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German Pages 189 Year 1963
ARNOLD KRÄNZLEIN
Eigentum und Besitz im griechischen Recht des fünften und vierten Jahrhunderts v. Chr.
Berliner
Juristische
Abhandlungen
unter Mitwirkung von
K a r l August Bettermann, H e r m a n n Blei, A r w e d Blomeyer, Gustav Boehmer, M a r t i n Drath, Erich Genzmer, Ernst Heinitz, Heinrich Herrfahrdt, Ernst E. Hirsch, Götz Hueck, Hermann Jahrreiß, Wolfgang K u n k e l , Richard Lange, Peter Lerche, W a l t e r Meder, Erich Molitor, Dietrich Oehler, Werner Ogris, Leo Raape, L u d w i g Schnorr von Carolsfeld, E r w i n Seidl, Klaus Stern, W i l h e l m Wengler, Franz Wieacker, Hans Julius Wolff (Freiburg!. Br.)
herausgegeben von
Ulrich von Lübtow
Band 8
Eigentum und Besitz i m griechischen Recht dee fünften und vierten Jahrhunderte v. Chr.
Von
Dr. jur. A r n o l d K r ä n z l e i n
DUNCKER &
HUMBLOT/BERLIN
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Alle Rechte vorbehalten © 1963 Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1963 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed i n Germany
Vorwort Die folgende Untersuchung wurde angeregt durch eine Bemerkung Käsers\ er halte es nicht für unwahrscheinlich, daß der Ausdruck uti frui habere possidere als Übersetzung der entsprechenden griechischen Worte nach Rom importiert worden sei. Bei den durch diese Ansicht veranlaßten Studien entstand der Plan einer monographischen Darstellung des griechischen Eigentums von den Anfängen bis zum Hellenismus. Ein derartiger Versuch fehlt bisher i n der Literatur. Beauchet 2 hat sich auf das Recht Athens beschränkt, Guiraud 3 auf das Immobiliarrecht. I n den Werken von Thalheim 4, Lipsius 5 und Vinogradoff β sind dem Eigentum nur kurze Abschnitte gewidmet, ebenso bei Dareste 7. Einzelprobleme sind behandelt von Biscardi, Hofmann, Käser, Koschaker, Leist, van Meurs, Paoli, Partsch, Pringsheim, Schönbauer, Weiss und Wolff, u m nur die wichtigsten Autoren zu nennen. Eine Gesamtdarstellung ist daher ein wissenschaftliches Bedürfnis. Als erster Abschnitt wurde die Zeit des fünften und vierten Jahrhunderts v. Chr. i n Angriff genommen. Die Frühzeit und die hellenistische Epoche bleiben späteren Untersuchungen vorbehalten. Der Arbeitsplan wurde aus mehreren Gründen so gewählt. Aus der klassischen Zeit fließen die Quellen am reichlichsten. Für die Frühzeit ist das Material nur spärlich, vor der Betrachtung der hellenistischen Epoche erscheint es zweckmäßig, zunächst die Auffassungen und Ansichten zu erschließen, welche die Griechen zu Beginn dieses Zeitabschnittes besaßen und mit i n die auf außergriechischem Boden begründeten Reiche brachten. Das Recht des fünften und vierten Jahrhunderts ist aber auch von besonderem Interesse: W i r wollen wissen, wie die Rechtsordnung aussah, unter der die griechische K u l t u r ihren Höhepunkt erreichte. Die Quellen aus jenen beiden Jahrhunderten gestatten einen besonders tiefen Einblick i n die Rechte zweier Staaten, eines i m dorischen, eines i m jonischen Siedlungsgebiet, eines aus dem Anfang des gewähl1 2 3 4 5 6 7
SZR 68/135. Histoire du droit privé de la république Athénienne. L a propriété foncière en Grèce jusqu'à la conquête Romaine. Lehrbuch der griechischen Rechtsaltertümer 4 ·, insbesondere 56 ff. Das attische Recht u n d Rechtsverfahren, v o r allem 674 ff. Outlines of historical jurisprudence I I 197 ff. Études d'histoire d u droit. Deuxième Série S. 76 ff.
6
Vorwort
ten Zeitabschnittes 8 mit deutlichem Übergangscharakter, eines mit Quellen vorwiegend aus der Mitte und der zweiten Hälfte des Zeitraums und dem augenfälligen Gepräge eines entwickelten Rechts: Gortyn und Athen. Es wäre verfehlt, als ersten Arbeitsabschnitt eine Epoche zu wählen, die uns die Benutzung der Quellen aus jenen griechischen Staaten, deren Rechte w i r am besten kennen, verwehrte. Das Recht der klassischen Zeit mußte daher notwendig der Ausgangspunkt sein. Mein besonderer Dank gilt meinen hochverehrten Lehrern, Prof. Dr. E r w i n Seidl und Prof. Dr. Erich Berneker. Prof. Seidl verdanke ich die Liebe zu den Rechten der Antike und die Einführung i n die Interessenjurisprudenz, Prof. Berneker lenkte meine Aufmerksamkeit auf das Recht Altgriechenlands und regte die Beschäftigung m i t dem Eigentum an. Für seine unermüdliche Förderung der Arbeit b i n ich i h m zutiefst verbunden. Den Herren Professoren Dr. Erich-Hans Kaden, Dr. Max Käser und Dr. Hans Julius Wolff verdanke ich viele wertvolle Anregungen. Herr Prof. Dr. Ulrich von Lübtow hatte die Güte, die Abhandlung i n seine „Berliner Juristischen Abhandlungen" aufzunehmen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat den Druck durch eine großzügige Druckbeihilfe ermöglicht. Der Verlag Duncker & Humblot zeigte großes Entgegenkommen gegenüber dem noch unerfahrenen Autor. Auch ihnen allen danke ich an dieser Stelle. Arnold Kränzlein
Vgl. Guarducci IC IV Nr. 72 S. 126.
Inhaltsverzeichnis § 1.
Wurden
Eigentum
und Besitz unterschieden?
§ 2.
Spiegelt sich der Unterschied
in der Sprache wider?
11 13
1. Verben S. 13 — 2. Substantive S. 21 — 3. A d j e k t i v e S. 24 — 4. Pronomina S. 27 — Zusammenfassung S. 28.
I . Das Eigentum § 3.
Der Begriff
§ 4.
Die Eigentumsfähigkeit Fremde S. 38 — Unfreie S. 40 — Frauen S. 45 — K i n d e r S. 46.
38
§ 5.
Die Befugnisse des Eigentümers Eigengebrauch S. 47 — Überlassung an andere S. 47 — Vermietung u. Verpachtung S. 48 — Erbpacht S. 49 — Verbrauch S. 50 — V e r äußerung S. 51.
47
Die Beschränkungen
53
§ 6.
und die möglichen
Gegenstände des Eigentums
des Eigentums
31
I. Grundeigentum: Unentgeltliche Verfügungen S. 53 — Entgeltliche Verfügungen S. 53 — Nutzungsbeschränkungen: Verbot des Fällens von ö l b ä u m e n S. 56 — Beschränkung des Rechts an der eigenen Ernte S. 57 — Zwischenraumrecht S. 58 — Beschränkungen bei der Aufstellung von Bienenkörben S. 61 — D u l d u n g der Jagdausübung S. 62 — D u l d u n g der Begehung S. 63 — D u l d u n g der Wasserentnahme S. 65 — D u l d u n g von Wassergräben i n fremdem Interesse S. 66 — D u l d u n g des Verzehrs hängender Früchte S. 67. I I . Bewegliche Sachen S. 67. Ergebnis S. 69. § 7.
Erwerb und Verlust des Eigentums I. E r w e r b herrenloser Sachen: Fischfang S. 71 — Eigentumserwerb nach Uferrecht S. 73 — E r w e r b des Eigentums an Früchten S. 75. I I . Erwerb m i t W i l l e n des bisherigen Eigentümers: E r w e r b durch K a u f S. 76 — E r w e r b durch Pfandverfall S. 82 — Eigentumserwerb durch Schenkung S. 91 — Der E r w e r b durch Erbgang S. 94 — A. A t h e n S. 94 — B. Gortyn S. 100 — Eigentumsverlust durch Antidosis S. 102. I I I . Erwerb ohne Zustimmung des bisherigen Eigentümers: E r w e r b des Eigentums an einem Bienenschwarm S. 103 — E r w e r b durch Verbindung, Vermischung u n d Verarbeitung? S. 104 — Das Eigent u m am „ F u n d " S. 104 — Eigentumserwerb an der Kriegs-
71
8
Inhaltsverzeichnis beute S. 108 — E r w e r b durch Raub S. 110 — Erwerb v o m Nichtberechtigten? S. 113 — Eigentumserwerb u n d -verlust durch προθεσμία S. 118 — Verlust des Eigentums durch Konfiskation S. 123 Eigentumsverlust durch Enteignung S. 127.
§ 8.
Das Mehrheitseigentum
130
Solidarisches M i t e i g e n t u m S. 130 — M i t e i g e n t u m nach Bruchteilen S. 134 — Eigentum v o n Personenvereinigungen S. 136. § 9. Der Schutz des Eigentums 138 A b w e h r v o n A n - u n d Eingriffen S. 138 — Schutz gegen unbefugte Vorenthaltung S. 139 — Verlust des Schutzes S. 143. I I . Der Besitz § 10. Das Verbot des αγειν i m Recht von Gortyn
147
§ 11.
Die Zuweisung
155
§ 12.
Der Besitz im Recht von Athen 159 Αγειν u n d Streit u m den Zwischenbesitz i n A t h e n S. 159 — D i a d i kasia S. 165 — Die δίκη έξούλης — eine Klage aus dem Besitz? S. 166 — Besitzschutz des Bergwerkspächters? S. 167 — Ergebnis S. 168.
des Zwischenbesitzes
in Lokroi
v
Literaturverzeichnis
169
Quellenregister
181
Sachregister
187
Verzeichnis der verwendeten gebräuchlichen Abkürzungen für Zeitschriften, Quellenausgaben und Hilfsmittel
AHDO
=
Archives d'histoire d u droit oriental, Bruxelles/Paris
Cauer-Schwyzer
=
Dialectorum Graecarum exempla epigraphica potiora, Leipzig 1923
Dittenberger, Sylloge
=
Sylloge inscriptionum Graecarum a Guilelmo D i t t e n bergero condita et aucta, 3. Auflage Leipzig 1915—21
DS
=
Dictionnaire des antiquités Grecques et Romaines ed. Daremberg-Saglio, 3. Auflage Paris 1881—1919
GDI
=
Sammlung der griechischen Dialekt-Inschriften Collitz-Bechtel, Göttingen 1884—1915
IC
=
Inscriptiones Creticae, Roma
IG
=
Inscriptiones Graecae, B e r l i n
ed.
Liddel-Scott
=
A Greek-English Lexicon, 9. Auflage Oxford 1951
Michel
=
Recueil d'inscriptions Grecques, Bruxelles 1900—1927
Recueil
=
Dareste-Haussoulier-Reinach: Recueil des inscriptions juridiques Grecques, Paris 1895—1898
RE
=
Paulys Realencyclopädie der classischen A l t e r t u m s wissenschaft, neue Bearbeitung von W i s s o w a - K r o l l Mittelhaus, Stuttgart
REG
=
Revue des études Grecques, Paris
RHD
=
Revue historique de droit français et étranger, Paris
RIDA
=
Revue internationale des droits de l'antiquité, Bruxelles
SZR
=
Zeitschrift der Savigny-Stiftung f ü r Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung, Weimar
SDHI
=
Studia et Documenta historiae et iuris, Roma
SEG
=
Supplementum epigraphicum Graecum, Leiden
§ 1. Wurden Eigentum und Besitz unterschieden? Die für das Thema gewählte Formulierung „Eigentum u n d Besitz" ist nur gerechtfertigt, wenn die Griechen der hier behandelten Zeit auch wirklich zwischen dem R e c h t zum Haben einer Sache und der T a t s a c h e des Bestehens einer Sachgewalt unterschieden haben. Dies zu untersuchen muß daher die erste Aufgabe sein. Die wichtigste Quelle i n diesem Zusammenhang ist Demosth. 1 V I I 26. Der Sprecher der Rede setzt sich i n diesem Teil seiner Ausführungen mit der Ansicht Philipps, er sei der rechtmäßige Herr von Amphipolis — Ά . έαυτοΰ είναι —, und der dafür angeführten Begründung — υμάς γαρ ψηφίσασθαι εκείνου είναι, οτ9 έψηφίσασθε ε χ ε ι ν α υ τ ό ν α ε ί χ ε ν — auseinander. Er legt dar, daß sich aus dem Volksbeschluß, den Philipp meine, weder die Übertragung noch die Anerkennung des Eigentums an Amphipolis ergebe; denn εστι εχειν και τάλλότρια, και ούχ απαντες οι εχοντες τα άυτών εχουσιν, άλλα πολλοί και άλλότρια κέκτηνται. Der Sinn dieser Erörterung der Bedeutung von εχειν ist klar: Philipp soll als Besitzer fremden Gutes hingestellt werden, als Herr über eine i h m nicht gehörende Polis. Der Redner unterscheidet also genau zwischen dem Besitzen und dem Gehören, zwischen der tatsächlichen Gewaltausübung und dem Recht. Ja, w i r können sogar noch weitergehen. Die Athener hatten, wie der Sprecher nicht leugnen kann, i m Friedens vertrag dem Fortbestand des makedonischen Besitzes zugestimmt, wenn auch unter dem Druck der militärischen und politischen Lage. Philipps Lage war daher mit der eines Räubers oder Diebes nicht vergleichbar. Sein Besitz war anerkannt, er besaß i n gewissem Sinne berechtigt. Das zeigt uns, daß die Griechen nicht jede berechtigte Sachherrschaft als Eigentum auffaßten, sondern auch innerhalb des berechtigten Besitzes zwischen dem Haben fremder und eigener Sachen unterschieden. Auch i n anderer Hinsicht ist diese Stelle von Bedeutung. Nach der A n sicht Käsers 2 war das griechische Eigentum „das bessere Recht zum Besitz i m Verhältnis zu einem konkreten Gegner". I n der vorliegenden Rede ist eine andere Auffassung deutlich erkennbar. Das bessere Recht zum Besitz hat auf Grund des Zugeständnisses der Athener i m Friedens1 Die Echtheitsfrage w i r d bei den einzelnen Reden i m Folgenden n u r ber ü h r t , soweit sie f ü r die Auslegung v o n Bedeutung ist. 2 Detention 25, SZR 64/136 ff.
12
§ 1. Wurden Eigentum u n d Besitz unterschieden?
vertrag unzweifelhaft der Makedone. Trotzdem ist er nach Meinung des Redners nicht Eigentümer. Die Auffassung des Sprechers vom Eigent u m war sonach offensichtlich nicht die eines besseren Rechts zum Besitz. Für ihn konnten vielmehr Eigentum und besseres Recht zum Besitz auseinanderfallen. Die Stelle spricht daher gegen die Anschauung Käsers. Auch i n dem Fragment 3 des Theophrastos über den Kauf w i r d zwischen dem Erwerb des Rechts und der Erlangung der tatsächlichen Gewalt unterschieden. Ώνή und πρασις sind κυρία εις την κτήσιν, wenn der Kaufpreis bezahlt ist und die Publizitätsvorschriften erfüllt sind (§ 4). Daß der Käufer die Sache i n seine Gewalt bekommen haben muß, ist nicht bestimmt. Für den „Erwerb" ist das sonach ohne Bedeutung, erworben w i r d nicht die Sache, sondern ein Recht, eben das Eigentum 4 . Die Erlangung der tatsächlichen Gewalt kann, wie sich aus § 7 des Fragments ergibt, vorangegangen sein oder nachfolgen 5 . Für den Eigentumserwerb ist sie unwesentlich. Auch Theophrastos unterscheidet somit deutlich zwischen dem Haben der Sache und der Innehabung des Rechts. Diese Beispiele mögen zum Beweise dafür genügen, daß die Griechen das Eigentum als ein Recht von der Tatsache des Bestehens einer Herrschaft über Sachen unterschieden haben®.
3
Περί συμβολαίων. Pringsheim L a w 139. 5 Vgl. Pringsheim L a w 140. 6 So auch Simonétos Festschrift P. Koschaker I I I 175, Käser Detention 24, Pringsheim L a w 11 f., Jones 201. 4
§ 2. Spiegelt sich der Unterschied in der Sprache wider? Als nächstes ist zu untersuchen, ob diese Unterscheidung einen Niederschlag i m Sprachgebrauch gefunden hat. Dafür sind zu überprüfen: 1. Die Verben des Habens, Besitzens, Nutzens und Gehörens, 2. die Substantive, welche a) eine Person als Herren einer Sache und b) Personen und Sachen als Objekt der Herrschaft eines Rechtssubjekts bezeichnen, 3. die Adjektive und 4. gewisse Pronomina, welche die Zugehörigkeit einer Sache zu einer Person ausdrücken. Bei den V e r b e n ist zu untersuchen, ob sie nur das Bestehen einer tatsächlichen Machtlage zum Ausdruck bringen oder zugleich erkennen lassen, ob der Machthaber zum Besitz berechtigt ist oder nicht. Die unter 2a gehörenden S u b s t a n t i v e sind besonders darauf anzusehen, ob sie den Herren als Eigentümer bzw. Berechtigten anderer A r t oder nur als Inhaber der tatsächlichen Gewalt charakterisieren. Die unter 2 b zu betrachtenden Wörter sollen Antwort auf die Frage geben, ob die Griechen i n jener Zeit Hauptwörter derart gebraucht haben, daß sich bereits aus dem gewählten Wort erkennen ließ, ob i m Eigentum stehende Sachen gemeint waren. Das gleiche gilt für die
Adjektive.
Bei den P r o n o m i n a kommt es darauf an, ob aus der Bezeichnung einer Sache als mein, sein, unser usw. auf die Rechtsnatur der Sachbeziehung geschlossen werden konnte. 1. Verben "Εχειν, κατέχειν Für die Bedeutung von εχειν ist Demosth. V I I 26 die wichtigste Quelle. Wie w i r gesehen haben 1 , ergibt sich aus dieser Stelle, daß εχειν nicht nur die Sachherrschaft desjenigen bezeichnen kann, der eigene Sachen i n 1
s.o. S . l l .
14
§ 2. Spiegelt sich der Unterschied i n der Sprache wider?
Händen hat, sondern auch für die Sachgewalt über fremdes Vermögen gebraucht wurde. Ein Blick auf andere Quellen der Zeit bestätigt dies. So bedeutet εχειν die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über f r e m d e Sachen beispielsweise an folgenden Stellen: Demosth. X X I V 8: Demosth. X X V I I 1 5 :
Isaios V I I I 40:
Isaios I V 22: Isaios V I I 39: Syll. 3 46 Z. 39:
öffentliches Vermögen i n fremden Händen. Aphobos hat das Vermögen der Mutter des Demosthenes i m Besitz, obgleich er sie nicht, wie i m Testament ihres früheren Ehegatten bestimmt worden war, geheiratet hatte. Aus den Ausführungen des Sprechers ergibt sich, daß er den Besitz des Diokles als nicht rechtmäßig hinstellen will, τα άλλότρια εχειν. τά άλλότρι' εχειν. Hermapis ist i m Besitz eines Grundstücks, dessen Eigentümer Alexis ist 2 .
Die berechtigte Innehabung einer Sache als e i g e n finden w i r in folgenden Stellen durch εχειν ausgedrückt: Isaios 128: Isaios I I 27: Demosth. X X X V 4:
Erbe nach Teilung der Erbschaft. Stellung einer zu Lebzeiten adoptierten Person zu den Sachen des Erblassers nach dem Erbfall. Der Sprecher behauptet, Lakritos besitze das Vermögen seines verstorbenen Bruders und hafte als Erbe für dessen Schulden. Ob der Sprecher i n seinen Ausführungen die Rechtslage richtig darstellt, ist i n diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung; es genügt für unseren Zweck, daß er die Meinung vertritt, Lakritos sei Erbe, also Ausdrücke gebraucht, welche die Sachherrschaft eines Erben bezeichnen können.
Lysias X V I 1 0 :
Nachlaßbesitz eines Erben nach Teilung mit dem Miterben.
Syll. 3 1097 Z. 10:
Recht des Zeitpächters auf Mitnahme bestimmter Sachen nach Pachtende3. Rechtsstellung eines Erben nach Erbteilung und eines Hypothekengläubigers, offenbar nach Pfandverfall 4 .
Syll. 8 1200:
2
Vgl. die Anmerkungen 9 u. 10 zu der Inschrift. "Απεισιν εχων τα ξύλα κ α ι . . . Vgl. Hitzig Pfandrecht 85, Pappulias 129 f., Raape Verfall 6, Fine 72, Finley 205, 12. 3
4
§ 2. Spiegelt sich der Unterschied i n der Sprache wider?
Xenophon K y r . Anab. V I 1,17 und K y r . Paid. IV1,20: Besitz der Soldaten an der Beute. Aristot. Ath. Pol. 56,2: Bekanntmachung des Archon beim Amtsantritt über den Schutz des Besitzstandes während seiner Amtsdauer. Είχεν kann hier nur die berechtigte Sachherrschaft bedeuten, allerdings auch über fremde Sachen, etwa auf Grund eines Mietvertrages; denn es kann nicht angenommen werden, daß der Archon auch den unbefugten Besitzer schützen wollte. Einen hinsichtlich der Berechtigung zum Haben der Sache völlig n e u t r a l e n Sprachgebrauch können w i r gleichfalls aufzeigen: Isaios X 24: Gegenstand des Prozesses, auf den sich die vom Sprecher erwähnte Rechtsregel bezieht, ist das Eigentum an einem Grundstück. "Εχοντα kann daher nur die Partei meinen, die während des Rechtsstreits das Grundstück besitzt, ohne daß dabei zum Ausdruck gebracht werden soll, ob der Besitz berechtigt ist oder nicht 5 . Platon Nomoi X I 915 D:
Έχων bezeichnet hier eine Person, die eine Sache besitzt, welche ein anderer als sein Eigentum in Anspruch nimmt®.
Aus der neutralen Bedeutung erklären sich auch die zahlreich zu beobachtenden erläuternden Zusätze: Demosth. X L I I I 67:
εχειν τα μή προσήκοντα . . . άδίκως εχειν.
Demosth. X L I V 11:
οΰτοι εχοντες ού δικαίως τα χρήματα,
Isaios V I I 37:
προσηκόντως εχειν.
Isaios V I I I 2:
εχουσι βιασάμενοι.
Isaios X 4:
άδίκως εχοντες.
Isaios X 8:
τφ μή δικαίως εχοντι . . . παρά το δίκαιον εχειν.
Isaios X 11:
παρανόμως και άσελγώς εχειν.
Isaios X 15:
ού προσηκόντως εχουσι.
Isaios X I 12:
κατά τους νόμους έχοντος.
Wir können somit zusammenfassend feststellen: Έχειν bedeutet lediglich „haben". Uber die Berechtigung des Habenden sagt es nichts aus. Es kann sowohl die Sachgewait eines Eigentümers als auch eines nicht 5 e
Vgl. Wyse Isaios 668, Lipsius A t t . R. 675, Käser SZR 64/185, Fine 79. Vgl. Schönbauer SZR 62/291.
16
§ 2. Spiegelt sich der Unterschied i n der Sprache wider?
rechtmäßigen Besitzers bezeichnen7. Was die Intensität der Herrschaft anbelangt, so zeigt eine Stelle i m Theaitetos Piatons 8 , daß εχειν nicht nur das unmittelbare In-der-Hand-Haben — wer einen Mantel anhat® —, sondern auch die Machtlage dessen bezeichnen kann, der eine Sache so i n seinen Herrschaftsbereich eingegliedert hat, daß er sie zwar nicht ständig mit sich führt, aber jederzeit die unmittelbare Herrschaft herstellen kann — wer wilde Vögel i n einem Käfig auf seinem Grundstück hält 1 0 . Doch dürfte diese Unterscheidung juristisch regelmäßig nicht von Bedeutung gewesen sein. Ein wesentlicher Unterschied zwischen εχειν und κ α τ έ χ ε ι ν scheint nicht bestanden zu haben. Auch κατέχειν bedeutet „haben" 1 1 , „ i n seinen Besitz bringen". W i r finden es gebraucht i n Fällen berechtigter (Demosth. X X X I I I 6) und rechtswidriger (Isaios V I I I 42) Innehabung. Ein völlig neutraler Gebrauch begegnet bei Demosth. X L V 64. M i t κατέχειν ist άδίκως i n Demosth. X X V I I I 22 verbunden, ein Beispiel für eine die Berechtigung anzeigende Beifügung vermag für jene Zeit nicht genannt zu werden. Vielleicht lag daher i n κατέχειν von Natur aus ein positiver Klang, ein Anzeichen für eine Berechtigung zum Haben 12 . Νέμεσθαι w i r d i n jener Zeit i n bezug auf den Besitzer gebraucht, der eine Sache besitzt und nutzt 1 3 . I n Syll. 3 45 Z. 22 ff. bezeichnet es den Besitzer eines Grundstücks oder Hauses, der von einem Nichtbesitzer verklagt w i r d — ήν δέ τις ύστερον έπικαλήι . . . ορκον είναι τώι νεμομένωι τήγ γήν ή τα οικία. Über die Berechtigung des Besitzers sagt νέμεσθαι hier nichts aus, gemeint ist allein die Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft. Auch i n Syll. 3 364, dem sogenannten Notstandsgesetz von Ephesos, Z. 75 ff. bezeichnet νέμεσϋαι den Besitz 14 . Es w i r d vom Schuldner eines hypothekarisch gesicherten Darlehens gebraucht, und zwar sowohl i n Fällen, i n denen eine Embateusis noch nicht stattgefunden hatte, als auch dann, wenn der Schuldner nach vollzogener Embateusis vom Volk wieder i n den Besitz gesetzt worden war 1 5 — νεμομένων των δεδανεισμένων (79), των δανεισαμένωγ καί νεμομένων (81), νεμόμενοι τα κτήματα (85). Aber es werden auch Gläubiger erwähnt, die εμβάντες εις κτήματα κατά πράξεις εχουσιν τά 7
Ebenso Käser Detention 27, Fine 75. 197 Β—D. 9 197 Β. 10 197 C/D. 11 van Meurs 16, Partsch Schriftformel 22, Käser Detention 27. 12 I m 2. Jhdt. v. Chr. hat κατέχειν vielleicht überhaupt „berechtigt besitzen" bedeutet. Vgl. Käser Eigentum und Besitz 346. 13 Vgl. van Meurs 16. 14 Raape V e r f a l l 8. 15 Vgl. Partsch Bürgsch. Recht 263. 8
§ 2. Spiegelt sich der Unterschied i n der Sprache wider?
κτήματα και νέμονται (76). I n diesem Falle wäre allerdings denkbar, daß νέμεσθαι „berechtigt besitzen" bedeutet. Doch ist es nicht wahrscheinlich, daß i n einem Gesetz, welches den Zweck hatte, die infolge der Kriegsgesetzgebung nicht abgewickelten Schuldverhältnisse aus Darlehen zu regeln, die Berechtigung zum Besitz besonders betont worden ist, zumal dieser, soweit w i r das dem Gesetz entnehmen können 16 , keine besondere Bedeutung zukam. Die Ansicht Raapes17, εχειν bedeute i n dem von den Gläubigern gesagten εχουσιν και νέμονται, daß die Gläubiger Eigentümer seien, dürfte daher kaum zutreffen 18 . Schon nach der sonst zu beobachtenden Bedeutung von εχειν19 ist das unwahrscheinlich. I m übrigen gibt es m. E. eine befriedigende andere Erklärung. Die gesetzliche Bestimmung, zu deren Tatbestand die Worte gehören, gilt nicht ausnahmslos. Die εμβάσεις sollen nämlich nicht κυρίας είναι, wenn die Beteiligten etwas anderes vereinbart hatten 20 . Das kann nur bedeuten, die Grundstücke sollen nicht den Gläubigern vollständig und endgültig gehören, wenn sie diese den früheren Besitzern ganz oder teilweise wieder überlassen hatten. Dann soll es bei den vertraglichen Vereinbarungen verbleiben. Das ist um so wahrscheinlicher, als einige Zeilen später 21 der umgekehrte Fall — freiwillige Überlassung vom Schuldner an den Darleiher ohne Embateusis — geregelt ist. Auch für derartige Fälle soll nicht das Gesetz, sondern die Parteivereinbarung gelten. Das εχειν hat daher meiner Überzeugung nach nur die Bedeutung eines verstärkenden Hinweises darauf, daß das Gesetz nur dann gelten soll, wenn die Darleiher noch i m Besitz des gesamten Sicherungsobjekts sind 22 . So bestätigt auch diese Inschrift, daß νέμεσθαι besitzen bedeutet, ohne über die Berechtigung des Besitzers etwas auszusagen. Bei den Rednern kommt das Wort i n der Bedeutung „nutzen", „besitzen" nicht vor. Κρατεΐν bringt die Macht einer Person über eine Sache oder andere Personen zum Ausdruck. Diese Macht kann auf nackter Gewalt beruhen 23 , aber 16 Entgegen den Kriegsgesetzen vorgenommene εμβάσεις waren rückgängig gemacht worden und hatten keine nachteiligen Folgen für die Gesetzesübertreter. 17 a . a . O . 7/8. 18 Vgl. die K r i t i k von Bruck SZR 33/556. 19 S.O.S. 13if. 20 Ζ. 77. 21 Ζ. 85 f. 22 Daher dürfte auch die Ansicht Thalheims, Rechtsaltertümer 164, A n m . zu Z. 75 ff., daß παγκτησία die Quantität, nicht die Qualität meint, richtig sein. Α. A. zuletzt Koschaker SZR 58/256. 23 Xenophon Apomnem. I I 7, 2.
2 Kränzlein
18
§ 2. Spiegelt sich der Unterschied i n der Sprache wider?
auch durch Urteil zugesprochen werden 24 . Sie kann i n körperlicher Sachherrschaft 2 5 bestehen, aber auch als Recht eines Nichtbesitzers i n Erscheinung treten, wie i n Demosthenes X L I X I I 2 8 . Wenn es hier heißt: ή μέν γαρ ουσία ύπόχρεως ήν απασα, και δροι αυτής εστασαν, και άλλοι εκράτουν, so ist damit sicher nicht Besitz der Gläubiger gemeint. Denn wie der Sprecher berichtet, handelte es sich neben einem Apotimema um eine dingliche Sicherung für sechzig Gläubiger, denen Timotheos je sieben Minen schuldete. Daß diese Personenmehrheit das Grundstück gemeinsam besaß und nutzte, ist kaum wahrscheinlich, ebensowenig aber, daß sie sich auf die Ausübung der Nutzung durch einige von ihren Mitgliedern geeinigt hatte. Es kommt hinzu, daß Timotheos nach den Angaben des Sprechers später die Horoi entfernt hatte. Das wäre ihm kaum möglich gewesen, wenn er nicht selbst Besitzer war. M i t dem έκράτουν dürfte daher eine Macht gemeint sein, die sich zwar des Sicherungsobjekts noch nicht physisch bemächtigt hat, aber über i h m schwebt. Ihre Realisierimg erfolgt durch den Zugriff, κρατεΐν bedeutet daher hier „ein Zugriffsrecht haben" 27 . I m selben Sinne findet sich κρατεΐν wohl gebraucht bei Demosthenes X L V I 20 28 und Isaios Χ 1229. U m die genaue Bedeutung von κρατεΐν i n den Fällen zu erfassen, i n denen eine physische Sachherrschaft bereits besteht, gehen w i r am besten von der i m Wortlaut durch Aristoteles 30 überlieferten Proklamation des Archon 3 1 aus: δσα τις είχεν πριν αυτόν είσελθεΐν εις την αρχήν ταΰτ5 εχειν και κρατεΐν μέχρι αρχής τέλους. Denn auf Grund des Alters dieser Proklamation 3 2 dürfen w i r annehmen, daß uns i n ihr am ehesten der reine ursprüngliche Sprachgebrauch von κρατεΐν entgegentritt. Die Erklärung garantiert den Fortbestand allen Habens; jeder soll während des Amtsjahres des Archon „haben" und „stark, mächtig sein". M i t κρατεΐν sind sicher nicht die Befugnisse des Habenden über den Gegenstand, den er „hat", gemeint; denn die Möglichkeiten des „Habens" sind so zahlreich — 24
Polybios X I I 16,4. Demosth. X X X V I I 1 0 . 26 Z u der Stelle Fine 67 ff., Wolff Festschr. Rabel I I 296,12 u n d die dort Zitierten. 27 iSo auch Wolff RE X X I I I 148 u. Festschr. Taubenschlag I 364. 28 Νόμος : Και εάν έξ έπικλήρου τις γένηται, και αμα ήβήση έπί δίετες, κρατεΐν των χρημάτων, τόν δέ σΐτον μετρεΐν τη μητρί. 29 Κατά τον νόμον δς ουκ έα των της έπικλήρου κύριον είναι, αλλ' ή τους παΐδας επί, δίετες ήβήσαντας κρατεΐν των χρημάτων. 30 A t h . Pol. 56, 2. 31 Später Α. Eponymos genannt. 32 Lipsius A t t . R.: „ E i n Rudiment aus älterer Zeit" (S. 58). Nach dem zustimmenden Bericht Pappulias' von Photiades auf Solon zurückgeführt. F ü r vorsolonisch gehalten v o n v. Wilamowitz (Pappulias SZR 27/360 ff.) u n d Wolff Beiträge 84,220 ( = Traditio I V [1946] 82, 229). 25
§ 2. Spiegelt sich der Unterschied i n der Sprache wider?
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Eigenes und Fremdes, Personen und Sachen, Geliehenes und als Pfand Erhaltenes, Geld und Forderungen —, daß die gleiche Befugnis kaum jedem εχων zugestanden haben kann. Κρατείν muß sich vielmehr auf das Verhältnis des Habenden zur Umwelt beziehen, er soll haben und stark sein, andere sollen nicht mächtiger sein, d. h. seinen Besitz nicht stören und nicht entziehen dürfen. Die Proklamation verspricht Schutz vor unberechtigter Selbsthilfe 33 . Die Bedeutung von „Macht haben", „stark sein" (auch i m Sinne von „stärker sein") hat κρατείν bis i n die klassische Zeit bewahrt. So zeigt die Verknüpfung von εχειν und κρατείν bei Isaios V I I I 2, daß die Gegner des Sprechers derzeit die Macht über den Nachlaß des K i r o n ausüben. Das βιασάμενοι weist dabei darauf hin, daß sie die Gewalt über den Nachlaß nicht auf rechtmäßigem Wege erlangt hatten. Bei Demosthenes X X X V I I 10 läßt das εχειν και κρατείν den Euergos als den derzeitigen alleinigen Gewalthaber erkennen, ähnlich § 14 derselben Rede. I n Syll. 3 93 Z. 34 bezeichnet κρατείν die Machtstellung eines Pächters. Die auf drei Horoi 3 4 vorkommende Klausel ωστε εχειν και κρατείν . . . κατά συνθήκας . . . meint eine zukünftige 3 5 physische Sachherrschaft. Κρατείν bedeutet daher i n diesen Fällen wieder ein Zugriffsrecht 36 . Auch κρατείν ist sonach kein Eigentumsterminus, sondern bezeichnet eine Machtlage 37 , die auch der Nichteigentümer haben kann, wie ζ. B. bei Polybios X I I 16,4, wo der Zwischenbesitz während des Eigentumsstreits gemeint ist. Κεκτήσθαι I n der oben 88 besprochenen Stelle Demosth. V I I 26 w i r d κεκτήσ&αι gleichbedeutend m i t εχειν gebraucht, und zwar i n Beziehung auf das Haben fremder Sachen: άλλότρια κέκτηνται. Die gleiche Verbindung findet sich bei Isaios V 8. Allein kommt κεκτήσθαι häufig vor: Demosth. X I V 25, X X I 159, X X I I 75, X X X 2.28. I n allen diesen Fällen bedeutet es eine Herrschaft über Güter, die der κεκτημένος berechtigt als sein i n Händen hat. Ebenso i n Lysias X V I I I 2 0 , ähnlich Syll. 3 282 Z. 15. I n der Inschrift Syll. 3 332 Z. 12 ff. werden die vererblichen Rechte des von einem Diadochenfürsten Beschenkten folgendermaßen bezeichnet: κυρίοις οΰσι κεκτήσθαι και άλλάσσεσϋαι και άποδόσϋαι. Hier bedeutet κ. etwa „behalten", „selbst besitzen". 33
Wolff a. a. Ο. 82. Finley Nr. 1, 2 u. 10. 35 Wolff SZR 70/423, La Pira Bullettino X L I 310 f., Arangio-Ruiz Archivio Giuridico X X I I I 248/9, Hitzig Pfandrecht 9, a. A . Finley 12, Lipsius A t t . R. 697 f. 36 Vgl. Wolff a. a. O. 37 Vgl. Finley 204, 11 : to have power; dazu Wolff Festschrift Rabel I I 296,12. 38 S.ll. 34
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Ähnlich ist die Bedeutung i n I G X I I 5 Nr. 572. Hier werden die Rechte der Verpächter bei Nichtbezahlung des Pachtzinses wie folgt ausgedrückt: κύριοι εστωσαν τρόπον δν αν βούλωνται και αποδιδόμενοι καί μισθοΰντες και κεκτημένοι το χωρίον (Ζ. 8 ff.). Es soll ihnen also freistehen, das Grundstück zu veräußern, anderweitig zu verpachten oder selbst i m Besitz zu behalten. I n Syll. 3 167 Z. 25 lesen w i r : εκτήσθαι κυρίως τοις πριαμένοις, d. h. die Sachherrschaft der Käufer soll unangreifbar sein. I n Syll. 3 279 w i r d eine Überprüfung angeordnet, ob jemand Staatsland unberechtigt i n Besitz genommen hat. Wenn sich ein Betroffener mit der Behauptung verteidigt, er habe von der Polis κυρίως erworben, soll eine Diadikasie stattfinden 39 . Stellt sich i n diesem Verfahren heraus, daß er μή ορθώς κεκτημένος (Ζ. 20 f.), verfällt er i n eine Strafe des eineinhalbfachen Grundstückswertes. Die Worte μή ορθώς drücken also die Nichtberechtigung aus. Einen ausdrücklichen Hinweis auf den mangelnden Rechtsgrund finden w i r auch bei Isaios V 44: κεκτήσθαι α σοι ουδέν προσήκε. Unrechtmäßiger Erwerb ist auch bei Demosth. X L V 80 gemeint, doch geht dies nur aus dem Zusammenhang hervor. Diese Verschiedenheit des Sprachgebrauchs — zu nennen wäre auch noch das häufige κεκτήσθαι όυσίαν40 — läßt erkennen, daß κεκτήσθαι ebenso wie εχειν über die Berechtigung des Habenden nichts aussagt. Unrichtig ist daher die Ansicht Fustel de Coulanges' 41, κεκτήσθαι bezeichne „la vraie et complète propriété". Richtig dagegen Kubier 42 und van Meurs 43. Είναι w i r d zur Bezeichnung der Zugehörigkeit einer Sache zu einer Person häufig mit dem genitivus 44 und dativus 4 5 possessionis gebraucht. Diese Zugehörigkeit k a n n zivilrechtliches Eigentum sein 48 , so daß mit Recht gesagt worden ist 4 7 , είναι τινός könne das Eigentum bezeichnen. Dem steht Demosth. X X V I I I 18 nicht entgegen, wo der Redner über die von i h m verpfändeten Teile seines Vermögens τών ύποθεμένων εστίν sagt 48 . Denn einmal kann es sich um eine Sicherheitsbestellung in Form 39
Vgl. Käser SZR 64/180, Schönbauer Rechtseinrichtungen 16 f. Lys. X X I V 11, Isaios V I I I 35, Demosth, X X V I I I 2, X X I X 24.60, X X X 33, X X X V I 57, X X X V I I I 7, X L 24.25, I L 67, Aristot. Pol. I I 6 S. 1270 a. 41 Recherches sur le droit de propriété chez les Grecs 655. 42 SZR 16/347 u. 28/203. 43 a . a . O . 16. 44 Vgl. ζ. B. Isaios I X 1. 3, Demosth. V I I 39. X V I 17, X V I I I 150. L I I I 11.14. L I X 108, Xenophon K y r o u Anab. V 5, 7, D i t t . Syll. 3 364 Z. 81. 89, I G X I I 5 Nr. 572 Ζ. 7/8, I C I V Nr. 72 Kol. I 19/20, I V 36, I X 20. 22/23, V I 27/29. 45 Demosth. X L I V 27, Xenophon Apomn. I I I 11,4. 40 Isaios I X 1, Demosth. X L I V 27. L I I I 2.14. L I X 108, I C I V 72 Kol. I 19/20. 47 Rabel SZR 36/341, Käser SZR 64/136. Detention 26. 48 Dazu zuletzt Fine 87 f., Finley 203, 7. 40
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der πράσις επί λύσει handeln, i n welchem Falle Demosthenes' Worte die Rechtslage genau wiedergeben würden, zum anderen darf nicht außer Betracht bleiben, daß der Redner hier auf die F o l g e n eines für ihn ungünstigen Urteils aufmerksam machen will. Seine Worte sind also auf die Zukunft bezogen und sollen zum Ausdruck bringen, daß er i m Falle des Unterliegens nicht imstande sein werde, die gegebenen Sicherheiten auszulösen, sie also den Gläubigern lassen müsse 49 . Deshalb konnte er m i t gewissem Recht sagen: das verpfändete Vermögen „gehört" den Darleihern 60 . Auch είναι gehört also zu den Worten, die Eigentum bezeichnen konnten 51 . 2. Substantive Κτήματα kommt i n Quellen mit juristischem Inhalt i n der Bedeutung „Besitztum", „Vermögen" 5 2 vor, kann aber auch einen Teil des Vermögens, insbesondere das Immobiliarvermögen 5 8 , sowie bestimmte einzelne Vermögensstücke54 bezeichnen. Z u den Ausdrücken des „Gehörens" zählt es nicht, ist daher für uns i n diesem Zusammenhang ohne Bedeutung 55 . Wenn Plutarchos 56 die Auswirkungen von Solons Testiergesetz mit den Worten τα χρήματα κτήματα των εχόντων έποίησεν wiedergibt, bedient er sich des Sprachgebrauchs s e i n e r Zeit. Diese ist der Epoche der Redner zu fern, als daß man aus seinen Worten Schlüsse auf die Bedeutung von χρήματα und κτήματα i n vorhellenistischer Zeit ziehen könnte. Das w i r d besonders deutlich, wenn man eine Stelle i n den Nomoi 5 7 zum Vergleich heranzieht, an der Piaton von der των χρημάτων και κτημάτων κτήσις spricht. Hier sind sicher nicht Güter gemeint, über die Verfügungsbefugnisse verschiedenen Umfangs bestehen, sondern Geld- und Sachbesitz. W i r sind daher nicht zu der Annahme berechtigt, κτήματα habe schon i n klassischer Zeit eine Aussage über den Umfang der Verfügungsbefugnis des Vermögensinhabers enthalten. 49
Vgl. Fine 88. Pringsheim K a u f 7,1 spricht von „ r e i n ökonomischer Betrachtungsweise". Ein jüngst gefundenes inschriftliches Beispiel (SEG X V I I 206) sind die Scherben m i t der Inschrift: Φειδίο ειμί, die i n Olympia bei Grabungen i n der Werkstatt des Pheidias gefunden wurden (Mainpost [Würzburg] Nr. 293/1958 u. 121/59). 52 Vgl. Demosth. X L I V 67. 53 Vgl. Demosth. X V I I I 41, X I X 145, L U I 12, Syll. 3 364 Z. 75 ff., Syll. 8 167.169. 282 Z. 14. 54 Demosth. X X X V I I 9.13.16. 55 F ü r die P a p y r i vgl. Altmann S D H I 2 1 (1955) S. 42 f. u n d die dort Zitierten. 50 Solon 21, 2. 57 V 728 E. 50
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Κτήσις, das sich ebenso wie κτήματα von κτάομαι herleitet, ist ein mehrdeutiges Wort 5 8 . I m Deutschen gilt das gleiche für das Wort „Erwerb", es kann sowohl den Vorgang des Erlangens, das Erwerben, bezeichnen wie die erlangte Sache. I m Griechischen ist der Bereich noch weiter, dort kann κτήσις schlechthin den Besitz, das Haben, bezeichnen. Das ist besonders deutlich bei Demosth. X X I I 12, wo κτήσις und απουσία των τριήρων einander gegenübergestellt sind. Auch Thukydides I V 10559 ist i n diesem Zusammenhang anzuführen. Mehr seiner Abstammung gemäß ist der Gebrauch von κτήσις i n § 4 des Theophrast-Fragments über den Kauf. Hier bedeutet es den E r w e r b des Eigentums 60 . Deswegen darf man jedoch nicht, wie Fustel de Coulanges 61 und Dar este62, erklären, κτήσις sei ein oder der Terminus für Eigentum. Es ist vielmehr bei κτήσις so wie bei εχειν und κεκτήσθαι: es k a n n die Sachherrschaft des Eigentümers bezeichnen, m u ß es aber nicht 63 . Ουσία ist k e i n Terminus, der das berechtigte Haben einer Sache ausdrückt 64 . Es bedeutet vielmehr „Vermögen" und bezeichnet die einer Person w i r t schaftlich zur Verfügung stehenden Güter. So heißt es bei Isaios X I 42: „hinterließ er ein Vermögen von 5 Talenten und dreitausend Drachmen", bei Demosth. X X X V I I I 7: „hinterließen ihr gesamtes Vermögen i n Form von Forderungen", bei Lysias X X I V 11: „wenn ich Vermögen hätte, würde ich nicht auf fremden Pferden reiten 6 5 ". Auch die Bezeichnung δίκη ουσίας ist i n diesem Zusammenhang zu nennen 66 . Ουσία kann aber auch nur einen Teil des Vermögens einer Person bedeuten. Das ist bei der Beifügung von αφανής und φανερά der Fall. So heißt es bei Lysias X X X I I 4, zwei Brüder hätten die άφανής ουσία geteilt, die φανερά dagegen nicht. Isaios bezeichnet V I 30 als φανερά das Vermögen einer Person m i t Ausnahme des Geldes, i n V I I I 3 5 Häuser, Grundstücke, Sklaven und Mobiliar, denen er die Forderungen gegenüberstellt. 58
Vgl. van Meurs 20. Dazu Kubler SZR 49/569 u n d Schönbauer SZR 55/222,1. 60 Pringsheim L a w 139, Gernet D r o i t et Société 205. β1 Recherches sur le droit de propriété chez les Grecs 55. 62 Les Plaidoyers civils de Démosthène I S. X X X I I I . 63 Richtig Schönbauer SZR 55/222, 1. Vgl. auch Kübler, A t t i del Congresso Internazionale d i D i r i t t o Romano, Bologna e Roma 1933 190. 64 Lipsius V o n der Bedeutung 20. A t t . R. 680, Rabel SZR 46/342, 2, Vinogradoff Historical Jurisprudence I I 198 f., Gernet D r o i t et Société 72, 1, Beauchet I I I 370, Käser SZR 64/140,19, Schönbauer Rechtseinrichtungen 26. 65 Vgl. auch Isaios V I I I 35. ββ Vgl. Käser a. a. O. 140 f., Schönbauer a. a. O., Wolff SZR 74/41,40. 59
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Bei Demosth. X L V I I I 33.35 ist unter φανερά ουσία wohl das von den Erben bis zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgefundene Vermögen des Erblassers zu verstehen. Andokides meint I 118 mit φανερά ουσία das Aktivvermögen. I n allen diesen Fällen wollen die Sprecher nicht sagen, die genannten Personen hätten die und die Sachen berechtigt besessen, sondern wollen einen Teil ihres Besitzes gegen einen anderen abgrenzen. Ουσία hat also einen quantitativen, keinen qualitativen Sinn. Χρήματα konnte Geld 87 , Waren 88 , Mobilien 8 9 , überhaupt Vermögensstücke und Vermögen 70 bezeichnen. Eine spezifisch juristische Bedeutung hatte das Wort nicht, was bei Aristoteles besonders deutlich wird, wenn er sagt: χρήματα δέ λέγομεν πάντα δσων ή άξία νομίσματι μετρείται 71 . W i r dürfen daher nicht erwarten, daß χρήματα etwas über die Berechtigung zum Besitz aussagt. Dafür einen Beleg: Bei Demosthenes X L I I I 58 ist ein Gesetz eingelegt, wonach der Demarchos den Tod einer Person, um deren Leichnam sich niemand kümmerte, τοις τα χρήματ9 εχουσιν anzuzeigen hatte, damit diese die Bestattung vornähmen. Daraus ergibt sich, daß nach athenischer Auffassung die Kosten einer Beerdigung i n erster Linie aus dem Vermögen des Verstorbenen zu bestreiten waren und die Innehabung solchen Vermögens zur Vornahme der Beisetzung verpflichtete. Der Grund für diese Bestimmung ist klar: die Bestattung drängt, es bleibt daher keine Zeit für Nachforschungen nach dem Erben. Daraus ist aber zugleich zu ersehen, daß χρήματα hier nicht „Eigentum", sondern nur „Vermögen" bedeuten kann. Denn wäre das nicht so, hätte sich jeder Herangezogene der Verpflichtung m i t der Behauptung entziehen können, er habe zwar Vermögen des Verstorbenen i n Händen, dabei handele es sich aber nicht um Eigentum. Dieser Schluß w i r d bestätigt durch eine Bestimmung des Gesetzes, was zu geschehen habe, εάν δέ μή fi χρήματα τφ άποθανόντι; denn eine völlig eigentumslose freie Person w i r d es i n Athen schwerlich gegeben haben, jedenfalls dürfte dieser Fall nicht so häufig gewesen sein, daß man deswegen eine besondere Bestimmung i n das Gesetz einfügen mußte. Natürlich konnte χρήματα auch i n bezug auf i m Eigentum stehende Gegenstände gebraucht werden, wie z.B. i n der Wendung δημεύειν τά β7 68 69 70 71 72 73
Demosth. X X X V I 11. X X X V I I 13. L U I 12. Pringsheim K a u f 6. I m Hecht v o n G o r t y n I C I V 72 Kol. I V 46 f. Isaios X 1, Lysias X I I 83, Xenophon K y r . Paid. V I I 5, 73. Oik. I 8. Eth. N i k . I V I , 1 S. 1119 b. Lysias X I I 23. Columb. L a w Rev. X X I V (1924) 169.
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χρήματα72, aber das berechtigt uns nicht zu der Feststellung Calhouns™, χ. habe „Eigentum" bedeutet. Gerade weil es sich für den Athener von selbst verstand, daß bei der Bestrafung einer Person mit Konfiskation nicht solche Sachen betroffen waren, die sie zwar besaß, welche ihr aber nicht gehörten, kann man i n diesem Zusammenhang keinen Eigentumsterminus erwarten. Das gilt i n besonderem Maße für diese Lysias-Stelle, i n welcher der Sprecher die Todesstrafe neben das δημεύειν τα χρήματα stellt. Κύριος bedeutet n i c h t „Eigentümer sein" 74 . Dies zu zeigen genügen einige Beispiele aus den erhaltenen Gerichtsreden: Isaios bezeichnet I 10 den Epitropos als κύριος über das Vermögen seiner Mündel. Gleichzeitig ist durch ήμετέρας οΰσης klargestellt, daß die Mündel und nicht etwa der Vormund als Eigentümer angesehen wurden. Bei Lysias X X I X handelt es sich u m ein Verfahren gegen Philokrates, dem vorgeworfen wird, einen Teil des konfiszierten Vermögens des Ergokles i n Händen zu haben. Durch die Konfiskation ist nach Ansicht des Sprechers das bisher nicht aufgefundene Geld Eigentum der Polis geworden 75 . Es ist daher ausgeschlossen, daß er m i t den Worten και των άλλων των εκείνου κύριος γεγένηται7® Eigentumserwerb meint. Bei Demosth. L I I I 4 berichtet der Sprecher über sein früheres Vertrauensverhältnis zu seinem jetzigen Gegner. Immer wenn er gezwungen gewesen sei, von seinem Gute abwesend zu sein, κύριον των εν άγρφ τούτον απάντων κατέλειπον. Es liegt auf der Hand, daß keine Eigentumsübertragung gemeint sein kann. Κύριος bezeichnet somit nicht den Eigentümer, sondern den Gewalthaber über Personen oder Sachen 77 , den Verfügungsbefugten 78 . Κύριος ist, wer eine Person oder Sache i n der Weise beherrscht, daß er über ihr Schicksal Bestimmungen treffen kann 7 9 . 3. Adjektive "Ιδιος interessiert hier nur i n der Bedeutung „eigen", nicht dagegen, wenn „privat" gemeint ist 80 . 74
van Meurs 23 ff. §§ 5. 8. 9.10.14. τα της πόλεως, τα υμέτερα. 76 §7. 77 Vgl. Platner I I 276, Hruza Beiträge 153,13. 78 Vgl. Wolff Festschrift Taubenschlag I 364. HE X X I I I 148, früher schon Schultheß Vormundschaft 45. 79 Wie Wolff Beiträge 200 ff. ( = Traditio 2 [1944] 71 ff.) für die Papyri gezeigt hat, genügte zur Begründung der κυριεία eines Mannes über eine Frau die T a t s a c h e , daß sie m i t i h m zusammenlebte. 80 Wie ζ. B. bei Demosth. L 7. 26. 27, L I 5.14, L V 8.13. 75
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Ein Blick i n die Quellen macht deutlich, daß leichter aufzuzeigen ist, für welche Personen Sachen, die sie i m Besitz hatten, n i c h t ϊδιαι waren, als anzugeben, was als ϊδιος angesehen worden ist. Wenn bei Demosth. X X X V I 11—13 die ϊδια χρήματα des Eigentümers eines Bankgeschäftes den παρακαταθήκαι gegenübergestellt werden, so erhellt daraus, daß die Einlagen der Bankkunden für den Bankier nicht ϊδιαι waren. Bei Demosth. X X X V 39 beklagen sich die Darleiher eines Seedarlehens mit folgenden Worten über die Darlehensnehmer: τοις χρήμασιν εχρώντο τοις ήμετέροις ωσπερ ιδίοις οΰσιν αυτών. Dieser Vorwurf bezieht sich u. a. darauf, daß die Geldnehmer, anstatt wie vereinbart i m Pontos Importware einzukaufen, m i t dem Geld ihrerseits ein Darlehen gewährt hatten 81 . Auch für den Nehmer eines Seedarlehens war also das i n seinen Händen befindliche Geld nicht ίδιον. Das ist u m so bemerkenswerter, als der Darlehensnehmer nach dem Willen der Parteien ja κύριος war 8 2 , also Verfügungsbefugnis über das Geld hatte. W i r können somit aus der Stelle schließen, daß es für den Gebrauch von ϊδιος unwesentlich war, wem die κυριεία zustand. Demosth. X L 56 läßt ersehen, daß ein zu einem Nachlaß gehörendes, aber noch nicht geteiltes Haus nicht einmal für einen Miterben, der es allein nutzte, ίδιον war. Auch hier liegt berechtigter Besitz vor, ohne daß die Sache als ιδία bezeichnet worden wäre. Nicht jeder, der eine Sache m i t Rechtsgrund innehatte, besaß diese somit nach griechischer Auffassung als ιδία. Von großer Bedeutung ist Demosth. X L I V 67. Hier sagt der Sprecher über die Befugnis eines Adoptivsohnes 83 , letztwillige Verfügungen zu treffen: τφ γαρ κατά νόμον εισποιη|θέντι επί τα έτερου ούχ ούτως, ώς περί των ιδίων κτημάτων, βουλευτέον εστίν. Für den Adoptierten gehörte also das Vermögen des verstorbenen Adoptivvaters nicht zu den ϊδια κτήματα, er durfte darüber nicht letztwillig verfügen. Hatte er also keine leiblichen Nachkommen, fiel das Vermögen nach seinem Tode an die άγχιστεΐς seines Adoptivvaters. Das alte Prinzip, daß der Nachlaß einer Person dem Genos zufällt, war zwar durchlöchert, aber keineswegs vollständig beseitigt. Jedoch war das sicherlich nicht nur ein Anliegen der Verwandten, häufig dürfte es auch i m Interesse des Adoptierenden gewesen sein, Gewißheit darüber zu haben, daß sein Vermögen nach dem Tode des von i h m auserwählten Adoptivsohnes entweder an d e s s e n leibliche Abkömmlinge oder an s e i n e Verwandten fallen werde, nicht aber an vom Adoptivsohn ausgesuchte Dritte 8 4 . Die Fähigkeit, über das Oikosvermögen letztwillig zu verfügen, hatten also nur in dem Oikos 81
§§ 36. 38. s. Seite 89 u n d Wolff SZR 74/49, 55. 83 Z u der Frage, ob alle Adoptierten unter diese Bestimmung fielen, vgl. Kubier RE V A 972 f. 84 Beauchet I I 34 f. 82
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geborene Personen. Der i n den Oikos als Adoptivsohn Aufgenommene wurde nicht als vollwertiges Familienmitglied angesehen, zumal es ihm ja gestattet war, nach der Erzeugung eines ehelichen Sohnes i n seinen angestammten Hausverband zurückzukehren 85 . Der Adoptivsohn ist i n gewissem Sinne auch nur „ausgeliehen", wie es Wolff 80 für die Ehefrauen aufgezeigt hat. Aus dieser alteingewurzelten Anschauung erklärt sich, daß das vom Adoptivsohn ererbte Vermögen nicht als sein „eigen" angesehen worden ist. Die Stelle zeigt somit, daß ϊδιος nur i n bezug auf solche Sachen gebraucht werden konnte, über die man letztwillig verfügen durfte. Daß solche Verfügungen nur über Eigentum erlaubt waren, wissen w i r von Isaios 87 . W i r dürfen daher wohl sagen, ίδιος hatte die Bedeutung „ i m Eigentum stehend" 88 . Dieser Sprachgebrauch findet sich auch bei Gruben 89 . Das dürfte darauf zurückzuführen sein, daß die Athener den Grubenpächter als Eigentümer auf Zeit angesehen haben, weil er für die Pachtdauer das alleinige Recht zum Gebrauch hatte und i h m das gewonnene Erz gehörte. Zu dieser Auffassung passen die Nachrichten über die Vererblichkeit 9 0 und Übertragbarkeit 9 1 des Ausbeutungsrechts. Und vielleicht liegt darin auch der Schlüssel zu der häufig begegnenden Verwendung der Ausdrücke des Verkaufens und Kaufens für die Grubenvergabe 92 . Nicht entgegen steht dem die Tatsache, daß w i r keine Belege für die Bestellung einer Grube als Sicherungsobjekt besitzen 93 ; denn einmal ist bei der Zufälligkeit der Überlieferung das argumentum e silentio wenig überzeugend, zum anderen ist sehr wohl denkbar, daß den Pächtern derartige Rechtsgeschäfte untersagt waren 9 4 . Οικείος
konnte „eigen" i m Sinne von zugehörig bedeuten und zur Bezeichnung einer Sache als zum Eigentum eines Menschen gehörend gebraucht werden. So soll Zenothemis i n Syrakus den Personen, die dem Hegestra85
Lipsius A t t . R. 518 f. Beiträge 167 ( = Traditio 2 [1944] 50). 87 X 2 : ó γάρ νόμος κελεύει τα μέν έαυτοΰ διαθέσθαι δτφ αν εθέλχί, των δέ άλλοτρίων ούδένα κύριον πεποίηκε. 88 Vgl. Röbel SZR 36/341. 89 Hypereid. I V (Euxenippos) 36. 90 Demosth. X L 52. 91 Demosth. X L I I 19. 92 z.B.: Aristoteles A t h . Pol. 47,2, Dionysios v. Halikarnassos Deinarchos 666/667, SEG X I I 1 0 0 (sogen. Poleteninschrift) Z. 40 ff. 93 Vgl. die Übersicht bei Lauffer, Bergw. Sklaven I 1187 ff. 94 Die Auffassung der Grubenpächter als Eigentümer auf Zeit trägt zu der Streitfrage des attischen Bergbaurechts, ob die v o m Staat vergebenen Gruben teilweise i n privateigenem L a n d lagen, nichts bei. Dazu seit Schönbauer SZR 55/193 ff. vor allem Hopper, A n n u a l of the B r i t i s h school at Athens 48 (1953) S. 200 ff. 86
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tos ein Darlehen gewähren wollten, erklärt haben: τον γόμον οίκεΐον εχειν αυτόν της νεώς, während Hegestratos den Geldgebern des Zenothemis gegenüber behauptete: ενεΐναι σΐτον εν τή νηί τούτφ πολύν95. I n beiden Fällen ist Eigentum gemeint 98 ; denn es ging ja darum, den zukünftigen Gläubigern vorzuspiegeln, daß eine solide Sicherheit vorhanden sei. Auch die Definition des Aristoteles του δε οικεία είναι δταν εφ5 αύτφ η άπαλλοτριώσαι ή μή, λέγω δέ άπαλλοτρίωσιν δόσιν και πρασιν97 ist hier zu nennen. Aristoteles spricht hier vom Inhalt des Eigentums 98 , wie ein Vergleich mit Piaton Euthydemos 301 Ε/302 A zeigt. Οικείος ist also einer der Ausdrücke, dessen sich die Griechen zur Bezeichnung des Eigentums bedienten. 4. Pronomina Auch die P o s s e s s i v p r o n o m i n a wurden i m Griechischen verwendet, um eine Sache als Eigentum einer Person zu kennzeichnen. Das ergibt sich aus einer Stelle i m Euthydemos Platons 99 , an der genau angegeben wird, unter welchen Voraussetzungen man eine Sache als „sein" bezeichnen könne: Τ Αρ 9 οΰν, εφη, ταΰτα ήγεΐ σα είναι, ών αν αρξης και έξη σοι αύτοις χρήσθαι δ τ ι αν βούλη; οίον βοΰς και πρόβατον, δρ5 αν ήγοΐο ταΰτα σα είναι, α σοι έξείη και άποδόσθαι και δούναι καί θΰσαι δτφ βούλοιο θεών; α δ5 αν μή οΰτως εχη, ού σά; . . . Πάνυ μεν οΰν, εφην, ούτως εχει· τα τοιαύτα εστί μόνα εμά. Auch bei Isaios I X 34 bezeichnet εμός das Eigentum, wenn der Sprecher sagt: εμά είναι πάντα τα Άστυφίλου. Desgleichen ist Eigentum bei Demosth. X X X V I I 9.29 gemeint; denn der Sprecher und sein Partner hatten die Aufbereitungswerkstätte und die Sklaven ja von Mnesikles gekauft 100 . Zweifelhaft ist die Bedeutung allerdings i n Demosth. X X V I I 28 u. X X I X 37. Es handelt sich hier u m die dem Vater des Demosthenes als Nutzpfand überlassenen Sklaven 1 0 1 . Wenn die Sicherheitsbestellung nicht in Form einer πρασις επί λύσει vor sich gegangen war, was nicht ausgeschlossen ist 1 0 2 und i n welchem Falle Demosthenes m i t Recht von seinem Eigentum sprechen könnte, bezeichnen die Possessivpronomina hier ein 95
Demosth. X X X I I 4. Mitteis SZR 23/289. 97 Rhetor. 15,7. 98 Vgl. Seidl Römisches Privatrecht 30, Demeyere A H D O / R I D A I (1952) 228. 99 301 Ε/302 A . 100 § 5. Siehe auch S. 81. 101 Vgl. Demosth. X X V I I 9. 24/29. X X V I I I 12. 102 V g l > Thalheim RE I X 412, Fine 76 f. 96
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§ 2. Spiegelt sich der Unterschied i n der Sprache wider?
noch nicht dem Gläubiger verfallenes Pfand 1 0 3 . Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß es sich einmal um ein Nutzpfand handelte, Demosthenes also ein Recht zum Gebrauch hatte, zum anderen eine Lösungsfrist, wenn eine solche überhaupt vereinbart war, wofür sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, von sehr langer Dauer eingeräumt gewesen sein muß. Ein solches Gebrauchsrecht könnte durchaus als Eigentum angesehen worden sein. Auch der Erbpächter bezeichnete ja das von ihm auf ewig gepachtete Land als sein 104 . Auch R e f l e x i v p r o n o m i n a finden sich zur Bezeichnung von Eigentum verwendet. So sind bei Isaios X 2 gegenübergestellt τα εαυτοί) — τά μηδέν προσήκοντα und τα εαυτοί) — των δέ άλλοτρίων. Auch das häufig vorkommende τά αυτών105 ist hier zu nennen. Bei aller gebotenen Zurückhaltung ist somit doch die Feststellung gerechtfertigt, daß auch gewisse Pronomina zur Bezeichnung des Eigentums verwendet werden konnten. Als Ergebnis ist festzustellen, daß als Termini zur Bezeichnung des Eigentums nur είναι τινός, ίδιος, οικείος und gewisse Possessiv- und Reflexivpronomina angesehen werden können. I n Zusammenhängen, in denen Eigentum vorliegt, begegnen zwar häufig andere Ausdrücke, diese haben aber nicht, wie sich aus ihrem sonstigen Vorkommen ergibt, die Bedeutung „Eigentum", sondern deuten eine tatsächliche, wirtschaftliche oder soziale Zugehörigkeit an. Diese Unschärfe i m Ausdruck, die uns vor allem i n den Gerichtsreden entgegentritt, dürfte ihren Grund i n dem Fehlen eines Bedürfnisses nach größerer Präzision haben. I m Griechenland jener Zeit gab es keinen Juristenstand. Es gab aber Personen, die sich berufsmäßig mit fremden Rechtsangelegenheiten beschäftigten: die Logographen. Sie waren jedoch nicht gezwungen, ihre zweifellos vorhandenen Kenntnisse des Rechts und der Terminologie in den Reden, die sie für ihre Mandanten zu entwerfen hatten, zu verwerten. Denn vor den aus einer großen Zahl von Bürgern zusammengesetzten Gerichtshöfen kam es weit mehr darauf an, die Richter für sich einzunehmen als die Rechtslage juristisch scharf darzulegen. Die Beispiele hierfür sind bekannt, sie bedürfen nicht der Aufzählung. Soweit aber Ausführungen zur Sach- und Rechtslage unumgänglich waren, mußten sie möglichst einfach und für alle Bürger-Richter verständlich sein 106 . Es 103
Das ergibt sich aus der weiteren Belastung desselben Objektes durch den Verpfänder, von der w i r Demosth. X X V I I 27 hören. 104 s.S.49f. 105 Beispiele: Demosth. X V I 16, Isaios V I I 13, Xenoph. Oik. I I 6, Plut. T i m o leon 23, 4. 100 Vgl. E r i k Wolf Griechisches Rechtsdenken I I I S. 165.
