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German Pages VIII, 236 [231] Year 2020
Monika Burmester Jan Friedemann Stephanie Catharina Funk Sabine Kühnert · Dieter Zisenis Hrsg.
Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit
Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit
Monika Burmester · Jan Friedemann · Stephanie Catharina Funk · Sabine Kühnert · Dieter Zisenis (Hrsg.)
Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit
Hrsg. Monika Burmester Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum, Deutschland
Jan Friedemann Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum, Deutschland
Stephanie Catharina Funk Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen Bochum, Deutschland
Sabine Kühnert Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum, Deutschland
Dieter Zisenis bbb Büro für berufliche Bildungsplanung Klein & Zisenis GbR Dortmund, Deutschland
ISBN 978-3-658-30538-3 ISBN 978-3-658-30539-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber
Dieses Buch passt in die Zeit, denn es ist ein nachhaltiger Hybrid. Ein Hybrid insofern, als es Ansätze aus der Praxis und theoretische Reflexionen optimal mischt, um ein orientierendes und kritisches Leseerlebnis auf kleinstem Raum zu ermöglichen. Nachhaltig, weil es sich der Aufgabe widmet, verschiedenste Ansätze zu langfristigen, positiven Veränderungen des Lebens im Quartier zu skizzieren und zu reflektieren. Das Buch bietet aufgrund der schriftstellerischen Zusammenkunft von 16 Autorinnen und Autoren, die über langjährige Expertise auf ihrem Gebiet verfügen, einen qualifizierten und aktuellen Überblick zum Kontext Wirkung, Sozialraum und Quartier. Es ist für Praktikerinnen und Praktiker, Studierende, Lehrende und andere Interessensgruppen gleichermaßen geeignet und es stellt aufgrund der vielen weiterführenden Fragestellungen, Quellen und Praxisberichte einen Fundus für die eigene Arbeit dar. Jeder Beitrag in unserem Buch bildet für sich eine eigene, inhaltliche Einheit; Interessensschwerpunkte der Lektüre können gezielt über das Inhaltsverzeichnis angesteuert werden. Gleichzeitig folgt das Buch einem roten Faden, der die einzelnen Beiträge in ein inhaltliches Gesamtkonzept einbindet. Im ersten Teil wird das Handlungsfeld Sozialraum und Quartier wissenschaftlich abgesteckt und mit einem kritischen Blick auf die moderne Definition von sozialen Räumen, in denen professionelle Akteure wirkungsvoll agieren, konfrontiert. Zudem werden die aktuellen Implikationen einer Sozialpolitik, die sich immer weiter in Richtung Optimierung und Steuerung bewegt, als faktische Grundlage für fachliche Diskurse zu Wirkungsorientierung, Steuerung und Quartiersmanagement grundlegend hinterfragt. Aufbauend auf diese grundsätzlichen Überlegungen wird im zweiten Teil der Begriff Wirkung in der sozialen Arbeit praxisbezogen diskutiert. Schwerpunkt ist ein Überblick über die Begriffsdefinitionen von Wirkung im Sozialbereich und eine sortierende Sicht auf die in der Fachszene kontrovers diskutierte Frage, ob und inwiefern bei der Arbeit an und mit Menschen ein standardisierender Blick mit definierten, messbaren, wirksamen Ergebnissen bzw. Wirkungen überhaupt möglich und sinnvoll erscheint. Des Weiteren wird in dem zweiten Teil der Blick auf einen reflektierten, aber auch pragmatischen Umgang mit dem Thema Wirkungsanalyse in der Praxis von Studium, Weiterbildung und in der Gesundheitsförderung erweitert.
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Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber
Der dritte Teil zeigt dann ganz konkret anhand von Projektbeispielen, wie Evaluation und Wirkungsorientierung erfolgreich im Quartier umgesetzt und begleitet werden können. Dieser Teil des Buches liefert nicht nur für Praktiker einen wichtigen Ideen-Baustein für die Planung und Durchführung von eigenen Projekten. Es regt und leitet zudem anhand von Beispielen an, das umstrittene Thema Evaluation kritisch und pragmatisch zugleich anzugehen, um falsche Berührungsängste zu verlieren. Der vierte Teil widmet sich in sechs Aufsätzen einem Feld, das fachlichen Sprengstoff beinhaltet: Wirkungsorientierung und ökonomischer Nutzen. Versucht wird, mittels Zusammenstellung von sehr verschiedenen Denkansätzen, dem Leser Antworten auf die folgenden, immer wiederkehrenden Streitfragen zu geben: Dient die ganze Evaluations- und Wirkungsorientierung nicht eher dem schnöden Finanzierungsinteresse als den Menschen vor Ort? Handelt es sich bei der Behauptung, dass öffentliche Ausgaben im Quartier mittel- und langfristig mit positiver Rendite zurückfließen, gar um ‚Fake-News‘? Kann man den ökonomischen Nutzen von Quartiersarbeit überhaupt und wenn ja wie messen? Warum muss soziale Arbeit sich immer derart rechtfertigen? Umgekehrt: Warum hat die Profession in Teilen eigentlich ein Problem damit? Abschließend kann und will auch dieser Herausgeberband diese Fragen sicher nicht beantworten. Das Buch hat vielmehr dann die Wünsche seines herausgebenden Teams erfüllt, wenn die Lektüre – neben einem sortierenden Ein- und Überblick in ein sehr aktuelles Thema – die Leserinnen und Leser dazu anregt, das Thema Wirkung und Quartier als pragmatische Fundgrube für die Umsetzung eigener Ideen und Wünsche zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen im Quartier zu begreifen und für die professionelle Reflexion der eigenen Praxis zu nutzen. Denn: Die Fragen nach Qualität, Wirkung und Evaluation wird die Quartiersarbeit sicher nicht mehr los. Daher kommt es umso mehr darauf an, die richtigen Antworten zu finden. In diesem Sinne wünschen wir nun viel Freude bei der Lektüre! Monika Burmester Jan Friedemann Stephanie Funk Sabine Kühnert Dieter Zisenis
Inhaltsverzeichnis
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Das Handlungsfeld Quartiersarbeit .......................................................... 1
Reinhold Knopp und Anne van Rießen Das Handlungsfeld Sozialraum aus der Perspektive Sozialer Arbeit: Gemeinwesenarbeit – Sozialraumarbeit – Quartiersmanagement ........................ 3 Norbert Wohlfahrt Wirkungsvolle Sozialraumpolitik? Überlegungen zur grundsätzlichen Widersprüchlichkeit quartiersbezogener Wirkungsbetrachtungen ..................... 19 II
Wirkung und Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit ................ 35
Monika Burmester Wirkung sozialer Dienstleistungen – Reflexionen zu einem uneindeutigen Begriff................................................................................................................. 37 Peter Friedrich Die Wirkungsdebatte in der Freien Wohlfahrtspflege – eine polarisierende Diskussion .......................................................................................................... 53 Cornelia Kricheldorff und Ines Himmelsbach Wirkungsorientierung, Wirkungsanalyse und Evaluation als Professionsthemen in Studium und Weiterbildung ............................................. 63 Stephanie Funk Die Debatte um Qualität, Evaluation und Wirkung in der Gesundheitsförderung ......................................................................................... 77 III Evaluation und Wirkungsorientierung in der Praxis der Quartiersarbeit.......................................................................................... 93 Stephanie Funk und Dieter Zisenis Wirkungsorientierte Selbstevaluation in der Quartiersentwicklung – Chancen und Grenzen für die Praxis .................................................................. 95
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Inhaltsverzeichnis
Margit Risthaus und Sandra Ludes Selbstevaluation im Quartier – Erkenntnisgewinn mit Spaßfaktor ................... 111 Alexander Sbosny Gute Beispiele – (Selbst-)Evaluation in der Sozialen Stadt .............................. 123 IV Wirkungsorientierung und ökonomischer Nutzen............................... 133 Christian Schober und Olivia Rauscher Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox ................................................ 135 Konstantin Kehl Soziale Investitionen, Wirkungsorientierung und Social Return in der Quartiersarbeit .................................................................................................. 155 Bernd Halfar Das Social Return on Investment-Modell in der Quartiersarbeit ...................... 167 Peter Stepanek Nutzen wirtschaftlicher Konzepte in der Quartiersentwicklung und der Quartiersarbeit: Wirkungsorientiertes Management und Geschäftsmodelle als Strategietools ............................................................................................... 181 Monika Burmester und Jan Friedemann Soziale Dienstleistungen als Investitionen? Ökonomische Aspekte in der aktuellen Wirkungsdebatte ............................................................................... 197 Holger Ziegler ‚Social Return on Investment‘-Analysen – Fake News für die Soziale Arbeit . 211 Autorinnen und Autoren ................................................................................... 233
I
Das Handlungsfeld Quartiersarbeit
Das Handlungsfeld Sozialraum aus der Perspektive Sozialer Arbeit: Gemeinwesenarbeit – Sozialraumarbeit – Quartiersmanagement Reinhold Knopp und Anne van Rießen
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Annäherung
In dem von den Herausgeber_innen angeregten Titel dieses Beitrages finden sich bereits mehrere Hinweise bzw. Zugänge: Es gibt unterschiedliche Perspektiven aus denen heraus die Lebensbedingungen der Menschen in einem Quartier, Stadtviertel oder auch Sozialraum im Kontext Sozialer Arbeit betrachtet und deren Gestaltung angegangen werden können. Wir werden im Folgenden darstellen, (1) aus welchen Gründen die Ebene des Sozialraums1 eine besondere Bedeutung spielt, bevor wir (2) die Gemeinsamkeiten und die Differenzen der oben genannten Ansätze beschreiben. Anschließend werden wir (3) auf die Herausforderungen eingehen, mit denen sozialraumbezogene Ansätze konfrontiert sind und davon ausgehend potentielle Handlungsempfehlungen bzw. Lösungsansätze aufzeigen, die im Kontext der aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen das Handlungsfeld raumbezogener Ansätze erweitern können. 2
Die Bedeutung des Raums
Die Ebene des Sozialraums spielt eine besondere Bedeutung, denn der Nahraum, das Wohnumfeld ist der Lebens-, der Aktions- und der Alltagsraum der Menschen 1
Die auch im Titel des Beitrages genannten Begrifflichkeiten Sozialraum und Quartier werden in der Theorie und der Praxis Sozialer Arbeit häufig analog verwendet, gleichwohl sind sie mit unterschiedlichen Entstehungskontexten und Deutungsmustern verbunden. Wir präferieren prinzipiell den Begriff des Sozialraums mit seinen theoretischen und methodischen Bezügen zur Sozialen Arbeit (vgl. z. B. Deinet 2009; Kessl & Reutlinger 2007) sowie den Terminus der Sozialraumorientierung als ausdrückliches Fachkonzept Sozialer Arbeit (z. B. Hinte 2012b), da diese dort bereits differenzierter beleuchtet und begründet sind (z. B. Kessl & Reutlinger 2007; Riege & Schubert 2005); gleichwohl auch deren Definitionen weiter mehrdeutig bleiben (vgl. ausführlich Bleck, van Rießen, Schlee & Knopp 2018). Dennoch nutzen wir auch den Begriff Quartier, der sich heute gerade in der Praxis der Sozialraumarbeit immer mehr – auch aufgrund bestehender Förderrichtlinien – durchsetzt.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_1
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Reinhold Knopp und Anne van Rießen
(Oelschlägel 2008). Historisch betrachtet findet die Orientierung auf den Sozialraum in der Sozialen Arbeit ihren Ausgangspunkt in dem Engagement der Settlementbewegung Ende des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit entstanden u. a. soziale Initiativen, die in die sogenannten ‚benachteiligten Quartiere‘ zogen und gemeinsam mit den Menschen vor Ort versuchten, die Lebensbedingungen zu verbessern; in den USA und in Großbritannien als Settlementbewegung bekannt, in Deutschland als Nachbarschaftshäuser (van Rießen 2018, S. 14). Diese Entwicklung ist insbesondere auf deren Protagonistin Jane Addams zurückzuführen: Jane Addams kann als „[die] Pionierin der Gemeinwesenarbeit“ bezeichnet werden (Staub-Bernasconi 2013, S. 37; H. i. O.), deren Engagement insbesondere für die Verbesserung der sozialen und materiellen Ausstattung in den Armenvierteln in Chicago zum Tragen kam, wobei die Bewohnerschaft stets eingebunden und als eigene Ressource verstanden wurde – mit dem Ziel gemeinsam die Lebensbedingungen zu verbessern (ebenda, S. 28). Verschiedene Ansätze der Sozialen Arbeit im Sozialraum sind in den letzten Jahrzehnten mit ihrer jeweiligen Position diskutiert worden, so etwa die Entwicklungen der Gemeinwesenarbeit, des Quartiersmanagements, der Quartiersentwicklung oder -arbeit sowie der Sozialraumorientierung. Für die Soziale Arbeit bietet die Einnahme einer sozialräumlichen Perspektive differenzierte Handlungsoptionen: Dabei geht es sowohl um die Einflussnahme der Gestaltung der Lebensbedingungen als auch um die Stärkung bzw. Erweiterung der Handlungsfähigkeit der Bewohner_innen zur Wahrnehmung eigener Interessen. 3
Differenzierung: Gemeinwesenarbeit – Quartiersmanagement – Sozialraumarbeit
Grundlage aller sozialräumlicher Ansätze ist die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen im Quartier. Wolfgang Hinte bringt dies für die Soziale Arbeit ‚auf den Punkt‘: „Soziale Arbeit die sich am ‚sozialen Raum‘ orientiert, meint mit diesem Begriff sämtliche Aspekte materieller, kommunikativer und personaler Gegebenheiten in einem Feld“ (Hinte 1997, S. 41, H. i. O.). Die Öffnung des Zugangs zu Ressourcen, die Schaffung neuer Ressourcen und die Abschaffung von Defiziten soll die Lebensqualität der Menschen verbessern. Damit wird die Einzelfallhilfe in schwierigen Lebenslagen nicht überflüssig, findet aber eine andere Basis. Eine gute Nachbarschaft, ein Zugang zu den infrastrukturellen und sozialen Ressourcen im Quartier und bestenfalls das Erfahren der Wirksamkeit des eigenen Handelns schaffen eine bessere Voraussetzung, um individuellen Schwierigkeiten zu begegnen. Zugleich wird damit eine Perspektive eingenommen aus
Das Handlungsfeld Sozialraum aus der Perspektive Sozialer Arbeit
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der heraus eine gesellschaftliche Verantwortung für das Wohl der Einzelnen abzuleiten ist: Die Unterschiedlichkeit von Sozialräumen im Hinblick auf das Wohlergehen der Bewohner_innenschaft ist nicht naturgegeben, sondern Ergebnis von Marktgeschehen und Orientierungen in der Stadtpolitik und Stadtplanung an der ‚ersten Stadt‘, mit ihrer wettbewerbsorientierten Seite (Häußermann & Siebel 1987, S. 38ff). Über die Verlagerung von Ressourcen in die Sozialräume, in denen sich soziale Benachteiligung und Problemlagen konzentrieren, kann hier ein – sei es noch so kleiner – Betrag dazu geleistet werden, dass die Verhältnisse der dort lebenden Menschen sich verbessern und sich ihnen bessere Lebenschancen bieten. Auch wenn es zwischen den einzelnen Begrifflichkeiten vielfach Überschneidungen gibt, werden wir im Folgenden Differenzierungen vornehmen, indem wir die Gemeinwesenarbeit ausführlicher vorstellen, bevor wir dann davon abgrenzend die Besonderheiten von Quartiersmanagement und Sozialraumarbeit aufführen. 4
Gemeinwesenarbeit
In der Gemeinwesenarbeit liegt der Schwerpunkt traditionell bei der Beteiligung der Menschen, die in den Sozialräumen leben. Die Gestaltung und Verbesserung von Nachbarschaftsbeziehungen war und ist ein Schwerpunkt in der Gemeinwesenarbeit (GWA), immer mit dem Ziel verbunden, individuelle Aufgaben der „Lebensbewältigung“ (Böhnisch 2013) durch gemeinschaftliches Handeln besser erreichen zu können. Nach Wolfgang C. Müller kommt der GWA in der alten Bundesrepublik Deutschland in den 70er Jahren eine gewisse Bedeutung zu, da insbesondere in den damals meist zunächst ohne soziale Infrastruktur entwickelten Neubaugebieten soziale Probleme zum Tragen kamen (Müller 2001, S. 16); gleichsam wurde GWA im Kontext sozialer ‚Nachrüstung‘ als freiwillige soziale Aufgabe in den 80er Jahren wieder zurückgefahren (ebenda, S. 17). Sabine Stövesand und Christoph Stoik stellen heraus, dass GWA nicht auf eine Methode in der Sozialen Arbeit ‚reduziert‘ werden kann, sondern auch im Zusammenhang mit dem übergeordneten Konzept verstanden werden muss, „weil nicht nur Handlungspläne benannt werden, sondern in der Regel auch der Gegenstand, also die sozialen Probleme, die den Ausgangspunkt des Handelns bilden“ (Stövesand & Stoik 2013, S. 19). Sie führen weiter aus, dass es mehrere Ansätze bzw. „GWA-Konzepte“ gibt, die „nicht alle trennscharf voneinander abgegrenzt werden“ können (ebenda). Im Folgenden werden drei Ansätze vorgestellt, die in der Diskussion um das Verständnis von „Grundlagen und Standards in der Gemeinwesenarbeit“ von besonderer Bedeutung sind (Hinte, Lüttringhaus & Oelschlägel 2001). Mit dem ersten Ansatz ‚Arbeitsprinzip GWA‘ (Boulet, Krauss & Oelschlägel 1980) wird ein
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Reinhold Knopp und Anne van Rießen
Verständnis von GWA auf den Begriff gebracht, das auf dem Konzept der Lebensweltorientierung basiert: „Das Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit sieht seinen zentralen Aspekt in der Aktivierung der Menschen in ihrer Lebenswelt. Sie sollen zu Subjekten politisch aktiven Handelns und Lernens werden und zunehmend Kontrolle über ihre Lebensverhältnisse gewinnen“ (Oelschlägel 1997, S. 37).
Eine solche Definition von GWA impliziert ein gesellschaftspolitisches Verständnis, dass die (lebensweltbezogene) Handlungsfähigkeit der Menschen durch kollektives Eintreten für ihre gemeinsamen Interessen stärken kann: So sind sowohl konkrete Erfolge als auch durch die in der Auseinandersetzung gewonnenen Erfahrungen bedeutsam. Dementsprechend fordert Dieter Oelschlägel eine „Politisierung der Gemeinwesenarbeit“: „Gemeinwesenarbeit ohne ein politisches Handeln gibt es nicht, denn indem es der Gemeinwesenarbeit nicht um das einzelne Individuum, sondern um viele Menschen […] geht, um gemeinsame, kollektive Problembehandlung, bleiben sowohl die Probleme als auch die Aktionen nicht privat“ (Oelschlägel 1997, S. 40).
Dem ‚Arbeitsprinzip GWA‘ liegen deutliche Bezüge zur marxistischen Gesellschaftsanalyse zugrunde (Troxler 2013, S. 71), was sich auch in dem Verständnis von ‚Handlungsfähigkeit‘ und dessen Erweiterung durch kollektives Handeln niederschlägt (Knopp 2007, S. 45ff). Ein zweiter Ansatz, der für ein bestimmtes handlungsleitendes Verständnis von Gemeinwesenarbeit zu verstehen ist, ist das ‚Fachkonzept Sozialraumorientierung‘, das nach Wolfang Hinte in fünf Prinzipien gefasst ist: (1) Die Interessen der Bewohnerschaft als Ausgangspunkt nehmen, (2) aktivierender Arbeit Vorrang vor betreuender Arbeit einräumen, (3) eine Orientierung an von den Betroffenen durchsetzbaren Zielen, (4) zielgruppen- und bereichsübergreifende Anlage der Aktivitäten sowie (5) Vernetzung und Integration der verschiedenen sozialen Dienste (Hinte 2012a, S. 7; Hinte 2018, S. 95; Hinte & Treeß 2007, S. 29ff). Auch Hinte spricht davon, dass „sämtlichen gemeinwesenorientierten Konzepten“ die Absicht zugrunde liegt, „räumliche Bedingungen durch die Aktivität betroffener Menschen im Sinne dieser Menschen zu ändern“, was „die GWA als einen auf die Veränderung von Lebensverhältnissen gerichteten Ansatz“ kennzeichnet (Hinte 2012a, S. 6). Dabei fokussiert er auf den „Willen“ der Menschen, deren „Sichtweisen und Entwürfe“, der Bezugspunkt für die „professionellen Fachkräfte“ sein muss (ebenda), wobei er Wille von Wunsch dahingehend abgrenzt, dass dieser mit der Entschlossenheit verbunden ist, „mit eigener Aktivität zum Erreichen meines Zieles beizutragen“ (ebenda; vgl. kritisch May 2017).
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Ein dritter Ansatz zur Bestimmung von Gemeinwesenarbeit ist jener von Oliver Fehren, der Gemeinwesenarbeit als intermediäre Instanz bestimmt. Fehren sieht in Anknüpfung an die Position von Hinte die Perspektive von Gemeinwesenarbeit in der Einnahme einer vermittelnden und koordinierenden Position in „Prozessen der Stadtentwicklung“: „Mit der Entwicklung einer intermediären Programmatik werden die Handlungsoptionen der Gemeinwesenarbeit erheblich erweitert“ (Fehren 2008, S. 187). Die „wesentliche Funktion“ einer solchen intermediären Instanz sieht er „im Aufbau weit verzweigter, stabiler Kooperations- und Kommunikationsnetze“, in der Initiierung von „Dialog und Kooperation zwischen Personen, Institutionen und Akteursebenen“, die im Quartier ansonsten nicht in die Zusammenarbeit kommen (ebenda, S. 190). Deutlich wird bei der Betrachtung der drei verschiedenen Ansätze, dass diese der Sozialen Arbeit verschiedene Rollen zuweisen und damit einhergehend unterschiedliche Aufträge. Während Fehren die GWA primär als intermediäre Instanz zwischen Bürger_innen und Verwaltung sowie Politik sieht, stellt Hinte das Respektieren des Willens der Bewohner_innen als Ausgangspunkt sozialräumlicher Arbeit in den Mittelpunkt. Oelschlägel hingegen verweist auf die Parteilichkeit der GWA: stets im Sinne der Bürger_innen und sieht in deren Engagement für ihre eigenen Ziele bereits einen wichtigen Erfolg im Sinne der Erfahrung des gemeinsamen solidarischen Handelns. 5
Sozialraumarbeit
Fabian Kessl und Christian Reutlinger betonen in ihrem theorie-analytischen Ansatz der reflexiven Sozialraumarbeit (2009) eine „achtsame Praxis Sozialer Arbeit“ (Kessl 2011), die sich ihrer Rahmenbedingungen und Nicht-Eindeutigkeiten bewusst ist. Damit verweisen sie auf die Uneindeutigkeiten von raumbezogener Sozialer Arbeit, die sie insbesondere darin gelagert sehen, dass eine raumbezogene Soziale Arbeit immer Teil der gegebenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse ist (Kessl & Reutlinger 2009). Daran anknüpfend schlagen sie eine reflexive räumliche Haltung im Kontext der Sozialraumarbeit vor, die „zwar keine grundsätzliche alternative Vorgehensweise im Sinne einer ‚neuen‘ oder ‚anderen Sozialraumorientierung‘“ (ebenda, H. i. O.) ermöglicht, aber eben durch den bewussten und geplanten Umgang mit den Uneindeutigkeiten charakterisiert ist. Diesen reflexiven Ansatz benennen sie im Weiteren explizit Sozialraumarbeit auch in Abgrenzung zu sozialraumorientierter Sozialer Arbeit.
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Reinhold Knopp und Anne van Rießen „Der Begriff der Sozialraumarbeit verdeutlicht, dass sich eine solche raumbezogene Soziale Arbeit nicht nur als stadtteil- oder quartiersbezogene, sondern immer als (sozial)politische Aktivität versteht“ (Kessl & Reutlinger 2009).
In ihrem Ansatz verweisen sie im Weiteren darauf, dass methodisches Handeln stets auf die jeweiligen Handlungszusammenhänge abzustimmen ist und es somit keine allgemeingültigen raumbezogenen Methoden geben kann. Dennoch erfordert die Ausgestaltung von Sozialraumarbeit eine „explizite und spezifische fachliche und damit immer auch politische Positionierung“ (ebenda). In Abgrenzung zu den Ansätzen der Gemeinwesenarbeit machen Kessl und Reutlinger mit ihrem theoretischen Modell spezifisch deutlich, dass Sozialraumarbeit immer Teil von Macht- und Herrschaftsverhältnissen ist und sich dieser Rolle und den damit verbundenen Uneindeutigkeiten bewusst sein muss. Gleichsam verweist ein solcher Ansatz in seinen Zielstellungen – der Eröffnung und Erweiterung von Handlungsoptionen für die beteiligten Subjekte – auf die primären Ziele der Gemeinwesenarbeit. 6
Quartiersmanagement
Im praktischen Ansatz des Quartiersmanagements wie auch in der Quartiersentwicklung hingegen liegt der Fokus vielfach auf Handlungskonzepten der Stadtplanung, bei denen es um die Verbesserungen der baulichen und infrastrukturellen Bedingungen liegt. Dies ist deutlich mit der Förderung aus Mitteln des Städtebaus verbunden, wie sie ab Anfang der 90er Jahre in Hamburg und NRW und ab 1999 vom Bund mit dem Programm „Soziale Stadt“ aufgelegt wurden (Knabe, van Rießen & Blandow 2015). Der Hintergrund für diese Entwicklung war die Zunahme von Menschen in Armutslagen und deren Konzentration in bestimmten Stadtquartieren (Farwick 2001). Neben den baulichen Investitionen sollten insbesondere Ansätze zur Integration der Bewohner_innen als aber auch die Förderung eines umfassenden und gesunden Lebens- und Wohnumfeldes unterstützt werden (Thies 2018, S. 139). Im Vorwort zu ihrer 1993 veröffentlichen Studie zu Armutsentwicklungen in der Stadt schreiben Monika Alisch und Jens S. Dangschat adressiert an die damals neugegründete Standentwicklungsbehörde: „Schließlich kann gerade in den von der Stadtplanung eher vernachlässigten Gebieten deutlich gemacht werden, wie notwendig es ist, die Quartiersinteressen bei der weiteren Entwicklung dieser Wohn- und Mischgebiete zu berücksichtigen und sich der Mitarbeit der dort Wohnenden und Arbeitenden zu vergewissern“ (Alisch & Dangschat 1993, S. 15).
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Gerade der letzte Punkt, die Beteiligung der Bewohnerschaft, wurde und wird in den Evaluationen und Reflexionen zum Programm Soziale Stadt immer wieder kritisch betrachtet (Alisch 2002, S. 268, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 2017). Im sog. „Essener Modell“ wird Anfang 2000 eine fachliche Weiterentwicklung des Quartiersmanagements geleistet, die bis heute noch vielfach Berücksichtigung erfährt. Gaby Grimm, Wolfgang Hinte und Gerhard Litges schlagen hier ein Mehrebenenmodell vor, in dem mit „Fachkräfte(n) im Stadtteilbüro für die Bewohnerschaft eine direkte Ansprache gegeben ist, weiterhin über eine Stadtteilmoderation die vermittelnde Ebene zwischen den Akteuren vor Ort und der Verwaltung gesichert und auf der Ebene der Stadtverwaltung über eine bzw. einen Gebietsbeauftragte/n eine in alle zu beteiligenden Ämter Kommunikation gegeben sein soll“ (Grimm et al. 2004, S. 55).
Unabhängig vom konkreten Konstrukt ist mit dem praktischen Ansatz des Quartiersmanagements ein Aufschlag gemacht worden, der auf die Notwenigkeit einer verzahnten Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen eines Quartiers Rechnung trägt. Quartiersmanagement bezieht die Bewohner_innen zwar so mit ein, jedoch immer in der Rolle einer intermediären Instanz, vermittelnd zu den Interessen von Verwaltung und Politik der Gesamtstadt. 7
Herausforderungen und Chancen sozialraumbezogener Ansätze
Im Folgenden werden zentrale Herausforderungen sozialraumorientierter Sozialer Arbeit dargestellt sowie Hinweise auf potentielle Lösungsansätze gegeben. Kontinuität statt Projektförderung Sozialraumbezogene Soziale Arbeit ist bekanntermaßen nicht als Pflichtaufgabe in den Sozialgesetzbüchern verankert. Da es den meisten Kommunen angesichts ihrer finanziellen Situation in der Regel nicht möglich ist, Gemeinwesenarbeit oder auch Quartiersmanagement als freiwillige Aufgabe aus dem eigenen Haushalt zu finanzieren und/ oder sie eine entsprechende politische Entscheidung nicht treffen wollen – eine Ausnahme bildet hier u. a. die Stadt Köln mit den aus dem kommunalen Haushalt finanzierten Stellen der Sozialraumkoordinator_innen (Deinet & Knopp 2011) – werden diese durch Landes- und Bundesprogramme oder durch Stiftungen finanziert und das mit zeitlichen Befristungen von in der Regel drei bis
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fünf Jahren. Die damit verbundenen Probleme in der Praxis – Stichwort ‚Projektitis‘ – sind bekannt: Bei der Förderung von Netzwerken und Nachbarschaften, von bürgerschaftlichem Engagement im Quartier stellt die ‚Verstetigung‘ die größte Herausforderung dar. So heißt es folgerichtig im aktuellen Zwischenevaluationsbericht zur Förderlinie Soziale Stadt: „Mit Unterstützung des Quartiersmanagements werden bestehende Akteursnetzwerke aufgebaut und gestärkt. Da dies soziale Prozesse sind, die langfristig Unterstützung und Moderation benötigen, drohen die positiven Ergebnisse, anders als investive Maßnahmen, nach Auslaufen der Projektförderung instabil zu werden oder wegzufallen“ (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 2017, S. 68).
Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die Kontinuität bezogen auf den Einsatz der Fachkräfte, deren Beziehungsaufbau zu den Akteur_innen im Quartier eine große Bedeutung zukommt und dies umso mehr, wenn auch Bewohner_innen erreicht und einbezogen werden sollen, die nicht zu den ‚üblichen Aktiven‘ gehören (vgl. kritisch Munsch 2015). Fachkräfte – mit in der Regel befristeten Arbeitsverträgen – haben dabei sehr eingeschränkte zeitliche Horizonte, da sie sich bereits ‚auf halber Strecke' der Projektzeitlauf um neue Stellen kümmern müssen. Einen ersten ‚offiziellen‘ Aufschlag der Problematik der Projektförderung entgegen zu treten findet sich im „Siebten Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundrepublik Deutschland“ in der die Quartiersarbeit als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge verortet wird: „Die Bedingungen zum Leben und zur Lebensqualität im Alter werden in erster Linie vor Ort, in den Kommunen, Quartieren und Dörfern gestaltet […] Um nachhaltige Strukturen für koproduktive Daseinsvorsorge zu entwickeln und zu erhalten, genügen zeitlich befristete Projektfinanzierungen nicht. Vielmehr bedarf es einer strukturellen, dauerhaft angelegten Förderung“ (Deutscher Bundestag 2016, S. 285).
Eine gesetzliche Pflichtaufgabe für Quartiersarbeit zu formulieren und deren Finanzierung zu erreichen ist sicherlich ein eher langfristiges Ziel. Aber es geht bereits heute darum, bei auslaufenden Projekten Ansätze zur Fortführung zu suchen. Dies kann z. B. die Unterstützung von im Rahmen der geförderten Quartiersentwicklung entstandenen Interessen- und Arbeitsgruppen der Bewohnerschaft durch eine professionelle Begleitung geschehen und/oder durch die Fortführung von Verfügungsfonds, über diese Gruppen entscheiden können. Solche Maßnahmen sind aber stets kritisch darauf hin zu hinterfragen, inwieweit diese ein Schritt in die Richtung einer Verstetigung von Quartiersarbeit sind oder ihnen eher eine ‚Alibifunktion‘ zukommt.
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Interdisziplinarität statt fragmentiertem Handeln nach Bereichen Die Gestaltung von Quartieren bzw. dem Sozialraum findet in einem interdisziplinären Feld statt, indem unterschiedliche Bereiche der Stadtteilentwicklung angesprochen werden: Städtebau, Architektur, kommunale Stadtverwaltung, Stadtpolitik, Stadtsoziologie, Wohnungsmarktakteure und auch die Soziale Arbeit. Auf der Ebene des Quartiers – die ja gerade nicht losgelöst von dessen Beziehungen zur Gesamtstadt oder Region betrachtet werden kann – kommen in unterschiedlicher Intensität u. a. Themen der sozialen Lage, der demografischen Entwicklung, der Inklusion, interkultureller Herausforderungen, der Gesundheit sowie Themen aus den Bereichen Infrastruktur, Mobilität, Umwelt, Energie zusammen. Dies spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Förderlinien und Fördertöpfen wider. Das damit mitunter verbundene ‚Nebeneinanderher‘ wird auch als Mangel „ressortübergreifender Zusammenarbeit“ in der Zwischenevaluation des Programms Soziale Stadt kritisiert (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 2017, S. 115). Aus der Perspektive einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung unterstreicht auch Uwe Schneidewind die Bedeutung einer interdisziplinären Zusammenarbeit, wobei er eine „Urbane Wende“ zunehmend auf die „Kraft von Quartieren mit hoher Identität“ gegründet sieht (Schneidewind 2018, S. 237f). Ein erster Ansatzpunkt muss die Förderung der Zusammenarbeit aller kommunalen Ämter sein, wie dies gegenwärtig u. a. in der Stadt Düsseldorf im Rahmen der Entwicklung eines stadtweiten Quartierskonzeptes angegangen wird. Weiterhin gilt es unterschiedliche Ansätze der Quartiersentwicklung, etwa aus der Perspektive der sozialen Lage, der Alterung und des Klimaschutzes zu verknüpfen und miteinander abzustimmen, sofern diese in einem Quartier zusammenkommen. Die Perspektive muss allerdings eine interdisziplinäre Quartiersarbeit sein, in der idealerweise personelle Ressourcen aus mehreren Bereichen zusammenkommen. Das Düsseldorfer Hochschulinstitut ‚In-LUST‘ (Institut für lebenswerte und umweltgerechte Stadt) arbeitet bereits weitgehend auf dieser Basis, indem dort Quartiersarbeit sowohl aus der Perspektive energetischer, architektonischer und Sozialer Arbeit geleistet wird. So kommen in einer der vom Institut begleiteten Quartiersentwicklung Themen wie Sanierung, Mieter_innenbeteiligung und Mobilität gleichermaßen zum Tragen und werden durch ein interdisziplinäres Team gemanagt (vgl. bspw. Adam et al. 2017). Konzeption statt Summe von Einzelaktivitäten Zwar finden sich sowohl in den Anträgen für das Förderprogramm Soziale Stadt als auch in den Projektanträgen bei Stiftungen Aufführungen zu ‚übergeordneten
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Reinhold Knopp und Anne van Rießen
Zielen‘, die mit der angestrebten Quartiersarbeit verbunden sind – quasi notgedrungen und immer auf die jeweilige Ausschreibung bezogen. Es ist jedoch zu prüfen, inwieweit die hier getroffenen Aussagen auch im Hinblick auf eine Orientierung bezogen auf die einzelnen Aktivitäten aussagekräftig bzw. hilfreich sind. In der Sozialen Arbeit ist die Frage nach ‚dem Wie‘ – und somit dem methodischen Handeln – mit der Frage nach dem ‚Warum‘ zu verbinden; so führt der Weg stets über das Konzept unmittelbar in die Auseinandersetzung mit der gesellschaftspolitischen Positionierung. Vielfach wird dabei Bezug auf das Konzept der Lebensweltorientierung genommen: „Lebensweltorientierte Soziale Arbeit agiert in der Lebenswelt, um in ihr einen gelingenderen Alltag möglich zu machen. Die spezifischen Chancen dieses Zugangs bedingen auch spezifische Grenzen. Wenn Lebenswelt nämlich die Bühne ist, auf der die Menschen vorgegebene gesellschaftliche Muster agieren, können lebensweltliche Verhältnisse nicht nur aus sich selbst bewältigt und verändert werden, sondern sind immer auch geprägt durch strukturelle Rahmenbedingungen“ (Grunwald & Thiersch 2004, S. 23).
Solche gesellschaftspolitischen Positionierungen bieten die Möglichkeit der Reflexion bzw. des Rückbezuges der Aktivitäten auf den unterschiedlichen Handlungsebenen, wie es auch Kessl und Reutlinger in ihrem Ansatz der Sozialraumarbeit deutlich machen. Sie sind in der Praxis der Sozialen Arbeit nicht immer einfach umsetzbar, können aber dennoch die Basis für ein Aushandeln bezogen auf übergeordnete Ziele bieten. Wichtig ist, auf den Ebenen von Konzept, methodischem Handeln und den konkreten Techniken, Ziele zu formulieren, die eine Einordnung und Bewertung der jeweiligen Aktivität ermöglichen. Partizipation – oder wie erreicht man jene, die schwer erreichbar sind Ein weiteres wichtiges Thema ist die Frage nach der Ermöglichung von Teilhabe und (!) Partizipation aller sozialen Schichten, Milieus und Altersgruppen im Kontext sozialraumorientierter Praxis. Roland Roth weist in diesem Zusammenhang auf die Widersprüchlichkeit hin, die sich im bürgerschaftlichen Engagement auf kommunaler Ebene ergibt: Einerseits sind dort die Themen besonders nah und damit auch von den Beteiligten motiviert zu besetzen andererseits fehlt es gerade auf kommunaler Ebene an den finanziellen Mittel, die hier formulierten Bedürfnisse und Anregungen zu realisieren (Roth 2011, S. 141ff). Gerade um nachhaltige Beteiligung zu ermöglichen ist es jedoch relevant insbesondere die Partizipationsmöglichkeiten gesondert zu betrachten, d. h. in den Fokus nehmen, inwieweit die Beteiligung den Menschen Erfahrungen ihrer eigenen Wirksamkeit ermöglicht,
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auf deren Grundlagen sie sich auch weiterhin als Bürger_innen engagieren. So gilt es im Rahmen von sozialraumbezogenen Ansätzen „Möglichkeitsräume für Partizipation“ (van Rießen & Bleck 2013) zu etablieren und somit die Entstehung von Beteiligung zu unterstützen. Denn, wer die Erfahrung gemacht hat, in quartiersbezogenen Beteiligungsverfahren qualifiziert mitwirken zu können, wird in sich auch das Potenzial entdecken, in anderen Bereichen Mitsprache einzufordern und gestaltend mitzuwirken. Von Relevanz ist dabei jedoch stets, dass die Einzelnen selbst nach ihren Interessen und Lebensumständen entscheiden, ob, wofür und auch in welchem Zeitrahmen sie sich engagieren, und nicht wohlfahrtsstaatliche Leerstellen füllen (müssen) (van Rießen 2018). Dafür müssen nicht nur die Situation und die Themen der Menschen ermittelt werden, beispielsweise durch Sozialraumanalysen, aktivierende Befragungen etc., sondern auch Angebote so initiiert und ausgerichtet, dass diese auch von jenen angenommen werden wollen und können. 8
Fazit
Betrachtet man die bisherigen Ausführungen, wird deutlich, dass ein sozialräumliches Verständnis von Sozialer Arbeit individuelle Schwierigkeiten und Unterstützungsbedarf in einen lebensweltlichen und gesamtgesellschaftlichen Kontext stellen muss. Damit verbunden ist sowohl erstens die Möglichkeit den Blick für strukturelle Zusammenhänge zu öffnen als auch zweitens nach Ortseffekten und Möglichkeiten zu fragen sowie drittens den Lebensraum im Interesse und mit den Bewohner_innen als Expert_innen ihres Alltags- und Lebensraumes (Thiersch 2013) und als tätige Subjekte, die ihren Lebensraum gestalten (Löw 2001), zu verändern. Damit bietet sich gleichwohl für die Beteiligten die Chance, als Subjekte ihre eigene Wirksamkeit zu erleben und ihre Handlungsfähigkeit durch gemeinsame Aktivitäten zu erweitern (van Rießen 2018, S.15). Dieses lässt sich auf zweierlei Ebene weiterdenken: 1
Eine sozialraumbezogene Soziale Arbeit kann sich auch auf die Konzentration des Bewältigungshandelns der Menschen, wie es Böhnisch und Schröer (2002) aufgezeigt haben, konzentrieren (vgl. Reutlinger 2011). Damit verbunden gerät die Frage in den Fokus: Was sind die Bedürfnisse der Menschen und wie begegnen wir ihnen? Hier lassen sich verschiedene subjektorientierte Ansätze Sozialer Arbeit – wie sie bspw. im Kontext der Nutzerforschung (vgl. Oelerich & Schaarschuch 2005; van Rießen 2016) – weiterdenken, die nicht nur nach den Bedürfnissen der Menschen fragen, sondern einerseits in
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Reinhold Knopp und Anne van Rießen den Blick nehmen, welchen Nutzen oder eben auch Nicht-Nutzen die Beteiligten von sozialraumorientierten Ansätzen Sozialer Arbeit haben als dabei aber auch andererseits die institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungen fokussieren. Einer sozialraumbezogenen Sozialen Arbeit kommt es auch zu, auf politischer Ebene zu insistieren und sich dafür einzusetzen, dass erfolgreiche Sozialraumarbeit einer kontinuierlichen Förderung oder mindestens einer Anschlussfinanzierung bedarf. Auch muss sie die im Rahmen von sozialraumbezogener Sozialer Arbeit sichtbar gewordenen Benachteiligungen kontextualisieren und öffentlich machen: Viele Probleme, die im Sozialraum sichtbar werden, sind auf anderen Ebenen entstanden und können nur dort bearbeitet werden. Soziale Arbeit, die im Rahmen von sozialraumbezogenen Ansätzen tätig ist, hat somit immer ein auf die strukturellen und sozialen Verhältnisse ausgerichtetes und ein politisches Mandat (van Rießen 2018). Auf der Basis eines konzeptionell eingeordneten Handelns ist die Frage von Bedeutung, in welche Richtung die jeweiligen Aktivitäten die Beteiligten ihrer Arbeit führen: Zu mehr „Bürgermacht“ (Roth 2011), zu mehr „Handlungsfähigkeit“ (Oelschlägel 1997) oder zum „sich Einrichten in Verhältnissen, die so von ihnen nicht gewünscht sind“ (Knopp 2015).
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Wirkungsvolle Sozialraumpolitik? Überlegungen zur grundsätzlichen Widersprüchlichkeit quartiersbezogener Wirkungsbetrachtungen Norbert Wohlfahrt
Vorbemerkung In der Sozialpolitik wird der Sozialraum zu einer immer bedeutsameren Kategorie für soziale Dienstleistungen. Dabei hat die Rede vom Sozialraum in der Regel etwas Beliebiges, so dass jeder darunter das versteht, was er verstehen will. Die Einen reden von Armutsquartieren, die es mittels sozialräumlicher Aktionsprogramme stabil zu halten gilt, die Anderen reden von Infrastrukturen, die als Ersatz/Ergänzung einzelfallbezogener Maßnahmen gehandhabt werden können, wiederum Andere reden vom Sozialraum als einer Finanzierungseinheit für dort tätige Träger und Einrichtungen. Wie selbstverständlich gelten Sozialräume als eine Ansammlung von Aufgaben und Problemen, die es mit quartiersbezogenen Managementmethoden zu bearbeiten gilt. Dabei ist der Sozialraum doch zunächst dadurch bestimmt, dass Menschen in einem bestimmten Gebiet wohnen und arbeiten. Und schon auf den ersten Blick ist klar, dass die Sozialräume diesbezüglich Unterscheidungen aufweisen, die von erheblicher Relevanz sind. Unterscheidungen, die im Übrigen jedem geläufig sind, der sich auf Wohnungssuche begibt und abzuwägen hat, ob er lieber im Sozialraum des ‚Dortmunder Norden‘ oder im Sozialraum des ‚Münchener Süden‘ sein Leben verbringen will. Sozialräume haben offenbar etwas damit zu tun, welche Mieten dort bezahlt werden (müssen), welche Investitionen Grundeigentümer dort tätigen und welche Gewinne dort mit der Spekulation um das Steigen und Fallen von Grundstückspreisen realisiert werden können. Sozialräume sind wesentlich durch die Unterschiedlichkeit von Lebenswelten gekennzeichnet, die sich aus den dort herrschenden ökonomischen Bedingungen der Kapital- und Eigentumsverwertung begründen und die dem (lokalen) Sozialstaat als selbstverständliche Voraussetzungen seiner sozialraumbezogenen Gestaltungsmöglichkeiten entgegentreten. Die Verschärfung dieser Unterschiedlichkeiten führt nun schon seit Jahren zur Aufwertung von politischen Programmen, die versuchen, mit dezentralen, auf die Aufwertung des Lokalen und des Quartiers zielenden Politikstrategien, den Folgewirkungen auseinanderdriftender Lebens-
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_2
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Norbert Wohlfahrt
räume kompensatorisch entgegen zu treten. Sie bewegen sich damit in dem Widerspruch, dass die Wirkungen, die sie erzeugen, von Bedingungen abhängig sind, die (weitgehend) außerhalb ihrer Einflussmöglichkeiten liegen.1 1
Sozialraum und soziale Segregation
Begriffe wie ‚Sozialraum‘ und ‚sozialräumliche Segregation‘ gehen auf wohnquartiersbezogene stadtsoziologische Forschungen in den USA in den 1920er Jahren, weiter entwickelt in den 1950er Jahren, zurück. In der bundesdeutschen Forschung und Diskussion wurde der Begriff seit den 1970er Jahren in Studien zur kleinräumigen Verteilung der Wohnstandorte verschiedener gesellschaftlicher Gruppen aufgegriffen (Hamm & Neumann 1996; Dangschat 2000). Beschreibend meinen die Begriffe Sozialraum und sozialräumliche Segregation den Tatbestand der Konzentration bestimmter sozialer Gruppen und Schichten in bestimmten Wohnquartieren der Städte, die Übertragung sozioökonomischer Gegensätze in der Gesellschaft in den territorialen (städtischen) Raum. Die Entstehung und gegensätzliche Entwicklung von Wohnquartieren und damit von Sozialräumen, muss im Kern als Resultat des Grundeigentums an Boden und seiner spezifischen Verwertungsbedingungen begriffen werden. Dies begründet sich aus dem Tatbestand, dass das Wohnen ein Anhängsel der Spekulation mit dem Boden darstellt. In der Miete zahlen die Mieter auch den Preis für das Grundstück bzw. die Rendite auf dessen spekulativen Wert. Wenn die Immobilienbranche in einer Stadt oder bestimmten Stadteilen eine zukunftsträchtige Investition vermutet, dann steigt der spekulative Wert des Bodens und entsprechend werden angemessene Renditen für die Investitionen in Wohnraum etc. gefordert. Bei investiven Entscheidungen findet dabei auch die Zahlungsfähigkeit von Mietern Berücksichtigung: Dort, wo weniger Mietzins auf Grund der Einkommen der entsprechenden Bevölkerungsgruppen erhoben werden kann, wird im Investment am Gebrauchswert der Immobilie gespart und so werden Billigwohnungen in Vierteln gebaut, die weniger investives Interesse auf sich ziehen als andere Wohngebiete. So werden Sozialräume produziert, in denen Vermieter bei geringeren Bodenpreisen aus Häusern, in deren Bestandserhaltung nichts bis wenig investiert wird, rentable Mieten herausholen wollen und die Architektur der Wohnviertel 1
Im Jahr 2015 galt jede sechste Person in Deutschland als armutsgefährdet: 16,5 % der Bevölkerung bezogen ein Einkommen, das weniger als 60 % des mittleren Einkommens entsprach. Ohne die umverteilende Wirkung von Sozialleistungen wäre sogar jede vierte Person in Deutschland armutsgefährdet. Überdurchschnittlich häufig sind Arbeitslose betroffen – sieben von zehn waren 2015 armutsgefährdet. Ebenso besteht bei Alleinlebenden und Alleinerziehenden ein erhöhtes Armutsrisiko – jeweils etwa ein Drittel dieser Personen galten 2015 als armutsgefährdet.
Wirkungsvolle Sozialraumpolitik?
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gestaltet sich gemäß der Rendite auf die Quadratmeterpreise: hohe Verdichtung der Bebauung und knapp geschnittener Wohnraum, um ein Maximum an Miete erzielen zu können. Alle kompensatorischen Maßnahmen sind nicht auf die Korrektur dieses Verhältnisses ausgerichtet, (das lässt sich aktuell sehr schön an den wohnungs(bau)politischen Maßnahmen studieren, die allesamt ihre Schranke darin finden, dass das Eigentum an Wohnraum nicht angetastet werden darf), sondern darauf, dass es in seiner sozialen Gegensätzlichkeit erhalten und so fortentwickelt wird, dass trotzdem gewohnt werden kann. Die ‚sozialräumliche Vierteilung‘ der großen Städte, das großräumige Regionalgefälle (West-Ost-Gefälle), die Prototypen so genannter ‚benachteiligter Quartiere‘ (Altbauquartiere und Trabantensiedlungen) – all diese Tatbestände sind Folge des staatlich geschützten Grundeigentums – und treten dem Staat als Anlass für wohnungspolitische und sozialpolitische Maßnahmen gegenüber, in denen er sicherstellen will, dass Einkommen und Wohnraum – in welcher Art auch immer – zueinander finden. So entstehen Sozialräume ganz unterschiedlicher Art, in denen nicht nur die infrastrukturelle Ausstattung, sondern auch die Möglichkeiten der Teilhabe an gesundheitlicher Versorgung, an Freizeitgestaltung und kulturellen Veranstaltungen durch den Reichtum (resp. die Armut) geprägt sind, die das jeweilige Quartier kennzeichnen. Die Rede vom ‚benachteiligten‘ Quartier fasst zusammen, dass die sozialstaatlichen kompensatorischen Maßnahmen Abwägungen sind, die die sozialräumlichen Gegensätze nicht aufheben, sondern – zumindest in der Langfristbetrachtung – noch weiter verschärfen. Der Begriff der ‚Segregation‘ fasst diesen Tatbestand als gegebenes Resultat auf und fordert dementsprechend weitere kompensatorische Maßnahmen, die sich unter dem Begriff einer ‚sozial engagierten Quartierspolitik‘ zusammenfassen lassen (Fritz & Thieß 1997; Zimmer-Hegemann, Kemming & Wohlfahrt 2001). Da die sozialräumliche Segregation in ihren Folgewirkungen entscheidend von sozioökomischen Faktoren abhängig ist, ist es nicht überraschend, dass sich die Wirkungsbetrachtung auf den Tatbestand einer dauerhaften sozialräumlichen Ungleichheit einstellt und die politischen Einflussmöglichkeiten auf die Minderung segregierender Effekte als gering einstuft.2 Da die Ursachen für die sozialen Polarisierungen außerhalb der Sozialräume liegen, sind sie weder durch Maßnahmen der integrierten Stadtteilentwicklung noch durch Quartiersmanagement und ähnliche Versuche, den Sozialraum aufzuwerten, nachhaltig zu beeinflussen. 2
„Es bedarf realistischer Einschätzungen über die Wirkungsmöglichkeiten Segregation verhindernder politischer Instrumente, die eher begrenzt sind, die allerdings – soweit vorhanden – weiterhin genutzt werden sollten. Zukünftig wird es vor allem darum gehen müssen, mittels eines differenzierten Instrumentariums zu einer sozialen Stabilisierung von segregierten Wohnungsbeständen und Quartieren zu gelangen“ (ILS & ZEFIR 2003, S. 181).
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Norbert Wohlfahrt Teilhabe vor Ort als kommunalpolitische Reaktion auf die sozialen Gegensätze des Sozialraums
Politische Steuerung auf kommunaler Ebene war zu Beginn der 1970er Jahre zu einem guten Teil Bestandteil der Globalsteuerung in einem organisierten Wohlfahrtskapitalismus (mixed economy), in dem Staat, Unternehmen und Gewerkschaften eng kooperierten. Die Globalsteuerung versprach, mittels marktkonformer Steuerungsinstrumente Konjunkturpolitik betreiben zu können und deshalb waren auch konservativ geführte Regierungen geneigt, um Stabilität und Wirtschaftswachstum zu fördern (oft entgegen ihren wirtschaftsliberalen Leitbildern), staatliche Planungs- und Steuerungsinstrumente zu implementieren (z. B. mittelfristige Finanzplanung, gesamtwirtschaftliche Nachfragesteuerung, Konzertierte Aktion u. ä.). Globalsteuerung war dem Anspruch nach eine Mischung aus Konjunktur-, Wachstums- und Strukturpolitik, eine gesamtwirtschaftliche Prozesssteuerung mit marktkonformen Mitteln. Mit den nach der Ölkrise einsetzenden grundlegenden Umbauarbeiten am deutschen Sozialstaat wird das Konzept politischer Planung und zentralstaatlicher Steuerung aufgegeben und in Folge dessen wird schrittweise eine neue Sozialstaatsarchitektur entwickelt, die auch die kommunale Selbstverwaltung fundamental betrifft.3 Eine Folge dieser Entwicklung sind die nun schon seit Jahren beobachtbaren Dezentralisierungsprozesse, die – auf der Basis einer in ihren Handlungsfähigkeiten drastisch eingeschränkten kommunalen Selbstverwaltung – zu so etwas wie einer Renaissance politischer Steuerung auf kommunaler Ebene geführt haben. Die wachsenden sozialen Gegensätze in der Gesellschaft hatten zur Folge, dass sich bereits bestehende soziale Problemlagen verfestigten und zu eskalieren drohten. So kam ein Gutachten für die Enquete-Kommission des Landtags NRW zu der Schlussfolgerung, dass einige Stadtteile „innerhalb kurzer Zeit einen so ungewöhnlich hohen Anstieg an Armutssegregation erlebt haben, dass sie in der Gefahr stehen zu ‚kippen‘“ (Meyer et al. 2003, o. S.). In Folge dessen wurde die Leitvorstellung einer sozialen Durchmischung von Stadtquartieren, die lange Zeit federführend für die Stadtentwicklungspolitik war, aufgegeben und ein neues Leitbild „sozial stabiler Nachbarschaften und Quartiere“ (Meyer et al. 2003, S. 181) als realistischere und problemangemessenere Variante in die Diskussion gebracht.
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So beinhaltete das gesellschaftliche Gestaltungskonzept der Regierung Kohl vor allem eine stärkere nationale Standortpolitik, eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, Senkung der Unternehmenssteuern, Entstaatlichung und Entkommunalisierung, das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit. Der Wirtschaft sollte die Möglichkeit eröffnet werden, zentrale staatliche und wirtschaftliche Aufgaben an sich zu ziehen (Wohlfahrt & Zühlke 2005).
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Die Wirkungslosigkeit der Einflussnahme auf marktvermittelte Selektionen produzierte auf diese Art und Weise eine neue Wirkungslogik dezentraler Sozialraumarbeit. Die Austeritätspolitik im Gefolge der Finanzkrise von 2008 verstärkt den Dezentralisierungstrend.4 Lokale Akteure, so die leitende Idee einer sozialraumbezogenen Dienstleistungspolitik, können besonders wirksam zur Lösung der vor Ort auftauchenden Problemen beitragen, weil sie fundierte Einblicke und eine Übersicht über die örtlichen Gegebenheiten haben und daher am besten wissen, wie die zur Verfügung stehenden Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen sind. Nur vor Ort, so die vielfach geäußerte Überzeugung, können die richtigen Antworten auf die bildungs- und dienstleistungspolitischen Herausforderungen gegeben werden, weil dort unmittelbar an den Lebenswelten von Kindern, Jugendlichen, Familien, Erwerbslosen, Langzeitarbeitslosen u. ä, Gruppen angeknüpft werden kann. Nur wenn die lokalen bzw. regionalen Lebenswelten in den Blick genommen werden, könne es gelingen, den Automatismus von Arbeitslosigkeit, Armut oder Bildungserfolg und sozialer Herkunft zu entkoppeln und eine Teilhabe an Arbeit und Bildung bzw. den Zugang zu ihr für alle zu ermöglichen. Die Sozialpolitik produziert durch diese Dezentralisierung ein neues Leitbild (insbesondere für die kommunale Ebene), das sich auch als eine neue Steuerungsform der Erbringung von Sozialpolitik kennzeichnen lässt: Teilhabe vor Ort. Tatsächlich führt die Politik der Kommunalisierung und Dezentralisierung dazu, dass die Ausgestaltung der kommunalen Daseinsvorsorge zunehmend von Faktoren abhängig wird, die in ihrer Gesamtheit die schon vorhandenen Unterschiede zwischen den Kommunen, aber auch zwischen Stadt und Land erheblich verschärfen. Hierzu gehören neben der kommunalen Haushaltssituation, die die ‚reichen‘ Kommunen von dem Rest der ‚armen‘ Kommunen scheidet, auch die vor Ort vorhandenen und aktivierbaren zivilgesellschaftlichen Ressourcen, von den sozialwirtschaftlichen Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege bis zu sport- und kulturpolitischen Initiativen. Die kommunale Selbstverwaltung versteht sich in erster Linie als ein ‚Konzern Stadt‘, für den Markt- und Wettbewerbsorientierung an oberster Stelle stehen. Dies bezieht sich auf alle Politikbereiche, darunter besonders in den Bereichen der Versorgung mit kollektiven, traditionell öffentlichen Gütern und Dienstleistungen. Die Kommunen sind Vorreiter bei der 4
Diese Entwicklung beinhaltet auch die Höherzonung von und Zentralisierung von Steuerungsaufgaben, indem z. B. Grundsätze und Ziele der Stadtentwicklungspolitik, der kommunalen Wirtschafts- Sozial- und Bildungspolitik von den Landesparlamenten diskutiert und beschlossen werden. Konkrete Leistungsziele und Förderinhalte werden auf Landesebene entwickelt und in Modellprojekte umgesetzt, deren konkrete Handhabung dann auf kommunaler Ebene gestaltet wird. Dieses Implementationsmanagement nimmt häufig technokratische Züge an, da die strategischen Ziele längst überörtlich definiert sind oder die lokalen Modernisierungszwänge Alternativen kaum möglich machen.
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Norbert Wohlfahrt
Privatisierung, Teilprivatisierung oder ‚Outsourcing‘ von ehemals kommunalen Wohnungsgesellschaften, Stadtwerken, Energieversorgung, Nahverkehrsbetrieben u. a. m. Es wäre verfehlt, die Kommunen als getriebene Opfer der zentralstaatlich veranlassten ökonomischen und sozialpolitischen Umbaumaßnahmen zu betrachten: Sie sind selbstbewusste Subjekte und Akteure der sozialstaatlichen Veränderungen und setzen im Vertrauen auf die Wirkung einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik auf die heilsamen Instrumente der Steuerentlastung, Unternehmensförderung, infrastrukturellen Ausdünnung und Senkung der Sozialleistungsquote. Das dies nicht ohne Folge für die städtischen Quartiere und ihre Bewohnerinnen und Bewohner bleiben kann, liegt auf der Hand und führt zur Produktion eines sich den neuen Realitäten stellenden Leitbilds kommunaler Sozialpolitik. Die Teilhabe an den so produzierten städtischen Quartiersbedingungen ersetzt das alte Ziel einer auf sozialen Ausgleich ausgerichteten Infrastrukturpolitik und schafft damit neue Herausforderungen für die lokale Quartiersentwicklung. 3
Quartiersmanagement als Instrument sozialräumlicher Exklusionsvermeidung?
Quartiersmanagement wird gewöhnlich als eine intermediäre Instanz beschrieben (Krummacher, Kulbach, Waltz & Wohlfahrt 2003). Vereinfacht ausgedrückt ist damit gemeint: Quartiersmanagement soll ‚Brücken- oder Mittlerinstanz‘ sein, d. h. zwischen den Bewohnergruppen, dem politisch-administrativen System, dem privaten Wirtschaftssektor (lokale Ökonomie) und anderen lokalen Akteuren (Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Vereine etc.) vermitteln, Kooperationen, Vernetzungen anregen, ‚stille‘ Ressourcen und Potenziale aktivieren (Ideen, Geld, professionelles und ehrenamtliches Engagement). Mit der Formel ‚Gutes Leben beginnt im sozialen Quartier‘ wird ein Perspektivenwechsel im Denken und Handeln verlangt, der die Handlungsfähigkeit der Kommunen bzw. Stadtteile für die Menschen vor Ort sicherstellen soll. „Wohnen“ soll als Gemeinschaftsaufgabe verstanden werden, um die Lebensverhältnisse in den „Keimzellen gesellschaftlichen Zusammenhalts“ zu verbessern (FriedrichEbert-Stiftung 2016). Die ‚Quartiersrendite‘ bemisst sich nicht an monetärer Verzinsung, sondern an positiven Auswirkungen auf das Bildungsniveau, die Teilhabe und die Gesundheit über Generationen hinweg. Kirchen, Ehrenamtliche, zivilgesellschaftliche Initiativen und natürlich auch die Wohlfahrtsverbände sind aufgefordert, Quartiere zu einem tragfähigen Netz zu entwickeln. Sozialraumorientierung und Quartiersmanagement treten damit in der Umsetzung auch ‚fordernd und fördernd‘ gegenüber gesellschaftlichen Institutionen
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auf, die bislang als selbstverständliche Partner des lokalen Staats und seiner Administration galten. Während im Bereich der Leistungsgewährung der organisierte Wettbewerb zu einer Auflösung des traditionellen Subsidiaritätsprinzips und damit zu einer Schwächung wohlfahrtsverbandlicher Handlungsfähigkeit führt (Dahme, Kühnlein & Wohlfahrt 2005), wird andererseits die Zivilgesellschaft und das Bürgerschaftliche Engagement als Ressource kommunaler Aufgabenbewältigung aufgewertet und im Leitbild Bürgerkommune offensiv ein Ko-Management propagiert, um „Gemeinsinn zu wecken und sonst nicht mehr finanzierbare Leistungen zu ermöglichen und aufrechtzuerhalten“ (KGSt 1999, S. 16). Auch die vor Ort vorhandene und oftmals zufällig gewachsene soziale Infrastruktur wird einer neuen Zielsetzung unterworfen: Diese geraten in den Verdacht, ein zu hohes Maß an Einzelfallbezug, individueller Förderung und Spezialisierung entwickelt zu haben. Die Aufforderung ergeht an die Regeleinrichtungen im Sozialraum (Kindertagesstätte, Schule, die Einrichtungen des so genannten Übergangssystems) ihren erzieherischen und bildungspolitischen Auftrag neu zu definieren und präventiv im Sozialraum zu wirken. Indem die vor Ort (im Quartier) vorhandenen Ressourcen nunmehr als Faktoren begriffen werden (sollen), die einen produktiven Beitrag zur Gesamtentwicklung der lokalen Gemeinschaft (und eben nicht nur zur kompensatorischen Bearbeitung sozialer Probleme) liefern, wird Quartiersarbeit an einem neuen Maßstab gemessen: der Beitrag den sie zur Steigerung des Gemeinwohls leisten kann. Anstatt „die traditionelle Umverteilungspolitik munter fortzusetzen“ (Kehl, Gänzel, Then & Mildenberger 2016, S. 9), soll im Quartiersmanagement ebenso wie in der Sozialraumpolitik ein neues Leitbild zum Tragen kommen, dass die ‚Teilhabe vor Ort‘ im Sinne einer ‚inklusiven‘ Verbesserung der Lebenslage zur Zielsetzung erklärt. Quartiersarbeit wird damit in eine Förderung und Stärkung individueller Ressourcen umgedeutet, die es durch Kooperation, Netzwerkbildung und Herstellung von Gemeinschaftlichkeit zu flankieren gilt. Zugespitzt formuliert: Software ersetzt Hardware. Zugleich dehnt die kommunale Sozialpolitik ihren Steuerungsanspruch, den sie im Bereich der Leistungsgewährung durch Controlling, Qualitätsmanagement und Wirkungssteuerung zur Geltung zu bringen versucht, auch auf die in der ‚neuen Subsidiarität‘ handelnden zivilgesellschaftlichen Akteure aus. Die Frage, ob die öffentlichen Ressourcen, die durch soziales Handeln verbraucht werden, auch wirken – zugespitzt gesprochen: sich rechnen – wird zu einem Kernthema neuer lokaler Sozialstaatlichkeit (zur Geschichte und sozialpolitischem Hintergrund: Burmester & Wohlfahrt 2018a).
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Norbert Wohlfahrt Widersprüchlichkeiten der Wirkungsbetrachtung in der Quartiersentwicklung
Wirkungsbetrachtungen – soweit sie das Feld sozialpolitischer Maßnahmen berühren – bewegen sich grundsätzlich im Spannungsfeld sozialpolitischer Zielsetzungen und darauf aufsetzender operativer Programme oder Aktivitäten, deren Erfolg überprüft werden soll. Wirft man z. B. einen Blick auf die Wirkungsforschung im Bereich des SGB II, dann wird die Abhängigkeit der Wirkungsfrage von sozialpolitischen Zielsetzungen und Vorgaben besonders deutlich: Mit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Jahr 2005 sind die Unterstützungsleistungen der Grundsicherung vollständig von einer etwaigen zuvor ausgeübten Beschäftigung entkoppelt und sollen die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums ermöglichen. Oberstes Ziel des SGB II ist es, die Arbeitsmarktintegration der Leistungsberechtigten zu fördern. Diese unterschiedlichen Ziele bestimmen natürlich die Wirkungsforschung. Sinken die Löhne, verändert sich die sowieso schon heterogene Zielgruppe. Wenn ich als Integrationswirkung bestimme, ob dieselbe Person ohne die Maßnahmenteilnahme schneller oder langsamer eine Erwerbstätigkeit hätte aufnehmen oder die Hilfemaßnahme beenden können, dann verfolge ich einen anderen Wirkungspfad als bspw. die Frage, ob die Integration in Erwerbsarbeit auch die gesellschaftliche Teilhabe erhöht oder zur Steigerung der individuellen Lebensqualität einen Beitrag liefert. Die Verquickung der Wirkungsfrage mit Fragen der Kostensteuerung und Entlastung von Transferleistungen ist in, aber keineswegs selbstverständlich. Was aber heißt Wirkung? In einer Definition von Tornow heißt es: „Wirkung ist ein Differenzmaß zwischen einem (den Bedarf feststellenden) Eingangsstatus und einem (hoffentlich besseren) Endstatus“ (Tornow 2007, S. 107). Die von Tornow gewählte Definition unterstellt eine Beziehung zwischen verschiedenen Akteuren (wer stellt den Bedarf fest? Wer definiert den Endstatus? Wer leistet was zur Erzeugung der Differenz?), die auf Besonderheiten sozialstaatlicher Leistungserbringung hinweist. Die Festlegung, welche Dimensionen in der Wirkungsbetrachtung zur Beurteilung der Differenzerzeugung herangezogen werden, ist nicht unerheblich. Die Wahl der Ziele bestimmt wesentlich die Wirksamkeit der Leistungen und im Verhältnis von Leistungsträger und Leistungserbringer können nur Wirkungsziele relevant sein, die tatsächlich durch das Handeln der Leistungserbringer beeinflussbar sind. Bestimmt man Wirkungsbetrachtungen aus fachlicher Sicht, dann lassen sich diese in erster Linie als ein Instrument reflexiver Selbstvergewisserung bestimmen. Dabei können sie verschiedenen Zielsetzungen dienen:
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In Wirkungsanalysen können Widersprüche zwischen den Zielsetzungen einer sozialpolitischen Maßnahme und ihrer Umsetzung aufgedeckt und datengestützt hinterfragt werden. Die Begründung von Zielabweichungen kann auch zur politischen Legitimation genutzt werden;5 Die Wirkungsbeobachtung kann als Instrument der kritischen Hinterfragung und Verbesserung des fachlichen (professionellen) Handelns dienen. Sie liefert Informationen über die Wahrnehmung von Maßnahmen durch die Betroffenen und die Vergleichbarkeit von Hilfen und dient damit der laufenden kritischen Überprüfung der Angemessenheit sozialer Interventionen: Insofern kann die Wirkungsanalyse auch der Entwicklung und Reflexion von Standards dienen.6
Betrachtet man die Wirkungsanalyse als ein Instrument zur Feststellung nachweisbarer Interventionseffekte, dann ergibt sich ein anderer Blick auf Wirkungen: Während die Qualitätsdebatte noch primär von den sozialen Dienstleistungen ausgeht und Richtlinien und Kontrollinstrumente für professionelle Arbeit entwickeln will, fokussiert die Wirkungsmessung auf Effekte, die bei der Zielgruppe sozialer Interventionen feststellbar sind (Bleck & Liebig 2015). Nur wenn die Maßnahmen geeignet sind, in ausreichendem Umfang beabsichtigte (und möglichst schon im Programm festgelegte) Wirkungen bei der Zielgruppe zu generieren, sind sie aus dieser Perspektive heraus wirksam: Interventionen in sozialen Räumen werden in der Regel plausibel als Möglichkeit dargestellt, Einstellungen und/ oder Verhalten von Menschen in mehr oder weniger genau umschriebenen Situationen zu ändern. Dies gilt ebenso für anreizende wie für abschreckende Maßnahmen. Man setzt dabei die Zielsetzung, dass darauf plausibel ausgerichtete Konzept für eine Intervention und die Durchführung der Intervention in ein Verhältnis zu einander stehen.
