Die Zukunft der Arbeit: Informationstechnologien – Arbeitsorganisation – Weiterbildung [1 ed.] 9783896448002, 9783896730275


122 80 22MB

German Pages 186 [188] Year 1999

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Die Zukunft der Arbeit: Informationstechnologien – Arbeitsorganisation – Weiterbildung [1 ed.]
 9783896448002, 9783896730275

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Die Zukunft der Arbeit

Schriftenreihe Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Band 36

Manfred Klier

Die Zukunft der Arbeit Informationstechnologien Arbeitsorganisation

Weiterbildung

Verlag Wissenschaft & Praxis

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Klier, Manfred: Die Zukunft der Arbeit. Informationstechnologien - Arbeitsorganisation Weiterbildung / Manfred Klier. - Sternenfels ; Berlin : Verl. Wiss, und Praxis, 1999 (Schriftenreihe Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ; Bd. 36) ISBN 3-89673-027-4

ISBN 3-89673-027-4 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 1999 Nußbaumweg 6, D-75447 Sternenfels Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094

Alle Rechte vorbehalten

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver­ vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany

VORWORT

V

Vorwort Dieses Buch versucht, einen aktuellen Einblick in die Komplexität unserer heutigen Arbeitswelt zu verschaffen. Dabei zeigt sich, daß diese Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten einem enormen Veränderungsprozeß unterworfen ist. Die Hauptursache dieser Entwicklung liegt im Aufstieg der Informations- und Kommunikationstechnologien begründet. Diese Einschätzung teilt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Brüssel: „Die Informations- und Kommunikationstechnologien sind im Begriff viele Seiten des wirtschaftlichen und sozialen Lebens radikal zu verändern, bei­ spielsweise Arbeitsmethoden und -beziehungen, die Organisation von Unter­ nehmen, den Kern der Aus- und Fortbildung sowie die Verständigungsweise zwischen Menschen “1

Informations- und Kommunikationstechnologien stellen somit zur Zeit d i e Technologien in hochindustrialisierten Gesellschaften dar, nüt enormen Wir­ kungsgraden auf viele Bereiche gesellschaftlicher und individueller Existenz. Unter Bezugnahme auf die gesellschaftliche Difiusion der Informations- und Kommunikationstechnologien kann von einem direkten Zusammenhang zwi­ schen der Einführung computergestützter Technologien, Veränderungen der Arbeitsorganisation und der Höherqualifizierung der Mitarbeiter mittels Wei­ terbildung ausgegangen werden.

Der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation, Hans-Jörg Bullinger, verdeutlicht diese Zusammenhänge (vgl. nachfolgende Abbildung). Besonders die sich gegenwärtig vollziehenden Umbrüche in der Weltwirtschaft, wie die starken Globalisierungstendenzen der Waren- und Fi­ nanzmärkte und die verstärkte Einbeziehung der Billiglohnländer Asiens und Osteuropas in den Weltmarkt, führen in den industrialisierten Hochlohnländern zum existentiellen Zwang verstärkter Produkt- und Prozeßinnovationen, ohne die sich das gegenwärtige Wohlstandsniveau nicht halten läßt2. Diese Länder sind darauf angewiesen, mit entsprechend qualifizierten und motivierten Mitarbeitern komplexe Hochtechnologieprodukte mit modernsten Produktions­ methoden herzustellen. Die Voraussetzung dafür bildet das effiziente Zusam­

1 KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN, 1993, S. 101. 2 Vgl. ELIASSON, 1994, S. 5f.

VORWORT

VI

menwirken von Technik, Arbeitsorganisation und Beschäftigten, die zueinander in unmittelbarer Wechselwirkung stehen.

Weiterbildung im Zusammenhang von Arbeitsorganisation und Technikeinsatz Neue Rolle des Menschen im Unternehmen Dezentralisierung der Verantwortung

Kompensation des beschleunigten Wissensverfalls Lebenslanges Lernen in der Arbeit bewirkt zunehmende Bedeutung der beruflichen Weiterbildung

Paradigmen wechsel der Arbeitsorganisation Ende des „Tayloristischen Zeitalters“ Lean Management als Leitparadigma des Unternehmens der Zukunft

Qualifikation

Anstatt Lernen und Qualifizieren für die

-implamentation im Rahmen der Organisationsentwicklung

Technik

Technikbedienung Lernen und Qualifizieren für die kooperative Arbeit unter Nutzung von Technik

Technikinnovation mit zunehmender Geschwindigkeit Durchbruch der Informations- und * Kommunikationstechnologien

Abbildung 1: Weiterbildung im Zusammenhang von Arbeitsorganisation und Technikeinsatz3.

Der betrieblichen Weiterbildung fällt dabei die entscheidende Rolle in der er­ folgreichen Bewältigung dieser wirtschaftlichen und technologischen Anpas­ sungsprozesse zu.

3 Quelle: BULLINGER, 1994, S. 88.

VORWORT

VII

Im zweiten Teil des Buches werden am Beispiel eines traditionsreichen Unter­ nehmens der Metallbranche die betrieblichen Veränderungen beschrieben, die mit diesen Transformationsprozessen einhergehen.

Das vorliegende Buch basiert auf einer Dissertation, die 1996 an der Philoso­ phischen Fakultät II der Universität Regensburg eingerecht und von dieser an­ genommen wurde. Sehr herzlich bedanken möchte ich mich bei Frau Silvia Klier und Frau Anni Vogl für die zeitaufwendige Arbeit des Korrekturlesens. Frau Dr. Michaela Schuhmann schulde ich großen Dank für die Erstellung und Überarbeitung eines beträchtlichen Teils der im Buch enthaltenen Abbildungen. Meinen Kin­ dern Anja und Dominik ein herzlichen Vergelt's Gott für die Tatsache, daß sie die Sommerferien in diesem Jahr mehr oder weniger auf mich verzichten muß­ ten und dies mit großer Geduld akzeptierten.