§ 2. Spiegelt sich der Unterschied i n der Sprache wider?
ist daher nicht verwunderlich, wenn w i r häufig den allgemeineren, weiteren Ausdruck verwendet finden. Mißverständnisse waren dadurch nicht zu befürchten, was gemeint war, ergab sich ja aus den Umständen. Auch w i r wissen heute, was unter „Hausbesitzern" zu verstehen ist und derjenige zu tun beabsichtigt, der den „Bundesgerichtshof anrufen" will. Ein gutes Beispiel für die unscharfe Ausdrucksweise i n den Gerichtsreden läßt sich aus einem Vergleich mit den inschriftlichen Quellen gewinnen. Von den Horoi wissen wir, daß die gebräuchlichste Form der Bestellung einer Sicherheit am unbeweglichen Vermögen das πιπράσκειν επί λύσει war. Dies w i r d mit Hecht aus der Tatsache gefolgert, daß nur auf einer sehr geringen Zahl von Steinen von einer οικία υποκείμενη die Rede ist, dagegen über einhundert Horoi mit der Wendung οικία πεπραμένη επί λύσει erhalten sind. I n der sogenannten Poleteninschrift 107 begegnet beides, w i r finden (Z. 33/34) πριαμένων ημών την οικίαν . . . επί λύσει und (Ζ. 14/15) υπόκειται Σμικύθωι 108 . I n den Gerichtsreden dagegen ist an k e i n e r Stelle von einem πιπράσκειν oder πρίασθαι επί λύσει die Rede. Auch in Fällen, i n denen es sich nach den Angaben der Sprecher aller Wahrscheinlichkeit nach um ein πιπράσκειν επί λύσει handelt, ist ύποκείσϋαι gebraucht 109 . Das bedeutet: Während auf den Steinen trotz des Zwangs zur Kürze terminologische Genauigkeit waltete, begnügte man sich vor Gericht mit juristisch weniger scharfen Ausdrücken 110 . W i r sind daher nicht berechtigt, an Hand der literarischen Quellen allein ein Urteil über die griechische Terminologie jener Zeit zu fällen. Ebensowenig dürfen w i r erwarten, hinter den griechischen Termini den unsrigen vergleichbare Rechtsvorstellungen zu finden. Wie w i r sehen werden, gehörten nach griechischer Auffassung beispielsweise als Darlehen gegebene Gelder noch zum Eigentum des Darleihers und konnte ein Erbpächter das von ihm gepachtete Land als sein bezeichnen 111 . W i r dürfen daher nicht überrascht sein, wenn die Eigentums-Termini jener Zeit etwas anderes bezeichnen als unser „Eigentum". Dem Umstand, daß sich kein Substantiv 1 1 2 für Eigentum nachweisen läßt, ist keine Bedeutung beizumessen. Auch für das πιπράσκειν επί λύσει findet sich i n den Quellen kein Substantiv und doch können w i r an dem Bestehen des Instituts nicht zweifeln. 107
SEG X I I 100. I n Amorgos kommt άποδίδοσθαι επί λύσει vor (Syll. 3 1200 = Finley Nr. 102). 109 Isaios V I 33 (dazu Fine 74). 1,0 Vgl. Wolff SZR 70/422. 111 s.S. 50. 112 Vgl. zu der Seltenheit substantivischer Ausdrücke i m griech. Recht Wolff in L'Europa e i l diritto Romano I I 412. 108
I . Das Eigentum § 3. Der Begriff und die möglichen Gegenstände des Eigentums Die Griechen erblickten den Wert einer Sache i n dem Nutzen, den ihr G e b r a u c h einbringen konnte. Diese Auffassung kommt bei Aristoteles 1 deutlich zum Ausdruck, wenn er sagt: δλως δέ το πλουτεΐν εστίν εν τφ χρήσϋαι μάλλον ή εν τφ κεκτήσθαι. Der Philosoph meint, ob jemand reich sei, müsse vor allem nach den i h m offenstehenden Möglichkeiten, von seinen Gütern i m eigenen Interesse Gebrauch zu machen, weniger nach dem Umfange seines Besitzes beurteilt werden. Noch schärfer und etwas überspitzt formuliert es Xenophon 2 : Σύ αρα, ώς εοικε, τά μέν ώφελοΰντα χρήματα ήγή, τά δέ βλάπτοντα ού χρήματα. Οΰτως. Vermögenswerte Güter sollen danach nur solche sein, von denen man nutzbringenden Gebrauch machen kann, alle anderen Besitztümer werden für wertlos erklärt. Gebrauch ist für Xenophon auch der Verkauf 3 , der Tausch der Sache gegen Geld. Diese weite Auffassung des Gebrauchs finden w i r auch bei Aristoteles 4 . Die Hinwendung zum konkreten Nutzen kehrt auch i n den Rechtsvorstellungen wieder. So sagt Piaton 5 an einer wenig beachteten Stelle 6 , „gehören" sei άρχειν και έξεΐναι χρήσθαι. Als Eigentum wurde danach eine Sachherrschaft nicht angesehen, bei welcher dem Herren der Sache der Gebrauch derselben nicht gestattet war. Man konnte nur dann sagen: „Diese Sache ist mein", wenn man zum χρήσθαι berechtigt war. Das Recht zum Gebrauch war wesentlicher Inhalt des Eigentums. Diese Auffassung t r i t t uns aus den Quellen wiederholt entgegen: Aristoteles 7 erklärt das Beispiel der wohlhabenden Bürger Tarents für nachahmenswert, die κοινά ποιοΰντες τά κτήματα τοις άπόροις επί την 1 2 3 4 5 6 7 8
Rhet. I 5, 7 S. 1361 a. Oik. 19. Oik. I 11. Pol. I 3 S. 1257 a. Euthydemos 301 E a. E. Vgl. Bisinger Der Agrarstaat i n Piatons Gesetzen (Klio Beiheft 17) S. 63. Pol. V I 3 S. 1320 b. Vgl. v. Pöhlmann Geschichte I 43.
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I. Das Eigentum
χρήσιν εΰνουν παρασκευάζουσι το πλήθος. Was i m einzelnen geschehen war, wissen w i r nicht, doch ist klar, daß die Begüterten ihr Recht zum alleinigen Gebrauch i m Interesse des inneren Friedens nicht ausgeübt und die Minderbemittelten an der Nutzung beteiligt hatten 8 . Auf diese Weise hatten sie den Vermögenslosen gewährt, worauf sich deren Begehren richtete, ohne ihr Recht aufzugeben und ihr Vermögen in Gemeineigentum zu überführen. Auch Isokrates 9 lobt das soziale Verhalten der Vorfahren, welche die A r m u t ihrer Mitbürger als Schande empfunden und ihnen nach Kräften geholfen hätten. So seien den Minderbemittelten Pachtverträge zu mäßigem Zins und Kredite zum Aufbau einer Existenz und zu Handelszwecken angeboten worden. Das habe zu einem Zustand geführt, bei welchem αί μέν κτήσεις ασφαλείς ήσαν, οίσπερ κατά τό δίκαιον ύπήρχον, αί δέ χρήσεις κοιναί πάσι τοις δεομένοις των πολιτών10. Auch hier finden w i r somit wieder den gemeinsamen Gebrauch betont, jedoch ausdrücklich hervorgehoben — was sich bei Aristoteles nur aus dem Sinn ergibt —, daß das Privateigentum der Wohlhabenden erhalten geblieben war. Dam i t w i l l Isokrates zum Ausdruck bringen, daß trotz des alleinigen Rechts der begüterten Bürger zum Gebrauch de facto jeder Bürger an der Nutzung teilhaben konnte. Aristoteles berichtet von einer derartigen Praxis auch aus seiner Zeit 1 1 . Der Philosoph setzt sich an dieser Stelle mit dem Problem Privateigentum oder Gemeineigentum auseinander. Nach seiner Überzeugung ist der dem Privateigentum innewohnende Ansporn, für sich selbst und die Seinen zu schaffen, unentbehrlich. Andererseits dürfe das aber nicht dazu führen, daß der Eigentümer jeden anderen vom Gebrauch ausschließe. Der Gebrauch müsse vielmehr nach dem Sprichwort κοινά τα φίλων gehandhabt werden. A u f diese Weise brauche man i n einer auf das Privateigentum aufgebauten Rechtsordnung nicht auf das zu verzichten, was das Wertvolle am Gemeineigentum sei. I n einigen Staaten komme man dieser Kombination schon sehr nahe: ιδίαν γάρ έκαστος την κτήσιν εχων τα μέν χρήσιμα ποιεί τοις φίλοις, τοις δέ χρήται κοινοις. Auch hier steht der Gebrauch i m Vordergrund. Der Philosoph ist sich bewußt, daß nach der Auffassung seiner Zeit dem Eigentümer das alleinige R e c h t zum Gebrauch zustand. Er ruft daher folgerichtig die Gesetzgeber auf, dem von i h m aufgezeigten Ideal überall praktische Geltung zu verschaffen: δπως δέ γίνωνται τοιούτοι, του νομοθέτου τοΰτ' έργον ίδιον έστιν12. 9 10 11 12
Areopag. 32. Areopag. 35. Pol. I I 2 S. 1263 a. 1263 a.
§ 3. Der Begriff u n d die möglichen Gegenstände des Eigentums
33
Den U m f a n g des Rechts zum Gebrauch meint Aristoteles i n der Rhetorik 1 3 : του δέ οικεία είναι δταν εφ9 αύτφ f) άπαλλοτριώσαι ή μή, λέγω δέ άπαλλοτρίωσιν δόσιν και πράσιν. Was weniger ist als entgeltliche und unentgeltliche Veräußerung, läßt er unerwähnt. Der Grund ist leicht einzusehen: Die Veräußerung ist diejenige A r t des Gebrauchs, die i n ihrer Wirkung am weitesten reicht, da sie die endgültige Trennung des Berechtigten von der Sache bewirkt. Wem daher diese äußerste Befugnis gegeben ist, der w i r d regelmäßig auch zu den minderen Arten des Gebrauchs berechtigt sein. Die Nennung der folgenreichsten Befugnisse erspart daher die Aufzählung der übrigen, da der Hörer oder Leser weiß, daß diese mit eingeschlossen sind, wenn nicht das Gegenteil ausdrücklich erwähnt wird. Von diesem Kunstgriff macht Aristoteles hier Gebrauch, u m möglichst kurz und präzis ausdrücken zu können, was seiner Ansicht nach zum Eigentum gehört: die Befugnis zum Gebrauch bis zu ihrer äußersten Grenze, bis zum Recht zur Veräußerung. Aus diesem Grunde ist das bloße Haben hier überhaupt nicht und i n der oben erwähnten Platonstelle 14 nur ganz nebenbei erwähnt. Davon zu sprechen war überflüssig. Diese Zeugnisse berechtigen zu der Feststellung, daß für die Griechen jener Zeit das Eigentum sich nicht i n dem Recht, die Sache zu haben und zu beherrschen 15 , i n der Berechtigung zum Zugriff auf den Gegenstand1® erschöpfte. Zumindest i m philosophischen Schrifttum ist bereits eine materiellrechtliche Eigentumsauffassung anzutreffen. Das Eigentum erscheint hier als das umfassende Recht zum Gebrauch. Nicht die Befugnis zur tatsächlichen Sachherrschaft oder zur Verschaffung derselben stand i m Vordergrund, sondern das Recht zur Benutzung. W i r kommen der griechischen Auffassung daher meiner Überzeugung nach näher, wenn w i r das Eigentum jener Zeit als ein R e c h t z u m G e b r a u c h bezeichnen. Aber auch i m geltenden Recht der klassischen Zeit ist die Eigentumsvorstellung entwickelter als Käser und Wolff meinen. Gegenüber der Ansicht Wolffs 17, den Griechen habe ein juristischer Eigentumsbegriff gefehlt, sie hätten nur κυριεία — das Recht zu Verfügungen — und κράτησις — das Recht zum Zugriff auf die Sache — gekannt, ist auf die häufige Erwähnimg einer eindeutig juristisch gemeinten Zugehörigkeit zu verweisen: 18 14
» 1β 17
I 5, 7 S. 1361a. Euthydemos 302 Α : δ δ' äv μή οδτως εχη, ού σά. So Käser SZR 64/136. So Wolff L'Europa e i l diritto Romano I I 4 1 1 . R E X X I I I 148.
3 Erfinzlein
8
I . Das Eigentum
I m Recht von G o r t y η w i r d der Eigentumsstreit u m einen Sklaven m i t folgenden Worten erwähnt: αί δέ κ' άνπί δόλοι μολίοντι πονίοντες fòv ^εκάτερος εμεν18. Die Rechtsbehauptungen der Parteien lauten also: „Der Sklave gehört mir." A n anderen Stellen des Gesetzes19 finden w i r die Rechtsbehauptung i n negativer Form. I n allen diesen Fällen ist nicht das bloße Recht zum Besitz gemeint. Dies w i r d nämlich i m Gesetz durch καρτεράς εμεν wiedergegeben 20 und kann dem Eigentümer 21 , aber auch einer anderen Person 22 zustehen. Das τινός είναι bedeutet hier auch nicht das Recht zum Selbsthilfe-Zugriff; denn gegenüber einem Sklaven war ein solcher Zugriff i n Gortyn verboten 23 , es ist daher unmöglich, daß die Parteien vor Gericht darüber gestritten haben könnten, wem von ihnen dieses Recht zustehe. Auch an das Recht zur Verfügung ist nicht zu denken. Dafür gab es i m Recht Gortyns noch keinen Ausdruck, man bediente sich der enumerativen Umschreibung 24 . Überdies scheidet diese Bedeutung schon deshalb aus, weil i n keinem der genannten Fälle die Verfügungsbefugnis i n Frage steht. Das Gesetz spricht von juristischer Zugehörigkeit aber auch an Stellen, die nichts mit den Rechtsbehauptungen der Parteien i m Prozeß zu t u n haben 25 . Hier dient der genitivus possessoris der Abgrenzung der Güter der Ehefrau von denen des Ehemannes. Aus diesen Stellen kann man besonders deutlich ersehen, daß dem Gesetz von Gortyn eine materiellrechtliche Eigentumsvorstellung zugrunde liegt. Eigentümer ist, wem eine Sache oder ein Sklave i n bestimmter Weise zugeordnet ist. Für eine vorwiegend prozessuale Denkweise bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte. Auch i n A t h e n finden w i r die Ausdrücke des Gehörens. Bei Isaios V I I I 3 1 lesen w i r : κύριος αυτός μή εγένετο των τής γυναικός, άλλ' οι παίδες. Der Sprecher unterscheidet deutlich zwischen dem Gehören und der κυριεία 26 . I m attischen Recht galt danach der Grundsatz: Der Inhaber der κυριεία muß nicht identisch sein m i t dem, dem die Sache gehört. I n einer anderen Isaios-Stelle w i r d das Gehören vom κρατείν abgehoben 27 . Per18
I C I V 72 K o l . I Z . 18—20. Kol. V I Z. 27/29: μέ ϊμε\ τας ματ[ρ]ός ε τας γυναικός. Ähnlich Kol. I X Ζ. 20. 20 Kol. I V 23/27, V I 33/34.45/46, V i l i 42/44.48/50. 21 I V 23/27, V I 45/46, V i l i 48/50. 22 V I 33/34, V i l i 42/44. 23 Kol. I Ζ. 2/3. 24 Vgl. Kol. V I Z. 10/11.18/20. 25 Kol. I I 46/47, I I I 18/19. 42/43. 2e Ähnlich Isaios I 10 u. X 12. 27 Suidas s. ν. ήβήσαντες = Isaios Frgmt. 26 (Loeb) : Η γ ο ύ μ ε θ α . . . τα δέ χρήματα τέως μέν τής έπικλήρου είναι, έπειδαν δέ παίδες έπί δίετες ήβήσωσιν, έκείνους αυτών κρατείν. Vgl. auch Isaios Χ 1 2 . 19
§ 3. Der Begriff u n d die möglichen Gegenstände des Eigentums
35
sonen, denen man, wie der Gebrauch der Ausdrücke des Gehörens erkennen läßt, Sachen zuordnete, mußten sonach weder verfügungsbefugt über die Sachen noch zum Zugriff darauf berechtigt sein. Die Zugehörigkeit, welche durch die Ausdrücke des Gehörens gekennzeichnet wird, ist j u r i s t i s c h e r und nicht nur wirtschaftlicher oder sozialer Natur: I n einem weiteren Isaiosfragment 28 heißt es: ουκ εστι της έπικλήρου το χωρίον τοΰτο ούδ* έγένετο πώποτε, αλλ' ώς ήν πατρφον Λυσιμένει. Bei Demosthenes V I I 39 lesen w i r : τ ο ν . . . τόπον... ώς έαυτοΰ οντα και ύμιν ουδέν προσήκοντα δέδωκε καρποΰσθαι Άπολλωνίδη. Auch der Sprecher der Rede gegen Nikostratos (Demosth. L I I I ) meint die rechtliche Zugehörigkeit der Sklaven (§§ 2.10.14), wenn er die Ausdrücke des Gehörens gebraucht, wie sich aus den i n den §§ 19 ff. angetretenen Beweisen unbezweifelbar ergibt. Dieser Sprachgebrauch der Redner läßt darauf schließen, daß i n Athen mit dem Gehören eine feste, allgemein bekannte Vorstellung verbunden war, anderenfalls wären die Reden den Richtern unverständlich gewesen. Diese Vorstellung ging nicht von den Befugnissen über Sachen aus und ihrer Durchsetzung i m Rechtsstreit, sondern von der Intensität der Sachbeziehungen. M i t ihr wurde das Bestehen des engsten von der Rechtsordnung anerkannten Bandes zwischen Rechtssubjekten und Rechtsobjekten verbunden. Unter Gehören verstand man eine rechtliche Zuordnung. Die Eigentumsvorstellung der Rechtspraxis war also durchaus nicht prozessual. Die Rechtsverwirklichung stand nicht i m Vordergrund. Man betrachtete nicht denjenigen als Eigentümer, dem das bessere Recht zum Zugriff vom Gericht zuerkannt worden war oder werden würde, sondern erkannte gerade umgekehrt das Recht zum Zugriff dem zu, der Eigentümer war und das Recht nicht übertragen hatte. Was die der griechischen Eigentumsvorstellung zugrunde liegende Denkweise anbelangt, scheint m i r die Ansicht Käsers den Vorzug vor der Wolffs zu verdienen. Aber auch Käser w i r d der griechischen A u f fassung nicht gerecht, wenn er das Recht zur Beherrschung der Sache i n den Vordergrund stellt. Denn dieses Recht ist nicht der ganze Gehalt des Eigentums, sondern nur eines der aus der Zuordnung fließenden Rechte 29 . Als G e g e n s t ä n d e des E i g e n t u m s Personen. 28 29
erscheinen S a c h e n und
8 (Loeb) = Suidas s. ν. πατρφων.
Vgl. die Vorstellung des griechischen Eigentums als eines Bündels v o n Rechten bei Rabel i n Seminar I (1943) 41. 3*
I . Das Eigentum
Innerhalb der S a c h e n wurde zwischen Mobilien und Immobilien nicht unterschieden. I n den Quellen jener Zeit begegnen keine Ausdrücke für Fahrnis und Liegenschaften 30 . Es gab jedoch Bestimmungen, die ausschließlich für und G e b ä u d e galten:
Grundstücke
1. Nur Bürger konnten Grundstücke und Häuser zu Eigentum erwerben. Andere Personen bedurften eines besonderen Privilegs 31 . 2. Der Erwerb von Grundstücken und Häusern durch Kauf unterlag i n vielen griechischen Staaten Publizitätsvorschriften 32 . Diese ließen den Erwerb des Eigentums erst eintreten, wenn den gesetzlichen Bestimmungen Genüge getan war 3 3 . Auch bei der Bestellung von dinglichen Sicherheiten an Grundstücken und Häusern galten nach Theophrastos 34 i n manchen Staaten Publizitätsvorschriften. Daß S c h i f f e i n jener Zeit wie Liegenschaften behandelt worden seien 35 , ist nach dem derzeitigen Stand der Quellen unbeweisbar. 3. Die Veräußerung von Grundstücken war i n manchen Staaten noch i n klassischer Zeit ganz untersagt oder beschränkt 36 . Gegenstand des Eigentums konnten auch M e n s c h e n sein 37 . Fälle dieses höchsten Grades der Unfreiheit begegnen uns i n den Quellen vielfach. Sklaven werden gekauft 38 , verkauft 3 9 und verpfändet 40 . I n Aufzählungen von Vermögensteilen erscheinen sie öfters gleichrangig neben beweglichen und unbeweglichen Sachen41. Diese Gleichrangigkeit hat wohl auch Aristoteles 42 i m Auge, wenn er den Sklaven als κτήμά τ ι εμψυχον bezeichnet. Der i n den Quellen begegnende Ausdruck άνδράποδον43 80
Beauchet I I I 5,1. s.u.S.38. 32 Theophrastos Περί συμβολαίων 1—4. Vgl. Partsch Publizität 77 ff., Weiss Privatrecht 246 ff. u. RE Suppl. I I I A r t . Grundbücher (848 ff.), Schönbauer Liegenschaftsrecht 109 ff. 33 Theophrastos a. a. O. 4, dazu Pringsheim L a w 139. 84 a. a. Ο. 1 f ü r Kyzikos. Dazu Partsch a. a. O. 132, Schönbauer a. a. O. 112. 35 So Hof mann Beiträge 90, 41 u n d Schönbauer a. a. O. 111. 36 s. u. S. 53 ff. 87 Wolff I U R A V I I 308. 38 Beispiel: Demosthenes L I X 18.29. 39 Beispiel: Demosthenes L I X 29. 40 Beispiel: Demosthenes X X V I I 24. 41 Aischines I 97, Isaios V I I I 35, Isokrates X X I 2, Lysias X I I 1 9 . 4t Pol. I 2 S. 1253 b. 48 Westermann The Slave Systems 5, Morrow Piatos L a w of Slavery 25. 31
§ 3. Der Begriff u n d die möglichen Gegenstände des Eigentums
37
stellt den Sklaven dem Vieh an die Seite. Jedoch haben die Griechen aller Wahrscheinlichkeit nach nie eine völlige rechtliche Gleichheit zwischen Sklaven und lebenden oder leblosen Sachen angenommen, sondern i m Unfreien stets auch den Menschen gesehen44. Ein Anzeichen dafür ist die Tatsache, daß es offenbar niemals völlig vermögensunfähige Unfreie gegeben hat 4 5 . Eigentumsobjekt i n diesem Sinne konnten sowohl Griechen als auch Angehörige barbarischer Völkerstämme sein. Jedoch war es ausgeschlossen, daß ein Grieche i n einer Polis Sklave war, deren Bürgerrecht er einst besessen hatte. Zwar findet sich kein ausdrückliches Verbot dieses Inhalts i n den Quellen, doch ergibt sich sein Vorhandensein aus den Gesetzen, die bestimmten 46 , daß derjenige, der einen Mitbürger aus Feindeshand freigekauft hatte, an dem Ausgelösten solange ein eigentumsähnliches Herrschaftsrecht besaß, bis i h m das Lösegeld erstattet worden war. Denn eine Notwendigkeit zu Gesetzen mit derartigem Inhalt kann nur bestanden haben, wenn grundsätzlich der Ausgelöste m i t dem Betreten des Heimatbodens als frei gegolten hat und nicht mehr als eine durch Kauf erworbene Sache. Es ist somit der Schluß gerechtfertigt, daß — jedenfalls i n Athen und Gortyn i n jener Zeit — ein i n seine Heimatpolis verbrachter frei geborener Sklave den status des Unfreien verlor, weil er dort nicht Sklave sein konnte 47 . Nur eigentümer ä h n l i c h ist auch die Rechtsstellung des Gläubigers, dem sich jemand freiwillig als Schuldknecht auf Zeit verdingt hatte 4 8 . Denn durch die Selbstverknechtung wurde der κατακείμενος nicht zum Sklaven des καταθέμενος, sondern geriet i n einen halbfreien status 49 , wie sich aus dem δι ελεύθερο der gortynischen Inschrift 5 0 klar ergibt. Ein dem römischen mancipium vergleichbares Gewaltverhältnis, bei dem das Objekt frei blieb 5 1 , begegnet i m griechischen Recht jener Zeit nicht.
44
Ehrhardt SZR 68/84. Ehrhardt a. a. O. F ü r die klassische Zeit s. u. S. 41 ff. 46 Athen: Demosthenes L I I I 1 1 , Gortyn: I C I V 72 Kol. V I Z. 46 ff. 47 F ü r die Unmöglichkeit, i n der eigenen Gemeinde Sklave werden zu können, auch Weiß Institutionen des römischen Privatrechts 2 (1949) S. 473, Dikaiomata 123, Braßloff Hermes L V I I 472. 48 Dieses I n s t i t u t begegnet i m Recht v o n Gortyn: I C I V 41 Kol. V / V I . Vgl. dazu neuestens Finley R I D A V I I (1960) 172 f. 49 Kohler-Ziebarth 53 f., Swoboda SZR 26/211, Busolt-Swoboda 277. 50 I C I V 41 Kol. V I Z. 7/8. 51 Käser Das römische Privatrecht 162. 45
§ 4. Die Eigentumsfähigkeit Die Fähigkeit, Eigentümer sein zu können, ist ein Teil der Rechtsfähigkeit. Sie kam i m griechischen Recht nur den B ü r g e r n zu, soweit es sich u m das Eigentum am Boden und an Häusern handelte 1 . Aristoteles übernimmt daher einen Rechtssatz seiner Zeit für seinen besten Staat, wenn er fordert, daß das Land Eigentum sein solle των τής πολιτείας μετεχόντων2. F r e m d e n fehlte die Fähigkeit, Boden und Häuser zu eigen zu haben. Sie konnte ihnen jedoch verliehen werden 3 . Das Privileg wurde i n den einzelnen Staaten verschieden bezeichnet. I n Athen hieß es εγκτησις, i n Boeotien bspw. εππασις (SEG I I I 343). Es konnte auf Häuser beschränkt sein, also unbebautes Land ausschließen4. Eine Beschränkung auf γή findet sich meines Wissens nicht, doch kennen w i r eine Verleihung der εγκτησις χωρίου5. Es handelt sich i n diesem Falle um die Gewährung des Privilegs für die Errichtung eines Heiligtums der Aphrodite, so daß angenommen werden darf, daß die Gestattung sich auf den Bau zumindest eines Kultgebäudes erstreckte®. Das Privileg bedurfte bei Fremden der ausdrücklichen Verleihung. I n der Gewährung der I s ο t e 1 i e war die εγκτησις nicht m i t enthalten 7 . W i r finden deshalb i n den Inschriften die Verleihung nur der Isotelie 8 , der εγκτησις allein® und beider nebeneinander 10 . Auch der P r o x e n o s hatte ohne besondere Verleihung nicht das Recht, Boden und Häuser zu erwerben 11 . W i r finden daher häufig die Ernennung zum Proxenos m i t der Verleihung der εγκτησις verbunden 12 . 1 Thalheim RE V 2584, Kahrstedt Staatsgebiet 10/11. Griech. Staatsrecht 18, Busolt-Swoboda 153. 526. 2 Pol. V I I 9 S. 1329 b unter Bezugnahme auf 8 S. 1329 a. 3 Die Einräumung durch Staatsvertrag — w i e zwischen Hierapytna u. Priansos ( G D I 5040) — begegnet n u r vereinzelt u n d k a n n daher hier außer Betracht bleiben. 4 Vgl. I G I I 2 53.130. 206. 554. 802 sowie I G V I I 7.14. 5 Syll. 3 280. Dazu Busolt-Swoboda 526,1. 6 Radin Corporat. 52 f. 7 Thalheim RE I X Sp. 2232, Gilbert I 174, Thumser Wiener Studien V I I 66, Hommel RE X V 1422, Kahrstedt Staatsgebiet 299. 8 I G I I 2 288, dazu Thumser a. a. O., Kolbe K l i o X V I I 248. 9 I G I I 2 , 279. 10 I G I I 2 83. 287. 554, Syll. 3 329, Michel 386. 11 Thalheim RE V 2584. I X 2232, Szanto Bürgerrecht 15, Francotte Mélanges 185, Busolt-Swoboda 229, Kahrstedt Staatsgebiet 288. 12 Beispiele: I G I I 2 8.80.360.373.342.425. SEG X V 265—280, X V I 298 (Oropos, 3. Jhdt.).
§ 4. Die Eigentumsfähigkeit
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Wurde dagegen einem Fremden das B ü r g e r r e c h t verliehen, erübrigte sich eine Verleihung des Rechts, Eigentümer von Land und Häusern sein zu dürfen; denn ein Bürger besaß diesen Teil der Rechtsfähigkeit ja ohnehin. So gibt es m. W. aus dem 5. u. 4. Jhdt. keine Urkunden, i n denen Bürgerrecht und εγκτησις verliehen worden wäre, aus Athen 1 3 . Anders war es dagegen außerhalb Attikas 1 4 . Die dort zu beobachtende Praxis dürfte teils m i t dem Streben nach Erläuterung des Inhalts des verliehenen Bürgerrechts 15 , teils mit der Absicht einer bloßen Ehrung zu erklären sein, bei der die verleihende Polis nicht damit rechnete, daß der neue „Bürger" von seinem Bürgerrecht auch Gebrauch machen würde 1 6 . Die Verleihung der εγκτησις wurde häufig m i t Beschränkungen verbunden. Eine solche verbirgt sich nach einer Ansicht Wilhelms 17, die Zustimmung gefunden hat, hinter dem Zusatz „κατά τον νόμον" 18 . Wahrscheinlich handelt es sich dabei u m Wertbeschränkungen, wie sie aus dem 3. Jhdt. bekannt sind 1 9 , m i t dem Unterschied, daß der Wert nicht i n dem einzelnen Beschluß mit aufgeführt, sondern auf ein diese Materie generell regelndes Gesetz verwiesen wurde. Weitere Beschränkungen finden sich hinsichtlich der Wahl des Ortes innerhalb des Staatsgebietes 20 . Ein Nichtbürger, dem die εγκτησις nicht verliehen worden war, konnte weder Grundstücke noch Häuser zu Eigentum erwerben. Die A r t und Weise des Erwerbs war gleichgültig 21 . Nicht das Erwerbsgeschäft als solches, sondern dessen Rechtsfolge war für die Griechen das Entscheidende: Anteil am Grund und Boden der Polis sollten nur Bürger und ausgewählte Nichtbürger haben. Ausgeschlossen war also Erwerb durch Kauf 2 2 , aber auch durch Verfall eines Grundpfandrechts, wie sich aus Stellen bei Demosthenes 23 und Aristoteles 24 eindeutig ergibt. Auch Schenkungen werden w i r einrechnen müssen, ebenso erbrechtliche Zuwendungen 25 . 13
Vgl. Kahrstedt Staatsgebiet 10,2. Beispiele: Michel 203, I G X I I 5 528. 532. 534 (Keos), I G I X 1 272, SEG X V 264 (Oropos), X V I 373 (Lamia), X I I 419 (Knidos). 15 Vgl. Busolt-Swoboda 227. 16 Vgl. Szanto Bürgerrecht 23—25. 17 Hermes X X I V 328 fï. 18 I G I I 2 342. 360. 425. 422. 19 Beispiele: I G I I 2 835 Z. 26/27. 786 Z. 27/28. 20 Syll. 3 282, dazu Weiß Privatrecht 186. Unsicher I G I I 2 373. 21 Vgl. die Fälle des έγκτήσασθαι i n I G I I 2 43 Z. 39—42. Dazu Finley 75. 263, 5, Busolt-Swoboda 1367. 22 van Meurs 20. 23 X X X V I 6: είσπράττειν, δσα Π. επί γη και συνοικίαις δεδανεικώς ήν. 24 Oik. I I 2, 3 S. 1347 a. 25 M i t Beauchet I I I 439. 14
I . Das Eigentum
Z u einem Erwerb, der nicht die Erlangung der Eigentümerstellung zur Folge hatte, war die εγκτησις nicht erforderlich. Auch der Nichtbürger konnte sich Grundpfandrechte bestellen lassen 28 , die fehlende Privilegierung wirkte sich erst aus, wenn der Darlehensnehmer das Darlehen nicht zurückzahlte 27 . Ein Nichtbürger 2 8 als Pächter eines i m Privateigentum stehenden Grundstücks begegnet bei Lysias V I I IO 29 . Ob für Erbpachtverhältnisse etwas anderes galt, können w i r den Quellen jener Zeit nicht entnehmen. Es wäre durchaus denkbar, da die Stellung des Erbpächters der eines Eigentümers sehr ähnlich sein konnte 30 . Die Grubenpacht war i n Athen nach Xenophon 3 1 auch den Isotelen zugänglich. Daraus darf jedoch nicht der Schluß gezogen werden, also sei die εγκτησις nicht erforderlich gewesen. Möglicherweise wurde nämlich regelmäßig neben der Isotelie auch die εγκτησις verliehen 32 . Es könnte daher sein, daß die Grubenpacht tatsächlich den Besitz der εγκτησις voraussetzte, ohne daß Xenophon es für notwendig gehalten hat, das besonders zum Ausdruck zu bringen, w e i l er von der Verleihungspraxis seiner Zeit ausging. Ein sicherer Schluß ist jedenfalls nicht möglich. Immerhin ist bemerkenswert, daß i n den erhaltenen Pachturkunden des 4. Jhdts., keine Namen von Fremden festgestellt werden können 33 . Nichts besonderes galt für die M e t o k en. Auch sie bedurften der ausdrücklichen Verleihung des Rechts zum Erwerb von Häusern und Grundstücken 34 . Das geht aus dem von Aristoteles 35 geschilderten Vorfall i n Byzanz klar hervor. Als Nichtbürger waren auch die U n f r e i e n nicht fähig, Eigentum an Grundstücken zu erwerben. Nichts anderes kann für Häuser gelten. Wenn das Gegenteil unter Berufung auf die Rede des Aischines gegen Timarchos behauptet wird 3 6 , so ist dem entgegenzuhalten, daß sich aus 26
Vgl. Aristoteles a. a. O. Ungenau Hitzig Pfandrecht 33 f., richtig Finley 75, unrichtig Thalheim RE V 2584. 28 E i n Freigelassener. Die Freigelassenen w u r d e n n u r i n Ausnahmefällen m i t der Freilassung Bürger. Vgl. Busolt-Swoboda 291.984, Kahrstedt Staatsgebiet 66. 327. 29 Vgl. Kahrstedt a. a. O. 298. 30 Vgl. Mitteis Z u r Geschichte der Erbpacht 11, Kunkel SZR 53/513. 31 Poroi I V 12. Vgl. Schönbauer SZR 55/206.220. 32 Vgl. Thalheim RE I X 2232 „zumeist", Kahrstedt Staatsgebiet 299,1 „ o f t " So dürfte es auch bei Lysias u n d seinem Bruder gewesen sein, die Eigentümer v o n Häusern waren ( X I I 18) u n d v o n denen es heißt, i h r Vater sei Metöke (Dionysios v. Hai. Lys. 1) u n d Lysias selbst Isotele (Plutarch Leben der zehn Redner 836 A) gewesen. Vgl. Plöbst RE X I I I 2533/2534, Gilbert I 174,2. 33 Hopper, A n n u a l of the B r i t i s h School at Athens 48 (1953) 246. 34 Xenophon Poroi I I 6, Gilbert I 173, Busolt-Swoboda 297, 6, Weiß P r i v a t recht 187, Kahrstedt Staatsgebiet 10.298 î.,Caillemer DS 494 a. 35 Oik. I I 2 , 3 S. 1347 a. 3e Busolt-Swoboda 981, Kahrstedt Staatsgebiet 324. 27
§ 4. Die Eigentumsfähigkeit
41
keiner Stelle der Rede ergibt, daß Pittalakos, der άνθρωπος δημόσιος οίκέτης της πόλεως (54), ein eigenes Haus besessen hat. Es heißt vielmehr nur . . . οίκίαν οΰ φκει ό Π . . , 3 7 . Dabei w i r d man aber mehr an Miete als an Eigentum zu denken haben 38 . I m übrigen ist fraglich, ob der Fall des Pittalakos überhaupt geeignet ist, i n diesem Zusammenhang herangezogen zu werden; denn es bestehen begründete Zweifel, ob sich der sogenannte δημόσιος wirklich zur Zeit der geschilderten Ereignisse noch i m status der Unfreiheit befunden hat 39 » 40 . Ob es i n den griechischen Staaten jener Zeit Unfreie gegeben hat, die v o l l s t ä n d i g unfähig waren, Eigentum zu erwerben, also auch an Mobilien, läßt sich nicht sicher feststellen. Die Quellen lassen jedoch klar mehrere Gruppen m i t unterschiedlicher ziviler Rechtsstellung erkennen 41 . Z u der ersten Gruppe zählen die i m Haus und Gewerbebetrieb des Herren tätigen Sklaven. Gegenüber der für diese Gruppe früher herrschenden Ansicht 42 hat Taubenschlag 43 m i t Recht auf Stellen bei Theophrastos 44 , Menandros 45 und Plautus 4 6 hingewiesen. Insbesondere aus Theophrastos ist klar zu ersehen, daß ein οίκέτης durch ευρεσις Vermögen erwerben konnte, das nicht dem Zugriff seines Herrn unterlag. Denn anderenfalls hätte ein Geiziger unzweifelhaft seinem Sklaven den ganzen „Fund" und nicht nur seinen Anteil aus der „Fundgemeinschaft" abverlangt. Daß Theophrastos seinen Geizigen dies nicht t u n läßt, ist ein sicheres Kennzeichen dafür, daß auf diese Weise erworbene Güter Eigentum des Sklaven wurden. Auffallend ist jedoch, daß es sich i n allen drei Stellen nicht u m rechtsgeschäftlichen Erwerb handelt. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß den Sklaven der rechtsgeschäftliche Erwerb von Eigentum verschlossen war oder sie insoweit Beschränkungen unterlagen. 87
§ 59. Richtiger daher Waszynski Hermes 34/554, Thalheim RE V 162, Lipsius A t t . R. 798, Busolt-Swoboda 274. 89 s.S. 162. 40 Erst i n das 2. Jhdt. v. Chr. (Finley 226,19, Ziebarth Syll. 8 1207) gehört die Inschrift I G V I I 3376 = Syll. 8 1207, i n der mehrere Gelehrte i n Soson den Eigentümer eines Hauses sehen, ohne zu erklären, w i e das m i t seinem status vereinbar sein soll (vgl. Partsch Bürgsch. Recht 362,1, Pringsheim L a w 188 f., Ziebarth Syll. 8 a. a. O., Hitzig Pfandrecht 37). Dagegen unter Hinweis auf den status Thalheim Beri. Phil. Wochenschr. 1895 Sp. 1235, Günter Die Sicherungsübereignung i m griech. Recht (Diss. Königsberg 1914) 53; zustimmend, allerdings ohne Eingehen auf die status-Frage, Manigk SZR 30/308,1. Noch eine andere E r k l ä r u n g der Stelle Recueil I I 241. Vgl. auch BusoltSwoboda 274,3: Soson n u r wirtschaftlicher, nicht rechtlicher Eigentümer. 41 Busolt-Swoboda 280 ff., Lipsius A t t . R. 793 ff. 42 Beauchet I I 444, Partsch Bürgsch. R. 135, Busolt-Swoboda 281. 48 SZR 46/70, 8. 44 Char. X X X 9/10. 45 Epitr. I I 70. 49 Rud. I V 3, 32 ff. 88
I . Das Eigentum
Von den Unfreien i m Recht von Gortyn gehören i n diese Gruppe offensichtlich die ένδοθίδιοι47 ( I C I V 7 2 K o l . H Z . 11). Über ihre Fähigkeit, Eigentümer sein zu können, ist eine sichere Aussage nicht möglich. Denn es läßt sich dem Gesetz nicht m i t Sicherheit entnehmen, ob die i n Kol. I I Z. 11—15 festgesetzte Buße für die an einer Haussklavin begangene Notzucht an die Sklavin selbst 48 oder ihren Herren 4 9 fallen sollte. Andere Stellen, die sich mit Sicherheit auf Haussklaven beziehen, haben w i r aber nicht. Z u einer Gruppe mit gehobenem status sind i n Gortyn die foixéeç zu rechnen49®. Auch sie konnten eigenes Vermögen besitzen: Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, daß bei Beendigung einer Unfreienehe durch Scheidung oder Tod des Mannes die Unfreie „das Ihrige haben soll" 5 0 . Daß auch Vieh i m Eigentum eines ^οικεύς stehen konnte (Kol. I V Ζ. 35/36)51, ist neuerdings von Kirsten 52 bestritten worden, der meint, es sei an dieser Stelle nicht von Eigentum, sondern einem „Nutznießungsrecht" die Rede. I n der Tat ist auffallend, daß der Gesetzgeber hier i m Rahmen der Bestimmungen über das Erbrecht der Söhne und Töchter von dem Vieh des Erblassers das Vieh der Unfreien ausdrücklich ausnimmt. Daraus haben schon Bücheler-Zitelmann die Vorstellung einer „ A r t von Obereigentum" abgeleitet 53 . Daß eine derartige Vorstellung unter den Bürgern verbreitet war, ist durchaus möglich. Das besagt aber nicht, daß sie auch geltendes Recht war. Es ist nämlich durchaus denkbar, daß das Gesetz gerade den Zweck hatte, das Nicht- oder Nichtmehrbestehen eines solchen Rechts des Herren klarzustellen. Dafür spricht der Gebrauch der Wendung τινός είναι. Diese bedeutet nämlich an anderen Stellen unzweifelhaft nicht Nießbrauch, sondern Eigentum 54 . Ich halte daher die Ansicht von Kirsten für noch unbewiesen 55 . Ob die i m Gesetz für die VerÜbung der Notzucht durch Unfreie 5 6 und an Unfreien 5 7 festgesetzten Bußen aus dem eigenen Vermögen der Un47
Bücheler-Zitelmann 64 f., Willetts 52 if., Guarducci I C I V S. 150. Willetts 52, Recueil I 427, Kohler-Ziebarth 79. 49 Gernet Droit et Société 57 ff., Guarducci I C I V S. 153, Lotze 19. Vgl. auch Bücheler-Zitelmann 103. 49a Gegen die Annahme eines Unterschiedes zwischen δούλοι u. Αηκέες i m Gesetz von Gortyn neuestens Finley The servile statuses of Ancient Greece i n R I D A V I I (1960) 168—172. 50 Kol. I I I 40—43. Dazu Willetts 49, Guarducci a . a . O . 158, BüchelerZitelmann 64, Kirsten K r e t a 99, Lotze 15. 51 Willetts 49.97, Guarducci 158, Busolt-Swoboda 286,4, Kohler-Ziebarth 52. v. Pöhlmann Geschichte 161,1, Beauchet I I 448, 5. 52 Kreta 99 f. 53 137 f. 54 V I 28/29. I X 20. 22/23, vgl. Käser SZR 64/177 f. 55 M i t Guarducci a. a. O. u n d Lotze 15. 56 Kol. I I 5—7. 9—10. 25—28. 57 Kol. I I 7—10. 27-28. 48
§ 4. Die Eigentumsfähigkeit
43
freien bezahlt werden mußten bzw. i n dieses flössen, läßt sich dem Gesetz nicht mit Sicherheit entnehmen 58 . Da aber an der Fähigkeit der foixéeç, Eigentum an Mobilien zu haben, auf Grund anderer Stellen des Gesetzes nicht zu zweifeln ist, können w i r unbedenklich m i t der herrschenden Meinung 5 9 annehmen, daß die Unfreien die Buße selbst bezahlen mußten, sie ihnen umgekehrt aber auch selbst zugutekam, wenn das Verbrechen an ihnen begangen worden war. Den ^οικέες entsprechen die Heloten der Spartaner 60 . Über ihre Rechtsstellung sind w i r nur sehr dürftig unterrichtet. Sie bewirtschafteten den κλήρος ihrer Herren 6 1 und hatten einen festen Satz abzuliefern. Was sie mehr erwirtschafteten, durften sie behalten 62 . So ist es zu erklären, daß es nach dem Bericht des Plutarchos 63 i m 3. Jhdt. v. Chr. zahlreiche Heloten gab, die den Betrag von 5 attischen Minen aufbringen konnten. Die Belege sind zu knapp, um daraus einen Schluß ziehen zu können, ob es sich hierbei u m Eigentum 6 4 oder nur ein Vermögen gehandelt hat, welches der Herr jederzeit an sich ziehen konnte. Bei der Härte, mit der die Spartaner die Heloten angefaßt haben 65 , wäre letzteres durchaus möglich 66 . I n den Quellen aus A t t i k a begegnen mehrfach die μισθοφοροΰντες, Unfreie, die von ihren Herren die Genehmigung erhalten hatten, gegen eine Abgabe — άποφορά — selbständig einem Beruf nachzugehen 67 . Beispiele hierfür finden sich bei Theophrastos 68 und Menandros 69 . Daß der bei Theophrastos erwähnte Sklave zu der hier behandelten Kategorie und nicht, wie Lipsius 70 meint, zu den von ihren Herren vermieteten Unfreien gehört, ergibt sich aus dem Zusammenhang: Der Autor w i l l den Herren als einen Menschen zeichnen, der gegenüber jedermann auf 58
Bücheler-Zitelmann 64. Bücheler-Zitelmann 103, Kohler-Ziebarth 79, Recueil I 452, Guarducci S. 153. Teilw. a. A . Lotze 19/20. 60 v. Pöhlmann I 61, Busolt-Swoboda 136, Erdmann 191, Wolff I u r a V I I 314,14. 61 Plut. L y k . 24. 62 Busolt-Swoboda 669, Oehler RE V I I I 205. 63 Kleom. 23. 64 Verneint von Kahrstedt Staatsrecht 160 f., Lotze 32.47: „beschränktes" Eigentum, das jedenfalls der W i l l k ü r des einzelnen Herren entzogen gewesen sei. 65 Vgl. Kahrstedt, Oehler, Busolt-Swoboda a. a. O. 66 I n die gleiche Gruppe gehören auch die thessalischen Penesten, vgl. Miltner RE X I X 494 ff. u n d Lotze 50 ff. 07 Vgl. Lipsius A t t . R. 797 f., Partsch Bürgsch. R. 136 ff., Schultheß RE X V 2078. 68 Char. 15. 69 Epitrepontes I I 163. 70 A t t . R. 797, 26. 59
I . Das Eigentum
seinen Vorteil bedacht ist, auch i n Situationen, i n denen „man" das nicht tut. I n diesem Beispiel soll ein solches Verhalten gegenüber einem Sklaven angeprangert werden. Wäre nun nicht der Sklave Schuldner der άποφορά, sondern dessen Mieter, der Unfreie also nur Überbringer des Geldes, wäre für die Forderung nach der επικαταλλαγή gegenüber dem Sklaven kein Raum. Der Unfreie könnte mit Recht entgegnen: „Wende dich an den Mieter, er hat m i r nicht mehr gegeben. Ich habe ja keinen eigenen Verdienst." Es kann daher hier nur ein Unfreier m i t eigenem Einkommen gemeint sein, gegen den sein Herr sich bei der Entgegennahme der άποφορά auf die geschilderte Weise schäbig verhält. Daß der Köhler Syriskos des Menandros hierher gerechnet werden muß, dürfte unbestritten sein 71 . Dagegen erscheint es keineswegs sicher, daß die bei Aischines I 97 genannten, der Schuhmacherei kundigen Unfreien i n diese Kategorie einzureihen sind 72 . Es handelt sich um eine Werkstätte m i t einem ήγεμών und mehreren anderen Sklaven. Die Apophora beträgt für jeden von diesen zwei Obolen täglich, für den ήγεμών drei. Soll man wirklich annehmen, sie hätten i n einer Werkstatt, aber jeder auf eigene Rechnung gearbeitet? Ist nicht vielmehr zu vermuten, daß die Werkstatt m i t den Sklaven verpachtet war 7 3 , auch wenn der Sprecher davon nichts sagt 74 ? Die Tatsache, daß Unfreie auf eigene Rechnung einem Gewerbe nachgehen konnten, gestattet noch nicht den Schluß, daß sie auch fähig gewesen sein müssen, Eigentümer zu sein; denn es könnte auch ein pecul i u m vorliegen 75 . Gegen eine solche Annahme spricht jedoch, daß die Quellen keine Anzeichen für eine Befugnis des Eigentümers enthalten, seinen Unfreien das durch die erlaubte Erwerbstätigkeit Erworbene nach Belieben wegzunehmen 76 . Zumindest bei Theophrastos oder i n den Werken der Komödiendichter dürften w i r einen Niederschlag einer solchen Rechtslage erwarten. Ich meine daher, daß man den μισθοφοροΰντες die Eigentumsfähigkeit unbedenklich zusprechen kann 7 7 . Auch Piaton geht i n den Nomoi offensichtlich davon aus, daß Unfreie Eigentum und nicht nur ein peculium haben können. Wenn er Sklaven und Metoiken, die den Verkauf verfälschter Waren aufdecken, diese Waren als Be71
Lipsius A t t . R. 797, Partsch Bürgsch. R. 136.4, Schultheß a. a. O., Taubenschlag SZR 46/70. 72 So Lipsius A t t . R. a. a. O., Schultheß a. a. O., Bolla RE X V I I I 2. Hb. 2472. 73 Wie w o h l auch Lauffer Bergw. Sklaven I 1186 annimmt. 74 Das ist leicht dadurch zu erklären, daß es dem Sprecher auf juristische Einzelheiten hier überhaupt nicht ankam, sondern n u r auf das Vermögen u n d Einkommen des Timarchos. 75 So Beauchet I I 444 ff., neuerdings noch Jones 282. 76 Partsch Bürgsch. R. 138. 77 Lipsius A t t . R. 797, Busolt-Swoboda 982, Morrow Plato's L a w of Slavery (Illinois 1939) 76.
§ 4. Die Eigentumsfähigkeit
45
lohnung zuspricht 78 , w i l l er dadurch offensichtlich einen Anreiz für die Nichtbürger schaffen, auf Gesetzesübertretungen zu achten. Für den πολίτης war eine solche Aufmerksamkeit Bürgerpflicht, er hatte daher den auch i h m zufallenden verfälschten Gegenstand den Göttern als Geschenk zu weihen 79 . Die von Piaton beabsichtigte Wirkung wäre aber sicher nicht eingetreten, wenn der Unfreie nicht damit rechnen konnte, die Sache auch behalten zu dürfen. Auch hätte der Herr des Sklaven auf diese Weise etwas erlangen können, was er nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht haben sollte. Es ist daher unabweisbar, daß Piaton sich den Unfreien eigentumsfähig vorgestellt hat 8 0 . Die Fähigkeit, Eigentümer sein zu können, war durch das Geschlecht nicht beschränkt. So berichtet Aristoteles 81 , daß i m Staate der Lakedaimonier nahezu 2 /s des Bodens F r a u e n gehörte 82 . Die große Inschrift von Gortyn 8 3 spricht an vielen Stellen vom eigenen Gut von Frauen 84 . Auch aus Athen haben w i r inschriftliche Zeugnisse: I m zweiten Teil der sogenannten Poleteninschrift 85 werden zwei Frauen als Grundeigentümerinnen genannt 86 . Auch I G I I 2 2765 u. 276687 sind i n diesem Zusammenhang zu erwähnen. Eine Sicherungsübereignung an eine Frau enthält I G I I 2 268188. Aus den literarischen Quellen ist bemerkenswert, daß während der Ehe der Erbtochter das Vermögen des verstorbenen OikosOberhaupts bis zur Volljährigkeit der Söhne der Erbtochter als der Erbtochter gehörend bezeichnet wurde 8 9 . W i r können sonach unbedenklich feststellen, daß die griechische Frau fähig war, Eigentümerin zu sein. Wie weit sie zu Geschäften über ihr Eigentum befähigt war, interessiert i n diesem Zusammenhang nicht. Ebenso kann hier die kürzlich von Wolff 90 ausführlich behandelte Frage nach dem Eigentum an der προιξ außer Betracht bleiben. 78
X I 917 C/D. 917 D. 80 Vgl. Morrow a. a. Ο. 73. 81 Pol. I I 6 S. 1270 a. 82 Wenn Aristoteles diesen Zustand auf die Gewährung großer Mitgiften zurückführt, dürfte er die zu einer προίξ gehörenden Sachen als Eigentum der F r a u angesehen haben. 83 IC I V Nr. 72. 84 Kol. I I 46/48, I V 26/27.43/44, V I 9/12.16/18. 33/34, X 14/16, X I I 1/2. 85 SEG X I I 1 0 0 . 86 Z. 67/69. Vgl. dazu Crosby Hesperia X (1941) 26. 87 = Finley Nr. 176 u. 174. Vgl. dazu Kahrstedt Staatsgebiet 272, Finley 266,23, Fine 118,20, Wolff Festschr. Rabel I I 306,55. 88 = Finley Nr. 49. 89 Aischin. I 95, Isaios V I I I 31. X 5. 12. Frgmt. 8 u. 26 (Loeb). Vgl. S. 100. 90 HE X X I I I 147 ff. 79
I . Das Eigentum
Von Sachen, die den K i n d e r n gehören, spricht das Gesetz von Gortyn mehrfach 91 , ohne aber zwischen minderjährigen und volljährigen Abkömmlingen zu unterscheiden. Für Kol. V I Z. 2—12 ergibt sich jedoch aus dem Zusammenhang, daß volljährige, m i t dem Vater in Hausgemeinschaft lebende Kinder gemeint sind; denn das Gesetz schränkt das Recht des Vaters zur Vornahme von Rechtsgeschäften über solche Sachen ein, über die es unmittelbar vorher Söhne für selbst verfügungsbefugt erklärt hat. Die Verfügungsbefugnis dürfte aber Minderjährigen kaum eingeräumt worden sein 92 . Aus dieser Stelle ist daher für das Problem der Rechtsstellung Minderjähriger keine Antwort zu gewinnen 93 . Dem Gesetzgeber ging es hier vielmehr u m die Klarstellung, daß das Individualvermögen des einzelnen Familienmitgliedes von den anderen — einschließlich des Familienoberhauptes — nicht veräußert werden durfte. Wenn es dagegen i n Kol. I I I Z. 17 ff. heißt, eine m i t Kindern hinterlassene Witwe dürfe sich unter Mitnahme des Ihrigen und des i h r vom Manne vor Zeugen Zugewendeten wieder verheiraten, aber τ ι τον τέκνον nicht an sich nehmen, dürfte auch — oder sogar vorwiegend — an den Schutz der minderjährigen Kinder gedacht sein. W i r können daher sagen, daß dem Recht von Gortyn die Eigentumsfähigkeit von Minderjährigen nicht fremd war 9 4 . Aus Athen besitzen w i r eine πρασις επί λύσει an ein K i n d i n I G I I 2 265895. Kinder als Grundeigentümer sind i n SEG X I I 100 Z. 79/80 ( = 2. Hälfte der Poleteninschrift) aufgeführt. I n beiden Fällen darf man wohl annehmen, daß man nicht „παις τ. δ." geschrieben hätte, wenn die Berechtigten volljährig gewesen wären; denn ,,παΐς τ. δ." war, wie die Horoi 9 6 zeigen, der normale Ausdruck zur Bezeichnung eines minderjährigen Kindes. I m Zusammenhang mit der Verpachtung von Mündel vermögen stehen die literarischen Quellen, i n denen von den οίκοι των ορφανών die Rede ist 97 . Ein Kleinstkind als Eigentümer begegnet i n den Επιτρέποντες des Menandros 98 . Auch für Athen muß somit die Eigentumsfähigkeit der Minderjährigen bejaht werden. Über ihre Geschäftsfähigkeit ist hier nicht zu handeln.
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I C I V 72 K o l . I I I 22—24. V I 5—9. Vgl. Bücheler-Zitelmann 130. 98 Wie offenbar Kohler-Ziebarth 58 meinen. 94 Bücheler-Zitelmann 130, Kohler-Ziebarth 58. 95 = Finley Nr. 57. Vol. Wolff Festschr. Rabel I I 315,92. 96 Vgl. die Zusammenstellung bei F i n l e y Nr. 116—129, 120 A , 126 A—C, 129 A. Siehe auch den Stein v o n Naxos I G X I I Suppl. 194 = Finley Nr. 131. 97 Aristoteles A t h . Pol. 56, 7, Isaios V I 36, Harpokration sv. άποτιμηταί. 98 s.u.S. 107. 92
5. Die Befugnisse des Eigentümers Wie w i r gesehen haben, war das Eigentum nach griechischer Auffassung die zum umfassenden Gebrauch berechtigende Zuordnung. Die Befugnisse des Eigentümers waren Gebrauchsbefugnisse und sollen i m folgenden unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Von einem G r u n d s t ü c k kann man auf verschiedene A r t und Weise Gebrauch machen: Man kann darauf etwas bauen, es landwirtschaftlich nutzen, aber auch brachliegen lassen. Nach Xenophon 1 müssen w i r annehmen, daß letzteres zu seiner Zeit i n Athen gestattet war. Aus § 22 der Schrift muß sogar geschlossen werden, daß der Staat nicht einmal auf die Erhaltung einmal nutzbar gemachter Flächen i n ertragsfähigem Zustand gesehen hat. I n Anbetracht der Abhängigkeit Athens von der Nahrungsmitteleinfuhr ist das eine bemerkenswerte Freiheit, zumal wenn es sich wie i n der Xenophon-Stelle u m gute Böden handelte. Da Eigentumsbeschränkungen aus wirtschaftspolitischen Gründen i n Athen nicht unbekannt waren 2 , muß man sich fragen, warum wohl eine Anbaupflicht nicht bestanden haben mag. Eine Betrachtung der aus jener Zeit überlieferten Eigentumsbeschränkungen 8 zeigt, daß w i r von der Verpflichtung des Eigentümers zu einem T u n nur aus dem Staate der Lakedaimonier und i n bezug auf Mobiliareigentum hören. Aus den anderen Staaten kennen w i r nur Eigentumsbeschränkungen i n der Gestalt einer Pflicht zu einem U n t e r l a s s e n oder D u l d e n . Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß w i r es hier m i t einer Auswirkung der verschiedenen Auffassung des Verhältnisses von Staat und Bürger zueinander zu tun haben. Anders als die Spartaner waren die Athener offenbar nicht bereit, zugunsten der Belange der Gesamtheit die Freiheit des einzelnen derart einzuschränken. Das Grundeigentum schloß die Befugnis ein, den Gegenstand des Eigentums einem anderen unentgeltlich zur Benutzung zu überlassen. Ein solcher Fall findet sich i n der Inschrift Dittenberger Syll. 3 940. Er dürfte m i t dem Prinzip i n Zusammenhang stehen, daß Fremde Grundstücke und Häuser nicht zu eigen erwerben durften 4 . 1 2 8 4
Oik. X X 4 u. 22. M a n denke an das ölbaumgesetz bei Demosth. X L I I I § 71. s.u.S.67. s. o. S. 38.
I . Das Eigentum
Entgeltliche Überlassung begegnet i n Form von Vermietung und Verpachtung. Von M i e t v e r h ä l t n i s s e n hören w i r i n den Quellen nicht allzu häufig 5 . Bei Lysias und Isaios werden dabei die Bewohner von Häusern als Mieter bezeichnet, obgleich dieser Umstand für den Sachverhalt bedeutungslos erscheint. Daraus ergibt sich m. E. zweierlei: einmal, daß i n Athen zwischen Eigentümern und Mietern sorgfältig unterschieden worden ist, zum anderen, daß ein Bürger i n der Volksmeinung sozial danach eingestuft wurde, ob er i m eigenen Hause oder zur Miete wohnte®. Andererseits hat bei der Vielzahl der i n der Stadt lebenden Nichtbürger, die nicht Hauseigentümer sein konnten, ein großes Bedürfnis nach Mieträumen bestanden, so daß mehrfach von „Einkünften aus Häusern" 7 , also aus Vermietung, die Rede ist. P a c h t v e r t r ä g e besitzen w i r i n großer Zahl 8 . Sie enthalten zum Teil eingehende Bestimmungen darüber, was der Pächter zu t u n und zu lassen hatte. So finden w i r z.B. genaue Vorschriften über den Anbau und die Pflege der Weinstöcke 9 , überhaupt Bestimmungen über A r t und Umfang der Nutzung 1 0 , die Pflicht zum Ersatz eingehender Bäume 11 , das Verbot Bäume zu fällen 1 2 u. ä. Es kommen aber auch Verträge vor, i n denen dem Pächter weitgehende Freiheit eingeräumt ist 13 . Diese Weisungsbefugnis ergibt sich aus dem Eigentum des Verpächters. I h m gehörte das Pachtobjekt, er war daher befugt, den Umfang der Nutzung festzulegen. I h m verblieb auch das Recht, über das Grundstück zu verfügen. Das ergibt sich zweifelsfrei aus Syll. 3 966 Z. 9 ff., wo sich die Verpächter verpflichten, von diesem Recht während der Pachtdauer keinen Gebrauch zu machen. Diese Vereinbarung wäre überflüssig gewesen, wenn die Verpächter sich nach Auffassung der Beteiligten dieses Rechts durch den Abschluß des Pachtvertrages begeben hätten. Der Zeitpächter war nicht verfügungsberechtigt 14 . Verfügungen brauchten i h m daher nicht ausdrücklich verboten zu werden. Die von Bolla 15 als Beispiele für 6 Is. V I 39, Lys. I I I 11, Aischin. I 124, B u l l , de Corr. Hell. X X I X S. 434 Nr. 143 Z. 16, Szanto Ausgew. Abh. 92 ff. (dazu auch Ziebarth Zeitschr. f. vergi. Rechtswissenschaft X I X 285). 6 Vgl. auch Theophrastos Char. X X I I I 9. 7 Xenophon Apomnem. I I 7,2 u. I I I 11,4. 8 Vgl. die Übersichten bei Schultheß RE X V 2098 fï. u n d Bolla RE X V H I 2. Hb. 2439 ff. • I G I I 2 1241 Z. 18 ff. 10 I G I I 2 2493 Z. 15—18, D i t t . Syll. 3 963 Z. 7—11. 11 I G I I 2 2499 Z. 1411 12 D i t t . Syll. 3 966 Z. 15 ff. 13 I G I I 2 2491. 14 Schultheß RE X V 2123. 15 RE X V I I I 2. Hb. 2460.