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In den Worten eines Mitarbeiters in der Jugendhilfe: „Die Kostenträger sehen es ganz gerne, dass wir uns mit dem Thema kostenneutral auseinandersetzen. In Gesprächen mit der Jugendamtsleitung haben wir das mal angesprochen. Der JA-Leiter sagte dann: „wenn sie mir sagen können, wie lange das im Durchschnitt dauert mit der Maßnahme und wenn sie mir sagen können, was dabei herauskommt, dann geben sie mir das. Damit gehe ich zu meinem Kämmerer, dann habe ich wenigstens mal was. Ich kann sonst ja immer nur im Konjunktiv mit dem reden.“ In den Worten eines Sozialarbeiters: „Die Instrumente sind auf jeden Fall geeignet dafür, die Einschätzungen zu versachlichen, aus einer Beliebigkeit herauszuholen und damit auch zum Thema zu machen. Und es schärft meinen Blick: Erreiche ich die Zielgruppe? Wie häufig sieht es mit bestimmten Symptomatiken im Bundesvergleich aus? Usw. Da ist erst mal einiges in den Instrumenten sich anzuschauen und Hinweise auf Problemfelder zu bekommen, aber nicht nur auf der Wahrnehmungsebene, sondern zu sagen, wir machen jetzt was, was zur Versachlichung beiträgt. Dazu ist es hilfreich. Was die Bewertung anbelangt, die vielerorts gerne gemieden werden, das krankt daran, dass es keine gemeinsame Fachlichkeit als Nenner gibt. Es ist beliebig. Und da sind diese Instrumente hilfreich für die Weiterentwicklung.“
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Norbert Wohlfahrt
Unterstellt wird, dass die Intervention das Ziel, das sie erreichen soll, auch erreicht. Eigens untersucht und nachgewiesen wird dies (normalerweise) nicht. Das nachgewiesene Erbringen der ursprünglich geplanten Leistungen gilt bereits als Erfolgsindikator. Eher selten wird auch noch die Nachfrage nach der angebotenen Leistung dokumentiert. Nicht überprüft wird in der Regel, ob es tatsächlich einen messbaren Zusammenhang zwischen Intervention und Realisierung der Interventionsziele gibt. Damit bleibt man beim Output von Interventionen stehen, überprüft aber weder ihren Outcome noch ihren Impact (CEFAS 2013). Die übliche Vorgehensweise bei quartiersbezogenen Wirkungsbetrachtungen wird in diesem Zitat auf unzulässige Weise verkürzt. Denn – um ein Beispiel zu nennen – bei der Frage der Verbesserung der Versorgungssituation von Sinti und Roma im Dortmunder Norden werden keineswegs nur die Interventionen, also der Output, in den Blick genommen, sondern betrachtet, ob durch die Interventionen bspw. eine Unterversorgung von Kindern verhindert werden konnte oder die Zugänglichkeit zu sozialen Diensten verbessert werden konnte (Outcome). Die Frage nach dem gesellschaftlichen Mehrwert (Impact) stellt sich allerdings nicht, weil es sich bei den stadtteilbezogenen Maßnahmen um kein Investment handelt (das einen Überschuss erzielen soll), sondern um eine kompensatorische Hilfeleistung für eine besondere Zielgruppe im Sozialraum. Dass hier öffentliche Gelder verbraucht werden (also in den individuellen Konsum übergehen) ist für die beteiligten Sozialarbeiter*Innen selbstverständlich und stellt wirkungsanalytisch kein Problem dar. Betrachtet man sozialraumbezogene Hilfen allerdings als Sozialinvestition, dann richtet sich die Wirkungsanalyse nicht nur darauf, ob das mit der Intervention eigentlich intendierte Ziel überhaupt erreicht worden ist, sondern auch ob es nachweisbar einen Zusammenhang zwischen erbrachten Leistungen und Zielerreichung gibt. Indem die ‚Maßnahmen‘ in einen kausalen Zusammenhang zu den zu erreichenden Zielen gesetzt werden, wird die Wirkungsbetrachtung nicht mehr als reflexives Instrument der Überprüfung und sachlichen Vergewisserung des beruflichen und sozialen Handelns gehandhabt, sondern als Antwort auf die Frage nach dem Ertrag einer sozialen Intervention, den sie bei der Zielgruppe erreicht. Das ist mehr als eine Akzentverschiebung. Die Forderung des ‚nachgewiesenen Erbringens der ursprünglich geplanten Leistung‘ betrachtet die soziale Intervention als funktionellen Vollzug eines sozialpolitischen Programms, dessen produktiver Ertrag bereits durch die Zielvorgaben gegeben ist (und damit durch soziale Interventionen lediglich eingelöst werden muss). Sieht man einmal davon ab, dass ein Kausalitätsnachweis zwischen Intervention und Ergebnis schlicht nicht zu führen ist (Burmester & Wohlfahrt 2018a), dann bewegt sich diese Art von Wirkungsbetrachtung in dem fortwährenden Widerspruch, die sozialpolitischen Voraussetzungen ihres Handelns als dogmatische Vorgabe der Erzeugung von Wirkungen zu
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behandeln. Dabei sollte die Wirkungsanalyse doch ursprünglich diesen Dogmatismus in Frage stellen und die Aufmerksamkeit auf Alternativen lenken.7 Von einem solchen positivistischen Wirkungsverständnis ausgehend ist es dann nur noch ein kleiner Schritt dahin, die soziale Intervention selbst als einen Vorgang zu begreifen, der ein Mehr an sozialer und gesellschaftlicher Wohlfahrt produziert, das schlussendlich auch noch gemessen und (monetär) bewertet werden kann. Kompensatorische Sozialleistungen, die den Steuerzahler Geld kosten, werden in ein Investment umgedeutet, dessen Return dann dem Kostenträger als Surplus seines sozialpolitischen Engagements angedient werden kann. Wenn er es denn glaubt. Der legitimatorische Charakter (es geht ja um Geld), den die Wirkungsanalyse immer schon hatte, wird radikalisiert, was aber letztlich folgenlos bleibt, weil die Probleme ja nicht beseitigt werden (können).8 Es ist nur konsequent, dass durch immer verfeinerte Methoden der Wirkungssteuerung (als Goldstandard gelten hier randomisierte Kontrollgruppenstudien) der Schein einer nachweisbaren Wirkungserzeugung objektiven Charakter erhalten soll. Dabei ist die Sache doch ganz einfach: Natürlich erzeugt die Einrichtung einer Tafel Wirkungen bei Menschen, die kein Geld für Lebensmittel haben. Und je mehr Menschen davon in einem Quartier betroffen sind, desto höher ist die Nachfrage bei der Tafel. Das lässt sich auch messen. Aber – und das führt zu der entscheidenden Frage – welche Probleme werden denn durch die massenhafte Verbreitung eines solchen Angebots sozialpolitisch gelöst? Der Widerspruch quartiersbezogener Wirkungsbetrachtungen, dass die sozialen Interventionen auf Folgen reagieren, die sie nicht beeinflussen können, lässt sich nicht auflösen und bestimmt das Wirkungsgeschehen in seinem Hin- und Her von Steuerungsanspruch der Geldgeber und sich legitimierenden verbandlichen oder zivilgesellschaftlichen Strukturen der Quartiersarbeit.
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Dies gilt sowohl für die These des ‚Technologiedefizits‘ in der ursprünglichen (auf Koproduktion abhebenden) Wirkungsdebatte (Luhmann 1981) als auch für die Anfänge der Evaluationsforschung, die sich immer stärker zur Leistungsmessung politisch-administrativ verordneter Wirkungen entwickelt hat. Evaluation diente ursprünglich dem Anliegen, zuverlässiges Wissen über das staatliche Handeln und seine Wirkungen in der Sozialpolitik, der Infrastrukturentwicklung, der Stadtentwicklung wie der Raum- und Regionalplanung zu generieren (Wollmann 2004). Vgl. zu dieser Paradoxie wirkungsgesteuerter sozialer Interventionen Burmester & Wohlfahrt (2018b). Während z. B. in einem Londoner Quartier wirkungsüberprüft die Wohnungslosenquote gesenkt werden soll, steigt diese gesamtstädtisch gleichzeitig auf Grund der Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt.
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Norbert Wohlfahrt Schlussbemerkung: Wie wirkt Quartiersarbeit?
Quartiersarbeit ist in seiner Wirkung von einer Vielzahl von Einflussfaktoren abhängig. Hierzu gehören die Dauerhaftigkeit der Förderung von Stadtteilarbeit durch die lokale Politik, die Kombination von städtebaulichen Maßnahmen mit Gemeinwesen bezogenen Aktivitäten, die Unterstützung sozialer Bewegungen und Aktionsformen im Quartier, die Kooperation von Verwaltung mit Initiativen und freien Trägern im Stadtteil, die sichtbare Existenz einer stadtteilbezogenen Anlauf- und Beratungsstelle, die Sicherstellung des Informationstransfers zwischen der örtlichen und der gesamtstädtischen Ebene u. a. m. Professionelle Arbeit im Quartier versteht sich nicht als verlängerter Arm des Behördenhandelns oder Inklusionsersatz für gesellschaftlich verursachte Exklusionen, sondern als intermediäre Instanz der Unterstützung von Bewohner*Inneninteressen und ihrer Vermittlung mit politisch-administrativen Routinen der Problembearbeitung. Fachkräfte im Quartier konzentrieren sich deshalb • • • • •
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auf das Anregen von Aktivitäten, die Unterstützung und Beteiligung von Bewohnern, aber auch von anderen lokalen Akteuren; Sie erfassen und bündeln ortsbezogene Themen und Interessen, mobilisieren bzw. ermuntern die Menschen und Akteure, sich für ihre eigenen Belange zu engagieren und zu organisieren; Sie leiten – so vorhanden – Stadtteilbüros, stellen Informationen und Beratungen für einzelne Bewohner, Vereine, Initiativen, Akteure und Institutionen sicher; Sie sind die zentrale Kontakt- und Anlaufstelle im Quartier. Sie wirken im Dialogmanagement, indem sie Ideen zu Projekten entwickeln, Dialoge im Stadtteil moderieren und Konflikte zwischen den verschiedenen Ebenen von Politik, Verwaltung und Bewohnerinteressen im Quartier aufgreifen U. a. m.
Die Wirkungen, die durch dieses Handeln ausgelöst werden, sind wiederum von einer Reihe von Variablen abhängig, die durch die Quartiersarbeiter nur begrenzt beeinflussbar sind (Dauerhaftigkeit der Förderung, Konzeptionen der Quartierserneuerung, Stabilität der vorhandenen Organisations- und Vernetzungsstrukturen, Unterstützung durch den Rat; quartiersbezogene Sozialraumanalyse usw.). So betrachtet ist nicht zu bezweifeln, dass Quartiersarbeit etwas bewirkt. Unter Rückgriff auf eine bereits 1983 erschienene Studie von Stephan Wolff könnte man diese Wirkung abstrakt als „Produktion von Fürsorglichkeit“ bezeichnen (Wolff 1983). Kennzeichnend für die Produktion von Fürsorglichkeit ist, dass
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diese nur im begrenzten Maß im Rahmen strukturell eindeutig vorgegebener Versorgungsketten abgewickelt wird. Die eigentlichen Produktionseinheiten stellen hybride Kontexte dar, die sich relativ unabhängig von offiziellen Organisationsgrenzen bilden, diese können sich sogar als hinderlich darstellen. Es werden unterschiedliche Arten von Fürsorglichkeit produziert, die auf diverse Abnehmer von Leistungen ausgerichtet sind und auch ordnungs- und sicherheitspolitische Züge annehmen können. Abweichungen von administrativen Routinen und ‚Irrationalitäten‘ werden zunächst einmal als Lösungen und nicht als potentielle Ursachen oder als Ausdruck von organisatorischen Schwierigkeiten betrachtet. Die ‚Effektivität‘ des Handelns wird im Rahmen der Produktion von Fürsorglichkeit weniger durch die faktischen Ergebnisse, als durch die Art und Weise, in der die Arbeit mit den ‚Klienten‘ und den sonstigen bedeutsamen Akteuren gestaltet wird, bestimmt. Eine solche Betrachtung von Quartiersarbeit als Produktion von Fürsorglichkeit hat unmittelbare Konsequenzen für die Wirkungsanalyse: „Eine wirkliche ‚Evaluation‘ anhand derartiger Kriterien (gemeint sind Dienstanweisungen, Verwaltungsvorgaben, Jahresberichte etc., N.W.) würde voraussetzen, dass man objektiv bestimmen könnte, was fehlt, wie man dieses Problem qualitativ und quantitativ anzugehen hat und wie man den Erfolg der entsprechenden Intervention misst, – und diese Voraussetzungen sind eben nicht gegeben. Alle diese Größen sind letztlich politische Festsetzungen, die das im jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhang als ausreichend und akzeptabel geltende Maß an öffentlich produzierter Fürsorglichkeit definieren“ (Wolff 1983, S. 70).
Bestimmt man Quartiersarbeit in diesem Sinne als eine fürsorgliche Tätigkeit, in der sich Momente des Kümmerns, Aufpassens, Entdeckung von Bedarfen, Aktivierung von Infrastrukturen, Vermittlung mit politisch-administrativer Problembearbeitung etc. ineinander verschränken, dann besteht ihre Wirkung gerade darin, dass sie durch das organisationsstrukturell unterfütterte Ausgerichtetsein auf Bedarfe und den Bedarfsfall ihr Erfolgs- und Gütekriterium nicht aus der Leistung, sondern aus der Bereitschaft zur fürsorglichen Aktion bezieht. Dabei sind für diese Form der Produktion von Fürsorglichkeit organisatorische Arrangements erforderlich, die gerade nicht im Sinne der operativen Logik marktlich oder wettbewerblich erbrachter Dienstleistungsproduktion funktionieren (was übrigens für das Konzept der Sozialanwaltschaft im Rahmen der traditionellen Wohlfahrtspflege genau so galt). Wer glaubt, den Wert dieser Form von sozialer Dienstleistungsarbeit objektiv bestimmen und nachweisbar machen zu können (zu müssen), hat den Witz der Sache nicht verstanden.
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Norbert Wohlfahrt
Literatur Bleck, C. & Liebig, R. (2015). Diskussionszusammenhänge und Zugänge zu Resultaten Sozialer Arbeit. Blätter der Wohlfahrtspflege, 5 (162), S. 163–169. Burmester, M., & Wohlfahrt, N. (2018a). Wozu die Wirkung sozialer Arbeit messen? Eine Spurensuch. In Deutscher Verein (Hrsg.), Soziale Arbeit kontrovers, Heft 18, Freiburg im Breisgau. Burmester, M. & Wohlfahrt, N. (2018b). Der Social Impact Bond: Konzept und Implementierung. In Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Working Paper Forschungsförderung, 89, Düsseldorf. Centrum für Altersstudien (CEFAS). (2013). Wirkungsmessung der Seniorenarbeit der Stadt Langenfeld, Köln. https://core.ac.uk/download/pdf/33335616.pdf. Zugegriffen: 26. November 2018. Dahme, H.-J., Kühnlein, G. & Wohlfahrt, N. (2005). Wohlfahrtsverbände unterwegs in die Sozialwirtschaft. Berlin: Nomos. Dangschat, J. (2000). Segregation. In H. Häußermann (Hrsg.), Großstadt, Soziologische Stichworte. (2. Aufl., S. 207–220). Opladen: Leske + Budrich. Friedrich-Ebert-Stiftung. (2016). Das Soziale Quartier – Quartierspolitik für Teilhabe, Zusammenhalt und Lebensqualität. Bonn, Bad Godesberg. Fritz, H. & Thies, R. (1997). Armutsbekämpfung in benachteiligten Lebensräumen. Stadtteil- und brennpunktbezogene Strategien kommunaler Sozialpolitik und Sozialarbeit. In W. Hanesch (Hrsg.), Überlebt die soziale Stadt? Konzeption, Krise und Perspektiven kommunaler Sozialstaatlichkeit (S. 319–344). Opladen: Leske + Budrich. Hamm, B. & Neumann, I. (1996). Siedlungs- Umwelt- und Planungssoziologie. Opladen: Leske + Budrich. Kehl, K., Gänzel, G., Then, V. & Mildenberger, G. (2016). CSI-Transparenzgutachten: Möglichkeiten Wirkungen (in) der freien Wohlfahrtspflege zu messen. Berlin, Heidelberg: BAGFW. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt). (1999). Bürgerengagement – Chance für Kommunen, 6. Krummacher, M., Kulbach, R., Waltz, V. & Wohlfahrt, N., (2003). Soziale Stadt – Sozialraumentwicklung – Quartiersmanagement: Herausforderungen für Politik, Raumplanung und soziale Arbeit. Opladen: Leske + Budrich. Luhmann, N. (1981). Gutachten zur Diplom-Arbeit: Evaluation Sozialer Arbeit, Universität Bielefeld. Meyer, C. et al. (2003). Sozialraumanalyse – Soziale, ethnische und demografische Segregation in den nordrhein-westfälischen Städten: Gutachten für die Enquetekommission „Zukunft der Städte in NRW“ des Landtags Nordrhein-Westfalen. Dortmund: ILS & ZEFIR. Tornow, H., (2007): WIMES als Methode zur trägerübergreifenden Wirkungsevaluation in Düsseldorf, in: Verein für Kommunalwissenschaft e.V. (Hrsg.), Mythos wirkungsorientierte Steuerung, Berlin, S. 107–113. Wohlfahrt, N., & Zühlke, W. (2005). Ende der kommunalen Selbstverwaltung, Zur politischen Steuerung im „Konzern Stadt“. Hamburg: VSA.
Wirkungsvolle Sozialraumpolitik?
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II Wirkung und Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit
Wirkung sozialer Dienstleistungen – Reflexionen zu einem uneindeutigen Begriff Monika Burmester
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Einleitung
Der Begriff der Wirkung spielt im aktuellen Diskurs um die Bewertung und Steuerung der sozialen Dienstleistungsproduktion eine nicht unerhebliche Rolle. Dieser Diskurs ist stark von ökonomischen Vorstellungen geprägt, obwohl Wirkung als Ziel ökonomischen Handelns in der ökonomischen Theorie eigentlich nicht Gegenstand ist. Ökonomisch ist der Nutzenbegriff relevant: Marktteilnehmer sind als Nutzenmaximierer unterstellt, die ihre Entscheidungen auf Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen treffen. Im Gesundheitswesen gibt es bereits seit längerer Zeit Vorgaben für die Bewertung von Wirksamkeit und Nutzen z. B. von neuen Medikamenten. Anders sieht das in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern aus, die dem Sozialwesen zugerechnet werden. Hier gibt es durchaus eine Tradition der Wirkungsforschung, deren Zielsetzung sich in den letzten Jahren aber verändert hat. Zunehmend rücken Belege für die Wirksamkeit und Effizienz von Interventionen in den Fokus von Wirkungsanalysen, die auch seitens der Politik und des Gesetzgebers eingefordert werden (z. B. im Bundesteilhabegesetz (BTHG)). Welche Vorstellungen über Wirkung gibt es, und wie wird Wirkung in dem aktuellen Fachdiskurs um wirkungsorientierte Steuerung interpretiert? Auf welcher Ebene soll Wirkung erfasst werden und welches Wirkungsverständnis liegt den verschiedenen Ansätzen jeweils zugrunde? Darüber gibt es im Fachdiskurs divergierende Vorstellungen. In diesem Beitrag geht es zunächst (Kapitel 2) um eine Auseinandersetzung mit dem Wirkungsbegriff. Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen für Wirkungsanalysen: Was ist in solchen Analysen zu beachten? Es folgen in Kapitel 3 kurze Skizzen ausgewählter Wirkungsmodelle, auf die in der Fachdebatte der Sozialen Arbeit und des Sozialmanagements Bezug genommen wird. Auf Unterschiede in der Interpretation der in diesen Modellen verwendeten Begriffe für Wirkungen wird ebenfalls eingegangen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_3
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Monika Burmester Wirkung – Ein facettenreicher Begriff
Jegliches Handeln bewirkt etwas, bringt Wirkungen hervor. Das gilt nicht nur für zweckrationales Handeln, das auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist. Auch unreflektiertes oder nicht zielgerichtetes Handeln führt zu Wirkungen. Allerdings ist das Ergebnis von Handlungen, das hier als Wirkung bestimmt ist, nicht zwingend die beabsichtigte Wirkung. Ein angestrebtes Ziel kann erreicht werden oder auch nicht. Der Wirkungsbegriff bezieht sich aber nicht nur auf Handlungen. Auch Witterungseinflüsse, wirtschaftliche Entwicklungen usw. zeigen Wirkungen. An diesen wenigen Überlegungen wird deutlich, wie schwierig es ist, den Wirkungsbegriff exakt zu fassen. Der Duden definiert Wirkung als „durch eine verursachende Kraft bewirkte Veränderung, Beeinflussung, bewirktes Ergebnis“ (Dudenredaktion o.J.). Die ‚verursachende Kraft‘ wird vielfach als Ursache bezeichnet. Sie kann ein (z. B. Natur-) Ereignis sein oder eine Handlung. Die Ursache führt zu einer Wirkung bzw. bringt sie hervor. Die Wirkung ist in der genannten Definition als Veränderung oder einfach nur als Ergebnis gefasst. Als Synonyme für Wirkung nennt der Duden u. a. Auswirkung, Effektivität, Erfolg, Leistung, (bildungssprachlich, Fachsprache) Effizienz (ebd.). Mit Wirkung kann mithin sehr Unterschiedliches gemeint sein. Während Auswirkung oder Ergebnis eher neutrale Begriffe sind, werden Effektivität, Erfolg oder Effizienz mit positiven Wertungen verbunden. Effektivität bezieht sich auf die Zielerreichung. In Bezug auf Soziale Arbeit meint Effektivität z. B., dass eine Intervention geeignet ist, um das damit angestrebte Ziel zu erreichen. Worin das Ziel besteht und wer es definiert, bleibt in dieser allgemeinen Aussage offen. Für den fachlichen Diskurs ist die Zielbestimmung aber nicht ganz unerheblich. Im Unterschied zur Effektivität bezieht sich Effizienz auf das ökonomische Verhältnis von Output (erbrachte Leistung) zu Input (Aufwand). Bei Effizienz geht es um Fragen wie: Wird ein bestimmtes Ziel mit dem geringstmöglichen Aufwand erreicht? Lassen sich mit den betrachteten sozialen Interventionen z. B. Sozialausgaben in der Zukunft vermeiden? Die Effektivitätsperspektive ist eher die der Fachlichkeit, also die von Fachkräften der Sozialen Arbeit und von sozialen Dienstleistern, während die Kostenträger großes Interesse an der Effizienzperspektive haben. Nach Macsenaere und Esser handelt es sich bei den beiden Begriffen um die beiden Ziele, die bei ‚dem neuen Fokus auf Wirkungsorientierung‘ differenziert werden müssen: • •
„die Effektivität des Handelns im Feld (…) und die Effizienz im Sinne der Verbesserung der Kosten-Nutzen-Relation“ (Macsenaere & Esser 2015, S. 15).
Wirkung sozialer Dienstleistungen
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2.1 Wirkung unterstellt Kausalität Wirkungen lassen sich auf Ursachen, Auslöser oder Impulse, also auf ‚eine verursachende Kraft‘, zurückführen. Der zwischen Ursache und Wirkung hergestellte Zusammenhang ist Ergebnis einer kognitiven Leistung, er ist folglich theoretisch begründet. Die Verknüpfung von Ursache und Wirkung oder die Erklärung der Wirkung über die Bestimmung der Ursache wird als Kausalität bezeichnet: „Wirkung bedeutet in der Wissenschaftstheorie das Ergebnis einer Ursache, eine Kausalität“ (Schneider 2011, S. 14). Eine vergleichbare Definition von Wirkung verwenden Macsenaere und Esser in ihren Untersuchungen zu Wirkfaktoren in der Erziehungshilfe: „Wirkung ist (…) als das Resultat eines durch einen ursächlichen Impuls hergestellten bzw. sichtbar gemachten Kausalzusammenhangs anzusehen“ (Macsenaere & Esser 2015, S. 12). Wird ein kausaler Zusammenhang behauptet, dann bezieht er sich nicht nur auf eine einmalige Beziehung, sondern auf eine Gesetzmäßigkeit: „Kausale Beziehungen weisen eine Verbindung von Ursache und Wirkung, eine chronologische Abfolge, stete Kopplung und notwendige Verknüpfung auf“ (Büttner 2014, S. 6). Es sind solche identifizierten oder durch Gewohnheit oder Erfahrung angeeigneten Gesetzmäßigkeiten, die in vielen Bereichen des Lebens die Folgen von Handlungen kalkulierbar machen. Kausalitätsvorstellungen basieren auf linearen Modellen nach dem Muster: Ursache führt zu Wirkung oder Wirkung lässt sich auf Ursache zurückführen. Die bestenfalls begrenzte Prognostizierbarkeit von Krankheitsverläufen, von Erwerbsbiographien, die auch stark von gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen beeinflusst werden, sind Beispiele für die Grenzen solch (einfacher) linearer Erklärungsmodelle. Büttner weist allerdings darauf hin, dass wir sehr im Denken von kausalen Beziehungen verhaftet sind: „Sobald wir (…) mit Problemen höhere Komplexität konfrontiert werden oder versuchen nicht lineare Systeme zu verstehen, bereitet uns dies Schwierigkeiten“ (Büttner 2009, S. 6). Wenn Wirkungen behauptet werden, dann sind eindeutige Beziehungen unterstellt: Ergebnisse bzw. Wirkungen lassen sich auf bestimmte (identifizierte) Ursachen, Impulse oder Aktivitäten zurückführen. Wie eindeutig, i. S. v. kausal, Wirkungen sozialer Interventionen nachgewiesen werden können, darüber existieren unterschiedliche Vorstellungen. Auf der theoretischen Ebene überwiegt eher die Skepsis: „Wo und wie lassen sich in komplexen sozialen Zusammenhängen eindeutige Kausalitäten erkennen und bewerten?“ (Schneider 2011, S. 14). Praktisch wird in den mittlerweile verbreiteten Bemühungen um den Nachweis von Wirkungen sozialer Interventionen vielfach dennoch auf einfache lineare Wirkungsmodelle zurückgegriffen, die sich in ihrer Grundstruktur grob folgendermaßen darstellen lassen:
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Monika Burmester Inputs werden im Dienstleistungsprozess eingesetzt mit dem Ziel der Bearbeitung eines sozialen Problems. Im Dienstleistungsprozess wird eine Leistung erbracht, der sogenannte Output. Outputs sind direkt messbare Leistungen (auch Ergebnisse genannt) wie z. B. Beratungseinheiten, Veranstaltungen, Maßnahmen. Outputs führen zu Ergebnissen, die als Wirkung bezeichnet werden.
In dieser einfachen Kausalkette führen soziale Dienstleistungen immer zu Wirkungen, die von Outputs, den einfach feststellbaren Ergebnissen des Leistungsprozesses, zu unterscheiden sind. Worin diese Wirkungen bestehen, was genau als Wirkung einer sozialen Dienstleistung gefasst werden kann, erschließt sich aus obiger Grobskizze nicht. Die im Folgenden skizzierten Modelle (vgl. Kap. 3) setzen durchaus unterschiedliche Schwerpunkte in der Bestimmung dessen, was als Wirkung betrachtet werden sollte. Nach Polutta muss Wirkung „als pädagogische Kategorie (…) diskursiv ‚vom Ereignis her‘ gefasst werden. W[irkung] im sozialpädagogischen Sinne zielt damit auf die Bearbeitung und Schaffung von Differenz“ (Polutta 2013, S. 1107). Diese fachliche Perspektive auf Wirkung stellt auf den Leistungsprozess ab. Sie unterscheidet sich von den aktuell im Zentrum der Wirkungsdebatte stehenden Konzepten der wirkungsorientierten Steuerung, die auf das Erreichen vorgegebener Ziele fokussieren und nicht mehr danach fragen, wie das vorgegebene Ziel erreicht wurde (Burmester & Wohlfahrt 2018). 2.2 Was Wirkungsnachweise schwierig macht Wirkungen als Ergebnis eines Ereignisses bzw. einer Handlung oder als ein beobachteter Zustand können beabsichtigt sein oder zufällig eintreten. Neben zweckrationalem Handeln führen auch unreflektiertes Verhalten oder gewohnheitsmäßiges Handeln zu Wirkungen, die wiederum intendiert oder nicht-intendiert sein können. Da Ergebnisse (i. S. v. Wirkungen) zudem von äußeren Einflüssen hervorgerufen werden können, garantiert die Absicht, eine bestimmte Wirkung erzielen zu wollen, nicht zwingend den Erfolg. Der theoretisch hergestellte Zusammenhang von Ursache und Wirkung ist also keineswegs immer empirisch nachweisbar: An einem beobachtbaren Zustand (oder Ergebnis) lässt sich nicht eindeutig erkennen, ob er (oder es) tatsächlich auf die diesen Zustand angestrebte Handlung zurückzuführen ist oder auf andere Einflüsse. Bei sozialen Interaktionen kommt hinzu, dass die Wirkung bzw. das Ergebnis von mehreren Akteuren (z. B. Fachkraft und Adressat) beeinflusst wird. Zudem wirken sich die Lebenswelten der Adressaten sowie weitere Umweltbedingungen aus, so dass die Effekte sozialer
Wirkung sozialer Dienstleistungen
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Interventionen nur schwer zu identifizieren sind. Daher ist im Sozialbereich die Auffassung verbreitet, „dass angesichts des Fehlens konsistenter Ursache-Wirkungs-Bezüge in der sozialen Arbeit nur auf der Ebene von Plausibilitätsannahmen von Wirksamkeit einer Maßnahme bzw. einer Hilfe gesprochen werden kann“ (Macsenaere & Esser 2015, S. 13, H.i.O.). Angestrebte Wirkungen werden im Sozial- und Gesundheitswesen als positiv angenommen. Aus der Medizin ist hinlänglich bekannt, dass bspw. Medikamente beabsichtigte (positive) Wirkung haben, dass sie aber gleichzeitig eine Reihe mehr oder weniger gravierender i. d. R. negativer (Neben-)Wirkungen haben können. Bei der Beurteilung bzw. Evaluation von Wirkungen einer Intervention, Therapie oder Maßnahme ist also nicht nur die Frage nach der beabsichtigten Wirkung zu stellen. Werden als „Wirkungen alle Veränderungen, die nach einer Intervention (Maßnahme) auftreten“ gefasst, dann gehören dazu „auch nicht erwartete und unerwünschte Wirkungen. Wirkungen umfassen somit die intendierten, nicht-intendierten, positiven so wie negativen, erwarteten oder unerwarteten Veränderungen, die in einer Wirkungsevaluation zu erfassen sind“ (Reade-Soh & Stockmann 2009, S. 3). Schließlich stellt sich in Wirkungsanalysen für den Sozialbereich die Frage, wer die Definitionsgewalt über die anzustrebenden Wirkungen hat. Kostenträger, Leistungserbringer und deren Fachkräfte sowie Adressaten sozialer Leistungen verfolgen oftmals unterschiedliche Interessen, die auch gegensätzlich sein können. Daher stimmen sie in ihren Erwartungen an soziale Dienstleistungen und deren Wirkung nicht unbedingt überein. Sie können daher durchaus an verschiedenen Wirkungen interessiert sein. Diese Mehrdimensionalität wird in einigen der im Folgenden angesprochen Wirkungsmodelle explizit berücksichtigt. 3
Wirkung modellieren
Die methodischen Ansprüche an Wirkungsevaluationen sind hoch. Im Gesundheitswesen gelten randomisierte kontrollierte Studien (Randomized Controlled Trials, RCT) als „grundlegende Voraussetzung für einen Kausalitätsnachweis“ (IQWiG 2017, S. 9). Studien, in denen mit Kontrollgruppen gearbeitet wird, sind aufwendig und entsprechend kostspielig. Zudem gibt es eine methodische Kritik auch an solchen Studien, die ihre Tauglichkeit für Wirkungsaussagen für den Sozialbereich in Frage stellt: Weil mit RCTs – wie auch mit anderen Verfahren zur Wirkungsmessung – lediglich die interne Validität gemessen wird, können bereits geringfügige Änderungen des Programms oder der Adressaten zu anderen Ergebnissen führen (Otto, Polutta & Ziegler 2010, S. 12ff). Die Studienergebnisse gelten immer unter sonst gleichen Bedingungen (ceteris paribus) und das ist eine äußerst unrealistische Annahme für soziale Prozesse. Vor diesem Hintergrund haben sich
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Monika Burmester
in der Praxis methodisch unterschiedlich ambitionierte Varianten von Verfahren zur Wirkungsmessung oder zum Wirkungsnachweis etabliert. Wirkungsevaluationen basieren auf Wirkungsmodellen. Mit solchen Modellen wird versucht, die zu messenden und letztendlich statistisch zu erfassenden Zusammenhänge abzubilden. In ihrer Zielsetzung, Grundstruktur und in der verwendeten Begrifflichkeit lassen sich verschiedene Modelle bzw. Ansätze zur Wirkungsmessung für den Sozialbereich unterscheiden. 3.1 Das sozialwissenschaftliche Wirkungsmodell von Schröder und Kettiger Lange Zeit wurde in der Sozialen Arbeit auf das Modell von Schröder und Kettiger (2001) Bezug genommen und auf die dort verwendete Begrifflichkeit. Die Autoren gehen von einem spezifischen Wirkungsverständnis aus und betrachten keineswegs alle möglichen Auswirkungen Sozialer Arbeit. Insbesondere Auswirkungen „finanzieller Natur“ verstehen sie nicht als Wirkung (Schröder & Kettiger 2001, S. 12). Es handelt sich bei diesem Modell um eines, das auch als sozialwissenschaftliches Wirkungsmodell bezeichnet wird (Kettiger & Schwader 2011, S. 116f). Von diesem Modell grenzen die Autoren das auf der Betriebswirtschaftslehre beruhende 3-E-Modell ab. Die 3-E stehen für Economy (Sparsamkeit), die auf den Input bzw. die Kosten bezogen ist, Efficiency (Wirtschaftlichkeit), die auf das Verhältnis von Input zu Output zielt, sowie Effectiveness (Wirksamkeit), bei der es um das Verhältnis von Output zu Outcome geht (ebd.). Proeller und Krause (2018) charakterisieren das 3-E-Konzept als „Ansatz zur Operationalisierung von Formalzielen in öffentlichen Verwaltungen“ auf verschiedenen Ebenen. Nach dem sozialwissenschaftlichen Modell, das als Wirkungskette dargestellt ist (vgl. Abbildung 1), führt eine soziale Dienstleistung (z. B. Mahlzeitendienst für alte Menschen) zu einem Output (z. B. Essen ist ausgeliefert.). Im Folgenden unterscheiden die Autoren drei Wirkungsebenen. Dem Output am nächsten ist die objektiv feststellbare (und gut messbare) Wirkung, die als Effekt (Effect) bezeichnet wird (z. B. guter Ernährungszustand). Aber selbst diese Wirkung tritt nicht automatisch ein, ist also nicht unmittelbare Folge des Outputs. Sie tritt nur ein, wenn der Adressat der Leistung diese auch in dem vorgesehenen Sinne nutzt (Compliance), was teilweise – aber keineswegs vollständig – vom Dienstleister beeinflusst werden kann. Die von den Autoren als nächstes betrachtete Wirkungsebene ist die auf der individuellen Ebene der Leistungsadressaten. Diese Wirkungen auf der individuellen Ebene nennen sie Impact. Sie werden maßgeblich von den subjektiven Bedürfnissen und Erwartungen an die sozialen Dienstleistungen beeinflusst. Am Beispiel des Mahlzeitendienstes nennen Schröder und Kettiger
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mögliche Impacts: bessere Tagesstruktur, höhere Selbstständigkeit oder Zufriedenheit und Lebensfreude. Die dritte von den Autoren betrachtete Wirkungsebene ist die gesellschaftliche Wirkung (Outcome), die mit der sozialen Dienstleistung erzielt werden soll (z. B. höherer Anteil von Hochaltrigen, die in häuslicher Umgebung leben können).
Abbildung 1:
Wirkungskette nach Schröder und Kettinger (Eigene Darstellung nach Schröder & Kettiger 2001, S. 15)
Wenngleich dieses Wirkungsmodell in seiner Grobstruktur als Kette dargestellt wird, so machen die Autoren doch unmissverständlich deutlich, dass es eine geschlossene Wirkungskette in der Praxis der Sozialen Arbeit nicht gibt: „Die Kausalität zwischen der Leistungserstellung und den gewünschten bzw. erzielten Wirkungen lässt sich nicht lückenlos nachweisen“ (Schröder & Kettiger 2001, S. 14). Insbesondere auf Impact und Outcome gebe es einen starken Einfluss externer Faktoren, so dass sich ein direkter Bezug zwischen Output und Impact sowie Outcome oftmals nicht darstellen lässt. Das ist aus Sicht der Autoren aber kein Grund, auf die Darstellung von „Beziehungen zwischen Leistungserstellung und Wirkung“ zu verzichten: „So können zum Teil durch aufwändige empirische sozialwissenschaftliche Studien oder durch bekannte ökonomische und psychologische Handlungsmodelle direkte Zusammenhänge zwischen Output und einzelnen Wirkungsindikatoren hergestellt werden (…). Letztlich lassen sich Lücken in der Wirkungskette auch mit Plausibilitätsbrücken überwinden“ (Schröder & Kettiger 2001, S. 15).
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3.2 Das Wirkungsmodell der International Group of Controlling (IGC) Die in dem skizzierten sozialwissenschaftlichen Wirkungsmodell verwendete Terminologie für die verschiedenen Wirkungsebenen findet sich auch in einem in der Sozialmanagementliteratur verbreiteten Ansatz zum Wirkungscontrolling, der von der International Group of Controlling (IGC) für die Sozialwirtschaft entwickelt wurde (Halfar & IGC Arbeitsgruppe 2008). In der graphischen Darstellung gibt es allerdings einen Unterschied zu dem oben skizzierten Modell einer Wirkungskette. Die drei Wirkungsebenen stehen in diesem Modell nebeneinander (vgl. Abbildung 2). Eine Hierarchie, wie sie das Bild der Kette nahelegt, wird hier durch die Darstellung von vorneherein ausgeschlossen.
Abbildung 2:
NPO-Wirkungsmodell (Eigene Darstellung nach Halfar & IGC-Arbeitsgruppe 2008, S. 29)
Als Controllingansatz soll dieses Modell sozialwirtschaftliche Organisationen bei dem Nachweis bzw. der Demonstration ihrer Effektivität unterstützen. Es handelt sich um ein betriebswirtschaftliches Instrument, das allerdings – im Unterschied zum klassischen Controlling – nicht auf ‚harte‘ Finanzkennzahlen fokussiert, mit denen sich Aussagen zur Effizienz machen lassen. Wirkungscontrolling dient dem Effektivitätsnachweis und ist damit gut für die Außendarstellung von Einrichtungen und Diensten geeignet. Varianten des Wirkungsreportings (Effektivitätsnachweise) werden zunehmend in der Sozialmanagementliteratur thematisiert, wobei durchaus unterschiedliche Modelle zugrunde gelegt werden (exemplarisch: Gruber 2018)).
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Halfar, Moos und Schellberg (2014) empfehlen, das Wirkungsmodell mit den Wirkungsdimensionen Outcome, Impact und Effect in eine Wirkungsmatrix für verschiedene Stakeholder zu überführen. Zu den Stakeholdern zählen die sogenannten Wirkungsempfänger, also die Zielgruppe der Maßnahmen, die politischen Stakeholder inklusive Gesellschaft und Umwelt, die Finanziers sowie die Mitglieder (von Nonprofit Organisationen) und andere interne Stakeholder. Die Berücksichtigung der unterschiedlichen Stakeholder mit ihren auch widersprüchlichen Interessen, führt dazu, dass sich die Wirkungsmatrix „nicht als ein widerspruchsfreies Zielsystem“ (Halfar et al. 2014, S. 67) darstellt. Von sozialwirtschaftlichen Organisationen angestrebte Wirkungen sind also weder auf eine Größe zu reduzieren, noch lassen sie sich eindeutig optimieren, weil Stakeholder in Abhängigkeit von der gewählten Strategie der Organisation unterschiedlich profitieren. Mit der Berücksichtigung der Finanziers als relevante Stakeholdergruppe werden im Unterschied zu dem oben skizzierten sozialwissenschaftlichen Ansatz auch Auswirkungen finanzieller Natur in die Analyse eingeschlossen. Zur Ermittlung der Produktivität, einer wichtigen Größe zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer wirtschaftenden Organisation, benötigen sozialwirtschaftliche Organisationen nach Halfar und Heider (2018) ebenfalls Daten zur Wirkung. Das begründen die Autoren damit, dass die Produktivität sozialer Dienstleistungsproduktion anders zu fassen sei als die Produktivität in der Herstellung von Sachgütern, die das ökonomische Verständnis beherrscht. In der Ökonomie gilt das Verhältnis von Output zu Input als Produktivität. Die Produktivität steigt, wenn sich dieses Verhältnis verbessert. Angenommen wird dabei, dass die Qualität der erstellten Produkte unverändert bleibt. Diese Annahme gilt nach Auffassung der Autoren für soziale Dienstleistungen nicht. Bei diesen Leistungen wirken sich veränderte Inputmengen auch auf die Qualität aus. Daher sei die Produktivität sozialer Dienstleistungen als Verhältnis von Wirkung zu Leistungsentgelten darzustellen (Halfar & Heider 2018, S. 538f), wobei Leistungsentgelte in dieser Definition offenbar ein Proxi für den Input sind. Die Wirkung wiederum wird auf der Ebene der Zielgruppe gemessen. Die Autoren kommen zu dem Schluss: „Es geht bei der Wirkungsanalyse im Kern um die Ermittlung von Produktivitätsaussagen für spezifische Einrichtungen“ (ebd. S. 539). 3.3 Die Wirkungstreppe aus dem „Kursbuch Wirkung“ Ein anderer Ansatz und eine andere Begrifflichkeit für Wirkung(en) werden im „Kursbuch Wirkung“ von Phineo (Kurz & Kubek 2017) verwendet. In dem Handbuch für Praktiker wird die Vorstellung einer Wirkungstreppe präsentiert (vgl. Abbildung 3). Für Wirkung sind die Begriffe Outcome und Impact verwendet, die
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aber eine andere Bedeutung haben als in den zuvor genannten Wirkungsmodellen. Während Outcome unterschiedliche Stufen der Wirkung auf der Ebene der Zielgruppe sozialer Interventionen beschreibt, bezieht sich Impact auf die oberste Stufe der Treppe, auf die gesellschaftliche Wirkung. Als Wirkungen sind Veränderungen gefasst, die durch soziale Dienstleistungen bei den „Zielgruppen, deren Lebensumfeld oder der Gesellschaft“ (Kurz & Kubek 2017, S. 5) erreicht werden. Mit dem Bild der Treppe gehen die Autorinnen des Praxishandbuchs von einer Rangfolge bzw. einer hierarchischen Beziehung aus mit gesellschaftlicher Wirkung (Impact) als deren oberste Stufe. Die Vorstellung der Wirkungstreppe geht auf die von Univation, einem Institut für Evaluation, als „Resultate Treppe“ bezeichnete Charakterisierung von Resultaten eines zu evaluierenden Programms (Beywl & Niestroj 2009, S. 145) zurück. Univation unterscheidet ebenfalls zwischen Output, Outcome und Impact. Allerdings findet sich dort nicht die deutliche Grenze, die im Kursbuch Wirkung zwischen Output und Outcome gezogen ist. 7 Gesellschaft verändert sich Ab dieser Stufe spricht man von Wirkung
Impact
6 Lebenslage der Zielgruppen ändert sich
5 Zielgruppen ändern ihr Handeln
Outcome
4 Zielgruppen verändern ihre Fähigkeiten
3 Zielgruppen akzeptieren Angebote 2 Zielgruppen werden erreicht
Output
1 Aktivitäten finden wie geplant statt
Abbildung 3:
Wirkungstreppe (Eigene Darstellung nach Kurz & Kubek 2017, S. 5)
Die Grenze zwischen Output und Outcome ist in der „Resultate Treppe“ nicht so eindeutig, wie von den Autorinnen im Kursbuch Wirkung suggeriert. Das gilt umso mehr, wenn Output – wie in den beiden Treppendarstellungen – nicht auf die refinanzierten Ergebnisse reduziert wird (z. B. Behandlungsfall, Beratungsfall oder geleistete Stunden), sondern bereits Elemente enthält, die eine Aktivität der
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Zielgruppe voraussetzt (z. B. Zielgruppe akzeptiert Angebote). Warum ein Resultat, das auf aktives Handeln der Zielgruppe zurückzuführen ist, nicht als Wirkung (Outcome), sondern als Output gefasst wird, ist nicht unmittelbar nachvollziehbar. Wird bspw. in einer Komm-Struktur die Zielgruppe nicht nur (einmalig) erreicht (Stufe 2), sondern das Angebot von ihr auch akzeptiert (Stufe 3), dann setzt das Erreichen dieser Stufe aktives Handeln der angesprochenen Personen voraus. Das kann Resultat eines veränderten Bewusstseins oder einer veränderten Einstellung sein (Stufe 4) oder sogar Resultat einer Verhaltensänderung (Stufe 5), also jeweils ein erster Schritt zur Bearbeitung eines eigenen sozialen Problems oder zur Stärkung der eigenen Kompetenzen zur Problembearbeitung. Die Wirkungstreppe kann eine Anregung für Wirkungsdimensionen geben, vielleicht sogar für deren Hierarchisierung. Letztendlich ist aber in jedem Arbeitsfeld für jedes Angebot zu entscheiden, was jeweils als Output und was als Outcome zu fassen ist. 3.4 Der Ansatz des Centrums für Soziale Investitionen und Innovationen (CSI) Einen methodisch anspruchsvolleren Ansatz verfolgt das CSI. In ihrem Transparenzgutachten für die Freie Wohlfahrtspflege diagnostiziert das Institut ein fehlendes Wirkungsmodell für den Sozialbereich. Die Kritik lautet, soziale Wirkungen würden in den bestehenden Modellen nicht vollumfänglich und angemessen gemessen. „Die überwiegende Mehrheit der betrachteten Ansätze betrachtet vor allem Outputs statt Outcomes oder gar tatsächlichen Wirkungen; Wirkungskausalitäten im Sinne eines Wirkungsmodells bleiben weitgehend unbeleuchtet“ (Kehl et al. 2016, S. 6, H.i.O.). Hier wird Outcome von tatsächlicher Wirkung unterschieden (siehe unten) und ein auf Kausalitätsnachweise abstellendes Wirkungsverständnis eingefordert. Darüber hinaus gelte es, weitere Aspekte zu berücksichtigen. Ein Kritikpunkt an anderen Ansätzen richtet sich auf die unzureichende Komplexität der (anderen) Modelle. Es sei nicht nur zu differenzieren nach verschiedenen Wirkungsebenen (Adressaten, Organisation, Gesellschaft) und der zeitlichen Dimension (kurz-, mittel-, langfristig), sondern zudem seien verschiedene Wirkungsdimensionen zu berücksichtigen, zu denen neben der ökonomischen auch „eine soziale, eine kulturelle und eine politische Wirkungsdimension“ zählen (Kehl & Then 2018, S. 867). Damit grenzen sich die Autoren z. B. von KostenNutzen-Analysen ab, denen sie die Berücksichtigung ausschließlich der ökonomischen Dimension attestieren oder von Lebensqualitätsansätzen, die ausschließlich die subjektive Ebene betrachten und die gesellschaftliche Ebene ignorieren. Am ehesten sehen sie ihre Ansprüche in der Berechnung von Social Returns on Investment (SROI) erfüllt, einem mehrdimensionalen Ansatz zur Wirkungsmessung (vgl. hierzu die Beiträge von Kehl, Halfar oder Ziegler in diesem Band).
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Mit dem SROI lässt sich aus Sicht des CSI auch dem anderen oben angeführten Kritikpunkt der unzureichenden Berücksichtigung von Wirkungskausalitäten begegnen. Begrifflich wird in den verschiedenen Publikationen des CSI zwischen der Bruttowirkung, dem Outcome, und der Nettowirkung, dem Impact, unterschieden. Outcome und Impact stehen hier also nicht wie in den oben dargestellten Modellen für unterschiedliche Wirkungsebenen (Zielgruppe oder Gesellschaft), sondern für unterschiedliche Vorstellungen von Wirkung. Die eigentliche Zielgröße von Wirkungsanalysen sei der Impact, „der entsteht, wenn die ermittelten Effekte nicht automatisch der untersuchten Investition zugerechnet, sondern die auch ohne sie eingetretenen Wirkungen (sog. Deadweight) abgezogen werden, um die bestmögliche kausale Zurechenbarkeit der Ergebnisse zur Intervention zu gewährleisten“ (Kehl et al. 2016, S. 23). Gefordert wird also der Nachweis, dass eine angestrebte und realisierte soziale Veränderung auch wirklich auf die Maßnahme zurückgeführt werden kann. Das sei der Anspruch, dem Wirkungsanalysen zu genügen haben. Zu realisieren sind diese Anforderungen aus Sicht der Autoren u. a., „indem ein quasi-experimentelles Design zur empirischen Prüfung des hypothetisch formulierten Wirkungszusammenhangs verwendet wird“ (Kehl & Then 2018, S. 868). Überlegungen zur Identifizierung von Effekten, die nicht aufgrund der sozialen Intervention eingetreten sind, sondern auf andere Ursachen zurückgeführt werden müssen (Deadweight), spielen in nahezu allen Wirkungsmodellen (irgendwie) eine Rolle. In den meisten Modellen soll die Identifizierung des Deadweight durch kritische Reflexion und Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand geschehen. Der vermeintlich statistische Nachweis einer Wirkung (des Impacts) z. B. mittels RCTs wirft immer die Frage auf, ob das zu Messende überhaupt messbar ist und welche Ziele damit verfolgt werden. Mit der Propagierung des Bezugs auf Impact als Nettowirkung werden die methodischen Schwierigkeiten von RCTs für den Sozialbereich ausgeblendet. Mit Hilfe aufwendiger statistischer Verfahren lassen sich (projekt- oder einrichtungsbezogen) Ergebnisse generieren, die einen statistischen Zusammenhang belegen (oder nicht) und eine Genauigkeit suggerieren, die der komplexe Untersuchungsgegenstand selbst nicht hergibt. Auf grundsätzliche methodische Probleme wie das der fehlenden Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Settings wurde oben bereits hingewiesen. 4
Abschließende Hinweise
Im aktuellen Wirkungsdiskurs geht es um die Beurteilung von Ergebnissen sozialer Dienstleistungsproduktion: Werden die von der Politik oder von Leistungsträ-
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gern vorgegebenen Ziele erreicht oder in welchem Maße werden sie erreicht? Dabei gilt Zielerreichung – wie oben ausgeführt – nicht als eindeutiger Beleg für die Wirksamkeit sozialer Dienstleistungen. Mittlerweile wird die Forderung nach empirischen Belegen für kausale Zusammenhänge auch von Vertretern gemeinnütziger Stiftungen aufgestellt, die ihre Aufgabe in der Durchsetzung einer rigorosen Wirkungsorientierung im Sozialbereich sehen: „Solange ich nicht zeigen kann, dass eine Veränderung bei der Zielgruppe tatsächlich eindeutig infolge meiner sozialen Intervention geschehen ist, kann und darf ich nicht von Wirkung sprechen“ (Shaw & Volz 2017, o. S.). Für die Praxis Sozialer Arbeit sind statistische Kausalitätsbelege aber (noch) nicht der Maßstab (siehe zur evidenzbasierten Praxis auch den Beitrag von Ziegler in diesem Band). In vielen Bereichen werden Belege für Zielerreichung als Wirkungsnachweise akzeptiert. Das gilt insbesondere dann, wenn solche Belege im Rahmen von Selbstevaluationen von Fachkräften oder Dienstleistern selbst erbracht werden und nicht von externen Forschungsinstituten oder Hochschulen. Hier geht es auch um den finanziellen Aufwand, der mit entsprechenden Erhebungen verbunden ist. Es gibt nicht die eine (eindeutige) Wirkungsgröße für soziale Dienstleistungen. Welche Wirkungen bzw. Ergebnisse Soziale Arbeit erreichen sollen, darüber existieren unterschiedliche Vorstellungen und Präferenzen relevanter Stakeholder. Im Kontext wirkungsorientierter Steuerung geht diese Mehrdimensionalität oftmals verloren. Unter dem Steuerungsgesichtspunkt werden die Interessen der Adressaten zu Mitteln der Zielerreichung. Auf weitere „Nebenwirkungen der Wirkungsorientierung“ (Gössler 2016) kann in diesem Beitrag nicht eingegangen werden. Es sollte aber nicht aus dem Blick verloren gehen, dass die aktuelle Auseinandersetzung mit Wirkung einer sozialpolitischen Umsteuerung geschuldet ist, und daher sind Aussagen zur Wirkung auch immer in den (ggf. kommunalen) Steuerungskontext zu stellen. Literatur Beywl, W. & Niestroj, M. (2009). Das A-B-C der wirkungsorientierten Evaluation. Glossar – Deutsch/Englisch – der wirkungsorientierten Evaluation (2. Aufl.). Köln: Univation - Inst. für Evaluation Dr. Beywl und Associates. http://www.univation.org/download/Programmbaum_Landmarke_Glossar.pdf. Zugegriffen: 17. Dezember 2018 Burmester, M. & Wohlfahrt, N. (2018). Wozu die Wirkung Sozialer Arbeit messen? Eine Spurensicherung. In Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.), Soziale Arbeit kontrovers (Bd. 18). Freiburg: Lambertus. Büttner, P. (2009). Kausalität. Die Wahrnehmung von Ursache und Wirkung. MMI-Interaktiv. http://www.mmi-interaktiv.de/uploads/media/MMI_Kausalitaet-Die_Wahrnehmung_von_Ursache_und_Wirkung.pdf. Zugegriffen: 21. November 2018.
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Büttner, P. (2014). Kausales Schließen in komplexen Systemen. Der Einfluss von Kausalwissen auf menschliches Problemlösen. Dissertation, Technische Universität Berlin. Dudenredaktion (o.J.): "Wirkung" auf Duden online. https://www.duden.de/rechtschreibung/Wirkung; Zugegriffen: 04. Juli 2019 Gössler, M. (2016). Wirkung und Nebenwirkung der Wirkungsorientierung. Eine Packungsbeilage für das neue Managementrezept von NPOs. In Strunk (Hrsg.), Öffentliche Sozialplanung und die Freie Wohlfahrtspflege (Edition Sozialwirtschaft, Bd. 42, S. 119–133). Baden-Baden: Nomos. Gruber, G. (2018). Wirkungsorientierte Leistungsmessung: Der Balanced Performance Report. Der Weg zu einem ganzheitlichen Performance Measurement System für SocialProfit-Organisationen. Regensburg: Walhalla & Praetoria. Halfar, B. & Heider, K. (2018). Controlling und Wirkungscontrolling. In K. Grunwald & A. Langer (Hrsg.), Sozialwirtschaft. Handbuch für Wissenschaft und Praxis (S. 530– 545). Baden-Baden: Nomos. Halfar, B. & IGC-Arbeitsgruppe (2008). Wirkungsorientiertes NPO-Controlling. https://www.igc-controlling.org/fileadmin/downloads/Standards/Wirkungsorientiertes_Controlling_IGC_FINAL.PDF. Zugegriffen: 14.Feburuar 2019. Halfar, B., Moos, G. & Schellberg, K. (2014). Controlling in der Sozialwirtschaft. Handbuch. Baden-Baden: Nomos. IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen). (Hrsg.). (2017). Allgemeine Methoden. Version 5.0 vom 10.07.2017. Köln. https://www.iqwig.de/ de/methoden/methodenpapier.3020.html. Zugegriffen: 05. Dezember 2018. Kehl, K., Glänzel, G., Then, V. & Mildenberger, G. (2016). CSI-Transparenzgutachten: Möglichkeiten, Wirkungen (in) der Freien Wohlfahrtspflege zu messen. Hg. v. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). Heidelberg. https://www.bagfw.de/veroeffentlichungen/publikationen/detail/transparenzgutachten-moeglichkeiten-wirkungen-in-der-freien-wohlfahrtspflege-zu-messen/. Zugegriffen: 04. Juli 2019. Kehl, K. & Then, V. (2018). Soziale Investitionen, Wirkungsorientierung und "Social Return". In K. Grunwald & A. Langer (Hrsg.), Sozialwirtschaft. Handbuch für Wissenschaft und Praxis (S. 858–871). Baden-Baden: Nomos. Kettiger, D. & Schwander, M. (2011). Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit. Möglichkeiten und Grenzen. In A. Fritze, B. Maelicke, & B. Uebelhart (Hrsg.), Management und Systementwicklung in der Sozialen Arbeit (S. 114–134). Baden-Baden: Nomos. Kurz, B. & Kubek, D. (2017). Kursbuch Wirkung. Das Praxishandbuch für alle, die Gutes noch besser tun wollen. 4. Aufl. Hg. v. Phineo gAG und Bertelsmann-Stiftung. Berlin. https://www.phineo.org/themen/soziale-wirkung. Zugegriffen: 17. Dezember 2018. Macsenaere, M. & Esser, K. (2015). Was wirkt in der Erziehungshilfe? Wirkfaktoren in Heimerziehung und anderen Hilfearten (2., aktualisierte Aufl.). München: Reinhardt, Ernst. Otto, H.-O., Polutta, A. & Ziegler, H. (Hrsg.). (2010). What Works – Welches Wissen braucht die Soziale Arbeit? Zum Konzept evidenzbasierter Praxis. Opladen, Farmington Hills: Leske + Budrich.
Polutta, A. (2013). Wirkung. In K. Grunwald, G. Horcher & B. Maelicke (Hrsg.), Lexikon der Sozialwirtschaft (2. Aufl., S.1107–1108). Baden-Baden: Nomos.
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Proeller, I. & Krause, T. (2018). Drei-Ebenen-Konzept. Hg. v. Gabler Wirtschaftslexikon. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/drei-ebenen-konzept-34388/version257891. Zugegriffen: 14. Februar 2019. Reade-Soh, N. & Stockmann, R. (2009). Wirkungsorientierung und Evaluierung in der Entwicklungszusammenarbeit. In Berlin-Institut (Hrsg.), Online-Handbuch Demografie des Berlin-Instituts. Berlin. https://www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/handbuch_texte/pdf_Reade_Stockmann_EvaluationEZ.pdf. Zugegriffen: 17. Dezember 2018. Schneider, A. (2011). Professionelle Wirkung zwischen Standardisierung und Fallverstehen: Zum Stand der Wirkungsforschung. In N. Eppler, I. Miethe & A. Schneider (Hrsg.), Qualitative und quantitative Wirkungsforschung. Ansätze, Beispiele, Perspektiven (S. 13–32). Opladen, Berlin, Farmington Hills, MI: Leske + Budrich. Schröder, J. & Kettiger, D. (2001). Wirkungsorientierte Steuerung in der sozialen Arbeit. Ergebnisse einer internationalen Recherche in den USA, den Niederlanden und der Schweiz. Stuttgart: W. Kohlhammer. http://www.jan-schroeder-beratung.de/fileadmin/user_upload/pdf/Wirkungsorientierte-Steuerung-in-der-Sozialen-Arbeit.pdf. Zugegriffen: 17. Dezember 2018. Shaw, S. & Volz, U. (2017). Was ist Wirkung? http://www.benckiser-stiftung.org/de/blog/ what-is-impact. Zugegriffen: 06. April 2018.
Die Wirkungsdebatte in der Freien Wohlfahrtspflege – eine polarisierende Diskussion Peter Friedrich1
Die Frage nach der Wirkung der Freien Wohlfahrtspflege wird intensiv diskutiert. So ist seit mehreren Jahren eine Verstetigung des Themas beobachtbar, die alle Arbeitsbereiche der Freien Wohlfahrtspflege betrifft. Beratungsorganisationen propagieren Impact-Assessments als vermeintlich neuen und innovativen Ansatz. Geldgeber fordern Wirkungsnachweise – möglichst in Zahlen. In der Sozialwirtschaft werden – teilweise mit hohem Ressourcenaufwand – neue Messverfahren erprobt, um konkrete Wirkungen ihrer Arbeit zu veranschaulichen. In benachbarten Bereichen, wie der Entwicklungszusammenarbeit, ist die Projektevaluation auf Basis von Wirkungsindikatoren Standard. Vor diesem Hintergrund wirkt die aktuelle Debatte zuweilen so, als ob die Freie Wohlfahrtspflege bisher nicht wirkungsorientiert gearbeitet hätte. Dabei ist die Frage nach der Wirkung Sozialer Arbeit nicht neu und scheint zuweilen eher von Missverständnissen geprägt zu sein. Das Ziel der Freien Wohlfahrtspflege besteht darin, mit ihren Angeboten und Leistungen Lösungen in sozialen Notlagen zu finden sowie Partizipation in der Gesellschaft zu ermöglichen. Dabei kann eine Wirkungsorientierung als Grundorientierung der Sozialen Arbeit an sich und im Besonderen der Freien Wohlfahrtspflege angesehen werden. Ohne auf eine Wirkung abzuzielen gibt es keine Freie Wohlfahrtspflege. Jugendhilfe, Altenpflege, Sozialberatung, Selbsthilfe etc. sind in ihrem Grundverständnis kein Selbstzweck oder mit beliebigen Konsumprodukten zu vergleichen, sondern sind auf das Wohl des/der Einzelnen sowie der Gesellschaft – eine konkrete Wirkung – ausgerichtet. Insofern ist die soziale Wirkung die primäre Dimension in der Freien Wohlfahrtspflege. Grundsätzlich kann der Freien Wohlfahrtspflege ein intrinsisches Interesse unterstellt werden, sich selbst über die Wirkungen ihres Handelns zu informieren, um ihre Organisationen zu steuern, an neue Rahmenbedingungen anzupassen und stetig die Qualität der erbrachten Leistungen zu sichern bzw. zu verbessern. Darüber hinaus dürfte in der Freien Wohlfahrtspflege auch Konsens bestehen, dass – 1
Bei den folgenden Ausführungen handelt es sich nicht um eine abgestimmte Position der BAGFW, sondern ausschließlich um die Meinung des Autors.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_4
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im Sinne eines gesellschaftlichen Transparenzverständnisses – klar dargelegt werden muss, wie die zur Verfügung gestellten Ressourcen eingesetzt werden und was damit erreicht wurde (Krimmer, Weitemeyer, Kleinpeter, Vogt & von Schönfeld 2014). Der Wirkungsbegriff dient den Stakeholdern der Freien Wohlfahrtspflege deshalb zunehmend als Anspruch für vermeintliche Qualitätssiegel. So ist zu beobachten, dass immer häufiger im Rahmen von privaten und öffentlichen Förderregelungen sowie in Gesetzesvorhaben Wirkungsnachweise gefordert werden. Das bekannteste Beispiel ist aktuell das Bundesteilhabegesetz. Zuweilen dient der Wirkungsbegriff auch zur Generierung neuer Finanzierungsquellen. So verdeutlicht beispielsweise die Diskussion um Social Impact Bonds eindrucksvoll die Herausforderung der aktuellen Wirkungsdebatte – auch mit neuen Akteuren und damit teilweise anderen Interessen als denen der Sozialwirtschaft (Burmester & Wohlfahrt 2018). 1
Die aktuelle Wirkungsdebatte
Die aktuelle Wirkungsdebatte in der Freien Wohlfahrtspflege ist von zwei Aspekten gekennzeichnet. Zum einen geht es um die intendierten und dokumentierbaren Wirkungen in der Sozialen Arbeit. Zum anderem stehen konkrete, dem Gegenstand des Sozialen angemessene Erfassungs- und Messverfahren im Mittelpunkt. Es handelt sich also zu allererst um eine sozialpolitische Diskussion, wenn es um die Frage nach der Wirkungsdimension geht. Hier ist zu klären, welche Wirkungsdimension für die Soziale Arbeit handlungsleitend sein sollen und auf Basis welcher Indikatoren bezüglich der ausgewählten Wirkungsdimension relevante Informationen erfasst werden können. Dieses setzt sich fort in der Frage der angemessenen und praxistauglichen Erfassungs- und Messverfahren. Die Auseinandersetzung mit den intendierten und dokumentierbaren Wirkungen in der Sozialen Arbeit ist, wie bereits angedeutet, bei genauerer Betrachtung nicht wirklich neu. Sie hat sich allerdings in Qualität und Dynamik deutlich verändert. Die Bewertung dieses Prozesses erfolgt teilweise konträr zueinander. Auf der einen Seite wird in der Auseinandersetzung mit der Wirkung sozialer Dienstleistungen eine Professionalisierung der Sozialen Arbeit beschrieben – im Sinne eines effizienten Ressourceneinsatzes, der die wirksamsten Ansätze stärkt und weniger wirksame Ansätze reduziert (Kähler 2018). Die Annahme ist, dass mit einer solchen Wirkungsorientierung eine Verbesserung der Angebote und Leistungen einhergeht, was auch zu einem effizienteren Ressourceneinsatz führen soll. Auf der anderen Seite wird dieser Entwicklungsprozess als eine Fortführung einer Ökonomisierung der Sozialen Arbeit angesehen (Burmester & Wohlfahrt
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2018). Mit der Ökonomisierungsdebatte tritt die Frage nach inhaltlichen Zielen der Sozialen Arbeit zunehmend in den Hintergrund (Jüster 2015). Die Frage der effizienten Professionalisierung steht im Zentrum. So entsteht der Eindruck, dass wirkungsvolle Soziale Arbeit als Synonym für effiziente Soziale Arbeit (miss-) verstanden werden kann. Darüber hinaus ist die aktuelle Wirkungsdiskussion – unter dem Stichwort Ergebnisqualität – hoch anschlussfähig an die Qualitätsdebatte, die die Freie Wohlfahrtspflege in all ihren Arbeitsbereichen seit über zehn Jahren intensiv führt (BAGFW 2014a). Das Qualitätsmanagement mit seinen Qualitätsstandards impliziert zwar nicht automatisch eine gezielte Wirkung. Aber es stellt mit seinen Prozessen und Instrumenten einen Baustein für wirkungsorientierte Ansätze dar. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Wirkungsdiskussion sich aus Ansätzen speist, die teilweise konträr zueinander diskutiert werden. Das schlägt sich auch auf die Fachdiskussion und damit die praxistaugliche Weiterentwicklung des Themas innerhalb der Freien Wohlfahrtspflege nieder. Sie ist oftmals geprägt von Polarisierungen und (begrifflichen) Missverständnissen. Die Diskussion im Sozialbereich erscheint zuweilen relativ unübersichtlich. Es gibt innerhalb der Freien Wohlfahrtspflege auf Bundes-, Landes- und Trägerebene vielfältige Modellprojekte und Studien unterschiedlichster Güte, die sich mit den Wirkungen Sozialer Arbeit in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern auseinandersetzen. Eine systematische Übersicht zu den bestehenden Projekten und Studien gibt es nicht. In einzelnen Bereichen wird das Thema anlassbezogen intensiver diskutiert. Als Beispiel kann hier die aktuelle Diskussion zum BTHG angeführt werden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hat 2015 eine erste Standortbestimmung vorgenommen. Darin werden ihr Wirkungsverständnis sowie die anstehenden Herausforderungen und Aufgaben für die Freie Wohlfahrtspflege umrissen. Das Wirkungsverständnis ist auf eine primär soziale Wirkungsdimension ausgerichtet, der eine ökonomische Dimension klar nachgeordnet ist. Weiter wird deutlich, dass Wirkungen immer kontextbezogen und wertabhängig sind. Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und ihre Mitgliedsorganisationen engagieren sich in dem Thema mit ihren je eigenen Zugangsperspektiven und kooperieren dabei bereichsübergreifend mit neuen Partnern. Sie integrieren Wirkungsfragen zunehmend in ihre (Qualitätsmanagement-)Prozesse und Organisationsstrukturen oder schaffen zusätzliche Strukturen und Weiterbildungsangebote. In der sozialpolitischen Diskussion gibt es erste punktuelle Ansätze, die gesellschaftliche Wirkung (in) der Freien Wohlfahrtspflege darzustellen. So wurden in verschiedenen Studien qualitative Beschreibungen der Bedeutung der Freien
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Wohlfahrtspflege mit Aussagen zu ihrem ökonomischen Wert kombiniert. In der Studie von Rada und Stahlmann (2016) wird auf Basis des Social Return of Investment (SROI) der Bereich der Schuldnerberatung untersucht. Die erhobenen Kennzahlen beschreiben die Finanzierung des untersuchten Bereichs als erfolgreiche Investition für die Ratsuchenden, für die Öffentliche Hand und für die Arbeitgeber/innen. Das Transparenzgutachten des Centrums für Soziale Investitionen und Innovationen (CSI) verdeutlicht, dass bisher lediglich Ansätze bestehen, die eine methodisch valide Wirkungserfassung in der Freien Wohlfahrtspflege mit all ihren unterschiedlichen Aufgabenbereichen realisieren können. Deren Weiterentwicklung wird als besonders ressourcenintensiv eingeschätzt. Dieses wirft die Frage nach der Verhältnismäßigkeit auf. Der vom CSI herausgearbeitete Ressourcenbedarf für valide Messverfahren lässt vermuten, dass die Weiterentwicklung solcher Ansätze nicht für Einzelprojekte oder einzelne Maßnahmen zielführend erscheint (Kehl, Glänzel, Then & Mildenberger 2016). Die Diskussion um das Bundesteilhabegesetz (BTHG) verdeutlicht wiederum die Herausforderungen, die sich bei der Definition von Wirkung in der Freien Wohlfahrtspflege im sozialpolitischen Raum stellen. Die aktuelle Herausforderung besteht in Bezug auf eindeutige Definitionen der Begrifflichkeiten, wie Wirkungskontrolle (auf der Individualebene) und Wirksamkeit als Summe aller angestrebten Wirkungen (auf der leistungsvertraglichen Ebene; siehe hierzu Klauß 2018), sowie auf die Bestimmung von Merkmalen, Maßstäben und Indikatoren sowie deren praxistaugliche Anwendung. Die elementare Frage dabei ist, auf Basis welcher Zielsetzungen und Intentionen diese Definition erfolgt und durch wen sie vorgenommen werden. Zum Thema individuelle Teilhabe wurden bereits erste Instrumente in der Praxis erprobt und weiterentwickelt. Als Beispiel ist die ‚Teilhabekiste‘ (BAGFW 2014b) zu nennen, die eine wirkungsorientierte Bestimmung individuell definierter Teilhabe aus Nutzersicht in der Eingliederungshilfe ermöglicht und deren Skalierung in Form von Weiterbildungen forciert wird (Gromann & Brückner 2014). Im Bereich der stationären Pflege wird die Qualitätsberichtserstattung auf Basis des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs überarbeitet. Hier wurde bereits 2008 ein bundesweites Projekt „Erprobung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe“ realisiert, das erste Erkenntnisse zu Wirkungsfragen in der stationären Pflege verdeutlicht hat (Wingenfeld & Kleina 2011). Diese Ergebnisse stellen u. a. die Grundlage für die aktuelle Diskussion zur Pflegequalität dar (siehe hierzu auch BAGFW 2011). Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe wird die Wirkungsmessung bereits seit über 20 Jahren kontrovers diskutiert und erprobt (Tornow 2018). Insofern gibt es in diesem Arbeitsbereich vielfältige Ansätze und wissenschaftliche Studien.
Die Wirkungsdebatte in der Freien Wohlfahrtspflege
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Aktuell scheint der Capability Approach von Nussbaum und Sen (1993) für die Wirkungsforschung in der Kinder- und Jugendhilfe an Bedeutung zu gewinnen (Macsenaere & Esser 2015). Betrachtet man die beispielhaft benannten Arbeitsfelder, wird deutlich, dass die Wirkungsdebatte in der Freien Wohlfahrtspflege einen breiten Raum einnimmt. Die Diskussion betrifft sowohl die konkreten Angebote und Leistungen der Einrichtungen und Dienste vor Ort, wie auch deren Verbände auf Landes- und Bundesebene. Das Thema wird zum Teil mit Skepsis, prozesshaft und experimentell bearbeitet. Zugleich wird deutlich, dass es in der Diskussion einen Entwicklungsprozess gegeben hat – weg von der pauschalen Frage nach der Wirkung der Freien Wohlfahrtspflege allgemein, hin zu kontext- und themenbezogenen Fragen nach der Wirkung für einzelne Leistungen in konkreten Arbeitsfeldern. Insofern ist eine Differenzierung und damit auch ansatzweise eine Versachlichung der teilweise sehr kontrovers geführten Diskussion beobachtbar. Eine Herausforderung scheint – trotz der skizzierten Beispiele – weiterhin in der praxistauglichen Bearbeitung des Themas zu bestehen. Die Begrifflichkeiten und Deutungen gehören zu der Debatte dazu. Aber die Umsetzung im Alltag der Sozialen Arbeit, unter den gegebenen Rahmenbedingungen und zur Verfügung stehenden Ressourcen entscheidet über die Etablierung des Themas in der Sozialen Arbeit. 2
Wirkung ist abhängig von Zielen
Die Wirkung von Leistungen und Angeboten der Freien Wohlfahrtspflege ist eine konsensuale Erwartung an ihre Arbeit – sei sie nun stärker von einer Effektivitätsoder einer Effizienz-Perspektive geprägt. Sowohl im staatlichen, wirtschaftlichen oder zivilgesellschaftlichen Sektor besteht die Erwartung, dass Organisationen mit ihrem Handeln eine Wirkung erzielen, die auch dokumentierbar ist. Allerdings ist bei der Frage der Wirkungsdarstellung eine inhaltliche Verengung auf die ökonomische Effizienz im Sinne eines effizienten Ressourceneinsatzes abseits der, als von der Freien Wohlfahrtspflege, als Primat definierten sozialen Wirkung zu beobachten.
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Dabei scheint die Fokussierung auf eine ökonomische Wirkung so dominant zu sein, dass sie im öffentlichen Bewusstsein oftmals als ‚die alleinige Wirkung‘ schlechthin wahrgenommen und angesehen wird. Wirksam wird synonym für ökonomisch effizient gedeutet. Dieses Verständnis wird durch einzelne – die Diskussion vorantreibende – Akteure, wie hybride Mittlerorganisationen und Beratungsunternehmen sowie von Finanzinvestoren und Venture-Capital-Anbietern verstärkt (Bibisidis 2018). Die Perspektive dieser Akteure betont eine ökonomische Handlungslogik in der Debatte, die die oben beschriebene normative Zielsetzung der Sozialen Arbeit zu konterkarieren droht. Dieses dominierende Effizienzverständnis von Wirkung macht es grundsätzlich schwierig in der Debatte andere Wirkungsdimensionen zu etablieren. Dies gilt insbesondere für die normative Wirkungsdimension, die den sozialen Anliegen der Freien Wohlfahrtspflege zugrunde liegt. Das Selbstverständnis der Freien Wohlfahrtspflege ist es, möglichst effektiv die Verbesserung von hoch individuellen Lebenslagen sowie die Sicherung bzw. Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe – ein Rechtsanspruch, der in den Sozialgesetzbüchern geregelt ist – zu erreichen. Oder anders formuliert: die Soziale Arbeit wurde entwickelt, um individuell und kollektiv wirksam zu helfen – im Sinne einer sozialen Wirkung. Diese schließt eine ökonomische Wirkung explizit nicht aus, ordnet sie aber gegenüber einer sozialen Wirkung nachrangig ein. Im Zentrum steht die Frage nach möglichst effektiven Ansätzen. Somit ist die Vorannahme der Zielsetzung von Sozialer Arbeit für die Wirkungsfrage elementar. Es geht also um die Frage, welche Wirkung auf Basis welcher Zielsetzung und wie man sie ggf. intersubjektiv überprüfen kann. Eine Diskussionsverengung ausschließlich auf Wirkungen – ohne vorherige Verständigung über die Zielsetzung Sozialer Arbeit – muss also zu Irritationen und kontroversen Diskussionen führen. Wirkung ist eine abhängige Variable, die es auf Basis normativer Ziele zu bestimmen gilt. In der aktuellen Diskussion stellt sich zunehmend die Frage, wie diese (Wirkungs-)Ziele definiert sind. Geht es um die qualitative Sicherung und Verbesserung von Teilhabe und Partizipation, um die Verbesserung von Lebenslagen? Oder geht es primär um einen effizienten Mitteleinsatz? Hier bedarf es der eigentlichen Diskussion. Insofern entsteht der Eindruck, dass die aktuelle Wirkungsdiskussion zuweilen eine Stellvertreterdiskussion für die Frage nach Zielen der Sozialen Arbeit und der daraus resultierenden Frage der dafür notwendigen Ressourcen darstellt.
