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German Pages 66 [68] Year 1976
BORIS PASTERNAK Peredelkino, 30.8.1959 Momentaufnahme des Verfassers
HENRIK BIRNBAUM
DOKTOR FAUSTUS UND DOKTOR SCHIWAGO VERSUCH ÜBER ZWEI ZEITROMANE AUS EXILSICHT
LISSE
THE PETER DE RIDDER PRESS 1976
ISBN 90 316 0092 X © Copyright Henrik Birnbaum No part of this book may be translated or reproduced in any form, by print, photoprint, microfilm, or any other means, without written permission from the author Printed in Belgium by NICI, Ghent
VORBEMERKUNG
Eine frühere Variante dieses Essays diente als Referat für das im November 1975 an der Kalifornien-Universität zu Los Angeles (UCLA) gehaltene Internationale Symposium "Thomas Mann in Exile in America". Für einige nützliche Hinweise und Anregungen in bezug auf Pasternak (und die Pasternak-Forschung), welche der hier vorliegenden, leicht überarbeiteten und erweiterten Fassung zugute gekommen sind, bin ich Herrn Professor Gleb Struve, Berkeley, zu aufrichtigem Dank verbunden. Wichtige Gesichtspunkte verdanke ich auch fruchtbaren Diskussionen mit meiner Frau, Marianna. H. B.
INHALTSVERZEICHNIS
Vorbemerkung
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I.
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Allgemeine Charakterisierung
II. Gemeinsame und parallele Züge
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III. Haupt- und Nebenfiguren
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IV. Religion und Geschichte
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V. Patriotismus, Politik und die nationale Frage
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VI. Lebenssynthesen aus Exilsicht
57
Nachtrag
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Bibliographische Hinweise
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Namenregister
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ALLGEMEINE CHARAKTERISIERUNG
Als ich im Frühherbst 1959 in einigen westdeutschen und skandinavischen Zeitungen kurz über mein mehrstündiges Gespräch mit dem russischen Dichter Boris Pasternak berichtete, das ich am 30. August desselben Jahres, weniger als ein Jahr nach der Verleihung und kurz darauf erfolgten 'freiwilligen' Ablehnung des Nobelpreises mit ihm in seiner Datscha und dem sie umgebenden schönen Garten in Peredelkino außerhalb Moskaus geführt hatte, erwähnte ich nebenbei auch, daß ich - nicht nur aus Raummangel - das eine oder andere Gesprächsthema aus meinem Bericht ausklammern würde. (Die ursprüngliche Fassung meines Interviews erschien am 14.IX.1959 unter dem Titel "Zu Besuch bei Pasternak" in der Süddeutschen Zeitung, München, und wurde später noch in verschiedenen anderen Zeitungen abgedruckt bzw. leicht überarbeitet und übersetzt.) Das geschah natürlich vor allem schon aus Rücksichtnahme auf den Dichter selbst und die ihm Nahestehenden und betraf nicht nur einige politisch brisante Fragen, wie Pasternaks 'besonderes Verhältnis' zu Stalin (das ihm, anders als Dichtergenossen wie Isaak Babel, Boris Pilnjak, oder Ossip Mandelstamm womöglich das Leben gerettet hatte) bzw. seine, heute kann es gesagt werden: recht geringschätzige Auffassung über den damaligen Gewaltigen des Kreml, Nikita Chruschtschow, jedenfalls in Dingen der Literatur, Kunst und Kulturpolitik überhaupt. Wir hatten überdies aber auch einige, damals besser nicht zu referierende biographisch-literarische Probleme angeschnitten, die mit der Entstehung seines Romans Doktor Schiwago in Zusammenhang standen; so etwa die Frage nach den vermeintlichen Wirklichkeits-Modellen zu einigen seiner Hauptgestalten, besonders derjenigen der Lara (die bekanntlich gewisse Züge der Pasternak-Freundin Olga Iwinskaja trägt), und auch die nach den literarischen Vorbildern russischen (man dachte damals sicher nicht ganz zu Unrecht zunächst an Tolstojs Krieg und Frieden) wie nichtrussischen - , die auf sein Werk eine gewisse Wirkung gehabt haben könnten. In diesem Zusammenhang
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ALLGEMEINE CHARAKTERISIERUNG
befragte ich den russischen Dichter auch über seine Meinung von Thomas Manns Doktor Faustus, wohl eingedenk der Tatsache, daß Pasternak mühelos deutsch las, es übrigens auch leidlich sprach und daß Doktor Faustus erstmalig 1947, also etliche Jahre vor der Vollendung des Manuskriptes von Doktor Schiwago auf den Büchermarkt gekommen war. (Der Roman des russischen Dichters war allerspätestens 1956 abgeschlossen, als die Redaktion der Zeitschrift Nowyj Mir nach einigem Zögern und offenbar auf höhere Weisung hin den Abdruck verweigerte; Vorankündigung einer vorerst geplanten sowjetischen Ausgabe und Veröffentlichung von zehn Gedichten aus Doktor Schiwago in der Zeitschrift Znamja bereits 1954; die italienische Erstausgabe erschien bei Feltrinelli in Mailand 1957.) Darauf erwiderte mir Pasternak ein wenig ausweichend, er kenne Doktor Faustus allerdings und Manns letzter großer Roman, obwohl einem ganz anderen Temperament er gebrauchte eigentlich das russische Wort für 'Wesensart' - entsprungen, habe ihn in der Tat sehr beeindruckt - er sagte wohl absichtlich nicht beeinflußt ("ego roman sdelal na menja oöen' sil'noe vpecatlenie"). Und dann fügte er noch, eine berühmte Zeile Puschkins anklingen lassend, hinzu: "ved' my s nim pisali svoi knigi vo mrake zatocen'ja" - d.h. "er wie ich haben ja unsere Bücher in der Finsternis des Exils (oder gar: der Verbannung) geschrieben" - , dabei eine etwas altmodische, altertümlich anmutende oder doch poetisch klingende Bedeutungsvariante des russischen Wortes zatocenie hervorkehrend. (Im heutigen Sprachgebrauch bedeutet das Wort gewöhnlich 'Einkerkerung' ; es ist eine Ableitung zum Verb zatocit' 'einkerkern', früher auch 'ins Kloster stecken'. Vgl. aber zur sekundären Bedeutung 'Exil, Verbannung' auch etwa die berühmte altrussische "Bittschrift Daniels des Verbannten", russ. Molenie Daniila Zatocnika, noch aus vormongolischer Zeit.) Diese Deutung also, besser noch: diese halb spielerische bloße Andeutung ähnlicher Entstehungsbedingungen dieser beiden bedeutenden europäischen Zeitromane, von Pasternak selbst stammend - und nicht etwa der immerhin nicht ganz fern liegende Gedanke, Pasternak sei in seiner großen Prosadichtung in irgendwie wesentlicher Weise u.a. auch durch Manns Alterswerk beeinflußt worden, eine Annahme, die sich wohl durch nichts konkret belegen ließe - soll hier Anlaß und Ausgangspunkt abgeben für unsere kurzen Betrachtungen über Verbindendes und Trennendes, das sich zwischen diesen zwei großartigen Werken moderner Erzählungskunst aufweisen läßt. Die Tatsache somit, daß beide das Lebenswerk ihrer Dichter krönende Romane im Exil, oder richtiger
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doch wohl: aus der Sicht des Exils, entstanden sind, Thomas Manns Doktor Faustus bekanntlich im kalifornischen Exil, Boris Pasternaks Doktor Schiwago in der Art von innerer wie äußerer Abgesondertheit und Isolierung, die manchmal nicht ganz genau, aber doch den Kern der Sache treffend, als 'innere Emigration' bezeichnet wird. Dabei ist freilich gleich hinzuzufügen, daß Pasternak selbst diesem Begriff sonst mit wenig Verständnis begegnete und daß, nebenbei gesagt, auch Mann darüber, allerdings mit anderer Bezugnahme, nämlich auf die sog. innere Emigration im Deutschland der Hitlerzeit, manche geringschätzige Bemerkung, nicht zuletzt in der autobiographischen Entstehung des Doktor Faustus, gemacht hat. Dabei will ich mich hier nicht so sehr über die immer mehr anschwellende, mir sicher nur zum Teil bekannte gelehrte und mitunter doch auch wieder weniger gelehrsame, sondern vielmehr recht plauderhafte und manchmal recht gefühlsgeladene Sekundärliteratur zu diesen beiden Büchern auslassen - bei Thomas Mann angefangen eben mit seinem eigenen, zwei Jahre nach dem Faustus erschienenen Kommentar, Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans, jetzt, was das Menschlich-Biographische angeht, ergänzt durch die unlängst erschienenen, doch recht unvollkommenen Lebenserinnerungen von Katia Mann, Meine ungeschriebenen Memoiren (1974), und bis zur erst im Entstehen begriffenen, großen, angeblich endgültigen und von der Familie autorisierten Mann-Biographie von Peter de Mendelsohn (Der Zauberer) reichend, von welch letzterer bis dato - Mitte 1975 - erst der erste Band im Druck vorliegt; bei Pasternak beginnend mit ein paar einschlägigen Bemerkungen im Schlußkapitel seiner autobiographischen Skizze Über mich selbst, die ursprünglich als Geleitwort zur in der Sowjetunion geplanten Ausgabe des Doktor Schiwago gedacht war. Stattdessen will ich mich hier vor allem an die zwei zur Diskussion stehenden Bücher selbst halten, also, wie es so schön heißt, werkbezogen vorgehen; allerdings wiederum nicht in dem streng formalanalytischen, sprachlich-stilistische Struktur und Schreibweise bloßlegenden Sinne, wie es etwa seinerzeit Roman Jakobson mit seinem brillanten Essay "Randbemerkungen zur Prosa des Dichters Pasternak" (abgedruck im siebenten Band der Prager Slavischen Rundschau, 1935) mit soviel Geist und Geschick unternommen hatte, sondern vielmehr und insbesondere auf den Inhalt mehr denn auf die Form, den Ideengehalt und die Gedankenwelt eher als auf eine genaue Erhellung und Erläuterung des sprachlichen Ausdrucks und der eigentlichen Formgebung abzielend, wenngleich auf letztere wenigstens am Rande auch hingewiesen werden soll. Daneben verdienen auch einige ein-
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schlägige Tatsachen aus der Biographie Thomas Manns und Boris Pasternaks hier kurz erwähnt und erörtert zu werden. Vorweg immerhin noch ein paar Worte zur Klarstellung darüber, wie ich selbst - sicher ein wenig subjektiv - Doktor Faustus und Doktor Schiwago im ganzen sehe und beurteile; dies also nur als eine Art Standortsbestimmung zur Information meiner Leser. Doktor Faustus ist für mich gleichzeitig die Fortführung zweierlei großer literarischer Traditionen, eine Verknüpfung, könnte man sagen, zweier thematischer Hauptfäden der deutschen und der Weltliteratur: einerseits des deutschen Erziehungs- und Bildungsromans, wenn auch vielleicht im Sinne der 'negativen Erfüllung' seiner Form (s. Scharfschwerdt, Thomas Mann und der deutsche Bildungsroman, 235-46), wie er in Goethes Wilhelm Meister und, jedenfalls für meinen Geschmack, in Gottfried Kellers Grünem Heinrich zwei absolute Höhepunkte erreicht hatte (letzteren las Thomas Mann übrigens, wie er uns selbst berichtet, erst spät im Leben, nämlich während seiner Rekonvaleszenz nach der schweren Lungenoperation im Jahre 1946; vgl. Entstehung, 161-2); und, auf der anderen Seite, der dichterisch gestalteten, universal-menschlichen Thematik des nach Sinn von Leben und Tod forschenden, um ein Verstehen des Ganges der Geschichte und des eigenen Schiksals ringenden Menschen, vertreten durch solche Meisterwerke der Weltliteratur wie Shakespeares Hamlet, Goethes Faust, Byrons Manfred (wobei das Attribut Meisterwerk vielleicht hier doch etwas abzuschwächen wäre), oder Ibsens Peer Gynt, aber abgewandelt auch in vielen nicht weniger bedeutenden Werken 'kleinerer' Nationalliteraturen zu finden, wofür als Beispiele etwa Adam Mickiewiczs Totenfeier (Dziady), Imre Madächs Tragödie des Menschen, oder, unserer Zeit schon etwas näher stehend, Verner von Heidenstams Hans Alienus genannt seien. In Doktor Faustus hat Thomas Mann diese große doppelte thematische Überlieferung in die Form eines, wie ich meine, fest gefügten, gut durchkomponierten Romans verwoben, deren tiefere, schon im Titel und Untertitel zum Vorschein kommende, wie bei ihm so oft, leicht zu deutende Symbolik gewissermaßen aufgewogen wird durch das für Mann mindestens ebenso charakteristische, peinlich genaue, weil bis ins letzte Detail gehende und vom eigentlichen Hauptgegenstand der Erzählung in eingeschobenen Nebenhandlungen und Seitenbeobachtungen wie -betrachtungen, die doch irgendwie auch immer zum Fortgang der geschilderten Entwicklung rück- und vorausschauend beitragen, abschweifende, umständliche Sprach- und Stilgewand, als dessen Urheber der zu diesem Zwecks eigens eingeführte Erzähler und Freund Adrian Leverkühns, Dr. phil. Serenus Zeitblom,
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eine so überzeugende Figur macht. Gleichzeitig schließt sich aber mit Doktor Faustus, begonnen (von z.T. weit zurückliegenden Vorarbeiten abgesehen) am 23. Mai 1943 und abgeschlossen am 29. Januar oder doch in der ersten Februarwoche 1947, also dem Werk eines Spätsechziger und Frühsiebziger, auch der Kreis des Gesamtwerkes des großen deutschen Erzählers (ein paar weitere, erst später zum vollen Abschluß gebrachte Dinge, wie Der Erwählte oder Felix Krull, ungeachtet), dessen schriftstellerisches Wirken mit den Buddenbrooks des Fünfundzwanzigjährigen einen so glänzenden, sensationellen Anfang genommen hatte, wobei im Faustus so manches wieder an das Jugendwerk anklingen läßt. Auch Thomas Mann selbst spricht ja in der Entstehung (64) von seinem "gegenwärtigen dichterischen Anliegen", also der Arbeit am Faustus, als von "etwas wie eine[r] späte[n] Rück- und Heimkehr in die deutschaltstädtische und musikalische Sphäre jenes Erstlingsromans" und das in der Wirklichkeit nicht wiederzufindende Kaisersaschern, wo Adrian und Serenus aufwachsen, trägt bekanntlich so manchen Zug seiner Heimatstadt Lübeck. Boris Pasternaks Doktor Schiwago führt, wie schon bemerkt, auf einer bestimmten Ebene gleichfalls eine große Tradition, nämlich diesmal der russischen Literatur, weiter, also die von Leo Tolstojs Krieg und Frieden, als deren sonstige, noch recht eigentlichere Sprossen nicht nur Scholochows lange vor Pasternaks Roman erschienener Stiller Don gelten darf (allerdings nur wenn dieser großzügig angelegte und ausgeführte Kosakenroman auch weiterhin als alleiniger geistiger Besitz des unbeirrbar regimetreuen Sowjetdichters anzusehen ist, was heute immerhin etwas fragwürdig erscheint), sondern, nach Pasternak, etwa auch die großen Erzählungen Solschenizyns, Krebsstation, Der erste Kreis der Hölle und die mit August Vierzehn begonnene Romanfolge zu nennen wären. Gleb Struves und einiger anderer, darunter Isaac Deutschers, Ablehnung eines jeden sinnvollen Vergleichs zwischen Doktor Schiwago und Krieg und Frieden geht m.E. doch entschieden zu weit, wenn eine solche Zusammenstellung natürlich auch nicht über die vielen grundlegenden Unterschiede hinwegtäuschen darf; s. "Sense and Nonsense about Doktor Zhivago", 232-3 und 241-2. Über die Frage der Authentizität des Stillen Don vgl. besonders ["D."], Stremja "Tichogo Dona": Zagadki romana (Paris 1974), mit einem Vorwort und Nachtrag von A. Solschenizyn; kritisch darüber jetzt aber H. Ermolaev, "Riddles of The Quiet Don: A Review Article", SEEJ 18 (1974 [1975], 299-310. Letzte Klarheit wurde in dieser Beziehung wohl bisher noch nicht erreicht. Gleichzeitig enthält Doktor Schiwago aber auch eine ganz persönliche
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Botschaft (ohne eigentliche Vorgänger in der russischen Literatur), von Pasternak als die Summe seiner Lebenserfahrungen und ästhetischen Bestrebungen verstanden, wodurch sein Buch in vielem auch an die späten Romane Dostojewskijs - in Plan und Anlage, nicht im Inhalt der Botschaft selbst - anknüpft, während, wie Johannes Holthusen zu Recht angemerkt hat, Doktor Schiwago durch die symbolisch zu deutende feste 'Konstellation' seiner Hauptfiguren wie die ebenso sinnbildlichen äußeren Lokalitäten und Landschaften, auf deren Hintergrund sich die verschiedenen Lebensbahnen abspielen oder wo sie sich schneiden, dem symbolistischen Roman eines Andrej Belyj auffallend nahestehen (s. Russische Gegenwartsliteratur, II, 59). Andere russische Parallelen der Erzähltechnik, an die man hier denken könnte, sind (trotz Isaac Deutschers Einwände) Werke von Remisow, Babel, und Pilnjak; vgl. auch Struve, "Sense and Nonsense ...", 238. So bleibt es m.E. doch recht zweifelhaft, ob Doktor Schiwago als Roman im engen Sinne, nämlich in der Tradition des 19. Jahrhunderts (und nicht nur als locker zusammengehaltenes episch-lyrisches Prosawerk mit einem poetischen Anhang), d.h. also als Dichtwerk in der spezifischen, wenn auch sich innerhalb eines gewissen Spielraums bewegenden Form des architektonisch aufgebauten Romans, als ein voll gelungener Wurf zu bezeichnen ist. Dabei denke ich, wohlgemerkt, gar nicht einmal an die strengen, in Georg Lukäcs' Theorie des Romans festgelegten Maßtäbe, mit anderen Worten an die "im Wesen der ästhetischen Kategorien, im Wesen der literarischen Formen begründete, historisch fundierte allgemeine Dialektik des Genres", um das eigene, äußerst selbstkritische Vorwort des ungarischen Literaturforschers zur Neuauflage aus dem Jahre 1962 seiner fast genialen vormarxistischen Skizze zu zitieren. Ein großartiges dichterisches Kunstwerk ist Doktor Schiwago aber ganz bestimmt. Vielleicht kam jedoch der englische Regisseur der Verfilmung von Pasternaks Buch, David Lean, der Wahrheit eben schon näher, als er es in einem Interview eher als ein 'verkapptes Gedicht', a poem in disguise, bezeichnete. Denn letzten Endes lieferte der russische Dichter hier die eigentliche Probe aufs Exempel einer von ihm auch theoretisch begründeten und dementsprechend formulierten 'Schauspielkonzeption der lyrischen Biographie'. "Nach dieser Konzeption", so belehrte uns kürzlich die kenntnisreiche Literaturrezensentin Helen von Ssachno aus anderem Anlaß in der Süddeutschen Zeitung (10.11.75), "schreibt der Dichter nicht einfach Gedichte, sondern lebt sozusagen vor aller Augen dahin, indem er Zeitgenossen und Nachkommen seinen Lebensweg zur Einsicht vorlegt. Dieser Lebensweg wird zum literarischen Sujet,
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zum spannenden Roman in Gedichten mit einem einzigen unverwechselbaren Helden am Anfang und im Zentrum. Die einladende Geste zur Betrachtung des festlichen und tragischen Schauspiels, die Offenheit der Selbstinterpretation bewirkt, daß man den Helden auch noch heute fast physisch empfindet." Genau das - eine 'lyrische Biographie' des Dichters mit Prosakommentar - ist Doktor Schiwago, und das erste der dem Roman beigegebenen "Gedichte des Jurij Schiwago", überschrieben "Hamlet" (hier in der einfühlsamen Verdeutschung von RolfDietrich Keil, dazu in lateinischer Umschrift das russische Original) schlägt daher nur den unausweichlich-tragischen Grundton an und bildet gleichsam den Auftakt: Lärm verstummt. Ich trat hinaus zur Bühne. Angelehnt ans Rahmenholz der Tür Forsche ich im Nachhall ferner Töne, Was im Leben noch geschieht mit mir. Fest auf mich der Nacht tiefdunkle Leere Sich mit tausend Operngläsern dreht. Abba, Vater, so es möglich wäre, Gib, daß dieser Kelch vorübergeht. Mir ist lieb dein unbeirrbar Planen, Bin den Part zu spielen auch bereit. Aber jetzt läuft hier ein andres Drama, Und für dieses Mal laß mich beiseit. Doch durchdacht rückt Akt um Akt nun näher: Nichts, das sich dem End entgegenstellt. Bin allein. Ringsum nur Pharisäer. Leben ist kein Gang durchs freie Feld. Gul zatich. Ja vyäel na podmostki. Prisionjas' k dvernomu kosjaku, Ja lovlju v dalekom otgoloske Cto slucitsja na moem veku. Na menja nastavlen sumrak noci Tysjac'ju binoklej na osi. Esli tol'ko mozno, awa otce, Caäu etu mimo pronesi. Ja ljublju tvoj zamysel uprjamyj I igrat' soglasen etu rol'. No sejcas idet drugaja drama, I na etot raz menja uvol'. No produman rasporjadok dejstvij, I neotvratim konec puti.