Mantel, im September 1998

Manfred Klier

INHALTSVERZEICHNIS

VIII

Inhaltsverzeichnis A.

Informationstechnologische Veränderungsprozesse und Weiterbildung in Gesellschaft und Industrie

1.

1

Der Gesellschaftstyp der Zukunft: Die informationstechno­ 2

logisch orientierte Industriegesellschaft

1.1.

Der Begriff „Industriegesellschaft“

2

1.2.

Transformationsprozesse in den Industriegesellschaften

4

1.3.

Aspekte einer informationstechnologisch orientierten Industrie­

gesellschaft

11

1.4.

Globalisierung und Weltwirtschaft

20

1.4.1

Der Begriff „Globalisierung“

20

1.4.2.

Grundlegende Aspekte von Globalisierung

20

1.4.3.

Unternehmensstrategien im Zeitalter der Globalisierung

23

1.4.4.

Ursachen und Konsequenzen der Globalisierung

26

1.5.

Erstausbildung und Weiterbildung in der informationstechnolo­ gisch orientierten Industriegesellschaft

2.

Auswirkungen informationstechnologischer Veränderungs­ prozesse in der Bundesrepublik Deutschland

2.1.

40

Strukturwandel innerhalb der Wirtschaftssektoren der Bundes­ republik Deutschland

2.2.

28

40

Tätigkeitsveränderungen innerhalb der Beschäftigtenstruktur

der Bundesrepublik Deutschland 2.3.

48

Struktureller Wandel und Veränderungen der Qualifikations­ struktur in der Bundesrepublik Deutschland

63

INHALTSVERZEICHNIS

2.4.

IX

Der Faktor „Information“ und die Berufsstruktur in der Bundes­ republik Deutschland

2.5.

68

Der Einsatz computergestützter Arbeitsmittel in der Arbeits­ welt der Bundesrepublik

2.6.

64

Arbeitsmarktwirkungen computergestützter Arbeitsmittel in der Bundesrepublik Deutschland

68

2.7.

Die Funktionen von Weiterbildung im technologischen Wandel

73

3.

Informationstechnologische Veränderungsprozesse und be­ triebliche Weiterbildung in deutschen Industrieunternehmen 81

3.1.

Der Einsatz computergestützter Technologien in modernen Industrieunternehmen

82

3.1.1.

Computergestützte Techniken im modernen Industriebetrieb

83

3.1.2.

Empirische Studien zum Einsatz von computergestützten Tech­

niken in Industriebetrieben 3.2.

Formen der Arbeitsorganisation im computer­

gestützten Industriebetrieb 3.2.1.

89

93

Der „Technozentrische Entwicklungspfad“ - eine Form „versteinerter Taylorismus“

3.2.2.

94

Der „Anthropozentrische Entwicklungspfad“ - eine humane 96

Alternative?

3.2.2.1. Anthropozentrische Unternehmensführungskonzepte 3.3.

Betriebliche Weiterbildung im computergestützten Industrie­

betrieb

3.3.1.

101

Begriffliche Definition und Formen betrieblicher Weiter­ bildung

3.3.2.

98

Methoden der betrieblichen Weiterbildung

101

108

INHALTSVERZEICHNIS

X

3.3.3. Inhalte betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen

109

3.3.4. Träger- und Teilnehmerstrukturen betrieblicher Weiterbildungs­ maßnahmen

111

3.3.5. Problembereiche der betrieblichen Weiterbildung

B.

116

Informationstechnologien und betriebliche Weiterbildung

im BHS-Werk-Weiherhammer

119

1.

Die Ergebnisse der Untersuchung

126

1.1.

Veränderungen in den Bereichen Arbeitsplatz und Arbeitsorga­

nisation durch die Einführung computergestützter Techniken126

1.2.

Anforderungen an die Weiterbildung bei Einführung computer­ gestützter Techniken

1.3.

130

Effektive Methoden der EDV-Aneignung in der betrieblichen

Weiterbildung

137

C.

Die Zukunft der Arbeit

140

C.l.

Zusammenfassung der Argumentationslinien

140

C.2.

Schlußfolgerungen

148

Epilog zur empirischen Untersuchung im BHS-Werk Weiher­ hammer

152

Literaturverzeichnis

154

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

XI

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:

Weiterbildung im Zusammenhang von Arbeitsorga­ nisation und Technikeinsatz

Abbildung 2:

Die KondralielT-Wellen

Abbildung 3:

Zunahme der Wissensmenge seit Beginn der Indu­ striellen Revolution

II 6

11

Abbildung 4:

Die Entwicklung der Telekommunikationsmittel

14

Abbildung 5:

Anwendungsperspektiven der Informationstechnik

16

Abbildung 6:

Anwendungsaspekte der Datenautobahn

17

Abbildung 7:

Kompetenzinhalle

34

Abbildung 8:

Erwerbstätige nach Sektoren (in %)

43

Abbildung 9:

Erwerbstätige nach unterschiedlichen AnforderungsproTilen der Tätigkeiten im Zeitraum 1985-2010 (Anteile in %)

Abbildung 10:

Qualifikationsstruktur in den alten Bundesländern im Zeitraum 1976, 1991, 2010

49

53

Abbildung 11:

Beschäftigung im Vier-Sektoren-Modell 1882 - 2000

58

Abbildung 12:

Bedarf an computerbezogenen Qualifikationen 19702000

61

Abbildung 13:

Qualifikationsanforderungen und -probleme beim Einsatz computergestützter Werkzeugmaschinen

85

Abbildung 14:

Berufliche Weiterbildungsarten in Unternehmen der alten Bundesländern (einschließlich Berlin)

103

Abbildung 15:

Wandel in den Methodenkonzepten betrieblicher Weiterbildung

108

XII

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abkürzungsverzeichnis Akademie

= Akademie der Wissenschaften zu Berlin

Arbeitskreis

= Arbeitskreis „Qualifikationsbedarf 2000“ beim Mini­ sterium fiir Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Baden-Württemberg

AWF

= Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung e.V.

