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German Pages 134 Year 1979
BIANCA
FISCHER
Divergierende Selbstbelastungspflichten nach geltendem Recht
Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 358
Recht
Divergierende Selbstbelastungspflichten nach geltendem Recht
Versuch einer Harmonisierung
Von Dr. Bianca Fischer
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1979 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1979 bel Buchdruckerei Richard Schröter, Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 04356 1
Vorwort Vorliegende Arbeit knüpft an meine Dissertation aus dem Jahre 1976 an, die die Vernehmung des Beschuldigten i m strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zum Inhalt hatte. Die jetzige Untersuchung greift über den strafprozessualen Bereich hinaus und bezieht — unter dem Aspekt der Selbstbelastungspflichten — die Position von Verfahrensbeteiligten aus der Zivilprozeß-, Konkurs- und Abgabenordnung m i t ein. I m M i t telpunkt dieses Vergleichs steht dabei die Frage nach der Rechtfertigung des Privilegienstatus des Beschuldigten. Das Manuskript wurde i m August 1978 abgeschlossen. Mein besonderer Dank gilt meinem Lehrer, Herrn Prof. Dr. W. Leisner, für vielfache Anregungen und wertvolle K r i t i k , sowie Herrn Prof. Dr. J. Broermann für die Aufnahme der Schrift i n dieser Reihe. Erlangen, i m September 1978 Bianca
Fischer
Inhaltsverzeichnis Einleitung
11
Α. Ausgangspunkt der Untersuchung: Gesetzliche Freistellung des Beschuldigten von aktiver Selbstbelastung 15 Zusammenfassung
19
B. Gegenbeispiele: Fälle gesetzlicher Selbstbelastung
20
Beispiel 1: Die beklagte Partei 2. Buch der ZPO)
im zivilprozessualen
Erkenntnisverfahren .
(1. und
I. Selbstbelastung nach § 138 Abs. 1 ZPO
20 21
a) Wahrheits- u n d Vollständigkeitspflicht — gegenseitige Ergänzung prozessualer Lauterkeit (1) Vollständigkeitspflicht — U m f a n g u n d Grenzen (2) Wahrheitspflicht — Umfang u n d Grenzen Zusammenfassung b) Ausschluß „ f a k u l t a t i v e n Selbstbelastungszwangs" c) Besondere Fälle der Wahrheitspflicht (1) Beweisvereitelung oder -erschwerung (2) Parteivernehmung Zusammenfassung — ..
21 21 24 26 26 28 29 30 32
I I . Legitimation der zivilprozessualen Selbstbelastung — Vergleich m i t der Strafprozeßordnung
32
a) Moralische Pflicht b) Zivilgerichtliches U r t e i l — generell geringere gung?
32 Beeinträchti-
c) öffentliches Interesse a m „Funktionieren der Rechtspflege"?.. d) T e i l des Prozeßrisikos e) Chancengleiches Prozeßrechtsverhältnis Zusammenfassung I I I . Folgerungen
36 39 43 45 47 48
Beispiel 2: Der Schuldner
im Zwangsvollstreckungsrecht
I . Untersuchung der Pflichten zur Abgabe einer eidesstattlichen V e r sicherung a) Eidesstattliche Versicherung nach bürgerlichem Recht (§889 ZPO)
49 49 49
8
Inhaltsverzeichnis b) Eidesstattliche Versicherung bei Herausgabe bestimmter beweglicher Sachen (§ 883 Abs. 2 ZPO)
50
c) Die eidesstattliche Versicherung bei der Zwangsvollstreckung v o n Geldforderungen (§ 807 ZPO)
50
Zusammenfassung
52
I I . L e g i t i m a t i o n der Selbstbelastung — Vergleich m i t der Strafprozeßordnung
53
a) H a f t u n g
53
b) Rechtsverwirklichungskompetenz des Gläubigers
54
Zusammenfassung
56
I I I . Folgerungen
56
Beispiel 3: Selbstbelastung (KO)
des Gemeinschuldners
nach der
Konkursordnung
I. Untersuchung der Selbstbelastung auf G r u n d der K O
56 57
a) Auskunftspflicht (§ 100 KO)
57
b) Antragsunterlagen (§ 104 KO) c) Eidesstattliche Versicherung (§ 125 KO) Zusammenfassung
57 57 58
I I . L e g i t i m a t i o n — Vergleich m i t der Strafprozeßordnung a) Recht der Verlustgemeinschaft b) Ersatz verlorenen Dispositionsrechts I I I . Folgerungen
58 58 61 62
Beispiel 4: Der Steuerpflichtige I. Selbstbelastung nach der Abgabenordnung (AO) a) Allgemeines Sachaufklärungsverfahren (1) Die Wahrheitspflicht — § 90 A O (2) Die Steuererklärungspflicht (§§ 149 ff. AO) (3) Steuerpflichtiger u n d Beweismittel aa) „Zeuge i n eigener Sache" bb) Präsentationspflichten cc) Kontrollermöglichung b) Spezielle Sachaufklärungsverfahren (1) Außenprüfung (2) Steuerfahndung (3) Die Steueraufsicht i n besonderen Fällen c) Die eidesstattliche Versicherung i m Vollstreckungsverfahren — § 284 A O d) Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung e) Exkurs: Selbstbelastungspflichten auf G r u n d spezialgesetzlicher Regelungen
62 62 63 63 65 66 66 69 70 71 71 72 72 73 74 75
Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung I I . Legitimation der steuerlichen Selbstbelastung — Vergleich m i t der Strafprozeßordnung a) Unverzichtbarkeit b) Gestaltungsfunktion i m gesetzlichen Steuerrechtsverhältnis . . c) Selbstbelastungspflicht — Gewährleistung gleichmäßiger E r fassung aller Steuerpflichtigen d) Steuerliche Selbstbelastung — Instrument staatlicher Finanzbedarfsdeckung Zusammenfassimg I I I . Folgerungen
76 76 77 82 84 87 91 92
C. Ergebnisse dieses Vergleichs
93
D. Verfassungsrechtliche Überprüfung
94
I. Menschenwürde I I . Persönlichkeitsrecht I I I . Andere Grundrechte a) Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) b) Hecht auf ein „faires Verfahren" c) Rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) I V . „ i n dubio pro libertate" V. Menschenbild des Grundgesetzes Zusammenfassung E. Grenzen einer Selbstbelastungspflicht des Beschuldigten I. A r t der Sanktion a) Vergehen b) Ordnungswidrigkeit c) Ordnungsgeld I I . Höhe der Sanktion a) Niedrige Geldstrafe b) Größere Geldstrafen, niedrige Freiheitsstrafen c) Sehr hohe Freiheitsstrafen
95 100 103 104 106 107 109 112 114 116 116 116 118 119 120 121 121 123
Zusammenfassung der Ergebnisse
124
Literaturverzeichnis
126
Abkürzungsverzeichnis Abs. AO BAGE BayGO BayVerfGH BB BFHE BZRG EGStGB FeuerschutzStDB GrS RAO RennwettLottAB Rpfl. StuW VwVfG ZRP
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Absatz Abgabenordnung 1977 Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerische Gemeindeordnung Bayerischer Verfassungsgerichtshof Betriebsberater Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bundeszentralregistergesetz Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Durchführungsbestimmungen zum Feuerschutzgesetz Großer Senat Reichsabgabenordnung Ausführungsbestimmungen zum Rennwett- u n d L o t t e riegesetz Der Deutsche Rechtspfleger Steuer u n d Wirtschaft Verwaltungsverfahrensgesetz Zeitschrift f ü r Rechtspolitik
Die übrigen Abkürzungen stimmen m i t dem von H. Kirchner bearbeiteten ,Abkürzungsverzeichnis der Hechtssprache" (2. Auflage 1968) überein.
Einleitung
Gesetzliche Mitwirkungsgebote m i t der Folge eines Verstoßes gegen eigene Interessen (Selbstbelastung i m weiteren Sinn) finden sich i n zahlreichen Rechtsvorschriften. I n welchem Umfang diese Pflichten zu erfüllen sind, legt der Gesetzgeber jedoch nicht einheitlich fest. Das Maß der zumutbaren Selbstbelastung, das er den Betroffenen jeweils abverlangt, ist von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet verschieden und keineswegs stets von der Disposition der Adressaten abhängig. Der bedeutendste Unterschied zeigt sich hier bei einem Vergleich zwischen dem Strafprozeßrecht und anderen Verfahrensgesetzen: Während -die Strafprozeßordnung dem Interesse des Beschuldigten, sich nicht selbst belasten zu müssen, weitgehend Rechnung trägt, sind außerhalb des strafverfahrensrechtlichen Bereichs eher gegenteilige Regelungen getroffen worden. I n der Mehrzahl der Fälle fehlen schützende Mitwirkungsverweigerungsrechte, so daß angeordnete Selbstbelastung meist ohne Rücksicht auf damit verbundene Interessenskollision i n Kauf genommen werden muß. Diese auffällige Disharmonie wird, wie die Gegenüberstellung mit der Beschuldigtenposition deutlich macht, i n erster Linie durch 'diejenigen Kategorien von Verfahrensgesetzen begründet, die die Beteiligten trotz aufgedrängter Verfahrensrolle zu nicht ausweichbarer Selbstbelastung zwingen (Selbstbelastung i m engeren Sinn, von der i m folgenden ausschließlich die Rede sein soll). A n diesem wichtigen formellen K r i t e r i u m der von dritter Seite „zudiktierten Funktion" fehlt es z.B. bei materiellrechtlich verankerten Pflichten oder bei denjenigen, die einem Antragsteller i m Bereich der leistungsgewährenden Verwaltung abliegen. — Bereits iaus diesem Grund kann ganz allgemein das Verbot von „Fluchtrechten" — insbesondere § 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) — bei der folgenden Betrachtung ausgeklammert bleiben. I m übrigen aber ist eine besondere Auseinandersetzung m i t dieser Vorschrift auch deshalb entbehrlich, w e i l die ihr entspringenden Pflichten keine vom Beschuldigtenrecht abweichende Tendenz zeigen:
12
Einleitung Die aktive Selbstbezichtigung, die einem Unfallbeteiligten aufgetragen wird, ist minimal: Sie besteht lediglich i n der Angabe, am Unfall beteiligt gewesen zu sein (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) 1 und kann zudem durch Handlungen zur Vereitelung der Feststellungen umgangen werden 2 . Dies ist i m Fall von Abs. 1 jedenfalls nicht verboten 3 . A n sonsten reicht es aus, bis zum Ende der Feststellungen am Unfallort anwesend zu sein (sogen, passive Ermöglichungspflicht). Findet sich kein Feststellungsinteressent, muß zwar auch gewartet werden, aber nur über eine den Umständen nach „angemessene Zeit" (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB) 4 . Schärfere Selbstbelastungspflichten als nach 'der Strafprozeßordnung ergeben sich aus dieser gesetzlichen Vorschrift somit nicht.
— Auch andere i m materiellen Recht wurzelnde Handlungsgebote brauchen für die Frage der Selbstbelastung nicht berücksichtigt zu werden. So mag etwa das seit 1. 4.1977 in K r a f t befindliche „Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen" 5 zuweilen die Auffassung von einer nunmehr Gesetz gewordenen Form unliebsamer Einengung bestehender Handlungsfreiheit begründen oder bestätigen; m i t einer Pflicht zur Selbstschädigung haben diese Regelungen jedoch nichts zu tun: Als Kontrollmittel jener Unternehmen, deren wirtschaftliche und rechtliche Überlegenheit i n allzu einseitig orientierten, zulasten des schwächeren Partners formulierten Vertragsinhalten zum Ausdruck kommt, verhindern sie unbillige Risikoverteilung und verhüten eine bedenklich weite Entfernung vom ursprünglich gedachten Vertragsmodell des Bürgerlichen Gesetzbuchs6. Auswir-
1 Über den Umfang der Angaben besteht keine Einigkeit: Vgl. etwa Maier, Vorstellungspflicht gem. § 142 StGB, N J W 1976, S. 1190 ff.; Jagusch, Z u m U m fang der Vorstellungspflicht gem. §142 StGB, N J W 1976, S. 504 ff.; str. ist auch, ob und inwieweit ein Unfallbeteiligter zu weiterer aktiver M i t w i r k u n g verpflichtet ist, vgl. z. B. Müllert-Emmert/Mater, Z u r Neufassung des § 142 StGB, DRiZ 1975, S. 176 f.; BGHSt 4, S. 144 ff.; 7, S. 117 ff.; 14, S. 231 ff.; 18, S. 114 ff. 2 Nachweise aus der Rspr. zu solchen Vereitelungsmöglichkeiten bei Dreher/Tröndle, StGB, 38., neubearb. Aufl. 1978, § 142 Rdnr. 29. 3 So w o h l die überwiegende Ansicht, vgl. Cramer i n : Schönke/Schröder, StGB, 19. Aufl. 1978, § 142 Rdnr. 23; Dreher/Tröndle (FN 2) — jeweils m. w. Nachw. 4 Deren Dauer k a n n allerdings recht unterschiedlich sein, vgl. O L G Stuttgart, N J W 1978, S. 1445 f.; O L G Düsseldorf, D A R 1977, S. 245 f.; B a y O b L G NJW 1970, S. 717 f. (zu § 142 a. F.); Cramer (FN 3), § 142 Rdnr. 30. 5 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) v o m 9. Dezember 1976 (BGBl. I, S. 3317). 6 Ausführlich hierzu die Kommentare zum AGB-Gesetz, etwa Dittmann/ Stahl, AGB-Gesetz, 1977; Koch/Stübing, AGB-Gesetz, 1977; Ulmer/Brandner/
Einleitung kungen dieser A r t verursachen keine dem formellen Recht vergleichbaren Interessenverstöße. Sie korrigieren lediglich die Schranken privatautonomer Rechtsgestaltungsbefugnis, indem sie die Belange einzelner gegeneinander abwägen und mißbräuchliches Ausnützen zu verhindern suchen. — Ebensowenig liefert das Gebiet der leistungsgewährenden Verwaltung instruktives Material für selbstbelastendes Verhalten. Abgesehen davon, daß sich — wenn überhaupt — w o h l n u r schwer ein Interessengegensatz zwischen dem Antragsteller und der Behörde feststellen ließe, schafft der tätig werdende Bürger durch die Unterbreitung des gewünschten Sachverhalts erst die erforderlichen Arbeitsgrundlagen für die begehrte Entscheidung. Da auf seine Initiative h i n konkrete Tatsachen auf ihre Ubereinstimmung mit der Rechtsordnung überprüft werden sollen, w i r d er die gerade entscheidungserheblichen Fakten der Behörde für die weitere Bearbeitung auch nicht vorenthalten dürfen 7 . Wie sollte sonst das Gesuch eines Bauwerbers oder Sozialhilfeempfängers — positiv oder negativ — beschieden werden, wenn Substantiierung nicht gefordert würde? Diese aufgeschlossene Bereitschaft zum gegenseitigen Zusammenw i r k e n ist deshalb selbstverständliche Voraussetzung, wenn für die oft komplizierte Beurteilung i n Fragen eigener Interessenverwirklichung die Tätigkeit einer staatlichen Einrichtung i n Anspruch genommen wird. I n eine oktroyierte und dennoch mit Selbstbelastungspflichten verbundene Lage bringen den Bürger hingegen Vorschriften der Z i v i l prozeß-, Konkurs- oder Abgabenordnung: Die beklagte Partei, der Vollstreckungs- und Gemeinschuldner oder der Steuerpflichtige sind nicht nur gezwungen, ein gegen sie gerichtetes Verfahren duldend über sich ergehen zu lassen, sondern darüber hinaus — unabhängig von irgendeiner ablehnenden Haltung dem amtlichen Procedere gegenüber — auch zur Herbeiführung selbstschädigender Ergebnisse durch aktive M i t w i r k u n g verpflichtet. Daß die heraus resultierende Diskrepanz zum Recht der Strafprozeßordnung durch besondere Legitimation zu belegen ist, versteht sich von selbst. Es fragt sich jedoch, ob diese möglichen Rechtfertigungsgründe Hensen, AGB-Gesetz, 2. Aufl. 1977; ferner die Kommentierung m. zahlr. Nachw. von Heinrichs/Held i n : Palandt, K o m m e n t a r zum BGB, 37. Aufl. 1978, Abschnitt AGB-Gesetz. 7 Allgemein hierzu bereits Dresbach, Die Wahrheitspflicht i m V e r w a l tungsrecht, 1958; zur M i t w i r k u n g nach § 26 Abs. 2 V w V f G vgl. Knopp, V w V f G , 1976, § 26 A n m . 5 m. Nachw.
14
Einleitung
sich nur aus den jeweiligen Verfahrensordnungen ergeben und daher auch auf diese beschränkt bleiben müssen, oder ob eine verfassungsmäßige Harmonisierung der vorhandenen Selbstbelastungsgebote unter übergeordneten Gesichtspunkten möglich ist. Dieses Problem soll i n der anschließenden Untersuchung anhand einiger Beispiele erörtert werden.
Α. Ausgangspunkt der Untersuchung: Gesetzliche Freistellung des Beschuldigten von aktiver Selbstbelaetung Zu aktiver Selbstbelastung ist der Beschuldigte i n keiner Phase des Verfahrens verpflichtet. M i t Ausnahme seiner Personalien (im Rahmen des § 111 OWiG) werden i h m weitere Auskünfte nicht abverlangt 8 , er kann die unter Umständen schwierige Sachverhaltsaufklärung i n vollem Umfang den Ermittlungsorganen überlassen. Vor allen Dingen aber ist er darauf hinzuweisen, „daß es i h m nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen . . ( § 136 Abs. 1 S. 2 1. Halbs. StPO). E i n solcher Hinweis auf die Aussagefreiheit ist i m strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durch den Ermittlungsrichter (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO), Staatsanwalt (§ 163 a Abs. 3 S. 2 i V m § 136 Abs. 1 S. 2 StPO) oder Polizeibeamten (§ 163 a Abs. 4 S. 2 i V m § 136 Abs. 1 S. 2 StPO) zu geben. I n der Hauptverhandlung gilt er jedenfalls dann als „notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens" 9 , wenn der Angeklagte sein Schweigerecht nicht kennt (vgl. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO). Als prägendes Charakteristikum kennzeichnet diese historisch gewachsene Auffassung des „nemo tenetur seipsum accusare" 10 jedes Strafverfahren. Es ist seit dem Jahre 1964 als selbstverständliche Einrichtung moderner Verfassungsstaatlichkeit nunmehr .auch i n der deutschen Strafprozeßordnung 11 — entsprechend dem englischen Vorbild 1 2 8 So nach h L ; a M Seebode, Schweigen des Beschuldigten zur Person, M D R 1970, S. 185 (186); Peters, Der neue Strafprozeß, 1975, S. 178; mindestens ein Rechtfertigungsgrund w i r d f ü r wünschenswert gehalten, w e n n sich der Beschuldigte bereits durch die Angaben zur Person belasten müßte, vgl. Bruns, H. J., Der „Verdächtige" als schweigeberechtigte Auskunftsperson u n d als selbständiger Prozeßbeteiligter neben dem Beschuldigten u n d Zeugen, i n : Festschrift f ü r E. Schmidt-Leichner zum 65. Geburtstag, 1977, S. 1 (4); vgl. i m übrigen wegen Einzelheiten der Vernehmung zur Person Kleinknecht, StPO, 33. Aufl. 1977, § 136 Rdnr. 13; Gössel, Strafverfahrensrecht, 1977, § 23 A. • B G H S t 25, S. 325; Dencker, Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht u n d Vernehmung zur Person — A n m . zu B G H M D R 1974, S. 765 ff., i n : M D R 1975, S. 359 (361). 10 Z u r geschichtlichen E n t w i c k l u n g vgl. Rogali, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 67 ff. 11 Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung u n d des Gerichtsverfassungsgesetzes v o m 19. Dezember 1964, BGBl. I , S. 921, sogen. „Strafprozeßänderungsgesetz" (StPÄG).
16
Α. Ausgangspunkt: Verzicht auf aktive Selbstbelastung
— i n klarer Fassung etabliert. Jedem Beschuldigten w i r d damit, unabhängig von der Schwere des gegen i h n bestehenden Verdachts, der flankierende Schutz des Gesetzes zuteil, sobald die Gefahr einer Selbstüberführung akut werden kann. Negative Schlüsse dürfen aus seinem Schweigen nicht gezogen werden 18 , es sei denn, er schweigt nur zu einzelnen Punkten. Dennoch ist er nicht von jeder selbstbelastenden M i t w i r k u n g verschont. I m Gegensatz zu seinem Schweigeprivileg besteht bei den gesetzlich fixierten passiven Pflichten ein solch generelles Verweigerungsrecht nicht. Hier werden dem Beschuldigten immerhin — wenn auch i n engen Grenzen — die nachteiligen Folgen -dieser Duldungspflichten zugemutet, die dem Richter oft i n bestechend genauer Weise wahrheitsgemäße Tatsachen für die Urteilsgrundlage «an die Hand geben und so beträchtlich gegen den Angeklagten ziu Buch schlagen können. So kann sich dieser einer Gegenüberstellung (z.B. zwecks Identifizierung) nach § 58 Abs. 2 StPO ebensowenig entziehen wie einer körperlichen Untersuchung zur Feststellung von Tatsachen, die für das Verfahren von Bedeutung sind (vgl. § 81 a Abs. 2 StPO) 14 . Hierbei ist nicht nur die Entnahme von Blutproben zulässig, sondern es sind auch andere körperliche Eingriffe erlaubt, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchaingszwecken vorgenommen werden, und zwar sogar ohne Einwilligung des Beschuldigten, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Unter diesen Voraussetzungen ist die Belehrung über das Aussageverweigerungsrecht i n gewisser Hinsicht einseitig. Sie betrifft nur einen 12 Vgl. hierzu die Belehrungspflicht nach den Judges' Rules unter A I I : „Sie sind nicht verpflichtet, irgendetwas zu sagen, es sei denn, Sie wünschen es; aber was Sie sagen, k a n n i n das Protokoll aufgenommen u n d als Beweis verwendet werden". 13 So die i n L i t . u n d Rspr. übereinstimmende Auffassung, vgl. etwa Kleinknecht (FN 8), §261 Rdz. 16; Henkel, Strafverfahrensrecht, 2. A u f l . 1968, S. 176 f.; Wessels, Schweigen u n d Leugnen i m Strafverfahren, JuS 1966, S. 169 (171 ff.); Stree, Schweigen des Beschuldigten i m Strafverfahren, J Z 1966, 5. 593 ff. ; Rüping, Z u r Mitwirkungspflicht des Beschuldigten u n d Angeklagten, JR 1974, S. 135 (138); B G H M D R 1966, S. 163. Das Problem braucht jedoch an dieser Stelle nicht vertieft zu werden, da sich der Beschuldigte überhaupt nicht, also auch nicht teilweise, zur Sache zu äußern braucht. 14 Sein Körper ist gemäß §§ 81, 81 a, 81 b StPO Augenscheinsobjekt, an dem die gesetzlich vorgesehenen Untersuchungsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen, vgl. Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO u n d zum GVG, 2. A u f l . 1964, §86 A n m . 5; Sax i n : Müller/Sax, Kommentar zur Strafprozeßordnung, 6. Aufl. 1966, v o r § 72 A n m . 3 a; Gössel (FN 8), § 4 I I I c; Henkel, Strafverfahrensrecht, 2. A u f l . 1968, S. 172; Kern/Roxin, Strafverfahrensrecht, 14. A u f l . 1976, §25; vgl. i m übrigen die Zusammenstellung der Zwangsmaßnahmen zur Garantie der Beweisfunktion des Beschuldigten bei Rogali (FN 10), S. 35 f. m. Nachw.
Α. Ausgangspunkt: Verzicht auf aktive Selbstbelastung Teilaspekt der Selbstbelastungsmöglichkeit und kann insofern zu unzutreffender Uberbewertung verleiten, als die Durchführung schwerwiegenderer Eingriffe (ζ. B. Liquor entnähme 15 ), denen sich der Beschuldigte stellen muß, davon nicht berührt wird. Gegen diese bestehen jedoch keine Bedenken. Möglichkeiten solcher A r t müssen i m Interesse der Wahrheitsfindung offenstehen, denn der Strafprozeß bezweckt nicht den Schutz des Beschuldigten vor irgendwelchen Sanktionen, sondern den Ausspruch über Schuld, Strafe oder sonstige Maßnahmen 16 . M i t diesem Ziel läßt sich allerdings — und -das ist entscheidend — ein lückenloses Selbstbelastungsverbot nicht vereinbaren. Jener eingeschränkte Schutz vor selbstbelastender M i t w i r k u n g hat auch i n anderen strafrechtsnahen Verfahrensordnungen seinen Niederschlag gefunden: — Der Betroffene nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz genießt dasselbe Privileg wie ein Beschuldigter. Auch er ist über die zwei i n Betracht kommenden Verteidigungsmöglichkeiten — Reden oder Schweigen — aufzuklären 17 . Der Zwang zu passiver Selbstbelastung ist allerdings weniger umfangreich. Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG sind für das Bußgeldverfahren grundsätzlich sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, „namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes" anzuwenden. Die Verfolgungsbehörde hat, soweit nichts anderes bestimmt ist, dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten (§ 46 Abs. 2 OWiG). Dennoch muß der Betroffene nicht alle nach der StPO gegenüber einem Beschuldigten möglichen, einer Selbstbelastung gleichkommenden Untersuchungshandlungen hinnehmen. Vielmehr ist nach §46 Abs. 4 OWiG der hierfür weitgehende Befugnisse eröffnende § 81 a Abs. 1 S. 2 StPO eingeschränkt auf die „Entnahme von Blutproben u n d andere geringfügige Eingriffe". Diese verminderte Selbstbelastungswirkung entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgebot, da sich das Ordnungswidrigkeitengesetz lediglich gegen Zuwiderhandlungen gegen Ordnungsvorschriften oder Verletzungen von Rechtsgütern der unteren Wertungsschicht rich15 Z u deren Zulässigkeit vgl. BVerfGE 16, S. 194 (204); Bresser, Die H i r n k a m m e r l u f t f ü l l u n g u n d ihre A n w e n d u n g gem. § 81 a StPO, N J W 1961, S. 250 ff. ; vgl. auch Kuhlmann, H i r n k a m m e r l ü f t u n g u n d Hirnarteriographie als „körperliche Eingriffe" gemäß § 81 a StPO, N J W 1976, S. 350 ff. 16 Kleinknecht (FN 8), Einl. Rdz. 2. 17 Allerdings werden a u d i v o n i h m Angaben zur Person verlangt, vgl. O L G Düsseldorf, N J W 1970, S. 1888.
2 Fischer
18
Α. Ausgangspunkt: Verzicht auf aktive Selbstbelastung tet 1 8 . Ob sie wesensmäßig etwas „anderes" oder lediglich etwas „geringeres" ist als der ähnliche Interessenverstoß nach der Strafprozeßordnung hängt von dem Verhältnis ab, i n dem Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht gesehen 184 werden. Nach der aliud-Theorie jedenfalls w i r d man diese unterschiedlichen Mitwirkungserfordernisse — ebenso wie die ihnen zugrunde liegenden Gesetze selbst — nicht i n einem maius-mmus-Verhältnis 1 9 sehen, sondern jeweils das eine als aliud 2 0 gegenüber dem anderen auffassen dürfen.
— Dem disziplinarrechtlich verfolgten Beamten sind gleichfalls die beiden Alternativen möglichen Verhaltens vor Augen zu führen umd die Wahl zwischen freiwilliger Aussage und gesetzlich zugebilligtem Schweigen zu erklären (§ 26 BDO). Die Kontroverse, die i m Zusammenhang m i t der disziplinarrechtlichen Vernehmung geführt wird, dreht sich darum, inwieweit sich der Beamte auch i m Verfahren an die i h m nach materiellem Recht obliegende Wahrheitspflicht 21 halten muß. Für die anstehende Erörterung kann diese Frage jedoch auf sich beruhen: Sie betrifft einzig und allein die Fälle, i n denen der Verfolgte von seinem Recht, die Auskunft oder Einlassung au verweigern, keinen Gebrauch macht, sondern sich zur Aussage entschließt 22 . Ob der Beamte aber zu seiner Selbstüberführung beitragen w i l l , steht i n seinem Belieben, denn eben wegen seines Schweigerechts kann er interessenwidrige Angaben vermeiden. — Dieser Weg steht i n gleicher Weise dem Soldaten offen. Die i n § 28 Abs. 4 WDO enthaltene Regelung, wonach der aussagebereite Soldat während seiner Vernehmung i n dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen hat 2 3 , zwingt i h n nicht zu selbstbelastendem Handeln, sondern bestimmt lediglich die Folgen eines freiwillig gefaßten Selbstbelastungsentschlusses. Nicht zur Disposi18
Kleinknecht (FN 8), OWiG, Vorbem. 2. Nachweise u n d Zusammenstellung der verschiedenen Ansichten bei Maurach/Zipf, Strafrecht — Allgemeiner Teil, Teilband 1, 5. Aufl. 1977, § 1 I I I B. 19 A b i . hierzu f ü r das Verhältnis O W i G - S t G B Kleinknecht (FN 18). 20 A l s solches ist die Sanktion einer Ordnungswidrigkeit, die Geldbuße, jedenfalls angesehen worden, vgl. BVerfGE 22, S. 78 (81). 21 § 55 S. 1 BBG, auch § 54 S. 2 BBG, wonach sich der Beamte so zu verhalten hat, daß er der Achtung u n d dem Vertrauen gerecht w i r d , die sein A m t erfordern. 22 B V e r w G E 46, S. 116 (120/1) m. Nachw. auf S. 121. 23 Nach § 28 Abs. 4 S. 2 W D O ist der Soldat darauf hinzuweisen, daß es i h m freistehe, sich zur Sache zu äußern oder nicht aussagen. S. 3 bestimmt: „Sagt er aus, muß er i n dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit sagen". 18a
Α. Ausgangspunkt: Verzicht auf aktive Selbstbelastung tion des Aussagenden steht allerdings auch hier die i m Rahmen des § 81 WDO zu duldende Untersuchung, deren Ergebnis die zu erwartende Entscheidung nachteilig beeinflussen kann.
Zusammenfassung Die durch obligatorische Belehrungen herausgehobene Privilegienstellung des Beschuldigten, die sich auch auf andere Verfahrensarten ausgewirkt hat (z.B. OWiG, BDO, WDO), ist auffällige Besonderheit innerhalb der Rechtsordnung. Sie garantiert durch großzügigen Verzicht auf eine wahrheitsgemäße Aussage umfassenden Schutz vor Selbstbelastung. Ausgenommen hiervon sind lediglich die dem Selbstbelastungsverbot nicht unterfallenden Duldungspflichten, durch deren erzwingbare Erfüllung i n seltenen Ausnahmefällen die i n Anspruch genommene Einlassungsfreiheit wieder ausgeglichen werden kann.
Β. Gegenbeispiele: Fälle gesetzlicher Selbstbelastung BEISPIEL 1
Die beklagte Partei im zivilprozessualen Erkenntnisverfahren (1. und 2. Buch der ZPO) Vorbemerkung: Hinter dem terminologischen Unterschied zwischen „Lasten" und „Pflichten", der bei den Mitwirkungshandlungen gemacht w i r d 2 4 , steht die jeweils besondere A r t der Durchsetzung solcher Verpflichtungen und deren Folgen i m Falle ihrer Verletzung. Für die Frage der Selbstbelastung ist er jedoch ohne Belang: — Soweit Handlungspflichten festgelegt sind, denen die Partei nicht nachkommen muß (sogen. Handlungslasten 25 ) w i r d diese i m allgemeinen auch ohne drohenden Zwang durch eigenes Interesse zum Tätigwerden veranlaßt, denn Passivität birgt häufig die Gefahr des Prozeßverlustes i n sich 26 . — I n den Fällen echter zivilprozessualer Pflichten hingegen sind selbstbelastende Auswirkungen auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die angeordnete Erfüllung nicht konkret zu erzwingen ist 2 7 . Fehlende Sanktionen können oft (durch indirekte Druckmittel ersetzt werden, deren Folgen kaum weniger einschneidend sein dürften: Bei einem Verstoß gegen die Wahrheitspflicht z.B. läßt das Gericht eine für die Partei günstige Lüge unbeachtet, es können Schadensersatzansprüche nach §826 BGB folgen und sogar eine Anklage wegen Prozeßbetrugs.
24 Vgl. hierzu die Übersicht über den Meinungsstand bei Stiirner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976, § 7 (hier insbes. zur Frage der Aufklärungs„last" oder Aufklärungs„pflicht"). 25 Allgemein hierzu Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. A u f l . 1977, § 2 I I I m i t Beisp.; Lent, Lasten u n d Pflichten i m Zivilprozeß, ZZP 67 (1954), S. 344 ff.; Gerhardt, A n m . zu B G H V I ZR 134/72, Entscheidung v o m 1. Februar 1972, Z Z P 87 (1974), S. 63 ff. 26 Rosenberg/Schwab (FN 25). 27 Beispiele etwa bei Henckel, Prozeßrecht u n d materielles Recht, 1970, S. 14ff.; Hellwig, Z u r Systematik des prozeßrechtlichen Vertrages, 1968, S. 85 ff.; Lent (FN 25).
Beispiel 1: Beklagte Partei
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I. Selbstbelastung nach § 138 Abs. 1 ZPO Der auffälligste Unterschied zur Strafprozeßordnung findet sich in § 138 Abs. 1 ZPO. Danach haben die Parteien ihre „Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß" abzugeben, auch wenn es ihren Interessen widerspricht, w e i l es erhebliche Nachteile für sie zur Folge hat. Obwohl diese Vorschrift unter der Uberschrift „Mündliche Verhandlung" steht, ist ihre Anwendung nicht auf diesen Verfahrensabschnitt beschränkt. Sie erfaßt sämtliche Verfahren der Zivilprozeßordnung (Armenrechts- und Mahnverfahren, schriftliches Verfahren, schriftliche Erklärungen, Verfahren der Zwangsvollstreckung) und verpflichtet alle Parteien (auch ihre Anwälte, Beistände oder Vertreter) gegeneinander und gegenüber dem Gericht 28 . a) Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht — gegenseitige Ergänzung prozessualer Lauterkeit Umfang und Grenzen dieser Pflichten lassen sich nicht i n jeder H i n sicht exakt auseinanderhalten, sind jedoch auch nicht vollkommen kongruent. (1 ) Vollständigkeitspflicht
— Umfang und Grenzen
Kläger wie Beklagter sind verpflichtet, sich innerhalb des Streitgegenstandes29 über tatsächliche Umstände vollständig zu erklären. Dieses Gebot bezieht sich jedoch nur auf die erheblichen Tatsachen 30 . Hier bedeutet es, daß die Partei bei der Schilderung des der Klage, einer Einrede oder Gegeneinrede zugrunde liegenden Ereignisses redlich vorgehen und nicht ausschließlich die ihr günstigen Tatsachen 31 heraussuchen, alles andere aber verschweigen darf 3 2 . Sie muß also nicht nur einzelne Tatsachen, sondern die Gesamtheit aller Tatsachen vollständig darlegen, die ihrer Ansicht nach der Richter für die Entscheidung kennen muß 3 3 . 28 Thomas/Putzo, ZPO, 10., neubearb. A u f l . 1978, §138 A n m . I 1; Stein/ Jonas, Kommentar zur ZPO, 19. A u f l . 1972, § 138 A n m . 1/1 e. 29 Hierzu v o r allem Schwab, Der Streitgegenstand i m Zivilprozeß, 1954; ferner die zahlr. Literaturnachweise bei Rosenberg! Schwab (FN 25) v o r § 96. 30 Welzel, Die Wahrheitspflicht i m Zivilprozeß, 1935, S. 7. 31 A u f Rechtsausführungen bezieht sich die Wahrheitspflicht nicht, Rosenberg/Schwab (FN 25), § 65 V I I I / 1 unter Hinweis auf B G H JR 1958, S. 106; sie w i r d allerdings dann f ü r sachgerecht erachtet, w e n n diese Ausführungen v o n einem Rechtsanwalt gemacht werden. 32 Rosenberg, Das neue Zivilprozeßrecht (nach dem Gesetz v o m 27. O k tober 1933), Z Z P 58 (1934), S. 283 (286); B G H N J W 1961, S. 826 (828). 33 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 36. A u f l . 1978, § 138 Anm. 2 A.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfìichten
Die Erfüllung einer so verstandenen Pflicht brächte freilich weitreichende Konsequenzen m i t sich: Vollständigkeit hieße ja demnach, möglichst jede — auch nur für die Gegenpartei eventuell wichtige — Tatsache vortragen zu müssen, u m sie zulasten des Aussagenden werten zu können. Eine solche Folge w i r d zwar — unabhängig von § 138 Abs. 1 ZPO — h i n u n d wieder eintreten, wenn die vom Gegner vorgetragenen Tatsachen für die Begründung des eigenen Antrags aufgegriffen werden. Hierzu sind die Kontrahenten unter bestimmten Voraussetzungen 34 auch berechtigt, w e i l das Petitum eben nicht streng einseitig — isoliert — vom Interessenstandpunkt nur einer Partei aus betrachtet wird. Eine Vollständigkeitspflicht i m Sinne einer „Prozeßführungspflicht zugunsten des Gegners" ginge über eine solche Befugnis jedoch beträchtlich hinaus 35 . Sie würde die zivilprozessuale Selbstbelastung oft gleichsetzen m i t einer Preisgabe der eigenen Absicht zur Rechtsverwirklichung, die jede Partei aus jeweils unterschiedlichen Motiven heraus u n d m i t — i n der Regel — entgegengesetzten Zielen betreibt. Von diesen gegensätzlichen Rechtspositionen bliebe allerdings bei der Forderung nach interessenwidrigem Handeln i n dem eben genannten Sinn nicht mehr viel übrig 3 8 . Die überwiegende Meinung macht sich diesen Standpunkt auch nicht zu eigen. Sie mildert die Selbstbelastungswirkung ab, indem sie einen subjektiven Maßstab anlegt: V o n der Partei, auch dem Beklagten, werden lediglich solche Erklärungen verlangt, von deren Wahrheit sie Kenntnis hat oder überzeugt ist 3 7 . Sie darf also ihr bekannte Einzelheiten der von i h r vorgetragenen tatsächlichen Vorgänge nicht unterdrücken 38 , wobei nicht jedes unvoll34
Vgl. hierzu unten 2. Eine über die Vollständigkeitspflicht hinausgehende allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der Parteien w i r d aber angenommen v o n Stürner (FN 24); vgl. dort insbes. auch die Nachweise zu der Auffassung des Vollständigkeitsgrundsatzes v o n Bruns, R., ZPO, 1968, §§ 16 I I I , 29 I i n F N 6, S. 10. 36 I n eine solche Richtung scheinen aber gerade die jüngsten Reformbestrebungen zu gehen, vgl. hierzu Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, insbes. S. 86 ff.; S. 97 ff. 37 Bernhardt, Die A u f k l ä r u n g des Sachverhalts i m Zivilprozeß, Festgabe f ü r Leo Rosenberg zum 70. Geburtstag, 1949, S. 9 (27 f.); Rosenberg (FN 32), S. 283 (286 ff.); Schönke/Kuchinke, Zivilprozeßrecht, 9. Aufl. 1969, § 4 I I ; Stein/Jonas (FN 28), §138 A n m . 1/2; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974, §19 V/2; Rosenberg/Schwab (FN 25), §65 V I I I / 3 ; Zeiss, Zivilprozeßrecht, 2. A u f l . 1976, §33 V/2; Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, 1976, §8 C / I I I / 1 c; Lent/ Jauernig, Zivilprozeßrecht, 18. Aufl. 1977, §§26 I V , 25 V I I I / 2 ; S türner (FN 24), § 3 I I ; gegen diese restriktive Auslegung aber Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, 1968, S. 272 f. 38 Beispiele hierzu bei Rosenberg/Schwab (FN 25), § 65 V I I I / 4 . 35
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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ständige Vorbringen notwendigerweise unwahr sein muß 3 9 . Dabei ist weder erforderlich, sämtliche Tatsachen vorzubringen, die nach materiellem Recht ein obsiegendes Urteil tragen, noch alle bekannten Tatsachen auf einmal dem Gericht zu unterbreiten 4 0 . Auch diese mit weniger Selbstbelastung verbundene Auslegung der Vollständigkeitsmaxime schafft dennoch für die Parteien eine dem Zeugen vergleichbare Position: Sie bedeutet für sie nichts anderes als das Gebot, „nicht von der Wahrheit abzuweichen" 41 . I m Gegensatz zum Zeugen können sie sich allerdings nicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berufen. Trotzdem ist anerkannt, daß auch sie nichts zu erklären brauchen, was ihnen ziur Unehre gereichen oder eine Strafverfolgung herbeiführen kann 4 2 . Ein solcher Schutz ist freilich unzureichend, wenn dem Richter hierbei die Möglichkeit ungünstiger Würdigung zugebilligt wird 4 3 . Ebenso selbstbelastend kann sich die Pflicht zur Vollständigkeit i m Bereich der Einreden (im Sinne der ZPO) auswirken. Da auch diese Tatsachen, die sich gegen den erhobenen Anspruch richten 44 , nicht lückenhaft sein dürfen, muß ihre Geltendmachung auch nicht immer ausschließlich vorteilhaft sein. — Nachteilige Folgen werden bei den rechtshindernden Tatsachen (solche, die verhindern, daß der Anspruch entsteht, ζ. B. Geschäftsunfähigkeit, Sittenwidrigkeit, Bösgläubigkeit) allenfalls für den Kläger i n Betracht kommen. Für den Beklagten scheiden sie i n der Regel aus, da sie bereits vor Beginn eines Rechtsstreits relevant werden und dem Kläger den Verzicht auf gerichtliche Klärung nahelegen. — Rechtsvernichtende und rechtshemmende Tatsachen (solche, die den entstandenen Anspruch beseitigen — Erfüllung, Aufrechnung, Erlaß, Rücktritt, Hinterlegung — bzw. solche, die auf einer Einrede des BGB beruhen und den Anspruch dauernd oder vorübergehend
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Zutr. v. Hippel, Wahrheitspflicht i m Zivilprozeß, 1939, S. 102 m. zahlr. Beispielen. 40 Stein/Jonas (FN 28), § 138 A n m . 1/1; Lent/ Jauernig (FN 37), § 26. 41 v. Hippel (FN 39), S. 102/3; vgl. auch B G H Z 37, S. 154 (155). 42 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (FN 33), § 138 Anm. C unter Hinweis auf L G Koblenz, M D R 1975, S. 766; zur Frage der Zumutbarkeit i n diesem Zusammenhang vgl. Peters, Ausforschungsbeweis i m Zivilprozeß, 1966, S. 84 m. Nachw. 43 Stein/Jonas (FN 28), § 446 A n m . I I (bez. der Parteivernehmung) ; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, § 446 A n m . 2 (bez. der Parteivernehmung). 44 Thomas/Putzo (FN 28), vor §253 A n m . G; Lent/ Jauernig (FN 37), §43 I V ; Lange/Köhler, B G B — Allgemeiner Teil, 16. Aufl. 1977; §15, vgl. dort auch die Zusammenstellung u n d Begriffsklärung der Einwendungen.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten hemmen 45 ) belasten den Beklagten ebenfalls nicht, i m Gegenteil: Sie w i r k e n zu seinen Gunsten, da sie i h m ein Instrument zur Abwehr eigener und zur Erzwingung gegnerischer Selbstbelastung i n die Hand geben. Er muß sich lediglich auf diese bestehenden Tatsachen berufen 48 . Denn i m Bereich der Verhandlungsmaxime kann vom Kläger grundsätzlich nicht verlangt werden, von sich aus alle eventuell wichtigen Einwendungen seines Gegners — rein vorsorglich — i n der Klageschrift aufzuführen und zu widerlegen, oder Tatsachen vorzubringen, aus denen dieser — seines Erachtens zu Unrecht — ζ. B. die Tilgung seiner Forderung schließen kann 4 7 . Das Pendel der an sich austarierten Waage der Selbstbelastungspflichten kann jedoch aus Gründen der Praktikabilität zuungunsten des Beklagten ausschlagen, und zwar selbst dann, wenn dieser seiner Behauptungslast bereits genügt hat. Als prozeßökonomischen Annex aller an i h n gestellten Anforderungen überbürdet i h m die Hechtsprechung eine weitergehende Offenlegung von Ereignissen, wenn dem außerhalb des Geschehensablaufs stehenden Kläger eine genaue Kenntnis dieser Fakten fehlt, der Beklagte sie dagegen hat u n d leicht die erforderliche Aufklärung bringen kann 4 8 . Das einzige gegengewichtige Regulativ, das selbstverursachender Interessenschädigung entgegenstehen kann, das Zumutbarkeitskriterium, bietet nur geringen Schutz; es scheidet bereits dann aus, wenn der Beklagte seine Kenntnis i n einem anderen unumgänglichen Verfahren ohnehin darlegen muß 4 9 . (2) Wahrheitspflicht
— Umfang und Grenzen
§ 138 Abs. 1 ZPO legt zusätzlich die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage fest. U m ihr nachkommen zu können, w i r d dem Beklagten nicht eine A r t antizipierte Beweisaufnahme zugemutet, sondern ebenso wie bei der Vollständigkeitspflicht eine der subjektiven Wahrheit entsprechende Einlassung abverlangt 50 . Jedoch ist auch hier die Grenze zur Selbstbelastung rasch überschritten, da kraft Gesetzes eine Lüge i m Prozeß verwehrt ist und es gerade 45 Oft ist die Folge aber auch n u r eine Zug-um-Zug-Verurteilung, vgl. §§ 273, 274 u n d 320, 321 BGB. 46 Vgl. Nachweise i n F N 44. 47 Stein/Jonas (FN 43); Welzel (FN 30), S. 16 m i t erläuternden Beispielen. 48 B G H N J W 1961, S. 826 (828); vgl. auch B G H Z 54, S. 165 (176). 49 B G H (FN 48). 50 Vgl. die Nachweise i n F N 37; ferner Thomas/Putzo (FN 28), § 138 A n m . l b ; Welzel (FN 30), S. 7; Titze, Die Wahrheitspflicht i m Zivilprozeß, Festschrift f ü r Schlegelberger zum 60. Geburtstag, 1936, S. 165 (179).
