolf Eberstadt, Robert Kuczynski bekannt, die diesen Gruppen zuzuordnen sind. 50 Von Blatt 1288 waren 25.800 Mark an Einzelne abgetreten, die restlichen 9.200 Mark übernahm 1914 die Witwe Gertrud Mosse. Unter den Abtretungen waren die größten Geldgeber mit je 5.000 Mark Dr. Paul Arons und Dr. Fritz Bleichröder, Verwandte von Leo und Johanna Arons. Leo Arons gab noch einmal 18.000 Mark, seine Frau Johanna Arons 20.000 Mark. 51 Grundbuchamt Berlin-Britz, Amtsgericht Neukölln, Berlin, Grundbuch Berlin-Britz, Band 44, Blatt 1290, Bl. 29; Blatt 1289, Bd. I, Bl. 36; Blatt 1290, Bl. 50, 189.; Blatt 1289, Bd. II, BI. 37. Die Anmeldung des Erbes von Eisenbahndirektor Carl Schräder, verstorben 1913, durch den „Berliner Verein für Volkserziehung (Pestalozzi-Fröbelhaus)", vertreten durch dessen 1. Vorsitzenden, Alexander Dominicus, 13. Februar 1931. - Auch von den von Hegemann womöglich angestifteten Investoren: Hermann Dernburg, der an Stelle des Neuköllner Stadtbaurats Reinhold Riehl eine Rentabilitätsprüfung durchgeführt hatte, hielt seine Hypothek bis Mai 1923; Maria March ließ 1925 auf ihren Namen umschreiben, 1927 ihre Söhne als Nacherben registrieren, Löschung Februar 1931; Werner Weisbach bis April 1931; Hedwig Weisbach bis Oktober 1931; Robert Kuczynski bis Juni 1927; Grundbuch Berlin-Britz, Blatt 1289-1291, jeweils Abt. III und passim. Die Testamentsvollstrecker Eberstadt beantragten drei Jahre nach dessen Tod eine Auszahlung, ebenso die beiden Söhne Leo Arons 1920 als Studenten in Berlin.

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5.4.1.3 Verpüichtung

Hegemanns Werbung sind dabei mindestens die Beiträge von Otto March über 2.000 Mark vom September 1912, von Werner und Hedwig Weisbach über 2.000 und 5.000 Mark zu verdanken, wahrscheinlich mehr. Die Verbindung über den Propaganda-Ausschuß, in dem die „Ideal" und ihr Bauprojekt aber nicht öffentlich genannt wurde, sowie dessen steigender Bekanntheitsgrad wird dazu ein übriges getan haben. Hegemann selbst übernahm am 15. November 1912 noch die auf den Buchhalter Emil Roll eingetragenen 350 Mark 5 2 . Seine Unterstützung und Mitarbeit geht in jene Uberzeugungen ein, die ihn 1916 formulieren ließen, „die Einflußreichen und Mächtigen sollten die in ihrer Macht stehenden Kräfte dazu nutzen, für jeden Menschen bessere Chancen auf ein physisch und psychisch gesünderes Leben herbeizuführen". Diese Äußerung folgte seiner Erklärung, daß die „individualistische Theorie", nach der jeder Arbeiter in der Lage sei, sein Einkommen zu seinem und seiner Familie Besten zu verwenden, eine Situation heraufbeschworen habe, in der der Arbeiter sein Einkommen für das Uberleben in einer häßlichen und ungesunden Umgebung aufwenden müsse. 1912 kaum so ausgeprägt, entspricht dem der Ansatz eines von außen eingreifenden Gönners. Das Sammeln von Literatur und Fakten zur Wohnungslage hatte Hegemann in einer Überlegenheit bestärkt, die sich auch daraus nährte, denen überlegen zusein, die auf der Unveränderlichkeit der Zustände beharrten. Daraus entwickelte sich der intellektuelle Anreiz wie die moralische Verpflichtung, „in seiner Macht stehende Kräfte dazu zu nutzen", individuell Beihilfe für ein besseres Leben zu leisten. Insofern erweisen sich Hegemanns Ansätze komplementär. War der Propaganda-Ausschuß als Großangriff auf die öffentliche Meinung konzipiert, bildete die Baugenossenschaft ein Feld, auf dem er praktisch zu den Möglichkeiten von Arbeitern zur Gestaltung des eigenen Lebens beitragen konnte. So wenig seine Mitarbeit auch als eine städtebauliche Leistung der Anstiftung eines Bebauungsmodell oder als sozialistische Uberzeugung gewertet werden kann, so bedeutend ist seine praktische Mitarbeit in Organisation und Finanzierung der Baugenossenschaft - die er selbst durchaus nüchtern einzuschätzen wußte 53 - als Schritt auf dem Weg zu diesem ethischen Bekenntnis. Hegemanns Spur verliert sich in der Baugenossenschaft. Am 30. Dezember wählten ihn in der Generalversammlung, die sich so kritisch zu den ersten Britzer Bauten geäußert hatte, 304 stimmberechtigte Genossen einstimmig in den Aufsichtsrat. Möglicherweise hatte er diese 'Versetzung' in der Absicht, eine beratende Tätigkeit nach der Rückkehr 52 Roll war schon am 20. Juni des Jahres mit 500 Mark auf Blatt 1291 registriert worden, hatte sich möglicherweise übernommen, so daß Hegemann einsprang, um die Aufstellung zu erhalten. Roll hielt seine Beteiligung über 500 Mark bis zum 21. Januar 1931. Er wohnte bereits in den Neubauten am Muthesiushof, als er am 9. November 1912 die „Abtretung einer Briefhypothek" gegen ein entsprechendes, nicht verzeichnetes Abtretungsentgelt an Hegemann unterzeichnete. 53 Of special value für my practical training was my election into the managing board (consisting of three members) of the first Berlin Workmens Cooperative Building Association that engaged in the building of one-family houses on the high valued land of Berlin, according to financial calculations exhibited in connection with the first city-planning exhibition. Memorandum (1916) 2. Die Zahl „drei" ist dabei schon wieder eine Kontamination, offenbar aus fünf Vorstandsmitgliedern und den späteren zwei Baukontrolleuren zusammengezogen.

282

5.4.1.3 Interaktion

von seiner Vortragsweise fortzusetzen, selbst angeregt, um dann mitteilen zu müssen, sein Auslandsaufenthalt sei bis auf weiteres verlängert 54 . Seitens der Baugenossen war Hegemanns Mitarbeit ganz offensichtlich ein durch nichts geschmälerter Erfolg. Daran wird schließlich Reform als ein Prozeß der Interaktion erkennbar, indem die Genossenschaft sich eines Reformprojekts bemächtigte und von Reformern durch die Praxis gelotst wurde 55 . Das Finanzierungsmodell hatte für viele, aber geduldige Gläubiger gesorgt. Erst lange nach dem frühesten Kündigungstermin von 1917 fanden erste Transaktionen statt 5 6 . Hegemann selbst beantragte eine Auszahlung am 7. September 1922, sieben Wochen nach Erwerb seines Baugrundstücks in der Alemannenstraße. Ihm wurden aus dieser Anlage 5.105,10 Mark ausgezahlt, die er als Reserven für den eigenen Hausbau mobilisierte. 5.4.2 Bebauungsplan Düsseldorf Parallel zu diesem 'Volontariat' bei einem genossenschaftlichen Bauträger verlief eine 'Assistenz' im Vorlauf der Institutionalisierung eines Planungsinstruments. Nachdem Hegemann zwar nach Anregungen, aber auf eigene Initiative Baupraxiserfahrungen bei der Durchführung eines Bauprojekts neuen Typs sammeln konnte, wurde er in die Mitarbeit am Wettbewerb für einen Bebauungsplan in Düsseldorf als rechte Hand seines Onkels einbezogen. In Ergänzung zur Praxis verschaffte ihm das Einsichten in die institutionelle Entwicklung des Fachs. In dem Düsseldorfer Wettbewerb überkreuzten sich zahlreiche Entwicklungstendenzen - die kommunalpolitische Besetzung des Städtebaus mit materiellen und ideellen Profiterwartungen, der Wandel von intellektuellem Wettstreit zu fachwissenschaftlichem Programmentwurf, die Kluft zwischen Rationalisierungs- und Modernisierungspotential des Plans und seiner Wahrnehmung in städtebaulicher Monumentalität, die strukturellen Neuerungen bei Planobjekten und Planverfahren, die Verdrängung von Innovationsfolgen und der Anstoß langfristiger Großraumplanung. Sie können hier nur angedeutet werden, verdienten jedoch eine eingehendere Untersuchung 57 . 54

Sein letztes Fernbleiben wird für den Vorstand am 13. November 1912 als entschuldigt notiert, für den Aufsichtsrat am 16. August 1913; darauf keine Erwähnungen mehr, weder bei turnusgemäßen Neuwahlen Ende 1913, noch eines Rücktritts. 55 Das als Widerspruch zu der Novy, Hochburg ..., S. 120, zugrundeliegenden Reformkonzeption, die Reformern definitive Vorstellungen zuschreibt, die den Selbsthilfeorganisationen übergestülpt wurden; zum weiteren gegen seinen Ansatz, nach dem erst die Baugenossenschaften die Arbeiterwohnung zur Würde eines kulturpolitischen Themas erhoben haben. Auch dafür liegt hier ein Gegenbeweis vor, weil theoretischer Entwurf wie Begründung der praktischen Aneignung bereits im Range einer Kulturpolitik geführt worden. 56 Eine Häufung der Löschungsanträge ab 1921 läßt eine Initiative der Genossenschaft vermuten, die weitere Neubauten plante. - Grundbuch Berlin-Britz, ... , Blatt 1290, Bl. 72; Löschung in Abt. III am 7. Mai 1923. Die Summe scheint auf eine additive Zinsgutschrift zurückzugehen, die im 10. Jahr bei 5.075 Mark gelegen hätte, Zinseszins dagegen bei 5.435,34 Mark. - Vgl. Schmitthenner, Taut (1928) 348. 57 Um so mehr, als die Düsseldorfer Ausstellungen zeitgenössisch außerhalb des Fachs weitgehend unbeachtet - nur eine zeitgenössische Besprechung im IBZA: Karl Bone, Lauenstein-Nachlaß-Ausstellung

283

5.4.2 Wachstum

Infolge der großflächigen Eingemeindungen war im Januar 1909 erstmals in Düsseldorf die Absicht formuliert worden, einen Stadtbebauungsplan aufzustellen. Er sollte durch das Studium der Berliner Wettbewerbsergebnisse und der Ausstellung Form gewinnen. Als Hegemann am 7. Juni 1910 der Übernahme der Ausstellung nach Düsseldorf zustimmte, war das Programm des Bebauungsplans schon recht fest umrissen. Die Intentionen lassen sich den Worten des Referenten und Stadtverordneten Max Wöhler, Architekt und späterer Preisträger im Wettbewerb, in der beschließenden Sitzung der Stadtverordneten entnehmen 58 . Der Bebauungsplan wird hier als Stadterweiterungsplan in dem Sinne verstanden, die Bedingungen der Großstadt in dem gesamten neugewonnen Stadtgebiet herzustellen. Der Bebauungsplan ist das Instrument kommunalpolitischer Eroberung des Landzuwachses. Die wiederholte Gleichsetzung mit „Erweiterungsplan" weist ihn als Stadtentwicklungsplan aus, dessen Schwerpunkt bei Unterstellung wachsender Prosperität die Expansion und geordnete Ausdehnung der Stadt über die neu gewonnenen Gebiete ist, nicht aber ein Eingriff in den Bestand. Zu den Mitteln dieser Integration gehörten auch Regulierungen des Altstadtbereiches, vor allem aber die Eindämmung der „Gefahr" weiteren ungezügelten Vorortwachstums mittels Verkehrsführung per Radialstraßen, Entwicklung von Grünanlagen, und schließlich des Bebauungsplans als Voraussetzung erfolgreicher Arbeit des kommunalen Grundstücksfonds 59 . Die Umkehrung der Wachstumsgeschwindigkeit zwischen Düsseldorf und seinen Vororten im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert machte die wirtschaftlichen Verflechtungen für die Stadt brisant. Ihr folgte nach der Jahrhundertwende die Industrieabwanderung in die Vororte. Die infrastrukturelle Versorgung, Sanitär, Energie, Verkehrswege, Zuschüsse für Schul- und Armenwesen wurden von der Stadt finanziert und Vorortbewohner profitierten davon, ohne diese Lasten zu tragen. Die Vorstellung von der 'Einschnürung' der Stadt war dafür ein adäquates Bild60. Trotz der konservativen Opposition des Landkreises gegen die 'Vernichtung platten Landes' gelang in der Folgezeit eine Eingemeindung von 5833 ha mehrerer Vororte in die Gemarkung Düsseldorf, die und Städtebauausstellung in Düsseldorf. In: Christliche Kunst 7 (1910/11), S. 84-88 - blieben, in der Folge auch in der Fachgeschichte häufig vermischt wurden und damit auch genaueren Beobachtern unzugänglich blieben; so bei Calabi, Note ..., p. 19, Düsseldorf noch 1911 angesetzt, ebenso noch Collins, Formative Years ..., p. 1. 58 StVStvD 1910, S. 141, Sitzung vom 7. Juni 1910: Unter den Aufgaben, die uns die Eingemeindung stellt, ist wohl eine der vornehmsten, wichtigsten und auch am eiligsten die Ausarbeitung eines neuen Stadtbebauungsplanes, der dieses große Gelände, was wir eingemeindet haben, in die Stadt Düsseldorf einbezieht. 59 Der Beigeordnete und Jurist Matthias nannte in dieser Sitzung schon Ziele einer Materialsammlung für 1. den Ausbau und die Nutzung der Rheinufer, 2. beschleunigte Verkehrsverbindungen mit den Vororten, 3. die Separation und Ausstattung von Industrie- und Wohngebieten, 4. die Entwicklung und Nutzung städtischen Grünanlagenbesitzes sowie Vorsorge für das Stadtwachstum bei einer Bevölkerungszunahme von jährlich etwa 8000 Einwohnern. 60 Oberbürgermeister Wilhelm Marx gab in seiner Begründung der Eingemeindungen vom Januar 1909 den Hauptaspekt auch an: Der mangelnde Einfluß auf die Entwicklung der Vororte, der wachsenden Kosten gegenüberstand.

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5.4.2 Daseinsfürsorge

damit um mehr als die Hälfte auf 11.117 ha anwuchs 61 . Damit war ein konzentrisches Stadtgebiet gefestigt worden, das nun etwa dieselbe Größe wie das Kölner hatte und den Wettbewerbstitel „Groß-Düsseldorf" rechtfertigte. Düsseldorf war als Sitz eines Regierungspräsidenten und des Rheinischen Provinziallandtages ebenfalls eine Kommune mit staatlichen Repräsentanten, die aber nicht wie in Berlin als Konkurrenten beim Einfluß auf die Stadtentwicklung auftraten. Hingegen war die enge Verknüpfung von Industrie und Stadtverwaltung ein spezifisches Kennzeichen, das der Hauptstadt fehlte. Wilhelm Marx gilt als einer der modernen westlichen Oberbürgermeister, die die Stadt nicht mehr als untere staatliche Verwaltungseinheit, sondern eigenes industrielles und sozialpolitisches Zentrum sahen. Gestützt von einer „liberalen Oligarchie" fand die Verflechtung privatwirtschaftlicher und kommunaler Aktivitäten in der Zusammensetzung der Stadtverordneten seinen Ausdruck: in den ersten beiden Abteilungen saßen 1912 vierzehn Unternehmer und Direktoren mit sieben Ingenieuren und Architekten und sieben Handwerksmeistern. Dabei standen 22 Liberalen nur 18 Angehörige des Zentrums gegenüber. So kann das Düsseldorf vor dem Ersten Weltkrieg als „amerikanische Stadt gelten, bevor es den Begriff gab" (Hüttenberger). Es war als Insel der Moderne von Wachstum, Aufstieg und Expansion gezeichnet, während andernorts Traditionen und Lokaleinflüsse weit weniger von den Standardisierungstendenzen der Industrie überrollt wurden 62 . Diese Konstellation machte der kommunalen Verwaltung und den an ihr beteiligten Stadtbürgern die Besetzung einer Agenda zur Stadtplanung unmittelbar einleuchtend 63 . Sie erklärt den Blick nach Berlin, auf die Hauptstadt einerseits und auf die Fachdemonstrationen andererseits. Auch Marx' Begeisterung für einen amerikanischen Bebauungsplan gehört dazu. Die ästhetische und politische Usurpation der Stadtplanung rückte 1910 für einen kurzen Moment in mögliche Nähe. Dem Modell eines Wirtschaftsclubs, der einen Plan hätte unterstützen können, kam der 1912 gegründete „Industrieclub'' nahe. Sein erster Präsident wurde der nunmehr ehemalige Oberbürgermeister Marx. Ziel war, die Führungselite des Nordwestens zusammenzubringen, um als 'Führer im vaterländischen Fortschritt' aufzutreten 64 . Der neue Oberbürgermeister Albert Oehler, vorher in Krefeld, beschrieb bei seinem An61 Der Abschluß erfolgte zum 1. April 1909 mit der linksrheinischen Gemeinde Heerdt, deren Ausbau zu einem neuen Stadtteil seit 1896 eine Unternehmergruppe mittels Aufkäufen begonnen hatte. Siehe dazu: 1909-1929. Die Stadt wächst durch Eingemeindungen, Hrsg. vom Landespresseamt Düsseldorf (Materialien zur Düsseldorfer Stadtentwicklung), Düsseldorf o.J., S. 4 f. und S. 6-19 zu den einzelnen Gemeinden; Peter Hüttenberger, Die Industrie- und Verwaltungsstadt (Düsseldorf, Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert 3). Düsseldorf 1989, S. 170-178; sowie Edmund Spohr, Düsseldorf, Stadt und Festung. Düsseldorf 1979. 62 Hüttenberger, Industrie- und Verwaltungsstadt ..., S. 220-224, S. 192 ff. 63 Kontrovers debattiert wurden in der Stadtverordnetenversammlung etwa ein Antrag zur Herabsetzung der Umsatzsteuer für bebaute Grundstücke von zwei auf ein Prozent, nicht aber Kosten und Aufwendungen für die Städtebauveranstaltungen. Vgl. etwa StVStvD 1912, S. 59 und 62-66. 64 Falls es in weiteren Studien gelänge, auch für den Städtebau Interessenartikulation und Teilnahme solcher Clubs genauer und damit als Parallele zu den nordamerikanischen Wirtschaftsassoziationen zu belegen, würde dies Hüttenbergers noch wenig spezifierte These von der „amerikanischen Stadt" bekräftigen.

285

5.4.2 Gruppen

tritt im Januar 1911 die städtische Entwicklung per städtebaulicher und verkehrstechnischer Aufgaben wie der Selbstdarstellung der Stadt durch Bau eines neuen Rathauses. Ein neuer Beamter erwies damit seine modernen Qualitäten 65 . Vor allem antizipierte er eine Erwartungshaltung, die eine dezidierte Beteiligung der Kommune am Programm der modernen Großstadt erforderte 66 . Die kommunalpolitische Besetzung von Städtebau hatte hier konkrete materielle Anforderungen ebenso zu erfüllen wie sie den kollektiven Ambitionen ideelle lokalpolitische Gewinne versprach. 5.4.2.1 Wettbewerb Uber die Vorbereitung der Ausschreibung standen der Beigeordnete Geusen und Hegemann schon während der Ausstellung 1910 im Austausch 67 . Am 16. Mai 1911 stellte Geusen den Stadtverordneten March und Hegemann als Gutachter für die Ausschreibungsunterlagen vor 68 . Die Inanspruchnahme beider folgt dem schon vormals zu erkennenden Muster: March für den fachlichen Rat und Hegemann für die praktische Bearbeitung, wenn er nach Düsseldorf zur Teilnahme an der Schlußredaktion reiste. Wieviel die Unterlagen tatsächlich deren Beteiligung verdankten, ist aus diesen Quellen nicht zu erschließen. Die Vorarbeiten und Konsultationen hatten sich jedoch gelohnt, da die außerordentlich umfangreichen Wettbewerbsunterlagen als vorzüglich galten 69 . Die Entscheidung für einen allgemeinen Wettbewerb, von den Berufsverbänden schon 1910 gefordert, fiel in der Stadtverordnetenversammlung am 16. Mai 1911. Geusen begründete sie damit, auch die Ideen anderer Leute kennen zu lernen, namentlich für 65

So Gierschner, Groß-Düsseldorf ..., S. 41. Zu Oehler und den Verbindungen zur lokalen Elite als Teil der Kommunalpolitik siehe auch Hofmann, Oberbürgermeister ..., S. 28 ff. 66 Hier wäre im Anschluß an Brian Ladd der Einfluß der Kommunalbeamten auf die Entwicklung der kommunalen Stadtplanung besonders als Ausdruck von Civic Pride, als aufgetragene physikalische Ausformung eines leistungsgewissen Selbstbildes, und Municipal Enterprise mit dem Aufbau kommunalwirtschaftlicher Prosperität, weiter zu untersuchen. Ladd, Urban planning ..., p. 237-251. 67 In dem Briefwechsel infolge der Ausstellung wird die Ausschreibung nur einmal erwähnt, belegt aber den langzeitigen Kontakt. Hegemann bat am 4. Mai 1911 Geusen, ein Datum zwecks Besprechung der endgültigen Redaktion des Wettbewerbs-Ausschreibens so früh wie möglich mitzuteilen. III 807 und III 661, Stadtarchiv Düsseldorf. Laut letzterer wurde auch Gustav Langen nach Schluß der Ausstellung bis Ende Oktober „im Dienste der Stadt" mit Arbeiten für den Bebauungsplan beschäftigt. Er beteiligte sich mit Wöhler und Ernst Stahl, dem Direktor der Straßenbahnen, am Wettbewerb. 68 StVStvD 1911, S. 101. Es ist ein Programm für den Wettbewerb aufgestellt und 2 Sachverständigen, nämlich den Herren Geheimrat Dr. Ing. March und Dr. Hegemann, dem Generalsekretär unserer letzten Städtebauausstellung zur Begutachtung überwiesen worden. Die beiden Herren haben das Programm geprüft und sich im wesentlichen damit einverstanden erklärt; nur Einzelheiten sind auszustellen gewesen. 69 Albert Erich Brinckmann, Der Wettbewerb Groß-Düsseldorf. Besprochen nach seinen baukünstlerischen Gesichtspunkten, in: NDBZ 8 (1912), S. 563-581, S. 581. Das mitgelieferte Kartenmaterial umfaßte 28 Posten (Meßtischblätter, Generalstabskarten) mit Statistiken zu Verkehr (Dichte, Kosten), nicht nur zum Personennah-, sondern auch Güterverkehr (Bahn und Hafen), zur Wohnungslage (Dichte, Preise) und Einzelposten (Gartenzahl, Lebensmittelversorgung, Windrichtungen); s.a. Gierschner, Groß-Düsseldorf , S. 55-57.

286

5.4.2.1

Programm

einzelne Punkte des Erweiterungsplanes70. Dazu bedurfte es einer Konkretisierung der Anforderungen. In einer Reihe kommunalpolitischer Vorträge erläuterte Geusen, als technischer Beigeordneter für Städtebau zuständig, im Frühjahr 1911 die Erwartungen 71 . Die Ausarbeitung besonderer Wohngebiete, Planung von Industrieansiedlung und Verkehr wie die Ausweisung von Freiflächen wurden als allgemeine Richtlinien angesehen 72 . Dabei sollte ein Gesamtgebiet bearbeitet werden, das mit 200.000 ha ebenso groß wie das des Berliner Grundplans war. Für ein kleineres Areal von 40.000 ha der Gemarkung sollten die Richtlinien umgesetzt werden, für das gesamte Einflußgebiet der 200.000 ha Verkehrsverbindungen und Freiflächen projektiert werden, damit, laut Geusen, „im übrigen eine Ausdehnung dieser Einrichtungen auf das Gebiet in Zukunft leicht möglich ist". Auffallend ist, daß Geusen hier den Plan als „Ergebnis der Untersuchungen" versteht. Verkehr und öffentliche Gesundheit wurden untersucht, um daraus Erfordernisse und Maßnahmen abzuleiten. Außer Verkehr und Grünplanung 73 sollte die Altstadt zwecks Raum für das neue Rathaus und weitere öffentliche Bauten umgestaltet werden. Die „Gruppierung der Stadtviertel" forderte für Industriegebiete nur die Trennung von Wohnvierteln, den Schutz vor Emissionen und einen „bequemen" Bahnanschluß, gegebenenfalls Wasserstraßenanbindung. Die Vorgaben für Wohnbezirke waren umfangreicher und differenzierter: Verkehrs- und Wohnstraßen zu unterscheiden, offene und geschlossene Bebauungsgebiete, Blocktiefen und Bauhöhen wirtschaftlich zu wählen. Das galt nur für neue, zum Wohngebiet bestimmte Flächen 74 . Ein Rekurs auf die Schönheit des Stadtbildes Schloß Geusens Vortrag. Nach seinen Vorstellungen geht sie bereits aus einem Bebauungsplan hervor, der Verkehr, Gesundheit und Wirtschaftlichkeit ausreichend berücksichtigt. Als städtebauliche Akzente müssen öffentliche Bauten dienen, die Park- und Grünanlagen und eine Führung der Straßenzüge auf Punkte der Umgebung; also öffentliche Anlagen insgesamt. 70 StVStvD 1911, S. 101 f. Bewilligung von 80.000 Mark, Aufschlüsselung in fünf Preise und Summe für den Ankauf. - Das Motiv des Ideensteinbruchs ist hier erneut gegeben. 71 Nach Abschluß der Eingemeindungen wurde im Juni 1910 die Baukommission II unter Geusen um drei Mitglieder erweitert, eines davon der Architekt Wöhler, und als Kommission für die Vorarbeiten zum Bebauungsplan eingesetzt. StVStvD 1910, S. 151; s.a. Spohr, Düsseldorf..., S. 462 und 510. 72 Düsseldorfer Tageblatt, 19. März 1911: „Aufgaben des für Groß-Düsseldorf zu erstellenden Bebauungsplanes". Der Artikel referiert Geusen, kann ihm aber nicht, wie von Gierschner, direkt zugeschrieben werden. Zur Wahrung dieser Differenz werden die Zitate nicht kursiv gegeben. 73 Er erwartete einen differenzierten Ausbau des Straßen- und Schienenverkehrs bis zu „Interurbanbahnen"; die Grünflächen sollten vergrößert und verbunden werden und nach Nutzung ausgewiesen, besonders Wasserläufe bewahrt werden. Das Planungselement preservation tritt damit auch hier auf. Ebenso wie die mögliche Ausdehnung der Vorgaben auf das Gesamtgebiet verbindet sich das mit dem regierungspräsidialen Nationalpark und Schmidts Dehnung zum Generalsiedlungsplan. 74 Die Tradition der Förderung des Kleinwohnungsbaus war in Düsseldorf eine wesentlich andere. Die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz war die bedeutendste Kreditgeberin für sozialen Wohnungsbau. Allein im Jahr 1910 finanzierte sie über verschiedene Vereine Arbeiterwohnungen für drei Millionen Mark. Hüttenberger, Industrie- und Verwaltungsstadt ..., S. 132; eine wichtige Voraussetzung für den geradezu selbstverständlichen Eingang, den die Forderung nach Wohnqualitäten in das Programm fand.

287

5.4.2.1

Auffangplanung

Grundlagen eines Bebauungsplanes waren für die Disziplin inzwischen einheitliches Verkehrskonzept, Nutzungsseparation und Grünanlagen als System. Innerhalb eines Jahres hat sich ein erheblicher Wandel vollzogen. Wo der Berliner Wettbewerb noch den Charakter eines intellektuellen Wettstreits trug, der als kommunalpolitische Herausforderung ausgetragen wurde, wird nun im Auftrag der Kommune ein fachwissenschaftlicher Programmentwurf erarbeitet. Die Differenzen zu dem Grundplan für Berlin 1910 bestehen jedoch nicht nur in der Konkretisierung der Anforderungen 75 . Sie sind nicht nur genauer, sondern vorausschauend. Der Unterschied zwischen den Ausschreibungen in Berlin und Düsseldorf markiert den Wandel von „Anpassungsplanung" zu „Auffangplanung" (Albers). Dabei bleibt es aber bei begrenzten Zielsetzungen. Monozentrisches Wachstum wird durch den Anschluß eines größeren Einflußgebiets als gleichmäßiges gewährleistet. Den verschiedenen Nutzungsweisen gesellschaftlicher Gruppen wird per Separation und Qualitätsanforderungen detailliert Rechnung getragen. Die Baufreiheit wird nicht angetastet, für Gewerbesiedlung weitgehend offen gelassen, für Wohnbauten in ein Gerüst von Maßen eingespannt. Der kommunale Einfluß auf Gestaltung muß sich mit den öffentlichen Räumen und Gebäuden begnügen. So bleibt „Auffangplanung" eine detaillierte Entwicklung der Kriterien, die auf ein präsumtives Stadtgebiet angewandt werden. Sie verbreitert und verlängert die Vorstellungen von einer funktionsfähigen Großstadt, ohne sie zu verändern. Der Wandel besteht wesentlich in der Kombination von Durchleuchten und Vorausschauen zu einer Vorsorgetätigkeit, die aus der Bestandsaufnahme - wie Geusens Auffassung des Plans als logischer Folge der Untersuchungen - den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erhebt 7 6 . Der Vergewisserung folgt keine reflektierte Bewertung zur Ableitung von Maßnahmen, keine kritische Debatte über Entwicklung, und die Planung bleibt Verbreitung von Ordnung statt Lenkung der Entwicklung 77 . Im Verhältnis zum Berliner Grundplan sind Horizont und Anspruch bedeutend erweitert worden. Beschränkt auf die unangefochtenen Grundlagen, sollte der Berliner nach Wiener Vorbild ein einheitliches Verkehrsnetz und Freiflächensystem hervorbringen 78 . 75 Vgl. die Gruppen der Ausschreibung: 1. Hauptstraßen als Grundlinien, Breiten, Brücken; 2. Promenadenstraßen; 3. Straßendurchbrüche und -erweiterungen; 4. Teilung in Wohn- und Industriegebiete mit Bauklassen und -zonen, Industriebahnen, neue Hafenbecken, Trennung der Bezirke per Grünanlagen, Wohnviertel für den voraussichtlichen Bedarf bis 1930, neue Siedlungen, Begünstigung des Einfamilienhauses, wirtschaftliche Bodennutzung, verschiedene Bauformen, Gesundheitslehre; 5. Haupteisenbahnen, Bahnhöfe, Kreuzungen, Dämme; 6. Städtebahnen zwischen Industriebezirken, nach Köln, Krefeld; 7. Freiflächen vergrößern, verbinden, mehrfach nutzen, Bachtäler und Stadtbesitz bevorzugen; 8. Rathaus von 18.000 qm Bürofläche mit Erweiterungsmöglichkeiten; 9. weitere öffentliche Gebäude der Kultur, Bildung und Versorgung auf Stadtbesitz. 76 Gerd Albers, Entwicklungslinien im Städtebau. Ideen, Thesen, Aussagen 1875-1945: Texte und Interpretationen (Bauwelt Fundamente 46), Düsseldorf 1975, S. 89 ff. 77 Gierschner, Groß-Düsseldorf..., S. 57, sieht das Programm als ... Wunschbild eines funktionell durchgebildeten Stadtorganismus sowie die Mannigfaltigkeit der Ansatzpunkte der StädtebauWissenschaft, die notwendig breite Basis der zu diskutierenden Problemstellungen, und versucht damit, die fehlenden Prioritäten positiv zu bewerten. 78 Die durchgearbeiteten Teilpläne galten nur der Gestaltung der Innenstadt; vgl. Anregungen für

288

5.4.2.1

Kommunalpolitik

Das Wichtigste war, laut Stübben, die bei Staats- und Gemeindebehörden wachgerufene, belebte und verstärkte Erkenntnis von der Notwendigkeit eines einheitlichen Vorgehens in den baulichen Lebensfragen von Groß-Berlin. Als fachlicher Leistungsbeweis stellte der Wettbewerb die politischen Erwartungen dar. Der Wandel zum Düsseldorfer Wettbewerb verdankt sich damit dem konkreten Kommunalpolitikum. Es erforderte die Ausdehnung des Geltungsanspruchs bis zur Basis, von Beseitigung niveaugleicher Kreuzungen von Schiene und Straße bis Markthallenund Schlachthofplanung 79 . Diese Erweiterung auf das Alltägliche ist neu und markiert den zugehörigen planerischen „Anspruch auf Grundsätzlichkeit". Die Einzelbeispiele der Städtebauausstellung fanden damit Eingang in einen Gesamtplan, von der offenen Programmatik in ein erstes Programm 80 . In der fachwissenschaftlichen Rezeption wurde dieser Wandel nicht registriert, Fortschritt nicht festgestellt, nicht einmal gesucht. Uber die Berliner Wettbewerbsentwürfe berichteten die Rezensenten als „Fundgruben", aber die Düsseldorfer beschrieben sie detailgenau am Modell 81 . Diese Besprechungen bestätigen, daß man sich des theoretischen Fortschritts nicht bewußt ist und von logisch-analytischen Maßstäben noch weit entfernt. Für die Entscheidung des Wettbewerbs brauchte es eine Jury. Neben Düsseldorfer Vertretern aus Verwaltung, Stadtverordneten und Bauamt wurden March und Goecke, schon Preisrichter in Berlin, der Münchner Stadtplaner Theodor Fischer und der Schriftsteller und Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt geladen. Hegemann wurde 13. Mitglied der Jury, dessen es zur Vermeidung einer Stimmengleichheit bedurfte 82 . Er war zum Zeitpunkt der Bestellung noch ein weithin unbeschriebenes Blatt, war doch der erste Teil seines Buchs noch gar nicht erschienen und die Fachzeitschriften nannten ihn gar nicht erst als Jurymitglied 83 . Das spiegelt sich auch in der Honorarempfehlung Marchs. Otto einen Grundplan ..., S. 33-35; Wettbewerb um einen Grundplan für die Bebauung von Groß-Berlin, o.O. o.J. [Berlin 1908]. - Joseph Stübben, Der Wettbewerb um Grundpläne für die Bebauung von Groß-Berlin. In: ZDB 28 (1909), S. 594 f. 79 Vgl. Wettbewerb zur Erlangung eines Bebauungsplanes der Stadt Düsseldorf. Düsseldorf 1911, mit Ausführungen der Fachzeitschriften, ausführlich etwa NDBZ 7 (1911), S. 400 und S. 409 f. 80 Dazu gehört auch die systematische Nutzung von Berechnungen des Statistischen Amtes. In Berlin noch Dokumente des Zustande, werden sie hier als Prognosen des Bevölkerungszuwachses bis 1930 und 1950 zu Planungselementen. Die Phantasie der Teilnehmer war dem jedoch noch nicht gewachsen: so konnte bei Verdoppelung von Bevölkerung wie Nutzfläche die Verkehrsfläche von 1930 bis 1950 mit 1.000 ha gleichbleiben. Siehe Baurundschau 4 (1913), S. 33. 81 Vgl. Theodor Goecke, Wettbewerb „Groß-Berlin". In: Städtebau 9 (1912), S. 9 f., spricht direkt von der „Fundgrube"; Walter Lehweß, Die Ergebnisse des Wettbewerbs um einen Bebauungsplan für Groß-Berlin und die Allgemeine Städtebauausstellung in Berlin. In: ZDB 30 (1910), S. 273-276 mit der typischen Begeisterung am monumentalisierten Innenstadtenwurf, deren Platz in Düsseldorf die Rathausentwürfe einnehmen. Vgl. DBZ 46 (1912), S. 549 ff. (springend) am ausgeprägtesten; Albert Denecke, später Leiter des Stadterweiterungsamts, in ZDB; Goecke im „Städtebau"; Brinckmann in NDBZ. 82 Einziger Hinweis auf den Zeitpunkt der Bestellung, die wohl mit der der Gutachter erfolgte, ist ein Schreiben von Hegemann, in dem er am 21. Juli 1911 bemängelte, daß sein Titel im Ausschreibungstext mit Dr. phil. falsch angegeben worden sei. III 21035, Stadtarchiv Düsseldorf. 83 Siehe z.B. Baurundschau 3 (1912), S. 306; NDBZ 7 (1911), S. 400 f.

289

5.4.2.1

Jury

March hatte für die auswärtigen Mitglieder 1.500 Mark empfohlen, für Hegemann aber 1.300 Mark für ausreichend befunden. Er schätzte seinen Neffen und dessen Marktwert nüchterner ein als dieser selbst. Hegemann gelang es jedoch, mit Verweisen auf die Vorarbeiten Geusen und den Oberbürgermeister zu überzeugen und für sich die 2.000 Mark Honorar durchzusetzen, die auch Otto March erhielt 84 . 5.4.2.2 Ergebnisse Bei regerer Beteiligung als in Berlin gingen bis Ablauf der Frist am 1. Juli 1912 in Düsseldorf 46 Entwürfe ein85. Das Preisgericht tagte vom 19. bis 21. Juli, danach wurde eine große Ausstellung der Wettbewerbsbeiträge im Kunstpalast eröffnet. Der Jury standen mit einer Rundfahrt durch die Stadt für einen persönlichen Eindruck insgesamt nur drei Tage zur Verfügung, die Beiträge zu sichten und zu beurteilen - in Berlin hatte man sich für die Hälfte an Entwürfen fast drei Monate Zeit genommen. Nach einer Glosse, die Gurlitt über die Desillusionierung eines jungen, erstmals das Amt ausübenden Preisrichters verfaßt hatte 86 , wurde dabei das Amt des Protokollführers meist dem Jüngsten aufgebrummt - hier also wohl Hegemann. Hegemann berichtete 1925 aus der Erinnerung 87 : Im Jahre 1912 fiel mir als Mitglied des Preisgerichtes im Wettbewerb um einen neuen Generalbebauungsplan für Groß-Düsseldorf die Aufgabe zu, über eine Wettbewerbsarbeit zu referieren, von der ich nach der Preisverteilung zweifelsfrei in Erfahrung gebracht habe, daß ihr Verfasser Hermann Jansen war, der damals durch seinen Sieg im Groß-Berliner Wettbewerb im Mittelpunkte der fachmännischen Teilnahme stand, und der gewichtige Freunde im Preisgerichte hatte. Dieser Entwurf schien mir würdig, in die engere Wahl zu kommen und ich berichtete dementsprechend an die übrigen Preisrichter, ohne aber den mindesten Anklang zu finden; der Entwurf wurde mit fast allen Stimmen gegen meine abgelehnt. Ich war so enttäuscht über meinen Mißerfolg, daß ich mit mehreren Preisrichtern einzeln Rücksprache nahm und nebenbei auch bei denen, die ich als Freunde Hermann Jansens kannte, halb im Scherz, halb im Ernst eine Wette darauf vorschlug, daß der Entwurf von - Jansen sei. Meinem Drängen gelang es, eine zweite Abstimmung herbeizuführen, bei welcher - diesmal nur mit einer Stimme Mehrheit - dem Entwurf 84

Hegemann machte sogleich am 24. Juli 1912 Geusen Vorhaltungen, ... daß auch ihm, gleich dem Herrn Geheimrat March wohl ein Honorar von 2000 Μ zustehe, da er nicht nur im vorigen Jahre in dieser Angelegenheit gewirkt habe, sondern auch einige Tage vor dem Zusammentritt des Preisrichterkollegiums bereits tätig geworden sei u. auch einige Tage nach Beendigung der Beratungen des Preisgerichts im Interesse der Stadt Düsseldorf in Angelegenheiten des Bebauungsplanes in Anspruch genommen worden sei. Geusen hatte schon zuvor eine Erhöhung um 200 auf 1.500 Mark an Oehler empfohlen, der beides sofort abzeichnete. III 21035, Stadtarchiv Düsseldorf. 85 Ein unvollständiges Verzeichnis in XVIII 534, Stadtarchiv Düsseldorf, zeigt Anfragen auch von außerhalb Deutschlands, aus Budapest über Wien, Stockholm und London. Raymond Unwin hatte sich die Unterlagen ebenfalls schicken lassen, antwortete aber auf eine Nachfrage vom Januar 1912, daß man besser nicht mit einer Einsendung seinerseits rechne, da er die Zeit nicht fände. Andererseits hatte Joseph ßrix trotz Einladung eine Teilnahme abgesagt, da eine Beteiligung nur „unter erheblichen finanziellen Opfern" möglich sei. 86 Cornelius Gurlitt, Der Preisrichter. In: Architektonische Rundschau 28 (1912), S. 1-4. 87 Buchbesprechung Jansen (1925), S. 26 f. Stübben/Paffendorf/Strach erhielten allerdings den 4. Preis.

290

5.4.2.2

Verhandlungen

der Eintritt in die engere Wahl wieder versagt wurde. Als es später nach der Preisverteilung zum Öffnen der Umschläge mit den Verfassernamen kam, saß ich neben Theodor Goecke, der bei der ersten Abstimmung g e g e n, bei der zweiten aber f ü r den von mir empfohlenen Entwurf gestimmt hatte. Kurz vor dem Offnen des Umschlages, der den Namen des sechsten Preisträgers enthielt, sagte Goecke zu mir: „Ich glaube, Sie hätten Ihre Wette verloren; Sie werden sehen, nicht der von Ihnen empfohlene Entwurf, sondern der, welcher jetzt den sechsten Preis erhält, ist von Hermann Jansen". Ich gestand, daß ich gegen diesen Entwurf gestimmt hatte und schlug vor: „Gut, wetten wir zehn Mark!" Goecke schlug ein, und im nächsten Augenblick wurde der Inhalt des sechsten Umschlages verlesen. Der Entwurf war von J. Stubben. - Wer Goeckes Vorliebe für Jansens Auffassung und Goeckes Ablehnungsbedürfnis Stübbenscher Arbeiten kennt, wird sich der starken Komik dieses getreulich berichteten Erlebnisses, gleichzeitig aber auch meinen Zweifeln über die Zuständigkeit mancher Tadler Stubbens schwer verschließen können.

Von der humoristischen Umformung abgesehen, die die intellektuelle Unabhängigkeit des Architekturkritikers belegen soll, eröffnet die Schilderung, was das theoretische Defizit des Fachs zu schließen hat: die Schulenbildung und vermeintliche Personalloyalität. Der Mangel an logisch-analytischen Kriterien forciert eine Parteilichkeit, die an Personen gebunden ist. Beurteilung erfolgte nach der vermuteten Identifikation einiger Merkmale mit einem Verfasser und resultierte in einem entsprechenden Votum. Die persönliche Zuschreibung fungiert als Entscheidungshilfe, weil die Jury mit einem analytischen Urteil überfordert war und deshalb auf Honoratiorenprinzip, Meriten und persönliche Bindungen zurückgriff 88 . Zahlreiche Anfragen von Fachzeitschriften und sogar Tageszeitungen zur Veröffentlichung der Wettbewerbsergebnisse belegen, daß Städtebau inzwischen einen erheblichen Nachrichtenwert besaß. Unmittelbar mit diesem Wert wie dem Personalprinzip hängen die Unstimmigkeiten in der Folge der Entscheidung zusammen, bei denen eine Umwertung der Urteile nach Bekanntgabe der Verfassernamen vermutet wurde 89 . Gerüchte machten die Runde. So teilte Hegemann am 7. Oktober Geusen mit: Da neulich in Düsseldorf behauptet wurde, Jansen u. Brinckmann beabsichtigten gegen das Düsseldorfer Preisgericht vorzugehen, fragte ich vorgestern Jansen deswegen. Er sagte er denke nicht daran.90 Die Jury leistete dem Vorschub, da sie noch lange nach Beschluß über die Preisträger 88 Von einer Schulenbildung kann nicht eigentlich gesprochen werden, weil auch Assoziierte nicht in allen Fragen übereinstimmten wie etwa Goecke und Jansen in der Frage gemischter Bauweisen. Dagegen spricht auch die mögliche Verwechselung von Stübben mit Jansen durch Goecke als Fachmann. Die offenbar persönlich motivierte Abneigung ist ein Residuum des Paradigmenwechsels von der Haussmann-Planung über die Pittoreske Henricis zur Sitte-Interpretation des „modernen Städtebau", die Goecke überwacht. Offenbar nahm man Stübben seine Flexibilität übel. 89 Die wiederholten Einsprüche seitens Heiligenthal/Brock wegen einer behaupteten Revision der Ankäufe nach Bekanntmachung der Namen verweisen dabei auf die konkreten finanziellen Aspekte des Wettbewerbswesens. III 21035, Stadtarchiv Düssldorf. Hegemann erwähnte deren Beitrag als bemerkenswert, weil sie Groß-Düsseldorf als Teilproblem eines Gesamtplans für das rheinisch-westfälische Industriegebiet behandelten. Wettbewerb (7. August 1912) 2. 90 XVIII 575, Stadtarchiv Düsseldorf. Im Verhältnis zum vorteilhaften Urteil Brinckmanns (vgl. unten) scheint dieses haltlos. Die Mißstimmungen und Querelen lassen sich jedoch auf der Basis dieses Materials nicht rekonstruieren.

291

5.4.2.2

Repräsentation

am 23. Juli kein Protokoll vorlegte. Die „Deutsche Bauzeitung" mahnte dies wiederholt an 91 . Das schließlich im Oktober veröffentlichte Protokoll war, auch hier dem Defizit an analytischen Kriterien entsprechend, nichtssagend. Es referierte und beschrieb die eingereichten Entwürfe 92 . Die Deskription wird zu einer weiteren Behelfsmaßnahme, kritische Ungewißheit zu kaschieren. Die Preisträger - Bruno Schmitz/Blum/Heck für den 1. Preis, Bruno Möhring/Piehl/ Rogg für den zweiten, Ernst Stahl/Langen/Wöhler für den dritten, Joseph Stübben/ Paffendorf/Strach für den vierten, Hermann van Endt für den fünften Preis - wurden explizit für ihre Verkehrsordnung gelobt, Schmitz für den Güterverkehr, Stahl für die Straßenbahnen 93 . Auch Hegemann sah die besonders eindringende Bearbeitung der Verkehrsfragen als herausragende Leistung der Preisträger, der sich auch die Preisrichter, die den rein künstlerischen Fragen des Städtebaues näher stehen als den mehr technischen - March, Goecke, Fischer, Gurlitt waren gemeint - nicht verschließen konnten. Es bestand ganz offensichtlich eine Kluft zwischen der faktischen Bedeutung des nun in einem Plan zusammengezogenen Programms und seiner Wahrnehmung. Sie konnte durch die Behandlung der Repräsentationsaufgabe weiterhin kaschiert werden. Aus ihren Vorschlägen für Rathaus und umliegende öffentliche Gebäude versuchten die Autoren unter dem Aspekt der Präsentation das meiste zu machen, was in großen Darstellungen und Ansichten auch die Fachleute beeindrucken mußte. Wo die dritten Preisträger für einen Rathausturm als Ausgangspunkt strahlenförmiger Straßen für eindrucksvolle Wirkungen gelobt wurden, mußten auch die großen Präsentationen der Rheinfronten ein übriges tun. Diese großen Zeichnungen unter Einbeziehung der Wasserflächen knüpften nun nicht nur an die großen Berliner Kohlezeichnungen Schmitz' an, sondern auch an die Perspektiven, die Guerin für Chicago gewählt hatte, die in Düsseldorf erfolgreich im Original gezeigt worden waren 94 . Die Jury ging auf die Qualitäten dieser Monumentalbauten ein, ohne Bezüge zum Gesamtprogramm herzustellen. Die Anschaulichkeit zu preisen, entsprach in keiner Weise der Brisanz solcher Umgestaltung, weder der Zerstörung von Wohnraum noch des indi91 A m 1. August erhielt die DBZ von Geusen nach bereits wiederholter Anfrage die Auskunft, das Preisrichterprotokoll sei noch nicht fertig. Abgesandt wurde es erst am 18. Oktober. III 21035, Stadtarchiv Düsseldorf. Die DBZ veröffentlichte indessen mehrfach Vorschläge und Vermutungen, was das Preisgericht an diesem und jenem Entwurf gewürdigt haben könnte. 92 Damit befolgte m a n nur den von der DBZ und anderen Rezensenten vorgezeichneten Kurs. Gierschner, Groß-Düsseldorf ..., S. 282-370, Darstellung mit Wiedergaben aus den Protokollen; S. 92-119 zu den Rathauskomplexen der Preisträger. 93 Heck schrieb bereits am 23. Juli an Geusen: Sie haben also doch Recht behalten - der Verkehr hat gesiegt. W ä h r e n d hier offenbar die Präferenzen der Stadtverwaltung lagen, wurde öffentlich der erste Preisentwurf als Architekturprojekt angepriesen, was Heck mißfiel. Geusen ging nicht darauf ein. III 21035, Stadtarchiv Düsseldorf. 94 Vgl. NDBZ 8 (1912), S. 572 f. Ansicht von Schmitz/Blum/Heck, die von Möhring/Piehl/Rogg mit dem Blick aus der Vogelperspektive auf das „Forum der K u n s t " übertroffen wird. Die prämierten Entwürfe für die Rheinfronten lassen dem Betrachter kaum Möglichkeit, a n h a n d der Bauten eine Stadt zu identifizieren. Damit wird ein Düsseldorfer Civic Center konzipiert, das in Abwandlung von Scotts Wort der „city of merchant princes" für eine „Königsstadt der Industrie" die kritisierten Effekte der architektonischen Gartengestaltung wiederholt.

292

5.4.2.2

Struktur

viduellen Stadtcharakters 95 . Brinckmann merkte kritisch an, daß neue Bebauungspläne nicht den Charakter der betreffenden Stadt wiedergäben. Ein anderer Kritiker fand den „Düsseldorfer Monumentalstil" nachgerade „symptomatisch für die Stadt des Ausstellungstamtams" 96 . Der liefert die spektakuläre Gestaltung dessen, was der Kommune in der privatisierten Stadt geblieben ist, eine Verdrängungsarchitektur97. An ihrer Formgebung wird eindrucksvoll die städtische Aufgabe demonstriert, mit der die Stadt als Auftraggeber sich und ihre Fortschrittlichkeit feiert. Monumentalfronten und Türme sind Chiffren der modernen Stadt, die öffentliche und private Träger einig produzieren. Gebaut aber, signalisieren sie als Wahrzeichen der Stadt zugleich deren politische Ohnmacht. Einzig Albert Erich Brinckmann macht unter den Wahrnehmungen eine Ausnahme 98 . Er stellte einige Gestaltungsprinzipien vor, ohne deutlich zu machen, ob er sie für allgemein gültige oder hier angemessen verwendete hielt. Das Bahnsystem war „eisernes Gerüst" der Stadt, nur mit großen Kosten veränderbar, und Determinante für weitere Bedingungen. In der sich (dadurch) „strahlig" entwickelnden Stadt war eine differenzierende Nutzungsseparation oberster Grundsatz, die Durchbildung bis ins Detail wie Blockbildung erforderte. Das Programm des künstlerischen Städtebaus, „Baumasse und Räume in Beziehung zu setzen", sah Brinckmann als der Verkehrs- und Grünplanung mindestens gleich wichtig. Auch er entwarf keine analytischen Kriterien, führte aber doch Grundsätze an, an denen der Entwurf gemessen und in diesem Falle gutgeheißen wurde 99 . Hegemanns angedeutete Verschiebung der Prioritäten kann von diesem Ansatz Brinckmanns bestärkt worden sein. Zusammen mit Geusens Anforderungen finden nämlich sie ihr Echo in Hegemanns Adaption für Oakland und Berkeley, die diesem seinem einzigen Einblick in Anwendungskonzepte zu folgen hatte. 95 Gierschner, Groß-Düsseldorf , S. 120. Sie liefert jedoch keine systematische Verknüpfung mit ihrer eigentlichen Fragestellung - Kontinuitäten im Rathausbau - und verzichtet auch auf eine durchaus notwendige Problematisierung ihrer Einschätzung der Düsseldorfer Anforderungen als „wirtschaftsorientiertem" Ansatz, der spätestens hier nicht mehr aufgeht. 96 Albert Erich Brinckmann, Der erste preisgekrönte Entwurf für Groß-Düsseldorf. In: Baurundschau 4 (1913), S. 25-32, S. 25; Gierschner, Groß-Düsseldorf..., S. 124 (Paul Mahlberg). 97 Hüttenberger, Industrie- und Verwaltungsstadt .., S. 189, fand für diesen Zeitraum wachsende Stadt- und Kulturkritik, gezeichnet von Verbitterung über Anonymität, Großmannssucht und Verdrängungsarchitektur. - Eine Sensibilisierung zeigt die Meinungsäußerung des Stadtverordneten Lohr in der Debatte zur Einrichtung eines Stadterweiterungsamtes·. ... und ich will hoffen, daß es gelingt, aus den stellenweise etwas arg rücksichtslosen Vorschlägen für unsere Stadt etwas Brauchbares, für Mit- und Nachwelt Ueberzeugendes zu gewinnen. StVStvD 1912 ..., S. 214. Die Einrichtung des Stadterweiterungsamtes, das Albert Denecke leitete, war zunächst einzig konkreter Ertrag des Wettbewerbs, wesentlich mehr, als Berlin erreichte. Siehe dazu Oehlers Ausführungen, StVStvD 1912 ..., S. 222 f. 98 Sie bleibt aber auf seine Erläuterungen des Entwurfs von Schmitz/Blum/Heck beschränkt, während seine allgemeinen Erläuterungen an den genannten Mängeln kranken. Vgl. Brinckmann, Preisgekrönter Entwurf ..., S. 25-32 mit Brinckmann, Wettbewerb Groß-Düsseldorf ..., S. 563-581. 99 Brinckmann, Wettbewerb Groß-Düsseldorf..., S. 581: Es war ein überaus glückliches Zusammentreffen, das [sie] hier ein hervorragender Architekt und ein hervorragender Verkehrstechniker zusammengearbeitet haben. Damit wird ein grundsätzliches Problem dieser Arbeiten angesprochen, aber nicht problematisiert.

293

5.4.2.2 Prozeß

Seinem Entwurf für die Westküstenstädte stellte Hegemann eine eigene Hierarchie voran: The structural rank of the different elements in a city-plan: Hafen, Schienen, Straßen, Parks, Kunst und Zentren 100 . Brinckmanns und damit Schmitz/Blums einleuchtendes „eisernes Gerüst" der Bahnanlagen, das nur mit großen Kosten umzubauen sei und deshalb die Nutzung nachhaltig bestimme, übertrug Hegemann auf die Wasserwege. Allein aus geographischen Gründen unveränderlich, standen sie als Determinante noch vor der Schiene. Dazu plante er einen das Küstenbild stark modifizierenden Ausbau, um die davon abhängigen Variablen wie Frachtverkehr und Industriegebiete maximal nutzen zu können. Dabei läßt sich die Aufnahme der meisten, hier schon von Geusen besprochenen Düsseldorfer Anliegen nachweisen: vom Dammbau zwecks Kreuzungsvermeidung bis zur Reduzierung der Bahngelände. Seine Personenverkehrsplanung folgt dem Grundsatz vom Bodenpreis als Funktion der Zugänglichkeit und der Intention, gleichmäßiges Stadtwachstum in alle Richtungen zu sichern. Die Nachordnung der Straßenplanung wie unter Düsseldorfer Bedingungen wird von Hegemann konsequent als Differenzierung von Geschäfts- und Wohnstraßen durchgeführt, die somit auch die Nutzungsseparation leistet. Das geschieht analog zu einer von Brinckmannn geforderten Binnendifferenzierung, die sich allerdings auf die von Kleingewerbe bis Schwerindustrie bezog. Mit seiner Nachordnung von Grünflächen und Stadtzentrum kann Hegemann - wie auch Düsseldorf - nur Reparaturen ausführen. Bemerkenswert sind aber seine Umkehrungen. Er gestaltet im Gegensatz zum Monumentalausbau ein nachgerade intimes Zentrum vom öffentlichen Garten am Rathaus, nutzt andererseits Blickachsen zu Monumentalisierung und effektvoller Inszenierung eines Civic Pride. Entwickelte sich so die Düsseldorfer Mitarbeit zu einer Lehre in Planungsbedingungen, demonstrierte sie über die physikalisch-topographische Beschaffenheit hinaus außerdem eindrucksvoll Bedingungen der Hoheits- und Besitzverhältnisse. Wie die praktische Anschauung die theoretische über den Planpapieren ablöste, brachten auch diese Einsichten die Hoffnungen ins Wanken, die sich mit dem 'starken Mann' verbunden hatten. Die Erfassung von Strukturelementen als Determinanten der Stadtfunktion war nicht zuletzt ein Resultat des Gebarens der diversen beherrschenden Institutionen. Den Anstoß dazu gab offenbar die Starrheit und verweigerte Kooperation der Preußischen Eisenbahnverwaltung, die Hegemann bitter beklagte, weil sie die Realisierungschancen und Gestaltungsoptionen in Düsseldorf stark beschränkte 101 . Deren Beharren auf einem rein technischen, rein fiskalischen Standpunkt machte überdeutlich, daß es einer Instanz bedurfte, die der institutionalisierten Konfliktregulierung diente und Planung als Prozeß etablierte. So sprach Hegemann nun nicht nur über Strukturelemente im Vergleich mit einem Brettspiel, bei dem jeder Zug eine zunächst so unübersehbare Menge von Konsequen100

OB 18. Die „verschiedenen Faktoren, aus denen sich der Stadtplan zusammensetzt": 1. Hafen; 2. Bahnen, a) Güterverkehr, b) Personenverkehr, - Fernverkehr, - Nah- und städtischer Verkehr; 3. Straßen, a) Hauptverkehrsstraßen, b) Geschäftsstraßen, c) Wohnstraßen, - aufwendige, - kostensparende; 4. Grünanlagen; 5. Stadtbaukunst, Stadtzentren. 101 Wettbewerb (7. August 1912) 1.

294

5.4.2.2

Institutionalisierung

zen nach sich ziehe, daß es einen Feldzugsplan brauche, sondern von einem Amt, in dem die Dezernate der städtischen Verwaltung und die privaten (Bauunternehmen und Bauberatung) wie staatlichen (Eisenbahn-, Militär- und Forstfiskus) Faktoren zusammenkommen, dauernd geordnet und in Beziehung zueinander gebracht sein sollten. Der Konflikt um Planung wird hier offenbar neu konzipiert: statt die Privatwirtschaft zu reglementieren, für die die Lenkung durch Bauvorschriften zunächst ausreichend scheint, gilt es, die Behörden verschiedener Ebenen zur Aufgabe der Eigenrechtsvertretung zu veranlassen und in ein reguliertes Prozedere des Interessenausgleichs zu integrieren 102 . Die Kommune, sofern sie über genügend moderne Kräfte verfügt, wird darin zum Schrittmacher 103 . Auch diese Lehre spiegelt sich in Hegemanns Entwurf für die amerikanischen Küstenstädte. Statt eindeutiger Vorschläge steht die Beschreibung zum Zwecke der Bedarfserhebung im Vordergrund, wird die Aushandlung von Zielen empfohlen. Die Wandlung vom Planer zum Planungsberater wird sich zum Anraten der Etablierung von Planungsmechanismen durch geregelte Institutionen steigern. Diese Lehre ermöglichte damit auch eine neue Perspektive auf demokratische Prozesse, insofern trotz der Rekrutierungsbedenken die Kontrolle staatlicher Gremien und ihre Umfunktionierung zu repräsentativen Organen zur Regelung von Interessenkonflikten überfällig schien. Die Lehre betraf somit nicht nur strukturelle Neuerungen bei den Planobjekten, sondern wurde von der Einsicht ergänzt, das Verfahren notwendig strukturell neu zu bestimmen. Trotz des wenig genau zu rekonstruierenden Ausmaßes von Hegemanns Beteiligung an den Düsseldorfer Arbeiten wird deren gewichtige Funktion für ihn sichtbar. Es ist deutlich geworden, daß der Städtebau auf diesem Stand für Hegemann keinen Korpus an Kriterien und keinen Kanon von Maßnahmen zur Verfügung stellte, auf die er sich bei Konsultationen und späterer Arbeit berufen konnte. Dennoch nahm er aus dem Verlauf entscheidende - und gerade neuere - Einsichten mit, die seine spätere Arbeit prägten, die Strukturierung der Stadt durch physikalische Bedingungen und die Organisation von Planung als eines Prozesses. Unterdessen vollzog sich eine Institutionalisierung der auch von ihm geprägten Mittel der Verankerung von Planung im öffentlichen Leben, die aus der Nachahmung zur Tradition hätte werden können. Denn auch diesem Wettbewerb Schloß sich eine Ausstellung an, die als neue, groß inszenierte Städteausstellung ebenfalls wie im Berliner Vorbild eine „zweite Stufe zündete". Unter den Stadtverordneten wurde der Wunsch nach einer „Vervollkommnung" geäußert, so daß die Ausstellung von 1910 offenbar mit dem Makel der bloßen Wiederholung belastet war 1 0 4 . Daher lud man mehrere westliche Städte zur Teilnahme ein, präsen102

Hegemanns Klage über die fiskalische Eigenvertretung, schon im ersten Teil seines Buchs anläßlich der Straßenführung und Blockbildung gut vertreten, schwillt im zweiten Teil aufgrund seiner Erfahrungen in Düsseldorf und Berlin bis zur Verdammung des Forst- und Militärfiskus an - schon hier wurde der Eisenbahnverwaltung eine „kalte Teufelsfaust" zugeschrieben. 103 Bremen, München, Stockholm, Gothenburg, Rheinprovinz Essen und Köln nennt Hegemann als Vorbilder, während es in Berlin nicht einmal zum Abstauben der seit 1910 eingelagerten Pläne reiche. 104 Geusen führte vor den Stadtverordneten auch die erhofften Einnahmen zum Ausgleich der Verluste

295

5.4.2.2 Medien

tierte verstärkt Hygiene und Hochbau; gab dabei auch jene Exklusivität auf, die die Berliner Ausstellungsleitung nachdrücklich gehütet hatte, indem sie die Einladung als Ehrung behandelte. Es entstand eine Leistungsschau, die nicht nur erstmals um Denkmalpflege und Heimatschutz erweitert, den Städtebau nur zu einer Abteilung machte. Das schlug sich auch im Titel der Städte-Ausstellung nieder 105 . Der verwies damit auf die Gewerbeschau, die in Düsseldorf eine hundertjährige Tradition hatte 106 . Diese neue Ausprägung ist der engen Allianz von Industrie und Verwaltung vor Ort zu verdanken107, die der Privatwirtschaft die Möglichkeit verschaffte, sich an dem neuen Ausweis von Modernität und Leistungsfähigkeit zu beteiligen, und sie so an den Bebauungsplan zu binden, was in Berlin verfehlt wurde108. Der Erfolg der neuen Mischung zeigt sich an sensationellen Besucherzahlen der verdreifachten Ausstellungsfläche: im Juli 146.000, August 190.000, allein am 1. September 30.000; Erfolg eines neuen Mediums, das nun nicht mehr allein über Hegemann begründet wurde. Ein zweites Medium wurde der anschließende Kongreß. Was 1910 noch eine „Städtebauwoche" gewesen war, deren Profil wesentlich Hegemann bestimmt hatte und als Reihe informeller Expertengespräche anzusehen ist, wurde nun zu einem viertägigen Kongreß mit 95 Referenten. Wahrscheinlich auch nach Vorbild der Konferenz in London strukturiert, erfolgte eine umfangreiche Dokumentation nach demselben Vorbild, die als „Verhandlungen des Ersten Kongresses für Städtewesen" eine regelmäßige Einrichtung versprachen. Der Preußische Städtetag akzeptierte die Einladung, seine Jahrestagung anläßlich des Kongresses in Düsseldorf abzuhalten und tagte damit erstmals in den westlichen Provinzen. Hegemann wurde zum Kongress eingeladen, aber eben nur eingeladen und hielt seinen üblichen Vortrag über „Freiflächen im Bebauungsplan" aus dem Stegreif 109 . Die von ihm initiierten Formen des Wissenstransfers verselbständigten sich. Düsseldorf von 1910 an; StVStvD 1911, S. 171. 105 Der endgültige Titel lautete Städte-Ausstellung für Rheinland, Westfalen und benachbarte Gebiete, im Briefkopf gekürzt zu Städte-Ausstellung Düsseldorf 1912, unter dem stolz der Protektor genannt wurde: Prinz August Wilhelm von Preussen; XVIII 575, Stadtarchiv Düsseldorf. 106 Vergleiche die Darstellungen bei Herbert Engst, Düsseldorf. Die Ausstellungsstadt, Ein Beitrag zur Ausstellungsgeschichte Düsseldorfs, Düsseldorf 1949, S. 56 f. und S. 58-60; auch ein Dokument des rapiden städtischen Erinnerungsverlustes. 107 Vorsitzender des Ausschusses für die Industrieexponate WEIT ein Stadtverordneter; der Andrang insgesamt so groß, daß Geusen warnte, es solle keine Industrieausstellung werden. StVStvD 1912, S. 31. 108 In den Fachzeitschriften wurden die anderen Abteilung gewöhnlich ignoriert, siehe etwa vom beratenden Architekten Hermann Hecker, Von der Städteausstellung zu Düsseldorf. In: NDBZ 8 (1912), S. 593-596; oder Theodor Goecke, Vom Städtebau auf der Städteausstellung in Düsseldorf 1912. In: Städtebau 10 (1913), S. 14-20. 109 p ü r (j e n e r später ein erhöhtes Honorar einforderte, weil er nicht informiert worden sei, daß die Beiträge gedruckt würden. Er habe den Vortrag frei gehalten und es sei ihm nicht einmal ein Stenogramm seitens der Kongressleitung zur Verfügung gestellt worden; auch ein Einblick in die Qualität von Hegemanns Vorträgen. XVIII 575, Stadtarchiv Düsseldorf. - Er verwendete sich in der Diskussion für die Wirtschaftlichkeit des Kleinhauses gegen die von Georg Haberland wiederholte These der einzig rentablen Mietskaserne.

296

5.4.2.2 Reflexe

war es gelungen, durch diesen Veranstaltungskomplex sich nicht nur als Förderer des Fachs und als moderne Stadt zu etablieren, sondern auch regionalpolitische Erfolge zu erringen 110 . Die Agenda kommunalpolitischer Aufgaben war um diese Institutionen erweitert. Die Stimmen des Städtekongresses stehen auch für eine neue Stadtkritik, die in Düsseldorf aus dem Mißverhältnis zwischen moderner Industriestadt und der bürgerlichen Residenz- und Gartenstadt entstand, als die es sich ausgab 111 . Auf dem Kongress verhandelte man pragmatisch über Lösungen durch Recht und Planung, vor allem der Verkehrsplanung (Stübben, Stahl). Fachorientierung und Sachbezogenheit setzten ein. Doch erste Stimmen wurden laut, die im Vollzug von Verkehr und Wirtschaft die herkömmliche deutsche Lebensweise bedroht sahen (Gurlitt). In dieser neuen Kluft sichtbar, waren größere Rationalisierungs- und Modernisierungspotentiale in der Agenda angelegt, als die wilhelminischen Monumentalwünsche vermuten ließen. Obwohl sie keineswegs realisierbar waren, entstand bereits Besorgnis um Erhalt und nationale Eigenheit, wie sie auch die Ladung des Vereins für Heimatschutz und der Denkmalpfleger belegten 112 . Diese zwiegespaltene Rezeption deckt ein beginnendes Dilemma auf, das auf die Reflexivität der Moderne vorausdeutet, die es nicht mehr nur mit Überkommenem, sondern Effekten ihrer selbst aufzunehmen hat. Die Frage nach der „Identität der alten deutschen Stadt" (Hüttenberger) ist auch eine Facette der Stilrichtungskonflikte: Weil diese konservatorischen und auch kulturpessimistischen Argumente vor 1914 nicht reflektiert und eingepaßt wurden, war es in den Zwanziger Jahren ein Leichtes, sie als lediglich rückständig und ideologiebeladen abzulegen und ihre mächtige Wiederkehr zu erleichtern. 5.4.3 Der „Propaganda-Ausschuß für Groß-Berlin" Das Kernstück seiner praktischen Aktivitäten war eine von Hegemann gegründete öffentliche Initiative, die für Planungspolitik und ihre sozialen Ziele warb. Sie bildet die Verbindung zwischen der projektbezogenen, sozialen Arbeit und der fachlichen Weiterbildung. Nach Abschluß seines ersten Buches war Hegemann offenbar zu dem Schluß gekommen, daß es eines weiteren öffentlichen Engagements bedürfe, um die drohende Versandung der Planungsbegeisterung von 1910 in Berlin zu verhindern. So erinnerte sich der Kunsthistoriker Werner Weisbach später: Im Januar 1912 empfing ich den Besuch eines mir persönlich unbekannten jüngeren Mannes, mit kurzem, breitgeschnittenem blondem Vollbart, eher klein als groß, schmächtig 110 Der Städtetag wertete den Düsseldorfer Beitrag als eine Leistungsdarstellung des Städtebau, damit vor allem den Beitrag der westlichen Landesteile anerkennend, während in Fachzeitschriften - Goecke, Brinckmann - der Beitrag zu einem Programm für die Großstadt hervorgehoben wurde; s.a. Gustav Platz, Glossen zum Düsseldorfer Städtekongreß. In: Baurundschau 3 (1912), S. 393-395. 111 Hüttenberger, Industrie- und Verwaltungsstadt ..., S. 186-191. 212 Auch Hegemann hatte in der „Kölnischen Zeitung" die Stadt Düsseldorf der Zerstörung historischer Bauten durch Abriß und Uberbauung als Substanzverlust beschuldigt. Die Klage über einen Schildbürgerstreich galt weniger dem Verlust historischer Substanz an sich, sondern eines Identifikationsobjekts, eins seiner schönsten Wahrzeichen. Wettbewerb (7. August 1912) 1.

297

5.4.3

Auftakt

und elastisch, in der Unterhaltung von großer Lebendigkeit und Eindringlichkeit, aber sachlich ruhig, überlegt und jedes Wort abwägend. Es war Dr. Werner Hegemann, ein Architekt, von dem ich wußte, daß er Generalsekretär der Städtebau-Ausstellung gewesen war, die im Jahre 1910 in Berlin stattfand. ... Hegemann forderte mich während seines Besuches zur Beteiligung an einem Unternehmen auf, das er in Berlin in die Wege zu leiten gedenke und für das er bereits einige andere Persönlichkeiten gewonnen habe. Er entwickelte mir Gedanken und Plan, deren Grundzüge folgende waren: Seit Jahrzehnten ist Berlin in seiner städtebaulichen Entwicklung rückständig. Große Mängel herrschen im Wohn-, Verkehrs- und Parkwesen. Ziele, nach denen gestrebt werden muß, sind: weiträumige Bebauungspläne für gesunde Kleinwohnungen, billige Schnellbahnen, leicht erreichbare Parks und Spielplätze, wie sie in amerikanischen Städten bestehen, wo das Sprichwort gilt: Das Kind ohne Spielplatz ist der Vater des Verbrechers. Um solche Maßnahmen durchzuführen, bedarf es, wie er sich dann in einem Aufruf ausdrückte, „der Unterstützung aller, denen die menschliche Würde, die Zukunft der Jugend und die Schönheit der Hauptstadt am Herzen liegen". Mich forderte er auf, in den PropagandaAusschuß einzutreten, den er bilden wolle und dessen Aufgabe sein werde, in breitesten Kreisen für derartige Gedanken zu werben. „Die für diese Dinge stumpfen Sinne der Berliner Bevölkerung müssen aufgerüttelt, die Behörden zum Handeln gebracht werden", sagte er. „Nur durch einen Kreuzzug der Aufklärung kann bei den herrschenden Widerständen eine Bereitschaft dafür ermöglicht und erzwungen werden. Eines Morgens, wenn die Berliner zur Arbeit gehen, sollen sie an den Plakatsäulen ein großes Plakat sehen mit der Aufschrift: „In Groß-Berlin wohnen 600.000 Menschen in Wohnungen, in denen jedes Zimmer mit fünf und mehr Personen besetzt ist. 350.000 Volksschulkinder sind ohne Spielplatz! Das wird sie vielleicht aus ihrer Gleichgültigkeit erwecken und zur Besinnung bringen." Ich erwiderte: „Ich bin mit Ihrem Plan ganz einverstanden und will mich dafür zur Verfügung stellen. Aber die Propaganda mit dem Plakat halte ich für unmöglich. So etwas kann man vielleicht in Amerika machen, aber hier ist man nicht daran gewöhnt. Man läßt sich eine derartige Reklame wohl bei Geschäftsunternehmungen gefallen, aber für einen gemeinnützigen Zweck angewandt, dürfte sie gewiß Anstoß erregen." „Dann werden sich die Menschen eben an etwas Neues gewöhnen", antwortete er. „Man muß ihnen eine so auffallende Mahnung vor Augen stellen, um das Gewissen von Tausenden zu wecken und sie zu zwingen, sich mit der Sache zu beschäftigen, wenn man etwas erreichen will." Ich blieb skeptisch und zweifelte, ob in Berlin, in dem Ruhe als erste Bürgerpflicht galt, ein derartiger Anschlag überhaupt an den Plakatsäulen geduldet werden würde. Wir unterhielten uns dann über die Persönlichkeiten, aus denen sich der PropagandaAusschuß „Für Groß-Berlin" zusammensetzen sollte. ... Als der Ausschuß sich gebildet hatte, bestand er aus acht Personen, darunter der Bankier und frühere Staatssekretär im Reichskolonialamt, Bernhard Dernburg, und der mir befreundete Architekt Muthesius. Auch ein Vertreter der Sozialdemokratie wurde herangezogen, der Reichstagsabgeordnete Albert Südekum - es war der erste sozialdemokratische Politiker, mit dem ich in persönliche Berührung gekommen bin, und im Anschluß an die gemeinsame Arbeit hat sich auch ein persönlicher Verkehr zwischen uns entwickelt. Die Mitglieder des Ausschusses traten von Zeit zu Zeit zusammen, faßten Beschlüsse über die zu betreibende Aufklärung und Propaganda und einigten sich über das Programm, das man der Öffentlichkeit vorlegen wollte.113

113

Weisbach, Geist und Gewalt ..., S. 71-74. In Kiepenheuer (1930) 49 nannte Hegemann selbst seine „neuartigen" Mittel amerikanisch, für seinen akademischen Lebenslauf 1930 ließ er aber 1930 das Stichwort „Propaganda" fallen und behauptete vom Ausschuß, daß er das Wohn-, Verkehrs- und

298

5.4.3

Anwerbung

Trotz Bedenken seitens der Angesprochenen, für die Weisbach hier stellvertretend steht, verfolgte Hegemann seinen Plan wie beschrieben. Es galt dabei nicht nur die Bedenken gegen öffentliches Auftreten, sondern auch gegen Überschreitung gesellschaftlicher Schranken zu überwinden, was ihm gelang, wie an Weisbachs Bemerkung über Südekum kenntlich wird. Er mußte dafür, zwar bekannt durch seine Arbeit für die Städtebauausstellung, Vorbehalte wegen seiner Jugend und seines fachlichen Gewichts ausräumen. Dafür verwendete er die Arbeit in Boston, indem er sich zum Leiter der dortigen Ausstellung und Mitarbeiter eines Bebauungsplans machte 114 und der Legendenbildung Vorschub leistete. Sein Rückgriff auf die Tätigkeit in Boston ist insofern folgerichtig, als seine Initiative dem Vorbild von Boston-1915 folgte und einen teilweise adäquaten Transfer in das Umfeld des wilhelminischen Berlin leistete 115 . Der Zeitpunkt für eine solche Initiative bot sich an 116 . Am 1. April 1912 trat mit dem Zweckverband Groß-Berlin eine neue Institution mit repräsentativer Versammlung und neuen Aufgaben ins Leben, die eine Funktion übernehmen konnte, die die unzureichende Planungskompetenz der Einzelgemeinden aufzufüllen vermochte 117 . Zusammenfassung Freiflächenwesen Berlins nachhaltig beeinflußte. 114 Weisbach, Geist und Gewalt..., S. 72: Hegemann ist die Seele der Ausstellung gewesen und hat sich namentlich auch um die Beibringung des amerikanischen Materials verdient gemacht. Noch jung, im Anfang der Dreißig stehend, von Geburt ein Mannheimer, war er erst vor kurzem aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt, wo er sich hauptsächlich mit städtebaulichen Aufgaben beschäftigt hatte. Er arbeitete mit bei einem neuen Bebauungsplan für Boston und wurde Leiter der dort veranstalteten Städtebauausstellung (1909). 115 Dieses Unternehmen erfordert umfängliche Darstellung, weil es in der Hegemann-Rezeption wie auch in der Spezialliteratur völlig verfremdet erscheint oder ungenannt bleibt. Schon früh entschwindet es dem Gedächtnis der Branche. Martin Wagner kontaminiert ihn in der Erinnerung mit dem Architekten-Ausschuß, nennt 1908 als Jahr und keinen Hegemann. Martin Wagner, Freiflächenpolitik (1929). In: Martin Wagner, 1885-1957. Wohnungsbau und Weltstadtplanung, Die Rationalisierung des Glücks (Akademie-Katalog 146), Berlin o.J. [1985], S. 110 f. Dennoch prägt dieser Vorstoß die Erinnerung, Anlaß einer überfälligen Aufklärung. Calabi, Ambiguitä ..., p. 54, etwa nimmt einen formalen Ausschuß für Stadterweiterungspläne und kooperative Lösungen im Sinne Hubers an; vorsichtiger: Calabi, Presentazione ..., p. II. Oder Klaus Novy/Michael Prinz, Illustrierte Geschichte der Gemeinwirtschaftlichen Selbsthilfe in der Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945, Berlin-Bonn 1985, S. 54, erklären zum Plakat von Käthe Kollwitz kurzerhand: Von Wohnungsreformern in Auftrag gegebene Spendenkarte von Käthe Kollwitz - anläßlich des grossen Kongresses in der „Neuen Welt" in Berlin. 116 Der im Februar 1912 offenbarte Einbruch einer Terraingesellschaft mit dem Sanierungsversuch einer Bank, die eine Grundstückskrise auslösten, bot weiteren Hintergrund - ohne daß die Akteure ihn argumentativ nutzten. Christoph Bernhardt, Die Anfänge der kommunalen Wohnungspolitik und die Wohnungsmarkt-Schwankungen vor 1914. In: Hofmann/Kuhn (Hrsg.), Wohnungspolitik ..., S. 17-48. S. 36 f. 117 Siehe Gesetzestext in: Fragen der kommunalen Sozialpolitik in Groß-Berlin. Bd. 2, Die sozialpolitischen Aufgaben des Zweckverbandes Groß-Berlin (Schriften der GfSR, Ortsgruppe Berlin), Jena 1912, S. 125 ff. und S. 136 ff. Die Paragraphen, auf die sich der Gründungsaufruf berief, auch in GB 32; außerdem den Rückblick der ehemaligen Gegner Paul Hirsch/Adolf Wermuth, Groß-Berlin. In: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften. Hrsg. von Joseph Brix und Hugo Lindemann, Bd. 1-4 und Ergbd. 1.2., Jena 1918-1927, Bd. 2, S. 400-409 (1922). Wermuth erwähnte Städtebau als Aufgabe nicht explizit, bedauerte aber, daß der Verband nur die begutachtende Tätigkeit ausgeübt habe. Vgl.

299

5.4.3

Anlaß

von 4,2 Millionen Einwohnern, - mehr als im Königreich Sachsen, wie Hegemann bemerkte - und 3.500 qkm ergaben neue Chancen. Doch der Verband war durch die Vertretungsprinzipien gehemmt, durch gesetzmäßige Unterrepräsentation Berlins und beschränkte Finanzhoheit, durch eine konservativ-bürgerliche Parteilichkeit 118 . Seine Planungsfunktion herauszufordern und ihre Ziele zu beeinflussen, war Hauptanliegen der Initiative. 5.4.3.1 Gründung Die Kerngruppe einer solchen Bewegung konnte nicht wie in Boston aus dem Kreis einer ohnehin reformaufgeschlossenen Vereinigung gebildet werden. Eine berufsspezifische Organisation als Hintergrund zu wählen, vermied Hegemann. Er folgte, um eine übergreifende Konstellation zu finden, der im Kaiserreich ausgewiesenen Zuständigkeit für Anleitung und Deutungen: Er wandte sich an Universitätsgelehrte und ausgezeichnete Politiker-Beamte. Die Einladung zur Vorbesprechung im Reichstagsbebäude zeichneten so der ehemalige Kolonialminister Bernhard Dernburg, der Stadtrat Ernst Francke, Muthesius, Weisbach, der Theologe Edvard Lehmann 119 , Südekum, Kuczynski und Hegemann. Gleichzeitig wandelte Hegemann das in vier Jahren eine Musterstadt versprechende Motto um. Er hatte gegenüber den Angesprochenen mit Zahlen argumentiert. Nun fügte er dieser Abstraktion mittels eines aufrüttelnden Bildes Emotionen hinzu, eine wesentliche innovative Leistung. Er wußte dafür eine Künstlerin zu gewinnen 120 , die nicht nur eine wirkungsvolle Umsetzung dieser Idee erarbeitete (Bild 41), sondern durch Teilnahme an der Gründungsversammlung die Initiative weiter demonstrativ unterstützte 121 . Käthe Kollwitz berichtete am 26. Januar 1912 ihrem Sohn 122 : Wolfgang Ribbe, Leitung und Kompetenzen der städtischen Verwaltung Berlin vom Mittelalter bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts. Ein Uberblick, in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Stadtoberhäupter. Biographien Berliner Bürgermeister im 19. und 20. Jahrhundert (Berlinische Lebensbilder 7), Berlin 1992, S. 13-32, S. 20-25. 118 Vgl. Michael Erbe, Berlin im Kaiserreich (1871-1918). In: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins. Bd. 1.2., München 1987, Bd. 2, S. 691-793, S. 749 ff. Auf politische Vorbehalte verweist auch das Bestätigungsrecht des preußischen Königs für die Position des Verbandsdirektors. 119 Weisbach, Geist und Gewalt ..., S. 73, schlug ... vor, dazu einen mir befreundeten protestantischen Theologen aufzufordern: den Universitätsprofessor Edvard Lehmann, dänischer Nationalität... Von ihm wußte ich, daß es ihm, ein Bedürfnis war, sich mit Prägen des öffentlichen Lebens zu beschäftigen, wozu er in Deutschland gar keine Gelegenheit fand. Als erfahrener, freimütiger und weltoffener Mensch und guter Redner könne er ein wertvoller Mitkämpfer für uns werden. Auf meine Aufforderung erlangte ich sogleich seine Einwilligung. Lehmann erwähnt auch Rasmussen, Hegemann ..., 11. Feb. 1930. 120 Weisbach schrieb zwar schon 1904 über Kollwitz, scheint aber die Bekanntschaft nicht vermittelt zu haben. Einziger weiterer gemeinsamer Bekannter ist Kuczynski, der erst für die Zwanziger Jahre anläßlich politischer Arbeit in den Tagebüchern Kollwitz erscheint. Hegemann muß sie also selbständig aufgesucht haben. 121 Wahrscheinlich ist eine unentgeltliche Arbeit. Kollwitz stellte ihre zugehörige Federzeichnung (Timm 701 a) 1922 der „Freien Schule, Kinderfreunde Max Winter, Wien" ohne Honorar für einen sozialdemokratischen Wahlaufruf zur Verfügung. 122 Käthe Kollwitz an Hans Kollwitz, 26. Januar 1912. Käthe Kollwitz-Archiv. Akademie der Künste, Berlin. In den inzwischen von J u t t a Bohnke-Kollwitz edierten Tagebüchern kein Hinweis dazu.

300

5.4.3.1 Gruppe

In diesen Tagen ... hab ich ein Plakat zu machen, das Anfang nächster Woche fertig sein muß. Es ist ein großer Angriff gegen die Berliner Wohnungsmisere geplant, das Ganze wird unternommen von dem Leiter der Städtebau-Ausstellung, einem Herrn Dr. Hegemann. Der Druck auf dem Plakat soll ungefähr heißen: in Groß-Berlin wohnen 600.000 Menschen in Zimern, von denen jedes mit 5-13 Personen besetzt ist. 353.000 Volksschulkinder haben keinen Spielplatz. Nun sollte ich etwas zeichnen, was charakteristisch dafür wäre. Zuerst dachte ich an einen Schlafraum, wo Eltern, Kinder, womöglich Schlaßursehen alle zusamen schliefen. Das glückte aber nicht. Und jetzt mache ich ein paar charakteristische Berliner Kinder, die in einem Hinterhaus-Hof stehn, ein Mädel, das ein anderes Kind auf dem Arm hat - wie man oft sieht, daß ganz schwächliche Kleinkinder ihre Geschwister rumschleppen. Und einen Jungen, der am Abflußloch spielt. An der Mauer das bekante Schild: das Spielen auf den Höfen u. den Treppenfluren ist verboten. Weil die Figuren 60 centim. groß sind, kann man da schon ziemlich viel hereinlegen u. ich hoffe, es wird ganz wirksam werden.

Kollwitz und Hegemann haben offenbar ein mögliches Motiv für diesen Zweck besprochen 123 . Die Schöpfung der eindrücklichen Konstellation ist Käthe Kollwitz' Werk 124 . Aussehen, Verfassung und Haltung der beiden Kinder, von denen das größere das Kleine auf dem Arm trägt, evozieren einen typischen Familienstand (Bild 42), der die Wohnungszahlen bezeichnet. Die Kombination mit dem Spiele untersagenden Schild (Bild 43), jedem Berliner vertraut, setzt die Wohnungslage in Bezug zu den Spielplätzen und macht in der Individuation die abstrakte Aussage unmittelbar eingängig. Hegemann machte das Bild zum Signum der Initiative. Die Federzeichnung der Kollwitz erschien auf der Einladung zur Vorbesprechung und, wie die Honoratiorenliste der Städtebauausstellung, auf jedem Briefbogen des Ausschusses, wohl auch auf Postkarten, die zu Werbezwecken zur Verfügung gestellt wurden 125 . Die Zeichnung war die Vorarbeit für eine düstere und schwärzere Lithographie, auf der die beiden Kinder des Plakats, aus Platzmangel ohne den Jungen am Abfluß, für die Versammlungen warben 126 , auch Titelblatt der ersten Broschüre über die Versammlungen: kein Auftritt des Ausschusses ohne das Signum. 123

Kollwitz schrieb in dem zitierten Brief zuerst „finden", strich und ersetzte es durch „zeichnen". Entwürfe in: Käthe Kollwitz. Die Handzeichnungen mit 150 Schwarz-Weiß-Tafeln und einem Oeuvrekatalog mit 1355 Abb., Hrsg. von Otto Nagel unter Mitarbeit von Sibylle Schallenberg-Nagel und unter Beratung von Hans Kollwitz, Wiss. Bearbeitung Werner Timm, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1980, [= Timm] 698-702. Plakat in: Käthe Kollwitz Mappe. Hrsg. vom Kunstwart, München o.J. [1913], darin Timm 701 u.d.T. „Die Geschwister". Entwurf für das Plakat des Verbandes „Für GroßBerlin" mit der Unterschrift: „Hunderttausende von Kindern sind ohne Spielplatz". Und in: Käthe Kollwitz. Verzeichnis des graphischen Werkes von August Klipstein, Für die Jahre 1890-1912 unter Verwendung des 1913 erschienenen Oeuvrekatalogs von Johannes Sievers, Berlin 1955, (= Klipstein] 119, Lithographie; der Stein, im Kupferstichkabinett Berlin erhalten, wurde im II. Zustand für weitere Veranstaltungsankündigungen verwandt. - Das Plakat entspricht mehr der Kohlezeichnung Timm 698 als der Federzeichnung Timm 701. Das Plakat wurde in der Ausstellung Gottfried Korff/Reinhard Rürup (Hrsg.), Berlin, Berlin. Die Ausstellung zur Geschichte der Stadt, Katalog, Berlin 1987, S. 314, Nr. 19/32 (Besitz der Kunstbibliothek) ohne Erläuterungen gezeigt. 124

125 Erwähnt GB 44; Drucksachen stellte Hegemann durch das Büro unter seiner Anschrift zur Verfügung; mehrfach angekündigt. 126 Klipstein 119; mit dem Text für die öffentliche Versammlung am 3. März 1912; im II. Zustand für die am 10. März und weitere weiterverwendet.

301

5.4.3.1 Signum

Dieses auffallende Erscheinungsbild verband einen Appell an die menschliche Würde, die Zukunft der Jugend und die Schönheit der Hauptstadt127 mit den dezidierten Zielen, weiträumige Bebauungspläne für gesunde Kleinwohnungen, Ausbau des Schnellbahnnetzes und billige Tarife, leicht erreichbare Parks und Spielplätze und einen Wald- und Wiesengürtel zu fördern. Diese großen, weitgehend unverfänglichen Zielsetzungen wurden durch die Auswahl einer Gruppe angesehener Politiker und Gelehrter der verschiedensten Richtungen128 weiter abgefedert. Bei näherem Hinsehen sind jedoch einige der Beteiligten gesondert ausgewiesen. Ernst Francke, präsentiert als Stadtrat Prof., ist Chefredakteur der „Sozialen Praxis", Kuczynski ebenso bekannt als Statistiker wie als Verfasser zahlreicher Artikel für sozialdemokratisch^ Wohnungspolitik, Muthesius zwar exklusiver Privatarchitekt, aber Streiter für Wohnreformen, Südekum Reichstagsmitglied, 'aber' Sozialdemokrat und Experte für Kommunalwesen, Dernburg Mitglied der Zweckverbandsversammlung. Damit wird eine exemplarische Konkurrenzinterpretation zu der des Verwaltungs- und Herrschaftswissens angemeldet. Die eigentliche Provokation liegt in der vom Bild vermittelten Gleichsetzung Berlins mit einer elenden Großstadt. Im Kontext mit der Größe der Zahlen behauptet das Bild eine Diagnose der Stadt, die mit allen Ängsten zusammenfällt, die betreffend Rekrutierung, Volkskraft, Parteien und Revolutionsgefahr in der Großstadt kursieren. Nach der von Weisbach wiedergegebenen Rhetorik Hegemanns spielte der auf das christliche Gewissen und die ethische Pflicht an, der Gleichgültigkeit zu entsagen, und versuchte, durch Aufklärertum ein social gospel auch hier zu etablieren, das zur „Beschäftigung" mit sozialer Not zwang. Sein Kunstgriff war, gleichzeitig mit Kenntnissen und mit Emotionen um Meinung zu werben und eine politisch wirksame pressure group aufzubauen. Dazu befähigt ihn sein individueller Hintergrund. Der Ästhetizismus als Vermittlung von Erziehung durch Glücksgefühle und dessen Ubergang in Empfindsamkeit als Glücksgefühl durch prospektive Wohltaten an Dritten kamen in der Park-, nicht Naturbegeisterung Hegemanns immer wieder zum Ausdruck. Die Bildungskonzeption in Verbindung mit den frühliberalen Ideen schlagen den Bogen zum selbständigen und aufstrebenden Individuum als kulturellem und schließlich politischem Ziel. Im Aufbau der pressure group und deren Teilnahme, die die repräsentative Versammlung zur Reaktion herausfordert, auf die Bedürfnisse der Vertretenen zu reagieren, fordert Hegemann einen Zug der Demokratisierung ein, der institutionell nicht vorgesehen war. Er ist mit der Hoffnung auf eine Erneuerung von Innen, eine Demokratisierung der Gesellschaft durch Selbstverwaltung der Gemeinden und Kommunalwahlrechte im Zusammenhang zu sehen, wie sie besonders von Hugo Preuß formuliert wurden. Hegemann benutzt daher in der Gründungsversammlung das Etikett der „Inneren Kolonisation", um die segensreichen Kräfte wahrer Selbstverwaltung, d.h. der aktiven Anteilnahme an der Gestaltung des eigenen Geschickes zu mobilisieren. Jeder Groß-Berliner 127

GB 1 (Einladung). So Hegemann in einem Brief vom 3. Juni 1912, Faksimile in Kuczynski, Rene Kuczynski ..., nach S. 42. 128

302

5.4.3.1

Gründungsversammlung

muß wissen und tätig zeigen, daß die städtebauliche Politik des Zweckverbandes hundertmal wichtiger ist für ihn und seine Kinder, als die Abtretung Marokkos oder der Italienisch-türkische Krieg.129 Er lockt wider das Primat der Außenpolitik und führt eine allgemeine Demokratiemündigkeit ins Feld. Doch unter dem Etikett 'Innerer Mission' sammelt er Anhänger nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, dem christlichen Gewissen, dem sich zu verweigern niemand in der Lage ist. Die gedruckten Einladungen, versehen mit der Federzeichnung und dem allgemeinen Aufruf, luden für den 12. Februar 1912 zu einer vertraulichen Besprechung im Reichstagsgebäude. Unter den 65 Teilnehmern waren zahlreiche Redakteure, Schriftsteller, Architekten, Stadtverordnete und Reichstagsmitglieder, darunter Johannes Altenrath. Hans Hermann Berlepsch, Robert Breuer, Walter C. Behrendt, Otto Blum, Hermann Dernburg, Alexander Dominicus, Theodor Heuss, Hermann Jansen, Ludwig Justi. Albert Kohn, Käthe Kollwitz, Reinhold Kiehl, Walter Lehweß, Max Osborn, Richard Petersen, Hugo Preuß 130 . Diese waren bereits sämtlich mit diesen Zielen assoziiert. Es erschienen jedoch auch der Berliner Bürgermeister Georg Reicke und der Oberbürgermeister Martin Kirschner. Bernhard Dernburg eröffnete die Versammlung, indem er die Möglichkeiten des Zweckverbands als ungenügend bezeichnete und Berlin eine Vorbildrolle in der Entwicklung dieses neuen Organs zuwies. Da die Wohnungsfrage in diesem Komplex die zentrale sei, appellierte er an sein Publikum, sich den Forderungen anzuschließen. Die Gründungsmitglieder hatten sich Themen zugeteilt und so folgte Muthesius mit einem Aufruf, die Wohnungsproduktion zu einem der Fähigkeiten der Industriegesellschaft entsprechenden Sektor zu erheben und den Zweckverband als Gelegenheit dafür zu nutzen. Südekum übernahm danach die Schilderung des Zust&ndlichen und mahnte, daß der „17. Teil" der deutschen Bevölkerung im Einzugsgebiet dieses Verbandes lebe. Lage. Größe und Belegung ihrer Wohnungen seien alarmierend und daher Chancen zum Fortschritt zu nutzen. Kuczynski sprach darauf über mögliche Mittel, den Bestandserhalt für Grünflächen, Wohnungspolitik durch Siedlung, Straßengliederung und baupolizeiliche Verordnung einer niedrigen geschlossenen Bauweise. Hegemann Schloß die Reihe mit einer Skizze zur Agitation gegen die „unüberwindliche Letargie", die Reklame, Presse. Vereine, Wettbewerbe und eine Vermittlungsstelle beinhalten sollte 131 . Mäßigung ist den Rednern gemeinsam. Alle versuchen, von Kritik zu konstruktiven Vorschlägen zu lenken und folgen damit der Vorgabe des Aufrufs, der sich auf die am wenigsten strittigen Planungsergebnisse berufen hatte. Durch weiträumige Besiedlung will man der Glockenform der Bodenwerte um das Stadtzentrum ausweichen. Die Verkehrspolitik ist eine Ableitung dieser Funktion. Die draußen geplanten „gesunden Kleinwohnungen" flektieren die Strittigkeit der Bau- und Kapitalkosten als entscheidenden Faktor der Mietpreise. Ohne die schichtenspezifische Stadtnutzung zu stören, kann das Zielpublikum dort angesiedelt werden, für das es ohne Interventionen im Privatbe129 130 131

GB 12. GB 1 f. GB 2-12.

303

5.4.3.1 Motive

stand keinen Ort gibt. Die Pflege von Spielplätzen und Parks nimmt den zugehörigen Dreiklang von Moral, Ästhetik und Nation als Übung, Glück und Gesundheit auf, der einer 'Inneren Mission' entspricht 132 und das Anliegen wiederum in das Spannungsfeld von Emanzipation und Repression der Zielgruppe katapultiert. Auch die Motive der Gründer bilden eine Gemengelage. Zunächst ist ihnen ein karitatives Wohlwollen eigen 133 . Bei Weisbach zeigt sich eine typisch bildungsbürgerliche Motivation. Seine Entfernung zur Zielgruppe um „einer Sache willen" überwindend, teilt er die Vorstellung, daß politische Gremien und Experten keine Schöpfer sein können. Dennoch gewinnt seine Einstellung einen progressiven politischen Akzent. Sie richtet sich gegen politische Gruppen, die er als Gewinner der gesellschaftlichen Entwicklung ansieht. Sie haben sich Kompetenzen für die geistige und soziale Lenkung angemaßt, die es unter selbstverständlicher Voraussetzung der eigenen größeren Kompetenz zu beschneiden gilt. Auch Muthesius steht dieser Variante der Verfallsthese nahe. Innerhalb dieser Voraussetzungen steht das Bemühen um eine überfällige Modernisierung der Gesellschaft. Die Bevölkerungsbewegung und Migration der Industriegesellschaft sind die wichtigsten Ursachen. Die Einbindung und Nutzung modernen Sachwissens zur Problemlösung sind Motive, die von nahezu allen Redner angesprochen werden. Der überformende Begriff ist erneut 'Nation', vielfältig aufgefüllt mit Moral, Arbeitskraft, Verteidigungsfähigkeit, externem Ansehen, Kunst und Bildung. Deshalb wird die „Innere Kolonisation" zu einem auch von weiteren Rednern funktionalisierten Begriff, der über genau jene deflatorische Unschärfe verfügt, der sich sowohl konservative Ordnungspolitik wie sozialpolitische Fürsorge anschließen lassen. Doch auch in dieser gemäßigten Form, die auch konservativen politischen Ansichten noch zu genügen vermag, stecken prospektiv kontroverse Forderungen. Ausfluß der bildungsbürgerlichen Deutung ist die Auffassung, daß den Behörden lediglich Energie und Sachwissen fehle, um ihre 'Sache' besser zu machen. So weit der Titel der Reihe „Was erwarten wir vom Zweckverband?" eine gelungene Prägung ist, weil er auf die konstruktive Kritik abhebt und die basisdemokratische Korrektur andeutet, ist er doch gleichzeitig von dieser Sicht beeinträchtigt. Die in dieser Interpretation versteckte Identifikation mit der soziologisch ähnlichen Gruppe der Beamten verhindert eine analytische Wahrnehmung der Systemteilhabe - derer und eigener. Sie gerinnt in der zu Hegemanns Kanon gehörigen, von Südekum benutzten und hier von Dernburg vorgebrachten Sicht vom „Fiskalismus als Partikularismus" 134 . Eine ausgreifendere Probleminterpretation bleibt dadurch aus. Wenn wie bei Dernburg ein Versagen des kapitalistisch organisierten Wohnungsmarkts bei der Versorgung der Bevölkerung offen 132 Gegenüber Weisbach hatte Hegemann sich erneut auf den Satz von Joseph Lee bezogen: The boy without a playground is the father of the man without a job. Ihn verstand Weisbach als Das Kind ohne Spielplatz ist der Vater des Verbrechers. Er flektiert damit exemplarisch die Großstadtängste. 133 Edvard Lehmann nimmt mit seinem Pragmatismus eine Sonderstellung ein. Sein Vorschlag organisierter Kinderlandverschickung, ein Beitrag zur Gesundheit und Uberwindung der Schichtengegensätze, hier zwischen Stadt und Land, lehnt sich an dänische Organisationen an; Vortrag am 14. Mai; Vossische Zeitung, 15. Mai 1912, Α., 2.B. 134 Vgl. GB 3 f., 6, 10 f.

304

5.4.3.1

Argumente

konstatiert wird, liegt die zwangsläufige Folgerung in verwaltungstechnischen Kompensationsmaßnahmen. Darüber besteht - unter den Gründungsmitgliedern - Einigkeit, über deren Ausmaß nicht. Durch diese gebremsten Vorgaben sollte der Propaganda-Ausschuß nicht von vornherein als entwertet gelten, weil er sie in einer stark konservativ geprägten Umgebung entfaltet - wie Weisbach sie mit „Ruhe als erster Bürgerpflicht" nur zu deutlich kennzeichnet - und neue Formen der Auseinandersetzung versucht 135 . In der Debatte der Gründungsversammlung gab es vielfachen Zuspruch für die aufgestellten Forderungen. Zwei Hinweise auf die nicht thematisierten politischen Hintergründe stechen hervor. Einer der Teilnehmer sprach die Überrepräsentation der Hausbesitzer in den Kommunalparlamenten als Ursache an und ein zweiter verwies auf den politischen Unwillen, Großstadtausbau zuwanderungsfreundlich zu gestalten, was, dem Agrarlobbyismus gehorchend, allein der Prävention der Landflucht diene. Doch erst die Reaktion der Bürgermeister deutete auf die kommenden Streitigkeiten. Reicke äußerte kurzerhand offene Zweifel an der Richtigkeit der genannten, i.e. gedruckten Zahlen. Kirschner verteidigte dagegen noch die Bemühungen der Oberbürgermeister und Landräte in der Waldpolitik. Er implizierte eine dezidierte Ablehnung dieser Auslegung von Kommunalaufgaben durch Unbefugte. Er verwahrte sich vor allem entschieden gegen die maßlosen Ubertreibungen der Zahlen wie auch des Bildes. Die Kinder entsprechen nicht dem Typ des Berliner Großstadtkindes, und das Bild erweckt falsche Vorstellungen. ... Ich möchte Sie bitten, unterlassen Sie solche Darstellungen, die das Ansehen Berlins herabsetzen. So etwa tut man nicht. Diese Reaktion beweist, daß das Beunruhigende des Motivs die Anknüpfung an den populären Glauben vom Aussterben der Großstädte war, wie er seit einer demographischen Voraussage von 1889 verbreitet war 1 3 6 . Zugleich entfachte es Ängste vor der qualitativen Verbreiterung des quantitativen Pessimismus, den Otto Ammons Degenerationsvoraussagen und zahlreiche anti-urbanistische Laienschriften weitertrugen, die moralischen Verfall, den Verlust sozialer Kontrolle und christlicher Tugend beschworen 137 . In der Empörung wird übersehen, daß die Fürsorge des Größeren für das kleine Kind, die Verbindung des Motivs mit dem Spielverbot für die zentrale Verschiebung von anonymen Ursachen der Modernität wie Rationalismus, moderne Kultur und Großstadt hin zu konkreten Ursachen wie Besitzverhältnisse und Verfügungsgewalten stehen. Damit steht das Plakat für den Ubergang vom Antiurbanismus zu Reformkonzepten für eine Funktionsfähigkeit der Großstadt. Wo es doch zwecks praktischen Handelns Mittel 135 „Meyers Großes Konversationslexikon" weist in der 6. Auflage (1903-1908) bereits darauf hin, daß der aus der Heidenmission der Congregatio de propaganda fide stammende Begriff neuerdings in die „Geschäftssprache übergegangen" sei mit der Bedeutung, durch die Verbreitung von Waren und Schriften „Anhänger zu gewinnen". - Der „Kreuzzug", von dem Hegemann gegenüber Weisbach sprach, ist als crusade in Boston nachweisbar und bleibt als „Erziehungsfeldzug" weiterhin in seinem Sprachgebrauch präsent; AA 116. 136 Vgl. dazu Pfeil, Großstadtforschung ..., S. 43-51 und Bergmann, Agrarromantik ..., S. 56-63. 137 Vgl. Andrew Lees, Critics of Urban Society in Germany, 1854-1914. In: Journal of the History of Ideas 40 (1979), p. 61-83, p. 65-71.

305

5.4.3.1

Organisation

der Kanalisierung der auch bei Experten verbreiteten Aversionen werden sollte, überwogen schließlich die negativen Konnotationen. Die Gründungsmitglieder sahen sich so genötigt, ihre Zahlen zu verteidigen und nach weiterem Zuspruch gelang es schließlich am Ende der Sitzung, einstimmig einen allgemeinen Aufruf zu verabschieden, in dem offensichtlich auf Drängen der Bürgermeister die Daten gestrichen worden waren. Damit konstituierte sich der Propaganda-Ausschuß als ein von der Gründungsversammlung legitimierter Ausschuß mit dem Rechte der Kooptation. Die Versammlung unterstützte die deklarierten Ziele, wollte angesichts der Defizite des Zweckverbands die Öffentlichkeit dafür gewinnen, und dazu Vereine und Privatpersonen zur Unterstützung veranlassen. Der Ausschuß sollte eine solche größere Gruppe bilden und deren Finanzierung sichern. Diese Verfassung reflektiert nicht nur das Fehlen jeglicher Vorbilder. Sie wird mit der scheinbar demokratischen Legitimation durch geladene Gäste bewußt eingesetzt, um eine Distanz vom Verein- und Parteienwesen auszudrücken und Allgemeinvertretung zu beschwören. Die Kooptation - nur einmal ausgeübt 138 - dient dabei der Erhaltung der gesellschaftlichen und beschlußfassenden Exklusivität der Kerngruppe, die sich niemandem zu verantworten hat. Sie kennt zunächst auch keinen Vorsitzenden, und die spätere Bezeichnung Dernburgs als eines solchen dient kurzfristigen politischen Zwecken. Offenbar hatte die Zweckverbandsversammlung versucht, mit Dernburg ein unbequemes Mitglied auszuschließen, indem sie bezweifelte, daß Dernburg, entsandt von Schöneberg, doch in Grunewald wohnend, überhaupt als ihr Mitglied akzeptiert werden könne, obwohl dazu keine Richtlinien vorlagen139. Dennoch soll die Kampagne als „Massenbewegung" gelten. Dazu muß Hegemann von „großen Volksversammlungen" sprechen, nach dem Vorbild des nach tausend Mitgliedern zählenden Propaganda-Ausschuß in Chicago, in dem jeder Sitz und Stimme hat, der irgend dazu beitragen kann, die öffentliche Meinung zu bearbeiten140. Dieser implizite Widerspruch steht für die frühe Dissoziation Hegemanns von der Volksidee und deren authentischem Willen: Meinung kann man machen. 1 3 8 Alard du Bois-Reymond, Patentanwalt, wurde der Kerngruppe zugewählt. Genannt: Freiflächen 110; S [145], Hier ergibt sich erneut die Frage nach stärkerer Beachtung jener 'philanthropischen' Fördergruppen auch in der Entwicklung von Übergangs- und Vormodellen zur demokratischen Willensund Entscheidungsbildung: Es tritt etwa auch ein weiterer Hypothekenhalter der „Ideal"auf, der Direktor der Spirituszentrale Ignaz Stern. 1 3 9 Kommunale Praxis 12 (1912), Sp. 1527. - In der versuchten Revitalisierung des Ausschusses im Juli dient sie Hegemann zur konservativen Kurskorrektur, um die „Innere Kolonisation" in Anschluß an den früheren Kolonialminister zu bringen, Grundsätze (8. Mai 1912). Dernburg nützte die Ernennung, weil im Mai die Stadt Frankfurt a.M. sowohl mit Reicke wie mit Dernburg „unverbindlich Fühlungnahme" bezüglich der Besetzung des Frankfurter Oberbürgermeisteramts aufgenommen hatte. Vossische Zeitung, 9. Mai 1912, Α., 2. Β. Als aussichtsreichster Kandidat galt zu diesem Zeitpunkt der Reichstagsvizepräsident Dove, der am folgenden Tag dementierte. 1 4 0 NBC 25. Avisiert ist er in dem Beschluß der Gründungsversammlung, daß alle, Vereine sowie Private, denen die hier berührten Fragen am Herzen liegen, sich in aktionsfähiger Form gruppieren sollen. GB 17. Vgl. auch S 144 Anm. 114: Es ist außerordentlich, was die öffentliche Meinung bei richtiger Führung, namentlich auch durch die Presse, in solchen Fragen erreichen kann.·, über ein erzwungenes Gesetz zur Bauhöhenbegrenzung am Copley Square, Boston.

306

5.4.3.1 Fronten

Die in der Verfassung der Gruppe erkennbaren Vorbehalte stehen einer demokratischen Öffnung entgegen. Die nach Bostoner Vorbild erhoffte übergreifende Verbindung von Fronten, von Gewerkschaftsvertretern bis Grundstücksagenten konnte hier aufgrund der fehlenden Mediation durch reformorientierte Zusammenschlüsse nicht gelingen. Die uneindeutige Struktur der Initiative ist so einerseits dem experimentellen Vorgehen zuzuschreiben. Zum anderen gab das Bestreben der Allgemeinvertretung kombiniert mit dem Selbstverständnis der Initiatoren die bloße Imitation eines Repräsentationssystems vor. Das Streben nach Eintracht in Hoffnung auf eine wirkungsvolle übergreifende Assoziation leitete die Redner zur Mäßigung an. Die abgewandelte Schlußresolution behauptete Bebauungsplan, Verkehrsausbau und Grünflächen als nur noch für die Zukunft der Hauptstadt und die Gesundheit der Jugend unerläßlich und dringend. Wegen dieser Verwässerung wurde aus dem Publikum Schärfe gefordert, Kuczynski wegen seiner Schonung des Grundbesitzes kritisiert, Interventionsansprüche auf Staats- und Reichsebene ausgedehnt, und ein Abbau der preußischen Berlinfeindschaft, der Furcht vor der sozialdemokratischen Stadt, gefordert. Damit waren gerade durch Mäßigung zwei Fronten eröffnet worden, indem man auf der einen Seite sich gegen dezidierte Reformer behaupten, auf der anderen Seite sich der Anfeindungen der Kommunalvertreter erwehren mußte. In dieser Konstellation waren die Initiatoren gezwungen, nach beiden Seiten in Verteidigungsstellung zu gehen. Die Kritik der Mäßigung erfuhr kaum Antikritik, um sich nicht weiter angreifbar zu machen und die weiteren Forderungen potentiell integrierbar zu halten. Diese Reaktion wurde als fehlende Distanzierung ausgelegt, so daß die Verteidigung gegen die Vorwürfe der Übertreibung bei Diagnose und Zahlen zusätzlich Gewicht gewann. Mit ihr waren die Initiatoren in den folgenden öffentlichen Versammlungen vorrangig beschäftigt. 5.4.3.2 Versammlungen Hegemann sorgte zunächst für massenwirksame Verbreitung. Nicht nur verfaßte er Artikel, wie offenbar auch andere Gründungsmitglieder, um stadtbekannt zu werden, berichtete in der „Sozialen Praxis" am 22. Februar über die Gründungversammlung und schrieb im „Berliner Tageblatt" am 27. Februar über die Spielplatzfrage. Tatsächlich hatten die Berliner eines Morgens an sämtlichen Plakatsäulen einen riesigen Anschlag mit jener von Hegemann geplanten Aufschrift vor Augen. Und nicht nur Worte und Zahlen enthielt er, sondern auch ein Bild: ein kleines verelendetes und verkümmertes Mädchen aus dem Volk, mit einem Brüderchen in den Armen, so Weisbach. Das Plakat im Maß von 72 mal 96 cm 141 lud an den Anschlagsäulen unter der Überschrift „Für Gross Berlin" zur öffentlichen Versammlung bei freiem Eintritt ein. Unter dem Titel Was erwarten wir vom Zweckverband? kündigte es für Sonntag, den 3. März die Redner Dernburg, Dominicus, Muthesius und Südekum an 142 . In kleineren Typen waren 141

GB 18. Klipstein 119 gibt die Größe der Figur mit 552 mm, zweite Ausführung 579 mm, an. Zur Deckung der Unkosten gab es reservierte Plätze für 5 M, zu beziehen im Büro des Ausschusses unter Hegemanns Anschrift in der Trabener Straße. 142

307

5.4.3.2 Aufsehen

zu Füßen des Mädchens die Zahlen aufgeführt. Zur zweiten Versammlung am 10. März legte Hegemann nach und ließ, vieldeutig, den mittleren Text, Ort und Redner, in Rot drucken. Der Zeitpunkt der Plakatierung bleibt unbekannt. Doch bereits am 29. Februar verkündete der Vorsitzende in der Stadtverordnetensitzung: Wir müssen uns dagegen wehren, daß eine Stadt wie Berlin von ununterrichteten Leuten, die die einschlägigen Verhältnisse gar nicht kennen ... in dieser Weise herabgewürdigt wird. Keine Stadt in der ganzen Welt leistet soviel wie Berlin und muß trotzdem derartige unberechtigte Angriffe ertragen.143 Zu der ersten offenen Versammlung vom 3. März erschienen nach eigener Schätzung des Ausschusses 1.800 Personen. Ernst Francke eröffnete die Sitzung in der „Neuen Welt" mit einer kurzen Ansprache und forderte Mithilfe, daß wir vorwärts und ans Ziel gelangen. Die erste Rede hielt Dernburg, bereits ganz der Deeskalation verpflichtet. Er betrachtete den Zweckverband skeptisch, entlastete aber die Verwaltung von Verantwortung für die bisherige Stadtentwicklung. In dem bereits eröffneten Streit um die Zahlen sah er die tatsächlichen Probleme verschleiert. Er bekräftigte den Ansatz unabhängig von der Zahlengröße, verteidigte schließlich aber auch die genannten Zahlen in einer Antikritik. Schönebergs Bürgermeister Dominicus trug dann konkrete Vorschläge vor. Er empfahl die Einrichtung einer Wohnungsinspektion, wandte sich explizit gegen das Hausbesitzerprivileg und forderte eine Reform des Verbands, um das Vetorecht einzelner Gemeinden abzuschaffen. Muthesius sprach wieder über Produktionserneuerung im Wohnungsbau und forderte einen Generalbebauungsplan für die Großgemeinde. Auch er der Deeskalation verpflichtet, stand Südekum als letzter Redner mit einem Bekenntnis zur Authentizität des Anliegens. Auch er wollte konstruktiv wirken und beschwor eine öffentliche Unterstützung, weil die „Not" die Initiatoren gerade wegen der weitgehenden politischen Verschiedenheiten zusammengeführt habe 144 . Wegen der fortgeschrittenen Zeit kamen nur noch zwei Diskussionsteilnehmer zu Wort, dann wurde die Versammlung auf den kommenden Sonntag vertagt. So erhielt nur noch Kuczynski die Gelegenheit, die Zahlen zu verteidigen und der Architekt Heidenreich konnte die Wirtschaftlichkeit einer niedrigen geschlossenen Bauweise bestreiten. Ausschuß wie Äußerungen riefen ein erhebliches Medienecho hervor. Daran beteiligten sich zum einen Städtebauer. So riefen die Äußerungen Heidenreichs ein promptes Echo hervor. Joseph Stübben als Vorsitzender des Architekten-Ausschusses, dem auch Heidenreich angehörte, konnte sich das Forum der sonst skeptischen „Vossischen Zeitung" zu nutze machen, um am 7. März dessen Behauptungen zu widerlegen und für den Propaganda-Auschuß Partei zu ergreifen. Zum anderen wurde die Debatte von politischen Zeitschriften wie der „Sozialen Praxis", der „Kommunalen Praxis" und der 143

Die populäre Fassung äußerte ein „Magistratsbureauassistent" am 10. März 1912: Wenn eine Stadt für die Jugend sorge, so sei es Berlin (große Unruhe); vom Augenblick ihrer Geburt an werde für sie gesorgt, sie hätten freie Schulen, freies Frühstück und Mittagbrot. Die soziale Fürsorge Berlins stehe auf dem ganzen Kontinent unerreicht da. GB 48. 144 GB 18-29, S. 26; im Original hervorgehoben.

308

5.4.3.2

Reaktionen

„Hilfe" verfolgt, deren Autoren mehrfach Schützenhilfe leisteten 145 . Die meisten Wellen schlugen die Ereignisse aber in der Berliner Lokalpresse 146 , so daß Hegemann seine ersten Ziele erreichte: die Etablierung städtebaulicher Themen in den Tageszeitungen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Den Tenor der Reaktionen illustriert ein Vergleich von zwei Berichten über Lehmanns Darstellung der Kinderlandaufenthalte. Er ist deshalb aussagekräftig, weil er sich dem Streit über die Zahlen entzieht. Er war beispielsweise dem „Vorwärts" nur einen wohlwollenden Halbsatz über die erfolgreichen Bemühungen, alljährlich im Sommer den Stadtkindern einen Landaufenthalt zu ermöglichen, wert. Dagegen stellen die vielen Zeilen der „Vossischen Zeitung", die Lehmanns Vortrag ausführlichst referierte, überdeutlich den üblichen Standpunkt bloß. Der pathetische Bericht legt eine patriarchalische konservative Sicht frei, die den Traum von Versöhnung - mit „Proletarierkindern (von sozialdemokratischen Eltern)" - durch Patronat und Karitas verwirklichen will, keinesfalls durch Verrechtlichung und noch weniger durch fürsorgende Interventionen 147 . In diesen Patronats- statt Politikbegriffen mußten Zahlen wie Bild zwangsläufig Anstoß erregen. Das Gefecht um die Zahlen begann unmittelbar. Hegemanns Artikel, das Kampfgeschrei des Ausschusses, wie er 1930 sagte, über „600000 Groß-Berliner in übervölkerten Wohnungen" nahm am 22. Februar bereits auf die Spielplatzrechnungen Bezug 148 . Reickes sofort geäußerte Zweifel führten zu einem Schlagabtausch, bei dem vor allem Kuczynski und Hegemann wiederholt hervorhoben, daß diese Zahlen seit längerem bekannt, 145 Siehe etwa Soziale Praxis 21 (1911/12), Sp. 780-788 über die erste Versammlung; beispielsweise auch: Die Hilfe 18 (1912), S. 327 f. und 388 f., über „Neuzeitliche Volksparks" von Lesser oder „Für Groß-Berlin" von Rudolf Vetter als Sprachrohr Hegemanns, der seine einzige Quelle darstellt. Naumann hatte in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift auch einen seiner Vorträge für den Ausschuß abdrucken lassen, ohne allerdings auf diesen Ursprung zu verweisen, aber explizit Hegemanns Werk als weitere Lektüre empfohlen. 146 Dokumentation und Untersuchung der Reaktionen in Zeitungen und Zeitschriften müssen einer eigenen Studie vorbehalten bleiben, da sie nur in Autopsie möglich sind. Hier genügen Stichproben, wie sie für die oben genannten Periodika durchgeführt wurden. Aber auch dabei ergaben sich Hindernisse. So konnte etwa ein Artikel Reickes in der „Vossische Zeitung" vom 22. Februar 1912 wegen Unvollständigkeit der Verfilmung nicht eingesehen werden. 147 Vgl. Vorwärts, 16. Mai 1912, 3.B. und Vossische Zeitung, 15. Mai 1912, Α., 2.B. Lehmann wies auf die vorbildlichen Einrichtungen in seiner dänischen Heimat hin, wo das Land jeden Sommer einen großen Teil der Großstadtjugend für mehrere Wochen unentgeltlich aufnimmt und verköstigt. Über 40 v.H. aller Kopenhagener Schulkinder genießen auf diese Weise Jahr für Jahr die Gastfreundschaft der dänischen Landbevölkerung. Obwohl die kleinen Gäste meistens Proletarierkinder (von sozialdemokratischen Eltern) sind, während die Landbesitzer und Gastgeber zumeist konservativen Anschauungen huldigen, stellt diese politische Differenz in Dänemark keinerlei Hindernis für ein Zusammenwirken in der Jugendfürsorge dar. Es kostet ja auch die Landbevölkerung nicht viel, diese kleinen Mündchen zu füllen, zumal sich die Jugend bei leichter Landarbeit oft ganz gern nützlich macht. Die Ausrüstung zur Reise und die Reisemittel selbst werden teils durch private, teils durch behördliche Fürsorge aufgebracht. Vor allem genießen die Kinder vollständig freie Bahnfahrt zu ihrem Ferienziel. Ähnliches könnte mit gutem Willen und einiger sozialer Einsicht auch bei uns sicher erreicht werden. 148 600000 (1912) 667. Er wurde schon von einem Artikel Kuczynskis zur Frage „Wie viele Wohnungen sind in Groß-Berlin übervölkert?"; BT 16. Februar 1912, flankiert.

309

5.4.3.2 Zahlen

häufig verwendet worden waren. Sie seien in mehrere seriöse Darstellungen bereits eingegangen, ohne je Widerspruch erregt zu haben 149 . Auf der anderen Seite versuchten sich Reicke für Spielplätze und der Leiter des Berliner Statistischen Amtes Heinrich Silbergleit für die Belegungsziffern wiederholt an einer Widerlegung derselben 150 . Das Gerangel um Kriterien für die Zählung, ob die Küche ein Zimmer sei und die Belegungsquote daher korrekt, mußte auf der einen Seite - dem Usus folgend - befriedigend sein, bei der anderen - bürgerlichen Wohnkonzepten folgend - wie eine schon von Dernburg unterstellte Verschleierungstaktik wirken. Hegemann war erbost. Wie sehr, zeigt die Erinnerung an den Versuch, der dreisten Selbstzufriedenheit impotenter Kommunalpolitiker (Kirschner! Reiche!!) die Maske abzureißen 151 . Daran wird deutlich, daß die Bestandsbestimmungen erst durch weitere Öffentlichkeit Brisanz entfalteten. Hegemanns Konzept einer Aufklärung ging insofern auf, als sich die Kommunalverwaltung durch öffentliche Meinung beeindrucken ließ. Mit den heftigen Reaktionen zeigten ihre Vertreter, daß sie die Behauptungen von Unterlassung und Vernachlässigung fürchteten. Zugleich fühlten sie sich ihrer Hauptklientel so sehr verbunden, daß sie sich weder auf Forderungen einzugehen noch den Definitionen zuzustimmen in der Lage sahen. Im Gegenteil stellten sie ihre Empörung der Gegenpartei zur Verfügung 152 . Im Ergebnis setzte sich bei Beobachtern dennoch der Eindruck vergeblichen Widerspruchs fest 1 5 3 . Für Hegemann war dieser Einspruch Anreiz zur Steigerung. Nach den Rechnereien 149 S Abb. 5, vgl. Führer ..., Nr. 524 a, zeigte Silbergleit für das Statistische Amt als Aussteller, daß 550 629 Einwohner Berlins - nicht Groß-Berlins! - in Wohnungen lebten, in denen jedes heizbare Zimmer mit 4-13 Personen belegt war. - Siehe GB 13 (Kuczynski), 14 (Hegemann, Anmerkung), 20 (Dernburg), 29 f. (Kuczynski), 32 (Anmerkung), 37 (Dernburg), 56-59 (Hegemann), 61 f. (Kuczynski). Vgl. auch Vossische Zeitung, 4. März 1912 sowie Spielplätze (27. Februar 1912). 150 Diese Widerlegungen fanden mehrheitlich in der „Vossischen Zeitung" Platz; GB 14, 31 f., 56, 72, 74, 77, 80 f. Zur Rede Silbergleits vor den Hausbesitzern siehe Vossische Zeitung, 8. Mai 1912, M., 2. B. Der Artikel Reickes konnte der fehlerhaften Verfilmung wegen nicht nachgewiesen werden. Standpunkte und Argumente sind bei Carl Krauss, Die maßlosen Übertreibungen des Propaganda-Ausschusses „Für Groß-Berlin". 2. Aufl., Berlin 1912, S. 5-10, repräsentativ wiedergegeben. 151 Vorbemerkung Muthesius (1927) 497. 152 Krauss' „maßlose Ubertreibungen" der Gegenschrift gehen nach dem Titelblatt direkt auf die spontane Reaktion Martin Kirschners - „So etwas tut man nicht" - bei der Gründungsversammlung zurück. Krauss stellt sich als Generalsekretär und Syndikus vor, ohne anzugeben, wessen. Zur Biogaphie keine Funde; sein Auftreten beim Hausbesitzerkongress läßt diese Amter dort vermuten. Vossische Zeitung, 9. Mai 1912, M., 3. B.; BT 9. Mai 1912. 153 Zwar haben die beiden Berliner Bürgermeister als Wortführer des Hausagrariertums und Kommunalfreisinns versucht, an diesen Zahlen zu deuteln. Aber es ist ihnen nicht gelungen, die Schande hinwegzuwaschen. Johannes Altenrath, Groß-Berliner Zweckverbands-Fragen. In: Zeitschrift für Wohnungswesen 10 (1911/12), S. 149-152, S. 150. Wagner, Freiflächenpolitik ..., S. 110: Als der „Ausschuß Groß-Berlin" unter der Führung von Südekum, Dernburg und Dominicus im Jahre 1908 seinen ersten großen Vorstoß gegen die Stadtverwaltung des alten Berlin machte, da sah sich der damalige Bürgermeister Reicke genötigt, der Öffentlichkeit eine Zahlenbilanz über die städtische Freiflächenpolitik vorzulegen und in dieser Bilanz als Aktiva auch die Kieswege unter der Hochbahn als Kinderspielplätze zu bezeichnen. Trotz der kontaminierten Erinnerung ist gerade die Offensive gegen die Kommunalverwaltung und deren Hybris wahrgenommen worden. Wagner: Der Sturm brach los!

310

5.4.3.2

Kontroverse

Reickes erhöhte er bereits auf dem Plakat zum 3. März die Zahl der „Kinder ohne Spielplätze" auf Hunderttausende, von den Gegnern als Ausweichmanöver und Zugeständnis interpretiert 154 . Hegemann verschärfte seine Argumente, indem er bestritt und in der dritten Versammlung auch belegte, daß die gezählten Spielplätze für Kinder kaum zugänglich waren, die Nutzung der Rasenflächen ausdrücklich verboten (Bild 44 und 45), mithin die Verhältnisse noch schlimmer155. Bei den Belegungsziffern wurde der Streit vor allem an der Zählbarkeit der Küchen als Zimmern aufgehängt, da diese den Durchschnitt von 5-13 Personen pro Zimmer verändert hätte. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen Robert Kuczynski, der. wie er selbst referierte, die Maßstäbe der Städtestatistik zugrundegelegt hatte. Daraus wurde ihm der Vorwurf gemacht, das „Volk" werde ihn mißverstehen, weil es die Küche als Zimmer ansehe und nutze156. Es trug Kuczynski die Ausladung zu einem Referat vor dem Hausbesitzerkongress ein; dort weitere Früchte der Polemik mit der Forderung nach „vergleichender Wohnungsstatistik", „dekoratives Beiwerk" des Kongresses, wie der „Vorwärts" höhnte157. Nur noch ein Nebenschauplatz waren die Fragen von rationeller Bauweise, Straßendifferenzierung oder Verkehrsausbau. Weniger Stellungnahmen von Architekten oder Städtebauer als vielmehr mehrfache Ablehnung durch Hausbesitzer und ihre Vertreter hielten sie in der Debatte 158 . Die äußerst stürmisch verlaufende dritte Versammlung am 10. März, als Fortsetzung angesehen, wurde wieder mit Vorträgen eröffnet. Unter der offenbar heftigen Anteilnahme des Publikums verstärkten die Redner ihre Bemühungen um Deeskalation. Gleich in der Eröffnung verwahrte sich Francke dagegen, daß Zweck des Ausschusses sei, Anklagen und Beschuldigungen zu erheben. Dernburg hob wie vorher hervor, daß man den Zweckverband in seinen möglichen Leistungen bestärken wolle, die in den Vorbehalten der Inkorporierten zu ersticken drohten. Als nächster Redner sprach der sozialliberale Politiker Friedrich Naumann. Er skizzierte die Situation Berlins als Zuwanderungsgebiet und forderte den Hausbesitz zu einer den Mietzahlungen angemessenen Leistung 1 5 4 Hegemann gegen die ursprünglichen 353.000: Reicke rechne, daß es in Berlin 224 000 Volksschulkinder, in den Vororten 129 000 gibt. Das sind zusammen 353 000. Also hat nach der Ansicht des Propaganda-Ausschusse kein Kind in Groß-Berlin einen Spielplatz! Daß dies eine maßlose Übertreibung ist, sieht ein Blinder ohne Prüfung. GB 56-59, S. 59 [im Original Hervorhebungen]; vgl. Krauss, Übertreibungen ..., S. 6 f. 1 5 5 Im Zuge des Schlagabtausches hatte Hegemann unter einer Abbildung der aufgeständerten Hochbahn, in den amerikanischen Publikationen als moderne Errungenschaft gezeigt, vorgeschlagen, zur Ehrung diesen schmucken Spielplatz „Reickepiatz" zu taufen·, GB 70. 1 5 6 GB 30. Bei Krauss, Übertreibungen ..., S. 8 f., besondere Empörung, weil Francke sogar von „jedem Gelaß" gesprochen habe: Wenn das am grünen Holz geschieht, was soll dann am dürren werden? 1 5 7 Vgl. die Berichterstattung in der „Vossischen Zeitung" zur Rede Silbergleits am 8. Mai, M., 2. B.: zur Statistik bes. 9. Mai, M., 3. B. und 10. Mai 1912, Α., 2. Β.; gegen den zusammenfassenden Bericht Vorwärts, 12. Mai 1912, 5. B. 1 5 8 Vgl. Krauss über den Wettbewerb, den der „Verband zum Schutze des deutschen Grundbesitzes und Realkredits" zur Lösung der Frage nach der billigsten Wohngelegenheit ausschreiben wollte, um das wirtschaftliche Kleinhaus zu widerlegen; für Kuczynski schlicht „Humbug"; Vossische Zeitung. 8. Mai 1912, Μ., 1. B. Siehe auch GB 72-76 und 82 ff.

311

5.4.3.2 Depolitisierung

auf; der Zweckverband solle dabei lenkendes Organ sein. Südekum schließlich warnte den Zweckverband, als weithin untätige Institution sich und ihren Direktor luxuriös darzustellen, die Erwerbschancen für Staatsbesitz zu verschenken und Fiskalismus zu unterstützen, schließlich eine bürokratische Behörde unter anderen zu werden. In der folgenden Diskussion kamen zwei Hausbesitzer, ein Bodenreformer, ein Repräsentant des Mieterbundes und ein Gartendirektor zu Wort. Die Entschärfung betrifft vor allem die Schuldzuweisung an die Kommune. Kuczynski hatte sie schon in der Gründungsversammlung prophylaktisch verneint. Aus neuen Versorgungsleistungen der Kommune erwachse nicht der Vorwurf bisheriger „schuldhafter Versäumnis". Er ließ dabei offen, daß bei einem Verwaltungshandeln gegen expliziten Willen der Repräsentierten und Verwalteten Verschulden vorliegen könne159, denn diesen Kausalzusammenhang wollte der Ausschuß herstellen. Die von nahezu allen Rednern geäußerte Entlastung der Verwaltung, damit die Abweichung zu der sonst vertretenen Interpretation der Stadtbaugeschichte, ist eine Konzession an die Erfolgsaussichten. Sie ist strategisch unumgänglich, da nach der Zielsetzung nur von der Verwaltung die neue, aufgeklärte Aufgabenerfüllung zu leisten ist. Dabei gehen auch die Ansprüche auf basisdemokratische Rechte verloren. Zunächst noch mit Vehemenz als Rechte der Bevölkerung auf Anteil am Wohlstand und auf Berücksichtigung seitens der Mehrheit vertreten - Dernburg: ... wir wollen doch einmal sehen, wenn vier Millionen Berliner etwas verlangen, ob sie es nicht durchsetzen können!160 - , verflachen sie zu unangreifbaren Formeln vom „Wohl von Millionen von Menschen". Den politischen Anspruch, mittels eines demonstrierten Massenwillens die Bürokratie zu beugen und ein verweigertes Wahlrecht zu substituieren, zeigen Dernburg und Südekum noch bei der zweiten Versammlung. Dann verblassen diese Aspekte allmählich und in der dritten Versammlung erscheinen die Aufgaben als allgemein erforderliche Fürsorge des Staates bei Dernburg, als „Schicksalsfrage der größten Siedlung des europäischen Kontinents" bei Südekum161. Hegemanns populistischer Vortrag „Uber das Wachsen Groß-Berlins" in der dritten Versammlung am 15. März steht dem noch entgegen. Mit seinen wirkungsvollen Anschuldigungen „eines Gemeinsinn baren Bürgertums" und „reaktionärer Bureaukratie" machte er die vorherigen Entlastungsversuche zunichte. Die gezeigten Lichtbilder taten ein übriges. Hegemann zeigte nicht nur den Mietskasernernbau von seiner schlechten Seite, Brandmauern, die über leerem Land aufragten, sondern Alternativbeispiele aus Hampstead oder amerikanischen Vororten. Insbesondere zeigte er aber - gewiß selbst aufgenommen - zahlreiche Bilder von Berliner Spielplätzen, auf denen er die Kinder vor den Verbotstafeln in den Mittelpunkt gestellt hatte 162 . 159

Kuczynski, Aufgaben der Groß-Berliner Wohnungspolitik ..., S. 6-8. Im Original hervorgehoben; GB 13. 161 Vgl. GB 22 und 28 mit 37 und 42 f. 162 Sie zeigen Hegemanns vom amerikanischen Pragmatismus beeinflußte Auffassung von Akteuren. So wurden etwa für eine gleichzeitig von John Nolen untersuchte Neuplanung von Reading PA Kinder zu Spielplätzen befragt. John Nolen, Replanning Reading. An Industrial City of a Hundred Thousand, Boston 1910, p. 56-58, 96-101. - Die Fotografien ebenfalls unkommentiert in der Ausstellung 160

312

5.4.3.2

Etikettierung

Dazu ging er erneut auf den Streit um die Zahlen ein und verriß mit zynischem Genuß die Umrechnungsversuche Georg Reickes163. So führte er das Anliegen der Initative wieder auf die motivierende Empathie zurück, die in Aufrüttelung und Tätigkeit resultieren sollte. Jedoch spielte auch er damit der Aversion gegen die Etikettierung in die Hände. Die partiarchalisch antipolitische Grundstimmung verstand das Signum des Ausschusses sehr wohl als Symbol der Stadt und damit ihrer Bürgerschaft. „Schutzmarke" und „Fabrikmarke" nannte ein Gegner das Bild, das Hegemann zum 'Markenzeichen' gemacht hatte. Das Vorbild marktorientierter Werbestrategien wurde zur Diffamierung benutzt, während man sich den Anschein gab, diese Reklame akzeptieren zu wollen, wenn sie denn wahr sei164. Diese Aversion steht jedoch für verdeckte Themen. Die Stadtoberen spielen damit zum einen auf die Wirtschaftseinheit Stadt an, die durch schlechte Werbung Einkommensverluste zu befürchten hätte 165 , zum anderen sehen sie die kommunale Leistungsverwaltung bereits als überdimensioniert an; ein weiterer Ausbau ist mit Parteibuch und Steuern nicht zu vereinbaren. Währenddessen waren es gerade die Hausbesitzer, die das Bild der ärmlichen Kinder unmittelbar als Anklage ihres Standes verstanden und sich zu verteidigen suchten 166 . Ihr individuelles Auftreten, bei dem sie sich als zu Unrecht Verfolgte darstellten, trug offensichtlich zum stürmischen Verlauf der Versammlungen bei, wenn sie sich als unterrepräsentierte Wohltäter darstellten, gleichzeitig das Kinderelend anzweifelten oder gar verspotteten 167 . Auch ein Zentral verband hatte bereits im Vorfeld durch seinen designierten Vorsitzenden Gegenpropaganda geübt, die unter dessen Amtsbezeichnung als Präsident des Statistischen Amtes des Deutschen Reichs erschien und für Mißstimmungen sorgte 168 . Erst zum Schluß der zweiten Versammlung sprach schließlich ein Hausbesitzer an, was dahinter vermutet wurde: ein politischer Angriff auf das Hausbesitzerprivileg. Wahrgenommen wurde jedoch von beiden Seiten eine gegenseitige Diffamierungskampagne. Die Unfähigkeit zur Offenlegung verdeckter Themen zeigt die Ferne zu parteipolitischen, gar demokratischen Strukturen. Ein Meinungsstreit mit Offenlegung politischer Positionen und ein Willensbildungsprozeß im Aushandeln von Verfahrensweisen seitens Parteienvertretern ist allen Akteuren nicht vorstellbar. Korff/Rürup (Hrsg.), Berlin ..., S. 235, Nr. 13/45 = GB 69 Humboldthain; Nr. 13/46 = GB 70 Chicago und 87 Treptower Park (als Reproduktionen aus der Broschüre). 163 Abb. GB 33 f., 52, 69, 87 und 56-59. 164 Krauss, Ubertreibungen ..., S. 4: Der Propaganda-Ausschuß ... beliebt es, seiner Agitation eine einzige Grundidee zu unterlegen, wie es nach bewährten Mustern Großindustrielle und Großkaufleute zu tun pflegen - man beachte der Kaufmann Dernburg steht an der Spitze! -, damit diese „Schutzmarke" sich in die Köpfe derer, die es wollen, und derer, die es nicht wollen, unauslöschlich hineinbohre. 165 Daß Angestellte einen Firmenumzug aufgrund ungenügender sozialer Ausstattung der Stadt verweigerten, wie es Nolen, Replanning Reading ..., p. 53, anführte, wäre in Berlin ausgeschlossen gewesen. 166 Vgl. GB 44 f., 47 f., 65 f. und Anhang 77-80. 167 Vgl. Oberapotheker Linke, Hausbesitzer-Verein Königstadt, GB 44 f. mit dem Kommentar Albert Kohns von der Ortskrankenkasse, GB 60 f. Die Äußerungen Linkes müssen über die von Hegemann dokumentierten weit hinausgegangen sein. 168 Vgl. Muthesius und Kuczynski; GB 25 f. und 62 f. und Anhang 77.

313

5.4.3.2 Politikferne

Daß diese Einübung über ein Anfangsmaß hinaus hier nicht gelang, lag nicht zuletzt am großen Unterschied des Signums der Initiative zu dem des Vorbilds. Statt mit der Musterstadt Gemeinsamkeit durch Identifikation mit einem positiven Ziel zu erzeugen, bot es zwar die Kraft zum Aufruhr der Gefühle169, ohne jedoch individuellen Handlungsbedarf zu kanalisieren. Für die Gegner konnte der sich dann darin erschöpfen, die Gültigkeit zu bestreiten. Auch die Beschwichtigungsversuche konnten daran wenig ändern 170 . Nachdruck wurde dem mit Expertisen über die unterdurchschnittlichen Tauglichkeits- und Einschulungsraten Berlins verliehen. Sie enthoben die Debatte wiederum - wie schon oben vorgezeichnet - der politischen Strittigkeit und lenkten sie um zu staatlicher Fürsorgepflicht zwecks Selbsterhaltung. Auch für Einsichtige war das Signum ein Stein des Anstoßes, wie Kuczynski berichtete: Männer, die sich überzeugt haben, daß die Zahl von 600 000 stimmt, haben uns nun gesagt: „Was Ihr sagt, ist ja richtig. Aber sagt es doch nicht. Es wirkt so aufreizend." Sehr richtig! Aber nicht, daß wir es sagen, ist so aufreizend, sondern, daß es so ist.171 Damit wurde der Urgrund der Befürchtungen aufgerührt, der diese Reaktionen verursachte: der Mythos von der - bei allgemeinem Wahlrecht - roten Stadt. Dieser schon in der Gründungsversammlung von einem Teilnehmer angedeutete Hintergrund der Debatten, zu dem auch die in Agrarkreisen gefürchtete Landflucht gehörte, Ursache der besonderen Struktur des Zweckverbands und des Ausbleibens einer Einheitsgemeinde wurde ebenfalls nicht offen angesprochen172. So erntete der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Paul Hirsch nach seinem Vortrag bei einer der Versammlungen, die im bürgerlichen Westen stattfand, neben Beifall heftiges Zischen. Diese Mißstimmung galt dem als Wahlaufruf verstandenen Schlußwort Hirschs. Aus dem Publikum kam die Beschwerde, daß diese „politische Färbung der Sache nur schade"173. Mit der Deeskalation ist eine weitere Depolitisierung der Anliegen verbunden. Man weicht auf das Expertenwissen, die stetige und weitere Versicherung von Autorität durch Wissen aus. Das Nachreichen von Interpretationen und Anfechten der Gegenrechnungen frißt so die positiv formulierten Ziele auf. Die Expertenstellungnahme festigt die Ansicht, daß Probleme durch Wissenschaft eindeutig zu lösen seien. Sie folgt damit dem wilhelminischen Obrigkeitsdenken, das eine Politikferne gesellschaftlicher Fragen 169 ... kämpft unter einem Banner, das in der Tat geeignet ist, Schrecken zu verbreiten ... mit den traurigsten Typen Berliner Kinder, Altenrath, Zweckverbandsfragen ..., S. 150. 170 So etwa Dernburg: Man hat uns gesagt: Wie das Kind, das ihr auf euer Plakat gezeichnet habt, so sehen die Durchschnittskinder Berlins nicht aus. Ja, haben wir denn das gesagt ? Könnte denn noch noch einer von uns schlafen, wenn das der Typus des Berliner Kindes wäre? Aber solche Kinder gibt es eben, und es gibt viele davon. GB 21; vgl. Vossische Zeitung, 4. März 1912. 171 Am 15. März; GB 62. 172 Bemerkenswerterweise begründete Ignaz Stern seine Andeutung damit, von dieser Präge aller Fragen in Preußen ...in dieser nichtpolitischen Versammlung nicht weiter sprechen zu wollen [Hervorhebung C.F.]; GB 16. 173 Hirsch forderte, daß ... bei allen Wahlen die Wählerschaft nur solche Männer in Gemeinde- und Volksvertretungen entsende, die das Wohl der Gesamtheit im Auge haben. [H.i.T.] Vorwärts, 16. Mai 1912, 3. B. Hegemann bemerkte daraufhin, in Tempelhof habe der Vortrag nur Zustimmung gefunden und implizierte so eine wachsende Gruppe 'umstürzlerisch' Gesonnener.

314

5.4.3.3 Zweite Serie

konstituiert und dabei die Verwaltung als letztlich apolitische Instanz versteht. Soweit dieses Vorgehen taktisch notwendig sein mußte, um die Verwaltung zu gewinnen, um so mehr leistete es als strategisches Mittel paradoxerweise gegen seine ursprünglichen Ansätze der Depolitisierung Vorschub. Nach der dritten Versammlung vom 15. März 1912, die im Westen der Stadt stattfand und Hegemanns Vortrag als Hauptereignis bot, setzten die Veranstaltungen zunächst aus. Kuczynski und Langen hatten nach ihm noch gesprochen, ein Privatmann längere Ausführungen über konkrete Verkehrsprojekte beigetragen, so daß diese erste abendliche Versammlung erst weit nach Mitternacht endete. Mangelndes Interesse kann diese Unterbrechung offenbar kaum verursacht haben. Denkbar wäre eine Pause zur Materialsammlung. Hegemann legte eine Dokumentation der ersten Serie vor, die offensichtlich zum großen Teil auf eingereichte oder überarbeitete Skripte zurückgeht und um Resümees und Briefwechsel ergänzt wurde. Die Dokumentation erschien aber erst zum Mai 1912, um der zweiten Serie von Versammlungen Aufmerksamkeit zu sichern und ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. 5.4.3.3 Eskalation Die zweite Serie von Versammlungen fand Anfang Mai 1912 statt. Gegenüber der ersten Reihe plante der Propaganda-Ausschuß sie als Vortrage- statt als Diskussionsabende. Die Referenten sprachen zu genau bezeichneten Themen. Der Kreis der Aktiven konnte dafür beträchtlich vergrößert werden. Weitere Mitglieder der Kerngruppe wurden dafür gewonnen wie Weisbach und Lehmann; andere Fachleute und Sympathisanten der Gründungsversammlung wie der Physiologe Rene du Bois-Reymond; Aktivisten verwandter Bewegungen wie vom Berliner Waldschutz und erneut Politiker, der Sozialdemokrat Hirsch mit einem Kollegen, die Sozialliberalen Naumann und Bäumer. Damit bestätigte der Ausschuß als Teil der Deeskalation das Prinzip der Expertenstellungnahme. Er verlieh im Gegensatz zur politischen Versammlung dem Ereignis mehr den Charakter einer Bildungsveranstaltung. Auch wurden die Vorträge und Versammlungen nicht mehr monographisch dokumentiert, mithin der Ruch des politischen Pamphlets vermieden 174 . Aber der Zeitpunkt der Wiederaufnahme wurde erneut mit konkretem Bezug gewählt. In der Woche bis zum 12. Mai fand der Internationale Hausbesitzerkongress in Berlin statt, bei dem verschiedene Gruppen dieser Interessenverbände in wechselnden Zusammensetzungen tagten. Zum zweiten sollte am 15. Mai 1912 der neue Oberbürgermeister Berlins gewählt werden, nachdem Martin Kirschner aus Gesundheitsgründen in den Ruhestand trat 175 . Am 30. April war der Reichsschatzsekretär Adolf Wermuth für das 174

Die Versammlungen konnten so nur - unvollständig? - nach den genannten Zeitungen nachgewiesen werden: für den 7. und den 10. Mai, offenbar zwei weitere in Wilmersdorf und Kreuzberg bis Mitte Mai. Am 14. Mai meldete B T 14. Mai 1912, Μ., 1. B. die letzten beiden Versammlungen aus der Reihe von städtbaulichen Diskussionsabenden in der Spichernstraße und am Tempelhofer Berg. 175 Der Amtswechsel fand erst Anfang September statt. Kirschner verstarb bereits am 13. September in seinem Ferienhaus in Tirol. Auch auf ihn also war Hegemanns Spitze gemünzt (S 87), daß man für (Natur-) Schönheit nach Tirol reise. 315

5.4.3.3 Einstimmung

Amt vorgeschlagen worden und wurde im Mai gewählt. Die neuerlichen Versammlungen sollten in diesem Rahmen ebenso der großen Ankündigung der Hausbesitzer Kontra bieten, „auch die Lösung des Wohnungsproblems fördern" zu wollen, wie den künftigen Oberbürgermeister einstimmen176. In seinen Einladungen hatte der Ausschuß die Erwartung ausgesprochen, daß die Vorträge angesichts der Hausbesitzer-Woche besonderes Interesse finden mochten. Sogar die „Vossische Zeitung" bedauerte nun, daß das nicht eintrat. Die übergroßen Lücken in den Sälen ließen vielmehr fast die Vermutung zu, daß das Interesse an diesen Erörterungen seinen Höhepunkt überschritten habe. Das ist vielleicht bedauerlich; es gibt Leute, die dem Propaganda-Ausschuß selbst und seiner Werbemethode die Schuld an dieser Erscheinung beimessen. Inwieweit dieser Vorwurf zutrifft, sei hier nicht untersucht.177 Die Vorträge als Fortschreibung der Mäßigung waren nun auf die Beschreibung positiver Ziele und praktischer Beispiele geschrumpft. Die Heranziehung von Praktikern Rene du Bois-Reymond als Physiologe über kindlichen Bewegungsbedarf, Wetekamp als Gymnasialdirektor über Spielplätze, von konkreten Projekten - Lehmann über dänische Kinderverschickung - und Aktivisten - etwa des Berliner Waldschutzvereins - stellte einen größeren Horizont als den durch den Zweckverband gesteckten Rahmen dar. Die Art des Vortrage wird dem einer Bürgerinitiative ähnlicher, sprach doch jeder Redner über sein ureigenstes Anliegen. Dadurch wurde der ursprüngliche politische Bezug von weiterer Seite aufgelöst, wenn auch die Politiker sich noch mit dem engeren Themenkreis befaßten 178 . Die Hausbesitzer stimmten sich und ihre Zielgruppen ebenfalls ein. Die Begrüßung der Kongreßteilnehmer durch einen Vertreter der Stadtverwaltung bestätigte ihnen sogleich ihren Status als „würdigste Stützen der Städteverwaltung" 179 . Diese Worte Reickes bekräftigen die Einschätzung seiner Gegner, er sei als Sprachrohr der „Hausagrarier" anzusehen180. Die verschiedenen Referenten der Teilveranstaltungen zeigten neben der offensiv vorgetragenen Gewißheit dennoch einige Verunsicherung. Sie machte den Interessenverbänden zu schaffen. Die Dementis der Zahlen des Propaganda-Ausschusses erhielten Unterstützung durch ausländische Referenten, die eine Validität statistischer Vergleiche ablehnten, weil „Wohnsitten" in der Statistik nicht erfaßbar seien. Der Direktor des Statistischen Amtes Berlins bestritt jede Verläßlichkeit der Zahlen für Berlin - ohne seinem Ruf oder dem seines Amtes zu schaden - und behauptete, Uberbelegung 176

Vorwärts, 12. Mai 1912, 5. B. - Wermuth bedurfte dessen wohl weniger; er äußerte sich sogleich zu Defiziten des Verkehrssystems und aktiver Bodenpolitik der Stadtverwaltung. Bauwelt 3 (1912), Nr. 20, S. 15. Die „Bauwelt" bekannte sich allerdings zur „Gänsehaut" beim Gedanken an die Bodenpolitik der Vorgänger. Wermuth führte Gespräche über Eingemeindungen, bis sie von der preußischen Regierung untersagt wurden - eine Bestätigung der anhaltenden Furcht vor einem starken (roten) Berlin. Andreas Splanemann, Adolf Wermuth. In: Ribbe (Hrsg.), Stadtoberhäupter ..., S. 167-183. 177 Vossische Zeitung, 8. Mai 1912, Μ., 1. B. Diese Meldungen sind, im „Berliner Tageblatt" ergänzend geprüft, weitgehend identisch. 178 Siehe die Berichte Vossische Zeitung, 8. Mai, Μ., 1. B.; 12. Mai, 1. B.; 15. Mai 1912, Α., 2. Β. und Vorwärts, 12. Mai, 5. B.; 16. Mai 1912, 3. B. 179 Vorwärts, 12. Mai 1912, 5. B.; ähnlich Bauwelt 3 (1912), Nr. 19, S. 49-51. 180 Vgl. oben den Kommentar Altenraths und GB 48.

316

5.4.3.3 Polemik

sei unmöglich zu vermeiden 181 ; während ein folgender Referent behauptete, die deutsche Wohnungsstatistik liege noch brach und „einige Hunderttausend Berliner" wohnten in überbelegten Räumen: Aber wir wissen nicht, wie viel Hunderttausende es sind. Die damit zugegebene Uberbelegung wurde sofort der Zuständigkeit der Hausbesitzer entzogen, der Abbau als Utopie dargestellt 182 . Diese Auffassung baute der 34. Deutsche Hausbesitzertag am Freitag, dem 10. Mai, weiter aus. Sein Referent verteidigte die mittelständischen Hausbesitzer gegen das Feindbild der „Wucherer" und „Bodenspekulanten" und versicherte ihnen, ein Gewerbe wie andere zu vertreten, das nicht Schuld sei, wenn Mieter „sich teurere Wohnungen nicht leisten könnten" 183 . Die eigenen Feindbilder traten ebenso deutlich hervor. Der Präsident des „Zentralverbands der Deutschen Haus- und Grundbesitzer", der 382 Vereine mit 300.000 Mitgliedern vertrat, Arnold van der Borght, versicherte seinen Zuhörern, sie besäßen ein Drittel des Volks Vermögens, und stellten ein Zwölftel der Bevölkerung. Sie bildeten das „staatserhaltende Element" und die „Kerntruppe gegen die rote Flut" 1 8 4 . Ängste wurden von weiteren Verbandsmitgliedern geschürt: vor Gartenstädten, „wo fertige Häuser für ein Butterbrot" vergeben würden; vor den Terraingesellschaften, denen so viel Boden gehöre, „wie Berlin in hundert Jahren" brauche. Georg Haberland, der für Berliner Bodenspekulation schlechthin stand 185 , schürte seinerseits das Feuer. Er beschwor die Gemeinsamkeit „im Kampf gegen die Faktoren, die gegen das Privateigentum sind" und behauptete, Enteignungsabsichten seien bereits in „allen Maßnahmen der Regierung" zu erkennen. Die Wissenschaftler gehören meist den Kathedersozialisten an und wollen das Privateigentum abschaffen. Sie predigen auf den Kathedern die Lehren der Bodenreformer. Wir haben auch sehen müssen, daß der bodenreformerische Geist seinen Einzug gehalten hat bei den Polizeiverwaltungen und bei den Ministerien [und] ... den gesetzgeberischen Körperschaften ...da sollten wir es uns zweimal überlegen, ob wir der Oeffentlichkeit das Schauspiel der Uneinigkeit vorführen dürfen186. Dieser gelungenen Polemik folgte eine geschlossene Sitzung, in der „interne Angelegen-

181 g 19X2, M., 5. B.: Die für Berlin vorliegenden Zahlen über die Berliner Wohnungsverhältnisse sind nicht sicher genug, als daß man darauf irgendwelche Schlüsse aufbauen könnte. (Lebhaftes Hört, hört!) Es wird nie ganz zu beseitigen sein, daß in einer Großstadt wie Berlin Hunderttausende von Menschen in sogenannten übervölkerten Wohnungen wohnen. Das wird erst dann möglich sein, wenn wir die Armut werden aus der Welt geschafft haben. (Lebhafter Beifall.) 182 Durch sofortige Forderungen nach 'unparteiischer wissenschaftlicher' Statistik seitens Arnold van der Borghts, des Vorsitzenden mehrerer ihrer Vereine, bot man gleichzeitig das Bild engagierter Förderer. 183 Vgl. Bauwelt 3 (1912), Nr. 20, S. 47, kurz: ... sagte den Hausbesitzern viele angenehme Dinge. 184 Vossische Zeitung, 10. Mai 1912, Α., 2. Β. 185 Die Aktion 2 (1912), Sp. 653, betitelte die Veranstaltung überhaupt nur mit „Haberlandtreiben". 186 Er bezieht sich auf die 1911 reichseinheitlich eingeführte Wertzuwachssteuer; siehe dazu Escher, Umland ..., S. 311 ff. - Hier ergibt sich ein anderes Streitpotential, worauf bisher nur Ladd, Urban Planning ..., p. 177 ff. hinwies. Die Hausbesitzer wiesen die gängige Klage, von Stadtverwaltungen unterstützt zu werden, unter Berufung auf Andreas Voigt - die Baukosten seien der wichtige Faktor, nicht die Verwaltungspolitik (Eberstadt) - zurück. Es zeichnet sich an diesem Punkt eine weitere Spaltung ab: die zwischen mittelständischen Besitzern und Großunternehmern.

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5.4.3.3

Plakatverbot

heiten des Verbandes erledigt wurden" 187 . Schon am Vortage war in fest- und weinseliger Atmosphäre den Teilnehmern versichert worden: die Hausbesitzer, die nur Zinsträger ihrer Hypothekengläubiger sind, gehören zum erwerbenden Volke. Reichstag und Landtag haben die Pflicht, die berechtigten Interessen des Haus- und Grundbesitzes wahrzunehmen.188 In derart aufgeladener Stimmung beschlossen also einige Teilnehmer, Maßnahmen gegen das zu diesem Zeitpunkt wieder massenhaft geklebte Plakat des PropagandaAusschusses in die Wege zu leiten 189 . So erwies das Signum seine fatale Macht. Die intervenierenden Hausbesitzer sahen sich als Mittelständler und 'ehrbare Familienväter'. Sie fühlten sich als Verursacher des Kinderelends zu Unrecht angegriffen. Für die Zahlen hielten sie sich nicht verantwortlich, weil sie durch die 'Lohnfrage' wegerklärt werden konnten. Die „Vossische Zeitung" meldete am 12. Mai 1912:190 Das allen Berliner seit einigen Wochen wohlbekannte, sehr realistisch gehaltene Titelbild, der Prospekte des Propaganda-Ausschusses Groß Berlin darf infolge polizeilichen Verbotes nicht mehr an den Berliner Anschlagsäulen erscheinen. Ein Hausbesitzerverein aus dem Osten hatte sich beschwerdeführend an den Berliner Polizeipräsidenten gewandt und Herr v. Jagow hat auf Grund einer Bestimmung vom Jahre 1849 die fernere Plakatierung des Bildes verboten, weil es aufreizend wirke. Wie wir hören, ist gegen dieses Verbot Beschwerde bei der zuständigen Instanz erhoben worden.

Hegemann spezifizierte im zweiten Heft des Ausschusses: ... Der Berliner Konzessionsfirma für Anschlagwesen ist durch einen Polizeihauptmann mitgeteilt worden, der Anschlag des Plakates müsse unterbleiben, weil das Plakat aufreizend wirke. Nach Empfang dieser Nachricht begab ich mich als Geschäftsführer ... auf das Polizeipräsidium und erhielt folgende Auskunft: die Zeichnung des Plakates wirke sehr aufreizend; das Verbot sei aber mehr noch deshalb erfolgt, weil das Polizeipräsidium Zweifel an der Richtigkeit der auf dem Plakate enthaltenen Angaben, betreffend die 600000, hege; so sei es z.B. absolut irreführend, den Begriff „Groß-Berlin" so weit zu fassen, wie der Ausschuß es tue (der Ausschuß faßt ihn so wie das Zweckverbandsgesetz). Also Zensur! Nachdem ich unter Begründung der bezweifelten Angaben um Aufhebung des Verbotes gebeten hatte, wurde die Angelegenheit in entgegenkommender Weise einer neuen Beratung unterzogen, und mir der Bescheid erteilt, das Plakat solle nicht verboten werden, weil es aufreizend wirke oder unwahre Angaben enthalte, sondern weil es gegen den Paragraphen 9 des Gesetzes über die Presse vom 12. Mai 1851 verstoße. 187

Vossische Zeitung, 10. Mai 1912, Α., 2. Β.; B T 11. Mai 1912, M., 4. B. Vossische Zeitung, 9. Mai 1912, M., 3. B. 189 Nach dem Zeitpunkt - Vorwärts, 12. Mai 1912, 5. B. B T 9. Mai 1912, M., 5. B. B T 11. Mai 1912, M., 4. B. Vossische Zeitung, 9. Mai 1912, M., 3. B. Vossische Zeitung, 10. Mai 1912, Α., 2. Β. - besteht große Wahrscheinlichkeit, daß der betreffende Verein sich zuvor auf privatem Wege der Unterstützung seines Anliegens versicherte 190 Vossische Zeitung, 12. Mai 1912, Μ., 1. B. [im Original Hervorhebungen] Der zitierte Text entspricht dem von Hegemann zitierten GB 76. Dieser und ein Bericht des „Vorwärts" (vgl. unten) sind bislang die einzigen Zeitungsmeldungen, die entgegen Hegemanns Angaben zu dem Vorfall nachgewiesen werden konnten. Das „Berliner Tageblatt" liegt für diesen Berichtszeitraum nur in lückenhafter Verfilmung vor und die weitere Lokalpresse erforderte eine eingehende Untersuchung. 188

318

5.4.3.3 Spott

Der entsprechende, nun nach dem ersten Versuch herangezogene Paragraph, teilte Hegemann weiter mit, untersage alle Anschläge, die über Ankündigungen und Werbung hinausgingen und sei bereits in erster Beratung als Verfassungswidrigkeit bezeichnet worden. Die Wiederfreigabe sei fraglich. Er begrüßte es, daß nun klargestellt sei, daß die Hausbesitzerverbände überwiegend konservative, ja leider vielfach sogar reaktionäre Elemente enthielten, während sie vielfach noch der Hort der liberalen Tradition der Märztage zu sein glaubten. Diese Konfrontation werde um so schneller aus allen Parteien die Kräfte zusammenschließen können, die in wirklich sozialem Sinne die Gesundung unseres Staatskörpers anstreben. Während das Verfahren des Präsidiums mit den Windungen der Begründung einer Rechtsbeugung nahe kommt 1 9 1 , zeigt Hegemanns Diktion, daß er sich nicht ausgrenzen lassen und sich weiter als Retter des Vaterlands präsentieren will. Er konterte mit einer gelungenen Sottise. Bei der gleichzeitigen Publikation der zweiten Broschüre des Propaganda-Ausschusses umging er das Kollwitz-Bild. Er wählte ein Gemälde Hans Baluscheks - „Sonntag auf dem Tempelhofer Feld" - als Titelbild, das zu seinem Vortrag paßte. Auf der letzten Seite aber bildete er das Plakat erneut ab, daneben eine Werbung für den Luna-Park, dessen Motiv - ein mondänes tanzendes Paar - er mit dem Titel Gross-Berlin die schönste Stadt der Welt Hurrah! zu einem dritten Plakat (Bild 46) montierte. Jenes erlaube sich der Ausschuß, so der Abbildungstext, nachdem er die Berliner Anschlagsäulen einem eifrigem Studium unterworfen habe, dem Hausbesitzerverein mit der ergebenen Bitte um Genehmigung zu unterbreiten. Für Eingeweihte bezog sich das auf die Verpflichtung Albert Kohns, dem Bund Berliner Grundbesitzer nach dessen Einspruch gegen die Veröffentlichung der Wohnungs-Enquete der Berliner Ortskrankenkasse der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker weitere Veröffentlichungen seinerseits dem Verband zur Genehmigung vorzulegen 192 . Auf diesem Höhepunkt erneuten Interesses brachte Hegemann die zweite Broschüre heraus. Obwohl damit die Debatten verspätet - vom 10. und 15. März des Jahres - veröffentlicht wurden, konnte sein Vortrag über die Entwicklung Berlins noch einmal einen größeren Zusammenhang anbieten. Dennoch handelte er vor allem als kluger Geschäftsmann. Der gesamte Vorgang konnte ihm so nicht unwillkommen sein, wenn auch bei einer Hausdurchsuchung ein Vorrat von Postkarten mit Abbildungen des Kollwitzschen Plakates konfisziert wurde 193 , und damit das gerade sehr gefragte Propagandamaterial verringert war. So urteilte auch Käthe Kollwitz, die sich in Italien aufhielt, sehr realistisch: Es tut mir wirklich leid, daß die Anklage niedergeschlagen ist. Ich hoffte, bei der Rückkehr noch in den ganzen Spektakel zu komen. Nach meinem Plakat reißt man sich jetzt natürlich.194 191

Vgl. dazu Vorwärts, 14. Mai 1912, 3. B. Polizeipräsident von Jagow sei gleichzeitig ,,auf dem Kriegspfade gegen die großen Hüte in den Theaterlogen". Dort unterlag er. 192 Krauss, Ubertreibungen ..., S. 14 f. Kohns Redebeitrag in der Versammlung vom 15. März GB 59-61, s.a. Sachße/Tennstedt, Krankenversicherung ..., S. 292-296. 193 Noack (1926) 16. 194 Käthe Kollwitz an Hans Kollwitz, 29. Mai 1912, Käthe Kollwitz-Archiv. Kollwitz weilte in der Nähe von Florenz; Nachrichten erreichten sie mit Verspätung. Am 23. Mai teilte sie ihrem Sohn lediglich

319

5.4.3.3 Hohn

Tatsächlich zeigt der ironische Kommentar einer sympathisierenden Zeitung 195 , daß das Vorgehen des Polizeipräsidenten keinen weiteren Schrecken bereiten konnte 196 : Die Polizei hat - das Kinderelend verboten! Was?! Verboten hat die Polizei das Kinderelend? Ja, wenn sie das könnte -! Da hätte sie mal eine Gelegenheit, sich nützlich zu machen. Aber leider ist es nur ein Bild des Kinderelends, ein das Kinderelend illustrierendes Säulenplakat, das einem Polizeiverbot zum Opfer gefallen ist. ... Der Polizeipräsident hat wie jetzt bekannt wird, den Hausbesitzern ihren Wunsch bereitwilligst erfüllt und tatsächlich das Plakat verboten. ... Man sieht es, es ist immer wieder dieselbe Geschichte! Das Elend ist da - und den Bestrebungen, von denen eine Eindämmung erwartet wird, widersetzen die sich, deren „Interessen" dabei gefährdet sind. Aber gezeigt soll das Elend nicht werden, mindestens nicht im Bilde, und über Aufreizung wird geschrien, wenn einer diese Dinge unverhüllt so darstellt, wie sie sind. Vielleicht erleben wir nächstens noch, daß auf Wunsch der Hausbesitzer die Polizei verbietet, die elenden Kinder auf die Straße gehen zu lassen, wo ihr Anblick „aufreizend" wirken könnte.

Und Alfred Kerr verfaßte zum 16. Mai in seiner Zeitschrift „Pan" einen zynischen Artikel zum Geschehen. Er beschrieb die „Auferstehung der Polizei", ein stammesgeschichtlicher Entwicklungshöhepunkt zum Schutz vor den Gebildeten und zum Sichern der Gesittung wider rohe Rottengeister197. Er karikierte die Anschuldigungen - Ist der Direktor des Statistischen Amts, Dr. R. Kuczynski, ein Bombenbold? Ist Dr. Werner Hegemann ... ein Verschworener? Trägt Bernhard Dernburg eine Ballonmütze? ... Verläßt der Geheime Regierungsrat Muthesius beim Kaiserhoch den Raum? - und benannte den Stein des Anstosses: Die Bande wirft Unzufriedenheit in die Massen. Was sie reden, ist zwar nicht zu hindern. Es gibt Paragraphen, kaum umgehbare. Aber sie wollen an den Litfaßsäulen hängen, - da läßt sich was tun. Die Karikatur der Polizei zeigte die weitere Anstössigkeit: „Das Plakat ist aufreizend! Wir haben es verboten: weil die Unterschrift nicht wahr ist, daß 600000 Menschen ..." - „'Nicht wahr' - ? Herr Silbergleit zwar leugnet es (indem er nur Fünfhunderttausendsoundsoviel zugibt) - doch ein Statistiker wie Dr. Kuczynski bestätigt die Wahrheit." - „So?" Grübeln. Die Instanz eilt von hinnen. Sie berät sich; kommt zurück. „ Wir verbieten das Plakat, auch wenn die Unterschrift wahr ist." mit, das Plakat sei von Jagow verboten. 195 Vorwärts, 10. Mai 1912, Α., 2. Β. [H.i.T.]. Auffällig ist, daß in Zeitungen das Wort 'Klassenhaß' nicht fällt. Es scheint sich um die Formulierung der Antragsteller zu handeln, der zu folgen das Präsidium sich nicht verstand. - Einen ähnlich sarkastischen Kommentar dokumentiert Kuczynski, Rene Kuczynski ..., S. 39 f. für die „Berliner Volkszeitung" vom 19. Mai 1912; außerdem eine Gegenposition der „Deutschen Tageszeitung", 21. Mai (39 f.) und eine vermittelnde der „Täglichen Rundschau", 22. Mai (40 f.). 196 Keine weiteren Funde in den untersuchten Zeitungen zur Rücknahme des Verbots oder weiterer Kommentare. Die offenen Fragen blieben einer Untersuchung möglichen Niederschlags in Polizei- oder Justizakten vorbehalten. 197 (Setzer! nicht „rote Rottengeister"! sein Sie so gut!) Alfred Kerr, Auferstehung der Polizei. In: Pan 2 (1912), S. 741-745, S. 741, mit der inkrimmierten Abbildung.

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5.4.3.3 Echo

Kerr hob auf die Absurdität des herangezogenen Pressegesetzes von 1849 ab, nach dem die Zahlen-Behauptung nun in Anschlägen verboten sei, in Versammlungen aber nach wie vor aufgestellt werden dürfe: ... Mojen, Mojen.19S Weder das Werk der Kollwitz selbst noch die Verbreitung der Zahlen wurden also in einem ordnungsgemäßen Verfahren verboten. Aber die kombinierte Wirkung beider hatte die Gegner auf den Plan gerufen. Der Verbotsversuch richtete sich gegen die Etikettierung der Stadt durch eine Interessengruppe, bei dem sich eine andere Interessengruppe der ihr zugänglichen Resonanzwege, Personen und Machtmittel bediente, um deren öffentliche Wirkung zu unterdrücken oder zu minimieren, was augenscheinlich nicht wirklich glückte. Am 3. Juni 1912 war offenbar das Plakatierungsverbot immer noch nicht aufgehoben. Der Ausschuß sprach aber in einem Presserundschreiben 199 von einer „angeblichen Verfolgung" Dernburgs und Hegemanns, als sei eine Anklage nicht erhoben oder nicht erfolgreich gewesen 200 . Nachhaltiges Echo erhielt der Vorfall erst durch die spätere Geschichte. Beide Urheber äußerten sich zur Zeit nationalsozialistischer Zensur, Verfolgung und Unterdrückung rückblickend zu dem Vorfall 201 . Dadurch fand er als 'verbotenes Plakat' 2 0 2 Eingang in die Geschichtsschreibung und geistert als deutsche Tradition weiter durch die Literatur 2 0 3 . Umgekehrt sollte eine wohl unterschätzte Nachwirkung darin zu erkennen sein, iss g r vertraute bei Aufrechterhaltung des Verbots auf eine Aufhebung durch ein Gericht, mindestens aber öffentlichen Druck. Kerr, Auferstehung ..., S. 745. Daß auch er keine weiteren Kommentare folgen ließ, deutet ebenfalls darauf hin, daß der Verbotsversuch im Sande verlief. 199 Faksimile [unvollständig] in Kuczynski, Rene Kuczynski ..., nach S. 42. 200 Kuczynski, Rene Kuczynski..., S. 41 f. berichtet, daß man dem Ausschuß eine zweite Plakatfassung unterstellte, die bei Indizierung angeschlagen werden sollte. Der Ausschuß unterrichtete die Presse, daß es nur eine Fassung gebe. Offensichtlich genügen auch die im Nachlaß Robert Kuczynskis überlieferten Materialien nicht einer stringenten Interpretation. 201 Hegemann berichtete 1934 im Katalog zur Ausstellung im Museum of Modern Art: Just before the war the author of this article was prosecuted by the Prussian police because he had covered the bill boards of the German capital with posters reading: "600,000 inhabitants of Greater Berlin live in tenements at the rate of 5 to 13 people per room. 300,000 children have no playgrounds." The persistent placarding of these figures, accompanied by a gripping drawing of two Berlin slum children, was denounced as making for "incitement of class hatred," punishable according to law. The prosecution, however, had to be abandoned because finally the truth of the hotly debated figures could not be denied. The Propaganda connected with the statistics of 600,000 Berliners in badly crowded tenements reached wide sections of the population. It especially found the support of the powerful labor unions. After the war the labor unions, Socialist and Catholic, and the different federal, state and municipal governments supported by these organizations became the real agents of housing reform. Political Economy (1934) 44; wieder Fußnote: These statistics do not count kitchens as rooms to live in. Die weite Verbreitung des Katalogs sicherte also das Bekanntwerden einer Leidensgeschichte. Sie schlägt sich in dem überproportionalen Nachhall der Episode in den amerikanischen Nachrufen nieder. 202

Die bei Timm 698 wiedergegebene, unbelegte Äußerung Käthe Kollwitz' von 1933 ist offenbar eine weitere wichtige Quelle, die der Oeuvrekatalog somit weiter verbreitet: Das Plakat, das mehr Spielplätze für Kinder fordert, entstand im März 1912, es mußte von den Anschlagsäulen wegen 'Aufreizung zum Klassenhaß' entfernt werden. 203 Als Beispiele hier nur Gay, Republik der Außenseiter ..., S. 20: Die Regierung machte Käthe Kollwitz wegen ihrer proletarischen Plakate Schwierigkeiten ... oder auch noch 1993 bei Bernhardt, Anfänge ..., S. 34 nach Hegemann und Kuczynski (1998 nur kurz erwähnt, Bernhardt, Bauplatz .... S.

321

5.4.3.3 Versanden

daß sich Marie-Elisabeth Lüders 1963 an die Genehmigung der Finanzierung der neugegründeten Reichsforschungsstelle für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen von 1925 mit dem Satz erinnerte: Den meisten Abgeordneten standen die berühmten Zeichnungen aus den Elends quartieren von Käthe Kollwitz vor Augen und die allenthalben von den Hauswirten angebrachten Anschläge: „Das Spielen auf den Treppen und im Hofe ist verboten!".204 Die zeitgenössische Einschätzung der beiden Hauptbetroffenen zeigt, daß sie diesen Versuch im Sinne einer Gefährdung ihrer Tätigkeit nicht ernst nahmen. Erst die Interpretation aus der Retrospektive stellt bei beiden durch eine Verbindung mit den Publikationsverboten der Nationalsozialisten eine Stringenz der Intoleranz her, die sie zur Zeit des Geschehens nicht empfanden. Zeitgleich überwog der Eindruck, Zeuge eines absurden Anachronismus zu sein. In der Zwischenzeit geriet das Ereignis folgerichtig in Vergessenheit. Die Herausgabe der Broschüren, in denen die Versammlungen seit der Gründung dokumentiert wurden, erfolgte zur zweiten Versammlungsreihe 205 . Dieser Zeitpunkt legt nahe, daß Hegemann erst durch seinen erweiterten Vortrag über „Die Entwicklung des städtebaulichen Gedankens in Groß-Berlin seit 1848" vor der Gesellschaft für Soziale Reform am 25. April des Jahres auf diese Idee kam oder darin bestärkt wurde. Die Gesellschaft hatte sich explizit der „Aufklärung in Wort und Schrift" in Ortsgruppen, Generalversammlungen, Vorträgen und anderem verschrieben und publizierte dafür in Broschürenform 206 . Das bereits interessierte Publikum las jedoch Artikel der Fachzeitschriften, und eine populäre Fassung zur Überbrückung der Distanz zum größeren Publikum wurde nicht gefunden. Dafür stellten Hegemanns Broschüren, für 75 Pfennige erhältlich, eine erfolgreichere Version. Im Juni und Juli nahmen Zeitungen durchaus noch Bezug auf den Propaganda-Ausschuß, der ... immer nachdrücklicher kämpft und erfolgreich erreicht habe, daß man sich mit der Wohnungsfrage so eingehend beschäftigt wie nie zuvor207. Jedoch wird der Ausschuß zwar als Institution erwähnt, von Aktivitäten ist jedoch nichts mehr zu vernehmen. Zuletzt erschien er mit einer Meldung anläßlich des Todes von Arthur Hobrecht. Sie stellte die von Hegemann gelobte Eingabe Hobrechts von 1872 dar, die 259 f.). Kuczynski, Rene Kuczynski ..., S. 42, selbst spricht nur von einem 'Kampf' um das Plakat; wird aber als Quelle vieler sozialhistorischer Untersuchungen zur Rezeption des 'Verbots' beigetragen haben, darunter: Lutz Niethammer/Franz Brüggemeier, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich? In: ASG 16 (1976), S. 64-134, S. 87, mit weitreichendem Einfluß auf die kunst- und architekturhistorische Rezeption. - Bei Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 105, dann plakativ als „drohendes Gefängnis" hervorgehoben. 204 Marie-Elisabeth Lüders, Fürchte dich nicht! Persönliches und Politisches aus mehr als 80 Jahren 1878-1962, Köln-Opladen 1963, S. 115. 205 Am 2. Mai wurde die erste in Soziale Praxis 21 (1911/12), Sp. 989 f. als neu genannt. Die zweite wurde beispielsweise am 20. Juni in „Der Hilfe" erwähnt. 206 Ratz, Sozialreform ..., S. 66 f. Die Verbreitung war jedoch wenig erfolgreich, da die Wissenschaftlichkeit der Abhandlungen Rezeptionshürden darstellte. 207 Hilfe 18 (1912), S. 472 (Hermann Fernau) und Soziale Praxis 21 (1911/12), Sp. 1180 (Sophie Susmann).

322

5.4.3.3

Nachwirkungen

bereits in Hegemanns Buch ausführlich zitiert worden war, und wurde offenbar nur vom „Städtebau" gedruckt 2 0 8 . Das Interesse hatte offenbar seinen Höhepunkt überschritten, seitens des Publikums, wenn der Zeitungsmeldung über lichte Ränge Glauben zu schenken ist, wie auch der Initiatoren oder mindestens seitens des Urhebers, der vermutlich inzwischen mit weiteren Reisen zum Zwecke seines zweiten Städtebau-Bandes befaßt war. Weder zum verbotenen Plakat noch zu weiteren Versammlungen oder Veröffentlichungen sind weitere Hinweise zu erkennen, so daß nach diesen merklichen Höhepunkten des Zahlenstreits und des Plakatverbots jegliche Tätigkeit verebbte 209 . Nachwirkungen waren jedoch zu spüren. Die Gründung des Vereins für Kleinwohnungsbau, meldete die „Soziale Praxis" zum Jahreswechsel, sei durch die Tätigkeit des Propaganda-Ausschusses entschieden gefördert worden 210 . Der Verein war lediglich eine weitere Mittlerinstanz zwischen Bauvereinen und Versicherungsanstalten. Dennoch ist offensichtlich das Interesse für solche Mediationen und Fördermaßnahmen erheblich gestiegen. Die Bewegungen in der Stadtverordnetenversammlung waren vergleichsweise bedeutender 2 1 1 . Die Unterhaltserhöhungen für den Tiergarten gingen zwar von der Königlichen Staatsregierung aus, doch bemerkte Kirschner schon in der Vorlage vom 5. März, daß beabsichtigt sei, darauf hinzuwirken, daß nun auch im Tiergarten größere Rasenflächen für Kinderspiele eingerichtet werden212. Im nächsten Streit blieben aber die Fronten bestehen: Am 14. März forderte ein Stadtverordneter wegen des Bevölkerungswachstums mehr Spielplätze, der Bürgermeister (nämlich Georg Reicke) lehnte unter Verweis auf zu fällende Bäume ab, der Stadtverordnete behauptete, Kinder spielten auch unter Bäumen. Dennoch erklärte sich am 9. Januar 1913 die Versammlung mit der Anlegung 208

Städtebau 9 (1912), S. 107. Auch Weisbach teilt nichts dazu mit. Kuczynski setzte in einem Artikel vom 29. Mai 1913 einige gezielte Fußnoten, in denen er darauf hinwies, daß die statistischen Maßstäbe des Ausschusses gering waren, nach französischen und englischen Statistiken die Bemessungsgrundlagen wesentlich schärfer hätten sein müssen. Offenbar ließ auch ihm die Anfechtung seiner Berechnungen keine Ruhe. Robert R. Kuczynski, Die Wohnungsnot in Paris. In: Soziale Praxis 22 (1912/13), Sp. 1003-1005. - Es bliebe einer eigenen Untersuchung vorbehalten, Schriften der Mitglieder nachzuweisen und auf weitere Öffentlichkeitsarbeit zu untersuchen. Südekum etwa sprach am 3. April vor der Berliner Gewerkschaftskommission über den Zweckverband; Kommunale Praxis 12 (1912), Sp. 545-549. Er aber war auch in den USA als Vortragender gereist oder reiste dann; Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 183, ohne Zeit- und Quellenangabe. Sein Nachlaß im Bundesarchiv Koblenz konnte jedoch keine Kontakte mit Hegemann belegen. 209

210

Soziale Praxis 22 (1912/13), Sp. 315 und 507 f. Zur verebbenden Tätigkeit vgl. Soziale Praxis 22 (1912/13), Sp. 508 am 13. Januar 1913. 211 Zu den Nachwirkungen gehört offenbar auch, daß die Stadtverordneten sich 1913 schließlich zur Einrichtung eines Wohnungsamtes verstanden, weil sowohl Hausbesitzer als auch Magistrat sich von ihm eine Statistik versprachen, die das Warenzeichen der 600000 entkräften werde; Bernhardt, Anfänge ..., S. 34. (Beachte hier die Verwischung zwischen 600 000 Wohnungen und Bewohnern!) - Eine Akte „Bebauungsplan für Berlin" der Stadtverordneten wird 1916 mit einem Debattenauszug des Gremiums vom 22. Juli geschlossen, in der sich lediglich die Argumente so wiederholen, wie sie im PropagandaAusschuß und seinen Versammlungen gehandelt wurden. LAB Rep. 00-02/1, Nr. 1566. Landesarchiv Berlin, Berlin. 212 Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung Berlin 1912, S. 214 f.

323

5.4.3.4 Amerikanisches

Vorbild

von Spielplätzen auf dem, angekauften Teile des Exerzierplatzes an der Schönhauser Allee nach dem mittels Vorlage des Magistrats vom 20. Dezember 1912 vorgelegten Plane und Kostenanschlage über 200 000 Μ unter Bewilligung dieser Mittel einverstanden213. Dieser zügige Entschluß sowie die Höhe der geplanten Mittel darf durchaus als eine Wirkung der Arbeiten Hegemanns, des Signums und des Auschusses geltend gemacht werden. Weitere Forschung auf Bezirksebene könnte weitere Erfolge zu Tage bringen, wenn, wie überliefert, die Kinderplansche am Weißen See 1912 eingerichtet worden sein soll214. 5.4.3.4 Kategorien Eine kategoriale Bestimmung der Initiative kann die Bedingungen für Erfolg und Mißerfolg weiter aufklären. Eine vergleichende Betrachtung des inspirierenden Boston-1915 movement und des Propaganda-Ausschusses führt bereits weiter. Beides sind Versuche, durch eine selbsternannte Kerngruppe von Bürgern eine größere Gruppe unter einem Schlüsselbegriff mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit für ein konkretes Ziel zu aktivieren. Bereits in der Zusammensetzung der Kerngruppe zeigen sich entscheidende Unterschiede. In Boston gab es eine vorher bestehende Organisation, der die meisten späteren Mitglieder angehörten. Dieser City Club war als Element angelsächsischer Geselligkeitsformen vornehmlich eine gesellschaftliche Assoziation, in der sich Angehörige einer bestimmten Schicht zu festgelegten Formen sozialen Austausche zusammenfanden. Auf der Basis dieser Gruppenzugehörigkeit war die Kompatibilität variierender weiterer gesellschaftlicher Kennzeichen relativ groß, was eine weite Öffnung möglich machte. Das Schloß die Konstruktion eines als einseitig denunzierbaren Nutzens aus und ermöglichte eine bekannte Konstellationen übergreifende Gemeinschaft vom Gewerkschaftsfunktionär bis zum Bischof. Als temporäre Nebenorganisation der vertrauten Gruppen konnte sie auf internen, geübten Diskursformen aufbauen. In Berlin gab es keine vorher bestehende Assoziationsform, auf die zuzugehen Hegemann als sinnvoll erachtet hätte. Die temporäre Assoziation war somit bereits unter der Zielvorgabe ohne Rückhalt. Das bedeutete ein Zusammenbringen von Personen, die sich auf ein Mindestmaß gemeinsamer politischer Interpretationen einigen können mußten. Das Schloß aus, auf Grundlage gesellschaftlichen Verkehrs gemeinsame Ziele zu finden; hatte im Gegenteil dies bereits in der Kerngruppe als Hindernis zu überwinden. Damit war eine sofortige Dissoziation nicht oder zweitrangig eingebundener Personen möglich, weil nicht auf soziale Bindungen, gegründet auf Schichten- und Gruppenzugehörigkeiten, und eingeübte, informelle Diskursmöglichkeiten einer Clearing-Stelle zurückgegriffen werden konnte. Die Selbsternennung erfolgte am einen Ort in diffusem, aber in Teilen funktionsfähigen Rahmen - zu dem die Finanzstärke der Mitglieder und ihrer Organisation in Boston gehörten - , am anderen Ort in einem konkreten, in seinen Teilen jedoch funktionsunfähigem Rahmen. Uber die Zielbildung „In sechs Jahren eine schönere Stadt" 213 Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der der Stadtverordnetenversammlung Berlin 40 (1913), S. 11. 214 Renee Zucker, Berlin ist anderswo. Berlin 1995, S. 54.

324

5.4.3.4

Aktionspotentiale

gelang in Boston eine Legitimation der Bewegung. Sie profitierte dabei von einem vorhandenen politisch-sozialen Klima von Reformismus mit einem allgemeinverbindlichen Gegner „Korruption". Die daraus resultierende halb resignative, halb erwartungsvolle Haltung des Publikums, gewohnt an philanthropische Stiftungen, war zu eingehender Betrachtung und möglicher Teilnahme bereit. Die offene Zielvorgabe erwies sich als unverbindlich. Ihr Grundsatz effizienter Organisation war von niemandem bestreitbar und konsensfähig. Die entscheidende Leistung liegt darin, nach Setzen einer positiven, unverbindlichen Vorgabe diese durch kleine Vorhaben mit vielfachen Teilnahmechancen und hohen Erfolgsaussichten zu füllen, den piecemeal projects, die schon der Planungsbewegung zum Erfolg verhalfen. In Berlin stellte bereits die Zielbildung das Gelingen einer Legitimation in Frage. Das Ziel war unumgänglich an eine dritte Kraft gebunden und Schloß unmittelbare Erfolge von vornherein aus. Die Forderung an die Kommune ließ im bestehenden konservativen Klima nur eine politische Interpretation zu. Sie stand der Akzeptanz bereits entgegen, noch bevor die Frage einer - zudem nur als demokratisch interpretierbaren und kaum konsensfähigen - Legitimation und der Wünschbarkeit des gesetzten Ziels überhaupt berührt waren. Das Ziel war verbindlich und bereits seine Stellvertreter wurden nicht angenommen, obwohl sie in Anpassung an das wilhelminische Deutschland bereits aus einer Sondergruppe ausgewählt worden waren. Das auch in diesem konservativen Klima halb resignative, halb erwartungsvolle Publikum war, mit einer Neuerung konfrontiert, zur Betrachtung, nicht aber zur Teilnahme bereit, die in dieser Anpassung konsequent fehlte. Die mit Anfechtung der Legitimität einhergehende Interpretation als politische Intervention erlaubte dabei die Ablehnung durch Konstruktion der Einseitigkeit und verhinderte eine weite Identifikation. Probleme der Uberführung in eine konsistente Organisationsform mögen ähnlich gewesen sein. Wichtiger waren die Differenzen in der Form der Öffentlichkeitsarbeit: Unverbindliche, emotionale Bindung, positive Selbstbeschau, kleine anschauliche Projekte dort; argumentative Uberzeugungsarbeit, Schriften von relativ hohem Abstraktionsgrad, Beschränkung auf einen Rezeptorenstatus hier. Ein entscheidender Unterschied lag in der Macht, die die Angesprochenen, die öffentliche Meinung dort und hier hatten. In Boston stand mit dem allgemeinen kommunalen Wahlrecht, so beschränkt gültig es zur Zeit der bosses and machines war, sowie mit der Lokalpresse dem Publikum ein wirkungsvolles Mittel zur Verfügung, dem sich der Kandidat für ein städtisches Amt fügte. In Berlin stand dem Publikum nichts Vergleichbares zur Verfügung. In diesem Sinne war der Ausschuß ein bemerkenswerter Versuch, aber in seiner mehrfachen Vermittlung eine Fehlkonstruktion. Durch die Verweisung des Ziels an einen Verband, durch theorielastige Konzeption der Kampagne, durch fehlendes Wahlrecht wurde das Publikum in eine Rezeptionshaltung gebracht, die aktive Unterstützung und vergleichbare Identifikation mit dem Projekt nicht erlaubten. Der Abstraktionsgrad von Zielsetzungen, Argumenten und Vorgehensweisen war unvergleichlich höher, so daß die ergänzende emotionale, durch das Plakat erzeugte Bindung dem nicht standzuhalten vermochte. Die emotionale Ansprache vermochte nicht gruppenübergreifend zu binden, 325

5.4.3.4 Bürgerinitiative

sondern teilte in zwei Lager. Zudem setzte, wo nicht Empathie überwog, ein Dopplereffekt ein, weil die Emotionen als Angstverstärker wirkten. Die Auffassungen von unliebsamer, usurpierter Intervention und Mitspracherechten schaukelten sich auf, ohne zum Kern politischer Zielbildung überhaupt vorzudringen. Die Aktionsform beweist sich als eine, die ohne vorgeübten Diskurs und ohne mögliche Machtwechsel nicht genügen kann 215 . Aus dieser Dimension geht die Kategorisierung der Kampagne als eines Vorläufers der Bürgerinitiative hervor 216 . Bei der Zusammenstellung der Kerngruppe hatte Hegemann auf die bekannte Konstellation des Expertengremiums verzichtet. In der Formation des Architekten-Ausschusses gab es dieses Gremium schon, von der Kommunalverwaltung anerkannt und ohne Einfluß. Ein zweites dieser Art wäre als Konkurrenz und Vorformation des vehement geforderten Sachverständigenbeirats angesehen und auf Beschaffung eigener Arbeitsplätze verdächtigt worden. Das unerhörte Verhallen jener Forderungen war jedoch Ursache für Hegemann, es zu einem vermeintlich „gesamtrepräsentativen" Gremium zu steigern. Die temporäre Organisation einer Kerngruppe von Bürgern, die per öffentlicher Aufklärung über Leerstellen, Mißstände und Fehlentwicklungen der gesellschaftlichen Entwicklung Verwaltungshandeln beeinflussen wollen, entspricht grundlegend der Definition einer Bürgerinitiative. Als Reaktion auf Unterlassung der öffentlichen Hand, sozialpolitische Fehlentwicklung und strukturelle Mängel des politischen Systems 217 verfügte der Ausschuß über deren typische Entstehungsmerkmale. Das Problemfeld entspricht dem klassischen der später zahlreich auftretenden Initiativen, dem Reproduktionsbereich, in dem sich eine Vielzahl dem Sektor Wohnen und Planung widmete. Zum Formationsanlaß wird eine Betroffenheit, die als konkrete physische oder psychische Erfahrung erlebt wird. Dabei agieren als Kerngruppe außerhalb der politischen Entscheidungsprozesse stehende, aber dennoch häufig nicht unmittelbar betroffene, sondern sozial engagierte Bürger, die eine Betroffenheit dritter erkennen. Gemäß der soziologischen Uberrepräsentation der Schichten, die in bestehenden Entscheidungsfindungen ohnehin stark berücksichtigt werden, agieren sie als Krisenmelder, wenn das eigene Wohlergehen nicht genügend Garantie für eine funktionierende Gesellschaft bietet 2 1 8 . Sie suchen das Allgemeinwohl neu zu definieren, da die individuell empfundene Verletzung auch als Verletzung dessen verstanden wird. Strukturell resultieren daraus die 215

Der Versuch zog weitere nach sich, die bezeichnenderweise ebenfalls in diesem Kontext standen. Alexander Dominicus gründete 1917 einen „Bürgerausschuß Groß-Berlin", der sich für eine Reform des Zweckverbands einsetzte. Widerpart wurde eine die Unabhängigkeit der reichen Vorstädte vertretende „Berliner Vorortgemeinschaft" 1918. Erbe, Berlin im Kaiserreich ..., S. 751. Diese Vorübungen zur Demokratie bedürften einer eigenen historischen Aufarbeitung. 216 Siehe dazu Klaus Remmele, Bürgerinitiativen in der repräsentativen Demokratie. Stuttgart 1978 und Bernd Guggenberger/Udo Kempf (Hrsg.), Bürgerinitiativen und repräsentatives System. Opladen 1978. Die Forschung setzt mit den Kampagnen der 60er Jahre ein; eine historische Bearbeitung fehlt offenbar noch ganz. 217 Südekum: der Ausschuß sei zu Aufgaben gebildet worden, die ihrer Natur nach nicht von einer der bestehenden Organisationen gelöst werden können. GB 41. 218 Remmele, Bürgerinitiativen ..., S. 54.

326

5.4.3.4

Inklusivinteressen

Vorwürfe, Partikularinteressen gegen das Gemeinwesen zu vertreten, gegen die die Initiatoren ihre als Inklusivinteressen und Teil des Gemeinwohls behaupten müssen. Sie fußen auf der Gleichberechtigung des eigenen Interesses mit anderen und gehen mit einem Alternativvorhaben einher. Mit ihrer Forderung nach Partizipation und Berücksichtigung verstehen sich die Bürgerinitiativen als Korrektiv zu dem adressierten Gegner und anderen Verbänden. Die typische Aktionsform ist die öffentliche Versammlung. Neben der Sammlung sympathisierender Anhänger gilt sie vor allem der Aufklärung und Beeinflussung der öffentlichen Meinung, die als Ubertragungsmedium gilt. Statt theoretischer Distanz und abstrakter Einsicht in Defizite des Gemeinwesens werden praktische Formen gesucht, die per Parolen, Flug- und Informationsschriften das Anliegen weitertragen 219 . Der gesuchte direkte Zugang zu Entscheidungsträgern und soziopolitischer Druck per Meinung und Medien tragen dazu bei. Die Verbreiterung der Zugänge zu Willens- und Meinungsbildung mit größerer Durchlässigkeit und Teilintegrationen gelten als Erfolge, während die Debatte um die Legalität dieser Opposition' noch immer anhält, nun zentriert um die Frage der Legitimität des Mehrheitsprinzips als stets verbindlicher Entscheidungsregel. Hegemann als Initiator gehörte zu den sozial engagierten Bürgern, der seine Spezialkenntnisse zum Anlaß nahm, Kompetenzdefizite der Verwaltung zu definieren. Sein persönliches Sendungsbewußtsein, bestärkt vom amerikanischen Vorbild, beeinflußte eine unbefangene Methodenwahl. Begriffsprägung und Signum gehören damit zu innovativen Leistungen und bemerkenswerten Vorläufern. Der typische Verzicht auf formale Organisation 220 und beschränkte Dauer der Initiative machen auch aus den Veröffentlichungen als Versuch einer Reihenschrift eine besondere Leistung. Die Betroffenheit der Kerngruppe wird hier nur stellvertretend angenommen, subversive bzw. usurpatorische Besetzung der Bedarfsbehauptung geschieht aus sympathetischen Gründen und stellt eine offensichtliche Legitimation zugunsten des Gemeinwohls her. Die Erfahrung einer Bedrohung, die von demographischem Wandel und Hochindustrialisierung, vom Mythos der roten Großstadt ausgeht, ist lediglich eine indirekte und bestärkt allenfalls das Anliegen. Anlaß werden vielmehr Strukturen des Wandels öffentlicher Aufgaben, die Ausweitung der Daseinsvorsorge, der Machtzuwachs der Verwaltung bei anhaltender Machtlosigkeit der Bürger 2 2 1 . Als Partizipationsanspruch treten hier Definitionsansprüche zu Tage, die ein Mitspracherecht an den Zielen der Verwaltung und ihres neuen Organs, damit entgegen der praktischen Deeskalationsversuche letzlich doch ein politisch gefaßtes Mitbestimmungsrecht der Verwalteten reklamieren 222 . Als solches war dieses, im Blick auf die späteren 219 In der Expansion der 60er Jahre haben sich daraus weitere Formen wie Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Flugblätter, dann körperliche Interventionsformen wie Sit-ins, Boykotte und Blockaden entwickelt, die 1912 noch undenkbar sind. 220 Hegemann hatte eine dauerhafte Einrichtung in einer Zwitterform zwischen Interessenvertretung und Informationsbüro als „Zentralstelle für Städtebau" erwogen, zu der es nicht kam. 221 Remmele, Bürgerinitiativen ..., S. 9-16. Diese Strukturmerkmale sind ebenfalls vom politischen System unabhängige Faktoren. 222 Siehe Peter John, Bedingungen und Grenzen politischer Partiziption in der Bundesrepublik

327

5.4.3.4 Vorform

Bürgerinitiativen, deren Erfolge um so größer, desto enger und genauer ihre Ziele gefaßt waren, ein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen. Es zeichnet sich dennoch durch eine erstmals erprobte Form aus. Es wurde kein Alternativplan angeboten, aber von der adressierten staatlichen Institution ein Hoheitsrecht verlangt, über das sie nicht verfügte. Jedoch eine Verbreiterung der Meinungsbildung ist ansatzweise gelungen, indem mit neuen Mitteln ein betreffendes Tagesgespräch und Medienpräsenz etabliert werden konnte. Dennoch wurde die Initative zwischen bekräftigender Verteidigung ihrer Anliegen und prinzipieller Leugnung ihrer Legitimität seitens der Institutionenvertreter aufgerieben, die sowohl die Mißstände wie ihre potentielle Behebung meinte 223 - dem in den Definitionen nicht berücksichtigten strukturellen Kennzeichen der Auseinandersetzung. Die Bürgerinitiative ist somit nicht an das System der repräsentativen Demokratie gebunden, als dessen Ergänzung sie in der Forschung gilt. Sie kann als Forderung 'demokratischerer' Teilhabe auch früher auftreten und begrenzt ihre Ziele entsprechend. Der Ausschuß verlangte Korrektive zum Verwaltungshandeln, keine Partizipation in den Funktionen der Verwaltung, sondern eine angemessen 'sachgerechte' und damit gerechte Ausführung und sah sich erst dadurch und indirekt schließlich als Korrektiv zu den politischen Parteien, die die Verwaltung dominierten. Handlungsbedarf erwuchs aus dem „schwer erkennbaren demographischen Wandel von vorläufig ungewisser innovatorischer Kraft" 224 . Er bedurfte einer Kanalisierung, die sich in 'Erfindung' und 'Behandlung' der Adoleszenz im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts ausdrückte. Auffällig ist, daß diese Reaktion mit ihrer Herausstellung der Kinder und deren Bewegungsbedarf gerade in Berlin mit einer Verzögerung von über zehn Jahren erfolgte. Die Stadt Berlin alterte seit 1900 und lag seit 1905 im Altersdurchschnitt unterhalb dem des Reichs, dem Trend der „kumulativen Großstadtverjüngung" zuwiderlaufend 225 . Die Interpretation des Handlungsbedarfs durch die hier betrachtete Initiative ist nicht Reaktion auf reale Umstände, sondern auf ein theoretisches Exemplar Großstadt. Darin wird jedoch gerade demographischer Wandel als Verjüngung wahrgenommen und einem Handlungsmuster unterworfen 226 . Während Jugend zwecks Einübung in das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zuvor in klassischen Kategorien von Bewertung und Erziehung behandelt wurde, setzte um 1890 Deutschland am Beispiel der Bürgerinitiativen. Eine historisch-deskriptive Analyse, München 1979, S. 7-15, für eine knappe Verankerung in klassischen Demokratiemodellen. Auch John befaßt sich mit der modernen Theorie und setzt politisch-gesellschaftlichen Strukturwandel als Voraussetzung des Phänomens mit 1918 an. Siehe außerdem zu einer Kritik der modernen Theorien Karlheinz Kress/Klaus Günter Nikolai, Bürgerinitiativen. Zum Verhältnis von Betroffenheit und politischer Beteiligung der Bürger, Bonn 1985. 223 So Hermann Muthesius: Wann immer an ein Gebiet die reformierende Hand gelegt wurde, haben die privilegierten Vertreter behauptet, alles sei in bester Ordnung. GB 25. 224 Klaus Tenfelde, Großstadtjugend in Deutschland vor 1914. Eine historisch-demographische Annäherung, in: VSWG 69 (1982), S. 182-218, S. 212 f. 225 Tenfelde, Großstadtjugend ..., S. 185 und 203 f. 226 Diese Feststellung kann den von Tenfelde geforderten Bezug der Urbanisierungsforschung auf unmittelbare Wirkungen der kumulativen Verjüngung nur unterstützen.