Die Wirkungsdebatte in der Freien Wohlfahrtspflege 3
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Wirkungserfassung aus der Praxis heraus
Die einzelnen hoch ausdifferenzierten Arbeitsbereiche der Freien Wohlfahrtspflege beinhalten höchst unterschiedliche Ansätze und Rahmenbedingungen. Insofern gilt es praxistaugliche Verfahren und Methoden zu erarbeiten, die für den jeweiligen Arbeitsbereich inhaltlich wie methodisch mit den gegebenen Ressourcen realisierbar sind. Die oben angeführten Projekte bieten Beispiele dafür. Angesichts der Komplexität der Arbeitsbereiche der Sozialen Arbeit, bedarf die Erfassung von Wirkung qualitativer und quantitativer Verfahren – in Abhängigkeit der jeweiligen Zielsetzung. Tatsächlich ist in der Wirkungserfassung aber weiterhin ein Trend zu metrischen Werten zu beobachten. Der vordergründige Charme dieses Zugangs liegt in der Schlichtheit und vermeintlichen Eindeutigkeit der Ergebnisse in Form von metrischen Werten, die ‚harte Fakten‘ suggerieren (Frey 2007). Zugleich gehen damit eine Vereinfachung und Reduktion von bestehenden komplexen sozialen Situationen und Prozessen auf einen abstrakten Zahlenwert einher. Diese Verengung beinhaltet eine normative Vorprägung in Form von bestimmten Konzepten, spezifischen Interessen und normativen Skripten (Bibisidis 2018). Arbeitsbereiche, in denen eine solche Metrik nicht bzw. nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand realisierbar wäre, drohen aus dem verengten (Mess-) Blick zu geraten bzw. weichen von vermeintlichen Erwartungsstandards einer ‚angemessenen Wirkungsdokumentation‘ ab. Mögliche Konsequenzen sind, dass sie dann nicht mehr wahrgenommen werden oder als weniger wirkungsvoll erscheinen – unabhängig davon, ob diese Arbeitsbereiche sozial von Bedeutung sind. Zugespitzt formuliert: Was nicht eindeutig messbar ist, kann auch nicht wirksam sein. Diese Logik passt aber nicht zum Verständnis und den Strukturen der Sozialen Arbeit. Exemplarisch wird dieses an der Verfasstheit der Freien Wohlfahrtspflege mit ihren föderalen Strukturen und vielfältigen Arbeitsbereichen deutlich, die eine inhaltliche Ausdifferenzierung von Ansätzen der Wirkungserfassung erfordert. So sind beispielsweise die Leistungen und Angebote der Einrichtungen und Dienste von den Menschen direkt erfahrbar und erzeugen ggf. direkte Wirkungen. Dagegen sind die Ergebnisse der sozialpolitischen Aktivitäten und anwaltschaftlichen Tätigkeit der Verbände auf Länder- und Bundesebene zumeist nur mittelbar wahrnehmbar. Gleichzeitig stellen letztgenannte eine elementare Rahmenbedingung für die konkret erfahrbaren Leistungen und Angebote der Einrichtungen und Dienste vor Ort dar. Es geht also weniger um eine reine Wirkungsmessung und damit die Verengung und Abstraktion der möglichen Ergebnisse auf metrische Werte. Vielmehr
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bedarf es vielfältiger, auf die jeweiligen Arbeitsbereiche der Freien Wohlfahrtspflege ausgerichtete Variationen der Wirkungserfassung. Diese können quantitative wie auch qualitative Ansätze umfassen – in Abhängigkeit der jeweils angestrebten Wirkungen, die es zu erfassen gilt, und dem jeweiligen Kontext. Gleichzeitig ist zu akzeptieren, dass es auch immer Arbeitsbereiche geben wird, in denen eine implizite Wirkung besteht, die nicht bzw. nur durch unverhältnismäßig hohen Ressourceneinsatz expliziert werden kann. Dieses gilt insbesondere für den Nachweis eines Impacts. Denn in der Praxis wird ein Impact mehrheitlich nur durch Plausibilitätsüberlegungen dargestellt werden können. Fazit Die Freie Wohlfahrtspflege tut gut daran, die Wirkungsdebatte aktiv inhaltlich mitzugestalten und Ansätze zur Wirkungserfassung zu erproben, da sonst eine Verengung der Wirkungsdebatte – zu Lasten der Zielsetzung von Sozialer Arbeit – zu befürchten ist. Als elementare Voraussetzung für Wirkungsfragen müssen die Zielsetzung und die Zielgruppe der Angebote und Leistungen der Freien Wohlfahrtspflege herausgestellt werden. Darauf aufbauend kann das Setting einer Wirkungserfassung entwickelt werden. Darüber hinaus wäre zu diskutieren, ob die Freie Wohlfahrtspflege unter den gegebenen Rahmenbedingungen wirkungsorientiert – also vom Ziel aus denkend – arbeiten kann. Letztgenanntes dürfte vor allem für die Ressourcenausstattung relevant sein, denn eine konsequent auf Wirkung ausgerichtete Soziale Arbeit würde auch die dafür zur Verfügung zu stellenden Ressourcen ausschließlich am Ziel ausrichten. Diese sozialpolitische Frage ist zuerst zu klären. Daran schließt sich die Auswahl von Instrumenten und Verfahren zur Wirkungserfassung an, die nicht nur technisch, sondern für die Wirkungsdebatte normativ prägend ist. Die Erhebungsmethoden geben normativ die Intention einer Wirkungserfassung vor und führen selbst auch zu nicht implizierten Effekten (z. B. Creaming-Effekte). Insofern ist in der Praxis zu prüfen: Welche Güte muss die jeweilige Wirkungserfassung erfüllen und inwieweit steht der Aufwand im Verhältnis zur eigentlichen Leistung? Bedarf es – im Sinne von Qualitätsentwicklung – einer hoch ausdifferenzierten Wirkungsanalyse oder geht es um die Plausibilisierung von wirkungsvoller Praxis in der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW 2015)? Auch ethische Einschränkungen der Wirkungserfassung sind trotz methodischer Möglichkeiten zu berücksichtigen (Ziegler 2016). Somit ist die Freie Wohlfahrtspflege in ihrer anwaltschaftlichen Rolle und auch in einem wohlgemeinten Eigeninteresse gefordert, sich noch stärker in die
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Fachdiskussion einzubringen. Sie tut gut daran, sich nicht von der aktuellen Diskussion treiben zu lassen und reaktiv zu agieren, sondern auf Basis ihrer normativen Ziele und dem eigenen Selbstverständnis aktiv die Wirkungsdebatte mitzugestalten. Dieses umfasst auch mit (neuen) Kooperationspartnern, in den einzelnen Arbeitsbereichen Modellprojekte voranzubringen und praxistaugliche Verfahren für eine sachbezogene Wirkungserfassung zu prüfen. Dafür sind einige der oben genannten Projekte und Organisationsstrukturen inspirierende Beispiele. Aber die Gestaltungspotentiale sind in der Freien Wohlfahrtspflege weit größer. Literatur Bibisidis, T. (2018). Die aktuelle Debatte um die Wirkung (in) der Freien Wohlfahrtspflege. Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit: Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit, 3, (S. 3845). Berlin: Deutscher Verein. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). (2011). Konzept einer zukünftigen Qualitätsberichterstattung auf der Grundlage des Projekts Entwicklung und Erprobung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe. http://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Qualitaet/Qualitaetsberichterstattung/Konzept_Qberichtserstsattung.pdf. Zugegriffen 24. Januar 2019. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). (2014a). BAGFW Grundsatzpapier: Qualitätsziele der Wohlfahrtsverbände zur Erreichung ihrer spezifischen Dienstleistungsqualität. Berlin. https://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Qualitaet/Qualitaetsmanagement/QZiele_20140827_mit_Anlagen.pdf. Zugegriffen: 24. Januar 2019. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). (2014b). Wie misst man Teilhabe in der Eingliederungshilfe? Aus Nutzersicht Teilhabe bestimmen und auswerten. Abschlussbericht. Berlin. https://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/ Qualitaet/WmmT/Projektabschlussbericht_BAGFW.pdf. Zugegriffen 17. März 2019. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). (2015). Standortbestimmung der BAGFW zur Wirkungsorientierung in der Arbeit der Freien Wohlfahrtspflege. Berlin. https://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Veroeffentlichungen/Stellungnahmen/2015/Standortbestimmung_zur_Wirkungsorientierung_2015.pdf. Zugegriffen: 24. Januar 2019. Burmester, M., & Wohlfahrt, N. (2018). Wozu die Wirkung Sozialer Arbeit messen? Berlin: Lambertus. Frey, F. (2007). Chancen und Grenzen von Wirkungsorientierung in den Hilfen zur Erziehung. Wiesbaden. Springer VS. Gromann, P., & Brückner, A. (2014). Wie misst man Teilhabe in der Eingliederungshilfe? Abschlussbericht. Berlin. http://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Qualitaet/WmmT/ Wissenschaftlicher_Abschlussbericht_IPH.pdf. Zugegriffen: 24. Januar 2019. Jüster, M. (2015). Die verfehlte Modernisierung der Freien Wohlfahrtspflege. Baden-Baden: Nomos.
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Kähler, T. (2018). Wirkungsorientierte Steuerung kommunaler Sozialpolitik – den Sozialstaat optimieren und entlasten. Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit: Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit, 3, (S. 26–36). Kehl, K., Glänzel, G., Then, V., & Mildenberger, G. (2016). CSI-Transparenzgutachten: Möglichkeiten, Wirkungen (in) der Freien Wohlfahrtspflege zu messen. Berlin: BAGFW. https://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Veroeffentlichungen/Publikationen/CSI_Transparenzgutachten_2016.pdf. Zugegriffen: 24.Januar 2019. Klauß, T. (2018). Wirkungsorientierung bei der Umsetzung des BTHG. Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit: Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit, 3, (S. 52–62). Krimmer, H., Weitemeyer, B., Kleinpeter, S., Vogt, B. & von Schönfeld, F. (2014). Transparenz im Dritten Sektor. Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme. Hamburg: Buccerius Law School Press. Macsenaere, M., & Esser, K. (2015). Was wirkt in der Erziehungshilfe? Wirkfaktoren in Heimerziehung und anderen Hilfearten. München: Reinhardt. Nussbaum, M., & Sen, A. (1993). The Quality of Life. Oxford: Oxford University Press. Rada, A., & Stahlmann, A. (2016). Sozialwirtschaftsstudie Hessen. https://bit.ly/2xnxcfo. Zugegriffen: 24 Januar 2019. Tornow, H. (2018). Wirkungsorientierte Ansätze in der Kinder- und Jugendhilfe. Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit: Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit, 3, (S. 64–73). Wingenfeld, K., & Kleina, T. (2011). Entwicklung und Erprobung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe. Abschlussbericht. Bielefeld. http://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Abschlussbericht_Ergebnisqualitaet_.pdf. Zugegriffen: 24. Februar 2019. Ziegler, H. (2016). „Evidenzbasierte Praxis“. Chancen und Risiken der Wirkungsforschung. Unsere Jugend, 6, (S. 224–231).
Wirkungsorientierung, Wirkungsanalyse und Evaluation als Professionsthemen in Studium und Weiterbildung Cornelia Kricheldorff und Ines Himmelsbach
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Wirkungsorientierung und Evaluation als Gradmesser von Professionalisierung in der Sozialen Arbeit von heute
Die Fachdebatten und neuen Gestaltungsoptionen, die mit dem Bologna-Prozess verbunden waren, haben in den letzten 15 Jahren die Hochschullandschaft und damit auch das Studium erheblichen Veränderungsprozessen unterworfen. Mit den gestuften Bildungsabschlüssen, gegliedert nach Bachelor und Master, wurden nicht nur die Möglichkeiten akademischer Anschlussqualifikationen bis hin zur Promotion einer breiteren Gruppe von Absolvent*innen der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften eröffnet (vgl. Suchanek, Pietzonka, Künzel & Futterer 2012; BMBF 2008). Gleichzeitig entstanden in diesem Kontext auch kritische Entwicklungen und neue Debatten, wie beispielsweise die Frage der staatlichen Anerkennung, die beispielsweise mit einem Bachelorabschluss Soziale Arbeit nicht immer gleichzeitig erworben wird, vor Bologna aber als zentrales Professionsmerkmal klar geregelt war (DBSH 2018, 2009 und 2005; Fachbereichstag Soziale Arbeit 2018). Eine hohe Relevanz haben in diesem Kontext die Zeiten für praktische Studienphasen – lange Zeit das Aushängeschild und Unterscheidungsmerkmal der Fachhochschulen gegenüber den Universitäten – die sich mit der Konzentration des Studiums im Bachelorbereich auf deutlich knappere Zeiträume verkürzt haben. Studienverläufe wurden damit verdichtet und es geht auch im Studium spürbar um Effizienz. ECTS-Punkte sind damit zu einer neuen Währung an den Hochschulen geworden und die Frage, mit welchem Einsatz und welchen Leistungen diese erworben werden, bestimmt zunehmend die Debatten zwischen Studierenden und Lehrenden. Parallel dazu hat sich auch die Fachpraxis vielfach verändert. Wiederum am Beispiel der Sozialen Arbeit, die zentrale Profession im Kontext von neuen Ansätzen und Konzepten in der Quartiersarbeit, lässt sich das gut verdeutlichen. Es geht mittlerweile auf allen Ebenen verstärkt um den Nachweis und die Messung von Wirkungen des professionellen Handelns – und das vor dem Hintergrund massiver gesellschaftlicher Wandlungsprozesse (Ottmann & König 2018).
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_5
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Denn einerseits lassen sich in vielen, vor allem städtischen Quartieren klare gesellschaftliche Tendenzen einer verstärkten sozialen Differenzierung ausmachen, die zu zunehmender sozialer Ungleichheit und Bedürftigkeit führen (Häußermann & Kronauer 2009; Harth, Scheller & Tessin 2000). In der Sozialen Arbeit wächst damit der Druck in Bezug auf nachhaltiges Handeln und es entsteht die politische Forderung nach einem effizienten Einsatz von Mitteln und Ressourcen, im Sinne von definierten Standards (vgl. Hansen 2009). Andererseits wurden die Ausgaben im sozialen Bereich, speziell in der Quartiersarbeit, in den vergangenen Jahren vielerorts eher zurückgefahren, weil die Kommunen dies als freiwillige soziale Aufgabe nicht mehr finanzieren können oder wollen. Die institutionellen Rahmenbedingungen des professionellen Handelns der Sozialen Arbeit in Sozialraum und Quartier sind davon in besonderer Weise betroffen. Über neue Steuerungsmodelle und Budgetierung sind soziale Berufe insgesamt zunehmend mit der Frage der Wirkung von Maßnahmen und Interventionen in der Praxis konfrontiert. Wirkungsorientierung und Wirkungsanalyse werden damit in allen Handlungsfeldern zur zentralen Legitimation und zum Gradmesser für das Ausmaß an Professionalisierung in der Praxis (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2018). Befördert wurde diese Entwicklung in den vergangenen Jahren auch durch „(…) die Anerkennung der Sozialen Arbeit als eigenständige Fachwissenschaft durch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und die Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahre 2001(…)“ (DGSA 2016, S. 1). Die Auswirkungen auf Lehrinhalte und Schwerpunkte im Studium der Sozialen Arbeit waren seitdem unübersehbar. Fragen der Wirkungsorientierung und der kritischen Wirkungsanalyse, verbunden mit dafür geeigneten Forschungs- und Evaluationsansätzen wurden dadurch zu wichtigen Anliegen im Studium und in wissenschaftlichen Weiterbildungen an Hochschulen (Bock 2005). Dieser Beitrag beleuchtet diese Entwicklungen im Studium beispielhaft am Ansatz des Forschenden Lernens, vor allem in der Studieneingangsphase an unserer Hochschule verankert sowie am Beispiel des Projektstudiums. Auch im Kontext der Wissenschaftlichen Weiterbildung „Altern in Sozialraum und Quartier – Kommunale Beratung und Vernetzung“ wird das Anliegen von Wirkungsforschung und -analyse exemplarisch für die Weiterbildung insgesamt beleuchtet. Damit wird punktuell und exemplarisch deutlich, wie Wirkungsorientierung, Wirkungsanalyse und Evaluation als aktuelle Professionsthemen in Studium und Weiterbildung aufgegriffen werden.
Wirkungsorientierung, Wirkungsanalyse und Evaluation 2
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Wirkungsorientierung am Beispiel Forschendes Lernen und Projektstudium
Das Forschende Lernen ist ein gegenwärtig stark favorisiertes hochschuldidaktisches Konzept, das in curricularen Hochschuldebatten allerdings nicht wirklich neu ist. Es tauchte bereits im Zuge der deutschen Bildungsreformen in den 1970er Jahren in Fachdiskursen auf, erstmalig dokumentiert in einem Papier der Bundesassistentenkonferenz (1970), verlor dann aber wieder an Aktualität. Seine gegenwärtig neue Konjunktur (Huber 2014, 2004; Huber, Hellmer & Schneider 2009) spiegelt aber sehr deutlich die mittlerweile veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Auch wenn es aktuell erneut um einen Reformdiskurs geht, erfolgen die didaktischen Debatten zum Forschenden Lernen doch unter ganz anderen bildungsund hochschulpolitischen Vorzeichen. Im Kontext des Umbaus der deutschen Hochschulbildungslandschaft in der Logik von Bologna (BMBF 2008) werden aktuell diverse Hochschulkonzeptionen kontrovers diskutiert, die sich von der Ausgangssituation 1970 deutlich unterscheiden. Nicht zuletzt hat in den deutschen Hochschulen eine stärkere unternehmerische Logik Einzug gehalten, die von EUVorgaben zum Leistungsrecht und zur Drittelmittelbewirtschaftung im Forschungsbereich getriggert wird. Die Bundesassistentenkonferenz hatte im Jahr 1970, vor dem damaligen gesellschaftlichen Hintergrund, eine ganz andere Hochschule im Blick und zielte mit ihrem Positionspapier vorrangig auf eine stärkere Beteiligung Studierender an Forschung. Dies ist rückblickend vor allem im Zusammenhang mit den Emanzipationsbestrebungen der Studentenbewegung und der damit verbundenen Infragestellung überkommener Strukturen an den Hochschulen zu sehen (Huber 2004, S. 30f.). Dort, wo heute das Forschende Lernen an deutschen Hochschulen erneut curricular verankert wird, geht es hingegen vor allem um seine inhärente Ausrichtung als aktivierende Methode, die die Selbsttätigkeit fördern und das Problembewusstsein für das eigene Handeln schärfen soll. Dies schließt - ganz im Sinne eines Vorgehens nach dem Handlungszyklus im Forschungsprozess - die Wirkungsanalyse als Ausgangspunkt für Interventionen bis hin zur Evaluation als Überprüfung des professionellen Vorgehens und seiner Wirkmechanismen ein. Forschendes Lernen ist heute also eher die Befähigung zum wirkungsorientierten, reflektierten professionellen Handeln. Das Bemühen und Ringen um Veränderung im Lehrbetrieb an Hochschulen ist damit ganz anders motiviert und mit anderen Zielsetzungen verbunden, als dies in den Anfängen des Forschenden Lernens der Fall war. Die auf die Bedarfe der Praxis orientierte und eher von einer unternehmerischen Logik geprägte Hochschule von heute, zielt hingegen eher auf einen defi-
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nierten Kompetenzerwerb in Richtung Selbststeuerung, im Sinne einer verbesserten Employability der Studierenden. Damit rücken Wirkungsorientierung, Wirkungsanalyse und Evaluation im Studium schon früh ins Blickfeld von Lehrenden und Studierenden. Die Frage der Orientierung an der Nützlichkeit des Erlernten steht damit stärker im Vordergrund als die Persönlichkeitsentwicklung im Rahmen des Studiums. Das macht einen entscheidenden Unterschied im Vergleich zu den Anfängen des Forschenden Lernens und seiner Funktion im Kontext eines Hochschulstudiums und stellt gleichzeitig eine große Gefahr dar. Und diese Frage der Verwertbarkeit und Nützlichkeit der vermittelten Inhalte gilt noch sehr viel stärker im Bereich der Wissenschaftlichen Weiterbildung. Zutreffend sind diese Einflussfaktoren auch für das Projektstudium, das noch stärker die Verzahnung mit Forschung und die konzeptionelle Entwicklung für die einschlägige Fachpraxis aufgreift. Als Lernort für Wirkungsforschung und Evaluation einerseits, stellt das Studium auf der Basis realer Projekte die Verbindung von Handlungsfeld- und Praxisorientierung dar. Dabei nimmt das Projektstudium, in Verbindung mit einem gezielten Kompetenzerwerb im Projekt- und Sozialmanagement, mittlerweile eine zentrale Stelle in vielen Studienprogrammen ein. Das Curriculum wird damit der Tatsache gerecht, dass die Fähigkeit, Projekte zu initiieren, in rechtlicher und ökonomischer Perspektive zu reflektieren, zu realisieren und zu evaluieren, mittlerweile zu den Grundqualifikationen, auch in der Praxis der Sozialen Arbeit, geworden ist. Das gilt in besonderem Maße in der Quartiersarbeit, die überwiegend projektartig angelegt und strukturiert ist und nur selten über eine Regelfinanzierung abgesichert läuft. Es gilt also – sowohl beim Forschenden Lernen, wie auch im Projektstudium – die Balance zwischen den Forderungen der Fachpraxis nach Wirksamkeitsorientierung und dem für Bildungsprozesse unabdingbaren Auftrag der Persönlichkeitsentwicklung in den Blick zu nehmen. Relevante Professionsthemen sind in Studium und Weiterbildung nicht nur verwertungsorientiert zu konzipieren, ohne dabei auch die persönliche Stärkung und Weiterentwicklung der Lernenden in den Blick zu nehmen. Bildung ist in ihrer Prozesshaftigkeit eben mehr als der Erwerb von Wissen und Kompetenzen und der Bildungsauftrag schließt die ganze Person ein. Das muss bei der Konzeption von Studienprogrammen und Weiterbildungen unbedingt im Blick bleiben. 3
Altern in Sozialraum und Quartier – Wirkungsorientierung in der Wissenschaftlichen Weiterbildung
Die wissenschaftliche Weiterbildung ‚Altern in Sozialraum und Quartier – Kommunale Beratung und Vernetzung‘ (WWB) ist Teil eines Verbundprojektes, das
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wissenschaftliche Weiterbildungen anrechnungs- und anerkennungsfähig für ein auch formal weiterqualifizierendes Studium macht, indem diese mit ECTS Punkten hinterlegt werden. Damit ist in Kombination mit einem Master-Abschluss-Modul die Möglichkeit der Erlangung eines Masters of Arts, der ‚M.A. Angewandte Gerontologie‘, geschaffen worden. Das Verbundprojekt wird im Rahmen der Projektlinie „Aufbau und Ausbau von Strukturen der wissenschaftlichen Weiterbildung an Hochschulen in Baden-Württemberg“ aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und aus Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie des Ministeriums für Soziales und Integration gefördert. Das Modell dieses Verbundmasters sieht vor, dass die drei wissenschaftlichen Weiterbildungen Altern in Sozialraum und Quartier, Multidisziplinäre Interventionsgerontologie (Hochschule Mannheim), Gesundheit – Case Management und Planung (Katholische Stiftungshochschule München) jeweils mit 30 ECTS hinterlegt sind. Sie können entweder einzeln studiert werden und münden dann jeweils in den Abschluss eines Certificate of Advanced Studies (CAS) oder sie können in einem Baukastensystem mit der Auswahl von zwei aus dreien und einem ebenfalls 30 ECTS umfassenden Master-Abschluss-Modul an der KH Freiburg zum Master kombiniert werden (Abbildung 1).
Abbildung 1:
Überblick über die wissenschaftlichen Weiterbildungen und das Konzept des Verbundmasters Angewandte Gerontologie
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Inhaltlich besteht die wissenschaftliche Weiterbildung an der KH Freiburg aus fünf Modulen, die umfassend die Bereiche Altern und Sozialraum behandeln und damit gezielt auf die Arbeit in Sozialraum und Quartier vorbereiten, mit dem Fokus auf Optimierung der Lebensbedingungen im Alter. Bei den WeiterbildungsModulen handelt es sich um die Themenbereiche • • • • •
Altern im Sozialraum und Quartier, Strukturelle, politische und rechtliche Grundlagen Bildung und Soziale Netzwerkarbeit Lehr-Forschungsprojekt Thematische Vertiefung und Exkurse (Gender, Technik, Architektur).
Die Weiterbildung bereitet damit für Tätigkeiten im Bereich der offenen Altenhilfe, der Sozialplanung, der Arbeit im Rahmen von neuen quartiersbezogenen Pflegekonzepten und auf die Initiierung und Begleitung intergenerationeller Settings im Quartier vor. Alle drei Weiterbildungsangebote im Verbundprojekt, werden berufsbegleitend in 12 Blöcken à drei Tagen angeboten und sind mit der Erarbeitung eines bewerteten Lehr-Forschungsprojektes verwoben, das als klassisches Projektstudium aufgebaut, zumeist nah an Fragestellungen des eigenen Arbeitsalltags gewählt wird. 3.1 Wirkungsorientierung und Persönlichkeitsentwicklung als Balanceakt in Studium und Weiterbildung Schon in der Konzeption der Wissenschaftlichen Weiterbildung und des MasterAbschluss-Moduls sowie im Gesamtrahmen sind Fragen der Wirkungsorientierung, Wirkungsanalyse und Evaluation fest verankert. Der Prozessverlauf der Wissenschaftlichen Weiterbildung folgt auf den ersten Blick einer klaren Verwertungslogik für die eigene Fachpraxis. Allerdings – und das ist ein wichtiger Bezugspunkt im Curriculum – spielt der persönliche Lerngewinn und damit die eigene Persönlichkeitsentwicklung ebenfalls eine zentrale Rolle, die im Verlauf der Weiterbildung einen ermöglichenden Rahmen findet und wachsen kann. Dies geschieht über reflexive Anteile und Schleifen, die vor allem im Gruppenprozess einen geeigneten Rahmen finden, der stark von der Kontinuität der Teilnehmenden geprägt ist. Dadurch entsteht ein Lernsetting, das einerseits einen verlässlichen und sicheren Raum bietet und andererseits auf die konstruktiv-kritische Rückmeldung der anderen Gruppenmitglieder setzt.
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Im Projektstudium werden damit Fragen der unmittelbaren Umsetzbarkeit, Wirksamkeit und Verwertung von Projektergebnissen für die eigene Fachpraxis ebenso relevant, wie das persönliche Wachstum, auch im Sinne eines Zuwachses an Professionalität. Dabei ist die ausgeprägte Identifikation mit der Lerngruppe ein starker Faktor. Dies fördert die persönliche und fachliche Weiterentwicklung gleichermaßen und schärft zusätzlich den Blick auf die Wirksamkeit des eigenen professionellen Handelns durch das Korrektiv Lerngruppe. Wenn das Projektstudium so angelegt ist, liegt darin ein besonderer Gewinn. 3.2 Wirkungsorientierung im Hinblick auf professionelle Bedarfe und organisationsbezogene Logiken In Bezug auf die Ausbildung zu Fragen des Alterns hat sich mittlerweile eine Landschaft etabliert, die von Kessler, Hoff und Franke (2017) näher beschrieben wurde. Insgesamt hat auch in der Ausbildung im Bereich der Gerontologie ein Wandel stattgefunden. Universitäre Angebote sind in den letzten Jahren weniger geworden, wohingegen ein Ausbau an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) stattgefunden hat. Kessler und Kollegen identifizieren für Deutschland 16 gerontologisch orientierte Studienangebote, von denen zwei Drittel an HAWen angeboten werden, nur drei der Studienangebote sind BachelorStudiengänge. Dies lässt auf einen Trend schließen, der sich durch die Erfahrungen von Studienangeboten in den letzten Jahren schlicht empirisch durchgesetzt hat und auf den auch die dargestellte Wissenschaftliche Weiterbildung reagiert: Einerseits scheint im Rahmen der Sozialen Arbeit eher eine Employability für Absolventen geschaffen zu werden. Andererseits zeigt das Abnehmen der grundständigen Studiengänge, dass Themen und Fragen des Alterns eher in Fort- und Weiterbildung bzw. eines nachgängigen Studiums gefragt zu sein scheinen, das auf ein Bachelor-Studium oder auf eine Berufstätigkeit in Basisqualifikationen der Sozialen Arbeit, der Pädagogik oder der Psychologie aufgesetzt wird. Dies zeigt sich auch darin, dass das Teilzeitstudium und berufsbegleitende Lehrveranstaltungen eine bedeutende Rolle spielen: Sechs Studiengänge verstehen sich explizit als berufsbegleitend und auch bei den Vollzeitstudiengängen werden oftmals Teilzeitangebote angegeben (Kessler et al. 2017). Diese klar erkennbaren Bedarfe und professionellen Logiken wurden bei der Entwicklung der Wissenschaftlichen Weiterbildung ‚Altern in Sozialraum und Quartier‘ und im Verbundmaster ‚Angewandte Gerontologie‘ bewusst aufgegriffen. In Aufbau, Struktur und Organisationsform wurden diese Vorgaben und Erkenntnissen aus der einschlägigen Fachpraxis aufgegriffen und konzeptionell umgesetzt.
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3.3 Wirkungsorientierung und Bedarfsanalyse als Referenzgrößen in der Konzeptentwicklung Um einer Wirkungsorientierung, in Bezug auf ein neu zu schaffendes Qualifizierungsangebot, projekt-, aber auch organisationsintern gerecht zu werden, wurde im Vorfeld der Angebotsentwicklung der Wissenschaftliche Weiterbildung ‚Altern in Sozialraum und Quartier‘ eine Bedarfsanalyse durchgeführt, welche anstrebte, die Bedeutung von wissenschaftlichen Weiterbildungen und berufsbegleitenden Studiengängen für unser Marksegment zu eruieren. Die eingangs erwähnte Marktorientierung von Hochschulen, gepaart mit neuen Anforderungen an ein gerontologisches Studium, das aber an allen Standorten nah an der Profession der Sozialen Arbeit angesiedelt werden sollte, machte dies als einen unerlässlichen Schritt der (zukünftigen) Wirkungsorientierung deutlich: Braucht das Praxisfeld neue Formen der Aus- und Weiterbildung? Die Frage war sowohl im Hinblick auf den Arbeitsmarkt selbst, wie auch auf das Studierendeninteresse zu beantworten. Zentrale Ergebnisse lagen neben der allgemein großen Bedeutung des Lebenslangen Lernens im Kontext des demografischen Wandels und dem hohen Stellenwert von (relevanten) Zertifikaten und Abschlüssen in der Heterogenität des altern(s)bezogenen Arbeitsmarktes sowie entsprechender Strukturen und Studieninteressen, die sehr breit gefächert, aber nah an der eigenen Arbeitsrealität verortet sind (Müller, Himmelsbach & Kricheldorff 2018; Hedtke-Becker, Himmelsbach, Wolfinger & Müller 2018). Dies beförderte den Gedanken des Projektes in sich abgeschlossene und inhaltlich fokussierte Weiterbildungen anzubieten, die die Orientierung und Bedarfsgerechtigkeit zu Fragen des Alterns und Altern im jeweiligen Arbeitskontext erleichtern. Ein weiteres Ergebnis der Befragungen zeigte eine Differenzierung in den Bedarfen nach wissenschaftlichen und eher fachlich-praktischen bzw. anwendungsbezogenen Angeboten sowie einen hohen Stellenwert von Theorie-Praxis-Bezug. So wird nach Knowhow gesucht, das zwar direkt anschlussfähig und umsetzbar in der Praxis ist, aber gleichermaßen durch Evidenz basiert und empirisch erprobt ist. Insofern zeigte sich im Rahmen der Bedarfsanalyse, dass Formen des Forschenden Lernens und des Projektstudiums von der Praxis verlangt und eingefordert werden. Auch die Bereitschaft zur Unterstützung von Weiterbildungsvorhaben von Seiten der Arbeitgeber in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren wie Mittel, Ressourcen, Position, Tätigkeitsbereich wurden erwähnt. Somit wird das Baukastenmodell des Verbundmasters und die damit einhergehende Flexibilität begrüßt, da es flexibel je nach Bedarf und thematischem Schwerpunkt eingesetzt werden kann und gleichermaßen Umsetzbarkeit und Abschlüsse verspricht. Zudem ermöglicht das Angebot auch organisationsbezogen
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ein Angebot, mit dem Weiterbildung an der Hochschule, versehen mit der ‚Währung‘ von ECTS und unterhalb der Schwelle von BA- und MA-Studiengängen (Vogt 2010) institutionell etabliert werden kann. 3.4 Wirkungsorientierung und Evaluation Wirkungsorientierung als Richtschnur bei der Entwicklung und Implementierung der Konzeption für die Wissenschaftliche Weiterbildung bleibt jedoch nicht bei der Bedarfsanalyse stehen. Vielmehr hat sich der Gedanke der Überprüfung von Wirksamkeit auch im Hochschulbetrieb selbst als konstitutives Element verankert und zeigt sich in Bezug auf die Wirkungsorientierung organisationsintern in der Forderung nach konstanter Evaluation und Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Weiterbildungen und des Verbundmasters. Dabei steht die Evaluation der einzelnen Weiterbildungen sowie der Studiengang als Ganzes, als auch der Verbleib von Absolventen im Fokus, die im Projekt selbst mittels eines Evaluationskonzeptes angelegt, zum Teil bereits gegenwärtig, zum Teil zukünftig, bearbeitet werden. Lehrevaluationen werden im Allgemeinen durchgeführt, um die Qualität des Lehrangebots zu dokumentieren und kontinuierlich zu verbessern. Die Qualität der Lehre ist ein vielschichtiges Produkt, das in der Interaktion zwischen den Lehrenden bzw. der Hochschule und den Lernenden entsteht (Stangl 1996). Objektiv messbare Kriterien dafür gibt es nicht und was eine ‚gute‘ Lehrveranstaltung ist, hängt auch stark vom Setting ab. Entscheidend ist bei der Beurteilung des Angebots „Verbundmaster Angewandte Gerontologie“ die Ergebnisqualität, d. h. – kurzfristig gesehen – der objektive Lernerfolg und Kompetenzzuwachs der Absolvent*innen und längerfristig deren Berufserfolg bzw. weiter gefasst eine positive Lebensbewältigung. Die Strukturqualität (etwa Umfeldfaktoren im Studium wie Räumlichkeiten, Ausstattung, Lehrkompetenz der Dozent*innen u. a.) und die Prozessqualität (u. a. das Verhalten von Lehrenden und Lernenden) sind eigentlich nur Mittel zum Zweck, wobei der Einfluss der Struktur- und Prozessqualität auf die Ergebnisqualität im Allgemeinen zwar unterstellt wird, im Einzelnen aber empirisch nicht nachweisbar ist (Donabedian 1980). Gute Studienabschlüsse und eine erfolgreiche spätere Berufslaufbahn hängen eben nicht nur von Faktoren beeinflusst durch die Hochschule ab, sondern auch von den persönlichen Voraussetzungen der Absolvent*innen (IQ, Motivation, Vorwissen, etc.), ihrer Lebenssituation und vielen weiteren Merkmalen (Bargel & El Hage 2000). Aus betriebswirtschaftlicher Sicht muss allerdings von Seiten der Hochschulen berücksichtigt werden, dass wissenschaftliche Weiterbildungen in der Regel vollkostenfinanziert sind und sich im Wettbewerb des Marktes behaupten müssen. Somit kommt der Sicherung
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der Servicequalität (angenehme Rahmenbedingungen, Catering, Ausstattung, etc.) eine wichtige Funktion als Marketinginstrument zu (Salland 2018, S. 150). Im Konzert dieser Forderungen bewegt sich auch die Evaluation des beschriebenen Angebots. Evaluationen des Verbundmasters Angewandte Gerontologie werden auf verschiedenen Ebenen mit teilweise unterschiedlicher Zielsetzung durchgeführt. Folgende Ebenen sind unterscheidbar: • • •
Einzelveranstaltung als Blocktermine: Evaluationsanliegen sind hier vor allem Ergebnisqualität und Strukturqualität Abgeschlossene Wissenschaftliche Weiterbildungen oder Masterabschlussmodul, jeweils mit Abschlüssen hinterlegt (CAS und Master M.A.): Anliegen ist hier auch die Prozessqualität in den Fokus zu nehmen. Studiengang „Verbundmaster Angewandte Gerontologie“ = 2 Weiterbildungen + Masterabschlussmodul: Im Rahmen der Evaluationsordnungen der Studiengänge soll eine Vergleichbarkeit mit anderen Studiengängen im Haus sowie der Verbleib der Studierenden in den Blick geraten.
Allgemein gilt bei der Evaluation des Verbundprojektes, dass der betriebene Aufwand durch den Nutzen gerechtfertigt sein muss, dies insbesondere, da zusätzlich noch drei verschiedene Logiken der einzelnen Hochschulen in den Blick genommen werden müssen. Eine Minimierung der Evaluationserhebungen wird daher angestrebt. Allerdings bietet es auch die Beobachtung der zunehmenden Integration ‚nicht-traditioneller‘ Studierender. Insofern ist es lohnenswert mit der Evaluation beispielsweise atypische Bildungsverläufe, -motivationen und Lernvoraussetzung in den Blick zu nehmen (Salland 2018, S. 152). 3.5 Wirkungsorientierung und -analyse im Rahmen der Lehre in der Wissenschaftlichen Weiterbildung Altern in Sozialraum und Quartier Ganz anders gestaltet sich das Vermitteln von Zusammenhängen und Inhalten der Wirkungsanalyse in der Wissenschaftlichen Weiterbildung immanent. Um den eingangs erwähnten heutigen Ansprüchen an Studiengänge in der Logik des Bologna-Prozesses allgemein und an die Soziale Arbeit im Besonderen gerecht zu werden, aber auch um den Erwartungen von Interessenten und Teilnehmenden gerecht zu werden, ist die Vermittlung von Methoden und Formaten der Wirkungsanalyse auch zentraler Bestandteil der Wissenschaftlichen Weiterbildung selbst. Damit kann auch das Problem verkürzter Praxisphasen im Studium aufgegriffen werden, das eingangs skizziert wurde. Wenn es sich nämlich um Weiterbildungsteilnehmende handelt, die mitten im Berufsleben stehen, können sich verkürzende
Wirkungsorientierung, Wirkungsanalyse und Evaluation
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Praxissemester dadurch kompensiert werden, dass begleitend zum Arbeitsleben – im Rahmen der Weiterbildung – Formen des Projektstudiums und des Forschenden Lernens (Euler 2005) an konkreten Beispielen der Praxis erprobt und bestenfalls dann auch für das weitere Handeln etabliert werden. In der hier skizzierten Weiterbildung geschieht dies im Rahmen eines über den kompletten Verlauf der Weiterbildung angelegten Lehr-Forschungsprojektes (3 Semester). Die Teilnehmenden erarbeiten dabei in einem Exposé ihre Fragestellung, die dazu entsprechende theoretische Rahmung, sowie die (Forschungs-)Methodik. Darauf aufbauend setzen sie die eigene Forschungstätigkeit um und schreiben über dieses Projekt eine benotete Abschlussarbeit. Auf diesem Weg werden die Kompetenzen in Bezug auf Projektmanagement, Integration von Forschungskompetenzen theoretischer Debatten in die eigenen Arbeitsfelder als (Re-) Aktualisierung des notwendigen professionellen Handelns erworben. Positiv gewendet kann darin eine Verdichtung von Effizienz (oben eher kritisch angemerkt) gesehen werden. Das Thema der Wirkungsanalyse und Wirkungsorientierung ist aber auch Bestandteil in den Themen selbst, wenn auch nicht in expliziter Weise. Gradmesser für die Reflexion über Wirkungsprozesse sind bspw. Methoden der Umsetzung von Quartiersprozessen und damit die Etablierung von Reflexionsinstrumenten zum Gelingen und Scheitern der Arbeit im Quartier. Dies geschieht auf der Ebene der Fundierung von Methoden der Sozialen Arbeit im Modul ‚Bildung und Soziale Netzwerkarbeit‘ und auf der Ebene von kommunalen Prozessen im Modul ‚Strukturelle, politische und rechtliche Grundlagen‘. 4
Fazit
Wirkungsorientierung, Wirkungsanalyse und Evaluation sind also einerseits wichtige Verfahren im Qualitätsmanagement, die – im Studium und in der Weiterbildung vermittelt – zu einer stärkeren Professionalisierung führen können. Gleichzeitig birgt die einseitige Orientierung am definierten Outcome, also an der Wirksamkeit von Maßnahmen, die Gefahr einer Verengung des professionellen Blickwinkels und Handelns, wobei der Einfluss der professionell handelnden Person als solche vernachlässigt wird. Gerade im Bereich der Sozialen Arbeit im Sozialraum sind Kommunikation und Persönlichkeit der professionell in der Quartiersarbeit tätigen Fachkräfte aber wichtige Einflussgrößen auf den Erfolg der durchgeführten Projekte und Maßnahmen. Erprobung und Messung von Wirkungen des professionellen Handelns sind in diesem Tätigkeitsfeld aber auch strukturell notwendig, weil sich nur daraus nächste notwendige Schritte zur Arbeit im Quartier ableiten lassen. Auf diesem
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Cornelia Kricheldorff und Ines Himmelsbach
Weg kann einerseits mehr Professionalität im Sinne von bewusster Wirkungsorientierung erwachsen und andererseits ein effizienter Einsatz von Mitteln und ohnehin knappen Ressourcen erfolgen. In der Vermittlung relevanter Lehrinhalte im Studium und in der Weiterbildung ist vor diesem Hintergrund aber immer auf die Balance zwischen Wirksamkeitsorientierung und Förderung der persönlichen Entwicklung zu achten – beides Elemente einer nachhaltigen und an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Professionalisierung. Literatur Bargel, T., & El Hage, N. (2000). Evaluation der Hochschullehre. Modelle, Probleme und Perspektiven. In A. Helmke, W. Hornstein & E. Terhart (Hrsg.), Qualität und Qualitätssicherung im Bildungsbereich. Weinheim: Juventa. Bock, K. (2005). Forschung im Studium der Sozialen Arbeit. Forschendes Lernen und lernendes Forschen in der sozialpädagogischen Aus-, Fort- und Weiterbildung. In C. Schweppe & W. Thole (Hrsg.), Sozialpädagogik als forschende Disziplin. Theorie, Methode, Empirie. Weinheim, München: Juventa. Bundesministerium für Bildung und Forschung. (BMBF). (2008). Der Bologna-Prozess. https://www.bmbf.de/de/der-bologna-prozess-die-europaeische-studienreform1038.html. Zugegriffen: 10. Januar 2019. Bundesassistentenkonferenz. (1970). Forschendes Lernen – Wissenschaftliches Prüfen. Schriften der Bundesassistentenkonferenz 5. Bonn: BAKS. Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (DBSH). (2005). Staatliche Anerkennung – Forderungen des DBSH von Mindeststandards. https://www.dbsh.de/fileadmin/downloads/StaatlicheAnerkennung.pdf. Zugegriffen: 10. Januar 2019. Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (DBSH). (2009). Staatliche Anerkennung für Sozialarbeiter darf keine Mogelpackung sein. https://www.dbsh.de/fileadmin/downloads/StaatlicheAnerkennungMogelpackung_01.pdf. Zugegriffen: 10. Januar 2019. Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (DBSH). (2018). Stellungnahmen zur Staatlichen Anerkennung. https://www.dbsh.de/profession/berufspolitische-veroeffentlichungen/stellungnahmen-zur-staatlichen-anerkennung.html. Zugegriffen: 10. Januar 2019. Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit. (DGSA). (2016). Kerncurriculum Soziale Arbeit. Eine Positionierung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit. https://www.hrknexus.de/fileadmin/redaktion/hrk-nexus/07-Downloads/DGSA_Kerncurriculum_final.pdf. Zugegriffen: 10. Januar 2019. Deutsche Gesellschaft für Wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium. (2017). Empfehlung: Zur Struktur und Transparenz von Angeboten der Wissenschaftlichen Weiterbildung an Hochschulen in Baden-Württemberg. https://dgwf.net/files/web/LG/lg-baden-wuertemberg/Transparenzraster-WB-Formate-DGWF-LGBW.pdf. Zugegriffen: 10. Januar 2019.
Wirkungsorientierung, Wirkungsanalyse und Evaluation
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Die Debatte um Qualität, Evaluation und Wirkung in der Gesundheitsförderung Stephanie Funk
Vorbemerkung Die Debatte um Wirkungen in der Quartiersentwicklung wird von verschiedenen Professionen geführt. Der folgende Beitrag skizziert, wie der Diskurs um Wirkung und Qualität in der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung geführt wurde und wird. Die beschriebenen Aspekte sind Anknüpfungspunkte, die für die Wirkungsdebatte im Quartier nutzbar sind. Denn zum einen ist das Quartier ein zentrales Setting für die Umsetzung gesundheitsförderlicher Strategien, sodass es Schnittpunkte der Handlungskonzepte gibt (z. B. quartiers- oder gemeindebezogene Gesundheitsförderung). Zum anderen sind sowohl das Arbeitsfeld der Quartiersentwicklung als auch das Arbeitsfeld ‚Gesundheitsförderung‘ vorrangig durch zeitlich begrenzte, projektförmige Arbeitsvorhaben charakterisiert. In beiden Arbeitsfeldern wird die Praxis mit Qualitäts- und Wirkungsanforderungen von Seiten der Fördermittelgeber, Politik und den Trägerorganisationen konfrontiert. Zugleich fehlt ein allgemeingültiger Orientierungsrahmen für Qualität und Wirkung. 1
Einleitung
Das Gesundheitssystem in Deutschland besteht aus verschiedenen Leistungsbereichen, denen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene gesetzliche Rahmenbedingungen zugrunde liegen und die in Verantwortung verschiedener Leistungsund Kostenträger umgesetzt werden (Simon 2011). Prävention und Gesundheitsförderung sind zwei dieser Leistungsbereiche, die in den vergangenen Jahren zunehmend an Stellenwert und Bedeutung erlangt haben (Kolip 2006). Gründe hierfür sind insbesondere der epidemiologische Wandel (findet z. B. Ausdruck in steigenden Prävalenzen chronischer Krankheiten) und der demographische Wandel (alternde Gesellschaft aufgrund steigender Lebenserwartung und geringerer Geburtenraten), wodurch sich Anforderungen an die gesundheitliche Versorgung verändern. Es gilt, mit Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung, Lebensbedingungen zu schaffen, die es den Menschen ermöglichen bzw. sie dazu befähigen, möglichst lange gesund zu leben. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_6
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Stephanie Funk
Maßgebliche Leistungsträger präventiver Maßnahmen sind die Krankenkassen bzw. Gesundheitskassen, die nach § 20 SGB V Maßnahmen der Verhaltensprävention (z. B. Ernährungs-, Bewegungskurse, Maßnahmen zur Rauchprävention), Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten sowie die betriebliche Gesundheitsförderung unterstützen und fördern. Zunehmend gelangen sozial bedingte Ungleichheiten und lebensweltbezogene Ansätze in den Fokus, während es sich zu Beginn eher um „primär präventiv und monothematisch ausgerichtete Interventionen“ (Kilian et al. 2008, S. 18) handelte. Dass im Kontext der Prävention und Gesundheitsförderung seit einigen Jahren zunehmend Fragen der Qualitätsentwicklung und Forderungen nach Wirkungsnachweisen laut werden, ist kein Zufall. Gegenüber den Krankenkassen wurden Vorwürfe erhoben, dass diese Maßnahmen förderten, die nicht wirksam seien, sondern ausschließlich der Werbung um weitere Kundschaft dienten (Kolip 2006; Walter et al. 2001). Diese Diskussion gewann insbesondere durch die bestehende Kostendämpfungsdebatte im Gesundheitswesen und der Anforderung, limitierte Ressourcen möglichst effizient einzusetzen, Aufwind. Auch aus der Perspektive der Gesundheitsförderungspraxis heraus gab es eine Entwicklung: Standen in den Anfangszeiten der Prävention und Gesundheitsförderung Fragen nach einer ‚guten‘ Implementation und Umsetzung im Vordergrund, wird mittlerweile gefragt, welchen Effekt gesundheitsförderliche Aktivitäten haben und ob bzw. inwiefern sich Lebenswelten und -stile durch Aktivitäten der Prävention und Gesundheitsförderung verändern (Ruckstuhl 2009; Walter et al. 2001). Was aber meint ‚Qualität‘ in der Gesundheitsförderung? Wo kann ein Qualitätsmanagement, vor allem in einer settingorientierten Arbeit, ansetzen und wie kann bzw. wird über Wirkung im Kontext der Gesundheitsförderung gesprochen? Welchen Stellenwert erhält Evaluation? An diesen Fragen setzt der folgende Beitrag an und gibt einen komprimierten Überblick über bestehende Ansätze und Initiativen, die sich mit der Qualitätsentwicklung und -sicherung gesundheitsförderlicher Maßnahmen auseinandersetzen. 2
Was ist Gesundheitsförderung?
Um Aktivitäten, Maßnahmen und Interventionen zu beschreiben, die darauf abzielen Krankheiten zu verhindern und Gesundheit zu fördern, werden im deutschsprachigen Raum die Begriffe Prävention und Gesundheitsförderung genutzt (Hurrelmann et al. 2016). Der Ansatz der Prävention geht zurück auf die Sozialmedizin und damit verbundene Debatten im 19. Jahrhundert. Im Fokus stehen die Vermeidung von
Die Debatte um Qualität, Evaluation und Wirkung in der Gesundheitsförderung 79 Krankheiten und Reduktion von Krankheitsrisiken. Das Konzept der Gesundheitsförderung ist vor allem durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geprägt. Seit 1986 besteht die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, in der Ziele und Prinzipien der Gesundheitsförderung beschrieben werden. 1997 wurde diese Deklaration in der Jakarta-Erklärung bestätigt und weiterentwickelt (Kaba-Schönstein 2018). „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.“ (WHO 1986, S. 1)
Der Definition von Gesundheitsförderung liegt ein weiter Gesundheitsbegriff zugrunde, der neben der physischen und psychischen Gesundheit auch das soziale Wohlbefinden in den Blick nimmt und auf umweltbedingte Einflussfaktoren der Gesundheit hinweist. Zudem lässt sich festhalten, dass im Gegensatz zur Prävention, die auf Pathogenese ausgerichtet ist, die Gesundheitsförderung dem Ansatz der Salutogenese zugewendet ist und die Förderung und Stärkung von Ressourcen anvisiert. Es lassen sich fünf vorrangige Handlungsfelder der Gesundheitsförderung benennen: Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik, Schaffung gesundheitsförderlicher Lebenswelten, Neuorientierung der Gesundheitsdienste, Unterstützung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktionen und die Entwicklung persönlicher Kompetenzen (Kaba-Schönstein 2018). Entsprechend dieser Handlungsfelder betrifft Gesundheitsförderung sämtliche politische Ebenen sowie Individuen in allen Lebenslagen gleichermaßen. Folglich ist die Umsetzung gesundheitsförderlicher Maßnahmen und Strategien nicht nur Aufgabe einer einzelnen Berufsgruppe, sondern setzt eine Vielzahl an Akteuren sowie systemübergreifende Kooperation (Gesundheit, Bildung, Soziales etc.) voraus (Kilian et al. 2008). Um Menschen in verschiedenen Lebenslagen und -phasen sowie Institutionen und Politik zu erreichen, hat sich der sogenannte Settingansatz „als wichtigste Umsetzungsstrategie“ (Kaba-Schönstein 2018, S. 233) der Gesundheitsförderung etabliert. Denn „Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben.“ (WHO 1986, S. 5). Entsprechende Settings/Lebenswelten sind z. B. Familien, Betriebe und Unternehmen, Kindertagesstätten, Schulen. Darüber hinaus besteht in der Kommune bzw. Quartier ein wichtiges Setting (der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung). Kommunen und Quartiere fungieren oftmals als Dachsettings, da sie selbst unterschiedliche Settings beinhalten können und insbesondere Menschen in sozial schwierigen Lebenslagen Zugänge zu gesundheitsförderlichen Angeboten und Strukturen ermöglichen (ausführlich dazu Bär 2015).
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Stephanie Funk Der Qualitätsbegriff in der Gesundheitsförderung – Bedeutung und Anforderungen
Seit die Weltgesundheitsorganisation Gesundheitsförderung als gesundheitspolitische Aufgabe formuliert hat, wurde Gesundheitsförderung in verschiedenen Gesundheitssystemen, so auch in Deutschland, verankert. Eine zunehmende Etablierung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung in verschiedenen Settings bzw. Lebenswelten ist zu beobachten (Kolip & Müller 2009; Walter et al. 2001). Ging es in den Anfangsjahren vor allem darum, Ansätze gesundheitsförderlicher Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, geraten nun vermehrt Fragen nach ‚guter Qualität‘ und der Wirksamkeit von Gesundheitsförderungsmaßnahmen/-projekten/-programmen in den Blick (Ruckstuhl 2009). Doch was ist mit Qualität gesundheitsförderlicher Aktivitäten gemeint? Wie kann die Qualität gesundheitsförderlicher Aktivitäten bestimmt werden bzw. woran ist sie zu erkennen? 3.1 Woher kommt die Notwendigkeit, sich mit dem Qualitätsbegriff in der Gesundheitsförderung auseinanderzusetzen? Die Praxis der Prävention und Gesundheitsförderung ist in Deutschland zu großen Teilen projektförmig organisiert. ‚Projektitis‘ ist ein Begriff, der in diesem Zusammenhang gewählt wird, um auf die eher prekäre Finanzierungssituation hinzuweisen (Funk et al. 2019). In Folge konkurrieren verschiedene Akteure und Leistungserbringer um (öffentliche) Fördermittel und damit um limitierte Ressourcen, um gesundheitsförderliche Lebenswelten und -stile zu gestalten und aufrechtzuerhalten. Die Fördermittelgeber wiederum möchten ihr Geld gut investiert wissen und fragen nach den Effekten, die durch die unterstützten Aktivitäten, Interventionen und Programme bewirkt wurden. Doch ist es nicht der Investitionsgedanke allein, der dabei in den Vordergrund rückt. Im Rahmen der gesundheitlichen Versorgung, insbesondere, wenn es sich um Leistungen nach SGB V handelt und gesetzliche Krankenkassen als Kostenträger auftreten, gilt das sogenannte Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V): „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“
Trotz den Forderungen nach Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit liegen gegenwärtig nur wenige Wirkungsstudien für Maßnahmen der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention vor. Dagegen werden Herausforderungen,
Die Debatte um Qualität, Evaluation und Wirkung in der Gesundheitsförderung 81 die mit kausalen Wirkungsnachweisen komplexer Interventionen gesehen werden, an verschiedenen Stellen benannt (Gruggenbühl 2017; Robert Koch-Institut 2012). Um der Problematik, eindeutige Wirkungsnachweise zu erbringen, zu begegnen, werden stellenweise Anforderungen und Qualitätskriterien an die Umsetzung gesundheitsförderlicher Maßnahmen formuliert, wie sie beispielsweise im Leitfaden Prävention des GKV-Spitzenverbandes (2017) zu finden sind1. Der Diskurs um einen effizienten Mitteleinsatz, aber auch um die Notwendigkeit der Förderung einer Qualitätskultur in der Prävention und Gesundheitsförderung, schlägt sich gegenwärtig auch in der Um- und Ausgestaltung von Förderlinien und -programmen nieder. Als prominentes Beispiel dient das im Jahr 2015 in Kraft getretene Präventionsgesetz (Kolip 2018), durch welches u. a. Anträge auf Förderung von Projekten der Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten (§ 20a SGB V) gestellt werden können. In NRW gibt es hierfür ein krankenkassenübergreifendes Verfahren, welches den Antragstellenden u. a. Angaben zu Methoden und Verfahren der Qualitätssicherung sowie SMARTe Zielformulierungen für die gesundheitsförderlichen Aktivitäten abverlangt. Inwiefern solche Forderungen nach Aktivitäten der Qualitätsentwicklung und -sicherung von Seiten der Fördermittelgeber Auswirkungen auf die Praxis der Gesundheitsförderung haben bzw. ob sich dadurch Veränderungen beobachten lassen, bleibt zu klären. Die Fragen nach ‚Qualität‘ und (zu erwartender) Wirksamkeit sind jedoch nicht nur für erfolgreiche Projektanträge von Bedeutung. Eine eher projektförmige Arbeitsorganisation, wie sie in der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung eher Regel als Ausnahme ist, bedeutet auch, dass die Laufzeit der Projekte neben einem Beginn durch einen Endzeitpunkt charakterisiert ist, mit dem beispielsweise eine finanzielle Förderung endet und damit auch personelle Ressourcen in Folge eingestellt werden müssen. Sollen gesundheitsförderliche Lebenswelten und -stile über das Projektende hinaus bestehen, gilt es bereits während der (etwa drei- bis fünfjährigen) Förderzeit zu entscheiden, ob bzw. inwiefern die gesundheitsförderlichen Aktivitäten verstetigt werden sollten und wie Strukturen und Angebote dauerhaft implementiert werden könnten (Funk et al. 2019). Fragen zur Wirksamkeit und zur Nachhaltigkeit werden laut, vor allem dann, wenn benötigte personelle und finanzielle Ressourcen ohnehin knapp sind und förderungswürdige Argumente vorgelegt werden müssen, um eine weitere Finanzierung zu sichern. Dabei steht außer Frage, dass eine ‚gute Qualität‘, also das Einhalten vorgegebener Kriterien zur Planung und Umsetzung gesundheitsförderlicher Maßnahmen, nicht zwangsweise zu guten Resultaten bzw. erwünschten Wirkungen führen muss (s. Ausführungen unter 3.2). 1
U. a. werden in Kapitel 4 des GKV-Leitfadens Prävention gesetzliche Grundlagen, das Grundverständnis von Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten, der lebensweltbezogene Ansatz sowie Leistungsarten, Förder- und Ausschlusskriterien aufgeführt.
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Stephanie Funk
Die Auseinandersetzung mit Fragen nach Wirksamkeit und Qualität bzw. der Bedarf, diese Begriffe im Rahmen der Gesundheitsförderung zu diskutieren, ist jedoch nicht allein auf externe Anforderungen an die Praxis zurückzuführen. Wie auch in anderen (sozialen) Arbeitsfeldern (siehe z. B. Merchel 2015) besteht auch aus der ‚Profession‘ der Gesundheitsförderung heraus die Notwendigkeit, sich diesen Fragen zu stellen. Die Praxis der Gesundheitsförderung ist (ähnlich wie das Arbeitsfeld Quartiersentwicklung) nicht nur durch eine Profession charakterisiert. So unterschiedlich, wie die Zielgruppen und Settings der Gesundheitsförderung sein können, so vielfältig sind auch die Akteure, ihre Interventionen, Maßnahmen und Projekte. Hinzu kommt, dass in der Regel unterschiedliche Anspruchsgruppen (Stakeholder) im Umfeld dieser Aktivitäten zu finden sind, sodass aushandelt werden muss, was Gesundheitsförderung bedeutet und was durch entsprechende Aktivitäten erreicht werden soll und kann. Um überprüfen zu können, ob das Richtige richtig getan wird, was durch die Arbeit verändert/erreicht wird und wie die eigene Arbeit entsprechend weiterentwickelt und ausgerichtet werden kann, gibt es kein Vorbei an Aktivitäten der Qualitätsentwicklung und Evaluation, die als fester Bestandteil der Praxis betrachtet und als Arbeitsaufgabe formuliert werden müssen (Kolip 2006; Ruckstuhl 2009). 3.2 Versuch der Verständnisklärung vom Qualitätsbegriff in der Gesundheitsförderung Es steht fest: Qualität, Qualitätsentwicklung und Evaluation, als ein Instrument der Qualitätsentwicklung, sind aus heutigen Debatten der gesundheitsförderlichen Arbeitspraxis nicht mehr wegzudenken. Dennoch liegt bis heute keine allgemeingültige Definition des Qualitätsbegriffs für den Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung vor (Ackermann et al. 2009; Kolip 2018). Dennoch gibt es Ansätze, die im Kontext der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung genutzt werden, um zu beschreiben, was Qualität bedeutet und was mit Qualitätsmanagement, -sicherung und -entwicklung gemeint ist. Aus dem Lateinischen stammend meint Qualität (lat.: qualitas) Beschaffenheit oder eine Eigenart (vgl. Beschreibungen im Duden). Die ursprüngliche Wortbedeutung deutet also nicht zwangsweise auf eine ‚gute‘ Arbeit oder ein ‚gutes‘ Produkt hin, sondern ist zunächst eine neutrale Begrifflichkeit. Gleichwohl wird der Qualitätsbegriff im Alltag in der Regel mit positiven Aspekten verbunden, z. B. eine qualitativ ansprechende Arbeit oder, dass eine qualitative Verarbeitung auf ein gelungenes, hochwertiges Produkt hindeutet. Stark beansprucht und von Bedeutung ist der Qualitätsbegriff vor allem in der Industrie. „Erstmals in den 1950er-Jahren [wurden] in den USA im Bereich
Die Debatte um Qualität, Evaluation und Wirkung in der Gesundheitsförderung 83 der Rüstungs- und Atomindustrie Qualitätsanforderungen sowie Begrifflichkeiten formuliert“ (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2014, S. 11). In den folgenden Jahren wurden diese ersten Qualitätsanforderungen weiterentwickelt und sind heute u. a. als DIN EN ISO-Normen bekannt. Entsprechend der DIN EN ISO Norm 9000:2005 meint Qualität den „Grad, in dem Qualitätsmerkmale eines Produkts oder einer Dienstleistung Anforderungen erfüllen“ (Sens et al. 2007, S. 3). Qualität und die Diskussion um diese sind daher oftmals verbunden mit dem Abgleich eines Ist-Zustandes und einem vorgegebenen Soll-Zustand. In vielen Bereichen erscheinen Normen und Standards wichtig und vermitteln ein Gefühl von Sicherheit: Die Ladegeräte unserer Smartphones sind kompatibel mit den Steckdosen in unseren Wohnungen/Häusern und können auch Freunden, Bekannten und in der Familie ausgeliehen sowie in Hotels problemlos genutzt werden. Und das Wissen, dass ein Auto auf seine Funktionstauglichkeit geprüft wird und z. B. die Sicherheitsgurte bei einem Auffahrunfall greifen, gibt ein beruhigendes Gefühl. Standards und Normen sind folglich nicht nur negativ behaftet und bedeuten nicht nur Einschränkungen. Qualitätsanforderungen, Standards und Normen können im Alltag wie auch in Notsituationen hilfreich und nützlich sein. Doch wie verhält es sich mit der Qualität, Standards und Normen in Lebensund Arbeitsbereichen, die aufgrund der Rahmenbedingungen nur schwer vereinheitlicht werden können? Einen solchen Arbeits- und Lebensbereich stellen soziale Interventionen dar, wozu auch gesundheitsförderliche Aktivitäten gezählt werden können. Es bestehen Diskussionen, welche Qualitätskriterien angesetzt werden können und inwiefern Standardisierungsmöglichkeiten realisierbar und sinnstiftend wären, wenn Zieldimensionen wie Empowerment, Partizipation oder Chancengleichheit im Vordergrund stehen und mit Berücksichtigung individueller Lebenslagen erarbeitet werden sollen. Um trotz der Herausforderung für soziale Interventionen zu beschreiben, was der Qualitätsbegriff in der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung bedeutet, wird sich am Qualitätsverständnis der medizinischen Versorgung orientiert (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2014; Kolip 2018) und die Definition des Sachverständigenrats für die Konzentrierte Aktion im Gesundheitswesen (2001, S. 57) genutzt. Angelehnt an die Definition des US-amerikanischen Institute of Medicine wird folgende Beschreibung festgehalten: „Qualität bezeichnet […] das Ausmaß, in dem Gesundheitsleistungen für Individuen und Populationen die Wahrscheinlichkeit erwünschter gesundheitlicher Behandlungsergebnisse erhöhen und mit dem gegenwärtigen professionellen Wissensstand übereinstimmen.“
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An diesem Ausdruck werden zwei Aspekte deutlich, die für die Gesundheitsförderung im Qualitätsdiskurs relevant sind: Qualität ist „das, was (1) die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Gesundheitsförderungsaktivität eine positive Wirkung […] entfaltet und was (2) auf der Basis wissenschaftlicher Evidenz entwickelt und durchgeführt wurde“ (Kolip 2018, S. 92).
Qualität ist folglich keinesfalls als Zufallsprodukt zu verstehen. Um mittels Gesundheitsförderungsmaßnahmen positive Wirkungen, im Sinne von gewünschten Veränderungen bei der Zielgruppe zu erreichen, müssen die Maßnahmen bedarfsund bedürfnisgerecht geplant, strukturiert und systematisch umgesetzt und weiterentwickelt werden. Ruckstuhl (2009) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich in Bezug auf das Finden geeigneter Methoden und deren Anpassung für den Kontext der Gesundheitsförderung und Prävention an Verfügbarem aus dem Bereich Management, konkret dem Projekt- und Qualitätsmanagement, orientiert werden sollte. Qualitätsmanagement setzt sich aus Aktivitäten der Qualitätsentwicklung und -sicherung zusammen (Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit 2015) und unterstützt die Umsetzung einer wirkungsorientierten Arbeit. Qualitätssicherung beinhaltet „Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, einen bereits bestehenden Qualitätsstandard zu erhalten“ (Gesundheitsförderung Schweiz 2019, o. S.). Dagegen sind Aktivitäten der Qualitätsentwicklung auf „[p]eriodische systematische Reflexion und Verbesserung von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen einer Organisation, eines Programms oder Projekts“ (Gesundheitsförderung Schweiz 2019, o. S.) ausgerichtet. In Bezug von Interventionen, Aktivitäten und Projekten der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung hat sich der Begriff der Qualitätsentwicklung durchgesetzt. Gemeint ist damit eine schrittweise, vor allem kontinuierliche und zyklische Qualitätsverbesserung (Ruckstuhl 2009; Töppich & Linden 2011). Kolip (2006) nutzt in diesem Zusammenhang den Public Health Action Cycle, das Interventionsmodell der Gesundheitsförderung und Prävention, und veranschaulicht, dass Qualitätsentwicklung und Evaluation nicht ausschließlich Aktivitäten am Projektende sind, sondern von Beginn an geplant werden müssen und prozessbegleitend wiederkehren. 3.3 Qualitätsmanagement und Evaluation in der Gesundheitsförderung? Um den Qualitätsbegriff im Rahmen eines Qualitätsmanagements operationalisieren zu können, werden in der Gesundheitsförderung die Qualitätsdimensionen von Donobedian genutzt und um den Aspekt der Planungsqualität erweitert (Tabelle 1).
Die Debatte um Qualität, Evaluation und Wirkung in der Gesundheitsförderung 85 Tabelle 1:
Qualitätsdimensionen in der Gesundheitsförderung und Prävention (Kolip 2018, S. 93; BZgA, 2014, S. 11f)
Qualitätsdimension
Planungsqualität
Merkmale Bedarfs- und bedürfnisorientierte Planung der Intervention, inkl. Problemanalyse und Berücksichtigung wissenschaftlicher Grundlagen und Theorien, z. B. zur Veränderung gesundheitsförderlichen Verhaltens Formulierung eindeutiger Ziele für die Intervention (Leistungs- und Wirkungsziele)
Strukturqualität
Arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen, unter denen die Intervention umgesetzt wurde. Angaben zur Ressourcenausstattung, z. B. auch Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal für die Planung, Umsetzung und Evaluation der Intervention
Prozessqualität
Darstellung zur Umsetzung der Intervention und Bewertung der Umsetzungsprozesse, z. B. Einhalten des Projektplans und Einschätzung des Projektverlaufs oder auch das Erreichen der Zielgruppen sowie hinderliche und förderliche Faktoren der Umsetzung
Ergebnisqualität
Beurteilung, inwiefern oder in welchem Umfang formulierte Ziele (s. Planungsphase) erreicht wurden (erzielte Wirkungen der Intervention) Nachhaltigkeit der Intervention
Die vier Qualitätsdimensionen stehen in enger Verbindung zueinander. Es gilt, dass Ergebnisqualität nur dann erzielt werden kann, wenn bereits eine ‚gute‘ Planung und Zielformulierung vorangegangen ist, die strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen zur ‚guten‘ Umsetzung vorhanden sind und auch die Umsetzung selbst entsprechend des geplanten Vorhabens reflektiert wird (Ackermann 2005; Kolip 2018). Wirkung ist demnach das Ergebnis einer vorausgehenden Planung und kontinuierlichen Reflexion der Umsetzung. In diesem Zusammenhang wird auch von Wirkungsorientierung als Arbeitsprinzip bzw. als Prozess gesprochen (Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit 2018). Evaluation ist in diesem Zusammenhang als ein Instrument der Qualitätsentwicklung zu verstehen, welches genutzt wird, um beschreiben und bewerten zu können, inwiefern die Anforderungen der verschiedenen Qualitätsdimensionen durch Interventionen der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention erfüllt werden (Kolip 2006).
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Stephanie Funk
Abhängig vom Setting, in dem gesundheitsförderliche Interventionen umgesetzt werden, können bereits übergreifende Qualitätsmanagementsysteme vorhanden sein bzw. werden durch die Einrichtungen oder Trägerorganisationen selbst vorgegeben (z. B. im Setting Kita, Pflegeeinrichtungen, Schule). Hier muss bei der Umsetzung gesundheitsförderlicher Aktivitäten eruiert werden, welche Anknüpfungspunkte für eine Qualitätsentwicklung dieser Aktivitäten vorhanden sind bzw. welche Pflichten in Bezug auf Qualität bereits bestehen (Altgeld et al. 2015). 4
Qualitätsentwicklung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung – Welche Ansätze gibt es?