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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nicht mehr dem jeweiligen Prozeßgegner überlassen bleibt, gegen vorgebrachte Unwahrheiten m i t adäquaten M i t t e l n anzugehen. Diese durch den eigenen Tatsachenvortrag erleichterte Rechtsdurchsetzung w i r k t sich jedoch de facto weniger stark selbstbelastend aus als man zunächst annehmen möchte. Der Grund hierfür besteht darin, daß sich der Aussagende nicht i m mer an dieses Postulat der subjektiven Wahrhaftigkeit halten kann. Dies ist etwa bei Tatumständen der Fall, die sich i n der Außenwelt abgespielt haben und nicht erkennbar waren (Vorsatz, Wille, Kausalverlauf), aber auch dann, wenn infolge mangelnder Kenntnis ζ. B. über den Bestand einer wiederkehrenden Leistung eine exakte — subjektiv richtige — Tatsachenangabe nicht möglich ist 5 1 . Weil aber deswegen die Erfüllung der Wahrheitspflicht nicht zu einem wirklichkeitsfremden prozessualen Hemmschuh werden soll, andererseits aber überspannte Selbstbelastung ebenso wenig zweckdienlich erscheint, ist auch hier ein Kompromiß gefunden worden: Geforderte Selbstbelastung w i r d auf ein M i n i m u m reduziert, Unredlichkeit aber vermieden, indem es keiner Partei verwehrt ist, dem anzuwendenden Recht entsprechende Voraussetzungen zu behaupten bzw. i m Vortrag des Gegners zu bestreiten. Das darf auch geschehen, wenn bestimmte Umstände lediglich „ f ü r möglich" oder für „wahrscheinlich" gehalten werden, „Zweifel" darüber bestehen oder nur „gewisse Vermutungen" gehegt werden 5 2 . Diese prozessuale Handlungsfreiheit, die sich bis an die Grenze der W i l l k ü r , der objektiven Unrichtigkeit oder des Rechtsmißbrauchs vorschiebt, muß allerdings i m Einzelfall hinter der Selbstbelastungspflicht zurücktreten. Nach der Rechtsprechung berechtigt nicht jedes selbstbelastende Ansinnen des Prozeßgegners zur Weigerung 58 , unter Umständen w i r d es durch entsprechende M i t w i r k u n g erst ermöglicht. So kann sich der Beklagte nicht dagegen wenden, daß sich der Kläger sein zu seinem Sachvortrag i n Widerspruch stehendes Vorbringen zu eigen macht 54 . E i n solches Aufgreifen ist jedenfalls erlaubt, solange dem Gericht keine bewußt unwahren Tatsachen unterbreitet werden 55 . Deshalb liegt auch keine Verletzung der Wahrheitspflicht vor, wenn der Kläger, 51
Beispiele bei Rosenberg! Schwab (FN 25), § 65 V I I I / 4 . I n w i e w e i t Abstufungen i n diesem Bereich möglich sind u n d mitgeteilt werden können vgl. die Auseinandersetzung bei ν . Hippel (FN 39), S. 91 ff. m i t anschaulichen Beispielen; Lent (FN 25), S. 40 ff. 53 B G H Z 54, S. 165 (176); Baumbach/Lauterbach/ Alber s/ Hartmann (FN 33), § 138 A n m . C. 54 B G H M D R 1969, S. 995 (BGH, Urt. v. 14. 7.1969 — V ZR 145/66 [Hamburg]). 55 Diese bleiben aber dann unbeachtet, w e n n f ü r das Gericht die objektive Unrichtigkeit feststeht, vgl. B G H Z 19, S. 387 (LS — bez. des Hilfsvorbringens). 52
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
so sein Hauptvorbringen nicht beweisbar ist, seine Klage hilfsweise auf das Vorbringen des Beklagten stützt, von dessen Wahrheit er nicht überzeugt ist 5 6 . Zusammenfassung Durch den allgemeinen Grundsatz der Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht ist der Beklagte i n gleicher Weise belastet wie der Kläger. Der Selbstbelastungseffekt ist insoweit grundsätzlich ausgewogen, kann jedoch i n Ausnahmesituationen zuungunsten des Beklagten wirken. b) Ausschluß „fakultativen Selbstbelastungszwangs" § 138 Abs. 1 ZPO beinhaltet zwingende Pflichten. Die durch ihre Erfüllung bedingten selbstbelastenden Ergebnisse sind nicht i n das Belieben der Betroffenen gestellt, ein alternativer Ausweg steht ihnen nach der ZPO nicht offen. Eine unredliche Partei w i r d freilich immer M i t t e l und Wege finden, u m sich lästiger Pflichterfüllung zu entziehen. Das kann auf verschiedene Weise geschehen: — Verhältnismäßig einfach scheint sich die Wahrheitspflicht umgehen zu lassen, indem die Partei die Gutgläubigkeit ihres Rechtsanwalts ausnützt. Für diesen entfällt jedenfalls die Pflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO, wenn er sich m i t der Offenbarung des wahren Sachverhalts i n Widerspruch zu früheren eigenen Behauptungen seines Mandanten setzen und diesen dadurch der Unwahrheit — und damit eines versuchten Prozeßbetrugs — bezichtigen müßte 57 . — Daß § 290 ZPO i n einem gewissen „Spannungsverhältnis" 58 zu § 138 Abs. 1 ZPO steht, ist nicht zu leugnen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann eine Partei ihr Geständnis nur widerrufen, wenn es unwahr ist und durch einen I r r t u m veranlaßt war (§ 290 S. 1 ZPO). Soweit diese Voraussetzungen nicht vorliegen, ist die Wirksamkeit des abgegebenen Geständnisses streitig 5 9 . Für die Frage der Selbstbelastung ist dieser Meinungs56
B G H Z 19, S. 387 ff. B G H N J W 1952, S. 1148; davon abgesehen gilt jedoch auch f ü r einen A n w a l t die Wahrheitspflicht; über die Folgen bei Verletzung dieser Pflicht vgl. Rosenberg/Schwab (FN 25), § 65 V I I I / 8 m. Nachw. 58 Baumbach/Lauterbach/HartmannlAlbers (FN 33), § 290 A n m . A . 59 Die Wirksamkeit eines bewußt unwahren „Geständnisses" w i r d ζ. B. anerkannt von Rosenberg/ Schwab (FN 25), § 117 I I f . ; Blomeyer, Zivilprozeßrecht — Erkenntnisverfahren, 1963, § 30 V I I 1 c; a M sind etwa Wieczorek, Großkommentar zur ZPO u n d zum GVG, 2. Aufl. 1976, §290 A n m . A I b 2; Baumbach/Lauterbachl Alber s/ Hartmann, (FN 33), v o r §288 A n m . 3; soweit ein solches Geständnis zugunsten des Gegners w i r k t , soll der Erklärende aber an seine Erklärung gebunden bleiben, vgl. B G H Z 37, S. 154; Schultze, Der Streit u m die Übertragung der Beweisaufnahme auf den beauftragten Richter, N J W 1977, S. 409 (412). 57
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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streit allerdings unerheblich: Die redliche Partei w i r d i n § 290 ZPO ohnehin nicht ein Instrument sehen, m i t Hilfe dessen sie interessenverletzende Selbstschädigung vermeiden kann. Der unlautere Prozeßgegner allerdings mag durch ausgeklügelte „Geständnisse" momentanen prozessualen Nachteilen entgehen (was i n der Praxis ja nicht unterschätzt werden darf). Er muß jedoch stets m i t privatu n d strafrechtlichen Konsequenzen seines mißbilligten Verhaltens rechnen, die ihn gleichsam als „Selbstbelastung per Fernwirkung" über den ursprünglich rein prozeßrechtlichen Bereich hinaus einholen und zur Rechenschaft ziehen können. Eine völlig risikolose Alternative zur Selbstbelastung stellt § 290 auch i n diesem Fall nicht dar. Die Rechtsprechung 60 geht sogar noch einen Schritt weiter. Sie sieht die Bedeutung dieser Vorschrift nicht i n einer neutralisierenden, sondern i n einer druckmittelähnlichen Funktion gegenüber § 138 Abs. 1 ZPO: § 290 verhindere nicht gebotene Selbstbelastung durch den Kunstgriff unwiderruflicher „Geständnisse", sondern sichere zusätzlich die Durchsetzbarkeit und Einhaltung des auf Wahrheit lautenden Gesetzesbefehls. I n dieser ergänzenden Eigenschaft als Sanktion unlauterer Absichten verfolge er zugleich jenen „erzieherischen Zweck" 6 1 , der fehlenden Gesetzeszwang wirksam ersetzen könne. Ob sich dieses angestrebte Ziel immer erreichen läßt, kann freilich zweifelhaft sein 62 . — Nicht i m Gegensatz zur Wahrheitspflicht steht die Verhandlungsmaxime 6 3 . Als Korrelat zur materiellrechtlichen Freiheit der Rechtsausübung ist die Beibringung des Prozeßstoffes (weitgehend) i n die Hände der Parteien gelegt 64 . Sie entscheiden also darüber, welche Tatsachen dem Gericht unterbreitet und der späteren Entscheidung zugrunde gelegt werden. Diese Möglichkeit, auf die Wahl des vorzutragenden Materials Einfluß nehmen zu können, ist aber lediglich Folge, nicht Inhalt des Beibringungsgrundsatzes. Denn dieser bestimmt, wer 60
B G H N J W 1952, S. 1148 f. B G H (FN 60). 62 Skeptisch gegenüber dieser Auffassung vor allem Bernhardt, Wahrheitspflicht und Geständnis i m Zivilprozeß, JZ 1963, S. 245 ff. 63 Diese Prozeßmaxime w i r d auch als „Prinzip der formellen oder objekt i v e n Wahrheit" oder als „Beibringungsgrundsatz" bezeichnet; allg. hierzu statt vieler Zettel, Der Beibringungsgrundsatz — seine S t r u k t u r und Geltung i m deutschen Zivilprozeßrecht, 1977; Rosenberg/ Schwab (FN 25), § 78. 64 Thomas/Putzo (FN 28), Einleitung 1/1 a unter Hinweis auf Grunsky (§ 3). 81
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten den Prozeßstoff vorzutragen hat, nicht wie dabei zu verfahren ist®5. Er bezieht sich somit auf die Adressaten der Selbstbelastungspflidit, nicht auf den Umfang des interessenwidrigen Handelns selbst. Dies gilt unabhängig von dem Verhältnis, i n dem Wahrheitsgebot und Beibringungsgrundsatz gesehen werden. Selbst wenn man der Ansicht nicht folgt, wonach durch § 138 Abs. 1 ZPO diese Prozeßmaxime eingeschränkt w i r d 6 6 , hat das keine Auswirkungen auf die Wahrheitspflicht selbst; sie vermindert sich dadurch nicht. Unter Umständen kann die m i t ihr verbundene Selbstbelastung sogar größer werden, so man § 138 Abs. 1 als Rechtsgrundlage einer allgemeinen Aufklärungspflicht der Gegenpartei ansieht 97 , die einsetzt, wenn die beibringungspflichtige Partei zur Angabe der Sachverhaltstatsachen nicht mehr i n der Lage ist. Geht nunmehr die Aufklärungspflicht auf den Gegner über 6 8 , führt für diesen kein Weg mehr an der Selbstbelastung vorbei.
Ergebnis: Die durch § 138 Abs. 1 aufgestellten Handlungspflichten selbstbelastender A r t können grundsätzlich nicht durch andere verfahrenstragende Grundsätze beseitigt oder i n ihrer Bedeutung herabgemindert werden, es sei denn, durch eine unredliche Partei. Die Beibringungsmaxime und §290 ZPO (Widerruf eines abgegebenen Geständnisses) lassen die Selbstbelastungswirkungen i n ihrem weitreichenden U m f ang unberührt: Erstere bezeichnet u.a. die Adressaten, die den Prozeßstoff i n den Rechtsstreit einführen müssen, letzterer steht — jedenfalls nach der Rechtsprechung — nicht i m Widerspruch zu § 138 Abs. 1 ZPO, sondern hebt durch seinen sanktionsähnlichen Charakter die ohnehin nicht zu unterschätzende Bedeutung der Wahrheitspflicht i n noch stärkerem Maße hervor. c) Besondere Fälle der Wahrheitspflicht § 138 Abs. 1 ZPO ist i n seiner mehr allgemein gehaltenen Fassung nicht das einzige Selbstbelastungsgebot dieser A r t innerhalb der ZPO. I m Rahmen des Beweisverfahrens ist die Pflicht zu selbstbelastendem Vorgehen i n noch größerem Maße vorgesehen. Trotzdem ist auch hier den Adressaten die Möglichkeit versagt, ihre M i t w i r k u n g verweigern zu können. So wenig i n diesem Zusammenhang die Durchführung des 65
WelzeH FN 30), S . l l . Stein/Jonas (FN 43), v o r § 128 A n m . V I I 1 f. m i t Nachw. 67 So Bruns, R. (FN 35); vgl. auch die weiteren Nachweise zur K o n t r o verse u m diese Ansicht bei Stürner, (FN 35). 68 I n diesem Sinne Bruns, R. (FN 67). 66
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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Urkundenbeweises interessenwidriges Handeln verlangt 68 *, so starke Akzente setzen die Grundsätze der Beweisvereitelung oder -erschwerung und die gesetzlichen Regelungen über die Parteivernehmung. Namentlich i n diesen Fällen werden Auskunftspflichten festgelegt, deren gewissenhafte Erfüllung einer selbstschädigenden Preisgabe eigener Interessen gleichkommt. (1 ) Beweisvereitelung
oder -erschwerung
Eine deutliche Steigerung der Selbstbelastung bringen die einschneidenden Grundsätze der Beweisvereitelung oder -erschwerung. Diese Regelungen sind i m Gesetz nirgends ausdrücklich festgelegt, sie haben sich i n der Rechtsprechung und zivilprozessualen Literatur 8 9 herausgebildet, wobei teilweise die Rechtsgedanken der §§427, 441 Abs. 3, 444, 446 und/oder 453 Abs. 1 herangezogen werden. Selbstbelastende Nachteile treten demnach i n zweifacher Hinsicht auf: — Z u m einen kann das Gericht gewisse ungünstige Schlußfolgerungen aus dem Verhalten des Gegners der beweisbelasteten Partei ziehen, so dieser die Benutzung eines wesentlichen Beweismittels arglistig oder fahrlässig vereitelt 7 0 . — A u f der anderen Seite hat dies gleichzeitig f ü r den Beweisgegner zur Folge, daß er, der schuldhaft der beweisbelasteten Partei die Beweisführung unmöglich macht, sich nicht durch Berufung auf die den anderen treffende Beweislast verteidigen darf 7 1 . Fälle, i n denen ein die Urteilsfindung blockierendes non liquet durch unterstützende M i t w i r k u n g des Gegners nach diesen Regelungen 72 beseitigt worden ist, sind keinesfalls seltene Ausnahmen 78 . Ihre streitente®* Es müssen solche U r k u n d e n überlassen werden, die dem Gegner nach materiellem Recht herauszugeben oder vorzulegen sind oder auf die die Partei selbst Bezug genommen hat, vgl. §§ 422, 423 ZPO. 69 Grundlegend hierzu Peters, Beweisvereitelung u n d Mitwirkungspflicht des Gegners, Z Z P 82 (1969), S. 200 ff.; Schneider, Die Beweisvereitelung, M D R 1969, S. 4 ff. ; Gerhardt, Beweisvereitelung i m Zivilprozeß, A c P 169 (1969), S. 289 ff., jeweils m i t Beispielen u n d w . Nachw. 70 B G H VersR 1968, S. 58; Thomas/Putzo (FN 28), § 286 A n m . 5. 71 Gerhardt, (FN 69), S. 289 m. Nachw. 72 Die anzuwendenden Sanktionen sind umstritten, f ü r den Selbstbelastungseffekt aber ohne Belang: Es w i r d zum T e i l eine echte U m k e h r der Beweislast angenommen ( B G H VersR 1975, S. 952; O L G Hamburg, M D R 1968, S. 322 m. Nachw.), eine Lösung über den Rechtssatz des „venire contra factum p r o p r i u m " vertreten (Schneider [ F N 69]; Gerhardt [ F N 69], Peters [ F N 69]), oder es w i r d das Ganze als Frage der Beweiswürdigung u n d damit als Problem des § 286 ZPO gesehen (Thomas/Putzo [ F N 28], § 286 A n m . 5). 73 Beispiele hierzu bei Thomas/Putzo ( F N 28), §286 A n m . 5; Beweisschwierigkeiten liegen vor, w e n n z.B. der Beklagte die n u r i h m bekannte Adresse eines Unfallzeugen nicht angibt ( B G H N J W 1960, S. 821), der (be-
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfìichten
scheidenden Lösungen legen eindrucksvoll Zeugnis ab von der harten Belastungsprobe, der die Redlichkeit des Beklagten unterzogen werden kann. Dieser muß ja immerhin — über die subjektiv wahre Einlassung hinaus — dem i n Beweisschwierigkeiten befindlichen Gegner m i t Tatsachen· und Beweismaterial aus eigener Kenntnis aushelfen und i h m auf diese Weise oft den Weg zum Prozeßsieg ebnen. Der Preis eigener Verurteilung, der dem Verlierer dadurch zugemutet wird, verwischt das B i l d zweier i n Streit befindlicher Kontrahenten, das gerade charakterisches Kennzeichen des Zivilprozesses ist. Während es den Parteien trotz § 138 Abs. 1 ZPO grundsätzlich unbenommen bleibt, die Durchsetzung ihres Anspruchs vom eigenen Interessenstandpunkt aus zu betreiben, ist ihnen i m Beweisverfahren dieses Recht offensichtlich genommen. Das an sie gerichtete Vollständigkeitsgebot scheint als eine A r t „Pflicht zur allgemeinen Aufklärung" 7 4 fortzuwirken, wenn ein Prozeßbeteiligter das Anliegen seines Gegners fördern muß. Erzwungene Selbstbelastung erweist sich damit als prozessuales Bindeglied zwischen dem Kläger und dem Beklagten, vielleicht läßt sie sich sogar als Ersatz einer nicht zustande gekommenen gütlichen Einigung auffassen. (2) Parteivernehmung Für den Beklagten 75 , der unter bestimmten Voraussetzungen auch Beweisperson i n eigener Sache sein kann (vgl. §§ 450 ff.), ist diese zusätzliche Verfahrensrolle i n der Regel auch m i t einer besonderen Selbstbelastung verbunden 76 . Von ihrem Umfang her geht sie nur insofern klagte) A r z t Röntgenaufnahmen, auf die sich der Patient zu Beweiszwecken beruft, nicht vorlegt ( B G H N J W 1963, S. 398/9) oder gebotene Eintragungen i n ein K r a n k e n b l a t t unterlassen hat ( B G H N J W 1972, S. 1520), der Rechtsanwalt i m Rechtsstreit seines Mandanten gegen i h n trotz Aufforderung seine Handakten nicht vorlegt (OLG K ö l n M D R 1968, S. 674), der Gegner des Beweisführers die Wahrheitsfindung durch ungerechtfertigte Ausnutzung des Bankgeheimnisses vereitelt ( B G H N J W 1967, S. 2012), er pflichtwidrig Gelder nicht i n getrennten Kassen aufbewahrt hat (RGZ 87, S. 440), bei einem K a u f nach Probe die bestimmte Ware nicht mehr vorweisen k a n n (BGHZ 6, S. 224) oder k e i n Bestandsverzeichnis über genau bezeichnete Gegenstände angefertigt hat (BGHZ 3, S. 176). Folgen einer Beweisvereitelung sind selbst dann verhängt worden, w e n n nicht der Beweisgegner, sondern dessen Rechtsvorgänger die vereitelnde oder erschwerende Maßnahme vorgenommen hat (RGZ 101, S. 197 — Zurechnung des Verhaltens des Erblassers gegenüber dem Erben). 74 E t w a i m Sinne von Stürner (FN 24). 75 Ebenso f ü r den Kläger, vgl. §445 Abs. 1, §447 ZPO; diese F o r m der Beweiserhebung ist durch die Novelle v o m 27. Oktober 1933 an die Stelle des Parteieides getreten, dessen Leistung bzw. Nichtleistung feste Beweisk r a f t hatte. 76 §§446, 453 werden z . T . als allgem. Rechtsgedanken f ü r die Beweisvereitelung bzw. -erschwerung aufgefaßt, vgl. oben 1.
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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nicht allzu weit, als der Aussagende i m Falle seiner Auskunftsbereitschaft 77 keine anderen — ergänzenden — Beweismittel dem Gericht unterbreiten bzw. die Folgen für ein entsprechendes Unterlassen tragen muß. Obwohl eine Aussage nicht erzwungen werden kann 7 8 , gewährt diese freiwillige Form der M i t w i r k u n g keinen der Strafprozeßordnung vergleichbaren Schutz vor aktiver Selbstbelastung. Unter Umständen w i r d sie sogar zu einer hiervon deutlich zu unterscheidenden Selbstbelasiungspflicht, wenn nämlich der nicht vernehmungsbereite Prozeßgegner die Gründe seiner Weigerung vorbringt und das Gericht diese — so nicht verständige Gesichtspunkte angegeben werden — zu seinen Lasten wertet 7 9 . Die nicht unerhebliche K r i t i k , die i m Schrifttum 8 0 gegen die Geeignetheit der Parteivernehmung als Beweismittel vorgebracht wird, bietet allerdings für verminderte Selbstbelastung keinerlei A n satzpunkte. Wenn wegen des unterschiedlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits mit Recht die Objektivität der jeweils aussagenden Partei i n Zweifel gezogen und deswegen als Ausweg die obligatorische Vernehmung beider Parteien vorgeschlagen wird 8 1 , so tendiert dies eher zu einer Ausdehnung als zu einer Einengung der Selbstbelastungspflichten: I n einem solchen Verfahren muß, wenn der wahre Sachverhalt zuverlässiger herausgefunden werden soll, jeder Prozeßgegner — nicht nur einer — zugunsten des anderen eigene Interessen zurückstellen. Diese Skepsis, die der gegenwärtigen Form der Parteivernehmung entgegengebracht w i r d und Anlaß für Änderungsvorschläge ist, kommt jedoch bis zu einem gewissen Grad bereits i m Gesetz zum Ausdruck: Es unterstellt sie ohnehin dem Grundsatz der Subsidiarität 82 . Parteivernehmung als ultima ratio mag einen Kompromiß zwischen berechtigten Parteiinteressen und notwendiger Wahrheitsfindung schaffen, löst aber das Problem selbstbelastender M i t w i r k u n g nicht. Sie läßt allenfalls deren zwangsläufige Folgen zeitlich später eintreten, was freilich i n der Praxis oft vorteilhaft sein kann. Letzten Endes w i r d aber auch dann das ergehende — negative — Urteil durch eigene Angaben vorbereitet. 77
Z u r Wahrheitspflicht vgl. B G H Z 8, S. 235 (238). Es besteht n u r eine Last, die jedoch f ü r öffentliche Beamte entfällt, soweit sie zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet u n d nicht davon befreit sind, vgl. Rosenberg/Schwab (FN 25), § 125 1/4. 79 Vgl. die Nachweise i n F N 43; ferner Thomas/Putzo (FN 28), A n m . zu §446. 80 Rosenberg/Schwab (FN 25), § 125 II/6. 81 Vgl. den Nachweis i n F N 80. 82 Wieczorek (FN 59), §445 A n m . B ; Stein/Jonas (FN 43), §445 A n m . I V ; Rosenberg (FN 32), S. 318; ferner Krencker, Die Wahrheitspflicht der Parteien i m deutschen u n d österreichischen Zivilprozeß, 1935, S. 70. 78
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
Ergebnis: Der Weg zu einem kontradiktorischen U r t e i l stellt sich oft als Ergebnis einer durch Selbstbelastung erzwungenen „Einigung" zwischen den Parteien dar. Die Pflicht zu selbstschädigendem Handeln geht i n dieser Verfahrensphase der Beweiserhebung soweit, daß dem Beklagten durch eigene Aussagen bzw. Hinweise oder die Benennung gegen i h n gerichteter Beweismittel die unmittelbare Herbeiführung der zu seinen Ungunsten ergehenden Entscheidung auferlegt ist. Wenn das Gericht aus den mitgeteilten Gründen nachteilige Schlußfolgerungen ziehen kann, so macht das den Schutz vor Selbstbelastung, der i n der freigestellten M i t w i r k u n g zum Ausdruck kommt, allerdings weitgehend illusorisch. Zusammenfassung Die i n § 138 Abs. 1 ZPO enthaltene Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht, die für beide Parteien gleichermaßen gilt, kann zu einer gefährlichen Selbstbelastungsverpflichtung werden. Besonders innerhalb des Beweisverfahrens, i n dem sich unter bestimmten Voraussetzungen ein Aufklärungsgebot zugunsten des Prozeßgegners herleiten läßt, kann Redlichkeit i m Prozeß zugleich eine „Prozeßführungspflicht" zu dessen Vorteil beinhalten. Π . Legitimation der zivilprozessualen Selbstbelastung Vergleich mit der Strafprozeßordnung Die Selbstbelastungspflichten nach der Zivilprozeßordnung könnten beruhen — auf einer moralischen Pflicht zur Wahrheit; — auf einer generell schwächeren Beeinträchtigung, die ein zivilgerichtliches Urteil i m Gegensatz zum strafprozessualen Ausspruch m i t sich bringt; — auf dem öffentlichen Interesse am Funktionieren der Rechtspflege; — auf der Verwirklichung eines Teils des Prozeßrisikos; — auf dem Prozeßrechtsverhältnis. Die Auseinandersetzung m i t diesen i n Betracht kommenden Rechtfertigungsgründen soll Aufschluß darüber bringen, ob sich praktikable Möglichkeiten für eine Annäherung der divergierenden Rechtspositionen ergeben. a) Moralische Pflicht Die Wahrheits- u n d Vollständigkeitspflicht und deren Konkretisierungen i m Beweisverfahren könnten auf moralischer Grundlage ihre
Beispiel 1: Beklagte Partei
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Rechtfertigung finden 83 . I n diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob die Norm befolgt wird, w e i l der Normadressat aus seiner inneren Einstellung heraus ihre Geltung bejaht oder w e i l i h n lediglich die NormSanktion zu entsprechendem Handeln veranlaßt 84 . Vielmehr könnte sich die Legitimation einer Selbstbelastung i m Prozeßrecht gewissermaßen als notwendige Fortsetzung, als verfahrensmäßiges „ H i n überwirken" von grundlegenden Gedanken materiellrechtlicher Normen darstellen, auf die sich letztlich jedes Petitum gründet. So sind die §§ 138, 242 oder 826 BGB nichts anderes als formulierte Grundsätze einer Rechts(— und Sozial —)moral 8 5 , die dem Handelnden eine Grenze der i h m sonst zustehenden Privatautonomie setzen. Solche Norminhalte würden jedoch ihrem Zweck nicht hinreichend gerecht werden können, wenn sie lediglich ein „Basis-"Rechtsgebiet markieren, i m prozessualen Bereich aber einem völlig anderen Rechtsdenken weichen müßten. Insbesondere die den genannten Generalklauseln verschiedentlich zuerkannte Funktion als „offene Einbruchsteilen des i m Grundgesetz verkörperten Wertsystems" 86 berechtigen zu der Annahme, daß die Gedanken einer Rechtsmoral auch auf dem Gebiet der formellen Rechtsdurchsetzung anwendbar sind 8 7 . Die §§ 138 Abs. 1, 445 ff. ZPO u n d die Regeln über die Beweisvereitelung oder -erschwerung erscheinen damit als Konkretisierung dieses materiellrechtlich vorgeprägten Moralpostulats, das durch die herausfordernden Selbstbelastungsbefehle der umfassenden prozessualen Lauterkeitspflichten zusätzlich aufgewertet wird. E i n auf diese Weise i n das formelle Recht integriertes Moralattribut muß jedoch als unvollständig empfunden werden, wenn es nicht alle 83 V o r E i n f ü h r u n g der Wahrheitspflicht w a r nach h L eine solche zwar weder als prozessuale, publizistische noch als privatrechtliche anerkannt, Bernhardt (FN 62), S. 246; jedoch ist auf eine sittliche Pflicht, die Wahrheit zu sagen, hingewiesen worden, so Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Z i v i l prozeßrechts, 3. A u f l . 1931, S. 194; f ü r Jhering w a r der Prozeß ein „ K a m p f ums Recht" (so der T i t e l seiner 1872 erschienenen Abhandlung), ein Gebot „moralischer Selbsterhaltung". 84 Z u dieser Unterscheidung vgl. Zippelius, Das Wesen des Rechts, 4. Aufl. 1974, II/7. 85 Schricker, Gesetzesverletzung u n d Sittenverstoß, 1970, S. 197 (bez. § 138 B G B ) ; Larenz, B G B — Allgemeiner Teil, 4. A u f l . 1977, §22 I I I a; Soergel/ Hefermehl, K o m m e n t a r zum BGB, 10. A u f l . 1967, Bd. I, §138 Rdz. 2; Heinrichs i n : Palandt, K o m m e n t a r z u m BGB, 37. A u f l . 1978, § 242 A n m . 1, § 138 A n m . 1. 86 BVerfGE 7, S. 198 (206); 24, S. 300 (351); B G H N J W 1972, S. 1414; f ü r unmittelbare W i r k u n g der Grundrechte dagegen Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, 1960, S. 285 ff.; Enneccerus/Nipperdey, Bürgerliches Recht, 1959, § 15 I I / 4 ; B A G E 1, S. 185 (193); 3, S. 243; 13, S. 168 (174). 87 Daß der Grundsatz v o n T r e u u n d Glauben (§ 242 BGB) auch i m V e r fahrensrecht, besonders i m Zivilprozeßrecht gilt, ist anerkannt: RGZ 159, S. 190; B G H Z 20, S. 198 (206); 31, S. 77 (83); 40, S. 197 (203); 43, S. 289 (292).
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
Rechtsgebiete gleichermaßen erfaßt und sich allein wegen eines Funktionswechsels der betroffenen Prozeßsubjekte nicht mehr entfalten kann. W i r d dem Beklagten eine nicht unerhebliche M i t w i r k u n g bei der erfolgreichen Justizgewährung seines Gegners zugemutet, so ist schwer verständlich, warum diese maßgebenden Moralprinzipien ihn i n einer durch eine andere Prozeßordnung bedingten Verfahrensrolle nicht mehr erreichen sollen. W i r d Moral damit zu einer frei wählbaren Verpflichtung, deren selbstbelastende Auswirkungen sich der Einzelne bis zu einem gewissen Grade sogar durch beliebige Disposition der jeweiligen M i t t e l zur Rechtsverwirklichung unterwerfen kann? Diese dubiose Autorität des verschiedene Rechtsmaterien umspannenden Moral-Terminus bestätigt die Strafprozeßordnung. Deren Vorschriften schützen gerade denjenigen vor einer selbstüberführenden Aussage, der sich nicht gegen die Durchsetzung privater Rechte stellt, sondern sich gegen den V o r w u r f rechtsbrechenden Verhaltens verteidigen soll. Dieses unbefriedigende Ergebnis ließe sich allerdings m i t Hilfe eines anderen Verständnisses des auf moralischen Pflichten basierenden Wirkungsbereiches divergenzverringernd korrigieren. Man kann sicherlich Zweifel haben, ob ζ. B. die M i t w i r k u n g an der Beweisführung des Gegners primär von moralischen Gesichtspunkten getragen ist. Fraglich ist dies vor allen Dingen, wenn der Beklagte seine M i t w i r k u n g wegen fehlender materiellrechtlicher Grundlage versagt 88 oder seine fehlende Bereitschaft zur Parteivernehmung durch die Angabe der Weigerungsgründe belegen muß 8 9 . I n solchen Fällen liegt der Schluß nahe, daß i n der Erfüllung (dieser Pflichten weniger ein überzeugtes Bekenntnis zur Moral liegt, sondern daß dies nur geschieht, weil kein anderer — weniger einschneidender — Ausweg offensteht. Aber selbst wenn man deswegen eine Einschränkung der Selbstüberführungspflichten eines Beklagten i n Erwägung zieht, steht immer noch der von jeder selbstbelastenden Redepflicht entbundene Beschuldigte deutlich besser. Warum aber sollte gerade er nicht gleichfalls aus moralischen Gründen aussagen müssen? Die Eigenart des Strafverfahrens steht nicht von vorneherein entgegen: A l l e i n die Tatsache, daß strafrechtliche Verdachtsmomente gegen i h n sprechen, befreien i h n sicherlich von Grundsätzen einer Rechtsmoral nicht, i m Gegenteil: I m Falle seiner erwiesenen Schuld treffen ihn ja gerade Sanktionen, weil er sich über das Recht hinweggesetzt, seine 88 Auch i n einem solchen F a l l ist durch m i t w i r k e n d e Unterstützung die den Gegner treffende Beweisschwierigkeit zu beheben, vgl. Nachw. bei Peters (FN 69), S. 207 f. 89 Vgl. oben I c 2.
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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Normen als nicht für i h n verbindlich angesehen hat. Eine — zunächst generelle — Forderung nach einer Auskunftspfiicht des Beschuldigten wäre, so betrachtet, ein erster Schritt zur Verwirklichung dieser notwendigen Anerkennung des Rechts durch ihn — ein Ziel, dessen Erreichung gerade heute überall, nicht zuletzt i m Strafvollzug, wichtige Voraussetzung einer erstrebten „Resozialisierung" 90 ist. Nun sind allerdings bedeutende Unterschiede zwischen Beschuldigtem und Partei i m Zivilprozeß nicht zu verkennen. Daß sich die Stellung des Beschuldigten nicht nur nach geltendem Recht zum Teil erheblich von der einer Partei i m Zivilprozeß unterscheidet, würde vor allen Dingen i m Falle einer Redepilicht i m Strafprozeß deutlich werden. Eine Wahrheitspflicht wäre für den Beschuldigten nichts anderes als eine Geständnispflicht, die für i h n — so er schuldig ist — eine mehr oder weniger einschneidende strafrechtliche Verurteilung nach sich zieht. Wenn eine solche m i t Sicherheit zu einer Freiheitsentziehung führt, so w i r d durch die Freistellung von der Aussagepflicht eben dem Interesse auf Integrität, dem jeden Menschen eigenen natürlichen Selbsterhaltungstrieb, Vorrang vor rechtsmoralischen Grundsätzen beigemessen. Schon dagegen bestehen aber nicht unerhebliche Bedenken. Gerade dem schweren Rechtsbrecher, den höhere Freiheitsstrafen erwarten, müßte doch eigentlich auch ein „Mehr" an moralischer Wiedergutmachung, also auch ein „Mehr" an Wahrheit zugemutet werden dürfen. Selbst wenn aber dem nemo-tenetur-Prinzip dann absoluter Vorrang vor moralischen Verpflichtungen zukommen sollte, wenn (schwere) Freiheitsstrafen drohen, so ist doch zweifelhaft, ob sich dies auch dann noch rechtfertigen läßt, wenn lediglich Vermögensverhältnisse des Verfolgten angetastet werden, etwa bei einer Geldstrafe, die bei Bagatelldelikten gering ausfallen kann oder bei einer unerheblichen Geldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz. Rechtfertigt man nämlich die Wahrheitspflicht i m Zivilprozeß „moralisch", dann werden offensichtlich vergleichbare Kategorien ohne ersichtlichen Grund unterschiedlich behandelt. Vor dem Strafrichter w i r d die Angst des Beschuldigten vor einem ebenfalls nur materiellen Nachteil ( = Strafe) privilegiert, vor dem Zivilrichter nicht. Das erinnert an eine A r t von „doppelter Moral" — gegenüber dem Strafanspruch des Staates soll eine andere Moral gelten als angesichts des drohenden materiellen Schadens. 90
Z u r Resozialisierung vgl. Blei, Strafrecht I, 17. Aufl. 1977, §100 I I ; Baumann, Strafrecht, A l l g . Teü, 8. Aufl. 1977, §§8 13, 38 I I 3 a, 44 I I 3, 45 I 2; Preisendanz, StGB, 30. Aufl. 1978, S. 46 A n m . 1 c, §56 A n m . 1 m i t Nachw.; Maelicke, Entlassung u n d Resozialisierung, 1977; vgl. ferner aus der neueren Rspr. des B V e r f G E 35, S. 202 (235); 36, S. 174 (188).
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
M i t moralischer Verpflichtung allein läßt sich also der Unterschied zwischen Straf- und Zivilprozeß hier nicht legitimieren. b) Zivilgerichtliches Urteü — generell geringere Beeinträchtigung? Man könnte das Unwerturteil des Strafrechts — i m Gegensatz zur zivilprozessualen Verurteilung — stets als größere Beschwer auffassen, der durch ein „vorbeugendes" Schweigerecht begegnet werden müßte. Jedoch trifft dies nicht uneingeschränkt zu. — Strafausspruch wie Buße gehen i n der Regel — nicht anders als Z i v i l u r t e i l und Vollstreckung — ohne besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vor sich, es sei denn, es handelt sich u m sogen. Sensationsprozesse. Von minder schweren Delikten und deren Folgen nimmt hingegen kaum jemand Notiz 9 1 . — Auch muß der Täter nicht immer damit rechnen, daß wegen der Verurteilung zugleich der Stab über i h n gebrochen wird. Es ist denkbar, daß nicht nur die Strafhöhe auf K r i t i k stößt, sondern die Strafe überhaupt als unangemessene, vielleicht längst überholte (nicht mehr „zeitgemäße") Reaktion 9 2 empfunden wird. Vom Rechtsbrecher zum „Opfer der Gesellschaft" ist dann nur ein kleiner Schritt. — Auch m i t der Auferlegung der Strafe w i r d der Verurteilte nicht stets für alle Zeit aus dem Kreis der Gemeinschaft ausgeschlossen. Zwar erwartet man m i t der Sühne 9 3 eine Leistung des Täters. Gleichzeitig aber sieht man darin auch ein Versprechen der Gesellschaft an ihn, daß er durch die Strafverbüßung m i t ihr versöhnt wird 9 4 . Beispiele für eine solche Versöhnungsbereitschaft gibt es, mögen sie auch nicht allzu häufig sein. Trotz einer Strafe verliert nicht jeder sofort seinen Arbeitsplatz, zuweilen werden sogar 91 Z u den Sitzungen des Strafrichters am Amtsgericht finden sich i n der Regel k a u m Zuhörer ein; die örtliche Presse berichtet allenfalls n u r kurz, w e n n eine Verhandlung v o r dem Schöffengericht stattgefunden hat. 92 Erinnert sei hierbei an die Begründungen f ü r eine Liberalisierung des Sexualstrafrechts, vgl. hierzu die zahlreichen Nachweise bei Dreher/Tröndle (FN 2), Vorbem. vor § 174, insbes. Rdnr. 3. 93 Über den Begriff der „Sühne" herrscht keine Einigkeit. E r w i r d jedenfalls nicht stets m i t dem der „Strafe" gleichgesetzt, vgl. einerseits B G H G A 1955, S. 211 — hier ist v o n „Sühnung" die Rede, andererseits B G H D A R 63, S. 169 — dort findet sich der Hinweis auf die „Sühnebedürftigkeit der T a t " ; vgl. hierzu insbes. Bruns, H. J., Strafzumessungsrecht, 2. A u f l . 1974, S. 201, 231 ff. 94 Koffka i n : StGB, Leipziger Kommentar, 9. Aufl. 1974, Vorbem. §13, Rdnr. 4, unter Hinweis auf Baumann, (Zum E n t w u r f eines StGB, M D R 1963, S. 802 [803]) u n d Arthur Kaufmann, (Dogmatische u n d kriminalpolitische Aspekte des Schuldgedankens i m Strafrecht, J Z 1967, S. 553 [556 ff.]).
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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Schwerbestraften Chancen eingeräumt, sich i n einem neuen Beruf zu bewähren. — Darüber hinaus ist nicht jede Strafe auch unauslöschliche Brandmarkung, die der Bestrafte zeit seines Lebens m i t sich herumtragen muß. Auch er kann unter bestimmten Voraussetzungen darüber hinweggehen, daß er m i t dem Gesetz i n Konflikt geraten ist: § 51 Abs. 1 BZRG gibt i h m die Möglichkeit, sich als unbestraft zu bezeichnen, wenn die Verurteilung nicht i n das Führungszeugnis oder nur i n ein Führungszeugnis nach § 30 Abs. 3, 4 aufzunehmen oder zu tilgen ist. Damit hat die Strafe als ein i h m stets nachhängendes Übel ihre W i r kung verloren 95 . Gerechtfertigt könnte die generell schwerere Belastung durch jede Strafe gegenüber auch dem größten i m Zivilprozeß drohenden Verlust dadurch sein, daß der Staat das Unwerturteil des Strafrechts zulässiger Weise stets zum „größeren Übel" erklärt und deshalb hier die Wahrheitspflicht nicht eingreifen läßt. Doch auch dagegen bestehen schwerwiegende Zweifel. Einerseits trifft es gar nicht zu, daß i m Zivilprozeß keine moralisch gravierenden, i n der Gemeinschaft diskriminierenden Unwerturteile gefällt werden. A n Beispielen hierfür mangelt es nicht: — Verlorene Prozesse wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) 9 6 oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§242 BGB) 9 7 sind auch nach Ansicht der am Geschäfts95 Eine gewisse Einschränkung bringt i n diesem Zusammenhang § 51 Abs. 2 BZRG. Dort ist bestimmt, daß der Verurteilte gegenüber Gerichten oder Behörden, so diese ein Recht auf unbeschränkte A u s k u n f t haben, keine Rechte aus Abs. 1 Nr. 2 herleiten kann, falls er hierüber belehrt wird. 96 z . B . Wucher-Fälle ( B G H W P M 1971, S. 857 — 40 % Zinsen; L G N ü r n berg, B B 1973, S. 777 — Werklohn, der das dreifache des Üblichen u n d A n gemessenen beträgt; B G H N J W 1966, S. 1451 — Unerfahrenheit des bewucherten Jugendlichen), Knebelungsverträge (BGHZ 19, 18 — Finanzierung zu Bedingungen, die dem Schuldner jegliche Freiheit f ü r wirtschaftl. u n d k a u f männischen Entschluß nehmen, B G H Z 44, S. 158 — Übertragung aller Gesellschafterrechte auf Lebenszeit auf sogen. „Treuhänder", auf die der Gesellschafter keinen Einfluß hat; RGZ 72, S. 183 — Verzicht auf Unpfändbarkeit nach §811 Nr. 1 ZPO); Ausnutzen einer Macht — oder Monopolstellung (BGHZ 19, S. 94 — Existenzgefährdende Standgelderhöhung durch Gemeinde), w. Bsp. bei Heinrichs i n : Palandt (FN 6) i n d. Anm. zu § 138 BGB. 97 E t w a i m Falle unzulässiger Rechtsausübung vgl. ζ. B. B A G D B 1972, S. 1443, B A G E 3, S. 77 — unzul. Geltendmachung des Urlaubsanspruchs, w e n n der Arbeitnehmer mehr Urlaubstage vergütet verlangt, als er i m Urlaubsj a h r gearbeitet hat; RGZ 60, S. 296 — Berufung auf vertragl. Aufrechnungsverbot verstößt gegen § 242 BGB, w e n n Gegenforderung auf vorsätzl. unerl. Handlung beruht; B G H Z 44, S. 367 — Erbe, unter dessen M i t w i r k u n g ein geschäftsunfähiger Erblasser ein Grundstück verkauft hat, verstößt gegen § 242 BGB, w e n n er sich auf die Nichtigkeit des Vertrages beruft.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten leben Beteiligten oft unüberbrückbare Hindernisse für neu entgegenzubringendes Vertrauen, das unverzichtbares Element gegenseitiger Rechtsbeziehungen ist.