328

5.4.3.4 Demographischer

Wandel

ein Wahrnehmungsbruch ein. Er prägte in Deutschland abweichende Wahrnehmungen, Glorifizierung einerseits und Bedrohungspotential andererseits. Beschäftigungsvereine mit bürgerlicher Wertorientierung, meist konfessionell oder berufsständisch, betrachteten die aufkommenden politischen Jugendverbände und staatlichen Aktivitäten mit Skepsis. Deren Erziehungsziele Körperertüchtigung und Vaterlandsliebe bilden Mosaiksteine eines anderen Gesamtbildes von Jugend, des Patriotismus, Heldenmuts und Opfersinns, wie sie die Volks- und Jugendspiele seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf ein nationalstaatliches Programm verengt hatten 2 2 7 . 19 1 3 konnte sogar die Forderung nach Anlage von Kleinkinderspielplätzen mit Sandkästen und mit Ruhebänken für die Mütter mit der in den großen Städten geringeren Militärtauglichkeit der Bewohner in Verbindung gebracht228 werden, die das Novum der Berliner Debatte zu erkennen gibt. Dieses Argument wird zur Verschiebung der Partikularförderung zu Inklusivinteressen benutzt. Es beweist, daß die Wahrnehmung von Kindern und Jugend als „Rekruten" für Arbeits- und Wehrkraft integrativer Teil gesamtgesellschaftlicher Wahrnehmung ist 2 2 9 . Auch den Kontrahenten um den Propaganda-Ausschuß ist diese Wahrnehmung von Jugend als „Manövriermasse" gemein. Das Signum entzündete die Konzentration auf „Kinder" und beförderte den Stellvertretercharakter der Debatte, die Sozialförderung durch Wohnungsbau und anderer Planmaßnahmen gelten sollte. Es gab darin kein Eigenrecht der verhandelten gesellschaftlichen Gruppe, wie es ein gleichzeitiges amerikanisches Beispiel zeigt. In der Planung für die Industriestadt Reading in Pennsylvania waren 1909 Kinder zu ihren Wünschen nach Spielplätzen befragt und die Antworten in einer Tageszeitung abgedruckt worden 230 . Hegemann steht dem als einziger nahe. Indem er auf seinen Fotos die Kinder in den Mittelpunkt stellte, - die eigene Tochter (Bild 9) wird sechs, lebt aber bei der Mutter in München - , näherte er sich einer Wahrnehmung von Kindern als Akteuren. Die kontroversen statistischen Aufrechnungen über Spielplatzbenutzung an zwei Nachmittagen, in Schichten, unter Anleitung etc. dagegen folgten dem dominierenden Trainingsaspekt. Die gemeinsame Perzeption geht auf die Gleichsetzung des Volkswohls mit dem Staatswohl zurück, das die Beteiligten als Bürgerliche in der wilhelminischen Gesellschaft teilen. Differenzen in der Apperzeption resultieren aus der Strittigkeit eines Volkswohls und seiner Förderung, die eine politische Auseinandersetzung sein sollte. Sie wurde von den Kontrahenten dieser Kampagne aber nicht geführt, sondern auf der vorpolitischen Ebene des Erhalts gehalten. Darin äußert sich Politikferne gleichermaßen für beide Seiten. In dieser Konfrontation standen sich damit „Wohlstandstheoretiker" und „Anti-Indu227 Jürgen Reulecke, Bürgerliche Sozialreformer und Arbeiterjugend im Kaiserreich. In: ASG 22 (1982), S. 299-329, S. 312-326, S. 325 f. 228 Reuleckes Quelle ist der Bericht über den 14. Kongreß für Volks- und Jugendspiele in der Zeitschrift „Der Arbeiterfreund". 229 Sie ist auch Teil der Selbstwahrnehmung, denn aus ihr entstehen sowohl die Schwüre aim Hohen Meißner 1913 wie die freiwilligen Meldungen 1914, vgl. Reulecke, Arbeiterjugend ..., S. 327. 230 John Nolen konnte in seinen Empfehlungen the right of a child to its childhood schlicht als Argument setzen. Nolen, Replanning Reading ..., p. 61, p. 56-58, 96-101.

329

5.4.3.4

Handlungsmuster

striestaatstheoretiker" 231 gegenüber. Das Signum des Ausschusses wirkte dabei polarisierend. Es realisierte ein virtuelles Bild von Berlin, vom Industriestaat, das in Entwürfen und Ängsten Berlin als pars pro toto für ein industrialisiertes Deutschland nahm 232 . Diese Deutungsmuster waren früh bereitgestellt und umfaßten sowohl positive wie negative komplexe Bündel 233 . Das Signum des Ausschusses verkörperte die negativen Urteile über Demographie und Makel, politische Gefahren, Wertewandel, Zentralisierung und Ästhetik und die damit verbundenen Ängste. Es erwies sich als mächtiger als vorgesehen - statt eines Anreizes zur Tat wurde es zu einer Lähmung. Die Kampagne erweist sich in diesem Bezugsrahmen als ein Modernisierungsversuch, der die Grenzen der Reformbereitschaft, die er auslotet und zu verändern sucht, wider Willen verengt. Kampagne wie Signum können als Paradigma im Prozeß der Zeitdiagnose und Sinnstiftung gefaßt werden, bei dem von Gruppen Sichtweisen der Großstadt Berlin für ihre Ziele aktiviert wurden, und damit als Teil der Geschichte von Integrationsdevisen und Produktion nationaler Identität 2 3 4 . Der Propaganda-Ausschuß und seine Geschichte sind daher um eine Betrachtung als Gelehrtenpolitik zu ergänzen 235 . Das Konzept Gelehrtenpolitik bestimmt verfügbare und beanspruchte Handlungsmuster und Bewußtseinshorizonte der Bildungsbürger als Teile politischer und gesellschaftlicher Gesinnungsgemeinschaften 236 . Aus der Selbstdarstellung der Wissenschaft mit dem Beruf als Erzieherin der öffentlichen Meinung, der Universitäten als Gewissen der Nation und der Akademiker als natürliche Volksvertretung leitet sich ein „Wächteramt" ab, das seine gesellschaftsbildende politischkulturelle Funktion als Herstellung sinnstiftender Zusammenhänge im vor-politischen Raum sah 237 . Bildungsideologische Grundmuster hatten im Werkbund-Konzept diese 231

Formulierung von 1912; Tenfelde, Großstadtjugend ..., S. 183. Von Stremmel, Berlin-Aspekte ..., S. 79-125, bes. 123 ff. wurde eine mehrheitlich negative Sicht erschlossen, die selbst bei Subprozessen der Moderne aufgeschlossenen Gruppierungen oft noch ein erkennbares Bedürfnis nach vor- oder semi-modernen Daseinsformen aufwies. Die Bereitschaft, den Preis für die Vorteile, die das urbane Berlin bot, zu zahlen, war gering. 233 An positiven Komplexen standen potente Stadt, legitimierte Hauptstadt, echtes Berlinertum, Vorreiter des Fortschritts, Pionier der Völkerverständigung zur Verfügung. Vgl. die Beiträge Gerhard Brunn, Einleitung: Zum Bild Berlins im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. S. 1-11; Michael Erbe, Mentalitätsgeschichte: Zur Erforschung des Einwirkens von Erfahrungsmustern auf die Wirklichkeit. S. 13-27; Andrew Lees, Berlin in der Vorstellungswelt der Deutschen: Eine Fallstudie zu der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Großstadt. S. 45-69, bes. 51-63; alle in: Brunn/Reulecke (Hrsg.), Berlin Blicke ..., zum zeitgenössischen Kanon. 234 Stremmel, Berlin-Aspekte ..., S. 119. Die Rede Naumanns für den Propaganda-Ausschuß ist als Klage und Beschwörung Berlins geeignetes Beispiel und wurde im Forschungsprojekt „Metropolis Berlin" auch Quelle; Reulecke, Berlinbild ..., S. 262. 235 Siehe dazu Gelehrtenpolitik und politische Kultur in Deutschland 1830-1930. Referate und Diskussionsbeiträge, hrsg. von Gustav Schmidt und Jörn Rüsen, Bochum 1986. Die Untersuchung nach Fachgruppen, insbesondere Geschichte und Nationalökonomie als „politische Leitdisziplinen", macht eine Übertragung notwendig, die hier nur vorläufig geschehen kann. 236 Gustav Schmidt, Gelehrtenpolitik und politische Kultur in Deutschland - zur Einführung. In: Gelehrtenpolitik, S. 5-35, S. 7-11. 237 Schmidt, Gelehrtenpolitik ..., S. 16 f. Siehe zur Entwicklung: Rüdiger Vom Bruch, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland (1890-1914) (Hi232

330

5.4.3.4

Gelehrtenpolitik

bereits zu unmittelbarer Wirkung gesteigert und intuitiv zusammengefaßt. In dessen Wirkungsidee waren sie zu gelehrtem, aber nicht kritisch reflektierten Uberbau zusammengezogen, der das gemeinsame mandarinische Selbstverständnis darbietet. Politische Kultur, ständische Vergesellschaftung wie sozialmoralisches Milieu bieten den Bezugsrahmen des verfestigten Bildungswissens, dessen normative Orientierungsinstanzen eine Deutungskultur prägen 238 . Darin wird Gelehrtenpolitik vom nationalpädagogischen Anspruch universaler Wahrheit, ohne materielle Sonderinteressen und verankert in Vernunft als Medium legitimiert, ferner als unabhängig in Distanz zu Partikularinteressen, und schließlich durch Geistesverwandtschaft mit Staatsbeamten, vertieft durch die Macht-Kultur Synthese des späten Kaiserreichs 239 . Die Interpretationen des Propaganda-Ausschusses rekurrieren auf die Punktionen der Gelehrten als Vertreter der Wertwissenschaften, des Volkswohls zu dem gesetzten Gegenüber konstitutionell-politischer Herrschaft. Sie agieren für eine zum Ausgleich fähige, allen Gruppen gerecht werdende Fortentwicklung der Gesellschaft, für elastische Angleichung des Systems gegen revolutionäre Erschütterungen, für eine Integration der Arbeiter durch Erziehungsprozesse, für Erneuerung der Herrschaft durch äußeren Druck, mittels der Vorstellung, über 'richtige' politische Vorgaben analog wissenschaftlicher Erkenntnis zu verfügen 240 . Formell blieb der Ausschuß im Rahmen dieses Handlungsmusters von Gelehrtenpolitik. Weisbach schrieb einen wissenschaftlichen Artikel in den „Preußischen Jahrbüchern", Südekum dagegen publizierte kein Wort über den Ausschuß in der von ihm herausgegebenen „Kommunalen Praxis", verhielt sich also maximal sachbezogen 241 . Diese Publikationsprinzipien sind auf die Kommunikationsmedien des bildungsbürgerlichen Publikums bezogen. Auch die als Dokumentation gestalteten Broschüren bestätigen, daß gelehrtenpolitische Deutungskultur der individuellen Publizistik vorbehalten blieb 242 . In Tageszeitungen, derer Hegemann sich bediente und die als Medien mentaler Grupstorische Studien 435), Husum 1980, hier S. 200-205; und Vom Bruch, Gelehrtenpolitik und politische Kultur im Späten Kaiserreich. In: Gelehrtenpolitik ..., S. 77-106. 238 pfjj. Hegemann wäre die Kontraktion auf eine ethisch-moralische Grundhaltung, die von Schmoller von der technischen zur politischen Ökonomie als Weg zur politischen Absicht vorgegeben, den „Städtebau" bereits unsystematisch durchzogen hatte, zu einer Einbindung in den politischen Handlungsraum erneut von Belang. Siehe Harald Winkel, Nationalökonomie und Gelehrtenpolitik im ausgehenden 19. Jahrhundert. In: Gelehrtenpolitik ..., S. 107-132, S. 113. Zur Differenzierung von „ethischer" und „gouvernementaler" Gelehrtenpolitik siehe Vom Bruch, Wissenschaft ..., S. 320 ff. 239 Vom Bruch, Gelehrtenpolitik ..., S. 78 und 81; s.a. Vom Bruch, Kulturstaat ..., S. 63 ff. 240 Vom Bruch, Wissenschaft ..., S. 415 f. 241 Die sachbezogene Neutralität ist konstituierender Teil jenes „Burgfriedens" - Reulecke, Urbanisierung ..., S. 129 (Alfred Grotjahn) - , der den von Sheehan postulierten „Abgrund" zugunsten paradigmatischer Entwicklungen im Leistungsausbau der Kommunen zu überwinden vermag. Er wirkt auch hemmend, weil er die Illusion der überparteilichen, gesamtbürgerlichen Vertretung nährt und die Uberführung in eine politische Meinungsbildung verhindert. 242 Vom Bruch, Gelehrtenpolitik ..., S. 93 und 83 f. Siehe dazu auch Krüger, Nationalökonomie .... S. 115, der auf den Übergang vom „kulturräsonnierenden zum -konsumierenden Publikum" (Habermas) verweist. Hier aber orientiert sich die Präsentation immer noch nicht am Interessenten, sondern am aufgeklärten Bürger.

331

5.4.3.4 Grenzen

penbestätigung als die Wirkungsebene der Gelehrtenpolitik schlechthin galten, blieb die Präsenz Gelehrter zum Thema des Ausschusses gering. Aus diesem Blickwinkel können die Veröffentlichungsstrategien Hegemanns als Reaktion und in Signum und dessen Verwendung als Anpassung an neue Bedingungen des politischen Massenmarktes innerhalb des Handlungsmusters beurteilt werden243. Die soziologische und personale Kohärenz von 'Gelehrten' und Führungseliten wurde hier ohne Erfolg beansprucht. Die Beteiligung von Trägern öffentlicher Ämter erhöhte nicht die Resonanzchancen bei angesprochenen Führungseliten, sondern setzte sie wegen der inhaltlichen Ausformung herab. Für einen Erfolg fehlte die unabdingbare personale Kommunikation per geselliger und individueller Verbindungen, die politisch aktualisierbar, zur diskursiven (Vor-) Klärung politischer Fragen genutzt wurde244, wie schon der Vergleich mit dem amerikanischen Vorbild gezeigt hatte. Nach Beginn der Erörterung sozialer und rechtlicher Folgekosten der Industriegesellschaft zwecks Reform von oben weitete diese Initiative die Themen der Sozialpolitik auf neue soziale Gruppen aus, hier die Mieter und Wohnungssuchenden in der Großstadt. Die öffentliche Meinung zu sensibilisieren und mit wissenschaftlichen Lösungen zu beeinflußen, bezog sich hier mit der Stadtplanung auf ein Fachkonzept, das selbst als solches noch nicht wissenschaftlich etabliert war und noch keine universitären Fachgelehrten hervorgebracht hatte. Dem Prinzip der Politikberatung, gegenüber einer konkreten Institution massiv angemeldet, fehlte hier der gelehrte Hintergrund 245 . Die offene, neue Form zwischen Verein, Fortbildung und Debattenzirkel brachte kein Forum für Gelehrtenpolitik bervor. Nicht nur die Diversifikation innerhalb der bildungsbürgerlichen Deutungskultur, die politisch-gesellschaftliche Durchsetzung nur bei homogenem Kontaktfeld zuließ, das in Denkmustern, Wertvorstellungen, Bildung und institutionalisierten Begegnungen wie auch Publizistik vorhanden sein mußte, sondern auch die Variation im Ansatz ergab hier nur 'politisierende Professoren'246. Aber die Initiative war Teil einer für 1910-12 erkennbaren Aufbruchstimmung. Sie wurde in verstärkter publizistischer Behandlung von politischer Bildung, von staatsbürgerlicher Erziehung, Kultur und Wahlrecht greifbar, zugleich verbunden mit der Sorge um einen angemessenen Platz der Gebildeten in der deutschen Politik247. Hegemann sah sich möglicherweise durch einen Eindruck bestärkt, wie ihn Weber im November 1912 „das außer Modekommen der sozialpolitischen Stimmung in Deutsch243

Schmidt, Gelehrtenpolitik ..., S. 13. Vom Bruch, Gelehrtenpolitik ..., S. 83. 245 Eine wahrscheinlich aussichtsreichere Bildung war der von der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst, Gruppe Brandenburg initiierte Parkausschuß zur Beratung des Zweckverbands (drei Gartenarchitekten, zwei Gartendirektoren und der Hofgartendirektor des Kaisers). Diese Gruppe, nach Hierarchien der Berufspolitik mit Proklamationsrecht des Deutungsmonopols, würde bei Verzicht auf weitere Öffentlichkeitsarbeit zwar die avisierte Infiltration nicht leisten können, hätte aber gute Aussichten für (unverbindliche) Beratung ähnlich wie der Architekten-Ausschuß von der Kommune alimentiert zu werden. Bauwelt 3 (1912), S. 13. 246 Vom Bruch, Gelehrtenpolitik ..., S. 100-106; Vom Bruch, Wissenschaft, ..., S. 414-423. 247 Vom Bruch, Wissenschaft ..., S. 190 f. 244

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5.4.3.4 Chancen

land" nannte 248 . Eine Skizze der Situation, Analogon zum späteren Credo Hegemanns, kennzeichnet die Entwicklung zu diesem Zeitpunkt als besonders virulent: Neue wirtschaftliche Herrschaftsverhältnisse und die wachsende Beeinflussung des Staates durch mächtige Sonderinteressen führten zu kontinuierlicher Verschlechterung für die breite Masse. Teuerung, Beschneidung der Selbsthilfe, Bestrebungen zur Einengung der persönlichen Freiheit bei unzureichender Politik hemmten „den gesunden, vorwärtsstrebenden Arbeiter in der Zeit, da er arbeitsfähig ist, in der freien Verbesserung seiner Lage". Die Entfremdung der Massen vom Staat bedürfe des „Zusammenwirkens von Männern, um die öffentliche Meinung aufzurütteln" 249 . Der „resignative Grundzug" liberaler Sozialreformer ob „übermächtiger Syndizierungs, Verstaatlichungs- und Kommunalisierungstendenzen" 250 hätte Hegemann gerade zu einer entgegengesetzten Reaktion veranlaßt. Zur Ergänzung einer einseitig am Produktionsbereich orientierten und mit Regelkomplexen zum Arbeitsverhältnis befaßten Sozialreformerschaft der Nationalökonomie versuchte er eine aktive Übertragung und Ausweitung in sein Fachgebiet, zumal in den Kommunalisierungstendenzen und im fortschreitenden Leistungsausbau die Aufgabe der Stadtplanung als Zuständigkeit zu verankern günstig schien. Dafür ist gegenüber dem historischen Konstrukt „Gelehrtenpolitik" als vergleichbares Modell erneut die Gesellschaft für Soziale Reform zu veranschlagen. Trug die GfSR mit ihrer Arbeit zu der Uberführung der traditionellen Bereiche Sozialversicherung und Arbeiterschutz zum Ansatz einer kollektiven Ordnung der Arbeitsverhältnisse bei, sollte der Propaganda-Ausschuß und später die Zentralstelle für den Bereich des Wohnungswesen zum Ansatz einer korporativen Ordnung in behördlichen Planungskompetenzen beitragen. Die GfSR gilt als Zusammenfassung von Gesinnungsfreunden im Vorfeld des politischen Entscheidungsraumes251, womit sie sich von den an Sozialmilieus gebundenen Vereinen, von Parteien und auch wissenschaftlichen Gruppierungen wie dem Verein für Socialpolitik unterscheidet. Ersteres trifft auch für den Ausschuß zu. Seine Sozialmilieus überschritt er aber nur bedingt. Er ähnelte so den Arbeitsgruppen der GfSR, die zeitlich und sachlich begrenzt, sich auf konkrete Ziele fixierten, die eine Bindung verschiedener Teilnehmer ermöglichten. Diese „temporären Aktionsgemeinschaften" (Ratz) nutzten dem Kennenlernen, Abbauen der Vorurteile und der Verständigung der Teilnehmer. Ohne demokratisches Leitungsmodell noch Gruppenbindung noch Wachstum stellten sie zwar eine Weiterbildung der im wilhelminischen Deutschland bekannten Kooperationsmodelle dar, die Möglichkeiten und Grenzen bürgerlich-sozialdemokratischer Kooperation signalisieren252, waren aber kein richtungsweisendes Modell. Neben Ko248 Mommsen, Weber ..., S. 127 ff. über die geplante sozialpolitische Initative, seheiterte an Uneinigkeit in der Freihandelsfrage; s.a. Sheehan, Brentano ..., S. 174 ff. und Vom Bruch, Bürgerliche Sozialreform ..., S. 123 ff. 249 Theiner, Sozialliberalismus ..., S. 205 f., Theodor Vogelstein an Friedrich Naumann. 250 Aldenhoff, Nationalökonomie ..., S. 62. 251 Ratz, Sozialreform ..., S. 249. 252 Ratz, Sozialreform ..., S. 4, 212, 257 f.; und bereits Merkmale der im Ersten Weltkrieg gebildeten Allianzen aufwiesen.

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5.4.3.4

Vorübung

Operationsdefiziten war der entscheidende Faktor ihrer Wirkungsbegrenzung, auf einen bestimmten Kreis außerhalb der Herrschaft beschränkt zu sein: auf sozialdemokratischer Seite vor allem auf Gewerkschaftsführer, auf bürgerlicher Seite auf nicht über einen dominierenden Einfluß impolitischen Entscheidungsprozeß verfügende Repräsentanten. Der Propaganda-Ausschuß kann als eine „temporäre Aktionsgemeinschaft" angesprochen werden, der kurzzeitig für die Etablierung eines gesellschaftlichen Regelkomplexes zu einer ausgleichenden und gerechten Ordnung der Wohnverhältnisse warb 253 und als Modell sowohl vom Zerfall des einen Handlungsmusters wie vom Aufbau bzw. Annäherungen an neue Kooperationsmodelle gezeichnet war.

2 5 3 Er gehört zu den aktiven Lektionen für Kommunalpolitik als Vorformung von Regelungs- und Bewältigungsstrategien für den Sozialstaat mit institutionalisierter Konfliktaustragung und wachsender Kompromißfähigkeit; Reulecke, Urbanisierung ..., S. 130 f.

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5.5.1 Sinne

5.5 Rollensuche und Bürgerlichkeit Von den Parks zur Politik: In diesen Jahren zeichnet sich ein Wandel in der Auffassung des Themas vom Städtebau ab, der in einer gerafften Übersicht kenntlich werden soll. Zugleich werden zum Zeitpunkt, als diese Tätigkeiten durch einen Auslandsaufenthalt unterbrochen werden, Ungewißheit und Überlegungen zur Arbeitsplanung erkennbar, die als Suche nach einer Rolle in diesem Umfeld interpretiert werden müssen. 5.5.1 Wandel Die Wahrnehmung der Institution Park war für Hegemann anfangs, wie gesehen, eine rein sinnliche. Sie war ästhetischer Genuß in zweifacher Hinsicht. Vorherrschend war der rauschhafte Sinneseindruck des Sehens, in dem die Anlagen als befreiende, beglückende, romantische Gegenwelten (Bild 23) zu Stadt und Stein erfahren wurden 1 . Vor der Begegnung mit Lichtwark macht Hegemann keinen Unterschied zwischen Natur. Nachschöpfung und Arrangement; Gartenarchitektur ist 'Natur'. Unmittelbar damit verbunden war die ästhetische Perzeption der Parknutzung 2 - 'Tupfen auf der weiten Wiese' (Bild 24) die in Empathie und als Rausch an präsumtiven Wohltaten in paternalisierende Empfindsamkeit übergeht - „0 my breast aches with tender love for all"(Whitman)3. In diesem Übergang entfaltet die Sinneswahrnehmung kreatives Potential. Als Nacheiferung des kulturellen Ideals der Stifterfiguren wird sie Vorbild individuellen Handelns, und zwar als individuelle Vervollkommnung des Subjekts in seinem Selbstbild als Bildungsbürger 4 , und Anstachelung gesellschaftlicher Vervollkommnung zur Erfüllung eines Kulturideals durch ästhetische, sozialreformerische. letztlich politische Arbeit. Diese Transformation vollzieht sich graduell. Sie ist auch 1913 noch nicht abgeschlossen und ein Bekenntnis zu politischer Arbeit bleibt noch aus. Seine Schritte lassen sich an Hegemanns kleineren Artikeln verfolgen. Nach der Begeisterung, der Empfindsamkeit und der ästhetischen Faszination des Parkbuchs, beim Rausch des homo faber am Chicago-Plan beginnend, entstehen zunächst Ansätze einer städteplanerischen Typologie, anfänglich der Freiflächen 5 , dann anläßlich des neuen 1 Dafür steht exemplarisch der immer wieder aufgegriffene der Vergleich von Gärten F.L. Olmsteds mit Bildern Antoine Watteaus. AP 7: ... es gibt da Perspektiven, die sich in der Ferne beinah schließen, aber doch wieder einen Ausblick auf noch weitere Formen gestatten, wodurch ein sehnsüchtigbeseligendes Gefühl des Endlosen erregt wird, das der Liebhaber der Malerei nirgends besser als auf den Gemälden des großen Watteau findet ... 2 ... in grandioser Baumumrahmung gelegenen Reihe von Tennisplätzen ..., wie eine Milchstraße übersät mit den gleich weißen Pünktchen erscheinenden Tennisspielern ...; AP 7 und S 351. 3 Das Walt Whitman-Zitat, AP 10, auch im Auszug der „Frankfurter Zeitung". Vgl. dazu Hall, Cities ..., p. 287, nach dem der amerikanische Transzendentalismus aus den Quellen Emerson, Thoreau und Whitman eine Stadtferne begründet, die als Rückkehr zum Land und Homestead-Prinzip eine Antipathie gegen die Verwaltung und das Kapital der Metropole erzeugt und bis in die Dreißiger Jahre reicht. 4 Vgl. die pathetischen Darstellungen Charles W. Eliots als langanhaltender Anreiz noch 1913; AP 7 und S 351. 5 Über Promenade, Zentralpark, System, Kleinspielplatz: Hauptstücke (1911) 23 f. städtischer Park-

335

5.5.1 Ästhetik

Verbands städteplanerische Aufgaben und Instrumente betreffend 6 . Gleichzeitige Einsichten in die planerischen Machtgrenzen der Kommunen7 und Erkennen untauglicher ästhetischer Vorbilder in der Stadtbaukunst 8 führen zur Skepsis gegenüber dem Verbandswesen einerseits, der Ablehnung eines mächtigen Städtebauers nach dem Haussmann-Prinzip andererseits und so zur Forderung des demokratischen Kommunalwahlrechts9 als entscheidender Veränderung der Macht- und Mehrheitsverhältnisse. Mit Parkbuch und Ausstellungen gelang Hegemann die Besetzung eines bisher ausgesparten Themas: In der Stadtkritik fehlt in der Regel ein differenzierender Hinweis auf das unzureichende Wohnumfeld10. Grünanlagen infolge demographischen Wandels, zum Schutz der Bevölkerung und der Gesundheit zu fordern11, schließt an die herrschenden Debatten an. Sein Medium der Ausstellung von Fotografien aber hebt dazu auf die kulturell-ästhetische Herausforderung zu vergleichbaren Kunstwerken ab, die sich mit der technischen und nationalen Herausforderung überlagert, ein Idealfall der Vermittlung durch internationale Konkurrenz. Die noch unscharfe Typologie der Freiflächen, die Hegemann im Mai 1911 liefert, ist mit der konstatierten Bewegung von „formalen Repräsentationsanlagen" zu „demokratischen Nutzparks" (Bild 27) dieser Diskussion weniger dienlich als die weitere Ahnenschöpfung vom August des Jahres. Für Zentralparks, Verbund und Kleinspielplatz macht Hegemann mit nachhaltiger Wirkung Charles Eliot über Pückler-Muskau zum Politik. Den Ausführungen im zweiten Teil des „Städtebau" geht jegliche solche Systematik bereits wieder verloren; in den abgebildeten Materialien sind aber die Anregungen kenntlich. Die Freißächen (1912) 110-117 beim Düsseldorfer Kongress stehen dagegen bereits im Banne des Propaganda-Ausschusses. 6 Zweckverband (11. Februar 1911), zeigt eine Typologie kommunaler Infrastruktur auf. Vgl. dagegen: Grundsätze (8. Mai 1912), wo im Zusammenhang mit dem Propaganda-Ausschuß moralisch über die Aufgaben des Zweckverbands verhandelt wird. Ahnlich: Hygiene (1912) 238-240; unter Verwendung jüngster Lesefrüchte (Anatole France, vgl. S 246 f.) literarisch verhandelt. 7 Über die Rolle der Eisenbahnverwaltung: Wettbewerb (7. August 1912), sowie anläßlich des Waldverkaufs an den Zweckverband: Missbrauch (1912) 11-13, wieder mit einem literarischen Äquivalent: Stadt und Wald (1913) 255-257. Und dazu als Randsottise gegen die Ministerien zum Kastanienwäldchen: Problem (1913) 14 f.; vgl. S 389. 8 Vgl. die Kritik Brinckmanns als Kritik der Sitte-Nachfolger: Brinckmann (1911) 105 f. und weitgehend identisch: Stadtbaukunst (6. August 1911). 9 Wahlrecht (29. Mai 1912) und literarischer, aber typisch für den Ubergang: Demokratie (1912) 372-377. Für ein Bekenntnis zur demokratischen Gemeindeverwaltung in der Tageszeitung, und gerade in dieser, gab es auch ein Vorbild: Brentano, Lötz, Jastrow gehörten u.a. zu den Unterzeichnern einer vom „Berliner Tageblatt" im Dezember 1909 veröffentlichten Stellungnahme gegen das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht. Lindenlaub, Richtungskämpfe ..., S. 261. 10 Bodenschatz, Platz frei ..., S. 62; auch bei Eberstadt nur kurze Bemerkungen dazu, der aber auf das systematische Defizit immerhin verweist, Aufenthalt und Bewegung nahe der Wohnung fehlten. Eberstadt, Handbuch ..., S. 202-207, S. 202; 1920: S. 301-305. 11 Amerikanische Parks (11. Mai 1911), ein bearbeiteter Auszug aus „Parkbuch". - In Bremen, von Hegemann für 1916 aufgeführt, keine Nachweise einer solchen Ausstellung: Schreiben Dr. A. Lohr, Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte, Freie Hansestadt Bremen, vom 10. August 1992. Das ehemalige Gewerbe-Museum unter Leitung Emil Höggs wäre der Ort dafür gewesen, dort auch eine „Vorbildersammlung" zum Thema „Städtebau". Alfred Lichtwark im Brief an Hegemann vom 9. Februar 1911: Eine Ausstellung in Hamburg, das wäre köstlich. Aber wir haben kein Lokal. Die Kunsthalle kanns nicht.

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5.5.1 Praxis

„geistigen Enkel Goethes", und den „Sandhaufen der deutschen Kindergärten" zum „Großvater" der „Spielplätze in Kinderwagenentfernung" Chicagos; stiftet auch hier eine Geschichte 12 . Parallel dazu feierte Hegemann zunächst auch die Monumentalstadt als Sinnesrausch und Transzendenzerfahrung. Nur die ästhetische Opposition - die Entdeckung des Mißbrauchs und der Mißinterpretation bei der Sitte-Lektüre - erlaubt hier eine plutokratische Produktion, Korrektur und Disziplinierung in einem 13 . Nach Abschluß seines Buchs bewirkten die praktischen Tätigkeiten einen weiteren Schub 14 . Die Indolenz, auf die seine öffentlichen Bemühungen treffen, erbost Hegemann zusehends. Er betont daher nicht die klassischen systemtragenden Argumente von Gesundheit und Rekrutierung, sondern überzieht seine Gegner mit praktischer Kritik, indem er die Kinder gegen das Spielverbot auf bestehenden Plätzen verteidigt. „Demokratische Nutzparks" dienen Hegemann jetzt der Teilhabe statt der Rekrutierung. In der Konfrontation mit Kommunalpolitikern und politischen Gegnern verengt sich die Kulturverfallsthese zu einem Bürokratieversagen. Im Spektrum 'Kulturverfall' wird das Verwaltungsversagen für Hegemann zu einer ähnlich monokausalen Ursache wie in den klassischen Interpretationen Eberstadts und anderer, wenn auch aus anderen Gründen. Erfahrungen mit staatlichen Auftritten in diesem Sektor, dem Ankauf des staatlichen Waldgebiets durch den Zweckverband 15 und die Rolle der Preußischen Eisenbahnverwaltung bei den Plänen für Düsseldorf bestätigen sie 16 . Eine Entfremdung vom Bild des wohlwollenden Staats ist die Folge, die sich auf das Bewußtsein eigener moralischer Überlegenheit stützt. Entscheidenden Anteil an diesem Wandel hatte Hugo Preuß. Nicht zuletzt die Widmung des „Steinernen Berlin" für Preuß belegt eine im Nachhinein als bedeutungsvoll erkannte Wirkung seiner Schriften. Obwohl eine engere Verbindung nicht nachweisbar ist 17 , 12 Hauptstücke (1911) 24. - Vgl. dazu Gustav Langen über „Freiflächen" und Willy Lange über „Garten- und Parkanlagen" in Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften. Hrsg. von Joseph Brix und Hugo Lindemann, Bd. 1-4 und Ergbd. 1.2., Jena 1918-1927, Bd. 2, S. 81-87 und 101-108. Langen beweist stilistisch wie methodisch seine Prägung durch Hegemann und Willy Lange rekonstruiert den deutschen Dorfteich als „Großvater" der amerikanischen Planschwiese, nunmehr durch Krieg zum kategorischen Antiamerikanismus verstärkt. 13 Vergessen war die im Laufe der Jahrhunderte errungene Erfahrung der alten Baumeister und ihr tiefer Einblick in die Gestaltungsfähigkeit des unbedeckten Raumes, verklungen das ehrgeizige, verführerische Spiel, private und öffentliche Bauten als Material, als Baublöcke zu nutzen zur Gestaltung und Gliederung weihevoller Festsäle oder bunter Schaubühnen mit dem funkelnden, aber so schwer richtig zu fassenden Himmel zum Dach. Wieder ein Sinnesrausch; Stadtbaukunst (6. August 1911). Der zweite Abdruck im „Städtebau" Goeckes mußte bei diesem Anklang finden, weil er Sitte gegen Brinckmann verteidigte. 14 In Kiepenheuer (1930) 49, also nach dem SB zusammengezogen zu der Erkenntnis, daß das Wohnwesen Berlins und - in Nachahmung Berlins - ganz Deutschlands unheilbar geschädigt war durch den preußischen Bürokratismus. 15 Missbrauch (1912) 13: der Fiskus behandelt die Einwohner als Kanonenfutter für Mietskasernen. Zu den Verhandlungen siehe Escher, Umland ..., S. 314 ff. 16 Wettbewerb (7. August 1912), in dem die Durchführung jedes städtebaulich großen Gedankens mit kalter Teufelsfaust unter Berufung auf fiskalische Interessen verhindert wurde. 17 Das Bundesarchiv Potsdam verfügt über einen Teilnachlaß Preuß, dort keinerlei Nachweise zu

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5.5.1 Recht

belegt Preuß' Teilnahme an der Gründungsversammlung des Propaganda-Ausschusses eine persönliche Begegnung. Preuß' wirtschafliche Unabhängigkeit mit sozialem Engagement scheinen weitere Vorbildfunktion für Hegemann gehabt zu haben 18 . Schon im Juni 1912 instrumentierte Preuß in einem Zeitungsartikel die sozialreformerische Frage nach dem System als politische Frage. Gestützt auf Eberstadt, nach dem die Wohnungsfrage kein unvermeidbares Korrelat des Industriekapitalismus sei, reklamierte er Reformbedarf für die Selbstverwaltung der Gemeinden und deren rechtliche Instrumente 19 . Den entscheidenden Schub aber gab er 1913 durch Klärung von Rechtskategorien. In seinem Anfang 1913 erschienenen Artikel wendet Preuß sich gegen eine den Reformern gemeinsame unzulässige Parallelisierung der Wohlfahrtspolitik des Despotismus mit der Interessenpolitik der bürgerlichen Gesellschaft innerhalb einer konstitutionellen Ordnung, der königlichen Städtebaupolitik mit der kommunalen Organisation der Bürgergemeinde. Mit der Aufklärung der Kategorien von Öffentlichem und Privatrecht zeigt Preuß, daß die Entwicklung eines öffentlichen Rechts nicht mit der des Privatrechts Schritt gehalten hat und gegenüber der nach wie vor obrigkeitlichen Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben keinen Boden gewonnen hat. Die Fiktion vom Obrigkeitsstaat als Hoheitssubjekt und Fiskus als Privatrechtssubjekt war der Entwicklung eines Trägers öffentlicher Rechtsaufgaben abträglich. Als solche bestimmt Preuß die Gemeinden mit einer kommunalen Selbstverwaltung. Ihnen steht aber nur der Bebauungsplan als Institut öffentlichen Rechts zur Verfügung, während das zweite, die Bauordnung, sich in Händen des Polizeistaats befindet. Das öffentliche Recht erschöpft sich somit in Negationen, ohne städtebauliche Ziele positiv fördern zu können. Es bedarf daher nach Preuß einer starken Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Funktionen der Selbstverwaltung, die der Staat an die Kommunen abzugeben hat 2 0 . Preuß plädiert damit für eine weitere Verrechtlichung. Er zeigt den Rechtsprozeß der Verfügung über Grund und Boden als veränderlich und erteilt dem städtebaulichen Vorbild absolutistischer Machtfülle - die unrechtliche (nicht widerrechtliche - aseptisch, nicht antiseptisch) Grundlage der obrigkeitlichen Boden- und Städtebau-Politik21 - eine klare Absage. Mit diesem Bild versetzt er nebenbei auch dem des genialen SchöpferAutokraten einen Todesstoß. Und mit dessen Fall beginnt der Weg in einen politischen Prozeß. Die politischen Funktionen des „blendenden Kontrasts" zwischen zeitgenössischem und Städtebau des 18. Jahrhunderts erkennt Preuß sehr wohl, für ihn eine Wiederholung der Definitionsversuche von Sozialpolitik per friderizianischer Wohlfahrtspolitik 22 . SeiHegemann. - Preuß hielt beispielsweise auch einen Vortrag in der Reihe der GfSR über „Sozialpolitik im Berliner Verkehr". 18 Vgl. SB 334 und 431, wonach er „eine unabhängige Lebensstellung mit edelstem Gemeinsinn" verband. 19 Hugo Preuß, Neuer Städtebau und städtische Selbstverwaltung. BT 11. Juni 1912, M., Titelseite. 20 Hugo Preuß, Öffentliches und Privatrecht im Städtebau. In: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 6 (1912/13), S. 341-365, bes. S. 344, 347 f., 356, 361, 365. 21 Preuß, Privatrecht ..., S. 345 [H.i.T.]. 22 Preuß, Privatrecht ..., S. 341 f. Er nennt als Autoren Eberstadt, Paul Voigt, Hegemann u.v.a.,

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5.5.1

Verrechtlichung

ne Kritik wurde dadurch gemildert, daß Preuß mit der Auslegung der „natürlichen Funktionen der Stadtgemeinde im Städtebau" seine politische Interpretation beginnt. Die Stärkung der Selbstverwaltung war sein eigentliches Anliegen, die in politischen Einheiten eines Rechtsstaats die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft vorantreiben sollte 23 . Ein zentraler Satz war dabei, daß jetzt der Staat gegenüber der Gemeinde stets das Gemeinwohl vertrete, niemals aber umgekehrt. Gefordert war, konkurrierende, tatsächlich diskretionär eingreifende Mitverwaltung durch rechtliche Normierung der Staatsaufsicht zu beenden - daraus wurde bei Hegemann, der in charakteristischer Weise das Postulat zum Bestand - ein alter und trotzdem unumstößlicher Rechtsgrundsatz - umformt: „Die Verantwortlichkeit folgt der Zuständigkeit" 24 . Wo Hegemann den vermittelnden Gierke noch vor allem ethisch-moralisch verstehen konnte, war dies ein Fortschritt. Gierke sprach, von Hegemann gehört und zitiert 25 , über die Städteordnung als Wiederbelebung genossenschaftlicher Ansätze und Vorbild: ... so muß die Stadt sich als politisches Gemeinwesen mit dem Geiste eines sittlichen Organismus erfüllen, dessen Lebensberuf jenseits des Tagesnutzens in der überindividuellen Daseinsordnung des Ganzen liegt.26 Hier war, schien Hegemann, der Bildungsbürger gefordert. Während sich Gierke „energisch" gegen Preuß' Gleichsetzung von städtischer Kultur mit Kultur überhaupt verwahrte, folgte Hegemann Preuß in der Urbanisierungshoffnung, indem er die Stadt als Motor der Zukunft begriff 27 . Statt also Defizite der Amtserfüllung zu beklagen, konnte er anhand Preuß eine fortgesetzte Verrechtlichung deren Werke er auch als Quellen heranzieht, d a r u n t e r auch Heinrich Herkner, der Interventionen vorstellt; ein möglicher B e r ü h r u n g s p u n k t seines Interesses m i t Hegemanns Arbeit. Siehe Heinrich Herkner, Wohnungsfrage und Bebauungsplan (Städtebauliche Vorträge 1,5). Berlin 1908. 23 Preuß, Privatrecht ..., S. 345, 351, 365. Vgl. dazu Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. J a h r h u n d e r t . Geschichte der Ideen u n d Institutionen, 2., Überarb. Aufl., S t u t t g a r t 1969, S. 731-770. 24 Preuß, Privatrecht ..., S. 365: Kann und tvill der Staat nicht die Verantwortlichkeit für die Gesamtheit des Städtebaues und der Stadterweiterung, mit Aktiven und Passiven so zu sagen, au} seine Schultern nehmen, was er tatsächlich weder will noch kann, so muss er die Verantwortung, damit aber auch die volle Zuständigkeit der kommunalen Selbstverwaltung überlassen. Denn die Verantwortlichkeit folgt der Zuständigkeit; und die privatrechtliche Sonderung von Berechtigung und Verpflichtung widerspricht dem innersten Wesen alles öffentlichen Rechts. Vgl. SB 305 u n d 479; Mißverständnis bei G r a d m a n n , Belletristik ..., S. 160. 25 O t t o von Gierke, Die preußische S t ä d t e o r d n u n g von 1808 u n d ihre Nachfolgerinnen. Vortrag, gehalten in der Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung in Berlin am 16. Mai 1911, in: J a h r b u c h der Bodenreform 7 (1911), S. 169-197. 26 Gierke, S t ä d t e o r d n u n g ..., S. 186; vgl. S 106. 27 Vgl. d a z u den Eingriff der Redaktion des „Berliner T a g e b l a t t s " in Wahlrecht (29. Mai 1912) [H.i.T.]. Wer heute pessimistisch eine große Neuorientierung unseres Staatslebens in Fragen der Kommunalpolitik als im heutigen Preußen unmöglich von der Hand weist, hegt nicht den rechten Glauben an die Zukunft unseres Volkes, denn unsere Zukunft liegt ganz und gar in unseren großen Städten (dieses „ganz und gar" möchten wir so uneingeschränkt nicht unterschreiben. Die Redaktion.), einmal in ihrer Steuer= und Volkskraft, in ihrer Kaufkraft, die auch die deutsche Landwirtschaft, die auf dem Weltmarkt ja nicht konkurrieren kann, am Leben erhält, und zum anderen in der deutschen Stadtkultur, auf deren höchste, stolzeste Blüte wir hoffen. Vgl. die weitere, literarische Fassung Demokratie (1912) 377 in den W e r k b u n d - n a h e n „ D o k u m e n t e n des Fortschritts".

339

5.5.1 „Städtebau" Zweiter Teil

der Gesellschaft fordern, was die frühliberalen, wirtschaftsliberalen, die kulturellen und soziale Ansätze vereinbar macht. Preuß' Modell erklärt für Hegemann auch das nordamerikanische Städteleben. Die von Staats- und Landesgewalt weitgehend unabhängige Kommune, die in repräsentativdemokratischen Verfahren von Bürgern besetzt und regiert wird, ihr Verwaltungshandeln nahezu autonom gestalten kann, ist ein großes Vorbild. Mit den Definitionen Hugo Preuß' wird die wilhelminische Kommunalverfassung als historische Konstellation einsehbar. Sie ist nicht nur subjektiv nach der Kulturverfalls-Diagnose Produkt selbstsüchtiger Staatsagenten, sondern unterliegt objektiv einem - zudem beeinflußbaren - Prozeß gesellschaftlicher Veränderung. Eine breite Rezeption des Preußschen Modells der Wesensgleichheit der Gebietskörperschaften als Verbandsmodell hat wesentlich zur Entmythologisierung des Staates als übergesellschaftliches Wesen beigetragen28. Das ist der entscheidende Heroensturz, der bei Hegemann langfristig, bis in die politisch-polemischen Schriften der Zwanziger Jahre, nachwirkt. Dieser Wandel begleitet Hegemanns zweiten Teil seines Städtebau-Buchs. In der zum Abschluß, kurz vor seiner Abreise geschriebenen Vorbemerkung verabschiedet er sich vom Autokraten-Schöpfer, indem er die Anekdote von Haußmanns Zweimännerkommission - der Kaiser und ich! ins Reich des Lächerlichen verweist und sich im Anschluß an Preuß' Kritik als von jeder Hinneigung zum Absolutismus im Städtebau geheilt beschreibt29. Auf den zweiten Blick erweist sich das für einen Großteil des Buches noch als Lippenbekenntnis, verfaßt unter den letzten Eindrücken des Jahres 1912 mit den Reaktionen auf den Propaganda-Ausschuß. Wieder handelt es sich nicht um fachliche Erörterung, sondern eine historische Erzählung, die ungegliedert, weithin assoziativ verfährt 30 . Lediglich die zahlreichen Abbildungen - über 300 -, kurz kommentiert und regional eingebunden, nähern sich einer Facherläuterung31. Von den 250 Seiten des zweiten Teils sind über 80 allein Paris gewidmet. Die Quellenbearbeitung ist wiederum extensiv, breit gestreut und vorgetragen; der Stil kurzweiliger Berichte, ironischer Vergleiche und anschaulicher Beschreibungen zahlreicher Zeitzeugen der des Feuilletons. Hegemann bekennt sich zu diesem Erzählstil unterhaltsamer Aufklärung 32 . Zwar faßt er Bodenbesitzformen als Katalysatoren der Bau28

Hübinger, Hochindustrialisierung ..., S. 201. S 151, 153. Vgl. auch SB 432 f., wo Hegemann aus dessen Vortrag vor der GfSR zitiert. 30 Eine (im Band nicht gegebene) Inhaltsübersicht kann hier genügen, um auf umfängliche Nacherzählung zu verzichten: Zweites Kapitel. Großstädtisches Verkehrs- und Transportwesen. Paris, Wien, Budapest, München, Köln, London, Stockholm, Amerikanische Städte 155; Paris 162; Die Stadterweiterung und der „bornierende" Absolutismus 182; Wien 249; Budapest 262; München 263; London 272; Zentralisation und Dezentralisation, Absolutismus und Selbstverwaltung und ihre Rückwirkungen auf den Städtebau 276; Stockholm 312; Großstädtisches Gütertransportwesen 316; Boston 319; Drittes Kapitel. Freiflächen. Paris, London, amerikanische Städte, Berlin 337; Schluß des zweiten Teils 394. Bei dieser grobschlächtigen Unterteilung findet Hegemann ein weiteres Mittel zu Untergliederung, indem - ähnlich wie für die Broschüren des Propaganda-Ausschusses - Schlagworte im Text durch Fettdruck hervorgehoben werden. Die Geduld des Verlags ist erstaunlich. 31 Piccinato, Städtebau ..., S. 48, spricht von „einer Menge und Genauigkeit der Analysen" wie der amerikanischen Beiträge, was sich nur auf das Bildmaterial stützen kann. 32 Etwa, wenn er S 197 einiges vom Wichtigsten und Amüsantesten aus Bauverboten wiedergibt. 29

340

5.5.1

Stadttypen

und Stadtentwicklung auf, bildet jedoch keine Kriterien der Beurteilung. Wiederum schlägt die Bewunderung der Architektur zur Bewunderung der königlichen Machtfülle aus. Noch vor Preuß' Warnung vor der Gleichsetzung hält Hegemann nach wie vor despotische Politik als Vorbild erstrebenswerter sozialer Städtebaupolitik hoch 33 . Aber seine Weiterbildung - die vorher und die für den Auftrag bereisten Städte zählt er zwecks Autorität hier vollständig auf - erlaubt ihm nun eine phänomenologische Typenbildung der Stadt. Er teilt sie in anglosaxonische oder dezentralisierende gegenüber kontinentalen, konzentrierenden Städten, in deren Entwicklung der Verkehr der städtebauliche Faktor par excellence sei 34 . Für die Festungsstadt nun behandelt er Paris exemplarisch, was ihm die Gelegenheit verschafft, mit dem Untertitel vom „bornierenden Absolutismus" 35 auf die Mißachtung der Bürger und Nutzer einzustimmen. Darunter kann er den Stadtumbau Haussmanns mit seinen militärischen Motiven als gewaltsamste Epoche der Pariser Städtebaugeschichte erledigen und eine ehemalige Idealvorstellung städtebaulicher Machtfülle verabschieden 36 . Kriterium der Stadtentwicklung bleibt für Hegemann das Wachstum und das Ideal der dezentrale Stadttypus, dem er als modernes Element die Vernetzung mit dem Umland bei Personen- und Güterverkehr hinzufügt. So kann er von London als von einer Erfolgsgeschichte erzählen 37 . Das entmannte Bürgertum wird ihm zum Schlachtruf, bei dem der „Mißbrauch der Hoheitsrechte" auf die neue Kategorienklärung vorausdeutet 38 . Hegemann erklärt im Gegensatz zur früheren Hoffnung auf Erlösung durch Kunst, daß der Städtebau die Vorbedingungen für kulturelles Leben, für künstlerische Betätigung schaffe und ihre politische und administrative Verfassung die Stadtqualität bedinge 39 . Mit dem Wechsel zum Thema Freiflächen wird kenntlich, wie sich der Wandel beim Schreiben allmählich durchsetzt. Wo Hegemann mit einer Erweiterung seines Parkbuchs beginnt, endet der letzte Abschnitt über Berlin ganz im Zeichen der Auseinandersetzungen um den Propaganda-Ausschuß. Nach einem kurzem Rückblick auf große Vorbilder 40 stellt Hegemann Freiflächenpolitik 33

S 166, 168 f., 171 f., 201. S 156; im Original Hervorhebungen. 35 Vgl. dazu S 197, wo Berlin dagegen mit „stadterweiterndem Absolutismus" nach wie vor gut dasteht. 36 S 220 ff. Deren Größe und ästhetische Effekte bleiben unbestritten, doch ihr „politischer Wert" (222) tendiert gegen Null. Andererseits bietet der Ausbau innerstädtischer Schienenverkehrssysteme auch Vorbehalte gegen parlamentarisch gesicherte Entscheidungen; vgl. S 241 f. 37 Sutcliffe, Entfaltung ..., S. 170, sieht die funktionalen Übertreibungen der Vermittler nie deutlicher als hier bei Hegemann, besonders im Lob der Verkehrsplanungen. 38 S 341, vgl. Missbrauch (1912) 11-13; dazu zahllose Verweise auf 'demokratischere' Verfahren wie die „drastisch-populären Formen anglosaxonischer Demokratie" (S 300), amerikanische Hearings (S 319) oder das Dreiklassenwahlrecht als eine so „konstitutionelle Verirrung" wie die „napoleonische Diktatur" (S 312). Vgl. dazu noch einmal die Gewißheit von 1910, nach der Ausstellungen Schritte in der Richtung heilsamer Demokratisierung des Wissens bedeuten und die sei ganz besonders notwendig in Fragen, die der gesetzgeberischen Regelung durch Majoritäten unterstellt sind. Bedeutung (6. Januar 1910). 39 S 304 und 335. 40 S 340 f. Vgl. hier den Einfluß Lichtwarks, der zur Voraussetzung der Fachkritik an 'Kunst' gehört. 34

341

5.5.1 Parkpolitik

am Beispiel Londons als Boden- und städtische Erwerbspolitik vor, hauptsächlich aber am Beipiel der nordamerikanischen Städte als Kommissionsarbeit. Staatlich eingesetzte Beratergruppen, private Verbände und auf deren Initiative eingesetzte kommunale Ausschüsse dienen als leuchtende Vorbilder, die große Parkanlagen realisieren und unterhalten, dabei eine differenzierte Nutzungsorganisation entwickeln41. Nach zwei knappen Seiten über „Deutschland" - über die Bremer Wallanlagen - befaßt Hegemann sich nur noch mit Berlin. Er kritisiert die Magistratsberichte des 19. Jahrhunderts, die so zu einer historischen Rechtfertigung des Propaganda-Ausschusses werden. Diese Geschichte des Versagens in Zitaten zu erzählen, wie es Hegemann in ehrlicher Empörung über Kleinlichkeit und Indolenz der Verwaltung unternimmt, erschöpft sich jedoch in Aufzählungen. Sie verwischen erneut alle Kategorien. Die in der Ausstellung gezeigten beachtlichen Leistungen anderer Städte werden nicht erwähnt, bilden aber durch umfangreiche Abbildung eine beeindruckende Kulisse für diese Abrechnung 42 . Bei dieser, der ersten ähnlichen Aufzählung von Säumnissen zeichnet sich dennoch Wandel ab, weil sie ein parteiliches Gremium als Agenten bestimmter Interessen behandelt. Statt Lage, Größen und Ausstattung von Parks zu besprechen, macht Hegemann Aufwendungsverweigerungen für Grünflächen zum Thema 43 . Die Denunziation beschränkt sich jedoch auf den Mangel an Humanität bei ihren Betreibern. Es fehlt nach wie vor an Einsicht in Parteipolitik und ihre Bedingungen, wie nicht zuletzt die Würdigung eines Sozialdemokraten als „wahrhaft patriotischem" Stadtverordneten beweist 44 . So lehnt Hegemann ausdrücklich ab, die fundamentalen Fragen der Kommunalpolitik mit der allgemeinen Politik verquicken zu wollen, gerade so, als sei unterhalb dieser Ebene das Gemeinwohl selbstverständlich verbindlich besetzt. So ist mit den Rechtskategorien zunächst die letzte Illusion von benevolenter und eudämonistischer Staatsverwaltung zerfallen, ersichtlich an Lamenti über „Fiskalismus" und konkurrierende Behörden 45 . Neu aber ist gerade nach dem Vorbild der Preußschen Kategorisierung und Historisierung der Rechts- und Machtmittel die Zuordnung zu einem allgemeinen politischen Prozeß, wenn Hegemann zur Verbesserung der Lage nur zwei Wege sieht, entweder die Erweiterung der politischen Machtmittel der Vertreter moderner Planung oder Verschärfung der Staatsaufsicht über die Erfüllung der kommunalen sozialpolitischen Pflichten im Städtebau. Den letzten Weg lehnt er selbstverständlich ab, ist er doch nur angedrohte Folge: wenn aus politischen Gründen dieser [erste] Weg ungangbar erscheint, weil er eine Ausdehnung der als staatsfeindlich gebrandmarkten Sozialdemokratie befürchten läßt46. 41 S 337-357; vgl. S 337 f . / A P 3; S 341 / H a u p t s t ü c k e (1911); S 351/AP 7; S 352/AP 8; S 354/AP 9; S 354/Hauptstücke; S 355 f . / A P 10; S 357/AP 11 und CPH 9 f. Desgl. die Abbildungen S 289, 292, 297, 300-3, 306, 310, 311-2, 308-9, 313-4, 316-21 zu AP 1, 2, 6, Hauptstücke, 8, 10, 8. 42 Ausnahme: eine Seite über Düsseldorf, S 376 und S 391 ff. über Wien. 43 Siehe über Friedrichs-, Humboldthain, Treptower und Viktoriapark, Schillerpark, Arnim-Platz und Falkplatz: S 363-378. 44 S 377, vgl. auch 370; Zitat 384. 45 S 389, 386. 46 Gleichzeitig ein Thema, das hier nicht erörtert werden soll·, S 384.

342

5.5.1

KommunalpoJitik

Das ist nichts weniger als die Forderung nach allgemeinem Wahlrecht auf der Kommunalebene und noch mehr: Nach Preuß' Entwicklung des öffentlichen Rechts als eines Machtinstruments der bürgerlichen Gesellschaft bedeutet das Wahlrecht zu fordern, im Gegenzug die Machtverhältnisse in die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft einzuordnen und eine forcierte Verrechtlichung zu verlangen; eine entscheidende Vorstufe zur Anerkennung der Demokratie als institutionalisierter Interessenverhandlung. Sie unterscheidet Hegemann schließlich von vielen seiner Zeitgenossen und prädestiniert ihn zur Anerkennung der Republik, in die er zurückkehren wird. Über diese verdeckte politische Forderung 47 erschließt sich letztlich Hegemanns Buch, mindestens in seinen Abschnitten über Verkehr und Freiflächen, als Beitrag zum Tage, zur aktuellen Debatte. Die Einstreuungen über den Propaganda-Ausschuß belegen, daß es unter dessen Eindruck geschrieben wurde 48 , um für dessen 'Husarenritte' nachträglich Argumentationshilfe zu bieten. Den Reaktionen auf den Ausschuß verdankt Hegemann die resignative Note, in der er das Buch abschließt, wo er das „entmannte Bürgertum" schon wieder nicht mehr für ein politisch entmündigtes, sondern kulturell degeneriertes hält. Das Lob der selbstverwaltungsfähigen Angelsachsen zeigt die zugrundeliegenden Enttäuschungen wie Hoffnungen, die Hegemann mit der Vortragsreise in den Vereinigten Staaten verband, die unmittelbar in Aussicht stand, als er diesen Schluß verfaßte. Wenn Martin Wagner in seiner Kritik der Freiflächenpolitik von Hegemann beeinflußt ist 49 , das Parkbuch in die Bibliothek Martin Mächlers eingeht und Hegemanns Worte in die lexikalische Literatur, zeigt das, daß Hegemanns Arbeit nicht durch Analytik, sondern durch ihre Fülle und Verve systematisch wirksam wurde, durch seine Kritik der Organe auch politisch. Trotz des Auseinanderfallens seiner Ansätze war er durchaus wirkungsvoll, weil er diese Leerstellen erstmals füllte. Auch setzte ab 1912 wachsende Kritik am Erziehungs- und Kulissentypus des städtischen Parks ein 50 , so daß Hegemanns Kritiken in der Folge der Städtebau- wie der Parkausstellungen eine verstärkende Funktion zugerechnet werden muß. Zum anderen stellte in der Fachwelt die Einschätzung des Propaganda-Ausschusses eine weitere wichtige Wirkung Hegemanns dar. So sprach Carl J. Fuchs von einer „neuen Organisation", als sei sie eine überfällige und beständige Institution, die eine energische 47

Vgl. dazu erneut den auf dem Höhepunkt des Zahlenstreits verfaßten Artikel Wahlrecht (29. Mai 1912) im „Berliner Tageblatt", der sich auf Bismarcks Urteil über das (Landtags-) Wahlrecht als 'Repräsentation des Geldkapitals' berufend, sehr viel deutlicher die Anwendung demokratischer Prinzipien auch auf die Gemeindeverwaltung fordert, nämlich als „ausschließliche" Lösung. 48 Vgl. S 379-382, 385. 49 So Posener/Becker/Jacob, Zeit ..., S. 132. 50 Dieter Hennebo, Der Stadtpark. In: Grote (Hrsg.), Deutsche Stadt ..., S. 77-90, S. 81. Vgl. aber Dieter Hennebo, Öffentlicher Park und Grünplanung als kommunale Aufgabe in Deutschland. In : Blotevogel (Hrsg.), Kommunale Leistungsverwaltung ..., S. 170-181, S. 176 f., wo er den Wandel vom aufwendig gestalteten Schmuckplatz zum Gartenplatz mit Aufenthalts- und Spieleinrichtung, vom Spazierpark zum architektonischen Volkspark mit Nutzungsdifferenzierungen bereits um die Jahrhundertwende ansetzt. Das Staunen ob der amerikanischen Beispiele und die Polemik Hegemanns gegen Benutzungsverbote weisen aber in andere Richtung. Unter Experten mag dieser Wandel eingeleitet sein, in der Praxis zeichnete er sich ganz offensichtlich noch nicht ab.

343

5.5.2 Familie

Agitation eingeleitet hat51. Roman Heiligenthal faßte den Ausschuss als eine Bewegung von unten auf, der Bevölkerung, welche die durch eine schlechte Bebauung geschaffenen Verhältnisse mehr und mehr als unwürdig empfand. Das Sprachrohr dieser Bewegung war bezeichnenderweise keine politische Partei; die Bewegung schuf sich ihre Organe selbst, als eines der wichtigsten den Propagandaausschuß „Für Groß-Berlin".52 Wenn das Fach sich hier politischen Vorstößen öffnet und diese als fachpolitische Erfolge zu verzeichnen vermag, beweist das, daß Hegemanns Initiative einen weiteren wirkungsvollen Anschub leistete. 5.5.2 Arbeitspläne Nur scheinbar erhebt sich die Frage nach seiner Arbeitssituation erst aus dem Einschnitt, den Hegemanns Vortragsreise in seinem Leben bedeutete. Tatsächlich gilt die Frage den Gründen, sich zu diesem Zeitpunkt zu einem längeren Auslandsaufenthalt zu entscheiden. Die Familiensituation hatte bereits eine einschneidende Veränderung erfahren. Nach diversen Mißstimmigkeiten aufgrund seiner Egozentrik und persönlichen Kleinlichkeit hatte Alice Hegemann sich im Dezember 1911 von Werner Hegemann getrennt. Den Anlaß bot weniger seine libertäre Verhaltensweise als seine Selbstgefälligkeit ob dieser Verhältnisse. Alice Hegemann kehrte mit ihrer fünfjährigen Tochter nach München zurück. Sie verzichtete auf Unterhalt, ausgenommen für die Tochter, und arbeitete als Kunstmalerin, indem sie populäre Beilagen wie Kreuzstichvorlagen als Werbeartikel zeichnete 53 . Die Eheleute partizipieren damit weniger an einer statistisch signifikanten Labilität christlich-jüdischer Ehen als an einer ersten Steigerung der Scheidungsquoten (und einem statistischen Uberhang 'schuldiger' Ehemänner). Die vorausgehende Trennung hätte die Möglichkeit geboten, die Scheidung wegen Zerrüttung durchzuführen und auf spektakuläre Szenen ob Schuld durch Ehebruch zu verzichten 54 . Der Zeitpunkt der Scheidung ist unbekannt. Alice Hegemann-Hesse heiratete im Februar 1918 den aus dem gemeinsamen Studium bekannten und befreundeten Günther von Pechmann 55 . In der Folge war sie ebenfalls 51

C.J. Puchs in Annalen für Soziale Politik und Gesetzgebung 1 (1912), S. 726. Wagner, Freiflächenpolitik ..., S. 110, steht mit seinen Überblendungen dagegen. Als der „Ausschuß Groß-Berlin" unter der Führung von Südekum, Dernburg und Dominicus im Jahre 1908 seinen ersten großen Vorstoß gegen die Stadtverwaltung des alten Berlin machte, da sah sich der damalige Bürgermeister Reicke genötigt, der Öffentlichkeit eine Zahlenbilanz über die städtische Freiflächenpolitik vorzulegen und in dieser Bilanz als Aktiva auch die Kieswege unter der Hochbahn als Kinderspielplätze zu bezeichnen. [H.i.T.]. 52 Roman Heiligenthal, Berliner Städtebaustudien. Berlin-Halensee o.J. [1926], S. 29. 53 Mitteilung von Sibylle Schwarz, 23. März 1992. Ihre Reisen zeigen ein selbständiges Leben: 1912 zwei Monate in Partenkirchen, 1913 vier Monate in Florenz; Münchner Wohnungen in der Werneckstraße. Meldebogen Hegemann ..., Bl. 2. 54 Blasius, Ehescheidungen ..., S. 159, 160-163. Wieweit die für Literatur und Kunst festgestellte Entdeckung der Erotik, wie sie in den Boheme-Zirkeln Münchens, auch im Bloomsbury-Kreis, in elaborierten Sozialformen nachgewiesen sind, für die Selbstbilder und Lebensentwürfe eines jungen Studentenpaares wirksam waren, ist offen, aber bedenkenswert. 55 Vgl. auch Hegemanns Danksagung für Münchner Materialien S 263.

344

5.5.2

Bildungsarbeit

für die Neue Sammlung tätig, später gab sie das Jahrbuch der Deutschen Werkstätten heraus und entwarf für die Königliche Porzellanmanufaktur Berlin Objekte und Ausstellungen. Hegemann sah sich selbst, wie seine Bezeichnung für die „Ideal" im Oktober 1912 zeigt, vorrangig als Schriftsteller. Das war insofern selbstverständlich, als er ja noch in Vertragsbindung für einen dritten Teil des „Städtebau" stand und diesen auch zu schreiben beabsichtigte. Hier hätte eine amerikanische Vortragsreise weiteres Material eingebracht. Zudem verlor er offenbar zusehends sein Monopol, zum einen in Sachen Ausstellungswesen, zum anderen in Parkberichten. Mit der Düsseldorfer Ausstellung 1912 war er organisatorisch nur noch lose verbunden; für den Städtebauteil der Leipziger Baufachausstellung wurde Gustav Langen zum Leiter benannt. Im „Städtebau" berichteten nun auch andere Fachschriftsteller wie S. Neumann über Parks und amerikanische Planung; im Katalog des Wandermuseums Städtebau werden Parksysteme vom Architekten Dr. Hugo Koch präsentiert. Auch in diesem Sektor hätte die Reise geholfen, verlorenen Grund zurückzugewinnen. Für eine künftige Rolle im Sektor Städtebau hätten Hegemann nach seinen bisherigen Erfahrungen die Bereiche Fachberatung und Öffentlichkeitsarbeit offengestanden. Tatsächlich finden sich Indikatoren für Planungen zur Berufs- und Facharbeit in beiden Bereichen. So hatte er in der Gründungsversammlung des Propaganda-Ausschusses im Februar 1912 schon ein zukünftiges Aufgabenfeld skizziert 56 . Denken Sie auch an die vielen lustigen Mittel der Agitation und der Reklame, die wohl geeignet sind, in einem wahrhaft populären Kreuzzug der Aufklärung über derart wichtige Dinge zur Anwendung zu kommen. Wenn es erst einmal gelungen ist, durch einen derartigen überraschenden Vorstoß das allgemeine Interesse, wenn auch für noch so kurze Zeit, zu gewinnen, dann ist der treuen Kleinarbeit ein weites, fruchtbares Feld bereitet, dann wird die Presse nicht fürchten müssen, ihre Leser zu langweilen ... dann wird im Gegenteil das Publikum endlich eine Berichterstattung über kommunale Fragen von der Presse verlangen, dann werden viele größere und kleinere Vereine der verschiedensten Art (Baugenossenschaften, Sportvereine, vielleicht die Gewerkschaften, Ortskrankenkassen, Grundbesitzervereine) gern Vorträge über die einschlägigen Themata veranstalten, werden begierig Angebote von Lichtbilderserien und Rednern annehmen, kleinere Ausstellungen, Wettbewerbe können veranstaltet werden. Auch ein Zusammenschluß aller zahlreichen Personen und Vereine, welche sich bereits in ernster Arbeit mit diesen Fragen beschäftigt haben, etwa in Form einer Zentralstelle, wäre zu erwägen; einer Zentralstelle, welche die einzelnen Lösungen und Fragen einer Bearbeitung unter Arbeitsteilung und Vermeidung der Duplizität unterzieht, das Propaganda-Material liefert und vor allem durch Sammlung finanzieller Mittel diese Propaganda ermöglicht. Diese Zentralstelle könnte durch die Presse und durch ein eigenes Mitteilungsblatt über ihre Arbeiten berichten, die Ergebnisse der Versammlungen und Tätigkeit der verschiedenen Vereine, die Beratungen der Verbandsversammlung, Nachrichten über ähnliche Bestrebungen anderer Großstädte, Beschaffung geeigneter Klischees usw. vermitteln, mit einem Wort eine mustergültiger Informationsquelle über das unübersehbare Feld kommunaler Entwicklung in Groß-Berlin darstellen.

56

GB 11 f.

345

5.5.2 Fachpolitik

Eine Kampagne, die in einer unermüdlichen Aufklärungsarbeit über die Wohnverhältnisse bestehen sollte, hatte Hegemann schon 1911 beschrieben, um Parlamente zu erzielen, deren Mehrheit fähig und gewillt ist, diese größte Gefahr für unsere Kultur zu würdigen und mit durchgreifenden, unerbittlichen Maßregeln zu beseitigen. Diese Aufgabe zielt eindeutig auf den vorpolitischen Raum und benennt eine kulturelle Erziehungsaufgabe, nicht eine Wahlrechtsreform. Die Mittel entsprechen schon den hier genannten. Hinzu fügte Hegemann jedoch noch - Brentano getreu - Unterricht in Volkshochschulen und Besichtigungen und Wanderungen in Groß- Β erlin57, eine innovative Form von city walks, wie er sie mit Besuchern oft informell durchführte. Nun entwarf Hegemann eine Arbeitsbeschaffung für sich selbst, für alles, was er bisher gut und erfolgreich getan hatte, eine Institution für seine Fähigkeiten. Jene Zentralstelle sollte sich von solitären Verbänden, unverbindlichen Initiativen und auch Parteien absetzen, aber auch von einer universitären Wissenschaftlichkeit ohne Außenwirkung. Dabei ist der projektierte halböffentliche Bereich wesentlich, Gegenöffentlichkeit und wissenschaftliche Politikberatung in einem. Sie steht im Spannungsfeld aller bisher aufgerissenen Bezüge: von der Kritik des Zweckverbands als politischer Aufklärung bis zur Kontrolle der Stadtplanung als autokratischer künstlerischer Maßnahme reicht die Bandbreite. Dabei stellt solche Zentralstelle auch eine Vorform des Fachverbands. Mitspracherechte werden angemeldet, die als Phase des Professionalisierungsprozesses angesehen werden müssen und einer berufsständischen Vereinigung vorgreifen; eine andere Füllung des von Muthesius gebrauchten Begriffs von den „Organisationstendenzen der Zeit". Mit dem Topos der Rationalisierung durch „Vermeidung von Duplizität" strebt Hegemann die Bildung eines Fundus an, der gleichermaßen nach Vorbild der Bauberatung popularisiert werden soll: Einfluß durch Verbraucherberatung. Gleichzeitig bot sie die Möglichkeit, Fachpolitik zu betreiben. Nachdem Hegemann 1911 offen jene neoromantischen Sitte-Nachfolger kritisiert hatte, die zwar nicht mehr schachbrettartige Stadtpläne herunterliniierten, aber noch albernere irregewordene Schachbretter durcheinander wackeln lassen zu dürfen glaubten, jede gerade Linie vermieden und jeden Platz zubauten 58 , schwebte ihm wohl eine Sammlung der moderneren Planer vor. Damit sollte diesen, mehrheitlich nicht kommunal beamtet, ein Forum geboten werden, das Baukunst mit Planung vereinbarte59. Als mögliches Vorbild wäre das Bureau für Sozialpolitik zu nennen, das seit 1904 als Interessenvertretung der GfSR, des VfSP und anderer agierte, Koordinationen und Publikationen zum Thema vermittelte 60 . Da unklar bleibt, wie weit dieses Hegemann vertraut war, ist ein Zusammenhang mit dem Archiv für Städtebau als naheliegender einzustufen. 57

S 89 f. Brinckmann (1911) 105; er kritisierte jedoch auch Brinckmann für seinen Ausfall gegen Sitte, den er als Wiederentdecker der barocken Stadtanlagen und der „festlichen Klarheit" feiert. 59 Vgl. auch die Ausfälle gegen das deutsche Professorenwesen S 254; über Sitte, Henrici, Brinckmann S 265 f. und 272. 60 Ratz, Sozialreform ..., S. 71-76. 58

346

5.5.2 Posten

Die Gründung des Archivs ist bisher nicht aufzuklären 61 . Die Vermutung eines engen Zusammenhangs stützt sich auf die räumliche, wohl auch kollegiale und freundschaftliche Nähe der beiden Initiatoren. Hegemann und Gustav Langen verfügten beide in der Trabener Straße 25 - Anschrift des Propaganda-Auschusses - über Räume, teilten sich vielleicht gar ein Büro 62 . Das hieße die Kausalverbindung umzukehren und annehmen zu können, daß von der - gemeinsam? - imaginierten Zentralstelle schließlich das Archiv für Städtebau realisiert wurde. Die „Charlottenburger Zeitung" regte bereits am 31. Mai 1910 an, nach der Ausstellung ein 'Deutsches Museum für städtische Einrichtungen' in Berlin zu schaffen, das nach dem Münchner Vorbild für Technik städtebauliche Errungenschaften präsentierte. Die Idee einer ständigen Sammlung zu Lehrzwecken war Hegemann auch durch die dem Werkbund assoziierten Institutionen vertraut, die Parkausstellung ein erster Schritt und von der Wanderschaft der Exponate vorgezeichnet. So hätte Gustav Langen mit dem Ausstellungsmaterial des Jahres 1913 einen Anfang gemacht, um langfristig auf die eventuell gemeinsam geplante und nach Hegemanns Rückkehr in Angriff zu nehmende Sammlung hinzuarbeiten 63 . Die Arbeitsskizze „Zentralstelle" kann also einen durchaus ernstzunehmenden Plan bedeutet haben. Hegemann hamsterte zudem Posten und Pöstchen, die ihn mit derem potentiellen Umkreis enger verbanden. Durch eine Schriftführung im Zwölfer-Ausschuß, die ihm wohl als Assistent Marchs zufiel, behielt er Verbindung zu einer weniger exponierten, fachorientierten Gruppe, die mit gedämpfteren Mitteln wie Eingaben und Kommentaren zu wirken suchte 64 . Durch den Propaganda-Ausschuß näherte sich Hege61 Langen, Begründung ..., gab dazu keine Hinweise. Bekannt ist lediglich, daß das Archiv als „Wandermuseum" aus der Abteilung „Städtebau" der Leipziger Ausstellung 1913 hervorging, die Langen verantwortlich gestaltete, so Geist/Rausch in der Ausstellung „Bauausstellungen". 62 1911 zog Hegemann in die Trabener Str. 21, Grunewald, um. Im August des Jahres mietete er in der Trabener Str. 25 weitere Räume, die im folgenden Jahr als Büro des Propaganda-Ausschusses firmierten. Langens Anschrift wurde 1911 mit Trabener Str. 25 angegeben. Entweder galt Hegemanns Büro als seine Postanschrift oder er wohnte bereits dort und vermittelte die Büroräume oder stellte sie zur Verfügung: mit Sicherheit waren es gemeinsame der einen oder anderen Form. Zudem führt Langen das Archiv 1928 wiederum von der Trabener Str. 21 aus; hatte er die Hegemannsche Wohnung übernommen? 63 Der von Langen herausgegebene „Katalog des Wandermuseums" weist keine Personalverbindung aus. Nur ein Exponat stammt von Hegemann und muß als Leihgabe der Firma Ochs ein Relikt der Parkausstellung sein. Doch die Schenkung von Modellen aus dem Besitz Otto March zeigt eine persönliche Verbindung auch über Hegemann auf. 64 Problem (1913) 14. Besetzung laut WAVB 6 (1911), S. 74: March, Grawitz (Arzt am Krankenhaus Westend), Ewald (Arzt, Vorsitzender des Waldschutzvereins), Gerhardt (Rat im Ministerium für öff. Arbeiten), Otto von Mendelssohn-Bartholdy, Gelisch (MdA), Mangoldt, Petersen, Kuczynski, Brodersen, Blum. Die Berufe der Mitglieder werden als Illustration der Vielseitigkeit des gewünschten Beirats für den Zweckverband gewertet. Daneben gab es noch den sogenannten „freien Auschuß", den March und Goecke gegründet haben sollen; seinen Mitgliedern nach ein anderer: March, die Vorsitzenden beider Architektenvereine, Launer (Vortr. Rat im Arbeitsministerium), Ernst von Ihne, Stübben, Dolezalek, Muthesius, Goecke, Eberstadt, Schultze-Naumburg, Heimann, Stapf laut NDBZ 6 (1910), S. 540; 1912 nur noch March, Dolezalek, Eberstadt, Goecke, Launer, Muthesius, Saran, Schultze-Naumburg, und Stapf laut Städtebau 9 (1912), S. 35 (keine weiteren Meldungen). Eingaben brachten etwa auch

347

5.5.2 Arbeitsbeschaffung

mann den spezifischen Vereinen, die untereinander kooperierten, wie dem Waldschutzund dem Ansiedlungsverein65. Gleichzeitig verlieh sich Hegemann mit dem des ehrenamtlichen Schriftführers des Komitees „Alter Herren" der Berliner Universität zum Schutze des Universitätsgartens einen wilhelminisch reichhaltigen Titel mehrfacher Dignität, wahrscheinlich auf eigene Initiative. Sie verknüpfte ihn wieder eindeutig mit der Besorgnis um die Kunstwerke der Stadt 66 . Ein Artikel vom Februar 1913 zeigt ihn auch um die Bewahrung natürlicher Umgebung besorgt, der eine Annäherung an die Reformvereine spiegelt67. Zum anderen gelang es ihm, sich in einer Umfrage der „Berliner Morgenpost" zum Bau von Hochhäusern in der Innenstadt in eine Reihe mit Peter Behrens, Bruno Möhring, Goecke, Dernburg, Walther Rathenau, Oskar Tietz, David Sandmann stellen zu lassen. Hegemann sprach sich für einen strikt geregelten und begrenzten, aber zulässigen, für kommunales Erscheinungsbild und Steueraufkommen auch wünschenswerten Hochhausbau aus, was ihm auch noch einen Artikel in der „Berliner Illustrirten Zeitung" einbrachte68, dessen Illustration (Bild 15) das Anthema des 'Hochhauswalds' bis in die Zwanziger Jahre gültig beschrieb. Der Umriß dieser Arbeitsbeschaffung zeigt eine Rollensuche. Die daraus resultierende Rollenbeschreibung beinhaltet im wesentlichen die Publizität, Außenwirkung, Geltendmachung und Koordination von fachlichen Konzepten. Sie meint die Sachkompetenz eines Kritikers und die Rolle eines öffentlichen Vermittlers, die Vermarktung eines Kulturauftrags. Dabei gibt es Indizien, daß er gerade in der damit zu vertretenden Gruppe der Architekten - und nicht nur durch die Definition einer sozialen Aufgabe - aneckte. In der Diskussion seines Vortrages vor dem Architekten-Verein zu Berlin am 18. März 1912, der etwa der populären Fassung vom „Werden Groß-Berlins" entsprach und auf einem ersten Höhepunkt der Debatten um die Zahlen stattfand, wurde ihm vorgeworfen, es lediglich auf eine Begeisterung der großen Masse abgesehen zu haben. Diese Diskussion flektiert deutlich die Grenzen der Reformbereitschaft innerhalb eines Berufsverbandes: die Wirtschaftlichkeit des Kleinhauses ist unter den Architekten umstritten, eine Randbebauung wird nicht zuletzt als künstlerisches Mittel bevorzugt, zumal das Kleinhaus keinen (künstlerisch wie monetär) lohnenden Auftrag bedeutet; eine eindeutige Entscheidung ist nur nach Expertenwissen möglich und und nicht in großen Volksversammlungen zu lösen69. Gemeinsamkeit reicht allenfalls bis zur entrüsteten Verurteilung des Zweckverbands, der es ablehnt, einen „Städtebaukünstler" anzustellen. Die Aversionen gegen der Bund Deutscher Architekten [BDA], Ortsgruppe Berlin, und der Bund Heimatschutz vor. 65 GB 85 f. Ankündigungen der jeweiligen Hauptversammlung am selben Ort zur selben Zeit; Besetzung und Erscheinen zeigen eine allgemein enge Verknüpfung. 66 Problem (1913) 14. Vgl. S 389 das Kastanienwäldchen, nicht das Komitee erwähnt, jedoch mit anderen Ämtern Kiepenheuer (1930) 49 wieder genannt. Weiteres bisher nicht nachweisbar. 67 Stadt und Wald (1913) 256. Ausgelöst wurde dies zunehmende Interesse vermutlich durch die Ausschreibung zum Bebauungsplan Düsseldorf, in der Geusen den Erhalt der Wiesen und Wasserläufe gefordert - durch Vor lauf zum Siedlungsverband ein konkreter Erfolg des Wettbewerbs - und Hegemann auf die Aufnahme der preservation in eigene Konzepte vorbereitet hatte. 68 Bau (1913) 15 f.; Wolkenkratzer (1913) 69 ff., das Foto auch AA 162 und WMB 8 (1924), S. 296. 69 WAVB 7 (1912), S. 197 f. 348

5.5.2

Wissenschaft

eine Öffnung des Monopols können strukturell, wenn auch nicht der Form nach, mit den späteren der Historiker gegen Hegemanns Veröffentlichungen gleichgestellt werden. Die alleinige Definitionsmacht wird aus künstlerisch-autokratischem und wissenschaftlichhierarchischem Selbst Verständnis abgeleitet. Nicht zuletzt deshalb suchte Hegemann nach einer weiteren Legitimation. Weitere berufliche Zukunft sah Hegemann in der Wissenschaft. Wirksam war dafür nicht nur das Vorbild Paul Voigts, sondern mehr noch Rudolf Eberstadts, der erst 1917 zum ordentlichen Honorarprofessor der Universität Berlin ernannt wurde, obwohl er seit 1902 dort als Dozent lehrte. Eberstadt bedauerte, nie an einer Technischen Hochschule gelehrt zu haben, weil er sich von deren Studenten eine wirksamere Umsetzung seiner Lehren erhoffte. Hegemann war 1911 in der Vorlesung Seesselbergs aufgetreten. Dieser war soeben nach Querelen mit Kollegen zum Professor für Philosophie der Baukunst ernannt worden. Sesselberg war Vorsitzender der Ortsgruppe Berlin des Bundes Deutscher Architekten (BDA), zweiter Vorsitzender des Ausschusses für die Einrichtung von Bauberatungsstellen bei der Zentralstelle für Volkswohlfahrt und ein früher Aktivist der Heimatschutzbewegung. Hegemanns Auftritt fand demnach nicht am prädestinierten Ort, dem Seminar für Städtebau, statt. Dort eine Reserve gegenüber Nicht-Architekten zu vermuten, dürfte nicht fehlgehen. Durch gemeinsame Zugehörigkeit zum DWB, sein Interesse an Bauberatung und der Einladung des den Bodenreformern nahestehenden Johannes Altenrath stand Seesselberg den sozialpolitischen Auffassungen vom Städtebau nicht fern. Die Assoziation bestimmte sich demnach nicht über die Disziplin, sondern folgte „Gesinnungsgemeinschaften", die innerhalb des offenen Faches Fraktionen bildeten. Sie wurden über persönlichen Austausch konstituiert und über Meinungen zu den durch die Städtebauausstellung aufgeworfenen Fragen begründet. Fraktionen entstanden entlang Befürwortung spezifischer Mittel, dabei die klassischen Fachgrenzen übergreifend. Spiegel der Offenheit des Fachs. Walter Curt Behrendt etwa dankte in seiner Dissertation über „die einheitliche Blockfront als Raumelement im Stadtbau" Hegemann und Paul Mebes für manchen bedeutsamen Hinweis·, er widmete sie Karl Scheffler und dankte weiter Brinckmann, Eberstadt, Goecke, Rehorst, Schmidt und March 70 . Dies Beispiel zeigt eine temporäre Assoziierung durch Einigkeit in einer konkreten Frage; diese driftet über die Auffassung vom anachronistischen künstlerischen Mittel alsbald auseinander. Es zeigt jedoch vor allem, daß Hegemann keinen Zugang zu einer legitimierten und sanktionierten Beratung architektonischer Arbeiten erlangen konnte. Hegemann strebte daher die folgende akademische Qualifikation an und mußte sich dazu zwangsläufig an die Nationalökonomie halten. Er hatte bereits, so referierte er 1916, erste Schritte zum Erwerb einer venia legendi eingeleitet. It is my belief that city-planning calls for special investigation a science

in itself.

This

is so important

in all its various science

an object

phases,

of city-planning,

in future

forming taken

development

that

in their complexity

especially

as the

it

almost

interrelation

70 W a l t e r C u r t B e h r e n d t , D i e e i n h e i t l i c h e B l o c k f r o n t als R a u m e l e m e n t i m S t a d t b a u . E i n B e i t r a g z u r S t a d t b a u k u n s t d e r G e g e n w a r t , B e r l i n 1911, S. 10.

349

5.5.2 Universität

between freight and passenger transportation, housing in its various aspects, landscape and civic architecture, I believe I could at present serve best if a University with large collections and an atmosphere of intelligent discussion of civic problems could give me an opportunity for research work. Before my accepting the invitation of the People's Institute to America, I pursued a similar plan in Berlin and Prof. Herkner (then Dean of the Economic Department of the Polytechnicum, Β erlin-Charlottenburg, now successor of Prof. Schmoller, University Berlin) accepted my „City-planning according to the results, etc." (Vol. I then having appeared) as „Habilitations-Schrift".

Hegemann kehrt hier eine „geistesaristokratische" Haltung hervor, die 'intelligenter Atmosphäre' bedarf, gleichzeitig 'Diener' der Wissenschaft zum Allgemeinwohl sein soll. Diese Präsentationsmuster - inklusive der 'Beförderung' Herkners - sind eindeutig auf das wilhelminische Deutschland zugeschnitten, Folge der Deutungsmuster und Kulturstandards, in dem die Professur als Orientierungsinstanz höchstes Desiderat ist. Die Behauptung Hegemanns, Heinrich Herkner habe den „Städtebau" als Habilitationsschrift bereits akzeptiert, kann extern weder bestätigt noch widerlegt werden 71 . Als Hegemann sich Ende 1930 zu einem neuen Anlauf erneut an Herkner wandte, führte er sich wieder damit ein, daß Herkner 1912 seine Arbeit über den Berliner Städtebau als These für meine damals geplante Privatdozenten- Tätigkeit an der Technischen Hochschule Charlottenburg angenommen habe 72 . Im selben Zusammenhang hatte er gegenüber Wilhelm Abegg geäußert, daß die Annahme wegen seiner damaligen Berufung nach Amerika keine praktischen Folgen hatte und im beigefügten Lebenslauf notiert, daß diese Habilitation durch Hegemanns Berufung nach Amerika verhindert wurde. Diese Präsentation gilt einer akademischen Aufwertung. Herkner widersprach dieser Darstellung nicht, bestätigte sie aber auch nicht. 1930 ließ er Hegemann jedoch wohl unmißverständlich wissen, daß auch die Neubearbeitung des Werks, als die Hegemann nun das „Steinerne Berlin" ausgab, einer Habilitation nicht genügen würde, die sich auf das gesamte Fach der Staatswissenschaften erstrecken müsse. Denkbar ist also eine Vorvereinbarung in einem informellen Kontakt zwischen Hegemann und Herkner. Den Weg hätte eine Empfehlung seitens Walter Lötz', Schwager Herkners, ebnen können. Dabei hätte Herkner zusagen können, das publizierte Werk 71 Dokumente der Technischen Hochschule zu diesen Vorgängen existieren nicht mehr; der Bestand des Hochschularchivs TH gilt als zerstört, verbrannt nach einem Bombenangriff November 1944. Erhalten ist ein Titelkatalog der an der TH eingereichten Hochschulschriften, in dem das Werk nicht aufgeführt ist (wie auch nicht in den gedruckten Verzeichnissen dieser Schriften). Die geltende Habilitationsordnung (von 1848, revidiert 1902) sah die Anerkennung bereits publizierter Werke ausdrücklich vor. Danach läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, daß eine formale Anerkennung nicht erfolgt ist. Gespräch mit Herrn Malz, Hochschularchiv der TUB, 13. und 14. Juli 1992. Auch in den Archivalien der Friedrich-Wilhelms-Universität gibt es keine Hinweise. Das Hochschularchiv der HUB verfügt über einen Zettelkatalog „Habilitationsschriften 1811-1945", in den auch nicht abgeschlossene Verfahren aufgenommen wurden; darin nicht verzeichnet. Weder Personalakte Herkner noch Sitzungsberichte der Philosophischen Fakultät, 1912-1914, verzeichnen den Namen Hegemann; der Bestand Rektorat und Senat enthält keine Dokumente zu Habilitationsverfahren vor 1935. 72 Werner Hegemann an Heinrich Herkner, 22. Dezember 1930.1. HA, Rep. 76 Kultusministerium Va, Sekt. 2, Titel IV, Nr. 68, Bd. 1, Bl. 35. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin. Anlage Bl. 36-39 das oben mehrfach erwähnte, fortan als Lebenslauf (1930) zitierte vierseitige Typoscript.

350

5.5.2

Habilitationsabsicht

zu akzeptieren - möglicherweise gebunden an die Veröffentlichung aller drei Teile, was die Einleitung eines offiziellen Verfahrens noch ausschloß 73 . Herkner gehörte nicht nur als Vizevorsitzender des VfSP, sondern auch als Vertreter (sozial-)politischen Städtebaus für die „nationale Kultur und Zukunft" 7 4 zu einer weiteren „Gesinnungsgemeinschaft", die mit Hegemanns Arbeit und Auslegung weitgehend übereinstimmen konnte. Berührungspunkte können dabei auch Herkners Konzepte von Sozialpolitik als wirtschaftlicher Leistungssteigerung, Erhöhung des Sozialprodukts und Ausgleich zu psychologischen Wirkungen des individuellen Arbeitsprozesses gewesen sein. Sollte die Annahme des ersten Teils genügt haben, hätte sich der Vorgang 1912. da Herkner das Wintersemester noch an der TH lehrte, durchaus forcieren lassen 75 . Mit der Absicht einer wissenschaftlichen Karriere erscheint die Dimension des Mißerfolgs in diesem Lebenslauf. Hegemann ist der Sprung an die Universität weder 1913 in Berlin noch 1916 in Cambridge gelungen. In Form eines kleineren Angebots, dem einer befristeten Dozentenstelle, lehnte er ihn 1914 in Berkeley ab. Die Priorität dieser Absicht unterlag im Lebenslauf diversen Schwankungen. Diese Mißerfolge verursachten jedoch viel Bitterkeit, die den anhaltenden - und auch 1931 nicht eingelösten - Wunsch nach diesem Status bezeugt. So äußerte sich Hegemann 1935 über einen späteren Anlauf gegenüber Arnold Zweig: Ich weiß nicht, ob Sie von den Bemühungen erfuhren, die seinerzeit meine Lehrer u. Freunde Brentano u. Herkner gemacht haben, um mir einen Lehrauftrag für Städtebau u. Wohnungswesen an der Berliner Universität zu verschaffen. Das war angesichts des erbitterten Widerstandes der reaktionären christl. Professoren gegen den Verfasser des Fridericus unmöglich. Der Sozialdemokrat. Kultusminister wollte nicht schokieren, keinen neuen Fall Gumbel-Lessing schaffen; darum hieß es: mein Fach gehöre doch an eine technische Hochschule. Genau dieselbe Haltung u. aus denselben tieferen Gründen nahmen hier die deutschen Professoren der „University in Exile" [ein]. Der wesentliche Unterschied ist nur, daß sie Juden u. Emigranten sind. - Meine These ist, daß Stadt- u. Landesplanung das praktische Zentrum aller Sozialwissenschaft u. Lebensphilosophie sein muß. Aber diese Herren reden lieber über Grenzwerttheorie.76 73

Ob eine traditionelle philosophische Fakultät dieses Werk als Habilitation in der Praktischen Nationalökonomie akzeptiert hätte, muß die Fachgeschichte beantworten. Die Akten der FWU - Herkner wurde am 2. Dezember 1912 ernannt - zeigen das Bild einer Nationalökonomie, die sich zwar gegen Verlagerungen zur Rechtswissenschaft wehrt, weil sie selbst von „Geschichte und Philosophie, Geistesund Naturwissenschaften" profitiere, jedoch den Wunsch nach einem Lehrfach Soziologie durch die „Einrichtung einer Professur für Religions-, Sozial- und Geschichtsphilosophie als erledigt" ansieht. Philosophische Sitzungsberichte 34, Bl. 252, 254, Hochschularchiv der Humboldt-Universität, Berlin. 74 Herkner, Wohnungsfrage ..., bes. S. 20 f. Er teilte die Wertschätzung der absolutistischen Rechte und hohenzollerscher Ausübung als Mittel gegen Spekulation, kritisierte Eberstadt, nahm ihn aber auch gegen Andreas Voigt in Schutz; sprach sich für das Kleinhaus als Grundpfeiler der individualistischen Gesellschaftordnung aus, es gebe vielleicht kein wirksameres Mittel sozialdemokratischen Ideen entgegenzuwirken·, hielt es aber der Kosten wegen nicht für durchführbar. Die Einfachheit der Wirkungsvorstellung ist - wie bei Weisbach - typisch für das Mandarinentum. 75 Die Akten der FWU zeigen etwa einen Zeitraum von 3-4 Monaten zwischen Annahme des Habilitationsgesuchs und Erteilung der venia legendi. 76 Hegemann an Zweig, 24. April 1935, Arnold Zweig-Archiv. [H.i.T.].

351

5.5.2

Deutungskonkurrenz

Trotzdem diese Erfahrungen weitaus später folgten und ihre Bewertung noch später erfolgte, belegen sie, daß die wissenschaftliche Bestimmung von „Städtebau" prekär blieb. Hegemann mußte seine Definition aufgrund der institutionellen Zugangschancen für das Fach Staatswissenschaften unternehmen. Im Falle eines Erfolges hätte er zu jenem „kleinen wissenschaftlichen Kartell der Wohnungsreformer" (Paul Voigt, Eberstadt, Fuchs, Vilma Carthaus) 7 7 gehören können, die den Streit gegen die Spekulation und für das Kleinhaus mit wissenschaftlichen Arbeiten fortführten. Soweit er auch die Professur und ihre Vorstufe der Privatdozentur als allein verbindliche Legitimation einer Deutungshoheit anstrebte, zeigt seine Idee der „Zentralstelle" eine erste Modernisierung. Die Vorform einer Agentur bedeutete nicht nur gezielte Außenwirkung und -Werbung im Gegensatz zu den gelehrtenpolitischen Medien der Aufsätze und Artikel, sondern einen ersten Schritt auf den Markt zu, zu einer freiberuflichen Verwertung der Kritikerkompetenz in einer Deutungskonkurrenz. Darin bestätigt Hegemann sich als Modernist unter den Mandarinen. Dennoch hatten, wenn es nicht schon seinem individuellen Ehrgeiz entsprochen hätte, die Erfahrungen des Propaganda-Ausschusses deutlich gemacht, daß eine Deutungskonkurrenz ohne den Rückhalt eines Professorentitels nicht zu gewinnen war. Für das eine wie das andere war die Unternehmung einer groß angelegten Vortragsreise in den Vereinigten Staaten keinesfalls ein Ausweichen, das mit einem Scheitern der wissenschaftlichen Ambitionen oder der populistischen Agitation begründet wurde - wenn auch die Enttäuschung über die Heftigkeit der Reaktionen zum Wunsch einer zeitweisen Abwendung beigetragen haben mag. Die anhaltende Schockwirkung über die Ablehnung und Leugnung der Zahlen ehrbarer Wissenschaftler läßt Hegemann noch 1934 Nachweise führen 78 . Die Wut auf bornierte Stadtvertreter ließ ihn 1913 sich vornehmen, das Bild der amerikanischen Rezipienten von der Effizienz deutscher Kommunalverwaltung gründlich zu lüften - wovon ihm sein Freund Edward Bassett dringend abriet. Daraus erwächst eine wichtige Weichenstellung, weil Hegemann auch später kaum in der Lage ist, Kritik nicht als eine persönliche aufzufassen. Ihm fehlt die Abstraktionsfähigkeit, auch in diesen Situationen den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Position des Gegners und dessen Argumenten herzustellen. Nicht zuletzt aus den Gefechten um die Zahlen resultiert Hegemanns Hang zu penibler Gegenkritik und Humorlosigkeit, die sich mit seiner späten Ironie so schlecht zu vertragen scheint. Für eine lange Zeit beeinträchtigt dies seine Einsichtsfähigkeit in Architektur- und Historikerkritik, was sich wiederum in der querulatorischen Perspektive seiner literarisch-historischen Werke fruchtbar niederschlägt. Die Reise nach Nordamerika war demnach in jeder Hinsicht seinen Arbeitsplänen förderlich für die Kollationierung eines Fundus als Arbeitgrundlage jener Zentralstelle ergiebig, als Materialsammlung für den letzten Teil des nunmehr zur Habilitationsschrift aufgestiegenen Städtebauwerks und zum Ausgleich des Fehlens jeglicher eigenständiger Lehrerfahrung. 77 78

352

Bodenschatz, Platz frei ..., S. 265. Political Economy (1934) 44.

5.5.3

Professionalisierung

5.5.3 Bildungsbürger und Professionalisierung Die Bewegung 'Städtebau' basierte auf dem universalen Geltungsanspruch von Bildungswerten und Kulturstandards für jede Gesellschaftsformation, der aus der Allgemeinbildungsideologie generiert wurde. Sie wurde als Konkurrenz zu anderen Verfügungsgewalten und Interpretationsinstanzen entfaltet und bezog ihre Konkurrenzfähigkeit aus der für defizitär erklärten Kompetenz von Bürokratie und Privatwirtschaft, diese Standards zu vertreten. Als berufspolitische Bewegung hatten ihre Angehörigen den Besitz von Bildungspatenten als Determinante individueller Entfaltung wie sozialer Lage, als Vehikel der ständischen Sozialisation und Basis der Einflußmöglichkeiten79 gemein. Unabhängig von ihrer Klassenlage, einem marktbezogenen Erwerb im freien Beruf der Privatarchitekten oder Besoldung aus öffentlicher Hand bei Beamten und Wissenschaftlern, sahen sie ihre aus dem Wertinterpretationsmonopol abgeleiteten Gestaltungspotentiale von den weiteren Instanzen bedrängt. Dabei wurde dieser Monopolanspruch nicht unwesentlich durch das ergänzende Selbstbild vom Künstler bestärkt 8 0 . Die Bewegung ist Teil eines Professionalisierungsprozesses, der sich noch in der ersten Phase der Diskussion über das Wesen und die wünschenswerte künftige Ausformung des Berufs81 befand, bevor die von Berufsorganisationen verhandelte, staatlicher Kontrolle unterworfene Monopolisierung zur Profession als 'Stadtplaner' eingeleitet werden konnte. Die Zusammensetzung der Gruppe wie der Ursprung des postulierten Gestaltungsmonopols lenkte den Regelungsanspruch allein auf staatliche Verfügungsgewalten, von denen die Etablierung eines Regelungskomplexes zur Durchsetzung der reklamierten Gestaltung erwartet wurde. Gemäß der aus der Bildungsideologie bezogenen Gruppenidentität mit Angehörigen der Bürokratie soll die Fremdalimentierung auch auf diesen Leistungsbereich erweitert werden. Die Unabhängigkeit vom Zwang zu marktbezogener Eigenerwirtschaftung seiner Subsistenzmittel in öffentlicher Besoldung oder staatlich-professionspolitisch legitimiertem Einkommenserzielen, ein zweites strukturelles Merkmal des Bildungsbürgertums 82 , ist als ökonomische Versorgungsgarantie und soziale Heraushebung aus zwangsweise selbständig Wirtschaftenden weiteres Element eines Professionalisierungsprozesses. Dieses Ziel wird jedoch nicht offensiv als Ergebnis methodisch-rationaler Überlegungen angestrebt, sondern ist Derivat des Deutungsanspruchs. Die Isolierung des in diesem Falle philosophisch-künstlerisch akzentuierten kultur- und gesellschaftspolitischen Bildungswissens ist damit aufgebrochen. Aufgrund der bildungs79

Engelhardt, Bildungsbürgertum ..., S. 26 f. Siehe Kocka, Bürgerlichkeit ..., S. 37; Haltern, Bürgerliche Gesellschaft ..., S. 98, Konter, Architekten-Ausbildung ..., S. 296-299, 301 und Bolenz, Baubeamte ..., S. 218 ff, 225-230. 81 Clark, Architektenberufe ... S. 538. 82 Engelhardt, Bildungsbürgertum ..., S. 26. Siehe auch Rainer M. Lepsius, Das Bildungsbürgertum als ständische Vergesellschaftung. In: Rainer M. Lepsius (Hrsg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. T. 3, Lebensführung und ständische Vergesellschaftung (Industrielle Welt 30), Stuttgart 1992, S. 80

8-18.

353

5.5.3

Zwischenstellung

soziologischen Bedingungen wird es jedoch nur gegen verwaltungspolitisches Herrschaftswissen um der Partizipation willen geöffnet. Die Kritik der staatlichen Eigenvertretung kann als Ausdruck der Verbürgerlichung gefaßt werden 83 . Sie wurde aus der vermuteten Differenz zwischen bürokratischen und bürgerlichen Prinzipien abgeleitet. Darin machen sich individuelle Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit, Freiheit gesellschaftlicher Initiativen von obrigkeitsstaatlicher Gängelung (aus dem schöpferisch betonten Bildungswissen bezogen) gegen obrigkeitsstaatliche Orientierung an Autorität, Gehorsam, Abhängigkeit und Berufungen auf Hierarchie produktiv geltend. Auf der anderen Seite ist die indirekte Kritik der freien Wirtschaftsverfassung kaum eine Verbürgerlichung, lediglich eine Annäherung. Öffnung zum ökonomisch-technischen Leistungswissen setzt nur partiell und selektiv ein. Die Bewegung sucht zwar das Feld mit rationalem Planungshandeln zu besetzen, jedoch nicht, um die Produktion der kapitalistischen Industriegesellschaft zu optimieren; im Gegenteil werden die originär produktiven Sektoren ausgeblendet. Vielmehr sollen mit selektiver Nutzung eines Leistungswissen Teilphänomene und -Wirkungen der Hochindustrialisierung minimiert werden. Wie im Wirkungsbild des Werkbunds am augenfälligsten sichtbar, soll nicht nach ökonomischer Rationalität optimiert, sondern unter deren Nutzung kulturell umgemodelt werden. Statt sie zum erfolgreichen Agenten einer Bourgeoisie zu machen, begrenzt der fehlende Einklang den Erfolg der Bewegung, weil sie ihre Ziele nicht als ökonomisch produktiv plausibel machen kann. Es bleibt eine Differenz zwischen kultur- und wirtschaftsbürgerlichen Prinzipien, bei der das Autonomieprinzip aus der Hochschätzung von Kunst und Wissenschaft im Kontrast zur ökonomischen Orientierung an Aufwandsminimierung, Nutzenoptimierung, Zweckrationalität und Effizienz steht. Leistungswissen wird selektiv genutzt, weil die Wertschätzung von Wissenschaftlichkeit eine partielle Aneignung zuläßt, die in die dominanten Kulturwerte produktiv eingefügt werden kann, die als Leitlinien von Handeln und Erkenntnis Geltung behalten 84 . Sollen Gruppe und Bewegung mit zentralen Phänomenen der neuzeitlichen Moderne westlicher Gesellschaften verknüpft werden85, muß ihr Intentions- und Selektionsverhältnis zu gesamtgesellschaftlicher Arbeitsteilung, Aufstieg der Wissenschaften, Systematisierung und Säkularisierung, Ubergang der Traditions- in die Leistungslegitimation und der Durchsetzung jener okzidentalen Rationalität im Sinne Webers kritisch bestimmt werden. Diese Gruppe wird gerade mit letzterer nicht linear verknüpft werden können. Die Erforschung der winkeligen Wege wird aber gerade Auskunft geben können über Realität und Potentiale eines „Bildungsbürgertums". 83 Vgl. Kocka, Bürgerlichkeit..., S. 36; Haltern, Bürgerliche Gesellschaft ..., S. 95, über den Gegensatz zwischen dem um Autonomie besorgten Staat und dem Machtanspruch der bürgerlichen Gesellschaft, zu dem auch diese zählt. 84 Daß die Maßnahmen gegen Marginalisierung dieser Kulturwerte sich gerade einer rationalen Produktion derselben zu bedienen suchten, ist bereits angemerkt worden und kann wiederum als Teil des Verbürgerlichungsprozesses gesehen werden. Das insbesondere, insofern die Aneignung der Aufgabe sinnvermittelnder Bauten vom Souverän durch die Kommune unter Federführung der rationalen Sinn- und Kunstproduzenten und unter Verpflichtung der ökonomischen Produzenten eine genuine Verbürgerlichung darstellt. 85 Conze/Kocka, Einleitung ..., S. 19 f.

354

5.5.3 Ästhetische

Haltung

Vor dieser Skizze zum gesellschaftssoziologischen Kontext ergeben sich für die Frage nach Stellung und Wandel im Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung für Hegemann folgende Hinweise. Für seinen Zugang zur Bewegung war keine Leistungs-, sondern eine bildungsbürgerliche und Traditionslegitimation ausschlaggebend. Der Sozialstatus wurde durch die Familie definiert; der hierarchische Status spiegelte das Anciennitätsdefizit. Seine Leistungsbereitschaft korrespondierte nur mit konkreten Anforderungen, sein Arbeitsverhalten war irregulär und unsystematisch. In der Fortbildung setzte er statt auf methodisch-wissenschaftliche Studien auf ein nach dem Honoratiorenprinzip geknüpftes Netz von fachlichen und, mehr noch, nach gesellschaftlichen, prestigeträchtigen Kriterien gewählten Bildungsreisen und persönlichen Begegnungen 86 . Eine Kumulation von Leistungsnachweisen bedarf der Allgemeinbildungshinweise und der Referenz an Tradition und Anciennität. Dieses Lavieren entspricht einem großbürgerlichen Selbstverständnis, als wirtschaftlich unabhängiger Bildungsbürger ein leistungsfundiertes Neigungswissen bzw. ein neigungsfundiertes Leistungswissen zu sammeln. Das Arbeitsverhalten zeitigte ökonomische Erfolge. Sowohl die verquickte Qualifikation konnte wirtschaftlich ergiebig verwertet wie ein darauf zugeschnittener und kurzzeitig expandierender Markt eröffnet werden. Dennoch verfolgte Hegemann die spezifische und im Rahmen der Kulturwerte traditionelle Legitimation durch Habilitation. Die Selbstpräsentation (mit ihren Ubertreibungen von 1916) indiziert ein Ausdünnen des Marktes für diese Tätigkeiten als rationalen Grund dieses Handelns. Chronologisch wie soziologisch aber ist das Streben nach endgültig eindeutiger Dokumentation der strukturellen und statusmäßigen Kennzeichen des Bildungsbürgertums auf höchster Ebene für ursprünglich zu halten. Darin wären nicht nur der Status, Stand, Einfluß- und Handlungsmöglichkeiten sowie Fremdalimentierung gesichert, sondern auch der individuelle Geltungsanspruch wie der allgemeingültige Deutungsanspruch. Im Privatleben blieb die Familie weniger emotionale und als Selbstzweck begründete Gemeinschaft denn dem öffentlichen Leben eindeutig nachgeordnet. Die utilitaristische Einbindung der Frauenrolle einerseits wie die libertäre Auslegung der Männerrolle andererseits seitens Hegemann kann weder eindeutig dem Vorbild des Patriarchen noch dem des Bohemiens zugeordnet, wohl aber einem von beiden Extremen beeinflußten großbürgerlichen Anspruchsspektrum zugeschrieben werden, Ursache für ihre Aufgabe um 1911. Motive und Ziele seines Arbeitsentwurfs sind eindeutig Ausfluß jener bildungsbürgerlichen Reklamation, Kulturwerte zu vertreten, die in jeder Gesellschaftsformation uneingeschränkte Geltung haben und von konkurrierenden Instanzen verdrängt oder bedroht sind. Nicht auf der Basis von Wissenschaft werden von Hegemann Qualitäten generiert, die er als autonomes und höchstes Kulturgut postuliert, sondern bei Emotionen - ästhetisches Empfinden und schöne Haltung - beginnend, bezieht er sie aus Ethik - Moral und Fürsorge um nach einem Handlungsmuster von Gelehrtenpolitik eine scheinbar 86 Die ausführliche Ausweisung in der Selbstpräsentation indiziert die Bedeutung derer Funktion; siehe S 152-154.

355

5.5.3

Paradoxon

(staats-)wissenschaftlich fundierte Ethik als 'wissenschaftliche' Politik auszustellen. Sein spezifischer Entwurf funktionalisierte gesellschaftliche Eliten zur Vertretung jener Kulturwerte, als Kontrolle konkurrierender Instanzen, zur Diffusion nach unten. Die Aufgabe der Bewährung durch Ausübung von Kulturstandards trägt denen eine Leistungsforderung zur Standeswahrung an, vereint mithin eine Traditions- mit einer neuen Leistungslegitimation. Analog bricht die Aneignung der Kulturwerte von unten für weitere Gruppen und Schichten die traditionellen Zugangsrestriktionen zugunsten einer Leistungslegitimation auf, um zur gesellschaftlichen Mobilität zu gelangen. Die prinzipiell erudierende Wirkung eines solchen Konzepts, auf die schon verwiesen wurde, trifft auch auf seinen Urheber zu. Aus der ästhetisch, dann ethisch motivierten Verteidigung der Kulturwerte erschließt sich ein wissenschaftlich fundiertes Arbeitsprogramm. Externe Betätigungen als Bewährung durch Ausübung entsprechen der Diffusion nach unten, resultieren in einer öffentlichen Anmeldung konkurrierender Deutung und im Konflikt mit Herrschaftsinstanzen. Die Nachweise derer als Leistungsnachweise nehmen in den Selbstpräsentationen eine zunehmend wichtige Rolle ein; der Zusammenprall der konkurrierenden Deutungen aber wirft auf die klassische traditionelle Legitimation des Deutungsmonopols zurück, während erste Konzepte einer marktbezogenen Umsetzung entworfen werden. Dieses Konzept also stellt sich als ein spezifischer Vermittlungsversuch im Übergang von der Traditions- zur Leistungslegitimation in der modernen Gesellschaft dar, der letzterer schon näher steht als der ersten (und als vom Urheber gedacht). Entscheidendes Kennzeichen ist, daß diese Vermittlung nicht auf allgemeinen bürgerlichen Prinzipien fußt, sondern als ihr Korrektiv geplant aus den bildungsbürgerlichen Kulturwerten bezogen wird. Sie beruht typischerweise auf Erziehung, in der die pädagogischen Intentionen eine auf das politische Allgemeine zielende Richtung haben. Als Konzept erwächst sie demnach zunächst gerade nicht der „okzidentalen Rationalität" der Moderne, sondern sucht sich ihr anzunähern, trägt aber in Nebenwirkungen zu ihrer Durchsetzung bei. Die Verteidigung beschleunigt die Annäherung. In Hegemanns Formation, Entwürfen und Praxis haben sich Nachwirkungen ständischer und traditionaler Werte erkennen lassen. Seine individuelle Näherung an moderne liberale Ansprüche und Herausforderungen folgte aus seiner bildungsbürgerlichen Identitätsbestimmung, die eine partielle Aufnahme derer in das Geltungspostulat der dominanten Kulturwerte zuließ und zu einem integrativen Bild von Gesellschaft, Kultur und Politik zusammenfloß, das wesentlich seine Lebensführung bestimmte. Sie war nicht überwiegend vom Willen zur Moderne definiert und es wird nach einer kulturellen Rückwärtsbewegung eine politische Vorwärtsbewegung geben, deren Zustimmung zur demokratischen Leistungsgesellschaft der Weimarer Republik auf den Potentialen dieser Etappe aufbauen kann. Mit dieser Etappe zeigt Hegemann sich als Angehöriger des Bildungsbürgertum als Phänomen einer kurzen Zwischenpause zwischen der Aufhebung der ständischen Gesellschaft und der modernen arbeitsteiligen Leistungsgesellschaft87. 87

356

Conze/Kocka, Einleitung ..., S. 26. Die Begriffsbildung „Zwischenpause" wurde bereits verschie-

5.5.3 Transition

Seine Biographie aber zeigt, daß dieser Weg aktiv bewältigt wurde 88 . Daß die Erscheinung „Bildungsbürgertum" nicht nur eine statische war, wie im Begriff „Zwischenpause" festgeschrieben, belegen bereits die Prozesse von Fragmentierung und innerer Entkonturierung, die eine Bestimmung der Erscheinung als „realhistorische Formation" oder „historisches Konstrukt" 8 9 erschweren. Hier nun zeigt sich das Phänomen „Bildungsbürgertum" als möglicher Begriff einer aktiven Partizipation am Übergang zwischen Gesellschaftstypen. Diese These fordert eine Ergänzung der Forschung um Untersuchungen weiterer Teilgruppen des Phänomens 90 . Uber das Konzept der Bürgerlichkeit in bildungsbürgerlicher Kultur als sozialhistorisch nachweisbarem Unterscheidungskriterium 91 ließe sich eine Brücke zwischen quantitativen und qualitativen Untersuchungen schlagen, derer beide dringend bedürfen. Das Selbst-, Gesellschafts- und Politikverständnis solcher Gruppen blieb wie die Bürgerlichkeit ihrer Gesellschaftsteilsysteme bisher weitgehend unausgelotet. Dafür bietet sich als Kriterium Bürgerlichkeit als Verhältnis zum Projekt, zur Utopie „bürgerliche Gesellschaft" 92 an, das zeitübergreifend, vergleichend und auch in individuellen wie gruppenbezogenen Ansätzen, für sozio-ökonomische wie ideengeschichtliche Ermittlungen zu verwenden ist. Im vorliegenden Fall ergab sich für die ästhetisch bestimmten Zielvorstellungen wie zugrundeliegende politische Ideen eine signifikante Nähe zum Anfangsgehalt „bürgerliche Gesellschaft". Die zu diesem Ziel avisierten Wege, die zwar dem emanzipatorischen Aufstieg eines Gesellschaftsteils, aber besonders dem standes- und statuserhaltenden dentlich in der Literatur moniert. 88 Haltern, Bürgerliche Gesellschaft ..., S. 94 f. Freie Berufe bestimmten das soziale und kulturelle Wertesystem der Bürgerlichen Gesellschaft wesentlich, auch als soziologischer Ort der Selbstaufklärung und Selbstbestätigung, der besonders in der Instanz des freien Schriftstellers kenntlich wird. Die Doppelfunktion, Vermittler von Werten und Wissen sowie Ort der Selbstaufklärung und der Selbstkritik zu sein; Hübinger, Hochindustrialisierung ..., S. 198; markiert also nicht erst deren Umbruchkonflikte, sondern stellt früh das Potential zur Selbstreformierung bereit. Vgl. auch Irmgard Wieharm, Ausblick: Ende oder Wandel bürgerlicher Gesellschaft? In: Bürgerliche Gesellschaft in Deutschland ..., S. 612-621, S. 621, daß die ursprünglichen Leitvorstellungen einer bürgerlichen Gesellschaft sich kritisch gegen die existierende Form, bürgerlicher Gesellschaft wenden-, als wiederkehrender historischer Prozeß zwischen Realisierung und Möglichkeiten. 89 Kocka, Formation ..., S. 14 f. 90 Einer ergänzenden Bearbeitung des Professionalisierungskonzepts hätten weitere Cluster wie Bildungsjahrgänge oder Regionenvergleiche zu folgen. 91 Kocka, Bürgerlichkeit ..., S. 42 f.; Kocka, Formation ..., S. 18, als harte sozialgeschichtliche Voraussetzungen bürgerlicher Kultur und Grenzen der Verbürgerlichung anderer Gruppen. 92 Kocka, Bürgerlichkeit ..., S. 29, auch S. 47 f. skizziert die Chiffre für eine Utopie, deren utopischer Überschuß im Grunde bis heute nicht voll eingeholt worden ist. Vgl. Haltern, Gesellschaft der Bürger ..., S. 129 ff. zu Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft als Projekt und der Bürgerlichen Gesellschaft als realhistorischem Prozeß. Gegenüber der verbreiteten, an Gall anknüpfenden Frage, ob die Bürgerliche Gesellschaft der Jahrhundertwende in Konventionen, Normen und Unbeweglichkeit nicht Fessel der Dynamik der Utopie war, deutet sich hier nun an, daß der Versuch, mittels einer durch anhaltende Wertsetzung geschaffenen Bändigung Dynamik freizusetzen, einen iterativen Wandlungsprozeß auszulösen vermag.

357

5.5.3 Bildungsbürgertum

als

Bedingungskonstellation

Verbleiben der eigenen Gruppe galt, letztere jedoch dem erudierenden Prinzip der Bewährung aussetzte, zeigten weniger deutliche Nähe 93 . Die grundlegenden Deutungsmuster waren noch am wenigsten vom Übergang berührt. Sie rekurrierten auf ein universales Deutungsmonopol, das nicht rationell deduziert, sondern Ableitung von verfestigtem Bildungswissen und Orientierungsinstanzen, von ständischer Vergesellschaftung und sozialmoralischem Milieu war. Der Anschub in Form einer offensiven Vertretung initiiert jedoch eine Annäherung an „bürgerliche Gesellschaft". Die Validität von Antworten zur Frage nach dem Verhältnis der Subjekte zum Projekt „bürgerliche Gesellschaft" bedarf der Fälle, in denen Eigendeklarationen und Selbstbilder faßbar sind. Daraus resultiert eine Validität vorrangig für den Bereich gruppenbiographischer Untersuchungen als Gegenfolien und Bezugsmodelle für große strukturelle Analysen. Das Chamäleonsyndrom des Bildungsbürgertums durch Probleme sekundärer und tertiärer Prägung 94 wird in detaillierter Deskription und weiterer Analyse der Konturierungsmerkmale aufzulösen sein. Zu erwarten sind Erkenntnisse zu im Ubergang funktionalen Teilgruppen, in denen „Bildungsbürgerdasein" formativer Teil der Lebensführung war. Darin hat das Allgemeinbildungsprinzip eine retardierende Wirkung auf aus der Erfahrung des realhistorischen Alltags resultierende Verbürgerlichungsstrategien. Die Bindungskraft der bildungssoziologisch vermittelten Werte, die Anziehungskraft bildungsbürgerlicher Lebensführung, die Prägekraft der kulturideologischen Werte verhindern eine lineare Aneignung rationellen bürgerlichen (modernen) Handelns. Handlungschancen werden anhaltend über die Kulturwerte bezogen, deren Aufrechterhaltung Kriterium der Auswahl bleibt. Die Motivation durch traditionelle Kulturwerte in der Konfrontation mit einer Wahrnehmung von deren Bedrohung erzeugt eine Annäherungsweise an moderne Anforderungen. Sie verbürgt eine hohe integrative Kraft wie sukzessive Umsetzungen, die als Modernisierungen in der Gesellschaft wirkungsvoll werden 95 . Die Arbeitsfelderschließung als eine bürgerliche Modernisierungmaßnahme zur arbeitsteiligen Gesellschaft beispielsweise der Planungsexperten oder der Werkbundmitglieder inklusive Hegemanns stellt sich immer wieder gleichzeitig als eine Abwehr- und Rettungsmaßnahme dar. Geändert hat sich nicht die Prägekraft des Rahmens „Bildungsbürgertum", sondern die bei den Realisierungschancen vorgesehenen und eingesetzten Mittel. Der Bezug auf die Dignität kulturideologischer Werte ist für den Einsatz der Spezialbildung und ihrer Absolventen vital und funktional. Die Wirkung der All93 Die Frage, ob vormoderne Werthaltung und vorindustrielle Leitbilder, die mit der industriellen, realhistorischen Entwicklung kaum zu vereinen waren, zum Festhalten bürgerlich-humanistischer Zielvorstellungen beitrugen, wäre hier positiv zu beantworten; Haltern, Bürgerliche Gesellschaft ..., S. 105. 94 Kocka, Formation ..., S. 19 f. 95 Und damit Teil der Entwicklung - im Gegensatz zur geschlossenen Form der liberalen Markt- und Klassengesellschaft - der bürgerlichen Gesellschaft sind, die sich als spezifische Lebens- und Vergesellschaftungsform in offenen, diskontinuierlichen Prozessen vollzieht; Haltern, Bürgerliche Gesellschaft..., S. 109.

358

5.5.3 Funktionen

des

Übergangsprozesses

gemeinbildungsideologie kann mithin gegen ihre nachweisbare Nutzung und Wirkung nicht wegdiskutiert werden 96 . Sie bestimmt Wege der eingeschlagenen Selbstreformierung und eingeforderten Wandels, die in ihren Effekten darüber hinaus reichen. So existiert das Phänomen „Bildungsbürgertum' 1 immer noch. Es erfordert demzufolge, es nicht als tragende Säule der Analyse zu verstehen, sondern die Bindungsfähigkeit seiner 'Kultur' für eine jeweils untersuchte Gruppe zu prüfen; es nicht als gesonderten Teil eines Bürgertums, sondern als eine Konstellation von Werten und Funktionen zu begreifen, die den Ubergang orchestrierten und dirigierten, eine Wert- und Funktionskonstellation, die in die Herausbildung einer Bürgergesellschaft wirkungsvoll eingegangen ist. Darin gilt es das Bildungsbürgertum zu finden, dessen Bindung durch Bildungsinhalte sowohl beschränkend wie innovativ 97 den wirtschaftlichen und funktionalen Einsatz ihres Leistungswissens formierte und Handlungsunfähigkeit generierte, die verschiedene Funktionen im Ubergangsprozeß zwischen den Gesellschaftstypen erfüllte.

96

Kocka, Formation ..., S. 20. So ließen sich auch bisher diametrale Ergebnisse einfügen, wenn in Professionalisierungsuntersuchungen Besitz als von durchschlagenderer Wirkung zur Bestimmung der Lebensführung als Bildung erscheint. Auch hier konnte eine Wechselwirkung zwischen beidem beobachtet werden. Die Annahme 'bildungsbürgerlicher Sondereinflüsse', siehe als Beispiel den Aufsatz von Reulecke über „Bildungsbürgertum und Kommunalpolitik im 19. Jahrhundert" zum Einfluß auf Aufgabenbildung und Berufsauffassung, hätte bei Analyse weiterer Teilgruppen die postulierte Wert- und Funktionskonstellation zu bestätigen. 97

359

6 Amerika 1911 - 1921 Erneut hatte bei der folgenden Vermittlung Hegemanns Otto March die Hand im Spiel, aber nun nicht mehr in Form reinen Nepotismus'. March nämlich leitete der Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes im Frühjahr 1911 eine aus New York - wohl von Frederic C. Howe - ergangene Anfrage zu, einen hervorragenden deutschen Städtebauer zu veranlassen, während der Dauer eines Jahres in verschiedenen Städten Amerikas Vorträge über städtebauliche Probleme zu halten und bei vorliegenden Aufträgen Rat zu erteilen1. Laut Hegemann befragte Howe a number of mayors of progressive German cities for an exponent of their ideas and upon their recommendation invited me und laut Anshen empfahl ihn auch der vormalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Wilhelm Marx 2 . Besuchern der Berliner Ausstellung wie Adickes und wohl auch Howe mußte Hegemann als junger Experte mit passenden Erfahrungen unmittelbar einleuchten. Damit erwies sich der nunmehr als Mitglied der transatlantischen Reformgemeinschaft 3 . Obschon seine Vortragsreise also viel früher vereinbart wurde, verhieß sie Hegemann nach der Enttäuschung über deutsche Bürokratie ein neues Feld. Gegenüber seinen Berliner Arbeiten versprach eine solche Vortragsreise ein angenehmes, gut entlohntes und abenteuerliches Unterfangen, das ihm theoretisch wie praktisch nützlich sein würde 4 . Als passende Anschlußverpflichtung hatte Hegemann sie so kalkuliert, daß sie alle im Laufe des Jahres 1912 eingegangenen Verpflichtungen bedrängte, schließlich so knapp, daß er auf dem Schiff und vor Ort noch Korrekturen für den zweiten Band des „Städtebau" vornehmen mußte 5 . Bereits seit Beginn der Verhandlungen war ein Aufenthalt von einem Jahr beabsichtigt. Nicht absehbar war zu diesem Zeitpunkt, daß diese Entscheidung infolge historischer Ereignisse eine über die folgenden sieben Jahre bedeutete. 1 Städtebau 8 (1911), S. 60, Kurzmeldung unter „Zur Wertschätzung deutscher Städtebaukunst in Nordamerika", nach der Otto March auch zur kommenden National Conference on City Planning [NCCP] eingeladen war. 2 Memorandum (1916) 3 und Lebenslauf (1930) 2. Anshen, Introduction ..., p. XVIII. Marx' Wort hätte für Howe, der über Düsseldorf geschrieben hatte, Gewicht gehabt (Marx' Amtszeit hatte Ende 1910 geendet); Marx wiederum mußte Hegemann als idealer Kandidat erscheinen, hatte er ihm doch sogar den amerikanischen IVaum vermittelt. 3 Siehe auch Mullin, American Perceptions of German City Planning ..., p. 5-15 und Nolte, Effizienz oder self-government ..., S. 261 ff; besonders aber Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 112-159 und 101-111. Auch Hegemann bestätigt diese Gemeinschaft mit seinen Worten von den „progressiven" Bürgermeistern, die einen Exponenten ihrer Vorstellungen entsandten. 4 Spätere Darstellungen lassen erkennen, daß Hegemann diese Zeit als Studienzeit ansah; Reiseeindrücke (1928) 316; vgl. die Eigenangabe in Wer ist's 9 (1928), S. 606, vom „fünfzehnjährigen Studium" im Ausland. 5 S 335 und 170 eine nachträgliche Anmerkung, in Cleveland, Rochester und Syracuse seien die vornehmsten Straßen im Osten zu finden, also nach Besichtigung verfaßt.

6.1 Werbung

6.1 Vortragsreise Schon im Juni 1912 verfaßte Frederic C. Howe einen Rundbrief, der über Hegemanns Kommen informierte und seine Dienste anbot. Howe, Jurist und Schriftsteller, war Direktor der New Yorker Erwachsenenbildungsanstalt People's Institute, das amerikanischen Städten the experience of Europe in the solution of big problems of city buildung anbieten wollte, die die größten Städte derzeit beschäftigten 6 . Howe befaßte sich seit 1905 mit kommunalen Fragen und propagierte in mehreren Schriften europäische und deutsche Kommunalpolitik 7 . Er stand den Steuerreformern wie Marsh nahe und wollte gerade die strukturellen Reformen in der Stadtplanung gestärkt sehen 8 . Auf der dritten National Conference on City Planning lobte Howe den städtischen Landbesitz, kommunale Straßenplanung, Wohnungsprogramme und die Wertzuwachssteuern der deutschen Kommunen als Vorbild 9 . Das gab ihm vermutlich die Idee zu einer Werbetour ein 10 , für die er deutsche Bürgermeister nach einem entsprechenden Repräsentanten befragt hatte. Howe warb mit Hegemanns persönlichen Qualitäten - an engaging and enthusiastic speaker, seiner Ausbildung und Authorität (Bild 47) 11 ebenso wie mit Deutschland als Pionier der Stadtplanung, wo bereits jede größere Stadt mit einem offiziellen Entwicklungsexperten ausgestattet sei. Er entwarf daher auch ein weites Feld für Hegemann: He will make a survey of the needs and problems of cities, will report on concrete questions, will cooperate with local engineers on the planning of various projects, and will supplement his report with lectures on town planning in Germany, with special reference to American needs. Howe bot, wie Collins hervorhebt, „the experience of Europe", nicht das Beispiel Europas an 12 , und sein Protagonist machte von diesen Erfahrungen uner6 Rundschreiben von Frederic C. Howe, n. d. VF NAC 500, School of Landscape Architecture Library, Harvard University, Cambridge MA und City Club of Chicago papers, p. 2. Chicago Historical Society, Archives and Manuscripts Department, Chichago IL. Später gedruckt, drei unpaginierte Seiten, mit Porträt Hegemanns, u.d.T.: German Expert on City Planning Coming to America, n.d. 7 Frederic C. Howe, European Cities at Work. New York 1913, p. 22-25, 165 f. zeigt am Beispiel Berlins, daß sein Wissen selektiv, aber gründlich war. Sutcliffe, Planned City ..., p. 123, 176, 199 rechnet ihn zu jenen intermediaries, deren Vermittlung von den Rezipienten nicht kontrollierbar war. 8 Roy Lubove, Frederic C. Howe and the Quest for Community in America. In: Historian 39 (1977), p. 270-291. Howe nahm 1909 an der ersten Planungskonferenz in Washington teil; Kantor, Marsh ..., p. 427; besuchte vielleicht die Städtebauausstellung Berlin persönlich, so mit Vorbehalt Collins, Discipline ..., p. 19, da ein persönlicher Kontakt nicht belegt werden konnte; vgl. auch Collins, Lehrund Wanderjahre ..., S. 105. 9 Scott, City Planning ..., p. 131 f. Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 139-144. 10 Nach Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 183, trugen solche zu einem exponentialen Anstieg des amerikanischen Wissensstand über Stadtplanung bei, der zwischen 1910 und 1913 durch mehrere Reisende erweitert wurde, darunter Raymond Unwin, Thomas Adams und angeblich auch Albert Südekum (ohne Quelle). 11 Howe piazierte Hegemanns Bostoner Beteiligung angemessen: He was identified with the Boston 1915 exposition. Er fügte jedoch den Ausstellungen noch eine in Dresden zu und machte ihn zum Sekretär einer Stadtplanungskommission (nach dem Architekten-Ausschuß?), die bereits einen großen Stadtentwicklungsplan verfolge. 12 Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 106; Collins, Formative Years ..., p. 6.

362

6.1

Informationen

warteten Gebrauch. Hegemann stehe ab Januar 1913 voraussichtlich für ein halbes Jahr zur Verfügung, at the rate of $ 100 a day, $300 a week and $50 a day thereafter and local expenses13. In Chicago etwa legte der Sekretär des City Club George E. Hooker das Rundschreiben dem Vorsitzenden des Planungskomitees, dem Landschaftsarchitekten Jens Jensen vor. In der Sitzung dieses Komitees am 12. Juli wurde jedoch einstimmig beschlossen, dem Vorstand keine Einladung zu empfehlen, da keine Gelder zur Verfügung stünden 14 . Meldeschluß für die Verpflichtungen sollte nach Howe der 1. Oktober 1912 sein, später bis zum 1. Januar 1913 verlängert. Die Terminverschiebung erfolgte möglicherweise auf Hegemanns Wunsch, weil er aufgrund seiner Korrekturarbeiten erst im Frühjahr 1913 eintreffen wollte 15 . Hegemann informierte sich anscheinend sogleich nach Ankunft systematisch, wenn sein Gespräch mit dem Juristen Edward M. Bassett, dem Propagandisten des Bauzonenplans für New York, auf weitere schließen läßt 1 6 . Kurz nach seiner Ankunft in New York City suchte Hegemann am 31. März Bassett auf und sprach mit ihm über juristische Grundlagen und Bedingungen für Planungsvorschriften in den verschiedenen Staaten. Bassett versorgte Hegemann wie auch später noch mit Material. Hier ließ Hegemann seine Enttäuschung über deutsche Kommunalpolitik offenkundig hören, denn Bassett gab ihm den Rat: Now please don't be hard on the German cities during your lectures. You can point out their shortcomings if you also emphasize the good things. If I were you I would only refer to their shortcomings where such a reference will instruct and help an American city.17 Bassett skizziert damit nicht nur Erwartungen des amerikanischen Publikums, sondern beschreibt vor allem die Erziehungsabsicht der Reformer, die ihr Vorbild nicht angegriffen sehen mochten 18 . Hegemann machte sich also nicht nur in rechtlichen Bedingungen 13

Siehe jetzt auch Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 105; Collins, Formative Years ..., p. 6. Minutes Committee on City Planning, July 12, 1912, City Club of Chicago papers. Archives and Manuscripts Department, Chicago Historical Society, Chicago IL. Nach Auskunft des Kurators Ralph A. Pugh vom 9. Juni 1992 liegen für den Commercial Club of Chicago keine Archivalien des entsprechenden Zeitraums vor. 15 Nachgelassene Papiere des People's Institute befinden sich sowohl in der New York Public Library wie der Cooper Union Library's Cooper Collection; Unterlagen zu diesen Vorgängen fanden deren Archivare jedoch nicht. 16 Bezeichnenderweise war auch für Bassett eine Ausstellung das Initiationserlebnis für Stadtplanung. On my second trip to Germany in 1908 I went to the town planning exhibition at Düsseldorf. Werner Hegeman of Berlin had prepared what seemed to me a tremendous exhibition ... I was taken off my feet by the impressions given me by these fields of work. Edward Murray Bassett, Autobiography of E.M. Bassett. New York 1939, p. 116; 1908 muß heißen 1910, da Hegemann die Ausstellung 1912 nicht betreute; Bassett irrt sich aus der Erinnerung im selben Zusammenhang mit der Verlegung der ersten NCCP nach Boston - eine Zusammenziehung der NCCP Washington und der Ausstellung Boston? Es entwickelte sich aus der Bekanntschaft laut Bassett ein freundschaftlicher, anhaltender Verkehr. Er wurde schon S 325 mit Auskünften zu Verkehrsinvestitionen zitiert. 14

17

Edward M. Bassett to Werner Hegemann, March 31, 1913, Edward M. Bassett Papers. Rare and Manuscript Collections, Carl Α. Kroch Library, Cornell University, Ithaca NY. 18 Collins, Discipline ..., p. 19 f. nennt ein Papier „Suggestions to Dr. Hegemann", als dessen Verfasser sie Howe annimmt. Danach wäre diese These zu überprüfen.

363

6.1.1 Uferlagen

kundig, sondern erachtete gleichfalls die pädagogische Punktion seiner Vorträge als bedeutsam. Er fügte sich daher gut in das Programm der Progressives und des People's Institute, das nach Einnerungen Howes ein typisches Unternehmen der Zeit des Aufbruchs von 1911-14 war, in der nonkonformistische Akademiker Diskussionen aufwarfen und städtische Reformen im ganzen Land aus dem Boden sprossen19. 6.1.1 Städte Nach einer späteren Erfolgsmeldung gelang es dem People's Institute schließlich, Hegemann in über zwanzig Städte zu vermitteln. Dieser Erfolg wurde durch einen großen Artikel befördert, mit dem die „New York Times" Hegemann bei seiner Ankunft vorstellte (Bild 48). Hegemanns Arbeit zeichnet sich ebenso als Erfolg in jenen Zeitungsausschnitten aus den jeweiligen Kommunen ab, die in Ermangelung eines eigenhändigen Berichts oder anderer Quellen das einzige Material zur Rekonstruktion seiner Reise bilden20. Zunächst fällt auf, daß die Mehrzahl der einladenden Städte Uferstädte waren. Baltimore, New York, San Francisco, Oakland und Berkeley lagen direkt am Meer; Cleveland, Chicago und Rochester an einem großen See; Philadelphia, Hamilton, Indianapolis, Minneapolis, Sacramento und außerdem Syracuse an großen Flüssen. Hegemann besuchte außerdem Denver und wohl als Reisender Los Angeles, Seattle sowie den kanadischen Westen. Diese Wasserfronten waren als physikalische Bedingung und Beschränkung der Stadtentwicklung deutlich fühlbar. Darüber hinaus erhielten sie im 19. Jahrhundert literarische Bedeutung, weil sie im Werk von Hermann Melville über Walt Whitman bis Henry James als Orte träumerischer Freiheit wie zugleich städtischer Geschäftigkeit, damit Grenzzonen aufgefaßt wurden21. Seit Mitte des Jahrhunderts durch Transportwege belegt, wurde der Beobachter zunehmend von diesen Uferräumen getrennt. Erneut tritt der Chicago-Plan als stilbildend auf, weil er die ästhetische Rückgewinnung der Ufer mit einer optimalen wirtschaftlichen Nutzung zu verbinden und durch den Ausblick des einen auf das andere zu versöhnen suchte (Bild 22). Diese Versöhnung hatte sich in der Vorstellung des „New Boston" bereits im Titelbild des Ufers mit Schiffsanlegestelle und Freitreppe zu einem von Wolkenkratzern flankierten Boulevard in diesem pragmatischen wie poetischen Sinn manifestiert (Bild 16). Die Uferlage rückte in der Stadtentwicklung entweder als Blockade oder wirtschaftliche Grundlage ins Bewußtsein. So haben zahlreiche der Städte gerade an den Großen Seen wie Chicago oder Milwaukee ihre Hauptwirtschaftszweige als Handels- und Warenumschlagplätze dieser Lage zu verdanken, während andernorts wie in Hamilton nach 19 Frederic C. Howe, T h e Confessions of a Reformer. New York 1925, p. 240-251; erwähnt Hegemann nicht. 20 Ich möchte an dieser Stelle den zahlreichen über die Staaten verstreuten Bibliothekaren und Archivaren danken, die trotz zwangsläufig ungenauer Angaben die Arbeit und Mühe auf sich nahmen, entsprechende Nachweise zugunsten dieser Arbeit zu finden und zu übermitteln. - Vgl. dazu auch Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., p. 106 f., ebenfalls nach Ausrissen im Nachlaß. Hier werden nur die solchermaßen dokumentierten behandelt. 21 Siehe dazu Josef W . Konwitz, Cities and the Sea. Port City Planning in Early Modern Europe, Baltimore-London 1979, p. 178-183.

364

6.1.1 Vorgeschichten

einer Überschwemmung Deichbau mit Planung verbunden werden sollte oder an der Westküste der Bau des Panamakanals einen Entwicklungsschub verhieß, der mit Planung gelenkt und gefördert werden sollte. Industriestandorte wie Rochester oder Syracuse und prosperierende Städte wie Cleveland oder San Francisco hatten bereits Pläne für Projekte der City Beautiful in Auftrag gegeben 22 . Als zweite Gemeinsamkeit konnten alle diese einladenden Städte bereits entsprechende Aktivitäten auf dem Gebiet der Stadtplanung verzeichnen 23 . Teilweise bereits seit 1902 oder 1904, mehrheitlich seit 1906 und 1908 waren in diesen Städten Kommissionen zu diesem Thema eingerichtet, vielfach Untersuchungen oder Gutachten bestellt worden, auch Teilpläne, bei denen die Experten Robinson, Nolen, Olmsted und Burnham wiederholt begegnen. Es bestanden mithin auch dort die Koalitionen der Aktivisten, die über entsprechende Bürgervereine diese Anliegen vorantrieben und als Auftraggeber Hegemanns in Präge kamen. In der Planungsgeschichte der Vereinigten Staaten gilt das Jahr 1910 als Kulminationspunkt und Wende von der City Beautiful zur City Functional. Es fehlt aber an Feldstudien, die untersuchten, was in den Städten und von den Akteuren tatsächlich gefordert, erwartet und unternommen wurde, um diese Bewertung zu unterstützen. Die Untersuchung der Hegemannschen Vortragsreise im Spiegel der (Lokal-) Presse kann diese natürlich nicht ersetzen; dennoch zeigen, daß es den mit dieser These unterstellten Unterschied der Planungsbedürfnisse so nicht gab. Im Gegensatz zur analytischen Aussage, deren Tendenz zweifellos zutreffend ist, wenn auch die eindeutige Durchsetzung einer Priorität von Funktion erst für die Zwanziger Jahre gelten kann, erscheint das Planungsbestreben der Akteure hier noch relativ ungeformt. Sie sind willig und bereit, für eine 'bessere' Stadt alles zu akzeptieren, was ihnen als planbar angeboten wird - ob umzusetzen, ist eine weitere Frage 24 . Darin laufen mehr Fäden als nur Visionen einer schönen, europäisierten Stadt und optimierter Stadtfunktionen zusammen. Der Widerwillen gegen willkürliches Wachstum und Chaos ist von ästhetischen und Nutzungsbedürfnissen genährt, der Enthusiasmus zur Regelung Mitgift des Progressivism. Rationalisierung und wissenschaftliche Planbarkeit sind Neuentdeckungen, die mit der Übertragung ökonomischer Richtlinien auf 22 Siehe dazu Thomas S. Hines, The Paradox of 'Progressive' Architecture. Urban Planning and Public Building in Tom Johnson's Cleveland, in: American Quarterly 25 (1973), p. 426-448. Hines beurteilt die Beauftragung Burnhams mit einem 'face lifting' Clevelands als Referenz an den Experten, in dessen Folge kein dem 20. Jahrhundert angemessener Stadtentwurf entstanden sei, sondern der übliche Rückzug auf ein klassizistisches Schema. San Francisco beauftragte nach dem Brand von 1906 ebenfalls Burnham. 23 Siehe dazu George B. Ford, ed., City Planning Progress in the United States 1917. Compiled by the Committee on Town Planning of the American Institute of Architects, Washington DC 1917, sub nomine, wie auch Theodora Kimball, ed., Municipal Accomplishment in City Planning and Published City Plan Reports in the United States. From Information Assembled Largely by the Detroit City Plan Commission, Publ. under the Auspices of the National Conference on City Planning, Boston MA 1920. 24 Tatsächlich läßt sich bereits in den Sammlungen Fords und Kimballs ein kennzeichnendes Erlahmen des Eifers in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts ablesen.

365

6.1.1 Gastgeber

die Korporation Stadt gut einhergehen. Hegemanns Reise ist eine Werbekampagne für Stadtplanung und ihre Ansatzpunkte und das war Howes Interesse bei der Entwicklung der Idee. Hegemann geht auf die Bedürfnisse dieses Publikums ein und ist damit erfolgreich. Hegemanns Reiseplan - soweit durch Zeitungsmeldungen belegt - war schließlich dicht gedrängt 25 . Die einladende Organisation war stets der City Club, das Chamber of Commerce oder eine denen gleichgestellte Gruppe 26 , eine durch Interessengemeinschaften und soziale Exklusivität konstituierte Organisation der Geschäftswelt einer Stadt 27 . Die Gruppe lud jedoch Hegemann nicht exklusiv ein, um etwa eine Agenda zu entwerfen, welche Planung zu ihren Gunsten zu forcieren sei, sondern warb mit seinem Auftreten. Dabei wurden, so sie nicht an dem Engagement von vornherein beteiligt waren, Komitees der städtischen Verwaltung geladen, auch Einladungen des Bürgermeisters inszeniert, zum anderen Vorträge Hegemanns vor Vereinigungen mit spezifischen Interessen organisiert. Das Spektrum reicht - wie in Boston - neben den diversen Bürgergruppen von sozial orientierten Frauenvereinen über berufsständische Vereinigungen, etwa Architekten und Ingenieure, bis zu Jugendgruppen, kirchlichen Vereinen und Gewerkschaftsorganisationen. März

1913 30.

April

2. 12. 23.

Mai

Juni

Okt.

5.-7. 8. 10. 13. 15. 7. 10. 24.

Mitte des Monats reist Hegemann nach Nordamerika ab Hegemann besucht Edward M. Bassett; hält seinen ersten Vortrag vor dem City Club, New York City, wo er auch wohnte Trifft in Philadelphia, Pennsylvania, ein, wo er bis zum 12. bleibt Eintreffen Baltimore, Maryland, Aufenthalt wiederum 10 Tage Vortrag in Wilmington, Delaware, anschließend Rückreise nach New York Teilnahme an der 5. NCCP in Chicago, Illinois zwei Tage in Minneapolis, Minnesota drei Tage in Indianapolis, Indiana zwei Tage in Hamilton, Ohio drei Tage in Cleveland, Ohio Vortrag in Denver, Colorado zweiwöchiger Aufenthalt in Sacramento, Kalifornien Hegemann beginnt seine Reise an der Westküste; von San Francisco, Los Angeles, nach Norden in Richtung Seattle (1930 heißt es: „von Canada bis Mexiko") Aufenthalt in Oakland und Berkeley bis Frühjahr 1914

25 Nach Collins lagen weitere Vorträge Ende April in Syracuse, Rochester NY, in Columbus, Ohio und Davenport, Iowa im Mai; Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 106 f. - Bassett schickte im Juli ein Schreiben nach Deutschland, Anzeichen dafür, daß zunächst wohl nur Verpflichtungen für drei Monate vorlagen. 26 Nach Howe Städte with progressive chambers of commerce or city clubs; OB [1]; dazu gehörten jedoch auch Kunst- und Verschönerungsvereine. 27 Innerhalb derer wird gelegentlich ein Aktivist kenntlich, der als typischer Philanthroph Hegemanns Sympathie gewinnt, z.B. C.M. Goethe in Sacramento, den er 1924 in Ε 361 beschrieb.

366

6.1.1

Erwartungen

Diese Werbung um Stadtplanung als Aufgabe und deren Unterstützung zeigt die noch immer enge Verbindung zum allgemeinen Reformimpetus. Die jeweilige Interessengruppe agiert als Erzieher für ein Gemeinwohl und gewinnt bei dessen Förderung an Profil. Der Stadtplaner wird dabei als expert, city beautifying expert, civic expert, civic worker, specialist, scientist beschrieben 28 . Diese Spannbreite spiegelt das noch nicht dividierte Aufgabenfeld von Verschönerung bis Sozialarbeit 29 . Daß Hegemann nicht wie bekannte Stadtplaner als Architekt oder Landschaftsarchitekt qualifiziert werden kann, bestärkt diese Sicht 30 . Es kommt, abgesehen von der steten rhetorischen Figur des world's greatest expert, initiiert von der „New York Times", neben korrekten Aufzählungen von Titeln und Taten zu wilden Ubertreibungen, die den Ehrgeiz und die Hoffnungen der Einladenden entlarven 31 . Sie geben Auskunft über die erwarteten und scheinbar beglaubigten Möglichkeiten: wonderful transformations32, die vollbracht zu haben Hegemann zugeschrieben wird. Im öffentlichen Bewußtsein hat sich demnach bereits durchgesetzt, daß Stadtplanung möglich, erstrebenswert und modisch aktuell ist. Was damit zu erreichen ist und wie man vorzugehen hat, ist außerordentlich undeutlich. Es gibt aber für die neue Aufgabe einen durch Ausbildung und adäquate Methoden gekennzeichneten Zuständigen, dessen Expertentum man willig zu akzeptieren bereit ist. Das diesem zugeschriebene Fachwissen umfaßt mehrere Stränge, von denen der ästhetische, die architektonische Entwicklung und civic beautificationmir einer ist. Ein weiterer ist der soziale, beschrieben mit social betterment; for improvement of conditions; ability along civic lines. Letzteres bezeichnet nun auch einen funktionalen Strang: utilitarian development ; to insure the advancement of cities along broad, modern and scientific lines ; problems confronting the modern metropolis zu lösen 33 . Ein kritisches Wissen um die Möglichkeiten und Probleme großangelegter Stadtplanung gibt es aufgrund fehlender Erfahrungen noch nicht. Wo der Interessenkonflikt von Privatbesitz und Gemeinwohl noch nicht in seiner Schärfe hervorgetreten ist, müssen die Ansprüche noch nicht gemindert werden. 28 Der Kanon aus „Philadelphia Evening Bulletin", „San Francisco Examiner", „Hamilton Daily Republican News" und „Hamilton Evening Journal" und „Sacramento Bee". 29 In Philadelphia werden Vorsitzende verschiedener Förder vereine, die Hegemann auf seinen Touren führten, ebenfalls als city planner bezeichnet. Philadelphia Evening Bulletin, April 4, 1913. Einer davon ist Carol Aronovici, hier Sekretär der Suburban Planning Association, den Hegemann in den dreißiger Jahren in New York wiedertreffen wird. 30 Man versicherte daher, er vertrete die Ideen Burnhams; Sacramento Bee, August 9, 1912. 31 Auch hier stilbildend die Überschrift NYT April 6, 1913: One of the World's Greatest Authorities on City Planning. Vgl. Philadelphia Evening Bulletin, April 1, 1913 und Sacramento Bee, June 17, 1913. Für letztere hatte Hegemann wohl alle Reiseziele seines Lebens aufgezählt, die sogleich zu Stätten seines Wirkens umgemodelt wurden. Der NYT-Artikel referiert in Baltimore Sun, April 13, 1913. 32 Sacramento Bee, August 9, 1912; eben jener C.M. Goethe saw with his own eyes the results of Dr. Hegemann's genius while on a trip to Europe last year. 33 Die Mehrdeutigkeit zeigt auch der von Hegemann erwartete Beitrag: suggestions for city improvements; better development of the community; not only for a more beautiful city, but a more useful and serviceable city ; a distinctive city ; greater, grander and more useful ; for developing and improving the old sections of the city along lines of scientific utility.

367

6.1.1

Besuchsverlauf

Das Motiv to compete with the big cities3i, spielt eine weitere wichtige Rolle. Städtische Verbesserung soll eine Außenwirkung erreichen, in der die Sorge um das Wirtschaftsund Bevölkerungswachstum der Stadt und der Bürgerehrgeiz eine Allianz für die nationale Konkurrenz eingehen 35 . Die Anwendung der zeitgemäßen Mittel auf die Probleme der Stadt, die Bestellung eines Experten und seine wissenschaftlichen Methoden allein werden so schon Ausweis der 'modernen' Stadt. In dem Dreiklang von Verschönern, Verbessern, Nützen tritt neben dem ästhetischen Anspruch der der Leistung auf. Gefragt ist aber nicht nur die Leistung der Kommune wie der physikalischen Stadt, sondern auch die der Methoden: sie sollen modern und wissenschaftlich sein. Zwischen einer City Beautiful, die dieser Anspruch überholt hat, und der City Functional, die damit beginnt, steht der Anspruch und die Hoffnung auf eine City Better36, oder wie Hegemann sie selbst nannte, α city-useful and citysensible37. Dem Eintreffen Hegemanns gingen Versammlungen und teils langwierige Verhandlungen der beteiligten Organisationen voraus 38 . Zu seiner Ankunft erschienen üblicherweise einige Abgesandte dieser Gruppen und geleiteten ihn zu einem Empfang oder Lunch. Hegemanns Tage waren von Besichtigungen und Führungen bestimmt, bei denen ihn lokale Fachleute begleiteten 39 . Die Organisatoren sorgten für Einladungen seitens anderer Interessengruppen oder sprachen spezielle Gruppen an. Ein Empfang beim Bürgermeister wurde ihm wohl nur in Philadelphia zuteil, wo der Reformbürgermeister Rudolph Blankenburg das Wähler werbende Potential des Themas erkannte 40 . Hegemann sprach vor den einladenden Vereinen wie auch in öffentlichen Vorträgen, wobei die Zeitungen im Sinne der Organisatoren agitierten. Für die öffentlichen Vorträge konnten sie stets von einer guten Resonanz - teilweise bis zu 400 Zuhörern - und breiter bis lebhafter Zustimmung berichten. Hegemann illustrierte seine Vorträge mit 34

Sacramento Bee, Oktober 31, 1913. Das Anliegen gilt für Sacramento als Hauptstadt neben den großen Städten Kaliforniens besonders. 35 Nicht zufällig wird in den Übertreibungen darauf hingewiesen, Hegemann sei von Wilhelm II. bestellt worden to make Berlin the rival of Pans in municipal art, oder im Sinne der Absichten Sacramentos deutlicher, vom Deutschen Reich, when it was decided to make a capital which would surpass Paris. Sacramento Bee, November 21, 1912, May 22, 1913; auch noch: Report of the State Capitol Planning Commission upon Its Investigation of the Planning of the Capitol of California, Sacramento n.d. [1916], p. 7. 36 German Here to Better City. Titelzeile des Philadelphia Evening Bulletin, April 2, 1913. Hamilton Evening Journal, May 16, 1913: ... we can make Hamilton a city better than ever to live in and do business in (im Original hervorgehoben); Sacramento Bee, June 11, 1913: Dr. Hegemann ready to lend experience for City betterment. 37 Minneapolis Journal, May 9, 1913. 38 In Sacramento war die Verpflichtung seit August 1912 erörtert worden, im März 1913 hatte das Chamber of Commerce bereits $ 250 für das Engagement aufgebracht. 39 Ein typisches Programm Philadelphia Evening Bulletin, April 1, 1913. 40 Die kurz wiedergegebenen Worte des Bürgermeisters beim Empfang am 2. April belegen die Orientierung an der Ästhetik europäischer Städte und seinen Grund dafür: The people are becoming interested, especially the women. Philadelphia Evening Bulletin, April 3, 1913. In Baltimore machte man dem Bürgermeister die Aufwartung, traf ihn aber nicht an; in Minneapolis nahm er an einem der Essen teil.

368

6.1.2 Feuilleton

Lichtbildern, mehrheitlich offenbar eigene41, deren Menge und Auswahl, da er stets zu variieren wußte, Eindruck machte. Wie an seinen Agenden zu erkennen ist, stimmte er das Thema seines Vortrage jeweils auf das vermutete Hauptinteresse seiner Zuhörer ab. Er machte bei dem ihm wohlgesonnenen Publikum einen guten Eindruck. Seine Kritik sei impartial and caustic, but not without sincere commendation at times42, ist noch die spitzeste Bemerkung. Ansonsten ist man des Lobes voll: quiet, studious, gentlemanly, modest; a fine example of the type of young men who have heard the call to devote their lives to social betterment43. 6.1.2 Empfehlungen Hegemanns Bausteine seiner Vorträge sind Verkehr, Grünflächen und Eigenheime 44 . Er argumentiert als Ökonom mit dem Bodenwert - Brentano und Eberstadt folgend - als Funktion der Zugänglichkeit, deren Ordnung und optimale Einrichtung die Stadt zu einem sich selbst tragenden und prosperierenden System machen kann. Aber es gelingt Hegemann offenbar wenig, dies plausibel zu machen. Ohne weitere Erklärungen wird sein Drängen auf Ausbau des Personennahverkehrs, stets begründet mit dem Ausbau der preisgünstigen Vorstadtsiedlungen, nicht einleuchten, wenn nicht auch der korrespondierende Bevölkerungs- und Wohlstandszuwachs mit der gerade für die Finanziers der Vorträge vorteilhaften Zentrierung von Dienstleistung und Handel im Zentrum der zusammenlaufenden Verkehrslinien und der funktionsgerechten Anlagerung ausgewiesener Industriegebiete behandelt wird. Wenig erstaunlich ist daher, daß die Zeitungsberichte die anschaulichen Beispiele referieren und Hegemann damit fragmentarisch wiedergeben. Der einzige Aufsatz aus Hegemanns eigener Feder zeigt jedoch, daß sein Vortragsstil tatsächlich ebenso fragmentarisch wie anekdotisch erzählend war 4 5 . Aus dem klareren Konzept wird ein Feuilleton mit Schlaglichtern. In Philadelphia warnt Hegemann vor fehlendem Tageslicht auch in hochklassigen Gebäuden, der Verslumung förderlich 46 . Unter Berufung auf eine vorhandene Untersuchung 47 rät er, gesamte Blöcke einzureißen und neu aufzubauen. Einer slum-clearance gegen Uberbelegung müsse jedoch die Anbindung von Vorortbezirken einhergehen. Die freien Bauhöhen im Geschäftsbezirk sollten durch einige künstlerisch gestaltete, freistehende Hochhäuser ersetzt werden, dazu Höhen und Mindestbelichtung verordnet. In den Vorstädten sollten von Stadt und kooperativen Immobilienmaklern kleine Wohn41

Denver Times, June 7, 1913. San Francisco Examiner, March 1, 1914. 43 Hamilton Daily Republican News, May 14, 1913; Sacramento Bee, June 17, 1913. 44 Beispiele für allgemein gehaltene Vorträge aufgrund kurzer Aufenthaltsdauer Hamilton Evening Journal, May 14, 1913; Indiana Telegraph und Tribüne, 13. Mai 1913. 45 Homes and Parks April 15, 1913. 46 Dieses bietet er in der Anekdote, daß einem sehr bekannten englischen Stadtplaner - von Unwin aus erster Hand? - zur Konferenz von 1911 Hotelzimmer ohne Fenster zugeteilt worden seien. 47 Vgl. dazu oben 4.1 Philadelphia. Ebenfalls zur Nutzung vorhandener Untersuchungen zur Wohnungsfrage: Sacramento Bee, October 31, 1913. Hegemann schlägt weitere statistische Erhebungen vor und schließt sich damit der Tendenz an, Betroffenheit durch Fakten Reformgründe zu liefern. 42

369

6.1.2 Voraussetzungen

Straßen angelegt werden, deren Gärten durch private restrictions geschützt. Hegemann spricht über Bauvorschriften, Bauordnungen und Bauklassen so allgemein, als handele es sich keineswegs um juristische Mittel und Maßnahmen, sondern um Zielsetzungen eines Stadtumbaus im Sinne einer ästhetisch-politischen Willensbildung. Ein grundsätzlicher Wechsel im Planungsprinzip sei vonnöten. Hegemann nennt die europäischen Vorbilder in Nachfolge Haussmanns "spektakuläre" Stadtplanung, imponierende Eindrücke, mit schlechten Wohnungsverhältnissen erkauft. Sie müßten von der angelsächsischen, dem Eigenfamilienhaus förderlichen Stadtplanung mit einem guten Schnell- und Güterverkehrssystem abgelöst werden48. Hegemann nannte hier in Philadelphia drei konkrete Beispiele, die er dringend anriet, im Zusammenhang eines Gesamtplanes zu lösen. Auf einen repräsentativen, verkehrstechnisch nicht notwendigen Parkway sei zugunsten eines radialen Durchbruchs zu verzichten; in einer breiten Straße eine Hoch- statt einer Untergrundbahn anzulegen und in Gemeinschaft mit den Eisenbahngesellschaften die Lage der blockierenden Bahnhöfe abzustimmen. Dies sei vielfach effektiver als spätere Reparaturen, versprach Hegemann, und: The new city planning idea that will not sacrifice the home, but foster it, is far from sacrificing the idea of the city beautiful. It will develop a new type of civic beauty instead ...4g. In Philadelphia stößt jedoch gerade die Kritik am Parkway, den Hegemann schon in seinem zweiten Band als ein in erster Linie prächtiges Schaustück abgeurteilt hatte 50 , auf Gegenkritik. Der Vorsitzende der Parkkomission, Andrew Wright Crawford, lehnt in einem gleichzeitig erscheinenden Editorial diese Anmutung ab, wiewohl er Hegemanns Forderung nach einem Gesamtplan befürwortet. An der Reaktion zeigt sich, daß das Planungsinteresse stark von diesen als Identifikationsobjekten wahrgenommenen Verschönerungsprojekten abhängt, in deren Nachfolge erst sich eine Verbesserungsund Schutzabsicht über die weitere Stadt ausbreitet. Ebenfalls deutlich zu erkennen ist das an der Reaktion in Cleveland, wo Hegemann sich verhalten zu dem bekannten klassizistischen Group Plan äußert und die lokale Zeitung, seinen Besuch sehr wohl würdigend (Bild 49), sich ihm gegenüber desgleichen reserviert zeigt51. In dieser Vorsicht und Art seiner Vorträge folgte Hegemann weitgehend dem im Interview mit der „New York Times" bereits Erprobten. Sein Interviewer charakterisierte ihn 48 Zur Begründung lediglich die Belegungsziffern: Philadelphia 5, Berlin 71, New York 26 pro Haus. So müsse das hiesige System fünfzehnmal bzw. fünfmal besser sein als das dieser Städte: mehr Appell als Argumente. 49 What we have to do is not to plan cities, but to lay out the States of the country in a way that secures healthy living conditions to fast growing mankind, spreading over larger and larger areas by faster and faster rapid transit. In dieser Ergänzung zeichnet sich bereits die Argumentation der 1923 gegründeten Regional Planning Association ab, vgl. Hall, Cities ..., p. 150 ff. 50 S 298. 51 Cleveland Piain Dealer, May 17, 1913. Offenbar befaßte er sich dort mit Bahnlinien und Straßenplanung, was nach dieser Einstimmung weniger gut ankam; vgl. OB 54 und 1925 in AA 51 f. berichtete Hegemann, in Cleveland 1913 für eine große Straßenkreuzung eine Uberbrückung vorgeschlagen zu haben, was 'abenteuerlich' genannt worden war, er aber in der Göteborger Ausstellung 1923 ausgeführt wiedersah.

370

6.1.2

Bestandsaufnahme

als very modest man, supremely anxious not to give offence52. Hegemanns Strukturkritik argumentierte für Vorschau statt Umbau. Er sprach sich gegen die Konzentration von Hochhäusern aus, für eine durch singulare Bauten und Türme akzentuierte skyline. Um die Wohnverhältnisse zu verbessern, forderte er den Ausbau von Vorstadtsiedlungen und preisgünstigem Nahverkehr und die Innenstadt dem Geschäftsleben vorzubehalten. Er plädierte für die Ausnutzung bereits bestehender Vollmachten, etwa in der Straßenplanung, um diese dem Bedarf flexibel anzupassen 53 . Hegemann empfahl also weder europäische Regelungsinstrumente noch deren Instanzen. Er versuchte, an einzelnen Aspekten über Strukturen der Stadt aufzuklären und eine Bereitschaft zu Planaufstellung und Interventionen zu bewerben. Längerer Aufenthalt - in Philadelphia ebenso wie in Baltimore - ermöglichte Hegemann ausgeprägt deskriptive Aspekte. In Baltimore verfolgte die Lokalzeitung aufmerksam seine Touren und Kommentare, die er unter der Anleitung des leitenden Ingenieurs der Topographical Survey Commission unternahm. Von der Neugier des Flaneurs und Kunstbetrachters, die seine früheren Reisen nach der Beschreibung Sittes pflegten, hat Hegemann sich nicht zuletzt durch die Erfahrungen aus dem Düsseldorfer Wettbewerb zum strukturellen Interesse am Geflecht der Stadt treiben lassen 54 . Eben hier, wo er auf Einladung der Municipal Art Society weilte, die für dieses Engagement $ 450 aufbrachte, stieß sein Strukturinteresse auf erhebliches Erstaunen. Obwohl Hegemann auch lobte, rief sein Verhalten Befremden hervor. Instead of devoting his time to the inspection of boulevards, parks, squares and fine buildings, Dr. Hegemann goes into the alleys and looks into backgrounds and other surroundings in the districts where people of modest means live.55 Die Feststellung, daß Hegemann nicht die City Beautiful untersuche, sondern die City Practical, war eine Schlagzeile wert. Trotz seiner Diplomatie 56 überraschte das Publikum seine Weigerung, über ein Civic Center sprechen zu wollen, bevor nicht den „elementaren" Bedürfnissen genügt sei 57 . Er empfahl die Entwicklung einer Skyline, Anpassung an die Topographie, die Anpflanzung regionaler Baumarten. Aber er riet zur Verblüffung seines Publikums auch zum juristischen Konflikt mit der Bahngesellschaft, um gegen die einseitige Durchsetzung derer Interessen vorzugehen, und beantwortete die offenbar erstmals von seinen Zuhörern 52 Edward Marshall, NYT April 6, 1913. Danach gab es noch weitere Artikel in anderen Zeitungen New Yorks, bisher nicht nachweisbar. Bei Collins, Discipline ..., p. 19 f. noch Brooklyn Daily Eagle, March 30, 1913 als Bericht seines Vortrage vor dem City Club genannt. 53 Ein mehrfach mit Hegemann als Autor benannter Artikel im B T 27. April 1913 ist Auszug und Ubersetzung aus diesem Interview. Die Redaktion distanzierte sich in einer Schlußbemerkung von Hegemanns Feindschaft gegen die Untergrundbahn und befürwortete diese. 54 Collins, Formative Years ..., p. 7, vergleicht ihn nun mit Patrick Geddes, ohne daß aber eine Rezeption nachweisbar wäre. 55 Baltimore Sun, April 19, 1913. 56 Er gab an, auch Ideen - etwa städtisch geförderten Industriebau - nach Deutschland exportieren zu wollen; Baltimore Sun, April 22, 1913. 57 Hier besichtigte Hegemann auf Einladung des Urhebers Edward H. Bouton auch Roland Park als mustergültige Siedlung, die er im Schlußbericht als Vorbild nahelegte.

371

6.1.2 Lokalinteressen

aufgeworfene Frage nach dem Ausgleich zwischen Privatbesitz und Gemeinwohl mit der nur teils ironisch gemeinten Empfehlung eines Napoleon58. Aus Baltimore reiste Hegemann zur Teilnahme an der National Conference on City Planning (NCCP) vom 5. bis 7. Mai nach Chicago, wo er unter anderen Bassett wiedertraf, dessen Vortrag er schon kannte. Er selbst sollte nach den Zeitungsberichten dort über „German Methods of Paying für Improvements Out of Excess Land Purchases" sprechen59. Das wäre auf ein zunehmendes Interesse amerikanischer Planer und Reformer an städtischem Landbesitz und seinen Verwertungsmöglichkeiten getroffen, das sich nach europäischen Vorbild instruieren ließ. Unmittelbar anschließend fuhr Hegemann mit einem der Teilnehmer weiter nach Minneapolis. Nach einem Studientag sprach er sich lobend über dessen Parkbau aus und mahnte die Versorgung mit Gärten und die Entthronung der „Eisenbahndiktatoren" an 60 . Uber Chicago fuhr er nach Indianapolis, wo er wiederum nachdrücklich vom Vorbild des europäischen Stadtbildes abgeraten und mit einem historischen Vortrag die Flächenstadt propagiert hatte 61 . Sogleich nach Hamilton, Ohio weitergereist, hielt Hegemann dort mehrere Vorträge, unter anderem auch über deutschen Städtebau. Er legte der Kommune und offenbar enthusiasmierten Zuhörern nahe, den Bau neuer Deiche und Flutwälle zur Verabschiedung eines Gesamtplans zu nutzen. In Hamilton versandete dieser Ansatz zu allgemeiner Enttäuschung jedoch62. Nach seinem Aufenthalt in Cleveland, der auf minderes Interesse stieß, reiste Hegemann schließlich mit Kurzaufenthalt in Denver, wo er über Miet- und Hochhäuser und Nahverkehr sprach und mit F.L. Olmsted an einem Dinner des Chamber of Commerce teilnahm, nach Westen und traf am 10. Juni in Sacramento, Kaliforniens Hauptstadt, ein. Während seines einwöchigen Aufenthalts hielt Hegemann vier öffentliche Vorträge und nahm an zwei repräsentativen Essen teil. Entsprechend ihrer Funktion als Staatshauptstadt war die Kommune am Planungsimpetus besonders interessiert, um sich gegen die größeren Städte im Süden des Bundesstaats zu behaupten. Hegemann sollte daher hier erstmals einen schriftlichen Bericht vorlegen, den er am 23. Juni dem City Planning Committee des Chamber of Commerce übergab. Er wurde vom Komitee überarbeitet und als Empfehlung angenommen, später für die State Capitol Planning Commission 58 Baltimore Sun, April 23, 1913: die Überschrift Dr. Hegemann hits hard zeigt den gekränkten Bürgerstolz. Vgl. San Francisco Examiner March 1, 1914, wo er als Alternative ein Erdbeben nannte. 59 Baltimore Sun, April 16, 1913; im Tagungsband weder dokumentiert noch erwähnt: Proceedings of the Fifth National Conference on City Planning. Chicago, Illinois, May 5-7, 1913, Boston MA 1913. Noch bei Francesco Dal Co, Dai parchi alia regione. L'ideologia progressista e la riforma della cittä americana, in: Giorgio Ciucci et al., La cittä americana della guerra civile al New Deal. Roma-Bari 1973, p. 145-314, p. 245, angenommen, fehlt in der engl. Fassung. 60 Minneapolis Journal, April 9, 1913. 61 Indiana Telegraph und Tribüne, 13. Mai 1913. Hier stellte Hegemann die größere Handlungsfreiheit des deutschen Städterechts dem von der Verfassung beschränkten Selbstbestimmungsrecht amerikanischer Kommunen offenbar kritisch gegenüber - oder fiel es den deutschsprachigen und -stämmigen Zuhörern und dem Referenten nur deutlicher auf? 62 Ford, ed., City Planning Progress ..., p. 70.

372

6.1.2 Aufklärung

zusammengefaßt. Nach deren Bewertung trugen Hegemanns Empfehlungen nicht unerheblich dazu bei, daß bereits zwei Jahre später John Nolen mit der Ausarbeitung eines Gesamtplans beauftragt wurde, der von der Stadt inkorporiert wurde 63 . Hegemann sprach sich in seinem Bericht gegen die Konkurrenz stadtbildender Instanzen wie Eisenbahngesellschaften und Immobilienmakler, Dienstleister und Industrie als Bauherren aus. Deshalb empfahl er genaue Planaufnahme und Datenerhebungen, die Grundlage einer bereits bei Schulkindern beginnenden Erziehungskampagne zur Stadt werden sollten, der Propaganda des Chicago-Plans folgend. Die Einrichtung einer dauernden Planungsgruppe sollte folgen. Als Material- und Koordinierungsstelle der Bürgervereine diente sie der Vermittlung zu der einzurichtenden professionellen Planungsinstitution 64 . Die Empfehlungen selbst basierten auf den Arbeiten Charles M. Robinsons, der 1908 ein erstes Gutachten vorgelegt hatte. Hegemann empfahl, den Rasterplan mit Radialen aufzubrechen, am Capitol verbindliche Bauklassen zu deklarieren, einen Ehrenhof anzulegen und Straßenbäume zu pflanzen. In Vorschau auf die Eröffnung des Panamakanals und der damit erwarteten Immigration legte er eine Wohnungspolitik nahe, in der Straßenbau und Personennahverkehr preisgünstig zu halten seien. Güter- und Bahnverkehr sollte mit Industrieansiedlung koordiniert, durch Flächennutzungsplan und Bauvorschriften gelenkt werden, nicht zuletzt zur Rückgewinnung des Ufers. In dieser zunehmenden Strukturierung zeichnet sich die dann für Oakland und Berkeley ausgeführte Hierarchisierung bereits ab, die die städtischen Entwicklungselemente in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit erfaßt. Insbesondere in den Vorschlägen zur Etablierung der Planung in der Stadt durch vermittelnde und koordinierende Instanzen wird nun eine andere Auffassung von Planung deutlich. Sie unterscheidet sich in ihren Zeit- und Größenordnungen erheblich von solch sicheren Aussagen, wie sie etwa Nolen 1915 machte, als er Sacramento bis 1950 für 120.000 Einwohner auslegte. Sie sieht Planung als Prozeß. Sie unterscheidet sich im Konzept der Akteure und Instanzen, indem Planung nicht in einem einmaligen Entwurf aufgelöst ist, sondern in steter Vermittlung und Verhandlung vorzugehen hat und vollzogen wird. Hegemanns Ideen folgend, warb ein Committee of 150 für städtische Planung und war, obwohl auf drei Jahre berechnet, bereits nach zwei Jahren erfolgreich, Nolen den Auftrag erteilen zu können. Die zeitgenössische Bewertung, hier George B. Fords, hebt so als Verdienste Hegemanns die Erziehungskampagne besonders hervor. Nicht nur den finanzierenden Geschäftsleuten, sondern gerade ihm und seinen Empfehlungen wird der Umschwung angerechnet, denn: The city government at that time would not approve as little as $ 25 for what they considered a visionary matter.65 Hegemann setzt mithin auf Stadtplanung als einen dauerhaften Prozeß, auf eine Kanalisierung der Interessen verschiedener Gruppen durch Koordination und Kooperation nach Daten und öffentlich diskutierten Desideraten. Dafür betreibt er Aufklärung. Er 63

State Capitol Planning Commission ..., p. 7 f. State Capitol Planning Commission ..., p. 20-26; vgl. p. 13-15 sowie Sacramento Bee, June 24, 1913. 65 Ford, ed., City Planning Progress ..., p. 154 f. 64

373

6.1.3 Autotour steht mit dieser Prozessualisierung bereits im Gegensatz zu der üblichen Praxis eines General- oder Gesamtplans. Jedoch erfolgte bei dem Beispiel Sacramento die Inkorporation jenes Plans vorrangig zum Schutz der Immobilienwerte. Das nahm das Erlahmen des Impetus vorweg. Hegemann kombinierte, den Erwartungen des Publikums entgegenkommend, die City Beautiful mit der City Practical. Starre Interessengegensätze werden durch die Potentiale engagierter Bürgervereine und flexibler Verwaltung gesprengt: Hegemann gelangt von der Auffassung vom Städtebau als Monumentalismus zur Stadtplanung als eines gesellschaftspolitischen Prozesses. 6.1.3 Oakland und Berkeley Nach Einreichen seines Berichts in Sacramento im Juni 1913 bereiste Hegemann die Westküste Amerikas. Wie ein Freund sich später erinnerte, kaufte er sich von seinen Einkünften ein kleines Auto und fuhr damit durch die Lande: Das war so recht etwas für den dem, Außergewöhnlichen und Sensationellen zuneigenden Mann.66 Zu dieser Zeit ähnelte eine Autoreise eher einem Abenteuer als einer bequemen Besichtigungstour. 1910 kostete ein Ford Modell Τ - die „Tin Lizzie" - $950. Bei seinem Einkommen von $ 100 für ein Tagesengagement konnte Hegemann eine solche Summe aufbringen, einen Wiederverkauf mitkalkuliert, vorausgesetzt, der Wagen hielt lange genug. 1913 verfügte schon jeder achte Amerikaner über ein Auto. Gepflasterte Landstraßen waren bis 1920 noch eine Seltenheit, die meisten Straßen außerhalb der Städte bestanden lediglich aus hindernisfreien Uberlandwegen67. Getting lost was not difficult because neither roads nor towns were easily identifiable. There was no highway-numbering system; thus Rand-McNally and other firms published small, illustrated, auto-touring books which guided the motorist by detailing the twists, turns and landmarks necesssary to negotiate every bridge and fork in the road. Towns and villages along the route did not welcome the traveler with signs announcing name and population; after all, the distinction between city and country was still sharp and the local folk knew where they lived. Adding to the challenge was the scarcity of gasoline stations and service facilities.

Das aber stellte für Hegemann die Herausforderung dar, Land und Leute selbständig kennenzulernen, wie sie ihn auch später immer noch reizte. So zog er diese Reisen über Tausende von Kilometern in seiner Erzählung von 1930 zu der lakonischen Mitteilung zusammen, daß er mit diesem Kraftwagen ... am Stillen Ozean entlang von Canada bis Mexiko, durch Nevada und ins Land der Mormonen um den Salz-See fuhr 68 . Offenbar genügte ihm aber auch diese Erfahrung mit dem Automobil. Nicht nur hat er wohl nie wieder eines sein eigen genannt, sondern erzählte nach Erinnerungen seines Sohnes gern dazu die Anekdote, daß er, angewidert von den Ausfällen des Autos, eine 6 6 Weisbach, Geist und Gewalt ..., S. 77 und S. 231 über die späteren Fahrten nach M o n t a n a zu seiner zukünftigen zweiten Frau. 6 7 K e n n e t h Τ . J a c k s o n , Crabgrass Frontier: T h e Suburbanization of the United S t a t e s . New York 1985, p. 157-168, p. 158 f.

68

374

Kiepenheuer

(1930) 50. Den Zeitungen zufolge s t a r t e t e er von Kalifornien, hier aber umgekehrt.

6.1.3

Datenerhebung

Anzeige in einer Regionalzeitung aufgab. Sie kündigte an, daß er den Wagen an einem genau bezeichneten Ort abstellen werde und jeder, der ihn übernehmen wolle, dies tun möge. Als er am folgenden Morgen an die gewählte Stelle zurückkehrte, um nachzusehen, ob das Auto noch da sei, zeigte sich überraschenderweise, daß vier weitere Wagen neben seinem abgestellt worden waren 69 . Zum Oktober 1913 begannen seine Arbeiten für die benachbarten Küstenstädte Oakland und Berkeley. Sein eifrigster Propagandist vor Ort, späterer Mitarbeiter und Freund 70 , der Architekt Charles Henry Cheney, begleitete diese Anfänge mit einer Artikelserie über Stadtplanung in der „Oakland Tribune". Cheney betonte, daß Hegemann vor allem Ökonom sei, und stellte die Stadtverschönerung als Kapitalbildung dar. Ihr Wert bestehe in gesteigerter Attraktivität der Stadt und ihrer Immobilienwerte, aber auch in deren Visualisierung, die sich auf Tourismus, Lokalpatriotismus und die nationale wie regionale Städtekonkurrenz günstig auswirken würde. Cheney steht dabei der schon von Olmsted in Boston formulierten und von Hegemann in der Folge gestützten Auffassung nahe, daß sich aus Rationalismus und Optimierung der Zwecke Schönheit zwangsläufig einstelle 71 . Cheney erwartete nichtsdestotrotz einen Entwicklungsplan, der die üblichen ästhetischen Elemente der City Beautiful wie Baugruppen und Boulevards umfaßte, sich dennoch als Gesamtplan auf die Verkehrsorganisation und Wohnungsbedingungen erstreckte. Die Kommunen der Bucht von San Francisco erwarteten von dem 1914 fertigzustellenden Panamakanal einen erheblichen Wirtschaftsaufschwung, der sie sogar den Städten der Ostküste gleichstellen sollte. Dabei sah sich die Ostseite der Bucht besonders von weiteren Maßnahmen abhängig, um mit dem bedeutenden Hafen San Francisco mithalten zu können und so einen entsprechenden Aufschwung auch für sich zu verbuchen. Soweit der Kanal ein Planungsstimulus für die gesamte Region darstellte, betraf er die Städte Oakland und Berkeley besonders 72 . Eben darin sieht später der britische Planer Patrick Abercrombie den größten Wert des Auftragsberichts: Hegemanns report, therefore, represents α bold tactical stroke in order to endeavour the position which was snatched by San Francisco,73 Hegemann wurde vom City Council Oaklands eingeladen und nahm seine Tätigkeit Anfang Oktober auf. Bereits im vorhergehenden Jahr hatte sich Howe um ein Engagement an der University of California in Berkeley bemüht. Er bot dem Universitätspräsidenten Sonderkonditionen an, um Hegemanns Reise an die Westküste zu betreiben, die zu 69

Schreiben von Manfred Hegemann, November 11, 2002. OB 156, 148, 150. 71 Oakland Tribune, October 13, 1913 (weitere bisher nicht nachgewiesen). Hier ergibt sich der erste indirekte Hinweis auf intensivere Beschäftigung Hegemanns mit Sitte: Cheney nämlich, selbst von 1907-1910 Schüler der Ecole des Beaux-Arts, wie die zahlreichen Appelle an das Vorbild Paris nicht leugnen können, betont hier, daß die bewunderten mittelalterlichen Städte Deutschlands nach neuesten Forschungen in ihrer Romantik eben nicht zufällig, sondern strengstens geplant und in kooperativer Anstrengung erbaut wurden. 72 Siehe Mel Scott, The San Franciso Bay Area. Α Metropolis in Perspective, 2nd ed., Berkeley-Los Angeles-London 1985, p. 149-169, 160, 164 f. 73 Patrick Abercrombie, Oakland and Berkeley Report. In: T P R 7 (1916/18), p. 145 f. 70

375

6.1.3

Rationalismus

diesem Zeitpunkt noch nicht gesichert schien. Der Preis für eine Universitätsvorlesung sollte bei $50, für eine Woche bei $250 liegen, deutlich unter den sonst veranschlagten Kosten. Der Präsident der Universität, Benjamin I. Wheeler, begrüßte die Kampagne, lehnte das Angebot am 23. Oktober 1912 jedoch ab, da Vorlesungen grundsätzlich frei seien und kein Fonds für solche Kosten zur Verfügung stehe74. Der Versuch, Hegemann in akademische Institutionen zu vermitteln, mißlang. Nicht zuletzt deshalb setzten sich offenbar bald nach Hegemanns Eintreffen in Oakland Cheney und andere beim City Council von Berkeley für eine weitere Verpflichtung Hegemanns ein75, die Mitte Oktober 1913 auch zustande kam. Als Auftraggeber des umfangreichen Berichts über die Nachbarstädte kam schließlich eine noch größere Koalition zusammen, die über die Stadtverwaltungen hinaus den Bezirk Alameda County, Handelskammer und Commercial Club von Oakland sowie den City Club und die Civic Art Commission von Berkeley umfaßte. Insbesondere die Civic Art Commission in Gestalt ihres Vorsitzenden Duncan McDuffie, eines Immobilienunternehmers76, erlebte mit Hegemann eine ähnliche Überraschung wie sein Publikum in Baltimore. Die Vereinigung hatte sich bislang vor allem mit Verschönerungsprojekten befaßt, besonders dem Pflanzen von Straßenbäumen. Als Hegemann in Oakland auftrat, so schilderte McDuffie später, war man sogleich angetan. Der daraus folgende Auftrag erstreckte sich zunächst auf drei Wochen und Hegemann wurde je zur Hälfte vom City Club und dem City Council bezahlt. He was interested at once. He came out to Berkeley that same day, but instead of looking at our treeless residence streets, insisted on going down to the water-front, walking the length of the municipal wharf, examining our outfall sewers, talking with manufacturers about shipping facilities, and West Berkeley residents regarding rents and housing conditions. Here was no mere city beautifier. Here was a planner, not only of cities good to look at, but of cities good to live in.77

Nicht nur die Abweichung des Interesses, sondern die Vielfalt der interessierenden Umstände (Bild 50 f.) wie die umstandslose persönliche Beschaffung von Daten, etwa zu Bebauungsdichten, verblüfften McDuffie78. Er zeigte sich weiter beeindruckt vom Enthusiasmus Hegemanns, der offenbar aus freien Stücken seinen Aufenthalt auf fünf Monate ausdehnte. McDuffie ließ sich in gewissem Maß von Hegemanns Optimismus anstecken. City planning was a religion with Hegemann. Auch er schien nun überzeugt, 7 4 Frederic C. Howe to Benjamin I. Wheeler, October 17, 1912; Wheeler to Howe, October 23, 1912. Files of the President of the University of California in 1912 I, University Archives, T h e Bancroft Library, University of California, Berkeley.

Scott, San Francisco B a y Area ..., p. 160. Seine vorbildliche Subdivision St. Francis Wood nahm Hegemann in seinen Kanon auf: O B 122, vgl. W P 48 und AV flg. 906. 7 7 Duncan McDuffie, City Planning in Berkeley. In: Berkeley Civic Bulletin 4 (1916), p. 106-117, p. 107, 108. 7 8 Desgleichen erstaunt zeigt sich noch 1916 der Rezensent der American City 14 (1916), p. 411: Believing that the economic features are those to be first considered, the author reverses the usual order and discusses ... 75 76

376

6.1.3 Lehre?

daß die New World cities ihrem Ruf gerecht werden könnten: by visioning their future and preparing for it, indem sie das Geflecht zwischen ökonomischen Grundlagen und deren Organisation zu ordnen begännen 7 9 . Bereits im Vorfeld sprengte Hegemann damit einen Teil der an ihn herangetragenen Erwartungen. Er führte nicht nur Cheneys Beteuerung, daß er zunächst Ökonom sei, viel gründlicher aus, indem er die „Kapitalbildung" nicht nur auf die Kapitalisierung ästhetischer Werte bezog. Sondern er überzeugte wohl nicht nur McDuffie von der rationalistischen Sicht, daß aus elementarer Bedürfnisbefriedung Verschönerung zwangsläufig entstünde. Damit erntete er offensichtlich Zustimmung, denn Cheney setzte sich Ende des Jahres erneut für eine Verpflichtung Hegemanns an der Universität ein. Im Dezember 1914 plädierte Cheney als Ehemaliger bei dem derzeitigen Universitätspräsidenten, David P. Barrows, für die Veranstaltung von Kursen über Stadtplanung. Dazu einen ersten zu halten, böte sich Hegemann als internationaler Experte an, der bis zum Frühjahr studienhalber bleiben wolle. Anfang Januar wandte sich Barrows an Hegemann selbst, nachdem offenbar weiteres Interesse - auch seitens der Architekturfakultät - angemeldet worden war. Er formulierte seinen speziellen Wunsch, daß Hegemann seinen Kurs im Fach Politische Wissenschaften abhielte, und lud ihn zum Lunch ein, um genaueres zu besprechen 8 0 . Es bleibt unverständlich, wieso Hegemann dieses Angebot nicht annahm. 1930 bekannte er, daß er am liebsten - als Amerikaner - in San Francisco leben wolle 81 . Schon dessen Klima mußte ihm zweifellos bei beginnenden Atemwegsleiden am meisten behagt haben. Insbesondere unverständlich aber bleibt dies im Hinblick auf sein auch später weiter betriebenes Bemühen um eine Universitätsbestellung, für die eine erste Verpflichtung empfehlenswert war. Hegemann muß dieses Angebot ausgeschlagen haben 8 2 . Seine Beziehung zum Campus beschränkte sich offenbar auf persönliche Verbindungen zu Fakultätsmitgliedern und dem Faculty Club, in dem er zeitweise wohnte 8 3 . Denkbar wäre, daß er bei seinen Arbeiten ungebunden bleiben wollte, um vor seiner für den Frühsommer vorgesehenen Rückkehr noch mehr vom Land kennenzulernen.

6.1.4 „Report on a City Plan" Für Hegemann wird bei diesen Voruntersuchungen die Stadt zu einem Bewegungssystem - der Bewegung von Gütern, Arbeit, Menschen. Er untersucht die Bewegungsstränge, segregiert und optimiert sie in ihrer Funktion. Seine Untersuchung folgt der räumlichen Schichtung der von ihm aufgestellten Hierarchie. 79 Hegemanns Danksagung erwähnt McDuffie dreimal, in seinen Funktionen wie for the most patient and kindest devotion, so daß von einer weiteren persönlichen Freundschaft ausgegangen werden kann, die jedoch in den Mason-McDuffie Archives der Bancroft Library keinen nachweisbaren Niederschlag gefunden hat. 80 Charles H. Cheney to David P. Barrows, December 24, 1913; Barrows to Hegemann, January 5, 1914. Files of the President of the University of California in 1913. 81 Kiepenheuer (1930) 52. 82 Ein Antwortschreiben ist nicht erhalten und Hegemann erscheint auch im Dozentenverzeichnis nicht. 83 Vgl. dazu AV Abb. 332.

377

6.1.4 Bewegungsstruktur

Die Hierarchie des structural rank of the different elements in a city-plan gibt die phänomenologisch faßbare Stadt wieder. Hegemann erachtete sie als so grundlegend und überzeugend, daß er sie noch 1927 Steen Eiler Rasmussen für eine Umfrage über Planungsgrundlagen zum Kopenhagener Regionalplan zur Verfügung stellte84. Die Struktur, gleichzeitig Inhaltsverzeichnis des Berichts, geht vom 1. Hafen, den 2. Bahnlinien a. Fracht, b. Passagiere, Fernbahnen, Vorortverkehr über 3. Straßen a. Hauptverkehrsstraßen, b. Geschäftsstraßen, c. kleine und große Wohnstraßen zu 4. Parks und Spielplätze und erst dann zu 5. Kunst und Stadtzentren. Sie entsteht aus der Abwägung topographischer Gegebenheiten, getätigter Investitionen und ökonomisch wie logistisch effizienter Plazierung. In der idealen Planung werden die Aufgaben der Sektoren nicht kollidieren - die Anlage sichert durch Wirksamkeit jeden Bereichs eine reibungslose Funktion der Stadt. Dementsprechend nimmt die Untersuchung des Transportwesens zwei Drittel des Berichts ein. Seiner unveränderlichen Lage wie den Erwartungen und Interessen der Auftraggeber entsprechend steht der Hafen an zentraler Stelle85. Detaillierte Untersuchung der vorhandenen Anlagen läßt Hegemann ein unter städtischer Förderung entwickeltes Projekt befürworten. Dieser sogenannte Rees-Plan sieht vor der gesamten gemeinsamen Küstenlinie die Aufschüttung einer künstlichen Nehrung vor einem zehn Meilen langen Haffkanal vor, an dessen Landseite die Docks liegen. Während durch diese Zusammenfassung der Hochseeschiffahrt ein leistungsfähiger, zu San Francisco konkurrenzfähiger Hafen entsteht, trägt die Umwidmung der bestehenden Becken für Anschlußtransporte mittels Differenzierung dazu bei86. Die Besonderheit liegt hier wieder in Hegemanns Empfehlung des Ausbaus zu einer gemeinsam verwalteten Einheit 87 , die Korrekturen der bisherigen Konzessionen erfordere, und seiner Perspektive auf ein stetig wachsendes und anzupassendes ökonomisches System, das bereits allein ein powerful instrument of civilization that attracts national activities sein könne88. Hegemann macht damit Umschlag und Handel zu einer kulturellen Voraussetzung von Stadt als System von Arbeit und Konsum. 84 Bidrag. In: Betaenkningen vedrorende Kebenhavns Trafiklinier som Forarbejde til Kebenhavns Regionplan, En international Enquete, in: Arkitekten 29 (1927) Maanedshaefte, p. 33-104, p. 67-69. 1916 noch lakonisch und untertrieben: I filled engagements in about twenty American cities lecturing and making short reports and winding up with a somewhat larger „Report on a City Plan for the Municipalities of Oakland and Berkeley, California" (published 1915). Staying six months in Oakland and Berkeley I enjoyed an opportunity to study local American conditions and to test how far European city-planning ideas can there be applied. Und 1930 wieder: In San Francisco wurde mir die Aufstellung eines Bebauungsplanes für den östlichen Teil der Millionenstadt, für die Großstadt Oakland, die Universitäten Berkeley und die Grafschaft Alameda übertragen. Nach dem Abschluß dieser Arbeiten, über welche 1915 eine dickleibige Denkschrift veröffentlicht wurde, fuhr ich nach Honolulu ...; je nach Kontrollmöglichkeiten und Interessen der Adressaten. Memorandum (1916) 3; Kiepenheuer (1930) 50. 85

Vgl. Scott, San Francisco Bay Area ..., p. 160 f. OB 19-41, 20, 29 f., 36. 87 Siehe dazu Scott, San Francisco Bay Area ..., p. 161, nach dem trotz später abnehmender Bedeutung des Hafens diese Perspektive bestätigt wurde. 88 Die Bemerkung, daß bislang über zwei Drittel des Frachtverkehrs Amerikas über New York abgewickelt werde, zeigt, wie hoch gezielt wird. OB 36. 86

378

6.1.4

Anverwandlung

Auch im Bereich der Bahnen veranschaulicht er den Bedarf an räumlicher Differenzierung. Koordination der Hauptlinien, Trennung von Durchgangs- und Zielverkehr mit einer belt line sowie nach Schwer- und Leichtverkehr im Gütertransport soll die Anbindungen von Hafen einerseits und Industriegebieten andererseits sichern. Die Koordination der Bahnhöfe der konkurrierenden privaten Eisenbahngesellschaften, die Erhöhung über Straßenniveau und intensivere Nutzung des in deren Besitz befindlichen Bodens postuliert er ebenso für den Personenverkehr. Dort sollen ebenfalls Trennungen von Hoch- , Schnell- und Straßenbahnen die räumliche Orientierung nach San Francisco ablösen und den Verkehr zwischen den Kommunen der Ostseite vernetzen, damit deren Geschäfts- und Wohnbezirke erschließen 89 . Bei Straßen opponiert Hegemann wie üblich gegen die Gleichheit und Gleichgültigkeit des Rasterplans gegen Topographie und Zwecke. Er propagiert radiale Ausfallstraßen, koordinierte Geschäfts- und Lieferwege auf differenzierten Hauptverkehrsstraßen und den kostengünstigeren Bau kleiner, unbefestigter Wohnstraßen, was er mit unzähligen genauen Erörterungen an konkreten Beispielen verband 90 . Eingefügt hat Hegemann Erläuterungen zur Notwendigkeit des districting, der Ausweisung von Bauzonen, um in der Innenstadt hohe Baudichten zu vermeiden und den in Kalifornien populären Bestandsschutz für Wohnbezirke zu bieten. Die Entflechtung und Neuordnung der physikalischen Ordnung der Stadt soll durch rationelle Bewirtschaftung von Boden und Bewegungen die Leistungsfähigkeit der Stadt erhöhen. Die reichliche Verwendung des Begriffs efficiency belegt das Anliegen 91 . Hegemann nimmt in zahlreichen Anspielungen Bezug auf die regionale Befindlichkeit, mit San Francisco mithalten zu wollen und einen ausreichenden Anteil am zu erwartenden Boom sichern zu müssen. Wie schon früher, spricht Hegemann seinen Auftraggebern in das Ohr, auf dem sie am besten hören, wenn er dogmatisch unpopuläre Maßnahmen mit gewünschten Ergebnissen verkoppelt. Hegemann sichert dabei seine Position als Experte durch eine Unmenge statistischer Daten, durch eigene Zurücknahme gegenüber anderen Experten, die zitiert oder zu berufen sein werden, und Referenzen an bekannte Größen (Bild 52) 92 , und den Aufbau des Berichts mit zahlreichen Quellen und wissenschaftlichem Apparat 9 3 . Die empfohlenen Mittel hat Hegemann jedoch nicht importiert, sondern auf die amerikanischen Bedingungen und Möglichkeiten abgestimmt. Er propagiert vor allem freiwillige Kooperationen, Mischunternehmen und wenige städtische Eingriffe. Zur Kooperation fordert er vor allem dort auf, wo ein Zusammenschluß von Privatunternehmen juristisch nicht zu erzwingen ist und ein Ergebnis von gemeinsamem Nutzen im Erwirtschaften größerer finanzieller Vorteile zu erwarten. Eingriffe durch städtische Verordnungen 89

OB 52-57, Konzessionskorrekturen 59 f., 60-78, 72 f. OB 79-124, 86 f., 103 ff. 91 Häufung OB 27 f., Steigerungen 22, 28, 35, 65, 72, 77 und öfter. 92 Olmsted Sr. OB 107 ff.; 33 ff. zum staatlichen Ingenieur Rees, der den Hafenkanal entwarf; OB 38 über den heranzuziehenden Landschaftsarchitekten. 93 Die verwendete Literatur ist mehrheitlich aktuelle, enthält die in anderen Städten akkumulierte wie in Bibliotheken vor Ort erarbeitete, Fachzeitschriften und zahlreiche bundes- und staatliche Gutachten. 90

379

6.1.4 Pittoreske

empfiehlt Hegemann zur Sicherung von Feinzielen wie Bauhöhen, Nutzungstrennung, Fluchtlinien, auch Koordination durch ein Bauamt, und zur Revision der Besteuerung. Die Stadt als Unternehmer, etwa im Bereich einer Wohnungspolitik, erscheint nicht, und als Grundbesitzer sieht er sie nur für die öffentlichen Grünanlagen geboten. Er lehnt die Ideen der American admirers of Municipal Socialism ab, weil das amerikanische Besteuerungssystem dies sinnlos mache; er rät halböffentliche Gesellschaften an, etwa zur Korrektur ungünstiger franchises, zu Kooperationen für Siedlungsbau in großem Maßstab, zu Vereinsgründungen zur Rechtssicherung, etwa für Bewohner eines Häuserblocks oder zur Gestaltung von Wohnbezirken94. Die Stadt übernimmt mehr koordinierende und anleitende Funktionen als reglementierende. Noch bevor die im Zuge des Progressivism gestärkte Verfassungsrechtsprechung die meisten der europäischen, von den Reformern und Planern gewünschten Importe zu Fall bringt, weil sie mit den amerikanischen Rechtsgrundlagen kollidieren, hat Hegemann ein Gespür dafür entwickelt, welche der ihm vertrauten Maßnahmen und Institutionen übertragbar sind und zur Anpassung in ein gänzlich anderes Rechts- und Gewohnheitsgefüge sie dem anzuverwandeln gesucht95. Uber seinen rationellen Vorschlägen, der Funktion und der Fülle konkreter Anregungen, die in der Menge der Bilder - kaum eine Seite seines Berichts ohne eine oder gar zwei Abbildungen - zum Ausdruck kommt, liegt jedoch allerorten die Pittoreske und die Dekoration. Hegemann bringt sie vor allem mit den zahlreichen Fotos und Bildunterschriften an. Die ästhetischen Empfehlungen bleiben, den Erwartungen des Publikums entsprechend, den klassischen Idealen verhaftet: Konformität von Bauhöhen und -materialien, Hochhäuser als ästhetische Höhepunkte, geschlossene Fassaden und Plätze. Ihm ist dennoch die Behandlung des von Cheney entworfenen Civic Centers für Berkeley zu formal96 und sein eigener Entwurf (Bild 57) stellt einen idealisierten, verkehrsfreien mittelstädtischen Stadtraum vor, keine großstädtische Anlage. Bei einer dichten Staffelung der Zwecke vermeidet Hegemann eine übergroße Formalität und fügt mit der Niveaustaffelung (Bild 58) eines Sunken Garden - womöglich von Schinkels Dachgarten für die Linden angeregt - ein gelungenes ästhetisches Element mit sozialen Zwecken ein97. Die ästhetischen Bezüge lassen die sonst abgelehnten Vorbilder des „spektakulären" Städtebaus anklingen. Doch enthalten seine Forderungen, Pläne der Topographie anzupassen und ihre Besonderheiten zu nutzen, innovative und befreiende Züge. Sie gelten der Entwicklung eines unverwechselbaren Stadtbildes, das, mit Referenz an Olmsted Sr. (Bild 52), bereits mit minimalem Einsatz regionaler Flora 98 oder einer flexiblen Handhabung des Straßenplans zu schaffen ist, um die landschaftlichen Besonderheiten - so 94

OB 127, 38, 123, 95, 144. Siehe zum Wandel bei Übertragung Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 198-208, p. 207 f. 96 OB 148, eine strenge Platzanlage unter Einfluß der City ßeauti/ui-Entwürfe, bereits gemäßigt; vgl. OB 147 für San Francisco. 97 OB 149 f. Der Entwurf entstand in Zusammenarbeit mit Cheney. 98 Vgl. hier die insbesondere an Olmsted Sr. anknüpfenden vielfältigen Aufforderungen in den Bildtexten OB 111 ff., die die Begeisterung an Klima, Landschaft und ihren Möglichkeiten wiedergeben. 95

380

6.1.4

Strukturkonzept

erlaubt seine Plaza den Blick in die Hügel und auf den Campanile der Universität angemessener zur Geltung zu bringen. Trotz seines wiederkehrenden Plädoyers für allgemeine und gut zugängliche Spielplätze und Parks ist Hegemanns proponiertes 'Hauptstück' (Bild 54) eine elitäre Anlage. Der vor dem neuen Hafen aufgeschüttete Island Park ist eine Variante des Lagunenparks von Chicago (Bild 21)". Mit einer Monumentalstatue in Achse zu dem gegenüberliegenden Golden Gate (Bild 55) meldet er die Gleichberechtigungsansprüche der East Bay auch optisch an 100 . Für diese Zeichen „spektakulären" Städtebaus führt Hegemann den Wert des psychological influence ein und bestätigt damit die Zulässigkeit auf Effekt angelegter ästhetischer Planungselemente. Wenn er aber das Ensemble der Universitätsbauten in Berkeley wertschätzt, doch nicht ohne Kritik sieht 101 , und mit dem eigenen Entwurf des Zentrums einen intimen Stadtraum schafft, befürwortet er statt klassizistischer Imitation einen substantiellen Raum stadtbürgerlicher Selbstvergewisserung. Mit dieser Absage an ornamentale Stadtplanung und City Beautiful einerseits 102 und an die Imitation eines Municipal Socialism andererseits 103 hat Hegemann sich eine eigenständige Stellung im Planungsdiskurs erarbeitet. Sein von McDuffie als Religion bezeichneter Ansatz 104 versucht der Komplexität städtischen Lebens durch den Aufbau der Stadt 'von unten' zu entsprechen - im Gegensatz zu den Stadtkronen der City Beautiful. Die Trennung von Wohnung und Arbeiten mit ihrem antiurbanen, altliberalen Affekt macht das zugrundeliegende Bewegungssystem entzifferbar. Sie ermöglicht Hegemann den funktionalistischen Blick. Sein Ideal vom städtischen Leben ist die Geschäftigkeit. Die efficiency der Geschäftsstadt (Bild 51) und die privacy und cosyness des Vorortwohnens (Bild 53) spiegeln in System und Bewegung erneut die liberale Herkunft. Statt juristischer Interventionen forciert er ein marktwirtschaftliches Prinzip. Stadtwachstum ergibt Leistungssteigerungen, denen zur Beschleunigung gelegentlich seitens der Kommune vorzugreifen ist. Auch hier befürwortet er permanente Gremien, die in der Region in Austausch und Kooperation bereit stünden und mit Mitteln auch zur Bestellung auswärtiger Experten ausgestattet sein 99 Aus dem rationalen Anlaß - der Weiterverwendung des Kanalaushubs - entsteht so eine Landschafts Veränderung, die den Tendenzen des Respekts für Topographie und lokale Flora scheinbar widerspricht, sich aber gleichfalls in die Optimierung des Vorhandenen und Anfallenden fügt. 1917 ist er in das Modell des Hafens ohne Nennung der Urheber eingegangen, das Ford, ed., City Planning Progress ..., p. 129, publiziert (Bild 56). 100 Der Park wird nur mit Vergnügungsschiffen zu erreichen sein - dabei h a t t e er sich doch gerade Mühe gegeben, Hochseeschiffahrt und Fährdienste zu entwirren enthält die Universitätsregattastrecke und einen Yachthafen. Die Analogie zur Freiheitsstatue in New York wird direkt angesprochen und belegt ein weiteres Mal, in welche Konkurrenz man sich zu setzen hofft. OB 134, 40. 101 OB 152-155, vgl. Scott, San Francisco Bay Area ..., p. 162. 102 V g l o b J47 g a n f > a n c j s c o Civic Center als one of the great modern achievements in ornamental city planning. 103 p j j r j j o w e etwa besteht er in städtischem Landbesitz, kommunaler Straßenplanung, Wohnungsprogrammen und Wertzuwachssteuern. Vgl. auch Scott, City Planning ..., p. 131 f. 104 OB 142 f.: that a really beautiful city can be created only by considering right from the beginning the proper coordination of all the needs and ideals of civic life and its physical expression ... foundations without which even the most ambitious dream of civic beauty breaks down.