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Ja odin, vse tonet v farisejstve. 2izn' proiit' - ne pole perejti. Uber Sinn und Aufbau des Gedichtes s. besonders Nils Äke Nilsson, ScandoSlavica V (1959), 191-8. Näheres zu dieser Thematik und überhaupt zu Pasternaks Auffassung der Rolle des Dichters ist jetzt in dem wichtigen Buch von Olga Raevsky Hughes, The Poetic World of Boris Pasternak (1974) nachzulesen (s. insbes. "The Poet and the World", 21-33, und "Time and Eternity: The Responsibility of the Poet", 78-167), und auch Krystyna Pomorska geht in ihrer soeben erschienenen, feinfühligen Pasternak-Studie Themes and Variations in Pasternak's Poetics (1975) auf diese Problematik ein (vgl. bes. "The Fate of the Artist", 51-63, und "Doctor Zivago: Concept of Human Fate", 81-8). Von heute schon etwas weiter zurückliegenden Beiträgen zur Pasternakschen Konzeption des Dichters s. insbesondere Victor Erlichs aufschlußreichen Essay '"Life by Verses': Boris Pasternak", Kapitel 6 seines Aufsatzbandes The Double Image: Concepts of the Poet in Slavic Literatures (1964), 133-54 (frühere, knappere Fassung: "The Concept of the Poet in Pasternak", The Slavonic and East European Review XXXVÜ89, June 1959, 325-35). Gegenüber den beschwörend-beunruhigenden Zeilen des Pasternakschen Hamlet-Gedichts klingen die wenigen sachlich-nüchternen, in ihrem gewußten Stil nahezu spießbürgerlich anmutenden dunklen Andeutungen zu Beginn der Erzählung über das tragische Schiksal seines "verewigten Freundes", des "deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn", aus der Feder des Gymnasialprofessors a.D. Dr. phil. Serenus Zeitblom, einer Gestalt, die in ihrer Beziehung zum schöpferischen Genie des "Doktor Faustus", also Leverkühns, wohl absichtlich dem MeisterFamulus-Verhältnis eines Faust-Wagner- oder Goethe-EckermannGegensatzes nachgebildet ist (vgl. auch die Beckmesser-Gestalt bei Wagner), natürlich beinahe schlicht-einfaltig ungeachtet des von brennendem Pathos getragenen vorangestellten Mottos aus dem zweiten Gesang von Dantes Inferno (vgl. auch die ausdrückliche Bezeichnung von Zeitblom als "herzlich getreuen Famulus und special Freund" durch Leverkühn in dessen abschließender Ansprache an die nach Pfeiffering geladenen Freunde und Bekannten; 783). Dabei sei übrigens bemerkt, daß sich Thomas Mann, wie er uns in der Entstehung (202) wissen läßt, erst nachträglich entschloß, das Dante-Zitat seinem Roman als Motto beizugeben. Und auch seinen Beschluß, das Medium des Freundes zwischen sich und den Gegenstand zu schalten, "also das Leben Adrian Lever-
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kühns nicht selbst zu erzählen, sondern es erzählen zu lassen, folglich keinen Roman, sondern eine Biographie mit allen Charakteristiken einer solchen zu schreiben", hat uns der Verfasser selbst erläutert und u.a. auch damit begründet, dadurch "eine gewisse Durchheiterung des düsteren Stoffes zu erzielen und mir selbst, wie dem Leser, seine Schrecknisse erträglich zu machen" (ebda., 32). In Wirklichkeit kann sich der Leser des Faustus indes schwerlich des Eindrucks erwehren, daß gerade in Zeitbloms trocken-betroffenen, kleinbürgerlich verkleideten Bemerkungen zum Zeitgeschehen und in seiner eigenen Bewertung miterlebter Ereignisse und Erscheinungen einer voran- und vorübergegangenen Epoche nicht zuletzt auf künstlerisch-geistigem und politischem Gebiet häufig auch Thomas Manns persönliche Auffassungen, zuweilen in selbstkritisch herabwürdigender Rückschau oder ins Kleinliche parodiert, zum Ausdruck kommen. Denn bekanntlich finden sich unter Zeitbloms zeitgeschichtlichen Betrachtungen und Voraussagen (besonders über das Schicksal Deutschlands), der berühmten Montage-Technik - heute würde man vielleicht lieber sagen: Collage-Technik - Thomas Manns entsprechend, einerseits solche, die gleichzeitig eben eine selbstkritische Abrechnung mit eigenen, früher bezogenen politischen Positionen beinhaltet (wobei sich sogar ein direktes Zitat aus den Betrachtungen eines Unpolitischen von 1918 nachweisen läßt), und andererseits wiederum auch solche, die der Verfasser anderswo, z.T. in englischer Fassung, verwandte, wobei es zuweilen unmöglich ist zu entscheiden, ob eine bestimmte Formulierung zuerst mit Hinblick auf den Roman oder für einen anderen Zweck geprägt wurde. Näheres zur fremdes Literaturund Wissensgut mehr oder weniger verarbeitenden Erzählmethode Manns ('Montage-Technik', 'offene' und 'versteckte' Zitate), mit Beispielen und Hinweisen auf früheres einschlägiges Schrifttum, siehe in der ausgezeichneten Dissertation von Gunilla Bergsten, Thomas Manns Doktor Faustus. Untersuchungen zu den Quellen und zur Struktur des Romans (1963), 12-18, bes. 15-16 (Fn. 6). Der m.E. unleugbare grundsätzliche Unterschied zwischen den beiden hier noch ferner zu erläuternden Büchern - dem trotz seiner biographischen Form 'echten' Roman Thomas Manns und der als traditioneller Roman lediglich getarnten lyrisch-epischen Dichtung Boris Pasternaks - soll uns aber nicht davon abhalten, den Versuch zu unternehmen, wenigstens noch einige weitere aufschlußreiche Vergleiche, positiven wie negativen Befund zeitigend, zwischen ihnen anzustellen, wobei ihrer so oder so verstandenen 'Exilsicht' besondere Aufmerksamkeit zuteil werden soll.
II
G E M E I N S A M E U N D PARALLELE Z Ü G E
Zunächst noch einige allgemeine Züge, die Thomas Manns und Boris Pasternaks Romane mutatis mutandis gemeinsam haben. Mit Recht gilt Doktor Faustus als Manns, wenn man so sagen darf, deutschester Roman. So schreibt z.B. Gunilla Bergsten in ihrer bereits erwähnten Abhandlung über Doktor Faustus {11): "In dem Bewußtsein zu einem Sprachwechsel zu alt zu sein, formte Mann in einer Art Protest seinen Stil deutscher als je, und für den Doktor Faustus sog er Kraft unter anderem aus den alten deutschen Volksbüchern und aus Luthers kerniger Sprache. ... Dergestalt verwandelte er die Schwierigkeiten in Gewinn, und das einzige größere Werk, das er als Ganzes außerhalb Deutschlands schrieb, war das deutscheste von allen." Bekannt ist Thomas Manns, von seinem Bruder Heinrich zitiertes stolzes Wort bei der Übersiedlung nach Amerika: "Wo ich bin, ist die deutsche Kultur", aber zahlreich sind auch andere, weniger selbstbewußte Aussprüche Manns über seine, von keinem Exil auszulöschende kulturelle und sprachliche Verbundenheit mit seiner deutschen Heimat. Und schon in einem im Dezember 1933 geschriebenen Brief heißt es: "Im Grunde bin ich mir bewußt, daß meine Bücher nicht für Prag und New York, sondern für Deutsche geschrieben sind" (vgl. weiter Bergsten, op. cit., 8-11). Das trifft nachträglich in besonders hohem Maße eben auch auf sein 'deutschestes' Buch, den Doktor Faustus, zu. Ganz ähnlich ließe sich behaupten - und es ist wohl auch schon mehrfach gesagt worden daß Boris Pasternaks Doktor Schiwago bei all seinem Weltruhm und seiner internationalen Anerkennung und Beliebtheit letzten Endes ganz und voll nur von einem Russen verstanden und richtig eingeschätzt werden kann; so wichtig und literarisch wie gefühlsmäßig bedeutsam sind seine vielen Anklänge, Assoziationen und Anspielungen an bzw. auf nur einem russischen (oder über Rußland bestens Bescheid wissenden) Leser vertraute und für ihn sinnvolle Themen, Sachverhalte, Lokalitäten, ja Stimmungen. Und während Thomas Mann die schwierige
GEMEINSAME UND PARALLELE ZÜGE
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Problematik des Exils am eigenen Leibe und auf lange Zeit zu erfahren bekam, war sie auch Pasternak - jedenfalls in der Form der Publikationsbehinderung - nicht fremd. Er arbeitete seinen Roman im großen und ganzen in den Jahren vor Stalins Tode aus, etwa zwischen 1945 und 1953 (auch wenn ihn sein Gegenstand schon lange zuvor, ähnlich wie Thomas Mann der Faust-Stoff, vor der endgültigen Niederschrift, beschäftigt hat und das Manuskript zum Schiwago, wie bereits erwähnt, vorläufig wohl erst im Sommer 1954 und endgültig im Sommer 1956 vorlag; vgl. auch Robert Payne, The Three Worlds of Boris Pasternak, 1961, 188-9), also in 'innerer Verbannung' und Zurückgezogenheit. (Zwei erste, vorläufige Fragmente des Romans, Leben und Ereignisse um 1905 behandelnd, erschienen bereits am 15.XII.1938 in der Literaturnaja Gazeta, worauf Gleb Struve aufmerksam gemacht hat; s. G. Struve, Geschichte der Sowjetliteratur, 217, Fn. 40, und ders., "Sense and Nonsense ...", 240-1 und 246-7, Fn. 10. Vgl. ferner etwa noch A. Gaev, Boris Pasternak and Dr. Zhivago, 11, und ders., B.L. Pasternak i ego roman Doktor 2ivago, 23.) Und mindestens zweimal im Leben war Pasternak selbst nahe daran, Rußland - wohl auf immer - verlassen zu müssen: einmal, nach der Revolution, als seine Eltern und Schwestern sich zur Emigration (zuletzt nach England) entschlossen, das zweitemal, als auf der Höhe der öffentlichen Hetzkampagne gegen ihn Stimmen in der Sowjetpresse laut wurden, die für seine Ausweisung eintraten und welchen sich der Dichter schließlich gezwungen sah in einem öffentlichen Brief an Chruschtschow mit der Bitte zu begegnen, ihm ein solches Schicksal zu ersparen. Sowohl Doktor Faustus wie Doktor Schiwago sind die dichterische Gestaltung eines Stücks Zeitgeschichte in der Form einer durch viele Nebenpersonen und Zweithandlungen komplizierten Biographie zweier künstlerisch veranlagter Männer - des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn und des russischen Arztes und Dichters Jurij Schiwago. Dabei decken sich die Zeitspannen der beiden Biographien und mithin auch die Abschnitte erfaßter Zeitgeschichte fast völlig: Leverkühns Geburtsjahr wird mit 1885 (also zehn Jahre nach Thomas Manns eigenem Geburtsjahr) angegeben; Schiwago soll 1889 (ein Jahr vor Pasternak) geboren worden sein. Und Leverkühns geistige Umnachtung beginnt im Mai 1930 (im unmittelbaren Anschluß an die 'Ladung' der Freunde und Bekannten nach Pfeiffering; er stirbt im Sommer 1940), während Schiwago, erst vierzigjährig, 1929 unerwartet das Zeitliche segnet, wobei allerdings seine acht oder neun letzten Lebensjahre bereits eine Zeit des geistigen und materiellen Niederganges, der zeitweise bis
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GEMEINSAME UND PARALLELE ZÜGE
zur Apathie reicht, unterbrochen freilich von kürzeren Perioden wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffens und angespannter Aktivität und intellektueller Klarheit, sind (vgl. Doktor Schiwago, 547, 557-9, 572-4). Der historische Zeitabschnitt reicht somit in beiden Romanen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis gegen Ende der 20er Jahre unseres Jahrhunderts - zweifellos eine Epoche größter Umwälzungen in Deutschland wie in Rußland, gekennzeichnet durch den Niedergang und Abschluß des einst stabilen ancien régime in beiden Kaiserreichen, durch Weltkrieg, Revolution, Bürgerkrieg, und den Sieg des Bolschewismus in Rußland und die Anbahnung des Nationalsozialismus in Deutschland. All dies und sehr viele Einzelheiten, welche durch die eben genannten Stichworte allenfalls bloß angedeutet werden können, haben in den beiden Zeitromanen des deutschen und des russischen Dichters Ausdruck und künstlerische Gestaltung gefunden und werden bei aller ins Minutiöse gehenden Schilderung - im Falle Thomas Manns womöglich von Exilsehnsucht noch verstärkt (vgl. Bergsten, op cit., 22) - durch ein ideologisches - bei Pasternak möchte man oft eher sagen: religiöses - Pathos durchdrungen. Dabei ist die Zeitebene der eigentlichen Handlung des Mannschen Romans nur eine, wenn auch die wichtigste, von mindestens dreien: daneben, also außer der 'sachlichen' oder, wie sie Zeitblom nennt, 'historischen' Zeit (1885-1940), läuft die 'persönliche' Zeit, nämlich während der angeblichen Niederschrift von Adrians Biographie durch den Freund (Mai 1943 - Mai 1945, vgl. den Zeitraum Manns eigener intensiver Arbeit am Fawjiwj-Manuskript, Mai 1943 Anfang 1947), sowie ferner, wenigstens theoretisch, die Zeit des zukünftigen Lesers. Dazu kommt, wenn auch im Roman selbst unausgesprochen und nur etwa durch Namenwahl und altertümlichen Sprachgebrauch sowie gewisse Einzelheiten und Bezugnahmen angedeutet, noch eine weitere Zeitebene, die recht eigentlich 'historische' Zeit der deutschen Geschichte, vor allem die Epoche des wirklichen bzw. legendären Faustus (des Volksbuches) und der Dürer- und Lutherzeit, also das frühe 16. Jahrhundert, (vgl. Bergsten, op. cit., 42, 51-60 und 173-8, auch über andere denkbare Aufteilungen der Zeitebenen im Faustus, s. dazu auch noch weiter unter). Dieser geschickte Kunstgriff dient Mann gegen Ende seines Buches auch zur symbolischen Identifizierung von Adrians und Hitler-Deutschlands Untergang, indem (nach einer dementsprechenden Behauptung Zeitbloms schon früher) auf den Schlußseiten des Buches angedeutet wird, Deutschland habe, ebenso wie Adrian-Faustus, einen Vertrag mit dem Teufel geschlossen, eine Gleichsetzung, die in dem abschließenden Stoßgebet gipfelt: "Gott sei euerer armen Seele
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gnädig, mein Freund, mein Vaterland." Dies und die kurze Schilderung der letzten, umnachteten Jahre von Adrians Leben sowie die Nachricht von seinem Tode sind in einer der eigentlichen Biographie beigegebenen "Nachschrift" enthalten. Auch Doktor Schiwago, in dem von einer ähnlich eindeutigen Aufspaltung in verschiedene Zeitebenen sonst kaum die Rede sein kann, beschließt ein längerer "Epilog", der im Jahre 1943 (und den vorangehenden Kriegsjahren) und dann, in der Schlußepisode, noch fünf oder zehn Jahre später (so ausdrücklich im Text) rückblickend spielt. Und während Doktor Faustus, dessen Held mit "Dr. Fausti Weheklag" das Gute und Hoffnungsreiche (wie es etwa in Beethovens Neunter Symponie verkörpert ist) in seiner von schweren Schicksalsschlägen zumindest mitverursachten religiösen Verzweiflung 'zurücknimmt' und der schlichte Biograph, Manns alter ego, von Deutschland und seiner Zukunft sprechend, sich fragt Wann wird es des Schlundes Grund erreichen? Wann wird aus letzter Hoffnungslosigkeit, ein Wunder, das über den Glauben geht, das Licht der Hoffnung tagen?
endet Doktor Schiwago, dessen Held in seinen - also Pasternaks beigefügten Gedichten seine Erfahrungen und Empfindungen niedergelegt und zu künstlerischem Ausdruck gebracht hat, in einem, wenn auch verhalten, zuversichtlicheren und hoffnungsvolleren Ton: Wenn auch der Sieg die erhoffte Aufklärung und Freiheit nicht gebracht hatte, so gab es doch eine Vorahnung der Freiheit; und diese bildete den einzigen historischen Gehalt der Nachkriegszeit. - Den beiden altgewordenen Freunden am Fenster wollte es scheinen, als sei diese innere Freiheit schon errungen, als habe sich die Zukunft gerade an diesem Abend spürbar über die Straßen von Moskau niedergesenkt und als seien sie selbst in diese Zukunft eingetreten. Ihre Liebe zu dieser heiligen Stadt und zur ganzen Welt, zu den Personen dieser Geschichte, zu den Uberlebenden und deren Kindern, erfüllte sie mit einem Gefühl der Geborgenheit und des Glücks, das sich wie leise Musik um sie ausbreitete. Das Buch, das sie in den Händen hielten, wußte das alles und gab ihren Empfindungen Bestätigung und Sicherheit.
Vorher freilich, nach Schiwagos Tode, zerreist die Verzweiflung Lara nahezu das Herz ("Welch eine furchtbare Sache doch das Leben ist, nicht wahr?"), der dann jedoch die trostreichen Worte ("niemals und unter keinen Bedingungen dürfen wir verzweifeln") des stets hilfreichen, ein wenig geheimnisvollen, weil oft in Augenblicken der akuten Krise eingreifenden Halbbruders des Verstorbenen, Jewgraf Schiwago, entgegenklingen (Doktor Schiwago, 584-5). Ein weiterer Punkt, der einen allgemeinen Vergleich zwischen unseren beiden Romanen nahelegt, ist ihr Titel. Die Ähnlichkeit, die darin liegt,
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daß beide das Wort 'Doktor' enthalten, ist freilich rein äußerlich und zufällig: bei Doktor Faustus gehört der gelehrte Titel sozusagen als fester Bestandteil, als epitheton ornans zum Namen des legendären deutschen Magiers; Schiwago führt ihn als Kennzeichnung seines Berufes als Arzt. Anders verhält es sich aber mit den beiden Namen selbst, wo ein Vergleich daher mehr am Platz ist. 'Faustus' ist natürlich rein symbolisch gemeint, in dem Sinne, daß es sich bei dem Helden des Mannschen Romans tatsächlich um den mit dem Teufel paktierenden, nach Sinn und Zweck des Lebens forschenden Menschen in moderner Gestalt handelt, der sein Seelenheil um den Preis eines reicheren, was hier soviel heißen will wie: schöpferischeren Lebens verkauft. Als Erdenmensch führt er aber einen normal-bürgerlichen, allenfalls etwas altertümlich klingenden deutschen Namen - Adrian Leverkühn. Daß bei Mann, neben dem Helden des Volksbuches, auch die Hauptgestalt des bedeutendsten Werkes seines großen Vorbildes in der deutschen Literatur mit- und nachgewirkt haben mag, wird immerhin im Bereich des Möglichen liegen, wenn auch bei sonst soviel aus anderer Schriften z.T. wörtlich und direkt Übernommenem oder doch nur geringfügig Abgewandeltem im Faustus kaum etwas ganz eindeutig auf Goethes Faust weist (vgl. Bergsten, op. cit., 60-1; dort auch über die Übereinstimmung in der Darstellung der Vatergestalt als Grübler bzw. 'Spekulierer'). Etwas anders und doch wieder auch ähnlich-sinnbildlich liegen die Dinge beim Namen des russischen Romanhelden. 'Schiwago' (russ. ¿ivago), wörtlich 'des Lebend(ig)en', ist bestimmt nicht frei erfunden, sondern eine bezeugte Form eines besonderen russischen Namentyps (s. B. O. Unbegaun, Russian Surnames, 1972, 32 und 174); dennoch haftet ihm wohl ein tieferer Sinn an. Daß der Name aber direkt, wie behauptet wurde, mit der in Doktor Schiwago hier und da wiederkehrenden, dazu unterschwellig noch öfter auftauchenden Idee der Wiederauferstehung in Zusammenhang steht (vgl. etwa 83-4, wo Jura Schiwago der todkranken Anna Iwanowna Gromeko seinen Begriff der Auferstehung erläutert, sowie ferner auch die Endstrophe des letzten der "Gedichte des Jurij Schiwago"), scheint jedoch kaum erwiesen. Siehe dagegen Payne, op. cit., 168-70, wo darauf hingewiesen wird, daß der Auferstehungsgedanke bekanntlich auch Pasternaks großen Vorgänger Tolstoj stark beschäftigt und sogar zu einem ganzen Roman angeregt hatte, ferner aber auch bei Dostojewskij und, die zwei Klassiker des russischen Romans beeinflussend, bei dem Religionsphilosophen Nikolaj Fjodorow (1828-1903) eine große Rolle spielt; ausführlicher über Fjodorow und seine einflußreichen Lehren, besonders von der
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Überwindung des Todes, vgl. etwa bei V. V. Zenkovsky, A History of Russian Philosophy, Vol. 2 (1967), 588-604. Noch weniger einleuchtend ist, daß (wie ebda., 170-1, angenommen) Schiwagos Vorname, Jurij, von Pasternak als an das substantivierte Adjektiv jurodivyj, etwa 'Narr in Christo', anklingend gewählt wurde. Ebenso abwegig ist bestimmt der (von Edmund Wilson lancierte) Gedanke Jurij, d.h. die russische Entsprechung von Georg, spiele sinnbildlich auf den Kampf des heiligen Georgs mit dem Drachen an. Daß der Nachname (wenn auch wohl kaum der Vorname) des russischen Romanhelden trotz dessen äußeren Niederganges und frühen Endes gerade als eine Art Symbol der Bejahung des Lebens und alles Lebendigen und also nicht rein zufallig aufgegriffen wurde, ist aber dennoch anzunehmen. So heißt es halb autobiographisch, halb programmatisch bereits in einem frühen Kapitel in Doktor Schiwago: Jura war ein guter Denker, und er schrieb ausgezeichnet. Bereits als Gymnasiast hatte er davon geträumt, ein Prosawerk zu schreiben, ein 'Buch des Lebens', in dem sich die Bilder und Gedanken, die den stärksten Eindruck auf ihn gemacht hatten, mit der elementaren Gewalt geballter Explosionen ablösen sollten.