— Ein als unlauterer Wettbewerb erkanntes Verhalten 9 8 , das den vorgegebenen Regeln eines ehrbaren Kaufmanns widerspricht, ist oft geeignet, einen gesamten Berufsstand i n Mißkredit zu bringen 9 9 . — Besonders die Folgen von Ehe- und Kindschaftsprozessen können zu spürbar abwertender Beurteilung i n den Augen anderer führen. Der „Makel" der Scheidung oder Unehelichkeit, den mancher m i t sich tragen muß, kann auch heute trotz aller Gleichberechtigungsgebote bzw. Gleichstellungsversuche des Gesetzgebers 100 nicht beseit i g t werden und erschwert häufig das Leben i n der Gemeinschaft. Zum anderen n i m m t das Gewicht des moralischen Unwerturteils i m Strafrecht i m Zuge der Entkriminalisierung 1 0 1 laufend ab 102 , wie die seit 1952 stark zunehmende Umwandlung bloßer Ordnungsverstöße von bisher kriminellen Handlungen i n Ordnungswidrigkeiten beweist 1 0 3 . I m übrigen: Könnte nicht gerade bei einer strafrechtlichen Verurteilung ein bleibender Makel abgemildert werden, wenn i n geeigneten Fällen eine Wahrheitspflicht des Beschuldigten als Ausfluß eines ihn treffenden rechtsmoralischen Grundsatzes aufgestellt würde? Strafrechtliche Erwägungen schließen das nicht aus: Nach § 46 Abs. 2 StGB ist für die ausschlaggebenden Gesichtspunkte der Strafzumessung u. a. auch das Verhalten des Täters nach der Tat 1 0 4 , also besonders das Verhalten i n seinem Prozeß, wichtig. Geständnis und 98 E t w a bei unzul. Boykott aus Wettbewerbsgründen (vgl. §§ 25 fï. GWB), Preisunterbietung zum Zwecke des Vernichtungswettbewerbs (OLG H a m m D B 1969, S. 1505) oder bei preisgebundenen Marktwaren, w e n n sie auf G r u n d der Ausnutzung eines Vertragsbruches geschieht u n d w e n n das Preisbindungssystem lückenlos durchgeführt ist ( B G H N J W 1964, S. 917), i n Fällen irreführender Werbung (ζ. B. „med." als Bestandteil der Warenbezeichnung — BGH, B B 1969, S. 890) u n d dergl. mehr. 99 So etwa die Absicherung der M ä k l e r gegen ungünstige gesetzl. Bestimmungen durch hiervon abweichende Klauseln i n Einzel- oder Formularverträgen. 100 Vgl. ζ. B. das NichtehelG v. 19. 8.1969 (in K r a f t seit 1. 7.1970), das das Unterhaltsrecht zwischen ehelichen u n d nichtehelichen K i n d e r n angeglichen hat u n d i m Erbrecht die nichtehelichen K i n d e r wirtschaftlich den ehelichen gleichgestellt hat. 101 Z u r Herauslösung des Verwaltungsstrafrechts aus dem K r i m i n a l s t r a f recht vgl. Maurach/Zipf, Strafrecht — A l l g . Teil, Teilband 1, 1977, § 1 I I I A . 102 Der entscheidende Durchbruch gelang m i t dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) V. 25. 3. 52 (BGBl. I, S. 177). 103 Der Bereich dieses Gesetzes ist jedoch seitdem ständig gewachsen, vgl. hierzu den Überblick über die Entwicklung bei Göhler, Das neue Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, J Z 1968, S. 583 f. 104 V g L § 46 StGB; eingehend Bruns (FN 93), S. 595 ff.
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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Leugnen geben bis zu einem gewissen Grad Aufschluß über die innere Bereitschaft des Angeklagten, das Recht zu akzeptieren oder sich i h m zu widersetzen. Es liegt also sogar ein gewisser Widerspruch darin, wenn das Gesetz dem Rechtsbrecher einerseits eine gewisse „Wahrheitsprämie" aussetzt, ihn andererseits aber durch das Recht, nicht aussagen zu müssen dazu verführt, diese Prämie nicht i n Anspruch zu nehmen. Erst recht unbefriedigend ist diese geltende Lösung angesichts der Tatsache, daß ein Zivilprozeß als Vorfrage für einen Strafprozeß Bedeutung gewinnt (§262 StPO) 105 . Wenn i m vorangegangenen zivilprozessualen Verfahren durch selbstbelastende M i t w i r k u n g gleichzeitig die Grundlage für eine anschließende strafprozessuale Verurteilung geschaffen werden muß (ζ. B. Klärung der Eigentumsverhältnisse für die Frage einer Unterschlagung gem. § 246 StGB), ist die nunmehr zugebilligte Aussagefreiheit kein Gewinn, auf sie kann meist verzichtet werden. Der Beschuldigte jedoch w i r d den Eindruck haben, daß er als unverdächtiger Beklagter einer schärferen Selbstbelastung ausgesetzt ist als i n seiner Funktion eines angeklagten Prozeßsubjekts, obwohl die zu erwartende Strafe keine größere Beeinträchtigung bedeutet als die zivilrechtlich anerkannte Verpflichtung. Diese Diskrepanz, die § 262 Abs. 1 StPO noch deutlich hervortreten läßt, relativiert überdies ebenfalls das Argument von der generell schwereren Belastung durch das strafgerichtliche Erkenntnis. c) öffentliches Interesse am „Funktionieren der Rechtspflege"? Die aus der Wahrheitspflicht resultierenden Selbstbelastungspflichten können der Forderung nach einem beschleunigten Verfahrensablauf entspringen. Konzentrationsbestrebungen dieser A r t sind der Z i v i l prozeßordnung nicht fremd und haben erst jüngst i n der Vereinfachungsnovelle 106 ihren Ausdruck gefunden. Die Frage nach zügigerer Aufklärung kann aber nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität gestellt werden. „ F u n k tionieren der Rechtspflege" könnte Selbstbelastung nur rechtfertigen, 105 Nach § 262 Abs. 1 StPO entscheidet das Strafgericht, so die Strafbarkeit einer Handlung von der Beurteilung eines bürgerlichen Rechtsverhältnisses abhängt, auch über dieses nach den f ü r das Verfahren u n d den Beweis i n Strafsachen geltenden Vorschriften. Allerdings ist das Gericht befugt, die Untersuchung auszusetzen u n d einem der Beteiligten zur Erhebung der Z i v i l klage eine Frist zu bestimmen oder das U r t e i l des Zivilgerichts abzuwarten (§ 262 Abs. 2 StPO). ιοβ Durch die Vereinfachungsnovelle v. 3.12.1976 sind durch zahlreiche gesetzliche Vorschriften die Möglichkeiten f ü r einen beschleunigten Verfahrensablauf geschaffen worden, vgl. die Zusammenstellung der Einzelheiten bei Rosenberg! Schwab (FN 25), § 84 I I .
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
wenn ohne solche Pflichten ein Mißbrauch des staatlichen Rechtspflegemonopols 107 zu befürchten wäre. A u f seiner Grundlage 1 0 8 w i r d nicht nur über streitige private Ansprüche entschieden, sondern es werden auch die M i t t e l eingesetzt, u m die festgestellten Rechte — wenn notwendig zwangsweise — zu realisieren. I n dieser i h m eigenen Funktion der Bewahrung des Rechtsfriedens muß aber sichergestellt sein, daß zum einen der Justizanspruch 109 nicht w i l l k ü r l i c h i n Anspruch genommen wird, und zum anderen die Feststellung der Wahrheit eben nicht „zufälliges Resultat" 1 1 0 des Prozesses ist. Zur Verwirklichung dieser Ziele können nicht zuletzt die Selbstbelastungspflichten beitragen. Sie bieten i n gewisser Hinsicht die Gewähr zur Ausschaltung unlauterer Intentionen, die die Gerichte zum Spielball von Parteiinteressen machen und zur Durchsetzung betrügerischer Absichten unter dem Deckmantel von Recht und Gerechtigkeit anrufen. Aus diesen Motiven heraus hat sich schließlich der Gesetzgeber zur Aufnahme der Wahrheitspflicht i n die ZPO entschlossen und damit gleichzeitig die Grundlage der Selbstbelastung geschaffen. I n dem Vorspruch zur „Novelle zur Deutschen Zivilprozeßordnung" 1 1 1 sind diese maßgebenden Gedanken zum Ausdruck gebracht: „Die Parteien und ihre Vertreter müssen sich bewußt sein, daß die Rechtspflege nicht nur ihnen, sondern zugleich und vornehmlich der Rechtssicherheit des Volksganzen dient. Keiner Partei kann es gestattet werden, das Gericht durch Unwahrheiten irrezuführen oder seine Arbeitskraft durch böswillige oder nach107 V o n einem solchen Gedanken eines „freien Kräftespiels der Parteien", des „laissez faire — laissez aller" w a r die individualistische Prozeßauffassung der ZPO von 1877 maßgeblich geprägt. Je geschickter eine Partei taktierte, umso größer w a r ihre Aussicht, den Prozeß zu gewinnen, vgl. hierzu Wach, Vorträge über die Reichscivilprozeßordnung, 1. A u f l . 1879 (insbes. S. 40); Biilow, Civilprozessualische Fiktionen u n d Wahrheiten, A c P 62 (1879), S. 73 (85). 108 A l l g . über die Bedeutung dieser Rechtsschutzgewährung etwa Gaul, Z u r Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses, A c P 168 (1968), S. 27 (insbes. S. 59); Arcus, Prozeßrecht u n d materielles Recht, A c P 173 (1973), S. 250 (insbes. S. 254 ff.); Grunsky (FN 37), S. 10 f.; Jauernig, Materielles Recht u n d Prozeßrecht, JuS 1971, S. 329 ff. 109 Dieser ist als subjektives öffentliches Recht auf richterliche Entscheidung anerkannt, vgl. Stein/Jonas (FN 43), Einl. E 1/2; Rosenberg/Schwab (FN 25), § 3 I ; Zöller/Degenhardt, ZPO, 11. Aufl. 1974, E I I I / l ; Stürner (FN 24), § 5 I I . 110 So aber Wach (FN 107), S. 149. 111 V o m 27. Oktober 1933 (RGBl. I, S. 1780); näher hierzu Dölle, Pflicht zur redlichen Prozeßführung? Festschrift f ü r O. Riese aus Anlaß seines 70. Geburtstages 1964, S. 279 (bes. 289); Wassermann (FN 36), I I I , S. 49 ff.; Damrau, Die E n t w i c k l u n g einzelner Prozeßmaximen seit der Reichszivilprozeßordnung v o n 1877, 1975, S. 351 ff.; Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime i m deutschen Zivilprozeß, 1971, S. 273 ff.
Beispiel 1: Beklagte Partei
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lässige Prozeßverschleppung zu mißbrauchen. Dem Rechtsschutz, auf den jeder Anspruch hat, entspricht die Pflicht, durch redliche und sorgfältige Prozeßführung dem Richter die Findung des Rechts zu erleichtern." 1 1 2 Wenn auf diese Weise dem öffentlichen Interesse an staatlicher Rechtsgewährung der Vorrang vor überspannten Individualinteressen eingeräumt und damit von vorneherein einem richterlich unterstützten „Selbsthilfesystem durch Lüge" der Boden entzogen ist, hat das zwangsläufig zur Folge, daß die Partei ihr verfolgtes Interesse auf den Teil reduzieren muß, der m i t der Rechtsordnung i n Einklang zu bringen ist. Denn nur i n diesem Umfang kann ihr das Recht zur Seite stehen und ein Vorgehen gegen andere billigen. Freilich w i r d eine solche Interessenverkürzung, wie sie durch § 138 Abs. 1 ZPO und dessen Konkretisierungen gefordert wird, nicht immer v o l l akzeptiert werden: Obwohl das U r t e i l m i t der Rechtsordnung übereinstimmt, w i r d der Verlierer nicht selten einen Gerechtigkeitsverstoß darin erblicken, nicht aber eine anzuerkennende gerechte Entscheidung, die jedoch gerade Voraussetzung einer funktionierenden Rechtspflege ist. Aus rechtlicher Sicht ist dies allerdings unbeachtlich. Eine solche Rechtfertigung von Selbstbelastungspflichten aus der Notwendigkeit eines mißbrauchsfreien Funktionierens des staatlichen Zwangsmonopols mag also an sich möglich sein — doch ist auch bei einem Strafverfahren ein solches Interesse der Allgemeinheit nicht zu leugnen 113 . Es fehlt aber an einer dem § 138 Abs. 1 ZPO entsprechenden Vorschrift. Dennoch: Das Strafprozeßrecht w i l l nicht nur sicherstellen, daß die Gerichte irgendwie effizient tätig werden, sondern daß sie zu einer sachlich richtigen — „gerechten" — Entscheidung 114 kommen, regelmäßig also zur Verurteilung Schuldiger. 112
RGBl. I (FN 111); Dölle (FN 111), S. 289. Schmidhäuser, Z u r Frage nach dem Ziel des Strafprozesses, i n : Festschrift f ü r Eb. Schmidt zum 70. Geburtstag, 1961, S. 511 ff., er sieht das Ziel des Strafverfahrens i n der Schaffung des Rechtsfriedens; Lampe, Die Durchbrechung der materiellen Rechtskraft bei Strafurteilen, G A 1968, S. 32 (48 ff.) i n der Herstellung der Rechtssicherheit, der Rechtskraft; dagegen Schmidt, Eb., StPO (FN 14), Bd. I , Einl. A n m . 20; ders., Materielle Rechtskraft — materielle Gerechtigkeit, J Z 1968, S. 681 (683); ferner Löwe/Rosenberg, StPO, 23. Aufl. 1976, Einl. Kap. 6 / I I I ; das „öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung i m Strafprozeß" u n d „die A u f k l ä r u n g schwerer Straftaten" als „wesentlicher A u f t r a g eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens" w i r d hevorgehoben i n BVerfGE 34, S. 238 (248); BVerfG N J W 1975, S. 103 (104). 114 Daß der Gerechtigkeit n u r durch eine funktionstüchtige Rechtspflege zum Durchbruch verholfen werden kann, hat das BVerfG anerkannt, vgl. N J W 1972, S. 2214 (2216) = E 33, S. 367 ff. 118
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfìichten
I m Zivilprozeß w i r d nun, wie oben (vgl. a) dargelegt, das Bestreben der Rechtspflege nach gerechter Entscheidung offenbar weitaus höher bewertet als i m Strafprozeß, denn hier nimmt die Rechtsordnung in Kauf, daß es zu einer strafrechtlichen Verurteilung mangels Einlassung des Beschuldigten nicht kommt. Besonders i n den Fällen, i n denen der Einsatz staatlicher Ermittlungsorgane keine ausreichende Kompensation gesetzlichen Selbstbelastungsverzichts sind, w i r d sich diese differenzierende Auffassung von Gerechtigkeit mit Recht nur schwer m i t dem gleichmäßigen öffentlichen Interesse i n Einklang bringen lassen. Müßte das Staatswesen nicht gerade beim Strafprozeß mehr verlangen als i m Zivilprozeß, weil Gerechtigkeit und Wahrheit beim staatlichen Strafanspruch weitaus schwerer wiegen als dort, wo es sich u m die Entscheidung einer ausschließlich privaten Angelegenheit handelt? Eine solche, dem geltenden Recht genau entgegengesetzte Lösung bewertet das Individualinteresse nicht von vorneherein über, sondern stimmt das Maß der Selbstbelastung mit der zu erwartenden Sanktion ab. Gleichzeitig unterstreicht sie auch die verfassungsrechtlich vorgegebene Gleichrangigkeit der einzelnen Zweige judikativer Gewalt 1 1 5 , die das B i l d von der Einheit der Rechtsordnung maßgeblich prägen. Dies sollte nicht durch ungleichgewichtig verteilte Selbstbelastungspflichten verschwommene Konturen bekommen. Übrigens versucht auch die Strafprozeßordnung — eben w e i l das kein Funktionieren der Rechtspflege ist — zu vermeiden, daß unrichtige Urteile ergehen. Das geschieht dadurch, daß sie den Beschuldigten trotz seines Schweigerechts nicht von den oft wesentlich schwerwiegenderen Duldungspflichten befreit 1 1 6 . Wenigstens hier stimmt die Strafprozeßordnung mit dem Recht der Zivilprozeßordnung überein, denn auch diese läßt durch § 372 a (Pflicht zur Duldung der Abstammungsuntersuchung für jedermann 117) eine weitreichende Möglichkeit 1 1 8 zur Sach115 BVerfGE 26, S. 163 (165); 26, S. 101 (104); 12, S. 326 (333, 337). 118
Diese dürfen — i m Gegensatz zum aktiven T u n — erzwungen werden, vgl. Schmidt, Eb., Z u r Lehre v o n den strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, N J W 1962, S. 664 (665). Dabei ist jedoch nicht zu verkennen, daß die Ergebnisse dieser Pflichterfüllung weitaus exakter sein können als die auf G r u n d aktiver M i t w i r k u n g : Bei einer zwangsweise entnommenen Blutprobe ζ. B. läßt sich der Blutalkoholgehalt genau ermitteln, beim f r e i w i l l i g auf sich genommenen Alco-Test jedoch nicht. 117 § 372 a ZPO ist also nicht n u r auf die Prozeßbeteiligten beschränkt, bedeutet aber f ü r die (Gegen-)Partei eine besondere F o r m der Selbstbelastung, da die Duldungspflicht nicht selten m i t Offenlegungspflichten verbunden ist; über E i n w i r k u n g e n auf das Persönlichkeitsrecht vgl. Stürner (FN 24), §13. 118 Ausführlich hierzu Stürner (FN 117), m. zahlr. Nachweisen; starke K r i t i k gegen diese Untersuchungsmöglichkeiten ist von Sautier (AcP 161 [1962], S. 215 ff.) geübt worden, der sich i n seinem Beitrag zugleich m i t der Verfassungsmäßigkeit des § 81 a StPO auseinandersetzt; eine Diskussion ist durch diese Untersuchung allerdings nicht entfacht worden.
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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Verhaltsaufklärung zu, die sich praktisch auf wesentlich rigorosere A r t als bei der Durchsetzung aktiver M i t w i r k u n g über bestehende Interessenkollision hinwegsetzt. Diese Erzwingung der Passivität bedeutet häufig, vor allem bei geringfügigen Straftaten, einen unverhältnismäßig schweren Eingriff als eine letztlich auf das gleiche Ergebnis hinauslaufende Redepflicht 119 . Auch aus diesem Grund wäre es wohl besser, einen Umweg über Duldungspflichten zu vermeiden und dadurch den Nachweis einer einheitlich funktionierenden Rechtspflege zu erbringen, daß der Beschuldigte durch ein Redegebot m i t i m wesentlichen «gleichen Sanktionen rechnen muß wie der Beklagte i m Zivilprozeß. d) Teil des Prozeßrisikos Der prozeßrechtliche Selbstbelastungszwang könnte m i t dem Gedanken des Prozeßrisikos legitimiert werden. Dieses Risiko, das letzten Endes auf die Frage der Kostentragungspflicht 120 hinausläuft, darf, so könnte man sagen, nicht allzu groß sein. Deshalb seien zu seiner besseren Kalkulierbarkeit 1 2 1 selbstbelastende Wahrheitspflichten erforderlich. Es w i r d dadurch jeder Partei klar vor Augen geführt, unter welchen Voraussetzungen sie Anspruch auf Rechtsschutz hat und inwieweit sie Erfolg erwarten kann. I m Stadium der Sachverhaltsklärung entscheidet sich, ob auf Grund der anzugebenden Tatsachen ein obsiegendes Urteil erreicht bzw. verhindert werden kann. Wenn eine Partei deshalb zur Wahrheit verpflichtet ist und m i t der Erfüllung dieser Pflicht durch die Gegenseite rechnen muß, so kann sie bereits von Anfang an die Folgen besser abschätzen, die durch einen Rechtsstreit auf sie zukommen werden. Die Wahrheitspflicht kann also dogmatisch i n der Tat als Teil des Prozeßrisikos gerechtfertigt werden. Die abwägenden Überlegungen, die deswegen bezüglich der Erfolgsaussichten eines Verfahrens angestellt werden müssen, sind aber nicht zwangsläufig auf die Zivilpro119 I n welchem Umfang zugestandene Passivität rechtens ist (vgl. Nachw. i n F N 14) w i r d hierbei nicht einheitlich beantwortet. So w i r d die Meinung vertreten, daß über § 81 a auch „notwendige Begleithandlungen" erlaubt seien (Öffnen des Mundes, Herausstrecken der Zunge o. ä.), vgl. Sax (FN 14), § 81 a, A n m . 2; Müller, Der Sachverständige i m gerichtlichen Verfahren, 1973, S. 290; Reitberger, Der Beschuldigte als Beweismittel, K r i m i n a l i s t i k 1968, S. 349 (350). Eine solche Auffassung verwischt jedoch die Grenze zur aktiven Beweisgewinnungsmaßnahme, da zuverlässige Unterscheidungskriterien nicht mehr vorhanden sind; gegen diese Grenzziehung auch Rogali (FN 10), S. 56. 120 Rosenberg/Schwab (FN 25), §§ 86, 87. 121 I n diesem Zusammenhang w i r d auch von einer „Risikozuweisung" an die Parteien gesprochen, die auf die Substantiierungslast u n d die Beweisführungslast zurückgeführt u n d als Notlösung f ü r Unaufklärbarkeit herangezogen w i r d , vgl. Nachw. u n d Stellungnahme bei Stürner (FN 24), § 7 I I , 2 II/III.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
zeßordnung beschränkt. Auch der Beschuldigte trägt ein Risiko ähnlicher A r t . Dieses unterscheidet sich auch nicht i n jedem Fall von dem der Partei so auffällig, als daß es durch einen gesetzlichen Verzicht auf aktive Selbstbelastung ausgeglichen werden müßte. Die einem Beschuldigten eingeräumte Verteidigung durch Schweigen gewährt i h m übrigens bereits zum zweiten Male eine Herabsetzung des Prozeßrisikos, das dem Beklagten nicht i n dem Maße zukommt: Diesem w i r d immerhin zugemutet, das zu seinen Gunsten sprechende Material beizubringen. Dies muß er ohne staatliche Intervention, allein auf Grund seiner finanziellen und persönlichen Fähigkeiten auffinden und dem Richter vorlegen. Von einer solchen Pflicht, durch deren Erfüllung das Prozeßrisiko maßgeblich beeinflußt wird, ist der Beschuldigte freigestellt. Zwar muß auch er, so er schuldig ist, m i t seiner Verurteilung rechnen; jedoch kann er abwarten, ob auf Grund der Arbeit der Ermittlungsbehörden und des Gerichts der Nachweis seiner Täterschaft erbracht werden kann. Da diese staatlichen Nachforschungen kraft Gesetzes sowohl zugunsten als auch zulasten des Verdächtigen durchgeführt werden müssen (§ 160 Abs. 2 StPO) 122 , w i r d auf diese Weise dem Gericht eine ausgewogene Stoffsammlung unterbreitet, durch die bereits der Gefahr unrichtiger Verurteilung weitgehend begegnet wird. Diese von der Zuverlässigkeit des Gegners Staat abhängige Verringerung des Prozeßrisikos könnte damit legitimiert werden, daß der Staat von sich aus an den Beschuldigten herantritt 1 2 3 und diesen zur Verantwortung ziehen w i l l . Unter diesem Gesichtspunkt zeigen sich jedoch keine Unterschiede zum Beklagten, denn auch i h m w i r d eine Verfahrensrolle überbürdet, die er freiwillig nicht auf sich genommen hätte. Wenn dennoch für das staatsanwaltschaftliche Inquisitionsrecht das Schweigeprivileg als Ausgleich gewährt wird, das sogar noch zugunsten des Beschuldigten w i r k t , so ist jedenfalls zweifelhaft, ob ein unterschiedsloser Verzicht auf selbstbelastende Aussagen i m Strafprozeßrecht stets notwendig ist. Wenn von der Rechtsfolge her die Auswirkungen des Urteils zweier Verfahren nicht oder nur unwesentlich verschieden sind, erscheint ein weiterer Schutz vor der Gefahr einer Prozeßrisikoerhöhung, der dem Beklagten i n vergleichbarer Situation versagt ist, auch für einen Be122
A l l e i n diese Ermittlungspflicht hinsichtlich aller be- und entlastenden Umstände entspricht der Stellung der Staatsanwaltschaft als ein zur Gerechtigkeit u n d O b j e k t i v i t ä t verpflichtetes Rechtspflege- u n d Justizorgan, Nachw. bei Kleinknecht (FN 8), § 160 Rdnr. 7. 123 Löwe/Rosenberg (FN 113), Einl. Kap. 6/Anm. 2; Schmidt, Eb. (FN 14), Kap. 1, A n m . A I I ; Kleinknecht (FN 8), Einl. Rdz. 2 m. Nachw.; Kern/Roxin (FN 14), § 1 Β .
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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schuldigten nicht mehr notwendig. Gerade die auf Objektivität beruhenden Ergebnisse, die i h m mitzuteilen u n d zu denen i h m rechtliches Gehör zu gewähren ist 1 2 4 , macht i h m eine realistische Einschätzimg seiner verbleibenden Chancen oft leichter möglich als dies bei einem Beklagten der Fall ist, so daß i h m auch i m Falle einer Redepflicht ein unvertretbares „Mehr" an übernommenem Risiko nicht abverlangt würde. Ein u m eine aktive Selbstbelastung vermindertes Prozeßrisiko erscheint aus diesem Grund für den Beschuldigten, jedenfalls bei weniger schwerwiegendem Verdacht, als unverdiente Bevorzugung. e) Chancengleiches Prozeßrechtsverhältnis Die Selbstbelastungspflichten des Zivilprozesses lassen sich schließlich als Element des Prozeßrechtsverhältnisses 125 auffassen, das sich aus den zahlreichen Rechtsbeziehungen der Parteien untereinander und gegenüber dem Gericht zusammensetzt 126 . Obwohl diesem konstruktiven Gefüge nicht mehr die einstige Bedeutung zuerkannt w i r d 1 2 7 , ist es anschauliches Beispiel für das Konglomerat der den äußeren Verfahrensablauf bestimmenden Normen. Deren Schwerpunkte werden nicht zuletzt durch die Auswirkungen der Wahrheitsgebote hervorgehoben, denn sie verdeutlichen das Verantwortungsbewußtsein, das dem einzelnen i n seiner Prozeßrolle abverlangt w i r d 1 2 8 . Dieses Postulat redlicher Prozeßführung, das das rechtliche Band der Parteien untereinander festigt, verursacht eine A r t „Waffengleichheit i n Wahrheit" bei der Ermittlung des Sachverhalts. Ein derartiges „chancengleiches Prozeßrechtsverhältnis" ist nun allerdings dem Strafverfahren fremd. Zwar sind i n der Strafprozeßordnung gleichfalls ausgewogene Rechte und Pflichten der einzelnen Prozeßbe124 Die V e r w i r k l i c h u n g des i n A r t . 103 Abs. 1 GG gewährleisteten G r u n d rechts findet sich i n §§163a, 115, 118, 128, 175, 201, 243 Abs. 2 u n d 4, 257, 258, 265, 308 Abs. 1, 311, 311 a, 324, 326, 350 Abs. 1 StPO. Nach h M gibt der Anspruch auf rechtliches Gehör auch die Befugnis, dem Gericht rechtliche Ausführungen zu unterbreiten (BVerfGE 12, S. 110 [112]; B a y V e r f G H J Z 1963, S. 63). 125 Grundlegend hierzu Bülow, Die Lehre v o n den Prozeßeinreden u n d Prozeßvoraussetzungen, 1868, S. 1 ff. 126 Rosenberg/Schwab (FN 25), § 2 I I / l ; Lent/ Jauernig (FN 37); §32 I I I ; Zöller IDegenhardt (FN 109), Einl. I I I / 3 ; Stein/Jonas (FN 43), Einl. E I I ; Stürner (FN 24), §7 I I ; Bernhardt, Zivilprozeßrecht, 3. A u f l . 1968, § 1 V I ; Zeiss (FN 37), §21; Konzen (FN 37), § 4 Β I I ; Thomas/Putzo (FN 28), v o r §50 Anm. I. 127 Rosenberg/Schwab (FN 25), § 2/1. 128 Z u r Bedeutung dieses Rollenverhältnisses Wassermann (FN 36), V I / I / 1 — m. Nachw.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
teiligten festgelegt 129 , aber der Charakter eines Zwei-Parteien-Prozesses fehlt dem deutschen Strafprozeß i m Gegensatz zum anglo-amerikanischen. Selbst wenn die Position des Beschuldigten i n bestimmten Situationen der einer Partei auffällig nahekommt, läßt sich zunächst grundsätzlich keine gleichmäßig starke Verbindungslinie zwischen Staatsanwalt, Gericht und Angeklagten ziehen. Letzterem gehen bereits die mannigfachen Untersuchungsmöglichkeiten ab, die den Ermittlungsorganen zur Verfügung stehen. Diese vieldiskutierte Unterlegenheit des Beschuldigten i m Strafprozeß gegenüber dem Staatsanwalt 130 muß jedoch nicht ausnahmslos durch ein Schweigerecht kompensiert werden. Seine Chancenungleichheit geht hier nicht so weit, daß eine aktive Selbstbelastung zu seinen Ungunsten von i h m nicht verlangt werden könnte. Der Beschuldigte hat es oft i n der Hand, durch sein Verhalten E r m i t t lungen i n die falsche Richtung zu lenken oder ihren Erfolg überhaupt i n Frage zu stellen. Durch lügnerische Einlassungen ζ. B. kann er sich oft Vorteile verschaffen, wenn dadurch die Aufklärungsarbeit wesentlich erschwert worden und der wahre Sachverhalt nicht mehr herauszufinden ist. Trotz intensivster Nachforschungen u n d modernster technischer Einsatzgeräte w i r d manchmal der Staat den Nachweis der Täterschaft und Verantwortlichkeit des Verfolgten schuldig bleiben müssen. Das Prozeßrechtsverhältnis schlägt zu seinen Ungunsten u m — i n dubio pro reo 131 . Zudem geht die Strafprozeßordnung auch nicht von einem ausschließlich durch die Staatsanwaltschaft gestalteten Verfahren aus, i n dem dem Beschuldigten eigenverantwortliche M i t w i r k u n g lediglich i n pas129 So gibt es Rechte u n d Pflichten des Beschuldigten (Schweigerecht/ Duldungspflichten/Recht, Beweisanträge zu stellen — § 163 a Abs. 2 StPO), des Verteidigers — §§ 137 ff. StPO, des Beistands — § 149 StPO, des Staatsanwalts als „Wächter des Gesetzes" (BGHZ 20, S. 178) oder „Vertreter des öffentlichen Interesses" ( B A G 2. 2. 62, 1 StR 527/61) — z. B. §§ 87, 163 a Abs. 3, 243 Abs. 3, 257 Abs. 2, 258 StPO), des Nebenklägers — §§ 395 ff. StPO oder des Privatklägers — §§ 374 ff. StPO. 130 Müller, Der Grundsatz der Waffengleichheit i m Strafverfahren, N J W 1976, S. 1063 ff.; Löwe /Rosenberg (FN 113), Einl. Kap. 6/Anm. 13; Kern/Roxin (FN 14), §10; diese Unterlegenheit w i r d i m übrigen gerade durch das P r i n zip der verfahrensrechtlichen „Waffengleichheit" widerlegt, vgl. BVerfGE 38, S. 105 (111); Kohlmann, Waffengleichheit i m Strafprozeß, i n : Festschrift f ü r K a r l Peters zum 70. Geburtstag, 1974, S. 311 ff. — m i t w. Nachw. 131 Der Grundsatz „ i n dubio pro reo" g i l t f ü r die Schuld- u n d Straffrage (ζ. B. Vorliegen eines persönlichen Strafausschließungsgrundes), nach h M u n d Rspr. darüber hinaus auch bei Zweifeln über Tatsachen, die nach materiellem Strafrecht die Straffestsetzung betreffen, vgl. BGHSt 10, S. 129 (zu § 46 StGB a. F.), B G H S t 10, S. 373 f ü r § 199 S t G B als Strafmilderungsgrund, B a y O b L G N J W 61, S. 1222 (1223) f ü r den Strafausschließungsgrund § 247 Abs. 2 StGB a. F.; vgl. allg. hierzu Stree, i n dubio pro reo, 1962; Sax, Z u r A n w e n d barkeit des Satzes „ i n duibo pro reo" i m strafprozessualen Bereich, Festschrift f ü r Ulrich Stock zum 70. Geburtstag, 1966, S. 143 ff.
Beispiel 1 : Beklagte Partei
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siver Hinsicht gestattet ist. A k t i v e Beteiligung ist diesem in keiner Phase des Verfahrens verwehrt, sondern lediglich freigestellt, wobei die Inanspruchnahme des Schweigerechts keineswegs immer die sachgerechteste Verteidigungsmöglichkeit sein muß. Selbst wenn man aber ein Schweigerecht als Kompensation für staatsanwaltschaftliche Ermittlungsprivilegien zubilligen wollte, so könnte dies doch nicht durchgehend als sachgerecht empfunden werden. Besonders die für die strafrechtliche Würdigung so bedeutenden Umstände der inneren Tatseite (Vorsatz, Fahrlässigkeit 132 ) lassen sich nur selten vom Schreibtisch des anklagenden Staatsanwalts aus exakt feststellen. Hierfür bedarf es der M i t w i r k u n g des Beschuldigten 133 , wenn das i n Gang gesetzte Rechtsschutzsystem sachlich richtige Ergebnisse garantieren soll. Möglichkeiten hierfür stellt i h m die Strafprozeßordnung ausreichend zur Verfügung (vgl. §§136 Abs. 2, 163 a Abs. 2, 219, 220), die gewährleisten, daß der Prozeß nicht über „seinen Kopf hinweg" geführt wird. Es ist also wenig befriedigend, daß i m Strafverfahren lediglich durch die Duldungspflichten ein dem Zivilprozeßrecht vergleichbares Prozeßrechtsverhältnis geschaffen wird. Wünschenswert wäre es, wenn auch ein aktives Mitwirkungsgebot miteinbezogen werden könnte. Dadurch ließe sich oft der Gefahr begegnen, daß i m Falle begründeten Verdachts leerlaufende Ermittlungsarbeiten zu einem unberechtigten Freispruch führen müssen. Eben weil das Prozeßrechtsverhältnis nicht nur durch Rechte oder Pflichten gekennzeichnet ist, sondern durch ein Nebeneinander von Angriffs- und Verteidigungsmitteln, läßt sich eine unterschiedslose Privilegienstellung damit nicht i n Einklang bringen. Zusammenfassung Die für die zivilprozessuale Selbstbelastung möglichen Legitimationen können grundsätzlich i n die Strafprozeßordnung übernommen werden. Das Schweigeprivileg des Beschuldigten ist nicht mehr gerechtfertigt, wenn die zu erwartenden Sanktionen des Strafrechts ihn nicht schwerer treffen als die Nachteile des Zivilrechts 1 3 3 a : — Eine moralische Pflicht zur Wahrheit kann auch dem Verdächtigen auferlegt werden. Wenn ein Beklagter unter Umständen dem Geg132 Diese Schuldformen sind f ü r die Frage der Strafzumessung von ausschlaggebender Bedeutung, vgl. §46 Abs. 1 S. 1 StGB: „Die Schuld des Täters ist Grundlage f ü r die Zumessung der Strafe". 133 Kleinknecht (FN 8), Einl. Rdz. 78 unter Hinweis auf Maunz/Dürig/ Herzog, K o m m e n t a r zum GG, A r t . 103 A n m . 6; ferner Röhl, Das rechtliche Gehör, N J W 1964, S. 273 (276 ff.). issa Näher unten E.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten ner zur Durchsetzung seines Rechts i m Prozeß verhelfen muß, so ist ein der Allgemeinheit gegenüber verantwortlicher Beschuldigter eher m i t einem erhöhten Moralgebot zu belasten.
— Das strafrechtliche U r t e i l beinhaltet nicht durchwegs diskriminierendere Folgen als der Ausspruch des Zivilrichters. Eine Freistellung von der Pflicht subjektiver Wahrheit, wie sie sich aus der Strafprozeßordnung ergibt, erscheint deshalb als unberechtigte Bevorzugung des Beschuldigten gegenüber dem Beklagten. — Das öffentliche Interesse am Funktionieren der Rechtspflege beschränkt sich nicht nur auf das zivilprozessuale Verfahren, sondern gilt i n gleicher Weise für den Strafprozeß. Es widerspricht der A u f fassung von einer durch alle Gerichtszweige gleichermaßen praktizierten Gerechtigkeit, wenn wegen versagter M i t w i r k u n g der eine Richter zu einem — ungerechten — freisprechenden Urteil kommt, während der andere, der an eine andere Verfahrensordnung gebunden ist, allein wegen der Aussagepflicht eine Sanktion gegen eine Partei verhängen kann. — Die einen Teil des Prozeßrisikos bildende Wahrheitspflicht greift über den Bereich der Zivilprozeßordnung hinaus: Wenn schon die staatlichen Ermittlungsorgane i m Strafverfahren durch ihre gesetzliche Verpflichtung zur Objektivität auch die zur Entlastung des Beschuldigten dienenden Umstände ausfindig machen müssen, w i r k t das Schweigeprivileg als nicht gerechtfertigte zusätzliche Verminderung des dem Beschuldigten obliegenden Prozeßrisikos. — Das i m Z i v i l - und Strafprozeß unterschiedlich ausgestaltete Prozeßrechtsverhältnis ist nicht durchwegs von einer drückenden Überlegenheit der Staatsanwaltschaft gekennzeichnet. Bei der Aufklärung von Straftaten geringeren Unwertgehalts ist die Gewährung reiner Verteidigungsrechte ein Widerspruch zu dem Inhalt der durch das Strafrecht begründeten Rechtsbeziehungen der Prozeßbeteiligten untereinander. ΙΠ. Folgerungen Da die Stellung des Beschuldigten von der Sanktion her häufig m i t der eines Beklagten übereinstimmt und die Rechtfertigungsgründe der zivilprozessualen Pflicht zur Selbstschädigung unter diesen Voraussetzungen auch i n das Recht der Strafprozeßordnung Eingang finden können, kann eine Angleichung dieser unterschiedlichen Selbstbelastungsgebote i n Betracht gezogen werden. Eine Harmonie dieser A r t sollte aber weniger durch einen Verzicht auf die Pflichten redlicher Prozeßführung als vielmehr durch eine unter
Beispiel :
chuldner
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bestimmten Umständen begründete Beseitigung der Aussagefreiheit des Beschuldigten erfolgen. Die grundsätzlich aufrechtzuerhaltende Belehrungspflicht über das Schweigerecht müßte u m einen von der Schwere des strafrechtlichen Verdachts abhängigen Zusatz ergänzt werden, der eine dem § 138 Abs. 1 ZPO entsprechende Verpflichtung beinhaltet.
BEISPIEL 2
Der Schuldner im Zwangsvollstreckungsrecht 184 Da dem Gläubiger i m Zwangsvollstreckungsverfahren zwar staatliche Zwangsmittel zur Durchsetzung seiner subjektiven Rechte, nicht aber staatliche Ermittlungsorgane zur Überprüfung der Vermögensverhältnisse des Schuldners zur Verfügung stehen, ist er ausschließlich auf die Offenlegung wichtiger Tatsachen durch diesen selbst angewiesen. Trotzdem w i r d der Schuldner, obwohl diese Sachverhaltsermittlung für den Gläubiger oft letzte Chance zur Abschätzung möglicher Rechtsverwirklichung ist, selten und zu einem verhältnismäßig späten Zeitpunkt zur Aufklärung herangezogen. Überprüft man die Vorschriften des Zwangsvollstreckungsverfahrens i n der ZPO auf selbstbelastende Mitwirkungshandlungen i m Sinne von Auskunfts- oder Offenlegungspflichten, so trifft man nur auf Pflichten zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung. Diese sollen i m folgenden näher erörtert werden. I. Untersuchung der Pflichten zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung Die §§ 889, 883 Abs. 2 und 807 ZPO stimmen zwar i n der terminologischen Umschreibung der festgelegten Pflichten überein, nicht jedoch i m Umfang des angeordneten Selbstbelastungszwangs. a) Eidesstattliche Versicherung nach bürgerlichem Recht (§ 889 ZPO) Diese Form der eidesstattlichen Versicherung kann i m Rahmen der Selbstbelastungsfrage außer Betracht bleiben. Dem betroffenen Adressaten w i r d nichts anderes abverlangt als die Bekräftigung einer i m materiellen Recht begründeten Auskunfts- oder Rechnungslegungspflicht 135 i n der Absicht, dem Verdacht ihrer unsorgfältigen oder unrich134 I m folgenden sollen die Selbstbelastungspflichten n u r anhand des 8. Buches der ZPO nachgewiesen werden. § 138 Abs. 1 ZPO w i r d nicht mehr behandelt. 135 z. B. §§ 259, 260, 261, 2006, 2028 BGB.
4 Fischer
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
tigen Erfüllung entgegenzutreten 136 . Ein solches Bestätigungsverfahren hat m i t einer speziellen prozessualen Offenbarungsversicherung nichts zu tun, da der Bürger m i t der verfahrensrechtlichen Durchführung grundsätzlich i n keiner Weise über die rein deklaratorische Kundgabe hinaus belastet wird. Soweit dies ausnahmsweise doch der F a l l ist (wie ζ. B. bei § 261 BGB), gelten keine von Punkt c) abweichenden Besonderheiten. Ausführungen hierzu können deshalb an dieser Stelle unterbleiben. b) Eidesstattliche Versicherung bei Herausgabe bestimmter beweglicher Sachen (§ 883 Abs. 2 ZPO) Die i n § 883 Abs. 2 ZPO geforderte Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung stellt den Schuldner nicht, wie der Gesetzeswortlaut vermuten läßt, von jeder Selbstbelastung frei. Entgegen der Formulierung dieser Vorschrift muß die A n t w o r t nicht immer negativ ausfallen, sondern kann durchaus positiv sein, etwa wenn auf entsprechende Befragung h i n Auskunft gegeben wird 1 3 7 . M i t einer solchen Angabe kann Selbstbelastung i n erheblichem Umfang verbunden sein, denn der Schuldner hat unabhängig davon Auskunft zu geben, ob er sich damit einer Straftat bezichtigt oder nicht 1 3 8 . Abgesehen davon scheidet aber i n anderen Fällen Selbstbelastung nicht bereits deshalb aus, weil eine materiellrechtliche Herausgabepflicht dem Interesse des Schuldners, seinem „Behaltenwollen", entgegensteht. Die Tatsache materiellrechtlicher Begründetheit allein führt nicht zwingend zu einer Wahrheitspflicht, wie das zivilprozessuale Erkenntnisverfahren beweist. Auch dort ist, obwohl über die Anwendbarkeit materiellrechtlicher Rechtsnormen entschieden werden soll, die Möglichkeit der Mitwirkungsverweigerung statuiert 1 3 9 , wenn diese auch nicht immer gleichbedeutend m i t einer Selbstbelastungsumgehung ist 1 4 0 . c) Die eidesstattliche Versicherung bei der Zwangsvollstreckung von Geldforderungen (§ 807 ZPO) Die von der Selbstbelastung am stärksten geprägte Pflicht findet sich i n § 807 ZPO. Ihre Erfüllung w i r d aktuell, wenn bei einer Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen eine Befriedigung des Gläubigers 136 Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, 1975, S. 1 ; Jauernig, Zwangsvollstreckung u n d Konkurs, 14. A u f l . 1977, S. 1. 137 Vgl. hierzu § 883 Abs. 3 ZPO, wonach das Gericht eine der Sachlage entsprechende Änderung der eidesstattlichen Versicherung herbeiführen kann. 138 B G H Z 41, S. 318 (326). 139 Vgl. vorne Beispiel 1/1 c 2. 140 Vgl. F N 139; die nichtmitwirkungsbereite Partei muß i m m e r h i n die Gründe f ü r ihre Weigerung angeben.
Beispiel 2: Schuldner
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nicht erzielt w i r d bzw. wenn dieser glaubhaft macht, daß dieses Ziel nicht erreicht worden ist (§ 807 Abs. 1 ZPO) 141 . Da einerseits die Durchsetzung des festgestellten Rechts i n Frage steht, andererseits aber noch nicht jede Möglichkeit der Sachverhaltsaufklärung erschöpft ist, w i r d der Schuldner i n einem Ausmaß zu selbstschädigendem Handeln veranlaßt, das i m Erkenntnisverfahren keine Entsprechung findet. — I n einem Vermögensverzeichnis, das auf Antrag des Gläubigers zu erstellen ist, hat er sein gesamtes Aktivvermögen aufzuschlüsseln, das i n allen geldwerten Sachen u n d Rechten besteht, die für den Titel haften, ohne Rücksicht auf den Wert der einzelnen Vermögensstücke 142 : Bewegliche und unbewegliche Sachen {Grundstücke), Forderungen, Lebensversicherungen, Eigentümergrundschulden, Anwartschaftsrechte, Treuhandeigentum, Erbanteile oder Mitgliedschaftsrechte (GmbH-Anteile) 1 4 3 . Auskunft ist auch stets über den Verbleib einer Sache zu geben 144 oder über solche Gesichtspunkte, die für eine Forderungspfändung von Bedeutung sein können (Angabe des Drittschuldners) oder über Umstände, die den Zugriff des Gläubigers erschweren können 1 4 5 . — Diese detaillierte Auskunftspflicht hat der Schuldner nach der Rechtsprechung selbst dann, wenn er sich dadurch einer Straftat bezichtigen miüßte14®. E i n Auskunftsverweigerungsrecht als Schutz vor Selbstbelastung w i r d i h m auch hier nicht zuerkannt 1 4 7 . — Der Selbstbelastungszwang w i r d schließlich dadurch gesteigert, daß der Schuldner durch zusätzliche Angaben die Rechtsverfolgung des 141
Das ist ζ. B. der Fall, w e n n der Gläubiger auf eine Drittwiderspruchsklage h i n die Vollstreckung nicht vornehmen lassen konnte (OLG Düsseldorf, O L G Z 1969, S. 460), zur Freigabe der gepfändeten Sache gezwungen w a r (OLG Köln, Rpfl. 1971, S. 229), keine weiteren pfändbaren Gegenstände v o r handen oder pfändbare zur Befriedigung nicht ausreichend waren (OLG Oldenburg, N J W 1969, K . 460). 142 B G H N J W 1968, S. 1388; Mohrbutter, Handbuch des gesamten V o l l streckungs- u n d Insolvenzrechts, 2. Aufl. 1974, §22 Β V I / 1 ; Jauernig (FN 136), §30 I I I ; Thomas/Putzo (FN 28), §807 A n m . 5; Blomeyer (FN 136), §67 I I I . 143 Vgl. die Zusammenstellung bei Schönke/Baur, Zwangsvollstreckungs-, K o n k u r s - u n d Vergleichsrecht, 10. A u f l . 1978, §46 IV/5; Mohrbutter (FN 142); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (FN 33), § 807 A n m . 3. 144 B G H M D R 1960, S. 325 f.; B G H Z 7, S. 287 f. 145 B G H N J W 1957, S. 713. 146 B G H Z 41, S. 318 (323 ff.); dagegen Wieczorek (FN 59), §807 D I c 5; Beizer, H a t der Schuldner i m Offenbarungseid verfahren ein Recht zur Auskunftsverweigerung? N J W 1961, S. 446; Lipschitz, Verbrauch des Haftbefehls i m Offenbarungseidverfahren, D R i Z 1961, S. 216; Bull, Unebenheiten des Offenbarungseidverfahrens, Z Z P 69 (1956), S. 338 (347); Niese, Narkoanalyse als doppelfunktionelle Prozeßhandlung, ZStW 63 (1951), S. 199 (220). 147 B G H (FN 146).