381

6.1.4

Aktionsplan

sollten. Wiederum wird Planung als dauerhafter und kooperativer Prozeß aufgefaßt, der sich von den städtischen Regelungsmechanismen zeitgenössischer Reformer scheidet. Dabei gibt Hegemann seinen sozialen Impetus jedoch nicht aus der Hand. Zur Förderung des Kleinhausbaus schlägt Hegemann die Ausschaltung der Zwischenhändler vor, eine Rationalisierung des Bauens durch großen Maßstab und Förderung durch Niedrigzinsen 105 . Die Begründung enthält passende sozialdarwinistische Anklänge - the commercial supremacy of a community in the long run depends upon the quality of human material which can be raised - , um den Aversionen gegen Umverteilung durch Straffung der privaten Produktion, durch ökonomische Kategorien auszuweichen 106 . Statt auf eine Gesellschaftskritik konzentriert sich Hegemanns Reformbestreben auf eine Optimierung vorhandener Bedingungen und auf Ansätze sich abzeichnender Neuerungen. Das von Calabi hervorgehobene Versöhnungsmotiv 107 beruht auf der Steigerung der Partizipationschancen, die nicht nur ökonomische und Klassengegensätze meinen, sondern politische als bürgerliche und kulturelle Chancen - für das Individuum wie die Gemeinschaft. Was Hegemann vorschlägt, ist die Verlängerung und Verbreiterung optimierter Zustände auf die Masse wie die Region, die Ausweitung einer Mittelstandsgesellschaft in einer wirtschaftlich und kulturell stetig expandierenden Stadtlandschaft. Hegemann macht sich gegenüber dem Publikum zum Katalysator der Bewegung von der City Beautiful zur City Functional. Er greift damit der amerikanischen Planungsdiskussion voraus und hat dennoch aktiven und passiven Anteil an ihr. Prägnanteste Abweichung ist Hegemann Verzicht auf den prospektiven Ideal- und Zielzustand, wie er die frühen Planungen kennzeichnet 108 . Er löst den dabei entworfenen 'Planungsplan', der von einer Reihe von Maßnahmen zugunsten eines Idealzustandes ausgeht, nahezu vollständig in einen Aktionsplan auf. Die Doppelsicht der frühen Pläne ist eine Mitgift des Progressivism. Sie betreibt einerseits die Entwicklung der fortschrittlichen Kräfte und sucht andererseits sie in bekannte und wiedererkennbare Erscheinungsformen zu kleiden. Dieser Konflikt entspricht den grundlegenden Dogmen, als dieser Fortschritt die unbeschränkte Verfügung über den Bodenbesitz nicht berühren darf, aber die nationale Vision einer Neuen Welt erfüllen 105 OB 122-124; ab 1916 von der engagierten Wohnungspolitikerin Edith Elmer Wood verfochten. Wood erinnerte sich daran, daß vor 1917 jede staatliche Wohnungsförderung taboo and anathema war, sogar schlechtes Benehmen, sie nur zu erwähnen. Aus den unveröffentlichten Erinnerungen zitiert Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 198. 106 OB 124, vgl. 119. Daß neben Lee in Boston etwa auch der Verfasser eines Plans für Seattle Parks als 'Mittel zur Sicherung einer Generation nützlicher, gesetzestreuer und fleißiger Bürger' forderte, zeigt die Gängigkeit solcher Sichtweise; Scott, City Planning ..., p. 126. Hegemann hält diese Sicht nach dem Vorbild Charles Eliots als Kulturwert hoch; vgl. OB 15 f. und 136. 107 Für Calabi, Ambiguitä ..., p. 55, ist der Leitfaden die Rationale in Umgruppierungen nach Nutzen, gegen singulare Vorteile einer Klasse oder Partei, für eine Versöhnung von Kapital und Arbeit durch freundschaftliche Kooperation. 108 Nach Chicago als stilbildend, für Boston-1915 konstitutiv, beispielsweise auch bei Nolen, Replanning Reading ...; auch für Sacramento: State Capitol Planning Commission ..., p. 27 ff. Auch im Kleinen opponiert Hegemann dagegen, wie etwa gegen die Festschreibung der Campusbebauung in Berkeley; Scott, San Francisco Bay Area ..., p. 162.

382

6.1.4

Zeitverschiebung

muß. Dieser Konflikt wird über den Appell an Vorsorge und Effizienz und an die individuelle Handlungsbereitschaft aufgelöst. Das Angebot des 'Planungsplans' zielt auf eine optische Kohärenz - im Idealbild festgehalten - , die über freiwillige und individuelle Verfügungsverzichte zu kollektivem Nutzen herzustellen sei und der das Idealbild moralische Motivation wird. Stärker aber noch als einheimische und frühe Pläne setzt Hegemann mit seinem Aktionsplan auf die in Verhandlungen herzustellende gesellschaftliche Kohärenz, auf eine der städtischen Gesellschaft zur Uberwindung der dogmatischen Hindernisse und befördert so den Wechsel zur effizienten Stadt. Hegemann könnte sich für sein phänomenologisch bestimmtes Programm auf zeitgenössische Anregungen berufen. Ein städtischer Planungsbericht für Seattle, den er bei seinem Besuch der Stadt kennengelernt haben könnte, stellt 1911 ebenfalls Hafenumbau, Straßen und Bahnverkehr in den Mittelpunkt zu fördernden Stadtwachstums 109 . George B. Ford trug unter dem Titel City Scientific auf der Tagung von 1913 eine Klassifizierung der den Stadtplan bestimmenden Faktoren vor: Straßen, Personenverkehr, Gütertransport, Lebensmittel- und Energieversorgung, Wohnen, Erholung, Stadtgrün 110 . Die funktionalen Kategorien waren für Ford Bestandteil einer Stadtplanung als Wissenschaft und am Beispiel der Straßenerweiterung erläuterte er, wie der Planer unter Benutzung von Materialien Dritter zu einer einzig angemessenen Lösung gelangt. Dieser (neo-)reduktionistischen Sicht folgt Hegemann jedoch ganz und gar nicht, da die Vorschläge bei ihm stets Teil eines gesamten, wiederholt zu revidierenden Prozederes sind. Die 1917 vorgenommene Bestandsaufnahme des „City Planning Progress" beweist, daß die bisher entworfenen und in Arbeit befindlichen Projekte in den verschiedensten Städten nach wie vor der City Beautiful verpflichtet sind. Sie erstrecken sich auf städtische Zentren, monumentale Verwaltungsbauten und Plätze, große Park- und Uferanlagen (Bild 56). Im Vorwort des Buches äußerte Ford seine Uberzeugung, daß die Konzentration auf die 'schöne Stadt' die Planungsentwicklung in Amerika gehemmt habe. Sie solle nun auf der Grundlage wirtschaftlicher Durchführbarkeit an den Geschäftsmann und Industriellen appellieren 111 . Die in der Planungsgeschichte postulierte frühe Verschiebung zwischen City Beautiful und City Functional ist demnach so nicht erfolgt 112 . Zwischen den Erwartungen des Publikums - an Hegemanns mehrfach deutlich zu sehen - wie der Handlungsbereitschaft 109 Scott, City Planning ..., p. 126 f.; der Bahningenieur Virgil Bogne 1911 für die Municipal Planning Commission Seattle. 110 George Β. Ford, T h e City Scientific. In: Proceedings of the Fifth N C C P .... p. 31-40: vgl. Scott. City Planning ..., p. 121. 111 Angemessenerweise wurde das Buch vom Town Planning Committee des American Institute of Architects herausgegeben. Es enthielt authorisierte Berichte und vom Herausgeber Ford als typisch erachtetes Bildmaterial. 112 Auch die revidierende These Foglesongs führt wenig weiter, nach der der Aufschwung der Bewegung einem Interessenzusammenfall von Planern und Sponsoren folgt, sich aber aufgrund unzureichender Vorkehrungen für deren wirtschaftliche Interessen nicht durchsetzen kann. Foglesong, Planning .... p. 161-166.

383

6.1.4 Absorption

der Städte - wie sie diese architektonischen Maßnahmen belegen - und dem Diskurs der Planer bestand eine erhebliche Zeitverschiebung. Die Projekte zur Aufwertung des Stadtzentrums waren noch nicht realisiert, Nutzen und Defizite noch nicht erfahrbar. Die teilweise halboffiziellen Kommissionen vermehrten sich, ohne aber kommunale Institutionen zur Seite zu haben, und hatten lediglich Gutachten zu beauftragen. Ohne reale Aufträge konzentrierten die Planer sich auf das Abstecken ihrer möglichen Arbeitsfelder 113 , deren Einzelbereiche noch gar nicht gefordert waren. Der Diskurs der professionell damit Befaßten überholte die Willensbildung der praktisch Beteiligten. Die vorstädtischen und objektbezogenen Verschönerungsabsichten übertrugen die City Beautiful auf die gesamte Stadt, der Reformimpuls dann auf die gesamte physikalische Umgebung. Die Gruppierung der öffentlichen Bauten war das optische Pendant zu städtischer Reform, die Parkprogramme waren moralische Erziehung und von Beginn verknüpften sich damit Erwartungen wirtschaftlichen Erfolges114. Durch diese Differenz zwischen professionellem Diskurs und praktischer politischer Willensbildung gelang die Übertragung der zweiten Phase, der Wechsel von der Optimierung des Stadtzentrums zu der der Stadtfunktionen nicht mehr. Das Auseinanderdriften ermöglichte, das Zoning, den Bauklassenplan, zu adaptieren und im folgenden Stadtplanung darauf festzulegen. Weil der ökonomische Druck Wohnbezirke, die nur durch die privatrechtlichen deed restrictions115 gesichert waren, und exklusive Geschäftsbezirke in ihrem Bestand gefährdete, wie die New Yorker Fifth Avenue, deren Einzelhändler die expandierende Textilindustrie bedrohte, konnte dieser Einschränkung in der freien Verfügungsgewalt über Bodenbesitz als Bestandsschutz 1916 zugestimmt werden116. Die sich darauf als Welle ausbreitenden Bauzonenpläne bedeuteten einen Rückschritt hinter die imaginierte Aufwertung der Zentren, noch ohne den Zugriff auf die Qualität der Gesamtstadt versucht zu haben 117 . 113

Siehe als Beispiel die Ausdifferenzierung der Themen in dem von Nolen 1916 herausgegebenen Programm: John Nolen, ed., City Planning. A Series of Papers Presenting the Essentiell Elements of a City Plan (National Municipal League Series), New York-London 1916. Gegen Foglesong, Planning ..., p. 202-208, 231 f. über den rationalisierten Geschäftsplatz Stadt zutreffender, aber allgemeiner Roy Lubove, The Roots of Urban Planning. In: Roy Lubove, The Urban Community. Housing and Planning in the Progressive Era, Englewood Cliffs NJ 1967, p. 1-24, p. 14 f. Lubove sieht die Planer bis 1914 damit beschäftigt, die Vorstellungen von den Funktionen des Berufs zu erweitern, also noch in einer frühen Phase des Professionalisierungsprozesses befangen. 114 Foglesong, Planning ..., p. 136 ff. verweist auf die Kontinuität zu Haussmanns produktiven Ausgaben, die Bodenwerte steigern und Investitionen anregen. 115 Marc A. Weiss, The Rise of the Community Builders. The American Real Estate Industry and Urban Land Planning, New York 1987, p. 68-76, erkennt in dieser Praxis die Einübung der juristischen Mittel kommunaler Planung. 116 Scott, City Planning ..., p. 152-160; Foglesong, Planning..., p. 219-224. J. Delafons, Land Use Controls in the United States. Cambridge MA 1962, p. 17, 19: Americans have interpreted, the right of "protection" of property to mean protection not only (or even primarily) from impingement by government but also from impingement by competing private interests. Vgl. Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 185, 205 f. 117 Carol Willis erkennt im Zoning dennoch eine Verbindung zu Utopie und Enthusiasmus, die über die Restriktion hinaus eine geplante und geordnete Stadt und Kontrolle zugunsten von Humanität und Kunst verspricht. Diese Interpretation basiert aber auf populären visionären Bildern, die jenen Ideal384

6.1.4 Paradoxon

Hegemann hat an dieser Entwicklung aktiv und passiv Anteil. Sein aktiver Teil besteht in der - sich in den Städten der Vorträge abzeichnenden, in Oakland und Berkeley wie auch später in Milwaukee expliziten - Erweiterung und Strukturierung der Planungsaufgaben gegenüber einem Verschönerungsprogramm. Da er aber die Ausweitung nicht mit sozialen Anprüchen und 'sozialistischen' Interventionen auflädt, bereitet er keine kommunale Zuständigkeit und Arbeitprogramme vor. Weil er, seinem liberalen Konzept entsprechend, die Aufmerksamkeit auf die effiziente und funktionelle Stärkung der städtischen Funktionen durch freiwillige Kooperation lenkt, entbindet er seine Hörer und Leser unwillentlich von der Verpflichtung, über eine Bestandssicherung hinaus vorausschauend Reglementierungen und Fördermaßnahmen zu entwerfen. Er schafft so eine Leerstelle „Kommunale Planungstätigkeit", in der seine Anregungen trotz zahlreicher Initiativen schließlich ungehört verhallen - so auch in Oakland und Berkeley118. Wo er davon ausgegangen war, daß sich Auftraggeber und Sponsoren die Entwürfe als Wirtschaftsförderung zu eigen machen würden, gerade weil sie nicht mit staatlich-städtischen Interventionen verbunden waren, wurden erste kommunale Reglementierungen auf eine solche Weise genutzt, daß sie die darüber hinausweisenden Vorschläge absorbierten. Mit seiner Uberordnung der wirtschaftlich-technischen Funktionalisierung trug Hegemann passiv dazu bei, daß die Ordnung und Festschreibung von Nutzung sich als wesentliches Ziel statt als Teil des Planungsprozesses durchsetzen konnte. Die Ironie besteht darin, daß er vorausschauend seine Forderung möglicher behördlicher Intervention beschränkt hatte, um die Realisierungschancen seines Aktionsplans zu erhöhen, und in der Folge eben die begeisterte Anwendung soeben errungener Interventionen die weitertreibenden Konzepte ungenutzt verfallen ließ.

und Zielzustand illustrieren: denen von Hugh Ferris, die auch bei Hegemann erscheinen. Carol Willis, Zoning and Zeitgeist. The Skyscraper City in the 1920s, in: JSAH 45 (1986), p. 47-64. 118 Scott, San Franciso Bay Area ..., p. 160-162, 164 f.

385

6.2 Pazißkroute

6.2 Neuanfang Für den Sommer des Jahres 1914 hatte Hegemann seine Rückreise geplant, die ihn über die Pazifikroute nach Europa zurückbringen sollte. Infolge des Kriegsbeginns im August erreichte er Europa jedoch nicht und kehrte in die Vereinigten Staaten zurück. Dort mußte er sich neu orientieren und versuchen, in seinem Sektor Arbeit zu finden. Im Januar 1914 wurde das erste Kapitel von Hegemanns Bericht, ein historischer Uberblick, im „Berkeley Civic Bulletin" veröffentlicht. Während sein Autor weiterhin mit dem Hauptteil beschäftigt war, hielt er am 28. Februar noch einmal einen Vortrag im Commonwealth Club von San Francisco, wo er hinsichtlich der erwarteten Zuwanderung die Zusammenarbeit der Städte der Region in der Wohnungsfrage betonte 1 . Im April konnte Hegemann mit den European City Plans and Their Value to the American City Planner seine Ansichten in der angesehenen Zeitschrift „Landscape Architecture" publizieren, die vermutlich dem allgemein gehaltenen Teil seiner Vorträge der Städtetournee entsprachen2. Sie warnen vor der Verdichtung der großen Industriestädte des europäischen Kontinents und dem ästhetischen Ideal der mittelalterlichen Städte 3 . Für das Frühjahr muß Hegemann den Beginn seiner Rückreise geplant haben 4 . Als weitere Bildungsreise suchte er sich für seinen Rückweg die Route über den Pazifik aus. Er schiffte sich an der Westküste nach Asien ein, reiste zunächst nach Honolulu, studierte die Großstädte Tokio und Canton und besuchte die „deutschen Kolonien" der Südsee5. Nach Fotografien, die 1925 in seiner Zeitschrift erschienen, besichtigte Hegemann in Indochina historische Architektur 6 . Möglicherweise richtete Hegemann seine Reiseroute an der Australasian Town Planning Tour 1914 aus. Denn anschließend wandte er sich Richtung Australien und bereiste Sydney, Adelaide und Melbourne, sprach 1930 von „städtebaulichen Studien in den vier australischen Hauptstädten" und in Ceylon. Die Australasian Town Planning Tour wurde von der Garden Cities and Town Plannung Association veranstaltet, angeleitet unter anderen von Raymond Unwin, Stanley D. Adshead und George Pepler. Zwei britische Städteplaner bereisten 1914 zeitweise gemeinsam australische Städte und hielten Lichtbild-Vorträge, um in der Öffentlichkeit für Stadtplanung und deren gesetzgeberischen Rahmen zu werben. Ob die Veranstalter diese Tour mit einer Exkursion zu Studienzwecken begleiteten und Hegemann sie vor Ort hätte treffen können, ist nicht bekannt, denn die Veranstaltung wie ihre Route sind nur in Fragmenten dokumentiert 7 . 1

San Francisco Examiner, February 28, March 1, 1914; San Francisco Chronicle, March 1, 1914. Enthält bereits Teile der Strukturierung ebenso wie die Sicht der Architektur als 'Blüte' der Kultur; European City Plans (1914) 101. Vgl. dazu NYT April 26, 1914: unter der Überschrift Don't Imitate Europe, Says Expert to City Planners eine Bearbeitung des Artikels in der Aufmachung eines Interviews. 3 Beachte auch den pathetischen Schluß beider Artikel mit Worten James Russell Lowells: ... time is ripe, and rotten-ripe for change. Auch OB 17. 4 Weisbachs Erinnerung bestätigen, daß er im Sommer 1914 hatte zurückkehren wollen. 5 Kiepenheuer (1930) 50. 6 Vgl. WMB 9 (1925), S. 120-124: Tempelanlagen aus dem französischen Indochina. Fotografien aus Tokio AV 225. 7 State Records GRG 35/2/1913/2488. State Records, North Adelaide SA; Korrespondenzen zwi2

386

6.2 Australien

Aufgrund seiner Verbindung zu Unwin hätte Hegemann von dieser Tour als Anregung zu weiteren Studien profitieren können. Wie er später angab, wurde er in diesen Städten von staatlichen und kommunalen Vertretern freundlich empfangen und konnte eine stattliche Materialsammlung mitnehmen. Dabei hegte er wahrscheinlich die Absicht, dies in den noch zu schreibenden dritten Band des „Städtebau" zu integrieren. Stattdessen fertigte er im Zuge der kommenden Ereignisse daraus zwei unabhängige Manuskripte, in den Staaten erscheinen sollten 8 . Als Hegemann Anfang Juni 1914 in Australien eintraf, blieben ihm nach der einzigen zeitnahen bisher bekannten eigenen Darstellung nur zehn Wochen, bis er sich zu seiner nächsten regulären Reserveübung in Deutschland zurückmelden mußte. Daß er eine Sondergenehmigung erhielt, seine Meldung um drei Tage auf den 17. August zu verschieben, wertete er in diesem 1916 für eine amerikanische Zeitung gegebenen Bericht propagandistisch als Beweis, daß Deutschland weder Kriegsabsichten noch Kenntnisse vom kommenden Konflikt gehabt habe 9 . 6.2.1 Internierung Hegemann verließ Adelaide am 14. Juli 1914 an Bord des Dampfschiffes „Emden". Das Schiff des Norddeutschen Lloyd hatte 700 englische und 250 deutsche Passagiere an Bord. In Ceylon erfuhr die Besatzung von der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, ohne sich involviert zu sehen. Per Funk wurde die „Emden" am 5. August in der Nähe der englischen Marinebasis Aden von dem Schwesterschiff „Königsberg" von der Kriegserklärung zwischen England und Deutschland unterrichtet und sodann instruiert, sich mit dem Schwesterschiff vor der afrikanischen Küste zu treffen. Statt in Aden nahm die „Emden" nun Kohle von einem von der „Königsberg" gekaperten englischen Schiff auf. When we met the Koenigsberg I offered my service to the captain, but on our ship were 120 marines who came from German colonies. They were especially trained for the work, of course, which the captain would have for his men to do, and only a part of them could be utilized. The captain took about thirty of these and left the rest with us. Thus vanished my only chance of taking part in the war.

Hegemann stellte sich dem Kapitän der „Königsberg" offenbar vorbehaltlos zur Verfügung. Wenn der aber nur dreißig der 120 an Bord befindlichen Marinesoldaten aufnahm, mußten ihm die gänzlich anderen Effizienzkriterien des militärischen Ernstfalls erstmals sehen dem Hauptredner und Organisator Charles C. Reade und dem Surveyor General von Adelaide. Reade traf im April, der zweite Redner W.C. Davidge im August 1914 in Adelaide ein. Eine Nachfrage bei der Nachfolgeinstitution der Association blieb ohne Antwort; literarische Nachweise bisher ebenfalls nicht zu ermitteln. 8 Memorandum (1916) 3. - Ihr Verbleib ist unbekannt (wahrscheinlich 1933 vernichtet). 9 Milwaukee Journal, February 17, 1916 unter der Überschrift Famed German Has Thrilling Tale of Wartime Adventure. Weit vor dem amerikanischen Kriegseintritt, stellt Hegemann hier das Abenteuer heraus. - Ich möchte an dieser Stelle Peter J. Fetterer und John D. Green, Kohler Co. Archives, Kohler WI, besonders danken. Sie stellten umfangreiches Archivmaterial zur Verfügung, unter dem sich auch dieser sonst kaum ermittelbare Zeitungsausriß befand.

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6.2.1 Kriegsbeginn

aufgehen, die nun nichts mehr mit dem standesbedingten Respekt der Vorzeit zu tun hatte. Dieser gewohnte Respekt hatte dem K. Leutnant der Reserve 9. FeldartillerieRegts. in Abwesenheit soeben noch die II. Klasse der Landwehr-Dienstauszeichnung eingetragen, die der kommandierende General der Artillerie ihm in Namen Seiner Königlichen Hoheit Prinz Ludwig erteilte 10 . Die Erkenntnis dieser veränderten Kriterien haben sich in der späteren Erzählung amüsanter Form zu einem Anlaß der Entfremdung gewandelt11. Mit Hilfe der „Königsberg", dem Schwesterschiff der „Emden", gelang es dem deutschen Dampfer nicht nur den zwölf englischen Kreuzern zu entweichen, die das dortige Meer beherrschten, sondern obendrein beim Versenken des englischen Prachtdampfers „City of Westminster" mitzuhelfen. Dies muß ich erwähnen, weil mich nie etwas mehr in Erstaunen gesetzt hat als das absichtliche Versenken eines vollkommen brauchbaren Schiffes. Zwischen Arabien und Afrika nahm dann die gefangene englische Mannschaft an den Kreuz- und Querfahrten des deutschen Schiffes teil, was zu lehrreichen angelsächsischdeutschen Unterhaltungen über Kriegs- und Völkerrecht Gelegenheit gab.

Im zweiten Teil dieser Erzählung dürfte eher ein Anlaß zu sehen sein, auf den sich jene Entfremdung später zurückbeziehen ließ. Die 1916 erwähnte Einquartierung der englischen Offiziere in der ersten Klasse, wo jene behaved als perfect gentlemen, während in der zweiten Klasse unter Passagieren und Matrosen weniger Harmonie geherrscht habe, spiegelt die Uberblendung des Konflikts mit Ehrenmotiven. Doch eben jene Unterhaltungen über „Kriegs- und Völkerrecht" dürften Hegemann erstmals bewußt gemacht haben, daß es außer dem von ihm 'natürlich' vertretenen kaiserlich-patriotischen Standpunkt auch ernst zu nehmende, von anderen Traditionen geprägte Sichtweisen und gleichfalls berechtigt patriotische Standpunkte gab - ein Konflikt, der sich in Zeiten prosperierenden Austausche und Wohlwollens nie auch nur abgezeichnet hatte. Die „Emden" kreuzte drei Wochen vor der afrikanischen Küste, um nicht von der englischen Marine aufgebracht zu werden. Sie mußte schließlich ihre Ladung verfeuern, 200,000 marks' worth of copra or cocoanuts, stets gefährdet, ob der übermäßigen Rauchentwicklung bei Verbrennen der ölhaltigen Substanzen entdeckt zu werden. Schließlich vor Mogambique von mit den Engländern verbündeten Portugiesen aufgebracht, wurde das Schiff dort festgesetzt; die englischen Passagiere nach wenigen Wochen von einem heimischen Dampfer abgeholt. Für die restlichen 250 Passagiere begann eine neunmonatige Internierung, die von Hunger, Krankheit und Epidemien, besonders der Malaria, gezeichnet war. The small place was in no way prepared to feed 250 white people for months or years. We secured tough meat, but had no vegetables, no potatoes, no butter, no milk, nothing cold, no light. There was much malaria. Three little children died, and there were continously cases of malaria aboard. I went ashore only three times during my nine months stay. 10 Besitz-Zeugnis II. Klasse der Landwehr-Dienstauszeichnung für Werner Hegemann, ausgestellt am 23. Juli 1913, Privatbesitz Manfred Hegemann. Die Urkunde wurde nach anhängendem Schreiben am 2. Mai 1914 einer Postbevollmächtigten ausgehändigt, die am 11. Mai dem Bezirkskommando Hof mitteilte, daß Dr. Hegemann gegenwärtig auf Reisen im Auslande und infolgedessen nicht erreichbar sei. Weitere Unterlagen, etwa ein Einberufungsbefehl, sind offenbar nicht erhalten. 11 Kiepenheuer (1930) 50 f.

388

6.2.1 Afrika

Während sich das 1930 auf die heitere Mitteilung reduzierte, man habe fast täglich einige Haifische gefangen, berichtete Hegemann an anderer Stelle über die großspurige Lebensauffassung der Deutschen, die sich auch dann noch weigerten, die köstlichen sweet potatoes („süßen Kartoffeln") zu essen; die seien nur für Neger und Schweine gut. Meine Landsleute zogen das schlecht gebackene Brot vor, das mir Magenkrämpfe verursachte.12 Hegemann füllte die Zeit mit Studien über asiatische und australische Städte nach seinen gesammelten Materialien. Das Schiff nannte er einen idealen Arbeitsplatz für seine Zwecke und führte eben dieses Motiv 1930 in seiner Erzählung aus. In der so zwischen Sansibar und Madagaskar verankerten Schiffsbibliothek fanden sich sämtliche Werke Bismarcks, die ich bei allmählich kärglicher werdender Nahrung vorwärts und rückwärts durcharbeiten durfte. Dazu wurden fast täglich einige Haifische gefangen. Das dauerte fast ein Jahr und ließ neben Bismarck Zeit zur Verarbeitung meiner umfassenden Notizen und Drucksachen-Sammlungen aus Amerika, Australien und Asien. Während meine Schulkameraden in den Schützengräben verbluteten, durfte ich eines meiner fruchtbarsten internationalen Studienjahre verbringen. Dann mußte ich meine sieben Koffer, meist mit Kunst- und Drucksachen gefüllt, hinter mir lassen; es gelang mir, mich in einer dunklen Nacht im Kielraum eines norwegischen Segelschiffes zu verstecken. Nachdem die portugiesisch-englische Durchsuchung des Schiffes überwunden war, konnte ich dem Kapitän ein Empfehlungsschreiben des damaligen Staatssekretärs der Vereinigten Staaten, Bryan, vorlegen und wurde gut aufgenommen. Die Segelfahrt ums Kap der Guten Hoffnung ließ mich alle Schrecken des Fliegenden Holländers durchkosten. Aber nach Umseglung des Kaps hatte das Schiff den Passat im Rücken und glitt wie ein großer Schwan langsam nach St. Helena und hinüber nach Pernambuco und Westindien. Erst im Golf von Mexiko erreichte das Schiff eine Windstille und blieb liegen wie das einsame Skelett eines Kamels in unabsehbarer Wüste. Es war im Juli. Nie konnte ich geistig besser arbeiten als in diesen drei Monaten ohne Zeitung, ohne Maschinen, ohne künstliches Licht, auf hoher See. Aber während ich mich täglich wohler fühlte und die Sonne täglich strahlender schien, wurde bei den bis dahin so freundlichen Seeleuten der Aberglaube wach, ich fremde Landratte müsse die Ursache der mir so bekömmlichen und ihnen so verhaßten Windstille sein. Die Andeutungen, daß ich Schädling eigentlich über Bord marschieren müßte, „walk the plank ", wurden schließlich so nachdrücklich, daß ich mich freute, als das müde Segelschiff endlich Gulf Port im Staate Mississippi erreichte.13

Wie er noch 1916 berichtete 14 , erhielt er seiner Gesundheit wegen - vermutlich machte das Aquatorialklima seinen Atemwegen zu schaffen - von der portugiesischen Verwaltung die Erlaubnis, sich in ein milderes Klima weiter südlich zu begeben, in die Hafenstadt Delagoa Bay. Eben dort gelang es ihm nach zwei Wochen Aufenthalt, sich als blinder Passagier auf dem norwegischen Segelschiff zu verstecken, und zwar, abweichend von der späteren Fassung, mitsamt einer seiner Bücherkisten, deren Inhalt die späteren Hinweise zu verdanken sind. Vom Kapitän wurde ihm dessen Kabine zur Verfügung gestellt, jener ideale Arbeitsplatz, an dem er seine beiden Manuskripte vollendete. Nach 12

Recht (1926) 74; Vorliebe (1926) 72 f. Bryan auch bei Hinrichs, Architekt ..., 4. Nov. 1946, genannt, wo er allerdings Hegemann aus der Internierung befreit und nach Amerika geholt haben sollte. 14 Vgl. Milwaukee Journal, February 17, 1916 und Kiepenheuer (1930) 51 f. 13

389

6.2.1 Flucht

der turbulenten Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung - I was very sick - , einer zügigen Fahrt über den Atlantik und der Flaute im Golf von Mexiko - The captain called me his Jonah and half seriously considered having me walk the plank - ging Hegemann zu einem unbekannten Zeitpunkt - wohl in der zweiten Hälfte des Jahres 1915 - in Gulfport östlich von New Orleans in den Vereinigten Staaten wieder an Land. Auch unter Berücksichtigung dessen, daß Hegemann diese erste Erzählung mit werbender Absicht liefert, zudem in einer Stadt wie Milwaukee, deren überwiegend deutschstämmige Bevölkerung den naiven Patriotismus noch hoch zu bewerten bereit ist, läßt sich hier keinerlei Distanz zum deutschen Militarismus, zur militärischen Konfliktlösung und zu deutschen Kriegszielen erkennen. Im Gegenteil erscheint im Spiegel der englischen Offiziere, die an Bord genommen, sich gentlemanlike verhielten, und mit denen man Gesellschaftsspiele veranstaltete, Krieg als eine akzeptable und mehr oder minder soziale Form von Auseinandersetzung. Die Enthaltung von eigener aktiver Beteiligung ist demnach nicht auf grundsätzliche Entfremdung und Gesinnungswandel zurückzuführen, sondern blanker Zufall. Für Hegemann kann die Erfahrung des Ersten Weltkrieges, wie sie für zahlreiche kritische Zeitgenossen beansprucht wird, als Auslöser entscheidenden Wandels kaum geltend gemacht werden. Hegemanns Erfahrung war ein rein theoretische und intellektuelle, wie eine weitere Äußerung von 1916 zeigt 15 . It must seem, strange to us, to all of you and especially to me, that we should sit here day after day discussing possible savings of a thousand dollars in this kind of pavement, or of ten thousand dollars in that kind of street arrangement, or perhaps of several million dollars by wisely planning for the future, while at the same time, in the old countries, our brothers destroy billions and billions which we, all of us, will never, never be able to reconstruct. But I suppose we have to keep at our modest job, which may be worth while, in spite of all.

Diese intellektuelle Erfahrung findet sich dann 1930 in der Wiederaufnahme der Formel gespiegelt, die vom „Verbluten im Schützengraben" spricht, die den Rückblick auf jene „Studienzeit" diese idyllisieren läßt und der Anwandlung von Piratenspielen einen Hauch von persönlicher Gefahr abgewinnt. Das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland war soeben durch den Verzicht auf uneingeschränkten U-Boot-Krieg im Mai 1916 entschärft worden, als Hegemann sich im Juni in einer Ansprache vor einem amerikanischen Publikum so äußerte. Dennoch stehen für andere Betrachter verlustreiche Schlachten vor Verdun, Seeschlacht am Skagerrak, beginnende russische Offensive, Blockade Griechenlands, Isonzoschlachten im Vordergrund des Bildes vom Krieg, gegen die Hegemanns zivilisatorische Zweifel unterkühlt wirken. Sie stellen den volkswirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturhistorischen Schaden durch Kriegshandeln in den Mittelpunkt, gegen den Hegemann die Arbeit am kontinuierlichen Fortschritt beschwört. 15

253.

390

Eröffnung seiner Ansprache bei dem Abschlußdinner der 8. NCCP in Cleveland: Speech (1916)

6.2.1

Kriegsbewertung

Hegemann steht bei dieser Ansprache vor der National Conference on City Planning auf fragwürdiger Position 16 . Die Präsentation seines Heimatlandes ist unbefangen gehalten, soweit es historische Umstände betrifft. Dennoch gedeiht ihm das Bild des Kaisers zur Präsentation einer hilflosen, letztlich lächerlichen Person. Sie will das amerikanische Klischee der Autokratie unterminieren und deren faktische Machtlosigkeit zeigen. Implizit höhlt Hegemann damit die Interpretation des Kaisers als Kriegstreiber aus. Er deckt jedoch damit keine Hintergründe auf, sondern verweigert - auch mit seinen Sarkasmen - lediglich gegen simplifizierende Erklärungen. Er beweist aber vor allem, daß die eigene Sicht der Sicherheit entbehrt. Eine größere Rolle bei der grundsätzlichen Ablehnung kriegerischer Auseinandersetzung scheint für Hegemann die humanistische Perspektive gespielt zu haben. Dieser Gesichtspunkt wird später in vielen Verweisen auf die deutschen Kriegsverbrechen in Belgien ersichtlich, deren volle Kenntnis und Wirksamkeit sich möglicherweise erst später, in den Auseinandersetzungen mit amerikanischen Freunden entfaltet hat. An späteren Zynismen Hegemanns über die vorläufig noch ineffiziente Vernichtung der Weltbevölkerung in jenem großen Krieg 17 läßt sich eine weitere Erkenntnis ablesen. Sie betrifft die Kehrseite des Kapitalismus, der die Vernichtung ebenso schnell mit wachsender Effizienz und Präzision leisten kann wie den erhofften Aufbau einer besseren Welt, wenn nicht sogar schneller. Daran knüpft sich die Hoffnung auf freien internationalen Austausch nur umso mehr, Pendant zum freien Gütertausch als notwendige Voraussetzung von Prosperität, und seine Wirkung als Damm, dessen Fragilität hier sichtbar wird. Vor dieser Hoffnung konnte propagierte Erzfeindschaft zu einer Erfahrung des Absurden werden wie der Glaube an Rationalität angesichts der Zerstörungen zur Erfahrung der Einsamkeit. Das Befremden ehemaliger Freunde konnte eine kritische Einstellung zunächst bremsen. Hegemann sah sich - von praktischen Schwierigkeiten abgesehen - kaum in der Lage zurückzukehren, hätten ihm doch Sanktionen gedroht, da er sich der Reserve bzw. der Mobilmachung entzog 18 . Eine zwangsläufige Kriegsteilnahme mußte immer weniger erstrebenswert erscheinen. Eine Isolierung von beiden Seiten drohte.

16 Die Akzeptanz seiner Person und ihre Gründe klärt ein britisches Beispiel. Horsfall rechnet in seiner Demontage der Preußen Hegemann ausdrücklich nicht zu jenen, die an die Genesung der Welt durch das deutsche Vorbild glaubten, und folgt ganz dessen moralischem Impetus in der Abrechnung mit deutscher Herrschaft. Thomas C. Horsfall, Dwellings in Berlin: The King of Prussia's „Great Refusal". In: T P R 6 (1915/16), p. 10-19, p. 18 f. 17 Siehe besonders Rückeroberung (1924) 133 sowie den davon getragenen „Napoleon 1 '. 18 Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 sah den Verlust der Staatsangehörigkeit kraft Gesetz bei Wehrpflichtverletzung vor, falls der im Ausland dauerhaft Ansässige sich Dienstverpflichtung entzog oder Fahnenflucht beging. So ist durchaus möglich, daß Hegemann in den USA ohne gültigen Pass mäanderte und erst beim Konsulat in Italien, ohne Aufsehen erregen zu müssen, eine Neuausstellung beantragte.

391

6.2.2 Referenzen

6.2.2 Rückkehr Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten beschloß Hegemann, sich als Planungsberater selbständig durchzuschlagen. Ob und wann er alle Heimkehrabsichten abgestreift hatte, muß dabei offen bleiben. Direkt nach seiner Ankunft fuhr er über New Orleans zu den Ruinen der Stadt Galveston, die gerade von einer Sturmflut weggespült worden war19, wohl in der Hoffnung, beim Wiederaufbau Beschäftigung zu finden. Das gelang offenbar nicht und Hegemann hielt sich eine unbestimmte Zeit lang in den südlichsten Städten der Vereinigten Staaten auf. Bei der Suche nach Arbeit halfen ihm das People's Institute und auch die nunmehr erfolgte Publikation des Gesamtberichts für Oakland und Berkeley20, die nun eine Referenz darstellte. „American City" brachte im April 1916 ein Kurzreferat 21 und Charles M. Robinson nannte den Bericht im Juli die most elaborate single publication of the year; er sei surprising in its combination of breadth of scope and thoroughness of treatment22. Aus der Ferne bestätigte später Patrick Abercrombie dieses Urteil. Er sah darin einen allgemeinen wie einen Fortschritt Hegemanns, als das Werk in seinem Aufbau sowohl den Laien wie den Fachmann anspreche23. Das People's Institut gab erneut ein gedrucktes Rundschreiben heraus, das Hegemann als Berater (Bild 62) vorstellte, der nun wieder für Vorträge zur Verfügung stehe. Als Themen wurden etwa „How Can α Modern City be Advanced by City Planning", „City Planning and the Architects" oder „The Story of Great Women in City Planning" angeführt, zum einen allgemeinere wie auch auf ein bestimmtes Publikum zugeschnittene, die Hegemann vorbereitet haben konnte24. Unter dessen Anschrift, 70 Fifth Avenue, New York City, firmierte Hegemann bei seinen ersten eigenen Projekten, doch über weitere Verpflichtungen durch Vermittlung des People's Institute ist nichts bekannt. Andererseits hatte Hegemann sich Anfang 1916 im Greenwich House, dem sozialen Zentrum des gleichnamigen Stadtteils in New York, aufgehalten, das unter seiner Leiterin, der Wohnungsreformerin Mary K. Simkhovitch zu einem Treffpunkt von Reformern geworden war, und konnte dort sehr wohl weitere Kontakte geknüpft haben. Trotz seines doppelt fragwürdigen Status hatte Hegemann offenbar keine langanhaltenderen Schwierigkeiten, Aufgaben und Arbeit zu finden. Er verfügte nicht über einen berufsqualifizierenden Abschluß, der eine Tätigkeit als Stadtplaner unmittelbar legitimiert hätte, und firmierte deshalb als City Planning Consultant. Sein Status als deut19

Kiepenheuer (1930) 52. OB 124 erwähnt Erfolge australischer Wohngesetzgebung und läßt damit eine Nachbearbeitung Hegemanns zur Publikation annehmen. 21 American City 14 (1916), p. 411; Hegemanns Referenz an bekannte Planer wurde darin ausdrücklich hervorgehoben. 22 Charles Mulford Robinson, Recent City Plan Reports. In: National Municipal Review 5 (1916), p. 388-394, p. 388 f. Robinson sah im Gegensatz zu Abercrombie den Textumfang für eine Verwendung in der Agitation als hinderlich an und in der Arbeit eher ein wissenschaftliches Referenzwerk. 23 Abercrombie, Oakland and Berkeley Report..., p. 145. Vgl. die enthusiastische Ankündigung TPR 6 (1915/16), p. 267. 24 Extraordinary Opportunity for American Cities Interested in Town Planning, n.d.; vom People's Institute Lecture Bureau herausgegeben, Kohler Co. Archives, Kohler WI. 20

392

6.2.2

Lehrauftrag

scher Staatsangehöriger und Angehöriger einer präsumtiv feindlichen Macht wirkte sich zunächst noch nicht nachteilig aus 25 . Die folgenden Anfragen und Aufträge verbanden sich im Gegenteil gerade mit seinem besonderen beruflichen und nationalen Status. Moritz Julius Bonn empfahl im Januar 1916 Hegemann der Aufmerksamkeit eines befreundeten Ökonomen der Harvard University 26 . Der Nationalökonom Bonn, der Hegemann aus Berlin kannte, hatte im vorigen akademischen Jahr die Carl Schurz Professorship an der University of Wisconsin inne und nun einen Lehrauftrag der Cornell University im Staat New York. Er verfügte daher über zahlreiche Kontakte, um derer Hegemann sich an ihn gewandt haben könnte. Er stattete Bonn dabei sogleich mit einem dreiseitigem Lebenslauf, der Selbstdarstellung des sogenannten Memorandum aus, welche Bonn weiterreichte 27 . In dieser Darstellung seines Werdegangs hebt Hegemann ganz auf den wissenschaftlichen Hintergrund seiner Ausbildung ab und gibt sich überzeugt, daß Stadtplanung als einer der wichtigsten Entwicklungsfaktoren weiter erforscht werden müsse. Als komplexer Gegenstand bedürfe sie der akademischen Etablierung in einem Fachbereich wie Soziologie, Ökonomie, Landschaftsplanung, Architektur oder engineering, um den komplexen Wechselbeziehungen der Strukturelemente wissenschaftlich nachgehen zu können. This science of city planning ... I believe I could at present serve best if a University with large collections and an atmosphere of intelligent discussion of civic problems could give me an opportunity for research work. Hegemanns Wunsch bleibt der Eintritt in den Sektor staatlich-akademisch sanktionierter Deutungsmonopole und Alimentierung. Er trägt hier seine angeblichen Vorbereitungen für eine Habilitation in Deutschland vor, um seine Qualifikation zu erhöhen. Die Anfrage um eine Forschungsdotation, wenig bescheiden im Kleid dienender Verpflichtung vorgetragen, soll zur Eintrittskarte werden. Der Ökonom F.W. Taussig kannte Hegemann nicht. Doch der Soziologe James Ford, an den er sich wandte, war Professor am Department of Social Ethics in Harvard und Bruder George B. Fords, der ihn bereits aus Boston persönlich kannte. Taussig berichtete Ford Bonns offene Mitteilung, daß Hegemann a man of one idea sei - McDuffies Kategorie der Religion spiegelnd - , aber in seinem Fach außerordentlich kompetent. Ford zeigte sich auch in Unkenntnis Hegemanns sehr interessiert und berief sich dabei auf seinen Bruder, dessen Referenz hier ins Gewicht fiel. Diese Empfehlung entstand also aus einem Netz vom Fach weitgehend unabhängiger persönlicher Verbindungen. James Ford verstand die Anfrage als die nach einem Lehrauftrag und machte Hege25 Collins, Cartographers ..., p. XIII merkt die Genehmigung eines eigenen Büros im Verhältnis zum legalen Status als enemy alien als Besonderheit an. Die Firma muß jedoch bereits 1916 gegründet worden sein und fiel als Partnerschaft mit einem Amerikaner wohl nicht unbedingt unter den erst mit Kriegseintritt vom 6. April 1917 erklärten Status der Ausländer. 26 Nicht Hegemann selbst trug demnach seine Intentionen an James Ford heran; so noch Collins, Cartographers ..., p. XIII. 27 F.W. Taussig to James Ford, January 11, 1916. UA V 800.5, Ford-Hegemann Correspondence, Department of Social Ethics, Harvard University Archives, Cambridge MA. Darin das dreiseitige Typoskript Hegemanns, das Taussig als Memorandum bezeichnet, daher Memorandum (1916). Taussig nennt Bonn another stranded German. Siehe auch Moritz Julius Bonn, So macht man Geschichte. Bilanz eines Lebens, München 1953, erwähnt Hegemann nicht.

393

6.2.2 Ablehnung

mann schon am 17. Januar 1916 ein Angebot nach New York. Er umriß die formalen - ein „halber" Kurs mit 10-30 Studenten und 40-45 Semesterstunden, dreimal pro Woche für $ 500 mit eventueller Wiederholung am Radcliffe College - und inhaltlichen Bedingungen. Er ging von einer Plazierung im Fach Social Ethics aus und erwartete ein Spektrum, das Planungsprinzipien und -Instrumente umfassen sollte, wofür er seine fachliche und technische Unterstützung zusagte. Ihm schien dieses Angebot eine wichtige Ergänzung zu eigenen Kursen über Wohnungspolitik, das sich an Studenten der Verwaltungswissenschaft, Landschaftsarchitektur und Soziologie richtete. Gleichzeitig hatte Ford sowohl Meinung wie Unterstützung seitens Philip Cabots eingeholt. Trotz dessen Zusage, Hegemann erneut in seinem Haus aufzunehmen, sah Ford hier ein Hindernis. Aufgrund der entschieden antideutschen Einstellung Cabots und seiner Freunde erwartete er von Hegemann, sich jeder prodeutschen Meinungsäußerung zu enthalten, da der gesellschaftliche Verkehr sonst unmöglich werde. Dieses Hindernis sah Ford aber als ein privates, denn eine diplomatische Abstinenz im universitären Bereich setzte er in der stark emotionsgeladenen Atmosphäre stillschweigend voraus. Daß Cabot trotz politischer Frontenstellung Unterstützung zusagte, die er dann sogar auf eine anteilige Finanzierung des Lehrauftrags über $ 200 ausdehnte, dürfte ein weiterer Grund für Hegemanns vorbehaltlose Bewunderung Cabots sein. Hegemann reiste zwei Tage später aus New York zu einem Gespräch mit Cabot, Ford und dem Vorsitzenden des Fachbereichs. Er zeigte sich laut Ford eifrig, diesen Lehrauftrag zu erhalten; Indiz nicht nur Hegemanns dringender Suche nach einem in seinen Augen angemessenen Tätigkeitsfeld, sondern wohl auch schon erwarteter Schwierigkeiten bei dessen Genehmigung. Fords am selben Tag, dem 19. Januar, verfaßter und mehrfach korrigierter Brief an den Universitätspräsidenten, A. Lawrence Lowell, zeigt eine defensive Haltung. Er zählt ausführlich Hegemanns Qualifikationen und persönliche Qualitäten auf und begründet mit Hegemanns Herangehensweise, vom gesamten Datenmaterial eine Sozialpolitik für bessere städtische Lebensbedingungen zu entwerfen, die Plazierung in der Soziologie, die zahlreiche Studenten und auch Auswärtige anziehen werde. Dazu führt er Cabots Finanzierungszusage ins Feld. Ford muß seinen Sorgen Ausdruck gegeben haben, denn am selben Abend schickte Hegemann ihm weiteres Material, um ihn gegen den 'Verwaltungsrat' zu wappnen28. Für das Scheitern des gesamten Unternehmens waren mehrere Gründe ausschlaggebend. Am wenigsten zählte offenbar Hegemanns deutsche Staatsangehörigkeit, denn Lowell beanspruchte 1916 auch für den Psychologen Hugo Münsterberg, der sich mit prodeutschen Schriften Angriffen ausgesetzt hatte, die Freiheit der Rede. Lowell hatte als Präsident der Universität bereits 1910 eine Studienreform und allgemeine Prüfungen eingeführt. Er, der als Autokrat galt, versuchte das Niveau der Lehre streng zu überwachen, und weigerte sich hier, den anzubietenden Kurs für undergraduates zu öffnen. Im Gespräch mit Ford stellte er vor, daß in der Vergangenheit gerade auswärtige Dozenten 2 8 Hegemann to Ford, January 19, 1916, Ford-Hegemann Correspondence; (nicht erhaltene) Exemplare, Rezensionen, Korrespondenzen. Hegemann pflegte letztere systematisch, nach wie vor im Hinblick auf eine profitable Honoratiorenpolitik, die ihm hier wenig nutzte.

394

6.2.2 Tiefpunkt

den Ansprüchen Harvards nicht genügt hätten, und lehnte deshalb trotz Fords Anerbieten, den Kurs zu begleiten, kategorisch ab. Gegenüber Cabot und Hegemann berief sich Ford auf diese Begründung, gab aber gegenüber dem Fachbereichsvorsitzenden auch zu, daß er darüber erleichtert sei. Dabei scheint jedoch die strikte Ablehnung des Dekans für Landschaftsarchitektur James Sturgis Pray eine weitere Rolle gespielt zu haben. Pray lehnte im Telefonat mit Ford die Teilnahme der graduates seines Fachs an Hegemanns geplantem Kurs rundweg ab. Sie seien ausgelastet 29 . Fords Zitat der Worte Prays impliziert eine hochschulpolitische Ablehnung, die der Etablierung eines konkurrierenden Lehrgebiets gilt, das die ästhetische Dominanz der klassischen Landschaftsarchitektur in Frage stellte. Das fügte sich nicht nur zu dem späteren Streit zwischen Pray und Elbert Peets 30 , sondern ließe eben die Planungsschule erkennen, die allein auf eine ästhetisch ansprechende Auslegung einer definierten Umgebung verpflichtet wurde und Interdependenzen mit sozialen und politischen Forderungen nicht billigte. Infolgedessen kam keine ausreichende Studentenzahl zusammen, um den Kurs anbieten zu können; das Argument, das Ford Hegemann gegenüber in den Vordergrund stellte. Der hatte in Milwaukee auf diese Entscheidung gewartet und bereits nachgefragt. Hegemann stand offenbar vor der Entscheidung, einen Auftrag in Milwaukee oder den Lehrauftrag in Harvard anzunehmen und entschied sich, wie er am 9. Februar nach der Absage an Ford schrieb, für das falsche. Der weinerliche Ton seiner Antwort, in der er Ford vorwarf, ihm die Absage nicht telegraphiert und ihm diese Entscheidung erspart zu haben, war offenbar Folge dessen, daß er gerade die Rede Wilsons über Preparedness angehört hatte. Hegemann fühlte sich zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht nur vom universitären Sektor abgeschnitten, sondern auch aus dem ehemaligen Bekanntenkreis ausgeschlossen. Zudem mußte ihm allmählich bewußt werden, daß ein Kriegseintritt der Vereinigten Staaten auf Seiten der Alliierten unvermeidlich und damit eine deutsche Niederlage unausweichlich war. Soweit diese Aussicht sein bisheriges Selbstverständnis in Frage stellte, verlangte auch die Arbeitssituation nach einer unmittelbaren Revision desselben. Diese Ablehnung mußte ihm als erniedrigender Tiefpunkt einer präsumtiven Karriere erscheinen. 6.2.3 Milwaukee Da Hegemann im März 1916 in Chicago und Anfang April in Boston anzutreffen war. werden diese Reisen trotz konkreter Anläße auch den Zweck gehabt haben, weitere Chancen auszuloten. In Chicago führte er mit bekannten Planern Gespräche für einen Auftraggeber, in Boston sprach er bei einem Festdinner über eine Modellstadt, die zum Gedenken des 300. Jahrestages der Landung der Pilgerväter angelegt werden sollte 29 James Ford to R.F. Foerster, January 28, 1916. HUG 4402.8, James Ford Papers, Harvard University Archives, Cambridge, ΜΑ. Ich danke Ms. Margaret Ford Francis für die Genehmigung zur Einsichtnahme. - Siehe auch Frederick J. Adams/Gerald Hodge, City Planning Instruction in the United States: the Pioneering Days. In: JAIP 31 (1965), p. 43-51, p. 48. 30 Collins, Cartographers ..., p. XV f.

395

6.2.3 Kriegseffekte

in Gesellschaft des Gouverneurs, des Bürgermeisters, von John Nolen und Ralph A. Cram 31 . Doch ergaben sich daraus keine Anknüpfungen, so daß ihm sich in Milwaukee, wo Hegemann sich zum Zeitpunkt der Absage Fords aufhielt, die meisten Möglichkeiten zu bieten schienen. Etwa die Hälfte der nahezu 400.000 Einwohner Milwaukees waren deutscher Herkunft. Diese Konzentration prägte das öffentliche und tägliche Leben der Stadt, in der es deutschsprachige Zeitungen, Theater, zahlreiche Vereine vom „Liederkranz" bis „Turnverein" gab, Deutsch Unterrichtsfach in den Schulen und in Restaurants und Läden das Schild English spoken here zu finden war 32 . Bei Kriegsbeginn entfalteten viele Bürger Milwaukees zunächst eine ungehemmt deutschfreundliche Einstellung. Sie wurde nur durch einen starken sozialistischen Einfluß gebremst, während zugleich die durch Stahl-, Eisen- und Schwermaschinenproduktion bestimmte Industrie der Stadt durch Kriegsaufträge einen großen Aufschwung erfuhr 33 . Die prodeutsche Stimmung, kanalisiert durch die National German-American Alliance mit 37.000 Mitgliedern allein in Wisconsin, setzte sich starker Kritik aus. Gleichzeitig wuchs in ihren Reihen aus dem Konflikt um Heimat und Identität eine Kritik an amerikanischer Politik und schließlich eine Neutralität, die nicht der üblichen verdeckten Unterstützung der Alliierten entsprach. Nachdem ein deutsches U-Boot im Mai 1915 das britische Passagierschiff „Lusitania" versenkt hatte, das zwar Waffen, aber auch amerikanische Passagiere an Bord hatte, schwenkte diese Stimmung um. Woodrow Wilson redete über Preparedness für einen Kriegseintritt, hielt im Januar 1916 auch in Milwaukee eine Rede und wurde im November 1916 mit großer Mehrheit wiedergewählt. Die verzögerte Zustimmung zum Krieg schlug in Wisconsin in ihr Gegenteil um, so daß der Staat seine Quote für Kriegsanleihen in hohem Maße überzeichnete, jedoch nicht ohne daß nachhaltiger gesellschaftlicher und teilweise auch bedrohlicher Druck auf einzelne ausgeübt worden war 34 . Die ehemals defensive Haltung und politische Kritik an Waffenlieferungen führten zu Beschuldigungen von Illoyalität und Hysterie; 31 Boston Evening Transcript, April 1, 1916, mit Dank an Manfred Hegemann. Hegemann sprach von der Aufgabe, eine „perfekte, ewige" Stadt zu schaffen, die aber, typisch für ihn, auch the entire economic fabric zu gestalten habe. Obwohl auch Nolen den Plan als dem Anlaß angemessen befürwortete, ergaben sich daraus offenbar keine Anschlußaufträge. 32 Siehe Bayrd Still, Milwaukee. The History of a City, Madison WI 1965, besonders p. 453-462; George E. Lankevich, Milwaukee. A Chronological and Documentary History (American Cities Chronology Series), New York 1977, p. 54-62. Außerdem zu Aspekten des Alltagsleben: Η. Russell Austin, The Milwaukee Story. The Making of an American City, [Milwaukee WI] 1946, p. 147-150. Zum Überblick Paul W. Glad, The History of Wisconsin, Volume V, War, a New Era and Depression, 1914-1940, Madison WI 1990, p. 12-54. 33 Still, Milwaukee ..., p. 477 f. Der Wert hergestellter Waren stieg in der ersten Hälfte des Kriegsjahrzehnts um 7,5 %, in der zweiten Hälfte um 158 %. Nach Kriegsende kulminierte der Produktionseinbruch erst im Jahr 1921. 34 Zum Council of Defense und seiner gemäßigten Politik, die Denunziationen ablehnte, aber Angezeigte zum Gespräch vorlud, siehe Glad, History ..., p. 28-37. Die Mitte 1917 gegründete und durch die Verabschiedung des Espionage Act gestärkte Wisconsin Loyality League widmete sich der Aussonderung 'schwarzer Schafe' und erpresste unwillige Farmer zum Ankauf von Kriegsanleihen.

396

6.2.3

Stimmungslagen

Boykotte veranlaßten in den ersten vier Monaten nach Eintritt der Staaten in den Krieg 250 Namensänderungen; sogar aus Sauerkraut wurde liberty cabbage35. 1930 erinnerte Hegemann sich: Als aber die Zeitungen verkündeten, ich sei ein „Spion des Kaisers" und meine städtebauliche Arbeit sei nur eine Vorbereitung für den Empfang deutscher Unterseebote im Hafen von San Francisco, mußte ich mich in ungefährlicheres Binnenland zurückziehen. Ich gründete ein städtebauliches Architektur-Büro im mittleren Westen mit einer Zweigstelle in Pennsylvanien, beide in alten deutschen Siedlungsgebieten. Wenn mir als „fremdem Feind" auch die Tätigkeit für Staat- und Stadt-Behörden versagt blieb, so durfte ich doch - nach einigen peinlichen, aber kurzen Verhaftungen - für mehrere private Landgesellschaften eine Reihe von Gartenstädten und Gartenvorstädten planen und verwirklichen und große private Gärten bauen, eine Tätigkeit, die mich noch mehr beglückt hätte, wenn sie nicht ein so grauenhafter Gegensatz zu der in Europa wütenden Verwüstung gewesen wäre.36

Tatsächlich hatte der Bürgermeister von Oakland nach Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im August 1917 eher absurde Anschuldigungen vorgebracht. Er machte mit der Anklage Hegemanns als Spion, der all sein Wissen über Oakland in die Hände des Feindes gegeben habe, eine opportune antideutsche Propaganda. Vor dieser nahm die „Oakland Tribune" Hegemann ausdrücklich in Schutz und ließ dabei durchblicken, daß jener Bürgermeister sich mit städtischen Reformen nie abgegeben habe, die Kampagne also funktionalisierte, um progressive Ideen zurückzudrängen 37 . Wenn Hegemann in der Erinnerung diesen Anlaß mit der Ubersiedlung zusammenzieht, ist das chronologisch - ebenso wie folgende Zusammenziehung von Gründung des Büros und der Zweigstelle - nicht stimmig, da er bereits vor dem Vorfall und als Alternative zur akademischen Tätigkeit in Milwaukee sondierte. Ursächlich ist seine Erzählung jedoch stimmig, da der Meinungsumschwung früher fühlbar wurde, auch der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten wie seine möglichen Folgen absehbar waren. Der Status des enemy alien Schloß ihn ab April 1917 demnach von öffentlichen Aufträgen aus. Andernorts benannte er im Nachhinein den Unterschied eben erst mit der „kriegerischen Stimmung" von 1917, die ihm Großaufträge verschlossen habe 38 . Wenn er den unausweichlichen Verhaftungen jedoch nach kurzer Zeit entkam, mußte seine Rechnung aufgegangen sein, in einem zweisprachigen Siedlungsgebiet besser geschützt zu sein, wo man andererseits in den Landgemeinden wenig zögerlich verfuhr und tear 35 Das Verschwinden deutsch geprägter Elemente der Alltagskultur veränderte die Stadt nachhaltig. Aus der „schoenen deutschen Stadt" wurde eine „american city" - was für Austin 1946 Beleg einer bestandenen Zerreißprobe war, bewerten die anderen Autoren als Integrationsleistung, aber auch entscheidende Nivellierung des Stadtcharakters. 36 Den Spionageverdacht hob Hegemann in dem akademisierten Lebenslauf (1930) 2 wieder hervor, um gegen die übliche Kriegsteilnahme das erzwungene Fernbleiben zu betonen. Hinrichs, Architekt ..., 4. Nov. 1946, wußte aber, daß Hegemann in den USA sich ziemlich frei bewegen und ungehindert arbeiten konnte. 37 Oakland Tribune, August 26, 1917; mit Dank an das Archiv der „Oakland IVibune", das den Ausriß ermittelte und zur Verfügung stellte. 38 Erinnerungen (1926) 195.

397

6.2.3

Reformgruppen

and feather-parties mit mißliebigen Bürgern veranstaltete 39 . Es haben sich jedoch keine weiteren Belege für eine persönliche Bedrohung noch für eine Einschränkung der Berufsausübung Hegemanns finden lassen. Das Ausmaß politischer Verwirrung und psychologischen Aufruhrs lassen jedoch eine ausgesprochen heikle Situation für einen Angehörigen des feindlichen Staates erkennen, der zudem auch noch in einem Dienstleistungsbereich sein Geld verdienen will. Aber hier standen ihm gerade seiner Herkunft wie Spezialisierung wegen mehrere Türen offen. Eine in den Vereinigten Staaten einmalige erste sozialistische Kommunalregierung hatte 1910 auch das Interesse für Stadtplanung angeregt. Obwohl ihr bis zur Ablösung nach zwei Jahren große Reformen nicht möglich waren, blieben diese Einflüsse bedeutend 40 . Neben Verbesserung der Infrastruktur konnte der 1916 zum Bürgermeister gewählte vormalige Stadtsyndikus Daniel W. Hoan als Erfolg verbuchen, bei Verhandlung der franchises bessere Bedingungen für die öffentliche Versorgung erzwungen zu haben. Dieser sewer socialism und von ihm beeinflußte Gutachten über die Wohnungslage, Flächennutzung und Hafenentwicklung wie Verwaltungsreformen stärkten einen neuen Planungsimpuls: emphasis was placed upon a regulated use of private property in the interest of the public good41. Eine City Planning Commission von 1911 versuchte auf der Grundlage eines Staatsgesetzes von 1913 die Trennung der Wohngebiete von Handel und Industrie durchzusetzen, was an Klagen der Besitzer scheiterte. Eine 1915 nachfolgende Kommission beauftragte schließlich die mit New Yorker Entwürfen befaßten Anwälte Bassett und Comey mit dem Entwurf eines Bauzonenplanes, der 1918 eingebracht, 1920 verabschiedet wurde. Vor diesem Hintergrund entstand das Interesse städtischer Gruppen an der Arbeit Hegemanns. Der City Club von Milwaukee, zunächst ein informeller Treffpunkt, wurde 1911 zur eingetragenen Vereinigung, die sich community betterment auf die Fahnen schrieb. Seine zahlreichen Kommitees arbeiteten eng mit der Stadtverwaltung und diversen anderen städtischen Gruppen zusammen. Mit einer eigenen Bibliothek und regelmäßigen Vorträgen wurde der Club zu einem wesentlichen Bestandteil des städtischen Lebens. 1914 zählte er 910 Mitglieder, darunter auch der Bürgermeister, bei Dominanz der freien Berufe 42 . So zeigt sich auch hier die Interessenverbindung, die als initiativ für Planungsbestrebungen bestimmt werden konnte und eine Verkörperung des Progressivism erkennen läßt. 39

Sie wurden erst unter Einfluß des Gouverneurs unterbunden. Personen, die in den Augen der Anstifter zu geringe Anleihen zeichneten, wurden mit gelber Farbe attackiert. Diese Angriffe auf persönliche Integrität zeigen nicht nur das Ausmaß der Hysterie, sondern auch eine nur noch dünne Trennlinie zu massiver Körperverletzung. 40 Still, Milwaukee ..., p. 515-544; Lankevich, Milwaukee ..., p. 54-62; außerdem Herbert F. Margulies, The Decline of the Progressive Movement in Wisconsin 1890-1920, Madison 1968. 41 Still, Milwaukee ..., p. 517 f., p. 542 f. 42 The City Club of Milwaukee: „to promote ... better social, civic and economic conditions". In: Wisconsin then and now 12 (1966), Nr. 9, p. 2-6, p. 2 f. State Historical Society of Wisconsin, Archives Division, Register of the City Club of Milwaukee Records, 1909-1975. MS, n.d. [1989], p. 2.

398

6.2.3 Interessen

Das Interesse der Clubmitglieder am städtischen Erscheinungsbild manifestierte sich zuerst in Kampagnen für Straßenbeleuchtung, Straßennamen und Hausnummern, für Grünanlagen. Vorausplanung tritt in der Untersuchung des Bedarfs an Schulräumen und Spielplätzen hinzu, die der Club 1916 durchführte. Juristische Grundlagen für Planung wurden bei der Eingemeindung angrenzender Gebiete und im Versuch der Ausweisung von Grund für Wohnzwecke thematisiert, konnten jedoch nicht durchgesetzt werden. Dennoch gab es von 1917 bis 1920 auch ein City Beautiful Committee, das sich besonders mit einem Civic Center beschäftigte; Beispiel des Anhaltens dieser Anliegen, die erst allmählich ineinander aufgehen. Das Komitee war unter diesen Bedingungen zum Auftraggeber Hegemanns geradezu prädestiniert. Das zweite Rundschreiben des People's Institute war auf die gemischte Interessenlage solcher Akteure zugeschnitten und Hegemann steuerte mit seiner neuen Bezeichnung des Planungsberaters auf dieses Segment potentieller Arbeitgeber erfolgreich zu 43 . Genaue Zeitpunkte für Verpflichtung und Aufenthalt Hegemanns sind nicht überliefert 44 . Als das City Planning Committee am 6. Januar 1916 den Besuch Hegemanns debattierte, wurde sogleich eine gegenüber 1913 differenzierte Interessenlage sichtbar. Das Komitee skizzierte bereits, wen Hegemann treffen sollte - engagierte Architekten, Reformer, Repräsentanten der Geschäftswelt und Vertreter von Verkehrsgesellschaften sowie die zu behandelnden Themen - Geschäfts- und Verwaltungszentrum 45 . Bereits elf Tage später erwog das Komitee, ob Hegemann nicht besser zwei Wochen statt nur einer bliebe. Er blieb schließlich drei Wochen, hielt aber nur einen öffentlichen Vortrag mit selbst angefertigten Lichtbildern. Ende Februar äußerte das City Planning Committee die Absicht, Hegemann einen umfassenden Bericht schreiben zu lassen, und beschloß am 17. April 1916. diesen in α simple inexpensive publication zu veröffentlichen 46 . Dieser Bericht wurde schließlich neben dem City Club vom Wisconsin Chapter of the American Institute of Architects. The Milwaukee Real Estate Association, Westminster League und der South Side Civic Association getragen.

43 Ein weiteres Indiz dafür ist, daß ein Vortrag über juristische Probleme der Planung abgelehnt wurde, den Frank B. Williams dem Club 1916 direkt anbot. In der Reihe der Vortragenden von 1916 (Zeitpunkt unbekannt) erschien auch Howe. Williams lobte den Club für die Bestellung Hegemanns und bot ein lecturing on practical work zu einem anderen Zeitpunkt an. Der Markt für Berater war offensichtlich noch eng, so daß Williams sich abzugrenzen versuchte, gleichzeitig duch Nennung zahlreicher Institutionen sein Ansehen zu vergrößern. Frank B. Williams to Hornell Hart (Sekretär des City Club), February 11, 1916, City Club of Milwaukee Records. Milwaukee Manuscript Collection, Milwaukee Urban Archives, Golda Meir Library, University of Wisconsin-Milwaukee WI. 44 Die „City Club of Milwaukee Records" enthalten lediglich kurze Hinweise in den Tätigkeitsberichten und den Ergebnisprotokollen des City Planning Committee des Clubs. 45 City Planning Committee - Minutes, Correspondence and Reports, 1914-1917, City Club of Milwaukee Records. 46 Wohl erst in der zweiten Jahreshälfte gedruckt; entgegen der Datierung des Titelblatts vom Februar 1916 stammt der Aufschließungsplan der Pabst Farm vom Juni 1916; CPM 29.

399

6.2.3.1 Vorsorge

6.2.3.1 „City Planning for Milwaukee" Der kürzeren Vorbereitung entsprechend, fiel dieser Bericht Hegemanns erheblich knapper als der vorige aus. Er betont die vorausschauende und zukunftsweisende Punktion von Planung und macht Propaganda. Wie im „Report" strukturiert Hegemann nach Verkehrswegen und -mittein mit dem erklärten Planungsziel einer modern starshaped city. Das letzte Drittel des Berichts widmet sich nach Parks und Wohnen dem Ufer und dem Civic Center. Die historische Einführung verdeutlicht neuerlich, daß entgegen der Dogmen Planung seit Gründung der Vereinigten Staaten ausgeübt wurde. Sie dient der Übersetzung in moderne Elemente. Dazu liefert Hegemann eine knappe Definition: City Planning is both the organization and directing of the city's physical growth.47 Erneut erläutert Hegemann nicht Instrumente der Planung, sondern fordert eine Modernisierung, die Planung als Anpassung an veränderte Bedingungen und als Zukunftssicherung betreibt. Dazu stellt er die typischen kumulierten Gründe heraus: Ersparnis durch rechtzeitige Investitionen in Straßen, Bahndämme, Frachtorganisation, Parkgelände. Insonderheit gibt er zu bedenken, daß das Steueraufkommen durch Förderung des Wohnungsbaus erhöht werden könne, weil der durch hohe Veranschlagung der Grundstücke steigende Anteil an Mietshäusern das städtische Einkommen verringere. Besonders auffallend sein Argument für das Civic Center, dessen Hauptfunktion die Umsetzung der Investition in ein Würde und Bedeutung der Stadt signalisierendes Ensemble sei. Er entspricht damit wieder dem Bedarf nach lokalem Bürgerstolz wie erfolgreicher Konkurrenz mit anderen Städten, die auch aus ihren topographischen Bedingungen das funktional wie ästhetisch Beste zu machen hat (Bild 59 und 61). Sein Rat, die Frachtlinien zu reorganisieren, den Verladehafen für Getreide auf dem nationalen Markt zu stärken, zielt auf Unabhängigkeit von Chicago; die ästhetischen Empfehlungen schließlich gelten dem Ehrgeiz, mit dem auch der Mittlere Westen die Ostküstenstädte überflügeln will. Die Empfehlungen selbst beziehen sich wiederum auf eine Leistungssteigerung von Stadtfunktionen: ein Schnellbahnsystem oder mindestens Expressfahrten einzurichten, Uberlandstraßen auszubauen statt im Rasterplan zu überbauen, Industriegebiete verkehrsorientiert anzulegen usf. Zur Wohnungsfrage führt Hegemann den ungeregelten und - sozial wie ästhetisch - unbefriedigenden Bestand (Bild 60) an. Folgen unterlassenen Dirigismus zeigt er etwa am üblichen Grundstückzuschnitt auf, bei geringer Breite zu tief, zwangsläufig mit schmalen, giebelständigen Häusern besetzt, schlecht belüftet, kaum belichtet. Als Abhilfe nennt er Neben- und Behelfsstraßen sowie das Zusammenziehen zu Reihenhäusern. Auch die Industrieansiedlung an Uferklippen versteht er als unterlassene Regelung. Die Klippen wären für Parks besser geeignet, die aber dort angelegt wurden, wo Industriegelände mit Wasser- und Bahnanschluß und Hafen ausgebaut werden könnten 48 . 47

CPM 5. CPM 17, 20. Mit dieser Kritik an der frühen Parkbewegung verbindet sich Hegemanns Erstaunen darüber, daß die Annahme, für einen Industriehafen keinen Platz zu haben, widerspruchslos hingenommen wird. Vgl. Built in Milwaukee. An Architectural View of the City, Prepared for the City of Milwaukee, Wisconsin by Landscape Research, Milwaukee WI, n.d. [1974], p. 128, als bedeutendster 48

400

6.2.3.1

Förderprogramm

Nebenbei bringt er seinen Entwurf für den Island Park vor Oakland und Berkeley (Bild 55) ins Spiel 49 , um Werbung auch für seine weiteren Fähigkeiten zu machen. Anderes muß er am Beispiel erläutern. Hegemann warnt vor dem Eifer kurzfristiger Bedarfsregelung, etwa sich mit der Pflasterung der Country Highways zu begnügen. Er fordert implizit dazu auf, Auswirkungen zu erkennen und dies in den Handlungsprozeß einzubeziehen, um mit Folgeabschätzungen zu zweckmäßigen Maßnahmen zu gelangen. Wenn das Abdrängen der Lagerhäuser den Getreideumschlag bedroht, betrifft das individuelles Profitinteresse, aber auch das Wirtschaftsleben der Stadt. Hegemann beschränkt sich auf das Aufdecken von Zusammenhängen, um Schlußfolgerungen anheim zu stellen. Indem sich seine Ratschläge nicht in das aktuelle Thema des Zoning einfügen, setzt Hegemann sich davon ab. Er faßt Planung allgemein. Wieweit das Ansprüchen entsprach, die von seinen Auftraggebern auch formuliert wurden, muß ungewiß bleiben. Hegemanns Absicht ist es, die Gleichgültigkeit zu durchbrechen 50 und die physikalische Umgebung als veränderliche darzustellen. In diese Appelle fügen sich auch die ästhetischen Bewertungen. Sie folgen einer klassisch konservativen, harmonischen Orientierung wie in der Umbildung des Flußufers zu einem Stadtraum a la Canale Grande oder einen spätmittelalterlichen Platzraum, in dem Hotel und Kaufhaus Rathaus und Börse mimen, die für Hegemann in den Motiven Bostons vorgeprägt waren. Doch bedeuten sie vor allem die Aufforderung, Nachlässigkeit und Zufälligkeit zugunsten von aktiver Gestaltung aufzubrechen. Hegemann gibt keine Handlungsanweisungen, sondern vermittelt Wissen, damit Meinung gebildet werde, die schließlich das Handeln bestimmt. Es zeigt sich seine nachdrückliche Uberzeugung, daß vor Debatten über Einzelmaßnahmen zunächst ein Bewußtsein von den Notwendigkeiten und Möglichkeiten planenden Handelns verankert werden muß: City Planning for Milwaukee. What It Means and Why It Must Be Secured. Ein erster Erfolg wird am Vorschlag des Vorsitzenden der City Planning Commission im April 1916 deutlich: to secure cooperation of the various organizations and interests in a thorogoing study by experts of city development problems. Der Wandel von city planning zu city development problems zeigt an, daß man Hegemanns Voraussetzungen folgen konnte, nach denen es sich bei Stadtplanung stets um Stadtentwicklung handeln sollte. Er konnte ganz offensichtlich davon überzeugen, daß für die bauliche Entwicklung disparate Faktoren in der Zusammenschau behandelt werden sollten und es dazu mehrerer Sachverständiger bedurfte. Der zweite Wortwandel zu various organizations and interests zeigt auch hier ein erweitertes Spektrum, das die Herkunft und Richtung der Interessenlagen wahrzunehmen beginnt, um sich Hegemanns intendierter Kooperationsbereitschaft annähern zu können. Langfristige Wirkungen konnte Hegemanns Arbeit aber offensichtlich nicht hervorbringen. Zwar wurde der Bericht immerhin so populär, daß ihn etwa die städtische BiVorschlag bewertet. 49 Plan und Erläuterung CPM 18 f. 50 Dem entsprechend häuft er sprachliche Wendungen wie thoughtless routine und blind acceptance.

401

6.2.3.1

Stadtentwicklung

bliothek von St. Louis anforderte; kommunale Dokumentationsstellen ihn demnach in ihre Sammlung aufnahmen 51 . Und bei der Gründung der ersten amerikanischen städtischen Baugenossenschaft, der Garden Homes von 1920, klang ein Echo von Hegemanns Wohnungspolitik nach 52 . Auf eine Anfrage für die Materialsammlung des „City Planning Progress" antwortete der Sekretär des City Clubs im Juni 1916 jedoch: Nothing of special note in this field occurred in Milwaukee aside from efforts on the part of the Common Council to set aside certain districts in the city for residents purpose.53 Er berichtete von dem fehlgeschlagenen Versuch, eine Flächennutzungsverordnung einzuführen, was nicht nur durch juristische Anfechtung, sondern duch Auflösung und veränderte Neubildung der Public Land Commission zum Scheitern gebracht wurde 54 . So blieb Hegemanns Studie als einzig nennenswerter Erfolg. Dieser Verlauf bestätigt erneut das nach dem „City Planning Progress" entstehende Bild. Nach vielversprechenden Anfängen verlaufen die Initiativen im Sande. Entweder scheitern sie in konkreten Rechtshändeln, die mit der zumeist erfolgreichen Uberprüfung der Vereinbarkeit von Nutzungsbeschränkungen mit der jeweiligen Staatsverfassung tastende Versuche beendeten. Oder im Kampf um die Beschränkung des Landdogmas, welche erweiterte Staatsverfassungen bereits vorsahen, ging die anfängliche Energie zu umfassenden städtischen Reformen verloren, weil sie in den Ausarbeitungen kompromißfähiger Bauzonenpläne verbraucht wurde. Zunehmend erschwert wurde diese von Bürgergruppen in mühsamer kleinteiliger Arbeit voranzubringende Reform jedoch auch durch Konkurrenz mit Komitees ähnlicher Herkunft und Organisation, aber mit anderen Schwerpunkten, vor allem der öffentlichen Moral, befaßt, die ihre Inklusivinteressen mit derselben Rechtschaffenheit anmelden und mit derselben Intensität durchgesetzt sehen wollten 55 . Hegemann erzielte somit keine praktischen, sichtbaren Erfolge. Doch konnte er zahlreiche neue Verbindungen knüpfen und über eine neue Referenz verfügen.

51

Andrew L. Bostwick to Hornell Hart, September 29, 1916, City Club of Milwaukee Records. Built in Milwaukee ..., p. 161. Hier wird auch eine Mitarbeit Hegemanns vermutet; so ohne Quellenangabe Wayne Attoe/Mark Latus, The First Public Housing: Sewer Socialism's Garden City for Milwaukee. In: Journal of Popular Culture 10 (1976), p. 142-149, p. 147; in der Folge Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 197. M.E. ist eine Mitarbeit unwahrscheinlich, da Hegemann zu dieser Zeit andernorts beschäftigt war. Vermutlich überlagert hier erneut - vgl. oben „Ideal" - die Bekanntheit eines Namens das Ausmaß des Anteils. Zum weiteren bedurfte es Hegemanns direkter Anteilnahme nicht, war doch der Architekt William H. Schuchardt bereits ein idealer Mittler. 53 Hornell Hart to Flavel Shurtleff, June 14, 1916, City Club of Milwaukee Records. 54 Auf diesen Verwaltungscoup nimmt auch Hegemann in seiner Schilderung einer planungsfeindlichen Kommission Bezug, die unter dem vorigen Bürgermeister zur Behinderung der Arbeit der jetzigen eingesetzt worden sei. 55 Hier zeichnet sich dafür das Beispiel des Committee on Moving Pictures ab. Es trat 1914-17 vehement für eine Zensur der Filme in Namen der öffentlichen Moral ein und setzte beim Bürgermeister die Einrichtung eines unabhängigen und inoffiziellen Zensorengremiums durch, nach dessen Votum der Bürgermeister offensichtlich die Lizenzen der Filmtheater zurückziehen sollte. City Club of Milwaukee ..., p. 6. 52

402

6.2.3.2 Anregung

6.2.3.2 National Conference on City Planning Vorbehaltlosigkeit gegenüber dem Ausländer demonstrierte auch die City Planning Conference, als sie 1916 Hegemann einlud, neben George E. Hooker vom City Club Chicago eine Rede beim Abschlußdinner der achten Konferenz in Cleveland zu halten. Hegemann gilt hier noch als Berliner und in beiden Ländern aktiver Förderer des Planungsfortschritts. Hegemann würdigte diese Ehrung 56 , indem er die europäische Autokratie kritisierte 57 . Diese Kritik galt ebenso dem benevolenten Staatsplanungskonzept eines Thomas Adams wie der Demontage der von seinen Hörern nach wie vor bewunderten deutschen und französischen Vorbilder. Er erinnerte daran, daß die hochgeschätzten mittelalterlichen Städte von demokratisch verfaßten Kommunen gebaut wurden; Haussmann sei nur dafür zu danken, daß er nicht alle Ruhmesstücke der aufgeklärten Monarchie zerstört habe. Diese Umkehrungen zu pädagogischen Zwecken bezeugen die zunehmende Entfernung Hegemanns vom früheren Vorbild. Damit kritisierte er erneut die Moden der Planung von den Straßenfluchten Haussmanns zu den Kurven der Sitte-Nachfolger wie die ästhetisch bestimmte Abneigung gegen Schienenverkehr. Er bekräftigte seinen strukturellen Ansatz, nach dem jedem Element des Stadtplanes ein Rang infolge seines strukturierenden Werts zukomme. Aus der Debatte ist ein Beitrag Hegemanns zu Verkehrsfragen überliefert. Die Beschäftigung mit europäischen Plänen ermöglicht ihm hier ein differenziertes Bild. So wies er zur Lösung von Verkehrsstaus auf die Ideen Eugene Henards hin, die in Berlin ausgestellt waren. Wichtiger war ihm die Warnung vor einer zunehmenden Zweiteilung der Gesellschaft durch das Automobil. Während es eine reiche obere Schicht von der Stadt unabhängig mache, dränge es die untere Hälfte der Bevölkerung in die verdichteten Innenstädte zurück, weil der „demokratische" Nahverkehr nicht mehr profitabel sei. Er befürwortete mautpflichtige Schnellstraßen, von denen der öffentliche Verkehr profitieren solle. Die schnell steigende Zahl der Zulassungen - von 1917 bis 1920 nahezu auf 9,2 Mio. Automobile verdoppelt - bekräftigen Hegemanns Ahnung. Als einer der ersten nahm er an, daß der Individualverkehr den Nahverkehr beeinträchtigen werde 58 . Seine Einladung konnte Hegemann als eine Bestätigung gegen die soeben durch Harvard erfahrene Niederlage ansehen. Die Teilnahme gab ihm die Gelegenheit, zahlreiche Bekanntschaften zu erneuern, unter anderen mit Olmsted, Bouton, Bassett, Ford, Nolen und seinem Führer aus Baltimore, J . W . Shirley, Cheney, Robinson und McDuffie, und 56 Dazu gehörten auch die einleitenden Worte gegen den Krieg und eine Würdigung der Frauen in der Planung: ein Toast auf Theodora Kimball Hubbard und knappe historische Anklänge, Auszug aus seinem für weitere Reisen vorbereiteten Vortrag. Speech (1916) 253, 263 f. 57 Diese Kritik ergab ein automatisches Lob der Konferenz, doch Hegemann sah in ihr vor allem den Beweis einer Gesprächs- und Konsensfähigkeit „antagonistischer Interessen"; Speech (1916) 254. Sie füllte die Lücke des in Deutschland Vermißten und bestätigte sein Konzept kooperativer Planung. 58 Remark (1916) 76-78. Vgl. Scott, American City Planning ..., p. 168; Hegemanns Vorschlag kommt einer später auch gebauten Autobahn recht nahe. Mark S. Foster, From Streetcar to Superhighway: American City Planners and Urban Transportation 1900-1940. Philadelphia PA 1981, p. 44 (ohne Quellenangabe; NCCP 1915 (!) genannt), erwähnt Hegemanns Beitrag als ersten Kontrast zur herrschenden Meinung.

403

6.2.3.2 Delegierter

weitere, neue zu machen und sich über aktuelle Prägen zu informieren59. Dennoch blieb diese Einladung weitgehend ohne Effekt und mußte es schon deshalb bleiben, weil hier nur Auftragnehmer zusammentrafen. Die Chance, im nächsten Jahr seine Teilnahme durch eine Ernennung zu einem offiziellen Vertreter aufzuwerten und sich damit weiter im Fachdiskurs zu profilieren, verpatzte Hegemann selbst. Sein Bericht für Milwaukee und seine Niederlassung machten Hegemann zu einer bekannten Figur in der Stadt. Der Bürgermeister Daniel W. Hoan führte im April 1917 ein Gespräch mit ihm darüber, wer die Stadt bei der diesjährigen NCCP vertreten solle. Dabei schien unabhängig von der Kriegsproblematik bereits außer Frage zu stehen, daß Hegemann selbst einer dieser Delegierten sein sollte. Hegemann erhielt von Hoan den Auftrag, den Wahlkandidaten W.H. Schuchardt anzusprechen, der als Mitglied des American Institute of Architects und Mitarbeiter kommunaler Fachausschüsse ohnehin profiliert war. Es hätte Hegemanns nicht bedurft, ihn als potentiellen Delegierten dem Bürgermeister zu empfehlen, bestätigt aber Hegemanns lokale Geltung60. Der Stadt Milwaukee standen fünf Delegierte zu. Der Bürgermeister aber fragte beim Immobilienverband um weitere Vorschläge nach. Darin spiegelt sich nicht nur ein praktisches Problem - die Delegierten müssen die Kosten selbst tragen, weshalb man nach ihnen unter den Bessergestellten fahndet sondern das Charakteristikum dieser Planungsphase. Die Aktivisten und Repräsentanten des Fachs, wie sie der Briefkopf der NCCP von 1917 mit 69 Namen darstellt, kommen aus drei Sektoren. Sie sind entweder selbständige Architekten und Planer oder Kommunalvertreter und Juristen oder aber Unternehmer der Immobilienbranche. So hatte sich auch die Milwaukee Real Estate Association als einer der Auftraggeber für Hegemanns Studie einschlägig interessiert gezeigt. In der Einladung der NCCP erwartet deren Sekretär Flavel Shurtleff aber ausdrücklich die Teilnahme des Bürgermeisters oder eines ähnlich hochgestellten Stadtvertreters, weil die Flächennutzungsverordnung ein beherrschendes Thema sein soll. Die Konferenz versteht sich nicht nur als Kongress der Planungsexperten, sondern will sich zunehmend als Forum des Erfahrungsaustausche etablieren - um damit auch zwischen Auftraggebern und freien Berufen zu vermitteln. Allein unter diesen Aspekten mußte Hegemann an einer Teilnahme gelegen sein. Während Hoan am 2. Mai 1917 neben Hegemann vier weitere Delegierte ernannte, befand der sich wegen weiterer Arbeiten in Reading, Pennsylvania. Der Delegierte August Richter gehörte den städtischen Kommitees an; A. C. Clas, Architekt und Planer, Aktivist der Parkbewegung, hatte Hegemann in seiner Studie zitiert, Schuchardt selbst empfoh59 Eine Teilnehmerliste fehlt, hier Vortragende und Komiteemitglieder. - J.C. Nichols, Bauherr des Schule machenden Kansas Country Club 1913, sprach über Financial Effect of Good Planning in Land Subdivision, was nun auch Hegemann interessierte. 60 Dabei schließt der Ton der Briefe eine politische Nähe zwischen dem sozialistischen Bürgermeister und dem - nach amerikanischen Maßstäben, so jedenfalls immer wieder Collins - angeblichen Sozialisten Hegemann aus. Werner Hegemann to Daniel W. Hoan, April 17, 1917; Hoan to Hegemann, April 20, 1917. File 14, Daniel W. Hoan Collection. Milwaukee County Historical Society, Milwaukee WI. - Zu Schuchardt auch Attoe/Latus, First Public Housing ..., p. 146.

404

6.2.3.2 Versagen

len und mit dem Architekten Richard Philipp bereits zusammengearbeitet. Die Konferenz begann in Kansas City, Missouri, schon am 7. Mai. Hegemann aber kehrte am 8. Mai nach Milwaukee zurück, um dann einen vorwurfsvollen Brief an den Bürgermeister zu schreiben, obwohl Hoan ihn von seiner Ernennung unter beiden Anschriften benachrichtigt wie auch den Sekretär der Konferenz davon in Kenntnis gesetzt hatte. An Hegemanns Vorwürfen zeigt sich der unangenehme Zug, für eigene Fehler andere verantwortlich machen zu wollen und mit Gekränktheit zu vergelten 61 . Denn die besondere Bedeutung, die Hegemann dieser Aufgabe zumaß, drückt sein Schlußsatz aus: I hope you will at another occasion let me enjoy the honour of representing Milwaukee at a scientific conference.62 Für ihn ging es demnach immer noch vorrangig um eine wissenschaftliche Referenz im Nachklang der - nicht nur aus seiner Sicht - an einer zu geringen, i.e. zu wenig offiziösen Qualifikation gescheiterten Bewerbung um eine wissenschaftliche Stelle. Wie auch später noch, erweist sich Hegemanns durchaus erfolgreiche Tätigkeit auf dem freien Markt für ihn nur als zweite Wahl und stets mit diesem Makel behaftet. Dieser Mißerfolg hätte sich jedoch leicht verhindern lassen. Die Episode zeigt Hegemann einmal mehr als denjenigen, der am liebsten alles spontan unternimmt, jedoch nicht in der Lage ist, seine Prioritäten angemessen umzusetzen. Mindestens zeigt sie, daß er, wenn er sich Zielen nahe fühlt, nachlässig wird. Der Bürgermeister hat in seiner Antwort auch nur Salz für diese Wunden übrig: Hegemann hätte die Reise gefallen; Schuchardt habe sich soeben brieflich von der Konferenz begeistert gezeigt. Er selbst werde sich glücklich schätzen, Hegemanns Namen jederzeit wieder für eine solche Aufgabe zu erwägen 63 . Damit endeten offensichtlich Hegemanns Chancen, als offizieller Vertreter an einer NCCP teilnehmen zu können, schließlich einer Teilnahme überhaupt.

61 Hegemann muß aber selbst zugeben, daß seine verzögerte Kenntnis seiner Reise anzulasten ist und wagt es auch nicht zu behaupten, er habe beide Briefe erst soeben erhalten. Eine telegrafische Nachfrage in Kansas oder Milwaukee wäre auch von Reading aus möglich gewesen, am 8. Mai jedoch noch vor Ende der Tagung die 530 Meilen nach Kansas zurückzulegen, kaum. Zwischen Reading, i.e. Philadelphia und Kansas lagen 1110 Meilen, nach Milwaukee waren 830 zurückzulegen, so daß direkt zu reisen die Alternative gewesen wäre. 62 Hegemann to Hoan, May 8, 1917, Hoan Collection. 63 Hoan to Hegemann, May 10, 1917, Hoan Collection.

405

6.3.1 Werkssiedlung

6.3 Praxis Sowohl die besonderen Konstellationen in der Stadt Milwaukee wie seine Herkunft und die Referenz seines Planungsberichtes verschafften Hegemann den Einstieg in praktische Planungstätigkeit 1 . Wo die ersten Aufträge seiner Eigenschaft als Berater galten, ergaben sich daraus umfassendere Aufträge. Solche konnte Hegemann nicht allein, sondern nur mit einem Partner erfüllen, was sich zunächst als Hindernis, dann als profitabel für beide Beteiligte herausstellte. In der Auseinandersetzung beider mit Vorgaben und Gelände entwickelte sich ein eigener Stil, der in den Projekten der Partnerschaft sichtbar wird. Milwaukee blieb dabei Hegemanns Wohnsitz. Der Census von 1920 traf ihn als Untermieter eines jungen Ehepaares deutsch-irischer Herkunft an. Sie lebten in einem Zweifamilienhaus, das in einem von deutscher Herkunft erster und zweiter Generation geprägten Mittelstandsgebiet lag, 270 14th Street 2 . Hegemann gab unter Staatsbürgerschaft Alien an; hatte also keine Einbürgerung beantragt. Er fühlte sich offensichtlich unter den Deutsch-Amerikanern wohl, weil die Zweisprachigkeit außerordentlich verbreitet war. Wie ein späterer sporadischer Briefwechsel mit dem Juristen Erich Cramer Stern, selbst Sohn deutscher Immigranten, zeigt, wechselte man die Sprachen, teilweise auch in einem Brief, gewiß auch im Gespräch 3 . Die Briefe an Stern belegen mit ihren Erkundigungen nach Dritten einen größeren Freundesund Bekanntenkreis, den Hegemann dort fand, der ihm wohl auch die Aufmerksamkeit möglicher Auftraggeber eintrug. 6.3.1 Kohler Co. Bereits im Winter 1915/16 machte der Präsident einer - noch heute bestehenden und inzwischen auch in Europa vertretenen - Fabrik für Sanitärobjekte und -Installationen Walter J. Kohler Hegemann das Angebot, am Firmenstandort eine Werkssiedlung zu entwerfen. Ob Kohler durch das Rundschreiben des People's Institute oder private oder berufliche Kontakte auf Hegemann aufmerksam wurde, ist unbekannt. Kohler, seit 1905 Präsident der Firma, machte 1912 in Begleitung des Architekten Richard Philipp eine Europareise, weil ihm die Entstehung eines Weilers vor den Produktionsstätten die 1

Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 108 ff. und Collins, Formative Years ..., p. 9 f., 12, betrachtet diesen Aspekt gar nicht und muß daher zwangsläufig Verbindungen über Nolen konstruieren, die nicht nur nicht zu belegen sind, sondern im Kausalverhältnis eher umgekehrt standen: weil man Nolen bereits beschäftigt hatte, erwuchs ein Interesse an weiterer Planungsarbeit. 2 Fourteenth Census of the United States: 1920 - Population, Milwaukee City, Ward 2, Sheet No. 2 B. National Archives and Records Administration - Great Lakes Region. Chicago IL. - Die weiteren Wohnsitze, soweit ermittelbar: 1917 62 St. James Court, 815 Grand Avenue, Milwaukee; 1919 Room 512, Cudahy Apartments; 1920 270 14th Street; 1921 211 Knapp Street mit Ida Belle Hegemann; City Directories 1915-1922 nach Schreiben von Nancy L. Welch, April 29, 1992, Wisconsin Architectural Archive, Milwaukee WI. 3 Vgl. dazu EG 254 über die Bedeutung der Heimatsprache im Ausland, was aber auch eine Hochnäsigkeit gegenüber dem „betrüblichen Kauderwelsch" der Nachfahren zeigt.

406

6.3.1

Idealvorstellung

Idee zum Bau einer Modellsiedlung eingegeben hatte 4 . Er sah den Wert einer Werkssiedlung in der Selbstdarstellung der Firma, der Stabilisierung der Arbeiterschaft und ihrer Moral zugunsten der Produktivität des traditionell gewerkschaftsfeindlichen Familienunternehmens 5 . In Europa besichtigte Kohler englische Werkssiedlungen und Gartenstädte und korrespondierte später mit Ebenezer Howard. Doch beeindruckten ihn auf dieser Reise, die ihn auch nach Berlin führte, die Kruppsiedlungen bei Essen offenbar am meisten, die Hegemann in seinem Bericht für Milwaukee auch als Beispiel gezeigt hatte. Die räumliche und fachliche Nähe Hegemanns - erneut erwies sich seine Herkunft in dieser Umgebung also als Vorteil - zu diesen Vorbildern mußte ihn Kohler geeignet erscheinen lassen, zumal er von dessen mangelnder Praxis nichts wußte. Hegemann wird sich in seiner Lage enthalten haben, ihn darüber aufzuklären. Kohler sprach Hegemann während seiner Arbeiten in Milwaukee an, wobei wahrscheinlich Philipp als Vermittler agierte, der an vorbereitenden Sitzungen des City Clubs teilnahm. Im Sommer 1916 sollten die Planungsarbeiten in der Fabriksiedlung beginnen, die etwa 80 Meilen nördlich Milwaukees der Uferstadt Sheboygan benachbart war. Für diesen Auftrag beschrieb Hegemann Ende 1916 eine Idealvorstellung unter dem Titel „The Factory" 6 . Sie ist nicht nur überdimensioniert und unrealistisch, sondern auch widersprüchlich in den Ideen von Freiheit und totaler Organisation. Sie entlarvt vor allem, daß Hegemann seine Rolle als Erzieher und Aufklärer immer noch als hierokratischer Wohltäter konzipierte. Sein Credo ist ein getreues Echo der Studienzeit. ... the idea being that the workman, like every other citizen, by his general education should be able to himself take care of spending his income to his and his family's greatest advantage. Under the present state of general education and public opinion this individualistic theory has worked out the most unsocial and harmful results. Indeed, the workingman was able to spend his income exactly als well as most other members of the community, but this meant he spent it badly insofar as he was unable, as every other individual for lack of concerted action is unable, to influence and improve the surroundings of his daily life.

Die Folgerung zur stärkeren Befähigung der Benachteiligten zur Teilnahme am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System - Echo Gides und Brentanos - resultiert hier in einer Uberorganisation der Umgebung und dem Bekenntnis zur Erziehung durch die Elite; Abbild der 'Religion' Hegemanns. 4 Arnold R. Alanen/Thomas J. Peltin, Kohler, Wisconsin: Planning and Paternalism in a Model Industrial Village. In: JAIP 44 (1978), p. 145-159, p. 147; John Lillesand, The Rich History of Köhler Village. MS, 1990, p. 6 f., with due thanks to Peter J. Fetterer and John D. Green, Kohler Co. Archives, Kohler WI. - Nur Newton, Design ..., p. 479, erwähnt Kohler als eine der wenigen Werkssiedlungen vor dem Ersten Weltkrieg und Leland M. Roth, A Concise History of American Architecture. New York 1979, p. 221, nennt sie als Gemeinschaftsarbeit Hegemanns und Olmsteds. 5 Ein 1917 eröffneter American Club, zwischen Hotel und Ledigenheim, läßt als Anliegen auch die Anwerbung von Immigranten erkennen: Wohnräume für Ledige, deutsches Speisenangebot, Sprachund Staatsbürgerkurse. 6 The Factory. MS, n.d. [Eingangsvermerk November 21, 1916); 16-seitiges Typoskript, von Hegemann unterzeichnet; Kohler Co. Archives, Kohler WI. Bei Cohen, Scenes ..., p. 31, aufgrund von Fehlinformationen falsch zugeordnet.

407

6.3.1 Entwurf

Nobody,

especially

not the influential

all legitimate

means

improvement

of the chances

and body than at present. concerted

of every individual

for homes,

energy

gardens,

the right to use to bring about an

to enjoy a life more healthful

To this effect a better public understanding

action and a reorganization

and planning

or the wealthy, should be denied

at his disposal and to employ the utmost

of almost everything

connected

streets, parks and social life is

to

of the needs with the

mind for

building

necessary.7

Hegemann steht damit seiner alten Auffassung von einer Renovatio als Verantwortung und Privileg der Eliten - noch oder durch Ernüchterung wieder - sehr viel näher als seine politische Fassung der Planungsimplantation erwarten ließ. Er bezieht diese Berechtigung aus dem bildungsbürgerlichen Verständnis des universal gültigen Deutungsmonopols infolge von 'Studien'8. Sie berechtigen ihn darüberhinaus, den 'reichen' Industriellen zu erziehen und über die Form und Zwecke seines Unternehmens zu belehren, um in dessen Windschatten seine Vorstellungen durchzusetzen. Das mußte zwangsläufig zu Konflikten führen. Hegemanns bildungsbürgerliches Befremden gegenüber der Arbeitsund Industriewelt kommt auch in dem Urteil zum Ausdruck, daß eine Fabrik auch bei allen Verbesserungen nie mehr als der „Magen eines tierischen Körpers", „unabdingbar, aber anstößig" sei; eine Sicht, die bei einem Industriellen auf Unverständnis stoßen mußte. Hegemann ist es also nicht gelungen, seine Rolle vollständig in ein demokratisches Konzept zu überführen und als Partizipation des Experten in einem Diskurs unter Gleichgestellten anzusehen. Hier ist er noch immer der Wohltäter, der von einer höheren Erkenntnisstufe seine Einsichten nach unten streut. Nichtsdestoweniger enthält seine Idealvorstellung im einzelnen zahlreiche hier innovative Planungselemente. Die im Osten der Siedlung liegende Fabrik wird mit einem dichten Ring von hohen Bäumen umgeben, der Lärm und Staub abfängt und sie vom Wohngebiet deutlich trennt - wie bei Eberstadt gesehen. Die vorhandene rasterförmige Straßenanlage soll durch diagonale Stellung der Wohnhäuser nach Himmelsrichtungen aufgefangen werden, um ihnen ausreichend Sonnenlicht zu verschaffen. Die freie Stellung der Häuser wird um einen neu anzulegenden Platz zu Gruppen und Eingangsbauten zusammengeführt. Einheitlichkeit entsteht aus der Verwendung gleicher Materialien und Farben, aus gleichen Gesimslinien und Anpflanzungen. Auf der Grundlage weniger Typen soll der Architekt Abwechslung durch Gruppierung schaffen und mit den öffentlichen Bauten Akzente setzen. Die Versorgung mit Lebensmitteln bis Versicherungen sollen Genossenschaften übernehmen, um Zwischenhändler auszuschalten, ferner ein Civic Club das Sozialleben in allen Zweigen organisieren, damit die Werkssiedlung Kohler an important factor for the civilization of the country werde9. F a c t o r y (1916) 3, 4. F a c t o r y (1916) 5: As long as the interest in these matters is slight, the comparatively few individuals who have studied and understood these problems can hope for success only if they enjoy a leading position in the social and industrial life of the community, or if they are strongly and continuously backed by influential men. Hegemann legt sich zunehmend das mitleidige Selbstbild des verkannten P r o p h e t e n zu. 7

8

9 W i e Alanen/Peltin, Kohler ..., p. 148, anmerken, setzten sich solche Genossenschaftskonzepte erst zwanzig J a h r e später mit den Greenbelt Towns des New Deal durch. Hegemann imitiert hier die Organisationen der „Ideal", wenn er schon keine Baugenossenschaft haben kann.

408

6.3.1 Gelände

Hegemann spricht sich ausdrücklich für die reale Finanzierung und den Ankauf der Häuser durch ihre Bewohner aus, damit der Arbeiter nicht durch verdeckte Bindungen wieder zum „Lehnspflichtigen" werde. Er lobt den Gemeinsinn und Altruismus des Industriellen, der sich von der Rolle des Gutsbesitzers verabschiedet habe, und ermutigt ihn, sich als Steuerzahler und Bürger für die Gemeinde zu engagieren. Um die Häuser erschwinglich zu machen, werde die Kohler Co. auf Profite aus dem Grundbesitzverkauf verzichten und durch rationelle Produktion die Baukosten niedrig halten 10 . In den ästhetisch-formalen Elementen nähert Hegemann sich einer klassisch formalistischen Auffassung, indem er ausdrücklich einer Pittoreske durch wechselnde Fassaden und Farbgebung widerspricht. Auch hier war vermutlich ein Konflikt mit Kohler vorgeprägt, der eine Gartenstadt englischen Musters erhoffte. Hegemanns Ideen der ökonomischen Organisation sind Kohlers angepaßt, der sich gegen die Imitation eines europäischen Paternalismus ausgesprochen hatte. In dem Versuch aber, sie mit einer historischen Legitimation zu überbauen, werden sie unstimmig. Denn die Aufwendungen der Company für Planung und Ausführung wie ihr Verzicht auf Gewinnspannen stellen gerade solche disguised increases of the payroll dar, die er nominell bereits abgelehnt hatte, die aber auch ein Zweck der Anlage sind. Hegemanns Uberschwenglichkeit und sein Synkretismus lassen ihn diese potentiellen Differenzen übersehen. Am Beginn dieser Arbeiten zeichnet sich das konstitutive Element für Hegemanns praktische Arbeit ab: die Begeisterung am Gelände. Er befand den Grundbesitz des Unternehmens full of the most delightful gifts of nature, rolling land, fine trees, a most surprisingly winding stream, high ravines, wide, perfectly framed views; in short an ideal location for a garden city11. Kohler regte an, daß neben Richard Philipp als Architekten und Hegemann als Planer auch ein Landschaftsarchitekt hinzugezogen werde, für dessen Gehalt und Spesen er ebenfalls aufkam 12 . Hegemann nannte ihm einen jungen Mann in Boston, der zur Mitarbeit bereit war. So kam Elbert Peets (Bild 63) zu dem Projekt, das zum Vorläufer der späteren gemeinsamen Firma wurde. Der fünf Jahre jüngere Peets hatte nach Besuch der Western Reserve University soeben in Harvard sein Master's Degree in Landschaftsarchitektur erhalten und arbeitete in der Firma Pray, Hubbard & White in Boston 13 . Offenbar kam es, nach dem letzten Briefwechsel zwischen Hegemann und Kohler von Ende 1916 zu schließen, schon in der ersten Planungsphase zu Unstimmigkeiten. Sie wurden in den kontinuierlichen Gesprächen zwischen Kohler und dem Team nicht ange10 Hegemann besteht auf Häusern unterschiedlicher Größe, um die soziale Differenz zwischen gelernten und ungelernten Kräften zu erhalten - ein Aufstiegsimpuls. 11 Factory (1916) 10; vgl. Alanen/Peltin, Kohler ..., p. 147 f. Hegemanns Begeisterung erinnert an die frühe über Parks, die mit der Empfindsamkeit des moralischen Charakters verknüpft ist. Sie reißt ihn auch zu literarischen Ergüssen und Metaphern hin, die sich schon in OB dem visuellen Entzücken verdankten. The houses should not, by exigencies of economy, be packed together in the streets like dead flowers in a book, but shall be grouped opening to the sun like living flowers and leaves of a tree in free nature. There should be no pedantism about the placing of the houses on the lots. 12 Walter J. Köhler to Werner Hegemann, January 15, 1917; Kohler Co. Archives, Köhler WI. 13 Caroline Shillaber, Elbert Peets, Champion of the Civic Form. In: Landscape Architecture 72 (1982), p. 54-59, 100, p. 54. Vgl. AA 193, Abb. 453 Peets als Mitarbeiter genannt.

409

6.3.1 Teilprojekt

sprochen. Kohler stieß sich offensichtlich an der Lebensführung seiner bestellten Experten, die nach der von ihm beschriebenen Ausstattung mit regelmäßigen Ausritten und Bootsfahrten zwischen Urlaub und der von Gentlemen changierte. Er warf Hegemann insbesondere vor, sehr viel Zeit damit verbracht zu haben, sich von Peets Kenntnisse in Landschaftsarchitektur und Zeichnen anzueignen, dadurch selbst nicht produktiv gewesen zu sein und auch noch Peets vom Fortgang seiner Arbeit abgehalten zu haben. Ferner seien ihre Entwürfe recht schemenhaft geblieben, kaum zur Ausführung geeignet. Er reagierte damit auf Vorwürfe Hegemanns, der nämlich behauptete, sehr viel Zeit durch unzureichende Meßdaten und Planmaterial verloren zu haben, die in mühsamer Arbeit von ihnen neu aufgenommen werden mußten14. Hegemann warf Kohler vor, statt der vorfabrizierten Häuser eigene künstlerische Typen entwickelt zu haben. Dieser der Individualität der Siedlung, aber auch der persönlichen, dienliche Ehrgeiz habe die Kosten ungebührlich hochgetrieben. Vorläufig bestand offenbar noch weitgehendes Einvernehmen. Hegemann führte in Kohlers Auftrag im März 1916 in Chicago mehrere Gespräche mit Experten über rationelle Bauweisen mittels der Verwendung von Beton für Fundamente und Wege; darunter auch ein Gespräch mit dem bekannten Landschaftsarchitekten Jens Jensen über die Stellung der Wohnhäuser zu den Himmelsrichtungen15. Eine undatierte Liste, die Kohler handschriftlich ergänzte, führt alle Bauten und Elemente einer Stadt auf und bezeugt den großen Ehrgeiz beider, eine komplette Kleinstadt zu schaffen. Auch im September sah ein Stufenplan, den Kohler für die Arbeitsgänge und ihre Reihenfolge aufstellte, noch eine komplette Ausführung durch Hegemann und Peets vor, beinhaltete darüberhinaus sogar eine Umgestaltung des eigenen Landsitzes. Aufgrund des Abbruchs der Geschäftsbeziehungen, worauf die weitere Planung in den frühen Zwanzigern in die Hände der Olmsted Bros, gelegt wurde, ist nicht mehr feststellbar, welche Merkmale auf wessen Arbeit zurückgehen16. Hegemann sah, nach seiner Handskizze (Bild 64) zu urteilen eine Gruppierung der Wohnbauten um einen rechteckigen Platz vor, als Playground betitelt. Verbindung der Häuser mittels Anbauten betonte den Platzcharakter, zwei weitere Gruppen enstanden durch einen gemeinsamen Court und angesetzte Veranden betonten das Tor zur Siedlung17. Doch mußten bei der Auslegung des Geländes bestehende Gebäude und Wege einbezogen werden, so daß eine im wesentlichen rechtwinklige Straßenführung entstand. Im Osten von den Fabrikbauten begrenzt, wurde sie von einer Straßenbahnlinie geteilt und Schloß nach Westen mit einem Park ab, der eine Schlucht umrahmte. Auf Einspruch Kohlers wurden Straßenbreiten verringert und das Schulgebäude verlegt. Erkennbar ist eine Anlage von Fußwegen durch die Siedlung, die durch die Gärten führte, Wege verkürzte und Hegemann to Kohler, December 20, 1916; Kohler Co. Archives. Hegemann to Kohler, March 8, 1916; aus dem City Club in Chicago; Kohler Co. Archives. 16 Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 109, führt das auf den Umstand zurück, daß Kohler in seiner Verbitterung den Namen Hegemanns in den Unterlagen (1996: from most records) gelöscht habe. 14

15

17 Vgl. Handskizze in Factory, dazu die Abbildung bei Alanen/Peltin, Kohler ..., p. 149; die mehr dem Vorbild der englischen Gartenstadt entsprach, Hegemann wohl weniger zugesagt hätte und erneut an Peter Halls Verdikt über die Nacheifrer gemahnt: to out-unwin Unwin.

410

6.3.1 Zerwürfnis

angenehmer machte, ein auch von Hegemann genannter Programmpunkt; ferner die Erschließung eines Blocks durch eine Sackgasse mit rundem Platz. Der Siedlungsteil West-I wurde bis 1924 fertiggestellt und umfaßte etwa 173 Grundstücke 18 . Den Anlaß zum Bruch zwischen Kohler und Hegemann bot schließlich eine ausstehende Rechnung über $50. Sie war bei den Arbeiten für einen kleinen Park in Sheboygan angefallen 19 , mit dessen Pflanzplan Köhler Hegemann und Peets nebenbei beauftragt hatte. Hegemann erachtete sie für unerheblich, da doch der Park „reichen Anrainern" zugute käme. Kohler bestritt dies, ebenso wie einen Auftrag zu einem ausführlichen Gutachten erteilt zu haben, so daß Hegemann und Peets' Begehung und Begutachtung aus eigenem Gutdünken erfolgt sei. Den Grund des Zerwürfnisses bildeten aber die tiefergehenden Meinungsverschiedenheiten über die Arbeits- und Vorgehens weisen, die sich in den nachträglichen Vorwürfen abzeichneten, und die Finanzierung der Siedlung. Als Hegemann schließlich sein Belehrungsprivileg in Anspruch nahm und Kohler in einem Brief vom Dezember 1916 anriet, er solle doch die durch seine individuellen Wünsche gestiegenen Kosten als Kulturerwerb ansehen und wie den Ankauf eines Bildes verbuchen, nicht aber auf die Immobilienpreise umlegen, antwortete ihm Köhler mit einem zehnseitigen Brief, den er offenbar nie abschickte. Er wies diesen Vorschlag als Zumutung zurück, da die bisherigen Planungskosten die ursprünglich veranschlagten $4000 bereits weit überstiegen hätten und betrachtete den Rat als Beleidigung seiner altruistischen Intentionen 20 . Die Ursache lag darin, daß trotz zahlreicher Debatten gerade auch über die ökonomischen Modelle eine grundsätzliche Verständigung über Paternalismus oder Genossenschaft nie stattgefunden hatte, und gerade das Arbeitsverhältnis und seine Anforderungen offenbar nie vertraglich geregelt worden waren. Hegemanns Überheblichkeit, die auch auf die Kränkung durch Kohlers Zweifel an seiner Kompetenz zurückgeht, entlarvt die Naivität des Berufsanfängers. Er hat ein unbedarftes bzw. autoritäres Bild vom Verhältnis zwischen Auftraggeber und Planer - Jahre später wird er sich darüber mokieren, mit welchen Bedeutungsaufladungen man eine Gestaltungsidee verkaufen kann, und erst dann einen Ubergang vom bildungsbürgerlichen Interpretationsmonopol zum demokratischen Experten und Dienstleistungsberuf vollzogen haben, wenn auch mittels ironischer Uberzeichnung. Ferner haben Optimismus und Größenwahn angesichts dieser vermeintlichen Chance ihn seine Vorsicht vergessen lassen, die er bei der Adaption europäischer Vorstellungen sonst walten ließ. Bei folgenden Projekten stimmt er seine Darstellung ganz auf die Bewahrung amerikanischer Traditionen und die Möglichkeiten des country life ab 21 . 18 Alanen/Peltin, Kohler ..., p. 148, 154; dazu Ladner Birch, Perspectives ..., p. 89. Vgl. auch Lillesand, History ..., p. 6-10, der eine Prägung der Anlage durch die ersten Planer vor allem in der Bekräftigung der Züge der Gartenstadtvorbilder und des theoretischen Rahmens Hegemanns erkennt. 19 Nach der Bezeichnung identisch mit AV fig. 918, einer formalen, symmetrischen Anlage mit beschnittenen Bäumen und Treppen zum Seeufer, die am Endpunkt von Zufahrtsstraßen den Blick über den Lake Michigan eröffnen; über die Ausführung nichts bekannt. 20 Dies auf Hegemann's social commitment zu reduzieren, so Collins, Formative Years ..., p. 10, erliegt einmal mehr einer simplizistischen Interpretation von Klassenlagen. 21 In seinen Ausführungen zu den Sportanlagen von Wyomissing Park scheint derselbe Enthusi-

411

6.3.2 Auftraggeber

6.3.2 Washington Highlands Im Dezember 1916 hielt Hegemann sich in Oakland auf, offenbar auch als Gast Duncan McDuffies. Er unterzog sich einer Halsoperation, die ihn für eine Woche im Krankenhaus festhielt, möglicherweise der Beginn eines Rachen- oder Lungenleidens, das ihm auch in der Folge noch häufiger zu schaffen machte. Er verbrachte vermutlich um des milden Klimas willen den Winter in Kalifornien 22 , und sagte 1930, daß, wäre er Amerikaner, er in San Francisco habe leben wollen. Sich mit Kohler zu überwerfen, scheint der beruflichen Entwicklung Hegemanns kaum geschadet zu haben. In einem eigenen Bekanntenkreis, dessen Freunde ihn auch später in Berlin besuchten, bedurfte es offensichtlich keiner gemeinsamen Meinung zur Politik Nordamerikas und Deutschlands, denn wie Hegemann 1922 bemerkte, habe er sich mit einer gemeinsamen Bekannten bei deren Besuch nach guter alter Weise heftig die Köpfe gewaschen23. Fruchtbare Auseinandersetzung ergab sich gerade aus der Vertrautheit der Freunde mit amerikanischer und deutscher Kultur, so daß von diesen Diskussionen vieles in Hegemanns spätere Bücher eingegangen sein wird 24 . Aus diesem Kreis, der ihn mit gesellschaftlichen Größen der Stadt zusammenbrachte, für die Hegemanns deutsche Herkunft eher eine Empfehlung war. müssen weitere Aufträge hervorgegangen sein: 1925 fragte er Stern etwa nach dem Zustand der Gärten der Uihleins und Fred Pabsts, die die Firma demnach gestaltet haben mußte. Die Familien Uihlein und Pabst standen für die beiden größten Brauereien Milwaukees und der Vereinigten Staaten 25 . Innerhalb der stark deutsch geprägten Gesellschaft Milwaukees waren sie von besonderer Bedeutung und öffneten offenbar unter den komplizierten Bedingungen des Weltkriegs Türen für Hegemann. Diese Familien waren selber exponiert - und hatten doch die besten Möglichkeiten, Hegemann durch Privataufträge zu beschäftigen und weiterzuhelfen denn die Brauereien verdienten durch die Übernahme des Südstaatenmarktes von deutschen Importen und standen gleichzeitig unter Androhung der Prohibition 26 . asmus durch. Während er solche hier aber als Leistung seitens des Unternehmens einforderte, steht die spätere Argumentation im Zeichen der Rückgewinnung des ländlichen Lebens als Stärkung gegen Anforderungen der modernen Zeit. 22 Hegemann to Kohler, December 20, 1916; Kohler Co. Archives. Kiepenheuer (1930) 52. 23 Hegemann an Stern, 11. Oktober 1922, Erich Cramer Stern Papers. Milwaukee Manuscript Collection EM, Milwaukee Urban Archives, Golda Meir Library, University of Wisconsin-Milwaukee WI. 24 Seine Beschwerde, daß Stern sich zum „Fridericus" nie geäußert habe, läßt jedoch vermuten, daß die Vertrautheit mit deutscher Kultur hier überstrapaziert wurde. Hegemann an Stern, 4. Oktober 1925, Erich Cramer Stern Papers. 25 Frederick Pabst (1836-1904), geboren in Sachsen, immigrierte 1848, diente sich in der Schiffahrt auf den Großen Seen bis zum Kapitän hoch, trat 1862 in die Brauerei seines Schwiegervaters ein, die er 1873 unter eigenem Namen übernahm. Durch technische Neuerungen wurde er 1893 der größte Produzent von lager-beer, bis ihn 1902 die Brauerei Schlitz überflügelte. Still, Milwaukee ..., p. 329331. August Uihlein, in Bayern in eine Brauereifamilie geboren, kam als Kind nach Milwaukee. Er arbeitete wie seine beiden Brüder bei der Brauerei, die Joseph Schlitz und nach dessen Tod die Brüder übernahmen. Schlitz Brewing Co. blieb bis zur Prohibition der größte Hersteller. 26 Die Verhinderung der Prohibition war schon länger Thema der German-American Alliance gewesen, doch unter Einwirkung des Krieges verloren die Gegenstimmen an Gewicht. - Zum Eklat kam es

412

6.3.2

Marktveränderung

Die Pabst Farm nutzte der Gründer der gleichnamigen Brauerei als Sommersitz, für den Hopfenanbau und die Zucht von Brauereipferden. Das etwa 90 Hektar große Gelände lag nahe der wachsenden Stadt Milwaukee und seine Erben veranlaßten die Aufschließung zu Bauland. Die ausführenden Immobilienunternehmer Richter, Dick & Reutemann nannten sich Planners and Developers of High Grade Subdivisions, was ihre Distanz vom Handel suggerieren und eine gehobene Kundengruppe ansprechen sollte 27 . Seit 1914 ließ sich ein verstärktes Interesse der Immobilienunternehmer an der Arbeit der Planer feststellen. Dem Schwenk von der Innenstadtplanung zum Randwachstum lag ein kommerzielles Interesse an Marktausweitung und -Sicherung zugrunde. Technische Neuerungen im Bauwesen waren dafür Anlaß, vor allem aber solche im Transportwesen, wo bei wachsendem Personennahverkehr die zunehmende Verbreitung des Automobils (Bild 66) eine Baulanderschließung auch dort ermöglichte, wo die neuen Siedlungen keinen unmittelbaren Anschluß an Bahnlinien (Bild 67) aufweisen konnten. Wichtiger Anlaß dieses Umschwungs war der durch Kriegsbeginn geschwächte städtische Immobilienmarkt bei gleichzeitig steigender Konkurrenz und verfallender Nachfrage infolge verlangsamter Einwanderung wie Binnenmigration, steigender Farmerträge und Agrarexporte, gegen die hohe Zinsen, Kriegsanleihen und Investments Grundbesitz wenig attraktiv machten. Developers who could offer a complete package of futuristic improvements, attractive surroundings, and deed-restricted exclusivity could beat out their competition and sell higher-priced lots and homes much faster, thus saving on the burden of excessive carrying charges and avoiding the curse of low profits.28 Erst dadurch war für diese Arbeit Hegemanns ein Markt geschaffen worden29. Auch Mitte der Zwanziger Jahre gab es bundesweit nur 23 Beratungsfirmen, die von Kommunen, Bürgergruppen oder Privatunternehmen engagiert wurden, während das Bauzonenrecht, inzwischen nahezu ausschließliches Projekt der Innenstadtplanung, in den Händen der Juristen lag 30 . durch Aufdeckung der Beteiligung Joseph Uihleins und Gustave Pabsts am Aufkauf der „Washington Times", die zur Propaganda gegen die Prohibition genutzt werden sollte. Nach Verhandlungen vor dem Senat im September 1918 unterzeichnete Wilson ein Produktions- und Verkaufsverbot für Alkohol ab 1. Mai und 1. Juni 1919, während die bundesweite Prohibition ein Jahr später begann. Schlitz wich auf die Produktion von Süßwaren aus. 2 7 Siehe zur Entwicklung: Weiss, Community Builders ..., p. 30-43, auch Jackson, Crabgrass Frontier ..., p. 73-102. 2 8 Weiss, Community Builders ..., p. 62. 2 9 1914 gründete die National Association of Real Estate Boards ein eigenes City Planning Committee mit Bouton, McDuffie, Nichols und Thompson. Bei der NCCP 1915 sprach der Großunternehmer King C. Thompson darüber, daß die Bestellung von Landschaftsarchitekten und langfristige Planung sich bei erhöhten Preise auszahle; 1916 lamentierte Nichols darüber, daß zwar 90 % der Städte Wohnbezirke seien, aber 90 % der Stadtplanung sich mit dem Zentrum befasse und Nolen nannte gerade die Immobilienunternehmer progressive Stadtplaner, die jenes Kommitee gegründet hatten und Ausführende der auch bei Hegemann aufgezählten Projekte waren. 3 0 Scott, City Planning ..., p. 228-232. Weiteres übernahmen städtische Ingenieurbehörden, während die bekannten Planer die Aufstellung von comprehensive plans anboten, deren Umfang erheblich variierte. Noch 1925 bezeichnete George B. Ford im selben Tenor schließlich die Immobilienunternehmer großen Maßstabs als actual city planners in practice, weil sie die Entwicklung von Prinzipien und

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6.3.2 Entwurf

Mit einer nur beratenden Tätigkeit hätte Hegemann sich auf einem solchem Markt der 'Planer ohne Aufträge' kaum durchsetzen können. So aber erhielt Hegemann den Auftrag, die Erschließung der Pabst Farm zu planen, die den Namen Washington Highlands erhielt. Den Entwurf (Bild 65), datiert vom 1. Juni 1916, unterzeichnete er noch als City Planning Consultant, zeichnen mußte ihn jedoch Peets 31 . Wahrscheinlich wurde dieser Auftrag Anlaß für die Gründung der gemeinsamen Firma, die fortan als Hegemann and Peets, City Planning and Landscape Architects firmierte. Am Anfang operierte die junge Firma in den Privaträumen Hegemanns 32 , der sich im Census als selbständiger Landscape Architect bezeichnet hatte. Erst 1919 wurde ein eigenes Büro angemietet, und trotz auswärtiger Aufträge blieb der Firmensitz in Milwaukee 33 . Ein Büro konnten die Partner sich erst mit dem Gelingen eines größeren Auftrags leisten. Daß sie damit jährlich umzogen, zeigt die Flexibilität auch der verschiedenen Arbeitskonstellationen. Von Auftragslage und Arbeitsanfall hingen Raumbedarf und Kostengrenzen ab. Die Aufgaben der neuen Partnerschaft für Washington Highlands waren plans and supervision for entrance gates, parks, lot lines, planting, exterior design of bridges and of other constructions, grading, cross sections of streets, draft of restrictions34. Die erfolgte Aufschließung blieb dem Entwurf im wesentlichen gleich. Die Grundstücksgrößen, die Hegemann vorgesehen hatte, wurden reduziert und in 17 unregelmäßigen Blöcken 373 Grundstücke verschiedener Größe ausgewiesen, von denen das größte etwa achtmal so groß wie das kleinste war. Das Gelände behielt seinen zum umgebenden Straßenplan abgeschlossenen Charakter. Durch eine umlaufende Grenzpflanzung mit Bäumen und Hecken wurde diese Abgrenzung verstärkt und Privatheit betont, geöffnet nur mit einheitlich gestalteten, torähnlichen Zufahrten (Bild 68). Diese Torpfosten, bekrönt von einem Fruchtkorb und geschnittenen Linden 35 , steigern die Wirkung durch die Kombination streng formaler Elemente mit romantischer Landschaft. Dieser Kontrast ist konstitutiv für die Anlage, für den Stil von Hegemann & Peets, in dem auch immer wieder beschnittene Bäume als architektonische Form eingesetzt werden (Bild 75), wie Hegemann später Bäume in der Stadtreparatur benutzt, um den Gendarmenmarkt zu verkleiden (Bild 152). Nur sieben der achtzehn zuführenden Straßen werden in der Siedlung direkt fortgesetzt, die übrigen laufen an der Grenze auf. Die Straßenführung folgt der hügeligen Topographie des Geländes, in dem Höhenunterschiede bis zu 30 m auftreten. Die einzige gerade Straße ist keine Durchgangsstraße, sondern führt die aus dem Zentrum kommende VerTechnik übernähmen. Weiss, Community Builders ..., p. 68. 31 C P M 29, AV 280, vgl. WH 6 f. ohne die Signaturen und 10 f. Vogelperspektive. Daß Hegemann der Gesamtplan zu verdanken sei, führte das Unternehmen in der späteren Werbebroschüre extra an, denn alle dort veröffentlichten Zeichnungen trugen schon die offizielle Firmenbezeichnung. 32 WH 11 als Firmensitz 815 Grand Avenue angegeben. 33 1919 1306-07 Pabst Building, 66 Wisconsin Avenue; 1920 1400, 68 Wisconsin Avenue; 1921 1400 Trust Company Building; alle Milwaukee. 1919-1921 nach den City Directories 1915-1922; mit Dank an Nancy L. Welch, Wisconsin Architectural Archive. 34 WH 2. 35 Das Motiv streng beschnittener Bäume wiederholt sich auch weiterhin mehrfach und ist vermutlich auf Peets Einfluß zurückzuführen, der mehrfach damit gearbeitet hatte; Shillaber, Peets ..., p. 54. 414

6.3.2

Beschaffenheit

kehrsstraße auf den höchsten Punkt des Geländes. Quer dazu legte Hegemann eine halbkreisförmige Allee mit Mittelstreifen, wiederum geteilt durch am Bach (Bild 71) geführte Parkanlagen. Schmalere Straßen, eine Sackgasse, Wirtschafts- und Fußwege teilen die Grundstücksblöcke in erreichbare Baulose. Diese Anlage folgt der Topographie nicht nur, um kostspielige Erdbewegungen zu minimieren, sondern sucht den Charakter des Geländes zu bewahren. Parks und Straßen legte Hegemann um den alten Baumbestand an. Die große Zufahrtsstraße folgt der Steigung des Geländes und führt auf einer Brücke (Bild 69) über ungestörten Bach und Park, während der Bogen einen sanfteren Anstieg zur Höhe bietet 36 . Hegemann mußte diese angepaßte Straßenführung gegen den Vorwurf der Willkür verteidigen. Er argumentierte, sie nicht zur Unterscheidung vom Raster um jeden Preis angelegt zu haben 37 , sondern um übermäßige Steigungen zu meiden und stets veränderliche Ansichten und Perspektiven zu bieten. In dieser Betonung des Visuellen erscheint wieder Hegemann Begeisterung am Gelände, die von der Rezeption des älteren Olmsted beeinflußt wurde 38 . Dabei, weiß Hegemann sehr wohl, läßt sich diese Bauweise als Qualitätssteigerung gut verkaufen. Die so geschaffenen Grundstücke, meint er, are high above the noise and dust, not only of the city, but also of those traffic streets and street-car lines. die zugleich eine zügige Anbindung garantieren. Die natürlichen und ästhetischen Werte des Baugrundes gehörten nun zu den Verkaufsargumenten 39 . Hegemann erhöht sie durch einen architektonischen Kunstgriff nach altem Vorbild. Die zentrale Achse fällt bis zur Uberführung des Bachs etwa 10 m ab 40 und und steigt dann 20 m an, wobei sich die Straßenbreite von 100 Fuß auf 56 Fuß verjüngt, um durch optische Täuschung die Perspektive zu weiten 41 . Der Blick in die Siedlung läßt sie größer erscheinen, gleichzeitig bindet der Ausblick vom höchsten Punkt sie an die Stadt wie an Wald und Feld. Hegemann griff dabei hoch in seinen Ansprüchen. Im Text der Werbebroschüre, die 36 Er wurde mit split-grade level ausgeführt: ein Mittelstreifen terrassierte die Fahrbahnen, um Erdbewegungen zu verringern. 37 Das Gelände lag in bereits geschützten Wohngebieten, die teilweise von derselben Firma angelegt waren. Eines davon war der Grand Circle, eine ebenfalls von Hegemann und Peets geplante Kreislösung, die nicht zwischen den aufeinandertreffenden Straßen vermittelt und wie eine erzwungene Abweichung wirkt. Im Plan WH 7 südlich Washington Highlands erkennbar, sowie AV 280: An effort to insert α pleasant variation into an existing gridiron. Andere als die von Hegemann heftig abgelehnten „Puppenhäuser", assorted doll-houses, wären nach den Grundstückszuschnitten allerdings kaum möglich gewesen. 38 Vgl. dazu die optischen Eindrücken zugemessene Bedeutung, vor allem in den Bildunterschriften OB 111 ff.; dem Auszug aus Olmsteds Sr. Bericht folgend. 39 Die „Puppenhäuser" wurden auch als Werbestrategie entschuldigt, die Zeichnung AV 280 habe als Zeitungsanzeige dienen müssen. 40 Der runde Platz an der tiefsten Stelle nimmt das Motiv des sunken garden wieder auf. 41 The proportions of the Avenue and its planting are patterned upon a plan dear to the great masters of old Italian garden craft. The scheme of hedges and trees in this terminal boulevard street is arranged so as to strengthen the natural perspective effect of distance by superimposing an optical illusion resulting from an actual diminution of width. WH 9; vgl. AV 280.

415

6.3.2 Zielgruppe

mit zahlreichen Zeichnungen Peets' von dem Immobilienunternehmen herausgegeben wurde, spielte er auf die großen Vorbilder Roland Park, Forest Hill Gardens in New York und St. Francis Wood an. Die Anlage Roland Park von 1891 in Baltimore, die er mit ihrem Urheber 1913 besichtigt hatte, war ein frühes Modell für die Anpassung eines Plans an die Topographie und den Erhalt des Bestandes wie auch für differenzierte Besitzauflagen. Forest Hill Gardens, ab 1909 in New York, kombinierte verschiedene Wohnhaustypen in einer Siedlung mit direktem Bahnanschluß zur Stadtmitte und sollte selbstverwaltet geführt werden. St. Francis Wood war ein Projekt von Duncan McDuffie in Los Angeles, das Hegemann gewiß auch von diesem selbst vorgeführt worden war 4 2 . Hegemann meinte mit seinem Vergleich den modernen Typus der Baulanderschließung: the super-subdivision it might be called. Als Kennzeichen derer führte er 1. Erschließung größerer Gelände durch höhere Investitionen 43 , 2. systematische Auflagen zur Sicherung, 3. Sicherung des Parkcharakters durch Bauvolumenbegrenzung, 4. private Parkanlagen als Sondereigentum, 5. die optische und verkehrstechnische Abschließung des Wohngeländes, und 6. architektonische Harmonie durch Genehmigungspflichten an 44 . Washington Highlands sei so die erste Anwendung der modernen Erschließung in Milwaukee. Hegemann sah darin die Demokratie der modernen Gartenstadt, die dem Arbeiter eine ebenso schöne Umgebung wie dem Millionär ermögliche. Das kann kaum darüber hinwegtäuschen, daß die Kosten eines Immobilienerwerbs die Möglichkeiten einfacher Arbeitnehmer weit überstiegen, obwohl mit dem Bau von Doppelhäusern an den weniger exklusiven Außenstraßen der Ansatz sozialer Mischung erzielt wurde 45 . Das gesamte Projekt zielte auf eine Kundengruppe aus der oberen Mittelklasse. Das ist Hegemann auch durchaus bewußt, da einzelne Stilelemente auf die gehobenen Arbeits- und Besitzumstände 46 wie auch Ordnungselemente auf diese Zielgruppe zugeschnitten waren, 42 Siehe dazu Newton, Design ..., p. 469-472; Weiss, Community Builders ..., p. 45 ff., 53-67. St. Francis Wood auch OB 122, AV 271 und 160. 43 Nicht erwähnt er hier das bedeutende Werbeargument, daß Grundbesitz in diesen Anlagen zumeist steuerlich geringer veranschlagt wurde, weil sie zu den Vorstädten gehörten - in Wyomissing etwa stand die Quote 50 zu 90%. Washington Highlands gehört auch heute nicht zum Stadtgebiet Milwaukees, sondern liegt in Wauwatosa WI. 44 Die Restriktionen sind in dieser kleinen Broschüre nicht ausgeführt und erlauben daher auch keinen Vergleich mit denen der avisierten Vorbilder. Collins, Formative Years ..., p. 11, nennt eine Broschüre von 33 Seiten, die 1919 unter dem Titel „Restrictions and Protections" der Washington Homes Association, der Korporation der Besitzer, die Genehmigungsrechte überträgt, insbesondere für Wert- wie physikalische Erhaltung und Nutzung. 45 In Forest Hill Gardens, das von der Rüssel Sage Foundation für geringere Einkommen projektiert wurde, war bereits die Erfahrung gemacht worden, daß der Sozialstatus der späteren Bewohner oberhalb der eigentlichen Zielgruppe lag. Hegemann sagte auch hier eine beachtliche Preissteigerung voraus, sah jedoch die gesuchte Zielgruppe unter den ersten Käufern zu (nicht spezifizierten) Sonderkonditionen; WH 12. 46 Er argumentierte mit der schützenden abgeschlossenen Lage, die bereits soziale Exklusivität erzeugte: In these Private Parks a mother residing in Washington Highlands, will have the assurance of a reliable guardsman watching her children, while their father is attending to business down town. Er nannte als Vorteil der angepaßten Straßenführung den vereinfachten Garagenbau: Washington Highlands ist - trotz seiner Reklamierung des Nahverkehrs - bereits eine der ganz auf Anschluß durch

416

6.3.2

Synthese

wenn schwarze Amerikaner nur als Hausangestellte zugelassen waren47. Das erhöhte den Marktwert. Unabhängig von auch hier aufkommenden Gerüchten über Hegemanns Deutschfreundlichkeit war die 1920 abgeschlossene Ausführung erfolgreich. Sie nahmen hier die Form an, daß Hegemann nachgesagt wurde, er habe den Straßenplan in Form einer Pickelhaube, des „Kaiserhelms", angelegt und kamen wiederum während des Umschlags zur Kriegsbegeisterung auf. Washington Highlands besteht in seinem bemerkenswerten Unterschied zum umgebenden Rasterplan nicht nur heute noch (Bild 70) sondern ist infolge des Plans und der vielfältigen historisierenden Architekturstile, in der seit 1921 Wohnhäuser in sehr verschiedenen Bauformen (Bild 71) - vermutlich zum Mißfallen Hegemanns - ausgeführt wurden, geschützt und mehrfach als historische Stätte ausgezeichnet worden48. Die 1918 gegründete Washington Highlands Property Owners Association vereinte die Besitzer, die Anlage und ihren Charakter zu bewahren, ebenfalls seitdem mit Erfolg 49 . In der Kombination und Vereinbarung der verschiedenen Ziele erweis sich Hegemann als Praktiker in dieser Anlage mehr als auf der Höhe der Zeit. Die Kombination formaler und informeller Gestaltungselemente gelang durch gegenseitige Höhung der Effekte mittels ästhetischer Eingriffe. Die ökonomisch bedingte Bewahrung der Topographie resultierte in technischen Innovationen50 und wurde so zu einem Kunstwerk, das nach den Werkbundprinzipien Qualität als Ware einsetzte. Die soziale Exklusivität wurde dabei gesucht, gleichzeitig mit gestaffelten Angeboten eine Durchmischung angestrebt. Zu den Voraussetzungen dieser Syntheseleistung gehörte nicht nur Hegemanns persönliche Kenntnis der Vorbilder, deren Anregungen er aufnahm, sondern auch seine persönliche Qualität der Begeisterung an visuellen Eindrücken und seine europäische Vorbildung. Seine Inspirationen sind gerade von den wechselnden Orten angeregt worden. Die AnIndividualverkehr abhebenden Subdivisions; vgl. den Straßenplan zur Lage der Innenstadt WH 8 (Bild 66). 4 7 Ihm zu unterstellen, daß er dem in den Auflagen ausdrücklich vorgesehenen Ausschluß derer außerhalb dieser Dienste nicht zugestimmt hätte, ist eine unzeitgemäße Eeinterpretation und kulturelle Uberformung. Vgl. Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 110 und Collins, Formative Years .... p. 11 f. Was immer er dazu gesagt zu haben hätte, hätte bei dieser entschiedenen Anwendung sozialer Exklusivität als wertsteigenderndem Faktor in einer Umgebung, in der 'schwarzer' Grundbesitz auch in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts noch ein ökonomischer Faktor in der Wertermittlung anliegenden Grundbesitzes blieb, ungesagt bleiben müssen. 4 8 Siehe dazu H. Russell Zimmermann, The Heritage Guidebook. Landmarks and Historical Sites in Southeastern Wisconsin, Milwaukee WI 1976, p. 145; Guide to Milwaukee County Landmarks. Milwaukee County Historical Society 1981, no. 14; Bruce E. Lynch/Cynthia D. Lynch, Dedication of the Historical Marker Plaque for The Washington Highlands Historic District (Wauwatosa Landmark 11), n.d. [1991]. Die Lynchs bereiteten auch die ausführliche Darstellung für die National Register of Historie Places Registration Form, 1989 vor; State Historical Society of Wisconsin, Madison WI. 4 9 Siehe Amy Rabideau Silvers, Roots Deep in Highlands. In: Milwaukee Journal, May 15, 1979. Robert Frederick, The Image Remains at The Washington Highlands. In: Exclusively Yours 1994 July, p. 46-51. 5 0 Hegemann beschrieb 1931 eine besondere Brückenkonstruktion, zwecks Kostensenkung gewählt, die, obwohl ungewohnt, problemlos genehmigt wurde. Reform der Baugesetze 10. Mai 1931.

417

6.3.2 Vorbilder

passung an Höhenlinien war ihm ebenso aus Arbeiten Olmsteds wie zeitgenössischen deutschen Erschließungsarbeiten vertraut51. Die Freilegung von Bachläufen war ein im Düsseldorfer Wettbewerb gefordertes Element, die getrennte Fahrbahnführung Motiv der Parkways52. Hegemann steigert sie zum Bachpark und zur terrassierten Straßenführung, beides sowohl von Nutz- wie ästhetischem Wert. Die Kombination von klassizistischer Achse und gewundener Straße kann sich auf das Vorbild Unwins in Hampstead berufen53, während Hegemann die Quelle der Fluchtverengung in einer Kritik Nolens preisgab: nach Art der Wände der Hauptstraße in Dresden-Neustadt und damit seine späte, durch Brinckmann vermittelte Sitte-Rezeption bestätigte54. Die wichtigste Wirkungssteigerung besteht jedoch in dem durch die Gestaltung geschaffenen Wechselspiel zwischen physischer Schließung und psychischer Öffnung der Siedlung, die ihre Bewohner an expliziten, dafür geschaffenen Orten als Dualismus von Öffnung und Privatheit, als Vermittlung von Stadt und (scheinbarer) Natur aufnehmen konnten55, deren Kunstfertigkeit gar nicht mehr wahrgenommen wurde56. Seine 1923 in Göteborg gegebene Darstellung der Anlage für ein Fachpublikum steht ganz im Zeichen seines späteren Anti-Informalismus57. Es erboste Hegemann, daß die Möglichkeiten der Stadt- und Landschaftsplanung nur in diametralen Moden aufgingen, daß sie gänzlich geländeunabhängig nach 'nur gerade' wieder 'nur gekurvt' arbeiteten und wieder umgekehrt58. Deshalb ignorierte er 1923, daß es sich in Washington 51 Vgl. etwa die vom Landschaftsarchitekten Arthur A. Shurtleff, Boston, ausgestellten Pläne und Carl Rehorsts Entwurf in Köln; S 283 und Abb. 208 f. Zu den frühen Arbeit Olmsted Sr. mit einer Wegedifferenzierung maßgeblich: Roy Lubove, Landscape, Landscape Architecture and Community Development in American Life. In: Journal of Social History 24 (1990/91), p. 143-152, p. 150. 52 Vgl. Engst/Hickerson, Urban America ..., p. 8 f. Nolen für Neponset, Walpole MA 1912, Parkway mit Bachlauf im Mittelstreifen. 5 3 Anthony Sutcliffe, Vorstadtplanung im Vergleich mit anderen Ländern. Die geplante Wanderung an die Peripherie als Reformmoment um die Jahrhundertwende, in: Stadtbauwelt 65 (1980), S. 48-53, S. 52. Bewunderung für die zugehörige Architektur Lutyens' gestand Hegemann später; Reiseeindrücke (1928) 316. 5 4 AA Abb. 85; vgl. AV 162, fig. 657, 660-3, 294. Auch die Aufwertung der Grundstücke erfolgt weniger nach Unwin's Prinzip der Dichtensenkung als Sittes Anteil an der Straßenfront, die sich amerikanischen Erwartungen besser fügte. 5 5 In Anlehnung an Huse über Mays und Migges Frankfurter Römerstadt; Huse, Neues Bauen ..., S. 100 f. Eine weitere Untersuchung über die Römerstadt böte auch Ansätze, den anhaltenden Erfolg von Washington Highlands zu ermitteln; Heike Lauer, „Die neue Baukunst als Erzieher"? Eine empirische Untersuchung der Siedlung Römerstadt in Prankfurt am Main, in: Hofmann/Kuhn (Hrsg.), Wohnungspolitik ..., S. 265-284. 5 6 So glaubte etwa eine Anwohnerin sich zu erinnern, sie habe die Straßenbennung „Two Tree Lane" angeregt. Two Tree wurde um zwei alte Bäume herumgeführt, daher im Verlauf geknickt; WH 6, AV 280. Hegemann hätte diese Verschmelzung von Anlage und Annahme die Wirksamkeit seiner Ideen belegt: die Anlage wird als Willensakt der Zusammenführung von Gestaltung und Natur gar nicht erkannt. - Vgl. dazu auch Lubove, Landscape ..., p. 146. Danach hätte der Grundplan einer Gemeinschaft, organisiert in Begehbarkeit und vielfältiger visueller Erfahrung außerdem die Folie für eine individualisierte Architektur geboten - die Hegemann ganz und gar nicht zugesagt hätte - , damit individuellen Bedarf und allgemeine Anerkennung gleichermaßen hervorgehoben und befriedigt. 57 ICTPE 375-377. 5 8 Er bezog sich hier auf eine soeben prämierte informelle Blockauslegung als Anlaß; abgebildet AV

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6.3.2 Unabhängigkeit

Highlands darum handelte, eine vor allem der Topographie und landschaftlichen Besonderheit angepaßte geometrische Grundform zu finden. Er behauptete nun, daß es ihm darum gegangen sei, die natürliche Erscheinung der Kunst zu unterwerfen (subjugate), das angeblich die zentrale Funktion der Achse in seinem Plan. Sie aber ist so subtil eingepaßt, daß der Betrachter keinen Kunsteindruck im Sinne eines artifiziellen empfängt, sondern seine Wahrnehmung durch die Kunstform, den Kontrast von Formalismus und Romantik, Achse und Kurven gesteigert wird. Landschaftsform wie Kunstform bilden eine unauflösliche Einheit. Darin liegt die eigentliche Stärke von Hegemanns Entwurf. Er beweist damit seine intellektuelle Unabhängigkeit von Moden, die er als grundsätzliche Freiheit gegen ästhetische Dogmen später erbittert zu verteidigen sucht. Sie ist auch Stärke zum eigenen Vorteil, weil sich seine Arbeiten stets integrieren ließen. Damit ist seine Arbeit an den Gemeinsamkeiten der einzelnen Planer wie Nolen oder Shurtleff zu messen. Diese Gemeinsamkeiten umfassen inzwischen technische Fähigkeiten, die infolge ästhetischer und sozialer Prinzipien die Straßenplanung nach der Topographie anlegen lassen, Raumbildung und Plazierung der Bauten, den Erhalt natürlicher Gegebenheiten sowie Integration als Grün- und Erholungsfläche besonders achten lassen 59 . Diesem Vergleich kann die Anlage Washington Highlands mehr als standhalten 60 . Wenn die Arbeit der Planer und Landschaftsarchitekten zum Qualitätsmerkmal der Baulanderschließung wurde und bei diesen Projekten einen Qualitätssprung erzeugte, hatte Hegemann die Chance erkannt, Elemente seiner Planungsideen hier in die Praxis umsetzen zu können. Er ordnete damit seine theoretischen Vorbehalte gegen ein Gewerbe, dessen Profite als Zwischenhändler er gemindert sehen wollte, der Praxis undogmatisch unter und hätte sich dafür auf den Werkbund-Impetus berufen können. Es gelang ihm mithin, seine Vorstellungen vom Aufklärer und Wohltäter in ein marktkonformes Angebot zu überführen, ohne die einer angemessenen Lebensführung zu sehr ändern zu müssen, und Teile seiner Ideen integrativ ökonomisch erfolgreich umzusetzen.

6.3.3 Wyomissing Park Ihren zweiten großen Auftrag erhielt die Firma Hegemann & Peets in Reading, Pennsylvania. Die Direktoren der dort ansässigen großen Wirkwarenfabrik gründeten eine Erschließungsgesellschaft, die ein 200 Hektar großes Areal der Bebauung übergeben sollte. Die Berkshire Knitting Mills stiegen seit 1912 mit der Herstellung von Seidenstrümpfen zum weltweit größten Produzenten auf, was ihrem Geschäftsleiter Gustav Oberlaender zu verdanken war, der seit 1906 mit dem Präsidenten Ferdinand Thun und dem Vize Henry Janssen die Fabrik leitete und ihre Produktion modernisierte 61 . flg. 1165; vergleichbar der Mißstimmung über die „wackeligen Schachbretter der Sitte-Jünger". 59 Scott, City Planning ..., p. 170-172. 60 Eine vergleichende Untersuchung der Gestaltungsmerkmale mit gleichzeitigen Arbeiten ist offenbar von Bruce und Cynthia Lynch geplant. 61 Oberländer, mit 21 Jahren 1888 eingewandert, seit 1906 bei den Mills, steigerte bis 1929 deren Produktion von von 1000 auf 10.000 Strümpfe täglich, den Jahresumsatz von $ 66.000 auf 22 Millionen. Neue Bauten der Mills in W M B 12 (1928), S. 39 ff. - Zur Person Thuns, Janssens und Impinks keine

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6.3.3

Wohngebiet

Diese drei bildeten mit einem Rechtsanwalt und dem Geschäftsführer Irvin F. Impink den Vorstand der Wyomissing Development Company 62 . Erneut spielte demnach bei der Auftragsvergabe Hegemanns deutsche Herkunft eine vorteilhafte statt nachteilige Rolle. Die Trikotagenfabrik wollte keine Werkssiedlung errichten, ebenso wenig war die Erschließungsgesellschaft ein gemeinnütziges Unternehmen 63 . Doch waren Arbeiterwohnhäuser laut Hegemanns späterer Aussage ein explizites Anliegen der Unternehmer 6 4 . Sie mußten der außerordentlichen Expansion der Fabrik dienlich sein und sollten der Wachstumsverschiebung von der Innenstadt zum Stadtrandgebiet folgen. Im Vorwort der 1919 erschienenen Broschüre bedauern Thun, Janssen und Oberlaender ausdrücklich, daß dazu bisher aus der Menge der Planungsberichte keine konkreten Projekte erwachsen seien. Auch der Bericht John Nolens (Bild 72) für die Reading Civic Association von 1909 fiel darunter. Sie wollen daher mit der Erschließung Wyomissing Park nach modernsten Gesichtspunkten - Landschaftsparks und Spielflächen, Planung und Schutzbestimmungen - zur Entwicklung West Readings im Sinne jener Empfehlungen explizit beitragen 65 . Das Gelände, teilweise ehemalige Baumschule und Gärtnerei, lag etwa eine Meile von Zentrum Readings entfernt, jenseits des Schuylkill River. Es handelte sich nicht wie in Washington Highlands um einen geschlossenen Komplex. Wyomissing Park Schloß an ein vorhandenes Straßenraster an, dessen reguläre Ausdehnung Nolen 1909 in seinem „General Plan" vorgesehen hatte 6 6 . Das Gelände fällt südlich zum Wyomissing Creek ab, um nach Südwesten im neu zu erschließenden Gebiet wieder anzusteigen. Zwei bestehende Boulevards mußten und zwei kleine Parks um Teich und Flüßchen sollten in den Erschließungsplan integriert werden. Hegemann & Peets erhielten diesen Auftrag wohl Anfang 191 7 6 7 . Sie fügten dem Firmensitz in Milwaukee einen zweiten Standort zu; eine gute Werbung, während die ArFunde. Thun war wie Oberlaender später in der Carl-Schurz-Gesellschaft aktiv, in welcher Funktion Hegemann 1934 wieder mit ihm in Kontakt trat. 62 Die Company konnte sich auf Nolens Empfehlungen einer weiteren Westwanderung, organisierten Siedlungsausbaus und Wertsteigerung durch Grünanlagen berufen; Nolen, Replanning Reading ..., p. 5, 79, 84. 63 Noch bei Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., p. 113. Auch bei Cohen, Scenes ..., p. 60, als Gartenstadt überschätzt. Vgl. die undatierte Broschüre Live in a Park. Move to Wyomissing mit Rechnungsbeispielen; The Historical Society of Berks County, Reading PA; mit Dank an die Leitende Archivarin Barbara Gill für ihre Auskünfte und Vermittlung. 64 I C T P E 377. 65 W P 3 f. Dennoch als civic beautification verstanden, wird jetzt die Dienstleistung für die Öffentlichkeit und Beschäftigung der Planer zum Zeichen der Modernität. Hegemann ergänzt dies um die Deklaration eines Unternehmens founded on a patriotic belief in Reading's present and future greatness, gemäß der sich zum Schreibzeitpunkt Juni 1919 abzeichnenden Nachkriegsrezession. 66 Im General Plan for the Future City of Reading Nolens ist die Erweiterung nach Westen bereits Wyomissing genannt. Hegemann konnte Nolens Entwürfe von 1909 von der Berliner Ausstellung kennen; siehe Führer ..., Nr. 1191-95; bildete sie aber nicht ab. 67 Die frühesten Zeichnungen in W P 8, 11 datieren von Mai und 20. Juni 1917. Fast alle Abbildungen aus W P sind in AV und AA wieder abgedruckt und über die Register leicht zu erschließen.

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6.3.3 Topographie

beiten offensichtlich mehrheitlich auf Reisen und bei begrenzten Aufenthalten erledigt wurde. Bei der Ausarbeitung des Auftrags arbeitete der soeben von der Columbia University graduierte Architekt Joseph Hudnut mit, der zahlreiche Zeichnungen und offensichtlich auch Hausentwürfe beitrug 68 . Die Grundlage ihrer Arbeiten war wiederum Hegemanns Begeisterung an der Topographie (Bild 73) und seine Geländekenntnis, seine Vergnügungen bei deren Erkundung zeitgemässe Lebensführung des gentleman. Der Sohn des Geschäftführers erinnert sich an ihn folgendermaßen 69 : My personal knowledge of Mr. Hegemann comes from several long pleasant walks with him over the fields he was to divide into streets and housing developments. I was about ten years old at the time. He was a very kindly man who amused me with countless stories. One I recall demonstrated to me that a petal of the dandelion weed really looked like the tooth of a lion. On one occasion he came to Wyomissing during the winter and made a tour of the property on skis. He was amazed to be followed by a crowd of cheerful curious children who had never seen anyone travel cross-country on skis.

Auch hier folgt die Straßen- und Wegeführung unter Wahrung des alten Baumbestandes und bestehender Besonderheiten wieder der Topographie des Geländes. Die Differenzierung der Straßen nach Nutzung wird weiter ausgearbeitet: Hegemann und Peets verzeichnen dreizehn verschiedene Beispiele an Breite und Aufteilung (Bild 74). Die vorhandenen Durchgangsstraßen sind die breitesten und zur verringerten Erdbewegung terrassiert, die Fußgängerwege durch Baumreihen abgeteilt 70 . Die getrennte Führung von Straßen- und Fußgängerverkehr ermöglicht den Planern Abweichungen von strikter Parallelität, die für Anpflanzungen genutzt wird. Die Wohnstraßen sind nur 15 bis 18 Meter breit, auch dort die Gehwege vor der Fahrbahn durch Hecken und Bäume geschützt. Wie Hegemann 1922 erklärte, waren im Erschließungsgebiet drei Abschnitte geplant. Der erste, an das Raster anschließend, sollte eine dichte Bebauung mit Reihenhäusern mit der Zielgruppe der Vor- und Facharbeiter - aufweisen, der zweite, zum Flüßchen hin abfallend, Baulose für Einfamilienhäuser und der dritte am anderen Ufer Grundstücke verschiedener, auch außerordentlicher Größe für das Repräsentationsbedürfnis (Bild 85) gehobener Einkommen 71 . Hegemann erhielt hier also endlich die Möglichkeit, die im vorigen Projekt nur angedeutete Durchmischung auszuführen, bei denen Bewohner geringerer Einkommen gleichermaßen von einer hochklassigen Anlage profitieren können 68 Laut offiziellem Lebenslauf war Hudnut jedoch 1917-19 beim Expeditionskorps in Italien, während Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., p. 113, ihn von seiner Tätigkeit in einem New Yorker Architektenbüro aus teilnehmen sieht (die offiziell erst 1919 begann). Die Sammlung der Joseph Hudnut Papers der Harvard University Archives enthielt keine Hinweise auf Hegemann oder Peets. - Für 1920 erscheint in den Directories ein sonst nie genannter Partner: D.R.. Hull; wahrscheinlich eine befristete Assoziation während Peets' Europareise. 69 Schreiben von Robert R. Impink, Shillington PA, October 1, 1992. James L. Holton, Reinholds PA, gebührenden Dank für die Vermittlung. 70 W P 11; AV 282. Vgl. Empfehlungen OB 112. 71 AV 282; siehe auch den Plan W P 24 f., der die Aufteilung bis zum Creek ausweist, mit der die Planer sich hauptsächlich beschäftigten.

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6.3.3

Reihenhäuser

sollten. Bemerkenswert ist bei beiden Ausführungen, daß die kleineren Wohneinheiten randständig sind, zur Abschirmung der besseren Lagen gegen das althergebrachte Straßennetz angelegt - wie später im Eigenhaus das Mädchenzimmer zur Lärmbarriere gehört 72 . Die soziale Distinktion der Subdivisions ist ein notwendiger Teil der Ware; sie wird nicht aufgehoben, aber gelockert. Die Teilung des ersten Abschnitts in kleine Parzellen erfordert ein dichteres Wegenetz, das aber in seinen Ausmaßen beschränkt bleiben muß. Reihenhausgrundstücke erlauben den sonst vermiedenen langen, schmalen Zuschnitt, durch den tiefe Blöcke und hohe Dichte entstehen 73 . Hegemann und Peets lösen diese Aufgabe durch Plätze, die mit diversen Formen die gleichförmige Rasterung von Durchgangs- oder Stichstraßen ersetzen. Ihre geometrische Vielfalt aber, von der Linse über das Hufeisen bis zum Trapez (Bild 76), wirkt teilweise künstlich - sie deklinieren Unwins Typen, tatsächlich out-unwining Unwin (Peter Hall) 74 . Aber sie ist ein effektives Mittel zur Erschließung 75 . Die Planer beziehen Straßen und Plätze durch Blickachsen aufeinander, die eine ähnliche Rolle wie im vorigen Projekt spielen. Das starke Gefälle einer Einfallstraße mit dem See als Ziel fangen sie auf halber Länge durch Ausweitung zu einem rechtwinkeligen Platz auf; Sichtachsen führen auf dreiseitig bebaute Platzräume. Den kleinteiligen Bezügen entspricht eine Gruppenbildung von jeweils höchstens sechs Häusern, deren Vorraum eine optische und praktische Subgemeinschaft bildet. Gruppen und Plätze werden zusammen mit der differenzierten Wegeführung zum Charakteristikum der Siedlung. Die offensichtlich ungewohnte Reihenbauweise rechtfertigte Hegemann in der Werbebroschüre von 1919 mit dem Anschluß an einen true spirit of democracy and progress for all. Er sah die Reihenhäuser als Widerpart der monotonen Ästhetik eines country house cemetary, begründet außerdem in ökonomischen Aspekten. Wie schon im Bericht für Milwaukee wollte er statt enger Bauwiche deren Fläche mit dieser Bauweise den Gärten zugeschlagen sehen. Die architektonischen Entwürfe leisten dabei ein übriges. Denn nicht nur nähern sie sich mit der Gruppierung der wachsenden Vorliebe der Planer für formale Ästhetik, sondern stellen - etwa im Dutch Colonial Design (Bild 77) der Häuser mit Walmdach am Holland Square (Bild 78) - die Herkunft der prospektiven Bewohner in Rechnung 76 . Zusammen mit dem Konzept, die Grundstückgrößen nach 72 ... the moderately priced row house becomes an element of as great artistic importance as the effective setting of the millionaire's residence; the beauty of the one is increased by the other. WP 10. 73 Die im Text erläuterten Plätze erschließen 186 Baugrundstücke zuzüglich der Hausgruppen an den Straßen auf etwa einem Drittel der 202 Hektar. Die Dichte war eine nahezu dreifache, wenn vergleichbare Blöcke etwa 16 gegenüber den 45 Grundstücken der Reihenbauweise aufwiesen. 74 Siehe besonders Quarry Park Gardens, eine linsenförmige Ausbuchtung der Fluchtlinien und The Quadrangle, dessen Rechteck als Wendeplatz deplaziert wirkt. Keystone Court aber bildet als „Schlußstein" den Ziel- und Blickpunkt der abfallenden Straße; und die Hufeisenanlage für ein Einzelhandelszentrum ergab sich aus der Zusammenführung vorhandener Straßen. 75 Beeinflußt offenbar von den bereits angerufenen Vorbildern - vgl. Roland Park, nach Hegemann dem englischen Modell folgend, und St. Francis Wood in OB 122 -, deren Typen zum Standard wurden; vgl. dann Stein/Wrights Stichstraßen des „Superblocks" für Radburn NJ 1928, Engst/Hickerson, Urban America ..., p. 22. - Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 112, erwähnt zwar Hampstead als Vorbild, begründet einen Zusammenhang jedoch nicht. 76 Vgl. besonders Holland Square WP 9, 14 (von Hudnut), die Gärten WP 26 f. Formale Anlagen

422

6.3.3

Gartenvorstadt

Westen zu steigern, waren damit die Voraussetzungen gegeben, eine soziale Mischung zu verwirklichen. Ihr anderes Extrem, eine Villa auf fünf Hektar Grund im Südwesten 77 , wurde ebenfalls in der Broschüre vorgestellt und dürfte einen überragenden Wert für die durch Reihenbauweise kaum angesprochenen Kundengruppen gehabt haben (Bild 86). Diese Rechtfertigung schließt Hegemann nicht nur den schon früher genannten amerikanischen, sondern dem Vorbild der Hampstead Garden Suburb von Unwin an, deren Erfolg er in der Kombination von Häusern verschiedener Preisgruppen in einheitlichem Design begründet sah. Er hält sich besonders die Kombination der offenen und geschlossenen Bebauung als Wechsel von garden city and city square zugute. Dem entsprach er mit der hufeisenförmigen Anlage eines Einzelhandelszentrums, in dem die Läden durch sein später favorisiertes Motiv der Arkaden zur Einheitlichkeit zusammengeschlossen waren. Die übrigen, weitgehend strengen bis schlichten architektonischen Entwürfe entgehen knapp der Pittoreske, die nach Unwins Vorbild stets gesucht wurde. Die Bilder des späteren Prospekts (Bild 79) lassen vermuten, daß diese Strenge in der Ausführung nicht eingehalten und jene Pittoreske dadurch - ähnlich wie in Washington Highlands - überboten wurde 78 . Für Hegemann bedeutete diese Anlage die re-democratization of american country life79. Sie sollte scheinbar den Wandel der Gewohnheiten im letzten Jahrhundert - vom Reiten zum Autofahren - auffangen, stand aber mehr noch im Dienst moralischer Besserung und der „Stählung des Körpers" für das moderne Leben: The secret of strength and success in modern life is the power of combining city life with the rejuvenating effect of country life. Hegemann kann sich auch hier seines antiurbanen Affekts und altliberalen Ansatzes nicht enthalten, in dem die Stadt Geschäfts- und Arbeitsplatz bleibt. Er überhöht ihn mit einem Lobgesang auf den Sport, den das Vorortwohnen ermöglicht. Dessen Mittelpunkt ist neben einer Sportanlage mit Tennisplätzen und Schwimmbad 80 nun der Golfsport. Hegemann preist ihn als demokratische, altersunabhängige und familienfreundliche Betätigung im Freien. Er will den Park am Bach von Seiten der Anwohner zu einem Golfplatz mit zehn Löchern umgestaltet und daraus das demokratische und ästhetische Zentrum der Anlage erwachsen sehen und ihr Prestige erhöhen 81 . Die Idee greift sowohl nach dem Vorbild von Nichols' hochklassigem Kansas Country Club. W P 13 (Peets beschnittene Hecken und Bäume), 19, 21 ff., 48. 77 Siehe W P 8, 28 f., 43 f. und vgl. unten 6.3.5 Privataufträge. 78 Die Erschließungsgesellschaft behielt sich neben den deed restrictions die Genehmigung von Bauvorhaben vor, beugte sich dabei aber offensichtlich den Kundenwünschen. 79 Er nimmt damit das Motiv der Verkehrsdebatte der NCCP auf. Dort sah er dort die Autogesellschaft als Teilung in zwei Klassen: the one, the barons, riding, not horseback, but in automobiles, forming a kind of superior stratum, and the other class, the common people, dependent upon the common carriers. Hier sollten die äußeren Zeichen dieser Teilung nivelliert werden. Remark (1916) 77. 80 W P 35; AV flg. 954, Umgestaltung einer südlich gelegenen Farm zu einem ästhetisch formal überhöhten Sportzentrum, offenbar Arbeitsprobe der Planer; vgl. AV fig. 953, eine noch größerer Entwurf für Lake Forest. 81 W P 35-38, mit erheblicher Beharrlichkeit 37 f. Hampstead verfügte schon auf dem bei der Städtebauausstellung gezeigten Plan über einen nordöstlich gelegenen Golfplatz; S Abb. 287.

423

6.3.3 Sicherung

wie sie an die ländliche Beschaulichkeit des älteren Olmsted anknüpft, der zur Rasenpflege Schafe halten lassen wollte. Für Hegemann vereint sich darin der nützliche mit dem ästhetischen Aspekt im Sinne der früheren Empfindsamkeit. An Auflagen finden sich nur allgemeine erwähnt: Vorschriften zum Erscheinungsbild, Ausweisung als Wohngebiet mit begrenzten Handelsbereichen, ein Mindestabstand der Häuser von zehn Metern, jedoch keine Mindestgrundstücksgrößen. Im Gegenteil wurde die spätere Aufteilung großer Grundstücke nicht ausgeschlossen, sondern explizit erwartet. Diese Erwartung bezeichnet die Grenzen der Auflagen, die spätere Ertragsmöglichkeiten auch um den Preis einer Veränderung des Siedlungscharakters nicht ausschließen durften, um die Attraktivität der Investition zu erhalten. To work for "the City Beautiful" is not a dream any more, but has turned into a clear business proposition.82 Die ökonomische Opportunität der Siedlungsplanung galt inzwischen für Unternehmer wie Käufer gleichermaßen. Wie der Unternehmer seine Erträge steigern kann, erwirbt der Käufer ein mittels der Steuervorteile unmittelbar vorteilhaftes Objekt und durch die Sicherungsmechanismen im Wert langfristig stabiles bis steigendes Anwesen. Damit sind auch der von Hegemann befürworteten marktwirtschaftlichen Durchsetzung der modernen Planung ihre Grenzen gesetzt. Weil die 'schöne Stadt' realisiert wird, weil sie besser verkäuflich ist als die frühere, muß sie auch den Marktgesetzen geöffnet bleiben, die den Erwerb zur lukrativen Investition machen. Damit sind die Auflagen bereits durchlöchert, wie sich an der gebauten Architektur zeigte, die trotz des Vorbehalts der Gesellschaft und entgegen Hegemanns Absichten wenig einheitlich ausfiel. Ihm blieb daher nur der moralische Appell, die wichtigsten Gestaltungsmerkmale beizubehalten. Für die Grün- und Sportanlagen brachte er deshalb deren demokratische Werte ins Spiel, für die architektonische Anlage griff er auf die regionale Bautradition zurück, die als kulturelle und zivilisatorische Werte erhalten und entwickelt werden müßten 83 . Ein Bezugsrahmen für die Bewertung dieser Arbeit von Hegemann & Peets fehlt erneut. Zum einen kann ihre Arbeit nur unzureichend erschlossen werden, zum anderen sind vergleichbare Projekte noch ungenügend dokumentiert 84 . Aufgrund vergleichbarer Charakteristika kann auch für Wyomissing Park geltend gemacht werden, daß seine Planer sich durchaus mit den Zeitgenossen messen konnten. Die technische Sicherheit der dichten Erschließung durch Platzanlagen, Terrassierung und Differenzierung der Wege, die Vereinbarung von ästhetischen und sozialen Zielen in Geländeanpassung und Durchmischung zeigen auch hier Hegemann & Peets auf der Höhe ihrer Zeit. 82 WP 39. Hegemann konnte sich dabei auf Jesse C. Nichols stützen, der vor der NCCP 1916 über die finanziellen Erfolge geplanter Baulanderschließung gesprochen hatte. So kann etwa die Arbeitsprobe des Sportzentrums - zur Bewerbung angefertigt? AV fig. 954 - auch Zeichen der besonderen Aufwertung und Nachfrage in diesem Sektor sein. 83 W P 39_42 mit Zeichnungen historischer Gebäude von Peets. Hegemanns Argumentation stimmt bereits wesentlich mit der für Klassizismus überein. Der Geschmackseinbruch des 19. Jahrhunderts, die Bewahrung amerikanischen und regionalen Charakters im Hausbau und des weitgehend unveränderten Anspruchs an ein Wohnhaus begründen seine Aufforderung, diesen Stil zu verwenden, 'ohne ihm sklavisch zu folgen, sondern dem modernen Leben mit Zurückhaltung und Originalität anzupassen'. 84 Als eine umfassende Untersuchung liegt bisher nur vor: William S. Worley, J.C. Nichols and the Shaping of Kansas City. Columbia-London 1990.

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6.3.3

Kombinationsleistung

Als Bestätigung dessen kann die überproportionale Präsentation der Projekte in der Göteborger Ausstellung gelten, wo sie den neuesten Arbeiten Nolens und anderer standzuhalten hatte und dies in den Augen des Fachpublikums offenbar auch tat. Wie beim vorigen Projekt behauptete Hegemann auch hier in der Selbstdarstellung, er habe eine formale Anlage zu realisieren versucht, dem aber das Gelände entgegenstand. Er unterschlug dabei wieder die eigentliche Leistung der erfolgreichen Kombination mehrerer Zwecke - die Vereinbarung der formalen wie informellen Motive aus ästhetischen und ökonomischen Gründen um sich von der romantischen Mode abzusetzen. Deshalb gerät auch die wesentliche Funktion der Gemeinschaftsbildung durch Mischung und Gruppierung ins Hintertreffen 85 . Sie ist die Ursache der folgenden vehementen Ablehnung der modernen Großsiedlung und ihres Zeilenbaus durch Hegemann, wird aber als solche kaum kenntlich. Die erste Bebauung im Terrain wurde schon 1918 fertiggestellt 86 . Eine zweite Broschüre warb etwa Mitte der Zwanziger Jahre um Zuzug, so daß der Gesamtausbau nicht so bald abgeschlossen wurde. Hegemanns Vorhersage, daß die schöne Stadt inzwischen ein Geschäft sei, erfüllte sich nun auch für den Käufer, der in Wyomissing von einer Steuerveranlagung im Wert von 50% des Hausbesitzes im Gegensatz zu den 90 in Reading erhobenen Prozenten profitieren konnte. Die Arbeit der beiden Planer geriet weitgehend in Vergessenheit 87 . Die Anlage wurde insgesamt dennoch zu einem Erfolg: 1987 beherbergten 2079 Häuser 6550 Bewohner, von 2488 aeres der Gesamtanlage sind 162 öffentliche Grünfläche. Bei stabilen bis steigenden Preisen kostete ein Haus an der Franklin Street aus dem Plan Hegemann & Peets' um $ 50. 000 und fand innerhalb von 60 Tagen einen Käufer. Obwohl die strikte Befolgung des Erschließungplans für diesen Erfolg geltend gemacht wird, ist er vor Ort weitgehend unbekannt. Doch für die Suche nach einem gefälligen Eigenheim wurden 1987 die charming enclaves von Cherry Drive, Holland Square und Hamilton Place empfohlen, die aus der Feder von Hegemann & Peets stammen.

85 Sollte die Mischung auf die Auftraggeber zurückgehen, fiele die Veranschlagung als Leistung von Hegemann und Peets weg. Das kann die gelungene Ausarbeitung dieser Elemente nicht mindern, wohl aber die Einschätzung der künstlerischen Möglichkeiten des Teams. 86 WP 5. - Der Name Wyomissing Park setzte sich für die Siedlung offenbar nicht durch, sondern galt nur für den Park am Bach. 87 Ray Koehler, Borough Street Plans Were Followed Strictly. In: Reading Eagle, February 1, 1987: „deutsche Techniker haben die breiten Avenues und Boulevards maßgeschneidert". Im Gegensatz zu Robert F. Impink bestand der Sohn Ferdinand Thuns im Gespräch mit dem Historiker James Holton darauf, daß Hegemann die Arbeiten unter der Aufsicht Nolens ausgeführt habe; Schreiben von James L. Holton, Reinholds PA, August 15, 1992. Die Reading Public Library besitzt eine Rarität, eine undatierte Broschüre mit dem Titel Wyomissing Park, Reading, Pennsylvania, by John Nolen. Ein Planungsbeginn Nolens im Auftrag der Company wäre danach möglich und müßte in seinen Verknüpfungen mit dem H&P-Entwurf sowie der Ausführung dokumentarisch untersucht werden.

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6.3.4 Lagunen

6.3.4 Lake Forest Das dritte große Projekt, mit dem Hegemann & Peets beauftragt wurden, war eine Erschließung in Madison, der Hauptstadt Wisconsins. Die Siedlung war ein Projekt zweier Unternehmer aus Madison, dem Immobilienmakler Leonard Gay und dem Bauunternehmer Chandler Β. Chapman 88 . Schon seit 1916 verfolgten sie das Projekt, am Ufer des Lake Wingra eine Vorstadtsiedlung für tausend Familien anzulegen. Die Planung stellte für Madison zu dieser Zeit eine außergewöhnliche Erschließung dar, weil sie von einem landesweit bekannten Planer stammte - auch hier wurde offensichtlich damit geworben 89 - und mit Parkanlagen und Subzentrum städtisches und ländliches Leben vereinen sollte. Auf einem Gelände der Größe von Wyomissing Park fanden die beiden Planer endlich Gelegenheit, ihre Vorliebe für eine formale Anlage umzusetzen. Die im „American Vitruvius" zuerst abgebildeten Preliminary Studies stammen vom November 1916 (Bild 80). Das sumpfige Gebiet lag in den Marschländern am kleinsten der drei Seen vor Madison. Diese Lage führte Hegemann offenbar zu seiner Faszination durch Lagunenparks zurück. Er sah seine Quelle dafür in einem Nymphenburger Muster90. Der folgende Entwurf eines Systems von Lagunen steht in direkter Folge jener technischen Hybris, die seinen Entwurf vom künstlichen, romantischen Küstenstreifen auf der Basis des auszubaggernden Meeresgrunds vor dem ausgebauten Hafen der East Bay bestimmte. Die Entwürfe für Lake Forest zeigen ein geometrisches Spiel um die Hauptkomponenten, einen Hügel, eine Hauptzufahrtsstraße und zwei Sichtachsen auf Capitol und Universität. Im Spiel mit den Lagunen ist die verwendete Form beliebig, vorausgesetzt künstlerisch 91 . Hegemanns Präsentation des Projekts von 1923 hebt nun für diese artifizielle Romantik ganz auf angeblich rationale Ursachen ab, nämlich die Verwendung des ohnehin notwendigen Aushubs. Diese charakteristische Umkehrung steht in spiegelbildlichem Verhältnis zu den bisher angetroffenen, die jede Romantik zugunsten strengen Formalismus ignorierte und will nun Romantik als Effekt der Rationale ausgeben. A residential area of 500 acres in the capital of the state of Wisconsin. The area has been organized by a wide avenue laid to shoot at the large dome of the capitol. The area on both sides (2 streets existed) was subdivided by a scheme of „lagoons" connecting with two large lakes adjoining. The dredgings from these „lagoons" were required to raise the building sites. The „civic center" of the district has been grouped around a circle, the center of which coincides with the main oris. To mark out the shape of this large round plaza before definite constructions were going up, a scheme of pergolas was designed behind which buildings could later be erected and lighted from clerestory windows just above the pergolas. Work covering the whole area is under execution. 88 David Vincent Möllenhoff, Madison. A History of the Formative Years, Dubuque IA 1982, p. 362; Nancy D. Sachse, A Thousand Ages. The University of Wisconsin Arboretum, Madison WI n.d., p. 14 f. Vgl. die knappe unverbindliche Darstellung bei Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 114 auf der Basis einer unveröffentlichten Abschlußarbeit. 89 Möllenhoff kennt oder nennt Hegemann & Peets nicht; Sachse erwähnt Dr. Warner S. Hagemann. 90 AA Abb. 484. 91 AV fig. 1191; I C T P E 377; vgl. AV fig. 846 f.

426

6.3.4 Untergang

Für den Bodenaushub senkte das ausführende Unternehmen den Seespiegel um drei Fuß, etwa 90 cm. Das zog die Uferanlagen eines gegenüberliegenden Parks in Mitleidenschaft, bedeckte die Seeufer mit Algenschichten, deren Geruch die Anwohner veranlaßte, die Gesellschaft zur Rücknahme der Senkung zu zwingen. Bis April 1917 waren 48 Grundstücke verkauft worden, worauf wegen des Kriegseintritts der weitere Absatz zum Erliegen kam. Erst im Frühjahr 1920 wurden die Arbeiten fortgesetzt, der Verkauf durch eine große Anzeigenkampagne angekurbelt. Die Gesellschaft legte die Hauptstraße in Beton an, einen artesischen Brunnen und ließ elektrische Leitungen verlegen. Der Verkauf verlief nur stockend. Ende 1920 waren 61 Grundstücke verkauft, aber nur ein Haus errichtet. Die Hauptstraße sackte in den sumpfigen Grund ab. 1922 machte die geldgebende Hypothekengesellschaft bankrott und eine langwierige juristische Auseinandersetzung begann, die jedoch die Erschließungsgesellschaft schlagartig ruinierte. Die Straßenanlagen und Lagunen verfielen; das Gelände wurde als „Lost City" bekannt und illegales Jagdgebiet für Wasservögel, um später dem Arboretum der University of Wisconsin zugeschlagen zu werden. Hegemanns Angabe über aktuelle Bauausführung kann als Lüge angesehen werden, zu der ihn der Legitimationsdruck vor Fachkollegen zwang, um seine Zeichnungen präsentieren zu können 92 . Aufgrund der verwickelten Geschichte ist unklar, welcher Plan von Hegemann & Peets stammte 93 , wann sie ihn vorlegten und ob er befolgt wurde. Es wäre möglich, daß Hegemann & Peets erst mit der Wiederbelebung des Projekts von 1920 beauftragt wurden 94 und Ausführungen zum weiteren Ausbau machten. Der Landschaftsumbau durch Nivellierung und Verfüllung war aufgrund des Marschlandes von Madison ein üblicher Bestandteil von Bauvorhaben 95 . Der Landschaftsumbau um der formalen Anlage willen, den Hegemann und Peets mit ihren Ideen gefordert hatten, war nicht die alleinige Ursache des Scheiterns. Dennoch zeigt er eine einzigartige Fehleinschätzung der Planer bezüglich ihrer technischen Möglichkeiten96, durch die dem Gelände der ästhetische Formationswille aufgezwungen wird. Bemerkenswerter Zug der Anlage ist erneut die Hervorhebung der Sichtachse (Bild 83). Zur innerstädtischen Hauptstraße gebrochen, läuft sie in Luftlinie auf das Capitol zu 97 ; stellt so wie in Washington Highlands die direkte Anbindung an die Stadt vor. Die Achse 92

Offenbar wollte er aber noch 1925/27 an weitere Arbeiten glauben, nach denen die Lagunen aus technischen Gründen noch tiefer in das Land geführt worden waren; AA Abb. 484. 93 In den Series 38/6/5, University of Wisconsin-Madison Archives. Madison WI (mit Dank an Cathy Jacobs für ihre Suche); befinden sich einige nicht gekennzeichnete Pläne, die wiederum von den bei Möllenhoff, Madison ... p. 363 abgebildeten abweichen. Sie legen jedoch nahe, daß es sich bei den Ausführungen um eine Variante des Schema Β handelte, wie im AV abgebildet. 94 Im Gegensatz zu sonstigen Zeichnungen sind diese nicht datiert; die einzige Angabe zum Civic Center ist Juni 1920; AV flg. 846 f. 95 Möllenhoff, Madison ..., p. 396. Zwischen 1836 und 1920 wurden 3795 acres Sumpfgebiet verfüllt, auch einzigartige eiszeitliche Formationen zu diesen Zwecken abgetragen. 96 Nach Sachse konnte bereits die Hauptstraße nur einspurig ausgebaut werden, weil die Aufschüttung für zwei Fahrbahnen zuviel Material verschlang. 97 Die Arbeiten Nolens zur Neufassung des Capitols kannte Hegemann seit 1910; Führer ..., Nr. 1200-1207; AP 12; S 404.

427

6.3.4 Vorstadtraum

wird mit dem kreisförmigen Platz des Civic Centers (Bild 81) aufgefangen. Hegemann und Peets werten ihn durch eine klassizistische Architektur auf, eine Abwandlung der von Hegemann favorisierten Arkaden (Bild 82) als umlaufende Pergola, hinter der sich später unscheinbare Architektur verstecken sollte, und die Zentralstellung des Flaggenmastes für das zeitgemäß gehobene Nationalgefühl. In den Projektentwürfen haben die Planer zu Seiten der Hauptachse wieder formale und informelle Anlagen kombiniert: in einem Schema stehen die um einen verbleibenden Hügel elliptisch geführten Straßen der geometrischen Mäanderung der Lagune gegenüber; im nächsten die unregelmäßig, natürlich gehaltene Lagune einem streng geometrischen Straßenplan; im dritten Entwurf ersetzt ein reflecting pool mit direktem Blick aufs Capitol die Fortführung der Hauptstraße 98 . Für eine lose Beteiligung oder nur kurzzeitige Beschäftigung der Firma bei diesem Projekt spricht die Variabilität der Aufteilung, die in den (späteren?) offensichtlich zu Werbezwecken gefertigten Ansichten erscheint. Darin bleibt nur die Hauptidee der Planer, die Runde der Geschäfte als Kontrapunkt der Blickachse zum Capitol erhalten". Auch der Verzicht auf eine Gestaltung der Baugrundstücke, die - wahrscheinlich nach Vorgaben der Auftraggeber - alle etwa gleich groß sind, spricht dafür. Infolge aber der Vorliebe für geometrische Aufteilung entstehen zwar finanziell erstklassige Lagen, aber auch die sonst abgelehnten spitzwinkligen Zuschnitte. Wurden damit schon alle vormaligen sozialen Ansprüche an eine Baulanderschließung aufgegeben, zeigt dieses Projekt Hegemann vor allem unlösbar mit jener Entwicklung des Individualverkehrs verbunden, die er als Zweiteilung der Gesellschaft abgelehnt hatte. Der Baugrund am See befand sich außerhalb der Erschließung durch öffentliche Transportmittel (Bild 84). Tatsächlich wurden nach 1919 keine weiteren öffentlichen Verkehrslinien mehr eröffnet 100 . Die Besiedlung solcher Vorstadt- und exklusiven Siedlungslagen konnte nie die - durch Titelauflagen ohnehin festgelegte - Dichte erreichen, die einen kostenaufwendigen Bahnanschluß möglich und aussichtsreich gemacht hätte 101 . Anlagen wie Lake Forest waren demnach von vornherein auf den Autoverkehr angewiesen, trugen dieser sozialen Exklusivität durch die Grundstücksgrößen Rechnung und waren ohne ihn nicht realisierbar. Mit dieser Art der Tätigkeit mußte Hegemann inzwischen zwangsläufig zur Vermehrung dieses Phänomens beitragen, das er noch 1923 naiv als „Kalamität" bezeichnete. 98

Die wachsende Vorliebe für die französische strikte Gartenanlage beweist auch ein Nebenvorschlag: der Entwurf einer Sportanlage am Lake Wingra mit einer überdimensionierten Ehrenhofanlage von beschnittenen Weiden; AV flg. 953. 99 Vgl. Lake Forest, Plan in Vogelperspektive, n.d., University of Wisconsin-Madison Archives AS 38/6/5, ein Plan in Vogelperspektive und Stadtplan, beide undatiert; folgen dem „Scheme Α" der Achse mit Zentrum. Der zweite Plan kombiniert die Umbauung des Hügels aus „Scheme Β" dazu; beide verändert. Nach Ms. Cathy Jacobs, der dieses Material zu verdanken ist, stimmen Findbuch und ungezeichnete Miszellen, einzige Unterlagen zum Vorgang, nicht überein. 100 Moellenhoff, Madison ..., p. 368; weist darauf hin, daß bereits das 1920 kartierte Bauland auf Erschließung durch Individualverkehr abhob. 101 Siehe dazu auch Mark S. Foster, City Planners and the evolution of urban transport in the United States 1900-1940. In: JSAH 5 (1979), p. 365-395. 428

6.3.5 Sommersitz

Mit diesem Auftrag aber mußten die Planer die Abhängigkeit ihrer Arbeit vom finanziellen Geschick der Auftraggeber erleben; eine Erfahrung, die vermutlich die Absicht zur literarischen Betätigung nur bekräftigen konnte. 6.3.5 Privataufträge Hegemann reklamierte später, daß er der Kriegsbegeisterung wegen sich auf Privataufträge „zurückziehen" mußte. Das scheint wenig zutreffend, da die begonnenen Großprojekte weitgehend ungehindert weiterliefen, und neuen Projekten eher die Verlagerung der Investitionsinteressen, endlich die benannten strukturellen Schwierigkeiten entgegenstanden, aber schließlich nur zwei solcher Privataufträge dokumentiert sind, die eine finanziell wie gestalterisch willkommene Ergänzung und Herausforderung darstellten. Allerdings hatte Hegemann weitere Gärten in Milwaukee erwähnt, deren Gestaltung offenbar in diesen Zeitraum fiel und die auf diese Konstellation schließen ließen, über die jedoch nichts weiteres bekannt ist. Die frühere der beiden dokumentierten Arbeiten ist ein großer Sommersitz in Wyomissing, die zweite ein 1918 in Auftrag gegebener kleinerer Garten in Milwaukee, den Hegemann im Rahmen seiner Legitimationen 1926 ausführlich in seiner Zeitschrift vorstellte. Für die Anlage des Textilmagnaten E. Richard Meinig in Wyomissing gestalteten Hegemann & Peets auch das Wohnhaus. Entwürfe und Zeichnungen dazu stammten von Joseph Hudnut 102 , eine große, breitgelagerte und zum Garten geöffnete Villa (Bild 85). Die Gartenanlage zeigt die inzwischen als typisch für Hegemann und Peets erkennbare Kombination formaler und informeller Motive. Der Garten erfüllt praktische wie repräsentative Bedürfnisse. Neben dem großen Obst- und Gemüsegarten erscheinen vor allem große Auffahrt, Tennisplatz wie Swimmingpool als angemessene Austattung (Bild 86). Die Planer setzten das Haus auf die Anhöhe vor einer Senke, ebneten die Seite zur Auffahrt und bildeten sie zum Ehrenhof um. Sie bauten die Senke als garden theatre aus, dessen Bühne ein Schwimmbad war (Bild 88), dem Haus mit einer aufwendigen Treppenanlage verbunden. Hegemann reklamierte dafür die „gradlinige, schlichte Formalität" europäischer Bauerngärten im Gegensatz zur „Geschmeidigkeit" italienischer und französischer Palastgärten 103 . Die Gartenanlage bezieht Lebendigkeit aus dem Kontrast des formalen Teils zum umgebenden unreglementierten Raum mit seinen Wiesen und Baumgruppen, den die Grundstücksgröße von fast fünf Hektar möglich macht. Eine spätere programmatische Erklärung Hegemanns hebt erneut auf die Bedeutung von Sichtachsen ab, die den Zusammenhang zwischen Haus und Garten herstellen und den Garten zur natürlichen Fortsetzung des Hauses machen 104 . Diese Forderung nach dem räumlichen und visuellen Bezug zwischen Innen- und Außenraum kommt in der einfachsten Form auch stets in Hegemanns Anforderung für einfache Wohnhäuser zum 102 Erinnerungen (1926) 201, wonach Hudnut „für einen Entwurf im Tudorstil" ausgezeichnet wurde, der Hegemann mißfiel. W P 44 f.; AV fig. 912; AA Abb. 515-517. 103 47. v g] Ay 216. Die Untertreibung kann genau so wenig einleuchten wie die, das Wohnhaus stelle a large, colonial farmhouse dar. 104 AV 216.

429

6.3.5 Ufergarten

Ausdruck: das Niveau von Erdgeschoß und Garten weitmöglichst anzunähern und rundum große breite Fenster einzusetzen. Für das Meinigsche Anwesen sind diese Anforderungen erfüllt. Die Planer verbanden den Wohnraum über den Haupteingang mit der Flächigkeit und Symmetrie des Vorhofes und über eine Südterrasse (Bild 87) mit der Rasenfläche des Parkteiles. Die Achsenverschiebung des asymmetrischen Grundrisses fängt die Zentrierung des Speiseraums in der Südterasse auf, der auf die Treppen und Senke lenkt. Die Zerstörung dieser Achsenbeziehungen zwischen Haus und Garten kritisierte Hegemanns bei seiner Revision der Arbeiten, die Hegemann & Peets 1918-1921 für das Seegrundstück Myron T. MacLarens vornahmen105. Er bemängelte nicht nur den fehlenden Ausblick auf den Lake Michigan, sondern vor allem die Gestaltung des Hauses, das, den Wunschvorstellungen der Bauherren entsprechend, ortsansässigen Architekten übertragen wurde. Hegemann lehnte die äußere Form nachgestellten Tudors vehement ab, aber es „schmerzte" ihn besonders, daß sich die Gartenachsen im Innern des Hauses alle jeweils hinter dem ersten Fenster, auf das sie stießen, totliefen106. Dabei hatte er jedoch auch noch die Nachlässigkeit der Ausführung im Gartenbau zu dokumentieren (Bild 90). Die Verbindung zwischen Innenraum und Ausblick scheint in dem ausgeführten Haus tatsächlich kaum gegeben, das sich auf die Schauseiten Veranda-Pool und Loggia-Seeseite beschränkt. Auch diese Gartenanlage lebt von dem hier schärfer ausgearbeiteten Kontrast zwischen einem formal gestalteten Teil, der rechteckigen vertieften Rasenanlage mit zentriertem Schwimmbad und regelmäßigen Bäume als Einfriedung, und einem nicht nur naturbelassenen, sondern in seiner Schroffheit gesteigerten wilden Teil (Bild 89). Wie schon bei Meinig gehörte die Bewahrung bzw. Betonung der landschaftlichen Besonderheit bei großen Privatanlagen bereits zum Kanon. Hier wurde jedoch ein so großer Aufwand betrieben, um eine spektakuläre Wirkung zu erzielen, daß Aufsehen zu erregen zum Bestandteil der planerischen Dienstleistung geworden ist 107 . Hegemann ließ die Uferböschung neu aufschütten und bepflanzen, um ein weniger erosionsgefährdetes, flacheres Gefälle zu erzeugen, und gestaltete eine vorhandene kleine Schlucht mit angefahrenen Felsblöcken und Wasserfall um, um das Wohnhaus wirkungsvoll auf den höchsten Punkt über dem See (Bild 91) setzen zu können. Die Nutzfläche des Grundstücks ist im formalen Gartenteil trotz etwa gleichen Anteils erheblich größer, weil die staxke Steigung am Seeufer nur die Begehung über einen kleinen, mäandernden Pfad zuläßt. Die ebenfalls in ihrer Wirkung effektvoll durch Raum- und Achsenbildung gesteigerte formale 105 Die Zeichnungen, die Hegemann 1926 zur Gegenüberstellung drucken ließ, fertigte Peets für diesen Zweck neu an. Mit „E.P. '26" gezeichnet, unterscheiden sie sich stilistisch von früheren. 106 Erinnerungen (1926) 203 f. Hegemann appelliert mit den Beispielen des eigenen und eines Hauses von Rasmussen wieder an die „gediegene Einfachheit" der Bewahrung lokaler Bauformen wider die Verkleidung mit romantischen Elementen. Diese Gegenbeispiele wirken angesichts der üppigen Anlage MacLarens jedoch eher lächerlich. 107 Um den schönen Modewunsch, dicht am See zu wohnen, in einer aufsehenerregenden Weise zu befriedigen, entschlossen wir uns zu einem damals viel ungünstige Kritik hervorrufenden Wagnis. Erinnerungen (1926) 197.

430

6.3.5

Gestaltungselemente

Anlage erhöht die Wirkung des unzugänglichen Bereichs, zwischen die als Vermittlung das Haus gestellt ist. Die Begeisterung am Gelände und genaue Kenntnis der Topographie ist erneut Voraussetzung dieser Arbeit, die Peets offenbar teilte. Von ihm wird berichtet, er sei, nachdem er eine Idee auf dem Papier skizziert habe, zu einem Erkundungsgang aufgebrochen, um die Ubereinstimmung zu prüfen 108 . Ob diese Herangehensweise gemeinsam entwickelt wurde oder zwei Ansichten aufeinandertrafen, die dies Gemeinsame stärkten, läßt sich genauso wenig entscheiden wie über den jeweiligen Anteil an Ideen und Plänen. In diesem Projekt zeigten sich die Planer den technischen Anforderungen des Landschaftsumbaus jedenfalls erfolgreich gewachsen109. Im Uberblick lassen sich nun Gemeinsamkeiten und Entwicklung der Arbeiten feststellen. Eine Erschließung sollte im Gegensatz zum Rasterplan, den Hegemann seit 1913 als monoton und unzweckmäßig denunzierte, ohne seinen demokratischen Symbolwert zu beachten, den Charakter eines Geländes bewahren. Der Respekt für gegebene Landschaft, sowohl für natürliche Phänomene wie Hügel und Baumgruppen wie für Uberreste menschlicher Eingriffe wie einen Steinbruch oder den See einer alten Erzgrube in Wyomissing, hatte dabei stets sowohl ästhetische wie ökonomische Aspekte. Er diente zur individualisierten Auszeichnung einer Anlage wie ihrer rentablen Umgestaltung. Doch damit nicht genug, war Hegemanns Ehrgeiz, diesen Geländecharakter durch Eingriffe zu betonen und Besonderheiten effektvoll zur Geltung zu bringen. Für die Gestaltung von Anlagen mit hohem Wiedererkennungswert und klaren Unterscheidungsmerkmalen nutzten die beiden Planer besonders geometrische formale Elemente wie die Staffelung von Ebenen, Achsen und Raumbildungen. Die Staffelung von Ebenen findet sich vielfach, von Terrassierung der Straßen über die Motive der gesenkten Garten- und Rasenflächen bis zur Uberquerung von Parkanlagen. Sie hat stets den ökonomischen Wert der Minderung von Erdbewegungen und den ästhetischen Wert visueller Vielfalt und angenehmer Nutzung. Die Raumbildung durch Einfassen von Außenräumen mit geschlossenen Pflanzreihen weist diesen gesonderte Bedeutung zu, erscheint in der Einfriedung von Gesamtanlagen, von Grünflächen in den Privatgärten, Einfassung von Sport- und Grünanlagen wie in den Platzgestaltungen für die Reihenhäuser, wo sie die Nutzer in ihren Bewegungen innehalten, Raum und Bedeutungen gewahr werden läßt. Das Hauptelement der planerischen Gestaltung ist aber die Achse. Sie dient nicht nur räumlicher Gliederung und forciert die Bewegung, sondern vermittelt zwischen Binnenund Außenräumen. Deshalb wird sie, wo auf kleinen Grundstücken nicht zu formen, in der Siedlung umso wichtiger und daher sorgsam gestaltet, damit wechselnde Ansichten und Ausblicke die Kleinteiligkeit des eigenen Grunds kompensieren und einen symbolischen Anschluß an die Außenwelt gewährleisten. Hegemanns Konzentration auf Sichtachsen belegt sein Konzept von Landschaftsgestaltung als visueller Erfahrung. 108

Shillaber, Champion ..., p. 58, nach den Erinnerungen eines späteren Schülers von Peets. Nach Hegemanns Schilderung machte man sich auch die besonderen Eigenschaften des schwierigen Bodens bei den Verfahren zu nutze; Erinnerungen (1926) 198. 109

431

6.3.5 Bedeutungsaußadung

Die Erfahrung der Umgebung ist für Hegemann primär eine visuelle. Für ihn gibt es genau abgegrenzte Tätigkeitsfelder im Außenraum, Sport, Gartenarbeit. Außerhalb dieser zweckmäßigen Betätigungen findet nur der pleasure walk statt. Das ist nach wie vor ein profund bildungsbürgerliches Konzept, immer noch der Empfindsamkeit und Wohltätigkeit verbunden, in dem die Naturerfahrung als Quelle der Zerstreuung und des Entzückens gilt. Es findet in einem mittelständischen bzw. frühliberalen Rahmen der Trennung von Arbeit und Freizeit statt - den er selbst nie einhielt. Es sucht durch das Bemühen, Gruppen geringerer Einkommen die Partizipation zu ermöglichen, diese auf den Ordnungsrahmen festzulegen. Es ist daher auch in den ästhetischen Mitteln konsistent zu Hegemanns sozialem Ziel der Verbreiterung und Verbreitung mittelständischen Lebens. In der Verfolgung seiner Entwicklung von theoretischen Überlegungen zur praktischen Arbeit wird sein wachsendes Interesse an künstlerischen und gestalterischen Fragen deutlich. Hegemann sammelt nicht nur praktische Kenntnisse, die er phantasievoll anwendet. Er findet auch schöpferisches Vergnügen an der Gestaltung, am Einsatz solcher Kenntnisse für vorkonzipierte Ideen, wobei auch frühere selbst gesetzte Beschränkungen außer Kraft gesetzt werden. Einem „Modewunsch" nachzugeben, zeigt nicht nur die Auffassung der Herausforderung des Experten, sondern auch die Einsicht, daß seine Ware das Effektvolle und das Spektakuläre ist. In der Überzeichnung visueller Eindrücke, der Vortäuschung von Entfernung durch Verjüngung der Straße oder aber in der Gestaltung eines unbenutzbaren Gartentheaters, dessen Bühne ein banales Schwimmbecken ist, zeigt sich die Anordnung der Landschaft als Pose. Sie posiert zum größtmöglichen Eindruck des Betrachters. Nach Hegemann soll aber die Pose außerdem noch entziffert werden. So wie die optische Vortäuschung großer Entfernung an die italienische Gartenkunst der Renaissance anschließt, die statt dem Fürsten nun allen zu Füßen liegt, soll sie einen demokratischen Impetus erhalten. Dabei erwartet er von seiner Umgebung die Erschließung der Posen als ein weiteres Mittel der Effekthöhung. Wenn aber das Gartentheater-Schwimmbecken über die Anfänge der griechischen Tragödie aufklären soll110, läßt Hegemann sich nicht nur von seiner Eigeninterpretation bis zur Lächerlichkeit forttragen. Er beweist, wie unkritisch ihm die Belastung einer ästhetischen Form mit kulturellen Bedeutungsgehalten aus der Feder fließt. Vice versa verheißt das, daß Hegemann alle Form, die nicht zitiert, als bedeutungslos ablehnt.

110

The garden theatre ..., surrounded by wild tree hedges and the rough grapevine arbors, so commonly found near farmhouses, is to have nothing of the marble whiteness sometimes seen in modern open air theatres, but is to mirror the rough classic simplicity of the sturdy peasants who first planted grapevines, and whose rustic songs became the origin of modern theatrical art. Few people today realize that the Greek word, "comedy," means "farmers song," and the Greek word, "tragedy," means "goat song," [sic] and that these "tragical goat-songs" originally celebrated the slaughtering of the goat as the enemy of the grapevine. WP 47.

432

6.4

Sammlung

6.4 „American Vitruvius" Der Plan, ein gemeinsames Buch über Stadtbaukunst zu verfassen, war aus vielen Absichten gewachsen 1 . Es diente der Weiterbildung und Qualifikation, war Ausdruck zahlreicher während der Praxis gehegter Ideen, Beschäftigung in Zeiten ohne Aufträge und gezielte Kundgebung abweichender Meinung. Hegemann und Peets kamen im Frühjahr 1920 ausdrücklich über dieses Vorhaben überein 2 . Die Nachkriegsrezession warf zahlreiche Architekten infolge ausbleibender Aufträge auf Selbststudien und Fortbildung zurück 3 . Mit dem Auslaufen der Großaufträge und zurückhaltender privater Investition dürfte dies auch die Firma Hegemann & Peets getroffen haben. Peets brach im April 1920 zu seiner mehrfach verschobenen - anfangs des Krieges wegen, dann um der Arbeit mit Hegemann willen - Europareise auf. Ihre Erträge sollten bereits in die Materialsammlung eingehen. Sie wurde durch ein Stipendium der Harvard School of Landscape Architecture ermöglicht und war mit der Auflage verbunden, danach eine Studienarbeit vorzulegen. Peets mußte daher seine Reiseroute mit seinem Mentor, dem Fakultätspräsidenten James Sturgis Pray abstimmen. Es kam zu Mißstimmungen zwischen beiden, da Peets - wohl im Blick auf das Buch - die Stellung von Monumentalbauten im Stadtplan zum Thema bestimmt und danach seine Route gewählt hatte. Es gelang ihm, Prays Vorbehalte gegen den Besuch von Wien, Berlin und anderer Großstädte zu überwinden. Seine Reise führte ihn schließlich von Cherbourg nach Paris, über die Riviera nach Rom, anschließend nach Österreich, Deutschland, England und in weitere Länder. Zahlreiche Skizzen und Zeichnungen in dem Buch geben seine Studien wieder 4 . Erst nach seiner Rückkehr im Februar 1921 kam es über die Studienarbeit zum endgültigen Bruch mit Pray. Peets' Aversionen gegen die Dogmen seiner Ausbildungsstätte - Mother School adjacent to the Mecca of the art (and of the cod industry) with numerous offspring at the State Universities5 - bilden einen Hintergrund für die ästhetische Option des Buches. Auch Hegemann reiste, um in den großen Universitätsbibliotheken die Materialsammlung zu vervollständigen. Er begann in New York, in der Avery Library der Columbia University, setzte die Sammlung in Milwaukee und weiter in der John Crerar Library in Chicago fort. Und er reiste weiterhin, um das Land kennenzulernen, nun vor allem in den Landmassen des amerikanischen Westens 6 . Dabei lernte er auch seine zweite Frau kennen. Ida Belle Guthe (Bild 111), Tochter des aus Deutschland eingewanderten 1 W P 48 erklärten die Autoren, by intimately blending the resources of the town planner, landscape architect and architect die Anlage zur höchsten Entfaltung zu bringen. Schon zwei Jahre vor Erscheinen des AV zeigt sich daran der Wunsch nach künstlerischer Kontrolle zu einem Gesamtkunstwerk wie die Unzufriedenheit mit der Segmentierung der Tätigkeiten. 2 Vgl. zu folgendem besonders Collins, Cartographers ..., p. XV-XVII. Siehe auch Collins, Lehrund Wanderjahre ..., S. 115 f.; in Collins, Discipline ... fehlt der AV. 3 William Pitkin Jr., Profit from a Profitless Year. In: Architect 45 (1922), p. 133 f. 4 Siehe u. a. AV fig. 302, 354A, 359, 388, 416, 670, 1043; auch in AA Abb. 33, 105, 539-545, 549. 5 Elbert Peets, The Landscape Priesthood. In: American Mercury 10 (1927), p. 94-100, p. 94; der cod (Kabeljau) ein Seitenhieb auf die Boston brahmins und ihren Reichtum, der Harvard sponsorte. 6 Siehe EG 251-255 und 243 ff.