§ . Die B e u g n
des E i g e n t m s
49
derartige Verfügungsverbote genannten Inschriften (Heraclea I 99 u. I G I I 2 1241) stehen dem nicht entgegen. I n der Tafel I von Heraclea liegt Erbpacht 16 vor, sie kann also hier außer Betracht bleiben, überdies findet sich i n Z. 99 kein Verfügungsverbot an den Pächter. Für I G II 2 1241 vermißt man die Angabe der Zeile, i n der das Verfügungsverbot stehen soll. Offenbar ist aber Z. 49 gemeint, die nach Schultheß 17, auf den sich Bolla auch an anderer Stelle 18 wegen dieser Inschrift bezieht, ein solches Verbot beinhalten soll. Das ist jedoch äußerst zweifelhaft. Die Stelle lautet: εάν δ[έ μή] καταβάλωσιν τάς . . . καί εάν τ ι προσ[οφ]είλωσιν της μισθώσεως εν τοϊς δέκα ετεσιν, μή είναι Διοδώρωι μηδέ των Διοδώρου μηθενί συνβόλαιον προς τό χωρ[ί]ον τοΰτο μηθέν καί μισθωσάντωσαν Δυαλεις ώ αν βούλωνται του πλείστου. Der εάν-Satz bezieht sich auf das dem Pächter eingeräumte Kaufrecht und bringt zum Ausdruck, daß das Folgende gelten soll, wenn der Pächter von diesem Recht k e i n e n Gebrauch machen wird. Der mit μή είναι eingeleitete Satzteil enthält also die Rechtsfolge, die ein bestimmtes Verhalten des Pächters nach sich ziehen soll. Der Pächter ist es, dem das συνβόλαιον προς τό χωρίον versagt wird. Damit sind also nicht vertragliche Ansprüche Dritter i n Beziehung auf das Pachtgrundstück gemeint, die durch Vereinbarungen dieser Dritten m i t dem Pächter entstanden sein könnten, wie Schultheß und Bolla annehmen, sondern Ansprüche des Pächters aus dem Pachtvertrage. Er soll beispielsweise nicht Verlängerung des Pachtvertrages verlangen können. Damit stimmt überein, daß es i m Text weiter heißt, die Verpächter dürften vielmehr einen neuen Pachtvertrag abschließen, m i t wem sie wollen. I G I I 2 1 2 4 1 spricht somit nicht gegen die Annahme, daß ein Zeitpächter grundsätzlich nicht über das Pachtobjekt verfügen durfte. Auch i n der regelmäßig getroffenen Vereinbarung, daß der Verpächter während der Pachtzeit die Steuern zu tragen habe 19 , kommt zum Ausdruck, daß man den Pächter nur als den Nutzer fremden Landes ansah 198 . Eine andere Einstellung bestand offenbar gegenüber dem E r b p ä c h t e r . Allerdings sind die überlieferten Erbpachtverträge aus jener Zeit inhaltlich sehr verschieden 20 . I m Erbpachtvertrag der K l y t i d e n aus Chios 16
Bolla a. a. Ο. 2440. RE X V 2103. 18 a . a . O . 2457. 19 Schultheß RE X V 2120, Bolla a. a. O. 2460. lea F ü r e i n e Auseinandersetzung m i t Wolff, der dem Pächter auf G r u n d der P a p y r i ein begrenztes dingliches Recht am Pachtobjekt zuerkennt (Beiträge 138 ff.) — als Eigentum bezeichnet auf S. 144 —, ist hier k e i n Raum. 20 Vgl. die bei Kamps, L'emphytéose en droit Grec et sa réception en droit Romain (Recueil de la Société Jean B o d i n I I I [1938] 67—121) zusammengestellten Fälle. 17
4
Kränzlein
I . Das Eigentum
(4. Jh. v. Chr.) 21 sagt der Erbpächter von dem Pachtgrundstück: εστίν εμά, gebraucht also einen das Eigentum bezeichnenden Ausdruck 21®. Kunkel 22 führt dies auf die Verwendung eines für die Eigentumsübertragung geschaffenen Formulars zurück, was nicht verwunderlich sei, da den Griechen das Recht des Erbpächters kaum anders erschienen sein könne als ein beschränktes Eigentum. Der „Eigentümer"-Stellung — jedenfalls i n diesem Falle — entspricht es, daß der Erbpächter sich hatte verpflichten müssen, die Steuern zu tragen (Z. 45 f.), eine Abrede, die i n Erbpachtverträgen auch sonst begegnet 23 . Aber es kommen auch Erbpachtverträge vor, i n denen der Pächter von der Pflicht, Abgaben zu entrichten, freigestellt war 2 4 . Die mehr eigentümerähnliche Stellung des Erbpächters findet auch Ausdruck i n der Einräumung der Veräußerungsbefugnis 25 , aber es ist doch sehr zweifelhaft, ob w i r mit Mitteis 26 annehmen dürfen, diese habe immer dann bestanden, wenn darüber keine Abreden getroffen worden waren. Wie w i r bei der Betrachtung der Eigentumsbeschränkungen sehen werden, war i n Griechenland die Veräußerungsbefugnis nicht selten ausgeschlossen oder beschränkt. W i r dürfen also nicht aus der Einräumung einer vererblichen Rechtsstellung auf die Zuerkennung auch der Veräußerungsbefugnis schließen. Überdies hat es wohl keinen typischen Erbpachtvertrag gegeben, die Vereinbarungen dürften vielmehr i n jedem einzelnen Fall der konkreten Interessenlage angepaßt worden sein. Wie dem aber auch sei, jedenfalls war die Stellung des Erbpächters von der des Zeitpächters deutlich verschieden und entspricht mehr als diese der Vorstellung Wolffs. Das Recht zum Gebrauch umfaßte auch die Befugnis, die Sache i n die Obhut eines anderen zu geben. Naturgemäß kam das häufiger bei Mobilien vor 2 7 . Von diesen Stellen zeigt die aus dem Corpus Demosthenicum deutlich, daß man während der Verwahrung nicht etwa den Verwahrer als Eigentümer ansah. Das Eigentum berechtigte auch zum V e r brauch der Sache. Das ist als selbstverständlich i n den Quellen meist nicht ausdrücklich ausgesprochen. 21
Die L i t e r a t u r bei Bolla a. a. Ο. 2442. Vgl. den Pächter i n P. Lond. I I I 887 S. 1: έπαναγκάσαι αυτόν έκχωρήσαί μοι τ ω ν έ μ ώ ν μ ε ρ ώ ν . 22 SZR 53/510—513. 23 I G I I 2 2496 ( = Syll 3 1216) Ζ. 25 ff., Erbverpachtung der Τειθράσιοι Ζ. 30/31 (Wilhelm, Archiv f. Pap. Forsch. X I 197 ff.). 24 I G I I 2 2497. 25 I n Herakleia (4./3. J h d t v. Chr.) I Z. 105 ff., Olymos (2. Jhdt. v. Chr.) u n d Mylasa (2. Jhdt. v. Chr.). 26 Z u r Geschichte der Erbpacht 11. 27 Lys. X I X 22, Demosth. X L I X 31, I C I V N r . 41 K o l . Ι Π 8 f. 21a
§ 5. Die Befugnisse des Eigentümers
51
Immerhin erkennt Piaton i n den Nomoi 2 8 dem Eigentümer eines Sklaven sogar das Recht der Tötung zu, wohl i m Widerspruch zum Recht seiner Vaterstadt 20 . Grundsätzlich gehörte zu den Befugnissen des Eigentümers auch das Recht, sich von seinem Eigentum für immer zu trennen. Das finden w i r bei Piaton 3 0 deutlich ausgedrückt: τ Α ρ ' οδν, εφη, ταύτα ήγεΐ σα εϊναι, ών αν αρξης καί εξη σοι αύτοΐς χρήσθαι δ τ ι αν βούλη; οίον βοΰς καί πρόβατον, δρ9 αν ήγοΐο ταΰτα σά είναι, α σοι εξείη καί άποδόσθαι καί δούναι καί θΰσαι οτοο βούλοιο θεών; α δ' αν μή ούτως εχη, ου σ ά ; . . . Πάνυ μεν ουν, εφην, ούτως εχει· τά τοιαύτα εστί μόνα έμά. Die Griechen verstanden also unter χρήσθαι nicht nur die Eigennutzung oder die Überlassimg der Nutzung an andere gegen Entgelt, sondern auch die Veräußerung — entgeltliche und unentgeltliche — und die Darbringung als Opfer. Doch dürfen w i r diese Stelle — ebenso wie die bereits angeführte Aristoteles-Stelle 31 — nicht wörtlich nehmen und daraus den Schluß ziehen, die Veräußerungsbefugnis sei nach griechischer — oder auch nur athenischer — Auffassung das entscheidende K r i t e r i u m des Eigentums gewesen. Denn wie w i r bei der Betrachtung der Eigentumsbeschränkungen sehen werden 32 , finden sich noch i n klassischer Zeit Staaten, i n denen die Veräußerung des Bodens untersagt war, ohne daß w i r Grund zu der Annahme haben, daß dort die Grundbesitzer nicht als Eigentümer angesehen worden sind, etwa i m Gegensatz zu den Eigentümern beweglicher Sachen. Auch i n Athen gab es Eigentum ohne Verfügungsbefugnis des Eigentümers, kraft Gesetzes — bei den Kindern und Frauen — und auf Grund Rechtsgeschäfts, nämlich beim Seedarlehen, bei dem die Verfügungsbefugnis, aber nicht das
28
865 D. 868 A . Die Quellen geben kein eindeutiges Bild. W i r wissen, daß über die K l a gen wegen Tötung eines Sklaven i m Gericht am Palladion verhandelt worden ist (Aristot. Ath. Pol. 57,3). Es ist auch nicht zweifelhaft, daß die Tötung f r e m d e r Unfreier m i t Strafe bedroht war. Aber nirgends ist ausdrücklich ausgesprochen, daß auch die Tötung des e i g e n e n Sklaven strafbar war. Antiph. V 47 ist nicht beweiskräftig, der V o r w u r f des Sprechers richtet sich hier gegen die Vernichtung des Beweismittels. Umgekehrt muß Antiph. V I 4 als Beweismittel für die Straflosigkeit (so benutzt von Lipsius A t t . R. 605.794) unberücksichtigt bleiben, da der Sprecher das Fehlen eines Rächers m i t unter den Gründen für die Nichtverfolgung der Tat nennt, also nicht das Herrenverhältnis allein anführt. Gegen Lipsius spricht auch, daß die Tötung des eigenen Sklaven nicht unter den Fällen des φόνος δίκαιος erscheint, obgleich w i r natürlich nicht behaupten können, einen vollständigen Katalog zu besitzen. Es ist ferner zu bedenken, daß die Athener i m allgemeinen ihre Sklaven gut behandelt haben (Vogt Sklaverei u n d H u m a n i t ä t 183). Sollten sie trotzdem bei dem Recht des Herren über Leben u n d Tod stehen geblieben sein? Verneinend auch Morrow Classical Philology X X X I I (1937) 220 f i 29
80 31 82
4*
Euthydem. 301 E/302 Α . Rhet. I 5, 7 S. 1361 a, s. o. S. 33. s.u.S.53ff.
I. Das Eigentum
Eigentum übertragen wurde 3 3 . Piaton und Aristoteles dachten bei ihren Worten also offensichtlich nur an die typischen Befugnisse des Eigentümers, so wie sie jedem vertraut waren, hatten aber nicht die Absicht, die Essentialia des Eigentums zu nennen.
83
s. u. S. 89 f.
§ 6. Die Beschränkungen des Eigentums Beschränkungen des Eigentums begegnen i n den Quellen vielfach. Sie sind besonders häufig beim Grundeigentum zu beobachten, doch finden w i r sie auch beim Fahrniseigentum und beim Eigentum schlechthin. Letzteres ist der Fall bei der Befugnis zu u n e n t g e l t l i c h e n V e r f ü g u n g e n . Das Recht von Gortyn 1 erklärt Schenkungen einer Person, die Geld schuldet, i n einen Prozeß verwickelt oder m i t einer Geldstrafe belegt worden ist, für unwirksam 2 , soweit das dem Schenker verbleibende Vermögen zur Deckung der Schulden nicht ausreicht. I n Athen war es dem Rechenschaftspflichtigen vor Ablegung der Rechenschaft untersagt την ούσίαν καθιεροΰν, ουδέ ανάθημα άναθεΐναι, ουδέ διαϋέσθαι τα έαυτοΰ3. Dieses Verbot diente unzweifelhaft der Sicherung der Vollstrekkung der Geldstrafe, auf die i m Rechenschaftsverfahren erkannt werden konnte 4 . Dieser Zweck war nur dann zu erreichen, wenn die contra legem vollzogene Schenkung nicht nur strafbar, sondern auch unwirksam war. Es ist deshalb ohne Belang, daß w i r i n diesem Falle die Unwirksamkeit nicht ausdrücklich ausgesprochen finden. Das gleiche gilt für die nicht ausdrücklich erwähnten Schenkungen eines Rechenschaftspflichtigen an Privatpersonen. Für sie kann gleichfalls Unwirksamkeit angenommen werden 5 . I n beiden Fällen waren die Befugnisse des Eigentümers beschränkt. Unentgeltliche Verfügungen waren i h m verboten, ihre Vollziehung hatte keinen rechtlichen Bestand. Beschränkungen des Rechts zu e n t g e l t l i c h e n V e r f ü g u n g e n sind für Mobilien unbekannt, für Immobilien i n den Quellen nicht nur einmal erwähnt. So nennt Aristoteles® Lokris als Beispiel für einen Staat, i n dem Gesetze der entgeltlichen Veräußerung — πωλεΐν — der ουσία7 entgegen1
I C I V 72 X 20—25. Μεδέν ές κρέος Ιμεν ταν δόσιν. 3 Aischin. I I I 21. 4 Boerner RE V I 1516, Lipsius A t t . R. 292. 5 Beauchet I I I 128, Ziebarth RE V 1598 f., Boerner a. a. O., Lipsius a. a. O. u. 750, Busolt-Swoboda 1076, Hoyer Verantwortlichkeit 19. 6 Pol. I I 4 S. 1266 b. 7 W o h l zu Unrecht n u r auf das bewegliche Vermögen bezogen v o n Ehrhardt, Iusta causa 159,7. 2
I. Das Eigentum
standen: ωσπερ εν Λοκροίς νόμος εστί μή πωλεΐν, εάν μή φανεράν άτυχίαν δείξη συμβεβηκυίαν, ετι δέ τους παλαιούς κλήρους διασώζειν. Danach galt — wie man annehmen muß noch zu Lebzeiten des Philosophen — i n Lokris ein Gesetz, das die ursprünglichen Kleroi der Verfügungsmacht ihrer Besitzer völlig entzog und entgeltliche Verfügungen über die sonstige Habe vom Vorhandensein eines offenbaren Notstandes abhängig machte 8 . Leider erfahren w i r nicht, welche Folgen eine Übertretung des Gesetzes hatte, ob sie Unwirksamkeit der Verfügung, Strafe oder beides nach sich zog. Jedoch darf für den Fall der Mißachtung des absoluten Veräußerungsverbotes m i t Sicherheit die Rechtsfolge der Unwirksamkeit angenommen werden, da der m i t dem Gesetz verbundene Zweck — die Erhaltung der Kleroi — anders nicht zu erreichen war. Für die Veräußerung sonstiger Habe ohne Notlage könnte eine Bestrafung als ausreichend angesehen und auf die Behandlung des Rechtsgeschäftes als unwirksam verzichtet worden sein, da das Gesetz selbst die Einsicht, daß man Vermögensbewegungen nicht gänzlich verbieten darf, erkennen läßt. I n Elis bestand ein gesetzliches Verbot 9 , sein gesamtes Land als Sicherungsobjekt für ein Darlehen zu bestellen, ein bestimmter Teil mußte stets pfandfrei bleiben 10 . Die Rechtslage unterschied sich insoweit deutlich von der i n Lokroi, Verpfändungen — und wie man wohl annehmen darf auch entgeltliche Veräußerungen — waren grundsätzlich gestattet. Man war i n Elis also offensichtlich nicht bestrebt, das Vermögen der Bürger gleich groß zu erhalten. I n Elis wie i n Lokris galt aber der Grundsatz, daß stets ein bestimmter Teil des Grundvermögens dem Oikos verbleiben sollte. Diesem Anliegen des Staates standen Verpfändungen genauso entgegen wie Veräußerungen, da sie die Gefahr des Pfandverfalls 1 1 an den Gläubiger m i t sich brachten. Das politische Ziel dürfte ohne ein Verbot der Vollstreckung wegen Geldforderungen i n bestimmte Teile des Grundvermögens allerdings nicht zu erreichen gewesen sein, w i r dürfen daher wohl annehmen, daß auch ein derartiges Verbot bestanden hat. Bei der Nachricht über Elis könnte zweifelhaft sein, ob Aristoteles zum Ausdruck bringen wollte, daß das genannte Gesetz noch i n K r a f t war. Ich möchte das annehmen, da er unmittelbar vorher Vergangenes deutlich als solches gekennzeichnet hat. 8 So richtig Bruck Schenkung 68. Unrichtig Thalheim Rechtsaltertümer 57,6, Lenschau RE X I 811, Pöhlmann Geschichte I 71, Busolt-Swoboda 144,6 u. a., neuestens Gigon i n der Übersetzung der P o l i t i k (Zürich 1955); denn διασώζειν hängt von νόμος εστί ab. • Aristot. Pol. V I 2 S. 1319 a. 10 Busolt-Swoboda 144, Hübner RE V 2423. Leider ist die Stelle vielfach ungenau, mißverständlich u n d sogar falsch interpretiert worden, vgl. Hitzig Pfandr. 20, Pöhlmann Geschichte I 71, Müller-Graupa RE X V I I I 1. Hb. 2035, Büchsenschütz Besitz u n d E r w e r b 32. 11 Vgl. Wolff Festschr. Rabel I I 318 f.
§ 6. Die Beschränkungen des Eigentums
55
Auch bei den Kolonisten neugegründeter Pflanzstädte finden sich Beschränkungen der Verfügungsbefugnis. So wurde bei der Errichtung einer Apoikia von Issa auf Melaina Kerkyra i m 4. Jh. v. Chr. bestimmt, daß eineinhalb Pelethra dem einzelnen Siedler und seinen Nachkommen verbleiben müßten, also nicht veräußert werden durften 1 2 . Ein Verbot der Pfändung und Verpfändung ist nicht ausgesprochen, war aber wohl auch entbehrlich; denn wenn etwas καταμόνος sein soll, darf es eben auf keine Weise entzogen werden. I m Staat der Lakedaimonier hatte sich nach dem Bericht des Aristoteles 13 der Grundbesitz i n den Händen weniger Personen zusammengeballt. Der Philosoph führt diese ungesunden Verhältnisse auf eine verfehlte Gesetzgebung zurück. Man habe zwar das ώνεϊσθαι und πωλείν zum ,,ού καλόν" gestempelt, andererseits aber das διδόναι und καταλείπειν i n das Belieben jeden Bürgers gestellt. Diese K r i t i k ist nur verständlich, wenn das moralische Verbot und das Gesetz, das unentgeltliche Verfügungen gestattete, gleichzeitig Geltung gehabt haben. Die Gleichzeitigkeit können w i r daher als sicher annehmen. Die Worte des Aristoteles besagen jedoch nicht, daß beide auch gleich alt waren. Nichts hindert uns daher an der Annahme, daß die moralische Verurteilung der entgeltlichen Veräußerung aus bedeutend früherer Zeit stammte. Man kann auch nicht sagen, zwischen dem Verbot und dem gestattenden Gesetz habe ein innerer Widerspruch bestanden; denn bei dem Gebot der Moral lag der Ton auf der Entgeltlichkeit 1 4 . M i t dem Bericht des Aristoteles stehen die übrigen Quellen i n Einklang: Herakleides 15 und Plutarchos 16 bezeugen die Unveräußerlichkeit der alten μοΐραι, an anderer Stelle 17 schreibt Plutarchos das Gesetz über die Zulässigkeit unentgeltlicher Verfügungen über den κλδρος einem Ephoren namens Epitadeus i n der Zeit nach dem peloponnesischen Krieg zu. Ob der Genannte wirklich dieses Gesetz veranlaßt hat 1 8 , ist i n diesem Zusammenhang ohne Belang, für unseren Zweck genügt die Tatsache als solche. Die Folge der Einführung der Befugnis zu unentgeltlichen Verfügungen über den Grund und Boden dürfte gewesen sein, daß man entgeltliche Veräußerungen als unentgeltliche tarnte und sich dadurch dem 12 D i t t . Syll. 8 141 Z. 9 f. u n d A n m . 15 dazu, Busolt-Swoboda Lenschau HE X I 811. 13 Pol. I I 6 S. 1270 a. 14 Vgl. Kahrstedt Griech. Staatsrecht I 10. 15 I I 7 b. 16 Ta palaia t. L a k . Epitedeumata 22 S. 238 E. 17 Agis 5. 18 Vgl. Niese RE V I 218.
144 u. 1268,
I . Das Eigentum
Makel zu entziehen versuchte 19 . W i r können daher annehmen, daß i m vierten Jahrhundert i m Staate der Lakedaimonier praktisch keine Beschränkungen der Verfügungsbefugnis mehr bestanden haben. Auch aus Athen sind uns für diese Zeit solche nicht bekannt 20 . Die Rechtslage war sonach i n den einzelnen griechischen Staaten ganz verschieden. W i r haben uns nunmehr den N u t z u n g s b e s c h r ä n k u n g e n zuzuwenden. Sie treten i n den Quellen i n der Gestalt von Geboten an den Eigentümer zu einem Unterlassen, Dulden oder T u n auf. Begonnen werden soll m i t den Beschränkungen der Nutzung des G r u n d e i g e n t u m s . Unsere Aufmerksamkeit wendet sich zunächst den Fällen zu, i n denen der Eigentümer verpflichtet war, etwas zu u n t e r l a s s e n . Verbot
des F ä l l e n s
von
ölbäumen
I n dem zum Corpus der demosthenischen Reden gehörenden Plädoyer gegen Makartatos findet sich ein Gesetz, das demjenigen eine Strafe von 100 Drachmen androhte, der έλάαν εξορρύττει (§ 71). Nicht m i t Strafe bedroht waren der Einschlag für ein Heiligtum der Polis oder eines Demos 21 und das Fällen zur Verwendung bei einer Bestattung sowie ein Eigenverbrauch von 2 Bäumen pro Jahr. Das Gesetz richtete sich, wie der Sprecher ausdrücklich erklärt (§ 72), auch gegen den Eigentümer des Grundstücks, auf dem die Bäume standen. Es war dem Grundeigentümer sonach bei Strafe verboten, nach seinem Belieben die auf seinem Boden gepflanzten ölbäume abzuholzen oder auszugraben und unversehrt zu veräußern (§ 69). Der Zweck dieses Gesetzes ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Es könnte sich u m ein Strafgesetz zum Schutze des Eigentums handeln, wenn nämlich die ölbäume nicht dem Grundeigentümer gehörten, sondern etwa dem Staat oder der Göttin. I m letzteren Falle käme der Schutz religiöser Belange i n Betracht. Es könnte aber auch eine Eigentumsbeschränkung vorliegen, deren Übertretung mit Strafe bedroht war. Das wäre anzunehmen, wenn die Bäume Eigentum des Grundbesitzers waren. Ob i m Privateigentum stehende ölbäume gemeint waren, steht weder i m Gesetz noch finden sich Ausführungen darüber i m Plädoyer des Sprechers. Wenn man aber berücksichtigt, daß der Sprecher i n diesem Teil seiner Rede die Veräußerung von mehr als tausend ausgegrabenen ölbäumen anprangert, muß daraus geschlossen werden, daß die Bäume 19 Gilbert I 24, Schoemann-Lipsius Griech. Altertümer 4 · I 222 f., BusoltSwoboda 635, Kahrstedt Griech. Staatsrecht I 10. 20 Ob ein Käufer επί λύσει Verfügungsbeschränkungen unterlag, w i r d i m Zusammenhang m i t der πρασις επί λύσει (u. S. 80 ff.) behandelt werden. 21 Vgl. kürzlich Wilhelm Pragmateiai d. Akad. A t h . 17 (1951) 3.
§ 6. Die Beschränkungen des Eigentums
57
Eigentum des Täters waren; denn der Sprecher hätte sich kaum die Gelegenheit entgehen lassen, auf die Verletzung fremden Eigentums hinzuweisen, noch dazu wenn es Eigentum der Polis oder der Göttin war. Dieser Schluß w i r d bekräftigt durch einen Blick i n die einige Jahrzehnte ältere Rede des Lysias περί του σηκοΰ άπολογία. Darin findet sich mehrfach die Unterscheidung zwischen ϊδιαι και μορίαι έλααι (§§ 7.10). Es gab also neben den μορίαι, den der Athene heiligen ölbäumen, die als Eigentum der Göttin aufgefaßt wurden 2 2 , auch ölbäume i n Attika, die ϊδιαι waren. Sie gehörten nicht dem Staat, sondern Privatpersonen. Anderenfalls hätte der Sprecher kaum das Wort ϊδιος gebraucht. Wenn w i r nun feststellen, daß i m Plädoyer gegen Makartatos weder das Wort μορίαι gebraucht ist, obgleich, wie eine Aristoteles-Stelle 23 zeigt, dies Wort i n jener Zeit noch gebräuchlich war, noch die Behauptung der Verletzung fremden Eigentums erhoben wird, so liegt auf der Hand, daß private, dem Gegner gehörende ölbäume gemeint waren. Der Sprecher weist darauf lediglich deswegen nicht ausdrücklich hin, weil darüber unter den Richtern keine Zweifel bestehen konnten. W i r haben es also bei diesem Gesetz m i t einer unter Strafdrohung stehenden Eigentumsbeschränkung zu tun. Der Staat hatte ein Interesse daran, daß die ölbaumkulturen erhalten blieben. Dafür waren unzweifelhaft wirtschaftliche Gründe maßgebend 24 , ö l war ein wichtiges Nahrungsmittel 2 5 und der 2 6 oder einer der 2 7 wichtigsten Exportgegenstände. B e s c h r ä n k u n g des R e c h t s an der e i g e n e n E r n t e Eine ähnliche Beschneidung der Rechte eines Landwirtes findet sich bei Piaton i m V I I I . Buch der Nomoi (844 D/E). I n der zu gründenden Kolonie soll auch der Grundeigentümer bei Meidung einer Strafe von fünfzig Drachmen an Dionysos vor der Zeit der Ernte, die mit dem Aufgang des A r k t u r zusammenfällt, weder von seinen Trauben noch von seinen Feigen kosten dürfen. Allerdings soll diese Beschränkung nur für solche Sorten gelten, die sich zur Lagerung eignen 28 , nicht für die un22 Schoemann-Lipsius, Griechische A l t e r t ü m e r 4 · I 543, I I 201, Beauchet I I I 55, Latte RE X V I 302. 23 A t h . Pol. 60, 2. 24 Vgl. Thonissen 183,4. 310, Beauchet I I I 82. 25 Hoops, Geschichte des ölbaums, Sitz.-Ber. Akad. Heidelberg, Phil.-hist. Klasse, Jahrg. 1942/43 Nr. 3 (Heidelberg 1944) S. 58. 26 Kirsten Beitr. zur hist. Landeskunde v. A t t i k a u. Megaris 2 i n Philippson Die griech. Landschaften I I I (Frankfurt/Main 1952) S. 998, Bolkestein 5. 27 Micheli The economics of anc. Greece 2 · (Cambridge 1957) S. 285. 28 Εις άπόθεσιν γενομένην κατά φύσιν.
I . Das Eigentum
aufhebbaren 29 . Der Zweck dieser Bestimmung ist es offenbar, eine Schmälerung der Ernte durch frühzeitiges Pflücken zu verhindern. Wer Obst essen w i l l , soll sich an die nur zum sofortigen Verzehr geeigneten Sorten halten, die anderen aber i m höheren Interesse der Gemeinschaft unberührt lassen. Auch hier haben w i r es m i t einer Eigentumsbeschränkung zu tun. Allerdings können w i r nicht sagen, ob Piaton hier geltendes Recht seiner Zeit übernommen hat. Partsch 30 erblickt i n diesen Bestimmungen Anzeichen für ein genossenschaftliches Verhältnis der Bauern zueinander. Die Richtigkeit dieser Ansicht muß bezweifelt werden. Schon die Behauptung des Gelehrten, Piaton spreche bei der Ernte von einer Gemeinschaft der Bauern, ist unrichtig. Piaton spricht vielmehr von einer Gemeinschaft schlechthin, meint also offenbar alle Bürger des Staates. Es besteht auch kein zwingender Grund, die Tatsache, daß Piaton 3 1 dem Eigentümer ausdrücklich gestattet, die nicht lagerfähigen Früchte nach Belieben zu ernten, wie Partsch 32 als Ausnahme von einem sonst herrschenden Verbot aufzufassen. Denn zum Verständnis der ganzen Stelle war es unbedingt notwendig, dies eigens hervorzuheben, da unmittelbar vorher, als die Rede von den anderen Sorten war, dem Eigentümer das Recht abgesprochen worden war. Piaton darf also nicht so verstanden werden, als habe dem einzelnen Bauern grundsätzlich das Recht, die Erntezeit selbst zu bestimmen, gefehlt. Vielmehr ist es so, daß ein Teil der Ernte nach Belieben, der andere nur von einem bestimmten Tag ab eingebracht werden durfte. Diese Beschränkung dürfte auf die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse i n einem reinen Agrarstaat, wie ihn Piaton hier beschreibt 33 , zurückzuführen sein. Die zur Lagerung geeigneten Früchte sollen weder verzehrt noch frühzeitig gepflückt werden; denn sie sind als Nahrungsmittel für den Winter bestimmt. Deshalb müssen die Befugnisse der die Früchte erzeugenden Landwirte i m Interesse der Gesamtheit der Bewohner des Staates beschränkt werden. Zwischenraumrecht Es ist das natürliche Interesse eines jeden Grundeigentümers, sich jeden Quadratmeter seines Bodens nutzbar zu machen. Werden i n Verfolgung dieses Interesses i n unmittelbarer Nähe der Grundstücksgrenzen Hochbauten errichtet, Tiefbauarbeiten durchgeführt oder Anpflanzungen vorgenommen, ist eine benachteiligende Auswirkung auf das benachbarte 29 30 31 32 33
Άθησαύριστον. Arch. f. Pap. Forsch. V I 52. Nomoi 844 E. a.a.O. V I I I 842 C - E .
§ 6. Die Beschränkungen des Eigentums
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Grundstück oft die notwendige Folge. Dadurch werden die Belange des Nachbarn beeinträchtigt, er w i r d gehindert, sein Grundstück bis an die Grenze so zu nutzen, wie er w i l l . Er w i r d sich daher — und zwar m i t Recht — die Maßnahmen seines Nachbarn nicht gefallen lassen. Zur Erhaltung des Rechtsfriedens ist daher jede Rechtsordnung genötigt, Normen zur Regelung dieser Interessenkollision aufzustellen. Über das diesbezügliche athenische Recht, das Solon zugeschrieben und später von Alexandreia übernommen wurde, sind w i r gut unterrichtet. Danach hatte jeder Grundstücksbesitzer folgende Grenzabstände einzuhalten: 1. Bei ö l - und Feigenbäumen neun Fuß (Plutarchos Solon 23,6, P. Hal. 1 Ζ. 98/99, Dig. 10.1.13). 2. Bei anderen Bäumen (P. Hal. 1 Z. 99, Dig. a. a. Ο.) fünf Fuß. Plutarchos spricht i n diesem Zusammenhang nicht von Bäumen, sondern von Anpflanzungen aller A r t . 3. Bei Mauern ein Fuß, bei anderen Bauwerken zwei Fuß (Dig. a. a. Ο.). I n Alexandreia galt diese Vorschrift nur εξω του άστεως (Ζ. 89—92). Das εντός του άστεως geltende Recht ist dem hier lückenhaften Papyrus nicht mit Sicherheit zu entnehmen 84 . Gegen Partsch? 5 nimmt Paoli 36 an, daß auch i n Athen die i n den Digesten genannten Abstände — Plutarchos überliefert diese Vorschrift nicht — nur außerhalb des eigentlichen Stadtgebietes gegolten hätten. Die von i h m angeführten Gründe sind beachtlich, doch ist ein sicherer Schluß nicht möglich. 4. Bei Gräben oder Gruben mußte der Abstand ebenso viele Fuß betragen wie die Tiefe der Ausschachtung (Plut. u. Dig. a. a. Ο., P. Hal. 1 Ζ. 97/98)37. 5. Bei Errichtung eines Brunnens ein Klafter (Dig. a.a.O., P. Hai. 1Z. 98). Eine zum Zwecke der Umfriedung geschaffene Anlage durfte die Grundstücksgrenzen nicht überschreiten (Dig. a. a. Ο., P. Hal. 1 Ζ. 84—87). Das überlieferte Zwischenraumrecht 38 bedeutete eine Beschränkung des Eigentums: Der Grundeigentümer war gehindert, sein Land bis unmittelbar an die Grenzen zu nutzen. 84 Dikaiomata 70, Partsch Arch. f. Pap. Forsch. V I 47, a. A . Meyer Jur. P a p y r i 184 f. 85 a. a. 0.46, ebenso Meyer 184. 38 R H D 27 (1949) 512 f. 87 Vgl. dazu Paoli a. a. Ο. bezüglich des Wortes τάφρον. 88 F ü r den Ausdruck Zwischenraumrecht vgl. Enneccerus-Wolff-Raiser Sachenrecht 10 · S. 193.
I . Das Eigentum
Welche Rechte demjenigen offenstanden, dessen Nachbar die genannten gesetzlichen Bestimmungen mißachtete, ist nur für Alexandreia überliefert. Nach P. Hal. 1 Z. 99—105 konnte dort der Gesetzesverletzer aufgefordert werden, die gesetzwidrigen Anlagen oder Anpflanzungen binnen einer nach Tagen bemessenen89 Frist zu beseitigen. K a m er diesem Verlangen nicht nach, konnte der Nachbar die Beseitigung selbst vornehmen und βλάβης klagen 40 . Ob es sich auch hierbei u m solonisches Recht handelt, wie die Herausgeber der Dikaiomata 4 1 und Partsch 42 annehmen, muß bezweifelt werden. M. W. sind überzeugende Beweise dafür bisher nicht vorgebracht worden: Partsch argumentiert m i t dem Sprachgebrauch bei Demosthenes L V 4 : οΰδ* εκώλυσεν εξ αρχής. Doch ist wenig wahrscheinlich, daß der Sprecher sich m i t diesen Worten auf die Ausübung eines Rechts zur eigenmächtigen Zerstörung fremder Anlagen bezieht. Es dürfte vielmehr ein formeller Protest gemeint sein 43 . Überdies handelt es sich i n dem Fall der Demosthenes-Rede u m die Überflutung eines n i c h t angrenzenden Grundstücks durch die Anlage eines Walles zur Abwehr des auf Grund der landschaftlichen Gegebenheiten zufließenden Wassers. Die von einer solchen Anlage ausgehende Gefahr ist unzweifelhaft bedeutend größer als diejenige, die normalerweise aus einer Verletzung des Zwischenraumrechts droht. Denn diese betrifft i n der Regel nur den Rand des Nachbargrundstücks, jene aber schwebt drohend über der ganzen Liegenschaft 44 . Selbst wenn sich daher aus der genannten Demosthenesstelle ein Selbsthilferecht ergeben würde 4 5 , könnte daraus nicht zwingend auf ein gleiches Recht bei Verletzung des Zwischenraumrechts geschlossen werden. Ferner ist bemerkenswert, daß Piaton i n den Nomoi 4 6 , obgleich er unzweifelhaft auf die solonische Gesetzgebung Bezug nimmt, die i h m als das Recht seiner Vaterstadt am nächsten stand, ein Selbsthilferecht nicht erwähnt. Es spricht daher man89 Die Z a h l der Tage stand i n einer Lücke des Papyrus. Die Ergänzungsvorschläge sind hier uninteressant. 40 Vgl. Taubenschlag SZR 55/285. 41 S. 71. 42 S. 50. Α . A . offenbar Taubenschlag, der sich a. a. O. jeden Hinweises auf das attische Recht enthält, obgleich er i n demselben A r t i k e l an anderer Stelle darauf verweist (vgl. S. 287,10). 43 Vgl. Wolff, The δίκη βλάβης i n Demosthenes or. L V (American Journal of Philology L X I V [1943]) 320 ( = Beiträge 96). 44 Wegen dieses Unterschiedes i n der Größe der Gefahr ist es auch wenig wahrscheinlich, daß das v o n Wolff a. a. Ο. aus der eben erwähnten Demosthenes-Rede erschlossene starre athenische Recht — V e r f a l l des Grundstücks, auf dem sich die schädigende Anlage befand, an den Geschädigten, abwendbar durch eine Buße von 1000 Drachmen — auch bei Verletzung des Zwischenraumrechts gegolten hat. 45 46
I n Wirklichkeit spricht die Rede g e g e n ein Selbsthilferecht. V I I I 843 E.
§ 6. Die Beschränkungen des Eigentums
61
ches dafür, daß i n Alexandreia insoweit eine Rechtsfortbildung 47 vorlag, eine Frage, deren Prüfung man bei der Graeca Halensis vermißt. Die Frage, welche Rechte dem attischen Grundeigentümer i m 5. u. 4. Jhdt. bei der Verletzung des Zwischenraumrechts zugestanden haben, kann daher nicht beantwortet werden. B e s c h r ä n k u n g e n bei der Aufstellung von Bienenkörben Plutarchos berichtet 48 , Solon habe auch Bestimmungen über die Neuaufstellung von Bienenkörben erlassen und die Einhaltung eines A b standes von dreihundert Fuß von allen bereits eingerichteten Stöcken anderer vorgeschrieben 49 . Die hierin zum Ausdruck kommende Beschränkung der Nutzungsbefugnis ist rechtlich betrachtet bedeutend schwerwiegender als i m Falle des Zwischenraumrechts: Es galt das Prioritätsprinzip; wer eine Bienenzucht einrichten wollte, konnte das nur tun, wenn er auf seinem Grundstück einen Platz fand, der mehr als dreihundert Fuß von allen i n der Nachbarschaft schon vorhandenen Bienenstöcken entfernt war. Bestehende Bienenzuchten hatten also Vorrang, sie sollten vor allzugroßer Beeinträchtigung durch neue Unternehmer geschützt werden. Dieser Schutz ging soweit, daß die Eigentümer von Bienenstöcken offenbar nicht gehalten waren, i m Interesse künftiger Nachbarn ihre Körbe unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Bienenhaltung möglichst i n der Mitte ihrer Grundstücke aufzustellen. Man darf mangels entgegenstehender Nachrichten vielmehr vermuten, daß es durchaus erlaubt war, die Körbe grenznah zu errichten, um die zukünftige Aufstellung von Körben i n der Nachbarschaft möglichst zu erschweren. Der Schutzzweck des Gesetzes ist offensichtlich. Die Interessen der Bienenzüchter wurden über die der Grundeigentümer gestellt, das Eigentum war beschränkt zugunsten bestimmter Nahrungsmittelproduzenten. Hatten w i r es bisher mit Fällen zu tun, i n denen der Eigentümer gehindert war, sich auf seinem Grundstück nach Belieben zu betätigen, haben w i r uns jetzt den Stellen zuzuwenden, die eine Beschränkung der Ausschließungsbefugnis des Grundeigentümers erkennen lassen. Diese bestand darin, daß der Berechtigte d u l d e n mußte, daß andere sein Grundstück betraten und dort tätig wurden. 47 Auch Wolff (a. a. Ο. 323) n i m m t an, daß i n den Dikaiomata eine Rechtsfortbildung vorliegt. 48 Solon 23, 6. 49 Guiraud 189, Beauchet I I I 170, Lipsius A t t . R. 682, ungenau Olck R E I I I 453.
I. Das Eigentum
Duldung
der
Jagdausübung
Der Eigentümer eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks hat ein schutzwürdiges Interesse daran, daß nicht Tiere oder Menschen seine Anpflanzungen beschädigen. W i r finden daher auch i n Griechenland den Eigentümer befugt, sein Grundstück m i t einem Zaun oder W a l l zu umgeben. Für Athen ergibt sich dies aus Demosth. L V 8 . Als Zweck der Umwallung nennt der Sprecher unter anderem die Verhinderung der Begehung durch Fremde und der Beweidung durch die Tiere des Nachbarn (§ 11). Daraus schließt man, daß Fremde ein eingezäuntes Grundstück auch nicht zum Zwecke der Jagd betreten durften 5 0 . Dieser Schluß ist, da w i r keine Quelle besitzen, die dies ausdrücklich besagt, reichlich unsicher. Doch muß, ehe auf dieses Problem näher eingegangen werden kann, zunächst die Frage aufgeworfen werden, ob Jäger überhaupt die Grundstücke anderer betreten durften. Piaton 5 1 bejaht sie für die Jagd auf vierfüßige Tiere mit Pferden und Hunden uneingeschränkt 52 ; bei der von i h m für das Vogelstellen vorgesehenen Beschränkung auf unbebautes und bergiges Land fehlt eine Unterscheidung zwischen eigenem und fremdem Boden 53 , w i r dürfen daher auch für den Vogelsteller das Recht zum Betreten fremder Grundstücke annehmen. Das ist deshalb von Bedeutung, weil Piaton gegenüber dem Vogelfang eine ganz andere Stellung einnimmt als gegenüber der Jagd auf vierfüßige Tiere. Während er dieser wegen ihrer erzieherischen W i r k i m g mit großer Sympathie gegenübersteht, verabscheut er jene 54 . Man kann daher sagen: wenn sogar Piaton die Vogelstellerei auf fremdem Boden zulassen wollte, war sie nach dem Recht seiner Zeit sicherlich nicht verboten. Dieser Eindruck w i r d durch die Lektüre der Schrift des Xenophon über die Jagd bekräftigt. I n derselben sind Anzeichen für Gesetze über örtliche Beschränkungen der Jagdausübung nicht zu finden. Wenn Xenophon (V 34) zur Schonung der Feldfrüchte und Gewässer auffordert und dabei jeden Hinweis auf ein bestehendes Verbot unterläßt, muß man annehmen, daß die Jagd auf fremdem Grund und Boden grundsätzlich gestattet war. W i r müßten sonst an dieser Stelle eine Warnung erwarten, auf fremden Grundstücken nicht ohne Erlaubnis des Berechtigten zu jagen. Daß ein Verbot nicht bestand, muß auch aus X I I 6 geschlossen werden, wo Xenophon berichtet, daß die Progonoi trotz Mangels an landwirtschaftlichen Früchten die Behinderung der freien Ausübung der Jagd 50
Dareste L a science 68, Guiraud 180, Beauchet I I I 52 u n d DS sv. occupatio. Nomoi V I I 824 B. 52 "Οπου και δπη περ &ν έθέλωσι κυνηγετεΐν. 53 a. a. Ο. 54 823 Ε/824 Α . 51
§ 6. Die Beschränkungen des Eigentums
63
verboten hätten. Wenn seit den Zeiten der Progonoi eine Hechtsänderung erfolgt wäre, müßte das an dieser Stelle erwähnt sein. Wenn schließlich der Autor an der o. e. Stelle seiner Mahnung, die Früchte und Gewässer zu schonen, hinzusetzt: τό γάρ απτεσθαι τούτων αίσχρόν καί κακόν, καί ίνα μή τφ νόμφ ενάντιοι ώσιν οί ιδόντες, so ist offensichtlich, daß der i n X I I 6 erwähnte Rechtszustand noch andauerte. Aber Xenophon sah ihn i n Gefahr; er befürchtete, daß Zeugen eines rücksichtslosen Verhaltens von Jagdteilnehmern für eine Gesetzesänderung eintreten und so die Freiheit der Jagdausübung i n Gefahr bringen könnten 55 . A u f Grund dieser Stellen w i r d i n der Literatur 5 6 angenommen, daß für den Jäger jener Zeit das Recht bestanden hat, auch auf fremdem und angebautem Grunde dem Wilde nachzustellen. A n der Richtigkeit dieser Ansicht zu zweifeln besteht kein Anlaß. Zumindest nach dem Recht einiger griechischer Städte war sonach das Grundeigentum dadurch beschränkt, daß die Pflicht bestand, die Ausübung der Jagd durch andere auf dem Grundstück zu dulden. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß der Eigentümer durch die Umfriedung des Grundstücks die Pflicht zur Duldung zum Erlöschen bringen konnte. Viel näher liegt die Annahme, daß die Umzäunung oder Umwallung den Zweck hatte, den Jägern den Zugang t a t s ä c h l i c h zu erschweren oder nahezu unmöglich zu machen, eben weil r e c h t l i c h keine Möglichkeit bestand, ihnen das Betreten bei der Jagd zu verbieten oder sie gewaltsam daran zu hindern. A u f diese Weise war ein Ausgleich gefunden zwischen dem Anliegen der Allgemeinheit, an altes Recht nicht zu rühren und die Ertüchtigung der Jugend zu fördern, und den Interessen des einzelnen, seine Anpflanzungen nach Möglichkeit vor Schädigungen zu bewahren. Duldung
der
Begehung
I n den Nomoi billigt Piaton dem seine Ernte einbringenden Landwirt das Recht zu τό έαυτοΰ διά παντός τόπου κομίζεσθαι, οπηπερ αν ή μηδέν μηδένα ζημιοΐ ή τριπλάσιον αυτός κέρδος της του γείτονος ζημίας κερδαίνη (846 Α). Der Eigentümer eines Grundstücks muß danach i n jedem Falle dulden, daß ein anderer sein Land beim Abtransport geernteter Früchte begeht, wenn dadurch kein Schaden entsteht, also etwa ein bestehender Weg benutzt werden kann. Ist eine Schädigung jedoch unvermeidbar, darf der Erntende von dem Begehungsrecht nur dann Gebrauch machen, 55 Miller Jagdwesen 61, Dörner Xenophons Kynegetikus i n Bd. 613· der Langenscheidtschen Bibliothek (Berlin/Stuttgart 1855—1911) S. 53 A n m . zu V 34, Marchant i n der Ausgabe Loeb Class. L i b r . 1956 S. 401 A n m . 1. δβ Miller a. a. O., Manns Über die Jagd bei den Griechen I 23, Seidensticker Waldgeschichte I 179, Beauchet I I I 52, ungenau Orth RE I X 564.
I . Das Eigentum
wenn der dadurch erzielte Nutzen dreimal so groß ist wie der dem Nachbarn entstehende Schaden. Die Interessen der Beteiligten sind hier von Piaton sorgfältig gegeneinander abgewogen worden: Niemand braucht seine Anpflanzungen und Anlagen u m eines kleinen Vorteils für einen anderen w i l l e n schädigen zu lassen. N u r wenn der Nachbar durch die Überquerung des Grundstücks Einsparungen erzielen kann, die wertmäßig den angerichteten Schaden erheblich hinter sich lassen, muß das Interesse an der Unversehrtheit des eigenen Grundstücks zurücktreten. Trotz des dem geschädigten Eigentümer zustehenden Schadensersatzanspruches ist die Beschränkung des Eigentums offensichtlich. Guiraud 57 und Beauchet 58 meinen, Piaton habe hier an eine Enklave gedacht. Davon findet sich i n den Nomoi weder ein Wort noch ergibt sich dies aus dem Inhalt der Stelle. Bei einer so sorgfältig durchdachten Verteilung der Lose, wie sie Piaton für den zu gründenden Staat vorsieht, dürfte sich die Schaffung von Enklaven durchaus vermeiden lassen 59 . Überdies wäre für den Eigentümer einer Enklave ein ganzjähriges Wegerecht erforderlich gewesen. Es handelt sich hier also wohl nicht u m das Recht des Zugangs zu einer Enklave, sondern u m eine Bestimmung m i t dem Zweck, die naturgegebenen Vor- und Nachteile der Lage der Grundstücke nach Möglichkeit abzugleichen. Das Begehungsrecht gehört i n den Rahmen der Normen, mit denen Piaton die Gleichwertigkeit der Landlose 60 erreichen w i l l . Partsch 61 dürfte geirrt haben, wenn er auch hierin einen Beweis für seine These sah, daß die Bauern i n Piatons Nomoi als i n einem Genossenschaftsverhältnis lebend gedacht sind, und meinte, gerade diese Stelle zeige, „ w i e stark die alte Gemeindewirtschaft bei Plato noch gelten soll". Wegerechte sind auch aus dem geltenden Recht jener Zeit bekannt. I n Gortyn 6 2 mußte der Grundeigentümer dulden, daß ein Verstorbener i m Leichenzug über sein Grundstück geführt wurde, wenn keine δαμοσία οδός vorhanden war 6 3 . Ob für einen dabei entstehenden Schaden Ersatz gefordert werden konnte, können w i r dem Fragment leider nicht entnehmen. Das Gesetz dürfte sich auf den Zugang zu einer rings von fremdem Land umgebenen Begräbnisstätte bezogen haben 64 , wie es sie 57 58 59 60 61 62 63 64
191. I I I 168. Vgl. Syll. 3 364 Z. 13/14. 745 C/D. Arch. f. Pap. Forsch. V I 52. I C I V Nr. 46 Β ( = Kohler-Ziebarth S. 35) Z. 6 ff. Vgl. Kohler-Ziebarth 72 f., Willetts Aristocr. Society 217. s. Guarducci I C I V S. 106.
§ 6. Die Beschränkungen des Eigentums
65
auch i n A t t i k a gegeben hat 8 5 . Das Fragment regelt nicht das Recht des Zugangs zu einem Begräbnisplatz schlechthin, das den Angehörigen von jeher zugestanden habe dürfte, sondern nur für einen besonderen Fall, nämlich den der Bestattung eines weiteren Verstorbenen i n der Grabstätte. Anlaß zu dem Gesetz ist offenbar gewesen, daß man Leichenzüge auch dann quer über fremde Grundstücke geführt hatte, wenn der Zugang über eine δαμοσία οδός möglich gewesen war. Duldung
der
Wasserentnahme
Unter bestimmten Voraussetzungen mußte der athenische Grundeigentümer die Wasserentnahme aus seinem Brunnen durch die Nachbarn dulden. Nach dem Bericht des Plutarchos ging auch dieses Gesetz auf Solon zurück 66 . Das Recht auf Brunnenbenutzung durfte der Nachbar jedoch nur dann i n Anspruch nehmen, wenn sich nicht innerhalb eines Hippikon — vom wasserlosen Grundstück aus gerechnet — ein öffentlicher Brunnen befand und eigene Brunnengrabungen bis zu einer Tiefe von 10 Klaftern erfolglos geblieben waren. Die Menge des Wassers war auf zweimal täglich 6 Choes begrenzt. Ein solches Gesetz war wegen der Wasserarmut Attikas notwendig 67 . Wer das Glück hatte, einen Brunnen zu besitzen, mußte von seinem Reichtum abgeben. Doch der Gesetzgeber war bestrebt, das Opfer möglichst klein zu halten. Berechtigt war nur, wer sich bemüht hatte, auf dem eigenen Grundstück Wasser zu finden, und wem wegen der Größe der Entfernung nicht zugemutet werden konnte, sich das Wasser aus einem öffentlichen Brunnen zu holen. Der Anspruch war i m Interesse des Verpflichteten auf einen festen Satz beschränkt, unabhängig von den individuellen Bedürfnissen des Berechtigten und seiner Hausgenossen. Piaton hielt dies Gesetz offenbar für nicht gerecht. Denn sein Vorschlag i n den Nomoi 6 8 weicht von dem attischen Vorbild i n mehrfacher Hinsicht ab. Das Erfordernis des Nichtvorhandenseins eines öffentlichen Brunnens innerhalb einer bestimmten Entfernung ist fallengelassen. Die Tiefe, bis zu welcher der Berechtigte auf eigenem Boden nach Wasser gegraben haben muß, ist auf μέχρι της κεραμίδος γης festgesetzt und dadurch den örtlichen Gegebenheiten angepaßt. Ein Anspruch der Nachbarn besteht nur auf Trinkwasser, die Menge bemißt sich aber nach dem notwendigen Bedarf der Hausgenossen des Berechtigten. Nur i m Falle 65 ββ 67 68
5
Demosth. L V 14. Solon 23, 5. Vgl. P. Härtel i n Eranos X L V I I I (1950) 145 f. Plutarchos a. a. O. V I I I 844 A/B. Vgl. auch hierzu Härtel a. a. O.
Kränzlein
66
I . Das Eigentum
der Wasserknappheit sollen die Agronomen auf Antrag des Berechtigten die ihm zustehende Menge zahlenmäßig festsetzen. Piaton mißt dem Anliegen des Grundeigentümers ohne eigenes Wasser ein stärkeres Gewicht bei. Er soll echter Mitberechtigter sein, sein Anteil m i t dem Wachsen seines Haushalts ansteigen und i h m auch i n Zeiten des Mangels die Entnahme nicht ganz verwehrt werden können. Die Beschränkung des Eigentums kommt hier n o d i deutlicher zum Ausdruck: Der Brunneneigentümer muß den Nachbarn das Betreten seines Grundstücks, den Zugang zum Brunnen und die Wasserentnahme gestatten, ohne daß w i r Anzeichen für eine Vergütungspflicht des Berechtigten hätten e 8 \ Auch hier haben w i r es offensichtlich m i t einer Vorschrift zum Ausgleich naturgegebener Nachteile zu tun. Nach Ansicht Halistes 69 soll sich auch aus der kretischen Inschrift IC I V 73 A (5. Jhdt. v. Chr.) ein Recht des Nachbarn auf Wasserentnahme ergeben. Demgegenüber nehmen De Sanctis, Guarducci 70 und Willetts 71 an, die Inschrift regele, unter welchen Voraussetzungen ein Grundeigentümer Schadensersatz leisten müsse, der Wasser auf fremde Grundstücke a b g e l e i t e t hat. Welche Ansicht richtig ist, läßt sich bei der Lückenhaftigkeit der Inschrift kaum entscheiden. Unbezweifelbar dürfte aber sein, daß w i r es mit einer Eigentumsbeschränkung zu t u n haben, mit einem Duldenmüssen, das i n bestimmten Fällen zur Forderimg auf Schadensersatz berechtigte. Duldung von Wassergräben in fremdem Interesse Daß Piaton i n den Nomoi ein Recht auf Wasserentnahme beim Nachbarn nur für Trinkwasser anerkennt, dürfte darauf zurückzuführen sein, daß jeder Bürger des zu gründenden Staates das Recht haben sollte, einen Bewässerungsgraben von einem öffentlichen Wasserlauf zu seinem Grundstück zu ziehen 72 . Von diesem Recht Gebrauch zu machen war aber nur erlaubt, wenn dabei folgende Bestimmungen eingehalten wurden: Der Kanal durfte nicht den sichtbaren Quellen eines Grundeigentümers das Wasser entziehen und nicht durch ein Anwesen, ein Heiligtum oder einen Begräbnisplatz geführt werden. Es durfte ferner keinem der betroffenen Grundeigentümer ein Schaden πλην αύτής τής όχεταγωγίας zugefügt werden. Das bedeutet, der Anleger des Grabens war verpflichtet, w a
Guiraud 193, Beauchet I I I 167. Eranos X L V I I I (1950) 146. 70 F ü r beide siehe I C I V S. 172. 71 Aristocratic Society 216. 72 Nomoi V I I I 844 A. Vgl. P. Härtel i n Eranos X L V I I I (1950) 142 ff. w
§ 6. Die Beschränkungen des Eigentums
67
allen Schaden zu ersetzen, der über die Inanspruchnahme des Bodens hinausging 78 . Diese selbst sollte offenbar unentgeltlich sein. Auch hier ist die Eigentumsbeschränkung offensichtlich. Der Grundeigentümer ist nicht unbeschränkter Herr seiner Parzelle, er muß dulden, daß ein anderer sie mit einem Wassergraben durchquert. Inwieweit Piaton m i t dieser Bestimmung geltendem Recht seiner Zeit folgt, wissen w i r nicht. W i r haben keinen Quellenbeleg für ein Recht gleichen oder ähnlichen Inhalts. Eine Inschrift aus Gortyn 7 4 hat das Recht auf Ableitung von Wasser aus einem öffentlichen Wasserlauf zum Gegenstand, besagt aber nichts darüber, wem dies Recht zustand. Ob also ein Nichtanlieger des Wasserlaufs überhaupt Wasser entnehmen durfte und bejahendenfalls, ob es i h m gestattet war, einen Graben auch ohne Einwilligung der Grundeigentümer über fremde Grundstücke zu führen, ist der Inschrift daher nicht zu entnehmen 75 .Damit befaßte sich der Volksbeschluß überhaupt nicht. Weitere Quellen besitzen w i r nicht. IC I V 52 bezieht sich möglicherweise auf Wassergräben 7®, doch ist die Inschrift zu fragmentarisch, als daß sie eine eindeutige Aussage gestattet. Eine P f l i c h t z u r D u l d u n g d e s u n e n t g e l t l i c h e n V e r z e h r s h ä n g e n d e r F r ü c h t e durch ξένοι sieht Piaton i n den Nomoi vor 7 7 , jedoch können w i r nicht sagen, ob er damit geltendes Recht seiner Zeit wiedergibt. Angesichts des Umstandes, daß Piaton selbst bestimmte Früchte i m Interesse der Ernährung der Gesamtbevölkerung ausnimmt 7 8 und Plutarchos 79 besonders hervorhebt, daß K i m o n die Zäune seiner Grundstücke entfernen ließ, um Fremden den Zugriff zu ermöglichen, besteht eine starke Wahrscheinlichkeit dafür, daß zumindest nicht i n allen Staaten des griechischen Rechtskreises eine derartige Eigentumsbeschränkung bestanden hat. Damit sind die Fälle der Beschränkung der Nutzungsbefugnis des G r u n d e i g e n t ü m e r s erschöpft. W i r gehen nun zu den Schranken des Eigentums a n b e w e g l i c h e n S a c h e n über. Die hier zu besprechenden Fälle sind zugleich diejenigen, i n denen dem Eigentümer die Pflicht zu einem T u n auferlegt ist. Eine weitere Besonderheit besteht darin, daß sie sämtlich aus dem Staate der Lakedaimonier stammen. 73
Ungenau Beauchet I I I 166,1. I C I V 43 Β b ( = G D I 5000 I I b = Recueil I 402f.). 75 Vgl. Guiraud 190, Beauchet I I I 166, Kohler-Ziebarth 73, Willetts cratic Society 215, unrichtig Partsch Arch. f. Pap. Forsch. V I 53,1. 76 Vgl. Guarducci I C I V S. 111/112. 77 V I I I 845 A u. C. 78 845 B. 70 K i m o n X 1. 74
5·
Aristo-
68
I . Das Eigentum
Xenophon berichtet 08 : και κυνών δέ θηρευτικών συνήψε κοινωνίαν ώστε οί μέν δεόμενοι παρακαλοΰνιν επί θήραν, ό δέ μή αυτός σχολάζων ήδέως εκπέμπει. Das Subjekt des Satzes ist Lykurgos, es handelt sich u m eine Bestimmung der diesem Gesetzgeber zugeschriebenen Rechtsordnung. Der Inhalt ist klar: Wer jagen wollte, konnte den Besitzer von Jagdhunden zur Teilnahme auffordern. Dem Eingeladenen stand es frei, sich mit seinen Hunden der Jagdgesellschaft anzuschließen. Tat er das nicht, mußte er dem Jagdlustigen die Hunde für die Jagd überlassen. Das ist eine wirkliche Rechtspflicht, nicht ein bloßer Brauch, dem sich niemand entziehen konnte 81 . Denn die Zurückführung der Bestimmung auf Lykurgos läßt erkennen, daß man die Verpflichtung als Teil der Rechtsordnung angesehen hat. Zweifelhaft kann nur sein, ob an Jagdhunde i m Privateigentum des Verpflichteten gedacht ist, womit eine Beschränkung des Eigentums vorliegen würde, oder ob die Jagdhunde als Gemeineigentum angesehen worden sind. Doch läßt sich dieser Zweifel durch einen Blick i n die „ P o l i t i k " des Aristoteles beheben. I m zweiten Buch dieses Werkes bejaht der Philosoph eine auf das Privateigentum aufgebaute Rechtsordnung unter der Voraussetzung, daß die Berechtigten auch andere am Gebrauch ihres Eigentums teilhaben ließen, so wie es schon i n manchen Staaten sei: ιδίαν γαρ έκαστος την κτήσιν εχων τα μέν χρήσιμα ποιεί τοις φίλοις, τοις δέ χρήται κοινοίς. Als Beispiel erwähnt er den Gebrauch der Hunde i n Lakedaimon 82 . Danach ist unbezweifelbar, daß die Hunde Privateigentum ihrer Herren waren. Die Koinonia bestand also i n einem Nutzungsrecht an fremdem Eigentum auf der einen und der Pflicht zur Überlassung der Hunde auf der anderen Seite. Die Bestimmung muß natürlich i m Zusammenhang mit der besonderen Bedeutung gesehen werden, welche die Lakedaimonier der Jagd zuerkannt haben. Sie galt seit Lykurgos für alle erwachsenen Männer als die vornehmste Beschäftigung i n der nicht durch öffentliche Pflichten i n Anspruch genommenen Zeit 8 3 . N u r so ist es auch zu erklären, daß eine Verspätung auf der Jagd als Entschuldigungsgrund für das Fernbleiben von den gemeinsamen Mahlzeiten anerkannt wurde und damit den gleichen Rang wie die Teilnahme an einem Opfer genoß 84 . I m Zusammenhang mit dem Recht auf Benutzung fremder Jagdhunde berichten Xenophon 85 und Aristoteles 8® auch von einem i n Lakedaimon 80
Lak. Pol. V I 3. Orth RE I X 559, Johannes De studio venandi 24, Houssaye L a l o i agraire 174, Kahrstedt Griech. Staatsrecht I 9; unrichtig Manns Über die Jagd bei den Griechen I 18, der n u r v o n einem Brauch spricht. 82 I I 2 S. 1263 a. 83 Xenophon a. a. Ο. I V 7. 84 Plutarchos L y k . 12,2. 85 Xenophon a. a. Ο. V I 3. 86 a. a. O. 81
§ 6. Die Beschränkungen des Eigentums
69
bestehenden Recht auf Inanspruchnahme fremder Pferde und Sklaven. Für den Eigentümer von Pferden bestand eine Duldungspflicht: M i t bürger durften i h m unter bestimmten Voraussetzungen Pferde von der Weide wegnehmen, ohne sein Einverständnis einzuholen. Ob auch die Unfreien ohne Befragung des Herren zu Dienstleistungen i n Anspruch genommen werden konnten, erfahren w i r aus den Quellen nicht. Schließlich soll Lykurgos bestimmt haben, daß Jäger, die bei Beendigung der Jagd noch über unverbrauchte Lebensmittel verfügten, diese i m Jagdgebiet einlagern mußten, damit andere Jagdgesellschaften, denen zufällig der Proviant ausginge, sich aus dem Depot mit dem Notwendigsten versorgen könnten, ohne die Jagd abbrechen zu müssen 87 . Auch dies ist eine Bestimmung zur Förderung der Jagd. Die Jäger waren gehalten, die wegen Beendigung der Jagd überflüssigen Lebensmittel späteren Jagdgesellschaften, d.h. der Allgemeinheit, zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet, daß sie zur Aufgabe des Eigentums an zwar i m Augenblick nicht mehr benötigten, aber doch nicht wertlosen Sachen verpflichtet waren. Diese Eigentumsbeschränkung kommt daher einer Enteignung sehr nahe, nur dürften die wirtschaftlichen Folgen für den Betroffenen regelmäßig nicht von großer Bedeutung gewesen sein. Rechtlich handelt es sich u m die schwerste aller betrachteten Eigentumsbeschränkungen, da sie zum Verlust des Eigentums führte. Das vorstehend ausgebreitete B i l d ist leider sehr lückenhaft. Die Nachrichten, die w i r besitzen, beziehen sich auf nur ganz wenige Staaten und geben von keinem ein auch nur annähernd vollständiges Bild. Man fühlt sich i n der Lage eines Mannes, der das Innere eines Hochhauses beschreiben soll, aber nur die Möglichkeit hat, das Haus zu später Abendstunde von außen zu betrachten, wenn nur wenige Fenster noch erleuchtet und von diesen die meisten zugezogen sind. Das völlige Fehlen der Uberlieferung aus der Mehrzahl der Staaten ist u m so bedauerlicher, als gerade Eigentumsbeschränkungen stark von den lokalen Verhältnissen beeinflußt zu sein pflegen: I n einer Landschaft m i t weitverzweigten natürlichen Wasserläufen ist beispielsweise das Bedürfnis nach dem Recht des Zugangs zu fremden Brunnen und dem Recht auf das Ziehen von Bewässerungsgräben über fremde Grundstücke gering, während i n wasserarmen Gegenden derartige Eigentumsbeschränkungen oftmals unumgänglich sind. Man muß sich daher bei der Auswertung der spärlich fließenden Quellen besonders vor Verallgemeinerungen hüten. Einige wenige zusammenfassende Bemerkungen können jedoch gewagt werden: 1. Die überlieferten Eigentumsbeschränkungen dienten überwiegend immittelbar den Belangen der Allgemeinheit. N u r bei den nachbarrecht87
Xenophon a. a. Ο. V I 4. Vgl. auch Aristoteles a. a. O. 1263 a.
70
I. Das Eigentum
liehen Beschränkungen standen die Interessen einzelner Bürger i m Vordergrund, mittelbar befriedigten auch sie Bedürfnisse der Gesamtheit der Bürger. 2. Die Eigentumsbeschränkungen waren i n der Form von Ver- und Geboten gehalten, besagten also, was der Eigentümer nicht tun durfte und was er zu t u n hatte. Anzeichen für einen Katalog der Eigentümerbefugnisse finden sich nicht. Daraus darf geschlossen werden, daß nach griechischer Auffassung der Eigentümer nach Belieben verfahren konnte, soweit i h m nicht ein bestimmtes Verhalten ausdrücklich untersagt oder geboten war. Die Nutzungsbefugnis des Eigentümers war grundsätzlich umfassend und unbeschränkt. 3. Über die Verbreitung der einzelnen Beschränkungen ist eine Aussage nicht möglich. Ebensowenig läßt sich angeben, welche Beschränkungen für die griechischen Staaten i n jener Zeit typisch waren. Nicht erfaßbar ist ferner der Umfang der durch die Beschränkungen hervorgerufenen wirtschaftlichen Beeinträchtigung. Doch zeigen schon die solonischen Bestimmungen über die Aufstellung von Bienenstöcken und über die Pflicht zur Gestattung der Brunnenbenutzung durch die Nachbarn, daß die wirtschaftlichen Folgen beträchtlich gewesen sein dürften. 4. Die soziale Gebundenheit des Eigentums war i n den einzelnen Staaten verschieden stark. Das ergibt sich aus der bereits erwähnten Aristoteles-Stelle 88 , an welcher der Philosoph berichtet, i n e i η i g en Staaten werde ein Mitgebrauch der Nichtbesitzenden am Eigentum der Mitbürger praktiziert. Denn damit ist zugleich gesagt, daß i n den anderen Staaten ein solches Teilhabenlassen am Gebrauch nicht üblich war 8 9 . Von den Staaten, über die w i r Nachrichten haben, weist der Staat der Lakedaimonier unzweifelhaft den höchsten Grad von Gebundenheit auf.