Und noch gegen Ende des Romans stimmt der bereits seinem Untergang entgegentreibende und vom Tode gezeichnete, in der Art einer tragischen Figur bei Dostojewskij 'erniedrigte und beleidigte' Jurij Schiwago (in seiner letzten Erklärung gegenüber den für Scheinheiligkeit und Trivialität empfanglich gewordenen Freunden Dudurow und Gordon) ein kurzes Hohelied des Lebens an (Doktor Schiwago, 568): Ich habe den leidenschaftlichsten Willen zu leben; Leben aber bedeutet immer: dem Höheren, der Vollkommenheit entgegenstreben, sich emporschwingen und versuchen, den Gipfel zu erreichen.
In diesem Zusammenhang wirkt es immerhin etwas befremdend, daß Pasternak selbst in einem im Juni 1959 gegebenen Interview mit dem amerikanischen Literaturforscher Ralph Matlaw gesagt haben soll: "The ñame Zhivago has no special significance, it is just a name." Vgl. Struve, "Sense and Nonsense ...", 250. Gleichzeitig und vor allem sind Leverkühn und Schiwago aber bei all ihrer künstlerisch-menschlichen Eigenart typische Vertreter ihres jeweiligen Volkes, der Deutschen und der Russen, und als solche von ihren Schöpfern, dem im amerikanischen Exil lebenden Thomas Mann und dem zwar in der Heimat verbliebenen, aber unter den schwierigen Umständen der 'inneren Emigration' sein isoliertes Dasein fristenden Boris Pasternak, mit besonderer Liebe und Sorgfalt gezeichnet.
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Damit sind wir bereits bei der Charakterisierung und Analyse der beiden Hauptfiguren unserer Romane. Daß es sich bei Adrian Leverkühn um ein äußerst zusammengesetztes, man möchte beinahe sagen: MosaikPorträt handelt, ist hinlänglich bekannt und wurde schon mehrfach im einzelnen erörtert - dies übrigens weitgehend im Gegensatz zur Darstellung mancher anderer Personen im Faustus, die häufig nach einem einzigen Modell gezeichnet sind (vgl. etwa Bergsten, op. cit., 23-54). So wurde u.a. bereits hervorgehoben, daß es sich bei Manns modernem 'Doktor Faustus' zunächst um eine Reinkarnation des Helden der alten Faustsage handelt, so wie er uns insbesondere im Volksbuch entgegentritt. Nicht nur sind Adrian und der alte Faustus Bauernsöhne, die auf die 'Hohe Schule' zum Zweck des Theologiestudiums ziehen, dieses dann aber gegen zweideutigere Studienfacher - im Falle Adrians: die Musik - aufgaben. Gunilla Bergsten hat außerdem noch einen ganzen Katalog übereinstimmender oder doch sehr ähnlicher Episoden im Leben der beiden Faustgestalten aufgestellt {op. cit., 57-8), der ganz einwandfrei zeigt, wie nahe und bewußt Thomas Mann sich in seinem biographischen Roman in abgewandelter, aber symbolisch doch recht eindeutiger Weise an gewisse Hauptereignisse, wie sie im alten Volksbuch erzählt werden, hält. Wie die Tatsache zu erklären ist, daß, wie bereits erwähnt, in Manns Gestaltung des Fauststoifes kaum eine - jedenfalls eindeutig selbständige - Spur eines Einflusses von Goethes Faust nachgewiesen werden kann, bleibt umstritten; eine mögliche, auch von Bergsten erwähnte Erklärung wäre vielleicht, daß Mann mit seinem Faustroman auf einer tiefgründigeren Ebene eine 'Zurücknahme' des letzten Endes doch positiv ausklagenden Goetheschen Fausts ("wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen") bezweckte, ähnlich wie Adrian mit seinem Faustoratorium in einem höheren Sinn die 'Zurücknahme' von Beethovens optimistischer Neunter gemeint haben soll (s. Bergsten, op. cit., 60, mit weiteren Hinweisen in Fn. 7).
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Außerdem sind aber, wie ziemlich allgemein erkannt, noch Züge einer ganzen Reihe von Persönlichkeiten der historischen Wirklichkeit in der Gestalt Adrian Leverkühns zusammengeflossen und verarbeitet, ohne daß eine einzige darunter etwa ein wirkliches, lebensgetreues Modell abgegeben hätte (vgl. Entstehung, 80-1); so u.a. der von Nietzsche, Beethoven, Hugo Wolf, Gustav Mahler, und, mehr am Rande, Dostojewskij, Kierkegaard, sowie in der einen oder anderen Einzelheit sogar Alban Berg und Igor Strawinsky (s. Bergsten, op. cit., 68-90). Die Dankesschuld gegenüber Arnold Schönberg, dem Schöpfer der Zwölftonmusik, am Ende des Romans bekanntlich nicht ohne vorangegangene beiderseitige Verstimmung vermerkt, und - wichtiger noch - an Theodor Adorno, im Roman selbst symbolisch, durch die Verwendung seines anderen Namens, Wiesengrund, heimlich untergebracht, voll und offen in der Entstehung abgestattet, ist ohnehin allgemein bekannt. Natürlich trägt Manns Adrian-Faustus aber auch gewisse autobiographische Züge. Das gilt zunächst einmal in dem Sinne, daß sich Thomas Mann in dem gleichen oder doch ganz ähnlichen Milieu wie sein Romanheld bewegt hat, so daß man hier sozusagen von einer Identität des Beobachters der Außenwelt (man denke da insbesondere etwa an die verschiedenen Münchener Milieus und die seiner Umgebung, vor allem also Pfeiffering/Polling) sprechen kann. Von der doppelten Identität Thomas Mann-Adrian/Zeitblom haben andere, u.a. Jonas Lesser, Hans Mayer, und J. M. Lindsay, gehandelt, so daß hier kein Anlaß besteht näher auf diese Problematik einzugehen (s. auch Bergsten, op. cit., 56, Fn. 4). Erwähnenswert ist immerhin Thomas Manns eigenes diesbezügliches Zeugnis in einem Brief vom 30.X.1948 an den Herausgeber der Zeitschrift Zürcher Student, wo es heißt: "Wenn ich jenem Adrian Leverkühn irgend etwas von mir selbst mitgegeben habe, so ist es der Sinn für Komik und die Neigung zur Parodie." Und in einem Privatbrief (an P. Amann) aus derselben Zeit schreibt Mann: "Zeitblom ist eine Parodie meinerselbst. In Adrians Lebensstimmung ist mehr von meiner eigenen, als man glauben sollte - und glauben soll." Vor allem anderen aber ist Adrian Leverkühn, wie es Thomas Mann selbst in der Entstehung (81) formuliert hat, "eine Idealgestalt, ein 'Held unserer Zeit', ein Mensch, der das Leid der Epoche trägt". Ein 'Held unserer Zeit' - schon der Ausdruck allein läßt einen an die russische Literatur, hier natürlich an Lermontow, denken. Aber genau hier liegt nun auch der Berührungspunkt, nein: die weitgehende Übereinstimmung mit Doktor Schiwago. Denn was anderes als ein 'Held unserer Zeit', ein Mensch, der das Leid seiner Epoche und seines Landes
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im wahrsten Sinne trägt, ist denn auch Jurij Schiwago? Daneben und zugleich gibt es in der Gestalt Schiwagos aber natürlich auch einen starken Einschlag autobiographischer Züge, wohl sogar noch mehr als in der Person Adrian Leverkühns bei Thomas Mann. Das gilt nicht nur in bezug auf die Rolle des Beobachters und Miterlebers seiner Zeit und seiner Umwelt: auch Pasternak, wie Mann, hat in vielen der Milieus, in denen er seinen Helden sich bewegen läßt, selbst gelebt und manche der geschilderten Begebenheiten (oder ganz ähnliche) auch miterlebt. Und die 'Lebensstimmung' Jurij Schiwagos, am deutlichsten und eindringlichsten natürlich in seinen nachgelassenen Gedichten ausgedrückt, entspricht sicher weitgehend der Pasternaks, ganz ähnlich wie in Manns Faustus-Figur laut seiner eigenen Aussage ein guter Teil seiner, des Dichters, Lebensstimmung mitschwingt. Aber während Thomas Manns Held Musiker und Komponist ist, Mann selber aber nur in bescheidenem Ausmaß musizierte (er spielte ein wenig die Geige), wenngleich von allen Kunstarten die Musik ihm bekanntlich weitaus am nächsten stand und er sie auch für die höchste und reinste, dazu - und das ist in diesem Zusammenhang wichtig! - deutscheste Kunstform hielt (über die musikhistorischen und -theoretischen Quellen zum Doktor Faustus s. bes. Bergsten, op. cit., 90-121, mit weiterem Schrifttum), so ist Schiwago, wie sein Schöpfer, vor allem Dichter und zwar Lyriker, auch wenn er außerdem noch einem bürgerlichen, 'nützlichen' Beruf, dem des Arztes, nachgeht. Vgl. dazu übrigens schon die Erwägung Jurij Schiwagos bei der Studienfach- und Berufswahl (Doktor Schiwago, 80): Aber wie groß seine Neigung für Kunst und Geschichte auch sein mochte, Jura war keinen Augenblick in der Wahl seines Berufes unsicher. Er war der Meinung, die Kunst eigne sich nicht für einen Beruf, wie es ja auch keine professionelle Heiterkeit oder Melancholie gibt. Er interessierte sich für Physik und Naturwissenschaften und war der Ansicht, man müsse sich im praktischen Leben mit einem praktischen und nützlichen Beruf befassen. So war er denn Mediziner geworden.
Charakteristisch ist jedenfalls, daß es sich bei beiden Romanhelden, Leverkühn wie Schiwago, um kreative Künstler handelt. Auch wenn die Musik in Doktor Schiwago, anders als im Faustus, nur eine recht unbedeutende Rolle spielt (etwa als Vergleichsmittel in naturlyrischen Schilderungen und Stimmungsanalysen), so finden sich sehr viele Bezugnahmen auf sie in Pasternaks sonstigem Werk, besonders in der Poesie der früheren Jahre (vgl. dazu etwa Pomorska, op. cit., 29-50: "Music as Theme and Structure"). Und bekanntlich wollte der junge Pasternak tief beeindruckt von Skrjabin - zunächst Musiker und Komponist werden
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und widmete sich als Jüngling jahrelang intensiv dem Studium der Musik (s. in Über mich selbst, 16-25). Was wiederum das Praktizieren der Medizin als Beruf betrifft, so hatte Pasternaks Vater, der Kunstmaler Leonid Pasternak - seine Mutter war zeitweise als Konzertpianistin tätig! - erst Medizin an der Moskauer Universität studiert und sich auf den Beruf eines Arztes vorbereitet (vgl. Payne, op. cit., 172). Und auch ein bedeutender russischer Dichter, den Pasternak, wie er mir selber während unseres Gesprächs in Peredelkino sagte, besonders hoch schätzte, ja, ihn gleich nach Puschkin stellte, Anton Tschechow, war bekanntlich Arzt und wechselte erst verhältnismäßig spät im Leben zur hauptberuflichen Schriftstellertätigkeit über. (Pasternaks besondere Bewunderung für Puschkins und Tschechows einfachen, von ihm selbst angestrebten Prosastil und durchsichtige Kompositionsart kommt auch in Doktor Schiwago, bes. 340, zum Ausdruck; vgl. auch Struve, "Sense and Nonsense ...", 239 und 249.) In Doktor Schiwago hat außerdem wohl die Hilfe und Erleichterung spendende Rolle des Arztes noch eine besondere symbolische Funktion im Sinne der Botschaft des den Roman überall durchdringenden christlichen Evangeliums - ein Zug übrigens, der Doktor Schiwago (wenn auch etwas anders interpretiert) mit dem Spätwerk Tolstojs verbindet, ihn dagegen von Doktor Faustus eher trennt. Ganz wie in der Gestalt Leverkühns Charakterzüge und Eigenschaften so mancher Menschen, die Mann entweder persönlich gekannt hatte oder von deren besonderen Merkmalen und Eigentümlichkeiten er näheres wußte (oder zu wissen glaubte), vereint und in eine neue, durchaus überzeugend wirkende Persönlichkeit verschmolzen sind, so ist auch Jurij Schiwago ein aus Wirklichkeit und Phantasie zusammengesetztes, komplexes Porträt eines wenn auch nicht gerade typischen, so doch irgendwie kennzeichnenden Menschen seiner von Leid und Wirrsal geprägten Epoche der russischen Geschichte. Wie allerdings der als Rußland-Kenner und Pasternak-Forscher nicht gerade allzu zuverlässige Robert Payne zu der Auffassung gelangen konnte, die Züge von zumindest gerade vier bestimmten Figuren - drei wirklichen und einer erdichteten - , nämlich von Pasternaks Vater, von seinem Freunde Dmitrij Samarin, von Lenin (sie!), und von dem Helden des Romans Auferstehung von Leo Tolstoj, Fürst Nechljudow, in der Hauptgestalt des Pasternakschen Werkes wiederzufinden (s. op. cit., 171-2), bleibt wenigstens mir völlig unergründlich. Auch Professor Struve hält diese Konstruktion (laut brieflicher Mitteilung) für absurd. Noch eines zur Rolle der Musik bzw. der Poesie in Doktor Faustus
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und Doktor Schiwago. Wie Bergsten (op. cit., 212) erwähnt, zeigt die Entstehung, "daß Mann die Musik als Paradigma betrachtet, d.h. als den reinsten und allgemeingültigsten Ausdruck dessen, wovon alle Kunst handelt". Es ist durchaus denkbar, daß auch Pasternak ähnlich über die ästhetische Funktion der Musik dachte, selbst wenn er es nie ganz so eindeutig formuliert hat; vgl. etwa die Bemerkung (Doktor Schiwago, 520): "Er hörte den Gang eines Pferdes in seinen Versen, so wie der Schritt eines Paßgängers in einer Ballade Chopins deutlich zu vernehmen ist." Und Musik wird im Schiwago zuweilen auch nur in einem symbolischen Sinne, eigentlich für etwas anderes stehend, z.B. die Worte des Evangeliums, erwähnt. Daneben und als gleichrangig empfand er jedoch die Rolle der Poesie, der poetischen Sprache, also jener anderen mit Laut und Klang (dabei nicht einmal immer WoWklang) und deren unendlich vielen Verbindungen und Kombinationen als ihrem eigentlichen Medium arbeitenden Kunstform, wodurch somit im Grunde gar nicht einmal ein Gegensatz bezeichnet ist. Vgl. hierzu besonders auch die Schilderung des intensiven schöpferischen Prozesses des Dichtens in der entlegenen Einsamkeit des uralischen Warykino (Doktor Schiwago, 514-15), wo es u.a. heißt: Den Vorrang hat nun nicht mehr der Mensch und sein Seelenzustand, für den nach einem Ausdruck gerungen wird, sondern die Sprache, in der er diesen zum Ausdruck bringen will. Die Sprache, diese Heimat der Schönheit und des Sinnes, beginnt selber zu denken und für den Menschen zu sprechen und wird Musik, nicht durch äußerlich hörbare Laute, sondern durch den Schwung und die Macht ihres inneren Sich-Verströmens. Dann findet, ähnlich der ungeheuren, rauschenden Masse eines Stromes, der durch seine Bewegung die Steine am Grunde abschleift und der die Räder der Mühlen treibt, die dahinströmende Sprache von selbst, kraft ihrer inneren Gesetze Rhythmus und Reim; und tausend Formen, tausend unbekannte Figuren der Sprache entstehen, von niemandem gewußt bis dahin und von niemandem geahnt. Dagegen scheinen sowohl Mann wie Pasternak den bildenden Künsten (nicht aber der mit dem Auge wahrnehmbaren Wirklichkeit!) in deren mannigfaltigen Formen und Darstellungsarten bei aller Anerkennung und allem Verständnis - bei Pasternak von Kindheit her sicher durch den Beruf des Vaters verstärkt - weniger nahe gestanden zu haben. Interessant in diesem Zusammenhang sind auch Thomas Manns Gedanken zur Funktion des Romans als literarische Gattung, wie sich diese Funktion gegenüber derjenigen der Poesie und des Poetischen überhaupt abhebt und definieren läßt. In seinem Vortrag "Die Kunst des Romans" aus dem Jahre 1939 (also als er einige Ideen zum Faustus allenfalls konzipierte, aber eher unter Bezugnahme auf seinen Josephs-
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roman) entwickelte Mann die Vorstellung, die unbewußtere und freiere Kunst des Fabulierens früherer Zeiten sei bei dem modernen Erzähler durch kritisches Bewußtsein und Reflexion ersetzt, wobei, um mit dem russischen Schriftsteller Dmitrij Mereschkowskij zu sprechen, man es mit dem "Übergang von unbewußtem Schaffen zum schöpferischen Bewußtsein" zu tun habe, was, anders ausgedrückt, bedeute, der moderne Roman repräsentiere "die Stufe der 'Kritik' nach derjenigen der 'Poesie'" (s. Bergsten, op. cit., 139). So verstand Mann daher wahrscheinlich weitgehend auch seine eigene literarische Tätigkeit und sah in ihr zugleich womöglich eine Art Rechtfertigung der durch ihn mitvollzogenen 'Überwindung' der Poesie. Dabei war letztere immerhin durch solche bedeutende Zeitgenossen deutscher Sprache wie Hugo von Hofmansthal, Rainer Maria Rilke, und den Mann freilich unliebsamen Stefan George vertreten (vgl. die karikierte Figur des Dichters Daniel zur Höhe im Faustus, zwar keine direkte Nachahmung Georges selbst, aber doch seines Schülers Ludwig Derleth; s. Bergsten, op cit., 37-40). Auch Doktor Schiwago stellt ja einen Versuch dar, die reine Poesie zu überwinden bzw. vielmehr in einen prosaischen Rahmen, sei er selbst z.T. auch noch so 'poetisch', einzufassen und zu integrieren. So sagte mir Pasternak 1959 u.a., er sei glücklich mit Doktor Schiwago nun endlich etwas geschaffen zu haben, was nicht nur dem ästhetischen Feinschmecker, sondern auch dem nachdenklichen 'einfachen Mann' verständlich und zugänglich sein werde. Daß dies (und Äußerungen ähnlichen Inhalts seitens des Dichters) aber gleich, wie vielfach behauptet worden ist, einer Selbstverleugnung seiner gesamten früheren Produktion gleichgekommen wäre, einen solchen Eindruck hatte jedenfalls ich persönlich ganz bestimmt nicht nach unserem Gespräch. Eher würde ich meinen, daß der Entwicklungsgang Pasternaks vom esoterischen Dichter des Schwerverständlichen, der für einen Kreis Auserlesener schrieb, zu dem des jedenfalls leichter und einer weiteren Leserschaft Zugänglichen in dem neulich von einer Gruppe sowjetischer Kulturwissenschaftler angedeuteten Sinne zu verstehen ist (und wohl, zumindest intuitiv, von Pasternak auch so gewertet wurde), nämlich daß wir es bei seiner Entwicklung gerade mit "einem Beispiel einer Bewegung von einer Ausrichtung auf den Sprecher (hier: Dichter, H. B.] zu einer Ausrichtung auf den Hörer [hier: Leser, H. B.]" zu tun haben; vgl. Ju. M. Lotman u. aa., Theses on the Semiotic Study of Culture (as Applied to Slavic Texts), 11-12. Daß die sowjetischen Gelehrten in diesem Zusammenhang das nächstliegende Beispiel - Doktor Schiwago - nicht namentlich erwähnen, hat seine leicht verständlichen, sachlich aber belangslosen Gründe. Vgl. ferner die sicher auch auf
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Pasternak selbst gemünzte (aber deshalb noch nicht unbedingt voll und ganz auf den Dichter jüngerer Jahre zutreffende) Überlegung Jurij Schiwagos bei der Durchsicht seiner Skizzen und poetischen Versuche und der weiteren schöpferischen Arbeit daran (Doktor Schiwago, 519): Immer hatte er von einer gedämpften, zurückhaltenden Originalität geträumt, die kaum sichtbar in Erscheinung tritt und sich unter dem Schleier unscheinbarer und vertrauter Wendungen verbirgt. Sein ganzes Leben lang hatte er danach gestrebt, sich diesen zurückhaltenden, nicht anmassenden Stil anzueignen, der es dem Leser ermöglicht, den Inhalt unwillkürlich und ohne Anstrengung zu erfassen.