433

6.4.1 Intentionen Physikprofessors Karl Eugen Guthe und seiner Frau Clara Belle Ware, wurde 1896 in Ann Arbor geboren. Nach ihrem Studium an der University of Michigan und am Radcliffe College unterrichtete sie ein Jahr in einer Reservation der Flathead-Indianer im großen, aber noch fast menschenleeren Staate Montana. Um sie während meiner Ferien zu besuchen, fuhr ich von Chikago mit dem Schnellzuge vier Tage und drei Nächte, berichtete Hegemann. Sie heirateten am 26. Juni 1920 und bezogen eine gemeinsame Wohnung in der Knapp Street in Milwaukee. 6.4.1 „Civic A r t " Das Buchprojekt der Partner bedeutete vor allem eine Kompensation für die zunehmende Angewiesenheit auf kleine Projekte. Die großen Ideen und umfassenden Vorstellungen - not the window-box type of civic center and that sort of thing, wie Peets später befand7 - entstanden aus Anschauung und entwickelten sich in Gesprächen. Sie strukturierten die Sammlung, begrenzten sie nahezu ausschließlich auf die monumentale Baukunst und äußerten sich in „rein akademischen Studien"8, Gedankenspiele mit versagten Möglichkeiten (Bild 92). Sie waren Produkte überschüssiger Energie wie Träume von unbegrenzter Gestaltungsmacht und Eingriffsrechten des Künstlers. When Werner Hegemann and I were building our book on civic art we talked often of the future of civic art ... city and art of the same meat, the intended beauty of cities as places of commerce and life and government, beauty built into streets and open squares that are the daily gathering and passing places of man, schrieb Peets 19369. Dies, so Peets, geschah bereits im Bewußtsein, daß Auto und Straßenverkehr diese ästhetischen Chancen schon unwiederruflich zerstört hatten - das Buch wird zur Quixotterie. Diese Wahrnehmung von Stadt ist geradezu das Gegenteil von Hegemanns vormaligem Strukturkonzept. Die Autoren sehen nur noch die repräsentative und schöne Innenstadt, aus der alle Funktions- und (Re-) Produktionsbereiche ausgeschlossen sind und wollen sie zu einem Kunstobjekt menschlicher Selbst vergewisserung und Kulturfeier umbauen. Dabei blenden sie schlicht alle juristischen, sozialen, ökonomischen und technischen Veränderungen der Stadtgestalt aus. Hegemann beansprucht nun, sie gegen the young profession of city planning ... drifting too strongly in the directions of engineering and applied sociology behaupten zu müssen10. Sie setzen nun dieses Zentrum mit einer zeitlosen, ewig gleichen Stadtkörperschaft nach Vorbild der oberitalienischen Stadtstaaten gleich. Diese Retrospektive macht den resignativen Charakter des Projekts vielleicht am eindrucksvollsten sichtbar. Doch der Windmühlen gab es noch mehr. Peets und ich sahen in unserer Zusammenarbeit etwas wie Abwehr gegen die namenlos rückständige Haltung der Harvard School of 7

414.

Elbert Peets, Washington, Williamsburg, the Century of Progress and Greendale. CPH 383-416,

8 So Hegemanns Bezeichnung in AA Abb. 81: Madison. Studien für die Ausgestaltung des Kapitolplatzes, ein Produkt der Lake Forest-Arbeiten. Von Collins, Cartographers ..., p. XVI als Auftragsarbeit angesehen. 9 Peets, Washington ..., p. 414. 1 0 AV 4.

434

6.4.1

Kompensation

Landscape Architecture, aus der sich heute die Mehrzahl der amerikanischen städtebaulichen Arbeiten beeinflussen lassen.11 Diese Abneigung galt dem priesterlichen Festhalten an informeller Gestaltung und dem Vorbild des englischen Landschaftsgartens - so Peets 1927. Über die Institution hinaus richtete sie sich gegen die personelle Dominanz der Absolventen und der Kontinuität ihrer Schulenbildung 12 . Darin zeichnet sich Peets Verstimmung über Pray ab, aber auch der Eindruck der Autoren, als Außenstehende von Aufträgen ausgeschlossen zu bleiben. Als doppelte Kompensation ist das Werk ganz offensichtlich Produkt beider Autoren. Wiewohl Hegemann behauptet, the junior author is not to be held accountable for every detail of the opinions, dürfte für Ansichten, Bilderklärungen und Text dasselbe gelten: Many ... were, in conception, the product of collaboration13. Diese Aufteilung sollte Peets schützen, der, wenn Hegemann seine Rückkehr schon beschlossen hatte, weiter darauf angewiesen war, mit seinen Kollegen auszukommen. Mit ihrer Tantiemenvereinbarung 14 vom 20. Oktober 1921 schlossen die Autoren wohl ihre Arbeit an dem Buch ab, das 1922 erschien. Die gemeinsame Firma wurde aufgelöst und Peets eröffnete zunächst ein eigenes Büro in Cleveland, während die Hegemanns nach Europa aufbrachen. Damit handelte es sich gerade entgegen der von den Autoren behaupteten universell gültigen ästhetischen Optionen auch bei diesem Werk um ein Manifest mit aktuellen Absichten. Es gibt als ein Vorläufer der Hegemannschen Manier einer vermeintlich absoluten Uberzeugung Ausdruck, um ein tages- und berufspolitischer Beitrag zu werden. In der praktischen Arbeit Hegemanns zeigte sich seine Wendung zu ästhetischen Fragen. Diese Wendung schließt sich in diesem Werk zur alleinigen Wahrnehmung - Stadtbaukunst statt Stadtplanung 15 . Ihm trägt der Rückentitel Rechnung: „Civic Art". Das großformatige, repräsentative und teure Buch umfaßt insgesamt über 1200 Bilder, deren Erläuterungen den Haupttext bei weitem aufwiegen. Oechslin hat den nüchternen und faktenreichen Sprachtypus hervorgehoben, der sich von folgenden deutschen Amerikapublikationen so deutlich unterscheiden wird 16 . Und Cohen hat bereits daraufhingewiesen, daß die Montage diverser Bilder zu einem Thema sich den Techniken der Ausstellungspräsentation verdanke, die eine vergleichende kritische Analyse erlaube. 11 Hegemann an Stern, 4. Oktober 1925, Stern Papers. Adams/Hodge, City Planning Instruction ..., p. 50, beurteilen das 1923 für den M.A. festgeschriebene Curriculum: hardly more than the formalization of a pattern of training that had been carried on in the Landscape Architecture School for almost 15 years. 12 Peets, Landscape Priesthood ..., p. 94 ff. 13 AV „Foreword". „Landscape Architecture" fühlte sich in seiner Rezension auch bemüßigt, Peets von der Kritik auszunehmen. 14 Collins, Cartographers ..., p. XV; Inhalt nicht mitgeteilt. - Ein Exemplar kostete $40, eine für die Zeit der Krise ungeheure Summe; Raymond Unwin, An Architect's Handbook of Civic Art. In: JRIBA 30 (1922/23), p. 416 f. 15 Daß die Tour Hegemanns bereits diesen Keim legte - so Collins, Presenza ..., p. 111 scheint ausgeschlossen, da er 1913 noch mit Strukturen in Absicht eines wissenschaftlichen Programms befaßt war. Diese Wendung erforderte die Erfahrungen der Reisen, der Praxis, der 'lieblichen' Landschaftsplanung und der reduzierten rechtlichen Baumassenverordnung. 16 Oechslin, Amerika ..., S. 230, 222 f., 232.

435

6.4.1 Sehen Daß diese Präsentation, wie ebenfalls angemerkt17, bereits im Kontrast zu der modernen von autonomen Bildtafeln stehe, zeichnet bildlich wie sprachlich den programmatischen Widerspruch Hegemanns vor. Wie nach der eigenen Arbeitsweise zu schließen, waren diese Vorlagen für „den eiligen Leser" eine Arbeitsgrundlage für den Architekten, der nützliche Vorläufer suchte - mithin nicht zuletzt Hegemann selbst. Der Thesaurus war auch das Arbeitshandbuch, das ihm selbst immer gefehlt hatte 18 . In sieben Kapiteln besprechen seine Autoren moderne Stadtbaukunst, europäische Plätze, amerikanische Gebäudegruppen, Straßendesign, Gartenkunst und Stadtpläne. Das letzte Kapitel über Washington verfaßte Peets als Teil einer Studie über die amerikanische Hauptstadt, die er als Zusammenfassung und Beispiel der gesuchten Planungsarbeit ansah. Hegemann eröffnete das Buch mit einer Zusammenfassung des noch nicht ins Englische übersetzten Werks von Camillo Sitte. Er benutzte Sitte, um gewollte malerische Gestaltung und Romantizismen abzulehnen und die Imitation mittelalterlicher Anlagen von Seiten dessen Nachfolger ebenso zu disqualifizieren wie die Interpretation des Informellen als Ausdruck von Demokratie19. Hegemann hielt nun formale, regelmäßige Architektur hoch und forderte vor allem die Bildung räumlicher Bezüge. In looking at a building one wants more than a feeling of distance; one wants to have the feeling of being related to the building, which means that there must be links and lines of connection, other than the floor, between the building and oneself. These connections must be created by side walls. One practically wants to find oneself in a beautiful room, one of whose walls - they may be buildings, colonnades, tree-rows or hedges - make the connection with the monument. Without this intimate connection the feeling of scale and proportion is interfered with ...20.

Eine gänzlich andere Wahrnehmung ist damit angezeigt. Bauen und Bauwerke sind nicht mehr Erfüllung spezifischer Bedürfnisse, nicht mehr Resultate definierter wirtschaftlicher und politischer Konstellationen. Hegemanns einziges Kriterium ist das Sehen21. Die visuelle Erfahrung ist das Bedürfnis, dem die Baukunst Genüge tun muß. Nach allen praktischen, sozialen, wirtschaftlichen Ansätzen fällt Hegemann in die Rolle eines Passanten, der die Stadt zum individuellen ästhetischen Entzücken delektiert. Dafür bezieht er Vorbilder und Beispiele vor allem aus dem Fundus von Renaissance bis Klassizismus. In dieser Retrospektive ensteht eine innovative Leistung durch die respektlose, das bedeutet zeit- und raumlose Kombination von Ansichten und Beispielen ähn17

Cohen, Scenes ..., p. 60. Cohen, Scenes ..., fn. 169, merkt an, daß diese Begründung AA 9 1928 von Giedion fast wörtlich wiederholt wurde. 19 M.E. überschätzt Collins den Einfluß Sittes für Hegemann, der Rückendeckung bietet, dabei durchaus der Intrumentalisierung dient. So wieder Collins, Presenza ..., p. 110 f. Adshead stellt in seiner Rezension durchaus ungläubig und als unglaubwürdig eine neue Sicht auf Sitte fest, dem nun eine Vorliebe für Renaissance statt Mittelalter untergeschoben werde; er erkennt so genauestens Hegemanns Instrumentalisierung. S.D. Adshead in: Journal of the Royal Town Planning Institute 6 (1922/23), p. 15. 20 AV 27. 21 Im Text erscheint mehrfach ein moving observer oder onlooker, vgl. bes. AV 42 ff., 154 ff. 18

436

6.4.1

Konnotationen

lieh gelagerter Raumkonstellationen, eine intellektuelle Modellbildung 22 . Mit ebenfalls als zeitlos gültig aufgefaßten theoretischen Äußerungen berühmter Architekten ergeben diese Kombinationen einen anregenden Uberblick zu den Möglichkeiten künstlerischer Lösung und Raumbildung, einen universellen Fundus. Er macht den eigentlichen Wert des Buches als eines Thesaurus' aus. Denn Hegemann gibt nicht historische Erläuterungen im Sinne einer Geschichte von Gestaltungsideen, sondern Erklärungen zu einzelnen Anlagen. Damit begründet er die grundlegende Auffassung von der allgegenwärtigen Gültigkeit klassischer Interpretationen. Ihr Mittelpunkt ist die Forderung nach Raumbildung. Hegemann fordert den Platz als „Raum mit Fenstern", die Straße als beautifully framed area with effective perspectives23. Die geforderte Raumbildung gilt der gesamten Lage, den Dimensionen und Proportionen, der Herstellung von Sichtbezügen. Sie gilt den Grundkonstituenten visueller Erfahrung: views and vistas, Ansichten und Aussichten (Bild 95). Oechslin hat als Grundlage dieses Ansatzes die französische embellisement-Theorie hervorgehoben, die Baumassenästhetik des 18. Jahrhunderts, die Hegemann mit Blondel und Patte vorstellte 24 . Doch unterstellt dies einen Theoretiker, während hier über die Blicke in der Stadt vielmehr der alte Nutzer der Stadt, der Flaneur sprach, der ebenso wie von Sitte auch von französischen Theoretikern Gebrauch machen konnte, um die aussterbende Form zu beklagen 25 . Diese Reduktion komplexen Baugeschehens hat erhebliche Folgen. Ansichten und Aussichten als maßgebende Faktoren sind nach Hegemann mit vereinheitlichenden und gleichen Gestaltungsmitteln zu optimieren. Dazu nennt er die Einkleidung von Straßenund Platzwänden, um „irreguläre individuelle Entwicklungen" zu verbergen, etwa durch Kolonnaden, oder eine formale, symmetrische Wandentwicklung, deren Harmonie aus Wiederholung entsteht 26 . Aussichten bedeuten Hegemann stets zentralistische Blickach-

22 Collins' griffige Prägung vom „Imaginären Atlas" bringt das Kunstkontinuum gut zum Ausdruck, verdrängt aber den normativen Aspekt. Der aber wird für die suggerierte Punktion im Zusammenprall mit der Moderne der Berliner Jahre beansprucht, vgl. noch Collins, German Critic ..., p. 5. 23 AV 42. Vgl. dazu in Kap. II und IV die Referate grundsätzlicher theoretischer Äußerungen, von Vitruv über Wren, Palladio, Garnier bis Ruskin und anderen. Dazu macht Hegemann wiederholt und ausgiebig Gebrauch von der Untersuchung Heinrich Maertens' über den „Optischen Maßstab", der wissenschaftliche Eindeutigkeit vorstellt. Siehe auch Albert Erich Brinckmann, Der optische Maßstab für Monumentalbauten im Städtebau. In: W M B 1 (1914), S. 57-62; auch als Sonderdruck - Hegemann zugeschickt? 24 Oechslin, Amerika ..., S. 238; AV 77-83. 25 Der Abschnitt 'Französische Plätze' ist durchsetzt von der Obsession des Sehens. Peets' Vogelperspektiven illustrieren und deklamieren: „Views And Vistas!" wie die pädagogischen Absichten der Autoren, denen Baumassenästhetik Anreicherung bedeutete, aber nicht Ursache war: And too frequently it is from these modern mutilated remnants of the old open places that American students of city planning take their inspiration. AV 76, vgl. AV 67 zu Patte; und unten zum unzureichend gebildeten Architekten. 26 Vgl. dazu besonders die gestreuten Wohnhausbeispiele des Kapitels über Straßen sowie die Bevorzugung französischer kolonnadenreicher Platzanlagen. 27 Demzufolge lehnt er asymmetrische Bauten im Mittelpunkt vehement ab und fordert eine sorgfälti-

437

6.4.1

Kolonisierung

Damit geht die Verweigerung jedweder ideologischer Festlegung von Bauformen einher. Zwischen dem Stolz des Britischen Vitruv auf den civic service eines neuen Schlosses und dem boosterism amerikanischer Städte sieht Hegemann wenig Unterschiede. Er empfiehlt die Konkurrenz europäischer Herrscher um ihre Städte als Vorbild und beurteilt die amerikanischen Weltausstellungsbauten nur vermeintlich kritisch als realization of dreams born in Europe28. Die formale Anlage als Kopie herrschaftlicher Bautätigkeit ist und bleibt für Hegemann das Vorbild der Stadtgestaltung, Signum des Siegs über Natur und Zufall. Beispiele zeigen diese Urteile am schärfsten. Hegemann würdigt den Central Park von Olmsted Sr. als Umformung einer schwierigen Topographie mit einem wonderful amount of loving genius. Er verurteilt jedoch den Verzicht auf jeden Bezug zur Umgebung, den formale Architektur wirkungssteigernd hätte herstellen müssen, ein Echo des Lichtwarkschen Protests gegen die kleine romantische Landschaft in der Stadt und Erklärung, warum die eigenen Projekte 1923 plötzlich ganz von der formalen Seite her inszeniert wurden 29 . Für seine ästhetische Option ignoriert Hegemann die zeitgenössische Bedeutung des Parks als Kontrast zum Rasterplan, gegen den sie ein allgemein zugängliches Stück Landschaft bewahren sollte. Für ihn ist die Romantik nur Ausdruck falsch verstandender Demokratisierung durch Informalität, die das formal schlechte Design des Rasters nicht durch besseres ersetzt, sondern fallen läßt 30 . Ebenso ignoriert Hegemann andernorts Konnotationen von ihm empfohlener Formen. Wenn er den Universitätscampus Virginias und Thomas Jeffersons Landsitz Monticello als vorbildliche Typen sowohl einzelner Baugestaltung wie der Gebäudegruppierung herausstellt 31 , meint er eine doppelte Lesart. Sie knüpfen mit ihrem Klassizismus an die antiken Vorbilder der amerikanischen Demokratie an. Die Wiederaufnahme soll einen bewußten Anschluß an eine ureigene Tradition bedeuten, auch für das 20. Jahrhundert vorbildlich. Hegemann verdrängt aus seiner europäischen Perspektive deren gleichzeitige Symbolik von Kolonialmacht und Sklavenhaltergesellschaft. Ebenso verfährt er mit dem Beaux-Arts-Stil der Weltausstellung von Chicago und ihren Nachfolgern. Die effektvolle Anlage der Bauten wie die seitdem erreichte Stilbildung sind eine Leistung, die hoffen läßt - doch gleichzeitig schreibt er eben diesen Beaux-Arts-Stil (Bild 93) als gültigen ge Straßenführung; als Beispiel AV 62 ff., flg. 1044 zum Capitol von Madison. Frühere Begeisterung für Sternplätze S 268, Abb. 100 und 124 d. 28 AV 3, 63, 106. 29 Vgl. AV 213, 217, 223. - Vgl. dazu noch schärfer Elbert Peets, Central Park. In: American Mercury 4 (1925), p. 339-341, p. 341: The park denies the city: it also denies to man the fundamental satisfactions of architecture and gardening - the clear perception of space and mass. 30 AV 206 f.; ähnlich der vehemente Protest gegen Verbauung von Sichtachsen in Washington AV 227, 289. Hier schleicht sich bereits eine für Hegemann typische Ironie ein, wenn er nach der Erfahrung, daß viele formale Gartenanlagen in früherer Zeit Repton-ized wurden, ein formales redesign des Parks voraussagt. 31 AV 112 f., 213; Monticello hier nur AV 204; wesentlich erweitert in AA 407. Campus AV 110 ff. Hegemann verzeiht um der Gesamtanlage willen auch gotische Details und nach der behaupteten Unabhängigkeit einer äußeren Gestaltung von Nutzung des Gebäudes kann ein Landsitz mit Ehrenhof auch ein Schwesternwohnheim sein.

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6.4.1 Redesign

fest 32 . Auch hier ignoriert Hegemann interne Symbolik, mit der dieser Formenkanon als Kolonisation des Landes durch die Ostküste empfunden wurde. Er aber empfahl gerade Kolonisierung durch europäische Ästhetik unabhängig von Nutzung, Symbolik und ökonomischen Hintergründen 33 . Diese Überformung gilt vor allem den neuen Bauaufgaben. Weltausstellungen, Universitätscampus, Civic Centers, moderne Baulanderschließung und das Hochhaus (Bild 94) bewertet Hegemann als neue Bauaufgaben, die die Vereinigten Staaten der Architekturentwicklung und Designgeschichte neu zugefügt haben 34 . Diese neuen Aufgaben aber will er jedoch - durchaus wider frühere Prinzipien - in europäischer Form vermessen sehen und fordert eine Kanonisierung in diesen Elementen, eine Modell- und Typenbildung nach europäischen Bildern, für Calabi ein Impetus, der den Typus in die städtebauliche Debatte eingeführt hat 35 . Dann zeigt Hegemann sich - wider jede Logik - enttäuscht, daß aus den Anregungen von Civic Center und Campus nicht mehr Impulse für amerikanische Regionalstile (Bild 99) erwuchsen, und besonders, daß das Hochhaus als Zentralbau und Zentrum nicht akzeptiert werde. Dieser Protest richtet sich aber nicht gegen eine Schulenbildung allein. Gerade die Entwürfe für zentrale Platzanlagen und öffentliche Gebäude 36 und die Hoffnungen auf ein Unified Design offenbaren eine Opposition der Autoren gegen zeitgenössische Strömungen. Sie opponieren zum einen gegen das Ersticken der Planungsbewegung an Bauzonenplänen, gegen die Zweiteilung der Planung und der Stadt zwischen Gärtnern und Juristen. Zugleich zieht diese Opposition eine Konsequenz aus der praktischen Arbeit. Der Zerfall der Stadt in äußere Wohngebiete und inneren Geschäftsbereich scheint fest geschrieben. Versorgt die Wohnanlage mit Naturerfahrung, dient die Innenstadt der Kulturerfahrung. Diese Erwartung folgt Hegemanns Dualismus von Öffentlich-Privat aus den altliberalen Bildern. Er erfordert nun eine Kohärenz der Stadt zu konstruieren, die als öffentlicher Raum mit Wänden durch Systematisierung und Enthistorisierung ausgebildet werden soll. Dabei offenbart sich nun das Redesign der Stadt als Konstruktion dieser Kohärenz 32 Als vorbildlich gilt hier das Municipal Building, New York von McKim, Mead and White, das nicht nur als Frontispiz, AV 146 f. sowie mehrfach im Text erschien, sondern dann auch in der "Amerikanischen Architektur" besonders hervorgehoben wurde. 33 Vgl. etwa AV fig. 879, als „Neues Versailles" ein Apartmenthotel in New York. 34 Diese strukturelle Einsicht - in gewissem Kontrast zur folgenden ästhetischen Option - ist m.E. die Ursache dafür, daß Hegemann später als Ausnahmeerscheinung in Deutschland gründlich und offenbar angemessen über amerikanische Bauentwicklung unterrichtet ist; vgl. Oechslin, Amerika .... S. 221-229, 223. 35 Siehe dazu Calabi, Presentazione ..., p. II, genauer Calabi, Ambiguitä ..., p. 55, wonach Leitfaden und Prinzipien aus OB als „Durchprobieren bereits vorhandener Entwürfe in systematischer Gruppierung" noch erkennbar werden; die damit geprobte Ordnung formaler Codices ergibt dabei eine komplexere Ordnung als die der Modernisten. 36 Siehe dazu besonders AV 148 f., sechs Entwürfe der Autoren für Plätze innerhalb des Rasterplans als adaptation of various Renaissance motives to modern conditions. Vgl. auch Oechslin, Amerika .... S. 238, 250, daß Hegemann das „renaissancistische" nicht gestört habe: im Gegenteil ist es konstitutiv. Siehe diese Entwürfe AA 58 f., mit denen Hegemann sich selbst der herrschenden klassischen Schule zuordnet, die auf Stadtplanung ausgedehnt werden soll.

439

6.4.1 Zirkel

gerade mit Mitteln, die auch für die flüchtige Passage im Automobil tauglich sind (Bild 98). Das Zusammenziehen der Wände und Führen des Nutzers mittels Achsen und Zentralbauten auf die Zeichen der Zivilisation und des Stadtstolzes sollen die Stadt als öffentlichen und Zivilisationsraum im Zeichen ihres fortschreitenden Zerfalls noch einmal aufleben lassen37. Diese Opposition weiß aber nun einzig und allein die Verantwortung dafür dem einzelnen Bauherren und Architekten aufzutragen 38 . Sie folgt einem verherrlichten Renaissancemodell der idealen Symbiose zwischen Bauherren und Architekten-Künstler 39 . Sie trägt der Neuen Welt über ihre technischen Chancen und ökonomischen Potentiale die Vollendung der europäischen Vorbilder auf. Dieser Zug wird sich bei Hegemann als Hoffnung auf Kulturleistung in der „Amerikanischen Architektur" noch provokant verstärken. Für diese Kunstwelt weist Hegemann jeden Zusammenhang zwischen äußerer Gestaltung eines Baus und seiner Nutzung zurück. Außere Erkennbarkeit von Struktur und Nutzen lehnt er schlichtweg ab. Die Kunstform wird allein von den äußeren, den optischen Bezügen bestimmt und der Funktion des Gebäudes in deren Gefüge und Symbolik. The justification of this grouping simply lies in the fact that it is more beautiful.40 Die Definition für Schönheit läßt sich erst aus der Titulierung abgelehnter Architektur erschließen: demoralized; undisziplined architecture. Schönheit bedeutet deshalb regelmäßige, symmetrische Form unter größtmöglicher Anlehnung an traditionelle Vorbilder (Bild 96). Das begründen die Autoren mit der Zuschreibung menschlicher Konstanten: the universal human desire for clarity, rhythm, and poise; the universal human desire to see order in the world41. Damit gelingt die Entkleidung eines Formenkanons von seinen sekundären Bedeutungen. Wenn regelmäßige bekannte Formen einem Urbedürfnis entsprechen, kann ihre Anwendung nicht nur in jeder Organisationsform, sondern muß erfolgen, weil allein sie den Grundbedürfnissen angemessen entspricht. Damit etablieren die Autoren einen Zirkelschluß: Die Grundbedürfnisse haben einen elaborierten klassischen Kanon als Kulturwert hervorgebracht; angewandte abweichende Formen oder behauptete abweichende Grundbedürfnisse können nur aus kulturellen Defiziten erwachsen. So wird Schönheit in der Kunstwelt Stadt Kulturwert an sich, nur 37 Siehe dazu auch die Vervielfältigung von Verkehrsebenen der Autorenentwürfe; bes. AV fig. 624 f.; Oechslin, Amerika ..., S. 238. - Calabi, Ambiguitä ..., p. 57, erkennt im AV die Gewißheit einer fortschreitenden Zerstörung der Stadt als ästhetischer Einheit durch das Auto: die Kompilation stehe damit für partielle und subjektive Kontrolle; Emblem der Krise des ästhetischen Ideals. 38 Siehe dazu besonders die pathetische Einführung; AV 1-6. 39 Nach Burckhardts „Geschichte der Renaissance in Italien", die er ins Literaturverzeichnis aufnahm, muß Hegemann in den oberitalienischen Stadtstaaten ein angemessenes historisches Vorbild für die innerstädtische Kunstwelt gesehen haben. 40 AV 136. 41 AV 286-288; beide von Peets, der auch noch schärfer formulierte: The idea that an open area is a virtue and a thing of beauty in itself, merely because it is so many square feet of space capable of growing grass or shrubs, that is an idea which one can sympathetically observe in a horse or a caterpillar, but it is entirely unworthy of us human beings, to whom has been given that ultimate sense which is sensitive to form, to art. Auch die Wahrnehmung von Raum und Masse hatte Peets, Central Park ..., p. 341, zur anthropologischen Konstante erklärt und damit auch eine Baumassenästhetik vereinnahmt.

440

6.4.1 Option

in dieser klassischen Form möglich. Ihre Bindung an Ordnung und Disziplin macht sie zum formativen Element des Alltagslebens. In dieser Form richtet sich das Werk an die Architekten, denen die Autoren unterstellen, ungenügend historisch gebildet zu sein und einem Individualismus zu frönen 42 . Aber nicht eine Geschichte oder Theorie der Stadtbaukunst wird dem entgegengestellt, sondern ein Fundus gleichgewichtiger und gleichzeitiger Beispiele43, eine Fundgrube für Imitationen. Ihre Hauptaufgabe ist es, den Architekten als Künstler zu rehabilitieren und ihm Verantwortung für eine ästhetische Gestaltung der physikalischen Umgebung zuzuteilen. Dazu werden ihm Prinzipien rational konstruierbarer Schönheit an die Hand gegeben. Ein von den Autoren selbst entworfenes Beispiel zeigt die angestrebten rekonziliatorischen Effekte. Sie stehen ganz im Banne der europäisch geprägten Ordnungsvorstellungen, die eine Stadt als Collage, sichtbares Dokument ihrer Wachstumsphasen und deren Dynamik nicht ertragen kann. Die Umgestaltung eines Straßenblocks in Milwaukee beschränkt sich lediglich auf eine neue Einkleidung der Einzelgebäude: ein Band von Kolonnaden und Giebeln bildet zur Ansichtsseite eine repräsentative Fassade aus (Bild 92). Die auf visuelle Wirkung abgestellte Gestaltung wird dort, wo es effektvoll ist, mit Nutzungsvorteilen in Einklang gebracht, ohne die Profithierarchie zu tangieren 44 . Die ökonomischen Grundlagen der Stadtproduktion werden nicht mehr berührt, sondern effektvoll gestaltet. Der ästhetische Appell offenbart hier seine ganze Hilflosigkeit. Er bietet nur kosmetische Operationen an, und offenbart, mehr noch, seinen resignativen Charakter, der planerische Intervention kompensieren muß. Es handelt sich um eine ästhetische Wahl. Sie opponiert gegen den Niedergang des Planungsimpetus, den Hegemann mit einer rationalen Konstruktion von Schönheit überwinden will. Sie soll demokratische wie moralische Werte verkörpern, ist aber in Festschreibung des Formenkanons wie seinen Mitteln der Implementierung hoffnungslos anachronistisch. Die versuchte Entkleidung der Formen von ihren ideologischen und politischen Konnotationen folgt nicht nur einem gänzlich europäischen Blickwinkel45, sondern entspricht dem bildungsbürgerlichen Anspruch auf universelles Deutungsmonopol. Es wird nun mittels künstlerischer Zitate verbreitet und hat sich des vormaligen Anspruchs auf praktische Weltverbesserung vorläufig begeben 46 . Die ästhetische Option 42 Siehe z.B. AV 1, 6, 67, 199, 228. Peets ergänzt das um die Herablassung eines den aktiven Laien auferlegten conscious cultural training; AV 286. 43 Oechslin, Amerika..., S. 240, sieht als Kehrseite, Antagonisten gleichsam als gültige Alternativen zu zeigen, die er aber erst für 1938 geltend macht (Luckhardt/Troost). Doch ist sie hier schon konstitutiv, aber noch nicht sichtbar (vgl. etwa „Reihenhausfassaden" von 1929). Die gültigen Formen werden aus Grundbedürfnissen bezogen, für die Differenzierungen möglich sind: Verkehrsplätze, historische Plätze u.a.m. 44 AV 185. Dies auch der übersehene Kern des van Eesteren-Votums: Staffelung als künstlerisch und wirtschaftlich erfolgreiches Instrument; vgl. Oechslin, Amerika ..., S. 237 f. 45 An dieser Stelle sei an E.E. Wood erinnert, die das Anathema Wohnungspolitik auch auf dessen unlösliche Assoziation mit den effete monarchies ο} Europe zurückführte; Rodgers, Atlantic Crossings ..., p. 198 - um wieviel mehr dann europäische Herrschaftsarchitektur? 46 Siehe dazu auch Roy Lubove, Social History and the History of Landscape Architecture. In:

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6.4.2 Galerie

ist - für Hegemann - ein erster Reflex des Verlustes der ästhetischen Kompetenz des Bildungsbürgertums als Teil seiner kulturellen Generalkompetenz seit der Jahrhundertwende, Vorgänger der finanziellen Enteignung der 20er Jahre 47 , durch Beschleunigungen im ersten Drittel des Jahrhunderts - des Weltkriegs, des Weltwirtschaftsgeschehens, der avantgardistischen Kultur. Entgegen dieser Verengung und Regression ist aber der Versuch zu beachten, innerhalb einer 'Technisierung' von Planung die Bedeutung einzelner Projekte zu heben und dafür rationale Prinzipien von Schönheit anheim zu stellen48. Mit diesen Versuchen soll eine verlorene Bewegungsfreiheit zurückerobert werden, die als künstlerische Autonomie gemeint ist. 6.4.2 Rezeption Die britischen Rezensionen begrüßten den „American Viruvius" als vorzügliche Sammlung. Darin folgte ihnen auch das australische Royal Victorian Institute of Architects49. Die Kritiker lobten Menge, Vielseitigkeit und Qualität der Beispiele und Bebilderung, wenn sie auch an der fehlenden Systematik Kritik übten. Adshead dehnte diese Kritik auch auf den Text aus, während andere lediglich die Uberschätzung amerikanischer Möglichkeiten bemängelten. Nur Unwin geht ausführlicher auf den Text ein, als dessen Autor er eindeutig Hegemann anspricht. Er sieht Hegemann als Vertreter Sittes; als dessen Verdienst, eine künstlerische Gestaltung der Dreidimensionalität eingefordert zu haben 50 . Unwin diagnostiziert Hegemanns wachsende Unterwerfung unter den Klassizismus, die den Arbeiten Brinckmanns folge, als Resultat deutscher Gründlichkeit und des felsenfesten Glaubens an eine einmal akzeptierte Theorie. Deutlicher, ohne vom Tenor abzuweichen, fällt Adsheads Kritik aus. Er vergleicht das Werk mit einer Porträtgalerie, der es an der Erläuterung historischer, soziologischer und politischer Entstehungsbedingungen fehle. In den Vereinigten Staaten würdigten nur zwei Rezensenten das Buch, sehr zum Mißfallen Hegemanns: Grösseren Kummer macht mir die Tatsache, dass auch mein ausschließlichfür Amerika geschriebenes Buch The American Vitruvius mir viel günstigere Journal of Social History 9 (1975), p. 268-275, p. 271, der die Aufdeckung des Zusammenhangs einer ästhetischen Wahl mit ihrer politischen Dimension als Teil der Kulturanalyse einfordert. 47 Langewiesche, Bildungsbürgertum und Liberalismus ..., S. 109-112; vgl. Langewiesche, Liberalismus ..., S. 239. Siehe auch Bauausstellung (1931) 821 und Kapitalismus (1931) 241, Hegemanns Anmerkung zu dem moralischen Knacks nach dem Scheitern der Boston-1915 Kampagne, den nicht nur der Weltkrieg verursachte. 48 Collins, Cartographers ..., p. XVII, sieht in der Bedeutungsminderung des Einzelbaus in der Urbanen Struktur den Kontrast zur Moderne. Vgl. aber Collins, Lehr- und Wanderjahre ..., S. 115 und bes. Collins, Formative Years ..., p. 17, die Bewertung der 'Civic Art' als einer Art 'Kitt', die Planung und Architektur zur Synthese bringe, also die Hilflosigkeit dieses Ansatzes verzeichnet. 49 Garden Cities and Town Planning 12 (1922), p. 178 (November). Μ. Jourdain, Civic Art. In: Architectural Review 53 (1923), p. 68, 71 (February). TPR 10 (1923/24), p. 56 f. Journal of Proceedings. Royal Victorian Institute of Architects 21 (1923), p. 9-12 (March). 50 Unwin, Architect's Handbook ..., p. 416 f., Adshead in: Journal of the Royal Town Planning Institute 6 (1922/23), p. 15.

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6.4.2 Antikritik

Besprechungen aus England und Australien als aus Amerika brachte. Ein englischer Kollege, der gerade aus Amerika zurückkehrte, schrieb mir als Erklärung: „ Sie sind den professionellen Interessen einer einflussreichen Gruppe mit ihrem Buche auf den Fuss getreten. "51 „Landscape Architecture", quasi das Zentralorgan der Harvard School, reagierte tatsächlich mit Bosheit und nahm damit den von Hegemann und Peets zur Absicht erklärten Protest an. Der ungenannte Rezensent denunzierte - obschon auch er die Sammlung lobte - das Wissen Hegemanns und beschuldigte den Autor der Unterschlagung jeder anderen Designrichtung. Er verteidigte die informelle Schule, weil sie ästhetische Anliegen sehr viel subtiler und effizienter umsetze 52 und stellte nicht ohne Häme fest, daß informelle Gestaltung auch die Arbeiten der Autoren auszeichne: Apparently there was more in the world of practice than was dreamed of in their philosophy. The reviewer would like to see Mr. Hegemann design a formal golf course. Das „American Institute of Architects" nimmt durch seinen Referenten den Protest jedoch als gerechtfertigt an 53 . Gemäß des Selbstverständnisses der an den „besseren Architekturschulen" Ausgebildeten gilt die Sammlung lediglich als Vorlage und Memorial. Es mahne sie an ihre Herkunft und Ansprüche, die üblicherweise in der Praxis erodierten. Der Rezensent versteht das Plädoyer der Autoren als Bestätigung des BeauxArts-Stils und weiß: the authors may find themselves treading upon the toes of partisans of "always informal" landscape design. Hegemann hätte demnach keinen Grund zur Klage, weil der Protest im Gruppeninteresse erkannt wurde und eine gewichtiger Kreis sich damit gestärkt sah. Das Monopol der Harvard School blieb selbstverständlich ungebrochen. Erst fünf Jahre später bestätigte Peets in seinem provokanten Artikel über die „Landscape Priesthood" diese Aversionen öffentlich. Neben dem ästhetischen Monopol der Schule galten sie der unveränderten personellen Kontinuität, die sich inzwischen über viele Fakultäten erstreckte, den Verband dominierte und die Beschäftigungschancen des Einzelnen bestimmte. Seine Reputation verdankte das Werk schließlich der Funktion des Thesaurus. Als solchen gelungen, als Inbegriff von „Civic Art", nahm ihn schließlich die Expertin für Planungsliteratur, Theodora Kimball, in ihre Empfehlungen zum Aufbau einer Fachbibliothek auf 5 4 . Diese Rezeption löste das Buch von seiner Entstehungsgeschichte und 51

Hegemann an Stern, 4. Oktober 1925, Stern Papers. Landscape Architecture 13 (1922), p. 76-78 (October). Dabei fehlt es nun auch nicht an dem nationalen Unterton: ... it makes the reader wonder where Mr. Hegemann has been immured in the last twenty years that he has not grasped the fact that all his fundamental requirements of balance and axiality may be carried out - more subtly - in an informal composition, and that in addition, for instance, the very essence and purpose of a large park, - to the minds of most of us in America, consists in its not being formally organized, but really or apparently naturally organized. 53 Frederick Bigger, Architecture - the City's Hope. In: Journal of the American Institute of Architects 11 (1923), p. 65-67. 54 Theodora Kimball, Manual of Information on City Planning and Zoning. Including References on Regional, Rural, and National Planning, Cambridge MA 1923, p. 42; nur des hohen Preises wegen lediglich in der Kategorie wünschenswerter Ergänzungen. 52

443

6.4.2 Anachronismus

den Absichten, die seine Autoren avisierten, und öffnete seine Bedeutung für weitere Interpretationen 55 , die auch den Nachdruck von 1988 zeitigten56. Die geringe zeitgenössische Resonanz57 scheint eine weitere Diversifizierung von Planung und Architektur zu belegen. In ihnen steht das Werk als Anachronismus und ließ sich allenfalls über seine Funktion als Vorlagensammlung wieder integrieren. Von den Informalisten als überholte politische und ästhetische Option angesehen, wurde es von den Formalisten angenommen, die jedoch im Begriff standen, von regional wie international inspirierten Modernen - Jens Jensen, Louis Sullivan, Frank Lloyd Wright - überholt zu werden. Im Verhältnis zu den inzwischen etablierten juristischen Instrumentarien der City Planning Enabling Act wird 1924 verabschiedet 58 - wirkte die Option ebenso rückständig wie zum beginnenden Ausgreifen der Planung auf die Regionen - 1923 gründeten Lewis Mumford, Clarence Stein, Henry Wright u.a. in New York die Regional Planning Association59. In diesem Sinne wollte sich keiner der Stadtplaner bei einem eben beginnenden Erfolg seiner Agenda von einer Forderung aufhalten lassen, die zunächst und für sich genommen, wie ein Rückschritt zu City Beautiful wirken mußte60. 55 Für Thomas S. Hines war es 1974 ein illustrated documentary of the City Beautiful mentality, für Richard Guy Wilson 1979 the major book on the City Beautiful·, für Anthony Sutcliffe 1981 a study of the best in American urban design·, für Donald S. Krueckeberg 1983 ein Beleg für die schwindende Bedeutung des Künstlers und deren frühe Wahrnehmung - womit der Kontext teilweise wiederhergestellt wurde - ; für Roth 1984 the source book for the urban architecture in the twentieth [century]; für William H. Wilson 1989 belegte der AV the survival of traditional civic design und seinen Bedarf: die Urteile korrespondieren mit den Fächern. Hines, Burnham ..., p. 397; Richard Guy Wilson, Architecture, Landscape and City Planning. In: The American Renaissance 1876-1917. New York 1979, p. 74-109, p. 91; Sutcliffe, Planned City ..., p. 174; Krueckeberg, Introduction ..., p. 28 f.; Leland M. Roth, McKim, Mead & White. Architects, London 1984, p. 350; Wilson, City Beautiful ..., p. 298. 56 Collins bestätigt die Reputation als die des Thesaurus entgegen fluktuierender Mode; Collins, Cartographers ..., p. XVII. Leon Krier will selbstverständlich eine Kritik der klassischen Moderne darin sehen (wobei die Instrumentalisierung Hegemanns zu eigenen Zielen nach Hegemanns eigenen Maßstäben zulässig ist); während Alan J. Plattus in der Wiederauflage einen Beitrag zu einer vernachlässigten Phase der Planungsgeschichte sieht. Bedingt durch die zwei ideologischen Schulen - die italienische Diagnose 'bürgerlicher Ambiguität' von ahistorischem Klassizismus und rationaler Planung gegen den amerikanischen Befund vom professionellen Fortschritt im Herauswachsen aus der City Beautiful zur wissenschaftlichen Planung - sieht Plattus den AV als befruchtendes Dokument verschiedenen Gewichts [zu der die Wiederentdeckung der „American Renaissance" in der amerikanischen Kunstgeschichte der 80er gehörte, die im AV einen frühen Beweis findet]. Leon Krier, Preface, und Alan J. Plattus, The American Vitruvius and the American Tradition of Civic Art. AV [1988] V f. und VII-XI. Vgl. jetzt auch Collins, German Critic ..., p. 5 f., wo die Hegemann unterstellte responsiveness to historic and symbolic significance [of a site] ein wenig zu weit geöffnet wird, nämlich auch für eine jüngst diskutierte „Repolitisierung klassischer Architekturen von rechts". 57 Die weder konstatiert noch aufgeklärt zu haben ein Manko des Nachdrucks darstellt. Die Rezeption und ihre Funktion in der zeitgenössischen Architekturdebatte - wo Collins, Presenza ..., p. 112 ff. Hegemann vor dem Vorwurf des „Neo-Traditionalismus" durch Konstruktion einer monokausalen Anregung durch Sitte für Hegemanns Verbindung zu City Beautiful bewahren muß - wären Aufgabe einer eigenen Untersuchung. 58 Krueckeberg, Introduction ..., p. 15 f. 59 Hall, Cities ... p. 137 ff. und Roy Lubove, Community Planning in the 1920s. The Contribution of the Regional Planning Association of America, Pittsburgh PA 1963. 60 Es fehlt bisher eine Untersuchung von Schulenbildung in der amerikanischen Planungsgeschichte,

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6.4.2 Verhallen

In der Zusammenschau der amerikanischen Arbeitsjahre finden sich bei Hegemann zweimal Konzepte, die sehr spezifische Antworten geben und als Gegenbewegungen aufzufassen sind. Im Strukturkonzept für Stadtplanung, Grundlage für Oakland, Berkeley und Milwaukee, setzte Hegemann auf Leistungssteigerung durch freiwillige kooperative Maßnahmen. Es stand im Schnittpunkt diffuser, aber großer Ansprüche an eine bessere Stadt und der Bereitstellung erster juristischer Mittel. Das Konzept überholte die Erwartungen durch Konkretionen, fand schließlich durch die Absorption der Energien in Anwendung der Rechtsmittel keinen Widerhall 61 . Das ästhetische Konzept beruhte auf der nach klassischen Vorbildern vorgenommenen Ordnung der Stadt in Bezüge zwischen Gesamterscheinung und Einzelbau. Es erschien im Schnittpunkt von Rezession, technischer Etablierung von Planung, neuen Aufbrüchen in Moderne und Regionalplanung und fand daher ebenfalls wenig Widerhall. Entstehung zur Unzeit bedeutet vorrangig, daß es dem Autor nicht gelang, seine Anliegen plausibel zu machen und mit seinem Publikum zu korrespondieren. Mit seinem Strukturkonzept gelang es Hegemann nicht, Hoffnungen auf sichtbare Ergebnisse nachzukommen oder den begrenzten Effekt eines Bauzonenplans zu verdeutlichen; mit seinem Stadtkunstkonzept nicht, weil er auf eine grundsätzliche Anbindung an Planung verzichtete und in der Uberziehung alleiniger Werbung für klassische Vorbilder den Erwartungen nicht mehr genügte. Dennoch gebührt den Konzepten eigenes Gewicht. Beide sind aus spezifischen Vorbedingungen, europäischer Ausbildung und Erfahrung, im Kontext mit Beobachtung und Erhebung entstanden und bilden eigenständige Beiträge. Hegemann korrespondiert selbständig mit vorgefundenen Umständen, aber sein Synkretismus eilt mit den pädagogischen Überzeichnungen voraus. Seine anderen Visionen von Stadt - die große Kooperative und die innerstädtische Kunstwelt - bleiben daher ohne kreativen Widerhall. In diesen Jahren erscheint Hegemann als selbständiger und provokanter Theoretiker, dem weitere Anerkennung versagt blieb, und als erfolgreicher Praktiker, der selbst seinen Erfolg nicht einmal als solchen verbuchen konnte. Seine folgende Wendung zu Kritik und Literatur ist nicht zuletzt dieser Erfahrung zuzuschreiben.

während Krueckeberg mit „American Planners" einen Anfang zu individuellen Beiträgen und biographischen Hintergründen gelegt hat. Bei Scott, City Planning ..., p. 366 nur Bemerkungen zum Ende der 30er Jahre; bei Hancock, Nolen ..., p. 308 zum Anfang des 20. Jahrhunderts. 61 Nach der nächsten Desillusionierung hatte Hegemann nicht nur die Kampagnen als Ventil für the surplus energy and money of America's well-to-do-citizens gesehen, sondern auch als Wiedergänger Eingesehen: ... those very campaigns which surprise the intermittent visitor to America by their everlasting recurrence and - in the case of building, „zoning" and anti-slum legislation - by their painful futility·, CPH 163.

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6.5 Profession

6.5 Selbständigkeit und Bürgerlichkeit Die amerikanischen Arbeitsjahre bringen entscheidende Veränderungen des Rahmens von Professionalisierung und Bürgerlichkeit. Das einführende Vortragsarrangement korrespondierte ideal mit Hegemanns Arbeitsverhalten, Motive und Ziel fielen optimal zusammen. Diese Arbeit war sporadisch und lukrativ, Abenteuer und Repräsentation, Fortbildung und Qualifikation. Die Selbstrepräsentationen indizieren einen zunehmenden und gezielten Einsatz von Leistungsnachweisen, während die reelle Tätigkeit tatsächlich - auch der Form nach - Neigungsbeschäftigung ist, die durch institutionelle und strukturelle Bedingungen zur Leistungslegitimation re-formiert werden kann. Der anschließende Werkvertrag für eine Städteuntersuchung wird nicht auf der Basis verschriftlicher, anonymer wissenschaftlicher Leistungsnachweise abgeschlossen, sondern die individuelle Kompetenz stellt die Ware dar, für die Erwerbsbedingungen und ökonomische Mittel erst erzeugt werden müssen. Als Schritt zur Professionalisierung ist dies ein Erfolg, der aber die strukturellen Bedingungen seiner Auflösung bereits in sich trägt. Die produzierte Ware der Berichte eröffnet eine Leistungskonkurrenz, weil sie als verschriftliche anonymisierbare Leistungen zur Verfügung stehen und nach plausibler Verankerung des Bedarfs auf bildungswillige Entscheidungsträger treffen und damit als vergleichbare Waren verfügbar werden. Gleichzeitig drängt die Struktur dieser einmaligen Instrumentarien des Erwerbs über sich hinaus zu deren organisatorischer Etablierung und führt zu einer dauerhaften Bereitstellung von Leistungsanforderungen wie Mitteln für bereits unter dem Konkurrenzprinzip ausgewiesene professionals als folgendem Schritt des Professionalisierungsprozesses - nicht aber für Hegemann. Hegemanns Produkt war das nach sozialpolitisch liberalem Gesamtentwurf und empirischen Studien angepaßte Modell einer Verbreitung optimaler bürgerlicher Lebensbedingungen durch freiwillige Kooperationen zur Abstimmung und Optimierung besonders wirtschaftlicher städtischer Funktionen. Es korrespondierte vorteilhaft mit sozialen und ökonomischen Werten der nordamerikanischen Kultur, dadurch dem Formationswillen prospektiver Entscheidungsträger kongenial, die um ihrer ökonomisch-technischen Ursprungsinteressen willen sich keinesfalls soziokultureller Missionen begeben wollten und in diesem Angebot eine ideale Verschränkung ihrer Werte erkennen konnten. Das Produkt bot aber keine Operationalisierungsmöglichkeiten, die für eine aus dieser Uberlagerung sich ergebende Dynamik geeignet waren, in Form juristischer, ökonomischer, technischer Teilprojekte zwecks schrittweiser Umsetzung. Deshalb stellte die damit geschaffene bzw. gestärkte Anforderung Juristen und anderen Experten die Bedarfsdeckung anheim. Hegemanns kongenialer Entwurf vermochte den ökonomischen wie den institutionellen Grundlagen Rechnung zu tragen, weil der Gesellschaftsentwurf, auf den er passen sollte, nach seiner politischen Einschätzung eine Annäherung an sein Projekt jener bürgerlichen Gesellschaft war, die wesentlich nur noch des weiteren Ausbaus der positiven und fakultativen Fördermaßnahmen bedurfte, mithin der Erziehung. Erneut und wiederum standen Hegemann seine bildungsbürgerlichen Prioritäten und pädagogischen Intentio446

6.5 Verbürgerlichung

nen im Wege, sich der Bedeutung der ökonomischen Dynamik zu vergewissern und sich Elemente des aktuellen „ökonomisch-technischen Leistungswissens" soweit anzueignen, um den geschaffenen Bedarf lenkend zu besetzen, sich dem soweit zu öffnen, daß er seine Intentionen und ihre Realisierung als unverzichtbar für den optimierten ökonomischen Austausch verkaufen konnte; gipfelnd im Verlauf der Geschäftsbeziehungen mit Walter J. Kohler. Die „Verbürgerlichung" des Entwurfs - sowohl des Programms wie der Arbeitsweise - bleibt defizitär. Die Marktchancen seines Produktes schätzte Hegemann, ohne dessen Schranken zu erkennen, noch 1914 so gut ein, daß er auf das Angebot der wissenschaftlichen Qualifikation verzichtete. Sein erneutes, späteres Ersuchen um Aufnahme in einen universitären Lehrkörper - als Sanktion der bisherigen Qualifikation, Alimentierung und des erwerbszwangfreien Mitspracherechts - ist weniger Erkenntnis der Angemessenheit für seine essentiell pädagogischen Intentionen als vielmehr Reaktion auf eine gesellschaftspolitisch prekäre Situation, demzufolge verengten Markt, und die einzig verbliebene Chance zur strukturellen Auszeichnung und Bestätigung als Bildungsbürger, wiewohl diese im Verhältnis zur angestrebten deutschen Traditionslegitimation nur eingeschränkt wirkungsvoll war. Signifikant ist, daß nicht die gesellschaftspolitisch prekäre Situation die Ursache des Scheiterns vorgab, sondern auch für sein Konzept unabdingbare pädagogische Reformintentionen; mithin die bildungsbürgerlichen Prioritäten gerade auf ihrem Ursprungsgebiet inzwischen als obsolet erscheinen konnten. Der Ubergang zur marktbezogenen Verwertung eines partiell materiellen Erzeugnisses als Produkt ist erstaunliche, aber logische Konsequenz dieses Umgebungswandels. Die akzentuierte Selbstrepräsentation von 1916 indiziert ein trotzendes Beharren auf pädagogischen Intentionen, aus dem aber dennoch ein methodisch rationales Vorgehen abgeleitet wurde. Das den pädagogischen Intentionen korrespondierende Einzelmodell Haus & Garten, das gleichfalls den sozioökonomischen Idealen der nordamerikanischen Kultur entspricht, konnte unter Ausnutzung der spezifischen Marktbedingungen zu einem ökonomisch verwertbaren Produkt werden, das durch erfolgreiche wirtschaftliche Verwertung auf dem kapitalistischen Immobilienmarkt und in der privatwirtschaftlichen Wohnungsproduktion Beweiskraft für die auch ökonomisch richtige Wertigkeit der Intentionen, Bildungswerte und Kulturstandards erhielt. Für die Entwicklung und Vervollkommnung des Produkts bedurfte es der komplementären Fähigkeiten eines Koautoren, insbesondere für fachspezifische Bearbeitung eines Teilgebiets und marktgerechte Präsentation. Die systematische Erarbeitung des Produktionsprozesses einer größeren Einheit oder einer Einzelanlage landschaftlicharchitektonischer Erschließung stellt den ersten fundierten Versuch einer Einlassung Hegemanns auf „ökonomisch-technisches Leistungswissen" dar, die die Rentabilität des Objekts, den marktbezogenen ökonomisch erfolgreichen Einsatz durch den Produzenten und die wirtschaftlich lukrative Verwertung durch die Planautoren zum Ziel hatte. Das bedeutete den Verzicht auf die strukturelle Kennzeichnung als Bildungsbürger, auf die Bildungspatente als Determinanten und eine Fremdalimentierung zugunsten der bürgerlichen, auf erfolgreichem ökonomischen Handeln aufbauenden Leistungslegi447

6.5

Regression

timation und bedeutete, damit sich erstmals Bedingungen der von ihm projektierten bürgerlichen Gesellschaft auch real auszusetzen. Nur auch hier - wie im genossenschaftlichen von 1911 - genügte das Modellprodukt nicht, um auf dem privatwirtschaftlich kapitalistisch organisierten Markt mit seinen Beschleunigungen eine konkurrierende Dynamik entfachen zu können. Blieb das ökonomische Handeln selbst noch erfolgreich, war die weitere Intention der Konkurrenz- und Kontrollfunktion damit niedergeschlagen. Das konnte auch nicht dadurch aufgefangen werden, daß die entfaltete Optimierung städtischer Funktionen eine analoge Funktion übernommen hätte, weil eben diese Optimierung in der Operationalisierung der Fixierungen städtischer Wertbestände und Wertsteigerung aufgegangen war, während ihre Institutionalisierung keinen gewinnbringenden Einsatz dieser individuellen Qualifikation mehr zuließ. Die freie Wirtschaftsorganisation auch der fortgeschritteneren bürgerlichen Gesellschaft erwies sich weder in der Lage, Kulturstandards zu halten, geschweige denn durch ökonomisches Handeln zu verbreiten, noch hatte die Bedarfsweckung bei Entscheidungsträgern zu einer dahingehenden Beschränkung, geschweige denn Durchsetzung führen können. Der Kernbereich und dynamischste Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft hat damit seine den staatlichen überlegenen Formationsmächte bewiesen. Nach dessen Erkennen - damit der Festigung eines Selbstbilds des verkannten Propheten - und der Uberzeugung, daß vorläufig weder das „staats- und verwaltungspolitische Herrschaftswissen" noch das „ökonomisch-technische Leistungswissen" sich dem Geltungspostulat des „autonomen und höchsten Kulturguts" zu unterwerfen willens noch es zu verbreiten in der Lage sind, setzt die Wiederbelebung des pädagogischen Ansatzes ein. In dem fällt Hegemann hinter seinen Erkentnisstand zurück und unterliegt einer Simplifizierung, die insgesamt als Rückwärtsbewegung zu interpretieren ist. Nach zweimaligem Scheitern der Konzeption eines Kriterien der Kulturstandards genügenden Produkts - einmal in der freiwilligen Assoziation zu einer sich selbst tragenden Investition, einmal als ökonomisch effizient zu verwertender Ware im Austausch - reduziert sich der Anspruch. Er fällt zurück auf allgemein verteilte individuelle Verantwortung, bei der Selbstäußerung Partikel des Kulturgutes zur Geltung zu bringen von der Vergesellschaftung zurück zur Individualisierung der Aufgabe. Dies ist wieder in dem „Gültigkeitsanspruch der Bildungswerte und Kulturstandards für alle Gesellschaftsformationen" begründet und aufgehoben, aus dem konkurrierende Interpretationen zu „Verfügungsgewalten und Interpretationsinstanzen" entfaltet werden. Es gipfelt in der Hoffnung, über die einzelne Realisierung Kulturgutpartikel in weiteren Umlauf und durch die Infiltration der konkurrierenden Bereiche diese unter die Vorherrschaft der bildungsbürgerlichen Werte bringen zu können. Dabei nimmt der Anspruch aber die Erscheinungsweise jenes Kulturguts für das Kulturgut und stellt die Produktion des Kulturguts in „seiner uneingeschränkten Gültigkeit für alle Gesellschaftsformationen" als methodische Produktion jener Phänomene anheim, die als Inkorporationen der „Bildungswerte und Kulturstandards" gelten und durch historische Untersuchungen zur Reproduktion verfügbar geworden sind. Selbst wo etwa in der Ausweitung von 448

6.5 Selbstreform

Produzentenkreis und Methodik der Produktion ein weiterer Zug von Verbürgerlichung einsetzt - und es das langfristige Ergebnis erst recht wäre, welches jedoch nicht gemeint war, nämlich die Umsetzung der Partikel in eine ökonomisch wirksame und schießlich methodisch produzierte Ware Image zeigt dieser pädagogische Ansatz die Dominanz der bildungsbürgerlichen Identität und Intentionen, die in ihrer Selbstgewißheit eine dynamische, nämlich politisch besetzte Differenz in der Wahrnehmung der Kulturgutpartikel nicht bemerkt. Die konkurrierende Interpretation und die Selbstäußerung individueller Verantwortung werden nicht mehr als politische begriffen - im Verhältnis zum Wandel von den Parks zur Politik der wesentliche Schritt rückwärts - , sondern als ästhetische: von der Politik zur Ästhetik. Das ist nach Einsicht in die Unvermittelbarkeit von Bildungswissen zu Herrschaftswissen wie Leistungswissen, welches in der projektierten bürgerlichen Gesellschaft beide letzteren hätte durchdringen sollen, der Rückzug in den ureigensten Kompetenzbereich des Bildungsbürgers und eine Annäherung zur Interpretation der Moderne als Tragödie. Die simplifizierende Wirkungsvorstellung zur Subversion des herrschenden Wissen durch künstlerische Phänomene ist jedoch nur noch Rückzugsgefecht - und verpaßt in ihrer einseitigen Orientierung an der klassizistischen Re-Formation sogar schon selbst dokumentierte Gegenentwürfe. Die ästhetische Wahl ist folglich politische Resignation. Dieses Muster liegt auch den Wiederbelebungsversuchen zugrunde, mit denen dieses Konzept fatalerweise eingeleitet wird. Die politische Resignation ob der ökonomisierten Welt läßt den von Marginalisierung bedrohten Architekten für seinen Kompetenzbereich reklamieren, durch künstlerische Gestaltung subversive individuelle Würde in die Welt zu reimplantieren - während er doch nur den zur kapitalistischen Funktionsfähigkeit, damit auch den seinen zum Erwerbszwang, notwendig evozierten Bedarf deckt. Hegemann ist - aufgrund seines grenzenlosen Optimismus der frühen Jahre und der fehlenden formalästhetischen Vorbildung - erst 1921 in der Krise des Werkbundes angekommen. Auch hier bedeuten seine Antworten Regression. Statt der organisierten gesellschaftlichen Kooperation von Künstlern und Produzenten sucht er das kongeniale Architekten-Bauherren-Verhältnis zur Subversion durch Form; statt Typus und Arbeit erwartet er - wenn auch auf der Basis von Strukturierung und Modellbildung des Gesamtkunstwerks - den einzelnen, genialen Entwurfsakt. Damit steht er paradoxerweise der Avantgarde, auf die er treffen wird, nahe und formal ihr doch diametral entgegen. In der gesamten Arbeitsphase zeichnen sich dennoch Schritte zu einer erfolgreichen Selbstreform ab. Durch die Form der Neigungsbeschäftigung und die inhaltliche Adelung des Produkts als Kulturarbeit wird der Schritt in die Selbständigkeit, die marktbezogene Verwertung der Leistungen in einem konkurrenzbesetzten Sektor möglich, in dem die Deutung als Leistung zur Handelsware wird. Aus der Regression eröffnet sich durch die Selbstauffassung vom berufspolitischen Einspruch ein Ausweg, mittels dessen die alte autoritäre Definition in Diskurs und Arbeit an gemeinschaftlich ausgehandelten Kulturwerten umgeformt werden wird.

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7 Berlin 1922 - 1933

Die Arbeit, die Hegemann in diesen Berliner Jahren leistete, die vielen Gebiete und Themen, die sie umspannte, und die vielfältigen Fragen und Verbindungen machen in der Folge eine Abweichung von einer rein chronologischen Bearbeitung notwendig. Die Anfangsphase einer Berufsfindung, von Italien über den Eigenhausbau nach Göteborg, die ersten literarischen Werke als Dokumente der Selbstreformation, der fanalgleiche Auftakt seiner Herausgebertätigkeit für eine Architekturzeitschrift bilden den Beginn. Die langwierige Erarbeitung einer eigenen ästhetischen Position, vom provozierenden Publikationswesen zum Respekt, die demonstrativen Nachbearbeitungen der politischen Schriften und unnachgiebigen Antikritiken an seine Kritiker zeigen in den mittleren Jahren den hartnäckigen Vorsatz, eine Streitkultur zu etablieren. Die Akzeptanz und der Respekt für eine architektonische Kontraposition und die Integration in eine politische Publizistik ermöglichen in den späten Jahren eine ästhetische Öffnung und publizistische Beteiligung, die auf ein Gelingen jenes Projekts deutet. Diese retrospektive Gliederung eines keineswegs stetigen, nicht einmal synchronen Verlaufs und der verschränkten Arbeitsgebiete wird notwendig, um Komplexität und Wandel zu erfassen. Die übergeordneten Fragen sind so schrittweise zu beantworten: Worin besteht die vermeintlich konservative ästhetische Position Hegemanns, woraus entsteht sie und nach welchen Maßstäben wird sie ausgespielt? Was wollen seine angeblichen Biographien und wo liegt ihre historische und literarische Bedeutung? Warum fällt die politische Wachsamkeit im literarischen und architektonischen - mit der frühen Indizierung Gottfried Benns und der zu spät als notwendig erkannten Paul Schmitthenners - Bereich so sehr auseinander? War die Uberzeichnung der Opposition ein trojanisches Pferd für die Einführung einer Streitkultur, die als politische Bildung und Erziehungsmaßnahme, als praktische wie intellektuelle Übung, gedacht war? Die Untersuchung der produktivsten Zeit Hegemanns läßt es somit sinnvoll erscheinen, von der bisherigen Abfolge abzuweichen, um in der Zusammenfassung thematischer Aspekte Entwicklungen und Bedeutungen kenntlich zu machen.

7.1 Neugier

7.1 Rückkehr Sehr viel später erst, 1928, erklärte Hegemann, daß er die Vereinigten Staaten verlassen habe, weil ich entschlossen war, in dem Lande zu wohnen, das den Krieg verlor und deswegen sicher am interessantesten zu werden versprach1. Die Sprachlosigkeit, in der Hegemann sich offenbar auch in privaten Papieren jeden Kommentars zu Revolution und Neuordnung Deutschlands enthält, ist ungewohnt und bemerkenswert. Es scheint, als habe eine nach und nach durchschlagende Kenntnis vom Weltkrieg und seinen Formen eine tiefe Erschütterung des Fortschrittsoptimismus und der Zivilisationshoffnungen in Gang gesetzt. Für den großen Vernichtungskrieg, zu dem Europa mit Todesmut und Blindheit drängt, haben geniale Chemiker bereits die giftigen Gase vorbereitet, mit denen im Luftkampf hinter den Fronten die Großstadtbevölkerungen millionenweise von Wohnungsnot und Lebensqual erlöst werden. Die überlebenden Berliner werden dann in ihrer großen Steinwüste bequem wohnen, etwa wie Ratten in einem verlassnen Speicher oder wie die nach der Völkerwanderung noch verbliebenen „Römer" in den Trümmerhaufen der ewigen Stadt. Da im Kriege von 1914 Chemie und Flugwesen noch unbefriedigend arbeiteten, sind einstweilen noch vier Millionen Berliner am Leben ..?

Diese Erschütterung nimmt, ohne sich zu den politischen Umwälzungen in Deutschland zu benehmen, sie als eine zwangsläufige Neuordnung an und darin die Form einer tiefgreifenden Selbstreformation. Die unbedingte Bejahung der Republik erfolgt bereits vor den im Zuge dieser Selbstreformation aufgedeckten Ursachen. Sie verlegt die Gründe der Reformation zur Republik in eine Zeit davo und kann sich dann durch Offenlegung diese nützlich machen. Dabei mangelt es auch ohne Äußerung nicht an Beobachtung und Einsicht in politische Wandlung, wenn Hegemann 1925 an Stern bemerkt, es gebe auch hierzulande allseits Babittisme und KuKluxClanisme, selbstgefällige Konventionalität und geheimbündlerisch organisierten Haß im Alltag. Die Lösung von der amerikanischen Arbeit wurde durch eine verengte Berufsdefinition des City planner im Verlauf der Professionalisierung und eine daraus folgende Beschäftigungsunsicherheit vorgegeben3. Der Niedergang des Marktes, die erfahrenen Restriktionen und schließlich die Ablehnung der ästhetischen Optionen der Partner taten dazu ein übriges4. Zum Entschluß zur Rückkehr gehörten aber auch die konkreten vorteilhaften Aspekte einer Neuordnung in Deutschland. So mußten die demokratisierten Stadtverwaltungen 1 Schmitthenner, Taut (1928) 347. Daß er aber die USA verließ, „sobald" die Ausreisemöglichkeit gegeben war, betonte er in Kiepenheuer (1930) 53 und dem Lebenslauf (1930) 2 für Herkner. 2 Berliner Neubauten (1924) 133. 3 Eugenie Ladner Birch, Advancing the Art and Science of Planning. Planners and Their Organisations 1909-1980, in: Journal of the American Planners Association 46 (1980), p. 22-49, p. 23-26; Hancock, Planners ..., p. 297-300. 4 So äußerte sich Hegemann über das Ignorieren des „American Vitruvius" seitens der Amerikaner: Aus diesem Zusammenhang heraus werden Sie begreifen, wie selten ich es bedauern kann, dass ich den Wohnsitz hierherverlegte. Allerdings möchte ich auch hier noch einige Änderungen erhoffen. Hegemann an Stern, 4. Oktober 1925, Stern Papers.

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7.1.1 Bildungsrausch

zahlreiche neue Stellen und Arbeitschancen im Planungsbereich verheißen. Darunter nahm gerade Berlin mit dem Zusammenschluß zur Einheitsgemeinde vom April 1920 eine besonders viel versprechende Stellung ein 5 . Mehr noch, hatte doch ein Berliner Architekt und Herausgeber einer großen Architekturzeitschrift im Herbst 1920 Hegemann öffentlich für den Posten des zukünftigen Siedlungsdirektors für Groß-Berlin ins Gespräch gebracht 6 . Selbst bei Unkenntnis dessen ergaben sich für Hegemann daraus die Möglichkeiten, die sicher am interessantesten erschienen. 7.1.1 Italien Da ihre Rückkehr an keinen festen Zeitpunkt gebunden war, verbrachten Ida Belle und Werner Hegemann zunächst einige Monate in Italien und Griechenland 7 . Diese Reise bedeutet eine große Bildungserfahrung. Venedig steht dabei für die ästhetische Bildung und Neapel für die geistvolle Geselligkeit. Die Wahl der Reiseziele und Dauer zeigt die anhaltende großbürgerliche Attitüde wie die des Bildungsbürgers - Et in Arkadia Ego! Sie scheint eine nach wie vor bestehende wirtschaftliche Unabhängigkeit zu bestätigen, die durch die Liquidation der amerikanischen Firma, eventuell auch Tantiemen des „American Vitruvius", gefestigt worden sein mag. In Neapel, wo die Hegemanns sich offensichtlich mehrere Wochen aufhielten, wurde am 31. Januar 1922 die erste Tochter des Paares geboren, die den Namen Eva Maria erhielt 8 . Die elementare Freude über dieses Familienereignis scheint auch in der späteren Fiktion durch. Daß Hegemann sich am 18. April 1922 im deutschen Generalkonsulat von Neapel den Personalausweis No. 700 ausstellen ließ, galt bereits der Vorbereitung der endgültigen Rückkehr nach Deutschland. Dazu reiste Hegemann laut Collins aus Italien auch mehrmals nach Deutschland, um seine beruflichen Chancen auszuloten 9 . Zwischen dem Oktober 1921 in New York und dem Juni 1922 in Berlin, die einzig belegten Daten dieser Zeit, vermied der Italienaufenthalt vor allem den nordeuropäischen Winter für die werdende Familie. Das Bildungserlebnis Hegemanns bestand - für Venedig greifbar - im Sehen und Festhalten. Im zweiten Jahr seiner Herausgeberschaft veröffentlichten „Wasmuths Monatshefte" 1925 eine Bildtafel (Bild 103) mit einer Fotografie aus dem Palazzo Grassi in Venedig Nach einer Aufnahme von Werner Hegemann. Wohl acht weitere Fotos zu seinem Artikel „Vergleiche, Fragen und Reisenotizen" wurden, nach Bildausschnitten zu urteilen, ebenfalls von Hegemann aufgenommen (Bild 100). Damit begründete Hegemann auf diesen visuellen Erfahrungen erneut eine eigene Fotosammlung. Doch damit begnügte er sich nicht. Trotz sichtlich geringen Zeichentalents führte er gleichzeitig ein Skizzenbuch, in dem er zum wenigsten Grundrisse festhielt, um seine Bilder einer 5

Henning Köhler, Berlin in der Weimarer Republik (1918-1932). In: Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins ..., Bd. 2, S. 797-923, S. 814 ff. 6 Heinrich de Fries, Groß-Berlin. Städtebau-Siedlungswesen, in: Städtebau 17 (1920), S. 100. Vgl. dazu unten 7.1.2 Beruf. 7 Collins, Cartographers ..., p. XIX. Letzteres firmiert weniger prominent in den Aufzeichnungen, lediglich in der Fiktionalisierung der Niederschrift der „Iphigenie" als inspirierender Ort. Ε 150. 8 Stamm Julius Vorster ..., S. 9. Vgl. Verfremdung Ε 145, 213, 350. 9 Collins, German Critic ..., p. 6. 453

7.1.1

Aufnahme

räumlichen Vorstellung zuordnen zu können (Bild 102). Durchaus mit Selbstbewußtsein, veröffentlichte er hier die Grundrißskizze eines venezianischen Palazzos, ohne sie umzeichnen zu lassen (Bild 101). Die angeführte Einschränkung, sie nur zu drucken, weil mir kein besserer Grundriß bekannt geworden ist, galt nicht etwa ihrer Form, sondern der Unzuverlässigkeit des Skizzenblattes, da es nur auf den flüchtigen Schrittmaßen und Eindrücken eines Besuches von 20 Minuten beruhe 10 . Man sieht Hegemann förmlich durch die Bauten und Kunstdenkmäler Italiens eilen, um diesen Bildungsrausch auszukosten. Damit zeigt Hegemann, auf wessen Schultern er steht. Jacob Burckhardt zeichnete und schrieb, um festzuhalten und frei zu sein für den nächsten Eindruck. Daran entscheidet sich für Hegemann auch die Art der Reflexion, wie darüber zu sprechen sei: in der ersten Person; damit auch auf Schultern Goethes - beide sind in dem späteren Artikel stets präsent. Nach Burckhardts Vorbild wurden alle Eindrücke als einmalige festgehalten - im Buch für Notizen und Skizzen, ergänzt um das Fotografieren. Die Handskizzen zeigen Übung und systematische Aufnahme. Der Bedarf an Fixierung wird durch das Movens des 'Das wirst du so bald nicht wieder zu sehen bekommen' beschleunigt, dem bei Burckhardt Vanitas-Vorstellungen unterliegen 11 . Dieses aufzunehmen, wird Hegemann Teil seiner Ausbildung - in Deutschland nennt er sich dann häufig „Architekt" 12 . Die nachgeholte, gesuchte und legitimierende Bildung nötigt zum Fixieren als Rechenschaft. Es erzeugt einen Rausch des Sehens, der Erkenntnis und Selbstvergewisserung, den der Kritiker steigert und intensiviert. Die Selbstvergewisserung durch visuelle Erfahrung wird wie bei Burckhardt im Akt des schnellen Niederlegens und Auswahl nach persönlicher Entscheidung bestätigt - sie ist die Befreiung vom Thema als Freiheit zum nächsten. Das Aufnehmen bezeichnet eine Erfahrung, wie sie Hegemann auch noch später in ernsten Zeiten widerfuhr, als er seiner Frau über eine Einladung zur Gartenparty bei Lady Astor im Juli 1933 schrieb: I turned landscape architect, sketched and paced distances. Das Verbindende ist die Faszination der optischen Erfahrung, der Versuch, sie zu ergründen und in eigener Arbeit zu begründen. Hegemann versucht, Schönheit zu entschlüsseln. Wie seine zahlreichen Analogien zur Sprache anzeigen 13 , versucht er, die Mitteilung Schönheit in Elemente ihrer Gestalt zu zerlegen, nach den Bezügen und Wirkungen zu forschen, um den Gesamteindruck nach seinen Ursachen aufzuschlüsseln. So erhält die ästhetische Option, die im „American Vitruvius" vorgeformt wax, ihre 10 Vergleiche (1925) Abb. 12, 14, 15, 19, 20, 22-24 vermutlich und Tafel nach 250, Skizzen Abb. 21 und 25 gewiß von Hegemann. 11 Udo Kultermann, Geschichte der Kunstgeschichte. Der Weg einer Wissenschaft, Überarb. und erw. Neuauflage, München 1990, S. 97. 12 Mit der Reihe von Autodidakten, die ihre Bildung zum Architekten durch die persönliche Begegnung mit Italien erfuhren, schält sich ein weiteres Motiv heraus: Es sei nur Weinbrenner genannt, auf den Hegemann später häufig verwies. Er legte in seinen „Denkwürdigkeiten" Rechenschaft über seinen als prägend erfahrenen Italienaufenthalt 1792-97 ab und bekundete, danach die Architektur Deutschlands verbessern zu wollen; Hanno-Walter Kruft, Geschichte der Architekturtheorie. Von der Antike bis zur Gegenwart, Studienausgabe, 3., durchges. und erg. Auflage, München 1991, S. 337. 13 Siehe hier Vergleiche (1925) 245.

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7.1.1 Kontinuum

Bestätigung. Hier in Venedig erfüllt sich endlich die Kunststadt, die in den zahlreichen dort aufgenommenen Idealzeichnungen präfiguriert war 1 4 . Die Option für klassische Baukunst gilt der Detaildichte und dem Reichtum des Einzelbaus, innerer Raumbildung und äußerer Raumbeherrschung, der Stadtraumbildung durch Ausrichtung auf Aussichten und Ansichten. Nicht zuletzt meint sie aber Stadt als Gesamtkunstwerk die zur höchsten Verehrung zwingende Ruine, das unvollendete Denkmal eines auf das Höchste gesteigerten Willens zum Raum15 - als höchste Form menschlicher Kunstäußerung und als einen historischen Auftrag. Die allgegenwärtige Kunst Venedigs bietet den geistigen Besitz einer Vergangenheit, die es als geistiges Kontinuum fortzuführen gilt. Der Auftrag, sich zu einem Verhältnis zum Erbe zu bilden, das Teil des Verhältnisses jedes Jahrhunderts zum Erbe ist, berührt aus Burckhardts Sicht eine je neue Erkenntnis, die als historisch Gewordene von der nächsten Epoche wieder zum Erbe geschlagen wird 16 . So sucht Hegemann eine systematische Aneignung, um im Prozeß des Wandels eine bewußte Fortsetzung jenes geistigen Kontinuums zu erreichen, gekleidet in die provokante Frage, ob es nicht eine humanistische Würde sei, venezianische Bauvorstellungen im heutigen New York zu vollenden? Mit diesem intellektuellen Ansatz scheiden sich auch die Redeweisen über Kunst. Die Distanz von Ruskin und seiner architekturtheoretisch folgenreicher Schilderung Venedigs17 deutet voraus auf Hegemanns vehemente Proteste gegen 'Kunstschriftstellerei'. Ihr impressionistisches Gehabe ist ihm keiner Mitteilung fähig, die den Rezipienten zu einer Denotierung der verwendeten Mittel befähigte. Diese Ablehnung entlädt sich in dem späteren Artikel auf A.E. Brinckmann. Gerade am Beispiel Venedigs sieht Hegemann sich zum Widerspruch veranlaßt und unterstellt, neben allem Spott über Brinckmanns Attitüden, diese Schreibweise bedeute einen besonderen Ruhmestitel deutscher Geistestiefe und deutschen Kunstvermögens18. Gesagt über die Wertschätzung der Baukunst des 18. Jahrhunderts, war gemeint die idealistische Begriffsbildung deutscher Kunstgeschichte und die etwa im „Kunstwollen" festgelegte Abneigung gegen den Kunstprozeß als intellektuellem Entwurf. So wenig Hegemann Theoretiker ist, scheint sich daran die entscheidende Trennlinie zur Avantgarde abzuzeichnen. Gerade durch das Erleben Venedigs bestätigt sich die klassische ästhetische Option, öffnet sich durch die Aufnahme aber die Tür zu modernem Rationalismus und zur Staffelung der Kriterien, die seine Kritiker immer wieder verblüffen wird. Der Aufenthalt in Neapel scheint der längere gewesen zu sein. Hegemanns Zugang zur 14

Siehe Vergleiche (1925) 245: Burckhardt nenne das „Großartigste" die unausgeführten Entwürfe des 16. bis 18. Jahrhunderts. 15 Vergleiche (1925) 247-251, 251, der „Willen zum Raum" als spöttische Paraphrase Brinckmanns. 16 Kultermann, Geschichte der Kunstgeschichte ..., S. 101. 17 Expressis verbis gilt sie hier Ruskins Feier der gotischen Paläste Venedigs; Vergleiche (1925) 251; tatsächlich aber eher seinem Grundsatz von der „Kunst als Freude an der Arbeit", in der Beschreibung Venedigs exemplarisch vertreten durch das Prinzip, ein Kunstwerk in der Beschreibung aufzusaugen und in der Niederschrift ein neues Kunstwerk zu schaffen. Peter Collins, Changing Ideals in Modern Architecture 1750-1950. London 1965, p. 257, p. 260 f. 18 Vergleiche (1925) 246, 247-251.

455

7.1.1 Fundus

Stadt glich zunächst dem in Venedig: ... in der Karwoche .. besuchte ich öfters ... das nahe Neapel, um in den Straßen und Kirchen der unvergleichlichen Stadt zu photographieren oder zu skizzieren19. Doch die ewige Landschaft von Meer und Sonnenuntergang, Vesuv und seiner Rauchsäule evoziert nun die Antike; beschwor die Götter Homers20. So wird für Hegemann der Sinnenrausch, zwischen der „Hitze eines frischen Brots" und einer „wärmenden Flasche kuhwarmer Milch", dem Blick auf eine Aufbahrung und dem Sonnenuntergang, zur Erfahrung pantheistischer Aufgehobenheit allein in sinnlicher Gewißheit 21 . Schließlich findet sich Hegemann in einem anderen geistigen Kontinuum. Sein Medium ist die Geselligkeit. Die spätere Fiktionalisierung, die von Hegemann unter Pseudonym aufgezeichneten angeblichen Gespräche über Mythen, zeigt auf ihre konstitutiven Elemente. Ihre Orte sind die abendlichen Gespräche auf Terrassen gehobener Hotellerie oder im Ausland geübter Gastlichkeit unbekannter Gleicher. Ihre Teilnehmer sind bunt zusammengewürfelt: kaum weniger als zehn Gäste, weniger als fünf Nationalitäten ... Unterhaltungen ... bewegten sich darum oft in aussichtsreicher Höhe und waren von provinzialer Beschränktheit ungewöhnlich frei22. In ihren Gesprächen schien das geistige Kontinuum auf. Bei einem gebildeten Publikum, wie Reisende dieser Zeit und an diesem Ort es darstellten, konnte ein unerhörter Fundus erschlossen werden. In einer Gesprächskultur, die eine umfassende Erörterung einer aufgeworfenen Frage möglich machte, trafen Ansichten und Wissen verschiedenster Provenienz aufeinander, die europäische Geistes- und Ideengeschichte ansichtig machten. Hegemann wird hier unzählige Anregungen erfahren haben, die in seine Selbstreformation eingingen und die er sich im Gegenlesen überkommener Einstellungen zunutze machte. Sie wurden Anregungen zur Pflege von Geselligkeit im eigenen Haus. Es ist sehr wohl möglich, aber nicht einmal wahrscheinlich, daß er in Neapel einige seiner späteren fiktiven Gesprächsteilnehmer antraf 2 3 . Denn in die fiktiven Darstellungen gingen auch frühere Erfahrungen Hegemanns ein - wie etwa die Fiktion „ Ellis" eine Verschmelzung seiner amerikanischen Vorbilder Filene und Cabot mit einem Alter Ego zu sein scheint. Sie gaben ihm mit ihren Widerreden erste Anregungen zum Gegenlesen und regten eine Auswertung dieser Erfahrungen bereits an. So ist die spätere Benennung der Gesprächteilnehmer eher einer Typisierung gleichzusetzen, die nationale Eigenarten, zeitgenössische Interpretationstendenzen und ihre Gegenspieler auszuspielen suchte, die Hegemann hier erlebte. Der idealisierte Ort und seine außerordentliche Besetzung stellt auch den Raum für eine 19

C 10. Ε 166, C 161. 21 C 312. Beachte die ironische Brechung: die folgende Wärme aus meinem Innern, von tief unter dem Herzen her ist die des kurz vorher genossenen Tees. - Die Sinnenerfahrung versöhnlichen Pantheismus heilt dennoch vom strafenden Gott der Kindheit. 22 Ε 145, zu Gästen Manfred Ellis' gemacht. Kiepenheuer (1930) 54 als Vorlage die Unterhaltungen, zu denen ich auf meinen Reisen Gelegenheit fand, genannt. 23 Der spätere Kontrahent Rudolf Borchardt etwa lebte zwar seit 1921 in Italien bei Lucca, wird aber seiner dezidierten monarchistischen und konservativen Positionen wegen kaum an einer Begegnung mit Hegemann interessiert gewesen sein. 20

456

7.1.2 Amt

hohe Kunstform des geistesgeschichtlichen Kontinuums, das Privattheater. Die „Iphigenie" Hegemanns, vielleicht hier verfaßt, Gipfel der späteren Mythengespräche, soll in Caserta bei Neapel aufgeführt worden sein 24 . Auch hier bleibt unklar und unwahrscheinlich, daß eine reale Aufführung stattgehabt hat. Doch das Raffinement gesellschaftlichen Umgangs, des historisch aufgeladenen Orts und des intellektuell alerten Publikums macht es möglich, Hegemanns Umarbeitung einer antiken Tragödie - die Umkehrung von Tragik in Selbstbestimmung - hier stattfinden zu lassen. Sehr wohl l'Art pour l'Art, doch auch zur an diesem Ort sehr wohl verstandenen Belehrung, wird sie zur Zelebration des geistigen Kontinuums, zur Feier der Befreiung aus alten Formen. Mit dieser seiner Italienreise ist Hegemann quasi aus Zeit und Raum gefallen. Die intensive Begegnung mit Kunst- und Geistesgeschichte hat ihn wenig auf die politischen und künstlerischen Veränderungen in Deutschland vorbereitet. Aber sie hat ihn widerstandsfähig gemacht, gegen die Beschwörung des Alten gegen das Neue im politischen Sektor und gegen die Beschwörung des Neuen gegen das Alte im künstlerischen Bereich. Hier begann das Paradoxon zwischen der modernen politischen Option und der (zunächst) konservativen ästhetischen Option. 7.1.2 Beruf Im Herbst 1920 hatte der Architekt Heinrich de Fries als Herausgeber von „Wasmuths Monatsheften für Baukunst" Hegemann in einem kurzen Artikel für den neugeschaffenen Posten des Siedlungsdirektors für Groß-Berlin vorgeschlagen. Er war der Ansicht, daß ein der Größe und sozialen Verantwortung seiner Aufgabe gewachsener Fachmann auf dem Gebiete des Städtebau und des Wohnungswesens ... tatsächlich in Berlin nicht vorhanden sei. Er erwartete von dem Gesuchten Fachwissen, politische Einsicht, praktische Erfahrung und Unabhängigkeit von Interessengruppen. Da er Hegemann wohl (noch) nicht einmal persönlich kannte, ist hier das Echo des Mediators der Ausstellung, der Stiftung des „Städtebau", vor allem aber der Zahlen des Propaganda-Ausschusses zu hören. Gegen die drohende Besetzung auf der Basis politischen oder lobbyistischen Proporzes konnte de Fries Hegemann als eine der fachwissenschaftlich bedeutendsten Persönlichkeiten des Städtebaues vorstellen: Daß Hegemann gern nach Deutschland zurückkehren würde und eine in sein Arbeitsgebiet fallende große, verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen würde, steht wohl außer Zweifel. Er ist Kandidat keiner politischen Partei, keiner Cligue, keiner Interessenvereinigung, er ist bisher überhaupt nicht Kandidat, obwohl seine Kenntnisse der städtebaulichen und wohnungstechnischen Bedürfnisse der Großstädte der ganzen Welt ihn für den kranken Organismus Groß-Berlins besonders geeignet macht.25

Ob dieser Vorschlag in einer Absprache erfolgte, ist unbekannt. Die Zielrichtung de Fries' gegen eine Politisierung auf Kosten des Fachwissens läßt einen gezielten Vorstoß 24

Eine idealisierte Zeichnung der Anlage von Elbert Peets von 1921 AV 897. De Pries, Groß-Berlin ..., S. 100 [H.i.T.]. Auch er verfügte über eine spitze Feder, h a t t e mit starken Worten den Wohnungsbestand gegeißelt, sich gegen die „vorgeschobenen" Kandidaten verwehrt und mit Zahlen bekräftigt, die dem Material des Propaganda-Ausschusses entstammen. 25

457

7.1.2

Ambitionen

annehmen. Dennoch konnte de Fries über seine Kontakte - er war Mitarbeiter bei Hermann Jansen, arbeitete mit W.C. Behrendt für die 1919 gegründete „Volkswohnung" - annehmen, daß Hegemann dieser Vorschlag zur Kenntnis kam. Da der Magistrat Berlin Anfang des Jahres 1921 beschloß, die Stelle eines Direktors und Generaldezernenten für Städtebau, Siedlungs- und Wohnungswesen mit dem Titel Städtebaudirektor öffentlich auszuschreiben 26 , bestand für Hegemann die Möglichkeit, sich darum zu bewerben. Im Lichte seiner Feststellung von 1926: Selbstverständlich mufi es jeden reizen, der wie der Unterzeichnete seit langem mit den städtebaulichen Bemühungen in Groß-Berlin innig verwachsen ist, eines Tages einmal selbst an leitender Stellen mitwirken zu dürfen27, sind Hegemanns dahingehende Ambitionen gewiß. Zumal er fortfuhr, es 1920 freudig begrüßt zu haben, daß de Fries seine Kandidatur anmeldete. Auch erwähnte er 1929, daß man ihm vor einigen Jahren ... Hoffnung auf ein einflußreiches Amt machte28. Zum Zeitpunkt seines Aufbruchs in den Staaten war der Spandauer Stadtbaurat Karl Elkart bereits zum neuen Groß-Berliner Städtebaudirektor gewählt worden - ein Ergebnis, das die jüngeren sozial engagierten wie ästhetisch dezidierten Architekten als bürokratische Lösung wenig zufrieden stellte 29 . Vielleicht war also bereits eine erste Bewerbung gescheitert. Die Ambitionen bleiben jedenfalls erhalten 30 oder wurden, mindestens als mit Ausscheiden Ludwig Hoffmanns als Berliner Stadtbaurat und dem Wechsel Elkarts nach Hannover sich 1924 eine Zeitenwende anzudeuten schien, erst recht geweckt. Daß ihm dabei von Dritten Hoffnung gemacht wurde und deren Vorarbeiten ergebnislos verpufften, ergaben Enttäuschung und Verbitterung. Die Wortwahl von „leitender Stelle" und „einflußreichem Amt" zeigen nicht nur die Erwartung einer Einbindung in staatliche i.e. kommunale Hoheitsaufgaben, sondern an hoher Position. Wieweit Hegemann klar war, daß seine Arbeitsbiographie einem solchen Amt entgegenstand, bleibt fraglich. Daher ist denkbar, daß trotz seines Erfolges in Publizistik und Öffentlichkeit seine Arbeit ihm immer auch als Interim oder zweitbeste Tätigkeit erschien. Es ist durchaus möglich, daß Hegemann so zunächst vorhatte, selbständig tätig zu sein. Er nannte sich in der Folge häufig „Architekt". Als Herausgeber der Zeitschrift zeichnete er zunächst als Architekt, später auch mit dem „Dr.", ohne den Titel zu spezifizieren. Er hielt seine Arbeitsbiographie im Dunkeln. Freunde wie Hermann Kesten glaubten, ihm Häuser in zwei Kontinenten zuschreiben zu können 31 . Die Veröffentlichung des bald darauf begonnenen Eigenhauses durch Heinrich de Fries in seinem Buch „Moderne 26

Städtebau 18 (1921), S. 23. Die Entwicklung dieses Amtes, allein schon seiner Benennungen, und seiner Inhaber, ist bisher unzureichend beschrieben (allein Martin Wagner ist, allerdings den Kontext der Moderne meinend, gewürdigt worden), so daß hier eine weitere Aufgabe bleibt. 27 Berliner Stadtbaumeister (1926) 34; siehe auch Berliner Städtebaudirektor (1925) 307 f. 28 Für das er sogar einen Lebenslauf anfertigen mußte, so daß die Bewerbung mindestens einen halboffiziellen Status erreichte - der bisher aber nicht nachweisbar ist. Hegemann an Rasmussen, 29. Oktober 1929, Nachlaß Rasmussen. 29 Städtebau 18 (1921), S. 107 (de Fries). 30 Da Hegemann 1926 prophezeite, daß Reinhold Kiehl, der sich in diesem Amt aufgerieben habe, noch manchen Nachfolger haben werde, konnte er diese Ambitionen schon 1920 auf die nächste Zukunft projizieren. 31 Kesten, Hegemann ..., S. 91.

458

7.1.2 Architekt

Villen und Landhäuser" von 192432 konnte das auch unter Architekten festigen. Hegemann selbst machte gern Andeutungen, die eine künstlerische Entwicklung betrafen, nicht notwendig jedoch eigene Entwurfsarbeit meinten. Vor allem gab er immer wieder die amerikanischen Jahre als Teil einer Lehrzeit an - so 1928 mit einem „löjährigem Studium im Auslande" und „8 Jahren Praxis als Städtebauer und Architekt in Wisconsin" 33 - und für die Königslegende die Anregung durch Otto March in einem dem der Architekten entsprechenden Ausbildungsverhältnis - „Schüler des Architekten Otto March" 34 . Hegemann konnte sich durchaus mit Recht als Architekt bezeichnen, zumal dieser Begriff als Berufsbezeichnung nicht geschützt war. Dient er für die Zeitschrift der Legitimation, in Zeiten wachsender Betonung des kreativen Aktes eine berechtigte konkurrierende Deutung anzumelden, scheint er zunächst aber vor allem ein erhofftes Arbeitsgebiet zu beschreiben. Doch nur einmal erwähnt Hegemann je von ihm selbst gebaute Häuser 3 5 - das eine wohl das eigene, während über das andere nichts bekannt ist - , so daß diese Hoffnungen sich nicht erfüllten. Eine weitere Schilderung zeigt, daß er womöglich versuchte, über die begüterte Familie mütterlicherseits Verbindungen zu knüpfen, zum anderen, daß er mit den Zwängen der Dienstleistung sehr wohl vertraut war. Hegemann verdankte einen seiner liebsten Aufträge im Rheinland, einen Garten mit großartiger Axialentwicklung geradezu der Bewunderung kunsterklärender Anekdoten, einem populären Bedürfnis nach anekdotenhafter Ausschmückung der Kunst, dem er hier nachgab, indem er dem zögernden rheinischen Großindustriellen diese erstaunliche Längenentwicklung [des geplanten Gartens] als ein „Symbol" seines Lebensweges, ja, als ein Symbol des benachbarten Rheines, anziehend machte36. Die hier zu Tage tretende Haßliebe zwischen Architekt und seinem Bauherren wird auf älteren Erfahrungen beruhen, während der Zuschnitt auf deutsche Befindlichkeit durchaus die wenig erfolgreichen Akquisitionsversuche zu beschreiben vermag. Mit zwei oder vielleicht drei gebauten Häusern, einem Garten - oder nur Fiktionen dessen? - kann Hegemann auch nur privat angetragene Aufgaben erfüllt haben - oder eben eine Karriere als Privatarchitekt angestrebt haben, die nicht gelang. So baute er zunächst das Haus für die eigene Familie und fand dabei die Zeit, ein erstes aufwendiges literarisches Werk zu verfassen. 32

Heinrich de Pries, Moderne Villen und Landhäuser. Berlin 1924, S. 124 ff. Degener 9 (1928), S. 607; beruht auf Eigenangaben. Vgl. „Dresslers Kunsthandbuch" ähnlich, nüchtern dagegen der TLK, korrekt erst WLB. Beachte auch Nebenbemerkungen wie Londoner Reiseeindrücke (1928) 316: ein Buch über Lutyens hat mir in meiner Studienzeit unendlich viel bedeutet; selbiges erschien 1913. Sie machen gerade die praktische Arbeit zur Lehrzeit. 34 Degener 9 (1928), S. 607; vgl. SB 450 „des Berliner Baumeisters Otto March'· mit Betonung der „künstlerischen Seite". 35 Tagesfragen (1927) 123 f.; Haus mit Flachdach von ca. 1922 und ein Haus mit schiefem Dach, wohl das eigene. 36 Weimarer Bauhaus (1924) 76, 77, 78. - Von einem solchen Garten, den Hegemann damit ja offensichtlich für fernere Verwandtschaft gestaltet zu haben beanspruchte, war Frau Inge Vorster. Köln, nichts bekannt. 33

459

7.1.3 Grundstück

7.1.3 Haus Hegemann Ungeachtet aller Arbeitsmöglichkeiten war die Wahl Berlins zum Wohnort endgültig getroffen. Sehr bald nach Ankunft in der deutschen Hauptstadt mußte Hegemann mit der Suche nach einem passenden Grundstück und Vorarbeiten für den Bau eines eigenen Hauses begonnen haben. Die dreiköpfige Familie bezog zunächst eine Wohnung im Südwesten, in der Mittelstr. 1 in Steglitz, mit Blick auf die Stadtbahn, die direkt in die Mitte Berlins führte, aber auch Richtung Wannsee in die Landhauskolonien. Und in diese Richtung führte die Suche. Das Grundstück zur „Errichtung eines Landhauses" fand die Familie in Zehlendorf am Nikolassee, in einem Winkel, wo sich Alemannen- und Seeuferstraße nicht trafen, sondern durch einen Fußweg verbunden waren. Damit hatte Hegemann ein Gebiet von offener Bauweise und geringer Siedlungsdichte ausgewählt, über dessen Charakter als Berliner Vorstadt er gleichwohl urteilte, daß sie mit ihrem knollenförmigen Straßenschema vom Zeichentisch eines wacklig gewordenen Sittejüngers ... wie ein Albdrücken wirke37. Doch war diese Vorstadt mit zwei sich kreuzenden Stadtbahnlinien bestens mit der inneren Stadt verbunden und stellte nicht zuletzt deshalb eine großbürgerliche und prestigeträchtige Wohngegend dar 3 8 . Aufgrund des großzügigen Zuschnitts derer Grundstücke konnten Hedwig und Elisabeth Gerkrath den rückwärtigen Teil ihres zur Libellenstraße gelegenen Grundstücks, der fast 3.000 Quadratmeter umfaßte, am 14. Juli 1922 an die Hegemanns verkaufen. Vom Preis von 240.000 Mark bezahlte Hegemann an diesem Tag 120.000 Mark per Scheck der Disconto-Gesellschaft. Kauf, Verkauf und Zahlungsweise sind in Verhältnis zur eben begonnenen ersten Phase der Hyperinflation zu setzen 39 . Sie wurde ganz offenbar von allen Beteiligten unterschätzt, hätten die Verkäuferinnen sonst nicht diesen Zeitpunkt für einen monetären Besitzwandel gewählt und Hegemann, profitierte er nämlich von Tantiemen 40 , hätte zu einem späteren Zeitpunkt erheblich gewonnen, da der Kurs für einen Dollar vom Juli bis Dezember 1922 von 117,49 auf 1807,83 Mark stieg. Die sofortige Zahlung der ersten Hälfte und die zügige der zweiten bis zur Auflassung am 13. September Schloß dies aus 41 . Die Beschleunigung der Inflation beeinträchtigte alsbald den weiteren Verlauf. In freu37

Weimarer Bauhaus (1924) 74. Sie war darüberhinaus mit Besitzauflagen gesichert, wie Hegemann sie in den Staaten stets empfohlen hatte. Im Vertrag genannt und im Grundbuch eingetragen war die Auflage, keine Restauration, keine Krankenanstalt, kein Sanatorium und keine Gewerbe zu betreiben, das [sie] durch Erzeugung von Geräusch, Geruch, Staub oder Russ lästig werden kann. Grundbuch Nikolassee, Bd. 15, Blatt 422. Amtsgericht Schöneberg, Grundbuchamt Nikolassee, Berlin, Bl. 13 und Abt. II. 39 Heinrich August Winkler, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993, S. 181 ff. 40 Da Theodora Kimball 1923 den „American Vitruvius" in ihren Empfehlungen zum Aufbau einer Planungsbibliothek nannte, konnten diese durchaus noch einmal steigen. Kimball, Manual ..., p. 42. 41 Der Kaufvertrag wurde am 14. Juli geschlossen, die Eigentumsänderung am 15. September angezeigt und am 10. November eingetragen. Die weitere Zahlung des Kaufpreises sollte „Zug um Zug" in bar zuzüglich 5% Zinsen bis zur Auflassung erfolgen. Grundbuch Nikolassee ..., Blatt 12; mit weiteren Vereinbarungen über einen Zaun und Versetzen einer Laube. 38

460

7.1.3 Landhaus

digem Aufbruch hatte Hegemann schon vor Unterschrift des Kaufvertrags am 1. Juli die Bauzeichnungen zur „Errichtung eines Landhauses" als Architekt abgezeichnet (die Bauzeichnungen selbst stammten nach Erinnerungen des Sohnes von des Vaters Cousin Walter March). Doch ein Mitte Oktober an Erich Stern verfaßter Brief zeigt Hegemann mutlos und zweifelnd. Auf der Rückseite eines Bankformulars schreibt er: Lieber Herr Stern, hier sitze ich im grossen Hasten dieses Lebens auf der Bank und muss geduldig warten mit vielen vielen anderen, bis meine Nummer aufgerufen wird, auf die ich etwas Geld ausgezahlt erhalten möchte. Alles was mit Geld zusammenhängt, ist hier heutzutage von den größten Schwierigkeiten umgeben und man weis nicht wo das enden soll. Man hört fast niemanden von etwas anderem reden, als Geldsorgen, Preissteigerungen und Nahrungsschwierigkeiten. Es ist rätselhaft wie sich alles noch im Gange erhält. ... Meine Hauptsorge ist noch immer der Bau eines kleinen Wohnhauses für meine Familie, den wir durch den völligen Mangel an Mietswohnungen zu unternehmen gezwungen wurden. Die damit verbundenen Sorgen sind unter den gegenwärtigen Verhältnissen grenzenlos u. das Endergebnis noch immer sehr zweifelhaft. Der Streik der Klempner und Rohrleger dauert nun schon 4 Wochen und hält alles auf. Wenn der aufhörte könnten wir in vier Wochen schon in das Dachgeschoss einziehen. ... Dies trug ich mehrere Tage in meiner Briefmappe mit herum. Seitdem sind neue finanzielle Katastrophen hereingebrochen. Es ist sehr ernst u. hoffnungslos.42

Es darf bezweifelt werden, daß Hegemanns Aussage, zum Hausbau „gezwungen1' worden zu sein, mehr als ein deprimierter Eindruck unter der Last der Zeit ist. Zu sehr fügen sich Ort, Haus und Räume zu dem immer wieder apostrophierten Ideal. Auf dem 2840 qm großen Grundstück plante Hegemann ein Haus von nur 113 qm Grundfläche, so daß die Bebauung nur ein Zwölftel der zulässigen ausmachte 43 . 1928 deutete Hegemann an, daß er größer und großzügiger hätte bauen mögen, wenn absehbar gewesen wäre, daß die wirtschaftliche Beklemmung Deutschlands so schnell behoben werden würde, wie es augenblicklich den Anschein haben sollM. Dennoch steht auch die Unterschreitung von Höchstmaßen zu sehr im Einklang mit seinen Vorstellungen, als daß sie allein wirtschaftlichen Erwägungen gefolgt wäre. Das Landhaus wurde weder parallel zur Straßengrenze noch genordet auf das Grundstück gesetzt, vor allem aber nicht mit seiner „Gartenseite" auf den See ausgerichtet (Bild 105). Aufgrund von Topographie und Bewuchs war trotz erheblichen Gefälles ein Seeblick wohl gar nicht möglich 45 . So wurden Baumbestand und typischer Bewuchs zu Charakteristiken der Lage: der „weite, verwilderte Garten seines Hauses am Ende von Nikolassee", von dem Arnold Zweig 42

Hegemann an Stern, 11. Oktober 1922, Stern Papers. Tiefbauamt Grundstücks-Akten Alemannenstr. 21, Aktenkammer der Bauaufsichtsbehörde Zehlendorf, Tiefbauamt Zehlendorf. Bezirksamt Zehlendorf von Berlin, Blatt 4. Zulässige Bebauung 10247,51 cbm; projektierte 859,56 cbm. Eine Garage war nicht vorgesehen (deren Bau durch spätere Besitzer Blatt 28-43 der Akte füllt). 44 Schmitthenner, Taut (1928) 348. 45 Vor Ort kann man sich heute kein Bild mehr machen, da Haus und Topographie durch den Bau der Autobahn zerstört wurden. Zwischen dem offenbar erhaltenen Niveau der Alemannenstraße und dem Nikolassee besteht eine große Höhendifferenz. 43

461

7.1.3 Klassizismus

später sprach. Entsprechend legte Hegemann auch das Äußere des Hauses auf Einfachheit, Weglassung von Schmuck einschließlich Fensterumrahmung an; in Korrespondenz zum Garten war es auf Bewachsen mit Efeu berechnet46. Das Haus selbst - fertigte Hegemanns Cousin Walter March nur die Bauzeichnungen an oder beriet er ihn auch ? - war ein geschlossener Kubus mit niedrigem Backsteinsockel, glatter Fassade mit nur einer Gesimslinie, betontem Dachüberstand des schrägen, ausgebauten Daches. Strenge Symmetrie beherrscht es. Die Gartenseite zeigt zur Terrasse mit allseitig ansteigenden drei Stufen drei Bodenfenster (zwei als Türen) und zwei einfache, im Obergeschoß fünf Fenster, alle mit Sprossen, über Fensterläden zusammengefaßt; im Dacheinschnitt fünf kleine Fenster mit Geländer. Auf der Straßenseite waren die mittleren Fenster zusammengezogen; der Tür war ein Dach auf Pfeilern mit klassizistischem Giebel vorgesetzt (Bild 104), welcher sich über den Dachfenstern am Balkonausbau des Dachgeschosses wiederholte47. Dieser Vorbau zitiert ebenso amerikanischen Kolonialstil wie Giebel- und Geländerformen des Klassizismus. Der äußeren Symmetrie und Achsialität entsprach keine im Inneren. Die drei großen Gartenfenster waren insofern täuschend, als dahinter zwei verschieden große Zimmer lagen. Die Achse der Eingangstür führte im großen Zimmer auf einen Flügel, zu dessen rechter Seite der Wohn- und Eßzimmerbereich (Bild 107) lagen; der linke Raum war eine „Bücherstube". 1928 gab Hegemann eine Kritik des Architekten Alexander Klein wieder: Klein tadelt im Grundriß meines Hauses nicht zu Unrecht, daß man nach dem Verlassen der kleinen „ Vorhalle" durch eine Wand am linken Ellbogen bedrängt, aus der Hauptachse geworfen wird und dann sozusagen rechtsum machen muß, um die Dame in der Sofanische begrüßen zu können.48 Er sah diese Wendung durch Flügel und den Blick in die Längsachse vermittelt, verwies aber zur Erklärung, wenn auch durchaus nicht Entschuldigung des Ineinanderschachtelns der Räume im Erdgeschoß auf die Bauzeit des Hauses, auf begrenzte Mittel und die Hoffnung, mein Haus möglichst lange allein bewohnen zu dürfen, so daß das sogenannte „Gartenzimmer" ... in Wirklichkeit eine Dreiheit von Musikzimmer, Wohnzimmer und Speisezimmer sei49.

46 Erinnerungen (1926) 199, Abb. 15, zur Gartenseite mit der schon in der ersten Zeichnung vorgesehenen Holzbank unter dem östlichen Fenster. 47 Nach de Pries, Villen ..., S. 124-127. In den Plänen waren auf den Giebelseiten noch Rundbogenfenster vorgesehen, auf die Hegemann dann verzichtete. 48 Schmitthenner, Taut (1928) 348. 49 Die dazu angeführte Behauptung, daß diese nach Wunsch getrennt oder vereint werden können, ist natürlich eine Illusion, da dies nicht einmal im Familienkreis wirkungsvoll durchführbar scheint. Hegemann behalf sich mit dem Hinweis auf den Notbehelf, der ja neuerdings auch den modernistischen Architekten „entdeckt" werde.

462

7.1.3.1 Intellektuelle

Arbeit

7.1.3.1 Ostendorf Vom Haus als Kubus führt ein direkter Weg zu Friedrich Ostendorf. Dessen Rezeption wird unter der Formel „Ostendorf" zur Chiffre der Debatte um die Geltung historischer Interpretation 50 , die Hegemann vehement verteidigt. Am Beispiel des Eigenhauses läßt sich Hegemanns eigener Weg zu Ostendorf aufklären. Seine Lektüre Ostendorfs fiel gerade in die Zeit, in der Hegemann sich erstmals mit eigenen Versuchen architektonischen Entwerfens auseinandersetzte 51 . Wie er Gelände und Umgebung optisch erfuhr, bildete er seine architektonischen Vorstellungen in optischer Imagination. Ostendorfs Forderung nach Raumbildung traf Hegemann als ideales Programm für diese Arbeitsweise. Seiner fehlenden Fachausbildung und handwerklicher Beschränkung durch geringe Erfahrung wie zeichnerische Begabung standen das optische Gedächtnis und ein großer Fundus aus Belesenheit und eigener Anschauung gegenüber. So mußte Hegemann mit den Postulaten Ostendorfs ein subjektiv praktizierbares Verfahren inklusive objektiver Rechtfertigung in den Schoß fallen. Die Idee für die körperliche Erscheinung ist das erste, der Grundriß entsteht erst unter der Herrschaft der Idee.52 Diese Forderung Ostendorfs ist für Hegemann zuerst das Abbild eigener Tätigkeit. Sein Zugang zum Entwerfen war die intellektuelle Arbeit, nicht kreativ-intuitive, handwerkliche Schöpfung. Ostendorfs Hierarchie, die dem Entwurf die primäre Funktion zuteilte und die Zeichnung als sekundär degradierte, bedeutete Hegemann die Sanktionierung seiner Arbeitsweise. Sie wurde durch Äußerungen Ostendorfs bestärkt, nach denen etwas, das so ganz einfach und richtig, wie es eben sein muß, entsteht, auch richtig wirkt53. Zwingende Logik und vernünftiges Handeln scheinen hier zugrundezuliegen. Gefordert ist die einfachste Erscheinungsform als Gegensatz zur Kompliziertheit. Ostendorf lehnt den englischen Wohnhausbau ab, weil der erst den Grundriß, dann die Erscheinung bilde und nie zu einer klaren Form gelange54. Er illustrierte sein Werk mit Zeichnungen von Landhäusern, 50 Eine ausführliche Aufarbeitung steht noch aus. Siehe Werner Oechslin, „Entwerfen heißt, die einfachste Erscheinungsform zu finden". Mißverständnisse zum Zeitlosen, Historischen, Modernen und Klassischen bei Friedrich Ostendorf, in: Reform und Tradition ..., S. 29-53, S. 32. Siehe auch Walter Sackur, Zum Gedächtnis an Friedrich Ostendorf. Berlin 1919. 51 Die - nach der Literaturliste zu schließen - in der Vorarbeit für den AV geleistete Aufarbeitung architekturtheoretischer Schriften Schloß Ostendorfs „Sechs Bücher vom Bauen" in einer Ausgabe von 1920 ein; eine frühere Rezeption war bisher nicht nachzuweisen - Daher muß hier Posener widersprochen werden, der in Hegemanns „Städtebau" eine Affirmation der Ostendorfschen Tendenzen sieht. Posener, Berlin ..., S. 175-188, 184. Wenn Hegemanns barocker Stadt Ostendorfs Bestehen auf Raum entspricht, ist das im Ergebnis zwar richtig, doch in der Kausalität falsch. Wo Ostendorf ahistorisch ist, herrscht das Zeitgeist-Axiom und setzt Hegemanns „räumliche Großform" in die Nachfolge von Ostendorfs Außenraum - Hegemann aber überformte seine Desiderate erst später damit, was auch zu dem Konflikt um die Bewertung Schinkels („Verwilderung") führt. Das Axiom muß einen schuldhaften Abfall vom Fortschritt konstatieren. Eine genauere Untersuchung hätte in einer systematischen der Dogmen aufzugehen. 52 Friedrich Ostendorf, Sechs Bücher vom Bauen. Erster Band, Einführung, 2., veränd. und verm. Auflage, Berlin 1914, S. 11. Umfassende Darstellung bei Oechslin, Ostendorf ..., S. 32-39. 53 Ostendorf, Einführung ... , S. 235 über Städtebau. 54 Ostendorf, Einführung ..., S. 34 ff. Beispiele und Gegenbeispiele, S. 159 ff. Innenräume; Gegenüber-

463

7.1.3.1 Konventionalsystem

auch von Muthesius, und stellte ihnen Zeichnungen nach seinen Forderungen mit gleichem Raumprogramm im geschlossenen Baukörper gegenüber 55 . Die Forderung maximaler Klarheit und Einfachheit der Form nähert sich der Kritik des klassischen Rationalismus, die gesuchte Komplikationen beim Bau als irrational und unlogisch ablehnt 56 . Hegemann läßt darüber seine ehemaligen Vorbilder hinter sich. Dieses Programm führt zu einem akademischen Entwerfen, in dem eine Komposition interner Räume unter Vorgabe des äußeren verlangt wird57. Die Forderung nach dreidimensionalen Raumvorstellungen gilt bei Ostendorf gleichermaßen für einen architektonischen, auf eine einfache Erscheinungsform gerichteten Entwurf der Außenräume58. Ein solcherart ausgelegtes Programm Ostendorfs erlaubt Hegemann, sich auf Grundsätze zu beziehen, die denen der französischen Rationalisten gleichen: Die Disziplin des Architekten fordert, die ästhetischen Wirkungen auf logische Folgerungen aus konstruktiven Elementen und dem Entwurf der Elemente nach rationalen Kriterien zu beschränken; eine Begrenzung auf notwendige Elemente ohne Uberfluß und Launen, die Bindung an Planung nach Wissen und Wirtschaftlichkeit, die Restriktion beim Einsatz neuer Materialien nach konstruktivem Bedarf 59 . So hat er den Kubus als gültige Außenform gegen freie Grundrisse gewählt und ein inneres Programm dem untergeordnet. Die ästhetische Wirkung wird aus den klassischen Elementen Sockel und Dachüberstand bezogen, die konstruktiven der Fensterläden zur Dekoration genutzt. Die dekorative Bedachung von Vorbau und Dachausbau kann als die notwendiger Elemente ohne Uberfluß angesehen werden, deren ästhetische Wirkung als logische Folge der Konstruktion ausgelegt wurde und die Auswahl dieser dekorativen Elemente nach rationalen Kriterien traf: die gezielte Evokation des American Colonial und klassischer Architekturformen. Hegemann erliegt einem Zirkelschluß. Weil Ostendorfs Theorie subjektiv wahr - als Beschreibung eigenen Tuns - war, hatte sie allgemeine Geltung. Doch Ostendorf bot dazu mehr. Er stellte eine einschlägige mandarinische Verfallsdiagnose, die ebenso einschlägig mit dem Rückgriff auf die Klassik zu heilen sein sollte und in eine Evolution mündete. Sie ging vom Axiom unveränderter menschlicher Bedürfnisse aus, die in gleichen, gültigen Formen zu befriedigen seien und eine Kultureinheit schaffen werde. Architektur erscheint darin als historistische Entität mit Eigenrecht auf Verwirklichung, die Stellung von Bauplänen bei Oechslin, Ostendorf ..., S. 30 f. 55 Hegemann befindet in seiner Rezension der Neuauflage, dafi die Architektennamen der Beispiele hätten genannt werden sollen. Peter Meyer, Haus und Garten. Zur Neuauflage des Buches von Ostendorf, in: SBZ 83 (1924), S. 88 f. und S. 254-257, S. 88, gibt ihm darin recht: (ist nicht bedenklich viel darunter von Muthesius?). 56 Collins, Changing Ideals ..., p. 216. 57 Zum akademischen Entwerfen siehe Collins, Changing Ideals ..., p. 220-227. Zum Stein des Anstoßes besonders Oechslin, Ostendorf ..., S. 40 f. und 44 f. - Eine weitere Stellung zu den Postulaten wird bei Peter Meyer sichtbar: er integriert die prinzipielle Forderung nach Einfachheit, lehnt aber die konkreten Vorschläge infolge der Idee einheitlicher „Baukultur" ab. 58 Ostendorf, Einführung ..., S. 224 f. über die unumkehrbare Leistung der italienischen Renaissance, S. 216 ff. zu Siedlungen. 59 Siehe Kruft, Architekturtheorie ..., S. 309-318; Collins, Changing Ideals ..., p. 198-217.

464

7.1.3.1

Gewohnheitsarchitektur

vom erzwungenen Modernismus schuldhaft behindert wird. Diese Sinngebung beruht auf ähnlichen bildungsbürgerlichen Hintergründen und mußte als scheinbar objektive Rechtfertigung der ästhetischen Wahl an Hegemann appellieren. Bevor jedoch diese Axiome in der Architekturdebatte ihre Brisanz entfalteten, steht hier eine andere, dann verdrängte Bedeutung im Vordergrund. Für Hegemann bedeutet das Programm Ostendorfs vor allem, mit der Idee von Kultureinheit ein festgefügtes und qualitätsgarantierendes (Konventional-) System zu erlangen 60 . So ging es ihm anhand des amerikanischen „Kolonialstils" darum, daß der jederzeit zwanglos von der Symmetrie zur bequemsten Anpassung an die Bedürfnisse des Augenblicks übergehen und trotzdem dem Zwanglosen noch etwas von angenehmer Feierlichkeit zu geben vermag61, um eine flexible Regulierung und qualitätvolle Aufwertung des Baus. Wenn er eine amerikanische Bauherrin bat, sie möchte sich an die eindeutige Uberlieferung ihres Vaterlandes halten62, galt es, sie von „Tudor" und anderen modischen 'gotischen' Exzessen abzuhalten, um wiederum eine reizmindernde Regulierung und Qualitätsaufwertung der äußeren Erscheinung zu gewinnen. Das Konventionalsystem übernahm dabei eine Garantie auch bei mäßiger Architektenleistung und darüberhinaus eine Sicherung des Lokalcharakters, wie seine wiederholten Verweise auf das Spanish Colonial für Kalifornien andeuten. Zu ergänzen ist dabei jedoch die Verwendung der klassizistischen Dekoration als aktive Indienstnahme historischer und politischer Anspielung. Ahnlich wie die Wertschätzung von Jeffersons Landsitz Monticello in der „Amerikanischen Architektur" der doppelten Anknüpfung an antike Demokratie und amerikanische Verfassungsgeschichte gilt, bedeutet sie, sich gezielt in die Linie von Geschichte und Zivilisation zu stellen und politisch-ästhetische Werte zu verkörpern. Dadurch eröffnet sich ein weiterer Aspekt der historischen Option. In einer Begriffsbestimmung analog zur vernacular architecture des angelsächsischen Raumes läßt sich eine traditionale Architektur von einer tradistischen unterscheiden. Erstere bezieht sich auf die Realien, die Zweite auf die Mitteilung. Klassizismus wird in der Traditionalen zu dem Bezug auf ein Regelwerk und zu einer Bauweise statt eines Stils 63 . Im englischen Raum basiert die Form der vernacular architecture auf Arbeit, wobei die Ausbildung der Architekten Brüchen entgegensteht; andernorts vermag die traditionale Architektur mittels neuer Baustoffe eine Konvergenz zur Rationalen zu erzeugen. In Deutschland jedoch wurden Muthesius' Forderungen nach Vorbildern und Typen ungeachtet gesellschaftlicher Bedingungen mit ideologischen Bedeutungen gefüllt. Insofern verfolgte etwa Heinrich Tessenow mit dem 'Einfach-Notwendigen' eine Alltagsarchitektur, während bei Paul Schultze-Naumburg die Mitteilung bürgerlicher Idealzeit vorherrschte: sie gerinnt zu einem Satz von Formen, die „Tradition" konnotieren64. 60

Oechslin, Ostendorf ..., S. 33. Schmitthenner, Taut (1928) 348. 62 Ich ging so weit, von „Pflicht" zu sprechen. Erinnerungen (1926) 201. 63 Martin Steinmann, Arbeit als Wissenschaft und Arbeit als Bild. Zur Tradition der „gewöhnlichen Architektur", in: Das Abenteuer der Ideen. Architektur und Philosophie seit der industriellen Revolution, Berlin 1984, S. 195-206, S. 199 f. 64 Steinmann, Arbeit ..., S. 204. 61

465

7.1.3.1

Affekte

Sowenig Hegemann dieser Unterschiede in der aufgeladenen Atmospäre der architektonischen Debatte zunächst ansichtig wurde, ist hier erkennbar, daß ihm „Ostendorf" und Tradition für eine Alltagsarchitektur standen, wie er sie im Eigenhaus zu praktizieren versuchte. Denn nach der Öffnung des Streits zeigt sich an seiner Gleichbehandlung von gewöhnlichem, traditionalen Wohnhaus und modernem Haus die Gleichwertigkeit als eine für alle zugängliche, daher gleichermaßen mögliche und damit erstrebt gewöhnliche Architektur 65 . Daraus ergibt sich ein weiterer, ein gesellschaftpolischer Aspekt der traditionalen Architektur. Wie der Kubus für Hegemann als Außenform gegen freie Grundrisse gültig bleibt, so auch im Außenraum gegen malerische Straßenführung und romantische Bebauung oder in der Auflösung in der Großsiedlung gegen die Auflösung der Straßenwand und öffentlich-politischen Raums. Im Zuge des Zivilisationprozesses mit seiner Internalisierung von Zwängen wird das zur Option für eine Eindeutigkeit des Raums, gegen die Auflösung in unbestimmte Ubergangszonen. Am Eigenhaus Hegemanns wird dies als Option für eine Reizreduktion bei gleichzeitiger Affektbindung erkennbar 66 . Die Reduktion von Ornament und Dekor fällt mit rationalen Argumenten zusammen. Die Betonung von Trennung und Barrieren und die Gliederung der Außenräume bindet jedoch die Affekte um die Vorstellung 'Haus'. Zwar steht das Haus in einer offenbar ungestalteten Grünzone, ist jedoch durch den Sockel verankert und vom Dach wie Giebeln beschirmt. Die Läden und Fenstersprossen stärken die Barrieren zwischen Innen und Außen. Der Ubergang ins Innere ist sorgsam gestaffelt: Vorbau, Stufen und Bänke schaffen einen halböffentlichen Raum, der Windfang einen formalen Empfang, der Vorraum erst ist Eingang in die familieninterne Privatspäre des Inneren. Zur Garten-, zur Privatseite ist der Übergang direkter: zwischen Binnenraum und privatem Außenraum braucht nur eine Terrasse zu vermitteln. Diese Betrachtung vermag Hegemanns Entfernung von der Moderne und der Großsiedlung zu erhellen. Wo er diese Bedürfnisse so sehr betont, vermag er der Abstraktion der Moderne und ihrem Zwang zur Selbstdistanz und Affektdämpfung vielfach nur befremdet gegenüber zu stehen 67 . Die glatte, texturlose Wand, ihre Auflösung in barrierenfreien Fenstern, das 'fehlende' Dach, die neuen Großmaßstäbe mit Undefinierten Grünräumen und anonymen Gruppen scheinen ihm den immer gleichen Bedürfnissen der Wohnenden zu widersprechen. Und sie widersprechen Hegemanns Idee der Stadt als Gruppierung und Staffelung definierter öffentlicher, halböffentlicher und privater Räume. 7.1.3.2 Geselligkeit und Gesellschaft Die Ortswahl spiegelt noch einmal das frühliberale Ideal eines Gegensatzes von Öffentlichkeit und Privatheit. In der Geschäftigkeit im Innern der Stadt wird Hegemann seinen beruflichen Aufgaben nachgehen und 'draußen', abgeschirmt durch die Übergangszone 65

Siehe besonders den Jahrgang 1930 der WMB, z.B. Walter Schmitz/Rudolf Frankel im WMB 14 (1930), S. 83 f. 66 Überlegungen im Anschluß an Martin Neitzke, Gustav Wolf. Bauen für das Leben, Neues Wohnen zwischen Tradition und Moderne, Tübingen-Berlin 1993, S. 14-19, 126 ff. 67 Vgl. Neitzke, Wolf ..., S. 54 ff., S. 56.

466

7.1.3.2

Lebensführung

des Nahverkehrs, familiäre Privatheit pflegen. Dahinter steht jedoch nicht mehr ein Dualismus Humboldtscher Prägung, in dem die Selbstbildungsintentionen ein rein beschauliches Familienleben auf dem Lande fordern, während die Geschäftigkeit in Stadt und Staat denen abträglich scheint, was einer Absage an die bürgerliche Gesellschaft gleichkommt 68 , sondern eine Modernisierung und Transformation. Zusammen mit der Formwahl steht dies in einem weiteren Spannungsfeld: Goethe in seinem Gartenhaus, der einstige Stürmer und Dränger nun als sorglicher Besitzer eines Anwesens und als Mitglied des Ministerrats dem tätigen Leben zugehörig und doch abseits vom Hof und von der Stadt in seiner eigenen Welt, umgeben von Natur und an ihr zur Natur sich bildend69. Goethes Gartenhaus bezieht sich auf eine bürgerliche Idealzeit. Dabei breitenwirksames künstlerisches Reformideal durch Schultze-Naumburgs „Kulturarbeiten", steht es auch für ein dilettantisches Gesamtkunstwerk, wie es Hegemann auch für sich beanspruchen konnte. Es ist schwer ersichtlich, warum man sich heute nicht in einem Wohnhause aus der Zeit Goethes (etwa nach Einbau eines Telephone und einiger anderer Belanglosigkeiten) künstlerisch befriedigt und wohl befinden sollte7° Wo dies wieder der Bekräftigung dient, daß dieselbe Bauaufgabe keine zwanghaft neuen Formen braucht, bedeutet es gleichermaßen, sich in diesen Traditionen zu sehen. Doch auch hier liegt über diesem Bezugsrahmen eine Modernisierung und Transformation, die Innenraum und Nutzung erschließen. Bürgerliche Lebensführung bestimmt den Innenraum. Die moderaten Maße schließen bei einer Grundfläche von 14,5 χ 7,8 m und den Raumhöhen von 2,8 bzw. 2,6 m eine großbürgerliche Raumordnung aus. Dennoch sind einige Elemente eingeflossen. Das vom Familienleben trennbare Erdgeschoß erlaubt Empfänge und Geselligkeiten nach großbürgerlichen Vorstellungen: Der 'Musikteil' des Wohnraumes eine entsprechende Vorstellung; das Bücherzimmer eine Trennung der Geschlechter im Abendgespräch. „Bücherzimmer" und „Schreibstube" sind ganz auf den Hausherren zugeschnitten. (Der spätere Umzug in das Dachgeschoß, an den sich der Sohn erinnert, ordnet seinen Bedarf nicht nur bildlich allem über.) Ihm gebürt nicht nur der meiste Raum, sondern er kann seine Arbeit gänzlich in den Privatraum integrieren - der fließende Ubergang ist auf dem undatierten Familienbild festgehalten (Bild 113): blättert und liest Hegemann als Arbeit oder zum Vergnügen? - und dafür auch noch einen externen Mitarbeiter beschäftigen, dessen Arbeitsraum die „Schreibstube" sein wird. Ein Damenzimmer ist dagegen nicht vorgesehen. Die Frau des Hauses wird über die Küche in die Arbeits- und die Familienebene eingebunden. Ihr möglicher Ruheraum ist eines der beiden Schlaf68

Trautmann, Herausforderung ..., S. 40 f. Peter-Klaus Schuster, Leben wie ein Dichter - Richard Dehmel und die bildenden Künste. In: Ekkehard Mai/Stephan Waetzoldt/Gerd Wolandt (Hrsg.), Ideengeschichte und Kunstwissenschaft. Philosophie und bildende Kunst im Kaiserreich, (Kunst, Kultur und Politik im Deutschen Kaiserreich 3), Berlin 1983, S. 181-221, S. 199 f. Die Formensprache des Eigenhauses von Richard Dehmel zeigt eine bewußte Wahl dieses Vorbilds. Der Bezug auf die klassische Wurzel richtet sich gegen die „Ornamenthölle" von Historismus und Jugendstil und wendet sich als Entscheidung zur 'Nüchternheit' gegen neoklassische Architektur und - im Falle Dehmels - definiert sie die Rolle des Dichters gegen Stefan Georges Priestertum und Gabriele d'Annunzios Volksführer. 70 Hegemann in WMB 8 (1924), S. 148. 69

467

7.1.3.2

Funktionsstaffelung

zimmer des ersten Geschosses, dabei mit den Wand- und begehbaren Schränken - die Hegemann nach amerikanischem Vorbild einrichtete71 - von einem weiteren, dem textilen Arbeitsfeld umgeben. Daraus ergibt sich die innere konsequente Teilung nach Funktionsbereichen: eine Staffelung von abnehmender Öffentlichkeit. Das Dachgeschoß war zunächst den Kindern vorbehalten. Ein Mittelzimmer mit Balkon, zwei angrenzenden Zimmern und eigener Toilette stellen den 'familiärsten' Bereich dar. Der Einbau eines Geschirraufzuges von 1923 72 stellt eine unabhängige Einnahme von Mahlzeiten vor, die die öffentlicheren Bereiche vor 'Störungen' schützt - wie sie auch umgekehrt den Kindern einen internen Freiraum vor den formalen Anforderungen gewährte. Disziplinforderungen waren allein schon von der Integration der hausherrlichen Arbeit vorgegeben, wurden aber von Hegemann offenbar forciert. Mindestens seiner ältesten Tochter gegenüber, die Mitte der Zwanziger Jahre nach ihrer mittleren Reife nach Berlin kam, war er so strikt, indem er ihr etwa einen detaillierten Stundenplan diktierte, daß es sie nur zwei Wochen in seinem Hause hielt 73 . Später wurde nach Erinnerung des Sohnes unter dem Dach das Studio des Vaters eingerichtet, der seine Kinder im Garten betrachten konnte, und das Kinderzimmer im ersten Stock, das Gästezimmer unten im ehemaligen Schreibzimmer. Das erste Stockwerk wurde von zwei Schlafzimmern mit Bad dominiert. Ein einquartierter Gast im dazwischenliegenden Raum wurde zum Familienmitglied durch Badbenutzung, aber auch den geselligen Ort der Bank im Vorraum. Das Mädchenzimmer verbindet die Sphären. Einerseits abgeschirmt durch eine weitere Tür und die Dachtreppe, durchbrachen Zugang und gemeinsame Verkehrswege eine strikte Abtrennung. Die Haushaltshilfe wurde nicht in Keller oder Dach verbannt, gehörte aber zu der „Lärmbarriere", die Hegemann nach eigenen Worten mit Treppe, Flur und Schränken (Bild 108) zwischen Bahn, Straße und den Privaträumen errichten wollte. Ein Mädchen wurde ständig beschäftigt; war keins zu finden, wurde das - bei der gewachsenenen Familie um so mehr - als Katastrophe empfunden74. Das Erdgeschoß ist so der öffentlichste Bereich. Wie schon der sorgfältig gestaffelte Eintritt vorgab, bleiben Tages- oder Abendgäste - wie auch professionelle Besucher in dem eigenen Arbeitsbereich - vom Familienbereich getrennt. Die erkennbare - vielleicht provisorische jedenfalls aber lichte Möblierung gab informelle Gruppierungen vor, die Geselligkeiten verschiedener Größen auch durch Ausdehnung auf den Bereich der Terrasse in den Sommermonaten möglich machte. Die Staffelung solcher Funkti7 1 So erwähnte er 1927 die „Gewöhnung an diese Annehmlichkeit", nach der ihm das Beharren beim kostspieligen und raumfressenden Kleiderschrank unhaltbar erscheine; Hegemann in WMB 11 (1927), S. 475. 7 2 Tiefbauakte Alemannenstr. 21 ..., Blatt 10, vom 8. Mai 1923, handbetriebener Aufzug mit 0,30 qm Grundfläche, piaziert neben Schreibstube, oben im Auge der zweiten Treppe. 7 3 Mitteilung von Sibylle Schwarz, 23. März 1992. 1930 war er so kokett, sich nur mühsam daran zu erinnern, daß er vier, nein fünf Kinder habe·, Kiepenheuer (1930) 54. 74 Für heute ist uns ein neues Dienstmädchen versprochen. Ob sie kommt? ob sie bleibt? ob sie taugt! Marginalie im Brief Hegemann an Rasmussen, 11. Juni 1928, Nachlaß Rasmussen.

468

7.1.3.2

Systematisierung

onsbereiche (Bild 106) bedeutet durch Rationalisierung der Anforderungen bereits eine Transformation gegenüber den Vorbildern der Idealzeit. Die Abwesenheit jeglicher nutzgärtnerischer wiewohl auch weiterer gärtnerischer Gestaltung legt den Aspekt der Beschäftigung mit und Bildung an der Natur vollständig ab. Der Garten ist zum Abenteuerspielplatz der Kinder funktionalisiert, dient allenfalls noch der Begehung. Naturnutzung ist zur Kontemplation und zur reinen Kulisse verfallen. Auf der langen Terrasse hinter dem Hause sitzt man ziemlich ungestört. Statt Umgebung wie zur amerikanischen Zeit zur physischen und psychischen Ertüchtigung durch Betätigungen des country life steigern zu wollen, steht hier der geschützte und schützende Raum im Vordergrund (Bild 109). Statt der zur bürgerlichen Idealzeit angestrebten Korrespondenz mit der Umgebung wird ein der Moderne adäquates Moment realisiert: eine Minderung der Ausgesetztheit der modernen Welt. Bedeutet dieser Garten zugleich eine Aufwands- und Arbeitsreduktion, die den Modernisierungszwängen der arbeitsteiligen Gesellschaft nur angemessen ist, weisen jene auf die erhebliche Transformation. Das Haus ist der Raum für Innerlichkeit und Bildung der Familie. Für den Hausherren selber aber haben sich die Bildungsintentionen zur professionellen Arbeit gewandelt. Er gab die beste Zeitschrift für Baukunst heraus, schrieb in Zeitungen und Zeitschriften, erweiterte seine Bücher über Friedrich und Napoleon, trug immer neuen Stoff zusammen, um kulturpolitisch zu wirken, sah bei sich viele Menschen und ging durch das öffentliche Leben Berlins, um andere zu beeinflussen.75 Dieser Rückblick eines Freundes läßt den häuslichen Arbeitsraum als doppelten Sammlungsort erkennen, von dem aus Anregungen und Ergebnisse in das öffentliche Leben getragen wurde. Die Integration der professionellen Tätigkeit in die private Umgebung trägt so den Ursprüngen Rechnung. Die Bildungsaspekte der bürgerlichen Idealzeit sind nun in Arbeit aufgehoben. Die Systematisierung von Bildungsintentionen und ihrer Anregung durch Ausschaltung innerstädtischer Geschäftigkeit sind eine Modernisierung der Herkunftsaspekte. Die Integration des Arbeitens bedeutet eine erste Öffnung zwischen öffentlichem und privatem Raum innerhalb des Hauses. Die entscheidende Transformation der in den Vorbildern aufgehobenen Gegensätze liegt in einer weiteren systematischen Öffnung zur Öffentlichkeit durch Geselligkeit. Zugang zur Gesellschaft Berlins erhielten die Hegemanns offenbar sogleich nach ihrer Rückkehr, durch Freunde und Kollegen wie vielleicht Robert Kuczynski und andere. So erinnerte sich Werner Weisbach: Gleich nach seiner Rückkehr führte ich ihn, noch bevor er eines seiner kulturpolitischen Bücher veröffentlicht hatte, in meinen Freundesund Bekanntenkreis ein; man unterhielt sich gerne mit dem persönlich liebenswürdigen und schlagfertigen Manne und mancher focht lebhafte Debatten mit ihm aus.76 Debatten und Geselligkeit wurden zu einem festen Bestandteil des Lebens im Hause, und einer 75

Zweig, Hegemann ..., S. 642. Weisbach, Geist ..., S. 232; Olden, Hegemann ..., S. 3, betonte, Hegemann sei persönlich einfach, schlicht, ein naiver, kindlich liebenswürdiger Mensch; was kaum das ganze Bild umfaßt, doch den Kontrast zwischen Schriftsteller und Person notierte 1931 auch Heinrich Herkner. 76

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7.1.3.2

Probebühne

ihrer Fixpunkte war offenbar Ida Belle Hegemann, von Arnold Zweig als „die schöne Amerikanerin mit der deutschen und weltbürgerlichen Bildung" beschrieben. Hegemann benutzt die Geselligkeit als Fundus für seine literarische, politisch-historische und architektonische Arbeit. Zugleich wird der in der Geselligkeit präsente Ausschnitt der Gesellschaft zur Testgruppe für seine erzieherischen Absichten. In seinem Haus, das er selbst gebaut hatte, in Nicolassee bei Berlin, liebte er es, Gegner und Widersacher zu versammeln und wie ideologische Kampfhähne im Streitgespräch gegeneinanderzuhetzen, indes er mit anscheinender Sanftmut den Naiven spielte und den unermüdlichen Frager wie Sokrates am Markte.77 Das Haus wird eine Probebühne für gesellschaftliche Praxis. Hegemann praktiziert hier, was ihm selbst Anlaß zur eigenen Reformation gegeben hat, eine Gesprächs- und Streitkultur, wie er sie in den amerikanischen Jahren und in Italien erlebte. Die Exposition von Meinungen, die Auseinandersetzung, Abwägung und Prüfung zur Verständigung und schließlich die Vereinbarung werden zu den Schritten einer Selbstverständigung; Streit zur Kulturpraxis der Sinnverständigung. Das entspricht der in der Prozessualisierung von Planung vorgezeichneten Auffassung vom Bedarf an Verständigung in einer modernen und demokratischen Gesellschaft. Insofern wird die Geselligkeit zur Probebühne für die demokratische Gesellschaft der Republik als offener und öffentlicher Austausch freier Bürger. Er empfing regelmäßig in seiner Villa am Nicolassee, wenn möglich Männer von Geist und hübsche Frauen, setzte seine Gäste in pamphletistischer Absicht zusammen, wie für seine erfundenen Dialoge. Er besaß die Kunst, seine Gäste zu enthüllenden Gesprächen zu reizen und sie zu Glanz oder zu Fall zu bringen. Er schürte den geistigen Streit und schlichtete ihn, wenn es nottat. Wenn ein Abend glückte, war es ein Komödienabend mit Possenszenen und Ausflügen in die Poesie.™ Hegemanns Haus ist also nicht der Gegenpol zur öffentlichen, geschäft(stücht)igen Gesellschaft gegenüber dem Rückzug in Privatheit, sondern eine Mittlerzone. Er hat zwischen Individuum und Gesellschaft eine temporäre, ausschließlich privat verfügbare Mittelzone zwischen Öffentlichkeit und Privatheit geschaffen. In seinem Fall fällt das Lehrstück gesellschaftlicher Praxis mit der professionellen Arbeit des Kritikers überein 79 . Die ästhetische Selbstbespiegelung und apolitische Lebensidylle der bürgerlichen Idealzeit bildet Hegemann zu einer ästhetischen Bespiegelung der Gruppe als Selbstüberprüfung 80 , zur spielerischen Übung öffentlichen Lebens und Bildung zur Politik in Kulturpraxis um. 77

Kesten, Hegemann ..., S. 91. Kesten, Dichter ..., S. 420. 79 Das alte Axiom, Hausbesitz schaffe Staatsbürger, füllt sich bei ihm mit einer neuen Bedeutung. Nicht der Besitz, sondern der Standort, die Beschäftigung und die soziale Praxis innerhalb des davon vorgegebenen Rahmens macht seinen Bewohner zum Bürger; nicht zuletzt deshalb bleibt Hegemann Verfechter des Einfamilienhauses. 80 Die Ausformung bürgerlicher Selbstaufklärung und Selbstbestätigung zu einer lebensbestimmenden Praxis setzt nicht zufällig mit dem Übergang zur ihrer typischen Existenz als freier Schriftsteller ein. Vgl. Haltern, Bürgerliche Gesellschaft ..., S. 94 f.; Hübinger, Hochindustrialisierung ..., S. 198. 78

470

7.1.4 Persona

Noch stand aber der Aufbau dieses praktischen Gesamtkunstwerks erst bevor. Trotz zeitweilig unüberwindlich scheinender Hindernisse konnte der Hausbau selbst zügig durchgeführt werden, wie Hegemann später beschrieb: ... zur Zeit der Wohnungsnot des Jahres 1922. Ich brauchte ein Haus für meine Familie. Den ersten Spatenstich taten wir am 14- Juli. Irgendwie gelang es mir, in das Dachgeschoß des kleinen Landhauses bereits am 10. Dezember und in die Untergeschosse am 24• Dezember einzuziehen, obgleich viel schlechtes Wetter und ein vierzehntägiger Rohrlegerstreik die Arbeit aufgehalten hatten. Wenige Tage nach dem Beziehen des Hauses trafen auch die baupolizeiliche Genehmigung meiner Hauspläne und die Bauerlaubnis ein. Ich fand alles in bester Ordnung und lobte dankbar diese nachträgliche Gründlichkeit der Behörden, die mich so wenig gestört hatten.81

Tatsächlich wurde der Bauschein Nr. 57 zur Errichtung eines „Landhauses" am 28. Juli 1922 ausgestellt und die Gebrauchsabnahme für den Bau fand erst am 27. September 1923 statt, als die Familie bereits über ein halbes Jahr ihr Haus bewohnte. Im Januar des folgenden Jahres wurde die zweite Tocher, Idolene Lilith geboren. Ihr folgten im September 1926 der Sohn Manfred Karl und schließlich im Mai 1929 die Jüngste, Elinor. An diesen Daten läßt sich ablesen, daß die Familie der Hyperinflation und ihren wirtschaftlichen Folgen mit Optimismus begegnete. Während Hegemann noch auf ein Arbeitsangebot wartete, nutzte er diese Zeit für sein erstes großes literarisches Werk, dessen Vorwort er am 31. Dezember 1922 bereits in Nikolassee zeichnete. 7.1.4 Manfred Maria Ellis 1922 abgeschlossen, erschienen dieses erste Werk 1924 in drei Bänden. Für die satirische Gegenaufklärung zum deutschen Leitbild erfand Hegemann seinen fiktiven Autor Manfred Maria Ellis, als dessen Herausgeber er fungiert 82 . Als Herausgeber stellt er in einem Vorwort seinen Autor vor. Er war der Gastgeber der im folgenden aufgezeichneten Gespräche und auch ihr Hauptredner. Hegemann gab ihm den Namen - so Arnold Zweig - nach seinen Kindern 83 . Ellis ist ein sehr reicher Amerikaner deutsch-amerikanischer Herkunft im Müßiggang, mit einem großen gastfreundlichen Haus in Neapel, dem Ort der Gespräche, mit einer außerordentlichen Bibliothek, die er nahezu auswendig kennt, mit einer klugen Ehefrau, die sein Treiben unterstützt, und sieben Kindern, die es nicht stören. Im Leben seiner fiktiven Hauptperson hat Hegemann eigene biographische Züge mit denen amerikanischer Freunde unlösbar verzwirnt 84 . Der Vater als Unternehmer der 81

Reform der Baugesetze 10. Mai 1931. Da der Privatdruck, der dem Erscheinen im Sanssouci-Verlag vorausgegangen sein soll, bisher nirgends nachgewiesen werden konnte, läßt sich darin - wie in der angeblichen Aufführung der „Iphigenie" - eine weitere Fiktion zur Rundung des Bildes vermuten. 83 Manfred Karl Hegemann wurde erst 1926 geboren und also nach dem Autor getauft. 84 Collins vermutet, daß es sich bei Ellis um ein Porträt Filenes handle. Er aber erbte nicht, sondern baute sein erfolgreiches Einzelhandelsimperium mit Hilfe seines Bruders erst selbst auf. Außerdem für eine Kompilation spricht, daß etwa der liebenswürdige Rationalismus mehr zu Philip Cabot zu passen scheinen. Vgl. auch die Darstellung der Familie Ε 136. 82

471

7.1.4 Fiktion

günstigen Stunde und Bewunderer preußischer Realpolitik 85 , die literarisch interessierte und bildungsbeflissene Mutter, die den Besuch eines preußischen Gymnasiums veranlaßt, überhöhen den Konflikt zwischen den eigenen Eltern. Hochschuljahre in Paris und den USA, Erbschaft und Ausbildung lassen den Sohn mit guter Veranlagung, reichlichen Mitteln und unter ungewöhnlich günstigen Umständen zurück, der sich zunächst hauptsächlich mit Geschichte, Kunst und Literatur und mit seinen eignen schriftstellerischen Unternehmungen befaßt. Diese eigenen Voraussetzungen erhöht Hegemann durch eine implizierte Sottise. Bedenkt man, in Gustav von Aschenbach den Autor der klaren und mächtigen ProsaEpopöe vom Leben Friedrichs von Preußen vor sich zu haben, kehren auch die Eltern Aschenbachs in der Zeichnung Ellis' wieder. Der „höhere Justizbeamte" und seiner Vorfahren straffes, anständig karges Leben· rasches, sinnlicheres Blut aus der Familie der Mutter, Tochter eines böhmischen Kapellmeisters, konstituieren in Thomas Manns 1912 verfaßter, überaus bekannter Novelle „Der Tod in Venedig" die Zwiespältigkeit der Hauptfigur, deren raunender 'deutscher' Selbstbespiegelung das Porträt des Ellis einen ironischen Spiegel und eine Persiflage bietet 86 . Doch Hegemann ergänzt diese Anspielungen noch um als typisch amerikanisch empfundene Steigerungen. Während die Mutter zur österreichischen Adeligen avanciert und für die Vertrautheit mit europäischer Kultur sorgt, wird der Vater zum Neureichen der amerikanischen Gründerjahre und hinterläßt eine trust gleiche Sammlung an Firmen sowie ausgedehnten Landbesitz, in die erst der Sohn zur Verwunderung der Geschäftswelt trotz und laut Hegemann gerade ob seiner humanistischen Bildung erfolgreiche Ordnung bringt. Daß bei so viel Größe die Rezensenten die Figur für real hielten, beschreibt den deutschen Amerika-Komplex der frühen Zwanziger und beweist Hegemanns satirische Treffsicherheit. Auch in dessen Fähigkeit und Handeln hat Hegemann eigenes und Fiktion, Gekonntes und Fehlendes untrennbar verschmolzen. Hegemann schreibt seinem Alter Ego eine absurde Belesenheit zu, andächtigen Kunstkonsum und argumentatives Beharrungsvermögen, gar Indolenz, karikiert dabei auch sich selbst 87 . 'Kaufmännische' Verhaltensweise des angeblichen Ellis bei Kultur- und Gesellschaftsproblemen porträtiert das Gebahren der Amerikaner, denen Hegemann seit 1909 begegnete. Als rationales und effizientes Informations- und Entscheidungsverfahren ist es für ihn der modernen Gesellschaft angemessener als statusorientiertes monopolistisches Reproduzieren mandarinischer Deutungsmuster des zeitgenössischen Deutschland und deshalb kulturelles und gesellschaftspolitisches Desiderat. 85

Ε 132, 149, 134; ein sarkastischer Kommentar zu dessen Umgang mit der Krankheit der Mutter? Zudem, da Mann die Verschiedenheit der eigenen Eltern aufnahm; Thomas Mann, Der Tod in Venedig [1912]. In: Thomas Mann, Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Frankfurt 1974, Bd. 8, S. 444-525, S. 450, zuerst in Neue Rundschau 23 (1912) und im selben Jahr als Buch. 87 Inanspruchnahme zeitgemäßer Dienstleistung wie Antiquariat (E 138, 644) und Sekretär, die außerordentliche Fähigkeit, einen „immer fremd und fremder sich andrängenden Stoff" geistig zu bewältigen und in seinen oft überraschenden Zusammenhängen mit Altbekanntem zu würdigen (E 135) können als Selbstporträt gelten. 86

472

7.1.4

Nachahmung

In der fiktiven Rahmenhandlung ist nun auch „Hegemann" zu Gast bei Ellis und Teilnehmer der fiktiven Dialoge, in denen Ellis seine Gäste in lange Gesprächen über deutsche Geschichte verwickelt. Die Kunstfigur ist eine Umkehrung des naiven Wilden, dessen Unverständnis und Fragen den Leser über die eigene Gesellschaft belehrt. Die Figur des „Hegemann" als Teilnehmer stellt das pädagogische Objekt, sowohl den Hegemann von damals wie den Leser von heute. Unbelehrbaxkeit auf beiden Seiten erleichtert dem Leser den Zugang, weil sie keine eindeutige Identifikation erzwingt. Das Lehrverhältnis übertrieb Hegemann bis zur ironischen Schwebe 88 . Hegemann hat Ellis überreich ausgestattet, seine Aussagen auf ein überbordendes Wissen aufgebaut, um den Vorwurf zu entkräften, es handele sich um einen „utilitaristisch-rationalistisch verkommenen" Amerikaner. Gegen ihn ist „Hegemann" Hilfesuchender, der Unterstützung verdient hat und so zur Auseinandersetzung mit dem Stoff motiviert. Damit kann die Materialschlacht beginnen. „Hegemann" stellt naive Fragen, die Kernpunkte des deutschen Selbstverständnisses berühren, Angelpunkte für Ellis' langatmige Quellenzitate und seine gänzlich anderen Bewertungen. Die fiktiven Gäste, die meisten Schriftsteller, bieten in Worten und Haltung Manifestationen jenes Selbstbildes. Ihnen widerspricht Ellis. Es gelingt ihm, „Hegemann" in dessen Sicherheit von der Identität von Wirklichkeit und Bild zu erschüttern, einen Zusammenhang von Selektion und Interessen anzudeuten 89 . Die Gespräche beginnen bei Iphigenien-Stoff und Opfermythen, behandeln dann Friedrich II. nach verschiedenen Quellen und Fragen; Goethe, Voltaire, ihre Frauen und die Kultur, schließlich Märtyrertum am Beispiel Christi. Sie sind weitschweifig und redundant, nicht dramatisch, sondern assoziativ aufgebaut. Vom Thema des Opfers' zusammengehalten, beherrscht das nach Hegemann noch immer als entscheidende Bezugsgröße zeitgenössische Interpretationsmuster und Denkschemata. In der dialogischen Form bildet das Werk seine Entstehungs- und Bearbeitungsgeschichte ab. Laut Hermann Kesten fanden Gespräche dieser Art im Hause der Hegemanns regelmäßig statt, bei denen Hegemann sich als advocatus diaboli betätigte, Meinungsäußerungen nachbohrte und „Zitate im Munde" verdrehte. Gespräche und Werk stehen zueinander in Wechselwirkung, das eine wird dem anderen Materialsammlung und Generalprobe. Die Gestaltung trägt dem Umstand Rechnung, daß Themen dieser Gespräche nie Ereignisse, sondern stets und nur deren Bewertungen sind. Der Charakter des Werks ist reflexiv, weder erzählend noch analytisch argumentativ. Auch hier bildet sich die Herkunft ab. Die Kompilation verschiedenster literarischer und Forschungsfundstücke wird 88 Der Herausgeber „Hegemann" wünschte sich dringend die „Widerlegung" von Ellis' ungeheuerlichen Schlüssen, während Hegemann Ellis 1916 mit einem Dampfer auf dem Atlantik untergehen ließ. Ellis hatte der Veröffentlichung der Aufzeichnungen zuvor nicht zugestimmt. Der Herausgeber hält es infolge der politischen Veränderungen seitdem für nun angeblich dringlich, sich mit dessen Thesen auseinanderzusetzen. 89 Hegemann erlaubt aber seinem pädagogischen Objekt keine kontinuierliche Entwicklung. Bis zum Schluß ist es immer wieder naiver Frager, während Ellis sich in der Deutlichkeit seiner Gegenthesen durchaus steigert, ohne Zustimmung zu finden.

473

7.1.4 Satire

als Manifestation von weitreichender Bedeutung zusammengetragen. Das ist zugleich die Arbeitsweise Hegemanns beim Verfassen seiner Bücher. Mündlich überliefert ist das Abladen eines mit Zetteln gespickten Bücherstapels bei seiner Sekretärin, die er mit der Anweisung versah: „Das von da bis da nehmen wir auch noch."90 Der dritte charakteristische Zug an diesem pädagogischen Verfahren ist die Abwesenheit eines definierten, expliziten Lernzieles. Die gegenübergestellten Dialoge enden stets mit offenen Fragen. Die stete Uberzeichnung des Widerspruchs überläßt es dem Leser, eine eigene Ansicht zu ermitteln. Die aufklärerische Absicht besteht scheinbar nicht in Bekehrung, sondern beschränkt sich auf das Bombardement des Leser-Zuhörers mit Gegenbelegen. Aus den literarischen Versatzstücken wird ein - großen Teils monologisches - Gespräch, in das der Zuhörer hineingezogen wird. Lebenspraxis Hegemanns und kulturelles Desiderat fallen überein: der den Kontrahenten respektierende Austausch fordert heraus und bringt zu neuen Einsichten. Zeit und Raum der Fiktion stellen dabei eine satirische Bewertung bereit. Die Vorverlegung in das Jahr 1913 hebt darauf ab, daß sich in der Gegenwart eine langfristige Prägung des deutschen Selbstbildes verwirklicht, die sich mit den zeitgenössischen Bedingungen nicht mehr deckt. Da eine Revitalisierung des Friedrich II.-Bildes mit dem Jubiläumsjahr 1912 begann, entsteht eine poetische Wahrscheinlichkeit. Mit Kriegsbeginn ergab sich das vielgenutzte Potential einer Parallelisierung zwischen friderizianischer Geschichte und deutscher Gegenwart. Die Verlegung ist auch lebensgeschichtlich folgerichtig, da Hegemanns Ernüchterung über die preußische Staatsgeschichte mit Hugo Preuß 1912 beginnt und in der Auseinandersetzung mit amerikanischen Freunden nach 1914 ihren Höhepunkt erreicht. Der fiktive Transfer der Akteure und Ansichten etwa von Thomas Manns „Unpolitischem" (1918) - in die Vorkriegszeit führt vor, daß derzeit virulente Deutungen eine latente Vorgeschichte haben, deren Brisanz sich nun entfaltet. Die zeitliche Plazierung ist eine inhaltliche Bewertung mit poetischen Mitteln; ebenso die räumliche. Der Ereignisraum skizziert erwerbsunabhängigen Wohlstand, regenerationsfreien Alltag, inkommensurable kulturelle Ausstattung. Diese Enthebung der Gespräche bringt die inhaltliche Bewertung zum Ausdruck, daß die existente Elaboration jenes Bildes nur in größtmöglicher Lebensabgewandtheit erfolgen konnte. Sie verspottet die hehre Geste der Selbstinszenierung, mit der Systemgegner sich von der politischen Arbeit der Gegenwart abwandten. Daß auch die Dekonstruktion nur unter solchen Bedingungen erfolgreich sein kann, verdeutlicht die Verantwortung, die kulturelle Arbeit in Vorhinein zu tragen hat. Die Bewertung liegt bei der offenen Konstruktion der Dialoge in der satirischen Behandlung. Hegernann nämlich läßt Ellis jeweils ein möglichst genaues Gegenteil der gängigen Ansicht behaupten. Er nennt sein Verfahren paradoxe Übertreibung91. Ihr Höhepunkt 90

Mitteilung von Günther Kühne nach den Erzählungen des gemeinsamen langjährigen Kollegen Hans Josef Zechlins. Damit ist auch Hegemanns Vertrauen in die Offensichtlichkeit der Bedeutung jener Fundstellen belegt. 91 Vogelschau (1925) 79 zitiert aus der anregenden, wenn auch paradox übertriebenen und dabei gelegentlich über das Ziel hinausschießenden Kritik des Deutsch-Amerikaners M.M. Ellis.

474

7.1.4.1

Stoffentwicklung

ist Ellis' Behauptung, daß ohne Friedrich II. und seine Sonderinteressen das Deutsche Reich eine große und bedeutende Nation wäre. Indem er ein treffendes Gegenteil und Paradox zu der gängigen Bewertung formuliert, offenbart Hegemann die Werte, auf denen sie beruht. Indem er die gegenteilige Bewertung zur selbstverständlich gültigen übertreibt, vermag sie die Geltung der gängigen Wertung in Frage zu stellen. Dialog, Reflexivität und Offenheit treiben den Zuhörer-Leser zur Stellungnahme. Wie Zeit und Raum sind sie weit mehr als logische Notwendigkeiten der Fiktion inhaltliche Bewertung des Sujets. In ihrer Uberzeichnung Indizien der satirischen Absicht des Werks, führt sie zu ignorieren zu Unverständnis und Mißinterpretationen. 7.1.4.1 „Iphigenie" Den Auftakt des Werks aber bildet eine literarische Arbeit ganz anderer Art: die Aufhebung der Tragödie. Hegemann hat die „Iphigenie" zu einem 'Lustspiel' umgeschrieben und die Auflösung einer tragischen Situation im vernünftiges Handeln dargestellt. Es wird da gezeigt, daß mit etwas Verstand schließlich alles Tragische vermieden werden kann, sagt Hermann Bahr später 9 2 . Ellis will das Drama nach Ende seiner Schulzeit verfaßt haben, Hegemann hat es wohl während seines Italienaufenthalts geschrieben 93 . Für ihn hatte es nach Angabe seines Freundes Hans Hinrichs großen symbolischen Wert, denn im besiegten Deutschland müsse die Abkehr von den Opfer- und Rachegedanken ... in der Luft liegen. Es kränkte ihn, daß sich keine Bühne fand es aufzuführen94. 1930, wohl zu einer realistischeren Einschätzung seiner komödiantischen Fähigkeiten gelangt, nannte er Lustspiele schreiben ... trotz oder wegen des bisherigen Mißerfolgs meiner „Iphigenie" ... das schwierigste und verantwortungsvollste, aber vorläufig noch dringendste irdische Geschäft. Die Aufkündigung der Tragödie, auf die das gesamte Werk angelegt ist, wird per Nachhilfe in einer späteren Episode erteilt 95 . Ellis verteilt in einem Rollenspiel die Personae des Ödipus-Dramas unter seinen Gästen, der Familie Cabot und „Hegemann", um sie der Behauptung auszusetzen, daß infolge ihrer inzestuösen Verbindungen die Cholera ausgebrochen sei. Diese Kausalität wird abgelehnt und man erwägt spielerisch weitere Deutungen, um sie schließlich umzukehren und zu behaupten, daß man die eigene Mutter ehelichen müsse, um gesund zu bleiben. Schließlich einigt man sich auf den Schluß, die städtische Hygiene zu verbessern, nicht aber Unschuldige zu strafen. Diese Episode gibt Nachhilfe zum Verständnis des Dramas und des gesamten Werks. Es hebt auf die freiere Selbstbestimmung durch Verweigerung schicksalhafter Determinanten und die rationale Prüfung vorgezeichneter Verhaltensmuster zwecks pragmatischer Konfliktlösung ab. 92

Hermann Bahr, Der Zauberstab. Tagebücher 1924/26, Hildesheim o.J., S. 104. Vgl. die Verbindung der Aussage mit Besichtigung des Museums von Neapel; Ε 125 mit 99. Eine Schullektüre ist nicht nachweisbar. Hegemann selbst gibt die ihm bekannten griechischen Vorlagen mit Ovid, Heroiden; Euripides, Iphigenie bei den Tauriern; Heraklit; Homer, Ilias an; Ε X-XV. 94 Hinrichs, Architekt ..., 4. Nov. 1946, dem er es angeblich als erstem vorlas. - Kiepenheuer (1930) 54. 95 Ε 216-221 und C 304-310. 93

475

7.1.4.1 Befriedung

Der Iphigenien-Stoff bot sich für eine Bearbeitung in diesem Sinne an, weil sich die dramatischen Höhepunkte des Opfers darin gestalten und überraschend umarbeiten ließen 96 . Grundlagen für eine Modernisierung bot Euripides, dessen Iphigenie-Dramen als spezifische Humanisierung des griechischen Götterglaubens verstanden werden. Iphigenie, von ihm entrückt statt getötet, überwindet die Barbarei bei den Taurern und Orests Schuldbewußtsein sein Sakrileg. Seine ältere Tauris-Fassung enthält bereits die Auffassung vom Opfer als einer Wahnidee des Priesters Kalchas, die Hegemann ausbaut. Das Drama zentriert sich um Erkennung und Intrige, in die die Göttin Artemis eingreifen muß, um Sühne zu ermöglichen. Die Absage an den Mord an Thoas, König der Taurer, und Wiedersehensfreude zeichnen eine Uberwindung der tragischen Situation vor 9 7 . In der Bearbeitung Ratines wird der Konflikt in Aulis durch eine Stellvertreterin gelöst und dadurch einer christlichen Welt angepaßt 98 . Zögerliches Schicken in tragische Verwicklung ermöglicht eine befreiende - doch göttlich gelenkte - Überwindung. Wichtigste Vorlage ist aber Goethes „Iphigenie". Bereits als Fortsetzung der Humanisierung verstanden, bedurfte sie für Hegemann weiterer Modernisierung. Thoas hat die Opferung Iphigenies untersagt, der Brauch ist abgeschafft. Mit der Androhung neuerlichen Vollzugs straft Thoas Iphigenie für ihre Weigerung, sich mit ihm zu verbinden. Das ist der Beginn ihrer Krise, die sich durch Erkennen des Bruders zuspitzt. Orest erlebt unter der Todesdrohung eine Vision der Versöhnung mit seinen Vorfahren. Ihn befreit das Begreifen, nicht die göttliche Statue, sondern die eigene Schwester zurückbringen zu sollen. Iphigenie steht vor der Entscheidung zwischen Flucht und List oder Wahrheit und Tod. Ihre Entscheidung für die Wahrheit schafft Humanität, weil Thoas sich ihr nicht entziehen kann. Er jedoch leistet Entsagung und Verzicht. In der reduzierten Ubersicht werden die Veränderungen Hegemanns als Humanisierung erkennbar. Seine Barbaren sind die besseren Menschen, weil sie sich selbstgewiß den neuen Göttern zugänglich zeigen. Opferungen sind längst abgeschafft. Iphigenies Verweigerung bricht Thoas durch seine anderweitige Befriedigung, die sie sehr irdisch zu einem Sinneswandel bekehrt 99 . Orest kann durch praktisches Handeln geheilt werden, indem Iphigenie für die Mutter zu ihm spricht, ihm den Unterschied von Bedeutung und Auslegung göttlicher Aufträge verdeutlicht. Eine Entscheidung zwischen Abreise und Bleiben stellt sich kaum, weil Iphigenie in der Praxis der Menschlichkeit verwurzelt ist; Entsagung und Verzicht sind nicht mehr nötig. 96

Siehe die Debatte Ε 149 ff., nach der als wichtigste Vorläufer für Hegemann die Dramen Euripides', Racines und Goethes gelten müssen. 97 Von dieser Handlung weicht Hegemann vor allem darin ab, daß er die dramatischen Höhepunkte der Ananorisis (Erkennung) nachordnet und die Mechanema (Intrige) als nicht mehr notwendig abschafft. 98 Agamemnon versucht seine Verzweiflung aufzulösen, indem er Iphigenie eine Flucht vorschlägt, die von der in Achill verliebten Eriphile verraten wird. Aufruhr im Heer veranlaßt Iphigenie zum Nachgeben. Kalchas versteht den Auftrag schließlich richtig: als Opfer ist Eriphile gefordert. Sie tötet sich kurz vor dem Vollzug selbst. 99 Die Auslegung dieser Frauenfigur entbehrt im Blick auf die eigene Lebensgeschichte nicht der Pikanterie. Sie ist überdies in dem Spannungsfeld der Geschlechterrollen von der besonderen Kompetenz und den besonderen Defiziten der Frau befangen, das zu erörtern den Rahmen sprengen würde.

476

7.1.4.1 Doppelung

Das zentrale Thema ist die Bestimmung der Menschlichkeit zwischen Determiniertheit und Freiheit, Schicksal und individueller Schuld. Konnte Goethe noch von einer beständigen Entsprechung und Wechselwirkung zwischen menschlichen und universellen Kräften ausgehen, kann und will Hegemann dies nicht mehr. Die „reine Menschlichkeit" von Goethes Iphigenie gründet sich auf Selbstbesinnung und Selbstmäßigung. Der konstitutive Grundzug der Entsagung wird zum Teil eines immer neu zu leistenden, schmerzhaften, stets im Gelingen gefährdeten Vollzugs von Humanität. Für Hegemann gilt, wie am Kriege erfahren, dieser nicht mehr. Stattdessen sind die angeblichen Determinanten und das Schicksal zu befragen. Sie erweisen sich als menschengemacht. Wird aber Determiniertheit als selbstverursachte erkannt, läßt sich individuelle Schuld lösen, teilweise praktisch umgehen. Aus der Überwindung der Vorprägungen wird die der tragischen Situation und ein Handeln jenseits von zwanghaften Mustern. Wo Iphigenie bei Goethe eine aktive Teilnahme an der Welt erahnt 100 , hat sie bei Hegemann aus dieser Teilnahmen eine endgültige Gewißheit gewonnen. Statt „reiner" Menschlichkeit postuliert Hegemann eine pragmatische, die auf friedliche irdische Erfüllung abhebt. Aus der resultierenden Selbstgewißheit, Freiheit statt Entsagen, werden die moralischen Kräfte und Grundlagen für den Vollzug der Humanität. Sie bleibt immer noch im Gelingen stets gefährdet, auch bei Hegemann als ein immer wieder neu zu leistender, auch schmerzhafter und anstrengender Prozeß gedeutet, in dem Erkenntnis, Lösung, Wandel und Neustiftung durch praktische Vernunft zum Prinzip wird. In stoffgeschichtlich vorgezeichneten „Zwischenspielen im Himmel" läßt Hegemann die Götter am Umsturz scheitern, während die Menschen erfolgreich darum ringen. Die Rahmenhandlung gewinnt ein eigenständiges dramatisches Gewicht, deren Parallelen durch Doppelrollen angezeigt werden 101 . Sie ist eine Allegorie auf den Krieg (Bild 110 oben), in der die „Kriegsfurie" von einem Mann gespielt wird. Ein gütiger Zeus hat die Schreckensherrschaft der Titanen siegreich beendet und wird ein „goldenes Zeitalter" errichten - parallel zur modernen demokratischen kapitalistischen Welt. Die Kriegsfurie, die letzte der gestürzten Götzen der Vorzeit, erscheint bei einem Fest, um einen Apfel der Versuchung zu werfen. Sein „unsagbarer Glanz" versucht die drei geprüften Göttinnen. Doch ihre statische Gelassenheit kehrt zurück und sie verweigern die Entscheidung über den darob erbleichten Apfel (16). In ihm erkennt Paris nun mühelos einen der Apfel aus Nachbars Garten, von denen dieser ungern abgebe (24). Das Symbol wird als vollkommen banales Objekt dekouvriert. Wird ihm dennoch ausreichend Bedeutung verliehen - nach der Allegorie des Nachbarns Reichtum, Kolonialbesitz und Weltgeltung wird es zur Kriegsursache aus Neid und Habgier, nebenbei in seiner einfachen Existenz ruiniert. Trotzdem müssen die Götter den Handlungsanlaß stiften: zur Belohnung seiner Weisheit wird dem Paris die Helena versprochen. 100

Die „ganz verteufelt humane" Iphigenie, wie Goethe sie 1802 gegenüber Schiller nannte, war Hegemanns expliziter Anknüpfungspunkt; Ε XV. Er kann seine Uberzeichnung auch zu Goethe zurückführen, indem er wiederholt dessen (späteres) „Stirb und Werde!" zum Prinzip erhebt. 101 Vgl. hierzu die eigene Interpretation, die Hegemann als Ellis' eigene Zusammenfassung für die Aufführung ausgab; Ε 128.

477

7.1.4.1 Karikatur

In der parallelen Handlung auf Erden hat Agamemnon, der „weltliche" Zeus, als Friedensgaranten seine Enkelin Iphigenie dem Achill verheiratet. Ihn aber bedrängen die verstockt im Dienste der gestürzten Götzen des Haders beharren und für einen Beutekrieg Troja ausgewählt haben. Der große und der kleine Aias (43) - für die Aggressoren - sind Hauptkriegstreiber und und eine große Gruppe teilt ihre Deutung vom überfälligen Beutekrieg. Menelaos, der sich den Göttern beugen will, steht für die Willigen: Sie ergeben sich durch Verzicht auf Handeln in 'Tragik' und werden ebenfalls schuldig. Während den kriegslüsternen die Entführung der überzeugende Kriegsvorwand wird, korrumpiert den Achill eine Statusaufwertung; gemeinsam symbolisieren sie das Verfangen der Liberalen und Sozialdemokraten in jener Sinnbehauptung. Die zeigt Agamemnons Irrglaube, goldenes Zeitalter und Habsucht vereinen zu können 102 . Die Götter halten ihn bis zur angedrohten Revolte des Militärs auf. Mit dem Verlust seiner Herrschaft ... bedroht, hofft Agamemnon ... durch ein ungeheures Opfer Erfolg zu erzielen. Die zwanghafte Reaktion auf drohenden Herrschaftsverlust realisiert den mythischen Glauben einer Stärkung der Gruppe durch den stellvertretenden Tod eines Mitglieds. Weder Agamemnon noch die Kriegsfürsten erkennen Alternativen. Hier nämlich erscheint Thoas und bittet um eine Tochter des Agamemnon. Sie verstehen Tod, während er die Ehe meint. Ihm gelingt die Entführung Iphigenies, während die Zuschauer ihren Tod zu sehen glauben. Die folgenden Verwicklungen, der Haß Klytaimestras und seine Konsequenzen, sind keine tragischen mehr, sondern selbstverschuldet. Die Folgen des Zwists zeigt das „Zwischenspiel im Himmel". Zeus, nun der Nietzscheanische 'Ubermensch', hat sich aller Leistung und Verantwortung entzogen, die Welt nicht mehr wahrgenommen 103 . Die konsequente Trennung von menschlichen Werten wird zu heillosem Treiben. Zeus, von Psyche-Iphigenie bewogen, erkennt, was er versäumt hat, und verzweifelt an der Rettung der Menschheit. Weil er töten und gebären104 kann, will er alles zerstören und eine neue Welt schaffen. Weil ihm aber sein eigener Plan zu mühsam ist, vollendet er das Vorbestimmte, den Untergang Trojas. Und geht selbst unter: Auf dem Throne des Zeus erscheint die Kriegsfurie als Herrin der Welt. Götterdämmerung ist keine Tragik mehr, sondern Nachlässigkeit. Die Rettung bringen die geläuterten Menschen. In Thoas lebt der zum Realpolitiker gereifte hoffnungsvolle Zeus des Vorspiels. Er verkörpert die notwendige Bindung an die humane Utopie. Er nimmt seine Verantwortung wahr und beginnt statt großer Zerstörung langsamen Aufbau. Er hat Iphigenie überzeugt, daß ein edles Weib edlere Aufgaben erfüllen kann, als sich zu opfern. Beider praktisches Wirken verwandelt ... Taurien in eines der aufstrebenden Kolonialreiche, in denen griechische Gesittung noch lange blühte, als die nimmer endenden Stamm- und Familienzwistigkeiten im griechi102 Jrregefiihr^ hofft Agamemnon durch Krieg für alle Zukunft Frieden zu sichern; der Krieg, den er unternimmt, soll der letzte sein auf Erden und erfordert darum ungeheure Rüstungen. 103 ... sein immer genußbereites Künstlerherz berauscht sich an den Wundern seiner Schöpfungen ... seine Aufmerksamkeit schweift in fernen Weiten und weilt nur selten in irdischen Reichen ... Den einst von ihm selbst ersonnenen Plan der Schöpfung und die Kunde der Zukunft kann oder will Zeus nicht stets im Kopf haben. Ε XIII f. 104 Ε XIV; im Original hervorgehoben.

478

7.1.4.1

Umwertung

sehen Hauptlande bereits tödliche Folgen hatten: eine Apotheose der Vereinigten Staaten. Die Verwicklung um Iphigenie taugt somit nur noch zu einem eindrucksvollen Schlußbild. Die Morde an Agamemnon und Klytaimestra waren zwangsläufig, aber Orest kann von der aufgeklärten Iphigenie geheilt und in seine Königspflichten beschickt werden, für die ihn Thoas mit einem symbolisch gestürzten, nur noch „kunsthistorisch interessanten" Götterbild ausrüstet. Der Abfall der dramatischen Spannung in eine absurd banale Auflösung konstituiert die satirische Behandlung des Stoffes. Doppelung in der Rahmenhandlung und Karikatur des Zeus stützen sie. Die Personen als Repräsentation von Typen und Interpretationsmustern zu behandeln, bestärkt sie weiter. Die Kriegstreiber repräsentieren die Korrespondenz zwischen 'Stahlmythen' und industriellen Expansionsstrukturen (30 f.), Agamemnon, passiv und vorschnell, den autoritätsgläubigen Gehorsam (63, 65), Achill, der naive Held, die Identifikation mit prätendierten Kriegszielen (46), der Priester Kalchas die dem Status funktionale Deutung des Mandarins (60), schließlich der Verweigerer Menelaos die ästhetizistisch selbstverliebte Haltung, die sich auf eine fatale und naturgeschichtliche Sinnhaftigkeit von Werden und Vergehen beruft (36). Deshalb befindet Bahr: Für ein pazifistisches Haustheater läßt sich kaum ein anmutigeres Scherzspiel denken.105 Einzig Klytaimestra erfährt die zeitgenössisch postulierte 'Umwertung aller Werte' im Kriege. Aus ihrem 'naturgegebenen' Protest (64) erwächst Einsicht, Kritik und Vorausschau. Ihre Erkenntnis ergibt jedoch nur Last und Ohnmacht, bittere Anklage (73 f.). Der Zeus steht für eine weitere Transition. Für ihn wird die Welt zum Divertimento und er verliert darüber seine Kraft. Mit beiden Wandlungen rechnet Hegemann ab. Die erste zeigt die Ohnmachtserfahrung der Moderne, die sich selbst stillegt. Hegemann prangert den inhärenten Eskapismus an, der sich mit der Erklärung der Welt als Irrenhaus oder der Hoffnung auf eine jenseitige Welt zufriedengibt. In der zweiten entlarvt Hegemann den 'Ubermenschen' als nur eine weitere Sinnschöpfung, indem er die Erkenntnisfigur als Zirkel begreift. Die einzig erfolgreiche Verwandlung ist die der Iphigenie. Sie gelingt am Katalysator der Gelassenheit des Thoas (Bild 110 unten) und im Wissen um deren Beschwerlichkeit: Vorurteile opfern ist das schwerste aller Opfer (107). Frieden, sinnliche Erfüllung. Bestätigung geben Iphigenie die Chance, sich von den zwanghaften Deutungsmustern zu entfernen und sich über sie zu belustigen (101). Sie bekennt sich zur Freiheit in Urteil und Handeln (110) und übt sie zum Nutzen aller (121). Die Umzeichnung der Iphigenie von der großen, verzweifelten Heldin zur ruhigen gesättigten Heroine ist die Schlüsselstelle der satirischen Dekonstruktion. die zugleich für die Aussage selbst steht. Den Wandel bleibt es als einzig Konstantes, als einziges zum möglichen Zweck der Menschen zu erklären. Die einzig verläßliche Kraft ist die Gewißheit des Wandels, ihr Medium Lachen und Rationalismus, die jene Deutungsfiguren und Sinnschöpfungen immer wieder durchdringen und überwinden. 105

Bahr, Zauberstab ..., S. 104; von Hegemann zitiert C 199.

479

7.1.4.2

Opfer

7.1.4.2 Gespräche Solchermaßen eingestimmt, hat der Leser auf den folgenden 500 Seiten Gelegenheit, sich selbst in der Aufhebung der Tragödie zu üben. Darstellung und Analyse der Gespräche werden durch verschiedene Faktoren beeinträchtigt. Eine Zusammenfassung muß notwendig den Eindruck verzerren, weil sie der schieren Menge niemals genügen kann106, mehr aber noch, weil sie eine Gliederung und Gewichtung vortäuscht, mit denen diese Gespräche nicht aufwarten. Sie sind wandernd, assoziativ - ihre Lektüre ist dem Leser der Diskussionsabend, der Pate stand. Entscheidende Einschränkung ist jedoch, daß eine Rezeption aufgrund verlorenen Wissens und Aktualität die Brisanz der zeitgenössischen nicht mehr einfangen kann. Dem soll dadurch begegnet werden, daß hier zunächst ein zusammenfassender Uberblick mit Beispielen zu den Themen gegeben wird. Dann wird an späterer Stelle - mit den Neuauflagen unter dem „Fridericus"-Titel, mit denen sich auch die Rezeption auf diesen zentriert - der Topos „Fridericus" auf seine Bedeutung und die Wirkung der Anspielungen ausgeleuchtet. Das erste Gespräch knüpft unmittelbar an „Iphigenie" an. Ellis und (Hegemanns Studienfreund) Pierre Lievre107 stoßen zusammen, weil Ellis die Antike für einen „Tummelplatz prostituierter Meinungen" (167) hält, während Lievre in seiner „patriotischen Iphigenie" den griechischen Freiheitskrieg verherrlicht. Lange Zitate (mit Ellis' Kommentaren) geben Rudolf Borchardt durch seine Begriffe dem Spott preis. Seiner Mythologisierung, die die Moderne bedeutungsschwanger verweigert, wird die Hugo von Hofmannsthals zur Seite gestellt. Er entzieht sich der Moderne durch die ästhetische Anweisung zum Verzicht als menschliche Veredelung. Das Gespräch zentriert sich schließlich um die Frage nach einer absoluten Wahrheit der Konfliktkonstellation oder Lösungen im Wandel der Zeit. Nur hier wird Koexistenz durch Humor möglich, das Gespräch zum amüsanten Kulturwettstreit. Ellis zitierte aus Karl Immermanns „Oberhof" (1838/39), einem idyllischen Gedicht108: „... Es mag das alles kein Königsopfer sein, aber die Hühnersuppe, Bohnen, Wurst, Schweinsbraten, Pflaumen sind allerwege königliche Gottesgaben, und bei solchen Klängen, Borchardt, fühle ich mit Dir das »religiöse Bangen des todbereiten Stammest." Borchardt lachte: „ Wenn Du an das Todesbangen Deiner Hühner und Schweine denkst, bitte ich Dich, mich in Ruhe zu lassen mit Deinem apollinischen Opportunismus und Deiner rationalistischen Verrohung. Das kommt davon: Voltaire!!!" 106

An Druckseiten umfassen die Gespräche: das erste 64, das zweite 84, das dritte 60, das vierte 110, das fünfte 78 und das letzte 40 Seiten. 107 Dr. Pierre Lievre wurde S 162, Anm. 126, gedankt, der dem Verfasser zahlreiche Texte, Auskünfte und Abschriften besorgte. Man kann in ihm einen Freund aus den Pariser Studientagen sehen, wie es die Erinnerungen von Manfred Hegemann bestätigen. Er wird am 11. Juni 1928 gegenüber Rasmussen erwähnt wie ein inzwischen gemeinsamer Bekannter. 108 g j) e r provokante Konsum von Dichtung als nur authentische Belege ihrer Zeit bildet wie in der Architekturkritik Hegemanns den zivilisierten Menschen ab, der aufgrund von Wissen, Aufklärung und Sensibilisierung des Theaterdonners nicht mehr bedarf, gar gefährdet ist, jenen lächerlich zu finden, stattdessen an reduzierten Materialien und Anreizen sich orientiert. 480

7.1.4.2 Fridericus

Die Koexistenz im Humor, obschon gemeint, ist hier paradoxe Übertreibung, da sie mit einem Gegenüber wie Borchardt, dessen Rückzug nach Italien als intransigenter Vertreter der Reichsidee von den Zeitgenossen als bewußte Inszenierung eines Bruchs mit Politik und Kultur seines Landes verstanden wurde 109 , schon gerade nicht möglich gewesen wäre. Ein Reigen weiterer Interpretationen von Entsagung - Nietzsche, Schopenhauer, Shaw, Racine, Moliere, Sokrates, Friedrich II. - zieht vorbei. Nur punktuell läßt Hegemann Ellis kritisch zusammenfassen und gibt durch sprachliche Gestaltung Hinweise auf Bewertung. Der weitgehend offene Kontrast zwischen den Geltungsansprüchen verlangt vom Leser eigene Meinungen 110 . Der Text wird mehrfach offen gehalten, auch orthodoxe Moralisten könnten sich wiedererkennen. Freie Leser vermögen Urteile zu überschreiten und zustimmende Modernisten mittels Sprache und Verknüpfung das satirische Raffinement zu entschlüsseln. Im zweiten Gespräch rollen Ellis' Monologe die fridericianische Frage als Bild Friedrichs II. und seiner politischen Ausschlachtung auf. Die großen politischen Bedeutungskomplexe werden angedeutet. Hegemann legt 'rote Tücher' aus, die spätere Rezensenten aufnehmen, so Friedrichs blutiges, geprügeltes Sondernatiönchen111 und zeigt mit dem Dualismus vom „Albernen" und „Grauenhaften" schon auf Insignien Thomas Manns. Zunächst aber stört er mit positivistischer Obstruktion, seitenlangen Quellenzitaten vernachlässigter Daten 112 , das gewohnte Bild. Nur hier entsteht so ein pädagogischer Aufbau. „Hegemann" zeigt, daß Zweifel am Bild Friedrichs II. ein moralisches Vergehen darstellen, muß aber unter dem Ansturm zurückstecken und nimmt schließlich Abstand von dem Anspruch, daß, was er wisse, auch so sei, mithin von der Identität von Wirklichkeit und Bild 113 . Hegemann hat an „Hegemann" zentrale Glaubenssätze zum Gerücht abgewertet und ihre Geschichte als aufschlußreicher als ihren Gehalt gezeigt. Diesem Fortschritt folgt deutlicher Widerspruch. Ellis spricht über zentrale Punkte borussischer Geschichtsinterpretation: „soziales Königtum" und „vergeistigte Auffassung der Monarchie", den „Beruf des Aufklärers" und die „staatssozialistische Volkswirtschaft". Er erklärt sie zu Wunschbildern, die nur unter Ausblendung von Quellen auf109

Siehe dazu die Beiträge in Rudolf Borchardt und seine Zeitgenossen. Hrsg. von Ernst Osterkamp (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kunstgeschichte 10), Berlin-New York 1997. 110 Auch geschlossene Kontraste - Hegemann dekouvriert etwa am Beispiel des mormonischen Patriarchen (202 f.) religiöse und politische Uberbauten als Opportunität einer Handlung in ihrer individuellen oder gruppenspezifischen Funktion - muß der Leser selbsttätig erschließen. Hier stellt er frühere Aussagen ironisch in Frage. 111 Vgl. Ε 269 (Fl 123), 295 und 300; zur „preußischen Legende" und ihren Verkündern auch Ε 286. 232, 303, 296, 245, 262, 235, 243. 112 Unter anderen Lucchesini, Malmesbury, De Ligne, Goethes Briefwechsel, Julius Petersen, Ottokar Lorenz, Fritz Bischoff, Erich Schmidt, Karl Theodor von Heigel, Georg Küntzel, Schmoller, Koser, Droysen, Suphan, Delbrück. 113 Vgl. die Steigerung von Zweifel am Widerspruch Ε 241, Zustimmung Ε 247. 253, moralische Zweifel Ε 258, Schwächung Ε 261, 265 (beachte Hegemanns Doppeldeutigkeit), Abstand Ε 273, 275, Reflexivität Ε 286, 304.

481

7.1.4.2 Entsagung rechtzuerhalten sind, wobei Hegemann mit sprachlichen Steigerungen andeutet, daß sie willentliche Deutung wider besseres Wissen seitens der Apologeten seien114. In der damit exponierten statusabgeleiteten und systemrechtfertigenden Interpretation der deutschen Vergangenheit trifft Hegemann auch sich selbst und die Diskrepanz in seiner Sicht Friedrichs II. von 1911 und 1922. »... unumstößlich ist die Wahrheit, daß man den Werken eines Schriftstellers die Lebensstellung, in der sich ihr Verfasser befindet, doch sehr anmerkte.115 Die ironische Distanz zum eigenen Werk bildet wieder das Anliegen ab, den Leser zu eigenständigem Denken anzuhalten. Das dritte Gespräch thematisiert Entsagung von anderer Seite. Am Beispiel großer Frauen werden Tiefe und Leichtigkeit gegenübergestellt und von Hegemann als funktionale Verklärung entlarvt. Entsagung ist die Verklärung der Erfolglosigkeit, deren Moralisierung in Selbstentmündigung führt. Mit dem Beispiel Stein-Goethe zielt Hegemann auf einen weiteren Gründungsmythos des deutschen Selbstbildes. Gegen die Frauenfeindschaft Friedrichs, bei der Hegemann die tragische Erhebung seitens Thomas Manns angreift, skizziert Georg Brandes als Gegenfolie die Frauen Voltaires als unabhängige Partnerinnen, die Mann verfemt116. Klara Hofer, eine zeitgenössische Biographin der Charlotte von Stein, darf diese zum Sinnbild der „deutschen Seele" mit „allen Seligkeiten der Selbstentäußerung" erklären117. In der zweckhaften Verunklarung der Argumente befangen, nennt sie diese Kritik schnödesten Berliner Rationalismus, und zeigt die Parallelität zu Friedrich-Interpretationen in den Manifesten deutschen Selbstverständnisses. Dessen Bausteine sind die Erhebung, das Streben nach Höherem, die innere Berufung als eingeborene und ontologische Kategorie, wie sie bereits den Dualismus von Erfolg oder Tod setzt und keine Zwecke kennt, Funktionalismus und Utiliarismus stets entgegengesetzt ist. Danach gilt zu sterben für die Idee als absolutes Ideal, das in Unterricht und Schule instrumentalisiert wird118. Die Entwertung praktischen Handeln verheißt Quietismus, der gezielt reproduziert, die Kultur prägt und das 'Geistesleben' ausmacht, an Schicksal und Tragik glaubend, diese auch erfüllt. Im vierten Gespräch geht Hegemann die Friedrich-Legende aus einer weiteren Perspektive an. Hier treten nur Ellis und „Hegemann" mit Thomas Mann auf, der sich in mehreren Schriften mit Friedrich II. befaßt hatte. Das Wechselspiel findet zwischen dem naiven Friedrich-Bild borussischer Tradition, das „Hegemann" vertritt, und der komplexeren Interpretation eines weltgeschichtlichen Dualismus statt, wie sie Mann befördert hatte. Eine demonstrative positivistische Obstruktion, die Ellis in seinen Monologen vollführt, 1 1 4 Ε 268-271; am Ende steht die exemplarische paradoxe Übertreibung, in der Hegemann schließlich Friedrich selbst als kompetenteren Richter als seine Interpreten zitiert. 1 1 5 Ε 245 f.; F l 75 (Lucchesini über Friedrich II.). 1 1 6 Ε 328 ff. und 337 ff. 1 1 7 Ε 334; 348 f. Hier folgen, wie bei Borchardt, lange Textstellen, die bereits durch ihre Begrifflichkeit die Verklärung der Lächerlichkeit preisgeben. 1 1 8 Ε 349. Die paradoxe Übertreibung besagt hier, daß die hehre Selbstentäußerung nur funktionales Verhalten war, weil die deutschen Frauen Goethe sein Leben lang nur als mehr oder weniger s.gute Partie« abgeschätzt haben (E 365) und seine Entfaltung verhinderten.

482

7.1.4.2 Paradoxe

Übertreibung

gibt das Ausufern der Quellen wieder, so sie nicht in eine teleologische Interpretation gezwungen werden. Thomas Mann erklärt Friedrich II. zur Verkörperung des Dualismus, die große Antithese, die viele lebendige Gegensätze umschließt: den Gegensatz, zum Beispiel, von Recht und Macht, von Gedanke und Tat, Freiheit und Schicksal, Vernunft und Dämon, bürgerlicher Sittigung und heroischer Pflicht. Die der borussischen Geschichtsschreibung verdankten Züge des Königs werden mittels eines dämonischen Elements überpersönlicher Art zum Geist der Geschichte deklariert. Friedrich habe die Verwirklichung des Schicksals, sein Königtum zum Zwecke der deutsch-borussischen Mission, stellvertretend auf sich genommen: er wurde Werkzeug eines Weltgeistes. Auf dieses O p f e r ' gründet sich der nationale Auftrag zur Vollendung jener Heilsentwicklung. Hegemann sieht dabei rot: Wenn Sie Friedrich II. als Opfer auffassen und es »eine deutsche Denkbarkeite nennen: »Friedrich mußte Unrecht tun, ... damit eines großen Volkes Erdensendung sich erfüllen, so wird das den Rembrandt-als-Erzieherund den H.S. Chamberlain-Germanen wahrscheinlich gefallen, und gewisse Mystiker werden ganz humorlos als weitere »durchaus deutsche Denkbarkeit« entdecken, das Endziel der »Erdensendung«, dieses großen Volkes sei der Opfertod - wahrscheinlich im Dienste einer höheren Kultur.

Die Auffassung, Friedrichs Königtum bedeute einen Segen für das deutsche Volk, wird an einem Reigen aus Literatur, Außenpolitik, Feldherrentum, Innenpolitik widerlegt 119 . Mann wird zum Stichwortgeber, dessen Argumente sich durch ihre Sprache und stete Wiederholung selbst richten 120 . Hegemann setzt dem nun paradoxe Ubertreibungen entgegen. Er macht nach der Wertherstimmung, der Friedrich sich hingegeben habe, aus ihm den Vater der deutschen Romantik. Diese Verbindung mit dem Wesen der Romantik, in Widersinn und Widerspruch zu schwelgen, weist nun zurück auf eine frühere Aussage: Ist es nicht, als wäre das Wesen aller friderizianischen Macht- und Lebensäußerungen Widerspruch und romantischer Unsinn?121 Gemeint ist die Unfaßbarkeit einer historischen Erscheinung und die Kontingenz der Geschichte, die in einen zielgerichteten teleologischen Zusammenhang zu zwingen immer Wirklichkeitsverlust bedeutet, der ein instrumenteller ist. Dann macht Ellis sich den Wert „deutscher Größe" zu eigen und bemißt den französischen Bundesgenossen Friedrich danach als „Hochverräter" 122 . Diese paradoxe Übertrei119 Sie rühmen Friedrich II. nach, er habe in den zweiten dreiundzwanzig Jahren seiner Regierung gut gemacht, was er in den ersten dreiundzwanzig Jahren gesündigt hatte, und der Anblick des wiedergutmachenden, gleichsam büßenden Königs hat viele seiner unzufriedensten Betrachter milde gestimmt. Mir scheint aber, man müßte fragen, ob er nicht gerade in der zweiten Hälfte seiner Regierung mit dem »entwürdigenden Drucke, von dem Sie sprechen, noch mehr Schaden angerichtet hat als mit seinen blutigsten Kriegen. Ε 373. Siehe d a n n Ε 380 ff., 394 ff., 423 ff., 444 ff. 120

Vgl. Ε 413, 418, 425, 457, 451, 469. Ε 271 ( F l 99), auch 193; Ε 403, 435, 437. 122 Ε 456-483. Der Verfasser dieser Unverblümtheiten ist Friedrich II.; wenn es ein Deutscher wäre, müßte er wegen Hochverrats gehängt werden. Ε 459. Beachte den ironischen Vorbehalt, der den Rezensenten entgeht. 121

483

7.1.4.2 Zirkel

bung soll am Beispiel Elsaß-Lothringens die retrospektive Legitimation einer 'deutschen' Politik denunzieren und ihre Reaktivierung in der zeitgenössischen Debatte aufzeigen. Hegemann spielt dabei mit der Reichsidee: das Reich zu schwächen ist ja gerade Hauptziel seines [Friedrichs II.] Lebens und die Vorbedingung seines Ruhms. Ellis streitet jede deutsch-nationale Politik seitens Friedrich ab, der ein einiges großes deutsches Reich gerade verhindert habe 123 . Der borussischen These vom Reichsgründer wird die paradoxe Ubertreibung vom Reichszerstörer entgegengestellt. Die Mannsche Deutung Friedrichs - „ ... entstanden und gesandt, um große, notwendige Erdendinge in die Wege zu leiten" - wirkt dagegen wie des Königs neue Kleider. Dabei verdichten sich die politischen Thesen. Die Überhöhung schicksalhafter Tragik und Sendungserfüllung ist für Hegemann eine idealistische und ästhetische Figur, die selbständiges Denken und Urteilskraft unterbindet. Statt theoretischer Bewältigung bleibt nur physische Bedrohung, statt ethischer Maßstäbe moralische Freifahrtscheine. Wo Friedrich für egoistische politische Moral steht, stehen Hofer und Mann für moralistische Pseudopolitik 124 . Hegemann spielt jedoch ein Doppelspiel. Seine Gegenthese besagt, daß Friedrich Teil der Ursache des Kultur-Dilemmas ist, das dem Defizit an Bürgerlichkeit einer sich auf friderizianische Traditionen berufenden Gesellschaft entspringt. Diese Gegenthese wird in doppelter Bedeutung verhandelt. Sie widerlegt die Geist-Macht-Antithese als angebliche Ursache Friedrichs und der deutschen Staatsentwicklung. Und sie widerlegt die Geist-Macht-Antithese als Verherrlichung der Defizite, indem sie die Antithese als Folge ihrer Ursachen zeigt. Hegemann weist damit den Zirkelschluß idealistischer Geschichtsauffassung nach, die Folgen zu ihren Ursachen erklärt 125 . Das Fazit kann nur eine Erkenntnisskepsis sein, deren Kritik durch Rationalismus stetig von neuem angetrieben wird. Zentrum des fünften Gesprächs - zwischen Ellis und „Hegemann" - ist Ethik und Zivilität. Hegemann opponiert gegen den von Mann vorgetragenen Dualismus von Ästhetik und Politik und postuliert Ethik als vermittelnde Kategorie. Eine vergleichende Vermessung der Gesellschaftsformen von Deutschland und Frankreich füllt nun eben seine Gegenthese, daß dieser »lastende, entwürdigende Druck für alle Welte, der Krückstock und die Prügelstrafe ... dem deutschen Volke die Staatsform der »Geist- und Kulturwidrigkeit'«· aufgezwungen haben und den „bürgerlichen Gemeinsinn" „bankrott" gesetzt126. Daher zeichnet Ellis Gegenbilder von den Künsten und der Kultur als zivile Tugenden am französischen Hof im Gegensatz zum preußischen 127. 123 Ε 463, 465 ff. unter Prinz Eugen oder Napoleon. Hier fällt auch Ellis' Fluch der potsdamnation, den „Hegemann" scheinbar nicht versteht und Ellis sich zu übersetzen weigert. 124 Ε 442, 460, 449, 471, 457. Vgl. auch Ε 455 und 643 zur Erkrankung „Hegemanns" infolge der Anwürfe. 125 Vgl. den Seitenhieb gegen die »historische Methoden, die mit Zugeständnis Delbrücks, die Sachkenntnisse reichten kaum für die vielfältigen Spezialgebiete, treffend als schwindelhaft entlarvt sei. Ε 495. 126 Ε 524 f. und 548. 127 Siehe etwa die sittliche Überlegenheit Ludwigs XV., Ε 492, 495 und 525, die auch die Zuhörer mit „gebührendem" Lachen quittieren, die spielerische Dimension; Ε 496 und 530 f. zur verbrecheri-

484

7.1.4.2

Entmündigung

Doch sind sie prpvokant auf eine erneute Konfrontation mit Thomas Manns Antithese zugeschnitten. Mann behauptet den Dualismus von Geist und Macht als Seinskategorie. Er verneint jede Entwicklungsmöglichkeit. „Und doch! einem Volke ist die oder jene Staats- und Gesellschaftsform gemäß, oder sie ist ihm nicht gemäß. Es ist geschaffen dafür, oder es ist nicht dafür geschaffen. »Reife wird es niemals dafür.''128 Hegemann versucht, sie als eine Scheinerklärung - auf geheimnisvolle Weise - bloßzustellen. Indem die willkürliche Entfremdung durch Glaubenssätze stets reproduziert wird, stellt sie die Legitimation für ein fortgesetzt autokratisches Herrschafts- und Gesellschaftssystem, während Hegemann die sogenannte Unreife als konkrete Folge der Vernichtung „bürgerlichen Gemeinsinns" ansieht. Und wenn in Deutschland jemand aus dieser Unreife die Pflicht ableiten wollte, das, was Sie »Geist- und Kulturwidrigkeit« nennen, als bleibende deutsche Staats- und Gesellschaftsform anerkennen und erhalten helfen zu müssen, dem könnte man mit dem konservativen Grillparzer antworten: »Besser der furchtbarste Demokratismus, als der Geist unterliegt und die edelsten Bedürfnisse des Menschen werden einem scheußlichen Stabilitätssystem zum Opfer gebrachte.

Diese Bewertung aber einem Konservativen und Österreicher in den Mund zu legen, bedeutet weitere politische Seitenhiebe und paradoxe Ubertreibung. Im sechsten Gespräch führt der Militarismus und der Balkankrieg auf die Anfangsfrage zurück. Während Ellis Lievre dazu bringt, zuzugestehen, daß er Iphigenies Tod nicht wolle, sondern geerbt habe, zeigt Hegemann eine - durch Rezeption der Antike bestärkte - Kapitulation vor der Wirklichkeit als Selbstentmündigung 129 . Die Frage: Wollten Sie sagen, es könne etwas Rühmlicheres geben als sein Leben bei der Verteidigung des Vaterlandes zu opfern? beantwortet Ellis mit dem Defätismus, daß die Gewalt der militärischen Disziplin den Tod im Krieg als Befreiung erscheinen lassen mußte 130 . Zwischen Ellis und seinen Kontrahenten werden die preußischen Tugenden verhandelt. Die Konfrontation zweier intransigenter Positionen zieht auf beiden Seiten Bismarck als Zeugen heran und führt zur Frage der Nation. Während Ellis nach Goethe für einen Europastaat mit der „Kulturstufe der Gesamtnationalität" redet, zieht er klassische Einwände auf sich. So antwortet der Vertreter der Durchschnittsmeinung: Die Erkenntnis der besten Staatsform ist noch kein zulänglicher Grund zu ihrer Einführung,131 Er realisiert damit exemplarisch die antithetische Deutung. Ellis aber meint die pragmatische Seite: Daß sich die Deutschen, Franzosen und Raliener nicht verstehen können. sehen Verschwendung u n d preußischen spartanischen Sparsamkeit - Ellis: „Ich höre Treitschke ...": der ärmliche Berliner Hof u n d französische L i t e r a t u r f ö r d e r u n g Ε 507 ff. u n d 526 ff., 541 ff. 128 Ε 547; vgl. u n t e n 7.3.1 Bilder Friedrichs II. 129 Ε 560. 130 „ H e g e m a n n " als naiver Frager erhält hier Beistand von einem P f a r r e r Dietrich, der angeblich eine b e r ü h m t e Person verberge, eher die Personifikation der populären Meinung. Der U m s t a n d , daß er gleichzeitig eine J u g e n d b e k a n n t s c h a f t Ellis' sein soll, den dieser zwanzig J a h r e nicht gesehen habe, macht d a r a u s den politischen Vorwurf, in dieser Zeit stehengebleiben zu sein. 131 Ε 587. Zur „ G e s a m t n a t i o n a l i t ä t " - gefährliche pazifistische Schwärmereien und haltloses Weltbürgertum, d a s die Deutschen einlullte - Ε 576 ff., bes. 582 ff.