BAY. SMWV

= Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr

Bcitr AB

= Beiträge aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Zeitschriftentitel)

BHS-Weiher-

hammer

= Berg-, Hütten- und Salzwerk Weiherhammer

BIBB

= Bundesinstitut für Berufsbildung

BMBW

= Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft / Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft

BMBWFT

= Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie / Der Bundesminister für Bildung, Wis­

senschaft, Forschung und Technologie

CIM

= Computer Integrated Manufacturing

CNC-Maschinen = Computerized Numerical Control-Maschinen DNC-System

= Direct Numerical Control-System

EDV

= Elektronische Datenverarbeitung

FAMOS

= Fertigungs-Analyse und -Steuerung

FAST

= Flexible Automated Manufacturing and Operating System

GdWZ

= Grundlagen der Weiterbildung (Zeitschriftentitel)

IAB

= Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bun­ desanstalt für Arbeit

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

IAI

XIII

= Institut für angewandte Innovationsforschung

IuK-Tcchniken = Informations- und Kommunikationstechniken

Kommission

= Kommission „Weiterbildung“

Kuratorium

= Kuratorium der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung

MatAB

= malerialien aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

(Fachinformationen des Instituts für Arbeitsmarkt- und

Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit) MittAB

= Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

(Zeitschriftentitel) NC-Maschinen = Numerical Control-Maschinen POPP

= Praxisorientierte Produktionsprogramme

PPS

= Produktionsplanung und -Steuerung

RKW

= Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft

e.V.

SZ

= Süddeutsche Zeitung

TQM

= Total Quality Management

WIWO

= Wirtschaftswoche (Zeitschriftentitel)

DER BEGRIFF „INDUSTRIEGESELLSCHAFT*

1

A. Informationstechnologische Verände­ rungsprozesse und Weiterbildung in Gesellschaft und Industrie Die informationstechnologischen Veränderungsprozesse in den Industrielän­ dern, die sie prägenden Einflußfaktoren und die damit einhergehenden Folgen für die Gesellschaften, ihre Segmente und deren Individuen stehen gegenwärtig im Blickpunkt der öffentlichen Diskussion. Unstrittig ist dabei die große gesellschaftliche Wirkung dieser neuen Techno­ logien.

So schreibt beispielsweise Alexander King, ehemaliger Präsident des Club of Rome:

„Wir neigen zu der Auffassung, daß die Auswirkungen ... in der Tat revolutio­ när sind. Keine andere Erfindung oder Entdeckung seit der Dampfmaschine hatte so weitgehende Auswirkungen auf alle Bereiche der Wirtschaft Eine genaue Untersuchung der informationstechnologisch induzierten Verände­ rungsprozesse muß zuerst die allgemeinen gesamtgesellschaftlichen Kompo­ nenten dieser Wandlungsprozesse betrachten. Ausgehend vom Gesellschaftstyp der Industriegesellschaft werden, unter besonderer Beachtung von Bildung und Weiterbildung, die verschiedenen Aspekte und Auswirkungen der Informatisierung hochindustrialisierter Gesellschaften analysiert. Zusätzlich werden grundlegende Aspekte und Auswirkungen der sich gegenwärtig vollziehenden Globalisierung beschrieben und auf die Frage nach dem direkten Zusammen­ hang zwischen Globalisierung und Informatisierung der Gesellschaften einge­ gangen.

In einem zweiten Schritt erfolgt eine Darstellung der Auswirkungen der in­ formationstechnologischen Veränderungsprozesse und damit in ursächlichem Zusammenhang stehend der Funktionen von Weiterbildung in einem spezifi­ schen, hochindustrialisierten Land, der Bundesrepublik Deutschland.

1 KING, in: Friedrichs / Schaff (Hg.), 1984, S. 22.

2

DER BEGRIFF „INDUSTRIEGESELLSCHAFT“

Zuletzt werden die technischen und arbeitsorganisatorischen Wandlungspro­ zesse, sowie deren Implikationen in der betrieblichen Weiterbildung beschrie­ ben, die mit der Informatisierung der Industrieunternehmen einhergehen.

1. Der Gesellschaftstyp der Zukunft: Die informa­ tionstechnologisch orientierte Industriegesellschaft Eine Untersuchung, die sich mit der Zukunft der Arbeitswelt beschäftigt, setzt eine Betrachtung der bisherigen Entwicklungsverläufe und der zukünftigen Ausrichtung der Industriegesellschaft voraus. Dabei zählt die Frage nach dem Stellenwert von Bildung und den notwendigen persönlichen und beruflichen Qualifikationen zu den grundlegenden Bedin­ gungszusammenhängen erfolgreicher individueller und gesellschaftlicher Fortentwicklung.

1.1. Der Begriff „Industriegesellschaft“ Raymond Aron beschreibt die Industriegesellschaft als „...eine Gesellschaft, in der die Industrie, die Großindustrie zumal, die charak­ teristischste Produktionsweise bildet. Eine industrielle Gesellschaft wäre also jene, in der sich die Produktion in Unternehmen wie denen von Renault oder Citroen vollzieht“2.

Die Industriegesellschaft weist verschiedene Spezifika auf: 1) Der Betrieb als Arbeitsort, und die Familie als Mittelpunkt des privaten Lebens, sind zeitlich und räumlich voneinander getrennt.