4*
Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
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Gläubigers erleichtern muß. Er ist verpflichtet, Grund und Beweismittel für seine Forderungen zu benennen und frühere Vermögensveränderungen nach § 807 Abs. 1 S. 2 Ziff. 1—3 148 zu kennzeichnen, die, wenngleich die betreffenden Gegenstände nicht mehr zu seinem Vermögen gehören, eine Zwangsvollstreckung dennoch ermöglichen können, wenn der Gläubiger von seinem Anfechtungsrecht nach dem Anfechtungsgesetz Gebrauch macht. Trotz dieser tiefgreifenden Selbstbelastungsgebote ist das Vollstrekkungsverfahren als unbefriedigend empfunden worden 1 4 9 . Es ist zuzugeben, daß der Gläubiger häufig mit dem Ergebnis der (erzwungenen) Auskünfte wegen der verstrichenen Zeit nichts mehr anfangen kann 1 5 0 . Wenn deshalb für eine zeitlich frühere M i t w i r k u n g des Schuldners plädiert w i r d 1 5 1 , so brächte das, so der Gesetzgeber diese Änderungsvorschläge aufgreifen sollte, automatisch eine stärkere Selbstbelastung m i t sich (besonders i m Falle einer Sanktion 1 5 2 zur Erzwingung von Schuldnerpflichten). Nachteilige Rechtsfolgen für verweigerte Erfüllung sind nicht nur Beleg f ü r die besondere Bedeutung, die der Selbstbelastung innerhalb eines möglichst effektiv zu gestaltenden Verfahrens beigemessen w i r d , sondern auch Ausdruck einer notwendigen Steigerung unzureichenden Selbstbelastungszwangs. Zusammenfassung Die Selbstbelastungsgebote des Vollstreckungsverfahrens nach dem 8. Buch der ZPO äußern sich i n Pflichten zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung. Soweit deren Erfüllung einen speziellen vollstreckungsrechtlichen Selbstbelastungszwang mit sich bringt, besteht dieser darin, ein detailliertes Vermögensverzeichnis erstellen und die jeweiligen Beweismittel darlegen zu müssen. W i r d eine strafrechtliche Selbstüberführung hierbei notwendig, kann kein Aussageverweigerungsrecht i n Anspruch genommen werden. Die gesetzliche Unterstüt148
Sie stimmen m i t § 3 Nr. 2 - 4 A n f G überein. Z u r K r i t i k vgl. Gaul, Z u r Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, J Z 1973, S. 473 ff.; Zeiss , A k t u e l l e vollstreckungsrechtliche Fragen aus der Sicht des Gerichtsvollziehers, J Z 1974, S. 564; Schönke/Baur (FN 143), § 78. 160 Gaul (FN 149), S. 481; Zeiss (FN 149), S. 564. 151 So w i r d gefordert, daß der Staat die Sachaufklärung selbst i n die H a n d nehmen müsse u n d der Schuldner die Offenlegung nicht n u r gegenüber dem Gläubiger, sondern i m Sinne einer publizistischen Pflicht auch dem Staat gegenüber schulde, vgl. Gaul, Zeiss (FN 149), ebenso Blomeyer (FN 136), S. 314/5, der sich dieser K r i t i k anschließt (FN 216). 152 Gedacht w i r d etwa eine Ausschlußmöglichkeit nach §813 a ZPO u n d daran, die materiellrechtliche Auskunftspflicht gegenüber dem Gläubiger nach A r t der Zeugnispflicht i n eine öffentlich-rechtliche Pflicht gegenüber dem Vollstreckungsgericht zu ändern u n d durch Beugehaft zu sanktionieren, vgl. Gaul, Zeiss (FN 149). 149
Beispiel :
chuldner
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zungspflicht des Schuldners gegenüber dem Gläubiger bei der Rechtsdurchsetzung läßt sich somit als Fortsetzung der bereits i m Erkenntnisverfahren geforderten „Prozeßführungspflicht zugunsten des Gegners" auffassen. Π . Legitimation der Selbstbelastung Vergleich mit der Strafprozeßordnung Die Pflicht des Schuldners zu interessenwidrigem Handeln läßt sich hauptsächlich auf zwei Rechtfertigungsgründe stützen. Ausschlaggebende Legitimation für die Selbstbelastung kann sein — die Haftung des Schuldners; — die Kompetenz des Gläubigers zur Rechtsverwirklichung. Auch bei der Erörterung dieser Punkte soll die Frage geprüft werden, ob trotz der unterschiedlichen Rechtspositionen, die Schuldner und Beschuldigter innehaben, Möglichkeiten für einen Abbau ungleichgewichtiger Selbstbelastungseffekte vorhanden sind. a) Haftung Die durch die Selbstbelastungspflichten des Schuldners aufgewertete Rechtsposition des Gläubigers geht letztlich zurück auf die Haftung für den als vollstreckbar festgesetzten Anspruch 1 5 3 . Sie bedeutet das Unterworfensein des Schuldnervermögens unter den Vollstreckungszugriff des Gläubigers 154 , wobei der Schuldner dafür einstehen muß, daß der Gläubiger das i h m Versprochene oder kraft Gesetzes Geschuldete erhält. Gerade aus dieser Einstandspflicht 155 heraus ist er allen Ansprüchen ausgesetzt, die die Befriedigung des Gläubigers herbeiführen können. Eine Haftung i m Sinne eines solchen „Einstehen-müssens" besteht nun i n wesentlich größerem Umfang i m Bereich des Strafprozesses, da hier der Beschuldigte nicht nur — wie i m Falle einer Geldstrafe — m i t seinem Vermögen, sondern darüber hinaus mit seiner persönlichen Freiheit dem Zugriff des Staates unterworfen ist. Die naheliegende Schlußfolgerung, die Erfüllung dieses Anspruchs durch ein Aussagegebot bereits unabhängig von einer Vollstreckung, noch während des laufenden Prozesses einsetzen zu lassen, mag sich anbieten, kann alber dennoch nicht mit dem Gesichtspunkt der Haftung begründet werden: I h r fehlt jener besondere Nachdruck, der Kennzeichen und unerläßliche Voraussetzung des Vollstreckungsrechts ist, nämlich die (gerichtliche) Feststellung des geforderten Rechts. 158 Über den Unterschied zwischen Schuld u n d H a f t u n g vgl. Heinrichs Palandt (FN 85), v o r § 241 Einl. 3. 154 Esser, Schuldrecht, Bd. I, 5. A u f l . 1975, § 7 11. iss v g l . F N 154.
in:
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
So w i r d der Schuldner nur auf Grund eines besonderen Vollstrekkungstitels (beurkundete Erklärung, z.B. Prozeßvergleich oder Entscheidung, Urteil, vgl. die Zusammenstellung i n § 794 ZPO) zur zwangsweisen Erfüllung herangezogen, der aber gleichzeitig zum Ausdruck bringt, auf welche A r t und Weise nun gehandelt werden muß bzw. nicht gehandelt werden darf. I n einer solchen Situation hingegen befindet sich der Beschuldigte nicht. Er w i r d zwar verdächtigt, i n irgendeiner Weise gegen das Recht verstoßen zu haben, jedoch ist ein Ausspruch darüber noch nicht ergangen; die Rechtfertigung eines solchen soll sich ja gerade erst noch herausstellen. Deshalb steht der strafrechtlich Verfolgte praktisch eine „Stufe tiefer" als der Schuldner i m Zwangsvollstreckungsverfahren, eben w e i l das Recht i h m gegenüber noch nicht i n Gestalt einer besonderen (formellen) Entscheidung i n Erscheinung getreten, eine i h m angelastete Verfehlung noch nicht nachgewiesen ist. Anhaltspunkte für eine Redepflicht des Beschuldigten unter dem Aspekt der Haftung sind deshalb nicht zu erkennen; eine Harmonisierung divergierender Selbstbelastung kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. b) Rechtsveiwirklichungskompetenz des Gläubigers M a n könnte die einschneidenden Selbstbelastungsgebote der Zwangsvollstreckung als Ausfluß des materiellrechtlich festgestellten A n spruchs des Gläubigers begreifen, so daß dem Schuldner allein deswegen weniger Schutz zuzubilligen ist. Ein Blick auf das Gesetz zeigt allerdings, daß selbst i n der Phase der Vollstreckung nicht ausschließlich dem Gläubigerinteresse entsprechend gehandelt werden muß. Dies kommt i n zweifacher Hinsicht zum Ausdruck: — Zum einen unterliegen die Selbstbelastungspflichten dem Subsidiaritätsgedanken insofern ? als auf die Kenntnisse des Schuldners erst dann zurückgegriffen werden darf, wenn andere Rechtsrealisierungsversuche erfolglos geblieben sind 156 . — A u f der anderen Seite ist aber auch der Schuldnerschutz i m Vergleich zu dem der Beklagtenposition i m Erkenntnisverfahren keineswegs auffällig vermindert. Nach § 900 Abs. 4 ZPO besteht immerhin die Möglichkeit zweimaliger Vertagung des Termins zur eidesstattlichen Versicherung, bevor selbstbelastende Angaben unumgänglich werden. Bestreitet der 156
Hierzu oben unter I.
Beispiel :
chuldner
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Schuldner auch jetzt noch die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, so ist von dem Gericht durch Beschluß über diesen Widerspruch zu entscheiden (§ 900 Abs. 5 S. 1 ZPO). Aber selbst wenn Aufschub nicht mehr gewährt und Haft wegen verweigerter M i t w i r k u n g gegen den Schuldner verhängt wird, steht diesem der Rechtsbehelf der sofortigen Beschwerde (§793 ZPO) hiergegen zur Verfügung. Diese Rücksichtnahme des Gesetzgebers auf den Schuldner mag den guten Willen eines erfüllungsbereiten, aber verhinderten Partners honorieren, läßt aber dem böswillig Unterlassenden ausreichend Zeit für gläubigerschädigendes Handeln 1 5 7 . Eine Verschlechterung der Schuldnerstellung ist deshalb von vorneherein mit dem Vollstreckungsrecht nicht verbunden. Die vorgesehene Selbstbelastung ist Steigerung, Fortsetzung des Erkenntnisverfahrens mit anderen Mitteln, drängt aber den Schuldner noch nicht i n eine A r t „Objektstellung" zur Befriedigung berechtigter Gläubigerinteressen. Dennoch stellt sich angesichts dieser immerhin nochmals gesteigerten Selbstbelastungspflichten i m Vollstreckungsverfahren erneut u n d besonders eindringlich die Frage nach ihrer Harmonisierung m i t der Stellung des Beschuldigten. Ein Aussagegebot gegenüber dem Beschuldigten, das allerdings bereits i m Erkenntnisverfahren Platz greifen müßte, bedeutet unter dem Aspekt der Rechtsverwirklichungskompetenz nichts anderes als eine phasenverschobene Selbstbelastung auf dem Wege zur Rechtsvollstreckung. Wenn bei der Vollstreckung so hart über Selbstbelastung zugegriffen wird, dann spricht das dafür, schon i m Erkenntnisverfahren mehr Selbstbelastungspflichten zu statuieren, und zwar nicht nur — was ja geschehen ist — i m Zivilprozeßrecht. Auch nach der Strafprozeßordnung verliert die staatliche Kompetenz zur Rechtsverwirklichung, die m i t aller Macht treffen kann, an Schlagkraft, wenn sie der Beschuldigte außer K r a f t zu setzen vermag. Obwohl der anspruchsberechtigte Staat unabhängig von der A r t der konkret verhängten Sanktion zur Schuldbegleichung zwingt und auch i m Falle der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe auf die persönliche Freiheit des Gewaltunterworfenen zugreift 1 5 8 , können selbst diese M i t t e l gewaltsamer Anspruchserfüllung, die i h m zur Verfügung stehen, i n ihrer W i r k samkeit gehemmt werden. Da ihr Einsatz überflüssig ist, wenn es — i n dubio pro reo — zu einem Ausspruch über begangenes Unrecht nicht kommen kann, ist Selbstbelastungsverzicht bei der Rechtsüberprüfung 157
So die oben i n F N 149 genannten Autoren Gaul u n d Zeiss. Vgl. §43 S. 1 StGB; „ A n die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe t r i t t Freiheitsstrafe". 158
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
nicht mehr Ausdruck und Kompensation für staatliche Überlegenheit gegenüber dem Bürger. Er ist Achillesferse des Gemeinwesens, an der Rechtsbrecher ihr zerstörendes Handeln ansetzen können. Hierzu sollte man ihnen aber so wenig Gelegenheit wie möglich bieten. Zusammenfassung Die Gegenüberstellung der Position des Gemeinschuldners m i t der des Beschuldigten zeigt folgende Ergebnisse: — Soweit Selbstbelastungspflichten des Vollstreckungsschuldners m i t dem Gesichtspunkt der Haftung begründet werden, müssen sie auf dieses Rechtsgebiet — ZPO — beschränkt bleiben. Eine Austauschbarkeit auf das Gebiet der Strafprozeßordnung muß bereits deshalb ausscheiden, w e i l gegenüber dem Beschuldigten eine dem V o l l streckungstitel vergleichbare rechtliche Feststellung i m strafrechtlichen Erkenntnis verfahr en noch nicht vorliegt. — Die Rechtsverwirklichungskompetenz des anspruchsberechtigten Staates umfaßt — i m Gegensatz zur Stellung des Gläubigers des Vollstreckungsrechts — keinerlei Recht auf Selbstbelastung des Verurteilten. Einem Zwang, der doch «unausweichlich sein soll, fehlt jedoch die letzte Wirksamkeit, wenn seine Anwendung i m vorhergehenden Verfahren durch Selbstbelastungsverweigerung des Beschuldigten unterlaufen werden kann. E i n Aussagegebot i m strafprozessualen Erkenntnisverfahren kann deshalb als zeitlich vorverlegte Autorität staatlicher Rechtsdurchsetzung aufgefaßt werden. ΙΠ. Folgerungen Obwohl auch zwischen dem Rechtsgebiet des Vollstreckungsrechts und dem Recht der Strafprozeßordnung divergierende Selbstbelastungsgebote erkennbar sind, sind Ansatzpunkte für eine Harmonisierung vorhanden. Hierfür können die ZPO-Vorschriften unverändert bleiben, nicht jedoch die der StPO. Der Weg sinnvoller Angleichung führt auch hier wiederum über eine Einschränkung des Schweigerechts des Beschuldigten.
BEISPIEL 3
Selbstbelastung des Gemeinschuldners nach der Konkursordnung (KO) Die dem Gemeinschuldner abverlangten Selbstbelastungspflichten stimmen zwar weitgehend, aber nicht vollkommen m i t denen des Vollstreckungsschuldners überein. Auskunftspflichten, die Präsentations-
Beispiel 3: Gemeinschuldner
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pflichten der Antragsunterlagen oder die eidesstattliche Versicherung statuieren interessenwidriges Handeln, das jeweils unterschiedliche Selbstbelastungseffekte verursacht. I. Untersuchung der Selbstbelastung auf Grund der KO a) Auskunftspflicht (§ 100 KO) Die Pflicht, dem Verwalter, dem Gläubigerausschuß und — auf A n ordnung des Gerichts — der Gläubigerversammlung „über alle das Verfahren betreffende Verhältnisse" Auskunft zu geben, ist gleichsam die erste Stufe konkursrechtlicher Selbstbelastung. Sie erstreckt sich auf alles, was das Konkursverfahren betrifft und erfaßt selbst solche Angaben, durch die der Gemeinschuldner eine begangene Straftat offenbaren muß 1 5 9 . Verweigerte Selbstbelastung kann i n solchen Fällen durch Vorführung und Haft (§ 101 Abs. 2 KO) erzwungen werden. Eine A r t selbstbelastende „Garantenpflicht" ergibt sich anerkanntermaßen aus vorangegangenem Tun: Hat der Gemeinschuldner dem K o n kursantrag eine unvollständige Vermögensübersicht beigefügt, so hat er dem Konkursverwalter anzuzeigen, welche Gegenstände er wohin weggeschafft und welche der Verwalter bei der Bestandsaufnahme übersehen hat 1 6 0 . b) Antragsunterlagen (§ 104 KO) Ergänzend zur Auskunftspflicht besteht eine weitere Form der Selbstbelastung des Gemeinschuldners i n der Präsentation der Antragsunterlagen. Hierbei ist er nicht nur zur Vorlage eines Verzeichnisses der Gläubiger und Schuldner verpflichtet, sondern ebenso zur Einreichung einer Übersicht der Vermögensmasse (§ 104 KO). Diese muß so beschaffen sein, daß sie einen vollständigen Überblick über die Vermögenslage des Schuldners gewährt und zudem ersichtlich macht, welche Vermögensstücke einem Anspruch auf Herausgabe oder auf abgesonderte Befriedigung unterliegen 161 . c) Eidesstattliche Versicherung (§ 125 KO) Die selbstbelastenden Folgen dieser Vorschrift decken sich — trotz des gleichlautenden Wortlautes — nicht m i t § 807 ZPO. Anders als dort geht i m Falle des § 125 K O die Pflicht zur Selbstschädigung dahin, daß 159
Mentzel/Kuhn, Konkursordnung, 8. Aufl. 1976, § 100 K O Rdz. 1. B G H S t 13.10.1953 — 1 StR 230/53; B G H S t 27. 5.1955 — 3 StR 211/55, abgedruckt bei Mentzel/Kuhn (FN 159). 181 Jaeger , Konkursordnung, 8. Aufl. 1958, Bd. 2/1 A n m . 2 zu § 104 unter H i n w . auf Motive I I S. 239. 160
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
nur die in die Konkursmasse fallenden Gegenstände 162 anzugeben sind, nicht aber das gesamte Vermögen des Schuldners zur Zeit der Abgabe. Eine Verminderung der Selbstbelastung ist jedoch auch damit nicht verbunden: Da zur Konkursmasse auch diejenigen Gegenstände gehören, welche der Gemeinschuldner durch ein Scheingeschäft (§117 BGB) vor Konkurseröffnung veräußert hat, sowie Ansprüche, die ein Anfechtungsrecht begründen 163 , hat der Schuldner auch hier durch diese Angaben die Rechtsverfolgung der Gläubiger zu erleichtern. Abweichungen zum Vollstreckungsrecht bestehen unter diesem Aspekt somit nicht. Zusammenfassung Die vom Recht der Zwangsvollstreckung abweichenden Selbstbelastungspflichten bedingen keine Verringerung selbstschädigenden Handelns des Gemeinschuldners. Seine erzwingbare Auskunfts-, Präsentations- und eidesstattlichen Versicherungspflichten können vielmehr als Steigerung der Selbstbelastung aufgefaßt werden, weil eben — i m Gegensatz zum Vollstreckungsrecht der ZPO — nach der K O einer Mehrheit von Gläubigern Rechenschaft über ermittelte Vermögensverhältnisse abzulegen ist. Π . Legitimation Vergleich mit der Strafprozeßordnung Die Rechtfertigung dieser speziellen Selbstbelastungspflicht kann auf den Gesichtspunkt der Haftung ebenso gut wie aus dem der Rechtsverwirklichungskompetenz 164 gegründet werden. Darüber hinaus könnte sie aber zusätzlich als —= Recht der Verlustgemeinschaft und als — Kompensation des Inhaberwechsels aufgefaßt werden. Fraglich ist jedoch, inwieweit auch hier ein Vergleich m i t der Beschuldigtenstellung möglich ist und eine selbstbelastende Korrektur seines Aussageverweigerungsrechts i n Betracht gezogen werden kann. a) Recht der Verlustgemeinschäft Die konkursrechtlichen Offenbarungspflichten lassen sich als Mittel erleichterter Rechtsverfolgung der dem Gemeinschuldner gegenüberstehenden Verlustgemeinschaft legitimieren, die gemeinschaftliche — 162
Jaeger (FN 161), § 125 Rdz. 1. RGSt 66, S. 152; R G H R R 1938, Nr. 564; BGHSt 3, S. 309 (310) — Einzelh. bei Jaeger (FN 161), § 125 Rdz. 2. 164 Oben Beispiel 2/II. 183
Beispiel 3: Gemeinschuldner
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gleichmäßige — Befriedigung begehrt und eine Bevorzugung nach dem Präventionsprinzip ausschließt 165 . Eine solche Rechtfertigung erscheint auch verständlich. Eben weil mehrere Geschädigte versuchen, das Ausmaß ihres voraussichtlichen Verlustes abzuschätzen, bedarf es einer zuverlässigen Orientierungshilfe durch den Schuldner selbst, der zu einer richtigen und vollständigen Auskunft hierüber am ehesten i n der Lage ist. Diese Informationspflichten sind i h m u m so eher zuzumuten, als er durch seine Schadensverursacherrolle anderen die Beteiligung an seinem eigenen wirtschaftlichen Ruin aufgezwungen hat und deshalb nur noch auf diese Weise nicht mehr vorhandene Zahlungsfähigkeit schadensmindernd kompensieren kann. Derartige Schädigungen treten jedoch nicht nur i m konkursrechtlichen Bereich i n Erscheinung. Auch ein Beschuldigter, der i m Verdacht (wirtschafts-)krimineller Straftaten 1 6 6 steht, befindet sich i n einer vergleichbaren Situation, wenn die geschädigten Opfer Genugtuung für begangenes Unrecht verlangen. Unter dem Gesichtspunkt einer konstruierten „Gefahrtragungsgemeinschaft" drängt sich deshalb auch hier die Forderung nach einer Einschränkung des Schweigerechts auf. Dies läßt sich auf zwei Gründe stützen: — A u f der einen Seite steht der Angeklagte der staatlichen Gemeinschaft gegenüber, die ihn zur Rechenschaft zieht. Dem Gericht, als Vertreter dieser Gemeinschaft, obliegt die Aufgabe, gemeinschaftsschädigendes Handeln festzustellen und zu sühnen. Auch dabei geht es aber u m eine gleichmäßige Befriedigung aller Verletzten, denn der Beschuldigte hat letzten Endes — i m Gegensatz zum Gemeinschuldner — stets i n persona für beeinträchtigte Interessen der Öffentlichkeit einzustehen. Dem Wunsch nach Bevorzugung des einen oder anderen Mitglieds der Rechtsgemeinschaft w i r d ebensowenig Rechnung getragen wie dem einem übersteigerten I n d i v i dualgefühl entspringenden Rachegedanken nach Strafverschärfung. Dem nur dem Gesetz und seinem Gewissen unterworfenen Richter w i r d allerdings die Durchsetzung dieser Rechtsgleichheit erschwert, welche den Verurteilten zur Wiedereingliederung i n die Rechts185 Mohrbutter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- u n d Insolvenzrechts, 2. Aufl. 1974, Einl. §64 (S. 633); Böhle/Stammschräder, Konkursordnung, 12. Aufl. 1976, §340 Anm. 1; Mentzel/Kuhn (FN 159), § 14 Rdz. 1; Jaeger (FN 161), § 14 Rdz. 1; vgl. auch B G H Z 41, S. 98 (101). 166 E t w a §§302 a ff. StGB (Wucher), §264 StGB (Subventionsbetrug); allgemein zu den Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität Tiedemann, Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität u n d Möglichkeiten ihrer strafrechtlichen Bekämpfung, ZStW 88 (1976), S. 231 ff.; Heinz, Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität m i t strafrechtlichen M i t t e l n unter besonderer Berücksichtigung des 1. W i K G , G A 1977, S. 193 ff., 225 ff.; MüllerEmmert/Maier, Das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, N J W 1976, S. 1657 ff.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten gemeinschaft bringen soll, wenm er Auskunftserteilung gegenüber dem Beschuldigten nicht erzwingen kann und auf anderweitige Aufklärung nicht mehr hoffen darf. Der Verlust, den die Rechtsgemeinschaft als solche durch die Verletzung des Strafrechts erleidet, sollte jedoch, wenn er sogar durch strafbares Handeln ausgelöst worden ist, nicht allein deswegen weniger Aussicht auf Ausgleich haben.
— Darüber hinaus aber hat sich der Beschuldigte unter Umständen auch einzelnen Bürgern gegenüber zu verantworten, einer speziellen Gruppe von Verletzten, denen das Gesetz wegen zugefügter Rechtsbeeinträchtigung die Prozeßbeteiligung einräumt. Nebenkläger und Privatkläger, die beide für erlittenes Unrecht Genugtuung erstreben 167 , können ihr Interesse an einer strafprozessual richtigen Sachverhaltsaufklärung durch aktive Einschaltung i n das Verfahren kundtun. Ob sie damit jedoch Erfolg haben werden, ist zweifelhaft. Letztlich werden sie wegen der gesetzlich ermöglichten Passivität des Beschuldigten i n ihrer Prozeßrolle wenig für die Erfüllung ihres Anspruchs erreichen können. Ohne Aussagepflicht des Beschuldigten sind auch sie gezwungen, die Verfahrensrollen auszuwechseln und auf das zivilprozessuale Rechtsgebiet auszuweichen, das ihnen selbstbelastende M i t w i r k u n g des Schädigers garantiert. Warum sie hier aber m i t einem Male viel besser stehen sollten, ist nicht ersichtlich und auch unter prozeßökonomischen Gesichtspunkten fragwürdig. Ergebnis: Die gleichmäßige Befriedigung einer dem Gemeinschuldner gegenüberstehenden Verlustgemeinschaft läßt sich als Legitimation der Selbstbelastungspflichten insofern auf den Beschuldigten übertragen, als auch er sich durch seine Strafverfolgung einer Gemeinschaft gegenübersieht. Sowohl das der staatlichen Gemeinschaft zuzuordnende öffentliche Interesse als auch das der Gruppe spezieller Verletzter (Privatkläger, Nebenkläger) eigene Ermittlungsinteresse werden, so das Schweigerecht nicht durchbrochen wird, offensichtlich geringer veranschlagt als die Forderung nach Ausgleich eines wirtschaftlichen Verlustes.
167 Obwohl der Privatkläger Genugtuung f ü r sich erstrebt, ist auch seine Klage die Geltendmachung des Strafanspruchs der Rechtsgemeinschaft, Kleinknecht (FN 8), v o r §374 Rdnr. 1; Nebenklage bedeutet „private K o n trolle staatsanwaltschaftlicher Strafverfolgung", vgl. hierzu Bringewat, Die Nebenklage — ein wirksames Verfahren zur „privaten K o n t r o l l e " staatsanwaltschaftlicher Strafverfolgung, G A 1972, S. 289 ff.
Beispiel 3: Gemeinschuldner
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b) Ersatz verlorenen Dispositionsrechts Obwohl i m Zeitpunkt der Konkurseröffnung der Gemeinschuldner die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über sein Vermögen verliert (§ 6 Abs. I KO), bedürfen Konkursverwalter (vgl. § 6 Abs. 2 KO) und Gläubiger dennoch seiner selbstbelastenden Informationen. Diese Darlegungspflichten werden m i t der Möglichkeit erleichterter Rechtsverfolgung 1® 8 gerechtfertigt, die durch diese mitwirkende Unterstützung erzielt werden kann. Die Richtigkeit dieses Arguments liegt auf der Hand. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß durch dieses Prinzip der Selbstverwaltung 1 8 9 der Pflicht des Gemeinschuldners zur Selbstschädigung besonderes Gewicht zukommt. I h m ist dadurch — offenbar als erster Schritt zu einer noch möglichen Wiedergutmachung — das Verfahren aus der Hand genommen, es läuft über i h n hinweg, dem nunmehr Mitarbeit und Verantwortung lediglich i n Gestalt dieser Selbstbelastungspflichten zugestanden werden. Inwieweit diese Struktur des geltenden Insolvenzrechtes befriedigen und sinnvoll ist 1 7 0 , soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Sie zeigt jedoch, m i t welchen Zwangsbefugnissen der Gesetzgeber reagieren zu müssen glaubt, u m wirtschaftlichen Schaden von einer Gläubigergemeinschaft zu wenden bzw. i h n so niedrig wie möglich zu halten, sei es auch u m den Preis existenzzerstörender Liquidierung eines gesamten Vermögens. Dieses durch den zu erwartenden Verlust geknüpfte Band der Einigkeit zwischen den Gläubigern w i r d für den Schuldner zur lähmenden Fessel. Daß sie jedoch i m Falle strafrechtlich verdächtigen Handelns nicht mindestens ebenso eng gezogen w i r d oder bleibt, kann demgegenüber nicht überzeugen. Wenn dem Beschuldigten, ähnlich wie i m Konkursrecht, i n gleicher Weise die Dispositionsbefugnis über den Prozeßstoff entzogen ist, so gewährleistet dies eben auch i m Strafprozeß nicht ausreichende Rechts168 Diese Mitwirkungspflichten des Gemeinschuldners müssen i m Zusammenhang m i t der i n §75 K O verankerten Untersuchungsmaxime gesehen werden. Der Zweck dieser Vorschrift erschöpft sich nicht i n der Wahrnehm u n g konkursleitender Maßnahmen, sondern b e w i r k t darüber hinaus, nicht zuletzt durch die Heranziehung des Gemeinschuldners zur Auskunft, „ h a u p t sächlich die Erleichterung der Information der Verwaltungsorgane", vgl. Jaeger (FN 161), Einl. Rdz. 2 unter H i n w . auf Motive I I S. 299; Mohrbutter (FN 165), § 64 I I . 169 Einzelheiten hierzu bei Mentzel/Kuhn (FN 159), v o r § 1 Rdz. 3, § 6 Rdz. 33, §87 Rdz. 1, §93 Rdz. 1, §117 Rdz. 2; Mohrbutter (FN 165), §64 I V ; Bötticher, Die Konkursmasse als Rechtsträger, Z Z P 77 (1964), S. 55 (63); Baur, Sozialer Ausgleich durch Richterspruch, J Z 1957, S. 93. 170 Hierzu Mohrbutter (FN 165), §66 I I I (zu den Reformbestrebungen); Mentzel/Kuhn (FN 159), Vorb. v o r § 1 Rdz. 9.
62
Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
findung, wie dem Gesetz selbst zu entnehmen ist. Denn auch die Strafprozeßordnung geht — ebenso wie die Konkursordnung — von dem Grundsatz unverzichtbarer M i t w i r k u n g aus, da für die Sachverhaltsermittlung notwendige Duldungspflichten, wie dargelegt, nicht m i t dem Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht umgangen werden können. Einer verfahrenserleichternden Fortsetzung dieser Pflichten durch aktive Beteiligung sollte aber bei der Prüfung strafrechtlichen Verhaltens nicht geringere Bedeutung beigemessen werden als i m Falle wirtschaftlicher Schadensabwendung des Konkursrechts. Ergebnis: Die verlorene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Gemeinschuldners machen eine Selbstbelastungspflicht nach Konkursrecht nicht überflüssig. Ähnliches muß jedoch auch gelten, wenn durch Straftaten andere wirtschaftlich geschädigt werden. Auch hier sollte dem verdächtigen Schadensurheiber nicht durch zugestandene Einlassungsfreiheit weniger scharf entgegengetreten werden. Ι Π . Folgerungen Das Schweigerecht des Beschuldigten gewährt i m Verhältnis zum Gemeinschuldner weitgehenden Schutz vor Selbstbelastung. Eine solche Schonung ist, wenn es nicht nur u m Schadensbewahrung einer kleinen Gemeinschaft, sondern u m die Abwehr einer Beeinträchtigung der gesamten Hechtsordnung geht, unbefriedigend und könnte durch eine gesetzlich festzulegende Geständnispflicht abgebaut werden.
BEISPIEL 4
Der Steuerpflichtige I. Selbstbelastung nach der Abgabenordnung (AO) 1 7 1 Obwohl nach § 88 Abs. 1 S. 1 AO die Finanzbehörde den steuerlich relevanten Sachverhalt von Amts wegen ermitteln muß, bedeutet dieser gesetzliche Auftrag keinen gleichzeitigen Verzicht auf unterstützende M i t w i r k u n g des Steuerpflichtigen. A u f i h n verlagern Gesetz und Praxis größtenteils diese wichtige Aufklärungsarbeit, da das Finanzamt zum „Zwecke der Wahrheitserforschung i m wesentlichen auf die Angaben des Steuerpflichtigen 172 angewiesen ist" 1 7 8 . Die Erfüllung 171
A O 1977, BGBl. I, S. 631. Steuerpflichtiger i m Sinne des § 33 Abs. 1 A O ist auch der Steuerschuldner, jedoch ist der Begriff des Steuerpflichtigen weiter: Er umfaßt auch 172
Beispiel 4: Steuerpflichtiger
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dieser umfangreichen Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten 174 veranlassen ihn zu einer spezifisch steuerrechtlichen Selbstbelastung, soweit sie die einen steuerlichen Tatbestand erfüllenden Umstände betreffen und nicht ausschließlich auf Steuerentlastung gerichtet sind; die Selbstbelastungspflicht unterscheidet sich jedenfalls i m Ergebnis nicht von der prozessualen Selbstschädigung, wenn diese ebenfalls in einer erwarteten Geldleistungspflicht besteht. a) Allgemeines Sachaufklärungsverfahren (1 ) Die Wahrheitspflicht
— §90 AO
Die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht, deren Auswirkungen i m zivilprozessualen Verfahren zu einer Selbstbelastung führen kann, hat auch für das allgemeine Besteuerungsverfahren zentrale Bedeutung. § 90 Abs. 1 S. 2 AO, der i m ersten Halbsatz m i t § 138 Abs. 1 ZPO übereinstimmt, regelt gleichfalls eine Form steuerlicher Pflichterfüllung, die für den Adressaten ähnlich weit ausholende Selbstbelastungsgebote beinhaltet wie es für einen Beklagten der Fall ist. Wenngleich nirgends — soweit ersichtlich 175 — diese Wahrheitspflicht auf die subjektive Wahrhaftigkeit beschränkt wird, so w i r d man dennoch auch i m Bereich der AO nicht von einem „antizipierten Be weis verfahren" sprechen können, denn für die überzeugende K l ä r u n g der objektiven Wahrheit stehen auch hier die Regelungen des Beweisverfahrens zur Verfügung (§§ 92 ff. AO). Immerhin führt aber, selbst bei Beschränkung der Wahrheitspflicht auf den subjektiven Bereich, die Forderung wahrheitsgemäßer Tatsachenmitteilung i n ein dichtes Netz nachteiliger Selbstbelastung. Das Zumutbarkeitskriterium, das anerkannte Barriere gegenüber der untersuchenden Behörde ist 1 7 6 , steht wegen seiner flexiblen Bestimmden Träger der nicht-vermögensrechtlichen Rechte u n d Pflichten aus dem Steuerpflichtverhältnis, vgl. hierzu Tipke, 5. Aufl. 1978, §9/1; Helsper i n : Koch, A O (1977), §78, Rdnr. 2 u n d 3; Kruse, Steuerrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 1973, §19 I ; allgemein zum Steuerrechtsverhältnis s. etwa Nawiasky, Steuerrechtliche Grundfragen, München 1926; Liebisch, Steuerrecht u n d Privatrecht, K ö l n 1933; Schranil, Besteuerungsrecht u n d Steueranspruch, Leipzig u n d Wien 1925. 173 B F H E 96, S. 129 (135). 174 Ausführliche Zusammenstellung bei Sidow, Die Vereinbarkeit der steuerlichen Mitwirkungspflichten m i t dem Grundgesetz, (Diss.) H a m b u r g 1968, S. 13 - 18. 175 I n den i n Bsp. 1 erwähnten ZPO-Kommentaren findet sich keine derartige A n m e r k u n g ; vgl. Hübschmann/HepplSpitaler, A O 1977, § 90 A n m . 16/17; Tipke/Kruse, A O 1977, §90 A n m . 3 (Vollständigkeit ist Ausfluß der Wahrheitspflicht). 176 Vgl. Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlichrechtlicher Pflichten des Bürgers, 1973, S. 30/31 ; Steinberg, Das Problem der
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspfichten
barkeit nicht als feste Sicherung vor dem geforderten Bürger. Sie bietet bereits deshalb wenig Schutz vor Selbstbelastung, weil wegen der von Amts wegen anzustellenden Ermittlungen die Mitwirkungshandlungen des Steuerpflichtigen nicht eindeutig festgelegt werden können. So muß stets unter Beachtung des Einzelfalls und des Grundsatzes von Treu und Glauben 1 7 7 entschieden werden, wo eine solche Grenze i m Einzelfall vorhanden ist 1 7 8 . Dabei sind übrigens die Voraussetzungen der Selbstbelastung von deren voraussichtlichem Ergebnis abhängig: So w i r d einerseits n u r eine solche Auskunft für unzumutbar gehalten, durch die der Steuerpflichtige seine wirtschaftliche Existenz gefährden würde 1 7 9 , andererseits w i r d eine selbstbelastende M i t w i r k u n g bereits dann nicht mehr verlangt, wenn durch arbeitsmäßige Mehrbelastung des Steuerpflichtigen keine größere Sicherung gegen Steuerverkürzungen zu erwarten ist 1 8 0 . Dieser variable Zumutbarkeitsbegriff w i r d außerdem durch die faktischen Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde für den Steuerpflichtigen ungünstig beeinflußt. Zumutbarkeit i m Steuerrecht, B B 1968, S. 433 (437/8); Vesterhoff, Unklare Rechtsgestaltungen i n ihrer Bedeutung f ü r das Steuerrecht, 1959, S. 13f.; Härtung, Anregungen auf steuerprozeßrechtlichem Gebiet, insbesondere Stellungnahme zu den herrschenden Theorien über die Beweislast und das E r messen i m Steuerprozeß, StuW 1956, Sp. 879 (882) unter Hinweis auf B G H v. 17.1.1956; Dorn, U m f a n g u n d Grenzen der Auskunftspflicht gegenüber dem Finanzamt, DStR 1952, S. 316 (317); Horstmann, Die Aufklärungspflichten des Finanzamts u n d die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen, StbJb 1964/5, S. 323 (326, 328); Sporbeck, Neue Tatsachen i m Steuerrecht, 1970, S. 41; Hensel, Steuerrecht, 3. Aufl. 1933, S. 156/FN 5; Kühn/Kutter/Hofmann, A O u. Nebengesetze, 12. Aufl. 1977, §90 A n m . 1; Hübschmann/Hepp/Spitaler (FN 175), § 90 A n m . 23 m i t zahlr. Nachw. aus der Rspr., allg. auch zur Z u m u t b a r keit § 90 Rdnr. 33 ff. 177 z . T . auch unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes oder des Rechtsstaatsprinzips, vgl. z . B . Steinberg (FN 176), S.436; Spitaler, Der maßvolle Gesetzesvollzug i m Steuerrecht, StbJb 1961/2, S.461 (474); Tipke/ Kruse (FN 175), §90 A n m . 4; Hübschmann/Hepp/Spitaler (FN 175), §90 A n m . 15. 178 B F H StuW 56, Nr. 85; B F H BStBl. I I I 1956, S. 75/76; BStBl. I I I 1958, S. 136/7; BStBl. I I I 1959, S. 233; BStBl. I I I 1960, S. 26/28; BStBl. I I I 1962, S. 522/3; Sporbeck (FN 176), S. 41; Nachweise bei Hübschmann/Hepp/Spitaler (FN 175). 179 Tipke, Steuerliche Betriebsprüfung i m Rechtsstaat, 1968, S. 100; Felix, A n m . zum U r t e i l des B F H v. 24.11.1954 (BStBl. I I I 1955, S. 30), B B 1955, S. 118. 180 B F H BStBl. I I I 1955, S. 383, U r t e i l v. 9.11.1955 I I 145/55: Unzumutbare Forderung der Verwaltung, ein Wareneingangsbuch weiter aufzugliedern, als es nach der Verordnung vorgeschrieben ist; ferner Ρ faff, Ermittlungspflicht des Finanzamts sowie Auskunftspflicht u n d Auskunftsverweigerungsrecht des Steuerpflichtigen u n d D r i t t e r i m Steuerermittlungs-(Steueraufsichts-)Verfahren, StuW 1970, Sp. 214 (222).
Beispiel 4: Steuerpflichtiger
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Verstärkte Selbstbelastungspflichten sind täglich praktizierter Ausgleich für technische Aufklärungsschwierigkeiten, die eine zutreffende Erstellung der richtigen Besteuerungsgrundlage nicht mehr gewährleisten. Die Kenntnisse des Steuerpflichtigen müssen dem Finanzamt insbesondere zugänglich gemacht werden, wenn die für die Besteuerung wichtigen Verhältnisse nicht oder nur m i t unverhältnismäßigen Anstrengungen ausfindig gemacht werden können 1 8 1 , aber auch wenn ungewöhnliche Verhältnisse vorliegen, die nur der Steuerpflichtige selbst aufklären kann 1 8 2 und wenn seine Behauptungen m i t den Erfahrungen des täglichen Lebens i n Widerspruch stehen 183 . Erst recht stellen Auslandsbeziehungen den Steuerpflichtigen nicht von Selbstbelastung frei. Da die Prüfungskompetenzen der Finanzbehörde wegen ihres räumlichen Zuständigkeitsbereichs besonders eingeengt sind, trifft i h n i n solchen Fällen sogar eine erhöhte M i t w i r kungspflicht (§90 Abs. 2 AO), denn er muß alle Umstände, die ausschlaggebend für seine Besteuerung sind, ohne Rücksicht auf eigene Interessen genau darlegen 184 , eben w e i l das Finanzamt solche Situationen andernfalls „kaum prüfen kann" 1 8 5 . Die Sanktionen für verweigerte Selbstbelastung verstärken deren Gewicht. Eingesetzte Zwangsmittel (§ 328 AO) oder geschätzte Besteuerungsgrundlagen (§162 AO) sind sichtbarer Beweis für den Nachdruck, den der Gesetzgeber den Selbstbelastungsgeboten verleihen will. (2) Die Steuererklärungspflicht
(§§ 149 ff. AO)
Den praktisch wichtigsten Anwendungsfall des Wahrheitsgebotes stellt die Steuererklärungspflicht (§§ 149 ff. AO) dar. Der damit verbundene Selbstbelastungszwang ist unterschiedlich, je nachdem auf Grund welchen Gesetzes eine solche Erklärung abzugeben ist. Stets muß der Steuerpflichtige alle steuerlich relevanten Umstände zur Durchführung seiner Veranlagung genau aufschlüsseln, die ohne entsprechende Angaben nur unter „größten Schwierigkeiten und nur sehr ungenau"18® vorgenommen werden könnte.
181
B F H E 118, S. 553 unter Hinweis auf B F H E 35, S. 133 ff., std. Rspr. B F H RStBl. 35, S. 306. iss B F H - U r t e i l v. 17.1.1956 I 242/54, StuW 1956, Nr. 85, Sp. 82.
182
184
z.B. bei der A u f k l ä r u n g eines i m Ausland vollzogenen Sachverhalts, vgl. B F H E 76, S. 443 ff. ; Zahlung von Zinsen an einen i m Ausland lebenden Sohn als Darlehen; vgl. ferner die zahlr. Beispiele bei Tipke/Kruse (FN 175), § 90 Rdnr. 6; Hiibschmann/Heppl Spitaler (FN 175), § 90 Rdnr. 65. iss B F H (FN 184), S. 446; B F H E 118, S. 553. 186
Kruse (FN 172), § 26 I I I 2.
5 Fischer
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
Diese A r t der Selbstbelastung w i r d i h m selbst dann abverlangt, wenn nach seiner Auffassung eine Steuerfestsetzung gegen i h n nicht i n Betracht kommt 1 8 7 oder i n Vordrucken Fragen nach bestimmten Dingen gestellt werden, die der Sachaufklärung nur mittelbar dienen 1 8 8 . Auch diese Angaben sind wahrheitsgemäß „nach bestem Wissen und Gewissen" (§ 150 Abs. 2 AO) zu machen. Solche umfassenden Offenlegungserfordernisse belasten den Steuerpflichtigen häufig noch über den abgabenrechtlichen Bereich hinaus. Abgesehen davon, daß er verpflichtet ist, Experten hinzuzuziehen, wenn er zu entsprechenden Wertangaben nicht ohne sie i n der Lage ist 1 8 9 , geht seine Entscheidungsbefugnis über den Bereich bloßer Tatsachen hinaus. I h m werden i n gleicher Weise oft wichtige rechtlich bedeutsame Erklärungen abverlangt (Ausübung von Wahlrechten — Splittingverfahren), die er angesichts der Kompliziertheit der Steuergesetze i n ihren Hechtsfolgen nicht ohne die aufklärende Hilfe sachkundiger Personen abschätzen kann. Dieser Einblick i n die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die neben den Finanzbeamten dritten Personen oft zu gewähren ist, bringt zwar wegen deren Verschwiegenheitspflicht, wenigstens formal betrachtet, nicht gleichzeitig noch eine zusätzliche Form der Selbstbelastung m i t sich. Es w i r d aber auf diese Weise die Bedeutung der gesetzlichen Auskunftspflichten unterstrichen, eben w e i l sie häufig erst infolge des Tätigwerdens Dritter erfüllt werden können und nicht einmal hilfloses Nichtwissen ein Grund zur Mitwirkungsverweigerung ist. (3) Steuerpflichtiger
und
Beweismittel
190
aa) „Zeuge i n eigener Sache" Auch i m Beweisverfahren der Abgabenordnung sind die gesetzlichen Selbstbelastungsgebote gegenüber dem Steuerpflichtigen stark ausgeprägt. 187 R F H RStBl. 37, S. 381; es w i r d jedoch verlangt, daß zumindest abstrakte Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß eine Steuerschuld entstanden sein kann, Tipke/Kruse (FN 175), § 149 Rdnr. 1 m. Nachw. aus der Rspr. 188 Kruse (FN 172). 189 B F H E 76, S. 1 (3); aA ζ. B. Kruse (FN 172), § 26 I I I 2. 190 Die Darlegung k a n n sich i n diesem Abschnitt auf die Beteiligtenpflichten beschränken. Soweit „andere Personen" — D r i t t e — zu Beweiszwecken herangezogen werden, sind die ihnen obliegenden Pflichten f ü r die Frage der Selbstbelastung unerheblich: Durch die ihnen abverlangten Auskunftspflichten werden diese (natürlichen oder juristischen) Personen entweder i n keiner Weise (unmittelbar) betroffen (Banken, Körperschaften) oder sie sind durch Verweigerungsrechte v o r Selbstbelastung geschützt. I m übrigen sollen sie erst dann zur Beweiserhebung herangezogen werden, w e n n von den (anderen) Beteiligten eine Sachaufklärung nicht zu erreichen ist bzw. eine solche keinen Erfolg verspricht (§ 93 Abs. 1 S. 2 AO).