88
Pol. I I 2 S. 1263 a Aristoteles hält die Rechtsordnungen dieser Staaten f ü r verbesserungsbedürftig. 89
§ 7. Erwerb und Verlust des Eigentums I n diesem Abschnitt soll untersucht werden, welche Lebensvorgänge i n jener Zeit zum Erwerb und Verlust des Eigentums führten, wie sich Erwerb und Verlust vollzogen und i n welchem Augenblick sie eintraten. Die Reihenfolge der Betrachtung w i r d der Interessenlage angepaßt. Z u n ä c h s t sollen die Fälle herangezogen werden, bei denen nur ein Erwerb und kein Verlust stattfindet, i n denen also ein Verliererinteresse überhaupt nicht besteht. Das ist der Fall bei dem E r w e r b h e r r e n l o s e r S a c h e n . Hier kann allenfalls eine Konkurrenz mehrerer an dem Erwerb interessierter Personen auftreten. In den, aber len
der 2. G r u p p e sollen alle die Vorgänge zusammengefaßt werbei denen ein Verliererinteresse zwar vorhanden ist, dem Erwerb nicht entgegensteht. Es sind die Fälle des E r w e r b s m i t W i l des b i s h e r i g e n E i g e n t ü m e r s .
Z u l e t z t soll sich die Untersuchung den Geschehnissen zuwenden, bei denen ein echter Interessenkonflikt zwischen Verlierer und Erwerber besteht, der von der Rechtsordnung zugunsten des letzteren entschieden wird. Das Gemeinsame ist hier der E r w e r b g e g e n d e n W i l l e n des b i s h e r i g e n E i g e n t ü m e r s .
I. Erwerb herrenloser Sachen Fischiang Fische waren i n Griechenland ein wichtiges Nahrungsmittel 1 . Fischfang wurde daher nicht nur zum Selbstverbrauch, sondern auch zum Zwecke des Verkaufs der Beute betrieben. Der Fischhandel war ein bedeutsames Gewerbe. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Staaten ihr Augenmerk der Fischerei zugewandt und versucht haben, daraus Einnahmen für den Haushalt zu ziehen. A u f welche A r t und Weise dies i n den einzelnen Poleis geschehen ist, bildet nicht den Gegenstand dieser Untersuchung. Hier interessiert nur, ob sich i n den Quellen die A u f fassung vertreten findet, daß die Beute Eigentum des Fischers wird. 1 Rostovtzeff Gesellschafts- u n d Wirtschaftsgesch. d. heilenist. Welt I I (Darmstadt 1955) 941, Toutain The economic life of ancient w o r l d (London 1951) 36 f., Stöckle RE Suppl. I V 456.
72
I . Das Eigentum
Einen eindeutigen Beleg finden w i r bei Plautus i m Rudens 2 , einem auf Diphilos zurückgehenden Stoff 3 . Dem Sklaven Gripus hat der Dichter die Worte: „Ecquem esse dices i n mari piscem meum? Quos cum capio, siquidem cepi, mei sunt: habeo pro meis. Nec manu adseruntur neque illinc partem quisquam postulat. I n foro palam omnes vendo pro meis venalibus. Mare quidem commune certos omnibus" i n den Mund gelegt. Nach Marx 4 liegt hier eine getreue Übersetzung aus dem griechischen Vorbild vor. Auch Taubenschlag 5 scheint nicht zu zweifeln, daß w i r hier griechisches Recht vor uns haben. Wäre das zutreffend, hätten w i r i n dieser Komödienstelle einen überzeugenden Beleg für die Auffassung vom Erwerb des Eigentums durch Fischfang. Doch kann m. E., da die Rechtslage nach römischem Recht nicht anders wäre 6 , nicht m i t Sicherheit behauptet werden, daß w i r hier griechisches Recht vor uns haben. Das ist um so bedauerlicher, als w i r andere Quellen nicht besitzen. Piaton 7 und Aristoteles 8 kommen zwar auf den Erwerb durch Fischfang zu sprechen, aber ohne die Rechtsfragen zu berühren. Doch spricht eine große Wahrscheinlichkeit dafür, daß auch bei den Griechen die Rechtslage nicht anders war, als wie sie uns i m Rudens entgegentritt. Die occupatio dürfte bei den meisten Völkern zu den ältesten Erwerbsgründen gezählt haben 9 . Es kann nicht angenommen werden, daß es gerade bei den Griechen, die wegen der Kargheit des Bodens auf Fische als Nahrungsmittel angewiesen waren und daher Fischfang betreiben mußten, anders gewesen ist. Der maßgebende Zeitpunkt dürfte der der Erlangung der tatsächlichen Gewalt gewesen sein. Z u den Fällen der occupatio gehört auch der E r w e r b a n d e r J a g d b e u t e . Die Jagd auf wildlebende Tiere war i n Griechenland das Recht aller freien Männer 1 0 . Auch das Aneignungsrecht war unbeschränkt. Wer das W i l d erlegt hatte, konnte es verzehren, veräußern, den Göttern darbringen oder sonst darüber verfügen. W i r finden diese Befugnis zwar i n den Quellen nicht ausdrücklich ausgesprochen, was seinen Grund darin haben dürfte, daß sie selbstverständlich war, doch 2
I V 3, Z. 971/975. Rudens Prologus, Z. 32. 4 Plautus* Rudens i n Abhandlungen d. Sächs. Akad. d. W., Phil.-hist. Klasse X X X V I I I Nr. V (Leipzig 1928) S. 180. 5 SZR 46/70, 8. β Käser Das römische Privatrecht § 13 I V . 7 Sophistes 219 C. 222 A . 8 Pol. I 3 S. 1256 a. b. 9 Käser RE Suppl. V I I 682, SZR 65/220 f.; Post Grundriß d. ethnologischen Jurisprudenz I I 603. 10 Orth RE I X 563, Beauchet I I I 109. 3
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
73
erschließt sich uns i h r Bestehen an zahlreichen Stellen. Aristoteles sieht die Tiere als für den Menschen geschaffen an 1 1 und zählt die Jagd zu den natürlichen Erwerbsarten 12 , durch die eine ganze Gruppe von Menschen ihren Lebensunterhalt gewinne 13 . Bei Aristophanes sind w i r Zeuge der Veräußerung von Jagdbeute auf dem Markt 1 4 . Xenophon 15 und Plutarch 1 6 berichten, daß es i n Sparta Brauch war, einen Teil der Jagdbeute zu den gemeinsamen Mahlzeiten zur Verfügung zu stellen. Sowohl Xenophon 17 als auch Arrianos 1 8 mahnen den Jäger, die Götter an der Jagdbeute teilhaben zu lassen. Alle diese Äußerungen gehen davon aus, daß die Beute dem Jäger gehört. W i r haben daher keine Bedenken, den Jäger als Eigentümer anzusprechen 19 . Über den Zeitpunkt der Erlangung des Eigentums läßt sich den Quellen nichts entnehmen. Doch dürfte beim Fang die Erlangung der tatsächlichen Gewalt maßgebend gewesen sein, bei der Erlegung die Tötung. Ebensowenig wissen w i r über den Erwerb bei der Beteiligung mehrerer an der Jagd. Eigentumserwerb
nach
Uferrecht
Nach Ansicht Beauchets 20 gab es bei den Griechen i n jener Zeit einen Erwerb von Grundeigentum durch alluvio und an einer insula i n flumine nata, i m letzteren Falle allerdings nur für den Eigentümer des nächstgelegenen Ufergrundstücks. Der Gelehrte stützt seine Ansicht auf eine Stelle i n der ersten der berühmten beiden Inschriften aus Heraclea i n Unteritalien 2 1 , i n der es i n dem Bericht einer Kommission für die Neuvermessung von Ländereien des Dionysos heißt: ταν δέ νάσον τάν ποτιγεγενημέναν ες ταν αρρηκτον γαν συνεμετρήσαμες. Aus diesen Worten ergibt sich, daß Land neu hinzugekommen — ποτιγεγενημέναν ist die dorische Form des attischen προσγεγενημένην — war und die Kommission es m i t vermessen hatte. Beauchet nimmt an, es handele sich u m eine insula i n flumine nata, an der Dionysos als Eigentümer des nächstgelegenen Ufergrundstücks das Eigentum erworben habe. Diese Erklärung ist möglich, 11
Pol. I S . 1256 b. Pol. I S. 1257 a. Vgl. Miller Jagdwesen 22. 13 Pol. I S. 1256 a. 14 Acharn. 878. Vgl. Manns Über die Jagd bei den Griechen I 22. 15 Lak. Pol. V 3. Vgl. Hasebroek Griech. Wirtschafts- u. Gesellschaftsgeschichte 249. 16 Lykourgos 12, 2. 17 K y n . V I 13. 18 K y n . X X X I I 3, X X X V 4. 19 So auch Seidensticker Waldgesch. d. A l t e r t u m s I 179. 20 I I I 48. 21 I G X I V 645 I = Recueil I Nr. X I I table I = G D I 4629 = Cauer-Schwyzer 62 Z. 38/39. 12
74
I . Das Eigentum
aber weder gesichert noch wahrscheinlich. Zunächst einmal steht nicht fest, ob es sich überhaupt u m eine Insel oder eine — vielleicht halbinselförmige — Anschwemmung handelt. Liddell-Scott 22 meinen, νήσος bedeute an dieser Stelle „alluvial land". Diese Annahme ist sehr wahrscheinlich, w e i l sie mehrere Fakten erklärt, die, was Beauchet offenbar übersehen hat, m i t der Insel-Theorie nicht vereinbar sind: So w i r d die νάσος bei der Beschreibung der einzelnen Lose nicht erwähnt 2 3 , obgleich ihre Fläche, wie i n den Zeilen 38/39 ausdrücklich erklärt wird, i n der Gesamtzahl von 2225 Schoinoi, die bis auf eine Differenz von 0.5 Schoinos der Summe der für die einzelnen Lose genannten Schoinen-Zahlen entspricht, mitenthalten ist. Die Fläche der νάσος muß also zu einem der Lose gehört haben. Hätte es sich wirklich u m eine Insel gehandelt, sollte man annehmen, daß diese bei der Beschreibung des Loses erwähnt worden wäre. Ganz unwahrscheinlich ist die Annahme, die den i m Recueil S. 222 und bei Arangio-Ruiz et Olivieri, Inscriptiones Graecae Siciliae et infimae Italiae ad ius pertinentes (Mailand 1925) S. 40, wiedergegebenen Skizzen zugrunde liegt, daß sich nämlich i m Fluß eine Insel über die Grenzen mehrerer Lose hinweg erstreckt habe. Denn dann wären unzweifelhaft Grenzsteine auch auf der Insel gesetzt worden. Es ist danach kaum anzunehmen, daß νάσος i n diesem Falle eine Insel bedeutet. Die Annahme einer alluvio liegt bedeutend näher, wenn unter dem ποτιγεγενημέναν ein Zuwachs auf n a t ü r l i c h e Weise zu verstehen ist. Aber das ist gleichfalls ungewiß. Zwar braucht uns nicht zu verwundern, daß i n der Inschrift nicht näher angegeben ist, auf welche Weise die νάσος durch den Gott erworben worden war; denn das wurde als bekannt vorausgesetzt. Ist aber m i t Sicherheit auszuschließen, daß der Erwerb sich auf andere Weise vollzogen hatte, ζ. B. durch Schenkung oder Kauf? Die genannte Stelle, der einzige Beleg, den Beauchet für seine Meinung anzuführen weiß, ist aus den angeführten Gründen m. E. ungeeignet, zu erweisen, daß nach griechischer Auffassung Grundeigentum an einer insula i n flumine nata durch den Eigentümer des nächstgelegenen Ufergrundstücks erworben werden konnte. Dies muß u m so mehr gelten, als man keinesfalls sagen kann, ein solcher Erwerb sei natürlich. Ebenso natürlich wäre es nämlich, wenn man als Eigentümer einer insula i n flumine nata einen Gott oder die Polis oder die Eigentümer der zunächstgelegenen Grundstücke auf b e i d e n Seiten des Flusses angesehen hätte. Die Stelle kann allenfalls als Beleg für den Eigentumserwerb d u r c h a l l u v i o gelten, jedoch gestattet sie aus den dargelegten Gründen keinen sicheren Schluß. 22
9. Auflage (1951) s. ν. νήσος. Anders i n der 2. Inschrift v. Heraclea (Ländereien d. Athene Polias) Z. 101. 28
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
Erwerb
des E i g e n t u m s
an
75
Früchten
Zu dieser Frage sind die Quellen aus der klassischen Zeit sehr dürftig. So vermochte ζ. B. Beauchet für seine Ansicht, Früchte hätten vor der Trennung und grundsätzlich auch danach dem Eigentümer der fruchttragenden Sache gehört 24 , keine Quellen anzugeben. A u f Grund der Rechtsvergleichung 25 ist es sehr wahrscheinlich, daß — jedenfalls ursprünglich — auch i m griechischen Recht das Prinzip: „Wer sät, der mäht" gegolten hat 2 6 . Das bedeutet Eigentumserwerb desjenigen, der durch Arbeit und Aufwand an Mitteln den maßgeblichen wirtschaftlichen Beitrag zur Hervorbringung der Früchte geleistet hat. Deswegen gehört nach dem Recht von Gortyn das uneheliche K i n d der foixea nicht etwa dem Herren des Erzeugers, sondern dem Herren ihres Vaters, der sie ernährt hatte (Kol. I V Z. 18—21)27. Auch Piaton 2 8 bestimmt, daß das K i n d einer Sklavin und eines Sklaven dem Herren der Sklavin und nicht etwa des Sklaven gehören soll 29 . Nach diesem Grundsatz dürfte auch das Eigentum an einem Tier jungen demjenigen zugefallen sein, der das Muttertier gefüttert hatte. Für die pflanzlichen Früchte kommt das Prinzip i n der Inschrift I G I I 2 249230 (Mitte des 4. Jh. v. Chr.) Z. 7/9 zum Ausdruck: εάν δέ μή άποδιδώσιν, είναι ένεχυρασίαν Αίξωνεΰσιν καί εκ των ωραίων των εκ του χωρίου και εκ των άλλων άπάντων του μή άποδιδόντος. Die vom Pächter geernteten Früchte werden also zum Vermögen des Pächters gezählt. Freilich könnte hier auch Eigentumserwerb durch Trennung oder Besitzergreifung zugrunde liegen, doch haben w i r dafür keine Anhaltspunkte. Da die Griechen einen Rechtssatz des Inhalts, daß m i t dem Boden verbundene bewegliche Sachen ipso iure Eigentum des Grundeigentümers werden, nicht kannten 3 1 , waren die vom Pächter gesetzten Pflanzen und damit auch die sich daran bildenden Früchte jedenfalls sein Eigentum. Trennung und Inbesitznahme waren insoweit sicher ohne Bedeutung. Zweifelhaft kann nur sein, wie es sich verhielt, wenn die fruchttragenden Pflanzen dem Pächter n i c h t gehörten, also ζ. B. bei Beginn der Pacht schon vorhanden gewesen waren. Entstand i n die24
I I I 49. F ü r das römische Recht vgl. Käser SZR 65/254 ff. u. I u r a I (1950) 81, f ü r das deutsche Recht Hübner, Grundzüge d. deutschen Privatrechts 5 · 464 f., Gierke, Deutsches Privatrecht I I 586 fi. 26 F ü r das Recht der P a p y r i bejaht von Herrmann, Studien zur Bodenpacht i m Recht der graeco-aegyptischen P a p y r i (München 1958) S. 142. 27 Bücheler-Zitelmann 114, Kohler-Ziebarth 52, Guarducci I C I V S. 72. 28 Nomoi X I 930 D. 29 Das Problem der Rechtsstellung des Kindes einer S k l a v i n u n d eines Freien ist hier nicht zu erörtern, da insoweit öffentliche Belange von Bedeutung waren. 30 = D i t t . Syll. 3 966. 81 s.u.S. 104. 25
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I . Das Eigentum
sem Falle Eigentum des Pächters — die wirtschaftliche Leistung ist i n der Pflege der Pflanzen zu erblicken — schon an den hängenden Früchten oder erst mit der Ernte? Dem griechischen Recht war der Gedanke, daß Bestandteile nicht Gegenstand besonderer Rechte sein können, fremd. Die „Übertragung" des Eigentums an ungetrennten Früchten durch entgeltliche Veräußerung war den Griechen wohl vertraut, wie sich aus einer dem 5. Jh. zuzurechnenden Inschrift von Thasos 32 klar ergibt, i n der es heißt: Γλεύκος μήδε olvov τδ καρπό το επί τήις άμπέ[λοις ών]εσθαι προ νεομηνίης Πλυντηριώνος33. Denn dies m i t einer Strafdrohung bewehrte Gesetz hätte man nicht zu erlassen brauchen, wenn die Veräußerung hängender Trauben als unwirksam gegolten hätte 34 » 35 . Die Vorstellung, daß hängende Früchte dem gehören, der die Mutterpflanze gepflegt hat, begegnet auch i m alten deutschen Recht 36 . Es ist daher wahrscheinlich, daß auch nach griechischer Auffassung die Früchte v o n A n f a n g a n Eigentum des Pächters waren 3 7 . Die i n den Pachtverträgen aus Ägypten begegnende Klausel ,,κυριεύειν των καρπών εως .. ," 3 8 , durch die dem Verpächter bis zur Bezahlung des Pachtzinses eine Sicherheit an den Früchten bestellt wurde, ist daher wohl keine Eigentums v o r b e h ä l t s klausel 39 , sondern bedeutet eine antizipierte Einräumung der κυριεία 40 an den Verpächter. II. Erwerb mit Willen des bisherigen Eigentümers Der E i g e n t u m s e r w e r b d u r c h K a u f bedarf nach den eingehenden Untersuchungen der letzten 20 Jahre — durch Simonétos 41, Pringsheim 42, Demeyere 43 und Gernet 44 — keiner erneuten ausführlichen 32
Bull, de corr. hell. 50 (1926) 214. Vgl. dazu Pringsheim L a w 296. 34 Die v o n Pringsheim a. a. O. geäußerten Bedenken richten sich wohl, w i e sich aus S. 268 ergibt, nicht gegen die Veräußerung der hängenden Trauben. 35 K a u f hängender Früchte begegnet auch bei Piaton Nomoi V I I I 845 A : μέτοικος δέ ώνούμενος τήν γενναίαν όπώραν όπωριζέτω, έάν βούληται. 36 Vgl. Gierke Deutsches Privatrecht I I 8 f. (insbes. A n m . 14). 40.587. 37 F ü r E r w e r b m i t d e r E r n t e Herrmann a.a. O. 142 ohne nähere Begründung. Ebenso Pringsheim L a w 295. 38 Dazu Herrmann 140 f. 39 Richtig Herrmann 141,2, jedoch m i t anderer Begründung. 40 Vgl. dazu Wolff, The Journal of Juristic Papyrology 1 (1946) S. 62 = Beiträge 138, w o es i n A n m . 24 i n der siebtletzten Zeile Verpächter anstatt Pächter heißen muß. 41 Festschrift P. Koschaker I I I (1939) 172—198. 42 L a w 204 ff. Dazu Pringsheim Festschrift H. L e w a l d 144, 4, Wolff SZR 68/541 ff., Seidl Tijdschrift v. Rechtsgeschiedenis 20/105 ff., Gernet D r o i t et Société 201 ff. 43 A H D O / R I D A I (1952) 215—266. 44 D r o i t et Société 201—236. 33
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
77
Darstellung. Es w i r d heute kaum noch bezweifelt, daß der Käufer von M o b i l i e n i n jener Zeit das Eigentum an dem gekauften Gegenstand mit der vollständigen 45 Bezahlung des Kaufpreises erwarb. Die Hauptquelle hierfür ist Theophrastos' Περί συμβολαίων 4 und 7. Die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache war für den Eigentumserwerb des Käufers ohne Bedeutung4®. Wurde der Käufer v o r der vollständigen B e z a h l u n g des Kaufpreises B e s i t z e r , änderte sich dadurch an der Rechtslage nichts 47 , der Verkäufer blieb Eigentümer. A u f einen Sachverhalt i n diesem Stadium weist der Horos I G I I 2 2762 = Finley Nr. 3 hin 4 8 . Wurde umgekehrt der Kaufpreis bezahlt, sollte aber die Ü b e r g a b e erst s p ä t e r erfolgen, war der Käufer zunächst besitzloser Eigentümer. Auch solche Sachverhalte haben ihren Niederschlag i n Horoi gefunden: I G I I 2 2763/4 = Finley Nr. 112/13, I G X I I 8 Nr. 22 = Finley Nr. 115, Hesperia Suppl. V I I 3 Nr. 2 = Finley Nr. 11449. Bei dem entgeltlichen Erwerb von G r u n d s t ü c k e n u n d G e b ä u d e n war n e b e n der vollständigen Bezahlung des Kaufpreises noch die Erfüllung der Publizitätsvorschriften erforderlich 50 , auf die hier nicht eingegangen werden kann. Auch das wissen w i r aus der obengenannten Schrift des Theophrastos (4 i n Verbindung mit 1—3). Der Grund dafür, warum nach griechischer Auffassung eine verkaufte Sache bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises dem Veräußerer gehörte, dürfte nicht m i t Seidl 51 auf ein „Prinzip der notwendigen Entgeltlichkeit" zurückzuführen, sondern i n der von Wolff 52 erschlossenen Konzeption des griechischen Vertrages als Zweckverfügung zu finden sein. Der Zweck eines Kaufvertrages ist Austausch von Ware gegen Geld. Vom Standpunkt des Verkäufers aus gesehen ist dieser Zweck so lange nicht erreicht, als das vereinbarte Entgelt nicht entrichtet ist. Es ist daher leicht erklärlich, daß i n einer Rechtsordnung, zu deren Grundfiguren die Zweckverfügung gehörte, die veräußerte Sache so lange 45 Solange der Käufer n u r einen T e i l des Preises bezahlt hat, hat er nicht erworben — auch k e i n Miteigentum (Seidl a. a. 0.109 f.). 46 Demeyere 266, Simonétos 192. 47 Pringsheim Festschr. H. L e w a l d 144. 48 Die Inschrift lautet: επί Θεοφράστου άρχοντος· [δ]ρος χωρίου τιμής ένοφειλομένης Φανοστράτωι Παιαν(ιεΐ) X X . Vgl. dazu Pringsheim Festschr. L e w a l d 156 f., Fine 42, 5. 49 Als Beispiel diene I G I I 2 2763. Die Inschrift lautet: δρος χωρίο πεπραμένο έρανισταΐς τοις μετά Καλλ[ι]τέλος Η Η ΗΗΔΔ. Vgl. Pringsheim Festschr. L e w a l d 145 fï., Fine 42,5. δο partsch Festschrift O. Lenel 100 f., Pringsheim L a w 233,2, Demeyere a. a. O. 262 iï., Simonétos 187 ff. 51
Festschrift F r i t z Schulz I 379, Studi i n onore V. Arangio-Ruiz I 47.55, Ägyptische Rechtsgeschichte d. Saiten- u. Perserzeit 41. 52 SZR 74/26 ff., insbes. 63 f.
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I . Das Eigentum
als dem Veräußerer gehörend angesehen wurde, als dieser nicht erhalten hatte, was er nach den Vereinbarungen m i t dem Vertragsgegner erhalten sollte. Entscheidend war also nicht, daß der Eigentümer „ein richtiges Entgelt für sein Eigentum i n sein Vermögen bekommen hatte" 5 8 , sondern daß der Zweck erreicht worden war. Ist diese Anschauung richtig, braucht nicht gefragt zu werden, wie die i n den Quellen mehrfach überlieferten Schenkungen m i t dem „Prinzip der notwendigen Entgeltlichkeit" zu vereinbaren sind; denn bei einer Schenkung ist der Zweck ja bereits erreicht, wenn der Beschenkte die Sache erlangt hat. M i t der Feststellung, daß sich der Eigentumserwerb bei der entgeltlichen Veräußerung grundsätzlich m i t der Bezahlung des Kaufpreises vollzog, ist noch nichts darüber gesagt, a u f w e l c h e W e i s e dies nach griechischer Auffassung geschah. Die Frage ist, ob die Griechen die Vorstellung der Rechtsnachfolge, insbesondere der Singularsukzession, gehabt haben oder ob sie sich den Eigentümerwechsel auf dem Wege des Untergangs des Rechts des bisherigen Eigentümers und der Neubegründung des Eigentums i n der Person des Erwerbers vorgestellt haben. Die Quellen gestatten darüber keine eindeutige Aussage. Für die A n nahme einer Einzelrechtsnachfolge sind eingetreten: Weiß 54 mit eigentlich überhaupt keiner Beweisführung, Ehrhardt 55, der seine Zweifel offen bekennt, und Simonétos 56 m i t wenig überzeugender Begründung 57 . Gegen die Vorstellung eines „transfert de la propriété" hat sich Gernet 58 gewandt, während Pringsheim keine Bedenken trägt, von transfer zu sprechen 59 . A n der Stelle, auf die sich Gernet a. a. O. bezieht, wendet Pringsheim 60 sich lediglich gegen die Deutung der κυριεύειν-Klausel®1 der Papyri als „clause for the transfer of ownership". Μ. E. sollte man von Ü b e r t r a g u n g des Eigentums nicht sprechen; denn der „Übergang" des Eigentums auf den Käufer erfolgte zwar m i t dem Willen des Veräußerers, aber er wurde nicht von i h m bewirkt. Dazu war der bisherige 53
Seidl i m oben zuletzt genannten W e r k 40. Privatrecht 216. 55 Iusta causa 160. 58 Festschrift P. Koschaker I I I 176. 57 „ . . . w i r d auch für den Verkehr unter Lebenden ähnlich gelten." 88 D r o i t et Société 206. 59 Vgl. z. B. L a w 198: "The payment transfers ownership", 197: . . for the transfer of ownership." 60 L a w 197 if. β1 Beispiel: P. Oxy. 1200, Z. 24/25: διό άπό του νυν κρατείν σε και κυριεύειν. Übersicht bei Schwarz , Die öffentliche u n d private U r k u n d e i m röm. Ä g y p t e n (Leipzig 1920) 172 ff. (Abh. d. Sachs. Akad. d. Wiss., Phil.-Hist. Klasse, X X X I Nr. I I I ) . 54
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
79
Eigentümer außerstande, das vermochte lediglich der Käufer, indem er den Kaufpreis bezahlte. Solange er das nicht tat oder t u n ließ, konnte er nicht Eigentümer werden. G e g e n die Vorstellung von einer Einzelrechtsnachfolge spricht die Rechtsvergleichung® 2. Es ist daher wenig wahrscheinlich, daß die Griechen das Recht des Veräußerers und des Erwerbers als identisch angesehen haben. Eigentum durch Kauf wurde auch bei dem zwar S i c h e r u n g s z w e c k e n d i e n e n d e n ® 3 , aber i n der Form eines Verkaufs® 4 vorgenommenen Rechtsgeschäft erworben, für das sich der Terminus π ρ ά σ ι ς ε π I λ ύ σ ε ι i n der Literatur eingebürgert hat. Denn wenn die Beteiligten für die Bestellung einer Sicherheit die πρασις-Form gewählt haben, obgleich ihnen eine andere, die w i r Hypothek nennen und die i m A n schluß betrachtet werden soll, offenstand, müssen w i r annehmen, daß sie auch die typischen Rechtsfolgen eines Kaufes eintreten lassen wollten®5. A n die Stelle des Kaufpreises trat bei der πράσις επί λύσει die Darlehensvaluta. M i t der Hingabe derselben wurde der Käufer-Gläubiger Eigentümer des Sicherungsobjekts. Dem Verkäufer-Schuldner verblieb lediglich das Recht, das Objekt durch Rückzahlung des Darlehens „zurückzukaufen". Solange er das nicht getan hatte, war er nicht verfügungsberechtigt und hatte ein Recht zur Nutzung nur dann, wenn der KäuferGläubiger i h m dies Recht eingeräumt hatte. Denn Inhaber dieser Rechte war der Käufer-Gläubiger als Eigentümer. A l l e Stellen, die auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, als habe ein Verkäufer-Schuldner auch nach vollzogener πρασις επί λύσει über das Sicherungsobjekt i n irgendeiner Weise verfügen können®®, erweisen sich bei näherer Betrachtung als nicht zwingend. Die Reihenfolge, i n der i n der sog. P o l e t e n i n s c h r i f t ® 7 die Gläubiger des Theophilos aufgezählt sind, ist keine zeitliche; denn die Bestattungskosten für Theophilos und dessen Frau (Z. 25—30) sind v o r einer von Theophilos vorgenommenen πράσις έπί λύσει (Ζ. 30—35) aufgeführt. Der i n Zeile 16—25 wiedergegebene rätselhafte „Verkauf"® 8 , von dem noch zu sprechen sein ®2 Vgl. Käser SZR 67/322 f. u. RE V I A 2158, Husserl SZR 50/481 ff. ®3 Vgl. Wolff SZR 70/422. 64 s. die Horoi bei Finley Nr. 11—111, 18 A , 21 A , 31 A— B, 39 A—B, 51 A , 66 A — D , 67 A , 82 B, 85 A— B, 86 A , 92 A , 101 A — B , SEG X I I 100 u n d I G X I I 5 872 §§ 30.46 (Register v o n Tenos). ® 5 Wolff a. a. O., Fine 144. β« Was Jones 239 f ü r denkbar hält. 67 SEG X I I 100, dazu Fine 150 ff., Finley Studi i n onore Arangio-Ruiz I I I 473 ff., Pringsheim Festschrift L e w a l d 150, 43 u. 44. 68 Dazu Finley u. Pringsheim a. a. (X
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I. Das Eigentum
wird, braucht daher ebenfalls nicht v o r der πράσις έπί λύσει geschlossen worden zu sein, es könnte vielmehr durchaus gleichzeitig geschehen sein. Ebensowenig gibt es H o r o i , aus denen sich mit Sicherheit ergibt, daß ein Verkäufer-Schuldner nach einer πράσις επί λύσει an demselben Objekt noch weitere Sicherheiten bestellt hätte. I m einzelnen darf auf die Untersuchungen von Finley 69 und Fine 70, der Meletopoulos 71 überzeugend widerlegt hat, verwiesen werden 72 . Als Eigentümer hatte der Käufer επί λύσει auch das Recht, sich i n den Besitz des Sicherungsobjekts zu setzen und es zu nutzen 73 . Die Quellen zeigen jedoch, daß die Sicherungsnehmer an der Ausübung dieses Rechts vor Ablauf der λύσις-Frist regelmäßig uninteressiert waren und die Sicherungsobjekte den Schuldnern zur Benutzung zu belassen pflegten. Bei dem Sicherungscharakter des Geschäfts ist das nicht weiter verwunderlich. I n A t t i k a läßt sich diese Übung aus der Beschriftung der Horoi, auf denen Käufe επί λύσει verzeichnet sind, genau erkennen. Die Steine, deren Zweck es war, Dritte auf den Charakter des Grundstücks oder Gebäudes als Sicherungsobjekt hinzuweisen 74 , geben nämlich regelmäßig nur die Namen der Käufer 7 5 , nicht aber die der Verkäufer-Schuldner an. Das beruht offensichtlich darauf, daß die Horoi auf Grundstücken und bei Gebäuden aufgestellt waren, die sich i m Besitz der Schuldner befanden, so daß sich die Einmeißelung von deren Namen erübrigte. Auf A m o r g o s findet sich die .Überlassung durch den Käufer an den Schuldner nach vollzogener πρασις έπί λύσει auf einem Stein verzeichnet 78 . Ob der Käufer έπί λύσει befugt war, vor Ablauf der für die λύσις festgesetzten Frist, d. h. der Rückzahlungsfrist, über das Sicherungsobjekt zu verfügen, kann den Quellen nicht entnommen werden 77 . Interessengemäß wäre eine Beschränkung der Verfügungsbefugnis. Der Verkäufer-Schuldner hat ein berücksichtigungswertes Interesse am Verbleib des Objekts i n der Hand des von ihm als vertrauenswürdig be60
a. a. O., insbes. 483 ff. u n d L a n d and Credit 107 ff. 143 ff. 71 Polemon I V (1949) 41 ff. 72 Die A n f ü h r u n g von I G I I 2 2758 = Finley No. 1 durch Jones 239, 3 als Beispiel für die Bestellung einer Hypothek nach einer πράσις έπί λύσει beruht offenbar auf einem I r r t u m . Z u der von Jones i n diesem Zusammenhang erwähnten Inschrift I G I I 2 2723 = Finley Nr. 41 vgl. Finley 110. 73 E i n Beispiel findet sich w o h l bei Isaios V 21. Vgl. dazu Habel SZR 36/370, Käser SZR 64/194 u. Jones 237,5. 74 Vgl. Wolff SZR 70/419 f., Fine 41 ff., Finley 10 ff. 75 Als Beispiel I G I I 2 2703 = Finley Nr. 47: [δρ]ος χω | ρίου πε | πραμένου | I έπί λύσει | Φιλοκλεί Λα | [μ]πτρεΐ XX. 76 Syll. 3 1200 = Finley Nr. 102. 77 Vgl. Hitzig Pfandr. 75 ff. (nein), Beauchet I I I 242 ff. (ja), Lipsius A t t . R. 703 f. (ja), Fine 158 (unentschieden). U n k l a r Wolff Festschr. Rabel I I 329. 70
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
81
fundenen Gläubigers. Diesem Interesse muß der Vorrang gegeben werden vor dem Bedürfnis des Gläubigers, sich vor Ablauf der von i h m dem Schuldner eingeräumten Lösungsfrist Geld durch Weiterveräußerung des Sicherungsobjektes verschaffen zu können. W i r können jedoch nicht sagen, ob die Griechen auch so gedacht haben. Die I n s c h r i f t e n geben keinen Aufschluß. Nur ein Horos könnte als Fall der Veräußerung durch den Käufer-Gläubiger gedeutet werden: I G I I 2 2689 = Finley Nr. 33. A u f diesem Stein ist der Name des Gläubigers getilgt und von anderer Hand ein neuer Name eingefügt worden. Aber das beweist natürlich nichts 78 , es kann sich beispielsweise ebenso u m die Wiederverwendung eines alten Steines handeln. Auch die l i t e r a r i s c h e n Q u e l l e n lassen keine definitive A n t wort zu. I m Apatourios-Fall 7 0 war ein Versuch des Schuldners vorangegangen, das Objekt aus Athen zu entfernen 80 . Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß nach derartigen Treuwidrigkeiten des Schuldners besondere Regeln gegolten haben und der Gläubiger dadurch die Verfügungsbefugnis erlangt hat. Der Pantainetos-Fall 81 kann hier außer Betracht bleiben; denn i n diesem Zusammenhang interessant sind nur Verfügungen über das Sicherungsobjekt o h n e Einwilligung des Schuldners. Daß das Grundstück oder Gebäude vor Fristablauf vom Gläubiger an einen anderen veräußert werden konnte, wenn der Schuldner mit der Veräußerung einverstanden war, ist nicht zu bezweifeln. U m derartige Veräußerungen handelt es sich aber i n der PantainetosRede. Das steht sowohl für den ersten 82 vom Sprecher erwähnten Kauf — durch Mnesikles von Telemachos 83 — fest als auch für die Verkäufe von Mnesikles an den Sprecher und seinen Partner 8 4 und durch den Sprecher 85 , ganz abgesehen davon, daß es sehr zweifelhaft ist, ob diese Verkäufe überhaupt als πράσεις επί λύσει angesprochen werden können 86 . Die Frage nach der Verfügungsbefugnis des Sicherungsnehmers vor Ablauf der λύσις-Frist muß daher offenbleiben. Keinesfalls darf man jedenfalls aus dem Eigentum des Sicherungsnehmers auf seine Ver78
Vgl. dazu Finley 19. Demosth. X X X I I I . 80 § 9. 81 Demosth. X X X V I I . 82 § 5. Daß Pantainetos schon früher Eigentümer der Aufbereitungswerkstätte u n d der Sklaven gewesen wäre (so Fine 147 u n d andere), ist sehr zu bezweifeln (vgl. Lauffer Bergw. Sklaven I 1198). Die sich aus dieser Annahme ergebenden früheren Geschäfte können daher hier unberücksichtigt bleiben. 83 Dazu Partsch Bürgschaftsr. 355,1, Pringsheim L a w 207. 84 § 5. Vgl. dazu Lauffer a. a. O. 1199, Fine 148. 85 §§ 14.16.17.30. Vgl. Lauffer 1201, Fine 148. 86 Vgl. die treffenden Ausführungen Lauffer s 1199,4. 79
6
Kränzlein
82
I . Das Eigentum
fügungsbefugnis schließen. Denn daß dem Eigentümer einer Sache die Verfügungsbefugnis fehlt, begegnet i m griechischen Recht auch anderswo 87 . Erwerb
durch
Pfandverfall
Aristoteles 88 und Demosthenes 89 lehren uns, daß i n jener Zeit Eigent u m durch Verfall einer dem Erwerber früher bestellten und nicht ausgelösten Sicherheit erworben werden konnte. Sie berichten, daß Nichtbürger, die Darlehen gegen Sicherheiten an Grundstücken und Gebäuden gewährt hatten, sich bei Ausbleiben der Rückzahlung nicht durch Inbesitznahme der Sicherungsobjekte befriedigen konnten, wenn ihnen die εγκτησις fehlte. Daß durch Pfandverfall Eigentum erworben werden konnte, lassen auch die Quellen erkennen, i n denen Verpfändungen gleichrangig neben anderen Erwerbsgründen wie Kauf oder Erbgang erscheinen 90 . Das offenbar wegen der Bevorzugung der πράσις έπί λύσει i n der Praxis, vielleicht aber auch wegen der später einsetzenden Entwicklung 9 1 verhältnismäßig selten vorkommende 92 b e s i t z l o s e Pfand an Grundstücken und Gebäuden nennen w i r H y p o t h e k 9 3 . Bei einer Sicherung i n dieser Form bestand v o r dem Pfandverfall eine ähnliche t a t s ä c h l i c h e Lage wie regelmäßig beim Sicherungsgeschäft i n πρασιςForm vor dem Ablauf der λύσις-Frist: Der Schuldner besaß und nutzte das Sicherungsobjekt, auf dem Grundstück oder bei dem Gebäude war ein Horos aufgestellt und machte Dritten kenntlich, daß an dem Grundstück bzw. Gebäude wegen einer Forderung ein Recht eines anderen bestand 94 . Die R e c h t s l a g e war jedoch, obgleich das Geschäft dem gleichen wirtschaftlichen Zweck diente, von der nach einer πράσις έπί λύσει ganz verschieden. Da die Merkmale keines der zum Erwerb des Eigentums führenden Tatbestände erfüllt waren, stand das Sicherungs87
Vgl. u. S. 90. Oik. I I 2, 3 S, 1347 a. 89 X X X V I 6. 90 Isaios X 24 (u. S. 93), D i t t . Syll. 3 1200 Z. 9—13, I G I I 2 43 Α Ζ. 36—42. 91 Vgl. Fine 90 ff. 92 Fine 92, Finley 6. 29. 93 Z u r Terminologie: Pringsheim K a u f 22,8, Fine 62.92, Wolff SZR 70/424. 94 Vgl. Finley Nr. 1—7 u. 3 A . Als Beispiel diene I G I I 2 2758 = Syll. 5 1192 = Finley Nr. 1: δρος χωρίου και οικίας υποκειμένων Γ Η Η Η δραχ(μών) : ώστε ϊχειν καί κρα τεΐν [τ]όν θέμενον κατά συνΦήκας τάς κειμένας παρά Δεινίαι Εύωνυμεΐ. 88
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
83
objekt nach wie vor i m Eigentum des Schuldners. Der Gläubiger hatte durch das τίθεσθαι 95 noch nicht das Eigentum, sondern nur eine A n w a r t schaft 96 darauf erlangt. Der Schuldner nutzte das Objekt also aus eigenem, nicht aus abgeleitetem Recht. Auch die Verfügungsbefugnis war i h m verblieben 97 . Er konnte das Objekt veräußern und belasten. Soweit dadurch jedoch die Anwartschaft des Hypothekars auf den Erwerb des Eigentums beeinträchtigt wurde, stand diesem das Recht zu, Einspruch zu erheben 98 und dadurch die beeinträchtigende Verfügung unwirksam werden zu lassen. Nachricht von einer Veräußerung des Sicherungsobjekts erhielt der Hypothekengläubiger durch die öffentliche Kundmachung 99 . Das gleiche dürfte für von dem Schuldner vorgenommene Sicherungsgeschäfte i n πρασις-Form gelten, da die πράσεις επί λύσει j a nur wirtschaftlich Sicherungsgeschäfte, rechtlich aber Verkäufe waren. Daß i n Athen auch für die Bestellung von Hypotheken Publizitätsvorschriften gegolten hätten, sagt Theophrastos nicht. Da er andererseits ausdrücklich erwähnt, daß derartige Normen für die Hypothezierung i n Kyzikos bestanden haben, ist der verhältnismäßig sichere Schluß gestattet, daß es zu seiner Zeit i n Athen solche Vorschriften n i c h t gegeben hat 1 0 0 . Der Gläubiger mußte daher selbst sehen, wie er von solchen Geschäften des Schuldners Nachricht erhielt, vor allem aber versuchen, Dritte von vornherein davon abzuhalten, sich von seinem Schuldner eine Hypothek bestellen zu lassen. Die Aufstellung von Horoi auf oder an dem Sicherungsobjekt 1 ® 1 war dazu ein taugliches Mittel, da ein Kreditgeber regelmäßig das Sicherungsobjekt vorher i n Augenschein genommen haben wird. Der Einspruch führte nicht zum Ziele, wenn die spätere Belastung in Form einer a u f d e n M e h r w e r t b e s c h r ä n k t e n Hypothek 1 0 2 vorgenommen worden war. Denn i n diesem Falle hatte der Nachhypo95
Vgl. Demosth. L I I I 10. Schönbauer, Archiv f. Pap. Forsch. X I I (1937) 198. 97 Rabel Verfügungsbeschränkungen 19. 98 Rabel a. a. O. 99 Theophrastos Περί συμβολαίων 1. 100 Finley L a n d and Credit 15, Wolff SZR 70/419 f., a. Α . Rabel Verf. Beschr. 12, 2. 101 Die Steine Finley Nr. 14 u. 87 (Americ. Journ. of Phil. 69 [1948] 203 Nr. 3 u. I G I I 2 2752), auf denen auch anderwärts gelegene Sicherungsobjekte v e r zeichnet sind, beweisen nicht, daß die Horoi nicht immer i n unmittelbarer Nähe des Objekts aufgestellt worden sind. Denn wer sagt uns, daß nicht bei dem anderen Objekt gleichfalls ein Horos placiert w a r u n d der Gläubiger lediglich k u n d t u n wollte, daß nicht nur das vor den Augen des Betrachters des Horos liegende Besitztum des Schuldners jetzt i h m gehöre — es handelt sich u m πράσεις έπί λύσει —, sondern auch ein weiteres, anderswo gelegenes. 102 Vgl. Hesperia Suppl. V I I (1943) 1 Nr. 1 ( = Finley Nr. 147): δσωι πλέονος άξία (ähnlich I G I I 2 2670 = Finley Nr. 146) u. Ditt. Syll. 8 364 Z . 3 3 Î Ï . : δσοι δέ έπί τοΐς ύπερέχουσι δεδανείκασιν. 96
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I. Das Eigentum
thekar durch die Beschränkung auf den Mehrwert ein m i t dem Recht des ersten Hypothekengläubigers konkurrierendes Anwartschaftsrecht auf das Eigentum an dem g a n z e n Sicherungsobjekt gar nicht erlangt, so daß das Recht des Ersthypothekars durch die Verfügung des Schuldners nicht beeinträchtigt war. Welchen Wert eine derartige beschränkte Nachhypothek für deren Gläubiger hatte, werden w i r noch sehen. Diese Rechtslage spiegelt sich i n den Inschriften wider. W i r besitzen aus A t t i k a keinen sicheren inschriftlichen Beleg für zwei nacheinander bestellte Hypotheken. W i r kennen lediglich 2 Horoi, i n denen einem Apotimema 1 0 3 auf den Mehrwert beschränkte Hypotheken folgen 104 . Ebensowenig besitzen w i r Belege dafür, daß nach der Bestellung einer Hypothek oder eines Apotimema der Schuldner eine πράσις επί λύσει vorgenommen hätte, schon gar nicht dafür, daß dies ohne Zustimmung des Hypothekengläubigers geschehen wäre. Auch aus der sog. Poleteninschrift ergibt sich das nicht. A n dem zur Veräußerung gelangenden Grundstück bestand eine Hypothek von 150 Drachmen 105 zugunsten des Smikythos, eine πρασις έπί λύσει zur Sicherung einer Forderung von 24 Drachmen 106 und ein „Verkauf" 1 0 7 für eine Forderung von 100 Drachmen. Ob es sich hierbei gleichfalls u m eine Sicherung i n πράσις-Form handelt, ist sehr zweifelhaft 108 . Weitaus wahrscheinlicher scheint m i r zu sein, daß eine Hypothek vorliegt. Von Pollux ( V I I I 142) wissen wir, daß Hypereides einmal άποδόμενος anstatt ύποθείς gesagt hat. Dieser Sprachgebrauch könnte auch hier vorliegen. W i r haben daher keine Veranlassung, als sicher oder auch nur wahrscheinlich anzunehmen, daß i n diesem Teil der Inschrift έπί λύσει ausgefallen ist, zumal aus A t t i k a άποδίδοσθαι έπί λύσει als Terminus nicht überliefert ist. Wie dem aber auch sei, ob w i r also die 100-Drachmen-Gläubiger als Hypothekengläubiger oder Eigentümer έπί λύσει ansehen, nichts berechtigt zu dem Schluß, daß die Belastungen für die 100- und die 24-Dradimen-Schuld 109 n a c h der Hypothezierung des Anwesens zugunsten des Smikythos entstanden sind bzw. daß dies nicht m i t Zustimmung des Smikythos geschehen wäre. Auch aus der Tatsache, daß die Forderung des Smikythos aus der ersten Rate des von dem Erwerber gezahlten Entgelts befriedigt wird, 103
160.
104
Z u m Sicherungscharakter Wolff
Festschr. Rabel I I 313 ff. u. RE X X I I I
Finley Nr. 146 u. 147. Ζ. 14/15: υπόκειται. 108 Ζ. 30/35. 107 Άποδομένο ohne Zusatz, Ζ. 16/25. 108 Vgl. dazu Finley Studi Arangio-Ruiz I I I 475 f., Pringsheim Festschr. L e w a l d 150 f. 109 Daß sich über die Reihenfolge dieser untereinander nichts sagen läßt, w u r d e bereits festgestellt. 105
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
85
die der anderen Gläubiger dagegen nicht, läßt sich nichts entnehmen. Denn das beruht darauf, daß der Antragsteller i m Apographe-Verfahren seinen Antrag von vornherein nur auf das Vermögen des Theosebes abzüglich 150 dem Smikythos geschuldeter Drachmen gerichtet hatte 1 1 0 . W i r können also nicht behaupten, daß bei einem unbeschränkten Apographe-Antrag Smikythos i n gleicher Weise bevorzugt worden wäre. Nur aber wenn das möglich wäre, könnten w i r den Vorrang der Hypothek behaupten 111 . Wenn w i r fragen, warum der Antragsteller die Hypothek des Smikythos i n seinem Antrag ausgeklammert hatte, so kann die Antwort m i t Sicherheit nur lauten: Weil Smikythos eine Rechtsstellung innehatte, die von der Polis respektiert werden mußte. Worauf basierte diese Rechtsstellung und welches war ihr Inhalt? Sicher nicht nur darauf, daß die Forderung des Smikythos auf 150 Drachmen durch eine Hypothek dinglich gesichert war; denn dinglich gesichert waren auch die 24-Drachmen-Gläubiger, und zwar durch die rechtlich umfassendere Sicherung einer πρασις επί λύσει. Des weiteren war sicher nicht allein von entscheidender Bedeutung, daß die Forderung des Smikythos fällig war. Fällig war nämlich unzweifelhaft auch die nichtberücksichtigte Forderung des Isarchos über 30 Drachmen für die Bestattung des Theophilos und seiner Ehefrau 112 . Das Entscheidende dürfte meiner Überzeugung nach vielmehr darin zu erblicken sein, daß beides zusammentraf, die Fälligkeit mit der Sicherung durch eine Hypothek. Dadurch, daß der Eigentümer offenbar verabsäumt hatte, die 150 Drachmen fristgemäß zurückzubezahlen, war das Anwesen dem Smikythos v e r f a l l e n . M i t dem Verfall hatte er das Recht erworben, sich i n den Besitz des Sicherungsobjekts zu setzen. Das hatte er zwar aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht getan — anderenfalls wäre das bei der Beschreibung des Anwesens kaum verschwiegen worden —, aber er hatte die Befugnis, es jederzeit zu tun. Und daraus resultiert seine bevorzugte Behandlung: Das Grundstück konnte nur dann zugunsten der Polis eingezogen werden, wenn Smikythos befriedigt und dadurch sein Recht zur Inbesitznahme zum Erlöschen gebracht wurde. Die Befriedigung der übrigen Gläubiger war offenbar nicht vordringlich, vermutlich weil von ihnen wegen Nichtablauf der Lösungsfristen keine Gefahr drohte 113 . no z . g—15: Θεόμνηστος . . . άπέγραψεν Θεοσέβος . . . οΐκίαν . . . δσωι πλείονος άξια ή ύπόκειται Σ μ ι κ ύ θ ω ι . . . : Η Γ δραχμών. 111 Das dürfte Pringsheim Festschr. L e w a l d 151,44 übersehen haben. 112 Z. 25—30. 113 Das Sicherungseigentum der 24 Drachmen-Gläubiger stand der Einziehung offensichtlich nicht entgegen. Pringsheim (Festschrift L e w a l d 151,43) meint, das sei sonderbar. Μ . E. erklärt sich das aus dem Nichtabiauf der L ö sungsfristen. Dem Verkäufer-Schuldner stand noch das Recht zu, das Objekt
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I. Das Eigentum
M i t dem Unterlassen der Inbesitznahme, für die sich i n Ephesos das Wort έμβαίνειν gebraucht findet 114, während man i n der Literatur von έμβάτευσις zu sprechen pflegt, obgleich dieses Substantiv i n dieser Bedeutung nicht überliefert ist 1 1 5 , dürfte es auch zusammenhängen, daß Smikythos noch nicht Eigentümer des Sicherungsobjekts geworden war 1 1 6 . Denn wäre er bereits Eigentümer gewesen, hätte das Anwesen wohl kaum zugunsten der Polis eingezogen werden können 1 1 7 , es sei denn, man nähme an, Smikythos hätte sich zur Freigabe des nunmehr i h m gehörenden Anwesens gegen Zahlung von 150 Drachmen aus der 1. Rate bereit erklärt, oder man hielte den Pfandverfall i m Falle einer Konfiskation für unwirksam gegenüber der Polis 1 1 8 . Für beide Annahmen besitzen w i r jedoch keinerlei Anhaltspunkte. W i r können also feststellen, daß bei einer Hypothek der Verfall allein den Eigentumserwerb nicht bewirkte, sondern daß es einer Kundbarmachung des Willens des Hypothekengläubigers, daß das Sicherungsobjekt nunmehr die Stelle des ausgeliehenen und nicht zurückbezahlten Geldes einnehmen sollte, bedurfte. Die Kundbarmachung geschah regelmäßig durch έμβάτευσις, ob sie auch auf andere Weise erfolgen konnte, können w i r nicht sagen. Der Hypothekengläubiger erwarb das Eigentum, soweit nicht besondere Abmachungen zwischen den Parteien getroffen waren, ohne jede Beschränkung und Verpflichtung. Er war insbesondere nicht gehalten, die Hyperocha, d. h. den Betrag, u m den der Wert des Sicherungsobjekts seine Forderung überstieg, dem Schuldner zu erstatten. Das griechische Pfand jener Zeit war Ersatz- und Verfall-, nicht Sicherungspfand 119 . Eine Pflicht zum Verkauf 1 8 0 und zur Herausgabe der Hyperocha bestand nach allem, was w i r wissen, kraft Gesetzes für den Gläubiger auch dann nicht, wenn der Eigentümer den Mehrwert des Sicherungsobjekts an andere Gläubiger verpfändet hatte. Waren i n einem solchen Falle zurückzukaufen. I n dieses Recht trat bei der Einziehung der Staat — vielleicht auch der Erwerber — ein. I n seiner H a n d lag es dann, den Fristablauf zu verhindern u n d das Grundstück vor dem Zugriff der Gläubiger zu bewahren. 114 Syll. 8 364 Z. 75 ff. 115 Fine 83. ne F ü r die Notwendigkeit der έμβάτευσις z u m Eigentumserwerb w o h l Partsch Bürgschaftsr. 264, a. A . offenbar Schönbauer, Archiv f. Pap. Forsch. X I I 198. 117
Vgl. Pringsheim a. a. O. A n m . 43. Offenbar f ü r ausgeschlossen gehalten von Pringsheim a. a. O. 119 Wolff Festschr. Rabel I I passim. SZR 70/421 gegen Fine, Finley Studi Arangio-Ruiz I I I 486. 120 Es gibt i n den Quellen keine Belege f ü r Zwangsversteigerungen wegen privater Belastungen. (Finley a. a. Ο. 487, Wolff SZR 70/425, Festschr. Rabel I I 329, 158). 118
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
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Vereinbarungen über die Erstattung der Hyperocha nicht getroffen 121 , dürfte den Nachhypothekaren, wollten sie nicht aller Rechte auf das Objekt verlustig gehen, nichts anderes Übriggeblieben sein, als ihrerseits den Ersthypothekar zu befriedigen und so den Verfall abzuwenden. Das Recht zur Ablösung eines besserberechtigten Hypothekars findet sich i n den Z. 35 ff. des obengenannten Gesetzes von Ephesos. Es ist i n diesem Gesetz solchen Gläubigern eingeräumt, denen die Schuldner bei der Darlehensgewährung die Lastenfreiheit ihrer i n Wahrheit schon hypothezierten Grundstücke und Gebäude vorgespiegelt hatten 1 2 2 , und die, wie w i r w o h l hinzusetzen dürfen, wegen der bereits bestehenden Belastungen die Anwartschaft auf das Eigentum nicht hatten erlangen können. Aus dieser Zuerkennung werden w i r schließen dürfen, daß es sich dabei u m ein Recht handelte, das solchen Gläubigern zustand, die bewußt auf den Mehrwert geliehen hatten 1 2 3 — wie w i r aus der I n schrift entnehmen können, w a r die Hypothezierung auf den Mehrwert i n Ephesos i n jener Zeit offenbar weit verbreitet —, und das nun den getäuschten Gläubigern zuerkannt werden sollte. Auch i n Athen begegnet der Gedanke der Ablösung des einen Gläubigers durch den anderen 124 , so daß w i r annehmen dürfen, daß es sich hierbei u m eine gemein-griechische Einrichtung handelt. Lösten die auf den Mehrwert beschränkten Gläubiger die Rechte des Hypothekengläubigers m i t unbeschränkter Anwartschaft nicht ab, dürften sie m i t der έμβάτευσις des letzteren die Sicherheiten für ihre Darlehen verloren haben 1 2 5 . F ü r die Annahme einer A u s z a h l u n g s p f l i c h t des Übernehmers, wie sie Wolff 126 bei mehrfacher Belastung derselben Sache zugunsten nicht korrealer Gläubiger für wahrscheinlich hält, oder einer „ m i s e e n p o s s e s s i o n c o l l e c t i v e " , wie sie Gernet 127 vertritt, dürfte i m Falle der Beschränkimg der späteren Gläubiger auf den Mehrwert kein Raum sein. 121
Vgl. Raape Verfall 10. Έξαπατήσαντες τούς υστέρους δανειστάς. 123 Hitzig Pfandr. 126, Hermann-Thalheim Rechtsaltertümer 4 . 159, A n m . zu Z. 33. 124 Demosth. X X X V I I 12. 125 Das Recht, bei Nichtrückzahlung des Darlehens gegen die Schuldner zu klagen, dürfte ihnen dagegen verblieben sein. Z w a r könnte m a n aus dem Ersatzcharakter des griechischen Pfandes, der besonders k l a r bei Lysias V I I I 10 i n Erscheinung t r i t t , schließen, daß den Gläubigern die Klage versagt w a r u n d ihnen n u r die Übernahme des Pfandes offenstand, die sie sich i n diesem Falle durch ihre Untätigkeit selbst unmöglich gemacht hätten, doch spricht die ausdrückliche Feststellung der Redite der Gläubiger i m Apographe-Verfahren i n der Poleteninschrift gegen diese Deutung. 126 Festschr. Rabel I I 329,158. 127 I u r a I V (1953) 366. 122
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I . Das Eigentum
Von F a u s t p f ä n d e r n hören w i r mehrfach i n den Quellen 128 , jedoch fehlt es an einem spezifischen Ausdruck dafür 1 2 9 . Während der Laufzeit des Darlehens befand sich das Sicherungsobjekt i m Besitze des Gläubigers, der das Recht es zu nutzen haben konnte 1 3 0 . Der Verpfänder war durch die Verpfändung und Besitzübertragung nicht gehindert, an dem Objekt nochmals eine Sicherheit i n Form eines besitzlosen Pfandes zu bestellen 131 . Der Pfandgläubiger mußte daher aufmerksam sein und das durch seinen Widerspruch verhindern 1 3 2 . Bei Fälligkeit mußte der Schuldner das Pfand auslösen. Was geschah, wenn er das nicht tat, können w i r den Quellen nicht entnehmen, doch kann unbedenklich Verfall an den Gläubiger angenommen werden 133 . Ob auch beim Faustpfand für den Erwerb des Eigentums eine Kundbarmachung notwendig war, läßt sich den Quellen nicht entnehmen. Ein b e s i t z l o s e s Mobiliarpfand findet sich beim S e e d a r l e h e n . Als Objekte, die i n der Hand des Verpfänders verblieben, begegnen das Schiff 134 — bei Händlern m i t eigenem Fahrzeug — und vom Darlehensnehmer bereits erworbene Waren 1 3 5 — bei Händlern m i t und ohne eigenem Fahrzeug. Das Pfand war Ersatzpfand, so daß, von besonderen Vereinbarungen abgesehen, alle Rechte des Darlehensgebers m i t dem Untergang des Pfandes erloschen. Kehrte das Schiff jedoch zurück, verfiel, wie w i r mit Sicherheit annehmen dürfen, auch wenn die Quellen darüber nichts Genaues aussagen, das Pfand dem Gläubiger und wurde sein Eigentum, wenn der Darlehensnehmer nicht innerhalb der vereinbarten Frist das geliehene Geld nebst Zinsen an den Gläubiger oder eine von diesem bestimmte Person bezahlte 136 . Ob der Gläubiger schon vor Ablauf der Frist das Recht hatte, sich des Pfandes zu bemächtigen 137 , um zu verhindern, daß es durch eine Treuwidrigkeit des Schuldners in andere Hände kam, wissen w i r nicht. 128
Beispiele: Demosth. X X V I I 24 ff., X L I 1 1 , I L 48 ff., Lysias V I I I 1 0 , X I X 25. Vgl. Lipsius A t t . R. 690 f., Fine 61,4, Finley 29. 130 E i n F a l l bei Demosth. X X V I I 24. Vgl. dazu Hitzig Pfandr. 95, Röbel Verfügungsbeschränkungen 16. 131 Rabel a. a. O. 19. 132 Vgl. Demosth. X X V I I 27: κωλύειν συμβάλλειν. 133 Lipsius A t t . R. 705, Beauchet I I I 286, Hitzig a. a. O., Manigk RE I X 309. 134 Demosth. X X X I I 14, X X X I I I 6, X X X V 32, L V I 3. 6. Vgl. Pringsheim K a u f 13 ff. 135 Demosth. X X X I I 4, X X X V 23. 52. Vgl. Pringsheim a. a. O. 8. 9.12. 136 Raape Verfall 24 ff., Hitzig Pfandr. 85 ff. 137 Eine solche Bemächtigung i n Demosth. X X X I I 14, wo jedoch ein V e r such des Schiffeigners vorhergegangen war, das Schiff zu versenken. Es wäre daher durchaus denkbar, daß das Recht der Gläubiger zur sofortigen Inbesitznahme nach Einlaufen des Schiffes i n den Hafen auf diesem dolosen Verhalten beruhte. 129
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
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Beim Seedarlehen begegnet neben dem Pfandrecht ein Phänomen, das i n diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist. I n den Quellen können w i r nämlich häufig beobachten, daß Darleiher, die Gelder an einen Händler zum Wareneinkauf gegeben hatten, sowohl die m i t ihrem ausgeliehenen Geld von dem Händler angeschafften Waren als ihnen gehörig bezeichnen 138 als auch die von dem Erlös dieser Waren i m Zielhafen für die Rückfahrt, d.h. zum Zwecke des Imports, eingekauften Güter 1 3 9 . Die i n diesem Sprachgebrauch zum Ausdruck kommende A u f fassung beruht auf dem S u r r o g a t i o n s g e d a n k e n : Der Darlehensnehmer hatte das Geld zu einem bestimmten Zweck, nämlich dem A n kauf von Waren, erhalten. Nach Ablauf der vereinbarten Zeit mußte er es zurückzahlen. Es blieb daher für ihn fremdes Geld 140 , eine Auffassung, die auch i n Rom ursprünglich herrschte 141 . Wenn das Geld zum Ankauf von Waren verwendet wurde, trat das erworbene Gut an die Stelle des Geldes 142 , und man sah es, wie vorher das Geld, als dem Gläubiger gehörend an. Wurden die so erworbenen Waren während der Reise veräußert und m i t dem Erlös neue angeschafft, traten diese an die Stelle jener. Der Darlehensgeber hatte also stets ein Recht an den vom Darlehensnehmer gekauften Waren. Dies umfaßte freilich n i c h t die κυριεία: die Verfügungsbefugnis fiel i h m erst zu, wenn der Darlehensnehmer seine Schuld nicht innerhalb der vereinbarten, von der Ankunft des Schiffes an laufenden Frist tilgte 1 4 3 . Bis zu diesem Zeitpunkt war der Darlehensnehmer κύριος 144 , was beim Seedarlehen eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist. Die κράτησις stand dagegen dem Darlehensgeber zu 1 4 5 , Gebrauch machen konnte er davon allerdings nur, wenn er selber m i t fuhr 1 4 6 oder einen Bevollmächtigten das Schiff begleiten ließ. Die Machtlage des Darlehensnehmers war also sehr stark. Es fragt sich, wie w i r die Stellung der Beteiligten rechtlich klassifizieren wollen. Pringsheim kennzeichnet das Recht des Darleihers als dingliches Zugriffsrecht 147 und 138 Demosth. X X X I I 9.12.18.30 (Darlehen zum Einkauf i m auswärtigen Hafen), X X X V 22 (Darlehen zum E i n k a u f i m Abgangshafen); vgl. Pringsheim K a u f 6 f. 139 Demosth. X X X V 52 (beim sog. Darlehen άμφοτερόπλουν). 140 Vgl. Wolff SZR 74/94 u. Seidl S D H I 24 (1958) 419, Belege bei Partsch Bürgschaftsr. 84,4. 141 Käser, Das altrömische l u s 287. 142 Pringsheim L a w 205. K a u f 25. 143 Demosth. X X X V 12. 144 Demosth. L V I 2 4 . Wenn Pringsheim K a u f 15,1 den Ausdruck unter H i n weis auf Demosth. X X X V 52 als ungenau bezeichnet, so hat er offenbar übersehen, daß dort der Darlehensgeber die Reise mitmachte (§ 53), also f ü r die Verfügungsbefugnis des Schuldners keine Notwendigkeit bestand. 145 So richtig Schwahn RE X V I 2039. 146 Was nach Hasebroek Hermes 58 (1923) 397 das übliche war. Vgl. auch Ziebarth, Eine Handelsrede aus der Zeit des Demosthenes (Heidelberg 1936) X . 147 K a u f 169 f.