Wie fest Pasternak von der grundlegenden Rolle des Künstlers und besonders des Dichters in der Gesellschaft überzeugt war, davon war schon früher die Rede. Thomas Mann sah die Eigenart und Bedeutung des Künstlers wohl etwas nüchterner und skeptischer (zu dieser Problematik bei Mann und Pasternak s. auch noch weiter unten). Was er dazu bereits in den Betrachtungen eines Unpolitischen (403), von denen ein Mann-Kenner (Hans Egon Holthusen) im Doktor Faustus gewissermassen die politisch-ideologische Abkehr und Umkehrung zu sehen glaubt, 1918 zu sagen hatte, könnte aber ebenso gut auf seinen verdammten 'Faustus', Adrian Leverkühn, wie auf den dem Untergang entgegentreibenden Jura Schiwago zutreffen: Ein Künstler ... bleibt bis zum letzten Hauch ein Abenteurer des Gefühls und des Geistes, zur Abwegigkeit und zum Abgrunde geneigt, dem GefährlichSchädlichen offen.
Daß in Thomas Manns Roman sehr viele Gestalten nach der Wirklichkeit, und zwar recht deutlich erkennbar und meist nur nach einem einzigen ganz bestimmten Modell (anders als im Falle Adrians), gezeichnet sind, wurde schon erwähnt und ist übrigens allgemein bekannt. Es bedarf daher hier nicht der weiteren, ausdrücklichen Veranschauüchung durch Beispiele (über die Vorbilder einiger Figuren s. jedoch bereits oben bzw. weiter unten). Aber auch in Doktor Schiwago sind mehrere Personen sicher nach lebendigen Vorbildern geformt. Daß Pasternaks Freudin späterer Jahre, Olga Iwinskaja, zur Lara-Gestalt Modell gestanden haben soll, ist oft und sicher nicht ganz zu Unrecht behauptet worden. Vgl. dazu vor allem Pasternaks eigene Aussage in einem Brief (vom 7. Mai 1958) an Renate Schweitzer, abgedruckt in ihrem Buch Freundschaft mit Boris Pasternak (1963), 42-47, wo es unter Bezugnahme auf Olga Iwinskaja u.a. heißt (43): "Sie ist die Lara des Werkes, das ich eben während dieser Frist zu schreiben angefangen habe. ..." (Auch mir
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gegenüber ließ Pasternak so etwas durchblicken.) Ebenso wahrscheinlich ist aber auch, daß neben ihr noch andere Frauen, denen der russische Dichter auf seinem Lebensweg begegnet ist, der mit soviel Liebe porträtierten und von Natürlichkeit und Leidenschaft erfüllten Larissa, deren Prototyp (jedenfalls als junges Mädchen) schon in der Gestalt Schenjas in Luvers' Kindheit vorweggenommen zu sein scheint, manche ihrer Züge verliehen haben. So erwähnt etwa Payne (op. cit., 185), daß auch die jung verstorbene Schriftstellerin und Revolutionärin Larissa Reisner (Rejsner [nicht Reiner!] 1895-1926) zum Charakterbild Laras in Doktor Schiwago beigetragen haben mag; über Schenja Luvers als literarische Vorgängerin und Larissa Reisner und Olga Iwinskaja als mehr oder weniger wahrscheinliche Vorbilder der Lara-Gestalt in Doktor Schiwago s. auch Struve, "Sense and Nonsense ...", 246-7; auch brieflich (an mich) wiederholt Professor Struve seine Zweifel daran, daß die Gestalt der Lara in Doktor Schiwago irgendwelche Züge der von Pasternak allerdings sehr bewunderten Larissa Reisner trage. Vgl. auch sein bekanntes Gedicht "Pamjati Rejsner" (Reisner zum Gedächtnis), datiert 1926, aufgenommen in den Gedicht-Zyklus Smesannye stichotvorenija (Vermischte Gedichte) und erstmalig erschienen in der späteren Fassung (aus dem Jahre 1929) des Gedichtbandes Poverch bar'erov (Über die Schranken hinweg). Und von machen anderen werden wir schon wegen der ungünstigen Quellenlage wohl je kaum etwas erfahren. Das gilt auch von einer ganzen Reihe anderer Figuren in Pasternaks Roman (z.B. von einem etwaigen Modell zu Mischa Gordon, dem zum Christen gewordenen Juden und als solcher Pasternaks Sprachrohr seiner Gedanken zur Judenfrage; s. unten). Interessant wäre natürlich auch, wenn ein Vorbild (oder doch eines von mehrener Vorbildern) in der Wirklichkeit etwa für eine solche ideologisch besonders wichtige Persönlichkeit wie Wedenjapin ausfindig gemacht werden könnte. Käme vielleicht gerade hier - so eine Anregung Professor Struves - der Religionsphilosoph Nikolaj Fjodorow (vgl. oben) in Frage ? Bei Thomas Mann sind die Dinge da weit durchsichtiger: erstens gehört die nahezu lebensgetreue Übernahme gewisser Menschen der Wirklichkeit in seinem Roman mit zu seiner viel bewunderten, aber auch geschmähten sog. Montage-Technik (vgl. oben), in der ganze Stücke Wirklichkeitsstoff oft nur wenig verändert und umgeformt in einen neuen, dichterischen Kontext gestellt und verwoben wurden, und zweitens hat die Thomas-Mann-Forschung bekanntlich weitgehend Zugang zu archivarischem und sonstigem Quellenmaterial, dessen Gegenstück in der Sowjetunion bisher meist jedem Einblick ver-
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schlössen blieb. Außerdem war Pasternaks Verhältnis zur Wirklichkeit als 'Rohstoff des Dichters' aber ohnehin ein anderes: statt der Illusion einer neuen Wirklichkeit durch bloße Übernahme und Verpflanzung breiter Ausschnitte des wirklichen Lebens mitsamt seiner Menschen enthält die Erzählungskunst des Russen (wie übrigens vielfach auch seine Gedichte) ein Element der 'Verfremdung' (russ. ostranenie; weiteres zum Kunstgriff der 'Verfremdung' s. etwa V. Erlich, Rassian Formalism. History - Doctrine, 1955, 150-1), d.h. der neuen, unerwarteten, oft vermittelst eines ungewohnten Gleichnisses ausgedrückten Sicht eines vertrauten Verhältnisses oder Anblicks, nämlich eben durch die Augen des Dichters. Obwohl vor allem auf Naturschilderungen und Beschreibungen lebloser Gegenstände angewandt, mag Pasternak diese 'verfremdende' Technik der Wirklichkeitswiedergabe jedenfalls teilweise auch auf seine Personenbeschreibungen und -Charakteristiken übertragen haben. Vgl. auch Pasternaks eigene diesbezügliche Analyse (hier unter Bezugnahme auf Puschkin): "Gerade die alltäglichen und gewöhnlichen Dinge sind es, die magisch wirken, wenn die Hand des Genius sie berührt" (Doktor Schiwago, 339). Abschließend zur Personenzeichnung in Doktor Faustus und Doktor Schiwago sei noch vermerkt, daß sich sogar zwischen Jurij Schiwago und Thomas Manns zweitem alter ego, Zeitblom, eine bestimmte Übereinstimmung aufzeigen läßt. In ihrer Münchener Dissertation Dämonie und Humanismus: Funktion und Bedeutung der Zeitblomgestalt in Thomas Manns "Doktor Faustus" (1960) hat Ilse Metzler die These verfochten, Zeitblom vertrete den Humanismus der Schwäche, der keinen Widerstand (nämlich gegen den Nationalsozialismus) zu leisten vermag (vgl. Bergsten, op. cit., 154, Fn. 9). Wenn diese Interpretation akzeptiert werden kann - denn handelt es sich bei Zeitblom nicht eher bloß um die Verzagtheit der humanistischen Bildung? - , würde daher hier ein Vergleich mit einer bestimmten Seite Jurij Schiwagos naheliegen, da ja die Hauptfigur des Pasternakschen Romans ebenfalls durchaus als Repräsentant eines 'Humanismus der Schwäche' (wobei nicht einmal die Schwäche gegenüber dem neuen kommunistischen Regime gemeint zu sein braucht; vgl. weiter unten) oder doch der Passivität aufgefaßt werden kann.
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RELIGION U N D GESCHICHTE
Zentral in Doktor Faustus wie in Doktor Schiwago ist der persönlichbiographische Gegenstand des Lebens- und Leidensweges ihrer Hauptpersonen und die damit eng verbundene Problematik der von ihnen ausgeübten Kunstformen - der Musik bei Adrian Leverkühn, der Poesie bei Jurij Schiwago - , zwei verschiedener Formenwelten, die auch den Romanen selbst einiges von ihrem besonderen Gepräge, ihren artinhärenten Strukturen und 'Konstruktionen' verliehen haben (vgl. bei Pasternak die streckenweise durchaus hochpoetische Sprache und Kompositionsform seiner Prosa, von den beigegebenen "Gedichten des Jurij Schiwago" ganz zu schweigen, bei Mann gewisse einschlägige, sehr aufschlußreiche Äußerungen über Schema und Komposition seiner Prosadichtungen, von den Betrachtungen eines Unpolitischen, über einen Vortrag über den Zauberberg und bis zu einigen besonders expliziten Bemerkungen zum Faustus in der Entstehung reichend und von Bergsten, op. cit., 213-4, zitiert bzw. referiert). Andere Formen der Kunst finden hier nur mehr am Rande Erwähnung oder Beachtung (so etwa die Kunst Albrecht Dürers, nämlich "Die Apokalypse" und "Die Melancholie", als Inspirationsquellen Leverkühns, s. weiteres dazu zuletzt bei U. Finke, "Dürer and Thomas Mann", Essays on Dürer, 1973, 121-46; Anspielungen auf Sinn und Macht der Musik im Schiwago, dazu dort noch die unzähligen bildhaften Gleichnisse und Metaphern als Mittel der Pasternakschen 'Verfremdungs'-Technik). Daneben gibt es aber in beiden Romanen einige weitere allgemeine Themenkreise, denen zweifellos erstrangige Bedeutung zukommt. Hierher gehören vor allem die universale religiöse und die geschichtsphilosophische und politische - d.h. hier spezifisch deutsche bzw. russische - Problematik. Von ihnen ist das religiöse Moment im Faustus freilich hauptsächlich ins Pessimistisch-Negative verkehrt und gedeutet (vgl. Leverkühns Bemerkung "es soll nicht sein" am Ende der tragischen Echo-Episode); Pasternak dagegen versteht das Religiöse (ähnlich wie einst Tolstoj) vor
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allem als frohe oder doch hoffnungsreiche Botschaft des Evangeliums sowie anderer Teile der Bibel, dazu auch - ganz in Geist und Tradition griechisch-orthodoxer Frömmigkeit - an einigen Stellen an Abschnitte der ostkirchlichen Liturgie anklingend, allerdings hier im Sinne einer symbolisch-mythischen Lebens- und (diese widerspiegelnd) Erzählungsform und -kunst gemeint, nicht als moralischer, der Kunst feindselig gegenüberstehender, sozialethischer Leitfaden der Art, wie Tolstoj sein Christentum letzten Endes verstanden wissen wollte (vgl. besonders etwa Doktor Schiwago, 486-90; s. ferner auch Pomorska, op cit., 74, sowie Payne, op. cit., 170-181; über Pasternaks, von Tolstoj abweichende, Geschichtsauffassung s. unten). Ihren höchsten oder doch einen besonders verdichteten - negativen bzw. positiven - Ausdruck erhält diese christlich-religiöse Konzeption und Stimmung in der Behandlung des Gethsemane-Motivs bei Mann (in einer Episode der "Weheklag Dr. Fausti") und Pasternak (im letzten, "Der Garten Gethsemane" überschriebenen Gedicht Jurij Schiwagos). Im Faustus (743) heißt es da in einer der Deutungen von Leverkühns Spätwerk durch den Freund Zeitblom: Was ich meine, ist eine Umkehrung, eine herbe und stolze Sinnverkehrung, wie wenigstens ich sie zum Beispiel in der "freundlichen Bitt" des Dr. Faustus an die Gesellen der letzten Stunde finde, sie möchten sich zu Bette begeben, mit Ruhe schlafen [Manns eigene Kursivschriftsetzung, H. B.] und sich nichts anfechten lassen. Schwerlich wird man umhinkönnen, im Rahmen der Kantate, diese Weisung als den bewußten und gewollten Revers zu dem "Wachet mit mir" von Gethsemane zu erkennen.
Vgl. dazu auch Bergsten, op. cit., 253-4. Ganz anders und den verzweifelt-pessimistischen, im Gedicht "Hamlet" angeschlagenen Anfangsund Grundton (einschließlich des auch dort auftauchenden GethsemaneMotivs; vgl. N. Ä. Nilsson, Scando-Slavica V, 1959, 193) gewissermassen am Ende wieder aufhebend oder doch weitgehend mildernd klingen die Worte des letzten der Gedichte Jurij Schiwagos (hier deutsch von RolfDietrich Keil, dazu der russische Urtext): Am End war jemands Garten. Vor der Schwelle Ließ er die Jünger auf dem Weg und sprach: "Betrübt bis an den Tod ist meine Seele. Verweilet hier und bleibet mit mir wach." Und schauend dieser Schlünde schwarzes Gähnen, Wo anfanglos und endlos Leere hing, Bat er den Vater unter blutigen Tränen, Daß dieser Todeskelch vorüberging'.
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Er weckte sie: "Euch war in meinen Tagen Vom Herrn vergönnt zu leben, und ihr schlaft! Des Menschensohnes Stunde hat geschlagen. Er gibt sich in der Sünderhände Haft." Das Buch des Lebens aber will enthüllen Den Satz, der wie kein Heiligtum geweiht: Jetzt muß sich, was geschrieben steht, erfüllen. Erfülle sichs. Amen. Ich bin bereit. Du siehst, der Zeiten Zug ist so entzündlich Wie dunkles Gleichniswort, das plötzlich loht. Im Namen seiner Schreckensgröße find ich In freigewählten Qualen jetzt den Tod. Vom Tod ersteh ich auf am dritten Tage, Und wie im Strome Floß an Floß gereiht Ziehn einst vor mein Gericht, ans Licht getragen, Jahrhunderte aus tiefer Dunkelheit. V konce byl cej-to sad, nadel zemel'nyj. Uöenikov ostaviv za stenoj, On im skazal: "Dusa skorbit smertel'no, Pobud'te zdes' i bodrstvujte so mnoj". I, gljadja v eti öernye provaly, Pustye, bez naöala i konca, Ctob eta casa smerti minovala, V potu krovavom on molil otca. On razbudil ich: "Vas gospod' spodobil ¿it' v dni moi, vy z razleglis', kak plast. Cas syna celoveceskogo probil. On v ruki gresnikov sebja predast". No kniga zizni podoSla k stranice, Kotoraja doroze vsech svjatyn'. Sejcas dolzno napisannoe sbyt'sja, Puskaj ze sbudetsja ono. Amin'. Ty vidis', chod vekov podoben pritce I mozet zagoret'sja na chodu. Vo imja strasnogo ee velic'ja Ja v dobrovol'nych mukach v grob sojdu. Ja v grob sojdu i v tretij den' vosstanu, I, kak splavljajut po reke ploty, Ko mne na sud, kak barzi karavana, Stolet'ja poplyvut iz temnoty".
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Zum Wiederauferstehungs-Motiv vgl. auch das bereits oben kurz Angeführte. Weiteres zur Problematik des Religiösen in Doktor Faustus s. etwa bei Bergsten, op. cit., 259-82, wo am Ende jedoch auch die möglichen - und z.T. auch schon früher vorgeschlagenen - Interpretationen der "Hoffnung jenseits der Hoffnungslosigkeit" (so Zeitbloms eigene Worte), heraushörbar vielleicht aus dem letzten, verklingenden Celloton der "Weheklag"-Kantate und gemeint als "Transzendenz der Verzweiflung - nicht der Verrat an ihr, sondern das Wunder, das über den Glauben geht" (so weiterhin Zeitblom, s. Doktor Faustus, 745), also im Sinne der religiösen Kategorie "Gnade", erörtert werden (vgl. Bergsten, op. cit., 276-82, unter Bezugnahme u.a. auf den auch im Faustus erwähnten "Freischütz" von Carl Maria von Weber). Die überragende religiöse - hier eindeutig christlich gefärbte - Problematik in Doktor Schiwago, anknüpfend an ähnliche Gedankengänge solcher Dichter und Denker wie Tolstoj und Dostojewskij, Wladimir Solowjow und Nikolaj Berdjajew, wurde schon mehrfach eigehend behandelt und soll daher diesmal, vielschichtig und zusammengesetzt wie sie ist, nicht weiter verfolgt werden, nicht zuletzt auch weil sie nicht eigentlich für unseren besonderen Gesichtswinkel, das Unterthema 'aus Exilsicht', jedenfalls nicht als von dem Komplex der geschichtsphilosophischen, nationalen, d.h. in diesem Fall: russischen Frage abgesondert, wesentlich ist. Durchaus im Vordergrung der Diskussion steht nämlich in beiden Büchern, Faustus sowohl wie Schiwago, daneben auch die Geschichtsauffassung und insbesondere das Geschichtsbild des eigenen Landes. Und in engem Zusammenhang damit erörtern und erläutern Mann und Pasternak die zentrale zeitgeschichtliche Problematik ihres betreffenden Volkes - die deutsche bzw. die russische Frage. Nur am Rande sollen dann noch einige andere Phänomene, die mit diesen beiden mehr im Mittelpunkt stehenden Problemkreisen in einem gewissen Zusammenhang stehen und hier als für die beiden Dichter gleichzeitig symptomatisch herausgegriffen seien, auch noch kurz zur Sprache kommen. Hierher gehören etwa die unterschiedliche Behandlung und Schilderung der Natur sowie der Stadtlandschaft (und deren Funktion) in den beiden Büchern, die Beschreibung von - z.T. sehr assimilierten - Juden und aufschlußreiche Andeutungen über die Einstellung Manns und Pasternaks zur jüdischen Frage (vom politischen und soziologischen, bei Pasternak auch vom religiösen Standpunkt) und einige weitere dazugehörige Erscheinungen und Probleme. Es ist allgemein bekannt und erübrigt sich daher eigentlich, hier noch einmal darauf hinzuweisen, daß Thomas Mann einer der größten, wenn
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nicht gar der bedeutendste, weil eindringlichste Darsteller des ausgehenden bürgerlichen Zeitalters in Mitteleuropa und seiner Menschen gegen Ende des letzten und in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts gewesen ist, angefangen bei seinem Erstlingswerk, das nicht von ungefähr "Verfall einer Familie" als Untertitel trägt, und bis hin zum Faustus - ein Umstand übrigens, den kaum jemand so deutlich erkannt und scharf analysiert hat, wie der marxistische Literaturhistoriker und -kritiker und Thomas-Mann-Bewunderer Georg Lukäcs, der Mann zu der Gestalt des (vom Judentum) zum Katholizismus bekehrten, angehenden Jesuiten Naphta im Zauberberg zumindest mitangeregt, wenn nicht schlechthin als Vorbild gedient hat; vgl. dazu neuerdings auch die Bemerkungen von Katia Mann, op. cit., 82-3. Jedenfalls ist Doktor Faustus ebenso sehr eine breite Schilderung des niedergehenden deutschen Bürgertums in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und der Vorkriegs- und Kriegszeit sowie während des ersten Jahrzehntes nach dem ersten Weltkrieg (wogegen die Jahre des Dritten Reiches einschließlich des zweiten Weltkrieges nicht mehr ausführlich Revue passieren, sondern nur in den Betrachtungen Zeitbloms zum Zeitgeschehen durchschimmern), wie es die Buddenbrooks für eine etwas frühere Epoche der deutschen Geschichte und einen etwas anderen, nördlicheren Teil Deutschlands gewesen sind. An die vielen Repräsentanten des bürgerlichen Mittelstandes sowie des Großbürgertums (mit einem ganz geringen Einschlag auch des Adels), wie sie uns besonders im Münchener Milieu des Faustus begegnen, braucht hier sicherlich kaum namentlich erinnert zu werden; daneben werden in Thomas Manns Roman auch zwei wohlbestellte bäuerliche Hauswesen, der Leverkühnsche Erbhof Büchel und der diesem in vielem so ähnliche Ort der späteren Zurückgezogenheit Adrians bei den Schweigestills im oberbayerischen Pfeiffering (d.h. dem wirklichen Polling) recht eingehend geschildert (vgl. auch noch weiter unten über Manns eher dürftige Naturbeschreibungen). Auffallend in Manns Werken ist das Fehlen jeder Darstellung der ihm fremden Arbeiterklasse. Auch Boris Pasternak zeichnet in Doktor Schiwago mit feinen und doch wenigen, eindrucksvollen Strichen zunächst ein breites Panorama der bürgerlichen, hier: der vorrevolutionären Altmoskauer Gesellschaft, vertreten durch solche Häuser, wie die der Gromekos (in das Jurij Schiwago durch seine Ehe mit Tonja einheiratet), der Kologriwows oder der Swentizkijs, aber auch durch solche Gestalten, wie Mischa Gordon (s. dazu ferner unten, über Pasternaks Einstellung zur Judenfrage) oder Victor Komarowskij, und - durch Vermögensverlust bzw.