2) Innerhalb des industriellen Betriebs herrscht eine spezifische, technische Arbeitsteilung. 3) Die industriellen Gesellschaften implizieren Kapitalakkumulation. 4) Es gilt das Prinzip der rationellen Berechnung:

2 ARON, 1964, s. 69.

DER BEGRIFF „INDUSTRIEGESELLSCHAFT“

3

„In einem großen Unternehmen...muß man ständig kalkulieren, um die nied­ rigsten Selbstkosten zu errechnen, um das Kapital zu erneuern und zu vermehren"3.

5) Die Arbeitskraft konzentriert sich am Arbeitsort.

Technik und Wissenschaft bilden weitere zentrale Kategorien (moderner) Industriegesellschaften. Ulrich von Alemann definiert Technik als „...jegliche Anwendung von Verfahren, Instrumenten und Maßnahmen im Pro­ zeß der menschlichen Handhabung der Stoffe der Natur sowie die aus der An­ wendungresultierenden Werkzeuge, Maschinen und Anlagen..."4.

Die Fortentwicklung der Technik, der technische Fortschritt, gilt als zentraler Indikator der gesellschaftlichen Entwicklung. Die stetige Weiterentwicklung technischer Produkte und Verfahrensweisen erfolgt durch den Einsatz wissen­ schaftlicher Methoden und Analyseverfahren. Wissenschaft und Technologie5 stellen, so Kreibich, die zentralen Innovationskräfte moderner Industriegesell­ schaften dar6. Dies gilt sowohl für den ökonomischen als auch den sozialen Bereich der Gesellschaft.

3 ARON, 1964, S. 70. 4 ALEMANN, 1989, S. 12f.. 3 Ulrich v. Alemann versteht unter Technologie: „... die Summe des Wissens über die Verarbeitung der in der Natur vorkommenden Stoffe zu Gegenständen des physischen und sinnlichen Gebrauchs des Menschen" (ALEMANN, 1989, S. 13). 6 KREIBICH, 1986, S. 70.

4

TRANSFORMATIONSPROZESSE IN INDUSTRIEGESELLSCHAFTEN

1.2. Transformationsprozesse in den Industriegesellschaften Autoren wie Collin Clark, Jean Fourastie, Alain Touraine oder Daniel Bell1 gehören zu den Vertretern der „Drei-Sektoren-Hypothese“. Die Gesellschaft wird dabei allgemein in drei Beschäftigungs- und Produk­ tionssektoren cingeteilt: Den primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei), den sekundären Sektor (Bergbau, Verarbeitendes Gewerbe, Bauge­ werbe, Energie- und Wasserversorgung, Handwerk) und den tertiären Sektor (Private und öffentliche Dienstleistungen, Verwaltung, Handel, Gastgewerbe, Kreditinstitute, Versicherungen). Nach Daniel Bell dominiert in vorindustriellen Gesellschaften der primäre Sek­ tor. Dieser weist die höchste Zahl an Arbeitskräften auf. Die wichtigsten Be­ rufsgruppen bilden Bauern, Bergleute, Fischer und ungelernte Arbeiter. Die Muskelkraft stellt das Instrument zur Arbeitsbewältigung dar. Die arbeitenden Menschen sind sehr stark von der Natur und ihren natürlichen Bedingungen (Jahreszeiten, Bodenbeschaflenheit, Wassermenge etc.) abhängig. Dies bedeutet eine geringe wirtschaftliche Produktivität. Die Hausgemeinschaft bildet die soziale Hauptbezugseinheit. Die Produktivitätsrate ist gering. Demgegenüber erwirtschaftet in industriellen Gesellschaften der sekundäre Sektor den Hauptanteil des Volkseinkommens:

„Die Welt ist technisiert und rationalisiert, die Maschinen geben den Ton an, und da das Leben in gleichmäßige Zeiteinheiten aufgeteilt ist, läuft es in me­ chanischen Rhythmen ab“2.

Die Energie bildet das Grundelement der Produktivität. Angelernte Arbeiter und Ingenieure stellen die beiden primären Berufsgruppen dar. In einer postindustriellen Gesellschaft, wie Bell sie für die Vereinigten Staaten konstatiert, dominiert ein in drei verschiedene Bereiche unterteilter Dienstlei­ stungssektor3. Technisch Beschäftigte, Akademiker und Wissenschaftler gelten als die gesellschaftlich relevantesten Berufsgruppen. „Information“ ist das Grundelement der volkswirtschaftlichen Produktivität. Das theoretische Wis-

1 Vgl. CLARK, 1940; FOURASTIE, 1969; TOURAINE, 1972; BELL, 1989. 2 BELL, 1989, S. 133. 3 Zur Kritik dieses Erklärungsansatzes vgl. BÜHL, 1983, S. 771-780; HACK, 1988, S. 18-28; SCHRÖDER u.a., 1989, S. 15-24;. Hack kritisiert den Begriff „Infomiationsgesellschaft“ als Besclireibung für die neue zukünftige Gesellschaftsformation. In Berufung auf führende Vertreter der Großindustrie sieht er einen strukturell neuen Typus der Industriegesellschaft aufziehen (vgl. HACK, 1988, S. 25-28).

TRANSFORMATIONSPROZESSE IN INDUSTRIEGESELLSCHAFTEN

5

sen, die wissenschaftliche Kapazität bestimmt die Stellung eines Landes im internationalen Kontext: „...an die Stelle des Stahls als Maßstab für die Stärke der Mächte sind For­ schung und Entwicklung getreten“*.