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I . Das Eigentum
meint, daß man weder von Eigentum noch von einem Pfandrecht sprechen könne, Wieacker 148 spricht von einem Beschlagsrecht. Neuerdings verwendet Pringsheim 149 die Terminologie des trust des angloamerikanischen Hechts für den Kauf m i t fremdem Geld und bezeichnet den Geldgeber als „beneficial owner" und den Käufer i m eigenen Namen als „legal owner", jedoch nicht ausdrücklich auch für den Fall des Seedarlehens 150 . M i r scheint diese Terminologie für das Seedarlehen nicht annehmbar. Die Quellen zeigen, daß die Griechen die Ausdrücke des Gehörens i n bezug auf den Geldnehmer n i c h t angewendet haben. Das könnte auf die Quellenlage zurückzuführen sein, w i r besitzen nämlich keine Rede, die i m Interesse eines Seedarlehensnehmers gehalten ist. Jedoch ist das wenig wahrscheinlich. Unzweifelhaft war die Bindung des Geldes bzw. seiner Surrogate an den Seedarlehensnehmer nicht sehr eng. Es war fremdes Kapitel, das er für kurze Zeit aufgenommen hatte, u m damit Gewinn zu erzielen. A m Behalten des Geldes oder der Waren für immer hatte er kein typisches, schutzwürdiges Interesse. Wenn er sich rechtmäßig und vertragstreu verhielt, verblieben i h m weder das Kapital noch die Waren. Sein Recht zur Nutzung und zur Verfügimg war zweckgebunden. Es bestand daher weder eine besonders intensive noch eine auf Dauer angelegte Beziehung zwischen Person und Sache. Man sollte daher den Seedarlehensnehmer nicht als Eigentümer bezeichnen. Eigentümer ist kraft Surrogation der Darleiher 1 5 1 , der Darlehensnehmer ist verfügungsberechtigter Gewahrsamsinhaber. W i r haben hier einen der i m griechischen Recht mehrfach begegnenden Fälle vor uns 1 5 2 , i n denen Eigentümer und κύριος nicht eine Person sind 1 5 8 . Das Surrogationsprinzip machte beim Seedarlehen die Bestellung von Pfandrechten nicht überflüssig; denn eine Surrogation fand nur dann statt, wenn m i t dem Geld der Darleiher zur Veräußerung bestimmte 148
SZR 51/412. L a w 207 ff. 150 A u f die Möglichkeit einer besonderen Rechtsbildung beim Seedarlehen verweist Wieacker a. a. O. A n m . 7. 151 So w o h l auch Seidl Festschrift F. Schulz I 377. F ü r Rom vgl. Käser a. a. O. 152 M a n denke an die Erbtochter und ihren κύριος-Ehemann. 155 So dürfte die Rechtslage auch bei der παρακαταθήκη gewesen sein. Für seine Ansicht, der Depositar sei Eigentümer des bei i h m hinterlegten Geldes geworden, kann auch Ehrhardt (SZR 75/82) keinen Beleg anführen. Sie beruht auf Verkennung des griechischen Eigentumsbegriffes. (Zu diesem Problem Wolff SZR 74/49,55). Der Verwahrer w a r κύριος der bei i h m als παρακαταθήκη hinterlegten Gelder. Er konnte also darüber verfügen und damit arbeiten. Deswegen blieben die Gelder aber doch für i h n fremde Gelder. Dies bringt die von Hellebrand R E X V I I I 2. Hb. 1195 zitierte Kebes-Stelle k l a r zum Ausdruck, i n welcher der Philosoph den κακοί τραπεζΐται v o r w i r f t , sie betrachteten die bei ihnen hinterlegten Gelder als Ιδιος. 149
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
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Güter angeschafft wurden, nicht aber beispielsweise beim Einkauf von Proviant für die Besatzung des Schiffes 154 . Ferner kam es vor, daß das ausgeliehene Geld selbst der Seegefahr ausgesetzt wurde 1 5 5 . Schließlich ist an Fälle zu denken, i n denen der Darleiher eine größere Sicherheit wünschte, als i h m die m i t dem Darlehen angeschafften Waren bieten konnten. Ein solcher Fall begegnet uns bei Demosth. X X X I V 6. Dort heißt es: . . . έδάνεισα . . . είκοσι μνάς . . . επί ετέρα υποθήκη . . . κελευούσης δέ της συγγραφής ένθέσθαι εις τήν ναΰν τετρακισχιλίων φορτία α ξ ι α . . . Der Darlehensnehmer war also nicht nur verpflichtet, von dem Darlehen von 20 Minen des Darlehensgebers Waren zu kaufen und zu laden, sondern er hatte zusätzlich Waren für weitere 20 Minen zu erwerben, zu laden und daran dem Darlehensgeber eine Hypothek zu bestellen. Die vom Darlehensgeber gewünschte Sicherung durch Waren i m Werte von 4000 Drachmen konnte i h m das Surrogationsprinzip nicht verschaffen, es mußte deshalb der Weg einer Hypothezierung beschritten werden 1 5 6 . Wie sich die Rechtslage gestaltete, wenn von dem Geld, das als pfandgesichertes Darlehen gegeben worden war, später Waren eingekauft wurden, können w i r den Quellen nicht entnehmen. A l l e r Wahrscheinlichkeit nach trat jedoch der Eigentumserwerb durch Surrogation n e b e n das Pfandrecht 157 und erwuchs dadurch dem Gläubiger eine zusätzliche Sicherung kraft Gesetzes, wie w i r sie eben auf Grund von Parteivereinbarungen kennengelernt haben. Nutzen hatte er davon freilich nur, wenn das Schiff glücklich zurückkehrte, da anderenfalls ja alle seine Rechte erloschen. Eigenturns erwerb
durch
Schenkung
Unentgeltliche Zuwendungen unter Lebenden und auf den Todesfall kommen i n den Quellen aus jener Zeit mehrfach vor 1 5 8 . N u r wenige Stellen lassen jedoch erkennen, ob der Bedachte durch die Schenkung auch wirkliches Eigentum oder nur ein minderes Recht erworben hat. Hier ist i n erster Linie eine Rede des Lysias 1 5 9 zu nennen. Der Sprecher berichtet über die Geschichte eines Grundstücks: Apollodoros aus Megara habe es vom Volk als Geschenk erhalten, einige Zeit selbst genutzt und später an Antikles veräußert. Diese Schilderung läßt den Schluß zu, 154
Vgl. Seidl a. a. O. „muß hypothezieren". I n Demosth. X X X I I reist Protos m i t geliehenem Geld nach Syrakus zum Getreideeinkauf, vgl. Pringsheim K a u f 10. ΐδβ v g l dazu Pringsheim K a u f 15—17, Ziebarth Eine Handelsrede 19, Oertel SZR 50/573 f. 155
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Auch Pringsheim K a u f 14 f. schließt dies nicht aus. Vgl. die bei Bruck Schenkung gesammelten Fälle. is® v u 4.
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I . Das Eigentum
daß ein durch die öffentliche Hand Beschenkter Eigentümer wurde. Auch bei Geldgeschenken des Volkes an Einzelpersonen 160 ist Erwerb des Eigentums an dem Geld anzunehmen; denn der Sinn einer Geldzuwendung ist es ja, den Empfänger i n die Lage zu versetzen, sich durch den Verbrauch des Geldes etwas nach seinem Belieben zu verschaffen. Der Wille des Schenkers ist also geradezu darauf gerichtet, daß der Bedachte über das Geschenkte verfügt. Für Schenkungen der öffentlichen Hand dürfte daher feststehen, daß sie dem Beschenkten das Eigentum an dem Geschenk verschafft haben. Für Schenkungen unter Privatpersonen weiß ich Beispiele, aus denen sich der Erwerb des Eigentums an dem Geschenk durch den Beschenkten zwingend ergibt, nicht anzuführen. Es gibt zwar Fälle, in denen offensichtlich Schenkungen vorliegen, doch erfahren w i r daraus nichts über die von dem Beschenkten erworbene Rechtsstellung. Aber aus einer A r i stotelesstelle 161 läßt sich ein Schluß ziehen. Der Philosoph sagt dort: του δέ οικεία είναι δταν έφ9 αύτω fj άπαλλοτριώσαι ή μή und fährt fort: λέγω δέ άπαλλοτρίωσιν δ ό α ι ν και πράσιν. Aristoteles nennt als Fälle der άπαλλοτρίωσις πρασις und δόσις und meint damit entgeltliche und unentgeltliche Veräußerung. Der Zusammenhang ergibt, daß bei δόσις nicht an eine Verfügung von Todes wegen gedacht ist, obgleich auch eine solche so bezeichnet werden konnte 1 6 2 . Denn nach dem Vordersatz ist es ja gerade die rechtliche Befugnis, jederzeit nach Belieben die Sache wegzugeben oder zu behalten, die das οικεία είναι ausmacht. Nicht auf das Recht letztw i l l i g zu verfügen, geschweige denn auf den Umfang dieses Rechts kommt es an, sondern auf die Befugnis, sich bei Lebzeiten der Herrschaft über das Vermögensstück nach freiem Willen entäußern zu können. M i t δόσις ist also Schenkung unter Lebenden gemeint 163 . Steht das aber fest, muß aus der Nennung der Schenkung i n diesem Zusammenhang geschlossen werden, daß i n jener Zeit auch durch Schenkung unter Privaten Eigentum erworben werden konnte. Denn die Schenkung wäre ein schlechtes Beispiel, wenn der Beschenkte nach dem Recht der Zeit nicht Eigentümer werden konnte und ein Rechtsrest beim Schenker verblieben wäre. Die Schenkung wäre dann nur eine unvollständige άπαλλοτρίωσις gewesen und dem Verkauf nicht gleichzustellen. Die Ansicht Felgenträgers 164, die Schenkung habe keine endgültige Änderung der Zuordnung m i t sich gebracht, der Schenker habe vielmehr ein Rück160
Aischin. I I I 187, Isokr. X V 166, Demosth. X X 115, Plut. Arist. 27. Rhetor. I 5, 7 S. 1361 a. 162 Vgl. Aristot. Pol. V 7 , 12 S. 1309 a: κατά δόσιν. s. Beauchet I I I 123, Bruck Schenkung 110, Weiß Privatrecht 396, 138, Welles SZR 56/110. 163 Vgl. Ziebarth RE V 1598, Pringsheim L a w 433,4.182, 5 u n d Aristoteles E t h i k . Nikom. I V 1. A . A . Finley 263, 4. 164 Lösungsrecht 85 ff. 161
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
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forderungsrecht behalten, ist für jene Zeit nicht zutreffend 1®5. Es ist vielmehr Pringsheim zuzustimmen 168 und die Schenkung als eines der Rechtsgeschäfte anzusehen, deren typischer Zweck es war, Eigentum zu übertragen. Isaios Χ 24 167 steht dem nicht entgegen. Denn einmal ist dort ausdrücklich von Grundstücken die Rede, zum anderen vermißt man die Erwähnung des Erwerbs auf Grund gesetzlicher Erbfolge 168 . Da nicht jeder Erbe der Epidikasie bedurfte 169 , kann der Erwerb durch Erbgang sich nicht hinter dem καταδεδικασμένον170 verbergen. Die Aufzählung ist also offensichtlich nur beispielhaft und kann keinen Anspruch auf Vollzähligkeit erheben. Über den Z e i t p u n k t des Eigentumserwerbs durch den Beschenkten läßt sich den Quellen nichts entnehmen. W i r sind daher auf einen Wahrscheinlichkeitsschluß angewiesen. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß sich der Erwerb des Eigentums unabhängig von der Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die geschenkte Sache vollzogen hat. Denn da die Griechen bei dem entgeltlichen Eigentumserwerb der Besitzerlangung durch den Erwerber keinerlei Bedeutung zugemessen haben, ist kaum anzunehmen, daß sie den unentgeltlichen Erwerb von der Erlangung der tatsächlichen Gewalt über das Geschenk durch den Beschenkten abhängig gemacht haben. U m den Zeitpunkt positiv zu bestimmen, muß man sich des Zweckverfügungscharakters des griechischen Vertrages erinnern und fragen, i n welchem Zeitpunkt der Schenker den m i t der unentgeltlichen Zuwendung erstrebten Zweck erreicht hatte. Regelmäßig dürfte das der Augenblick der Annahme der Schenkung durch den Beschenkten gewesen sein. Ich möchte daher annehmen, daß m i t der A n nahmeerklärung des Beschenkten das Eigentum auf i h n überging. Daß der Eigentumswechsel Dritten nicht erkennbar war, steht dem nicht entgegen; denn die Griechen haben dieser Erkennbarkeit, wie sich bei der Betrachtung des Eigentumserwerbs durch Kauf gezeigt hat, nun einmal keine Bedeutung beigemessen.
185 Die Meinung Felgenträgers w i r d v o n Schönbauer SZR 62/305 f. abgelehnt. 166 L a w 433: ,,δόσις ist a title of acquisition". 167 "Ωσπερ των άμφισβητησίμων χωρίων δει τόν έχοντα ή θέτην ή πρατήρα παρέχεσθαι ή καταδεδικασμένον φαίνεσϋαι . . . 168 Beauchet I I I 106, Lipsius A t t . R. 675. 169 s. S. 94 ff. 170 Vgl. dazu Käser SZR 64/185, 167 u n d Gernet A H D O I (1937) S. 129,1.
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I . Das Eigentum
Der Erwerb durch A.
Erbgang
Athen
Nach attischem Recht durften eheliche Söhne, deren männliche Nachkommen 1 7 1 und die zu Lebzeiten an Kindes Statt angenommenen Adoptivsöhne 172 sich nach dem Tode des Erblassers ohne weiteres i n den Besitz der Erbschaft setzen, εμβατεύειν, und gegen Personen, die sie daran hinderten, έξούλης klagen 1 7 3 . Ebenso durften auch die Erbtöchter 174 verfahren. A l l e übrigen Erbprätendenten 175 mußten zunächst schriftlich ihr Recht auf den κλήρος beim Archon geltend machen. Diese Anmeldung wurde publik gemacht und durch den Herold die Aufforderung an jedermann gerichtet, Einwendungen vorzubringen bzw. eigene Rechte anzumelden. Geschah daraufhin nichts, erkannte der Archon den Antragsteller als zum εμβατεύειν berechtigt an 176 . Traten dagegen andere Prätendenten auf, kam es zu einem Gerichtsverfahren, i n dem durch Urteil über die Berechtigung der Parteien entschieden wurde 1 7 7 . Erst das έπιδικάζειν bzw. die Entscheidung des Gerichts i n der Diadikasia eröffnete den Erben, die nicht zu einer der obengenannten Klassen gehörten, die Möglichkeit, mit der δίκη εξούλης gegen Dritte vorzugehen, die sie an der Inbesitznahme des Nachlasses hinderten 1 7 8 . Für ein Ausschlagungsrecht der männlichen H a u s e r b e n besteht kein sicherer Beleg 179 . Noch herrschten die alten Vorstellungen, nach denen die Kinder verpflichtet waren, den οίκος fortzusetzen. Es bestand daher kein Bedürfnis nach einer Überlegungsfrist für den Erben. Der Übergang des Eigentums trat m i t dem Tode des Erblassers ein, ohne daß es dazu irgendwelcher Willenserklärungen oder Handlungen des Erben bedurfte 1 8 0 . Wann und ob sich der Erbe i n den Besitz der zum Nachlaß gehörenden Vermögensstücke setzte, war für den Erwerb des Eigentums ohne Bedeutung. Es ist daher anzunehmen, daß der Erbe vom Tode des 171
Isaios I I I 59, Beauchet I I I 594, Lipsius A t t . R. 577. Demosth. X L I V 19. 173 Rabel SZR 36/374, Käser SZR 64/192. 174 Isaios I I I 62, Lipsius A t t . R. 578. 175 Adoptivsöhne k r a f t letztwilliger Verfügung: Isaios V I 3 m i t 4.7. B r ü der: Isaios I I I 59. Vgl. Lipsius A t t . R. 578, Thalheim RE V I 57/58. 176 Έπιδικάζειν. So die neue Deutung Wolffs , Traditio I V (1946) 70 f. ( = B e i träge 65 f.). F ü r die frühere Ansicht vgl. Busolt-Swoboda 1083, Lipsius 581, Thalheim RE V I 58. 177 Διαδικασία, Busolt-Swoboda a. a. Ο., Lipsius a. a. Ο. 582. 178 Rabel a. a. O. 375, Schönbauer Rechtseinrichtungen 33. Kreller Erbrechtl. Untersuchungen 41, 3. 49, Lipsius A t t . R. 540, 6, Busolt-Swoboda 989, 1, Weiß Privatrecht 205 — a. A. Partsch Bürgschaftsr. 236.242 f., Beauchet I I I 590 if., Mitteis Einführung I I 1 S. 235, w o h l auch Maschke Willenslehre 196. 180 Weiß Privatrecht 204. 172
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
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Erblassers an verfügungsberechtigt war und i h m von diesem Zeitpunkt an auch die Nutzungen gebührten. Über die Rechtslage der Erben, deren Erbrecht nicht kundbar war, d.h. der N i c h t h a u s e r b e n , bis zum έπιδικάζειν des Archon bzw. der Entscheidung des Gerichts i n der Diadikasia unterrichten uns drei Stellen: a) Isaios bei Dionysios Hai. § 15 S. 614: ώς ού δει τον έπίδικον κρατεΐσθαι κλήρον προ δίκης. b) Demosthenes X L V I § 22: 1. Die Ausführungen des Sprechers: και άνεπίδικον μή έξεΐναι εχειν μήτε κλήρον μήτε έπίκληρον. 2. Das sich an die Worte unmittelbar anschließende, i n den Text eingelegte Gesetz: Κληροΰν δέ τον άρχοντα κλήρων και έπικλήρων, δσοι είσί μήνες, πλήν του Σκιροφοριώνος. άνεπίδικον δέ κλήρον μή εχειν. Der Sinn von a) ist klar. Vor dem έπιδικάζειν bzw. der Gerichtsentscheidung darf sich niemand m i t Gewalt i n den Besitz des Nachlasses setzen. Auch b) bietet zu Zweifeln keinen Anlaß, soweit darin das Verbot zum „Haben" einer Erbtochter vor diesem Zeitpunkt ausgesprochen ist. Wenn es jedoch heißt, daß auch das εχειν eines κλήρος verboten sei, muß man fragen, wozu derjenige verpflichtet war, der mit dem Erblasser i n Hausgemeinschaft gelebt und schon bisher dessen Vermögen verwaltet hatte, aber kein Hauserbe war. Soll er verpflichtet gewesen sein, die Verwaltung vorerst ruhen zu lassen und den Besitz aufzugeben? Das kann doch wohl nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, zumal sich i n den Quellen keinerlei Hinweis auf eine Sequestration für derartige Fälle findet. W i r kennen auch keine gesetzliche Bestimmung darüber, wer während der Schwebezeit zur Verwaltung und zum Besitz berechtigt sein solle. Naturgemäß bestand ein Bedürfnis, daß jemand sogleich nach dem Tode des Erblassers die Zügel i n die Hand nahm, die Sklaven beaufsichtigte, die für die landwirtschaftliche oder gewerbliche Nutzung erforderlichen Anweisungen erteilte, etwaige unaufschiebbare Rechtsgeschäfte abschloß und das Anwesen vor einer Ausplünderung bewahrte. Sollte das niemand haben tun dürfen? Die oben unter b) angeführte Demosthenes-Stelle möchte einen das glauben lassen. Werfen w i r aber einen Blick i n die Praxis 1 8 1 , so finden wir, daß sich Nichthauserben häufig vor dem έπιδικάζειν i n den Besitz des Vermögens des Erblassers gesetzt bzw. zu setzen versucht haben 182 . Hätte nun das unter b) 181 Vgl. Hruza Beiträge I 101, 23. 182 isaios I X 3, Demosth. X L I V 19. 32, X L V I I I 12.
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I. Das Eigentum
aufgeführte Gesetz wirklich gegolten, sollte man meinen, daß i n Fällen verfrühter Inbesitznahme die Gegner die Gelegenheit ergriffen hätten, das gesetzwidrige Tun vor Gericht anzuprangern. Davon ist jedoch nichts zu beobachten 183 , w i r stellen vielmehr fest, daß man sich nicht einmal scheute, sich selbst eines solchen Verhaltens zu rühmen 1 8 4 . W i r haben daher allen Grund, der Stelle b) gegenüber mißtrauisch zu sein. Merkwürdig ist auch der Zusammenhang, i n dem sie sich findet. Denn der Sprecher w i l l dort lediglich dartun, wie mit seiner Mutter als Erbtochter hätte verfahren werden müssen 185 . Dazu gibt er zunächst den Inhalt des Gesetzes wieder (b 1), das anschließend verlesen w i r d (b 2). Wie sogleich auffällt, decken sich Ausführungen und Gesetz nicht. Das, worauf es ankam und was der Sprecher unmittelbar vorher als Inhalt des Gesetzes genannt hatte, nämlich das Verbot, eine Erbtochter vor dem Bescheid des Archon zu „haben", steht nicht i n dem Gesetz. Es findet sich vielmehr nur das Verbot, einen κλήρος vorher zu besitzen. Da auch der sonstige Inhalt des eingelegten Gesetzes nicht dem entspricht, was der Sprecher als Inhalt vorweg aufgezählt hatte — Notwendigkeit der Epidikasie bei Erbtöchtern, Zuständigkeit der Beamten —, kann es kaum einem Zweifel unterliegen, daß hier ein falsches Gesetz i n das Manuskript eingefügt worden ist. I n dem Gesetz, das an diese Stelle gehört und das vor Gericht verlesen worden ist, hat aller Wahrscheinlichkeit nach unter anderem auch άνεπίδικον δέ έπίκληρον μή εχειν gestanden. Ob dagegen auch von den κλήροι die Rede war, muß bezweifelt werden. Denn nach dem Zusammenhang muß es ein Erbtöchtergesetz gewesen sein. Dem steht auch nicht entgegen, daß i n den dem Gesetz vorausgehenden Worten des Sprechers 186 die κλήροι erwähnt sind. Denn es erscheint durchaus denkbar, daß man, als die Divergenz zwischen der Rede und dem eingelegten Gesetz bemerkt worden war 1 8 7 , meinte, der Fehler müsse i n den Ausführungen des Sprechers liegen 188 , und deshalb i n diese μήτε κλήρον μήτε einfügte, u m wenigstens eine gewisse Übereinstimmung herzustellen. Wenn letzteres auch nur Hypothese ist, so kann doch jedenfalls die ganze Stelle b) auf Grund der offensichtlichen Unstimmigkeiten keine Beweiskraft beanspruchen. Es gibt somit keinen sicheren Beleg für das Verbot, einen Nachlaß schon vor dem έπιδικάζειν bzw. der Entscheidung des Gerichts zu besitzen. W i r sind daher nicht
183
Demosth. X L I V 19, Isaios I X 3. Demosth. X L I V 32, X L V I I I 12. 185 Vgl. § 19. 186 Stelle b 1. 187 A u f die schon Lipsius A t t . R. 579,111 u n d Hruza I 98 hingewiesen haben. 188 Vgl. Drerup Jahrbücher f. class. Phil. Suppl. 24 (1898) 294, der gleichfalls f ü r eine K o r r e k t u r der Worte des Sprechers, allerdings i n anderem Sinne, eintritt. 184
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
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gehindert, aus der oben besprochenen Praxis zu folgern, daß sich auch ein Nichthauserbe nach dem Tode des Erblassers i n den Besitz des Nachlasses setzen — natürlich ohne den Schutz der δίκη έξούλης — und dessen Verwaltung i n die Hand nehmen durfte. I n dem Besitz konnte er verbleiben — ebenso wie jemand, der bis zum Tode des Erblassers mit diesem zusammen oder mit dessen Einverständnis Besitzer gewesen war — bis ein Hauserbe 189 oder ein Nichthauserbe nach Epidikasie oder Urteil i n einer Diadikasia und damit unter dem Schutz der δίκη έξούλης zur Vollstreckungsselbsthilfe durch έμβατεύειν schritt. Dann mußte er entweder räumen oder die Verurteilung auf Grund einer δίκη έξούλης riskieren. A u f die δίκη έξούλης eines Nichthauserben konnte er es dagegen vor der Epidikasie oder Diadikasia ruhig ankommen lassen, weil dieser damit als nicht kundbarer Erbe niemals durchdringen konnte. Griff ihn aber jemand gewaltsam an, konnte er ihn βιαίων verklagen 190 . Daß eine solche Inbesitznahme des Nachlasses vor der Epidikasie für den Besitzergreifer nachteilig gewesen wäre, können w i r den Quellen nicht entnehmen. Die Ansicht Beauchets lö1, ein Nachteil habe insofern bestanden, als der nunmehrige Besitzer gezwungen gewesen sei, die παρακαταβολή zu erlegen, wenn ein anderer Prätendent beim Archon um die Epidikasie nachsuchte und er diesem entgegentreten wollte, ist unrichtig. Denn für die Erlegung der παρακαταβολή kam es nicht darauf an, wer den Nachlaß i n Besitz genommen hatte, sondern wie der Gegner des Antragstellers gegen die Anmeldung vorging. Bediente er sich der Diamartyria, mußte er allerdings die παρακαταβολή erlegen 192 , doch traf diese Pflicht auch einen mit Hilfe der Diamartyria vorgehenden Nichtbesitzer. Trat er aber der Anmeldung durch άμφισβητείν entgegen, war die Erlegung der παρακαταβολή nicht vorgeschrieben 193 . Zwischen diesen beiden Möglichkeiten konnte der Gegenprätendent frei wählen 1 9 4 , war also nicht gezwungen, den die Erlegung der παρακαταβολή bedingenden Weg zu beschreiten. Die Konsequenz der von mir angenommenen Ordnung dürfte gewesen sein, daß alle Prätendenten nach dem Tode eines Erblassers bestrebt waren, sich möglichst bald i n den Besitz des Nachlasses zu setzen. Wer dabei das Nachsehen hatte, wurde gezwungen, alsbald seine Anmeldung einzureichen. Denn je früher er dies tat, u m so eher konnte er m i t dem 189 v g l v a n Meurs 53, Rabel SZR 36/372, Paoli Difesa 321 F a l l b, Käser SZR 64/191, Schönbauer Rechtseinrichtungen 35. 190 V g l > plainer I I 179 ff., Käser a. a. O. 197. 191 I I I 601, vgl. auch Hruza Beiträge I 101, 23. 192 Berneker RE X V I I I 2. Hb. Sp. 1184. 193 Paoli Processo 164. 194 Vgl. Isaios V I 3. V I I I 3, Demosth. X L I V 57 ff. 7
Kranzlein
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I . Das Eigentum
Bescheid rechnen, der i h m die Möglichkeit eröffnete, gegen den Besitzer unter dem Schutz der δίκη έξούλης vorzugehen. Dieser Zwang zur Eile lag durchaus i m öffentlichen Interesse: der οίκος des Verstorbenen sollte so bald wie möglich wieder einen Herren bekommen 195 . Vielleicht ist es darauf zurückzuführen, daß w i r nirgends von Fristen für die Anmeldung beim Archon hören: es bedurfte keiner Fristen, weil die Prätendenten aus eigenem Interesse größte Eile an den Tag legten. Die Frage nach dem Z e i t p u n k t des Erwerbs des Eigentums an dem Vermögen des Erblassers durch die Nichthauserben ist schwer zu beantworten. N u r über den Erwerb der κράτησις, des Rechts, sich der Sache i m Wege der Selbsthilfe zu bemächtigen, sind w i r genau unterrichtet. Er vollzog sich m i t dem Erlaß des Bescheids durch den Archon bzw. m i t dem Ergehen der Entscheidung des Gerichts i n der Diadikasia. Über die Erlangung der Verfügungsbefugnis können w i r den Quellen nichts entnehmen. Von Bedeutung war sie naturgemäß nur i n den Fällen, i n denen der Erbe sich bereits vor dem Bescheid des Archon i m Besitz des Nachlasses oder von Teilen desselben befunden hatte. Aber das dürfte nicht selten der Fall gewesen sein. Von den denkbaren Zeitpunkten kann der des Erbfalls außer Betracht bleiben. Denn der Zweck der vom athenischen Gesetz verlangten Anmeldung beim Archon war doch offensichtlich die Prüfung der Berechtigung der Prätendenten. Deshalb war ihnen die Selbsthilfe unter dem Schutz der δίκη έξούλης zunächst verwehrt. Dieser Zweck wäre nicht erreicht worden, wenn die Prätendenten schon m i t dem Erbfall verfügungsberechtigt geworden wären. Aus dem gleichen Grund kann auch die Anmeldung nicht den A n f a l l der Verfügungsbefugnis bewirkt haben. Man w i r d daher annehmen können, daß auch sie erst durch den Bescheid des Archon bzw. die Entscheidung des Gerichts erworben worden ist. A u f die Frage nach dem Eigentum am Nachlaß i n der Zwischenzeit kann eine Antwort wegen des Schweigens der Quellen nur mittelbar gewonnen werden. Dazu muß untersucht werden, ob der durch das έπιδικάζειν bzw. das Urteil legitimierte Erbe von dem Besitzer mehr fordern konnte als die Herausgabe des Vermögens, etwa Schadensersatz oder Herausgabe der Nutzungen. I n der Rede gegen Olympiodoros 198 ist von weitergehenden Ansprüchen nicht die Rede, obgleich der Sprecher und sein Gegner sich als Nichthauserben i n den Besitz des Nachlasses des Komon gesetzt und das Vermögen unter sich verteilt hatten, später aber alles an andere Prätendenten herausgeben mußten, zu deren Gunsten der Archon den Bescheid 195
Vgl. Berneker a. a. O. Sp. 1185. Demosth. X L V I I I . Z u der Rede Wolff träge 66). 196
Traditio I V (1946) 71 ( = Bei-
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
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erlassen hatte 1 9 7 . Dagegen könnte eine Stelle bei Isaios 198 so verstanden werden, als habe gegen einen Erben, der einen Nachlaß auf Grund eines Bescheides besessen hatte, ihn später aber an einen als besser berechtigt anerkannten Erben herausgeben mußte — das kam i n Athen häufig vor —, auch Anspruch auf Herausgabe der Nutzungen — καρπούς — bestanden 199 . Wenn das zutrifft, muß angenommen werden, daß erst recht der nicht berechtigte Erbschaftsbesitzer zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet war, auch wenn die Quellen das nicht ausdrücklich besagen. Man w i r d daher — m i t aller Vorsicht — sagen dürfen, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die Athener auch beim Fehlen von Hauserben den Nachlaß schon vom Erbfall an als Eigentum der Erben angesehen haben. Auch E r b t ö c h t e r 2 0 0 hatten das Recht, sich nach dem Tode des Erblassers eigenmächtig i n den Besitz des hinterlassenen Vermögens zu setzen, und waren nicht gezwungen, ihre Rechte beim Archon anzumelden. Das ergibt sich eindeutig aus der dritten Rede des Isaios 201 . Nahm jemand gegenüber einer Erbtochter, die sich i n den Besitz eines Nachlaßgrundstücks setzen wollte, eine εξαγωγή vor, setzte er sich der δίκη έξούλης aus 202 . Die Rechtsstellung der Erbtöchter glich sonach derjenigen der ehelichen Söhne. Das erklärt sich daraus, daß auch ihre Zugehörigkeit zum Oikos offenkundig war. Nicht offenkundig war dagegen, wem als nächstberechtigtem Verwandten des Verstorbenen die Hand der Erbtochter gebührte. Deswegen war dem Anchisteus die Anmeldung seines Rechts auf die Erbtochter beim Archon bzw. Polemarchen vorgeschrieben 2 0 3 . Das Verfahren — Anmeldung, Publikation, Heroldsruf, έπιδικάζειν bzw. Diadikasia — entsprach dem für Nichthauserben vorgeschriebenen. Dem als berechtigt Anerkannten fiel die Erbtochter mit dem Vermögen 204 zu, d. h. der Ehemann wurde nicht nur κύριος der Frau, sondern auch des Vermögens des verstorbenen Oikosoberhauptes. Das bedeutet jedoch nicht, daß w i r ihn als Eigentümer oder Erben ansprechen dürfen. Eine derartige Bezeichnung findet sich nirgendwo i n den Quellen. Immer 197 §27. 198 V 29. 199 Vgl. Platner Der Prozeß u n d die Klagen I I 317. 200 H i e r k a n n n u r der N o r m a l f a l l — die beim Tode des Erblassers noch sohnlose Erbtochter — betrachtet werden, da die Frage, ob anderenfalls überhaupt Erbtöchterrecht zur A n w e n d u n g kam, noch immer u m s t r i t t e n ist u n d hier nicht geprüft werden kann. 201 § 60: όσοι μέν καταλίπωσι γνησίους παΐδας έξ αύτών, ο ύ π ρ ο σ ή κ ε ι τοις παισίν έ π ι δ ι κ ά σ α σ θ α ι των πατρφων. § 62: αλλ' έ β ά δ ι ζ ε ν αν ή γ ν ή σ ι α είς τα έαυτής πατρφα. 202 Vgl. Rabel SZR 36/372. 203 Demosth. X L V I 22. Vgl. Lipsius A t t . R. 584. 204 V g l Demosth. X L I I I 51. 7·
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I. Das Eigentum
w i r d die Erbtochter als diejenige genannt, der das Oikosvermögen gehört 2 0 5 , und zwar auch i n solchen und daher unverdächtigen Reden, die nicht i m Interesse von Erbtöchtern gehalten wurden 2 0 6 . jMan kann daher die Erbtochter unbedenklich als Eigentümerin ansprechen 207 . Daß sie über ihr Eigentum nicht verfügungsberechtigt war, steht dieser Auffassung nicht entgegen. Denn nach athenischer Anschauung konnte eine Frau nicht ohne κύριος sein 208 , ohne daß ihr deswegen die Eigentumsfähigkeit gefehlt hätte 2 0 9 . I m übrigen begegnet ein Auseinanderfallen von Eigent u m und κυριεία i n Athen auch bei der Vormundschaft 210 und beim Seedarlehen 211 . Die Erbtochter erwarb das Eigentum mit dem Tode des Erblassers. Sie verlor es wieder, wenn der älteste Sohn aus ihrer Ehe mit dem Anchisteus volljährig wurde. Denn dann standen diesem κράτησις 212 und κυριεία 213 zu, weil er als Erbe seines Großvaters angesehen wurde, für den die Mutter nur Treuhänderin gewesen war 2 1 3 a . Die Ansicht Erdmanns214, die Söhne hätten zu diesem Zeitpunkt lediglich die Verfügungsbefugnis erlangt, das Eigentum sei ihnen schon früher angefallen — in welchem Augenblick sagt er zwar nicht, meint aber offenbar den der Geburt 2 1 5 —, findet in den Quellen keine Stütze. B.
Gortyn
Ein der attischen Epidikasie vergleichbares Verfahren kann aus den vorhandenen Quellen für Gortyn nicht erschlossen werden 216 . Das dürfte darauf zurückzuführen sein, daß es i n Gortyn ζ. Z. der Abfassung der großen Inschrift weder gewillkürte Erbfolge 217 noch Adoptionstesta205 Isaios V I I I 31, X 5.12, Frgmt. 8 (Loeb) = Suidas sv. πατρφων, Frgmt. 26 (Loeb) = Suidas sv. ήβήσαντες, Aischines I 95. 206 Isaios Frgmt. 8, Aischines I 95. 207 M i t Beauchet I 474, van Meurs 23, Erdmann 76, Wületts 70. Unscharf Lipsius A t t . R. 544. 208 Vgl. Erdmann 37. 209 s.S.45. 210 Vgl. Isaios 110. 211 s.S. 89f. 212 Demosth. X L V I 20, Isaios X 12. 213 Isaios V I I I 31, X 12, Hypereides Frgmt. 39 (Loeb) = Harpokration sv. έπιδιετές ήβήσαι. 2i3a w e n n Koschaker Eheformen 108 den Ehemann der Erbtochter als Treuhänder bezeichnet, so ist das kein unüberbrückbarer Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung, da die Erbtochter j a ihrerseits i n der κυριεία ihres Ehemannes stand. 214 76/77. 215 So auch Wyse Isaios V I I I 3 1 , 6 , van Meurs a. a. Ο., Jones 179. 216 Bücheler-Zitelmann 144/5. 217 Bücheler-Zitelmann 134, Recueil I 462, Guarducci I C I V S. 159.
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
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mente 218 gegeben hat. Die Erben einer Person waren daher offenkundig — wie die Hauserben in Athen 2 1 9 —, und es bedurfte keiner besonderen Instanz zur Prüfung der Ansprüche überraschend hervortretender Prätendenten. Es genügte, daß i m Streitfall die Gerichte angerufen werden konnten. Ein weiterer Unterschied zwischen dem Recht Gortyns und Athens besteht darin, daß i n der kretischen Polis Adoptivkinder und leibliche Verwandte die Erbschaft ausschlagen konnten. Für letztere war dies nur i m Falle der Überschuldung des Nachlasses220 gestattet, für die Adoptivkinder ohne Beschränkung 221 . Für die Erben war daher i n jedem Falle eine Übernahme des Vermögens des Erblassers erforderlich 222 . Das Übernahmeprinzip kommt i n Kol. X Z. 39—48 und Kol. X I Z. 33 f. deutlich zum Ausdruck. Die Worte κ 9 αί μέν κ 9 άνέλεται πάντα τα κρέματα lassen sicher erkennen, daß ein Anfall kraft Gesetzes nicht eintrat, sondern das Adoptivkind, um das Vermögen zu erwerben, handeln mußte. Ebenso ergibt sich aus dem Nebensatz οίς κ 9 έπιβάλλει άναιλέΦαι τα κρέματα, daß die Übernahme ein Recht war, das ausgeübt werden mußte. Der Erwerb des Nachlasses vollzog sich i n Gortyn daher grundsätzlich anders als i n Athen: M i t dem Tode des Erblassers trat zunächst ein Schwebezustand ein. Erst wenn der Erbe zu erkennen gab, daß er von seinem Ausschlagungsrecht keinen Gebrauch machen wollte, ging das Vermögen auf ihn über. Dies steht zwar nicht ausdrücklich i m Gesetz, muß aber aus der Geltung des Übernahmeprinzips geschlossen werden. Für die E r b t ö c h t e r galten i n Gortyn hinsichtlich des Erwerbs des Nachlasses keine Besonderheiten. Die Erbtöchter waren wirkliche Erbinnen und wurden Eigentümerinnen des Vermögens des Erblassers. Nur i n Ausnahmefällen fielen Teile des Vermögens an einen anderen, nämlich dann, wenn die Erbtochter sich von der Pflicht, einen bestimmten Verwandten heiraten zu müssen, befreien wollte (Kol. V I I 52—VIII8). Allerdings finden sich i n der sehr eingehenden Regelung des Erbtöchterrechts keine Bestimmungen über die Rechtsstellung der Erbtochter gegenüber dem ererbten Vermögen während der Ehe. Das ist u m so auffallender, als eine Heiratspflicht der Erbtochter, selbst der geschiedenen oder verwitweten, so lange bestand, als sie keine lebenden Kinder hatte 2 2 3 . Aus diesem Fehlen kann zwar geschlossen werden, daß aller Wahrscheinlichkeit nach für die Erbtochter während der Ehe nichts anderes 218
Bücheler-Zitelmann a. a. O., Guarducci a. a. O. 167. Vgl. Weiß Privatrecht 204, Rabel SZR 36/376. 220 I C XV 72 χ 3 i Bücheler-Zitelmann 145, Lipsius A t t . R. 540, 6, Guarducci a. a. O. S. 170. Α. A . ohne eingehende Begründung Kohler-Ziebarth 65. 221 Kol. X 45 if., Bücheler-Zitelmann 162 if., Guarducci 170. 222 Weiß Privatrecht 207, 52. Bücheler-Zitelmann 157. 219
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I . Das Eigentum
gegolten hat als für jede andere Ehefrau auch, doch h i l f t uns dieser Schluß nicht viel weiter, denn das Gesetz enthält auch für die Ehe der Nichterbtochter keine Bestimmungen über die Verwaltung des Frauengutes 224 . Es besagt lediglich, daß dem Ehemann verboten war, Vermögen der Ehefrau zu veräußern und zu verpfänden (Kol. V I 9 ff.). Daraus ergibt sich zwar, daß die Verfügungsbefugnis über das Frauenvermögen der Ehefrau und nicht dem Ehemann zustand, aber auch nicht mehr. Daß der Ehemann gar keine Befugnisse hinsichtlich des Frauenvermögens besaß, kann der Stelle nicht entnommen werden. I m Gegenteil, man w i r d sagen müssen, die Tatsache des Verbots und seine Beschränkung auf genau bestimmte Rechtsgeschäfte lassen erkennen, daß gewisse Befugnisse des Ehemannes aus der Zeit vor der Kodifikation dieses Teils der großen Inschrift bestehen bleiben sollten 225 . Gleichwohl war die Stellung der Ehefrau i n Gortyn bedeutend freier als i n Athen. Das kommt i m Erbtöchterrecht auch dadurch zum Ausdruck, daß jeglicher Anhaltspunkt für einen Übergang des von der Erbtochter ererbten Vermögens auf ihre Söhne zu ihren Lebzeiten fehlt. Die Verschiedenheit der Rechte von Athen und Gortyn zeigt, daß hinsichtlich des Erbschaftserwerbs von einem „griechischen" Recht nicht gesprochen werden kann. Eigentumsverlust
durch
Antidosis
Ob es i n der hier betrachteten Zeit i m Zusammenhang m i t dem Streit über die Verpflichtung, eine Leiturgia leisten zu müssen, zu einem vollständigen oder auf bestimmte Stücke beschränkten Vermögenstausch — und das heißt einem Eigentümerwechsel — kommen konnte bzw. gekommen ist, konnte i n der Literatur bisher nicht eindeutig geklärt werden 226 . W i r besitzen keine Quelle, aus der mit Sicherheit auf einen vollzogenen Tausch geschlossen werden kann 2 2 7 . Der Erwerb und Verlust des Eigentums wegen eines drohenden oder vollzogenen προκαλεΐσϋαι εις άντίδοσιν228 kann daher hier unbedenklich außer Betracht bleiben. Die bisherige Untersuchung hat ergeben, daß i n den Fällen des vom bisherigen Berechtigten gewollten „Übergangs" des Eigentums der Erwerb sich überwiegend unabhängig von der Erlangung der tatsächlichen 224
Bücheler-Zitelmann 117. Kohler-Ziebarth 70. Zweifelnd Bücheler-Zitelmann 117. 226 Vgl. Lipsius A t t . R. 490 ff., Busolt-Swoboda 1088 f., Kahrstedt Staatsgebiet 222 ff., Vinogradov Outlines of Historical Jurisprudence I I (1922) 55, Wolff RE X X I I I 1 4 9 f. u n d die dort Zitierten. 227 Z u Lys. I V 1 vgl. Gernet i n der 3. Auflage der Lysias-Ausgabe von Gernet-Bizos (Paris 1955) Tome I A n m . 1 zu Lysias I V 1, Goligher Hermathena 14 (1907) 493 f., Lipsius A t t . R. 595, 17. 228 Lys. X X I V 9, vgl. Lipsius A t t . R. 592, Goligher a. a. O. 495. 225
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
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Gewalt vollzogen hat. Zwar darf daraus wohl kein Prinzip abgeleitet werden, aber das Ergebnis ist ein Beweis mehr dafür, daß die Griechen zu jener Zeit das Eigentum als ein Recht angesehen haben.
I I I . Erwerb ohne Zustimmung des bisherigen Eigentümers W i r wenden uns nun den Tatbeständen zu, i n denen Eigentum dem Berechtigten verlorenging und von einem anderen erworben wurde, o h n e daß der Berechtigte dem zugestimmt hatte. Die Fälle reichen von rein tatsächlichen Vorgängen, die sich ohne M i t w i r k u n g des Verlierers und Erwerbers vollziehen, bis zur Entziehung auf Grund einer Rechtsnorm. E r w e r b des E i g e n t u m s an e i n e m B i e n e n s c h w a r m Bei der wichtigen Rolle, welche die Bienenzucht i n der griechischen Landwirtschaft spielte 229 , nimmt es nicht wunder, daß w i r i n den Quellen auch juristische Fragen berührt finden, die mit dem Halten von Bienen i m Zusammenhang stehen 230 . Jedoch sind die genannten Quellen für die uns hier interessierende Frage nach dem Erwerb und Verlust des Eigentums wenig ergiebig. I n den Nomoi geht Piaton offensichtlich vom Eigentum des Züchters an den i m Stock gehaltenen Schwärmen aus und gibt damit sicherlich geltendes Recht seiner Zeit wieder. Dem Eigentümer billigt Piaton einen Schadensersatzanspruch gegen denjenigen zu, der die Schwärme σφετερίζει... καΐ κατακρούων ούτως οίκειοΰται, ohne eine Rückgabepflicht des Schadensersatzpflichtigen zu erwähnen. Daraus kann man wohl schließen, daß er den Schwärm als dem Berechtigten verloren und i n das Eigentum des Täters gefallen ansieht 231 . Ist diese Annahme richtig, kann kein Zweifel daran bestehen, daß auch derjenige Eigentum an einem Bienenschwarm erwarb, dessen Stöcke ohne Anlocken von einem fremden Schwärm bezogen wurden. W i r können also sagen, daß i n jener Zeit das Eigentum an i n Stöcken gehaltenen Bienenschwärmen den Stockeigentümern zustand. Von einem Verfolgungsrecht des bisherigen Eigentümers findet sich keine Spur. Weitere Quellen besitzen w i r nicht, Plutarchos geht an der o. e. Stelle auf diese Fragen nicht ein. 229 Rostovtzeff Gesellschafts- u. Wirtschaftsgeschichte d. hellenistischen Welt I I (Darmstadt 1955) 954 f. 230 Plutarchos Solon 23, 6, Platon Nomoi V I I I 843 D/E. 231 Dar este L a science d u droit en Grèce 72, Beauchet I I I 111.
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I. Das Eigentum
Erwerb durch Verbindung Vermischung und Verarbeitung? Über die Rechtsfolgen einer V e r b i n d u n g oder V e r m i s c h u n g der Sachen mehrerer Eigentümer miteinander erfahren w i r aus den Quellen nichts. W i r wissen nur, daß nach griechischer Auffassung eingesetzte P f l a n z e n einen a n d e r e n E i g e n t ü m e r haben konnten als den Eigentümer des Bodens 232 . Das ergibt sich aus einer Inschrift aus Mylasa 2 3 3 , i n der sich bei Grundstücksverkäufen die ausdrückliche Vereinbarung findet, daß sich der Verkauf auf alle Bäume erstreckt, ohne daß dem Verkäufer irgend etwas verbleibt 2 3 4 . Diese Klausel zwingt zu dem Schluß, daß der Verkauf von Grundstücken ohne die darauf stehenden Bäume rechtlich möglich war, der Verkäufer also Eigentümer aller oder einzelner Bäume bleiben konnte. Damit stimmt überein, daß es in Athen, wie w i r gesehen haben 235 , auf privatem Grundbesitz ölbäume gab, die Eigentum der Götter waren 2 3 6 . Wenn aber rechtlich das Eigentum am Boden und an den darauf stehenden Bäumen verschiedenen Personen zustehen konnte, ist es so gut wie ausgeschlossen, daß es einen Rechtssatz gab, wonach Bäume und überhaupt Pflanzen durch Einpflanzen Eigentum des Grundeigentümers wurden. Insoweit entsprach also die Rechtslage dem alten deutschen Recht 237 . Die Römer haben dagegen nach Käsers 238 Feststellungen schon sehr früh den Eigentümer der Pflanzen das Eigent u m verlieren lassen. Auch für die Auffassung der Griechen über die bei der V e r a r b e i t u n g entstehenden Probleme können w i r den Quellen nichts entnehmen. Das E i g e n t u m
am
„Fund"
Daß dem griechischen Recht ein Eigentumserwerb durch nicht fremd war, zeigt eine Stelle i m 5. Buch der Nomoi 2 3 9 , an die Vermehrung der Güter eines Menschen durch „Finden" schenktwerden nebeneinander stellt. Daß der Philosoph hier 232
„Finden" der Piaton und Benicht auf
Vgl. Maroi S D H I 1 (1935) S. 352—354. Recueil I Nr. X I I I quater A 8/9.11. Dazu Guiraud 175, Beauchet I I I 55. 234 Auch i m benachbarten Olymos begegnet die ausdrückliche Hervorhebung, daß dem Veräußerer nichts verbleibt (vgl. die Inschriften bei Judeich i. d. Mitteilg. d. deutschen Archäol. Inst., Athen. Abt. X I V [1889] S. 370 Nr. 1, S. 375 u. 372. I n d. letztgenannten lautet die Formulierung ούϋέν υπολειπομένου έαυτώι έν τοις [τόπ]ο[ι]ς τ[ούτοις]. 235 s.S. 56 f. 238 Vgl. Jones 211 f. Z u r H e r k u n f t u. Verbreitimg d. Baumeigentums i. M i t telmeergebiet Lambert i n Revue Africaine (Alger) X C V I I (1953) S. 218 ff. 237 Vgl. Hübner Deutsches Privatrecht 5 . § 62 I . 238 SZR 65/227. 23» 744 E > 233
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
105
dem Boden des geltenden Rechts seiner Zeit steht, ist kaum anzunehmen; denn seine Ausführungen wären ohne nähere Erläuterungen unverständlich gewesen, wenn der Erwerb durch εύρίσκειν nicht als bekannt vorauszusetzen war. Die Stelle besagt jedoch nicht, daß Piaton hier an den Eigentumserwerb durch Fund i m Sinne des geltenden deutschen Rechts gedacht hat, ebensogut kann er auch das Ansichnehmen einer herrenlosen 240 Sache gemeint haben, so daß nach heutiger Ansicht A n eignung vorliegen würde. Auch w i r gebrauchen i m täglichen Leben „finden" ja nicht nur i m Sinne des § 965 BGB, sondern auch für das Entdecken und Ergreifen einer derelinquierten Sache. Wir müssen daher versuchen, aus anderen Stellen der Nomoi und sonstigen Quellen zu erschließen, was Piaton hier meint. Vom Fund i m technischen Sinne spricht Piaton i m 11. Buch 241 . Denn der Tatbestand αν τις των αύτοΰ τ ι καταλίπη που εκών εϊτ' ακων umfaßt neben absichtlich niedergelegten auch i m Sinne des geltenden deutschen Rechts verlorene Sachen, etwa solche, die der Eigentümer an einem i h m unbekannten Ort versehentlich liegengelassen hatte. A n derelinquierte Sachen denkt Piaton dagegen hier nicht, wie aus der Buße geschlossen werden muß, die dem Eigentümer der Sache zugesprochen werden soll 2 4 2 . Denn eine Buße w i r d ein Gesetzgeber in der Regel nur demjenigen zuerkennen, der ein bestimmtes als schutzwürdig anerkanntes Interesse hat. Ein solches Interesse hat aber derjenige nicht, der eine Sache i n Dereliktionsabsicht liegengelassen hat. Zur Zahlung der Buße i n Höhe des zehnfachen Wertes ist verpflichtet, wer eine solchermaßen zurückgelassene Sache an sich genommen hat. Die Höhe der Buße dürfte darauf zurückzuführen sein, daß derartige Sachen als unter dem Schutz der Wegegöttin stehend angesehen wurden 2 4 3 und ihre Wegnahme daher als Frevel gegen die Göttin erschien 244 , es mag aber auch die Absicht mitgesprochen haben, innerhalb des Staates so gesicherte Verhältnisse zu schaffen, daß die Bürger darauf vertrauen konnten, niemand werde sich an Gegenständen vergreifen, die sie irgendwo hinlegten. Nicht zu denken ist an einen erhöhten Schutz des Eigentums des einzelnen, denn dann wären kaum für den Fall des einfachen Diebstahls so viel geringere Bußen vorgesehen worden 2 4 5 . Über das Schicksal der gefundenen Sache sagt Piaton nichts. Doch ist kaum anzunehmen, daß der Philosoph einerseits das A n sichnehmen verurteilt, andererseits gewollt hat, daß dem Täter die Sache verbleibe. Völlig außer acht bleibt der heute so häufige Fall, daß der 240
Vgl. Wolff-Raiser Sachenrecht 10 · § 82 I. 914 Β. 242 914 C. 243 Vgl. Heckenbach RE V I I 2775. 244 V g l Thonissen 304, 2. 241
245
I X 857 Α . X I 933 E.
106
I . Das Eigentum
Eigentümer nicht ermittelt werden kann. Das dürfte damit zusammenhängen, daß Piaton die Registrierung aller Vermögensstücke des einzelnen vorschreibt 246 , also angenommen haben dürfte, daß der Eigner der Sache feststellbar sein werde. Ein Vergleich dieser beiden Nomoi-Stellen läßt erkennen, daß Piaton bei der oben aus dem 5. Buch angeführten Stelle an den Eigentumserwerb durch Aneignung, nicht durch Fund i m Sinne des BGB gedacht haben dürfte; denn sonst bestände zwischen beiden ein unerklärbarer Widerspruch. Für das attische Recht zeigen uns Menandros' Επιτρέποντες, daß Eigent u m durch „Finden" erworben werden konnte 2 4 7 . Der Sachverhalt ist folgender: Ein H i r t namens Daos hatte i m Walde ein ausgesetztes K i n d gefunden, bei dem mehrere Schmuckstücke lagen. Er nahm das K i n d m i t nach Hause, u m es aufzuziehen. Später überließ er es dem Köhler Syriskos, dem gerade ein neugeborenes K i n d gestorben war, jedoch ohne den Schmuck. Nachträglich hörte Syriskos, daß bei dem Kinde Schmuck gelegen hatte, und verlangte von Daos die Herausgabe als Eigentum des Kindes. Dieser weigerte sich m i t der Begründung, er habe alles allein „gefunden" und sei daher auch der allein Berechtigte. Wenn Syriskos damals dabeigewesen wäre, dann allerdings seien sie beide berechtigt durch κοινός Έρμης, aber so sei es j a nun einmal nicht gewesen 248 . Schon die Überlassung des Kindes sei eine freiwillige Gabe aus seinem Vermögen gewesen 249 . Syriskos hielt dem entgegen, daß von „Fund" doch keine Rede sein könne 2 5 0 , da die Schmuckstücke bei dem Berechtigten, nämlich dem Kind, gelegen hätten. Die aussetzende Mutter habe sie i h m doch offensichtlich als Erkennnungszeichen mitgegeben, wie das häufig vorkomme. Die Streitenden wählten dann den zufällig des Weges kommenden Smikrines als Schiedsrichter, und dieser entschied auf Herausgabe an Syriskos als Eigentum des Kindes. Es handelt sich u m einen Eigentumsstreit, der tatsächlich unstreitig ist und dessen Entscheidung lediglich von der Beantwortung einer Rechtsfrage abhängt. Die Parteien sind darüber einig, daß man durch „Fund", ευρεσις251, Eigentum erwerben kann, wie es dem geltenden Recht der Zeit der Komödie entsprach. Wenn w i r das nicht von Theophrastos 252 wüßten, müßten w i r es aus unserer Stelle schließen; denn weder hätten die Zuschauer ver246
V 745 A . I I 66. 67. 68.100—102.142—144. 248 Π 66—68. 247
249 I I 70. 250 n 100—102. 251 252
I I 102. Char. X X X , s. u.
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
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standen, worauf Daos hinauswollte, noch wäre verständlich, warum der Dichter die Szene i n das Stück aufgenommen hatte. Der A u f t r i t t würde doch jeden Reizes entbehren, wenn nicht auch Daos i m Recht sein könnte. Der Streit betrifft also den Tatbestand der εΰρεσις und nicht die Rechtsfolge. Das dem Schiedsrichter unterbreitete Problem ist, ob „Fund" von Schmuckstücken angenommen werden kann, wenn jemand i m Walde ein m i t Schmuckstücken ausgesetztes K i n d „findet". Daos bejaht das, Syriskos und der Schiedsrichter sind anderer Meinung. Die Entscheidung verdient unseren Beifall. K i n d und Schmuck dürfen nicht als zwei verschiedene „Fundobjekte" betrachtet werden. Die Kostbarkeiten sind offenbar nicht als Entgelt oder Belohnung für den bestimmt, der das K i n d aufnimmt und aufzieht — dann wäre eher Geld zu erwarten —, sondern gehören dem Kind, damit es, wie Syriskos richtig sagt, mit Hilfe der Stücke vielleicht einmal seine Angehörigen finden kann. Es liegt also ein „Fundobjekt" vor, nämlich das Kind, welches Eigentümer der Schmuckstücke ist. Daher steht die Verwahrung der Kostbarkeiten auch dem zu, der das Findelkind aufzieht. Der Tatbestand der ευρεσις w i r d daher hier hinsichtlich des Schmuckes m i t Recht verneint. Daraus hat Taubenschlag 253 unter Zustimmung Dülls 2 5 4 gefolgert, dem attischen Recht sei nur die Aneignung herrenloser Sachen, nicht aber ein Eigentumserwerb durch Fund i m Sinne des heutigen Rechts bekannt gewesen. Ein solcher Schluß kann jedoch m. E. weder aus dieser Stelle noch überhaupt gezogen werden. Denn Menandros verneint den Tatbestand der εΰρεσις nur für einen ganz konkreten Fall, ohne dabei die Tatbestandsmerkmale aufzuzählen. Man kann also aus der Komödie keinesfalls das attische „Fundrecht" erschließen. Dazu kommt, daß uns bei Theophrastos 255 ein wirklicher Fundfall begegnet. Wenn es dort heißt: „των ευρισκομένων χαλκών έν ταΐς όδοΐς υπό των οίκετών δεινός άπαιτήσαι το μέρος, κοινον είναι φήσας τον Έρμήν", muß daraus geschlossen werden, daß ein Erwerb durch „Fund" auch an solchen Gegenständen möglich war, die nicht herrenlos waren. Denn es kann nicht angenommen werden, daß Theophrastos ausschließlich an derelinquierte Münzen gedacht hat. Er w i r d vielmehr den typischen Fall des Verlierens von Geldstücken i m Auge gehabt haben. Da sich bei dem Straßenfund von Münzen der Eigentümer regelmäßig kaum feststellen läßt, gleicht die Interessenlage der beim „Fund" herrenloser Sachen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß nach dem Recht Athens auch i n solchen Fällen Eigentum erworben werden konnte. 253 254 255
SZR 46/76. SZR 61/41 ff. Char. X X X 9/10.
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I. Das Eigentum
Ich bin daher i m Gegensatz zu den genannten Gelehrten der Ansicht, daß i m griechischen Recht ein Eigentumserwerb durch Fund möglich war, und zwar i n Fällen, i n denen die Ermittlung des Berechtigten aussichtslos erschien. Dabei ist jedoch zu beachten, daß auch dies für die Athener ein Fall der ευρεσις war, dieses Wort also sowohl Fund- wie Okkupationsfälle bezeichnen konnte. Nicht dem Recht des Fundes, sondern des S c h a t z e s unterstellt das geltende deutsche Recht eine Sache, die so lange verborgen gelegen hat, daß der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist (§ 984 BGB). Während unter diese Bestimmung auch solche Sachen gezählt werden, die nicht absichtlich verborgen wurden, sondern verlorengegangen waren 2 5 6 , findet sich bei Piaton eine b e s o n d e r e Regel für Kostbarkeiten, die jemand für sich und die Seinen vergraben hatte 2 5 7 . Solche Dinge soll man nicht anrühren. Hierfür beruft sich Piaton auf Solon 258 , möglicherweise gab es sogar einen gemeingriechischen Rechtssatz dieses Inhalts 2 5 9 . Was mit demjenigen, der gegen dies Gesetz verstößt und den Schatz an sich nimmt, geschehen soll, w i l l Piaton durch die Behörden beim delphischen Orakel erfragen lassen, das auch über das Schicksal des Schatzes entscheiden soll 260 . Inwieweit Piaton hinsichtlich des Schicksals der Sache dem geltenden Recht seiner Zeit folgt, wissen w i r nicht, doch ist wohl ausgeschlossen, daß der Entdecker des Schatzes, der entgegen dem Gesetz die verborgenen Gegenstände an sich genommen hatte, als Eigentümer angesehen worden ist. Einen Eigentumserwerb am Schatz gab es also nicht. Eigentumserwerb
an der
Kriegsbeute
Über das Kriegsrecht seiner Zeit berichtet Xenophon 2 6 1 : νόμος γάρ εν πασιν άνθρώποις άίδιός έστιν, δταν πολεμούντων πόλις άλω, των έλόντων είναι και τά σώματα των εν τη πόλει και τά χρήματα. Diesen νόμος hat auch Aristoteles 262 i m Auge, wenn er schreibt, es bestehe Übereinstimmung, daß das i m Kriege Gewonnene den Gewinnern gehöre, aber hinzufügt, manche 256
Vgl. Staudinger-Berg Kommentar z. BGB, 11. Aufl., § 984 1 b. Nomoi X I 913/914 A. 258 913 C, dazu Sondhaus 82. Vgl. Diogenes Laertios I 57: α μή εϋου, μή άνέλη· εΐ δέ μή, θάνατος ή ζημία. 259 v g l . Aelianus Varia historia I I I 46: Σταγειριτών νόμος οΰτος και πάντη Ελληνικός : δ μή κατέθου, φησί, μή λάμβανε. Vgl. Weiß Privatrecht 10,14. 280 914 Α . Unrichtig Beauchet I I I 50, der nicht beachtet hat, daß Piaton die absichtlich v e r b o r g e n e u n d die absichtlich liegengelassene Sache unterscheidet. Unbrauchbar auch Dorigny DS V 225 a, der den F u n d nicht v o m Schatz trennt. 261 K y r o u Paid. V I I 5, 73. 262 Pol. I 2 S. 1255 a. 257
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
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hielten diesen Rechtssatz, soweit er auf Menschen angewendet werde, für Unrecht. A n anderer Stelle desselben Werkes zählt der Philosoph den Erwerb durch Krieg zu den naturgegebenen Erwerbsarten 263 . Die Geltung dieses Rechtssatzes finden w i r bestätigt in dem Schreiben Philipps von Mazedonien an die Athener, i n dem er sich zum Beweis seines Rechts auf Amphipolis ausdrücklich auch auf Eroberung beruft 2 6 4 . Und i n einer — allerdings erst dem 2. Jhdt. angehörenden — Inschrift 2 6 5 w i r d die Eroberung als gleichberechtigter Erwerbstitel neben Erbgang, Kauf und Belehnung genannt 266 . I m Gegensatz zu dem eben genannten Beispiel w i r d hier von der Rechtslage von Privatpersonen, nicht von Staaten oder Herrschern gesprochen. Bestand sonach eine allgemeine Rechtsüberzeugung 267 , daß das Vermögen eines besiegten Staates und seiner Bewohner sowie diese selbst den Siegern gehörten 268 , müssen w i r fragen, wer das Eigentum erwarb: der siegreiche Staat — bzw. die kriegführenden Staaten — oder der einzelne beutemachende Feldzugsteilnehmer. Daß der Soldat nach Beute strebte 289 , ist nicht verwunderlich. Ebenso selbstverständlich ist, daß dahingehende Verbote übertreten worden sind. Was uns i n diesem Zusammenhang interessiert, ist allein die Frage, ob ein derartiger unmittelbarer Erwerb des einzelnen von der Rechtsordnung als rechtmäßig anerkannt worden ist. A n einen rechtmäßigen Erwerb dachte offensichtlich Demosthenes 270 , wenn er die Aufstellung eines kleinen stehenden Kampfverbandes gegen Philipp vorschlug, der wohl Verpflegungsgeld, aber keinen Sold erhalten sollte. Den Sold sollte sich die Truppe nämlich beim Feind holen 271 . Aber das muß nicht bedeuten, daß dem einzelnen Soldaten freigestellt werden mußte, sich so weit wie möglich zu bereichern. I m Gegenteil, gerade ein solches System erforderte eine Ablieferung der von den einzelnen ergriffenen Sachen und eine gleichmäßige Verteilung auf das gesamte Expeditionskorps; denn eine Truppe, in der jeder nur daran denkt, wie er möglichst viel Privatbeute machen kann, w i r d militärische Erfolge nur in den seltensten Fällen erringen können. Auch wenn der Sprecher bei Isaios I I § 6 das Ende seiner Zugehörigkeit zum Heere mit den Worten: περιποιησάμενοί τ ι κατεπλεύσαμεν 203
Pol. I 3 S. 1256 b. Demosth. X I I 23. 265 Syll. 3 685 Z. 133 fï. 266 Vgl. dazu Felgenträger Lösungsrecht 85 f., Pringsheim L a w 182. 267 Über Wandlungen der Überzeugung u n d die Befolgung i n der Praxis Kiechle, Historia V I I (1958) 129—156. 208 Vgl. dazu Finley, Was Greek Civilization based on slave labour? i n Historia V I I I (1959) 152. 269 V g L p i a t o n Pol. V 469 C/D, Herodotos I X 80. 270 I V 19 ff. 271 § 29. Vgl. dazu Böckh Staatshaushaltung 3 352 ff., Schultheß RE I I I A 383 f. 264
110
I . Das Eigentum
δεΰρο beschreibt, können w i r nicht sagen, ob er nicht die verteilte Beute meint. Andererseits besagt keine Quelle, daß alle Beute dem Staat gehörte. Und wenn Xenophon von einem Überfall auf eine athenische Truppe berichtet, die sich κατά τάς ιδίας λείας zerstreut hatte 2 7 2 , so ist unbezweifelbar, daß er damit ein Beutemachen für die eigene Tasche meint. Ich meine daher, daß sowohl der einzelne 273 als auch der Staat 2 7 4 Eigent u m durch Beutemachen erlangen konnten, wobei aller Wahrscheinlichkeit nach bestimmte Beutestücke der Polis vorbehalten waren 2 7 6 . Erwerb durch
Raub
Aristoteles 276 zählt den Erwerb durch Raub zu den Erwerbsarten, bei denen der Lebensunterhalt nicht durch Tausch oder Handel erlangt wird. Thukydides 2 7 7 berichtet, daß Seeraub und Landraub noch mancherorts i n Blüte ständen und es i n jenen Gegenden als κόσμος angesehen werde καλώς τοΰτο δραν. Für die Einstellung gegenüber dem S e e r a u b ist der Vertrag 2 7 8 zwischen Oianthea und Chaleion 279 bezeichnend. Er enthält zu Beginn die Vereinbarung, daß das αγειν, d. h. der gewaltsame Zugriff auf die Person 280 eines Bürgers des Vertragsstaates 281 und sein Eigentum, innerhalb der beiden Poleis verboten und dem widerrechtlich Ergriffenen das Recht auf Selbsthilfe zuerkannt w i r d 2 8 2 : τον ξένον μέ Ιιάγεν ε(τ) τάς Χαλεΐδος τον Οίανθέα, μεδέ τον Χαλειέα ε(τ) τάς Οίανθίδος, μεδέ χρέματα αΐ τι(ς) συλδι· τόν δέ συλοντα άνάτο(ς) συλεν. Dann heißt es weiter: Τα ξενικά έ(θ) θαλά(σ)σας Ιιάγεν ασυλον, πλαν έ(λ) λιμένος το κατά πόλιν. Das αγειν an Bord eines Schiffes sollte sonach nur innerhalb des Hafens einer der beiden Poleis unter das Verbot fallen, der Angriff gegen Personen und Sachen auf See war nicht untersagt 288 . Das bedeutet: das Ergreifen war 272
Hell. I 2, 5. Zweifelnd Beauchet I I I 110. Vgl. Schoemann-Lipsius Griech. A l t e r t ü m e r I I 16. 275 F ü r Rom vgl. Vogel SZR 66/394 ff. u. Bona S D H I X X V (1959) 360 ff. 276 Pol. I 3 S. 1256 a/b. 277 1 5. 278 I G I X 1 Nr. 333 = Cauer-Schwyzer 363. 279 I n RE s. u. Chalaion. 280 Partsch Bürgschaftsr. 291, Wilhelm, Jahreshefte d. österr. Archäol. Inst. X I V 197 ff., Busolt-Swoboda 1241.1242,1. 281 Nicht etwa aller Fremden, so m i t Recht Hitzig Altgriech. Staatsverträge 13, Meister Ber. üb. d. Verhandlungen d. Königl. Sächs. Ges. d. Wiss., Phil.hist. K l . 48 (1896) 25. 282 Hitzig a. a. 0.39, Meister a. a. O. 26, Weiß Privatrecht 173. 283 U n d zwar auch nicht gegenüber den Bürgern des Vertragsstaates, w i e Dittenberger, I G I X 1 33 A n m . I , u. Ziebarth Seeraub u n d Seehandel 4 annehmen. Richtig Bolkestein Economic Life 142, Dareste REG I I (1889) 319, Hitzig a. a. O. 13, Kroll RE I I A 1036, Latte RE I V A 1037, Meister a. a. Ο. 26. 273
274
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
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i n diesem Falle nicht vertragswidrig und damit auch nicht widerrechtlich 2 8 4 , der Angegriffene konnte keine Rechtshilfe erwarten, wenn er Täter und Sache i n dessen Heimatstaat antraf. Das Ergreifen auf hoher See — und zwar nicht nur der berechtigte Zugriff zum Zwecke der Vollstreckungshilfe, sondern das αγειν schlechthin — war somit den Bürgern beider Staaten nicht untersagt, wobei w i r freilich nicht wissen, ob dies der wirkliche Wille b e i d e r Staaten war oder ob nicht vielleicht die mächtigere Polis diese Klausel i m seeräuberischen Interesse ihrer Bürger durchgesetzt hatte. Als durch den Vertrag n i c h t verboten muß weiterhin der L a n d r a u b außerhalb des Staatsgebiets der Vertragsschließenden angesehen werden. Denn nur auf dem Gebiet von Oianthea und Chaleion w i r d das αγειν für αδίκως erklärt, nicht aber generell. Die den Bürgern des Vertragspartners gewährte Asylie galt also nur für Angriffe auf dem eigenen Staatsgebiet. Ein Oiantheer, der einen Bürger von Chaleion irgendwo a u ß e r h a l b des Staatsgebietes von Oianthea und Chaleion beraubt hatte, dürfte daher seine Beute genauso gefahrlos nach Oianthea haben bringen können wie der oiantheische Seeräuber. Es kann weder angenommen werden, daß er eine Klage des Beraubten zu befürchten hatte noch seine Mitbürger Repressalien durch Bürger von Chaleion aussetzte. Eine derartige Interpretation des Vertrages w i r d gestützt durch den Bericht des Thukydides 2 8 5 , der das westliche Lokris an erster Stelle unter den Gebieten nennt, i n denen zu seiner Zeit noch Landraub an der Tagesordnung war. Eine Aussage über die allgemeine Einstellung gegenüber dem Raub i m griechischen Rechtskreis ist wegen des Quellenmangels nur mit großer Vorsicht möglich. Jedoch lassen die Staatsverträge, i n denen Asylie gewährt wurde, und die vielen Einzelverleihungen erkennen, daß g r u n d s ä t z l i c h wohl außerhalb des Staatsgebietes geraubtes Gut als rechtmäßig erworben angesehen worden sein dürfte 2 8 6 . Für den Erwerb eines B ü r g e r s durch Beraubung eines F r e m d e n dürfte eine Ausnahme dann bestanden haben, wenn dem Beraubten oder dessen Heimatstaat Asylie an jedwedem Ort 2 8 7 eingeräumt worden w a r · Einen weiteren Sonderfall muß der Erwerb durch Beraubung eines M i t b ü r g e r s gebildet haben. Schon von alters her drohte nach unge284
Szanto RE I I 1880, Meister 1 5. 28β v g l . Partsch SZR 43/581 f.
a. a. O. 26/27.