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das Eintreten für radikale Ideologien sozusagen an den Rand der bürgerlichen Gesellschaft gedrängt oder gewandert - Jurij Schiwago selbst, sein Onkel (und Mentor) Nikolaj Wedenjapin, sein Freund Nicki Dudurow und Amalja Guichard mit ihren Kindern, Lara und Rodja. Zu der von einigen Forschern falsch oder doch schief verstandenen Bewertung des Bürgertums und des Mittelstandes durch Pasternak s. auch Struve, "Sense and Nonsense ...", 248-9, wo es u. a heißt: "This defense of the bourgeoisie, of the middle class, is very important for the understanding of Yury Zhivago." Daneben und als Vorboten - später: Träger - der Revolution und des Bürgerkrieges tauchen aber auch solche gegen die bis 1917 bestehende Gesellschaftsordnung aufbegehrende Mitglieder der Arbeiterklasse bzw. des ideologischen Proletariats, wie die Familien Galliulin und Tiwersin sowie - nicht zuletzt - Pascha Antipow (später Strelnikow genannt), der Mann Laras, im Moskau der zu Ende gehenden Zarenzeit und - dann auch in der Provinz - in den folgenden, von Krieg und politischen Wirren erfüllten Jahren auf. Somit sind beide Bücher, Doktor Faustus and Doktor Schiwago, auch - wennschon sicher nicht nur - geniale dichterische Gestaltungen und Heraufbeschwörungen zweier auf immer entschwundener Epochen und mancher Schauplätze der jüngsten Geschichte und der gerade erst Vergangenheit gewordenen Zeitgeschichte der Heimatländer ihrer Schöpfer - Deutschlands und Rußlands. Bei Mann wird dieses relativ kurze Stück deutscher Geschichte dann noch, wenigstens symbolisch und andeutungsweise, auf eigentlich die ganze Neuzeit, d.h. bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, die Zeit des geschichtlichen, wenn auch halb legendären Faust (angeblich 14911538; s. Doctor Fausti Weheklag, xiii, in der Einführung des Herausgebers) und die Luthers und Dürers, ausgedehnt. So wird Doktor Faustus gleichzeitig und in einem gewissermassen symbolischen Sinne zum 'historischen Roman'. Dies erreicht Mann äußerst geschickt durch mehrere stilistische und inhaltsbezogene Mittel, insbesondere aber durch zweierlei Verfahren. Einmal, wie schon oben kurz erwähnt wurde, durch die Einführung einer weiteren, viel früheren Zeitebene als derjenigen der Lebensdauer Adrian Leverkühns und der sonstigen von Zeitblom berichteten und erläuterten Geschehnisse, nämlich eben der des 'wirklichen' Faustus des Volksbuches, Martin Luthers und Albrecht Dürers. Auf den besonders von Gunilla Bergsten näher untersuchten durchsichtig-sinnbildlichen Parallelismus zwischen wichtigeren Ereignissen und Episoden in den Biographien der Helden der alten Faustsage und ihrer modernen Umdeutung und Neugestaltung durch Mann wurde
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bereits oben hingewiesen (s. auch Bergsten, op cit., 56-8). Dazu kommen gewisse Übereinstimmungen in Wort- und Namenwahl sowie unzweideutige stilistische Anklänge und wortgetreue Zitate, die in Manns Werk dem Volksbuch entnommen sind (Beispiele s. Bergsten, op. cit., 58-9). Vor allem sprachlicher und stilistischer Art sind - oberflächlich gesehen, aber wiederum in einem tieferen, symbolischen Sinne zu deuten - die Beziehungen zwischen dem faustischen Adrian Leverkühn und Martin Luther. So tragen mehrere Mitglieder des Münchener KridwißKreises (an dessen Zusammenkünften Adrian allerdings nicht, und Zeitblom nur mit schwerwiegenden inneren Vorbehalten teilnimmt) Namen, die aus den Briefen Luthers bekannt sind, wie solche übrigens auch anderen Gestalten und Nebenfiguren des Romans (darunter auch Zeitblom) von Mann gegeben wurden; dazu noch einige weitere deutsche Namen der Reformationszeit, die entweder irgendwie mit Dürer oder dem alten Doktor Faust in Zusammenhang stehen (Einzelheiten s. Bergsten, op cit., 40-2). Ähnlich stammen mehrere der Namen, die im und um den theologisch-studentischen Winfried-Bund auftauchen, aus Luthers Briefen oder doch der Reformationszeit (s. Bergsten, op. cit., 51). Dazu kommen, kaum weniger wichtig, aber auch unmittelbare Anspielungen auf Luther selbst; so etwa in der Gestalt des Theologieprofessors Kumpf (der daneben auch noch deutliche Züge eines wirklichen Hallenser Professors Martin Kähler, über den Mann von dem Theologen Tillich Aufschluß erhalten hatte, trug; s. Bergsten, op. cit., 45-6 und 51-2; ferner auch ebda., 184-7). Insbesondere aber sind einige wichtige Abschnitte des Buches streckenweise in einer altertümlichen, an das Frühhochdeutsch der Lutherzeit erinnernden Sprache abgefaßt: so wenigstens z.T. Leverkühns Aufzeichnung seines Gesprächs mit dem Teufel und, gegen Ende des Buches, Adrians Abschiedsansprache in Pfeiffering unmittelbar vor seinem endgültigen Zusammenbruch. Und noch deutlicher und konsequenter klingt in Adrians Brief an Zeitblom (aus Leipzig, in dem er auch über die erste Begegnung mit dem Freudenmädchen "Hetaera Esmeralda" berichtet) das Lutherdeutsch hindurch (hier gleichzeitig als Parodie der Redeweise Kumpfs stilisiert; vgl. Bergsten, op. cit., 53). Von der Bedeutung der Kunst Dürers als Vorlage und Inspiration zu einigen von Adrians Kompositionen war oben schon die Rede, ferner soeben von ein paar Namen, die mit Dürer und seiner Umgebung in Zusammenhang stehen und von Mann für die eine oder andere Nebenfigur seines Romans gebraucht wurde. Als weitere, indirekte Dürer-Reminiszenz zu erwähnen ist außerdem noch die Tatsache, daß die - aus der fernen, sehnsuchtsvollen Sicht des Exils - nur
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erträumte Stadt der Jugendzeit Adrians und seines Freundes, Kaisersaschern, neben Zügen von Thomas Manns Heimatstadt Lübeck und wohl noch einigen anderen altdeutschen Städten (wie angeblich Aachen und Naumburg) ganz eindeutig auch die Dürer-Stadt Nürnberg als eines ihrer Vorbilder in der Wirklichkeit hat. Die überragende Gestalt der deutschen Reformationszeit, Luther, ist indes nicht die einzige, wenn auch sicher die wichtigste, geschichtliche Figur der religiösen Entwicklung in Deutschland, die in Doktor Faustus als Diskussionsgegenstand oder anderswie eine Rolle spielt bzw. Erwähnung findet. Gunilla Bergsten ist es m.E. gelungen aufzuzeigen, daß Thomas Manns Roman auch als eine Konstruktion deutscher Theologiegeschichte, und zwar der Grundzüge der protestantisch-theologischen Entwicklung (erörtert und erläutert durch das tolerant-aufgeklärte Medium des Katholiken Zeitblom, dessen geistlicher Ratgeber, Monsignore Hinterpförtner, eher zu zeitgeschichtlichen und politischen als zu religiösen Fragen Stellung nimmt), verstanden werden kann. Dabei verknüpft Adrian Leverkühn, der in seiner Person den Revolutionär und Erneuerer im Sinne des deutschen Reformators mit der Vorwegnahme der nationalen, von den Nationalsozialisten heraufbeschworenen und später ins Werk gesetzten Katastrophe historisch-symbolisch vereinigt, die Reformationszeit mit der Epoche des Hitler-Regimes (s. Bergsten, op. cit., 184-7, bes. 185). Die zweite, eigentlich noch bedeutsamere, weil mit dem Lebenswerk seines Helden aufs engste verflochtene historische Projektion in die Vergangenheit, die Thomas Mann in seinem Alterswerk unternommen hat, ist die musikgeschichtliche Konstruktion. Wiederum kann ich hier nur der schwedischen Literaturforscherin zustimmend folgen, wenn sie, Beobachtungen und Erkenntnissen anderer weiterentwickelnd, in Doktor Faustus auch einen "Roman der Geschichte der deutschen Musik" (179) sieht, obgleich es hier vielleicht im Grunde richtiger wäre von der Entwicklung der europäischen Musik zu sprechen, die dann in der spezifisch deutschen Musikgeschichte seit den großen Vollendern der Kunst des Oratoriums, Bach und Händel, und mit den bedeutendsten Vertretern der Romantik, dem als Portalfigur verstandenen Beethoven und dem zur Synthese (im Sinne des Gesamtkunstwerks) strebenden und bereits zur Entartung neigenden Spätromantiker Wagner (dieser letztere, einst Thomas Manns verhängnisvolle Liebe, jetzt von ihm auch als Vorbote der nationalen Katastrophe durch Hitler gedeutet) erst ihren Höhepunkt erreicht, um schließlich in Adrian Leverkühns an die Grenzen des technisch Möglichen (vgl. das für Rudi Schwerdtfeger
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eigens geschriebene Violin-Konzert) und ästhetisch Ertragbaren (vgl. Teile der "Apocalipsis" und der "Weheklag") heranreichender Musik wobei Mann ganz offebar in erster Linie an die revolutionierende Kompositionsart der Zwölftontechnik Arnold Schönbergs gedacht hat diesen Höhepunkt noch zu überschreiten und gleichzeitig und in einem bedingten Sinne in sein Gegenteil zu verkehren. Es versteht sich, daß den verschiedenen, im Roman z.T. nur andeutungsweise durchlaufenen Entwicklungsstufen der deutschen (und europäischen) Musik auch eine besondere symbolische, das Geistig-Politische widerspiegelnde Bedeutung zukommt; vgl. weiter Bergsten, op. cit., 178-84. Schließlich ist es durch eine Metapher, die der Musik und ihrer Technik entlehnt ist, die Auflösung des harmonischen Akkordes in ein melodisches Nacheinander bzw. auch umgekehrt, die Umsetzung des Sukzessiven ins Gleichzeitige, des Horizontalen ins Vertikale, daß in der Person Adrians, dem Symbol des deutschen Geistes, die historische Entwicklung von mehr als vier Jahrhunderten in der kurzen Zeitspanne eines Menschenlebens zusammengedrängt und zusammengefaßt wird (s. auch Bergsten, op. cit., 174-5). Und, wie so manchmal bei Mann, hat diese seine dichterische Deutung, hier: die 'Dämonisierung' der Geschichte des dem Untergang entgegentreibenden Deutschlands, seine theoretische, historisch-politische, nicht poetisch verkleidete Entsprechung in einem etwa gleichzeitigen Vortrag Thomas Manns, dem über Deutschland und die Deutschen, gefunden (s. ebda., 200-10). Die Auffassung von der 'Dämonisierung' der deutschen Geschichte war aber nicht die einzige geschichtsphilosophische Konsequenz, die der Dichter des Doktor Faustus zog und die sich aus seinem Buch herauslesen läßt. Vielmehr liegen hier nebeneinander und einander z.T. kreuzend und sich scheinbar sogar widersprechend mehrere geschichtsphilosophische Grundauffassungen vor, die jedoch alle von der symbolischen Identität des Lebensschicksals Adrian Leverkühns und des geschichtlichen Schicksals Deutschlands (gesehen vom Blickpunkt des durch Zeitblom verkörperten Zeugen des durch den Nationalsozialismus herbeigeführten Unterganges) ausgehen. So versteht Mann die hier erwähnte 'Dämonisierung' der neuesten deutschen Geschichte bzw. des miterlebten Zeitgeschehens in Deutschland als eine Annäherung der beiden Pole 'Subjektivität' (auch Freiheit, Romantik, Gefühl in Politik, Religion, und Musik) und 'Objektivität' (auch strenge Ordnung, Orthodoxie, Klassik in ebendenselben Bereichen) eines dialektischen Gegensatzes, die aber niemals etwa im Sinne einer Hegeischen oder später auch marxistischen Geschichtsauffassung (wie irrtümlicher-, aber, wenn
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man seine Prämissen bedenkt, konsequenterweise von Georg Lukäcs verstanden) das Stadium der diese Polarität aufhebenden Verschmelzung, der Synthese, erreichen. Thomas Mann ist dabei immer um eine Deutung und intellektuelle Durchleuchtung des Geschehens bemüht und würde sich nicht etwa im Sinne Rankes damit begnügt haben zu ergründen, "wie es eigentlich gewesen". Bei seinen geschichtsphilosophischen Deutungen, die auf verschiedenen Ebenen operieren, bleibt er aber bewußt immer nur tastend, vorfühlend, als Dichter (wie einst Ibsen) einzig fragend - auf der Suche nach einem tieferen Sinn, wie Jonathan Leverkühn, Adrians Vater, in den kunstvollen, geheimnisvollen Mustern der leblosen, unbeseelten Materie eine höhere, ordnende Kraft suchte und vermutete - , niemals entschieden und bestimmt, die eine von ihm (meist durch das Medium Zeitbloms) vorgebrachte Deutung in Bausch und Bogen zugunsten einer anderen verwerfend. So ist z.B. Manns Auffassung der Bedeutung und Rolle des kausalen Determinismus ein wenig zweideutig: bis zu einem gewissen Grade akzeptiert er ihn offenbar als Erklärungsgrund für das Verhalten (in vielen Situationen) und das Schicksal Adrians und - übertragen - für die Geschicke Deutschlands. Eine allzu starke Betonung der vorgegebenen Kausalität (etwa im Sinne des von ihm schon früher heftig bekämpften Oswald Spengler, mit dessen Untergang des Abendlandes äußerlich gesehen sein Faustus, wie schon einst seine mit Spenglers Werk etwa gleichzeitigen Betrachtungen, doch einige Berührungspunkte aufweisen) lehnte Mann hingegen ab. Was Adrians (und Deutschlands) innere - man möchte in beiden Fällen sagen: psychische - Entwicklung betrifft, so war Mann hier bestimmt sowohl von Freud (und den Kategorien seiner psychoanalytischen Methode) als auch von Jung beeinflußt. Folglich trägt Adrian deutliche Züge eines Neurotikers zur Schau (vgl. etwa seine Menschenscheu, seine Überzeugung, er verbreite Tod und Unglück um sich, u.dgl.), was als z.T. durch seine übertriebene Bindung an die Mutter in der Kindheit, später wiederholt durch das starke Geborgenheitsgefühl bei anderen Muttergestalten, besonders Else Schweigestill, ferner noch Peronella Manardi in Palestrina, und 'beruhigenden' Milieus, in denen diese ihn umgeben, vorherbestimmt ist und zuletzt seine Regression und den schließlichen Infantilismus ("Rückkehr in den Mutterschoß" in der durch die fortgeschrittene Syphilis verursachten Umnachtung) zur Folge hat. Kaum dagegen würde ich mit jenem Forscher einig gehen, der in Adrians Verhältnis zu seiner Mutter (und Abwandlungen davon) unlängst auch ein Pietà-Motiv finden zu können glaubt (s. Wesley V. Blomster, "A Pietà in Mann's FaustusT', MLN 90, 1975, 336-44).
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Auch Adrians traumatisches Hetaera-Erlebnis läßt sich natürlich im Sinne der Freudschen Lehre auslegen. Andererseits kann man aber sein Leben auch als "das Spielen einer Rolle nach dem Vorbild eines Archetyps betrachten", also als 'gelebte vita' im Sinne der von Jung formulierten Lehre von den Archetypen (s. zu dieser und der folgenden Erörterung vor allem auch Bergsten, op. cit., 187-200, "Geschichtsphilosophische Schemata des Romans"). So verstanden, läßt sich FaustusAdrian des Mannschen Romans übrigens wohl am besten mit der natürlich ebenfalls symbolisch aufzufassenden, das Genie und Leiden Rußlands verkörpernden Hamlet-Gestalt des Jurij Schiwago in Pasternaks großem Prosaepos vergleichen (s. auch oben, bei der andeutungsweisen Einordnung der beiden Gedichte, welche den beigefügten Schiwago-Zyklus eröffnen bzw. beschließen, sowie auch weiter unten). Die Deutung der Lebensrolle Adrians im Sinne Jungs bildet aber nur eine von mehreren Formen einer der kausaldeterministischen Entwicklungstheorie entgegengesetzten zyklischen Geschichtskonzeption, in der das mythisch interpretierte Moment der Wiederholung und Wiederkehr einen zentralen Platz einnimmt. Wie Bergsten mit Recht betont (op. cit., 200), ist der Gedanke der Wiederholung und des Kreislaufes auch sonst im dichterischen Schaffen Thomas Manns, so etwa in Tonio Kröger, dem Josephsroman, und besonders Lotte in Weimar, vertreten, nur freilich mit dem entscheidenden Unterschied, daß sich in Doktor Faustus, anders als in den früheren Werken, die Spirale nicht aufwärts, zu immer höheren geistigen Sphären bewegt, sondern abwärts, in den Abgrund und Untergang. Der letzte schwache - ausnahmsweise religiös gefärbte - Hoffnungsschimmer am Ende des Buches, symbolisiert durch den alleingebliebenen Schlußton des verldingenden Cellos in der "Weheklag" und von Zeitblom als zaudernde Frage und Gebet artikuliert, mag vielleicht gleichfalls in diesem Sinne, als leise Hoffnung auf das einander ablösende, ewige Auf und Ab der Geschichte, also auch der Deutschlands, verstanden werden. Die oben erwähnte, bei näherer Betrachtung sich immer mehr entfaltende zeitliche Tiefendimension des Doktor Faustus, mehr als vierhundert Jahre zurückreichend, hat kein unmittelbares Gegenstück in Doktor Schiwago. Abgesehen etwa von der durch den "Epilog" erreichten Aufteilung der Zeitstufen in zwei Abschnitte, den Hauptteil - die vierzigjährige, kurze Lebensspanne des Jurij Schiwago (bis 1929) - und die im Nachwort knapp geschilderten Umstände und Ereignisse der Kriegsund Nachkriegsjahre, nur halb symbolisch, gewissermassen stellvertretend, überbrückt durch die schlichte Schlußbemerkung über das end-
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gültige, wenn auch ungeklärte Schicksal Laras ("... und sie starb oder verschwand irgendwo als eine Namenlose, eine beliebige Nummer auf einer verlorengegangenen Liste, in einem der zahllosen Konzentrationslager des Nordens", 590), gibt es hier nur beiläufige Einblicke in die Vergangenheit des eigenen Landes, dagegen keine systematischen Konstruktionen, wie sie Thomas Mann für die neuere Entwicklung der deutschen Musik und Theologie bietet. Dennoch kann auch Doktor Schiwago Anspruch darauf erheben, als 'historischer Roman' oder doch als historisches Prosaepos gewertet zu werden. Und etwas anders als Doktor Faustus, aber an eine von Tolstoj bis Solschenizyn reichende Tradition der russischen Literatur anknüpfend, finden wir in Doktor Schiwago zwar kein wirkliches Porträt einer historischen Persönlichkeit etwa der Revolution (z.B. Lenins oder Trotzkijs), aber doch eine rasch hingeworfene, skizzenhalfe und als 'Momentaufnahme' gemeinte Beschreibung des letzten russischen Zaren Nikolaj II. und des ihn an die Front begleitenden Großfürsten und Oberbefehlshabers Nikolaj Nikolajewitsch (s. Doktor Schiwago, 145), was immerhin gegen Struves lakonische Behauptimg zu vermerken wäre, es sei "offenbar Pasternaks Absicht gewesen, historische Figuren zu vermeiden" (s. "Sense and Nonsense ...", 241; vgl. allerdings die viel ausführlicheren Porträts Napoleons, Zar Alexanders I., oder Kutusows in Tolstojs Krieg und Frieden oder die Beschreibung Stalins in Solschenizyns Der erste Kreis der Hölle). Zu Pasternaks Bewertung Lenins als "allgemeingültiger Ausdruck" der Revolution, der Arbeiterbewegung, des Marxismus, aber auch "als personifizierter Rachegeist für alles, was geschah" so in den Worten Strelnikows (Pawel Antipows) in seinem letzten Gespräch mit Jurij Schiwago - s. Doktor Schiwago, 543. Wenn auch in Pasternaks Buch die historische Perspektive deshalb nicht ebenso zeitlich tief und konkret-symbolisch, wie die mit Hilfe verschiedener, soeben kurz erläuterter Mittel in Doktor Faustus entwickelte, ist, sondern hier nur ein relativ kurzer, wenn auch besonders wichtiger Zeitabschnitt in der Geschichte Rußlands den Hintergrund zum Lebensschicksal des Helden und der mit ihm verwobenen Geschicke anderer Menschen bildet, so kann doch kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß auch Jurij Schiwago sinnbildlich für das Schicksal des ganzen russischen Volkes zu verstehen ist. Gestaltendes Genie, Empfindsam- und Empfänglichkeit, dabei eine gewisse Passivität und ein Hang zum Sich-treiben-lassen, unsägliches Leid, dennoch aber Behauptung der geistig-künstlerischen Identität und Integrität - all diese Merkmale sind für Jurij Schiwago ebenso charakteristisch wie, in der Auffassung vieler, darunter sicher
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auch Pasternaks, für die Geschicke und den Leidensweg Rußlands überhaupt. Daneben wird aber auch Lara, jedenfalls von Jurij Schiwago (als Sprachrohr des Dichters), symbolisch mit Rußland selbst, der alten 'Russj', identifiziert; s. Doktor Schiwago, 463. Und wenn auch Pasternak in seinem Roman kein ebenso intellektuell ausgefeiltes, dabei komplexes und vieldeutiges geschichtsphilosophisches Konzept, wie das seitenlang von Thomas Mann vorgelegte, sozusagen gesondert von dem ein solches Konzept selbst bestimmenden und formenden Zeitgeschehen formuliert, so finden wir doch auch in Doktor Schiwago gewisse recht eindeutige diesbezügliche Bemerkungen. So heißt es etwa dort (81) über die Geschichtsauffassung von Schiwagos Onkel, Nikolaj Wedenjapin, der hier, wie auch sonstwo im Buche und neben Jurij Schiwago selbst, die Gedanken des Dichters wiedergibt: Nikolai Nikolaitsch lebte in Lausanne. In den Werken, die er dort in russischer Sprache und in Übersetzungen veröffentlichte, entwickelte er seine Grundgedanken über die Geschichte als ein zweites Universum, das der Mensch mit Hilfe der Phänomene der Zeit und des Gedächtnisses als eine Antwort auf die Realität des Todes geschaffen habe. Die Seele dieser Bücher war ein auf neue Weise verstandenes Christentum und ihre unmittelbare Folge eine neue Vorstellung von der Kunst. Wie allein aus diesen wenigen Zeilen ersichtlich, war Pasternaks Geschichtsbild durchdrungen vom Geiste des Christentums, und im Christentum selbst - vor allem in der schlichten, symbolisch zu deutenden Geschichte des Evangeliums - und seiner Rolle als weltgeschichtlicher Faktor sah er auch den tieferen Sinn der Geschichte. Vgl. besonders etwa auch noch den Abschnitt in Doktor Schiwago, 486-90, wo u.a. eine an eine in einer berühmten Festpredigt eines russischen Theologen und Kirchenfürsten des 11. Jahrhunderts, des Kiever Metropoliten Ilarion, schematisch vorgenommene, ähnliche Gleichsetzung erinnernde Symbolisierung des Neuen Testaments als des Inbegriffs der Freiheit und der Individualität, des Alten Testaments als desjenigen des Führerprinzips und der Kollektivität der Massen angedeutet wird. Zweifellos hegen in dieser Beziehung bei Pasternak gewisse Berührungspunkte mit Tolstoj vor (wie auch in seiner Beschäftigung mit dem Tode und seiner Überwindung), wobei allerdings auch wesentliche Unterschiede der Auffassung, etwa über die Funktion der Kunst und der Symbolik im Leben des Einzelmenschen, zu beachten sind. Auch die Rolle der Juden - in der Welt wie in Rußland - verstand Pasternak, diesmal in den Mund des Wedenjapin-Adepten und 'Judenchristen' Mischa Gordon gelegt, in erster Linie in einem weiteren, vom universalen Christentum
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getragenen Rahmen (s. Doktor Schiwago, 147-8; weiteres zu Pasternaks und Thomas Manns Einstellung zur Judenfrage vgl. noch weiter unten). Über Pasternaks in Doktor Schiwago dargelegte und beispielhaft veranschaulichte Geschichtsauffassung, in welcher der Kunst und dem Künstler eine entscheidende, gestaltende Funktion zugesprochen wird - ein Zug, wodurch er sich eben von Tolstoj in grundlegender Weise unterscheidet - handelt mit viel Verständnis und Scharfblick Krystyna Pomorska in ihrer Pasternak-Studie (op. cit., 82-8), wo u.a. auch die ebenfalls von Tolstoj mehrfach behandelte Problematik des Verhältnisses und der Verstrickimg von Privatsphäre und dem öffentlichen, politisch-historischen Bereich, zwischen dem homo privatus und dem homo politicus, besprochen wird. Abschließend zu diesem Punkt darf jedenfalls gesagt werden, daß ein eingehenderer Vergleich als der hier mögliche des in Doktor Faustus und Doktor Schiwago entworfenen Geschichtsbildes des eigenen Landes und der zugrundeliegenden geschichtsphilosophischen Auffassungen in den beiden, aus der Entfernung des Exils bzw. der inneren Distanz der aufgezwungenen, weitgehenden Abgesondertheit vom öffentlichen Leben geschriebenen Büchern bei allen Unterschieden schon allein wegen der zentralen Stellung, welche die Geschichte und ihre Auslegung in ihnen einnehmen, unbedingt lohnen und sich wahrscheinlich als äußerst ergiebig erweisen würde.