Beispiel 4: Steuerpflichtiger
67
Wenn auch i n diesem Verfahrensabschnitt die iSachaufklärung i m Wege einer vernünftigen Arbeitsteilung 1 9 1 zwischen der Behörde und dem Steuerpflichtigen vorgenommen werden soll, so w i r d dieses bürgerfreundliche Konzept i n der Praxis k a u m eingehalten. Diese geplante Form der Kooperation verschiebt sich regelmäßig zulasten des Steuerpflichtigen, der wie ein Zeuge Mitteilungen über (äußere oder innere) Tatsachen 192 machen und „wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen" seine Angaben vortragen muß (§ 93 Abs. 3 S. 1 AO) 1 9 3 . Dennoch verweist i h n die AO auf eine wesentlich schlechtere Position als die anderen Beweispersonen, da er der Möglichkeit eines selbstgefährdenden Interessenverstoßes nur i n sehr wenigen Fällen entgehen kann und i h n selbst die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung nicht von mitwirkender Selbstbelastung verschont. Die allgemeinen Grundsätze der Erfüllbarkeit, Notwendigkeit, Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit 1 9 4 , die seine Mitteilungs- und Informationspflichten begrenzen, mögen vielleicht noch einen gewissen Selbstbelastungsschutz vor zu weitgehendem behördlichen Auskunftsverlangen gewähren. Allerdings w i r d dieser wiederum i m Falle der Weigerung, bereits offengelegte Tatsachen eidesstattlich zu bekräftigen, relativiert. Aus dieser ablehnenden Haltung des Steuerpflichtigen können nachteilige Folgerungen gezogen 195 oder die Besteuerungsgrundlagen zu seinen Ungunsten geschätzt werden (§ 162 AO), so daß die rein deklaratorische Bekräftigung einer bereits erfolgten Selbstbelastung neue selbstschädigende Konsequenzen nach sich ziehen kann. Davon abgesehen sind andere Mitwirkungsverweigerungsrechte für den Steuerpflichtigen nicht vorgesehen. Auch der Grundsatz des strafrechtlichen Selbstbezichtigungsverbotes gilt n u r für unbeteiligte Dritte 1 9 8 , nicht für den Steuerpflichtigen selbst. Das Schweigerecht bei der Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungs191
Tipke/Kruse (FN 175), § 90 Rdnr. 2. Nicht Vermutungen, Werturteile, Rechtsauffassungen, Schätzungen, vgl. Tipke/Kruse (FN 175), §90 Rdnr. 3; Hübschmann/Hepp/Spitaler (FN 175), §90 Rdnrn. 13/14; B F H BStBl. I I I 1964, S. 88 (89). iss v g l die insoweit gleichlautenden Formulierungen der Eidesnormen i m Strafprozeß (§ 66 c StPO) bzw. i m Zivilprozeß (§ 392 ZPO). 192
194
Vgl. oben F N 164/5; der Begriff der Verhältnismäßigkeit ist nicht eindeutig; allg. hierzu Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 98 (1973), S. 568 ff.; Selmer, Finanzordnung u n d Grundgesetz. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts i n Finanz- u n d Steuersachen, AöR 101 (1976), S. 238 ff., 399 ff.; Gusseck, Die Zumutbarkeit — E i n Beurteilungsmaßstab? 1971. Dem Zumutbarkeitsbegriff ist v o m Bundesverfassungsgericht neben dem V e r h ä l t nismäßigkeitsbegriff selbständige Bedeutung zuerkannt worden, BVerfGE 38, S. 61 (92 ff.). 195 Einführungserlaß zur A O 1977, zu § 95 (BStBl. I 1976, S. 576). 196 Hierzu Muuss i n : Koch, A O 1977, § 103, Rdz. 2. 5*
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
Widrigkeit (§ 103 AO) billigt das Gesetz ausdrücklich nur Personen zu, die weder Beteiligte noch für Beteiligte auskunftspflichtig sind (§ 103 S. 1 AO). Gegen den Steuerpflichtigen sind lediglich Zwangsmittel i m Besteuerungsverfahren (§ 328 AO) unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von i h m begangenen SteuerStraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten (§ 393 Abs. 1 S. 2 AO). F ü r nichtsteuerliche Straftaten hingegen w i r d er zu uneingeschränkter Selbstüberführung veranlaßt. Hier schützt ihn auch das Steuergeheimnis nicht, da Staatsanwaltschaft und Gericht unter den Voraussetzungen des § 393 Abs. 2 S. 2 i V m § 30 Abs. 4 Nr. 5 A O (Strafverfolgung i m zwingenden öffentlichen Interesse) Kenntnisse, die i m Zusammenhang m i t der Erfüllung einer steuerrechtlichen Pflicht 107 offenbart worden sind, für ein Strafverfahren verwenden können. Damit ist also der Steuerpflichtige i n einem steuerlichen Verfahren zu einem strafrechtlichen Geständnis und damit zu der Erfüllung einer Pflicht gezwungen, die als Beschuldigter i n sein Belieben gestellt wäre. Der Widerspruch dieser gesetzlichen Vorschriften liegt auf der Hand. Nach geltendem Recht ist die steuerliche Selbstbelastungspflicht nicht auf den abgabenrechtlichen Bereich beschränkt, sondern greift auf den strafrechtlichen Sektor über und bringt zusätzliche Sanktionen m i t sich. Gegen diese Doppelbelastung bestünden an sich keine Bedenken. Sie kann aber nicht mehr befriedigen, wenn die Ermittlungsbehörde, der durch § 136 a StPO Zwangsmaßnahmen zur Gewinnung von Auskünften untersagt sind, solche Tatsachenangaben ungehindert verwenden kann, die eine andere Behörde durch strafverfahrensrechtlich verpönte Methoden erreicht hat 1 9 8 . Welchen Sinn unter diesem Aspekt die obligatorische Belehrungspflicht über das strafprozessuale Aussageverweigerungsrecht noch hat, ob dieses Recht i n diesem Zusammenhang weiterhin den Charakter eines Privilegs trägt, ist mehr als fraglich. I n jedem Fall führt dieses verwirrende Ineinandergreifen zweier gegensätzlicher Regelungen 199 zu einer offensichtlich unterschiedlichen Inter197 Das ist ζ. B. nicht der Fall, w e n n der Steuerpflichtige Tatsachen oder Beweismittel i m Zuge einer Selbstanzeige nach §371 offenbart hat, Klein/ Orlopp, A O 1977, A n m . 7 b. 198 So auch Reiß, Der Z w a n g zur Selbstbelastung nach der neuen A b gabenordnung, N J W 1977, S. 1436 (1437). 199 Hierzu sind bereits Vorschläge zu einer Harmonisierung gemacht w o r den, vgl. Rogali, Die Mißachtung des Verbots der Selbstbelastung i m geltenden u n d kommenden Abgabenrecht, ZRP 1975, S. 278 ff.: Beseitigung einer entsprechenden M i t w i r k u n g des Steuerpflichtigen; Reiß, aaO, (FN 198): A u f nahme eines Hinweises i n die §§ 136/136 a der Strafprozeßordnung auf die Durchbrechung des Selbstbelastungsverbots durch die Steuerrechtsregelung bzw. Vorlage der kritisierten Vorschrift zur Prüfung an das Bundesverfassungsgericht; Buchstab i n : Koch (FN 196), § 393 Rdz. 9: Ermessensmißbräuchliche A n w e n d u n g v o n Zwangsmitteln zur Durchsetzung der M i t w i r kung, da die Gefahr bestehe, daß der strafverfahrensrechtliche Grundsatz,
Beispiel 4: Steuerpflichtiger
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pretation des Rechtsstaatsprinzips, als dessen Ausformung das Selbstbelastungsverbot des § 136 StPO angesehen w i r d 2 0 0 . bb) Präsentationspflichten Die zusätzlichen Vorlagepflichten, denen der Steuerpflichtige auf Verlangen der Behörde nachkommen muß, belasten i h n oft noch stärker als die eben geschilderten Auskunftspflichten. Neben der Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden (§ 97 Abs. 1 S. 1 AO) kann das Finanzamt sogar die Präsentation von Wertsachen (Geld, Wertpapiere, Kostbarkeiten) anordnen, soweit dies erforderlich ist, u m i m Besteuerungsinteresse Feststellungen über ihre Beschaffenheit und ihren W e r t 2 0 1 zu treffen. Daß hierin für den Steuerpflichtigen eine erhöhte Selbstbelastungspflicht zum Ausdruck kommen kann, ergibt sich bereits aus dem Gesetz selbst, das offensichtlich der Aussage zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlage primäre Bedeutung beimißt: Die Vorlage der i n § 97 genannten Urkunden soll i n der Regel erst dann verlangt werden, wenn die Auskunft überhaupt nicht, unzureichend oder vermutlich unrichtig erteilt worden ist (§ 97 Abs. 2 S. 1 AO). Unter solchen Voraussetzungen braucht der Steuerpflichtige zwar nur Bücher und Urkunden vorzulegen, die sich i n seiner Verfügungsgewalt befinden 202 , diese Pflicht obliegt i h m jedoch selbst dann, wenn er gegen einen Dritten einen entsprechenden Herausgabeanspruch hat 2 0 3 . Der gesetzliche Subsidiaritätsgrundsatz kommt überdies dem Steuerpflichtigen nicht zugute, der eine Steuervergünstigung i n Anspruch nehmen w i l l (vgl. § 97 Abs. 2 S. 2 AO). Ihm, dem das Gesetz offensichtlich m i t einem gewissen „Mißtrauen" begegnet, w i r d selbstbelastende M i t w i r k u n g auch ohne den Verdacht unzureichender Angaben zugemutet 2 0 4 . Dieser Selbstbelastungszwang w i r d lediglich durch den Bewonach niemand zu einer Selbstbezichtigung gezwungen werden darf, unterlaufen werde. 200 z.B. BVerfG N J W 1975, S. 103; Reiß (FN 198); Paulick, Die Auskunftspflicht der Steuerpflichtigen u n d dritter Personen i m Steuerermittlungs-, Steueraufsichts- u n d Steuerstrafverfahren u n d ihre rechtsstaatlichen Grenzen, i n : Festschrift f ü r A . Spitaler, 1958, S. 95. 1201 Die Vorlage v o n Wertsachen nach §100 A O ist Durchführung des Augenscheins, vgl. Abschnittsüberschrift vor § 97 AO. 202 R F H E 11, S. 127 f.; R F H RStBl. 34, S. 259 u n d 823; R F H E 25, S. 148 ff.; hierbei k a n n der Steuerpflichtige von der Behörde auch aufgefordert werden, Lesehilfsmittel (ζ. B. bei Mikrofilmen oder maschinenlesbaren Datenträgern) oder Reproduktionen zur Verfügung zu stellen (§ 97 Abs. 3 i V m § 147 Abs. 5 AO), vgl. Koch (FN 172), § 98 Rdnr. 8. 203 R F H E 25, S. 148 ff. 204 Dasselbe gilt f ü r die Einnahme des Augenscheins, soweit Wertsachen i n Betracht kommen, vgl. § 100 AO.
Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
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stimmtheitsgrundsatz eingeschränkt, der eine Ausforschung nach unbekannten Gegenständen verbietet 2 0 5 . cc) Kontrollermöglichung I n den zahlreichen Variationen sorgfältiger und wahrheistgemäßer Tatsachenoffenlegung erschöpfen sich die steuerlichen Selbstbelastungspflichten nicht. Zusätzlich sind dem Steuerpflichtigen zur Kontrolle wichtiger Sachverhalte weitere Obliegenheiten auferlegt, die, eben w e i l sie ein behördliches Vorgehen gegen i h n ermöglichen, eine nicht minder geringe Pflicht zu interessenverstoßendem Handeln bedeuten. — Die Erfüllung der Meldepflicht (§ 139 AO, Anmeldung von Betrieben i n besonderen Fällen) z.B. besteht zwar i n erster Linie aus einer konkret vorgeschriebenen 206 Mitteilung an die jeweils zuständige Finanzbehörde; jedoch ist schon diese nicht ohne selbstbelastende Folgen, da auf Grund solcher Informationen Maßnahmen gegen den Anmeldenden ergriffen werden können (Ermöglichung der Überwachung von Unternehmen, i n denen verbrauchsteuerpflichtige Waren hergestellt werden: Tabak, Zucker, Salz, Bier bzw. i n denen besondere Verkehrsteuern anfallen: Versicherungsteuer, Rennwettoder Lotteriesteuer) 207 . — I n gleicher Weise belasten die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten, die sich entweder aus der A O selbst (§§141-146) oder aus anderen nichtsteuerlichen Vorschriften ergeben 208 . Diese für das Finanzamt sicherlich zweckmäßige Mitteilung sämtlicher Einnahmen und Ausgaben erleichtert zwar das Auffinden von Steuervorteilen und w i r k t insoweit auch zugunsten des Steuerpflichtigen. Es erinnert aber zugleich an ein rechenschaftsablegendes Vermögensverzeichnis des zahlungsunfähigen Schuldners, der i m Gegensatz zum Steuerpflichtigen allerdings weniger stark zur Selbstbelastung gezwungen ist: Obwohl der Steuerpflichtige nicht an ein bestimmtes System der Buchführung gebunden ist 2 0 9 , w i r d seine 205 Dieses Ausforschungsverbot gilt ebenfalls f ü r das Betretungsrecht von Grundstücken u n d Räumen, § 99 Abs. 2 AO, das i m Besteuerungsinteresse den zuständigen Amtsträgern u n d Sachverständigen gestattet ist, §99 Abs. 1 AO, u n d v o m Steuerpflichtigen zu dulden ist. Seine passive M i t w i r k u n g s pflicht k o m m t einer Selbstbelastung durch aktives Handeln gleich. 206 y g i § 139 Abs. 2 AO, wonach durch Rechtsverordnung Bestimmungen über den Zeitpunkt, die F o r m u n d den I n h a l t der A n m e l d u n g getroffen werden können. 207
Zusammenstellung bei Zwank i n : Koch (FN 172), § 139 Rdz. 2. §§ 38 - 47 a, 120 - 161 Abs. 2 H G B ; §§ 92 Abs. 1, 148 - 161 A k t G ; §§ 41, 42 G m b H G ; § § 3 3 - 3 3 g GenG; vgl. i m übrigen die näheren Einzelheiten bei Sidow (FN 174), S. 21 ff. 209 B F H BStBl. I I 1972, S. 400. 208
Beispiel 4: Steuerpflichtiger
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Buchführung nur dann als ordnungsmäßig anerkannt, wenn sie so beschaffen ist, daß sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und die Vermögenslage des Unternehmens vermitteln kann 2 1 0 . Dieser Dritte muß sich grundsätzlich ohne fremde Hilfe und ohne Schwierigkeiten einen solchen Uberblick verschaffen können 2 1 1 . Damit obliegen einem Steuerpflichtigen letzten Endes größere Nachweise über finanzielle Transaktionen und andere Geschäftsvorgänge als einem Vollstreckungsschuldner, der erst nach fruchtloser Vollstreckung zu entsprechend eingehender Selbstbelastung verpflichtet ist. — Zur lückenlosen Verwirklichung umfassender Selbstbelastung des Steuerpflichtigen dienen schließlich die gesetzlichen Vorschriften zur Aufbewahrung besonderer Unterlagen 2 1 2 , da ohne diese Belege eine zuverlässige Nachprüfung nicht durchführbar ist 2 1 3 . b) Spezielle Sachaufklärungsverfahren M i t t e l zur Aufklärung besonderer Sachverhalte sind die Außenprüfung, die Steuerfahndung und die Steueraufsicht. Diese weiteren Instrumente zur Uberprüfung der Wahrheitspflicht bringen zusätzliche Selbstbelastungspflichten. (1)
Außenprüfung
Der Außenprüfer hat i n der Regel als Ermittlungsgehilfe des Finanzamts Besteuerungsgrundlagen zu beschaffen 214. Hierfür prüft er die steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen i n tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und teilt seine Feststellungen dem zur Entscheidung über den Steueranspruch zuständigen Veranlagungsfinanzamt mit 2 1 5 . Auch hierbei verringert sich die Selbstbelastungspflicht des Steuerpflichtigen nicht, sondern verstärkt sich. Seine M i t w i r k u n g beschränkt sich nicht lediglich auf ein duldendes „Über-sich-ergehen-lassen" der Prüfung, sondern besteht ii? zum Teil recht erheblichen Aktivitäten, deren Umfang nicht zuletzt vom pflichtgemäßen Ermessen der Behörde bzw. des Außenprüfers abhängig ist 2 1 8 . 210
Aus der Rspr. ζ. B. B F H BStBl. I I I 1966, S. 496; I I 1972, S. 400. Zwank i n : Koch (FN 172), § 145 Rdz. 3. 212 Vgl. die Zusammenstellung i n § 147 AO. 213 Zwank (FN 211), § 147 Rdz. 2. 214 B F H BStBl. I I 1968, S. 118. 215 Zwank i n : Koch (FN 172), § 199, Rdz. 2. 216 Einführungserlaß zu A O 1977 (Schreiben des Bundesministers der Finanzen v. 1.10.1976 I V A 7 — S 0015 — 30/76) zu § 200 A O ; die Prüfungs211
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
Entsprechend dem allgemeinen Selbstbelastungsgrundsatz nach §90 A O gilt auch hier, daß unter besonderen Voraussetzungen, die die Sachverhaltsaufklärung erschweren, eine gesteigerte Selbstschädigung dem Steuerpflichtigen zur Pflicht gemacht werden kann. Eine solche Situation liegt ζ. B. vor, wenn beim Einsatz von EDV-Anlagen diese Anlagen während eines Prüfungszeitraums mehrmals vom Unternehmer gewechselt worden sind und hierüber keine ordnungsgemäße Dokumentation vorgelegt werden kann bzw. wenn i n großem Umfang Zahlenverdichtungen vorgenommen worden sind. Die damit verbundene Belastung und Erschwerung der Prüfungstätigkeit erfordern es, daß etwa entsprechende Vorrichtungen und geschultes Personal für die Außenprüfung — i m Rahmen des Zumutbaren — zur Verfügung gestellt werden 2 1 7 . Diese Selbstbelastung bringt unter Umständen noch zusätzliche Kosten für den Steuerpflichtigen m i t sich. (2) Steuerfahndung Die Aufgabe der Steuerfahndung umschreibt das Gesetz i n §208 Abs. 1 Nr. 1 - 3 AO. Sie besteht i n der Ermittlung Steuer- und strafrechtlich relevanter Sachverhalte, die den Steuerpflichtigen nicht von selbstbelastender M i t w i r k u n g freistellen (vgl. Rückverweisung auf die Vorschriften der Außenprüfung i n § 208 Abs. 1 S. 3 2. Halbs.). Obw o h l der Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit gegen i h n besteht, ist er zur Selbstbelastung veranlaßt 2 1 8 , da er auch auf diesem Gebiet nicht besser stehen soll als der redliche Steuerpflichtige. Deshalb kann er sich — anders als ein jBeschuldigter i m Strafverfahren — nicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berufen. (3) Die Steueraufsicht
in besonderen
Fällen 219
Die Steueraufsicht ist eine vollamtliche Überwachung (§209 Abs. 1 AO) und betrifft Zolle und Verbrauchsteuern. Sie dient der laufenden arbeit ist ζ. B. durch Vorlage v o n Urkunden, Erteilung v o n Auskünften oder Erläuterungen zu unterstützen. 217 Zwank i n : Koch (FN 172), § 200 A O Rdz. 4; Kühn/Kutter/Hofmann (FN 176), §200 Anm. 2/3; einen guten Überblick über „Die steuerliche Außenprüfung nach neuem Recht" gibt Martens, N J W 1978, S. 1465 ff. m. zahlr. Nachw.; ferner: ders., Die steuerliche Betriebsprüfung („Außenprüfung") nach der A O 1977 aus der Sicht des Beraters, 1978; Suhr t Steuerliche Betriebsprüfung, 1977. 218 Seine M i t w i r k u n g k a n n jedoch nicht erzwungen werden, w e n n er sich selbst entsprechend belasten müßte oder w e n n gegen i h n wegen einer solchen T a t bereits das Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet worden ist, vgl. Gronarz i n : Koch (FN 172), § 208 Rdz. 17. 219 Durch diese Formulierung des Gesetzes soll die Steueraufsicht von der Außenprüfung abgehoben werden, die ebenfalls eine A r t Steueraufsicht ist, Gronarz (FN 218), § 209.
Beispiel 4: Steuerpflichtiger
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Kontrolle des Warenverkehrs über die Grenze und des technischen Herstellungsprozesses i m weitesten Sinn 2 2 0 , aber nicht der Ermittlung konkreter Sachverhalte. Doch auch bei dieser Zielrichtung mutet das Gesetz dem Steuerpflichtigen selbstbelastende Maßnahmen zu und erlegt i h m Handlungsund Duldungspflichten auf 2 2 1 , deren Durchführung er nicht verhindern kann. — Die aktiven Mitwirkungspflichten, die i m einzelnen i n §211 AO zusammengestellt sind, setzen sich aus Vorlage- und Auskunftspflichten zusammen, deren selbstbelastende Auswirkungen m i t denen des allgèmeinen Sachaufklärungsverfahrens übereinstimmen. — Bei den Duldungspflichten durchbricht das steuerliche Selbstbelastungsgebot unter Umständen den verfassungsrechtlichen Grundsatz von der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), wenn ein konkreter Verdacht gegen den Steuerpflichtigen besteht (sogen. „Verdachtsnachschau", § 210 Abs. 2 AO 2 2 2 ). Ansonsten sind allerdings dem Finanzamt Prüfungen dieser A r t verwehrt; es kann sich nicht auf die Behauptung stützen, daß „schließlich jeder irgendwie Dreck am Stecken habe" 2 2 3 und sich auf diese bequeme Weise durch den Steuerpflichtigen bei notwendigen Uberwachungsmaßnahmen unterstützen lassen. c) Die eidesstattliche Versicherung im Vollstreckungsverf ahren — § 284 AO Die Selbstbelastungserfordernisse der eidesstattlichen Versicherung decken sich i m steuerlichen Vollstreckungsverfahren m i t denen der ZPO 2 2 4 . Eine Steigerung der gesetzlich angeordneten Selbstbelastung liegt hier i n erster Linie i n der Abgabe der eidesstattlichen Versicher i m g als solcher, weniger i n derem materiellen Gehalt 2 2 5 . Während i m 220 Kühn/Kutter /Hofmann (FN 217), §209/Anm. 1; Tipke, Allgemeines Steuerrecht, 5. A u f l . 1978, § 17/4, 3; Hübschmann/Hepp/Spitaler (FN 175), § 209 Rdnrn. 2 ff. 221 Vgl. die Befugnisse der zuständigen Amtsträger i n §210 A O : Betretungsrechte, Vornahme von Prüfungen. 222 Das ist der Fall, w e n n Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sich auf Grundstücken, i n Räumen, Schiffen oder anderen Fahrzeugen Schmuggelware oder nicht ordnungsgemäß versteuerte — verbrauchsteuerpflichtige — Waren befinden oder dort sonst gegen Vorschriften oder Anordnungen verstoßen w i r d , deren Einhaltung durch die Steueraufsicht sichergestellt w e r den soll (§ 210 Abs. 2 AO). 223 Hensel, Die Auskunftspflichten D r i t t e r (insbesondere der Bankinstitute) i m Rahmen des §201 A O (η. F.), StuW 1932, Sp. 1347 (1371); R F H GrS 33, S. 248 (257). 224 Hierzu oben Beispiel 2.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
zivilprozessualen Vollstreckungsverfahren der Gläubiger die Chancen seiner Rechtsverwirklichung abschätzen w i l l und hierfür erstmals auf diese eingehenden Angaben des Schuldners angewiesen ist, hat der Steuerpflichtige schon vor den gegen i h n betriebenen Vollstreckungsmaßnahmen i n ähnlicher Form Auskunft geben müssen. Seine Vermögensübersicht ergibt sich bereits aus der Erstellung der Besteuerungsgrundlage, für die zwar andere formelle Vorschriften ausschlaggebend sind, die jedoch inhaltlich nicht nach wesentlich anderen Selbstbelastungsregeln vorzunehmen ist. d) Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung Der Weg einer Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, der über die „goldene Brücke" des § 371 AO führt, verläßt den Boden der Selbstbelastung nicht, schließt jedoch unter Umständen die Gefahr eines zweifachen Interessenverstoßes aus. Da der Täter einer Steuerhinterziehung straffrei wird, wenn er — nach Vollendung der Tat unrichtige Angaben berichtigt bzw. unterlassene Angaben nachholt (§ 371 Abs. 1 AO) oder — die hinterzogenen Steuern innerhalb einer (ihm zu bestimmenden) angemessenen Frist entrichtet (§ 371 Abs. 3 AO) und dadurch jeder strafrechtlichen Sanktion, nicht aber steuerrechtlichen Konsequenzen enthoben ist, bleibt er i n gleicher Weise wie der gesetzestreue Bürger zu spezifisch steuerrechtlicher Selbstbelastung verpflichtet. Seine Berichtigungserklärungen müssen deshalb inhaltlich den an Steuererklärungen gestellten Anforderungen genügen (§ 150 Abs. 2 AO), damit die Finanzbehörde i n der Lage ist, ohne langwierige Nachforschungen die Steuern richtig festzusetzen 226 . Der lohnende Anreiz für diese M i t w i r k u n g hinterläßt aber dennoch ein bedenkliches Resultat: Der folgenlose Zwang zur strafrechtlichen Selbstbezichtigung mag für die Erschließung bisher verborgener Steuerquellen als praxisnahe 225 Einzelheiten i m Zusammenhang m i t der Erstellung des Vermögensverzeichnisses ergeben sich aus § 284 Abs. 1 S. 1 - 3 A O ; näher hierzu Tipke/ Kruse (FN 175), §284 A n m . 6; Hübschmann/Hepp/Spitaler (FN 175), §284 Rdnr. 19 ff. 226 Fliege i n : Koch (FN 172), §371 Rdz. 2; skeptisch zu der Frage, ob durch diese Möglichkeit der nachträglichen Pflichterfüllung bisher verheimlichte Steuerquellen erschlossen werden können — so B G H S t 12, S. 100 ff. — Kopacek, Verspätete Abgabe der Steuererklärung als straf befreiende Selbstanzeige, N J W 1970, S. 2099 ff.; Kratzsch, Der strafrechtliche Aspekt der Selbstanzeige, StuW 1974, Sp. 68ff.; vgl. auch Kühn/Kutter /Hofmann (FN 217), § 371 A n m . 5.
Beispiel 4: Steuerpflichtiger
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Voraussetzung notwendig sein. Ihr Preis, die bewußte Aufgabe eines „Stücks strafrechtlicher Gerechtigkeit" 227 , erscheint aber dennoch zu hoch, wenn er dem Betroffenen die Wahl zwischen zwei „Selbstbelastungsübeln" leicht macht und i h n zum geringeren greifen läßt. Ob diese Entscheidung allerdings als ethisch billigenswertes Verhalten angesehen werden kann, ist zweifelhaft, denn immerhin w i r d mit Hilfe materieller M i t t e l ein Bruch m i t der Gerechtigkeit ungeschehen gemacht. Es fragt sich aber auch, ob es erforderlich ist, die für alle Rechtsgebiete gleichermaßen verbindliche „Moral" hier i m Steuerrecht besonders hervorzuheben. Umschreibungen wie „Steuermoral" oder „Steuerehrlichkeit" 2 2 8 mögen zu ihrer Präzisierung beitragen; es sind aber w o h l zu anspruchsvolle Begriffe, u m damit wegen zögernder Rückkehr zur Gesetzestreue den Verzicht auf Strafe zu rechtfertigen. Solange der „an sich" strafbare Steuerpflichtige jedoch straffrei ausgeht, steht er besser als jeder noch so wenig verdächtige Beschuldigte. Die Lücke zum Strafrecht ist unübersehbar. Wenn der Gesetzgeber diese Disharmonie jedoch bewußt i n Kauf nimmt, zeigt das aber auch, daß i h m an der konsequenten Erfüllung der steuerlichen Selbstbelastungspflichten viel gelegen ist. Wenigstens unter diesem Gesichtspunkt kann daher der Grundsatz der Priorität des Abgabenrechts vor dem Strafrecht 229 aufgestellt werden. e) Exkurs: Selbstbelastungspflichten auf Grund spezialgesetzlicher Regelungen Die speziellen Selbstbelastungspflichten, die i n gesonderten Steuergesetzen und Verordnungen festgelegt sind, bringen keine von der AO abweichenden Selbstbelastungszwänge m i t sich. Sie entsprechen formell denen der AO und sind inhaltlich auf die bestimmten Steuerarten ausgerichtet, deren Verwirklichung sie dienen sollen. Sie verlangen dem Steuerpflichtigen umfassende Angaben und Nachweise über seine finanziellen Verhältnisse aus seinem privaten und geschäftlichen Tätigkeitsbereich ab, so daß unter Umständen mehrere Steuerschulden in einer Periode 230 gegen i h n festgesetzt werden können. Diese besonderen Formen der Selbstbelastung ergeben sich aus den jeweiligen Einzel227
Tipke (FN 220), S. 508. Übersicht über diese Rechtfertigungsgründe bei Pfaff, Kommentar zur steuerlichen Selbstanzeige, 1977, Β I I ; vgl. auch BGHSt 3, S. 375 (Erleichterung der Rückkehr zur Steuerehrlichkeit). 229 V g L Fliege, Zwank i n : Koch (FN 172), vor §207 Rdz. 3, und Fliege, ebenda, § 393 Rdz. 3, die i m Zusammenhang m i t den Aufgaben und Befugnissen der Steuerfahndung i m Besteuerungsverfahren eine Vorrangstellung des Strafverfahrensrecht „grundsätzlich" ablehnen. 228
230 Sogen. „Globalschuld", vgl. Tipke (FN 220), § 10 (Einl.) unter Hinweis auf Rose, Die Steuerbelastung der Unternehmung, 1973.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
steuergesetzen und hängen i n ihrem Umfang von den Steuertatbeständen ab (Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Einkommensteuergesetz, Vermögensteuergesetz usw.). So obliegen dem Steuerpflichtigen ζ. B. — (Steuer-) Erklärungs- und Auskunftspflichten nach dem Bewertungsgesetz (§§ 28, 29), der Einkommensteuerdurchführungsverordnung (§§ 56 ff.), dem Vermögen- und Erbschaftsteuergesetz (§19 bzw. §§ 30,31), dem Grundsteuergesetz (§ 19) oder — Melde- und Buchführungspflichten nach den einzelnen Verbrauchsteuergesetzen 231 bzw. den speziellen Verkehrsteuergesetzen und deren Durchführungsverordnungen 232 . Zusammenfassung Steuerliche Selbstbelastungspflichten ergeben sich nicht allein aus dem Wahrheitsgebot der AO (§ 90); sie sind i n weiteren — ergänzenden und konkretisierenden — Vorschriften festgelegt, die gleichzeitig zur Kontrolle gewissenhafter Pflichterfüllung seitens der Steuerpflichtigen dienen (Vorlagepflichten, Buchführungspflichten, M i t w i r k u n g bei der Durchführung der Außenprüfung). Diese mehrfache Absicherung gegen unredliches Verhalten der jeweiligen Adressaten ist dennoch vom Gesetzgeber nicht als ausreichendes Instrumentarium zuverlässiger Sachverhaltsaufklärung erachtet worden. Damit eine lückenlose Ausschöpfung der Kenntnisse des Steuerpflichtigen gewährleistet ist, steht diesem auch i m Falle strafrechtlicher Selbstüberführung kein Aussageverweigerungsrecht zu. Es besteht allenfalls Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung, wenn durch diese A n gaben die Folgen einer Steuerhinterziehung ausgeglichen werden können. II. Legitimation der steuerlichen Selbstbelastung Vergleich mit der Strafprozeßordnung Die spezifisch steuerrechtliche Selbstbelastung könnte legitim sein — wegen ihrer Unverzichtbarkeit; — auf Grund ihrer Realisierungsfunktion des jeweiligen Steuerrechtsverhältnisses; — als Gewährleistungsfaktor zur gleichmäßigen Erfassung aller Steuersubjekte; 231 Vgl. die Zusammenstellung der zahlreichen Rechtsgrundlagen bei Tipke (FN 220), § 14/3. 232 §§4, 14 K V S t D V , §§2, 7 VersStDV, §§13, 18 c R e n n w e t t L o t t A B ; §2 FeuerschutzStDB oder § 7 K r a f t S t D V .
Beispiel 4: Steuerpflichtiger
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— als geeignetes Instrument staatlicher Finanzbedarfsdeckung. Ob sich auch i n diesem Zusammenhang — bei einem Vergleich mit der Strafprozeßordnung — Anhaltspunkte für eine Harmonisierung unterschiedlicher Selbstbelastungserfordernisse ergeben, soll die folgende Erörterung zeigen. a) Unverzichtbarkeit Als Voraussetzungen optimaler Einnahmeerzielung könnten die selbstbelastenden Mitwirkungspflichten bereits deshalb gerechtfertigt sein, w e i l ein Verzicht auf sie eine wesentliche Erschwerung der Sachverhaltsermittlungen m i t sich brächte. Dieser Gedanke einer unabdingbaren Unterstützung der Behörde durch den Steuerpflichtigen läßt sich jedenfalls der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entnehmen, i n . der streitige Aufklärungspflichten entschieden werden mußten 2 3 3 . Aus diesen Erkenntnissen des Gerichts geht eindeutig hervor, daß den vom Steuerpflichtigen dem Finanzamt unterbreiteten Tatsachen maßgebende Bedeutung zukommt und eine einschränkende Änderung dieser Beteiligung der Behörde i n nicht unerheblichem Umfang die Möglichkeit wahrheistgemäßer Sachverhaltserforschung beschneiden würde 2 3 4 . Der Vorteil dieser M i t w i r k u n g liegt auf der Hand: Wie sollten zinsbringende Banknoten, gewinnträchtige Aktienpakete oder „krisenfeste" Kapitalanlagen zuverlässiger und schneller i n Erfahrung gebracht werden als durch den Eigentümer selbst? Eine solche der Wirklichkeit entsprechende Auffassung von der Wichtigkeit steuerlicher Selbstbelastungsnotwendigkeit scheint auch die Haltung des Gesetzgebers zu bestätigen, die erst unlängst i n der „ A Q 1977" 235 zutage getreten ist. I n diesem Reformwerk, das die gerade i n diesem Zusammenhang kritisierte Reichsabgabenordnung 23® abgelöst 233 B F H E 101, S. 73 (BStBl. I I 1971, S. 200); 103, S. 404 (BStBl. I I 1972, S. 106); 105, S. 515 (BStBl. I I 1972, S. 637); 108, S. 289 (BStBl. I I 1973, S. 327); 112, S. 444 (BStBl. I I 1974, S. 538); 118, S. 213 (BStBl. I I 1976, S. 513). 234 B F H E 76, S. 443 ff.; 96, S. 129 (insbes. S. 135). 235 A O 1977 i d F v. 16. März 1976 (BGBl. I , S. 613), i n K r a f t seit 1. Januar 1977. 236 H a u p t k r i t i k p u n k t w a r hierbei der der „fiskalischen Kopflastigkeit", Klein/Orlopp (FN 197), Einl. S. 1; Enno Becker selbst r ä u m t ein, daß i h m der V o r w u r f der Kassenjustiz gemacht worden sei oder der, daß die Rechtsprechung nicht mehr n u r Recht spreche, sondern „einseitig i m fiskalischen Sinn" Finanzpolitik betreibe, vgl. seine Veröffentlichung „ Z u r Rechtsprechung" i n StuW 1931, Bd. I — Abhandlungen, Sp. 430 (433); zu dieser K r i t i k ferner Strickrodt i n Bühler/Strickrodt, Steuerrecht, Bd. 1/1, 3. A u f l . 1954, S. 154; Tipke, i n dubio pro fìsco? i n : Steuer-Kongreß-Report 1967, S. 39 (44 f.); vgl. dort auch die Beispiele aus den Veranlagungsrichtlinien v o n 1934 (RStBl. 1935, S. 380 bzw. 1937, S. 869/70), i n denen die deutlich fiskalistische Tendenz zum Ausdruck gebracht worden ist.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
und seit langem angestrebte Verbesserungen gesetzlich fixiert hat 2 3 7 , sind die bereits vorhandenen Selbstbelastungspflichten unberührt geblieben, obwohl auch hier ausreichend Gelegenheit zur Überarbeitung bestanden hätte. A n ihre Änderung ist i m Laufe der vergangenen 50 Jahre wohl nicht einmal gedacht worden; vielmehr scheint das Gegenteil, ihre Aufwertung, eingetreten zu sein: Der Gesetzgeber hat in der nunmehr umgestalteten AO sogar die strafrechtliche Selbstbelastung 2 3 8 bewußt i n Kauf genommen, ohne einen entsprechenden Schutz für den betroffenen Steuerpflichtigen zu verankern (kein Aussageverweigerungsrecht). Die Selbstbelastungszwänge lassen sich demnach infolge judikativer Feststellungen und legislativer Betätigung als unabänderliche Konstanten des Besteuerungsverfahrens auffassen. Dennoch bestehen gegen dieses starre Festhalten an solchen Vorschriften — mögen sie sich auch insgesamt bewährt haben — Bedenken, gerade wenn man den Selbstbelastungseffekt i m Hinblick auf das strafprozessuale Privileg betrachtet. Hierbei soll nicht einer erneuten Reform das Wort geredet werden, die nun die Selbstbelastungsvorschriften einer grundlegenden Änderung unterwirft. Einer solchen bedarf es nicht, denn auch das geltende Abgabenrecht enthält Möglichkeiten, unterschiedliche Selbstbelastungsgebote zweier Rechtsgebiete einander anzunähern. Das läßt sich dadurch erreichen, daß stärker als bisher nach der Erforderlichkeit der jeweiligen Selbstbelastungspflicht gefragt w i r d (vgl. unten). K a n n der eine oder andere Punkt auch ohne oder m i t geringerer M i t w i r k u n g des Steuerpflichtigen geklärt werden, ist dessen Selbstbelastung insoweit vermeidbar 238 *. Ebenso wie i m Strafverfahren kann er sich passiv verhalten und die Ermittlungen der Behörde überlassen. Hierzu einige Beispiele: — Auslandsbeziehungen: Die AO verlangt dem Steuerpflichtigen, der steuerlich relevante Auslandsbeziehungen unterhält, eine verstärkte M i t w i r k u n g ab (vgl. die Einzelheiten i n § 90 Abs. 2 AO). Der Grund besteht darin, daß die Finanzbehörde bei der Ermittlung des Steuerfalls i m Ausland nicht tätig werden darf, sofern Doppelbesteuerungsabkommen dies nicht ausdrücklich zulassen 239 . Es kann bezweifelt werden, ob diese a-priori-Uberbürdung der A u f klärungslast auf den Steuerpflichtigen stets erforderlich und derje237 Ubersicht über die wichtigsten Neuerungen bei Klein/Orlopp (FN 197), Einl., S. 5/6. 238 BR-Drucksache 23/71, Begründung zu § 377, S. 198 f. 238a u n t e r solchen Voraussetzungen ist der Erforderlichkeitsgrundsatz verletzt, eingehend hierzu Hübschmann/Hepp/Spitaler (FN 175), § 90 Rdnrn. 28 ff. m. Nachw. aus der Rspr. 239 Klein/Orlopp (FN 197), §90 A n m . 3; Hübschmann/Hepp/Spitaler (FN 175), § 90 Rdnr. 63, 64 m. Nachw.
Beispiel 4: Steuerpflichtiger
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nige, der legale Transaktionsmöglichkeiten ausnutzt, eher zur Rechenschaft zu ziehen ist als ein wegen illegalen Handelns verdächtiger Beschuldigter. So bestimmt das Strafgesetzbuch, daß das deutsche Strafrecht unter gewissen Voraussetzungen für die Tat eines Deutschen auch gilt, wenn sie i m Ausland begangen worden ist (ζ. B. § 5 Nr. 5 b, 8, 9 oder § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Aber immerhin kann hier die Staatsanwaltschaft nach § 153 c Abs. 1 Nr. 1 StPO von einer Verfolgung absehen, wenn ein öffentliches Interesse hieran nicht oder nicht mehr besteht, oder wenn diese zu unbilligen Härten führen würde 2 4 0 . Dabei bringt aber nicht einmal so sehr das Opportunitätsprinzip, als vielmehr das Schweigeprivileg eine schwer verständliche Bevorzugung des Verdächtigen. Denn letzten Endes ist es dadurch i n seine Hand gelegt, inwieweit er sich gesetzlich angeordneter Selbstbelastung unterwerfen w i l l , wenn er allein durch die Wahl seiner M i t t e l (Straftaten) die Selbstbelastungszwänge eines anderen Rechtsgebietes abstreifen kann. Eine solche Lösung, die dem Unredlichen die Disposition überläßt und Selbstbelastungslücken offenhält, befriedigt jedoch nicht. — Steuervergünstigung: Der Steuerpflichtige, der Steuervergünstigungen i n Anspruch nehmen w i l l , w i r d offensichtlich i n eine andere Kategorie eingereiht, als derjenige, der hiervon keinen Gebrauch macht. Wie bereits dargelegt 241 , unterliegt er i m Rahmen des Beweisverfahrens einer uneingeschränkten Vorlagepflicht 242 , deren generelle Berechtigung auch hier i n Frage gestellt werden muß. Die erhöhte Selbstbelastung, die bei unzutreffenden Angaben ihre Berechtigung haben mag, scheint jedenfalls dann m i t dem Erforderlichkeitsgrundsatz nicht mehr i n Einklang zu stehen, wenn Zweifel an korrekten Erklärungen des Steuerpflichtigen auszuschließen sind. Es bestehen, davon abgesehen, für die Finanzbehörde, die zudem die M i t t e l der Eingriffsverwaltung zur Verfügung hat, stets Möglichkeiten, ζ. B. durch Rückfragen, zweifelhafte Sachverhalte zu klären, nötigenfalls durch Zwang. Wenn jedoch eine von vorneherein skeptische Haltung gegenüber der Ehrlichkeit der Bürger für unumgänglich gehalten wird, so ist doch schwer verständlich, weshalb dieses Mißtrauen auf das Gebiet des Steuerrechts beschränkt ist. Müßte es nicht eher i n größerem Maße einem Beschuldigten entgegengebracht werden, der 240 Kleinknecht (FN 8), § 153 c Rdz. 2; vgl. näher hierzu auch Krauthj KurfesslWulf, Z u r Reform des Staatsschutz-Strafrechts durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1968, S. 731 (732 ff.). 241 Vgl. oben I a 3 bb. 242 Nach § 97 Abs. 1 A O gelten die i n Abs. 1 festgelegten Einschränkungen (Nichterteilung der Auskunft, unzureichende A u s k u n f t oder Bedenken gegen ihre Richtigkeit) u. a. nicht f ü r den Steuerpflichtigen, der eine Steuervergünstigung i n Anspruch nehmen w i l l .
Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
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mindestens infolge des strafrechtlichen Verdachts Anlaß hierzu gibt? Da jedoch dessen redliche Geständnisbereitschaft als einsichtiges „Verhalten nach der T a t " 2 4 3 positiv bei der Strafzumessung gewertet werden kann, ist das Schwedgerecht, so betrachtet, nichts anderes als das Nichtausnützen einer gesetzlich gewährten Chance. Ein solcher durch unterschiedliche Selbstbelastungsgebote bedingter Ehrlichkeitsmaßstab bringt jedoch eine bedenkliche Rechtsunsicherheit m i t sich. Mehr Selbstbelastung i m Strafverfahren und weniger i m Steuerverfahren sind Möglichkeiten, u m diesen Zustand zu ändern. — „In dubio pro fisco"? Der Befürchtung, daß der Steuerpflichtige — i m Gegensatz zum Beschuldigten — i m Zweifel nicht auf eine für i h n günstige Entscheidung hoffen darf, könnte ebenfalls durch veränderte Selbstbelastungspflichten entgegengetreten werden. Ob i m Zweifel für den Fiskus entschieden werden kann, ist eine Streitfrage, die besonders seit Inkrafttreten der Reichsabgabenordnung 244 immer wieder diskutiert worden ist 2 4 5 . Eine einheitliche Meinung hierzu hat sich trotz der vielen Jahre, die seither vergangen sind, noch nicht herausgebildet, w o h l nicht zuletzt deshalb, w e i l der Anwendungsbereich dieses Grundsatzes nicht klar ist 2 4 6 . Soweit er aber die Sachaufklärung betrifft, w i r d man i h n gleichfalls i n Zusammenhang m i t den Selbstbelastungspflichten sehen müssen: Letztere sind keine Mittel, u m die von Amts wegen durchzuführende Sachverhaltsaufklärung von vorneherein dem Steuerpflichtigen zu überbürden. Vielmehr ist die Behörde auch hier verpflichtet, den Sachverhalt m i t an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen. Man w i r d ihr allerdings dann die Möglichkeit einräumen müssen, „ i n dubio pro fisco" zu entscheiden, wenn die Aufklärung von einer unbedingt erforderlichen Mitwirkungshandlung des Steuerpflichtigen abhängt und dieser ihr nicht nachkommt 247 . Unter diesem Gesichtspunkt könnte der Grundsatz „ i n dubio pro fisco" gleichzeitig Maßstab für die Notwendigkeit der einzuhaltenden Selbstbelastung sein: Entscheidet die Behörde nach diesem Prinzip, sollte das Beweis dafür sein, daß 243
§ 46 Abs. 2 S t G B ; näher Zipf, Die Strafzumessung, 1977, S. 72 ff. A m 23.12.1919. 245 Insbesondere Ball, „ i n dubio pro fìsco", J W 1921, S. 547 ff.; Hensel (FN 176), S. 107; Bühler, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, Allgemeines Steuerrecht, 1927, S. 55 f.; ders., Die leitenden Ideen des Steuerrechts, AöR 33 (1943), S. 122 (128); vgl. i m übrigen die Nachweise bei Tipke (FN 236), S. 42 ff. 246 Es ist insbes. fraglich, ob er bei Zweifeln hinsichtlich der Sachaufklär u n g g i l t oder M i t t e l zur Ü b e r w i n d u n g von Rechtszweifeln u n d damit A u s legungsregel ist; ein kurzer Überblick über den Meinungsstand findet sich bei Tipke (FN 236), unter I V (S. 47 ff.) bzw. V (S. 53 ff.). 247 So auch i m Ergebnis Tipke (FN 236), S. 53. 244
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die ihr zur Verfügung stehenden Aufklärungsmethoden unzureichend waren und die M i t w i r k u n g des Steuerpflichtigen nicht ersetzen konnten. Diese deutliche Lücke zum Strafrecht, die sich an dieser Stelle auftut, ist aber nicht unüberbrückbar, wenn man den Beschuldigten i n gleicher Weise zur Selbstbelastung verpflichtet. Die M i t w i r k u n g zur Selbstüberführung ist keineswegs immer entbehrlich. Denn auch i m Strafverfahren sind Fälle denkbar, i n denen nur noch m i t Hilfe des Beschuldigten der fragliche Tatbestand aufgeklärt werden könnte. Ist er hierzu nicht bereit und ist folglich nach dem Grundsatz „ i n dubio pro reo" zu seinen Gunsten zu entscheiden, dann steht er i n nicht immer gerechtfertigter Weise besser als i n seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger. Dort w i r d ihm, gerade durch die Mitwirkungspflichten, klar vor Augen geführt, daß er durch sein pekuniäres Opfer Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft zu tragen hat; sein Beitrag ist Zeichen der Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft 248 . A u f diesen sichtbaren Beweis sozialer Zusammengehörigkeit sollte aber das Strafrecht erst recht nicht verzichten. Gerade wenn der Verdacht besteht, die für die Aufrechterhaltung der Ordnung wichtigen Regeln der Gemeinschaft mißachtet zu haben, erscheint eine stets gleichmäßige „Belohnung" i n Form des Schweigerechts hierfür verfehlt. Die Pflicht, begangenes Unrecht einzugestehen, w i r k t sich überdies oft weniger selbstbelastend aus als die M i t w i r k u n g i m Steuerrecht. Sie ist für den Beschuldigten deshalb häufig kein Zwang zu größerer Ubelszufügung, sondern zumutbare Forderung nach gemeinschaftsbezogenem Verantwortungsbewußtsein, wenn man so w i l l , auch unerläßliches Bekenntnis zu den „Unbilden der Sozialgestaltung" 249 . Ergebnis: Die grundsätzlich nicht zu ändernden steuerrechtlichen Selbstbelastungsangebote stehen einer Harmonisierung zwischen dem Strafprozeßrecht und dem Abgabenrecht dennoch nicht entgegen. Ungleichgewichtige Selbstbelastungspflichten können einander angeglichen werden, indem das Schweigeprivileg des Beschuldigten reduziert und M i t wirkungspflichten des Steuerpflichtigen nur dann i n Anspruch genommen werden, wenn nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit keine anderweitigen Aufklärungsmöglichkeiten mehr offenstehen. 248
Tipke (FN 236), S. 49. Redeker, Grenzen des allgemeinen Inquisitionsrechts, D Ö V 1954, S. 109 (111) — zitiert bei Tipke (FN 236). 249
6 Fischer
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten b) Gestaltungsfunktion im gesetzlichen Steuerrechtsverhältnis
Der weite Umfang steuerlicher Selbstbelastung läßt sich als notwendige Gestaltungsfunktion begreifen, die das Steuerpflichtverhältnis 2 5 0 kennzeichnet. Das Steuerverhältnis, das zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Steuerberechtigten kraft Gesetzes begründet worden ist, bedarf weiterer — ergänzender — Vorschriften, die seine Abwicklung sicherstellen 251 . I n dieser Eigenschaft verwirklichen die Selbstbelastungspflichten die Aufgabe, vorhandene Steuerquellen zu erschließen und i m jeweils gesetzlich vorgesehenen Umfang auszuschöpfen. Die grundsätzliche Bedeutung solcher der Sachaufklärung dienlichen Normen ist bereits dargelegt worden 2 5 2 und soll an dieser Stelle auch nicht i n Abrede gestellt werden. Fraglich ist jedoch, ob gerade die Tatsache eines steuerrechtlichen Rechtsverhältnisses so weitgehende Selbstbelastungspflichten erforderlich macht. Hierfür spricht aber weder die Struktur des Schuldverhältnisses noch die Gläubigerstellung des Staates: — Erhöhte Selbstbelastungspflichten sind nicht deshalb vonnöten, weil gerade ein gesetzliches Schuldverhältnis vorliegt. Dieses unterscheidet sich von einem rein vertraglich begründeten lediglich dadurch, daß an die Stelle einer weiteren erforderlichen Willenserklärung die Erfüllung eines gesetzlichen Tatbestandes getreten ist 2 5 3 . Besondere Treuepflichten werden jedoch hierdurch für den Schuldner nicht festgelegt; ein Zwang zur Selbstschädigung ist damit nicht von vorneherein verbunden. — Auch gesetzliche Schuldverhältnisse 254 gewähren dem Schuldner Einfluß bei der zu vereinbarenden Leistungsbestimmung und setzen i h n nicht ausschließlich einem einseitig verbindlichen Diktat des Gläubigers aus. Selbst der nach Deliktsrecht haftende Schädiger (§§823 ff. BGB), der etwa zur Begleichung eines Schadensersatzanspruchs aufgefordert wird, hat bei deren Erfüllung bestimmte 250 Das Steuerpflichtverhältnis w i r d als eine Komponente des Steuerrechtsverhältnisses bezeichnet; die Rechte u n d Pflichten i n diesem Pflichtverhältnis sind nichtvermögensrechtlicher A r t u n d ergeben sich gerade aus den Verhaltensnormen, die der Sachaufklärung dienen (§§90ff., 140ff.; 200, 208 Abs. 1; 211 A O ) ; vgl. Tipke (FN 220), § 9 ; Kruse (FN 172), §11 m i t w. Nachw. u n d einem Überblick über die geschichtliche Entwicklung. 251 Klein/Orlopp (FN 197), Einl. S. 1 (noch bez. der RAO). 252 Vgl. oben I. 253 Allgemein zur Entstehung des Schuldverhältnisses Heinrichs i n : Palandt (FN 85), vor § 241 A n m . 1/vor § 305 A n m . 1. 254 Beispiele f ü r gesetzliche Schuldverhältnisse: Rechtsbeziehungen aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§985 ff. BGB) oder dem Recht der unerlaubten Handlung (§§ 823 BGB).
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gesetzlich festgelegte Rechte (z.B. Ersetzungsbefugnis 255 ), die ihm nicht durch ein Verbot des Gläubigers genommen werden können. Zur Selbstbelastung ist auch er erst i m Falle verweigerter Erfüllung, frühestens i m Zivilprozeß, gezwungen, wenn er ζ. B. entsprechende Auskunftspflichten einhalten u n d dadurch seiner Verurteilung Vorschub leisten muß. — Auch die A r t der steuerlichen Leistungserbringung, die i m einzelnen i n den §§224 ff. AO festgelegt ist, fordert die expansive Verpflichtung zur Schädigung nicht zwingend, welche das Steuerrecht statuiert. Zwar erlegen Bring- und Schickschulden 256 dem Schuldner besondere Pflichten auf, die oft über den gesetzlich vorgezeichneten Rahmen hinausgehen; sie betreffen jedoch erst das letzte Glied der Kette, die reale Erfüllung, und lassen die Leistungsbestimmung unberührt. E i n Bedürfnis nach verstärkten Selbstbelastungsgeboten dürfte jedoch erst recht nicht vorhanden sein, wenn es der Staat ist, welcher einen bestehenden Anspruch realisieren w i l l . Soweit verweigerte Erfüllung letzten Endes m i t staatlichen Zwangsmitteln durchsetzbar ist (ζ. B. durch Zwangsvollstreckung) und Selbstbelastung ultima ratio 2 5 7 wird, müßte selbst i m Steuerrecht, das durch ausgeprägte Zwangsbefugnisse gekennzeichnet ist 2 5 8 , diese umfassende Selbstbelastung der Steuerpflichtigen mindestens dann eingeschränkt werden können, wenn gerade durch den Einsatz dieser M i t t e l Auskünfte anderweitig erlangt werden können: Es stehen Rückfragemöglichkeiten offen, das Bankgeheimnis ist keine undurchdringliche Sphäre 2 5 9 , Kenntnisse Dritter können ausgewertet werden. Hierdurch wird, wenn überhaupt, unter Umständen allenfalls eine fakultative Selbstbelastung notwendig: Dem Adressaten steht seine M i t w i r k u n g zunächst frei. Ihre Inanspruchnahme ist erst dann unverzichtbar, wenn anderweitige Inquisitionsmöglichkeiten keinen Erfolg mehr versprechen. Vor dieser Konsequenz einer ultima ratio der M i t w i r k u n g sollte dann aber auch das Strafprozeßrecht nicht zurückschrecken, zumal die 255 Es ist n u r eine Leistung geschuldet, der Schuldner hat aber das Recht zu einer anderen Leistung als Ersatz der Erfüllung, und zwar ohne Zustimm u n g des Gläubigers; vgl. §§249 S. 2 (nach h M Ersetzungsbefugnis), 340 Abs. 1, 843 Abs. 3 BGB. 256 Z u r Unterscheidung vgl. Heinrichs i n : Palandt (FN 253), §269 A n m . 3. 257 Oben Beispiel 2/1. 258 Vgl. §§ 328, 332, 333, 393 AO. 259 Eine Regelung über das Bankgeheimnis enthält auch die A O 1977 nicht. Es gelten also auch w e i t e r h i n die Richtlinien des sog. Bankenerlasses v. 2. Aug. 1949 (vgl. DStZE 49, S. 242), wonach sich die Finanzverwaltung bei der Einholung von Auskünften i m Verhältnis zu Banken Beschränkungen auferlegen; nähere Einzelheiten hierzu bei KleinjOrlopp (FN 197), § 102 A O A n m . 7.
β·
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
Klärung dieses staatlichen (Straf-)Anspruchs nicht weniger hoch veranschlagt werden kann als die Erfüllung einer abgabenrechtlichen Forderung. Eine Gemeinschaft, die auf die Aufrechterhaltung ihrer Rechtsordnung bedacht ist, kann den laufenden Aufwendungen, die für das geordnete Zusammenleben ihrer Glieder untereinander notwendig sind 2 6 0 , nicht größeren Wert beimessen als der Sicherung und Bewahrung des Rechtsfriedens, ohne den diese Koexistenz ebensowenig denkbar wäre. Jeder Verzicht auf aktive Einsatzbereitschaft des Beschuldigten erscheint unter diesem Gesichtspunkt als Preisgabe dieser Ordnung, wenn staatliche Zwangsmaßnahmen keinen erfolgreichen Ausgleich für das Schweigerecht bieten können. Die Resignation, die unter diesen Voraussetzungen einer gerechten Urteilsfindung hinderlich sein kann 2 * 1 , ist unnötig, wenn der Bürger nicht nur i n seiner Funktion als leistungsfähiges Steuersubjekt, sondern auch als verdächtiger Beschuldigter zur Verantwortung gezogen wird. Ergebnis: Die Selbstbelastungspflicht i m Steuerrecht hat eine nicht unbedenkliche Intensität erreicht. Das durch die Steuergläubigereigenschaft des Staates charakterisierte Steuerpflichtverhältnis fordert oft keine geringere Selbstbelastung als das durch eine Straftat geprägte Deliktsverhältnis. Die Aufrechterhaltung der die Gemeinschaft zusammenhaltenden Rechtsordnung ist bedingt durch die Sicherung des Rechtsfriedens, der nicht allein durch die lückenlose Erfassung aller Steuerpflichtigen gewährleistet wird. Divergierende Selbstbelastungspflichten nach Steuerrecht und Strafprozeßrecht stehen damit nicht i m Einklang und lassen sich wenigstens teilweise dadurch beheben, daß eine Redepflicht des Beschuldigten bei zu erwartender Geldstrafe gefordert wird. c) Selbstbelastungspflicht — Gewährleistung gleichmäßiger Erfassung aller Steuerpflichtigen Die abgabenrechtliche Selbstbelastung w i r d auch damit gerechtfertigt, daß sie geeignetes M i t t e l zur gleichmäßigen Erfassung aller Steuersubjekte sei 262 . Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Be280
Beispiel hierzu bei Haller, Die Steuern, 2. Aufl. 1971, § 1. Gegen diese i m Zusammenhang m i t dem S t P Ä G u n d der Belehrungspflicht aufkommende Resignation der Ermittlungsbehörden bereits Kleinknecht, E r m i t t l u n g e n der Polizei nach der kleinen Strafprozeßreform, K r i m i nalistik 1965, S. 449 (456). 262 HübschmannlHepplSpitaler (FN 175), §90 Rdnr. 6; Das Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist als „systemtragendes Prinzip" des Steuerrechts anerkannt, vgl. Tipke (FN 220), § 3/5; allg. hierzu ders., A n w e n d i m g des Gleichheitssatzes i m Steuerrecht-Methode oder irrationale Spekulation? B B 1973, S. 157 ff.; Klein, Gleichheitssatz u n d Steuerrecht, 1966; Selmer, Steuerinterventionismus u n d Verfassungsrecht, 1972, S. 356 ff. ; Paulick, 261
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Steuerung verlange, daß nach Möglichkeit alle potentiellen Steuerpflichtigen von der Steuerverwaltungsbehörde erfaßt 263 und ohne A n sehen der Person zur Abgabenentrichtung herangezogen werden. Es ist immerhin fraglich, ob durch dieses das allgemeine Gerechtigkeitspostulat verwirklichende Prinzip der Besteuerung hinreichend die Notwendigkeit einer so weitausholenden steuerrechtlichen Selbstbelastung zu klären ist; keinesfalls w i r d aber dadurch die StPO-Lösung gerechtfertigt. Die Gegenüberstellung m i t dem Schweigeprivileg des Beschuldigten zeigt auch hier unbefriedigende Unterschiede, die durch eine Angleichung der Selbstbelastungspflichten eingeebnet werden könnten. Gerade das privilegienfeindliche Abgabenrecht, das ohne Rücksicht auf Stände, Klassen oder Machtgruppen besteuern w i l l 2 6 4 , demonstriert durch dieses Vorgehen das B i l d einer solidarischen Gemeinschaft, die wenigstens durch die Steuerleistungen ihrer Mitglieder i n geschlossener Einigkeit einen ihrer lebenswichtigen Funktionsnerven stärkt und erhält. I n diesen Zusammenhalt ist aber auch der Rechtsbrecher einbezogen, auf dessen Beitrag ebenfalls nicht verzichtet w i r d und der sich infolgedessen auch nicht durch illegales oder unanständiges Verhalten 2 6 5 dem Druck dieser Gemeinschaft entziehen kann. Damit erscheinen die Selbstbelastungspflichten i h m gegenüber weniger als Prüfstein seiner Redlichkeit, als vielmehr als Sanktion für den mißglückten Versuch, sich durch gesetz- oder sittenwidriges Verhalten außerhalb des Kreises der Steuerpflichtigen zu stellen. Der Gesetzgeber gestattet einen solchen Ausbruch nicht. Demgegenüber muß es aber als widersprüchlich empfunden werden, wenn derselbe Staat i n einem Strafverfahren diese — auf dem Gebiet des Steuerrechts — erzwungene Solidarität nicht fortsetzt, sondern auseinanderbrechen läßt, indem er dem Verfolgten ohne Rücksicht auf die A r t und Schwere des Verdachts zugleich m i t der Beschuldigteneigenschaft das Recht zur Passivität 266 zuerkennt. Durch diese K u n d Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung — sein I n h a l t u n d seine Grenzen, Festschrift f ü r Bühler, 1954, S. 123 ff. — jeweils m. Nachw. 263 Vgl. die Nachweise i n F N 262. 264 Tipke (FN 220), § 3/5. 265 Rechtsgeschäfte, die wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) nichtig sind, lösen steuerliche Folgen aus, soweit u n d solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des unwirksamen Rechtsgeschäftes, trotz der Unwirksamkeit, eintreten u n d bestehen lassen (§41 Abs. 1 AO). 2ββ Die Beschuldigteneigenschaft beginnt i n dem Augenblick, i n dem ein Strafverfahren gegen einen Verdächtigen betrieben w i r d , B G H S t 10, S. 8; O L G H a m m , N J W 1974, S. 914; Peters, Strafprozeß, Lehrbuch, 2. Aufl. 1966, §28 I ; Kern/Roxin (FN 14), §25 m. zahlr. Nachw.; vgl. auch v. Gerlach, Die Begründung der Beschuldigteneigenschaft, N J W 1969, S. 776 ff.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
gäbe, nicht auf seine M i t w i r k u n g angewiesen zu sein, stellt er i h n deutlich außerhalb dieser Rechtsgemeinschaft, i n die der Beschuldigte aber spätestens durch den vollstreckten Urteilsspruch wieder eingegliedert 2 6 7 werden soll. Diese Konsequenz ist erst recht unbefriedigend, wenn der unlautere Steuerbürger, der durch Selbstanzeige 268 hinterzogener Steuern straffrei ausgeht, sich die Resozialisierung gerade nach seinem Belieben verschaffen kann. Eine offensichtlich durch Straftaten leicht ins Wanken zu bringende Front der Solidarität ließe sich jedoch stabilisieren, wenn die staatliche Gemeinschaft auch i m strafrechtlichen Bereich dem Beschuldigten eine nicht minder starke Verantwortung als i m Abgabenrecht abverlangt und ein Geständnisgebot festlegt. Ein solches wahrheitsgemäßes Bekenntnis zu begangenen Verfehlungen fördert die gleichmäßige Erfassung aller Straftäter (soweit staatliche Ermittlungsmöglichkeiten die fehlende Auskunftsbereitschaft nicht zu ersetzen vermögen) und verwirklicht auch hier jenen Teil der Gerechtigkeit, der i m Steuerrecht zum wichtigen Prinzip erhoben worden ist. Für diese Lösung einer verstärkten Selbstbelastung des Beschuldigten spricht auch die weitere Komponente des steuerlichen Gleichheitsgebots, die i m Prinzip der Gleichmäßigkeit der Steuerlast 269 ihren Niederschlag findet. Der Staat erwartet ersichtlich bei einem leistungsfähigeren 270 Steuerpflichtigen einen ausgeprägteren Gemeinschaftssinn als bei einem anderen, wenn er Selbstbelastung proportional zu der Anzahl der jeweiligen — verwirklichten — Steuertatbestände festsetzt. Daß dieses Gefühl sozialer Verantwortung bei einem Beschuldigten nicht i n ähnlicher Weise gefordert wird, daß es vielmehr zu seiner Disposition gestellt wird, erscheint gerade auf dem Gebiet strafrechtlicher Ahndung schwer verständlich. Müßte nicht hier bei mehrfachem Verdacht, bei gehäuften Anhaltspunkten für begangenes Unrecht eher ein größeres Maß an Verantwortungsbereitschaft gefordert werden? Daß eine „Geständnisfreude" honoriert werden kann 2 7 1 , zeigt die Strafzumessungslehre; 267 So die Resozialisierungsaspekte des spezialpräventiven Strafrechts, vgl. vorne F N 90; ferner F N 94. 268 Oben Beispiel 4/1 d. 269 Diese Gleichmäßigkeit der Steuerlast f ü h r t zu dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, vgl. unten F N 270. 270 Leistungsfähigkeit gilt heute als Fundamentalprinzip der Besteuerung, vgl. Haller (FN 260), S. 13 ff.; Ossenbühl, Die gerechte Steuerlast, S. 63 ff.; Tipke (FN 220), §3/2; Neumark, Grundsätze gerechter u n d ökonomisch rationaler Steuerpolitik, 1970, S. 121 ff., 126. 271 Wie Geständnis u n d Leugnen i m Prozeß bei der Strafzumessung bewertet werden können vgl. ζ. B. B G H bei Daliinger, M D R 1973, S. 370; M D R 1971, S. 545; M D R 1966, S. 894; M D R 1953, S. 272; B G H G A 61, S. 172; B G H N J W 1965, S. 85; 1961, S. 85; 1955, S. 193; S. 1158; N J W 1954, S. 1416; BGHSt 1, S. 105, S. 342; 3, S. 199.
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warum sollte nicht auch i m Strafprozeß eine Redepflicht mangelnde Einsicht ersetzen? Ergebnis: Der die steuerliche Selbstbelastung rechtfertigende Gedanke der gleichmäßigen Erfassung der Steuersubjekte könnte für das Strafprozeßrecht gleichfalls herangezogen werden, soweit er die Feststellung Tatverdächtiger betrifft. Eine ihnen zugemutete Redepflicht würde der Verwirklichung dieses Gleichmäßigkeitsprinzips dienen, das nicht durch einen Tausch der Verfahrensrollen unterlaufen werden sollte. d) Steuerliche Selbstbelastung — Instrument staatlicher Finanzbedarfsdeckung Wichtigster und wohl auch stichhaltigster Rechtfertigungsgrund der steuerlichen Selbstbelastungspfüchten ist ihre Realisierungsfunktion bei der Deckung des staatlichen Finanzbedarfs 272 . Hier ergänzen sie die materiell-rechtlichen Steuergesetze, die für die faktische Einnahmeerzielung ohne solch formell-rechtliche Durchführungsnormen der Wirksamkeit entbehren würden 2 7 3 . Die grundsätzliche Bedeutung dieses gesetzlichen Fiskalinstrumentariums läßt sich wohl schwer i n Abrede stellen: I m Rahmen einer staatlichen Organisation reichen nicht allein Verhaltensnormen aus, die den einzelnen entsprechende Gebote aufzwingen, sondern es bedarf laufend materieller Aufwendungen, welche die Einhaltung der Vorschriften sichern oder Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stellen, soweit private Initiative unzureichend ist (Schulen, Wasserversorgung) oder zu unerträglichen Komplikationen führen würde 2 7 4 . Deshalb ist der Staat als Garant nicht nur der rechtlichen, sondern auch der sozialen Ordnung zur Erfüllung der i h m obliegenden Aufgaben darauf 272 Haller (FN 260), § 1 ; Neumark, Steuer (I) i n : Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 10, 1959, S. 93 (96); Wachenhausen, Staatsausgabe und öffentliches Interesse i n den Steuerrechtfertigungslehren des naturrechtlichen Rationalismus, 1970, S. 28/29; Schmölders, Allgemeine Steuerlehre, 4. Aufl. 1965, §10; v. Eheberg/Boesler, Grundriß der Finanzwissenschaft, 7. Aufl. 1936, §§1/28; vgl. außerdem die Nachw. i n F N 224; Hübschmann/ Hepp/Spitaler (FN 175), §90 Rdnr. 7; Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 104 (Mitwirkungspflichten als „wirksamste u n d ökonomischste K o n zeption"). 273 KleinjOrlopp (FN 197), Einl. S. 1; Isensee (FN 272). 274 Merzbacher, Historische Ansätze des deutschen Steuerrechts, i n : Festschrift f ü r H. Paulick zum 65. Geburtstag, 1973, S. 225 (262); Neumark (FN 270), S. 6/7; Wachenhausen (FN 272), S. 19 m. Nachw.; Schmölders (FN 272), § 10; Heller, Die Grenzen der Besteuerung, i n : Festgabe f ü r Georg von Schanz zum 75. Geburtstag, Bd. 1 (1928), S. 87 (92 f.).
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten
angewiesen, seinen Bürgern einen erheblichen A n t e i l des von ihnen erwirtschafteten Sozialprodukts i m Wege der Besteuerung zu nehmen 2 7 5 . Wenn auch ein derartiger Wertetransfer durch die genau bestimmten $VTitwirkungshandlungen der Steuerpflichtigen auf verhältnismäßig einfache Weise durchführbar ist, so ist dennoch fraglich, ob diese Selbstbelastungspflichten i n dem bestehenden Umfang — selbst unter dem Gesichtspunkt der Finanzbedarfsdeckung — notwendig sind. Αμεgestaltung und Häufigkeit ihrer Anwendung geben zu manchen Bedenken Anlaß: — Trotz des Amtsermittlungsprinzips gehen Schwierigkeiten bei der Sachverhaltserforschung i n der Regel zulasten des Steuerpflichtigen, da er über unklare Verhältnisse die zuverlässigsten Kenntnisse besitzt und diese ohne Umstände auf raschestem Wege ermitteln kann, sei es auch u m den Preis einer strafrechtlichen Selbstüberführung. Solch weitreichende Konsequenzen scheinen jedoch selbst m i t dem wichtigen Anliegen effektiver Staatseinnahmen nicht mehr vereinbar zu sein. Das Besteuerungsverfahren steht unter dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit 27 ® und kann deshalb die Staatsbürger zur M i t w i r k u n g nur i m Rahmen gesetzlicher Grundlagen verpflichten. Sind diese vorhanden, wie das i m Falle der Abgabenordnung oder anderer Steuergesetze und Verordnungen der F a l l ist 2 7 7 , dann können sie nicht gleichzeitig den Sinn haben, andere Verfahrensgrundsätze — etwa die Offizialmaxime — auszuhöhlen und auf diese Weise die Behörde teilweise von ihrer Aufgabenzuweisung zu befreien. Auch sie müssen sich einfügen i n die Rechtsordnung, ohne die Rechtssicherheit 278 ihrer Adressaten erschüttern zu dürfen, deren eminente Bedeutung gerade für das Steuerrecht anerkannt ist. Deshalb ist es grundsätzlich bedenklich, Aufklärungsschwierigkeiten überwiegend 275 Eingehend hierzu Weber i n : H. Weber (Hrsg.), Einführung i n das besondere Steuerrecht, Bd. I, 1977, S. 1 - 14, 59 f. 276 Auch dieses Prinzip w i r d als „systemtragend" bezeichnet, vgl. Tipke (FN 220), §§ 3/4 m i t zahlr. Nachw. ; allg. hierzu etwa Kopp, Verfassungsrecht u n d Verwaltungsverfahrensrecht, 1971; Hensel, Die Verfassung als Schranke des Steuerrechts, 1973 (zum schweizerischen Steuerrecht); Spanner, Der Steuerbürger u n d das BVerfG, 1967; Schmidt-Bleibtr eu/ Klein, Steuerrecht unter Verfassungskontrolle, 1972; Salzwedel, Rechtsstaat i m Steuerrecht, i n : V o m Rechtsschutz i m Steuerrecht, 1960, S. 1 ff. 277 Oben I e. 278 BVerfGE 2, S. 380 (403); Rose, Verunsicherte Steuerpraxis, StbJb 1975/6, S. 41 ff.; Jaenke, Rechtssicherheit i m Steuerrecht, i n : V o m Rechtsschutz i m Steuerrecht, 1960, S. 43 ff.
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dem Steuerpflichtigen anzulasten und i h n zu so weitgehender Selbstbelastung zu zwingen. — Mindestens ebenso bedenklich sind die zahlreichen Anwendungsfälle der Selbstbelastungspflichten, da der Gesetzgeber nicht nur Offenlegung der Vermögensverhältnisse bezüglich eines Steuerobjekts fordert 2 7 9 . Auch hierfür ist der Gedanke des Finanzbedarfs des Staates zwar wichtiger, aber auch bequemer Rechtfertigungsgrund für die Notwendigkeit umfassender Selbstbelastung. Diese generalklauselartige Begründung kann sogar Steuerwiderstände bei den belasteten B ü r gern hervorrufen, m i t deren Hilfe sie geforderte Selbstschädigung umgehen können. Derartige Abwehrreaktionen entstehen allerdings nicht nur angesichts der Vision eines „totalen Steuerstaates" 280 , der dem „Gesetz wachsender Staatsausgaben" 281 unterworfen und zu immer stärkeren Eingriffen i n die private Sphäre des einzelnen gezwungen ist. Es genügen bereits erhöhte Steuertarife, u m Steuerwiderstände zu provozieren 282 . So ist bekannt, daß bei jeder übermäßigen Strapazierung des subjektiven Belastungsgefühls i n zunehmendem Maße ein Gegendruck seitens der Steuersubjekte verursacht wird, der zumindest i n Form einer (erlaubten) Steuervermeidung i n Erscheinung treten kann 8 8 3 : Der Bürger kann ζ. B. sein Vermögen so anlegen, daß die steuerliche Belastung am wengisten spürbar ist (Besteuerung des Grundbesitzes ist günstiger als die der Kapitalzinsen), 279 So ist die Selbstbelastung des Steuerpflichtigen ζ. B. mehrfach notwendig, w e n n ein i h m zufließender Grundstücksertrag neben der Einkommenu n d Vermögensteuer noch m i t der Grundsteuer belastet ist. 280 Krüger, Aussprache, i n : W d S t R L Bd. 14, S. 89; Röpke, Der moderne Fiskalstaat, i n : StbJb 1965/6, S. 35 ff. (36 f.). 281 Vgl. hierzu Timm, Das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben, i n : Finanzarchiv 21 (1961), S. 201 (218 ff.) m. Nachw.; Tautscher, Der ökonomische Leviathan oder die wirtschaftliche Ubermacht des Staates, 1969, S. 34 ff.; Wagner, Finanzwissenschaft, 1. Theil, 3. Aufl. 1883, S. 76. 282 Grundlegend zur Lehre von den Steuerwiderständen Gerloff, Die Steuerwiderstände, i n : Handbuch der Finanzwissenschaft, Bd. 2, 1956, S. 292 ff. m. zahlr. Nachw. ; ferner Holtgrewe, Der Steuerwiderstand — Das Verhalten des Steuerpflichtigen i m Lichte der modernen Psychologie, 1954; GraumannlFröhlich, Ansätze zu einer psychologischen Analyse des sog. Steuerwiderstandes, i n : Finanzarchiv 17 (1956/7), S.418 ff.; Strümpel, Die veranlagten Einkommensteuerzahler u n d der Steuerwiderstand, i n : FR 1966, S. 339 ff.; Noll von der Nahmer, Lehrbuch der Finanzwissenschaft, Bd. I , 1964, S. 254 ff.; Kerschagl, Einführung i n die Finanzwissenschaft, 1964, S. 16; v. Nell-Breuning, Steuermoral, i n : Staatslexikon, Recht-Wirtschaft-Gesellschaft (hrsgg. von der Görres-Gesellschaft), 6., v ö l l i g neu bearb. Aufl., Bd. 7, 1962, Sp. 698 (699). 283 Schmölders (FN 272), §16; vgl. außerdem die Zusammenstellung bei Gerloff (FN 282), S. 292 (294).
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastugspflichten er kann sein Einkommen innerhalb einer bestimmten Grenze halten, u m ungünstiger Progression zu entgehen, oder er kann auf gewisse „Luxusgüter" verzichten, i n deren Verkaufspreis zugleich ein gewisser Steueranteil enthalten ist. Der weniger Gesetzestreue w i r d sich m i t solchen Maßnahmen nicht begnügen und seinen Widerstand auf andere A r t und Weise zur Geltung bringen; Steuerhinterziehung (vgl. § 370 AO), Steuerbetrug 284 , oder Steuerverweigerung (Nichtzahlung der Steuerschuld) sind immer wieder i n Anspruch genommene Möglichkeiten, u m dem Staat Einnahmen vorzuenthalten.
M i t welchen M i t t e l n solche Gesetzesumgehungen und -Verletzungen i m einzelnen bekämpft werden können, ist i n unserem Zusammenhang nicht wesentlich. Die Ausdehnung der steuerlichen Selbstbelastungspflichten nach geltendem Recht ist also zwar nicht unbedenklich, und sie mag i m System auch nicht durch die Notwendigkeit staatlicher Einnahmeerzielung legitimiert werden. Grundsätzlich jedoch — und dies ist i m vorliegenden Sachverhalt entscheidend — führt kein Weg der Selbstbelastung vorbei und der Versuch, Steuern auf indirekte Weise 285 zu erheben, bringt keine Lösung. Mangelnde Leistungsbereitschaft läßt sich selbst i m Falle eines passiven Steuerwiderstands nicht m i t Hilfe einer „Lastverschleierung" 286 ausgleichen. Keine Abgabe läßt sich so erheben, daß der Abgabenpflichtige davon nichts bemerkt. Auch wenn dies „unmerklich" — indirekt — geschehen soll, muß der steuerliche Tatbestand erfüllt werden; die M i t w i r k u n g des Bürgers — als spezielle Form der Selbstbelastung — ist also unerläßlich. N i m m t er diese nicht oder nur i n unbedingt notwendigem Maße auf sich, kann der Staat auch nur i n dem dadurch bedingten — verminderten — Umfang Einnahmen erzielen. Solche „taktischen Tricks" stellen also keine Alternative zum Selbstbelastungszwang dar. I m übrigen sind nicht alle Steuern dieser Erhebungsart zugänglich. Selbst wenn eine Einkommensbesteuerung auf diese Weise durchgeführt werden soll, bedarf es für deren schematische Bestimmung 2 8 7 A n 284 Z u r Abgrenzung zwischen Betrug u n d Steuerhinterziehung vgl. B G H M D R 1975, S. 947 ; B G H N J W 1972, S. 1287; Klein/Orlopp (FN 197), §370 A n m . 5. 285 „ I n d i r e k t e Steuern" (ζ. B. alle Bundes verbrauchsteuern) werden von einem anderen erhoben als demjenigen, der sie wirtschaftlich tragen soll; so ist ζ. B. bei den Bundesverbrauchsteuern der inländische Produzent oder der Importeur Steuerschuldner, allerdings w i r d die Überwälzung der Steuer i m Preis vorausgesetzt (vgl. §223 AO, der die Möglichkeit eines Zahlungsaufschubs vorsieht, bis der Steuerschuldner die Steuer aus dem v o m Abnehmer gezahlten Entgelt aufbringen k a n n ; vgl. aber auch §221 AO); ausführlich Tipke (FN 220), § 14. 286 Haller (FN 260), § 10, S. 196.
Beispiel 4: Steuerpflichtiger
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haltspunkte (ζ. B. die Aufzeichnung von Umsatzziffern), die nur durch selbstbelastende M i t w i r k u n g zu erhalten sind. Eine unmerkliche Steuererhebung i m Sinne einer „Überlistung" 2 8 8 des Steuerpflichtigen ist deshalb nicht zu realisieren. Stets ist das Zusammenwirken zwischen Bürger und Staat notwendig, das nicht durch einseitig hoheitliche Eingriffe ersetzt werden kann. Ergebnis: Als Realisierungsinstrumente staatlicher Finanzbedarfsdeckung sind Selbstbelastungspflichten unumgängliche Notwendigkeiten. Behördliche Sachverhaltserforschung m i t allzu einseitiger Verlagerung der A u f klärung auf den Steuerpflichtigen muß jedoch streng am Erforderlichkeitsmaßstab orientiert werden, u m möglichen Steuerwiderständen vorbeugen zu können. Soweit diese durch illegales Handeln zum Ausdruck kommen, kann ihnen durch eine strafprozessuale Redepflicht des Beschuldigten wirksam begegnet werden. Zusammenfassung Die Auseinandersetzung m i t der Rechtfertigung steuerlicher Selbstbelastung führt zu folgendem Ergebnis: — Die Unverzichtbarkeit steuerlicher Selbstbelastungspflichten ist grundsätzlich anzuerkennen. Jedoch sollte auch i m Abgabenrecht das Vorbild strafprozessualer „Inquisition" behördliches Handeln insoweit bestimmen, als i m Einzelfall die Notwendigkeit umfassender Selbstbelastungserfordernisse sorgfältig geprüft und i n geeigneten Fällen durch vorhandene hoheitliche Ermittlungsmöglichkeiten ersetzt werden sollte. — Die Qualifizierung des Steuerrechtsverhältnisses als gesetzliches Schuld- bzw. Pflichtverhältnis mit dem Gläubiger Staat macht Selbstbelastung dieses Ausmaßes ebenfalls nicht erforderlich. Zum einen erlegen gesetzliche Schuldverhältnisse dem Schuldner keine weitergehenden Treuepflichten auf als vertraglich begründete; zum anderen spricht die Tatsache, daß gerade der m i t Zwangsbefugnissen ausgestattete Staat die Gläubigerstellung innehat, gegen tiefgreifende Selbstbelastung. — Die Notwendigkeit gleichmäßiger Erfassung aller Steuersubjekte ist als Verwirklichung des Gerechtigkeitspostulats nicht auf das Abgabenrecht beschränkt, sondern kann m i t nicht minder starker 287 288
Beispiele hierzu b e i Haller (FN 260), § 10, S. 196/7. Haller (FN 260), § 10, S. 195.
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Β. Gegenbeispiele: Selbstbelastungspflichten Berechtigung seinen Platz i m Recht der Strafprozeßordnung behaupten. Eine Selbstüberführungspflicht des Beschuldigten ist auch i n diesem Bereich geeignet, unzulängliche staatliche Ermittlungsmöglichkeiten abzugleichen.
— Die Berechtigung der Realisierungsfunktion der Selbstbelastungspflichten zur Erzielung ausreichender Staatseinnahmen kann nicht i n Abrede gestellt werden. Uberstrapazierte Belastungsgefühle lösen jedoch unter Umständen Steuerwiderstände aus, die auch durch Selbstbelastungspflichten nicht verhindert bzw. ungeschehen gemacht werden können. Eine strafprozessuale Redepflicht des Beschuldigten ist unter bestimmten Voraussetzungen aber möglicherweise geeignet, illegalen Gesetzesumgehungsabsichten entgegenzuwirken. ΙΠ. Folgerungen Ein Vergleich der steuerlichen Selbstbelastungspflichten m i t denen der Strafprozeßordnung zeigt, daß die möglichen Rechtfertigungsgründe des Abgabenrechts nicht i n jeder Hinsich auf das Strafverfahrensrecht übertragen werden können. Dennoch ergeben sich auch hier Ansatzpunkte für eine Harmonisierung: — Der i n der Abgabenordnung verankerte Amtsermittlungsgrundsatz muß sicherstellen, daß für Schwierigkeiten bei der Klärung steuerlich relevanter Sachverhalte selbstbelastende M i t w i r k u n g des Steuerpflichtigen erst gefordert wird, wenn zumutbare Ermittlungsversuche der Behörde (bzw. des Gerichts) erfolglos geblieben sind. W i r d i n diesem Sinne dem Prinzip der Erforderlichkeit mehr als bisher Beachtung geschenkt, läßt sich auf einfache Weise der Selbstbelastungszwang i m Steuerrecht lockern. Einer grundlegenden Änderung des geltenden Rechts bedarf es hierfür nicht. — Eine als Ausnahme zum Auskunftsverweigerungsrecht des Beschuldigten festgelegte Redepflicht ist geeignet, Bestrebungen zur Verhinderung von Steuerwiderständen zu ergänzen und Verantwortungsbewußtsein gegenüber der staatlichen Gemeinschaft auch außerhalb des fiskalischen Bereichs zu wecken. Eine Einschränkung des strafrechtlichen „nemo-tenetur-Prinzips" müßte deshalb i m Gesetz seinen Niederschlag finden.
C. Ergebnisse dieses Vergleichs Die erörterten Beispiele für selbstbelastendes Handeln trotz verfahrensrechtlich aufgedrängter Position haben gezeigt, daß die speziellen Selbstbelastungspflichten der jeweiligen Rechtsgebiete grundsätzlich anzuerkennen sind. Die sie tragenden Rechtfertigungsgründe zwingen jedoch nicht zu der Aufrechterhaltung der Unterschiede gegenüber dem Strafprozeßrecht, sondern bieten sogar Ansatzpunkte für eine Überwindung der Divergenz. Dies kann sowohl durch eine Einschränkung als auch durch eine Ausweitung von Selbstbelastungspflichten geschehen: — Eine Einschränkung der Pflicht selbstschädigenden Handelns läßt sich auf dem Gebiet des Zivilrechts und des Steuerrechts i n Betracht ziehen (schärfere Prüfung der unumgänglichen Notwendigkeit von Offenlegungspflichten i m Rahmen der Parteivernehmung bzw. strengere Handhabung des Erforderlichkeitsgrundsatzes bei der M i t w i r kung des Steuerpflichtigen i m Steuerrecht). — Eine Erweiterung der Selbstbelastungspflicht ist dagegen für das Recht der Strafprozeßordnung zu erwägen. Soweit von der Sanktion her dem Beschuldigten keine größeren Opfer zugemutet werden als es auf den anderen Rechtsgebieten der Fall sein kann, scheint sein uneingeschränktes Schweigeprivileg als unverdiente, ja systemwidrige Besserstellung. Es sollte deshalb zumindest bei minder schweren Delikten, bei welchen Geldstrafen i n Betracht kommen, durch eine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Einlassung abgelöst werden.
D. Verfassungsrechtliche Überprüfung Wie die vorstehende Untersuchung gezeigt hat, ist keineswegs ein ungeschriebener — übergeordneter — Rechtssatz erkennbar, wonach die Gefahr strafrechtlicher Selbstüberführung absolute Grenze jeglichen Aussagezwangs ist; vielmehr ist dies nur der Fall, wenn das Gesetz ein darauf begründetes Mitwirkungsverweigerungsrecht ausdrücklich zuläßt 2 8 9 . Das geschieht jedoch nicht allzu oft, obwohl ein Interesse, eigene Verfehlungen geheimhalten zu dürfen, sicherlich wesentlich häufiger vorhanden ist. Wenn aber der Gesetzgeber gerade innerhalb der Strafprozeßordnung auf eine aktive Selbstbelastungspflicht verzichtet und statt dessen vielfache Ermittlungsmaßnahmen zur Bestätigung oder Entkräftung strafrechtlicher Verdachtsgründe für zulässig erachtet, so kann dieser Standpunkt hauptsächlich von einer Erwägung getragen sein: Es müssen unabdingbare, primär i n der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge begründete Argumente vorliegen, die mögliche Selbstüberführung unzumutbar machen. Rechtfertigungsgründe, die i n anderen Rechtsmaterien entwickelt wurden, stützen jedoch, wie dargelegt, nicht zwingend das strafprozessuale Schweigeprivileg i n seinem gesamten Umfang. Diese geben eher Veranlassung, es einzuschränken und auch dem Beschuldigten unter gewissen Voraussetzungen eine Redepflicht abzuverlangen. Die nun folgende verfassungsrechtliche Überprüfung soll zeigen, ob sich aus dem Grundgesetz Anhaltspunkte für eine ungeschmälerte Beibehaltung dieses SelbstbelastungsVerbots oder für eine Änderung des jetzigen Status quo des Beschuldigten ergeben. Deshalb ist zu erwägen, ob und inwieweit — das Prinzip der Menschenwürde — das Persönlichkeitsrecht — andere Grundrechte — der Grundsatz „ i n dubio pro liberiate" oder — das Menschenbild des Grundgesetzes Maßstäbe setzen, die den Beschuldigten eben wegen seiner strafprozessualen Beteiligtenstellung aus dem Kreis all jener anderen — vergleichbaren — Verfahrenssubjekte herausheben und es notwendig machen, i h n stets und uneingeschränkt über seine Geständnisbereitschaft disponieren zu lassen. 289
B G H Z 41, S. 318 (326).