485

7.1.4.2

Glauben

ist lebensgefährlich für die drei Völker.132 Hegemann stellt damit auch das Friedrich traditionell zugesprochene „Recht durch Erfolg" in Frage. Er benennt in dem Konflikt um die Bewertung des Staatshandelns zwischen 'höherer Idee von preußischer Nation' und 'Ruhmsucht' mit dem Begriff vom Schauder vor der verruchten Tai einen Schlüsselbegriff der Wertungen bei Onno Klopp, Heinrich von Treitschke und Thomas Mann 133 . Das betrifft die Uberformung zur politischen Moral der 'deutschen Mission' und der daraus abgeleiteten moralischen Politik. So steht eine paradoxe Ubertreibung am Schluß, die die Selbsterziehungsfunktionen dieser Bilder beweist. Anknüpfend an den s>großenstarken Mannest verkörpert, von dem die Völker politisches Heil erwarten dürften und dessen Entwicklung zuliebe sie eine dauernde oder vorübergehende Einschränkung ihrer politischen Freiheit und ihrer staatsbürgerlichen Erziehung erlauben oder wünschen könnten?13 Gilt Goethe als Idealist, wird Friedrich II. zum Real-Idealisten und Napoleon zum 'verwirklichten Goethe' und Realisten, Inbegriff des gegen die gewachsenen Völkerindividualitäten letztlich gescheiterten genialen Machtpolitikers14. Quasi an die Stelle Thomas Manns tritt hier der Literaturhistoriker Friedrich Gundolf mit der beispiellosen Verherrlichung des Genies, gefolgt von Emil Ludwig mit einem zwar differenzierten, nichtsdestotrotz verklärten Bild vom kreativen Mächtigen, sekundiert vom „amtlichen Geschichtslehrer" Μειχ Lenz. Hegemann wirft mit der Frage nach der „Eroberungsbestie" (Ranke) die Gefahren eines autoritativen Führerkultes weniger als eine historische, innenpolitische, denn als zukünftige außen- und weltpolitische Frage auf. Er verdichtet sie im Bild der Kriegsfurie, angetrieben von Wissenschaft und industrieller Produktion. Vor dem Antagonismus von Verständigungs- und Machtpolitik gelangen auch Genie-Bewunderer wie Stresemann und Lenz zu Verantwortungsethik. In dieser Behandlung wird die Frage nach Napoleon zum Lackmustest für Weltverständnis und Weltanschauung, die an den Komplexen um Genie, Tat und Heros, Leistungsprinzip und Rechtsgleichheit, Militarismus und Zivilität auch auf ihre nationalen Unterschiede geprüft wird. Das Wunschbild liegt im friedfertigen Austausch, Anerkennung der Vielfalt und Kontraste, wie sie sich in den Drehungen der Dinnertafel und den rotierenden Erdsegmenten bildlich darstellt 15 . Die Vielfalt der Besetzung und unvermittelte Beiträge bilden die kontingente Wirklichkeit ab, aus der keine Wahrheit gewonnen werden kann, sondern der im verbalen Austausch von Meinung und Deutung zur völkerversöhnenden Aufklärung nur eine permanente Sinnverständigung abzuringen ist. Die vier Überlebenden lesen einander aus verbliebenen Werken über Napoleon vor, doch erst der Bericht vom blutigen Sklavenaufstand in San Domingo (Haiti) unter Toussaint Louverture, über dem sich Franzose und Deutscher die Hand reichen, einig über das Versagen ihrer Vorbilder, beendet die Demontage. In systematischer Sicht zeigt sich eine Weiterentwicklung des Verfahrens. Die Objektwahl reflektiert erneut für die Realität der Republik bedeutungsvolle Grundsätze um Zivilität, Expansion, Macht, Westlichkeit und Demokratie. Die Methodenkritik trifft das Individualitätsaxiom doppelt, als die historische Figur ihm ideal entsprach, ihre Taten der Bindung der Entwicklung durch gewachsene Bedingungen widersprach, die bilischer Art zerstören, alle Keller und auch die tiefsten Brunnen vergiften-, berichtet „wie aus einem quälenden Traum". Vgl. auch Masaryk 29. Januar 1933: Dem Flieger, der eine Millionenstadt vergast, ist es gleichgültig, ob der dabei unter jedem Bett und in jeder Kinderwiege ein Gewehr mitvergast oder nicht. 13 Ν 13. 14 Diese Bedeutungskomplexe werden bei Wulf Wülfing/Karin Bruns/Rolf Purr, Historische Mythologie der Deutschen 1798-1918. München 1991, S. 174 f. leider nur gestreift. 15 Das Buch selbst, nützliche Kunstform und vergnügliche Belehrung, ist also sein eigenes Bild.

618

7.4.1 Persiflage

das Scheitern gerade bestätigte. Die Erkenntniskritik ist zur literarischen Inszenierung der Vielfalt von politischen Inszenierungen reduziert. Die politische Absicht liegt in der weiteren Bebilderung zur Stärkung des Impetus. Die Referentialität verlangt aber dem Leser noch spezifischere Vorkenntnisse ab, mit der er in dieser Vielfalt eine individuelle Meinung bilden soll. Die rationelle Produktionsweise ist zurückgenommen, weil eine prägnantere Auswahl getroffen ist; paradoxe Folge des Zeitmangels. Sie kommt der rationellen Darstellungsweise zu gute, die die Diskrepanz zwischen inhaltlicher Abstraktion und materiellem Uberfluß mindert. Die Rationalisierung der Funktion ist durch die Vergröberung der Fiktion und Themenzentrierung verstärkt. Die Rationalität im Urteil ist durch Abwesenheit von Vermittlung weiter zum Leser verschoben, der deutlicher gefordert ist. Durch seine Auffächerung in Bilder, mit Auftreten der Kritiker und Historiker, nicht zuletzt von Biographen wie Gundolf und Ludwig - der 1925 bereits eine Biographie Napoleons vorgelegt hatte 16 - und Lytton Strachey - der 1918 mit „Eminent Historians" durch vier biographische Skizzen eine Attacke gegen Institutionen und Ethos des Viktorianischen Englands geführt hatte und als Begründer der destruktiven Biographie, der debunking

biography,

galt 17 - wird dieses Werk Hegemanns bereits zu einer Persiflage

auf das gesamte Genre. Seiner ältesten Tochter schenkte Hegemann ein Exemplar mit einer Widmung, nach der sie die Kapitel

25-41 ••• anregte. Auch hier wurden die Debatten, gemeint ist die „Gei-

sterbeschwörung", vom wirklichen Leben angeregt. Hegemann kam mit seiner Tochter, der er eine weitere Ausbildung verweigert hatte, nicht gut aus. Ellis arbeitete als Journalistin im Ullstein-Verlag, im Nachrichtendienst der „Vossischen Zeitung". Im Gegensatz zu ihrer Mutter sei sie „gerade und klar", nahezu undiplomatisch gewesen 18 , ein offenkundiges Erbstück des Vaters. Desgleichen verfügte sie über W i t z und Esprit, wie sie in einer Glosse bewies 19 , die zu der notierten Anregung und einem offenbar entspannteren Verhältnis führten. In der Rezeption hinterläßt die Wendung zur Persiflage wiederum keine Spur, jedoch zeichnet sich erstmals das Erkennen einer Reflexivität ab. In der „Neuen Zürcher Zeitung" ( N Z Z ) wird das Buch uneingeschränkt positiv beurteilt. Unbelastet von nationalen Verpflichtungen 20 kann der Rezensent auf gezielten Widerspruch zum Zwecke der Ernüchterung erkennen. Als Verfahren gilt das auf den 16 Franklin C. West, Success without Influence. Emil Ludwig during the Weimar Years, in: Leo Baeck Institute Yearbook 30 (1985), p. 169-189, p. 179 ff. 17 Obwohl im Untertitel des „Königsopfers" namentlich genannt, tritt Strachey tatsächlich in allen Werken nur einmal und mit nur einem Einwurf auf, Hegemanns Spiel mit dem Skandalon: er zitiert ihn wie eben einen weiteren Genieverehrer. Ε 283 - F l 177 - F2 363 - Ν 567 f. 18 So ihr zweiter Ehemann, der Schweizer Diplomat Eduard Feer, Mein Lebensweg. MS o.D. o.J., S. 381 f., 384, im Privatbesitz der Familie Feer. 19 Ellis Hegemann, Von der Herren der Schöpfung Minderwertigkeiten. In: Querschnitt 12 (1932), S. 304; bisher keine weiteren Funde. 20 Das ermöglicht auch die vergleichsweise skurrile Zustimmung des schweizerischen Obersten, der bei Hegemann im Anschluß an Nietzsche das Plädoyer für eine historische Pathologie versteht. Bircher in: Allgemeine Schweizerische Militärzeitung 74 (1928), S. 360 (15. Juni).

619

7.4.1 Rezeption

Kopf Gestellte wieder auf die Beine zu bringen. Thema ist nicht ein neues Bild, sondern Kritik der Meinungen, der „Leichtherzigkeit" von Verehrung, die den Mythenbildnern so unerschrocken am Barte zupft. Obwohl er inhaltliche Lücken beanstandet, lobt er die Kunst des Aufbaus, Mühelosigkeit, Sprache und Witz. Der Rezensent spricht Hegemann gar als „fröhlichen Wissenschaftler" an, dessen Qualitäten als Kritiker, Künstler und Persönlichkeit zu betonen sind21. Das setzt sich in aufschlußreicher Weise in den beiden Kritiken des nächsten Rezensenten fort 22 . Fritz Schotthöfer sieht das Buch außerhalb literarischer oder geschichtswissenschaftlicher Kategorien. In der früheren Besprechung spricht er es als „Kampfschrift" einer skeptischen Natur und literarischen Persönlichkeit an. Während Hegemanns „Fridericus" der Idolatrie des Königs galt, bedeute die Kritik Napoleons weit mehr: eine der Hoffnungen auf den „starken Mann" und ihrer Förderer wie Ludwigs populäre Napoleon- Verherrlichung. Schotthöfer sieht bei Hegemann dagegen unterhaltsamste und erziehlichste Denkgymnastik ..., wie wir sie vor allem zur Stärkung unseres politischen Denkvermögens dringend bedürfen. In seiner folgenden Kritik - man darf vermuten, er habe das Buch inzwischen gelesen - zeigt er sich skeptischer, was das Wirkungspotential betrifft. Positiv sieht er noch immer die Wanderung durch die historische und geistige Landschaft des Napoleonkults, doch Materialmenge, Undiszipliniertheit, Lücken und die Kulturgeschichte der Jahrhundertwende erscheinen Schotthöfer nun als Beeinträchtigung. Er verlangt nun Objektivität und ein positives pädagogisches Objekt, geht ihm die Reduktion 'echter' Größe bei Heine, Goethe, Nietzsche und die Negation Napoleons bis zum „Ausstreichen aus der Geschichte" doch zu weit. Dieses Urteil ist von besonderem Interesse, weil der Rezensent zunächst dem Übungsbuch zur Prüfung von Uberlieferung zustimmte. Weiter durchdacht, konnte er der absoluten Erkenntnisskepsis nicht zustimmen und trennte sich von den Intentionen des Verfassers. Eine gemeinsame Grundlage politischer Uberzeugungen ist zwar eine notwendige Bedingung, den Charakter dieser Werke zu erfassen, aber keine hinreichende, um dem in seinem Gesamtgehalt auch zuzustimmen. In einer literarischen Kritik dagegen beurteilt Erich Franzen eben nicht die Qualität der Kunstprosa, sondern distanziert sich vom „bürgerlichen Ressentiment". Er argumentiert nicht etwa als Marxist im Sinne späterer Literaturkritik, sondern als Anhänger des Geniekults, der gerade in Napoleon die elementarische Triebhaftigkeit des Genies findet23. Hegemanns Sarkasmus zeige nur einen eingeklemmten Affekt. In seiner Diagnose - der Bürger will sein Theater haben - steht er der kulturpessimistischen Gegenwartsverachtung eines Wilhelm Schüßler nicht fern, wenn auch anderer Herkunft, von Vulgärfreudianismus gestützt. 21

E.K. in NZZ 21. Oktober 1927, Α., Β. 6, und 23. Oktober 1927, 2. Sonntagsausgabe, B. 9. Aufgrund sprachlicher Übereinstimmung kann F. Sch., Ein neues Napoleonbuch. In: Germania 10. November 1927, Α., Literarische Beilage; ebenfalls Fritz Schotthöfer, Napoleon, seine Verehrer, seine Verächter und Hegemann. Zum „Napoleon" von Werner Hegemann, FZ 4. Dezember 1927, 2. M., S. 9; zugeschrieben werden. 23 Erich Franzen, Schauspieler und Genies. In: Literarische Welt 3 (1927), Nr. 49, S. 13 f. (9. Dezember), zu einer ebenfalls besprochenen Quellensammlung. 22

620

7.4.1 Mäßigung

Wieder bietet Max Braubach ein geklärteres Urteil. Bekannte, „nicht allzu tiefe geschichtliche Kenntnisse" und umschweifige, teilweise auch banale Behandlung, aber auch „geistreiche und amüsante" Verurteilung weniger Napoleons als seiner deutscher Verehrer und deren jüngstem, Emil Ludwig, gesteht er dem Werk zwar keinen Platz in der Literatur der Geschichte, wohl aber in der Geschichte der Literatur zu. Braubach hat sich wie vorher nicht auf die Handhabe einer widerrechtlichen Usurpation von Wissenschaft eingelassen und nähert sich in seiner verhaltenen Zustimmung den Befürwortern 24 . Auch Heinrich von Sbrik bietet eine zunächst gemäßigte Bewertung. Er attestiert dem Werk viel Geist und künstlerische Qualität, auch „ausgreifende Lektüre" und sehr scharfsinnige Art der Diskussion, aber eine künstlerisch undisziplinierte Ausführung. Versteht Sbrik die Widmung sehr wohl und treffend als ironische, verstellt ihm aber die Apostrophierung vom „führenden Historiker" Ludwig als Herabsetzung der Kollegen völlig den Blick für die umfassende Persiflage. So treibt er die Sammlung zu Napoleon vollständig auf Hegemanns „fast persönlichen Haß" auf Friedrich II. zurück und lehnt beide Angriffe eben nicht mehr als eine auf Legenden, sondern als Angriffe auf historische Personen ab. Dahinter verschwinden alle angeblich scharfsinnigen Einwände Hegemanns, die das Werk zuvor noch zu einer auch für den von Hegemann geringgeschätzten deutschen Fachhistoriker lehrreiche[n\ Lektüre machten 25 . Dahinter steht die Antithese von Kultur und Zivilisation. Hegemann kann das Unmittelbare jeder Epoche zum Uberirdischen nicht begreifen, sein Geist ist „rechenhaft", verfügt nur über zersetzenden Verstand und politische Tendenz. Im Vergleich zum „Fridericus" zeichnet sich an solchen Reaktionen eine Beruhigung ab. Ist sie einerseits durch größere Distanz zum Objekt bedingt, ist sie andererseits auch einem Gewöhnungseffekt zuzuschreiben. Die tertiäre Absicht Hegemanns bleibt ausgeblendet und unerkannt, mit den anderen läßt es sich arrangieren. Nimmt zwar auch Sbrik die Haltung des Ausschlusses an - so bezeichnet er Hegemann als das andere Extrem zum Ludwigschen, unfähig, beide als Komplementäre zu sehen - , bedarf er jedoch nicht der Aufgeregtheiten eines Legitimitätsversagens. Andererseits zeichnet sich von dritter Seite Beihilfe durch eine anders motivierte, dem fundamentalen Asthetizismus verwandte Haltung ab. Unter den Befürwortern sind die Stellungnahmen ebenfalls differenziert 26 . Eine ähnliche politische Haltung resultiert nicht zwangsläufig in vorbehaltloser Zustimmung, eine entgegengesetzte professionelle Haltung schließt jedoch nicht Kritikberechtigung grundsätzlich aus. In diesem Stadium, so scheint es 27 , hätte 24

Max Braubach in: Literarischer Handweiser 64 (1927/28), Sp. 673 f. (Juni 1928). Lediglich die Kritik am „sixtinischen Deckengemälde" Ludwigs hebt Sbrik lobend hervor, der gleichzeitigen Rezension des Werks geschuldet. Heinrich Ritter von Sbrik in: Historische Zeitschrift 138 (1928), S. 593-604, S. 600-604, und in Historische Belletristik ..., S. 9-19; Doppelbesprechung mit dem Werk Emil Ludwigs. 26 Benjamin etwa bemerkte im Januar 1928 an Scholem, daß der „Napoleon" längst nicht so gut sein solle; Benjamin, Briefe ..., Bd. 3, S. 326. 27 Es fehlen jedoch bisher aufgrund unzureichender Angaben nicht nachweisbare Rezensionen in Der Bücherwurm, Literarischer Ratgeber, Hannoverscher Kurier, BT, Kölnische Volkszeitung, Neue Freie Presse (Richard Specht), Preußische Jahrbücher (auch Autopsie ohne Fund), Augsburger Postzeitung, 25

621

7.4.1 Vergleich

historisch-politische Literatur in eine öffentliche publizistische Debatte integriert werden können. Wieder zeigen im Vergleich die auswärtigen Rezensionen, daß Belesenheit, Sammelleidenschaft und Nachforschungseifer genügend zur eigenen Deutung berechtigen, eine eindeutige Klassifikation des Werks als historischer Roman oder Sachbuch nicht erforderlich ist. Bereits im Januar 1928 meldete Hegemann an Stern, daß der Napoleon ein Erfolg sei und der amerikanische Verlag A.A. Knopf eine Übersetzung erwäge 28 . Demzufolge werden Werk wie Ansatz Interessantheit und Anregung zugebilligt. Künstlerische und inhaltliche Schwächen können sehr viel nüchterner konstatiert werden, als sie nicht der Vermischung der Aspekte unterliegen. Über Stärken und Schwächen besteht weitgehend Einigkeit. Gelobt werden die Verknüpfung der Beiträge in der Themenbehandlung per Dialog, die Ironie und Satire; beanstandet Masse und Ziellosigkeit, Diskrepanzen in der Organisation 29 . Als Stärke gilt die Konzentration auf die Legende, als Schwäche die Einseitigkeit der Wertung durch Beschränkung des Blicks. Die dabei formulierte Erwartung eines objektiven Bildes beruht auf einer klaren Vorstellung von der Qualität dieses Herrschers 30 , wo eine für die politische Gegenwartsinterpretation affirmative Vergangenheitsdeutung selbstverständlich ist 31 . Kritik an Kanonisierungen gilt aber als rechtmäßig, wenn sie auch einer Mode folgt, argumentativ begrenzt und parteiisch ist, bleibt sie dennoch lehrreich 32 . Hegemanns Verfahren beweist seine Funktionsfähigkeit, wenn es auch beim Transfer nationale Deutungen aktiviert, indem man etwa kontinentale Vorurteile oder die gefährliche Idee des starken Mitteleuropas am Werke sieht oder auch der Kritik am Code Civil zustimmt 33 . Dann wird das Buch als 'psychologische Studie' oder debunking biography gelesen. Einzig die amerikanische Kritik stellt wieder die Satire heraus und bezeichnet das Werk als extraordinary literary omelette34. Die Negation des Heroenbildes und die Willkür der Attacke erzeugen nicht Abweisung, sondern aufgrund eines selbstverständlichen geschichtlichen Bildes allenfalls Befremden ob der Vehemenz, so daß der Hegemann und Ludwig vergleichende Rezensent Ludwigs zu der eminently more rational study ernennen kann 35 . Börnes von Münchhausen, Literarischer Ratgeber für die Katholiken Deutschlands, Die Rote Fahne, Berlin. 28 Hegemann an Stern, Januar 1928 aus Luxor, Stern Papers. 29 Dies besonders bei J. Holland Rose, Napoleonoclastes. In: The Cambridge Review 52 (1931), p. 412 (May 15). 30 In aller traditionell und national anders begründeten Selbstgewißheit formuliert etwa bei F. W. Bain in: Criterion 11 (1931), p. 119 f. (October). 31 RF.D. in: Studies 20 (1931), p. 679-682 (December), p. 681 über Ludwig: He brings Napoleon into the modern world, saluting him as the founder of the League of Nations. 32 Bain; I.F.D.M. in: History 18 (1933/34), p. 189 f.; auch James Lindsay, Iconoclastic History. In: Saturday Review 151 (1931), p. 578 (18 April). 33 Rose, vgl. Hegemann's „Napoleon". In: Times Literary Supplement April 9, 1931, p. 281; RF.D. in „Studies"; Lindsay. 34 Charles Willis Thompson, Napoleon the Demon. NYT May 17, 1931, IV, p. 19. 35 P.F.D.; kritisiert Hegemanns Kritik an Ludwig moralisch: For his [Ludwigs] sin of admiration he comes under the lash of his brother German's irony. Vgl. auch Lindsay: The reader ... will need more

622

7.4.2 Collage

Aus dem Vergleich ergibt sich, daß die Verkennung der tertiären Absicht nicht von der nationalen Fixierung auf das Objekt abhängt. Die Auffächerung in die Negation wird auswärts als zulässig, aber wenig nützlich gesehen. Hegemanns Form leidet mithin an theoretischer Stärke bei Schwäche der Ausführung, die diese nicht zugänglich macht. Das Mitspracherecht ist hier durch Wissensspezialisierung, also einem Leistungsnachweis, gegeben, und wird nicht von einer übergeordneten Bedeutung des Objekts beschränkt. Die Disqualifikation der 'Historischen Belletristik' stellt sich immer mehr als Folge der spezifischen deutschen Gesellschaftsbedingungen heraus. Sie lehnt sowohl eine Mitsprache als auch die kritisch-negative Deutung geschützter Objekte als 'illegitim' ab. 7.4.2 „Christus" Hegemanns nächstes Buch nimmt die Teile wieder auf, die der Bearbeitung zum „Fridericus" zum Opfer gefallen waren. Wohl kaum klüger geworden, mußte er damit alsbald nach seiner Rückkehr aus Ägypten begonnen haben, da er schon im August 1928 das Vorwort zeichnete - und das, obgleich die Wellen der Architekturkritik in der Folge der Weißenhofausstellung hoch schlugen, er eine Ausstellung in London zu präsentieren hatte und zugleich mehr für die politischen Zeitschriften schrieb. Er fügte nun die ausgefallenen mit neuen fiktiven Gesprächen zu einem eigenen Werk zusammen. Erstmals mit Illustrationen - nach Holzschnitten Albrecht Dürers - erschien es im Spätsommer 1928 im Verlag Gustav Kiepenheuer unter dem Titel „Der gerettete Christus oder Iphigenies Flucht vor dem Ritualopfer". Ist der „Napoleon" als abstrakte und absurde Variante des Hegemannschen Verfahrens anzusehen, stellt sich der „Christus" als spielerische, konkrete Variation dar. Das ehemals „Siebte Gespräch" über Soziallehre und die Hauptthese des Ellis, daß Christus nicht gekreuzigt worden sei, sondern als Praktiker gelebt habe, eröffnet das Thema. Gefolgt von neuen provokanten Religionsinterpretationen wird, angeblich um Rücksicht zu nehmen, das Gespräch über griechische statt christliche Mythologie fortgesetzt. Diesem neuen Mittelteil folgen das frühe Gespräch über Antikenbilder, die „Iphigenie" und als Schluß das Odipus- Satyr spiel. Es handelt sich somit um eine Collage aus Collagen. Sie verwendet eigene Textproduktion im neuen Zusammenschnitt, um Aktualität herzustellen und Aussagen zu bekräftigen36. Zeit und Ort erscheinen unverändert zur Vorlage. Die situative Fiktion Neapel 1913 hat Hegemann beibehalten, mit neuer Ausmalung seine Bewertung von Lebensferne bestärkt 37 . Zugleich durchbricht er die Fiktion, indem er spätere Ereignisse kommenthan the assistance of its author if he is to estimate correctly the place to which Napoleon is entitled in history. Und „Times Literary Supplement": One could multiply cases in which Napoleon is attacked for some action or characteristic, quite skilfully, but leaving one with the conviction that, had the action or characteristic been exactly the contrary of what it was, there would have been an excuse equally good for the attack - which would certainly have been made. 3 6 Die Einfügung älterer Teile - vgl. Treitschkes Kämmerlein, Belegungsdichte New York; C 140, 85 f. - zeigt sowohl Vorarbeiten zum „Steinernen Berlin" an wie sie die gesamte eigene Textproduktion als verfügbares Kontinuum erkennen läßt. 3 7 Vgl. C 160 f. - Ε 161 f. mit C 311 f.

623

7.4.2 Traumata

tiert, gibt sie damit faktisch auf, betont ihre Durchsichtigkeit38. Die situative Ausmalung unterstreicht die Hauptthese: die sinnliche Gewißheit als einzig gewisse und begnadete Erfahrung, die Religiosität nur noch als sentimentalischen Pantheismus ermöglicht. Der Gebrauch der Fiktion ist somit widersprüchlich. Sie dient der Abwertung des Geschehens, bestätigt aber die Aussage. Die Besetzung der Gespräche kombiniert in den bekannten Teilen das personalisierte Typenprinzip mit einem abstrakteren Vertretungsprinzip im neuen Teil. Hauptexponenten des Widerspruchs treten persönlich auf: der Altphilologe Paul Wendland und der britische Ethnologe James G. Frazer 39 . Unter Zurückstellung der politischen Kategorien wählt Hegemann einen Mittelweg zwischen der Unvermittelheit im „Napoleon" und der Belehrung durch Ellis. In die Fiktionalisierung gingen biographische Elemente ein. Beginnend bei der ironischen Erzählung über das paradigmatische Trauma des Kindes, das nach häuslicher Tierzucht das gehegte Tier zu essen gezwungen wird, beschreibt Hegemann die Lektüren des Sechzehnjährigen und spätere Abstraktionserfahrungen 40 . Wichtigstes Element ist die Kritik des Pietismus, die besonders der „Blutrünstigkeit" der Dichtungen des Herrnhuters Nikolaus von Zinzendorf gilt und an Schrecken der Kindheit durch die innigkeitsselige Frömmigkeit der Mutter gemahnt. Wiederum gereichen lebensgeschichtliche Ansätze zu gegenseitiger Befruchtung der Arbeit: zwecks Plausibilität der Kritik eingeflochten, formen sie individuell erfahrene kathartische Wirkungen zu einem pädagogischen Impuls41. Als aktuellen Anlaß seines Buches nennt Hegemann aber die 1926 bekannt gewordene Stigmatisierung der Therese Neumann aus Konnersreuth. Das lebhafte bis hysterische Interesse für das Phänomen fällt mit steigender publizistischer Bearbeitung religiöser Fragen zusammen, von der Hegemann als von der immer zahlreicher und schwerer widerlegbar werdenden [Zahl der] Leugner der historischen Persönlichkeit Christi spricht42. Populärster Ausdruck dessen wird die ebenfalls 1928 sogleich in einer Stückzahl von 30.000 erscheinende Biographie „Der Menschensohn" (des hier nicht in Erscheinung tretenden) Emil Ludwigs43. Hegemanns Gegenrede gilt also erneut einer Suche nach 38

Siehe u.a. C 10 Faure, 54 Rathenau, 196 Tolstoi. Wendlands Hauptwerk „Die Hellenistisch-römische Kultur in ihren Beziehungen zu Judentum und Christentum" erschien 1907, während Frazers großes Opus „The golden bough" seit 1890 erstmals in zwei Bänden, bis 1915 auf 12 Bände angewachsen, in einer stark gekürzten Fassung von tausend Seiten 1928 als „Der goldene Zweig" erstmals in Deutsch erschien. Diesem aktuellen Anlaß stellt Hegemann auch das erstmals übersetzte Werk Elie Faures zur Seite; C 10, 315. 40 C 18; C 28 Shaw's „Androklus", s.a. C 125 zu Rilke. Vgl. auch C 152 - Ε 160 über Fink. 41 Vgl. auch C 60 ff.; 16, 19, 196, 312, die Gleichzeitigkeit sinnlicher Erfahrung und gedanklicher Umsetzung suggeriert, so daß auch hier Anregungen der italienischen Reise zugrundeliegen. 42 C 12; 64 ff. zu Therese von Konnersreuth. - Das Anschwellen der Literatur zur „Streitfrage" um die Historizität der Person Christi zeichnet sich im „Deutschen Bücherverzeichnis" deutlich ab. Vgl. die Schlagwortregister DBV 15/20 zu 21/25 zu 26/30: zum Christentum 5,5 zu 8 zu 11 Spalten; zu Jesus 13 zu 22 zu 23,5 Spalten. 43 1926-1930 erscheinen 33 neue Titel zu dieser Frage. Während 1915 bis 1920 25 Monographien verfügbar waren, stieg die Zahl bis 1925 auf 31, darunter drei gleiche Autoren. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zeichnet sich also auch in diesem Bereich eine beschleunigte Marktorientierung ab. 39

624

7.4.2

Humanität

dem Sinnbild und der darin abgebildeten Gegenwartsflucht, der Analogie zwischen dem idealisierten Heiland und dem kommenden politischen Führer. Das Objekt wird wie vorher seiner Repräsentanz wegen ausgewählt. Zwecks Revision der Staatsideen verlangte Hegemann den Königsmord; zwecks Revision der religiösen Lehre läßt er Christus fortleben; eine weitere paradoxe Ubertreibung. Sie beabsichtigt neuerlich, scheinbare Fakten zu widerlegen und über rationale, vergleichende und historische Kritik Optionen zu eröffnen, die Differenzen zwischen Bild und Institutionalisierung neu zu deuten und letzterer die alleinige Legitimation zu entziehen. In der aufreihenden Gegenüberstellung wird die Entscheidung erneut dem Leser überwiesen. Von Arnold Zweig berichtete Tradierungsfehler, Paul Wendlands Integration römischer Mythen, Frazers Bilder der Aztekenfeste zeigen das Christentum als Synkretismus 44 . Jungfrauenmythen, Sadismus, bedrohlich krasse Sinnlichkeit zeigen ein Zwangs- und Kontrollsystem, das im Sohnesopfer psychologische Zwänge ritualisiere 45 . In christlicher Toleranz wird kirchliche und staatliche Militanz aufgedeckt, gegen die Hegemann christliche Soziallehre und Barmherzigkeit stellt 46 . Die nichtrationale Bindung an Humanität stiftet für Hegemann einen positive Tradition. Methodisch bedeutet das Bild vom weiter lebenden Christus ähnliches wie das vom Verräter Friedrich. Wieder wird ein früherer Zustand als maßgebend genommen, in dessen Gefolge ein Antiklimax entsteht, indem der Antiheld von der Stiftung eines Regelwerks absieht und der Praxis lebt. Diese Umkehrung ist eine Satire auf religiöse Erneuerungsbewegungen und religionsgeschichtlichen Untersuchungseifer. Für Hegemann stellt er die falsche Frage. Denn die Ermittlungsbemühungen um die historische Person dienen zwar einer ethisch begründeten Institutionenkritik, heben dabei aber auf eine gleichermaßen Universalgeltung beanspruchende Gegenstiftung ab, die mit der historischen Person Christus begründet werden soll. Im Bild vom historischen, nicht aber gekreuzigten Religionsgründers wird eine paradoxe Ubertreibung entworfen, die willkürliche Entkenntniskategorien und einen ideologischen Ausbau nachweisen soll. Die Erkenntniskritik gilt der Begrenzung des christlichen Entwurfs durch die Kontinuität älterer Elemente. Dabei wird wiederum eine Anregung durch Nietzsche sichtbar, diesen Entwurf als „System von Grausamkeiten" vorzuführen 47 . Das Postulat des Humanen - hier im Begriff der Barmherzigkeit - ist Ausgangspunkt der Revision und Angelpunkt der Sinnverständigung. Als nichtrationaler, willkürlicher Akt der Bindung an einen Wert erlaubt es, den Erkenntnispessimismus in die Klarheit und tragische Heiterkeit des Ellis'sehen Weltbildes aufzulösen. Damit fordert Hegemann erneut, sich von überindividuellen Mächten abzuwenden, von der Externalisierung von Verantwortung und Schuld, denen ein eigenrechtlicher Glaube und die Erwartung naturhafter Verläufe Vorschub leisten. Diese Forderung verallgemeinert die politischen Absichten. Sie soll eine größere Gruppe ansprechen, nach Aufrühren der partei- und regionalpolitischen Aversionen nun die zweitgrößte Lager44 45 46 47

C C C Ε

108, 112, 119. 130, 77 f., 104 f. 137 ff., 11, 93. 161 - C 154; vgl. C 133.

625

7.4.2 Reklame

bildung der Republik zwischen den Konfessionen anrühren. Ideell aber gilt sie ethisch fundierten Verhaltensmustern, die sie in keinem anderen thematischen Raum so treffen konnte. Die Zurücknahme der 1927 geprobten Abstraktion dient so der Verständlichkeit des Anliegens. Es soll vom Leser in soziales Verhalten übertragen werden - wie die rationalistische Interpretation des Odipus-Dilemmas zum Schluß verdeutlicht. Eine Rationalität im Urteil ist damit kaum mehr gegeben, weil für die Bindung an Humanismus und Barmherzigkeit Nachfolge gefordert ist. Sie aber wird nicht auf eine präexistente und universale Wahrheit gegründet, sondern vom eigenen moralischen Urteil des Lesers erwartet. Diese Konkretisierung, die Hegemann im Vorwort zum Ausdruck bringt, muß trotz ihres spielerischen Charakters als Reaktion angesehen werden. Die Collage zeigt, daß sie als nachgeschobene Explikation zur Aufklärung über ein Anliegen jenseits der politischen Fronten gelten kann, eine Aufklärung, die die abstrakte Variante nicht leistete. Sie wäre damit eine kreative Reaktion auf Kritik, die die rein reaktive Form der Antikritiken überwindet. In Details - von denen die Streichung der vormals angedeuteten Koexistenz im gemeinsamen Lachen die bedeutendste ist 48 - gibt Hegemann aber einen gewachsenen Pessimismus zu erkennen. Dagegen anzuwirken, läßt das Werk erkennen, macht in der radikalen Diesseitigkeit einer vormals religiösen Barmherzigkeit nur die eine Gnade möglich, die sich Menschen in ihrem sozialen Verhalten untereinander angedeihen lassen. Einem Gerücht zufolge lehnte Jakob Hegner die Publikation dieses Buches aus Gewissensgründen ab 49 . Hegemanns Verbindung zum Verlag Gustav Kiepenheuer in Potsdam kann jedoch auch auf die Freundschaft mit dessen Lektor Hermann Kesten zurückzuführen sein. Im Vorabdruck setzt Hegemann dann gerade auf skandalträchtige Ausschnitte des Werks. Im August erschien in der „Weltbühne" die „Christliche Schülertragödie", eine Erzählung von der freiwilligen Selbstopferung eines Kindes in vermeintlicher JesuNachfolge, befördert vom verblendeten Lehrer, der darauf symbolträchtig im Irrenhaus der Welt endet 50 . Für die „Literarische Welt" lieferte Hegemann im September eine knappe Übersicht, die bei Shaw beginnend, Ellis' These vom fortlebenden Praktiker vorstellte 51 . Die Blutgier der christlichen Lehre führte der für das „Tagebuch" im Oktober ausgewählte Auschnitt vor: Im sarkastischen Licht - laut Pfarrer Dietrich im Schmutz - von 'Psychoanalyse' unterzog Ellis/Hegemann das Sohnesopfer einer Prüfung auf seine Motive, indem er Gott als „ältlichen Herren" projizierte 52 . Das „Tagebuch" 48 Vgl. C 170 mit Ε 174. F l 32 - F2 44 beschuldigte Borchardt, vom Rassenwahn infiziert zu sein, doch C 102, 107 zeigen, daß er die zunehmende Verleumdung des jüdischen Glaubens registriert und als unaufhebbare Entfremdung sieht, damit die Vorstellung einer Koexistenz in fröhlichem intellektuellen Gerangel subjektiv unmöglich wird. Die Toleranz gegenüber einem immerhin schon mit „Kunst und Rasse" hervorgetretenen Schultze-Naumburg bleibt dabei unverständlich. 49 Alfred Schütze in: Christengemeinschaft 5 (1928/29), S. 378 f., S. 379 erwähnt es lobend. 50 Ε 609-613 - C 37-43; Schülertragödie (1928) 207-210. 51 C 27-30; Selbstanzeige (1928) 6; verbunden mit zahlreichen Reizworten wie Bezügen zu Friedrich II. und Paul de Lagarde. 52 Bearbeitung von C 97-105; Gott Vater (1928) 1644-1647.

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7.4.2 Indizierung

läßt diesen Provokationen in abgewogener Offenheit im folgenden Monat eine ablehnende Rezension folgen. Deren Verfasser bestreitet bemerkenswerterweise jedoch nicht die Kritisierbarkeit des Themenkomplexes, bleibt also einem Pluralismus verbunden, bringt aber eine letzten Endes orthodoxe Abwertung vor. Sie stützt sich trotz inhaltlicher Argumente von mangelnder Schärfe und fehlender Konsequenz auf Glaubensvorstellungen vom echten und tiefen Christen, gegen die in bekannter Weise die Unfähigkeit zum Verstehen und literarische Leichtfertigkeit gegenüber dem schwerwiegenden Thema gesetzt werden 53 . Die Abneigung des überzeugten Katholiken Hegner zeigte bereits eine Brisanz an, die Hegemann mit den Vorabdrucken herausforderte. In der ersten Novemberwoche 1928 ging bei der Staatsanwaltschaft Potsdam, dem Sitz des Verlages, eine Anzeige gegen das Buch ein. Der genaue Verlauf der Indizierung ist nicht zu rekonstruieren, da VerlagsArchivalien nicht erhalten sind. Nach den Zeitungsmeldungen veranlaßte die Privatanzeige am 9. (?) November die Staatsanwaltschaft zur Prüfung 5 4 . Sie forderte von Kiepenheuer ein Belegexemplar an. Vom 12. November bis Anfang Dezember schlug dieser Umstand erhebliche Wellen in bekannten Tageszeitungen, die sogar die „New York Times" erreichten. Währenddessen war die Untersuchung schon in derselben Woche eingestellt worden, wie der Verlag am 18. November selbst mitteilte 55 . Die Aufmerksamkeit der Presse gilt der künstlerischen Meinungsfreiheit, und verdankt sich, obwohl keiner der Protestierenden dies hier vermerkt, konkreten Erfahrungen. Die Indizierung einer Mappe von Zeichnungen, die George Grosz nach seinen Bühnenbildentwürfen für eine Schweik-Inszenierung Erwin Piscators 1928 bei Wieland Herzfelde veröffentlichte, darunter ein Christus am Kreuz mit Gasmaske, resultierte unter Umgehung des obligatorisch zu hörenden Kunstausschusses beim Polizeipräsidium in der Prozeßeröffnung gegen Künstler und Verleger am 10. Dezember 192856. Zugleich zog das am 12. Oktober 1928 uraufgeführte Drama „Ehen werden im Himmel geschlossen" von Walter Hasenclever, in dem Gott abdanken möchte, Kirchenproteste, Tumulte und Strafanzeigen nach sich, die dann in Deutschland abgewiesen und nur 1929/30 in Wien verhandelt wurden 57 . Diese Aufmerksamkeit gilt einer Rechtsunsicherheit, die ein Seg53 O.L., Freidenkerei mit Hindernissen. In: Tagebuch 9 (1928), S. 1886-1888 vom 10. November. Er realisiert auch in nationalen Anspielungen den mandarinischen Gegensatz von Geist und Vernunft, ohne die vorliegende Thematisierung dieses Musters zu bemerken. Dabei pflegt er eine interessante Variante des Gegensatzes bei der scheinbaren Zustimmung, den französischen esprit als Maßstab zu setzen, den Hegemann nicht erreiche. Diese offenbar verbreitete Scheinmodernität bedarf weiterer Untersuchung. 54 Das „Berliner Tageblatt" nahm am Montag, dem 12. November, bereits Bezug auf eine schon erfolgte Nachricht, die auf eine Amtshandlung des 9. oder 10. November zurückgehen müßte. 55 FZ 18. November 1928, 2. Mbl., Expressausgabe, Titelseite. Die kleine Meldung erschien als Korrektur und Ergänzung des im Ersten Morgenblatt des Tages von Karl Tschuppik angemeldeten Protestes, auf den der Verlag offensichtlich reagierte. 56 Der Prozeß zog sich über drei Instanzen und endete mit einem Freispruch im Dezember 1930. Dennoch wurden offenbar auf Anordnung des Reichsgerichts nach Berufung die Druckstöcke 1931 vernichtet. 57 Siehe Dieter Breuer, Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland. Heidelberg 1982, S. 223226, S. 225; bei gleichzeitig gegen Franz Masereel, Grosz, Tucholsky, Weill, Glaeser und Hegemann schwebenden Verfahren auf der Grundlage des §166 Gotteslästerung. Siehe auch Klaus Petersen, Li-

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7.4.2 Verteidigung

ment der Kompromisse der Republiksgründung spiegelt, den Ausgleich zwischen den konfessionellen Lagern auf einer unzureichenden Institutionalisierung von Kontrolle beruhen zu lassen. Ohne eine Indizierung bei der Staatsanwaltschaft hätte Hegemanns neues Buch kaum solche Aufmerksamkeit erlangt. So teilen sich auch die Rezensionen. In der ersten Phase gilt die Buchbesprechung der Verteidigung von Meinungsfreiheit und ist überwiegend positiv. Der grundsätzliche Protest überragt die inhaltliche Bedeutung des strittigen Werks. In einer zweiten Phase erlangt das Werk auch Aufmerksamkeit bei Theologen. Deren Rezeption wiederholt die bekannten Erwägungen zu Fiktion, Form und Figur des Ellis und teilt sich in ähnlicher Weise in moderne und orthodoxe Kritiken. Paradoxerweise kommt es gerade trotz der sakrosankten Stellung des Objekts zu keinerlei Ausschluß versuchen. Das „Berliner Tageblatt" verteidigt am 12. November mit staatstragenden Argumenten Hegemann als ernsthaften Autor für eine Elite. Es fordert eben die Anhörung des Kunstausschusses, um damit gegebenenfalls die öffentliche Anklagebehörde vor einem Fiasko zu schützen. Entsprechend folgt eine Rezension über das im letzten Grunde tiefreligiöse Werk 58 . Gegen diese legalistische Position erkennt die „Weltbühne" am 13. November auf ein Stellvertreterverfahren, das Hegemann und seinen „Fridericus" meine, da Majestätsbeleidigung infolge Eintretens widriger Umstände nicht in Frage kommt. Die Verteidigung des Bißchen Geistesfreiheit, das uns noch geblieben ist, warnt implizit die Justiz, sich als Handlanger der Gegner Hegemanns mißbrauchen zu lassen59. Dieser Appell an die Wahrung juristischer Unparteilichkeit wird vom „Vorwärts" ergänzt. Paul Gutmann sieht am 15. November ein Zugreifen fanatischer Unduldsamkeit. Er ordnet es als beginnende Aktivität „der Dunkelmänner" ein, sowohl Ausdruck staatsfrommer Intoleranz wie gezielter politischer Aktion. Damit schlägt sich eine Reaktion auf die „Historische Belletristik" im beiderseitigen Bedienen einer Verschwörungstheorie nieder. Gutmann verteidigt Hegemann sowohl ob seiner Intentionen wie seiner Methode, hält das geschlossene Religions- und Weltbild für einen Anachronismus60. Die Meldung der „New York Times" (NYT) basiert auf einer am 14. November von der Jewish Telegraphic Agency verbreiteten und erschien vier Tage später. Die jüdische Gemeinschaft beobachtet die Religionsfreiheit aufmerksam und demnach auch hier Hegemann. Das spiegeln die als bemerkenswert mitgeteilten Innovationen des Buches, als die hier die These vom Tradierungsfehler gilt - er spreche vom christlich behaupteten Verrat der jüdischen Gläubigen an Christus frei. Diese Rezeption ordnet Hegemanns teratur und Justiz in der Weimarer Republik. Stuttgart 1988, S. 80 f., wonach Kurt Hiller bis 1930 400 Anklagen und 300 Verurteilungen wegen Gotteslästerung zählte, die mehrheitlich Journalisten und ihre Redakteure trafen. 58 L. W-n, Die Denunziation gegen Hegemann. BT 12. November 1928 (redaktionelle Vorbemerkung und Besprechung). 59 Wir möchten aber keinen Prozeß erleben, bei dem es sich weniger um die Verteidigung des lieben Gottes als vielmehr um die des Halbgottes der preußischen Geschichtsfälscher handelt. Staatsanwalt rettet Christus. In: Weltbühne 24 (1928), 2. H., S. 746 (13. November). 60 Paul Gutmann, Ein beanstandetes Buch. Vorwärts 15. November 1928, A.

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7.4.2 Rezeption

Argument eine größere Bedeutung zu als der vermutlich intendierte. Für ihn ist diese These mit Arnold Zweig als Kronzeugen zwar Teil der Verleumdungen jüdischen Glaubens, doch lediglich als ein weiteres kulturelles Versatzstück eingesetzt, das die Muster aufzulösen versprach. Zutreffend meldet die Agentur: Liberal German Newspapers are reported as severely criticizing the authorities for bringing such charges against Dr. Hegemann. Sie zeigt einen souveränen Einsatz der Medienöffentlichkeit in der primären Wirkung innenpolitischer und sekundären der auswärtigen Kontrolle. Die zweite Meldung der NYT vom 2. Dezember schrieb die Einstellung des Verfahrens dann auch dem Nachgeben der Jurisdiktion gegenüber der liberalen Presse zu 61 . Einzig Karl Tschuppik nutzt in der „Frankfurter Zeitung" den Anlaß für weitere Erörterung. Hegemanns „Christus" ist für ihn ein literarisch und inhaltlich minder gelungenes Werk, es mißzuverstehen, Hegemanns Malheur und Reiz, schließlich sein Schicksal. Ein Prozeß hätte die übergeordnete Bedeutung, die stete Unsicherheit zu beenden, die alle Religionskritiker zu einem nur „geduldeten Dasein" verurteile. Tschuppik fordert die Hörung der Kunstkommission, wertet sie aber als Phänomen fehlender Geistesfreiheit. ein Defizit der Republik. Er versucht als einziger, die praktische Bedeutung des Vorfalls zu bewerten. Da die Entzauberung des Geldes durch Krieg und Inflation mehr zur Zerstörung von allen metaphysischen Hintergründen beigetragen habe als die Stimme eines zarten, für die oberen Zehntausend des Geistes geschriebenen Buches, erscheint die Indizierung ihm anachronistisch. Noch kritischer spießt er wenige Tage später in der „Literarischen Welt" die Verteidigung Hegemanns als ethischem und elitärem Autor auf. Er sieht darin eine entpolitisierte und gefährliche Anbiederung 62 der Medien, die Hegemanns typisch deutsches Buch aus dem Urwald des Grübelns und hoffnungslosen Anachronismus maßlos überschätze 63 . Das Gerücht behördlichen Eingreifens hält sich noch lange. Publikumswirksam genutzt, wird es noch im Januar 1929 in einem Literaturblatt erwähnt und schlägt sich im Dezember als vermeintliche Konfiskation in der Besprechung einer österreichischen Zeitung nieder. Auch hier fehlen die Bezüge der Rezensionen zueinander völlig - mit Ausnahme Tschuppiks, aber auch jegliche Reaktionen auf die von ihm aufgeworfenen Grundsatzfragen. Die Literaturkritik erkennt mittels literarischer Kategorien die Absichten des Buches genauer, doch das Thema führt auch sie zu moralischen Wertungen. In einer ausführlichen Besprechung bezweifelt etwa der Österreicher Richard Specht die Legitimität der Form 64 , deckt den Großteil als Neudruck auf und beanstandet die Thesen als gewollt. 61 „Holds Crucifixion Myth", NYT November 18, 1929, III, p. 5; der Titel m.E. ein Mißverständnis. Vgl. „German Blasphemy Case Dropped", N Y T December 2, 1929, III, p. 6. 62 Gesetzt den Fall, das Buch wäre weniger tiefgründig, oder es wäre noch gründlicher, aber ketzerisch? Dann dürfte der Staatsanwalt unter Zustimmung der Anwälte unserer Geistesfreiheit den Scheiterhaufen bauen? 63 Karl Tschuppik, Christus und der Staatsanwalt. FZ 18. November 1928, 1. M., Titelseite (als praktisches Christentum empfiehlt er eine Wirtschaftsselbstkontrolle nach amerikanischem Vorbild) und Karl Tschuppik, Jesus und der Staatsanwalt. In: Literarische Welt 4 (1928). Nr. 47, S. 1 (23. November). 64 Specht benutzt nicht das Argument intellektueller Redlichkeit, sondern das Urheberrecht. Diese

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7.4.2

Theologen

Die „aufwiegelnde" These und das geistige Vergnügen lassen ihn das Vorgebrachte trotz seiner moralischen Bedenken gegen offenbare Verführungskunst als erörterungswürdig beurteilen65. Die bei Specht als überstrapaziert beanstandete Rationalität ist für Walther Petry Wert und Erklärung dieser etwas anarchistische[n] Christlichkeit. Denn sie ist... im Gegensatz zu jeder orthodoxen Gesinnungsgerechtigkeit bereit, die praktischen Konsequenzen der „eigentlichen" Lehre zu verfolgen - bis zur modernen Wohnungspolitik hin. Indem Petry Hegemanns Eikonoklastes-Übersetzung wörtlich wie bildlich nimmt, stimmt er dessen Verfahren zu und glaubt sie erfolgreich66. Diese Rationalität kann umgekehrt zum Hindernis werden. Otto Doderer verschließt sich nicht den Argumenten. Doch wegen derer Ernstlichkeit steht ihm gerade die Form im Wege: es ist zum mindesten taktlos, Unruhe stiften zu wollen mit glitschiger Unsachlichkeit und eine sanktifizierte Angelegenheit durch Witz und Spöttelei zu ziehen. Er bedauert deshalb den Bekanntheitsgrad, den das Buch durch staatsanwaltschaftliches Eingreifen erlangt habe, während das Buch selbst jedoch durch seine anspruchvolle Form glücklicherweise nicht weiteren Kreisen gefährlich werden könne67. Die 1929 einsetzende theologische Kritik des Buches hätte sich, strukturell der historischen zu vergleichen, mit Quellenkenntnissen und Rationalität versus Mystik auseinanderzusetzen. Es ergeben sich jedoch paradoxe Folgen. Die temperamentvolle Ablehnung von katholischer Seite resultiert in einer zynischen Gegenbeschwörung. Sie lehnt die offensichtlich als bedrohlich empfundene „neuzeitliche Humanität" Hegemanns ab, die den höchsten und heiligsten Inhalt ...in die Form der ästhetisch spielenden Causerie verflüchtigt68. Einer inhaltlichen Erwägung steht hier die infolge der Unkenntnis der Vorgeschichten neu einsetzende Erörterung um die Zulässigkeit der Form im Wege. Alfred Schütze kann sich so mit dem Urteil vom geistreichen Essayisten, der Gründlichkeit dem esprit opfere, dem bei Friedrich Muckermann schon angeklungenen mandarinischen Urteil vom modernen oberflächlichen Intellektualismus, begnügen69. Desgleichen Erich Fascher, der in dezidierter Textkritik Selektion und Wiederholung anprangert. Seine Entrüstung gründet sich auf die Erwartung einer gelehrten Abhandlung. Das Gefundene wird ihm, gekreuzt mit den Zweifeln an Fiktion moderne Variante krankt allerdings daran, daß er nicht den fehlenden Nachweis beanstandet, sondern die Übernahme ohne Autorisierung und Genehmigung sowie Veränderung der Textzusammenhänge. So Tatbestand des Plagiats, fällt er dieses Urteil aber nicht. 6 5 Richard Specht, Ein Christusbuch. Neue Freie Presse 2. Dezember 1928, S. 39 f. Die literarisch mißlungene Groteske des Iphigenienstoffes mindert für ihn den Wert des Buches. 6 6 Walther Petry in: Magdeburger Zeitung 9. Dezember 1928, Literaturbeilage, S. 2. Hegemann .. hütet sich zwar „mit dem Hammer" zu „philosophieren", analysiert aber mit dem Hammer, und wir haben es erlebt, wie unter seinem Anklopfen das wohl nicht mehr ganz eherne Monument zerkrümelte. 6 7 Otto Doderer in: Die Literatur 31 (1928/29), S. 301 (5. Januar 1929). 6 8 Friedrich Muckermann, Auf der Gralwarte. In: Gral 23 (1928/29), S. 286-295, S. 292 f. (Januar 1929), offenbar auch Quelle Otto Forst de Battaglias. 6 9 Daher das Lob für Hegner und Bedauern über immer noch genügend andere geschäftstüchige Verleger. Alfred Schütze in: Christengemeinschaft 5 (1928/29), S. 378 f. (März 1929).

630

7.4.2

Partizipation

und Dialogen, zum Beweis für Leichtfertigkeit und Amerikanisierung der Gegenwart 70 . Die Bedenken des katholischen Schriftstellers Otto Flake richten sich gegen die Vermengung der Kategorien. Als literarisches Spiel nach Offenbach und Nietzsche sei das Werk überdekoriert, ein Tanz, unter dem die Mitteilung verloren gehe. Die Auflösung in der Anwendung rationaler Erklärung auf Mystik berge die Gefahr des Nihilismus. Darin wird das Zurückschrecken vor Hegemanns letzter Absicht sichtbar, die Zuflucht zur Warnung vor Zersetzung als Auflösung der Kategorien nimmt und dagegen pädagogisches Reglement bevorzugt 71 . Eine Sonderstellung nimmt die Kritik Günther Dehns ein. Dieser Rezensent hat sich zur Lektüre den „Fridericus" verschafft, weil er befremdet und verwundert ob des seltsamen Mannes und des seltsamen Buches, versuchen möchte, den „Geretteten Christus" von einer weiteren Perspektive aus zu begreifen72. In dieser Auseinandersetzung gelingt es ihm, die Funktion der Form zu entschlüsseln und Hegemann als gerechtfertigt zu begreifen, gegen blindes und ideologisches Handeln Lebenszuwendung zu setzen. Daraus resultiert eine aufgeklärte Erwartung an das neuere Buch. Im Wissen, daß „religiöse und skeptische Haltung einander ausschließen", erwartet Dehn aber wenigstens ein Wort von den letzten Dingen. Er findet einen Ton von echtem Pathos, der auch etwas Entscheidendes mitzuteilen hat, jedoch überaus unzulänglich. Die Revolte gegen die Idee der stellvertretenden Buße konstruiere einen modernen Menschen, angeregt von jüdischer, griechischer Kritik und unitaristischem Gedankengut des 19. Jahrhundert, aber auf zu schmaler wissenschaftlicher Grundlage. Dehns Erörterung zeichnet eine gänzlich andere Tonlage aus 73 . Ich hoffe, Hegemann wird es nicht als Theologenhochmut ansehen, wenn ich sage, daß seine Wissenschaft vom nichtgekreuzigten Christus nicht diskutabel ist. Dehn fragt deshalb nach dem „religiösen Wert" seiner Aussage und konzediert, daß das Problem des Opfertodes als Frage nach dem Verhältnis einer aus der Unmittelbarkeit zu Gott herausgefallenen Welt zu Gott richtig erkannt sei. Wo er jedoch die Chance einer wiederbelebten Sinnerfahrung der Offenbarung Gottes in Gericht und Gnade sieht, biete Hegemann nur ohnmächtige Schatten an. Die Bewertung der Chance zur Wiederherstellung einer Erlösungsinbrunst - von Dehn in eben den von Hegemann gewählten Bildern Dürers gesehen und als unfreiwillige Selbst Verspottung empfunden - scheidet: für Dehn besteht sie, für Hegemann ist sie unwiederbringlich. Das Gespräch darüber aber ist zulässig, j a notwendig. Diese späteren Kritiken zeigen wichtige Unterschiede und deuten damit eine potentielle Entwicklungsfähigkeit an. Zunächst ähneln sie zwar den historischen Kritikverboten und mandarinischen Abwertungen, akzeptierten aber die Kritisierbarkeit des Gegenstandes 7 0 Erich Fascher, Vitzliputzli oder die Kunst, Leser zu enttäuschen. In: Christliche Welt 43 (1929), Sp. 502-505 (18. Mai). 7 1 Otto Flake, Aus allen Breiten. In: Neue Rundschau 40 (1929), Bd. 1, S. 680-692, S. 688 f. unter dem Subtitel Dieses Buch ist ein Chamäleon. 7 2 Günther Dehn, Der gerettete Christus. In: Eckart 5 (1929), S. 67-71 (Februar). 7 3 Denn: ... hier redet der von seiner Idee monomanisch ergriffene Mensch, den keine wissenschaftliche Beweisführung von seiner vorgefaßten Anschauung abbringen kann; dennoch bedarf es für Dehn keiner Diffamierung dieses Redners.

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7.4.3 Vorwort

des rezensierten Werks, scheiterten jedoch an dessen künstlerischer Einkleidung. Das unterscheidet sie vom Legitimationsausschluß. Denn sie akzeptieren eine Belesenheit, die zur Partizipation an Deutung berechtigt. Somit mehr dem angelsächsischen Modell entsprechend, zeigt sich diese Toleranz an einem emotional höher besetzten Thema, das aber gerade deshalb Uberzeugungsversuche rechtfertigt. Das eindeutige Defizit an theologischem Hintergrund beschwert den aus dem formalen Aspekt gebildeten Vorwurf eines leichtfertigen Umgangs. Dennoch wird die Kritik nicht auf normativer Ablehnung aufgebaut und bestätigt damit eine Entwicklungsfähigkeit zu pluralistischer Offenheit. Der Tenor etwa der letzten Rezension - das Buch als eine sehr ernste Mahnung an die Theologie, der Zeit das Wesen Christi überzeugend zu deuten!™ - verweist auf die konstitutiven Unterschiede dieser Rezeption: der integrative, seelsorgerische Auftrag der Theologen und die größere interpretatorische Freiheit des Fachs und seine laizistischen Traditionen. Das Auftreten konkurrierender Deutungen am publizistischen Massenmarkt bedeutet keinen unmittelbaren ökonomischen Druck, da Kontinuität erwartet werden kann und die individuelle Stellung der Interpreten nicht berührt. Die freiere Rezeptionshaltung beruht somit auf einem Gegenwartsverständnis, das weniger auf Verachtung beruht, sondern Herausforderung als Aufgabe und Arbeit begreifen kann. 7.4.3 „Jugendbuch" Das „Jugendbuch vom Grossen König" wird, obwohl erst 1930 - nun wieder bei Hegner - erschienen, in dieser Reihe besprochen, weil es sowohl zu den Variationen von Thema und Verfahren gehört als auch zu der Reihe, die die „Historische Belletristik" bestimmt. Die direkte Belehrung, die nun in der Erzählung im Unterschied zu den Gesprächen zur Geltung kam, entstand aus dem Uberfluß an Material und Energie des „Steinernen Berlin". Das war im April erschienen und das „Jugendbuch" wurde noch im Dezember 1930 erstmals besprochen 75 . Erneut hatte Hegemann sich, kaum klüger geworden, mit einem Projekt erfolgreich auseinandergesetzt, in das nächste gestürzt. Daß diese Belastung zuzüglich der Erwerbsarbeit dennoch zehrte, mag man daran erkennen, daß er Ende des Jahres nach neuen Sicherheiten Ausschau hielt. Die neuerlich veränderte Bearbeitungform im „Jugendbuch" folgt dem im Vorwort offen formulierten Wunsch, die mit dem Fridericus-Kult eingeübten Erwartungen an eine Führerfigur durch die Denunziation derer Eigenschaften zu demontieren. Diese Absicht zielt nun direkt auf die Parallelen, die Hitler-Verehrer und -Propagandisten aufbauten. Dieser pädagogischen Absicht verdankt das Buch seine Mischform von Biographiepersiflage und Literaturbericht, die eben diesen Anspruch nicht einlösen kann. 74 Hermann Strathmann, Neues Testament. In: Theologie der Gegenwart 23 (1929), S. 395-464, S. 405-407, gibt der Bereitschaft Ausdruck, Hegemanns Zynismen als Ergebnis eines vieljährigen inneren Sichreibens an den Prägen und als Ausdrucksform endgültiger Enttäuschung zu verstehen. Er registriert die Kritik aufmerksam und akzeptiert die Form als eben diese sehr ernste Mahnung. 75 Die kurze Entstehungszeit des Buches lagert sich in den benutzten Zeitschriftenartikeln direkt ab: von März bis September 1930.

632

7.4.3

Führerprinzip

Das Vorwort stellt die umfangreichste Erläuterung seiner pädagogischen Absichten dar, die Hegemann geliefert hat. Von doppelter Ironie getragen, meint die das Gegenteil des Gesagten und zugleich das Gesagte. Nichts kann heute für einen jungen Kämpfer ermutigender sein, als der schwere und siegreiche Jugendkampf des berühmtesten deutschen Staatsmannes.76 Diese Doppelbödigkeit erlaubt Hegemann, sich als respektvollen Biographen zu verkleiden, um lächerlich zu machen. Weil die Geschichtswissenschaft sich selbstgeißlerisch dazu bekannt habe, daß die Geschichte Friedrichs II. noch nicht geschrieben sei 77 , bietet Hegemann hier seine Hilfestellung an, eine Ehrenpflicht, um dem Offenbarungseid und der Fahnenflucht der staatlich bezahlten und pensionsberechtigten Wissenschaft abzuhelfen. Hegemann befleißigt sich des Mimikry des (un-)berufenen Retters. Er integriert seine Gegner in diese Absicht, indem er sie als unverdient vernachlässigte Kronzeugen dafür anruft, daß zwischen der wissenschaftlich feststellbaren Geschichte eines Königs und der in seinem Volke geglaubten und beliebten Legende und Güte dieses Königs nur selten ein Zusammenhang gesucht werden darf78. Er wirft ihnen vor, einem idealistischen Fehlschluß des Ruhms unbedarft erlegen zu sein: daß der Ruhm eines großen Mannes nicht die Folge seines Genies und seiner Leistungen, sondern, daß umgekehrt der Ruhm und der oft zufällig erworbene Ruhm und - am wirksamsten - der blutige Ruhm die Vorbedingung des »Geniest und des Heroenkultes ist. Der Heroenkult ist für Hegemann die sich selbst reproduzierende Ideologie schlechthin. Von den Jüngern des Heroenkultes werden jedem Erfolgreichen gern die Tugenden und Leistungen angedichtet, aus denen sein Erfolg und sein Ruhm erklärt werden soll.79 Er verspricht, über eine Dialektik der Verklärung aufzuklären. Der Nutzen des kultischen Bildes sei, die Eigenschaften festzuhalten, die der Deutsche von einem politischen Führer verlangt. Hegemann gibt einen friderizianischen Hymnus wieder, der aber auf Adolf Hitler gedichtet wurde, Beweis dafür, daß zu dem Typus Führer gerade von der friderizianischen Geschichtschreibung und ihrem empfänglichen Publikum besonders viel beigesteuert worden ist. Hinter seinen ironischen Fragen scheinen die politischen Absichten auf: daß dem Idealbild kaum einer der republikanischen Politiker entsprechen kann und so die Republik fragwürdig bleibt. Erst die Dechiffrierung einer Idealisierung kann eine echte Beteiligung bewirken, den Gebrauch staatsbürgerlicher Rechte einüben und einen neuen Mißbrauch verhindern. 76

J IX. Hegemann weist hier ausdrücklich darauf hin, daß dieses zünftige Bekenntnis des bisherigen Versagens durch den Sonderdruck eine repräsentative Funktion erhalte. Zuerst, und so auch bei ihm nachgewiesen, Ernst Posner in: Historische Zeitschrift 138 (1928), S. 604-614, S. 614. 78 J XIII. Beachte, daß die Wortwahl weiterhin an Wirklichkeit als einem unbekannten Dritten festhält. 79 J XV f. So soll also der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Mythe hervorgehoben werden; wieder geht es um die Diskursreferentialität. Hegemann würdigt die Schöpferkraft des Volks, die aus einer widerspruchsvollen Realität ein „göttliches Bild" großer Taten erfinde, um sich über die Realität zu trösten. 77

633

7.4.3

Biographieparodie

Vor dem Weltkriege glaubten viele Vertreter des aufstrebenden deutschen Bürgertums diesen politischen Führertyp in Wilhelm II. zu entdecken und schenkten ihm deshalb die Liebe, die in der ersten Nachkriegszeit gern geleugnet wurde und die erst seit der Stabilisierung der deutschen Mark allmählich wieder warm wird. Bismarck hat diese alte Liebe aus den friderizianischen Eigenheiten erklärt, die er im Wesen Wilhelms II. feststellte. Soweit diese nichtrostende Liebe das Opfer einer Verwechselung geworden ist, trifft der Vorwurf ebensosehr die Unklarheit der meistgelesenen Schilderungen unseres großen Königs als die Unaufmerksamkeit ihrer Leser. Wie soll es - auch in Zukunft - unserem Volke möglich sein, neue große Führer zu erkennen, wenn seine Einbildungskraft durch die romantischen Schilderungen unserer Historiker irregeführt wird? Da nun einmal wesentliche Züge des deutschen Herren- und Herrscher-Menschen in seiner bekannten und beliebtesten Steigerung aus dem volkstümlichen, sagenhaften Bilde Friedrichs des Großen leuchten, ist es die Aufgabe der neuen Geschichtsschreibung, dieses erhabene Bild von den historischen Zufälligkeiten klar zu trennen und den Gegensatz zwischen beiden hervorzuheben. Nur wenn wir ein genaues Bild des historischen Friedrich II. mit allen seinen menschlichen Beschränkungen besitzen, nur dann können wir hoffen, einen neuen Helden dieser Art, wenn er uns je beschieden sein sollte, auch schnell zu erkennen, zu würdigen und einmütig zu unterstützen oder uns vor seinen etwaigen Ubergriffen, soweit sie uns bekämpfenswert erscheinen, entschlossen zu schützen. Wenn wir stattdessen auf einen idealisierten Heiland warten wollten, würden wir auf ewig umsonst warten.

Die damit propagierte „neue Geschichtsschreibung" bekennt sich zur Geschichtsdeutung aus aktuellem Anlaß. Mehr Aufschluß als dieses Schlagwort liefern die vorangestellten Thesen zur Bildentwicklung. Die Monarchie galt als Patron und Garant des bürgerlichen wirtschaftlichen Aufstiegs, weshalb sich die Restauration mit der finanzpolitischen Stabilisierung belebte. Die These unterstellt die Identifikation mit dem Herrschafts- und Heroengestus, der von einer Selbstinszenierung der Politik bedient und Inszenierung durch Dritte gefördert wird - die genannten „romantischen Schilderungen" der Historiker meinen nicht nur die Universitätsgelehrten, sondern auch populäre Deutungen wie die der erhabenen Einsamkeit Wilhelms II. durch Emil Ludwig80. Damit steuert das avisierte „genaue Bild" Friedrichs II. auf die Nutzung typischer biographischer Erklärungsmuster von Prägung, Wiederholung, Leiden, Wachsen und Schicksal zu. Die historischen Zufälligkeiten bilden dazu das Gegenstück zum Individualitätsaxiom. Den Gegensatz zwischen beiden hervorzuheben bedingt die Formvariation, indem biographische Erzählung mit Literaturbericht gekreuzt wird und nach wie vor keinerlei 'neues' Bild geliefert wird. Es folgt eine Annullierung der geschichtswissenschaftlichen Beiträge zu Friedrich II. per Urteil der Historiker übereinander. Weil diese die Werke ihrer Kollegen als „Parteischriften" (Prutz über Ranke), Glaubensbekenntnisse (Nietzsche über Ranke) und 8 0 An diesem Beispiel, in dem eine vermeintlich allgemeine Formulierung eine aktuelle zeitgenössische Anspielung enthält, die dem Text sekundäre Bedeutungen verleiht - ebenso wie das Einbeziehen Bismarcks in die Kritik als Spitze gegen die Bismarck-Renaissance - stellt sich einmal mehr die Frage, ob diese Bedeutungsebenen in ihren komplexen Konnotationen überhaupt retrospektiv zu erfassen und noch rekonstruierbar sind.

634

7.4.3

Diskrepanz

Kunstwerke (Mareks über Treitschke) bezeichnen, ist für Hegemann bestätigt, daß die Geschichte Friedrichs noch nicht geschrieben sei. Unter Berufung auf einen britischen Historiker behauptet Hegemann, daß Geschichte „vom amtlichen Standpunkt" Vorurteil sei. Das bekräftigt seine Ansicht, daß Materialerhebung (amtliche Urkunden), Methodik (Quellendeutung) und Erkenntnisinteresse (Staatswesen) falsch ansetzen. Am absurden Anspruch, alle Akten friderizianischer Provenienz kennen zu sollen, beweist Hegemann indirekt seine Sicht auf Unmöglichkeit von Erkenntnis und auf die Kontingenz einer Wirklichkeit. Demnach versteht er sich dazu, sich auf die Mitarbeit der Historiker verlassen zu müssen, die aber als Kritiker der von ihnen aufgetragenen Gerichte selten in Betracht kommen, und zu versuchen, aus dem ungeheuern friderizianischen Aktenstaub einige Tatsachen herauszufischen, die für den Deutschen von heute noch Wert haben und die ihn vor den Mißverständnissen unserer bisherigen Geschichtschreibung schützen. Dieses Bekenntnis zur Geschichtsdeutung unter einer konkreten Aufgabenstellung umfaßt die kritische Selektion des Zwecks. Die » n e u e Geschichtschreibung« hat demnach die Aufgabe, drei verschiedene Geschichten zu beschreiben: eine vom auch in Zukunft kaum veränderlichen dichterischen Idealbilde, eine nach der stets wechselnden Realität des wachsenden Urkunden-Materials und schließlich eine der verschieden gearteten Historiker des Großen Königs81. Nur die klare Unterscheidung gewährleistet den Kompetenzgewinn, den Hegemann anstrebt, mit dem schließlich auch der „nächste friderizianische Staatsmann" angemessen zu beurteilen sei. Die „neue Geschichtschreibung" wird ungeachtet aller ernstlichen Kritik noch vor ihrem Einsetzen zur Satire erklärt. Sie verzichtet nämlich auf die Zerstörung des so wertvollen Idealbilds. Der fast romanhafte Ablauf der Jugendkämpfe Friedrichs wird also in der folgenden Darstellung immer wieder unterbrochen, um an die gewaltige Wirklichkeit zu mahnen, die aus so romanhaften und doch so bedeutenden Anfängen erwachsen ist. Neben der Uberzeichnung des Individualitätsaxioms bezieht sie jetzt den zweiten Fundus der Legende ein: biographische Muster wie die von Größe durch Leiden und Abbildung der Jugenderfahrung im Lebenswerk. „Neue" Geschichtschreibung ist eine absichtsvolle Persiflage auf die Gattungen von Biographie, Roman, wissenschaftlicher Literatur und damit schließlich der Legende selbst. Die Ausführung kann jedoch diesen anspruchsvollen Entwurf nicht einhalten. So scheint Hegemann dieses eindeutige, undatierte Vorwort nach den Ergebnissen der Reichstagswahl vom 14. September 1930, die der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) einen Stimmenzuwachs von 6,4 Millionen und einen der Mandate von 12 auf 107 gebracht hatte 82 , einem allgemeiner gefaßten Werk aufgepfropft zu haben. 8 1 Diese Scheidung verweist direkt zurück auf frühe Worte Ellis': Emporkömmlinge werden wir immer sein, seien wir es mit Ehrlichkeit, Einsicht und, wenn möglich, mit Leidenschaft. Was Du Versuche ehrlich zu machen nennst, kann nie das versunkene Alte zurückschaffen, sondern immer nur den Geist der Zeit widerspiegeln, in der der Versuch gemacht wird. Es gibt keinen anderen Geist der Zeiten, als unseren eigenen Geist. Es gibt aber auch nichts Unterhaltenderes, als die Geschichte der kindlichen Versuche, ehrlich zu machen ... Ε 167. 82

Winkler, Weimar ..., S. 388. - Während Hegemann dieses Vorwort im Gegensatz zu sonstigen nicht

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7.4.3 Addition

Das Buch hat er schließlich dem Staatsekretär Wilhelm Abegg unter Berufung auf dessen Beitrag zur Frage nach der Bedeutung der Führermythologien für die Republik „in Verehrung gewidmet". Zwischen beiden Autoren muß sich in der Folge des „Steinernen Berlin" eine Bekanntschaft und schließlich persönliche Freundschaft entwickelt haben, die offenbar trotz politischer Unterschiede - Abegg war Mitglied der DDP und nannte Hegemann einen „Sozialdemokraten" - auf einer Einigkeit in den Fragen staatspolitischer Bildung und Aufklärung beruhte. Sie ließ Abegg Ende 1930 auch das Begehren unterstützen, an der Universität Städtebau zu lehren. Hegemanns Aufbau seiner Erzählung folgt dem einer klassischen Biographie: Geburt, Familie, Jugend, Geschwister, Bildung, Heiratspläne, Revolte, Taten, Ehemann, Reifung. Wo aber die Erzählung einsetzt, werden die Gattungen, die es zu parodieren galt, nur evoziert, nicht ausgeführt und daher bleiben die Gegenstücke der Literaturberichte, die ihre Muster verifizieren sollen, kraftlos. Hegemann beginnt beim Muster des Märchen vom »Prinzen Borussus und der Prinzessin Germaniadas eine Erlösungsgeschichte erzählt. Statt ihr nachzugehen, kreuzt er jedoch eine „Schnurre" über die aufbewahrte Nabelschnur Friedrichs II. ein, die zur tour d'horizon und Quellenkritik wächst. Symptomatisch für das gesamte Werk, erschließt sich bereits, daß Hegemann sich zu keiner Erzählhaltung verstehen kann. Bereits im Schlußsatz des ersten Kapitels: Bevor hier versucht wird, das bunteste und deutscheste Märchen etwas weniger romanhaft verzerrt zu erzählen, soll noch kurz an dem schnurrigen Beispiele einer königlichen Nabelschnur gezeigt werden, wie langweilig und unfruchtbar das Kleben an den » Urkunden« ist, aus denen gewissen- und phantasielose Geschichtsschreiber gerne ihre Märchen zusammenklauben oder deuten möchten.

erscheinen 1. der Legendenretter Hegemann, der das wahre Märchen berichtet; 2. der Kulturhistoriker Hegemann, der in der Interpretation archaische Muster identifiziert; 3. der Wissenschaftskritiker Hegemann, der Material und vorgewählte Standpunkte als erkenntnisdeformierend ansieht; 4. Kulturproduzent Hegemann, der am konkreten Beispiel Kulturgeschichte als Selbst vergewisserung durch Umdeutungen zeigt; 5. der Aufklärer Hegemann, der über Interpretationen von Geschichte berichten will; 6. schließlich der Erzähler Hegemann, der Märchen und Roman in chronologisch-teleologischem Verlauf durch das stilistische Mittel der Ausblicke auf Deutungsvarianten aufbrechen will; und 7. der Politiker Hegemann, der verantwortungslose Interpreten verurteilt. Wo sich im „Steinernen Berlin" die unzähligen Anekdoten und Zitate in eine Streitschrift fügten, ergibt sich hier in dem Gegenüber von widersprüchlichen Selbstäußerungen Friedrichs und ebensolchen Darstellungen von Zeitgenossen und Historikern eine weite Auffächerung. Sie wird zwar durch die gesetzten Kapitelüberschriften nach biographischem Aufbau thematisch zusammengehalten, doch fehlt ihr im Gegensatz zu den Gesprächen der Kontrapunkt und damit die parallele zeitpolitische Bedeutung. Nur selten bewahrt sie eine konkrete satirische Kraft wie hier zu Beginn, wenn Hegemann sich datierte, endete aber die Schreibzeit, den Indizien der von März bis September 1930 ausgewerteten Zeitungsartikel zufolge, gerade dann.

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7.4.3 Personalisierung

als Königstreuer 83 in komischer Verzweifelung darüber gibt, daß der Inhalt jener Kapsel mit der königlichen Nabelschnur nicht eindeutig bestimmbar ist, aber glücklich darüber, daß sie aus Gold, nicht aus Silber gefertigt wurde. In den folgenden Kapiteln hintertreibt Hegemann die Erklärung Friedrichs zum Genius. Er spielt die gegenteilige und ebenfalls musterhafte Erklärung durch Tradition und Erbe aus: Friedrich erscheint als Verlängerung seiner Vorfahren statt als geniales Individuum 84 . Leitfaden der Erzählweise wird das jeweils zum Kapitelanfang ausgeteilte Lob, dem die Widersprüche der Selbstaussagen und Deutungen folgen. Unter Heranziehung der Psychoanalyse verfolgt Hegemann ein weiteres Muster, das Friedrich keine Entwicklung, sondern nur eine Addition von Einflüssen und Prägungen zuspricht, die in sprunghaften Wechseln der Selbstinszenierung ausagiert werden 85 . Durch Negation einer individuellen Erhebung über Entwicklungsbedingungen entsteht die Gattungspersiflage. Die eingekreuzten Literaturberichte entheben diese Merkmale aber einer unmittelbaren Wirkung. Die Materialbasis hat Hegemann verbreitert, doch der Beispielbestand bleibt wesentlich gleich. Durch Menge und Nachweis angeblich ignorierten Materials geht der Erzählerstandort bis zur Nacherzählung weiter verloren 86 , wie sich die zunehmend nachlässige Ausarbeitung auch sprachlich manifestiert 87 . Bemerkenswert bleibt noch die Behandlung der beiden Makel im Lebenslauf Friedrichs. Sie stehen ganz im Zeichen der Banalisierung, wie sie Hegemann schon gegen Thomas Manns Überhöhung einsetzte, gegen eine durch Leiden zugewachsene Größe. Friedrich wird bei seinem Fluchtversuch als Dilettant gezeichnet; die Begnadigung als staatsmännische Verhandlung gezeigt - mit dem NebenefFekt im Dienste der früheren Hauptthese, daß er seine Inthronisation Österreich verdankte, nur um es dann anzugreifen. Desgleichen weigert sich Hegemann, die Schuldfrage und den Justizmord an dem zur Festungshaft verurteilten Mitwisser Hans Hermann von Katte zu einer üblichen „farbenprächtigen Schilderung" in großen Worten auszubauen. Er setzt dagegen einen schlichten Bericht über dessen Weg zur Hinrichtung, der gleichfalls Friedrichs Größe und Leiden durch Zeugenschaft erledigt. Desgleichen versagt er ihm die tragische Stellung in Sexualität und Ehe, porträtiert ihn als jugendlich Verliebten und um Nachwuchs bemühten Ehemann 88 . 83 Unter dieser falschen Flagge wird der Kronprinz stets als „Friederich der Große" bezeichnet: Hegemann gibt den Ehrenretter des „e": Wozu sind sonst Urkunden da? J 7. Aber auch eine Anspielung auf den „argen Wüterich" des „Struwwelpeter"? 84 Siehe etwa J 101, 123, 151. 85 Vgl. J 181, 201, 232, 251 und öfter. 86 Im umfangreichen, aber unsystematischen Apparat nachgewiesen; erstmals auch Onno Klopp angeführt. Neuere nachborussische Arbeiten von Vollmer über preußische Schule (1918) und Schwenke zum Adel (1911) erkennbar; genannt werden noch Stirling Taylor, Boroviczeny, Nowak. OppelnBronikowski, Schwerin, Valentin, Ludendorff, Young, Brandt, Frenssen, Blei und Wiegler. 87 Siehe etwa die Deklarationen statt Thesen; bes. J 257 ff. und J 341 ff.; Ausnahme 367 ff. 88 Hier wäre bei der Erzählhaltung auf eine Inspiration durch Crebillon zu untersuchen, dessen Werk „Le sopha", herausgegeben von seinem Freund Pierre Lievre (J 395), ihm wohl vertraut war. Denn auch hier wird der Erwartung des Lesers auf genaue Schilderungen stets durch Bruch der Erwartungshaltung

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7.4.3 Regression

Insgesamt ist also diese Form mit Funktionen überlastet. Wenn die Schlußfrage gestellt wird - ob der „geheime Instinkt" Friedrichs, der ihn den „deutschen Bürgerkrieg" entfachen ließ, den Enttäuschungen der Jugend oder dem Ahnen eines großen Staatsmanns geschuldet war - , ergibt sich aus dem Buch keine politische Antwort mehr. Die biographische Parodie verurteilt das Subjekt. Die frühere These, die auf den sich selbst verstärkenden Effekten der nachfolgenden Interpretation des Heros beruhte, wird auf eine eindimensionale vom Verursacher reduziert 89 . Die ehemalige Hauptthese vom größeren Reich wirkt nur noch wie ein Anhängsel und ist ihrer exemplarischen Bedeutung als Methoden- und politische Kritik verlustig gegangen. Die Bebilderung Friedrichs II. als Schuft setzt sich dem Vorwurf der Personenzentrierung nun berechtigt aus, weil ihr keine stellvertretende Funktion für gesellschaftspolitische Orientierung mehr zugeordnet ist. Das Versagen liegt weniger in der Form, die für Interessierte noch immer amüsant gewesen sein mag, sondern in der Kluft zwischen Anspruch und Einlösung. Der im Vorwort formulierte Anspruch über das Erkennen des 'künftigen' Staatsmannes erlaubt lediglich, hinter Adolf Hitler ebenfalls den Schuft zu vermuten, nicht aber die Kriterien und Mechanismen zukünftiger Wirkung aufzuklären 90 . Die politische Absicht, an den Bildern Friedrichs II. ein Defizit an Kultur und „bürgerlichem Gemeinsinn" nachzuweisen, blieb bestehen. Sie erfuhr durch die Form entscheidende Veränderung und wurde mit der Beschränkung auf die Lebensbeschreibung der frühen Jahre zum Gegenbild der Mannschen Intention, Friedrich als Sinnbild deutscher Geschichte abzubilden. Hegemann versuchte, der Personalisierung des Angebots 'Führer', wie er sie unter dem kultischen Zuschnitt der Propaganda auf die Person Hitlers erkannte, einen konkreten Widerspruch entgegenzustellen. Das machte den Einspruch irrelevant statt gewichtiger. Der Kontext von Person, Bild und Inszenierung, der dem Thema seine politischen Parallelen zuordnete, wird abgekoppelt. Der Einspruch scheint sich so allein auf die Bewertung des Individuums zu stützen. Systematisch bedeutet das „Jugendbuch" eine Regression. Die rationelle Produktionsweise ist zurückgegangen - für Erzählung muß trotz zitierter Passagen vermittelt werden - , allenfalls noch in nachlassender Ausarbeitung sichtbar 91 . Damit wurde auch die Rationalisierung der Funktion auf einen ungleich kleineren Bereich beschränkt. Die Rationalität im Urteil ist durch die Texttypen und nachlässige Bearbeitung gebrochen worden. Die Themenwahl bleibt ohne exemplarische Anwendung; die Methodenkritik ist als parodistische Verwendung des Individualitätsaxioms zwar noch erkennbar, doch ohne tiefere Erkenntniskritik erheblich geschwächt. mittels Wertungen widersprochen. 89 Diese Einschränkung ist exemplarisch an der Interpretation Gradmanns abzulesen, die die komparativen Aspekte in Hegemanns Werk nicht verfolgt; Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 189; s.a. Gradmann, Biographien ..., S. 103. 90 Es läßt sich eine Einsicht in diese Schwäche annehmen, wenn beide Voranzeigen des Buches auf diese Parallele nicht mehr eingehen: Selbstanzeige Jugendbuch (1930) 2003 im „Tagebuch" und Der junge Friedrich (1930) 548-552 (= J 181-189) in der „Weltbühne". 91 Die Zeitschriftenartikel der Anmerkungen verraten die Anregungen. Sie auf März bis September zu komprimieren, ist rationell, nicht aber, sie in die Collage nicht auch unmittelbar zu verbauen - die Collage wirkt daher nicht.

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7.4.3 Kritikerlob

Psychoanalytische Elemente der Denunziation des Kronprinzen ermöglichen hier, Willkür und inhumanen Charakter als pathologisch abzuweisen. Sie stellen zwar einen neuen Rahmen für Aufklärung zur Verfügung und berechtigen zu einem Ausschluß pathologischer Verhalten aus dem politischen Raum. Wo sie diese als zentrale Kriterien für politische Personen zugänglich machen, erzeugen sie zunächst jedoch hysterische Ablehnung statt einer Einsicht in gesellschaftliche Defekte. Zu fragen bleibt nach der Resignation in dieser Perspektive. Wollte Hegemann sich mit einer Ablehnung des 'Führers' als Person statt der des politischen Prinzips Führer begnügen? Die Konkretisierung des Einspruchs - sowohl die Personalisierung wie die Aufgabe der Rationalisierungen - stellen die politische Absicht vor die ästhetischen Mittel. Daraus ergibt sich die paradoxe Folge, daß je dringlicher der politische Wille, desto weniger überzeugend die ästhetische Arbeit gerät. Das zeichnete sich schon an den Beschränkungen der zweiten Bearbeitung gegenüber der ersten ab und verweist aus anderer Perspektive auf die Probleme der Form. Die Rezeption dieses Buches scheint jedoch Gelassenheit zu spiegeln. Wenn die positiven Stimmen überwiegen, fällt darin ein Abglanz des „Steinernen Berlin" auf dessen Nachfolger. Die negativen berufen sich auf Bekanntes. Die ersten Stimmen kamen aus dem Bekanntenkreis. Der als Korrekturleser an der Entstehung beteiligte Karl August Meißinger besprach das Buch für die der SPD nahestehende „Deutsche Republik". Er befürwortete diese Literatur und ihre Aufgabe. Hegemanns Bemühungen wären gänzlich gegenstandslos, wenn sich die öffentliche Meinung in Deutschland bisher hätte entschließen können, von dem, was längst in den Büchern der Historiker steht, Gebrauch zu machen.92 Er entlastet die Historiker von Versäumnissen, die er dem obrigkeitsverpflichteten Schulunterricht ankreidet. Wir, die wir vor 1918 Geschichte gelernt haben, können allein beurteilen, was dieses Nachbringen eines ehemals unterschlagenen Tatsachenmaterials bedeutet. Vorhandene Forschungsergebnisse bedürfen der Popularität, um eine Massenbekehrung der Fridericus-Begeisterten zu bewirken. Meißinger zeichnet damit die historisch-politische Literatur als populären Nebenzweig der Wissenschaft in der Funktion staatsbürgerlicher Erziehung. Sie soll der „deutschen Reaktion", zu der er wirtschaftliche Verwertung im Film wie die im politischen Kult der Rechten gleichermaßen zählt, Anhänger entziehen. Die Einseitigkeit dieser Sammlung von Episoden und Tatsachen ist für ihn notwendiges Komplementär in einer nicht sehr optimistisch gesehenen Aufklärungsarbeit. Der Kommentar einer Filmbesprechung, der Regisseur habe wohl seinen Hegemann nicht gelesen, ist für Meißinger schon ein Erfolg. Hermann Kesten dagegen ist völlig hingerissen. Er läßt sich vorbehaltlos auf die Umkehrung Manns ein, auf das neue und richtig gesehene Gemälde der Befreiung eines jungen Individuums, dessen Existenz von Einfluß auf eine bedeutende Nation, ja auf unseren Kontinent war93. Die Kunstgriffe verschwinden hinter der Erwartung einer 'wahren' 92 J 500. Karl August Meißinger, Werner Hegemanns neues Friedericusbuch [sie]. In: Deutsche Republik 5 (1930/31), S. 592-596 (3. Februar 1930). 93 Hermann Kesten in: Literarische Welt 6 (1930), Nr. 51/52, S. 14 (19. Dezember).

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7.4.3 'Aufgeklärte' Kritik

Geschichte. Hegemann führt die dynastische Historiographie ins Absurde, zeigt, wie die mangelhafte Erziehung eines Tyrannen oder Staatsmanns das Unglück der Nation verschuldet hat ... Die Brüche werden übersehen und die Form gelobt, die alle Reize vom Roman borgt und doch den aufklärenden und erzieherischen Wert der wahrhaftigen Historie behält. Allein die Bezeichnung als „witziger Pamphletist" deutet an, daß Kesten die Mehrschichtigkeit des Textes gesehen hat und hier den Wolf im Schafspelz propagiert. Lob erhält Hegemann auch von Carl von Ossietzky für sein „Duell mit einem toten preußischen König". Das „Jugendbuch" wird in Ergänzung zu den ersten verstanden als schönes, einfach geschriebenes Buch, das ohne Ubersteigung intellektueller Hürden zu erreichen ist. Aufgrund ihrer noch immer gegenwärtigen Ideologie bedarf es der Widerlegung der borussischen Interpretation. Ossietzky sieht hier König und Kronprinz nicht mehr als zwei Ideen verkauft, sondern mit den Augen des Psychologen gesehen, als zwei Neurastheniker schlimmsten Kalibers. Obwohl Ossietzky die Zielrichtung des Hitler-Kults anerkennt, erscheint ihm die individualisierende Entpolitisierung in dieser These nicht als Problem 94 . Auch Paul Gutmann erkennt das Buch vorbehaltlos an. Hegemann ... schreibt diesmal über ihn, als wäre er bereit, die behauptete Größe des Preußenkönigs ebenso anzuerkennen, wie es dessen Freunde tun. Er eifert nicht, er stellt keine Behauptungen seinerseits auf, er läßt nur die nackten Tatsachen reden. Das folgende Bild wird als erschreckender und damit heilsamer Kontrast zur Legende empfunden. Gutmann ist damit der biographischen Satire völlig erlegen und akzeptiert die Interpretation Hegemanns als „tendenzlos". Diese Geltung wird auch von sozialistischer Seite rezipiert und als „kleinbürgerlich-humanitärer Standpunkt" erledigt95. Sämtliche linken Rezensenten nehmen trotz der starken Stimmengewinne der NSDAP in den Wahlen 1930 keine Notiz von Hegemanns Anspielungen auf Hitler. Der Rezensent des „Berliner Tageblatts", G. Mamlock, sieht immerhin wie Meißinger die Propaganda der jüngsten Fridericus-Filme als Fortsetzung der königlich-preussischen Geschichtsschreibung, weshalb Hegemanns Buch als Korrektur das allergrößte Aufsehen erregen werde96. Eine distanziertere Haltung, mehr den Historikern verpflichtet, wahrt G. Mentz. Er kreidet Hegemann sein anhaltendes Wühlen im Schmutz an, frühere Widerlegungen nicht berücksichtigt zu haben. Gleichzeitig sei sein Buch als Anregung zum Nachdenken und als Gegengift ... gegen die allzu schrankenlose Verherrlichung der preußischen Könige unverzichtbar 97 . Dagegen listet G.B. Volz in bewährter Weise seine Einsprüche auf und wiederholt seine Vorwürfe über politische Tendenzmacherei, demonstriert aber mit der 94 Celsus [Carl von Ossietzky), Der junge Fridericus. In: Weltbühne 26 (1930), 2. H., S. 948-950 (23. Dezember); der „Fridericus" ein intellektuell gepanzerter Widerspruch gegen sinnlos nachgeplapperten Legendenkram und außerdem in seiner nicht leicht zu bewältigenden Form zugleich ein höchst eindringlicher Protest gegen die flotte Büchermacherei dieser Zeit. 95 Paul Gutmann, Das wahre Bild Friedrichs II. Ein Kenner über den „Großen König", Vorwärts 28. Dezember 1930, M., 3. B. Notiz in Linkskurve 3 (1931), H. 2, S. 27 (Februar). 96 G. Mamlock, Der Kronprinz. Ein entschleiertes Rokoko-Idyll, BT 21. Juni 1931, M., 5. B. 97 G. Mentz in: Vergangenheit und Gegenwart 22 (1932), S. 228.

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7.4.3 Elitarismus

Feststellung, daß dieses Buch mit wissenschaftlicher Forschung nichts zu tun hat, eine wachsende Gewöhnung 98 . Dazwischen steht als Unikat Pierre Lievres Besprechung eines deutschen Buches in der Zeitschrift des Verlags Gallimard. Sie würdigt mehr die Phänomene als das Buch - des ungewöhnlichen Mannes, der „Städte baut und Zeitschriften gründet", des Autors, der eine „Iphigenie" schreibt wie einen „Amerikanischen Vitruv", des unvergleichlichen Erfolges von Biographen in Deutschland von Ludwig bis Zweig, der unvergänglichen Aufregung über subversive Vergangenheitsdeutung und der passion critique Hegemanns mit seinem opulenten Oeuvre zu Friedrich II. 99 . Scheinbar aufgeklärt, tatsächlich reaktionär, stellt sich Arnold Berneys Rezension für die „Frankfurter Zeitung" dar. Berney setzt an, Hegemann links zu überholen, um dann rechts außen an ihm vorbeizuziehen. Er fordert den neuen Geschichtschreiber ein. Der soll sich nicht zur Bekämpfung von Auffassungen verschwenden, die soziologisch mit der erledigten Staatsform und dem ihr zugeordneten bürgerlich untertänigen Denken verbunden waren, jeder echten ideologischen Fortwirkungskraft verlustig gegangen und zu allerletzt für die Züge des nationalsozialistischen Führeridols verantwortlich zu machen sind100. Er leugnet eine Kontinuität der Obrigkeitshörigkeit und sieht in den politischen Inszenierungen eine gezielte Mache zu agitatorischem Zweck, ignoriert damit den Zusammenhang zwischen Anspielung und extremer Reduktion des Legendenbildes. Das gelingt ihm durch Abkoppelung der Rezipienten einerseits und der ehemaligen Zuträger andererseits - weltmännisch spottet er über Koser 101 . Inszenierung wird damit allein dem abgelehnten Parteiwesen überantwortet. So genüge es, zur staatsbürgerlichen Erziehung allein nach neueren Arbeiten ein 'wahres' Friedrich-Bild zusammenzustellen, um der Projektion eines politischen Wunschtraums in scheinhistorischer Kostümierung wirksam zu begegnen. Außerordentlich aufgeklärt wirkt auch das Zugeständnis, daß Hegemann als Außenseiter darauf verzichten muß, archivalische Studien vorzunehmen, was verständlich und entschuldbar sei. Doch Berney wirft ihm dann all die bekannten und üblicherweise angeführten Verletzungen wissenschaftlicher Regeln vor. Neben der Quellenignoranz hält er Hegemann vor, Friedrichs im höchsten Grade öffentliches politisches Leben vornehmlich von seiner privaten Seite angepackt zu haben, um mehr moralisch als politisch abzurechnen. Berney erkennt nicht die satirische Verkehrung biographischer Muster, wenn er meint, daß uns in fünfzig Kapiteln erzählt [wird], wie Friedrich nicht gewachsen, 98 Gustav Berthold Volz in: Forschungen zur brandenburgisch-preußischen Geschichte 44 (1932), S. 458-460. 99 Pierre Lievre in: La nouvelle Revue Francaise 36 (1931), p. 620-622. 100 Arnold Berney, Friedrich „der Große"? FZ 28. Februar 1931, 1. M., Titelseite f. Zum Zeitpunkt der Kritik Dozent in Freiburg, sollte er 1933 und 1936 noch mit zwei Monographien über Friedrich II. hervortreten. 101 Treffend schildert er die Reduktion: Die historische Echtheit dieses Friedrich-Bildes ist zusammengeschrumpft au} die schwache und verantwortungslose Erinnerung an einen König, der immerzu Schlachten gewonnen und immerzu „durchgegriffen" hat. Irrtum oder Lüge: diese Erscheinung ist nichts anderes als Mache zu agitatorischem Zweck und dort, wo sie sich als „Mythos" drapiert, romantisches Gestammel.

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7.4.3 Abgesang

nicht geworden, nicht gewesen ist. Er rezipiert die Negativfolie als Bild mit Geltungsanspruch 102 . Tatsächlich spricht er, ganz dem Individualitätsaxiom verschworen, Hegemann erneut das Einfühlungsvermögen, die spezielle Kompetenz des Historikers ab. Hier entfaltet sich jedoch zum ersten Mal in den Rezensionen ein Argumentationstypus, der sich eindeutig dem eines ästhetischen Fundamentalismus zurechnen lassen muß. Dieser Typus sieht mit Friedrich Gundolf auf die minderen Historiker herab, die einer Vergötzung unterfielen, die weniger „aus der Andacht zu ihrem Menschtum" als „aus dem Eifer für ihre Sachen" kam und huldigt damit dem Geniekult. Doch auch darin gibt er sich aufgeklärt, gesteht er doch, daß Lassalles substanzielle politische Bedeutung durch die Darstellung seiner Liebesaffären und privaten Händel keineswegs gemindert werden könne. Das Genie, von privaten Defiziten nicht tangiert, erfüllt die überpersönlichen Bestimmungen und verkörpert den Weltgeist - Friedrichs II. 'Erwachen' und 'Einwachsen' in den ihm vorbestimmten politisch-geographischen Raum wird beschworen. Erst nach einer idealistischen Erfassung dieser wuchtigen Tatsachen darf ein Raisonnement einsetzen, das aber nur mit der Ueberlegenheit eines politischen Verstandes geschehen darf, legitimiert dadurch, gleichmäßig notwendige Formen deutscher Staatsbildung erfassen zu können, mithin der deutschen Sendung 103 . Hier geht es also um eine elitäre Bewahrung des einzigartigen Schatzes deutscher Geistesgeschichte - den Schreiern seines falschen Ruhms, aber auch den Verächtern seiner wahren Würde zum Trotz- gegen die Niederungen vulgären Nationalismus und die Usurpation massenwirksamer Gleichmacherei. Die Preisung Friedrichs II. als Erziehungs-, Selbst- und Staatsbildungsideal hat eine Größe gewonnen, die es unvorstellbar macht, daß ein 'böhmischer Gefreiter' sich anmaßen dürfe und wolle, es zu füllen, desgleichen die ehemaligen Untertanen, ihn darin zu akzeptieren, gar zu wünschen. Dabei werden weitere wirkungsvolle Muster vorgestanzt. Berney erklärt Hegemann zum Schädling im geistig-politischen Kampf, er verstößt gegen das Gebot der intellektuellen Redlichkeit, er verschuldet sich am reinen Willen der Besten unserer Jugend - die Äquivalente 'notwendiger' Vernichtung. Diese Muster werden in jenem Abgesang verifiziert, den Carl Hinrichs 1934 für die „Jahresberichte für Deutsche Geschichte" verfaßte: Mit dem Pamphletisten W. Hegemann hat sich die deutsche Geschichtsschreibung wohl zu ernsthaft auseinandergesetzt. Er dankt es ihr in dem Vorwort zu dem „Jugendbuch vom Großen König" auf eine Weise, die eine weitere Diskussion unmöglich machen würde, 102 Auch stolpert er nicht über das Spiel mit der Lesererwartung zum Thema Sexualität, verteidigt in seinem Bemühen um Nivellierung nach unten populistisch deren Interessen: Wozu auf die Instinkte einer bestimmten Leserschaft spekulieren, die dann doch nicht auf ihre Kosten zu bringen sind?; hätten doch Volz und Oppeln-Bronikowski klar und sauber die Vorwürfe von Päderastie erledigt, damit eben diese Obsession belegend. 103 Aber man wird niemals aufhören dürfen, die selbsterzieherische Kraft dieses Staatsmannes, die Selbstüberwindung dieses Eroberers, die stoische Selbsteinsetzung dieses Führers den willenbildenden symbolhaltigen Kräften deutscher Geschichte zuzurechnen, diesseits und jenseits der freiheitlichen und völkischen Gestaltung unseres Staatswesens, die wir erstreben.

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7.4.4 Unvollendete

Modernisierung

wenn sie inzwischen nicht überflüssig geworden wäre. H. ist eine Variante jener nunmehr ausgetriebenen Sorte von Literaten, die mit den Mitteln einer vergröberten Nietzscheschen Entlarvungspsychologie, mit Psychoanalyse und westlich-demokratischen Zivilisationsideen den Sturz der deutschen Götter und Helden, die geistige Zerstörung der deutschen Wertwelt betrieben - eine Variante insofern, als er mit dem besonderen Trick arbeitete, die Entlarvung eines deutschen Geschichtshelden nicht zugunsten der internationalen Demokratie vorzunehmen, sondern vom Standpunkt einer angeblich durch Preußens Dazwischentreten nicht verwirklichten geschichtlichen Möglichkeit aus: der deutschen Nationalstaatsgründung durch das habsburgische Kaiserhaus. Mit dieser scheinbar ernsthaften These, die H. wohl von der Lektüre Onno Klopps mitgebracht hat, sichert er sich gewissermaßen ein geistiges Alibi: die Zerstörung des Fridericusbildes geschieht aus Patriotismus. Gerade die Ausbreitung von Gemeinheiten und Niedrigkeiten hinter dieser fadenscheinigen Kulisse eines heuchlerisch beweinten alten Reiches gibt dem Buch das Perfide und Unerträgliche. Es kann nicht als geschichtliches Werk, sondern nur als Dokument einer versunkenen Zeit betrachtet werden.104

Diese Steigerung vollzog sich selbstverständlich nicht an diesem Werk Hegemanns, sondern spiegelt die unter dem Titel der „Historischen Belletristik" aufgenommene Auseinandersetzung, die Wege zu der totalen Ausgrenzung geebnet hat. 7.4.4 „Historische Belletristik" Die Debatte, in die auch die Rezensionen und Antikritiken zu Hegemanns Werk eingingen, wird gemeinhin unter dem Titel „Historische Belletristik" geführt 105 . Den Titel, schon 1931 als terminus technicus verstanden 106 , gab ihr ein Sonderdruck der „Historischen Zeitschrift" (HZ), der in der Zeitschrift bereits 1928 veröffentlichte Kritiken unter einem neuen Vorwort zusammenfaßte. Unter diesem Titel ist sie auch in die Forschungsliteratur eingegangen. Diese Debatte ist als eine unvollendete Modernisierung im Übergang von Kaiserreich zur Republik anzusehen. Sie gilt der Uberführung der traditionell legitimierten, wissenschaftlich monopolisierten Vergangenheitsdeutung in einen offenen Pluralismus im öffentlichen Raum. Sie verlief nicht erfolgreich und konnte nicht abgeschlossen werden. In ihrem Verlauf lassen sich drei Phasen erkennen, die Verlauf und Ergebnis bestimmen. Zunächst überwiegt die Ablehnung einer Beteiligung von Schriftstellern an der Vergangenheitsdarstellung und -deutung, die über Nachweise von wissenschaftlichen Fehlern. Absprache einer individuellen Eignung zur Historie und Unterstellung primärer politischer Ziele abgewickelt wird. Sie ließe sich als Statusverteidigung und Statusverwaltung seitens der Monopolisten - da überwiegend von Historikern vorgebracht - bezeichnen. 104

Carl Hinrichs in: Jahresberichte für deutsche Geschichte 7 (1931) [1934], S. 362. Siehe auch Eberhard Kolb, „Die Historiker sind ernstlich böse". Der Streit um die „Historische Belletristik" in Weimar-Deutschland, in: Liberalitas. Festschrift für Erich Angermann zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Norbert Finzsch u.a. (Transatlantische historische Studien 1), S t u t t g a r t 1992, S. 67-86. Diese wenig systematische Studie sieht in der „Historischen Belletristik" einen Sieg der Zunft, d a jene Autoren vergessen wurden, und in dem Streit lediglich ein „Symptom einer Krise der Geschichtsschreibung" in der Republik. 106 Waas, Historische Belletristik ..., S. 177; s.a. G r a d m a n n , Historische Belletristik .... S. 13. 1931 erschien er bereits im „Großen Brockhaus". 105

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7.4.4 Emil Ludwig

Während diese Argumente quasi in einem vorpolitischen Raum statthaben, folgt darauf eine vergleichsweise kurze politische Phase der Debatte. Nicht nur beteiligen sich weitere Publizisten daran; es werden auch Berechtigung und Zweck einer revidierten Vergangenheitsdeutung erörtert. Diese zerfällt jedoch sehr rasch in einen Rückzug auf die bekannten Standpunkte, weil es zu einer übergreifenden Debatte der politischen Intentionen und Ziele nicht kommt. Der Verlautbarungscharakter in den diversen publizistischen Segmenten bleibt erhalten und in großem Beharrungsvermögen bei der Wiederholung bekannter Muster, während die Brisanz unterschätzt und offensichtlich auf eine erfolgreiche Etablierung eines anderen Strangs von Vergangenheitsdeutung als Teil republikanischen Alltags erkannt wird, ohne daß offene und öffentliche Verständigung erwartet und gefordert würde. Dieses Modell dient dazu, die in der bisherigen Forschung gefundenen Ergebnisse zusammenzufassen107, um die Kategorien des Einspruchs aufzuklären und sie als Reaktionen auf einen Strukturwandel erkennbar zu machen. Es bedarf weiterer Untermauerung, sowohl der Beachtung weiterer Autoren wie einer Integration in die Interpretation der Republikgeschichte, als in diesem Ausschnitt geleistet werden kann. Das Interesse an Biographien wuchs mit dem Ersten Weltkrieg und war ein allgemeines, - etwa mit Andre Maurois und Lytton Strachey - auch ein internationales Phänomen. Mit den zahlreichen literarischen Biographien wuchs auch die Zahl historischer Biographien, deren Autoren einen Anspruch auf wissenschaftlich ernstzunehmende Interpretation ihrer historischen Figuren anmeldeten 108 . Die herausragende Größe war Emil Ludwig, der allein durch den Umfang seines Werks eine Sonderstellung einnahm. Ludwig, ebenfalls 1881 geboren, Sohn eines bekannten Augenarztes, studierte Jura und widmete sich, inzwischen wirtschaftlich unabhängig, der Literatur 109 . Nach dramatischen Versuchen arbeitete er seit 1914 als Journalist, unter anderem für das „Berliner Tageblatt". In der Erfahrung des Krieges zum entschiedenen Pazifisten und Demokraten geworden, fand er mit der Biographie Goethes von 1920 zu einem eigenen Stil. Ausdrücklich als „Geschichte eines Menschen" betitelt, verzichtete Ludwig auf Sekundärliteratur, verließ sich auf eigene Lektüre des Werks für das Porträt, wobei umfangreiche Zitate Authentizität vermitteln. In der psychologischen Erzählung von Mensch und Werk fand Ludwig sein Mittel, sich für Frieden und Demokratie einzusetzen. In der Folge schrieb Ludwig neun Biographien, auch über Rembrandt, Michelangelo, Lincoln und Schliemann, deren bekannteste die 1925 und 1926 erschienenen über Wilhelm II. - mit 200.000 Exemplaren - und Bismarck wurden. Sie trugen ihm einen außerordentlichen Erfolg auf dem deutschen Buchmarkt und eine überragende internationale Anerkennung ein. In seinem Porträt Wilhelms II. als psychologischer Individualbiographie zeigte Ludwig den Kaiser als schwachen Menschen, beeinträchtigt durch Geburtsfehler und Kompen107 Mit besonderem Blick auf Emil Ludwig ist sie auch als Zeichen der Krise des Bildungsbürgertums untersucht worden; vgl. zum folgenden Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 105 ff. 108 Vgl. hierzu Scheuer, Biographie ..., S. 151-230, S. 155 f. und 158. 109 Siehe Franklin C. West, Success without Influence. Emil Ludwig during the Weimar Years, in: Leo Baeck Institute Yearbook 30 (1985), p. 169-189, p. 171 ff.; Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 38 ff.

644

7.4.4

Statusverwaltung

sationsversuche, frühe Thronfolge und eine unfähige Umgebung. Diese Interpretation stand stellvertretend für die Defizite der Gesellschaft des Kaiserreichs 110 . Ludwig macht von Parallelbedeutungen einen ganz anderen Gebrauch als Hegemann. Die Verurteilung der autokratischen Staatsform warb für die demokratisch verfaßte Republik als legitime Nachfolgerin. Der eindrucksvolle Erzählstil mit anschaulichen symbolischen Szenen, bis ins Triviale verkürzt, machte dieses Urteil überaus eindrucksvoll und plausibel. Bemerkenswert ist, daß Ludwig von seinen Gegnern oft eines 'gewandten Schreibens' beschuldigt wird, das dem Vorwurf von Kunsthandwerk und intellektueller Unredlichkeit, wie er Hegemann gemacht wurde, typologisch ähnelt. Das Werk löste sowohl heftige Zustimmung wie Ablehnung aus. Während in der liberalen Presse die begeisterte Zustimmung überwog - sie galt nicht unbedingt dem Stil als mehr der Manifestation einer Gegengeschichtsschreibung - lehnten vor allem Historiker es ab. Dabei wurden nicht nur die wissenschaftlichen Defizite wie bekannt aufgezählt, sondern das stellvertretende Urteil - bis zur Diffamierung des Autors aufgrund seines Glaubens - angegriffen 111 . Mit seinem überragenden Verkaufserfolg konnte Ludwig zur Symbolfigur der „Historischen Belletristik" werden, weil er in der namenstiftenden Schrift als einziger Autor mit dreien - neben Paul Wiegler und Herbert Eulenberg nur Hegemann mit zweien - seiner Werke aufgenommen wurde. Zu Hegemann läßt sich ein größerer Gegensatz kaum denken, ein griffiges Bild, das in seinem Wahrheitsanspruch alle grundsätzlichen Einwände auflöste. So scheint seine eigene Stellung zu Ludwig zwiespältig zu sein. Es überwiegt der Respekt für das politische Engagement, der sich jedoch nicht von ästhetischer Verachtung freimachen kann, wie sie auch sein späterer Geburtstagsartikel für Ludwig zeigte. 1935 äußerte Hegemann im Zusammenhang mit Lob für Rudolf Oldens „Hinderiburg": Auch E. Ludwigs Hindenburg scheint mir nicht schlecht. Leider wimmelt es darin noch von seinen Ungezogenheiten mit Kotzreiz: „Mit der gelassenen Geste eines geborenen Königs streicht der alte Recke diese Einwände vom grünen Tischtuch weg u. faßt sich in die historischen Worte zusammen ,.."112. Das große Wort - andernorts sarkastisch 113 - faßt die geballte Aversion gegen einen reformierten Geniekult zusammen, der auch im Porträt der Schwächen des 'Ewig-Menschlichen' immer noch zum Projizieren und Delegieren beiträgt statt Selbstverantwortung einzufordern. Dennoch wird dieser Kontrast in der fachwissenschaftlichen Kritik nicht wahrgenommen. Das Gemeinsame überwiegt in deren Augen. Die ablehnenden Historiker - und die Kritiker, die ihre Attitüde übernehmen - üben sich in Statusverwaltung. Statusverwaltung meint die Ausübung ihres Amtes, des ihm zugeschriebenen Auftrags und damit verbundenen Anspruchs. Zunächst üben die Historiker Kritik als Korrektur wissenschaftlicher Fehler. Das ist im Zusammenspiel konkurrierender öffentlicher 110 Siehe West, Success ..., p.183-185; Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 46-51: vgl. zu Mitteln und Anregungen Scheuer, Biographie ..., S. 166 ff. 111 Vgl. Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 51-56; bes. S. 52, vgl. West, Success ..., p. 187. 112 Hegemann an Zweig am 24. April 1935, Arnold Zweig-Archiv. 113 Vgl. Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 191, aus einem Typoskript des HegemannNachlasses.

645

7.4.4 Erschütterung

Deutungen nicht mehr als angemessen. Das Verharren im angestammten Medium der Fachzeitschriften kann diese aber nicht als diskursrelevanten Teil dieser öffentlichen Konkurrenz etablieren. Diese Beschränkung folgt jedoch aus der Selbstperspektivierung im Wächteramt. Gegründet auf den Universaldeutungsanspruch des Bildungsbürgertums, zur Erziehung der öffentlichen Meinung durch Wissenschaft fortgebildet, deren universitäre Akademiker das Wissen und Gewissen der Nation darstellen, war die Geschichtswissenschaft eine der Leitdisziplinen des Kaiserreichs und damit monopolistisch für eine politisch-kulturelle Sinnstiftung zuständig. Die alleinige Hoheit der Vergangenheitsdeutung ist damit zunächst vom Amt des Universitätsprofessors sanktioniert und tendiert bereits hier zum Ausschluß. Mit dem Verweis auf den Beruf der Verfasser der kritisierten Literatur wird der Ausschluß vorbedeutet, wohl ignorierend, daß die Hauptakteure eben demselben Mileu entstammen. Unteilbar wird der Hoheitsanspruch jedoch durch das methodische Konzept der Geschichtswissenschaften. Das Postulat objektiven Verstehens, in dem ein vorgeordnetes Sinnkonzept über die Ordnungskategorie Staat Geschichtskonzept und Gesellschaftsentwicklung zur Deckung bringt, kann nur durch seine wissenschaftlichen Diener angemessen erfüllt werden. Die gegenseitige Identitätsbildung hat der idealistischen Geschichtsauffassung eine sankrosankte Qualität verliehen. Hier dienen die typischen Verweise auf eine mangelnde Begabung zur 'Einfühlung in echte Größe', die das Verfehlen des Individualitätsaxioms als geistiges Defizit begreift, zum Ausschluß. Aus der Deutungshoheit, ihren institutionellen und methodischen Absicherungen, folgt, daß Vergangenheitsdeutung von ihren Exponenten nicht anders als in bekannten Medien gedacht werden kann. Daraus folgt die Disqualifikation der kritisierten Literatur als Kunstgewerbe - mit dem moralischen Urteil über eine scheinkünstlerische Arbeit als unzureichende Aneignung - mit dem moralischen Urteil über ungenügendes Bemühen und gescheute Arbeit und die Achtung einer pädagogischen Reduktion wie bei Ludwig oder einer Satire als intellektuelle Unredlichkeit bei Hegemann. Aufgrund der Ferne von idealistischer Philosophie und Verstehenspostulaten verstehen die Kritiker diese Literatur nicht als Kunst, können sie aber als Wissenschaft auch nicht akzeptieren. Es fehlt an Begriff und Akzeptanz für ein Drittes 114 . Der Umschlag angemessener Kritik in Diffamierung vollzieht sich an der Erkenntnis, daß nicht mehr Staatsnähe, sondern Erfolg Autorität konstituiert 115 . Die außerordentlichen Verkaufszahlen der Bücher Ludwigs und der den materiellen und Achtungserfolg 114 Vgl. dazu Helmut Kreuzer, Biographie, Reportage, Sachbuch. Zu ihrer Geschichte seit den zwanziger Jahren, in: Probleme der Moderne. Studien zu deutschen Literatur von Nietzsche bis Brecht, Festschrift für Walter Sokel, Hrsg. von Benjamin Bennett, Anton Kaes, William J. Lillyman, Tübingen 1983, S. 431-458, der die drei Gattungen unter dem Aspekt eines gewandelten Verhältnisses von literarischer und sozialer Wirklichkeit wie von Dichtung und Wissenschaft als neue Produkte dieser Auflösung in weitere Sektoren behandelt. 115 Die treffendste Formulierung dessen bei Forst de Battaglia, Kampf mit dem Drachen ..., S. 262: Dort, wo sich einer zur Regierungsfähigkeit beglaubigt, wenn die Mehrheit der Regierungsunfähigen seinen Namen auf einen Zettel Papier schreibt, muß auch der als auserkorener Liebling der Musen gelten, dessen Namen, gleichgültig wie, der kompakten Majorität von künstlerisch Urteilsunfähigen geläufig wird.

646

7.4.4

Statusbehauptung

Hegemanns offenbar weit übersteigende Symbolwert - in dem Erfolg dieses Buches [des „Fridericus"] vollzog sich die Einigung der deutschen Intelligenz, die an dieser Lektüre sich zuerst wieder, (von den Angriffen der Mythenweber abgesehen), aus allen Lagern und Stellungen zusammenfand, so eine Äußerung von 1928116 - bedeuten eine konkrete Bedrohung des Hoheitsamtes. Eine Autorität in der Vergangenheitsdeutung wächst nun nicht mehr aus dem Amt und seiner mehrfachen Staatsnähe, dem Bildungspatent, der Lehrbefähigung, der Alimentierung und der Identitätsgleichheit, sondern Käufer und Leser wählen sie aus einem Angebot und etablieren damit Autorität. Diese Konfrontation mit Strukturwandel trifft die Historiker weit über ihre politischen Vorbehalte gegen eine Republik hinaus. Sie betrifft einen Urgrund ständischer Vergesellschaftung, die darauf beruhte, den den Geltungsanspruch des Bildungswissens in konkrete institutionelle Ordnungen zu übersetzen und diese selbst zu verwalten117. mithin das gesamte Selbstverständnis und Weltbild. Diesen Strukturwandel als Bedrohung wahrzunehmen, geht eben auf die aus ihrer Geschichtsbetrachtung axiomatisch ausgenommenen Faktoren, ökonomische und gesellschaftssoziologische Ursachen zurück. Sie scheinen allenfalls in den Begriffen politischer Aversion auf - Wilhelm Schüßlers ..Zeitalter des Chauffeurs" - , ohne als eigenständige Wirkungsmächte wahrgenommen zu werden. Demzufolge wurde diese Entfremdung von einem 'rechtmäßigen' Amt nicht systematisch betrachtet. Die Statusverteidigung macht sich daher die Ideologie des Mandarinentums zunutze, insbesondere die Antithetik von deutschem Geist und westlicher Vernunft, aus der die Vermischung von wissenschaftlicher Kritik, politischem Angriff und persönlicher Diffamierung erwächst. Der Einbruch in die methodisch und institutionell eingehegten Hoheitsgebiete der Vergangenheitsdeutung erfolgte mithin mittels Insignien der 'neuen' Zeit, seitens der Mitglieder der Massengesellschaft, die in einem Mehrheitsverfahren unter Umgehung etablierter Institutionen neue Autoritäten aufstellten. Diese Bedrohung wurde offensichtlich zugespitzt, indem gerade am Beispiel Emil Ludwigs anschaulich wurde, daß diese neue Autorität durch Bekanntschaft und Umgang mit zahlreichen Größen aus Politik und Kultur und seine internationale Anerkennung, die ihn als Repräsentanten des neuen Deutschlands empfing, eine andere Staatsnähe erfuhr und durch sie sanktioniert wurde - deren Mißachtung sich durchaus auf Neid derer, denen sie versagt schien, zurückführen läßt. Die Kritik der literarischen Arbeiten geht daher immer wieder von unsystematisierten Voraussetzungen aus. Die institutionelle Kritik beruft sich auf Berufe, auf Nationalität und Religion, auf geschäftstüchtige Verlage oder gar auf bezahltes Agententum. Sie soll die Autoren von jeder legitimierenden Zugehörigkeit ausschließen. Die fachwissenschaftliche Kritik beruft sich auf Quellenkenntnis und -nutzung, meint letztlich aber die methodischen Axiome und endet in der ideologischen Absprache der Qualifikation, weil den Autoren die Reverenz für Größe fehle. Die moralische Kritik bezichtigt sie des Ver116

Walther Petry in: Magdeburger Zeitung 9. Dezember 1928, Literaturbeilage, S. 2 anläßlich der Rezension des „Christus". Angesichts dieser Wertung muß eine Rezeptionsgeschichte nach Rezensionen unvollständig bleiben, die offenbar nicht hinreicht, solche Symboleffekte aufzunehmen. 117 Lepsius, Bildungsbürgertum als ständische Vergesellschaftung ..., S. 18.

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7.4.4

Statusbewirtschaftung

rats an der Geschichte, deren Erben sie seien, und die pseudopolitische Kritik unterstellt in Anwendung der Antithetik Zersetzung durch Vernunft und westliche Wertbindung. Die Vermischung dieser Kategorien konstituiert den von späteren Lesern erstaunt festgestellten wütenden Grundton der Kritiken, in dem sich diese Seklusionsängste äußern. Die problematische, aber auch differenzierte Stellung der Historiker zur Weimarer Republik - für die gemeinhin das Bekenntnis Friedrich Meineckes als „Vernunftrepublikaner" steht - ist hinreichend bekannt 118 . Wichtiger ist an dieser Stelle die alles überragende Kollektivmentalität119, in der die Gruppe als Zunft auf Kenntlichmachen eigener politischer Binnendifferenzierung verzichtet und ihre Abweisung der Usurpatoren vornimmt. Sie läßt trotz vorhandener Unterschiede keinerlei Separationsbereitschaft - mit Ausnahme Valentins bei anderen Gründen 120 - erkennen, weil ein Komment philosophischideeller und wissenschaftlich-methodologischer Fragen sie verbindet, gemeinsame Herkunft und institutionelle Verbindung sie in Loyalität einbinden 121 . Daran läßt sich eine hohe Identitätssicherheit erkennen, die eben der Systematisierung einer Gegenwartskritik entgegensteht und es bei der Verhüllung politischer Ziele in scheinbar wissenschaftliche Kritik beläßt. Die Statusverwaltung der Historiker muß sich daher auf die Hierarchiebehauptung zurückziehen. Sie kann auch die Objekte ihrer Arbeit nicht in die neuen Bedingungen überführen - weder eine konkurrierende öffentlich-populäre Deutung noch ein politisches Programm - , sondern muß gerade auch für diese eine hierarchische Stellung behaupten. Versteht man dagegen die Exponenten Ludwig und Hegemann als in einer erfolgreichen Statusbewirtschaftung begriffen, wird der Gegensatz noch deutlicher. Sie arbeiten als Publizisten an der stetigen Teilnahme am öffentlichen Diskurs, zugleich ihr Leistungsnachweis zum Lebenshaltungserwerb. Sie haben für ihre gesellschaftspolitischen Anliegen publizistische Formen gefunden, die individuell geprägt, zu Markenzeichen geworden sind und konsequent ein- und fortgesetzt werden. Allerdings kann auch bei ihnen auf ein Defizit in dieser konsequenten Modernisierung erkannt werden. Beide haben ihre 118 Siehe dazu in diesem Kontext Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 86-88, der dem angegriffenen Selbstverständnis die Wucht der Kritik zuordnet, dies aber nicht weiter systematisiert; vgl. ebenso die Beispiele bei Kolb, Streit ..., S. 73 ff.; grundsätzlicher Faulenbach, Geschichtswissenschaft ..., S. 68-84; Faulenbach, Selbstverständnis ..., S. 169 ff. 119 Faulenbach, Geschichtswissenschaft ..., S. 70. 120 Valentin galt als Außenseiter der Zunft ohne Hoffnung auf einen Lehrstuhl; seine Stellungnahme galt Anstiftung einer demokratischen Mehrheitsbindung, für die er Hegemann zügeln wollte. 121 Faulenbach, Geschichtswissenschaft ..., S. 70. Hier läßt sich jedoch auch eine Differenz zwischen interner und öffentlicher Position vermuten, etwa für Franz Schnabel, der sich über Hegemann offenbar nicht äußerte, ihn später seinen Studenten aber anerkennend als „großen Heroentöter" vorstellte; persönliche Mitteilung von Dr. Klaus Kratzsch. (Er nahm offenbar einen deutlichen Unterschied zwischen den 'Schicksalsbiographien' und Hegemanns wahr; vgl. sein Urteil am Beispiel Valeriu Marcus; Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 87; während er von Ludwigs Montagetechnik zwecks Authentizität für die biographische Darstellung lernen wollte; s. Kolb, Streit..., S. 78.) Vergleichbares ließe sich für Karl Stählin vermuten, der seine Begegnung (?) mit Hegemann zur Demonstration der Zünftigkeit öffentlich desavouierte. Beachte auch den festgestellten Zug zur persönlich-autoritären Abmahnung des Sünders einer Glaubensgemeinschaft.

648

7.4.4 Ausfall

Konkurrenz um ein politisches Programm ebenfalls nicht offen angemeldet - es ist in ihren literarischen Mitteln aufgehoben. Auch darin kann eine große Identitätssicherheit gesehen werden, die sich auf eine große Zahl Gleichgesinnter im öffentlichen Raum zu stützen wußte - und tatsächliche Mehrheitsverhältnisse unterschätzte: die Konstellation der insider as outsider. Zugleich spiegelt sich darin auch ihre bildungssoziologische Herkunft, indem sie sich - trotz des weiten Weges von traditioneller Herkunft und Bildung in die kritische Praxis - essentiell als nur als Männer der Feder und nicht eines (partei)politischen Programmes sehen konnten. Angesichts dieses Gegensatzes ist es umso bemerkenswerter, daß die Statusverwalter einen Ausfall machen, der dieser Modernisierungsverzögerung einen Schub versetzt. Denn der Sonderdruck mit dem Titel „Historische Belletristik" bedeutete erstmals einen geplanten Ausgriff auf die Medien und Formen des publizistischen Marktes 1 2 2 . Im Mai 1928 teilte der derzeitige Redakteur für Rezensionen, Walther Kienast. dem Verlag der „Historischen Zeitschrift" die Absicht mit, die Sammelbesprechungen des folgenden Heftes als Sonderdruck zu verbreiten 123 . Die 1858 von Heinrich von Sybel gegründete HZ war durch ihre epochenumfassende Auslegung, Umfang an Aufsätzen und Besprechungen sowie Fachmeldungen eine der Größen unter den Fachblättern. Die Beteiligung der Universitätshistorie, das historistische Programm, eine Auflage von 1650 Exemplaren, davon 1100 im Abonnement, machten die Zeitschrift zum wesentlichen Repräsentanten der Zunft in dieser Zeit 124 . Der Redakteur setzte dagegen mit seinem Plan konkrete moderne Ziele. Kienast wollte einen Markt zurückerobern und den der HZ ausweiten. Die „pseudohistorischen" Werke nähmen „den Markt der ernsthaften, für einen breiteren Leserkreis bestimmten Literatur fort"; die eigene Zeitschrift wolle nun nicht das Fach-, sondern „das breitere Publikum" über die Werke aufklären 1 2 5 . Er plante deshalb, den Sonderdruck gezielt an die Presse zu versenden und in den Handel zu bringen - und er hatte den Rezensenten schon eine weitere Verbreitung als die Erstpublikation versprochen 126 . Die Rezensenten dieser historisch-politischen Bücher waren sich einer Repräsentanz ihres Urteils bereits zur Schreibzeit gewiß. Gehoben wurde dies noch durch fachinterne Unterstützung, wenn etwa die „Preußischen Jahrbücher" das Heft in ihrer Weihnachtsrundschau von 1928 zur allgemeinen Lektüre empfahlen. Wohl mit professioneller Hilfe 122 Entgegen dem von Kolb, Streit ..., S. 71 f., festgehaltenen Fehlen strategischer Überlegungen seitens der Schriftleitung der HZ rechtfertigen die Darstellungen des Redakteurs des Rezensionsteils gegenüber dem Verlag diese Bewertung. 123 Der Rezensionsteil des dritten Heftes von 1928 wurde um Delbrücks Besprechung von Ludwigs „Wilhelm II." aus Band 133 von 1926 und ein Vorwort von Wilhelm Schüßler ergänzt. 124 Siehe Hans Schleier, Die Historische Zeitschrift 1918-1943. In: Studien über die deutsche Geschichtswissenschaft, Hrsg. von Joachim Streisand, Bd. 1.2., Berlin (Ost) 1965, Bd. 2, S. 251-302 und hier Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 82 f. 125 Nach der Selbstdarstellung der Zeitschrift am Schluß des Sonderdrucks ließe sich dies auch in eine 'Qualitätsoffensive' einordnen, hatte sie doch seit Band 137 den Literaturbericht um drei Bogen erweitert, den gesamten Umfang mit Band 138 um sechs Bogen und zum Ausbau der Mittelalterstudien einen zweiten Herausgeber gewonnen. 126 Kolb, Streit ..., S. 73, nach Schreiben Kienast an Oldenbourg, 18. Mai 1928.

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7.4.4 Strategie

des Verlages gelang die Verbreitung effektvoll, bei der der Sonderdruck an 160 Zeitschriften und 210 Tageszeitungen als Besprechungsexemplar versandt wurde und der Erstauflage von 2000 Stück bereits Anfang 1929 eine weitere und eine dritte folgte, so daß die Gesamtzahl schließlich bei 6000 Exemplaren lag 127 . Dieser Modernisierungsschub erfolgte eindeutig in politischer Absicht. Der Redakteur verfolgte vornehmlich die Wiedergewinnung der Deutungshoheit, wenn über die „von der Presse einer gewissen Richtung" „angepriesenen" Werke von einer sich zurückhaltenden Fachwissenschaft die „Aufklärung über den wirklichen Charakter dieser Werke" angekündigt wurde, war diese, politisch von rechts grundiert, der Hauptzweck 128 . So hatte er zunächst ein Vorwort seitens des Herausgebers der „Historischen Zeitschrift" vorgesehen. Weil Friedrich Meinecke aber ablehnte, konnte Kienast im Juni den Rostocker Universitätsprofessor Wilhelm Schüßler damit beauftragen, was seinem Bedarf an „wirksamer" politischer Akzentuierung des Unternehmens entgegenkam. Der Republikaner Meinecke ließ ihn offensichtlich gewähren, obwohl er dessen nationalpolitische und antisemitische Einstellung kannte und im Nachhinein die rechte Akzentuierung des Unternehmens bedauerte 129 . Wilhelm Schüßler erkannte einen besonderen Bedarf des Publikums an Fragen nach der Vergangenheit infolge des Bruchs, den 1918 im Selbstverständnis bedeutete 130 . Seine Vorbehalte gegen eine daraus entstandene Literatur lassen sich unter dem Dreiklang Vereinfachung, Massenanpassung, Nivellierung in allen ihren Schattierungen fassen. Er beschuldigt die Autoren einer Vereinfachung zur spießbürgerlichen Weltvorstellung, einer Nivellierung aller Größen und Ursachen und der Anpassung an einen Massengeschmack, beschuldigte hier ausdrücklich Hegemann; der interessanteren Darstellung, für die der Dreiklang Feuilletonismus, Tendenzschrift, Erholungslektüre hieße, beschuldigte er darunter besonders Ludwig. In einer Scheinaufklärung weist er selbst auf die historische deutsche Antithese zurück, um aber den alten Anspruch nur umso mehr zu bekräftigen. Schüßler besetzt die Deutungshoheit eindeutig. Historiker vertreten die Kunst in der Darstellung, die Wissenschaft in Materialbehandlung und Methode. Dilettanten „brechen" in diesen Sektor „ein", weil sie höhnende, ungerechte, deshalb verständnislose und jetzt noch haßerfüllte Gegner des alten Kaiserreichs sind. Danach noch zu behaupten, deren Werke nicht wegen ihrer politischen Absichten, sondern um ihrer wissenschaftlichen Unzulänglichkeiten zu kritisieren, erhebt kaum Anspruch auf Glaubwürdigkeit. 127 Kolb, Streit ..., S. 73; Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 82, 105. Kolbs Fazit - die rezensierten Autoren mußten ihre Reputation ernsthaft in Frage gestellt sehen und gerieten in die Defensive - ist m.E. verfehlt: eine entsprechende begleitende Absatzsteigerung bei diesen Werken ist nicht nachzuweisen, aber anzunehmen. 128 Beachte auch die wilhelminisch anmutende volle Titelei für die Rezensenten im Inhaltsverzeichnis des Heftes. 129 Kolb, Streit ..., S. 75 f. Meinecke hätte mit seinem Vorschlag, die historisch-politische Literatur auf dem nächsten Historikertag zu diskutieren, eine weitere Modernisierung erreichen und die dann entstehende Lücke füllen können. 130 Wilhelm Schüßler, Zur Einleitung. In: Historische Belletristik ... S. 5-8. Die Metaphorik des 'Ertrinkenden' weist aber bereits auf den Verrat voraus.

650

7.4.4

Scheinaufklärung

Vielmehr zeigt sich die Ablehnung von Gegenwart und Phänomen als identisch. Die allgemeine Nivellierung des Massendaseins bestimmt die Gegenwart, die an geistige und staatliche Größe - und an ihre Vertreter - zu glauben nicht mehr gewillt ist. Die als solche empfundene Demontage der eigenen Stellung wie der Ideenwelt bedingt die Verachtung. Die Klage über ein allgemein gesunkenes Kulturniveau ertönt von oben herab, die Metaphorik der Neuen Zeit - das Zeitalter des Chauffeurs - faßt Strukturwandel lediglich als individuelle Dekadenz auf 1 3 1 . Diese Gegenwartsverachtung wurzelt in der Wahrnehmung der Aufklärung als Gleichmacher 132 . Der scheinbar aufgeklärte Blick, der die Antithese von Kultur und Zivilisation historisch und sogar zeitgenössisch bei Thomas Mann kritisch fassen will, kann eine konservative Kultundee als deutsch-bürgerliche Geistigkeit um so fester greifen 133 . Und so resultiert daraus die kontraproduktive Vermischung der Kategorien: einerseits der Versuch, die althergebrachte Position der Professoren mit einer universalen Deutungshoheit über Kunst und Wissenschaft, Staats- und Gesellschaftsentwicklung wieder zu besetzen, andererseits nach dem nicht systematisch aufgeklärten Strukturwandel an der Konkurrenz von Weltanschauungsprogrammen teilzunehmen und eine rechte Politik zu begründen. In seiner Frage, warum gibt es (oder gab es) keine geistige Rechte? - auch seine Erbostheit, gar „alte Generäle" und Akademiker unter den begeisterten Leser zu finden, zeigt die Sorge, daß gerade die Empfänger eines solchen Sendungsbewußtseins ihm davonliefen 134 - , offenbart sich dieser Gedanke als eigentliches Anliegen Schüßlers, das er hier vorangetrieben hat. Schüßlers Art, das Thema politisch zu besetzen, hat für den Prozeß Gesellschaftsmodernisierung kontraproduktive Folgen. Seine Auslegung begründet nicht eine Teilnahme der Historiker und politischen Kontrahenten an einer öffentlichen Debatte um Vergangenheitsdeutung, die darum kreiste, wie große Vorbilder zu interpretieren seien - als Debatte um Kunst und Wissenschaft und ihre Mittel - und dafür warb, daß man sie nur nationalpolitisch deuten dürfe - als politische Debatte für ein Weltanschauungsprogramm sondern setzte auf einen Ausschluß mißliebiger Deutung und zentrierte diese auf die Symbolfiguren. Statt einer Reintegration der vermeintlich Bedrängten in einen publizistischen Markt zur Autoritätsbestätigung zielte dieser Ansatz auf die Verdrängung der Erfolgreicheren zur Wiederbesetzung des Monopols. Der erneute Abdruck der Rezensionen allein hätte diese Wirkung kaum erzielt, doch die Zusammenziehung 131 ygi ( j e n g p 0 t t über leichte Lektüre als Folge der immer schärfer werdenden Konkurrenz in der Berufsarbeit. Schüßler scheint Hegemann davon auszunehmen; Schüßler, Einleitung ..., S. 6. 132 Wilhelm Schüßler, Die Hohenzollern. Von Herbert Eulenberg, in: Historische Belletristik ..., S. 4854, S. 50. Bemerkenswert an dieser Rezension ist Erbostheit über die spiegelverkehrte Begriffsbesetzung. Moniert Eulenberg 'Mißachtung deutschen Wesens', muß Schüßler das als Usurpation erscheinen, vgl. auch über 'Fahnenflucht' versus 'Vertreibung' Wilhelms II.; vgl. dazu etwas zu kurz Kolb, Streit .... S. 75. 133 Schüßler, Hohenzollern ..., S. 54, S. 52. 134 So meinte auch Wilhelm Mommsen später, daß Ludwig auch unter ausgesprochen rechtsstehenden Leuten begeisterte Leser fände. Mommsen, Geschichtsschreibung ..., S. 306. Eine von Waas erwähnte Statistik der Bibliotheken wies 76 % bürgerliche Leser Ludwigs, davon 30-35 % männliche Angestellte, und 20% Arbeiterleser aus. Waas, Historische Belletristik ..., S. 183.

651

7.4.4 Debatte

des Phänomens auf sieben Werke von vier Autoren exponierte die beiden meistvertretenen als Repräsentanten des gesamten Genres, um sie stellvertretend auszuschließen. Zugleich bediente die damit popularisierte Begriffsbildung „Historische Belletristik" mit ihren Konnotationen des deutschen Idealismus versus französischen Intellekt die vermeintliche deutsche Antithese. Ihr Gegensatz sollte das Phänomen als geistiges Unding an sich verflüchtigen. Die folgenden Auseinandersetzungen mit „Historischer Belletristik" müssen als Versuch einer Auseinandersetzung mit den Punktionen politischer und historischer Deutung im Meinungs- und Willensbildungsprozeß in einer Demokratie gelesen werden. Bemerkenswert ist, daß ein solcher Modernisierungsausfall seitens der Historiker sich nicht wiederholte. Es blieb auf der einen Seite bei beharrenden Stellungnahmen Einzelner gegenüber einzelnen Autoren, auf der anderen Seite erschienen differenzierende Stellungnahmen Einzelner zum Gesamtphänomen. Der Strukturwandel hat auch innerhalb der Gruppe der Historiker eingesetzt, als eine Prätention einer einheitlichen Meinung nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, deren Differenzierungen aber eine Meinungsführerschaft erneut, wenn auch verändert, begründeten. In einer weiteren Gruppe wurde für revidierte Geschichtsinterpretation optiert, die aber zur Bindung an die Demokratie einer Gesinnungskontrolle unterliegen sollte. Eine dritte Gruppe betrachtete das Problem als Übergangsphänomen und eine vierte Gruppe der Publizisten versuchte, eben diese Kategorien im Hinblick auf ihre Funktionen in der politischen Meinungsbildung zu unterscheiden. Es kommt demnach zu einer kurzen Phase prinzipieller Äußerungen über die Funktionen der historisch-politischen Literatur als einer politischen Debatte. Sie fällt danach auseinander und scheint ihre Kontrahenten schließlich nur in ihren Positionen bestätigt zu haben, ohne sie über diesen kurzen Höhepunkt hinaus zu einer grundsätzlicheren Anerkennung der Prozessualisierung von Deutung im öffentlichen Raum gelangen zu lassen. Darin schließlich ist das Unvollendete der Modernisierung zu sehen, auf der die endgültige Ab- und letzlich persönliche Ausweisung und Abstrafung der Autoren aufbauen konnte. Beachtenswerte Stellungnahmen sprechen für eine historisch-politische Literatur als solche, die Philipp Funk als „angewandte Geschichtswissenschaft" kennzeichnete135. Diese Autoren sprechen sich für eine Breitenwirkung zu pädagogischen Zwecken aus. Sie soll das Publikum an die Republik binden, und zwar gerade durch Stärkung der Verbindung zur Vergangenheit. Bei Willy Hellpach wird dafür dem charismatischen Objekt das Charisma ausgewechselt: Friedrich II. arbeitete die wahrhaften Republikanertugenden aller Zeiten aus 136 . Eindeutig auf Hegemann gemünzt, verlangt er wie Funk eine Unterlassung der Demontage; eine Haltung, die an die gegenseitigen Ordnungsrufe der 135

Punk, Der heutige R u f . . . S. 40. 136 W i U y Hellpach, Fridericus Rex. Vossische Zeitung 17. August 1926, Titelseite f., S. 2. Hellpach fordert ausdrücklich zu einer weiteren Bearbeitung des Stoffes auf: Ich rufe Johannes Ziekursch und Emil Ludwig auf: eine Mission wäre es für jeden der beiden, jeder auf seine Art das gereinigte Bild Friedrich des Großen der Nation darzubringen. Bei der intendierten Gesinnungskontrolle erkennt Hellpach demnach in den verschiedenen Arbeitsweisen Komplementäre auch im Blick auf Lesergruppen.

652

7.4.4 Kontrolle

Demokraten aneinander gemahnt, um Unentschlossene der Republik nicht weiter zu entfremden. Die Haltung verlangt nach einer Gesinnungskontrolle für die Teilnehmer und setzt die pädagogische Mission über die Meinungsfreiheit. Sie umgeht die eigentliche Frage nach Meinungsbildung, will bevormunden, weil sie einer Offenheit im Willensbildungsprozeß nicht traut, und kennt keine Erkenntnisskepsis. Sie ist nicht mehr als eine Konzession an die strukturellen Folgen einer gewünschten Veränderung, zwischen Bändigung ihrer Folgen und vorauseilender Resignation. Eine ganz andere Haltung möchte in der historisch-politischen Literatur ein fruchtbares Ubergangsphänomen erkennen, das schließlich zur Einigung in einem geschlossenen Weltbild beiträgt - und auf diese Weise indirekt die Republik festigt. Die Fruchtbarkeit liegt im erneuerten Auslandsbild der Deutschen und der nützlichen Anregung der Fachwissenschaft - so Julius Elbau. Nach Alwin Müller habe sie, dem Drama vergleichbar. Werke von hohem symbolischen und exemplarischen Wert geschaffen. Beide sehen in der Herablassung der Fachwissenschaft gegen ein gleichberechtigtes Dasein der Biographik den Grund der Friktionen 137 . Das Versagen der Historiker im Angebot läßt diese Autoren sie zu neuer Deutung herausfordern. Wo Müller aufgrund religiöser Begründung eine neue Totalität erwartet, richtet Elbau seine Forderung explizit an Johannes Ziekursch, erwartet aber nichts weniger als neue Themen und die Erklärung der Gegenwart 138 . Diese Haltung steht in besonderer Weise für den Wandel des Bildungsbürgertums: den Modernisierungen geöffnet, aber von den Wirkungen überrollt, ist die Hoffnung auf ein universales Weltbild noch nicht gestorben, Rückhalt gegen die Enteignung der „kulturellen Generalkompetenz" (Langewiesche). Auch Siegfried Kracauer gehört mit seinem totalitären Argument, das jede Zuckung des Bürgertums als Versuch seiner Selbstbestätigung und Beweis seines Niedergangs versteht, in diese Gruppe. Sein Beitrag gehört zu dieser Debatte und erschien zuerst 1930 in der „Frankfurter Zeitung" 139 . Doch lenkt er damit den Blick auf den Markt als Antriebskraft. Die individuelle Nichtigkeit in unfaßlicher Welt sah er als gemeinsame Erfahrung der letzten Jahrzehnte, die eine literarisch-künstlerische Flucht in die Geschichte als Form bedingte. Das idealistische Individuum, damit ausgekehrt, wurde als historisches zwecks Selbstbestätigung wiedereingeführt und Ursache des ökonomischen Erfolges der Biographien 140 . Diese Beiträge gehen durchaus über den Rahmen der 137 Alwin Müller, Streit um Emil Ludwig. Zwei Broschüren: Angriff und Bewunderung, in: Eckart 5 (1929), S. 342-344 (Juli-August), antwortet auch mit der Retourkutsche, daß das beanstandete Kulturniveau der Gebildeten schließlich Aufgabe der Hochschule sei. 138 Julius Elbau, Geschichtsschreiber. Vossische Zeitung 8. Januar 1928. Müller äußert sich gegen behauptete Eindeutigkeit historischer Interpretation anerkennend über die von den Belletristen repräsentierte Zwiespältigkeit von Erkenntnis in der Moderne, kann diese Erkenntnisskepsis aber nicht halten. 139 Siegfried Kracauer, Die Biographie als neubürgerliche Kunstform. FZ 29. Juni 1930 und in: ders.. Das Ornament der Masse. Essays, Prankfurt a.M. 1963, S. 75-80, S. 79. Vgl. Kreuzer, Biographie ..., S. 436 f. 140 Hegemann gehört hier durchaus nicht dazu. Für ihn ließe sich eher die von Kracauer vorausgesagte Form beanspruchen, in der die Verwirrung selber epische Form gewönne. Vgl. unten 7.4.5 Kontinuitäten der Fehlinterpretation.

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7.4.4 Aufklärung

Kontroverse hinaus zu Fragen der Gattung 141 . Friedrich Burschell kritisierte Kracauer für seine Auffassung vom Museum und Abschiedsbewegung, weil er die Legitimität der Biographie aus der Gattungsdefinition bezog. Er sah sie als wirksame Erzählung durch die Mischung von historischer Aufklärung mit stärkster persönlicher Betroffenheit, die bei „offener" Gestaltung - eine implizite Kritik an Ludwig wie seinen Gegnern - mehr zur Selbstaufklärung beitrage als Fiktion 142 . Ebenso nahm Heinz Jacoby mit einem Definitionsversuch marxistischer Biographie, die er auf Analyse der individuellen Bewegung im sozialen Raum gründete, Abstand von den Fronten, bestätigte aber die Funktionen politischer Bildung 143 . Eine soziologische Überlegung von Julian Hirsch bezog sich auf einen Kreislauf der durch die individuelle Geschichte der Erfahrungen von Objekt vorbestimmte „fertige Allgemeinanschauung", der alle Kontrahenten bei ihrer Arbeit unterlagen 144 - an die wie Burschell sich die Aufforderung zur kritischen Klärung der Erkenntnisinteressen hätte anschließen lassen und für eine Ausweitung der Interpretationen plädieren. Deutlicher äußern sich jene Stellungnahmen, die ein gleichzeitiges und gleichberechtigtes Bestehen beider Stränge von Vergangenheitsdeutung als notwendig und sinnvoll im Prozeß der Sinnverständigung ansehen. Carl von Ossietzky tadelt wie Marcuse die Vermischung der Kategorien seitens Schüßlers und des Sonderdrucks aufs schärfste und fordert mit der Anklage ausbleibender Leistung die akademische Beteiligung an der Konkurrenz um öffentliche Deutung ein 145 . Ludwig Marcuse versucht die Kategorien deutlicher zu trennen, indem er die Beschränkung der Historiker auf ihr Fach als Manko zu verstehen als Ausgangsfehler der Debatte ansieht. Dieser Konstituante von Fachwissenschaft steht die wissenschaftliche Behendigkeit als Konstituante der Vermittlertätigkeit der Popularisatoren gegenüber. Beide seien nicht aneinander zu messen. Die Fehde sei dem psychologischen Motiv des ökonomischen Erfolgs gedankt, der zum Betrug umgedeutet worden sei. Entsprechend klassifizierte Marcuse in einem Nachsatz zum 50. Geburtstag Ludwigs 1931 das Verhalten der Gegner als eindeutig politisches. Die Kriegsschuldfrage, in Ludwigs neuestem Buch behandelt, ließ seine Gegner den Autor auf wenige politische Signale reduzieren, um ihm Defätismus zu unterstellen. Die Historiker prätendierten um ihrer Sankrosanktheit eine Heiligkeit ihrer Produktionsmethoden, während Bedarf und 141

Siehe dazu auch Friedbert Aspetsberger, Metaphysische Grimassen. Zum biographischen Roman der Zwischenkriegszeit, in: Klaus Amann/Albert Berger (Hrsg.), Österreichische Literatur der dreißiger Jahre. Ideologische Verhältnisse, Institutionelle Voraussetzungen, Fallstudien, Wien-Köln-Graz 1985, S. 247-276, S. 247-253. 142 Friedrich Burschell, Zum Problem der Biographie. BT 9. Januar 1931, Μ., 1. B. Vgl auch Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 185 f. Die kleinen Beiträge blieben in einer Gattungsgeschichte noch zu berücksichtigen. 143 Heinz Jacoby, Über bürgerliche und proletarische Biographien. In: Linkskurve 3 (1931), H. 2, S. 27-29 (Februar); erster Teil zu einem Referat über „Memoiren der Arbeiterklasse". 144 Julian Hirsch, „Historische Belletristik"und Emil Ludwig, Historie und Dichtung. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie 7 (1931), S. 83-85. (März). Die in diesem Rahmen inkompatible Ausführung verweist auf ein Werk von Hirsch. 145 Carl von Ossietzky, Die Historiker sind ernstlich böse. In: Weltbühne 24 (1928), 2. H., S. 877-879 (11. Dezember).

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7.4.4 Korrektive

Zuspruch des Publikums gerade Ludwig sanktioniere. Nichtsdestotrotz übt Marcuse Kritik an Ludwigs „individualistischem Humanismus", der ihn mit den Historikern ungewollt verbinde, wenn er auch aus dogmatischem Liberalismus und dem Kunstwillen zum Drama entwickelt worden sei 146 . Haben damit die Publizisten verschiedenen Sektoren verschiedene Aufgaben in der öffentlichen Debatte zugeordnet, zeigen sie sich der Modernisierung am weitesten geöffnet. Die nehmen sie jedoch nicht kritiklos hin, sah doch Marcuse in der Vermittlertätigkeit den schlimmsten Korruptions-Bazillus, der zur Nachahmung von Popularisierungen zwecks Teilhabe am ökonomischen Erfolg verführte - eben auch „popularisierende Professoren". So kritisierte Marcuse 1931 auch Hegemann 147 . Seine Mittel seien an zu viele Voraussetzungen gebunden; eine Legende nur durch ein kraftvolles Gegenbild zu besiegen. Hegemanns aber sei zu rationalistisch, wenn auch der Praxis und Humanität verpflichtet. Wenn er aber bei den Historikern „verpönt" zu sein Hegemann als Auszeichnung anrechnet, stellt sich als wichtigste Funktion dieses literarischen Sektors die Vertretung der Minderheits- gegen eine Mehrheitsmeinung dar, mithin die Funktion des Korrektivs. Sie ist, wenn auch mit Beschränkungen behaftet, in dieser modernen Auslegung von Funktionen, unverzichtbarer Bestandteil des Meinungsbildungsprozesses. Gegen diesen Pluralismus stehen nach wie vor Historiker und Helfer. Im Bestreben der Besetzung des überparteilichen Monopols verurteilt etwa Adolf von Grolmann den Ausfall der HZ als einen in die Niederungen von Parteipolitik. Man solle diese Literatur doch deren eigener Wissenschaft überlassen und keine politische Agitation betreiben 148 . Von anderer Seite bestätigt das Walter Heynen. Er erkennt in der erfolgreichen Verurteilung der historisch-politischen Literatur des Sonderdrucks die „weise" Ausübung dieses Amtes 149 . Vornehme Enthaltsamkeit und drastisches Verwerfen dienen denselben Zwecken - und zeigen in Gleichsetzung mit dem Monopol die Ferne von republikanischem Alltag. Gezielte Entfremdung von der Demokratie betreibt der Autor des „Akademischen Beobachters". Walter Frank profilierte sich unter dem Pseudonym Volker von Alzey, eines im Nibelungenlied als ritterlicher Held gerühmten Spielmanns, in der Festnummer der Zeitschrift für den Reichsparteitag 150 . In einer Verhöhnung des Staatsbürgers und Lesers stilisiert Frank sich zur Stimme des „stummen Deutschlands", dem er den Verrat der „neuen Herren" zeigen will. Die Polemik zielt besonders auf Emil Ludwig unter den 146

Ludwig Marcuse, Die Emil-Ludwig-Front. In: Tagebuch 11 (1930), S. 141-144 (24. Januar). Ludwig Marcuse, Der Legenden-Töter. In: Tagebuch 12 (1931), S. 991 f. (20. Juni), zum 50. Geburtstag Hegemanns. 148 Adolf von Grolmann in: Die schöne Literatur 30 (1929), S. 424 (September). 149 Walter Heynen, Weihnachtsrundschau I. Kulturgeschichte und Literatur, in: Preußische Jahrbücher 214 (1928), S. 359-370, S. 359 f. - sprachlich bereits weit fortgeschritten: Kritiken für die schonungslose Vernichtung falscher Tagesgrößen, die solche Modegötzen zur Strecke brachten. 150 Volker von Alzey [= Walter Frank], Den Untertanen gewidmet. In: Akademischer Beobachter 1 (1929), S. 125-132 (Juli/August). Nach Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands (Quellen und Studien zur Zeitgeschichte 13). Stuttgart 1966, S. 67, 72, 81, soll er besonders heftig vorgegangen sein, weil seine Biographie über Adolf Stoecker mit Ludwigs verglichen wurde. Vgl. Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 103 und 124 f. 147

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7.4.4 Monopole Zeichen, die dem nationalsozialistischen Programm der Zeitschrift entsprechen151, und sieht in der Publizistik, Presse wie Literatur, nur Agenten eines Monopols der politischen Linken. Sie befindet den Angriff der Historiker im Sonderdruck für zu schwach, typisch für die „Entfremdung vom Leben und seinem intuitiven Erschauen", und fordert sie zur nationalpolitischen Führerpflicht heraus. Alzey/Frank sieht in Schüßler den einzigen Autor, der diese Fragen berührt und hebt ihn nach dessen Schlußbetrachtungen über die Gründung einer geistigen Rechten auf den Schild dieser nationalsozialistischen Front152, um mit militaristischen Metaphern die Vernichtung der literarischen Massenunternehmer anzukündigen. Bemerkenswert an dieser Stellungnahme ist weniger, daß sie als einzige explizit die Aufkündigung demokratischer Meinungsbildungsmechanismen formuliert, sondern daß sie tatsächlich für einen weitaus größeren Teil steht, der diese zur Nationalcharakteristik überhöhten Aversionen mittragen wird. Das scheinbar singulare Auftreten solcher Ausblicke hat zur Unterschätzung derer Zahl wie der Anziehungskraft jener Programmatik beigetragen. Nicht wider einen Pluralismus, aber doch für eine monopolistische Sonderstellung der Historiker äußert sich einer ihrer Außenseiter. Eckart Kehr steht mit seiner historischmaterialistischen Interpretation dem Ansatz Kracauers nahe, die Ursachen betreffend. Die Nivellierung zum Allzu-Menschlichen ist für ihn Folge der militärischen Erfahrungen. Die Desillusionierung sucht das Individuum über das Historische zu rekonstituieren. Vier Schulen der Geschichtsschreibung konkurrieren derzeit - die universitäre, katholische, soziologische und die „Plutarchrenaissance" - , wobei der jüngsten die Funktion zufällt, die nun mit Macht und Verantwortung ausgestatteten, dafür aber nicht vorbereiteten Schichten politisch zu bilden. Der Erfolg der Belletristik, diese an die Republik zu binden, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie die wünschenswerte politische Pädagogik einer literarisch-historischen Sozialpolitik kompromittiert hat 153 . So sehr Kehr die Reaktion für ihren Bärendienst verurteilt, den sie mit der Vermischung von Wissenschaft, Zunft und Politik leiste, so klar spiegelt seine eigene Ablehnung dieselbe Entrüstung. Das Plädoyer für eine soziologische Funktion populärer Vergangenheitsdeutung wird durch zünftische Haltung und ständische Vorurteile entwertet, die sich sprachlich manifestieren. Kehr verurteilt die Autoren nicht wegen ihrer Reverenz 151

Frank entspricht hier der von Marcuse benannten Reduktion auf die Feindbildsignale. Alzey [Frank], Untertanen ..., S. 130: Im Weltkrieg Kriegsberichterstatter (so!), wurde er erst nach dem Kriege (so!) durch die Erkenntnis des Verbrechens der herrschenden Klassen „auf die radikale Seite geworfen". Marcuse, Emil-Ludwig-Front ..., S. 142: Wie heißt er eigentlich? Aha! Wo war er im Kriege? Aha! Wie steht er zur Kriegsschuldlüge? Aha, aha, aha! 152 Schüßler, Eulenberg ..., S. 54, hatte infolge der nach Thomas Mann zitierten Neigung der Geistigen zur Linken die Bildung einer geistigen Rechten ..., welche die Idee des Sozialismus, in neue Form gegossen, in sich aufnimmt, gefordert, auf die Alzey [Frank], Untertanen ..., S. 131 f. sich ausdrücklich berufen konnte. Vgl. Heiber, Frank ..., S. 72 f. 153 Eckart Kehr, Der neue Plutarch. Die „historische Belletristik", die Universität und die Demokratie. In: Die Gesellschaft 7 (1930), 2, S. 180-188 und in: ders., Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Hrsg. und eingel. von Hans-Ulrich Wehler (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität 19), Berlin 1965, S. 269-278, S. 275.

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7.4.4 Schonraum

an das Individuum oder einer Vorspiegelung geschlossener Weltbilder, nicht einmal für die Abwesenheit sozialer und ökonomischer Fragen. Er verurteilt sie wegen mangelnder Redlichkeit und Rechtschaffenheit der Arbeit154·, für die Ironie, die nichts mehr ernst meint; schließlich für den Raub von Mehrwert. Hier schlägt die linke Kritik Kapriolen zwischen traditioneller und Leistungslegitimation. Die Gebundenheit historisch-materialistischer Interpretation verlangt - wie schon mehrfach begegnet 155 - ein eindeutiges Bild und schlägt deshalb Erkenntnisskepsis einer geschäftemachenden Gleichgültigkeit zu. Sie münzt das erkenntniskritische Programm in intellektuelle Unredlichkeit um, die zwischen Kunstgewerbe und Betrug changiert. Dieser Aufbau widerrechtlicher Aneignung geistigen Eigentums führt sodann zum Raub des Mehrwerts an historischen Arbeiten, mit dem ständische Bedingungen - die Ausnahme von Ökonomiegesetzen des Marktes - mit der Legitimation durch Leistung verteidigt werden 156 . Die reformierte Besetzung einer monopolgleichen Sonderstellung wird durch Leistung rechtschaffene und uneigennützige Arbeit - begründet 157 . Sie soll durch Erweiterung des Schonraumes - die Alimentierung wohlweislich ignorierend - zur Eigenbewirtschaftung der Produktion geschaffen werden. Die Konkurrenz wird damit ausgeschaltet, die zünftische Mission über Meinungsfreiheit gesetzt. Damit ist alle inhaltliche Kritik der Belletristik, die doch die Forderung „literarisch-historischer Sozialpolitik" vorgäbe und gleichfalls der universitären Wissenschaft auftrüge, gänzlich aufgegeben, geschweige denn ein Programm ihrer Funktionen innerhalb der soziologischen Aufgaben in der Republik bedacht, erklärbar allein durch deren Vertagung auf den historischen Materialismus 158 . An dieser reformierten Wiederbesetzung zeigt sich eine Absenz zum republikanischen Alltag, der die Selbstaufklärung beeinträchtigt. Bei kritischen Ansätzen und sozialpolitischen Intentionen bedrängt bildungssoziologische Solidarität eine mögliche moderne Programmbildung, sogar schon Folgerungen aus systematischen Ansätzen zur Analyse. Einen anderen Ansatz zur Wiederbesetzung des Deutungsmonopols versuchte Wilhelm Mommsen in der Umdeutung zu einem demokratischen Auftrag. Mommsen war im Nachhinein kaum zufrieden mit der Ausdeutung der Kritik nach Schüßler und legte in enger Verflechtung mit einer Auseinandersetzung mit Emil Ludwig eigene weitere Überlegungen vor 1 5 9 . Das galt insbesondere Ludwigs Apologie seiner Arbeit in „Hi154 Kehr, Plutarch ..., S. 276; ironischerweise gerade unter Berufung auf Max Weber und damit ein erkenntniskritisches Programm. 155 Vgl. oben Walter Koch in den „Sozialistischen Monatsheften", dazu Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 125 f., 183. 156 Die tiefe Gekränktheit Kehrs kommt in dem pathetischen Vergleich der Gelehrten mit dem Fabrikarbeiter, der sein Leben opfern muß, weil 100 000 Radnaben für Automobile angefertigt werden müssen, zum Ausdruck - Adel durch rechtschaffene Arbeit. 157 Kehr klagte auf der anderen Seite eine Authenzität durch Einheit von Denken und Handeln ein und verlangte, daß die Autoren sich durch konkretes politisches Handeln bewiesen; verwies sie also in eine gänzlich geschiedene Aura der Parteipolitik. Kehr, Plutarch ..., S. 277. 158 Bei Kehrs Abneigung gegen Ironie ist kaum zu vermuten, daß das Programm eine Selbstentwertung der Universitäten Deutungen durch erfolglose Teilnahme an der Meinungskonkurrenz enthält. 159 Wilhelm Mommsen, „Legitime" und „illegitime" Geschichtsschreibung. In: Zeitwende 5 (1929), 2.

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7.4.4

Erwartungslegitimation

storie und Dichtung", in der er Intuition und Kongenialität als Methode, Kunst und Erziehung als Absicht verteidigte, aber weder zu Größe als Thema noch zu Biographie als Form, oder seinem 1929 erschienenen Buch „Juli 14" Stellung nahm, einem reportageähnlichen Bericht über die Wochen vor Beginn des ersten Weltkriegs, der ihm erneut heftige Ablehnung eintrug 160 . Mommsen zeichnet ein positives Bild der Historiker und einer Krise, die nur außerhalb der Lehre statthat - , ihrer Autorität durch Spezialistentum, ihres aufgeklärten Erkenntnisinteresses an breitgestreuten Faktoren der Geschichte, ihrer modernen „Relativitätstheorie" gegen Urteile nach Gegenwartsmaß, ihrer politischen Differenziertheit. Dagegen setzt er Ludwigs „alte Schule" vom Individuum und seiner Größe, die, obgleich zutreffend, unmittelbar in idealistische Ideologisierung zurückfällt 161 . Spiel, Tempo und Technik unterstellen wieder intellektuelle Unredlichkeit, so daß Ludwig kein neues historisch-politisches Ethos zu bewirken vermöge. In Mommsens Beharren, sein Einspruch handle nicht von Politik, sondern einem kulturellen Phänomen, zeichnet sich erneut die Vermischung der Kategorien ab. Das Phänomen ist für Mommsen die Besetzung jenes Platzes, den früher die Fachhistoriker innehatten: die Besetzung der politischen Urteile einflußreicher Kreise und damit der öffentlichen Meinung. Diese Verschiebung schreibt er jedoch nicht der Belletristik, dem Krieg oder dem Umbruch von 1918 zu. Vielmehr handle es sich um eine mit der Reichsgründung beendete Personalgleichheit von Geschichte und politischen Ämtern, die die frühere Deutungshoheit bescherte. Die Meinungsführung solchermaßen zurückzudatieren, verbindet sie mit den progressiven und konstitutionellen Bewegungen zur Reichseinigung, um eine Umdeutung vorzubereiten. Denn Mommsen gründet seinen Anspruch auf Sonderstellung auf die bestehende hohe Erwartung an den Historiker als einer Auszeichnung. Das Ausbleiben eines entsprechenden Angebots erst ließe das Publikum zu den Surrogaten greifen. Damit läßt sich aus der (anderslautenden) Abstimmung des Publikums eine demokratische Legitimation für eine überparteiliche Deutung mit Monopolanspruch herauslesen. Mommsen fordert eine größere Beteiligung der Historiker an aktuellen Fragen, um dieses Monopol zu füllen - etwa gerade in der Kriegsschuldfrage, wo dem deutschen Historiker im Grunde die Führung hätte zufallen sollen162. Auch diese reformierte 'Neu'-Besetzung eines Meinungsführungsmonopols leidet an einer Absenz vom republikanischen Alltag 163 . Die Aufforderung zu stärkerer Beteiligung H., S. 302-314 (Oktober, und als Sonderdruck München-Berlin Juni 1930), S. 305. Vgl. Kolb, Streit ..., S. 76, Anm. 26. 160 Vgl. dazu Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 114-117, 127-132, 132-134, 136-147. 161 Desgleichen sieht er Eulenberg einer „Konjunktur" verfallen und Hegemann sich und seinen Geist an eine „kindliche Spielerei" der Zerstörung verschwenden; Mommsen, Geschichtsschreibung ..., S. 304. 162 Die er aber zugleich als „unhistorische Fragestellung" ablehnt, Mommsen, Geschichtsschreibung ..., S. 313. Gemeint ist der Artikel 231 des Versailler Vertrages über Deutschland und Verbündete als Urheber der Schäden und Verluste, damit ebensowohl Ludwigs „Juli 14", der dies zu bestätigen schien, wie die als Oktroi empfundene Definition durch die Alliierten. 163 So ging Mommsen offenbar einverständlich mit dem Verfasser einer weiteren Ludwig-Diffamierung um, mit Niels Hansen; vgl. Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 198. - Zu Niels Hansen, Der Fall Emil Ludwig. Oldenburg 1930, S. 67-80, 137-145, sei angemerkt, daß seine „Zwischenspiele" eines fikti-

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7.4.4

Spezialisierungsmonopol

an meinungs- und willensbildender Diskussion öffnet konsequenterweise auch den - wohl weniger gemeinten - rechten Historikern den Zugang zu einer solchermaßen gefestigten Position. Wenig Einsicht zeigt die reine Behauptung einer Meinungsführung durch Beteiligung - der Erosion des Leistungsnachweises ausgesetzt, hätte diese ohne institutionellen Schutz wohl wenig Chancen, eine solche Stellung zu erlangen. Wenn hier also erstmals eine Teilnahme am pluralistischen Stimmengewirr der Vergangenheitsdeutung und Sinnsetzung gemeint ist, dann nur, weil die Folgen nicht überschaut werden, sondern eine Sonderstellung als reine Ableitung der prätendierten Monopolstellung erhofft wird. Eine mit seiner umfassenden Ausdeutung gewissermaßen abschließende Stellung nimmt ein Vortrag des Bibliothekars Adolf Waas vor einer Jahresversammlung von Bibliothekaren ein 164 . Herkunft und Publikum bedingen einen eher rezeptionsorientierten Ansatz. Waas beurteilt die Auflagenerfolge als Fakten, die durch Kritik nicht aufzukündigen sind. Er sieht sie im Zwang zu Neuorientierung und Stellungnahme begründet und damit im Bedarf an Meinungsbildung. Sein Plädoyer ist wesentlich einer Ausdeutung Mommsens verpflichtet. Geschichtskenntnis ist danach dem Antrieb des politischen Gestaltungswillens dienlich und aus dieser Forderung heraus sieht Waas den Historiker mit den Aufgaben des politischen Führers ausgestattet. Er teilt ihm also eine monopolistische Funktion als Folge eines Monopols an Spezialwissen zu, das in gesellschaftliche Aufgaben eingestellt wird, und verlangt daher Hineingehen in die Aktualität der Gegenwart, die nicht einer Preisgabe an Parteipolitik gleichzusetzen sei. Waas folgt Mommsen in der Deutung des Einflußverlustes um 1870. Er sieht aber diesen Verlust soziologisch: eine Generation, die um nichts kämpft im öffentlichen Leben, braucht keine politisch führende Geschichtsschreibung165. Er unterscheidet sie als „politische Bildung" deutlich von Wissenschaft und Forschung. Nach diesen Kriterien lehnt Waas die Werke Ludwigs für die politische Bildung als ungeeignet ab. Er verknüpft dessen Erfolg vor allem mit seiner Sprache, die den sozialen Wandel der Leserschaft aufnehme. Ludwig biete aber weder Geschichte als Darstellung der Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt noch Aufklärung und Führung, sondern psychologische Charakterstudien, die das Typische darstellten. In der Fehldeklarationen beider Seiten zur 'neuen' Geschichtsschreibung in einer „selten törichten Polemik" des Fachs und Ludwigs Gegenwehr, erkennt er, darin Marcuse nahe, den Anlaß der Aufwertung. Im Entwicklungsstrang des historischen Romans teilt er Ludwig eine eigene bemerkenswerte Position zu. Für eine politische Bildung erkennt er jedoch auf Gefahren, weil Ludwig generationsbedingt schon vorhandene Neigungen im Grunde unpolitischer Denkweise unterstütze 166 . ven Dialogs zwischen Ludwig, einem Professor und dem deutschen Michael als Nachstellung Hegemanns gelten können, da Hansen erklärtermaßen auch die Autoren des Sonderdrucks „ausplünderte". 164 Adolf Waas, „Historische Belletristik". Eine Auseinandersetzung mit Emil Ludwig, in: Hefte für Büchereiwesen 15 (1931), S. 177-189 (Juni/Juli); Vortrag vor dem Verband Deutscher Volksbibliothekare im Mai 1931. 165 Waas, Historische Belletristik ..., S. 180. 166 Waas, Historische Belletristik ..., S. 188, vgl. 183: Gerade wer politisch links steht, muß diese

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7.4.4 Arbeit

Der professionell andere Standort erlaubt eine klarere Sicht. Umgang mit Literatur und Rezipienten haben mit zunehmenden Differenzierungen vertraut gemacht, zum einen des Mediums, zum andern der Bedürfnisse. Der pädagogische Auftrag der Bibliothek stellt Wertungen anheim, hier eben das Bekenntnis zu Wissen und staatspolitischer Bildung. Damit wird innerhalb eines anerkannten Pluralismus aktive Beteiligung gefordert, seitens der Historiker wie auch neuerer Wissenschaften wie der Psychoanalyse, Wissen zu verbreiten und adäquate Korrekturfunktionen wahrzunehmen; somit ein volles Spektrum der Konkurrenz um Vergangenheits- und Sinndeutung eingefordert. In dem sind auch und gerade die Historiker nicht per se ausgezeichnet, sondern haben sich durch Leistung zu bewähren. Diese Debatte steht mithin nicht für die Krise des Bildungsbürgertums. Sie zeigt das Bildungsbürgertum bei der Arbeit, als Ort der Aufklärung und Selbstaufklärung. Nicht sie, sondern das nachfolgende Schweigen indiziert die Krise167. Öffentlichkeit ist in der liberal verfaßten Demokratie der Raum politischer Willensbildung. Eine funktionsfähige kritische Öffentlichkeit bei einer Massenwirksamkeit moderner Medien, die den Markt für konkurrierende Ideen und Ausgleich verschiedener Interessen besorgte, hatte sich bereits im Kaiserreich erfolgreich ausgebildet. Der Innovationsschub des Anlasses dieser Debatte bestand im Sinne einer sozialwissenschaftlichen Modernisierungstheorie darin, daß in der Republik erstmals in einem breitenwirksamen Maß eine politische Vergangenheitsrevision ausdrücklich in diesem öffentlichen Rahmen erfolgte. Politische Vergangenheitsdeutung bedeutete hier ihre Erschließung als Vorgeschichte der Gegenwart bei expliziter Revision geschichtlicher Ereignisse und Bilder zum Zwecke der Legitimierung der zeitgenössischen staatlichen Verfassung. Damit wurde ein bisher mehrheitlich durch seine Wissenschaftlichkeit eindeutig sanktioniert verstandener Sektor in die Konkurrenz politischer Ideen einbezogen und von der Zustimmung von Mehrheiten abhängig. Der politische und Wertepluralismus der demokratisch verfaßten Gesellschaft hätte die Auflösung einer Eindeutigkeit vermittelnden Vergangenheitsdeutung unausweichlich gemacht. Politische Willensbehauptung bezog sich stets auf politische Lehren aus der Vergangenheit und damit Geschichtsinterpretation in die politische Diskussion ein. Das Auftreten einer politischen Vergangenheitsdeutung unter einem Wahrheits- und (demokratischem) politischen Leitanspruch ging damit erstmals offensiv über literarischkünstlerische Bearbeitungen historischer Stoffe zum Zwecke der politischen Lehre hinaus. Im Idealfall hätte sich daraus ein pluralistisches Spektrum entfaltet, das an historischen Themen Deutungen mit konkurrierendem Ideengehalt vorgeführt, Werte und Methoden dieser Interpretationen erprobt hätte und schließlich in einen selbständigen Diskurs über die Funktionen und Regeln von Vergangenheitsdeutung im politischen Prozeß gemündet wäre. einseitige Betonung des unverbundenen Einzelmenschen auf das entschiedenste ablehnen. 167 Der „Prozeß der Erosion der Demokratie", den Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 80 und passim, in diesem Streit sieht, träfe erst auf das Schweigen zu - vielmehr aber wird zu fragen sein, ob hier zum einen vorhanden war, was angeblich erodierte; zum anderen nicht das Vorhandene überhaupt erst Aufbau war.

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7.4.4 Aneignungen

Die Autoren historisch-politischer Literatur traten mit auffällig zustimmungsfähigen Gegenentwürfen von Geschichtsinterpretationen auf. Die bisherigen Monopolisten erlebten einen Einbruch ihres Arbeitsgebietes, als ihre Themen aufgenommen, ihre Werte und Methoden aber kritikfähig und ihr Monopol aufgekündigt wurde. Dagegen setzten sie einen Modernisierungsausfall, der strategisch den neuen Medien angepaßt, inhaltlich den Gegenanspruch von Wahrheit und politischer Leitung anmeldete. Während jedoch die Autoren sich kontinuierlich in ihrem Sektor betätigten, blieb diese Gegenmaßnahme eine singulare Erscheinung. Eine Transformation der ehemaligen Monopolisten zu Teilnehmern auf dem modernen Markt konkurrierender Ideen erfolgt nicht. Statt mit eigenen breitenwirksamen Vergangenheitsdeutungen den ihnen entrissenen Raum wieder zu besetzen und mittels stetigerer publizistischer Teilnahme zu sichern, beschränken sich die Interventionen auf die Verteidigung der gehabten Position, die Behauptung oder revidierte Begründung eines Monopols. Gerade das Ausbleiben einer kontinuierlichen Debatte bedeutet eine Störung in der Funktion von Öffentlichkeit. In Gegenmodellen die Themen der bestrittenen Interpretationen aufzunehmen und Werte und Methoden zu rehabilitieren, hätte diesen Raum wirksam erschlossen. Erst vergleichende Kritik divergierender Modelle von Vergangenheitsdeutung hätte die Debatte zu einer offenen und öffentlichen der Aufgaben von Geschichtsinterpretation im Raum politischer Willensbildung umbilden können. Diese Chance zur Verständigung über die Punktionen dieser Gruppen in der Republik als Selbstaufklärung einerseits und Klärung der Ausmaße der Divergenzen andererseits wurde durch die Reduktion auf Legitimität in dieser kurzen Phase vertan. Dabei wiesen die in der Debatte aufgerissenen Ansätze zur Praxis einer Vergangenheitsdeutung durchaus in Richtung einer Modernisierung. Schon Schüßlers Programm einer „geistigen Rechten" hätte auch bei intendierter Uberparteilichkeit jener Wahrung von Nationalkultur durch seine Parteigleichartigkeit Fortschritte bedeutet. Mindestens wäre er zu einer Stellungnahme gezwungen worden, ob dieses Programm sich auf das Schild der Nationalsozialisten heben lassen wollte. Schon hier zeigt sich der typisch paradoxe Effekt der Erosion durch Modernisierung, mit der jede weitere Einlassung unweigerlich zu einer Differenzierung und Klärung der Deutungsansprüche führen mußte und dabei ihre Grenzen verdeutlichte. Sie konnte gerade der Statusbehauptung nicht willkommen sein - wie die Ablehnung eines Grolmann deutlich zeigt. Die Statusprätention lebt vom Schweigen. Weitere Erwägungen hätten die Ansätze zu Funktionsbeschreibungen einer politischen Pädagogik - wie die Debattenteilnehmer sie mehrheitlich für notwendig befanden - erweitert. Die gattungstheoretischen Überlegungen nach Kracauer und Burschell hätten literarisch-philosophische Erkenntniskriterien klären helfen, während die Vorgaben zum Schutz geistigen Eigentums nach Kehr, die Erwartungslegitimation Mommsens und die Spezialisierungslegitimation nach Waas sowohl zur Zielbildung wie Funktionenteilung in politischer Bildung hätten dienen können. Eine fortgesetzte Diskussion hätte dabei schließlich auch die Funktion einer Kritik der Moderne erlangt, wie Marcuse sie ansatzweise versuchte, auch Waas sie andeutete, und damit den Ort der Kontrahenten genauer 661

7.4.4 Strukturen

bestimmt, um zu einer zustimmungsfähigen Rollenverteilung im öffentlichen Raum zu gelangen. Das Verhallen der Debatte war jedoch in ihren strukturellen Bedingungen festgelegt. Gegen diese bleibt eher das Aufkommen bemerkenswert denn ihr Versiegen. Mehrere Faktoren spielten darin zusammen. Zunächst scheint die Konzentration auf die Figur Emil Ludwigs von großer Bedeutung. Wie schlüssig dargestellt wurde, hing der Zeitpunkt für den Modernisierungsausfall mit der Wahrnehmung seiner Person zusammen, als er im Ausland als Repräsentant eines demokratischen Deutschlands angenommen wurde und gleichzeitig durch politische Kommentare im Inland präsent schien, sich außerdem zunächst wirkungsvoll zur Wehr setzte 168 . Umgekehrt scheint ein Nachlassen der Diskussion mit der Ableitung in konkrete Diffamierungen - bis zur wegweisenden Diktion vom „Fall Ludwig", von dem die Linke offenbar kaum noch Notiz nahm - seiner Person im Zusammenhang zu stehen 169 . Zusammen mit dem Rückzug Ludwigs von historisch-politischer Literatur und in die Schweiz konnten sich fundamentalistische Abneigungen gegen prorepublikanische Schriftsteller befriedigt sehen. Die vom Verlag durch Sonderdrucke unterstützte politische Rezeption des Autors hätte sich somit kontraproduktiv auch in diesem Prozeß erwiesen170. Vor allem bewies die Debatte, die um sein Buch zur Kriegsschuldfrage losgetreten wurde, die endliche Uberlagerung von Strukturfragen durch Identitätsfragen. Weil sie unmittelbar in das Zentrum des historisch-politischen Selbstverständnisses traf, überdeckte dessen Verteidigung eine Annäherung an moderne Strukturen öffentlicher Auseinandersetzung. Insbesondere stand der Habitus der Gelehrten einer weiteren öffentlichen Beschäftigung mit Modernisierung entgegen. Ihre institutionelle Ordnung war zu keiner Zeit real bedroht. Weder wurden Akademiker wegen antirepublikanischer Haltung des Amtes enthoben noch war der Lehrbetrieb, wie auch Mommsen feststellte, in irgendeiner Weise von Neuerungen herausgefordert. Der Habitus gediegener Zurückhaltung und intellektueller Überlegenheit verhinderte die von Mommsen geforderte stärkere Beteiligung an Tagesfragen - während Waas' Spezialisierungslegitimation erst in einer kontinuierlichen Verständigung Wirkung entfaltet hätte - und erstickte auch innovative Ideen wie die Meineckes, das Thema 'neuer' Geschichtsschreibung über eine Fachtagung in die Wissenschaft hineinzutragen. Eine weitere thematische oder strukturelle Beteiligung verbot sich nach dem ideellen und methodologischen Komment von selbst. So fehlt auch jede Separationsbereitschaft innerhalb der Professorengruppe, sich nicht auch mit politisch Andersgesinnten gleichspannen zu lassen 171 . 168

Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 110; 113 ff, 122; West, Success ..., p. 169 f., 183 ff. Vgl. dazu Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 164-200. Diese - besonders Otto Forst de Battaglia, Nils Hansen und sein „Fall Ludwig", Otto Westphal - sind einem konservativen Fundamentalismus zuzurechnen und haben als Wegbereiter des Nationalsozialismus den Blick auf die politische Phase der Debatte verstellt. 170 Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 111; vgl. Kreuzer, Biographie ..., S. 441 f. 171 Siehe dazu auch Herbert Döring, Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim a.G. 1975, S. 98, 132. 169

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7.4.4

Segmentierung

Das fällt mit einem herausragenden Zug der Debatte überein. Sie kam nahezu ohne Kreuzreferenzen und Bezüge auf vorausgegangene Stellungnahmen aus. Bis auf Ausnahmen wie Waas und Burschell, die sich auf Lektüre anderer Teilnehmer beziehen, stehen die Stellungnahmen als solche und für sich. Es erfolgt keine Zusammenschau zu grundlegenden Prägen und keinerlei Entwurf zur Regelung der Funktionen öffentlicher Geschichtsdeutung. So gab es offensichtlich keine politische Zeitschrift, deren Leitung eine weitere Diskussion dieser Fragen als publizistischen Auftrag erkannt hätte. Darin spiegelt sich die starke Segmentierung der Presse, die nicht mileuübergreifend konsumiert wird, sondern stets milieugebunden arbeitet, und damit der politischen Milieus. So können auch ihre Autoren meinen, mit ihren jeweiligen Pro- oder ContraStellungnahmen das Thema für ihr jeweiliges Publikum erschöpfend behandelt zu haben. So spiegelt sich in der Attitüde der verteidigenden Publizisten das Wächteramt der Historiker seitenverkehrt, indem eine einmalige Verlautbarung dessen Funktionen Genüge zu tun scheint. Ein bei Linksintellektuellen und Gesinnungsliberalen erkennbares dialogisches Politikverständnis scheitert an praktischer Herausforderung 172 . Damit wird die schon im Kaiserreich angelegte Ambivalenz der Öffentlichkeit fort geschrieben, in der die prorepublikanische Presse vielfältiger und machtvoller als die konservative ist, die realen Strömungen gleichwohl nicht zu kanalisieren oder einzudämmen vermag 173 . Zugleich machte sich ein Gewöhnungseffekt bemerkbar - er zeichnete sich an der Rezeption von Hegemanns „Napoleon" ab der an seinem Beharrungsvermögen erstarrte. Dem wird ein weiteres Nachlassen an spektakulären Publikationen parallel gegangen sein. Das „Steinerne Berlin" Hegemanns konnte von dieser politisierten Fragestellung abgekoppelt werden, weil es keine vergleichbaren aktuellen Parallelbedeutungen zu transportieren schien 174 und Ludwigs folgende Werke dem scheinbar nicht mehr zugehörten. Gleichzeitig wird infolge der gestärkten politischen Fronten die Diskussion der politischen Zeitschriften im sich zuspitzenden Alltag der Republik von realpolitischen Themen bestimmt 175 . Zusammengenommen standen diese strukturellen Bedingungen trotz der versuchten Ansätze einer erfolgreichen Prozessualisierung der Verständigung über Art und Funktionen der Vergangenheitsdeutung entgegen. Sie verhinderten eine Verständigung über den notwendigen Bedarf konkurrierender politischer Geschichtsinterpretation als Teil politischer Meinungsfreiheit in der Demokratie und der politischen Willensbildung in der Republik, der eine kontinuierliche Kritik ihrer Modelle zu folgen gehabt hätte, um in einem tragfähigen Regelwerk die Legitimation politischer Vergangenheitsdeutung und damit die Legitimität der Gesellschaftsverfassung zu verankern. Die kurze politi172 Siehe dazu Christi Wickert, „Zu den Waffen des Geistes ... Durchgreifen Republik!". Die Linksintellektuellen, in: Lehnert/Megerle (Hrsg.), Politische Identität ..., S. 115-137, bes. S. 136 f. und Elfi Benedikat, „Wir müssen Demokraten sein". Der Gesinnungsliberalismus, in: Lehnert/Megerle (Hrsg.), Politische Identität ..., S. 139-158, bes. S. 155 ff. 173 Wehler, Gesellschaftsgeschichte ..., Bd. 3, S. 1249. 174 Das gilt etwa auch für den ebenfalls als erfolgreiche 'neue' Geschichtsschreibung bewerteten „Danton" Hermann Wendeis; siehe Gradmann, Historische Belletristik .... S. 150-156. 175 Winkler, Weimar ..., S. 375 ff.

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7.4.4 Rollenprobe

sehe Phase der Debatte von 1929/1930 ist, so betrachtet, einer der Höhepunkte des als Gruppe zerfallenden Bildungsbürgertums in der Republik. Für eine kurze Zeit agierten traditionelles und re-formiertes Bildungsbürgertum in einer neuen, modernen Rolle, der politischer Aufklärung und Selbstaufklärung durch offene Teilnahme am öffentlichen Prozeß der Meinungsbildung und politischen Werbung176. Ohne die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Verständigung zu erkennen und zu begründen, fällt diese Anstrengung in sich zusammen und zeitigt kontraproduktive Folgen. Der Verzicht auf diese Vergewisserung beruht auf der Gleichsetzung der jeweiligen politischen Gewißheit mit der der Mehrheit oder maßgebender Eliten. Diese Überschätzung der eigenen Überzeugung gilt für beide Seiten gleichermaßen und ist auf die beiderseitig festgestellte Identitätssicherheit zurückzuführen. Diese Gewißheit betätigte sich in den Ansätzen der Debatte quasi einmalig und konnte sich, ohne die Ausmaße der Divergenzen und potentieller Folgen ermessen zu können, mit dem folgenden Schweigen jeweils als Sieger beglaubigt sehen. Diese Scheinstabilität entspricht für die Publizisten der Konstellation des insider as outsider (Gay), während ihre Gegner sich durch Gruppenbestätigung und Scheinerfolge als stärker als zuvor glauben konnten. Erst die Unterlassung mit ihrer weniger selbstzufriedenen als selbstgewissen Abschließung bedeutet hier die Erosion tentativer und iterativ verlaufender demokratischer Prozesse und wird zum weiteren Panorama der „gespaltenen Gesellschaft" (Winkler). 7.4.5 Kontinuitäten der Fehlinterpretationen Die Interpretationen der Friedrich-Werke Hegemanns dokumentierten häufig einen gewissen Überhang, der sich den Kategorien nicht zu fügen schien. Die Diskussion im Rahmen der „Historischen Belletristik" aber schrieb seinen Werken die gleichen Eigenschaften wie den anderen historisch-politischen Werken zu und hat durch Mißachtung der Form dem Erkennen einer modernen politischen Aussage mittels einer modernen literarischen Form kontinuierlich im Wege gestanden. Als abgelehnte Demontage gelesen, stand die Zuschreibung einer eindeutigen Aussage mit ultimativem Wahrheitsanspruch stets im Vordergrund. Der wurde in Vertiefung des ideologischen Grabens der Geruch von Opportunismus angehängt - so bei Schüßler177. Spricht Sbrik aber von Hegemann als „anderem Extrem" zu Ludwig, steht dem geschlossenen Werk ein offenes gegenüber und dokumentiert jenen Überhang. Ihm wird „zersetzender Verstand" angekreidet und der Überhang damit politisch kanalisiert178. Auch der Versuch einer Würdigung führt allenfalls zu einer veredelten Version der Vorwürfe, wo Mommsen von den in einer „fast kindlich anmutenden Spielerei" „rein 176 Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 221, nähert sich dem in seiner Schlußbewertung von „Versuchen der Bewältigung der sozialen und geistigen Krise des Bildungsbürgertums". 177 Und gibt es etwas Erquicklicheres, als wenn dem Bürger durch einen so klugen Mann wie z.B. Hegemann die Binde von den Augen genommen wird, und er gruselnd befriedigt erkennen muß, daß der alte Fritz und Napoleon in Wahrheit sehr kleine Geister gewesen sind, wirklich und wahrhaftig nichts Größeres als Meier oder Müller? Schüßler, Einleitung ..., S. 6. Klugheit als Verschwendung hier bereits angedeutet. 178 Sbrik in: Historische Belletristik ..., S. 19.

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7.4.5 Festlegung

negativ" verwendeten Talenten spricht 179 . Die Wahrnehmung eines Überhangs hat keinerlei Auswirkungen auf die vermeintliche Aussage. Dagegen versucht Waas jenen Uberhang durch Abgrenzung von der „Historischen Belletristik" zu fassen. Er zählt das Fridericus-Buch als „scharfe, geistreiche Kritik" schlicht zur Geschichte, deren Wert in der notwendigen Auseinandersetzung liege180. Aus der Abwesenheit der für die anderen Werke kennzeichnenden literarischen Mittel schließt Waas auf eine Referentialität des Themas. Er verpaßt aber die Frage nach den eingesetzten Mitteln. Umso überraschender kommt deshalb die Parteinahme eines ideologischen Gegners für Hegemann daher. Otto Forst de Battaglia zählt ausgerechnet Hegemann zu den Großen seiner Zeit, die Essay und die Kritik in ein kostbares deutsches Sprachkleid hüllen. Einen Teil der literarischen Mittel wahrzunehmen, führt erneut auf eine andere Fährte. Was mit soviel Geist dargestellt ist, kann nicht zu den Niederungen der Gegenwart gehören 181 . Antihelden- oder großdeutsche These für die Aussage nehmen zu können, bestätigt dem Werk Valenzen. Sie erscheinen vor allem in der Deklaration, die Form ignorieren zu wollen. Die klassische Begründung findet sich bei Funk, der die Abschweifungen als Unvermögen, intellektuelle Unredlichkeit und gezielte Irreführung versteht 182 . Das Bemühen um Kategorisierung des offenbar nicht gänzlich Faßbaren greift - besonders später - immer wieder auf Valentin zurück. Valentin sprach von Objekt und Prägung des Werks, die es einer Auseinandersetzung wert machten. Er erklärte: Hegemann will dem republikanischen, großdeutschen, demokratischen Deutschland von morgen dienen, indem er die Legenden, die kleindeutsche von vorgestern, die großpreußische von gestern, die alldeutsch-chauvinistische von heute bekämpfe. Indem er die Referentialität des Themas hervorhob, legte er aber durch die politische Ausdeutung Hegemann dennoch auf eindeutige historische - die großdeutsche - und eindeutige politische - die antiheldische, prorepublikanische - Aussage fest. Diese Eindeutigkeit bestimmt das nachfolgende Bild Hegemanns 183 . Hegemann selbst hat mit seinen Verteidigungen diese Festlegung befördert. Statt sich zu seinen praktischen politischen Zwecken zu erklären, gefiel es ihm offenbar, an dieser 179 Ebenso wenig aufregend ist im Grunde der Fall Hegemann. Auch hier kann man bedauern, daß ein geistvoller Mann eine nicht geringe Darstellungsgabe rein negativ verwertet. Die Zerstörung von Heroenbildern ist selbst bei reichlich aufgewandtem Geist eine fast kindlich anmutende Spielerei, die freilich des Beifalls aller derer sicher ist, die sich darüber freuen, daß große Männer auch ihre kleinen Seiten haben, und die nicht erkennen, daß man Persönlichkeiten oder Vergangenheit nicht mit dem Maßstab heutiger Anschauungen messen kann. Mommsen, Geschichtsschreibung ..., S. 304. 180 Waas, Historische Belletristik ..., S. 187 f. 181 Forst de Battaglia, Kampf..., S. 110; S. 102 beruft er sich in seiner Aversion gegen Berlin gerade auf Hegemann beim Lob Wiens. Daraus entschlüsselt sich das Lob. Abgesehen von der Wertschätzung der Sprache, hat die Uberzeichnung der Gegenthese vom größeren Deutschland zur 'wahren' Hauptstadt Wien im „Steinernen Berlin" unter Mißachtung der satirischen Bedeutung des polnischen Wahlwieners Battaglias Herz gewonnen. 182 Funk, Der heutige Ruf ..., S. 44. 183 Valentin betrachtet Ellis als reine Mystifikation Hegemanns, die zu funktionalen Zwecken, Erleichterung des Dialogs und größerer Wirksamkeit, eingeführt wurde, und steht damit jedem moralischen Vorwurf von Unredlichkeit fern. Valentin, Kampf... 27. April 1927, S. 2 [H.i.T.].

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7.4.5 Zweifel

vorgeschützten Front gerade die Notwendigkeit einer Legendentötung zu bekräftigen. Sein ironischer Umgang mit der Broschüre der HZ, die sich nur noch einmal selbstgeißlerisch zum Versagen der Zunft bekannt habe 184 , deutet auf jene Selbstgewißheit, in der die Gegner unterschätzt werden, weil die eigene Stellung so sicher scheint. Dieser Abstand zu demokratischer Alltagspraxis, der Zeichen für Bestand nimmt, entspringt dem Programm des Rationalismus, dessen Macht schon Bahr und Marcuse bezweifelten. Daß die Valenzen des Werks in seiner Form begründet liegen, beweisen Zweifel seitens der Literaten. Die unveröffentlichte Rezension des Literaturwissenschaftlers Harry Bergholz hatte den „Fridericus" als „psychologische Schlingpflanze" bezeichnet und die Formfrage allein auf die Gründe der Erfindung des Ellis reduziert, um eine Erklärung dieser Täuschung zu finden. Die Drehungen, die Bergholz um die Zwecke der Fiktion vollführt, führen ihn stets auf niedere Gründe. Sie lassen die „psychologische Schlingpflanze" dort ansetzen, wo die Form bemerkt, die implizierte Erkenntnisskepsis als gefürchteter Nihilismus aber zwanghaft abgewiesen wird. Die Wucht der tertiären Aussage wird gesehen - Bergholz spricht von Barmherzigkeit, die zusammenhanglos zum Inhalt stehe ihr aber durch systematische Betrachtung näher zu treten, unbedingt vermieden185. Dieser Vorwurf intellektueller Unredlichkeit steht dem der Historiker weniger fern, als es den Anschein hat. Er steht für die Zweifel am künstlerischen Umgang mit dem Thema. Gemessen an der Bedeutung politischer Verhandlung großer Vergangenheit, scheinen die spielerischen und satirischen Züge der literarischen Gestaltung für zu leicht und frivol befunden zu werden. In einen Kernsatz faßte dies Heinrich Mann. Nach Hegemanns Angriff auf Gottfried Benn um dessen Geburtstagsrede für Mann schrieb er an Benn: Ich halte nicht nur diese, sondern auch andere seiner Hervorbring[\ing]en für innerlich verschlagen; ich weiss nie, wie viel er will, dass man ernst nimmt.18,6 Mann trifft damit die unmittelbare Absicht Hegemanns, die Herausforderung zum kritischen Denken und den Zwang zur Stellungnahme. Diese Herausforderung letzlicher Auflösung von Gewißheit durch Form wird Hegemann nicht als künstlerisches Verdienst und nicht als kritisches Mittel angerechnet. Sie wird stattdessen als individuelles Charakteristikum betrachtet (und verbürgt damit die vermutete Einheit von Leben und Werk bei Hegemann). Als solches ist sie moralische Verfehlung, die Respekt negiert, Offenheit meidet und das Individuum antastet. Diese Auffassung kann nur hierarchisch und kategorial denken. Bemerkenswerterweise hielt gerade der am heftigsten angegriffene Schriftsteller die Form, ihre Collage wie die notwendige Kompilation offenbar für legitim, äußerte doch Thomas Mann lediglich lakonisch dazu, daß bei Hegemann „alles Fiktion" sei, der ihn 184

J XI. Bergholz, Schlingpflanze ... S. 1-5. Er hatte noch im Juni 1927 - aussagekräftiges Beispiel der Segmentierung der Publizistik - Hegemann um die Auskunft zu Ellis gebeten. 186 Heinrich Mann an Gottfried Benn, 25. April 1931. A: Benn 86.9497/1, Schiller Nationalmuseum, Deutsches Literaturarchiv Marbach. Vgl. dazu unten 7.7.1 Gottfried Benn. - Siehe auch den Widerschein bei Erika and Klaus Mann, Escape to Life. Boston MA 1939, p. 187, in der Wahl der Begriffe clever und disrespectful für Hegemann. 185

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7.4.5 Verwerfungen

sagen ließe, was da und dort von mir gedruckt ist, wenn er auch mit anderen möglicherweise der Ansicht war, es handele sich bei dieser „recht mechanischen Art" der Imagination um eine mindere ästhetische Leistung 187 . Eine Neubewertung des Werks hätte hier doppelt anzusetzen. Für eine gesellschaftsgeschichtliche Bewertung zeigt sich noch in der Haltung aufgeklärter Republikaner der mandarinische Widerschein sakrosankter Vergangenheitsdeutung. Sie ist um der Legitimität der Republik willen nicht auszuhebeln und muß zur Bestandssicherung schonend behandelt werden. Dieser Zug vorauseilender Resignation war bei Hellpach und auch im Ordnungsruf Valentins schon anzutreffen, für die im gefährdeten Projekt Republik Leichthändigkeit und Nihilismus nicht am Platze sind. Zur demokratischen Alltagspraxis trotz allen Wohlwollens in theoretischer Ferne, täuscht sich dieses Denken über das - auch eigene - Potential unaufgeklärter Residuen vordemokratischer Einstellungen und Denkweisen. Zusammengenommen mit der Auffächerung von Konzepten öffentlicher politischer Deutung, die eine wesentlich geringere Verankerung von demokratischen Prinzipien als erwartet zu erkennen gaben, gleichzeitig jedoch ein kurzfristig erhöhtes Bemühen um Vermittlung, wäre der Stellenwert von Hegemanns Werk neu anzusetzen. Zwar konnte er durch den Modernitätssprung in Skepsis und folgende Uberforderung der meisten seiner Rezipienten den Anspruch einer praktischen politischen Übung nicht einlösen, hat aber mittels dieses Uberhangs die Diskussion entschieden vorangetrieben. Eine literaturwissenschaftliche Bewertung hätte zunächst die literarischen Mittel im Kontext ihrer Traditionen und Vorbilder zu bestimmen - die Dialoge in der Reihe gelehrter Gespräche, der Gastgeber als 'Wilder' und Außenseiter, die Zitatmontage als Kompilation oder Inspiration. Weshalb diese literarischen Mittel ihre satirischen Zwecke bei der Mehrheit des Publikums verfehlen, wird nicht nur durch eine geringe Verankerung der Satire im deutschsprachigen Raum (Brummack) zu erklären, sondern durch Vergleiche zu erläutern sein, um die Wirkungsbegrenzung aufzuklären. Sie hätten ihren Kontext eher im zeitgenössischen Kabarett zu suchen. Grenzen legten zum einen die Einkleidung in Bildungsformen fest, zum anderen der überdeckende Kontext einer exemplarischen Ausführung an Vergangenheitsdeutung, deren Signalfunktion alle weiteren verschluckte. Dabei wird insonderheit das Selbstverständnis politisch wirkender Schriftsteller befragt werden müssen, erscheinen doch hier Kunst und Politik streng geschieden 188 . Verurteilte man Hegemann wegen einer unteilbaren Vermischung von Politik und Hochliteratur, die darüberhinaus in ihrer radikalen Erkenntnisskepsis das Wirkungspotential des demokratischen Schriftstellers in Frage stellte? 187

M a n n an Jacobsohn, 19. J a n u a r 1945, M a n n , Briefe ..., S. 409 f. So zitierte Bergholz einen später gestrichenen Satz von T h o m a s M a n n s (ohne Quellenangabe): „Und die Gespräche, sagt Thomas Mann, die dort geführt werden, auch die mit mir, sind auf eine recht mechanische Art imaginiert, nämlich indem der Verfasser aus Aufsätzen und Büchern der Unterredner abschreibt." Bergholz. Schlingpflanze ..., S. 2. 188 So f ä h r t Heinrich M a n n s Brief fort: Jedenfalls sagte ich ihm, dass ich nicht zustimmen kann und Sie auf keinen Fall für einen Faschisten [sie] halte. Ich glaube nicht, dass ein Fascist grosse Kunstwerke schaffen könnte. Wenn er es übrigens könnte, hätte ich auch gegen seinen Fascismus nichts. ... M a n n an Benn, 25. April 1931, DLA.

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7.4.5 Segregationen

Damit gewinnt Hegemann jene „inkommensurable" Größe, die ihm Walter Benjamin später attestierte. Er untergrub die Progressiven in der Architektur und überholte die Konservativen da; unterlief die Konservativen hier und überforderte die Progressiven mit seinen unorthodoxen Verwerfungen in der Literatur. Die in der Rezeption durch Indizierung, Verbot und Vertreibung im Nationalsozialismus entstandene Lücke hat diese Festlegung durch Auflösung des Kontexts verlängert. Als Hegemanns „Fridericus" wieder genannt wurde, geschah dies durch Zeitgenossen, denen Werk und Kontext präsent waxen. Im Februar 1946 erinnerte Erich Kästner anläßlich einer aktuellen Auseinandersetzung an Hegemanns „bitteres und böses" Friedrich-Werk 189 . Hier erschien die Referentialität auch unter der neuen Fragestellung nach den Ursachen des „Dritten Reichs". Ähnlich befanden Arnold Zweig und Hermann Kesten, man solle Hegemann wieder drucken 190 . Der Zweck einer retrospektiven Auseinandersetzung verstand sich noch von selbst, während das repräsentative Objekt allmählich veraltete und für aktuelle Fragen untauglich wurde. Einen ganz anderen Strang konservierte die Erinnerung der Historiker, wenn Stephan Skalweit 1951 schrieb, daß der Protest gegen die traditionelle Verherrlichung des Staatsmannes, Feldherrn und Denkers [Friedrich II.] in mehreren journalistisch geschickt aufgemachten, im Grunde aber banalen Tendenzschriften, als deren umfassendste und verbreitetste hier nur das Buch von Walter [sie] Hegemann „Fridericus oder das Königsopfer" (1924) erwähnt sei, vorgebracht wurde 191 . Im Versuch, Abstand von der jüngsten Geschichte zu gewinnen, segregiert Skalweit. Die Kritik der Tradition erscheint als Vulgarisierung, ohne mit dem Schaffen der Historiker verbunden zu sein. Die altbekannten Motive von Kunstgewerbe, Antihelden-These und kurzlebiger politischer Absicht klingen dabei an. Dabei blieb Hegemann andernorts jedoch in Erinnerung, wenn Franz Schnabel ihn seinen Studenten in den sechziger Jahren als „großen Heroentöter" vorstellte 192 . Erst in den siebziger Jahren geriet Hegemann wieder in den Blick der Wissenschaft. In der einzigen literaturwissenschaftlichen Behandlung der Stoffgeschichte läßt Helga Karrer 1973 Ironie, Satire und Polemik nur als im Dialog angewandte Mittel gelten 193 . Die Aussage vom Antihelden wird auf Empörung über die historische Entwicklung be189 Vielleicht wird bald wieder Werner Hegemanns „Fridericus" erscheinen, ein Buch, das natürlich im Dritten Reich verboten war. ... Es ist ein bitteres, ein böses Buch. Bitter und böse deshalb, weil es ein Mann geschrieben hat, der die Wahrheit liebte und die Geschichtslügen, ihre Unausrottbarkeit und ihre chronisch verheerenden Folgen für die Menschheit bis auf den Tod und bis in den Tod (in der Emigration) gehaßt hat. Erich Kästner, Gedanken eines Kinderfreundes (1946). In: Kästner, Gesammelte Schriften ..., Bd. 7, S. 38-43, S. 41 f. 190 Arnold Zweig an Hermann Kesten aus Haifa, 19. Januar 1948: Hegemanns Bücher müßten in Deutschland neu aufgelegt werden, das ist keine Frage, wenn er sie auch aufgrund stilistischer Manien für schwer zugänglich hielt. Literatur im Exil ..., S. 330. Hermann Kesten an Fritz Landshoff, März 1948: Man könnte ihn, man sollte ihn jetzt wieder in Deutschland und Osterreich drucken. Landshoff, Amsterdam ..., S. 417 f. 191 Skalweit, Problem von Recht und Macht ..., S. 102. Beachte die doppelte Kontamination. 192 Weshalb schlug solche Bewunderung in der von Schnabel angeregten Biographie der NDB 1969 in eine von Gerhard Knoll zu Recht kritisierte Begrifflichkeit um? War auch sie so eindeutig nicht? 193 Karrer, Gestalt Friedrichs des Großen ..., S. 158-171.