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Unsere obige, gedrängte Diskussion des Geschichtsbildes (besonders des eigenen Landes) und der diesem zugrundeliegenden Geschichtsauffassung, d.h. der geschichtsphilosophischen oder, wie es angewandt auf die russischen Verhältnisse auch oft heißt: historiosophischen Fundierung, der beiden Bücher, Thomas Manns Doktor Faustus und Boris Pasternaks Doktor Schiwago, mündet in natürlicher Weise in eine hier noch kurz zu besprechende, dieser verwandte Problematik, nämlich die der Darstellung der eigentlichen Zeitgeschichte, also der zeitgenössischen Geschehnisse, und ihrer Interpretation in diesen zwei großen europäischen 'Zeitromanen' - über Deutschland bzw. Rußland. Bis zu einem gewissen Grade wurde diese Problematik allerdings bereits bei der Erörterung der Deutung der eigenen Geschichte oben gestreift; indes verdienen einige damit zusammenhängende Fragen doch wohl eine gesonderte, wenn auch knappe Behandlung. Nicht zuletzt in diesem Zusammenhang gewinnt nämlich auch der hier gewählte, bedingt einschränkende Aspekt 'aus Exilsicht' (in dem - wenn wir beide Bücher unter diesem etwas grob vereinheitlichenden Gesichtswinkel betrachten wollen - zuvor erläuterten weiten Sinne) besondere Bedeutung. Konkret ausgedrückt handelt es sich dabei um solche teilweise allerdings in selbstverständlicher und längst bekannter Weise zu beantwortende, aber immer noch der einen oder anderen Erläuterung werte Fragen, wie: was war Thomas Manns bzw. Boris Pasternaks Einstellung zur deutschen bzw. zur russischen Frage (und, indirekt im Zusammenhang damit und relativ dazu: zur Judenfrage) und welchen Niederschlag findet diese Einstellung in ihren abschließenden, synthesenhaften Spätwerken? Welches war ihr Verhältnis zum, oder genauer ausgedrückt: wie beurteilten sie insbesondere soweit ihre beiden großen Romane Aufschluß darüber erteilen - den Nationalsozialismus bzw. den Bolschewismus, und wie färbte diese ihre Bewertung ihre Einstellung zum Schicksal des eigenen Volkes? Welchen weiteren, d.h. vor allem: anders als intellektuellen
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oder doch emotional-räsonnierenden (man denke badei besonders an einige Ergüsse und Kommentare Zeitbloms!) Ausdruck fanden Manns und Pasternaks Gedanken und Gefühle gegenüber Deutschland bzw. Rußland - ihre überall stark durchschimmernde Liebe zur und (jedenfalls was den deutschen Dichter betrifft) Sehnsucht nach der Heimat? Finden sich in den beiden Romanen (oder doch einem von ihnen) womöglich auch gewisse Anzeichen gegenteiliger Emotionen oder Stimmungen ? Thomas Manns Abscheu vor dem Hitler-Regime und seinen Exzessen ist zur Genüge bekannt und bedarf daher an sich keiner weiteren Erhärtung. Allenfalls sei daran erinnert, daß es einige seiner Freunde und Nahestehenden (darunter auch seine Kinder Klaus und Erika) zeitweise etwas verstimmte, daß er sich öffentlich und mit aller Entschiedenheit erst verhältnismäßig spät - nach einigen Jahren - gegen die HitlerHerrschaft in Deutschland wandte, obwohl er und seine Frau Katia bereits am 11. Februar 1933, also weniger als zwei Wochen nach der 'Machtübernahme' (und am Tage nach Manns berühmtem und in weiten Kreisen mißverstandenem Vortrag über "Leiden und Größe Richard Wagners" an der Münchener Universität) außer Landes gegangen waren, um nie wieder, auch nach dem Kriege nicht, ihren festen Wohnsitz in Deutschland zu nehmen (vgl. auch Katia Mann, op cit., 100-1). Die Frage ist hier also nicht, ob und wie sehr Mann das von Hitler über sein Heimatland gebrachte Unheil ablehnte und verabscheute, sondern vielmehr, ob und wie er diese seine negative Haltung - wie so manche anderen Deutschen - mit seiner inbrünstigen Liebe für und Sorge um das zum Verbrecher an der Welt gewordene, dabei dem Untergang entgegengehende Vaterland zu vereinigen bzw. sinnvoll und künstlerisch effektiv zu gestalten wußte. Immerhin sei hier vorab noch auf einige besondere, vielleicht ein wenig befremdende Nuancen in Thomas Manns Einstellung zu Nazi-Deutschland hingewiesen und wenigstens in aller Kürze auch an seinen Entwicklungsgang erinnert, nämlich vom leidenschaftlichen Verteidiger deutscher Kultur und national-romantischer Tradition gegen die angeblich verflachte 'westliche' Zivilisation am Ende des ersten Weltkrieges (vor allem in den Betrachtungen eines Unpolitischen) zum Fürsprecher einer weltweiten Humanität und Deuter des deutschen Schicksals (so im Faustus, in der Entstehung und in einer Reihe von Aufsätzen und Vorträgen aus den Jahren 1944-6, besonders "What is German ?", "Deutschland und die Deutschen", sowie "Warum ich nicht nach Deutschland zurückgehe"; genauere Einzelheiten auch zum folgenden s. insbesondere Bergsten, op. cit., 146-72: "Thomas Mann und die deutsche Frage").
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Was zunächst gewisse - man fühlt sich versucht zu sagen: halbapologetische, wenn auch nicht wirklich entschuldigend-rechtfertigende - Elemente in Thomas Manns Einstellung zum Hitler-Regime und zum 'besonderen' Schicksal Deutschlands betrifft, sei hier auf einen etwas seltsam anmutenden Essay Manns aus dem Jahre 1938 mit dem Titel "Bruder Hitler" aufmerksam gemacht, in welchem der Verfasser meint, man müsse im Phänomen Hitler "eine Erscheinungsform des Künstlertums wiedererkennen", was wohl nur aus Manns Auffassung von der Zweideutigkeit des Künstlertums als solchem zu erklären ist - von einem Gedanken her also, der auch etwa schon in Tonio Kröger, in der Grundidee des Felix Krull (auch dessen früher, fragmentarischer Form) und in den Betrachtungen mehr oder weniger deutlich vorliegt bzw. formuliert worden ist. Und ähnlich versteht Thomas Mann auch noch in Doktor Faustus das Wesen der Kunst als gekennzeichnet durch einen Zug ironischer Distanz und durch das Moment des Spielerischen (vgl. den Charakter Adrian Leverkühns, seine unengagierte 'Kälte' und gefühlsmäßige Gleichgültigkeit bei intellektuellem 'Interesse'). Auch heißt es im Faustus (273) etwa: "wenn es ernst wird, verschmäht man die Kunst und ist ihrer nicht fähig." Wie schwer sich Mann mit der künstlerischen Gestaltung und Bewältigung des ihm so ganz besonders zu Herzen gehenden Stoffes - des sich entscheidenden Schicksals seines verhaßt-geliebten Vaterlandes - tat, davon spricht nicht nur jede zweite oder dritte Seite des Romans selbst (besonders natürlich in den halb ins Parodische stilisierten Erläuterungen und Bemerkungen Zeitbloms), sondern davon zeugen auch viele von Manns diesbezüglichen Erklärungen, nicht zuletzt in der Entstehung. So sah er in dieser wesentlichen Beziehung die Rolle der Kunst und des Künstlers ganz anders als etwa Pasternak, für den der Ernst und die Tragik von Leben und Tod, das eigene wie das nationale Schicksal, erst durch die symbolischdeutende und dadurch befreiende Macht der Kunst (und der Religion) gemeistert und erträglich gemacht werden können. Problematisch ist ferner auch Thomas Manns Auffassung von dem schlechthin besonderen Schicksal (und nicht etwa nur einem besonderen psychologischen, zum Psychopathischen tendierenden Hang zum Extremen, zur Vermeidung einer 'normalen' Mittellage) des deutschen Volkes, wie sie nicht nur im Faustus, sondern, vielleicht in noch prägnanterer Formulierung, auch in seinem (für das amerikanische Publikum geschriebenen) Aufsatz "What is German?" zum Ausdruck kommt. So heißt es dort (80) u.a.: We cannot deny their [i.e., the Germans', H. B.] responsibility, for somehow man is responsible for his being and doing; but we are inclined to speak
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of a historic curse, a dark destiny and aberration, rather than of crime and guilt. Diese sich hinter dem Gerede von "einem historischen Fluch, dunklem Geschick und Abirrung" der Deutschen verbergende Auffassung von einer Ausnahmestellung bei gleichzeitiger Herunterspielung von Schuld und Verbrechen des deutschen Volkes ist daher auch heftig beanstandet worden. So ist z.B. der marxistische Kultur- und Literaturkritiker Ernst Fischer so weit gegangen, Thomas Mann einen "Schicksalsmythos" von ganz derselben Art, wie es der nationalsozialistische war, vorzuwerfen (vgl. seine Studie "Doktor Faustus und die deutsche Katastrophe"). Und es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Thomas Mann einen gewissen Parallelismus, ja eine geistige Verwandtschaft zwischen den Deutschen und den Juden, zwischen Verfolgern und Verfolgten, Peinigern und Gepeinigten, in dieser ihrer Ausnahmestellung zu sehen glaubte, der gerade also auch das furchtbare Schicksal der Juden, das sie in Deutschland und von Deutschen erleiden mußten, nicht widerspricht und deren klarster Ausdruck im Faustus natürlich die einschlägigen Äußerungen des jüdischen Impressarios Saul Fitelberg - einer halb grotesk-lächerlichen, halb (als Versucher) mephistophelischen Gestalt - sind. Man vergleiche dazu ferner etwa auch noch die von Mann in Deutschland und die Deutschen (38) zitierten Bemerkungen Goethes über die Verwandtschaft der Deutschen mit den Juden und seinen angeblich geäußerten - vielleicht doch nicht ganz ernst gemeinten - Wunsch, die Deutschen sollten, wie die Juden, über die ganze Welt zerstreut und verpflanzt werden. In diesem Zusammenhang sei nebenbei noch bemerkt, daß in Doktor Faustus einige Juden (beiderlei Geschlechts) vorkommen, von denen einige, freilich weniger genau porträtierte, als eindrucksvoll bzw. sympathisch geschildert werden (so etwa der Kaisersascherner Rabbiner Dr. Carlebach und die um Adrians Wohlsein besorgte, schwesterliche Freudin Kunigunde Rosenstiel), von anderen wiederum ein direkt unangenehm-unsympathisches oder doch zweideutiges Bild entworfen wird (so Dr. Breisacher, Münchener Intellektueller und Mitglied des Kridwiß-Kreises, Vertreter einiger sonst aus Oswald Spenglers viel beachtetem Werk bekannten Ansichten über die zunehmende Kulturmüdigkeit des Abendlandes, gezeichnet, wie so oft bei Mann, nach einem Modell der Wirklichkeit - einem gewissen Oskar Goldberg; vgl. Bergsten, op. cit., 35 und 40; ferner der schon erwähnte, kosmopolitische Impressario, aus Polen stammend, in Paris wohnhaft, Saul Fitelberg). Zur Judenfrage selbst dagegen nimmt Mann in seinem Roman kaum
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eindeutig Stellung, obwohl natürlich kein Zweifel daran bestehen kann, wie er zu ihr stand - tolerant, versöhnlich, undoktrinär (man denke auch daran, daß Mann durch seine Ehe mit Frau Katia mit einer allerdings zum Christentum übergetretenen, freidenkerischen Familie jüdischer Abstammung, den Pringsheims, verschwägert war). Vgl. immerhin die allerdings absichtlich verzagt-naiv stilisierten Gedanken Zeitbloms zur Judenfrage (in Kapitel II, anläßlich seiner Beschreibung von Dr. Carlebach): Es mag an dieser Jugenderfahrung liegen, aber auch an der spürsinnigen Aufgeschlossenheit jüdischer Kreise für das Schaffen Leverkühns, daß ich gerade in der Judenfrage und ihrer Behandlung unserem Führer und seinen Paladinen niemals voll habe zustimmen können. ... Freilich haben auch Exemplare jenes Geblütes meinen Weg gekreuzt ..., auf deren verwirrend antipathisches Gepräge ich an gehörigem Ort einiges Licht zu werfen mir vornehme.