Auch wenn es „(noch) keinen verbindlichen Qualitätsrahmen für Gesundheitsförderung und Prävention gibt“ (Kolip 2018, S. 92), bestehen einige Ansätze, Qualitätsentwicklung und -sicherung sowie Evaluation voranzutreiben und für Akteure der Gesundheitsförderung geeignete Instrumente und Verfahren zur Verfügung zu stellen. Einen wesentlichen Beitrag zum Stand der aktuellen Diskussion leistete die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), welche nicht nur durch das aktuelle Präventionsgesetz dazu verpflichtet ist, sich den Fragen nach Wirksamkeit gesundheitsförderlicher Maßnahmen anzunehmen, sondern bereits seit mehreren Jahren verschiedene Studien und Projekte zu diesen Themen in Auftrag gegeben hat und unterschiedliche Forschungsdisziplinen und Akteure an der Diskussion beteiligte (z. B. dargestellt in BZgA 2001). Konkrete Hinweise und Ausarbeitungen zum Qualitätsverständnis in der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung wurden u. a. als Ergebnis eines Kooperationsprojekts der BZgA mit der gesundheitswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld in einem Übersichtsband zur „Qualitätssicherung von Projekten zur Gesundheitsförderung in Settings“ (BZgA 2014) zusammengefasst. In diesem Band werden auch Instrumente und Verfahren der Qualitätssicherung und -entwicklung in Steckbriefen aufgeführt und in ihren Kerninhalten erläutert. Darüber hinaus förderte die BZgA mit dem Kooperations- und Forschungsprojekt „Gesundheitsförderung in Lebenswelten – Entwicklung und Sicherung von Qualität“ den Aufbau von Kompetenznetzwerken, die in den Bundesländern aktiv sind und vorhandene Expertise bündeln sowie für Fragen der Praxis ansprechbar sind (Altgeld et al. 2015). Neben einzelnen Instrumenten und Verfahren der Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Gesundheitsförderung, die im Rahmen dieses Beitrags nicht alle erläutert werden können, gibt es im deutschsprachigen Raum mindestens zwei Ansätze, umfassende Qualitätskonzepte für gesundheitsförderliche Projekte und
Die Debatte um Qualität, Evaluation und Wirkung in der Gesundheitsförderung 87 Programme bereit zu stellen und zu veranschaulichen, anhand welcher Kriterien die erreichte Qualität reflektiert werden könnte. 4.1 Good Practice-Kriterien des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit Um die soziallagenbezogene Gesundheitsförderung zu stärken und gesundheitliche Chancengleichheit zu fördern, initiierte die BZgA 2003 den bundesweiten Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit (Kilian et al. 2016). Neben weiteren Partner*innen aus dem Handlungsfeld der Gesundheitsförderung sieht die Struktur des Kooperationsverbundes Koordinierungsstellen in den Bundesländern vor, die in Trägerschaft der jeweiligen Landesvereinigung für Gesundheit bzw. der Institution mit entsprechender Funktion sind. Seit Gründung des Kooperationsverbundes sind zu den jeweiligen Arbeits- und Themenschwerpunkten landesbezogene wie auch übergreifende Kompetenznetzwerke entstanden. 2016 wurden die Koordinierungsstellen in Folge des Präventionsgesetzes quantitativ wie auch qualitativ verstärkt. In Bezug auf Fragen, was eine ‚gute‘ soziallagenbezogene Gesundheitsförderung charakterisiere und anhand welcher Kriterien entsprechende Projekte und Programme reflektiert werden könnten, entwickelte der Kooperationsverbund mit seinen Kooperationspartnern 2004 die sogenannten Good Practice-Kriterien, die sich seitdem „als Orientierungsrahmen für niedrigschwellige Qualitätsentwicklung bewährt“ (Kilian et al. 2009, S. 109) haben. 12 Kriterien wurden für die Praxis der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung erarbeitet2. Neben einer Definition und Beschreibung des jeweiligen Kriteriums sind Beispiele für die Umsetzung der Good Practice-Kriterien in der Gesundheitsförderungspraxis enthalten (Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit 2015). Zur weiteren Veranschaulichung und Orientierung, wie in der Praxis mit diesen Kriterien gearbeitet wird, können mittels einer onlinegestützten Praxisdatenbank Beispiele guter Praxis der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung nach Lebenswelt, Thema, Ziel und/oder Altersgruppe recherchiert werden.
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Die 12 Kriterien guter Praxis der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung im Überblick: Konzeption, Zielgruppenbezug, Setting-Ansatz, Multiplikatorenkonzept, Nachhaltigkeit, Niedrigschwellige Arbeitsweise, Partizipation, Empowerment, Integriertes Handlungskonzept/Vernetzung, Qualitätsmanagement, Dokumentation und Evaluation, Kosten-Wirksamkeitsverhältnis.
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4.2 Quint-essenz: Förderung der Qualitätsentwicklung von Gesundheitsförderung und Prävention der Gesundheitsförderung Schweiz Der zweite Ansatz, einen umfassenden Qualitätsrahmen für die Gesundheitsförderung und Prävention anzubieten, stellen die Aktivitäten der nationalen Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz3 dar. Gebündelt auf einem Internetportal (www. quint-essenz.ch) finden sich die Ergebnisse eines kontinuierlichen Austauschprozesses mit verschiedenen nationalen und internationalen Akteuren der Gesundheitsförderung und Prävention aus Wissenschaft und Praxis. Auf dem Internetportal wird unterschieden zwischen drei verschiedenen Angeboten: (1) Den sogenannten Grundlagen, die verschiedene Informationsangebote für die Planung, Umsetzung und Reflexion bzw. Evaluation gesundheitsförderlicher Projekte und Programme bereithalten. Außerdem sind unter diesem Reiter die Qualitätskriterien der Gesundheitsförderung als Kernstück des quint-essenz-Ansatzes erläutert. (2) Das Projektmanagement-Tool dient als konkrete Unterstützung für Projektverantwortliche zur Planung und Steuerung ihrer Aktivitäten. Dort können Skizzen, Zeitpläne und weitere Tools genutzt und bearbeitet werden sowie Dokumente für Teammitglieder hinterlegt und ein projektinterner Austausch organisiert werden. (3) Die Community ist eine Austauschmöglichkeit zu bestimmten Themen, aber auch mit anderen Akteuren und Institutionen/Organisationen der Gesundheitsförderung und Prävention. Hier ergeben sich Vernetzungsmöglichkeiten in der Gesundheitsförderungslandschaft. Mit diesem breit gefächerten Angebot stellt quint-essenz bereits ein kompaktes Informations- und Unterstützungstool dar. Dennoch erschöpft sich das Unterstützungsangebot nicht in der online-Präsenz. Beratung und Begleitung sowie die Integration der Themen in Ausbildung/Studium bzw. die Förderung der Qualitätsentwicklung durch Förderung einer Qualitätskultur in den Einrichtungen und Institutionen werden ebenfalls von Gesundheitsförderung Schweiz forciert. 5
Fazit
Qualitätsentwicklung ist ein Thema in der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung, nicht nur für Fördermittelgeber und Organisationen/Institutionen, die einen Rahmen für gesundheitsförderliche Aktivitäten in den Lebenswelten schaffen,
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Gesundheitsförderung Schweiz ist „eine nationale Stiftung mit dem gesetzlichen Auftrag, Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit und zur Verhinderung von Krankheiten zu initiieren, zu koordinieren und zu evaluieren“ (Ackermann et al. 2009, S. 137). Mit diesen Funktionen ähnelt sie der BZgA in Deutschland.
Die Debatte um Qualität, Evaluation und Wirkung in der Gesundheitsförderung 89 sondern auch für die konkrete Praxisebene. Wenngleich feststeht, dass es aus gutem Grund kein Vorbei an derlei Diskussionen und Maßnahmen der kontinuierlichen Qualitätsverbesserung gibt, braucht es weiterhin Anstrengungen, den Qualitätsbegriff für das Tätigkeitsfeld Prävention und Gesundheitsförderung aufzuarbeiten und einen Orientierungsrahmen zu schaffen, der für Praxis, Politik und Wissenschaft gleichermaßen gilt und akzeptiert wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass unterschiedliche Professionen in diesem Arbeitsfeld aktiv sind, verschiedene Maßnahmen auf Verhaltens- und Verhältnisebene für vielfältige Zielgruppen entwickelt und umgesetzt werden und dies unter eher schwierigen Rahmenbedingungen, im Sinne von vorwiegend projektförmiger Arbeitsorganisation – finanziert durch Drittmittel – erfolgt. Literatur Ackermann, G. (2005). Ein Wegweiser zur guten Praxis: Das Ergebnismodell von Gesundheitsförderung Schweiz. Focus, 24, (S. 14–17). Ackermann, G., Hubert S., & Brigitte R. (2009). Quint-essenz: Ein Instrument zur Qualitätsentwicklung in Gesundheitsförderung und Prävention. In P. Kolip & V. E. Müller (Hrsg.), Qualität von Gesundheitsförderung und Prävention (S. 137–156). Bern: Huber. Bär, G. (2015). Gesundheitsförderung lokal verorten: Räumliche Dimensionen und zeitliche Verläufe des WHO-Setting-Ansatzes im Quartier. Wiesbaden: Springer VS. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). (Hrsg.). (2001). Qualitätsmanagement in Gesundheitsförderung und Prävention. Köln: BZgA. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). (2014). Qualitätssicherung von Projekten zur Gesundheitsförderung in Settings: Ein Kooperationsprojekt zwischen der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung und der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Funk, S. C., Schaefer, I., & Kolip. P. (2019). Was fördert die Verstetigung von Strukturen und Angeboten der Gesundheitsförderung? Das Gesundheitswesen, 81, (S. 38–42). Gesundheitsförderung Schweiz (2019). Quint-essenz. Glossar. https://www.quint-essenz.ch/de/conceptsZugegriffen: 13.10.2019. GKV-Spitzenverband. (2017). Leitfaden Prävention: Handlungsfelder und Kriterien des GKV-Spitzenverbandes zur Umsetzung der §§ 20, 20a und 20b SGB V, vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom November 2017. Hurrelmann, K., Laaser, U. & Razum, O. (2016). Entwicklung und Perspektiven der Gesundheitswissenschaften in Deutschland. In K. Hurrelmann & O. Razum (Hrsg.), Handbuch Gesundheitswissenschaften (S. 15–53). Weinheim: Beltz Juventa. Kaba-Schönstein, L. (2018). Gesundheitsförderung 1: Grundlagen. In Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.), Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention (S. 227–238). Köln: BZgA.
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Die Debatte um Qualität, Evaluation und Wirkung in der Gesundheitsförderung 91 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.), Qualitätsmanagement in Gesundheitsförderung und Prävention (S. 18–37). Köln: BZgA. Weltgesundheitsorganisation (WHO). (1986). Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf. Zugegriffen: 10. Dezember 2018.
III Evaluation und Wirkungsorientierung in der Praxis der Quartiersarbeit
Wirkungsorientierte Selbstevaluation in der Quartiersentwicklung – Chancen und Grenzen für die Praxis Stephanie Funk und Dieter Zisenis
Hintergrund dieses Beitrages ist das Forschungsprojekt ‚WINQuartier Wirkung und Nutzen inklusiver Quartiersentwicklung‘ (Laufzeit: 01.01.2016 bis 30.04.2019). Gefördert durch die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW (im Förderprogramm ‚Pflege Inklusiv‘) und in Projektträgerschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen mit fünf Pilotquartieren im Rahmen eines dreijährigen Projekts ein Instrumentarium zur wirkungsorientierten Selbstevaluation entwickelt, erprobt und evaluiert. 1
Das Arbeitsfeld Quartiersentwicklung
Neben dem Einfluss durch die wissenschaftlichen und fachpolitischen Diskurse (Bleck et al. 2018; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016) bestimmt sich das Arbeitsfeld Quartiersentwicklung – mit Fokus auf dem demographischen Wandel – in den letzten Jahren vor allem durch die Förderlogiken der entsprechenden Förderprogramme (z. B. Stiftung Deutsches Hilfswerk, Entwicklung altengerechter Quartiere in NRW 2015 – 2020, Stiftung Wohlfahrtspflege NRW). Trotz aller Erkenntnisse und politischen Programmatik ist die Praxis alterns- bzw. altersgerechter Quartiersentwicklung fast ausschließlich projektförmig organisiert. In den vergangenen Jahren haben vorwiegend Träger der Freien Wohlfahrtspflege und Kommunen über unterschiedliche Förderprogramme Quartiersprojekte initiiert, deren Verankerung in Regelstrukturen bisher allerdings weitgehend ausbleibt. Gleichzeitig hat sich eine fast unüberschaubare Fülle von Begriffen, Konzepten und Modellen entwickelt. Dagegen bleiben Aufgabenfelder, Verantwortlichkeiten und Rollen in der Quartiersentwicklung häufig diffus (Bahr & KremerPreiß 2018). So wird die ‚Quartiersarbeit‘ wahlweise als Quartiersmanagement, Quartiersentwicklung (mit zusätzlichen Attributen, wie z. B. integriert, inklusiv oder kultursensibel) oder als Fachkonzept Sozialraumorientierung oder Gemeinwesenarbeit etikettiert (s. van Rießen & Knopp in diesem Band).
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_7
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Das Arbeitsfeld Quartiersentwicklung liefert auf den ersten Blick keine förderlichen Voraussetzungen für die Implementierung des Arbeitsprinzips Wirkungsorientierung und die Gestaltung von Selbstevaluationsvorhaben, können doch in der Regel keine längerfristigen Entwicklungsprozesse auf ihre Veränderungsdynamiken und Effekte hin untersucht werden und bieten die Quartiersprojekte für alle Beteiligten häufig nur fragile und kaum nachhaltige Strukturen. Gleichwohl nimmt der Druck für die Praxis der Quartiersarbeit zu, erreichte Wirkungen aufzuzeigen und innerhalb der Profession besteht Zugzwang, die Quartiersarbeit professionell weiterzuentwickeln und das Arbeitsfeld zu stärken. 2
Wirkungsorientierung als Arbeitsprinzip
Die Debatte um Wirkung wird seit mehreren Jahren in den Arbeitsfeldern der Freien Wohlfahrtspflege, insbesondere in der Sozialen Arbeit geführt (AWO Bundesverband e. V. 2017; Boecker & Weber 2018)1. So hat beispielsweise die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Grundsätze zum Thema Wirkungsorientierung und -messung formuliert. Wirkungsorientierung ist demnach ein Kernelement im Selbstverständnis der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW 2015). Verschiedene Begriffe werden genutzt, um Diskussionsstandpunkte und sozialpolitische, fachliche und/oder wissenschaftliche Erwartungen zu formulieren. So tauchen Wirkung, Input, Output, Outcome und Impact in aller Regelmäßigkeit in der Wirkungsdebatte auf, ohne dass ein allgemeingültiges Verständnis dieser verschiedenen Wirkungsbegriffe vorliegt (vgl. Burmester in diesem Band). Es hat vielmehr den Anschein, dass je nach Kontext, Disziplin und Profession unterschiedliche Wirkungskonzepte genutzt werden. In diesem Zusammenhang wird zunehmend der Begriff Wirkungsorientierung verwendet, der augenscheinlich Ausdrücke wie Zielorientierung oder auch Ergebnisorientierung abgelöst hat (AWO Bundesverband e. V. 2017; Rosen et al. 2015). Wirkungsorientierung deutet auf etwas Prozesshaftes hin und soll im Folgenden als Arbeitsprinzip, eine systematische Arbeitsweise bzw. Haltung in der professionellen Quartiersarbeit verstanden werden. Ging es früher darum, in Projektskizzen und -konzepten auszuweisen, welche Produkte, Leistungen und Aktivitäten mit Projekten und Programmen verbunden werden, gilt es gegenwärtig anzustrebende Wirkungen und entsprechende Wirkungsziele bereits in der Planungsphase zu formulieren und auf dieser Grundlage erst Aktivitäten, Interventionen und Strategien zu planen und Ressourcen zu kalkulieren (AWO Bundesverband 1
Zur aktuellen Einschätzung dieser Debatte siehe Friedrich in diesem Band.
Wirkungsorientierte Selbstevaluation in der Quartiersentwicklung
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e.V. 2017; Caspari 2012; Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit 2018). Wirkungsorientierung meint „letztendlich das zielgerichtete Anstreben einer jeweils zu definierenden Ergebnisqualität – der Wirkung“ (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege 2015, S. 2). Folglich ist im Planungsprozess zu beschreiben und kritisch zu reflektieren, welche Wirkungen mit Maßnahmen und Aktivitäten der Quartiersentwicklung erreicht (intendierte Wirkungen), aber auch, welche Effekte vermieden werden sollen (unerwünschte Wirkungen) (Caspari 2012; Rosen et al. 2015). In diesem Zusammenhang bedeutet Wirkungsorientierung nicht nur die konkrete Formulierung von Wirkungszielen und das Ableiten daraufhin ausgerichteter Quartiersentwicklungsprozesse, sondern auch, Aktivitäten der Prozessreflexion und -überprüfung von Projektbeginn an einzuplanen (Selbstevaluation). Wirkungsorientierung bedeutet, dass in den Quartiersprojekten Vorstellungen von Wirkungszusammenhängen (Wirkungsmodelle) entwickelt werden, bei den Leitzielen anzusetzen und zu überlegen, wie diese Leitziele im Quartier angegangen werden können. Sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch spezifische Ausgangslagen im Quartier sowie die Beteiligung der Bewohnerschaft und Akteure im Quartier sind zu berücksichtigen. Dabei ist bei der Rekonstruktion von Wirkungsmechanismen von vornherein einzubeziehen, dass Veränderungen im Quartier auf eine Vielzahl von Kontextfaktoren zurückzuführen sind, die auf unterschiedlichen Ebenen zu finden sind und nicht unmittelbar im Quartier bzw. durch Maßnahmen der Quartiersentwicklung beeinflusst werden können. In diesem Sinne braucht es eine Idee, eine Vorstellung von Wirkungszusammenhängen. 3
Selbstevaluation als Instrument zur Umsetzung von Wirkungsorientierung
Wirkungsorientierung als Arbeitsprinzip in der Quartiersentwicklung wird also nicht allein durch eine summative Evaluation am Ende eines Quartiersprojekts eingelöst. Wirkungsorientierung meint einen kontinuierlichen und reflexiven Entwicklungsprozess der Quartiersarbeit, der von der Planung und Konzeptentwicklung über die Umsetzung bis hin zur Zielerreichung die angestrebten Wirkungen in den Mittelpunkt rückt und den gesamten Prozess daran ausrichtet, eine Erreichung der formulierten Wirkungsziele zu ermöglichen (Caspari 2012; Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit 2018). Für die verschiedenen Prozessschritte werden zu Beginn der Quartiersarbeit Ziele formuliert und damit kurz-, mittel- und langfristig beabsichtigte Wirkungen systematisch festgehalten. Durch Reflexionsschleifen kann sich der/die Quartiersentwickler/-in im Verlauf
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der Quartiersarbeit vergewissern, ob Meilensteine und geplante Wirkungsziele erreicht wurden bzw. werden können oder ob es ggf. eine Umsteuerung des Quartiersentwicklungsprozesses oder einzelner Teilbereiche braucht. Derlei Aktivitäten werden im Folgenden als Selbstevaluation verstanden. König (2007) formuliert für die Selbstevaluation in der Sozialen Arbeit vier Kerngedanken, die für den Bereich der Quartiersentwicklung übersetzt werden können: •
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Selbstevaluation meint immer die Beschreibung und Bewertung des Alltagsgeschäfts. Folglich nehmen Selbstevaluierende eine Doppelfunktion wahr: Die Rolle des/der Quartiersentwicklers/-in und die Rolle des/der Evaluierenden. Es ist notwendig, Praxisausschnitte zu definieren, die der Beschreibung und Bewertung unterzogen werden sollen. Quartiersentwicklung umfasst verschiedene Handlungsfelder, wie beispielsweise soziale Teilhabe, nachbarschaftliches Zusammenleben, selbstbestimmtes Leben. Im Rahmen von Selbstevaluationen sollten entsprechend Fokussierungen auf einzelne Zieldimensionen und Maßnahmen(-bündel) vorgenommen werden, denn die Ressourcen für Selbstevaluationen sind begrenzt und Quartiersentwicklung in Gänze zu komplex. Sowohl das berufliche Handeln im Hinblick auf Strukturen und Prozesse als auch seine Auswirkungen können Gegenstand der Selbstevaluation sein. Allerdings sind Selbstevaluationen stets formativ angelegt und sollen der Weiterentwicklung der beruflichen Praxis dienen. Der Maßstab für die Bewertung sind immer selbst formulierte Kriterien, deren Herkunft offengelegt und deren Bedeutung in eigener Verantwortung theoretisch und/oder fachlich begründet werden müssen. Für eine zielführende Umsetzung von Selbstevaluation in der Quartiersarbeit müssen die Rahmenbedingungen und Erwartungen eindeutig definiert werden. Außerdem gilt es zu klären, was erwünschte Wirkungen der Quartiersarbeit sind (unter Berücksichtigung verschiedener Anspruchsgruppen, wie z. B. Politik, Wohlfahrtsverbände, Kommunen, Einrichtungsträger, Quartiersbewohner/-innen, Quartiersentwickler/-innen) und inwiefern diese im Rahmen von Selbstevaluationen reflektiert und ermittelt werden können.
Eine kontinuierliche Reflexion durch wirkungsorientierte Selbstevaluation zielt im Optimalfall nicht nur auf beabsichtigte Wirkungen/Veränderungen/Effekte ab, sondern nimmt sich auch der Frage nicht-beabsichtigter Wirkungen an. Diese können sowohl erwünscht als auch unerwünscht (‚Nebenwirkungen‘) sein. Er-
Wirkungsorientierte Selbstevaluation in der Quartiersentwicklung
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wünschte, aber unbeabsichtigte Wirkungen können alle Synergieeffekte und Zusatznutzen sein, die durch einzelne Interventionen zu beobachten sind. So können beispielsweise Maßnahmen zur Entwicklung einer altengerechten räumlichen Infrastruktur im Quartier auch positive Auswirkungen auf andere Zielgruppen im Quartier haben. Ein barrierefreier Zugang zum Supermarkt stellt nicht nur für den/die Rollatornutzer/-in einen Vorteil dar, sondern ist auch für Eltern mit Kinderwagen eine willkommene Unterstützung. Andererseits können Beteiligungsund Partizipationsinitiativen mit dem Ziel der Aktivierung der Bürgerinnen und Bürger durchaus unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen, wie z. B. die Dominanz durchsetzungsstarker Gruppen, Verstärkung unerfüllbarer Veränderungserwartungen, die wiederum zur Bestätigung von Machtlosigkeit führen, oder das Aufbrechen von Konflikten, deren Dynamik nicht aufgelöst werden kann und zu sich verfestigenden Abschottungs- und Segregationstendenzen führen können. Es ist ein Vorteil von Selbstevaluationen, dass solche ‚Nebenwirkungen‘ wahrgenommen und reflektiert werden und gegebenenfalls verstärkende (bei erwünschten Nebenwirkungen) und lösungsorientierte (bei unerwünschten Nebenwirkungen) Strategien entwickelt werden können. 3.1 Herausforderung der Wirkungsevaluation in der Praxis Wirkungsforschung, Wirkungsanalyse, Wirkungsermittlung, Wirkungsevaluation, Wirkungsmessung, Wirkungsreflexion… Um die Auseinandersetzung mit Wirkungen und deren ‚Messung‘ im Kontext sozialer Interventionen und Arbeitsfelder zu beschreiben, werden verschiedene Begriffe genutzt (Caspari 2012). Unabhängig von der gewählten Begrifflichkeit sind vielfältige Herausforderungen zu bewältigen. Wirkungen im Sinne von Veränderungen auf Ebene der Zielgruppe oder auf Ebene des Quartiers sind Effekte, die mit dem (professionellen) Handeln in der Quartiersentwicklung in einem Zusammenhang stehen (sollen) bzw. auf entsprechende Aktivitäten zurückzuführen sind. Es werden Wirkungszusammenhänge, also kausale Ursache-Wirkungsbeziehungen zwischen der Quartiersarbeit und den zu ermittelnden Wirkungen unterstellt. Aber gibt es diese eindeutigen, kausalen Zusammenhänge in der Quartiersarbeit? Diese Frage ist nicht ohne Weiteres zu beantworten. Vielmehr überwiegen die Limitationen, kausale Wirkungsnachweise sozialer Interventionen erbringen zu können. In diesem Zusammenhang wird von einem Kausalitätsproblem gesprochen (Wallraff & Zimmer-Hegmann 2016). Der Grund hierfür liegt u. a. in der Komplexität des sozialen Handelns und der Einsicht, dass das soziale Zusammenleben, die Nachbarschaft und/oder auch das
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Quartier insgesamt kaum als ‚klinische‘ Labore gelten können, in denen Einflussgrößen und Störfaktoren vollständig und trennscharf ermittelt werden könnten. Experimentelle Studiendesigns, wie sie beispielsweise in der medizinischen Forschung angewendet werden, um Ursache-Wirkungsbeziehungen aufzudecken und Wirkungen festzustellen, können nicht ohne Weiteres auf den Kontext der Quartiersentwicklung übertragen werden. Dies liegt zum einen an methodischen Herausforderungen, wie etwa einem Vorher-Nachher-Vergleich oder der Betrachtung von einer Interventions- und einer Kontroll-/Vergleichsgruppe. Aber auch die Ergebnisse solcher Studien dürften im Quartierskontext kaum erkenntnisgenerierend sein, sind sie doch nicht ohne Weiteres auf andere Quartiere, andere Zielgruppen, oder leicht veränderte Interventionen übertragbar. Abhilfe sollen sogenannte quasi-experimentelle Studiendesigns liefern (ausführlich zu experimentellen und quasi-experimentellen Studiendesigns z. B. Balzer & Beywl 2018). Neben methodischen Herausforderungen, die mit der Ermittlung von Wirkungen (in der Quartiersentwicklung) einhergehen, weisen Wallraff und ZimmerHegmann (2016) darauf hin: Kausalität wird durch den jeweiligen Beobachter/die jeweilige Beobachterin beobachtet und als solche bewertet. Und: „Was im jeweiligen Einzelfall unter Wirkung und Ursache verstanden wird, kann z. B. nach politischer Interessenslage oder je nach fachlicher Position verschieden sein“ (Lüders & Haubrich 2006, S. 10). Folglich kann die Festlegung, was erwünschte Wirkungen der Quartiersentwicklung sind und wie diese zu ermitteln sind, Konfliktpotenzial beinhalten. Die verschiedenen Anspruchsgruppen der Quartiersarbeit können (nicht müssen) unterschiedliche Wirkungsansprüche stellen. So kann es passieren, dass im Zuge wirkungsorientierter Selbstevaluationen der Legitimationsdruck für die eigene Arbeit dem Lernen und der Weiterentwicklung der eigenen Arbeit als Evaluationszweck entgegensteht. 3.2 Grenzen und Chancen der Selbstevaluation Selbstevaluation ist ein Instrument der Qualitätsentwicklung und wird zunehmend als selbstverständliche Arbeitsaufgabe in sozialen Handlungsfeldern, wie der Quartiersentwicklung, betrachtet (Bergmüller und Grobbauer 2008). Das eigene berufliche Handeln wird anhand von selbstgewählten Kriterien von denjenigen beschrieben und bewertet, die selbst als Akteure im Feld tätig sind (König 2007). Dies hat zur Folge, dass neben Chancen vor allem auch Kritikpunkte der wirkungsorientierten Selbstevaluation diskutiert werden. Aufgrund der Nähe zum Evaluationsgegenstand werden Vorhaben der Selbstevaluation in Bezug auf geringe Objektivität und Aussagekraft kritisiert. Von diesem Punkt ausgehend lassen sich Herausforderungen bis hin zu Grenzen der Selbstevaluation aufzeigen:
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Rollenkonflikt. Selbstevaluation bedeutet: Quartiersentwickler/-innen führen die Evaluation selbst durch und nehmen demnach neben ihrer Rolle als Verantwortliche im Quartier die Rolle des/der Evaluierenden ein. Dies kann zu Rollenkonflikten führen (Gesellschaft für Evaluation e.V. 2004). Wann die Perspektive des/der Evaluierenden und wann die Perspektive des/der Quartiersentwickler/-in eingenommen werden sollte, muss gut abgeschätzt werden. Zudem bewerten Selbstevaluierende nicht nur ihre eigene Arbeit, sondern ggf. auch die Aktivitäten der Kooperations- und/oder Netzwerkpartner/innen. Kommunikation im Team und Transparenz der Bewertungsmaßstäbe sind unabdingbar. Zeitkonflikt. Rollenkonflikte können durch begrenzte zeitliche Ressourcen verschärft werden. Eine Selbstevaluation bedarf zeitlicher Ressourcen, die in Folge dessen für die ‚eigentliche‘ Quartiersarbeit u. U. fehlen (Stockmann & Meyer 2010). Entsprechend sollten Selbstevaluationen klar skizziert (notwendig und angemessen) angelegt und in den Arbeitsalltag integriert sein. Berücksichtigung verschiedener Expertisen und Anspruchsgruppen. Durch die Doppelrolle von Selbstevaluierenden besteht die Gefahr, dass die Mitarbeitendenperspektive zu stark in die Selbstevaluation einfließt und die Perspektiven der Stakeholder zu wenig Beachtung finden (Bergmüller & Grobbauer 2008; Merchel 2015; Wallraff & Zimmer-Hegmann 2016). Der Anspruch an Selbstevaluierende besteht folglich nicht nur darin, parallel mindestens zwei Rollen einzunehmen, sondern auch, andere Perspektiven/Interessensgruppen gleichermaßen zu berücksichtigen und einzubeziehen und zu vermeiden, dass sich die Selbstevaluation ausschließlich auf den „Wissensund Erfahrungshorizont“ (Merchel 2015, S. 48) der Selbstevaluierenden begrenzt. Gefahr der Betriebsblindheit. Selbstevaluationen dienen der Weiterentwicklung der eigenen Arbeit. Dies kann nur geschehen, wenn Arbeitsroutinen kritisch reflektiert werden. Dies betrifft auch Arbeitsabläufe, die als „business as usual“ etabliert sind („Das haben wir doch immer so gemacht“) oder Handlungskonzepte der Quartiersentwicklung, die u. a. durch Fördermittelgeber extern formuliert werden und als Vorgabe den Arbeitsalltag weitgehend festlegen. Hohes Anspruchsniveau und gute Methodenkenntnisse. Inwiefern wirkungsorientierte Selbstevaluationen zielführend umgesetzt werden und Erkenntnisse generieren, ist nicht zuletzt davon abhängig, wie gut die Methodenkenntnisse der in der Quartiersentwicklung beruflich Tätigen sind. Im Kontext der Selbstevaluation sozialer Interventionen wird die vorhandene Methodenkompetenz häufig als unzureichend beschrieben (Bergmüller & Grob-
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Stephanie Funk und Dieter Zisenis bauer 2008; Merchel 2015; Wallraff & Zimmer-Hegmann 2016). Um ein Gefühl der Überforderung und Ohnmacht auf Seiten der Selbstevaluierenden zu vermeiden, braucht es entsprechende Qualifizierungs- und Beratungsmöglichkeiten, sollen zukünftig wirkungsorientierte Selbstevaluationen in der Praxis der Quartiersentwicklung als Arbeitsprinzip etabliert werden.
Durch wirkungsorientierte Selbstevaluation kann keine wissenschaftliche Theorienbildung oder umfassende Wirkungsanalyse erfolgen. Im Hinblick auf Wirkungszusammenhänge zwischen Interventionen und Wirkungen kann es keine Kausalitätsnachweise geben, allenfalls können begründete Plausibilitäten beschrieben werden. Unabhängig von der grundsätzlichen Frage, ob in sozialen Zusammenhängen wie z.B. der Beobachtung von Quartiersentwicklungsprozessen überhaupt eindeutige kausale Erklärungen möglich sind, basieren Kausalitätsnachweise immer auf einer theoretischen Begründung und muss für einen wissenschaftlichen Kausalitätsnachweis „1.) die Ursache der Wirkung zeitlich vorausgehen, 2.) die Ursache mit der Wirkung statistisch systematisch und mit relevanter Effektgröße zusammenhängen (statistische Validität) und 3.) die konkrete Kausalerklärung der Untersuchungshypothese allen anderen möglichen Alternativerklärungen eindeutig überlegen sein“ (Döring & Bortz 2016, S. 99). Im Kontext von Selbstevaluationen geht es vielmehr um Wirkungsreflexion, „um plausibilisierbare Begründungen der Annahme von Wirkungszusammenhängen, besonders unter Beteiligung der Adressat/-innen selber und somit um die fachliche Qualifizierung“ (Sturzenhecker & von Spiegel 2009, S. 318) der Quartiersarbeit. Mit dieser Einschränkung kann die Realisierung von wirkungsorientierten Selbstevaluationen allerdings als „empirische Fundierung professionellen Reflexions- und Erklärungswissens“ (Otto et al. 2007, S. 17) dienen und damit zu einer professionellen Gestaltung der Praxis beitragen sowie die Professionalisierung der Mitarbeitenden im Arbeitsfeld Quartiersentwicklung unterstützen. Unter Berücksichtigung der beschriebenen Arbeitssituation der beruflich Tätigen im Handlungsfeld Quartiersentwicklung lassen sich insbesondere folgende Chancen beschreiben: •
Die Mitarbeitenden sind ‚Forschende in eigener Sache‘. Die systematische Sammlung, Interpretation und Reflexion von Informationen trägt zur „kritischen Überprüfung der (eigenen) Leistungen, zur Reflexion beruflicher Wertvorstellungen und Handlungen und damit zur Professionalisierung“ (Heiner 1992, S. 126) bei. Grundsätzlich treffen die Mitarbeitenden als Selbstevaluierende die Entscheidungen über Evaluationsgegenstände, -ver-
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fahren und -ergebnisse. Dies gilt trotz Legitimationsdruck und trotz der Möglichkeit, dass Selbstevaluationen durch Vorgesetzte in Auftrag gegeben werden können. Selbstevaluation ermöglicht eine Erfolgseinschätzung der eigenen Praxis durch Bewertungskriterien, die im kollegialen Fachdiskurs selbst entwickelt werden. Sie trägt dazu bei, die Komplexität der eigenen Praxis aufzuklären und zu verstehen. Selbstevaluation ist im Sinne der Verbesserung der eigenen Fachlichkeit und der beruflichen Handlungskompetenzen immer auch Qualifizierung. Systematischen und nachprüfbaren Standards folgende Selbstevaluationen können den Nachweis der Qualität der eigenen Praxis nach innen und außen unterstützen. Schließlich eröffnet die konsequente Nutzung der Ergebnisse von Selbstevaluationen eine kontinuierliche Verbesserung der eigenen Praxis und die Entwicklung von neuen, innovativen Strategien und Interventionen. (vgl. König 2007, S. 64f) Selbstevaluation ist mehr als eine ausschließliche Zielkontrolle. Sie fordert und unterstützt die systematische Reflexion der eigenen Praxis. Heiner (1992, S. 124) sieht darin die Stärke der Selbstevaluation im Vergleich zur Fremdevaluation. Überprüft wird nicht nur der Grad, in welchem Umfang die Ziele erreicht wurden, überprüft werden auch die Angemessenheit der Ziele, die möglichen Nebenwirkungen und das Verhältnis von Aufwand und Ertrag. Prozessnutzen: „Es waren am Schluss nicht wirklich die Ergebnisse, die so wichtig waren, es war, dass wir durch den Prozess der Evaluation hindurch gegangen sind“ (Patton 1998, S. 55). Selbstevaluationen nutzen die Kompetenzen und das Erfahrungswissen unterschiedlicher Akteure, und zwar sowohl von Kolleginnen und Kollegen und Kooperationspartnern im Quartier als auch von Bürgerinnen und Bürgern. Selbstevaluationen können unabhängig von den einzelnen Ergebnissen im Hinblick auf einzelne Maßnahmen und Interventionen zu einer Veränderung der Lernkultur in den involvierten Organisationen beitragen. Somit geht es bei Selbstevaluationen um die Wertschätzung für die eigene Arbeit. Es geht immer um gemeinsames Lernen und damit immer auch um die möglichst unmittelbare Veränderung von Praxis, aus der heraus die Evaluationsergebnisse entstanden sind.
Auch wenn die Grenzen und Herausforderungen von Selbstevaluationen nicht von der Hand zu weisen sind, bedeutet das nicht, dass diese systematischen, datenbasierten Verfahren unredlich oder nicht hilfreich für die Praxis der Quartiersentwicklung wären. Um den Grenzen zu begegnen, sollten bei Planung und Durchführung die Standards zur Selbstevaluation der Gesellschaft für Evaluation e.V. [DeGEval] berücksichtigt werden. Insgesamt 25 Standards sind in vier Gruppen
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Stephanie Funk und Dieter Zisenis
(Nützlichkeit, Durchführbarkeit, Fairness und Genauigkeit) angeordnet und beschreiben, wie Selbstevaluationen trotz aller Kritik als sinnstiftende und nutzenbringende Arbeitsvorhaben umgesetzt werden und welche Fragen zu diesem Zweck geklärt werden sollten (Gesellschaft für Evaluation e. V. 2004). 4
WINQuartier – ein Internetportal zur wirkungsorientierten Selbstevaluation
In verschiedenen Feldern der Sozialen Arbeit wird seit mehreren Jahren zunehmend die Verantwortlichkeit zur Selbstevaluation diskutiert. Während das Konzept der Selbstevaluation ursprünglich eher für formative Evaluationen (Prozessevaluationen) konzipiert ist, werden gegenwärtig auch Möglichkeiten der Selbstevaluation im Kontext von Ergebnis-/Wirkungsevaluationen diskutiert (Merchel 2015). Ob vordergründig durch die Ökonomisierung der Sozialen Arbeit oder durch Stärkung der Professionalität bzw. durch ein Selbstverständnis der beruflich Tätigen begründet, in der Praxis der Quartiersarbeit sollten auch erreichte Wirkungen in den Blick genommen und diese mittels angemessener Verfahren, Methoden und Instrumenten (der wirkungsorientierten Selbstevaluation) transparent dargestellt werden (Funk & Zisenis 2018; Macsenaere 2006). An dieser Zielsetzung knüpfte das dreijährige Forschungsprojekt ‚Wirkung und Nutzen inklusiver Quartiersentwicklung‘ [WINQuartier] der Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW, gefördert durch die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW, an. Ziel war es, ein Instrumentarium zu entwickeln und zu erproben, welches Möglichkeiten der wirkungsorientierten Selbstevaluation sowohl unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Standards als auch der Anforderungen im Praxisalltag der Quartiersentwicklung aufzeigt. Um sowohl die Seite der Wissenschaft als auch die Praxis der Quartiersentwicklung in die Entwicklung eines solchen Instrumentariums einzubeziehen, wurde ein Wissenschafts-Praxis-Dialog geführt. Seit dem 27.11.2018 ist das Instrumentarium zur wirkungsorientierten Selbstevaluation als Internetportal unter www.winquartier.de frei verfügbar. Ziel des WINQuartier-Instrumentariums Bislang gibt es nur unzureichend Erfahrung mit der wirkungsorientierten Selbstevaluation in der Stadt-/Raum/-Quartiersentwicklung (Heyn 2015). Mit WINQuar-
Wirkungsorientierte Selbstevaluation in der Quartiersentwicklung
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tier liegt ein wissenschaftsbasiertes, systematisches, transparentes und praktikables Instrumentarium vor. Die Qualifizierung von Mitarbeitenden im Umgang mit dem Instrumentarium war ebenfalls Gegenstand des Forschungsprojekts. Das Instrumentarium dient zukünftig insbesondere der • • • •
Planung und Steuerung von Quartierentwicklungsprozessen in unterschiedlichen Kontexten Selbstevaluation durch die verantwortlichen Akteure in Quartiersentwicklungsprozessen, inkl. der Partizipation von weiteren Stakeholdern und den Nutzerinnen und Nutzern in den Quartieren Dokumentation und begründeten und nachvollziehbaren Darstellung von Wirkungen und Nutzen der Arbeit in Quartiersentwicklungsprojekten gegenüber Entscheidern und Finanziers Professionalisierung der Mitarbeitenden und Träger im Arbeitsfeld Quartiersentwicklung
Prinzipien des WINQuartier-Instrumentariums Im Rahmen der Entwicklungsarbeiten wurden sowohl im wissenschaftlichen Team als auch im Dialog mit den fünf Pilotquartieren Eckpunkte und Prinzipien formuliert, die den Ansatz des WINQuartier-Instrumentariums beschreiben: • •
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Das Instrumentarium dient der Praxis und den Quartiersentwicklerinnen und Quartiersentwicklern. Das WINQuartier-Instrumentarium fokussiert Ansätze der Selbstevaluation und stellt Möglichkeiten und Grenzen der Wirkungsreflexion dar. Komplexe Wirkungsanalysen sowie Grundlagenforschung sind im Sinne von Selbstevaluation nicht zu leisten. Nicht alle Wirkungsfragen der Quartiersarbeit sind abschließend durch Selbstevaluationen zu klären. Hier braucht es andere Ansätze. Folglich zielt das Instrumentarium nicht auf wissenschaftliche Theoriebildung, nicht auf evidenzbasierte Praxis von Quartiersentwicklungsprozessen und ausdrücklich nicht auf ein Benchmarking einzelner Quartiere ab, sondern stellt die Weiterentwicklung der Quartiersarbeit in den Fokus. Quartiersarbeit wird durch verschiedene Ebenen beeinflusst (Funk & Zisenis 2018). Mit dem WINQuartier-Instrumentarium werden ausschließlich Wirkungsreflexionen vorgeschlagen, die sich auf die Ebene der Zielgruppen und auf Strukturen im Quartier beziehen. Das Instrumentarium liefert Materialien sowohl für quantitative als auch für qualitative Verfahren. Es wird explizit ermutigt, qualitative Methoden im
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Stephanie Funk und Dieter Zisenis Rahmen von wirkungsorientierten Selbstevaluationen einzusetzen, da dialogund beteiligungsorientierte Verfahren eher der eigentlichen Quartiersarbeit entsprechen. Das WINQuartier-Instrumentarium zur wirkungsorientierten Selbstevaluation ist ein lernendes System. Rückmeldungen von Nutzerinnen und Nutzern sind erwünscht und dienen der kontinuierlichen Weiterentwicklung.
Struktur des WINQuartier-Instrumentariums Die Anforderungen, sich mit Selbstevaluationen und Wirkungsreflexionen auseinanderzusetzen, sind in den Quartieren äußerst heterogen. Es braucht unterschiedliche Formate und Informationsangebote für die Verantwortlichen der Quartiersentwicklung. Hierfür wurden auf dem WINQuartier-Internetportal vier Wissenselemente angelegt: •
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Tutorial zur wirkungsorientierten Selbstevaluation. Schritt für Schritt sind hier Überlegen und Fragen formuliert, denen Selbstevaluierende bei der Planung, Umsetzung und Reflexion der Evaluationsvorhaben begegnen. Diese kompakte Anleitung ist insbesondere für kleine Teilprojekte und Einzelinterventionen der Quartiersentwicklung gedacht. Evaluationsverfahren. Um Handlungsfelder der Quartiersarbeit strukturiert beschreiben und bewerten zu können, wurden sogenannte Evaluationsverfahren entwickelt. In Anlehnung an Erfahrungen aus verwandten Disziplinen, wie z. B. der Entwicklungszusammenarbeit, Gesundheitsförderung und Stadtentwicklung, sind systematische, qualitative Evaluationsverfahren entstanden, die in Form konkreter Praxisleitfäden und Arbeitshilfen vorgestellt werden. Evaluationsmethoden. Um für die Eignung qualitativer Methoden und partizipativer Vorgehensweisen zu sensibilisieren, gibt es unter dem Reiter Evaluationsmethoden einen kleinen Einblick in konkrete Erhebungsmethoden. U. a. wurden auch Methoden der Sozialraumanalyse, die sich im Kontext von wirkungsorientierter Selbstevaluation eignen, aufbereitet. Wissen kompakt! – Kurze Texte zum Einlesen in die Thematik. Eine notwendige Voraussetzung für die Durchführung wirkungsorientierter Selbstevaluationen im Quartier ist ein Verständnis für zentrale Begrifflichkeiten und die Möglichkeit der inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema. Bislang ist die wirkungsorientierte Reflexion der eigenen Arbeit keine explizite Arbeitsaufgabe von Quartiersentwickler/-innen. In kompakten Texten wird das Thema wirkungsorientierter Selbstevaluation dialogfähig eingeführt.
Wirkungsorientierte Selbstevaluation in der Quartiersentwicklung 5
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Zusammenfassung und Ausblick
Werden im Rahmen von Selbstevaluationen erreichte Wirkungen dargestellt, bleibt Kritik an entsprechenden Vorhaben selten aus. Mangelnde Objektivität und fehlende wissenschaftliche Evidenzbasierung sowie die durch Evaluation zusätzlichen Aufwände sind häufige Kritikpunkte an Selbstevaluationen. Gleichzeitig nimmt der Druck (von außen) spürbar zu: Praxis gerät unter Zugzwang. Soziale Interventionen, insbesondere, wenn sie (öffentlich) gefördert sind, müssen zunehmend erreichte Wirkungen als Legitimationsnachweis darstellen (Merchel 2015). Das WINQuartier-Instrumentarium ist einer auf Professionalität bezogenen Wirkungsorientierung verpflichtet, nimmt Abstand von Wirkungsanalysen und Wirkungsmessung und zeigt Möglichkeiten der Wirkungsreflexion auf. Die Praxis der Quartiersentwicklung könnte durch eine Selbstverpflichtung zur wirkungsorientierten Planung und Steuerung ihrer Arbeit, die nicht auf Kennzahlen, sondern auf fachliche Expertise und Standards fokussiert, die Wirkungsdebatte im Quartier offensiv mitgestalten. Durch die praktische Umsetzung von Selbstevaluationsvorhaben als „systematische, datenbasierte Verfahren der Beschreibung und Bewertung“ (DeGEval 2014, S. 5) können Erkenntnisse generiert werden, die es ermöglichen, die eigene Arbeit kritisch zu reflektieren und entdeckte Wirkungen und Effekte selbstbewusst nach innen und außen zu präsentieren. Gleichzeitig kann die Nutzung der Selbstevaluationsergebnisse helfen die eigene Praxis zu verbessern und weiterzuentwickeln. Darüber hinaus eröffnet die Auseinandersetzung mit dem WINQuartier-Instrumentarium zur wirkungsorientierten Selbstevaluation die Möglichkeit, sich in der Wirkungsdebatte zu positionieren und die Chancen und Grenzen weiterer Verfahren zur Wirkungsreflexion einschätzen und bewerten zu können (vgl. Halfar, Schober & Rauscher und Kehl in diesem Band). Das Arbeitsfeld Quartiersentwicklung wird sich in Zukunft immer stärker den Anforderungen von erwarteten – insbesondere auch nach ökonomischen Kriterien ausgerichteten – Wirkungsnachweisen stellen müssen und sollte sich mit den entsprechenden Verfahren (z. B. KostenNutzen-Analysen, Social Return on Investment, wirkungsorientierte Preisbildung etc.) auseinandersetzen. Ob es gelingen kann mit den Ergebnissen von Selbstevaluationen gegebenenfalls auch die Kämmerer in Kommunen oder andere insbesondere an Kosten-Nutzen-Analysen interessierte Entscheider zu überzeugen, kann nicht versprochen werden: Die Erfahrungen in den im WINQuartier-Projekt beteiligten Pilotprojekten zeigen aber, dass die Quartiersentwicklerinnen und Quartiersentwickler mit ihren Selbstevaluationsvorhaben und den in diesem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnissen großes Interesse und große Akzeptanz nach innen und nach außen gefunden haben. Darüber hinaus gilt es, den Ball, der mit WINQuartier
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Stephanie Funk und Dieter Zisenis
aufgenommen wurde, nicht nach Projektende wieder fallen zu lassen. Die Freie Wohlfahrtspflege diskutiert in unterschiedlichen Arbeitsbereichen die Möglichkeiten der Wirkungsdarstellung (vgl. Friedrich in diesem Band). Sie trägt in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung dafür, Bedingungen in den verschiedenen Arbeitsbereichen, so auch in der Quartiersentwicklung, zu schaffen, unter denen Wirkungsorientierung als Arbeitsprinzip, inkl. Selbstevaluationen, in den jeweiligen Arbeitsalltag integriert werden können. Literatur AWO Bundesverband e. V. (Hrsg.). (2017). Wirkungsorientierung. Arbeitshilfe für Qualitätsmanagement-Beauftragte in der AWO, Berlin. Bahr, M., & Kremer-Preiß, U. (2018). Aufgaben und Rollen in der Quartiersarbeit. Praxishilfe zur Klärung der unterschiedlichen Rollenprofile in der sozialräumlichen Vernetzungsarbeit. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Balzer, L., & Beywl, W. (2018). Evaluiert. Erweitertes Planungsbuch für Evaluationen im Bildungsbereich. Bern: hep Verlag ag. Becker, M. (2016). GWA-Personalbemessung. Orientierungshilfe zur Personalbemessung professioneller Sozialer Arbeit im Handlungsfeld der Stadtteil- und Quartierentwicklung. Konstanz: Hartung-Gorre. Bergmüller, C., & Grobbauer, H. (2008). Qualitätsentwicklung durch Selbstevaluation. Qualifizierung von Selbstevaluierenden in der entwicklungsbezogenen Bildungsarbeit. Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik (31), 28–33. Bleck, C., van Riessen, A., & Knopp, R. (2018). Alter und Pflege im Sozialraum. Theoretische Erwartungen und empirische Bewertungen. Wiesbaden, Germany: Springer VS. Boecker, M., & Weber, M. (2018). Bedarf, Steuerung, Wirkung – zur Gestaltbarkeit sozialer Leistungserbringung im Dreiecksverhältnis. ARCHIV für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit (3), 4–17. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. (2015). Standortbestimmung der BAGFW zur Wirkungsorientierung in der Arbeit der Freien Wohlfahrtspflege. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.). (2016). Siebter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Sorge und Mitverantwortung in der Kommune - Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften und Stellungnahme der Bundesregierung, Berlin. Burmester, M., & Wohlfahrt, N. (2018). Wozu die Wirkung Sozialer Arbeit messen? Eine Spurensicherung (Soziale Arbeit kontrovers, Bd. 18). Berlin: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V, Lambertus. Caspari, A. (2012). Chancen der Wirkungsorientierung für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit. Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik (35), 11–17.
Wirkungsorientierte Selbstevaluation in der Quartiersentwicklung
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Döring, N. & Bortz, J. (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. Berlin Heidelberg: Springer. Funk, S., & Zisenis, D. (2018). Wirkung und Nutzen inklusiver Quartiersentwicklung. Bericht zum Entwicklungsstand im Forschungsprojekt WINQuartier. In H.-W. Franz & C. Kaletka (Hrsg.), Soziale Innovation lokal gestalten (S. 43–60). Wiesbaden: Springer VS. Gesellschaft für Evaluation e. V. (2004). Empfehlungen zur Anwendung der Standards für Evaluation im Handlungsfeld der Selbstevaluation. https://www.degeval.org/fileadmin/Publikationen/DeGEval_-_Empfehlungen_Selbstevaluation.pdf. Zugegriffen: 21. Januar 2019. Heiner, M. (1992). Evaluation und berufliche Handlungskompetenz. Blätter der Wohlfahrtspflege – Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit 5. Heyn, T. (2015). Auswertung von kommunalen Selbstevaluationen. Bonn: empirica. König, J. (2007). Einführung in die Selbstevaluation. Ein Leitfaden zur Bewertung der Praxis Sozialer Arbeit. Freiburg im Breisgau: Lambertus. Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit (Hrsg.). (2018). Wirkungsorientierung. Ein Konzept der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung, Berlin. Lüders, C., & Haubrich, K. (2006). Wirkungsevaluation in der Kinder- und Jugendhilfe: Über hohe Erwartungen, fachliche Erfordernisse und konzeptionelle Antworten. In Projekt eXe (Hrsg.), Wirkungsevaluation in der Kinder- und Jugendhilfe. Einblicke in die Evaluationspraxis (S. 5–23). München: Deutsches Jugendinstitut. Macsenaere, M. (2006). Wirkungen der Kinder- und Jugendhilfe sind messbar! Methoden, Erkenntnisse und Empfehlungen der Jugendhilfe-Effekt-Studie (JES) und weiterer darauf beruhender wirkungsorientierter Evaluationen. In Projekt eXe (Hrsg.), Wirkungsevaluation in der Kinder- und Jugendhilfe. Einblicke in die Evaluationspraxis (S. 49– 78). München: Deutsches Jugendinstitut. Merchel, J. (2015). Evaluation in der Sozialen Arbeit. München: UTB. Otto, H.-U., Albus, S., Polutta, A., Schrödter, M., & Ziegler, H. (2007). Zum aktuellen Diskurs um Ergebnisse und Wirkungen im Feld der Sozialpädagogik und Sozialarbeit Literaturvergleich nationaler und internationaler Diskussion. Expertise im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ. Patton, M. Q. (1998). Die Entdeckung des Prozessnutzens. Erwünschtes und unerwünschtes Lernen durch Evaluation. In M. Heiner (Hrsg.), Experimentierende Evaluation. Ansätze zur Entwicklung lernender Organisationen (S. 55–66). Weinheim: Juventa. Rosen, A., Schudy, A., & Werther, S. (2015). Wirkt so oder so. Zweite Handreichung zur wirkungsorientierten Antragsstellung in der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit, Berlin. Stockmann, R., & Meyer, W. (2010). Evaluation. Eine Einführung. Opladen: Budrich. Sturzenhecker, B., & von Spiegel, H. (2009). Was hindert und fördert Selbstevaluation und Wirkungsreflexion in der Kinder- und Jugendarbeit. In W. Lindner (Hrsg.), Kinderund Jugendarbeit wirkt. Aktuelle und ausgewählte Evaluationsergebnisse der Kinderund Jugendarbeit (S. 309–321). Wiesbaden: Springer VS. Wallraff, M., & Zimmer-Hegmann, R. (2016). Evaluation und Selbstevaluation der ‚Sozialen Stadt‘. Stand und Perspektive. Information zur Raumentwicklung (1), 29–39.
Selbstevaluation im Quartier – Erkenntnisgewinn mit Spaßfaktor Margit Risthaus und Sandra Ludes
Die Autorinnen arbeiten im Netzwerk und ‚zentrum plus‘ Benrath der Diakonie Düsseldorf, eine quartiersorientierte Form der sogenannten offenen Seniorenarbeit. Das ‚zentrum plus‘ Düsseldorf Benrath war einer von fünf Pilotstandorten im Projekt WINQuartier (vgl. Funk & Zisenis in diesem Band). 1
Einleitung – Inspirationsphase
Als die Anfrage an uns herangetragen wurde, an einem Projekt mit zu wirken, in dem „ein indikatorengestütztes Instrumentarium zur Ermittlung der Wirkungen und des Nutzens inklusiver Quartiersentwicklung entwickelt, erprobt und evaluiert“ (WINQuartier o. J.) wird, gab es kein langes Zögern. Endlich bestand die Möglichkeit, mit Methoden der empirischen Sozialforschung Wirkung und Nutzen der Sozialen Arbeit im Quartier angemessen zu reflektieren. Besonders interessant war der Projekthintergrund: Der Fokus lag auf dem Quartier als unmittelbares Lebensumfeld: „Nach wie vor besteht bei vielen älteren Menschen der Wunsch, so lange wie möglich im bekannten Wohnumfeld zu leben“ (WINQuartier o. J.). In dieser Aussage werden viele Mitarbeitende in Tätigkeitsfeldern ambulanter Sozialer Arbeit den Wunsch der Menschen wiederfinden, für die sie täglich tätig sind. Zahlreiche Befragungen und Gespräche zeigen: Fast alle möchten so lange wie möglich in der eigenen Häuslichkeit verbleiben. Für unseren Projektstandort liest es sich wie ein Zitat aus den Konzepten zur Netzwerk- und ‚zentrum plus‘-Arbeit: „Die ‚zentren plus‘ beraten zu allen Fragen rund um das Leben im Alter. Sie helfen, neue soziale Kontakte aufzubauen und bieten viele Freizeitaktivitäten an. Sie zeigen Wege auf, trotz Hilfe- und Pflegebedürftigkeit so lange wie möglich in der eigenen Wohnung zu leben. Individuelle Hilfen werden koordiniert und auf Wunsch werden Hausbesuche durchgeführt. Die ‚zentren plus‘ arbeiten eng mit anderen Fachstellen zusammen. Angepasst an die besonderen Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger im Stadtteil gibt es besondere Angebote, zum Beispiel für Migrantinnen und Migranten, pflegende Angehörige oder demenziell erkrankte Menschen.“ (Landeshauptstadt Düsseldorf 2019, o. S.) © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_8
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Margit Risthaus und Sandra Ludes
Diese Arbeit erfolgt in Düsseldorf an insgesamt 32 Standorten in Trägerschaft des Arbeiter Samariter Bundes, der Arbeiterwohlfahrt, des Caritasverbandes, des Deutschen Roten Kreuzes und der Diakonie Düsseldorf e. V.. Das evaluierte Netzwerk Benrath gehört zu einem der aktuell zehn von der Diakonie Düsseldorf betriebenen Standorte. Die ‚zentren plus‘ in der heutigen Form wurden 2007 definiert und mit der Stadt Düsseldorf vertraglich geregelt. Ziele und Aufgaben sind ebenso beschrieben wie die finanzielle Unterstützung und Formen der Zusammenarbeit (vgl. Landeshauptstadt Düsseldorf 2011, S. 13ff). Bereits 1995 wurde das Netzwerk Benrath als ein Projekt zur Nachbarschaftshilfe gegründet. Nach mehr als 20 Jahren engagieren sich regelmäßig rund 120 ehrenamtlich Tätige in aktuell 20 Interessensgruppen – Zeit, die Entwicklungen kritisch zu betrachten und zu überprüfen. Kernziel der Netzwerkarbeit ist die Idee der ‚Sozialen Vorsorge‘: Soziale Netze in der nachfamiliären oder nachberuflichen Phase werden in der Regel kontinuierlich durchlässiger. Neue Anlässe zur Gestaltung von Beziehungen im höheren Erwachsenenalter müssen demnach aktiv gestaltet und gepflegt werden (Evangelisches Erwachsenenbildungswerk Nordrhein 2003). Da das Netzwerk Benrath, heute ein Standbein des ‚zentrum plus‘, ein differenziertes, gewachsenes und partizipativ ausgerichtetes System zu eben dieser Gestaltung sozialer Gemeinschaften bietet, richtete sich der Fokus nun auf den Aspekt der sozialen Teilhabe (Landeshauptstadt Düsseldorf 2011). Das Interesse an der Mitarbeit im Projekt WINQuartier bestand insbesondere darin, diese Ziele genauer zu betrachten: Ist das, was wir gemeinsam gestalten, das, was ‚wirkt‘ und den Menschen im Sozialraum nutzt? (Zur kritischen Betrachtung von Wirkung und Nutzen siehe u. a. Burmester in diesem Band) Ist die Tragfähigkeit sozialer Kontakte im Unterstützungsfall wirklich gegeben, greift das Konzept der ‚Sozialen Vorsorge‘? An vielen Standorten innerhalb und über die Diakonie Düsseldorf hinaus stellen sich diese und ähnliche Fragen und immer geht es um partizipative Ansätze im sozialen Nahraum, die eine gute Lebensqualität im Alter ermöglichen. Das WINQuartier-Projektziel lautete, ein „Instrumentarium zur Wirkungsanalyse“, dessen „Fokus auf Erfassung von Wirkung und Nutzen zur Förderung des selbstbestimmten Lebens und der Versorgungssicherheit“ (WINQuartier o. J.) älterer Menschen liegt, zu entwickeln. Mit diesem Instrumentarium können demnach die Basisziele der offenen Seniorenarbeit in den ‚zentren plus‘ erfasst werden. Im Folgenden beschreiben wir unsere Erfahrungen in der Umsetzung der im Projekt WINQuartier angebotenen Verfahren der wirkungsorientierten Selbstevaluation.
Selbstevaluation im Quartier – Erkenntnisgewinn mit Spaßfaktor 2
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Durchführungsphase – „planen, umsetzen, überprüfen“
2.1 Bevor es los geht Was wir evaluieren wollten und warum, war nun klarer, aber die Fragen wie und wer, hatten wir noch nicht ausreichend bedacht. Dank des Forschungssettings und der inbegriffenen und unabdingbaren Begleitung lernten wir: „Eine wirkungsorientierte Selbstevaluation umzusetzen, erfordert ein strukturiertes Vorgehen. Verschiedene Arbeitsschritte sind notwendig, um im Anschluss an die Evaluation Ergebnisse zu erhalten, die für Ihre Quartiersarbeit aussagekräftig sind. Das WINQuartier-Tutorial leitet Sie Schritt für Schritt durch eine exemplarische Selbstevaluation und gibt Ihnen Fragen an die Hand, mittels derer Sie Ihr eigenes Evaluationsvorhaben in Ihrem Quartier umsetzen können“ (Funk o. J., S. 1).
Für die Umsetzung schlägt Funk (o. J.) folgendes Tutorial in neun Schritten vor: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Klären Sie Erwartungen an Ihr Evaluationsvorhaben. Klären Sie, was Sie evaluieren wollen. Prüfen Sie Ihre Ressourcen für eine Selbstevaluation. Formulieren Sie Wirkungsziele. Bilden Sie Indikatoren. Wählen Sie Ihre Methoden und Erhebungsinstrumente aus. Erstellen Sie Ihren Erhebungsplan. Erheben Sie Ihre Daten. Werten Sie die erhobenen Daten aus, interpretieren und diskutieren Sie sie.