Gesellschaftlicher Wandel erfolgt vor allem durch Veränderungen in den Be­ reichen Wissenschaft und Technologie. Dabei kommt es zu einer Änderung in der Art des Wissens, hervorgerufen „durch das Exponentialwachstum und die Auffächerung des Wissens, das Auf­ kommen einer neuen intellektuellen Technologie, die systematische Forschung durch entsprechende Gelder und, all dies krönend und zusammenfassend, die Kodifizierung des theoretischen Wissens“5: Dieser gesellschaftliche Wandel manifestiert sich vor allem in einer veränder­ ten Sozialstruktur6.

Die industrielle Gesellschaft läßt sich in verschiedene Zyklen des wirtschaft­ lichen Auf- und Abschwungs unterteilen. Die Kondratieff-Wellen, genannt nach dem russischen Wirtschaftswissenschaftler Nikolai D. Kondratieff (18921938), definieren 45- bis 60jährige Zyklen der Prosperität und der Depression. „Für Kondratieff sind die langen Wellen nicht das Ergebnis äußerer Faktoren wie Kriege, Gewinnung neuer Märkte, Entdeckung neuer Goldfelder, sondern das Ergebnis revolutionärer Veränderungen der Produktivkräfte und der ge­ sellschaftlichen Institutionen. Am Anfang steht jeweils ein neues technologisch­ ökonomisches Paradigma mit einem Bündel von Basisinnovationen, die zu Trägern des neuen ökonomischen Aufschwungs werden. Das Bedürfnis nach solchen Basisinnovationen besteht immer dann, wenn die Gewinne in den Unternehmen auf breiter Front und dauerhaft zurückgehen “7.

4 BELL, 1989, S. 118. 5 BELL, 1989, S. 54. 6 Bell unterteilt Sozialstruktur in die Bereiche Wirtschaft, Technologie und Berufsstruktur (vgl. BELL, 1989, S. 29f.). 7 MAIER, 1993, S. 90. Einen guten Überblick zur Theorie der langen Wellen liefern die Wirtschaftswissenschaftler Huber und Kleinknecht (HUBER, 1985, S. 51-78; KLEINKNECHT, 1984, S. 55-77).

6

TRANSFORMATIONSPROZESSE IN INDUSTRIEGESELLSCHAFTEN

Nach dieser Theorie lassen sich für die vergangenen 250 Jahre vier Konjunkturwellen nachweisen. Diese Wellenbewegungen bilden ein Kennzeichen ent­ wickelter kapitalistischer Wirtschaftssysteme8.

Dampfmaschine Baumwolle

Eisenbahn Stahl

Elektrizität Chemie

Erdöl Automobil

Information Wissen

Legende: P: Prosperität; R: Rezession; D: Depression; E: Erholung

9

Abbildung 2: Die Kondratieff-Wellen

Den Ausgangspunkt bildet die Industrielle Revolution, die in Großbritannien um 1780 mit der Einführung von Maschinen in der Textilindustrie einsetzte. Die Dampfmaschine stellte die Basisinnovation dieser ersten Welle dar. Die Mechanisierung vor allem in der Textil-, Maschinen- und Eisenindustrie (Dampfmaschine, automatischer Webstuhl, neue Verfahren der Hüttentechnik und Stahlerzeugung) führte zu einer massiven Erhöhung der Produktivität. Im Gefolge der industriellen Revolution bildeten sich neue gesellschaftlich rele­ vante Schichten: Das Unternehmertum und die Industriearbeiterschaft. Die Erwerbstätigen mußten in der Regel über kein besonderes Qualifikationsniveau verfügen: „Die Mechanisierung zerlegte die Arbeitsgänge in elementare Verrichtungen, die weder eine höhere Bildung noch eine Fachausbildung erforderten “l0.

8 Vgl. KONDRATIEFF, 1926, S. 591-599. ’ Quelle: NEFIODOW, 1990. S. 27. 10 MAIER, 1994, S. 14.

TRANSFORMATIONSPROZESSE IN INDUSTRIEGESELLSCHAFTEN

7

Der Aufschwung dieser Welle dauerte von ca. 1790 bis 1810/1817, der Ab­ schwung von 1810/1817 bis 1844/1851.

Der Aufschwung der zweite Welle begann 1844/1851 und endete 1870/1875. Der Abschwung dauerte bis 1890/1896. Die Kenntnisse über Damplkraft und Stahl wurden zum Bau von Schiffen und Eisenbahnen genutzt. Letztere bilde­ ten die wichtigste Basisinnovation der zweiten Kondratieff-Welle. Begleitende Innovationen wie die Ausweitung des Kohlebergbaus, der Textilindustrie und des allgemeinen Maschinenbaus oder das Entstehen neuer Finanzinstitutionen förderten die Produktivität dieser Periode. In dieser Zeit wuchs Großbritannien zur führenden Weltmacht (Viktorianische Epoche). Diese zweite Welle führte in den USA, in Deutschland, Frankreich und Belgien zu einem starken Anstieg des industriellen Potentials. Analog der ersten Welle benötigte die breite Masse der Beschäftigten keine speziellen fachlichen Kenntnisse zur Erledigung ihrer Tätigkeit. Die Ausweitung der staatlichen Bürokratie und die starken techno­ logischen Innovationen schufen ab Mitte des 19. Jahrhundert einen Arbeits­ markt für Personen mit wissenschaftlichen Qualifikationen.