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7.4.5

Ideologiekritik

zogen, die großdeutsche These für wahr genommen. Daraus erwächst eine Ideologiekritik, die aus dem Werk einen Schaden für die Republik deduziert, weil Hegemann den endgültigen Verlust einer Großmachtstellung betrauere 194 . Für ihn ließ sich jedoch ins Feld führen, als einziger das Friedrichbild als einem Führer zuträglich interpretiert zu haben, selbst wenn dies angeblich nicht aufgrund politischer, sondern moralischer Kategorien erfolgte. So konnte er schließlich für eine Geschichtsrevision und frühe politische Warnung als einzigartig gewürdigt werden, ohne daß die Fundamente dessen vollständig freigelegt wurden. Weniger dieser Nachhall Valentins als vielmehr die mehrfach gewährleistete Zusammenspannung mit Emil Ludwig veranlaßten Helmut Scheuer 1979, Hegemann in seine umfangreiche außerordentliche Studie über Biographien aufzunehmen. Das setzte neuerlich eine explizite Absage an diese besondere literarische Gestaltung voraus, um Hegemann über das „politisch-soziale Anliegen" vom „Heldensturz" zu integrieren 195 . Das führte zwangsläufig zur Festlegung nach Valentin und zur Kritik durch Generalisierung, weil durch Entscheidung für die Biographie ... auch bei den Literaten eine Festlegung auf eine individualisierende Geschichtsschreibung erfolgt, in der auch Hegemann als einziger Vertreter „radikaler Negierung des Helden" nicht auf die Funktion großer Individuen als Vorbild verzichten wollte 196 . Damit verfällt Hegemann gleichermaßen einer Ideologiekritik, die sich auf Siegfried Kracauer berufend, die Biographen mit ihren Deutungs- und insbesondere Schicksalsmustern die kleinbürgerlichen Leser in ihren präfaschistischen Tendenzen bestärken sieht 197 . Diese Unterstellung, inzwischen scharf kritisiert 198 , erfährt für Hegemann eine besondere Variation. Während Scheuer für Hegemann seinen Rahmen verläßt und ihm zugesteht, daß er seine „biographischen Werke" als funktional verstanden und deshalb auf ästhetische Kohärenz verzichtet habe, den Dialog als Streitgespräch und Mittel der Aufklärung benutze, das Argumentationshilfen biete und an den Intellekt appelliere, überzieht er ihn mit einer modernisierten Kritik. Er schlägt vor, dies nach Habermas als „arrangiertes Räsonnement" nach Vorbild der Podiumsdiskussion anzusehen, die jedoch den Charakter eines „quietiven Handlungsersatzes" habe 199 . Bemerkenswert ist diese contradictio in re, die erneut auf die Valenzen zurückgeht. Während mit allen Mitteln die 194 Karrer, Gestalt Friedrichs des Großen ..., S. 162, benutzt diesen Umweg, um zu erklären, daß Hegemann der bewußten Verunglimpfung der Geschichte beschuldigt und damit zugleich die Republik herabgesetzt wurde, die offenbar auf derartige Diskrimminierungen angewiesen war. Karrer übersieht, daß durch die Parallelbedeutungen diese Gegnerschaft a priori gegeben und gemeint war. Ebenso sieht sie bei den Verfassern der „Historischen Belletristik" Objektivität vertreten, weil sie die historischen Fehler korrigierten. Zugleich wird Hegemann mit seinem Verteidiger Valentin vorgehalten, durch den Blick zurück die zeitgenössisch andauernde Verfälschung in den populären Medien verpaßt zu haben. 195 Scheuer, Biographie ..., S. 157, S. 161. 196 Scheuer, Biographie ..., S. 191, 193. 197 Ihnen wird indirekte Mitschuld vorgeworfen, weil sie die herrschende Unzufriedenheit und Ratlosigkeit verstärkten], die einem demokratischen Bewußtsein abträglich sein mußten und die für jene 'Erlösungs 'sehnsucht verantwortlich sind, die an den Mittelschichten in der Weimarer Republik festgestellt worden ist-, Scheuer, Biographie ..., S. 217. 198 Kreuzer, Biographie ..., S. 440, Anm. 30; West, Modern Biography .... p. 202, 204, 206 f. 199 Scheuer, Biographie ..., S. 202; eine „gründliche Nachprüfung" jedoch angemahnt.

669

7.4.5 Kritik der Kritik

Form aus der Diskussion herausgehalten wird - lediglich in Zwischenbemerkungen deutet sich an, daß Scheuer eine Vereinbarkeit nicht immer gegeben sieht 200 , - entsteht gerade aus der Form ein innovativer Ansatz zu literarischer Interpretation und zugleich eine Handhabe fortgeschrittener politischer Kritik. Die Geschichtswissenschaft leistete zunächst wenig zur Aufklärung. Zwei historiographiegeschichtliche Darstellungen saßen der großdeutschen These auf und konservierten damit das Fehlurteil. Obwohl losgelöst von Ludwig und „Historischer Belletristik" zählte Jürgen Mirow 1981 in seiner Untersuchung über das „alte Preußen im deutschen Geschichtsbild" Hegemann lediglich zur „nichtsozialistischen antipreußischen Richtung" der Publizistik. Ihr Hauptanliegen war die Negation und auch Hegemann damit als typisch bestätigt, kein neues, eigenständiges und differenziertes Urteil zustande zu bringen, sondern fixiert auf kaiserlich borussische und zeitgenössische altkonservative Interpretation ein Antibild vorzuweisen 201 . Ebenso erlag Hans Dollinger in seiner Darstellung zum Wandel des Friedrich-Bildes 1986 der großdeutschen These, die er trotz erkannter Anspielung auf Thomas Mann zum Anliegen Hegemanns und einer objektiv doch zweifelhaft zu nennenden Einschätzung der Situation des Reiches im 18. Jahrhundert erklärte 202 . Demzufolge mußte auch die große Untersuchung, die Christoph Gradmann 1993 der „Historischen Belletristik" gewidmet hat, bezüglich Hegemanns befangen sein. Die gemeinsame Betrachtung mit Ludwig, die Kritik Valentins und nicht zuletzt Scheuer bestätigten die Annahme, Hegemanns Werk zu Recht als Biographie zu behandeln und die Form nicht auf ihre Bedeutung zu befragen 203 . Dennoch hebt Gradmanns Darstellung der Gespräche und sein Verweis auf Thomas Mann als Ziel und Zitierter mehr als zuvor die Referentialität als Thema hervor. Sie mache Goethe zur Antithese, entziehe dem Leser den Boden, meine die Hohenzollern- mehr als die Friedrichslegende und bedeute schließlich eine den Nerv ihrer Zeit treffende historisch-politische Kritik des Volkes204. Diese Bewertung wird jedoch dadurch eingeschränkt, daß sie, um Unklassifizierbarkeit zu meiden, erneut den Rahmen der großdeutschen These zur Kritik wählt - in Nachfolge Valentins, nun auch Kästners und Benjamins 'demokratischem Fanatismus'. Die These mit Wahrheitsanspruch genommen, führt erneut zur Verurteilung als an „den historischen Realitäten weit vorbei" 205 . Trotz entgegenstehender Indizien wird 200 Scheuer, Biographie ..., S. 183, 201 f., 220. So wird etwa auf eine Prüfung jener bei Ludwig und Stefan Zweig nachgewiesenen Muster verzichtet, um nicht zu verzeichnen, daß sie bei Hegemann bereits referentiell erscheinen. Die klassische Vorgabe, eben für Hegemann nicht zutreffend: Leo Löwenthal, Die biographische Mode [1955]. In: Leo Löwenthal, Literatur und Massenkultur (Schriften 1). Frankfurt a.M. 1990, S. 231-257. 201 Mirow, Das alte Preußen ..., S. 158-162, 164. 202 Dollinger, Bild ..., S. 168 f., 170. Dabei kehrt sich das satirische Wirkungsverhältnis um, wenn Dollinger Hegemann diese These aus der Zeitgeschichte begründen sieht und zementiert ein weiteres Mal Valentins Deutung. 203 Der Schluß, daß Anmerkung, Quellen und Literatur implizit den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erheben, mißachtet auch deren Form als Farce. Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 67. 204 Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 67-69. 205 Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 69, ein Echo Dollingers. Der Widerspruch zwischen He-

670

7.4.5 Generalverdacht

der „Fridericus" erneut zur individualistischen Geschichtsschreibung „mit umgekehrtem Vorzeichen", nur zu deren Tradierung befähigt und als Kritik - in Nachfolge Marcuses - zu akademisch und rationalistisch 206 . Daher mußten auch die Schlußfolgerungen für Hegemann weitgehend unzutreffend sein. Daß etwa Ludwig und Hegemann sich näher standen als gedacht, begründet Gradmann unter anderem mit der gemeinsamen Goethe-Verehrung. Daran offenbart sich ein Handikap der Rezeption, das noch vor den Festlegungen liegt, als die für größere Untersuchungen unabdingbare Arbeit mit nur einer Version des „Fridericus" ein feststehendes Gegenbild annehmen lassen konnte 207 . Der größere Kontext rationalistischer Kritik und der Spielcharakter der Variationen als postteleologische Sinnverständigung werden davon unterschlagen. Nach der „Iphigenie" und den Gesprächen über Antike läßt sich jedoch die Aussage, Ellis 'verehre Goethe fast wie ein göttliches Orakel' 208 , nicht mehr linear verstehen. Sie wird von Hegemann in der Satire als Karikatur einer inkrimminierten Haltung gebraucht, mit der sich die Aussage selbst enthebt. Ideologiekritik bürgt demnach für eine kontinuierliche Fehlinterpretation des „Fridericus" . Ein Generalverdacht gegen Bildung läßt in Bildungsformen - aus dem Kanon geformt und nur mit ihm verständlich - nicht innovative, sondern stets überholte Aussagen vermuten 209 , ein Reflex des historisch-materialistischen Abgesangs auf das Bürgertum und in der parallelen Lesung von Literatur und bürgerlichem Bewußtseinsprozeß dem sozio-ökonomischen Modell folgend 210 , der sie stets als Dokumente, nicht Entwürfe liest und auch in aufgeklärter Weise dann der Uberlebtheit eines Mandarinentums zuschlagen läßt 211 . Eine Neubewertung des Werks hätte zunächst diese Stränge zu entwirren und sodann neu zusammenzuführen 212 . Die klassischen Kriterien der Biographie - ein geschlossenes Bild in Individualisierung und Enthistorisierung - sind für das Fridericus-Werk wiederholt behauptet, aber nicht belegt worden. Eine Betrachtung der literarischen Mittel des Werks beweist, daß eben sie nicht zutreffen. Die satirische Überhöhung durch Zeit und Ort im märchenhaften Raum mit fiktiver Hauptperson von symbolhaltiger Herkunft 213 machen die Abhandgemanns „Europa offener Mitte" und „Hegemonie in Mittel- und Osteuropa" gilt danach zwangsläufig als ein nicht aufgeklärter. 206 Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 73 f. Ebenfalls trug dazu bei, Hegemanns „Schmerzensschrei enttäuschter Liebe" aufgesessen zu sein. 207 Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 65. Beigetragen hat wieder Valentin, sowohl mit seiner Behauptung, Hegemann sehe Friedrich II. „wie ein Haus", mehr noch mit seiner weiter fehlgehenden Annahme, es könne von Hegemanns Seite eine eine letzte, wirklich schlackenfreie Fassung geben. 208 Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 76; Ε 645; F l 506; F2 661. 209 Scheuer, Biographie ..., S. 209 f. 210 West, Modern Biography .... p. 202; aufgenommen und bestätigt bei Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 25-29. 211 So unternommen bei Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 77. 212 Vgl. dazu auch die scharfe Kritik Knolls an der Biographie Hegemanns in der NDB; Knoll, Kritische Bemerkungen ..., S. A 89 - Knolls Einwendungen stehen allerdings wiederum im Banne Kestens - , und bei Kittsteiner, Komma ..., S. 88 f. 213 So deutet der jüngste Rezensent Lothar Müller, Wie neide ich meinen Opfern ihren Tod. Frankfurter Allgemeine Zeitung 18. Januar 2001, S. 54, den Hintergrund des Gustav Aschenbach aus Thomas

671

7.4.5

Formexperiment

lung des vermeintlichen Themas Friedrich II. zu einer exemplarischen. Die Darstellungen beruhen auf Zitaten und verschieben das Thema von der historischen Figur zu ihren Deutungen. Die Collage der Zitate folgt einer spielerischen Unordnung. Sie werden divergierenden Kontexten zugeordnet, zueinander verschoben und scheinbar willkürlich verkettet. Die Collage hat ferner einen Wandel durchlaufen, von größeren Bedeutungsrahmen zurückgeschnitten auf die politischen Repräsentationen. Sie ist dabei auch sich selbst zur Vorlage und Material geworden. Dabei fehlen eindeutige Schlußfolgerungen - das Material ist für die Schlüsse des Lesers komponiert und bleibt offen. Dabei sind sämtliche Aussagen über das Objekt verfremdet worden 214 . Sie werden zu gesteigerten Einseitigkeiten übertrieben, die unvermittelt nebeneinander bestehen. Die Grundlage der herkömmlichen Interpretation ist zu einer satirischen Form verfremdet worden, die als großdeutsche These der Methodenkritik biographischer und historischer Deutung dient. Die Verfremdungen, Satire, paradoxe Ubertreibung und Methodenkritik lassen schließlich eine Erkenntnisskepsis erkennen, die tatsächliche Aussage des Werks wird. Als Satire beruht sie wesentlich auf den vom Leser beizutragenden Parallelbedeutungen, die Interpretationen der Geschichte und Friedrichs II. für die politische Interpretation der Gegenwart und ihre Handlungsmöglichkeiten haben. Demnach handelt es sich bei diesem Werk nicht um eine Biographie romanccc. Die literarisch-technischen Mittel verweisen vielmehr auf eine Kombination der zeitgenössischen Variationen. Sie reichen nach Helmut Kreuzer vom Reflexionsroman mit zeitgeschichtlicher Thematik über politische Publizistik bis zu Montage und Collageverfahren, die den geschlossenen Rahmen der Fiktion aufbrechen, bei der die doppelt fiktive biographische Unterfütterung Authentizitätsmaßstäbe erfüllt 215 . Das Werk kann als formales Experiment angesehen werden, das sich eben gegen jene inkrimminierte Komposition der Biographie und ihre Formgebundenheit wendet und formal wie inhaltlich der Verwirrung selber epische Form, (Kracauer) verschafft 216 . Die Kombination der Mittel von Satire, Collage und Verfremdung weist zum anderen über den zeitgenössischen Rahmen hinaus. Sie bilden Mittel, die Teleologie des Erzählens abzulehnen, die Chronologie zu verweigern, Perspektiven statt Wissen darzustellen, und mit querlaufenden Details und Verweisungen Kontingenz abzubilden 217 . In der Beteiligung des Lesers am Entscheidungsprozeß reflektiert auch diese Form auf Manns „Tod in Venedig" aus, ohne eine Verbindung zu Ellis zu ziehen und eine weitere Vorlage für den ironischen Spiegel zu sehen. Denn Müller liest Hegemann nicht satirisch, sondern politisch - Hegemann witterte in der Opfertheorie die Hohlform künftiger Geschichte. mißversteht ihn allerdings dort gründlich, wo er Thomas Mann umworben statt ironisiert sieht. 214 Die Präge nach literarischem Nachleben hätte etwa bei Heinrich Manns Auseinandersetzung mit dem Stoff anzusetzen, deren Aufarbeitung bisher ohne die Nennung Hegemanns auskam; Karrer, Gestalt Friedrichs des Großen ..., S. 275-278; Konow, Heinrich Mann und Friedrich der Große ..., S. 11-18, 35-41. Sie müßte auf diesen Einfluß befragt werden, der weniger der Auffassung der Figur als vielmehr den Verfremdungstechniken zu gelten hätte, für die die umgekehrte Blickrichtung eine Korrespondenz nahegelegt hat. 215 Kreuzer, Biographie ..., S. 437. 216 Kracauer, Biographie ..., S. 76. 217 Kreuzer, Biographie ..., S. 452 f.

672

7.4.5 Reßexive Biographie

sich selber, den Entwurf und die Distanz zwischen Autor, Leser und Objekt; in der Collage der Quellen und Zitate bleiben die Widersprüche dem Leser überwiesen: die Erkenntnisskepsis der Aussage218. So ist der Verzicht auf ästhetische Kohärenz- auch als unterstellte Unfähigkeit, ein eigenes Geschichtsbild zu liefern - keine Konzession an den funktionalen Wert der 'Biographie', sondern intentional. Das Aufbrechen der Teleologie des Erzählens soll die der repräsentativen Muster auflösen und den Leser über eine emotionale oder ästhetische Beteiligung in diesen Prozeß hereinziehen219. Es geht in der - um sie vorläufig so zu nennen - reflexiven Biographie nicht um die Rekonstruktion eines Lebens, sondern um Kenntnis der Bilder und Erkenntnis ihrer Macht, die individuelles und kollektives Selbstverständnis beeinflussen; um ihre Reflexionen im individuellen Selbstbild über Schicksal, im kollektiven über Nation und Volk, die politische Handlungsentwürfe, Chancen und Optionen bestimmen. Die Reflexion, ausgelöst durch das ästhetische Arrangement, ist das Ziel und die Verfremdungstechniken werden zu diesem Zweck eingesetzt. An dieser Stelle läßt sich die reßexive Biographie in den größeren Zusammenhang eines gewandelten Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft einordnen220. Hegemann macht aus der Zerstörung der Wissenschaft Kunst; eine Passage in dem neu zu bestimmenden Verhältnis von Kunst und Wissenschaft als Folge eines neuen Verhältnisses von Gesellschaft und der Bildung zu ihren neuen Aufgaben. Sein Arrangement der gegensätzlichen Bilder von Friedrich II. macht aus den Quellen Dichtung. Es zeigt sie als Bilder dessen, was geschehen sein könnte. Seine Kunst ist also nicht Ornament, sondern Erkenntnismittel und verweigert daher alle Techniken zur Faktenintegration zum Zwecke eines plausiblen, eindeutigen Urteils. Die Erkenntnis gilt der Gewähltheit der Inszenierung. Die Perspektiven vermehren die Reflexionen: sie zeigen, wie Friedrich inszeniert wird, sie legen nahe, daß Friedrich sich inszeniert hat, und lassen eine Bewußtheit wachsen, daß dieses Buch inszeniert ist, repräsentiert in den diversen Figuren. Weniger der Autor - wie in den modernen Varianten der „Annäherungsbiographien" als der Leser wird hier der Wahrheitssuche und dem Erkenntnisprozeß in einer diskontinuierlichen Darstellung und allmählicher, aber nicht einmal schrittweise aufbauender, sondern mit Widersprüchen aufgeladener Vergewisserung ausgesetzt. Damit hat Hegemann die Annäherungsprozesse der Modernen als Stilmittel bereits übersprungen, um in der Gewißheit erkenntnistheoretischer Trümmer zu agieren. Es 218 In der literarischen Neubewertung müßte Hegemann weiterhin in die Linien formaler Verfremdung solch skeptischer Vorbehalte gestellt werden, etwa bis zu Dieter Kühns „Napoleon" (1970) mit der Aufkündigung der Teleologie durch Varianten eines Lebenslaufs und Hans M. Enzensbergers „Durruti" (1972) mit seiner Collage für „kollektive Fiktion"; Kreuzer, Biographie ..., S. 437, 443, 452 f.; vgl. Scheuer, Biographie ..., S. 234-237. 219 Daraus erklärt sich die Fixierung auf die altkonservativen wie borussischen Argumentationsmuster, die als populäre Versionen präsent sind, aus denen sich auch die vulgarisierten werbetechnischen und nationalpolitischen Bilder speisen. Hegemann selbst hatte auf eine größere Präsenz der Bilder Menzels als der historiographischen verwiesen, welche die Ikonographie letzterer prägten. 220 Kreuzer, Biographie ..., S. 431-435; Scheuer, Biographie ..., S. 230-234.

673

7.4.5 Inszenierung der Hypothesen

wird nicht mehr das Verhältnis von Literatur und Wahrheit thematisiert, sondern von Deutungen und Potentialen der Wirklichkeit221. Das in der Rückführung der Quellen auf Dichtung gewonnene Konjunktivische ist weder allein Technik noch Dargestelltes, sondern auch Ergebnis. Vom gemeinsamen Erreichen einer Annäherung durch Autor und Leser hat sich Hegemann durch sein Uberspringen zurückgesetzt auf einen alleswissenden Inszenierer, der Perspektiven serviert. Statt der klaren Grenzen für Hypothesen im Verhältnis Dichtung-Wissenschaft zum Zwecke eines optimierten Erkenntnisprozesses erscheinen hier beide aufgelöst im grenzenlosen Spiel von Hypothesen als Weltaneignung222. Hegemanns Thema ist der Erkenntnisprozeß, seins aber kein prozessuales Schreiben. Die didaktische Absicht der Orientierung des Lesers in empirischer Wirklichkeit zu gesellschaftlicher Relevanz und Beförderung politischen Handelns steht im Vordergrund. Sie gilt einer Wiederherstellung der Freiheit aus Reflexion223, der Befreiung des Untertanen zum Souverän. Handelt es sich mit dieser reflexiven Biographie also um ein literaturwissenschaftlich eigenständiges Modell, eine weitere der Gattungsvarianten, die mehr mit den modernen als mit den zeitgenössischen Formen verbindet, muß auch die politische Kritik erneuert werden. Denn vor allem gilt dann auch für dieses Modell, was Scheuer für die Modernen reklamiert, daß nicht wichtig sei, ob die Autoren eine bessere Realitätsaneignung erreicht haben, sondern nur, daß sie sich um andere Möglichkeiten der Erkenntnis bemüht und neue Methoden ausprobiert haben224. Dann gilt jede Erweiterung des kritischen Angebots als erfolgreicher Fortschritt. 221 Die Erzählereinschaltungen durch die ironische Doppelung in „Ellis" und „Hegemann" sorgen nicht nur für dialogische Funktion, sondern durch ironische Verklammerung von Biographie und Autobiographie als Personifizierung der Potentiale in verschiedenen Entwicklungsstadien für die Beteiligung des Lesers. 222 Darauf weist auch weiteres literarisches Nachleben Hegemanns: Lothar Müller hat jüngst Einflüsse des „Fridericus" in Heiner Müllers „Leben Gundlings" (1976) festgestellt, insonderheit eine Übernahme von Hegemanns „realer" Erzählung „Das Sühnopfer" (E 609-614, F l 469-474, C 37-43). Müller, Wie neide ich ..., S. 54. Vgl. Heiner Müller, Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei. In: Spectaculum 26 (1977), S. 149-167, S. 162 und F l 472 f. Die Herausgeber geben als Quelle Müllers das SB an, offenbar in Ermangelung einer „Fridericus"-Ausgabe, auf die aber verwiesen wird. 223 Gegen den rationalistischen Optimismus ließe sich gewiß mit Löwenthal die Mystik des späten bürgerlichen Relativismus in Anschlag bringen - Löwenthal, Mode ..., S. 242 - , wo der geistesgeschichtliche Ursprung der modernen Biographik seinen gesellschafllichen Sinn offenbart, der hier in der Suggestion individueller Handlungsfreiheit liegt und ohne Eingriffe in die ökonomische Realität eine machtfestigende Ohnmacht bleibt. Allein, die Eingriffe bleiben freigestellt, und wieder ist Hegemanns Programm von den lebensphilosophischen Metaphern, die jenen brutalen Vitalismus der autoritären Praxis hat vorbereiten helfen, nicht nur weit entfernt, sondern ihnen im ironischen Gebrauch der Schicksalsbilder kontraproduktiv. Daran allerdings schließt sich der Kreis zum oben genannten, dem vor der politischen Ebene liegende Schluß auf die Erkenntnisskepsis, die um die eigene Vernichtung weiß und das radikale moderne Programm individueller Sinndeutung konstruiert, um eben eigene Vernichtung zu negieren - Löwenthal, Mode ..., S. 256 zum Zweck dieser Ideologie des späten Liberalismus nicht primär als gesellschaftspolitisches, sondern subjektives Überlebensprogramm, aus dem das Gesellschaftsprogramm Chancen zu ziehen vermag. 224

674

Scheuer, Biographie ..., S. 233 [H.i.T.].

7.4.5 Kritisches

Angebot

Zumal sich damit der Vorwurf einer unfreiwilligen und indirekten Zuarbeit präfaschistischer Disposition mindestens für Hegemann erübrigt. Basierte dieser Vorwurf auf der vermeintlichen Stärkung einer politischen Unsicherheit, die letzlich einer Erlösungssehnsucht Vorschub leistete, zeigt sich, daß eine solche Ungewißheit gerade aufgenommen und durch Aufstörung von Scheingewißheiten über nationales und individuelles Schicksal reflektiert wird 225 . Die Konfrontation mit wiederholten Konfliktsituationen mußte den Leser zur eigenen Stellungnahme schulen, von der Hegemann sich eine praktische politische Übung versprach 226 , die eine historiographiegeschichtliche Abhandlung nicht hätte leisten können. Diese Neuerung im kritischen Angebot auf ein monolithisches Mandarinentum zurückzuwerfen, übersieht die maßgeblichen Friktionen innerhalb einer ehemals einheitlich behandelbaren Gruppe. In diesem Werk blickt erkenntnisgeschichtlich ein Mandarinentum auf sich selbst zurück. Das bedingt den scharfen Ton des Angriffs der Mandarine, der aus dem nicht systematisierten, aber erahnten Erkennen der Deklaration ihres Ablebens folgt. Die Angreifer verfolgten weniger die Personen als deren Popularität, um das Prinzip der Konstitution von Autorität durch Erfolg zu beseitigen. Den Angegriffenen und ihren Verteidigern schien dieses wie ein letztes Aufbäumen. Sie, die meinten, in der Neuen Welt angekommen zu sein, hielten es für nicht signifikant, weil nicht repräsentativ, und wußten, daß nicht erodieren konnte, was nicht angenommen worden war. Die Friktion verläuft mithin entlang einer Linie wenig reflektierter Selbstverständlichkeit für die Modernisten ist eine Unumkehrbarkeit so selbstverständlich wie für die Orthodoxen, sie zu ignorieren. An den Auseinandersetzungen mit der historisch-politischen Literatur lassen sich also neuerlich die Prozesse um die Etablierung einer Demokratie am praktischen Handeln als wesentlich verzweigteres und verschlungenes, wiederholt gebremstes und wieder beschleunigtes Verfahren betrachten als die Republikgründung vermuten ließ. 225 Hier wären Lücken zu schließen, insofern Konrad Barthel in seiner Untersuchung „Friedrich der Große in Hitlers Geschichtsbild" 1977 keinen Gebrauch von den zeitgenössischen kritischen Deutungen dieses Zusammenhangs macht, wie auch das Friedrichbild in der Untersuchung zur „Historischen Mythologie der Deutschen 1798-1918" bei Wülfing/Bruns/Purr 1991 nicht (mehr?) auftaucht. 226 Daß spätere Friedrich-Biographen auch von seinen Arbeiten profitierten, läßt sich mindestens für Rudolf Augstein vermuten, dessen Vorwort bei der Abrechnung mit Kritikern von Hegemanns „Antwort" angespornt ist. Rudolf Augstein, Preußens Friedrich und die Deutschen. Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a.M. 1981, S. X1II-LII. Der Autor hat Anfragen nicht beantwortet. - Ebenso vermutet Knoll. Kritische Bemerkungen ..., S. A 89, Anregungen für Bemt Engelmaxin, Preußen, Land der unbegrenzten Möglichkeiten, München 1979. - Eingestandenermaßen profitierte Hans Dieter Kittsteiner in seiner Studie über das Komma von „Sans, Souci" von Hegemanns Despektierlichkeit; Kittsteiner, Komma ..., bes. S. 5, 65 f., 43 und öfter. Da er sich vor allem auf das „Jugendbuch" stützt, gelangt er darüber zur „prästabilierten Erkenntnis", die kaum Hegemanns ist; versteht dann auch die „Entlarvte Geschichte" linear als ein Dokument jenes „Schicksalsrausches", mit dem Gottfried Benn das Jahr 1933 bezeichnet hatte. Ausgerechnet, möchte man in Kittsteiners Duktus sagen. Darin mag sich auch noch ein Gerücht niederschlagen, auf das d. V. in Gesprächen stieß, nach dem Hegemann sich den Nationalsozialisten zunächst angedient habe. Eine Quelle ließ sich dafür bisher nicht ermitteln, der Anlaß könnten die gezielten Wirren um die Widmung und Auslage der „Entlarvten Geschichte" sein. Wären sie nur mündlich tradiert worden?

675

7.4.5 Zeitkritik

Der Vergleich dieser reflexiven Biographie mit einer Podiumsdiskussion fügt sich hier, zumal dann ein weiterer Transfer Hegemanns sichtbar wird: ein Propaganda-Ausschuß gegen Friedrich den Großen hätte sich kaum gründen lassen. Eine vom Veranstalter um ein akutes politisches Problem arrangierte Expertenrunde und ihre offene öffentliche Verhandlung beschreibt die Konstellation des „Fridericus" durchaus treffend. Als Vorform des „Dokumentarismus" (Kreuzer) betonte diese Beschreibung das literarisch moderne227. Ist aber die politische Kritik des „quietiven Handlungsersatzes" ein billiger Vorwurf gegen Autoren, die für ihr Tun und Lassen exiliert wurden? Ihre Werke sind nach dieser Revision in einem Aufschwung zur Verwirklichung von demokratischen Wirkungsprozessen anzusiedeln, dessen Abschluß nie erreicht wurde. Sie versuchten, moderne praktische Zwecke politischer Bildung in Literarizität zu übersetzen. Publikation und Verteidigung befreit sie von der Aura rein symbolischer Politik. Die Bindung an bildungsbürgerliche Medien, Formen und Gehalte war soziologisch bedingt, erreicht aber gerade in Hegemanns Werk - indem sie eben jene sprengt - eine kritische Schärfe, die über einen genuin politischen Charakter dieses Handelns nicht hinwegsehen lassen kann. Juristen hätten den Vorwurf des „quietiven Handlungsersatzes" mit dem Vorbehalt formuliert, es werde „bei Nichtwissen bestritten ...". In der literarischen Ideologiekritik der siebziger Jahre bedeutet er die Wiedereinführung einer Mitschuld der Autoren durch die Hintertür zur Erklärung der Mehrheitsverhältnisse der späten Republik. Bedeutet er dafür noch eine aufklärende kritische Kategorie? Er unterstellt, daß der Leser vom Text befriedet und Absentismus befördert wird. Weder logisch noch plausibel ist die Annahme, daß Leser nicht handeln, weder zu Schlüssen noch zu Konsequenzen befähigt sind. Daß jedes folgende Handeln für das einzig unter der Ideologiekritik abzeptable, das Verhindern des totalitären Regimes der Nationalsozialisten, nicht genügt hat, ist ein anderes. Für eine politische Kritik bleibt festzuhalten, daß die reflexive Biographie eine eigenständige politische Zeitkritik darstellt, der ein legitimer Platz in der prorepublikanischen und antifaschistischen Literatur gebührt 228 . Der aber blieb eine Breitenwirkung versagt. Sie war dafür, wie Marcuse formulierte, zu voraussetzungsvoll. Bereits das Medium des Buches bedeutete eine Hürde, Sprache und Darstellungstechnik standen einer weiteren Rezeption ebenso entgegen. Mehr aber noch boten der Bildungs- und innerliterarische Kontext Hürden, weil deren Versatzstücke für eine Entschlüsselung verfügbar sein mußten. Die historischen Axiome waren dagegen in sehr viel breiterer Streuung präsent, als von heute vermutet und rekonstruiert werden kann, weshalb der satirische Effekt mittels der Parallelbedeutungen als unwiederbringlich betrachtet werden muß. Insonderheit erwies sich die Satire möglicherweise als ein „Verständigungsmittel für Eingeweihte"229, deren 227 Kreuzer sah in Hegemanns Quellen- und Zitatmontage, die in den fiktiven Rahmen einer diskutierenden Expertenrunde eingebunden ist, den Weg, der zum Dokumentarismus der sechziger und siebziger führe; Kreuzer, Biographie ..., S. 443. 228 Kreuzer, Biographie ..., S. 445; Gradmann, Historische Belletristik ..., S. 69. 229 Naumann, Tränen ..., S. 8 ff. Vgl. unten 7.7.7 „Entlarvte Geschichte".

676

7.4.5 Hürden

Stilmittel Ungerührte weniger zu überzeugen als abzuschrecken vermochte und eher ohnehin Angefochtene erreichte, wie damit auch letztlich der Rationalismus sich als wenig massentaugliches Lebensmittel bewies. Nichtsdestotrotz ist Hegemanns literarisches Werk als ein eigenwilliges literarisches Modell mit theoretischen politischen Ansprüchen und praktischen politischen Folgen zu betrachten.

677

E I N Z E L V E R Ö F F E N T L I C H U N G E N DER H I S T O R I S C H E N K O M M I S S I O N ZU B E R L I N

BAND 84

Caroline Flick

Werner Hegemann (1881-1936) Stadtplanung, Architektur, Politik Ein Arbeitsleben in Europa und den USA

Teil 2

K G Saur München 2005

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Gedruckt auf säurefreiem Papier © 2005 by K. G. Saur Verlag GmbH, München Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. All Rights Strictly Reserved. Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Druck/Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach ISBN 3-598-23228-4 (2 Bände)

Teil 2 7.5 Architekturkritik 1927-1929 7.5.1 Arbeitsalltag

679

Zeitnot - Ansprüche Schriftleiter

- Aktualität

- Etikettebrüche

- Inquisitor

- Kreise

-

- Spannweite

-

Grundsatzerklärung - Reizminderung - Ironie - Abfertigungen - Verdruß Korruption - Stille - Majorität - Abrechnung - Anwalt ? - Unterschlagung Plagiat - Skandalon - Fundamentalpolitisierung - Externalisierung Mißbrauch Gegenpropaganda

-

7.5.2 Format der Zeitschrift

687

Konsolidierung - Wachstum - Umfang - Nationen - Architekten Erosion - Öffnung - Vergleiche - Berichtsdichte - ProfiJ

7.5.3 Opposition 1927

697

7.5.4 Protektion 1928

715

Politisierungen - Fundamentalismus - Erzfeind - Gegengründung - Relationen Passatismo - Komparative - Historisches Bewußtsein Wandel Zusammenstoß - Fraktionszwang - Habitus - Einübung - Lernprozeß - Usus

7.5.5 „Block" und „Sachlichkeit" 1929

730

Beitritt - Organ - Anstößigkeiten - Organisation - Ausbleiben der Werbung - Anonymer Artikel - Propagandist - Hauptthemen - Siegesgewißheit Dekadenzvorstellungen - Affekte - Fahrlässigkeit - Spiegelbild - Substitution Botschaftsblindheit - Annäherungen - Dasselbigkeit - Durchsichtigkeit Pluralismus - Krisenbestimmung - Empirie Flexibilität

7.5.6 Zwischenschritt: Architekturmonographien

751

Historisierung - Pragmatismus - Dichotomie ? - Signißkanz der Typographie Funktionsanalyse - Diversißzierung der Gruppenbildung - Vermarktungszwang Diskursgemeinschaft - Bewirtschaftung - Inszenierung - Sonderstellung

-

7.6 Synthesen 1930-1931 7.6.1 Wiederkehr der Themen 1929-1930 Aufbereitung Politisierung

-

Stilisierung

-

764

Versagensängste

-

Ansatzpunkte

-

Zweite

7.6.2 „Das Steinerne Berlin" Anregungen

770

- Motive - Wiederholung

- Koordinaten

-

Revision

7.6.2.1 Kurfürsten, Könige und Künstler Perspektive Ästhetischer

774

- Ironische Helden - Symbole - Symbolische Antiheld - Parallelrede Bürgerkultur

Helden

-

7.6.2.2 Apologeten, Propheten und 'Neuzeit' Strukturen Nacherzählung Reßexivität -

782

Sozialstaat - Klage - Bürgerliche Grundrechte - Selbsthilfe Anstiftung Pathos

Antihelden Marktkritik

-

- Strategie

-

7.6.2.3 Systematik

792

Bürgergesellschaft - Literarizität Rückschläge - Scheinideologie

- Gattung

- Valenzen

7.6.2.4 Rezeption des „Steinernen Berlin" Scheidelinien Erkenntnismodell

Substitution Spektrum Politische Maßnahme

800 -

Organisation Einübung

Inhalt

Begriffswandel - Anschlüsse - Festlegungen - Ambiguitä Mythen - Bürgerliches Projekt

borghese -

7.6.3 K r i t i k 1930-1931 7.6.3.1 A r c h i t e k t u r 1930: K o n t r a s t e Gleichgewicht Relativismus Konvergenz - Driumph Ubereinstimmung - Einpassung - Symbolik - Semipermanenz Rationalisierungskapazitäten - Prozesse

812 813 -

7.6.3.2 E m i l Ludwig Insinuation - Herausforderung - Rückgewinnung - Gemeinschaft 7.6.3.3 Politisches Feuilleton Absurde Bilder - Entzerrung Inszenierungen

822 826

- Pragmatismus

- Selbstrekrutierung

-

7.6.3.4 A r c h i t e k t u r 1931: Leichtigkeit 831 Addition - Nachlassen - Austritt - Dissoziation - Verwilderung Relationen - Aufgaben - Komplementäre - Ästhetische Internationale 7.6.4 Der 50. G e b u r t s t a g u n d die A r c h i t e k t u r p u b l i z i s t i k Anerkennung - Katalysator - Konkurrenz - Mediation - Innovation Demokratisierung - Gewinne der Statusbewirtschaftung - Prozessualisierung 7.6.5 E i n L e h r a u f t r a g ? Motive - Umdeutung - Förderer - Gutachten - Aversionen - Argumente Vergleichbare Vorgänge - Analogie - Ablehnung - Kunstakademie Intervention - Fürsprache - Druck - Unterstützung - Versäumnis Funktionalisierung - Nachspiel - 'Preußenschlag' - Abschluß 7.6.6 S ü d a m e r i k a 1930-1931 Verlauf - Vorgaben - Vorträge 7.6.6.1 P l a n u n g s p e r s p e k t i v e n Opposition - Regulierung - Regeleffekte - Sekundärfunktionen Anstiftung 7.6.6.2 Politische P e r s p e k t i v e n Interesseneinheit - Gleichsetzung - Solidität - Ermutigung - Sicherheit

7.7 Konfrontationen

849

868 871

876

1931-1933

7.7.1 G o t t f r i e d B e n n Verbindungen - Zugehörigkeit - Reden - Subtexte - Intoleranz - Anmaßung Ausschluß - Radikalisierung - Nachsatz - Diplomatie - Sonderbewußtsein Grenzziehung 7.7.2 Politische I n t e r p r e t a t i o n e n Kommentare - Spektrum - Ausbruch - Thesen - Sicherheiten 7.7.3 G e g e n a u f k l ä r u n g Verdichtung - Modellverfahren - Groteske - Rückwendung - Hoffnungen 7.7.4 Satire Analogien - Erfolg - Profile - Zynismus - Abtrünnigkeit - Schilderung Parallelrede 7.7.5 A r c h i t e k t u r 1932: Krisen Verlagswechsel - 'Paradigmenwechsel' - Kulturbolschewismus - Bandbreite Krisenstimmung - Umbau - Kulturgut Minimalhäuser - Abkanzeln Deflation - Latenz VI

840

883 895 900 905 912 -

Inhalt

7.7.6 Schmitthenner und „Das deutsche Wohnhaus"

922

Plazierung - Partei - Vertretung - Formalismen - Parallelrede - Vorlauf Verweigerungen - Vereinnahmungen - Verunsicherung - Verhinderung Verhöhnung - Verluste - Mühsame Dissoziation - Besiegelung - Schlußbild Abgesang

7.7.7 „Entlarvte Geschichte"

937

Auftakt - Steigerung

7.7.7.1 Von der Serie zum Buch

940

Universalgeschichte - Arbeitsbedingungen - Parabeln - Analogien Brüche - Objektwechsel - Deutungen - Militärdiktatur - Spannweite Kongenialität - Vergewisserung - Satirische Faschismuskritik

7.7.7.2 Vom Buch zur Abreise

951

Verkleidung - Deckmantel - Verkaufserfolge - Hetze - Rezensionen Dokument - Journalismus - Symbolfunktion - Kongreß - 'Dienstreise'

7.8 Profession Bildungsbürger

-

962

Ökonomie - Ästhetische Vermittlung - Erwerbsmodi - Ideologie - Verbürgerlichung Pluralismus - Asymmetrische Demokratisierung - Teilmodernisierung - Verweigerte Demokratisierung - Modernisierungsgrade - Modernisierungsdeßzit - Funktionen Diskrepanzen Reflexionsmangel Vernunft Desillusionierung Selbstvergewisserung - Bürgerliches Projekt - Transition Ademokratisches Reflexionsdefizit - Rationalisierungsfähigkeit - 'Zweites' Modernisierungsdilemma

8 Exil

985

Scheinnormalität - Aufbruch - Gewißheiten - Auslagerung - Vorbereitung - Ausreise

8.1 Genf 1933

992

Ökonomische Zwänge - Sicherungsversuch - Kategorienlosigkeit

8.1.1 Indizierung

994

Listen - Bücherverbrennung - Gesamtverbot

8.1.2 Projekte

998

Fortsetzung - Übersetzungen - Artikelabsatz Verbindungen

- Journalismus - Kontaktpflege

8.2 New York 1933-1936

-

1004

Solidasgemeinschaft - Lehrauftrag - Ankunft

8.2.1 Ausbürgerung

1007

Diplomatie - Hörensagen - Beschlagnahme - Zwangsverkauf

8.2.2 Lehre

1011

Kurse - Vorträge

8.2.2.1 Anträge

1013

Hilfsorganisation - Kategorisierung - Verhandlungen - Taktik

8.2.2.2 Dozent Übungen - Siedlungsprojekt der Moderne - Credo

1017 - Ansprüche

- Aufteilung

-

Freiheit

8.2.3 „City Planning Housing" Planungspolitik - Propheten - Propaganda - Überforderung - Widerständigkeit Kritik

1022 -

VII

Inhalt

8.2.4 Deutschland aus dem Exil Zynismus - Opfer - Einsatz für Ossietzky - Werbung - Befinden - Erkrankung Nachrufe

9 Nachwort oder die Profession 'Bildungsbürger'

1029 -

1037

Anverwandlungen - Politik - Ästhetik - Modernität - Leistung - Ausblick - Zweites Modernisierungsdilemma - Profession Bildungsbürger - Grundlagen der Postmoderne

10 Anhang 10.1 Bildteil

1047

Eltern - Verwandtschaft - Ausbildung und erste Ehe - Philadelphia 1908 Boston 1909 - Ausstellungsstücke - Chicago-Plan: Reüektionen - Motive Parkbilder - Berlin 1910: Ausstellungsräume - Ausstellungsstücke - Bauepochen Baugenossenschaft "Ideal" - Plakat des Propaganda-Ausschusses - Spielplätze Porträts - Oakland and Berkeley: Stadtentwicklung - Hafenpläne - Berkeley Civic Center - Milwaukee - Kohler - Washington Highlands: Anlage - Wegführung Heute - Wyomissing Park: Pläne - Wegedifferenzierung - Hausgruppen - Bauten Lake Forest: Entwürfe - Vorstadtlage - Garten Meinig - Garten McLaren - American Vitruvius: Beaux Arts - Views and Vistas - Zentralbau - Italien - Haus Hegemann - Binnenräume - Berlin - Amerikanische Architektur: Schein und Sein - Aussichten - Jahrgang 1924: Kontraste - Jahrgang 1925: Gegenüberstellungen Vergleiche - Jahrgang 1926: Neuerungen - Wohnungsbau - Le Pessac - Jahrgang 1927: "Tagesfragen" - Kontrapunkte - Jahrgang 1928: Oppositionen - Fassaden Jahrgang 1929: Reduktion - Sachlichkeit - Neue Werkkunst: Typographie und Pluralismus - Jahrgang 1930: Modelle - Durchsichtigkeit - Jahrgang 1931: Vielfalt - Komplementäre - Der 50. Geburtstag - Südamerikareise - Jahrgang 1932: Werbung - "Kulturbolschewismus" - Jahrgang 1933: Schmitthenner - Abgesang Ausbürgerung - Exil - Lehre 1935

10.2 Kurzbiographien

1117

10.3 Zeittafel

1147

10.4 Schriftenverzeichnis

Hegemann

10.4.1 Monographien 10.4.1.1 Autor 10.4.1.2 Koautor 10.4.1.3 Herausgeber 10.4.1.4 Übersetzer

10.4.2 Artikel und Miszellen 10.4.2.1 Beiträge in Monographien 10.4.2.2 Zeitschriftenartikel 10.4.2.3 Zeitungsartikel 10.4.2.4 Koautor

10.4.3 Nachdrucke und Neuausgaben 10.4.3.1

VIII

Monographien

1156 1156 1156 1159 1159 1159

1159 1159 1160 1171 1172

1173 1173

Inhalt

10.4.3.2 Koautor 10.4.3.3 Artikel

1173 1173

10.4.4 Besprechungen 10.4.4.1 Rezensionen der Monographien 10.4.4.2 Allgemeine und kleine Formen

1174 1174 1179

10.4.5 Nachrufe und Biographische Literatur 10.4.5.1 Nachrufe 10.4.5.2 Biographische Abrisse 10.4.5.3 Biographische Literatur

1180 1180 1180 1180

10.5 Literaturverzeichnis

ii82

10.5.1 Archivalien 10.5.1.1 Gespräche und Korrespondenzen 10.5.1.2 Nachlässe und Sammlungen 10.5.1.3 Archive

1182 1182 1182 1183

10.5.2 Periodika

1185

10.5.3 Nachschlagewerke 10.5.3.1 Bibliographien und Bestandsverzeichnisse 10.5.3.2 Lexika und Handbücher 10.5.3.3 Biographische Handbücher und Personalbibliographien

1191 1191 1194 1196

10.5.4 Monographien und Aufsätze

1198

10.5.5 Abbildungsverzeichnis

1235

10.6 Register

1242

10.6.1 Personen

1242

10.6.2 Orte und Standorte

1256

IX

7.5 Architekturkritik 1927-29 Während dieser schriftstellerischen Arbeiten und zugehörigen Auseinandersetzungen lief die Arbeit des Herausgebers und Architekturkritikers weiter, ein unabhängiger Schauplatz weiterer Auseinandersetzungen. Während also Hegemann seine Fridericus-Fassungen, den „Napoleon" und den „Christus" schrieb, seinen Kritikern widersprach und seine Bücher verteidigte, führte er die Architekturzeitschriften zu Bekanntheit und Erfolg und manövrierte sich zugleich in eine Opposition von zunehmender Schärfe auch in diesem Sektor. Vor der Betrachtung der folgenden 'architektonischen Jahre' soll ein Blick auf den Arbeitsalltag des Redakteurs erfolgen, um danach mit Hilfe von Statistik das Format seiner Zeitschriften zu ermessen. Ein Einblick in den Arbeitsalltag wird anhand der beiden größeren nachweisbaren Korrespondenzen möglich. Die regelmäßigen Briefwechsel, die Hegemann mit dem holländischen Architekten J.J.P. Oud und mit dem dänischen Kollegen S.E. Rasmussen 1 pflegte, gingen aus persönlichen Treffen hervor und bedeuteten ihm Teil seiner Tätigkeit, aber auch persönliche Freundschaft. Es ist anzunehmen, daß es solcher Verbindungen gerade auch in Berlin mehr gab, die jedoch nicht in greifbarer Form überliefert sind. Das Fehlen eines Literaturkorpus vergleichender Arbeiten - nicht nur für die Werke der Architekten, ihre Periodisierungen und Klassifizierungen, sondern für die Publikationen in ihrer Rolle in der Architekturpolitik und vor allem für die Kritik zur Frage ihrer Maßstäbe und zum Wandel in diesen Jahren beschleunigter politischer und gesellschaftlicher Entwicklung 2 - macht es zunächst nur möglich, durch das Werk Hegemanns einen 'roten Faden' zu ziehen, der Material für zukünftige Arbeiten zu diesen Problemstellungen bietet. 7.5.1 Arbeitsalltag Vor allen Dingen bestimmen Klagen das Bild von Hegemanns Arbeitsalltag. Steen Eiler Rasmussen gegenüber, der neben seiner Lehrtätigkeit an der Kopenhagener Kunstakademie bereits für die dänischen „Arkitekten" schrieb, bevor er 1927 von Kay Fisker die Redaktion der Zeitschrift übernahm, äußerte sich Hegemann offen: ... alles noch sehr unbestimmt, da ich mit meinen "Monatsheften" unberechenbar viel Zeit vergeude (26. Mai 1926). Die Einbindung in konkrete Abläufe, so gänzlich anders als die schriftstellerische Arbeit, macht ihm Schwierigkeiten, wie stete Wendungen wie „in Eile" und Klagen 1 Beginn mit Schreiben Werner Hegemanns an J.J.P. Oud, 1. August 1924, das auf den Besuch in Rotterdam Bezug nimmt; Archiv Oud. Diese Sammlung enthält Hegemanns Briefe und einige Ouds in Abschrift, 110 Seiten aus den Jahren 1924 bis 1934. - Beginn mit Schreiben von Werner Hegemann an Steen Eiler Rasmussen, Kopenhagen, 3. Juni 1925. Nachlaß Rasmussen. Diese Sammlung umfaßt nur Hegemanns Briefe, 123 Seiten aus den Jahren von 1925 bis 1935. 2 Inzwischen hat Roland Jaeger in seiner Reihe „Architektur Archiv" begonnen, Publizisten mit ihrem Werk vorzustellen. Auch sind einzelne Untersuchungen zu weiteren Publizisten erschienen, die hier, soweit unmittelbar von Bedeutung, angeführt werden. Somit ist absehbar, daß ein Fundus zur Untersuchung der komplexeren sozialhistorischen Fragestellungen, dem die einzelnen Ansätze noch nicht genügen, entstehen wird.

7.5.1

Zeitnot

über Zeitnot zeigen. Arbeitsbeschreibungen wie ... es ist Sonnabend abend und ich sitze noch im Büro und allein und werde nicht fertig (22. Dezember 1928) deuten auf eine ineffiziente Organisation der Arbeit, die stete Ungehaltenheit bewirkt: der Betrieb hier ist so groß, das nicht mit so großer Schnelligkeit gearbeitet werden kann wie bei Ihnen ... (20. September 1928). Hegemann merkt die Probleme eines Mitarbeiterwechsels und klagt allgemeine Inkompetenz an, die jedoch auch eigene Unfähigkeit zur Delegation und Organisation der Arbeit anzeigen. Im Januar 1929 heißt es wieder ... ich hatte zu viel, entsetzlich viel zu tun und im März: Ich habe große Not mit dem steinernen Berlin und 100 anderen Dingen. Stete Überlastung rührt also vor allem aus der Vielseitigkeit wie Gleichzeitigkeit der Tätigkeiten. Sie wirken sich schließlich auf seine Gesundheit aus. Ich würde furchtbar gern in 8-10 Tagen nach Kopenhagen fahren, arbeite aber augenblicklich so angestrengt, dass ich nicht weiss, ob ich dann noch reisefähig bin (16. November 1926). Schließlich fuhr Hegemann mit seiner Frau Ende 1926 zu einem Erholungsurlaub in den Harz: endlich ... von Berlin weggekommen. Zunächst schien diese Anstrengung nachzulassen, doch Ende 1927 erfolgt der „dringende R a t " des Arztes zu einer längeren Erholungsreise in den Süden. Ob die Ausdehnung zu einer Wüstenexpedition in Ägypten einer ärztlichen Empfehlung wegen Anfälligkeit der Atemwege oder der alten Abenteuerlust folgte, geht aus den Briefen nicht hervor. Wohl ließ sich beides verbinden und Hegemann kehrte, weiter aufgehalten durch Krankheit, erst im März 1928 nach Berlin zurück 3 . Der Frühsommer 1928 zeigt gleich wieder die gedrängte Eile: Mittwochs kehrte Hegemann von seinem Vortrag aus London zurück, sprach als Gutachter in Westfalen, besuchte Abel in Köln und mußte des Samstags in Berlin an einem Preisgericht teilnehmen. Diese Häufung von Terminen ist zweifelsohne eine willentliche, in der Absicht zu bewegen und nichts zu verpassen. Die Kopenhagener Reise endlich Ende 1928 wirkte eher wie eine Flucht denn eine Erholungsreise. Ich würde dann gerne etwa 3 Wochen ruhig am Steinernen Berlin arbeiten und nur ganz wenig nebenher sehen. In der vierten Woche sollte seine Frau nachkommen, mit der er dann möglichst viel Architektur sehen wollte. Schon im September 1928 nannte Hegemann sich alt und faul, er würde lieber Reisen machen als hier am Schreibtisch sitzen. Aus einer Grippe wurde darauf eine dreiwöchige Bettlägrigkeit, von der Kopenhagen Erholung versprach. Sobald sich die Arbeitssituation entspannt, kommen neue Ideen auf, wie später die neue Bearbeitung meiner Pariser und Londoner Studien in Angriff zu nehmen, die er mit Rasmussen besprochen hatte. Zu einem der nächsten Besuche des Freundes in Berlin kündigte er 1930 an: Da ich, wie üblich um diese Zeit, vor dem drängenden Abschluß der Weihnachtsarbeit stehe, würde ich am Sonntag nachmittag und sonst immer abends von 1/2 7 an viel Zeit zum Spazierengehen haben. Das zeigt, wo er sich im ausgefüllten Alltag Freiraum zur Ideenentwicklung schuf. Hegemann ist nicht zufrieden, wenn er nicht rastlos tätig ist. Doch die Sehnsucht nach ungebundenerem Leben kann er nicht verbergen, als er im Juli 1926 Rasmussen anrät, 3

680

Collins, German Critic ..., p. 7.

7.5.1

Ansprüche

die Gastprofessur der Architectural Association London anzutreten: Sie werden dort von £ 350 (= 7000 Mark) ganz anständig leben, wenn Sie keine Frau ernähren wollen. Bedenken Sie vor allem dies: München und Kopenhagen sind Nester, Berlin ist ein großes Dorf. London ist eine Stadt. Sie werden ein Jahr lang in einer historischen Stadt, der größten der Welt leben. Ich empfehle Ihnen alles liegen zu lassen und hinzugehen. Doch auch er scheint Alternativen erwogen zu haben, so am 18. Juli 1929 an Rasmussen: Ich werde vielleicht auch, Ende des Jahres, meine Zeitschriften aufgeben, um anderes zu tun! Vielleicht steht hinter dieser Andeutung die Hoffnung auf eine Lehrtätigkeit, die er aber erst Ende 1930 nachweislich verfolgt, die die Enttäuschung um Mitarbeit in der Berliner Stadtbaupolitik hätte kompensieren können, und doch auch scheiterte. Aus diesem Arbeitsbild erklärt sich nicht zuletzt die Motivation, 1931 der Einladung nach Südamerika zu folgen, um selbst bei Verlust des Einflusses durch Abwesenheit gegen die Papierarbeit wieder eine praktische zu setzen. Anfangs jedoch waren technische Fragen Anknüpfungspunkt der Briefe. Hegemann bat Oud mehrfach um Vermittlung von Fotografien, weil sie ein finanzielles Problem darstellten. Ein Austausch von Druckstöcken sollte dieses mindern, wobei gelegentliche Fehler diese Kosten in die Höhe trieben, was Hegemann gegenüber Wasmuth zu rechtfertigen hatte. Mit Oud wurde ein Druckstock zu 60,- RM abgerechnet 4 ; mit „Arkitekten" kam es durch Rasmussen zu einer Kooperation. Rasmussen hatte angedeutet, daß seine Zeitschrift Geld brauche, aber der Austausch sollte auch Zeit sparen. Schon im Mai 1925 schlug Hegemann ihm eine reguläre Leihgebühr vor und mehrfach lassen Andeutungen auf eine rege Praxis schließen5. Noch unter der Leitung von Rasmussens Vorgänger Kay Fisker kam es zu der Vereinbarung, pro Quartal acht Bildseiten in die W M B zu übernehmen, die in Kopenhagen gedruckt wurden. Eine Ankündigung in den „Arkitekten" läßt deren Leser wissen, daß damit dänische Architektur 6000 deutschen Lesern bekannt werde6. Diese Kooperation bediente auch die ästhetischen Präferenzen eines Herausgebers, der beteuerte: wie hoch ich den Geist der neuen dänischen Kunst schätze und wie großen Wert ich darauf lege, oft und viel davon veröffentlichen zu dürfen7. Der Eindruck von Bedrängnis resultierte allerdings auch aus hochgesteckten Zielen. Hegemann schätzte die Wirkung von Bildern wesentlich höher als Artikel: die Bilder sieht jeder, sie wirken. Den Text liest kein Mensch. 4 Hegemann an Oud, 13. Januar 1927, Probleme wegen von Oud abgelehnter Druckstöcke: 13. März 1925, 6. April 1925; Archiv Oud. Der Druckstock ist zunächst nur die Bezeichnung für das im Buchdruck verwendbare, da auf Schrifthöhe gebrachte Klischee. Es handelt sich dabei um mehrfach verwendbare Autotypien, die mittels des Reproduktionsverfahrens, das durch Aufrasterung die Wiedergabe von Halbtönen ermöglicht, von den Originalfotos hergestellt werden. 5 Hegemann an Rasmussen, 15. Oktober 1926, schlug die bargeldlose Abrechnung mit Auszahlung der Uberschüsse zum Jahresende vor. 6 Architekten [1928 ff.: Arkitekten]. Meddelelser fra Akademisk Architektforening, Tidsskrift for Architektur og dekorativ Kunst, Kobenhavn 1 (1898/1899) ff.; 1927-1956 geteilt in Maanedshefte und Ugehefte. Schreiben von Werner Hegemann an Kay Fisker, „Arkitekten", 22. Juli 1926. Arkitekten 28 (1926), s. 467. 7 Hegemann an Rasmussen, 3. Juni 1925, Nachlaß Rasmussen.

681

7.5.1

Aktualität

Um vieler Abbildungen willen nahm er auch Einschränkungen in Kauf, wie etwa des Layouts, um seinem Anspruch zu genügen. Die Schwierigkeit, mit der wir kämpfen, ist der Versuch, auf sehr geringem Raum sehr viel Material unterzubringen. Wir möchten also nicht nur behaglich wirken sondern auch sehr vielseitig sein. Wenn wir nur die Hälfte der Bilder brächten, würden wir sehr viel „behaglicher" wirken, viel weniger Geld ausgeben, aber doch wohl weniger Anschauungsmaterial bringen u. vielleicht also weniger nützlich sein.s Tatsächlich gelang es ihm, im Durchschnitt von etwa 500 Seiten Umfang pro Jahrgang 1500 Bilder zu bringen - und diese über ein ausführliches Inhaltsverzeichnis und Register als dauerhaftes Anschauungsmaterial zu erschließen. Einen weiteren Anspruch verfolgte Hegemann in dem Bemühen um Exklusivität. Bei der Präsentation Edvard Thomsens plagte ihn die Besorgnis, daß jemand in Deutschland die Thomsen Schule vor mir veröffentlicht (12. Januar 1929); die Zeitschrift sollte Entdeckungen bringen. Auch bedeutete er Rasmussen im Januar 1927: Natürlich bin ich nicht damit einverstanden, dass Sie für eine andere Zeitschrift schreiben, da wir gern alle Ihre Beiträge unterbringen möchten. Aber Sie müssen unseren Einspruch nicht zu ernst nehmen und müssen genau tun, was Ihnen gut scheint. Die Auseinandersetzung und öffentliche Diskussion steht zwar obenan, doch Hegemann möchte eine exklusive Berichterstattung pflegen, um die Zeitschrift dadurch weiter auszuzeichnen. Im Zentrum dessen steht sein Begriff vom Vorteil „journalistischer Aktualität"9. Er meint ökonomische wie inhaltliche Ziele. Hegemann prägt ihn, um den Aufwand der Reise nach Bordeaux durch den großen Artikel Rasmussens über Le Corbusier zu rechtfertigen. Damit betrifft der Begriff finanziellen Aufwand, der sich in einer gestärkten Marktposition niederschlagen muß, durch eine Aktualität, die seine Zeitschrift anderen voraus hat. In der Konzeption des schließlich erscheinenden Artikels, der grundsätzlichen Erörterung Rasmussens dogmatischer Unterschiede, erschließt sich ein weiteres Moment. Hier meint der Begriff den eigenen und besonderen Standpunkt, der zum Alleinstellungsmerkmal werden soll. Als solches baut Hegemann dieses Merkmal aus, als er immer wieder andere Themen als nur aktuelle Beispiele aufbringt und diese regelmäßig auf Grundsatzkonflikte verhandelt. Dazu sucht er stets Meinungen Dritter, häufig Leserbriefe, heranzuziehen. Dabei gilt „Aktualität" schließlich als weiteres Moment der gezielten Präsentation von Gegenstücken, die das Bild der Zeitschrift als Forum vervollständigen, sei das Skandinavien oder die Stuttgarter Schule, Holz- und Fachwerksbau oder die abweichende Kritik der Bauausstellung Weißenhof 1927. In diesen Aspekten sind beide Ziele verknüpft. Sie binden mit ökonomischen Absichten einen weiten Kundenstamm, bieten statt eines Avantgarde-Magazins eine ergänzende 'Gegenöffentlichkeit' mit theoretischen Absichten. Dabei wollte Hegemann die Zeitschrift zu einem öffentlichen Ausdruck einer Gesamtdebatte machen. Er mühte sich um die permanente Kritik durch Kollegen, zu der er auch Oud und Rasmussen stets aufforderte. Er versuchte Treffen, Besuche und Werkausstellungen zu arrangieren, um auch Kollegen in Kontakt zu bringen 10 . Er nahm an 8 9 10

682

Hegemann an Oud, 25. September 1926 und 11. April 1925, Archiv Oud. Hegemann an Rasmussen, 22. Juli 1926, Nachlaß Rasmussen. Etwa empfahl er Rasmussen, Edgar Wedepohl, Regierungsbaumeister in Köln und freier Mit-

7.5.1

Etikettebrüche

Versammlungen und Vorträgen teil, um weitere Kritiken und Kritiker kennenzulernen, wie er etwa wie Theo van Doesburg und Adolf Behne zu Veröffentlichungen in den WMB zu bewegen konnte 11 . Auch die Lektüre internationaler Architekturzeitschriften gehörte für ihn zu den Anregungen, nicht nur zu Themen - er erwähnte die moderne holländische „Wendigen", auch amerikanische Zeitschriften - sondern auch ihr Layout, in dem die „Arkitekten" mit klassischem Minimalismus ein Vorbild blieben, nach dem die WMB ihr Erscheinungsbild auch nur wenig änderten 12 . Die mit der Publikation moderner Kritiker einhergehende Bemühung, den eigenen Gegenstandpunkt zu stärken, ließ Hegemann wiederholt Regeln der Kritik verletzen. So gab der anonym publizierte Aufsatz über Amsterdamer Baukunst Meinungen von Architekten über Dritte preis, was ihm übel genommen wurde. Auch die Übertragung der Kritik an Dritte und die als populistisch geltende Nutzung der Leserbriefe wurden scheinbar wenig gern gesehen. Insbesondere stieß sein Verstoß, nach Absprache zu unterlassender Gegenkritik dennoch solche zu bringen - wie im Falle eines Aufsatzes zu Mendelsohns Besprechung F.L. Wrights durch Leo Adler 1926 - auf Ablehnung, gar Boykottdrohungen 13 . Solche Reaktionen von Architekten sind insofern mit denen der Historiker auf Hegemanns Arbeiten zu vergleichen, als auch sie sich in ihrer Dignität angegriffen fühlten. Das Recht offener und öffentlicher Kritik gestehen sie nicht zu - so wandte sich Wilhelm Kreis nach Hegemanns Aufsatz über seine Gesolei-Bauten gar an den Verlag, also eine übergeordnete Autorität, und erwartete Unterbinden der Kritik von dessen Seite in einer ganz wilhelminisch geprägten Form. Deshalb macht es Hegemann besonderes Vergnügen, Urteile der Architekten übereinander den Betroffenen bekannt zu geben. Unter der Maßgabe, daß es vor allem auf die Sache ankommt und wir bereit und fähig sind, kleine Boshaftigkeiten schmerzlos zu schlucken, macht er in der Debatte über die Weißenhof-Siedlung 1927 Oud und Klein jeweils Briefe über den anderen zugänglich. Die folgenden Verstimmungen können schließlich vor allem durch Ouds Großzügigkeit beigelegt werden 14 . Hegemann erhofft sich dabei vor allem eine Anstiftung zu weiteren arbeiter der WMB, sowie Brinckmann zu besuchen; Hegemann an Rasmussen, 29. Juni und 1. Juli 1926. 11 Er lernte Doesburg bei einem der Vortragsabende bei Mahlberg und Kosina kennen, kurz darauf auch Behne; beide veröffentlichten dann bei ihm. Hegemann an Oud, 19. Januar, 5. und 16. Februar 1925, 13. Januar 1926. 12 Nach dem klassizistischen Deckblatt von 1928 - jedes Urteil kann aufgrund der meistens makulierten Heftdecken nur vorläufig sein - ab 1928 ein Foto, das das Titelthema kürte; Beispiel russische Architektur WMB 13 (1929), Heft 3, siehe Nungesser, Skizze .... S. 177, oder Krankenhausbau WMB 14 (1930), Heft 1. 13 Oud an Hegemann, 19. September 1926, Archiv Oud. Oud befand dies für unwürdig, obwohl er „Feder und Stil" wie „unakademische Leidenschaft" schätzte. Im Teilnachlaß Mendelsohn der Kunstbibliothek Berlin befindet sich in Mappe 96 eine Abschrift unklarer Herkunft, in der Mendelsohn am 1. Februar 1926 die unterbleibende Kritik zur Bedingung der Veröffentlichung macht sowie Hegemanns Zusicherung vom 11. März 1926. Sollte eine Antikritik folgen, müsse sie ihm zum Kommentar zur Verfügung gestellt werden, hatte Mendelsohn verlangt. 14 Hegemann an Oud, 20. August 1927; Oud an Hegemann, 25. August 1927; die Briefe nicht erhalten. Oud weigert sich, diese Kritik wie auch solche Art zu publizieren allzu ernst zu nehmen, weil er doch

683

7.5.1 Inquisitor

Beiträgen, fordert er doch trotz Ablehnung seines Weißenhof-Hauses Oud auf, über die Siedlung für die WMB zu schreiben. Dabei bildet sich der Zwiespalt, der auch in den literarisch-politischen Antikritiken sichtbar ist, auch hier ab. Obwohl das Bestreben, entgegen gewohnter Dogmen eine offene Debatte zu forcieren, diese Kritik trägt, verfällt Hegemann der Position des Inquisitors 15 . Nachdem er Weißenhof offenbar selbst gesehen und Edgar Wedepohls Grundsatzkritik veröffentlicht hatte, kündigte er Oud die Gemeinsamkeit auf: Ich habe nämlich seit einiger Zeit den Eindruck, als wenn Sie sich nicht auf dem allerkürzesten Wege zu dem hohen Ideal von Klarheit, Einfachheit und Sachlichkeit bewegten, dem wir beide im Grunde unseres Herzens zustreben. Als Inquisitor verweist er den Abweichler aus dem Reich der Guten 16 . Die Erosion seiner Position durch ihre Begründungen verkennend, zieht Hegemann sich als Angegriffener ganz auf eine Eindeutigkeit seiner Position zurück. Oud aber spottet darüber 1 7 und weigert sich, seine Gesinnung zu verteidigen. Er schlägt Hegemann mit dessen eigenen Argumenten und fordert ihn zur Fortsetzung nach wie vor geschätzter Kritik auf. Erst von der Kleinlichkeit der eigenen Weißenhofkritik Hegemanns ist er enttäuscht, weil sie nicht mehr fördernd sei, und er so nicht einmal mehr stolz auf Hegemanns Feindschaft sein werde 18 . Hegemanns konziliante Antworten deuten sein Bemühen an, diese Kluft zu überwinden 19 , so daß Ouds Einwände einen großen Teil zur Entspannung dieser feindseligen, inquisitorischen Haltung und damit zum Durchbruch zu einer pluralistische Öffnung beigetragen haben werden 20 . Persönliche Bindung lassen einmal mehr sachliche Differenzen produktiv bewältigen. Dabei kam es Oud offenbar zu, die Publizisten zu trösten und durch seine Wertschätzung wie Auseinandersetzung die fehlende Anerkennung der Architekturgrößen auszugleichen, so jedenfalls für G.A. Platz 21 , und dabei anzuregen und anzustoßen, so für Hegemann. wisse, daß Hegemann sie liebe. 15 Ahnlich bestimmt urteilte er bei Rasmussen: Den nicht unbeträchtlichen Unterschied Ihrer Anschauungen von den meinen nehme ich nicht sehr ernst, weil ich glaube daß wir in den meisten praktischen Anwendungen (Zucker, Taut, Le Corbusier, Mendelsohn) ähnlich denken. Hegemann an Rasmussen, 31. Juli 1926. Hier aber kommt es offenbar zu keinem Konflikt, weil eine Grundübereinstimmung tatsächlich - etwa am Urteil über Corbusiers Stadtbaupläne zu sehen - vorhanden ist. 16 Hegemann an Oud, 1. Oktober 1927, Archiv Oud. Nach einem weiteren und höflich distanzierten Kurzbrief Hegemanns an Oud entsteht im Briefwechsel mit Oud eine Lücke von fünf Monaten. 17 Oud an Hegemann, 2. Oktober 1927: Lieber Dr. Hegemann (oder sollen Sie jetzt nun wir auseinanderzugehen scheinen auch „sehr geehrt" sein some ich für Sie?). 18 Oud am 4. Februar 1928: Was habe ich getan, dass Sie mich wegen des Gefälles einer Waschküche durchstechen wollen? ... Gewinnen Sie sich selbst zurück in einer frischen Feindschaft. Den Handschuh nehme ich gerne an. In alter Liebe für den geistvollen Hegemann ... 19 Postkarte und Kurzbrief aus Ägypten, die auf ein persönliches Treffen und Debatte in Berlin bauen; das aufgrund Ouds angegriffener Gesundheit nicht stattfindet. 20 Die folgende Lücke in den Briefen entsteht mehr aus äußeren Gründen: Oud scheidet leicht verstimmt, weil Hegemann ihn nicht über die persönlichen Fronten im Messe-Gegenwettbewerb informiert hat, aber aus Gesundheitsgründen als Gutachter aus. Aufgrund letzterer wird der Briefwechsel sporadisch. 21 Jaeger, Platz ..., S. 68. Auch de Fries stand zeitweise in Briefkontakt mit Oud, Jaeger, de Fries

684

7.5.1 Kreise

Mit seinen weiteren Tätigkeiten, die Einführungen in die Architektenmonographien des Verlags F.E. Hübsch, Vorträgen, dann auch im Radio 22 , die politischen Artikel zum Berliner Stadtbau, die Gegenwettbewerbe der Zeitschriften, die Beteiligung an Gutachterausschüssen, Ausstellung und Vortrag in der Architectural Association London, zeigt sich Hegemann als Mitglied eines hastenden kulturpublizistischen Establishments, dessen Vernetzungen kaum nachweisbar, aber in der Arbeit fruchtbar sind. Beides wird etwa sichtbar, wenn Hegemann für einen Jüngeren wie Hermann Kesten selbstverständlich zum Kreis der Anwesenden bei den regelmäßigen Teegesellschaften gehörte, die die Witwe Siegfried Jacobsohns für die Mitarbeiter der ,, Weltbühne' 1 gab. Kesten traf bei seinem ersten Auftritt neben Hegemann auf Ossietzky, Tucholsky, Mehring, Pol, Toller, Zweig, Feuchtwanger, Polgar, Arnheim und Kästner 2 3 . Hier deutet sich die zunehmend regelmäßige Publikationstätigkeit in linksliberalen Wochenzeitschriften an, die Hegemann in diesen Kreisen weiter heimisch werden ließen. Ein weiterer, ebenfalls informeller Zirkel war der Journalisten-Mittagstisch im Zeitungsviertel in der Anhalter Str. 4, an dem unter dem 'Präsidium' von Rudolf Olden eine offene politische Besetzung von Deutschnationalen bis zu Radikalsozialisten regelmäßig zusammentraf 2 4 . Walter Kiaulehn bezeugt hier die Zugehörigkeit Hegemanns, der auch die Freundschaft zur damaligen Gerichtsreporterin Gabriele Tergit entstammt. Die Besonderheit dieser Verbindungen besteht in ihrer halbformellen Organisation, die eben für Austausch und Vernetzung sorgt, ohne daß diese im einzelnen als Kontakte und Anregungen greifbar werden. Die gesteigerte politische Publizistik Hegemanns steht symptomatisch für ein Zusammenrücken der Linksliberalen mit den Jahren der Republik, dem sich diese Gemeinschaften verpflichten. Zugleich wird Hegemann, wenn auch nur indirekt, in den Boheme-Zirkeln greifbar. Wenn Theodor Lessing ihn in einer Glosse über Versammlungen im Romanischen Cafe persönlich auftreten läßt, kommt dem mehr als nur poetische Wahrscheinlichkeit zu 25 . Dort vertrieb man sich die Zeit mit Psychoanalyse und Lessing glossierte einen Trend, indem er Franz Pfemfert lästerliche Bemerkungen über eine psychoanalytische MarxBiographie machen ließ. Hegemann erscheint als unwilliger Teilnehmer und tritt zum Schluß mit dem grummelnden Kommentar auf: „Kann man denn gar nicht mehr denken, ohne daß diese Psychoanalytiker ...". Eine persönliche Bekanntschaft zwischen Lessing und Hegemann hat sich nicht nachweisen lassen, doch die plausible Charakterisierung verweist erneut auf ein intensives Netz kommunikativer Beziehungen in der Hauptstadt der Republik. ..., S. 60. 22 In den WMB einer aus den Vorarbeiten zum „Steinernen Berlin" erwähnt; nachgewiesen, aber nicht erhalten, einer zur Gartenstadt Neuenhagen bei Berlin; vgl. unten 7.6.2 „Das Steinerne Berlin". 23 Kesten, Kästner ..., S. 210. 24 Walther Kiaulehn, Mein Freund der Verleger. Ernst Rowohlt und seine Zeit, Reinbek 1967, S. 176. 25 Theodor Lessing, Wir psychoanalysieren einander [1928]. In: Theodor Lessing, Ich warfeine Flaschenpost ins Eismeer der Geschichte. Essays und Feuilletons (1923-1933), Hrsg. und eingeleitet von Rainer Marwedel, Darmstadt-Neuwied 1986, S. 137-141, 137, 141, zuerst im „Prager Tageblatt" am 23. September 1928. Ich danke Dr. Sigrid Stockei für diesen Hinweis.

685

7.5.1 Schriftleiter

Nicht zuletzt spricht für eine Beteiligung am Boheme-Leben, daß Hegemann einem guten Leben geneigt war und Feste nahm, wie sie fielen. So verfaßte er im Mai 1929 in einer durchzechten Nacht mit dem Wiener Bankier Stefan Küttner einen Brief an den schwedischen Autor Hjalmar Söderberg auf der Rückseite einer Cocktail-Karte; der Manhattan-Coctail zu 1,50 Mark. Man sprach über dessen „Jesus Barnabas" und Hegemann bat Söderberg, ihn in Berlin zu besuchen26 - und erhielt selbstverständlich keine Antwort. Wenn auch nur aus einigen Trouvaillen, läßt sich dennoch schließen, daß die Einbindung Hegemanns in berufliche, gesinnungspolitisch ähnliche, gesellige Kreise vollständig war, daß diese sich überschnitten und sowohl Anregungen, Inspiration und Lebensfreude, aber auch Herausforderung und Anstrengung bedeuteten; daß die Publizistik und Herausgeberschaft ihm eine - angenehme - Lebensform bedeuteten. Daher verhieß es große Entlastung und Unterstützung, daß 1927 mit Leo Adler ein Schriftleiter an seine Seite gestellt werden konnte. Der in Berlin und München ausgebildete und in Dresden promovierte Adler verfügte nicht nur über zeichnerisches Talent, das im gemeinsamen Vorschlag zum Umbau der Berliner Oper zur Geltung kam 27 , sondern auch über eine vergleichbare Präferenz für klassische akademische Architektur 28 . Adler schrieb nicht nur eigene Artikel, sondern nahm Hegemann auch einen Teil der Arbeit in der Redaktion ab, hielt auch an dessen Stelle Briefwechsel aufrecht. Er schied jedoch 1929 bereits wieder aus, um die Redaktion von „Wasmuths Lexikon der Baukunst" zu übernehmen. Sein Nachfolger wurde Hans Josef Zechlin, dessen Arbeit für die WMB Hegemanns überdauerte. Er arbeitete zunächst als angestellter Architekt und hatte 1924 einen Entwurf für die Bebauung der Prinz-Albrecht-Gärten eingereicht, der auch publiziert wurde. Die eigentliche Kontaktaufnahme geschah jedoch über den gemeinsamen Zahnarzt, dem Zechlin von diesem Entwurf erzählt hatte und der einen seiner Patienten darauf anzusprechen versprach. Vom Entwurf schien Hegemann weniger angetan als von den Ausführungen, die Zechlin dazu machte, weshalb er konterte: „Aber schreiben können Sie doch. Wollen Sie nicht bei uns schreiben?"29. Grundlage der guten Zusammenarbeit war nach der Charakterisierung von Zechlins späterem langjährigen Kollegen Günther Kühne eine Kongenialität in der Bereitschaft zu rigidem Urteil und im Bestreben, sich nicht auf eine dogmatische Linie festlegen zu lassen, sowie eine spitze Feder und Wertschätzung des Satirisch-Sarkastischen30. 26

Stefan Küttner und Werner Hegemann an Hjalmar Söderberg 1929, Manuscripts Departement Η 58Ϊ31, Göteborgs universitetsbibliotek, Göteborg. 27 Hegemann/Leo Adler, Die Berliner Staatsoper für 2500 statt 1600 Zuschauer. Rettungsversuch mit Skizzen, 6 Abb., in: Städtebau 21 (1926), H. 6, S. 88 f. 28 Vgl. Leo Adler, Über das Organische und das Malerische in der Baukunst. In: WMB 9 (1925), S. 484-493 und Hegemann/Leo Adler, Warnung vor „Akademismus" und „Klassizismus". 25 Abb., in: WMB 11 (1927), Η. 1, S. 1-10. 29 Ideenwettbewerb (1924) 210. Mitteilung von Günther Kühne, 1. Dezember 1990; vgl. Günther Kühne, Aus dem Glashaus? Nachdenklicher Blick zurück, doch ohne Zorn, in: Bauwelt 74 (1983), S. 113-118, und dessen Artikel zum Gedenken an Zechlin. 30 Die Widmung, die Hegemann am 8. April 1930 in das Exemplar des „Steinernen Berlin" für Zechlin eintrug, sprach von freundschaftlicher Verehrung; im Besitz Günther Kühnes. Vgl. auch Hans

686

7.5.2 Konsolidierung

7.5.2 Format der Zeitschrift Sich einer Zeitschrift mit statistischen Mitteln zu nähern, verheißt gebrechliche Mittel. Sie werden als Korrektiv zum üblichen Verfahren der optischen Bewertung eingesetzt 31 und sollen das tradierte Bild der „konservativen" Zeitschrift überprüfen helfen. Vor allem scheinen sie geeignet, über die Beiträge Hegemanns hinaus seine herausgeberische Leistung im Format der Zeitschrift erfassen zu lassen 32 . Nach dem Inflationsjahr 1923 erschien die Zeitschrift 1924 in sechs Doppelheften; der „Städtebau" zunächst gar nicht. Trotz des zunächst einschränkenden Titels vom „verantwortlichen Schriftleiter" wird mit der Vorbemerkung der Inhaltsverzeichnisse - (Die Aufsätze, bei denen kein Verfasser genannt ist, sind von Werner Hegemann) - deutlich, daß, wie Oud kolportierte, die Zeitschrift nun 'ein Mann' ist 33 . Hegemann konnte ganz offensichtlich als Herausgeber recht frei schalten und walten; erst unter der wirtschaftlichen und politischen Verunsicherung scheint Wasmuth einen Einfluß gepflegt zu haben, der Hegemann zu ergänzen suchte 34 . Der Umfang spiegelt sehr deutlich die wirtschaftliche Situation des Erscheinungszeitraums. Mit der zügigen Konsolidierung nach der Inflation konnte auch der „Städtebau" ab 1925 wieder erscheinen, der in der erneut wirtschaftlich angespannten Lage zum Ende des Jahrzehnts den „Monatsheften" inkorporiert wurde 35 . Die Steigerung des Gesamtumfangs bis zum Höhepunkt von 874 Seiten von 1928 zeigt Hegemann erfolgreich. Die Rückkaufgebote des Verlages vom März 1925, nach denen sich die Zahl der Abonnenten um 700 erhöht habe, beweisen das schon früh 36 . Auch wenn es zeitweise an Ubereinstimmung zwischen Wasmuth und Hegemann mangelte, wie eine distanzierende Anzeige des Verlags andeutet, die 1927 die alleinige Verantwortlichkeit Hegemanns betonte 37 , gelang es ihm, wie sich Wasmuths Sohn Ernst erinnerte, aus den „Monatsheften" binnem kurzem die führende deutsche Fachzeitschrift zu machen 38 . Allein die Umfange einzelner Kategorien scheinen Superlative darzustellen. Im Schnitt Josef Zechlin, Fünfzehn Architekten und der unbekannte Bürger. In: WM Β 12 (1928), S. 549-558. 31 Sie ist insonderheit behindert durch die umfangreiche Makulatur beim Binden und Archivieren der Objekte, bei dem jeweils die Hefteinbände (zentrales Thema!) wie auch der Anzeigenteil mit eventuellen weiteren redaktionellen Notizen verlorengingen. 32 Die Forschung hat sich bisher des Themenkreises Architekturkritik kaum von Seiten der Kritikerarbeit angenommen, sondern stets Urteile über Personen und Stil kollationiert, ohne personelle und institutionelle Verknüpfungen des medialen Bereichs weiter zu überprüfen. 33 „Le journal c'est un monsieur" sagt ein Freund, von mir. Oud an Hegemann, 2. Oktober 1927, Archiv Oud. Vgl. auch Posener, Berlin ..., S. 184, als Zeitzeugen: Hegemann hat das Gesicht der Zeitschrift bestimmt. - Ab 1927 zeichnet Hegemann als Herausgeber und verantwortlich; 1930 bis 1932 erscheint Günther Wasmuth wieder als Mitherausgeber. 34 Nach einen Brief von Bonatz bat Wasmuth ihn im Frühjahr 1931, über neue Bauten in Berlin zu schreiben, was der aber nicht tun wollte, ohne dies mit Hegemann besprochen zu haben. 35 „Städtebau" wird in den Zeitungskatalogen 1930 noch als selbständige Publikation geführt; Zeichen dafür, daß dies ein später und unfreiwilliger Beschluß war. 36 WMB 9 (1925), S. 124; geboten wurde der Abonnementspreis für das Heft von 2 Mark. 37 WMB 11 (1927), nach S. 184 (die Diktion zeigt Hegemanns Hand); vgl. S. 223, 504 jeweils erneute Erhöhung der Abonnentenzahlen genannt. 38 Wasmuth, Vorwort ..., S. 8; so auch Wassili Luckhardt in Günther Wasmuth ..., S. 118.

687

7.5.2

Wachstum

schreiben unter Hegemanns Leitung um 50 Autoren, werden bis 200 Architekten gezeigt, aus nahezu 20 Ländern und über 100 Orten, auf Seiten mit durchschnittlich drei Abbildungen im Jahresumfang eines dicken Buches. Sowohl bezüglich I n t e r n a t i o n a l s t , die Wasmuth fortzusetzen trachtete, wie den eigenen Anspruch an Bebilderung löste Hegemann seine Aufgaben mehr als zufriedenstellend ein. Tabelle 1 Umfang der Zeitschriften Jahr 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932

Titel WMB WMB WMB WMB WMB WMB WMB WMB WMB

1925 1926 1927 1928 1929

Städtebau Städtebau Städtebau Städtebau Städtebau

8 9 10 11 12 13 14 15 16

Verfasser 15 53 76 62 27 44 50 44 41

Architekten 127 256 292 243 188 184 199 129 130

Länder 10 18 19 21 17 20 16 23 21

Orte 42 142 144 148 134 131 111 100 90

Seiten 407 538 516 506 564 520 584 552 608

27 35 39 35 52

101 72 89 123 104

14 13 13 16 17

53 56 66 87 87

180 200 198 310 348

20 21 22 23 24

Abb.

1532 1428 1354 1550 1582 1330 1562

429 771 508

Auflagenhöhen dieser Zeitschriften wurden in den „Zeitungskatalogen" der AnnoncenExpeditionen nicht angegeben 39 . Die Anzeigenpreise müssen daher für die Bedeutung der Publikation genommen werden. Sie erscheint als gleichbleibend. Eine Erhöhung der Anzeigenpreise erfolgt erst 1930 und bestätigt weniger steigende Bedeutung der Zeitschrift als die erneut angespannte Wirtschaftslage. Seit 1925 kostete die ganzseitige Anzeige in beiden Zeitschriften 200,- RM und blieb bis zur Erhöhung auf 280,- RM von 1930 konstant 40 . Die WMB liegen in Berlin damit in gleicher Preisklasse wie die „Baugilde" und die „Zeitschrift für Bauwesen". Daß die Stuttgarter „Baukunst" und die Münchner „Modernen Bauformen" mit 300,- Mark teurer sind, gibt die Zwischenstellung der WMB zwischen Kunst- und Berichtszeitschrift wieder, so daß Wasmuths Urteil über die Fachzeitschrift zutreffend erscheint 41 . Tabelle 2 Anzeigenpreise Kat. Seite 1 1/2 1/3 1/4 1/6 1/8 1/16

WMB/S Ala 1925 200,110,-

-

60,35,18,-

WMB Mosse 1925 200,120,80,60,40,35,-

WMB/S Ala 1927 200,110,75,60,-

-

35,18,-

WMB/S Mosse 1927 200,110,75,60,42,50 32,50 -

WMB/S (beide) 1928 200,110,75,60,42,50 32,50 -

WMB Mosse 1930 280,150,105,80,60,45,-

W M BS Mosse 1931-33 280,-/240,150,-/125,105,-/85,80,-/70,60,-/50,45,-/37,50 -

Der Differenzierung der Fachzeitschriften vom Ende des 19. Jahrhunderts, in der die Fragen des Bauingenieurwesens ausgegliedert wurden, hatte Günther Wasmuth schon 39 Zeitungs-Katalog der Annoncen-Expedition Rudolf Mosse 51 [.Auflage, Prag] (1925) bis 59 (1933); Zeitungskatalog. Ala 50 [.Auflage, Berlin] (1925) bis 53 (1928), 58 (1933); Zeitungskatalog. Hrsg. Verband Deutscher Annoncen-Expeditionen, Berlin 1926 und 1934. 40 Der Einbruch erfolgte erst 1934, als im vereinten „Zeitungskatalog" der Seitenpreis mit 168,- Mark angegeben wurde. 41 1930 ändern sich die Relationen nur geringfügig: Die „Deutsche Bauzeitung" (350,-) ist teurer, „Neues Berlin" (250,-) und „Baugilde" (240,-) preisgünstiger, „Zeitschrift für Bauwesen" bei 200,- RM geblieben.

688

7.5.2 Umfang

mit der Gründung Rechnung getragen. Die Konzentration auf „Baukunst" beinhaltete die auf theoretische, deskriptive, auch historische Aufsätze. Zunächst gab es eine „Wochenkorrespondenz", bei de Fries als „Chronik", von Hegemann nur sporadisch fortgesetzt; desgleichen die Literaturberichte, die bei ihm nur in speziell interessierenden Fällen anfiel. Das Thema Baukunst aber wird sowohl in Darstellung von Einzelbauten wie Architekten und Regionen, Schulen und Veranstaltungen behandelt, während der „Städtebau" offener von bautechnischen über strukturelle bis zu künstlerischen Fragen ausgreift. Tabelle 3 Blickrichtungen (Abbildungen WMB/S) 4 2 Land Ägypten Amerika Argentin. Belgien Brasilien Bulgarien Canada Chile China Dänemark Deutschld. England Finnland Frankreich Griechenld. Holland Indien Island Italien Japan J ugoslaw, Luxemburg Norwegen Österr. Palästina Persien Polen Portugal Rußland Schweden Schweiz Spanien Tschechosl. Türkei Ungarn Uruguay Gesamtabb-

1926 50/5 17/3 10/9 39 816/288 15 40/3 7 21/19 10/51 24/34 52/8 21 66 5 81/17 5 28 1 11 1532/-

1927 45/24 29/22 88/18 665/180 30/91 2/18 11/9 4 83/13 15/3 1 4 1 8 36 4 61/3 88 4/4 19 4 6/2 1428/429

1928 69/31 9 1 19/4 896/397 93/11 8 19/21 7/4 13/4 1/1 6/42 14/11 12 1 1 2/36 15 33/3 1 4 1354/771

1929 1 20/48 4 89/1 800/210 12/2 15/4 51/18 1 9 2/10 3/1 20/8 31/15 1 1/3 79 52/2 189/22 12 8 1550/508

1930 62 17 16 983 90 31 13 8 2 1 43 3 5 93 15 45 1582

1931 31 3 8 16 57 795 13 9 35 1 1 11 5 16 8 4 57 13 3 49 4 5 7 1330

1932 30 67 1 6 810 8 5 98 6 69 15 1 19 9 55 14 55 50 30 2 9 11 1562

Gesamt 1 415 71 71 35 4 1 16 19 337 6.840 275 61 395 60 232 2 1 154 5 16 5 100 182 34 9 43 8 129 276 483 71 267 35 82 18 12.046

Prozent 3,5 0,6 0,6 0,3 0,1 0,1 3 57 2 0,5 3 0,5 2 1,2 0,1 0,9 1,5 0,3 0,4 1 2 4 0.6 2 0,3 0,7 0.1

Bemerkenswert ist, wie Hegemann den Anspruch der Internationalität auslegt 43 . Sein Blick schweift weit. Unter den präsentierten Ländern ist die Gruppe derer, die nur einmal - durch ein Objekt oder eine Veranstaltung - in den Blick kommen 44 , groß. Andere aber werden nach ersten Bildern aufmerksamer betrachtet und häufiger gezeigt 45 . Zahlreiche der viel gezeigten Länder verdanken das ihrem Reichtum an historischen Bauten 42

Die Jahrgänge 1924 und 1925 verzeichnen keine Abbildungszahlen. Die Summe der gezählten Bilder beträgt nur 10.756; 89,3 Prozent der vom Verlag angegebenen Abbildungen; die Anteile wurden auf die offizielle Gesamtzahl der Bilder bezogen. 43 Diese wird zwar bei Nungesser, Skizze ..., S. 169 registriert, kann aber in der Verwischung von Jahren und Themen nicht treffen. 44 Bulgarien mit 29 Abb., Canada 28, Chile 31, China 26, Indien 28, Island 31, Luxemburg 30, Persien 31, Portugal 30; häufig infolge äußeren Anlasses: Rasmussens Chinareise, Hegemanns nach Südamerika. 45 Polen, Rußland, Spanien, Tschechslowakei, Türkei, Ungarn; folgt beispielsweise den Arbeiten bekannter Architekten im Ausland: Jansens und Holzmeisters für Angora.

689

7.5.2 Nationen

wie Frankreich, England, Griechenland, Italien, die häufig herangezogen werden. Die meist gezeigten Länder sind die Hegemanns ästhetischer Vorlieben und persönlicher Erfahrung: die USA, die in Göteborg entdeckten skandinavischen Staaten und Prankreich. Zuerst zeigt die Übersicht die hervorstechende Stellung deutschen Baugeschehens. Über die Hälfte aller gezeigten Objekte stammen aus Deutschland, davon wieder, trotz außerordentlicher Streuung der Städte von bis zu 70 verschiedenen im Jahr, eine große Zahl aus Berlin. Die weiteren Gebiete des Interesses fallen dagegen immens ab. Einer Herkunft der Bilder aus Deutschland von 57 % stehen die 4 % aus der Schweiz und 3,5 % aus den USA geradezu als Marginalien gegenüber. Die Systematik des Inhaltsverzeichnisses, das die Objekte nach Staaten aufführt und bisher bei keiner anderen Fachzeitschrift zu finden war, belegt jedoch, daß der ergänzende kontinuierliche Blick ins Ausland ein auszeichnendes Charakteristikum der beiden Zeitschriften ist. Tabelle 4 Länderrangfolge 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Land Deutschld. Schweiz Amerika FVankr. Dänemark Schweden England Tschech. Holland Österr. Italien Rußld.

1926 1104 98 55 43 39 5 15 28 40 60 61 66

1927 845 88 69 20 106 64 121 19 96 8 18 4

1928 1293 15 100 40 23 38 104 36 17 25 48 1

1929 1010 211 68 69 90 54 14 12 9 46 12 79

1930 983 3 62 90 16 43 93

8 1

1931 795 13 31 35 57 57 13 49 1 16 4

1932 810 55 30 98 6 14 8 30 69 19 15 55

Gesamt 6.840 483 415 395 337 276 275 267 232 182 154 129

Differenz 6357 68 20 58 61 1 7 35 50 28 25

Während man die Präsentation Amerikas an zweiter Stelle erwarten durfte, zeigt sich aber als zweithäufigst gezeigtes Land die Schweiz. Die folgenden Unterschiede sind hingegen stetig und belegen die Anregung durch Reisen des Herausgebers. Das Urteil Hermann Henselmanns, daß Hegemann uns in seiner Zeitschrift tekten nahebrachte46,

die nordischen

Archi-

das auf die neue Vermittlung der skandinavischen Architektur

abhob, kann damit bestätigt werden. Dänemark, Schweden und Norwegen waren mit zusammen 713 Abbildungen oder 5,9 % bedeutend stärker repräsentiert als die führenden Einzelländer. Das Erscheinen Rußlands an 12. Stelle stellt eine weitere Neuerung dar, kann allerdings das Urteil über die Ignoranz der deutschen Architekturzeitschriften gegenüber architektonischen Entwicklungen in der UDSSR nicht aufheben, allenfalls einschränken. Gleichzeitig durfte man eine überwiegende Präsentation von konservativen und traditionalistischen Architekten erwarten. Auch hier macht Hegemann einen Strich durch die Rechnung. Seine Präsentation zeigt eine große Bandbreite von Traditionalisten bis Moderne. Während die Besprechung 4 6 Hermann Henselmann, Drei Reisen nach Berlin. Der Lebenslauf und Lebenswandel eines deutschen Architekten im letzten Jahrhundert des zweiten Jahrtausends, Berlin (Ost) 1981, S. 106. Die Kopenhagen-Ausstellung wanderte offenbar nach Stuttgart und strahlte auf weitere Zeitschriften aus; Käppiinger, Konservative Moderne ..., S. 240. Das Interesse für Skandinavien war auch schon bei K.E. Osthaus vorgegeben; Röder, Propaganda ..., S. 12.

690

7.5.2

Architekten

Schmitthenners, für den Hegemann regelrecht Propaganda macht, quantitativ heraussticht, ignoriert er aber andere durchaus oder stellt sie am Rande dar. Dazu gehören vor allem die inzwischen vernachlässigten Großbüros wie Pfeifer und Großmann oder Zerbe und Harder, die ihre Präsenz auch den von Hegemann eingeleiteten Werkmonographien verdanken. Die Modernen fehlen jedoch nicht. Hegemann treibt seine konservative Option nicht so weit, sie seinem Publikum zu unterschlagen; jedoch bleiben sie - wie Gropius, Hilberseimer, May, Mies - gemäß seiner ästhetischen Wahl unterrepräsentiert. Ansteigende Zahlen für Mendelsohn und die Brüder Luckhardt verweisen jedoch auf die allmähliche Öffnung der konservativen Option nach den ersten Jahren, die sich allerdings weniger in den Zahlen als dem Wandel der Kommentare abzeichnet. Tabelle 5 Deutsche Architekten (Projekte-Abbildungen) Architekten 1 Abel 2 Behrens 3 Berg 4 Bestelmeyer 5 Blendermann 6 Bonatz 7 Dernburg 8 Distel 9 Docker 10 Elsässer 11 Fahrenkamp 12 Gerson 13 Gropius 14 Hertlein 15 Hilberseimer 16 Höger 17 Karow 18 Klein 19 Kohtz 20 Kreis 21 Luckhardt 22 March W . 23 May 24 Mebes 25 Mendelsohn 26 Merrill 27 Mies 28 Pfeifer/G. 29 Pietrusky 30 Poelzig 31 Rading 32 Rings 33 Riphahn 34 Rosiger 35 Schmitth. 36 Schmohl 37 Schultze-N. 38 Schumacher 39 Seesselberg 40 Stoffregen 41 Straumer 42 Taut B. 43 Taut M. 44 Tessenow 45 Wolf G. 46 Wolf P. 47 Zerbe/Harder 48 Zucker

1924 1 1 1 1 1 1 Η 5 1 2 1 1 2 2

1925 1 5 3 2 2 14 3 1 2 6 2 4 1 1 1 12 4 7 2 2 1 2 2 7 2 7 -

1926 1-16 1-10 2-2 2-4 1-2 2-5 1-7 1-11 13-54 3-28 1-5 9-27 2-22 2-3 1-1 1-2 2-8 40 1-2 1-5 1-1 3-6 1-31 1

1927 2-2 1-4 2-10 1-2 1-4 1-2 1-2 1-4 2-4 1-8 1-1 1-7 1-6 31 1-2 1-2 7-25 1-2 1-4 4-12 1-3 3-11 1-1 1-5 3-16 1-1 1-10 2-19 5-30 4-4 2-3 2-2 2-10 2-4 15-37 5-15

1928 8-52 4-5 3-12 9-93 3-3 1-3 2-5 5-17 2-5 3-10 2-3 1-1 7-68 1-1 3-6 1-10 1-1 3-14 2-16 1-1 1-1 1-1 5-23 3-18 2-13 9-46 1-1 4-36 3-10 1-1 7-11 2-3 5-38 2-7 1-1 -

1929 1-1 1-1 1-1 3-38 2-6 1-6 1-4 5-23 6-11 1-15 2-18 2-84 3-18 1-5 2-8 6-19 2-11 12-13 1-9 1-3 5-72 1-1 4-27 1-2 1-4 1-1 2-11 1-1

-

1930 3-25 1-5 2-13 5-21 1-4 3-19 3-17 1-4 1-4 4-35 1-3 2-13 2-14 1-2 2-10 2-25 6-40 1-2 5-33 3-19 2-5 1-5 1-11 4-15 5-9 1-2 1-1 5-29 -

1931 1-8 5-23 3-14 1-1 1-8 2-15 2-8 1-8 1-1 1-1

_

2-7 5-15 1-3 1-8 1-13 3-73 3-22 3-20 2-36 -

_ -

1932 1-6 1-1 3-3 1-21 2-49 2-22 1-17 3-23 5-59 2-9 1-1 -

-

2-19 1-17 1-1 1-1 3-40 -

_

1-7

Obj. 16 14 6 13 7 20 8 11 2 3 25 16 12 13 1 8 9 30 5 14 8 4 12 13 25 15 9 11 10 38 3 9 15 1 19 3 7 20 7 3 19 15 11 16 4 24 8 9

Abb. 116 21 12 69 31 112 24 53 6 25 79 53 21 108 1 28 10 282 24 52 42 21 35 105 94 43 19 77 33 128 11 15 40 1 204 11 56 117 4 4 36 28 83 45 18 68 31 22

Diese breite Streuung zeigt Hegemann ein großes Feld abschreitend, das sich vom gemäßigten Klassizismus bis zur gemäßigten Moderne erstreckt und vielleicht mit dem Begriff einer Stillen Moderne bezeichnet werden sollte. Das Programm gibt sich erst daran zu erkennen, daß etwa ein Mitglied des Schweizer Werkbundes sich 1982 daran erinnerte, in den Zwanzigern „aus Opposition" Hegemann und die W M B gelesen und 691

7.5.2 Spannweite

hoch geschätzt zu haben 47 . Die Zeitschrift bildete ganz offensichtlich einen Kontrapunkt zur Mehrheit. Und Hegemann füllte mit ihr ein Bild von Alltagsarchitektur, das sich auch in der Interpretation zu besprechender Bauaufgaben bemerkbar machte, die vom Wohnungs- bis zum Fabrikbau reichen. Erst die Rangfolge gezeigter Architekten läßt ein solches Mittelfeld konturierter erkennen. Hegemann fügt sich nicht in die erwartete Rolle und propagiert noch vor dem erwarteten Schmitthenner Alexander Klein wegen dessen Grundrißstudien 48 , einem pragmatischen Beitrag zum Alltagsgeschäft. Schon die nächsten Positionen der Rangfolge wirbeln das Bild weiter um 49 . Mit seiner Spannweite von Mendelsohn über Poelzig und Schumacher bis zu Bonatz und Hertlein beweist Hegemann, daß seine klassizistische Option eine programmatische ist, befeuert vom außertheoretischen rationalen Widerspruch, aber er ganz pragmatisch „immer wieder für eine Überraschung gut" ist, betrachtet man die Gesamtauswahl. Tabelle 6 Architektenrangfolge Architekten 1 Klein 2 Schmitth. 3 Poelzig 4 Schumacher 5 Abel 6 Bonatz 7 Hertlein θ Mebes 9 Mendelsohn 10 T a u t M . 11 F a h r e n k a m p 12 P f e i f e r / G . 13 B e s t e l m e y e r 14 W o l f P . 15 S c h u l t z e - N .

1924

1 Η 2 -

1925 2 2 12 2 1 2

1 14 2 2

-

1926 13-54 40 2-3 1-2 1-16 2-4

1-11

1-5 2-5 2-22 2-2 -

1927 31 3-11 5-30 1-2 1-8 1-2 1-4 2-4 1-2 1-3 1-4 15-37 2-19

1928 7-68 9-46 5-23 3-10 8-52 9-93 3-10 3-14 2-16 2-5 3-12 1-1 4-36

1929 2-84 5-72 12-13 4-27 1-1 2-6 1-15 6-19 1-1 2-11 3-38 1-1 1-1

1930 2-13 1-5 2-5

1-11

3-25 1-4 4-35 2-25 6-40 1-2 1-4 5-33 2-13 5-29 -

1931 2-15 3-22 3-73 3-20 1-8 2-7 2-36 3-14 1-8 -

1932 1-17 2-19 1-17 1-6 3-3 2-22 5-59 2-9 3-40 2-49 -

Obj. 30 19 38 20 16 20 13 13 25 11 25 11 13 24 7

Abb. 282 204 128 117 116 112 108 105 94 83 79 77 69 68 56

Mit dieser, seiner eigenwilligen Auswahl wird er zu dem nicht unbedeutenden Kritiker, als der er in Erinnerungen aufscheint. Obwohl es eben den im folgenden festzustellenden Wandel aus der Erinnerung heraus nicht berücksichtigt, vermag sich damit schließlich das differenzierte Urteil Julius Poseners zu füllen, der 1989 bemerkte, daß ihm Wasmuth des dort - und gerade von Hegemann - gepflegten Klassizismus wegen nicht ganz lieb war, obwohl er die Zeitschrift bewundert habe 50 . Doch sei Hegemann in den zwanziger Jahren etwas wie eine Graue Eminenz gewesen, wobei die konservative Tendenz von „Wasmuths Monatsheften" ihn der modernen Bewegung gegenüber in einer gewissen Distanz gehalten [habe], welche, irre ich nicht, von beiden Seiten beobachtet wurde, von W.H. und von den führenden Architekten der Neuen Bewegung. Auch die zu zeigende Öffnung zur Moderne in den kommenden Jahren war ja keine vorbehaltlose und hielt an einer Distanz als Resultat des rationalistischen Widerspruchs durchaus noch immer fest. 47 Felix Schwarz: Die Zwanziger Jahre des Deutschen Werkbunds (Werkbund-Archiv 10). Gießen 1982, S. 254. 48 Die Präsentation Kleins als Wohnungstheoretiker einerseits und Architekt klassizistischer Villen (Bild 135) andererseits ein typischer Widerspruch gegen dogmatische Klassifikation. 49 Fortzusetzen mit 16. Distel/Brüder Gerson (je 53), 17. Kreis (52), 18. Tessenow (45), 19. Merrill (42), 20. Brüder Luckhardt & Anker (42). 50 Schreiben von Julius Posener, Berlin, 6. März 1989.

692

7.5.2 Erosion

Anhand der Präsentation ausländischer Architekten wird die Erosion der klassizistischen Option noch klarer erkennbar, wenn McKim nach kurzer Zeit aus dem Blatt verschwindet und die Präsentation von Modernen wie Asplund, Dudok, Hannes Meyer, Oud, Wright zunehmendes Gewicht erlangt. Auch hier ist die Spannbreite außerordentlich, in der Hegemann sich nicht auf eine Option festlegt, sondern nach eigener Anschauung und Gutdünken außerhalb der Stilschulen seine vorzuzeigenden Beispiele findet. Tabelle 7 Ausländische Architekten Architekten 1 Adshead/R. 2 Asplund 3 Bentsen 4 Berlage 5 Bernoulli 6 Cermak 7 Corbusier 8 Dudok 9 E a s t o n u.a. 10 F i s k e r 11 F u c h s 12 G a r n i e r 13 G i l b e r t 14 G r i f f i n i u . a . 15 G r i n b e r g 16 H a e f e l i 17 H e n a u e r / W . 18 H i p p e n m e i e r 19 H o f f m a n n J . 20 H o l s ö e 21 H o l z m e i s t e r 22 I l j i n 23 K a m p m a n n 24 d e K l e r k 25 K o z ä k 26 K r o p h o l l e r 27 L i b r a 29 Lissitzky 28 Loos 29 L u r c a t 30 L u t y e n s 31 M c K i m u . a . 32 M a l e w i t s c h 33 Mallet-Stevens 34 M a r k e l i u s 35 Meili 3 6 M e y e r H. 37 Nolen 38 Ö s t b e r g 39 O u d 40 P a y r e t - D o r t a i l 41 P e r r e t A . / G . 42 P e r u z z i 43 Piacentini 44 R a s m u s s e n S . E . 45 S a m m e r 46 Soissons 47 S t e i n / W r i g h t 48 T e n g b o m 49 T h o m s e n u.a. 50 U n w i n 51 W a g n e r O . 52 W a r r e n u.a. 53 W e i n w u r m u.a. 54 W r i g h t 55 Z e t t e r s t r ö m

1924 1 2 1 5 1 -

1925 1 3 2 1 2 1 -

1926 -

2 1 -

1 1 7 1 6 2 -

3-13 1-6

3 12 4 1 3 1 -

1-1 1-6 1-5 1-4 2-1 1 3-3 -

2 2 3 -

2-8 4-4 11 3-48 1-1 1-3 -

4-6 1-2 1-2 1-1 2-19 -

1927 3-20 1-2 5-11 1-1 2-3 -

1928 1-2 -

1-3 1-3 1-2 1-2 1-20 1-1 1-6 1-1 4-5 5-6 1-1 1-5 7-7 6-46 1-5 2-13 2-2 3-7 2-7 1-16 2-3 1-2

1-1

3-15 1-18 1-1 1-1 -

3-4 2-12 1-2 1-14 3-3 1-1 9-15 1-1

1929 4-32 1-8 1-8 2-3 1-6 4-29 2-2 1-6 1-18 1-2 4-20 1-24 1-11 1-1 2-7 1-3 1-4 1-1 3-13 1-1 1-1 3-8 3-38 6-12 -

1930 1-32 -

1931 1-1 1-11 2-11 -

1932 2-26 3-25 1-17 2-11 -

-

-

1-14 -

2-15 1-4 1-14 -

1-10 1-1 1-2 2-13 1-24 1-3 -

3-6 5-18 1-6 1-1 1-3 -

1-9 1-2 1-9 1-7 2-27 2-6 5-16 2-17 -

6-6 1-7 1-1 1-5 3-27 1-7 4-15 1-2 1-17 4-14 -

Obj. 1 7 6 8 4 5 18 9 4 10 4 5 3 3 2 1 3 4 4 7 5 6 3 9 2 4 4 1 9 2 5 9 5 5 4 4 5 7 5 9 3 22 3 1 8 1 9 1 4 11 3 4 4 18 11 2

Abb. 2 66 36 6 19 9 103 26 21 77 29 2 4 14 2 6 13 25 5 38 30 32 23 2 20 5 5 1 13 16 13 4 6 9 28 21 51 7 19 46 20 39 3 6 17 4 8 7 24 86 7 45 32 3

Wieder entspricht auch in der Rangfolge das Ergebnis nicht den Erwartungen. An der ersten Stelle, die Le Corbusier hier einnimmt, zeigt sich die Besonderheit der Arbeit Hegemanns: die Auseinandersetzung auch und gerade mit den kritisierten Architekten. Hinter den Skandinaviern, Hannes Meyer vor dem hochgeschätzten Oud und dem tschechischen Architekten Fritz Weinwurm bleibt der propagierte Auguste Perret zurück, 693

7.5.2 Öffnung während das Mittelfeld von den Gemäßigten, aber auch von Modernen gestellt wird51. Diese Stellung, die nicht nur seinen Wünschen entsprach, sondern auch Einfluß und Macht in seine Hände legte und seinem nicht geringen Ehrgeiz schmeichelte, wie Werner Weisbach sich an die Anfänge erinnerte, weil er nicht nur die Bestimmung darüber, was für Aufsätze veröffentlicht wurden, hatte, sondern auch selbst ausgiebig schrieb52, hat Hegemann weidlich genutzt. Er hat die Zeitschrift äußerlich gestaltet und mit seiner Auswahl der gezeigten Architekten seine Vorlieben kundgetan. Mehr noch als in der anfangs unnachgiebig verfolgten literarischen Auslegung der Artikel hat er bei der bildlichen Darstellung sich aber eben nicht eingekapselt, sondern mit einem kontinuierlichen Blick auf Architektur im Ausland und auf kritikfähige konservative bis moderne Architektur ausgestaltet. Tabelle 8 Rangfolge ausländischer Architekten Architekten 1 Corbusier 2 T h o m s e n u.a. 3 Fisker 4 Asplund 5 M e y e r H. 6 Oud 7 W e i n w u r m u.a. 8 Perret A./G. 9 Holsöe 10 B e n t s e n 11 I l j i n 12 H o l z m e i s t e r

1924 1 2 -

1925 2 1 1 1 3

1926 3-48 2-1

1927 5-11 2-3 2-3

1928 1-18

2-19 -

1-5 6-46

12 -

1-1 2-8 4-6

2-13 1-3 3-20 1-2 1-2

9-15 -

1929 3-38 4-29 4-32 1-3 3-13 4-20 1-8 1-24

1930 5-18 2-27 1-6 1-32 5-16 1-9 1-14

1931 1-17 1-11 1-1 4-14 2-15 1-4

1932 2-26 1-24 1-3 1-10

Obj. 18 11 10 7 5 9 18 22 7 6 6 5

Abb. 103 86 77 66 51 46 45 39 38 36 32 30

Erst Vergleiche mit anderen Zeitschriften können das Gewicht und Format der WMB wie die Eigenart von Hegemanns Kritikertätigkeit bestätigen. Für eine solche Ubersicht wurden drei Jahrgänge nach 1925 ausgewählt, da die meisten Architekturzeitschriften erst nach Ablauf dieser Zeit den vollen Umfang wiedergewonnen haben. Die Auswahl folgte neben technischen Gründen 53 der Repräsentanz verschiedener Richtungen: „Moderne Bauformen", ein weitgehend kunst- und bildorientertes Medium aus Stuttgart; das Verbandsorgan des BDA „Baugilde", Berlin, brachte Architektenarbeiten wie technische Erörterungen und Standesfragen gleichermaßen; der „Baumeister" Hermann Jansens, ebenfalls bildorientiert, erschien in München, aber mit regelmäßigen Literaturberichten; die „Bauwelt", Berlin, wandelte sich in der Zeit vom eher technischen zum Kunstblatt; alle neigen eher zur Moderne. Nur eine der genannten Zeitschriften, die „Baugilde" erreicht überhaupt eine den WMB vergleichbare Berichtsdichte. Selbst im behelfsmäßigen Vergleich erweisen sich „Wasmuths Monatshefte" als umfangreichste und offenste Präsentation der Arbeiten zeitgenössischer Architekten. Die relative Vielfalt der „Baugilde" wird durch ihren Charakter als repräsentatives Verbandsorgan begünstigt. 51 Fortzusetzen mit 13. Markelius, 14. Dudok, 15. Hippenmeier, 16. Tengbom, 17. Kampmann wie Kozäk, 18. Easton, 19. Payret-Dortail. 52 Weisbach, Geist ..., S. 231. 53 Das umfangreiche, als Register zu nutzende Inhaltsverzeichnis der WMB beweist sich damit als weitere Besonderheit. Keine der ausgewählten Zeitschriften erlaubte eine quantitative Erfassung nach Objekten und Abbildungen; die meisten verfügen nur über ein Namensregister, das den Umfang der Präsentation nicht angibt.

694

7.5.2 Vergleiche

Überaus deutlich zeigen jedoch Auflistung und Vergleich, daß eine Trennung oder gar ein Antagonismus zwischen den Stilrichtungen von den Zeitschriften nicht praktiziert wird. Der Blick ist wesentlich offener, als es die Axiome der Architekturgeschichte tradieren. Moderne und Traditionelle werden gleichzeitig und abwechselnd präsentiert; alles ist von Interesse 54 . Die „Monatshefte" nehmen also eine durchaus typische, aber besonders ausgeformte und individuell ausgeprägte Haltung ein. Tabelle 9 Zeitschriften im Vergleich: Deutsche Architekten Architekten Jahrgang J a h r 19.. 1 Abel 2 Behrens 3 Berg 4 Bestelmeyer 5 Blendermann 6 Bonatz 7 Dernburg 8 Distel 9 Docker 10 E l s ä s s e r 11 P a h r e n k a m p 12 G e r s o n 13 G r o p i u s 14 H e r t l e i n 15 H i l b e r s e i m e r 16 H ö g e r 17 K a r o w 18 K l e i n 19 K o h t z 20 K r e i s 21 L u c k h a r d t 22 M a r c h W . 23 M a y 24 M e b e s 25 M e n d e l s o h n 26 Merrill 27 Mies 28 P f e i f e r / G . 29 P i e t r u s k y 30 Poelzig 31 R a d i n g 32 R i n g s 33 R i p h a h n 34 Rosiger 35 S c h m i t t h . 36 S c h m o h l 37 Schultze-N. 38 S c h u m a c h e r 39 Seesselberg 40 Stoffregen 41 S t r a u m e r 42 T a u t B . 43 T a u t M . 44 T e s s e n o w 45 Wolf G . 46 Wolf P. 47 Zerbe/Harder 48 Zucker

10 •26 1-16 1-10 2-2 2-4 1-2 — 2-5 1-7 1-11

WM Baukunst 17 13 '29 '32 1-1 1-6 1-1

25 '26

Μ Bauformen 28 31 8 '29 '32 '26

-

-

χ

1-1 -

2-6

3-3

χ

χ

-

χ

1-6 1-4 5-23 6-11 1-15

1-21 2-49 -

χ -

χ X χ X X -

X -

X

X

2-22



-

-

χ X

1-1 3-38

-

Baugilde 11 14 24 '29 •32 '26

-

X

X -

X X χ

X

X X X χ X

1

1

-

X

-

-

X X χ X

χ χ X χ χ

-

1-17

-

-

-

-

X

χ

3-28 1-5 -

3-18 1-5 -

3-23 5-59 2-9 -

X -

X -

-

X X χ -

X X X

X χ X X χ X

9 7 11 -

_

-

-

-

_

-

2

5 -

-

χ X χ -

-

-

X

X

1

-

-

-

1 X X 3 χ

X X -

2-11 12 3 1-9

1-1 -

-

X X -

X -

X X -

1-3

-

-

X

-

-

-

2-19

-

X

-

X χ

-

5-72

X X X

1 1

40

X X X

1-2

1-1 4-27

1-17

X

χ

-

-

χ

χ

1-5 1-1 -

1-2 1-4 1-1

1-1 1-1 3-40

-

-

3-6 -

2-11 1-1

-

χ χ χ -

1 1 -

1

X

1-31 1

-

1-7

-

-

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-

X -

χ

χ

-

X -

X X X X X

9-27 2-22 2-3 1-1 1-2 2-8

-

X 4 -

-

2-84

-

X -

1 2 1 -

2-18

2-8 -

-

19

-

6-19 -

X

-

13-54

-

Bauwelt 20 23 '29 *32



-

X X X X X X X X

Baumeister 27 30 17 '29 '32 '26 1

χ

-

-

X -

-

X X

-

-

-

X

X X X X -

X

X

-

-

X

X -

χ χ

Bei den Architekten des Auslands zeigt dieser Vergleich noch eindrucksvoller die Stärke der WMB, die nicht nur eine an Personen, sondern auch an Material unvergleichbar umfangreiche Präsentation auswärtiger Architekten anbietet. Zwar gelten die Einsichten über eine fehlende Trennung und Gleichzeitigkeit der Stilpräsentationen wie über allmählichen Zuwachs an Modernen auch für das Gebiet der Auslandsumschau. Die Differenzierung setzt bei den weiteren Zeitschriften allerdings später ein. Sie wurde durch 54 Für „Baumeister" und „Bauformen" läßt sich eine Zunahme der Darstellung der Modernisten erkennen, besonders bei ersterer als iterativer Prozeß des Geschmackswandels.

695

7.5.2 Berichtsdichte

nachhaltige Beschäftigung mit Problemen der Bauwirtschaft und das Zurückhaltung auferlegende Selbstbild nach 1918 verzögert. Wo die W M B von ihrem weitgereisten Herausgeber profitierten, insbesondere den von ihm in Göteborg nach Skandinavien geknüpften Verbindungen, änderte sich der Blick zur differenzierten Wahrnehmung des Auslands bei anderen erst durch besondere Projekte wie etwa Gunnar Asplunds Ausstellungsbauten in Stockholm 1930. Tabelle 10 Zeitschriften im Vergleich: Ausländische Architekten Architekten Jahrgang Jahr 19.. 1 Adshead/R. 2 Asplund 3 Bentsen 4 Berlage 5 Bernoulli 6 Cermak 7 Corbusier 8 Dudok 9 Easton u.a. 10 Fisker 11 Fuchs 12 Garnier 13 Gilbert 14 Griffini u.a. 15 Grinberg 16 Haefeli 17 Henauer/W. 18 Hippenmeier 19 Hoffmann J. 20 Holsöe 21 Holzmeister 22 Iljin 23 Kampmann 24 de Klerk 25 Kozäk 26 Kropholler 27 Libra 29 Lissitzky 28 Loos 29 Lur r τ J . v ,-^Λ,ΙΪ U 1 A — CENTS Α COPVQ.\L· ΡΟΟ-λΚ-ΑΏ r

15 Wolkenkratzerstadt, 1913 wie 1924

16 "New Boston" 1911. Titlepage

1053

10.1

Bildteil

SAMPLES OF EXHIBITS

AT

BOSTON-1915

EXPOSITION

17 Advertisement, Boston Daily Globe Nov. 1, 1909

18 Ί 9 1 5 ' Clock: " T h e idea embodied in moving disks"

1054

10.1 Boston 1909: Ausstellungsstücke

— Chicago-Plan:

Reßektionen

19 Jules Guerin, Forum des Chicago-Plan

20 Blick vom Forum auf den Yachthafen

1055

10.1 Bildteil

21 Lagunen des Wasserparks in Chicago

22 Verkehrsstaffelung am Flußufer

1056

10.1 Chicago-Plan: Motive — Parkbilder

23 Perspektive im Prospekt-Park Brooklyn, F.L. Olmsted Sr.

24 Tennisspieler im Franklin-Park Boston. F.L. Olmsted Sr.

25 Badestrand Revere in Boston

26 Planschwiese in Chicago

1057

10.1

Bildteil

p| • |;

28 Wien auf der Berliner Städtebauausstellung 1910 (mit Modell der Wiener Stadterweiterung)

29 Transport und Verkehr (mit Modell der Pennsylvania Railroad)

1058

10.1 Berlin 1910: Ausstellungsräume



Ausstellungsstücke

30 Aus der Wohnungsenquete der Ortskrankenkasse von 1906

mMkjiMifhi,

BentofeiHtat.

OefarwjiäA« ää (ioAkiu • BoAba« ;Zafeo>i»*!i

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i ' R e i i S '

327 43S 2t m iip V m i\r,

31 Kuczynski/Lehweß, "Das neue System" (Gemischte Bauweise)

1059

10.1 Bildteil

32 Drei Bauepochen in Schöneberg: Landhaus, Reihenhaus, Mietskaserne

33 Otto March, Erschließung mit Aufhebung der Baufluchtlinien

34 Paul Mebes, Erschließung mit Wohnstraße

35 Reinhold Kiehl/Bauinspektor Redlich, Rationelle Aufteilung

36 Wohnverhältnisse europäischer Großstädte

1060

10.1 Bauepochen

37 Eberstadts gemischte Bauweise

— Baugenossenschaft

"Ideal"

38 Bebauungsentwurf der "Ideal"

fEinfamilien* : ffiäusec : für die lülosse öec Grofjsfadt-ßeoölliecung

im QClimßpnsr Dprsuib Dir :: eauflenösscnstbaff „36eal", M W · 39 Titel der Werbebroschüre 1911

40 Blick in den Muthesiushof. Britz

1061

10.1 Bildteil

41 Kollwitz, Vorstudie, 1912

42 Kollwitz, Entwurfsvariante

öffenilidhe Versammlung am SONNTAG denlQflÄßZ 12 Uhr in der Brauerei FR I EDUICHSHAIN m s ERWARTEN W I R VOM ZWECKVERRAND ? : muMX: - te • «• >'i|ifp> BERNHARD DERNBURG FRIEDRICH NAUMANN 7ÖLBEKT SÜDEKUM H.P.R, hlflfid Ssg^^^ZS^L^""^ XX> G r t m B e i i n r r w - r « in W o t a u n c m . i n denen Zhmmer mit Α u n d mehr f¥r%onen t v w t d i s t .

43 Kollwitz, Plakat " F ü r Groß Berlin"

1062

10.1 Plakat

des Propaganda-Ausschusses



Spielplätze

44 Hegemann, Der 'verbotene' Spielplatz im Humboldthain

45 Hegemann, Die 'öffentliche' Spielwiese im Treptower Park

1063

10.1

Bildteil

46 Hegemann, Vorlage und Montage "Groß Berlin", 1912

47 Portrait Hegemann, The People's Institute 1912, Titlepage

DR. WERNER HEGCMANN 48 Portrait Hegemann, "New York Times", 1913, Detail

1064

49 Portrait Hegemann, "Cleveland Piain Dealer", 1913

10.1 Porträts

52 "Distant views set down as desirable by the elder Olmsted"

— Oakland and Berkeley:

Stadtentwicklung

53 "This is not the entrance to the castle of the Sleeping Beauty, but just the gateway of an East Bay garden"

1065

10.1 Bildteil

54 Hegemann, Island Park for Rees Harbor Plan, 1915

55 Hegemann, Projected Island Park, 1914

56 Oakland, Proposed Harbor and Industrial District, 1917

1066

10.1 Oakland and Berkeley: Hafenpläne

— Berkeley

Civic

Center

KEY R STAIRS TO ΠΑΙΝ ENTRANCE 0Γ LIBRARY. Ι-HßHEST LEVEL: OPEN AIP READING ROOM CONNECTING WITH MAIN READING ROOM ON SECOND FLOOR, -SECOND LEVEL' BOSQUETS LEADING — TO SUNKEN GARDEN. .. ' J T • THIRD LEVEL: SUNKEN GARDEN. / . :-FOURTH LEVEL: PLAZA IN FBONT OF CITT MALL. &ίϊ>ίίέ sr

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STATION; /βΜΚΓΙΝβί

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HALL

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Highlands: Anlage —

Wegführung

elsäss

^öjt-'.lBlijl

•THCye-RIH STOOKUK. MOUNT "VERNON 68 Peets, Mount Vernon Entrance. Washington Highlands, Titlepage

69 Cobblestone bridge carrying Mount Vernon Avenue over Lower Parkway

1071

10.1 Bildteil

70 Birdseye view of Washington Highlands by 1979

71 View across creek at Lower Parkway, 1989

1072

10.1 Washington Highlands heute — Wyomissing Park: Pläne

72 Nolen, General Plan for the Future City of Reading, 1909, Detail

73 Hegemann & Peets, Wyomissing Park, 1917

1073

10.1 Bildteil

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77 Hegemann & Peets, Holland Square (Drawing by Joseph Hudnut)

78 Group of houses built on Holland Square by 1922

79 Houses built in Wyomissing, n.d.

1076

10.1 Wyomissing Park: Bauten — Lake Forest: Entwürfe

80 Hegemann & Peets, Preliminary Studies for Lake Forest, n.d.

81 Hegemann L· Peets, Civic Center for Lake Forest, 1920

82 Hegemann & Peets, Sketch for Public Buildings on Civic Center Lake Forest

1077

10.1 Bildteil

83 Birdseye view of the proposed development of Lake Forest, n.d.

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MOSOMjt

84 Madison streetcar service area by 1920

1078

10.1 Lake Forest: Vorstadtlage — Garten Meinig

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85 Hegemann & Peets, Residence for E. Richard Meinig, 1917

86 House and Gardens Meinig, Wyomissing. General Plan

87 House and Gardens Meinig, View of Terraces

88 House and Gardens Meinig. Birdseye View

1079

10.1 Bildteil

89 Hegemann & Peets, General Plan for the Estate of Myron Τ. MacLaron

90 Entwurf für die Westtreppe und Ausführung 1926

91 Hegemann & Peets, Vogelschau des Gartens McLaren, Milwaukee

1080

10.1 Garten McLaren — American

93 McKim, Mead & White, New York Municipal Building, 1907-16

Vitruvius:

Beaux

Arts

94 McKim, Mead & White. 998 Fifth Avenue. 1910-14

1081

10.1 Bildteil

95 Peets, Sections Through Renaissance Plazas, n.d.

1082

10.1 American Vitruvius: Views and Vistas — Zentralbau

96 McKim, Mead & White, Boston Public Library, 1887-98, Court

97 Copley Square, Boston

[

98 Hegemann & Peets, Civic Center Group with Traffic Circle at Lower Level

99 Bertram G. Goodhue, San Diego Exposition, 1915

1083

10.1 Bildteil

100 Palazzo Rezzonico, Venedig, vermutlich Aufnahme Hegemanns

102 Hegemann, Planskizze des Palazzo Grassi

1084

101 Hegemann, Skizze des Grundrisses Palazzo Rezzonico

103 Hegemann, Fotografie vom Innenhof des Palazzo Grassi

10.1 Italien — Haus

Hegemann

104 Haus Hegemann, Ansicht von der Alemannenstraße

105 Haus Hegemann, Ansicht der Gartenseite, 1924

1085

10.1 Bildteil

106 Grundrisse

108 Treppenhaus

1086

107 Haus Hegemann, Speisezimmer, 1924

109 Haus Hegemann, Gartenplatz, 1926

10.1 Haus Hegemann: Binnenräume — Berlin

110 Zavitzianos, Illustrationen zur "Iphigenie"

111 Ida Belle Guthe, o.D.

112 Verlagssitz Wasmuth, Fassade von Heinrich de Fries, 1922/23

113 Porträtfoto Werner Hegemann. o.D.

1087

10.1 Bildteil

114 McKim, Mead & White, Herald Building in New York, 1890-95

115 Herald Square in New York, ca. 1900

1088

10.1 Amerikanische

Architektur:

Schein und Sein —

Aussichten

116 Cass Gilbert, Woolworth-Gebäude im Bau, 1911-13

JJ7Hugh Ferris, Die hängenden Gärten von New York

118 Harvey W. Corbett. Verkehr auf drei Geschossen

1089

10.1 Bildteil

119 Howells/Hood und Saarinen, "Chicago Tribüne"-Entwürfe 1922-24

120 Perret/Perret, Einfamilienhaus in der Rue Nansouty, Paris

121 Parker/Unwin, Häusergruppe Hampstead

122 Le Corbusier, "Turmstadt"

1090

10.1 Jahrgang

1924: Kontraste

123 Mendelsohn, Gerüst des Herpich-Hauses

125 De Klerk, Skizze eines Zweifamilienhauses

— Jahrgang

1925:

Gegenüberstellungen

124 Messel, Kaufhaus Wertheim Berlin, 1896 (beachte die Formatwahl)

126 Zerbe & Harder, Umbau der Kommunalbank Heide. Dithmarschen

1091

10.1

Bildteil

127 Hegemann/Lange, Potsdamer Platz-Phantasien

128 Rue Nansouty in Paris zur Exposition des Arts Decoratifs

129 McKim, Columbia Bibliothek, New York, und Ihne, Staatsbibliothek Berlin

1092

10.1 Jahrgang 1925: Vergleiche — Jahrgang 1926: Neuerungen

130 Kreis, Planetarium Gesolei, Längsschnitt

131 Kreis, Planetarium Gesolei, Halle

132 Van Eesteren, Wettbewerbsentwurf "Unter den Linden", Erster Preis

1093

10.1 Bildteil

133 Meyer, Siedlung Freidorf bei Basel

134 Mebes/Emmerich, Wohnhausgruppe Weserstraße Berlin

135 Klein, Reihenhausvillen Ballenstedter Straße Berlin

136 Prank, Siedlung Altmannsdorf-Hetzendorf

1094

10.1 Jahrgang

1926: Wohnungsbau

— Le Pessac

137 Le Corbusier, Siedlung Le Pessac bei Bordeaux, fünf von Hegemanns Fotografien seines Besuchs vom Juli 1926

1095

10.1

Bildteil

138 Schultze-Naumburg, Haus Rhodius Burgbrohl

140 Wils, Siedlung Daal en Berg

139 Ernst May, Eigenhaus Frankfurt am Main

141 Wolf, Studentenhaus Dresden

142 Putzschäden an Gehag-Bauten Bruno Tauts

1096

10.1 Jahrgang

143 Mendelsohn, Herpich-Haus Berlin. Erster Bauabschnitt

1927: "Tagesfragen"



Kontrapunkte

144 Hoetger. Paula ModersohnBecker-Haus Bremen

145 Langkeit. Wohnhausgruppe der Gagfah in Berlin

1097

10.1 Bildteil

146 Rading, Wohnhaus Weißenhof im Bau

147 Schmitthenner, Haus Roser Stuttgart

148 Bonatz/Scholer, Bahnhof Stuttgart, 1914-28, Schalterhalle

149 McKim, Mead & White, Pennsylvania Railroad New York, 1902-11, Schalterhalle

1098

10.1 Jahrgang

150 Abel, Messehallen Köln, Rohbauteil

1928: Oppositionen



Fassaden

151 Abel, Messehallen Köln, Hauptfassade

152 Hegemann, Entwurf für den Gendarmenmarkt Berlin, Zeichnung von Georg Münter

1099

10.1 Bildteil

153 Gropius, Siedlungshaus DessauTörten

154 Bruno Taut, Siedlungshäuser Berlin-Eichkamp

155 Mendelsohn, Kaufhaus Petersdorf Breslau und Göderitz, Kohlenbunker Schlachtund Viehhof Magdeburg

1100

10.1 Jahrgang

156 Höger/Gerson, Sprinkenhof Hamburg, Innenhof

1929: Reduktion



Sachlichkeit

157 Thompson & Churchill. State Tower Syracuse

X

A ö b K D S C K M D l

ΠDMTA Μ Τ

158 Golossow, Wettbewerb Zentral-Postamt Charkow

1101

10.1

Bildteil

*»I

NEUERE ARBEITEN VON O. R . SALVISBERG I

1 '| i NEUE WARENHAUSBAUTEN DER | RUDOLPH 4 KARSTADT A.-G.

X

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159 Layout von Johannes Molzahn für Otto Salvisberg 1927

160 Reduziertes modernes Layout für Philipp Schäfer 1929

OTTO

KOHTZ

BBIJOER CERSON

161 Klassisches Layout für Brüder Gerson 1928

162 Erneut reduziertes Layout für Otto Kohtz 1930 Paul Zlmmerrvlmer

163 Klassisches Layout für Werner March 1930

1102

164 Weiter variiertes Layout für Paul Zimmereimer 1930

10.1 Neue Werkkunst:

Typographie

und Pluralismus — Jahrgang 1930: Modelle

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200 Meldebogen Werner Hegemann in München mit Nachtrag der Ausbürgerung

1113

10.1 Bildteil

201 Die Familie in Mornex mit Manfred, Idolene, Elinor, Eva Maria und Gästen

202 Ida Belle und Werner Hegemann mit Besucherin in Mornex, Sommer 1933

1114

10.1 Exil — Lehre 1935

203 Greyrock: Plan for a residential community. 1935

204 Greyrock: A cross-section

205 Greyrock: Model house at $ 5.688

1115

10.2 Kurzbiographien — A

10.2 Kurzbiographien Wilhelm Abegg (1876-1951). Studium Jus Ber- Lexikon der Baukunst". Publizierte 1931 „Neulin, Göttingen, Promotion 1903. Referendar, As- zeitliche Miethäuser und Siedlungen" und grünsessor im Staatsdienst, Tätigkeit für die Kauf- dete eine Zeitschrift für Theorie der Architekmannschaft von Berlin, Fortbildung in Volkswirt- tur: ., Architecture" (nur zwei Hefte erschienen bis schaft. 1907 im preußischen Staatsdienst in Op- April 1933). Emigration nach Palästina, wenige peln, Potsdam, Polizeipräsidium Berlin, wurde er praktische Arbeiten, eine Fabrik, zwei Einfamili1910 Regierungsrat und 1917 aus dem Kriegs- enhäuser, arbeitete er ab 1952 als Zeichenlehrer dienst zur Reorganisation der preußischen Poli- in einem Kibbuz. Mitglied des Werkbundes, der zei abkommandiert. Stellvertretender Leiter des FDAS, der Reichsforschungsstelle für WirtschaftLandespolizeiamtes, 1920 Ministerialrat im Preu- lichkeit in Bau- und Wohnungswesen. Dresslers ßischen Ministerium des Innern und zum Lei- Kunsthandbuch (1930); KLK 3 (1931) f.; Myra ter der Polizeiabteilung, 1926 zum Staatssekre- Warhaftig. tär ernannt. Mitglied der DDP und des Reichsbanners. Publikationen zu verwaltungstechnischen Johannes Altenrath (1881-?). Geboren in Siegund historischen Fragen; „Die Bedeutung Fried- burg, Studium Universität Bonn, Promotionen Jurichs des Großen und Napoleons für die heuti- ra und Volkswirtschaft. Direktor der Kriegsleder ge Zeit" 1926. Er bemühte sich um den Zusam- AG in Charlottenburg. Seit 1907 Herausgeber der menschluß der gegen die Nationalsozialisten ge- „Zeitschrift für Wohnungswesen"; im Vorstand der richteten Kräfte und wurde mit dem Preußen- Zentrale für Volkswohlfahrt, Mitglied des VfSP. schlag am 20. Juli 1932 entlassen. Emigirierte TLK 1 (1918). 1933 nach Zürich (ausgebürgert 1941) und praktizierte dort als Anwalt für internationales Recht Ernst Walter Andrae (1875-1956). Geboren in bis 1949; 1944 Gründungsmitglied der Bewegung Dresden als Sohn eines Oberbaurats, Gymnasi„Freies Deutschland", sein Büro war eine illegale um in Chemnitz und Grimma, Studium an der TH Dresden. 1899 nahm er unter R. Koldewey an Verbindungsstelle. Rhb; IBEE; NDB; DBE. den deutschen Ausgrabungen in Babylon teil, leiFranz Adickes (1846-1915). Studium Jura in tete 1903-14 die Ausgrabungen in Assur am TiHeidelberg, München, Göttingen. 1873 wurde er gris. 1914-19 Kriegsteilnehmer in Frankreich, Mezum Beigeordneten in Dortmund gewählt. Neu- sopotamien, Persien und Palästina. 1921 Kustos gestaltung des Armenwesens. 1877 Bürgermei- für auswärtige Unternehmungen der Staatlichen ster, 1883 Oberbürgermeister von Altona, Ausbau Museen in Berlin, wo ihm 1926 die Rückerwerder Hafenanlagen und Stadtplanung. 1890 zum bung der Funde seiner Ausgrabungen aus PortuOberbürgermeister (bis 1912) Frankfurts a.M. gal und dem Irak gelang. 1927 wurde er Direktor gewählt, widmete er sich der Sozialpolitik, Wirt- der Vorderasiatischen Sammlungen und bearbeiteschaftsforderung und Siedlungsplanung. 1902 wur- te die Funde, Lehrauftrag der TH Berlin. Publikade mit seinem Einfluß das Gesetz zur Umlegung tionen vor allem über den Ishtartempel und „Farvon Grundstücken und Erbbaurecht verabschie- bige Keramik". Seit 1914 verheiratet mit Emma det, das seinen Namen erhielt (Lex Adickes). NDB Andrae, drei Söhne und eine Tochter. Rhb; Degener 10 (1935); DBA. (Hermann Meinert). Leo Adler (1891-1962). Geboren in Kertsch, Rußland, übersetzte er später für die WMB auch Aufsätze russischer Autoren. Studium TH Charlottenburg, München, Promotion Dr. Ing. Dresden; Universitäten Berlin, München, Königsberg. 1924 baute er ein Mietshaus (für den Schwiegervater) in Tel Aviv, publizierte 1926 „Vom Wesen der Baukunst", Bd. 1, m.n.e. 1927-28 in der Redaktion „Wasmuths Lexikon der Baukunst", leitete er dann die Redaktion von „Wasmuths

Carol Aronovici (1881-1957). Geboren in Rumänien. Studium Paris, College Libre de Science Sociale 1889-99. Cornell University 1903-05 B.S., Brown University 1909-12 Ph.D. Director of Regional Planning Association, Philadelphia 1914: Dozent für Stadtplanung an verschiedenen Universitäten, auch Mitherausgeber des „American Institute of Architect's Journal": auch Mitglied der California Commission of Immigration and Housing 1920-21. Arbeitete als Planungsberater u.a. 1117

10.2 Kurzbiographien — Α Β

für St. Paul, Berkeley, Santa Anna, Richmond, und unterhielt ein gemeinsames Büro mit C.H. Cheney, auch Berater der Los Angeles Regional Planning Commission. JAIP 2 (1936); Scott.

Heinrich Bechtel (1889-1970). Studium Architektur, Ingenieurwissenschaft und Nationalökonomie ΤΗ Danzig, Dipl. Ing. 1913. Eisenbahndirektion Posen 1913-18, 1919 Regierungsbaumeister. Studium Universität Greifswald 1915-17, Martin Leo A r o n s (1860-1919). Geboren in BerDr. rer. pol. 1917, habilitierte er sich in Natiolin als Sohn eines Bankiers, Studium der Phynalökonomie 1921 und wurde Dozent in Bressik in Leipzig, Würzburg, Berlin und Straßburg. lau. 1927 a.o. Professor in Breslau, dann Gießen, 1884 Assistent in Straßburg, dort 1888 Privat1936 an der TH München mit dem Schwerpunkt dozent, seit 1890 in Berlin. 1892 baute er eine Wirtschaftsgeschichte (Hauptwerk in drei Bänden Quecksilberbogenlampe und die Aronsche Schwingungsröhre, arbeitete im weiteren vor allem über 1941-56), 1954 emeritiert. Zahlreiche Artikel in elektrische Wellen, Lichtbogen, Interferenzstreifen Zeitschriften und Sammelwerken über Wohnungsim Spektrum, leitende Flüssigkeiten. Als soziali- politik, historische Siedlungsplanung, Kunst- und stischer Politiker setzte er sich für Volksbildung Wirtschaftsgeschichte. Degener 9 (1928); KGK 11 und Bodenreform ein und wurde 1899 wegen sei- (1970). ner politischen Haltung über die eigens für ihn geschaffene preußische „Lex Arons" als Privatdozent Adolf Behne (1885-1948). Sohn des Architeksuspendiert. Verheiratet mit Johanna Bleichröder, ten Carl Behne, studierte er Architektur, später zwei Söhne. NDB (Friedrich Klemm). Kunstgeschichte in Berlin, 1911 promoviert, seit 1915 publizistische Arbeiten. Mitglied des DWB. Edward Murray Bassett (1863-1948). B.A. Am- 1918-21 war er Mitbegründer und Schriftleiter herst, LLB Columbia Law School 1886. An- des Arbeitsrats für Kunst in Berlin, arbeitete waltsbüro mit seinem Bruder George in Buffa- als Schriftsteller und Kunstkritiker. „Der moderlo NY. 1892 eigenes Büro in Brooklyn, 1902-42 ne Zweckbau" (1925) gilt als erste Analyse der mit Partnern, spezialisiert auf Vertrags-, Konkurs- architektonischen Entwicklung vom Anfang des und Immobilienrecht. Demokrat, beginnendes In- 20. Jahrhunderts. Dozent für Kunstgeschichte an teresse für kommunale Fragen, 1905 im Citizen's der Volkshochschule Berlin, dann auch an der Central Committee of Brooklyn, 1907-11 Mitglied Universität Berlin, wurde er 1933 entlassen, emider Public Service Commission. Durch Nahver- grierte nach London und war dort Redakteur der kehrsplanung kam er zur Stadtplanung: 1908 be- englischen Kunstzeitschrift „The Studio". 1945suchte er europäische Städte, 1909 die NCCP, pro- 48 hatte er eine Professur an der Hochschule der pagierte seit 1911 im Brooklyn City Plan Commit- Künste Berlin inne, wandte sich 1947 mit „Entartee Zoning. 1913 Vorsitz der Heights of Building tete Kunst" gegen deren Diffamierung durch die Commission und bereitete 1914 in der Commission Nationalsozialisten. Rhb; DBE. on Building Districts and Restrictions die Verordnung von 1916 vor, deren Ergebnis die setbacks wurden. In der Folge Fachschriftsteller und Pla- Walter Curt Behrendt (1884-1945). Geboren in nungsberater, Einfluß auf den Standard Enabling Metz, Architekturstudium TH Charlottenburg, Act, Berater des Regional Plan of New York and München, Dresden, promovierte dort 1911 über „Die einheitliche Blockfront als Raumelement im Its Environs. DAB sup. 4 (Stanley Buder). Stadtbau". Mitarbeiter der „Neudeutschen BauSylvester Baxter (1850-1927). Studien in Leipzig zeitung", Herausgeber der „Volkswohnung", fortund Berlin 1875-77, dort als Korrespondent tätig. gesetzt als „Neubau" 1919-1925. Seit 1912 StädteSeit 1879 Journalist beim „Boston Herald", gab baulicher Berater beim Pr. Ministerium für Öffenter auch ein finanzwirtschaftliches Magazin heraus. liche Arbeiten. In den Zwanziger Jahren verfaßPublizierte 1890 „Berlin - Α Study in Municipal te er mehrere Monographien zum Neuen Bauen. Government", 1891 eine Monographie über Grea- 1933 aus der Beratertätigkeit entlassen, emigrierter Boston. Er unterstützte Charles Eliots Ideen te er 1934 in die USA, war 1934-36 und wieder und war Sekretär der Metropolitan Improvement ab 1941 Dozent am Dartmouth College, Hanover Commission 1907-09. Seine Tätigkeit gilt als der NH; 1937 Technischer Direktor der Buffalo City leading factor in promoting development of Bo- Planning Association und Dozent der Universität Buffalo NY. TLK 2 (1920) f.; Posener. ston's municipal park system. WWWA vol. 1.

1118

10.2 Kurzbiographien

Robert Peabody Bellows (1877-1957). B.A. Harvard 1899. Massachusetts Institute of Technology 1901-03, Ecole des Beaux Arts, Paris bis 1907. Führte seit 1907 ein eigenes Architekturbüro in Boston und erhielt zahlreiche öffentliche und private Aufträge (1930 Radcliffe College). Berater bei der Restaurierung von Williamsburg VA. Präsident der Boston Society of Architects, des Boston Architectural Club, Trustee des Boston Museum of Fine Arts, Mitglied zahlreicher Gesellschaften. 1939 Leiter der New England Abteilung der Weltausstellung New York. W W W A vol. 3. Gottfried Benn (1886-1956). Sohn eines protestantischen Pfarrers, Studium Theologie und Philologie in Marburg und Berlin, ab 1905 der Medizin an der Kaiser-Wilhelm-Akademie für militärärztliches Bildungswesen. Nach der Promotion die Approbation als Arzt in Berlin; gleichzeitig erschien sein erster Gedichtband, dessen scharfer und kühler Lyrikstil mit seinen Sujets aus der Medizin Begeisterung wie auch Entrüstung auslöste und ihm Zugang zum Kreis expressionistischer Literaten verschaffte (Einstein, Zech, Waiden). 1917 eröffnete er eine Facharztpraxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin, die er bis 1935 hielt. 1932 wurde er Mitglied der Pr. Akademie der Künste, zeigte sich 1935 mit „Der neue Staat und die Intellektuellen" im Bann der NSDAP, entfernte sich jedoch von ihr und entging Verleumdungen durch seine Meldung zum Militärdienst; erhielt 1938 Berufsverbot. 1948 begann er mit seinem umfangreichen Spätwerk, das ihm zahlreiche Ehrungen für seinen „Fanatismus zur Transzendenz" eintrug, der von der Kunst die Rettung des Ich erwartete. DBE. Harry Bergholz (1908-?). Germanist mit Forschungsgebiet Vergleichende Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt Anglistik. Dr. phil., M.A. Publizierte 1933 „Die Neugestaltung des modernen englischen Theaters". 1936-39 Member Brooke Hall, Charterhouse in Goodalming (England), Ubersetzungen. Er wurde 1947 Lecturer am Lawrence College in Appleton in den Vereinigten Staaten, 1948 Instructor an der University of Michigan in Ann Arbor. 1952 Assistant Professor und 1958 Associate Professor der University of North Carolina in Chapel Hill, 1975 emeritiert. 1950-55 Mitherausgeber der Zeitschrift „Modern Language", Chief Bibliographer der Universitätsbibliothek in Chapel Hill NC. KGK.

— Β

Arnold Berney (1897-1944). Studium des Rechts und der Nationalökonomie in Frankfurt a.M., Heidelberg, 1920 zum Dr.jur. promoviert. Anschließend studierte er Geschichte in Heidelberg und Freiburg, mit dem Dr. phil 1924 abgeschlossen. Er habilitierte sich 1927 an der Universität Freiburg und war dort bis 1935 Dozent, lehrte dann an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. 1938 emigrierte er nach Palästina und katalogisierte in Jerusalem die Schocken-Bibliothek. Seine zahlreichen Publikationen, besonders über Friedrich II. befaßten sich mit dessen geschichtlichem Denken (1933) und der „Entwicklungsgeschichte eines Staatsmannes" (1936). DBE. Hans Bernoulli (1876-1959). Studium an den THH München und Karlsruhe, Mitarbeiter bei Friedrich von Thiersch, München, Friedrich Pützner, Darmstadt, im Büro Hart & Lesser in Berlin. 1902 eigenes Büro in Berlin, Assistent an der T H Charlottenburg, 1909 Mitarbeiter des Kgl. Kunstgewerbemuseums Berlin. 1912-1918 Leitender Architekt der Baseler Baugesellschaft in Basel, 1913 Professor für Städtebau an der ΕΤΗ Zürich. Die Veröffentlichung politisch-satirischer Gedichte führte zu seiner Entlassung als Professor; 1918-1927 Architekt in Basel, zahlreiche Siedlungsbauten, dann bis 1930 Herausgeber der Zeitschrift „Das Werk". 1930-42 lehrte er an der Allgemeinen Gewerbeschule in Basel. Nach 1945 Mitbegründer des Schweizer „Freiwirtschaftsbundes"' und Gründer der „Zeitschrift für eine nationale Wirtschaftsordnung". DBE: Posener. German Johann Georg Bestelmeyer (18741942). Studium der Architektur in München, Schüler Friedrich von Thierschs, dann in der bayerischen Bauverwaltung in Regensburg und München, 1906-10 leitender Architekt des Erweiterungsbaus der Universität München. 1910 ordentlicher Professor in Dresden, wechselte er 1911 an die Dresdner Akademie für bildende Kunst. 1915 Leiter des Meisterateliers für Architektur an der Akademie der bildenden Künste Berlin, hatte er seit 1919 zugleich eine Professur an der TH Charlottenburg inne. 1922 trat er die Nachfolge Thierschs an der T H München an und baute 192226 die Erweiterungsbauten der TH München, 1924 Präsident der Akademie der bildenden Künste in München. Neben seinen Universitätsbauten wurde er mit der Bibliothek des Deutschen Museums und der Westendkirche, beide München, bekannt. DBE.

1119

10.2 Kurzbiographien — Β

Eugen Bilfinger (1846-1923). Geboren in Welzheim, Homöopath und Naturarzt, Dr. med., Sanitätsrat, Bilz-Sanatorium, Dresden-Radebeul. Zahlreiche Publikationen, u.a. „Gesundheit und Vegetarismus" 1881, „Homöotherapie" 1889, „Nichtschuldig" 1905, „Nerven-Naturarzt" 1896, 5. Auflage 1908. KLK 36 (1914); Deutsches Biographisches Jahrbuch 5 (1923); DBA. Otto Leonhard B l u m (1876-1944). Nach dem Studium an der TH Charlottenburg 1895-99 bei der Berliner Eisenbahndirektion als Betriebsinspektor tätig. Er unternahm Studienreisen, 1903/4 eine Weltreise, erhielt 1902 den Schinkel-Preis, und wurde 1907 Professor an der Universität Hannover mit den Lehrfächern Eisenbahnbau, Verkehrspolitik und Städtebau. Gutachter und Teilnehmer zahlreicher Wettbewerbe verschiedener Großstädte, beteiligte sich u.a. am Berliner Wettbewerb 1910 mit Bruno Schmitz. 1924-29 gehörte er dem Verwaltungsrat der Deutschen ReichsbahnGesellschaft an, wurde 1936 außerordentliches Mitglied der Pr. Akademie des Bauwesens und publizierte über Fachfragen. DBE. Erich Blunck (1872-1950). Sohn eines Baumeisters, Studium der Architektur u.a. bei Karl Schäfer, TH Charlottenburg, Baumeister in der Staatsverwaltung. Ein Jahr Reisen in Italien, Spanien, Frankreich. Er arbeitete seit 1900 im Pr. Kultusministerium. wurde 1907 Regierungsrat und Dozent, 1916 ordentlicher Professor an der TH Charlottenburg. Als selbständiger Architekt baute er zahlreiche Landhäuser, auch Kirchen in Nikolassee, am Lietzensee, die Friedhofsanlage Heerstraße Berlin. 1919 als Nachfolger Goeckes bis 1944 Provinzialkonservator der Provinz Brandenburg, Schriftleiter des „Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg". Mitglied der Akademie der Künste, der Akademie des Bauwesens, (1935) des Reichsverbands der bildenden Künstler. 1947 bis zu seinem Tod Professor der TU Berlin. DBA. Paul Michael Nikolaus Bonatz (1877-1956). Studium TH München, Mitarbeiter und Assistent Theodor Fischers, wurde er 1908 dessen Nachfolger an der TH Stuttgart. 1910-12 baute er die Universitätsbibliothek in Tübingen, 1913-1927 den Stuttgarter Hauptbahnhof, war 1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Arbeiterräte. Gemeinsam mit Paul Schmitthenner stand er für die „Stuttgarter Schule", eine klassische, konservative Architektur mit regionaler Prägung. Sie entwickelte

1120

sich in den Zwanzigern zum Gegenpol der Avantgarde, und Bonatz war 1928 Mitbegründer des „Blocks", des organisatorischen und ideologischen Gegenstücks zum „Ring" der modernen Architekten. 1933-40 war er Berater Fritz Todts für den Reichsautobahnbau, baute Brücken und Hochbauten, bis 1943 Mitarbeiter Speers. 1943-54 arbeitete er als Berater der staatlichen Behörden in Ankara und lehrte 1949-53 als Professor an der TH Istanbul. DBE; Posener. Moritz Julius Bonn (1873-1965). Studium der Nationalökonomie in Heidelberg, München, Wien. 1895 in München Dr. oec. publ. 1905 dort habilitiert, Ernennung zum Professor und Direktor der Handelshochschule München. 1914-17 war er Austauschprofessor an den Universitäten von Kalifornien in Berkeley, von Wisconsin in Madison und der Cornell University IT. 1920 Professor an der Handelshochschule Berlin, war er 1920-22 Sachverständiger für Reparationsfragen in der Reichskanzlei, hielt 1924 und 26 Gastvorlesungen am Institute of Politics in Williamstown MA, Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik. Publizierte über Finanzwissenschaften, Völkerrecht und (Welt-) Wirtschaftsgeschichte und war Berater des Finanzministeriums 1932/33 sowie der Reichsbank 1933, der Weltwirtschaftskonferenz 1932/33. 1933 entlassen, emigrierte er nach London, war dort bis 1939 Dozent an der London School of Economics, dann Gastprofessor in Montreal und in den Vereinigten Staaten. IBEE; DBA. Louis Dembitz Brandeis (1856-1941). Harvard Law School 1875, eigenes Büro als Anwalt in Boston seit 1879. Seit 1900 Engagement für städtische Reformen, wurde er Mitbegründer der Public Franchise League und setzte sich für Verbraucherschutz ein. Er unterstützte Wilson und wurde 1916 als Richter an den Supreme Court berufen. DAB sup. 3 (Paul Α. Freund). Arnolt Brecht (1884-1977). Jurastudium Bonn, Berlin, Göttingen, in Leipzig 1911 promoviert. 1914 Landrichter, 1918 Regierungsrat in der Reichskanzlei. 1919 im Ministerrat, 1921-27 Ministerialdirigent im Reichsministerium des Innern, war sein Spezialgebiet Republikschutz. 1928 Dozent an der Hochschule für Politik, Vorstand der „Rathenau-Gesellschaft". 1932 einer der Vertreter der preußischen Regierung vor dem Staatsgerichtshof; am 2. Februar 1933 Rede im Reichsrat: Verfassungsappell an Hitler. Haft im April 1933, Emi-

10.2 Kurzbiographien — B-C

gration in die USA, Einladung an die NSSR. Gastprofessor in Yale und Harvard, 1942 Vorsitz des Social Science Research Council. Berater der Omgus, 1946 amerikanische Staatsbürgerschaft, Gastprofessur in Heidelberg. IBEE. Lujo B r e n t a n o (1844-1931). Promotion J u r a Heidelberg 1866 und Nationalökonomie Göttingen 1867. Englandaufenthalte und Studienreise mit Ernst Engel. Nach seiner Habilitation 1871 wurde er Privatdozent der F W U Berlin. Gründungsmitglied des VfSP. Professuren für Nationalökonomie, Finanzwissenschaft und Wirtschaftsgeschichte in Breslau, Straßburg, Wien, Leipzig, seit 1891 in München, wo er die Volkshochschulkurse begründete. Seine Wirkung gründete sich auf seine Lehrtätigkeit und zahlreiche Schriften zur Wirtschaftsgeschichte, Handels- und Sozialpolitik sowie seine sozialpolitischen Stellungnahmen. H D S W (Carl Brinkmann); NDB (Friedrich Zahn); Sheehan. Albert Erich B r i n c k m a n n (1881-1958). Geboren auf Norderney, Sohn eines Baurats. Studium Kunstgeschichte und Archäologie in Berlin und München, 1905 promoviert, Schüler Wölfflins und Goldschmidts. 1909 Assistent an der T H Aachen, 1910 dort habilitiert. 1908 veröffentlichte er „Platz und Monument", 2. Auflage 1912, 1911 „Deutsche S t a d t b a u k u n s t in der Vergangenheit". 1912 wurde er a.o. Professor an der T H Karlsruhe, 1913 Ehrenmitglied des T P I , im Weltkrieg Leiter einer Presseabteilung. 1919 Professor in Rostock, begründete er das dortige Kunsthistorische Institut, 1921 Ordinarius in Köln, 1931 in Berlin, 1935 in Frankfurt a.M., 1946 emeritiert. T L K ; Rhb; Degener 10 (1935). Karl Heinrich Brunner-Lehenstein (1887-1960). Sohn eines Rittmeisters, Architekturstudium T H Wien bei Carl König und Carl Myreder. Regulierungs- und Bebauungspläne, Siedlungen und Landhäuser auch in Ungarn und Tschechoslowakei, Kriegsteilnehmer. 1919-23 Leiter der Österreichischen Kriegsbauverwertungsaktion. Er gründete 1925 die Zeitschrift „Baupolitik", das Seminar für Städtebau an der T H Wien, 1926 Habilitation und Privatdozent dort, Mitglied der FDAS. 1930 Ernennung zum ordentlichen Professor h.c. der Universität Santiago de Chile, Regierungsberater in Kolumbien und P a n a m a , 1934 ordentlicher Professor in Bogota, 1936-38 österreichischer Honorarkonsul dort. 1948 als Leiter der Stadtpla-

nung (bis 1952) nach Wien zurückberufen. Zahlreiche Fachpublikationen, auch in Spanisch, und Auszeichnungen. DBA. Daniel Hudson B u r n h a m (1846-1912). Ausbildung im Architekturbüro in Chicago, 1873 eigenes Büro mit Partner J o h n W . Root, erfolgreich mit Hochhausbauten in Stahlkonstruktion. Das Auftragsvolumen bis zum Tode Roots 1893 überstieg 40 Millionen Dollar [und ermöglichte die Ablehnung einer Vergütung für die folgenden öffentlichen Aufträge], 1890 wurde er Chefarchitekt der World's Columbian Exposition, Chicago 1893, deren neoklassizistische Bauten nachhaltige Wirkung hatten, darauf mehrfach akademische Auszeichnungen, Mitbegründer der American Academy in Rom. 1901 f ü h r t e er den Vorsitz der neugegründeten Senate Park Commission, mit McKim, St. Gaudens, Olmsted Jr., die den L'Enfant-Plan mit neoklassisistischen Gebäudegruppen in einem Entwicklungsplan des District of Columbia wiederbeleben sollte. 1904 Auftrag für Stadtplanung Manila, 1905 Studie für San Francisco u.a. 1909 Präsentation des Chicago Plan, begleitet von innovativer Öffentlichkeitsarbeit. 1910 Vorsitzender der von Präsident Taft berufenen Beratergruppe, National Commission of Fine Arts. DAB vol. 2 (Charles Moore); N C A B vol. 9. Philip C a b o t (1872-1941). Aus einer begüterten alten neuenglischen Familie, sein Bruder Richard engagierte sich als Arzt für öffentliche Gesundheit. B.A. Harvard 1894, anschließend bis 1904 Büroleiter eines Juristen, 1904-10 verwaltete er real estate trusts. Er wandte sich 1910 den public Utilities zu und war 1912-18 als Partner einer Anwaltskanzlei und Geschäftsführer verschiedener Gesellschaften in diesem Bereich tätig. 1924 Dozent für business administration und 1927 Professor der Harvard G r a d u a t e School of Business Administration bis 1935. N C A B vol. 30. Charles Henry C h e n e y (1884-1943). B.A. Architektur und Ingenieur 1905, Ecole des Beaux Arts. Paris 1907-10. Arbeitete 1910-12 mit Charles A. P l a t t in New York, später selbständig und mit Aronovici in Berkeley. Er war Berater der California State Commission of Immigration and Housing 1914 sowie 1932-36, Sekretär der California Conference on City Planning 1914-28 und als technischer Planungsberater vor allem kalifornischer Städte und mehrerer großer Erschließungsprojekte tätig sowie Mitglied der Housing Authority

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10.2 Kurzbiographien — C-E

of Los Angeles County 1928-29. Verfasser technischer Planungsstudien und Mitarbeiter zahlreicher Stadtplanungs-, Wohnungs- und Baugesetzesvorlagen Kaliforniens und anderer amerikanischer Bundesstaaten. WWWA vol. 2. Ralph Adams C r a m (1863-1942). Praktische Ausbildung als Architekt, Kritiker. 1892 Partner von Bertram G. Goodhue, wurde er für seine gotisierenden Kirchenbauten bekannt. In der Folge Universitätsbauten, 1909-29 Leitender Architekt der Princeton University, plante weitere Neuanlagen und Erweiterungsbauten. 1914 Architekturprofessor am Massachusetts Institute of Technology und Vorsitzender des Boston City Planning Board bis 1921, zahlreiche Ehrungen. NCAB vol. 15; DAB vol. 3 (Walter Muir Whitehill). Andrew Wright Crawford (1873-1929). Β.A. University of Pennsylvania 1893, LL.B. 1897. Er studierte Ingenieurwissenschaft am Massachusetts Institute of Technology 1893-94 und Jura an der Columbia University Law School 1894-96. 190611 war er Assistant city solicitor in Philadelphia und 1908-23 Professor of Law of real property, of landlord and tenant, of negotiable instruments and sales der Temple University in Philadelphia. Treuhänder der Fairmont Park Association 190322, Herausgeber des Planungsteils der Tageszeitung „Public Ledger" (Philadelphia PA) 1913, im Vorstand der NCCP 1910-1925 und weiterer Organisationen. WWWA vol. 1. Hans Delbrück (1848-1929). Promotion Geschichte 1873 in Bonn, Prinzenerzieher. Gneisenau-Biographie, kriegshistorische Studien (4 Bände 1900-20). Nach seiner Habilitation 1881 wurde er 1882 Mit-, 1889 alleiniger Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher" bis 1919. Mitglied des Abgeordnetenhauses und 1884-1890 des Reichstags, Kathedersozialist. Größte politische Wirkung im Weltkrieg für eine maßvolle Kriegszielpolitik, danach Kampf gegen „Kriegsschuldlüge" und „Dolchstoßlegende". NDB (Anneliese Thimme).

30 im Reichstag, 1919 Reichsfinanzminister. NDB (Gerhard A. Ritter). Benedikt Fred Dolbin (Pollack) (1883-1971). 1902-10 arbeitete er während der Ausbildung zum Ingenieur an der TH Wien als Balladensänger in Kabaretts und begann 1917 mit Porträtkarikaturen. In Literaturcafes, Theater- und Konzertsälen zeichnete er berühmte Persönlichkeiten und illustrierte Bücher, war auch als Ingenieur tätig und wurde im Ersten Weltkrieg zum Bau von Schiffswerften in Polen herangezogen. 1918 war er Mitglied der Künstlergruppe „Die Bewegung", arbeitete als freier Künstler in Wien, zog dann nach Berlin und wurde Mitarbeiter des „Querschnitt" und des „Berliner Tageblatt". 1935 erhielt er Berufsverbot und emigrierte über Wien nach New York, dort Kunstkritiker und als Karikaturist auch an Ausstellungen beteiligt. DBE. Adolf Alexander Eberhard Dominicus (18731945). Nach dem Studium des Rechts in Straßburg, München und Berlin war er im Verwaltungsdienst von Elsaß-Lothringen tätig, 1902 Beigeordneter der Stadt Straßburg. 1911 zum Bürgermeister von Schöneberg berufen, initiierte er das Gesetz zur Bildung der neuen Stadtgemeinde Berlin, das 1920 in Kraft trat. 1921/22 war er als Mitglied der DDP preußischer Innenminister, schied aus dem öffentlichen Dienst aus und leitete ein Kindererholungsheim auf der Schwäbischen Alb. Selbst begeisterter Turner, war er 1929 bis zur Zwangsauflösung Vorsitzender der Deutschen Turnerschaft, auch 1926-33 des Deutschen Luftfahrtverbandes. DBE; NDB (Kurt Pomplun). Rene du Bois-Reymond (1863-1938). Geboren in Berlin, Medizinstudium und Promotion 1889 dort. Assistent in der Anatomie Königsberg, in der Physiologie Berlin und der Tierärztlichen Hochschule bis 1905. Nach der Habilitation im Fach Physiologie 1898 wurde er 1907 a.o. Professor am Physiologischen Institut der Universität Berlin. Arbeitete über Kreislauf, Atmung, physiologische Mechanik, publizierte 1903 eine „Bewegungslehre". Biographisches Lexikon der hervorragenden Arzte.

Bernhard Jakob D e r n b u r g (1865-1937). Handelslehre, in einem New Yorker Bankhaus tätig. Er wurde 1899 Direktor der Deutschen Treuhand- Bodo Heinrich Justus Ebhardt (1865-1945). Nach gesellschaft, 1901 der Bank für Handel und In- kaufmännischer Ausbildung und Architekturstudidustrie in Berlin. 1906 in der Kolonialabteilung um am Kunstgewerbemuseum Berlin eröffnete er des Auswärtigen Amtes und 1907 erster Staats- 1890 ein eigenes Büro. Auf Reisen in Frankreich, sekretär des neuen Reichskolonialamtes, Rücktritt Italien, England erworbene Kenntnisse mittelal1910. 1918 Mitbegründer der DDP, für diese 1920- terlichen Burgenbaus publizierte er 1898-1908 und

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10.2 Kurzbiographien

machte sich einen Namen im Burgenbau. Im Auftrag Wilhelm II. 1899-1908 mit der Wiederherstellung der Hohkönigsburg im Elsaß befaßt, folgten weitere Rekonstruktionen. Er gründete die Vereinigung zum Erhalt deutscher Burgen und gab die Zeitschrift „Der Burgwart" heraus. Baute zuerst nach Vorbildern des Mittelalters und der Renaissance, z.B. die Hakeburg bei Berlin 1903, dann nach der römischen Antike wie das Hoftheater Detmold 1913-15. DBE. Rudolf E b e r s t a d t (1856-1922). Bankkaufmann, Ausbildung im Ausland. Er absolvierte dann ein Studium der Nationalökonomie in Berlin und Zürich, promovierte 1895 und habilitierte sich 1902, war danach Privatdozent der FWU Berlin. 1903 veröffentlichte er „Rheinische Wohnverhältnisse", die erste seiner grundlegenden Arbeiten zum Wohnungswesen und wurde 1917 zum Honorarprofessor der Berliner Universität ernannt. Sein „Handbuch des Wohnungswesens" von 1909 überarbeitete und erweiterte er für jede Auflage (die vierte erschien 1920) und erarbeitete mit Möhring, Muthesius, Goecke u.a. auch Bebauungspläne. Äsen; TLK 1 (1918) f.; HRR (Thomas Rönnebeck). Rudolf von Eitelberger-Edelberg (1817-1885). Studierte J u r a in Olmütz, in Wien Philologie. 1838 promoviert, habilitierte er sich 1847 für Kunstgeschichte. 1852 a.o., 1864 ordentlicher Professor an der Universität Wien, lehrte er 1850-64 auch an der Akademie der bildenden Künste. Er wurde Direktor des von ihm angeregten, 1864 gegründeten Museums für Kunst und Industrie, reorganisierte die Akademie und regte die Gründung der „Zentralkommission für Kunst und historische Denkmalpflege" an. DBE. Karl Elkart (1880-1959). Studium TH Stuttgart, 1903 Staatsexamen, 1907 Staatsbaumeister in Hamburg, 1912 Stadtbaumeister in Bochum, Schul- und öffentliche Bauten. 1918 wurde er als Stadtbaurat nach Spandau berufen, Wohnungsbau und Erweiterungspläne, 1922 Direktor der Märkischen Heimstätten Berlin, Städtebaudirektor Groß-Berlin, Wohnungsbau und Stadtplanung. 1925 bewarb er sich als Stadtbaurat und Senator erfolgreich in Hannover. Zahlreiche Artikel, 192730 Vorsitz des Architekten und Ingenieurvereins Hannover, Herausgeber „Neues Bauen in Hannover"; Mitglied der Pr. Akademie des Bauwesens, 1929 Honorarprofessor TH Hannover. Rhb; DBE.

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Richard Theodore Ely (1854-1943). Β.Α. 1876 Columbia University, 1879 Μ.Α. Studium Halle, Heidelberg, Genf, Promotion 1879; arbeitete 1877-80 im Kgl. Statistischen Büro Berlin; LL.D. 1892. Professor für Politische Ökonomie an der John Hopkins University 1881-92, Dekan seines Fachbereichs an der University of Wisconsin 18921925, Professor der Northwestern University 192533. Mitglied verschiedener Tarifkommissionen, der President's Conference on Home Building and Home Ownership 1931-32, Mitbegründer und Präsident der American Economic Association. Er publizierte vor allem über Steuerfragen, Industriegesellschaft und Sozialgesetzgebung. WWWA vol. 2. Eduard Albert Feer (1894-1983). Geboren in Basel, Sohn eines Kinderarztes und Professors. Studium Jus und Nationalökonomie in München und Zürich, dort 1917 promoviert. Attache der Gesandtschaft in Wien, 1918-19 Mitarbeiter zweier Zürcher Zeitungen, 1920 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartments. 1925 wurde er Handelsattache, 193136 Legationsrat der Gesandtschaft in Berlin. April 1936 Versetzung nach Washington, 1941-44 Verwaltung der deutschen und italienischen Botschaften. 1945 schweizerischer Botschafter in Argentinien, Uruguay und Paraguay, 1950-55 in Brasilien, 1955-60 in Griechenland. Publikation wirtschaftspolitischer Artikel in Zeitschriften, zweier umfangreicher Bände genealogischer Studien zur Familiengeschichte. 1923-32 verheiratet mit Esther Cornelia Veraguth, zwei Kinder: 1935-49 mit Ellis Hegemann; 1950 mit Margrit Petein. Feer. Edward Albert Filene (1860-1937). Sohn deutscher Einwanderer, übernahm 1881 das väterliche Geschäft, das er zu einem überregional bekannten und erfolgreichen department store ausbaute. Aus der Managementreform der Filene Cooperative Association 1903 entstand 1911 eine Gesellschaft, deren Präsident Filene blieb. Er widmete sich seit 1890 städtischen Reformfragen, beginnend mit dem Bau öffentlicher Verkehrsmittel, berief 1909 Lincoln Steffens und war treibende Kraft des „Boston-1915 Movement". Später engagierte er sich im Chamber of Commerce Movement, in der Friedensliga und nach Ende des Ersten Weltkrieges in Frankreich und Deutschland für den Dawes-Plan. Er unterstützte 1932 Roosevelt und verfaßte zahlreiche Schriften. DAB sup. 2 (Louis Filler).

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10.2 Kurzbiographien — F-G

George Burdett Ford (1879-1930). B.A. Harvard 1899, Architekturstudium am Massachusetts Institute of Technology, danach an der Ecole des Beaux-Arts, Paris bis 1907. Er arbeitete zehn Jahre in einem New Yorker Architekturbüro und lehrte 1912-14 als Dozent an der Columbia University in New York. Beginnendes Interesse für Stadtplanung, 1909 Beitrag zu Marshs Werk „Introduction to City Planning", 1910 Delegierter für den Wiener Wohnungskongress, 1917 gab er „City Planning Progress" heraus. 1917 arbeitete er im Wiederaufbau der französischen Städte, seit 1919 als Berater der französischen Regierung. Nach seiner Rückkehr 1920 Arbeiten für über hundert Stadtplanungskommissionen, 1924-25 Präsident des American City Planning Institute und der NCCP, 1925 Gründung der Zeitschrift „City Planning", wurde 1930 Direktor des Regional Plan of New York and its Environs, the most responsible position open to a city planner. DAB sup. 1 (C.L.V. Meeks); NCAB vol. 25. James Ford (1884-1944). Bruder von George Ford. Studium in Harvard, M.A. 1906. College Libre des Sciences Sociales, Paris, Universität Berlin 190607. Ph.D. 1909 in Harvard, war dort anschließend instructor in Social ethics und 1913-21 Assistant Professor, 1919 Associate Professor. 191819 Direktor der International Housing Association, 1930-33 der President's Conference on Home Building and Home Ownership, Mitarbeiter in weiteren staatlichen Ausschüssen. 1920 organisierte er die Graduiertenausbildung der Social Services Administration und die der neueingerichteten School of City Planning. Veröffentlichungen zu Soziologie, Sozialpolitik und Architektur. WWWA vol. 2; NCAB vol 42. Otto Forst d e B a t t a g l i a (1889-1965). Aus einer ehemals begüterten polnischen Familie, studierte er Recht in Wien und Bonn bis zum Dr. jur., anschließend Geschichte und wurde 1915 zum Dr. phil. promoviert. Habilitierte sich an der Universität Wien 1917 und arbeitete als freier Kritiker. 1937-47 zeitweise im diplomatischen Dienst der polnischen Regierung bzw. Exilregierung tätig. 1948 lehrte er in Wien, seit 1950 am Europa-Kolleg in Brüssel. Er arbeitete über polnische Geschichte und deutsche Literaturgeschichte und wurde mit zwei grundlegenden Werken von 1913 und 1948 zum Mitbegründer der modernen wissenschaftlichen Genealogie. DBE.

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Ernst Francke (1852-1921). Nach Studienabbruch 1881-1893 Journalist, Chefredakteur der „Münchener Neuesten Nachrichten". Studium der Nationalökonomie, Promotion bei Brentano 1893. Seit 1897 war er Herausgeber der „Sozialen Praxis", die unter ihm an öffentlichem Einfluß gewann, seit 1901 Generalsekretär der mit Hans Hermann von Berlepsch gegründeten GfSR, und setzte sich für die Gleichberechtigung der Arbeiterschaft und praktische Sozialreformen ein. NDB (KlausPeter Hoepke). Heinrich de Fries (1887-1938). Aus niederrheinischer Familie, geboren in Berlin. Studium an der TH Hannover, Kunstakademie Düsseldorf, TH Charlottenburg, Universität Bonn, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft. Ab 1915 Arbeiten für die Kulturzeitschrift „Die Rheinlande", war er 1916-18 Mitarbeiter bei Peter Behrens, bis 1919 bei Hermann Jansen. 1919-23 Schriftleiter der W M B und des „Städtebau", 1924-36 der „Baugilde", 1927-31 Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, 1936-37 Herausgeber der DBZ; zugleich Arbeiten für die Tagespresse und Architekturmonographien. WLB; Posener; Jaeger. Efraim Frisch (1873-1942). Studierte in Wien Jura, Philosophie, Kunst und Literaturgeschichte in Berlin und Nationalökonomie in Kiel. Wurde 1903/4 Mitarbeiter Christian Morgensterns für die Zeitschrift „Theater in Berlin", 1904-09 Dramaturg Max Reinhardts am Deutschen Theater, dann Lektor. 1919-25 gab er die literarische Kunstzeitschrift „Der neue Merkur" heraus. Seit 1925 schrieb er für die „Frankfurter Zeitung", emigrierte 1933 in die Schweiz und arbeitete für Exilzeitschriften. DBE. Joseph G a n t n e r (1896-1988). Studium der Kunstgeschichte in München, Basel, Zürich und Rom, wurde er 1920 promoviert und 1926 an der Universität Zürich habilitiert. 1927-32 lehrte er an der Kunstakademie in Frankfurt a.M. und kehrte 1933 als Privatdozent nach Zürich zurück. 1936 begann er seine vierbändige „Kunstgeschichte der Schweiz" und wurde 1938 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Basel, gründete 1943 die „Basler Beiträge zur Kunstgeschichte", gab seit 1953 die „Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft" heraus. DBE. Felix August Helfgott G e n z m e r (1856-1929). Nach dem Studium an den TH Hannover und Stuttgart arbeitete er 1880 für die Reichsbahn,

10.2 Kurzbiographien — G

1887 für die Kölner Bauverwaltung und wurde social, eines Lehrinstituts. 1905 Professur an der 1891 Stadtbaumeister in Hagen, später Wiesba- Rechtsfakultät Paris, 1921 am College de France. den. Mit Gruppen öffentlicher Gebäude gestaltete 1883 erschienen seine „Principes d'economie poer öffentliche Plätze und wurde 1903 zum ordent- litique"; neu in der Konzeption der Gesellschaft lichen Professor der TH Charlottenburg berufen. als sich ständig verändernd, den Menschen in den 1907 gründete er mit Joseph Brix das Berliner Se- Vordergrund stellend und Probleme aus der Sichtminar für Städtebau. Da er auch kunstgewerbliche weise der (christlichen) Moral behandelnd. Gide Entwürfe anfertigte (u.a. Möbel), vertrat er vor se fit le theoreticien d'une cooperation generale et allem Materialgerechtigkeit, aber auch die prakti- systematisee dont it attendait I'abolition du saiarischen Anforderungen, vor allem als hygienische im at; sah sie jedoch nicht nur als Konsumgenossenschaften für materielle Besserstellung der ArbeiStädtebau. DBE. tenden, sondern mit einem sozialen Auftrag, die Albert G e ß n e r (1868-1953). Der Sohn eines Gesellschaft zu verändern. Er widmete sich dieHandwerkers und Kaufmanns studierte an der Ge- ser Idee mit unzähligen Veröffentlichungen, wurwerbeakademie in Chemnitz, dann an den THH de 1912 mit dem Entwurf der Charte de TUnite Dresden und Charlottenburg. Mitarbeiter im Bü- an der Gründung der Federation nationale des ro Kayser & Großheim, danach bei Alfred Mes- cooperatives de consommation beteiligt und in der sel, baute er zuerst Einzelhäuser und Sanatorien Folge zum heftigen Kriegsgegner. DBF (O. Motim Erzgebirge und Thüringen, Villenanlagen und te). Landhäuser in Berlin und Umgebung. Er wurde vor allem durch seine großen Berliner Mietshäuser Theodor Goecke (1850-1919). Studierte an den bekannt und war mit „Das deutsche Mietshaus. THH Berlin und Aachen, wo er sich 1879 habiEin Beitrag zur Städtekultur der Gegenwart" von litierte. 1883 Regierungsbaumeister, eröffnete er 1910 maßgeblich an deren Reform beteiligt. Seit 1885 in Duisburg ein eigenes Büro. Seit 1896 lehr1909/10 künstlerischer Leiter des Werkhauses in te er als Privatdozent in Berlin und war in der Charlottenburg, einer Werkstatt und Ausstellung Bauverwaltung der Provinz Brandenburg tätig. für Bauutensilien und Möbel; lehrte er 1924-1937 1902 Landesbaurat der Provinz, übernahm er 1903 an der TH Berlin. Mitbegründer des „Blocks" einen Lehrauftrag für Städtebau an der TH Char1928, unterstützte er seit 1929 offiziell den natio- lottenburg und gründete mit Camillo Sitte die nalsozialistischen „Kampfbund für deutsche Kul- seit 1904 erscheinende Zeitschrift „Der Städtebau", die er leitete. 1908 wurde er Provinzialkontur". Posener; DBE. servator der Kunstdenkmäler der Provinz BranCarl Geusen (1859-1926). Geboren in Heinsberg, denburg und gab eine Reihe von Schriften zu deRegierungsbezirk Aachen. Studium der Bauin- ren Denkmalen heraus. Er plante öffentliche Baugenieurwissenschaften TH Aachen, Staatsexeimen ten und Kleinwohnungen, erarbeitete Bebauungs1882, 1887 Regierungsbaumeister. Kgl. Eisenbahn pläne, war Mitglied der deutschen GartenstadtgeDirektion Bromberg, dann Altona, 1888 Staatsei- sellschaft und ab 1911 deren künstlerischer Beirat. senbahnverwaltung. 1896 Austritt aus dem Staats- Posener; DBE. dienst, Stadtbauinspektor im Tiefbau-Amt Frankfurt am Main. Seit Mitte 1900 in der Städtischen Adolf Grimme (1889-1963). Sohn eines BahnVerwaltung Düsseldorf tätig, wurde er im April hofsvorstehers, 1908-14 Studium der Germani1901 zum besoldeten Beigeordneten der Stadtver- stik und Philologie in Halle, München, Göttingen. ordnetenversammlung Düsseldorf gewählt. 1912 1919-23 Studienrat in Hannover. Mitglied des Pround 1924 Wiederwahl. 1919 und 1923/24 führte vinzialschulkollegiums Hannover, Oberschulrat in er die Amtsgeschäfte des Bürgermeisters, darauf Magdeburg. Ministerialrat im Pr. Kultusministe„Beilegung der Amtsbezeichnung" ehrenhalber an rium, Vizepräsident des Provinzialschulkollegiums Geusen. NRW HStA, Regierung Düsseldorf 32452. Berlin und Mark Brandenburg. Mitglied der SPD. gehörte er zu den religiösen Sozialisten und folgte Charles Gide (1847-1932). Promotion 1872, 1874 1930 dem parteilosen Orientalisten Carl Heinrich Professor für Nationalökonomie an der Rechtsfa- Becker (1876-1933) im Amt des Kultusministers. kultät Bordeaux, 1880 Montpellier. 1898 Lehrauf- Vom Reichskommissar für Preußen 1932 amtsenttrag in Paris für economie sociale comparee, gestif- hoben, bekleidete er unter den Nationalsozialisten tet vom Comte de Chambrun, Gründer des Musee kein Amt, wurde 1942 zu drei Jahren Zuchthaus 1125

10.2 Kurzbiographien

— G-H

verurteilt. 1945/46 niedersächsischer Kultusminister, baute er 1945-56 als Generaldirektor den Nordwestdeutschen Rundfunk auf. Sein Anliegen war die Verbreiterung der Volksbildung als Mittel gegen die Entfremdung in der Industriegesellschaft (Namensgeber des Medienpreises). DBE.

gy und 1936-43 des gesamten University Museums der University of Michigan. 1944-53 Direktor des New York State Museum. Mitglied und Vorsitzender zahlreicher Kommissionen und Gesellschaften, Ausgrabungen in New Mexico, Guatemala und auf den Philippinen. Veröffentlichungen und Artikel über Ausgrabungsergebnisse, seit den fünfziger Jahren hauptsächlich über Museumspädagogik und -management. Seit 1916 verheiratet mit Grace Ethel McDonald, vier Kinder, lebte in Ann Arbor MI. WWWA vol. 6.

Emil G u m b e l (1891-1966). Sohn eines Privatbankiers, studierte er Mathematik und Nationalökonomie in München. Nahm als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil, wurde Pazifist, Mitglied der USPD, dann der SPD und der „Liga für Menschenrechte". Als Redner und Publizist prangerte er Fe- Ida Belle Guthe (1896-1983). Geboren in Ann Armemorde und rechte Geheimbünde an, veröffent- bor als Tochter von Karl Eugen Guthe und Clara lichte 1922 die Dokumentation „Vier Jahre politi- Belle Ware. Studium an der University of Michischer Mord". 1923 habilitierte er sich für Statistik gan und am Radcliffe College; Lehrerin. Unterrichan der Universität Heidelberg, war dort Privat- tete ein Jahr in Pablo MT im Reservat der Fiat dozent, 1930-32 ordentlicher Professor. Von natio- Head Indians. Heiratete 1920 Werner Hegemann, nalsozialistischer Seite vielfach bedroht, wurde er Wohnsitz Milwaukee WI. 1921 Reise nach Itali1932 relegiert und 1933 expatriiert. Über Frank- en, Geburt der ältesten Tochter Eva Maria 1922 reich 1940 in die USA emigriert, Gastprofessuren in Neapel. 1923-1933 in Berlin, drei weitere Kinin New York, Stanford und Washington. DBE. der, Idolene 1924, Manfred 1926 und Elinor 1929. 1933 Ausreise in die Schweiz, im November ÜberCornelius Gustav Gurlitt (1850-1938). Sohn eines fahrt nach New York City. Nach dem Tod ihres Malers, machte in Berlin eine Zimmermannslehre, Mannes unterrichtete sie an verschiedenen Schulen studierte am Stuttgarter Polytechnikum und ar- in Massachusetts; 1962 bis 1972 führte sie private beitete bis 1875 als Architekt. Nach kunsthistori- Reisegruppen durch Europa. Beat Feer, Manfred schen Studien wurde er 1879 Assistent am Dresd- Hegemann. ner Kunstgewerbemuseum und verfaßte 1887-89 die dreibändige „Geschichte des Barockstils, Ro- Karl Eugen Guthe (1866-1915). Geboren in Hankoko und Klassizismus". Für dieses bedeutende nover als Sohn von Otto Guthe und Anna HanWerke deutscher Baugeschichte, das die in Burck- stein. Gymnasium Hannover, Studium der Physik hardts Bild der Renaissance befangene Rezeption in Marburg, Straßburg und Berlin. Staatsexamen des Barock überwand, wurde er zum Dr. phil. pro- Marburg 1889, Promotion 1892. Im selben Jahr moviert. 1890 habilitierte er sich an der TH Char- wanderte er in die Vereinigten Staaten aus, wurde lottenburg, war 1893 bis zu seiner Emeritierung dort 1893 Dozent, 1900 Assistenzprofessor, 1909 1920 Professor für Baukunst an der TH Dresden. Professor für Physik, 1912 Dekan des Graduate Seine zahlreichen Publikationen galten neben der Department der University of Michigan in Ann Arbahnbrechenden Barockforschung auch aktuellen bor; 1905-6 der State University of Iowa. Mitglied Themen der Politik, des Städtebau, der Architek- der Deutschen Physikalischen Gesellschaft sowie tur und Denkmalpflege, wofür er zum Präsidenten der amerikanischen, der American Association for des BDA gewählt wurde. DBE; NDB (Otto Schu- the Advancement of Science. Publikationen, spezibert). ell zu Fragen der Elektrizität, in Fachzeitschriften und Lehrbüchern. Seit 1892 verheiratet mit Clara Carl Eugen Guthe (1893-1974). Geboren in Ne- Belle Ware, drei Kinder. WIWA 7 (1912/13) ff. braska als Sohn von Karl Eugen Guthe und Clara Belle Ware, Bruder Ida Belles. B.S. University of Ellis Hegemann (1906-1987). Geboren in MünMichigan 1914, Μ.Α. Harvard 1915, dort teaching chen als Tochter von Alice Hesse und Werner Hefellow, Ph.D. 1917; Anthropologe und Archäologe. gemann. Schulen in München und Berlin. Mit 18 Andover-Pecos Expedition 1917-21, research asso- Jahren berufstätig im Ullstein-Verlag Berlin, im ciate für Mittelamerikanische Archäologie, Carne- Nachrichtendienst der „Vossischen Zeitung". Ergie Institution 1921-22. 1922-29 associate direc- ste Ehe mit dem Goldschmied Herbert Zeitner, tor, 1929-43 Direktor des Museum of Anthropolo- geschäftliche Leitung seines Ateliers. Das Ehepaar

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10.2 Kurzbiographien

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kam überein, sich zu trennen, damit Zeitner sei- Dr. rer. pol. Stadtingenieur Essen, Abteilungsleine Stellung behielte. 1935 Heirat mit dem Schwei- ter des Verbands Groß-Berlin, Magistratsoberbauzer Diplomaten Eduard Feer, 1936 Ubersiedlung rat der Stadt Berlin. Er publizierte 1921 „Deutnach Washington DC. Β.Α. George Washington scher Städtebau. Ein Handbuch für Architekten, University, Medizinstudium John Hopkins Univer- Ingenieure, Verwaltungsbeamte und Volkswirte". sity, Baltimore. Scheidung der Ehe 1949, Studium 1926 seine Berliner Studien und 1934 zur Lander Psychiatrie am New York Psychoanalytical In- desplanung des Oberrheingebiets. Mitarbeit an stitute, eigene Praxis. 1955 Heirat mit dem Kol- Stadterweiterungsplänen u.a. für Essen, Hildeslegen und Anthropologen George Devereux. Über- heim, Düsseldorf, Reichenberg, Breslau, Wetzlar. siedlung nach Honolulu, dort erste praktizierende Mitglied der FDAS, des Internationalen Verbands Psychoanalytikerin und Dozentin an der Universi- für Wohnungswesen und Städtebau. 1927 wurde tät. Beat Feer. er ordentlicher Professor der TH Karlsruhe und Vorstand ihres Instituts für Städtebau. DBA. Ottmar Hegemann (1869-1917). Geboren in Mannheim als erstes Kind Ottmar Friedrich He- Heinrich Herkner (1863-1932). Studium Wien. gemanns und seiner Ehefrau Elise Vorster. Stu- Leipzig, Berlin, Freiburg. Auf Anregung Brentadium der evangelischen Theologie und der Philo- nos Untersuchung zur Baumwollindustrie, Promologie 1888-92, 1896-96 in Heidelberg, Tübingen, tion 1887. 1888 Heirat mit Hedwig Lötz, SchweHalle, Straßburg, Erlangen. Vikar u.a. in Haida, ster von Walther Lötz. Dozent, 1889 ExtraordiBöhmen 1892-99. Promotion 1904 „Friedrich der nariat in Freiburg. 1892 TH Karlsruhe, Professur Große und die Katholische Kirche in den Reichs- für Wirtschaftswissenschaft, 1898 Ordinariat in rechtlichen Territorien Preußens". 1905 Pfarrer Zürich. 1907 wurde er Professor an der TH Charder evangelischen Gemeinde Laibach; Publikati- lottenburg, 1912 Nachfolger Schmollers an der on historischer Untersuchungen, von Flugblättern, Berliner FWU. 1917-29 Erster Vorsitzender des Zeitungsartikeln zu kirchlichen und politischen VfSP, 1920 Berufung in den vorläufigen ReichsFragen. Während des Ersten Weltkrieges zeitwei- wirtschaftsrat. Arbeiten und Publikationen zur se Feldkurat; 1917 bei einer Bergtour verunglückt. Sozialpolitik; Konzeption einer theoretisch fun1901 Heirat mit Luisita Carl, drei Kinder. DBA. dierten Sozialpolitik als Beitrag zur Erhöhung des Sozialproduktes. NDB (Gerhard Stavenhagen). Jakob Hegner (1882-1962). Geboren in Wien, Studium in Leipzig, dort 1899-1903 Druckerei- Alice Hesse (1882-1976). Geboren in Triebel, Nielehre. 1903-04 Magazin Verlag Jacques Hegner; derlausitz, Tochter des Amtsgerichtsrats Moritz Studien in Florenz. Seit 1910 in Hellerau, 1912 Hesse und seiner Ehefrau Maria Pesch. Schulen in Gründung des Verlags Jakob Hegner und 1918 der Lübben, Brandenburg; besuchte dort das Städtiverlagseigenen Hellerauer Druckerei; "exklusivster sche Lehrerinnenseminar, dann ein Privatseminar Verleger Deutschlands" (Willy Haas). 1930 Direk- in Berlin und machte 1912 das Lehrerinnenexamen tor der Druckerei Oscar Brandstetter Leipzig. 1936 für mittlere und höhere Schulen. 1905-06 war sie Ausschluß aus der Reichskulturkammer; Hegner Hörerin der KWU Straßburg und 1906 der LMU war im Jahr seiner Verheiratung 1919 vom jüdi- München (Politische Ökonomie und Psychologie). schen Glauben zum evangelischen übergetreten, 1905 Heirat mit Werner Hegemann; 1906 Geburt 1935 zum Katholizismus konvertiert. 1936 Emigra- der Tochter Ellis. 1908 Übersiedlung in die USA. tion nach Österreich, gründete den Thomas-Verlag 1910 nach Berlin; Beteiligung an den öffentlichunJakob Hegner Wien. 1938 zeitweilig in Haft, Emi- gen Verpflichtungen. 1911 Trennung. Scheidung gration nach England, 1946 in die Schweiz. Mit- (1913 ?); als Malerin in München selbständig. arbeit im Summa Verlag Ölten und Kösel Verlag 1918 Heirat mit Günther von Pechmann; zwei München. 1950 Mitbegründer Jakob Hegner Ver- Kinder. Zusammenstellung und Ausstattung des lag Köln. Mitglied des PEN verschiedener Länder. „Jahrbuch der Deutschen Werkstätten" 1928 f.. IBEE. Entwürfe und Ausstellungsgestaltung für die Berliner Porzellanmanufaktur. LMU Archiv. Sen 110; Roman Heiligenthal (1880-1951). Gymnasium Jarchow. Bruchsal. Studium an den THH Karlsruhe, Dresden, München, Charlottenburg, an den Uni- Franz Hessel (1880-1941). Nach dem Studium der versitäten Halle und Heidelberg, Dr. Ing. und Literaturgeschichte gab er in der Münchner Bohe-

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10.2 Kurzbiographien — H-J

me mit Franziska zu Reventlow den „Schwabinger Beobachter" heraus. 1906-1914 lebte er in Paris, nahm dann am Weltkrieg teil und wurde 192433 Lektor beim Verlag Ernst Rowohlt in Berlin. Der Stadt galten seine bekanntesten literarischen Arbeiten: „Heimliches Berlin" (Erziehungsroman, 1927), „Spazieren in Berlin" (Prosaskizzen, 1929); er arbeitete auch für Zeitschriften und als Übersetzer Stendhals, Balzacs und Prousts. 1933 mit Schreibverbot belegt, blieb er heimlich für Rowohlt in Berlin tätig, bis er 1938 nach Paris emigrierte. 1940 wurde er in einem Lager bei Aix-en-Provence interniert und starb nach seiner Freilassung an den Folgen der Haft in Sanary-sur-Mer. DBE. Martin H o b o h m (1883-n.e.). Studierte Geschichte in Heidelberg, München, Freiburg, Berlin, Göttingen und wurde 1912 Mitarbeiter am Berliner Zeughaus. Er habilitierte sich 1913 an der FWU Berlin und lehrte 1914 als Privatdozent in Kiel. 1915 trat er in den Dienst des Auswärtigen Amtes und erhielt 1920 einen Lehrauftrag für Geschichte und Kriegswesen in Berlin. Seit 1917/18 Herausgeber der „Deutschen Korrespondenz", seit 1918 der Schriftenreihen „Tag der Deutschen" und „Volksaufklärung", wurde er 1921 zum Reicharchivrat ernannt, 1923 zum a.o. Professor. Hobohm gehörte 1920/21 und ab 1926 als Sachverständiger dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Untersuchung der „Dolchstoßlegende" an; publizierte 1926 die Schrift „Untersuchungsausschuß und Dolchstoßlegende" und pazifistische Schriften. DBE. Albert H o f m a n n (1859-?). Architekturstudium TH Karlsruhe, Leipzig, Berlin. Kirchenbau am Erzbischöflichen Bauamt Karlsruhe. 1887-91 Direktor des Gewerbemuseums Reichenberg. Seit 1891 Herausgeber der „Deutschen Bauzeitung". TLK 1 (1918). Fritz (Johannes Friedrich) H ö g e r (1977-1949). Ursprünglich Zimmerer und Maurer, 1899 Meisterprüfung, Baugewerkschule Hamburg. 1901-05 Mitarbeit im Hamburger Architektenbüro Lundt & Kallmorgen. 1907 eigenes Büro, Siedlungs-, Kontor- und Industriebau im Werkstoff Backstein mit expressionistischen Stilelementen. Durchbruch mit Chilehaus Hamburg 1922-24, dann Hannoverscher Anzeiger, Sprinkenhof Hamburg, Scherk Berlin, Ev. Kirche Hohenzollernplatz Berlin 193133. Präsident der Wirtschaftlichen Vereinigung Deutscher Architekten, Vorstandsmitglied des

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DWB. 1934 kurzzeitig Professor für Baukunst und -handwerk an der Nordischen Kunsthochschule Bremen. DBE. Frederic Clemson H o w e (1867-1940). Studium in Baltimore, Halle, Ph.D. 1892 John Hopkins University. In einer Anwaltspraxis in Cleveland, dort als Stadtrat 1901-03 tätig, dann für den Senat von Ohio 1906-08, zunehmendes Interesse an kommunalen Fragen. 1905 „The City. The Hope of Democracy", gefolgt von weiteren Studien, auch über europäische Städte, in denen er seine Vorstellung eines civic revival mit Hilfe städtischer Planungen entwickelte. Seit 1910 in New York, Direktor des People's Institute. Von Wilson ernannt, 1914-19 Commissioner of Immigration of the Port of New York. Vorarbeiten für die 1924 gegründete Progressive Party, Assistent ihres Kandidaten Robert La Follette, in den dreißiger Jahren Unterstützung Roosevelts und Arbeit für die Regierung. DAB sup. 2 (Landon Warner). Joseph H u d n u t (1886-1968). Studium in Harvard 1906-09, B.A. University of Michigan 1912. Dozent für Architektur am Alabama Polytechnic Institute 1912-16; M.Sc. Columbia University 1917. Mit dem Amerikanischen Expeditionskorps in Italien 1917-19, war er 1919-23 in einem Architekturbüro in New York tätig. Er wurde Architekturprofessor der University of Virginia 1923-26, der Columbia University 1926-1935, dort 1934-35 Dekan der School of Architecture; dann an der Harvard University und dort Dekan der Faculty of Design. Mitglied der Fine Arts Commission. Μ.Α. Harvard 1942, Promotion (Fine Arts) 1949. Monographien zu Moderner Skulptur 1929, Architektur 1950. WWWA vol. 4. Hermann J a n s e n (1869-1945). Studium der Architektur an der TH Aachen, kurze Beschäftigung beim Magistrat Berlin, dann selbständiger Architekt. 1904 bis 1929 gab er die Zeitschrift „Der Baumeister" heraus. Siedlungs- und Teilbebauungspläne, u.a. der Aufschließung der Domäne Dahlem in Berlin, 1910 Preis für den Wettbewerbsentwurf für den Generalplan Berlin, in der Folge mehrfach für Bebauungspläne ausgezeichnet (Dresden, Plauen, Emden, Leipzig). 1918 Mitglieds des Senats der Pr. Akademie der Künste, 1920 a.o., 1923 ordentlicher Professor für Städtebau TH Berlin bis 1935. 1929 übernahm er nach Auszeichnung seines Wettbewerbsentwurfs bis 1936 die Leitung der Ausführung des Bebauungsplans für Ankara.

10.2 Kurzbiographien — J-Κ

1929 Mitglied der Pr. Akademie des Bauwesens, entwarf er auch einen Generalbebauungsplan für Madrid (Preis, 1930), Verkehrsregulierungen und Landhaussiedlungen in Berlin. DBE; Posener; Hofmann. Ignaz Jastrow (1856-1937). Studium in Breslau, Berlin, Habilitation 1885 für Geschichte, 1892 für Staatswissenschaft. 1905 wurde er Professor der FWU Berlin und Mitbegründer der Berliner Handelshochschule, deren Rektor 1906-1909. Sein Arbeitsschwerpunkt war das Verhältnis von Sozialpolitik und VerwaltungsWissenschaften, er war Mitbegründer der Zeitschrift „Soziale Praxis", publizierte Arbeitsmarktberichte, zu Statistik und nationalökonomischer Theorie. NDB (Emil Kauder).

1930 und Neudruck 1960. Der sozialgeschichtliche Ansatz traf auf erbitterte Ablehnung; ein Habilitationsversuch in Königsberg 1931 scheiterte. Seit 1929 Vorlesungen an der Berliner Hochschule für Politik und 1931 Arbeit an den Akteneditionen über Preußische Finanzpolitik. Kehr erlag als Rockefeller-Stipendiat in Washington seinem angeborenen Herzleiden. DBE; NDB.