285
287 Wie sie ζ. B. den Bewohnern v o n Teos durch Polyrrhenia (Michel 52 = G D I 5166 3) gewährt wurde.
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I. Das Eigentum
schriebenem Recht dem Räuber der Tod 2 8 8 . Aus Athen berichtet Aristoteles 289 , daß das λωποδυτείν mit dem Tode bestraft wurde 2 9 0 . Was darunter genau verstanden wurde, kann hier unerörtert bleiben, da uns eine Stelle in den Όρνιθες des Aristophanes 291 belehrt, daß jedenfalls der Kleiderraub unter die Strafdrohung fiel 292. Von der Todesstrafe war auch der άνδραποδιστής bedroht 293 . Danach ist sicher, daß der Raub i n n e r h a l b des Staatsgebietes keinen rechtmäßigen Erwerbsgrund darstellte, und zwar vermutlich ohne Rücksicht darauf, ob Täter oder Opfer Bürger oder Fremde waren; denn eine Rechtsordnung, die dem Räuber die Todesstrafe androht, w i r d ihm kaum gestatten, sich i n einem Eigentumsstreit auf Raub als Erwerbsgrund zu berufen. Das gleiche muß aber auch für den Raub an einem Mitbürger a u ß e r h a l b des Staatsgebietes gelten, wobei vor allem an Seeraub zu denken ist. Zwar ist kein spezielles Gesetz gegen Seeräuber erhalten, doch wurde der Seeraub wie jeder Raub mit dem Tode bestraft 294 . M i t dieser Strafe dürfte auch der Bürger bedroht gewesen sein, der Seeraub trieb. Denn die Piraterie eigener Bürger bedrohte das staatliche Interesse an der Sicherheit der Handelswege i n gleicher Weise wie die Überfälle ausländischer Seeräuber. Es kann nicht angenommen werden, daß die Staaten die vielen Anstrengungen, von denen die Quellen berichten 295 , nur unternommen haben, um fremde Seeräuber zu bekämpfen, die eigenen Bürger aber gewähren ließen. Es kommt hinzu, daß i n einer Welt, i n der der Bürger auf jeder Reise der Gefahr fremder Angriffe ausgesetzt war, die Beraubung durch einen Mitbürger als besonders verwerflich angesehen worden sein muß. Der oben erschlossene Grundsatz der Anerkennung des Erwerbs durch Raub außerhalb der Polis als rechtmäßig dürfte ferner i m Falle eines F r e m d e n , der e i n e n B ü r g e r beraubt hatte, nicht beachtet worden sein. Die Polis kann kaum eine Veranlassung gehabt haben, an ihren Bürgern, wenn auch außerhalb des Staatsgebietes, begangene Gewalttaten anzuerkennen. Jedoch kann auf Grund eines Staatsvertrages mit dem Heimatstaat des Fremden die Rechtslage anders gewesen sein, so daß der Erwerb als rechtmäßig angesehen werden mußte. So w i r d 283 y g i Hesiodos 'Έργα και ήμέραι 356: δώς αγαθή, αρπαξ δέ κακή, θανάτοιο δότειρα. 289 Ath. Pol. 52,1. 290 Ebenso Lys. X I I I 66 [68]. 291 496 ff 292 Y g l t piatner I I 168 f., Fiehn RE I V A 171, w o h l auch Paoli (-Schneider) Die Geschichte der Neaira 23. 293 Aristoteles a. a. Ο., vgl. Thalheim RE I 2134. 294 Kroll RE I I A 1042. 295 s. Ziebarth Seeraub u n d Seehandel 9 ff.
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
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man wohl den Vertrag zwischen Oianthea und Chaleion dahin auslegen dürfen, daß ein Bürger von Chaleion, der auf See einen Oiantheer beraubt hatte, nicht nur i n Chaleion, sondern auch i n Oianthea vor Verfolgung sicher sein konnte. Die Richter der Polis des Beraubten waren i n derartigen Fällen also gehindert, dem durch den Raub erworbenen Eigentum die Anerkennung zu versagen. Dagegen dürfte man dem o. e. Grundsatz gefolgt sein, wenn e i n F r e m d e r e i n e n anderen F r e m d e n außerhalb des Staatsgebiets beraubt hatte, von Fällen von Seeraub vor den Gerichten eines Handelsstaates vielleicht abgesehen. Auch hier ist eine Ausnahme denkbar, wenn nämlich m i t dem Heimatstaat des Betroffenen ein Vertrag über den gegenseitigen Schutz des Privateigentums gegen Raub nach A r t des Vertrages zwischen Delphi und Pellana I Β 2 9 β bestand. I m ganzen gesehen dürften daher die Ausnahmen die Regel überwogen haben. Trotzdem kann man nicht leugnen, daß auch i n jener Zeit Eigent u m noch durch Raub erworben werden konnte. Erwerb vom
Nichtberechtigten?
Aus dem deutschen Recht des Mittelalters ist bekannt, daß an Fahrnis durch Erwerb von einer Person, welcher der Eigentümer seine bewegliche Sache anvertraut hatte, eine gegenüber dem Eigentümer geschützte Rechtsposition, wenn auch nicht das Eigentum selbst, erworben werden konnte. Der Eigentümer war nämlich i n derartigen Fällen auf das Recht beschränkt, gegen seine Vertrauensperson vorzugehen, von dem Erwerber konnte er die Sache nicht 2 9 7 herausverlangen. Bei der schon oft beobachteten Verwandtschaft des griechischen mit dem germanischen Recht 298 ist es daher angebracht, i m Rahmen der Untersuchung des Eigentumserwerbs zu prüfen, ob vielleicht auch nach griechischer Auffassung ein derartiger Erwerb möglich war, zumal die Geltung des Prinzips Hand-wahre-Hand i m griechischen Recht i n der Literatur verschiedentlich behauptet wird 2 9 9 . Hier lenkt in erster Linie das Recht von G o r t y n unsere Aufmerksamkeit auf sich. Es verbietet dem Ehemann, Eigentum seiner Frau, dem Sohn, Eigentum des Vaters oder der Mutter, und dem Vater, Eigentum der Kinder zu veräußern oder zu verpfänden 300 , bestimmt, daß durch 298
Partsch SZR 43/581 f. Vgl. Hübner Grundzüge des deutschen Privatrechts 5 · § 63 I I , Gierke Deutsches Privatrecht I I § 134 I l e , Conrad Deutsche Rechtsgeschichte I S. 571. 298 v g l . Rabel Verfügungsbeschränkungen 4 u n d die bei Levy SZR 49/252 Genannten. 209 Bsplsw. v. Levy a. a. Ο., Kubier , Studi Bonfante I I 361. 300 I C I v 7 2 Kol. V I 7—25. 31—44. Der gleiche Schutz w i r d der Erbtochter gewährt (Kol. I X 7—17), n u r fehlt dort die Verbotsnorm. 297
8
V g l
Kränzlein
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I . Das Eigentum
ein unter Mißachtung dieser Normen vorgenommenes Hechtsgeschäft keine gegenüber dem Berechtigten geschützte Rechtsposition erworben werden kann 3 0 1 , und beschränkt den Partner des Verfügenden auf A n sprüche gegen diesen. Das Recht von Gortyn verneint somit für die genannten Fälle die Möglichkeit, vom Nichtberechtigten eine gegenüber dem Berechtigten geschützte Rechtsposition zu erwerben 302 . Jedoch ist dies keine bewußte Verneinung. I m Gesetz finden sich nämlich Übergangsbestimmungen 303 , welche die Anwendung der Normen des Gesetzes auf frühere Fälle untersagen 304 . Daraus folgt, daß w i r ein Ä n d e r u n g s g e s e t z — oder Änderungsgesetze — vor uns haben. Bis zum Inkrafttreten der uns erhaltenen Bestimmungen müssen also andere gegolten haben. Deren Inhalt können w i r zwar nicht m i t Sicherheit erschließen, doch dürfte die Annahme Zitelmanns 305, die durch die Novelle untersagten Verfügungen seien vorher erlaubt gewesen, zutreffen. Aber wie dem auch sei, jedenfalls ist offenkundig, daß das Gesetz eine einschneidende Rechtsänderung mit sich gebracht hat, und zwar für bestimmte Beteiligte — vermutlich die Ehefrauen, Eltern und Kinder — eine Verbesserung ihrer Rechtsstellung, für andere — die Partner der Verfügenden — eine Verschlechterung; denn anderenfalls wären kaum Übergangsbestimmungen notwendig gewesen. Es liegt daher nahe anzunehmen, daß auch die Ausführlichkeit der Novelle aus der Rechtsänderung zu erklären ist. Für jeden Bürger war es bis zu dem neuen Gesetz selbstverständlich gewesen, daß er über das Vermögen seiner Frau und seiner i m Hause lebenden M u t ter, vielleicht auch seiner Kinder, verfügen konnte. Das sollte nun nicht mehr gestattet sein. Der Gesetzgeber konnte daher nicht umhin, die Rechtsfolgen, die die früher erlaubten, nunmehr aber verbotenen Rechtsgeschäfte i n Zukunft haben sollten, ausführlich bekanntzumachen, zumal nach der menschlichen Veranlagung zu erwarten war, daß die neuen Bestimmungen übertreten werden würden, teils unabsichtlich aus alter Gewohnheit, teils unter bewußter Mißachtung der Neuregelung. So dürfte die Ausführlichkeit der zitierten Gesetzesstellen zu erklären sein. Weiter handelt es sich i n allen Fällen um das Verbot von Rechtsgeschäften über das Eigentum von Familienmitgliedern. Auch deshalb ist es nicht gestattet, aus diesen Stellen einen Schluß auf die Einstellung 301 Kol. V I Z. 16—18: [τα] μ[έ]ν κρέματα έπί τδι ματρί ϊμεν κ' έπί ται γυναικί, Kol. I X Ζ. 9—11: τα μέν [κρ]έματα έπί ται πατροιόκοι £μεν. F ü r die anderen i m Gesetz genannten Fälle dürfte nichts anderes gelten (Guarducci I C I V 72 S. 161). 302 v g l Felgenträger Lösungsrecht 71. 303 304 805
Kol. V I 24/25, Kol. I X 15/17. Vgl. Bücheler-Zitelmann 174. a . a . O . 175.
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
115
der Gortyner zum Problem des Erwerbs vom Nichtberechtigten zu ziehen. Denn es könnten durchaus Ausnahmebestimmungen sein. Nehmen w i r einmal an, i n Gortyn sei der Erwerb vom Nichtberechtigten grundsätzlich möglich gewesen. Müßte dann das Gesetz anders gelautet haben? Nein! Felgenträger hat daher m. E. diesen Stellen eine zu große Bedeutung beigemessen. Sie besagen nicht mehr, als daß es i n Gortyn i n b e s t i m m t e n F ä l l e n keinen Erwerb vom Nichtberechtigten gegeben hat 3 0 6 . Was die i n der Literatur 3 0 7 für die Geltung des Prinzips „Hand-wahreHand" i m griechischen Recht angeführte Norm des Rechts von Gortyn 3 0 8 αι κα τετράπος ή ονν[ι]θα παρκαταθ[ε]μένοι ή κρησάμενος ή [άλ]λάι δεκσάμε[νο]ς μή νυνατός εϊη αύτ[όν ά]ποδόμην, το ά[πλ]όον καταστασεΐ anlangt, so hat schon Felgenträger 309 m i t Recht darauf hingewiesen, daß sie keinerlei Beweiswert besitzt, weil sie nicht klar erkennen läßt, ob der Hinterleger sich a u s s c h l i e ß l i c h an den Verwahrer halten konnte. Von Bedeutung ist dagegen Demosthenes X X V I I 24 ff. 810, wo es sich i n dem 1. Prozeß gegen den ungetreuen Vormund Aphobos u m das Verschwinden von 20 Sklaven handelt, die dem Vater des Demosthenes υποκείμενοι waren. Demosthenes vermeidet an dieser Stelle offensichtlich ein Eingehen auf die Rechtsfragen und bemüht sich, den ύποθείς Moiriades als vertrauenswürdig und nicht unvermögend hinzustellen. I m übrigen konzentriert er seinen Angriff auf die allerdings verdächtige Tatsache, daß Aphobos i h m nicht nur die Sklaven, die beim Tode des Vaters des Demosthenes i n dessen Besitz gewesen waren, nicht ausgeliefert, sondern auch über ihren Verbleib keine klare Auskunft erteilt hatte. Es liegt daher sehr nahe anzunehmen, daß Aphobos den Moiriades als Nichtberechtigten, der unbefugt fremde Sachen „verpfändet" hatte, hingestellt und Herausgabe der Sklaven an den Berechtigten behauptet hatte. Da wenig wahrscheinlich ist, daß sich der Berechtigte so lange Zeit nicht gerührt haben sollte, dürfte es sich u m ein Schwindelmanöver des Aphobos handeln: Entweder hatte überhaupt niemand Rechte geltend gemacht und er selbst hatte die Sklaven veruntreut oder ein Strohmann des Aphobos war als angeblich Berechtigter aufgetreten. Wie dem aber auch sei, für uns ist hinreichend, daß die Stelle wahrscheinlich macht, daß es i n Athen unmöglich war, von einer nichtberechtigten P r i vatperson ein S i c h e r u n g s r e c h t an Mobilien zu erwerben; denn 808 Gegen Felgenträger auch Schönbauer (SZR 62/296), der annimmt, daß die U n w i r k s a m k e i t allein aus dem Verstoß gegen die Gesetze folge. 807 Vgl. Schulz Ztschr. f. vergi. Rechtsw. X X V I I (1912) 177. 308 I C XV 4 1 K o l . m z . 7—14. 809
Lösungsrecht 80. Dazu Hitzig Pfandrecht 26 f. u n d Felgenträger Schlüssen zuzustimmen ist. 310
8*
Lösungsrecht 71 f., deren
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I . Das Eigentum
anderenfalls wäre das Vorbringen des Aphobos nicht schlüssig gewesen, was Demosthenes unzweifelhaft rhetorisch ausgenutzt hätte. Bei I m m o b i l i e n dürfte es nicht anders gewesen sein. Dieser A n nahme steht die bereits erwähnte Tatsache, daß die Käufer έπί λύσει und die Hypothekengläubiger, welche die Verpfänder i m Besitz der Sicherungsobjekte belassen hatten, auf bzw. bei den Grundstücken und Gebäuden Horoi aufzustellen pflegten, nicht entgegen. Denn wenn diese Gläubigerpraxis auch den Schluß nahelegt, die Aufstellung bzw. A n bringung der Steine habe den Zweck gehabt, einen Erwerb vom Nichtberechtigten auszuschließen bzw. zu erschweren, so ist dieser doch nicht zwingend. I n den Quellen findet sich keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß die Aufstellung der Horoi durch ein Gesetz vorgeschrieben gewesen wäre 3 1 1 . Sie entsprang also aller Wahrscheinlichkeit nach — zumindest anfänglich — der Initiative der Gläubiger. Da es i n Athen und auf den Inseln, auf denen Horoi gefunden wurden, wie aus der Nichterwähnung i n dem Bericht des Theophrastos geschlossen werden muß, keine Publizitätsvorschriften für die Bestellung von Hypotheken gegeben hat 3 1 2 , dürfte sich die Übung, solche Steine aufzustellen, aus dem natürlichen Interesse der Gläubiger erklären, ihre Rechte an den nicht i n ihrem Besitz befindlichen Sicherungsobjekten allen etwa daran interessierten Dritten kundzumachen. A u f diese Weise ersparten sie sich, indem sie die Dritten abschreckten, den Schuldnern weiteren Kredit zu gewähren, Scherereien und Prozesse. Ein weiteres Argument ist dieses: Wie Finley 313 festgestellt hat, wurde i n Athen Grundbesitz regelmäßig nur dann belastet, wenn der Eigentümer unbedingt Geld benötigte. Das bedeutet, daß regelmäßig die Darleiher die Stärkeren waren und die Bedingungen mehr oder weniger diktieren konnten 3 1 4 . Wenn sie sich, wie die zahlreichen Horoi beweisen, trotzdem i n so vielen Fällen mit einem besitzlosen Pfand zufrieden gegeben haben, müssen sie die Gewähr gehabt haben, daß ihre Rechte nicht — oder zumindest nicht leicht — durch Machenschaften der Schuldner beeinträchtigt werden konnten. Die Aufstellung von Horoi allein kann den Gläubigern diese Sicherheit nicht geboten haben; denn auch durch noch so häufige Kontrollen 3 1 5 konnten die Gläubiger keinesfalls verhindern, daß ein Schuldner Steine entfernte. Wie also hätten die Sicherungsnehmer ruhig schlafen können, wenn sie Tag und Nacht damit rech311 312 313 314 315
Finley 16, Fine 51. Finley 15, Fine 53. Das hat Wolff SZR 70/420 offenbar übersehen. 79 ff., dazu Wolff a. a. Ο. 413. Vgl. Weiß Pfandrechtl. Untersuchungen 11. Vgl. Theophrastos Μικρολογίας 9.
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
117
nen mußten, daß ein Schuldner, der ihnen sein Anwesen zur Sicherung verkauft hatte, eine ihre Rechte beeinträchtigende Hypothek 8 1 6 an dem ihm zwar nicht mehr gehörenden, aber noch i n seinem Besitz befindlichen Grundstück oder Gebäude bestellte? 817 . W i l l man nicht mit Weiß 319 annehmen, daß für den Fall mehrfacher Belastung oder des Zusammentreffens von Sicherungsverkauf und Hypothek das Prioritätsprinzip galt, bleibt nur der Schluß, daß es einen Erwerb vom Nichtberechtigten auch bei Immobilien nicht gegeben hat. Anderenfalls wäre zudem nicht verständlich, warum die Vermögenden, wenn ihnen i m Falle der Beleihung von Immobilien so große Gefahren drohten, nicht auf den Erlaß entsprechender Publizitätsvorschriften gedrängt hätten. Schließlich ist es, bei dem Fehlen jeglichen sicheren Beleges aus jener Zeit für die Möglichkeit, von einer nichtberechtigten Privatperson eine geschützte Position zu erwerben, wenig wahrscheinlich, daß es einen derartigen Erwerb ausgerechnet i m Immobiliarrecht gegeben hat. Unwirksam waren auch e r b r e c h t l i c h e Verfügungen Nichtberechtigter 8 1 9 . I n der zehnten Rede des Isaios weist der Sprecher darauf hin, daß das Gesetz niemand die Befugnis einräume, über fremdes Vermögen letztwillig zu verfügen 820 . Daraus leitet er die Folgerung ab, daß auf Grund eines solchen Testaments auch niemand Erbe werden könne. Diesen Rechtsausführungen dürfen w i r unbesehen Glauben schenken. Denn bei der Bedeutung, welche die Griechen der Erlangung der Erbschaft durch den richtigen Erben beigemessen haben, ist es undenkbar, daß letztwillige Verfügungen Nichtberechtigter Rechtswirkung gehabt haben könnten. Belege, die für einen Erwerb vom Nichtberechtigten sprechen, haben w i r somit, soweit es sich u m Rechtsgeschäfte unter Privaten handelt, nicht 8 2 1 . Dagegen müssen w i r annnehmen, daß i n einer s t a a t l i c h e n V e r s t e i g e r u n g Eigentum auch dann erworben werden konnte, wenn das Verfahren mangelhaft oder die Polis nicht verfügungsberechtigt gewesen war. I n mehreren Rechtsordnungen finden w i r nämlich ausdrückliche Bestimmungen über die Unanfechtbarkeit solcher Käufe 8 2 2 . I n 818 Die Gefahr der heimlichen V e r ä u ß e r u n g bestand nicht, dagegen w a r der Gläubiger durch die Publizitätsvorschriften geschützt. 317 T a t s ä c h l i c h gleich, aber r e c h t l i c h anders lag der F a l l f ü r den H y p o t h e k e n g l ä u b i g e r . Auch er mußte die Bestellung einer weiteren Hypothek an dem Sicherungsobjekt befürchten, jedoch k a n n dieser F a l l hier aus dem Kreis unserer Betrachtungen ausscheiden, w e i l es sich insoweit u m einen Erwerb v o m B e r e c h t i g t e n handelte. 318 Privatrecht 340. 819 Simonétos Festschr. Koschaker I I I 176. 820 § 2. Vgl. auch § 8 u n d die Hypothesis Ζ. 31 f. 321 Vgl. Schönbauer SZR 62/302. 322 Athen: Demosth. X X I V 54, X X X V I I 1 9 ; Mylasa: Ditt. Syll. 8 167 Z. 27. 46; Chios: Cauer-Schwyzer 688 C.
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I . Das Eigentum
Athen wurde dieser Grundsatz sogar nicht einmal bei der Wiederherstellung der Demokratie i m Jahre 403 v. Chr. angetastet 323 . Der dadurch den Erwerbern gewährte Schutz lag i m allgemeinen Interesse 324 . Denn man brauchte Käufer für die vom Staat konfiszierten oder i h m verfallenen Vermögensstücke. Solche waren aber kaum zu erwarten, wenn nicht die Gewähr bestand, daß die erworbene Sache nicht später wieder herausgegeben werden mußte. Anders als beim Kauf unter Privaten war bei dem Erwerb i n einer Versteigerung von dem Interessenten kaum zu überblicken, ob für die Zukunft Ansprüche Dritter zu befürchten waren, zumal sich der bisherige Besitzer i m Zeitpunkt der Versteigerung häufig nicht mehr i n der Polis befunden haben dürfte, also keinerlei Auskünfte geben konnte. Das größere Risiko dürfte deshalb die Interessenten abgeschreckt haben. Die Polis mußte daher einen Schutz schaffen, i m Vertrauen auf den die Käufer die Sache erstehen konnten. Eine bloße Gewährleistung für Rechtsmängel konnte nicht genügen, weil dadurch der Käufer nicht vor dem Verlust der Sache bewahrt wurde. Anders natürlich, wenn die Götter selbst die Gewähr leisteten, wie i n einer Inschrift aus Halikarnassos 325 . Denn gegen diese zu prozessieren dürfte niemand gewagt haben 326 . Wollte man sich dieses oder eines ähnlichen Mittels aber nicht bedienen — wie i n Athen —, mußte man den Erwerb von der Polis für unanfechtbar erklären, generell oder i n jedem einzelnen Fall. Das aber hatte zur Folge, daß auch dann Eigentum erworben wurde, wenn der Staat nicht verfügungsberechtigt gewesen war, etwa weil man eine Sache konfisziert und versteigert hatte, die gar nicht Eigentum desjenigen gewesen war, dessen Vermögen man konfisziert hatte 3 2 7 . Eigentumserwerb und -verlust d u r c h προθεσμία327® I n seinen Nomoi befaßt sich Piaton m i t der Frage, innerhalb welcher Fristen Rechte an einer b e w e g l i c h e n Sache, die ein anderer seit längerer Zeit ununterbrochen besitzt, vom nichtbesitzenden Berechtigten geltendgemacht werden können 328 . Der Philosoph setzt hierfür Fristen 323 Lysias Πρός Ίπποθέρσην (P. Oxy 1606) Ζ. 38 ff., vgl. Gernet-Bizos Lysias Discours I I 2 · S. 251. 228, Balogh Political Refugees 61 f. 824 Vgl. Pringsheim Studi C. F e r r i n i (Milano) I V 330 ff. ( = Gesammelte Abhandlungen I I [Heidelberg 1961] 303 ff.). 825 D i t t . Syll. 8 46 Ζ. 1 ff. Vgl. dazu Pringsheim a. a. O. 826 Vgl. Latte Heiliges Recht 53. 827 Vgl. Felgenträger Lösungsrecht 80 f. 327a z u r π neuestens Wolff, V e r j ä h r u n g v o n Ansprüchen nach attischem Recht, i n Eranion i n honorem G. S. Maridakis I (Athen 1963) 87—109. 328 X I I 954 C—E.
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
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von einem bis zu zehn Jahren fest, je nachdem der Besitzer die Sache offen vor aller Augen oder mehr i m Verborgenen, i n der Stadt oder auf dem Lande benutzt hat. Der Fristablauf soll die Wirkung μή εξέστω τοιούτου κτήματος επιλαβέσθαι μηδένα329 haben, was auch kurz m i t προθεσμίαν είναι 330 bezeichnet wird. Prozessual bedeutet das: Wenn der unangefochtene Besitz während der Frist bewiesen wurde, war das Begehren des Gegners als unzulässig dargetan. Eine Prüfung seines angeblichen Rechts fand gar nicht statt. Der während des gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraumes unangefochten gebliebene Besitz wurde für schutzwürdiger angesehen als die — möglicherweise besseren — Rechte derjenigen, die sich verschwiegen hatten. Wie sich die προθεσμία auf das materielle Recht auswirken soll, sagt Piaton nicht. Das ist u m so bemerkenswerter, als das bewegliche Vermögen aller nach dem Willen Piatons i n einem der Öffentlichkeit zugänglichen 331 Register verzeichnet werden soll 3 3 2 . Diese Maßnahme ist m i t der Erleichterung der Entscheidung von Eigentumsstreitigkeiten begründet 3 3 3 . W i r finden deshalb an anderer Stelle die Archonten für den Fall eines derartigen Rechtsstreits gehalten, das Register einzusehen 334 . Man sollte deshalb zumindest einen Hinweis auf die Berichtigung des Registers erwarten, wenn Piaton eine Veränderung der materiellen Rechtslage durch die προθεσμία i m Sinne gehabt hätte. Denn wenn auch niemand die Berechtigung des durch die προθεσμία Begünstigten — nennen w i r ihn einmal Β — i n Frage stellen oder ein eigenes besseres Recht an der Sache behaupten konnte, so konnte es doch geschehen, daß Β die Sache abhandenkam und C sie erlangte, während A i m Register als Eigentümer verzeichnet war. Leitete nun Β gegen C den Eigentumsstreit ein, waren die Archonten gehalten, dafür Sorge zu tragen, daß der Eingetragene die Sache wieder erhielt 3 3 5 . Die προθεσμία nützte also in diesem Falle dem Β nichts. Daraus könnte man schließen, daß Piaton eine materiellrechtliche Wirkung offenbar nicht i m Auge gehabt hat. Andererseits ist auffallend, daß Piaton auch bei der Behandlung des Kaufes nicht auf die Berichtigung des Registers hinweist. W i r können daher Piatons Darstellung nicht entnehmen, ob er eine materielle Wirkung des Fristablaufs i n Gestalt von Verlust und Erwerb des Eigentums gewollt hat33®. 329 330 331 332 333 834 335 336
954 D. 954 D , E . Das ergibt sich aus X I 914 C. V 745 A. 745 B. X I 914 C, D. Nomoi 914 D. Vgl. dazu Käser SZR 64/176,137 u n d die dort Zitierten.
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I. Das Eigentum
Inwieweit Piatons Vorschriften über die προθεσμία dem geltenden Recht seiner Zeit entsprechen, ist streitig 3 3 7 . W i r wissen, daß es i n Athen einen νόμος προθεσμίας gab, der den άδικουμένοις eine Klagefrist von 5 Jahren einräumte 338 . Ob hierunter auch diejenigen fielen, denen ihr Eigentum vorenthalten wurde, ist weder dieser Stelle noch den anderen, i n denen Klagefristen erwähnt sind 3 3 9 , zu entnehmen. M. E. kann dies unbedenklich bejaht werden. Obgleich der Staat größtes Interesse daran hatte, daß nach dem Tode eines Bürgers der οίκος i n der Person des Nächstberechtigten ein neues Oberhaupt bekam, war die Geltendmachung des Erbrechts fristgebunden 340 . Wenn also selbst der wahre Erbe nicht davor geschützt war, durch Fristablauf der Möglichkeit beraubt zu werden, sein besseres Erbrecht mittels einer διαδικασία κλήρου feststellen zu lassen, kann kaum angenommen werden, daß der Eigentümer einer beweglichen Sache keiner Frist unterlag. Denn i m Gegensatz zum Erbrecht bestand hier kein überragendes öffentliches Interesse, die Rechtsverfolgung unbegrenzte Zeit zuzulassen. Wenn der Berechtigte fünf Jahre hatte verstreichen lassen, ohne Klage zu erheben, war das seine Angelegenheit, die Belange der Gesamtbürgerschaft blieben dadurch unberührt. Diese Ansicht w i r d durch die Überlegung gestützt, daß Piaton kaum die προθεσμία bei Mobilien als etwas Selbstverständliches so eingehend behandelt hätte, wenn sie i n seiner Vaterstadt unbekannt gewesen wäre. Zumindest wäre dann ein Hinweis zu erwarten, warum anders als i n Athen auch die dinglichen Ansprüche der προθεσμία zu unterwerfen seien. Auch wenn Isokrates den Archidamos 341 sagen läßt: Άλλα μην ούδ* έκεΐν' υμάς λέληθεν, δτι τάς κτήσεις και τάς ιδίας και τάς κοινάς, αν έπιγένηται πολύς χρόνος, κυρίας και πατρφας απαντες είναι νομίζουσιν, kann das nur bedeuten, daß i m geltenden Recht seiner Zeit der Zeitablauf auch bei dinglichen Ansprüchen von einer für den Anspruchsberechtigten nachteiligen Bedeutung war. Anderenfalls wäre Isokrates für seine Leser unverständlich gewesen. A u s diesen G r ü n d e n ist m i t Caillemer*
Käser 337
345
42
,
Hofmann
343
,
Lipsius zu
und
anzunehmen, daß Piaton die προθεσμία bei dinglichen An-
Vgl. Beauchet I I I 143 ff., Lipsius A t t . R. 676, 5. 852 f., Käser a. a. O. Demosth. X X X V I 26/27. 339 Vgl. die Zusammenstellung bei Lipsius A t t . R. 852 f. 340 Demosth. X L I I I 16 m i t Isaios I I I 58. Dazu Lipsius A t t . R. 584, Beauchet I I I 627 ff. 341 V I 26. 342 Prescription 7 f. 343 Beiträge 24. 344 A t t . R. 676,5. 345 SZR 64/176, 137. 338
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
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Sprüchen nicht erfunden, sondern ein Rechtsinstitut seiner Vaterstadt übernommen hat. Über die Auswirkungen des Fristablaufs auf das materielle Recht i n Athen wissen w i r nichts. W i r können weder m i t Sicherheit annehmen, daß das Recht des Berechtigten unterging, noch behaupten, daß der Besitzer das Recht erwarb. W i r dürfen nur sicher sein, daß i m Verhältnis beider zueinander der Β als der Berechtigte galt, und zwar auch dann, wenn Β die Sache veräußert und der Erwerber — w i r wollen ihn D nennen — i n einem Rechtsstreit m i t dem früheren Berechtigten A den Gewährenzug vorgenommen hatte und daraufhin Β an Stelle des D i n den Prozeß eingetreten war 3 4 6 . Wie aber war es, wenn der Gewährenzug nicht vonstatten ging 3 4 7 oder i n einem Rechtsstreit des A m i t C, der den Besitz erlangt hatte, nachdem er dem Β abhandengekommen war? Konnten sich dann C und D gegenüber A mit dem während des Besitzes des Β eingetretenen Fristablauf verteidigen? U m eine Beantwortung dieser Frage zu versuchen, ist es notwendig, auf den m i t den Bestimmungen über die προθεσμία verfolgten Zweck einzugehen. Die Vermeidung von Prozessen dürfte kaum die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, jedenfalls trat i n jener Zeit dieser Effekt nicht ein, da über die παραγραφή, mit der die προθεσμία geltendgemacht wurde 3 4 8 , der Gerichtshof zu entscheiden hatte, wenn der Sachverhalt, auf den die παραγραφή gestützt wurde, beweisbedürftig war 3 4 9 . Und das dürfte bei den προθεσμία-Fällen regelmäßig der Fall gewesen sein. Daß auch das Interesse des durch die προθεσμία Begünstigten nicht i m Vordergrund gestanden haben dürfte, ergibt sich aus der Tatsache, daß so verschieden schutzwürdige Beklagte wie der ungetreue Vormund 3 5 0 und der gutgläubige Besitzer sich auf den Fristablauf berufen konnten. Es kann daher nur angenommen werden, daß das öffentliche Interesse an einer möglichst baldigen Durchführung notwendiger Prozesse entscheidend gewesen ist. Damit wurde zugleich die Wahrheitsfindung erleichtert und der Rechtsfrieden gefördert. Diese Überlegungen geben Anlaß, die oben aufgeworfene Frage zu bejahen. Der Gesichtspunkt, daß es niemand nach jahrelanger Untätigkeit gestattet sein soll, plötzlich mit Ansprüchen hervorzutreten, gilt auch hier. Durch die vom Kläger bezeugte Interesselosigkeit an der Sache ist seine Sachbeziehung so locker geworden, daß sie nicht wesentlich schutzwürdiger erscheint als die erst kürzlich erworbene Sachherrschaft des Beklagten. Auch ist zu berücksichtigen, daß A die Sache wieder verlieren 846
Vgl. Käser a. a. O. 165. Vgl. die Zusammenstellung der möglichen Gründe hierfür bei Käser a. a. O. 177. 848 Vgl. Hellebrand RE X V I I I 2. Hb. 1175. 849 Hellebrand a. a. O. 1177, Steinwenter SZR 54/384. 850 Demosth. X X X V I I I 17.18. 847
122
I . Das Eigentum
würde, wenn Β sich gegen ihn wenden sollte. Wenn ferner i m Erbrecht mit seiner besonderen Schutzwürdigkeit 3 5 1 einmal der Tag kam, der dem Erben die Möglichkeit nahm, sein Erbrecht geltend zu machen, ist kaum anzunehmen, daß dem an einer beweglichen Sache dinglich Berechtigten das Recht eingeräumt gewesen sein sollte, nach jedem Besitzwechsel m i t seinen Ansprüchen neu hervorzutreten. Schließlich ist nochmals an die obengenannte Isokratesstelle 352 zu erinnern, die klar zum Ausdruck bringt, daß die Rechte an einer i m fremden Besitz befindlichen Sache durch Zeitablauf erlöschen können. Ich meine daher, daß i n Athen aller Wahrscheinlichkeit nach das Eigentum an einer Mobilie durch Verschweigung verlorengehen konnte. Ob nach Ablauf der Frist der Besitzer als Eigentümer angesehen worden ist, wissen w i r nicht. I m Hinblick auf die Worte des Isokrates τάς κτήσεις κυρίας και πατρφας είναι möchte ich es für wahrscheinlich halten 3 5 3 . Daß i n diesem Zusammenhang nirgendwo i n den Quellen zwischen gutund bösgläubigen Besitzern unterschieden wird, worauf Beauchet 354 und Vinogradoff 355 aufmerksam gemacht haben, steht dieser Annahme nicht entgegen. Denn die Rechtsvergleichung zeigt, daß es auch i n Rom eine Ersitzung zu absolutem Eigentum gegeben hat, bevor das Erfordernis der bona fides aufgestellt worden ist 3 5 6 . Piaton nimmt G r u n d s t ü c k e und G e b ä u d e von den προθεσμίαBestimmungen ausdrücklich aus, w e i l χωρίων μέν οίκήσεών τε τηδε ουκ εστ5 άμφισβήτησις357. Das erklärt sich aus Piatons Absicht, die Zahl der Lose konstant zu halten und dem aus diesem Grunde verfügten Verbot von Teilung und Veräußerung 358 . Daß Piaton die Ausnahme ausdrücklich erwähnt, gestattet den Schluß, daß es i m geltenden Recht seiner Zeit die προθεσμία bei Immobilien gegeben hat; denn wäre das nicht der Fall gewesen, hätte es der Anführung der Ausnahme nicht bedurft, weil die Mehrzahl der Leser gar nicht an die Möglichkeit der Erstreckung der προθεσμία auf Grundstücke und Gebäude gedacht hätte. Dieser Schluß w i r d durch die Quellen bestätigt: es gibt keine Belege für die Nichtanwendbarkeit der προθεσμία-Regeln bei Klagen wegen Immobilien. Erbrechtsfällen kann i n diesem Zusammenhang keine Bedeutung zugemessen werden 3 5 9 , da der Staat ein besonderes Interesse daran hatte, daß 351
Vgl. Beauchet I I I 631. V I 26. 858 Vgl. Partsch L o n g i temporis praescriptio 142, Naber Mnemos. X L I I I 1 8 5 , Lipsius A t t . R. 676, 5, Käser SZR 64/176. 354 I I I 148. 855 Historical Jurisprudence I I 214. 356 Käser Eigentum u n d Besitz 206, Das röm. Privatrecht 1118. 357 Nomoi X I I 954 C. 358 Nomoi V 739 if. ss» das etwa Leist Eigentumsstreit 61 u n d Beauchet I I I 146 f. tun. 352
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
123
der wirkliche Erbe den Kleros erhielt. I m übrigen haben w i r aber bereits gesehen, daß es auch für Erbansprüche eine προθεσμία gegeben hat. Aus Isaios X 24 ergibt sich ebenfalls kein Argument für ein Fehlen der προθεσμία bei Ansprüchen wegen Immobilien. Die dort von dem Sprecher der Rede vorgenommene Aufzählung der Titel für den Erwerb von Grundeigentum ist so offensichtlich lückenhaft 360 , daß der Nichterwähnung der προθεσμία keine Bedeutung zukommen kann. Ferner ist zu berücksichtigen, daß es sich auch i n der Isokratesstelle u m Land handelt, nämlich das Recht Spartas auf Messenien. Sollte man wirklich annnehmen, Isokrates habe auf eine gerade für Grund und Boden nicht bestehende allgemeine Überzeugung angespielt? Ich bin daher der Meinung, daß es nicht gerechtfertigt ist, für Immobilien eine andere Rechtslage als für Mobilien anzunehmen 361 . Verlust
des E i g e n t u m s
durch
Konfiskation
Von einem Verlust des Eigentums durch Zugriff des Staates hören w i r aus Athen i n mehreren Fällen: 1. Das Vermögen von S t a a t s s c h u l d n e r n , die bis zur 9. Prytanie ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen waren, konnte zur Befriedigung der Polis als Gläubigerin verkauft werden (Andok. 173). I n Beziehung auf das Vermögen des Staatsschuldners wurde i n diesem Zusammenhang das Verbum δημεύειν gebraucht 362 oder man sagte δημόσιος 363 bzw. της πόλεως364 είναι. Von welchem Zeitpunkt ab die Polis als verkaufsbefugt angesehen wurde, können w i r den Quellen nicht entnehmen. Die folgenden Zeitpunkte kommen i n Betracht: Der Ablauf der Zahlungsfrist, die Eintragung i n das Verzeichnis der Staatsschuldner, die Einreichung der Apographe, d. h. i n diesem Zusammenhang des A n trags auf Vermögenseinziehung, und die Entscheidung über diese 365 . Da die Eintragung i n die Liste der Staatsschuldner nicht i n allen Fällen von Amts wegen erfolgte 366 und die Apographe ein bereits bestehendes Recht des Staates voraussetzte 367 , ist anzunehmen, daß die Befugnis der Gläubigerin m i t Ablauf der Zahlungsfrist zufiel. Von diesem Moment an stand es jedem Bürger frei, das Vermögen aufzuzeichnen und das Ver380 Vgl. Lipsius A t t . R. 675. 301 Vgl. außer den bereits Genannten Partsch a. a. O. 118, 4, Jones 233, Pringsheim L a w 9,2 (auf S. 10). 302 Demosth. X X I I 54 = X X I V 166. X L 20.22. Vgl. Lex. Seguer. V 198. 363 Demosth. L I I I 24. L I X 7. X X I V 87. 364 Demosth. L I I I 23. 365 Vgl. den bei Demosth. L I X 7 geschilderten A b l a u f der Dinge. 3 M Vgl. Berneker R E X X I I I 1360. 367 Vgl. den Sprachgebrauch i n Hypereides I V 34, Demosth. L I I I 23.24.
124
I. Das Eigentum
zeichnis, das gleichfalls Apographe hieß, dem Kollegium der Elf einzureichen 368 , wodurch das Verfahren i n Gang gebracht wurde, dessen Ablauf uns hier nicht weiter interessiert. Der Zweck des Verfahrens war die Befriedigung der Gläubigerin. Das ergibt sich aus Demosth. X L 20 ff., wo w i r erfahren, daß der die Schuld übersteigende Erlös aus der Veräußerung des Vermögens eines als Staatsschuldner Verstorbenen dessen Erben zustand. Obgleich es sich also nach heutiger Auffassung nur um ein Verwertungsrecht 369 handelte, haben die Athener die Eigentumsterminologie gebraucht. 2. Den Geldschuldnern des Staates waren diejenigen Personen gleichgestellt, die sich dem Staat gegenüber v e r b ü r g t hatten und ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren 3 7 0 . Auch ihr Vermögen soll δημόσιος sein und veräußert werden, o h n e daß w i r i n den Quellen einen Anspruch des Bürgen auf Auszahlung eines dabei erzielten Überschusses erwähnt finden. Das kann Zufall sein 371 , doch wäre auch denkbar, daß hier der Gedanke der Vergeltung i m Vordergrund stand, und dem Bürgen, weil er sein Versprechen gegenüber der Polis nicht gehalten hatte, das Vermögen genommen wurde 3 7 2 . Hier ist die Auffassung des Eingezogenen als Eigentum der Polis verständlicher. 3. Verlust des Eigentums trat i m Falle der B e s t r a f u n g m i t V e r m ö g e n s e i n z i e h u n g 3 7 3 ein. Ein solches auf ,,τά χρήματα δημόσια είναι" lautendes Urteil finden w i r bei Plutarchos 374 wiedergegeben. Nach Erlaß des Urteils war die Rechtslage vorerst aber nicht anders, als wenn ein Staatsschuldner die Bezahlung innerhalb der Frist unterlassen hatte. Es bedurfte zunächst der Aufstellung eines Vermögensverzeichnisses und der Einreichung desselben bei der Behörde der Elf 3 7 5 , was i n diesem Falle allerdings durch Beamte von Amts wegen erfolgte 376 . Das hat seinen Grund darin, daß das Strafurteil naturgemäß keine Feststellungen darüber enthielt, welche konkreten Vermögensstücke dem Staat verfallen waren. Bevor die Veräußerung stattfand, mußte daher Dritten Gelegenheit gegeben werden, etwaige bessere Rechte auf die als Vermögen des 368 Die Zuständigkeit der E l f ergibt sich aus Aristot. A t h . Pol. 52, vgl. Thalheim RE I 2822, Lipsius A t t . R. 81. 3β9 vgL Thalheim Rechtsaltertümer 124, Schultheß RE X V I I I 1. Hb. 628, u n k l a r Beauchet I I I 720, Partsch Bürgschaftsr. 387. 370 371 372 373
930 ff. 374 375 876
Demosth. L I I I 27, Andokides I 73. Wie Partsch a n n i m m t (a. a. 0.389). Vgl. Partsch 388. Zusamenstellung der Fälle bei Thalheim
RE I V 2853 f., Lipsius
Βίοι των δέκα φητόρων 834 Α . Vgl. Thalheim RE I V 2854, Lipsius a. a. O. 302 ff. Lipsius 302, Busolt-Swoboda 969, a. A . v. Schoeffler
RE I V 2710.
A t t . R.
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
125
Verurteilten aufgezeichneten und zur Veräußerung bestimmten Sachen bzw. den Erlös der Veräußerung geltend zu machen. Für letzteres haben w i r lebendiges Anschauungsmaterial i n der Poleteninschrift SEG XII100, ersteres bildet den Gegenstand mehrerer erhaltener Gerichtsreden. Aus dem Erlös zu befriedigen waren Ansprüche auf Rückzahlung gewährter Darlehen und einer dem Verurteilten bestellten προίξ 377 . I n der Poleteninschrift finden w i r auch einen Anspruch auf Erstattung der für die Bestattung der Eltern des Verurteilten aufgewendeten Kosten angemeldet und anerkannt (Z. 25—30), doch ergibt sich aus der Inschrift nicht, ob und gegebenenfalls wann er befriedigt wurde. Daß denjenigen Gläubigern, denen für ihre Forderung eine Sicherheit bestellt war, der Vorrang vor den sonstigen Gläubigern gebührte, wie Beauchet 378 annimmt, läßt sich den Quellen nicht entnehmen. Aus der Poleteninschrift erfahren w i r über die durch Sicherungsverkauf gesicherte Forderung (Z. 30—35) auch nur, daß sie anerkannt worden war. Daß der Hypothekengläubiger (Z. 14/15) aus dem Erlös befriedigt w i r d (Z. 38/39), besagt nichts für die Vorrang-Frage; denn Theomnesios, der Verfertiger der Apographe, hatte die Hypothek bereits i n der Apographe ausgeklammert: Θεόμνηστος .. άπέγραψεν Θεοσέβος .. οίκίαν .. δημοσίαν είναι,..., άλίντος Θεοσέβος ιεροσυλίας και ούχ ύπομείναντος την κρίσιν δ σ ω ι π λ ε ί ο ν ο ς α ξ ί α ή υ π ό κ ε ι τ α ι Σ μ ι κ ύ θ ω ι .. Η Γ δ ρ α χ μ ώ ν 3 7 9 . Der Hypothekengläubiger hatte daher sein Recht auch gar nicht angemeldet, es fand Berücksichtigung schon auf Grund der Apographe. Was geschehen wäre, wenn Theomnestos die Hypothek unerwähnt gelassen hätte, können w i r nur vermuten. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte dann auch der Hypothekengläubiger — wie die anderen Gläubiger, denen eine Sicherheit bestellt war — eine Enepiskepsis erheben müssen. Dann wäre er vermutlich aber auch nicht sogleich befriedigt worden. Das dürfte aus der Behandlung der anderen Gläubiger (Z. 16—35) zu schließen sein. Naturgemäß kam es vor, daß i n einer Apographe auch Vermögensstücke verzeichnet wurden, die nicht zu dem Vermögen des Verurteilten gehörten. Dann waren die Berechtigten zum άμφισβητεΐν 380 gezwungen. I n derartigen Prozessen sind die Reden Lysias 17 (für den Eigentümer gegen die Polis) und Demosthenes L U I (Verteidigung der Apographe gegen den angeblichen Eigentümer apographierter Sklaven) gehalten. Bei Lysias 17 geht der Berechtigte i m Wege einer Diadikasie vor 3 8 1 , die 377
Demosth. I L 45 ff., Harpokr. s. ν. ένεπισκημμα, P o l l u x V i l i 61, Bekker Anecd. graec. I 189. 250. Vgl. Lipsius A t t . R. 493, Wolff RE X X I I I 150. 378 I I I 717 f. 379 Z. 8—15. 380 Lys. X V I I 9, Demosth. L I I I 2 8 . 29. 381 Vgl. § 1 a. E.
126
I . Das Eigentum
aber nicht, wie man erwarten sollte, auf Freigabe gerichtet ist, sondern auf einen bestimmten Betrag vom Erlös 882 . Das kann freilich eine freiwillige Beschränkung des Klägers sein, der, wie die ganze Rede zeigt, sehr maßvoll vorgeht, offenbar u m wenigstens etwas zu retten. I n Demosthenes L U I ist von den angeblich Berechtigten offenbar prozessual ein anderer Weg beschritten worden, nämlich der des Einspruches gegen die Apographe. Dieser Verfahrensunterschied 383 erklärt sich vielleicht daraus, daß es sich hier u m die Apographierung des Vermögens eines Staatsschuldners handelt, wie sich aus §§ 27/28 ergibt, während bei Lysias 17 384 ein Volksbeschluß auf Konfiskation vorliegt. Maßgebender Zeitpunkt für den Anfall des Vermögens des Verurteilten an die Polis war wohl die Verkündung des Strafurteils. Von diesem Augenblick an gehörte, was Eigentum des Verurteilten gewesen war, der Polis, wenn auch erst später festgestellt wurde, was i m einzelnen dazu gehörte. Das Vermögen Dritter wurde durch das Urteil nicht berührt, ja es scheint sogar, als sei es ihnen nicht einmal verwehrt gewesen, das Urteil selbst i n Frage zu stellen. So muß die Äußerung des Sprechers bei Lysias X X I X 5: προσήκειν αύτφ άποδεΐξαι ή . . ή άδίκως άπολωλότα εκείνον και ουδέν ύφηρημένον των υμετέρων ουδέ δεδωροδοκηκότα verstanden werden. Sie enthält zwar insofern eine Übertreibung, als es dem Gegner des Sprechers aus tatsächlichen Gründen kaum möglich gewesen sein dürfte, die Richter von der Unschuld des Verurteilten zu überzeugen, aber w i r haben keinen Anhaltspunkt dafür, daß i h m dies rechtlich verwehrt gewesen wäre. Denn wäre das der Fall gewesen, hätte sich der Sprecher mit seinen Worten eine Blöße gegeben, die der Gegner nützen konnte, u m i h n der Unglaubwürdigkeit zu beschuldigen. Es war Dritten also nicht verwehrt, die Eigentumsfrage gegenüber der Polis aufzuwerfen. Das hindert uns aber nicht, vom Eigentum der Polis zu sprechen; denn jedenfalls gehörte, wenn niemand Ansprüche erhob, der gesamte Erlös, anderenfalls der etwaige Überschuß, dem Staat 3 8 5 , von dem Anteil der Götter 38® und des Verfertigers der Apographe 387 einmal abgesehen. 4. Hierher gehören auch die Fälle, i n denen auf Grund einer Phasis auf Konfiskation erkannt wurde 3 8 8 . Über das Verfahren zum Vollzug 382
§ 7 a. E. Eine andere Deutung bei Lipsius A t t . R. 306. 384 Vgl. § 6: Επειδή δ' ύμΐν τά Έρασιφώντος δημεύειν εδοξεν. ses ]Nj u r s o igt Lys. X I X 11 verständlich. 383
386
Andokid. I 96, Plutarchos a. a. O., Xenophon Hell. I 7, 10. Demosth. L I I I 2/3, wobei w i r freilich nicht wissen, ob diese Prämie n u r demjenigen gewährt wurde, der das Vermögen eines Staatsschuldners aufgezeichnet hatte oder a l l e n privaten Einreichern einer Apographe. ( I n ersterem Sinn schon Böckh Staatshaushaltung 2 · I 519, nicht erkannt v o n Lipsius A t t . R. 308). 388 Demosth. X X X V 15. Vgl. Lipsius A t t . R. 315, Berneker RE X I X 1898. 387
§ 7. E r w e r b u n d Verlust des Eigentums
127
eines solchen Urteils wissen w i r nichts, doch dürfte auch hier eine Apographe notwendig gewesen sein 389 . Zweifelhaft ist dagegen, ob auch die W e g n a h m e v o n W a r e n , die jemand der Verzollung entziehen wollte, d u r c h d i e Z o l l e i n n e h m e r 3 9 0 bereits den Verlust des Eigentums zur Folge hatte. Thonissen 391 und Beauchet 392 erblicken hierin eine Konfiskation, BöcicTi393 spricht von Wegnahme, meint aber wohl ebenfalls Konfiskation; derselbe Sprachgebrauch findet sich bei Schwahn 394 , doch ergibt sich aus seinen Ausführungen nicht eindeutig, was er darunter versteht. Ziebarth 395 dagegen spricht nur von Pfändung. M. E. ist der Ansicht Ziebarths der Vorzug zu geben, wenn man vielleicht auch besser von Beschlagnahme sprechen sollte. Es ist außerordentlich unwahrscheinlich, daß Privatpersonen das Hecht zur Konfiskation fremden Eigentums zugestanden haben soll. Es ist vielmehr anzunehmen, daß die Zolleinnehmer bei Hinterziehungen befugt waren, die unverzollten Sachen i n Gewahrsam zu nehmen und eine Entscheidung über deren Schicksal durch Phasis herbeizuführen. Ihre finanziellen Interessen fanden dabei insoweit Berücksichtigung, als bei einer Phasis dem siegreichen Kläger die Hälfte des konfiszierten Gutes bzw. der dem Beklagten auferlegten Buße gebührte 3 9 6 . Man w i r d daher kaum sagen können, daß Eigentum auch durch Wegnahme seitens der Zolleinnehmer verlorengehen konnte 3 9 7 . Eigentumsverlust
durch
Enteignung
Das heute i m Institut der Enteignung zum Ausdruck kommende Bedürfnis wurde i n Griechenland auf verschiedene Weise befriedigt. Von einer echten Enteignung berichtet Aristoteles 398 : I n einer finanziellen Notlage veräußerten und verpachteten die Byzantioi Grundbesitz, der Vereinen (Thiasoi) gehörte, zugunsten der Staatskasse. Die Vereine w u r den mit staatlichen Grundstücken entschädigt, für die, jedenfalls i m Augenblick, ein guter Erlös nicht zu erzielen war. Daß es sich um einen wirklichen Eingriff der Polis handelte und nicht ein Tausch vorangegangen war, muß aus dem i n dem Bericht geschilderten Ablauf der Ereig889 Vgl. Demosth. a.a.O.: είναι τήν φάσιν και τήν άπογραφήν. Α . Α . stedt Staatsgebiet 136. 390 Demosth. X X I 133. 391
392 393 394 395 896 397 898
128 f.
I I I 152. Staatshaushaltung 3 · 408. RE V A 421. Ebenso Busolt-Swoboda 1230. RE X I X 532. Vgl. Berneker RE X I X 1897. I m Ergebnis so auch Kahrstedt Staatsgebiet 136. Oik. I I 2, 3 S. 1346 b.
Kahr-
128
I. Das Eigentum
nisse und dem Zusammenhang geschlossen werden, i n den Aristoteles die Nachricht gestellt hat. Aber selbst wenn ein Tausch vereinbart worden sein sollte, dürften sich die Vereine kaum aus freien Stücken dazu entschlossen haben 390 . Enteignungen zum Bau eines Heiligtums finden w i r i n einer Inschrift aus Tanagra (allerdings I I I . Jhdt. v. Chr.) 4 0 0 : Die Volksversammlung hatte beschlossen, ein Heiligtum von außerhalb i n die Stadt zu verlegen. M i t der Durchführung des Baues wurde eine Kommission von drei Männern beauftragt. Wenn es dieser notwendig erscheinen sollte, Grundstücke oder Häuser i n die Fläche des zu errichtenden Heiligtums einzubeziehen, sollte das Volk zusammentreten und elf τιματας ανδρας bestimmen, deren Aufgabe es offenbar sein sollte, die Höhe der Entschädigung festzusetzen, die den Eigentümern gewährt werden mußte 401 . Auch hier handelt es sich m. E. u m eine wirkliche Enteignung zugunsten des gemeinen Wohls. Es ist nichts zu erkennen, was darauf hindeuten würde, daß versucht werden sollte, m i t den Betroffenen ohne den Spruch der elf Männer zu einer Einigung zu kommen. Vom Standpunkt des Betroffenen aus macht es keinen Unterschied, ob er das Eigentum auf Grund eines Volksbeschlusses an die Polis oder eine Gottheit verliert oder ob er an einen Privatmann verkaufen muß, den das Volk ermächtigt hat, das Eigentum anderer durch Zwangskäufe zu erwerben. Hier sind daher auch die Vereinbarungen zwischen den Demokraten von Phyle und den Nachfolgern der Dreißig vom Jahre 403 v. Chr. 4 0 2 zu betrachten. I n diesen war nämlich bestimmt 4 0 3 , daß diejenigen Anhänger der Dreißig, die sich i n Eleusis niederzulassen wünschten, das Recht haben sollten, dort ein Haus zu erwerben. Wer das wollte, mußte zunächst versuchen, mit dem Hauseigentümer zu einer Vereinbarung über das Entgelt zu gelangen. War das nicht möglich, hatte jede Partei drei Timetai auszuwählen, denen es oblag, den Preis bindend festzusetzen. Zwar ist bei Aristoteles nicht ausdrücklich von verkaufen die Rede, es kann aber nichts anderes gemeint sein 404 . Bestand i n diesem Falle noch eine gewisse Einwirkungsmöglichkeit für den Betroffenen durch sein Recht, die Hälfte der Timetai auszuwählen, so fehlt eine 399 400 401 402 403
404
Vgl. zur Stelle: Guiraud 203, Busolt-Swoboda Cauer-Schwyzer 462. Vgl. Recueil I I 356. Aristoteles A t h . Pol. X X X I X . §
607.
3
Vgl. Guiraud 203 f., Beauchet I I I 153 f., Kahrstedt Staatsgebiet 138, Recueil I I 359 f. Τιμή ist ein i n den Quellen häufig vorkommender Ausdruck zur Bezeichnung des Kaufpreises: Lysias X X I I 12, Demosth. X X I 149. X X X I I 18, Theophrastos Περί συμβολαίων 4. β.
§ 7. Erwerb u n d Verlust des Eigentums
129
solche völlig i n einer auf Euboia gefundenen Inschrift 4 0 5 . Hier hatte die Stadt Eretria i n dem von ihr m i t einem gewissen Chairephanes geschlossenen Vertrag über die Trockenlegung von Sümpfen gleich den Preis festgelegt, zu dem Chairephanes berechtigt sein sollte, fremden Grundbesitz anzukaufen (Z. 17 ff.) 40®, soweit das zur Durchführung der Trockenlegung notwendig war. Da jeder Hinweis i n der Inschrift fehlt, kann nicht angenommen werden, daß die Betroffenen die Möglichkeit hatten, gegen die Inanspruchnahme ihres Bodens durch den Unternehmer Einspruch einzulegen. Jedoch kann darin keine große Härte erblickt werden; denn einmal war Chairephanes verpflichtet, die Kosten der Entwässerung selbst zu tragen (Z. 2), zum anderen aber war der Kaufpreis, den er auf Grund des Volksbeschlusses an die Betroffenen zu entrichten hatte, wie die Herausgeber des Recueil (II 357) festgestellt haben, sehr hoch festgesetzt. Dadurch wurde er zweifellos veranlaßt, von seiner Befugnis, Zwangskäufe abzuschließen, nur sparsam Gebrauch zu machen. I n den genannten Fällen erfolgte die Enteignung gegen Entgelt. Ob aber ein Prinzip, daß Enteignungen nur gegen Entgelt erfolgen dürften, bestanden hat, läßt sich den Quellen nicht entnehmen. Beauchet 407 und Guiraud 408 finden einen Hinweis auf ein solches Prinzip bei Dion Chrysostomos X X X I 6 0 , wo es heißt: ουχί νενόμισται παρά γε τοις μή παντάπασιν άδικοις τον άποστερούμενόν τίνος κτήματος δ γοΰν κατατέθεικε κομίζεσθαι παρά των ειληφότων; m. Ε. dürfte der Redner jedoch kaum die Enteignung i m Auge gehabt haben, wie sich schon daraus ergibt, daß er nicht von der Notwendigkeit eines Entgelts spricht, sondern nur von der Pflicht, das Ausgegebene, d. h. doch wohl den Erwerbspreis, zu erstatten. Die Stelle deutet daher vielleicht auf einen Rechtssatz hin, wonach Nichtberechtigte i n ihrem Besitz befindliche Sachen den Berechtigten nur gegen Erstattung des von ihnen bezahlten Kaufpreises herauszugeben verpflichtet sein sollen, nicht aber auf ein Prinzip, daß nur gegen Entgelt enteignet werden dürfe.
405
I G X I I 9 Nr. 191 = Recueil I Nr. I X (Ende des 4. Jhdts.). Vgl. zu der Inschrift Guiraud 202 f., Beauchet I I I 153, Recueil a. a. Ο. sowie I I 357. 407 I I I 153: „probablement". 408 202: „peut-être". 406
θ
Kiänzlein
§ 8. Das Mehrheitseigentum Über das gemeinschaftliche Eigentum mehrerer hat kürzlich Biscardi sehr verdienstvoll gehandelt. Ich kann mich daher hier kurz fassen.
1
Nach Biscardi begegnen i m griechischen Recht jener Zeit zwei Formen des Mehrheitseigentums: s o l i d a r i s c h e s Miteigentum und Miteigent u m n a c h B r u c h t e i l e n . Das solidarische Miteigentum war die ursprüngliche Form des Mehrheitseigentums, i m 5. und 4. Jahrhundert trat jedoch das gemeinschaftliche Eigentum mehrerer nach Quoten i n den Vordergrund. I. Für das s o l i d a r i s c h e Hauptanwendungsf älle :
Miteigentum
fand Biscardi
vier
a) Die ungeteilte Erbengemeinschaft 2 , b) die künstlich nach dem Vorbild der Erbengemeinschaft geschaffene Gemeinschaft 3 , c) das gemeinschaftliche Eigentum mehrerer an einer Einzelsache, α) kraft Parteiwillens 4 , ß) kraft Gesetzes5, d) Mehrheitseigentum bei Personenvereinigungen®. Für das solidarische Eigentum galten folgende Regeln: Das R e c h t a u f d e n G e b r a u c h u n d die sonstigen N u t z u n g e n besaß jeder der Mitberechtigten 7 . Das ergibt sich aus Demosth. X X X V I § 8. Hier heißt es, daß nach dem Tode des Pasion die Epitropoi wegen der Beträge, die Apollodoros dem ungeteilten Nachlaß entnahm, 1 Studi i n onore d i Ugo Enrico Paoli (1956) S. 105—143, R H D 36 (1958) S. 321—348, Labeo I (1955) 157/158. 2 Beispiel: Lysias X X X I I 4. 3 Beispiel: Isokrates X I X 10 (zweifelhaft). 4 Beispiel: Lysias I V 10.16. 5 Beispiel: Menandros Epitrepontes I I 66 ff. 6 Beispiel: I G X I I 5 872 §§ 44. 45 (Ζ. 114 ff.). 26 (Ζ. 65/66). 7 Vgl. Biscardi, Studi Paoli 122 ff. u n d R H D 329 ff. Nicht alle von i h m angeführten Quellenstellen sind jedoch geeignet, seine Ansicht zu stützen. Es müssen nämlich alle Zeugnisse außer Betracht bleiben, aus denen sich lediglich ergibt, daß Miteigentümer beim Gebrauch einer gemeinschaftlichen Sache so u n d so verfahren waren, w e n n Hinweise fehlen, daß i h r T u n dem entsprach, was die Gesetze f ü r einen solchen F a l l vorschrieben. Denn damals w i r d m a n ebenso w i e heute den gemeinsamen Gebrauch überwiegend nach den B e d ü r f nissen i m konkreten Falle u n d nicht nach den Normen des Gesetzes geregelt haben.