Die Aufschwungphase der dritten Welle dauerte von 1890/1896 bis 1914/1920”. Die Abschwungphase endete mit dem Zweiten Weltkrieg. Kenntnisse der Chemie und der Elektrizität (Elektromotor, Radio, Telefon, elektrische Beleuchtung) ließen sich jetzt wirtschaftlich effizient umsetzen. Die ersten Großkonzerne entstanden und die Massenproduktion wurde zur beherrschenden industriellen Fertigungsmethode. Forschung und Entwicklung gewannen immer mehr an Bedeutung. Die Schicht der Angestellten nahm sprunghaft zu. Höhere berufliche Anforderungen führten zur zeitlichen Aus­ dehnung der allgemeinen Schulpflicht. Gleichzeitig wurde das berufliche Schulwesen und die Berufsausbildung wesentlich verbessert. Die Anforderun­ gen an die berufliche Qualifikation stiegen. So umfaßte die Gruppe der Fachar­ beiter Ende der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts 20-30% aller Beschäftig­ ten12. Deutschland, die USA und Großbritannien bildeten die Hauptnutzer der neuen Innovationen. Die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre skizzierte den Tiefpunkt dieser dritten Welle. Im Mittelpunkt der vierten Welle, die von etwa 1940/45 bis ungefähr 1980 dauerte, standen der Massenverkehr auf der Straße und in der Luft, mit ihrem Grundstoff Erdöl. Das Fernsehen bildete das neue Element dieser Welle. Die " Vgl. KONDRATIEFF, 1926, S. 589f. 12 Vgl. MAIER, 1994, S. 2Iff.

8

TRANSFORMATIONSPROZESSE IN INDUSTRIEGESELLSCHAFTEN

Technologien der vierten Kondratieff-Welle beruhten hauptsächlich auf Ver­ besserungsinnovationen bereits benützter Technologien. Eines der wichtigsten Kennzeichen dieser Periode bildete der verstärkte Einstieg in die Weltwirt­ schaft: „Ende der siebziger Jahre erreichte der Welthandel das Volumen von 2000 Mrd. US-Dollar. Mit dem vierten Kondratieff avancierten die USA zur Welt­ macht. Amerika brachte die tragenden Innovationen dieser Zeit zur vollen Reife: die weltweite Erschließung des Erdöls, die Massenproduktionstechnik, die Elektronik, das Fernsehen, die Luft- und Militärtechnik“13.

Eine starke Bildungsexpansion gehörte zu den Kennzeichen der vierten Welle. Diese Tatsache bezog sich auf alle wichtigen Bereiche des Bildungswesens. So erhöhte sich in der Bundesrepublik beispielsweise der Facharbeiteranteil von 20% im Jahre 1960 auf 59,7% in 1990. Die Quote der Schulabgänger mit Hochschulreife stieg im selben Zeitraum von 6,1% auf 33,5%14.

Die Bundesrepublik Deutschland, Japan, Großbritannien und Frankreich zähl­ ten neben den USA zu den Nutznießern dieser Periode. Die Volkswirtschaften der betreffenden Länder wiesen folgende Merkmale auf: Kapitalintensive Pro­ duktivität, unflexible Produktionsanlagen, hohe Produktionsstückzahlen, starke Zuwächse der Arbeitsproduktivität, hoher Energie- und Rohstoffverbrauch, starke hierarchische Unternehmensgliederung, hoher Anteil an Arbeitern und ungelernten Arbeitnehmern. Die Ölkrisen 1973 und 1979 beendeten mit der einhergehenden Weltwirtschaftskrise die vierte Welle. Seit den siebziger Jahren läßt sich eine enorme Umstrukturierung der Welt­ wirtschaft feststellen. Es erfolgt eine immer stärkere Ausrichtung hin zu den sogenannten Hoch- oder Schlüsseltechnologien Informations- und Kommuni­ kationstechnologien, Biotechnologien, Neue Werkstoffe, Sensoren, Lasertech­ nologien15. Die Informationstechnik gilt als die Basisinnovation der fünften Kondratieff sehen Welle: Die Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen der Fünften Kondtratieffschen Welle erfordern zumeist hoch qualifizierte Mitarbei­ ter. Dies beinhaltet starke Veränderungen im Bildungswesen: „Dies betrifft nicht nur die Lerninhalte, sondern auch die Struktur des Bil­ dungswesens sowie seine Interdependenz mit dem Beschäftigtensystem “I6.

13 14 15 “

NEFIODOW, 1990, S. 30. Vgl. BMBWFT. 1994, S. 81. Vgl. MEIER, 1986. MAIER, 1994, S. 35-38.

TRANSFORMATIONSPROZESSE IN INDUSTRIEGESELLSCHAFTEN

9

Von großer gesellschaftlicher Bedeutung ist außerdem folgender technologischökonomischer Aspekt: „ Während des Absinkens der langen Wellen werden besonders viele wichtige Entdeckungen und Erfindungen in der Produktions- und Verkehrstechnik ge­ macht, die jedoch gewöhnlich erst beim Beginn des neuen langen Anstiegs im großen auf die wirtschaftliche Praxis angewandt zu werden pflegen “17.

Gleichzeitig fallen nach Kondratieff in die Zeit des Wellenanstiegs, der Wachs­ tumsphase der Wirtschaft, die meisten Kriege und inneren Unruhen18.

Autoren wie Hack, Schröder oder Cohen / Zysman weisen darauf hin, daß mit der Durchsetzung der Mikroelektronik die Industriegesellschaft nicht zugunsten einer postindustriellen Gesellschaft oder Dienstleistungsgesellschaft abdankt19 Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Transformationsprozesse vollziehen sich somit im Rahmen einer Weiterentwicklung der Industriegesellschaft. Trotz einiger Veränderungen, wie die Verringerung der technischen Arbeitstei­ lung durch Gruppenarbeit oder die zur Zeit vereinzelt vorkommende Möglich­ keit eines Heimarbeitsplatzes mittels Telearbeit bleiben wesentliche Struktur­ merkmale, wie die Trennung von Arbeits- und Privatwelt oder die Arbeitstei­ lung in ihrer Substanz erhalten.

Weitere Grundstrukturen von Industriegesellschaft, wie das Prinzip der ratio­ nellen Berechnung oder die Kapitalakkumulation bestehen unverändert weiter.