Auch das vorhin besonders über Manns Essay "Bruder Hitler" Vorgebrachte soll nun aber natürlich nicht so verstanden sein, als sei sein politischer Entwicklungsweg in den zwanziger und dreißiger Jahren nicht, vom betont Nationalen immer mehr sich abkehrend, einem international und weltofFen verstandenen humanistischen Ideal zustrebend verlaufen. Während die Betrachtungen noch ganz im Bann des Dreigestirns Schopenhauer-Nietzsche-Wagner gestanden hatten und sich Mann in den zwanziger Jahren eigentlich kaum mehr direkt d.h. anders als in dichterischer Form, wie etwa besonders im Zauberberg (1924) - zu politischen Fragen und besonders zur deutschen Frage geäußert hatte, trat er im Herbst 1930 mit seiner in Berlin gehaltenen Rede "Appell an die Vernunft" mutig gegen die damals an politischem Einfluß gewinnenden Nationalsozialisten auf und ermahnte seine Zuhörer, sich der kulturfreundlichen deutschen Sozialdemokratie anzuschließen. Außerdem und etwa gleichzeitig hatte er um diese Zeit bereits begonnen, sich immer mehr der Gedankenwelt des kosmopolitischen 'Olympiers' Goethe zu nähern. Der bereits erwähnte Vortrag über Richard Wagner, gehalten anläßlich des 50. Todestages des Komponisten und kurz nach der Ernennung Hitlers zum deutschen Reichskanzler, bedeutete eine weitere Abrechnung mit national-romantischen Gefühlen - der Deutschen und seinen eigenen. Und in den aus Amerika gehaltenen Radioansprachen aus den Jahren 1940-45, Deutsche Hörer!, nahm sich Mann dann schon gar kein Blatt mehr vor den Mund, um den ganzen Abschaum des Hitler-Regimes und seines Anhangs gehörig zu charakterisieren. So darf daher wohl seine leidenschaftliche Anteilnahme an der deutschen Tragödie und die Zwiespältigkeit seines eigenen Verhältnisses zur deut-
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sehen Heimat, diese Mischung von Abscheu und Entsetzen, von schmerzlicher Liebe und Heimweh - denn wie anders ist das Traumbild der altdeutschen Stadt Kaisersaschern mit so manchen Zügen seines heimatlichen Lübecks, aber auch die gewiß weniger poetischen, jedoch präzise (als Kulissen der bei Mann stets im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden menschlichen Schicksale und Probleme) gezeichneten Hintergründe des Münchener Stadt- und Weichbildes zu verstehen? von Mitleid und Verzweiflung, verursacht durch die den alternden Dichter im Exil erreichenden Nachrichten von der Zerstörung seines Vaterlandes und seiner Menseben, wie sie in Doktor Faustus und seinem autobiographischen Pendant, der Entstehung, ihren Niederschlag gefunden haben, auch als die vielleicht schmerzlichste und schwierigste, weil nuancierteste und am meisten zusammengesetzte, künstlerisch gestaltete Auseinandersetzung Thomas Manns mit der gewiß nicht einfach und eindeutig zu beantwortenden deutschen Frage gelten. Bei Boris Pasternak und seinem Doktor Schiwago stellt sich die entsprechende Frage - die seiner Vaterlandsliebe und politischen Überzeugung und ob die beiden etwa in Konflikt miteinander gerieten - trotz einer gewissen äußerlichen Ähnlichkeit wesentlich anders. Daß auch Pasternak ein glühender Patriot war, daran kann es keinen Zweifel geben. Wie bereits oben erwähnt, bestand mindestens zweimal in seinem Leben die Möglichkeit bzw. die Gefahr einer ständigen Emigration, eines Verlassens Rußlands auf Nimmerwiedersehen. Beidemal widerstand bzw. widersetzte sich Pasternak energisch und erfolgreich dieser Alternative. Wie bei so vielen assimilierten, hoch intellektuellen Juden, die zu gläubigen Christen (in diesem Fall: des griechisch-orthodoxen Bekenntnisses) geworden waren, hing der russische Dichter mit jeder Faser seines Herzens an seinem Vaterland, an seiner Heimatstadt Moskau, und an der vielgestaltigen Natur des gewaltigen, weiten russischen Reiches. In Doktor Schiwago hat er beiden, seiner Heimatstadt und seinem Heimatlande - der reinen Naturlandschaft ebenso wie manchen Städtchen und Ortschaften - in vielen ergreifenden, bildhaft monumentalen, lyrisch beseelten und kunstvoll, durch die von ihm zur Virtuosität getriebene 'Verfremdungs'-Technik in ein stets neues Licht gerückten oder von einem unerwarteten Aspekt her betrachteten Beschreibungen, Szenen und Gleichnissen eine ganze Reihe von großartigen, von tiefem Gefühl und Erleben durchdrungenen Einzeldenkmälern gesetzt, wie sie nicht nur bestimmt nicht in der mehr einseitig am Menschlichen interessierten Dichtung Thomas Manns, sondern auch nur selten in der gesamten Weltliteratur ihresgleichen haben. Auch nur
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einige wenige der wirklich hinreißenden Naturschilderungen hier als Beispiele auszugsweise anzuführen, würde aber leider zu weit führen. Pasternaks zahlreiche Darstellungen des Moskauer Stadtbildes - vor und nach der Revolution - gipfeln in einer poetischen Vision und künstlerisch-theoretischen Gesamtdeutimg der modernen Stadt (in den Aufzeichnungen Jurij Schiwagos aus den zwanziger, also seinen letzten Jahren), die hier daher stellvertretend für andere wiedergegeben seien {Doktor Schiwago, 573-4): Aber selbst in dieser Gestalt bleibt es eine große, moderne Stadt, das geistige Zentrum einer wahrhaft neuen und gegenwärtigen Kunst. - Wie diese Dichter [gemeint sind die Symbolisten, H. B.] Reihen von Bildern in ihren Versen an uns vorüberziehen lassen, so wogt die geschäftig belebte Straße einer Stadt des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts hin und her und treibt ihre Menschenmassen, ihre Karossen und Wagen an uns vorüber, die zu Beginn unseres Jahrhunderts abgelöst werden von den Waggons der elektrischen Straßenbahnen und Untergrundbahnen. - Für das Hirtenidyll ist hier kein Raum. Seine falsche Einfalt ist literarischer Betrug, artifizielle Manier, ein theoretisches Phänomen, das niemals in lebendiger Berührung mit der Landschaft gestanden, vielmehr seinen Ursprung in akademischen Bücherschränken hat. Die lebendige, vom Leben geformte Sprache, die auf natürliche Weise mit dem Geist unserer Zeit übereinstimmt, ist die Sprache der Städte. - Ich wohne hier an einer belebten Straßenkreuzung der Stadt. Es ist Sommer. Der bis zur Weißglut erhitzte Asphalt der Höfe, das Sonnenlicht, das an den Glasscheiben der oberen Stockwerke in Reflexen versprüht, das Aufblühen der Wolken und die Boulevards, ganz Moskau, von der Sonne geblendet, wirbelt um mich herum, macht mich schwindlig und fordert, daß ich zu seinem Ruhme auch die anderen in diesen Taumel stürze. Dafür hat es mich erzogen und mir die Kunst in die Hand gegeben. - Die Tag und Nacht lärmend bewegte Straße und die Seele unseres Zeitalters gehören ebenso eng zusammen wie die aufklingende Ouvertüre und der geschlossene Bühnenvorhang, der noch erfüllt ist von Geheimnis und Dunkelheit und der schon im Rampenlicht verheißungsvoll erglüht. Die Stadt, die jenseits der Türen und Fenster unablässig brandet und tost, ist die gewaltige Einleitung unseres Lebens. Das sind die Züge, die ich ihrem Bilde geben will. Und es folgt noch eine Andeutung, daß vielleicht einzig das Gedicht "Hamlet" von all den hinterbliebenen Versen Schiwagos hierher, zur Thematik dieser Prosaaufzeichnung, gehört. Pasternaks Einstellung zum Kommunismus und seiner besonderen russischen Form des Bolschewismus war zunächst sicher nicht scharf und einseitig ablehnend. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß der größte Lyriker des russischen Symbolismus der vorrevolutionären Epoche, Alexander Block (Blok), die Revolution mit seinem berühmten Gedicht "Die Zwölf" begeistert begrüßt zu haben scheint
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(obgleich auch andere Deutungen, von Blok in seinem letzten Lebensjahr noch dazu bestätigt, laut geworden sind), wobei er ihr eine religiöschristliche Deutung gegeben hatte. Bald darauf starb er freilich, von den praktischen Maßnahmen der revolutionären Machthaber enttäuscht. Ein zweiter großer Vertreter des russischen Symbolismus, Andrej Belyj, kehrte 1923 aus der Emigration nach Rußland zurück. Noch 1934 lobte Bucharin öffentlich und aus feierlichem Anlaß Pasternak als den größten lebenden russischen Dichter - eine Bewertung, die bestimmt auch auf den in literarischen Dingen wenig sicheren Stalin einen tiefen Eindruck gemacht haben dürfte. Und obgleich Pasternak selber, besonders in den späteren dreißiger Jahren und während der vierziger Jahre, zunehmend mit politisch diktierten (von Stalin mehr oder weniger direkt ausgehenden) Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, die ihn zeitweise beinahe gänzlich zur Zurückgezogenheit aus dem öffentlichen - auch dem literarischen Leben zwangen, gelang es ihm doch stets, d.h. bis zur 'Schiwago-Affäre', ein gewisses Maß an persönlicher Bewegungsfreiheit und, wenn auch nicht immer nach Außen hin sichtbarer, Integrität zu bewahren (vgl. auch O. R. Hughes, op. cit., 93-4). So hatte Pasternak, als bald nach Stalins Tode, nämlich im Frühling des Jahres 1954, sich das, wie sich leider bald herausstellte, leider nur kurzlebige sog. Tauwetter im literarischen und kulturellen Leben der Sowjetunion einstellte, gewiß Anlaß zu der Hoffnung, daß nun auch sein nahezu vollendeter 'Lebensroman' in seiner Heimat das Licht des Tages werde sehen können. Daß dies dann letzten Endes dennoch unterbunden wurde, wird sicher nur zum Teil auf die Rechnung der teilweise - aber gewiß nicht ausschließlich oder einseitig - kritischen Darstellung gewisser Formen und Äußerungen (auch Ausschreitungen) der jungen Revolution bzw. ihrer Vertreter (denn der Revolutionsgedanke selbst wird in Pasternaks Roman ja mehr als einmal verherrlicht!), wie sie in Doktor Schiwago im ganzen sicher recht unparteiisch und realistisch geschildert werden, oder einige dort vorkommende sympathische Beschreibungen auch der 'Weißen' (unter dem Befehl Admiral Koltschaks) zu setzen sein. Vgl. aber z.B. auch Jurij Schiwagos heftige Kritik am Marxismus als unwissenschaftlich in dessen Gespräch mit Samdewjatow auf dem Bahngelände bei Jurjatino (Doktor Schiwago, 308-9); oder seine negative Einstellung gegenüber dem "politischen Mystizismus der sowjetischen Intellektuellen" bei Begeisterung seiner Freunde Dudurow und Gordon für die neuen schablonenhaften Phrasen und Platitüden (566). Gleich darauf ist dann freilich auch von der "Begeisterung für all das ..., was" der damals noch kindlichen Christina, der späteren Partisanen-Märtyrerin, "am
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Kommunismus unwiderlegbar erschien" die Rede (566-7). Zu beachten wäre in diesem Zusammenhang etwa auch noch die Erwähnung des ideologischen Auseinanderlebens (und der schließlichen Trennung) des herabgekommenen, an eine Dostojewskische Gestalt erinnernden Jurij Schiwago und seines jungen Freundes, Wassja Brykin, jener sich innerlich von der verwirklichten Revolution immer mehr entfernend, dieser ihr immer mehr zuneigend (558-9). In Pasternaks Roman finden sich aber auch zahlreiche Ausdrücke des Mitgefühls für das Proletariat und die unbemittelten Gesellschaftsschichten, wovon dagegen bei Thomas Mann kaum etwas zu finden ist. Zwar schildert er auch das niedergehende Bürgertum mit viel Liebe und Verständnis (vgl. Struves Bemerkung dazu oben), ähnlich wie Thomas Mann oder, in der russischen Literatur vor Pasternak, der von ihm so hochgeschätzte Tschechow; aber daß er sich etwa die Rückkehr der zaristischen - sei es auch mehr aufgeklärten - Herrschaft herbeigewünscht hätte (wie man das heutzutage beinahe von Solschenizyn meinen zu müssen scheint), trifft sicher nicht zu. Auf der anderen Seite ist es natürlich nur verständlich, daß Pasternak, durch seine brutale Behinderung im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Doktor Schiwago und der Verleihung des Nobelpreises verärgert, gegen Ende seines Lebens und im zunehmend kälteren Klima des Chruschtschow-Regimes sowie als Folge der gegen ihn persönlich in Gang gesetzten Hetzkampagne den Machthabern seines Vaterlandes immer mehr ablehnend gegenüberstand und neue, persönliche Verbindungen und Kontakte mit dem westlichen Ausland suchte. Aber das spiegelt sich noch nicht im hier erörterten Roman Pasternaks wider. Natürlich haben Struve, Deutscher, und andere recht, wenn sie in der ganz eindeutig christlichen Weltanschauung und Grundhaltung Pasternaks und seines Buches das wichtigste Moment seiner grundsätzlichen Ablehnung der Revolution sehen (vgl. "Sense and Nonsense ...", 244-5). Es war sicher auch diese christliche Botschaft von Doktor Schiwago, die es den sowjetischen Machthabern und Literaturbonzen (angeführt von dem unseligen Alexej Surkow) unratsam erscheinen ließ, der Veröffentlichung des Buches in der Sowjetunion zuzustimmen. Auf keinen Fall läßt sich aber etwa behaupten, daß das Gegensatzverhältnis zwischen Vaterlandsliebe und Ablehnung des politischen Systems seiner Heimat, wie es für Thomas Mann in der Zeit der Entstehung des Doktor Faustus so schmerzlich kennzeichnend war, bei Pasternak und seinem Schiwago eine genaue Entsprechung, eben nur mit anderen Vorzeichen, gehabt oder auch nur eine annähernd ähnliche Rolle gespielt hätte.
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Bei aller Liebe zur eigenen Heimat, wovon es in Doktor Schiwago ja so viele und beredte Zeugnisse gibt, während hier aus natürlichen Gründen das eigentliche Heimweh, die Sehnsucht nach der - unerreichbaren - Heimat, wie sie sich aus Manns Doktor Faustus so oft herauslesen läßt, fehlt, findet sich im Roman des russischen Dichters aber auch ein Element umgekehrter Art: der Sehnsucht nach dem Ausland, oder richtiger, nach dem freien Zugang zum westlichen - europäischen Ausland. Gewiß, diese Sehnsucht ist nie offen ausgesprochen, sondern meist nur durch einen Ortsnamen - Lausanne, Düsseldorf, Paris oder einen Hinweis - auf Südfrankreich, die Schweiz, Belgien, eine italienische Küstenlandschaft - flüchtig angedeutet. Ganz sicher kann der Leser seiner Sache hier wohl auch nicht immer sein, aber zumindest mir erscheint diese meist nur rasch hingeworfene Andeutung oder Stimmung im ganzen doch unüberhörbar. Dagegen muß man wohl Struve recht geben, wenn er, darin auch von Pasternaks eigener Aussage nachträglich bestätigt, der ausländischen Herkunft bzw. den fremden Namen einiger der Personen in Doktor Schiwago, besonders natürlich Larissa Guichard (vgl. aber z.B. auch Mademoiselle Fleury, die am Ende, kurz vor Jurij Schiwagos plötzlichem Tode, noch einmal symbolisch? - auftaucht), keine besondere Bedeutung beimißt (s. "Sense and Nonsense ...", 246-7 und 250). Der leidenschaftliche Russe Pasternak empfand hier sicher keinen Widerspruch zu seiner eigenen Vaterlandsliebe und, wie wir gesehen haben, vor die Wahl gestellt, zog er es vor in Rußland zu bleiben. Aber er war wohl eben beides, und zwar im besten Sinne: ein an seiner Heimat leidenschaftlich hängender Patriot und ein weltoffener, nur eben leider durch das politische System, unter dem er lebte, verhinderter, aufgeschlossener Kosmopolit. Dies bringt uns zuletzt noch zu einem weiteren, damit zusammenhängenden Problem - Pasternaks Einstellung zur Judenfrage (vgl. Thomas Manns entsprechende Haltung). Bekanntlich kreist in Doktor Schiwago die Erörterung der jüdischen Frage weitgehend um die Person von Jurij Schiwagos Freund Mischa Gordon, einem getauften Juden. Pasternaks Beurteilung dieses Problems - sicher an der eigenen Herkunft und dem eigenen Schicksal gemessen - geht ziemlich eindeutig aus dem Buche hervor: ebenso scharf wie er jede Form des Antisemitismus (im Sinne des Rassenhaßes oder der Verfolgung Andersgläubiger) verurteilt, ebenso leidenschaftlich bekennt er sich zu einer antinationalen (aber wohl kaum eigentlich antizionistischen) Lösung der Judenfrage in Rußland, was Pasternak, nicht ganz unerwartet, auch scharfe Kritik seitens einiger seiner Leser u.a. in Israel eingebracht hat. Ob er diese
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Kritik uneingeschränkt verdient hat, ließe sich m.E. allerdings nur dann voll ermessen, wenn feststünde, ob die von Mischa Gordon vertretene Lösung ihm als die einzig mögliche - denn wer will leugnen, daß es eine der möglichen ist? - erschien. So heißt es bereits in einem frühen Abschnitt des Buches (21): Soweit seine Erinnerung zurückreichte, hatte er sich immer von neuem voller Staunen gefragt, wie es möglich war, daß er, der doch die gleichen Arme und Beine, dieselbe Sprache und dieselben Gewohnheiten wie jedermann besaß, so verschieden sein konnte von allen anderen Menschen. Aus welchem Grunde, so fragte er sich, bin ich so geschaffen, daß nur wenige mich leiden können und niemand mich liebt? Er konnte nicht begreifen, daß man gewisse grundlegende Dinge, die einen gegenüber anderen Menschen benachteiligen, nicht aus eigener Kraft ändern und bessern kann. Was bedeutete es, ein Jude zu sein? Warum gab es so etwas überhaupt? Wodurch wurde diese Heimsuchung, die nichts als Leid und Kummer brachte, gerechtfertigt und belohnt ? Und später, bei der Schilderung der von Juras Onkel Wedenjapin beeinflußten Studien- und Berufswahl Mischas, heißt es dann (81-2): Noch mehr als auf Jura wirkten diese Gedanken auf seinen Freund Mischa Gordon, der sich Philosophie als Spezialfach gewählt hatte. Er hörte theologische Vorlesungen, und er ging sogar mit dem Gedanken um, später zur geistlichen Akademie, also auf die orthodoxe Hochschule, überzugehen. Jura verstand, welch eine Rolle bei den extremen Neigungen Mischas dessen Abstammung spielte. Die entscheidende - zweifellos gegen die Bewahrung der jüdischen Eigenart und Identität gerichtete - Stellungnahme zur Judenfrage folgt aber erst etwas später, kurz nachdem Jurij und Mischa Zeugen einer pogromartigen Szene gewesen sind, wo (143) ein junger Kosak, unter dröhnendem Gelächter der Umstehenden, ein kupfernes Fünfkopekenstück in die Höhe [warf] und einen alten graubärtigen Juden in langem Kaftan [zwang], dieses Geldstück aufzufangen. Immer wieder griff der Alte daneben ... bückte sich nach der Münze, und der Kosak schlug ihm dabei auf den Hintern. Nachdem Jurij sich Mischa gegenüber entrüstet über diesen Vorfall und die ihm zugrundeliegende Mentalität seiner Landsleute geäußert hat, worauf Mischa zunächst schweigt (144), eröffnet dieser seinem Freund kurz darauf seine Interpretation des Geschehenen, das nur als ein Beispiel von tausenden hingestellt wird. Nachdem er zuerst über das "naive und schüchterne Anerbieten" des "Evangeliums", also der urchristlichen Lehre und Gemeinde gesprochen hat ("wollt ihr auf eine vollkommen neue Weise leben, wollt ihr Beseligung des Geistes?"),
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und von der Aufhebung der Völker und Anerkennung bloß des Einzelnen durch das Christentum (147), entwickelt der 'Judenchrist' Gordon sodann seine eigene - angeblich von Wedenjapin inspirierte, in Wirklichkeit aber natürlich von Pasternak verfochtene Auffassung von der universalen Sendung der Juden, deren Geist und Martyrium er voll und ganz einschätzt. Diese Darlegung gipfelt in der Ermahnung (148): Besinnt euch! Es ist genug. Nennt euch nicht mehr wie früher. Tut euch nicht zu einem Haufen zusammen! Geht auseinander. Seid wie alle. Ihr seid die ersten und besten Christen der Welt [Kursivschrift des Verfassers], Ihr verkörpert gerade das, wogegen sich die Schlechtesten und Schwächsten unter euch immer gewehrt haben!
Und ganz ähnliche Ansichten läßt Pasternak später auch Lara bei ihrer erneuten Begegnung mit Schiwago in Jurjatino äußern - Ansichten, die zwar von Mitgefühl, allerdings einer "Sympathie mehr vom Kopf her als vom Herzen", mit dem grausamen Schicksal der Juden in Rußland zeugen, zugleich aber wiederum keinerlei Verständnis für das Beharren der Juden auf ihrer ethnischen und vor allem religiösen Eigenständigkeit und für ihre Weigerung, "aufzugehen in den andern, deren Religion sie selber mitbegründet haben", aufzubringen vermögen (vgl. Doktor Schiwago, 357-8). Daß dem russischen Dichter diese Aufforderung zur Assimilation und christlichen Besinnung von frommen Juden (und nicht nur von ihnen!) übel genommen wurde, ist mehr als verständlich. Ebenso sicher aber ist auch, daß sie seiner ehrlichen, tief religiös begründeten, auf Versöhnung hinzielenden, dabei politisch - wie wir seit den Schrecken der Hitler-Zeit und manchen anderen Formen des eingefleischten Antisemitismus wissen - naiven Überzeugung entsprang. Vielleicht ist es also kein Zufall, daß Thomas Mann und Boris Pasternak, eben weil sie selber so, wenn auch unterschiedlich, 'unschuldig' in der Judenfrage waren, glaubten darüber so freimütig, aber auch ohne viel Rücksichtnahme und Feingefühl sprechen zu dürfen. Oder wußten sie es nicht besser? Über Thomas Manns allerdings nur kurze antisemitische Anwandlungen in seiner Jugend, geschildert von Peter de Mendelsohn, s. unten, im Nachtrag (S. 61).