Mit Hilfe dieser Orientierung machten wir uns an die Arbeit, wenn auch nicht exakt in der vorgegebenen Reihenfolge. 2.2 Was bedacht sein will Wie für die Umsetzung anderer neuer Ideen selbstverständlich, bedarf es auch für die Anwendung von Verfahren der Selbstevaluation eines Projektplans. In der Begeisterung für eine Projektidee ist es unerlässlich, den jeweiligen Träger in die Planungen einzubeziehen. Neben der grundlegenden Beauftragung steht die Frage nach personellen Ressourcen am Beginn: Wer soll in welchem Umfang und zu welchen Konditionen beteiligt sein? Wird nur die Quartiersentwicklerin für die
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Evaluation freigestellt oder ein Team gebildet? Wer definiert die Aufgabenpakete und koordiniert die Umsetzung? Bevor mit der eigentlichen Evaluation begonnen werden konnte, musste festgelegt werden, welche Wirkungsziele überprüft werden sollten. Wie oben beschrieben, war das Erkenntnisinteresse klar: Die Erreichung des Ziels ‚Soziale Vorsorge und Integration für das Alter ermöglichen‘ sollte mit Hilfe der Evaluation ermittelt werden. Doch nun begann die eigentliche Arbeit. Wie muss ein Ziel formuliert werden, damit es messbar ist? Welche Veränderungen sollen überprüft werden? In einem ersten Schritt wurden verschiedene Teilziele formuliert (z. B. ältere Erwachsene kennen Personen, die sie um Unterstützung bitten können oder ältere Erwachsene engagieren sich ehrenamtlich (im Quartier), sind eingebunden). Diese führten nach einem längeren Such- und Diskussionsprozess letztendlich zu dem Wirkungsziel: ‚Ältere Erwachsene bilden neue stabile Beziehungen, die sie unterstützen (soziale Vorsorge, Integration statt Vereinsamung im Alter)‘. Als Hilfestellung kamen unter anderem die sogenannten SMART-Kriterien (spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch, terminiert, Kurz & Kubek 2015) zur Anwendung. Diese Kriterien waren hilfreich, um konkrete Ziele zu formulieren. So war z. B. die Frage, ist dieses Ziel messbar (M) und wenn ja in welcher Form, ein wichtiger Anhaltspunkt. Sowohl unsere Teilziele als auch unser final festgelegtes Wirkungsziel waren durch eine Befragung der Ehrenamtlichen messbar. Dies war bereits ein Hinweis darauf, dass es sinnvoll und unabdingbar ist, die Ehrenamtlichen in die Evaluation einzubeziehen. Die Fragen, ob das Ziel akzeptiert (A) und realistisch (R) ist, halfen ebenfalls dabei, eine sehr konkrete Formulierung zu finden. Um das Wirkungsziel und seine Messbarkeit weiter zu konkretisieren, mussten im nächsten Schritt Indikatoren gebildet werden. Folgende Indikatoren wurden aus der Zielsetzung abgeleitet: (1) Persönliches soziales Netz hat in der Dichte zugenommen (quantitativ), (2) Soziale Kontakte werden genutzt (qualitativ), (3) Soziale Kontakte sind belastbar (konflikterprobt, nicht oberflächlich, können Unterstützung geben), (4) Lebenszufriedenheit ist gestiegen (Vertrauen, Notfall, Konflikte), (5) Sicherheitsempfinden ist stabilisiert. Rückblickend ein Tipp: Bereits in der Planung sollte bei der Formulierung von Wirkungszielen und der Bildung von Indikatoren an eine praktikable Auswertung gedacht werden. Jetzt kam ein weiterer spannender Teil: Mit welchen Methoden oder Verfahren lässt sich die Erreichung der formulierten Wirkungsziele überprüfen? Und welche Methoden und Verfahren eignen sich? Auf der WINQuartier-Homepage findet sich eine Fülle ganz unterschiedlicher ‚Werkzeuge‘, die zur Wirkungsreflexion nutzbar sind. Wichtige Kriterien für die Auswahl eines Verfahrens waren für uns ein partizipativer Ansatz sowie die Möglichkeit, ein langjährig bestehendes Projekt zu evaluieren. Dies traf auf alle aktuell vorgestellten Verfahren auf der
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WINQuartier-Homepage zu. Jedoch hatten wir z. B. beim Verfahren Method for Impact Assessment of Programs and Projects (MAPP) den Eindruck, dass es unsere zeitlichen und finanziellen Ressourcen übersteigen würde. Letztlich fiel die Wahl auf das Verfahren ‚Handlungsspielräume und Verwirklichungschancen‘. Der partizipative Ansatz dieses Verfahrens bezieht nicht nur Nutzerinnen und Nutzer des Projekts mit ein, sondern auch Personen, die im Quartier hauptamtlich tätig sind. Somit handelt es sich um ein zweischrittiges Verfahren, welches sowohl den Blick aus der Perspektive von innen (Nutzerinnen und Nutzer), als auch den Blickwinkel von außen durch externe Akteurinnen und Akteure ermöglicht. Das Verfahren basiert auf dem Capability Approach, der von Amartya Sen begründet und von Martha Nussbaum zum Konzept der zehn zentralen menschlichen Fähigkeiten, den „Capabilities“, weiterentwickelt worden ist (Nussbaum 1998, S. 200ff). Ausgewählt wurden davon die Dimensionen „Fähigkeit zu Emotionen, soziale Netze, Gemeinschaft“ und „Zugehörigkeit, soziale Teilhabe, Selbstrespekt, Diskriminierungsfreiheit“ (ebd.). Hier zeigt sich, wie unabdingbar das Studium der umfangreichen, teils komplizierten Grundlagen zur Klärung der rahmengebenden Ausgangssituation ist. Für eine praktikable Anwendung schließt sich unabdingbar ein Prozess der Verdichtung und Fokussierung an. Dank des Forschungsprojekts standen uns hier professionelle Begleitung sowie Austauschmöglichkeiten während der Arbeitstreffen der Pilotstandorte helfend zur Verfügung. 2.3 Es wird konkret Die im Projektplan budgetierte Zeitressource verteilte sich auf zwei hauptamtliche Mitarbeiterinnen: Auf eine langjährige sowie eine erst seit kurzem in der Gemeinwesenarbeit tätige Mitarbeiterin. Selbstevaluation und deren Praktikabilität bedingt einen überschaubaren Rahmen. Daher wurden für die Erhebungsphase zwei vermeintlich kleine, aber sehr differenzierte und aussagekräftige Interviewgruppen zusammengestellt. Die Erhebungsphase startete mit sogenannten Pretests, die sich als hilfreiches Steuerungselement erwiesen (s. u.). Es folgten zehn Interviews mit Akteurinnen und Akteuren des Gemeinwesens, sogenannten Expertinnen und Experten, sowie 20 leitfadengestützte Gespräche mit ehrenamtlich Tätigen. In beiden Fällen wurde darauf geachtet, eine möglichst heterogene Auswahl (Alter, Geschlecht, Dauer der Zugehörigkeit, Intensität und Dauer der Zusammenarbeit zur Einrichtung etc.) der Beteiligten zu erreichen, um vielfältige Ergebnisse zu erhalten. Für die Gespräche mit den Ehrenamtlichen wurde ein Leitfaden entwickelt, der aus einer Kombination von offenen und geschlossenen Fragen bestand. Für die Befragten gab es immer die Möglichkeit, sich zunächst auf einer Skala (‚Trifft voll
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Margit Risthaus und Sandra Ludes
und ganz zu‘ bis ‚Trifft überhaupt nicht zu‘) einzuordnen und im Anschluss mit einer offenen Antwort zu ergänzen. Ein vollständiger Beispielfragebogen kann auf der Seite WINQuartier1 eingesehen werden. Dieser Leitfaden ermöglichte es, das Interview strukturiert zu führen und dennoch Raum für narrative Elemente zu lassen. Während des Gesprächs machten sich die Interviewerinnen Notizen zu den Aussagen auf die offenen Nachfragen. Wie bereits erwähnt, erwies es sich als sehr sinnvoll, den Gesprächsleitfaden mit mehreren Personen zu testen (Pretest). Dadurch wurde sichtbar, an welchen Stellen eine Anpassung notwendig war. Welche Fragen beispielsweise missverständlich ausgedrückt waren, an welcher Stelle zusätzliche Anmerkungen und Erklärungen notwendig sind oder an welchen Stellen ablehnend reagiert wird. So wurde beispielsweise die ursprüngliche Frage nach dem Einkommen (Angabe einer konkreten Zahl) durchgehend nicht beantwortet. Durch eine Umformulierung nach dem Pretest (Zufriedenheit mit Einkommen), konnte die Antwortbereitschaft deutlich erhöht und grobe Aussagen zur Einschätzung der finanziellen Situation erfasst werden. Die Gespräche wurden von der noch relativ kurzzeitig im Projekt tätigen hauptamtlichen Mitarbeiterin koordiniert und durchgeführt. Schon bei der zeitintensiven Ansprache und Terminkoordinierung der Gesprächsteilnehmenden zeigte sich die Notwendigkeit einer Vertrauensbasis. Ehrenamtliche, die die neue Kollegin noch nicht kannten, lehnten Gespräche eher ab, als Ehrenamtliche, die schon häufiger Kontakt mit der neuen Kollegin hatten. Die durchgeführten Interviews dauerten im Durchschnitt ca. eine Stunde. Neben dem eigentlichen Ziel, die Sichtweisen und Lebensrealität der Ehrenamtlichen zu erfassen, zeigte sich letztendlich ein deutlicher Mehrwert: Die Ehrenamtlichen nahmen es sehr positiv wahr, dass sie nach ihrer Meinung gefragt wurden und die Hauptamtlichen sich die Zeit nahmen, mit ihnen darüber zu sprechen. Dadurch konnten nicht nur viele Informationen gesammelt, sondern auch wertvolle Beziehungsarbeit geleistet werden. Die Interviewten erlebten die ‚geschenkte‘ Zeit als Wertschätzung und nutzten sie auch für persönliche Anliegen. Nach gezielter Aufforderung wurden auch kritische Themen benannt, die in künftige Prozesse einfließen werden. Für die Interviews mit den Kooperierenden der Einrichtung, den sogenannten Expertinnen und Experten der Seniorenarbeit im Quartier, wurde ebenfalls ein Gesprächsleitfaden entwickelt mit ausschließlich offenen Fragen. Auch hier wurden die Antworten stichpunktartig festgehalten. Manche blieben in der Auswertung als besonders interessante Aussage erhalten und als Zitate markiert angeführt, andere kategorisiert. Mit Hilfe der sogenannten Experteninterviews sollte u. a. die Wirkung der Sozialen Arbeit des Pilotstandortes im Quartier betrachtet werden: Ist die Arbeit 1
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der Einrichtung bekannt und wenn ja, wie differenziert? Welche Qualität in der Ermöglichung und Unterstützung zur ‚Gestaltung sozialer Beziehungen älterer Menschen‘ wird wahrgenommen? Welche Eindrücke und Beobachtungen wurden gemacht, welcher Ruf registriert? Auch nach (vermuteten) Hürden und Barrieren zum Besuch der Einrichtung wurde gefragt. Die Interviewpartnerinnen und -partner unterschieden sich stark in ihrer Profession und ihren Handlungsfeldern (Pflegeeinrichtung, öffentlicher Dienst, Einzelhandel, Bildungseinrichtung etc.). Auch die Dauer und die Intensität der Zusammenarbeit mit dem Pilotstandort wichen stark voneinander ab. Trotz dieser Unterschiede gab es viele übereinstimmende Einschätzungen zur Arbeit und zum Profil des betrachteten Netzwerks und ‚zentrum plus‘ Benrath. Die erste Erkenntnis nach den Gesprächen: Für Viele ist es die Anlaufstelle im Quartier zu Fragen des Alter(n)s. Das Netzwerk Benrath wird durchgängig als Ort wahrgenommen, an dem ältere Menschen Möglichkeiten finden, ihr soziales Netz auf- und auszubauen, es für das Älterwerden zu stabilisieren. 3
Auswertung – wie Ergebnisse entstehen
Im Rahmen der Auswertung galt die erste genauere Betrachtung den Interviews mit den Ehrenamtlichen. Durch die Erhebung sowohl quantitativer als auch qualitativer Daten, musste die Auswertung in mehreren Schritten erfolgen. Zunächst wurde eine Auswertungsmaske in Excel angelegt, wodurch die erfassten Daten strukturiert und analysiert werden konnten. In diese Maske konnten alle Zahlen und Textauszüge der einzelnen Interviews eingegeben werden. Begonnen wurde mit den geschlossenen Fragen, deren Ergebnisse auszählbar waren. Diese erhielten sogenannte Codes für die verschiedenen Antwortkategorien, z. B. die Ziffer 1 für trifft voll und ganz zu, 2 für trifft zu usw. So ließen sich die Häufigkeiten der jeweiligen Antworten ermitteln. Diese Verfahrensweise ist Voraussetzung für bestimmte Darstellungsmöglichkeiten, bspw. für Diagramme. Bezogen auf die Auswertungschancen, aber auch auf die Herausforderungen erwies sich der Pretest erneut als hilfreiches Steuerungselement. Neben den inhaltlichen Anpassungen des Gesprächsleitfaden konnten frühzeitig Korrekturen zugunsten einer verbesserten Auswertbarkeit erfolgen. Zu fast jeder Frage im Fragebogen gab es auch offene Antwortmöglichkeiten. Diese wurden ebenfalls zunächst erfasst und in der Auswertung kategorisiert. Bei der Frage „Was ist das Besondere am ‚zentrum plus‘?“ konnten bspw. die Aussagen zu den Kategorien ‚Gute Atmosphäre‘, ‚Soziales Miteinander‘, ‚Hauptamtliche Begleitung‘, ‚Vielfältige Angebote‘ usw. zusammengefasst werden. Diese
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Margit Risthaus und Sandra Ludes
Kategorien konnten nun ergänzend zu den Zahlen der statistischen Auswertung aufgezeigt werden. Weiterhin wurden aus den offenen Antworten kurze Zitate, bzw. O-Töne zur Unterlegung der Zahlendaten entnommen. Diese Auswertungsform gestaltete sich durch die unterschiedliche Datenbasis recht aufwändig. Da der Zeitaufwand bei der Projektplanung unterschätzt wurde, musste eine studentische Hilfskraft zur Abschrift ergänzend eingesetzt werden. Trotz der umfangreichen Arbeit erwies sich die Auswertung als sehr interessant und spannend. Es war schön zu sehen, wie viele Aussagen mit doch vergleichsweise wenigen Daten bereits abgebildet werden können, wie nach und nach immer mehr Ergebnisse sichtbar und darstellbar wurden. Auch die Möglichkeit, die Daten in unterschiedlicher Weise zu nutzen, z. B. für Diagramme, als kleine Textauszüge mit O-Tönen oder bspw. zur Bildung von Kategorien hat motiviert, immer wieder Variationen auszuprobieren. Im nächsten Schritt erfolgte die Auswertung der Interviews, die mit den Kooperationspersonen im Quartier, den sogenannten Expertinnen und Experten geführt wurden. Diese lagen in Form von Notizen und kurzen Zitaten vor. Auch hier wurden erst die einzelnen Interviews in einer Excel-Maske erfasst, so dass alle zu einer Frage erfolgten Aussagen nebeneinandergestellt werden konnten. Die einzelnen Interviewergebnisse waren somit vergleichbar. Wie bereits bei den qualitativen Daten der Ehrenamtlichen, wurden auch hier einerseits Kategorien gebildet und andererseits relevante Zitate herausgearbeitet. Diese Daten fanden erneut Verwendung für Auswertung und Präsentation. Zum einen wurde ausgezählt, wie häufig bestimmte Kategorien in den Interviews Erwähnung fanden, zum anderen wurden diese Kategorien wiederum zur Verdeutlichung mit Zitaten unterlegt. 3.1 Die Ergebnisse – was wir nun wissen Das ‚zentrum plus‘/Netzwerk Benrath bietet ‚vielfältige Möglichkeiten für soziale Kontakte‘, so die zentrale Aussage der Interviews mit den Ehrenamtlichen. Wichtige Kriterien zur tatsächlichen Nutzung dieser Angebote sind ein niedrigschwelliger Zugang, vielfältige Aktivitäten und Angebote, eine hauptamtliche Begleitung sowie eine gute Atmosphäre. Diese Bedingungen beschreiben einen Rahmen, der notwendig ist, um überhaupt an angebotenen Gruppen oder Aktivitäten teilzunehmen, Basis für die Gestaltung sozialer Beziehungen. Es zeigte sich, dass die im ‚zentrum plus‘/Netzwerk Benrath geknüpften Kontakte tragfähig und stabil sind. So können sich viele Befragten vorstellen, in bestimmten Situationen neben Familienmitgliedern auch Personen, die sie durch das ‚zentrum plus‘/Netzwerk Benrath kennen gelernt haben, um Hilfe oder Rat zu bitten. Die Anfragen reichen von der Begleitung zu Veranstaltungsbesuchen über
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Unterstützung bei Krankheit oder Gespräche zu belastenden Situationen, bis hin zur Inanspruchnahme im Notfall. Da viele Ehrenamtliche die hier geknüpften Kontakte auch bei vorhandenen familiären Bezügen nutzen, kann das ‚zentrum plus‘/Netzwerk Benrath als eine wichtige Anlaufstelle zur Gestaltung von familienergänzenden Beziehungsgeflechten betrachtet werden. Die Möglichkeit des ehrenamtlichen Engagements ist für viele Besucherinnen und Besucher ein wichtiger Bestandteil der Arbeit im ‚zentrum plus‘/Netzwerk Benrath. Durch ihr Engagement fühlen sie sich der Einrichtung und den Menschen dort zugehörig und verbunden. Das gemeinsame Wirken in den Interessensgruppen schafft die Basis für die Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen im eigenen Bedarfsfall. Ehrenamtliche Tätigkeit in einem Gruppengefüge wirkt so als soziale Vorsorge, da sie in soziale Bezüge für die eigene Unterstützungssicherheit ‚investiert‘. Konflikte werden laut den Ehrenamtlichen konstruktiv und sachlich geklärt. Durch Fortbildungen und partizipative Prozesse hat sich eine Konfliktkultur entwickelt, die häufig durch hauptamtliche Moderation, zunehmend aber auch von Ehrenamtlichen selbst praktiziert wird. Die lange Zugehörigkeitsdauer und minimale Fluktuationsrate sind u. a. ein Indiz dazu. Insgesamt wird deutlich, dass die Ehrenamtlichen sich im ‚zentrum plus‘/Netzwerk Benrath sehr wohl fühlen. Sie haben dort Ansprechpartner, belastbare Kontakte und sogar späte Freundschaften gefunden, die Idee der ‚sozialen Vorsorge‘ greift und wirkt. Die Experteninterviews mit den Kooperierenden des ‚zentrum plus‘/Netzwerk Benrath zeigen, dass auch hier das Thema Kontaktmöglichkeiten für ältere Menschen einen hohen Stellenwert hat. Viele wissen von den umfangreichen Angeboten und Veranstaltungen sowie den Möglichkeiten zu ehrenamtlichem Engagement. Wichtiger Bezugspunkt ist die Zusammenarbeit in Arbeitskreisen und Projekten. Den Kooperierenden ist ebenfalls bekannt, dass das ‚zentrum plus‘/Netzwerk Benrath eine professionelle Anlaufstelle für ältere Menschen im Stadtteil ist, die Beratung und Information bietet; mehrere bezeichneten sie als die Einrichtung für Fragen des Alter(n)s im Stadtteil. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die angestrebten Ziele des ‚zentrum plus‘/Netzwerk Benrath, älteren Menschen vielfältige Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe sowie zur sozialen Vorsorge zu bieten, sehr gut erreicht werden. 3.2 Die Ergebnispräsentationen – was zeigen wir wem? Analog dem auf der WINQuartier-Homepage vorgestellten Mehrebenenmodell (siehe Funk & Zisenis o. J.) entstanden Darstellungsvarianten für die verschiedenen, sich wechselseitig beeinflussenden Ebenen. Auf der Mikroebene erfolgte die Vor-
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Margit Risthaus und Sandra Ludes
stellung und Diskussion der Ergebnisse in diversen Gruppen der beteiligten oder interessierten Ehrenamtlichen, die auf große Resonanz stieß. Eine weitere Präsentation wurde auf der Mesoebene für die Akteurinnen und Akteure der Seniorenarbeit im Quartier, der Stadtbezirkskonferenz Seniorenarbeit, sowie den Mitarbeitenden der Diakonie Düsseldorf als durchführenden Träger, erstellt. Die kommunale Ebene wurde im Koordinierungskreis Seniorenarbeit erreicht, der sich aus Trägervertretungen der beteiligten Wohlfahrtsverbände, sowie Mitarbeitenden des Seniorenreferates der Stadt Düsseldorf bildet. Erste Erfolge in Form eines ‚gesellschaftlichen Diskurses‘ konnten auf der Metaebene im laufenden Weiterentwicklungsprozess der Düsseldorfer ‚zentren plus‘ bereits erreicht werden; die Verankerung in politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen gilt es noch zu erwirken. 4
Resümee und Ausblick
Evaluation ist unabdingbarer Baustein professioneller Arbeit. Seit Gründung der ‚zentren plus‘ ist bereits ein mehrschrittiges Wirkungscontrolling fester Vertragsbestandteil zwischen der Stadt Düsseldorf und den ausführenden Wohlfahrtsverbänden (vgl. Landeshauptstadt Düsseldorf 2007). Hauptbaustein ist eine differenzierte, aber überwiegend quantitative, monatliche Erfassung von Besucherzahlen, sowie der erbrachten Beratungsleistung. Ergänzende bilaterale Controlling Gespräche und jährliche Berichte runden die Erfassung zwar ab, die qualitative Messung und Darstellung sozialer Arbeit findet in dieser Vorgehensweise jedoch noch nicht ausreichend Berücksichtigung. Selbstevaluation kann diese Lücke schließen: Die Vielfalt an zur Verfügung stehenden Methoden und Verfahren bietet für die unterschiedlichsten Projekt- und Arbeitsformen praktikable Erkenntnismöglichkeiten. Für die Auswahl der passenden Vorgehensweise bedarf es allerdings fachlicher Beratung; zu unübersichtlich und umfassend sind die angebotenen Optionen, häufig steckt der mögliche Stolperstein zu sehr im Detail. Welches Verfahren eignet sich für ein mehrjähriges Projekt? Welche Methode passt zu unseren Interessen und Ressourcen? Wie sieht ein anwendbarer Gesprächsleitfaden aus? An diesen und vielen weiteren Fragen wäre unsere Evaluation ohne fachliche Begleitung gescheitert: Eine Zusammenstellung geeigneter Ansätze findet sich nun auf der Internetseite des Forschungsprojektes (www.winquartier.de). Trotz dieser Vorauswahl benötigten wir Unterstützung bei der Entscheidung, welche Methoden und Verfahren für unser Projekt und unser Erkenntnisinteresse geeignet sind. Darüber hinaus benötigten wir eine fachliche Begleitung zur Anwendung der gewählten Werkzeuge – Hilfe zur
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Selbstevaluation war in Abwandlung der der Sozialen Arbeit zugrundeliegenden Maxime der Hilfe zur Selbsthilfe notwendig. Für die Erhebungsphase waren wir Hauptamtlichen die Expertinnen. Wie bereits beschrieben, erwies sich hier soziale Fachlichkeit und professionelle Beziehungsgestaltung als vorteilhaft. Der Zugang zu möglichen Interviewpartnerinnen und -partnern (Ehrenamtliche und Akteurinnen sowie Akteure) war durch die langjährige Zusammenarbeit sehr gut möglich. Inwieweit für solche Befragungen auch externe Personen als Interviewerinnen und Interviewer einbezogen werden können, lässt sich nicht genau sagen. Sicher wäre die Akquise für Interviews dann etwas aufwändiger und in den Gesprächen würden weniger persönliche Details erzählt. Andererseits wären die zu interviewenden Personen ‚fremden‘ Interviewern gegen über vielleicht an anderer Stelle (kritische Anmerkungen) gegenüber offener. Als wertvolles planerisches Unterstützungselement einer qualitativen Erfassung erwies sich die Nutzung des oben bereits beschriebenen Tutorials (siehe 2.1), das als eine Art Checkliste erfolgreich genutzt wurde. Um wissenschaftlichen Standards zu entsprechen, verschiedene Darstellungsformen einsetzen zu können und Frageergebnisse bspw. in Diagrammen darstellen zu können, bedarf es einer Fachlichkeit, die in den meisten Feldern Sozialer Arbeit aktuell sicher nicht vorhanden ist. Um die im Rahmen von Selbstevaluation erfassten Daten optimal auszuwerten, ist also auch hier fachlicher Begleitung sinnvoll. Alternativ sollten wissenschaftliche Einrichtungen wie Hochschulen etc. unterstützend einbezogen werden. Es wird deutlich, dass Selbstevaluation durchaus ergänzend fachliche Begleitung benötigt. Der Aufwand lohnt jedoch, ist die Messung oder Reflexion von Wirkung und Nutzen doch Teil des professionellen Handelns. Nicht nur der Fokus der ‚Nutzerinnen und Nutzer‘ und damit den eigentlichen Auftraggeberinnen und Auftraggebern Sozialer Arbeit kann erfasst werden, sondern es ist auch eine Bestätigung und Legitimation der hauptamtlichen Arbeit möglich. Ihr Charme liegt neben dem expliziten Erkenntnisinteresse in dem beschriebenen Mehrwert: Beziehungspflege durch intensive Gespräche mit Ehrenamtlichen, Kontaktgestaltung durch Interviews mit Experten und Bildung eines kollegialen Netzes der Pilotstandorte. Nicht zu vergessen die umfassende Öffentlichkeitswirkung, die durch Präsentation der Ergebnisse in diversen Gremien erzielt wurde. SELBSTevaluation ist per Definition ‚befangen‘, ihre Anwendung ermöglicht jedoch Erkenntnisgewinne mit Mehrwert, die allemal Hypothesen und Annahmen überlegen sind. Die Bereitschaft zur (Selbst-)Evaluation zu erhöhen, um sie als selbstverständliches Element der Qualitätssicherung zu verankern, ist ein erstrebenswertes Ziel. Die notwendigen Ressourcen als gegeben vorausgesetzt, bietet sie vielfältige Chancen zur passgenauen Weiterentwicklung sozialer Interventionen. Aber Achtung: Sind Erfahrungen mit Selbstevaluation erst gemacht,
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entsteht schnell die Lust auf mehr, denn Selbstevaluation macht erstaunlicherweise sogar Spaß! Literatur Evangelisches Erwachsenenbildungswerk Nordrhein. (Hrsg.). (2003). Soziale Netze fallen nicht vom Himmel. Düsseldorf: Evangelisches Erwachsenenbildungswerk Nordrhein. Funk, S. (o. J.). Tutorial wirkungsorientierte Selbstevaluation. https://winquartier.de/ fileadmin/user_data/Selbstevaluation/WINQuartier_Tutorial_wirkungsorientierte_ Selbstevaluation.pdf. Zugegriffen: 07. Januar 2019. Funk, S., & Zisenis, D. (o J.). Was wirkt im Quartier? Einführung des Mehrebenenmodells zur Beschreibung von Wirkung und Nutzen inklusiver Quartiersentwicklung. https:// winquartier.de/fileadmin/user_data/Reflexionstexte/WINQuartier_Impulstext_ Mehrebenenmodell.pdf. Zugegriffen: 07. Januar 2019. Kurz, B., & Kubek, D. (2015). Kursbuch Wirkung. Das Praxishandbuch für alle, die Gutes noch besser tun wollen: Mit Schritt-für-Schritt Anleitungen & Beispielen. Berlin: Phineo. Landeshauptstadt Düsseldorf. (2007). „Düsseldorf – gemeinsam aktiv für das Alter“. AG „Wirkungscontrolling“. Leitfaden Wirkungscontrolling. https://www.duesseldorf.de/fileadmin/files/senioren/start/gemeinsam_aktiv_fuer_das_alter/controllingleitfaden.pdf. Zugegriffen: 20. Januar 2019. Landeshauptstadt Düsseldorf. (2011). „Düsseldorf - Gemeinsam aktiv für das Alter“. Projektbericht 2005 - 2010. https://www.duesseldorf.de/fileadmin/Amt50/senioren/gemeinsam_aktiv_fuer_das_alter/gemeinsam_aktiv_fuer_das_alter.pdf. Zugegriffen:19. Januar 2019. Landeshauptstadt Düsseldorf. (2019). Die „zentren plus“. https://www.duesseldorf.de/ senioren/zentrum-plus.html/. Zugegriffen: 19. Januar 2019. Nussbaum, M. (1998). Gerechtigkeit oder Das gute Leben. Gender studies. Frankfurt: edition suhrkamp. WINQuartier. (o. J.). Das Projekt. Hintergrund und Ziele von WINQuartier. https://winquartier.de/das-projekt/hintergrund-und-ziele-von-winquartier/. Zugegriffen: 07. Januar 2019.
Gute Beispiele – (Selbst-)Evaluation in der Sozialen Stadt Alexander Sbosny
Genau in diesem Jahr, 2019, feiert die Soziale Stadt ihren 20. Geburtstag. Die Soziale Stadt, eines der derzeit acht Teilprogramme der Städtebauförderung, ist für viele Stadtplaner*innen, Raumplaner*innen, Geograf*innen und Soziolog*innen der Inbegriff der integrierten Quartiersentwicklung in Deutschland. Seit 1999 wurden bundesweit mehr als 800 Quartiere in über 500 Städten und Gemeinden mit finanziellen Mitteln aus der Sozialen Stadt unterstützt (BBSR 2018) – sowohl für bauliche Maßnahmen (z. B. für die Sanierung von Quartierszentren oder die Neugestaltung von Quartiersplätzen) als auch für sozial-integrative Maßnahmen, insbesondere für die Quartiersarbeit bzw. das Quartiersmanagement. Und seit 1999, so lange es das Programm gibt, steht es jedes Jahr unter dem politischen Druck, seinen Nutzen für und seine positiven Wirkungen auf die geförderten Quartiere unter Beweis stellen zu müssen. Gesetzlich verankert ist diese Aufgabe im Artikel 104b des Grundgesetzes: Demnach sind die Bundesfinanzhilfen befristet zu gewähren und hinsichtlich ihrer Verwendung in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen. So überrascht es nicht, dass sich im fachlichen Umfeld der Sozialen Stadt eine sehr rege Kultur der (Selbst-)Evaluation1 entwickelt hat. Inzwischen hat sich die Soziale Stadt als Leitprogramm der Städtebauförderung in Deutschland etabliert, auch wenn sich das Programm in unseren Augen nicht nur positiv entwickelt hat (etwa in Hinblick auf die gewachsenen formalen Anforderungen oder die eingeschränkte Förderfähigkeit vieler sozial-integrativer Maßnahmen). Davon abgesehen, ist das Programm eine Erfolgsgeschichte. Und das ist es vermutlich gerade deshalb, weil es transparent und kontinuierlich evaluiert worden ist. Dabei ist die Geschichte der (Selbst-)Evaluation in der Sozialen Stadt keineswegs reibungslos verlaufen. Und verläuft auch heute – je nach Bundesland, Region und Kommune – nicht überall gleich gut. Auf Bundesebene gab es schon immer ein hohes Evaluationsinteresse. In den Jahren 2004 und 2017 wurden im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und der zuständigen Bundesministerien umfassende 1
An den Textstellen, an denen von ‚(Selbst-)Evaluation‘ die Rede ist, sind sowohl ‚Fremdevaluationen‘ (Bewertung der Zielerreichung durch außenstehende Akteure) als auch ‚Selbstevaluationen‘ (Bewertung der Zielerreichung durch direkt beteiligte Akteure) gemeint.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_9
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Alexander Sbosny
Zwischenevaluationen der Sozialen Stadt durchgeführt (BBR 2004; BBSR & BMUB 2017). Um die geförderten Kommunen (in allen Teilprogrammen der Städtebauförderung) bei der (Selbst-)Evaluation in den Quartieren zu unterstützen, wurden im Auftrag des Bundes außerdem eine kommunale Arbeitshilfe und ein Leitfaden für Programmverantwortliche erarbeitet (BMVBS 2011; BMVBS 2012). Beide Publikationen enthalten praxisnahe Hinweise und anschauliche Beispiele für die (Selbst-)Evaluation im Quartier. Auf Landesebene hingegen ging und geht das Evaluationsinteresse deutlich auseinander. Etwa zwei Drittel der Bundesländer entwickelten bis 2005 „ambitionierte Monitoring- und Evaluierungsansätze, die in dieser Intensität in den Folgejahren nicht weiterverfolgt wurden“ (BBSR & BMUB 2017, S. 12), u. a. Bremen, Hamburg, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland. In einzelnen Ländern wurden darüber hinaus Vorgaben erlassen, nach denen die geförderten Kommunen eine regelmäßige (Selbst-)Evaluation auf Quartiersebene durchführen müssen. Nicht nur deshalb läuft die (Selbst-)Evaluation auf der Ebene der Städte und Gemeinden höchst unterschiedlich. Im Bundesdurchschnitt erscheint es uns so, als sei das kommunale Interesse an (Selbst-)Evaluation – soweit wir das aktuell beurteilen können – leider nicht besonders ausgeprägt. Unseren letzten Eindruck davon konnten wir im Jahr 2015 bei einer bundesweiten Fallstudienanalyse für das BBSR gewinnen. Die gemeinsam von StadtRaumKonzept, der Bergischen Universität Wuppertal und dem ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH durchgeführte Analyse diente als Grundlagenstudie für die o. g. Bundesevaluation (BBSR & BMUB 2017). Als ehemalige Beschäftige des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) – StadtRaumKonzept ist eine im Jahr 2007 erfolgte Ausgründung – haben sich einige von uns schon in den frühen 2000er Jahren mit Selbstevaluation im Quartier auseinandergesetzt. Wegweisend war das im Jahr 2004 erarbeitete Handbuch „Zielentwicklung und Selbstevaluation in der Sozialen Stadt NRW“, das unter Fachleuten bis heute als ‚Bibel‘ der Selbstevaluation gilt (ILS 2004). Das damals entwickelte Evaluationsverständnis hat bis heute Bestand im nordrhein-westfälischen Bauministerium, im ILS und auch bei StadtRaumKonzept. Viele der Vorschläge aus dem Werk wenden wir seit Jahren in der Praxis an. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der Selbstevaluation in den nordrheinwestfälischen Kommunen war zweifellos ein Erlass des Landesbauministeriums im Juni 2009. Ausgehend von den im Jahr 2008 überarbeiteten „Förderrichtlinien Stadterneuerung NRW“, in denen die Selbstevaluation in allen Programmquartieren der Sozialen Stadt als verpflichtend festgeschrieben wurde, forderte das Landesbauministerium alle beteiligten Kommunen auf, binnen eines Jahres eine Selbstevaluation durchzuführen und die Ergebnisse zu dokumentieren.
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Glücklicherweise begannen in der Folge des Erlasses viele Kommunen, sich systematisch mit unterschiedlichen Formen der Evaluation zu beschäftigen. Methodisch unterstützt wurden und werden sie hierbei oftmals von externen Planungsbüros (wie etwa StadtRaumKonzept). Dabei sind die gewählten Methoden enorm vielseitig: Experteninterviews, Workshops, Haustür- und Passantenbefragungen, postalische und Online-Befragungen, teilnehmende Beobachtungen, aber auch die Auswertung von sozio-demografischen Kontextindikatoren (z. B. Kennzahlen zur Bevölkerungsentwicklung, Bildungssituation, Arbeitslosigkeit und Armut im Quartier) und ‚Teilnehmerlisten‘ (z. B. zu Veranstaltungen, Gesprächskreisen oder anderen Aktionen im Quartier). Mittlerweile hat StadtRaumKonzept Selbstevaluationen in rund 20 Quartieren der Sozialen Stadt in Nordrhein-Westfalen mitgestaltet (u. a. in Bonn, Dinslaken, Gelsenkirchen, Herten, Mülheim an der Ruhr, Rheine, Velbert, Viersen, Witten). Und heute beobachten wir: Nicht wenige Kommunen haben ein Bewusstsein für den Mehrwert von Selbstevaluationen entwickelt! Doch bei allem Fortschritt – noch immer löst das Wort ‚Evaluation‘ bei vielen Menschen scheinbar eine gewisse innere Unruhe aus. Es ist die Angst, individuell bewertet zu werden, für ineffektiv oder ineffizient befunden, schlimmstenfalls ‚wegrationalisiert‘ zu werden. Mag sein, dass dieses Begriffsverständnis in vielen Unternehmen und Branchen der Realität entspricht. Aber bitte nicht im Zusammenhang mit Quartiersentwicklung, fordern wir! Denn erstens muss das Quartier als komplexes Ganzes betrachtet werden und nicht nur die individuelle Arbeitsleistung der Quartiersarbeiter*innen. Und zweitens kann es bei Quartiersentwicklung gar nicht um ‚Effizienz‘ im betriebswirtschaftlichen Sinne und ‚einfache Lösungen‘ gehen, sondern um Aushandlungen zwischen komplexen Interessen und Ansprüchen und einen ‚langen Atem‘. Mit diesem Textbeitrag wollen wir dafür werben, Selbstevaluation nicht als notwendiges Übel, sondern als eine Bereicherung zu begreifen, die – richtig durchgeführt – nicht nur wertvolle Erkenntnisse für die weitere Quartiersentwicklung liefern, sondern sogar Spaß machen kann. Mit Blick auf unsere eigenen Erfahrungen möchten wir an dieser Stelle deshalb fünf Prämissen beschreiben, die uns für eine gelungene Selbstevaluation im Quartier wichtig erscheinen: 1
Selbstevaluation im Quartier braucht ein integriertes Gesamtkonzept
In unserer Praxis erleben wir Quartiersarbeit meist in Form eines zeitlich befristet agierenden Quartiersmanagements. Je nachdem, wie lange die Förderung durch
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die Soziale Stadt gewährt wird, sind dies manchmal drei, manchmal fünf, in seltenen Fällen auch bis zu zehn Jahre. Das mag im Vergleich zu anderen Förderprogrammen sogar eine lange Zeit sein, doch ein Quartier ist ein sehr, sehr komplexes Gebilde. Hier wohnen, arbeiten, leben verschiedene Menschen, treffen unterschiedliche Interessen und Aktivitäten aufeinander, harmonisieren, verstärken oder neutralisieren sich, stehen im Konflikt zueinander. Quartiersentwicklung erfordert daher integriertes Denken und Handeln, erfordert einen systematischen und zielgerichteten Austausch all derjenigen, die im Quartier aktiv sind, d. h. der unterschiedlichen kommunalen Fachbereiche (Soziales, Jugend, Senioren, Wohnen, Verkehr, Grünflächen etc.), der Bewohner*innen, der Unternehmen und Gewerbetreibenden, der Immobilien- und Grundstückseigentümer*innen, der sozialen Einrichtungen, der Schulen und KITAS, der Vereine usw.. Jede und jeder muss ihren und seinen Beitrag leisten, ob durch die Sanierung eines Schulgebäudes, die Neugestaltung einer öffentlichen Grünfläche, das Organisieren eines Nachbarschaftsfestes oder das ehrenamtliche Anbieten von Sprachkursen für Geflüchtete. Wir wissen, häufig (und meist befristet) findet Quartiersarbeit durch freie Träger, Vereine oder Initiativen unabhängig von städtischen Entwicklungskonzepten statt. Doch wer versucht, Quartiersarbeit ohne den ganzheitlichen Blick auf das Quartier, ohne die Einbettung in ein integriertes Quartiersentwicklungskonzept zu evaluieren, wird unseres Erachtens höchstwahrscheinlich nur zu sehr kleinteiligen (und sicher auch unbefriedigenden) Ergebnissen kommen. 2
Selbstevaluation im Quartier braucht klare Ziele
Die Zielentwicklung ist wohl der wichtigste, und gleichzeitig der schwierigste Schritt im Rahmen der Selbstevaluation. Unsere Erfahrungen zeigen: Erstens ist es nicht ratsam, die Ziele der Quartiersarbeit für sich allein zu formulieren. Stattdessen sollten die Ziele der Quartiersarbeit von vornherein auf die Ziele der gesamten Quartiersentwicklung abgestimmt sein. Dafür hat es sich bewährt, Schlüsselakteure aus dem Quartier und Vertreter*innen der Stadtverwaltung zu einem Zielworkshop einzuladen, um gemeinsam Ziele für das Quartier zu formulieren. Der Workshop hat außerdem den Vorteil, dass später nicht die gesamte Verantwortung für die Quartiersentwicklung an die Quartiersarbeiter*innen ‚abgegeben‘ werden kann. Auch die Rolle der anderen Quartiersakteure wird beleuchtet. Diese gehen damit eine Art ‚Selbstverpflichtung‘ ein, ihren Beitrag für eine erfolgreiche Quartiersentwicklung zu leisten.
Gute Beispiele – (Selbst-)Evaluation in der Sozialen Stadt
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Zweitens darf nicht unterschätzt werden, wie knifflig die konkrete Formulierung der Ziele selbst ist. Die Ziele müssen verständlich, überprüfbar (durch quantitative und/ oder qualitative Indikatoren ‚messbar‘) und realistisch (also theoretisch erreichbar) sein. Üblich sind hierarchische Zielsysteme, d.h. die Ziele bauen aufeinander auf und reichen von einer eher abstrakten Ebene (Leitbild, Wirkungsziele) bis hin zur konkreten Maßnahme (Ergebnisziele, Projektziele). Anschauliche Beispiele finden sich u. a. in den drei erwähnten Veröffentlichungen (BMVBS 2011; BMVBS 2012; ILS 2004). Erfahrungsgemäß müssen bei den meisten Zielformulierungen Kompromisse herbeigeführt werden, sodass sich der Einsatz einer neutralen Moderation bewährt hat. Typisch ist auch, dass die Verantwortlichen mit Projektstart sehr ambitionierte (und teilweise unrealistische) Ziele formulieren, die sowohl durch die anderen Quartiersakteure als auch die Moderation ein wenig ‚geerdet‘ werden müssen. 3
Selbstevaluation im Quartier braucht einen Dialog
Nicht nur die Zielentwicklung lebt vom Dialog, sondern auch die eigentliche Evaluation (also die Überprüfung der Zielerreichung). In der Regel unterscheidet die Evaluationsforschung zwischen ‚Selbstevaluation‘ und ‚Fremdevaluation‘. In der Praxis wählen wir einen Mittelweg, eine ‚begleitete Selbstevaluation‘. Grundsätzlich hat es sich als sinnvoll erwiesen, dass die Einschätzungen zur Quartiersentwicklung von den Quartiersakteuren selbst getroffen werden. Dies erhöht nicht nur die (politische) Akzeptanz der getroffenen Aussagen. Durch authentische ‚OTöne‘ werden die Bewertungen auch plastischer und facettenreicher. Dabei spielt es keine Rolle, ob ‚Profis‘ (Politiker, Verwaltungsfachleute etc.) oder Bewohner*innen sprechen. Wir haben eine Methode entwickelt, um alle Perspektiven an einen Tisch zu bringen – und zwar im wörtlichen Sinne: In einem ca. drei- bis vierstündigen Workshop diskutieren u.a. Bewohner*innen, Vertreter*innen der verschiedenen Institutionen im Quartier und der Stadtverwaltung auf Augenhöhe. Diskutiert wird anhand von vorbereiteten Plakaten, auf denen die Ziele und die einzelnen Aktivitäten zu sehen sind. Natürlich setzt auch diese Methode eine neutrale Moderation voraus. Um das zu gewährleisten, braucht es erfahrungsgemäß den Blick von außen. Wir stellen kritische Nachfragen, schlichten, provozieren und sorgen dafür, dass jede und jeder zu Wort kommt. Außerdem übernehmen wir die Vorbereitung und Dokumentation. Wir stellen den Teilnehmerkreis zusammen, organisieren einen Raum im Quartier und das Catering, laden ein und gestalten Plakate, auf denen alle Ziele und Maßnahmen des Quartiersentwicklungskonzeptes zu sehen sind.
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Alexander Sbosny Selbstevaluation im Quartier braucht ausreichend Ressourcen
Leider haben wir oftmals den Eindruck, dass ‚der Staat‘ (d.h. die Bezirksregierung, die Landesregierung, die Bundesregierung, die EU) gerade bei solchen Programmen und Projekten sehr hohe Evaluationsanforderungen stellt, bei denen finanzielle Mittel und Laufzeiten eher gering sind. Das führt in der Wahrnehmung vieler Akteure in der Quartiersentwicklung zu einem Missverhältnis zwischen Projektumsetzung und Projektevaluation. Klar ist: (Selbst-)Evaluation braucht Zeit und Geld. Das muss aber auch in einem vernünftigen Verhältnis zum Gesamtprojekt stehen. In den nordrhein-westfälischen Quartieren der Sozialen Stadt wird von Anfang an ein bestimmtes Budget für eine (Selbst-)Evaluation vorgesehen. Genaue Regeln, wie hoch dieses Budget sein sollte, gibt es nicht. Meistens sind rund 10 Prozent der insgesamt für das Projekt zur Verfügung stehenden Sach- und Personalmittel realistisch – je nachdem, wie viele Veranstaltungen, Befragungen usw. man vorsieht und ob sich diese mit ohnehin geplanten Aktionen (z. B. zur Aktivierung von Bewohner*innen) verbinden lassen. Dies ist relativ häufig möglich. 5
Selbstevaluation im Quartier braucht realistische Erwartungen
Wie erwähnt, ist das Quartier eine höchst komplexe Angelegenheit. Aus unserer Sicht lautet daher die Devise: Mut zur Lücke und zu einer gesunden Portion Pragmatismus! Auch in der letzten Zwischenevaluation der Sozialen Stadt kam das mit anerkannten Wissenschaftler*innen und erfahrenen Praktiker*innen besetzte Begleitgremium zu dem Schluss, „dass streng kausale und detaillierte Wirkungsketten (…) allenfalls exemplarisch erfasst werden können (…) und daher (…) ein kommunikatives Verfahren zur Identifikation guter und bewährter Prinzipien in der Steuerung und Umsetzung befürwortet wird“ (BBSR & BMUB 2017, S. 22). Diese Aussage bestärkt uns in unserer bevorzugten Methode einer qualitativen (begleiteten) Selbstevaluation. Die oben beschriebenen Evaluationsworkshops eröffnen den Mitarbeitenden Räume, um zielgerichtet zu arbeiten und regelmäßig ihre Arbeit zu reflektieren. Unsere eigene Arbeit im Quartiersmanagement zeigt uns: Wenn es keine strategischen Ziele, keine im Quartier abgestimmte Richtschnur, keine Zeit für Selbstreflektion gibt, schadet dies der Qualität der Quartiersarbeit – schlimmstenfalls läuft man jeden Tag anderen Einzelinteressen hinterher. Zum anderen bieten die Workshops die Chance, um in einem nicht alltäglichen Rahmen mit Quartiersakteuren ins Gespräch zu kommen. Sie sind ‚Ideenschmieden‘ für neue Projekte, Partnerschaften, alternative Finanzierungen.
Gute Beispiele – (Selbst-)Evaluation in der Sozialen Stadt
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Bei der Abschlusskonferenz zum Projekt WINQuartier im letzten Jahr sind wir vielen Quartierarbeiter*innen und Quartiersmanager*innen begegnet, die außerhalb der Programmkulisse Soziale Stadt aktiv sind. Meistens kamen diese ursprünglich aus der Sozialen Arbeit, insbesondere der Offenen Altenhilfe. Abschließend möchten wir deshalb drei Empfehlungen in diese Richtung geben: 1. Fordern Sie Ihr Recht auf Selbstevaluation ein! Diese Empfehlung richtet sich an die Fachverbände und Träger der Freien Wohlfahrtspflege, die außerhalb der Sozialen Stadt im Quartier aktiv sind: Warten Sie nicht, bis Sie von politischen Entscheidungsträger*innen dazu aufgefordert werden, ‚Wirkungsnachweise‘ Ihrer Quartiersarbeit zu erbringen. Kommen Sie ihnen zuvor! Kritische Stimmen von außen zu besänftigen und von der Quartiersarbeit zu überzeugen, ist zweifelsohne ein praktischer Nebeneffekt der Selbstevaluation. Unseres Erachtens ist es jedoch viel wichtiger, Selbstevaluation von vornherein als ein nützliches Lern- und Steuerungsinstrument für sich selbst anzuerkennen. Und als zusätzliches Instrument, um mit anderen Quartiersakteuren ins Gespräch zu kommen, neue Kontakte zu knüpfen und Allianzen zu schmieden. Darin liegt der wahre Mehrwert einer Selbstevaluation. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass bei der alltäglichen Quartiersarbeit hin und wieder die Gefahr besteht, sich im ‚Klein-Klein‘ zu verlieren. Das ist auch normal, schließlich kann man als Quartiersarbeiter*in morgens nicht mit Bestimmtheit wissen, wer aus dem Quartier sich heute mit welchem Anliegen an einen wendet. Dazu kommt, dass Quartiers*arbeiterinnen häufig auf sich allein gestellt sind. Sich unter diesen Umständen die Zeit zu nehmen, auf die strategischen Ziele seiner Arbeit zu schauen, mit anderen darüber zu sprechen und ‚bei laufender Fahrt auch mal den Kurs zu ändern‘, das erfordert ausreichend Ressourcen, die von Anfang an von Seiten des Fördermittelgebers bereitgestellt werden müssen. 2. Setzen Sie auf qualitative Selbstevaluationsverfahren! Diese Empfehlung richtet sich an die Quartiersarbeiter*innen selbst, die außerhalb der Sozialen Stadt vor Ort aktiv sind: Noch immer scheint die Annahme weit verbreitet zu sein, nur durch Zahlen (Stichwort ‚Teilnehmerlisten‘) könne man valide Aussagen über den Nutzen und die Wirkungen der Quartiersarbeit treffen. Doch viele der erhofften Wirkungen sind mithilfe der amtlichen Statistik oder Verwaltungsprozessdaten nicht messbar, darunter Milieueffekte, Merkmale des Zusammenlebens, Image-Veränderungen und Wahrnehmungen der Bewohner*innen (BBR 2004, S. 200).
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Alexander Sbosny
Hier braucht es qualitative Herangehensweisen. Und hierbei bedeutet weniger Aufwand nicht weniger Erkenntnis. Unsere Erfahrung sagt: Ein gut vorbereiteter und moderierter Evaluationsworkshop mit ausgewählten Quartiersakteuren liefert in der Regel viel detailreichere und wertvollere Ergebnisse als eine postalische Befragung von 1.000 Bewohner*innen. Vor allem sollte man sich nicht verunsichern lassen durch eine unter Umständen statische oder gar negative Entwicklung der o. g. sozio-demografischen Kontextindikatoren. Wenn es danach ginge, wären auch viele Projekte der Sozialen Stadt nicht erfolgreich. Kontextindikatoren heißen so, weil sie den Kontext der Quartiersentwicklung skizzieren. Als Erfolgsindikatoren im Quartier sind sie unbrauchbar. Nicht nur, weil Quartiersarbeit meist über verschwindend geringere personelle Ressourcen verfügt und auf wenige Jahre befristet ist – so dass eindeutig sichtbare Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur schlicht unrealistisch sind. Sondern auch, weil viele Herausforderungen (z. B. im Bereich von Bildung und Beschäftigung) nicht (nur) auf der Quartiersebene gelöst werden können. Hier sind bundesweite und teilweise globale Entwicklungstrends entscheidend. 3. Nutzen Sie die Erfahrungen aus der Sozialen Stadt NRW! Diese Empfehlung richtet sich an alle Akteure, die außerhalb der Sozialen Stadt im Quartier aktiv sind: Bei der Abschlusskonferenz zum Projekt WINQuartier hatten wir zeitweise den Eindruck, man fürchte, man stehe bei vielen Fragen zur (Selbst-)Evaluation im Quartier noch ganz am Anfang. Unsere Meinung: Das stimmt nicht! Wie beschrieben, haben (Selbst-)Evaluationen in der Sozialen Stadt eine lange Tradition. Zwar nicht flächendeckend, aber in einigen Ländern und Kommunen mit großem Erfolg. Dabei haben Bund, Land und Kommunen, aber auch die externen Planungsbüros vieles ausgetestet, aus Fehlern gelernt (insbesondere was die Produktion von ‚Datenfriedhöfen‘ anbelangt), Verfahren optimiert und übertragen. So haben wir beispielsweise unsere Methodik der Ziel- und Evaluationsworkshops auch schon in der sozialraumorientierten Wohnungslosenhilfe (z. B. im Oberbergischen Kreis) und im Bereich des inklusiven Gemeinwesens (z. B. in der Stadt Freiburg im Breisgau) angewendet. Von diesen Erfahrungen sollen auch andere profitieren! Damit das gelingen kann, scheint – mit Blick auf die aktuelle Debatte und Quartiersentwicklung in Nordrhein-Westfalen – zuallererst ein engerer Dialog der nordrhein-westfälischen Landesministerien, die mit einem Fokus auf ‚das Quartier‘ arbeiten, erforderlich zu sein. Wir denken: Die Akteure der Sozialen Stadt sind bereit, Sie, die Quartiersarbeiter*innen außerhalb der Städtebauförderung, zu unterstützen. Und keine Angst: Wir wissen nicht nur, was wir tun, sondern auch, was Sie tun. An anderer Stelle sind auch wir Quartiersmanager*innen, wissen, was
Gute Beispiele – (Selbst-)Evaluation in der Sozialen Stadt
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im Quartier realistisch und unrealistisch ist, und haben letztendlich genau wie Sie ein ehrliches Interesse daran, die Quartiere in unseren Städten und Gemeinden attraktiver und lebenswerter zu gestalten. Literatur Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BBR). (Hrsg.) (2004). Die Soziale Stadt. Ergebnisse der Zwischenevaluierung. Berlin. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI). (Hrsg.). (2018). Soziale Stadt. https://www.staedtebaufoerderung.info/StBauF/DE/Programm/SozialeStadt/soziale_stadt_node.html. Zugegriffen: 22. Januar 2019. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBSR), & Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). (Hrsg.). (2017). Zwischenevaluierung des Städtebauförderungsprogramms Soziale Stadt. Berlin. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(BMVBS). (Hrsg.). (2011). Evaluierung der Städtebauförderung. Kommunale Arbeitshilfe. Berlin, Bonn. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). (Hrsg.). (2012). Evaluierung der Städtebauförderung. Leitfaden für Programmverantwortliche. Berlin, Bonn. Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes NordrheinWestfalen (ILS NRW). (Hrsg.). (2004). Handbuch. Zielentwicklung und Selbstevaluation in der Sozialen Stadt NRW. Dortmund.
IV Wirkungsorientierung und ökonomischer Nutzen
Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox Christian Schober und Olivia Rauscher
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Wirkungsanalyse und ihre Instrumente
Wie Schober und Rauscher (2014) zeigen, werden Wirkungen und Wirkungsanalysen in unterschiedlichen Bereichen bereits seit Jahrzehnten diskutiert. Die längste Tradition hat hierbei sicherlich die Evaluationsforschung. Die Wirkungsanalyse ist eine der Hauptformen der Evaluation. Wirkungsanalysen haben in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit erfahren. Gründe hierfür sind zum einen in der organisationalen Entwicklung der Nonprofit-Organisationen (NPOs) und (Sozial-) Unternehmen zu sehen. Die fortgeschrittene Verbetriebswirtschaftlichung (Maier/Meyer 2009) der NPOs beseitigte vielfach Ineffizienzen und mangelnde leistungsorientierte Steuerung. Als neues Thema rückt Effektivität bzw. Wirkungsorientierung nach. Wirkungsorientiertes Denken, Messen und Steuern trifft zudem den Kern der Aktivitäten der NPOs, die im Sinne ihrer Mission einen gesellschaftlichen Mehrwert erbringen wollen. Zum anderen interessieren sich Financiers vermehrt dafür, was ihre Gelder bewirken. So erfolgt die Vergabe öffentlicher Gelder zunehmend unter einer wirkungsorientierten Haushaltsführung. NPOs, als ausführende Dienstleister, in der Bereitstellung (halb-) öffentlicher Güter, müssen ihre Wirksamkeit nachweisen. Im sozialen Bereich treten auch zunehmend private Financiers mit Investorenlogik und entsprechender Renditeerwartung auf und orientieren sich an wirkungsorientierten Kennzahlensystemen, wie IRIS oder breiteren Analysen, wie der SROIAnalyse. „Wirkungsorientierung boomt also und damit boomen auch die Instrumente zur Wirkungsanalyse“, stellten die AutorInnen dieses Beitrags bereits vor einiger Zeit fest (Rauscher & Schober 2015, S. 71) und führten weiter aus: „Es gibt eine Vielzahl an Methoden und Herangehensweisen, die zum Teil ähnliche oder gleiche Vorgehensweisen beinhalten aber andere Bezeichnungen haben. Beratungsunternehmen, Think-Tanks, Stiftungen, große NPOs, angewandte Forschungseinrichtungen, Branchenverbände, Unternehmensverbände, Investorengruppen und Unternehmen entwickeln oft selbst eine Vorgehensweise, wenden diese im eigenen Umfeld an und promoten sie mehr oder weniger stark. In dieser Vielfalt ist leicht der Überblick zu verlieren.“
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_10
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Christian Schober und Olivia Rauscher
Es lassen sich jedoch sinnvollerweise Cluster an Instrumenten bilden, die in der Wirkungsanalyse eingesetzt werden: • • • • •
Umfassende Wirkungsanalysen inkl. Messung (z. B. SROI-Analyse, CostBenefit-Analysen, Logical Framework) Einfache Wirkungsanalysen (z. B. Outcome Mapping, Social Impact measurement for Local Economies - SIMPLE) Instrumente zur Berichtslegung (z. B. Impact Reporting & Investment Standards IRIS, Social Reporting Standard - SRS) Strategieinstrumente (z. B. Wirkungsketten, Theory of Change) Steuerungsinstrumente (z. B. wirkungsorientierte Steuerungsbox (Schober & Rauscher 2017)
Die hier als Beispiel genauer vorgestellte Wirkungsbox ist ein Kategorisierungsinstrument, das vielfältig in jeder Form der Wirkungsanalyse zur Strukturierung eingesetzt werden kann. Besonders geeignet ist die Wirkungsbox allerdings als Strategieinstrument. 2
Das Konzept der Wirkungsbox
Die Wirkungsbox ist ein hilfreiches Tool, um die intendierten und/oder tatsächlich erreichten Wirkungen zeitlich, strukturell und inhaltlich zu verorten. Somit können zum einen die Wirkungsschwerpunkte einer Intervention leichter identifiziert werden. Andererseits erlaubt die Wirkungsbox, bei mehrdimensionalen Wirkungen, die entsprechende Komplexität zu fassen. Bildlich gesprochen, fungiert die Box ähnlich wie ein Nussknacker, der komplexe Wirkungen, wie etwa die Förderung der sozialen Teilhabe, in kleinere Komponenten aufbricht, die dann wiederum in den Schubladen der Box verortet werden können. Dadurch können hoch aggregierte Wirkungen operationalisiert, leichter gemessen und besser analysiert werden. Wirkungen entfalten sich als Folgen von Handlungen oder Leistungen in vielfältiger Hinsicht. Sie sind in der Regel nicht eindimensional. So haben etwa die Aktivitäten eines Jugendzentrums im Quartier nicht nur soziale Folgen, wie die Bildung von Sozialkapital und einem sozialen Netzwerk bei den Betroffenen durch eine sinnvolle Freizeitgestaltung, sondern auch ökonomische Effekte, im Sinne von reduzierten Kosten durch sinkende Beschädigungen im Quartier.
Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox
137
Wirkungen können somit in unterschiedlichen inhaltlichen Dimensionen zum Tragen kommen. Auf aggregierter Ebene können dies folgende sechs Dimensionen sein: • • • • • •
Ökonomisch Sozial Politisch Ökologisch Kulturell Psychisch und physiologisch
Die identifizierten Wirkungen von NPOs, Projekten oder Maßnahmen, können also in einer oder mehrerer dieser inhaltlichen Dimensionen verortet werden. Unter ökonomischen Wirkungen werden Effekte verstanden, welche direkt oder indirekt die Wirtschaft betreffen. Als Beispiele hierfür können Einsparungen und Einkommenszuwächse, Vermögensvermehrung, entstandene Arbeitsplätze, gesteigerte Produktivität oder erzielte Umsätze genannt werden. Soziale Wirkungen betreffen das Zusammenleben von Menschen, d. h. diese Wirkungen beziehen sich auf die menschliche Gemeinschaft bzw. Gesellschaft und resultieren aus den Interaktionen von zumindest zwei Personen. Was die politischen Wirkungen betrifft, so steht die Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens im Fokus. Konkret geht es um Handlungen und Einstellungen, die einen Einfluss auf das politische System haben sowie um den Prozess des (Mit-)Gestaltens und der Beteiligung am Gemeinwesen. Ökologische Wirkungen hingegen betreffen die Umwelt bzw. die Wechselbeziehung zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umwelt. Kulturelle Wirkungen wiederum umfassen all das, was der Mensch selbst, moralisch orientiert, gestaltend hervorbringt. Dies inkludiert materielle Güter, wie Kunstwerke und dergleichen, aber auch immaterielle Errungenschaften, wie Normen und Werte einer Gesellschaft (sowie deren Resultate, z. B. die Europäische Menschenrechtskonvention). Die sechste Wirkungsdimension bezieht sich auf die Gesundheit eines Individuums und umfasst sowohl die psychische als auch die physiologische Ausprägung davon. Letztere meint die Vitalität und körperliche Beschwerdefreiheit während sich erstere primär auf positive Gefühle und eine psychische Beschwerdefreiheit bezieht. Die psychische Dimension wird hier aber noch weiter gefasst und meint das Innere des Menschen, im Sinne seines Geistes und seiner Psyche. Beispiele für derartige Wirkungen sind daher nicht nur ein gesteigertes Selbstwertgefühl oder positive Emotionen, sondern auch der Zuwachs an Wissen oder Know-how.
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Christian Schober und Olivia Rauscher
Inhaltlich können Wirkungen, an den Funktionen einer NPO orientiert, in einer ökonomischen, sozialen, politischen oder kulturellen Dimension entstehen (Kehl, Then & Münscher 2012). Als Beispiel wird hier kurz auf ein Quartiersprojekt in Wien eingegangen, das sich zum Ziel setzt, die gesellschaftliche Partizipation und Integration von Frauen mit Migrationshintergrund und deren Familien zu fördern. Hintergrund ist, dass den Familien (v. a. den Frauen) häufig die notwendigen Informationen über Teilhabemöglichkeiten, rechtliche Ansprüche oder gesundheitliche Präventionsmaßnamen fehlen. Um sie bestmöglich zu erreichen, werden ‚Nachbarinnen‘ eingesetzt, d. h. Frauen, welche die gleiche Sprache sprechen und den gleichen kulturellen bzw. traditionellen Hintergrund haben. Sie suchen die Familien in ihrem vertrauten Umfeld auf und bieten diverse Unterstützungsleistungen, wie Begleitung zu Ämtern oder Ärztinnen bzw. Ärzten, Vermittlung von Lernhilfen, Gesundheitsprävention, an (Rauscher, Sprajcer & Hora 2015). Im Zuge einer Analyse, könnten nun ausschließlich die ökonomischen Wirkungen, wie das Einkommen der ‚Nachbarinnen‘ aus der vermittelten Tätigkeit, die Einsparungen durch das Arbeitsmarktservice, die Steuern und Abgaben, welche dem Staat zugutekommen, etc. betrachtet werden. Neue Kontakte der betroffenen Frauen wären hingegen der sozialen Dimension zuzurechnen. Eine weitere Dimension dieses Beispielprojekts der ‚Nachbarinnen‘ umfasst die Dimension psychisch und physiologisch. Diese letzte Kategorie umfasst Wirkungen, die auf psychischer und physiologischer Ebene entstehen können und nur beim Individuum selbst entfaltet werden, d. h. höchst persönliche Wirkungen sind. Beispiele dafür sind ein verbesserter Gesundheitszustand oder ein höheres Selbstvertrauen der Frauen. Diese Wirkungen können nur auf der Mikroebene und nicht auf der Mesooder Makroebene auftreten. In weiterer Folge können die psychischen und physiologischen Wirkungen wiederum Wirkungen in allen anderen Dimensionen und Ebenen verursachen. Beispielsweise kann sich eine Person mit einem höheren Selbstvertrauen mittelfristig z. B. mehr am gesellschaftlichen Leben beteiligen, eine soziale Wirkung. Es werden bei einem besseren Gesundheitszustand aber auch mittelfristig weniger Kosten im Gesundheitswesen anfallen, eine ökonomische Wirkung. Der Unterschied zwischen der psychischen und physiologischen Dimension und der sozialen Dimension liegt darin, dass letztere immer die Interaktion zwischen zwei oder mehreren Personen betrifft, während erstere ausschließlich das Individuum selbst betrifft. Alle übrigen Dimensionen, d. h. die ökonomische, politische, ökologische und kulturelle, können sowohl das Individuum selbst als auch Organisationen/Gruppen sowie die Gesellschaft betreffen. Wirkungen können auch strukturell differenziert werden: Die Mikroebene umfasst Wirkungen auf Basis von Individuen, d. h., die begünstigten Personen einer Intervention haben nach deren Umsetzung bspw. einen verbesserten Gesundheitszustand, einen Arbeitsplatz, ein größeres Know-how oder ein gesteigertes
Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox
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Selbstbewusstsein. Die Mesoebene bezieht sich auf Organisationen bzw. Gruppen. Das Projekt WINQuartier entwickelte beispielsweise ein Instrumentarium, das den einzelnen Organisationen in der Quartiersarbeit hilft, effizienter und effektiver vorzugehen (vgl. den Beitrag von Funk & Zisenis in diesem Band). Auf die Gesellschaft an sich fokussiert die Makroebene, welche etwa Wirkungen wie die Wahrung der Menschenrechte oder einen Beitrag zum Klimaschutz beinhaltet. Zeitlich gesehen können Interventionen unmittelbar nach der Umsetzung kurzfristige Wirkungen hervorrufen, wie etwa in unserem Beispiel die vermittelten Arbeitsverhältnisse und das erzielte Einkommen für die ‚Nachbarinnen‘. Ebenso können auch mittelfristige Wirkungen eintreten, wie eine Erhöhung der Lebensqualität der Zielgruppe, durch eine größere Stabilität in ihrem Leben. Letztlich können auch langfristige Wirkungen entstehen, wie z. B. eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz von Frauen mit Migrationshintergrund. Diese Wirkungen sind vergleichsweise schwierig zu messen und zu bewerten. Das Modell macht nun eine Verortung konkreter Wirkungen anhand der Dimensionen, Zeit (kurz-, mittel-, langfristig) und Struktur (Mikro, Meso, Makro) möglich. Die einzelnen Kästchen können als Schubladen gedacht werden. In jeder Schublade befinden sich inhaltliche „Registerblätter“ (ökonomisch, sozial, politisch etc.), anhand derer konkrete Wirkungen eingeordnet werden können (vgl. Abbildung 1). Beispielsweise kann ein verbesserter Gesundheitszustand der migrantischen Frauen und ihrer Kinder aufgrund gesundheitsfördernder Leistungen zu reduzierten medizinischen Ausgaben führen, was eine kurzfristige Individualwirkung auf ökonomischer Ebene ist.
140
Abbildung 1:
Christian Schober und Olivia Rauscher
Wirkungsbox – Ebenen der Wirkungsbetrachtung (Eigene Darstellung auf Basis von Rauscher, Mildenberger & Krlev 2015, S. 48)
Werden Wirkungen empirisch gemessen, stehen hinter jeder Wirkung Indikatoren, Items und Skalen (Rauscher & Schober 2015). So können Leistungen zahlreiche verschiedene Wirkungen auf individueller (Mikro)Ebene kurzfristig hervorrufen. Diese Wirkungen können in die ökonomische Dimension fallen, die über Indikatoren mit entsprechenden Items und Skalen gemessen werden kann. Gleiches gilt für die weiteren fünf inhaltlichen Dimensionen. Im Hinblick auf die Wirkung verbesserter Gesundheitszustand und die oben skizzierte ökonomische Wirkungsdimension können beispielsweise die Wirkung ‚reduzierte medizinische Ausgaben‘ angeführt werden (siehe Abbildung 2). Auf der Ebene der Indikatoren hieße dies beispielsweise reduzierte Arztkosten und reduzierte Medikamentenkosten. Konkret gemessen wird dies direkt in Euro, mittels der Items ‚Wie hoch waren Ihre Medikamentenkosten im Monat?‘. Etliche ökonomische Wirkungen werden direkt in Euro gemessen werden können. Die Wirkung verbesserte Gesundheit wird in weiteren Wirkungsdimensionen verortet werden können, so auch auf der physischen und physiologischen Ebene. Hier wäre beispielsweise ein höheres physisches Wohlbefinden relevant. Als Indikatoren können die gesteigerte Alltagsfitness und ein verbessertes Körpergefühl
Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox
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herangezogen werden. Passende Items für einen Fragebogen könnten ‚Wie sehr kommen Sie ins Schwitzen, wenn Sie drei Stockwerke gehen?‘ oder ‚Wie wohl fühlen Sie sich körperlich?‘ sein. Beides könnte beispielsweise auf einer 5-stufigen Likert-Skala mit Ausprägungen von ‚sehr stark‘ bis ‚gar nicht‘ gemessen werden.
Abbildung 2:
Beispiel Wirkungsmessung anhand verbesserter Gesundheit (Schober & Rauscher 2017, S. 15)
Es ist leicht vorstellbar, dass es dutzende Wirkungen geben wird, die sowohl zeitlich als auch inhaltlich und strukturell auf unterschiedlichen Ebenen verortet sind. Je nach Größe und Art des Projekts bzw. der Organisation wird dies rasch komplex. Entlastung kann hier der Rückgriff auf Evidenzen, d. h. bereits durchgeführte Studien zum Thema bieten (Schober & Rauscher 2017). Als mittelfristiges Ziel gilt es, die Schubladen der Wirkungsbox (siehe Abbildung 1) zu befüllen. Häufige bzw. besonders relevante Wirkungen von (Nonprofit-)Organisationen wären zu identifizieren, in den Wirkungsdimensionen zu verorten und Indikatoren, Items und Skalen zur Messung bereit zu stellen. Dies könnte in einer umfassenden Wirkungsdatenbank resultieren, siehe dazu auch das Beispiel der Wirkungsbox Jugendarbeit in Kapitel 3.5 unten.
142 3
Christian Schober und Olivia Rauscher Anwendungsmöglichkeiten der Wirkungsbox
3.1 Die Wirkungsbox als Instrument des strategischen Managements Im Zuge von Strategieüberlegungen einer Organisation kann die Wirkungsbox zweifach eingesetzt werden. Zunächst können, wie bereits beschrieben, die Wirkungen entsprechend der Logik der Box in der zeitlichen, strukturellen und inhaltlichen Dimension verortet werden. Hierdurch werden die Schwerpunkte bzw. Lücken des Wirkungsmodells der Organisation sichtbar. Worauf zielen die Aktivtäten der Organisation, zeitlich, strukturell und inhaltlich ab? In welchen Dimensionen erreicht die Organisation Wirkungen? Beide Fragen können dadurch leichter beantwortet werden. Nachfolgende Abbildung 3 zeigt ein beispielhaftes Raster für kurzfristige Wirkungen der Mikroebene, das hierfür eingesetzt werden kann. Äquivalent kann dies für die anderen zeitlichen und strukturellen Ebenen angewendet werden. In jeder Kombination aus zeitlicher und struktureller Dimension werden so die entsprechenden Wirkungen inhaltlich zugeordnet. Es werden jedenfalls Kategorien und vermutlich ganze Dimensionskombinationen frei bleiben, was wiederum hilft, Lücken zu identifizieren. So könnten sich bei einer NPO, die Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf besser in die Gesellschaft integrieren will, keine kurzfristigen, ökologischen Wirkungen auf Mesoebene zeigen. Zudem könnten sich beispielsweise überhaupt keine mittel- und langfristigen Wirkungen auf der Mesoebene zeigen. Je nach unterschiedlicher Art und Ausrichtung einer Organisation werden in unterschiedlichen Kategorien gehäufte Wirkungen auftreten. Dies zeigt dann anschaulich aus Wirkungsperspektive, welche Schwerpunkte die Organisation mit ihren Aktivitäten gesetzt hat. Daraus lassen sich wiederum strategische Optionen ableiten. Es könnte sich das Management beispielsweise folgende Fragen stellen: • •
Wollen wir Wirkungen in anderen Dimensionen ebenfalls erzielen? Welche Leistungen müssten wir hierfür anbieten? Erzielen wir mit unseren Leistungen aktuell Wirkungen, die wir nicht anstreben? Sollen solche Leistungen zukünftig entfallen?
Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox
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Mikroebene (Individuum)
Kurzfristig Ökonomisch -
Sozial -
Politisch -
Ökologisch -
Kulturell -
Psychisch und Physiologisch -
Abbildung 3:
Wirkungsbox – Raster zum Befüllen
Eine weitere darauf aufbauende Anwendungsmöglichkeit ist ein wirkungsorientierter Soll-Ist-Vergleich. Hier wird im Wesentlichen analog zur Verortung der Wirkungen in der Wirkungsbox vorgegangen. Zusätzlich werden jedoch die Wirkungsziele der Organisation berücksichtigt. Diese sollten optimalerweise bereits entsprechend der vorgegebenen zeitlichen, strukturellen und inhaltlichen Dimensionen vorliegen. Ist dies nicht der Fall, müssten die allgemeineren Ziele noch konkretisiert werden. Anschließend werden die Ziele in den jeweiligen Soll-Feldern des Rasters der Wirkungsbox eingetragen. Folgende Abbildung 4 zeigt das entsprechend adaptierte Raster für die Kombination kurzfristige Mikroebene.
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Christian Schober und Olivia Rauscher
Mikroebene (Individuum)
Kurzfristig Ökonomisch SOLL -
Sozial -
SOLL
-
-
IST
Politisch Kulturell -
Abbildung 4:
IST SOLL IST SOLL
IST
Ökologisch SOLL -
IST
Psychisch und Physiologisch SOLL -
IST
Wirkungsbox – Raster zum Befüllen inkl. Soll-Ist-Vergleich
Diese Herangehensweise zeigt sehr anschaulich, welche Wirkungen erwartet oder angestrebt werden und welche Wirkungen tatsächlich eintreten. Aus dem Vergleich lassen sich dann wiederum strategische Optionen ableiten. Sollten in Feldern negative Wirkungen eintreten, die nicht beabsichtigt waren, ist zu überlegen ob und wie diese vermieden werden können. Sind positive unbeabsichtigte Wirkungen eingetreten, könnten diese strategisch besser bzw. gezielter angestrebt und beobachtet werden. Umgekehrt könnten keine oder wenige Wirkungen in Feldern eingetreten sein, wo jedoch Wirkungsziele existieren. Hier stellt sich die Frage nach dem Warum. Waren die Leistungen wenig wirkungsvoll? Sind die Wirkungsziele unrealistisch? Aus der Beschäftigung mit dem Soll-Ist-Vergleich lässt sich somit sinnvoller Input mit Blick auf die Wirkungen für jede strategische Analyse geben (Rauscher & Schober 2015). 3.2 Das konkrete Vorgehen zur Anwendung der Wirkungsbox Die Anwendung der Wirkungsbox gleicht im Grunde dem Vorgehen einer wirkungsorientierten Analyse (vgl. Then, Schober, Rauscher & Kehl 2017). Der im nachfolgenden Kästchen erste Schritt, beinhaltet die Überlegung, welche hypothetischen Wirkungen sich für die jeweiligen Stakeholder durch die Leistungen des
Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox
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Projekts bzw. der Organisation ergeben. Diesem Schritt ist die Erarbeitung von Wirkungsketten je Stakeholdergruppe vorgelagert. Dies bedeutet, dass zunächst die relevanten Stakeholder des Projekts bzw. der Organisation identifiziert werden müssen, um danach zu klären, welchen Input diese Stakeholder investieren, welche Leistungen dadurch für die jeweiligen Stakeholder erbracht werden können und welche hypothetischen Wirkungen schließlich daraus resultieren (Schritt 1). Salopp gesagt: ‚Was nützt es dem jeweiligen Stakeholder, dass diese Leistung erbracht wird?‘. Dieser Schritt legt den Finger direkt auf das Wirkungsmodell. Es gilt logisch aus den Leistungen die Wirkungen abzuleiten und breit angelegt aufzuschreiben, welche positiven wie negativen Wirkungen erwartbar sind. Aus diesem Schritt ergeben sich i. d. R. viele Erkenntnisse über die Wirkungszusammenhänge. Jede vermutete Wirkung und jedes Wirkungsziel muss entsprechend der zeitlichen, strukturellen und inhaltlichen Dimension kategorisiert werden (Schritt 1a und 1b). Der zweite Schritt umfasst danach die Erhebung der Wirkungen bei den relevanten Stakeholdern. Sind die vermuteten Wirkungen bei den Stakeholdern tatsächlich eingetreten? Manchmal wird dies ohne weitere Erhebung anzunehmen sein. Wenn die MitarbeiterInnen beispielsweise ein Gehalt bekommen haben, ist klar, dass dies für sie ein positiver finanzieller Nutzen ist. Dazu müssen sie nicht befragt werden. Ob die MitarbeiterInnen allerdings ein positives Gefühl verspüren, eine für die Gesellschaft sinnvolle Arbeit zu leisten, wird nicht ohne weiteres anzunehmen sein. Dies muss direkt erhoben werden. Ob dies mittels einer quantitativen, schriftlichen MitarbeiterInnenbefragung erfolgt oder in informellen Gesprächen etc., bleibt im Einzelfall zu klären. Auch die solcherart identifizierten Wirkungen müssen zeitlich, strukturell und inhaltlich kategorisiert werden. Im Zuge von Schritt 3, der strategischen Analyse, sind schließlich die Ergebnisse aus dem Soll-Ist-Vergleich mit Blick auf die erwarteten Wirkungen bzw. die Wirkungsziele zu analysieren.
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Christian Schober und Olivia Rauscher
Welche Schritte sind bei der Anwendung der Wirkungsbox als Instrument des strategischen Managements durchzuführen? 1 Überlegen, welche hypothetischen Wirkungen sich für die jeweiligen Stakeholder aus den erbrachten Leistungen ergeben und: 1a: zeitliche, strukturelle und inhaltliche Kategorisierung der vermuteten Wirkungen 1b: zeitliche, strukturelle und inhaltliche Kategorisierung der Wirkungsziele 2 Überprüfen, ob die vermuteten Wirkungen tatsächlich eingetreten sind und zeitliche, strukturelle und inhaltliche Kategorisierung der identifizierten Wirkungen 3
Ableiten von strategischen Erkenntnissen hinsichtlich der Bedeutsamkeit von Stakeholdern und wesentlichen Wirkungsdimensionen 3a SOLL-IST-Vergleich: Vergleich der kategorisierten identifizierten Wirkungen mit den vermuteten Wirkungen 3b SOLL-IST-Vergleich: Vergleich der kategorisierten identifizierten Wirkungen mit den Wirkungszielen
3.3 Beispiel für die Verortung von Wirkungen in der Wirkungsbox (inkl. strategischem Soll-Ist-Vergleich) Wir demonstrieren die Anwendung der Wirkungsbox an einem aktuellen Beispiel unserer Arbeit mit einer großen sozial orientierten NPO in Österreich, die in verschiedenen Bereichen, wie Pflege, Menschen mit Behinderung aber auch Gemeinwesenarbeit, tätig ist. Ziel des Projekts war, die Wirkungen der Projekte im Bereich Gemeinwesen mit den jeweiligen Wirkungszielen zu vergleichen, um so eine Basis für strategische Entscheidungen zu schaffen. In einem ersten Schritt wurden vier Workshops mit den MitarbeiterInnen aus den Teilbereichen der Gemeinwesenarbeit, wie Freiwilliges Engagement oder Kunst- und Sozialprojekte, durchgeführt. Im Zuge der Workshops wurden die relevanten Stakeholder der Teilbereiche identifiziert und Wirkungsketten je Stakeholdergruppe aufgebaut. Darüber hinaus wurden zentrale Dokumente aus der Organisation, wie Leitbilder oder Konzeptpapiere, auf Wirkungsziele hin untersucht, sofern nicht ohnehin explizite Wirkungsziele vorlagen. Die hypothetischen Wirkungen, die in den Wirkungsketten formuliert wurden, konnten im Laufe des Projekts, durch Sekundärdaten sowie zusätzlichen Erhebungen bei den Stakeholdern, verifiziert werden. Im Bereich Freiwilliges Engagement wurden z. B. auf der Mikroebene Wirkungen für die Stakeholder KlientInnen, Freiwillige und hauptberufliche MitarbeiterInnen identifiziert, während auf der Mesoebene Wirkungen für die Gesamtorganisation und auf der Makroebene Wirkungen für die Gesellschaft festgestellt wurden. Für die KlientInnen wurden bspw. die Wirkungsziele ‚Neue Außenkontakte sowie mehr Lebensqualität durch vielfältigere Beziehungen‘ formuliert und entsprechend in die Soll-Felder der Box eingetragen. Eine Literaturanalyse sowie
Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox
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Interviews mit den KlientInnen zeigten aber zusätzliche Wirkungen, wie einen verbesserten Gesundheitszustand, einen höheren Kompetenzerwerb (z. B. Sprache) sowie eine bessere Betreuung (z. B. umfassendere Freizeitaktivitäten). Die Freiwilligen sollten v. a. ein positives Gefühl aus ihrer Tätigkeit ziehen, da sie etwas Sinnvolles zur Gemeinschaft beitragen sowie praktische Erfahrungen sammeln. Eine Fragebogenerhebung brachte aber zusätzlich eine Erweiterung des persönlichen Netzwerks sowie Nutzen im beruflichen Alltag hervor. Was die Organisation selbst betrifft, so wurde die Steigerung des positiven Images, das durch die Freiwilligen als MultiplikatorInnen entsteht, als Wirkungsziel formuliert. Interne Analysen zeigten aber auch, dass die Organisation von einer Senkung der Personalkosten, einer veränderten Organisationskultur, der Ermöglichung zusätzlicher Angebote und der Gewinnung neuer MitarbeiterInnen profitiert. Auf der Makroebene wurden keine Wirkungsziele etabliert. Während der Analyse zeigte sich jedoch, dass hier sehr wohl Wirkungen entstehen, wie etwa die Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Auch diese Wirkung muss daher in der Box verortet werden. Aus Platzgründen können nicht alle identifizierten Wirkungen aller Stakeholdern in der nachfolgenden Abbildung dargestellt werden. Die beschriebenen Effekte der KlientInnen (KL), der Freiwilligen (FR) und der Gesamtorganisation sind jedoch den entsprechenden Feldern zugeordnet. Außerdem werden zur besseren Veranschaulichung die kurz- und mittelfristigen Wirkungen in jeweils einem Raster zusammengefasst (siehe Abbildung 5). Hierbei ist ersichtlich, dass ursprünglich nur ein Wirkungsziel auf der Mesoebene etabliert wurde, hier jedoch einige zusätzliche Wirkungen erzielt wurden. Umgekehrt gibt es auch auf der kurz- und mittelfristigen Mikroebene Wirkungen in einzelnen Kategorien, die nicht angestrebt aber dennoch erreicht wurden. Als Beispiel sei der entstandene berufliche Nutzen bei den Freiwilligen genannt. Im konkreten Fall zeigt sich bereits, dass sich die NPO überwiegend auf kurzbis mittelfristige Wirkungen im Individualbereich konzentriert. Auf der Mesoebene wurde nur ein Wirkungsziel formuliert und Makrowirkungen lagen gar nicht im Fokus. Wird die Analyse nun etwas umfangreicher durchgeführt und auf alle zeitlichen und strukturellen Dimensionskombinationen (kurz-, mittel- und langfristig; Mikro-, Meso- und Makroebene) angewendet, bekommt die Organisation ein detailliertes Bild ihrer Wirkungsstrategie.