Insofern bewirkt die Informatisierung der Gesellschaft nicht die Ablösung der Industrie- durch die Informationsgesellschaft. Vielmehr entsteht, analog der Theorie der langen Wellen, ein fortgeschrittener Typ von Industriegesellschaft, die informationstechnologisch orientierte Industriegesellschaft.

17 KONDRATIEFF, 1926, S. 591. Ein Grund könnte darin liegen, daß die Unternehmen in Zeiten des Abschwungs verstärkt zu Innovationen und der Behauptung ilirer Marktpositionen gezwungen sind. 18 KONDRATIEFF, 1926, S. 591. Zur Kritik der Kondratieffschen Wellen vgl. beispielsweise SPREE, 1980, S. 304-315; WAGNER, 1980, S. 339-358. 19 Vgl. COHEN / ZYSMAN, 1987; HACK, 1988, S. 15-52; SCHRÖDER u.a., 1989, S. 17-24.

10

DIE INFORMATIONSTECHNOLOGISCH ORIENTIERTE

INDUSTRIEGESELLSCHAFT

1.3. Aspekte einer informationstechnologisch orientierten In­ dustriegesellschaft Die Begriffe Informationsgesellschaft, postindustrielle Gesellschaft, Dienstlei­ stungsgesellschaft, Selbstbedienungsgesellschaft oder Wissenschaftsgesellschaft versuchen alle das Eine, nämlich den Gesellschaftstyp der Zukunft zu be­ schreiben, der sich aus den Analysen der gegenwärtigen Entwicklungstenden­ zen und -Strömungen ergibt. Der Gesellschaftstyp „Informationsgesellschaft“ zeichnet sich dadurch aus, daß

„...die Mehrheit der Arbeitnehmer mit der Herstellung, der Sammlung, der Verarbeitung und der Verteilung von Informationen jeder Art beschäftigt ist und daß bei der Erstellung des Bruttosozialprodukts sowohl der >primäre Informationssektor< (Produktion von Informationsgütern) als auch der >sekundäre Informationssektor< (Einsatz von Informationsarbeitszeit und kapital) in immer stärkerem Maße beteiligt sind“'. Die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) unter­ teilt dabei die Informationsberufe folgendermaßen: Informations-Produzenten (Wissenschaftliche und technische Mitarbeiter, Marktforschungs- und Koordi­ nationsspezialisten, Informations-Sammler, Beratungsdienste) - Informa­ tionsverarbeiter (Administration und Management, Prozesskontrolle und Über­ wachung, Büroarbeit etc.) - Informationsverteiler (Erzieher, Kommunika­ tionsarbeiter, z.B. Journalisten) - Berufe für die Infrastruktur der Information (Computerbedienungspersonal wie Programmierer etc, Post und Telekommuni­ kation)2.

Eine informationstechnologisch orientierte Industriegesellschaft und ein Groß­ teil der Informationsberufe finden ilire technologische Basis in der Informa­ tionstechnik.

Darunter versteht man „alle technologischen Formen, um Information zu wandeln, zu transportieren oder zu speichern: elektronische Rechentechnik, Endgerätetechnik, Bürotech­ nik, Telekommunikationstechnik, Informations- und Dokumentationstechnik und große Teile der Meß-, Steuer- und Regelungstechnik^.

1 BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE, Band 10,1992, S. 497. 2 OECD, nach Lutz, 1984. S. 6. 3 DOSTAL, 1988b, S. 11. Vgl. LUTZ, 1984, S. 20-31.

DIE INFORMATIONSTECHNOLOGISCH ORIENTIERTE

11

INDUSTRIEGESELLSCHAFT

Lutz bestimmt die Diffusionsgeschwindigkeit der Informationstechnik, d.h. den Durchsetzungszeitraum der Informationstechnik in sozialer und wirt­ schaftlicher Hinsicht, auf 23 1/2 Jahre4.

Die Information gehört neben der Energie und der Materie zu den Grundgrößen der Gesellschaft. „Für den Menschen ist Information vor allem zweckorientiertes Wissen. In­ formationen entstehen aus der Wechselwirkung des Menschen mit seiner Um­ welt. Sie sind Voraussetzung fiir geordnetes, zielgerichtetes Handeln"5.

In den letzten zweihundert Jahren nahm der Umfang des Wissens und damit der mengenmäßige Output an Informationen, die sogenannte „Wissensmenge“, erheblich zu. So stieg sie zwischen 1800 und 1966 um das Sechzehnfache. Menge

Abbildung 3: Zunalmie der Wissensmenge seit Beginn der Industriellen Revolution6.

4 Die Diffusionsgeschwindigkeit hängt dabei von folgenden Faktoren ab: Entwicklung der Gesamtnachfrage, Kapital- und Arbeitskosten, Entwicklung des Kosten-Leistungs-Verhältnisses der Infor­ mationstechnik-Systeme, Vorhandensein entsprechend qualifizierter Arbeitskräfte, Benützerfreundliclikeit der Techniken, Ausbildungsstand der Konsumenten, Entwicklung der Infrastruktur, regula­ torische Ralmienbedingungen, Lebensstile und Wertvorstellungen (Vgl. LUTZ, 1984, S. 40). 3 NEFIODOW, 1990, S. 49.

12

DIE INFORMATIONSTECHNOLOGISCH ORIENTIERTE

INDUSTRIEGESELLSCHAFT

Dabei zeigt sich seit etwa 1950 ein wesentlich verstärkter Wissensanstieg: „80% aller bisherigen wissenschaftlichen und technologischen Erkenntnisse und über 90% der gesamten wissenschaftlichen und technischen Informationen in dieser Welt wurden im 20. Jahrhundert produziert, davon mehr als zwei Drit­ tel nach dem Zweiten Weltkrieg. Die heutige lebende Generation umfaßt etwa 80% aller Wissenschaftler, die bislang auf der Erde gelebt haben “7.