I. Menschenwürde
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I. Menschenwürde Nach einer i n Literatur und Rechtsprechung weitverbreiteten Meinung w i r d das Recht zur Verweigerung selbstgefährdender Aussagen mit dem Hinweis auf die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) gerechtfertigt 2 9 0 . Diese verbiete es, durch einen gesetzlich verankerten Selbstüberführungszwang einen Menschen zum Objekt eines staatlichen Verfahrens „herabzuwürdigen" 2 9 1 und i h n auf diese Weise i n seiner vom „Pflichtbewußtsein beherrschten freien, autonomen Persönlichkeit" 2 9 2 zu beeinträchtigen. Die Willensentschließungsfreiheit — als immanenter Bestandteil der Menschenwürde 293 — sei absolute Grenze staatlicher Wahrheitsfindungsgebote, deren Überschreitung gegen den obersten Wert freier Selbstbestimmung verstoße und eine entwürdigende Mißachtung des Betroffenen i n sich berge 294 . Gegen diese kurzen — und einigermaßen pauschalen — Formeln, m i t denen das strafprozessuale Selbstbelastungsverbot für den Mordverdächtigen i n gleicher Weise wie für den wegen eines Bagatelldelikts Verfolgten aus dem Prinzip der Menschenwürde abgeleitet wird, bestehen allerdings aus mehreren Gründen Bedenken. Es ist zweifelhaft, ob gerade die Sanktionen der Strafprozeßordnung so einschneidende Konsequenzen für einen Beschuldigten darstellen, 290 Gössel (FN 8), §23/B; Kunert, Wie schützt die Strafprozeßordnung die Grundrechte des Beschuldigten? M D R 1967, S. 539 ff.; Kleinknecht (FN 8), § 136 Rdz. 3; Schorn, Der Schutz der Menschenwürde i m Strafverfahren, 1963, S. 73 (117 f.); Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, (Diss.) Göttingen 1972, S. 61; Seebode, Schweigen des Beschuldigten zur Person, M D R 1970, S. 185; Eser, Der Schutz vor Selbstbezichtigung i m deutschen Strafprozeß, Beiheft zur Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft 86 (1974), S. 136 (144 f.); Habscheid, Das Persönlichkeitsrecht als Schranke der Wahrheitsfindung i m Prozeßrecht, i n : Gedächtnisschrift f ü r H. Peters, 1967, S. 840 (871); Wintrich, Z u r Problematik der Grundrechte, 1957, S. 178; Dürig i n : Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, A r t . 1 Rdz. 34 ff.; v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl. 1957, A r t . 1 A n m . I I I 5 a; Zippelius i n : Bonner Kommentar, A r t . 1 Rdnr. 15 m. Nachw.; aus der Rspr. vgl. B G H S t 14, S. 358 (364); BGHSt 1, S. 39 (40); B G H N J W 1974, S. 1570 f.; s. a. B V e r w G N J W 1968, S. 857 f., S. 2120; N J W 1969, S. 1188; O L G Bremen, N J W 1967, S. 2022 f. 291 Vgl. die Nachw. aus dem verfassungsrechtlichen Schrifttum i n F N 291; ferner zu dieser „Objekttheorie" Kühne, Strafprozessuale Beweisverbote und A r t . 1 Abs. 1 GG, (Diss.) Saarbrücken 1969, S. 76. 292 Zippelius (FN 290), A r t . 1 Rdz. 4 unter Hinweis auf Rickert, System der Philosophie I, 1921, S. 362. 293 Habscheid (FN 290), S. 871. 294 Z u m Begriff der Autonomie i m Sinne der E t h i k Kants u n d deren E r gänzung durch die Wertphilosophie vgl. Zippelius (FN 290), A r t . 1 Rdz. 4 ff.; Rüping, Z u r Mitwirkungspflicht des Beschuldigten u n d Angeklagten, JR 1974, S. 135 (136) m. Nachw.
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D. Verfassungsrechtliche Überprüfung
daß i h n auch eine begrenzte Wahrheitspflicht stets i n eine dem Grundgesetz widersprechende „Objektrolle" drängen würde. Eine solche Schlußfolgerung scheint umso weniger berechtigt, als weder der Begriff der Menschenwürde eindeutige Anhaltspunkte hierfür erkennen läßt, noch dessen strafprozessuale Konkretisierungsvorschrift, § 136 a StPO 2 9 5 , zwingend für ein generelles Schweigerecht spricht: Die erläuternden Umschreibungen des Inhalts des verfassungsrechtlichen Würdebegriffs deuten — trotz ihrer Erweiterungsfähigkeit — nicht auf ein unumstößliches Selbstbelastungsverbot hin. Die Definitionen, die für die Würde 2 9 8 gegeben werden, helfen i m vorliegenden F a l l nicht weiter. Sie lassen nicht den Schluß zu, inwieweit eine Aussagepflicht des Beschuldigten gegen dessen Menschenwürde verstößt. So spricht etwa die als „Seinsgegebenheit" verstandene Menschenwürde, die unabhängig von Zeit und Raum „ist" und verwirklicht werden „soll" und die den Menschen aus „eigener Entscheidung" dazu befähigt, seiner selbst bewußt zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und seine U m w e l t zu gestalten 297 , eher dafür, daß auch durch Selbsterniedrigung die Möglichkeit freier Selbstgestaltung verwirklicht werden kann (wie z.B. beim Verbrecher) 298 . Sie besagt hingegen nichts darüber, welche Folgen diese Entscheidungsbefugnis haben darf und beantwortet daher die Frage nach einer verfassungsrechtlichen Normierung des nemo-tenetur-Prinzips nicht. Selbst wenn man den vorgegebenen Würdebegriff m i t Hilfe der juristischen Hermeneutik zu erschließen und den i n seinem Umfang noch unbestimmten rechtlichen Grundtypus durch Zuordnung oder Ausscheiden konkreter Falltypen 2 9 9 näher zu bestimmen versucht, findet sich insbesondere bei Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die eindeutige konstitutionelle Grundlage für eine umfassende Privilegienstellung des Beschuldigten i n A r t . 1 Abs. 1 S. 1 GG nicht. Gerade die zu der sogen. „Objekttheorie" 3 0 0 heran295 Nipperdey, Die Würde des Menschen, i n : Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 2 (1954), S. 30. 298 Vgl. hierzu etwa Wernicke i n : Bonner Kommentar (Erstbearbeitung), A r t . 1 A n m . I I a; Nipperdey (FN 295), S. 1/2; Maunz (FN 290), A r t . 1 Rdz. 17 f.; Wintrich (FN 290); Dürig, Die Menschenauffassung des GG, JR 1952, S. 259; ders., Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S. 117f.; Z u r Problematik ferner eingehend Wertenbruch, Grundgesetz u n d Menschenwürde, 1958, insbes. § 1 ; Münch, Die Menschenwürde als Grundforderung unserer Verfassung, 1952, S. 1 ff. 297 Maunz (FN 290), A r t . 1 Rdz. 17/18 m. Nachw. 298 Maunz (FN 297), A r t . 1 Rdz. 21. 299 Badura, Generalprävention u n d Würde des Menschen, J Z 1962, S. 337 (340); zur eingehenden Erläuterung dieser Methode Zippelius (FN 290), m. Nachw. 800 Vgl. hierzu Kühne (FN 291), S. 76 (78 ff.).
I. Menschenwürde
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zuziehenden Entscheidungen, wonach der Beschuldigte nicht zum Objekt eines Verfahrens herabgewürdigt werden darf, sprechen nicht für ein generelles Selbstbelastungsverbot. Das Gericht hat hierzu festgestellt: Die Bedeutung der Menschenwürde erschöpfe sich nicht i m Verbot einer verächtlichen Behandlung 3 0 1 , die an Folter, Schandpfahl oder die Methoden des Dritten Reiches erinnere 3 0 2 ; Menschenwürde sei vielmehr i m Sinne der Achtung der Eigenpersönlichkeit des Menschen und seines Eigenwertes entsprechend weit auszulegen 303 . M i t einem solchen Achtungsanspruch läßt sich jedoch eine Aussagepflicht durchaus i n Einklang bringen. Hierzu ist sogar die Meinung vertreten worden, daß die Würde des Menschen „sich am höchsten i m Bekennen begangenen Unrechts und i n der Sühne und Buße dafür, nicht aber i m Verleugnen der begangenen Tat und i n dem Versuch, sich ihren Folgen zu entziehen, dokumentiere" 3 0 4 . Aber selbst wenn man sich diese sehr apodiktische Auffassung nicht zu eigen macht, kann eine eingeschränkte Forderung nach mehr Selbstbelastung des Beschuldigten nicht als Befürwortung eines verfassungswidrigen Überführungsmittels bezeichnet werden: Gerade innerhalb des Strafprozeßrechts w i r d der Mensch oftmals und auch notwendig als „Objekt" behandelt und fremdbestimmt 3 0 5 . Die Vorschriften über Verhaftung, Durchsuchung oder zulässige Augenscheineinnahme sollen seine Beweismittelfunktion nicht zuletzt durch einen Zugriff auf seine Freiheitssphäre sicherstellen. Dadurch beeinträchtigen i h n oft die lediglich passiven Duldungspflichten unter Umständen wesentlich mehr als jeder noch so minimale Zwang zu aktiver Selbstbelastung. Aber selbst hiergegen werden von Verfassungs wegen keine Bedenken erhoben. Diese w o h l i n der Regel m i t unmittelbarem Zwang verbundene Durchsetzung gesetzlicher Gebote w i r d als unerläßliche Notwendigkeit akzeptiert: Von einer verletzenden Herabwürdigung könne keine Rede sein, denn die Maßnahmen seien unmittelbar geeignet, i n rechtsstaatlich gebotener Weise Straftaten aufzuklären und Straftäter zu ermitteln 3 0 6 . Daß eine Aussagepflicht hierzu ebenso „geeignet" sein kann, liegt auf der Hand. Es ist allerdings schwer einzusehen, weshalb diese aktive Form der Selbstbelastung ohne Rücksicht auf den m i t ihr verbundenen Effekt offensichtlich stets als entwürdigender Eingriff qualifiziert wird. 301
BVerfGE 39, S. 1 (39/40). BVerfGE (FN 301). 303 BVerfGE (FN 301). 304 Händel, A n m . z u m U r t e ü des B G H v. 21. 2.1964 — 4 StR 519/63 (LG Hagen) i n N J W 1964, S. 1139 (1141). see BVerfGE 30, S. 1 (251); Rogali (FN 10), S. 141; Kühne (FN 291), S. 78 ff. 302
308
BVerfGE 44, S. 353 (354); B V e r f G N J W 1978, S. 1149.
7 Fischer
D. Verfassungsrechtliche Überprüfung
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Ein von der Sanktion her durchsetzbarer Geständniszwang, der wegen seiner weniger bedeutenden Schwere nicht von vorneherein jegliche Bereitschaft zur verantwortungsvollen M i t w i r k u n g lähmt 3 0 7 , erscheint deshalb nicht als herabwürdigende Verfahrensmethode. Er läßt sich gewiß nicht weniger als die Ergebnisse erzwingbarer Passif vität m i t den „überwiegenden Belangen des Gemeinwohls" 3 0 8 vereinbaren, solange das „Entpersönlichungs-Instrumentarium" des § 136 a StPO nicht gegen den Beschuldigten gerichtet wird. I n dessen gefährlichen Bereich w i r d aber der weniger schwer Verdächtige nicht einmal i m Falle seiner Aussagepflicht auch nur annähernd gerückt. Die Mitwirkung, die i h m durch eine (Ausnahme-) Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben abverlangt wird, schaltet weder die Willensentschließungs- noch die Willensbetätigungsfreiheit aus, sondern stellt sich oft als bloße Kehrseite anderweitig durchsetzbarer Aufklärungsmöglichkeiten dar, die — zuweilen auf wesentlich aufwendigere und noch mehr interessenschmälernde Weise — letzten Endes das nichteingestandene Resultat dennoch an den Tag bringen können. Über diese zusätzliche Ermittlungsmaßnahme braucht der Beschuldigte nicht einmal durch den Hinweis auf seine gesetzlich vorgesehenen Verteidigungsmöglichkeiten i n Kenntnis gesetzt zu werden. Es bleibt den zuständigen Organen überlassen, sie anzuordnen oder davon abzusehen, je nachdem welches Vorgehen sie für erfolgversprechender halten. W i r d hingegen gleich zu Beginn der Sachaufklärung der Zwang zur A k t i v i tät i n Aussicht gestellt, kann dieser unter Umständen nichtvorhandene Einsichtbereitschaft fördern oder sogar ersetzen. Vielleicht werden sogar Duldungspflichten überflüssig. Eines steht jedenfalls fest: Ein solches Geständnisgebot kollidiert nicht mit den unzulässigen Vernehmungsmethoden des § 136 a StPO 3 0 9 . Es beruht auf der eigenverantwortlichen Entscheidungsbefugnis des Aussagenden, die nicht i n unzulässiger Weise beeinträchtigt worden ist. Von einer Verletzung des „Wert- und Achtungsanspruchs" 310 , auf den jeder Beschuldigte ein Recht hat, kann unter solchen Voraussetzungen dann jedoch keine Rede mehr sein. Er steht — i m Gegensatz zu einem Beklagten oder Schuldner — zwar noch immer auf einer privilegierteren Stufe als andere Selbstbelastungspflichtige, weil diese immerhin ohne Rücksicht auf die Schwere der Rechtsfolge eine Offenbarungspflicht trifft. Da aber die m i t diesen Verfahrensrollen zusammenhängenden interessen307
Hierzu näher unten E. eoe BVerfG N J W 1978, S. 1149 (zu § 81 a StPO). 309 Die Erhöhung des Erinnerungsvermögens u n d der Einsichtsfähigkeit fallen nicht unter das Verbot des § 136 a, vgl. Kleinknecht (FN 8), § 136 a Rdz. 15. 310 BVerfGE 28, S. 368 (391).
I. Menschenwürde
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verstoßenden Aussagepflichten nicht als verfassungsrechtlich bedenkliche Verstöße gegen die Menschenwürde empfunden worden sind, erscheint — bei vergleichbaren Rechtsfolgen — ihre dominierende Rolle i m Strafprozeßrecht i n diesem Umfang nicht mehr angebracht, wenn nicht der verfassungsrechtlich unhaltbare Eindruck einer Aufspaltbarkeit des einheitlichen — die gesamte Rechtsordnung umspannenden — Begriffs der Menschenwürde entstehen soll 3 1 1 . Die Zäsur, die m i t E i n t r i t t i n das Strafverfahren offensichtlich zu einer Aufwertung der dem Menschen innewohnenden Würde führt, muß aber auch deshalb umso unbefriedigender empfunden werden, w e i l jedenfalls eine Vorschrift der materiellen Rechtsordnung nicht als entwürdigend gilt, die von einem Bürger verlangt, für die Folgeq seines menschlichen Versagens einzustehen 312 . Eine solche anerkennenswerte Einstandspflicht verliert jedoch ihren Sinn und ihren moralischen Anspruch, wenn sie durch die Regelungen einer bestimmten Verfahrensordnung aufgehoben und dies sogar als prozessual nicht zu beanstandende Selbstverständlichkeit hingenommen wird. Auch hier muß die Eigenverantwortlichkeit jedes Menschen, die anerkanntermaßen vom Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung des Strafrechts zu achten und zu respektieren ist 3 1 3 , einen breiteren Raum einnehmen und die Pflichten i n gleicher Weise erfassen wie die Rechte, wenn es nicht zu einem A l i b i bequemer Verantwortungslosigkeit kommen soll. Eine solche Stellung erkennt das Grundgesetz dem Menschen jedoch nicht zu 3 1 4 , denn es sind unstreitig nicht alle Regelungen und Anordnungen geeignet, A r t . 1 Abs. 1 S. 1 GG zu verletzen, die dem Bürger Pflichten auferlegen oder dessen Freiheit einschränken 315 . Eine begrenzte Selbstbelastungspflicht, auch i m Rahmen der Strafprozeßordnung, ist nicht Ausdruck der Verachtung einem Prozeßsubjekt gegenüber, sondern eine m i t seiner Würde i n Einklang stehende, durch sie sogar begründete Forderung nach einer Verantwortungsbereitschaft, die i m Fall weniger gravierender Belastung übrigens auch verhältnismäßig schärfere Duldungspflichten verdrängen könnte. Der Grundsatz der Menschenwürde steht einem partiellen Abbau des Beschuldigten-Schweigerechts somit nicht entgegen. 311
Gegenüber der Menschenwürde, dem „höchsten Hechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung", ist der Staatsgewalt in all ihren Erscheinungsformen stets die Verpflichtung auferlegt, sie zu achten u n d zu schützen, BVerfGE 45, S. 187 (227). 312 BVerfGE 16, S. 191 (194) zu §142 StGB a. F. (Unfallflucht); diese E n t scheidung ist auch nach der Neufassung des § 142 StGB f ü r die Frage der Selbstbelastung von Bedeutung. 313 BVerfGE 25, S. 269 (285). 314 Z u m „Menschenbild des G G " vgl. unten V. 316 BVerfGE 30, S. 1 (26/27). 7·
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D. Verfassungsrechtliche Überprüfung Π . Persönlichkeitsrecht
Der Schutz vor Selbstüberführung des Beschuldigten w i r d teilweise als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesehen, dessen I n halt von einem natürlichen Recht auf Selbstschutz maßgebend geprägt werde und der es unzumutbar erscheinen lasse, sich selbst der Strafverfolgung zu überantworten 3 1 6 . Es gehe letzten Endes auch hier u m nichts anderes als u m den Schutz der eigenen Ehre und der eigenen Existenz 317 und somit u m die Verteidigung eines Anliegens, die geradezu als sittliche Pflicht bezeichnet werden könne 3 1 8 . Wenn von der Rechtsprechung das Recht des Zeugen, etwaige Verfehlungen geheimzuhalten, anerkannt worden sei, könne für einen Beschuldigten nichts anderes gelten, und es müsse jeder Versuch, i h n zu einem Beweismittel gegen sich selbst zu machen, als Verletzung des unantastbaren Bereichs des Persönlichkeitsrechts angesehen werden, zumal es hier u m „höchstpersönliche Angelegenheiten" (im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 319 ) gehe 320 . Dieser Bestimmung eines sachlichen und persönlichen Schutzbereiches des Persönlichkeitsrechts w i r d eine grundsätzliche Berechtigung nicht abgesprochen werden können. Eine so weitgehende Schlußfolgerung — volles Schweigeprivileg — verbietet sich aber bereits deshalb, w e i l damit zu einseitig auf die Verfahrensrolle lediglich des Beschuldigten abgestellt w i r d und die anderen Prozeßsubjekte anderer Verfahren außer Betracht bleiben. Ferner läßt sich eine solche Differenzierung zwischen vergleichbaren drohenden Sanktionen (Strafe, schwerer Vermögensschaden), kaum begründen. Gerade dieser letzte Gesichtspunkt ist aber von so entscheidender Bedeutung, daß seine Nichtbeachtung den Hinweis auf das Persönlichkeitsrecht i m vorliegenden Zusammenhang entwertet. Das aus A r t . 1 Abs. 1 S. 1, A r t . 2 und A r t . 19 Abs. 2 GG sich ergebende Recht auf Achtung der Persönlichkeit ist als bedeutender Bestandteil des verfassungsrechtlichen Menschenwürde-Begriffs anerkannt 3 2 1 . 816
Ausführlich hierzu Rogali (FN 10), S. 145 f. (Schilderung der besonderen Streßsituation des Beschuldigten) m. Nachw. 817 B G H S t 1, S. 342 f. 318 Rogali (FN 316) unter Hinweis auf Undeutsch, Handbuch der Psychologie, Bd. 11, 1967, S. 82. 819 Vgl. BVerfGE 6, S. 389 (433); 34, S. 238 (245). 820 Vgl. hierzu allerdings auch die Einschränkungen bei Rogali (FN 316), S. 147 f. 821 Grundlegend zum Persönlichkeitsrecht vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 2. veränderte u. erweit. Aufl. (1967); vgl. ferner Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, i n : Bettermann-Nipperdey, Die Grundrechte, Bd. IV/2 (1962), S. 741 ff., 826 ff., 830 ff. m. zahlr. Nachw.; Coing , Das G r u n d recht der Menschenwürde, der strafrechtliche Schutz der Menschlichkeit u n d
II. Persönlichkeitsrecht
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Das hieraus erwachsende „Bündel von Schutzpositionen" 322 , das i n Form eines „allgemeinen Persönlichkeitsrechts" Abwehrrechte gegen die öffentliche Gewalt gibt und auch i m Rechtsverkehr der Privaten untereinander gilt 3 2 3 , verleiht unstreitig auch ein Recht auf Achtung der persönlichen Gefühlswelt, der Integrität des seelischen Innenlebens 324 , das gerade durch strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen beeinträchtigt werden kann und deshalb entsprechender Absicherung bedarf. Solchen Schutz w i l l die Strafprozeßordnung bringen (§ 136 a StPO), doch es ist fraglich, ob jede Einschränkung einer als unbefriedigend empfundenen Privilegienstellung sogleich einen unzulässigen Eingriff i n diesen unverzichtbaren Persönlichkeitsbereich darstellen muß. Die Argumente, die zur Konstruktion eines auf dem Persönlichkeitsrecht basierenden Selbstbelastungsverbotes i m Strafprozeßrecht verwendet werden, greifen möglicherweise durch, wenn es u m Rechtsfolgen geht, die sich i n ihren Belastungswirkungen von denen anderer Rechtsordnungen auffällig unterscheiden. Die langwährende Freiheitsstrafe, die eben ausschließlich vom Strafrichter zu erwarten ist und deshalb i n anderen Verfahrensarten keine Entsprechung findet, mag den Beschuldigten i n der Tat i n eine Ausnahmesituation versetzen, angesichts derer eine wahrheitsgemäße Offenlegung nur i h m bekannter Fakten als „widernatürliche" Pflicht empfunden werden kann. E i n gesetzlicher Zwang, i h n unbeschadet dessen dennoch unter allen U m ständen zu ermittlungsfordernden Angaben zu veranlassen, w i r d häufig w o h l auch an dem ebenso natürlichen Widerstand des Betroffenen scheitern, der bei ohnehin hoher und schwerer Strafdrohung die Durchsetzbarkeit einer Aussagepflicht i n Frage stellen dürfte. Da aber das Strafrecht i n den wenigsten Fällen diese scharfe Reaktion der unausweichlichen Ubelszufügung vorsieht, ist zweifelhaft, ob gerade unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsrechts die spezifische Eigenschaft strafprozessualen Vorgehens eine weitgehende Sonderstellung des Beschuldigten begründen kann. das Persönlichkeitsrecht des bürgerlichen Rechts, SJZ 1947, Sp. 641 ff.; Nachw. ferner bei Zippelius, (FN 290), A r t . 1 Rdz. 19; kritisch hierzu Larenz, L e h r buch des Schuldrechts, Bd. 2, 10. A u f l . 1972, § 72 I I I a; Esser, Schuldrecht, Bd. 2, 4. A u f l . 1971, § 197 I I 1 d; als Rechtfertigungsgrund f ü r die Aussagefreiheit w i r d das Persönlichkeitsrecht angesehen z.B. von Bruns, H. J. (FN 8), S. 8; s. auch B V e r f G N J W 1975, S. 103; zum Verhältnis zwischen z i v i l prozessualer Aufklärungspflicht u n d Persönlichkeitsrecht vgl. die umfassende Zusammenstellung bei Stürner (FN 24), § 13. 322 Einzelheiten hierzu i n den Nachw. zu F N 321. 323 Vgl. hierzu aus der Rspr. BVerfGE 4, S. 52 (57); 7, S. 217 ff.; 11, S.238; 12, S. 122; 17, S. 107; 30, S. 173 (181, 194ff., 214f.); 34, S. 118 (135f.); S.238 (248); S. 269 (282); 35, S. 210 (225); 38, S. 241 (253); 39, S. 156 (163); B G H Z 13, S. 334 ff.; 30, S. 10 f. m. weit. Nachw.; 35, S. 367 f. 324 Nipperdey (FN 321), S. 851 m. Nachw. i n F N 473.
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D. Verfassungsrechtliche Überprüfung
Wenn bei nachweisbarer Verfehlung allenfalls eine Ahndung m i t Geldstrafe befürchtet werden muß, erscheint ein auf das Persönlichkeitsrecht gestütztes Aussageverweigerungsrecht als nicht mehr gerechtfertigte Bevorzugung i m Vergleich zu den i m Ergebnis ebenso betroffenen anderen Verfahrensbeteiligten (Beklagter, Schuldner oder Steuerpflichtiger). Die Achtung der Intimsphäre 3 2 5 , die jedem gleichermaßen zukommt und auf deren Schutz nicht allein der Beschuldigte A n spruch hat, gibt zu gegenteiligen Schlußfolgerungen keine Veranlassung. Dieser ureigenste „Innenraum", i n dem „jeder Mensch sich selbst besitzt, i n den er sich zurückziehen und der Umwelt den Z u t r i t t versperren" kann 3 2 6 , w i r d durch ein wahrheitsgemäßes Geständnis — wenn überhaupt — nicht intensiver beeinträchtigt als durch eine entsprechende Pflichterfüllung außerhalb der Strafprozeßordnung. Aus grundrechtlicher Sicht ist es dabei gleichgültig, ob i n einen Schutzbereich von außen eingedrungen oder ob der Beschuldigte selbst dazu gezwungen wird. Unter Umständen könnte aber sogar letzteres — entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 327 — das „schwächere Mittel" und daher i n erster Linie anzuwenden sein 328 . Die Tatsachen, die auf diese Weise den Ermittlungsorganen bzw. dem Gericht zur Kenntnis zu bringen sind, werden, wenn die Schwere der Sanktion als nicht ausschlaggebend ins Gewicht fällt, keine größere Auffächerung jenes Geheimbereichs zur Folge haben als es etwa i m Steuerrecht bei der detaillierten Aufschlüsselung jedes noch so geringfügigen Einkommensbetrages oder beim erzwingbaren Nachweis über den gegenwärtigen Vermögensstand des Gemeinschuldners der F a l l ist. Es widerspricht deshalb dem Gerechtigkeitsempfinden, wenn dieser abgeschirmte Bereich der Privatsphäre durch beliebige Inanspruchnahme unterschiedlicher Verfahrenspositionen bald als ausdehnungsfähig bzw. als einschränkbar erscheint und auf diese Weise zu einer Größe herab325 Vgl. hierzu etwa BVerfGE 6, S. 32 (41); 27, S. 1 (6/7); 27, S. 344 (350 f.); 32, S. 373 (378 f.); 33, S. 367 (376/7); ferner Wintrich (FN 290), S. 15 f.; Hubmann (FN 321), S. 227 ff.; Dürig i n : Maunz/Dürig/Herzog, GG, A r t . 1 Rdnr. 37. 326 Vgl. Nachw. i n F N 325, ferner Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 1970, S. 4 ff.; Süß, Geheimsphäre u n d moderne Technik, i n : Festschrift f. H. Lehmann, Bd. I, 1956, S. 189 (195ff.); Freund i n : Tonbandaufnahmen, Zulässigkeit u n d Grenzen ihrer Verwendung i m Rechtsstaat, 1957, S. 28 f. 327 Z u r Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes f ü r das (eingreifende) Verwaltungshandeln Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i n der Rechtsprechung des BVerfG, AöR 98 (1973), S. 568 ff. 328 ζ. B. ist nach A r t . 112 Bay GO bei Beanstandungen innerhalb des K o m munalaufsichtsverfahrens die Aufhebung oder Änderung von der Gemeinde selbst zu verlangen. Die Pflicht zur Ersatzvornahme setzt erst ein, w e n n den Beanstandungen durch die Gemeinde nicht entsprochen worden ist (Art. 113 BayGO).
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III. Andere Grundrechte sinkt, die der freien Disposition des Verfahrensgesetzgebers liegt.
unter-
Die Forderung nach einer Angleichung zumutbarer Selbstbelastungspflichten und damit eine einheitliche Bestimmung der Intimsphäre mag i m Einzelfall als Ausgeliefertsein an staatliche Übermacht empfunden werden. M i t einer etatistischen Zudringlichkeit i m Sinne einer schrankenlosen Durchleuchtung persönlicher Verhältnisse, einer Preisgabe des persönlichen Bereiches, „ i n dem man nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen braucht, i n dem man i n Ruhe gelassen und ein Recht auf Einsamkeit genießt" 329 , haben jedoch homogenere, weitgehend vereinheitlichte Selbstbezichtigungsgebote nichts zu tun. Sie nehmen lediglich einen möglichen Anreiz, sich durch illegale Handlungen den Genuß eines Grundrechtsschutzes zu verschaffen, der nicht einmal dem über jeden strafrechtlichen Verdacht erhabenen Bürger i n diesem Umfang 3 3 0 zugestanden und allenfalls unter bestimmten Voraussetzungen 331 gewährt wird. Ergebnis: Das Persönlichkeitsrecht kann als verfassungsrechtliche Grundlage für das strafrechtliche Selbstbelastungsverbot grundsätzlich anerkannt werden. Es steht aber dessen Abschwächung jedenfalls insoweit nicht entgegen, als ein Beschuldigter durch einen zu erwartenden Strafausspruch nicht weitergehend belastet w i r d als es i n einer vergleichbaren anderen Verfahrensrolle der Fall wäre. ΠΙ. Andere Grundrechte Abgesehen von A r t . 1 und 2 GG könnten weitere grundgesetzliche Bestimmungen einem aktiven Selbstbelastungsverbot entgegenstehen. I n Betracht kommen — das Grundrecht der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) — das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) abzuleitende Recht auf ein „faires Verfahren" — das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Obwohl diese verfassungsrechtlichen Verbürgungen vor allem für das Strafverfahren von grundlegender Bedeutung sind, fragt sich doch, ob ihre Ausstrahlungswirkung so stark ist, daß ein partielles 329
Nachw. i n F N 325/6. Z u r Einschränkung des Persönlichkeitsrechts i m Zivilprozeß eingehend Stürner (FN 321), § 13. 331 Vgl. Einzelheiten aus Rspr. u n d L i t . bei Stürner (FN 330). 330
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D. Verfassungsrechtliche Überprüfung
Geständnisgebot des Beschuldigten als grundgesetzwidrig erscheinen müßte. a) Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) Anhaltspunkte für eine auf A r t . 4 Abs. 1 GG gestützte Legitimation des strafprozessualen Aussageverweigerungsrechts finden sich vereinzelt i m Schrifttum 3 3 2 . Das Recht, schweigen zu dürfen, w i r d offenbar als notwendige Absicherung jenes intimen Freiheitsraumes für erforderlich gehalten, der durch A r t . 4 Abs. 1 GG gewährleistet ist und das das „Personengeheimnis" oder die „psychische Unversehrtheit des Menschen" beinhaltet 3 3 8 . Über dieses weite, vom rein religiös geprägten Gewissensbegriff entfernte Verständnis besteht heute Einigkeit 3 3 4 , was nicht ohne beträchtliche Folgen für das Strafverfahren geblieben ist 8 3 5 . Ein generelles Aussageverweigerungsrecht, das uneingeschränkt für den gesamten Bereich der Strafprozeßordnung gilt, hier ebenfalls ansiedeln zu wollen, würde aber dem Sinn dieses Grundrechts nicht gerecht werden. Bedenken bestehen nicht deshalb, w e i l eine Aussage (bzw. ein Schweigen) i n der Außenwelt eine Handlungs-(bzw. Unterlassungs-)wirkung hervorbringt. I m Gegensatz zur früher vorherrschenden Auffassung von der Gewissensfreiheit, wonach diese lediglich eine innere geistige Freiheit bedeutete, w i r d heute der Umfang dieses Grundrechts über das „forum internum" hinaus erweitert. I h m w i r d auch das Recht zur Gewissensverwirklichung zugerechnet, d.h. die Befugnis, gemäß einer inneren Gewissensentscheidung nach außen zu handeln 3 3 8 . Von einer solchen kann aber nur die Rede sein, wenn „eine ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von Gut und Böse" 337 orientierte Entscheidung vorliegt, die einem subjektiv als unbedingt verpflichtend empfundenen 882
Nachw. bei Rogali (FN 10), S. 127. Scholler, Die Freiheit des Gewissens, 1958, S. 148, 150/1. 334 BVerfGE, 32, S. 98 (106) m. weit. Nachw.; 33, S. 23 (28) — Folge aus dem Gebot weltanschaulicher Neutralität; vgl. ferner Hamann/Lenz, GG, A r t . 4 A n m . I I / 2 ; Herzog i n : Maunz/Dürig/Herzog, GG, A r t . 4 Rdnr. 123; Zippelius (FN 290), A r t . 4 Rdnr. 59; v. Mangoldt/Klein, GG, A r t . 4 A n m . I I / 3 ; Listi , Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- u n d Kirchenfreiheit, i n : Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1974, S. 363 (390). 853
335 Gewissensfreiheit w i r d i n diesem Zusammenhang auch als Freiheit von dem strafprozessualen Zwang, „die Schichten des Innenlebens zu erforschen", verstanden, vgl. Scholler (FN 333), S. 151 ff.; das bedeutet dann aber nichts anderes, als daß die verbotenen Eingriffsmethoden letztlich auf A r t . 4 Abs. 1 GG zurückzuführen sind; k r i t . insoweit Rogali (FN 10), S. 128. 336 Herzog i n : Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 4 Rdnr. 129 ff. m. Nachw. der verschiedenen Ansichten. 337 BVerfGE 12, S. 45 (55); 23, S. 191 (205).
III. Andere Grundrechte
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ethischen Sollensgebot entspricht, gegen die m i t h i n der einzelne nicht ohne ernste Gewissensnot handeln kann 3 3 8 . Hier ist schon fraglich, ob eine Entscheidung des Beschuldigten, seine Verteidigung durch Schweigen zu führen, überhaupt Ergebnis einer Gewissensentscheidung i m Sinne dieser angegebenen Interpretation sein kann. Verlangt das Gewissen denn nicht, Unrecht einzugestehen? Daß ein Beschuldigter sich auch hierzu bekennen kann, steht außer Frage: Es läßt sich doch w o h l nicht behaupten, daß der ermittlungsbetroffene Bürger eben wegen des gegen i h n bestehenden Verdachts nicht mehr i n der Lage sei, einen auf der Seite des „Guten" stehenden Entschluß zu fassen — gerade das aber würde ja ein wahrheitsgemäßes Geständnis bedeuten. Einer solchen Auffassung stünde zudem A r t . 6 M R K entgegen. Noch weniger überzeugt es, eine solche Form der Gewissensnot primär auf diese eine Verfahrensrolle zu beschränken. Warum sollte sich die Prozeßpartei, die durch ihre die Gegenpartei unterstützenden Hinweise eine A r t von Prozeßführungspflicht i m fremden Interesse übernommen hat, und die etwa eine Verurteilung zur Schadensersatzleistung finanziell besonders hart treffen würde, nicht m i t gleicher Berechtigung auf ihre — negative — Gewissensentscheidung berufen dürfen? Weshalb sollte der Steuerpflichtige, der über seine gesamten finanziellen Verhältnisse Rechenschaft ablegen, der jedem Betriebsprüfer Zugang zu seinen Räumen gewähren und sich obendrein strafrechtlicher Delikte bezichtigen muß, nicht das gleiche Recht einer Gewissensnot i n Anspruch nehmen können, wenn er durch hohe Steuerforderungen i n eine — vielleicht auch nur vorübergehende — schwierige wirtschaftliche Lage gebracht wird? K a n n sich ein Schuldner nicht ebenfalls i n einer solchen Ausnahmesituation befinden und sich auf jenen „kategorischen Befehlscharakter" 339 berufen, der i h m von der schonungslosen Offenlegung all seiner letzten Habe abrät, um die endgültige Zerschlagung der restlichen wirtschaftlichen Existenz zu vermeiden? Der Gesetzgeber kümmert sich hier m i t Recht nicht um das „Gewissen", das doch nur Vorwand der Rechtsverletzung wäre. Und selbst wenn dies aus Gründen wohlerwogener Praktikabilität, aus dem Streben nach Verwirklichung breitgestreuter Einzelfallgerechtigkeit i n einigen Teilgebieten der Rechtsordnung zu einem selbstverständlichen Bestandteil wichtiger Verfahrensarten geworden ist, dann sollte auch das Straf prozeßrecht nicht i n jeder Hinsicht hiervon ausgeklammert bleiben. Es sollte nicht willkommenes Paradebeispiel 338 Vgl. etwa Leibholz/Rinck, GG, A r t . 4 Rdnr. 8; Zippelius Rdnr. 32; Hamann/Lenz (FN 334), A r t . 4 A n m . Β 2. 339 Hamann/Lenz (FN 334 ), A r t . 4 A n m . Β 2.
(FN 290), A r t . 4
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D. Verfassungsrechtliche Überprüfung
einer oft fingierten Gewissensüberbewertung sein, das sogar A r t . 4 Abs. 1 GG als Rechtsbruchprivileg i n Frage stellen würde. Gerade i n einer Zeit, i n der notwendige Pflichten des einzelnen der Rechtsgemeinschaft gegenüber nicht leichtfertig m i t dem Deckmantel der Gewissenfreiheit eingehüllt und umgangen werden dürfen und sogar Gewissensprüfungen die Ernsthaftigkeit des herangezogenen Grundrechts bestätigen sollen (Wehrdienstverweigerung 340 ), überzeugt eine Privilegierung des Beschuldigten aus A r t . 4 Abs. 1 GG nicht. Sie bedarf um so dringender der Korrektur, als die straf verschärf enden Reaktionen des Gesetzgebers 341 heute den Rechtsbrecher meist nicht wesentlich schwerer treffen als es i n einer anderen — von der Sanktion her vergleichbaren — Verfahrensrolle der Fall ist. b) Recht auf ein „faires Verfahren" Eine für die Fälle minder schwerer Strafdrohung festzulegende Selbstbelastungspflicht verstößt auch nicht gegen den Anspruch auf Durchführung eines „fairen Verfahrens". Obwohl dieses Recht als „wesentlicher Grundsatz eines rechtsstaatlichen Verfahrens" hervorgehoben und anerkannt ist 3 4 2 , läßt sich ein teilweiser Abbau des Schweigeprivilegs nicht ohne weiteres als „rechtsstaatswidrig" unterstellen. Weder der Begriff der Fairneß noch die besondere Ausgestaltung gerade des Strafverfahrens erfordern eine uneingeschränkte Berücksichtigung des Geheimhaltungsinteresses des Beschuldigten. Eine neue hierzu ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 343 , die die Verteidigung des Beschuldigten durch einen A n w a l t seines Vertrauens zum Gegenstand hatte, kann zur Stütze dieser A n sicht nichts beitragen. Diese Erkenntnis stellt nicht auf das Selbstbelastungsverbot ab, sondern charakterisiert lediglich Fairneß als „das Verlangen nach verfahrensrechtlicher ,Waffengleichheit 4 von Ankläger und Beschuldigtem". Gerade dieser letzte Gesichtspunkt begründet jedoch nicht einen generellen Geständnisverzicht. 340 I n s t r u k t i v hierzu die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der „Wehrpflichtnovelle 1977" i n N J W 1978, S. 1245ff.; vgl. auch die Stellungnahme v o n Ipsen, Wehrdienst, Ersatzdienst, Pflichtengleichheit, ZRP 1978, S. 1 ff. 341 Oben Beispiel l / I I b. 342 BVerfGE 26, S. 66 (71); 34, S. 293 (302); 38, S. 105 (111 f.); BVerfG N J W 1975, S. 1013 f., 1015 ff.; B G H N J W 1974, S. 1570 f.; B G H S t 14, S. 364; ferner Grünwald, (Anmerkung z. BGH, Beschl. v. 30. 4. 1968 — 1 StR 625/67 [OLG Karlsruhe]), JZ 1968, S. 752 ff. m. Nachw.; Saladin, Das Verfassungsprinzip der Fairneß, i n : Festgabe der Schweizerischen Rechtsfakultäten zur Hundertjahrfeier des Bundesgerichts, 1975, S. 41 ff. 343 BVerfG N J W 1975, S. 1013 f.
III. Andere Grundrechte
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Wie bereits dargelegt 344 , befindet sich keineswegs jeder Beschuldigte i n der Situation interessengefährdender Unterlegenheit gegenüber dem anklagevertretenden Staatsanwalt. Der Vorteil genauer Kenntnis des Tatgeschehens verschafft i h m oft eine Position der Stärke, die den Ermittlungsorganen trotz mannigfacher Inquisitionsmöglichkeiten vorenthalten ist. Hier läßt sich nicht mehr von einem Postulat der Fairneß sprechen, wenn Selbstüberführung nicht gefordert wird. I m Gegenteil: Ein Begriff, den der Verzicht auf rücksichtsloses Ausnützen eigener — einseitiger — Vorteile kennzeichnet, kann nicht für ein uneingeschränktes Schweigendürfen i n Anspruch genommen werden, noch dazu in einer derart nach Rechtsgebieten unterschiedlichen Weise. Das zeigt sich bei einem Vergleich mit anderen Verfahrenspositionen, i n die jeder Bürger, nicht nur ein Beschuldigter, kommen kann und die i h m eine ganz andere A r t von „fair play" ansinnen als das i m Strafverfahren der Fall ist. Wenn unzureichende Ermittlungsmöglichkeiten ausgeglichen (Steuerrecht), dem anderen fehlende Beweise durch eigene Angaben ersetzt werden müssen (ZPO/Vollstreckungsrecht /KO), zwingt die Rechtsordnung mitunter zu einem folgenschweren Verzicht auf begründete Eigeninteressen. Diese Fairneß aber, die i n so selbstverständlicher Weise gegenüber dem Verfahrensgegner, sei es der Staat, sei es der einzelne Privatmann, gefordert und vorausgesetzt wird, kann durchaus ihren Platz auch innerhalb des Strafverfahrensrechts einnehmen, gerade wenn man das Prinzip der Waffengleichheit ernst nimmt. Dieses setzt zwei Seiten voraus, ein — wie die anderen Rechtsgebiete zeigen — gegenseitiges Nachgeben zugunsten des anderen, i m Namen der Wahrheit, das durchaus nicht m i t der Aufgabe zustehender Rechte verbunden ist. Es erweist sich hingegen nicht als Forderungsgrundlage für neue — zusätzliche — Rechte und als aussichtsreiche Chance, bestehende Pflichten erfolgreich zu umgehen. Ein Aussagegebot i m Strafverfahren widerspricht deshalb dem Grundsatz eines fairen Verfahrens nicht 3 4 5 . Es könnte sogar oft eine wichtige Kompensation zur Aufrechterhaltung dieses Verfahrensprinzips darstellen, wenn die Waffengleichheit durch Aussageverweigerung i n offensichtliche Ungleichheit umzuschlagen droht. c) Rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Auch dem Einwand, das verfassungsrechtliche Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1, 104 Abs. 3 S. 1 GG) stütze das Nemo-teneturPrinzip 3 4 6 , kann nicht ohne Einschränkung zugestimmt werden. 344
Oben Beispiel 3 / I I a, b. Z u r Ablehnung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens als Basis des gesamten nemo-tenetur-Prinzips Rogali (FN 10), S. 137/8. 345
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D. Verfassungsrechtliche Überprüfung
Zwar ist richtig, daß dem Beschuldigten, dem Gelegenheit zu Einwendungen zu geben ist, lediglich eine Möglichkeit zur M i t w i r k u n g eingeräumt, nicht hingegen eine entsprechende Pflicht für i h n festgelegt ist 3 4 7 . Der e-contrario-Schluß aber, m i t dem das Grundrecht 3 4 9 des rechtlichen Gehörs zur Basis eines Selbstbelastungsverbots werden soll, muß auf Bedenken stoßen 349 . Die Pflicht, einem Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur freiwilligen Stellungnahme bieten zu müssen, bedeutet nicht, daß er von jeder aktiven M i t w i r k u n g zu befreien wäre. Eine solche Auffassung liegt auch den Konkretisierungen des A r t . 103 GG i n anderen Rechtsgebieten — ZPO, K O oder A O — nicht zugrunde und läßt sich m i t der ratio dieses Grundrechts nicht i n Einklang bringen. Die Anhörung eines Verfahrensbeteiligten hat nicht nur den Sinn, diesem ein der Würde seiner Person gerecht werdendes Verfahren zu ermöglichen und damit seine Degradierung zum Objekt richterlicher Entscheidung 350 zu vermeiden. Sie bezweckt auch, i h n vor einer Entscheidung, die seine Rechte und Pflichten betrifft, zu Wort kommen zu lassen, „ u m Einfluß auf das Verfahren und das Ergebnis nehmen zu können" 3 5 1 . Daß bedeutet, daß einerseits den Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit geboten sein muß, sich zu allen einschlägigen Tat- und Rechtsfragen des konkreten Verfahrens zu äußern und gehört zu werden 3 5 2 , und daß andererseits ein Gericht seiner Entscheidung nur Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde legen darf, zu denen sich die Beteiligten vorher äußern konnten 3 5 3 . Dieses Recht w i r d jedoch durch eine — unter bestimmten Voraussetzungen zugemutete — aktive M i t w i r k u n g der Prozeßbeteiligten nicht geschmälert, wie ZPO, K O oder A O zeigen. Auch deren Regelungen beinhalten neben den Aussagepfiichten Vorschriften, die das Grundrecht des rechtlichen Gehörs wirksam gewährleisten und dadurch verhindern, daß „vollendete Tatsachen" ohne jegliche Einflußnahme der 346 Vgl. hierzu Rogali (FN 10), S. 124 f. unter Hinweis auf Castringius, Schweigen u n d Leugnen des Beschuldigten i m Strafprozeß, (Diss.) H a m b u r g 1965, S. 21 u n d Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, (Diss.) Göttingen 1972, S. 51. 347 Castringius (FN 346); Bauer (FN 346). 348 Z u m Grundrechtscharakter vgl. etwa Dürig i n : Maunz/Dürig/Herzog (FN 290), A r t . 103 Rdnr. 7; BVerfGE 9, S. 89 (95). 349 I m Ergebnis auch abl. Rogali (FN 345). 350 BVerfGE 4, S. 89 (95). 351 BVerfGE 6, S. 12 (16); 7, S. 53 (57); S. 275 (279); 9, S. 89 (95); std. Rspr. B G H S t 22, S. 336 (339); Holtkotten i n : Bonner Kommentar, A r t . 103 Rdnr. 342; Kern/Roxin (FN 14), § 25, S. 79 m. Nachw. 352 Dürig i n : Maunz/Dürig/Herzog (FN 290), A r t . 103, Rdnr. 28; vgl. ferner die Zusammenstellung der strafverfahrensrechtlichen Vorschriften, aus denen sich das Gebot des rechtlichen Gehörs ergibt, oben i n F N 124. 353 BVerfGE 20, S. 280 (282); N J W 1975, S. 1355.