Abbildung 5:
SOLL
IST
- Keine identifizierte Wirkung
SOLL - Kein explizites Ziel
Kulturell
IST
- Keine identifizierte Wirkung
- Kein explizites Ziel
Politisch
IST
- Beruflicher Nutzen (FR)
SOLL
-
IST
Mehr Lebensqualität durch vielfältigere Beziehungen (KL) Höherer Kompetenzerwerb (KL) Besserer Gesundheitszustand (KL) Positives Gefühl (FR)
-
-
SOLL
Mehr Lebensqualität durch vielfältigere Beziehungen (KL) Positives Gefühl (FR)
-
Psychisch und Physiologisch
IST
- Keine identifizierte Wirkung
- Kein explizites Ziel
Ökologisch
IST
Neue Außenkontakte (KL) Bessere Betreuung (KL) Erfahrungen sammeln (FR) Größeres Netzwerk (FR)
-
SOLL
Neue Außenkontakte (KL) Erfahrungen sammeln (FR)
-
Sozial
Kurz- und mittelfristig
Ökonomisch Ziel - Kein explizitesSOLL
-
-
SOLL
IST
Steigerung des positiven Images Veränderten Organisationskultur
Steigerung des positiven Images
Kulturell
IST
- Keine identifizierte Wirkung
- Kein explizites Ziel
SOLL
IST
Senkung der Personalkosten Nachwuchsförderung, neue MitarbeiterInnen gewinnen
Politisch
-
SOLL
SOLL
IST
=> keine Kategorie SOLLauf Mesoebene möglich
Psychisch und Physiologisch
IST
- Keine identifizierte Wirkung
- Kein explizites Ziel
Ökologisch
IST
Kein explizites Ziel
- Ermöglichen zusätzlicher Angebote
-
Sozial
Kurz- und mittelfristig Ökonomisch - Kein explizitesSOLL Ziel
148 Christian Schober und Olivia Rauscher
Beispiel Wirkungsbox-Raster inkl. Soll-Ist-Vergleich: kurz- und mittelfristig/Mikro sowie kurz- und mittelfristig/Meso
Mesoebene (Organisation)
Mikroebene (Individuum)
Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox
149
3.4 Die Wirkungsbox als Datenbank für evidenzbasierte Wirkungsanalysen Die Wirkungsbox ist vom grundlegenden Design einer Datenbank ähnlich. Wirkungen werden in einer zeitlichen, strukturellen und inhaltlichen Dimension verortet. In den Schubladen (siehe Abbildung 1) können zudem weitere Informationen, wie Indikatoren oder Skalen verstaut werden. Ob die Wirkungen aus einer Tätigkeit einer einzelnen Organisation, eines Projekts oder auf Basis von verfügbarer Literatur stammen, ist hierbei unerheblich. Die Wirkungsbox ist vielmehr ein Strukturierungsinstrument mit vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Eine Möglichkeit liegt hierbei auf der Hand und wurde bereits erfolgreich umgesetzt: Die Wirkungsbox als Datenbank für evidenzbasierte Wirkungsanalysen. In der Medizin ist es üblich Behandlungen und Therapien auf Basis von Evidenzen durchzuführen, in anderen Bereichen wird es zunehmend wichtig evidenzbasiert vorzugehen. Bei Wirkungsanalysen aber auch bei der Planung von Projekten im Sozial- und Gesundheitsbereich werden vorangehende Analysen und wissenschaftliche Studien herangezogen. Für Analysten und Praktiker ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, wenn sie auf vergangene Analysen und Studien mit Wirkungsfokus leichtgängig zugreifen können. Hierzu eignet sich das Konzept Wirkungsbox sehr gut. So können beispielsweise wissenschaftliche Studien zu einem bestimmten Thema recherchiert und mit Fokus auf identifizierte Wirkungen analysiert werden. Diese Studien werden dann in eine Datenbank in der Logik der Wirkungsbox eingetragen. Es werden also kurz-, mittel- und langfristige Wirkungen ebenso unterschieden wie Wirkungen in inhaltlicher und struktureller Dimension. Weiters werden verwendete Indikatoren und allenfalls Skalen von Erhebungsinstrumenten angeführt. Solcherart kann rasch nach einzelnen Wirkungen gesucht werden und auf den Ergebnissen einerseits passende Interventionen und andererseits adäquate Wirkungsanalysen mit bereits getesteten Instrumenten durchgeführt werden. Diese Vorgehensweise wurde seitens des Kompetenzzentrums für Nonprofit Organisationen und Social Entrepreneurship der WU Wien bereits im Bereich der offenen und verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit durchgeführt. Nachfolgend ist dieses Projekt „Wirkungsbox Jugendarbeit“ beschrieben. Ein analoges Vorgehen könnte ebenso für die Quartiersarbeit erfolgen. 3.5 Beispiel „Wirkungsbox Jugendarbeit“ Für den Einsatz der Wirkungsbox als Datenbank für evidenzbasierte Wirkungsanalysen ist beispielhaft ein Projekt für das Bundesministerium für Familie und
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Christian Schober und Olivia Rauscher
Jugend in Österreich angeführt, dass die AutorInnen dieses Beitrags durchgeführt haben. Im Jahr 2017 wurde eine Recherche nach evidenzbasierten Wirkungen der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit mit Fokus auf die Wirksamkeit der offenen und verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit durchgeführt (Bogorin, Rauscher & Schober 2017). Hierbei wurden wissenschaftliche Studien ebenso wie graue Literatur von Evaluationen herangezogen. Ziel der Studie war, die Wirkungen von Interventionen und Maßnahmen in diesem Bereich zu identifizieren, zu sammeln und auf Basis des theoretischen Konzepts der Wirkungsbox zu strukturieren und zu analysieren. Von besonderem Interesse war hierbei identifizierte Wirkungen in ihre diversen inhaltlichen, zeitlichen und strukturellen Ausprägungen darzustellen. Darüber hinaus wurden die angewandten Methoden zur Messung der Wirkung, d. h. welche Indikatoren, Items und Skalen verwendet wurden, ebenfalls herausgearbeitet. Als weitere Kategorien kamen noch Stakeholder, wie beispielsweise Kinder, Eltern oder JugendarbeiterInnen, sowie eine Beschreibung der Art der Intervention hinzu. In Summe wurden die eruierten Studien entlang von 29 Kriterien analysiert. Für den Zeitraum von 1999 bis 2017 wurden insgesamt 201 relevante Literaturbeiträge identifiziert und in die Wirkungsbox aufgenommen. Diese umfassen insgesamt 1.380 Wirkungen, die sich in 19 Hauptwirkungen gliedern. Bei den aus der Literatur eruierten Wirkungen handelt es sich zu einem großen Teil um die persönliche Entwicklung sowie den Erwerb von sozialen und personalen Kompetenzen. Darüber hinaus nehmen auch Wirkungen wie gesellschaftliche Partizipation, vermehrte Mitsprache- und Mitgestaltung oder soziale Teilhabe und Inklusion einen besonderen Stellenwert ein. Die im Rahmen der Studie untersuchten Settings der offenen und verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit umfassten beispielsweise auch Gemeindebezogene/kommunale Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit sowie mobile Jugendarbeit und Streetwork. Die Mehrzahl der identifizierten Maßnahmen adressiert primär die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen, vereinzelt wurden auch andere Stakeholder, wie beispielsweise die JugendarbeiterInnen, die Einrichtungen selbst, die Gemeinde bzw. Kommune oder Familienangehörige der Kinder und Jugendlichen, in den Mittelpunkt gestellt. Insgesamt konnte durch die systematische Literaturanalyse ein umfassender Überblick über die Wirksamkeit der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit in ihren unterschiedlichen Facetten gegeben werden. Die ausgedehnte Sammlung von empirisch belegten und fundierten Wirkungsnachweisen in Form der Wirkungsbox kann ähnlich wie eine Datenbank verwendet werden. Diese Anwendung
Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox
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kann sowohl in der Planung als auch Evaluation von Maßnahmen bis hin zu Legitimations- und Strategieüberlegungen in der offenen und verbandlichen Jugendarbeit äußerst praxisrelevant und nützlich sein. Würde nun gemeinwesenorientierte Jugendarbeit interessieren, so kann in der Datenbank ‚Wirkungsbox Jugendarbeit‘ nach ‚gemeindebezogene/kommunale Jugendarbeit‘ gefiltert werden. Hier kommen 101 Wirkungen in 14 Projekten zutage, die beispielsweise Mentoring, die Steigerung des Freiwilligenengagements und intergenerationalen Austausch beinhalten. Als wesentliche Hauptwirkungen zeigen sich hierbei vor allem eine Stärkung der persönlichen Entwicklung durch den Erwerb von sozialen und personalen Kompetenzen sowie die Verbesserung des Beziehungsaufbaus und der Interaktionsfähigkeiten. Gemeindebezogen spielt aber beispielsweise eine erhöhte gesellschaftliche Partizipation und höheres zivilgesellschaftliches Engagement eine Rolle. Als Beispiel sei ein Projekt genannt, bei dem SchülerInnen mindestens 12 Stunden gemeinnützige Arbeit pro Schuljahr leisten mussten (Hart & Youniss 2006). Die Aktivitäten beinhalteten beispielsweise Betreuung von Obdachlosen, Teilnahme an Fundraisingaktivitäten und Unterstützung schwächerer SchülerInnen bei Hausaufgaben. Eine identifizierte Wirkung war eine um das eineinhalbfache höhere Wahrscheinlichkeit als junger Erwachsener freiwillig tätig zu sein. Konkrete Fragen im Erhebungsinstrument lauteten beispielsweise „Ich habe in den letzten 12 Monaten einen Freiwilligendienst geleistet“ oder „Ich hatte das Gefühl, einen sinnvollen Beitrag für die Organisation zu leisten“1. Letztere Frage war mit einer fünfstufigen Likertskala als Antwortmöglichkeit versehen. Die identifizierte Detailwirkung „freiwilliges Engagement“ wurde der Hauptwirkung „gesellschaftliche Partizipation“ zugeordnet. In der Datenbank kann nach der Hauptwirkung, der Detailwirkung, dem Projekt und etlichen anderen Aspekten gesucht werden. Die Datenbank kann unter www.wirkungsbox.at abgerufen werden und soll PraktikerInnen im Feld der Jugendarbeit einen leichtgängigen Zugang zu zentralen evidenzbasierten Informationen mit Bezug auf ihre tägliche Arbeit geben. So können sie neue Projekte, auf Basis bisheriger Erfahrungen, maßgeschneiderter planen und umsetzen. Fördergeber können sich einen Überblick über Projekte und deren Wirkungen verschaffen und zielgerichteter Projekte fördern.
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Übersetzung aus dem Englischen von den AutorInnen.
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Christian Schober und Olivia Rauscher
Welche Schritte sind bei der Anwendung der Wirkungsbox als Datenbank für evidenzbasierte Wirkungsanalysen durchzuführen? (1) Klären für welches Thema die Recherche nach Evidenzen erfolgen soll. (2) Durchführen der Recherche in wissenschaftlicher und grauer Literatur. (3) Ausscheiden von Studien bzw. Evaluationen, die keine Aussage zu Wirkungen beinhalten. (4) Bei den verbleibenden Studien bzw. Evaluationen die Wirkungen identifizieren. (5) Zuordnung der Wirkungen zu Stakeholdern. (6) Wirkungen im Sinne der Dimensionen der Wirkungsbox inhaltlich, zeitlich und strukturell verorten. (7) eingesetzte Mess- und Bewertungsinstrumente identifizieren (Skalen, Items etc.) und zu den Wirkungen verorten (8) Zusatzinformationen, wie Zeitpunkt der Studie, Informationen zur Art des Projekts oder Qualität der Studie eruieren. (9) Datenbank erstellen und für NutzerInnen bereitstellen
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Conclusio – Wofür eignet sich die Wirkungsbox in der Wirkungsanalyse?
In herkömmlichen Wirkungsmodellen werden identifizierte Wirkungen meist nur angeführt und bestenfalls in eine zeitliche Abfolge gebracht. Bei einfachen, kleinen Projekten mit wenigen Wirkungen, ist dies meist ausreichend. Bei komplexeren Interventionen, wenn mehrere Stakeholder im Spiel sind, oder es sich um eine Vielzahl an Wirkungen handelt, empfiehlt sich Ordnung zu schaffen. Genau hier setzt die Wirkungsbox an. Sie hilft der besseren Verortung der Wirkungen und damit ein klareres Bild im Wirkungsmodell zu schaffen. Wirkungen sind zudem selten eindimensional. Sie manifestieren sich an den unterschiedlichen inhaltlichen Dimensionen, in denen sie Folgen anstoßen. Genau hier liegt die Stärke der Wirkungsbox, diese Komplexität zu fassen. Die Wirkungsbox hilft hier analytisch strenger zu denken und die Komplexität der Wirkungen besser zu fassen. Die inhaltliche, strukturelle und zeitliche Ausdifferenzierung bringt zudem den Vorteil einer differenzierten Darstellung anhand der einzelnen Dimensionen mit sich. So ist es nach der Kategorisierung leicht möglich, beispielsweise alle sozialen Wirkungen oder alle ökonomischen Wirkungen zu kommunizieren. Die Frage eines Investors nach den ökonomischen Wirkungen der Tätigkeiten, wäre somit leicht zu beantworten. Gleiches gilt für die zeitliche Ebene. Die Organisation sieht rasch, welche Wirkungen sie beispielsweise kurzfristig erreicht und welche langfristig.
Ein Tool, das helfen könnte: Die Wirkungsbox
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Zusammengefasst hilft die Wirkungsbox ein komplexeres Wirkungsmodell aufzubauen und dieses differenzierter darzustellen und zu kommunizieren. Als strategisches Instrument ist die Wirkungsbox insbesondere in einem Soll-Ist-Vergleich mit den Wirkungszielen der Organisation geeignet. Als Datenbank ist sie eine gute Strukturierungshilfe zur Aufbereitung wissenschaftlicher Studien und als Basis evidenzbasierter Interventionen. Literatur Bogorin, F., Rauscher, O. & Schober, C. (2017). Identifikation und Analyse von evidenzbasierten Wirkungen der offenen und verbandlichen Jugendarbeit. Projektendbericht. NPO&SE Kompetenzzentrum, WU Wien. Hart, D. & Youniss, J. (2006). The Virtue In Youth Civic Participation. Diskurs Kindheitsund Jugendforschung, (Heft 2, S. 229-243). Kehl, K., Then, V. & Münscher, R. (2012). Social Return on Investment: Auf dem Weg zu einem integrativen Ansatz der Wirkungsforschung. In H. Anheier, A. Schröer & V. Then (Hrsg.), Soziale Investitionen. Interdisziplinäre Perspektiven (S. 313–331). Wiesbaden: Springer VS. Maier, F., Meyer, M. (2009). Diskurse der Organisation im Nonprofit-Sektor: Zwischenbericht für PraktikerInnen. Vienna: WU Vienna University of Economics and Business. Rauscher, O., Mildenberger, G. & Krlev, G. (2015). Wie werden Wirkungen identifiziert? Das Wirkungsmodell. In C. Schober & V. Then (Hrsg.), Praxishandbuch Social Return on Investment. Wirkungen sozialer Investitionen messen (S. 41-57). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Rauscher, O. & Schober, C. (2015). Wirkungsanalyse. In R. Eschenbach, C. Horak, M. Meyer & C. Schober (Hrsg.), Management der Nonprofit-Organisation (S. 69–103). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Rauscher, O., Sprajcer, S. & Hora, K. (2015). Social Return on Investment (SROI)-Analyse des Projekts „Nachbarinnen in Wien“. Studienendbericht. NPO&SE Kompetenzzentrum, WU Wien. Schober, C. & Rauscher, O. (2014). Alle Macht der Wirkungsmessung? In A. E. Zimmer & R, Simsa (Hrsg.), Forschung zu Zivilgesellschaft. NPOs und Engagement. Quo vadis? (S. 261–282). Wiesbaden: Springer VS. Schober, C. & Rauscher, O. (2017). Was ist Impact? Gesellschaftliche Wirkungen von (Nonprofit) Organisationen. Von der Identifikation über die Bewertung sowie unterschiedlichen Analyseformen bis zur Steuerung. Working Paper. NPO&SE Kompetenzzentrum, WU Wien. Then, V., Schober, C., Rauscher, O. & Kehl, K. (2017). Social Return on Investment Analysis. Measuring the Impact of Social Investment. Cham: Springer VS (Palgrave).
Soziale Investitionen, Wirkungsorientierung und Social Return in der Quartiersarbeit Konstantin Kehl
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Einleitung
Das Konzept der sozialen Investitionen hat in den vergangenen Jahren das begriffliche Inventar des sozialwissenschaftlichen Fachdiskurses und der Praxis des Sozial- und Gesundheitswesens erweitert. Es verweist auf komplementäre Sichtweisen und Interpretationen beim Beschreiben, Erklären und Verstehen von Fragestellungen, Themen und Zusammenhängen rund um Begriffe wie Wohlfahrt, Gemeinwohl oder Zivilgesellschaft. Ohne letztere im Detail entflechten oder ihren Erklärungsgehalt hinterfragen zu wollen, setzen wir uns im Folgenden zunächst mit der sozialen Investitionsperspektive sowie den verwandten Termini Wirkungsorientierung und Social Return auseinander. Anschließend rücken zwei Studien aus der Quartiersarbeit ins Blickfeld, die den Nutzen des vorgestellten Ansatzes verdeutlichen. 2
Soziale Investitionen als Konzept und Perspektive
Wenn soziale Investitionen der Gegenstand sind, kümmern wir uns gemeinhin um ein Begriffspaar, welches wir in zweierlei Hinsicht deuten können – je nachdem, welche Seite wir betonen. Mit beiden Standpunkten sind jeweils prägende Theorie- und Praxisdiskurse verbunden. Sprechen wir von sozialen Investitionen und qualifizieren die Investitionen als ‚sozial‘, so bewegen wir uns im Kielwasser einer Debatte, die ihren Ursprung in der angelsächsischen Welt vergleichsweise moderat ausgebauter Wohlfahrtsstaaten mit einer Vielzahl vermögender Personen und privater Kapitalanleger/innen nimmt, welche für sich in Anspruch nehmen, als Stifter/innen, Spender/innen oder durch nachhaltige Anlagenportfolios einen Beitrag zum Gemeinwohl und zur Stärkung der Zivilgesellschaft zu leisten. Formgebend für dieses Verständnis war und ist, dass es sich die im Fokus stehenden (privaten) Akteure aufgrund ihrer berufsbiografischen Hintergründe in der Wirtschaft und einer Nähe zum Finanzmarkt angewöhnt haben, relativ selbstverständlich Investitionen zu tätigen, wo in der europäischen Tradition und Kultur bisweilen eher von sozialen ‚Wohltaten‘ © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_11
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Konstantin Kehl
oder – etwas scharfzüngig – von ‚Almosen‘ die Rede ist. Mit einer gewissen Polemik könnte die Formel lauten: Es geht um Zuwendungen des ‚barmherzigen‘ (Groß-) Bürgertums an die Armen, Schwachen und Randständigen, die nicht das Glück hatten, dass ihre Problemlagen in der sozialpolitischen Ökonomie ‚marktgängig‘ geworden sind, da mit ihnen keine Wahlen gewonnen werden. Die Theorie der Non-Profit-Organisationen bezeichnet diesen Zustand als ‚Staatsversagen‘ (Weisbrod 1977). Kritiker/innen sozialer Investitionen sehen hierhin ein gravierendes Problem und mahnen eine stärkere Verantwortungsübernahme des Staats an bzw. befürchten seinen Rückzug, wenn zunehmend Private in das Soziale investieren. Dass sich ein hohes Niveau an Wohlfahrt und Gemeinwohl in nahezu allen modernen Gesellschaften aus sehr verschiedenartigen Ressourcen speist und die Demokratie von der aktiven Mitwirkung ihrer Bürgerinnen und Bürger abhängt, gerät bei solchen Erörterungen gelegentlich ins Hintertreffen. Mit dieser Erkenntnis im Rucksack und einem ausgewachsenen Interesse an den Formen und Voraussetzungen der nicht im engeren Sinne öffentlich bzw. vom Staat finanzierten und reglementierten Wohlfahrt können soziale Investitionen als freiwillige private Beiträge zum Gemeinwohl bezeichnet werden; wobei der Gemeinwohlbezug und die Füllung dessen, was ebendieses Gemeinwohl konkret bedeutet und ‚legitim‘ macht, immer wieder aufs Neue in der demokratischen Öffentlichkeit auszuhandeln sei (Then & Kehl 2012). Diese Sichtweise knüpft an der Vorstellung an, dass Wohlfahrt oder eben auch das Gemeinwohl von vielzähligen gesellschaftlichen Akteuren – dem Staat, Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen der Haushaltsproduktion und freiwilligem Engagement, aber auch von privaten (gewinnorientierten und nicht-gewinnorientierten) Organisationen – gemeinschaftlich zu gewährleisten ist (Evers & Olk 1996). Damit harmoniert ein normatives Programm des Wirtschaftens unter Berücksichtigung von Kategorien der Nachhaltigkeit, welches sich seit den 1990er Jahren durchgesetzt und den betriebswirtschaftlichen Erträgen soziale und ökologische Komponenten zur Seite gestellt hat. Seine Ausdrucksformen reichen von der sozialen Unternehmensverantwortung über öffentlich-private Partnerschaften bis hin zu Geschäftsmodellen mit dezidiert sozialer Zielsetzung. Das Konzept der sozialen Investitionen wendet sich gegen Negativabgrenzungen, wie sie für die Non-Profit-Theorie und spezifische Erklärungsanker wie beispielsweise das Stiftungsrecht charakteristisch sind. Diese halten soziales, am Gemeinwohl ausgerichtetes Handeln in konsequenter Auslegung nur für erklärungswürdig, wenn es in formalen Organisationen stattfindet, die dem Gewinnausschüttungsverbot unterliegen (bzw. deren Gemeinnützigkeit rechtlich anerkannt ist). Die soziale Investitionsperspektive versetzt uns stattdessen in die Lage, hybride Organisationen – z. B. Sozialunternehmen, die einen sozialen Zweck verfolgen, aber formaljuristisch nicht als ‚Non-Profit‘ qualifiziert sind – ebenso wie
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informelle Tätigkeitsformen engagierter Bürgerinnen und Bürger (als Freiwillige in Organisationen, aber ebenfalls in informellen, spontanen Initiativen oder in Quartieren und Nachbarschaften) analytisch besser zu berücksichtigen und die strukturell unterschiedlichen Handlungszusammenhänge miteinander zu vergleichen. Allerdings bringt der handlungsorientierte Zugang, der die Akteure und ihr Investitionshandeln in den Mittelpunkt rückt, zugleich aber die Bestimmung des Gemeinwohls an die Diskurse der Öffentlichkeit knüpft, theoretische und empirische Herausforderungen mit sich. So wurde der Rolle des Staats und der Vereinbarkeit des Investitionsgedankens mit wohlfahrtsstaatlichen Grundsätzen ebenso wie der Operationalisierbarkeit des ‚Legitimitäts-Tests‘, dem sich soziale Investitionen hinsichtlich ihres Gemeinwohlbeitrags stellen müssen, bislang wenig Aufmerksamkeit zuteil. Selbst wenn in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften aktuell weitgehend Konsens dahingehend bestehen dürfte, dass die Kategorie des Gemeinwohls oder eine wie auch immer definierte ‚zivilgesellschaftliche Qualität‘ nicht von Expert/innen abschließend bestimmt oder attestiert werden kann, erscheint die forschungspraktische Umsetzungsfähigkeit der kommunikationstheoretischen Elemente (bzw. die Grenzziehung zwischen ‚legitimen‘ und ‚nicht legitimen‘ sozialen Investitionen) voraussetzungsvoll. Angesichts von Diskussionsbeiträgen, die sich in der jüngeren Vergangenheit an dem Konzept gerieben haben – vielfach am Investitionsbegriff aufgehängt – kann jedoch zuversichtlich davon ausgegangen werden, dass uns die Debatte über soziale Investitionen in den kommenden Jahren begleitet. Ob sie eine schlüssige ‚Theorie sozialer Investitionen‘ hervorbringt, wird sich zeigen müssen. Alleine der Umstand, dass die Investitionsmethapher offenkundig etwas ‚auslöst‘, dokumentiert, dass das Konzept relevante Fragen unserer Zeit adressiert. Auch in der hiesigen Diskussion über Non-Profit-Organisationen, Philanthropie und verwandte Themen – wie z. B. seit einigen Jahren über den Sinn und Zweck von ‚Impact Bonds‘, d. h. Kapitalanlagen, bei denen Private in die Erledigung sozialer Aufgaben wie z. B. gelingende Arbeitsintegration investieren und bei nachgewiesener sozialer Wirkung eine Rendite erwirtschaften (mit allen ethischen, juristischen und technisch-administrativen Fragen, die sich bei einem solchen Ansatz notwendigerweise stellen) – hat sich die skizzierte Lesart sozialer Investitionen verbreitet. Dies, obwohl in den westmitteleuropäischen Ländern der Staat eine wesentlich stärkere sozialpolitische Verantwortung übernimmt als in den USA oder Großbritannien, Non-Profit-Organisationen wie z. B. die deutschen Wohlfahrtsverbände eine andere Rolle spielen und es zusammengenommen auf den ersten Blick weniger nötig wäre, dass sich private Investoren um das Gemeinwohl verdient machten. Weshalb also die Rede von den sozialen Investitionen?
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Mit dieser Frage landen wir unvermittelt bei der zweiten Möglichkeit, den sozialen Investitionsbegriff zu lesen, nämlich im Sinne sozialer Investitionen und der stärkeren Betonung darauf, dass ins Soziale ‚investiert‘ wird. Dieser Debattenstrang hat seinen Anfang in den europäischen Diskussionen über die Zukunft und Modernisierung des Wohlfahrtsstaats ab ca. Mitte der 1990er Jahre, in denen sich Entscheidungsträger/innen aus Politik, Verwaltung und sozialwirtschaftlichen Organisationen in puncto Selbstverständnis verstärkt zu ‚Investoren in das Gemeinwohl‘ gewandelt haben (Esping-Andersen 2002; Hemerijck 2013). Ursächlich war die Diagnose, dass hergebrachte politische Instrumente mit hohem Zwangscharakter und/oder vornehmlich monetären Anreizen versagen, wenn es um die Gewährleistung umfassender Bildungschancen, Arbeitsmarktintegration oder zukunftsweisende Familienpolitik geht. Der Investitionsakt steht hier in betonter Abgrenzung von der ‚Verausgabung‘ und dem ‚Konsum‘ von Steuer- und Sozialversicherungsmitteln nach dem ‚Gießkannenprinzip‘. Mit der sozialinvestiven Sichtweise wird stattdessen die gezielte Bereitstellung von (komplementären) Gütern, Dienstleistungen, Bildungsangeboten oder auch Zeitsouveränität – etwa beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf – angemahnt, um Chancen der Entfaltung, Inklusion und Selbsthilfe von Personen zu eröffnen, die im wohlfahrtsstaatlichen ‚Gemischtwarenladen‘ mitunter das Nachsehen haben (Kehl 2016). Für gewöhnlich liegt der Akzent bei sozialinvestiver Politik darauf, durch Prävention und Innovation soziale Risiken zu minimieren, bevor sprichwörtlich ‚das Kind in den Brunnen gefallen ist‘. Damit ist die Überzeugung verbunden, dass Interventionen ihre individuellen und gesellschaftlichen Effekte nachweisen können sollten – was aufgrund Ressourcenbegrenzungen fraglos in den seltensten Fällen auf hohem Niveau geschieht (übrigens auch nicht bei den bereits thematisierten ‚Impact Bonds‘, deren Geschäftsmodelle Wirkungsmessung vorsehen, die jedoch oft nur rudimentär betrieben wird). Weitere, für das Konzept wichtige Argumente stammen aus der Soziologie, oder genauer: der Sozialkapitalforschung. Sie postuliert, dass Sozialkapital – also „die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind“ (Bourdieu 1983, S. 190) – von elementarer Bedeutung für individuelle Lebensläufe und die Qualität von Gemeinwesen ist. Es kann als Resultat von Investitionen in Beziehungsund Vertrauensstrukturen beschrieben werden, für deren Bewirtschaftung und Verdichtung es reinvestiert werden muss (Offe 1999). Soziale Investitionen drehen sich im Lichte dieser theoretischen Tradition vor allem um die Betonung ihrer gemeinschaftlichen und (werte-) vermittelnden Elemente für Individuum und Gesellschaft. Sie bezeichnen demnach mehr als monetäre Aufwendungen oder Ausgaben für soziale Zwecke. Sie umfassen die Bereitstellung von Zeit, Geld und
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Kompetenzen, um einem Gemeinwohlzweck bzw. einer vitalen Zivilgesellschaft zu dienen. Darin sind politisches Kapital (Einfluss- und Machtressourcen, auch auf lokaler Ebene) und kulturelles Kapital im Sinne gemeinsam vertretener Haltungen und Normen, welche oftmals die Grundlagen für kollektives Handeln darstellen, eingeschlossen (Coleman 1990; Then & Kehl 2012). Die drei Kapitalformen werden uns später noch begegnen. 3
Soziale Investitionen, Wirkungsorientierung und Social Return
Mit der Sozialinvestitionsperspektive korrespondiert die Vorstellung, dass in guter Absicht getätigte Wohlfahrts- und Gemeinwohlbeiträge – Stichwort: Legitimität – nicht per se ‚richtig‘ sein müssen, solange sie sich auf Rechts- und Haushaltstitel oder die Autonomie von Stifter/innen oder zahlender Kund/innen berufen können, sondern – wo sinnvoll möglich – Nachweis darüber abzulegen ist, dass die aus Leistungsentgelten, privaten (Zeit- und Geld- ) Ressourcen oder öffentlichen Budgets gespeisten Investitionen einen effektiven Beitrag zur Lösung sozialer Probleme resp. zur Linderung von Notlagen leisten. Denn jeder bzw. jede Investorin möchte sehen, was am Ende ‚dabei herauskommt‘, ob – wie es im fußballerischen Jargon so schön heißt – die Leistung ‚auf den Platz gebracht wurde‘. Denn schon die bloße Investitionsbegrifflichkeit bringt zum Ausdruck, dass Investoren ins Soziale ein Ertragsinteresse haben: Sie wollen etwas erreichen; sie wollen sehen, dass aus ihrer Investition etwas resultiert, dass sich Lebenslagen oder Zustände zum Positiven wenden. Das ist das wiederholte Ergebnis von Studien zur Motivation von Stifterinnen und Stiftern (Bundesverband deutscher Stiftungen 2015) ebenso wie von freiwillig Engagierten (Simonson, Vogel & Tesch-Römer 2016; Freitag, Manatschal, Ackermann & Ackermann 2016). Das Konzept der sozialen Investitionen ist deshalb eng verknüpft mit der im Gesundheits- und Sozialwesen verbreiteten Debatte zur Wirkungsorientierung und zur Entwicklung von Instrumenten der Wirkungsanalyse. Es geht ihr darum, Steuerungsentscheidungen nicht ausschließlich mit bürokratischen Vorgaben oder dem partikularen Gutdünken einer vermögenden Privatperson zu begründen, sondern die Entwicklung von Angeboten – und damit jedenfalls teilweise auch die Mittelzuweisung – von sozialer Wirksamkeit abhängig zu machen. Eine Triebfeder dieses Diskurses ist neben der Ablösung des Effizienzparadigmas durch die Kategorie der Effektivität eine Interpretation von Wirkung, die sich jenseits von OutputKategorien (d. h. Anzahl versorgter Klientinnen und Klienten, Summe von Arbeitsstunden usw.) für die (Veränderung der) Lebensumstände der jeweils adressierten Klientel bzw. Kundschaft interessiert. Der Begriff Wirkungsorientierung meint in diesem Zusammenhang die Ausrichtung eines Programms, Projekts oder
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Produkts an hoher Wirksamkeit im gesamten Prozess und von Beginn an. Begriffe wie Wirkungsanalyse, Wirkungskontrolle oder Wirkungsmessung dagegen haben oft eine retrospektive Konnotation, wenn sie rückblickend Zustände oder deren Veränderung systematisch zu beobachten suchen (wenngleich für eine gute Analyse hilfreich ist, wenn sie von Anfang mitgedacht und z. B. Personen, die von einer Maßnahme profitieren, über längere Zeiträume hinweg mehrfach befragt werden können). Für jede Analyse muss zunächst durch die Strukturierung der für eine Intervention maßgeblichen Wirkungsdimensionen und -ebenen sowie deren Zusammenhänge Modellbildung betrieben werden. Eine solche Modellbildung ist die Grundlage für ein Denken in Wirkungsketten, die für unterschiedliche Stakeholder identifiziert werden können, und deren Überprüfung Gegenstand empirischer Analysen ist. In der einfachsten Fassung handelt es sich bei einer solchen Kette um die Abfolge von Input (Ressourceneinsatz), Aktivitäten und Interventionen, Output (direkt messbare Leistungen und Güter), Outcomes (mittel- bis langfristiger Effekt der Outputs bzw. einer Kombination von Outputs) und Impact (Rauscher, Mildenberger & Krlev 2015; Then, Schober, Rauscher & Kehl 2017). Letzterer bezeichnet denjenigen Teil des Outcomes, welcher der Intervention kausal zugerechnet werden kann, und steht deshalb bei elaborierten Wirkungsanalysen besonders im Fokus – während es bei der Wirkungsorientierung pragmatisch ausreichend sein kann, bis zu den Outcomes zu denken. Die Lösung des Zurechenbarkeitsproblems erfordert nämlich methodische Kenntnisse und Vorkehrungen, die den Ressourcenaufwand schnell in die Höhe treiben. Insbesondere lässt es sich nur jeweils spezifisch lösen, z. B. indem ein quasi-experimentelles Design zur empirischen Prüfung des Wirkungsmodells verwendet wird. In manchen Fällen ist eine umfassende Analyse nach allen Regeln der Wissenschaft aber weder möglich, noch unbedingt nötig. Sprechen Fachvertreter/innen vom Social Return, so bezieht sich diese Wortwahl auf ein spezifisches Instrument der Wirkungsanalyse, welches in der jüngeren Vergangenheit viel Aufmerksamkeit erfahren hat: den Social Return on Investment (SROI). Der SROI ist ein Konzept, das die Berechnung des gesellschaftlichen Nutzens von sozialen oder gesundheitlichen Interventionen durch vermiedene Kosten einerseits und zusätzliche soziale Wertschöpfung intendiert – jeweils differenziert nach Stakeholdergruppen, also beispielsweise Klientinnen und Klienten, öffentliche Haushalte, private Stiftungen und viele mehr. Der SROI wurde in den vergangenen 20 Jahren in wesentlichen Punkten weiterentwickelt und kann heute als derjenige Zugang zur Wirkungsanalyse bezeichnet werden, der am ehesten einem umfassenden sozialwissenschaftlichen Forschungsansatz folgt (und potenziell am offensten für eine entsprechend mehrdimensionale Messung ist). Dies vor allem auch deshalb, da identifizierte Wirkungen bei einer profunden SROI-
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Rechnung nicht per se der analysierten Intervention zugerechnet werden, sondern der Versuch unternommen wird, zu identifizieren, was möglicherweise ohnehin passiert wäre. Auch werden nicht-intendierte Effekte betrachtet. Und entgegen verbreiteter Meinung steht am Ende der SROI-Analyse nicht zwangsläufig ein Wert, der die Sozialrendite pro eingesetzte Geldeinheit beschreibt (und hierfür alles Soziale monetarisiert), sondern es können auch andere quantitative Variablen zum Zuge kommen (für Effekte, die nicht in Geld umgerechnet werden können oder sollen) und andere Darstellungsformen für Wertschöpfung (z. B. KostenNutzen-Differenzen) gewählt werden (Then et al. 2017). 4
Soziale Investitionen und Social Return in der Quartiersarbeit
Ein Beispiel für den Mehrwert und die Anwendung der bis hierhin behandelten Konzepte stellt die Erforschung von Quartiersarbeit in der Altenhilfe dar. Hierfür sollen uns Wirkungsanalysen dienen, die in den vergangenen zwölf Jahren von Forschern der Uni Heidelberg erarbeitet wurden. Spätestens in den 1990er Jahren geriet das deutsche Pflegewesen zunehmend unter Druck. Schon während der politischen Verhandlungen über die Pflegeversicherung, die 1995 eingeführt wurde, war den Beteiligten klar, dass angesichts der demografischen Entwicklung und steigender Pflegefallzahlen früher oder später neue Lösungen gefunden werden müssen, um eine bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen (Kehl 2016). In dieser Zeit kamen große Wohlfahrtsorganisationen zu der Erkenntnis, dass die stationäre Pflege unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten vielfach nicht nachhaltig war und sie begannen, nach neuen Strategien und Modellen zu suchen. Insbesondere die Freie Wohlfahrtspflege förderte vor diesem Hintergrund Mehrgenerationen-Wohnsiedlungen und beteiligte sich aktiv an der lokalen Quartiersarbeit. Ein zentraler Aspekt der Ansätze besteht in der Stimulation und Steuerung informeller, nachbarschaftlicher Hilfe- und Unterstützungsnetzwerke durch Gemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement. Hierfür wurden den Wohnanlagen Sozialarbeitende zugeordnet, deren Aufgabe es ist, nachbarschaftliche Netzwerke und gegenseitige Verantwortungsübernahme zu ermöglichen – mit dem Ziel, die Lebensqualität und Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner zu verbessern und durch informelle Unterstützung professionellen Pflegebedarf zu verzögern. Die Auswirkungen solcher Programme wurden in einer Studie evaluiert, die in den Jahren 2007 und 2008 erhoben wurde (Netzwerk Soziales neu gestalten 2009; Kehl & Then 2013). Die Autoren befragten die Bewohner von Mehrgenerationen-Wohnprojekten (Interventionsgruppe) und verglichen sie mit Personen,
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die sich durch ähnliche gesundheitliche und sozioökonomische Eigenschaften auszeichneten, aber nicht in vergleichbaren Wohnumgebungen lebten (Kontrollgruppe). Für die Rekrutierung der Kontrollgruppe wurden die Bewohner/innen der gemeinschaftlichen Wohnanlagen nach ihrer wahrscheinlichen alternativen Wohnsituation gefragt, wenn sie nicht in einem der Modellprojekte leben würden. Obwohl es – wonach ebenfalls gefragt wurde und wovon die kausale Zurechenbarkeit der Ergebnisse zur Intervention (Leben in gemeinschaftlichen Quartierswohnmodellen) konzeptionell abhing – vor dem Einzug in die jeweilige Wohnsituation keine signifikanten Unterschiede gab, erwiesen sich die gesundheitlichen Indikatoren der Personen in den Modellprojekten als besser und professionelle Pflege wurde in geringerem Masse nachgefragt. Auch trotz besserer Gesundheit wiesen sie zum Zeitpunkt der Befragung ein höheres Maß an gegebener und erhaltener, nachbarschaftlicher Unterstützung auf. So gaben 51 % der Bewohnerinnen und Bewohner von Mehrgenerationen-Wohnanlagen an, dass sie Nachbar/innen bei alltäglichen Aufgaben wie Lebensmitteleinkäufen oder Haushaltsreparaturen unterstützten, während nur 36 % der Befragten der Kontrollgruppe diese Antwort gaben. Unter den Befragten über 50 Jahren gaben 43 % der Befragten in den Quartiersmodellen an, Hilfe erhalten zu haben, verglichen mit nur 26 % in der Kontrollgruppe. Auch wurde berechnet, dass die Modellprojekte die insgesamt anfallenden Kosten für Pflege und Unterstützung im Vergleich zu alternativen Lebensformen senken. In einer Folgestudie (Krlev & Then 2018), die in den Jahren 2015 und 2016 erhoben wurde, widmete sich das Forschungsteam neuerlich den Effekten gemeinwesenorientierter Wohnformen mit Mehrgenerationen-Durchmischung. Sie verglichen sie diesmal bewusst mit dem Konzept Betreutes Wohnen, anstatt eine Kontrollgruppe auf Grundlage der Antworten der Interventionsgruppe zu bilden, und sie unterschieden systematisch zwischen unterschiedlichen Formen der Kapitalbildung – sozialem, politischem und kulturellem Kapital (Bourdieu 1983). Die Studie legt die Annahme zugrunde, dass die Tatsache des gemeinschaftlichen Wohnens positive Auswirkungen hat, welche in der Stärkung dieser drei verschiedenen Kapitalformen liegen und die gesamthaft zur Lebensqualität und sozialen Integration der betreffenden Personen beitragen. Dabei bezieht sich das Sozialkapital auf die regelmäßigen Beziehungen und den Austausch zwischen Bewohner/innen (einschließlich Vertrautheit, getätigten sozialen Interaktionen und angegebenen Unterstützungsbeiträgen). Politisches Kapital bezieht sich auf die am Gemeinwesen orientierten Aktivitäten und das Engagement von Einzelpersonen (einschließlich Beteiligung an Veranstaltungsplanung und -durchführung oder Wahrnehmung von Möglichkeiten der nachbarschaftlichen Mitwirkung). Kulturelles Kapital meint die Positionierungen und Haltungen der Individuen gegenüber Anderen (einschließlich Selbst- und Fremdbilder, Wertschätzung und Normen).
Soziale Investitionen, Wirkungsorientierung, Social Return
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Die Ergebnisse dieser Studie zeugen von deutlichen Auswirkungen der quartiersorientierten Wohnmodelle auf das soziale Miteinander und die Lebensbedingungen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner – insbesondere Seniorinnen und Senioren, deren soziale Partizipations- und Inklusionschancen oft aufgrund von altersbedingten Einschränkungen oder multiplen chronischen Erkrankungen begrenzt sind. So ist das soziale Netzwerk innerhalb der Nachbarschaft in den untersuchten Wohnformen – gemessen als Kombination aus Quantität (Anzahl und Häufigkeit der Kontakte) und Qualität (Wichtigkeit und Intimität der Beziehung) – über 40 Prozentpunkte stärker ausgeprägt als im Betreuten Wohnen. Ebenfalls liegt die Wahrscheinlichkeit einer hoch ausgeprägten Alltagsunterstützung durch Nachbarn im gemeinschaftlichen Wohnen dreimal so hoch wie im Betreuten Wohnen. Hochsignifikant ist zudem die Anzahl von durchschnittlich zwei Nachbarn mehr, von denen die Bewohner/innen Unterstützung beziehen. Auch beim politischen und kulturellen Kapital schneidet das quartiersorientierte Mehrgenerationenwohnen besser ab. Beispielsweise nehmen Bewohner/innen pro Monat im Mittel nicht nur rund 3 Stunden mehr an gemeinsamen Veranstaltungen teil, sondern sie engagieren sich in ähnlich hohem Ausmaß mehr für die Belange der Wohnanlage (z. B. durch Mitwirkung an der Selbstverwaltung). Beim Vertrauen gegenüber Mitmenschen gibt es ebenfalls – jedoch nicht sonderlich stark ausgeprägte – Effekte. Was zeigen uns diese beiden Studien? Soziale Investitionen in Quartiersarbeit – egal ob man sie primär kapitaltheoretisch oder im Sinne von finanziellen Investitionen zugunsten eines sozialen Zwecks deutet – zahlen sich aus. Sie können im Quartier, und ganz konkret in den untersuchten Wohnanlagen bzw. Nachbarschaften, einen gehörigen Unterschied machen. Sie zeitigen vielfältige Effekte; soziale, kulturelle und politische. Die soziale Investitionsperspektive hilft uns in diesem Zusammenhang, zu verstehen, dass die ermittelten Ergebnisse nicht im ‚luftleeren Raum‘ stehen und quasi zufällig ‚passiert‘ sind, sondern im Kontext zurechenbarer Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu interpretieren sind. Ohne das absichtsvolle Handeln systemrelevanter Akteure und deren monetäre und non-monetäre Investitionen – aber übrigens auch nicht ohne die vielen engagierten Nachbarinnen und Nachbarn – wären sie nicht eingetreten und die evaluierten Wohnanlagen bzw. die Lebenssituationen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner hätten sich nicht wie beobachtet entwickelt. Der Social Return dieser Investitionen ist konkret in den statistischen Befunden zu Gesundheitsentwicklung, sozialen Kontakten, informeller Unterstützung etc. abzulesen. Fragt man die Bewohnerinnen und Bewohner der Mehrgenerationen-Wohnmodelle
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nach ihren Erfahrungen, verdichtet sich das Bild durch die Schilderungen von erfahrungsgesättigtem Alltagserleben. In ihren Erzählungen nehmen sie nicht selten Bezug zu den konstitutiven Investitionen, indem sie betonen, wie anders ihr Alltag in einer hergebrachten Wohnumgebung aussehen würde und wie sehr sie es schätzen, in den Genuss des gemeinschaftlichen Wohnens gekommen zu sein. Solche Aussagen lassen aufhorchen, wenn man bedenkt, dass politisch die Einrichtung solcher Wohnformen nur in beschränktem Masse gefördert wird und seitens der betreibenden Organisationen entsprechend begrenzte Anreize für ihre weitere Etablierung bestehen. 5
Zusammenfassung
Nicht mehr und nicht weniger als die Bereitstellung eines pointierten Erklärungsund Interpretationsangebots für Fragestellungen, Themen und Zusammenhänge rund um Begriffe wie Wohlfahrt, Gemeinwohl oder Zivilgesellschaft ist das Ziel der sozialen Investitionsperspektive. Ihr Nutzen und derjenige des wirkungsorientierten Denkens bzw. der Frage nach einem Social Return im Quartierskontext wurde im vergangenen Abschnitt anhand zweier Studien aus dem Alterswohnbereich aufgezeigt. In ihren statistischen Kennzahlen bildet sich eine deutliche ‚soziale Rendite‘ der getätigten Investitionen in Quartiersarbeit ab. Allerdings verfügt der eingeführte Blickwinkel auch über Herausforderungen, mit denen es umzugehen gilt. So liefert die soziale Investitionsperspektive kein ‚pfannenfertiges‘ Rezeptbuch, sondern sie bedarf im jeweiligen Kontext der Anpassung und Interpretation. Das Denken in ihrer Logik ist komplex und nicht abgeschlossen. Es braucht weitere theoretische und empirische Fundierung sowie eine gewisse ‚Experimentierfreude‘ der Akteure in Politik, Verwaltung, Forschung und im Sozial- und Gesundheitswesen. Wirkungsstudien sind darüber hinaus für ein Projekt oder einen Programmbereich maßgeschneidert und lassen sich oft nicht direkt vergleichen. Dieser Vorbehalt gilt vor allem über unterschiedliche Handlungsbereiche hinweg und wenn lediglich eine oder wenige Kennzahlen berücksichtigt werden. Insofern ist die Tauglichkeit von Wirkungsanalysen für die Politik- und Verwaltungssteuerung mit Voraussetzungen versehen und vor einer Ressourcenallokation lediglich auf der Basis von ‚Key Performance Indicators‘ zu warnen. Umgekehrt lassen sich Erkenntnisse aus Prozessen der Wirkungsorientierung und Wirkungsanalyse jedoch sehr praktisch und vielseitig für die Organisations-, Angebots- und Teamentwicklung sowie für soziale Innovationen nutzen (Kehl et al. 2018).
Soziale Investitionen, Wirkungsorientierung, Social Return
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Das Social Return on Investment-Modell in der Quartiersarbeit Bernd Halfar
Von dem Konzept der Quartiersarbeit wird vermutet, dass es besser ist als das Konzept ‚keine Quartiersarbeit‘. Die Begründungen, bislang vereinzelte Leistungsangebote im Quartier zu integrieren, neue Wohnmodelle zu fördern und soziale, pflegerische und hauswirtschaftliche Dienstleistungen zu vernetzen und kooperativ anzubieten, speisen sich eher aus den wohltemperierten Wärmeströmen und Begriffsreservoiren der Pädagogik und Sozialarbeitswissenschaft, weniger aus dem Eiswasser der Ökonomie. Die zahlreichen Evaluationsprojekte, die sich in den letzten Jahren mit Quartiersmodellen beschäftigt haben, konzentrieren sich folgerichtig auf den sozialen Ertrag, auf gesteigerte Sozialität, die Stabilisierung biographisch fester Raumstrukturen, die Herstellung unkomplizierter Hilfesysteme und auf das, was mal in der Soziologie „symbolische Ortsbezogenheit“ (Treinen 1965) genannt wurde. Für die Bedarfsdeckung wird nicht mehr (nur) im Sinne der klassischen Sozialplanung in Mengen an ambulanten Diensten, teil- und vollstationären Plätzen gerechnet, sondern in integrierten Quartierskonzepten. Quartiere, Stadtteile und Sozialräume sind in den modernen Programmen und Konzepten die Plattformen, auf denen die Versorgung hilfsbedürftiger Menschen funktionieren soll. Zwar werden die Begriffe ‚Sozialraum, Quartier, ‚Stadtteil‘ in den vorliegenden Studien und Projektpapieren nicht trennscharf operationalisiert (siehe zu dieser Thematik auch den Beitrag von Knopp und van Rießen in diesem Band), aber der sozialräumliche Quartiersbezug ist bei der modernen Organisation von Hilfesystemen offensichtlich ein ‚heiliges Gut‘. Vom kleinen Raum erwartet man sich eine bessere Vernetzung der Anbieter sozialer Dienstleistungen, eine bessere Aktivierung von ehrenamtlichem Engagement und vor allem bessere Zugangschancen der (hilfsbedürftigen) Bewohner zu den notwendigen sozialstaatlichen und kommunalen Ressourcen. Natürlich stecken auch in diesen vermuteten Wirkungen der Quartiersarbeit wirtschaftliche Komponenten, aber in den Evaluationsberichten wird weitgehend, Ausnahme sind die SONG Evaluationen von Kuhn und Westerheide, auf eine systematische Betrachtung der notwendigen Investitionskosten,
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_12
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Bernd Halfar
der direkten und indirekten Kosten der laufenden Quartiersarbeit sowie der möglicherweise durch Quartiersarbeit vermiedenen Kosten verzichtet.1 Wir haben Quartiersprojekte nach folgenden Kriterien untersucht: a. b. c. d. e. f. g. h.
Welche Zielgruppen stehen im Fokus? Welche Aufgaben- und Handlungsfelder werden hierbei bedient? Welche sachlichen und personellen Ressourcen werden benötigt? Welche finanziellen Mittel müssen aufgewandt werden? Wie erfolgt eine Refinanzierung? Welche Förderprogramme existieren hierbei? Welche Kooperationspartner wurden eingebunden? Welche Ergebnisse erzielten diese Projekte und konnten diese nachhaltig weitergeführt werden?
Nun zeigen unsere Auswertungen, dass sich die untersuchbaren Sozialraumkonzepte durchgängig nicht rechnen (Halfar 2015). Quartiersarbeit ist betriebswirtschaftlich aus Sicht der sozialen Akteure kein sinnvolles Geschäftsmodell. Ohne dauerhafte öffentliche Subventionen sterben die Quartiersmodelle allesamt, und zwar am Tage nach Ablauf der projektbezogenen Zuwendungsfinanzierung. Die Kosten sind für die Träger offensichtlich höher als die Erträge. Für die positiven Wirkungen der Quartiersarbeit, sozusagen für den sozialen Ertrag, gibt es offensichtlich weder bei den Klienten, noch bei den Trägern sozialer Arbeit noch bei den Kostenträgern eine nennenswerte Zahlungsbereitschaft. Möglicherweise stellt Quartiersarbeit für die Bewohner und für die sozialen Träger ein öffentliches, kollektives Gut dar, für das, so wie für einen Leuchtturm, sowieso die Zahlungsbereitschaft der Nutznießer gegen Null geht. Und der gütertheoretische Grund wäre demnach: weil man andere Nutzer nicht vom Konsum ausschließen kann. Was sich für den einzelnen Bürger oder die einzelne Organisation nicht rechnet, kann volkswirtschaftlich dennoch vernünftig und wirtschaftlich sein. Wer einen Hammer hat, für den werden alle Probleme zu Nägeln, sagen sinngemäß Abraham Maslow, Paul Watzlawick, Mark Twain und vermutlich noch viele andere. Und wer ein SROI-Modell im Rechner hat, für den werden alle mo-
1
BFW-Studie (2007); Baugenossenschaft Freie Scholle (2015); Beacon Hill Village (2015); Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2013); Eberlein & Klein-Hitpass (2012); Eberlein & Klein-Hitpass (2010); Fuchsloch (2014); Grimm & Franke (2002); Grimm & Sauter (2010); Hinte (2009); Institut Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Altersforschung (2010); Kuhn (2007); Möller . (2004); Osl, Benz & Osterle (o. J); Residenz-Gruppe Bremen SIGENA (2015); Stachen (2013); Greene (2012); Weinkopf (2005); Westerheide (2010)
Das Social Return on Investment-Modell in der Quartiersarbeit
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netären und realen Transfers, alle Zahlungen, alle Veränderungen in der Lebensqualität zu Investitionen und zu Returns. Aber im Konzept des ‚Social Return on Investment‘ ist ja eine Perspektive eingebaut, auch positive externe gesellschaftliche Effekte in der Kosten-Nutzen-Betrachtung von Programmen zu berücksichtigen. Angesprochen wird hier also die Frage, ob sozialpolitische Programme, die sich für Anbieter und Nachfrager offensichtlich nicht so lohnen, dass Zahlungsbereitschaft entsteht, nicht doch in einer anderen Betrachtung wirtschaftlich sein können. Nicht im Sinne von Return on Invest, sondern als Social Return on Invest. 1
Unser SROI-Modell
Der SROI wird in unserem Modell auf fünf Stufen berechnet. Im ‚SROI 1‘ werden die Mittelströme identifiziert, die zwischen der öffentlichen Hand und den sozialen Organisationen einerseits fließen. Wir unterscheiden hier Zuflüsse von der öffentlichen Hand und Rückflüsse an die öffentliche Hand. Als Rückflüsse sind alle Zahlungen an die öffentliche Hand zu verstehen, also Einnahmen des Fiskus und der Sozialversicherungen (Parafisci). Den Saldo aus allen Zuflüssen und Rückflüssen eines Erhebungsjahres bezeichnen wir als gesellschaftliche Nettokosten einer sozialen Dienstleistung in einem Jahr. Sie weisen aus, in welchem Maß eine soziale Dienstleistung die öffentliche Hand monetär tatsächlich belastet, und ermöglichen unter Kenntnis der zusätzlichen, nichtmonetären Effekte erst eine politisch rationale Allokationsentscheidung. Diese Sichtweise ist der Kern unseres Ansatzes des Social Return on Investments.
Abbildung 1:
SROI-Modell – Fünf Perspektiven
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Bernd Halfar
Zuflüsse in der Quartiersarbeit sind zumeist öffentliche Transferleistungen, die als projektbezogene Zuwendungen an den Projektträger ausgereicht werden. Davon zu unterscheiden sind andere Vergütungsformen, im wesentlichen Leistungsentgelte für soziale Einrichtungen und soziale Dienste, die im Quartier angesiedelt sind. Diese ‚Eh-da‘ Kosten der sozialen Infrastrukturen und Returns können rechnerisch nicht der Quartiersarbeit zugeordnet werden. Eigentlich können nur diejenigen ‚Re-Transfers‘ den Kosten der Quartiersprojekte gegengerechnet werden, die durch Sozialversicherungsbeiträge und Steuerzahlungen der Projektbeschäftigten entstehen. Bei den Bewohnern und Klienten im Quartier entstehen durch die Quartiersarbeit vermutlich ebenfalls keine nennenswerten Returns, die über die Re-Transfers hinausgehen, welche durch die primären sozialen Einrichtungen und Dienste ausgelöst werden. Der ‚Quartiers-SROI‘ kann also nicht durch die Addition von SROI-Werten sozialer Einrichtungen und Dienste in einem Quartier gebildet werden. Der SROI von Quartiersarbeit müsste sich auf die Effekte der Kooperationen und der neuen Konfigurationen zwischen den Trägern und auf aktivierte Ressourcen beziehen, die es im klassischen Dienstleistungsmodell nicht in diesem Ausmaß gäbe. Letztlich geht es dann um die Analyse von vermiedenen Kosten, wenn Einrichtungen und Dienste ‚anders‘ kooperieren. Auch die Transferkategorie der ‚indirekten Steuern‘, in der Regel Verbrauchssteuern, wird durch Quartiersarbeit kaum beeinflusst, wohl aber durch die sozialen Einrichtungen im ‚klassischen Modell‘. Der ‚SROI 2‘ interessiert sich für die Transfers zwischen der öffentlichen Hand und den Personen, die monetäre und reale Transfers des Sozialleistungssystems erhalten. Auch hier kann man die SROI-Berechnung der Quartiersarbeit nur auf solche zusätzlichen Transfers beziehen, die über die Standardangebote der sozialen Einrichtungen und Dienste im Quartier hinausgehen. Die Assistenzleistungen z. B. bekommt die behinderte Nachbarin auch, wenn es keine Quartiersarbeit gibt, und die durch persönliche Assistenz ermöglichte Erwerbstätigkeit mit daraus entstehenden Steuer- und Sozialversicherungszahlungen sind kein Ertrag, der sich der Quartiersarbeit zurechnen lässt. Auch beim SROI 2 ist zu vermuten, dass sich der Return an den Sozialstaat nur in homöopathischen Dosen methodisch einfangen lässt; es sei denn – aber dazu fehlen die Beweise – die Quartiersarbeit ertüchtigt und ermutigt tatsächlich über das Maß der Wirkungen sozialer Einrichtungen und Dienste hinaus bislang passive Klienten mit Leistungsbezug zu aktiven Steuer- und Beitragszahlern. Im ‚SROI 3‘ wird nach den vermiedenen Kosten und nach den ermöglichten Erträgen gefragt. Jede soziale Einrichtung verursacht Kosten, aber vermeidet eben auch die Kosten anderer Einrichtungen oder anderer Hilfesettings. Diese vermiedenen Opportunitätskosten sind im Sozialbereich in ökonomischer Sicht der eigentliche gesellschaftliche Outcome sozialer Arbeit. Und daneben werden auch
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Opportunitätserträge ermöglicht, weil z. B. die Angehörigen der Klienten, ob Kindergartenkind, pflegebedürftige Eltern oder alkoholkranker Partner etc., durch soziale Dienstleistungen in die Lage versetzt werden, eigenes Erwerbseinkommen zu erzielen und entsprechende Steuern und Beiträge zu bezahlen. Aus Perspektive des Social Return on Investment könnte die Analyse des SROI 3 möglicherweise Quartiersarbeit volkswirtschaftlich begründen. Empirisch zu suchen wären vermiedene Kosten wie reduzierte Krankenhauseinweisungen, vermiedene professionelle Leistungen durch nachbarschaftliche Hilfen, verzögerte Inanspruchnahme von stationären Pflegeleistungen oder Entlastungen von erwerbstätigen Alleinerziehenden durch gemeinschaftliche Wohnformen. In der Logik von Wirkungsanalysen ließen sich methodisch die ‚Produktivitätssteigerungen‘ sozialer Infrastruktur durch Quartiersarbeit messen und monetisieren. Ob diese ‚Opportunitätseffekte‘ dann methodisch so belastbar ausgewiesen werden können, dass Sozialleistungsträger sich mit Blick auf potenzielle Einsparungen an Quartiersarbeit finanziell beteiligen, ist denkbar. Zu berechnen sind dann die Wahrscheinlichkeiten alternativer Settings, die durch die Quartiersarbeit vermieden oder ermöglicht werden. Wenn diese empirisch sauber ermittelt sind, wären auch deren Nettokosten vergleichbar. Ebenfalls für die Wirkungsanalyse der Quartiersarbeit interessant könnte der ‚SROI 4‘ sein, der sich auf die regionalökonomischen Effekte konzentriert, die soziale Einrichtungen und Dienste auslösen. Auch hier müssten diejenigen Wirkungen unberücksichtigt bleiben, die auch eintreten würden, wenn die sozialen Einrichtungen und Dienste nicht in Quartierskonzepte eingebunden wären. Zu fragen wäre also nach dem Mehrwert der Quartiersarbeit für das Quartier in ökonomischer Sicht. Gibt es mehr Umsatz im Einzelhandel, mehr Beschäftigung, weniger Leerstand im Mietwohnungsbau, wenn Quartiere sozial funktionieren? Gibt es weniger Randale, weniger Sachbeschädigungen, weniger Notfälle, wenn die Quartiersarbeit greift? Gibt es dann mehr sozial engagierte Bürger? Und, das ist nun mal so, auch Mietsteigerungen, Renditen aus Luxussanierungen, Maklergebühren, Anstiege der Grundstückspreise sind als Folge der Attraktivitätsentwicklung von Quartieren regionalwirtschaftliche Effekte. Hier könnte und müsste man diejenigen der Quartiersarbeit wirklich zurechenbaren Effekte als Multiplikatoreffekte regionalökonomisch berechnen. Diese Effekte münden letztlich im Steuersystem und Sozialversicherungssystem und sind dort nachzuweisen. Während bei den SROI 4 Berechnungen im Sozialbereich häufig auch ‚crowding out‘ Effekte einbezogen werden müssen, also die Verdrängung von Betrieben durch (subventionierte) Sozialbetriebe mit entsprechenden Steuereffekten, könnte der SROI 4 der Quartiersarbeit auch einen anderen ‚crowding out‘ Effekt belegen: die Verdrängung von bisherigen Bevölkerungsgruppen durch einkommensstärkere Personengruppen in diesem Quartier mit ansteigenden Steuereinnahmen der öffentlichen
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Hand. Natürlich müssten auch die soziale Schattenseite, die sich möglicherweise durch Attraktivitätssteigerungen eines Quartiers ergeben, gegengerechnet werden. Während die Perspektiven SROI 1 bis SROI 4 eher an der monetären Wertschöpfung sozialer Arbeit interessiert sind, stellt der ‚SROI 5‘ diejenigen Wirkungen in den Mittelpunkt, die zwar gemessen, aber nicht in Geldeinheiten bewertet werden können oder sollten. Angesprochen ist die veränderte Lebensqualität von Quartiersbewohnern zwischen dem Zeitpunkt ‚Beginn der Quartiersarbeit‘ und folgenden Messzeitpunkten ‚t1, t2, t3 …tn‘. Auch hier müsste man methodisch diejenigen Effekte isolieren, die sich durch die vorhandenen sozialen Dienste und Einrichtungen erklären lassen und auch durch Entwicklungen, die sowieso eingetreten wären, unabhängig von der Quartiersarbeit. In der Theorie werden solche ‚wäre sowieso passiert‘ – Effekte als ‚dead weights‘ behandelt; vom Forschungsdesign her sind die Effekte kompliziert nachzuweisen. Methodisch ist es möglich, die Lebensqualität verschiedener Personengruppen zu verschiedenen Zeitpunkten zu messen und die statistisch bereinigte Differenz hypothetisch der Quartiersarbeit zuzuschreiben. In unserem auf Validität und Reliabilität getestetem SROI 5 Instrument, das auf verschiedenen Domänen der Lebensqualität aufbaut, müsste man dann die Ergebnisse, die über den normalen Erwartungswert hinausreichen, durch Quartiersarbeit erklären können. Quartiersarbeit könnte dann als ‚capability‘, als ‚Ermöglicher‘ der Mehrportion ‚Lebensqualität‘ analysiert und vermutet werden. Die acht Grunddimensionen der gemessenen Lebensqualität sind:
Emotionales Wohlbefinden Soziale Beziehungen Materielles Wohlbefinden Physisches Wohlbefinden Gesellschaftliche Teilhabe Persönliche Entwicklung Selbstwirksamkeit Rechte
Selbst wenn sich diese ‚Mehr-Effekte‘ kausal dem Quartierskonzept zuordnen lassen, und selbst wenn diese positiven Wirkungen die direkten Kosten des Quartiersmanagements übertreffen sollten, würde ökonomisch noch kein weißer Rauch aufsteigen. Denn durch die Installation eines Quartiermodelles entstehen ja nicht nur Personalkosten und Sachkosten, sondern auch zwei andere Kostenarten. Einmal sind solche Kosten zu berücksichtigen, die mit dem Aufbau von Quartiersmodellen verbunden sind und zum anderen solche Kosten, die mit der
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Kooperation im Quartier verknüpft sind. Beide können kostentheoretisch als Transaktionskosten betrachtet werden. Eigentlich gibt es ja keine Not, die bisherige Konfigurationen der Sozialen Arbeit zu verändern. Stationäre, teilstationäre, ambulante und offene Hilfen funktionieren, sind ganz gut refinanziert und funktionieren möglicherweise auch deswegen ganz gut, weil zwischen den verschiedenen Anbietern Wettbewerb herrscht. Dieses eingespielte System zwischen Kostenträgern, gemeinnützigen, öffentlichen und privaten sozialwirtschaftlichen Organisationen, abgestützt durch Rechtsansprüche der Klienten, verschiedene Steuerungsverfahren und Sozialgesetzbücher nun durch Sozialraumkonzepte zu ergänzen bzw. zu verändern, bedeutet die Installation eines neuen Geschäftsmodelles. Und dieses neue Geschäftsmodell ersetzt, zumindestens ergänzt, Wettbewerb durch Kooperation und Vernetzung. 2
Ein wirksames Geschäftsmodell „Quartiersarbeit“
Vernetzungen und Kooperationen sind nur dann wirtschaftlich sinnvoll, wenn die so entstehenden Zusatzerträge die Transaktionskosten übertreffen. „Alle kooperativen Modelle leben im Kern von der mehr oder minder begründeten Vermutung, dass die Erträge aus Kooperationen größer sind als die Erträge, die sich einstellen würden, wenn man die Leistung selbst erbrächte. Die eigene Dienstleistungsproduktion verlangt Investitionen und laufende Kosten und Aufbau von Knowhow, die der Kooperationspartner im Zweifel wirtschaftlicher darstellen kann.“ (Halfar & Umbach, 2017, S. 36)
Nun liefert die Transaktionskostentheorie wiederum Hinweise, dass es ökonomisch sinnvoll sein kann, Dienstleistungen und Güter, die ein anderes Unternehmen kostengünstiger herstellen kann, doch selbst herzustellen. Denn nicht nur die Investitions- und Produktionskosten sind zu vergleichen, sondern eben auch die sogenannten Transaktionskosten (Bardmann 2014; Nooteboom 1992; Coase 1988; Erlei & Jost 2001). „Bei jeder Transaktion am Markt, insbesondere bei Kooperationen, entstehen spezifische Kosten“ (Halfar & Umbach 2017, S. 36f). Besonders heikel sind Kooperationen, wenn Investitionen der Kooperationspartner notwendig werden. Im Theoriemodell gelingen Netzwerke und Kooperationen nur dann, wenn die Partner den Risiken ihrer Kooperation im gleichen Ausmaß gleichgültig gegenüberstehen. Diese Risikoneutralität der Kooperationspartner im Sinne der Gleichbewertung von Kooperationsrisiken betrifft letztlich auch die ‚Erfolgsrisiken‘ in den erhofften Kostendegressions-, Skalen- und Synergieeffekten.
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Die Netzwerk- und Kooperationsforschung weist darauf hin, dass unter den Bedingungen begrenzter Rationalität nicht alle Eventualitäten in Verträgen abgebildet werden können und somit stets das Risiko bleibt, dass der Kooperationspartner sich gegenüber dem Partner opportunistisch verhält, somit Lücken im Vertrag zu Lasten des Partners ausnützt (Halfar & Umbach 2017). Solange die sozialen Dienste und Einrichtungen im Quartier über Leistungsverträge finanziert werden, deren Anreizwirkungen maßgeblich über Auslastungskomponenten laufen, sind die im Quartiersmanagement als ‚vermiedene Kosten‘ erhofften Erträge wirtschaftlich nicht darstellbar. Die existierende Finanzierungslogik im Sozialbereich ist gegenüber einer gemeinschaftlichen Quartierslogik sperrig und versperrt dem Quartiersmanagement systematisch den Zugang zu den Tresoren. Die Zahlenkombinationen sind den Kostenstellenwärtern bekannt, nicht den Vernetzern. Aus Sicht der Kostenstellen lohnen sich Kooperationen nur, wenn sie sich für die Kostenstellen lohnen. Und das passiert in der Regel durch verbesserte Auslastungen, durch verringerte Vorhaltekosten und vermiedene Leerprozesse. Personenbezogene Dienstleistungen sind in ihrer Produktivität darauf angewiesen, dass hilfsbedürftige Menschen die Leistung in Anspruch nehmen. Erst wenn der Klient auftaucht, wird aus der Leistungsbereitschaft, die aus der Vorkombination der Inputfaktoren gebildet wird, die eigentliche Endkombination und Produktivität. „Da viele soziale und medizinische Angebote keine Wartezeit für Klienten haben können oder wollen, besteht bei sozialen Einrichtungen typischerweise eine Leistungsbereitschaft, die nicht aktiviert – und im Zweifel – nicht abgerechnet werden kann. Diese Vorhaltekosten können durch kooperative Modelle abgeschmolzen werden, so dass für beide Kooperationspartner ein Effizienzgewinn entsteht“ (Halfar & Umbach, 2017, S. 41).
Diese im Sozialbereich dominante nicht-kooperative Wettbewerbskultur lässt sich durch Appelle an Solidarität, Vernetzung und Kooperation selbst im eigenen Verband, ja selbst innerhalb des eigenen Trägers kaum überwinden. Insofern benötigen kooperative Formen der Quartiersarbeit nicht nur guten Willen, sondern auch kostengünstige Transaktionen. Die Erträge von quartiersbezogenen Kooperationen müssen die Transaktionskosten deutlich übertreffen. Diese Erfolgsbedingung ist durch herkömmliche Quartiersmodelle nicht erreichbar. Die Koordination läuft über gemeinsame Arbeitskreise, gemeinsame Werbemaßnahmen, gemeinsame Quartiersbüros, gemeinsame Quartiersmanager, gemeinsame Veranstaltungen und vor allem über Sitzungen.
Das Social Return on Investment-Modell in der Quartiersarbeit
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Kosteneffizienter kann Quartiersarbeit nur über kostengünstigere Transaktionen werden, im Idealfall mit Organisationsmodellen, in denen die ‚Vernetzungsgrenzkosten‘ gegen Null gehen. Dann, so die theoretisch plausible Vermutung, werden Quartiersmodelle wirtschaftlich interessant. Wenn die Grenzkosten gegen Null gehen sollen, wenn also die wachsende Inanspruchnahme des Systems ‚Quartiersarbeit‘ durch Klienten und Anbieter auf die Kosten des Quartiersmanagements keinen Einfluss hat, dann ist das lange vermisste Geschäftsmodell darstellbar. 3
Kosteneffiziente Internetplattformen im Quartier
Neue kooperative Formen, die sich durch kostengünstige Transaktionen auszeichnen, zeigen sich in Internet-Plattformen. Plattformen als Organisationsform von Kooperationen haben deutliche Vorteile: Sie sind hinsichtlich ihrer Betriebskosten und ihrer Transaktionskosten weitgehend grenzkostenneutral. Mit steigender Inanspruchnahme, mitwachsender Kundenzahl bleibt die Kostenstruktur im Prinzip stabil – insofern tendieren Plattformen zu Monopolen, zumindest zu regionalen Monopolen, in unserem Fall: zum Quartiersmonopol. Der Social Return on Investment aus der Quartiersarbeit wird aber nicht nur durch deren ‚Gemeinkosten‘ beeinflusst, sondern im Wesentlichen durch potenzielle monetäre Zusatzerträge. Um diese Zusatzerträge messen zu können, muss man die SROI-Einrichtungslogik verlassen und nach den vermiedenen Kosten als Kooperationseffekte zwischen Einrichtungen suchen. Zu vermuten sind diese in vermiedenen Transaktionskosten, vermiedenen Overheadkosten, vermiedenen Wegekosten, vermiedenem Social Slack als Aufgabe der Einrichtungslogiken.