§ 8. Das Mehrheitseigentum
131
alsbald die Teilung herbeiführten, weil sie befürchteten, daß sonst nichts übrig bleiben würde. Daraus dürfte man schließen können, daß Apollodoros auf rechtlichem Wege an seinem Tun nicht gehindert werden konnte. Für die Rechtslage bei gemeinschaftlichem Eigentum an einer Einzelsache weist Biscardi m i t Recht auf eine Stelle aus den Controversiae des älteren Seneca hin. Es heißt dort ( V I I 4): „Silo Pompeius fecit quaestionem: an quotiens duobus communio esset, potestas eius tota fieret qui praesens esset. Puta, inquit, servum te esse communem: hic domino servies qui praesens est. Puta fundum esse communem: is fructus percipiet qui praesens est." Die Stelle, bei der es sich, wie m i t Biscardi anzunehmen ist, nicht u m römisches, sondern u m griechisches Recht handelt, besagt unmißverständlich, daß demjenigen von zwei gemeinschaftlichen Eigentümern, der anwesend war, die volle Gebrauchsgewalt über die Sache zuerkannt wurde, ohne daß von einer Verpflichtung, dem A b wesenden nach Rückkehr Rechenschaft abzulegen oder gar etwas herauszugeben, die Rede wäre. Für die Rechtslage i n einer Personenvereinigung ist eine Inschrift aus Chios (Ditt. Syll. 8 987 Z.24ff.) bezeichnend. Die Phratrie der Klytiden beschloß danach folgendes: τ[ώι ί]ερώι οϊκωι τώι Κλυτιδών, έ ν . . . , και τώι χώρω[ι τώ]ι προς τώι οϊκωι χρήσθαι Κλυτί[δα]ς κοινηι, φατρίαν δέ μηδέ ίδιώτη[ν μ]ηθένα τώι οϊκωι τούτωι χρήσθαι. Das ist m i t Biscardi i n dem Sinne zu deuten, daß durch diese Bestimmung des Statuts das dem einzelnen Mitglied kraft Gesetzes zustehende Recht auf den Gebrauch der gemeinschaftlichen Sache ausgeschlossen werden sollte. Über den Umfang des Rechts des einzelnen gab es keine Rechtsnormen 8 . Insoweit war wohl die Sitte das Regulativ, das die Ausnutzung durch einen der Mitberechtigten auf Kosten der anderen verhinderte. Auch die Befugnis, über die i m gemeinschaftlichen Eigentum stehende Sache zu v e r f ü g e n , stand jedem Miteigentümer zu 9 . Dies Recht konnte jedoch durch Vereinbarung ausgeschlossen und ausschließlich einem der Mitberechtigten oder einem Außenstehenden eingeräumt werden. Dies ergibt sich aus der bereits genannten Inschrift der Phratrie der Klytiden aus Chios. I n diesem Statut schließen sich nämlich dem o. a. Text die Worte [μη]δέ αλλωι δούναι χρήσασθαι μηϋε[νί] an. Sie bedeuten, daß es den Mitgliedern verboten war, das Recht zum Gebrauch D r i t ten einzuräumen. Daraus muß gefolgert werden, daß bei Fehlen dieser Klausel jedes Mitglied der Vereinigung befugt gewesen wäre, derartige Geschäfte abzuschließen. Einen noch älteren Beleg enthält eine Bronze-Tafel aus Sikyon (SEG XI244). Hier heißt es: ,,Τούτονδε κοινά εστο τό εστιατόρων . . . · πολεΐν δέ μεδέ συναλάζεσθαι έξέστο." Hier ist den Mitgliedern der Gemeinschaft die 8 9
9·
Biscardi Biscardi
St. P. 123, R H D 329. St. P. 127 ff., R H D 333 ff.
132
I. Das Eigentum
Veräußerung der i m Mehrheitseigentum stehenden Gegenstände untersagt 10 . Wieweit die Befugnis der einzelnen Mitglieder von Personenvereinigungen ging, erhellt noch deutlicher aus zwei attischen Grenzsteinen, die die Worte tragen: "Ορος χωρίου κοινού Είκαδείων· μή συνβάλλειν εις τούτο το χωρίον μηθένα μηθέν. (IG I I 2 2631/2). Die Inschriften warnen Dritte davor, auf das von den Steinen umschlossene Land ein Darlehen zu gewähren 11 . Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß an sich jedes einzelne Mitglied der Vereinigung befugt war, auf das i m gemeinschaftlichen Eigentum stehende Grundstück eine Hypothek aufzunehmen. Das wollte die Kult-Gemeinschaft verhindern und deshalb ließ man auf den einzelnen Grenzsteinen diese Inschrift anbringen. Aus der Zeit selbst sind dies die einzigen sicheren Belege, die w i r besitzen. Jedoch finden sich i m Codex Justinianus (4,52,1.2.4. 5) mehrere Reskripte, i n denen verschiedene römische Kaiser sich gegen die Ansicht wenden, der i n ungeteilter Erbengemeinschaft lebende Miterbe habe die Befugnis, zur Erbschaft gehörende Gegenstände ohne Zustimmung der anderen Miterben zu veräußern. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß die Kaiser i n diesen Reskripten gegen Vorstellungen ankämpften, die auf der vollen Verfügungsbefugnis jedes Miterben nach griechischem Recht basierten. Zum Beweis zieht Biscardi weiter Isaios I I 28 f. heran und stellt das Institut der άπόρρησις i n diesen Zusammenhang. Seine Deutung der Isaios-Stelle kann jedoch nicht unwidersprochen bleiben. Es gibt nämlich keinen Beweis dafür, daß der Bruder des Menekles den von diesem beabsichtigten Grundstücksverkauf unter Geltendmachung von M i t eigentum verboten hat, wie Biscardi 12 annimmt. Ebensogut könnte er sich auch auf A 1 1 e i n eigentum an dem Teil berufen haben. Von gemeinschaftlichem Eigentum an dem χωρίον ist an keiner Stelle des Textes die Rede. Der Sprecher behauptet vielmehr unmißverständlich, es habe sich um einen Teil des Eigentums des Menekles gehandelt, auf den der Bruder plötzlich Ansprüche erhoben hatte 13 . M i t Recht sagt Biscardi 14 selbst, Menekles „avait décidé de vendre s o n domaine". Wäre es nicht 10 Vgl. dazu Peek, Mitteilungen d. Dt. Archäolog. Inst. A t h e n L X V I (1941) 200 if., Lejeune, Revue des Études Anciennes X L V (1943) 186, Finley 287. 11 Vgl. Finley 98. 286, 47. 12 Nach dem Vorgang Caillemers (Contrat de vente I 657), Dar estes (Plaidoyers d'Isée [1898] 35) u n d Paolis (Studi d i d i r i t t o A t t i c o 168, 1. 187 f.) Α . Α . Wyse A n m . zu § 28 Ζ. 7/8. 13 Vgl.: § 3 1 . . . ά π ο σ τ ή ν α ι . . . καΐ δούναι δ ω ρ ε ά ν . . . μεταλήψονται . . . των έ κ ε ί ν ο υ. § 35 Ό θείος . . . κεκληρονομηκώς των έκείνου και ού λόγφ ώσπερ έγώ. 14 R H D 336.
§ 8. Das Mehrheitseigentum
133
sehr ungeschickt von dem Sprecher gewesen, Alleineigentum des Menekles zu behaupten, wenn i n Wahrheit ein ungeteilter Nachlaß bestanden hätte? Hätte er damit die Replik des Gegners, Menekles habe mit dem beabsichtigten Verkauf seinerzeit versucht, ihn seines Erbes zu berauben, nicht geradezu herausgefordert, was u m so törichter gewesen wäre, als er die Richter ja gerade davon überzeugen wollte, daß der Gegner dadurch, daß Menekles i h m den Grundstücksteil schließlich freiwillig überlassen hatte, weit mehr aus dem Vermögen des Erblassers erhalten habe als er, der Adoptivsohn und Erbe (§ 35). Gewiß spricht es andererseits gegen Menekles, daß er seinerzeit den Prozeß nicht durchgefochten, sondern resigniert hatte. Das deutet darauf hin, daß der Bruder des Erblassers i m Recht war, d. h. Anspruch auf den Teil hatte, beweist aber nicht, daß das χωρίον Mehrheitseigentum der Brüder gewesen war. Wenn auch die These Biscardis, Verfügungen eines Mitberechtigten habe man durch άπόρρησις verhindern können, aus den Quellen nicht erweislich ist, so dürfte er doch damit recht haben, daß der vollen Verfügungsbefugnis jedes Mitberechtigten die jedem eingeräumte Macht entsprach, die Verfügung durch seinen Widerspruch zu unterbinden 15 . Die volle Zuständigkeit jedes Mitberechtigten war nach Biscardi insofern eingeschränkt, als von i h m allein getroffene Verfügungen über das gemeinschaftliche Eigentum u n w i r k s a m waren, wenn einer der Mitberechtigten — beispielsweise durch eine Reise — verhindert gewesen war, der Verfügung zu widersprechen. Der Gelehrte glaubt dies aus den Versen 451 ff. des „mercator" des Plautus schließen zu können. Es handelt sich an dieser Stelle der Komödie darum, daß der junge Charinus, der auf einer Reise ein schönes Mädchen erstanden hatte, seinen Vater von dem Plan abbringen w i l l , das Mädchen sofort wieder zu verkaufen. Er sagt deshalb: „post autem communest illa m i h i cum alio. Qui scio quid sit ei animi, venirene earn velit a non velit?" und weiter: „communis m i h i illa est cum ilio: is hic nunc non adest. Nescio, inquam, velit ille illam necne abalienarier." Diese Stelle, von der Biscardi m i t Recht annimmt, daß sich darin griechisches Recht erhalten hat 1 0 , spricht i n der Tat für die Unwirksamkeit von Verfügungen, die zu einem Zeitpunkt vollzogen worden waren, zu dem einer der Mitberechtigten an der Erhebung des Widerspruchs verhindert gewesen war. Ein Rechtssatz dieses Inhalts wäre auch durchaus interessengemäß. Er würde ferner erklären helfen, warum w i r wiederholt i n den Quellen davon hören, daß Mitberechtigte über gemeinschaftliche Sachen gemeinschaftlich verfügen 17 . Wenn w i r nämlich die Konsequenzen eines derartigen Rechts15
Vgl. f ü r das römische Recht Levy SZR 54/281. R H D 339, Studi Paoli 132 f. 17 Vgl. Demosth. L I X 32, I G X I I 5 872 § 23 (Z. 55 f.), S G D I 1773 Z. 1/2 (2. Jhdt. vor), Fouilles de Delphes I I I 3 Nr. 28 Z. 1—3, 40 Z. 5—7, 209 Z. 1—5. 18
134
I . Das Eigentum
satzes für die Praxis betrachten, so liegt auf der Hand, daß ein Käufer, der Mehrheitseigentum erwerben wollte, von dem Veräußerer verlangen mußte, die Mitberechtigten zur Stelle zu bringen. Denn war einer der Mitberechtigten abwesend, mußte der Erwerber damit rechnen, daß ein Verhinderungsfall vorlag und der Erwerb deshalb i n der L u f t hing. Diese Unsicherheit ließ sich nur beseitigen, wenn alle Mitberechtigten zu gegen waren bzw. verläßlich nachgewiesen werden konnte, daß kein Fall der Verhinderung vorlag. Man mag das zum Beweis der vollen Verfügungsbefugnis jedes M i t berechtigten vorgelegte Quellenmaterial für dürftig befinden, an der Richtigkeit der Ansicht Biscardis dürfte angesichts der gleichen Befugnis des an einer Gemeinschaft „ercto non cito" des frühen römischen Rechts Mitberechtigten 18 kaum zu zweifeln sein. Von dem Totalrecht des einzelnen her werden w i r auch die Fragen zu beantworten haben, für die sich eine A n t w o r t aus den Quellen unmittelbar nicht ergibt. So dürfte jeder der Mitberechtigten zur V e r w a l t u n g der gemeinschaftlichen Sache befugt gewesen sein, soweit nicht durch Vertrag eine anderweitige Regelung getroffen worden war, und das Recht gehabt haben, den E i g e n t u m s s t r e i t m i t einem Außenstehenden zu führen. I I . Hauptanwendungsgebiet des M i t e i g e n t u m s n a c h B r u c h t e i l e n sollen nach Biscardi 10 die κοινωνίαι χρημάτων gewesen sein. Diese These kann jedoch nicht als auf sicherer Quellengrundlage ruhend anerkannt werden. Gewiß heißt es bei Aristoteles 20 , daß in einer κοινωνία χρημάτων πλεΐον λαμβάνουσιν ot συμβαλλόμενοι πλεΐον. Aber dieser Satz besagt nichts über das Eigentum an den gemeinschaftlichen Sachen und die Befugnisse des einzelnen Gesellschafters, sondern hat lediglich für die Gewinnverteilung Bedeutung. Ebensowenig aufschlußreich ist es, wenn w i r bei Harpokration 2 1 lesen: κοινωνικούς αν λέγοι τάχα μέν τους άνέμητον ούσίαν έχοντας άδελφούς, ων ο μέν πατήρ εδύνατο λειτουργεΐν, οί δέ κληρονόμοι των εκείνου καθ5 ενα τριηραρχεΐν ουκ εξήρκουν τάχα δέ και περί των έκούσιον κοινωνίαν συνθεμένων εμπορίας ή τίνος άλλου, ων έκαστος ουκ είχε το δλον τίμημα τής κοινής ουσίας. Biscardi 22 gibt die Worte „εχειν τό δλον τίμημα τής κοινής ουσίας" m i t „avoir la titularité du patrimoine commun pour le tout" wieder. Er liest damit m. E. etwas anderes i n die Stelle hinein als der Lexikograph gemeint hat. "Εχειν τό τίμημα 23 bedeutet, wie Piatons Nomoi ( V I 754 D) zeigen, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten 18 19 20 21 22 23
Vgl. Käser Das römische Privatrecht I (München 1955) 124. St. P. 115 f. 133. R H D 36/345 f. Eth. N i k . V I I I 14, 1 S. 1163 a. s. ν. κοινωνικών. R H D a. a. Ο. 346. Zur Bedeutung von τίμημα s. Busolt-Swoboda A n m . auf S. 1214.
§ 8. Das Mehrheitseigentum
135
Vermögensklasse. Der Lexikograph w i l l daher hier m. E. zum Ausdruck bringen, daß den einzelnen Gesellschaftern bei der Schätzung nicht das gesamte gemeinschaftliche Vermögen zugerechnet wurde 2 4 . Das legt auch der Zusammenhang nahe. I m ersten Teil der Stelle ist nämlich gesagt, daß Personen, die i n ungeteilter Erbengemeinschaft lebten, zur Trierarchie nicht herangezogen wurden, auch wenn ihr Vater die Liturgie hatte leisten können. Die Harpokration-Stelle besagt also über die Befugnisse des einzelnen Gesellschafters nichts. Das Ergebnis wäre aber kaum wesentlich anders, wenn man Biscardis Deutung folgte; denn die Aussage Harpokrations ist nun einmal negativ. W i r wüßten dann zwar, daß die Befugnisse der einzelnen Mitberechtigten i n einer κ. χ. geringer waren als i n den sonstigen Gemeinschaften, könnten aber auch nichts Genaueres darüber aussagen. Darauf dürfte es auch zurückzuführen sein, daß i n der Literatur — sowohl bei Szlechter 25 als auch bei Beauchet 26 und Ziebarth 27 — auf die Eigentumsverhältnisse innerhalb der κ. χ. nicht eingegangen wird. Auch m. E. gestatten die Quellen keine gültige Aussage. I m übrigen ist es sehr wohl möglich, daß sich das Problem für die Griechen gar nicht gestellt hat. Aus dem römischen Recht wissen wir, daß es i n der societas kein Gesellschaftsvermögen geben mußte 28 . Es wäre daher denkbar, daß es nach griechischer Auffassung i n einer κοινωνία χρημάτων ein gemeinschaftliches Vermögen überhaupt nicht gegeben hat, sondern alle Gegenstände, die einer der Gesellschafter erwarb, sein Eigentum wurden und dementsprechend für die Gesellschaft zu erbringende Leistungen aus dem Vermögen des handelnden Gesellschafters erbracht wurden, dem die anderen Zuwendungen zu diesem Zwecke vorher gemacht hatten oder später machten. Damit soll jedoch nicht gesagt werden, daß den Griechen die Vorstellung der Eigentumsquote fremd war 2 9 . Zumindest bei Immobilien ist M i t eigentum nach Bruchteilen erweisbar. I n dem bekannten Register von Tenos 30 finden sich mehrere Eintragungen, welche die Veräußerung von Bruchteilen von Grundstücken und Gebäuden zum Gegenstand haben 81 . Aus der Veräußerung derartiger Teile folgt allerdings nicht notwendig, 24
So auch Böckh-Fränkel Staatshaushaltung 3 633. Le contrat de société en Babylonie, en Grèce et à Rome (Paris 1947). 26 Histoire du droit privé de la République Athénienne I V (Paris 1897). 27 RE Suppl. V I I I 252 f. s. v. Koinonia. 28 Wieacker SZR 69/311, Kunkel Rom. Privatrecht 3 · (1949) 242, Käser Das röm. Privatrecht I (1955) 479. 29 F ü r die Papyri vgl. Weiß, A r c h i v f. Pap. Forsch. I V 353 ff., Kreller Erbrechtl. Untersuchungen 67 ff., Taubenschlag L a w 2 242 f. 30 I G X I I 5 Nr. 872 aus dem 3. Jhdt. v. Chr. (Graindor, Musée Belge X I V [1910] 52). 31 §§ 21, 22, 24, 25, 38, 47. 25
136
I. Das Eigentum
daß das betreffende Grundstück oder Gebäude fortan i m Bruchteilseigentum des Erwerbers und des bzw. der Eigentümer der übrigen Bruchteile gestanden haben muß; denn soweit Realteilung möglich war, wie ζ. B. bei Feldern und Gebäuden, lassen die Erfordernisse der Praxis vermuten, daß real geteilt worden ist 3 2 . M i t Weiß 33 ist daher auch für die Mehrzahl der erwähnten Fälle Realteilung anzunehmen. Aber nicht i n allen ist sie denkbar. So heißt es i n § 38: 9 A. . . . παρά Φ . . . επρίατο τής οικίας και των χωρίων των εν Ήρίσθωι και των εσχατιών και τ[οΰ] ύδατος πάντων τα [ήμί]ση δσα ή ν . . H i e r dürfte Realteilung zwar hinsichtlich des Bodens — und vielleicht auch des Hauses — anzunehmen sein, nicht aber für das ΰδωρ. Insoweit spricht die Vermutung für ideelle Anteile 3 4 . Näheres über die Befugnisse der Miteigentümer läßt sich dem Register nicht entnehmen. W i r dürfen jedoch annehmen, daß jeder seinem A n t e i l entsprechend ein Recht auf den Gebrauch und die sonstigen Nutzungen besaß. Seine Verfügungsbefugnis 35 dürfte sich auf den erworbenen A n teil beschränkt und nur bei gleichzeitiger Verfügung über die anderen, uno actu erworbenen Gegenstände bestanden haben. Man hat sich den Miteigentümer als doppelten Eigentümer vorzustellen: als A l l e i n eigentümer des Hausteils und der Bodenflächen und daneben als M i t eigentümer nach Bruchteilen des ΰδωρ. Seine Rechtsstellung dürfte i n gewisser Hinsicht der eines Wohnungs- bzw. Teileigentümers nach dem Bundesgesetz vom 15.3.1951 geähnelt haben. I I I . Soweit das Eigentum P e r s o n e n v e r e i n i g u n g e n zustand, lassen die Quellen erkennen, daß die Griechen noch nicht zu einer gedanklichen Trennung des Eigentums der Vereinigung von dem der M i t glieder vorgedrungen waren. So weist der Sprachgebrauch i n den Quellen bald i n die eine, bald i n die andere Richtung: Beispielsweise erscheinen als Rechtsinhaber sowohl die Mitglieder 3 8 einer Phyle als auch die Phyle selbst 37 . V o n attischen Geschlechtern ist die Rede als κοινόν φρατέρων Μεδοντιδών38 aber auch als Λυκομίδαι 39 . E i n Eranos findet sich i n Amorgos 4 0 , Eranistai begegnen auf attischen Horoi 4 1 , auf denen sich auch 82
Weiß a. a. O. 333. 331, 2. 84 Vgl. Biscardi, Studi Paoli 117, 7. Die übrigen Beispiele, die er aus dem Register von Tenos bringt, sind nicht zwingend. 85 Verfügungen über ideelle Anteile begegnen auch i n den Papyri, vgl. Weiß 358. 86 Finley Nr. 146: Κεκροπίδαις υπόκειται ( = I G I I 2 2670). 87 A t t . Inschr., abgedr. Hesperia V (1936) S. 397 if. Ζ. 175/6: ένοφείλεσθαι τήι Αιαντίδι φυλήι, § 26 des Registers von Tenos. 38 SEG X I I 1 0 0 Ζ. 17/18. 39 Finley Nr. 146. 40 Finley Nr. 8: τώ[ι] έράν[ωι] ( = I G X I I 7 58). 41 Finley Nr. 30: έρανίσταις τοις μετά . . . ( = I G I I 2 2699). 88
§ 8. Das Mehrheitseigentum
137
Thiasoten verzeichnet finden 42. Ein Grundstück des Kultvereins der Eikadeis ist auf einem Grenzstein — keinem Horos i m technischen Sinne — als dem κοινον Είκαδείων gehörig gekennzeichnet 43 . Orgeonen sind auf Steinen von der Insel Lemnos als Sicherungseigentümer genannt 4 4 , in gleichem Zusammenhang heißt es i n Athen: Αισχίνης Μελιτε(ύ) καί κοινον δργεώνων45. Dieser Sprachgebrauch schließt es mit größter Wahrscheinlichkeit aus, daß für die Griechen allein die Vereinigungen Inhaber der Rechte waren und nicht die Mitglieder wenigstens Mitinhaber 4 8 , worauf auch der personale Charakter der griechischen Verbände deutet. A u f die Frage nach der Rechtsfähigkeit 47 der Vereinigungen braucht daher hier nicht eingegangen zu werden.
42
Finley Nr. 43 ( = I G I I 2 2720). I G I I 2 2631 u. 32: δρος χωρίου κοινού Είκαδείων. 44 Finley Nos. 107—109 ( = I G X I I 8 19 u. 21). 45 SEG X I I 100 Z. 30/31 u. 33/34. 46 San Nicolò Ägypt. Vereinswesen I I (München 1915) 195. 47 Dafür Wenger Das Recht der Griechen u n d Römer 209, San a. a. Ο. 196. 43
Nicolò
§ 9. Der Schutz des Eigentums Der Eigentümer einer Sache oder eines Menschen bedarf des Schutzes vor allem i n zwei Richtungen: A. Er muß gegenwärtige — und möglichst auch bevorstehende — A n und Eingriffe a b w e h r e n können und B. die Befugnis haben, Eigentum, das sich ohne Rechtsgrund außerhalb seines Herrschaftsbereichs befindet, a n s i c h zu z i e h e n . A. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß ein Eigentümer i n jener Zeit unmittelbare Angriffe auf sein Eigentum mit Gewalt abwehren durfte. I n Athen war die Tötung des Räubers und des nachts auf Beute ausgehenden Diebes nicht rechtswidrig 1 . Piaton hat diesen Rechtssatz i n die Nomoi übernommen 2 . Solon gestattete sogar die Tötung des nächtlichen Diebes auf der Verfolgung 8 , also bei dem Versuch, die entwendete Sache wiederzuerlangen. Die gewaltsame Verteidigung des Hab und Guts war also von der Rechtsordnung sanktioniert. Das Recht der gewaltsamen Abwehr bestand aber auch gegen solche Angriffe, deren Ziel nicht Besitz-, sondern Gebrauchsentziehung war oder durch die sich jemand ohne Einwilligung des Berechtigten den Mitgebrauch verschaffen wollte, wie ζ. B. das unbefugte Begehen oder Beweiden fremder Grundstücke. I n derartigen Fällen war der Eigentümer i n Athen — für den übrigen griechischen Rechtskreis dürfen w i r Gleiches oder Ähnliches annehmen — befugt, den Störer mit Gewalt zu entfernen, natürlich m i t Ausnahme der Fälle, in denen eine Duldungspflicht bestand, wie z.B. gegenüber dem Jäger 4 . Dies ergibt sich aus der neugefundenen 5 Komödie Dyskolos des Menandros (Z. 83—166, insbes. 103—121 und 161), i n der Κνήμων den Πυρρίας m i t Schlägen und einem Bombardement von Steinen, Erdschollen und Birnen von seinem Grundstück vertreibt, ohne daß sich i n der Komödie auch nur eine Andeutung der Widerrechtlichkeit eines solchen Vorgehens findet, was u m so näher läge, als gar kein Angriff vorlag, sondern Πυρρίας das Grundstück des Κνήμων nur betreten hatte, um 1
Demosth. X X I I I 60. I X 874 B/C. 3 Demosth. X X I V 113. < s.o.S. 63. 5 P. Bodmer I V (Genève 1958). 2
§ 9. Der Schutz des Eigentums
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den auf dem Grundstück arbeitenden Eigentümer etwas zu fragen. Wenn i n Demosth. L V 1 1 die Umfriedung eines Grundstücks u. a. m i t der V e r hinderung der Begehung u n d Beweidung durch die Nachbarn begründet w i r d , so besagt das nicht, daß der Eigentümer keine anderen A b w e h r möglichkeiten gehabt hätte. Die getroffene Maßnahme findet ihre E r k l ä r i m g vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach darin, daß die Eigentümer zunächst einmal versuchten, den Nachbarn den Zugang zu erschweren, ein Vorgehen, das den V o r t e i l hatte, auch dann Schutz zu gewähren, wenn der Eigentümer oder ein von i h m Beauftragter nicht anwesend waren. Das Recht der gewaltsamen Störungsabwehr dürfte freilich nicht die Befugnis eingeschlossen haben, den Störer notfalls auch zu töten. V i e l mehr w i r d der Eigentümer, wenn i h m die Vertreibung, u. U. m i t Hilfe seiner Unfreien u n d Freunde, nicht ohne Blutvergießen gelang, gehalten gewesen sein, den Klageweg zu beschreiten. Ob auch ein Recht zur Selbsthilfe unter Gewaltanwendung bestanden hat, w e n n sich die Quelle der Störung a u ß e r h a l b der Grundstücksgrenzen — und damit des Herrschaftsbereichs des Eigentümers — befand, wie bei Übertretung der Normen über den einzuhaltenden Grenzabstand oder B e w i r k u n g eines verstärkten Wasserzuflusses durch Errichtung einer Mauer, läßt sich nicht sagen. Aus Alexandreia ist eine solche Befugnis bei Verletzung des Zwischenraumrechts überliefert®, doch haben w i r keinen Beleg f ü r das Recht der klassischen Zeit 7 . W i r müssen uns daher hier m i t einem non liquet begnügen 8 . Β. D e r S c h u t z g e g e n d i e u n b e f u g t e des E i g e n t u m s .
Vorenthaltung
Dem griechischen Recht der klassischen Zeit war, wie Käser 9 überzeugend dargelegt hat, eine dingliche Herausgabeklage fremd. Es gab keinen aus dem Eigentum entspringenden Anspruch auf Herausgabe 10 gegen den Besitzer fremden Eigentums. Allerdings konnte i n G o r t y n ein U r t e i l auf Freigabe einer Person ergehen. I n dem besonderen Verfahren, das nach einem αγειν προ δίκας anhängig gemacht werden konnte, w a r nämlich dem Dikastes vorgeschrieben ,,δικακσάτο λαγάσαι εν ταΐς τρισί άμέραις" (Kol. I Ζ. 6/7). Aber dabei handelt es sich u m B e s i t z s c h u t z 1 1 . F ü r den Hauptprozeß heißt es lediglich ,,ε δέ κα νικαθεΐ ο εκον, τόμ μέν ελεύθερον λαγάσαι τάν πέ[ν]τ5 άμε6 7 8 9 10 11
P. Hal. Ζ. 99 fï. Demosth. L V spricht eher dagegen. s.S.60f. SZR 64/137 f. Wolff SZR 74/69. s. u. S. 147 ff. Vgl. auch Wolff Beiträge 41 f. ( = Traditio I V [1946] 55).
140
I. Das Eigentum
ραν, τον δέ δδλο[ν] ές κερανς άποδόμεν" (Ζ. 24/27). Aus dieser Verschiedenheit, auf die schon Bücheler-Zitelmann hingewiesen haben 12 , kann man wohl schließen, daß das Urteil, das den Freiheits- bzw. Eigentumsstreit beendete, keine Verurteilung zur Frei- bzw. Herausgabe enthielt, mithin für Gortyn keine Besonderheit galt. I m Recht A t h e n s , das w i r genauer kennen, muß zwischen der Rechtsstellung der Eigentümer von Grundstücken und Gebäuden einerseits und beweglicher Sachen andererseits unterschieden werden: 1. Der Eigentümer v o n G r u n d s t ü c k e n o d e r G e b ä u d e n , dessen Recht als o f f e n k u n d i g der gerichtlichen Feststellung nicht oder nicht mehr — etwa weil sich seine Berechtigung bereits aus einem Urteil ergab — bedurfte 13 , war ohne weiteres zur Besitzergreifung i m Wege der V o l l s t r e c k u n g s s e l b s t h i l f e befugt und konnte gegen Personen, die der Inbesitznahme entgegentraten, έξούλης klagen 14 . Die δίκη έξούλης war eine Deliktsklage, i n der dem Beklagten, der, ohne besser berechtigt zu sein als der Kläger, eine εξαγωγή15 vorgenommen hatte, die Verurteilung zum Schadensersatz an den Kläger u n d zur Zahlung einer Buße i n gleicher Höhe an die Polis drohte 18 . Alle Eigentümer von Gebäuden und Grundstücken, deren Recht noch n i c h t o f f e n k u n d i g war, mußten z u n ä c h s t ein U r t e i l erstreiten, das sie als Berechtigte auswies. Denn nur dadurch erlangten sie die Legitimation zur δίκη εξούλης und damit die Möglichkeit, etwaigen Widerstand bei der Inbesitznahme durch die Drohung, sie würden εξούλης klagen, i m K e i m zu ersticken. Der Inbesitznahme o h n e Legitimation durch ein Urteil stand zwar kein Verbot entgegen, sie genoß aber auch keinerlei Rechtsschutz, so daß der angegriffene nichtberechtigte Besitzer die Besitzergreifung gewaltsam inhibieren konnte, ohne eine Klage des an der Selbsthilfe gehinderten Eigentümers befürchten zu müssen. Ja der Besitzer konnte sogar wegen des Angriffs auf seinen Besitz βιαίων gegen den Eigentümer klagen 17 . Als a u s r e i c h e n d e L e g i t i m a t i o n wurde ein obsiegendes U r teil i n einer gegen den nichtberechtigten Besitzer zu richtenden δίκη ενοικίου oder καρπού angesehen18. Diese p e r s ö n l i c h e n Klagen standen dem Eigentümer eines Gebäudes oder unbebauten Grundstücks gegen den nichtberechtigten Besitzer zu und dienten dem Zweck, i h m eine Ver12 13 14 15 16 17 18
88 f. Die Fälle zuletzt bei Käser a. a. O. 191. Käser a. a. O. 191 ff. Einzelheiten bei Käser a. a. O. 193. Rabel SZR 36/346, Lipsius A t t . R. 664. 672. Käser 197. Käser SZR 64/143 u. 193.
§ 9. Der Schutz des Eigentums
141
gütung für die i h m entzogenen Nutzungen der unbeweglichen Sache zu verschaffen 19 » 20 . Dabei wurde incidenter über das Eigentum des Klägers an dem Gebäude bzw. Grundstück entschieden. A u f Grund dieser Entscheidung sah man den Kläger für besser berechtigt an als den Beklagten und gestattete i h m έξούλης zu klagen, wenn ihm der Beklagte bei der Besitzergreifung Widerstand leistete. Hatte der Eigentümer also ein derartiges Urteil erstritten, konnte er unbedenklich Vollstreckungsselbsthilfe üben 21 » 22 . Nach Ansicht Käsers 23 konnte der Eigentümer, anstatt die vorstehend erwähnten Klagen zu erheben, auch die Feststellung seines Eigentums i m Diadikasie-Verfahren betreiben, wenn der Besitzer bereit war, sich i n ein solches Verfahren einzulassen 24 . Aber wie Käser selbst einräumt, ist uns kein Fall einer Eigentumsdiadikasie zwischen zwei Privatpersonen überliefert. I n den von Käser angeführten vier Quellenstellen stehen sich i n drei Fällen Bürger und Staat als Streitsteile gegenüber, i m vierten zwei Staaten. Nur i m letztgenannten 25 Fall, i n dem es sich u m ein völkerrechtliches Schiedsgericht handelt, besteht also Gleichrangigkeit der Beteiligten. N u n kann man gewiß nicht mit Schönbauer 26 die Heranziehung dieser Stelle als Beleg für die Ansicht Käsers deswegen ablehnen, weil es sich hier u m ein „öffentlich-rechtliches Schiedsgericht" handelt. Denn die A r t , wie der Sprecher die Sache darstellt, und die verwendeten Ausdrücke 27 zeigen, daß man durchaus i n Eigentumsvorstellungen dachte. Doch genügt das umgekehrt nicht, die Existenz einer Eigentumsdiadikasie über Gebäude und Grundstücke gegenüber dem Schweigen der Quellen als sicher erscheinen zu lassen, zumal schwer ersichtlich ist, wieso dafür ein Bedürfnis bestanden haben kann, da der Eigentümer, dem eine unbewegliche Sache vorenthalten wurde, wie w i r eben gesehen haben, auch auf andere Weise zum Ziel kommen konnte 19
Käser a. a. O. 140, Wolff SZR 74/40—44. Näheres über die Klagen bei Käser u. Wolff a. a. Ο. 21 Daß es i m Falle eines unbebauten Grundstücks nach siegreicher Durchfechtung einer δίκη καρπού noch einer δίκη ουσίας bedurfte, ehe der Eigentümer zur δίκη έξούλης legitimiert w a r (so Käser a. a. O. 142 f.), ist m i t Wolff (a. a. Ο. Anmerkungen 40.41 u. 42 a) zu bezweifeln. 22 Die Einwände Schönbauers (Rechtseinrichtungen 5 ff. 24 ff., Attische Klagen 2 ff.), denen Luzzatto ohne nähere Begründung i n SZR 73/47 ff. zustimmt, gegen Käsers Deutung, der ich hier i m wesentlichen folge, sind durch Wolff a. a. 0 . 4 0 ff. überzeugend widerlegt. 23 SZR 64/179 ff. 24 Bei den drei obengenannten Klagen bestand Einlassungs z w a n g (Käser 143). 25 Demosth. V I I §§ 7. 43. 26 Rechtseinrichtungen 19. 27 § 7 πότερ' ύμέτεραι ή έκείνου είσίν. § 43 εΐϋ' υμετέρα εστίν ειτ' έκείνων ή χώρα. 20
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I . Das Eigentum
und zwar unter Einlassungszwang und aller Wahrscheinlichkeit nach m i t geringeren Kosten 28 . 2. Der Eigentümer b e w e g l i c h e r S a c h e n konnte nach der sehr wahrscheinlichen Vermutung Käsers 29 die i h m durch Diebstahl oder Raub entzogenen Sachen i m Zuge der Strafverfolgung des Täters (άπαγωγή, Haussuchung) wiedererlangen, ohne wegen der i m Besitz des Delinquenten aufgefundenen Sachen einen gesonderten Rechtsstreit führen zu müssen. Käser nimmt mit Recht an, daß der Eigentümer aller Wahrscheinlichkeit nach sein Eigentum an sich nehmen durfte, nachdem es als Beweismittel gedient hatte. War die Diebstahlsverfolgung nicht möglich, blieb dem Eigentümer nichts anderes übrig, als gegen den Besitzer, dessen Besitz er beweisen mußte, die δίκη εις εμφανών κατάστασιν zu erheben 80 . M i t dieser Klage konnte der frühere Besitzer einer Sache vom gegenwärtigen Besitzer die Vorlegung zur Ermöglichung des eigentumsbehauptenden Zugriffs mittelbar erzwingen. Denn der Beklagte wurde, wenn er die Sache nicht vorlegte, zur Schadensersatzleistung an den Kläger u n d zu einer Buße i n gleicher Höhe an den Staat verurteilt 8 1 . Erfolgte die Vorlegung, nahm der Kläger daran die förmliche Eigentumsbehauptung vor. Trat der Beklagte dieser nicht entgegen, konnte der Kläger die Sache an sich nehmen und hatte damit sein Eigentum wiedererlangt 82 . Anderenfalls bedurfte es der gerichtlichen Entscheidung, wem von beiden das bessere Recht zum Besitz zustand. Nach Käser 88 geschah dies i n Athen i m Diadikasie-Verfahren, wobei an die Stelle des Beklagten der δίκη εις έμφανών κατάστασιν dessen Gewähre treten konnte 84 , wenn nämlich jener erfolgreich den Gewährenzug vorgenommen hatte. Aus dem Recht von Gortyn ist der Eigentumsstreit über Sklaven m i t einander widersprechenden Parteibehauptungen zuverlässig überliefert. I n der großen Inschrift heißt es: αί δέ κ 9 άντί δόλοι μολίοντι πονίοντες fòv ^εκάτερος εμεν85. Der Streit endete m i t dem oben erwähnten Feststellungsurteil. Für das Recht Athens fehlen entsprechende Belege. Zwar ist nach allem, was w i r über das Diadikasie-Verfahren wissen, die Vermutung naheliegend, daß Eigentumsstreitigkeiten über bewegliché 28
Bei der Diadikasie dürften wegen des höheren Streitwertes Gerichtsgebühren angefallen sein (Lipsius A t t . R. 679, Käser 143). 29 SZR 64/144—147. 80 Käser SZR 64/147 ff. 81 Käser a. a. O. 152 f. 82 Käser a. a. O. 163 88 a . a . O . 179. 84 Käser a. a. O. 164. 85 I C I V 72 Kol. I 18—20.
höhere
§ 9. Der Schutz des Eigentums
143
Sachen i n diesem Verfahren erledigt worden sind8®, doch muß demgegenüber immer wieder betont werden, daß w i r keinerlei Belege dafür besitzen. Das Schweigen der Quellen zwingt daher auch hier zu der Frage, ob nach unserer Kenntnis des Rechts von Athen angenommen werden kann, daß ein Bedürfnis nach einer solchen Diadikasie über das Eigent u m an beweglichen Sachen bestand. Das ist aber sehr zweifelhaft: Das unberechtigte V o r e n t h a l t e n fremden Eigentums war ein Fall der βλάβη37, der Schädigung fremden Vermögens 38 . Dem Eigentümer stand daher gegen den Besitzer die deliktische δίκη βλάβης wegen Verletzung seines Vermögens 39 zu, die auf eine Buße i n einfacher oder doppelter Höhe des Interesses des Klägers gerichtet war, je nachdem der Beklagte ακων oder έκών gehandelt hatte 40 . Die E n t z i e h u n g des Eigentums war zweifellos gleichfalls ein Fall der βλάβη; wendete der Täter dabei Gewalt an, dürfte auch der Tatbestand der δίκη βιαίων erfüllt gewesen sein 41 , einer auf eine Buße i n Schadenshöhe, die der Beklagte an den Kläger u n d den Staat zahlen mußte 42 , gerichteten Deliktsklage. Wenn daher i m Zuge der δίκη εις εμφανών κατάστασιν der Beklagte behauptet hatte, die Sache sei sein, konnte der klagende Eigentümer auf Grund dieser Behauptung zweifellos die δίκη βλάβης erheben. I n dem darauf ergehenden Urteil mußte incidenter auch das Eigentum des K l ä gers festgestellt werden. Und das dürfte genügt haben, u m dem Eigentümer i m Wege der Vollstreckungsselbsthilfe den Zugriff auf die i h m entzogene bzw. vorenthaltene Sache unter dem Schutz der δίκη έξούλης43 zu ermöglichen. Es bestand daher aller Wahrscheinlichkeit nach kein Bedürfnis nach einer Eigentumsdiadikasie, und w i r brauchen uns über das Fehlen von Belegen nicht zu wundern. Sowohl bei Mobilien wie bei Immobilien ging vielmehr der Weg über eine persönliche Klage mit m i t telbarer Eigentumsfeststellung, die zur δίκη έξούλης legitimierte. D e r V e r l u s t des
Eigentumsschutzes
Wie zwei bei Demosthenes eingelegten Gesetzen44 zu entnehmen ist, zog bestimmtes, hier nicht näher interessierendes Verhalten die Rechts86 So auch Wolff Traditio I V (1946) S. 52 f. ( = B e i t r ä g e 38) u. Gernet A H D O I (1937) 128 f. 37 Wolff SZR 74/49, 57. 88 Rabel SZR 52/469, Lipsius A t t . R. 653. 89 Vgl. Wolff a. a. Ο. 69. 40 Demosth. X X I 43, Lipsius 654. 41 Vgl. Lex. Cantabr. s. ν. βιαίων δίκη: ει τις βίςι έπεισελθών τ ι ϊλαβεν άλλότριον ή έκ χωρίου ή έξ οικίας, βιαίων έκρίνετο u n d Demosth. X X I 44, ferner Lipsius A t t . R. 637 sowie Thalheim RE I I I 380. 42 Demosth. a. a. O., Lipsius 638, Thalheim a. a. O. 48 Als Pfändungsberechtigter aus einem auf Geld lautenden Urteil. Vgl. Rabel SZR 356.359, Käser a. a. 0 . 1 9 1 f. 44 X X I 113: Έάν τις . . . , δτιμος Ιστω καί παίδες καί τα έκείνου. X X I I I 62: *Ός άν . . ϋ τ ι μ ο ν είναι καί παίδες καί τα έκείνου.
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I . Das Eigentum
folge der Atimie des Vermögens nach sich. "Ατιμος bedeutete i n diesem Zusammenhang, daß demjenigen, der sich an dem Vermögen vergriff, keine Verurteilung zu einer Buße oder zur Leistung von Schadensersatz drohte 45 . Das heißt: der Betroffene ging des Schutzes der Rechtsordnung für sein Hab und Gut verlustig. Er konnte nicht mit Aussicht auf Erfolg die Gerichte anrufen, wenn jemand sein Eigentum zerstört hatte. Ebensowenig durfte er zum Zwecke der Abwehr von Angriffen erlaubte Selbsthilfe üben. Letzteres ergibt sich zwar nicht zwingend aus den Quellen, aber die von dem Angreifer beabsichtigte Z e r s t ö r u n g war ohne Zweifel nicht nur mit keiner Buße bedroht, sondern auch nicht rechtswidrig. Die unbeschränkte Androhung der Vermögens-Atimie kann kaum anders verstanden werden. Bestand der Angriff nicht i n der Zerstörung, sondern i n der A n e i g n u n g von Sachen, dürfte die Rechtslage nicht anders gewesen sein. Es besteht i n Anbetracht des Wortlautes der Gesetze kein Grund zu der Annahme, daß das άτιμος gewordene Vermögen zwar von jedermann bußlos zerstört, nicht aber weggenommen werden durfte. Das Gegenteil müßte angenommen werden, wenn die Ansicht Busolts 4e, daß das άτιμος gewordene Vermögen, soweit es nicht zerstört wurde, der Polis anheimgefallen sei, also der Fronung unterlegen habe, richtig wäre. Aber dafür bieten die beiden Gesetze keinen Anhaltspunkt. Freilich findet sich der Verfall an die Polis i n späteren Gesetzen und Psephismen 47 angedroht, aber nicht n e b e n , sondern a n S t e l l e der Vermögens-Atimie. Letztere begegnet ausschließlich i n Demosth. X X I 113 und X X I I I 62 4S . Es ist daher unzulässig, aus der jüngeren Praxis Schlüsse für die älteren Tatbestände zu ziehen, in denen etwas ganz anderes angedroht war. M i t Recht erwähnen daher Swoboda 49 und Weiß 50 die beiden Gesetze als Belege für eine Fronung nicht 51 . Offenbar liegt hier, ebenso wie bei der persönlichen Atimie, eine Entwicklung vor: Die Fronung trat an die Stelle der Vermögens-Atimie 52 . 45 Usteri 5. 8; Swoboda SZR 26/160, 1; Lipsius Att.R. 931,2; Busolt-Swoboda 230,2 u. 3; Weiß Privatrecht 166. 46 Busolt-Swoboda 230. 47 Beispiel: I G I 2 39 Z. 33/34: . . . άτιμον αυτόν εναι και τά χρέματα αύτδ δεμόσια . . . 48 Usteri 7. Z u einem neuerdings von Ruschenbusch behaupteten weiteren F a l l s. u. 49 SZR 26/167. 50 Privatrecht 169. 51 U n k l a r Usteri 57 ff: A u f S. 58, w o die Fälle aufgezählt sind, i n denen der nicht ausdrücklich angeordnete Verfall an den Staat nach Usteris Ansicht als beabsichtigt vorauszusetzen ist, fehlen — richtigerweise — die beiden Stellen, auf S. 59 sind beide dagegen als Beispiele f ü r „Konfiskation" aufgeführt. Usteri faßt offenbar die „Konfiskation" i n beiden als ausdrücklich angedroht auf, was sicherlich falsch ist. 52 Nach Annahme Conrads (Deutsche Rechtsgeschichte I 70) löste i m germanischen Recht die Fronung die Wüstung ab. I m griechischen Recht be-
§ 9. Der Schutz des Eigentums
145
Z u welchem Z e i t p u n k t die Vermögens-Atimie wirksam wurde, läßt sich aus den Quellen nicht erschließen. Da es sich i n beiden Fällen zweifellos um alte Gesetze handelt 53 , spricht viel für die Ansicht Weiß' 54 und Swobodas 55, daß es — zumindest ursprünglich — nicht der Verhängung i n einem Strafurteil bedurfte, sondern die Atimie m i t Begehung der Tat eintrat 5 6 . Als nächste Stufe der Entwicklung ist vielleicht ein mit einem Feststellungsurteil schließendes Verfahren zu denken, wie es Maschke 57 für die Frühzeit des Areopag erschlossen hat 5 8 und wie es für die römische Frühzeit angenommen wird 5 9 . Eine Auseinandersetzung m i t Ruschenbusch 00, der glaubt, aus den Quellen noch einen weiteren Fall, i n dem Vermögens-Atimie eintrat, erschließen zu können, ist hier nicht erforderlich.
gegnen Wüstung u n d Fronung nebeneinander (vgl. das west-lokrische Gesetz aus dem 5. Jhdt., abgedruckt Άρχ. Έφ. 1924/119 ff. u n d SB Akad. B e r l i n 1927/7 ff.). 53 υ steri 7. 54 Privatrecht 169. 55 SZR 26/177. 50 So auch i m germanischen Recht (Frhr. v. Schwerin-Thieme Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte 4 · 29, Conrad a. a. O.). 57 Willenslehre 42. 58 Vgl. dazu Wolff Beiträge 36 u. 74. 59 Vgl. Dulckeit-Wesenberg Römische Rechtsgeschichte 2 · §§ 5 I I 2 c, 12 I 2. 60 Historia I X 142. 10 Kränzlein
I I . Der Besitz Unter Besitz verstehen w i r heute die Herrschaft einer Person über eine Sache, an welche die Rechtsordnung auf Grund der bloßen Tatsache ihres Bestehens Rechtsfolgen knüpft 1 . Wenn w i r daher feststellen wollen, ob auch die Griechen i m 5. und 4. Jhdt. vor Christi Geburt der Machtlage einer Person über eine Sache ohne Rücksicht auf die Berechtigung der Person zur Herrschaft rechtliche Bedeutung beigemessen haben, müssen w i r alle die Fälle ausscheiden, i n denen nicht einwandfrei geklärt werden kann, ob die festgestellte Rechtsfolge nicht auf einem Recht zum Besitz beruht. Denn derartige Sachverhalte haben für die Frage nach dem Besitz keinen Aussagewert. Die Zahl der Quellenstellen, die eine Antwort zu geben vermögen, ist daher naturgemäß klein. Trotzdem glaube ich, i n den folgenden Ausführungen zeigen zu können, daß eine bejahende Antwort möglich ist.
§ 10. Das Verbot des αγειν im Recht von Gortyn Die große Inschrift aus dem kretischen G o r t y n l a beginnt m i t einem Verbot: "Ος κ 9 ελεύθεροι ε δόλοι μέλλει άνπιμολεν, προ δίκας μέ αγεν (Ζ. 2—3). "Αγειν bedeutet das außergerichtliche Ergreifen und Wegführen einer Person i n den eigenen Machtbereich 2 . Das Verbot ist gegen jeden gerichtet, der beabsichtigt, „ u m einen Freien oder Unfreien" zu prozessieren. Was hierunter zu verstehen ist, ergibt eine Betrachtung der dem Verbot folgenden Bestimmungen des Gesetzes: Δόλοι άνπιμολεν meint, wie sich aus Zeile 18 ff. zweifelsfrei 8 ergibt, den Rechtsstreit u m das Eigentum an einem Sklaven m i t einem anderen, der diesen Sklaven i m Augenblick i n seiner Gewalt hat. Ελεύθεροι άνπιμολεν bezeichnet eine Klage, deren Ziel es ist, eine Person als Sklave i n seine Macht zu bekommen, die derzeit de facto außerhalb des Standes der Unfreien lebt 4 , i m folgenden „Knechtschaftsklage" genannt. Dies müssen w i r aus Zeile 3 ff. der I n schrift schließen, wo bestimmt ist, daß die Höhe der i m Falle einer Über1 Vgl. Westermann Sachenrecht 2 § 8, 1, Enneccerus-Kipp-Wolff-Raiser Sachenrecht 10 § 3 I. ia Inscriptiones Creticae ( = IC) I V (1950) Nr. 72. 2 Bücheler-Zitelmann 80, Swoboda SZR 26/169, 209. 8 Bücheler-Zitelmann 78, Weiß Inschrift 7, Guarducci I C I V S. 151. 4 Bücheler-Zitelmann 79, Recueü 443, Partsch Bürgschaftsr. 296, 3, Kohler-Ziebarth 126.
10*
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I I . Der Besitz
tretung des Verbotes auszusprechenden Buße nach dem de facto-status des Ergriffenen zu bemessen ist 5 . Es ergibt sich überdies aus Zeile 15 ff., wo sich eine Beweisregel für den Fall αί δέ κα μολει ο μεν ελεύθερον, ô δ[έ δ]ολον findet 8. Die Formulierung δς % ελεύθεροι ε δόλει μέλλει άνπιμολεν umfaßt aber auch den Rechtsstreit m i t dem Ziel, die Freiheit einer als Sklave gehaltenen Person feststellen zu lassen und ihr die Freiheit zu verschaffen („Freiheitsklage"). Dies ergibt sich aus Z. 24 ff.: Έ δέ κα νικαθει ο εκον, τόμ μεν ελεύθερον λαγάσαι τάν πέ[ν]τ' άμεράν, τον δ έ . . . Denn damit kann nur eine i m Prozeß unterlegene Partei gemeint sein, die eine Person i n ihrer Gewalt hat, die durch das Urteil als frei anerkannt worden ist 7 . Der Anfang der Inschrift verbietet sonach demjenigen, der einen Eigentumsstreit u m einen Sklaven zu führen beabsichtigt oder eine Knechtschafts- bzw. Freiheitsklage zu erheben i m Sinne hat, die Person, u m die er prozessieren w i l l , eigenmächtig mit sich zu führen. Das bedeutet jedoch nicht, daß das Ergreifen eines Menschen generell verboten werden sollte. Zum Beispiel war der Herr eines entlaufenen Sklaven durch das Verbot nicht gehindert, sich des Entlaufenen wieder zu bemächtigen, solange dieser nicht eine gewisse Zeit lang tatsächlich als Freier gelebt hatte. Die Ergreifung eines Entflohenen, der sich als Flüchtling verborgen hielt, war also jederzeit zulässig 8 . Unberührt bleibt auch das αγειν n a c h einem Urteil; denn es heißt ausdrücklich προ δίκας. Diese Worte werden zwar verschieden übersetzt 9 , doch ist man sich über die Bedeutung einig: Die Wegführung ist untersagt, bis eine Entscheidung des Gerichts ergangen ist. Eine Übertretung des Verbotes führte zu einem besonderen Verfahren (Z. 3 ff.). I n diesem wurde ohne Entscheidung über die Eigentumsund Freiheitsfrage 10 festgestellt, ob der Beklagte gegen das Verbot μέ 5
Bücheler-Zitelmann 83. Bücheler-Zitelmann 78. 7 Bücheler-Zitelmann 79, Recueil 443, Thiel Mnemos. 54 S. 273, KohlerZiebarth 126, Partsch Bürgschaftsr. a. a. O. 8 Bücheler-Zitelmann 82. 9 „ V o r einem U r t e i l " : Dar este L o i de G o r t y n 11 u. die anderen Herausgeber d. Recueil (443), Baunack 95, Swoboda a. a. O. 209, Kohler-Ziebarth 3, Nicolau 295, Weiss a. a. O. 19. „ V o r einem Prozeß": Bücheler-Zitelmann 17, Maschke Freiheitsprozeß 97. Zur Bedeutung von δίκη vgl. neuestens Wolff, Beiträge z. Rechtsgeschichte A l t griechenlands und des hellenist.-röm. Ägypten (1961) 248/49 ( = Seminar 3 [1945] 99/100). 10 Bücheler-Zitelmann 84, Recueil 445, Guarducci I C I V S. 151, KohlerZiebarth 80. Auch Weiss (Inschrift 4 ff.), der Z. 15—18 gegen die herrschende Lehre als Beweisregel für das Vorverfahren ansieht, die anzuwenden gewesen sei, wenn Streit darüber bestanden habe, ob der Ergriffene Freier oder Sklave sei, wovon j a die Höhe der dem Beklagten des Vorverfahrens aufzuerlegenden 6
§ 10. Das Verbot des äyeiv i m Recht von Gortyn
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αγεν verstoßen hatte. War dies zu bejahen, wurde der Beklagte verurteilt ,,οτι αγει". Das Urteil lautete auf Heraus- bzw. Freigabe des Ergriffenen binnen drei Tagen sowie auf Zahlung einer Geldbuße. Die Höhe der Buße war verschieden, je nachdem es sich um die Wegführung einer i n Freiheit lebenden oder als Sklave gehaltenen Person handelte. K a m der Verurteilte der Pflicht, den Ergriffenen loszulassen, nicht nach, wurde er neuerlich zu einer Buße von 1 Stater bzw. 1 Drachme für jeden Tag der Festhaltung verurteilt. Diese Buße hatte ganz offensichtlich Beugecharakter; denn der Schaden, der durch die Nichtfreigabe entstehen konnte, dürfte kaum jemals den Betrag von 1 Stater bzw. 1 Drachme pro Tag erreicht haben 11 . Der Verurteilte hatte jetzt die Wahl, ob er den Ergriffenen herausgeben oder die hohen Bußen bezahlen wollte. Tat er beides nicht, mußte er damit rechnen, daß der siegreiche Kläger ihn selbst abführte. Ein solches Vorgehen gegen einen νενικαμένον12 und einen [κα]τακείμενον ist nämlich i n Kol. 156 — Kol. I I 2 ausdrücklich für zulässig erklärt. Für die Ansicht Wolffs 1*, daß es dem siegreichen Kläger erlaubt war, sich des αγόμενος mit Gewalt zu bemächtigen und i h m den bisherigen status vorläufig wieder zu verschaffen, ergibt sich nichts aus dem Gesetz. Der Zweck des Vorverfahrens war es also, den Verurteilten durch Beugebußen zur Wiederherstellung des Zustandes zu veranlassen, der bis zu dem eigenmächtigen αγειν bestanden hatte. Warum auf die WieBuße abhing, w i l l offenbar nicht so verstanden werden, als sei dabei über den w i r k l i c h e n status des Weggeführten Beweis erhoben worden. Denn Weiß dürfte k a u m übersehen haben, daß damit der Hauptprozeß überflüssig wurde, w e i l das Gericht j a schon entschieden hatte, ob der άγόμενος frei oder Sklave einer der Parteien war. Weiss k a n n n u r gemeint haben, daß streitig gewesen sein könnte, welchen status der Ergriffene d e f a c t o gehabt habe. Dies dürfte richtig sein; denn wegen der unterschiedlichen Höhe der Bußen dürfte der Beklagte des Vorverfahrens regelmäßig behauptet haben, er habe einen Sklaven weggeführt, während der Kläger naturgemäß bestrebt gewesen sein dürfte, den άγόμενος als frei lebende Person hinzustellen, u m die höhere Buße zugesprochen zu erhalten. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß die Ansicht von Weiss, die Regel Z. 15—18 sei nicht i m Hauptprozeß gültig gewesen, richtig ist. Ihre Schwäche ist nämlich, daß sie keine A n t w o r t auf die Frage gibt, w a r u m das Gesetz zwar Bestimmungen über die Verwertung der Zeugenaussagen i m Eigentumsstreit (Z. 18—24, Weiss 7/8), nicht aber i m Freiheitsprozeß enthält, während die sich unmittelbar anschließenden Zeilen auch nach Ansicht von Weiss (8) offensichtlich sowohl den Eigentums- als auch den status-Streit betreffen. Vielleicht liegt die W a h r heit i n der M i t t e u n d fand die i n Z. 15—18 enthaltene Regel sowohl i m V o r verfahren als auch i m Hauptprozeß Anwendung. 11 Bücheler-Zitelmann 85, Kohler-Ziebarth 126. 12 Z u der Bedeutung von νενικαμένος vgl. Swoboda a. a. O. 209, Weiss P r i vatrecht 505, 30. Inschrift 24, Partsch Bürgschaftsr. 302, Wolff Beiträge 42, 101 ( = Traditio I V [1946] 55). 13 Beiträge 41. Zur Begründung beruft er sich auf den νενικαμένον-Satz, sagt aber i m selben Atemzuge (42,101), m i t v. sei an dieser Stelle der Prozeßgegner gemeint!
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I I . Der Besitz
derherstellung ein solcher Wert gelegt wurde, kann, soweit das überhaupt erkennbar ist, nur eine eingehendere Betrachtung der drei i n Frage kommenden Klagen zeigen. 1. Beim E i g e n t u m s s t r e i t u m e i n e n S k l a v e n ist es das Anliegen des Klägers, einen Sklaven als Eigentum zugesprochen zu erhalten, den derzeit ein anderer i n seiner Gewalt hat und nutzen kann. Wenn das Recht von Gortyn seinem natürlichen Streben, den Sklaven so bald wie möglich zum eigenen Vorteil verwenden zu können, durch das Verbot des eigenmächtigen Wegführens die Anerkennung versagt hat, kann das nur darauf zurückgeführt werden, daß man die Belange anderer Personen höher bewertet hat. Hierbei ist sicher nicht an den Sklaven zu denken; denn da sein status nicht umstritten ist, er also Sklave bleiben soll, liegt auf seiner Seite kein typisches, regelmäßig i n einem Eigentumsstreit gegebenes Interesse, bei seinem derzeitigen Herren bis zum Abschluß des Hauptprozesses zu bleiben, vor. Anders dagegen bei seinem Herren. Dieser war sicherlich daran interessiert, nicht i n die Rolle des Klägers gedrängt zu werden. Denn wenn w i r dem Gesetz auch nicht entnehmen können, daß der Besitz des Streitobjektes eine günstigere Stellung i m Prozeß mit sich brachte 14 , so läßt sich eine solche für die Zeit v o r dem Rechtsstreit doch nicht leugnen. Wer die Sache besitzt, braucht keine Klage zu erheben, u m sie i n die Hand zu bekommen. Was zur Einleitung eines Prozesses i n Gortyn erforderlich war, wissen w i r nicht, doch ist kaum anzunehmen, daß unser Verbot ausgesprochen worden ist, u m dem Besitzer der umstrittenen Person die Klageerhebung zu ersparen. Denn dann hätte man wohl einen anderen Weg gewählt als ihn zu zwingen, seinerseits eine Klage, nämlich i m Vorverfahren, einzureichen, u m den bisherigen Zustand wiederherzustellen. Dieser Gedanke ist also zu verwerfen. Z u denken ist aber an die Störung des Herren durch die plötzliche, überraschende Entführung einer Arbeitskraft. Die wirtschaftliche Grundlage der kretischen πόλεις war zur Zeit der Abfassung der großen Inschrift von Gortyn der Ackerbau 15 , der m i t Hilfe von Unfreien 1 6 betrieben wurde. Eine geordnete Landwirtschaft zu führen ist jedoch unmöglich, wenn der Herr des Hofes ständig befürchten muß, daß seine Arbeitskräfte von einem Mitbürger weggeführt werden, zumal wenn er selbst häufig oder gar ständig zur Erfüllung seiner politischen und militärischen 17 Bürgerpflichten vom Hofe abwesend sein mußte. Der Herr hat daher ein starkes Interesse daran, daß sein „Betrieb" gegen derartige Eingriffe geschützt und i h m die Mög14
Bücheler-Zitelmann 86—88. Kirsten K r e t a 101,74, Willetts Aristocratic Society 177. 16 Kirsten a. a. 0.102, Kahrstedt Gr. Staatsr. I 346. 17 I m 5. Jhdt. d ü r f t e n Kriege unter den kretischen πόλεις häufig gewesen sein (Kirsten 78). 15
§ 10. Das Verbot des äyeiv i m Recht v o n G o r t y n
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lichkeit gegeben wird, den Ergriffenen wenigstens vorläufig wiederzuerlangen. Wenn es richtig ist, daß es zur Zeit der Abfassung der großen Inschrift noch keine Sklaveneinfuhr nach Kreta gegeben hat 1 8 , bestand auch deshalb ein starkes Bedürfnis an einer einstweiligen Wiedererlangung des Unfreien, weil die Ersatzbeschaffung mangels eines ausreichenden Angebotes auf dem Sklavenmarkt 1 ® nicht einfach war. Das Gesetz w i l l hier also p r i v a t e Bedürfnisse befriedigen. Das geht auch daraus hervor, daß dem δγων Bußen und keine Strafen 20 angedroht waren. Die Anerkennung des Interesses des einzelnen auf Wiedererlangung der i h m entrissenen Person geht jedoch nicht soweit, daß man i h m gestattet hätte, sich des Sklaven i m Wege der Selbsthilfe wieder zu bemächtigen 21 . Auch der Bürger, i n dessen Herrschaft durch das widerrechtliche αγειν eingegriffen worden war, unterlag also dem Gebot „προ δίκας μή αγειν". Das läßt erkennen, daß diese Norm auch i m öffentlichen Interesse erlassen worden war, nämlich zur Einschränkung der Selbsthilfe. 2. Bei der F r e i h e i t s k l a g e muß der Beklagte seine Herrschaft über eine von i h m als Sklave gehaltene Person gegen einen Kläger verteidigen, der behauptet, die Person sei nicht Sklave, sondern frei. A u f Seiten des Beklagten liegt es somit hier ebenso wie i m Falle 1, der Herr des Streitobjekts hat ein starkes Interesse daran, i m Besitz des Unfreien nicht gestört zu werden und i h n i m Falle einer Wegnahme alsbald zurückzuerhalten. A u f der Klägerseite liegen dagegen die Verhältnisse ganz anders. Der Kläger ist nur aus prozessualen Gründen Prozeßbeteiligter, der wahre Interessent ist der de facto-Sklave, dessen Belange von dem Kläger wahrgenommen werden. A n die Stelle des i m Falle 1 vorhandenen materiellen Interesses auf Seiten des Angreifers t r i t t hier ein ideelles: Durch ein αγειν προ δίκας würde der Sklave zunächst einmal frei, wenn auch u. U. nur für kurze Zeit. Seine Lebensumstände würden sich also beträchtlich bessern. Man kann daher sagen, bei der Freiheitsklage müßten die f ü r die Zulässigkeit des αγειν προ δίκας sprechenden Gründe höher bewertet werden als beim Eigentumsstreit. Das Recht von Gortyn erklärt das αγειν jedoch i n b e i d e n Fällen für unerlaubt. Dies bestätigt die Richtigkeit des oben unter 1 gefundenen Ergebnisses: I n eine tatsächlich ausgeübte Sachherrschaft soll nicht eingegriffen werden, bis durch gerichtliches Urteil ihre Rechtswidrigkeit oder die bessere Berechtigung einer anderen Person festgestellt ist. Ist der Eingriff trotz des 18
So Kirsten 104.
19
M a r k t k a u f v o n Sklaven I C I V Nr. 72 K o l . V I I Ζ. 10 ff.
20
Bücheler-Zitelmann
84, Recueil 445 f., Weiss Inschrift 3, Guarducci
a. a. O. 151. 21 Wie i m Vertrag zwischen Oianthea u. Chaleion (Cauer-Schwyzer 363).