IV. „in dubio pro liberiate"
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Betroffenen zustande kommen. Von einer Einschränkung des Grundrechts aus A r t . 103 GG allein wegen einer bestehenden Aufklärungspflicht kann somit ebensowenig die Rede sein wie von einer umgekehrten Verallgemeinerung, daß ein gewährtes Schweigerecht den Schluß auf einen intensiveren Grundrechtsschutz zuläßt. Gerade i m Bereich der Strafprozeßordnung sind ja sogar, obwohl A r t . 103 Abs. 1 GG keine Schranken enthält, Situationen denkbar, i n denen die Vorenthaltung des rechtlichen Gehörs geboten sein kann, wenn etwa die „Sicherung gefährdeter Interessen . . . eine vorherige Anhörung des Betroffenen ausschließt" . . . oder „schwerwiegende Interessen auf dem Spiel stehen", die den Verzicht auf eine an sich mögliche Anhörung des Beschuldigten nahelegen, u m i h n nicht zu warnen 8 5 4 . Selbstbelastung und Gewährung rechtlichen Gehörs schließen sich somit nicht aus. Abgesehen davon, daß das Nemo-tenetur-Prinzip wegen seines passiven Charakters i m Gegensatz zu dem durch A k t i v i t ä t gekennzeichneten rechtlichen Gehör steht 355 , können bereits begrifflich keine „endgültigen und unabänderlichen Entscheidungen" 358 über die Rechte eines Beschuldigten ohne dessen Z u t u n gefällt werden, wenn die Fakten hierzu von i h m selbst beigebracht werden müssen. Der Uberraschungseffekt, der wichtige Reaktionen überlagern kann und den A r t . 103 Abs. 1 GG ausschließen soll, fehlt i m Falle der Aussagepflicht vollkommen. I m Gegenteil: Die ansonsten notwendige Stellungnahme erübrigt sich, denn sie eröffnet keine neuen und erweiterten Verteidigungsmöglichkeiten als diejenigen, die durch das wahrheitsgemäße Geständnis ohnehin vorhanden waren und genutzt werden konnten. Eine Rechtsbeeinträchtigung i m Sinne des A r t . 103 Abs. 1 GG kann dann allenfalls noch durch anschließende Verfahrenshandlungen geschehen, nicht aber durch die Erfüllung der Selbstüberführungspflicht. M i t i h r w i r d zugleich der Anspruch auf rechtliches Gehör erfüllt. Sie beinhaltet gleichsam die Ausübung dieses Rechts i n ausgeprägtester Form, die allerdings nicht mehr i n das Belieben des Beschuldigten gestellt ist. Daß ein solcher Aussagezwang verfassungswidrig wäre, läßt sich durch keine Grundrechtsvorschrift belegen. I V · „in dubio pro liberiate" Auch der Grundsatz „ i n dubio pro liberiate" ist nicht absolute Garantie eines unumstößlichen, keiner Ausnahme zugänglichen Selbstbelastungsverbotes. 354 BVerfGE 7, S. 97 (99); 9, S. 85 (96) m i t der Feststellung, daß A r t . 103 Abs. 1 GG gerade f ü r die „typischen Aufgaben" der Gerichte geschaffen w o r den ist, aber auch Ausnahmen gestattet. 355 Y g i hierzu die i n F N 347 zitierten Autoren. 35β V g L Nachweise i n F N 354.
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D. Verfassungsrechtliche Überprüfung
Zwar liegt es nahe, gerade einem den Strafgesetzen unterworfenen Beschuldigten diesen größtmöglichen Freiheitsraum 3 5 7 i n Form eines generellen Schweigeprivilegs zuzugestehen. Doch sind die verfassungsrechtlichen Absicherungen, die das Strafrecht eben wegen seiner einschneidenden Machtmittel gefunden hat, nicht i n jeder Hinsicht Indiz dafür, u m jegliche Geständnisfreiheit unabänderlich aufrechtzuerhalten. Z u m einen sind die Machtmittel des Strafrechts nicht stets ungleich härter als zulässige Reaktionsmittel nach anderen Gesetzen, zum anderen kann aus den die staatliche (Straf-)Macht begrenzenden Verfassungsrechtsätzen nicht geschlossen werden, daß sie einer wahrheitsgemäßen Einlassungspflicht widersprechen. — Strafe ist nicht eine stets besondere, ungleich schwerere Übelszufügung, auf die der Gesetzgeber unbedingt m i t einer sehr weitgehenden Selbstbelastungsfreiheit reagieren müßte. Zwar kann ein Strafurteil einen Schuldigen für Lebenszeit aus der menschlichen Gesellschaft ausschließen 358 und selbst weniger einschneidende Sanktionen mögen einen Verurteilten oft schwerer und nachhaltiger schädigen als dies vielleicht i n der bezweckten Strafw i r k u n g liegt 3 5 9 . Trotzdem dürfen diese Feststellungen nicht verallgemeinert und auf jede Form der Strafe übertragen werden. Abgesehen davon, daß insbesondere die Urteilsaussprüche des Z i v i l richters oft nicht weniger diskriminierende Wirkungen zur Folge haben können 3 6 0 , hält auch der Strafrichter nicht stets freiheitsentziehende oder wirtschaftlich ruinöse Strafen bereit. Gerade die häufige Verhängung der Geldstrafe, die die Freiheitsstrafe mehr und mehr zu verdrängen scheint 361 und die durch das Tagessatzsystem besonders ausgestaltet worden ist 3 6 2 , beweist, daß — unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Täters — auch unter Einsatz von weniger scharfen Ahndungsmethoden eine wirksame und schuldangemessene Sühne möglich ist 3 6 3 . Die effektive Belastung ist hier unter Umständen sogar noch geringer als i m Falle des Einstehenmüssens für die Erfüllung privatrechtlicher Verpflichtungen oder steuerrechtlicher Forderungen. 357
Hierzu v o r allem BVerfGE 7, S. 377 ff. (Apotheken-Urteil). Vgl. hierzu neuerdings zur lebenslangen Freiheitsstrafe BVerfGE 45, S. 187 ff., sowie die Dokumentation von Jescheckl Triff ter er, Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig? (1978). 359 Maurach/Zipf (FN 101), § 10 I. 360 s. hierzu Beispiel 1 I I b. 361 I m Jahre 1975 betrug die Ahndungsquote der Geldstrafe i m m e r h i n 83 °/o, vgl. nähere Nachw. hierzu bei Dreher/Tröndle (FN 2), v o r §40 Rdnr. 1. 362 §§ 40 ff. StGB. 363 Einzelheiten m i t zahlr. Nachw. aus dem Schrifttum bei Dreher/Tröndle (FN 361), Vorbem. v o r § 40. 358
IV. „in dubio pro liberiate"
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Selbst die Eintragung des Verurteilten i n das Bundeszentralregister 3 6 4 wertet die Schwere der verhängten Strafe nicht auf. Dem berechtigten Interesse an weitmöglichster Geheimhaltung begangener Verfehlungen w i r d durch detaillierte Regelungen Rechnung getragen, die nur unter bestimmten Voraussetzungen eine Auskunftspflicht hinsichtlich der Eintragungen gestatten. Denn im Gegensatz zum Schuldnerverzeichnis (vgl. § 915 ZPO) steht das Bundeszentralregister nicht jedermann zur Einsicht frei. Vielmehr muß hierfür stets der „Zweck" (§ 39 Abs. 4 BZRG) bzw. ein „berechtigtes Interesse" (§40 Abs. 1 S. 1 BZRG) 3 6 5 dargelegt werden, um von der entsprechenden Tatsache Kenntnis erhalten zu können. Der Strafmakel, der auf dem einzelnen lastet, w i r d somit auf diese Weise hinreichend berücksichtigt, eine publizierende Anprangerung begangener Taten ausgeschlossen. — Die Tatsache, daß der Verfassunggeber Bestimmungen über die Strafzufügung getroffen hat (vgl. A r t . 103 Abs. 2 und 3, 104 GG) mag Beweis für die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen sein. Sie rechtfertigt es aber nicht, einem Beschuldigten i n jeder Hinsicht größtmöglichste Entscheidungsfreiheit über seine M i t w i r k u n g am Verfahren einzuräumen. Dies erscheint auch angesichts der das Rechtsstaatsprinzip tragenden Merkmale der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit 366 nicht zwingend. Diese i n A r t . 103 Abs. 2 GG positivrechtlich verankerten Grundsätze finden ihren Niederschlag auch i n der Ausgestaltung der Strafprozeßordnung, i n jenem „Kompromiß aus Aufklärungs- und Garantiefunktion" 3 6 7 . Es ist jedoch eine Verlagerung zugunsten der ersteren auch m i t diesen Verfassungsrechtssätzen vereinbar: Die vierfache Bedeutung 368 , die der i n A r t . 103 Abs. 2 GG 3 6 9 bestimmten Garantiefunktion des Strafrechts zukommt (Ausschluß des Gewohnheitsrechts, Verbot der Rückwirkung, Verbot der Analogie, Gesetzesvorbehalt für Strafgesetze), w i r d durch eine (eingeschränkte) Prozeßförderungspflicht des Beschuldigten i n keiner Weise unterlaufen, sondern eher hervorgehoben. 364 Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz — BZRG) v o m 18. März 1971 — i n der Fassung der Bekanntmachung v o m 22. J u l i 1976 (BGBl. I, S. 2005). ses Einsichtnahme i n das Schuldnerverzeichnis ist nicht einmal der Nachweis eines berechtigten Interesses erforderlich, vgl. § 915 Abs. 3 ZPO. 3ββ BVerfGE 3, S. 89 ff., S. 194 ff. 367 Maurach/Zipf (FN 359), § 10 I Β. 368 BVerfGE 14, S. 174 ff. 369 § 1 StGB stimmt wörtlich m i t A r t . 103 Abs. 2 GG überein.
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D. Verfassungsrechtliche Überprüfung Das Gebot zwischen Schuld und Strafe (nulla poena sine culpa/ lege 370 ) sowie die Feststellung und Abgrenzung strafwürdigen Verhaltens sind verfassungsrechtliche Gebote, die über die Gestaltung des Strafverfahrens i m einzelnen keine näheren Aussagen bringen. Verlangt die Garantiefunktion des Strafrechts aber, Urteile gegen Unschuldige nicht nur auszuschließen, sondern nach Möglichkeit schon förmliche Verfahren gegen sie zu verhindern 3 7 1 , so kann eine Wahrheitspflicht des Beschuldigten diesem Anliegen nur förderlich sein. Dem kann auch nicht m i t dem Argument mangelnder Zumutbarkeit begegnet werden, etwa m i t der Begründung, die jeweilige Strafdrohung sei letzen Endes nicht — konkret — vorhersehbar. Einer großen Rechtsunsicherheit, die hier auftreten und zulasten des Beschuldigten wirken könnte, ist bereits durch das Prinzip „nulla poena sine lege" (Art. 103 Abs. 2 GG) und das Analogieverbot des Strafrechts die Basis entzogen. Diese Grundsätze geben hier verbindliche Orientierungshilfen, an denen mögliche Sanktionen zu erkennen und zu messen sind. Dem Bürger w i r d hierdurch klar die Grenze des straffreien Raumes vor Augen gestellt 372 , u m sein Verhalten entsprechend einrichten bzw. mögliche Konsequenzen abschätzen und auch i n Kauf nehmen zu können — vor dem Prozeß wie nach dem Beginn des Verfahrens.
Auch dieser Gesichtspunkt legt es nahe, den dem Beschuldigten zuzugestehenden Freiheitsraum nicht zu überdehnen. Seine Verfahrensrolle sollte auch hinsichtlich einer i h n treffenden Lauterkeitspflicht i n die Nähe Beteiligter an anderen Prozessen gerückt werden, die mit vergleichbaren Sanktionen rechnen müssen. V· Menschenbild des Grundgesetzes Auch das verfassungsrechtlich vorgezeichnete „Menschenbild des Grundgesetzes" spricht eher gegen als für ein ausnahmsloses strafrechtliches Selbstbelastungsverbot. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dieses Menschenbild nicht „das des selbstherrlichen Individuums, sondern 570 BVerfGE 14, S. 174 ff.; Dürig i n : Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 103 Abs. 2 Rdnr. 106; Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, i n : Bettermann/Nipperdey/ Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 3, Halbband 2, S. 909; Eser i n : Schönke/ Schröder, StGB, 1978, § 1 Rdnr. 17 ; — jeweils zu „ n u l l a poena sine lege" ; der Grundsatz „ n u l l a poena sine culpa" ist als Verfassungsrechtssatz anerkannt, vgl. BVerfGE 20, S. 323 (331). 871 MaurachjZipj (FN 359). 872 Dürig (FN 370), Rdnr. 106.
V. Menschenbild des Grundgesetzes
113
das der i n der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit" 373 . Vorschriften der gesamten Rechtsordnung geben Zeugnis von dieser Auffassung, und zwar nicht nur i m Rahmen des materiellen Rechts 374 , sondern i n gleicher Weise innerhalb der Verfahrensordnungen. Auch hier ist, gerade durch die zahlreichen Selbstbelastungspflichten, die Verfahrensrolle nicht als eine streng isolierte, ausschließlich vom eigenen Interese geprägte Funktion gekennzeichnet. Sie erscheint eben durch das — teilweise recht weitgehende — Gebot, eigene Nachteile i n Kauf nehmen zu müssen, als Ausdruck einer gewissen prozessualen „Sozialpflichtigkeit" jeden Anspruchs. Die Selbstbelastungspflicht läßt sich somit als eine Schranke der Handlungsfreiheit des einzelnen auffassen, die der Gesetzgeber i m Hinblick auf diese Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums zur „Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens" 375 aufgestellt hat. M i t dieser Vorstellung läßt sich, umgekehrt, das B i l d eines durchweg schweigenden Beschuldigten nur schwer i n Einklang bringen. Das Eingebundensein i n die Rechtsgemeinschaft bedeutet ja gerade nicht ausschließlich die beliebige Inanspruchnahme nutzbringender Rechte (status activus) 378 oder die Geltendmachung zugestandener A b wehrmöglichkeiten (status negativus), sondern i n gleicher Weise die Belastung mit (staatsbürgerlichen) Pflichten (status passivus), die nicht nach willkürlichem Gutdünken abgestreift werden kann. Eine Entbindung von verpflichtenden Handlungsgeboten mag i m Einzelfall einem jeden Menschen eigenen „Selbsterhaltungstrieb" 3 7 7 entsprechen, 373 BVerfGE 12, S. 42 (51); vgl. auch 4, S. 7 (15); 28, S. 175 (189); 30, S. 1 (20); 33, S. 1 (10); 8, S. 274 (329). 374 So BVerfGE 16, S. 191 (194) zu §142 StGB a. F. (Unfallflucht) : „Das Verbot der U n f allflucht verstößt auch nicht gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Der Staatsbürger w i r d nicht entmündigt, w e n n die Rechtsordnung von i h m verlangt, daß er f ü r die Folgen seines menschlichen V e r sagens einsteht u n d die A u f k l ä r u n g der Unfallursachen wenigstens nicht durch die Flucht erschwert oder vereitelt". Vgl. auch BVerfGE 2, S. 287 (295) zu § 9 a EStG u n d zur Spesenverordnung: „ I m übrigen ist nicht einzusehen, inwiefern die Notwendigkeit, Belege beizubringen, die Menschenwürde oder die freie Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtigen könnte". 375 BVerfGE 45, S. 187 (227). 376
Eingehend hierzu Jellinek, Das System der subj. öffentl. Rechte, 1905, 81 ff.; Zippelius, Allgemeine Staatslehre-Politikwissenschaft, 6. Aufl. 1978, § 9 I V ; vgl. auch BVerfGE 8, S. 115 ff. (133). 377 Z u einem solchen „Recht auf Selbstschutz" vgl. z.B. Welzel, Z u r Problematik der Unterlassungsdelikte, JZ 1958, S. 494; Ulsenheimer, Z u m u t barkeit normgemäßen Verhaltens bei Gefahr eigener Strafverfolgung, G A 1972, S. 1 (24); Rüping, Z u r Mitwirkungspflicht des Beschuldigten u n d Angeklagten, JR 1974, S. 135 (136 ff.); aus der Rspr. B G H S t 11, S. 353 (356); 17, S. 236 (237); RGSt 63, S. 233 (236). 8 Fischer
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D. Verfassungsrechtliche Überprüfung
soweit die Einstandspflicht m i t der unausweichlichen Preisgabe der eigenen Existenz verbunden wäre. Dennoch macht der Gesetzgeber nicht einmal hier generelle Zugeständnisse — der Gemeinschuldner i m Konkurs ist nicht aussageverweigerungsberechtigt. Daß aber gerade auf gemeinschaftsverpflichtendes Handeln i n dem Bereich verzichtet wird, i n dem gemeinschaftsschädigendes Vorgehen geklärt werden soll, muß als unbefriedigend empfunden werden. Soziales Verantwortungsbewußtsein statt selbstherrlicher Rechtsausübung kann nicht auf einzelne Bereiche beschränkt werden. Es bedeutet vielfältiges Verpflichtetsein, das nicht stets an der Schwelle zum Strafrecht auf der Strecke bleiben sollte. Auch der weniger schwer verdächtige Beschuldigte steht noch immer als grundsätzlich gleichberechtigtes Glied innerhalb der Gemeinschaft. Er unterliegt damit ihren sozialen Pflichten, deren Erfüllung i h m i n diesen Fällen auch durchaus zumutbar ist 3 7 8 und die die „Eigenständigkeit seiner Person" 3 7 9 unberührt läßt. Der Zwang zu bloßer Bereithaltung, das lethargisch duldende „Mit-sich-geschehen-lassen", ist gerade nicht ein stets gleichwertiger Ersatz einer notwendigen aktiven Verantwortungsbereitschaft, die das Menschenbild maßgeblich prägt. Die Erweiterung der Aussagepflicht i m Strafprozeß steht also unter diesem Gesichtspunkt „näher beim Grundgesetz". Zusammenfassung Aus verfassungsrechtlicher Sicht stehen einer Ausdehnung der Selbstbelastungspflichten des Beschuldigten keine Bedenken entgegen: — Eine wahrheitsgemäße Einlassung bedeutet kein verächtlichmachendes — herabwürdigendes — Gebot i m Sinne eines Verstoßes gegen die Menschenwürde. — Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts kann insbesondere angesichts der verhältnismäßig geringen Auswirkungen, die ein Aussagegebot m i t sich bringen kann, nicht i n Betracht gezogen werden; von einer „Entpersönlichung" des Adressaten kann keine Rede sein. — Die Begründung der Geständnisfreiheit m i t einer „Gewissensnot" des Beschuldigten hält näherer Nachprüfung nicht stand. Vereinzelt mag eine Berufung auf A r t . 4 Abs. 1 GG berechtigt sein, sie kann jedoch nicht als generelle Rechtfertigung des umfassenden Schweigerechts dienen. 378 Das Z u m u t b a r k e i t s - K r i t e r i u m ist i n der i n F N 375 zitierten Entscheidung des BVerfG erneut betont worden. 379 BVerfGE 45, S. 187 (227); 30, S. 1 (20).
V. Menschenbild des Grundgesetzes
115
— Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und eine (begrenzte) Selbstüberführungspflicht schließen sich nicht aus. Als eine diesem Grundrechtsraum vorgelagerte Stufe macht eine Aussage die Anhörung oft überflüssig oder bedeutet sogar die intensivste Form der Stellungnahme überhaupt. — Das Gebot der Durchführung eines „fairen Verfahrens" fordert aktive M i t w i r k u n g des Beschuldigten mindestens dann, wenn die Vorenthaltung seiner Kenntnisse des fraglichen Tatgeschehens das Prinzip der Waffengleichheit aufheben könnten. — Einschränkungen des Schweigerechts bedeuten keine unzulässige Verengung des Freiheitsraumes des Beschuldigten. Die verfassungsrechtlichen Absicherungen, die angesichts der Schwere strafrechtlicher Sanktionen vorgegeben sind, genügen auch i n diesem Fall. — Schließlich ist m i t dem „Menschenbild des Grundgesetzes" ein umfassendes Schweigerecht des Beschuldigten nicht vereinbar. Gerade i n seiner Eigenschaft als eine der Gemeinschaft vielfältig verpflichteten Persönlichkeit trifft auch i h n die Pflicht, Verantwortung zu tragen, wenn die voraussichtliche Strafe nicht schwerer wiegt als ein Nachteil, der i n anderen Verfahren droht.
E. Grenzen einer Selbstbelastungspflicht des Beschuldigten Die bisherigen Überlegungen führten immer wieder zu dem Ergebnis, daß die Verfahrensrolle des Beschuldigten neu konzipiert und auch i h m eine Aussagepflicht auferlegt werden sollte 380 . Eine Änderung der Strafprozeßordnung i n diesem Sinn erscheint damit als wünschenswerter Ausgangspunkt für eine vor allen Dingen auch verfassungsrechtlich unbedenkliche Lösung 381 , u m die abweichenden Selbstbelastungspflichten der genannten Rechtsgebiete — StPO, ZPO, K O A O — einander anzugleichen. Nunmehr stellt sich aber die Frage, auf welche Weise — m i t welcher Sanktion — sich ein solcher Geständniszwang am wirkungsvollsten durchsetzen läßt. I. Art der Sanktion Denkbar ist, ein dem § 138 Abs. 1 ZPO entsprechendes strafprozessuales Wahrheitsgebot — i n Form eines m i t Kriminalstrafe Strafgesetzbuch aufzunehmen,
bedrohten Vergehens i n das
— als eine m i t Geldbuße zu ahndende Ordnungswidrigkeit zu statuieren oder — als eine durch Ordnungs- und Zwangsmittel erzwingbare ständnispflicht i n Erwägung zu ziehen.
Ge-
Welcher Reaktion hier der Vorzug zu geben sein wird, obliegt der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Doch dürften nicht alle i n Betracht kommenden Maßnahmen gleichermaßen geeignet sein, u m erforderliche Selbstbelastung zu verwirklichen. a) Vergehen Eine unter Strafe gestellte Aussageverweigerung bedeutet i n der Praxis: Der Staatsanwalt muß während eines Verfahrens Nachtragsanklage 382 wegen Verletzung der Prozeßförderungspflicht erheben, wenn das ursprünglich angeklagte Delikt mangels Einlassung des Beschuldigten nicht nachzuweisen ist. Abgesehen davon, daß es so zu Ketten880
Nach Stürner ( F N 24) spricht bei Bagatelldelikten „nichts gegen eine solche Lösung". 381 Vgl. oben D. 388 Unter den Voraussetzungen des § 266 StPO.
I.
117
der Sanktion
verfahren kommen kann, besteht auch die Gefahr einer gewissen Schematisierung der Strafverhängung. „ I m Zweifel" w i r d hier nicht nur „zugunsten des Angeklagten" entschieden, sondern zugleich zu seinen Ungunsten. Sein Freispruch aus Delikt 1 ist zwangsläufig gekoppelt m i t einer bestimmten Strafe — allenfalls dem Höchstmaß — für Del i k t 2, Nichterfüllung der Redepflicht. Diese Obergrenze und „Ersatzstrafe" für jede begangene, aber wegen fehlender Aussage nicht aufzuklärende Straftat kann potentielle Straftäter positiv beeinflussen und von geplanten Verbrechen abhalten. Inwieweit das zutrifft, ist eine hier nicht zu vertiefende Frage aus dem Bereich der Kriminologie. A u f der anderen Seite jedoch ist nicht auszuschließen, daß durch den „Auffangtatbestand" eines gesetzlichen Selbstüberführungsgebotes das Risiko einer Verbrechensbegehung gemindert werden kann. Gerade wenn der Beschuldigte m i t einer höheren Strafe rechnen muß, seine Täterschaft und Schuld aber nicht feststehen, w i r d er sich eher wegen eines Vergehens der verweigerten Selbstbelastung zu einer geringeren Strafe verurteilen lassen 383 . Eine solche Rechtsfolge, die er wegen Verstoßes gegen seine gesetzliche Aussagepflicht auf sich nehmen muß, w i r d so unter Umständen zu einem für alle Delikte gleichermaßen geltenden subsidiären Strafrahmen, seine Tat zu einem leicht kalkulierbaren Standardunrecht. Diese Abwertung strafrechtlicher Druckm i t t e l widerspricht dem Sinn einer prozessualen Selbstbelastungspflicht. Bedenken bestehen aber auch aus anderen Gründen. Es ist fraglich, ob gerade die Materie des Straf rechts geeignet ist, ein Geständnis durchsetzen zu können. Sinn und Zweck dieses Rechtsgebietes sprechen dagegen. Die Aufgabe des Strafrechts besteht darin, die „elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen" 384 . Dabei w i r d es sich, nicht zuletzt wegen der oft spürbaren Härte der Rechtsfolge, auch w i r k l i c h nur auf die besonders wichtigen Bereiche des Soziallebens beschränken 3 8 5 . r
Ob man das Nichtbekennen eigenen Unrechts, den zu geringen M u t zur Selbstanzeige, hierzu rechnen kann, ist zweifelhaft. Es läßt sich jedenfalls nicht m i t dem Hinweis auf § 142 StGB bejahen, i n dem das „Unerlaubte Entfernen vom Unfallort" als Straftatbestand enthalten ist. Dieser Vergleich trifft deshalb nicht zu, w e i l zum einen die Voraussetzungen dieser selbstbelastenden Mitwirkungspflicht, wie bereits dargelegt 386 , anders geartet sind als es diejenigen nach der Strafprozeß383
Näher hierzu unten I I . BVerfGE 45, S. 187 (253); B V e r f G N J W 1975, S. 576. 385 Baumann, Strafrecht — Allgemeiner Teil, 8., Überarb. A u f l . § 3 I I 2 a. 388 Vgl. oben die Ausführungen zu § 142 S t G B i n der Bini. 384
1977,
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E. Grenzen einer Selbstbelastungspflicht des Beschuldigten
Ordnung wären, und w e i l zum anderen eine Aussageverweigerung i m Verfahren den Verletzten nicht schädigt, mindestens nicht unmittelbar 3 8 7 . Es geht hier i m Prozeß primär u m die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, nicht u m die Erfüllung eines privaten Feststellungsinteresses. Wegen § 142 StGB ist es somit nicht notwendig, zur Einhaltung der Selbstbelastungspflicht ebenfalls einen Straftatbestand zu schaffen. I m übrigen wäre ein solcher auch kaum m i t dem Grundsatz des relativ mildesten Mittels 3 8 8 zu vereinbaren. Wenn demzufolge eine schwerere Maßnahme nicht berechtigt ist, solange eine mildere den gleichen Erfolg erwarten läßt, stellt die „Strafnorm gewissermaßen die ,ultima ratio' i m Instrumentarium des Gesetzgebers dar" 3 8 9 . Da er davon nur sehr „behutsam und zurückhaltend" Gebrauch machen darf 3 9 0 , erscheint eine mittels Strafe erzwingbare Selbstbelastungspflicht nicht als sachgerechte und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechende Reaktion. Sie stünde zudem m i t der Bedeutung nicht i m Einklang, die den interessenverstoßenden Mitwirkungsgeboten i n der Zivilprozeß-, Konkurs- oder Abgabenordnung zuerkannt worden ist. Die Selbstbelastungsregelungen dieser Rechtsordnungen sind auch für den Fall ihrer Zuwiderhandlung nicht m i t Strafe bedroht. Gerade dieser Gesichtspunkt sollte für das Strafprozeßrecht ausschlaggebend sein. Es hat wenig Sinn, eine Vereinheitlichung einzelner Selbstbelastungspflichten zu versuchen und gleichzeitig bei der Frage ihrer Durchsetzbarkeit neue Unterschiede durch ungleich schwere Sanktionen zu schaffen. Auch aus diesem Grund w i r d man von einem zusätzlichen Straftatbestand besser absehen. b) Ordnungswidrigkeit Die Alternative zur vielbeklagten „Hypertrophie des Strafrechts" stellt der große Katalog der Ordnungswidrigkeiten dar. Was liegt also näher, als seinen Inhalt zu erweitern und einen Verstoß gegen die Geständnispflicht als Unrechtstatbestand neu aufzunehmen? Das i n Aussicht gestellte Bußgeld könnte sicherlich i n vielen Fällen w i r k sames M i t t e l sein, u m schweigende Beschuldigte zum Reden zu bringen. Auch dem Gesetzgeber steht die Möglichkeit offen, eine neue Bußgeldvorschrift zu schaffen; er ist nicht daran gehindert. Seiner verbind887
Ä h n l i c h auch Stürner (FN 380). Näher hierzu Maurach/Zipf (FN 359), § 2 I I I A unter Hinweis auf Rudolphi. 889 BVerfG N J W 1975, S. 576. 390 B V e r f G (FN 389). 588
I.
der Sanktion
119
lichen Wertung ist zu entnehmen, ob eine Verhaltensweise dem Ordnungs- und Kriminalunrecht unterfällt 3 9 1 , wobei allerdings Tatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt werden müssen 392 . Einer Entscheidung, Selbstbelastungszwang m i t Hilfe des Ordnungswidrigkeitenrechts durchzusetzen, stehen jedoch zunächst dieselben Einwände entgegen wie einem i n Betracht zu ziehenden Straftatbestand (vgl. oben a), Gefahr eines „Standardunrechts" m i t „Auffangsanktion"). Darüber hinaus aber muß die verfahrensrechtliche Pflicht zu aktiver Selbstbelastung i m Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts als Fremdkörper empfunden werden. Dieser Rechtsmaterie bedarf es nicht, u m i n einem staatlichen Verfahren selbstbelastende M i t w i r k u n g sicherzustellen. Geht man davon aus, daß die Bußgeldvorschriften ganz überwiegend i n einem Vorfeld des Schutzes von individuellen Rechtsgütern oder der Interessen der Allgemeniheit einsetzen und an gesetzte Normen anknüpfen, die als A r t „soziale Spielregeln" 3 9 3 zu beachten sind, so erscheint zwar eine Prozeßförderungspflicht innerhalb dieser Kategorie nicht abwegig. Jedoch ist ein Rückgriff auf sie nicht erforderlich, da die Strafprozeßordnung 394 selbst Vorsorge für einen geordneten Verfahrensablauf getroffen hat. Ihre Ordnungs- und Zwangsmittel 3 9 5 , die gegenüber Prozeßbeteiligten anzuwenden sind, sind gleichfalls, ohne das Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz i n Gang zu setzen 396 , geeignet, Störungen und Erschwerungen entgegenzuwirken. Eine Geldbuße ist zur Verwirklichung der Selbstbelastung deshalb nicht notwendig. c) Ordnungsgeld Als geeignetste Maßnahme erscheint daher das Ordnungsgeld 397 , u m einen Beschuldigten zu einer wahrheitsgemäßen Einlassung zu veranlassen. Diese Form der Sanktion weicht nicht vom System der Zivilprozeß-, Konkurs- oder Abgabenordnung ab. Letztere sehen ebenfalls für ver391 Lang/Hinrichsen, Buchbesprechung zu Rotberg, OWiG, J Z 1970, S. 796 f.; Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 5. Aufl. 1977, v o r § 1 A n m . 5 B, § 1 A n m . 2; Kleinknecht (FN 8), OWiG, Vorbem. Rdz. 2; Maurach/Zipf (FN 388), § 1 I I I B. 392 BVerfGE 27, S. 18 (29). 393 Göhler (FN 391), Vorbem. A n m . 1. 394 Auch das GVG, vgl. § 178. 395 Ordnungsmittel nach der StPO sind vorgesehen i n den §§ 51, 70 Abs. 1, 77 StPO; Beugemaßnahmen i n den §§ 70 Abs. 2 oder 95 Abs. 2 StPO. 396
Göhler (FN 391), Vorbem. A n m . 7. M i t W i r k u n g v o m 1.1.1975 ist die frühere Bezeichnung „Ordnungsstrafe" aufgehoben, vgl. A r t . 5 EGStGB. 397
120
E. Grenzen einer Selbstbelastungspflicht des Beschuldigten
weigerte M i t w i r k u n g materielle Nachteile vor, aber nicht als Strafe oder Geldbuße. Zudem besteht auch kein Grund, gerade einen Beschuldigten i n wesentlich schärferer Weise zur Selbstbelastung zu zwingen als einen anderen Mitwirkungspflichtigen. M i t einer Redepflicht soll erreicht werden, daß seine Kenntnisse vom Tatgeschehen i n den Prozeß eingeführt und für die Entscheidung verwendet werden können. Er hat damit letzten Endes keine andere Funktion als ein Zeuge, er ist gleichsam „Zeuge i n eigener Sache". Deshalb spricht auch hier nichts dagegen, i h n ebenfalls m i t diesen M i t t e l n zur Aussage zu veranlassen, die die Strafprozeßordnung gegenüber einem Zeugen bereithält (vgl. §§51, 70 Abs. 1 StPO: Ordnungsgeld und Beugemaßnahmen). I m übrigen aber w i r d sich eine von vorneherein härtere Sanktion auch deshalb verbieten, w e i l sich die Rolle des Beschuldigten — i m Gegensatz zu der des Zeugen — nicht ausschließlich i n der Mitteilung von Tatsachen erschöpft. Er hat m i t der Aussage zugleich seinen Willen kundzutun, die Strafe auf sich zu nehmen, sich für jede „Ubelszufügung" bereitzuhalten. Nicht zuletzt deshalb sollte man es daher bei der Gleichartigkeit der Sanktionen belassen. Ergebnis:
Eine gesetzliche Pflicht zur Selbstüberführung erscheint auch innerhalb der Strafprozeßordnung am sinnvollsten m i t Ordnungsmitteln und Beugemaßnahmen durchsetzbar zu sein. Bei deren Einsatz ist allerdings die konkrete Situation des Beschuldigten zu beachten, der — anders als ein Zeuge — seine eigene Verurteilung vorbereiten und sich zur Strafe bekennen muß. Π . Höhe der Sanktion Die Höhe der Sanktion 3 9 8 zu bestimmen, ist gegenüber einem Beschuldigten besonders schwierig. Da er ohnehin m i t seiner Bestrafung rechnen muß, ist fraglich, inwieweit überhaupt Ordnungsmittel seine Bereitschaft zur Buße erzwingen können. Selbst der psychologische Einfluß, der durch eine i n Aussicht gestellte Haft zum Tragen kommt, dürfte angesichts eines drohenden Strafurteils nur i n sehr engen Grenzen spürbar werden. Die Lösung des Problems, durch die „richtige" Höhe der Maßnahmen einen wirksamen „Druck" auf den Beschuldigten ausüben zu können, ist deshalb davon abhängig, bei welchen Delikten eine Selbstbelastungspflicht durch Ordnungsgeld oder Haft durchgesetzt werden kann. 398 Einzelheiten bezüglich des Ordnungsgeldes finden sich i n A r t . 6 - 9 EGStGB.
II. Höhe der Sanktion
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Hier w i r d der Richter an Stelle des Beschuldigten eine Güterabwägung vornehmen und voraussehen müssen, welche Maßnahme — Strafe oder Ordnungsgeld — dieser vermutlich als das „kleinere Übel" empfinden mag. Nur solange dies die Sanktionen des Selbstbelastungszwangs sind, w i r d berechtigte Hoffnung auf ein Geständnis bestehen, andernfalls wohl kaum. U m hier ein Ergebnis finden zu können, erscheint folgende Gliederung zweckmäßig: a) Niedrige Geldstrafe Nach dem Verhältnis vom maximal zu erwartenden Nachteil (d.h. der Strafe, die i m Falle des Nachweises von Täterschaft und Schuld verhängt würde) dürfte bei Delikten m i t niedriger Geldstrafe ein nicht allzu geringes Ordnungsgeld 399 durchaus wirkungsvoll sein. Weiß der Beschuldigte, daß er durch unnachgiebiges Schweigen unter Umständen m i t einer doppelt so hohen „Strafe" rechnen muß, w i r d er das Geständnis als minder schwere Belastung empfinden. Ob man das Ordnungsgeld hierbei höchstens so hoch wie die Geldstrafe bemißt oder vielleicht geringfügig niedriger, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls und kann nicht generell beantwortet werden. Entscheidend ist aber stets, inwieweit der Täter sich möglicherweise noch „bekehren" läßt und die Furcht vor der weiteren Repressalie — dem Ordnungsgeld i h n zur Aussage veranlaßt. Die Persönlichkeit des Täters, die A r t und Weise der Tatbegehung und sein bisheriges Verhalten i m Verfahren können auch hier bei entsprechender Wertung die richtige Prognose erleichtern. Daß diese bei einem Ersttäter anders ausfällt als bei einem gerichtsbekannten Verbrecher, liegt auf der Hand. Allgemein w i r d man davon ausgehen können, daß auf dieser 1. Stufe der Straf maßnahmen die Möglichkeit eines wirksamen Zwangs i n der Mehrzahl der Fälle durchaus besteht. b) Größere Geldstrafen, niedrige Freiheitsstrafen I n diesem Bereich ist die Durchsetzbarkeit einer Redepflicht fraglich. Bei verhältnismäßig hohen Geldstrafen ist es wahrscheinlich, daß ein geringes Ordnungsgeld den Beschuldigten wenig beeindrucken wird. Er steht vor der Wahl: Entweder w i r d er überführt, dann droht ihm erhebliche Strafe, die durch eine zusätzliche Sanktion nicht mehr nennenswert vergrößert wird. K a n n i h m hingegen die zur Last gelegte Straftat nicht nachgewiesen werden, werden selbst Beugemaßnahmen als ziemlich unbeachtliche Nebensächlichkeiten i n Kauf genommen wer399 Die Höhe beträgt gem. A r t . 6 Abs. 1 EGStGB mindestens 5 D M und höchstens 1 000 D M .
122
E. Grenzen einer Selbstbelastungspflicht des Beschuldigten
den. I n den Fällen des unteren Strafbereichs hingegen erscheint der Zwang zum Geständnis dagegen durchaus realisierbar. Dort dürfte das Ordnungsgeld wenigstens dann wirken, wenn es — verhältnismäßig — höher ausfallen kann als die zu erwartende Strafe. Hier erweist es sich unter Umständen auch als gutes Mittel, dem Beschuldigten Diebesgut zu entziehen: Ist er wegen einer strafbaren Handlung angeklagt, durch die ein Vermögensschaden beim Opfer eingetreten ist (Diebstahl, Betrug, Unterschlagung), so kann sich die höchste Bemessungsgrenze des Ordnungsgeldes als spürbare Vorteilsentziehung auswirken. Ist die Beute beim Täter verblieben, kann eine finanzielle Einbuße i n Form eines Ordnungsgeldes durchaus eine gewisse Ausgleichsfunktion haben. Bei einer bestimmten Höhe, die immer wieder schwanken wird, kann sie das Erreichte auffällig schmälern, und es liegt nun beim Beschuldigten zu entscheiden, ob ihm der verbleibende Rest dennoch die Aussageverweigerung wert ist. Man w i r d also differenzieren müssen, wann mittels eines Ordnungsgeldes der Beschuldigte zu einem Geständnis veranlaßt werden soll: Es kommt auf das Verhältnis der Schwere der Wirkungen an, die beim Täter eintreten werden. Entsprechend dieses Effektes w i r d er abwägen, zu welchem relativ mildesten M i t t e l er sich bekennen soll. Erst recht dürfte dieses Argument für eine zu verhängende Freiheitsstrafe gelten. Diese Sanktion ist eine Besonderheit des Strafrechts und m i t denen der anderen Rechtsgebiete nicht vergleichbar. Bereits deshalb könnte man Bedenken haben, ob i n solchen Fällen gleichfalls ein Geständniszwang zumutbar ist. Hier stünde ein Beschuldigter durch seine Aussage ohne Zweifel schlechter als irgendein anderer Verfahrensbeteiligter. Dennoch ist dieser Gesichtspunkt i m vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend: Zwar läßt sich auch hier die Grenze nicht exakt ziehen, bis zu der Beugehaft als zusätzlich einschneidendes M i t t e l den Täter „abschreckt" und dieser deshalb aus Furcht vor höherer Sanktion begangenes Unrecht gesteht. Auch hier w i r d aber die Sanktion nur w i r ken, wenn sie entsprechend hoch bemessen werden und den Täter fühlbar beeinträchtigen kann. Ob das so sein soll, bedarf letztlich der Klärung durch den Gesetzgeber. Doch sollte dabei eines nicht unberücksichtigt bleiben: Das Straf recht hält nicht mehr an der kurzzeitigen Freiheitsstrafe fest. Die Tendenz geht dahin, Freiheitsentzug bis zu sechs Monaten möglichst nicht mehr auszusprechen 400 und stattdessen Geldstrafe zu verhängen. Bei dieser Sachlage w i r d einem Beschuldigten der Entschluß, von zwei Übeln das kleinere zu wählen, nicht sehr 400
(86).
Vgl. §47 StGB; näher hierzu Zipf,
Die Strafzumessung, 1977, S. 85 ff.
II. Höhe der Sanktion
123
schwer fallen. Denn sobald die Freiheitsstrafe sechs Monate übersteigt, vielleicht sogar mehrere Jahre beträgt, werden relativ milde Beugemittel höchstens i n Ausnahmefällen einen Täter positiv beeinflussen können. Die Entscheidung, eine wirksame Maßnahme festzulegen, w i r d auch hier nicht immer leicht sein, die eben dargelegte Annahme muß nicht stets zutreffen. I n einer solchen Situation werden aber generell Zweifel an der praktischen Bedeutimg einer Prozeßförderungspflicht berechtigt sein, c) Sehr hohe Freiheitsstrafen Ob bei zu einer zu erwartenden sehr schweren Bestrafung dem Beschuldigten auch eine Wahrheitspflicht auferlegt werden sollte, ist allenfalls eine rein theoretische Frage. Selbst wenn man eine solche Pflicht für angebracht hielte, erwiese sie sich letzten Endes wohl stets als sinnlos, als Gebot, das lediglich „auf dem Papier steht". I n dieser Strafzone, i n der die persönliche Freiheit zum großen Teil, vielleicht sogar ganz aufgegeben werden muß, kann die Aussicht auf einige Tage Haft oder eine bestimmte Geldsumme das drohende Übel nicht mehr merklich verschlimmern. Diese Zwangsmittel werden höchstens als lästige, aber nicht bedeutende Begleiterscheinungen hingenommen werden, von denen jedoch keine ernstzunehmende Bedrohung ausgeht. Hier kann Selbstbelastung nicht mehr erzwungen, sondern allenfalls freiwillig auf sich genommen werden. Wirksame Druckmittel stehen nicht mehr zur Verfügung. Ergebnis:
Die Höhe der Sanktion hängt von der Strafe ab, die für die nachzuweisende Tat verhängt würde. Allgemein w i r d davon auszugehen sein, daß Ordnungs- und Beugemittel jedenfalls bei sehr schweren Strafen kein geeignetes Druckmittel mehr sind, um von einem Beschuldigten ein Geständnis erreichen zu können.
Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Die trotz aufgedrängter Verfahrensposition festgelegten Selbstbelastungspflichten nach ZPO, K O und A O sind von der Schwere des Eingriffs her m i t den Geldstrafen nach dem Strafgesetzbuch vergleichbar. 2. Da dessenungeachtet der Status des Beschuldigten durch ein uneingeschränktes Schweigeprivileg gekennzeichnet ist, bedarf er der Korrektur durch eine Aussagepflicht, welche allenfalls nur bei schweren Sanktionen (Freiheitsstrafen) nicht eingreift. 3. Eine solche Pflicht zur wahrheitsgemäßen Einlassimg ermöglicht i n erster Linie die erforderliche Harmonisierung der zur Zeit divergierenden Selbstbelastungsregelungen des geltenden Rechts. 4. Diese Vereinheitlichung ist zusätzlich durch eine i n Grenzen mögliche Einschränkung der Selbstbelastungsgebote i n anderen Verfahrensordnungen zu erreichen. 5. Insbesondere auf steuerrechtlichem Gebiet können die sehr weitgehenden interessenverstoßenden Mitwirkungszwänge gelockert werden. Dies läßt sich etwa dadurch erreichen, daß die Frage nach ihrer Erforderlichkeit öfter als bisher gestellt und sorgfältiger geprüft w i r d . 6. Die Rechtfertigungsgründe zivilprozessualer, konkursrechtlicher und steuerrechtlicher Selbstbelastungspflichten können zwar nicht ohne weiteres i n das Strafverfahrensrecht übertragen werden; doch es legen immerhin die meisten von ihnen die Forderung nach stärkerer aktiver Beteiligung des Beschuldigten nahe. 7. Der Einbruch i n die zu Unrecht für unantastbar gehaltene aktive Dispositionsfreiheit des Beschuldigten widerspricht auch nicht dem Grundgesetz. 8. Es sind weder Grundrechte noch Verfassungsrechtssätze ersichtlich, aus denen sich das uneingeschränkte nemo-tenetur-Prinzip ableiten läßt. Dies gilt auch für das Persönlichkeitsrecht. 9. Insbesondere das vom Bundesverfassungsgericht i n vielen Entscheidungen gekennzeichnete „Menschenbild des Grundgesetzes" läßt sich m i t einem totalen Schweigerecht i m Strafprozeß kaum i n Einklang bringen.
Zusammenfassung der Ergebnisse
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10. Die Selbstbelastung des Beschuldigten sollte m i t denselben M i t t e l n erzwungen werden wie die M i t w i r k u n g anderer Verfahrensbeteiligter (Gleichartigkeit der Sanktion). 11. Ordnungsgeld und Beugemaßnahmen dürften i m Bereich der kleineren Kriminalität i n der Regel einen wirksamen Druck zur Selbstüberführung auf den Beschuldigten ausüben. 12. Bei einschneidenden (Höchst-)Strafen erscheint eine Geständnispflicht mangels Durchsetzbarkeit nicht mehr sinnvoll. A u f sie w i r d man innerhalb dieser Strafzone zweckmäßigerweise verzichten.
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