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Abbildung 2:
Bernd Halfar
vermiedene Kosten als monetäre Zusatzerträge der Quartiersarbeit
Bei der Suche nach den wesentlichen Faktoren, durch die Quartiersarbeit Kosten vermeiden kann, stößt man auf AAL, innovative Dienstleistungskonfigurationen, ‚Verknüpfung der drei Mehrwertsteuersätze‘ sowie auf Plattformen bzw. DienstleistungsHUBs. Entweder entstehen die Kooperationsgewinne also auf der Kostenseite und lassen sich als Effizienzgewinne ausweisen, und/oder die Kooperation führt auf der Marktseite zu Umsatzzuwächsen und daran anschließenden Gewinnsteigerungen (Pfahle & Rieken 2008). Plattformen funktionieren nur, wenn sie genügend traffic organisieren. Auf einzelne Dienstleistungen spezialisierte Portale funktionieren demnach ebenso wenig wie Portale, die in der Logik eines Branchenadressbuches aufgebaut sind und insofern keine Qualitätssicherung eingebaut haben. Ebenso wenig funktionieren Portale, die sich auf soziale SGB-finanzierte Leistungen konzentrieren. Um eine Plattform in Schwung zu bringen, müssen möglichst auch solche Dienstleistungen angeboten werden, die man häufig, und nicht nur im ‚Notfall‘ benötigt. Spezifische, auf kleinere Teilsegmente der Bevölkerung konzentrierte Angebotsplattformen sind nicht attraktiv und offensichtlich wirtschaftlich ohne öffentliche Dauersubventionierung nicht zu betreiben.
Das Social Return on Investment-Modell in der Quartiersarbeit
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Auf der Suche nach einem Geschäftsmodell, das sich für Nutzer, Anbieter und Finanzierungsträger lohnt – und deshalb im weiteren Sinne wirtschaftlich ist – findet man tragfähige Lösungen der Quartiersarbeit nur in digitalen Kooperationen. Quartiersbezogene Servicemodelle funktionieren nur mit einer Leistungspalette, die über die Sozialwirtschaft und das Sozialgesetzbuch hinausreicht. Und wirtschaftliche Dienstleistungsmodelle im Sozialraum leiden an kritischen Größen (zu) kleiner Gebietsdefinitionen. Zu häufig gibt es kritische Bereitstellungskosten für Dienstleistungsunternehmen, kritische Größen für soziale Einrichtungen und kritische Spannen für die Refinanzierung des Quartiersmanagements. Fehlende Größeneffekte, (zusätzliche) Vorhaltekosten, (zu) hohe Stückkosten von Kooperationen und Leistungserbringungskosten, die in einem üblichen, analogen Quartiersmodell entstehen, führen ‚automatisch‘ zur notwendigen Dauersubvention durch die öffentliche Hand oder zu einer zwangsweisen Umlagefinanzierung auf die privaten Haushalte in Form von Mitgliedschaften oder Genossenschaftsanteilen etc. 4
Ausblick
Die Effekte der Millionen Euro, die von der Politik für Quartiersarbeit und Sozialraummodelle ausgegeben werden, lassen sich mit den vorhandenen Verfahren der Wirkungsmessung nicht einfangen. Auch mit dem Ansatz der Wirkungsforschung, der wahrscheinlich methodisch am präzisesten ausgearbeitet ist, dem Social Return on Investment, könnte man die Wirkungen der Quartiersarbeit im Moment nicht befriedigend messen. Zentral geht es methodisch um zwei Herausforderungen: Einmal um die empirisch saubere Erfassung der ‚vermiedenen Kosten‘ für die Sozialleistungssysteme. Zum anderen um die empirische Erfassung der Produktivitätsgewinne der beteiligten Quartiersakteure durch digitale Kooperation. Wir haben in Eichstätt ein Modell entwickelt, das beide Fragestellungen methodisch zu erfassen versucht. Aber wir sind noch in der Phase der Datenmodellierung, ohne empirischen Beweis. Unser Modell sieht AAL-Wohntechnologien, digitale kooperative Plattformen, Ehrenamtliche und neue quartiersbezogene, kooperative Finanzierungsformen sozialer Einrichtungen als Wirkfaktoren der Quartiersarbeit und vermiedene Kosten des Sozialstaates und Lebensqualitätsgewinne der Bewohner als Wirkungen.
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Den Social Return der in einem Quartier vorhandenen sozialen Dienste und Einrichtungen können wir relativ standardisiert berechnen, aber die Addition der Einrichtungswirkungen ergibt eben noch lange nicht die Wirkung der Quartiersarbeit. Dieses ‚add on‘ verlangt den Zugriff auf vermiedene Kosten. Zumindest können wir auf Basis der Bewohnerstruktur eines Quartiers die statistisch wahrscheinliche Inanspruchnahme diverser medizinischer und sozialer Dienstleistungen berechnen. Die Differenz zur Realität, hoffentlich vermiedene Kosten, wäre dann im Modell die Wirkung der Quartiersarbeit. Die zweite vermutete Wirkungsebene, nämlich Produktivitätsgewinne der bestehenden Einrichtungen, würden wir der digitalen Plattformökonomie, dem Dienstleistungs-HUB zurechnen. Das ist in der Logik des SROI machbar, aber es fehlen noch Vorarbeiten, die sich mit Details der Plattformökonomie in der Sozialwirtschaft beschäftigen. Zur Illustration nur eines der diversen Details: Wenn die durchschnittliche Umsatzrendite einer stationären Einrichtung momentan bei 3 % liegt, und wenn ‚unsere‘ digitale Plattform einen Produktivitätsgewinn von weiteren 2-3 % bringt, dann lohnt sich höchst wahrscheinlich Quartiersarbeit. Der Social Return wäre sogar auf der monetären Ebene deutlich positiv. Aber mit der Internetökonomie, und das wäre ja der quartiersbezogene Dienstleistungs-HUB als ‚market-place‘, sind auch neue Zahlungsformen entstanden. Und die im Moment existierenden Zahlungsanbieter fressen 2 bis 3 % Rendite auf. Fazit: Die quartiersbezogene Sozialwirtschaft benötigt nicht nur runde Tische, sondern auch eigene Zahlungsmodelle. Also: man könnte die Wirkungen, den Social Return der jetzigen Quartiersarbeit wahrscheinlich messen. Aber die Ergebnisse wären vermutlich nicht so positiv, dass die Politik an eine weitere Finanzierung denken würde. Man könnte auch die Wirkungen eines digitalisierten Quartiermodells messen. Der Social Return on Investment wäre höchstwahrscheinlich positiver als der momentaner Projekte. Aber hier saugen möglicherweise die Zahlungsmodelle die zusätzlichen gesellschaftlichen Renditen ab. Die Diskussion über Sozialraumorientierung und Quartiersarbeit sollte neu gestartet werden. Literatur Bardmann, M. (2014). Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (2., vollst. überarb. erw. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS. Baugenossenschaft Freie Scholle eG. (k.D.). Daten und Fakten. http://www.freiescholle.de/ueber-uns/daten-und-fakten.html, Zugegriffen: 01. März 2015. Beacon Hill Village. (2015). http://www.beaconhillvillage.org/, Zugegriffen: 01. März 2015.
Das Social Return on Investment-Modell in der Quartiersarbeit
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Bernd Halfar
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Nutzen wirtschaftlicher Konzepte in der Quartiersentwicklung und der Quartiersarbeit: Wirkungsorientiertes Management und Geschäftsmodelle als Strategietools Peter Stepanek
In der Quartiersarbeit rücken ökonomische Konzepte verstärkt in den Fokus. Der Beitrag beleuchtet zwei davon, die in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit bekommen haben: Wirkungsorientierung als Managementkonzept und Geschäftsmodelle. Diese Ansätze stellen in der Gemeinwesenarbeit (GWA), jenem Bereich der Sozialwirtschaft1, in dem nach wie vor hauptsächlich Vereine tätig sind, neue Ansätze für das strategische Management dar. Der Beitrag argumentiert, dass Wirkungsorientierung als Managementkonzept gesehen werden kann, das die Planung neuer Angebote erleichtert und die Konzepte schärft. Im Anschluss werden Geschäftsmodelle im Kontext der Quartiersarbeit diskutiert. Der Begriff, der in der Sozialwirtschaft vor allem im Zusammenhang mit Social Business beschrieben wird, kann aus zwei Perspektiven betrachtet werden: als Typologien von Social Business, die als Ergänzung in der Quartiersarbeit tätig werden bzw. als Strategietool im Rahmen eines Social Business Canvas. Der Beitrag zeigt die Potentiale und Grenzen dieser wirtschaftlichen Konzepte in der Quartiers- oder Stadtteilarbeit. Trotz Kritik an der fortschreitenden Ökonomisierung der Sozialen Arbeit überwiegt aus Sicht des Autors der Nutzen dieser strategischen Managementtools. 1
Wirkungsorientierung als Managementkonzept
Wirkung ist derzeit das Schlagwort im Sozialbereich, obwohl die Soziale Arbeit seit jeher Wirkung im Fokus hat, denn sie zielt darauf ab, „soziale Veränderungen, Problemlösungen in zwischenmenschlichen Beziehungen und die Ermächtigung und Befreiung von Menschen zu fördern, um ihr Wohlbefinden zu verbessern.“ (Stövesand & Stoik 2013, S. 15). Die GWA, als Form der Sozialen Arbeit, bewirkt „die Entwicklung gemeinsamer Handlungsfähigkeit und kollektives Empower-
1
Der Begriff Sozialwirtschaft fasst in Anlehnung an Dimmel und Schmidt (2013, S. 78) all jene Organisation zusammen, die soziale Dienstleistungen erbringen, seien sie auf Gewinn gerichtet oder nicht. Nach wie vor herrscht aber die Organisationsform des Vereins in dieser Branche vor.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_13
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ment bezüglich der Gestaltung bzw. Veränderung der infrastrukturellen, politischen und sozialen Lebensbedingungen“ (Stövesand & Stoik 2013, S. 16) bezogen auf ein Quartier bzw. einen Stadtteil. Das Leitbild Stadtarbeit Graz betont z. B. die nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation als Aufgabe der GWA: „sämtliche Ansätze, die prozessorientiert, partizipativ und interdisziplinär darauf abzielen, gemeinsam mit den Menschen in ihren Lebensräumen nachhaltige Verbesserungen ihrer Lebenssituation zu erreichen.“ (Stadt Graz 2015, o. S.). Auch wenn Wirkung immer schon das Ziel von Sozialer Arbeit war, geht Wirkungsorientierung einen Schritt weiter. Hausegger (2012) sieht Wirkungsorientierung, neben Wettbewerbs-, Kunden- und Qualitätsorientierung, als eines von vier Grundprinzipien des New Public Managements, das einen modernen Staat als Ziel hat und sich auf die Anbieter*innen sozialer Dienstleitungen auswirkt. Dies führt zu einem Paradigmenwechsel, der den Blick von den Leistungen auf die Ergebnisse lenkt. Wirkungsorientierung verändert die Planung und Steuerung der Sozialen Arbeit und der Quartiersarbeit. Kurz und Kubek (2017) argumentieren, dass soziale Projekte darauf ausgelegt sind, Wirkungen zu erzielen und entsprechend geplant und umgesetzt werden müssen. Die Auseinandersetzung mit Wirkung ermöglicht, ein Konzept zu entwickeln, das klar darlegt, welche Zielgruppen man mit welchen Leistungen und mit welchen Wirkungen erreichen möchte. Es kann im Sinne der Effizienz zeigen, ob die Leistungen mit Wirkungen in Verbindung stehen, oder wo es Adaptierungen braucht sowie welche personellen und materiellen Ressourcen dafür nötig sind. Astleithner (2012) weist auf die operative Bedeutung hin, da mit der Implementierung der Wirkungsorientierung als Steuerungsinstrument, vor allem die Perspektive der Effizienz einhergeht. Dabei geht es um das Zusammenspiel von Input- und Outputfaktoren. Die Bindung an den Effizienzgedanken erklärt, warum es mitunter starke Vorbehalte seitens der Mitarbeiter*innen von sozialwirtschaftlichen Organisationen gegen Wirkungsorientierung gibt, da sie Einsparungen, Leistungskürzungen oder gesteigerte Arbeitsanfordernisse befürchten. Konsequent weitergedacht, kann Wirkungsorientierung auch die Budgetierung verändern, wenn Leistungen entlang der Wirkungen und nicht nur über die Inputs (Kosten) geplant werden. „Die traditionelle Steuerung über Budgets wird damit nicht obsolet, sondern ergänzt“ (Astleithner 2012, S. 6). Leutner & Pluquett (2001, S. 131) weisen darauf hin, dass neue Konzepte des Stadteilmanagements „sorgfältig geplant und auf die spezifischen Ziele und institutionellen Bedingungen vor Ort“ abgestimmt werden müssen. Ein strukturiertes Vorgehen soll sicherstellen, dass „Maßnahmen und Projekte auch effizient durchgeführt werden“. Dies schließt Erfolgs- und Wirkungskontrolle mit ein. Wirkungsmessung untermauert, was sich im Leben der Menschen verändert hat bzw. was mit dem investierten
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Geld erreicht wurde. Die intendierten Wirkungen werden als Ziele festgesetzt, auf Basis derer das Projekt geplant wird. Wirkungen sollen nicht im Nachhinein betrachtet oder gemessen, sondern von Anfang an berücksichtig werden. Dies erfolgt in drei Kernschritten: Wirkungen planen, Wirkungen analysieren und Wirkungen verbessern“ (Kurz & Kubek 2017, S. 7). Ausgehend vom Bedarf und den Problemstellungen der Zielgruppen werden Lösungen erarbeitet, Wirkungen auf Ebene der Zielgruppe (Outcome)2 und/oder der Gesellschaft (Impact) definiert und ein wirkungsorientiertes Leistungsportfolio aufgesetzt. Mittels Wirkungsmessung oder Evaluierungen wird die Zielerreichung überprüft. Abbildung 1 zeigt den Wirkungskreislauf in Anlehnung an den Managementkreis.
Abbildung 1:
Wirkungskreislauf (Eigene Darstellung)
Wirkungen werden in alle Managemententscheidungen der Planung und der Steuerung miteinbezogen, um die Wirkungsziele, die neben der Mission die Oberziele darstellen, zu erreichen. Die enge Koppelung der Wirkungsziele an die Mission betont den strategischen Aspekt. In der Quartiersarbeit hilft Wirkungsorientierung als strategisches Managementtool:
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Dieser Artikel folgt der Definition von Kurz und Kubek (2017). Andere Autoren verwenden die Begriffe genau umgekehrt.
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Peter Stepanek ein Quartierskonzept entlang der Wirkungskette „Leistung – Zielgruppen – Wirkungen“ zu entwickeln, das eigene Konzept zu hinterfragen und bei Bedarf zu adaptieren, zu erkennen, welche Angebote nicht mit einer gewünschten Wirkung oder welche intendierte Wirkung mit keiner Leistung in Verbindung stehen, zu untermauern, was mit dem investierten Geld erreicht wurde und die Notwendigkeit der eigenen Arbeit klarer zu kommunizieren.
Gerade in der Sozialwirtschaft, die in vielen Bereichen von einjährigen Förderverträgen gekennzeichnet ist, gibt es einen starken Fokus auf das operative Management. Die Beschäftigung mit der eigenen Wirkung und einer ganzheitlichen Wirkungsorientierung kann helfen, strategische Überlegungen stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Trotzdem gibt es Vorbehalte gegen eine zu starke Managementlogik. Die sogenannte „Ökonomisierung der Sozialen Arbeit“ wird kritisch gesehen (Möhle 2016; Stoik 2014), da wirtschaftliche Parameter wie Effizienz oder Kostendeckung zur zentralen Prämisse der Sozialen Arbeit werden und Qualität und Prozesse an die zweite Stelle rücken. Denn nicht alles lässt sich schlank, effizient und kostengünstig organisieren. Es besteht die „Sorge, dass soziale Dienstleistungen nur noch dann bereitgestellt würden, wenn sie sich betriebswirtschaftlich rechneten“ (Popescu-Willigmann 2014, S. 121) oder deren Wirkung nachgewiesen werden kann. GWA agiert in einem Spannungsfeld zwischen sozialer Notwendigkeit und wirtschaftlicher Möglichkeit. Eine ausschließliche Orientierung an Effizienz und (Fall)Kosten ist aufgrund der Arbeit mit benachteiligten oder kleinen Gruppen nicht sinnvoll. Kosten-Nutzen-Überlegungen greifen dabei zu kurz, weil oftmals der Nutzen (Wirkung) in der Verhinderung von Folgekosten liegt, diese aber nicht genau beziffert werden können. In manchen Bereichen der Sozialen Arbeit lässt sich Wirkung erst nach Jahrzehnten abschätzen oder ist überhaupt nicht messbar (Rock 2014). Hier könnten aufwendige Berechnungen von Opportunitätskosten – wie sie beim Social Return on Investment zur Anwendung kommen – Abhilfe schaffen. Bei aller Kritik an einer zu starken wirtschaftlichen Ausrichtung der GWA, bietet Wirkungsorientierung für das strategische Management ein geeignetes Instrument. Ein weiteres Strategietool stellen Geschäftsmodelle dar, die sich auch für die wirkungsorientierte Planung eignen. 2
Geschäftsmodelle als Denkrahmen für die Quartiersentwicklung
Auch in der Sozialen Arbeit bzw. der Sozialwirtschaft werden Geschäftsmodelle diskutiert. Der Begriff deutet aus Sicht der Sozialwirtschaft auf wirtschaftliche
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Aktivität hin und wird vor allem in Verbindung mit Social Business (Vandor et al. 2015; Förschler 2008) erwähnt, lässt aber generell verschiedene Deutungs- und Verwendungsmöglichkeiten zu und unterliegt in der Quartiersarbeit Einschränkungen. Die folgenden Abschnitte zeigen, dass Geschäftsmodelle zur Unterscheidung verschiedener Typen von Social Business beitragen und generell als strategisches Managementtool auch in der Quartiersarbeit sinnvoll eingesetzt werden können. 2.1 Der Begriff Geschäftsmodell Der Begriff Geschäftsmodell ist, obwohl sehr häufig in der betriebswirtschaftlichen Literatur verwendet, bislang nicht eindeutig definiert (Schmeisser et al. 2015; Gassmann et al. 2013; Förschler 2008). Fueglistaller et al. (2012, S. 174) sehen darin eine „modellhafte Beschreibung der Funktionsweise eines Unternehmens oder eines Geschäftsbereichs“, das beschreibt, wie die Strategie umgesetzt wird und wie das Unternehmen Wert für seine Kund*innen und das Unternehmen schafft. Dazu werden acht bis zehn Dimensionen betrachtet, die sich im Canvas-Modell von Osterwalder wiederfinden (siehe 2.4). Gassmann et al. (2013, S. 7) reduzieren es auf vier zentrale Aspekte, die das „magische Dreieck“ bilden (siehe Abb. 2): wer sind die Kund*innen, was wird verkauft, wie stellt man das her und wie realisiert man einen Ertrag? Schmeiss et al. (2015, S .11) formulieren die vierte Frage als „wie wird Wert erzielt?“, was im Sinne der Sozialwirtschaft als der passendere Begriff erscheint, da er nicht nur monetär verstanden werden kann.
Abbildung 2:
Das Magische Dreieck (Gassmann et al. 2013, S. 6)
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Betrachtet man das Magische Dreieck, dann zeigt sich, dass die Elemente eines Geschäftsmodells nur bedingt auf ein Angebot der Quartiersarbeit übertragen werden können. Dementgegen erscheint die Definition von Förschler (2008) passender, die sechs Kernelemente eines neuen Geschäftsmodells für Unternehmen der Freien Wohlfahrtspflege zusammenfasst: • • • • • •
das Wachstumskonzept im Sinne einer strategischen Ausrichtung der Organisation, das Leistungssystem mit einer konsequenten Marktpositionierung durch differenzierte Dienstleistungsangebote, die Kompetenzkonfiguration durch einen Fokus auf die eigenen Ressourcen, das Kooperationskonzept, das auf den Ressourcen möglicher Partner*innen aufbaut, ein Ertragskonzept im Sinne eines gewerblichen Gewinnmodells und die Gemeinwohlorientierung im Sinne der sozialen Mission.
Daraus leitet sich ein sogenanntes PNP-Modell ab, das sich aus einem Profit- und einem Nonprofit-Modell zusammensetzt und Marktanforderungen und sozialen Anforderungen gerecht wird. Der Träger wird als ‚Holding‘ gesehen, der mit einem gewerblichen und einem gemeinnützigen Bereich verschiedene Zielgruppen bedienen und verschiedene Finanzierungsquellen erschließen kann (Förschler 2008). Auch hier gibt es also einen klaren Konnex zu einem Social Business. Doch was steckt hinter diesem Begriff? Und wie passt er zur Quartiersarbeit? 2.2 Social Business als zusätzlicher Anbieter in der Quartiersarbeit Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat die Idee, soziale Problemlagen mittels wirtschaftlicher Konzepte zu lösen, mehr Aufmerksamkeit bekommen. Begriffe wie Social Entrepreneur(ship) oder Social Business werden in der Literatur und in den Medien freudig aufgenommen, befriedigen sie doch die Sehnsucht nach einer Wirtschaft, die nicht Profit, sondern das Gemeinwohl zum Ziel hat. In Deutschland und Österreich haben sich Social Businesses am Markt positioniert, die durch die Erzeugung und den Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen soziale Wirkungen entfalten. Die Hilfswerft (2019a) listet „die Nachhaltigen 222 in Deutschland“ auf, die für ein besseres und nachhaltiges Wirtschaften stehen. In den Medien werden diese ‚Leuchtturmprojekte‘ als Ausweg aus der Krise des Kapitalismus beschrieben. Rock (2014) spricht von einem medialen Hype rund um Social Entrepreneurship und konstatiert eine mediale Debatte, die diesen Unternehmen ein höheres Innovationspotenzial zuschreibt. Dies führte zu einer Konkurrenzsituation
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zwischen den ‚Etablierten‘ und den ‚Neuen‘, die weder inhaltlich begründet ist noch der gelebten Realität entspricht (Rock 2014). Einige Social Business in Österreich sind Ausgründungen aus Wohlfahrtsverbänden, wie z. B. das Hotel Magdas der Caritas oder Nut&Feder in Wien. Andere arbeiten erfolgreich mit Wohlfahrtsverbänden zusammen, wie z. B. Shades Tours in Wien. In Deutschland kooperieren fünf große Wohlfahrtsträger in Zukunft verstärkt mit dem Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland und dem Bundesverband Deutscher Startups, „um effektiver zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen beizutragen und innovative Lösungen zu entwickeln“ (Caritas Deutschland 2019, o. S.). Denn der ‚Sozialmarkt‘ bietet genügend Nischen bzw. Bereiche, die auf innovative Lösungen warten. Die Kombination aus sozialen und wirtschaftlichen Aktivitäten ist nicht neu (Rock 2014). Schon länger gibt es Beschäftigungsbetriebe3, die ihre Produkte und Dienstleistungen am Markt anbieten und eine soziale Mission verfolgen, in dem sie benachteiligten Gruppen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Auch die Genossenschaftsbewegung sieht sich als Ursprung dieser Entwicklung. Neu ist, dass sich die Gründer*innen als Entrepreneure verstehen (Popescu-Willigmann 2014), die unter hohem persönlichem Risiko am Markt Umsätze erzielen und dadurch Wirkungen entfalten. Der Prozentsatz der Markteinkünfte variiert je nach Definition. In Österreich und Deutschland geht man von zumindest 50 % aus (Vandor et al. 2015; Hilfswerft 2019b). In der Praxis zeigt sich ein für die Sozialwirtschaft typischer hybrider Finanzierungsmix (Scheck & Spiess-Knafl 2014; Rock 2014), der Spenden, Sponsoring, sowie Förderungen einschließt. Das Selbstverständnis als Unternehmer*in und die Marktfinanzierung führen im Vergleich zum Verein zu einer stärkeren Betonung verschiedener Managementbereiche, wie der Finanzierung, des Marketings und des Controllings (Stepanek 2017). Bei der Gründung braucht es ein Geschäftsmodell und einen Businessplan. Social Entrepreneure empfinden einen größeren Rechtfertigungsdruck gegenüber Geldgeber*innen, Kund*innen, dem Mitbewerbern*innen und der interessierten Öffentlichkeit (Popescu-Willigmann 2014), da viele nicht aus der klassischen Sozialen Arbeit kommen und einen anderen beruflichen Hintergrund haben. Die Betonung der Wirkungsorientierung unterscheidet Social Business von profitorientierten Unternehmen (Popescu-Willigmann 2014) und ist für viele Gründer*innen (aufgrund der Nähe zu betriebswirtschaftlichen Begriffen wie Nutzen, Effizienz und Effektivität) anschlussfähig und wird zur professionellen Untermauerung des eigenen Handelns kommuniziert. Wirkungsorientierung ist auch ein wichtiger Aspekt der Finanzierungsstrategie. Social Business brauchen in der
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In Österreich werden sie als Sozial Ökonomische Betriebe (SÖB) bezeichnet.
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Startphase eine Anschubfinanzierung, die sie z. B. über Crowd Funding-Plattformen, Start-up-Wettbewerbe, Inkubationsprogramme oder Calls von Wirtschaftsförderungsagenturen erhalten. In der Regel ist hierfür neben einem wirtschaftlichen Geschäftsmodell eine ‚Theory of Change‘ (Wirkungslogik) notwendig. Auch für die Quartiersarbeit eröffnen die Finanzierungsquellen der Social Business neue Möglichkeiten, wenn es gelingt, Produkte und Dienstleistungen sowie ein wirkungsorientiertes Geschäftsmodell darzustellen. Kann man z. B. Jugendarbeit, Vernetzung im Stadtteil oder Konfliktprävention in einer Wohnhausanlage in dieser Logik erfassen? Dies ist mitunter schwierig, weil der Kundenbegriff nicht passend erscheint. In der GWA geht man in der Regel vom Leistungsdreieck aus, bei dem es keine klassische Kundenbeziehung gibt. Stattdessen hat die Sozialorganisation einen Vertrag mit einer Förderstelle, der die Leistung, die Qualität und den Preis umfasst (Wendt 2017; Popescu-Willigmann 2014). Die Klient*innen, die die Leistung beanspruchen, haben keine Macht, diese Verträge zu beeinflussen. Sie beziehen die Leistungen zu den Konditionen der Förderstelle (Dimmel & Schmidt 2013; Schneider & Pennerstorfer 2014). Beim Kundenbegriff gelangt man an die Grenzen, wenn die Leistungen von den Kund*innen nicht freiwillig konsumiert werden oder, wie im Stadtteil mitunter der Fall, anstatt einzelner Kund*innen die Allgemeinheit den Nutzen hat. In der GWA wird statt von Kunden*innen von Stakeholdern gesprochen, die Nutzenerwartungen haben, die mitunter im Konflikt stehen (Förschler 2008). Während Sozialorganisationen zumeist ihre Auftraggeber*innen als Kund*innen sehen, die z. B. weniger Konflikte im Quartier erwarten, wird bei den Stakeholdern im Stadtteil ein Nutzen bewirkt, die dafür aber nicht bezahlen. Fehren (2013, S. 275) bezeichnet die GWA als intermediäre Instanz: „GWA unterstützt durch die Installierung vielfältiger Rückkoppelungsschleifen zwischen Top-down- und Bottom-up-Prozessen den Ansatz der integrierten Stadtentwicklung, weg von einer Experten dominierten ‚richtigen Lösung‘ hin zum ‚lernenden System“. Das erhöht als ‚Diener vieler Herren‘ die Komplexität des Managements. Wenn also die GWA selbst nicht in die Schablone der Social Business gepresst werden kann, so ist es durchaus möglich, dass Social Business ergänzend im Stadtteil tätig werden. Um verschiedene Arten von Social Business zu unterscheiden wurden verschiedene Typologien entwickelt. 2.3 Geschäftsmodelle als Typologien für Social Business Geschäftsmodelle können wie ‚Schablonen‘ gesehen werden, die verschiedene Unternehmenstypen anhand verschiedener Parameter differenzieren. In diesem Sinne kann ein Unternehmen, das Geschäftsmodell eines anderen ‚kopieren‘ oder
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adaptieren (Gassmann et al. 2013, S. 5ff). Die Typologien der Social Business zeigen, wie diese Unternehmen gesellschaftliche Wirkungen mit wirtschaftlichen Geschäftsmodellen verbinden und wer für die Leistung bezahlt (Vandor et al. 2015; Kreutzer & Niendorf 2017). Vandor et al. (2015) identifizieren, wie in Abbildung 3 dargestellt, vier Geschäfts- und Wirkungsmodelle von Social Business in Österreich.
Abbildung 3:
Die vier Geschäftsmodelle von Social Business (Vandor et al. 2015, S. 22)
Integrierte Social Business‘ (Typ i) bieten benachteiligten Menschen einen Arbeitsplatz. In diese Gruppe fallen viele Beschäftigungsbetriebe bzw. Social Business mit einem breiten Spektrum an Leistungen und Produkten. Diese Unternehmen finanzieren sich meist über Markteinkünfte, Leistungsverträge oder arbeitsmarktpolitische Förderungen. Das Quartiersmanagement kann bspw. von diesen Beschäftigungsbetrieben Waren und Dienstleistungen beziehen bzw. sich dafür einsetzen, dass diese Aufträge im Quartier bekommen.
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Integrierte Social Business (Typ ii) fokussieren auf benachteiligte Menschen als Kund*innen. In diese Gruppe fallen z. B. Sozialmärkte, die Waren zu vergünstigten Preisen an benachteiligte Menschen verkaufen, oder Social Business‘, die Dienstleistungen für die Menschen im Stadtteil erbringen. Im Quartier könnten z. B. ein Nachbarschaftslokal, ein Regionalmarkt, ein Verleih von Geräten oder die Vermietung von Gemeinschaftsflächen darunterfallen. Das Differenzierte Social Business geht davon aus, dass eine Finanzierung durch die benachteiligte Gruppe nicht möglich ist. Gewinnbringende Marktaktivitäten sollen als Querfinanzierung genügend finanzielle Mittel beschaffen, um Leistungen für die Zielgruppe finanzieren zu können. In der Quartiersarbeit können in diese Gruppe viele Freizeit-, Bildungs- oder Beratungsangebote fallen, wenn eine Querfinanzierung möglich ist (siehe auch PNP-Modell in 2.1). Sustainable Business‘ (Typ iv) adressieren durch den Verkauf nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen auf den Erhalt einer intakten Umwelt. Im Rahmen des Quartiersmanagements können diese Unternehmen beauftragt werden. Auch Bildungs- und Beratungsangebote (z.B. ein Reparaturcafé) oder ein UnverpacktSupermarkt fallen in diese Gruppe (Vandor et al. 2015, S. 22ff) Kreutzer und Niendorf (2017) haben eine Typologie aus drei verschiedenen sozialen Geschäftsmodellen entwickelt, die sich durch Einbindung der Leistungsempfänger*innen und Einsatz der Ressourcen zur Erreichung der sozialen oder wirtschaftlichen Wertschöpfung unterscheiden. Die Ressourcen sind entweder für beide Bereiche identisch, werden teilweise gemeinsam genutzt oder sind klar einem der beiden Wertschöpfungen zugeordnet. Sie benennen ein integriertes Geschäftsmodell (Leistungsempfänger*in ist Kund*in), ein teilweise integriertes Geschäftsmodell (Leistungsempfänger*in ist Mitarbeiter*in) sowie ein differenziertes Geschäftsmodell (Querfinanzierung). In der GWA können die verschiedenen Typologien hilfreich sein, wenn z. B. einzelne marktfähige Dienstleistungen in der Quartiersarbeit von Social Business angeboten werden und das Quartiersmanagement, die Wirkungen dieser Partnerunternehmen in die eigene Wirkungslogik miteinbeziehen und so ein umfassendes Bild darstellen möchte. Eine weitere Möglichkeit bieten Geschäftsmodelle als Strategietool. 2.4 Geschäftsmodelle als Tool des strategischen Managements Der Begriff Geschäftsmodelle erfuhr durch das Canvas Modell von Osterwalder seit 2010 an Relevanz (Schmeiss et al. 2015; Fueglistaller et al. 2012). Das Modell
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wurde für Social Business um Wirkungen erweitert und sprachlich adaptiert.4 Es umfasst, wie das Modell der Social Impact gGmbH (Gründerwerkstatt Enterprise 2019) in Tabelle 1 zeigt, neun Betrachtungsebenen, die nacheinander beantwortet werden, um so ein die zentralen Planungsbereiche und Elemente der Wertschöpfung einer Sozialorganisation oder eines Social Business abzudecken (Schmeiss et al. 2015; Fueglistaller et al. 2012). Tabelle 1:
Social Business Model Canvas (Eigene Darstellung in Anlehnung an Gründungswerkstatt Enterprise 2019)
Soziales Problem
Welches soziale/ökologische Problem besteht? Wer ist betroffen? In welchem Umfang? Wann? Warum? Welchen Social Impact (soziale Leistung) erzielen wir? • Wie lautet unsere Theory of Change? • Welcher soziale Mehrwert entsteht? Für wen und welche Gruppen? • Wie bewerten wir den Mehrwert? • Was würde ohne unser Angebot passieren/fehlen?
Kunden*innen und Segmente
Kundenbeziehung (Werbe)Kanäle
Soziale Innovation
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Welchen Commercial Impact (Marktleistung) erzielen wir? • Welchen Wert vermitteln wir unseren Kund*innen? • Welche Produkte und Dienstleistungen bieten wir? • Welche Kundenbedürfnisse erfüllen wir? Für wen schaffen wir Werte? Wer sind unsere wichtigsten Kund*innen? Wer sind die Kund*innen der sozialen Leistung? Welchen Nutzen bieten wir ihnen? Wer sind die Kund*innen der Marktleistung? Welchen Nutzen bieten wir ihnen? Welche Art der Beziehung haben wir zu den Kundensegmenten? Welche haben wir eingerichtet? Wie kostenintensiv ist das? Über welche Kanäle wollen unsere Kund*innen erreicht werden? Wie integrieren wir sie in unsere Kundenabläufe? Wie sind sie in unsere Kanäle integriert? Welche Kanäle funktionieren gut, und wie kostenintensiv sind sie? Entwickeln wir neue Produkte oder arbeiten wir mit Kooperationspartner*innen? Auf welche Schlüsselaktivitäten setzen wir im Sinne der Theory of Change in punkto Leistung, Stakeholder-Einbindung, Kundenansprache und Einnahmenerzielung?
Z.B. die Beratungsunternehmen Strategyzer unter strategyzer.com oder Tandemic unter http://www.socialbusinessmodelcanvas.com/
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Schlüsselressourcen
Welche Schlüsselressourcen sind für unser Angebot und Wirkung erforderlich? Wie bauen wir diese Ressourcen auf? Wie gewinnen wir entsprechende Mitarbeitende? Welche Organisationsform haben wir?
Stakeholder
Wer sind unsere Schlüsselpartner*innen? Unsere Schlüssellieferant*innen? Welche Schlüsselressourcen beziehen wir von diesen Partner*innen? Welche Schlüsselaktivitäten üben diese Partner*innen aus? Welche Kosten entstehen? Welche Schlüsselaktivitäten sind am teuersten? Welche Schlüsselressourcen sind am teuersten? Einnahmen aus Umsatzerlösen, Leistungsverträgen, Projektförderungen, Fundraising, Sponsoring, Beteiligungen, Crowd-Funding? Können wir unsere Kosten decken?
Kostenstruktur Umsatz und Vergütungsmodell
Das Social Business Canvas kann z. B. im Zuge eines Workshops von einem Entwicklungsteam in der Quartiersentwicklung eingesetzt werden. Durch die festgelegte Reihenfolge ist man gezwungen, einen Punkt nach dem anderen zu beantworten. Das verhindert Lücken im Konzept. Die Betrachtung der unterschiedlichen Kund*innengruppen, ihrer Nutzenerwartungen und der Wirkung schafft Klarheit für Quartiersentwickler*innen und ihre Auftraggeber*innen. Die Gestaltung der Kund*innenbeziehungen wird gerade in der Quartiersarbeit sehr stark mit den Schlüsselaktivitäten zusammenhängen. Die Betonung der Ressourcen, Aktivitäten und Kooperationspartner*innen (hier Stakeholder) soll zeigen, ob das, was man sich vorgenommen hat, erreicht werden kann. Schlussendlich zeigt die Betrachtung der Kosten und der Erlöse, ob das Angebot und die gewünschten Wirkungen finanziert werden können. Die schematische Betrachtung geht nicht darauf ein, ob es zu einer Querfinanzierung kommt oder ob es überhaupt Markteinkünfte sind. 3
Fazit
Auch wenn es große Kritik an der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit gibt, ist eine Beschäftigung mit betriebswirtschaftlichen Konzepten sinnvoll. Wirkungsorientierung als Managementkonzept bietet viele Anknüpfungspunkte für das strategische Management. Konsequent gelebt wird Wirkung zum zentralen Steuerungsparameter, der von der Budgetierung bis zum strategischen Controlling reicht. Obwohl Geschäftsmodelle in der Sozialwirtschaft vorrangig mit Social Business diskutiert werden, bieten sie für alle Organisationstypen sinnvolle Anknüpfungspunkte. In der Quartiersentwicklung gibt es zwei Betrachtungsebenen für
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Geschäftsmodelle. Das Quartiersmanagement selbst kann als Geschäftsmodell gesehen werden, wenn es von einem Social Business durchgeführt wird. Meist wird hier allerdings das klassische Trägermodell der Sozialwirtschaft vorherrschen. Andererseits sind in die Quartiersarbeit viele Institutionen, Sozialorganisationen und Social Business eingebunden, die Produkte und Dienstleistungen für die Stakeholder im Quartier anbieten, die sich als Geschäftsmodell abbilden lassen. Das Social Business Canvas kann von jeder Organisation im Bereich der Stadtteilarbeit sinnvoll eingesetzt werden. Der Vorteil liegt in der Beschäftigung mit vielen Aspekten des eigenen Angebots, auch dann, wenn eine wirtschaftliche Logik nicht im Vordergrund steht. Der Nutzen liegt in der einfachen Handhabung und der festgelegten Vorgehensweise, die Lücken im Konzept aufdeckt und im Zusammenspiel mit anderen strategischen Instrumenten wie z. B. der Umweltanalyse, der Stakeholderanalyse, der SWOT-Analyse oder der Portfolioanalyse wichtige Erkenntnisse liefert. Es kann in regelmäßigen Abständen überprüft und für eine wirkungsorientierte Evaluierung oder eine strategische Neuausrichtung eingesetzt werden. Literatur Astleithner, F. (2012). Diskussion des Nutzens und der Herausforderungen von Wirkungsorientierung am Beispiel der Wiener Wohnungslosenhilfe. Soziales Kapital, 8. https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/241/370.pdf. Zugegriffen: 10. Januar 2019. Caritas Deutschland. (2019). Wohlfahrtsverbände und deutscher Start-up Sektor wollen gemeinsam soziale Lösungen entwickeln. https://www.caritas.de/fuerprofis/presse/pressemeldungen/wohlfahrtsverbaende-und-deutscher-startup-sektor-wollen-gemeinsam-soziale-loesungene-entwickeln-1b364619-4d92-40b5-8b19-d4ea27ebfb0f. Zugegriffen: 15. Januar 2019. Dimmel, N., & Schmidt, T. (2013). Soziale Dienste in Österreich. Innsbruck: Studien Verlag. Fehren, O. (2013). Gemeinwesenarbeit als Akteuerin der integrierten Stadtteilentwicklung. In S. Stövesand, Ch. Stoik & U. Troxler (Hrsg.), Handbuch Gemeinwesenarbeit. Traditionen und Positionen, Konzepte und Methoden. Deutschland – Schweiz – Österreich. Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit (Band 4., S. 273 – 279). Opladen, Berlin, Toronto: Budrich. Förschler, H. L. (2008). Strategische Neupositionierung sozialwirtschaftlicher Unternehmen der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Ansätze einer speziellen Unternehmenstheorie zwischen Marktwirtschaft und Gemeinwohlorientierung. Dissertation, eingereicht Universität Flensburg. Fueglistaller, U., Müller, C., Müller, S., & Volery, T. (2012). Enterpreneurship. Modelle – Umsetzung – Perspektiven (3. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.
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Nutzen wirtschaftlicher Konzepte in der Quartiersentwicklung und -arbeit
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Soziale Dienstleistungen als Investitionen? Ökonomische Aspekte in der aktuellen Wirkungsdebatte Monika Burmester und Jan Friedemann
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Einleitung
Soziale Leistungen werden als Dienst-, Sach- oder Geldleistungen erbracht (§ 11 SGB I). Ihre Inanspruchnahme setzt einen sozialrechtlich anerkannten Bedarf voraus, der durch Beitragszahlungen (im Fall der Sozialversicherungen), durch individuelle Rechtsansprüche (bspw. auf etliche Hilfen nach SGB VIII) oder durch die Gewährung freiwilliger Leistungen im Rahmen kommunaler Daseinsvorsorge (ausführlicher: Gerlach & Hinrichs 2018, S. 158f) begründet sein kann. Die Gesamtheit der vielfältigen Umverteilungs- und Unterstützungsmaßnahmen bilden die Sozialleistungen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes zielen sie auf die „Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit“ (§ 1 SGB I). Was darunter zu verstehen ist, variiert mit den politischen Konjunkturen des Sozialstaates und der ökonomischen Konjunktur des nationalen Wachstums. Sowohl über die Art als auch über den Umfang von Sozialleistungen gibt es divergierende Auffassungen und beständig politische Auseinandersetzungen. Sozialleistungen sind u. a. dadurch gekennzeichnet, dass sie solidarisch finanziert sind (Langer 2018, S. 79f) über (Zwangs-)Versicherungsbeiträge oder Steuern. Aus der Perspektive der Bezieher von Markteinkommen stellen diese Abgaben einen Abzug dar, und es wird regelmäßig darüber gestritten, wie hoch dieser Abzug sein darf, um die Leistungsfähigkeit des Einzelnen und seine Kaufkraft für die Wirtschaft insgesamt nicht zu gefährden. Gleichzeitig belasten Sozialabgaben – insoweit diese sog. Lohnnebenkosten darstellen – das nationale Lohnniveau aus Sicht der Unternehmen und sie werden deshalb stets auch im Kontext der internationalen Wettbewerbsfähigkeit besprochen. Bei der Debatte um Sozialleistungen geht es folglich nicht nur um sachliche Fragen nach den Maßnahmen, mit denen soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit als Bedingung für (auch wirtschaftliche) Teilhabe in der Gesellschaft erreicht werden kann, sondern auch darum, was sie kosten (dürfen). Diese Überlegungen verweisen einerseits auf die grundsätzliche Frage der optimalen Höhe des öffentlichen Budgets (Zimmermann, Henke & Broer 2017, S. 63f), andererseits auf die Problematik der konkurrierenden Verwendung von Staatseinnahmen (Finis Siegler 2009, S. 95f). Die Mittel für Sozialleistungen haben sich entsprechend erstens © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_14
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Monika Burmester und Jan Friedemann
immer im Verhältnis zu anderen Staatsausgaben zu rechtfertigen und unterliegen zweitens dauerhaft der Generalprüfung, ob sie die von ihnen gewünschte Funktion erfüllen. So gilt bspw. eine ‚Überversorgung‘ mit Transferleistungen in der Marktwirtschaft als möglicher Fehlanreiz für den Arbeitswillen von (potenziellen) Arbeitnehmern. Gleichzeitig kann ‚zu viel‘ Armut zum Hindernis für die Befähigung zur Teilhabe an der Marktkonkurrenz werden. Das ist zum einen der Stoff für objektiv nicht entscheidbare Armuts- und Gerechtigkeitsdebatten. Zum anderen ist die gesetzliche und damit objektive Ermittlung des richtigen Maßes von ‚Fördern‘ und ‚Fordern‘ der Markenkern moderner Sozialpolitik und ihren Dauerreformen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob mit den verausgabten Mitteln die beabsichtigten Ziele der Sozialpolitik erreicht werden. Diese Frage ist Gegenstand der aktuellen Wirkungsdebatte, die auf Aussagen zur Zielerreichung und Ergebnisqualität sozialer Dienstleistungen zielt. Dass es dabei sowohl um die Kosten, als auch um die mir den Ausgaben zu erreichenden Funktionen bzw. Effekte geht, ergibt sich aus den vorangegangenen Ausführungen. Kosten sind insbesondere dann ein Problem, wenn sie nicht für zukünftige sozialpolitische Erträge aufgebracht werden. Das ist der Kerngedanke der Betrachtung von Sozialausgaben als Investitionen: Ausgaben für das Soziale (die Kosten) sollen zu zukünftigen Erträgen führen. Das in der Wirtschaft praktisch gültige Prinzip von Aufwand und rückfließendem Ertrag wird auf das Feld der Sozialpolitik übertragen: Sozialausgaben, mit denen eigentlich gesellschaftlich anerkannte Bedarfe gedeckt werden sollen, werden zunehmend als Investments gedacht. Dieser Beitrag setzt sich grundsätzlich mit der Vorstellung auseinander, Sozialausgaben als Investitionen zu fassen. Dabei wird auch auf unterschiedliche Vorstellungen von sozialen Investitionen eingegangen. Da es sich bei Investitionen um einen originär ökonomischen Begriff handelt, kommen Überlegungen zu Sozialausgaben als Investitionen nicht umhin, auf ökonomische Begründungszusammenhänge Bezug zu nehmen. 2
Investitionen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht
Investitionen gelten als Grundlage für Wirtschaftswachstum, denn sie sichern den Erhalt und die Expansion des Kapitalstocks. Entsprechend spiegeln Investitionen das Ausmaß der Kapitalakkumulation (Baßeler et al. 2006, S. 820f). Eine (Volks-) Wirtschaft, die primär konsumiert und in der zu wenig investiert wird, lebt längerfristig über ihre Verhältnisse und zerstört die Basis für die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung. Diese volkswirtschaftliche Perspektive auf Investitionen fokussiert auf deren gesamtwirtschaftlichen Effekt, der darin besteht, dass Investitionen
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den Kapitalstock bzw. die Kapitalausstattung erhöhen und damit Wirtschaftswachstum ermöglichen (Mankiw & Wagner 2004, S. 589). Weil Investitionen als Bedingung für wirtschaftliche Prosperität gelten, werden sie vom Grundsatz her der alternativen Verwendung der gesamtgesellschaftlich produzierten Güter, dem Konsum, als überlegen angesehen. Der affirmative Bezug auf Investitionen geschieht ungeachtet der Tatsache, dass es in Boomphasen durchaus auch ein ‚Zuviel‘ an Investitionen geben kann (z. B. so genannte Immobilienblasen), was dann regelmäßig zu Krisen führt, sichtbar in Leerständen im Immobilienbestand oder unverkäuflichen Waren. Greifen die ‚normalen‘ Marktmechanismen, dann findet in solchen Situationen Kapitalvernichtung (eine Form der Desinvestition) statt, die allerdings nicht so weit gehen soll, dass die Investitionen nicht erneut zum Treiber des Aufschwungs werden. Die gesamtwirtschaftlichen Risiken, die mit einer zu starken Kapitalvernichtung im Unternehmenssektor verbunden sind, führen zu geld- und/oder fiskalpolitischen Interventionen, wie sie aus den letzten Krisen bekannt sind (Bankenrettung usw.). Investitionen, die zum Aufbau des Kapitalstocks beitragen, sichern die Wachstumsmöglichkeiten. Wirtschaftliches Wachstum oder Kapitalakkumulation ist die Bedingung dafür, dass die Renditeerwartungen der Investoren befriedigt werden können. Werden Investitionen getätigt, dann zielen die Investoren damit auf eine Rendite, also auf einen den Kapitalvorschuss übersteigenden Geldbetrag. Der Kapitalrückfluss kann mehr oder weniger stetig erfolgen und über unterschiedlich viele Perioden oder Zeiträume. Die Höhe der Renditeerwartung ist üblicherweise abhängig vom Risiko des Kapitalrückflusses und von der Dauer der Kapitalbindung. Schließlich sei noch erwähnt, dass es neben Investitionen in Unternehmen auch Investitionen in Finanzanlagen gibt. Die Erwartungen in Bezug auf Renditen in Abhängigkeit vom Risiko sind vergleichbar. Allerdings kann die Bereitschaft zur Dauer der Kapitalbindung bei Finanzanlagen durchaus kürzer sein als es bei Unternehmensinvestitionen üblich ist. 3
Öffentliche Investitionen
In der volkswirtschaftlichen Betrachtung investieren Unternehmen und private Haushalte konsumieren primär. Der Staat agiert in beide Richtungen: Staatsausgaben werden in konsumtiv oder investiv unterschieden. Auch für sie gilt: „Während investiven Ausgaben grundsätzlich ein positiver Einfluss auf zukünftige Wachstumsperspektiven zugesprochen wird, werden bei konsumtiven Ausgaben meist keine oder gar negative Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung angenommen“ (Lenk et al. 2016, S. 4).
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Für die Legitimierung staatlicher Ausgaben erscheint es vor dem behaupteten Gegensatz von Konsum und Investitionen besonders nützlich, Staatsausgaben mit investivem Charakter zu identifizieren. Zu den öffentlichen Investitionen zählen zunächst diejenigen, die für die Aufrechterhaltung der Staatstätigkeit notwendig sind. Sie werden getätigt, um die Leistungsprozesse zu verbessern und sind von daher mit privaten Investitionen (in Unternehmen) vergleichbar (Lenk et al. 2016, S. 6). Anders sind die – quantitativ bedeutenderen – öffentlichen Investitionen zu beurteilen, die vornehmlich der Verbesserung der Infrastruktur dienen wie bspw. Straßenbau, öffentlicher Wohnungsbau, Schulen, Krankenhäuser oder Schwimmbäder oder unter Umweltgesichtspunkten getätigt oder gefördert werden, wie energetische Sanierung. Mit derartigen Investitionen wird primär beabsichtigt, das Wirtschaftswachstum zu fördern (OECD 2014, S. 88). An solchen nach außen gerichteten öffentlichen Investitionen springt ein Unterschied zu Unternehmensinvestitionen ins Auge: Während der Ertrag aus Unternehmensinvestitionen bei dem investierenden Unternehmen anfällt, fließen dem Staat bei den unterschiedlichen Arten von Infrastrukturinvestitionen nicht unmittelbar zurechenbare Einkommen zu. Vielmehr dienen diese Investitionen vornehmlich dem ‚Standort Deutschland‘. Sie sind „durch einen Vorleistungscharakter für die private Wirtschaftstätigkeit gekennzeichnet“ (Lenk et al. 2016, S. 6). Eine leistungsfähige Volkswirtschaft benötigt Verkehrswege, auf denen Güter rasch, gut und sicher transportiert werden können, Telekommunikationsmöglichkeiten, die dem Stand der Technik entsprechen und vieles andere mehr. Sie benötigt aber auch Arbeitnehmer mit gewisser Bildung (Bildungseinrichtungen, Kulturstätten), die ihren Arbeitsplatz erreichen können (Verkehrsinfrastruktur), sich um ihre Gesundheit kümmern (Anlagen für Breitensport) und in einem Umfeld leben, das ihnen Erholung und Regeneration ermöglicht. Ein grundlegender Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Investitionen sollte aus den bisherigen Ausführungen deutlich geworden sein: Da öffentliche Investitionen keine direkten monetären Rückflüsse an den Staat generieren, unterscheidet sich die Beurteilung solcher Investitionen grundlegend von der von Unternehmensinvestitionen. In betriebswirtschaftlichen Rentabilitätsberechnungen werden für die Zukunft erwartete Einzahlungen auf den Gegenwartswert abgezinst, um sie mit den Investitionskosten vergleichen zu können. Für öffentliche Investitionen werden Kosten-Nutzen-Kalkulationen durchgeführt, die von der Berechnung her der betriebswirtschaftlichen Kapitalwertmethode entsprechen: Den Investitionskosten werden monetisierte, also in Geldeinheiten ausgedrückte, Nutzen gegenübergestellt. Bei diesen Nutzen handelt es sich aber um fiktiv kalkulierte Geldeinheiten, die im Unterschied zu den Gewinnen von Unternehmen auf keinem Konto der
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Welt als Buchung faktisch eingehen. Die Nutzengrößen (z. B. von Straßen) müssen in methodischen Verfahren ausgewählt und bewertet werden und sind daher nicht mit den Erträgen privater Investitionen vergleichbar. Es geht um den gesellschaftlichen Nutzen und nicht nur bspw. um zukünftige Steuereinnahmen, die auf die Investition zurückgeführt werden können. Die Erträge aus der öffentlichen Investition kommen also nicht nur und u. U. noch nicht einmal vorwiegend dem Investor zugute. Das macht die Schwierigkeiten deutlich, die mit solchen Berechnungen einhergehen. Welche und wessen Nutzen sollen berücksichtigt werden? Wie lassen sich identifizierte oder ausgewählte Nutzengrößen monetär bewerten? Kosten-Nutzen-Kalkulationen im öffentlichen Bereich haben in Anbetracht dieser Schwierigkeiten einen anderen Stellenwert als die Beurteilung von Investitionsentscheidungen in Unternehmen, und ihre Ergebnisse sind folglich anders zu bewerten (ausführlicher: Zimmermann et al. 2017, S. 230ff). 4
Soziale Investitionen
Auch für Ausgaben für soziale Dienstleistungen haben solche Kalkulationen in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen. Der Beleg eines investiven Charakters von sozialen Dienstleistungen ist das treibende Motiv hinter entsprechenden Berechnungen. Soziale Dienstleistungen – so die Unterstellung – kosten nicht nur etwas (konsumtive öffentliche Ausgaben), sondern sie generieren einen gesellschaftlichen Nutzen, der in Geldeinheiten gemessen über die Ausgaben hinausgeht. Damit haben soziale Dienstleistungen investiven Charakter, denn sie werfen vermeintlich eine Rendite ab (in Form ‚gesparter‘ potenzieller Sozialausgaben, fiktiver Steuereinnahmen, höherer Einkommen und Lebensqualität usw.). Die im Rahmen der skizzierten Kalkulationen berechnete Rendite wird als Social Return on Investment (SROI) bezeichnet (siehe zum SROI auch die Beiträge von Kehl, Halfar und/oder Ziegler in diesem Band). Die Berechnung von Renditen für Sozialausgaben setzt die Umdeutung von Sozialausgaben in Investitionen voraus. Solch eine Interpretation hat Auswirkungen auf die Vorstellung von öffentlichen Investitionen. Nach dem sozialinvestiven Verständnis sollen insbesondere diejenigen sozialen Dienstleistungen als Investitionen angesehen werden, die Menschen in die Lage versetzen oder sie dabei unterstützen, i. S. des volkswirtschaftlichen Investitionsbegriffs (irgendwie) einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum zu leisten. Dass es sich dabei primär um Humankapitalinvestitionen im engeren und weiteren Sinne handelt, die geeignet sind, perspektivisch die so genannten Employability (Beschäftigungsfähigkeit) sicherzustellen, liegt auf der Hand. Es ist längst verbreitet, im Kontext von Bildungsausgaben von Investitionen zu sprechen (exemplarisch: Krebs & Scheffel 2017). Hier
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liegt der Zusammenhang zur Humankapitalbildung besonders nahe. „Bildung – vor allem im sekundären und tertiären Bereich – [wird] als Teil des Humankapitals als eine für das Wachstum von Volkswirtschaften relevante staatliche Aktivität angesehen“ (Lenk et al. 2016, S. 42) und sollte daher – so die Autoren – als öffentliche Investition gefasst werden. Die Bedeutung von Humankapitalinvestitionen für das Wirtschaftswachstum unterstreicht auch die Europäische Kommission in ihren Mitteilungen zu Sozialinvestitionen vom 02.07.2013: „Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft erfordern Investitionen in das Humankapital, da dieses die Grundlage für Produktivität und Innovation bildet“ (Europäische Kommission 2013, S. 3). Aus Sicht der Kommission sind Investitionen in Humankapital (beginnend mit der frühkindlichen Bildung) für die Mitgliedsstaaten essentiell, „um die Zweckmäßigkeit und Nachhaltigkeit ihrer Sozialsysteme sowie ihren Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaft zu gewährleisten“ (ebd., S. 10). 5
Formen sozialer Investitionen – Interpretationsversuche
Der Begriff der sozialen Investitionen wird unterschiedlich verwendet. Es lässt sich eine gewisse Nähe zu öffentlichen Investitionen herstellen, wenn der Begriff auf bauliche Investitionen in den Sozialbereich bezogen wird, wie bspw. Kindertageseinrichtungen, Krankenhäuser usw. Solch eine Bestimmung findet sich gelegentlich mit der Spezifizierung: Sozialimmobilien. Gemeint sind dann Investitionen in Immobilien, die für soziale Aufgaben genutzt werden. Wem solche Immobilien gehören, ist für die Kategorisierung unerheblich. Die Sozialimmobilien können sich im (quasi) öffentlichen Eigentum befinden (z. B. kommunale Krankenhäuser) oder im privaten. Sozialimmobilien – und das gilt insbesondere für Pflegeeinrichtungen und Kindertagesstätten – sind längst eine Anlagesphäre für Finanzkapital geworden. So genannte Sozialfonds werben mit Renditeversprechen von über 5% (exemplarisch: https://www.rhotham.de/22-inp-deutsche-sozialimmobilien.html; 23.12.2018). Die Investitionstätigkeit von Organisationen im Sozial- oder Gesundheitswesen beschränken sich wie bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, zu denen einige der privaten Organisationen im Sozialbereich gehören, nicht auf Bauinvestitionen. Als soziale Investitionen lassen sich – in Analogie zum breiteren betriebswirtschaftlichen Investitionsverständnis – sämtliche Ausgaben fassen, die darauf abzielen, die Zukunftsfähigkeit dieser Organisationen (in den etablierten Sozialmärkten) sicherzustellen. Längst müssen auch gemeinnützige Organisationen Renditen erwirtschaften, wenn sie das Überleben ihrer Organisation langfristig sichern wollen. Da es für die Klassifizierung als Investition nicht entscheidend ist,
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dass Renditen bzw. Gewinne an Eigentümer ausgeschüttet werden, sondern dass Renditen erzielt werden bzw. erzielt werden sollen, können auf das Renditeziel ausgerichtete zukunftsweisende Ausgaben als Investitionen betrachtet werden. Neben dieser Sicht auf soziale Investitionen, die sich aus der Betrachtung sozialwirtschaftlicher Organisationen als Einheiten, die unternehmerisch handeln, ergibt, existieren weitere Deutungen. So bezeichnet die Europäische Kommission „Investitionen in Menschen“ als soziale Investitionen. Im Sinne ihres Verständnisses von investiver Sozialpolitik geht es bei sozialen Investitionen „um Strategien, die es Menschen erlauben, ihre Fähigkeiten und Qualifikationen zu verbessern und sich uneingeschränkt am Arbeits- und Gesellschaftsleben zu beteiligen. Zu den zentralen Politikbereichen gehören hier Bildung, hochwertige Kinderbetreuung, Gesundheitsversorgung, Weiterbildung, Hilfe bei der Arbeitssuche und Wiedereingliederung“ (Europäische Kommission o. J.). Die Fokussierung auf Erwerbsintegration und Erwerbstätigkeit ist in dieser sozialpolitischen Weichenstellung schwerlich zu übersehen. Auf dieses Investitionsverständnis wurde bereits oben im Zusammenhang mit öffentlichen Investitionen hingewiesen. Eine wiederum anders konturierte Definition von sozialen Investitionen sieht sie explizit als private Investitionen, also als nichtstaatliches Handeln. Diese privaten Investitionen richten sich – und das soll den Unterschied zu ‚normalen‘ unternehmerischen Investitionen markieren – auf das Gemeinwohl. Soziale Investitionen werden als „private Beiträge zum Gemeinwohl“ (Then & Kehl 2012, S. 40, Kehl et al. 2016, S. 8) verstanden. Damit ist etwas Anderes gemeint als die investive Sozialpolitik, die sich auf öffentliche Ausgaben bezieht. Staatliche Beiträge zum Gemeinwohl sind in dieser Definition sozialer Investitionen aus der Betrachtung ausgeklammert und damit auch sämtliche öffentlich refinanzierten sozialen Dienstleistungen. Die Vorstellung von sozialen Investitionen als private Beiträge zum Gemeinwohl ist anschlussfähig an spezifische Vorstellungen von Impact Investing, wirkungsorientiertes Investieren. Allerdings setzen einige Impact Investing Strategien durchaus auch auf staatliche Refinanzierung wie im Fall von Social Impact Bonds bei nachgewiesener Wirkung oder auf öffentliche Garantien, um das finanzielle Risiko von Investitionen zu reduzieren (z. B. bei Investitionen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit). Als rein privat lassen sich solche Investitionen nicht unbedingt klassifizieren. Auf Impact Investing wird unten näher eingegangen. Um Sozialleistungen, mit denen ein Beitrag zum Gemeinwohl geleistet werden soll, in Investitionen umzudeuten, ist es notwendig, auf die Einkommensbzw. Ertragsperspektive abzustellen (siehe Kapitel 4). In der Konsequenz führt solch eine Betrachtung dazu, Sozialausgaben zu tätigen, um eine Rendite (zukünftige Einkommen) zu erzielen. Denn: Werden die Mittel für Sozialausgaben als In-
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vestitionen gefasst, dann bedeutet das den Verzicht auf die unmittelbare konsumtive Nutzung dieser Ressourcen in der Absicht, durch deren produktive Nutzung in der Zukunft einen größeren Nutzen zu generieren als es der aktuelle Konsum ermöglichen würde (Mildenberger 2012, S. 174). Was geschieht nach dieser Logik mit Sozialausgaben, für die ein ‚produktiver‘ Einsatz nicht zu erwarten ist, weil bspw. die Zielgruppe zu arbeitsmarktfern ist? Was geschieht, wenn sich relative Preise ändern und eine unter Berücksichtigung der Opportunitätskosten vormals attraktive ‚Investitionsentscheidung‘ nun ‚unwirtschaftlich‘ (Verlust) wird? An diesen Fragen wird deutlich, dass an Sozialausgaben, die als Investitionen betrachtet werden, ein anderer Bewertungsmaßstab anzulegen ist als an Sozialausgaben, die nach der Logik des eingangs zitierten Sozialgesetzbuchs auf die ‚Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit‘ abzielen. Geht es in der traditionellen Beurteilung von Sozialausgaben um Bedarfsdeckung, so ist das Beurteilungskriterium für investive Sozialausgaben der Ertrag. Nach der ‚sozialinvestiven Sichtweise‘ sollen entsprechend nicht mehr Rechtsansprüche die Grundlage für soziale Ausgaben sein, sondern der Nachweis darüber, „dass die aus öffentlichen Budgets, Entgelten und ggf. Freiwilligenressourcen gespeisten Investitionen einen effektiven Beitrag zur Lösung sozialer Probleme oder Linderungen von Notlagen leisten“ (Kehl & Then 2018, S. 858f). Es geht mit dem Konzept also letztendlich um einen neuen Beurteilungsmaßstab für soziale Dienstleistungen und damit um die Frage ihrer Steuerung bzw. der angemessenen finanziellen Mittel für sie. Da öffentliche Mittel knapp sind bzw. durch politischen Beschluss z. B. gedeckelt und damit tatsächlich knapp definiert werden, sollten sie – so die Konsequenz dieser Argumentation – nur noch nach belegter Wirkung verteilt werden (zur Problematik der Wirkungsmessung im Sozialbereich vgl. Burmester in diesem Band). 6
Investieren in Impact?
Von sozialen Dienstleistungen wird erwartet, dass sie einen Beitrag zur Lösung sozialer Probleme leisten. Aber erreichen sie das auch? Behindern die bestehenden Strukturen (insbesondere die rechtlichen Restriktionen) die Dienstleister nicht in ihrer Kreativität der Bearbeitung sozialer Probleme (Nock et al. 2013)? Ist nicht das gesamte System der sozialen Sicherung zu wenig auf Prävention ausgerichtet, also auf die Vermeidung von Folgekosten (NAB 2014, S. 14)? Das sind übliche Fragen, die aus sozialinvestiver Perspektive gestellt werden. Sie verweisen auf eine Kritik an dem bestehenden verrechtlichten System der sozialen Daseinsvor-
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sorge und legen eine Neuausrichtung nahe, die stärker auf angestrebte gesellschaftliche Wirkungen fokussiert. Gesellschaftliche (soziale) Wirkungen werden mit dem Begriff (Social) Impact beschrieben. Die angestrebte Umsteuerung hat Konsequenzen für die Verwendung der finanziellen Mittel, die für Sozialleistungen zur Verfügung stehen. Allerdings sollte der öffentlichen Hand nach verbreiteter Auffassung solch eine Umsteuerung nicht alleine aufgebürdet werden. Die Europäische Kommission verweist in ihren Mitteilungen „Initiative für soziales Unternehmertum“ (Europäische Kommission 2011) auf das Bedürfnis einer zunehmenden Anzahl von Investoren „neben dem berechtigten Wunsch, mit ihrer Investition eine finanzielle Rendite zu erzielen, durch die Unterstützung langfristiger gemeinnütziger Ziele auch im sozialen oder ökologischen Bereich etwas [zu] bewegen“ (ebd., S. 7). Gesellschaftliche Veränderung oder Wirkung als Anlagemotiv wird im Kontext nachhaltiger Kapitalanlagen als (Social) Impact-Investment oder wirkungsorientiertes Investieren bezeichnet. Im Abschlussbericht des National Advisory Board Germany (NAB), einem Expertengremium, das im Jahr 2013 etabliert wurde, um die Möglichkeiten der Einbindung privaten Investitionskapitals in die Finanzierung sozialer Dienstleistungen in Deutschland zu beraten, ist wirkungsorientiertes Investieren (WI) oder Social Impact Investment (SII) als „private Kapitalanlagen [definiert], die über die reine Orientierung an Rendite und Risiko hinausgehen. Miteingeschlossen ist die Absicht, auch positive soziale oder ökologische Wirkung zu ermöglichen. Diese Wirkung soll möglichst explizit festgelegt und möglichst nachweisbar erbracht werden. Kernidee der WI ist somit der Brückenschlag zwischen positiver sozialer Wirkung und Kapitalbereitstellung“ (NAB 2014, S. 8). In der Diskussion um Impact Investment für das Sozial- und Gesundheitswesen geht es um die Akquirierung zusätzlicher privater Finanzmittel für diesen Bereich: Wenn es Investoren gibt, die mit der Deckung gesellschaftlicher Bedarfe etwas bewirken wollen, dann sollte diese Kapitalressource auch genutzt werden. So heißt es in dem NAB-Bericht: „Über WI bietet sich in Deutschland die Möglichkeit, privates, ‚wirkungssuchendes‘ Kapital gezielt für die Bereiche der Sozialwirtschaft zu mobilisieren, in denen ein gesellschaftlicher Bedarf besteht“ (ebd.). Nach diesen Vorstellungen von Impact Investing werden privaten Investoren die gleichen Motive wie auch Spendern oder Förderern unterstellt, die mit der Hergabe von Geld für soziale Projekte (oder Maßnahmen) bestimmte gesellschaftliche Ziele oder Veränderungen erreichen wollen. Beim Impact Investment handelt es sich allerdings nicht um eine Spende bzw. Förderung (wie sie insbesondere von Stiftungen bekannt sind), denn der Kapitalrückfluss ist angestrebt und darüber hinaus i. d. R. eine (finanzielle) Rendite. Die Kernidee des Impact Investment wird in Teilen der Literatur als „Einsatz von privatem Finanzkapital, welches auf messbare positive gesellschaftliche Wirkungen abzielt und Anlegern gleichzeitig die
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Möglichkeit einer finanziellen Rendite bietet“ (Schäfer & Höchstötter 2015, S. 2) beschrieben. Nach ihren öffentlichen Verlautbarungen scheinen nahezu alle Investoren und Unternehmen mittlerweile ein Interesse am Engagement für gesellschaftlich anerkannte Bereiche zu haben. So wird der Eindruck vermittelt, als ginge es beim Verkauf eigentlich nicht ausschließlich um die eigenen Renditeinteressen der Anbieter. Dass sich Nachfrager von dem Kauf einen Nutzen versprechen und somit der Konsum von Autos, Bekleidung, Lebensmittel usw. als Ausdruck gesellschaftlichen Wohlstands gilt, ist die eine Seite. Die andere ist die Ergänzung des unmittelbaren Nutzenversprechens aus dem Verkauf um eine moralische Dimension: Mit dem Verkauf tut das Unternehmen ‚Gutes‘. So sollen z. B. Verbraucher zum Einkauf eines (speziellen) Bierkastens damit motiviert werden, dass das auf diese Strategie setzende Unternehmen für jeden verkauften Kasten einen Baum im Regenwald pflanzt – den der Biodieselproduzent mit seinen Soja- und Rapsölplantagen bei der anschließenden Tankfüllung dann vermutlich wieder abholzt. Neben solchen Verkaufs- und Marketingargumenten profitieren private Finanzinvestoren in diesen Bereichen von einer mehr oder weniger stattlichen Rendite, so dass sich über die tatsächlichen Motive gut spekulieren lässt, solange sich nachhaltiges oder ethisches Investment finanziell auszahlt. Attraktiv sind Investitionen z. B. in den sozialen Wohnungsbau, in Sozialimmobilien oder auch in Verkehrsinfrastruktur – vor allem in Zeiten niedriger und risikoreicher Rückflüsse auf dem freien Markt – wegen ihrer langfristigen Kalkulierbarkeit und der direkten oder indirekten staatlichen Garantie ihres Rückflusses. Niedrigeinkommensbezieher wird es immer geben. Für Empfänger von Grundsicherungsleistungen sind die Ansprüche an Wohnraum sowohl in Bezug auf deren Größe als auch auf den Preis exakt definiert. Diese Größen bilden eine gute Basis für die Investitionsrechnung. Und: In Zeiten von Chaostagen an den Börsen lassen sich z. B. „Solide Renditen mit Autobahnen / Infrastrukturfinanzierungen gelten als konjunkturunabhängig / Anleger sollten aber Geld und Geduld haben“ (Hock 2018, S. 23) erzielen. Das eigene Renditeinteresse korrespondiert in solchen Fällen sehr gut mit dem ggf. behaupteten Anspruch, einen gesellschaftlichen Nutzen zu bewirken. Welche praktische Relevanz der behauptete Anspruch hat, lässt sich weder theoretisch noch empirisch klären, solange eine (mindestens) marktübliche Verzinsung angestrebt wird und realisierbar ist. Die Forderung nach Messbarkeit oder Nachweis einer positiven gesellschaftlichen Wirkung ist im Konzept des Impact Investments zwar theoretisch angelegt, praktisch scheint solch ein Nachweis in so genannten Nachhaltigkeitsfonds oder anderen Formen nachhaltiger Kapitalanlage, die sich auch auf Impact Investment beziehen, aber von geringer Bedeutung zu sein. Insbesondere sind in den Berich-
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ten zu entsprechenden Kapitalanlagen keine Hinweise auf den Ausweis vergleichbarer Wirkungsgrade zu erkennen, die i. d. R. die Monetisierung der Wirkungen voraussetzen. Anders sieht das in Varianten von Impact Investing aus, bei denen der Kapitalrückfluss nur bei nachgewiesener Wirkung erfolgt. Das geschieht bspw. in Social Impact Bonds (SIB), eine mit hohen Transaktionskosten verbundene Finanzierungsform, die seit einiger Zeit für innovative Projekte im Sozialbereich in mehreren Ländern erprobt wird (ausführlicher: Schäfer & Höchstötter 2015, Burmester & Wohlfahrt 2018, Burmester et al. 2017). Da in diesen Finanzkonstrukten der Kapitalrückfluss von der nachgewiesenen Wirkung abhängt, kommt der Quantifizierung der Wirkung und ihrer monetären Bewertung (Welcher Preis wird für welche Wirkung bezahlt?) entscheidende Bedeutung zu. 7
Wirkungsorientierte Steuerung und Finanzierung
Social Impact Bonds (SIB) sind nur eine Variante wirkungsorientierter Finanzierung. Daneben gibt es andere, die weniger aufwendig und verwaltungstechnisch einfacher abzuwickeln sind (exemplarisch: Riegel 2018). Sollen Modelle der wirkungsorientierten Finanzierung umgesetzt werden, dann sind pragmatische Lösungen gefragt, jenseits von empirisch anspruchsvollen Wirkungsnachweisen. Sowohl in etlichen der europaweit verbreiteten SIB Projekte als auch in anderen Varianten wirkungsorientierter Finanzierung ist als Erfolg bzw. Wirkung die Reduzierung der Ausgaben oder zumindest die Eindämmung des Ausgabenanstiegs für Leistungsträger formuliert. So sind nach der Argumentation des NAB Einsparungen der öffentlichen Hand die konsequente Folge wirkungsorientierter Finanzierung mittels SIB (NAB 2014, S. 36). In zwei Modellprojekten der wirkungsorientierten Finanzierung in der Kinder- und Jugendhilfe sind folgende Wirkungskriterien benannt: „keine weiteren Hilfen“ bzw. „keine Folgemaßnahmen“ in einem gewissen Zeitraum (Riegel 2018, S. 90f.). Formen wirkungsorientierter Finanzierung sind (noch) nicht weit verbreitet. Das dürfte auch wesentlich daran liegen, dass sich aus Vorstellungen über angestrebte Wirkungen nicht so einfach deren Preis begründen oder ableiten lässt. In den erwähnten Modellprojekten zur wirkungsorientierten Finanzierung in der Kinder- und Jugendhilfe findet die Preisbildung über den Bezug auf outputorientierte Leistungsentgelte statt (ebd.). In Anbetracht der Herausforderungen, die mit wirkungsorientierter Finanzierung verbunden sind, ist fraglich, ob sich solche Finanzierungsformen für soziale Dienstleistungen durchsetzen werden. Was aber sicherlich zunehmend relevant sein wird, ist die wirkungsorientierte Steuerung, die in diesem Beitrag als „politische Steuerung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen“ (Polutta 2018, S. 22) verstanden wird.