So verdoppelt sich beispielsweise die Anzahl der wissenschaftlichen Fachzeit­ schriften, ein wichtiger Indikator der Wissensmessung, etwa alle 15 Jahre. ONach John Naisbitt steigt das wissenschaftliche und technische Informations­ wissen gegenwärtig jährlich um 13%. Dies bedeutet, daß es sich alle fünfein­ halb Jahre verdoppelt. Naisbitt schließt einen Wissensanstieg von jährlich 40%, aufgrund des Einsatzes hochwertiger Informationssysteme und des Anstiegs der im Informationssektor tätigen Wissenschaftler, nicht aus8.

Gleichzeitig macht sich eine zunehmende Veralterung des Wissens bemerkbar, die Nagel durch die Ermittlung von Halbwertszeiten des Wissens mißt. Wäh­ rend allgemeine Wissensinhalte, vermittelt in Schule und Hochschule, mit 20 bzw. 10 Jahren noch höhere Halbwertszeiten besitzen, zeigt berufliches Wissen, nach Nagel, mit 5 Jahren schon eine wesentlich geringere Halbwertszeit. Die niedrigsten Halbwertszeiten besitzen Technologie-Wissen (3 Jahre) und EDVWissen (1 Jahr) - hier ändern sich die fachlichen Anforderungen in kürzester Zeit sehr stark9. Diese Entwicklung impliziert tiefgreifende Konsequenzen für die Berufstätigen:

„Für Menschen, die sich in ihrem Beruf behaupten wollen, bedeutet dies eine ständige Bereitschaft zur fachlichen und persönlichen Weiterbildung...Das ökologische Gesetz des Lernens bringt zum Ausdruck, daß eine Spezies nur

6 NEFIODOW, 1990, S. 51. ’ KREIBICH, 1986, S. 26. * NAISBITT, 1984. S. 41; vgl. dazu BELL, 1989, S. 171-245 Dieser exponentielle Wissensanstieg wirkt sich stark auf die Individuen aus: „Tatsächlich geht es nicht nur um das quantitative Problem der Wissensbewältigung...Viel gravierender dürfte sein, welche Folgen der jeweils akkumulierte Ausschnitt des Wissens und die spezifischen Selektionsstrategien von Individuen und Gruppen für die Sozialisation, das allgemeine Sozialverhalten oder speziell für die Bewältigung von Konfliktund Entscheidungssituationen, somit also für das Leben des einzelnen und die Gesellschaft insgesamt haben“ (KREIBICH, 1986, S. 29). Vgl. dazu das sehr lesenswerte Essay von Paul Virilio „Rasender Stillstand“, das sich mit der zunelunenden technologischen Entwicklungsgeschwindigkeit der Menscliheit beschäftigt (vgl. VIRILIO, 1992). ’ Vgl. NAGEL, 1990, S. 32.

DIE INFORMATIONSTECHNOLOGISCH ORIENTIERTE

13

INDUSTRIEGESELLSCHAFT

dann überleben kann, wenn ihre Lerngeschwindigkeit gleich oder größer ist als die Änderungsgeschwindigkeit des Umweltfeldes"10.

Parallel zur zunehmenden Wissensveralterung steigt die Bedeutung von Wis­ senschaft und Technologie. Nach Kreibich stellen

„> Wissenschaft und Technologie< einschließlich der dazugehörenden Bildung und Ausbildung von Menschen die zentrale Produktiv- bzw. Innovationskraft der modernen Industriegesellschaft... “n [dar].

Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben gelten dabei als Indikatoren für die Bedeutung von Wissenschaft und Technologie. So zeigt eine Statistik der UNESCO im Zeitraum 1975-1990 einen kontinuier­ lichen Anstieg der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in den USA. In den Ländern der Europäischen Union und Japan läßt sich seit 1985 ein deutliches Plus feststellen. Die übrigen Staaten Asiens verzeichnen ebenfalls einen kontinuierlichen Ausgabenzuwachs. Die Gesamtheit der Entwicklungsländer, Lateinamerika incl. den karibischen Staaten, die Arabischen Staaten und das Schlußlicht Afrika stagnieren in ihren Forschungs- und Entwicklungsausga­ ben12. Diese Ergebnisse lassen auf eine Korrelation zwischen dem Anstieg der For­ schungs- und Entwicklungsausgaben und der technologisch-industriellen Wei­ terentwicklung der betreffenden Staaten schließen. Setzt sich dieser Trend fort, dürfte sich der wirtschaftliche Abstand zwischen den Ländern mit steigenden Forschungs- und Entwicklungsausgaben und jenen mit stagnierenden bzw. zurückgehenden Forschungs- und Entwicklungsmitteln weiter erhöhen13. Parallel zum Anstieg der Informationsmenge erlebt Kommunikation, in ihren vielfältigen Erscheinungsformen, eine starke Zunahme. Dies zeigt sich beson­ ders augenfällig in einer wesentlichen Zunahme der Kommunikationsmittel. Besonders seit den siebziger Jahren erhöhte sich deren Anzahl beträchtlich (vgl. Abbildung 4).

10 11 12 13

NAGEL, 1990, S. 30f. Dieser Tatbestand gilt meines Erachtens auch für die Nichtberufstätigen. KREIBICH, 1986, S. 25. Vgl. ebenfalls KREIBICH, 1986, S. 70-133. Vgl. STIFTUNG ENTWICKLUNG UND FRIEDEN, 1993, S. 367. Vgl. STIFTUNG ENTWICKLUNG UND FRIEDEN, 1993, S. 367.

14

DIE INFORMATIONSTECHNOLOGISCH ORIENTIERTE

INDUSTRIEGESELLSCHAFT