Paul Underwood Kellogg (1869-1958). Journalist und 1902 assistant editor der Zeitschrift „Charities". 1907 leitete er die Arbeit an der ersten großen soziologischen Untersuchung einer Stadt, dem „Pittsburgh Survey", deren Ergebnisse 1910-1914 publiziert wurden. Seit 1912 verantwortlicher Herausgeber der Zeitschrift, die seit 1909 als „Survey" Alvin J o h n s o n (1874-1971). Seit 1914 Mitarbei- erschien, machte er sie gemeinsam mit seinem Bruter der Zeitschrift „New Republic". 1923 Direktor der durch Ausweitung der Themen und kontinuder New School of Social Research, die 1919 als ierliche Berichterstattung zu der führenden ZeitWeiterbildungsinstitut und Privatorganisation ge- schrift for the emerging profession of social work gründet worden war. 1927-34 war er Mitheraus- and a significant force in social reform für nahezu geber der „Encyclopedia of Social Sciences" und vierzig Jahre. DAB sup. 6 (Clarke A Chambers). verfügte über gute Kontakte auch zu deutschen Hermann Kesten (1900-1996). Studierte VolksWissenschaftlern. WWWA vol. 5; Autobiographie. wirtschaft und Jura, dann Geschichte. GermaniWilhelm Jost (1887-?). Studium der Architek- stik und Philosophie in Erlangen und Frankfurt tur an der TH Dresden. 1924 Privatdozent, 1925 a.M. 1927-33 war er Cheflektor im Verlag Gua.o., 1926 ordentlicher Professor der TH Stuttgart. stav Kiepenheuer. Er gilt als charakteristischer Baute Wohnhäuser, Verwaltungsgebäude, Schu- Schriftsteller der Neuen Sachlichkeit, der ironischlen, die Kirche in Fellbach bei Stuttgart, deren satirische Gesellschaftskritik mit aufklärerischer Fenster seine Ehefrau, die Wand- und Glasmalerin Absicht verband; verfaßte Romane seit 1927. im Lydia Jost-Schäfer entwarf. Vollmer. Exil historisch-biographische und nach 1945 auch zahlreiche Essays und autobiographische SammErich Kästner (1899-1974). Besuchte ab 1914 lungen. Nach der Emigration 1933-40 Lektor für ein Lehrerseminar, wurde aus dem Militärdienst Allert de Lange in Amsterdam. In Frankreich zeitwegen eines Herzleidens entlassen. Nach Abitur weilig interniert, floh er im Mai 1940 nach New Studium Germanistik, Geschichte, Philosophie in York, wo er beim „Emergency Rescue CommitLeipzig, Rostock und Berlin, 1925 Promotion. Retee" für deutsche Kollegen arbeiten konnte. DBE dakteur der „Neuen Leipziger Zeitung", seit 1927 (Hans Wagner). in Berlin freier Mitarbeiter der „Weltbühne" und der „Vossischen Zeitung". Seit 1928 erschienen seiSidney Fiske Kimball (1888-1955). B.A. Harvard ne Gedichte, er schrieb Kinderbücher und fürs Ka1909, M. Arch. University of Michigan 1912. ein barett, 1931 erschien der Roman „Fabian". 1933 Jahr als Dozent für Kunst und Architektur an der wurden seine Bücher verbrannt. Kästner arbeiUniversity of Illinois in Urbana. 1913-15 wurde er tete unter Pseudonym, für das Ausland und an Dozent der University of Michigan, dort 1915 proFilmdrehbüchern, erhielt 1942 totales Schreibvermoviert und Assistant Professor. 1916 Forschungsbot. Nach 1945 wurde er Feuilletonchef der „Neustipendium, 1918-19 Assistant Professor of Fine en Zeitung" und war 1957-62 Präsident des PEN Arts in Ann Arbor. 1919 als Professor an die UniDeutschland. DBE. versity of Virginia berufen, gründete er dort das Eckart Kehr (1902-1933). Studium Geschichte. Department of Architecture in Charlottesville, das Philosophie. Ökonomie und Soziologie in Berlin. er bis 1923 leitete. Bis 1925 Dekan an der New 1927 bei Friedrich Meinecke mit „Schlachtflot- York University und Moose Professor of the litetenbau und Parteipolitik" promoviert, publiziert rature of the arts and design. Währenddessen auch

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10.2 Kurzbiographien — Κ

als Architekt tätig, baute er zuerst Sommerhäuser in Maine, Siedlungen und assoziierte sich in New York mit dem Büro McKim, Mead ic White für die Bauten der New York University, deren Architekt er bis 1955 blieb. Er war an zahlreichen Restaurierungen beteiligt, u.a. am Landsitz Monticello von Jefferson, und Berater Trumans. Er entdeckte 1916 Jefferson als Architekten und publizierte zahlreiche weitere Schriften dazu mit seiner Frau Marie, deren einflußreichste der „Domestic Architecture" der frühen Republik galt. Seit 1925 Direktor des Kunstmuseums von Philadelphia (bis 1955), füllte er das Museum, das bei seinem Amtsantritt nahezu leer war, durch Ankauf bedeutender Sammlungen und setzte sich für die erzieherischbildnerische Funktion des Museums ein. DAB sup. 5 (Fredrick D. Nichols).

te für Analysen von Wohnhausbauten; Siedlungen in Berlin 1928 und Bad Dürrenberg 1928/29 nach seinen Theorien mit systematischer Orientierung nach klimatischen Einflüssen. Er emigrierte 1935 über Frankreich nach Israel, Professor am Technion Haifa, Vorsitz des Forschungsinstituts für Stadtplanung, Herausgeber zweier Zeitschriften, 1956 Dr. h.c. der TU Stuttgart. MEA (H.H. Waechter).

Georg Friedrich Knapp (1842-1928). Promotion 1865 in Göttingen, Besuch des Statistischen Seminars in Berlin, 1867 Leiter des Statistischen Amtes in Leipzig (Sterblichkeitsstatistik), 1869 a.o. Professor für Statistik an der dortigen Universität. Er gehörte zum Gründerkreis des VfSP, teilte jedoch nicht deren politisch-publizistische Tätigkeit. 1874 erhielt er einen Ruf nach Straßburg, widmete sich Theodora Kimball Hubbard (1897-1935). 1908 dort zunächst agrarhistorischen Forschungen; 1887 Eintritt in die Harvard Library, 1918 M.A. in Li- Publikation über die Bauernbefreiung; dann zur brary science. Gab seit 1912 Jahresübersichten zur Geldtheorie. 1905 erschien sein Hauptwerk „Die Planungsliteratur in Fachzeitschriften heraus, Ko- staatliche Theorie des Geldes" über „funktionelautorin und Herausgeberin von Fachliteratur, be- le Wertbegründung". HDSW (Franz Gutmann); sonders bibliographischer. Verfaßte unzählige Re- NDB (Walter Braeuer). zensionen für die Zeitschrift „City Planning", deWalter Jodok Kohler (1875-1940). Ausbildung in ren Mitherausgeberin sie war. Seit 1924 mit dem der väterlichen Firma für (heute auch in EuroArchitekten Henry Hubbard verheiratet, führte sie pa vertriebene) Armaturen und Sanitärobjekte im den Doppelnamen und veröffentlichte mit „Our gleichnamigen Ort am Sheboygan River am LaCites Today and Tomorrow" eine kritische Uberke Michigan. Nach Tod des älteren Bruders desicht zum Stand der Planung. Ladner Birch. ren Präsident. Seit 1912 nach europäischen InMartin Kirschner (1842-1912). Jurastudium in spirationen um eine Modellwerkssiedlung bemüht, Breslau, Berlin und Heidelberg, 1868 Referendar, die als seine bemerkenswerteste Leistung gilt, er1871 Gerichtsassessor, war er kurze Zeit Kreisrich- hielt er 1934 dafür eine Auszeichnung. Im selben ter, 1873-79 als Stadtrat und Syndikus in Bres- Jahr führten Konflikte mit den von ihm abgelehnlau, dann Anwalt und Notar. Bis 1891 gehörte ten Gewerkschaften zu Streiks und Unruhen mit er der Stadtverordnetenversammlung Breslau an, Verletzten und Toten in Kohler WI. 1928-30 war vertrat die Stadt auch im schlesischen Provinzi- er Gouverneur von Wisconsin, wurde bei der erallandtag. 1892 erfolgte seine Wahl zum Bürger- neuten Kandidatur von der Progressive Party und meister, 1898 zum Oberbürgermeister von Ber- Philip M. La Follette geschlagen, doch sein Feldlin. Er erzielte Erfolge im Kampf um die Kom- zug gegen the La Follette machine machte ihn munalisierung der Straßenbahngesellschaft, jedoch bekannt, 1936 wurde er als möglicher Präsidentnicht in dem um eine Einheitsgemeinde und gab schaftskandidat genannt. DAB sup. 2 (Herbert W. sein Amt kurz nach der Wiederwahl von 1912 auf. Rice). DBE. Albert Kohn (1857-1926). Seit früher Jugend SoAlexander Klein (1879-1961). Geboren in Odes- zialist, brach er mit seiner großbürgerlichen Fasa, Architekturausbildung am Technischen In- milie und wurde nach dem Abitur Handlungsgestitut St. Petersburg. Nach Abschluß eigenes hilfe, um sich (gemeinsam mit seiner Frau Julie) Büro, bes. Industrieanlagen, 1904 Stadthospital in der Gewerkschaftsbewegung zu engagieren. Seit St. Petersburg (2000 Betten), Vorsitz des Fach- 1893 arbeitete er in der sozialdemokratisch geleibereichs Architektur am Technischen Institut. teten Arbeitsgemeinschaft der Ortkrankenkassen. 1920 nach Berlin übergesiedelt, wurde er Exper- 1898 wurde er Leiter der Krankenkasse der Kauf1130

10.2 Kurzbiographien

und Handelsleute und Apotheker, die mit dem Zusammenschluß nach dem Reichsversicherungsgesetz am 1. Januar 1914 zur Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin zur größten des Reichs aufstieg. Berater von Parteivorstand und Fraktion der SPD und Gewerkschaften, blieb er bis 1925 in diesem Amt. Er setzte die Krankenkontrolleure zur Erhebung der Wohnverhältnisse ein und publizierte seit 1902 eine jährliche „Wohnungs-Enquete", wurde dafür von der Grundbesitzerlobby angefeindet. Seine Publikationen zum Wohnungselend brachten ihm internationale Anerkennung ein. Er beriet 1908 Lloyd George und arbeitete mit dem Roten Kreuz und der Heilsarmee zusammen; stand der Gartenstadtbewegung nahe. NDB (Albert W. Stargardt). Heinrich Kosina (1899-1977). In Wien geboren, Ausbildung zum Architekten u.a. bei Josef Hoffmann. 1920 nach Berlin, war er Mitarbeiter bei Erich Mendelsohn und Mitglied der „Novembergruppe". 1923-25 mit Paul Mahlberg Inhaber des Architekturbüros „Bau und Einrichtung"; dann selbständig. Baute u.a. 1923-25 die Halle des Flughafens Tempelhof. 1946-50 Gewerbeschullehrer, dann im Planungsbüro für den Flughafen Frankfurt/Main, später des Münchner Flughafens. WLB; DBE. Francis Kruse (1854-1930). Geboren in Köln, Jurastudium Berlin, Heidelberg, Göttingen, Promotion 1876. Referendar in Berlin, 1881 Assessor im Landratsamt Altena. Seit 1891 im Pr. Ministerium des Inneren tätig, wurde er 1901 Regierungspräsident in Bromberg, 1903 in Minden und 1909 in Düsseldorf. Durch Heirat mit Margarete Zanders 1881, Tochter eines Gladbacher Papierfabrikanten, Kontakte zur Industrie. Er förderte im Regierungsbezirk Elektrizitätsversorgung und Wohnungsfürsorge und befaßte sich nach seinem Abschied 1919 mit dem Rhein-Verkehrsverband. NDB (Gisbert Knopp). Robert Rene Kuczynski (1876-1947). Französisches Gymnasium Berlin, Studium der Nationalökonomie seit 1897 in Freiburg, Straßburg, München. 1897 Promotion bei Brentano, 1900 gemeinsame vergleichende Untersuchung zur Tauglichkeit in Stadt und Land. 1898 war er Volontär am Statistischen Amt der Stadt Berlin, 19001903 am Statistischen Bundesamt in Washington, seine langfristige Studie zum Arbeitslohn in Europa und USA erschien 1913. 1904 Direktor



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des Statistischen Amtes Stadt Elberfeld, 1906-21 der Stadt Schöneberg. Arbeiten zur Finanzpolitik, Vortragsreisen. 1925 gründete er den Ausschuß für Fürstenenteignung, der 14,4 Millionen Stimmen, aber nicht die erforderliche Mehrheit mobilisierte; im Vorstand der „Liga für Menschenrechte''. 1926-32 Forschungsaufenthalte in den USA, Publikationen dort. Er emigrierte 1933 über die Schweiz nach London und lehrte dort seit 1938 an der London School of Economics, 1943 Beteiligung an der „Freien Deutschen Bewegung". Jürgen Kuczynski: NDB; TLK; Kaznelson. Gustav Langen (1878-1959). Studium TH Karlsruhe, Berlin. Im Staatsdienst in Berlin und Lübeck tätig, war dann Assistent im Seminar für Städtebau, TH Charlottenburg. Mitarbeiter Hegemanns bei der Düsseldorfer Ausstellung 1910; Wissenschaftlicher Leiter der Städtebauausstellung der Internationalen Baufachausstellung Leipzig 1913. aus der das "Archiv für Siedlungswesen" enstand. Er war 1914-38 dessen Leiter und präsentierte es in Göteborg 1923. Es wurde später dem Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht inkorporiert. Mitglied des Bund Heimatschutz, der Deutschen Gartenstadtgesellschaft, Vorstand 1925. Zahlreiche Artikel in Zeitschriften und Sammelwerken. 1930 Technischer Berater des Landesplanungsverbandes Brandenburg. TLK 1 (1918) ff.; Frank: Geist/Rausch. Emil Lederer (1882-1939). Studium Rechts- und Staatswissenschaften in Wien, Berlin und München, zum Dr.jur. 1905 in Wien promoviert, war er 1907-10 Sekretär des Niederösterreichischen Gewerbevereins. 1910 wurde er Redakteur des „Archivs für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik", 1918 Schriftleiter und 1921-33 dessen Herausgeber, gemeinsam mit Schumpeter und Alfred Weber. 1911 zum Dr. rer. pol. bei Brentano promoviert, habilitierte er sich 1912 mit einer Studie über „Die Privatangestellten", wurde 1918 a.o., 1922 ordentlicher Professor für Nationalökonomie in Heidelberg. 1920/21 Mitglied der Sozialisierungskommission in Deutschland, 1923-25 Austauschprofessor in Tokio. Seine volkswirtschaftlich-theoretischen Schriften untersuchten Klassenstrukturen und Veränderungen der Soziologie, wobei er in Opposition zu M. Weber einen demokratischen Sozialismus vertrat. 1931 erhielt er in Nachfolge Sombarts eine ordentliche Professur an der Universität Berlin und wurde Direktor des Staatswissenschaftlich-

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statistischen Seminars. 1933 über Paris nach New York emigriert, war er erster Dekan der Graduate Faculty of Political and Social Science der NSSR, der University in Exile und deren führender Kopf. DBE; NDB (Dirk Käsler). Joseph Lee (1862-1937). Geboren into Boston's Brahmin caste, Cousin Philipp und Richard Cabots. LL.B. Harvard, Beruf nie ausgeübt. Demokrat, Freihändler, für Geburtenkontrolle und Restriktion der Immigration. Er arbeitete für soziale Verbesserungen, war Gründer und Präsident der Massachusetts Civic League 1897-1935, in verschiedenen Bildungs- und Schulkommittees und engagierte sich für die Organisation von Spiel und Erholung, Publikation „Play in Education" 1915. Vize- und Präsident der Playground Association of America: Lee represented the quintessence of the creative social conscience of New England. DAB sup. 2 (Neva R. Deardorff). Joseph Henry Lemonnier (1842-1936). Promotion Jura 1866, bei Gericht tätig. 1872 agrege d'histoire et geographie, Lehramt. 1887 docteur des lettres, seit 1889 als Lehrkraft an der Faculte des lettres Paris tätig. 1893 erschien seine „L'art frangais au temps de Richelieu et de Mazarin", im selben Jahr wurde er Privatdozent für Kunstgeschichte. Mitarbeit an der „Histoire de France" von Lavisse/Rambaud, 1899 Professur, 1912 emeritiert. Werke zur Kunstgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts, Herausgeber der Sitzungsprotokolle der Academie royale d'architecture 1911-24. Charle. Theodor Lessing (1872-1933). Sohn eines Arztes, studierte nach abgebrochenen Berufsausbildungen Medizin in Freiburg, Bonn, München, 1895 dann Psychologie, Literatur und Philosophie, 1899 Dr. phil. Tätig als Publizist, seit 1904 als Reformpädagoge, verfaßte er 1906 eine Einführung in die moderne deutsche Philosophie. Arbeitete als Theaterkritiker und habilitierte sich bei Husserl in Philosophie. 1919 erschien sein Grundlagenwerk über die erkenntniskritischen und geschichtspsychologischen Voraussetzungen des historischen Gedächtnisses „Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen", 1927 in der 4. Auflage. 1920 gründete er die Freie Volkshochschule in Hannover und lehrte seit 1922 als a.o. Professor an der T H Hannover. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit Essays für das „Prager Tagblatt". Nach Hetzkampagnen infolge eines Porträts Hindenburgs gab

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er 1926 seinen Lehrauftrag auf, vom Ministerium in einen Forschungsauftrag umgewandelt. Er vertrat einen pragmatischen Sozialismus, kritisierte die technische Zivilisation und warnte früh vor der völkisch-nationalen Bewegung. Lessing starb an den Folgen eines nationalsozialistischen Attentats in seinem Exil in Marienbad. DBE; Marwedel. Alfred Lichtwark (1852-1914). Sohn eines Müllers, Freischule, Lehrer. Zulassung zum Studium der Kunstgeschichte ohne Abitur, das er 1880 in Leipzig begann. 1881 wurde er Assistent am Kunstgewerbemuseum Berlin, ab 1885 schriftstellerische Arbeit und 1885 in Leipzig promoviert. 1886 wurde er zum Direktor der Hamburger Kunsthalle ernannt. Mit Programmschriften und dem Aufbau zahlreicher Sammlungsgebiete gelang ihm dessen Ausbau zu einem führenden deutschen Museum, publizierte pädagogische Anleitungen zur Kunsterziehung, Fachvorträge und Essays. Schaar; NDB (Alfred Hentzen). Theodor Lipps (1851-1914). Studium u.a. in Tübingen, 1872 theologisches Examen. Studium Philosophie und Promotion 1874 in Bonn, 1877 Habilitation. Publizierte 1883 „Grundtatsachen des Seelenlebens", 1884 a.o. Professor, 1890 Universität Breslau, 1894 nach München, gründete dort das Psychologische Institut. Sein Them a war die Psychologie als erkenntnistheoretische Grunddisziplin; nachhaltige Wirkung erzielten seine Schriften zu ästhetischen Problemen seit Ende der 1890er Jahre: „Einfühlung" als Erkenntnisquelle, zog zugleich wachsende Kritik auf sich. NDB (Wolfhart Henckmann). Otto Lippstreu (1862-?). Dr., Prof. TH Berlin, Germanische Sprachwissenschaften, Literaturgeschichte, seit 1921 nichtbeamteter a.o. Professor an der TH Berlin, Privatdozent der TH Charlottenburg seit 1895. Publizierte 1886 „Wilhelm Scherer", 1894 und als Koautor über mittelalterliche Handschriften. KGK 5 (1935); DBA. Walther Lötz (1865-1941). Promotion bei Knapp und Brentano in Straßburg, zweijährige Banktätigkeit. Er habilitierte sich 1890 in Leipzig, unternahm eine Englandreise mit Brentano. 1893 erhielt er eine Professur in München für Finanzwissenschaft, Statistik und Volkswirtschaftslehre. Wirtschaftsgeschichtliche Studien mit dem Schwerpunkt Finanzwissenschaft, sein Hauptwerk gleichen Titels 1917 gilt als umfassende Darstellung historischen Materials. Mitglied des VfSP,

10.2 Kurzbiographien

der Bayerischen Akademie. HDSW (Karl Bräuer); NDB (Walter Braeuer). Abbott Lawrence Lowell (1856-1943). Aus traditionsreicher neuenglischer Familie, ausgebildeter Jurist. 1896 Veröffentlichung einer Studie über europäische Verwaltung, 1897 Dozent in Harvard für Verwaltungswissenschaft, 1900 Professur für government. 1909-33 als Nachfolger Charles W. Eliots Präsident der Universität, mit Wilson befreundet. 1910 Prüfungsreformen: Einschränkung der freien Wahl gegen Utilitarismus und Spezialausbildung, für allgemeine Prüfungen und Konzentration auf ein Fach, eine Neuerung in den USA. Trat während des Weltkrieges und weiterhin für die akademische Meinungsfreiheit ein. DAB sup. 3 (Hugh Hawkins). Hans (Johannes) Luckhardt (1890-1954). Sohn eines Metallwarenfabrikanten, brach das Gymnasium ab, studierte 1909-11 an der TH Karlsruhe Architektur. War mit seinem Bruder Wassili 1919 Mitglied des Arbeitsrats für Kunst und der „Novembergruppe", reiste dann in Italien, Spanien, Frankreich und England. 1921 eröffneten die Brüder ein Büro, das mit dem Kompagnon Alfons Anker (1872-1958) als „Brüder Luckhardt und Alfons Anker" firmierte. Ihre neuartigen Stahlund Stahlbetonskelettkonstruktionen trugen ihnen zahlreiche Preise für Entwürfe und Bauten ein. 1933 mit Bauverbot belegt, emigrierte Anker nach Schweden, während H. Luckhardt seit 1927 bewegliche Stahlrohrstühle entwarf, deren Patente ein Einkommen während des nationalsozialistischen Regimes sicherten. Nach 1945 übten ihre Bauten einen großen Einfluß in der Architekturentwicklung aus (Berlin-Pavillon der Constructa, Hannover 1951); H. Luckhardt wurde 1953 Honorarprofessor der Akademie der Künste. DBE; NDB (Günther Kühne). Wassili Luckhardt (1889-1972). Studierte Architektur an der TH Charlottenburg 1907-14, davon drei Jahre Militärdienst. 1919 veröffentlichte er als Mitglied des Arbeitsrats wie der „Novembergruppe" erste utopische Baupläne (Festhalle, Kino). Die Wohnhausgruppen des gemeinsamen Büros an der Schorlemmeralle in Berlin 1925-1928 erprobten und vervollständigten Konstruktion und Formen. Das Büro baute zahlreiche Geschäftshäuser und Läden um und war nicht auf eine Konstruktion oder einen Baustoff festgelegt. 1926 wurden alle drei Architekten Mitglieder des „Ring". 1954

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führte W. Luckhardt die Arbeit weiter, u.a. mit dem Kottbuser Tor 1952-56, dem Sanierungsbeginn des Stadtteils Kreuzberg und wurde 1956 Mitglied der Akademie der Künste. DBE; NDB (Günther Kühne). Emil L u d w i g (1881-1948). Sohn eines Augenspezialisten (der 1883 den Namen Cohn ablegte). Studierte Jura und Geschichte in Heidelberg, Lausanne, Breslau, Berlin. Nach zwei Jahren kaufmännischer Arbeit ließ er sich 1906 in der Schweiz als freier Schriftsteller nieder. Während des Ersten Weltkriegs Kriegsberichterstatter des „Berliner Tageblatts" in London, Wien, Athen und Konstantinopel, setzte er sich für Pazifismus ein. 1902 konvertiert, kehrte er nach der Ermordung Walter Rathenaus zum jüdischen Glauben zurück. Seine Biographien (1920 Goethe, 1925 Napoleon, 1926 Wilhelm II., 1927 Bismarck u.a.) stellen in ihrer psychologisierenden Darstellungsform den Anschluß an die angelsächsische gängige Form erzählter Geschichte dar. 1933 nahm er die Schweizer Staatsbürgerschaft an und engagierte sich gegen die nationalsozialistische Herrschaft. 1940 in den USA Sonderbeauftragter Roosevelts für Deutschland, trug ihm seine Ableitung des Nationalsozialismus aus dem deutschen Nationalcharakter und die demnach geforderte Umerziehung neue heftige Kontroversen ein. DBE. Duncan M c D u f f i e (1877-1951). B.S. University of California. Geschäftsführer eines Kaufhauses in Oakland 1900-05, Eintritt in eine Immobilienfirma, die dann als Mason-McDuffie firmierte, war er deren Direktor bis 1951. Planung, Bauleitung und Verkauf exklusiver Vorortsiedlungen in Berkely und San Francisco. Deren bekannteste war St. Francis Wood. 1913-29, mit den Olmsted Bros, als Landschaftsplanern. 1913-17 Vorsitz der Civic Arts Commission Berkeley, war er 1914 Initiator und Vorsitzender der City Planning Commission in Berkeley, Begründer und Vizepräsident der California Conference on City Planning. Später in der California State Park Bewegung aktiv, beschaffte er ihr äußerst erfolgreich Mittel für den Ausbau (6 Mio. Dollar 1928-30). NCAB vol. 40: Weiss. Martin Mächler (1881-1958). Von Beruf Schreiner, bildete er sich als Autodidakt in Naturwissenschaft und Technik wie Wirtschaft und Politik weiter, fuhr bis 1907 zur See. In Berlin niedergelassen, befaßte er sich mit Architektur und Stadtplanung und war an der Ausarbeitung des Gesetz-

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entwurfs zur Einheitsgemeinde Groß-Berlin beteiligt. Er initiierte 1926 die Gründung des „CityAusschusses" des Vereins Berliner Kaufleute und des DWB. Seine programmatische Schrift „Demodynamik" wurde von den Nationalsozialisten verboten. Nach 1945 wurde er Professor für Sonderfragen des Städtebau an der TU Berlin, wo er sich der Landesplanung, Energie- und Raumforschung widmete. DBE. Luiz Heinrich M a n n (1871-1950). Verließ Lübeck 1889 und machte eine Buchhandelslehre in Dresden, 1891/92 ein Volontariat beim Verlag S. Fischer in Berlin. Studierte 1893-98 und veröffentlichte erste autobiographische Romane. Die Novellen von 1897 zeigen eine Schulung an französischer Literatur, nach der er sich der Zeitkritik in einer raschen Folge von Romanen widmete. 1905 erschien der erste Zeitroman des 20. Jahrhunderts, „Professor Unrat", sein berühmtester wurde der kurz vor Kriegsbeginn abgeschlossene „Untertan". In der Republik ein bedeutender Essayist und Verfasser politischer Aufsätze wie weiterer Romane wurde er 1931 zum Präsidenten der Sektion Dichtkunst der Pr. Akademie der Künste gewählt. 1933 mit Schreibverbot belegt, emigrierte er nach Frankreich, schrieb für Exilzeitschriften und verfaßte die historischen Romane über „Henri Quattre". 1940 floh er über Lissabon in die USA und verfaßte späte Satiren. Schließlich zum Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste (Ost) berufen, verstarb er vor seinem Amtsantritt. DBE (Helmut Koopmann). Otto March (1845-1913). Geboren in BerlinCharlottenburg, jüngster Sohn des Tonwarenfabrikanten Ernst March. 1858 Abitur am Friedrichwerderschen Gymnasium (mit Max Liebermann), 1860 Ausbildung Bauakademie Berlin, war er Schüler in Schadows Atelier, 1872 bei Heinrich Ferstel, Wien. 1876 Staatsexamen, 1878 Regierungsbaumeister, seit 1880 als Privatarchitekt selbständig. Er baute das Theater Worms 188990, evangelische Kirchen 1895 ff., veröffentlichte dazu auch Schriften, Wohn- und Landhäuser (eigenes 1904-05) unter englischem Einfluß, Geschäftsbauten, Kaufhaus Neue Friedrichstraße 1895, Rennbahnen, schließlich das Stadion Grunewald 1912. 1899 außerordentliches, 1908 Mitglied der Pr. Akademie des Bauwesens, weitere Ehrungen. Mitbegründer und Vorsitzender des Architektenaussschusses für Groß-Berlin 1907, Anregung des Wettbewerbs und Initiator der Städtebau-

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Ausstellung 1910, Vorsitz der „Zwölfergruppe" des VBA und VDAI; der Mann unbedingten Vertrauens aller (Emil Högg). Seit 1889 verheiratet mit Maria Vorster, der Schwester Elise HegemannVorsters, vier Söhne. Degener 2 (1906) ff.; Nachrufe; Posener. Werner March (1894-1976). Sohn Otto Marchs, geboren in Berlin-Charlottenburg, Gymnasium dort. Studium Hochbau THH Dresden, Charlottenburg, 1922 Staatsexamen. 1922-23 Meisterschüler bei German Bestelmeyer, Akademie der Künste, Regierungsbaumeister, arbeitete er seit 1925 als selbständiger Architekt und baute Wohnund Industriebauten, Sportanlagen, Kirchen, 1923 die Wohnsiedlung der Reichsbank an der Cunostraße Berlin. 1926 wurde er für den Entwurf Deutsches Sportforum ausgezeichnet, 192728 die Ausführung. 1929 erhielt er den Auftrag zur Vergößerung des Deutschen Stadions, daraus entstanden 1932-36 Anlagen und dann das Olympia-Stadion unter Mitarbeit seines Bruders Walter. 1940-45 war er Stabsoffizier, danach in Minden/Westfalen mit der Rekonstruktion des Domes befaßt. 1953 Professur für Städtebau und Siedlungswesen an der TU Berlin, Direktor des Zentralinstituts für Städtebau. In den 60er Jahren baute er eine Kirche in Wilmersdorf, Institutsgebäude der TU und verfaßte mit Ilse Balg Gutachten zur Sanierung Kreuzbergs wider den „Kahlschlag". Rhb; Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 25 (1974). Benjamin Clarke Marsh (1877-1953). B.A. 1898, Studium an den Universitäten von Chicago 18981900 und Pennsylvania in Philadelphia 1902-05. 1903 wurde er Sekretär der Pennsylvania Society to Protect Children from Cruelty und 1907-1918 des New Yorker Committee on Congestion. Er war Korrespondent während des Balkan-Krieges 1912-13 und wurde nach Kriegsende Sekretär der People's Lobby und Herausgeber ihres Bulletins. WWWA vol. 5; Autobiographie; Kantor. Wilhelm Marx (1851-1924). Nach dem Jurastudium in Leipzig und Bonn Amtsrichter in Barmen, dann 1885 Landrichter in Elberfeld. 1888 zum Beigeordneten und 1898 zum Oberbürgermeister von Düsseldorf gewählt, förderte er insbesondere den Ausbau städtischer Infrastruktur, des Rheinhafens 1896 und die Gründung der Rheinischen BahnGesellschaft 1896. Als Vorsitzender des „IndustrieClubs" Düsseldorf pflegte er die Kontakte zur

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Wirtschaft. In seiner zwölfjährigen Amtszeit entwickelte sich Düsseldorf zur modernen Großstadt. Seit 1912 war Marx Mitglied des preußischen Herrenhauses. DBE. Erich Mendelsohn (1887-1953). Studium der Architektur an den THH in Berlin und München, Kontakte zur Künstlergruppe „Blauer Reiter". 1918 eröffnete er ein eigenes Büro in Berlin und war Gründungsmitglied der „Novembergruppe". Sein erstes großes Projekt (Einsteinturm, Potsdam 1920) wie die frühen Zeichnungen entstanden unter expressionistischem Einfluß. In der Folge bezeichnete er selbst seine Architektur als „organische" und „dynamische", für die horizontal betonte und gekurvte Fassaden mit langen Fensterbändern typisch waren. 1924 gründete er mit Mies und Gropius die führende Vereinigung progressiver Architekten, den „Ring". 1933 emigrierte er nach England, 1939 nach Palästina, wo er seit 1936 ein Büro betrieb, 1941 in die USA und erhielt einen Lehrauftrag an der University of California in San Francisco. DBE; Posener. Peter Meyer (1894-1984). Studierte an der TH München und arbeitete 1919-21 als Architekt in Wetzlikon bei Zürich. Dann Mitarbeiter der „Schweizerischen Bauzeitung" und der Zeitschrift „Das Werk", deren Hauptredakteur er 1930-42 war, Arbeiten auch für andere in- und ausländische Zeitschriften. 1935 habilitiert, wurde er darauf Privatdozent an der ΕΤΗ Zürich, veröffentlichte 1942 „Schweizerische Stilkunde", wurde 1949 Titularprofessor und 1951 a.o. Professor für Systematik und Ästhetik der Architektur. 1944 für klassische Archäologie habilitiert, erhielt er 1956 eine a.o. Professur für die Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Universität Zürich. DBE. Leberecht Migge (1881-1935). Besuchte eine Gartenbauschule in Hamburg, übernahm dort 1904 die künstlerische Leitung in einer der ersten großen Landschaftsbaufirmen. Zunächst schuf er hauptsächlich bürgerliche Villengärten und gestaltete mit dem 1913 eröffneten eigenen Büro vor allem Volksparks und Soldatenfriedhöfe. Publizierte 1913 „Die Gartenkultur des 20. Jahrhunderts" und mit sozialem Engagement 1918 die programmatische Schrift „Jedermann Selbstversorger", ein Konzept für Siedlungen und Gartenstädte, soziale und ökologische Wohnanlagen bei Selbstversorgung mit Lebensmitteln. Gartenplanungen in Zu-

sammenarbeit mit Otto Haesler in Celle, Ernst May in Frankfurt und Martin Wagner in Berlin, etwa der Großsiedlungen Lindenhof und der Hufeisensiedlung. Er betrachtete 1932 „Die wachsende Siedlung nach biologischen Gesetzen". DBE; Posener; MEA (C.C. Collins). Wilhelm Mommsen (1992-1966). Enkel Theodor Mommsens, studierte Geschichte und promovierte 1922 über „Richelieu, Elsaß und Lothringen". Nach der Habilitation von 1923 in Göttingen wurde er 1928 a.o. Professor und 1929 Ordinarius in Marburg und publizierte nach 1945 über politische und soziale Fragen des 19. Jahrhunderts: das Bürgertum, das Abendland seit der Französischen Revolution und Deutsche Parteiprogramme. DBE. Hermann Muthesius (1861-1927). Studium an der FWU 1881-83, danach der Architektur an der TH Charlottenburg 1883-87, Mitarbeit im Büro Paul Wallots. Nach Bauleitungen in Japan 1887 arbeitete er seit 1893 als Architekt im Pr. Ministerium für öffentliche Arbeiten. 1896 als „Technischer Berichterstatter" an die Deutsche Botschaft in London entsandt. Er veröffentlichte zahlreiche Schriften über zeitgenössische englische Technik, Kunst und Architektur, 1909 „Das Englische Haus" (3 Bde.). Nach seiner Rückkehr war er im Preußischen Handelsministerium für die Reform der Kunstgewerbe- und Fachschulen tätig und baute als Privatarchitekt mehr als 70 Villen. Land- und Mietshäuser. Mitbegründer des Deutschen Werkbundes 1907. bis 1916 im Vorstand. Rückzug aus der Reformdiskussion. Publikationen zum Kleinwohnhaus. Wiltrud Petsch-Bahr. Karl Friedrich Werner Nasse (1822-1889). Aus einer Medizinerfamilie, studierte in Bonn, Marburg, Prag, Wien, Paris, Psychiater. Seit 1847 Arzt in Bonn, leitete er verschiedene Irrenanstalten und kämpfte gegen Alkoholmißbrauch. Begründung des ersten deutschen Trinkerasyls. 1850 „Vorschlag für Irrengesetzgebung", 1867 begründete er den Psychiatrischen Verein der Rheinprovinz, dem er bis zu seinem Tode vorsaß. 1881 Honorarprofessor der Universität Bonn. Herausgeber der ..Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie". Biographisches Lexikon der hervorragenden Arzte. Friedrich Naumann (1860-1919). Studierte Theologie und war Helfer im Rauhen Haus Hamburg 1883-95, 1896-1900 Pfarrer und Vereinsgeistlicher der Inneren Mission in Frankfurt a.M. Gegen den 1135

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Stoeckerschen Konservatismus warb er für Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft und gründete 1894 das Wochenblatt „Die Hilfe", 1896 den „Nationalsozialen Verein" für einen nationalen Sozialismus, der den Imperialismus als Modernisierungshebel des Kaiserreichs verstand. Nach Scheitern des Vereins in den Wahlen wandte er sich der Gewerkschaftsbewegung zu und war 1907-12 Mitglied des Reichstags. 1910 erreichte er als engagierter Vertreter der Parlamentarisierung den Zusammenschluß der Splitterparteien zur „Fortschrittlichen Volkspartei". Er vertrat eine mittlere Linie der Kriegsziele und wurde 1918 Mitbegründer und Vorsitzender der „Deutschen Demokratischen Partei" (DDP), gehörte dem Verfassungsausschuß der Nationalversammlung von Weimar an. DBE (Peter Theiner). Viktor Noack (1878-?). Geboren in Glogau, Sozialpolitiker. Sozialwissenschaftliche Studien und sozialpolitische Bücher, „Wohnungsnot und Mieterelend" 1918, „Die Untersten. Geschichten aus dem Berliner Scheunenviertel" 1927, „Das soziale Sexualverbrechen. Wohnungsnot und Sexualmoral" 1932. Herausgeber des „Taschenbuch für Kommunalpolitiker" 1922, in der Weimarer Republik Referent im Reichsarbeitsministerium. Nachdruck der Zeitschrift „Aktion". John Nolen (1869-1937). Studium University of Pennsylvania, Wharton School. Ph.Β. 1893, war er bis 1903 Sekretär der American Society for the Extension of University Teaching. 1901-02 Studien in Europa, besuchte dann die Harvard School of Landscape Architecture, Μ.Α. 1905. Gründung der eigenen Firma in Cambridge, die in der Folge über 400 Projekte betreute, darunter Planungen für 50 Städte. Er wurde als „Pionier" der Stadtplanung überaus bekannt. 1911-12 Mitglied der Boston Metropolitan Plan Commission, Präsident des American Institute of City Planning und der NCCP 1925-27, der International Federation for Housing and Town Planning 1931-35. Neben der Praxis Vortragsreisen, mehrfach Europareisen, Publikationen und Dozent an mehreren Universitäten, 1928-36 Harvard. DAB sup. 2 (Ruth Lowens Mace); NCAB vol. 27; Hancock. Gustav Oberlaender (1867-1936). Geboren in Düren/Westfalen, wanderte er nach Realgymnasium und Lehre im Chemiegroßhandel 1888 in die USA aus. Fortbildung in Abendschulen, Militärdienst in Deutschland, Rückkehr. 1891-96 war

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er Sekretär bei Steinway h Sons, New York, 18961906 Mitinhaber eines Getränkegroßhandels in Indianapolis. 1906 wurde er Geschäftspartner Thuns und Janssens in den Berkshire Knitting Mills. Mit ihm prosperierte die Trikotagen- und Strumpfwirkerei, durch Produktionsneuerungen und Aufnahme von Seidenwaren stieg von 1906 bis 1929 die Tagesproduktion von 1000 auf 10.000 Strümpfe, der Jahresumsatz von $ 66.000 auf 22 Millionen. Nach seinem Rückzug 1926 widmete er sich dem 'Kultursponsoring' (Museen, archäologische Expeditionen), besonders der Förderung deutschamerikanischer Freundschaft, wesentlicher Anteil an der Carl Schurz Memorial Foundation, Auszeichnungen, Dr. h.c. Universität Heidelberg 1932. NCAB vol. 27. Rudolf Olden (1885-1940). Studium Jura in Heidelberg und Bonn, Assessor, Kriegsteilnehmer. Pazifist und Mitarbeiter der Zeitschrift „Friede und Neuer Tag" Wien. 1924-33 arbeitete er als politischer Redakteur des „Berliner Tageblatt" und gleichzeitig als Strafverteidiger in politischen Prozessen vor dem Kammergericht Berlin. Er vertrat u.a. Carl von Ossietzky gegen dessen Anklage wegen Hochverrats. Schrieb 1929 eine Biographie Stresemanns, 1933 gegen Hitler und 1935 über Hindenburg. Er emigrierte 1933 über Prag 1934 nach England, wo er in London und Oxford lebte, Gastvorlesungen an der Universität Oxford und der London School of Economics hielt. Olden starb auf dem Weg in die USA, als das Schiff von deutschen U-Booten torpediert wurde. DBE. Frederick Law Olmsted Jr. (1870-1957). Β.Α. Harvard, Lehrjahre bei seinem Vater. 1895 Übernahm er mit seinem Bruder John die väterliche Firma, die als Olmsted Bros, um 1900 größtes Landschaftsarchitekturbüro der USA wurde. Olmsted verfaßte 1900 das Curriculum für die akademische Ausbildung an der Harvard Landscape School of Architecture und lehrte dort 1901-14. 1898-1920 Landschaftsarchitekt der Boston Metropolitan Park Commission. 1901 wurde er von Roosevelt mit Burnham in die Senate Park (McMillan) Commission berufen, die den L'EnfantPlan für Washington erneuern sollte (mit McKim und St. Gaudens); 1910-18 Fine Arts Commission. Mitbegründer und Präsident der American Society of Landscape Architecture und des American Institute of Planning. Er widmete sich in späteren Jahren der Nationalpark-Gestaltung und war zeit seines Lebens einflußreicher als sein Vater, die

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Ausbildung der Disziplin und Profession betreffend. DAB sup. 6 (William Alex). Hermann Oncken (1860-1945). Nach der Promotion Geschichte 1891 wurde er 1895 Privatdozent in Berlin, 1898 Habilitation. 1905/6 Austauschprofessor in Chicago, WEIT dann Professor in Gießen 1906, Heidelberg 1907, München 1923 und Berlin 1928. 1934 erfolgte seine Zwangsemeritierung auf Veranlassung Walter Franks. Biographische Arbeiten, Einführung der Sozialdemokratie in die Geschichtswissenschaften, die Publikation über „Lassalle" 1904 und zu politischen Gegenwartsproblemen. DBE. Friedrich Frhr. von Oppeln-Bronikowski (18731936). Aus einer Offiziersfamilie, verfolgte zunächst die militärische Laufbahn. 1896-99 Studium Philosophie, Romanistik und Archäologie Berlin. Als freier Schriftsteller in Italien und der Schweiz veröffentlichte er Romane und Novellen aus dem Militärleben, über preußische Geschichte und biographische Studien. Während des Ersten Weltkriegs im Generalstab, 1920-23 im Auswärtigen Amt. Herausgeber der Schriften Maurice Maeterlincks; setzte sich gegen Antisemitismus ein. DBE. Friedrich Ostendorf (1871-1915). Nach dem Studium an den THH Stuttgart, Hannover und Charlottenburg 1903/4 in der Pr. Bauverwaltung als Architekt tätig. 1904-07 war er Professor an der TH Danzig, 1907-15 an der TH Karlsruhe. Zahlreiche preisgekrönte Wettbewerbsentwürfe, vertrat eine an klassischen Vorbildern orientierte Bauweise, viele öffentliche Bauten. Er verfaßte 1908 eine „ Geschichte des Dachwerks" und die vieldiskutierten „Sechs Bücher vom Bauen", 1913-1920 und fiel als Kriegsteilnehmer in Frankreich. DBE; Posener. Karl Ernst Osthaus (1874-1921). Studierte 189398 Kunstgeschichte, Philosophie und Naturwissenschaften in Kiel, München, Berlin, Straßburg und Bonn, Promotion zum Dr. phil. Er gründete 1900 das Museum Folkwang in Hagen, das heute seinen Namen führt und gehörte zu den Gründern und Vorstandsmitgliedern des DWB, leitete das 1909 mit dem DWB begründete Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe. Er richtete die Folkwangschulen ein, veröffentlichte 1918 „Grundzüge der Stilentwicklung" und 1920 eine Monographie über Henry van de Velde. DBE. Johannes Jakobus Pieter Oud (1890-1963). Geboren nahe Amsterdam, besuchte er dort eine Kunst-



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hochschule, dann die TU Delft, kurzes Studium bei Fischer in München. Seinen ersten Bau ließ er mit 16 Jahren in seinem Heimatort errichten. 1914 Umzug nach Leiden, baute dort mit Dudok die Arbeitersiedlung Leiderdorp 1914-16. Den Einflüssen Berlages verpflichtet waren die Wohnblöcke Spangen in Rotterdam 1918-20, während er über Doesburg zur Gruppe „De Stijl" um die Zeitschrift gleichen Namens kam. Von deren abstraktem Kubismus wandte er sich als Stadtarchitekt von Rotterdam 1918-33 der Wohnungsfrage und dem Funktionalismus zu. Die Wohnhausgruppen Tusschendijken und Oud-Mathenesse 1922-23 zeigten in Rechtwinkligkeit und Farben Einflüsse De Stijls. Besonders der temporäre Bau des Cafe de Unie von 1924 übte seinerseits Einfluß aus, der durch die großen Siedlungen Hook van Holland 1924-27, Kiefhoek 1925-27 und Ouds Beitrag zur Weißenhofsiedlung bestärkt wurde. In den dreißiger Jahre ohne große Aufträge, baute er dann 1938-42 ein großes Bürohaus in Den Haag, das zur Monumentalen und zum Ornament zurückkehrte, erneuerte aber mit dem posthum ausgeführten Versammlungszentrum Den Haag die Stijl-Ideen. MEA (Helen Searing). Fredrick Pabst (1836-1904). Geboren in Sachsen. 1848 Emigration der Familie. Er wurde Kapitän eines Dampfers auf den Großen Seen. Seit 1862 arbeitete er als Brauer und trat in die Firma seines Schwiegervaters ein. Seit 1889 unter seinem Namen geführt, wurde sie 1893 mit 1 Mio. barrel Bier größter Produzent in den USA (1902 von Schlitz abgelöst). WWWA vol. 1: Still. Alfons Paquet (1881-1944). Nach einer kaufmännischen Ausbildung wandte er sich nach 1901 in Berlin dem Journalismus zu, war Lokalredakteur in Mühlhausen/Thüringen und Düsseldorf. 1903 Studium der Volkswirtschaft in Heidelberg. München, Jena, zum Dr. phil. promoviert. Reisen durch Europa, Asien und Amerika schilderte er in Büchern und Artikeln. 1916 Korrespondent der „Frankfurter Zeitung" in Stockholm, 1918 in Frankfurt niedergelassen, schrieb er Dramen, zwei davon wurden von Erwin Piscator in Berlin uraufgeführt. 1932 wurde er Mitglied der Pr. Akademie der Künste, die er 1933 unter Protest verließ. Kurzzeitig Feuilletonleiter der .. Frankfurter Zeitung", verfügte er dann nur noch über eingeschränkte Publikationschancen und starb bei einem Luftangriff. DBE.

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Simon Nelson P a t t e n (1852-1922). Studium und Promotion 1878 in Halle. Zunächst Lehrer in Illinois und Iowa, veröffentlichte er 1885 „The Premises of Political Economy", das die Thesen John Stuart Mills auf Amerika anwandte und dem laissez-faire zugunsten sozialer Aufgaben widersprach. Darauf 1888 zum Professor für Nationalökonomie an der University of Pennsylvania ernannt: social work war das Hauptanliegen des charismatischen Lehrers von großem Einfluß. Seine optimistische Wirtschaftskonzeption sah in der Veränderung von Konsum- und Produktionsgewohnheiten eine wirksame Lösung wirtschaftlicher Ungleichheit. Seinem großen Werk „The Development of Social Thought" von 1899 folgte unter Einflüssen aus Soziologie, Psychologie u.a. 1907 sein bekanntestes, „The New Basis of Civilization". 1908-9 Präsident der unter seinem Einfluß begründeten American Economic Association. DAB vol. 14 (Broadus Mitchell). Friedrich P a u l s e n (1874-1947). Geboren in Wedel, Schleswig-Holstein als Sohn eines Arztes, besuchte er das Gymnasium Plön. Ausbildung an der TH München, eine technisch handwerkliche bis 1887, Militärdienst, dann im Atelier Martin Dülfer. Eigenes Architekturbüro in Kiel 19041910, danach in Dresden, 1910-13 Geschäftsführer des BDA. Seit 1914 Schriftleiter der „Bauwelt", seit 1. April 1933 ihr Hauptschriftleiter. Degener 10 (1935). Max August Günther Frhr. von P e c h m a n n (1882-1968). Geboren in Neu-Ulm, Sohn eines Oberstleutnants, Erziehung im Kadettenkorps, Militärdienst. Studium Jura Freiburg 1904-05, Volkswirtsschaft in München 1905-08. Die Kunstgewerbeausstellung „München 1908" führte ihn zur Gründung der Vermittlungsstelle für angewandte Kunst zwecks Verbindung zwischen Produzenten und Künstlern, einer Organisation der Landesgruppe des DWB, staatlich und kommunal unterstützt, deren Leiter er 1909-14 war sowie der Geschäftsstelle des „Münchner Bund"; Vorbereitung diverser Ausstellungen. Kriegsdienst; Wiederaufnahme des Studiums in München und Promotion 1920 mit "Die Qualitätsarbeit", 1924 publiziert. 1920 Sozialbeamter in rheinischem Großunternehmen, 1922 leitende Position Fürst Stolberg Hütte, Kunstguß, Arbeit in Verbänden, Schlichtungsausschuß, Gewerbegericht. 1924 in der Direktion der neugegründeten Bayern Kunst AG, München, wurde er 1925 Leiter der Abteilung für

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Gewerbekunst beim Bayerischen Nationalmuseum und war 1929-38 Direktor der Staatlichen Porzellanmanufaktur in Berlin. 1946-52 Direktor der Neuen Sammlung (heute Staatliches Museum für angewandte Kunst), München, Mitarbeiter und Vorsitzender des „Rat für Formgebung". 1918 Heirat mit Alice Hesse-Hegemann, zwei Kinder. Bay HStA, Personalakte MK 44 809; LMU Archiv Promotionsakte Μ II-44p. DBA. Elbert P e e t s (1886-1968). B.A. Western Reserve University, Μ. LA. Harvard 1915. Er war 1917-18 Zivilingenieur der Camp Planning Section, War Department, und Charles Eliot Traveling Fellow 1920. Projekte: Kohler WI, Washington Highlands WI, Wyomissing Park PA, Park Forest IL. Er plante Greendale WI mit Jacob L. Crane, eine der greenbelt towns der 1935 begründeten bundesstaatlichen Resettlement Administration, war Berater der Entwicklungsplanung Catalina Island CA und San Juan Puerto Rico, Chief of Site Planning Section, US Housing Administration, Mitglied der National Commission of Fine Arts, einer vom Präsidenten auf vier Jahre ernannten Beraterkommission mit sieben Mitgliedern, darunter ein Landschaftsarchitekt, 1950-58. Er schrieb zahlreiche Artikel für Fachzeitschriften und war Dozent für Stadtplanung Yale University, für Landschaftsplanung in Harvard. WIWA 20 (1938/39) bis WIWA 31 (1960/61); Shillaber. George Lionel P e p l e r (1882-1959), 1948: Sir. Geboren in Croydon, Schule in Cambridge, Lehre bei W. Hooker. Für Siedlungsentwürfe erhielt er Auszeichnungen in Model Housing Exhibitions Wolverhampton 1908 und Wales 1910. 1919-20 und 1949-50 war er Präsident des Town Planning Institute, Mitglied verschiedener Fachausschüsse, mehrfache Auszeichnung mit Ehrentiteln verschiedener Institutionen. Chief Town Planning Inspector im Ministry of Health 1919-41, Chief Technical Adviser im Ministry of Town and Country Planning 1943-46, Planning Advisor to the Government of Singapore 1950-54. Publizierte zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften. W W W L 5 (19511960). Franz P f e m f e r t (1879-1954). Als Sohn eines Bäkkers in Berlin aufgewachsen, erhielt er eine Ausbildung als Photograph. 1911 kurzzeitig Schriftleiter der Zeitschrift „Der Demokrat", für die er Heym, Hiller, Einstein, Rubiner, Friedländer als Mitarbeiter gewann. Sie bildeten den Kern der 1911

10.2 Kurzbiographien

von ihm gegründeten Zeitschrift „Die Aktion", mit der er zahlreiche Anthologien herausgab, insgesamt über 80 Bände. 1915 Mitbegründer der „Antinationalen Sozialistenpartei", die 1918 im „Spartakus" aufging. Wegen seiner trotzkistischen Positionen zunehmend isoliert, verdrängte Politik die Literatur in seiner Zeitschrift, die 1932 eingestellt werden mußte. 1933 emigrierte er mit seiner Frau Alexandra ins tschechische Exil, 1936 nach Paris und 1940 in die USA, wo er seit 1941 von den Einkünften eines Photoateliers lebte. DBE. Gustav Adolf Platz (1881-1947). Geboren in Krakau, Studium T H Charlottenburg, praktische Arbeit beim dortigen Stadtbaurat Otto Schmalz. Nach dem Studium in Dresden bei Gurlitt und Schumacher 1906 Regierungsbaumeister. Nach Reisen wurde er Assistent an der T H Charlottenburg 1907/8 (1909/10 ?), baute Privathäuser, arbeitete dann 1911 in der Baudeputation Hamburg und publizierte architekturkritische Arbeiten in Fachzeitschriften. 1913-1923 Stadtbaurat und 1923-1932 Stadtbaudirektor Mannheim, veröffentlichte er 1927 (erweitert 1930) „Die Baukunst der neuesten Zeit" in der Reihe der „Propyläen Kunstgeschichte". Jaeger. James Sturgis Pray (1871-1929). Harvard B.A. 1898, bis 1903 Lehre und Assistent bei den Olmsted Bros. Seit 1904 selbständig als Landschaftsarchitekt tätig, ab 1906 mit Hubbard und White als Partnern. 1902 wurde er Dozent in Harvard, 1905-15 Assistenzprofessor und hatte 191519 den Charles Eliot Lehrstuhl inne. 1913 wurde das Fach als separate Graduate School etabliert, der er bis 1928 vorsaß, Präsident der American Society of Landscape Architects 1915-20. Führend in der Entwicklung der Lehre und der Etablierung der Landschaftsarchitektur als Schöne Kunst: 1929 lehrten 29 seiner Schüler an 20 Hochschulen. NCAB vol. 27. Hugo Preuß (1860-1925). Studium der Rechtsund Staatswissenschaften in Berlin und Heidelberg, 1889 in Berlin für Staatsrecht habilitiert. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, einen Lehrstuhl zu erhalten, wurde er 1906 Professor an der Berliner Handelshochschule. Seit 1895 in der Kommunalpolitik engagiert, Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Charlottenburg 1910 für die „Fortschrittliche Volkspartei" und unbesoldeter Stadtrat. 1918 Staatssekretär des Innern, amtierte er 1919 als erster Reichsinnenminister



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der Weimarer Republik, trat der DDP bei. Anfang 1919 entwarf er die erste Fassung der Weimarer Reichsverfassung, die wegen ihrer unitarischen Tendenzen, mit denen er die Zerschlagung Preußens und die Umwandlung der Länder in Selbstverwaltungskörperschaften vorsah, erst stark verändert der Nationalversammlung vorgelegt wurde. 1919 Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung, zahlreiche Publikationen zur Stadtverfassung und Verfassungspolitik, auch aus dem Nachlaß herausgegeben von Theodor Heuss und Hedwig Hintze. DBE. Adolf Rading (1888-1957). Studium an den THH München und Berlin, 1911-14 Mitarbeiter August Endells. 1919 erhielt er einen Lehrauftrag, 1923 dann ein Ordinariat der Akademie in Breslau, Direktor der Architekturabteilung. Baute mit Hans Scharoun, wurde 1926 Mitglied des „Ring", war Teilnehmer der Werkbund-Ausstellung Weißenhof 1927 und der Werkbundsiedlung Breslau 1929, baute Kleinstwohnungsblöcke in BerlinLichtenberg 1931. 1933 von den Nationalsozialisten entlassen, emigrierte er mit seiner Frau nach Frankreich, 1936 nach Palästina und war als Stadtplaner in Haifa tätig, zog 1950 nach England. DBE. Steen Eiler Rasmussen (1898-1990). Geboren in Kopenhagen, Sohn eines Majors und Karthographen, Architekturstudium an der Kopenhagener Akademie 1916-19. 1922 Auszeichnung für Bebauungspläne für Ringsted und Hirtshals mit Knud Christiansen. 1922-34. 1938-59 war er Mitglied der Kunstakademie. Italien- und Chinareise, erste Wohnbauten. 1924-38 Lektor der Kunstakademie und 1927 Gastprofessor der Architectural Association School of Architecture, London. 1927-33 arbeitete er als Redakteur der Zeitschrift „Arkitekten". 1924 Kraftwerk in Peking. 1930 Ziegelwerk und Siedlung Knapstrup, 1932 Kirche in Ringsted mit C.Th. Sarensen, 1937 Eigenhaus, Rathaus dort. 1938-59 war er Professor der Kunstakademie, 1953 Gastprofessor am Massachusetts Institute of Technology, 1954 in Yale u.a.. 1965 der University of New South Wales in Sidney. Zahlreiche Bauten und Bebauungspläne; Artikel und Schriften über skandinavische und englische Architektur; „London, the unique city" 1937. Berater der dänischen Verbraucherorganisation. Mitglied der Dänischen Sprachakademie, 1962 Präsident der Blixenstiftung. Vollmer: Una Canger.

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10.2 Kurzbiographien — R-S

Charles Mulford R o b i n s o n (1869-1917). Journalist, sein Interesse für Stadtplanung entwickelte sich aus Auftragsarbeiten. 1901 veröffentlichte er „The Improvement of Towns and Cities", die Geburtsurkunde (Jon Peterson) der City Beautiful Bewegung. Weitere schriftstellerische Werke folgten, auch praktische Arbeiten. Seit 1902 auch von Städten mit Planungsberichten beauftragt, arbeitete er mit professionellen Planern zusammen und erhielt 1913 den Lehrstuhl für Civic Design der University of Illinois, einen der ersten des Faches in den USA. DAB vol. 16 (Katherine McNamara).

Robert Schmidt (1869-1934). Studierte Bauwesen an der TH Hannover und wurde 1895 Regierungsbauführer bei der Rheinischen Bahngesellschaft, 1898 bei der Wasserbauinspektion Düsseldorf, 1901 bei der von Ruhrort. Seit 1906 besoldeter Beigeordneter der Stadt Essen, war er Stadtbauinspektor und Leiter des Stadterweiterungsamtes. 1913 mit seiner Denkschrift für einen Generalsiedlungsplan des Regierungsbezirks Düsseldorf an der TH Aachen promoviert, die die Grundlage des 1929 gegründeten Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk bildete. Nach Ausscheiden aus dem städtischen Dienst wurde Schmidt dessen DirekKarl Scheffler (1869-1951). Ursprünglich Kunst- tor; Präsident der FDAS 1929-34 und Ehrenmitmaler, kam er unter dem Einfluß Maximilian Har- glied des TPI. DBE. dens und Julius Meier-Graefes zur Kunst- und Architekturkritik. Mit mehr als 50 Monographien Paul Schmitthenner (1884-1972). Sohn eines und zahllosen Aufsätzen wurde er einer der führen- Gerichtsvollziehers, studierte 1902-06 als Schüler den Publizisten auf dem Gebiet. Er gab 1906- Karl Schäfers an der TH Karlsruhe und bei Theo33 die Zeitschrift „Kunst und Künstler" heraus, dor Fischer in München. Er wurde Stadtbaumeidie sich anfangs vor allem für die Impressionisten, ster in Colmar, 1909-11 Mitarbeiter Richard Riedann für die moderne Architektur einsetzte. Nach merschmids in München. 1912-17 als Siedlungsarder Machtübernahme der Nationalsozialisten zog chitekt am Reichsamt des Inneren in Berlin, baute er sich an den Bodensee zurück, hielt Vorträge er die Gartenstädte Staaken 1912-17, Plaue 1915in der Schweiz, wo ihm 1944 von der Universi- 17 und lehrte 1918-45 als Ordinarius an der TH tät Zürich die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Stuttgart. Baute in den Zwanziger Jahren kleinere Siedlungen und zahlreiche Privathäuser, 1928 MitDBE. begründer des „Block". Mit seinen späteren PubliRene Schickele (1883-1940). Sohn eines Polizei- kationen wie „Das Deutsche Wohnhaus" näherte kommissars und Weingutbesitzers, geboren im El- er seine traditionalistische Auffassung nationalsosaß. Er studierte ab 1901 in Straßburg, Mün- zialistischen Ideen an und schrieb 1934 „Die Bauchen, Paris, Berlin Literaturgeschichte, Naturwis- kunst im Neuen Reich", leitete 1935-36 den Wiesenschaft, Philosophie und veröffentlichte lyrische deraufbau des Stuttgarter Schlosses. DBE. Versuche. Mit Otto Flake gab er seit 1902 die Zeitschrift „Der Stürmer" heraus. Arbeitete als Journalist, reiste in Italien, Griechenland, Kleinasien, Nordafrika und Indien. 1909 wurde er Korrespondent in Paris, dann Chefredakteur der „Neuen Zeitung", Straßburg. 1914 gab er die „Weißen Blätter" heraus, deren Sitz wegen ihres pazifistischen Standpunkts 1915 in die Schweiz verlegt werden mußte, und publizierte Brod, Kolb, Musil, Werfel. 1919 bis zu seiner Emigration nach Südfrankreich 1932 lebte er wieder in Deutschland. Mittelpunkt seines Werks war der deutschfranzösische Gegensatz, den er in Gestalt einer europäischen Kultureinheit überwunden zu sehen hoffte. Er veröffentlichte Lyrik, Romane, u.a. „Das Erbe am Rhein", drei Teile, 1925-31, „Symphonie für Jazz" 1929, „Die Witwe Bosca" 1933, Dramen und arbeitete als Ubersetzer. Seine Bücher wurden 1935 in Deutschland verboten. DBE.

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Bruno Schmitz (1858-1916). Ausbildung an der Düsseldorfer Kunstakademie 1874-78, fortgesetzt im Atelier Hermann Riffarths, Leipzig. 1886 eröffnete er in Berlin ein eigenes Atelier, 1894 Mitglied der Berliner Kunstakademie, später der Dresdner. Er erhielt den Auftrag für ein Nationaldenkmal in Indianapolis 1888-93 und wurde durch monumentale Denkmalanlagen bekannt, besonders durch die für Kaiser Wilhelm I. am Kyffhäuser 189196, das Deutsche Eck in Koblenz 1894-97 und das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig 1898-1913. Baute das „Deutsche Haus" der Weltausstellung in St. Louis 1904, wurde für beide Wettbewerbsentwürfe in Berlin 1910 und Düsseldorf 1912 ausgezeichnet. DBE; Posener. Gustav Schmoller (1838-1917). Studium der Nationalökonomie, Promotion 1860, im württembergischem Staatsdienst. 1864 Professor in Halle und

10.2 Kurzbiographien

seit 1872 in Straßburg. Im selben Jahr gründete er mit Wagner und Brentano den „Verein für Socialpolitik" als Verband von kathedersozialistischen Akademikern und Verwaltungsbeamten, die Reformen der Sozialpolitik vertraten. Berufung nach Berlin 1882, wirtschaftshistorische Forschungen, „Methodenstreit". 1900-04 erschien sein „Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre". Er veröffentlichte auch gemeinsam mit Delbrück, Wagner, Lenz, Mareks, Sering, Hintze; war Sozialpolitiker, Herausgeber des nach ihm benannten Jahrbuchs und Wissenschaftsorganisator. HDSW (Carl Brinckmann). Wilhelm Schüßler (1888-1965). Studium der Geschichte Freiburg, Heidelberg, 1913 promoviert, 1919 in Frankfurt a.M. habilitiert über „Deutsche Großmächte 1850". 1922 a.o., 1925 ordentliche Professur für mittlere und neuere Geschichte in Rostock. 1934/35 lehrte er am Herder-Institut in Riga, dann in Würzburg. 1936-45 erhielt er eine Professur an der Universität Berlin. Nach 1945 Stiftsrat des Christophorustifts in Hemer, lehrte er an der Evangelischen Akademie dort, dann bis 1959 als Professor der Universität Darmstadt. Gründete 1951 die „Ranke-Gesellschaft". DBE. Paul Schultze-Naumburg (1869-1949). Sohn eines Porträtmalers, studierte Malerei an der Kunstgewerbeschule und Kunstakademie Karlsruhe, 1891-93 Meisterschüler Ferdinand Kellers. 1893 als Maler in München, Mitglied der Münchner Sezession. 1897 in Berlin, wurde er Mitglied der Berliner Sezession und schrieb Artikel für den von Ferdinand Avenarius herausgegebenen „Kunstwart". Ubersiedlung nach Saaleck bei Bad Kosen/Thüringen, gründete dort Kunstwerkstätten, 1902 Lehrauftrag an der Kunstschule Weimar. Beginn der Schriftenreihe „Kulturarbeiten"(9 Bände, 1902-17), 1904-13 Gründung und Vorsitz des Deutschen Bundes Heimatschutz, 1907 Mitbegründer des DWB (Austritt 1927). Als freier Architekt tätig, Innenraum- und Gartengestaltung, baute Schlösser, Guts- und Landhäuser, Fabriken und Siedlungen. 1927 publizierte er „Kunst und Rasse", erklärte eine Degeneration der Kunst zur 'rassisch' bedingten. 1928 Initiator der konservativen Vereinigung „Der Block", dann wichtigster Propagandist in Alfred Rosenbergs „Kampfbund für deutsche Kultur". 1930 vom ersten nationalsozialistischen Minister zum Leiter der Kunstlehranstalten in Weimar ernannt, 1931 Leiter des „Kampfbunds Deutscher Architekten und

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Ingenieure", 1932 Abgeordneter der NSDAP im Reichstag. DBE; Posener. Fritz Schumacher (1869-1947). Als Sohn eines Diplomaten aufgewachsen in Bogota und New York, studierte er Architektur 1889-93 in München und Berlin, seit 1893 bei Gabriel von Seidl. 189599 Mitarbeiter des Stadtbauamtes Leipzig, Städtereisen Paris, Rom, London. 1899 Professor der TH Dresden, öffentliche und private Bauten. 1907 Mitbegründer des DWB. 1909 wurde er Leiter des Hochbauwesens der Stadt Hamburg, 1910 Stadtpark Hamburg, zahlreiche öffentliche Bauten, darunter das Museum für Hamburgische Geschichte 1912-23. Er förderte die regionale Tradition des Backsteinbaus und junge hanseatische Architekten mittels öffentlicher Aufträge. 1920-23 erarbeitete er als Beigeordneter der Stadt Köln einen Generalbebauungsplan für Köln, kehrte dann nach Hamburg zurück. 1924 Generalplan für GroßHamburg, publizierte in der Folge über die Landesplanung Unterelbe, 1940 „Kleinwohnung und Großstadt". Zeitweise Mitglied des „Block", 1933 aus dem öffentlichen Dienst entlassen. DBE; Posener. Leopold Schwarzschild (1891-1950). Nach kaufmännischer Ausbildung Studium der Geschichte und Volkswirtschaft in Frankfurt a.M. Bereits vor 1918 gegen den Militarismus, wurde er einer der führenden Publizisten der Weimarer Republik. Mit Stefan Großmann, Feuilletonchef der ..Vossischen Zeitung'", gab er seit 1920 (und bis 1927 gemeinsam) die Zeitschriften „Das Tagebuch" und ab 1923 „Der Montag Morgen" heraus, verlegte 1932 Redaktion und Verlag nach München. Emigrierte 1933 nach Wien, dann Paris, gab dort bis 1940 „Das Neue Tage-Buch" heraus. Anfangs an der Volksfrontdiskussion beteiligt, wurde er im Exil zum radikalen Antikommunisten. ging 1940 in die USA und arbeitete als freier Journalist für die NYT und „Voice of America". DBE. Franz Seeck (1874-1944). Studium der Architektur an der TH Charlottenburg. 1896 Regierungsbauführer, 1900 Regierungsbaumeister. Seit 1906 lehrte er als Professor an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin, war Mitglied der Pr. Akademie der Künste und der Akademie des Bauwesens. Auch im Kunstgewerbe tätig, baute er Landhäuser, Miethäuser in BerlinFriedenau und Zehlendorf, den Zentralfriedhof Bremen-Osterholz 1909-1915, ein Mausoleum in

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10.2 Kurzbiographien — S

Friedrichswalde/Mecklenburg, FYiedhofskapelle in Neuhardenberg. DBA. Max Sering (1857-1939). Studierte Rechts- und Staatswissenschaft in Straßburg, 1881 Promotion. 1885 Professor in Bonn, 1889 an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin und Privatdozent der Universität, 1893 Extra-, 1897 Ordinarius. Agrarwissenschaftliche Untersuchungen, Behördenmitarbeit. 1919 war er Leiter des ständigen Ausschusses für das Siedlungswesen, Reichssiedlungsgesetz 1919 unter seinem Einfluß. Gründete 1921 das Deutsche Forschungsinstitut für Agrar- und Siedlungswesen und war 1930 Vizepräsident der Internationalen Konferenz für Agrarwissenschaft; 1933 aus der offiziellen Agrarpolitik entfernt, weitere wissenschaftliche Arbeit. HDSW (Gertrud Savelsberg). Arthur Asahel Shurcliff (Shurtleff) (18701957). Ausbildung Massachusetts Institute of Technology, Harvard; Schüler Charles Eliots und Frederick Law Olmsteds Sr. Seit 1905 in Boston als Landschaftsarchitekt selbständig, arbeitete er mit F.L. Olmsted Jr. an der Gründung der Harvard School of Landscape Architecture. Er war Berater der Massachusetts Metropolitan Improvement Commission, Planer der US-Regierung im Ersten Weltkrieg und zweimal Präsident der American Society of Landscape Architects. WWWA vol. 3.

Camillo Sitte (1843-1903). Geboren in Wien, 1863 Ausbildung am Polytechnischen Institut im Atelier Heinrich von Ferstels, Kunstgeschichtsstudien an der Universität Wien 1868/69, u.a. bei Eitelberger, zahlreiche Reisen in Europa und Kleinasien. 1875 Leitung und Lehre an der Staatsgewerbeschule Salzburg, publizistische Arbeiten. 1883 Leitung der Wiener Staatsgewerbeschule, seit 1885 im Zusammenhang mit den Wettbewerbsentwürfen für die Wiener Ringstraße erste Artikel über Städtebau. 1889 veröffentlichte er „Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen", 4. Auflage 1909. Kirchenbauten, Miethäuser, Villen, dann zahlreiche Bebauungspläne, u.a. für Olmütz, Laibach, Marienberg. Er gründete mit Theodor Goecke die Zeitschrift „Der Städtebau", verstarb jedoch, bevor die erste Ausgabe erschien. Posener; MME (C.C. Collins).

Clarence S. Stein (1883-1975). Geboren in Rochester NY, studierte Architektur an der Columbia University und der Ecole des Beaux-Arts in Paris; entwarf 1915 mit Goodhue den Bauplan der San Diego Exposition. Entgegen der klassischen Ausbildung wandte er sich der städtischen Wohnungsfrage zu und wurde Mitbegründer der Regional Planning Association of America mit Mumford, Wright, Wood, Kohn und McKaye, war drei Jahre Vorsitzender der New York State Commission of Housing and Regional Planning, als diese 1926 den ersten Regional Plan veröffentlichMary Melinda Kingsbury Simkhovitch (1867- te. Er konnte Investoren gewinnen, darunter den 1951). Nach Abschluß der Boston University un- Grundbesitzmakler Alexander Bing, um nach briterrichtete sie, studierte dann am Radcliffe Colle- tischen Gartenstadtideen mit Wright 1924 Sunnyge, an der Universität Berlin (heiratete 1899 den side Gardens in Queens NY als Wohnkomplex um Ökonomen Vladimir Simkhovitch, den sie in Ber- einen Gemeinschaftsgarten zu bauen. Ihr folgendes lin kennengelernt hatte) und der Columbia Uni- Projekt Radburn NJ, ab 1926, war als vollständiversity in New York. Von den christlichen Sozia- ge Stadt geplant und wurde wegen der Depreslisten beeinflußt, wandte sie sich der Wohnungs- sion nicht vollendet, brachte aber die einflußreireform zu. 1898-1902 arbeitete sie in einem New chen Innovationen der getrennten Verkehrswege Yorker Settlement House, organisierte und leitete und des Superblocks von gemischter Baudichte mit das Greenwich House 1902-1946, das soziales Zen- Grünanlagen, die in die Greenbelt Towns des New trum von Greenwich Village wurde. Als Vorsitzen- Deal eingingen. Stein publizierte 1951 die Ideen de des Committee on Congestion organisierte sie in „Towards New Towns for America", untersuchdie erste Planungskonferenz NCCP 1909, saß u.a. te mit Bauer die Funktionen städtischer Einkaufsder National Federation of Settlements vor. Als zentren und arbeitete auch als Architekt. MEA Präsidentin der Public Housing Conference 1931 (Eugenie Ladner Birch). überzeugte sie den Innenminister, ein Bundeswohnungsprogramm in den National Industry Recove- Erich Cramer Stern (1879-1969). Geboren in Milry Act von 1933 aufzunehmen. 1934-1948 war sie waukee, Jurastudium Harvard B.A. 1901, LL.B. stellvertretende Vorsitzende der New York Hou- 1904. Promotion an der Universität von Pasing Authority und Beraterin der Public Works ris 1905. Er führte seit 1905 ein Anwaltsbüro Administration. DAB sup 5 (Allen Davis). mit Partnern in Milwaukee, war Treuhand- und 1142

10.2 Kurzbiographien

Erbrechtspezialist. 1915-20 Juraprofessor der Marquette University. 1908-10 im Council of Milwaukee, 1910-12 Wisconsin State Association. Sponsor kommunaler und kultureller Organisationen, stiftete Kunstobjekte. 1926 Ehrenmitglied des Navajo Stammes, Mitarbeiter der Aufzeichnungen ihres Liedgutes für das Smithsonian Institute, Ubersetzer aus dem Deutschen und Französischen. NCAB vol. 54. Heinz Stoffregen (1879-1929). Sohn eines Bauunternehmers, begann eine Maurerlehre im väterlichen Betrieb und studierte ab 1899 an der TH Hannover Architektur. 1904 eröffnete er ein Büro in Bremerhaven, zog 1905 nach Bremen um, wo er bis 1929 mit der Unterbrechung von drei Jahren im ostpreußischen Wiederaufbau in Gerdauen (1915-1918) ein Büro unterhielt. Von Bremen aus knüpfte er Kontakte nach Delmenhorst, wo er zuerst mit einem Wasserturm, dann dem Rathaus (ab 1912) städtische Großbauten ausführte, später als Mitglied des DWB zahlreiche Industriebauten für die ortsansässigen Linoleumwerke Hansa und Anker im ortstypischen Backstein baute. Ab 1926 mit einem zweiten Büro in Berlin vertreten, baute er Landhäuser und Wohnanlagen. Platz; WLB. Hermann Joseph Stübben (1845-1936). Nach der Ausbildung an der Bauakademie Berlin war er 1876-81 Stadtbaumeister der Stadt Aachen, 188191 von Köln, baute u.a. die Hafenanlagen Köln und zahlreiche öffentliche Bauten. Arbeitete 18981904 als freier Architekt und war 1904-20 Technischer Beirat des Pr. Finanzministers. Er erarbeitete über 70 Bebauungspläne für europäische Städte und verfaßte das Handbuch „Der Städtebau" 1890, in 3. Auflage 1924. DBE.

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Reichsverband Deutscher Schriftsteller für Südbaden, Leiter des Presseamts der Stadt Freiburg, dann im Stadtarchiv beschäftigt. Veröffentlichte 1940 „Hinter der Flamme. Roman der nationalen Erhebung", weiteren Roman 1943, Novellen 1949 und 1955, in zahlreichen Anthologien; 1960 eine Auswahl „Die 100 Sonette eines Zeitlosen 19071957". KLK 47 (1934), 50 (1943); DBA. Albert Südekum (1871-1943). Studium der Staatswissenschaft Paris, Genf, Berlin, Kiel, Promotion 1893. Redakteur des „Vorwärts" 1895, 1900-03 Schriftleitung der „Sächsischen ArbeiterZeitung". Herausgeber der „Kommunalen Praxis" seit 1901, des „Kommunalen Jahrbuchs" 1908 und des HDKW; 1908 veröffentlichte er die Schrift „Großstädtisches Wohnungselend". 1900-18 MdR für die Sozialdemokratie, 1918-20 preußischer Finanzminister, später in der Privatwirtschaft. Vortragsreisen und weitere Publikationen auf verschiedenen Gebieten. Rhb. Frank William Taussig (1859-1940). Studium Harvard Ph.D. 1883, LL. B. 1886. Dort instructor für Politische Ökonomie seit 1882, 1892 assistant professor, 1901 Professor. Herausgeber des „Quarterly Journal of Economics" 1896-1937, Spezialgebiete Handels- und Tarifpolitik, von Wilson 191719 in die United States Tariff Commission berufen. WWWA vol. 1; NCAB vol 30. Gabriele Tergit (Elise Reifenberg) (1894-1982). Schrieb bereits 1914 für Zeitungen und Zeitschriften, u.a. „Vossische Zeitung", „Börsen Courier", „Weltbühne". Studierte 1919-23 Geschichte und Philosophie, 1925 promoviert. Bis 1933 Redaktionsmitglied des „Berliner Tageblatt", wurde sie durch die Gerichtsberichterstattung bekannt, eine Sammlung posthum veröffentlicht, mit dem Zeitroman „Käsebier erobert den Kurfüstendamm" aber schlagartig berühmt. Sie emigrierte über die Tschechoslowakei nach Palästina und lebte seit 1938 als Schriftstellerin und Journalistin in London, wo sie 1951 den 1932 begonnenen Roman „Die Effingers" beendete. DBE.

Karl Willy Straub (1880-1971). Geboren in Karlsruhe, studierte Jura, dann Kunstgeschichte und Literatur in Straßburg, Berlin und Freiburg. Redakteur der „Bayerischen Landeszeitung" in Würzburg, Bekanntschaft mit Max Dauthendey, Beiträge in expressionistischen Zeitschriften. Nach 1918 war er Redakteur in Saarbrücken und Schriftsteller, publizierte Gedichte 1908, 1916, Sonette Clarence Bertrand Thompson (1882-1969). B.L. 1920, 1927, 1930, 1925 einen Roman. Gab als Fach- 1900, B.A. 1908 Harvard, M.A. 1909. Im selben gebiete Feuilleton, Essay, Kritik, Lyrik an, erst Jahr Publikation „The Churches and the Wage 1943: Baukunst, und 1952 Literatur- und Kunst- Earners". 1911-16 Fakultätsmitglied der Graduakritik allgemein. Seit 1928 Redakteur der „Deut- te School of Business Administration, Harvard. schen Baukultur", publizierte er 1932 „Die Ar- Veröffentlichungen zu Management-Fragen. Herchitektur im Dritten Reich" mit Geleitwort von ausgeber französischer Ubersetzungen of AmeriSchultze-Naumburg, 1934 Kreisverbandsführer im can business classics. Postgraduiertenstudium in

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10.2 Kurzbiographien — U - W

Berkeley 1940-44 und research associate des Physiologischen Instituts der Medizinischen Fakultät Montevideo, war er anschließend in der Krebsforschung tätig. WWWA vol. 5. Raymond Unwin (1863-1940), 1932: Sir. Magdalen College Choir School, Oxford. Lehrzeit als Ingenieur und Architekt, 1880 Mitglied der Socialist League, 1902 der Fabian Society. Seit 1896 selbständiger Architekt mit Barry Parker, veröffentlichten 1901 gemeinsam „The Art of Building a Home", 1904 Wettbewerbsgewinner New Earswick, York. 1906 Architekt der Gartenvorstadt Hampstead, wo er auch lebte. Er publizierte 1909 „Town Planning in Practice" (dt. 1910), 1912 „Nothing gained by Overcrowding!". 1911-14 war er Dozent an der Birmingham University, 1914-18 Chief Town Planning Inspector des Local Government Board, dann Chief Architect im Ministry of Health. Mitglied verschiedener Fachausschüsse, Chief Advisor des Greater London Regional Town Planning Committee 1929-33, 1931-33 Präsident des RIBA, Visiting Professor und Director of the Town Planning Studio, Columbia University, New York 1936. Zahlreiche Fachartikel; engagierte sich für den Völkerbund. WWWL 3 (1929-1940); Jackson. Lawrence Veiller (1872-1959). B.A. 1890 City College New York, kam als Mitarbeiter von Wohlfahrtsorganisationen durch direkte Kontakte zur Wohnungsfrage. Er wurde als Planungsprüfer im städtischen Bauamt zum Experten, gründete und leitete 1898-1907 das Tenement House Committee eines Dachverbands von Wohlfahrtseinrichtungen, das im Department for the Improvement of Social Conditions aufging, dessen Vorsitzender er bis 1935 war. Als Sekretär der New York State Tenement House Commission 1900-01 durch seine Reden und Publikationen national bekannt, lieferte die Vorlage des New York State Tenement House, das 1901 die schlechtesten Bautypen untersagte. Richtete ein zugehöriges Prüfungsbüro ein, beriet zahlreiche Städte in der Wohnungsgesetzgebung und gründete und leitete 1911-1936 die National Housing Authority. Er erhob die Wohnungsfrage in den Rang eines nationalen und juristisch zu lösenden Problems, legte sie zugleich aber auf alleinige Regulierung fest und blieb einer Bauförderung stets abgeneigt. DAB sup. 6 (Roy Lubove). Paul Voigt (1872-1900). Voigt stammte aus dem (Bäcker) Handwerk, dessen Bedingungen er später 1144

für den VfSP mehrere Untersuchungen widmete, besuchte in Berlin das Gymnasium und studierte dort Jura, Nationalökonomie und Sozialpolitik. Er war gleichzeitig literarisch und publizistisch tätig, u.a. für den „Vorwärts", und für das Institut für Gemeinwohl, für das er nach seiner Promotion die Untersuchung über Bodenverhältnisse in Berlin, gleichzeitig als Habilitationsschrift, verfaßte. Sein Tod, noch vor Abschluß dieser Arbeit, durch einen Bergunfall im Sommeraufenthalt, gab diesem Lebenswerk einen tragischen Akzent, besonders im Zusammenhang mit dem Bericht von großem Anklang bei Berliner Studierenden in seinem einzigen Semester der Lehrtätigkeit und der Hervorhebung seiner Fähigkeit, sich in komplizierte Materie hineinzufinden und unter Verwendung seines großen Wissens aus vielen Gebieten zu präzisem Vortrag zu bringen. Andreas Voigt. Fritz Vorster (1884-?). Sohn von Friedrich Wilhelm Vorster (fl912), Studium an der TH Zürich, 1906 Dipl. Ing. TH Dresden. Er trat 1910 in die väterliche Firma ein, übernahm die technische Oberleitung nach dem Tod des Vaters, Teilhaber und Geschäftsführer. Vorstandsmitglied in Industrieverbänden, Aufsichtsratsmitgliedschaften, 1924-29 Stadtverordneter in Köln. Wenzel; Rhb. Julius Vorster (1845-1932). Kaufmännische Ausbildung in der Schweiz, den Niederlanden, in England. 1867 Eintritt in die Fabrik des Vaters. Neben Vereins- und Verbandstätigkeit veröffentlichte er sozialpolitische Schriften und Reden, war Geh. Kommerzienrat, freikonservativ, seit 1898 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. Degener 1 (1905) ff.; Wenzel. Wilhelm Waetzoldt (1880-1945). Sohn des Schriftstellers Stephan Waetzoldt, Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Literaturgeschichte in Berlin, Marburg, 1903 promoviert. 1908/9 Assistent am Kunsthistorischen Institut Florenz, 1909-11 an der Bibliothek Warburg, wurde er 1911/12 Bibliothekar der Staatlichen Museen Berlin. 1912 Professor in Halle/Saale, 1920 Vortragender Rat im Preußischen Kultusministerium und Honorarprofessor der Berliner Universität. 1927-1933 fiel in seine Amtszeit als Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin die Einweihung der Neubauten der Museumsinsel. Nach Machtübernahme der Nationalsozialisten gab er sein Amt auf und kehrte auf seinen Lehrstuhl in Halle zurück; zahlreiche Publikationen zu den bil-

10.2 Kurzbiographien

denden Künsten und über deutsche Kunsthistoriker. DBE. Adolf W a g n e r (1835-1917). Studium der Rechtsund Staatswissenschaften Göttingen, Heidelberg, 1857 Promotion. 1858 Professur in Wien, Hamburg, 1864 in Dorpat, später Freiburg. 1870 wurde er als ordentlicher Professor nach Berlin berufen. Mitbegründer des VfSP. Geld- und Kreditlehre, Finanzwissenschaft. Neubearbeitung eines finanzwissenschaftlichen Lehrbuchs, das er als „Lehr- und Handbuch der politischen Ökonomie'' fortführte. Politiker, „Staatssozialist". HDSW (Rudolf Stucken). Martin Wagner (1885-1957). Studium 1905-11 an den THH Charlottenburg und Dresden. Er arbeitete als Dipl. Ing. in der Hochbaudeputation Hamburg und bis 1914 als Leiter des städtischen Bauamts in Rüstringen (heute Bremerhaven). Atelierleiter beim Zweckverband GroßBerlin, 1918 Stadtbaurat Schöneberg. Gründete 1919 die „Bauhütte Berlin", war nach Beendigung der Beamtentätigkeit 1920 Geschäftsführer des „Verband sozialer Baubetriebe" und gründete mit Gewerkschaften die „Gemeinnützige Bauherrenorganisation" (Dewog). 1926 zum Leiter des Stadtbauamts der Stadt Berlin gewählt, baute er mit Hans Poelzig das Messegelände, mit Bruno Taut die Hufeisensiedlung, mit den Architekten des „Ring" die Großsiedlung Siemensstadt. Er verließ mit Käthe Kollwitz und Heinrich Mann 1933 die Akademie der Künste; emigrierte in die Türkei, wo er als Berater in der Stadt- und Landesplanung arbeitete, und 1938 in die USA, wo er in Harvard lehrte und 1944 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm. DBE. Günther W a s m u t h (1888-1974). Buchhändlerlehre 1908-09, danach Studium der Philosophie, Kunstgeschichte und Archäologie in Leipzig, Paris, München, Berlin. 1913 Eintritt in das seit 1872 bestehende gleichnamige Verlagshaus (die Gründung seines Onkels), das er mit seinem Bruder Ewald leitete, seit 1929 als alleiniger Direktor. Gründete 1914 die Zeitschrift „Wasmuths Monatshefte für Baukunst" als Ergänzung der bereits im selben Verlag erscheinenden „Berliner Architekturwelt" und „Städtebau"; in den Zwanziger Jahren Ausbau des Zeitschriftenprogramms durch „Orbis Pictus" und „Atlantis". 1943 wurde das Haus des Verlags zerstört; 1944 wurde Wasmuth verhaftet, nach Ravensbrück, später Sachsenhausen

— W

gebracht. Neubeginn und Wiederaufbau des Verlages mit den Schwerpunkten Architektur, Kunst und Archäologie erfolgte in Tübingen. Rhb; Ernst Jürgen Wasmuth. Edgar W e d e p o h l (1894-1983). Nach dem Studium an den THH Charlottenburg und Karlsruhe wurde er 1923 Regierungsbaumeister. 1926 machte er sich als Architekt in Köln, 1928 in Berlin selbständig, Vorsitzender des BDA, Landesgruppe Berlin, Mitglied des DWB, der Akademie für Städtebau und Landesplanung. 1951 Professur für Baugeschichte an der Hochschule der Künste, Berlin. DBE. Werner W e i s b a c h (1873-1953). Studium der Kunstgeschichte in Berlin, München, Leipzig. Habilitation und Privatdozent in Berlin 1903: 1921 Professur. 1935 Emigration in die Schweiz. Professor für Kunstgeschichte in Basel, Arbeitsgebiete Renaissance und Barock. IBEE. Richard W o l d t (1878-1952). Sozialwissenschaftler, Betriebssoziologe. Dozent an der TH Berlin 1924-30, Gastdozent der TH Hannover 1926-28. Lehrauftrag für Arbeiterfragen an der Universität Münster 1923-1933, dort Honorarprofessor 1928. Ministerialrat im Preußischen Kultusministerium. Zahlreiche Publikation zur Lebenswelt der Industriearbeiter, Schulungsarbeit, Betriebspolitik und Industriepädagogik. 1945 Ordentlicher Professor der TH Dresden, 1949 emeritiert. KGK. Henry Wright (1878-1936). Arbeitete als Zeichner in einem Architekturbüro in Kansas City, studierte dann Architektur in Philadelphia. Als Mitarbeiter George E. Kesslers plante er Parks und Siedlungen unter Einfluß Olmsteds Sr. 1909 eröffnete er ein eigenes Büro und entwickelte (angeregt von der eigenen Familie mit 4 Kindern) Wohnideen für verschiedene Familienphasen, umgesetzt in Brentmoor, St. Louis. 1918 arbeitete er im Kriegswohnungsbau für Docks und Werften der Ostküste, 1919-23 Berater der Planungskommission in St. Louis, Missouri. 1923 wurde er Partner Clarence S. Steins in New York, mit dem er ab 1928 in Radburn, New Jersey die Innovationen des Superblocks. Grünkontinuums und der Trennung der Verkehrsarten umsetzte. Als Planungsdirektor der New York State Housing and Regional Planning Commission veröffentlichte er mit deren Plan von 1926 den ersten (Metropolen-) Plan seiner Art, reorganisierte seit 1921 die Zeitschrift des

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10.2 Kurzbiographien — W- Ζ

American Institute of Architects. 1923-33 organisierte und arbeitete er mit der Regional Planning Association of Architects; gründete 1931 im eigenen Haus eine Sommerschule für Stadtplanung, die zahlreiche Planer beeinflußte, 1933 auf dem Höhepunkt der Depression mit dem Architekten Albert Mayer eine Housing Study Guild, um Zusammenarbeit, Fortbildung und Austausch zu fördern. Dafür wurde er mit einer außerordentlichen Professur an der Columbia University ausgestattet, die sein plötzlicher Tod im Juli 1936 beendete. DAB sup. 2 (Lewis Mumford). Paul W y n a n d (1879-1956). Bildhauer, Schüler der Kunstschule und der Baugewerbeschule in Berlin, einige Zeit bei Auguste Rodin in Paris. Lehrer an der Kunstschule Berlin. Seit 1905 war er Dozent an der Staatlichen Fachschule für Keramik in Koblenz, 1934-45 Professor an der Hochschule der Künste Berlin. Werke u.a. Gefallenendenkmale in Berlin-Wannsee, Barmen, Kürassierdenkmal Köln-Deutz; Reitergruppen, Büsten. DBA. Hans Josef Zechlin (1879-1977). Architekturstudium TH Charlottenburg, Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros, u.a. bei Alfred Breslauer und Paul Salinger. Seit 1929 Schriftleiter von „Wasmuths Monatsheften für Baukunst", nach deren Einstellung 1942 bei der „Bauwelt" des Ullstein-Verlages. 1937 übernahm er mit Bruno Schwan die Redaktion des Nachtragsbandes des WLB; veröffentlichte 1938 „Landhäuser", 2. Auflage 1951. 1946-57 Redakteur des Architekturteiles der „Neuen Bauwelt". Günther Kühne. Herbert Zeitner (1900-?). Lernte sechs Jahre an der Staatlichen Zeichenakademie und Fachschule für die Edelmetallindustrie in Hanau, darauf vier Jahre selbständig tätig. 1924-37 Lehrer für Goldschmiedehandwerk an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst, 1936 a.o. Professor. Seit 1940 ordentlicher Professor und Leiter

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eines Meisterateliers an der Preußischen Akademie der Künste. Seit 1943 in Lüneburg ansässig und tätig, Schmuck, Vasen, kirchliche Geräte, mehrfach ausgezeichnet, u.a. 1952 Preis der Olympiade Helsinki, 1954 Silbermedaille der Triennale Mailand. Thieme/Becker; Vollmer; DBA. Paul Zucker (1888-1971). Studierte Architektur und Kunstgeschichte an den THH in Berlin und München. 1913 promoviert, wurde er Assistent am Schinkel-Museum, 1917 Dozent für Architekturästhetik und Kunstgeschichte an der Berliner Lessinghochschule. 1920-23 war er Mitherausgeber der „Zeitschrift für Geschichte und Ästhetik der Architektur". 1920-37 arbeitete er als freier Architekt, lehrte auch an der Hochschule der Künste. 1937 mit Arbeitsverbot belegt, emigrierte er in die USA und war 1937-71 Dozent für Architektur und Kunstgeschichte an der NSSR, 1964-69 Gastprofessor der Union Art School in New York. DBE. Arnold Zweig (1887-1968). Geboren in Glogau, Schlesien, Sohn eines Sattlermeisters. 1907-14 Studium Germanistik und Philosophie in Breslau, München, Göttingen, Rostock. 1909 gab er das Journal „Die Gäste" heraus. 1912 erster literarischer Erfolg mit „Novellen um Claudia". 191517 Dienst im Versorgungsbataillon, 1917 Mitglied der Presseabteilung, 1918 im Soldatenrat in Vilna. 1919 Studium in Tübingen, nach dem HitlerPutsch Umzug nach Berlin, dort 1924 Mitarbeit bei einer zionistischen Zeitung und seit 1925 freier Schriftsteller. 1927 Erfolg mit „Sergeant Grischa", Mitglied des SDS, dessen Vorsitz 1929/30. 1933 Emigration über Prag nach Sanary-sur-Mer, im Dezember nach Haifa. Mitarbeiter der Exilzeitschriften, 1939 beim PEN-Kongress in New York, 1940 im Weißen Haus empfangen. Gründung einer Hilfsorganisation für Rußland, 1948 Rückkehr nach Berlin, 1949 Mitglied des Weltfriedenskongresses und der Volkskammer, zahlreiche Auszeichnungen. IBEE.

10.3

10.3

Zeittafel

Zeittafel

1881 15.

Juni Werner wird als achtes Kind von Ottmar Hegemann (1838-1900) und Elise geb. Vorster (1846-1911) in Mannheim geboren

1882 18. Sept. seine jüngste Schwester Paula geboren; von neun Kindern wachsen sechs auf 1886 6. Juli nach zwei Monaten in der Anstalt Endenich wird Elise Hegemann-Vorster in die Anstalt Illenau eingewiesen, wo sie bis Mai 1894 bleibt 1887 Werner besucht bis 1890 eine private Vorschule in Mannheim 1889 Ria (Maria) Vorster, Schwester Elises, heiratet den Berliner Architekten Otto March 1890 Werner wird in das Realgymnasium Mannheim eingeschult 1891 Ottmar Hegemanns Haushälterin bekommt eine Tochter von ihm 1892 19. April Gustav Friedrich Hegemann, der Zweitgeborene, begeht Selbstmord Ottmar Hegemann zieht nach Heidelberg um 26. Werner besucht das Kurfürst-Friedrich-Gymnasium in Heidelberg (mit Unterbrechung) 1895 1. März Elise Hegemann-Vorster wird nach vier Monaten in der Anstalt Werneck endgültig entlassen; zieht wohl nach Büdingen 1896 Werner Untersekundaner des Gymnasiums Büdingen 1897 1. Mai Werner wird in der Plöner Gelehrtenschule aufgenommen, 1898 in Kaiserin Auguste Victoria-Gymnasium umbenannt 1900 30. April Tod Ottmar Hegemanns in Wiesbaden; Werner erbt ein Drittel von dessen auf 650.000 Mark geschätzten Vermögens 10. Okt. Werner verweigert die Zustimmung zur erneuten Entmündigung seiner Mutter, die 1901 vor Gericht durchgesetzt wird 1901 April Ostern erhält Werner Hegemann sein Abiturzeugnis in Plön 13. Hegemann immatrikuliert sich an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, wohnt in der Bauhofstr. 2 9. Sept. meldet er sich bei Hermann Muthesius in London zu einem Besuch an 3. Okt. Exmatrikulation an der F W U Nov. Hegemann beginnt sein Einjährig-Freiwilligen-Jahr beim Feldartillerie-Regiment Nr. 3 in Brandenburg 1903 (keinerlei Nachweise zum „Studium in Paris") 1904 Hegemann reist nach Nordamerika; schreibt sich als Partial student an der Wharton School of Economics der University of Pennsylvania in Philadelphia ein, wohnt im Studentenheim 1905 6. Juni Hegemann immatrikuliert sich erneut als Student der F W U in Berlin 16. Aug. Einschreibung an der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, Wohnung in der Schweighäuser Str. 24 Okt. während des Semester absolviert Hegemann ein zweimonatiges Bankpraktikum 9. Dez. Alice Hesse und Werner Hegemann heiraten (in Brandenburg?); anschließend Hochzeitsreise nach Florenz 1906 7. Mai Immatrikulation an der Ludwig-Maximilians-Universität München

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10.3

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20. Sept. 1907 Aug. 1908 31. Mai 17. Juli 30. Sept. 21. Okt.

Geburt der Tochter Ellis Hegemann nimmt als Vizewachtmeister an einer Reserveübung in Hammelburg teil Hegemann beendet die Materialsammlung für seine Dissertation Rigorosum bei Brentano und Lötz Hegemann reist mit der Familie nach Philadelphia ab Ankunft in Philadelphia, Wohnung 3804 Locuststreet, dann 4119 Pine Street Hegemann leiht sich den Ausweis eines Bekannten und verbringt einige Tage als housing inspector in Philadelphia

1909 Jan. Hegemann an der Graduate School, University of Pennsylvania eingeschrieben Mai „City Plan Exhibition" des Committee on Congestion und der Municipal Art Society in New York City 5. Aug. March nennt Muthesius erstmals den Namen Hegemann für den Posten des Generalsekretärs einer Berliner Ausstellung Sept. Hegemann Mitglied des Exhibit Committee der in Boston geplanten Stadtausstellung für den Teil Visible City Okt. Hegemann berichtet im „Städtebau" von der Ausstellung in New York 1. Nov. „1915 Boston Exposition" wird eröffnet, bis zum 12. Dezember gezeigt 1. Dez. Ausstellungsbüro in Charlottenburg, Marchstr. 9 (im Büro Otto Marchs) unter Hegemann als Generalsekretär eröffnet 1910 Jan. Jansen und Goecke auf Reisen zur Auswahl der Exponate Hegemann gibt regelmäßige Pressemitteilungen über den Stand der Vorbereitungen heraus 8. April Mit der Übernahme des halben Garantiefonds durch den Berliner Magistrat (die andere Hälfte tragen die Gemeinden und Landkreise) ist die Finanzierung der Ausstellung gesichert 1. Mai Eröffnung der Berliner Ausstellung in der Hochschule der Künste, Charlottenburg 18. Hegemann hält einen Vortrag über „Amerikanische Städtebilder", sein Bericht über den Chicago-Plan erscheint in vier Teilen in der DBZ 26.-28. Düsseldorfer Delegation besichtigt die Berliner Ausstellung 9. Juni die Düsseldorfer Delegation befürwortet eine Wiederholung der Ausstellung in der Rheinprovinz, verpflichtet Hegemann auch für Düsseldorf 1. Juli Hegemann bis 15. August bei einer Reserveübung im Lager Lechfeld 5. Aug. Düsseldorfer Städtebauausstellung eröffnet, von Gustav Langen als Hegemanns Assistent vorbereitet 18.-24. Sept. Städtebauwoche in Düsseldorf, von Hegemann geplant und organisiert 6. Okt. Hegemann hängt in London gemeinsam mit Unwin Ausstellungsexponate 10.-15. Town Planning Conference des Royal Institute of British Architects, London, die konferenzbegleitende Städtebauausstellung bis 22. (auch bis 29. genannt) 3. Dez. Verhandlungen mit dem Wasmuth-Verlag über die Dokumentation der Ausstellung 1911 Umzug der Familie in die Trabener Str. 21 im Grunewald; im August (?) wird dazu ein Büro in derselben Straße Nr. 25 angemietet (mit Langen?) 5. Feb. in Zürich eine Städtebauausstellung auch mit Exponaten aus Berlin und Düsseldorf eröffnet; die Parkausstellung wird nach Bremen verschickt 18. April Hegemann bricht in Helsinki die geplante Rußlandreise ab, um für Karl Ernst Osthaus einen Vortrag zu halten (nicht dokumentiert) 18.-25. Mai Ausstellung der Baugenossenschaft „Ideal" zum Kleinhaus 14. Aug. Hegemann trifft Alfred Lichtwark in Hamburg 3.-16.

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10.3

Zeittafel

18. Aug. Elise Hegemann-Vorster stirbt in Laibach 9.-10. Okt. Hegemann bei der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik in Nürnberg 5. Dez. Alice Hegemann zieht mit ihrer Tochter Ellis nach München (Scheidung um 1913?) 1912 Jan. Hegemann wirbt um Mitglieder für einen „Propaganda-Ausschuß" 26. Käthe Kollwitz arbeitet an einem Plakat für die Gruppe 7. Feb. die Baugenossenschaft „Ideal" wählt Hegemann in ihren Vorstand 12. Gründungsversammlung des „Propaganda-Ausschusses" im Reichstagsgebäude 13. erste Teilnahme Hegemanns an den Vorstandssitzungen der „Ideal" 3. März erste öffentliche Versammlung des Propaganda-Auschusses mit 1800 Besuchern 4. Vortrag „Moderne Parks und Spielplätze" vor dem Waldschutzverein 10. zweite Versammlung mit 3000 Besuchern 13. Hegemann fotografiert die Kinder vor den Verbotsschildern der 'Spielplätze' 15. dritte Versammlung des Propaganda-Ausschusses 18. Vortrag Hegemanns im Architektenverein Berlin über „Fragen des neuzeitlichen Städtebau unter besonderer Berücksichtigung des Kleinhauses" 25. April Vortrag in der Gesellschaft für Soziale Reform, Ortsgruppe Berlin, über „Die Entwicklung des städtebaulichen Gedankens" 5.-7. Mai Hausbesitzer-Kongresse in Berlin 7. zwei Versammlungen des Propaganda-Ausschusses 8. Referat Heinrich Silbergleits, Direktor des Statistischen Amtes Berlin, vor den Hausbesitzern, bestreitet die 600.000 in überbelegten Wohnungen 10. zwei Versammlungen des Propaganda-Ausschusses 11. Tagung des „Verbandes zum Schutz des Grundbesitzes und des Realkredits" 14. laut Presse hat der Polizeipräsident auf Veranlassung eines Hausbesitzervereins das Plakat des Propaganda-Ausschusses für den Säulenanschlag verboten in den USA wirbt Frederic C. Howe mit Vorträgen Hegemanns weitere Versammlungen des Propaganda-Ausschusses 19. Juli Mitglied der Jury des Düsseldorfer Städtebauwettbewerbs 13. Sept. Eintrag der Hypothek Hegemanns über 3500,- Μ für die Baugenossenschaft „Ideal" 20. Eröffnung der Britzer Siedlung der Baugenossenschaft 23.-28. Teilnahme am Ersten Kongreß für Städtewesen in Düsseldorf 30. Dez. einstimmige Wahl in den Aufsichtsrat der Baugenossenschaft „Ideal" 1913 März Mitte des Monats reist Hegemann nach Nordamerika ab 30. Hegemann besucht Edward M. Bassett; hält ersten Vortrag vor dem City Club New York 2.-12. April in Philadelphia, danach 10 Tage in Baltimore 23. Vortrag in Wilmington, Delaware, anschließend Rückreise nach New York 5.-7. Mai Teilnahme an der Fifth National Conference on City Planning in Chicago 8.-15. bereist Hegemann Minneapolis MN, Indianapolis IN, Hamilton und Cleveland OH 7. Juni Vortrag in Denver CO 10. zweiwöchiger Aufenthalt in Sacramento CA; darauf Reise an der Westküste bis San Francisco, Los Angeles, dann in den Norden bis nach Seattle WA 1914 26. Jan. Hegemann im University Faculty Club, Berkeley CA 28. Feb. Hegemann hält einen Vortrag im Commonwealth Club, San Francisco April die „Australasian Town Planning Tour" beginnt, wahrscheinlich in Adelaide Hegemann wählt die Pazifikroute zur Rückreise über Japan und China, Tokio und Canton Hegemann trifft in Australien ein und bereist Sydney, Melbourne, Adelaide 14. Juli Hegemann verläßt Adelaide auf dem deutschen Schiff „ Emden"

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10.3 Zeittafel 5. Aug. die „Emden" wird auf der Höhe der englischen Marinebasis Aden durch das Schwesterschiff „Königsberg" vom den Kriegszustand unterrichtet die „Emden" wird vor der portugiesischen Kolonie Mogambique (alliiert mit den Briten) aufgebracht die 250 deutschen Passagiere werden interniert: Hunger und Malaria 1915 nach neun Monaten Internierung erhält Hegemann seiner Gesundheit wegen die Erlaubnis, sich nach Delagoa Bay (vor Maputo) zu begeben nach zwei Wochen versteckt er sich dort auf einem norwegischen Segler und entkommt Hegemann überquert mit den Norwegern den Atlantik geht in Gulfport MI, östlich von New Orleans, von Bord, um die Südstaaten zu bereisen

1916

noch im Winter bietet Walter Kohler an, eine Werkssiedlung in Sheboygan W I zu planen 6. Jan. die City Planning Commission des City Club of Milwaukee diskutiert ein Engagement Hegemanns der Soziologe James Ford schreibt Hegemann bezüglich einer möglichen Dozentenstelle in Harvard; muß ihm aber am 28. Januar die Ablehnung mitteilen Feb. finanzielle Vereinbarungen zum Projekt Kohler 8. März Hegemann spricht in Chicago mit Architekten über mögliche Serienproduktion für die Werkssiedlung 1.

Juni Zeichnung für die Aufteilung der Pabst Farm (Milwaukee) liegt vor: Hegemann firmiert noch als „City Planning Consultant" in New York City, 70, Fifth Avenue Firmengründung und Beginn der Arbeiten in Washington Highlands folgen Juni Hegemann, Elbert Peets und der Architekt Richard Philipp begehen das KohlerGelände

5. Sept. aufgrund nur langsam voranschreitender Arbeiten in Köhler stellt Walter Kohler einen Plan für den ersten Bauabschnitt auf 3. Okt. der Bericht „City Planning for Milwaukee" erscheint 21. Nov. Kohler erhält Hegemanns Grundsatzüberlegungen zu „The Factory" 25. 20.

1917

30. 7.-9.

20. 26.

1919

Hegemann & Peets arbeiten an Vorstudien für die Lake Forest Company, Lake Wingra, in Madison W I Dez. Hegemann in Oakland, Krankenhausaufenthalt Rekonvaleszenz in Santa Barbara CA Jan. die Erdarbeiten für Lake Forest erfordern eine Senkung des Seespiegels um drei Fuß; das Unternehmen verliert gegen den Protest der Anwohner und muß den Wasserspiegel wieder anheben letzte Briefe zwischen Walter Köhler und Hegemann vor Abbruch des Beschäftigungsverhältnisses Elbert Peets arbeitet als Civilian Planning Engineer für die Construction Division der US Army Camp Planning Section April Arbeiten an der Planung von Wyomissing Park mit Aufenthalt in Reading PA Mai Eighth National City Planning Conference in Kansas City Hegemann verpaßt die ihm von Daniel Hoan, Bürgermeister von Milwaukee, ermöglichte Teilnahme Juni die Firma Hegemann & Peets arbeitet an Entwürfen für das Anwesen MacLaren und an Details für Wyomissing Park unter Mitarbeit von Joseph Hudnut Aug. der Bürgermeister von Oakland bezichtigt Hegemann der Spionage die „Oakland Tribune" nimmt dagegen Stellung

14. März Hegemann & Peets befassen sich mit Vorarbeiten für den „American Vitruvius"

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10.3

Zeittafel

Hegemann reist nach Montana, um seine künftige Ehefrau Ida Belle Guthe zu besuchen, die dort in einem Reservat unterrichtet 1920 März die Arbeiten für Lake Forest werden wieder aufgenommen und eine große Werbekampagne gestartet April Elbert Peets reist mit einem Stipendium der Harvard Graduate School für ein Jahr nach Europa 20. Juni Joseph Hudnut zeichnet Pläne für das Civic Center von Lake Forest 26. Ida Belle Guthe und Werner Hegemann heiraten in Ann Arbor MI Sept. in „Wasmuths Monatsheften" schlägt der Herausgeber Heinrich de Fries Hegemann als Siedlungsdirektor der neuen Einheitsgemeinde Berlin vor Dez. Ende des Jahres sind in Lake Forest nur 61 Grundstücke verkauft, die Hauptstraße sackt im morastigen Untergrund ab; das Unternehmen geht 1922 bankrott 1921 Feb. Peets kehrt aus Europa zurück 30. Juli endgültige Planung des Anwesens MacLaren 20. Okt. Tantiemenvereinbarung zwischen Hegemann und Peets Abreise der Hegemanns Richtung Italien 1922 31. Jan. Eva Maria Hegemann wird in Neapel geboren 18. April das Deutsche Generalkonsulat Neapel stellt Hegemann einen Personalausweis aus Juni nach Collins unterzeichnet Hegemann bereits einen Vertrag beim Verlag Ernst Wasmuth 1. Juli Hegemann zeichnet die Pläne für sein Eigenhaus ab; die Familie wohnt in BerlinSteglitz, Mittelstr. 1 14. Hedwig und Elisabeth Gerkrath verkaufen ein Teilgrundstück in Nikolassee für 240.000 RM an die Hegemanns am selben Tag der erste Spatenstich zum Hausbau 7. Sept. Ablösung der Hypothek bei der Baugenossenschaft, Auszahlung am 4. Oktober 10. Nov. mit Eintrag im Grundbuch Fälligkeit des restlichen Kaufpreises 10. Dez. Familie Hegemann bezieht das Dachgeschoß ihres neuen Hauses 31. Abschluß des Vorworts zu Manfred Maria Ellis, „Deutsche Schriften" 1923 31. Mai Hegemann und Frau werden als Redakteure für den Katalog der International Cities and Town Planning Exhibition bestellt 27. Juli Eröffnung der Jubiläumsausstellung Göteborg, die von der Städtebauausstellung begleitet wird 3. Aug. Eröffnung der International Cities and Town Planning Conference in Göteborg Dez. Heinrich de Fries scheidet aus der Schriftleitung der W M B aus 1924 29. Jan. Idolene Lilith Hegemann geboren Feb. Hegemann mit deutschen Architekten in Rotterdam, Führung von J . J . P . Oud März erstes Heft von „Wasmuths Monatsheften" unter Hegemanns Regie 2.-9. Juli Teilnahme an der Städtebautagung Amsterdam, anschließend nach London 9. Okt. Kuczynski deutet in der „Weltbühne" an, daß der Name 'Ellis' ein Pseudonym Hegemanns sei 21. in der FZ läßt Hegemann 'Manfred Maria Ellis' als sein Pseudonym erkennen 31. Dez. Vorwort des „Fridericus" gezeichnet 1925 Jan. der „Städtebau" erscheint unter Hegemann wieder erster Verlagswettbewerb zur „wichtigsten" Städtebaufrage Berlins Adolf Rading verreißt in der „Baugilde" Hegemanns „Amerikanische Architektur"

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10.3

Zeittafel

Jan. im Atelier Heinrich Kosinas bei einem Vortrag Theo van Doesburgs 11. Feb. die ablehnenden Rezensionen des „Fridericus" setzen ein März der Verlag Wasmuth macht wegen 700 neuer Abonnenten ein Rückkaufangebot für frühere Hefte der WMB Mai zweiter Verlagswettbewerb zur „Gestaltung der Straße Unter den Linden im Laufe des 20. Jahrhunderts" 3.-17. Juni Besuch der Exposition des Arts Decoratifs in Paris, Treffen mit Auguste Perret erste Artikel in Literaturzeitschriften 1. Okt. erste Teilnahme an einer Sitzung der Freien Deutschen Akademie für Städtebau 26. Ausstellung der Wettbewerbsergebnisse zur Gestaltung der „Linden" in den Verlagsräumen bis 7. November Besuch mit Fiske Kimball bei Erich Mendelsohn 25. Nov. Vortrag in der TH zur Ausstellung der Entwürfe für „Unter den Linden" 1926 Jan. de Fries erhebt beim Magistrat Einspruch gegen eine Kandidatur Hegemanns als Stadtbaurat 9. März Martin Wagner bewirbt sich um die Stelle des Stadtbaurats 4. Juni Treffen in Köln mit A.E. Brinckmann und Rasmussen, der mitreist nach Berlin 6. Juli Hegemann und Rasmussen reisen gemeinsam, besuchen Le Corbusier und besichtigen seine Siedlung „Le Pessac" bei Bordeaux Vorwort zur zweiten Fassung des „Fridericus" abgeschlossen 14. Sept. Manfred Karl Hegemann geboren 28. Okt. Martin Wagner zum Stadtbaurat gewählt Dez. Ausstellung „Dänische Architektur" in den Verlagsräumen 1927 Jan Pläne für ein Buch über Napoleon Leo Adler wird Schriftleiter der WMB April in einer Anzeige distanziert sich Günther Wasmuth von seinem Herausgeber 16. Mai Austeilung von Werken J.J.P. Ouds in den Verlagsräumen der Verlag Wasmuth macht wegen erneut gestiegener Abonnentenzahlen ein weiteres Rückkaufangebot 1. Juni Hegemann schreibt in der FZ seinem Kritiker Veit Valentin Aug. Vorwort des „Napoleon" gezeichnet Sept. Besuch der Stuttgarter Werkbund-Ausstellung Weißenhof und bei Paul Bonatz 11. Dez. Hegemann tritt auf ärztlichen Rat eine Reise in den Süden an, die bis nach Ägypten führt 1928 Jan. Hegemann in Luxor, der Artikel über „Stuttgarter Schildbürgerstreiche" erscheint in Abwesenheit 9. Feb. in Cairo, Reise am Nil, anschließend Richtung Athen, im März zurück in Berlin März mit Friedrich Paulsen und Martin Wagner u.a. im Arbeitsausschuß für die GagfahSiedlung Fischtalgrund 5. April der Stuttgarter Gemeinderat erörtert, Hegemann wegen seines Weißenhof-Artikels zu verklagen, sieht aber davon ab 30. Vortrag vor der Architectural Association, London, zu der von Hegemann kuratierten Ausstellung „Modern German Architecture", die am 1. Mai eröffnet wird 5. Mai Preisgericht des vom „Städtebau" ausgeschriebenen Wettbewerbs für die Bauausstellung auf der Rückreise aus London Besuch und Beratung einer 'westfälischen Stadt' anschließend Weiterreise nach Köln, Besuch Adolf Abels und der Pressa im Hause Paul Schultze-Naumburgs wird die Architektengruppe „Der Block" gegründet, der Hegemann wie andere zu einem unbekannten Zeitpunkt beitreten

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10.3

Zeittafel

Aug. Abschluß des Vorworts für „Der gerettete Christus" Okt. Vortrag vor der Wirtschaftlichen Vereinigung Deutscher Architekten in Eisenach 2. Nov. der „Gerettete Christus" wird wegen Blasphemie angezeigt die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf 22. Nov. Einstellen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen Teilnahme an einer Veranstaltung des BDA, Ortsgruppe Berlin, mit Reden Wagners und Gropius' Fahrt nach Kopenhagen, dort Arbeiten am „Steinernen Berlin" 1929 Jan. Rundfunkvortrag über Berlin (nicht dokumentiert) Leo Adler scheidet aus der Schriftleitung aus, um das „Lexikon der Baukunst" zu redigieren; Nachfolger wird Hans Josef Zechlin 13. Mai Protest von Architekten, darunter Hegemann, gegen den Abriß der Spittel-Kolonnaden in Berlin in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" Elinor Hegemann geboren

15. 1930 9.

22.

Jan. Vorwort des „Steinernen Berlin " gezeichnet Feb. erstes nachgewiesenes Exemplar der „Baukultur", des Mitteilungsblatts des „Block", verzeichnet Hegemann im Kopftitel als Mitarbeiter Dez. das „Jugendbuch" erscheint Hegemann schreibt an Herkner um Habilitation und Lehrauftrag für Städtebau

1931

1.

Feb.

22. 17.-18. März 20. 5. April 28. 2. Mai 4. 17. 22.

10. Aug. 27. 18. Sept. 1932 Jan. 10. Mai 18. Juli 17. Sept. 19. Nov. 3. Dez. 17. 1933 15. Feb. 19.

mit Döblin, Herzog, Kästner, Kesten im Ausschuß des SDS zur Vorbereitung des 60. Geburtstages Heinrich Manns Besuch eines literarisch-politischen Diskussionsabends „Das heutige Drama" mit Brecht, Döblin u.a. Diskussionsabend des PEN-Clubs „FYeiheit der Schriftsteller" Vortrag in der Kunstakademie Kopenhagen über „Paris und Berlin" Vortrag vor der Architektenvereinigung Kopenhagen: „Die Stadt von Morgen" Fest des SDS für Heinrich Mann Bonatz kündigt Geßner seinen und weitere Austritte aus dem „Block" an Hegemann erscheint zum letzten Mal als Mitwirkender im Kopf der „Baukultur" im Preußischen Kultusministerium wird Hegemann ein möglicher Lehrauftrag an der Kunstakademie in Aussicht gestellt, den er ablehnt Teilnahme am PEN-Kongreß in Budapest Lujo Brentano, dann Robert Schmidt und Fritz Schumacher verwenden sich beim Kultusminister für Hegemann; auch Wilhelm Waetzoldt befürwortet am 9. Juni einen Lehrauftrag Städtebau für Hegemann Hegemann an Bord der „Antonio Delphino" von Lissabon nach Argentinien Ankunft in Buenos Aires erster Vortrag von fünfzehn, die Hegemann auf seiner Südamerikareise hält Rückkehr aus Montevideo über Paris Teilnahme an der Verabschiedung Ossietzkys in die Haft wahrscheinlich Beginn der politisch-historischen Artikel gegen die NSDAP Hegemann gerät erstmals in den Blick des „Völkischen Beobachter" Korrespondenz mit Rene Schickele erster der politischen Artikel unter dem Titel „Entlarvte Geschichte" Hegemann führt in Prag ein Interview mit dem Präsidenten Tomas Masaryk Rücktritt Heinrich Manns als Präsident der Akademie der Künste der Kongreß „Das freie Wort" wird aufgelöst

1153

10.3

Zeittafel

21. 22. 27.

15. 25. 5.

10. 19.

2.-11. 21. 16. 17. 18. 9.

4.

Feb. Hegemann reist unter dem Vorwand einer Dienstreise nach Ulm in die Schweiz die ersten ungebundenen Exemplare der „Entlarvten Geschichte" werden seiner Frau zugestellt Hegemanns Ankunft in Genf Erstverkaufstag der „Entlarvten Geschichte"; am Abend der Reichstagsbrand März Ida Belle Hegemann und ihre Mutter suchen Käufer oder Mieter für das Haus der „Völkische Beobachter" droht Hegemann für seine „Entlarvte Geschichte" 'zur Verantwortung zu ziehen' die Familie trifft in Genf ein Mai Hegemanns Name wird auf die Listen des „Ausschusses zur Neuordnung der Berliner Stadt- und Volksbüchereien" gesetzt, mit denen das Preußische Kultusministerium die genannten Werke in den Bibliotheken sperrt Mai der 'fünfte Rufer' nennt Emil Ludwig und Werner Hegemann bei den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten und wirft deren Werke ins Feuer Mai die Familie hat ein Bauernhaus in La Chapelle Monnetier-Mornex, Haute Savoie, bezogen Juni Hegemann plant eine Fortsetzung: „Getarnte Geschichte" in Paris, dann Weiterreise nach London zur Weltwirtschaftskonferenz Hegemann bestellt eine Hypothek über 20.000 RM zugunsten Belle Ware Guthes Juli Verhandlungen über eine Ubersetzung des „Geretteten Christus" Alvin Johnson hat Hegemann unter Finanzierungsvorbehalt eine Dozentenstelle an der New School for Social Research angeboten Hegemann reist von London nach Amsterdam, weiter nach Paris Treffen mit Joseph Roth, Walter Landauer, Hermann Kesten und Fritz Landshoff Aug. Fiske Kimball verwendet sich beim Emergency Committee in New York für Hegemann Sept. das Haus in der Alemannenstraße wird an den Archäologen Ernst Walter Andrae und seine Familie vermietet Nov. Ankunft der Hegemanns in New York City Dez. der Präsident der University of Virginia in Charlottesville stellt beim Emergency Committee einen Antrag auf Finanzierung einer Dozentenstelle für Hegemann

1934 13. 6. 11. 16.

Feb. der Antrag der University of Virginia wird abgelehnt Hegemann beginnt seine Kurse an der New School of Social Research Mai die Gestapo übergibt dem Reichsinnenministerium die 3. Vorschlagsliste über 36 Ausbürgerungen, darunter Hegemann sowie seine Freunde Zweig und Kesten die Gestapo beschlagnahmt das Haus vorläufig, stellt Eigentumsliste auf Hegemann hält einen Vortrag vor der Housing Authority, New York City Juni die Familie bezieht ein Haus in La Rochelle NY

30. Juli das Finanzamt Zehlendorf setzt eine Reichsfluchtsteuer von 18.300,- R M fest 13. Aug. Haus und Grundstück werden endgültig beschlagnahmt 7. Okt. wahrscheinlicher Abschluß der zweiten Auflage der „Entlarvten Geschichte" auf Anfrage des Auswärtigen Amtes befürwortet die deutsche Gesandtschaft Prag die 13. Ausbürgerung Hegemanns 18. 13. 1935 12. 7.

1154

Nov. die Gestapo meldet dem Reichsinnenminister, die Beschlagnahme müsse aufgehoben werden, da sich das amerikanische Generalkonsulat für den Vorgang interessiere Dez. das Auswärtige Amt fordert eine neue Stellungnahme aus ' die Gesandtschaft Prag verweist auf ihr voriges Schreiben Jan. das Auswärtige Amt stimmt der Ausbürgerung Hegemanns zu Feb. Hegemann beginnt eine Vorlesungsreihe zum New York Regional Plan April Hegemann in ärztlicher Behandlung, Operation; auch Ida Belle Hegemann gesundheitlich angegriffen

10.3

11. 25. 9.

29.

Zeittafel

Mai das Emergency Committee bewilligt die Übernahme eines halben Dozentengehalts; die zweite Hälfte für den Lehrauftrag an der Columbia University wird auf Hudnuts Betreiben von privaten Spendern aufgebracht Juni Expatriation Hegemanns durch Liste 4 im Reichsanzeiger Nr. 133 Kundgebung an der NSSR zugunsten Ossietzkys, auch Hegemann spricht Juli Hegemann wird Associate in Architecture der Columbia University Aug. Hegemanns Eigentum fällt laut Reichsanzeiger Nr. 184 an das Deutsche Reich Okt. die „Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums", von der Reichsschrifttumskammer aufgestellt, belegt Hegemann mit einem Gesamtschriftenverbot offenes Telegramm an Masaryk, sich für Ossietzky zu verwenden Nov. Hegemann erklärt seine Absicht, amerikanischer Staatsbürger werden zu wollen

1936

20.

21. 12. 14. 16.

Jan. Otto Lippstreu beantragt den Kauf des Hauses Alemannenstraße, den Ernst Walter Andrae für die Hegemanns abwickelt Feb. der Kurs Hegemanns an der Columbia University fällt krankheitshalber aus Hegemann mit fiebriger Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert April Werner Hegemann stirbt im Doctor's Hospital in New York City an einer Lungenentzündung Memorial Services der NSSR mit Hudnut, Wright, Johnson Mai Otto Lippstreu kauft das Haus inkl. Inventar für 35.000 RM

1938

8. Juni die Universität München gibt bekannt, daß Werner Hegemann der von ihr verliehene Doktortitel entzogen wird 1. Okt. die Nachbesitzer übergeben Haus und Grundstück Alemannenstr. 21 für den Bau der Reichsautobahn

1155

10.4.1.1 Autor

10.4 Schriftenverzeichnis Werner Hegemann 10.4.1 Monographien 10.4.1.1 A u t o r 1908 Mexikos Ubergang zur Goldwährung. Ein Beitrag zur Geschichte des mexikanischen Geldwesens (1867-1906), Die Währungsreform von 1904/05, Beurteilung der Reform, InauguralDissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Staatswirtschaftlichen Fakultät der Kgl. LudwigMaximilians-Universität zu München eingereicht von Werner Hegemann, Stuttgart (Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft) 1908 [47 S., 8°]. Mexikos Ubergang zur Goldwährung. Ein Beitrag zur Geschichte des mexikanischen Geldwesens (1867-1906) von Werner Hegemann, Doktor der Staatswirtschaft (Münchner Volkswirtschaftliche Studien, Hrsg. von Lujo Brentano und Walther Lötz, 86. Stück), Stuttgart und Berlin (J.G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger) 1908 [XII, 189 S., 8°, 4,50 Mark], 1910 Der Neue Bebauungsplan für Chicago [NBC] von Dr. Werner Hegemann in Berlin. Berlin (Verlag von Ernst Wasmuth A.-G.) o.J. [1910] [26 S., Abb., Taf., 4°, DBV: 1,-; AP 11: 2,- Mark], 1911 Amerikanische Parkanlagen [AP]. Zierparks Nutzparks - Aussen- u. Innenparks - Nationalparks, Park-Zweckverbände, Ein Parkbuch von Werner Hegemann, Zur Wanderausstellung von Bildern und Plänen Amerikanischer Parkanlagen, Berlin (Verlag von Ernst Wasmuth A.-G.) 1911 [12 S. u. 20 S., Abb., 4°, 1,- Mark], Der Städtebau nach den Ergebnissen der Allgemeinen Städtebauausstellung [S] in Berlin nebst einem Anhang: Die Internationale StädtebauAusstellung in Düsseldorf. 600 Wiedergaben des Bilder- und Planmaterials der beiden Ausstellungen, Mit Förderung durch die Königlichen Preussischen Ministerien des Innern, des Handels und der Öffentlichen Arbeiten, sowie durch die Städte Berlin, Charlottenburg, Rixdorf, Schöneberg, Wilmersdorf, Potsdam, Spandau, Lichtenberg und Düsseldorf herausgegeben im Auftrage der Arbeitsausschüsse von Dr. Werner Hegemann, Generalsekretär der Städtebau-Ausstellungen in Berlin 1

1156

und Düsseldorf, Erster Teil, Berlin (Verlag Ernst Wasmuth A.-G.) 1911 [144 S., Abb., 4°, Drei Teile 18,- Mark], 1913 Der Städtebau nach den Ergebnissen der Allgemeinen Städtebauausstellung in Berlin ... Zweiter Teil, Verkehrswesen - Freiflächen, Paris, Wien, Budapest, München, Cöln, London, Stockholm, Chicago, Boston, Erweitert durch das Material der Städteausstellung Düsseldorf 1912, Berlin (Verlag Ernst Wasmuth A.-G.) 1913 [S. 145-259, Abb., 4°j. 1915 Report on a City Plan {or the Municipalities of Oakland & Berkeley [OB] by Werner Hegemann, Ph.D. Author of "Der Staedtebau nach den Ergebnissen der Allgemeinen Staedtebau-Ausstellung", Director of the International City Planning Expositions in Berlin and Duesseldorf, Prepared and Published under the Auspices of The Municipal Governments of Oakland and Berkeley, The Supervisors of Alameda County, The Chamber of Commmerce and Commercial Club of Oakland, The Civic Art Commission of The City of Berkeley, The City Club of Berkeley, n.p. [Oakland CA] (The Kelley Davie Co. Printers) 1915 [IX, 3-156 p., illus., 29,5 cm, $ 1.00], 1916 City Planning for Milwaukee [CPM]. What It Means and Why It Must Be Secured, A Report Submitted to The Wisconsin Chapter of the American Institute of Architects, The City Club, The Milwaukee Real Estate Association, Westminster League, South Side Civic Association by Dr. Werner Hegemann, Milwaukee (Printed by the Evening Wisconsin Printing Co.) February, 1916 [43 p., illus., 27 cm]. 1924 Manfred Maria Ellis, Iphigenie [Ε]. Ein Lustspiel, Mit 11 Zeichnungen von Markos Zavitzianos, Hrsg. von Werner Hegemann (Ellis, Deutsche Schriften 1,1), 2. Auflage, Berlin (Im Sanssouci-Verlag des Deutschen Verlags-Instituts G.m.b.H.) 1924 [XV, 128 S., Abb., 8 0 ] 1 .

Eine erste Auflage der Schriften von Manfred Maria Ellis - laut Hegemann im Privatdruck -

10.4.1.1 Autor

Manfred Maria Ellis, Deutsche Schriften. Erster ger Städtebau-Ausstellung), Berlin (Ernst WasBand: Zweiter Teil, Iphigenienromantik, Fried- muth A.G., Im Verlage der Monatsschrift: Der richslegende, Sühnopferwahn, Erstes bis drit- Städtebau) 1925 [152 S., Abb., 2°, Kartoniert 35,-; tes der sieben Gespräche über das Königsop- Leinen 40,- Mark]. fer, Herausgegeben von Werner Hegemann (Ellis, 1926 Deutsche Schriften 1,2), 2. Auflage, Berlin (Im Fridericus oder Das Königsopfer [F2] von Werner Sanssouci-Verlag des Deutschen Verlags-Instituts Hegemann. Hellerau (Jakob Hegner) 1926 (Neue G.m.b.H.) 1924 [S. 131-365, 8°, BTd 1927: [d.i. veränderte, erweiterte Auflage, als 5. bis 12. TauWerner Hegemannjj. send im Winter 1926 gedruckt.) [782 S., Taf., 8°, Manfred Maria Ellis, Deutsche Schriften. Erster 8,-; Leinen 12,-; Volksausgabe 4,80 Mark (auch 7,Band: Dritter Teil, Friedrich II. als Werther - und 10,-)]. Christi Rettung vom Opfertod, Die letzten Vier der Sieben Gespräche über das Königsopfer, Hrsg. 1927 Ein von Werner Hegemann (Ellis, Deutsche Schrif- Amerikanische Architektur & Stadtbaukunst. ten 1,3), 2. Auflage, Berlin (Im Sanssouci-Verlag Überblick über den heutigen Stand der amerikades Deutschen Verlags-Instituts G.m.b.H.) 1924 nischen Baukunst in ihrer Beziehung zum Städtebau, 760 Abbildungen ausgewählt und erläutert [XVII, S. 369-646, 8°, 2,50 Mark], = Manfred Maria Ellis, Deutsche Schriften. Ge- von Werner Hegemann, Zweite Auflage, Berlin sammelt in 3 Bänden von Werner Hegemann, 2. (Ernst Wasmuth A.G., Im Verlage der MonatsAuflage, Bd. 1, T. 1-3, Berlin (Sanssouci-Verlag schrift: „Städtebau") 1927 [204 S., Abb., 2°, Leides Deutschen Verlags-Instituts G.m.b.H.) 1924 nen 65,- Mark, DBV 1931/36: 30,-]. (Als Manuskript gedruckt auch den Bühnen ge- Antwort an einige akademische Kritiker des „Frigenüber. Alle Rechte, auch das der Ubersetzung, dericus" von Werner Hegemann. Hellerau (Verlag vorbehalten. Das Recht des Abdruckes der Auf- Jakob Hegner) 1927 (Diese „Antworten an Kritiker sätze sowie der Aufführung der Bühnenstücke zu der ersten, zweiten und dritten Auflage" bilden das erwerben durch: Dr. Werner Hegemann, Berlin-Ni- Schlußkapitel der vierten, stark erweiterten Auflage des Buches „Fridericus, oder das Königsopkolassee, Alemannenstraße 21. Copyright 1924.). fer".) 2 [62 S. [= F2 677-736], 8°, im DBV nicht 1925 nachweisbar]. Fridericus oder Das Königsopfer [F] von Werner Napoleon oder „Kniefall vor dem Heros" [N] von Hegemann. Hellerau (Jakob Hegner) 1925 (Das Werner Hegemann. Hellerau (Verlag von Jakob vorliegende Werk ist eine neue Fassung der 1924 Hegner) 1927 [739 S., 8°, 8,-: Leinen 12,- Mark, vom Sanssouci-Verlag, Berlin, herausgebrachten DBV 1931/35: Volksausgabe 4,80]. „Deutschen Schriften von Manfred Maria Ellis", Bilderatlas zur zweiten Auflage von Amerikanische die vergriffen sind und nicht wieder aufgelegt wer- Architektur h Stadtbaukunst. Ausgewählt und den.) [553 S., 8°, 12,-; gebunden 15,- Mark]. erläutert von Werner Hegemann, Berlin (Ernst Amerikanische Architektur Sc Stadtbaukunst Wasmuth A.G.) 1927 [III, S. 148-204. 2°, 15.[AA], Ein Überblick über den heutigen Stand Mark]. der amerikanischen Baukunst in ihrer Beziehung zum Städtebau, 550 Abbildungen ausgewählt und 1928 erläutert von Werner Hegemann (Der Städte- Der gerettete Christus [C] oder Iphigenies Flucht bau nach den Ergebnissen der internationalen vor dem Ritualopfer. Potsdam (Gustav KiepenStädtebau-Ausstellung Gothenburg, Erster Band: heuer Verlag) 1928 (1. bis 5. Tausend) [323 S.. Amerikanische Architektur & Stadtbaukunst, Mit Abb., 8°, 7,-; Leinen 10,- Mark], Förderung durch die Gothenburger Ausstellungsleitung herausgegeben von Werner Hegemann, Herausgeber des Hauptkataloges der Gothenbur-

1929 Reihenhaus-Fassaden [R]. Geschäfts- und Wohnhäuser aus alter und neuer Zeit. 500 Abbildungen

konnte nicht nachgewiesen werden. Lediglich das DBV 1921/25 nennt eine Ausgabe der „Deutschen Schriften" bei Jakob Hegner, Hellerau 1924, als vergriffen, doch ein Verlagsarchiv existiert nicht mehr. 2 Diese in dem Sonderdruck angekündigte „vierte" Auflage mit 784 S., 4 Lichtdrucken, 8°. zu 14.Mark geheftet, Leinen 18,-, ist in den Buchkatalogen nicht gesondert nachweisbar.

1157

10.4.1.1

Autor

herausgegeben und eingeleitet von Werner Hegemann, Berlin (Verlag Ernst Wasmuth A.G.) 1929 [256 S., Abb., 4°, Leinen 32,- Mark, DBV 1931/35: 15,-]. = Fagades of Buildings: Fronts of Old and Modern Business and Dwelling Houses, 500 Illustrations Collected by Werner Hegemann, Berlin (Ernst Wasmuth) 1929, London (Ernest Benn Ltd.) 1929 [256 p., illus., 31,5 cm], Frederick the Great by Werner Hegemann. Translated from German by Winifred Ray, London (Constable h Co., Ltd.) 1929 [September] [XVIII, 542 p., plates, 8vo [ 9 x 5 3/4 inches], 18 s net.], New York (A. A. Knopf [Printed in England]) 1929 [XVIII, 542 p., plates, 22,5 cm], 1930 Das steinerne Berlin [SB]. Geschichte der grössten Mietkasernenstadt der Welt, Mit dreiundsechzig Tafeln und zahlreichen Abbildungen im Text, Berlin (Verlag von Gustav Kiepenheuer) [April] 1930 [505 S., Abb., Taf., 4°, Leinen 28,- Mark]. Das Jugendbuch vom großen König [J] oder Kronprinz Friederichs Kampf um die Freiheit. Hellerau (Verlag von Jakob Hegner) 1930 (1. bis 5. Tausend) [XXIV, 502 S., 8°, 3,50; Leinen 6,50 Mark, DBV 1931/35: Volksausgabe 3,75], 1931 Napoleon or „Prostration before the Hero". Translated by Winifred Ray from the German Edition as Revised by the Author, New York (A. A. Knopf [Printed in Great Britain]) 1931 [XI, 538 p., ill., 22 cm]. Problemas urbanos de Rosario. Conferencias del urbanista doctor Werner Hegemann, Rosario 1931 [49 p., illus., 29,5 cm],

1934 Entlarvte Geschichte [EG2]. Vollständig umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, o.O. (Soziologische Verlagsanstalt) 1934 (Printed in Czechoslovakia [BTd: Mährisch Ostrau, Kittl]) [200 S., 8°] [nachgestellt: L.H. van Elhorst, Das Pamphlet von Werner Hegemann (1933)]. Le Grand Frederic. Traduit de l'allemand, Paris (Gallimard) 1934 [11 septembre] [405 p., In-16], nachweisbar auch als 7e ed., Paris (Gallimard) p.a. [425 p.], 9e ed., Paris (Gallimard) (13 juin) 1936 [!] [405 p., ill., In-16, 20 fr.], lOe ed., Paris (Gallimard) 1934 [!] [425 p., 8°]. 1935 Christ Rescued. Translated from the German by Gerald Griffin, Illustrated with Woodcuts after Durer, London (Skeffington & Son Ltd.) 1935 [March] [223 p., plates, Ch[eap], ed[ition]. Cr[own]. 8vo [7 3/4 χ 5 1/4 inches], 3 s 6 d net], Frederick the Great. Translated from the German by Winifred Ray. London (Constable L· Co., Ltd.) 1935 [April] [559 p., illus., 8vo [ 9 x 5 3/4 inches], 6 s net]. Napoleon, or, „Prostration before the Hero." Translated by Winifred Ray from the German, London (Constable & Co., Ltd.) 1935 [April] [550 p., 8vo [ 9 x 5 3/4 inches], 6 s net]. 1936 City Planning Housing [CPH]. By Werner Hegemann, With a Preface by R. M. Maclver, First Volume of Text: Historical and Sociological, New York (Architectural Book Publishing Co., Inc.) 1936 [XIX, 257 p., illus., 23,5 cm, $ 3.75].

Posthum 1932 City Planning Housing. By Werner Hegemann, Mar del Plata: el balneariö y el urbanismo mo- Edited by Ruth Nanda Anshen, With a Preface derno. [Mar del Plata ?] (L.J. Rosso) [1932 ?] [62 by Joseph Hudnut and a Chapter by Elbert Peets p]· on Recent Civic Art in Washington and Elsewhere, Second Volume of Text: Political Economy and 1933 Entlarvte Geschichte [EG]. Leipzig (Verlag von Ja- Civic Art, New York (Architectural Book Publiskob Hegner) 1933 [261 S., 8°, NUC: Cover title: hing Co., Inc.) 1937 [XXII, 259-431 p., illus., 23,5 cm, $ 3.75]. Entlarvte Geschichte. Aus Nacht zum Licht. Von Arminius bis Hitler, 3,50; Leinen 4,80 Mark; DBV City Planning Housing. Volume III, A Graphic Review of Civic Art 1922-1937, Edited by William W. 1931/35: vergriffen, BTd 1930/34: sekretiert]. Christ Rescued. Translated from the German by Forster and Robert C. Weinberg, Foreword by Sir G[erald]. Griffin. Illustrated with Woodcuts after Raymond Unwin, New York (Architectural Book Durer, London (Skeffington k Son Ltd.) 1933 [No- Publishing Co., Inc.) 1938 [V, 162 p., illus., 41 cm, $ 13.75]. vember] [223 p., illus., Cr [own]. 8vo [7 1 / 2 x 5 inches], 6 s net].

1158

10.4.1.2 Koautor

10.4.1.2 K o a u t o r 1917 [Werner Hegemann/Elbert Peets,] Washington Highlands [WH], Richter, Dick L· Reuteman (Planners and Developers of High Grade Subdivisions), (Printed by Wetzel Bros.) n.d. [Milwaukee 1917] [12 p., illus., 26,5 cm], 1919 Wyomissing Park [WP]. The Modern Garden Suburb of Reading, Pennsylvania, A Stepping Stone Towards a Greater Reading, Report and Plans for the Development of the Land under the Control of the Wyomissing Development Company, By Hegemann and Peets, Architects, Landscape Architects and City Planners, Wyomissing, Pennsylvania 1919 (The text of this report was written by Dr. Hegemann. The drawings are by Mr. Peets, Copyright by Werner Hegemann) [48 p., illus., 26,5 cm]. 1922 The American Vitruvius [AV]. An Architects' [sic] Handbook of Civic Art, By Werner Hegemann and Elbert Peets, New York (The Architectural Book Publishing Co., Paul Wenzel & Maurice Krakow) 1922 [VI, 298 p., illus., 41 cm, Half title: Civic Art, $ 40.00]. 10.4.1.3 H e r a u s g e b e r 1912 Für Gross-Berlin [GB]. Hrsg. vom PropagandaAusschuss, Η. 1, Was erwarten wir vom Zweckverband? Von Bernhard Dernburg, Oberbürgermeister Dominicus, Hermann Muthesius, Albert Südekum, M.d.R. u.a., Charlottenburg (Vita, Deutsches Verlagshaus) o.J. (1912) (Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Werner Hegemann, Grunewald) [32 S., Abb., 4°, 0,75 Mark],

Fur Gross-Berlin. Hrsg. vom Propaganda-Ausschuss, H. 2, Dernburg, Naumann, Südekum, Das Wachsen Groß-Berlins in Bildern, Charlottenburg (Vita, Deutsches Verlagshaus) o.J. (1912) (Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Werner Hegemann, Grunewald) [S. 33-88, Abb., 4°, 1,20 Mark], 1923 International Cities and Town Planning Exhibition [ICTPE]. English Catalogue, Jubilee Exhibition Gothenburg Sweden 1923 (Mr. Werner Hegemann, Editor of the English catalogue.), Göteborg (Wezäta Wald. Zachrissons Boktryckeri A.B.) 1923 [392 p., illus., 24 cm, 8 s net]. 1928 Unter den Linden 1680 bis 1980. Ergebnisse des Wettbewerbs: „Wie soll Berlins Hauptstraße sich im 20. Jahrhundert gestalten?'· Veranstaltet von den Monatsschriften „Städtebau" und „Wasmuths Monatshefte für Baukunst", Herausgegeben von Werner Hegemann, Berlin (Ernst Wasmuth A.G.) 1928 [BTd: 1927] [48 S., S. 67-116 Abb.. Taf., 4°, 11,- Mark]. 1931 Hermann Distel, Krankenhäuser. Herausgegeben von Werner Hegemann, Hellerau (Verlag von Jakob Hegner) o.J. [1931 ?] [80 S., Abb., 4°, Kartoniert 10,- Mark]. 10.4.1.4 Ü b e r s e t z e r Paul Claudel, Proteus [Protee]. Satyrspiel in 2 Aufzügen, [DBV: Nach der französischen Dichtung] Deutsch von Werner Hegemann, Hellerau (Jakob Hegner) 1927 [DBV 1926/30: 1926] [164 [DBV 1926/30: 123] S., 8°, 3,50, Leinen 5,50 Mark] [nicht nachgewiesen].

10.4.2 Artikel und Miszellen 10.4.2.1 B e i t r ä g e in M o n o g r a p h i e n 1912 Das Wachsen Groß-Berlins. In: GB 48-59. Das verbotene Plakat. In: GB 76 f. Die Entwicklung des städtebaulichen Gedankens in Groß-Berlin seit 1848. In: Fragen der kommunalen Sozialpolitik in Groß-Berlin II. Die sozialpolitischen Aufgaben des Zweckverbandes Groß-

Berlin (Schriften der Gesellschaft für Soziale Reform, Ortsgruppe Berlin), Jena 1912, S. 98-124. 1913 Die Freiflächen im Bebauungsplan vom Standpunkte des Wohnwesens. In: Verhandlungen des ersten Kongresses für Städtewesen Düsseldorf 1912, Bd. 1.2.. Düsseldorf 1913. Bd. 1. S. 110-117. [Zum Bau von Hochhäusern in Berlin.] In: Ber-

1159

10.4.2.1 Beiträge in Monographien

lins dritte Dimension. Red. von Alfred Dambitsch, 1930 Berlin o.J. [1913], S. 15f. [Zuerst in Berliner Mor- Sehr verehrter Herr Kiepenheuer, mein tatkräftigenpost, November 1912]. ger, lieber Verleger! In: Gustav Kiepenheuer zum 1916 50. Geburtstag. O.O. Zehnter Juni 1930, S. 46-54 3 . [Remark at the Discussion on "Traffic".] In: Pro- [Einleitung.] In: Architekten Lossow h Kühne, ceedings of the Eighth National Conference on Ci- Dresden. Mit einer Einleitung von Werner Hety Planning, Cleveland, June 5-7, 1916, New York gemann (Neue Werkkunst), Berlin-Leipzig-Wien 1930, S. VII-XIV. 1916, p. 75-78. [Speeci at the Closing Dinner.] In: Proceedings of Architekten B.D.A. Klophaus, Schoch, zu Putlitz. the Eighth National Conference on City Planning. In: Klophaus, Schoch, zu Putlitz. Mit einer EinCleveland, June 5-7, 1916, New York 1916, p. 253- leitung von Werner Hegemann (Neue Werkkunst), Berlin-Leipzig-Wien 1930, S. [V-XI], 264. Otto Kohtz. In: Otto Kohtz. Mit einer Einleitung 1923 von Werner Hegemann (Neue Werkkunst), BerlinAustria. In: ICTPE 11-13. Leipzig-Wien 1930, S. V-XII. France. In: ICTPE 107-116. [Einleitung.] In: Werner March. Mit einer EinleiUnited States of America. In: ICTPE 351-360. tung von Werner Hegemann (Neue Werkkunst), 1925 Berlin-Leipzig-Wien 1930, S. VII-XVIII. Vorrede. In: Hakon Ahlberg, Moderne Schwedische Benno Franz Moebus. In: Benno Franz Moebus. Architektur. Berlin (Ernst Wasmuth A.G.) 1925, Mit einer Einleitung von Werner Hegemann (Neue S. [5-7] [= Hakon Ahlberg, Swedish Architecture Werkkunst), Berlin-Leipzig-Wien 1930, S. [VIIof the Twentieth Century. With a Preface by FranXI], cis Rowland Yerbury, London (Ernest Benn Ltd.) [Einleitung.] In: Zerbe und Harder. Mit einer Ein1925], leitung von Werner Hegemann (Neue Werkkunst), 1928 Berlin-Leipzig-Wien 1930, S. VII-XV. Die Brüder Gereon. In: Architekten Brüder Ger[Einleitung.] In: Paul Zimmerreimer. Mit einer son. Mit einer Einleitung von Werner Hegemann Einleitung von Werner Hegemann (Neue Werk(Neue Werkkunst), Berlin-Leipzig-Wien 1928, S. kunst), Berlin-Leipzig-Wien 1930, S. V-XI. VII-XIII. Vorwort. In: Distel ... [1931?], S. 7f. 1929 Vorwort. In: Herrenhaus Hohehorst bei Bremen. 1934 Erbaut 1928-1929, Otto Blendermann, Mit einem Political Economy in German Housing Today. In: Vorwort von Werner Hegemann, Berlin-Wien-Zü- Carol Aronovici, ed., America Can't Have Hourich (Verlag Ernst Wasmuth A.G.) 1929, S. 11-15. sing. Published for the Committee on the Housing [Einleitung.] In: German Bestelmeyer. Mit einer Exhibition by the Museum of Modern Art, New Einleitung von Werner Hegemann (Neue Werk- York 1934, p. 44-47. kunst), Berlin-Leipzig-Wien 1929, S. VII-XVII. The Debasement of the Professions. In: Nazism. [Einleitung.] In: Hans Herkommer. Mit einer Ein- An Assault on Civilization, Ed. by Pierre van Pasleitung von Werner Hegemann (Neue Werkkunst), sen and James Waterman Wise, New York 1934, Berlin-Leipzig-Wien 1929 [n.n.]. p. 59-75. [Einleitung.] In: Pinno und Grund. Mit einer Einleitung von Werner Hegemann (Neue Werkkunst), 10.4.2.2 Zeitschriftenartikel Berlin-Leipzig-Wien 1929, S. VII-XIII. Neue Warenhaushauten der Rudolph Karstadt A.-G. In: Neue Warenhausbauten der Rudolph 1909 Karstadt A.-G. von Architekt Philipp Schäfer, Die Ausstellung für Städtebau und Städtische Hamburg. Mit einer Einleitung von Werner He- Kunst in New York (3.-16. Mai 1909). In: Städgemann (Neue Werkkunst), Berlin-Leipzig-Wien tebau 6 (1909), H. 10, S. 127-131 und H. 11, S. 1929, S. V-VII. 146-148. 3 Mit Dank an Detlef Jessen-Klingenberg, der Uesen Aufsatz sowie den Zeitungsartikel über den PEN-Club (1931) ermittelte und mir zur Verfügur ; stellte.

1160

10.4.2.2 Zeitschriftenartikel — 1910-24

1910 Allgemeine Städtebauausstellung Berlin 1910. In: Neudeutsche Bauzeitung 6 (1910), Nr. 4, S. 51, Nr. 5, S. 63, Nr. 6, S. 68 f., Nr. 7, S. 85, Nr. 8, S. 97 f. [Januar-Februar, Rubrik „Rundschau"]. [Der gegenwärtige Stand der Vorarbeiten zur „Allgemeinen Städtebauausstellung 1910 in Berlin". In: Deutsche Bauzeitung 44 (1910), No. 29, 9. April, S. 211 f., No. 31, 16. April, S. 229-231.] Allgemeine Städtebauausstellung Berlin 1910. Ein Streifzug durch die Ausstellungssäle, in: Bauwelt 1 (1910), No. 10, 27. April, unpag. [S. 12-23]. Der neue Bebauungsplan für Chicago. In: Deutsche Bauzeitung 44 (1910), Nr. 40, 18. Mai, S. 301, 303-307, Nr. 41, 21. Mai, S. 313-315, 316 f., Nr. 44, 1. Juni, 337-340 und Nr. 45, 4. Juni, S. 345-347, 349 [Teilnachdruck als: Der neue Bebauungsplan in Chicago. Bearbeitet nach einer Veröffentlichung von Dr. Werner Hegemann, Berlin, in: Technische Monatshefte 2 (1911), S. 245-249]. Die Städtebauausstellung und ihre Lehren. In: Die Woche 12 (1910), Nr. 22, 28. Mai, S. 901-903. 1911 Groß-Berlin und seine Architekten. In: Die Bauwelt 2 (1911), Nr. 20 [n.n.] 4 . Drei Hauptstücke städtischer Parkpolitik. In: Die Bauwelt 2 (1911), Nr. 89, 5. August, S. 23 f. Brinckmann über Deutsche Stadtbaukunst in der Vergangenheit. In: Städtebau 8 (1911), H. 9, S. 105 f. [Gutachten zum Bebauungsplan der Baugenossenschaft ,Jdeal".] In: Mitteilungen der Rixdorfer Baugenossenschaft „Ideal" 2 (1911), 1. Oktober, S. 81 f. Große städtebauliche Wettbewerbe und Ausschüsse. In: Die Bauwelt 2 (1911), Nr. 108 [n.n.]. 1912 600000 Groß-Berliner in übervölkerten Wohnungen. In: Soziale Praxis 21 (1911/12), Nr. 21, 22. Februar, Sp. 666-668. Demokratie oder Diktatur für Groß-Berlin? In: Dokumente des Fortschritts 5 (1912), S. 372-377 [Mai]. Die Hygiene des Städtebaus. In: Die Hygiene 2 (1912), H. 11, 15. Juni, S. 238-240. Der Missbrauch der städtebaulichen Hoheitsrechte. In: Die Bauwelt 3 (1912), Nr. 28, 11. Juli, S. 11-13.

[Diskussionsbeitrag „Gemeindesteuern" bei der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik in Nürnberg, 9. und 10. Oktober 1911.] In: SVfSP 138 (1912), S. 103 f. 1913 Das Problem der Umgestaltung des Universitätsviertels. In: Die Bauwelt 4 (1913), Nr. 7, 13. Februar, S. 14 f. Stadt und Wald. In: Die Woche 15 (1913), Nr. 7. 15. Februar, S. 255-257. 1914 Report of Dr. Werner Hegemann on a City Plan. Chapter 1, Introduction, in: Berkeley Civic Bulletin 2 (1914), no. 6, January 15, p. 82-99 [ = OB 3-17], European City Plans and Their Value to the American City Planner. In: Landscape Architecture 4 (1914), April, p. 89-103. 1924 Weimarer Bauhaus und ägyptische Baukunst. Tut-Ench-Amun, Betrachtungen eines am Nil reisenden Baumeisters über die Trefflichkeit des Weimarer Bauhauses, der Spengler'schen Architekturphilosophie und der Ägyptischen Baukunst. 33 Abb., in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst [WMB] 8 (1924), H. 3/4. S. 69-86. Norman Bei Geddes' Entwurf eines Schauspielhauses mit versenkbarer Bühne. 3 Abb., in: W M B 8 (1924), H. 3/4, S. 125. Die architektonische Rückeroberung Berlins. Berliner Neubauten, Umbauten und Aufstockungen. 36 Abb., in: W M B 8 (1924), H. 5/6. S. 133-148. Bauten in der Gartenstadt Welwvn. Baumeister: Louis de Soissons. 5 Abb., in: W M B 8 (1924). H. 5/6, S. 190. Ostendorf und Theodor (1924), H. 5/6, S. 193f.

Fischer.

In: W M B 8

Ideenwettbewerb zur Verbauung der Prinz-Albrecht-Gärten in Berlin. [45] Abb.. in: W M B 8 (1924), H. 7/8, S. 197-214. Der Handelshof in Königsberg. Architekt: Hans Hopp, 8 Abb., in: W M B 8 (1924). H. 7/8. S. 230. 233 f. Tyrone, Neu-Mexiko. Eine amerikanische Bergwerkssiedlung. 7 Abb.. in: W M B 8 (1924). H. 7/8. S. 243.

4 Für zwei Bauwelt-Artikel von 1911 ist kein Exemplar mehr nachweisbar: auch der kumulativen Reproduktion fehlen Nr. 18-21 und 107-110.

1161

10.4.2.2 Zeitschriftenartikel

— 1924-25

Die Überwindung der Romantik im englischen Wohnhausbau. Reiseerinnerungen und Buchbesprechungen, 42 Abb., in: WMB 8 (1924), H. 7/8, S. 246-266. Das Chilehaus in Hamburg. Architekt: Fritz Höger, 15 Abb., in: WMB 8 (1924), H. 9/10, S. 288294. Das Hochhaus als Verkehrsstörer und der Wettbewerb der Chicago Tribüne. Mittelalterliche Enge und neuzeitliche Gotik, 51 Abb., in: WMB 8 (1924), H. 9/10, S. 296-309 [= Gefahren des Hochhauses 28. Februar 1924 = AA 45-51]. Wirkungen der New Yorker Bauordnung von 1916. 5 Abb., in: WMB 8 (1924), H. 9/10, S. 310-312. Junge Baukunst in Frankreich. 20 Abb., in: WMB 8 (1924) H. 9/10, S. 316-320. Die Rettung des Tempelhofer Feldes. In: WMB 8 (1924), H. 11/12, S. 333-344. 1925 E. Fahrenkamp und der Sieg der Rheinländer im Schauseiten-Wettbewerb der „D.A.Z.". 49 Abb., in: WMB 9 (1925), Η. 1, S. 1-19. Regelung des Nollendorfplatzes Berlin-Schöneberg. 2 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 1/2, S. 25. Der Groß-Berliner Wettbewerb der Zeitschrift „Städtebau". In: Städtebau 20 (1925), H. 1/2, S. 25. [Zur Buchbesprechung Hermann Jansen, „Stübben, J., Der Städtebau."] 4 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 1/2, S. 26f. Sverre Pedersen, ein Stadtbaumeister des 20. Jahrhunderts. 35 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 2, S. 49-57. Bohlenbinder und Zollbaulamelle. 6 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 2, S. 71 f. Das neue Stadttheater mit Kur- und Stadtsälen in Bad Teplitz-Schönau. Architekt: Rudolf Bitzan, Dresden, 10 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 2, S. 73-76. Curt vom Brocke. 49 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 3, S. 83, 94, 98. Exotik und „Amerikanismus". 8 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 3, S. 112-119. Die krystallische Form gotischer Kirchen und ihre Vorplätze. Betrachtungen zum Ulmer Münsterplatz-Wettbewerb, 164 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 3/4, S. 29-44. Vorschläge für die Umbauung der Lübecker Marienkirche. Architekten: Runge und Lenschow 1162

B.D.A., 4 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 3/4, S. 64. Wilhelm Riphahn. 48 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 4, S. 127, 132, 134, 136. Aus der Amsterdamer Schreckenskammer. 17 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 4, S. 147-151. Holland, Wright, Breslau. In: WMB 9 (1925), H. 4, S. 165-167. Josef Rings, Essen. 9 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 5, S. 169-172. Dänischer Klassizismus, „Der Geist der Gotik", „Die Antike als Schutzwehr gegen die Tradition" und der Sieg des „Plagiats". 48 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 5, S. 173-179. Amerikanische Einfamilienwohnhäuser. 2 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 5, S. 186. Bank-Umbauten und Neubauten von Zerbe und Harder. 27 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 5, S. 195199. Einfamilienhaus in Saint Cloud. Architekt: Louis Sue, 8 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 5, S. 204. Randbebauung des Tempelhofer Feldes. 19 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 5, S. 205-208. Aufstockung am Kurfürstendamm. Architekt: Bruno Schneidereit B.D.A., 3 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 5, S. 208. [Nachwort zu „Amsterdamer Schreckenskammer".] In: WMB 9 (1925), H. 5, S. 211 f. Zum „Linden"-Wettbewerb. 59 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 5/6, S. 67. Potsdamer Vogelschau. 9 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 5/6, S. 71, 78f., 82f., 90f. Westachsen. 4 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 5/6, S. 86 f. Vergleiche, Fragen, Reisenotizen. 26 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 6, S. 240-252. Einfahrbahn für Kraftwagen der Fiatwerke in Turin. 8 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 6, S. 253-255. Alte landwirtschaftliche Gebäude in Pennsylvanien. 7 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 6, S. 256-258. Amerikanische Baukunst. In: Cicerone 17 (1925), Juni, S. 592-599. Arbeiten von Hans Wiesinger und Franz Hühnerfeld. 26 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 7, S. 267. Neuer Geschäftshausbau in England. 14 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 7, S. 279-284. Arbeiten von Louis de Soissons und anderen für die Gartenstadt Welwyn. 62 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 7, S. 285. Der Berliner Städtebaudirektor. In: WMB 9 (1925), H. 7, S. 307 f.

10.4.2.2 Zeitschriftenartikel

Die Straße als Einheit. 20 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 7/8, S. 95-107. Wettbewerb „Verwaltungsgebäude Zehlendorf". 10 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 7/8, S. llOf. Studiengesellschaft für Automobilstraßenbau. In: Städtebau 20 (1925), H. 7/8, S. 116. Ausgeführte Bauten und Architekturskizzen von Hans Poelzig. 7 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 8, S. 318-320. A. und G. Perret, Architekten in Eisenbeton. 40 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 8, S. 323-331. Paris heute die Hauptstadt des schlechten Geschmacks? 28 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 8, S. 338-345. Düsseldorfer Rathaus-Wettbewerb. 20 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 8, S. 347f. „Unser Tessenow", die Holländer und Karl Scheffler. In: WMB 9 (1925), H. 9, S. 374-381. 21 Bilder von der Dresdener Jahresschau der Arbeit. In: WMB 9 (1925), H. 9, S. 384-386, 390. 32 Bilder von der Kunst-Gewerbe-Ausstellung in Paris. In: WMB 9 (1925), H. 9, S. 392-397. Mein Fridericus. In: Das Tagebuch 6 (1925), H. 37, 12. September, S. 1389-1391. „Die Bebauungsform der Großstadt". 1 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 9/10, S. 152. Berg-Breslau und Cremers-Essen über den Streit um das Kölner Hochhaus. 6 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 9/10, S. 153-155. Eine wichtige Berliner Stadtbaufrage: Erich Mendelsohns Herpich-Umbau in der Leipziger Straße. 2 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 9/10, S. 156 f. Ein Sieg der Londoner Freißächenpolitik. 1 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 9/10, S. 158 f. Neues vom Ulmer Münsterplatz. 2 Abb., in: Städtehau 20 (1925), H. 9/10, S. 159-161. 8 Bilder aus neuen fremdländischen Gärten. In: WMB 9 (1925), H. 10, S. 437-441. Professor Friedrich Sesselbergs Studien für ein Kriegerdenkmal in Hannover. 10 Abb., in: WMB 9 (1925). H. 10, S. 444-446. Berliner Flughafen-Wettbewerb. 32 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 10, S. 447-453. Holländisch-deutsche Bauten: Wandlung der Bauform durch den Baustoff. 2 Abb., in: W M B 9 (1925), H. 11, S. 471 f. Serbische Enthüllungen und Denkmäler. 11 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 11, S. 478-480. Schmitthenners Entwurf zum Ulmer Münsterplatz. 1 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 11, S.495f.

— 1925-26

Eine städtebauliche Rettung in der Stuttgarter Innenstadt. 4 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 11/12, S. 179. Miethäuser von Ludwig Lemmer-Remscheid. 10 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 12, S. 499-501. [Vorbemerkungzum Artikel Theo van Doesburgs.] in: WMB 9 (1925), H. 12, S. 503 f. Van de Velde, Chaos und die Dänen. 12 Abb., in: W M B 9 (1925), H. 12, S. 518-523. Das Bush-Haus in London. Architekten: Heimle und Corbett, New York, 12 Abb., in: W M B 9 (1925), H. 12, S. 529-536. Die Einbauung der Berliner Hedwigskirche. 2 Abb., in: WMB 9 (1925), H. 12, S. 536f. 1926 Groß Genua. In: Städtebau 21 (1926), Η. 1, S. 8. Wohnungspolitik für Schottland. In: Städtebau 21 (1926), Η. 1, S. 8. Noack, Viktor, Die Wohnungsnot als Sexualproblem. Käthe Kollwitz, Heinrich Zille, Die Zeichner des Volks, von Adolf Heilborn, 2 Abb., in: Städtebau 21 (1926), Η. 1, S. 15 f. Ein reichsdeutsches Gegenbeispiel! Auch eine Höhenleistung! Vorbemerkung des Schriftleiters, 5 Abb., in: WMB 10 (1926), Η. 1, S. 10-13. Bauten von Henauer und Witschi, Zürich. 13 Abb.. in : WMB 10 (1926), Η. 1, S. 13 f. Städtisches Strandbad am Mythenquai, Zürich. Architekten: K. Hippenmeier, Mitarbeiter: H. Peter und M. Canner, 6 Abb., in: WMB 10 (1926). Η. 1, S. 22 f. Randbemerkungen zum neuen Buche Gantners. 8 Abb., in: WMB 10 (1926), Η. 1, S. 26-31. Achsialität und Wohnungspolitik. An den Schriftleiter der „Schweizerischen Bauzeitung", in: WMB 10 (1926), Η. 1, S. 31-33. Festungsbauten und Heldenhain. 2 Abb.. in: WMB 10 (1926), Η. 1, S. 33 f. Der Berliner Stadtbaumeister. In: WMB 10 (1926), Η. 1, S. 34. Bemerkung zum Schreiben der Preisrichter. In: Städtebau 21 (1926), H. 2. S. 23. Zur Beurteilung des van Eesterenschen Entwurfes. In: Städtebau 21 (1926), H. 2. S. 27f. Schematische Berechnung der Nutzßächen. Unter Verwendung einiger im „Linden"-Wettbewerb vorgeschlagener Gedanken, in: Städtebau 21 (1926). H. 2. S. 28-32. Beispiele des amerikanischen „Kolonial "-Stils. 11 Abb., in: WMB 10 (1926). H. 2. S. 59f.

1163

10.4.2.2 Zeitschriftenartikel

— 1926

Ergebnisse des „Linden"-Wettbewerbs. 52 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 2, S. 61 f. Arkaden. In: WMB 10 (1926), H. 2, S. 66. Die Überlegenheit der Ladengeschäfte mit Arkaden-Vorbauten in Mailand. In: WMB 10 (1926), H. 2, S. 72 f. Die Architekturkritiker Peter Meyer und Karl Schettler. In: WMB 10 (1926), H. 2, S. 80. Kölner Hochhaus-Carneval. 166 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 3, S. 90-120. „Glückauf" Bürohaus, Essen. Architekt: Beigeordneter Regierungsbaumeister Ernst Bode, D.W.B., 12 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 4, S. 139-142. Arbeiten von Franz Schuster und JVanz Schacherl, Wien. 19 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 4, S. 153 f. Neue Arbeiten von Max Lauger. 15 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 4, S. 171-174. Berichtigung zum Kölner Wettbewerb. In: WMB 10 (1926), H. 4, S. 175. Landhäuser von Theodor Merill, Köln; Gärten von Heinrich Fr. Wiepking-Jürgensmann, Berlin. 29 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 4, S. 177 f. Der Gedanke der Bienenwabenstadt in Amerika. 4 Abb., in: Städtebau 21 (1926), H. 5, S. 71 f. „Recht auf Wohnung" und Gefährdung der Berliner Wohnkultur durch den neuen Stadtbaurat. 20 Abb., in: Städtebau 21 (1926), H. 5, S. 74-80. Erinnerungen an einen amerikanischen Garten. Architekten: Werner Hegemann und Elbert Peets, 15 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 5, S. 194-204. Das neue Pergamon-Museum. In: WMB 10 (1926), H. 5, S. 208. Die Architekturkritiker Meyer und Scheißer. Kleinigkeiten, in: WMB 10 (1926), H. 5, S. 208. Wohnungsbau und Wohnungspolitik. Zwei Tagungen, in: Städtebau 21 (1926), H. 6, S. 89. Tore römischer Provinzen. 36 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 6, S. 209-219. Vergleiche mit der Ausstellungshalle in Kopenhagen. 9 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 6, S. 240. 1871 * Walther Sackur, Karlsruhe f 1926. In: WMB 10 (1926), H. 6, S. 242. Das Gegenbeispiel aus Kaiserslautern. In: WMB 10 (1926), H. 6, S. 248. Der Berliner Opernplatz und „Wasmuths Monatshefte" im Ausland. In: WMB 10 (1926), H. 6, S. 248. Über die Vorliebe für das Anspruchsvolle, Unwirtschaftliche und Teure. In: Aufbau 1 (1926), H. 6, Juni, S. 72 f. 1164

Der Wettbewerb des „Dresdner Anzeigers". 78 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 7, S. 249-252. Arbeiten von Karl Gruber und die Einheitlichkeit städtebaulicher Anlagen. 25 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 7, S. 293-300. Lagerhaus Derendorf. Architekt: Hanns Hübbers, Düsseldorf, 6 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 7, S. 304. Neubau des Instituts für Kunstgeschichte an der Universität Köln. 2 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 7, S. 307. Wasmuths Monatshefte für Baukunst in Frankfurt a .Μ., London und Chicago. In: WMB 10 (1926), H. 7, S. 311. Wohnhausgruppe an der Weserstraße in BerlinNeukölln. Architekten: Paul Mebes und Paul Emmerich, Berlin, 5 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 8, S. 313 f. Das Friedrich-Lueg Haus in Bochum. Architekt D.W.B. Emil Pohle, Dortmund und Bochum, 2 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 8, S. 319. Das Verwaltungsgebäude der Rudolf Karstadt A.G. in Hamburg. Architekt: Philipp Schäfer, Hamburg, 4 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 8, S. 320 f. Schematismus und Individualismus in Rußland. 9 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 8, S. 322 f. „Klassiker und Barbaren". 4 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 8, S. 330. Alte und Neue Baukunst in Rußland. 2 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 8, S. 340. Arbeiten von Alexander Klein. 37 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 8, S. 341-349. Zu der bürokratischen Anarchie am Berliner Opernplatz und in Kaiserslautern. In: WMB 10 (1926), H. 8, S. 354 [bricht ab]. Kritisches zu den Wohnbauten der Stadt Wien. In: WMB 10 (1926), H. 9, S. 362-368. Neue Arbeiten von Paul Schmitthenner, Stuttgart. In: WMB 10 (1926), H. 10. S. 397. Ferienhaus auf der Gartenbau-Ausstellung in Dresden. 8 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 10, S. 415 f. Das Gebäude des Internationalen Arbeitsamtes in Genf. Architekt: Georges Epitaux, 6 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 10, S. 422-424. Berliner Opernhaus und die Bürokratie. In: WMB 10 (1926), H. 10, S. 435. Zwei Bochumer Wettbewerbe und neuere Arbeiten von Fritz August Breuhaus und Heinrich Ross-

10.4.2.2 Zeitschriftenartikel

kotten, Düsseldorf. 35 Abb., in: WM Β 10 (1926), Η. 11, S. 452. Rathaus und Stadthalle in Mülheim an der Ruhr. Architekten: Pfeifer und Großmann, Mülheim, 28 Abb., in: W M B 10 (1926), H. 11, S. 461, 463, 468 f. Um die Riesendenkmäler. In: W M B 10 (1926), H. 11, S. 473 f. Umgestaltung des Bahnhofsplatzes in Remscheid. 3 Abb., in: Städtebau 21 (1926), H. 12, S. 192. Die Bauten der großen Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen Düsseldorf 1926 und der architektonische „Zeitstil". 35 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 12, S. 477488. Neue amerikanische Hängebrücken. 4 Abb., in: WMB 10 (1926), H. 12. S. 492f. 1927 Curt vom Brocke. Ein neuzeitlicher Baumeister, in: Die Hören 3 (1927), S. 361-368. Stuttgarter Werkbund-Ausstellung und Paul Schmitthenner. In: Die Hören 4 (1927/1928), S. 233-242. Louis Sullivan über Weltkriegsdenkmäler. In: WMB 11 (1927), Η. 1, S. 31. Städtebauliche Schüler-Arbeiten der Akademie der schönen Künste, Kopenhagen. 12 Abb., in: Städtebau 22 (1927), H. 2, S. 27. Arbeiten von Lyonel Wehner, Düsseldorf. 5 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 2, S. 75-77. Wohnhaus-Umbauten in London. 26 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 2, S. 85. Das neue Rathaus für Bochum. Architekt: Karl Poth, Darmstadt, 5 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 2, S. 88 f. Fabrikbau Zwietusch, Charlottenburg. Architekt: Hans Hertlein, Berlin, 7 Abb., Tafel, in: W M B 11 (1927), H. 2, S. 95. Nochmals „Gesolei". In: WMB 11 (1927), H. 2, S. 95 f. Industriebauten von Ε. H. Richard Schmidt. 7 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 2, S. 98-100. Die Turmstadt und der Über-Wolkenkratzer. 3 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 2, S. 101 f. Ludwig Hilberseimer über unsere dänische Architektur-Ausstellung. In: WMB 11 (1927), H. 2, S. 103. [Bidrag.] In: Betaenkningen vedrprende Kobenhavns Trafiklinier som Forarbejde til Kobenhavns Regionplan, En international Enquete, in: Arki-



1926-27

tekten 29 (1927) Maanedshaefte, p. 33-104, p. 6769 [= OB 18]. Der Umbau der Berliner Staatsoper. In: Städtebau 22 (1927), H. 3, S. 48. Künstlerische Tagesfragen beim Bau von Einfamilienhäusern. Die Nachfolge Messels, SchultzeNaumburg und Ernst May, Flaches und schiefes Dach, 40 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 3, S. 106127. Arbeiten von Paul Pott. 15 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 3, S. 130. Die Überwindung des Daches. Sechs Aufnahmen gesammelt an einem Aschermittwochspaziergang im Wilden Westen Berlins, in: WMB 11 (1927), H. 3, S. 144. Segen und Fluch der Überlieferung im Kirchenbau. In: WMB 11 (1927), H. 4, S. 160-162. Paul Wolf und Heinrich Tessenow. 32 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 4, S. 173-182. Kritik des Großstadt-Sanierungs-Planes Le Corbusiers. 13 Abb., in: Städtebau 22 (1927). H. 5. S. 69-74. Gefahren der Berliner Schnellbahnentwicklung. 1 Faltplan, in: Städtebau 22 (1927), H. 5, S. 80. Berliner Neubauten und Ludwig Hoffmann. 26 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 5, S. 185-197. Wettbewerb „Erweiterung der Reichskanzlei". 21 Abb., in: Städtebau 22 (1927), H. 7, S. 97, 100. Neue Arbeiten von Wilhelm Riphahn-Köln. 23 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 7, S. 265f. „Dauerbauausstellung 1930" auf dem Berliner Messegelände. In: Städtebau 22 (1927), H. 8. S. 118. Städtebauliche Pläne für Bilbao. 3 Abb., in: Städtebau 22 (1927), H. 8, S. 127f. Zu Ludwig Hoffmann's fünfundsiebzigstem Geburtstag! 84 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 8. S. 339 f. [Erwiderung auf den Brief von Börries von Münchhausen über „Berliner Neubauten und Ludwig Hoffmann".] In: WMB 11 (1927). H. 8, S. 342f. Doppelwohnhaus in Aachen. Architekt: Otto Karow, Aachen, 6 Abb., in: W M B 11 (1927). H. 9. S. 361. [Bemerkung zu „Die neuen Zentralfriedhöfe in Essen" von Ernst Bode.] In: WMB 11 (1927). H. 9. S. 373 f. Wohnhausgruppe der Gagfah Gemeinnützigen A.G. für Angestellten-Heimstätten, Berlin in Lichterfelde. 16 Abb., in: WMB 11 (1927). H. 11. S. 425.

1165

10.4.2.2 Zeitschriftenartikel

— 1927-28

Schlußbemerkung des Herausgebers zu den Schumacherschen Bauten. In: WMB 11 (1927), H. 11, S. 450. [ Vorbemerkung zu „Wettbewerb des Völkerbundes in Genf".] In: WMB 11 (1927), H. 11, S. 452. Dachüberstand, Frostschäden und Kritik der „rationalen Vernunft" Bruno Tauts. 2 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 11, S. 463. Hoetger, Hoeger, Högg und der Ziegelbau in Deutschland und der Sahara. 26 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 11, S. 477. (Vorbemerkung des Herausgebers: Gelegentlich der Veröffentlichung dieses letzten Aufsatzes von Hermann Muthesius ... ) In: WMB 11 (1927), H. 12, S. 496 f. 1928 Stuttgarter Schildbürgerstreiche und Berliner Bauausstellung 1930. 1 Abb., in: WMB 11 (1928), Η. 1, S. 8-12. [Vorbemerkung zu „Neue Arbeiten von Paul Schmitthenner".] In: WMB 11 (1928) Η. 1, S. 13. Wettbewerb der Deutschen Bauausstellung Berlin 1930. In: Städtebau 23 (1928), H. 3, S. 59. Der Berliner Stadtbaurat über Welt-Ausstellungen und unseren „Aufruf zur fruchtbaren Kritik am Wettbewerb für die Bau-Ausstellung Berlin 1930". 6 Abb., in: Städtebau 23 (1928), H. 4, S. 83-87. Landesplanung. Eine besonders wichtige Aufgabe der Berliner Bau-Ausstellung, in: Städtebau 23 (1928), H. 4, S. 88. Nachwort über die Arbeiten von Bonatz und Scholer und: Renaissance des Mittelalters? 42 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 4, S. 153-165. Die neuen Fassaden und Anbauten an die Kölner Messehallen. 6 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 4, S. 171. [Modern German Architecture. Lecture by Dr. Werner Hegemann,} in: Architect & Building News 119 (1928), p. 649-653, 659 (May 4). [unauthorized rendition of a lecture at the Architectural Association, London] „Aufruf zur Kritik am Wettbewerb für die BauAusstellung Berlin 1930". 54 Abb., in: Städtebau 23 (1928), H. 5/6, S. 135-148. Zum „Wettbewerb zur Erlangung von Vorentwürfen für die städtebauliche Gestaltung der Deutschen Bau-Ausstellung 1930". In: Städtebau 23 (1928), H. 5/6, S. 150f. 1166

Bonatz, Hertlein, Schumacher in London. In: WMB 12 (1928), H. 5, S. 246. Bemerkungen zu den Miethäusern in Köln, Nürnberg, Mannheim und Berlin. 35 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 5, S. 252f. In eigener Sache. Wozu der Berliner Stadtbaurat Zeit hat, in: WMB 12 (1928), H. 6, S.272f. Soll Berlin Wolkenkratzer bauen? [Umfrage: Wagner, Hegemann, Mendelssohn] 3 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 6, S. 286-288. Lösung der auf Seite 209 gestellten Scherzfrage. 1 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 6, S. 289f. Was kosten Bodenbewegungen? In: WMB 12 (1928), H. 6, S. 290. Neue Hamburger Bauten. Architekten: Hans und Oskar Gerson, Hamburg. 13 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 7, S. 291. Londoner Reiseeindrücke. In: WMB 12 (1928), H. 7, S. 313-316. Umbauten von Hermann Muthesius, Brüder Luckhardt und Alfons Anker. 3 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 7, S. 317f. Schmitthenner, Bruno Taut u.s.w.: Sklaven eines falschverstandenen Klassizismus? GrundrißAnalysen im Geiste Alexander Kleins, 9 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 8, S. 345-348. Kalifornische Einfamilienhäuser. 32 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 8, S. 358-365. „Neue" und „Idiotische" „Sachlichkeit". In: WMB 12 (1928), H. 8, S. 374. Internationale Architektur. 8 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 8, S. 375. Christliche Schülertragödie [Vorabdruck]. In: Die Weltbühne 24 (1928), Nr. 32, 7. August, S. 207210. Ausstellungsbauten in Düsseldorf und Köln. Zu einem Brief von Wilhelm Kreis, in: WMB 12 (1928), H. 9, S. 392-395. „Mendelsohn und Hoetger ist" nicht „fast ganz dasselbe?". 15 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 9, S. 419-426. Selbstanzeige. Aus der Vorrede des demnächst erscheinenden Buches „Der gerettete Christus", in: Die Literarische Welt 4 (1928), Nr. 39, 28. September, S. 6. „Die Baupolitik" vereinigt mit „Städtebau". In: Städtebau 23 (1928), H. 10, S. 236. Berliner Plätze. 13 Abb., in: Städtebau 23 (1928), H. 10, S. 237-240. Neuzeitlicher Kirchenbau. In: WMB 12 (1928), H. 10, S. 440.

10.4.2.2 Zeitschriftenartikel

Wirtschaftliche Gefahren für das deutsche Bauen. In: WMB 12 (1928), H. 10, S. 468 f. Gott Vater und sein eingeborener Sohn [Vorabdruck], In: Das Tagebuch 9 (1928), H. 40, 6. Oktober, S. 1644-1647 [Bearbeitung von C 97-105]. Neubau der Weserbrücke in Hameln. 4 Abb., in: Städtebau 23 (1928), H. 11, S. 268. Hochhaus-Gefahren in Leipzig und anderen Städten. Mit Beiträgen von Stadtbaurat H. Ritter, Leipzig, und Städtebaudirektor W. Arntz, Köln, 3 Abb., in: Städtebau 23 (1928), H. 11, S. 273 f. Die Architekturschule Stuttgart. 80 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 11, S. 473. Schmitthenner's steile Dächer. In: WMB 12 (1928), H. 11, S. 495f. „Stilbewegung·'. In: W M B 12 (1928), H. 11, S. 504 f. 1929 5

Die Vereinigung von „Städtebau" und „Baupolitik". In: Städtebau 24 (1929), Η. 1., S. 1 f. Neue Baukunst und Wohnungspolitik. 8 Abb., in: WMB 13 (1929), Η. 1, S. 1-6. Wettbewerb Universität Heidelberg. 36 Abb., in: WMB 13 (1929), Η. 1, S. 36-39, 46. Die berliner Baumisere. In: Die Weltbühne 25 (1929), Nr. 1, 1. Januar, S. 16-20. Vergleich zwischen Martin Wagner und Werner Hegemann. In: Städtebau 24 (1929), H. 2, S. 56 und in: W M B 13 (1929), H. 2, S. 88. Preisträger und Bauausführende bei den HotelNeubauten in Chemnitz und Barmen. 7 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 2, S. 66-69. Ernste Architektur-Betrachtungen Fasching 1929. 8 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 2, S. 85-87. Die Rolle des Architekten in der Wirtschaft der Zukunft. In: Architekt und Wirtschaft 1 (1929), Februar, S. 1-6. The Shelter Famine. In: Survey 61 (1929), no. 9, February 1, p. 600-603. Lenin-Ehrung: Auditorium, Glühbirne oder Luftballon? 4 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 3, S. 124, 129-132. Die ffandersche Not. In: Die Weltbühne 25 (1929), Nr. 15, 9. April, S. 554-558. H. G. Wells. In: Die Weltbühne 25 (1929), Nr. 17, 23. April, S. 636-638. Hans Herkommers neue Kirchen. 33 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 5, S. 177-186.



1928-29

Eine Frage an Gotiker. In: WMB 13 (1929), H. 5, S. 186. Kathedrale oder Profanbau? 3 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 5, S. 224. Lloyd Georges Sozialprogramm. In: Die Weltbühne 25 (1929), Nr. 22, 28. Mai, S. 808-812. Über das Kopenhagener Polizeigebäude. In: WMB 13 (1929), H. 6, S, 239. Bauten von Hermann Frede, Halle. 11 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 6, S. 261. Rechte der Bauberatung und HauszinssteuerHypothek. 4 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 6, S. 264. Ein preußisches Kriegsschuldgeständnis. In: Die Weltbühne 25 (1929), Nr. 23, 4. Juni, S. 876. Baumeister. 1. Frank Lloyd Wright, in: Die Weltbühne 25 (1929), Nr. 26, 25. Juni, S. 982. Kunst oder Kitsch. Zu Ehren unserer Sechzigjährigen? 31 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 7, S. 265-273. Otto von Estorff und Gerhard Winkler. 19 Abb.. in: W M B 13 (1929), H. 7, S. 292-299. Wettbewerb für das Verwaltungsgebäude des Stickstoffsyndikats in Berlin. Fritz Höger, Erich Mendelsohn, Siegfried Buddeus, 15 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 7, S. 305-309. Poelzig und Schultze-Naumburg. In: Die Weltbühne 25 (1929), Nr. 29, 16. Juli, S. 99-102. Gontards Spittelkolonnaden gefährdet. In: Städtebau 24 (1929), H. 8, S. 236. Maya-Renaissance in Amerika. 3 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 8, S. 342. Arbeiten von Pinno und Grund, Dortmund. 9 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 8. S. 346 f. Friedrich der Große und der berliner Stadtbaurat. In: Die Weltbühne 25 (1929), Nr. 33, 13. August. S. 262. Selbstanzeigen. Reihenhaus-Fassaden, in: Das Tagebuch 10 (1929), H. 34, 31. August. S. 1445 f. Neue Arbeiten von Paul Schmitthenner und seinen Schülern. In: WMB 13 (1929), H. 9. S. 353 f. Hermann Jansen. Zu seinem sechzigsten Geburtstag, 26 Abb., in: Städtebau 24 (1929), H. 10, S. 269-273. [Nachbemerkung zu „Das Hochhaus Kroch in Leipzig, Architekt: German Bestelmeyer".] In: WMB 13 (1929), H. 10, S. 406 f. Die nordische Woche. 100 Abb.. in: WMB 13 (1929). H. 11, S. 455.

5 Nicht bestätigt werden konnte ein Beitrag für die französische Kunstzeitschrift ,.L'Amour de Γ Art" 1929, den zu schreiben Hegemann in einem Brief an Rasmussen erwähnte.

1167

10.4.2.2 Zeitschriftenartikel

— 1929-30

Das „State Tower"-Gebäude in Syracuse. 10 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 12, S. 499. Carl Sattler's Hamack-Haus. 12 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 12, S. 505f. Friedenskirche zu St. Johannes, Nürnberg. Architekt: German Bestelmeyer, München, 12 Abb., in: WMB 13 (1929), H. 12, S. 511-516. Friedrich der Große begründet den berliner Bodenwucher. In: Die Weltbühne 25 (1929), Nr. 52, 24. Dezember, S. 940-945. „Das steinerne Berlin " [Selbstanzeige]. In: Städtebau 14 (1929), H. 12, S. 348. 1930 German Bestelmeyer und Werner March. 20 Abb., in: WMBS 14 (1930), Η. 1, S. 13-20. Moderne Kleinhäuser. 2 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 2, S. 57f. Otto Blendermann, Bremen. 12 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 2, S. 77-82. Turmhaus am Reichstag?! 35 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 2 [Städtebau], S. 97-104. Turmhaus Reichstag. In: Die Weltbühne 26 (1930), Nr. 8, 18. Februar, S. 275-280. Otto Kohtz' Tonßlm-Werkstatt. 10 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 3, S. 129-134. Die Ecken des Capitolplatzes werden geschlossen. 4 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 3 [Städtebau/Baupolitik], S. 148 f. Verkehrspolitik. In: Die Weltbühne 26 (1930), Nr. 10, 4. März, S. 352-356. Vorbemerkung zu dem Aufsatze von G. N. Brandt, Charlottenlund, Dänemark. 2 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 4, S. 159f. Ein Landhaus von Eckart Muthesius. 7 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 4, S. 182 f. Hochhaus Friedrichstrasse. 12 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 4 [Städtebau], S. 191-194. Wohnungsnot und Schnellbahn. In: Die Weltbühne 26 (1930), Nr. 16, 15. April, S. 576-579. Selbstanzeige. Werner Hegemann, Das Steinerne Berlin, in: Das Tagebuch 11 (1930), H. 16, 19. April, S. 633 f. Vorschlag für die Erweiterung einer Ausfallstraße in Leipzip. 3 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 5 [Städtebau], S. 240. [„Reihenhausfassaden".] In: WMBS 14 (1930), H. 5 [Städtebau], S. 248. Berliner Sommerschau: Altes Berlin. In: Die Literarische Welt 6 (1930), Nr. 23, 6. Juni, S. 7. 1168

Geschäftshäuser von Pfeifer und Großmann, von John H. Rosenthal und von Schös und Oppel. 13 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 7, S. 323 f. Ideenwettbewerb für Berliner Gerichtsbauten. 30 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 7, S. 330-334. Turmhaus am Reichstag?! In: WMBS 14 (1930), H. 7 [Städtebau], S. 340. Die Heilige Familie. In: Die Weltbühne 26 (1930), Nr. 27, 1. Juli, S. 18-21. Erich Mendelsohn's Kaufhaus Schocken Chemnitz. 21 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 8, S. 345350. Die lebendige Stadt Mannheim. 3 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 6, S. 356. Die Eigenhäuser der Architekten Edvard Thomsen und Frits Schlegel. 14 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 8, S. 362-364. Ungarische und deutsche Baukunst. Zur internationalen Architekten-Tagung in Budapest, in: WMBS 14 (1930), H. 9, S. 393f. Die Frauenfriedenskirche in Frankfurt am Main. Architekt: Hans Herkommer, Stuttgart, 11 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 9, S. 406f. Fünf Jahre Bauschaffen im Ruhr-Bezirk. 8 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 9, S. 412-414. Der Reichskanzlerplatz. 16 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 9 [Städtebau/Baupolitik], S. 436f. Schinkels Neue Wache als Reichs-Ehrenmal. 4 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 9, S. 440. Gustav Adolf Platz, Die Baukunst der neuen Zeit; Fritz Schuhmacher, Zeitfragen der Architektur. In: Querschnitt 10 (1930), H. 9, September, S. 630f. Die Architektur-Ausstellung im Folkwang-Museum zu Essen. 53 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 10, S. 441 f. Der junge Friedrich. In: Die Weltbühne 26 (1930), Nr. 41, 7. Oktober, S. 548-552 [= J 181-189]. Die Nikolai-Kirche in Dortmund. Architekten: Pinno und Grund, Dortmund, in: WMBS 14 (1930), H. 11, S. 489 f. Städtebauliche Gründe für die Rettung des Palais Ephraim in Berlin. 3 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 11 [Städtebau], S. 533-535. Siedlung „Heimat" in Berlin-Siemensstadt. Architekt: Hans Hertlein, Berlin, 11 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 12, S. 537. Zwei Landhäuser von Alexander Klein. 9 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 12, S. 557-559. Das Kölner Kürassier-Denkmal. Bildhauer: Paul Wynand, Berlin, Architekt: Adolf Abel, München, 2 Abb., in: WMBS 14 (1930), H. 12, S. 576.

10.4.2.2 Zeitschriftenartikel

Liberalismus und Nationalismus 1848-1890. 8. Band der Propyläen-Weltgeschichte, in: Querschnitt 10 (1930), H. 12, Dezember, S. 854 f. Selbstanzeige. Werner Hegemann, Das Jugendbuch vom großen König, in: Das Tagebuch 11 (1930), H. 50, 13. Dezember, S. 2003. 1931

Emil Ludwig zum fünfzigsten Geburtstag. In: Die Weltbühne 27 (1931), Nr. 3, 20. Januar, S. 96-100. Die Ortskrankenkasse in Frankfurt am Main. Architekt: Ernst Baiser, Frankfurt a.M., 26 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 2, S. 49-58. Adolf Loos 60 Jahre alt. 6 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 2, S. 65 f., 88. Englische, deutsche und französische Ehrenmäler. 9 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 2, S. 75-78. Palais Ephraim, Berlins Städtebau und die ReichsPlanung. In: WMBS 15 (1931), H. 2 [Städtebau], S. 95. Poelzig-Schüler. Zu der Ausstellung der Arbeiten Hans Poelzigs und seiner Schüler, 14 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 3, S. 100, 103. Die neue Dortmunder Handelskammer. Architekten: Pinno und Grund, Dortmund, 7 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 4, S. 151 f. Zu Schinkels 150. Geburtstag. 15 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 4, S. 155-162. Schinkel und das Reichsehrenmal. Zu Schinkels 150. Geburtstag, in: Neue Rundschau 42 (1931), H. 4, April, S. 539-546. Heinrich Mann? Hitler? Gottfried Benn? Oder Goethe? In: Das Tagebuch 12 (1931), H. 15, 11. April, S. 580-588. Benns Geburtstagsrede und die Folgen. In: Das Tagebuch 12 (1931), H. 17, 25. April, S. 674. Die Berliner Bauausstellung. 15 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 5, S. 193-199. Luckhardt's und Erich Mendelsohn's Neubauten am Potsdamer Platz. 14 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 5, S. 226-232. Kathedralen, Bodenwucher und das Kollektiv. In: Die Weltbühne 27 (1931), Nr. 19, 12. Mai, S. 692696. Literatur und Bau-Ausstellung. In: Die Literarische Welt 7 (1931), Nr. 21, 22. Mai, S. 7. Bauausstellung. In: Das Tagebuch 12 (1931), H. 21, 23. Mai, S. 821-823. Berlin und die internationale Baukunst. Zur Berliner Bauausstellung, in: Querschnitt 11 (1931), H. 5, Mai, S. 301-304.

— 1931-32

Rettet die Großgrundbesitzer! In: Das Tagebuch 12 (1931), H. 22, 30. Mai, S. 843-854. Das dänische Handbuch der Bauindustrie, 3 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 6, S. 272. Stockholmer Kleinhäuser. 8 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 6 [Städtebau], S. 279-284. Neue Arbeiten Ost berg's, des Stockholmer Stadthaus-Architekten. 15 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 7, S. 307-312. Der Freiherr vom Stein. In: Das Tagebuch 12 (1931), H. 27, 4. Juli, S. 1054-1061. „Paul Bonatz und seine Schüler". 8 Abb., in: WMBS 15 (1931), H. 8, S. 337-343. Bauausstellung, Städtebau und „Kapitalismus". In: Neue Rundschau 42 (1931), H. 8, August. S. 236-252. Ist Handlesekunst Wissenschaft oder Zigeunerunfug? In: Die Literarische Welt 7 (1931), Nr. 32/33. 7. August, S. 5 f. 1932

Mebes, Schinkel, die neuen Luckhardts, U.S.A. und U.S.S.R. 23 Abb., in: WMBS 16 (1932), H. 2, S. 57-65. Ais Städtebauer in Südamerika. 14 Abb., in: WMBS 16 (1932), H. 3 [Städtebau], S. 141-148. Friedellsche Kulturgeschichte. Lujo Brentano zum Gedächtnis, in: Das Tagebuch 13 (1932), H. 12, 19. März, S. 451-456. Gemeinnützige Wohnungsbauten in Buenos Aires. Bilder und Anmerkungen zu dem Aufsatz auf Seite 193, 22 Abb., in: WMBS 16 (1932). H. 4. S. 185-192. Ais Städtebauer in Südamerika. II., 9 Abb.. in: WMBS 16 (1932), H. 4 [Städtebau]. S. 193-196. Das Wohnwesen in den Städten und neuen Industrie-Zentren Rußlands. 1 Abb., in: WMBS 16 (1932), H. 4 [Städtebau], S. 196-198. Grotesken der Bevölkerungspolitik. ... stirb und werde ..., in: Das Tagebuch 13 (1932), H. 18. 30. April, S. 677-681. Mendelsohn-Haus und Goethe-Haus. 14 Abb.. in: WMBS 16 (1932), H. 5, S. 221-227. Als Städtebauer in Südamerika. III., Der Sieg der Randsiedlung über die Mietkaserne, 12 Abb.. in: WMBS 16 (1932), H. 5 [Städtebau], S. 247-251. Die Leistungsfähigkeit der städtischen Verkehrsanlagen. Betrachtungen über das Buch von Dr. Hans Lübke über „Straßen und Plätze im Stadtkörper", 3 Abb., in: WMBS 16 (1932), H. 5 [Städtebau], S. 299-301.

1169

10.4.2.2 Zeitschriftenartikel

— 1932-35

[Zur Rundfrage „Das Land, in dem ich leben möchte".} In: Die Literarische Welt 8 (1932), Nr. 21, 20. Mai, S. 7. Woran scheitern die Entwürfe zu einem Städtebaugesetz? In: WMBS 16 (1932), H. 6, S. 301 f. Fichtes Weg zur Autarkie. In: Das Tagebuch 13 (1932), H. 26, 25. Juni, S. 993-993 [muß heißen: 995; Fehlpaginierung]. Otto ßartning's Haus auf der Ausstellung am Funkturm. 24 Abb., in: WMBS 16 (1932), H. 7, S. 319-321. Schinkel als Fassadenkünstler, 3 Abb., in: WMBS 16 (1932), H. 7, S. 332 f. Schinkelscher Geist in Südamerika. 36 Abb., in: WMBS 16 (1932), H. 7, S. 333-341. Der historische Schicksals- und Detektivroman. In: Neue Rundschau 43 (1932), H. 2 [Juli], S. 260-271. Der Bildhauer als Teufelsbeschwörer der Architektur. Ein Gespräch mit Rudolf Belling, 15 Abb., in: WMBS 16 (1932), H. 8, S. 382-388. Weltretter oder -verderber Henry Ford. In: Die Weltbühne 28 (1932), Nr. 32, 9. August, S. 207212.

Der Stammbaum Hitlers. In: Das Tagebuch 13 (1932), H. 34, 20. August, S. 1310-1316. Thomas Manns Blutschande, Rassen- und Landesverrat. In: Die Weltbühne 28 (1932), Nr. 35, 30. August, S. 318-320. Adolf Abels Vorentwurf für einen neuen Münchener Glaspalast. 6 Abb., in: WMBS 16 (1932), H. 9, S. 437 f. Zum Reichsehrenmal-Wettbewerb. In: WMBS 16 (1932), H. 9, S. 451-453. Landesplanung für die „Provinz Berlin" und den Mitteldeutschen Industriebezirk. 1 Abb., in: WMBS 16 (1932), H. 9, S. 455 f. Nazi-Reue über Dessau. In: Die Weltbühne 28 (1932), Nr. 36, 6. September, S. 369f. Persische Backstein-Gotik. 9 Abb., In: Bauwelt 23 (1932), H. 39, 29. September, S. 980-984 und in: MBS 16 (1932), H. 11, S. 520-524. Spanischer Städtebau aus vorrevolutionärer Zeit. 22 Abb., in: MBS 16 (1932), H. 10, S. 499-501. Walter Bloem contra Heinrich Mann. In: Das Tagebuch 13 (1932), H. 41, 8. Oktober, S. 1588-1593. Friedrich vergewaltigt Barberina. In: Die Weltbühne 28 (1932), Nr. 41, 11. Oktober, S. 548-550 und Nr. 42, 18. Oktober, S. 580-582. Der schöpferische Sinn der Krise. 1 Abb., In: Bauwelt 23 (1932), H. 43, 27. Oktober, S. 1096 und in: MBS 16 (1932), H. 11, S. 548.

1170

Der Umbau der Großstädte. In: MBS 16 (1932), H. 11 [Städtebau], S. 556. Wie hast du's mit der Agrarpolitik, S.P.D.? In: Das Tagebuch 13 (1932), H. 46, 12. November, S. 1788-1792. Zum deutschen Bürgerkrieg. In: Die Weltbühne 28 (1932), Nr. 46, 15. November, S. 723-727. „Das deutsche Wohnhaus". 19 Abb., in: Bauwelt 23 (1932), H. 46, 17. November, S. 1165-1172 und in: MBS 16 (1932), H. 12, S. 559-566. Unterelbe und Hamburger Wohnstadt. 7 Abb., in: MBS 16 (1932), H. 12 [Städtebau], S. 603-605. Ehe und Familie im Land der Wolkenkratzer. In: Atlantis 4 (1932), H. 12, Dezember, S. 748-750. 1933 Zwei Landhäuser von Fritz Schopohl. 12 Abb., in: MBS 17 (1933), Η. 1, S. 25-27. Siedlung und Arbeitsbeschaffung. In: MBS 17 (1933), Η. 1, S. 48. Südamerikanische Verkehrsnöte. 19 Abb., in: MBS 17 (1933), H. 2 [Städtebau], S. 89-94. Der Umbau der Großstädte. In: MBS 17 (1933), H. 2, S. 96. Rückkehr zu Novalis [Zur Rundfrage „Heute habe ich ein älteres Buch gelesen".] In: Die Literarische Welt 9 (1933), Nr. 5, 3. Februar, S. 5 f. [Antwort auf Paul Schmitthenner, „Das deutsche Wohnhaus, Entgegnung an Werner Hegemann"] In: MBS 17 (1933), H. 3, S. 138. [Zur Rundfrage „Die Gemeinschaft der geistig Schaffenden Deutschlands".] In: Die Literarische Welt 9 (1933), Nr. 11/12, 17. März, S. 3. 1934 Die neudeutsche Reformation. In: Die bühne 3 (1934), 24. Januar, Nr. 4, S. 100 = EG 71-78]. With Hammer and Trowel. In: Survey (1934), no. 11, November, p. 553-557,

Neue Welt97-102 [97Graphic 23 573.

1935 The Planning of Greyrock. In: A Small Residential Park for Inexpensive Houses, A Study of 53 Acres in a Metropolitan Area, By Students and Instructors in the Graduate School of Architecture, Columbia University, in: Architectural Forum 62 (1935), no. 5, May, p. 478-497, p. 484-488. Recent Trends in German Regional Planning. Discussion, in: Journal of the American Institute of Planners 1 (1935), no. 4, November/December, p. 85 f.

10.4.2.3

10.4.2.3 Zeitungsartikel 1910 Die Bedeutung der Städtebauausstellung für Groß-Berlin. Berliner Tageblatt [BT] 6. Januar 1910. Die Berliner Städtebau-Ausstellung und ihre Ziele. Berliner Lokal-Anzeiger 21. April 1910. [Die Allgemeine Städtebau-Ausstellung in Berlin. II, Teltower Kreisblatt 15. Mai 1910.] 1911 Amerikanische Parks. Frankfurter Zeitung [FZ] 15. Januar 1911, 1. M. [Auszug AP]. Zweckverband Groß-Boston. Berliner Neueste Nachrichten 11. Februar 1911, M., Titelseite. Deutsche Stadtbaukunst. BT 6. August 1911, M. 1912 Die Spielplätze. Zum §1 Ziffer 5 des Zweckverbandsgesetzes, BT 27. Februar 1912, 2. B. Grundsätze neuzeitlicher Stadtbaukunst. Staatsbürger-Zeitung 8. Mai 1912, Titelseite und Dresdner Anzeiger 10. Juli 1912, S. 5. Groß-Berlin und das Wahlrecht. BT 29. Mai 1912, M., 2. B. Der Wettbewerb um den Bebauungsplan für GroßDüsseldorf. Kölnische Zeitung 7. August 1912, 2. M. [Zum Bau von Hochhäusern in Berlin.] Berliner Morgenpost, November 1912 [n.n.] [Wiederabdruck in: Berlins dritte Dimension ..., S. 15f.]. 6 1913 Soll Berlin Wolkenkratzer bauen? In: Berliner Illustrate Zeitung 22 (1913), 26. Januar, S. 69-71. (Vaster Skyscrapers Inevitable, Says German Expert.) New York Times [NYT] April 6, 1913. [Interview by Edward Marshall] [Bearbeiteter Nachdruck als: Die Wolkenkratzer. Städtebau in Deutschland und Amerika, BT 27. April 1913, 1. B.] Homes and Parks [?]. Public Ledger, Philadelphia PA, April 15, 1913. 1914 (Don 't Imitate Europe, Says Expert to City Planners.) NYT April 26, 1914 [Adaptation of „European City Plans"].