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I I . Der Besitz
Verbots geschehen, soll die Herrschaft wiederhergestellt werden. Die Belange des angeblich Freien bleiben unberücksichtigt. Dabei ist zu bedenken, daß es i n den noch überschaubaren Verhältnissen jener Zeit selten gewesen sein dürfte, daß ein de iure Freier als Sklave gehalten wurde. 3. Wieder anders ist die Interessenlage bei der K n e c h t s c h a f t s k l a g e . Hier ist es, wie beim Eigentumsstreit, das Anliegen des Klägers, daß i h m eine Person als sein Eigentum durch das Gericht zugesprochen wird, nur daß diese nicht i m Gewaltbereich eines anderen, sondern in Freiheit lebt. Der Lage bei einer Freiheitsklage entspricht es dagegen, daß Gegenstand des Rechtsstreits die Freiheit eines Menschen ist. Unerörtert kann hier die i n der Literatur streitige Frage bleiben, ob die Beklagtenrolle dem angeblichen Sklaven selbst 22 oder einem Freien zufiel, der bereit war, die Freiheit des i n Anspruch Genommenen vor Gericht zu verteidigen 23 , da jedenfalls dem Anliegen des Klägers nur e i n typisches privates Interesse gegenüberstand, nämlich das des angeblichen Sklaven auf Bewahrung seiner Freiheit. Durch ein αγειν προ δίκας würde diese Freiheit — zumindest vorübergehend — verlorengehen. Der αγόμενος wäre nicht mehr Herr über sich selbst 24 und geriete i n den Herrschaftsbereich eines anderen. I m Gegensatz zu den unter 1 und 2 erörterten Fällen träte also durch das Wegführen eine wesentliche Verschlechterung der Lage des Ergriffenen ein. Dem hat das Gesetz dadurch Rechnung getragen, daß es die an ihn 2 5 von dem Angreifer bei Übertretung des Verbots und Nichtfreigabe trotz des Richterspruchs i m Vorverfahren zu erlegende Buße 26 doppelt so hoch festgesetzt hat wie für die Fälle der Wegführung eines unfrei Lebenden 27 . Doch dürfen wegen der Verschiedenheit der Fälle 1—3 die Gründe für die Anerkennung des Interesses des αγόμενος auf Bewahrung und einstweilige Wiederherstellung des bestehenden Zustandes weder i n der i h m drohenden Verschlechterung seiner Lage noch etwa i n einem besonderen Freiheitsschutz gesehen werden. Maßgebend waren vielmehr die bereits oben erschlossenen Anliegen: Das Interesse des Staates an der Einschränkung der Selbsthilfe heischt bei der Infragestellung des status einer frei lebenden Person besondere Berücksichtigung. Welche Unruhe und Unsicherheit muß geherrscht haben, solange jeder Freie i n der Gefahr schwebte, mit 22
Partsch Bürgschaftsr. 296,3, Guarducci S. 151. Bücheler-Zitelmann 79, Recueil 443, Maschke a. a. O. 98. 101, Lipsius A t t . R. 811, 28, Nicolau Nr. 598. 24 Vgl. die Formel κυριεύειν αύτοσαυτοΰ i n den delphischen Freilassungsinschriften S G D I 1748 Z. 8, 1752 Z. 7, 1755 Z. 12, 1767 Z. 18, 1775 Z. 20, 1776 Z. 29—30, 1784 Z. 14—15, 1791 Z. 6 u n d Koschaker Rechtsurkunden 47. 25 Bücheler-Zitelmann 84, Guarducci 151. A. A. Recueil 446. 26 Bücheler-Zitelmann 84, Recueil 445 f., Weiß Inschrift 3, Guarducci 151. 27 s.o.S. 149. 23
§ 10. Das Verbot des y e v i m Recht v o n Gortyn
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Gewalt als angeblicher Sklave weggeführt zu werden. Die Folge dürfte ein Zustand des gegenseitigen Mißtrauens innerhalb der staatstragenden Bevölkerungsschicht gewesen sein, der den inneren Frieden des Staates, den eine zahlenmäßig schwächere Herren- und Kriegerschicht über eine eingesessene Bauernbevölkerung errichtet hatte 2 8 und der noch dazu häufig u m seine Existenz gegen die Nachbarstaaten zu kämpfen gezwungen war, auf das schwerste gefährdete. Wenn man ferner bedenkt, daß naturgemäß der άγόμενος Widerstand geleistet haben dürfte, um seine Freiheit nicht zu verlieren, und dabei häufig die Unterstützung anderer gefunden haben wird, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß ein erhebliches öffentliches Interesse an dem Verbot des Wegführ ens προ δίκας bestanden hat. Als das durch das αγειν προ δίκας-Verbot geschützte private Anliegen hatte sich i n den Fällen 1 und 2 die Verhinderung des Eingriffs in eine tatsächlich ausgeübte Sachherrschaft ergeben. Ein derartiger Eingriff liegt auch hier vor. Der άγόμενος würde durch die Wegführung der Verfügungsgewalt über seine Person beraubt, wäre nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und könnte nicht weiterführen, was er geplant und begonnen hat. Er würde dem Willen eines anderen unterworfen und wäre nicht mehr Herr über sich selbst. Hier wie dort liegt ein Angriff auf eine Herrschaftssphäre vor, nur daß es sich bei der Knechtschaftsklage nicht um die Gewaltausübung über andere, sondern die eigene Person handelt. Dort w i r d der „Besitz" an einem Unfreien entzogen, hier an der Freiheit. Das Schutzobjekt ist i n beiden Fällen ein tatsächliches Gewaltverhältnis. Die Gleichheit der Interessen der Betroffenen rechtfertigt die Gewährung des gleichen Schutzes. Auch der nur tatsächlich Freie muß darauf vertrauen können, daß er nicht völlig unvorbereitet seine Freiheit verliert, sonst kann er einer nützlichen und wertschöpfenden Tätigkeit nicht nachgehen. Das gilt vor allem für den hinsichtlich seiner Freiheit Gutgläubigen, kann aber auch dem Schlechtgläubigen nicht versagt werden, soweit er sich nicht verbirgt, sondern offen wie ein Freier lebt 2 9 . W i r kommen somit zu dem Ergebnis, daß i n dem Verbot des αγειν προ δίκας i m Stadtrecht von Gortyn ö f f e n t l i c h e u n d p r i v a t e Interessen Berücksichtigung gefunden haben. Neben dem Anliegen der Gemeinschaft, innerhalb des Staatsgebietes Ruhe und Sicherheit für alle Personen zu schaffen, die nicht von einem Gericht verurteilt worden waren, stand das Bedürfnis des einzelnen — jedem konnte ja die Wegführung mit der Behauptung drohen, er sei Sklave — nach Schutz vor der i h m selbst und den von i h m als Sklaven Gehaltenen drohenden Ge28 29
Kirsten K r e t a 119. Vgl. oben S. 148.
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I I . Der Besitz
fahr, aus heiterem Himmel ergriffen und weggeführt zu werden. R e c h t l i c h gesehen liegt ein b e s c h r ä n k t e r Besitzschutz vor. Bestimmte Herrschaftsverhältnisse wurden durch die Rechtsordnung von Gortyn ohne Rücksicht auf das Vorliegen eines Rechtsgrundes geschützt. Geschützt ist nur die Herrschaft über P e r s o n e n , die eigene und fremde. Ob die Besitzergreifung an Mobilien und Immobilien προ δίκας zulässig war, ergibt sich aus den erhaltenen Teilen des Stadtrechts nicht. Aus diesem Schweigen der Quellen können w i r jedoch keine Schlüsse ziehen, da w i r keine vollständige Kodifikation vor uns haben 30 . W i r müssen uns daher m i t einem „non liquet" begnügen. Das Herrschaftsverhältnis soll i n seinem Fortbestand bis zu einer gerichtlichen Entscheidung gesichert werden. Nur solche Angriffe lösen daher den Schutz aus, die auf Beendigung der Herrschaft gerichtet sind. Inhalt des Schutzes ist das Recht zur B e s i t z w e h r . W i r finden darüber zwar nichts i m Gesetz, doch dürfen w i r annehmen, daß es gestattet war, den Angreifer m i t Gewalt an dem verbotenen αγειν zu hindern. Wenn sich i n der Nachtragsbestimmung Kol. X I Z. 24/25 ein allgemeines Gebot zur Hilfeleistung bei einem αγειν προ δίκας findet: αντροπον δς κ 9 αγει προ δίκας άιεί έπιδέκεθαι31, kann es dem Herrn i n den Fällen 1 und 2 und dem „Freien" i m Falle 3 nicht verwehrt gewesen sein, den von der Rechtsordnung verbotenen Angriff mit Gewalt abzuwehren. Die Zulässigkeit der B e s i t z k e h r muß dagegen verneint werden. Wenn das Gesetz nicht einmal n a c h Verurteilung des αγων i m Vorverfahren eine gewaltsame Wegnahme bzw. Befreiung des αγόμενος gestattete, sondern nur die Vollstreckung gegen den Angreifer zuließ, kann die Wiederbemächtigung i m Wege der Selbsthilfe v o r dem Vorverfahren nicht erlaubt gewesen sein. Der Schutz umfaßt ferner einen gerichtlich verfolgbaren A n s p r u c h gegen den αγων a u f H e r a u s g a b e u n d B u ß e . Hierüber wurde i n einem besonderen, dem Eigentums« oder Freiheitsstreit vorausgehenden Verfahren entschieden. I n i h m blieben das Recht der Parteien und der status des αγόμενος unberücksichtigt. Es handelt sich u m einen reinen B e s i t z p r o z e ß . Anhaltspunkte dafür, daß das Besitzverfahren dem Hauptprozeß vorhergehen bzw. innerhalb bestimmter Fristen eingeleitet werden mußte, besitzen w i r nicht. 80
Bücheler-Zitelmann 46, Kohler-Ziebarth 42/43. Vgl. dazu Bücheler-Zitelmann 100, Recueil 446, Kohler-Ziebarth 81, Weiss Inschrift 4, Guarducci a. a. 0.169/170. Unrichtig Latte Hermes 66 S. 41,1. E r beruft sich f ü r die Bedeutung v o n έπιδέκεσθαι auf Kohler-Ziebarth S. 33 Nr. 2 = I C I V 231. Diese Inschrift ist aber zu lückenhaft, u m einen sicheren Schluß ziehen zu können. 81
§ 11. Die Zuweisung des Zwischenbesitzes in Lokroi I n Lokroi i n Unteritalien soll sich nach einem Bericht des Polybios ( X I I 16) folgendes zugetragen haben: Zwei junge Männer, die w i r m i t Hofmann \ Leist 2 und Mitteis 8 A und Β nennen wollen, stritten u m das Eigentum an einem Sklaven. A war längere Zeit i m Besitz des Sklaven gewesen. Eines Tages entführte Β den Sklaven i n Abwesenheit des A. Zwei Tage später begab sich A i n das Anwesen des Β und führte den Sklaven von dort aus direkt vor die Archonten. Er forderte diese auf, i h m den Besitz für die Dauer des Eigentumsstreits zuzusprechen, und stützte diesen Antrag auf das Gesetz des Zaleukos: ,,Κελεύειν γαρ τον Ζαλεύκου νόμον τούτον δείν κρατεΐν των αμφισβητουμένων εως της κρίσεως παρ9 οδ την άγωγήν συμβαίνει γίνεσθαι." Β beantragte, den Sklaven für die Dauer des Prozesses i h m zu überantworten. Er begründete seinen Antrag m i t der Tatsache, daß die άγωγή aus seinem Hause erfolgt war. Die Archonten waren i m Zweifel, wie zu entscheiden sei, und zogen den Kosmopolis zu Rate. Dieser interpretierte das Gesetz folgendermaßen: Παρά τούτων τήν άγωγήν αιεί γίνεσθαι, παρ9 οίς αν εσχατον άδήριτον ή χρόνον τινά γεγονός τό διαμφισβητούμενον εάν δέ τις άφελόμενος βίςι παρά τίνος άπαγάγη προς αυτόν, καπειτα παρά τούτου τήν άγωγήν ό προϋπάρχων ποιήται δεσπότης, ουκ είναι ταύτην κυρίαν." Daraufhin entschieden die Archonten nach seiner Ansicht. Der Bericht des Polybios ist für uns wegen der Auslegung bedeutsam, die der Kosmopolis dem angeblichen Gesetz des Zaleukos gab. Nach dem Gesetzeswortlaut scheint Β i m Recht zu sein; denn von seinem Hause aus hat A, wie der Kosmopolis ausdrücklich feststellt, eine άγωγή vorgenommen. Β hatte aber den Besitz erst zwei Tage vorher durch άγωγή erlangt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte A besessen. Die άγωγή des Β war zwar nicht rechtswidrig gewesen — anderenfalls hätte A vor den Archonten ohne Zweifel das Tun des Β gerügt und wären diese kaum unschlüssig gewesen, wem der Zwischenbesitz gebührte — doch wäre es nicht i m Sinne des Gesetzes des Zaleukos gewesen, hätte man Β jetzt den erst vor zwei Tagen erlangten Besitz einstweilen zugesprochen. Der Gesetzgeber von Lokroi hatte den bei einem Streit um das Eigentum an einer Sache regelmäßig auftretenden Konflikt um die Nutzung des Streit1
Beiträge 118 ff. Eigentumsstreit 33 ff. « SZR 23/293 ff.
2
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I I . Der Besitz
Objektes für die Dauer des Prozesses zugunsten des mit der Klage angegriffenen Besitzers lösen wollen. Das ergibt sich daraus, daß die gesetzliche Bestimmung auf den Raum abstellt, aus dem heraus die αγωγή erfolgt 4 (παρ' οΰ), und aus dem Umstand, daß es nach der Lebenserfahrung regelmäßig der Nichtbesitzer ist, der den Rechtsstreit einleitet. Von den an sich gleichwertigen Interessen beider Parteien an der Nutzung der Sache während des Prozesses sollten also die Belange des bisherigen Besitzers den Vorrang haben. Hierbei dürfte die Absicht mitgesprochen haben, keinen Anreiz zum αγειν für nichtbesitzende Eigentumsprätendenten zu schaffen. Die einstweilige Sachherrschaft war daher nicht dem absolut letzten Besitzer, sondern derjenigen Partei zuzuerkennen, welche die Gewalt über die Sache ausgeübt hatte, als der Angriff der nicht-besitzenden Partei begann. Hierbei ist unter Angriff nicht nur die Einleitung des Verfahrens, sondern auch ein αγειν zu verstehen, wenn daraufhin der bisherige Besitzer das Gericht zur Entscheidung über das Eigentum anruft. Der Kosmopolis legte daher das Gesetz einschränkend aus und erklärte die άγωγή des A vom Hause des Β her für nicht maßgeblich 5 , da παρ9 οΰ nur den Herrschaftsbereich einer Person meine, welche die umstrittene Sache als letzte eine gewisse Zeit lang 6 unangefochten i n ihrer Gewalt gehabt habe. Weitere Voraussetzungen stellte er nicht auf, es ist daher unrichtig, wenn i n der Literatur von rechtmäßigem 7 , unanfechtbarem 8 oder fehlerfreiem 9 Besitz gesprochen wird. Nicht einmal den Fall der früheren gewaltsamen Erlangung der Sache nimmt er aus, von Gewalt ist vielmehr nur i n dem zweiten, konkreten Teil der Ausführungen des Kosmopolis die Rede, i n dem er die vorangestellte abstrakte Lehre auf den i h m unterbreiteten Fall anwendet. W i r dürfen daher annehmen, daß selbst eine frühere gewaltsame Bemächtigung unschädlich sein sollte, wenn der Gegner sich daraufhin nicht alsbald gerührt und den Rechtsstreit eingeleitet hatte. Gerade diese Erkenntnis des Einflusses des Zeitablaufes ist es, die den Bericht des Polybios so wertvoll für uns macht, das Erfassen der Bedeutung des Zeitmoments für die Bewertung der Beziehungen zwischen Personen und Sachen. Nicht jedes tatsächliche Herrschaftsverhältnis verdient A n erkennung durch die Rechtsordnung, es muß sich diese vielmehr erst durch eine gewisse Dauer des Bestehens erdienen. Erst wenn eine Zeitlang niemand anderes die Herrschaft oder Mitherrschaft für sich beansprucht hat, ist die Beziehung soweit erstarkt, daß sie Anerkennung 4
So auch Recueil 444, 1 A 1. Zur Bedeutung von κύριος vgl. Wolff , Symbolae Taubenschlag I 363 f. β Hof mann 125 verwechselt hier Gesetz u n d Interpretation. 7 Mitteis 294. 8 Mitteis 294. 0 Käser SZR 64/188. 5
δ 11. Die Zuweisung des Zwischenbesitzes i n L o k r o i
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finden kann. Der Besitz des Β hatte zu kurze Zeit bestanden, als A i h n beendete. Seine Herrschaft hatte nicht so lange angedauert, daß sie den Vorzug vor der des A verdiente, die Β längere Zeit unangefochten hatte bestehen lassen. Als Beleg für einen Besitz s c h ü t z können w i r den Bericht des Polybios freilich n i c h t werten. Sowohl der zitierte Text des Gesetzes als auch das Verhalten des A deuten darauf hin, daß w i r es nur mit einer Regelung des vorläufigen Besitzes für die Dauer des Eigentumsstreits zu t u n haben. Lipsius 10 i r r t daher, wenn er meint, der Zweck des Gesetzes könne n u r Schutz des Besitzers wie i n Gortyn gewesen sein. Allenfalls könnte man sagen, dies sei a u c h der Zweck gewesen, doch dürften selbst dafür sichere Anhaltspunkte fehlen. W i r haben keinerlei A n zeichen dafür, daß dem A die Möglichkeit eingeräumt gewesen wäre, das Gericht allein zum Zwecke der Wiedererlangung des Besitzes anzurufen. W i r erfahren auch nichts über die Zulässigkeit einer Besitzwehr oder Besitzkehr. Ja man kann sagen, welches Interesse könnte A an der Durchführung des Eigentumsstreits gehabt haben, wenn es i h m möglich gewesen wäre, den Besitz zurückzuerlangen? Er hatte die Sache bisher i n seiner Gewalt gehabt, ohne daß ein Gericht sie i h m zugesprochen hatte, und hätte es auch i n Zukunft bei dieser Lage der Dinge bewenden lassen können, wenn es i n Lokroi einen Besitzprozeß gegeben hätte. Von einem Besitzschutz zu sprechen sind w i r somit für Lokroi nicht berechtigt. W i r haben es vielmehr mit einer a n d e r s a r t i g e n B e s i t z a u s w i r k u n g zu tun, dem Recht auf Zuerkennung der Befugnis zur Innehabung der Sache für die Dauer eines sich erhebenden Eigentumsstreits. Daß es sich hierbei um eine W i r k i m g der bisher innegehabten Herrschaft und nicht einer Handlung, nämlich der άγωγή, handelt, ergibt sich deutlich aus dem Gesetz und den Ausführungen des Kosmopolis: Es ist die Präposition παρά, nicht διά mit dem Genitiv gebraucht, also nicht auf die Person des αγων, sondern den Ort, von dem aus die Handlung vorgenommen worden ist 1 1 , abgestellt. Wer die άγωγή vorgenommen hatte, war gleichgültig, entscheidend war allein, aus wessen Herrschaftsbereich sie erfolgt, d. h. wessen Besitz gebrochen worden war. Die Vornahme der άγωγή löste eine Wirkung der tatsächlichen Sachherrschaft aus wie eine Entziehung der Sache den Besitzschutz. Die Rechtsfolge trat ein ohne Rücksicht darauf, ob der durch sie begünstigte bisherige Besitzer den Sklaven mit Recht besaß. Sie war allein an die Tatsache geknüpft, daß er eine gewisse Zeit lang die Gewalt unangefoch10 11
Attisches Recht 670, 120. Vgl. Mitteis a. a. O. 294/5.
158
I I . Der Besitz
ten ausgeübt hatte. W i r können daher unbedenklich von einer echten Besitzwirkung sprechen. Die i n Lokroi an das Bestehen einer tatsächlichen Sachherrschaft geknüpfte Rechtsfolge ist somit, soweit w i r es aus dieser Quelle schließen können, i n ihrer Wirkung schwächer gewesen als i n Gortyn, da sie nicht zum Besitzschutz gediehen war.
§ 12. Der Besitz im Recht von Athen "Αγειν und Streit um den Z w i s c h e n b e s i t z in
Athen
E i n ganz anderes B i l d zeigen uns die Quellen vom Recht Athens. Hier war ein αγειν προ δίκας z u l ä s s i g , während sich Bestimmungen über den einstweiligen Besitz für die Dauer eines Eigentumsstreits n i c h t n a c h w e i s e n lassen. Das αγειν war ein erlaubter und üblicher Weg, das Recht des Herren über einen Menschen geltend zu machen. Das zeigt der Gebrauch der Wendungen έαυτοΰ δοΰλον είναι 1 , εαυτοΰ είναι 2 in den Berichten, welche die Redner über derartige Vorfälle geben. Doch können w i r daraus nicht den Schluß ziehen, daß der Gebrauch dieser Worte notwendig war. Ein legaler Weg, sich dem Zugriff des δγων und damit der Abführung i n dessen Herrschaftsbereich zu entziehen, bestand für den άγόμενος selbst nicht. Es mußte vielmehr ein Dritter eingreifen und άφαιρείσθαι3 bzw. έξαιρεΐσθαι εις ελευθερίαν.. Λ Hierunter haben w i r einen Formalakt zu verstehen 5 , durch welchen dem αγων die Fortsetzung der Eigenmacht untersagt wurde. I h m blieb alsdann kein anderer Weg, als den Ergriffenen freizugeben — deshalb konnte er verlangen, daß i h m Bürgen gestellt wurden — und εξαιρέσεως gegen den Dritten zu klagen®. Ob auch der άγόμενος selbst Klage gegen den αγων erheben konnte, ist i n diesem Zusammenhang ohne Bedeutung 7 , da feststeht, daß er jedenfalls zur vorläufigen Befreiung aus den Händen des αγων der Hilfe eines Dritten bedurfte. Ob das άφαιρεΐσθαι bzw. έξαιρείσθαι εις ελευθερίαν die einzige Möglichkeit war, den Zugriff einer Person auf eine andere einstweilen abzuwehren, lassen die Quellen nicht klar erkennen. Wahrscheinlich ist aber, 1
Lysias X X I I I 1 1 . Aischines I 62. 8 Demosth. L I X 40, Aischines a. a. O. 4 Lysias X X I I I 9 . 5 Käser SZR 64/202. β Käser a. a. O., Lipsius A t t . R. 641, Partsch Bürgschaftsr. 297, Rabel SZR 36/380. Harpokration u. Suidas s. ν. έξαιρέσεως δ. 7 Vgl. Partsch a. a. Ο. 296,4. 297 gegen Lipsius a. a. O. 642. Zweifelnd Rabel a. a. 0.380,1. s. auch Wolff Tijdschrift X X V 74. 2
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I I . Der Besitz
daß der Zugriff auch durch ein Gegen-αγειν beendet, also dem αγειν ein αγειν entgegengesetzt werden konnte. W i r finden nämlich i n der dreiundzwanzigsten Rede des Lysias eine Gleichstellung von αγειν und άφαιρείσθαι als vom αγων respektierte Abwehrmaßnahmen. Der Sachverhalt ist folgender: Nikomedes hatte Hand an Pankleon gelegt. Daraufhin hatten dessen Begleiter erklärt, Pankleon habe einen Bruder, 8ς έξαιρήσοιτο αυτόν εις ελευθερίαν, sich sodann für das Wiedererscheinen des Pankleon verbürgt und mit i h m entfernt. A m nächsten Tage fanden sich zwar Pankleon und seine Begleiter ein, nicht aber der angebliche Bruder. Statt dessen trat eine Frau auf φάσκουσα αυτής αυτόν είναι δοΰλον, αμφισβητούσα τφ Νικομήδει, και ουκ εφη έάσειν αυτόν αγειν. Es wurde dann eine Weile h i n und her geredet, wobei Nikomedes und die Frau sich bereit erklärten zum άφιέναι, εϊ τις ή εις έλευθερίαν τούτον (άφαιροΐτο) ή α γ ο ι φ ά σ κ ω ν ε α υ τ ο ΰ δ ο ΰ λ ο ν ε ί ν α ι . Dies geschah aber nicht, sondern Pankleon und seine Genossen βία ωχοντο8. A u f das αγειν durch Nikomedes war also ein έξαιρεΐσϋαι weder am selben noch am nächsten Tage gefolgt. Der Sprecher berichtet aber, Nikomedes habe ausdrücklich erklärt, er sei zufrieden ει τις αγοι φάσκων εαυτοΰ δοΰλον είναι. Insoweit w i r d der Text auch nicht durch die verschiedenen Ergänzungsvorschläge zu dem ει τις-Satz betroffen, das αγοι ist einwandfrei 9 . Daraus müssen w i r schließen, daß auch ein Gegen-αγειν und nicht nur ein έξαιρείσϋαι dem άγων haftbar machte, wenn sich seine Eigentumsbehauptung als wahr erwies. Denn w i r dürfen nicht annehmen, daß Nikomedes sich so geäußert hätte, wenn ein Gegen-αγειν diese Folge nicht gehabt hätte. Auf Grund seiner Äußerung dürfen w i r daher vermuten, daß ein Gegenαγειν dem έξαιρείσθαι i n den Rechtsfolgen gleichkam. Warum Nikomedes sich nicht an die Frau halten konnte, die am 2. Tag auf getreten war, ist klar; sie hatte nur R e d e n geführt, aber unterlassen, die notwendige H a n d l u n g — wahrscheinlich eine förmliche Handanlegung 10 — vorzunehmen. Bei ihr ist i n dem Bericht des Sprechers von einem αγειν nicht die Rede. Wie w i r annehmen dürfen, hat sie sich aus gutem Grund gehütet, die Handlung zu vollziehen, weil sie nämlich die Unrichtigkeit ihrer Behauptungen kannte und einen Prozeß mit Nikomedes nicht riskieren konnte. Sie stand i m Bunde mit Pankleon und wollte i h m helfen, ohne sich einer Klage auszusetzen. Nur so ist zu erklären, daß sie ein Wegführen zwar nicht dem Nikomedes, aber jedem anderen gestatten wollte; sie wußte nämlich, daß es niemand tun würde. Hätte sie wirklich Rechte an Pankleon gehabt, hätte sie selbst das Erforderliche t u n und diesen vor der Abführung schützen können. 8
Lysias X X I I I 9—11. Vgl. Lysias orationes ree. Thalheim, Ed. maior (Leipzig 1901) u n d Lysias Discours ed. Gernet et Bizos, Deuxième Ed. (Paris 1955) zu der Stelle. 10 Vgl. Käser SZR 64/203. 9
§12. Der Besitz i m Recht von A t h e n
161
Da keiner der möglichen Schutzakte vorgenommen worden war, w i r d die Handlungsweise der Genossen des Pankleon, die diesen dem Zugriff schließlich entzogen, vom Sprecher mit Recht als Gewaltakt bezeichnet. Weitere Quellenstellen zu diesem Problem haben w i r nicht. Die siebzehnte Rede des Isokrates hat aus mehreren Gründen keinen Beweiswert. Einmal wissen w i r überhaupt nicht, ob Menexenos an dem Sklaven Kittos ein förmliches αγειν vollzogen hatte. I m Text 1 1 heißt es έπιλαβόμενος. Die Bemächtigimg war überdies offensichtlich nicht zu dem Zwecke geschehen, den Sklaven als Eigentum zu beanspruchen, sondern u m zu verhindern, daß Pasion, der Herr des Sklaven, auf den Antrag des Menexenos und des Sprechers, den Sklaven als Beweismittel foltern zu lassen, behaupten konnte, er wisse nicht, wo sich der Sklave aufhalte 12 . Denn Pasion hatte dem Kittos Weisung gegeben zu verschwinden 13 , um auf einfache Weise die Folterung zu vermeiden, bei der er das Aufkommen der Wahrheit befürchten mußte. Ein αγειν i m eigentlichen Sinne war somit gar nicht erfolgt, es sei denn ein mißbräuchliches. Zum zweiten ist die Rede deshalb für unseren Zweck unbrauchbar, weil es für Pasion nach Lage der Dinge gar keine Wahl gab, wie dem Zugriff zu begegnen sei. Denn nachdem seine Gegner den Sklaven einmal ergriffen hatten, konnte i h n ein Gegen-αγειν nicht aus dem Dilemma befreien, dem er mit dem Verschwinden des Kittos zu entgehen gehofft hatte. Zwar hätte er durch ein Gegen-αγειν Kittos freibekommen können, jedoch hätte Menexenos dann ohne Zweifel sofort seine Zustimmung zur Folterung gefordert. Diesem Verlangen brauchte Pasion nach dem Rechte Athens zwar nicht zu entsprechen, da die Aussage eines Sklaven auf der Folter nur i m Einverständnis beider Parteien vor Gericht als Beweismittel verwertet werden durfte 1 4 , doch mußte er damit rechnen, daß die Gegner seine Weigerung i n ihren Plädoyers gegen ihn verwerten würden 1 5 . Es blieb daher Pasion nur die Möglichkeit, so zu tun, als sei Kittos kein Sklave mehr und deshalb der Folter nicht unterworfen. Er war also g e z w u n g e n , eine άφαίρεσις vorzunehmen. Er konnte das unbedenklich tun, ohne eine Klage εξαιρέσεως befürchten zu müssen; denn Menexenos hätte diese Klage ja höchstens mit der Behauptung erheben können, Pasion habe seinen eigenen Sklaven als frei reklamiert, und wäre damit niemals durchgedrungen. Diese Rede ist sonach kein Beweis für oder gegen die Möglichkeit eines Gegen-αγειν. Dasselbe gilt für einen bei Aischines 16 geschilderten Vor11 12 13 14 15 16
11
Isokr. X V I I 17. Unrichtig Partsch Bürgschaftsr. 168, richtig Maschke Freiheitsprozeß 83. § 11. Lipsius A t t . R. 890. Wie bei Lysias I V 12, V I I 36 u. Demosth. I L 58. 162 ff. Kränzlein
162
I I . Der Besitz
fall, der insofern befremdet, als ohne Eingreifen eines Organs der Polis an einer als δημόσιος οίκέτης της πόλεως bezeichneten Person ein αγειν vollzogen und durch ein von einem um Hilfe angegangenen Bürger vorgenommenes άφαιρεΐσθαι εις ελευθερίαν beantwortet wird. Wenn es sich dabei wirklich u m einen Staatssklaven 17 gehandelt hätte, würde die Stelle darauf hindeuten, daß zur Beendigung des Selbsthilfe-Zugriffs auch ein άφαιρεϊσθαι m i t offensichtlich unrichtiger Behauptung genügte. Jedoch bestehen gegen die Annahme, daß der άγόμενος tatsächlich Staatssklave war, erhebliche Bedenken, insbesondere auf Grund der Tatsache, daß von keiner Intervention seitens der Polis berichtet wird. Man kann doch nicht annehmen, den Behörden sei das Schicksal der öffentlichen Sklaven gleichgültig gewesen und sie hätten derartigen Übergriffen auf das Staatsvermögen stillschweigend zugesehen. Es ist auch auffallend, daß der Sprecher das T i m des Hegesandros nicht schärfer anprangert. Es w i r d deshalb die Meinung vertreten, die Bezeichnung δημόσιος οίκέτης της πόλεως diene nur dazu, die H e r k u n f t des άγόμενος zu beleuchten, solle aber nicht besagen, daß er zur Zeit des Vorfalls noch den status eines Staatssklaven gehabt habe. Pittalakos sei vielmehr vorher freigelassen worden 18 . Diese Ansicht hat viel für sich, w i r müßten dann annnehmen, Aischines habe sich hier ungenau ausgedrückt. Das aber ist durchaus denkbar 19 . Auch dieser Fall gestattet somit keine zwingenden Schlüsse. Es bleibt allein die Lysias-Stelle, welche die Wahrscheinliche^ für sich hat; denn dem Herrn eines Sklaven kann es kaum versagt gewesen sein, sich gegenüber dem Zugriff eines Dritten darauf zu berufen, daß der Ergriffene ihm gehöre 20 . Unbekannt ist uns für das Recht Athens, was geschehen konnte bzw. unternommen werden mußte, um die Anerkennung einer Person als frei durchzusetzen, die als Sklave eines anderen lebte, insbesondere ob sich der Herr einem eigenmächtigen Wegführen προ δίκας widersetzen konnte. So abwegig, wie Maschke 21 meint, ist die Ansicht von Lipsius 22, das Verfahren sei gleichfalls durch ein άφαιρεΐσθαι εις έλευϋερίαν eingeleitet worden, gar nicht. Warum sollte dieser Formalakt nicht auch als Angriffsmittel brauchbar gewesen sein? Die Frage ist vielmehr anders zu stellen: Lassen die Quellen einen derartigen Gebrauch als Primär-, nicht nur Sekundärakt erkennen und wenn ja, was geschah danach? 17
Vgl. Lipsius A t t . R. 642, 21, Busolt-Swoboda 981, 8. Jacob Les esclaves 158 ff., Kahrstedt Staatsgebiet 325. 19 Vgl. Blass Die attische Beredsamkeit I I I , 2 2 · 169, Wolff Griechisches Rechtsdenken I I I , 2 297. 20 Auch Lipsius a. a. O. 640 n i m m t das an, geht aber i m einzelnen nicht auf das Problem ein. 21 Freiheitsprozeß 80/81. 22 A t t . R. 640, 13. 642. 18
§12. Der Besitz i m Recht von A t h e n
163
Die Antwort dürfte wohl „nein" zu lauten haben 23 . I n den Quellen findet sich kein Fall eines derartig gebrauchten άφαιρείσθαι. Maschke 24 und Nicolau 25 irren, wenn sie den o. e. Fall des dem Pasion gehörenden Sklaven hierher ziehen. Pasion greift ein, nachdem sein Gegner Menexenos den Kittos i n seine Gewalt gebracht hatte. Nicht Pasion war also der Angreifer, sondern Menexenos. Pasions Tun war nur eine Reaktion auf das Verhalten seines Gegners. Das aber ist, wie w i r oben gesehen haben, die t y p i s c h e Verwendung des άφαιρείσθαι, nicht beim Angriff gegen die Herrschaft eines Menschen über einen anderen, sondern bei der Abwehr gegen den Versuch, eine solche zu errichten. Hier interessieren uns aber nur solche Fälle, i n denen ein άφαιρείσθαι m i t dem Ziel vorgenommen wurde, dem Weggeführten die Freiheit zu verschaffen, die er bis jetzt entbehrt hatte. Isokrates X V I I kann daher nicht herangezogen werden. Nach den Worten des Sprechers bei Demosthenes L V I I I 19: δραχμάς . . . ας προσώφλεν άφελόμενος τήν Κηφισοδώρου θεράπαιναν εις έλευθερίαν könnte man meinen, er beziehe sich auf eine Verurteilung wegen Wegführung der Sklavin eines Kephisodoros als Freie. Es sieht also so aus, als sei der Verurteilte der Angreifer gewesen und dann i n einem von Kephisodoros deswegen gegen ihn angestrengten Verfahren unterlegen. Doch können w i r nicht ausschließen, daß der Verurteilte nur einem αγειν des Kephisodoros entgegengetreten und i n dem sich anschließenden Prozeß άφαιρέσεως verurteilt worden war, weil die Sklavin wirklich Eigentum des Kephisodoros gewesen war 2 6 . W i r können also nicht sagen, aus dieser Stelle ergebe sich mit Sicherheit, daß eine Freiheitsklage durch άφαιρείσθαι eingeleitet werden konnte, und zwar selbst dann nicht, wenn w i r den i n § 21 der Rede enthaltenen Hinweis des Sprechers auf den Tatbestand des Gesetzes27, nach dem die Verurteilung erfolgt war, i n den Kreis unserer Betrachtung einbeziehen; denn μή δικαίως άφελέσθαι kann man auch von dem Schützer sagen, der einen anderen gegen ein berechtigtes αγειν verteidigt hat. Es bleibt zu betrachten ein von Isokrates i m Παναθηναϊκός § 97 gebrauchter Vergleich: παραπλήσιον εποίησαν τοις παρά μέν των άλλων τους οίκέτας εις έλευθερίαν άφαιρουμένοις, σφίσι δ' αύτοΐς δουλεύειν άναγκάζουσιν28. Hier scheint an ein angriffsweises In-die-Freiheit-Führen gedacht zu sein, an den Eingriff i n eine schon eine gewisse Zeit lang bestehende Herrschaft. Betrachten w i r aber, welches Verhalten der Staaten der Athener 23
Vgl. Paoli, Studi A l b e r t o n i I I 335. Freiheitsprozeß 85. 25 S. 296. 26 So verstanden v o n Lipsius A t t . R. 641, 18. Unentschieden Maschke a. a. O. 77. 80. Wie Lipsius Beauchet I I 519. 27 *Ός αν δόξη μή δικαίως εις τήν έλευθερίαν άφελέσθαι. 28 Vgl. Lipsius A t t . R. 640,13. 642, Maschke Freiheitsprozeß 81, 82. 24
li*
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I I . Der Besitz
und Lakedaimonier durch diesen dem Zivilrecht entlehnten Terminus charakterisiert werden soll, bekommen w i r Bedenken. Es heißt nämlich: προσποιούμενοι κινδυνεΰσαι προς τους βαρβάρους υπέρ των Ελλήνων ουκ εϊασαν τάς πόλεις αύτονόμους είναι και διοικήσαι τά σφέτερ' αυτών δπως εκάστη συνέφερεν, άλλ9 ωσπερ αιχμαλώτους ειληφυίαι διελόμεναι κατεδουλώσαντο πάσας αύτάς. Damit sind doch offensichtlich nicht nur die aus der Perserherrschaft befreiten Staaten gemeint, sondern ganz allgemein die vor der Persergefahr beschützten πόλεις Griechenlands. Auch diese Stelle ist daher m. E. nicht geeignet, die Einleitung der Freiheitsklage i n Athen durch ein άφαιρείσθαι zu erweisen. Sie ist, ebenso wie die zuvor betrachtete Demosthenes-Stelle, zu unbestimmt, um daraus sichere Schlüsse ziehen zu können. Selbst wenn w i r aber ein άφαιρείσθαι als Einleitung der Freiheitsklage für erwiesen ansehen könnten, wüßten w i r nicht, was danach geschah. Mußten dem Herrn des angeblich Freien Bürgen gestellt werden, blieb also der άφαιρεθείς i n Freiheit, bis sein Herr ein obsiegendes Urteil erstritten hatte wie beim Zugriff auf einen frei lebenden Menschen? Oder konnte der Herr nach Verbürgung Herausgabe des Weggeführten verlangen und dann abwarten, ob der άφαιρούμενος ein Urteil gegen ihn erwirken werde? M. E. ist letzteres wahrscheinlicher, weil kaum anzunehmen ist, daß bei der großen wirtschaftlichen Bedeutung der Sklaven i n Athen 2 9 die Rechtsordnung die legale Möglichkeit geboten haben kann, einem Herrn seinen Sklaven mit der bloßen Behauptung zu entziehen, der Sklave sei ein freier Mensch. Ebenso ist kein Grund ersichtlich, der die Athener veranlaßt haben könnte, dem Herrn des als frei reklamierten Menschen die Last der Anrufung des Gerichts aufzubürden und dem Schützer diese Mühe abzunehmen. Doch soll nochmals betont werden, daß es sich hier nur um eine Annahme handelt. Wem i n Athen der e i n s t w e i l i g e Besitz der umstrittenen Sache während eines Eigentumsstreits zuerkannt worden ist, wissen w i r gleichfalls nicht 30 . Doch dürfte es regelmäßig darüber keinen Streit gegeben haben, soweit es sich um das Eigentum an einem Sklaven handelte, weil der derzeitige Herr dem Zugriff durch ein Gegen-αγειν entgegentrat und den Besitz dadurch wiedererlangte. Daß auch die Sequestration bei einer Behörde nicht außerhalb des Betrachtungskreises der Griechen lag, zeigt die von Piaton i n den Gesetzen X I 914 D vorgesehene Regelung, wonach die umstrittene Sache bis zur Entscheidung des Rechtsstreits bei den drei ältesten Archonten zu verbleiben hatte. Diese Bestimmung findet auch auf Tiere Anwendung, woraus zu ersehen ist, daß 29
Vgl. J. Vogt Sklaverei u. Humanität i m klass. Griechentum 163. Recueil 444, 1, Beauchet I I 514, Lipsius a. a. O. 681, Gernet-Bizos Discours I I (1955) 99, 2. 30
Lysias
§ 12. Der Besitz i m Recht von Athen
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der Philosoph nicht etwa nur an solche Sachen gedacht hat, die während der drei Tage, innerhalb derer der Prozeß zu entscheiden war 8 1 , keinen oder nur geringen Nutzen bringen konnten. Er hat vielmehr bewußt keine der Parteien bevorzugen wollen. Jedoch haben w i r keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß Piaton hier geltendes Recht seiner Zeit übernommen hat 8 2 . Auch sonst sind die Nomoi für unseren Zweck nicht ergiebig. Aus den Regeln, die Piaton über das αγειν aufstellt, können w i r nichts dafür entnehmen, daß i n Athen der tatsächlichen Sachherrschaft eine besondere Bedeutung beigemessen worden ist. Dem Recht seiner Vaterstadt folgend 33 gestattet Piaton das αγειν eines Sklaven, der sich dem Herrschaftsbereich seines Herren entzogen hat. Berechtigt sind nicht nur der Herr selbst, sondern auch bestimmte Dritte, υπέρ άλλου των οικείων ή φίλων, diese jedoch nur έπί σωτηρίςι (Nomoi X I 914 Ε). Auch gegenüber Freigelassenen ist das αγειν erlaubt (915 A), wenn diese die ihnen gegenüber ihren Freilassern obliegenden Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen. Ob der ως δούλος άγόμενος nach Piatons Absichten selbst die Wegführung verhindern konnte, erfahren w i r nicht. Da aber ausdrücklich das άφαιρείσθαι durch Dritte vorgesehen ist, dürfen w i r annehmen, daß dem Ergriffenen selbst keine Möglichkeit eingeräumt werden sollte, sich dem Zugriff zu entziehen, und daß er nach dem Willen Piatons der Hilfe eines Schützers bedürfen sollte. Der Schützer 84 mußte drei Bürgen stellen, sonst war sein άφαιρείσθαι rechtswidrig und er schadensersatzpflichtig. Über die Geltendmachung der Freiheit einer als Sklave lebenden Person und des Eigentums an einem von einem anderen als Sklave gehaltenen Menschen können w i r Piatons „Gesetzen" nichts entnehmen. W i r können somit als Zwischenergebnis feststellen, daß nach dem bisherigen Ergebnis der Untersuchung sich nichts dafür ergeben hat, daß i m attischen Recht an das bloße Haben einer Sache Rechtsfolgen geknüpft worden sind. Ehe w i r aber ein abschließendes Urteil fällen können, müssen noch weitere attische Rechtseinrichtungen betrachtet werden.
Daß der tatsächlichen Sachherrschaft i n der D i a d i k a s i a keine besondere Bedeutung zugemessen worden ist, hat Käser 85 überzeugend 31
Platon a. a. O. D i e Übernahme aus dem geltenden Recht w i r d v o n Partsch Bürgschaftsr. 339 unter Zustimmung v o n Lipsius A t t . R. 715, 141 geleugnet. Α . A . Beauchet I V 338. Ohne Stellungnahme Käser SZR 64/191. 83 Maschke Freiheitsprozeß 71, Nicolau 295, Malicet 44. 34 Hier besteht eine eindeutige Abweichimg v o m Recht Athens, vgl. Partsch a. a. O. 297. 35 SZR 64/179 ff. 32
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I I . Der Besitz
dargelegt. Jede Partei hatte das von i h r behauptete Recht zu beweisen. Für den Streit um Immobilien sagt Isaios X 24 ausdrücklich, der Besitzer müsse den Rechtsgrund seines Besitzes angeben. Für den Fahrnisprozeß fehlt eine entsprechende Quelle, doch ist kaum anzunehmen, daß der Besitzer einer Mobilie sich passiv verhalten konnte. Das folgt aus der „vollkommenen Zweiseitigkeit" 3 6 des Verfahrens, aus der sich i m übrigen ergibt, daß nicht etwa n u r der Besitzer das behauptete Recht beweisen mußte 37 . Denn da die Richter nur darüber zu urteilen hatten, wer ihrer Überzeugung nach der besser Berechtigte war, mußte der Schweigende notwendig unterliegen. D i e δίκη έξούλης — e i n e K l a g e aus d e m B e s i t z ? Ob die δίκη εξούλης auch dem B e s i t z e r eines Grundstücks zustand, der gewaltsam aus dem Besitz verdrängt worden war, ist den Quellen nicht mit Sicherheit zu entnehmen. I n den beiden Fällen, die als Beleg hierfür angeführt werden 38 , Isaios I I I 62 und V 22 30 , heißt es nur, daß eine εξαγωγή vorgenommen worden war. Aber selbst wenn das εξάγειν zu einer Klage έξούλης geführt haben sollte, könnten w i r nicht sagen, die δίκη έξούλης habe auch dem Besitzschutz gedient. Denn w i r haben keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie jedem zugestanden hätte, der ein Grundstück innehatte. Vielmehr muß m i t Käser 40 angenommen werden, daß nur der Besitzer berechtigt war, der unter einen der bekannten Privilegierungsfälle 41 fiel. Das bedeutet aber, daß der Rechtsgrund der Sachherrschaft von entscheidender Bedeutung war. Gehörte der Besitzer nicht einer der vier Fallgruppen an, war die δίκη έξούλης unzulässig. Die Klage ist daher keine an die bloße Tatsache der Sachherrschaft über ein Grundstück geknüpfte Rechtsfolge, sie ist k e i n e B e s i t z k l a g e 4 2 . Das zeigt sich besonders bei Isaios V 22: Mikion hatte über den Sprecher nur dadurch gesiegt, daß Dikaiogenes έβεβαίωσε Μικίωνι το βαλανεΐον. Das heißt, Dikaiogenes hatte Gewähr geleistet und bestätigt, daß er das Bad, welches i h m — Dikaiogenes — früher gerichtlich zugesprochen worden war, dem M i k i o n als Sicherungsobjekt übertragen hatte. M i k i o n hatte 36
Käser a. a. O. 185. Das von Käser 190 für die Beweispflicht des Klägers herangezogene Beispiel — Isaios V 22 f. — ist unglücklich gewählt. Denn an dieser Stelle handelt es sich, wie Käser selbst ausführt (194,194) u m eine δίκη έξούλης und nicht u m eine Diadikasia. Bei der δ. έ. hing jedoch schon die Zulässigkeit von der Z u gehörigkeit des Klägers zu einer der privilegierten Gruppen ab, wie sogleich gezeigt werden soll. 38 Käser SZR 64/194, Rabel SZR 36/352. 39 Dazu k o m m t noch Harpokration sv. έξούλης. Vgl. dazu Lipsius SZR 37/8 ff., SZR 39/43 ff., Rabel SZR 38/306 if. 40 SZR 64/191, 189. 194, 194. Ebenso Rabel SZR 38/309, Lipsius SZR 37/9. 41 Rabel SZR 36/374, Käser SZR 64/191. 42 Auch Lipsius w o l l t e nicht so verstanden werden: SZR 37/9. 37
§ 12. Der Besitz i m Recht von A t h e n
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die Klage somit nicht nur, wie w i r bei einer Besitzklage erwarten müßten, darauf gestützt, daß er Besitzer gewesen sei und i h n die Gegner aus dem Besitz verdrängt hatten, was zweifellos leicht durch Zeugen zu beweisen gewesen wäre, sondern daneben Dikaiogenes als denjenigen benannt, von dem er seinen Besitz ableitete. Bei dem Charakter des Dikaiogenes muß das, wenn auch nur ein Teil der vom Sprecher behaupteten Tatsachen der Wahrheit entspricht, sehr riskant gewesen sein. Es liegt daher die Folgerung nahe, daß Mikion gezwungen war, so zu verfahren, weil er nämlich seine Berechtigung zum Besitz nachweisen mußte, anderenfalls die Klage unzulässig gewesen wäre. W i r können daher die δίκη έξούλης aus dem Kreis unserer Betrachtungen ausscheiden, sie ist keine Besitzklage 43 . Besitzschutz
des
Bergwerkspächters?
I m Bericht des Dionysios von Halikarnassos über Deinarchos 44 w i r d als unecht eine Rede gegen einen gewissen Mekythos für einen Grubenpächter 45 erwähnt, der von dem Besitzer eines Schachts i n der Nachbarschaft aus seiner Grube vertrieben 46 worden war. Es handelt sich offensichtlich um den bei Demosthenes X X X V I I 35 erwähnten Tatbestand αν τις έξείλλη τινά τής έργασίας. Rechtlich gesehen liegt unzweifelhaft B e s i t z e n t z i e h u n g vor. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, daß die Athener den Grubenpächter als Eigentümer auf Zeit angesehen haben 47 . Trifft diese Annahme zu, handelt es sich bei dem Schutz gegen Vertreibung aus einer Grube u m E i g e n t u m s schütz, der uns i n diesem Zusammenhang nicht interessiert. Aber auch wenn man der bisherigen Ansicht folgt und den Grubenpächter nicht als Eigentümer betrachtet, liegt aller Wahrscheinlichkeit nach kein Fall des Besitzschutzes vor. Es kann nämlich keinesfalls angenommen werden, daß zu der Klage jeder seines Besitzes beraubte Grubenbesitzer aktiv legitimiert war. Es dürfte vielmehr i n jedem Falle zunächst geprüft worden sein, ob der Vertriebene zum Besitz und zur Ausbeutung der Grube berechtigt gewesen war, was anhand der von den Poleten errichteten Urkunden 4 8 und den von ihnen anzufertigenden Aufzeichnungen 49 leicht zu bewerkstelligen war. Es wäre erstaunlich, wenn man eine Person gezwungen hätte, sich vor Gericht zu verteidigen, die einen nichtberechtigten Grubenbesitzer entlarvt und aus dem angemaßten Besitz vertrieben hatte. Klagen, die aus43 44 45 46 47 48 40
Vgl. Käser SZR 64/192: „setzt Recht zum Besitz voraus". Peri Deinarchou 666/667. Über die Bedeutung von μέταλλον vgl. Lauffer Bergw. Sklaven I 1116. Έκβαλλόμενος. s. o. S. 26. s. Crosby Hesperia X I X 191. Aristoteles A t h . Pol. X L V I I 2.
168
I I . Der Besitz
schließlich dem Schutz berechtigter Besitzer dienten, interessieren uns i n diesem Zusammenhang aber nicht, so daß auch kein Besitzschutz für den Grubenpächter erschlossen werden kann. Das E r g e b n i s unserer Untersuchungen ist somit für das Recht Athens negativ. Dadurch w i r d jedoch das positive Resultat aus den Rechtsordnungen anderer griechischer Staaten nicht berührt. Bei der Verschiedenheit der griechischen Stadtrechte i n Einzelfragen war ein einheitliches Ergebnis von vornherein nicht zu erwarten. Der Befund berechtigt daher durchaus zu der Feststellung, daß ein Teil der Aufgaben, die das Rechtsinstitut Besitz heute zu erfüllen hat, auch den Griechen des 5. und 4. Jhdts. v. Chr. als lösungsbedürftig erschienen ist. Daß es trotz gleichgelagerter Bedürfnisse damals nicht zur Schaffung eines besonderen Rechtsinstituts gekommen ist, wiegt wenig gegenüber der Übereinstimmung, die dargetan werden konnte: Wie i m geltenden Recht fanden i m klassischen Griechenland Herrschaftsverhältnisse allein auf Grund der Tatsache ihres Bestehens Anerkennung und Schutz.
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Piaton Euthyd. 301 E/302 A 108 Nomai V 728 739 73 744 112 745 V I 754 128 V I I 823 26. 167 824 124 V I I I 842 112 843 15. 18 844 46 845 51 846 57 I X 857 73 865 36. 108 868 31. 72. 109 f. 874 32. 68 ff. X I 913 53 f. 914 20. 45. 55 915 92 917 54 930 31 933 38 X I I 954 27. 31. 33. 51. 92 Pol. V 469 39. 40. 82. 127 f. Soph. 219 23. 92 222 134 Theait. 197 Plautus 73 Mercator 451 ff. 73 Rudens Prologus IV 3 108 Plutarchos Agis 5 129 Arist. 27 K i m o n 10,1 26. 167 Kleom. 23 95 L y k . 12,2 40 24 Solon 21,2 23.5 112 23.6 55 Timoleon 23,4 109 Instit. Lac. 22 V i t . dec. orat. 834 41. 43. 106 f. 130 836
27. 31. 33. 51 21 122 104 ff. 64. 106. 119 134 62 62 58 60. 103 57 f. 65 ff. 67. 76 63 f. 105 51 51 138 108 105. 108. 119. 15. 165 44 f. 75 105 118 ff. 122 109 72 72 16 133 72 41. 72 55 92 67 43 68. 73 43 21 65 59. 61. 103 28 55 124. 126 40
182 Polybios X I I 16,4 Seneca Controv. V I I 4 Theophrastos Peri symb. 1 4 6 7 Char. Χ XV XXIII XXX Thukydides I 5 I V 105 Xenophon Apomn. I I 7,2 I I I 11,4 Hell. I 2,5 I 7,10
Quellenregister 18. 19. 155 ff. 131 36. 77. 83 12. 22. 36. 77. 128 128 12. 77 116 43 48 41. 106 f. 110 f. 22 17. 48
20. 48
110 126
K y n . V 34 K y n . V I 13 XII 6 K y r . Anab. V 5,7 V I 1,17 K y r . Paid. I V 1,20 V I I 5,73 Lak. Pol. I V 7 V 3 VI VI Oik. I 8 I 9 I 11 II 6 XX 4 X X 22 Poroi I I 6 I V 12
62 73 62 f. 20 15 15 23. 108 68 73 68 f. 69 23 31 31 28 47 47 40 40
2. Attische Redner Aischines I 54 59 62 95 97 124 I I I 21 187 Andokides I 73 118 V 47 VI 4 Demosthenes I V 19 29 VII 7 26 39 43 X I I 23 X I V 25 X V I 16 17 X V I I I 41 150 X I X 145 X X 115 X X I 43/44 113 133 149 159 X X I I 12 54 75
Antiphon
41 41 159. 161 f. 45. 100 36. 44 48 53 92 123 f. 126 23 51 51 109 109 141 11. 3 20. ί 141 109 19 28 20 21 20 21 92 143 143 f. 127 128 19 22 123 19
X X I I I 60 62 XXIV 8 54 87 113 166 XXVII 9 15 24 25 26 27 28/29 XXVIII 2 12 18 22 X X I X 24 37 60 XXX 2 28 33 XXXII 4 9 12 14 18 30 XXXIII 6 9 XXXIV 6
138 143 f. 14 117 123 138 123 27 14 27. 36. 88. 115 27 27 27 f. 88 27 20 27 20 16 20 27 20 19 19 20 91 27. 88 89 89 88 89. 128 89 16. 88 81 91
Quellenregister :XXV 4 12 15 22 23 32 36 38 39 52 53 XXVI 6 8 11 26j 57 :XVII 5 9 10 12 13 14 16 K V I I 17 19 29 30 35 KVIII 7 17) X L 20 22 24J 52 56 X L I 11 K L I I 19 [ L I I I 16 51 58 67 69 71 72 : L I V 11 19 27 32 57 67 X L V 64 80 X V I 19 20 22 VIII 12 27 33 35
14 89 126 f. 89 88 88 25 25 25 88 f. 89 39. 82 130 f. 23. 25 120 20 27. 81 21. 27 18 f. 87 21. 23 81 21. 81 81 117 27 81 167 20. 22 121 123 f. 123 20 26 25 88 26 120 99 23 15 56 47. 56 56 15 94 ff. 20 95 f. 97 21. 25 16 20 96 18. 100 95 f. 99 98 95 f. 99 23 23
X L I X 11 31 45 48 58 67 L 7 26/27 LI 5 14 LIII 2 3 4 10 11 12 14 L I I I 19 23/24 27 28/29 LV 4 8 11 13 14 LVI 3 6 24 L V I I I 19 21 LIX 7 18 29 32 40 108 Hypereides I V 34 36 Frgmt. 39 (Loeb) Isaios I 10 28 II 6 27 28 31 35 I I I 58 59 60 62 I V 22 V 8 21 22 29 44
18 50 125 88 161 20 24 24 24 24 20. 35. 126 24 35. 83 20. 37 21. 23 20. 35 35 123 124. 126 125 f. 60 24. 62 62. 139 24 65 88 88 89 163 163 123 36 36 133 159 20 123 26 100 24. 34. 14 109 14 132 f. 132 f. 132 f. 120 94 99 94. 99. 14 19 80 166 f. 99 20
Quellenregister
184 VI
VII Vili Vili IX X
XI
94. 94 94 22 29 46 48 28 15 14 15. 97 34. 20. 14 16 20 20. 27 23 26. 15 45. 15. 15 18. 15 15. 165 15 12 22 42 8 (Loeb) 35. 26 (Loeb) 34.
3 4 7 30 33 36 39 13 37 39 2 3 31 35 40 42 1 3 34 1 2 4 5 8 11 12 15 24
Frgmt. Frgmt. Isokrates V I 26 V I I 32 35 X I I 97 X V 166
97
19 45. 100 22. 36
95 f. 28. 117 100 117 34. 45. 100 82. 93. 123.
45. 100 45. 100
120. 122 32 32 163 f. 92
X V I I 11 17 X I X 10 XXI 2 Lysias I I I 11 IV 1 10 12 16 VII 4 7 10 36 V i l i 10 X I I 18 19 23 83 X I I I 66 X V I 10 XVII 1 7 9 X V I I I 20 X I X 11 22 25 X X I I 12 X X I I I 9/11 XXIV 9 11 XXIX 5 7/10 14 XXXII 4 Frgmt. Πρός Ίπποθέρσην
161 161. 163 130 36 48 102 130 161 130 91 57 40. 57 161 87 f. 40 36 23 23 112 14 125 f. 125 f. 125 f. 19 126 50 88 128 159 fï. 102 20. 22 24. 126 24 24 22. 130 118
3. Lexikographen Harpokration sv. άποτιμηταί 46 sv-ένεπίσκημμα 125 sv. έξαιρέσεως δίκη 159 sv. έξούλης 166 sv. έπιδιετές ήβησαι 100 s ν. κοινωνικών 134 f. Lex. Cantabr. sv. βίαιων δίκη 143 Lex. Seg. (Bekker: Anecd. Graeca I) S. 189 s. v. ένεπισκήψασθαι 125
S. 198 s.v. άπογραφή S. 250 s. v. ένεπίσκημμα
123 125
Pollux V i l i 61 s.v. ένεπισκήψασθαι 125 V i l i 142 s.v. 84 έοτιμήσασδαι Suidas sv. έξαιρέσεως δίκη 159 sv. ήβήσαντες 34. 100 sv. πατρφων 35. 100
Quellenregister
4. Inschriften Cauer-Schwyzer 62 73 f. 363 110 f. 113. 462 128 117 688 19. 80. 82 Finley Nr. 1 2 19 77 3 136 8 19 10 83 14 136 30 81 33 80 41 137 43 80 47 45 49 46 57 83 87 29. 80 102 107—109 137 112—115 77 116—129 46 46 131 146 83 f. 136 83 f. 147 174 45 45 176 82 3 A 46 120 A 126 A—C! 46 46 129 A Fouilles de Delphes III 3 Nr. 28 133 40 133 209 133 G D I Nr. 1748 152 1752 152 152 1755 152 1767 133 1773 152 1775/76 1784 152 1791 152 4629 73 f. 5000 67 5040 38 5166 111 IC IV Nr. 41 37. 50. 115 43 67 64 f. 46 52 67 I C I V Nr. 72 ( = Gr. Gesetz von Gortyn)
Kol. I Kol. I I Kol. I I I Kol. I V Kol. V I Kol. V I I Kol. V I I I Kol. I X Kol. X Kol. X I Kol. X I I I C I V Nr. 73 231 I G I 2 Nr. 39 8 II2 43 53 80 83 130 206 279 287 288 342 360 373 422 425 554 786 802 835 1241 2491 2492 2493 2496/97 2499 2631/32 2658 2670 2681 2689 2699 2703 2723 2752 2758 2762/64 2765/66 7 IG V I I 14 3376
20. 34. 139. 142. 147 ff. 34. 42. 45. 149 34. 42. 46 20. 23. 34. 42. 45. 75 20. 34. 37. 42. 45. 46. 102. 113 ff. 101, 151 34. 101 20. 34. 42. 113 f. 45. 53. 101 101. 154 45 66 154 144 38 39. 82 38 38 38 38 38 38 38 38 38 f. 38 f. 38 f. 39 38 f. 38 39 38 39 48 f. 48 75 48 50 48 132. 137 46 83. 136 45 81 136 80 80 83 80. 82 77 45 38 38 41
Quellenregister
186 IX 1
272 333 X I I 5 528 532 534 572 872 XII 7 58 XII 8 19 21 22 X I I 9 191 X I I Suppl. 194 XIV 645 Michel Nr. 52 203 386 Recueil I Nr. I X Nr. X I I Nr. X I I I quater Nr. X I X D S. 402 SEG I I I 343 X I 244 X I I 100 419
X V 264 39 265—280 110 f. 113 X V I 298 39 373 39 X V I I 206 39 Dittenberger 20 79. 130. 133. 135 f. Sylloge 8 Nr. 45 136 46 137 93 137 141 77 167 129 169 279 46 280 73 f. 282 111 329 39 332 38 364 129 73 f. 104 67 38 131 f. 26. 29. 45. 46. 79 f. 84 ff. 125. 136 f. 39
685 940 963 966 987 1097 1192 1200 1207 1216
39 38 38 39 21 16 14. 19 55 20. 21 20 38 19. 38 19 16. 83. 109 47 48 48. 131 14 82 14. 41 50
5. P a p y r i P. Bodmer I V P. Hal. 1 P. Lond. I I I 887
138 59 f. 139 50
P. Oxy. 1200 1606
6. Digesten 10.1.13
59 7. Codex Iustinianus
4.52
132
78 118
Sachregister Adoption Antidosis άπογραφή άπόρρησις άφαιρεΐσθαι είς έλευθερίαν
25 f. 100 f. 102 123 ff. 132 159
25 Banken Bergwerke 26. 40. 167 f. Beslitzprozeß 154 Besitzschutz 139. 154. 157 Bienen 61. 103 143 βλάβη Brunnenbenutzung 65 f. Bürger 38. 111 ff.
Gebäude
Gemeineigentum — Privateigentum 32 Grundstücke 36. 38 f. 40 f. ff. 47 ff. 53 ff. 77. 82 Hand wahre Hand Heloten Herausgabe, Klage auf Horoi Hypothek
ίδιος Isotelie 29. 79 ff. 82 ff. 88 ff. Dereliktion 105 ff. Jagd Diadikasie 94 ff. 141 ff. 165 ff. δίκη βιαίων 143 κατεχειν δίκη είς έμφανών Kauf κατάστασιν 142 δίκη ένοικιόυ 140 f. δίκη έξούλης 94 ff. 140 f. 166 f. κεκτήσθαι δίκη καρποί) Kinder 140 f. κοινωνίαι χρημάτων Konfiskation Eigentumsκρατεΐν vorstellung 11 f. 33 ff. 78 f. κράτησις 103. 135 f. Kriegsbeute είναι 20 f. κτήματα Enteignimg 127 ff. κτήσις έξαγωγή κυριεία έξαιρεΐσθαι είς κύριος έλευϋερίαν 159 ff. Epidikasie 94 ff. Metöken Erbengemeinschaft 130 ff. Miete Erbpacht 29. 40. 49 f. Erbrecht 93. 94 ff. 117. 120ι Erbtochter 45. 94 ff. 99 ff. Nachbarrecht εχειν 13 ff. νέμεσθαι Nichtberechtigten, Erwerb vom Faustpfand 88 Nichtbürger Fischerei 71 f. Frauen 45. 51. 100 Fremde 38 ff. 111 ff. ölbäume Fruchtziehung 57 f. 67. 75 f. οικείος Fund 41. 104 ff. ουσία Darlehen
36. 38 f. 40 f. 47ff. 77. 82
113 ff. 43 139. 154 29. 80. 82 ff. 116 79. 82 ff. 90 f. 116 f. 24 ff. 38. 40 62 f. 68 f. 72 f. 16 12. 76 ff. 113 ff. 128 f. 19 f. 46. 51 134 f. 23 f. 123 ff. 17 ff. 89. 98. 100 108 ff. 21 22 89. 100 24 f. 89. 99 f. 40 41. 48 58 ff. 16 f. 113 ff. 38 ff. 82. 111 ff. 47. 56 f. 59 26 f. 22 f.
Sachregister
188 Pacht Personenvereinigungen Possessivpronomina πράσις έπί λύσει
40. 48 f. 75 f.
Unfreie
131 f. 136 f. 27 f. Verarbeitung 20 f. 27. 29. 79 ff. Verbindung 82 f. Verfügungsbefugnis Privateigentum — Vermischung Gemeineigentum 32 Vermögens-Atimie προθεσμία 118 ff. Verpfändung Proxenos 38 PublizitätsVersteigerung vorschriften 12. 36. 83. 116 Verschweigung Verwahrung Raub 110 ff. Rechtsnachfolge 78 f. Wasserrecht Reflexivpronomina 28 Wegerecht Wegnahmerecht 25. 51. 88 ff. Seedarlehen d. Zolleinnehmer 60. 138 f. 140 ff. Selbsthilferecht 108 Schatz Schenkung 39. 53. 78. 91 ff. Zwangsverkauf Schiffe 36 Schuldknechtschaft 37 χρήματα Terminologie
28 f.
φασις
36 ff. 40 ff. 51. 69. 147 ff. 161. 165 104 104 33. 51 104 144 f. 27 f. 39 f. 54 f. 82 ff. 113 ff. 116 f. 119 ff. 50. 115 60 f. 66 f. 73 f. 63 ff. 127 128 f. 23 f. 126 f.