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L E B E N S S Y N T H E S E N A U S EXILSICHT
Es war gewiß nicht meine Absicht, mit den vorangehenden Bemerkungen den Eindruck zu erwecken, als handle es sich bei den beiden hier besprochenen Romanen, Doktor Faustus und Doktor Schiwago, in erster Reihe um zwei Exilromane im recht eigentlichen und engen Sinne. Das trifft weder auf den einen noch den anderen zu, da ja in keinem von beiden das Exil als solches, also die Existenz außerhalb der Grenzen der eigenen Heimat, zu ihrer wesentlichen Thematik gehört. Adrian Leverkühn verbringt, von wenigen Unterbrechungen abgesehen (unter denen die wichtigste der einjährige Aufenthalt in Italien ist), sein ganzes Leben in Deutschland, und ähnlich bleibt Jurij Schiwago (ausgenommen die Kindheitsreisen mit seiner Mutter nach Südfrankreich und Norditalien, die allenfalls ein paar Sehnsuchtsmomente nach der Ferne hervorrufen) sein ganzes Leben in Rußland im weiten Sinne, wo die galizische Front und Sibirien die zwei Endpunkte bezeichnen. Und auch wenn wir hier nicht von zwei Exilromanen sprechen, sondern, wie wir es getan haben, lediglich von aus Exilsicht geschriebenen Zeitromanen, so stimmt dies voll und ganz nur für Doktor Faustus, für Doktor Schiwago dagegen, wie eingangs dargelegt wurde, nur sehr bedingt. Natürlich würde ein viel ausführlicherer und vollständigerer Vergleich der beiden Romane, also ohne jede Einschränkung des Gesichtspunktes, noch erheblich mehr aufweisen und beleuchten können, als was hier zur Sprache gebracht werden konnte. Denn bei beiden Romanwerken handelt es sich ja in erster Linie, wie auch schon erwähnt, um die Erfahrungen zweier ganzer Leben zusammenfassende, rückblickende, dabei aber auch auf die Zukunft gerichtete dichterische Synthesen ihrer gereiften Verfasser. Auch wenn Thomas Mann einige Ideen zu einem Buch wie dem Faustus erstmalig schon zu Beginn des Jahrhunderts, im Jahre 1901, entwickelte (vgl. Entstehung, 21) und die erste Konzipierung des Schiwago wohl jedenfalls bis ins Ende der dreißiger Jahre zurückreicht (s. oben), so handelt es sich bei beiden Dichtern zweifellos um
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abschließende Alterswerke, zu deren endgültiger Ausarbeitung und letzter dichterischer Gestaltung sie erst in der Neige ihrer Jahre kamen und kommen konnten. In der Entstehung berichtet Mann selber, von den Schwierigkeiten der Inangriffnahme seines Planes erzählend und seine eigenen Tagesbuchnotizen zitierend: "... die Vermutung mischt sich ein, daß ich deshalb vor dem Unternehmen zurückschrecke, weil ich es immer als mein letztes betrachtet habe" (23). Und mehrmals noch kommt in dem autobiographischen Begleitband zur Sprache, was der Verfasser eigentlich als den Zweck und das Ziel seines Romans in jener Zeit der Konzipierung und ersten Gestaltwerdung sah: "Dies eine Mal wußte ich, was ich wollte und was ich mir aufgab: nichts Geringeres als den Roman meiner Epoche, verkleidet in die Geschichte eines hochprekären und sündigen Künstlerlebens" (Entstehung, 38). "Ein MusikRoman? Ja. Aber er war als Kultur- und Epochen-Roman gedacht ..." (41). Und bald darauf wieder: "... in meinem Seelen- und Epochengemälde" (45). Vergleichbar schreibt Pasternak am Ende seiner zweiten autobiographischen Skizze (Über mich selbst, 92) in seiner für seinen Lebensabend so charakteristischen, zugleich demütig-selbstkritischen und doch selbstbewußten Art, die Bedeutung seines Romans einschätzend: "... zweitens habe ich vor kurzem in Prosa meine größte und wichtigste Arbeit beendet, die einzige, deren ich mich nicht schäme und für die ich kühn die Verantwortung trage: meinen Roman 'Doktor Schiwago' mit einem Gedichtanhang. - Die durch alle Jahre meines Lebens verstreuten und in diesem Buch gesammelten Gedichte sind nur Vorstufen zu diesem Roman. Als eine Vorbereitung für die Lektüre des Romans betrachte ich auch ihren Neudruck." Man vergleiche dazu auch schon die programmatisch-selbstbiographische Betrachtung über den jungen Jurij Schiwago, wo soeben die Rede von einem geplanten 'Buch des Lebens' (s. oben) war (Doktor Schiwago, 81): Doch für ein solches Buch war er noch zu jung, und er schrieb statt dessen Gedichte, so wie ein Kunstmaler sein Leben lang Skizzen als Vorstudien zu einem geplanten Gemälde zeichnet oder malt. Dementsprechend schreibt auch Krystyna Pomorska zu Beginn ihrer einfühlsamen Randbemerkungen zu Doktor Schiwago (op. cit., 74): "The novel was meant as an opus vitae, as the final expression of a total creative experience. It took the form of a grandiose picture of a symbolic life. - Doctor 2ivago is a historiosophic and a symbolic novel as well. For such a genre it was necessary to find new compositional principles." So bedarf es kaum einer weiteren Erläuterung darüber, wie ergiebig ein allseitigerer, systematischer, und ins Detail gehender Vergleich der
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beiden von in einigem so ähnlichen Voraussetzungen ausgehenden, ihre Problematik dabei mit z.T. so verschiedenen - gerade auch künstlerisch verschiedenen - Mitteln lösenden Romane sein dürfte. Einiges davon konnte hier hoffentlich wenigstens angedeutet werden, und die Hervorhebung der Exilsicht - ob wörtlich (für Thomas Mann) oder vielmehr bildlich und symbolisch (für Boris Pasternak) verstanden - sollte hier lediglich als einer unter mehreren möglichen Ansatzpunkten dienen. Absichtlich habe ich also hier von Doktor Faustus und Doktor Schiwago als von zwei Zeitromanen aus Exilsicht und nicht einfach von zwei Exilromanen gesprochen. In einem gewissen Sinne wäre freilich auch eine solche allgemeinere Bezeichnung nicht ganz abwegig, wenn man das Schicksal dieser Bücher und ihrer Dichter bedenkt: Doktor Faustus wurde von einem Schriftsteller im Exil geschrieben, war aber seit seinem ersten Erscheinen (1947) auch dem deutschen Leser in der Heimat sofort zugänglich; Doktor Schiwago, in Rußland unter nur bedingt exilartigen Umständen entstanden, wurde selbst zum Exilbuch es erschien nahezu gleichzeitig in italienischer Übersetzung und im russischen Original (1957 in Mailand, der russische Text, zuerst in einem von Feltrinelli nicht autorisierten Raubdruck, dann in einer von ihm veranlaßten Ausgabe, gedruckt in Holland; eine weitere russische Ausgabe Ende 1958, Ann Arbor, Michigan) und ist bis heute in der Sowjetunion offiziell verbotene Lektüre geblieben. (Die Angaben über die Einzelheiten der ersten russischen Ausgaben verdanke ich Herrn Verleger Peter de Ridder.) Natürlich gibt es in unserem Jahrhundert viele andere - auch sehr bedeutende - Romane der russischen Exilliteratur im eigentlichen Sinne des Wortes. Aber keiner von ihnen ist in seiner ganzen Konzeption und Anlage bei allen auch tiefgreifenden Unterschieden - man vergleiche etwa nur die wenigen Bemerkungen gerade auch zur 'faustischen' Thematik: praktische statt symbolisch-künstlerische Wege zur Erforschung der 'Geheimnisse des Alls', Faust als Gelehrter und Künstler (s. Doktor Schiwago, 55 und 339) - dem Spätwerk Thomas Manns geistig so verwandt und in manchem wesensähnlich, wie Boris Pasternaks seine Lebenserfahrungen summierendes und deutendes Buch reifer Jahre. Schon deshalb ist zu hoffen, daß die hier in ihrer Problematik wenigtens umrissene, m.W. bisher allenfalls nur ganz beiläufig (z.B. von Anthony Burgess, The Novel Now, 19, beim Versuch einer Neubestimmung der Gattung 'Roman') in Betracht gezogene Zusammen- und Gegenüberstellung dieser beiden großartigen Werke der europäischen Literatur um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gerechtfertigt sein mag.
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Erst nach Fertigstellung dieses Essays hatte ich Gelegenheit, die Besprechung der englischen Übersetzungen von Doktor Faustus, der Entstehung und der von mir so häufig zitierten Monographie von Gunilla Bergsten sowie einer offenbar recht schwachen Neuerscheinung: Patrick Carnegy, Faust as Musician: A Study of Thomas Mann's Novel "Doctor Faustusdurch Robert Craft, den ehemaligen Freund und engen Mitarbeiter Igor Strawinskys, in The New York Review of Books vom 7. August 1975 (Vol. XXII, No. 13) zu lesen, aus der viel Interessantes und Lehrreiches besonders über Thomas Manns Verständnis (und teilweises Mißverständnis) der Zwölftonmusik Arnold Schönbergs, die Mann selbst kaum je gehört haben soll (ein Irrtum!) und deren Wesensart ihm von Theodor Adorno kritisch und etwas eigenwillig ausgelegt wurde (während der Mann-Freund Bruno Walter ihr im ganzen ablehnend gegenüberstand), zu entnehmen ist. Nicht ganz einig gehen mit Craft kann ich natürlich in seiner Schlußfolgerung: "But to compare Dr. Faustus and the realistic novels of, for example, Solzhenitsyn, is to recognize how much more limited in scope is the newer genre. In the sense of embracing the spectrum of humanistic, religious, and artistic themes, Dr. Faustus may be the last of its kind." Während ich den Vergleich mit dem thematisch beschränkteren Solschenizyn gelten lassen würde, gehört nach meinem Dafürhalten Boris Pasternaks zehn Jahre nach Doktor Faustus erschienener Doktor Schiwago in bezug auf Weite des "Spektrums humanistischer, religiöser und künstlerischer Themen" ebenbürtig in die gleiche Gattung (bei allen Unterschieden der Ausführung!) wie Thomas Manns Alterswerk. Ebenfalls erst nach Abschluß der ursprünglichen Fassung meiner Skizze konnte ich mich mit dem ersten Band der oben (S. 9) nur kurz erwähnten, breit angelegten Thomas-Mann-Biographie von Peter de Mendelsohn, Der Zauberer: Das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann, Erster Teil: 1875-1918, Frankfurt a.M. 1975, vertraut
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machen, der sich, obwohl die bisher vorliegende Lebensdarstellung nur bis zum Ende des 1. Weltkrieges reicht, manche wichtige Aufschlüsse, die direkt auf Doktor Faustus Bezug haben, entnehmen lassen. So erfahren wir hier u.a., woher die Namen einiger der Gestalten in Manns Spätwerk stammen, darunter der Name Leverkühn selbst (einem Lübecker Amtsrichter, mit dem die Familie Mann rechtlichgeschäftlich viel zu tun hatte, entlehnt; vgl. 128-9, 135, 225, 470) oder etwa der Name Carlebach (Salomon Carlebach war Lübecker Rabbiner und Thomas Mann hatte einen seiner sechs Söhne zum Klassenkameraden; vgl. 98 und 113); auch der Name Zur Höhe taucht bereits in Manns Notizbuch 7 (aus den Jahren 1901-5) auf (s. 424). Bei einigen der in Doktor Faustus auftretenden Gestalten lassen sich immerhin gewisse Züge von Persönlichkeiten des wirklichen Lebens, die Mann nahe standen, wiedererkennen; so z.B. bestehen wohl einige Ähnlichkeiten zwischen Manns Verleger S. Fischer und dem Impressario S. Fitelberg (s. bes. 392-5) oder zwischen Manns treuem, aber etwas phantasielosem Freund Grautoff und der Zeitblomgestalt (vgl. etwa 419). Auch viele der Themen und Motive des Doktor Faustus sind in Manns früherer Lebenserfahrung natürlich teilweise schon vorweggenommen. Das gilt etwa von der Gleichsetzung, wenn auch auf verschiedenen Ebenen, des Künstlers mit dem Hochstapler und Abenteuerer (s. bes. 363), und von Palestrina und dem dortigen Teufelserlebnis (vgl. 204ff., 273ff., 292ff.). Im Notizbuch 7 finden sich auch bereits zwei Eintragungen über den syphilitischen Künstler "als Dr. Faust und dem Teufel Verschriebener" (s. 532). Hier und anderswo stößt man ferner auf den im Faustus als Eifersuchtstragödie zwischen Rudi Schwerdtfeger und Ines Institoris gestalteten Stoff (vgl. 422ff., 480ff., 530ff.). Für unseren Vergleich mit Pasternaks Doktor Schiwago und der in diesem Zusammenhang erörterten Einstellung der beiden Dichter zur Judenfrage unmittelbar bedeutsam ist die Feststellung, daß auch Thomas Mann, bei aller Anerkennung seiner späteren Haltung, in jungen Jahren von antisemitischen Anwandlungen nicht ganz frei war, was u.a. wohl auch seine freilich nur kurze Mitarbeit an der deutsch-nationalen Zeitschrift Das Zwanzigste Jahrhundert, deren Herausgeber Heinrich Mann vorübergehend war, erklärt (s. 172, 211 ff., 227, 269, 383, 586). Sowohl als Deutungsversuch wie vor allem auch als Fundgrube unzähliger früher nicht oder nur wenig bekannter Tatsachen und Einzelheiten aus Thomas Manns Leben ist de Mendelsohns große Biographie von unermesslichem Wert.
BIBLIOGRAPHISCHE HINWEISE
(Bekannte Literaturwerke, die hier nicht näher behandelt werden, sind nicht besonders vermerkt.) Bergsten, Gunilla, Thomas Manns Doktor Faustus: Untersuchungen zu den Quellen und zur Struktur des Romans. Stockholm 1963. Birnbaum, Henrik, "Zu Besuch bei Pasternak", Süddeutsche Zeitung (München), 14.IX.1959. Blomster, Wesley V., "A Pietà in Mann's FaustusT, M[odern] L[anguage] N[otes] 90 (Baltimore, Md., 1975), 336-44. Burgess, Anthony (Pseudonym für John Burgess Wilson), The Novel Now: A Student's Guide to Contemporary Fiction [New edition]. London 1971. ["D."], Stremja "Tichogo Dona": Zagadki romana. Paris 1974. Doctor Fausti Weheklag: Die Volksbücher von D. Johann Faust und Christoph Wagner. Nach den Erstdrucken neu bearbeitet und eingeleitet von Helmut Wiemken. Bremen 1961. Erlich, Victor, Russian Formalism: History - Doctrine. With a Preface by René Wellek. 's-Gravenhage 1955. —, The Double Image: Concepts of the Poet in Slavic Literatures. Baltimore, Maryland, 1964. Ermolaev, Herman, "Riddles of The Quiet Don: A Review Article", Slavic and East European Journal 18/3 (Fall 1974, Baltimore, Md., 1975), 299-310. Finke, Ulrich, "Dürer and Thomas Mann: Pictures and Quotations", Essays on Dürer, C. R. Dodwell, ed., 121-46. Manchester-Toronto-Buffalo 1973. Fischer, Ernst, "Doktor Faustus und die deutsche Katastrophe", Kunst und Menschheit: Essays, 37-97. Wien 1949. Gaev, Arkadij, "B. L. Pasternak i ego roman 'Doktor Zivago'", Sbornik statej, posvjaséennych tvoriestvu Borisa Leonidovüa Pasternaka, 20-44. München 1962 ( = Institut po izufieniju SSSR, Issledovanija i materialy, Serija 1-ja, vypusk 65). —, Boris Pasternak und Dr. Zhivago. München 1959 (Special Issue of Soviet Affairs Analysis Ser\ice, Institute for the Study of the USSR = Issledovanija i materialy, Serija 1-ja, vypusk 46). Holthusen, Johannes, Russische Gegenwartsliteratur II: 1941-1967, Prosa und Lyrik. Bern & München 1968. Hughes, Olga R., The Poetic World of Boris Pasternak. Princeton, N.J., 1974. Jakobson, Roman, "Randbemerkungen zur Prosa des Dichters Pasternak", Slavische Rundschau 7 (Prag 1935), 357-74. Lotman, Ju. M., Uspenskij, B. A., Ivanov, V. V., Toporov, V. N., Pjatigorskij, A. M., Theses on the Semiotic Study of Culture (as Applied to Slavic Texts). Lisse 1975 ( = PdR Press Publications in Semiotics of Culture 2). Lukäcs, Georg, Die Theorie des Romans: Ein geschichtsphilosophischer Versuch über
BIBLIOGRAPHISCHE HINWEISE
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NAMENREGISTER
(In Kursivschrift gesetzte Namen sind solche von erdichteten Gestalten oder Orten. Auf Erwähnung der Namen Th. Manns, B. Pasternaks sowie A. Leverkühns ("Dr. Faustus") und Ju. Schiwagos wird nicht besonders verwiesen. Außer Personennamen sind hier nur Orts-, aber keine weiteren geographischen oder sonstigen Namen verzeichnet. Anfangsbuchstaben des Vornamens bzw. voll ausgeschriebene Vornamen werden nur dort angeführt, wo es Verdeutlichung oder Unterscheidung geboten erscheinen lassen. Bei erdichteten Gestalten wird der Nachname stets an erster Stelle gesetzt, auch wenn die umgekehrte Reihenfolge üblich ist. Die Schreibung russischer Namen erfolgt nach dem Grundsatz: bei allgemein bekannten Namen in der für das Deutsche üblichen, sonst in der vom Betreffenden selbst bevorzugten Schreibweise bzw. ihrer wissenschaftlichen Transliterierung.) Aachen 38 Adorno(-Wiesengrund) 23, 60 Alexander I. 42 Amann 23 Antipow, Pawel (Pascha) 36, 42 Aniipowa, L. s. Lar(iss)a Babel 6, 12 Bach 38 Beckmesser 14 Beethoven 19, 22, 23, 38 Belyj 52 Berdjajew (Berdjaev) 34 Berg 23 Bergsten 15, 16, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 26, 27, 30, 31, 32, 34, 36, 37, 38, 39, 41, 46, 48, 60, 62 Berlin 49 Birnbaum 62 Block (Blok) 51,52 Blomster 40, 62 Breisacher 48 Brykin 53 Bucharin 52 Büchel 35 Buddenbrooks 11,35 Burgess 59, 62 Byron 10
Carlebach 48, 49, 61 Carlebach, S. 61 Carnegy 60 Chopin 26 Christina 52 Chruschtschow 7, 17, 53 Craft 60 Daniel "der Verbannte" ( Daniii Zatocnik) 8 Dante 14 Derleth 27 Deutscher 11, 12, 53 Dodwell 62 Dostojewskij 12, 20, 21, 23, 34, 53 Dudurow 21, 36, 52 Dürer 18, 31, 36, 37, 38, 62 Düsseldorf 54 Eckermann 14 Erlich 14, 30, 62 Ermolaev 11,62 Faust (Goethes) 10, 14, 20, 22 Faust(us), J. (des Volksbuches) 22, 36, 37, 59, 61, 62 Feltrinelli 8, 59 Finke 31,62
18, 20,
NAMENREGISTER
Fischer, E. 48, 62 Fischer, S. 61 Fitelberg 48, 61 Fjodorow 20,29 Fleury 54 Freud 40,41 Gaev 17,62 Gattiulin 36 Georg (hl.) 21 George 27 Gethsemane 32 Goethe 10, 14, 20, 22, 48, 49 Goldberg 48 Gordon 21, 29, 35, 43, 52, 54, 55, 56 Grautoff 61 Gromeko, A. I. 20 Gromeko, I. 35 Guichard, A. 36 Guichard, L. s. Lar(iss)a Guichard, R. 36 Gynt, Peer 10 Halle 37 Hamlet 10, 13, 14, 32, 41, 51 Hans Alienus 10 Händel 38 Hegel 39 Heidenstam 10 Heinrich, Der grüne 10 Hinterpförtner 38 Hitler 9, 18, 38, 46, 47, 49, 56, 63 Hofmansthal 27 Holthusen, H. E. 28 Holthusen, J. 12, 62 Hughes 14, 52, 62 Ibsen 10,40 Ilarion 43 Institoris, Ines 61 Ivanov 62 Iwinskaja 7, 28, 29 Jakobson 9, 62 Joseph 26, 41 Jung 40, 41 Jurjatino 52, 56 Kaisersaschern 11, 38, 48, 50 Kahler 37 Keil 13, 32, 63 Keller 10 Kierkegaard 23
65
Kiev 43 Kline 63 Kologriwow 35 Koltschak 52 Komarowskij 35 Kridwiß 37,48 Kröger, Tonio 41, 47 Krull, Felix 11, 47 Kumpf 37 Kutusow (Kutuzov) 42 Lar(iss)a (Guichard) 7, 19, 28, 29, 36, 42, 43, 54, 56 Lausanne 43, 54 Lean 12 Lednicki 63 Leipzig 37 Lenin 25, 42 Lermontow 23 Lesser 23 Leverkühn, A. O. 61 Leverkühn, J. 40 Lindsay 23 Lotman 27, 62 Lotte 41 Lukàcs 12, 35, 40, 62 Luther 16, 18, 36, 37, 38 Luvers, Schenja (¿enja) 29 Lübeck 11,38,50 Madäch 10 Mahler 23 Manardi, P. 40 Mandelstamm (Mandel'ätam) 7 Manfred 10 Mann, E. 46 Mann, H. 16, 61 Mann, Katia 9, 35, 46, 49, 63 Mann, Klaus 46 Mann, M. 63 Matlaw 21 Mayer 23 Meister, Wilhelm 10 Mendelsohn, de 9, 56, 60, 61, 63 Mereschkowskij 27 Metzler 30, 63 Mickiewicz 10 Moskau 7, 19, 35, 36, 50, 51 München 35, 46, 50 Naphta 35 Napoleon 42 Naumburg 38
66 Nechljudow 25 New York 16 Nietzsche 22,49 Nikolaj (Nikolaus) II. 42 Nikolajewitsch, Nikolaj 42 Nilsson 14, 32, 63 Nobel 7,53 Nürnberg 38 Palestrina 40, 61 Paris 54 Pasternak, L. 25 Payne 17, 20, 25, 32, 63 Peredelkino 7, 25 Pfeiffering 14, 17, 23, 35, 37 Pilnjak 7, 12 Pjatigorskij 62 Plessen 63 Polling 23,35 Pomorska 14, 24, 32, 44, 58, 63 Prag 16 Pringsheim 49 Puschkin 8, 25, 30 Ranke 40 Reisner (Rejsner) 29 Remisow (Remizov) 12 Ridder, de 59 Rilke 27 Rosenstiel, K. 48 Samarin 25 Samdewjatow 52 Scharfschwerdt 10,63 Schiwago, Jewgraf 19 Scholochow 11 Schopenhauer 49 Schönberg 23, 39, 60 Schweigestill, E. 40 Schweitzer 28, 63 Schwerdtfeger, Rudi 38, 61 Shakespeare 10 Skrjabin 24
NAMENREGISTER
Solowjow (Solovev) 34 Solschenizyn (Solzhenitsyn) 11, 42, 53, 60 Spengler 40, 48 Ssachno, v. 12 Stalin 7, 17, 42, 52 Strawinsky 23, 60 Strelnikow s. Antipow Struve 6, 11, 12, 17, 21, 25, 29, 36, 42, 53, 54, 63 Surkow 53 Swentizkij 35 Tillich 37 Tiwersin 36 Tolstoj 11, 20, 25, 31, 32, 34, 42, 43, 44 Toporov 62 Trotzkij 42 Tschechow 25, 53 Unbegaun 20, 63 Uspenskij 62 Wagner (Famulus) 14 Wagner, R. 14, 38, 46, 49, 63 Wagner, Chr. 62 Walter, Bruno 60 Warykino 26 Weber 34 Wedenjapin 29, 36, 43, 55, 56 Wellek 62 Wiemken 62 Wiesengrund s. Adorno Wilson, E. 21 Wilson, J. B. s. Burgess Winfried 37 Wolf 23 Zeitblom 10, 11, 14, 15, 18, 23, 30, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 46, 47, 49,61,63 Zenkovsky 20, 23, 63 Zur Höhe 27, 61