Zeitungsartikel

1916 (Famed German Has Thrilling Tale of Wartime Adventure.) Milwaukee Journal, February 17, 1916. 1924 Die Gefahren des Hochhauses. Der WolkenkratzerUnsinn, in: Berliner Illustrierte Zeitung 28. Februar 1924, Nr. 39, S. 1125 f. [= AA 45-51]. Manfred Maria Ellis. FZ 21. Oktober 1924, 1. M., S. 2. 1927 „Der Kampf um Friedrich den Großen". Eine Entgegnung, FZ 1. Juni 1927, 1. M., Titelseite. Der Kampf um Friedrich den Großen (Presserechtliche Gegendarstellung). FZ 30. Juli 1927, 1. M., S. 2. 1928 Soll Berlin Wolkenkratzer bauen? 12-Uhr-Blatt. Neue Berliner Zeitung 27. April 1928. [Rundfrage]· Die Ehefrau eines Königs. Zu den Aufzeichnungen Friedrich Wilhelms III., FZ 28. Juli 1928, 1. M., S. lf. Goethe als übersinnlicher Freier? Neue Zürcher Zeitung [NZZ] 28. August 1928, Μ., Β. 1 [Auszug C], 1929 7 Schluß mit der Zerstörung Berlins! Baumeister und Städtebauer gegen den Abbruch der SpittelKolonnaden, Deutsche Allgemeine Zeitung 13. Mai 1929, M. (MitUnterzeichner]. „Anti-Frederick". Times Literary Supplement October 24, 1929, p. 846. [Correspondence]. 1931 „Baut euer eigen Heim sehr schlicht . . . " Wohnstil, Städtebau und Landesplanung, Kölnische Zeitung 1. Januar 1931, 2. B. [Auszug in Mendelsohn-Haus (1932) 226], Gestern: 2. Diskussions-Abend des Pen-Klubs. Freiheit und Schriftsteller, Das Gewissen der Zeit, Berliner Zeitung am Mittag 23. Februar 1931. Reform der Baugesetze. Verteurung durch Bürokratie, Kölnische Zeitung 10. Mai 1931, 1. Sonntagsausgabe, Beilage „Bauen und Wirtschaft".

6 Die Sammlung „Berlins dritte Dimension" weist für die Artikel der „Berliner Morgenpost" keine Erstdrucke nach. 7 Ein von Hegemann genannter Artikel über Berliner Architektur und die Akademie der Baukunst in der „Täglichen Rundschau" vom 29. Oktober 1929 war weder in der Morgen- noch Abendausgabe zu ermitteln.

1171

10.4.2.4 Koautor

1932 Ein deutscher Städtebauer in Südamerika. BT 5. Juli 1932, Μ., 1. B. —. Wohnt man in Buenos Aires besser als in Berlin? BT 14. Juli 1932, Μ., 1. B. —. Argentinien am Scheideweg: Paris oder Berlin ? BT 2. August 1932, Μ., 1. B. Der Alte Fritz, der erste Nazi. 8-Uhr-Abendblatt 18. Juli 1932. Der „erste Nationalsozialist". Friedrichs des Großen „geheime Testamente", Arbeiter-Zeitung 28. Juli 1932, S. 7. Alter Fritz - der erste Nazi. Wie Adolf Hitler seinem Potsdamer Vorbild gleicht ... 8-UhrAbendblatt 29. Juli 1932. [Fortsetzung vom 18. Juli] Die „geheimen Testamente" des „ersten Nationalsozialisten", Friedrich des Großen. Vorwärts 30. Juli 1932, Α., Beilage „Der Abend". 30. Juli 1932 und 31. Juli 1932 Die „geheimen Testamente" des „ersten Nationalsozialisten". NZZ 31. Juli 1932, 1. Sonntagsausgabe, B. 4. Mitteldeutsche Landesplanung. Vorwärts 3. August 1932, Α., Beilage „Der Abend". Volkstümliches aus Hitlers Sportpalast. NZZ 2. November 1932, Α., Β. 8. Gustav Adolf ohne Heiligenschein. Vorwärts 14. November 1932, Α., Β. Bismarcks Kampf für Verfassung und Reichstag. Generalanzeiger für Dortmund 29. November 1932, 2. B. Die Wahrheit vom „Dritten Reich". Generalanzeiger für Dortmund 10. Dezember 1932, 3. B 8 . Entlarvte Geschichte. I. „Marschall Vorwärts", 8Uhr-Abendblatt 3. Dezember 1932, 3. B. —. II. Undank dem Feldmarschall. 8-UhrAbendblatt 12. Dezember 1932, 3. B. —. III. Martin Luther? 8-Uhr-Abendblatt 20. Dezember 1932, 2. B. —. IV. Martin Luther? 8-Uhr-Abendblatt 30. Dezember 1932, 3. B.

8

1933 9 —. VI. [sie] Hermann, der Befreier? 8-UhrAbendblatt 14. Januar 1933, 2. B. —. V. Der „heilige Bernhard". 8-Uhr-Abendblatt 27. Januar 1933, 2. B. Präsident Masaryk im Gespräch. Vossische Zeitung 22. Januar 1933, Titelseite f. Masaryk und Schleicher. Vossische Zeitung 29. Januar 1933. [Fortsetzung] Hitler plaudert mit Nietzsche über die Juden. Der Aufruf 2 (1933), 15. September, Nr. 16, S. 24-27 und Deutsche Freiheit 28. September 1933, Feuilletonbeilage. 10.4.2.4 Koautor 1925 und Oskar Lange, Potsdamer Platz-Phantasien. 4 Abb., in: Städtebau 20 (1925), H. 11/12, S. 176f. 1926 und Alexander Klein, Siedlungsgenossenschaft „Freidorf" bei Basel. 10 Abb., in: WMB 10 (1926), Η. 1, S. 1-10. und Leo Adler, Die Berliner Staatsoper für 2500 statt 1600 Zuschauer. Rettungsversuch mit Skizzen, 6 Abb., in: Städtebau 21 (1926), H. 6, S. 88f. 1927 und Leo Adler, Warnung vor „Akademismus" und „Klassizismus". 25 Abb., in: WMB 11 (1927), H. 1, S. 1-10. und Leo Adler, Hoetger, Hoeger, Högg und der Ziegelbau in Deutschland und der Sahara. 26 Abb., in: WMB 11 (1927) H. 12, S. 477. 1928 und Leo Adler, Aufruf zur fruchtbaren Kritik am Wettbewerb für die Bau-Ausstellung Berlin 1930. 2 Abb., in: Städtebau 23 (1928), H. 3, S. 79-81 und in: WMB 12 (1928), H. 3, S. 141-143. und Leo Adler, Flurlose Wohnungen. Architekt: Alexander Klein, Berlin, 23 Abb., in: WMB 12 (1928), H. 10, S. 454 f.

Die beiden Artikel des „Dortmunder Generalanzeiger", von dessen betreffenden Ausgaben keine Exemplare mehr nachzuweisen sind, stellte C.C.Collins freundlicherweise zur Verfügung. 9 Weitere Exilartikel (Maas) sind Auszüge aus EG (siehe unter Rezensionen). Darunter das „Pariser Tageblatt", dessen Nennung vermutlich Grundlage der Falschmeldung für Beiträge Hegemanns für „Der Monat", Paris, im IBEE waren.

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10.4.3 Nachdrucke und

Neuausgaben

10.4.3 Nachdrucke und N e u a u s g a b e n 10.4.3.1 M o n o g r a p h i e n Das Steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt, Im Text geringfügig gekürzte Neuausgabe der Auflage von 1930 (Bauwelt Fundamente 3), Berlin-Prankfurt a.M.-Wien (Ullstein Verlag) 1963 [344 S., Abb., 8°, DM 12,80].

Catalogo delle esposizioni internazionali di urbanistica. Berlino 1910, Dusseldorf 1911-12. Antologia a cura di Donatella Calabi e Marino Folin, Note introduttive, Trad, di Elfi Perkhofer (Struttura e forma urbana 17), Milano (II saggiatore) 1975 [459 p., illus., 8°, L. 10.000]. La Berlino di pietra. Storia della piü grande cittä di caserne d'affito, Presentazione di Donatella Calabi, Trad, di Claudio Bruni (Planning & design 13), Milano (Mazotta) 1975 [380 p., ill., 8°, L. 18.000]. 1930, Das Steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt (Der Text der vorliegenden Ausgabe ist gegenüber der Originalfassung aus dem Jahre 1930 geringfügig gekürzt.), 2., unveränderte Auflage (Bauwelt Fundamente 3), Braunschweig-Wiesbaden (Friedr. Vieweg &; Sohn) 1976 [DM 26,-], 3., unveränderte Auflage 1979 und Nachdruck 1984 [DM 32,-], 4. Aufl. 1988, Mit einem Vorwort von Walter Benjamin [= Benjamin, Ein Jakobiner von Heute (1930)], [344 S., Abb., 8°, DM 36,-]. Entlarvte Geschichte. Neudruck der Ausgabe Prag 1934 (Dem Neudruck wurde Arnold Zweigs „Auch Werner Hegemann" vorangestellt.), (Exilliteratur, Hrsg. von Hans-Albert Walter und Werner Berthold, Band 5), Hildesheim (Gerstenberg Verlag) 1979 [194 S., 8°, DM 23,-]. 10.4.3.2 K o a u t o r The American Vitruvius: An Architects' Handbook of Civic Art. By Werner Hegemann and Elbert Peets, MCMXXII, Reissued by Benjamin Blom, Inc., New York 1972 [VI, 298 p. illus., 35 cm, First published New York 1922, Half title: Civic Art]. The American Vitruvius: An Architects' Handbook of Civic Art. By Werner Hegemann and

10

Elbert Peets, Ed. with an Introduction by Alan J. Plattus, Preface by Leon Krier and Introductory Essay by Christiane Crasemann Collins, New York (Princeton Architectural Press) 1988; Braunschweig-Wiesbaden (Vieweg-Verlag) 1989 (Reprint with new Prefatory Matter, Originally published New York, Architectural Book Pub. Co., 1922) [324 p., illus., 31 cm, DM 135,-]. 10.4.3.3 Artikel Ist Handlesekunst Wissenschaft oder Zigeunerunfug? [1931] In: Willy Haas (Hrsg.), Zeitgemäßes aus der „Literarischen Welt" von 1925-1932. Stuttgart 1963, S. 360-364. Heinrich Mann? Hitler? Gottfried Benn? Oder Goethe? [1931] In: Benn - Wirkung wider Willen. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Benns, Hrsg., eingel. und kommentiert von Peter Uwe Hohendahl (Wirkungen der Literatur 5), Frankfurt a.M. 1971, S. 144-149 [gekürzt um S. 580-582], II grande magazzino Schocken a Chemnitz di Erich Mendelsohn [1930] (da: Wasmuths Monatshefte Baukunst & Städtebau, n. 8, 1930). Traduzione e nota a cura di Mauro Säito, in: Controspazio 9 (1977), n. 4-5, Ottobre-Novembre, p. 80-83. „Die Stimme Gottes in Berlin". [= SB 19-24] [1930] In: Thema, Stil, Gestalt 1917-1932. 15 Jahre Literatur und Kunst im Spiegel eines Verlages, Katalog zur Ausstellung anläßlich des 75jährigen Bestehens des Gustav Kiepenheuer Verlages, LeipzigWeimar 1984, S. 165-168 10 . Otto Kohtz. [1930] In: Otto Kohtz. Mit einer Einleitung von Werner Hegemann und einem Nachwort zur Neuausgabe von Harold Hammer-Schenk (Neue Werkkunst, Neu hrsg. von Roland Jaeger), Berlin 1996, S. V-XII. [Einleitung.] [1930] In: Architekten Lossow h Kühne, Dresden. Mit einer Einleitung von Werner Hegemann und einem Nachwort zur Neuausgabe von Angela Hartmann (Neue Werkkunst, Neu hrsg. von Roland Jaeger), Berlin 1998. S. VII-XVI. Berlin und die internationale Baukunst. [1931] In: Berlin im Querschnitt. Hrsg. von Rolf-Peter Baacke, München 2001, S. 154-158.

Unter Nr. 216 und Nr. 241 Auszüge der Rezensionen von Ossietzky und Roth.

1173

10.4.4.1 Rezensionen der Monographien 10.4.4 Besprechungen 1 0 . 4 . 4 . 1 Rezensionen der Monographien Dissertation Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 28 (1909), S. 853 f. Fritz Schumann in: Volkswirtschaftliche Blätter 9 (1910), S. 10 (26. Januar). Wilhelm Lexis in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 41 (1911), S. 540f. (April). Parkbuch Allgemeines Literaturblatt 21 (1912), Sp. 275 (15. Mai). N.n.: Alfred Kerr in Königsberger Allgemeine Zeitung 1 1 . Städtebau Theodor Goecke, Denkschrift über die Berliner Städtebau-Ausstellung von 1910. In: Städtebau 9 (1912), S. 69f. (ca. März). Werner Weißbach, Die Städtebau-Ausstellung und Groß-Berlin. In: Preußische Jahrbücher 148 (1912), S. 109-124 (April). Gustav Langen, Die Ergebnisse der StädtebauAusstellung. In: Kunstwart 25 (1912), S. 246 f. (Mai). Walter Lehweß, Die städtebaulichen Aufgaben des Zweckverbandes Groß-Berlin. In: NDBZ 8 (1912), S. 136-138 (ca. Mai). Rudolf Eberstadt, Neuere Literatur über Städtebau und Wohnungswesen. Literaturbericht No. 2, Sonderbeilage des Städtebau 9 (1912), S. 5f. C . J . Puchs, Zur Politik und Literatur der Wohnungsfrage. In: Annalen für Soziale Politik und Gesetzgebung 1 (1912), S. 724-736, S. 728f. Kommunales Jahrbuch 5 (1912), S. 306f. Karl Seutemann in: Schmollers Jahrbuch 36 (1912), S. 1973-1976 (ca. April). Willy Hahn in: Baurundschau 4 (1913), S. 153-156 (17. April). Walter Curt Behrendt in: Kunst und Künstler 11 (1913), S. 484 (Juni).

Theodor Goecke in: Städtebau 11 (1914), S. 49f. (ca. Februar). Victor Noack, Werner Hegemann. In: Die Aktion 4 (1914), Sp. 386-391 (2. Mai). M.H. in: Baumeister 12 (1914), S. Β 321-323 (Juni). Patrick Abercrombie, Town Planning Literature. A Brief Summary of its Present Extent, in: T P R 6 (1915/16), p. 77-100, p. 88. N.n.: Hermann Muthesius in Über Land und Meer 1 2 , Alfred Lichtwark in Hamburger Fremdenblatt, Karl Mangoldt in FZ, Ostdeutsche Rundschau (Wien), B T , Journal of the American Institute of Architects 13 . Oakland & Berkeley American City 14 (1916), p. 411 (April). Charles Mulford Robinson, Recent City Plan Reports. In: National Municipal Review 5 (1916), p. 388-394, p. 388 f. (July). Patrick Abercrombie, Oakland and Berkeley Report. In: T P R 7 (1916/18), p. 145 f. A m e r i c a n Vitruvius Landscape Architecture 13 (1922), p. 76-78 (October). Garden Cities and Town Planning 12 (1922), p. 178 (November). M. Jourdain, Civic Art. In: Architectural Review 53 (1923), p. 68, 71 (February). Journal of Proceedings. Royal Victorian Institute of Architects 21 (1923), p. 9-12 (March). Raymond Unwin, An Architect's Handbook of Civic Art. In: J R I B A 30 (1922/23), p. 416f. (ca. May). S.D. Adshead in: Journal of the Royal Town Planning Institute 6 (1922/23), p. 15. Frederick Bigger, Architecture - the City's Hope. In: Journal of the American Institute of Architects 11 (1923), p. 65-67. T P R 10 (1923/24), p. 56f.

1 1 Deis Kerr-Archiv der Akademie der Künste verzeichnet vorrangig Theaterkritiken, dort nicht nachweisbar. 1 2 Muthesius unterhielt eine regelmäßige Rubrik in der in Stuttgart erscheinenden Zeitschrift, dort konnte aber für 1912-14 nichts nachgewiesen werden. 1 3 Im Journal of the American Institute of Architects nach Autopsie weder 1 (1913) noch 2 (1914); bei Collins, City Planning Exhibitions ..., p. 128, ohne Quellenangabe zitiert, vermutlich nach Verlagsoder Eigenwerbung.

1174

10.4.4.1 Rezensionen

I C T P E Gothenburg Raymond Unwin, The Gothenburg International Town Planning Exhibition and Conference. In: J RIESA 30 (1922/23), p. 621 f. George L. Pepler, The International Town Planning Conference and Exhibition at Gothenburg, August 1923. In: T P R 10 (1923/24), p. 248-250, p. 249. T P R 10 (1923/24), p. 285 f. Amerikanische Architektur und Stadtbaukunst Adolf Rading in: Baugilde 7 (1925), S. 37 (Januar) und Werner Hegemann, S. 206 f. und Rading, S. 208 f. (Februar). Industriebau 16 (1925), S. 75 f. (März). Peter Meyer in: SBZ 85 (1925), S. 189f. (5. April). Joseph Gantner in: Werk 12 (1925), S. 146, 148, 151 (Mai). Garden Cities and Town Planning 15 (1925), p. 179f. (July). Ernst Hamm in: Literarischer Handweiser 62 (1925), Sp. 819 f. (September). Steen Eiler Rasmussen in: Arkitekten 27 (1925), s. 93 f. Paul Zucker, Amerikabücher. In: Cicerone 18 (1926), S. 174-176 (März). Paul Zucker, Amerikanische Baukunst. Deutsche Allgemeine Zeitung 21. April 1926, Α., S. 2. Baumeister 28 (1930), S. Β 135 f. (Zur zweiten Auflage 1927). Ellis Hermann Bahr, Der Zauberstab. Tagebücher 1924/26, Hildesheim o.J., S. 102-108. (20. Juni 1924). R., Wilson als Lobredner Deutschlands. FZ 12. September 1924, Α., Literaturblatt Nr. 19. Robert R. Kuczynski, Verschleierungen. In: Weltbühne 20 (1924), 2. H., S. 554-556 (9. Oktober). Wilhelm Matthießen, Der wahre Fridericus. In: Allgemeine Rundschau 21 (1924), S. 715 f. (6. November). Wilhelm Michel, Die Fridericus-Legende. In: Weltbühne 21 (1925), 1. H., S. 259 f. (24. Februar). Fridericus

der

Monographien

von Zwehl, Schmähungen des Großen Königs. In: Militärwochenblatt 109 (1925), S. 895 f. (11. Februar) . Max Hoen, Die preußisch-deutsche Mentalität. Eine Entgegnung, in: Österreichische Wehrzeitung 6 (1925), 8. Mai, S. 4. P.A., Friedrich der Große - Gegen das deutsche Reich? Zu Werner Hegemanns Fridericus-Buch, in: Literarische Welt 1 (1925), Nr. 2, S. 4 (16. Oktober). Hans F. Helmolt in: Literarische Wochenschrift 1 (1925), Nr. 19, 10. Oktober, Sp. 581. 1926 Walter Koch in: Sozialistische Monatshefte 32 (1926), S. 346 (17. Mai). Fritz Härtung in: Deutsche Literaturzeitung 47 (1926), Sp. 1008-1011 (22. Mai). Wilhelm Böhm in: Deutsche Rundschau 53 (1926), S. 178 f. (Mai). L.H., Uber Bücher und Zeitschriften. In: C.V. Zeitung 5 (1926), S. 302 f., S. 303 (28. Mai). Fritz Rostosky in: Die Schöne Literatur 27 (1926), S. 419 f. (September). Hugo Ball, Drei Geschichtswerke. In: Hochland 23 (1925/26), Bd. 2, S. 357-366, S. 360-364 (Juni 1926). Hermann Hesse in: Tagebuch 7 (1926), S. 1891 f. (11. Dezember). 1927 Veit Valentin, Der Kampf um Friedrich den Großen. FZ 27. April 1927, 1. M., S. 1 f. und 2. M.. S. 1. Veit Valentin, Der Kampf um Friedrich den Großen. FZ 29. Juni 1927, 1. M., S. 1 f. Veit Valentin, [„Der Kampf um Friedrich den Großen"]. FZ 24. August 1927, Α., S. 2. Karl Stählin in: HZ 135 (1927), S. 133 f. [Stellungnahme zu Hartungs Vorwurf]. Ernst Posner in: Jahresberichte für deutsche Geschichte 1 (1925) (1927], S. 489. Gustav Berthold Volz in: Forschungen zur brandenburgisch-preußischen Geschichte 39 (1927), S. 154-162. Veit Valentin, Friedrich der Große. Berlin 1927, S. 137-141.

1925

1928 ff.

Max Hoen, Ein neuer Kritiker Friedrichs II. In: Osterreichische Wehrzeitung 6 (1925), 2. Jänner, S. 1.

Schaeffer, Friedrich der Große aus der Froschperspektive. In: Deutschen-Spiegel 5 (1928), S. 35-37 (6. Januar).

1175

10.4.4.1 Rezensionen der Monographien

Max Braubach, Der literarische Streit um Friedrich d. G. In: Literarischer Handweiser 64 (1927/28), Sp. 497-502, Sp. 497-499 (April 1928). Ernst Posner in: HZ 138 (1928), S. 604-614. Steen Eiler Rasmussen, Et Kongeoffer. Nationaltidende 9. februar 1930, M., s. 17f. Steen Eiler Rasmussen, Werner Hegemann. Nationaltidende 11. februar 1930, M., s. 9f. Ludwig Marcuse, Der Legenden-Töter. In: Tagebuch 12 (1931), S. 991 f. (20. Juni). U b e r s e t z u n g e n des Fridericus „Antifrederick". In: Times Literary Supplement October 3, 1929, p. 757. Emil Lengyel, Frederick the Great: Democrat or „Monstrous" Slave-Driver? Herr Hegemann Thinks the Prussian Monarch Has Been Vastly Overpraised - Miss Goldsmith Takes the Traditional View, N Y T November 17, 1929, IV, 5, 36. William King in: Criterion 9 (1930), p. 336-339 (January). P.F.D. in: Studies 19 (1930), p. 135-137 (March). Arthur Waugh in: Fortnightly Review 127 (1930), p. 717f. (May). Frederick the Obnoxious. In: Saturday Review 149 (1930), p. 596f. (May 10). John M. S. Allison, Der Alte Kaiser. In: Saturday Review of Literature 7 (1930), p. 180 (October 4). Richard Lodge in: History 15 (1930), p. 274-276. Potsdamnation. In: Saturday Review 155 (1933), p. 599 (June 17). Maurice Baumont in: La Revue critique d'histoire et de litterature 101 (1934), p. 289 s. Albert Guerard in: Books Abroad 9 (1935), p. 175 [French biography]. N.n.: Carl Meißner in Deutsche Tageszeitung, Richard Specht in Neue Freie Presse, Hans F. Helmolt in Der Westen, 25. Juli 192514, Franz Blei in Vossische Zeitung 15 , Erich Mareks, Gerhard Ritter 16 , E. Kalkschmidt in Die neue Zeit 19 (1927/8), Vol. 8, Nr. 20, S. 4-617, A . T . Sheppard in The Bookman's Journal, London 78 (1930),

163f. 18 , Kunstwart 19 , Julius Meier-Graefe, Jakob Wassermann, Martin Hobohm, Alexander Cartellieri, Alfons Paquet, Neue Badische Landeszeitung, Hannoverscher Anzeiger, Badischer Staatsanzeiger, Hugo von Hofmannsthal 20 . Exkurs: „Historische Belletristik" Willy Hellpach, Fridericus Rex. Vossische Zeitung 17. August 1926, Titelseite f. Julius Elbau, Geschichtsschreiber. Vossische Zeitung 8. Januar 1928. Historische Belletristik. Ein kritischer Literaturbericht. Hrsg. von der Schriftleitung der „Historischen Zeitschrift" (Sonderdruck aus Bd. 133, H. 3 (1926) und Bd. 138, H. 3 (1928) der „Historischen Zeitschrift". Neu hinzugefügt wurde die Einleitung.), München-Berlin 1928. Wilhelm Schüßler, Zur Einleitung. In: Historische Belletristik ..., S. 5-9. Carl von Ossietzky, Die Historiker sind ernstlich böse. In: Weltbühne 24 (1928), 2. H., S. 877-879 (11. Dezember). Walter Heynen, Weihnachtsrundschau I. Kulturgeschichte und Literatur, in: Preußische Jahrbücher 214 (1928), S. 359-370, S. 359f. Volker von Alzey [d.i. Walter Frank], Den Untertanen gewidmet. In: Akademischer Beobachter 1 (1929), S. 125-132 (Juli/August). Alwin Müller, Streit um Emil Ludwig. Zwei Broschüren: Angriff und Bewunderung, in: Eckart 5 (1929), S. 342-344 (Juli-August) Adolf von Grolmann in: Die Schöne Literatur 30 (1929), S. 424 (September). Philipp Funk, Der heutige Ruf nach Geschichtsrevision und das Bild Friedrichs des Großen. In: Hochland 27 (1929/30), Bd. 1, S. 40-52 (Oktober 1929). Joseph A. Lettenbaur, Fridericus. Heldenverehrung und Heldenzerstörung, München 1929. Wilhelm Mommsen, „Legitime" und „illegitime" Geschichtsschreibung. In: Zeitwende 5 (1929), 2. H., S. 302-314 (Oktober) und Sonderdruck Mün-

Kein Exemplar dieses Datums mehr nachgewiesen. Die Bibliographien Bleis verzeichnen bisher keine Zeitungsartikel. 16 Nach Gradmann auch in deren Nachlaß nicht überliefert, vermutlich auch aus der Verlagswerbung. 17 1598ab in IBZC 54 (1932): Die Zeitschrift mit Erscheinungsort Neu-Ulm, Minnesota, läßt sich in keinem der großen Periodika-Verzeichnisse des NUC oder der British Library überhaupt nachweisen. 18 Nach Autopsie des Bookman's Journals von Vol. 9 (1929) bis 16 (1931) nicht enthalten. 19 Nach Autopsie in Kunstwart 39,1 (1925/26) bis 40,1 (1926/27) nicht nachweisbar. 20 Letztere aus der Werbebroschüre der Verlags, wobei die Namensnennungen ohne Ort wahrscheinlich Zuschriften nach Sendung eines Vorabexemplars bezeichnen. 14 15

1176

10.4.4.1 Rezensionen der Monographien

chen-Berlin 1930 (Juni). Ludwig Marcuse, Professoren und Popularisatoren. In: Tagebuch 11 (1930), S. 627-629 (19. April). Siegfried Kracauer, Die Biographie als neubürgerliche Kunstform. FZ 29. Juni 1930 und in: Kracauer, Ornament der Masse ..., S. 75-80. Eckart Kehr, Der neue Plutarch. Die „historische Belletristik", die Universität und die Demokratie. In: Die GesellschaR 7 (1930), 2, S. 180-188 und in: Kehr, Primat der Innenpolitik ..., S. 269-278. Niels Hansen, Der Fall Emil Ludwig. Oldenburg 1930. Ludwig Marcuse, Die Emil-Ludwig-Front. In: Tagebuch 11 (1930), S. 141-144 (24. Januar). Friedrich Burschell, Zum Problem der Biographie. B T 9. Januar 1931, Μ., 1. B. Heinz Jacoby, Uber bürgerliche und proletarische Biographien. In: Linkskurve 3 (1931), H. 2, S. 2729 (Februar). Julian Hirsch, „Historische Belletristik" und Emil Ludwig, Historie und Dichtung. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie 7 (1931), S. 8385 (März). Adolf Waas, „Historische Belletristik". Eine Auseinandersetzung mit Emil Ludwig, in: Hefte für Büchereiwesen 15 (1931), S. 177-189 (Juni/Juli). Otto Forst de Battaglia, Der Kampf mit dem Drachen. Zehn Kapitel von der Gegenwart des deutschen Schrifttums und von der Krise des deutschen Geisteslebens, Berlin 1931. Napoleon E.K. in NZZ 21. Oktober 1927, Α., Β. 6, und 23. Oktober 1927, 2. Sonntagsausgabe, B. 9. F. Sch., Ein neues Napoleonbuch. In: Germania 10. November 1927, Α., Literarische Beilage. Fritz Schotthöfer, Napoleon, seine Verehrer, seine Verächter und Hegemann. Zum „Napoleon" von Werner Hegemann, FZ 4. Dezember 1927, 2. M., S. 9. Erich Franzen, Schauspieler und Genies. In: Literarische Welt 3 (1927), Nr. 49, S. 13f. (9. Dezember). Bircher in: Allgemeine Schweizerische Militärzeitung 74 (1928), S. 360 (15. Juni). Max Braubach in: Literarischer Handweiser 64 (1927/28), Sp. 673f. (Juni 1928). Heinrich Ritter von Sbrik in: HZ 138 (1928), S. 593-604, S. 600-604. 21 22

Übersetzungen des Napoleon Hegemann's „Napoleon". In: Times Literary Supplement April 9, 1931, p. 281. James Lindsay, Iconoclastic History. In: Saturday Review 151 (1931), p. 578 (18 April). J. Holland Rose, Napoleonoclastes. In: The Cambridge Review 52 (1931), p. 412 (May 15). Charles Willis Thompson, Napoleon the Demon. NYT May 17, 1931, IV, p. 19. F. W. Bain in: Criterion 11 (1931), p. 119f. (October). P.F.D. in: Studies 20 (1931). p. 679-682 (December). I.F.D.M. in: History 18 (1933/34), p. 189 f. N.n.: Der Bücherwurm, Literarischer Ratgeber, BT, Kölnische Volkszeitung, Richard Specht in Neue Freie Presse, Preußische Jahrbücher 2 1 , Augsburger Postzeitung, Börries von Münchhausen, Literarischer Ratgeber für die Katholiken Deutschlands, Die Rote Fahne, Berlin, Hannoverscher Ku11

ner

.

Christus O.L., Freidenkerei mit Hindernissen. In: Tagebuch 9 (1928), S. 1886-1888 (10. November). L. W-n, Die Denunziation gegen Hegemann. BT 12. November 1928. Staatsanwalt rettet Christus. In: Weltbühne 24 (1928), 2. H., S. 746 (13. November). Paul Gutmann, Ein beanstandetes Buch. Vorwärts 15. November 1928, A. Karl Tschuppik, Christus und der Staatsanwalt. FZ 18. November 1928, 1. M.. Titelseite. Karl Tschuppik, Jesus und der Staatsanwalt. In: Literarische Welt 4 (1928), Nr. 47, S. 1 (23. November) . Richard Specht, Ein Christusbuch. Neue Freie Presse 2. Dezember 1928, S. 39 f. Walther Petry in: Magdeburger Zeitung 9. Dezember 1928, Literaturbeilage, S. 2. Otto Doderer in: Die Literatur 31 (1928/29), S. 301 (5. Januar 1929). Friedrich Muckermann, Auf der Gralwarte. In: Gral 23 (1928/29), S. 286-295, S. 292 f. (Januar 1929). Günther Dehn, Der gerettete Christus. In: Eckart 5 (1929), S. 67-71 (Februar). Alfred Schütze in: Christengemeinschaft 5 (1928/29), S. 378f. (März 1929).

Nach Autopsie der Preußischen Jahrbücher, Bd. 207-214, 1927 und 1928 nicht zu bestätigen. Letztere aus der Verlagswerbung. 1177

10.4.4.1 Rezensionen der Monographien

Erich Fascher, Vitzliputzli oder die Kunst, Leser zu enttäuschen. In: Christliche Welt 43 (1929), Sp. 502-505 (18. Mai). Otto Flake, Aus allen Breiten. In: Neue Rundschau 40 (1929), Bd. 1, S. 680-692, S. 688f. Hermann Strathmann, Neues Testament. In: Theologie der Gegenwart 23 (1929), S. 395-464, S. 405-407 (Literaturbericht). Reihenhausfassaden Paul Zucker, Architektur-Umschau. Deutsche Allgemeine Zeitung 14. August 1929, M., Das Unterhaltungsblatt. E. Br. in: Das Werk 16(1929), H. 12, S. XXVII f. Werner Hegemann in: WMB 14 (1930), S. 248 (Mai). Erwin Gutkind in: Baugilde 12 (1930), S. 56f. Wolfgang Herrmann in: Kunst und Künstler 29 (1931), S. 466 (September). N.n.: Moderne Bauformen. Steinernes Berlin Ernst Kaeber, Werner Hegemanns Werk „Das steinerne Berlin ..." oder „Der alte und der neue Hegemann". In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 47 (1930), S. 101-114 (ca. März) und in: Kaeber, Beiträge zur Berliner Geschichte ..., S. 204-233. Carl von Ossietzky, Gottes Stimme in Berlin. In: Weltbühne 26 (1930), 1. H., S. 762-764 (20. Mai). P. [Friedrich Paulsen], Das steinerne Berlin. In: Bauwelt 21 (1930), S. 901 f. (17. Juli). Wilhelm Abegg, „Das steinerne Berlin". Gedanken zu einem Buch von Werner Hegemann, BT 29. Juli 1930, Α., 1. Blatt. (Paul Westheim in:) Kunstblatt 14 (1930), S. 221 (ca. Juli). Rudolf Kayser in: Neue Rundschau 41 (1930), Bd. 2, S. 138 f. (Juli). Walter Benjamin, Ein Jakobiner von Heute. Zu Werner Hegemanns „Das steinerne Berlin", FZ 14. September 1930 und Nachdruck Königsberger Hartungsche Zeitung 28. September 1930 und in: Benjamin, Gesammelte Schriften ..., Bd. 3, S. 260265. (Paul) Fechter in Deutsche Allgemeine Zeitung 22. Oktober 1930, Das Unterhaltungsblatt. Lutz Weltmann in: Die Literatur 33 (1930/31), S. 175 (6. November).

Franz Hessel, Die größte Mietskasernenstadt der Welt. In: Literarische Welt 6 (1930), Nr. 46, S. 5f. (14. November). Max Osborn, Drei Kunst-Bücher. Unbekannte Meisterwerke - Berlin - Akropolis. Vossische Zeitung 16. November 1930, 6. B. (Max) Rendschmidt in: Neubau 12 (1930), S. 499 f. Joseph Roth, Das steinerne Berlin. In: Tagebuch 11 (1930), S. 1078-1080 (5. Juli). Franz Blei in: Querschnitt 10 (1930), S. 631. Friedrich Tamms in: Baugilde 13 (1931), S. 62 (10. Januar). Karl Scheffler, Das steinerne Berlin. In: Kunst und Künstler 29 (1931), S. 219 (Februar). Kölnische Zeitung 5. April 1931. Alfred Gottwald in: Die Bücherwelt 28 (1931), S. 378f. (September-Oktober). Adolf Behne, „The Largest Tenement City in the World". In: Studio 102 (1931), p. 344, 347 (October). Wilhelm Westecker, Der Preußische Stil und das Steinerne Berlin. Berliner Börsenzeitung 8. November 1931, Literaturbeilage, -ge in: Stimme der Vernunft 17 (1932), S. 63 f. (Februar). Dr. G.L. [Gustav Lampmann], Drei Bücher über Berlin. In: ZDB 52 (1932), S. 643 (14. Dezember). Willy Hoppe in: Jahresberichte für deutsche Geschichte 6 (1930) [1932], S. 360. Wolfgang Herrmann in: Denkmalpflege 7/35 (1933), S. 76 f. G.H. in: Baumeister 31 (1933), H. 5, S. Β 73 f. (Mai). N.n.: Die Kunst 193123, Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, Curt Glaeser in Berliner Börsenkurier, Lutz Weltmann in 8-Uhr-Abendblatt, Der Ekkehard (Zeitschrift für die studierende technische Jugend), Paul Gutmann im Vorwärts, Walther Petry in Magdeburger Zeitung. Jugendbuch Hermann Kesten in: Literarische Welt 6 (1930), Nr. 51/52, S. 14 (19. Dezember). Celsus [Carl von Ossietzky], Der junge Fridericus. In: Weltbühne 26 (1930), 2. H., S. 948-950 (23. Dezember). Paul Gutmann, Das wahre Bild Friedrichs II. Ein Kenner über den „Großen König", Vorwärts 28. Dezember 1930, M., 3. B.

23 Die in zwei verschiedenen Quellen genannte Rezension bezog sich trotz differierender Zahlen jeweils auf Seiten einer Beilage, diese ist aber für die Zeitschrift nicht einmal nachgewiesen (Prause).

1178

10.4.4.2 Allgemeine

und kleine Formen

Karl August Meißinger, Werner Hegemanns neues Priedericusbuch. In: Deutsche Republik 5 (1930/31), S. 592-596 (3. Februar 1931). Arnold Berney, Friedrich „der Große"? FZ 28. Februar 1931, 1. M., Titelseite f. G. Mamlock, Der Kronprinz. Ein entschleiertes Rokoko-Idyll, BT 21. Juni 1931, M., 5. B. Pierre Lievre in: La nouvelle Revue Francaise 36

Is Set Within an Uncommon Wide Perspektive, NYT Book Review June 21, 1936, p. 11, 25. Carol Aronovici, How We Grew. In: Survey 72 (1936), p. 190f. (June). Charles Harris Whitaker, A Fine Parting Word. In: Architectural Record 79 (1936), June, sup. p. 29 f. Architectural Forum 65 (1936), no. 1, sup. 28 (Ju-

(1931), p. 620-622. Gustav Berthold Volz in: Forschungen zur brandenburgisch-preußischen Geschichte 44 (1932), S. 458-460. G. Mentz in: Vergangenheit und Gegenwart 22 (1932), S. 228. Carl Hinrichs in: Jahresberichte für deutsche Geschichte 7 (1931) [1934], S. 362.

iy)· Albert Mayer, The Late Werner Hegemann. In: New Republic 88 (1936), p. 26f. (August 12). Robert C. Weinberg in: Common Sense 5 (1936), no. 9, p. 28 (September). JAIP 2 (1936), No. 3, p. 84. Journal of the Royal Town Planning Institute 22 (1936), p. 225 f.

E n t l a r v t e Geschichte

V o l u m e II

Prager Presse 13. März 1933. Hellmuth Langenbucher, Entlarvter Geschichtsklitterer. Völkischer Beobachter 15. März 1933,

Architectural Forum 66 (1937), no. 5, sup. 84 (May). JAIP 3 (1937), No. 2, p. 56. American Journal of Sociology 45 (1939/40), p. 295 [ein Satz],

2.B.

G.F., Unrat über Preußen. Der Tag 7. April 1933. Hegemann schildert die schöne Geschichte Deutschlands. In: Die Zone 1 (1933), No. 2. S. 4-7 [Auszüge EG], Albert Guerard in: Books Abroad 7 (1933), p. 334. L.H. van Elhorst, Het pamphlet van Werner Hegemann. Boekbespreking, in: De Groene Amsterdamer 6. Mai 1933, S. 6, dt.: Das Pamphlet von Werner Hegemann. Buchbesprechung, in: EG 1934, S. 195 f. M. in: Das Neue Tage-Buch 2 (1934), S. 165 (17. Februar). Walther Schuster, Tendenziöse Geschichte. In: Freie Welt 14 (1934), H. 327, 22. Februar, S. 103106. Friedrich der Grosse und Adolf Hitler. Pariser Tageblatt 22. April 1936, Titelseite f. [Auszug EG als Nachruf]. Deutsche Volkszeitung 1936, Nr. 6, 26. April, S. 5 [Auszug EG als Nachruf]. City P l a n n i n g H o u s i n g Volume I Alvin Johnson, Planning and Slums. In: Nation 142 (1936), p. 553f. (April 29). Robert C. Weinberg in: American Architect 148 (1936), p. 114. 116 (May). Frederick L. Ackerman, City Planning: Yesterday, Today and Tomorrow. Werner Hegemann's Study

V o l u m e III Architectural Forum 68 (1938), June, p. 24. Harold W. Lautner in: Landscape Architecture 28 (1938), July, p. 208 f. Wesley Dougill, Civic Art and Function. In: JRIBA 46 (1938/39), p. 36f. (November 7, 1938). FJA [Frederick J. Adams] in: JAIP 4 (1938), No. 6, p. 152. 10.4.4.2 A l l g e m e i n e u n d kleine F o r m e n Joseph Gantner, Bemerkungen. In: Werk 13 (1926), S. 55. Kunst und Künstler 24 (1926), S. 80. Karl Scheffler, Der Geist der Böotik. In: Kunst und Künstler 24 (1926), S. 298. Hermann Kesten, Stilisten. Werner Hegemann, in: Weltbühne 25 (1929), 2. H., S. 97f. (16. Juli). Gottfried Benn, Eine Geburtstagsrede und die Folgen. Vossische Zeitung 16. April 1931. Unterhaltungsblatt. Karl Willy Straub, Werner Hegemann als „kleiner Cohn". Völkischer Beobachter 17. September 1932, 2. B. Werner Hegemann, Mar del Plata: el balneario y el urbanismo moderno. In: Literatura Argentina 4 (1932), num. 41. p. 143, Enero.

1179

10.4.5 Nachrufe

und Biographische

Literatur

Paul Zucker, Zur Baukunst unserer Zeit. Deutsche Allgemeine Zeitung 10. April 1929, M., Das Unterhaltungsblatt [Brüder Gerson],

Hugo Kubsch, Von Kunst und Künstlern. Deutsehe Tageszeitung 17. August 1930, 2. B. [Werner March].

10.4.5 Nachrufe und Biographische Literatur 10.4.5.1 Nachrufe New York Times April 13, 1936. Herald Tribüne April 13, 1936. American Society of Planning Officials, News Letter 2 (1936), no. 4, April, p. 26. Das Neue Tage-Buch 4 (1936), Nr. 17, 25. April, S. 391 f. Rudolf Olden, Werner Hegemann. Dem Freund und dem Kämpfer, Pariser Tageblatt 4 (1936), Nr. 866, 26. April, S. 3. Journal of the Royal Institute of British Architects 43 (1936), no. 13, May 9, p. 729. American Architect 148 (1936), no. 2644, May, p. 110. Architecture 73 (1936), no. 5, May, sup., p. 14, p. 20.

Architectural Record 79 (1936), no. 5, May, p. 345. Survey 72 (1936), no. 5, May, p. 154. Arnold Zweig, Auch Werner Hegemann ... In: Die Neue Weltbühne 32 (1936), Nr. 21, 21. Mai, S. 639-642 und in EG [1979] I-III. Housing Information Bureau, Monthly News Letter 4 (1936), no. 9, June 1, p. 1. Architectural Forum 64 (1936), no. 6, June, p. 70, p. 72. Journal of the Royal Town Planning Institute 22 (1936), no. 8, June, p. 209. Survey Graphic 25 (1936), no. 5, June, p. 357. 10.4.5.2 Biographische Abrisse KLK 43 (1926), Sp. 381. KLK 44 (1928), Sp. 428. Degener 9 (1928), S. 607. TLK 3 (1929), Sp. 249. KLK 45 (1930), Sp. 461 f. Dresslers Kunsthandbuch 9 (1930), Bd. 2, S. 385. SB 450 [Nachdruck 319]. WLB Bd. 3 (1931), S. 75. Brockhaus Bd. 8 (1931, 15. Aufl.), S. 296. KLK 46 (1932), Sp. 532. KLK 47 (1934), Sp. 308. 24

New School Catalog, Spring 1934, p. 38; Fall 1934, p. 56; Spring 1935, p. 38; Fall 1935, p. 65; Spring 1936, p. 49. Das Wort 1937, Heft 4/5, S. 170. Vollmer Bd. 2 (1955), S. 403. Websters Biographical Dictionary 1964, p. 686; 1974, p. 686; 1980, p. 686. NDB Bd. 8 (1969), S. 224 f. (Klaus Kratzsch) Meyers Bd. 11 (1974, 9. Aufl.), S. 598. Posener 1979, S. 613. MEA vol. 2 (1982), p. 348 f. (Christiane C. Collins) . IBEE vol. 11,1 (1983), p. 473. Collins/Collins 1986, p. 364 f. Cullen 1987, S. 622. DBE Bd. 4 (1996), 480 f. Encyclopedia of German-American Relations, Thomas Adam, ed., Santa Barbara CA [in print] (Caroline Flick). 10.4.5.3 Biographische Literatur Ruth Nanda Anshen, Introduction. A Biographical Note [1937], in: CPH II, p. XIII-XXII. Hans Hinrichs, Architekt und Historiker. Werner Hegemann zum Gedächtnis, o.O. 4. November 1946 24 . Hermann Kesten, Werner Hegemann. In: Kesten, Freunde ... [1959], S. 89-92. Donatella Calabi, Note introduttive. La costruzione dell'urbanistica, in: Catalogo delle esposizioni ...[1975], p. 1-28. Donatella Calabi, Presentazione. In: La Berlino di pietra ... [1975], p. I-XIX. Donatella Calabi, Werner Hegemann, ο dell'ambiguitä borghese dell' urbanistica. In: Casabella 428 (1977), p. 54-60. Gerhard Knoll, Kritische Bemerkungen eines Borussica-Sammlers. In: Aus dem Antiquariat, Beilage zum Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe vom 30. März 1982, S. A 81-A 92, S. A 89 f.

Ein Zeitungsausriß aus dem Familienbesitz ohne nähere Angaben.

1180

10.4.5 Nachrufe und Biographische

Christiane Crasemann Collins, Hegemann and Peets: Cartographers of an Imaginary Atlas. In: Hegemann/Peets, The American Vitruvius ... [1988], p. X I I - X X I I ; it.: Hegemann e Peets: Cartografi di un atlante immaginario. In: Casabella 54 (1990), S. 52-58. Christiane Crasemann Collins, A Visionary Discipline: Werner Hegemann and the Quest for the Pragmatic Ideal. In: Center 5 (1989), p. 74-85. Christoph Gradmann, „Historische Belletristik". Die historischen Biographien Werner Hegemanns und Emil Ludwigs in der Weimarer Republik, in: Bios 3 (1990), S. 95-112. Christoph Gradmann, „Historische Belletristik". Populäre historische Biographien in der Weimarer Republik (Historische Studien 10), Frankfurt a.M.-New York 1993, bes. S. 60-64. Werner Oechslin, Between America and Germany: Werner Hegemann's Approach to Urban Planning. In: Berlin-New York, Like and Unlike. Essays on Architecture and Art from 1870 to the Present, ed. by Josef Paul Kleihues, Christian Rathgeber, New York 1993, p. 281-295; dt.: Zwischen Amerika und Deutschland: Werner Hegemanns städtebauliche Vorstellungen jenseits der Frage nach der „Moderne". In: Wolfgang Böhm (Hrsg.), Das Bauwerk und die S t a d t / T h e Building and The Town.

Literatur

Aufsätze für/Essays for Eduard F. Sekler, WienKöln-Weimar 1994, S. 221-251. Christiane Crasemann Collins, Werner Hegemann (1881-1936): The American Experience. Lehrund Wanderjahre in den USA, in: Architektur als Kunst. Die Entwurfs- und Planungskonzepte Fritz Schumachers und seiner Zeitgenossen, FritzSchumacher-Kolloquium 1994, Hamburg 1995, S. 100-119. Christiane Crasemann Collins, Urban Interchange in the Southern Cone: Le Corbusier (1929) and Werner Hegemann (1931) in Argentina. In: JSAH 54 (1995), p. 208-227. Christiane Crasemann Collins, Werner Hegemann (1881-1936): Formative Years in America. In: Planning Perspectives 11 (1996), p. 1-21. Christiane Crasemann Collins, City Planning Exhibitions and Civic Museums: Werner Hegemann and Others. In: Volker Μ. Welter/James Lawson, ed., The City after Patrick Geddes. Oxford etc. 2000, p. 113-130. Christiane Crasemann Collins, Werner Hegemann 1881-1936. German Critic and Historian, in: Encyclopedia of Twentieth Century Architecture [in print]. Christiane Crasemann Collins, Werner Hegemann and the Search for Universal Urbanism [in print].

1181

10.5.1.2 Nachlässe und Sammlungen

10.5 Literaturverzeichnis 10.5.1 Archivalien 1 0 . 5 . 1 . 1 Gespräche und K o r r e s p o n d e n z e n Ernst Andrae, Bad Liebenzell. Una Canger, Valby, Dänemark. Christiane Crasemann Collins, New York NY. Beat und Ursula Feer, Volken, Schweiz. Prof. Dr. Gerhard Fehl, Aachen. Dr. Christoph Gradmann, Heidelberg. Manfred Hegemann, Putney V T . Andrew Higgott, London. James L. Holton, Reinholds PA. Robert R. Impink, Shillington PA. Dipl.Ing. Detlef Jessen-Klingenberg, Braunschweig. Dr. Oliver Karnau, Düsseldorf. Arno M. Klausmeier, Waukesha WI. Dr. Klaus Kratzsch, München. Dr. Otto Krauß, Starnberg. Prof. Dr. Jürgen Kuczynski, Berlin. Günther Kühne, Berlin. Bruce und Cynthia Lynch, Waukesha WI. Wolfgang March, Berlin. Alan Morrison, Philadelphia PA. Prof. Dr. Werner Oechslin, Zürich. Adalbert Frhr. von Pechmann, Starnberg. Eliane Polack, Amsterdam. Prof. Dr. Julius Posener, Berlin. Dr. Thomas Schmidt, Berlin. Dr. Wilfried Schoeller, Frankfurt a.M. Sibylle Schwarz, München. Inge Vorster, Köln. Ernst J . Wasmuth, Tübingen. 1 0 . 5 . 1 . 2 Nachlässe und Sammlungen NL Ernst Walter Andrae. Handschriftenabteilung Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin. Edward M. Bassett Papers. Rare and Manuscript Collections, Carl Α. Kroch Library, Cornell University, Ithaca NY. Teilnachlaß Adolf Behne. Handschriftenabteilung Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin. NL Gottfried Benn. Deutsches Literaturarchiv, Schiller Nationalmuseum, Marbach. NL Harry Bergholz. Deutsches Exil-Archiv 19331945, Deutsche Bibliothek, Frankfurt a.M. Teilnachlässe Paul Bonatz. Institut für Architekturgeschichte, Universität Stuttgart und Dipl. Ing. Peter Dübbers, Stuttgart. NL Moritz Julius Bonn. Bundesarchiv Koblenz.

1182

NL Lujo Brentano. Bundesarchiv Koblenz. NL Albert Erich Brinckmann. Kunsthistorisches Institut, Universität Köln. Daniel H. Burnham Collection. Burnham Library of Architecture, The Art Institute of Chicago, Chicago IL. Charles H. Cheney Papers. Manuscript Division, The Bancroft Library, University of California, Berkeley CA. CIAM-Archiv, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur GTA, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Zürich. City Club of Milwaukee Records. Milwaukee Manuscript Collection, Milwaukee Urban Archives, Golda Meir Library, University of WisconsinMilwaukee, Milwaukee WI. Cotta-Archiv. Stiftung der Stuttgarter Zeitung, Schiller Nationalmuseum, Marbach. NL Bernhard Dernburg. Bundesarchiv Koblenz. NL Alfred Döblin. Deutsches Literaturarchiv, Schiller Nationalmuseum, Marbach. Emergency Committee of Displaced Foreign Scholars. Rare Books and Manuscripts Division, The New York Public Library, New York NY. James Ford Papers. Department of Social Ethics, Harvard University Archives, Cambridge MA. NL Ernst Hegemann. Bayerische Staatsbibliothek, München. Daniel W. Hoan Collection. Milwaukee County Historical Society, Milwaukee WI. Joseph Hudnut Papers. Department of Social Ethics, Harvard University Archives, Cambridge MA. NL Hermann Jansen. Archiv für bildende Kunst, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. Paul Underwood Kellogg Papers. Social Weifare History Archives, University of Minnesota, Minneapolis MN. Hermann Kesten-Archiv. Stadtbibliothek München. Käthe Kollwitz-Archiv. Akademie der Künste, Berlin. NL Alfred Lichtwark. Hamburger Kunsthalle, Hamburg. Mason-McDuffie Papers. Manuscript Division, The Bancroft Library, University of California, Berkeley CA.

10.5.1.3 Archive

Heinrich Mann-Archiv, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Benjamin Clarke Marsh Papers. Manuscript Division, Library of Congress, Washington D.C. Teilnachlaß Erich Mendelsohn. Kunstbibliothek Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin. Teilnachlaß Peter Meyer, Dr. Jakob Meyer, Basel. NL Hermann Muthesius. Werkbundarchiv Berlin. Neuer Merkur Collection. Leo Baeck Institute, New York N Y . John Nolen Papers. Department of Manuscripts and University Archives, Olin Library, Cornell University, Ithaca N Y . Karl Ernst Osthaus-Archiv. Karl Ernst OsthausMuseum, Hägen. NL Günther von Pechmann. Archiv für bildende Kunst, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. Elbert Peets Papers. Department of Manuscripts and University Archives, Olin Library, Cornell University, Ithaca N Y . NL Hugo Preuß. Bundesarchiv Potsdam. Archiv Johannes Jakobus Pieter Oud. Nederlands Architectuur Instituut, Stichting Nederlands Instituut voor Architectuur en Stedebouw, Amsterdam. NL Karl Scheffler. Handschriftenabteilung, Staatsund Universitätsbibliothek Hamburg. NL Rene Schickele. Deutsches Literaturarchiv, Schiller Nationalmuseum, Marbach. Teilnachlässe Fritz Schumacher. Archiv für bildende Kunst, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg und Handschriftenabteilung, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Erich Cramer Stern Papers. Milwaukee Manuscript Collection EM, Milwaukee Urban Archives, Golda Meir Library, University of WisconsinMilwaukee, Milwaukee W I . NL Wilhelm Sternfeld. Deutsche Bibliothek, Frankfurt a.Μ. NL Albert Südekum. Bundesarchiv Koblenz. NL Steen Eiler Rasmussen. Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen. Raymond Unwin Collection. Kantorowich Library, Department of Planning and Landscape, University of Manchester, Manchester. NL Veit Valentin. Stadtarchiv Frankfurt a.M. NL Hans Josef Zechlin. Kunstbibliothek Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin. Arnold Zweig-Archiv. Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin.

10.5.1.3 Archive The American Geographical Society Collection of the University of Wisconsin-Milwaukee Library, Milwaukee W I . American Planning Association, Chicago IL. Amtsgericht Wiesbaden, Wiesbaden. Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Archiv der Baugenossenschaft Ideal, Berlin. Archiv der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Parteivorstand, Bonn. Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität München. The Archival Authority of New South Wales, The State Archives, Sydney, N.S.W. Archival Heritage, East Melbourne, Victoria. Archives de France, Paris. Archives Departementales, Departement du BasRhin, Strasbourg. Archives Municipales, Ville de Strasbourg. Archives and Manuscripts Department, Chicago Historical Society, Chicago IL. Australian Archives, Dickson, A.C.Τ. Badische Landesbibliothek, Karlsruhe. The Baltimore Sun Library, Baltimore MD. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München. Berlin Document Center, Berlin. Bibliotheque et Collections, Ecole nationale superieure des Beaux-Arts, Paris. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin. A & C Black Publishers Limited. London. Borough of Wyomissing, Wyomissing P A . The Boston Globe, Boston M A . The Bostonian Society, The Boston Historical Society and Museum, Boston M A . Bundesarchiv Berlin. Bundesarchiv Koblenz. Bundesarchiv Militärarchiv, Freiburg i.B. Bundesarchiv Potsdam. California Historical Society, San Fransisco CA. California State Library, Sacramento CA. The Christian Science Monitor, Boston M A . Cleveland Public Library, Cleveland OH. Colorado Historical Society, Denver CO. Columbiana Collection, Columbia University in the City of New York N Y . Consulate General of the United States of America, Berlin. The Cooper Union for the Advancement of Science and Art, New York N Y . Delaware Valley Regional Planning Commission, Philadelphia PA.

1183

10.5.1.3 Archive

Denver Public Library, Denver CO. Department of Planning and Housing, Melbourne, Victoria. Department of Records, City of Philadelphia PA. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart. Deutsches Exil-Archiv 1933-1945, Deutsche Bibliothek, Frankfurt a.M. Deutsches Rundfunkarchiv, Prankfurt a.M.-Berlin. Editions Gallimard, Paris. Enoch Pratt Free Library, Baltimore MD. Environmental Design Library, University of California, Berkeley CA. Evangelische Archivstelle Koblenz, Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Koblenz. Evangelische Kirchengemeinde Staßfurt. Evangelischer Oberkirchenrat A.B. Wien. Evangelisches Kirchenbuchamt Mannheim. Evangelisches Zentralarchiv, Berlin. Fine Arts Department, Boston Public Library, Boston MA. Generallandesarchiv Karlsruhe. Göteborgs stadsarkiv, Göteborg. Göteborgs universitetsbibliotek, Göteborg. Graduate School of Architecture, Planning and Preservation, Columbia University in the City of New York, New York NY. Graduate School of Design, Frances Loeb Library, Harvard University, Cambridge MA. Grundbuchamt Berlin-Britz, Amtsgericht Neukölln, Berlin. Grundbuchamt Nikolassee, Amtsgericht Schöneberg, Berlin. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig. Hauptstaatsarchiv Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. The Historical Society of Berks County, Reading PA. The Historical Society of Pennsylvania, Philadelphia PA. Hochschularchiv der Technischen Universität Berlin. Illinois Historical Survey Library, University of Illinois at Urbana-Champaign, Urbana IL. Indiana Historical Society, Indianapolis IN. Indiana State Library, Indianapolis IN. Internatsgymnasium Schloß Plön, Plön, Holstein. Joint Municipal Authority of Wyomissing Valley, Berks County, Reading PA. Kohler Art Library, Madison WI. Kohler Co. Archives, Kohler WI. Krankenbuchlager Berlin.

1184

Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg. Landesarchiv Berlin. Landeshauptarchiv Koblenz. Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte, Bremen. Lane Public Library, Hamilton OH. Lloyd's Register of Shipping, Hamburg Head Office, Hamburg. Manuscripts and University Archives Division, University of Washington Libraries, Seattle WA. Maryland Historical Society, Baltimore MD. Maryland State Archives, Annapolis MD. Massachusetts Historical Society, Boston MA. Milwaukee County Historical Society, Milwaukee WI. Minneapolis Public Library and Information Center, Minneapolis MN. Minnesota Historical Society, Saint Paul MN. Municipal Reference Library, City of Chicago IL. Municipal Reference and Research Center, New York City Department of Records and Information Services, New York NY. National Archives and Records Administration Great Lakes Region, Chicago IL. New York City Housing Authority Collection, La Guardia and Wagner Archives, The City University of New York, Long Island City NY. New York Times Co. Archives, New York NY. News Information Center, The Milwaukee Journal/Milwaukee Sentinel, Milwaukee WI. Oakland Public Library, Oakland CA. Office of the Comptroller, City of Seattle WA. Ohio Historical Society, Columbus OH. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn. Rathausarchiv Neukölln, Berlin. Raymond Fogelman Library, New School of Social Research, New York NY. Reading Public Library, Reading PA. Records and Archives, City of Melbourne, Victoria. Rochester Historical Society, Rochester NY. Rochester Museum and Science Center, Rochester NY. The Royal Australian Institute of Architects, Melbourne, Victoria. Royal Australian Planning Institute, Hawthorne, Victoria. San Francisco Archives, San Francisco Public Library, San Francisco CA. The Society for American City and Regional Planning History, Hilliard OH.

10.5.1.3 Archive

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Tiefbauamt, Bezirksamt Zehlendorf von Berlin. The Tribune Library, Oakland CA. Ullstein Bilderdienst, Berlin. Universitätsarchiv, Humboldt-Universität Berlin. Universitätsarchiv, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Universitätsarchiv, Universität Stuttgart. University Archives, The Bancroft Libraries, University of California, Berkeley CA. University Archives and Records Center, University of Pennsylvania, Philadelphia PA. University of Wisconsin-Madison Archives, Madison WI. Urban Archives, Samuel Paley Library, Temple University, Philadelphia PA. Urkundenstelle, Rat des Kreises Brandenburg, Brandenburg. The Western Reserve Historical Society, Cleveland OH. Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart. Wisconsin Architectural Archive, Milwaukee WI. Wisconsin State Journal, Madison WI.

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10.5.3.1 Bibliographien und Bestandsverzeichnisse

Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin [WAVB], Berlin 1 (1906) - 17 (1922). Das Wort. Literarische Monatsschrift, Moskau 1937 und Nachdruck Zürich 1969. Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie. Stuttgart 1 (1925) - 7 (1931). Zeitschrift für Wohnungswesen. Berlin 1 (1902/3) - 39 (1941). Zeitungskatalog. Ala, Berlin 50 (1925) - 53 (1928), 58 (1933). Zeitungskatalog. Hrsg. Verband Deutscher Annoncen-Expeditionen, Berlin 1926 und 1934. Zeitungs-Katalog der Annoncen-Expedition Ru-

dolf Mosse. Prag 51 (1925) - 59 (1933). Zeitwende. Wissenschaft, Theologie, Literatur, Stuttgart 1 (1925) - 17 (1940), 18 (1946/47) ff. Zentralblatt der Bauverwaltung [ZDB]. Nachrichten der Reichs- und Staatsbehörden, Hrsg. im Preußischen Finanzministerium, Berlin 1 (1881) 64 (1944). Die Zone. Querschnitt durch die deutsche Kunst, Literatur, Musik, Politik, Theater, Wissenschaft, Revue mensuelle, Paris 1 (1933) - 8 (1934). 12-Uhr-Blatt, Neue Berliner Zeitung. Berlin April 1928.

10.5.3 Nachschlagewerke 10.5.3.1 Bibliographien und B e s t a n d s v e r z e i c h n i s s e America: History and Life. Α Guide to Periodical Literature, Eric Η. Boehm ed., vol. 1 ff., Santa Barbara CA 1965 ff. Author-Title Catalog, Library University of California, Berkeley. Vol. 1-115, Boston MA 1963. Avery Index to Architectural Periodicals. Columbia University, 2. ed., rev. and enl., vol. 1-15, sup. 1 ff., Boston MA 1973 ff. Sibylle Badstübner-Gröger, Bibliographie zur Kunstgeschichte von Berlin und Potsdam. (Schriften zur Kunstgeschichte 13), Berlin (Ost) 1968. Joachim Bergmann, Die Schaubühne, die Weltbühne. 1905-1933, Bibliographie und Register mit Annotationen, Τ . 1 ff., München u.a. 1991 ff. Die Bestände des Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchivs. Kurzübersicht, 2., neubearb. und erw. Aufl. (Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen Β 4), Düsseldorf 1984. Bibliographie Guide to Art and Architecture. 1975 ff., Boston MA 1975 ff. Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Hrsg. von Hans W. Eppelsheimer, Clemens Köttelwelsch, Bernhard Koßmann, Bd. 1 ff., Frankfurt a.M. 1975 ff. Bibliographie zur deutschen historischen Städteforschung. Bearb. von Brigitte Schröder und Heinz Stoob (Städteforschung Β 1), Köln-Wien 1986. Bibliographie deutscher Übersetzungen aus dem Französischen 1700-1948. Bearb. von Hans Fromm, Bd. 1-6, Baden-Baden 1950-1953.

Internationale Bibliographie der Zeitschriftenliteratur mit Einschluß von Sammelwerken und Zeitungen. Begr. von Felix Dietrich, Abt. A, Bibliographie der deutschen Zeitschriftenliteratur, Mit Autoren-Register [IBZA], 1 (1896) - 128 (1964), Ergbde. 1-20; Abt. B, Bibliographie der fremdsprachigen Zeitschriftenliteratur [IBZB] 1 (1911) 22 (1921/25) und N.F. 1 (1925/26) - 51 (1962/64): Abt. C, Bibliographie der Rezensionen [IBZC] 1 (1900) - 77 (1942/43), Leipzig 1897-1964, Nachdruck Osnabrück 1961-1962. Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft, Kiel. Personenkatalog, Bd. 1-30; Titelkatalog, Bd. 1-13: Körperschaftskatalog, Bd. 1-13; Behördenkatalog, Bd. 1-10; Sachkatalog, Bd. 1-83; Regionenkatalog, Bd. 1-52; Boston MA 1966-1968. Liselotte Bihl/Karl Epting, Bibliographie französischer Übersetzungen aus dem Deutschen 14871944. In Verbindung mit Kurt Wais hrsg. von der Universitätsbibliothek Tübingen, Bd. 1.2., Tübingen 1987. The British Library General Catalogue of Printed Books to 1975. Vol. 1-360, London etc. 1979-1981. Melville C. Branch, Comprehensive Urban Planning. A Selective Annotated Bibliography with Related Materials, Beverly Hills CA 1970. Deutsches Bücherverzeichnis [DBV]. Eine Zusammenstellung der im deutschen Buchhandel erschienenen Bücher, Zeitschriften und Landkarten, Bearb. von der Bibliographischen Abteilung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, Bd. 1 ff., Leipzig 1916 ff., Nachdruck Graz 1962.

1191

10.5.3.1 Bibliographien und Bestandsverzeichnisse

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10.5.3.1 Bibliographien und Bestandsverzeichnisse

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1193

10.5.3.1 Bibliographien

und

Bestandsverzeichnisse

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10.5.3.2 Lexika und Handbücher Der Große Brockhaus. 16., völlig neubearb. Aufl. in 12 Bänden, Bd. 1-12, 2 Ergbde., Atlas, Wiesbaden 1953-1963. Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in 20 Bänden, 15., neubearb. Aufl. von Brockhaus Konversations-Lexikon, Bd. 1-20, Ergbde., Leipzig 1928-1935. Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden. 19., völlig neubearb. Aufl., Bd. 1 ff., Mannheim 1986 ff. F.A. Brockhaus Enzyklopädie. In 20 Bänden, 17., völlig neubearb. Aufl. des Grossen Brockhaus, Bd. 1-25, Wiesbaden 1966-1981. Carl Creifeld (Hrsg.), Rechtswörterbuch. 8., neubearb. Aufl., München 1986. J . Robert Dumouchel, Dictionary of Development Terminology. New York 1975. Johannes Frerich/Martin Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Bd. 1-3, München-Wien 1993.

10.5.3.2 Lexika und

Grand Larousse encyclopedique en 10 vol. T. 1-10, sup. 1.2., Paris 1960-1964, 1968-1975. Le Grand Robert de la Langue Frangaise. Dictionnaire alphabetique et analogique de la Langue Frangaise de Paul Robert. 2ieme ed., entierement revue et enrichie par Alain Rey, T. 1-9, Paris 1985. Hermann Grotefend, Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. Bd. 1.2., Neudruck der Ausgabe Hannover 1891, Aalen 1970. Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Bd. 1-8,2, Stuttgart 19721997. Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. IV, 1870-1918, Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Hrsg. von Christa Berg, München 1991. Handbuch der politischen Ökonomie. Hrsg. von Gustav von Schönberg, Bd. 1-3, 4. Aufl., Tübingen 1896-1898. Handwörterbuch der sozialen Hygiene. Hrsg. von Alfred Grotjahn und Ignaz Kaup, Bd. 1.2., Leipzig 1912. Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften. Hrsg. von Joseph Brix und Hugo Lindemann, Bd. 1-4 und Ergbd. 1.2., Jena 1918-1927. Handwörterbuch der Raumforschung und der Raumordnung. Bd. 1-3, 2. Aufl., Hannover 1970. Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hrsg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, begründet von Wolfgang Stammler, Bd. 1 ff., Berlin 1971 ff. Handwörterbuch der Sozialwissenschaften [HD SW]. Zugleich Neuauflage des Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Hrsg. von Erwin Beckerath, Bd. 1-12, Register, Stuttgart-TübingenGöttingen 1956-1965. Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Hrsg. von Ludwig Elster, 4., gänzlich umgearb. Aufl., Bd. 1-8, Erg.-Bd., Jena 1923-1929. Handwörterbuch des Städtebaues, Wohnungs- und Siedlungswesens. Hrsg. von Hermann Wandersieb, Bd. 1-3, Stuttgart 1959. Handwörterbuch des Wohnungswesens. Im Auftrag des Deutschen Vereins für Wohnungsreform hrsg. von Gerhard Albrecht, Albert Gut u.a., Jena 1930. Politisches Handwörterbuch. Unter redaktioneller Mitarbeit von Kurt Jagow hrsg. von Paul Herre, Bd. 1.2., Leipzig 1923. Harenberg Lexikon der Weltliteratur. Autoren,

Handbücher

Werke, Begriffe, Kuratorium Frangois Bondy u.a., Bd. 1-5, vollst. Überarb. und aktualisierte Studienausgabe, Dortmund 1995. Der grosse Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben, 5., neubearb. Auflage von Herders Konversationslexikon, Bd. 1-12, Atlas, Freiburg 1952-1962. Moriz Heyne, Deutsches Wörterbuch. Bd. 1-3, Leipzig 1890-1895. Brockhaus' Konversations-Lexikon. 14., vollst, neubearb. Aufl., Bd. 1-16, Leipzig-Berlin-Wien 1892-1895. Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 6., gänzlich neubearb. und verm. Aufl., Bd. 1-20, Leipzig-Wien 1903-1908, Neuer Abdruck 1907-1909. Larousse du vingtieme siecle. En 6 vol., Publie sous la direction de Paul Ange, T. 1-6, Paris 19281932. Meyers Lexikon. In vollst, neuer Bearb., 7. Aufl., Bd. 1-12, Leipzig 1924-1930. Meyers Lexikon. In völlig neuer Bearb. und Bebilderung, 8. Aufl., Bd. 1-9, 12, Leipzig 1936-1942. Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden. 9., völlig neu bearb. Aufl., Bd. 1-25, Nachträge, Weltatlas, Mannheim-Wien-Zürich 1971-1980. Wasmuths Lexikon der Baukunst [WLB]. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachleute hrsg. von Günther Wasmuth, Bd. 1-5, Berlin 1929-1937. Kindlers Literatur Lexikon. Bd. 1-25. München 1974. Kindlers Neues Literaturlexikon. Hrsg. von Walter Jens, Bd. 1-20, München 1988-1992. Lutz Mackensen, Zitate, Redensarten, Sprichwörter. 2., verb. Aufl., Hanau 1981. Medizin und Städtebau. Ein Handbuch für gesundheitlichen Städtebau, Hrsg. von Paul Vogler und Erich Kühn, Bd. 1.2., München-Berlin-Wien 1957. Nikolaus Pevsner/Hugh Honour/John Fleming. Lexikon der Weltarchitektur. 2., erw. Aufl., München 1987. Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearbeitung, Reihe 1, 147, 2, 1-19, Sup. 1-15, Register, Stuttgart 19581980. Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Begr. von Paul Merker und Wolfgang Stammler, 2. Aufl. neu bearb., hrsg. von Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr, Bd. 1-5, Berlin u.a. 19581988. 1195

10.5.3.3

Biographische

Handbücher

und

Daniel Sander, Wörterbuch der deutschen Sprache. Mit einer Einführung und Bibliographie von Werner Betz (Documenta linguistica 3), Bd. 1-3 und Ergänzungs-Wörterbuch, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1876, Hildesheim 1969. Staatslexikon. Im Auftrag der Görres-Gesellschaft hrsg. von Julius Bachem, 3., neubearb. [= 4.] Aufl., Bd. 1-5, Freiburg i. B. 1909-1912. Meyers Großes Universallexikon in 15 Bänden. 10., neu bearb. Aufl., Bd. 1-15 mit Atlasband, 4 Ergänzungsbd. und Jahrbüchern, MannheimWien-Zürich 1981-1985. Marco Venturi, Town Planning Glossary. 10.000 Multilingual Terms in One Alphabet for European Town Planners, München etc. 1990. Webster's New Encyclopedic Dictionary. New York NY 1993. Wörterbuch der Volkswirtschaft. Hrsg. von Ludwig Elster, 3. Aufl., Bd. 1.2., Jena 1911. 10.5.3.3 Biographische Handbücher und Personalbibliographien American Biographical Archive. A One Alphabet Cumulation of Almost 400 of the Most Important English-language Biographical Reference Works on the United States and Canada Originally Published between the 18. and the Early 20. Century, Ed. Laureen Baillie, London etc. 1986 ff. American Biographical Index. Ed. by Laureen Baillie, vol. 1-6, London etc. 1993. Deutsches Biographisches Archiv [DBA], Neue Folge bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, Hrsg. von Willi Gorzny, München u.a. 1989 ff. Max Arnim, Internationale Personalbibliographie 1800-1943. 2., verb, und verm. Aufl., Bd. 1.2., Stuttgart 1952. Max Arnim, Internationale Personalbibliographie 1800-1943. Begr. von Max Arnim, fortgef. von Franz Hodes, Bd. 1-3, Stuttgart 1981. Johannes Asen, Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Universität Berlin. Bd. 1, 18101945, Friedrich-Wilhelms-Universität, der Tierärztlichen Hochschule, der Landwirtschaftlichen Hochschule, der Forstlichen Hochschule, Leipzig 1955. Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933-45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen. Hrsg. von Michael Hepp, Bd. 1.2., München u.a. 1985. Avery Obituary Index of Architects. Columbia University, 2. ed., Boston MA 1980.

1196

Personalbibliographien

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10.5.3.3 Biographische Handbücher und

Historikerlexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, Hrsg. von Rüdiger vom Bruch und Rainer A. Müller, München 1991. Heinrich Ihne, Deutsches Biographisches Jahrbuch. Register zu Band 1 bis 5, 10 und 11, München u.a. 1986. Index to Personal Names in the National Union Catalog of Manuscript Collections 1959-1984. Vol. 1.2., Alexandria VA 1988. Deutscher biographischer Index [DBI]. Bearb. von Hans-Albrecht Koch, Uta Koch, Angelika Koller, Hrsg. von Willy Gorzny, Bd. 1-4, MünchenLondon-New York 1986. International Biographical Dictionary of Central European Emigres 1933-1945 [IBEE], General ed. Herbert A. Strauss, Werner Röder, vol. 1-3, München etc. 1980-1983. Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog. Unter ständiger Mitwirkung ... hrsg. von Anton Bettelheim, Bd. 1-18, Register, Berlin 1897-1917. Deutsches biographisches Jahrbuch. Hrsg. vom Verbände der Deutschen Akademien, 1 (1914/16) - 5 (1923), 10 (1928), 11 (1929), Stuttgart-BerlinLeipzig 1925-1932. Wilhelm Kosch, Das Katholische Deutschland. Biographisch-bibliographisches Lexikon, Bd. 1-3, Augsburg 1933-1938. Wilhelm Kosch, Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch, 2., vollst, neubearb. und stark erw. Aufl., Bd. 1-4, Bern 1949-1958. Wilhelm Kosch, Biographisches Staatshandbuch. Lexikon der Politik, Presse und Publizistik, Fortgef. von Eugen Kuri, Bd. 1.2., Bern 1963. Dresslers Kunsthandbuch. Das Buch der lebenden deutschen Künstler, Altertumsforscher, Kunstgelehrten und Kunstschriftsteller, Hrsg. von Willy Oskar Dressler, 9 (1930), Bd. 2, Bildende Kunst, Berlin 1930. Ilse Lange, Findbuch des literarischen Nachlasses von Arnold Zweig 1887-1968 (Schriftenreihe der Literatur Archive 13). MS, Τ. 1.2., Berlin (Ost) 1983. Biographisches Lexikon der hervorragenden Arzte der letzten fünfzig Jahre. Hrsg. und bearb. von J. Fischer, Bd. 1.2., Berlin-Wien 1932-1933. Biographisches Lexikon der hervorragenden Arzte aller Zeiten und Völker. Hrsg. von August Hirsch, 2., durchges. und erg. Aufl., Bd. 1-5, Ergbd., Berlin-Wien 1929-1935. Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-

Personalbibliographien

1950. Hrsg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1 ff., Graz-Köln 1957 ff. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr ... [KLK], 1 (1879) ff., Bremen u.a. 1879 ff. Technischer Literaturkalender [TLK]. 1 (1918) - 3 (1929), München-Berlin 1918-1929. Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, Begr. von Wilhelm Kosch, 3., völlig neu beaxb. Aufl., Bd. 1 ff., Bern-München 1968 ff. Macmillan Encyclopedia of Architects [MEA]. Ed. Adolf Κ. Placzek, vol. 1-4, New York 1982. Heinrich-Mann-Bibliographie. Werke, bearb. von Edith Zenker, Berlin-Weimar 1967. Arnold L. Markowitz, Paul Zucker, Architect - Art Historian, 1888-1971. A Bibliography, in: Papers. The American Association of Architectural Bibliographers 12 (1977), p. 53-145. The National Cyclopedia of American Biography [NCAB], Being the History of the United States as Illustrated in the Lives of the Founders, Builders, and Defenders of the Republic, and of the Men and Women Who Are Doing the Work and Moulding the Thought of the Present Time, Edited by Distinguished Biographers, Selected from Each State, Revised and Approved by the Most Eminent Historians, Scholars and Statesmen of the Day, vol. 1 ff, Index, Ann Arbor MI 1898 ff., Reprint vol. 1-49 1967. Heinrich Neu, Pfarrerbuch der evangelischen Kirche Badens von der Reformation bis zur Gegenwart (Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der Landeskirche Badens 13). Τ. 1.2.. Lahr 1939. New York Times Obituaries Index. 1 (1858/1968) ff., New York 1970 ff. Personal Name Index to "The New York Times Index" 1851-1974. Vol. 1-22, Succasuma NJ 19761982. Meyers Grosses Personenlexikon. Hrsg. und bearb. von den Fachredaktionen des Bibliographischen Instituts, Mannheim-Zürich 1968. Georg Potempa, Thomas Mann-Bibliographie. Das Werk, Mitarbeit Gert Heine, Morsum 1992. Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft [Rhb]. Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild, Bd. 1.2., Berlin 1931. Albert Rosenkranz, Das Evangelische Rheinland. Ein rheinisches Gemeinde- und Pfarrerbuch, i.A. der Evangelischen Kirche im Rheinland hrsg. (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kir-

1197

10.5.3.3 Biographische Handbücher und

Personalbibliographien

chengeschichte 7), Bd. 1.2., Düsseldorf 1956-1958. Max Schwarz, MdR. Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965. John M. Spalek, Guide to the Archival Materials of the German-speaking Emigration to the United States after 1933. In Collaboration with Adrienne Ash and Sandra H. Hawrylchak, Charlottesville VA 1978. Wilhelm Sternfeld/Eva Tiedemann, Deutsche Exil-Literatur 1933-1945. Eine Bio-Bibliographie, 2., verb, und stark verm. Aufl., Mit einem Vorwort von Hanns W. Eppelsheimer, Heidelberg 1970. Ulrich Thieme/Felix Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 1-37, Leipzig 1907-1950, Nachdruck Zwickau 1962. Hans Vollmer (Hrsg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des 20. Jahrhunderts. Unter Mitwirkung von Fachgelehrten des In- und Auslandes bearb., red. und hrsg., Bd. 1-6, Leipzig 1953-1962. Webster's Biographical Dictionary. A Dictionary of Names of Noteworthy Persons with Pronounciations and Concise Biographies, 1st ed. if., Springfield MA 1943 if. Georg Wenzel, Deutsche Wirtschaftsführer. Lebensgänge deutscher Wirtschaftspersönlichkeiten,

Ein Nachschlagebuch über 13000 Wirtschaftspersönlichkeiten unserer Zeit, Hamburg-BerlinLeipzig 1929. Wer ist's ? [Degener]. Begr. und hrsg. von Herrmann A.L. Degener, 1 (1910) - 10 (1935), Leipzig 1905-1935. Who's Who in America [WIWA]. A Biographical Dictionary of Notable Living Men and Women of the United States, 1 (1901/2) ff., Chicago IL 1901 ff. Who Was Who [WWWL], A Companion to Who's Who Containing the Biographies of Those Who Died during the ... Period, vol. 1 (1897-1915) ff., London 1915 ff. Who Was Who in America [WWWA], Historical Volume 1607/1896, vol. 1 ff., Chicago IL 1943 ff. Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte. Begr. von Hellmuth Rössler und Günther Franz, 2., völlig neubearb. und stark erw. Aufl., Bd. 1-3, München 1973-1975. Richard Wrede/Hans von Reinfels (Hrsg.), Das geistige Berlin. Eine Encyklopädie des geistigen Lebens Berlins, Bd. 1 und 3, Berlin 1897-1898, Nachdruck Leipzig 1955. Deutsches Zeitgenossenlexikon. Biographisches Handbuch deutscher Männer und Frauen der Gegenwart, Hrsg. von Franz Neubert, Leipzig 1905.

10.5.4 Monographien und Aufsätze Das Abenteuer der Ideen. Architektur und Philosophie seit der industriellen Revolution, Berlin 1984. Patrick Abercrombie, Town Planning Literature. A Brief Summary of its Present Extent, In: T P R 6 (1915/16), p. 77-100. Richard M. Abrams, Conservatism in a Progressive Era. Massachusetts Politics 1900-1912, Cambridge MA 1964. Frederick J. Adams/Gerald Hodge, City Planning Instruction in the United States: the Pioneering Days. In: JAIP 31 (1965), p. 43-51. Leo Adler, F.L. Wrights neue Baukunst und Mendelsohns neue Logik. In: W M B 10 (1926), S. 308 f. Leo Adler, Über das Organische und das Malerische in der Baukunst. In: W M B 9 (1925), S. 484493. Leo Adler, Vom Wesen der Baukunst. Die Bau-

1198

kunst als Ereignis und Erscheinung, Versuch einer Grundlegung der Architekturwissenschaften (Vom Wesen der Baukunst l . B d . , 1. und 2. Buch [2. Buch nicht erschienen]), Leipzig 1926. Hakon Ahlberg, Moderne Schwedische Architektur. Mit einer Einleutung von Werner Hegemann, Berlin 1925. Hakon Ahlberg, Swedish Architecture of the Twentieth Century. With a Preface by F.R. Yerbury, London 1925. Dietrich Aigner, Die Indizierung "schädlichen und unerwünschten Schrifttums" im Dritten Reich. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 11 (1971), Sp. 933-1034. Arnold R. Alanen/Thomas J. Peltin, Kohler, Wisconsin: Planning and Paternalism in a Model Industrial Village. In: JAIP 44 (1978), p. 145-159. Gerd Albers, Geistesgeschichtliche Entwicklung

10.5.4 Monographien

des Städtebaues. Der Wandel der Wertmaßstäbe im 19. und 20. Jahrhundert, in: Medizin und Städtebau ..., Bd. 1, S. 180-202. Gerd Albers, Entwicklungslinien im Städtebau. Ideen, Thesen, Aussagen 1875-1945: Texte und Interpretationen (Bauwelt Fundamente 46), Düsseldorf 1975. Gerd Albers, Stadtplanung. Eine praxisorientierte Einführung, 2., durchges. und erw. Aufl., Darmstadt 1992. Gerd Albers, Wandel und Kontinuität im deutschen Städtebau. In: Stadtbauwelt 69 (1978), S. 426-433; engl.: Town Planning in Germany: Change and Continuity under Conditions of Political Turbulence. In: Cherry, ed., Urban World ..., p. 145-160. James C. Albisetti/Peter Lundgreen, Höhere Knabenschulen. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte ..., Bd. IV, S. 228-271. Rita Aldenhoff, Nationalökonomie und Kulturwerte um 1900. In: Vom Bruch/Graf/Hübinger (Hrsg.), Kultur und Kulturwissenschaft ..., S. 4562.

Rita Aldenhoff, Das Selbsthilfemodell als liberale Antwort auf die soziale Frage im 19. Jahrhundert. In: Holl/Trautmann/Vorländer (Hrsg.), Sozialer Liberalismus ..., S. 57-69. Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Hrsg. Berliner Geschichtswerkstatt, Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, Münster 1994. Johannes Altenrath, Groß-Berliner Zweckverbands-Fragen. In: Zeitschrift für Wohnungswesen 10 (1911/12), S. 149-152. Reinhard Alter, Die bereinigte Moderne. Heinrich Manns "Untertan" und die politische Publizistik in der Kontinuität der deutschen Geschichte zwischen Kaiserreich und Drittem Reich (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 49), Tübingen 1995. Freie Deutsche Akademie des Städtebaues. Tagung, gelegentlich der II. Hauptversammlung am 30. Juni und 1. Juli 1924 in Berlin, Mit einer Einleitung von Walter Lehweß, Berlin 1924. The American Renaissance 1876-1917. New York 1979. Walter Andrae, Lebenserinnerungen eines Ausgräbers. Hrsg. von Kurt Bittel und Ernst Heinrich, 2. Aufl., Stuttgart 1988. David S. Andrew, Louis Sullivan and the Polemics of Modern Architecture. The Present against the Past, Urbana-Chicago IL 1985.

und Aufsätze —

A-B

Wayne Andrews, Architecture, Ambition and Americans. A Social History of American Architecture, Rev. ed., New York 1978. Anregungen zur Erlangung eines Grundplanes für die städtebauliche Entwicklung von Groß-Berlin. Gegeben von der Vereinigung Berliner Architekten und dem Architektenverein zu Berlin, Berlin o.J. [1907], Ruth Nanda Anshen, Introduction. A Biographical Note, in: Hegemann, City Planning Housing ..., vol. 2, p. XIII-XXII. Irina Antonowa/Jörn Merkert (Hrsg.), BerlinMoskau, Moskau-Berlin 1900-1950. München-New York 1995. Architekt Reinhold Kiehl. Stadtbaurat in Rixdorf bei Berlin, Biographie, Werkverzeichnis, Beiträge, Jubiläumsbeitrag zur 750-Jahr-Feier Berlins. Berlin 1987. Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 1950. Expressionismus und Neue Sachlichkeit, Hrsg. von Vittorio Magnago Lampugnani und Romana Schneider, Stuttgart 1994. Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 1950. Reform und Tradition, Hrsg. von Vittorio Magnago Lampugnani und Romana Schneider, Stuttgart 1992. Carol Aronovici, ed., America Can't Have Housing. Published for the Committee on the Housing Exhibition by the Museum of Modern Art. New York 1934. Friedbert Aspetsberger, Metaphysische Grimassen. Zum biographischen Roman der Zwischenkriegszeit, in: Klaus Amann/Albert Berger (Hrsg.), Österreichische Literatur der dreißiger Jahre. Ideologische Verhältnisse, Institutionelle Voraussetzungen, Fallstudien, Wien-Köln-Graz 1985, S. 247-276. Wayne Attoe/Mark Latus, The First Public Housing: Sewer Socialism's Garden City for Milwaukee. In: Journal of Popular Culture 10 (1976). p. 142-149. Rudolf Augstein, Preußens Friedrich und die Deutschen. Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a.M. 1981. H. Russell Austin, The Milwaukee Story. The Making of an American City, [Milwaukee WI] 1946. Rolf Bäker, Bürgertum und Arbeiterfrage im 19. Jahrhundert. Analysen zu sozialpolitischen Zeitschriftenbeiträgen in der Phase der Hochindustrialisierung Deutschlands (Europäische Hochschulschriften R. 31, Bd. 151), Frankfurt a.M. 1990.

1199

10.5.4 Monographien

und Aufsätze

— Β

Hermann Bahr, Der Zauberstab. Tagebücher 1924/26, Hildesheim o.J. Ilse Balg (Hrsg.), Martin Mächler, Berlin. Berlin 1986. Reyner Banham, A Concrete Atlantis. U.S. Industrial Building and European Modern Architecture 1900-1925, London 1986. Reyner Banham, Die Revolution der Architektur. Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter (Bauwelt Fundamente 89), Braunschweig 1990. Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich". Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder, Prankfurt a.M. 1993. Konrad Barthel, Friedrich der Große in Hitlers Geschichtsbild (Frankfurter Historische Vorträge 5), Wiesbaden 1977. Edward Murray Bassett, Autobiography of Ε.Μ. Bassett. New York 1939. Deutsche Bauausteilung Berlin 1931. Amtlicher Katalog und Führer, Berlin 1931. Bauen in Berlin 1900-2000 (Stadt der Architektur - Architektur der Stadt). Hrsg. von Josef Paul Kleihues, Jan Gerd Becker-Schwering, Paul Kahlfeldt, Berlin 2000. Moderne Baukunst 1900-1914. Die Photosammlung des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe, Kaiser Wilhelm-Museum Krefeld, Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen, WerkbundArchiv Berlin, o.O. 1993. John Baumann, Disinfecting the Industrial City. The Philadelphia Housing Commission and Scientific Efficiency, 1909-1916. In: Michael H. Ebner/ Eugene M. Tobin, ed., The Age of Urban Reform: New Perspectives on the Progressive Era. Port Washington NY-London 1977, p. 117-130. Max Baumgart, Wegweiser zur Erlangung akademischer Würden. Grundsätze und Bedingungen der Erteilung der Doktor- und Lizentiaten-Würde bei allen Universitäten und Hochschulen des Deutschen Reiches und der Universitäten und Hochschulen der Schweiz und Österreichs mit deutscher Unterrichtssprache, Nach amtlichen Quellen zusammengestellt und herausgegeben von Ernst Lommatzsch und Karl Lommatzsch, 6., durchges. und verm. Aufl., Berlin 1905. Heinrich Bechtel, Städtebau. In: Handwörterbuch der Staatswissenschaften ..., Bd. 7 (1926), S. 830846. Christine Becker, Die Ideal-Passage. Fortschritt durch Selbsthilfe, in: Ilsenhof..., S. 51-65. 1200

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10.5.4 Monographien

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H-I

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10.5.4 Monographien

und

Aufsätze



Κ

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10.5.4 Monographien

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10.5.4 Monographien

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und Aufsätze



W-Z

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10.5.5 Abbildungsverzeichnis

1 Ottmar Hegemann, o.D., Familienbesitz Hege- 5 Otto March mit seinen vier Söhnen um 1901. Jochens/Hünert (Hrsg.), Tonwaren ..., S. 90. mann. 2 Elise Vorster mit einer jüngeren Schwester (Maria ?), o.D., Familienbesitz Hegemann.

6 Werner Hegemann als Schüler, o.D., Familienbesitz Hegemann.

3 Familie Ottmar und Elise Hegemann mit Ernst, Paula, Clara, Werner, Ottmar, Gustav (v.l.n.r.) um 1884, Familienbesitz Hegemann.

7 Alice Hesse und Werner Hegemann um 1904, Familienbesitz Hegemann.

4 Maria Vorster und Otto March, o.D., Jochens/Hünert (Hrsg.), Tonwaren ..., S. 80.

8 Alice Hegemann mit Tochter Ellis um 1909. Familienbesitz Feer. 9

Ellis Hegemann mit etwa 3 Jahren, aufgenom-

1235

10.5.5

Abbildungsverzeichnis

men im Atelier Elvira in München, Familienbesitz Feer. 10 „A court containing 3 water closets and 2 hydrants, used by 13 families comprising about 60 persons", 1909, Weber, Improvement ..., p. 124. 11 „Dilapidated houses and yard conditions in Philadelphia", 1909, Weber, Improvement ..., p. 125. 12 „A court before being improved by the Octavia Hill Association" and „The same court after its improvement by the Octavia Hill Association", 1909, Weber, Improvement ..., p. 126 f.; vgl. S Abb. 15, OB 118. 13 „Progress", 1909, „1915" Boston Exposition ..., Titlepage. 14 Mars, eine Taube werfend, Zeichnung von L. Bartning, S 145 (Widmung), 1913, auch Ε Frontispiz. 15 Wolkenkratzerbau [Blick vom Rohbau des Woolworth-Building, New York], Berliner Illustrirte Zeitung 22 (1913), 26. Januar, S. 69; vgl. Abb. New York, Wolkenkratzer-Wüste [Blick vom Woolworth-Building], 1914, AA 162 = WMB 8 (1924), S. 296, Abb. 1. 16 New Boston, February 1911, Titlepage. 17 Samples of Exhibits at Boston-1915 Exposition, Boston Daily Globe, November 1, 1909. 18 „The 1915 idea embodied in moving disks" („1915" Clock), Kellogg, Exposition ..., p. 328. 19 „Blick nach Westen auf das geplante städtische Forum des Chicago-Plans", NBC 8, Bebauungsplan (1910) 313. 20 „Das 'Herz der Stadt' nach Osten gesehen", NBC 13, Bebauungsplan (1910) 316. 21 „Blick nach Süden über die Lagunen des geplanten Wasser-Parkes des Chicago-Plans", NBC 15, Bebauungsplan (1910) 316; vgl. OB 40. 22 „Blick nach Norden auf den Südarm des Chicagoflusses nach dem Chicago-Plan", NBC Tafel 4, Bebauungsplan (1910) 344; vgl. Bild 16. 23 Perspektive im Prospekt-Park Brooklyn, F.L. Olmsted Sr., „die in der Ferne Durchblick auf noch weitere Fernen gestattet", AP 2 = S Abb. 297. 24 Tennis-Spieler im Franklin-Park Boston, F.L. Olmsted Sr., „... wie eine Milchstraße übersät mit den gleich weißen Pünktchen erscheinenden Tennisspielern", AP 4 = S Abb. 294, 351. 25 Badestrand Revere, Teil des Parksystems Groß-Boston, „kann vom Herzen der Stadt aus mittels einer einfachen Trambahnfahrt erreicht werden", AP 6a = S Abb. 303. 1236

26 Planschwiese im Mark White Park, einem Volkspark Chicagos, AP 8b = S Abb. 317 (alle vier vermutlich nach eigenen Aufnahmen Hegemanns). 27 Fritz Schumacher, Entwurf zum Stadtpark Hamburg-Winterhude, S Abb. 283. 28 „Die Abteilung der Stadt Wien auf der Berliner Städtebau-Ausstellung" (mit dem Modell der Wiener Stadterweiterung von 1858), S Abb 167. 29 „Ansicht eines Stückes der Abteilung für 'Großstädtisches Verkehrs- und Transportwesen' auf der Berliner Ausstellung" (mit dem großen Modell der Pennsylvania Railroad, Philadelphia), S Abb. 255. 30 „Eingang und Interieurs von Wohnungen von Mitgliedern der Ortskrankenkasse", OKK für den Gewerbebetrieb der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker, Berlin, Direktor Albert Kohn, S Abb. 13, vgl. Asmus, Hinterhof ..., S. 81. 31 „Das neue System im Kampf gegen die Mietskaserne", Dr. Kuczynski, Direktor des Statist. Amtes der Stadt Schöneberg und Regierungsbaumeister a.D. Walter Lehweß, Berlin, S Abb. 28. 32 „Drei Bauepochen, Schöneberg, Hauptstraße", Statistisches Amt der Stadt Schöneberg, Direktor Dr. Kuczynski, S Abb. 8. 33 „Aufhebung der Baufluchtlinien", Geh. Baurat Otto March, Charlottenburg, Amalienpark in Pankow, S Abb. 40. 34 „Privatstraße mit Kinderspielplätzen", Beamten-Wohnungs-Verein zu Berlin, Architekt Paul Mebes, Regierungsbaumeister, Wohnhausgruppe Steglitz, S Abb. 34. 35 „Rationelle Aufteilung", Kgl. Bauinspektor Redlich, Rixdorf, Entwurf von Stadtbaurat Kiehl, S Abb. 37. 36 „Wohnverhältnisse der Bevölkerung europäischer Großstädte", Statistisches Bureau der Stadt Budapest, Direktor Prof. Dr. Thirring, S Abb. 56. 37 Bebauungsplan mit gemischter Bauweise aus dem Wettbewerbsbeitrag von Eberstadt/Möhring/Petersen als Vorbild, Mitteilungen der Ideal 2 (1911), S. 2. 38 Deute/Paul, Bebauungsentwurf für das Terrain der Rixdorfer Baugenossenschaft „Ideal" in Britz, Mitteilungen der Ideal 2 (1911), S. 71. 39 Eingangstor mit Rosen, Zeichnung von Deute und Paul um 1911, „Einfamilienhäuser für die Masse der Großstadt-Bevölkerung", Titelblatt der zweiten Ausgabe von 1911, auch Mitteilungen der Ideal 3 (1912), S. 58; vgl. Bild 53 und Bild 187.

10.5.5 Abbildungsverzeichnis

40 „Blick in den Muthesius-Hof, im Hintergrund Arons-Weg", Postkarte der Kleinhaussiedlung der Baugenossenschaft „Ideal" in Berlin-Britz um 1913. 41 Käthe Kollwitz, Vorstudie für das lithographierte Plakat „Für Gross Berlin" 1912 (Klipstein 119), Timm 698. 42 Käthe Kollwitz, Entwurfsvariante in Dreiviertelfigur für das lithographierte Plakat „Für Gross Berlin" 1912 (Klipstein 119), Timm 702. 43 Plakat „Für Gross Berlin", Versammlungsankündigung für den 10. März 1912, Klipstein 119. 44 „Der 'verbotene' Spielplatz im Humboldthain", Aufnahme von Werner Hegemann, 1912, GB 69. 45 „Die öffentliche Spielwiese im Treptower Park", Aufnahme von Werner Hegemann, 1912, GB 87. 46 Werner Hegemann, Vorlage und Montage „Gross Berlin Die schönste Stadt der Welt", 1912, GB 88. 47 Portrait Werner Hegemann, „German expert on city planning coming to America", The People's Institute New York 1912, Titlepage. 48 Portrait Werner Hegemann, NYT April 6, 1913, V, p. 6, Detail. 49 Portrait of Dr. Werner Hegemann, Cleveland Plain Dealer, May 17, 1913. 50 „Two Berkeley pictures taken from the same spot twenty-six years apart", Shattuck Square, Berkeley, in 1888, OB 69. 51 Shattuck Square, Berkeley, in 1915, OB 69. 52 „View from an East Bay garden - The Oakland City Hall on the horizon, This realizes the 'command of distant views' set down as desirable by the elder Olmsted", OB 111. 53 „This is not the entrance to the castle of the Sleeping Beauty, but just the gateway of an East Bay garden", OB 108; vgl. Bild 39 und 187. 54 Birdseye view of Island Park for Rees Harbor Plan, plaster model, OB 40. 55 Plan of Outer Harbor for Oakland, Berkeley, Richmond (Rees Plan) with projected Island Park, CPM 19. 56 Oakland, Model of Proposed Harbor and Industrial District, Ford, ed., City Planning Progress ..., p. 129. 57 „Birdseye sketch and key to alternative proposal for a Berkeley Civic Center", In consultation with Chas. H. Cheney, Architect, OB 149. 58 „The Plaza, sketch of the alternative proposal

for a Berkeley Civic Center", In consultation with Chas. H. Cheney, Architect, OB 150. 59 „View of Milwaukee River and Grand Avenue Bridge" 1914, CPM 31. 60 „Typical example for haphazard growth in Milwaukee - West Allis", CPM 21. 61 A.C. Clas, Proposed Treatment of Milwaukee River Banks, n.d., AV 804. 62 Portrait Werner Hegemann, „Extraordinary Opportunity for American Cites", The People's Institute New York 1915, Titlepage. 63 Elbert Peets, n.d., Shillaber, Peets ..., p. 55. 64 Hegemann, Sketch of grouped houses with playground for Kohler, 1916, Factory (1916) 12a. 65 Hegemann, Study for the Subdivision of the Pabst Farm, Wauwatosa WI, June 1, 1916, AV 1168; vgl. WH 6 und CPM 29. 66 Guide Map to Washington Highlands Showing Direct Boulevard Connection, WH 8. 67 Hegemann & Peets, Washington Highlands Two Tree Lane Entrance, WH 9. 68 Hegemann & Peets, The North Sidewalk. Mount Vernon Entrance (Drawing by Elbert Peets), WH Titlepage. 69 Cobblestone bridge that carries Washington Boulevard (former Mount Vernon Avenue) over Martha Washington Drive (former Lower Parkway), looking north, 1987 (Photo by David Bigler), National Register of Historic Places Registration Form, 1989, n.p. 70 Birdseye view of Washington Highlands by 1979 (Photo by Clair J. Wilson), Milwaukee Journal, May 15, 1979. 71 View across creek of 1907 Martha Washington Drive (former Lower Parkway), Upper Parkway North curves off the left, looking southwest, 1988 (Photo by Cynthia Lynch), National Register of Historic Places Registration Form, 1989, n.p. 72 John Nolen, General Plan for the Future City of Reading, 1909, Nolen, Replanning Reading ..., n.p, Detail. 73 Hegemann h Peets, Wyomissing Park, May 1917, W P 24 f.; vgl. AV 1171. AA 486. 74 Hegemann & Peets, Cross Sections of Streets for Wyomissing Park, June 20. 1917, W P 11 = AV 1184 = AA 503. 75 Hegemann & Peets [obsessed with clipped trees]. Proposed Development of Lakeview Plaza, Wyomissing Pennsylvania (Drawing by Joseph Hudnut), n.d., W P 13 = Av 1189 = AA 506. 76 Hegemann & Peets [,,out-unwining Unwin"].

1237

10.5.5 Abbildungsverzeichnis

The plazas, courts and squares of Wyomissing Park, WP 5, 15 f., 18, 20-23 = AV 1172-82 = AA 487-497. 77 Hegeraann & Peets, Holland Square, Wyomissing Pennsylvania (Drawing by Joseph Hudnut), n.d., WP 9 = AV 1186 = AA 507. 78 Group of houses built on Holland Square by 1922, AV 1183. 79 Houses built in Wyomissing, n.d., Live in a Park. Move to Wyomissing..., n.p. 80 Hegemann & Peets, Preliminary Studies for the Development of the Property of the Lake Forest Company, Madison WI, n.d., AV 1191. 81 Hegemann h Peets, Civic Center for Lake Forest, Madison WI, 1920, AV 846. 82 Hegemann L· Peets, Sketch for Public Buildings on Civic Center Lake Forest, Madison Wisconsin (Drawing by Joseph Hudnut), June 1920, AV 847. 83 Birdseye view of the proposed development of Lake Forest, n.d., AS 38/6/5, University of Wisconsin-Madison Archives, Madison WI. 84 Streetcars, Automobiles, and Urbanization, Möllenhoff, Madison ..., p. 368. 85 Hegemann & Peets, Residence Proposed for Large Site on Shillington Boulevard, Wyomissing Pennsylvania (Drawing by Joseph Hudnut), n.d., WP 44 = AV 912 = AA 515-517. 86 Hegemann h Peets, House and Gardens for Mr. E. Richard Meinig, Wyomissing PA, General Plan, June 20, 1917, AV 913 = WP 28 = AA 510. 87 Hegemann L· Peets, House and Gardens for Mr. E. Richard Meinig, Wyomissing PA, View of Terraces, June 20, 1917, WP 29 = AA 512. 88 Hegemann & Peets, House and Gardens for Mr. E. Richard Meinig, Wyomissing PA, Birdseye View from the East, June 20, 1917, AV 912 = WP 8 = AA 514. 89 Hegemann & Peets, General Plan for the Estate of Mr. Myron T. MacLaren, Milwaukee Wisconsin, Juli 30, 1921, WMB 10 (1926), S. 194, Abb. 1. 90 Hegemann & Peets, West-Treppe vom vertieften Garten zu Pergola und Tennisplatz, Zeichnung von Elbert Peets 1926, und Aufnahme des Zustande 1926, WMB 10 (1926), S. 195, Abb. 4 und 5. 91 Hegemann & Peets, Vogelschau des Gartens MacLaren, Milwaukee WI, WMB 10 (1926), S. 199, Abb. 14. 92 Hegemann & Peets, Bank Block, March 14,

1238

1919, "Scheme to unify a block of office buildings", AV 791. 93 McKim, Mead L· White, The Municipal Building New York, 1907-1916, AV Frontispiece. 94 McKim, Mead & White, Appartementhaus in New York (= Century Holding Co., 998 Fifth Avenue, 1910-14), AV 571 = AA 190 = WMB 8 (1924), S. 309, Abb. 50. 95 Elbert Peets, Sections Through Renaissance Plazas, n.d., AV 219. 96 McKim, Mead & White, Boston Public Library, 1887-98, Court, AV 825. 97 Aerial perspective of Copley Square [at the left: Old Museum of Fine Arts], Roth, McKim ..., p. 118. 98 Hegemann & Peets, Civic Center Group Surrounded by a Traffic Circle at a Lower Level, plan and view, AV 624 f. 99 Bertram Grosvenor Goodhue, San Diego Exposition 1915, AV 468. 100 Palazzo Rezzonico, Venedig, vermutlich eigene Aufnahme Hegemanns, WMB 9 (1925), S. 248, Abb. 20. 101 Werner Hegemann, Skizze zum Grundriß Palazzo Rezzonico Venedig, WMB 9 (1925), S. 248, Abb. 21. 102 Werner Hegemann, Planskizze Palazzo Grassi, Venedig, WMB 9 (1925), S. 250, Abb. 25. 103 Werner Hegemann, Fotografie Hof des Palazzo Grassi, Venedig, WMB 9 (1925), nach S. 250. 104 Haus Hegemann, Ansicht von der Straße, 1924, de Fries, Villen ..., S. 125. 105 Haus Hegemann, Ansicht der Gartenseite, de Fries, Villen ..., S. 124. 106 Haus Hegemann, Grundrisse, de Fries, Villen ..., S. 126. 108 Haus Hegemann, Treppenhaus, de Fries, Villen ..., S. 126. 107 Haus Hegemann, Speisezimmer, de Fries, Villen ..., S. 127. 109 Haus Hegemann, Detail der Gartenansicht, „auf Bewachsen mit Efeu berechnet", Erinnerungen (1926) 199. 110 Marcos Zavitzianos, Illustrationen zur „Iphigenie" 1924: Krieg und Frieden der „Iphigenie", Ε 27 und Ε 99. 111 Ida Belle Guthe, o.D., Familienbesitz Feer. 112 Verlagsgebäude der Ernst Wasmuth AG, Markgrafenstraße, Berlin, Fassade von Heinrich de Fries, 1922/23, Günther Wasmuth zum 80. Geburtstag ..., S. 37.

10.5.5 Abbildungsverzeichnis

113 Porträtfoto Werner Hegemann, lesend, o.D., Preis, Städtebau 21 (1926), S. 25, Abb. 53. Familienbesitz Hegemann. 133 Hannes Meyer, Siedlung Freidorf bei Basel, 114 McKim, Mead & White, Herald Building W M B 10 (1926), S. 8, Abb. 17. New York, 1890-95, AV 831 = AA 241 = W M B 9 134 Mebes/Emmerich, Wohnhausgruppe Weser(1925), S. 242, Abb. 4. straße, Berlin-Neukölln, WMB 10 (1926), S. 313. 115 Herald Square, New York, ca. 1900, Roth, 135 Alexander Klein, Reihenhausvillen BallenMcKim ..., p. 173. stedter Straße, Berlin-Wilmersdorf, WMB 10 116 Cass Gilbert, Woolworth-Gebäude im Bau, (1926), S. 347, Abb. 15. 1911-13, AA 127. 136 Josef Frank, Siedlung Altmannsdorf-Hetzen117 Hugh Ferris, Die hängenden Gärten von New dorf, WMB 10 (1926), S. 365, Abb. 23. York, WMB 8 (1924), S. 312, Abb. 5. 137 Werner Hegemann, Fünf Fotografien der 118 Harvey W. Corbett, Verkehr auf drei Ge- Siedlung Pessac von Le Corbusier und Pierre Jeanneret, WMB 10 (1926), S. 384, Abb. 16 f. und 23 schossen, WMB 8 (1924), S. 300, Abb. 10. 119 Howells/Hood, Erster Preis und Eliel Saari- f., S. 388, Abb. 44. nen, Zweiter Preis im Wettbewerb der „Chicago 138 Paul Schultze-Naumburg, Haus Rhodius. Tribune' ; , 1922-24, WMB 8 (1924), S. 305, Abb. Burgbrohl in der Eifel, W M B 11 (1927), S. 111, Abb. 11. 18 und 19; vgl. Bild 189. 120 Perret/Perret, Einfamilienhaus Rue Nansou- 139 Ernst May, Eigenhaus, Frankfurt a.M.. WMB 11 (1927), S. 116, Abb. 21. ty, Paris, WMB 8 (1924), S. 321, Abb. 12. 121 Parker/Unwin, Häusergruppe Hampstead, 140 Jan Wils, Siedlung Daal en Berg, WMB 11 (1927), S. 115, Abb. 20. WMB 8 (1924), S. 254, Abb. 15. Paul Wolf, Studentenhaus Dresden, 122 Le Corbusier, „Turmstadt", WMB 8 (1924), 141 Haupteingang, WMB 11 (1927), S. 175, Abb. 11. S. 316, Abb. 2. 123 Erich Mendelsohn, Gerüst für den Umbau 142 Putzschäden an Gehag-Bauten in Berlin von des Herpich-Hauses, Berlin, Städtebau 20 (1925), Bruno Taut, WMB 11 (1927), S. 463. S. 106. 143 Erich Mendelsohn, Herpich-Haus, Berlin, Er124 Alfred Messel, Kaufhaus Wertheim Berlin, ster Bauabschnitt, W M B 11 (1927), S. 195, Abb. 1896, Fassadenausschnitt [wie von Hegemann aus- 19. 144 Bernhard Hoetger, Paula Modersohn-Beckergewählt], Städtebau 20 (1925), S. 98, Abb. 9. 125 Michel de Klerk, Skizze eines Zweifamilien- Haus, Bremen, W M B 11 (1927), S. 476, Abb. 1. 145 Bruno Langkeit, Wohnhausgruppe der Gaghauses, W M B 9 (1925), S. 147, Abb. 2. 126 Zerbe & Harder, Umbau der Kommunalbank fah, Berlin-Lichterfelde, W M B 11 (1927), S. 425. Heide, Dithmarschen, WMB 9 (1925), S. 196, Abb. Abb. 1. 146 Adolf Rading, Haus in Stuttgart-Weißenhof 5. 127 Hegemann/Lange, Potsdamer Platz-Phanta- im Bau, WMB 12 (1928), S. 9, Abb. 1. sien, Städtebau 20 (1925), S. 177, Abb. 1 und 2 = 147 Paul Schmitthenner, Haus Roser. Stuttgart. W M B 12 (1928), S. 13, Abb. 1. SB 271. 128 Rue Nansouty, Paris (zur Exposition des 148 Bonatz/Scholer, Bahnhof Stuttgart, SchalArts Decoratifs), WMB 9 (1925), S. 339, Abb. 7. terhalle, WMB 12 (1928), S. 155, Abb. 17. 129 Charles McKim, Columbia Bibliothek, New 149 McKim, Mead L· White, Pennsylvania RailYork, und Ernst von Ihne, Staatsbibliothek Ber- road New York, Schalterhalle, WMB 12 (1928). S. lin, WMB 9 (1925), S. 241, Abb. 3 und 2; vgl. AA 165, Abb. 42. 145. 150 Adolf Abel, Messehallen Köln. Anbau im 130 Wilhelm Kreis, Planetarium der Gesolei Düs- Rohbau, WMB 12 (1928), S. 170, Abb. 1. seldorf 1926, Längsschnitt, WMB 10 (1926), S. 151 Adolf Abel, Messehallen Köln, Hauptfassade. 479, Abb. 4. W M B 12 (1928), S. 171, Abb. 6. 131 Wilhelm Kreis, Planetarium der Gesolei Düs- 152 Werner Hegemann, Entwurf für den Genseldorf 1926, Halle, WMB 10 (1926), S. 482, Abb. darmenmarkt, Zeichnung von Georg Münter. 11. Städtebau 23 (1928), S. 239, Abb. 11. 132 Cornelius van Eesteren, Wettbewerbsentwurf 153 Walter Gropius, Siedlungshaus DessauUmgestaltung von „Unter den Linden", Erster Törten, WMB 13 (1929), S. 3, Abb. 3.

1239

10.5.5 Abbildungsverzeichnis

154 Bruno Taut, Siedlungshäuser Berlin-Eichkamp, WMB 13 (1929), S. 273, Abb. 31. 155 Erich Mendelsohn, Kaufhaus Rudolf Petersdorf Breslau und Johannes Göderitz, Kohlenbunker Schlacht- und Viehhof Magdeburg, WMB 13 (1929), S. 5, Abb. 4 und 5. 156 Höger/Gerson, Sprinkenhof Hamburg, Innenhof, WMB 13 (1929), S. 230, Abb. 9. 157 Thompson & Churchill, State Tower Syracuse, WMB 13 (1929), S. 499, Abb. 1. 158 P.A. Golossow [Ilia Alexandrovic Golosov], Wettbewerb Zentral-Postamt Charkow, WMB 13 (1929), S. 130, Abb. 40. 159 Neue Werkkunst: Layout von Johannes Molzahn für Otto R. Salvisberg 1927, Nungesser, Skizze ..., S. 164. 160 NWK: Reduzierung des modernen Layouts für Philipp Schäfer 1929. 161 NWK: Gleichzeitiges klassisches Layout Brüder Gerson 1928. 162 NWK: Erneut reduziertes modernes Layout Otto Kohtz 1930. 163 NWK: Erneuertes klassisches Layout Werner March 1930. 164 NWK: Weiter reduziertes modernes Layout Paul Zimmereimer 1930. 165 Erich Mendelsohn, Modellstudien Hochhaus Friedrichstraße, Berlin, WMB 14 (1930), S. 125, vgl. Schrei nach dem Turmhaus ..., S. 176. 166 Hans Hertlein, Siedlung „Heimat", BerlinSiemensstadt, WMB 14 (1930), S. 537, Abb. 1. 167 Werner March, Montagehalle Rohrbachwerke, Berlin, WMB 14 (1930), S. 21, Abb. 20. 168 Erich Mendelsohn, Kaufhaus Schocken Chemnitz, Gesamtansicht, WMB 14 (1930), S. 347, Abb. 3. 169 Erich Mendelsohn, Kaufhaus Schocken Chemnitz, Nachtansicht, WMB 14 (1930), S. 346, Abb. 2. 170 Luckhardt/Anker, Haus „Berlin", Potsdamer Platz, Berlin, Modell, WMB 15 (1931), S. 227, Abb. 2. 171 John W. Root, Monadnock Building Chicago, 1895, WMB 15 (1931), S. 182, Abb. 1. 172 Pinno & Grund, Handelskammer Dortmund, WMB 15 (1931), S. 151, Abb. 1. 173 Ragnar Ostberg, Stadthaus Stockholm, 1911-1913, Innenansicht, WMB 15 (1931), S. 309, Abb. 8. 174 Bohuslav Fuchs, Frauenschule Brünn, WMB 15 (1931), S. 261, Abb. 3.

1240

175 Paul Schmitthenner, Hohenstaufen-Schule, Stuttgart-Zuffenhausen, WMB 15 (1931), S. 348, Abb. 2. 176 Sven Markelius, Eigenhaus, Stockholm, WMB 15 (1931), S. 395, Abb. 1. 177 Konrad Furrer, Haus Kohlhammer, Stuttgart, WMB 15 (1931), S. 365, Abb. 1. 178 Bonatz/Scholer, Zeppelinbau, Stuttgart, WMB 15 (1931), S. 341, Abb. 7. 179 Benedikt Fred Dolbin, Werner Hegemann, Literarische Welt 7 (1931), Nr. 26, S. 7 (26. Juni). 180 Paul Wynand, Werner Hegemann, Bronzeplastik [Verbleib unbekannt], WMB 15 (1931), S. 336. 181 Hegemann mit Hans Luckhardt im Atelier der Brüder Luckhardt um 1931, Familienbesitz Hegemann. 182 „Neue Mietkaserne in Buenos Aires (Avenida Alvar), die sich soeben als Schmarotzer an den Luft- und Gartenraum eines neuen Privathauses angesetzt hat", WMB 16 (1932), S. 247, Abb. 2. 183 Buenos Aires, Gemeinnützige Siedlung Rodneystraße, WMB 16 (1932), S. 189, Abb. 9. 184 Jorge Kalnay, Modellbaublock nach der Bauordnung Buenos Aires von 1930, WMB 16 (1932), S. 195, Abb. 6. 185 Typische 'pompeianische' Kleinhäuser im Weichbild von Buenos Aires, WMB 16 (1932), S. 249, Abb. 9. 186 Le Corbusier, Flußüberbauung Buenos Aires, WMB 16 (1932), S. 193, Abb. 1. 187 Pforte und lange Veranda eines der Kleinhäuser am Stadtrand von Buenos Aires, WMB 16 (1932), S. 250, Abb. 12 (wie 182-185 wahrscheinlich Aufnahme Hegemanns). 188 „Arnold Zweig zeigt sein neues Haus ... ", Anzeige der WMB, Querschnitt 12 (1932), Heft 4, Innendecke. 189 Raymond Hood, McGraw-Hill Building New York, WMB 16 (1932), S. 63, Abb. 1; vgl. Bild 119. 190 Luckhardt/Anker, Wachsendes Haus, voll ausgebaut, WMB 16 (1932), S. 61, Abb. 20. 191 Otto Bartning, Werfthaus, WMB 16 (1932), S. 319, Abb. 19. 192 Brüder Luckhardt, Ziegelholzhaus System Ludovici, WMB 16 (1932), S. 59, Abb. 4. 193 „Das notwendige Fenstermaß", Schmitthenner, Baugestaltung ..., S. 26 f.

10.5.5

194 Paul Schmitthenner, Haus Schickele, Badenweiler, WMB 13 (1929), S. 353. 195 Paul Schmitthenner, Eigenhaus nach dem Umbau, Stuttgart, Blick in den Hof, WMB 15 (1931), S. 362, Abb. 19. 196 Paul Schmitthenner, Madonna [Plastik am Eigenhaus], Schmitthenner, Baugestaltung ... [1932], S. 168. 197 „Cooperation does it", Neujahrskarte 1933 von Raymond Unwin, MB 17 (1933), S. 96. 198 Emma Andrae mit ihren Kindern auf der Terrasse des Hauses Hegemann, 1935 (?), Familienbesitz Andrae. 199 Geplante Bebauung Alemannenstraße 21, Anlage Kaufvertrag Lippstreu 25. April 1936, Bezirksamt Zehlendorf von Berlin, Tiefbauakte Alemannenstr. 21. 200 Meldebogen Werner Hegemann vom 7. Mai 1906, Stadtarchiv München, mit Nachtrag: Aber-

Abbildungsverzeichnis

kennung der Staatsbürgerschaft, Juli 1935. 201 Die Familie mit Manfred, Idolene, Elinor, Eva Maria und zwei Besucherinnen in La Chapelle Monnetier-Mornex, Sommer 1933, Familienbesitz Hegemann. 202 Ida Belle und Werner Hegemann mit Besucherin vor dem Haus in La Chapelle MonnetierMornex, Sommer 1933, Familienbesitz Hegemann. 203 Greyrock, A Residential Community Planned for the Architectural Forum by a PostGraduate Group from Columbia University School of Architecture, Under the Direction of Dr. Werner Hegemann, Architectural Forum 62 (1935), p. 480 f. 204 Greyrock: A cross-section looking north, Architectural Forum 62 (1935), p. 487. 205 Greyrock: Model house, „Selling price including 50x100 ft. plot $ 5,688", Architectural Forum 62 (1935), p. 489.

Die Verfasserin hat sich bemüht, alle Bildrechte zu ermitteln. Sollten dennoch Bildrechte unabsichtlich berührt worden sein, werden die Inhaber gebeten, sich mit der Verfasserin in Verbindung zu setzen.

1241

10.6.1 Personen

10.6 Register Beide Register beziehen sich auf den Text und die Bildlegenden, nicht aber auf den Anmerkungsapparat und den weiteren Anhang. Teil 1 des Werkes enthält die Seiten 1-678 und Teil 2 die Seiten 679-1262. Die Seitenzahlen, die sich auf die Bildlegenden beziehen, sind kursiv gesetzt. Das Stichwort "Werner Hegemann" ist seiner häufigen Verwendung wegen nicht ins Register aufgenommen worden; das Ortsregister verzeichnet neben Orten im engeren Sinne auch geographische Begriffe sowie Straßennamen und Standorte. Die Alt-Berliner Stadtteile sowie die 1920 nach Berlin inkorporierten Orte und Gemeinden sind unter ihrem jeweiligen Ortsnamen zu finden.

10.6.1 Personen Abegg, Wilhelm 350, 553, 636, 804, 807, 850853, 860, 863, 866, 987 Abel, Adolf 680, 691, 692, 695, 722, 841, 915, 1099 Abercrombie, Patrick 210, 375, 392 Ackerman, Frederick L. 1029 Adams, Thomas 403 Addams, Jane 103, 121, 1032 Adenauer, Konrad 560 Adickes, Franz 361 Adler, Leo 500, 615, 683, 686, 697, 698, 720722, 729, 759, 771, 841 Adshead, Stanley Davenport 386, 442, 693, 696 Aereboe, Friedrich 856 Aigner, Dietrich 998 Albers, Gerd 288 Aldridge, Henry R. 161 Alfons XIII., König von Spanien 78, 877 Alglave, Emile 75, 76 Altenrath, Johannes 238, 303, 349 Alter, Reinhard 893, 895 Alzey, Volker von [d.i.: Walter Frank; s.a. dort] 655, 656 Ammon, Otto 305 Andrae, Emma 1009, 1113 —, Ernst Walter 1009-1011 Anker, Alfons 506, 729, 914, 1105, 1110 Anshen, Ruth Nanda 71, 361, 1029 Aretino, Pietro 588 Arminius [d.i.: Adelheid von Dohna-Poninski; s.a. dort] 189 Arminius [Hermann], Fürst der Cherusker 912, 939-942, 952 Arndt, Ernst Moritz 570, 577 Arnheim, Rudolf 685 Aronovici, Carol 1012, 1026 Arons, Johanna 281 —, Leo 276, 281

1242

Asplund, Gunnar 693, 694, 696 Astor, Nancy Witcher Viscountess 454, 1002 Auguste Viktoria, Deutsche Kaiserin, Königin von Preußen 64 Augustus [eigentl.: Gaius Octavius], Römischer Kaiser 939, 943 Bacon, Henry 516 Bahr, Hermann 475, 479, 489, 567, 666 Ball, Hugo 595, 596 Baiser, Ernst 869 Baluschek, Hans 319 Banham, Reyner 251 Barberina (Tänzerin) 940, 945 Barbian, Jan-Pieter 996 Baron, Hans 854 Barrows, David P. 377 Bartning, Otto 541, 716, 745, 748, 918, 1110 Bassett, Edward Murray 13, 352, 363, 366, 372, 398, 403, 538, 1024 Bauer, Catherine 1022, 1023, 1029 Baumeister, Reinhard 185, 188, 209 Bäumer, Gertrud 315 Baxter, Sylvester 113 Bechtel, Heinrich 210 Beck, Hermann 238 Behne, Adolf 237, 546, 547, 559, 683, 737, 753, 760, 773, 802, 839, 846 Behrendt, Walter Curt 147, 206, 207, 216, 236, 303, 349, 458, 494, 495, 497, 504, 515, 544, 546, 552, 553, 559, 718, 724, 757, 759, 837, 842, 1012 Behrens, Peter 237, 241, 348, 691, 695, 716, 841 Belling, Rudolf 916 Bellows, Robert Peabody 113, 114, 123 Benjamin, Walter 611, 670, 771, 798, 799, 804, 805, 809

10.6.1 Personen

Benn, Gottfried 2, 17, 451, 666, 763, 812, 831, 835, 837, 883-894, 899, 920, 934, 976, 1040 Bennett, Edward H. 172 Bentham, Jeremy 1025 Bentsen, Ivar 693, 694, 696 Berg, Max 541, 546, 691, 695, 759 Bergholz, Harry 491, 612, 666 Berlage, Hendrik Petrus 151, 693, 696 Berlepsch, Hans Hermann 303 Berney, Arnold 641, 642, 908 Bernhard von Clairvaux 912, 939, 940, 943, 948 Bernini, Giovanni Lorenzo 751 Bernoulli, Hans 180, 693, 696, 752, 1012 Bestelmeyer, German 691, 692, 695, 718, 734, 753, 754, 813, 834, 841, 1022 Bezold, F. von 944 Bilfingen Eugen 41, 42, 45, 46 Bismarck, Otto Fürst von B.-Schönhausen 140, 253, 389, 485, 602, 611, 634, 644, 786, 789, 900, 909, 940, 947, 988 Blank, Herbert 944 Blankenburg, Rudolph 368 Blendermann, Otto 691, 695, 753, 814, 816 Bloch, Ernst 705 Bloem, Walter 885, 898, 901, 902, 940, 947 Blondel, Francois 437 Blücher, Gebhardt Leberecht von B., Fürst von Wahlstatt 911, 937, 938, 947 Blum, Otto 303, 862 Blunck, Erich 718, 730, 731, 734 Bodenschatz, Harald 809 Boetticher, Hermann von 574 Böhm, Wilhelm 597 Bonatz, Paul 13, 691, 692, 695, 700, 707-712, 714, 715, 718, 721, 723, 726, 730, 732734, 740, 742, 747, 813, 833-835, 837, 849, 850, 857-859, 869, 915, 916, 1098, 1106 Bonn, Moritz Julius 393, 842, 1003, 1004 Borchardt, Rudolf 480, 481, 583, 894 Böß, Gustav 549, 717 Bouton, Edward H. 403 Brackmann, Albert 854 Bramante [eigentl.: Donato di Pascuccio d'Antonio] 508 Brandeis, Louis Dembitz 117 Brandes. Georg 482 Brandt. Georg 841 Braubach, Max 608, 621 Braun. Otto 865, 866, 881

Bräuning, Fritz 759 Brecht, Bertolt 884, 887, 888, 891, 992, 1007 Brentano, Lujo 75, 84, 87-91, 221, 222, 224, 225, 232, 258, 346, 351, 369, 407, 828, 859-861, 901, 905 Breuer. Robert 272, 303 Breysig, Kurt 854 Brinckmann, Albert Erich 70, 143, 147, 151. 236, 237, 252, 291, 293, 294, 349, 418. 442, 455, 541 Brix, Joseph 170, 180, 209, 730, 759 Brocke, Curt vom 759 Brodersen, Albert 142 Bronnen, Amolt 884 Bruch, Ernst 185, 187, 786, 787 Brummack, Jürgen 667 Brüning, Heinrich 865, 881, 895, 896, 905 Brunner-Lehenstein, Karl Heinrich 813, 868 Buchholz, Arthur 100, 102 Bullmann, Bertha 280 —, Carl 280 —, Herbert 280 Burckhardt, Jakob 454, 455. 511. 523, 530, 588 Burnham, Daniel Hudson 13. 105, 106, 114. 126, 127, 155, 156, 167. 172. 174, 365. 503 Burschell, Friedrich 654, 661, 663 Büsching, Anton Friedrich 202 Cabot, Familie 475 —. Philip 113, 115, 117, 123. 125. 394. 395. 456 —, Richard C. 117 Calabi, Donatella 3, 382. 439, 550, 697. 810. 811 Carlyle, Thomas 609 Carstenn-Lichterfelde, Johann Anton Wilhelm von 185, 186. 786, 788 Cartellieri, Alexander 603 Carthaus, Vilma 352 Caspar, Erich 854 Cassirer, Paul 514 Cauwes, Emil 75, 76 Cermäk, Bohumir 693. 696 Chenon, Emile 75, 76 Chamberlain, Houston Stewart 483, 907, 942. 943 Chaplin, Sir Charles [Charlie] Spencer 986 Chapman, Chandler Β. 426 Chavannes. Puvis de 512 Cheney, Charles Henry 375-377, 380, 403, 1067 Chodowiecki. Daniel 600 Choisy, Auguste 526, 745 Cicero. Marcus Tullius 65

1243

10.6.1 Personen

Clas, A.C. 404, 1068 Cohen, Jean-Louis 435 Cohn, Emil s. Ludwig, Emil 824, 908, 955 Collins, Christiane Crasemann 3, 4, 79, 113, 362, 453, 870, 875, 876, 907 Condliffe, John B. 992 Coolidge, Joseph Randolph 112 Corbett, Harvey Wiley 506, 1089 Corneille, Pierre 64 Cram, Ralph Adams 113, 117, 396, 1022 Crawford, Andrew Wright 156, 370 Dahlberg, Axel 719 Darwin, Charles Robert 128 Dehn, Günther 631 Delbrück, Hans 73, 218, 854, 938, 942 Dernburg, Bernhard 14, 298, 300, 302-304, 3 0 6 308, 310-312, 320, 321 —, Hermann 281, 303, 348, 558, 691, 695, 730, 816, 818, 932 Deschamps, Auguste 75, 76 Dewey, John 1017, 1032 Diederichs, Eugen 241 Distel, Hermann 691, 695, 753, 754, 759, 869 Döblin, Alfred 884, 885, 887, 891, 893, 992, 999 Docker, Richard 691, 695, 716, 926 Doderer, Otto 630 Doesburg, Theo van 546-548, 683 Dohna-Poninski, Adelheid von [ = Arminius, s.a. dort] 185, 189, 219, 786-788 Dohrn, Wolf 238, 241 Dolbin, Benedikt Fred 840, 1107 Dollinger, Hans 670 Dominicus, Alexander 281, 303, 307, 308 Donizetti, Gaetano 877 Dorothea, Kurfürstin von Brandenburg 199 Doyle, Sir Arthur Conan 609 Du Bois-Reymond, Familie 258 —, Rene 315, 316 Dudok, Willem Marinus 539, 546, 693, 696, 841 Dürer, Albrecht 623, 631 Easton, T . Murray 693, 696 Eberstadt, Rudolf 82, 83, 142-144, 183, 208-210, 237, 257, 258, 270-272, 275, 279-281, 337, 349, 352, 369, 777, 785, 790, 799, 809, 852, 857, 1061

191, 274, 408, 860,

Ebhardt, Bodo 730, 759 Eckermann, Karl 589 Eduard VII., König von Großbritannien und Irland, Kaiser von Indien 165

1244

Eesteren, Cornelius van 533, 558, 559, 847, 1093 Einstein, Albert 1032 —, Carl 884 El Lissitzky s. Lissitzky, El Elbau, Julius 613, 653 Elhorst, L.H. van 957 Elias, Norbert 260 Eliot, Charles W. 126, 336 Elisabeth I., Königin von England und Irland 788 Elkart, Karl 458, 551, 552, 557, 558, 791, 841 Ellis, Manfred Maria [d.i.: Werner Hegemann] 125, 198, 456, 471-475, 480-488, 544, 550, 566, 575, 577, 579, 592, 594, 597, 598, 602, 605, 609, 610, 612, 617, 6 2 3 626 Eloesser, Arthur 885 Elsässer, Martin 691, 695 Elze, Walter 854, 855 Emmerich, Paul 560, 715, 818, 833, 1094 Engel, Ernst 186 —, Helmut 2 Engelhardt, Walter Freiherr von 166 Engels, Friedrich 1023 Escher, Felix 2 Eulenberg, Herbert 645, 825 Euripides 476 Fahrenkamp, Emil 558, 691, 692, 695, 916 Falck, Carl 960 Fascher, Erich 630 Faucher, Julius 185, 186, 786, 787 Fechner, Theodor 263 Fechter, Paul 800, 827 Feer, Eduard 993, 1035 Fehl, Gerhard 251 Feiss, Carl 1029 Ferris, Hugh 747, 1089 Fett, Paul 280 Feuchtwanger, Lion 685, 884, 885, 1032 Fichte, Johann Gottlieb 940 Fiedler, Bruno 280 Filene, Edward Albert 113, 116, 117, 122, 124, 125, 161, 174, 456, 1002 Fink, August 61-63, 66-69 Fischer, Theodor 154, 237, 289, 292, 534, 5 4 2 544, 721, 837 Fisker, Kay 679, 681, 693, 694, 696 Fitzgerald, John F. 116, 119, 120 Flake, Otto 631 Flamm, Peter [d.i.: Eric Mosse] 885, 1031 Flaubert, Gustave 887

10.6.1 Personen

Fontane, Theodor 884 Ford, George Burdett 104, 158, 161, 174, 373, 383, 393, 403, 868 —, Henry 125, 904, 905 —, James 13, 15, 393-396 Forst de Battaglia, Otto 613, 665 Forster, William W. 1029 Fraenkel, Rudolf 816 France, Anatole [eigentl.: Jacques Francois Anatole Thibault] 616, 874, 878, 940, 941 Francke, Ernst 300, 302, 308, 311 Frank, Bruno 884, 885 —, Hartmut 927 —, Josef 737, 1094 —, Leonhard 1007 —, Walter [= Volker von Alzey; s.a. dort] 655, 656 Franzen, Erich 620 Frazer, James G. 624, 625 Friedell, Egon 901, 902, 940, 945 Friederike von Mecklenburg-Strelitz 779 Friedrich I. (Barbarossa), Deutscher König, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 944 Friedrich III./I., Kurfürst von Brandenburg, König in Preußen 776,778 Friedrich II. (der Große), König in/von Preußen 44, 64, 65, 73, 186, 192, 195, 200, 201, 245, 253, 469, 472, 474, 475, 481-484, 486, 488, 489, 491, 545, 549, 566-572, 574, 576-580, 582, 584-586, 592-594, 596-599, 602-605, 607, 609, 611, 613, 615, 617, 618, 621, 625, 633-638, 641, 642, 652, 668, 672, 673, 676, 703, 765, 766, 775, 777-780, 824, 854, 860, 905909, 940, 941, 944, 945, 955, 987, 988, 1025 Friedrich Wilhelm (der Große Kurfürst), Kurfürst von Brandenburg 197, 199, 200, 207, 775, 776 Friedrich Wilhelm I. (Soldatenkönig), König in Preußen 776 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 207 Fries, Heinrich de 457, 458, 499, 500, 552-554, 556, 689, 847, 1087 Fritsch, Karl Emil Otto 771 Fromm, Erich 615 Fuchs, Bohuslav 693, 696, 1106 —, Carl J. 208, 237, 343, 352 Funk. Philipp 613, 652, 665 Furrer, Konrad 1106 Fürst, Walter 281

Gädgens, Albert 280 Gantner, Joseph 520, 551, 818 Garnier, Tony 539, 541, 693, 696 Gay, Leonard 426 —, Peter 17, 528, 664 Gayl, Wilhelm Freiherr von 866 Geddes, Patrick 1005 Geist, Johann Friedrich 2, 809 Gentz, Friedrich 779 Genzmer, Felix 170, 180 Gerkrath, Elisabeth 460 —, Hedwig 460 Gerson, Hans 821 —, Oskar 821 Gerson, Brüder (Architektenbüro) 691. 695, 746, 753, 754, 869, 1101, 1102 Geßner, Albert 718, 730-732, 734. 735, 740. 741, 833, 834 Geusen, Carl 164-169, 171-173, 182, 183, 286288, 290, 291, 293 Gide, Charles 75-81, 83, 89, 90, 221, 407 Giedion, Sigfried 250, 517, 717, 746, 912 Gierke, Otto von 229, 234, 339, 775, 782 Gilbert, Cass 514, 693, 696, 1089 Gilly, Friedrich 541, 779 Ginsberg, Marie 994 Giovio, Paolo 588 Glaeser, Ernst 885 Gleichfeld, Carl 280 Göderitz, Johannes 1100 Goebbels, Josef 904, 996 Goecke, Theodor 104, 110. 130. 131, 137, 142, 149, 150, 206, 208, 270, 273, 275. 289. 291, 292. 348, 349, 537 Goethe, Johann Wolfgang von 59, 63, 68, 69, 195, 214, 337, 454, 467, 473, 476, 477, 482, 485, 488, 503. 510, 569. 579, 589. 595, 601. 605, 618, 620, 644, 670, 671. 722, 823. 919, 925. 952, 988 Goetz, Wolfgang 942, 944 Goffman, Erving 94 Göll, Iwan 884 Golossow [Golosov], P. Alexandrovic 747. 1101 Goodhue, Bertram Grosvenor 535, 1022, 1083 Gottwald, Alfred 802 Gradmann, Christoph 5, 670, 671, 809 Graeber, Familie 60, 69 —, Gustav 60, 61, 65, 69 Granach, Alexander 884 Granpre Moliere, Marinus Jan 546 Grenander, Alfred 818

1245

10.6.1 Personen

Griffini, Enrico Agostino 693, 696 Grillparzer, Franz 485 Grimme, Adolf 859-863, 960 Grinberg, A.Z. 693, 696 Grolmann, Adolf von 655, 661 Gropius, Walter 238-240, 501, 691, 695, 713, 715, 721, 737, 739, 743, 744, 750, 751, 761, 814, 817, 835, 846, 1012, 1100 Grossmann, Kurt 1032 Grosz, George 627 Gruber, Karl 560 Grüneberg, Familie 26 —, Hermann Julius 26 Guerard, Albert 957 Guerin, Jules 112, 114, 127, 157, 292, 1055 Guevrekian, Gabriel 716, 717 Gumbel, Emil 351, 853, 856, 1004 Gundolf, Friedrich 617-619, 642 Günther, Hans K. 923 Gürke, Martha 280 Gurlitt, Cornelius 289, 290, 292, 297, 504, 757, 821 Gustav II. Adolf, König von Schweden 945 Guthe, Clara Belle Ware 434, 956, 989-991, 993, 1009, 1010, 1035 —, Carl Eugen 993 —, Ida Belle s. Hegemann, Ida Belle —, Karl Eugen 434 Gutkind, Erwin 752 Gutmann, Paul 628, 640 Guttmann (Rechtsanwalt) 43, 60, 69 Haas, Willy 569, 884 Haber, Fritz 856 Haberland, Georg 317 Habermas, Jürgen 669 Hadank, Oskar Werner Hermann 150 Haefeli, Max Ernst 693, 696 Haesler, Otto 737 Hahn, Willy 207 Hall, Peter 422 Haller, Johannes 923 Hamilton, Alexander 1023 Hamlin, Talbot 1029 Hamm, Ernst 521 Häring, Hugo 716-718, 759, 842, 847 Harnack, Adolf von 73 Härtung, Fritz 596-598, 601, 604, 853, 854, 858 Hasenclever, Walter 627 Haussmann, Georges Eugene 162, 336, 340, 341, 370, 403, 495, 705

1246

Heartfield, John [eigentl.: Helmut Herzfelde] 503, 884 Hebbel, Friedrich 617 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 524, 530, 570, 572 Hegemann, Alice, geb. Hesse 74, 83, 84, 86, 87, 169, 344, 1051 —, Clara Wilhelmine Nanny 28, 39, 43, 45, 49, 57, 60, 1049 —, Elinor 471, 1114 —, Ellis 86, 329, 344, 468, 619, 956, 991, 993, 1035, 1051 —, Ernst Wilhelm 28, 43, 47, 1049 —, Eva Maria 453, 1114 —, Familie 58 —, Friedrich Ottmar 19-25, 27, 29, 32, 34-36, 38-40, 42, 52, 53, 58, 1049 —, Gustav Friedrich Julius 28, 39, 1049 —, Ida Belle 17, 433, 453, 470, 493, 599, 680, 827, 928, 941, 952-954, 956, 961, 985990,1003,1010,1029,1034,1035,1087, 1114 —, Idolene Lilith 471, 1114 —, Johann Dietrich Friedrich Ludolf 19, 20 —, Luisita, geb. Carl 49, 50 —, Manfred 13, 468, 471, 990, 1012, 1114 —, Otmar 19 —, Ottmar 28, 42-45, 48-51, 471, 1049 —, Paula 29, 36, 39, 43, 60, 1049 Hegemann & Peets (Landschaftsplaner) 15, 414, 419, 420, 424-427, 429, 430, 433, 10731077, 1079-1081, 1083 Hegemann-Vorster, Elise 19, 25-35, 37-42, 4446, 49, 50, 54, 55, 58-60, 69, 83, 472, 624, 1049 Hegner, Jakob 575, 626, 627, 632, 754, 941, 953, 961, 985-987 Heiligenthal, Roman 344, 552, 553, 725, 759, 773, 809, 841 Heimann, Emanuel 137, 142 —, Hugo 789 Heine, Heinrich 589, 620 Heine, Wolfgang 961 Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern 615 Heinrich, Ernst 799 Helldorf, Wolf Heinrich Graf von 905 Hellpach, Willy 652, 667 Helmolt, Hans F. 594, 601 Henard, Eugene 148, 403 Henauer L· Witschi (Architektenbüro) 693, 696

10.6.1 Personen

Henrici, Karl 154 Henselmann, Hermann 498, 690 Herder, Johann Gottfried 526 Herkner, Heinrich 226, 350, 351, 849-857, 859, 860, 863, 864 Herkommer, Hans 745, 746, 753 Herrmann, Wolfgang 752, 801 Hertlein, Hans 691, 692, 695, 723, 815, 841, 869, 1103 Herzfelde, Wieland 627, 884 Herzog, Wilhelm 885 Hesse, Alice s. Hegemann, Alice —, Hermann 567, 612 —, Maria, geb. Pesch 74 —, Moritz 74 Hessel, Franz 769, 803 Heuss, Theodor 303 Heynen, Walter 655 Hilberseimer, Ludwig 691, 695 Hilferding, Rudolf 1007 Hill, Octavia 101 Hiller, Kurt 1007 Hindenburg, Paul von Beneckendorff und von 576, 645, 764, 865, 881, 882, 895, 909, 911, 938, 943, 947, 951, 952, 955, 959 Hinrichs, Carl 642 —, Hans 58, 59, 475 Hintze, Hedwig 854 —, Otto 569, 571, 854 Hippenmeier, Konrad 693, 696 Hirsch, Julian 654 —, Paul 314, 315 Hitchcock, Henry Russell 1021 Hitler, Adolf 611, 633, 638, 769, 825, 865, 881884, 887-889, 900, 904, 905, 907-910, 912, 921, 929, 938, 939, 942, 945, 947, 948, 951-955, 959, 988, 990, 996, 997, 1006, 1024, 1029, 1030, 1032, 1034 Hoan, Daniel Webster 13, 15, 398, 404, 405 Hobohm, Martin 854 Hobrecht, Arthur 185, 186, 322 —, James 771, 785, 797-799 Hoen, Max 593, 594, 601 Hoetger. Bernhard 702, 704, 724, 1097 Hoetzsch, Otto 854 Hofer, Klara 482, 484 Höfig, Helene 280 Hoffmann, C.W. 786 —, Josef 693, 696, 753 —, Ludwig 458, 547, 551, 699, 716, 727, 841, 869

Hofmann, Albert 137 —, Wolfgang 2 Hofmannsthal, Hugo von 480, 567, 583, 612 Höger, Fritz 534, 538, 691, 695, 702, 730, 746, 821, 1101 Högg, Emil 253, 702 Holden, Ben 168 Holitscher, Arthur 884 Holsöe, Poul 693, 694, 696 Holtzmann, Robert 854 Holzmeister, Clemens 693, 694, 696, 753 Homer [Homeros] 65, 456 Hood, Raymond 915, 1090, 1110 Hooker, George E. 363, 403 Hoppe, Willy 800, 854 Horaz [eigentl.: Quintus Horatius Flaccus] 65, 489 Howard, Ebenezer 407, 498, 788 Howe, Frederic Clemson 15, 361-364 Huber, Victor Aime 185, 786 Hudnut, Joseph 421,429,1014-1016. 1018, 1026, 1029, 1033, 1035, 1075-1077 Hugenberg, Alfred 769, 946, 947, 995 Humboldt, Alexander von 91 —, Wilhelm von 467 Hutten, Ulrich von 589, 594 Hüttenberger, Peter 178, 285, 297 Ihne, Ernst von 509, 541, 1092 Iljin, Leo 693, 694, 696 Immermann, Karl 480 Impink, Irvin F. 420 Jäckh, Ernst 241 Jacobs, Jane 704 Jacobsohn, Siegfried 685 Jacoby, Heinz 654 Jagow, Traugott von 318 Jaith, Anna Maria Elisabeth 20 James, Henry 364, 609 —, William 1017 Jansen, Hermann 130, 131. 142, 151, 154, 162. 164, 179, 180, 290, 291, 303, 458, 541. 694, 730, 788. 841 Janssen, Henry 419, 420 Jastrow, Ignaz 73, 856, 944 Jay, Martin 1027 Jefferson, Thomas 438, 465. 508, 510, 1019. 1023 Jegher, Carl 179 Jensen, Jens 363, 410, 444 Jessen, Peter 238 Jessen-Klingenberg, Detlef 6

1247

10.6.1 Personen

Johnson, Alvin 994,1004-1006,1013, 1015,1017, 1026, 1032, 1035 —, Philipp 1021 Jost, Hermann Wilhelm 715, 731, 734 Junghanns, Kurt 250 Jürgensen, Peter 759 Justi, Ludwig 303 Juvenal [eigentl.: Decimus Iunius Iuvenalis] 489 Kaeber, Ernst 801, 802, 806 Kaiser, Kurt 149 Kalnay, Jorge 868, 1108 Kampmann, Hack 693, 696 Kant, Immanuel 82, 532, 569, 589 Kantorowicz, Hermann 1031 Karow, Otto 540, 547, 691, 695 Karrer, Helga 668 Kästner, Erich 668, 670, 685, 883, 885, 948 Katte, Hans Hermann von 577, 637 Kaunitz, Wenzel Anton Graf 605, 606 Kaven, Oskar 70 Kehr, Eckart 656, 661 Kellaway, Herbert J . 113, 115, 123 Kellogg, Paul Underwood 764, 1035 Kerr, Alfred 158, 210, 320, 321, 545, 995 Kerschensteiner, Georg 237, 241 Kersten, Kurt 884 Kesten, Hermann 13, 71, 111, 458, 473, 567, 575, 589, 626, 639, 640, 668, 685, 768, 796, 883, 885, 986, 998, 999, 1001 Kiaulehn, Walter 685, 884 Kiehl, Reinhold 149, 272, 303, 1060 Kienast, Walther 649, 650 Kiepenheuer, Gustav 579, 796, 883, 884 Kießling (Ministerialbeamter) 759 Kimball, Sydney Fiske 513, 515, 516, 518, 1002, 1013 —, Theodora 443 Kirschner, Martin 138, 142, 143, 164-166, 303, 305, 310, 315, 323 Kisch, Egon Erwin 796, 884 Klein, Alexander 462, 560, 683, 691, 692, 695, 715, 723, 733, 759, 761, 869, 1094 Kleist, Heinrich von 957 Klemperer, Otto 878 Klerk, Michel de 546, 693, 696, 1091 Klophaus, Schoch, zu Putlitz (Architektenbüro) 753, 754 Klopp, Onno 486, 570, 577, 596, 597, 643 Knapp, Familie 258 —, Georg Friedrich 86 Knobeisdorff, Georg Wenzeslaus von 779

1248

Koch, Alexander 738 —, Hugo 345 —, Walter (Gesandter) 1007, 1008 —, Walter (Rezensent) 595 Koeppen, Walter 759, 773, 791, 841 Kohler, Walter Jodok 406, 407, 409-412, 447 Kohn, Albert 303, 319 Kohtz, Otto 691, 695, 753, 754, 1102 Kolb, Annette 930, 931 Kolbe, Georg 915, 916 Kollwitz, Käthe 14, 300, 301, 303, 319, 321, 322, 553, 960, 1062 Konwiarz, Richard 540 Körner, Theodor 946 Koser, Reinhold 571, 599, 641 Kosina, Heinrich 547 Kossina, Gustav 854 Kozak, B. 693, 696 Kracauer, Siegfried 11, 574, 653, 654, 656, 661, 669, 672 Kraepelin, Emil 37 Krauß, Constantin 43, 45 Kreis, Wilhelm 241, 561, 683, 691, 695, 698, 753, 771, 841, 1093 Kreuzer, Helmut 672, 676, 795 Kropholler, Alexander Jacobus 693, 696 Kruse, Francis 178, 179 Kuczynski, Jürgen 257 — , Robert Rene 151, 185, 257-259, 271, 281, 300, 302, 303, 308, 309, 311, 314, 315, 320, 469, 566, 593, 857, 1059 —, Wilhelm 281 Kugler, Franz 570 Kühn, Benno 759 Kühne, Günther 686, 937 —, Max Hans 754 Kuhnert, Carl 280 Kürvers, Klaus 809 Küttner, Stefan 686 Laband, Paul 86 Lampmann, Gustav 801 Landauer, Walter 999 Landshoff, Fritz 998, 999 Langbehn, Julius 907 Lange, Hans Emil 960 Lange, Oskar 1092 Langen, Gustav 170, 176, 179, 206, 207, 315, 345, 347, 492, 494-496, 759 Langenbucher, Hellmuth 955 Langewiesche, Dieter 259, 653 Langhans, Carl Gotthard 779

10.6.1 Personen

Langkeit, Bruno 703, 704, 839, 1097 Lassalle, Ferdinand 642 Laue, Max von 856 Läuger, Max 560 Laugier, Antoine 526, 746 Lautenschlager, Karl 711 Le Corbusier [eigentl.: Charles Edouard Jeanneret] 507, 535, 538, 539, 548, 562564, 682, 693, 694, 696, 700, 703, 705, 708, 781, 816, 818, 836, 847, 870-872, 876, 914, 1090, 1095, 1108 Leckner, Myron C. 112 Lederer, Emil 857, 1004 —, Hugo 920 Lee, Joseph 115, 156 Lehmann, Edvard 300, 309, 315, 316 Lehweß, Walter 149, 205, 207, 258, 271, 303, 757, 759, 1059 Lemmers, Ludwig 541 Lemonnier, Henry 75 Lempicka, Tamara de 915 Lenard, Philipp 923 Lenau, Nikolaus [eigentl.: Nikolaus Niembsch Edler von Strehlenau] 46 L'Enfant, Pierre 106 Lenin [eigentl.: Ulanov], Vladimir Iljitsch 884, 1023 Lenz, Max 617, 618 Leon (Verlagsleiter) 913, 989 Lepsius, Rainer M. 94 Lessing, Gotthold Ephraim 602 —, Theodor 351, 587, 685, 856, 885, 996, 1004, 1014, 1044 Lettenbaur. Joseph A. 599, 613 Levy, Kurt 1007 Libra. F.Α. 693, 696 Lichtwark, Alfred 125, 183, 206, 207, 240, 254257, 335, 438, 536, 781, 836, 856 Liebermann, Max 252, 536, 537, 915 Liebman, Charles J. 1013 Lievre, Pierre 480, 485, 583, 641, 991, 1000 Lilienberg, Albert 492, 493, 498 Lilljekvist, Fr. 492 Lincoln. Abraham 516, 644, 826, 1023-1025 Lindner, Werner 721 Lipps, Theodor 84, 263 Lippstreu, Otto 1010, 1011 Lissitzky, El [eigentl.: Lasar Markowitsch Lissitzky] 693, 696, 735 Livius, Titus 65 Lloyd George, David 767, 768, 789, 822

Lohe, Wilhelm 165 Loos, Adolf 526, 529, 693, 696, 743, 752, 837, 841 Lossow & Kühne (Architektenbüro) 753 Lossow, William 754 Lötz, Walter 87, 88, 91, 92, 350 Louverture, Toussaint 618 Low, Seth 161 Lowell, Abbott Lawrence 117, 394 Lucchesini, Girolamo Marchese 613 Luckhardt, Hans 716, 836, 841, 916, 1107 —, Wassili 716, 836, 916 Luckhardt, Brüder (Architektenbüro) 2, 506, 691, 695, 718, 729, 781, 831, 833. 834. 837, 840, 869,914, 916, 919,1105, 1110 Lüders, Marie-Elisabeth 322, 709 Ludwig, Emil 5, 599, 614, 617-622, 624, 634. 641, 644-648, 650, 654, 655, 657-659, 662-664, 669-671, 739, 763, 812, 822826, 894, 908, 920, 996, 1040 Luise von Mecklenburg-Strelitz, Königin von Preußen 779 Lukian (von Samosata) 489, 588 Lurgat, Andre 693. 696, 814 Luther, Martin 64, 520. 615. 738, 912, 938-940. 944, 948, 952 Lutyens, Sir Edwin 537. 562, 693, 696, 837 Lützow, Ludwig Adolf Wilhelm Freiherr von 946 Macaulay, Thomas Babington 569 Mächler, Martin 210, 216, 240. 343 MacLaren, Myron T. 430, 1080 Maertens, Hermann 263 Malewitsch, Kasimir 693. 696 Mallet-Stevens, Robert 693. 696, 841. 915 Mamlock, G. 640 Mann, Erika 1007 —, Heinrich 491, 666, 763, 796. 825, 835. 883, 885-889, 892-894. 899, 901. 940, 960, 1031 —, Klaus 1001 —, Thomas 472, 474, 481-486, 544, 571578, 580, 581, 583. 586. 593. 604. 637, 638, 651, 666. 670. 767. 885, 893, 904, 909, 961. 1032 Manning, Carol 102 March, Albert 26 —, Ernst 26 —, Familie 70 —, Helene, geb. Grüneberg 26

837. 934.

575. 618. 886.

1249

10.6.1 Personen

—, Otto 2, 26, 50, 71, 72, 74, 75, 108-110, 126, 130, 131, 137, 138, 140-145, 149, 150, 153, 165, 181, 218, 242, 252-256, 277, 281, 282, 286, 289, 290, 292, 347, 349, 361, 459, 536, 778, 788, 846, 1050, 1060 —, Ria (Maria), geb. Vorster 26, 45, 70, 1049, 1050 —, Sophie, geb. Keller 26 —, Walter 71, 461, 990 —, Werner 691, 695, 733, 753, 754, 813, 814, 833, 869, 1102, 1103 Mareks, Erich 603, 635, 823, 854 Marcu, Valeriu 884 Marcuse, Ludwig 654, 655, 659, 661, 666, 671, 676, 715, 804, 880, 957 Marinetti, Filippo Tommaso 908 Markelius, Sven 693, 696, 838, 841, 1106 Marsh, Benjamin Clarke 104, 114, 152, 156, 362 Marx, Karl 524, 1023 —, Wilhelm 165-168, 172, 285, 361 Masaryk, Tomas 616, 958, 959, 1032 Masur, Gerhard 854 Matthießen, Wilhelm 566 Maurenbrecher, Max 603 Maurois, Andre [eigentl.: Emile Salomon Wilhelm Herzog] 644 May, E m s t 539, 691, 695, 699, 700, 711, 735, 737, 829, 830, 914, 916, 1096 Mayer, Albert 1023, 1026 —, Gustav 854 Mayr, Georg von 87, 88, 91 McDuffie, Duncan 376, 377, 381, 393, 403, 412, 416 McKim, Charles Folien 509, 511, 541, 693, 1092 McKim, Mead h White (Architektenbüro) 504507, 509, 511, 539, 693, 696, 703, 721, 1022, 1081, 1083, 1088, 1098 Mebes, Paul 349, 510, 523, 537, 560, 691, 692, 695, 715, 759, 818, 833, 914,1060,1094 Mehring, Franz 603, 685 Mehring, Walter 884, 996, 1002, 1007 Meißinger, Karl August 639, 640, 769 Meißner, Carl 601 Meier-Graefe, Julius 612 Meili, Armin 693, 696 Meinecke, Friedrich 64, 648, 650, 662, 854 Meinig, E. Richard 429, 430, 1079 Melville, Hermann 364 Mendelsohn, Erich 2, 500, 504, 521, 533, 546, 549, 550, 683, 691, 692, 695, 699, 716-

1250

718, 724, 745, 748, 752, 760, 761, 816, 818, 819, 830, 832, 833, 835, 837, 838, 840, 842, 846, 847, 869, 915, 919, 920, 927, 928, 931, 932, 937, 1091, 1097, 1100, 1103, 1104 Mendelssohn-Bartholdy, Paul von 281 Mentz, G. 640 Menzel, Adolph 570, 571, 576, 600 Merrill, Theodor 560, 691, 695 Merton, Wilhelm 238 Messel, Alfred 533, 537, 549, 562, 702, 723, 751, 752, 780, 817, 818, 835, 837, 932, 1091 Metternich, Klemens Wenzel Fürst von 891 Meyer, Eduard 854 —, Hannes 555, 562, 693, 694, 696, 738, 1094 —, Peter 13, 521, 542, 543, 551, 737, 846, 929 Michaelis, Karin 884 Michel, Wilhelm 567 Michelangelo Buonarroti [eigentl.: Michelangelo di Ludovico di Lionardo di Buonarroti Simoni] 644, 826 Mies van der Rohe, Ludwig 691, 695, 705, 711, 716, 726, 738, 781, 816, 818, 846, 908, 916, 929 Migge, Leberecht 240, 788, 841 Mill, John Stuart 81 Milton, John 589, 824 Mirabeau, Honore Gabriel du Riqueti, Graf von 64 Mirow, Jürgen 670 Moebus, Benno 753, 754 Moeller van den Bruck, Arthur 575, 773, 778, 779, 800, 909 Möhring, Bruno 183, 241, 257, 258, 271, 272, 292, 348, 757-759 Moliere [eigentl.: Jean-Baptiste Poquelin] 64, 481 Molo, Walter von 574, 575, 599 Moltke, Hellmuth Graf von 593 Molzahn, Johannes 755, 1102 Mommsen, Theodor 942 —, Wilhelm 657-659, 661, 662, 664 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat [eigentl.: Baron de la Brede et le Montesquieu] 486 Morgenthau, Henry 1013, 1016 Morris, William 537 Muckermann, Friedrich 630 Mühsam, Ernst 885 Müller, Alwin 653 Mumford, Lewis 444, 507, 514-517, 521, 529,

10.6.1 Personen

1005, 1022 Münsterberg, Hugo 394 Munter, Georg 748, 1099 Murrow, Edward R. 1013, 1015, 1016 Mussolini, Benito 616, 908, 1001 Muthesius, Hermann 13, 14, 72, 130, 131, 142, 185, 190, 237, 241, 243, 244, 246, 249, 253, 254, 258, 272-274, 298, 300, 302304, 307, 308, 320, 346, 465, 523-525, 530, 536, 713, 788, 846 Napoleon I. Bonaparte, Kaiser der Franzosen 65, 372, 469, 495, 609, 615, 617-621, 766, 823, 824, 860, 946 Nasse, Werner 31, 33, 41 Naumann, Friedrich 222, 231, 232, 235, 237, 241, 311, 315 —, Uwe 950 Neher, Carola 884 Neufert, Ernst 929 Neumann, S. 345 —, Therese 624 Newhall, Lewis C. 113 Newman, Bernard J. 102, 103 Nichols, Jesse C. 423 Nicolai, Friedrich 202 Nietzsche, Friedrich 478, 481, 571, 573, 586, 587, 617, 620, 625, 631, 634, 643, 732, 886, 900, 907, 909, 938, 944, 947, 988, 1044 Noack, Viktor 207 Nolen, John 81, 151, 365, 373, 396, 403, 418420, 425, 496, 693, 696, 841, 1073 Norden, Eduard 854 Novalis [eigentl.: Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg] 940, 944 Nüsken, Maria Katharina 19 Oberlaender, Gustav 419, 420 Ochs, Jakob 240 Oechslin, Werner 5, 6, 435, 437, 533 Oehler, Albert 285 Offenbach, Jacques [eigentl.: Jacob Offenbach] 489, 588, 631 Olden, Rudolf 589, 598, 612, 645, 685, 766, 884, 986, 1002, 1005, 1031, 1035 Oldenburg-Januschau, Elard von 951 Ollenhauer, Erich 1007 Olmsted, Frederick Law Jr. 112, 114, 172, 365, 372, 375, 403 —, Frederick Law Sr. 112, 115, 123, 126, 380, 415, 418, 424, 438, 1057

Olmsted Brothers (Landschaftsplaner) 410 Oncken, Hermann 73, 603, 854 Orth, August 185, 187, 188, 789 Osborn, Max 272, 303, 726, 753, 803, 842 Ossietzky, Carl von 640, 654, 685, 798. 804. 885, 896, 997, 1014, 1031-1033 Östberg, Ragnar 494, 693, 696, 748, 838, 841, 1105 Ostendorf, Friedrich 463-466, 513, 529. 530, 532, 534, 543, 698, 699, 752, 914 Osthaus, Karl Ernst 13, 238-240, 242 Ott, Ernst 280 —, Wilhelmine 280 Oud, Johannes Jakobus Pieter 13, 16, 500, 513. 546, 548, 562, 679, 681-684, 687, 693, 694, 696, 697, 701, 707, 712, 726. 781, 841, 842, 1000, 1001 Ozenfant, Amadee 919 Paasen, Pierre van 1029 Pabst, Familie 412 —, Fred 412 Palladio, Andrea 508 Pankok, Bernhard 241 Paolera, Carlos M. della 868 Papen, Franz von 764, 881, 882, 895, 905. 911. 951, 959 Paquet, Alfons 238, 241, 612, 885 Parker, Barry 1090 Patte, Pierre 437 Patten, Simon Nelson 79-81, 89, 90, 99, 104. 201, 221, 223, 254 Paul, Bruno 241 Paulsen, Friedrich (Architekt) 727. 759, 801803, 913, 937 Paulsen, Friedrich (Pädagoge) 65 Payret-Dortail, Maurice 693, 696, 719 Pechmann, Alice von s. Hegemann, Alice —, Günther Freiherr von 84, 148, 236, 344 Pedersen, Sverre 541 Peets, Elbert 3, 4, 15, 395, 409-411. 414. 421. 422, 427, 429. 431, 433-435, 443. 497, 516, 517. 841. 1069, 1071. 1073-1077. 1079-1083 Pepler, George Lionel 386, 493, 841 Pereis, Ernst 854 Perret, Auguste 539. 541. 548. 693. 745, 841 —, Gustave 539 Perret. Brüder (Architektenbüro) 541, 693. 694. 696. 1090 Peruzzi, Baidassare 693, 696 Peters, Hans 852

1251

10.6.1

Personen

—, Heinrich 539 Petersen, Julius 856, 884, 885 —, Richard 180, 183, 257, 258, 303 Petry, Walther 630 Petsch, Max 280 Pevsner, Nikolaus 539 Pfeifer & Großmann (Architektenbüro) 691, 692, 695, 753 Pfemfert, Franz 685, 1007 Pfister, Rudolf 719 Philipp, Richard 405-407, 409 Piacentini, Marcello 693, 696 Pietrusky, Ernst 539, 691, 695 Pinno & Grund (Architektenbüro) 748, 753, 754, 833, 1105 Piscator, Erwin 627 Plate, Ludwig Hermann 73 Piaton 63, 65, 73, 604, 609, 611 Platz, Gustav Adolf 240, 522, 684, 815, 837 Plivier, Theodor 884 Poelzig, Hans 547, 558, 691, 692, 695, 714-716, 725, 726, 744, 745, 747, 748, 759, 832, 834, 837, 841 Pol, Heinz 685 Polgar, Alfred 685, 896, 943 Popper, Karl 488 Posener, Julius 214, 250, 808 Posner, Ernst 597, 608, 609 Pray, James Sturgis 395, 433, 435 Pray, Hubbard & White (Landschaftsplaner) 409 Preuß, Hugo 14, 207, 234, 235, 257, 302, 303, 337-343, 474, 771, 775, 783, 789, 790 Prutz, Hans 634 Pückler-Muskau, Hermann Fürst von 336 Pugin, Augustus Welby Northmore 526 Racine, Jean 476, 481 Rading, Adolf 501, 502, 519-521, 537, 550, 691, 695, 842, 1098 Radkau, Joachim 896 Ramses II., Ägyptischer Pharao 501 Ranke, Leopold von 570, 580, 601, 603, 618, 634, 823, 824 Rasmussen, Steen Eiler 13, 16, 378, 493, 498, 522, 552, 561-564, 610, 615, 679-682, 693, 696, 703, 752, 770, 771, 838, 839, 992, 993, 1002, 1033, 1034 Rathenau, Waither 348 Ratz, Ursula 333 Rauch, Christian Daniel 779 Ray, Winifred 1000

1252

Redlich (Bauinspektor) 273, 1060 Rehorst, Carl 180, 349 Reicke, Georg 303, 305, 309-311, 313, 316, 323 Remarque, Erich Maria [eigentl.: Erich Paul Remark] 997 Rembrandt [eigentl.: Rembrandt Harmenszoon van Rijn] 483, 644, 907 Rendschmidt, Max 801 Renn von Golßenau, Ludwig 1014 Reuter, Ernst 790, 818 Ribbe, Wolfgang 808 Richards, James L. 117 Richardson, Henry Hobson 511, 1022 Richter, August 404 —, Werner 858, 859, 861-863 Riegl, Alois 524 Riis, Jakob 106 Ringelnatz, Joachim [eigentl.: Hans Bötticher] 884 Ringer, Fritz 14, 261 Rings, Josef 691, 695 Riphahn, Wilhelm 546, 691, 695 Ritter, Gerhard 567, 603, 944 Robinson, Charles Mulford 106, 109, 172, 174, 365, 373, 392, 403 Roda Roda, Alexander [eigentl.: Sandor Friedrich Rosenfeld] 885 Röhrig, Anna Wilhelmine 25 Roll, Emil 280, 282 Roosevelt, Franklin Delano 1022, 1023, 1027 —, Theodore 121 Root, John W. 1105 Rosen, Anton 492 Rosenberg, Alfred 732, 756 —, Arthur 853, 854 Rosiger, Hans Detlev 532, 691, 695 Rostosky, Fritz 596 Roth, Joseph 796, 803, 884, 885, 999, 1002 Rothwell, Bernard J. 117 Rousseau, Jean-Jacques 517 Roux-Spitz, Michel 838 Ruskin, John 101, 455, 520, 526, 537, 698 Saarinen, Eliel 915, 1090 Sacco, Niccolo 877 Salvisberg, Otto Rudolf 753, 755, 759, 1102 Sammer, Oskar 693, 696 Sandmann, David 348 Sattler, Carl 748 Sauvage, Henri 838 Sbrik, Heinrich Ritter von 621, 664 Schäche, Wolfgang 2, 808

10.6.1 Personen

Schadow, Johann Gottfried 779 Schäfer, Philipp 560, 753, 754, 1102 Scharoun, Hans 925 Scheffler, Karl 259, 260, 349, 544, 545, 547, 550, 551, 553, 554, 592, 752, 774, 778, 801, 846 Scheuer, Helmut 669, 670, 674 Schickele, Rene 13, 17, 922, 924, 925, 927, 929933, 935, 941, 1111 Schieder, Theodor 570 Schiller, FYiedrich 602, 746, 943 Schinkel, Karl Friedrich 71, 193-195, 228, 262, 380, 526, 538, 722, 723, 743, 772, 774, 779-782, 793, 826, 827, 832, 833, 835, 836, 838, 914, 915, 919, 921, 925, 933, 1022, 1025 Schlegel, Frits 816 Schlegel, Paul 271, 275, 277 Schleicher, Kurt von 881, 882, 895, 911, 912, 938, 939, 943, 946, 947, 951, 959 Schliemann, Heinrich 644 Schlüter, Andreas 193, 194, 262, 774, 778, 779 Schmidt, Robert 178, 179, 273, 349, 551, 552, 557, 729, 757, 758, 841, 860, 861 Schmitthenner, Paul 2, 17, 451, 560, 691, 692, 695, 710-712, 714, 715, 718, 720, 721, 723, 726, 730-732, 734, 740, 744, 748, 761, 815, 835, 838, 841, 846, 899, 909, 911, 915, 920, 922-937, 939, 976, 1022, 1040, 1098, 1106, IUI, 1112 Schmitz, Bruno 194, 292, 294, 564, 698, 846 —, Otto 280 —, Walter 816 Schmohl, Eugen 691, 695 Schmoller, Gustav von 82, 89, 185, 190, 218, 220, 223, 226, 350, 776, 785 Schnabel, Franz 668 Schneidereit, Bruno 547 Scholer, Fritz 721, 747, 837, 1098, 1106 Schopenhauer, Arthur 481 Schopohl, Fritz 715, 937 Schotthöfer, Fritz 620 Schräder, Carl 281 Schrödinger, Erwin 856 Schuchardt, William H. 404 Schultze-Naumburg, Paul 190, 465, 467, 523, 539, 691, 692, 695, 700, 701, 718, 720, 730-734. 737, 740, 744, 745, 748, 761, 816, 833, 834, 841, 842, 908, 914, 919, 920, 1096 Schulze-Gävernitz, Gerhard 241

Schumacher, Fritz 240, 691, 692, 695, 702, 731, 734, 745, 834, 835, 841, 861, 869, 918, 1057 —, Hermann 861 Schurz, Carl 1032 Schüßler, Wilhelm 620, 647, 650, 651, 654, 656. 657, 661, 664, 823 Schütze, Alfred 630 Schwarzschild. Leopold 896, 1034, 1035 Scott, Mel 178 Seeck, Franz 718, 730, 731, 734, 735 Seesselberg, Friedrich 238, 349, 539, 691, 695, 701 Seghers, Anna [eigentl.: Netty Reiling, verh. Radvänyi] 796, 884 Semper, Gottfried 526, 745 Senger, Alexander von 914 Sering, Max 82, 83, 237, 854, 856 Seutemann, Karl 206, 208 Severing, Carl 866 Shaw, George Bernard 481, 487, 488, 617, 626. 887, 999 Shirley, J.W. 403 Sholem, Gershon 611 Shurtleff, Arthur Asahel 112, 113, 115, 419 —, Flavel 404 Silbergleit, Heinrich 310, 320 Simkhovitch, Mary Melinda Kingsbury 392. 1012 Simmel, Georg 212 Sitte, Camillo 140, 179, 182, 183. 209, 211, 252, 254, 256, 337, 346. 371, 403, 418, 436, 437. 442, 460, 495, 508, 537, 870, 874 Skalweit, Stephan 668 Söderberg, Hjalmar 686 Soissons, Louis de 535, 693, 696 Sombart, Werner 220, 854, 856, 857. 1004 Sophokles 65, 66 Sösemann, Bernd 895 Specht, Richard 629, 630 Spengler, Oswald 501-503, 544, 575, 597, 599. 617, 837, 889, 907, 943, 1024, 1025 Stahl, Ernst 292, 297 —, Fritz 753 Stählin, Karl 597, 598. 606. 854. 857, 858 Stalin [eigentl.: Dzugaswili], Iosif Wissarionowitsch 1023 Steffeck, Clara 170 Steffens, Lincoln 116. 122 Stein, Charlotte von 68, 482. 578 —, Clarence S. 444, 1017, 1023, 1026 —. Ernst 854

1253

10.6.1 Personen

—, Karl Reichsfreiherr vom und zum 62, 589, 604, 828, 829, 940 Stein & Wright (Architektenbüro) 693, 696 Steinen, Wolfram von den 944 Steinmetz, Georg 715, 730 Stern, Erich Cramer 13, 406, 412, 461, 622, 1032, 1033 Stier, Hans Erich 854 Stoffregen, Heinz 691, 695, 718, 734 Storrow, James J. 116, 117, 119, 120, 123 Strachey, Giles Lytton 588, 617, 619, 644 Strasser, Gregor 938, 943 —, Otto 939 Straub, Karl Willy 736-738, 740, 741, 835, 908, 909, 923, 955 Straumer, Heinrich 540, 691, 695, 723, 753, 818 Stresemann, Gustav 579, 605, 606, 616-618 Strausberg, Henri Bethel 784, 786, 788 Stübben, Hermann Joseph 142, 143, 154, 179, 209, 253, 289, 291, 292, 297, 308, 498, 541 Südekum, Albert 14, 272, 298-300, 302-304, 307, 308, 312, 331 Sullivan, Louis Henry 444, 504, 507, 509, 514, 515, 517, 522, 821 Sutcliffe, Anthony 176 Swift, Jonathan 957 Sybel, Heinrich von 649 Tacitus, Publius Cornelius 65, 486 Tal, Ernst Peter 987 Tallmadge, Thomas E. 517 Tamms, Friedrich 803 Taussig, F.W. 393 Taut, Bruno 541, 546, 547, 691, 695, 713, 716, 721, 723, 724, 745, 834, 841, 846, 936, 1096, 1100 —, Max 691, 692, 695, 716, 839, 841, 916 Tengbom, Ivar 562, 693, 696 Tergit, Gabriele [eigentl.: Elise Reifenberg] 685, 884, 986, 989 Tessenow, Heinrich 274, 465, 544, 691, 695, 699, 714-716, 720, 724, 827, 841, 921, 1022 Teut, Anna 756, 913 Thiele, Günther 82 Thompson, Clarence Bertrand 112 Thompson & Churchill (Architektenbüro) 747, 1101 Thomsen, Edvard 682, 693, 694, 696, 816 Thorvaldsen, Bertel 779 Thun, Ferdinand F. 419, 420, 1002, 1014, 1016, 1032

1254

Tietz, Hermann 560, 817 —, Oskar 348 Toller, Ernst 685, 884, 885 Tolstoi, Lev Nikolajevitsch Graf 589, 902 Tönnies, Ferdinand 224, 960 Treitschke, Heinrich von 189, 486, 570, 581, 603, 605, 635, 768, 785, 823, 824, 938 Troeltsch, Ernst 944 Tschuppik, Karl 629 Tucholsky, Kurt 685, 896 Tugwell, Rexford Guy 81 Uihlein, Familie 412 Unwin, Sir Raymond 148, 149, 167, 175, 183, 214, 274, 386, 387, 418, 422, 423, 442, 492, 496-498, 506, 534, 537, 538, 693, 696, 723, 771,819,830, 919,1002,1003, 1029, 1090, 1112 Uriburu, Jose 870, 877 Valentin, Veit 11, 574, 599, 604-606, 608, 609, 613, 615, 648, 665, 667, 669, 670, 703 Van de Velde, Henry 71, 237, 239, 535, 541 Van der Borght, Arnold 317 Van Endt, Hermann 292 Vanzetti, Bartolomeo 877 Veblen, Thorstein 22 Veiller, Lawrence 106 Vergil [eigentl.: Publius Vergilius Maro] 65 Viollet-le-Duc, Eugene Emmanuel 525, 526 Vischer, Theodor 263 Vitruv [eigentl.: Marcus Vitruvius Pollio] 746 Voigt, Andreas 224 —, Paul 197-202, 252, 349, 352 Voltaire [eigentl.: Frangois-Marie Arouet] 473, 480, 482, 519, 571, 594, 605, 957 Volz, Georg Berthold 597, 601, 606, 640 Vorster, Familie 26, 52 —, Friedrich 25 —, Friedrich Julius 21, 25 —, Fritz (Friedrich Wilhelm) 25, 40 —, Ingeborg 593 —, Johann Friedrich Julius 25, 26, 40, 43 Waas, Adolf 659, 661-663, 665 Waetzoldt, Wilhelm 861-864 Wagner, Adolf 82, 218, 220, 785 —, Martin 216, 343, 504, 552, 553, 557, 558, 715, 716, 724-729, 737, 749-751, 758761, 765, 768, 773, 790, 791, 814, 815, 819, 820, 834, 837, 839, 841, 857, 917, 918

10.6.1 Personen

Wolf, Gustav 691, 695 —, Otto 280 —, Paul 691, 692, 695, 699, 701, 704, 1096 Wolfenstein, Alfred 885 Wölfflin, Heinrich 524, 743 Wood, Edith Eimer 1023 Wren, Christopher 778 Wright, Carroll D. 258 —, Prank Lloyd 444, 504, 509, 513, 514, 519, 520, 522, 541, 546, 556, 683, 693, 696, 703, 748 —, Henry 444, 1014, 1017, 1018, 1023, 1035 Wynand, Paul 841, 1107 Yerbury, Francis Rowland 498, 752, 753, 841 Zavitzianos, Marcos 1087 Zechlin, Hans Josef 500, 686, 832, 838, 841, 913, 935, 937, 953, 986, 988 Zeitner, Ellis s. Hegemann, Ellis —, Herbert 956 Zerbe & Harder (Architektenbüro) 541, 547, 691, 695, 753, 754, 1091 Zetterström, Tor 693, 696 Ziekursch, Johannes 653 Zimmereimer, Paul 753, 754, 1102 Zinzendorf, Nikolaus von 624 Zola, Emile 887 Zucker, Paul 500, 521, 522, 539, 691, 695, 752, 841 Zuckmayer, Carl 884 Zueblin, Charles 112 Zwehl, von (General) 593, 594, 601 Zweig, Arnold 13, 71, 93, 351, 461, 470, 471, 625, 629, 641, 668, 685, 883, 885, 887, 921, 953, 994, 1015, 1032, 1035, 1109 Zwiedineck-Südenhorst, Otto von 220

1255

10.6.2 Orte und Standorte

10.6.2 Orte und Standorte Adelaide 386, 387 Aden 387 Afrika 4, 388 Ägypten 615, 623, 680, 689, 709 Alameda County (Kalifornien) 376 Alemannenstraße (Berlin) 283, 460, 991, 1008, 1010, 1011, 1085, 1113 Alexanderplatz (Berlin) 202, 729, 781 Allen (Hamm) 19 Altena 946 Altmannsdorf-Hetzendorf 1094 Altona (Hamburg) 866, 882 Amerika (s.a. Vereinigte Staaten von Amerika) 12, 67, 75, 106, 112, 130, 143, 157, 172, 173, 298, 350, 361, 374, 389, 442, 443, 498, 514, 516, 519, 545, 689, 690, 863, 994, 1022 Amsterdam 165, 535, 546, 548, 559, 683, 846, 904, 957, 992, 998, 999 Andernach 31, 33, 41 Anhalter Bahnhof (Berlin) 537 Anhalter Straße (Berlin) 685, 884 Ann Arbor (Michigan) 434 Arabien 388 Argentinien 689, 869, 877 Ascona 985, 988 Asien 386, 389 Atlantik 130, 390 Australien 386, 387, 389, 443

Baalbeck 151 Baden 24, 25 Badenweiler 922, 1111 Ballenstedter Straße (Berlin) 1094 Baltimore (Maryland) 364, 366, 371, 372, 376, 403, 416 Barcelona 816, 869, 916, 929 Barerstraße (München) 86 Basel 985, 991 Bauhofstraße (Berlin) 70 Bayern 21, 84, 147, 615, 855 Behrenstraße (Berlin) 199 Belgien 104, 391, 572, 579, 689 Bendorf 31 Berkeley (Kalifornien) 183, 293, 351, 364, 366, 375, 376, 380, 381, 385, 392, 401, 445, 876, 1039, 1065, 1066, 1067

1256

Berlin (s.a. Groß-Berlin) 1, 2, 4, 7, 12-14, 16, 26, 50, 70-74, 82-85, 88, 104, 107-109, 113, 126, 128, 130, 131, 135-140, 142, 143, 145, 147, 151, 153, 156, 157, 161, 165, 166, 168-171, 173, 175, 179-186, 189, 191, 193-195, 197, 199-202, 208, 212, 221, 229, 234, 254, 255, 257, 258, 268, 273, 281, 284, 285, 287-290, 295300, 302, 303, 305, 308, 310, 312, 314, 324, 325, 328, 330, 341, 342, 345, 347, 350, 351, 393, 407, 433, 451, 453, 457, 458, 460, 468-470, 492, 497, 500, 504, 534, 535, 537, 542, 551, 553, 555, 557, 679-681, 685, 686, 688, 690, 694, 699, 702, 703, 710, 711, 714, 717, 718, 724, 725, 729, 730, 732-734, 736, 740, 749, 750, 752, 757, 759, 761, 765-767, 769, 772-776, 781, 782, 786, 787, 790, 792, 808, 812, 813, 817, 819, 822, 834, 836, 839-841, 849, 850, 852, 855, 859-863, 868, 869, 876, 882-884, 893, 908, 910, 917, 918, 925, 927, 939, 956, 962, 985987, 990, 995, 996, 1004, 1010, 1011, 1031, 1058, 1059, 1091, 1092, 1096, 1097, 1103 Bern 41, 45 Bernau 562 Böhmen 49 Böhmisch Laipa 45 Bollensdorf (Neuenhagen) 771 Bonn 29, 41, 44, 996 Bordeaux 562, 682, 1095 Boston (Massachusetts) 2, 4, 14, 110-116, 118120, 124-127, 129-131, 144, 146, 148, 152, 156, 158, 161, 163, 166, 170, 276, 299, 300, 307, 324, 325, 366, 375, 393, 395, 401, 409, 511, 512, 610, 766, 839, 1002, 1053, 1054, 1057 Brandenburg an der Havel 73, 74 Brandenburg, Land 580 Brandenburger Tor (Berlin) 559 Brasilien 689 Bremen 93, 240, 245, 342, 702, 1097 Breslau 540, 748, 816, 853, 1100 Britz 275, 276, 278, 282, 700, 1061 Brooklyn (New York) 1057 Bruchsal 39, 44, 45 Brünn (Brno) 151, 1106 Brüssel 869

10.6.2 Orte und

Budapest 147, 150, 181, 869 Büdingen 57, 58 Buenos Aires 863, 868, 871, 873, 875-878, 1108 Buffalo (New York) 108 Bulgarien 689 Burgbrohl (Eifel) 1096 Cambridge (Massachusetts) 351 Canada 366, 374, 689 Canton 386 Caserta 457 Catskill Mountains 1035 Celle 737 Central Park (New York City) 110, 152, 255, 438 Ceylon 386, 387 Charkow 1101 Charles River 112 Charlottenburg 70, 72, 139, 143, 149, 167, 253, 350 Charlottesville (Virginia) 1013 Chemnitz 816, 1104 Cherbourg 433 Cherry Drive (Wyomissing Park) 425 Chicago (Illinois; s.a. Groß-Chicago) 100, 105, 106, 111, 112, 115, 126-128, 151, 156158, 166, 167, 171, 172, 178, 292, 306, 337, 363, 364, 366, 372, 381, 395, 400, 410, 433, 434, 438, 506, 507, 514, 538, 915, 1055-1057, 1090, 1105 Chile 689 China 67, 689 Cincinnati (Ohio) 108 Cleveland (Ohio) 108, 112, 114, 156, 364-366, 370, 372, 403, 435 Cölln 776 Colorado 366 Connecticut 1019 Copley Square (Boston) 111, 511, 512, 1083 Daal en Berg 1096 Dammerstock 737, 744 Dänemark 143, 562, 689, 690, 828, 1001 Delagoa Bay 389 Delaware, Staat 366 Delaware River 100 Denver (Colorado) 364, 366, 372 Dessau 738, 817, 907, 908 Deutschland 4, 61, 104, 111, 114, 125, 127, 143, 160, 162, 167, 173, 174, 207, 253, 261, 276, 325, 329, 333, 342, 362, 387, 390, 412, 433, 452-454,

141, 245, 350, 457,

Standorte

461, 472, 484-486, 494-497, 507, 509, 510, 515, 523, 528, 529, 548, 556, 566, 569, 571-573, 576, 578, 579, 585, 586, 589, 596, 608, 609, 611, 627, 639, 641, 647, 655, 662, 665, 682, 689, 690, 715. 716, 735, 773, 793, 824, 830, 841, 897, 905, 907, 954, 957-959, 962, 987, 988. 1002, 1006, 1007, 1025, 1030, 1031. 1033, 1034 Dithmarschen 1091 Dorotheenstadt 199 Dortmund 748, 833, 1105 Dresden 43, 49, 141, 166, 212, 243, 418, 686. 1096 Durlach 44 Düsseldorf (s.a. Groß-Düsseldorf) 14, 41, 143. 144, 149, 153, 161, 164-170, 172, 173, 175, 177-179, 181, 182, 214, 221, 283286, 288-290, 292-297, 361, 371, 418. 560, 561, 766, 860, 1038, 1093 East Bay 381, 426, 1065, 1066 Eichkamp 745, 936, 1100 Elberfeld 258 Elsaß 579, 925 Elsaß-Lothringen 484, 579, 592 Emmendingen 32, 44 Endenich 31 England (s.a. Großbritannien) 25. 26. 65. 67. 78, 80, 89, 104, 112, 143, 183. 245, 274. 387, 433, 443. 496. 536. 689. 690. 723. 724, 781, 789, 793. 1000. 1001. 1022 Erlangen 44 Essen 273, 407, 553, 869 Europa 17, 67, 129, 167, 362, 386, 397. 406. 407. 433, 435, 438, 452. 501. 580, 611, 875, 958, 959, 1006, 1026, 1031 Fifth Avenue (New York City) 384, 392, 1081 Finnland 689 Fischtalgrund (Berlin) 715, 724, 734 Florenz 83 Forest Hill Gardens (New York City) 416 14th [Fourteenth] Street (Milwaukee) 406 Frankfurt am Main 104, 179, 240, 361. 615, 699, 711, 735, 737, 853, 1096 Franklin Street (Wyomissing Park) 425 Frankreich 24, 67, 78, 104, 245, 484. 495, 579. 605, 689, 690, 775, 778, 789, 839. 955. 959. 1001 Freiburg 736, 740 Freidorf (Basel) 555. 1094

1257

10.6.2 Orte und Standorte

Friedenau 258 Friedrichstraße (Berlin) 818, 819, 838, 1103 Friedrichswerder 199 Fuhlsbüttel (Hamburg) 240 Galveston (Texas) 392 Gendarmenmarkt (Berlin) 820, 1099 Genf 987, 988, 990-993, 1002 Golf von Mexiko 389, 390 Göteborg 16, 170, 418, 425, 451, 492, 493, 499, 504, 690, 696 Griechenland 69, 390, 453, 689, 690 Groß-Berlin (s.a. Berlin) 2, 75, 130, 137, 141, 146, 149, 150, 159, 162, 171, 177, 178, 183, 184, 234, 271, 273, 289, 290, 298, 301, 307, 312, 318, 319, 322, 344-346, 348, 453, 457, 458, 552, 555, 558, 766, 784 Groß-Chicago (s.a. Chicago) 171 Groß-Düsseldorf (s.a. Düsseldorf) 172, 285, 290 Großbritannien (s.a. England) 80, 840 Grunewald 306, 786 Gulfport (Mississippi) 389, 390 Hackescher Markt (Berlin) 202 Hagen 25, 238, 239 Haida 45, 48, 49 Halle an der Saale 44 Hamburg 161, 183, 240, 255, 257, 538, 567, 746, 853, 918, 1057, 1101 Hamilton (Ohio) 364, 366, 372 Hamilton Place (Wyomissing Park) 425 Hamm 19 Hammelburg 73, 92, 93 Hampstead 418, 423, 1090 Hannover 458, 551, 862 Hardenbergstraße (Berlin) 144, 149 Harz 680 Heidelberg 38, 43, 44, 49, 57, 58, 856, 991 Heidelheim 44 Hellerau 274 Helsinki (Helsingfors) 148, 183 Herald Square (New York City) 1088 Hermsdorf 274 Hochsavoyen 992 Hohensachsen 44 Holland (s.a. Niederlande) 25, 548, 689, 690, 703 Holland Square (Wyomissing Park) 422, 425, 1076 Holstein 57 Holweide (Köln) 26

1258

Honolulu 386 Höxter 44 Hudson River 112, 150 Humboldthain (Berlin) 1063 Husum 60 Illinois 366 Indiana 366 Indianapolis (Indiana) 364, 366, 372 Indien 689 Indochina 386 Island 689 Italien 67, 78, 191, 451, 453, 454, 457, 470, 475, 481, 689, 690, 962, 1041 Japan 689 Jena 853 Jugoslawien 689 Kaiserslautern 555, 560, 704, 711 Kalifornien 366, 372, 379, 412, 465 Kalk (Köln) 21, 26 Kansas City (Kansas) 405 Kansas Country Club (Kansas City) 423 Kapellenstraße (Wiesbaden) 39 Karlsruhe 31, 542, 736 Kassel 855 Kiel 66 Knapp Street (Milwaukee) 434 Koblenz 19, 20 Köhler (Wisconsin) 408, 1069 Köln 19, 21, 25, 151, 169, 177, 285, 560, 680, 722, 759, 869, 1099 Königinstraße (München) 86 Konnersreuth 624 Kopenhagen 61, 679-681, 743 Krefeld 285 Kurfürstendamm (Berlin) 786 La Chapelle Monnetier-Mornex 992, 1114 La Rochelle (Connecticut) 1006, 1019 Laibach (Ljubljana) 50, 51 Lake Forest (Madison) 426, 428, 1077, 1078 Lake Michigan 128, 430 Lake Wingra 426 Lakeview Plaza (Wyomissing) 1075 Lauterburg (Elsaß) 925 Le Pessac (Bordeaux) 562, 564, 1095 Lechfeld 73, 167, 168 Leipzig 170, 853, 997 Leipziger Platz (Berlin) 702, 837 Leipziger Straße (Berlin) 549, 730, 817, 836

10.6.2 Orte und

Letchworth 183 Libellenstraße (Berlin) 460 Lichtenberg 139 Lippe, Fluß 19 Lippe-Detmold 939, 954 Lissabon 868, 869 Locarno 579 London 15, 72-74, 101, 107, 148, 149, 165, 168, 170, 172, 174-176, 181, 183, 296, 341, 342, 535, 623, 680, 681, 723, 726, 766, 768, 771, 775, 778, 839, 869, 870, 874, 919, 992-994, 999, 1002, 1034 Long Island (Connecticut) 1019 Long Island Sound 1006 Los Angeles (Kalifornien) 364, 366, 416 Lothringen 579

167, 253, 685, 836, 998,

Lower Parkway (Washington Highlands) 1071, 1072 Lübeck 599 Lugano 988 Luxemburg 689 Lyon 869 Madagaskar 389 Madison (Wisconsin) 426, 427, 1078 Madrid 869 Magdeburg 20, 1100 Manchester 996, 1002 Manhattan (New York City) 107 Manila 156 Mannheim 19, 20, 22-24, 28, 31, 41, 44, 57, 996 Mar del Plata (Argentinien) 868, 871, 875 Marchstraße (Berlin) 130, 144 Marienburg (Köln) 26 Markgrafenstraße (Berlin) 500, 1087 Marokko 78, 303 Maryland 366 Massachusetts 115, 117 Melbourne 386 Messegelände (Berlin) 558, 725 Mexiko 90, 91, 366, 374 Milwaukee (Wisconsin) 15, 364, 385, 390, 395399, 401, 402, 404-407, 412-414, 416, 420, 422, 429, 433, 434, 441, 445, 1068, 1080 Milwaukee River 1068 Minneapolis (Minnesota) 364, 366, 372 Minnesota 366 Mississippi, Staat 389 Missouri 405 Mitteldeutschland 57

Standorte

Mitteleuropa 580, 622 Mittelstraße (Berlin) 460 Mittlerer Westen (Vereinigte Staaten von Amerika) 127, 397, 400, 513, 514 Mocambique 388 Montana 434 Montevideo (Uruguay) 864, 868, 874, 877 Monticello (Virginia) 438, 465 Moskau 183 Mount Vernon Avenue (Washington Highlands) 1071 München 13, 84, 86, 87, 91, 147, 148. 151, 181, 237, 329, 344, 347, 681, 686. 688, 694. 761, 840, 1009, 1113 Mundingen 44 Münsterplatz (Ulm) 542, 545 Münzstraße (Berlin) 202 Murnau 47 Neapel 453, 455-457, 471, 623 Neroberg (Wiesbaden) 39 Neuengland 117, 281 Neukölln (bis 1912 Rixdorf; s.a. dort) 14, 275. 280, 281 Nevada 374 New Jersey 1017 New Orleans (Louisiana) 390, 392 New York City 2, 17, 100, 104-110. 112, 113. 115, 122, 126, 127, 141, 150, 152, 156, 158, 161, 163, 255, 361-364. 366, 384, 392, 394, 398, 416. 433. 444, 455, 494, 503, 506, 534, 538. 553. 721. 768, 839. 857, 899, 908, 994, 1005, 1006, 10111014, 1018, 1019, 1021. 1023. 1024. 1026, 1029, 1035, 1053. 1081. 1088. 1089, 1092, 1098, 1110 New York, Staat 393, 747. 1006. 1017 Niederbarnim 139 Niederlande (s.a. Holland) 143. 1000 Nikolassee 460, 461, 470, 471, 841 Nordafrika 78 Nordamerika 4, 156, 352, 366. 412 Norddeutschland 57. 945 Nordfrankreich 494 Norwegen 143, 689, 690 Nürnberg 183. 191 Nymphenburg 426 Oakland (Kalifornien) 293, 364, 366. 375. 376. 385. 392, 397. 401. 412, 445, 876. 1039. 1066 Obercassel (Bonn) 26

1259

10.6.2 Orte und Standorte

Oberhessen 57 Ohio 366, 372 Onkel-Tom-Straße (Berlin) 724 Opernplatz (Berlin) 256, 558, 702, 778 Orbigheim 44 Österreich 48, 143, 387, 433, 485, 495, 570, 579, 593, 607, 629, 637, 689, 690, 828, 959, 987, 1001 Ostpreußen 494, 496 Ostsee 73 Pabst Farm (Milwaukee) 413, 414, 1070 Palästina 689 Panamakanal 365, 373, 375 Paris 13, 71, 74, 75, 94, 106, 148, 150, 162, 181, 194, 201, 255, 340, 341, 433, 472, 495, 548, 680, 716, 771, 775, 777, 838, 864, 869, 871, 873, 986, 988, 990-992, 998, 999, 1002, 1026 Pariser Platz (Berlin) 537, 778 Pazifik 374, 386 Pennsylvania 15, 79, 99, 104, 329, 366, 397, 404, 419, 510, 541 Pernambuco (Brasilien) 389 Persien 689 Petit Saleve 992 Philadelphia (Pennsylvania) 14, 93, 99-101,107, 112, 115, 126, 156, 189, 364, 366, 368371, 975, 1012, 1052 Pine Street (Philadelphia) 99 Pittsburgh (Pennsylvania) 107 Plankstadt 39, 44, 45 Platz der Republik (Berlin) 820, 827 Plessis-Robinson (Paris) 719 Plön 57, 59-61, 64, 70 Polen 689, 1001 Portugal 78, 689 Potempa 904 Potsdam 139, 253, 544, 596, 626, 627 Potsdamer Platz (Berlin) 836, 1092, 1105 Prag 1001, 1002, 1007, 1008 Preußen 38, 82, 197, 570, 572, 573, 575, 576, 579, 580, 593, 595, 599, 610, 643, 773, 780, 784, 787, 789, 793, 829, 865-867, 906, 917, 927, 946, 997 Prinz-Albrecht-Gärten (Berlin) 534, 537, 686 Pyrenäen 78, 877 Radburn (New Jersey) 1017 Reading (Pennsylvania) 15, 329, 404, 419, 420, 425, 496, 1002, 1073 Rhein 31, 459, 912

1260

Rheinland 14, 19, 459 Rheinprovinz 165 Rheinufer 955 Ringstraße (Wien) 495 Riviera 433 Rixdorf (seit 1912 Neukölln; s.a. dort) 139, 144, 149, 268, 272 Rochester (New York) 364, 365 Rodneystraße (Buenos Aires) 1108 Roland Park (Baltimore) 416 Rom 433, 487, 514 Rosario (Argentinien) 868, 871 Rosenthaler Straße (Berlin) 202 Rotterdam 546, 548 Rue Nansouty (Paris) 548, 1090, 1092 Ruhr 179 Rungiusstraße (Berlin) 272 Rußland (s.a. Sowjetunion) 67, 689, 690, 735, 737, 830 Saarbrücken 736 Saargebiet 955 Sachsen 300, 572, 579 Sacramento 364, 366, 372-374 Salt Lake (Salz-See; Utah) 374 San Domingo (Haiti) 618 San Diego (Kalifornien) 1083 San Francisco (Kalifornien) 71, 111, 156, 172, 364-366, 375, 377-379, 386, 397, 412 Sanary-sur-Mer 935 Sankt Petersburg 183 Sansibar (Tansania) 389 Schadowstraße (Berlin) 199 Schlachtensee 258 Schlesien 570 Schleswig, Stadt 60 Schleswig-Holstein 60 Schloßberg (Plön) 61 Schöneberg 139, 258, 273, 306, 308, 1060 Schönhauser Allee (Berlin) 324 Schuylkill River 420 Schweden 143, 494, 689, 690, 830, 838 Schweighäuserstraße (Straßburg) 85 Schweiz 17, 25, 41, 104, 616, 662, 689-691, 832, 953, 986, 987, 989, 992, 994, 1007 Schwetzingen 41 Seattle (Washington) 364, 366, 383 Seeuferstraße (Berlin) 460 Serbien 387 Shattuck Square (Berkeley) 1065 Sheboygan (Wisconsin) 407, 411 Shillington Boulevard (Wyomissing) 1079

10.6.2 Orte und

Sibirien 561 Siemensstadt 726, 815, 1103 Skagerrak 390 Skandinavien 498, 682, 840 Sophienstraße (Berlin) 70 Sowjetunion (UdSSR; s.a. Rußland) 829, 914, 916, 1023 Spandau 139, 458 Spanien 78, 689 Spittelkolonnaden (Berlin) 730, 765, 822 Spree 199 St. Francis Wood (Los Angeles) 416 St. Goar 19 St. Helena 389 Staßfurt 20, 21 Steglitz 460 Steiner Alpen 51 Stockholm 151, 156, 181, 494, 696, 719, 751, 791, 830, 838, 839, 1024, 1028, 1105, 1106 Straßburg 44, 83-86, 736 Stuttgart 92, 682, 688, 694, 697, 705-708, 710713, 715, 718, 721, 724, 734, 744, 813, 837, 838, 840, 841, 847, 922, 923, 1098, 1106, 1112 Südamerika 17, 79, 681, 764, 833, 835, 838, 849, 863, 868, 879, 881, 883, 884, 894, 897, 912, 914, 933, 975 Süddeutschland 57, 832, 945 Südosteuropa 24 Südtirol 905 Sydney 386 Syracuse (New York) 364, 365, 747, 1101 Tannenberg 576 Teltow 139 Tempelhofer Feld (Berlin) 534, 759, 790 Tennessee Valley 1023 Thüringen 253, 732 Tiergarten (Berlin) 199, 323 Tirol 191 Tokio 386 Törten (Dessau) 743, 1100 Trabener Straße (Berlin) 347 Treptower Park (Berlin) 1063 Tschechoslowakei 689, 690, 958, 959, 997, 999, 1001 Tübingen 13, 44, 853 Tunis 78 Türkei 689 Two Tree Lane (Washington Highlands) 1070

Standorte

UdSSR s. Sowjetunion Ulm 542, 545, 546, 592, 961, 985, 987 Ungarn 689, 1001 Unter den Linden (Berlin) 193, 200, 380, 533. 542, 549, 554, 558, 1093 Unterrheinkreis 20 Uruguay 689, 877 USA s. Vereinigte Staaten von Amerika Venedig 453, 455, 456, 507, 1084 Verdun 390 Vereinigte Staaten von Amerika (USA; s.a. Amerika) 1-4, 7, 13, 15, 76, 79, 80. 87, 99. 108, 110, 111, 131, 155. 158, 173, 176, 207, 210, 258, 265, 343, 352, 365, 386, 387, 389, 390, 392, 395, 397, 398, 400, 412, 439, 442, 452, 472, 486, 494, 495, 503, 510, 608, 690, 789, 793, 820, 829, 830, 840, 914, 999, 1006, 1019, 1022, 1025, 1026, 1032, 1037 Verona 721 Versailles 256, 581, 739, 946 Vierlande 255 Virginia 438, 1013 Wannsee 460 Washington (District Columbia) 105, 106, 109, 112-114, 137, 156, 173. 436, 516, 820. 1035 Washington Highlands 414, 416. 417, 419, 420, 423, 427, 1039. J070-1072 Weimar 501, 596, 714, 866, 907, 1027 Weinheim 57 Weißenhof (Stuttgart) 522, 615. 623, 682-684, 697, 700, 704. 710, 712. 714, 716. 718. 719, 724, 726, 925, 926, 1098 Weißer See 324 Weserstraße (Berlin) 1094 Westchester County (New York) 1019 Westend 784 Westfalen 680 Wien 50, 88, 150, 156, 161, 181, 210. 288. 433, 495, 555, 556, 627, 737. 772, 774, 778, 779, 840, 874. 906. 989. 1001, 1002, 1024, 1058 Wiesbaden 13. 38. 39, 43, 58. 60 Wilmersdorf 139, 149 Wilmington (Delaware) 366 Winningen 19 Wisconsin 396. 399. 426, 459 Wuppertal 25 Württemberg 24, 732

1261

10.6.2 Orte und Standorte

Würzburg 32, 736 Wyomissing (Pennsylvania) 421, 429, 431, 1075, 1076 Wyomissing Creek 420 Wyomissing Park 420, 424-426, 429, 496, 1039, 1073, 1074 Zehlendorf 460, 734 Zürich 178, 179

1262