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Nun wäre es verkürzt, die von den Leistungsträgern angestrebte Wirkung unmittelbar auf Einsparungen zu reduzieren. Das ist zwar das angestrebte Ziel. Dieses soll aber – und hier liegt der Unterschied zu den ausschließlich auf Kostensenkungen ausgerichteten Instrumenten des Neuen Steuerungsmodells – über die Verbesserung der Ergebnisseite (Wirkung) erreicht werden. Es geht also darum, den Hilfebedarf durch eine stärker auf Wirkung ausgerichtete Politik zu senken und darüber Einsparungen zu erzielen. Das kann – entsprechend der Investitionslogik – durchaus mit zunächst steigenden Ausgaben z. B. für Personal einhergehen, um mit der besseren Personalausstattung effektiver auf das angestrebte Ziel (z. B. Senkung der Fallzahlen) hinarbeiten zu können (Hilker & Wörmann 2013). Als ein gelungenes Beispiel für wirkungsorientierte Steuerung wird von kommunalen Vertretern u. a. das ‚Bielefelder Modell‘ angeführt: „Seine konsequente Umsetzung hat dazu geführt, dass seit vielen Jahren keine neuen stationären Plätze geschaffen werden mussten. Gleichzeitig wurde die Wohn- und Lebensqualität aller Einwohner/innen erhöht und der Haushalt der Stadt geschont“ (Kähler 2018, S. 35f). 8
Fachlichkeit und Wirkungsbezug
Über die Wirkung Sozialer Arbeit lassen sich Aussagen ausschließlich auf der fachlichen Ebene machen. Der aktuelle Wirkungsdiskurs mit seiner Fokussierung auf wirkungsorientierte Steuerung des Dienstleistungsangebots hat einen ökonomischen Ursprung und eine ökonomische Zielsetzung. Durch die stärkere Fokussierung auf die seitens der Leistungsträger angestrebten Ergebnisse sozialer Dienstleistungen wird versucht, den Aufwand für das Soziale zu begrenzen. Denn: „eine unwirksame Leistung kann nicht wirtschaftlich sein“ (Erläuterung zu § 128 BTHG). Mit dieser Formulierung wird deutlich, worauf Wirkungsanalyse aktuell zielt. Es geht nicht um den Nachweis von Wirkung aus der fachlichen Perspektive, sondern ausschließlich um den Nachweis von Ergebnissen und Zielerreichung. Dem liegt ein von technologischen Vorstellungen geprägtes Steuerungsverständnis zugrunde: „Es wird implizit eine Teilung zwischen Steuerungssubjekt und intentional beeinflussten Steuerungsobjekt zugrunde gelegt“ (Merchel 2018, S. 9). Weder lassen sich die Zielgruppen Sozialer Arbeit angemessen als Steuerungsobjekte beschreiben, noch sind die Leistungsprozesse so zu fassen. So ist das Interesse der Leistungsträger an einer wirtschaftlicheren Mittelverwendung durch die Berücksichtigung von Wirksamkeit in Anbetracht begrenzter Ressourcen zwar nachvollziehbar, ob das angestrebte Ziel aber erreichbar ist, bleibt abzuwarten.
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‚Social Return on Investment‘-Analysen – Fake News für die Soziale Arbeit Holger Ziegler
In einer jüngst veröffentlichten Analyse zum Social Return on Investment (SROI) des Mentoren-Programms ‘Balu und Du’ haben neun Mentor*innen angegeben, mit – als ‚Moglis‘ bezeichneten – Grundschulkindern Brettspiele zu spielen. Brettspiele, so argumentiert die Studie sinngemäß, seien geeignet, die Konzentrationsfähigkeit zu erhöhen. Diese Fähigkeit sei nun ohne Zweifel für den Schulerfolg wichtig, Schulerfolg sei eine Bedingung für beruflichen Erfolg und wer beruflich erfolgreich sei, zahle Steuern statt Sozialleistungen zu konsumieren. Auf Basis solcher und weiterer messerscharfer Ableitungen lautet das Ergebnis, dass für jeden Euro, der in das Programm ‚investiert‘ werde, mit einem Gewinn von bis zu acht Euro und acht Cent für die Öffentlichkeit gerechnet werden könne (Péron & Baldauf 2014). Vergleicht man die in politischen Kontexten zunehmend prominenten, in wissenschaftlichen Debatten zur Wirkungsforschung aber nur wenig zur Kenntnis genommen SROI-Analysen mit sozialwissenschaftlich fundierten Programmevaluationen, die seit den 1960 Jahren verbreitet sind, finden sich eine Reihe von Unterschieden. Die Effekte, die Programmevaluationsstudien ausfindig machen können, sind in der Regel eher moderat. Hinweise darauf, dass die ausfindig gemachten Effekte auf die Steuerung der Leistungserbringung zurückgeführt werden können, finden sich selten. Die Effekte der mit SROI-Analysen bewerteten Maßnahmen sind demgegenüber oft erheblich. Befunde, dass sich jeder eingesetzte Euro um das drei-, fünf oder gar zwanzigfache auszahlen werde, sind eher die Regel als die Ausnahme. Zugleich sind diese Analysen in der Lage, Belege dafür zu generieren, wie die Steuerung dieser Leistungen zu optimieren sei. Da sie darüber hinaus oft kostengünstiger sind als ‚klassische‘ sozialwissenschaftliche Evaluationsstudien und einige Varianten der SROI-Analyse sogar Kosten-Nutzen-Bilanzen von Maßnahmen ermitteln können, bevor die Maßnahme überhaupt stattgefunden hat, verwundert die Beliebtheit dieser Form der ‚Wirkungsanalyse‘ nicht. Empirische Befunde, die darauf hinweisen, dass in der Regel gerade methodisch schwächere Arbeiten von besonders hohen Effekten berichten (z.B. Weiss, Schmucker & Lösel 2015) sollten aber selbst dann ernst genommen werden, wenn man zu den überzeugten Anhänger*innen jener ökonomistisch-manageriellen Neuausrichtung des Sozialen gehört, für die die Konjunktur der SROI-Analysen steht. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0_15
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Sofern man sich für fundierte Wirkungsanalysen interessiert, mag es schwerfallen, einen Grund dafür zu finden, sich mit SROI-Analysen auseinanderzusetzen. Interessant sind sie aber, wenn man sie im Kontext der Steuerungslogiken des New Public Management versteht oder als Ausdruck und Anwendungsfall eines Umbaus von einem ‚klassischen‘ Sozialstaat hin zu einem Sozialinvestitionsstaat auf der lokalen Ebene, bei dem die Wertigkeit von unterschiedlichen und häufig inkommensurablen Dingen in jener gemeinsamen Währung bestimmt und vergleichbar gemacht wird, die offenbar am meisten überzeugt, nämlich als in Geldeinheiten bemessener Profit (Alvehus & Spicer 2012; Chiapello 2015; 2017). Der folgende Beitrag setzt dennoch einen anderen Schwerpunkt. Er konzentriert sich auf einen, unabhängig von politischen und normativen Kontroversen kaum sinnvoll bestreitbaren Aspekt: Um – mit welcher politischen, ideologischen, strategischen oder fachlichen Motivation auch immer – etwas über Kosten- und Nutzenrelationen sagen zu können, ist es hilfreich etwas über die Wirkungen der untersuchten Programme und Maßnahmen zu wissen. Selbst wenn man SROIAnalysen und Sozialpolitiken, die weniger die Befriedigung von Bedarfen oder die Realisierung von Rechtsansprüchen, sondern den fiskalischen Return on Investment in den Mittelpunkt von Entscheidungen stellen, begrüßen würde, müsste man Analysen für problematisch halten, die darauf verzichten, sicherzustellen, dass ihre Berichte über ‚Wirkungen‘ valide sind. Der Beitrag behauptet, dass SROI-Analysen häufig zu dieser problematischen Gattung von Studien gehören. Er unterstellt zwar nicht, dass die betreffenden Analysen absichtlich Falsches berichten, wohl aber, dass das, was sie über Wirkungen herausfinden, mehr oder weniger kontingent ist. SROIs haben ihre Stärke eher darin, monetäre ‚Returnraten‘ in einer leicht kommunizierbaren und steuerungspolitisch anschlussfähigen Form zu formulieren als darin ihre Wirkungsaussagen zu validieren. Betrachtet man SROI-Analysen aus einer Perspektive, die danach fragt, ob sie den grundlegenden Erfordernissen entsprechen, um dem Anspruch gültiger Wirkungsaussagen zu genügen, besteht wenig Zweifel: Ihre Wirkungsaussagen sind in vielen Fällen ‚Fake‘. Etwas moderater formuliert, sind SROIs eher „ein Mittel um symbolische Legitimität zu reklamieren“ als eine „robuste Methode um soziale Wirkungen zu belegen“ (Vik 2017, S. 6; vgl. Luke et al. 2013). Um zu dieser Einschätzung zu kommen, muss die Messlatte für die Wirkungsforschung nicht übermäßig hoch gelegt werden. Eine Reihe der im Folgenden formulierten Einwände wird von maßgeblichen Institutionen der SROI-Bewegung selbst eingeräumt. So führte etwa der Roberts Enterprise Development Fund, dem bisweilen zugeschrieben wird die ‚SROI Methodology‘ entwickelt und grundgelegt zu haben, aus, die derzeitigen SROI Ansätze seien, insgesamt betrachtet, nicht in der Lage, „grundlegende Erfordernisse” z.B. hinsichtlich der Reproduzierbarkeit von
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Daten, der Datenintegrität und Vergleichbarkeit sicherzustellen (Gair 2009). Dieser Mangel scheint der Konjunktur von SROIs zwar nicht geschadet zu haben. Er wird bisweilen als akademischer Einwand betrachtet, der für das praktische und pragmatische Werkzeug ‚SROI‘ wenig erheblich sei. Allerdings können zweifelhafte Wirkungsaussagen gerade dann Schaden anrichten, wenn sie als pragmatische Grundlage für praktische Entscheidungen eingesetzt werden sollen. 1
Die Möglichkeit valider Kosten-Nutzen-Aussagen
Zweifel an der Gültigkeit der Aussagen von SROI-Analysen bedeuten nicht, dass sich über Maßnahmen der sozialen Daseinsvorsoge keine Kosten-Nutzen-Aussagen machen lassen. Die Gültigkeit solcher Aussagen setzt aber gültige Wirkungsaussagen voraus. Ein Beispiel für eine Studie, die sich um valide Wirkungsaussagen bemüht, ist die (ökonomisch orientierte) „Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen“. Diese Evaluation wurde im Auftrag der Bundesregierung durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das ifo Institut und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung von 2009 bis 2014 vorgelegt. Sie bezieht sich auf insgesamt 156 einzelne Leistungen, für die jährlich rund 200 Milliarden Euro veräußert werden. Evaluiert wurden die Maßnahmen mit Blick auf familienpolitische Ziele wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Sicherung wirtschaftlicher Stabilität der Familien, die frühe Förderung von Kindern, die Erfüllung von Kinderwünschen und den Nachteilsausgleich zwischen den Familien. Das Fundament der Studie sind zwei grundlegende Arten von Evaluationsmethoden: (Quasi-)Experimentelle Forschungen und Methoden zur Ex-Ante-Evaluation in Form von Mikrosimulationsmodellen (zu deren Konjunktur vgl. Desrosières 2008), die auf einem ökonometrisch geschätzten Verhaltensmodell aufbauen und das simulierte Verhalten mit beobachtetem Verhalten vergleichen. Ein Grund dafür, mit solchen Mikrosimulationsmodellen zu arbeiten, besteht darin, dass sich für eine Reihe von (bundesweiten) Maßnahmen kaum hinreichende zeitliche und/oder regionale Variationen finden, die für einen (quasi-)experimentellen Evaluationsansatz (zur Kritik: Cartwright & Deaton 2016) erforderlich sind. Die Kernoperation von Simulationen, Experimentalforschungen sowie letztlich sämtlichen akzeptierten Ansätzen zur Wirkungsforschung besteht im Versuch, Approximationen einer kontrafaktischen Situation herzustellen. Diese ist notwendig, da ansonsten beliebige Entwicklungen als Effekt einer Maßnahme ausgewiesen werden können. Simulationen greifen auf Annahmen zurück, die entweder in bereits vorliegenden (quasi-)experimentellen Analysen nachgewiesen wurden oder in Paneldaten nachweisbar sind. In jedem Fall brauchen sie Datensätze,
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in denen die (zumindest statistisch) gleiche Beobachtungseinheit mehrfach beobachtet wird. Dies ist eine Minimalbedingung, um auch jenseits von Experimentaldesigns Effekte beispielsweise mittels bestimmter Panelmethoden oder durch Regressions-Diskontinuitäten-, Differenz-in-Differenzen- oder Instrumentvariablen-Ansätze berechnen zu können. Selbst wenn man von den verbreiteten Fällen absieht, in denen SROI-Analysen schlichte ex-post Befragungen von Maßnahmeteilnehmer*innen bzw. ‚Stakeholdern‘ durchführen und davon ausgehen, dass Wirkungsanalyse ein Bereich ist, der dem Urteil von Praktiker*innen überlassen bleiben kann (Fujiwara 2015, S. 13), findet sich zumindest unter den SROI-Analysen, die sich auf bestimmte Maßnahmen bestimmter Träger im Bereich der sozialen Daseinsfürsorge richten, keine Studie, die Simulationen auf Basis der dafür erforderlichen Datenstruktur bei der Anwendung einer der genannten Methoden durchgeführt hätte. Was sich demgegenüber recht häufig findet, sind ‚Szenarien‘ oder als ‚theories of change‘ titulierten Arrangements von Annahmen, die mit Daten zu ökonomischen Kosten oder Erträgen im Falle des Eintritts dieser Annahmen verknüpft werden. Neben der entscheidenden Frage, ob denn diese Annahmen tatsächlich eintreffen, sind die Annahmen bisweilen selbst nur mäßig konsistent: In der Regel „überlassen es (SROIAnalysen) den Stakeholdern zu entscheiden, welche Dimensionen berücksichtigt werden sollen (… während e)in umfassendes theoriegeleitetes Konzept unterschiedlicher Wirkungsdimensionen (bis dato) fehlt“ (Schober & Rauscher 2014, S. 273). Solche analytisch eher schwachen Wirkungsmodellierungen paaren sich aber häufig mit ‚starken‘ Interpretationen der Befunde. Was damit gemeint ist, lässt sich im Kontrast zu der Ergebnisinterpretation der Gesamtevaluation eheund familienbezogener Leistungen veranschaulichen. Die Ergebnisse der „Teilstudien wie auch die der Gesamtevaluation“ ließen sich, so schreiben die Autor*innen „nicht auf eine einfache Formel bringen“ (Bonin et al. 2013: 23), zumal sich teils erhebliche Zielkonflikte und ggf. auch Trade-Offs zwischen erreichten Zielen finden. Die Autor*innen konstatieren darüber hinaus Einschränkungen ihrer KostenNutzen-Analysen. So konnten übergreifende gesellschaftliche Erträge nicht erfasst werden. Entsprechend geben die Autor*innen der Evaluation zwar eine Reihe von generellen Empfehlungen, verstehen ihre Befunde aber eher als eine Informationsgrundlage und nicht als Ersatz für Policy-Entscheidungen. Die aus den Befunden gezogenen Schlussfolgerungen können je nach Prioritätensetzung unterschiedlich sein. Demgegenüber gelingt es SROI-Analysen in der Regel ihre Befunde auf eine einfache und recht eindeutige Formel zu bringen. Sie sind in der Lage, das, was sie als ‚Effekte‘ bezeichnen, zu einer Gesamtbilanz zu addieren, machen trotz Einbezugs komplexer Ebenen – wie z.B. die Ebene der ‚Menschenrechte‘ – nur selten Zielkonflikte aus und legen klare Policy-Entscheidungen nahe.
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All dies gelingt den SROI Analysen nicht nur mit Blick auf eine generelle Ausrichtung von Policies, sondern für konkrete Maßnahmen von konkreten Anbietern. Wenn man bedenkt, was akribische Wirkungsevaluationen alles nicht können, ist es bemerkenswert, was die SROI-Analyse alles kann – mit „high feasibility and low costs“ (Fischer & Stanak 2017, S. 17), und nicht nur im Sinne einer evaluativen Beurteilung, sondern bereits vor der Maßnahme im Sinne einer prognostischen „forecast SROI analysis" (Costa 2017). 2
SROI und evidenz-basierte Praxis
Der Vergleich zwischen der Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen und der Vorgehensweise von SROI-Analysen mag hinken. Dies gilt aber weniger mit Blick auf methodische Prinzipien, sondern mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand und die Fragestellung. SROI-Analysen geht es in der Regel weniger um soziale Leistungen im Allgemeinen, sondern um den Return on Investment im Sinne einer Art Rechenschaftslegung einer spezifischen Maßnahme eines spezifischen Anbieters. Der Sache nach ist diese Frage aber nicht weniger anspruchsvoll, zumal insbesondere dem Rekurs auf verfügbare Daten aus anderen Studien in diesem Fall schon deshalb Grenzen gesetzt sind, weil sich diese Daten auf andere Entitäten beziehen. Ein wichtiger Ausgangspunkt der Konjunktur der SROI-Analysen ist die Erwartung, dass es im Zuge einer „zunehmende(n) Wirkungsorientierung“ zu einer Anpassung von organisationalen Strukturen, Abläufen und Handlungslogiken“ kommen wird, „wenn z. B. Steuerungsinstrumente oder Reportingsysteme um Wirkungsdimensionen ergänzt oder ersetzt werden“. Daher zeichne sich eine „Adaption von bisherigen Leistungsverträgen hin zu Wirkungsverträgen mit der öffentlichen Hand“ ab, die „auch eine Neudefinition der Ziele im Sinne von Wirkungszielen beinhaltet“ (Schober & Rauscher 2014, S. 275). Vor diesem Hintergrund scheinen SROI-Analysen attraktiv, weil sie klassische Accounting-Ansätze in einer Weise erweitert, die zumindest semantisch an die fachlich-politische Bewegung anschließt, welche seit den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts unter der Chiffre evidenzbasierte Praxis oder ‚evidence-based policy making‘ prominent geworden war. Der Unterschied zur evidence-based policy (EBP) besteht aber darin, dass der Anspruch letztgenannter die Generierung einer Wissensbasis zur praktischen Leistungserbringung ist, die die wirksame Gestaltung von Maßnahmen sicherstellen soll (Otto, Polutta & Ziegler 2010). Demgegenüber stellt SROI die Nutzenbilanz der Leistungsfinanzierung einer Maßnahme in den Mittelpunkt.
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Die EBP hat einige Impulse bezüglich der Möglichkeiten einer validen Messung von Programmeffekten setzen können. Entsprechende Forschungen sind in der Lage Kausalbeschreibungen über Programme zu liefern, d.h. sie können festzustellen, ob die Programme ihre versprochenen Ziele erreicht (oder nicht erreicht) haben. Zumindest im Bereich der personenbezogenen Sozialpolitik haben aber praktisch implementierte Ansätze einer evidenz-basierten Social Policy ihre Wirksamkeits- und Effizienzversprechen empirisch nur sehr bedingt eingelöst (vgl. Cartwright & Hardy 2012; Nutley, Powell & Davies 2013). Versuche einer direkten Praxisanleitung auf Basis von Befunden der empirischen Wirkungsforschung scheinen notorisch in eine Technokratisierung zu münden, die die Möglichkeit einer gegenüber individuellen Nutzer*innen responsiven Praxis reduziert. Ob die wenig ermutigende empirische Bilanz nun – wie Befürworter*innen meinen – in der praktischen Implementation der EBP in managerialistischen Formaten einer problematischen Top-Down-Regulierung begründet liegt oder – wie radikalere Kritiker*innen argumentieren – dem Ansatz unweigerlich selbst anzulasten sei, ist an dieser Stelle eher unerheblich. Relevanter ist, dass sich die SROI-Analyse in einem gewissen Sinne seitenverkehrt zur EBP erhält: Sie fällt überall dort, wo die Stärke von EBP liegt, zurück und akzentuiert genau das, was in der Regel als Grund für das praktische Scheitern der EBP ausgemacht wird. Bei SROI steht die Sicherung valider Wirkungsaussagen nicht im Vordergrund, während die Brauchbarkeit für Zwecke der Entscheidungsanleitung der lokalen Wohlfahrtssteuerung ein zentrales Argument darstellt. SROI zielt nur sehr bedingt auf eine inhaltliche Qualifizierung und Wissensfundierung der Prozesse praktischer Leistungserbringung, sondern begründet sich von Beginn an als praktische Methode des New Public Management (dazu: Wohlfahrt 2017), nämlich als eines von vielen Management-Tools im Kontext von Versuchen zur Sicherstellung von ‚social accounting‘. Das ‚Soziale‘ an diesem accounting besteht im Falle von SROI darin, die maßgebliche Kapitalrenditekennzahl zur Bilanzanalyse aus dem Du-PontKennzahlsystem auf den Bereich der sozialen Daseinsfürsorge zu übertragen. ‚Investments‘ (gemeint sind die eingesetzten Mittel und Entgelte sowie ggf. weitere Opportunitätskosten) werden in Beziehung zu den (wie auch immer ermittelten) ‚Wirkungen‘ gesetzt. Im Sinne von ‚Profiten‘ (z.B. zusätzlichen Steuerquellen) oder – und häufiger – im Sinne von Einsparungen, z.B. mit Blick auf den Bedarf künftiger Sozialausgaben, werden diese als die ‚Returns‘ der Praktiken von Sozialunternehmen verhandelt. Knapp zusammengefasst besteht die Kernoperation von SROI darin, Prinzipien des Accounting mit einer ‚Wirkungsmessung‘ zu verknüpfen (Arvidson, Lyon, McKay & Moro 2010). Allerdings besteht der Sinn dieser Wirkungsmessung – anders als im Falle der EBP – nicht darin ein ‚Manual‘ zur Verbesserung der Wirksamkeit einer spezifischen Praxis vorzulegen, sondern
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in der Generierung einer Formel zur ‚sozial‘ profitablen Allokation von Leistungsfinanzierungen. Geht man mit den SROI-Protagonist*innen davon aus, dass das Ergebnis der sozialen Bilanzanalyse à la SROI den Wert der Maßnahmen dokumentiert, besteht der zentrale Impuls, grob gesprochen, im Argument, Sozialleistungen weniger als Element diskretionärer sozialgestaltender Entscheidungen zu gestalten, sondern als Ergebnis eines Rechenvorgangs, der zugleich die Frage der optimalen Unterstützungsform klärt. SROI geht es weniger darum ein Effektmaß über das Ausmaß der Wirksamkeit einer Maßnahme zu liefern, sondern eine Renditekennzahl als Maßeinheit für rationale Policy Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus relevant, wenn eine Reihe von Forscher*innen darauf hinweisen, dass z.B. ‚Wirkungsfeststellung‘ von SROI in Form von Befragungen von Praktiker*innen in den untersuchten Einrichtungen wenig Sinn machen. Dabei geht es gar nicht primär um prinzipielle forschungsmethodische Fragen, sondern um recht praktische Dinge. Wenn SROI-Analysen relevant für Policy-Entscheidungen über Finanzierungen von konkreten Maßnahmen sind, laufen sie Gefahr einen Zusammenhang zu forcieren, der als Campbell’s Law bekannt – und belegt – ist: Wenn Leistungsanbieter einem System spezifischer Verfahren und Leistungsbemessungen unterworfen werden und dabei Belohnungen aus dem Erreichen der entsprechenden Kennzahlen entstehen, tendieren sie dazu, Aktivitäten zu entwickeln, die auf die Erfüllung von Vorgaben und das Erreichen von Indikatoren ausgerichtet werden, die im Monitoring wertvoll sind. Dass die Kennzahl verbessert wird, ist dann aber nicht notwendig gleichbedeutend mit der Erhöhung der realen Leistung, die die gemessene Größe abbilden soll. Wir können, um ein etwas plakatives Beispiel zu geben, z.B. sagen, wer gut französisch kann, kann auch folgende dreißig Vokabeln, die sich in einem Vokabeltest abfragen lassen. Wenn eine Französischlehrerin ihre Zeit nun dazu verwendet, ihren Schüler*innen exakt diese dreißig Vokabeln einzupauken, mag eine Messung (ein Vokabeltest) zwar bestätigen, dass die Schüler*innen zwei Wochen später diese dreißig Vokabeln können, wir werden aus diesem Befund aber kaum sinnvoll ableiten können, dass die Schüler*innen nunmehr exzellent die französische Sprache beherrschen. Insbesondere im Bereich personenbezogener sozialer Dienstleistungen hat eine Ausrichtung auf das Erreichen gegebener PerformanceIndikatoren nicht nur potenziell adverse Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit (dazu z.B. Speklé & Verbeeten 2014; Verbeeten & Speklé 2015) und eine hohe Wahrscheinlichkeit praktischer Fehlsteuerungen, sondern korrumpiert auch die Konstruktvalidität der evaluativen Messungen oder, wie es der Namensgeber von Campbell’s Gesetz formuliert: „Je stärker ein quantitativer Sozialindikator dazu benutzt wird um soziale Entscheidungen zu treffen, desto stärker ist er verzerrenden Einflüssen ausgesetzt und desto mehr führt sein Gebrauch dazu, jene sozialen
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Prozesse zu verzerren und zu verfälschen, die eigentlich untersucht werden sollen“1 (Campbell 1979, S. 85 Übers. H.Z.). Campbells Law gilt selbst im Falle von per se valide fundierten Sozialindikatoren, potenziert sich aber, wenn die Messung von Impacts auf dem bloßen Fundament von Erfassungen der Einschätzungen von Praktiker*innen oder anderen Stakeholdern erfolgt. Die verbreitete Tendenz zu dieser Trivialform der ImpactMessung ist von einer breiten Reihe von Vertreter*innen des SROI-Ansatzes selbst kritisiert worden (Banke-Thomas, Madaj, Ameh & van den Broek 2015; Banke-Thomas 2018; Gair 2009; Fujiwara 2015), die auf die Notwendigkeit verweisen, auf verlässliche Outcome-Daten und reliable Befunde zu rekurrieren. Während die Kritik an der Fundierung von Wirkungen auf der Basis querschnittlich erhobener Aussagen von Betroffenen und ‚Stakeholdern‘ überzeugt, ist die Zuverlässigkeit der Wirkungsaussagen von SROI auch dann nicht sichergestellt, wenn die Analysen den offensichtlichen Fehlschluss vermeiden, Wirkungsaskriptionen von Programmbeteiligten als reale Zustandsveränderungen zu interpretieren. Die Problematik der Wirkungsaussagen von SROI-Analysen wird im Folgenden am Beispiel einer vergleichsweise anspruchsvollen deutschsprachigen Studie beschrieben, die beansprucht, auf gültigen ökonomischen Daten und Befunden aus soliden Studien aufzubauen. 3
Die Konstruktion von Kosten-Nutzen-Analysen in der Sozialen Arbeit – Ein Beispiel
Eine vergleichsweise stark beachtete deutschsprachige Kosten-Nutzen-Analyse mit Blick auf den social impact einer Maßnahme aus dem Feld der Sozialen Arbeit, ist die 2011 vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen veröffentlichte Studie zu Kosten und Nutzen Früher Hilfen von Maier-Gräwe und Wagenknecht. Zur Berechnung dieser Analysen werden im Rekurs auf vorliegende empirische Studien Szenarien modelliert, die verdeutlichen sollen, „welche Kosten im Lebenslauf eines Kindes unter der Annahme einer Kindeswohlgefährdung entstehen und welche Kosten demgegenüber entstehen, wenn durch Frühe Hilfen und vernetzte Hilfeund Unterstützungsleistungen eine Kindeswohlgefährdung verhindert werden kann“ (Maier-Gräwe & Wagenknecht 2011, S. 51). Die Szenarien speisen sich aus Forschungsergebnissen, die einen mittleren bis starken Zusammenhang von Kindeswohlgefährdung „mit dem Bildungserfolg, mit gering qualifizierter Beschäftigung, Verhaltensauffälligkeiten in der Kindheit und Jugend, posttraumatischen 1
“The more any quantitative social indicator is used for social decision making, the more subject it will be to corruption pressures and the more apt it will be to distort and corrupt the social process it was intended to monitor” (Campbell 1979: 85).
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Belastungsstörungen, Depressionen, Alkoholproblemen, Übergewicht und straffälligem Verhalten“ (Maier-Gräwe & Wagenknecht 2011, S. 47) ausweisen. Das konkrete Projekt wird auf dem Fundament von Daten beschrieben, die „auf eine halbjährige Stichprobe von 39 Kindern (aufbauen), die im Zeitraum zwischen 01.04.2008 und 30.09.2008 im St. Marienkrankenhaus (in Ludwigshafen) geboren wurden und eine erhöhte Risikobelastung aufwiesen“ (Maier-Gräwe & Wagenknecht 2011, S. 40). Die ‚möglichst realistisch‘ modellierten Szenarien variieren danach, ob und zu welchem Zeitpunkt die unterstützenden Interventionen in der frühen Kindheit stattfinden. In einem Referenzszenario wird eine Frühe Hilfe in der Geburtsklinik wahrgenommen und durch eine erweiterte Hebammennachsorge flankiert. Das Szenario beschreibt in der Folge einen mehr oder weniger unproblematischen künftigen Lebensverlauf einer/s Fachangestellten mit Realschulabschluss. Dem wird u.a. ein ‚pessimistisches‘ Szenario ohne Frühen Hilfen gegenübergestellt, das u.a. eine retardierte Entwicklung sowie Übergewicht zum Zeitpunkt des Eintritts in die Grundschule annimmt. Das Kind besucht eine Schule für sozial-emotionales Lernen, es folgen SPFH und Heimerziehung. Im Erwachsenenalter wechseln Tätigkeiten als ungelernte/r Arbeitnehmer*in mit Phasen der Arbeitslosigkeit. „Aufgrund des lebenslangen Übergewichts kommt es zu Folgeerkrankungen“ und schließlich, mit 61 Jahren, zu einer „vorzeitigen Berufsunfähigkeit durch die Diabeteserkrankung und daraus resultierende Folgeerkrankungen“ (Maier-Gräwe & Wagenknecht 2011, S. 56). Die Studie arbeitet mit Daten zu Regelleistung beim Arbeitslosengeld II, Teilnehmer*innenkosten für unterschiedliche Maßnahmen des Übergangssystems, erwartbaren Steuereinkommen und Sozialversicherungsausgaben (aber auch relativen Wertschöpfungsverlusten gegenüber einer kontinuierlichen Beschäftigung als Fachangestellte/r) sowie Kosten für SPFH, Heimerziehung, Behandlung Diabetes mellitus etc. Die Kosten der Frühen Hilfen werden kleinteilig rekonstruiert. Die Maßnahmen und deren Dauer (bei kalkulierten 42 Euro pro Fachleistungsstunde), anteilige Overheadkosten (z.B. Verwaltungs- und Sekretariatskosten) sowie Vernetzungskosten (Kooperationsstrukturaufbau, runde Tische etc.) werden akribisch erfasst. Alle möglichen mit der Frühen Hilfe verbundenen Aktivitäten – einschließlich der Minuten für das „Anlegen des Anhaltsbogens“ (Maier-Gräwe & Wagenknecht 2011, S. 42) in der Geburtsklinik (5 Minuten) oder dem Schließen von Vereinbarungen mit den Familien (31 Minuten) – werden rekonstruiert und in Geldeinheiten umgerechnet. Grundlage sind keine Schätzungen, sondern Realanalysen der 39 Fälle. Im Ergebnis fallen bei mehr als 60% (d.h. 24) der Fälle Gesamtkosten pro Fall von unter 1.000 Euro für die Frühen Hilfen an. Im skizzierten ‚pessimistischen‘ Szenario ohne Frühe Hilfen addieren sich demgegenüber die einer unterlassenen Frühen Hilfe zugeschriebenen Fallkosten auf 1.243.002 Euro. Aufgrund einzelner kostenintensiverer Maßnahmen und weil – warum auch immer – ein
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Krippenbesuch ab dem ersten Lebensjahr als Kosten der Frühen Hilfen berechnet wurden, belaufen sich die kalkulierten fallbezogenen Durchschnittskosten der untersuchten Frühen Hilfen auf 34.105 Euro. Bei Einbezug alternativer pessimistischer Szenarien (mit weniger Arbeitslosigkeit und vorzeitiger Berufsunfähigkeit aufgrund von Depressionen) stehen den investierten 34.105 Euro durchschnittliche Fallkosten von 1.159.295 Euro gegenüber. Das entspricht einem Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1:34. Dass in einer alternativen Präsentation über dasselbe Projekt die Kosten für die Frühen Hilfen mit 7.274 Euro kalkuliert und eine Ratio von 1:159 errechnet wurde, ist vor dem Hintergrund des argumentativen Gesamtkonstrukts eher nebensächlich. Die Studie hat die fiskalische Proxikalkulation transparent dokumentiert und die Szenarien auf dem Fundament hinreichend fundierter Referenzstudien modelliert. Ihr Problem ist dennoch kaum verkennbar: Der fehlende Nachweis über den Zusammenhang zwischen der konkreten Intervention in Ludwigshafen und den erwarteten Effekten wird durch Annahmen über Wirkungsketten aus anderen Studien abgeleitet und auf die Aktivitäten des lokalen Projekts übertragen. Dies entspricht der in der Literatur empfohlenen Vorgehensweise zu SROI-Analysen: Die ‚theoretischen‘ Annahmen sollen mit verfügbaren Daten ‚aus der empirischen Forschung‘ gefüllt werden. Eine solche Füllung ist aber methodisch fehlerhaft, wenn die Daten nicht über den beobachteten Gegenstand aufklären, sondern über andere Gegenstände, die von anderen Wirkungsstudien analysiert werden. Dieses methodische Problem ist für SROI-Analysen zu speziellen – zumal lokalen – Projekten und Programmen durchaus typisch. Es stellt ein anschauliches Beispiel dafür dar, warum es wenig hilfreich ist, Fragen ‚ökologischer Validität‘ als akademische Kopfgeburten von spitzfindigen Methodenfetischist*innen aus dem Elfenbeinturm misszuverstehen. Es verhält sich eher seitenverkehrt. Während für akademische Grundlagendebatten die ‚interne Validität‘ von Messungen von zentraler Bedeutung ist, hat das Übergehen von ökologischer Validität von allen ‚threads to validity‘ in der Wirkungsforschung (dazu: Farrington 2003) die höchste Praxisrelevanz: Aus der Beobachtung, dass irgendetwas irgendwo wirksam war, abzuleiten, ‚this works here‘, ist methodisch, epistemologisch und empirisch fehlerhaft. Sie ist gerade für die Beurteilung je konkreter lokaler Praktiken untauglich und evoziert nahezu notwendig praktisch irreführende Befunde (Cartwright 2007; Cartwright & Hardy 2012). Bei der hier dargestellten Beispielstudie bedarf es keiner komplexen methodischen Diskussion um die Problematik zu erkennen: Zwar kann man abstrakt von ‚Frühen Hilfen‘ sprechen. Diese wiederum mögen paradigmatisch für präventive Interventionen in der prägenden Phase der frühen Kindheit sein. Allerdings sind die analysierten praktischen Maßnahmen nicht in einem abstrakten Sinne präventive Interventionen in die Frühe Kindheit, sondern konkrete Maßnahmen. Es geht
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(überwiegend) um Beratungen von Eltern im Falle von (irgendwie) als Risikofamilien identifizierten Familien zu einem Zeitpunkt um die Geburt des Kindes. Selbst wenn Studien einen Zusammenhang von Kindeswohlgefährdung und Übergewicht herstellen und andere Studien z.B. für Erziehungsberatungen (je nach Dauer und Intensität) statistisch nachweisbare Wirkungen aufzeigen mögen (vgl. Arnold et al. 2018), sind Modellierungen von Szenarien, in der eine familienbezogene Beratung wie auch immer damit zusammenhängt, dass das Kind in diesen Familien mit 61 Jahren wegen Diabetes mellitus in Folge von Adipositas frühverrentet werden wird, erkennbar an den Haaren herbeigezogen. Hinzu kommt, dass die Studien, auf die sich die Berechnungen stützen, im Wesentlichen über Folgen von Kindeswohlgefährdungen berichten und weniger über den Erfolg von Maßnahmen zur Vermeidung von Vernachlässigungen und Misshandlungen von Kindern. Es ist irrig aus Studien die Aussagen über die Auswirkungen eines Problems – z.B. einer Kindeswohlgefährdung – zu machen, Aussagen über die erwartbaren Wirkungen und fiskalischen Auswirkungen einer spezifischen Problemlösung – z.B. ‚Frühen Hilfen‘ – abzuleiten. Studien, die nicht die ‚Auswirkung‘ von Kindeswohlgefährdungen, sondern die Wirkungen entsprechender Präventionsprogramme zur Vermeidung von ‚Kindeswohlgefährdung‘ untersuchen, berichten in der Regel von eher moderaten Effekten. Auch die Annahme, dass – selbst erfolgreiche Interventionen einen Impuls setzen, der nachhaltig über den Lebensverlauf anhält, weitere Unterstützungen überflüssig macht und entsprechend kumulative Wirkungen über alle weiteren Lebensphasen nach sich zieht, ist empirisch kaum haltbar (vgl. Brooks-Gunn 2003). Vor allem aber variieren die Effekte erheblich zwischen unterschiedlichen Programmansätzen und deren Implementationsweisen – ohne dass es hinreichend valides Wissen darüber gibt, was die Effektivitätsunterschiede begründet (vgl. Nievar, van Egeren & Pollard 2010). Alleine aufgrund der Ergebnisvarianzen ist es kaum zulässig, Ergebnisse zu frühkindlichen Präventionsansätzen im Allgemeinen auf ein spezifisches lokales Programm Früher Hilfen zu übertragen. Fehlschlüsse dieser Art sind nicht nur in SROI-Analysen zu Frühen Hilfen (vgl. z.B. auch Juraszovich 2017), sondern auch in entsprechenden Analysen aus anderen Feldern verbreitet. Sie tragen dazu bei, dass SROI-Raten in der Regel umso höher ausfallen, je dramatischer das Problem und die damit – gerade in langen Zeitreihen – assoziierten Kosten sind und je günstiger die konkreten Maßnahmen sind, die in den Blick genommen werden. Dies gilt insbesondere, wenn der konkrete Wirkungsnachweis auf die argumentative Fantasie der SROI-Autor*innen reduziert wird. Es ist kaum übersehbar, dass entsprechende Analysen immer dann dazu tendieren außerordentlich hohe SROI-Raten zu berichten, wenn es um kostengünstige niedrigschwellige und präventive Maßnahmen gegenüber Men-
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schen (insbesondere gegenüber Kindern) mit potenziell ausgeprägten Problemlagen geht. Entsprechend findet sich in Feldern der frühkindlichen Intervention praktisch keine SROI Analyse, die nicht zu dem Befund eines – in der Regel erheblichen – positiven Social Return on Investment käme (Fischer & Stanak 2017). Demgegenüber ist der SROI von vergleichsweise intensiven Maßnahmen niedriger – jedenfalls wird ein Return von 1:20 oder 1:30, z.B. im Kontext der Heimerziehung (dazu etwa Roos 2005), eher selten berichtet. Diese Studienanlage trägt dazu bei, dass sich die verbreitete – allerdings empirisch problematische (BrooksGunn 2003) – Annahme von selbst bestätigt, dass insbesondere frühkindliche Interventionen bei niedrigen ‚Investitionen‘ zu hohen (individuellen wie gesellschaftlichen) ‚Renditen‘ führen und diese ‚Renditen‘ mit zunehmendem Alter von Kindern linear oder gar exponentiell abnehmen. Die ausgewiesenen Renditen wirken zwar beeindruckend, beschreiben aber häufig kaum mehr als Woozle-Effekte der Studien selbst: „Winnie the Pooh vertiefte sich so in seine Suche nach vermeintlich gefundenen Schneespuren eines Woozles, dass er letztendlich seine eigenen bei der Suche entstandenen Spuren für den Beweis der Existenz des Woozles hielt“ (Graebsch 2011, S, 141). SROI-Analysen, die bei der Modellierung von Wirkungsannahmen, auf der Überzeugungskraft vermeintlich klarer Ergebnisse anderer Studien – inklusiver anderer SROI – aufbauen, sind hierfür offenkundig besonders anfällig (Marti & Gond 2018). Dass die mittels SROI Analysen errechneten Return-Raten von Maßnahmen in der Regel wenig mit den Befunden zu Programmen korrespondieren, die mit sozialwissenschaftlich akzeptierten Wirkungsanalysen erforscht werden (Vik 2017), ist vor diesem Hintergrund wenig überraschend. Die Differenzen zwischen den Befunden von SROI und methodisch eher fundierten Wirkungsforschungen weisen jedoch kein zufälliges Muster auf, sondern einen eindeutigen upward-bias im Falle von SROI-Analysen (Fuijwara 2015). SROI-Analysen, deren Befunde versprechen, dass jeder in das von ihnen analysierte Projekt ‚investierte‘ Euro um das doppelte, fünf-, zehn-, 20oder gar mehr als 30-fache zurückfließen wird, sind keinesfalls selten und finden sich auch dort, wo z.B. Experimentalforschungen deutlich geringere, keine oder gar reverse Effekte ausmachen (Vik 2017). Auch für das Programm, in dem das Projekt angesiedelt war, auf das sich die als Beispiel gewählte Kosten-Nutzenanalyse Früher Hilfen bezieht, findet sich eine (quasi-)experimentelle Wirkungsstudie, die u.a. in eine Meta-Analyse eingeflossen ist, die Taubner, Munder, Unger und Wolter (2013) vorgelegt haben. Taubners Analyse berichtet über die Wirksamkeit von Maßnahmen Früher Hilfen bezüglich der untersuchten evaluativen Endpunkte wie folgt: „In Bezug auf die psychische Entwicklung der Kinder zeigte sich ein Programmeffekt nahe Null (d = 0.05) und für die körperliche Entwicklung der Kinder ebenfalls ein Nulleffekt (d = 0.00)“ (Taubner et al. 2013, S. 599). Das Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1:34 oder wahlweise 1:159 dürfte entsprechend
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rasch auf 1: „ziemlich wenig“ fallen. Zu klären wäre, ob sich nun eher die SROIAnalysen oder (quasi-)experimentelle Wirkungsanalysen irren. 4
Einige Minimalstandards der Wirkungsforschung
SROI-Analysen haben in der Regel nicht den Anspruch zu ‚erklären‘, warum die untersuchten Praktiken wirken (oder nicht wirken). Tatsächlich wäre es ausreichend zu erfahren, ob (und in welchem Ausmaß) eine als relevant erachtete Wirkung eintritt. Aber auch solche kausaldeskriptiven Analysen unterliegen einigen Minimalstandards. Die Behauptung, eine Maßnahme hätte eine Wirkung für die Maßnahmenteilnehmer*innen, ist gleichbedeutend mit der Behauptung, dass mit Menschen, die an dieser Maßnahme teilnehmen, etwas Anderes geschieht als bei Menschen, die nicht an dieser Maßnahme teilnehmen. Um diese Behauptung zu prüfen, vergleichen Wirkungsforschungen die Ergebnisse einer Gruppe, die an dieser Maßnahme teilnimmt – ceteris paribus – mit den Ergebnissen von Gruppen, die diese Maßnahme nicht erhalten. Versteht man mit dem Mainstream der Wirkungsforschung Wirkungen als die Folge von etwas, das einen Zustand herbeiführt, muss dieses ‚wirksame‘ Etwas dem Effekt zeitlich vorangehen. Teilt man diese Annahme, müssen Wirkungsanalysen mehrere Messzeitpunkte aufweisen. Es bedarf mindestens der Kenntnis der Situation vor dem Eintritt dessen, was man als Ursache einer Wirkung beschreiben möchte und Kenntnis der Situation nach dem Eintritt der potenziellen Wirkungsursache. Das ist recht banal. Als die eigentliche Herausforderung einer zuverlässigen Wirkungsforschung gilt es, die CeterisParibus-Bedingung herzustellen, d.h. methodisch sicherzustellen, dass sich außer der untersuchten Maßnahme, keine anderen unkontrollierten (als Dritt- oder Störvariablen bezeichnete) Einflüsse finden, die den Zusammenhang der Ereignisse beeinflussen. Pål Vik (2017) hat in seiner Kritik an SROI-Studien im Feld von ‚microfinance impact assessments‘ anschaulich die erheblichen Verzerrungen, Effektüberschätzungen und unzulässigen Schlussfolgerungen aufgezeigt, die auf unzureichende oder nicht vorhandene Kontrollen von Drittvariablen zurückzuführen sind (im Allgemeinen: Goldacre 2008). Um die Qualität von SROI-Analysen zu beurteilen, ist die komplizierte Frage nach Verfahren der Kontrolle von Dritt- und Störvariablen jedoch in der Regel nicht notwendig, weil die Mehrheit der SROIAnalysen bereits den basalen Minimalanforderungen an Wirkungsanalysen nicht gerecht werden. Unter dem Titel „Social Return on Investment (SROI): State-of-the-Art and Perspectives. A Meta-Analysis of practice in Social Return on Investment (SROI)
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studies published 2002-2012” hat das Heidelberger Centrum für Soziale Investitionen und Innovationen (CSI) (2013) eine systematisierte Bewertung von 114 SROI-Analysen vorgelegt. Im Ergebnis hatten ganze drei eine wie auch immer operationalisierte Interventionsgruppe mit einer wie auch immer operationalisierten Kontrollgruppe verglichen. Mehr als 80% der SROI-Analysen haben keine Daten verwendet, die in ein wie auch immer modelliertes Vorher-Nachher-Design importiert worden wären. Demgegenüber waren aber über 80% der SROI Analysen in der Lage, die ‚Wirkungen‘ zu monetarisieren und praktisch alle (über 97%) legten eine Kosten-Nutzen-Analyse vor. Andere Überblicksanalysen zu SROI Studien kommen zu ähnlichen Befunden (vgl. z.B. Banke-Thomas et al. 2015), die man auch so zusammenfassen könnte: Typischerweise berechnen SROI-Analysen wie sich eine soziale Profitrate darstellen würde, wenn sich die Welt so verhalten würde, wie es dem Willen und der Vorstellung von SROI-Analytiker*innen – oder von ‚Stakeholdern‘ – entspräche. Selbst wenn SROI-Analysen für die je einzelnen Projekte legitimatorische oder ‚werbewirksame‘ Effekte entfalten können (Luke, Barakett & Eversale 2013), ist es ein praktisches Problem, dass festgestellte Wirkungen dazu tendieren revers zur Qualität der Studien zu sinken. Unabhängig davon, ob man es für einen Fortschritt in der Sache hält, wenn sich Maßnahmen nicht durch Bedarfsgerechtigkeit, gegenstandsbezogene Angemessenheit und fachliche Qualität, sondern durch den ‚Return‘ der fiskalischen Investition im Bereich der Daseinsvorsorge begründen (dazu Nolan 2013), besteht die Gefahr, dass die steigende praktische Relevanz von SROI-Berechnungen bei Policy Entscheidungen weniger dazu beiträgt, dass sich die ‚wirksamsten‘ Programme und Maßnahmen durchsetzen, sondern vor allem die Programme, die durch schlechte Studien flankiert werden. 5
Die Story und die Zahl
SROI-Analysen liefern für Policy-Entscheidungen im Wesentlichen eine ‚Story‘ und eine ‚Zahl‘. Angesichts der mangelnden Validität der Wirkungsannahmen und Modelle gibt es begründete Zweifel an der Gültigkeit der typischen ‚SROI-Story‘. Allerdings ist der Stellenwert der Gültigkeit von Wirkungsgeschichten im Kontext der SROI-Debatte im Vergleich zum Versprechen der politischen Darstellbarkeit von erhöhter „Verantwortlichkeit und Glaubwürdigkeit“ (Mudaliar, Schiff & Bass 2016, S. 5) eher zweitranging (dazu O’Flynn & Barnett 2017). Vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit widmet die SROI-Literatur indes der Zuweisung der ‚Zahlen‘, d.h. der „financial proxy calculation“. Diese Zahlenzuweisung ist im Wesentlichen der Versuch einer fiskalischen ‚Kommensuration‘, d.h. der Herstellung ei-
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ner Vergleichbarkeit unterschiedlicher Gegenstände auf dem Fundament einer gemeinsamen Maßeinheit (Espeland & Stevens 1998; 2008). Im Falle von SROI soll es die Maßeinheit „Euro“ (oder wahlweise Dollar, Yuan, Pfund etc.) erlauben, neben finanziellen Wirkungen im engeren Sinne soziale, kulturelle, politische, ökologische oder ästhetische ‚Wirkungen‘ in die Analyse einzubeziehen. So wird es als die ‚Stärke‘ der SROI betrachtet, z.B. Dimensionen des subjektiven Erlebens der Betroffenen oder Implikationen von Maßnahmen für das Sozialklima oder für die Menschenrechte zu erfassen, zu verrechnen und in einer einzelnen ökonomischen Profit- oder Verlustrate auszudrücken. An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, dass die Form der Kommensuration in SROIs oft eine „pure babble“ (Davies 2016) bzw. ein weitgehend ideosynkratisches, auf subjektiven Wertungen und Intuitionen basierendes (Arjaliès & Bansal 2018; de Larminat, 2013; Ortiz, 2014), in jedem Falle aber ein normatives und ideologisches Unterfangen darstellt (Chiapello 2015, Davies 2015), das empirisch häufig nicht einmal von den Managern der evaluierten Einrichtungen selbst geglaubt wird (Chiapello & Godefroy 2017: 152). Davon ausgehend, dass „das was SROI Evaluationen attraktiv macht“ das Versprechen der „Berechnung einer vergleichbaren, standardisierten headline ratio“ (Pathik & Dattani 2014, S. 93) sei, ist es aber interessant einen Blick darauf zu werfen, wie SROI-Raten in der entsprechenden Literatur selbst bewertet werden. In einer Studie, die u.a. die Kalkulation von SROI-Raten bei 350 SROI-Analysen im Feld von public health in den Blick nimmt, erläutern etwa Banke-Thomas et al. (2015), dass ein Vergleich der SROI-Raten weder Aussagen darüber erlaube, welche die wirksamste Maßnahme sei, noch welche Maßnahme die höchste Kosten-Nutzenbilanz aufweise. Der Befund, dass SROI-Ratios von unterschiedlichen Analysen nicht vergleichbar und entsprechend auch nicht als Kennzahlen von Benchmarking tauglich seien, wird aber nicht nur von Kritiker*innen moniert (vgl. z.B. Emerson & Cabaj 2000; Gibbon & Dey 2011; Luke et al. 2013), sondern auch in der programmatischen Literatur weitgehend akzeptiert. So erläutern etwa SROI-Guidelines, das Vergleiche von Social-Return-Raten zwischen Organisationen weder sinnvoll noch hilfreich seien (Nicholls, Lawlor, Neitzert & Goodspeed 2009, S. 77) und einige Autor*innen meinen, SROI-Analysen wären gar nicht für Vergleiche konzipiert (Arvidson & Lyon 2014). Herauszufinden, für was entsprechende Analysen denn ansonsten konzipiert sein sollen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die eher SROI-Protagonist*innen als dem Autor dieses Beitrags zukommt. Im Allgemeinen wird der Sinn von Verfahren der Kommensuration jedenfalls genau darin gesehen, Vergleichbarkeit herzustellen. Selbst im Falle von SROI wäre erwartbar, dass eine Returnrate von 1:2 bedeutet, dass für jeden investierten Euro zwei Euro Return zu erwarten seien und eine Rate von 1:30, dass für jeden investierten Euro 30 Euro returnieren. In der
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Regel gelten Euros als gut mit Euros vergleichbar. Sofern es aber zutrifft, dass sich aus dem Vergleich solcher SROI-Raten nicht die Intervention mit dem besten Kosten-Nutzenverhältnis identifizieren lassen, stellt sich die Frage, was die Zahl dann zum Ausdruck bringt. Einige SROI-Protagonist*innen erläutern diesbezüglich, dass ein „Vergleich von SROI Indikatoren (…) nur innerhalb derselben untersuchten Organisation über den Zeitverlauf bei konstanten Berechnungsmethoden zulässig“ (Rauscher, Schober & Millner 2012, S. 11) sei. Dies ist ein nur bedingt überzeugendes Argument für SROI-Analysen. Denn prinzipiell ist alles vergleichbar, was innerhalb derselben Entität auf Basis derselben Indikatoren erhoben und mit derselben Berechnungsmethode analysiert wird. Anders formuliert, scheinen selbst zentrale Ideengeber*innen nur sehr ansatzweise zu glauben, dass die von ihnen in Euros berechneten ‚Returns‘ tatsachlich Euros sind. Vermutlich kann Jeremy Nicholls zugestimmt werden, dass es bei SROI im Wesentlichen darum geht, eine ‚Story‘ mit einer ‚Number‘ zu verknüpfen. Nur handelt es sich dabei letztlich um irgendeine Story, die mit irgendeiner Zahl verknüpft wird. 6
Resümee
Der Beitrag formuliert keine Kritik an einer Wirkungsforschung zur Sozialen Arbeit. Er führt aber aus, dass SROI-Analysen in aller Regel keine Verfahren anwenden, die geeignet sind, um die Wirkungen von Maßnahmen der Sozialen Arbeit hinreichend valide zu messen. Was SROI über Wirkungen berichten, ist weitgehend „Fake“. Um von Harry Frankfurt (2014) zu borgen, wird damit nicht behauptet, dass die Aussagen absichtsvoll unwahr oder zwangsläufig falsch sind, sie messen dem Anspruch auf die Sicherstellung des Wahrheitswerts der formulierten Behauptung aber wenig Bedeutung bei. Wenn das, was SROI-Analysen bislang vorgelegt haben, dem entspricht, was diese Analysen können und sollen, gibt es wenig rationale Gründe die für eine Ausrichtung von Policy-Entscheidungen an SROIAnalysen sprechen – und zwar unabhängig davon, ob soziale Leistungen für volkswirtschaftlich rentable Investitionen, die praktische Realisierung der sozialen Rechte von Bürger*innen, als Versuch der Sicherung von ‚Menschenwürde‘ oder als irgendetwas anderes begründet werden. Allerdings ist die Frage, wie sich Policy-Entscheidungen ausrichten, nicht trivial. Dass eine Orientierung am Return on Investment Konjunktur hat, dürfte unabhängig von der derzeitigen Qualität von SROI-Analysen gelten. Der Verweis auf den zum Teil schlechterdings real-satirischen Qualitätscharakter von SROI Analysen sollte nicht zur Ignoranz gegenüber der Tatsache führen, dass KostenNutzen-Analysen auf Basis solider Wirkungsanalysen möglich sind und zuneh-
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mend theoretisch wie methodisch elaborierte Ansätze zur fiskalischen Kommensuration verschiedenster sozialer, kultureller und ethischer Lebensdimensionen entwickelt werden. Eine grundlegende Debatte über die ‚Finanzialisierung‘ von Valorisierungen (d.h. Wertzuschreibungen) sowie von Entscheidungen im Bereich von Public und Social Policy (Chiapello 2015; 2017), ist daher auch im Bereich der Sozialen Arbeit geboten. Dass die zunehmende Relevanz dieser Logik derzeit durch die Prominenz von SROI und einer Reihe weiterer ‚Innovationen‘ (man denke etwa an Social Investment Bonds, zum Zusammenhang Chiapello 2015: 26) in Erscheinung tritt, schließt keinesfalls aus, dass diese Logik künftig auch durch valide Studien auf methodisch hohem Niveau flankiert werden kann, die nicht ohne Weiteres als ‚Fake‘ zurückgewiesen werden können. Vor diesem Hintergrund sind SROI Analysen weniger hinsichtlich ihrer wirkungsanalytischen Befunde interessant, sondern mit Blick auf ihre politisch-ideologischen Argumente. In monetären Einheiten formulierte Semantiken sowie ökonomisch instrumentelle Begründungen von Wohlfahrtsstaatlichkeit und Sozialer Arbeit scheinen recht erfolgreich darin zu sein, politisch dominante Kernüberzeugungen und Fantasien über effiziente Steuerung zu bedienen. Dass dem, was diese Analysen über Wirksamkeit berichten, Beachtung geschenkt wird, dürfte vor allem an der Einfachheit und Klarheit der SROIs liegen, die diese attraktiv für „policy-makers, fundraisers and investors“ machen, „who are keen to quantify and express social value creation and thus make comparative assessments of social value” (Gibbon & Dey 2011, S. 62). Es ist ein eigenständiger Anlass zur Besorgnis, dass dafür eine Reduktion der „Messung sozialer Wirkungen auf eine potenziell bedeutungslose oder gar irreführende headline figure” (Gibbon & Dey 2011, S. 62) in Kauf genommen wird. Das Kernproblem einer neo-liberalistischen Sozial- und Gesellschaftspolitik besteht aber nicht darin, dass sie auf unzuverlässigen Studien aufbaut. Literatur Alvehus, J. & Spicer, A. (2012). Financialization as a strategy of workplace control in professional service firms. In: Critical Perspectives on Accounting, 23: 497-510. Arjaliès, D. & Bansal, T. (2018). Beyond numbers: How investment managers accommodate societal issues in financial decisions. In: Organization Studies, 39, 695–725. Arnold, J., Macsenaere, M. & Hiller, M. (2018). Wirksamkeit der Erziehungsberatung. Freiburg: Lambertus.
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Arvidson, M. & Lyon, F (2014). Social Impact Measurement and Non-profit Organisations: Compliance, Resistance, and Promotion. In: Voluntas, 25: 869886. Arvidson, M., Lyon, F., McKay, S. & Moro, D. (2010). The Ambitions and Challenges of SROI. Southampton: Third Sector Research Centre. Banke-Thomas, A. (2018). What about the issues in using social return on investment as an evaluation tool? In: Evaluation Journal of Australasia, 18, 1: 64– 68. Banke-Thomas, A., Madaj, B., Ameh C. & van den Broek, N. (2015). Social Return on Investment (SROI) Methodology to Account for Value for Money of Public Health Interventions: A Systematic Review. In: BMC Public Health 15, 1: 1–14. Bonin, H., Fichtl, S., Rainer, H., Spieß, K., Stichnoth, H. & Wrohlich, K. (2013). Lehren für die Familienpolitik: Zentrale Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen. In: ifo Schnelldienst 18: 22–30. Brooks-Gunn, J. (2003). Do you believe in magic? What we can expect from early childhood intervention programs. In: Society for Research in Child Development. Social Policy Report, 17: 3-14. Campbell, D. (1979). Assessing the impact of planned social change. In: Evaluation and Program Planning, 2, 1:67-90. Cartwright, N. (2007). Hunting causes and using them: approaches in philosophy and economics. Cambridge: Cambridge University Press. Cartwright, N. & Hardy, J. (2012). Evidence-based policy: a practical guide to doing it better. New York: Oxford University Press. Cartwright, N. & Deaton, A. (2016). Understanding and misunderstanding randomized controlled trials. NBER Working Paper 22595. Cambridge: National Bureau of Economic Research. Chiapello, E. (2015). Financialisation of Valuation. In: Human Studies, 38:13–35. Chiapello, E. (2017). La financiarisation des politiques publiques. In: Mondes En Développement, 23–40. Chiapello, E. & Godefroy, G. (2017). The Dual Function of Judgment Devices. Why does the Plurality of Market Classifications Matter? In: Historical Social Research, 42, 1: 152–188. Costa, M. (2017). Social return on investment (SROI), including elements on costbenefit analysis. In B. Greve (Hrsg.), Handbook of Social Policy Evaluation (S. 57–76). Cheltenham, UK: Edward Elgar Publishing. Davies, W. (2015). The return of social government: From 'socialist calculation' to 'social analytics'. In: European Journal of Social Theory, 18, 4: 431–450. Davies, W. (2016). The Limits of Neoliberalism: Authority, Sovereignty and the Logic of Competition. London: Sage.
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Autorinnen und Autoren
Monika Burmester, Dr. rer. pol., Dipl.-Volkswirtin, bis 2018 Professorin für Ökonomie des Sozial- und Gesundheitswesens an der Evangelischen Hochschule R-W-L. Mehrere Jahre Leiterin des Masterstudiengangs Management in sozialwirtschaftlichen und diakonischen Organisationen. Forschungsschwerpunkte: Wirkungsforschung, sozialwirtschaftliche Finanzierung, sozialräumliche Versorgungsstrukturen. E-Mail: [email protected] Jan Friedemann, Dr. rer. medic., Dipl.-Kaufmann, ist Professor für Sozialökonomie und Betriebswirtschaft im Gesundheits- und Sozialwesens an der Evangelischen Hochschule R-W-L. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der Nutzerorientierung von Sozial- und Gesundheitssystemen und der Integration ökonomischer und fachlicher Perspektiven der sozialen Arbeit. E-Mail: [email protected]. Peter Friedrich, Dipl. Erziehungswissenschaftler, seit 2015 Referent für Grundsatzfragen in der Geschäftsstelle der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). Davor wissenschaftliche Tätigkeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit den Forschungsschwerpunkten Verbände- und Wohlfahrtsforschung, bürgerschaftliches Engagement und Corporate Social Responsibility. Stephanie Funk hat Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld studiert. Nach Studienabschluss in 2014 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der hiesigen Universität in der Arbeitsgruppe Prävention und Gesundheitsförderung. Im Rahmen des Projekts „Wirkung und Nutzen inklusiver Quartiersentwicklung“ der Freien Wohlfahrtspflege NRW vertiefte sie ihre Arbeitsschwerpunkte in Evaluation und war als Mitarbeiterin im bbb Büro für berufliche Bildungsplanung tätig. Arbeitsschwerpunkte sind Wirkungsevaluation in der Quartiersarbeit und Evaluationen bildungspolitischer Programme. Bernd Halfar, arbeitet als Professor an der Katholischen Universität-Eichstätt-Ingolstadt in den Fachgebieten Sozialökonomie und Sozialinformatik. Nach der Promotion Forschungsstipendiat an der Bocconi-Universität in Mailand sowie der Universität Rom, Gastdozent an der Universität Archangelsk in Nordrussland, Mitglied in Aufsichtsräten und Beiräten der Sozialwirtschaft, Seniorpartner der Unternehmensberatungsfirma „xit GmbH“. Ines Himmelsbach ist seit 2014 Professorin für Soziale Gerontologie an der Katholischen Hochschule Freiburg. Seit 2016 ist sie dort stellvertretende Leiterin des Instituts für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF). Nach dem Studium der Erziehungswissenschaften und Romanistik an den Universitäten Heidelberg und Frankfurt und Tätigkeiten am Deutschen Zentrum für Alternsforschung Heidelberg und dem Arbeitsbereich Interdisziplinäre Alternswissenschaften in Frankfurt promovierte sie 2008 zum Thema ‚Altern zwischen Kompetenz und Defizit‘. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Burmester et al. (Hrsg.), Die Wirkungsdebatte in der Quartiersarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30539-0
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Autorinnen und Autoren
den Bereichen Bildung im Alter, Altern mit Kompetenzeinbußen und Wohnen im Alter. Sie ist Studiengangsleitung des Verbundmasterstudiengangs Angewandte Gerontologie: Zukunft Alter (https://www.zukunft-gerontologie.de/). Konstantin Kehl, Dr. rer. pol., Dozent am Institut für Sozialmanagement der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Zuvor leitete er die Transfer- und Beratungsaktivitäten und das Berliner Büro des Centrums für soziale Investitionen und Innovationen (CSI) der Universität Heidelberg. Nach dem Studium der Politikwissenschaft und Soziologie arbeitete Konstantin Kehl am CSI in verschiedenen Forschungs- und Beratungskontexten. Zu seinen inhaltlichen Schwerpunkten gehören Sozialpolitik, Non-Profit-Organisationen / Zivilgesellschaft und Wirkungsanalyse. Reinhold Knopp, Doktor der Politikwissenschaft, Professor für Stadt- und Kultursoziologie an der Hochschule Düsseldorf und Dekan des Fachbereichs Sozial- und Kulturwissenschaft; seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Stadtentwicklung und Quartiersarbeit, kulturtheoretische Ansätze in gesellschaftspolitischen Entwicklungen. E-Mail: [email protected] Cornelia Kricheldorff ist Professorin für Soziale Gerontologie und Soziale Arbeit im Gesundheitswesen an der Katholischen Hochschule Freiburg. Seit 2008 ist sie dort als Prorektorin für Forschung und Weiterbildung auch Leiterin des Instituts für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF) und seit 2012 auch Sprecherin des Forschungsschwerpunkts Versorgungsforschung. Nach dem Studium der Sozialpädagogik, einem Magisterstudium in den Fächern Soziologie, Psychologie und Erziehungswissenschaft und einem Diplom in Sozialer Gerontologie, in München, Augsburg und Kassel, erfolgte die Promotion zum Dr. phil. an der Universität Rostock. Für ihre umfangreichen Forschungsarbeiten, die sich vor allem auf innovative Konzepte und Interventionen in der einschlägigen Fachpraxis beziehen, erhielt sie 2016 als wissenschaftliche Auszeichnung den Großen Preis der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG). Sabine Kühnert ist seit 1999 Professorin für Pflegewissenschaft an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe und leitet dort seit 2013 den Studiengang Gesundheits- und Pflegemanagement. Zuvor war sie lange Zeit Geschäftsführerin des Instituts für Gerontologie an der Technischen Universität Dortmund. Ihre Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen i n den Bereichen gerontologische Versorgungsforschung, Alter und Behinderung und altengerechte Quartiersentwicklung. Sie ist als Gutachterin für verschiedene Forschungsförderprogramme tätig und Reviewerin für die Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. Sandra Ludes (Sozarb./Sozpäd. B.A., Alternde Gesellschaften M.A.) arbeitet seit drei Jahren in der gemeinwesenorientierten Sozialen Arbeit im „zentrum plus“ Benrath der Diakonie Düsseldorf. Während des Bachelorstudiums war sie in verschiedenen quartiersbezogenen Forschungsprojekten als studentische Mitarbeiterin an der Hochschule Düsseldorf tätig.
Autorinnen und Autoren
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Olivia Rauscher arbeitet in der Bereichsleitung „Wirkungsanalyse“ und ist Senior Researcherin am Kompetenzzentrum für Nonprofit-Organisationen und Social Entrepreneurship der WU (Wirtschaftsuniversität Wien). Mag. Rauscher ist Mitbegründerin des österreichischen Arbeitskreises zu Wirkungsanalysen im Rahmen des Social Value International Networks und hat in diesem Feld zahlreiche Forschungsprojekte durchgeführt sowie Publikationen veröffentlicht. Anne van Rießen, Doktorin der Philosophie, Professorin für Methoden Sozialer Arbeit an der Hochschule Düsseldorf. Sie ist Leiterin der Forschungsstelle für sozialraumorientierte Praxisforschung und -entwicklung sowie stellvertretende Leiterin des interdisziplinären Institutes für lebenswerte und umweltgerechte Stadtentwicklung; ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Partizipation und Demokratisierung Sozialer Arbeit, Nutzer_innenforschung, Sozialraumbezogene Soziale Arbeit und Stadtentwicklung. E-Mail: [email protected] Margit Risthaus (Dipl. Sozarb., Mastercoach) ist seit mehr als 20 Jahren in der gemeinwesenorientierten Sozialen Arbeit tätig und koordiniert die „zentren plus“ der Diakonie Düsseldorf. Als Coach berät und begleitet sie zudem Initiativen oder Kirchengemeinden bei der Initiierung von Projekten und dem Aufbau partizipativer Strukturen. Ihr Blick auf diese Prozesse ist systemisch geprägt. Peter Stepanek, Studium der Internationale Betriebswirtschaft, lehrt und forscht am FH Campus Wien im Masterstudium Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit. Zu seinen Fachgebieten zählen Controlling, Social Entrepreneurship und Wirkungsorientierung. Als Unternehmensberater hat er Wirkung im Fokus. Alexander Sbosny hat Geografie in Bremen und Bochum studiert. Seit 2010 ist er Mitarbeiter und Gesellschafter der StadtRaumKonzept GmbH in Dortmund. StadtRaumKonzept ist eine Ausgründung des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die integrierte Stadt- und Quartiersentwicklung. Aktuell ist er Quartiersmanager in der Dortmunder Nordstadt, entwickelt mit der Stadt Luxemburg und ihren Umlandgemeinden ein interkommunales Handlungskonzept und evaluiert für die Städte Gelsenkirchen und Herten das Stadterneuerungsprogramm „Hassel.Westerholt.Bertlich“. Christian Schober ist wissenschaftlicher Leiter des Kompetenzzentrums für Nonprofit-Organisationen und Social Entrepreneurship der WU (Wirtschaftsuniversität Wien). Dr. Schober leitete zahlreiche Forschungsprojekte und publizierte zu den Themen Wirkungsanalyse, Social Return on Investment sowie Finanzierung und Governance von Nonprofit Organisationen. Norbert Wohlfahrt, Dr. rer soc., Prof.i.R. für Sozialmanagement an der Ev. Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe
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Autorinnen und Autoren
Holger Ziegler ist Professor für Soziale Arbeit an der Universität Bielefeld. Er beschäftigt sich mit Fragen der Wirkungsforschung, sozialer Gerechtigkeit und sozialinvestiver Sozialstaatlichkeit. Zisenis, Dieter, Dipl.-Päd., ist erster geschäftsführender Gesellschafter der bbb Büro für berufliche Bildungsplanung Klein & Zisenis GbR. Er hat in Hannover und Oldenburg Erziehungswissenschaften studiert und arbeitet seit 2007 als selbständiger Berater und Erziehungswissenschaftler. Davor war er in unterschiedlichen Arbeitsfeldern und Leitungsfunktionen in der Erwachsenenbildung tätig, zuletzt als Institutsleiter eines Fort- und Weiterbildungsinstituts für Gesundheitsberufe. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation nationaler und europäischer Projekte, Konzeptentwicklung und Projektmanagement im Bereich Bildung/Weiterbildung, Sozialwirtschaft – mit den besonderen Themenschwerpunkten Sozialraum, Quartier und Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. Er ist Gründungsmitglied von WQ4 - Verein zur Förderung der Quartiersentwicklung e. V. (https://www.wq4.de/). E-Mail: [email protected]
Allgemeine Information zum Buch Diese Publikation bezieht sich auf wesentliche Erkenntnisse des Projekts „Wirkung und Nutzen inklusiver Quartiersentwicklung WINQuartier“ (Laufzeit: 01.01.2016 bis 30.04.2019). Das Projekt wurde durch die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW gefördert und im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW, vertreten durch die Arbeiterwohlfahrt, Bezirk Westliches Westfalen e. V., umgesetzt. Das Projektmanagement erfolgte durch bbb Büro für berufliche Bildungsplanung Klein & Zisenis GbR, Dortmund, Dieter Zisenis und Stephanie Funk. Die Herausgeberschaft haben die fünf Mitglieder des wissenschaftlichen Entwicklungsteams im Projekt (Prof. Dr. Monika Burmester, Prof. Dr. Jan Friedemann, Prof. Dr. Sabine Kühnert, Dieter Zisenis und Stephanie Funk) übernommen. Finanzielle Mittel aus dem Projektbudget wurden nicht zur Verfügung gestellt.